Schulbuch als Mission: Die Geschichte des Georg-Eckert-Instituts [1 ed.] 9783412514501, 9783412507374


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Schulbuch als Mission: Die Geschichte des Georg-Eckert-Instituts [1 ed.]
 9783412514501, 9783412507374

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Schulbuch als Mission ISBN 978-3-412-50737-4

Eckhardt Fuchs, Kathrin Henne, Steffen Sammler

Schulbuchforschung und Schulbuchrevision bilden bis heute zwei zentrale Pfeiler der Arbeit des Georg-Eckert-Institutes. Die Geschichte des Institutes zeigt, dass beide nicht unabhängig voneinander denkbar sind. Vor diesem Hintergrund wird die Entwicklung des Institutes auf einer breiten Quellengrundlage aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt und kritisch hinterfragt. Die von Anfang an bedeutende und heute weltweit größte Schulbuchsammlung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer findet dabei besondere Aufmerksamkeit. Die Institutsgeschichte zeigt, wie sich wissenschaftliche Perspektiven sowie politische und finanzielle Steuerungsinstrumente der Schulbuchforschung und -revision mit Blick auf den Wandel von der bilateralen Zusammenarbeit zur ­globalen Vernetzung veränderten. Das Institut hat dabei immer auf veränderte gesellschaftliche Kontexte reagiert und setzte mit eigenen Schwerpunkten wichtige Impulse für die Wissenschaft, Bildungspolitik und -praxis.

Eckhardt Fuchs Kathrin Henne Steffen Sammler

Schulbuch als Mission Die Geschichte des Georg-Eckert-Institutes

Schulbuch als Mission Die Geschichte des Georg-Eckert-Institutes

Eckhardt Fuchs Kathrin Henne Steffen Sammler

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Marek Kruszewski Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51450-1

Inhalt

Vorwort 

6

VI Forschungsinfrastrukturen 

I

132

1 Von der Schulbuchsammlung zur

Einleitung 

8

internationalen Forschungsbibliothek 

134

2 Digitale Infrastrukturen für Forschung und

II

Bildung 

Vorgeschichte der Schulbuchrevision bis 1945 

140

3 Die Publikationen des Georg-Eckert-Institutes  146 14

VII III

Das Institut in der Region 

152

Vom Internationalen Institut für Schulbuch­ verbesserung zum Leibniz-Institut 

26

VIII Anhang 

IV

172

1 Direktorinnen und Direktoren des

Internationale Schulbucharbeit 

52

Georg-Eckert-Institutes und des Internationalen Schulbuchinstitutes 

V Schwerpunkte der Schulbuchforschung 

80

  1 Instrumentarien der Schulbuchrevision und Grundlagen der Schulbuchforschung 

82 88

  3 Gewalterfahrungen und Widerstand 

94

  4 Nation 

97

  5 Kolonialismus und postkoloniale Perspektiven  104 108

  7 Europa und die europäische Integration  114   8 Menschenrechtsbildung 

174

3 Bildnachweise 

175

4 Ausgewählte Publikationen zur

  2 Demokratie und Diktatur 

  6 Religion 

173

2 Abkürzungsverzeichnis 

121

  9 Umwelt 

124

10 Kulturelle Vielfalt und Diversität 

127

Institutsgeschichte 

176

Vorwort

Die Idee zu einer einführenden Geschichte des Georg-Eckert-Institutes – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung ist 2015 aus Anlass des 40. Jahrestages seiner Gründung im Jahr 1975 entstanden. Sie beruht auf der erstmaligen Auswertung eines umfangreichen Quellenbestandes, der zum einen in Braunschweig und im Niedersächsischen Landesarchiv in Wolfenbüttel überliefert ist und die Entwicklung des Institutes dokumentiert. Für das Buch wurden zum anderen zahlreiche Quellen jener nationalen und internationalen Institutionen einbezogen, die das Institut politisch und finanziell gefördert und zahlreiche Vorhaben der Schulbucharbeit und der Schulbuchforschung gemeinsam mit ihm durchgeführt haben. Diese befinden sich im Niedersächsischen Landesarchiv, dem Stadtarchiv Braunschweig, dem Archiv der Technischen Universität Braunschweig, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, dem Archiv des Europarates in Straßburg und im UNESCOArchiv in Paris. Dem Ansatz folgend, einen populärwissenschaftlichen Überblick zur Geschichte des GEI zu schreiben, der an eine breite Öffentlichkeit gerichtet ist, haben wir auf archivalische Einzelnachweise und ausführliche Literaturverweise verzichtet. Diese können der interessierten Leserin/dem interessierten Leser aber bei Nachfrage gern zur Verfügung gestellt werden.

6

Das Buch wäre ohne die Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen nicht in dieser Form entstanden. Unser Dank für die kritische Durchsicht des Manuskriptes geht an Anette Blaschke, Wolfgang Jacobmeyer, Robert Maier, Marcus Otto, Falk Pingel, Dirk Sadowski und Gisela Teistler. Und ohne die sachkundige Beratung in den Archiven und die Bereitschaft unserer Interviewpartner, ihre persönlichen Erfahrungen mit uns zu teilen, wären uns viele Informationen über die Geschichte des Institutes nicht zugänglich gewesen. Die Erforschung der Institutsgeschichte und deren Verschriftlichung ist in großzügiger Form von der Braunschweigischen Stiftung, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und der Hans und Helga Eckensberger Stiftung gefördert worden. Wir danken allen drei Förderinstitutionen für diese Unterstützung und für die Geduld, die sie bis zur Fertigstellung des vorliegenden Bandes aufgebracht haben. Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine unterhaltsame Reise durch die Geschichte unseres Institutes und hoffen, mit diesem Buch auch Ihr Interesse zu wecken, unser Haus zu besuchen. Sie sind herzlich willkommen.

7

I Einleitung

Im Jahr 2015 feierte das Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung den 40. Jahrestag seiner Gründung als eigenständiges Forschungsinstitut.

Georg Eckert

Seine Geschichte begann allerdings wesentlich früher – nämlich bereits 1951, als Georg Eckert an der Pädagogischen Hochschule/Kant-Hochschule in Braunschweig das „Internationale Institut für Schulbuchverbesserung“ ins Leben rief. Die Prägungen, die Eckert durch die frühe politische Arbeit in der SPD, die eigene Auseinandersetzung mit seinem NSDAP-Eintritt, vor allem aber seine Erfahrungen als Wehrmachtsangehöriger und ab 1944 im Widerstand in Griechenland erfuhr, bestimmten sein entschlossenes Engagement für einen demokratischen Neuaufbau des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland. 10

Georg Eckert verortete sein Schaffen bewusst in der Kontinuitätslinie der von Gewerkschaften, Regierungen und internationalen Organisationen in der Zwischenkriegszeit durchgeführten Aktivitäten zur Schulbuchrevision. Dabei ging es darum, Schulbücher von Feindbildern und Stereotypen zu befreien, um damit internationale Verständigung und Frieden – die zwei zentralen Schlagworte der internationalen Bildungsarbeit in den 1950er und 1960er Jahren – zu befördern. Sein Wirken auf dem Gebiet der internationalen Schulbuchrevision fußte auf der Überzeugung, dass eine Aussöhnung mit den ehemals verfeindeten Nachbarstaaten

strukturen“ entwickelt und bereitstellt.1 Gemäß Gründungsgesetz betreibt und ermöglicht das Institut Forschung mit einem kulturwissenschaftlich-historischen Schwerpunkt und befördert den nationalen und internationalen wissenschaftlichen Austausch. Darüber hinaus transferiert es seine Arbeitsergebnisse in die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit: Das GEI berät Bildungspolitik und -praxis und vermittelt in internationalen Schulbuchangelegenheiten. Seine zentralen Aufgaben erfüllt es in drei Feldern, die durch das am Institut entwickelte „Zirkuläre Modell wissenschaftlicher Wertschöpfung“ generell aufeinander bezogen sind und damit dem Leibniz-Profil in besonderem Maße entsprechen: Forschung, Forschungsinfrastrukturen und Wissenstransfer.

auf demokratischer Grundlage beruhen und zugleich Teil der auswärtigen Kulturpolitik des neuen Deutschlands werden müsse. Eckerts jahrzehntelanges Schaffen auf dem Feld der Schulbuchrevision, das in seiner Wahl zum Präsidenten der Deutschen UNESCO-Kommission im Jahr 1964 einen Höhepunkt fand, prägte die Geschichte des Institutes auch nach seinem Tod im Jahre 1974. Heute ist das GEI laut Senatsstellungnahme der Leibniz-Gemeinschaft ein Institut, welches „auf Grundlage seiner Forschungsergebnisse […] qualitativ hochwertige wissenschaftliche Infra-

Alle Abteilungen des GEI sind in diesen drei zentralen Aufgabenfeldern aktiv. Sie stellen ausgehend von einer weltweit einzigartigen Schulbuchsammlung Infrastrukturen in Form von Quellen und Werkzeugen für die wissenschaftliche Arbeit zu Curricula, Schulbüchern und weiteren Bildungsmedien forschungsbasiert, digital und vor Ort bereit. Sie betreiben Forschung zu Produktion, Inhalten und Aneignung von schulischen Bildungsmedien in ihren soziokulturellen, politischen, ökonomischen und historischen Kontexten. Das „Zirkuläre Modell“ schließt sich durch den abteilungsübergreifenden Wissenstransfer: Alle Abteilungen erbringen Transferleistungen aus kritischer Forschungsperspektive für die nationale und internationale Bildungspraxis, Bildungsmedienproduktion und Bildungspolitik. 11

Das Institut hat sich einen nationalen wie internationalen Ruf erworben, der nicht nur für die Einzigartigkeit des Georg-Eckert-Institutes, seine wissenschaftliche und bildungspraktische Arbeit spricht, sondern bis heute Ansporn ist, die Schulbuchforschung voranzutreiben. Das GEI ist deshalb als Partner internationaler Bildungsorganisationen aktiv und legt einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf den Wissenstransfer. Expertisen, Empfehlungen und Weiterbildungen sorgen ebenso für die Vermittlung der Forschungsergebnisse wie die jährliche Auszeichnung besonders hochwertiger Schulbücher.

12

Denn Schulbücher erfüllen nach wie vor eine zentrale Funktion: Über sie definieren Staaten und gesellschaftliche Interessengruppen nicht nur, welches Wissen tradiert und welche Kompetenzen gefördert werden sollen, sondern auch, wo kulturelle Grenzen von Gemeinschaften verlaufen. Vor allem in den als sinnbildend wahrgenommenen Fächern – unter anderem Geschichte, Geographie und Sozialkunde/Politik – reicht ihre gesellschaftliche, wissenschaftliche, bildungspraktische und pädagogische Relevanz weit über die eines bloßen Lehrmittels hinaus. Da das in ihnen präsentierte Wissen

stets Aushandlungsprozessen unterliegt, wird das Schulbuch immer wieder zum Politikum. Die rasante Vervielfältigung der diskursiven und medialen Arenen, in denen heute um Deutungshoheit und Definitionsmacht gerungen wird, verändert auch den gesellschaftlichen Ort und die Funktion von Schulbüchern und Schulbuchwissen. Die Repräsentationen und Interpretationen der Wirklichkeit, die Schulbücher liefern, müssen sich angesichts des digitalen Wandels stärker und expliziter als je zuvor in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Deutungsangeboten behaupten. Die Analyse von Schulbüchern eröffnet einen Weg zur Erforschung von Identifikationsprozessen, von Inklusions- wie Exklusionsmustern und damit auch von „Integration“. Angesichts neuer gesellschaftlicher Problemlagen, etwa im Kontext von postkolonialen Migrationsgesellschaften und den jüngsten Fluchtbewegungen nach Europa, sind die Anforderungen an eine kulturell vermittelnde und Verständigung fördernde Schulbuchforschung deutlich komplexer geworden. Die „internationale Verständigung“ hat sich somit zu einer „interkulturellen Verständigung“ gewandelt.

Dieser Band widmet sich den Aktivitäten und zentralen Forschungsfragen des GEI seit den Tagen, als Georg Eckert in seinem kleinen Arbeitszimmer begann, die ersten Schulbücher zu sammeln und mit Kollegen aus Europa und den USA die ersten Schulbuchgespräche aufnahm. Seit dieser Anfangszeit ist das Institut nicht zuletzt durch die Unterstützung des Landes Niedersachsen stetig gewachsen; es hat seine Arbeitsfelder kontinuierlich ausgedehnt und seine Sammlungen beständig erweitert. Zunächst wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, aber zeigen, woher die Idee der Schulbuchrevision ursprünglich stammte und wie es dazu kam, dass Georg Eckert das „Internationale Institut für Schulbuchverbesserung“ gründete.

1 Leibniz-Gemeinschaft, Der Senat: Stellungnahme zum Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, Braunschweig (GEI), 11. Juli 2017. S. 2 (https://www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/ user_upload/downloads/Evaluierung/Senatsstellungnahmen/GEI_-_ Senatsstellungnahme_11–07–2017_mit_Anlagen.pdf, abgerufen am 01.07.2018).

13

II Vorgeschichte der Schulbuchrevision bis 1945

Hirt’s Deutsches Lesebuch. Zweiter Teil. Breslau, 1939.

Die Idee der Schulbuchrevision entstand in der internationalen Friedensbewegung, die in ihrer frühen Phase Ende des 19. Jahrhunderts bereits einen „Unterricht im Geiste des Friedens“ forderte.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Geschichte nicht in allen Ländern denselben Stellenwert im schulischen Unterrichtssystem einnahm – in Großbritannien beispielsweise wurden erste allgemein verbindliche Unterrichtseinheiten in Geschichte erst im frühen 20. Jahrhundert Begriffsdefinitionen: eingeführt und ein großer Teil der LehSchulbuchrevision: inhaltliche Verbesserung von Schulrenden hatte dafür keine spezielle Ausbüchern durch bi- und multilaterale Aktivitäten bildung.2 Deshalb ist es nachvollziehbar, Schulbuchforschung: wissenschaftliche Untersuchungen zur dass Schulbuchrevision – insbesondere in Produktion, zu Inhalten und zur Aneignung von SchulBezug auf Geschichtsbücher – im Gegenbüchern satz zu den anderen, vielfältigen BeSchulbucharbeit: alle bi- und multilateralen Aktivitäten in mühungen um Frieden und VölkerverBezug auf Schulbücher ständigung eine eher untergeordnete Rolle spielte. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg konstituierten sich allerdings zahlreiche Daraus folgend gerieten Schulbücher explizit auf Institutionen, die sich mit Schulbuchinhalten bedem ersten Weltfriedenskongress in Paris im Jahr fassten. Dazu gehörten unter anderem der Ständige 1889 in den Fokus. Sie wurden hier als Quelle des gegenseitigen Nichtverstehens bezeichnet und es wurde die Forderung erhoben, „[sie] von den falschen Gedanken über Wesen und Ursachen der Kriege zu reinigen“.1 Militärische Inhalte und Kriege sollten nur mehr auf sehr knapp bemessenem Raum dargestellt werden. Auch auf den nachfolgenden Weltfriedenskongressen wurde die Frage des Friedens aus pädagogischer Perspektive immer wieder erörtert und unter anderem eine Empfehlung an Geschichtslehrkräfte gerichtet, in ihrem Unterricht die Schrecken und die Sinnlosigkeit von Kriegen zu betonen. In diesem Zusammenhang ist auch die zunehmende Überzeugung zu sehen, dass der Albert Malet & Jules Isaac: Histoire de France, Paris 1932 und Geschichtsunterricht in der Schule eine wichtige Siegfried Kawerau, Denkschrift über die deutschen Geschichts- und Aufgabe für die Friedenserziehung erfüllen könne. Lesebücher, Berlin 1927. 16

Internationale Erziehungsbeirat (1885), das Internationale Pädagogische Institut (1905), das Bureau International de Documentation d’Education (1909), das Carnegie Endowment for International Peace oder der Conseil International d’Education (1914).3 Der Beginn des Ersten Weltkrieges unterbrach jedoch jegliche Bemühungen um Schulbuch- und Unterrichtsverbesserung und führte dazu, dass viele Organisationen während der Kriegsjahre um ihr institutionelles Überleben kämpften. Die gesellschaftlichen Umbrüche in vielen europäischen Ländern nach Ende des Krieges schufen dann neue Voraussetzungen für die Erziehung zu Frieden und internationaler Verständigung. Dabei entstand die Überzeugung, dass Geschichte dasjenige Schulfach sei, „to provide the key to the future“.4

Die Revision von Schulbüchern, insbesondere Geschichtsbüchern, entwickelte sich daher in den Folgejahren zu einem zentralen und sehr präsenten Anliegen verschiedener internationaler Organisationen und war Thema auf vielen Kongressen, zu denen unter anderem die internationalen Historikerkongresse gehörten: Im Jahr 1926 wurde das Comité international des Sciences Historiques gegründet, innerhalb dessen ab 1928 ein Ausschuss arbeitete, der sich mit dem Geschichtsunterricht befasste. Dieser entwickelte sich bald zu einer internationalen Informationsplattform, insbesondere für Schulbuchautoren. 1932 leitete der Ausschuss außerdem eine umfassende internationale Umfrage über Schulbücher und Geschichtsunterricht ein, die allerdings bis zum Kriegsausbruch 1939 nicht fertiggestellt werden konnte.5 Eine weitaus bedeutendere Rolle für die internationale Schulbuchrevision spielten indessen der Völkerbund sowie die Vereinigung Norden.

Völkerbund

Palais des Nations, Genf

Im 1919 gegründeten Völkerbund beschäftigten sich zwei Komitees mit der Schulbuchrevision: die Commission internationale de coopération intellectuelle und das Institut international de coopération intellectuelle. Die CICI hatte 1923 ein Komitee für das internationale Geschichtsschulbuch initiiert, welches sich insbesondere mit Fragen der Schulbuchrevision beschäftigte. Nach einer ersten Phase, in der zunächst Vorschläge für Verfahren der Schul17

CASARES RESOLUTION OF 1926 THE COMMITTEE ON INTELLECTUAL CO-OPERATION,

buchrevision, die Verbesserung des Geschichtsunterrichtes sowie für ein internationales Geschichtsbuch gesammelt und ausgewertet wurden, war im Jahr 1925 die nach einem spanischen Repräsentanten benannte „Casares-Resolution“ ein erstes Resultat dieser Aktivitäten. Um die geistige Annäherung der Völker zu fördern, sollten falsche, tendenziöse oder voreingenommene Passagen in Schulbüchern verändert oder aus ihnen entfernt werden. Trotz der Annahme der Resolution im Jahr 1926 durch die Generalversammlung des Völkerbundes und der Bemühungen des Sub-Comittee of Experts for the Instruction of Youth in the Aims of the League of Nations in den Folgejahren, diese international zu stärken und zu verbreiten, wurde sie bis 1930 in nur drei Fällen angewendet und führte in nur einem Fall zur tatsächlichen Modifikation eines Schulbuches. Als Konsequenz wurde die „Casares-Resolution“ 1932 überarbeitet, sodass von nun an auch Schulbücher der Fächer Geographie, civics und history of civilization sowie Anthologien und Lesebücher berücksichtigt werden sollten. Außerdem verpflichteten sich die nationalen Ausschüsse, auf Kritiken an Schulbuchinhalten zu antworten und die CICI zu konsultieren, die als Mediator fungieren sollte. Nationale Ausschüsse sollten darüber hinaus Listen von Schulbüchern des eigenen Landes, aber auch anderer Staaten erstellen, die als besonders empfehlenswert betrachtet wurden. Weitere langfristig angelegte Bestandteile sahen die Empfehlung von Schulbuchrevisionsprogrammen an Regierungen und Schulverwaltungen und die Unterstützung dieser Unternehmungen durch die nationalen Ausschüsse vor.6 18

CONSIDERING That one of the most effective methods of bringing about the intellectual rapprochement of peoples would be to delete or modify passages in school textbooks of a nature to convey to the young wrong impressions leading to an essential misunderstanding of other countries; BEING CONVINCED That it will be unable to postpone for long the consideration of this problem, which has been brought before it since its creation in the form of suggestions both from its own members and from outside, and realizing at the same time the difficulties which would attend any attempt to undertake an enterprise of this kind on a large scale;

Der inoffizielle Charakter der beiden Resolutionsentwürfe erwies sich allerdings als großes Manko. Zudem waren sämtliche Umsetzungsversuche von nichtstaatlichen Akteuren ohne Beteiligung von Regierungsorganen initiiert worden. Es war deshalb notwendig, der „Casares-Resolution“ eine offizielle, durch diplomatische Abkommen gestützte Grundlage zu schaffen. Dabei standen jedoch unter anderem die fehlende Beteiligung der USA und die mangelnde Akzeptanz der im Völkerbund vertretenen Großmächte im Weg, die ihre Unterstützung verweigerten und argumentierten, dass schulische Belange eine nationale Angelegenheit seien.7

REQUESTS The co-operation of the National Committees in trying, on a limited scale in the first instance, the following procedure, whose extreme elasticity seems of a nature to obviate any risk of wounding national susceptibilities: (a) When a National Committee thinks it desirable that a foreign text concerning its country and intended for use in schools should be amended for the reason indicated in the present resolution, it shall make a request to this effect to the National Committee of the country where the text is in use, at the same time submitting, if necessary, a draft emendation on the desired lines, together with a brief statement of the reasons; (b) National Committees, on receiving a request of this kind, shall decide in the first instance whether the request should be accepted and shall then determine what representations of a friendly and private nature, if any, should be made to the authors or publishers with a view of the proposed emendation. If these representations are successful, the Commit-

tee shall notify the National Committee making the application and the International Committee; if not, it shall not be obliged to give any explanation either of the reasons for its failure or of its own refusal to take action; (c) Requests for emendation shall refer exclusively to questions of definitely established fact regarding the geography or civilization of a country, its material conditions of life, natural resources, customs of the inhabitants, scientific, artistic and economic development, contribution to international culture and the welfare of humanity, etc. It is strictly forbidden to make or accept applications for emendations referring to personal views of a moral, political or religious order; (d) All the National Committees will at the same time be requested to specify the publications most suitable for giving foreigners a knowledge of the history, civilization and present position of their country. Quelle: abgedruckt in: Carl August Schröder, Die Schulbuchverbesserung durch internationale geistige Zusammenarbeit. Braunschweig: Georg Westermann Verlag, 1961.

Die Deklaration über den Geschichtsunterricht von 1937 begründete schließlich eine verbindliche zwischenstaatliche Vereinbarung. Darin forderten 26 Staaten, „[to give] prominence, in the teaching of world history, to facts calculated to bring about a realisation of the interdependence of nations“. Diese Erklärung wurde indes angesichts wachsender internationaler Spannungen, der aggressiven Politik der faschistischen Staaten und des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges nicht umgesetzt. 19

Vereinigung Norden Die Vereinigung Norden (Föreningerne Norden) wurde 1919 als Reaktion auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges von Vertretern der Staaten Dänemark, Norwegen, Schweden, Island und Finnland gegründet. Ihr wird vielfach eine herausragende Rolle in der Schulbuchrevision zugeschrieben. Die Vereinigung wollte Verständigung und Kooperation zwischen den skandinavischen Staaten fördern, um gemeinsam eine stärkere Position gegenüber den Großmächten einnehmen zu können. Als einen der ersten Schritte, um dies zu erreichen, leitete sie eine Untersuchung von Geschichtsschulbüchern ein. Wie andere Formen internationaler Zusammenarbeit auf diesem Gebiet war auch diese von der Annahme geleitet, dass Nationalismus und Militarismus im Geschichtsunterricht die Verständigung zwischen Nationen behinderten. In diesem Fall sollte die Schulbuchrevision allerdings explizit einer regional begründeten Förderung des „Nordismus“, also eines skandinavischen Selbstverständnisses, dienen.8 Die Mitglieder der Vereinigung Norden führten die Schulbuchrevision zunächst auf der nationalen Ebene durch. Anstelle einer wechselseitigen Begutachtung der Geschichtsbücher entschieden sich die beteiligten nationalen Akteure für eine Untersuchung der jeweils eigenen Bücher, da kein Außenstehender über die Inhalte des Geschichtsunterrichtes eines souveränen Staates entscheiden sollte. Auf derselben Grundlage organisierte die Vereinigung Norden im Jahr 1932 das „internordische“ Komitee der Historiker und Lehrer, das 20

den Geschichtsunterricht grundlegend analysieren und eine beidseitig verständnisvollere regionale skandinavische Geschichte unter Einbeziehung der jeweiligen Nationalgeschichten entwickeln sollte. Dieses gemeinsame „internordische“ Komitee teilte sich unmittelbar nach seiner Gründung in nationale Expertengruppen, deren Aufgabe die gegenseitige Schulbuchbegutachtung war. Allerdings zeigte sich, dass die über den eigenen Nationalstaat hinausreichende, auf die Verständigung über die gemeinsame Geschichte in einer Region fokussierte Zusammenarbeit im Widerstreit gemeinschaftlicher Interessen und nationaler Selbstbestimmung stand.9 In den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Vereinigung Norden häufig – insbesondere im Kontext der Vereinbarungen und Handreichungen der UNESCO oder des Europarates – als wegweisend für die Richtlinien der Schulbuchrevision bezeichnet, da sie über die „Casares-Resolution“ hinausgehende Prinzipien entwickelte. Diese beinhalteten das Verfassen von 1. zwei oder drei parallelen Versionen des umstrittenen Ereignisses aus verschiedenen nationalen Perspektiven; 2. einer ausgehandelten, universellen Version des strittigen Ereignisses; 3. historiographischen Erzählungen, die ausführlich die Gründe für die Dispute zwischen Historikern der verschiedenen Länder darstellen.10

Bi- und multilaterale Schulbuchaktivitäten Bi- oder multilaterale Kulturabkommen, die Schulbuchrevision vorsahen oder konkret planten, wurden in den 1930er Jahren hauptsächlich zwischen den skandinavischen und baltischen Staaten sowie den Ländern des Balkans geschlossen, hatten aber nur eine geringe Wirkung.

Dass bilaterale Schulbuchgespräche auch nationalistische Ziele haben konnten, zeigt das Kulturabkommen zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland. Es enthielt eine Klausel, in der beide Staaten erklärten, den „Inhalt der für den Unterricht zugelassenen Schulbücher der geschichtlichen Wahrheit und dem Geist der deutsch-italienischen Verständigung“11 zu verpflichten. Außerdem sollten beide Länder „die Übersetzung oder Verbreitung von Werken, die sich unter Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit gegen das andere Land, gegen seine Staatsform oder seine Staatsführung richten, und von entstellenden Werken (Tendenzliteratur) politischer Emigranten des anderen Landes“12 verhindern. Es ist deutlich erkennbar, dass die Zielsetzung des Abkommens nicht die internationale Verständigung war, sondern eine Verteidigung zweier Diktaturen gegenüber jedweder unerwünschter Kritik an der Staatsform und -führung. Neben den Revisionsaktivitäten in Europa fanden auch auf dem amerikanischen Kontinent bi- und multilaterale Schulbuchgespräche statt. Hervorzuheben ist insbesondere die Arbeit der Panamerikanischen Union, die – zumeist in Verbindung mit dem 1928 gegründeten Panamerikanischen Institut für Geschichte und Geographie – die Regierungen der amerikanischen Staaten anregte, regionale völkerrechtliche Abkommen zu schließen, die auch die Revision von Schulbüchern beinhalteten. Als erstes bilaterales Abkommen zur gegenseitigen Revision der Geschichts- und Erdkundebücher gilt jenes 21

zwischen Argentinien und Brasilien vom 10. Oktober 1933. Hervorzuheben ist hier, dass es sich nicht nur auf eine korrekte und vorurteilsfreie Darstellung beider Nationalgeschichten bezog, sondern „diejenigen Stellen daraus entfernt werden [sollten], die in den jungen Gemütern eine feindselige Einstellung gegenüber irgendeinem der amerikanischen Völker hervorrufen könnte[n]“.13 Darüber hinaus eröffnete Artikel 4 des Abkommens jedem amerikanischen Staat die Möglichkeit, sich unter Zustimmung der beiden Erstunterzeichner zu beteiligen. Auf diesem ersten bilateralen Abkommen baute eine „Konvention über den Geschichtsunterricht“ auf, die von der 7. Internationalen Konferenz der Amerikanischen Staaten im Dezember 1933 in Montevideo angenommen wurde und die in ihrer Zielsetzung dem bilateralen Abkommen zwischen Brasilien und Argentinien folgte. Eine Erweiterung dieser Konvention im Jahr 1936 ähnelte den Grundsätzen der Vereinigung Norden, indem sie die Herstellung von Schulbüchern zur Erziehung im „panamerikanischen Geiste“ forderte.14

Erste deutsch-französische Schulbuchgespräche Die deutsch-französischen Schulbuchgespräche zwischen den beiden Weltkriegen werden vielfach als Vorläufer und Anknüpfungspunkt für die Wiederaufnahme der Schulbuchrevision nach 1945 herangezogen. Französische Lehrerverbände, darunter das Syndicat National des Institutrices et Instituteurs pu22

blics, die Fédération Unitaire de l’Enseignement, die Association des Professeurs d’Histoire et de Géographie oder die Fédération des Professeurs d’Histoire, hatten sich bereits ab 1919 gegen den „Unterricht im Haß“ ausgesprochen.15 Berühmt wurde in diesem Zusammenhang der Aufruf von Anatole France auf dem Kongress der französischen Volksschullehrer in Tours 1919: „Verbrennt die Bücher, die den Haß lehren, verbrennt sie alle!“16 Eine erste Studie, allerdings ohne deutsche Beteiligung, wurde 1921 durch das europäische Zentrum der Carnegie-Stiftung durchgeführt und unter dem Titel „Enquête sur les livres scolaires d’après guerre“ veröffentlicht. Die in den Folgejahren vorangetriebenen Initiativen von französischen und deutschen Historikern und Geschichtslehrern, Schulbuchgespräche durchzuführen, mündeten 1935 in einer gemeinsamen Schulbuchkonferenz in Paris, auf der es gelang, 40 Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-französischen Geschichte zu verabschieden – 15 davon allerdings mit Vorbehalten der einen oder anderen Delegation. Das Ergebnis dieser Konferenz wurde von den beteiligten Historikern und Geschichtslehrern positiv bewertet, da es zumindest klare und schriftlich fixierte Darlegungen der nationalen Standpunkte erbracht hatte. Die Reaktionen auf die Empfehlungen waren im nationalsozialistischen Deutschland allerdings so negativ, dass der französische Botschafter André François-Poncet sie 1938 als durchweg gescheitert bezeichnete.17 Die vielfältigen Aktivitäten der Schulbuchrevision vor 1945 – sei es auf nationaler oder internationaler

Ebene – gründeten sich zumeist auf nichtstaatliche Initiativen. Dadurch mangelte es oft an der praktischen Umsetzung, sodass viele der Programme und Initiativen ergebnislos blieben. Eine institutionalisierte Schulbuchrevision sollte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickeln. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Gründung der UNESCO im Jahr 1945, die von Anfang an die Erziehung zur internationalen Verständigung als eines ihrer Ziele definierte. Ausgehend von den friedenspädagogischen Aktivitäten der Zwischenkriegszeit zielte die Politik der UNESCO in den beiden Nachkriegsjahrzehnten auf eine demokratische Erneuerung des Bildungswesens im vom Krieg zerstörten Europa. „International Understanding“ wurde dabei die semantische Formel, durch die verschiedenste Programme und Initiativen miteinander verbunden waren. Einen zentralen Bereich bildete hierbei die Schulbuchrevision. Bereits auf ihrer ersten Generalkonferenz 1946 verabschiedete die UNESCO ein neun Punkte umfassendes Programm zur Revision von Lehrbüchern und -mitteln und erarbeitete 1949 ein „Handbook for the Improvement of Textbooks and Teaching Materials“, das auch einen Mustervertrag für entsprechende internationale Abkommen enthielt. Das „UNESCO Handbook“ baute auf den in der Zwischenkriegszeit gemachten Erfahrungen in der Schulbuchrevision auf, unter anderem jenen der Vereinigung Norden, der französischen Lehrergewerkschaft Syndicat national des instituteurs sowie der südamerikanischen Staaten. Der „Model Plan“ des

„UNESCO Handbook“ ging aber über diese Erfahrungen hinaus, da er neben den grundlegenden Prinzipien von Schulbuchrevision wie Genauigkeit und Fairness der Darstellungen auch Verständlichkeit und Ausgewogenheit sowie „world-mindedness“ ergänzte. 23

„That since wars begin in the minds of men, it is in the minds of men that the defenses of peace must be constructed.“ Quelle: UNESCO Constitution, 1945. http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=15244&URL_ DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html (abgerufen am 27.06.2018).

Die Gründung eines internationalen Schulbuchinstitutes in Braunschweig ist im Kontext dieser bi- und multilateralen Schulbuchrevision und der re-education-Programme der alliierten Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich in den deutschen Besatzungszonen zu verorten. Georg Eckert wurde aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen,

seiner Rolle in der Demokratisierung des Bildungswesens in Niedersachsen und seiner vielfältigen internationalen Kontakte und Erfahrungen nach 1945 zu einer Schlüsselfigur in der Schulbuchrevision. Der Grundstein für die Etablierung eines internationalen Schulbuchinstitutes war damit gelegt.

 1 Zitiert in: Carl August Schröder, Die Schulbuchverbesserung durch internationale geistige Zusammenarbeit. Braunschweig: Georg Westermann Verlag, 1961.

11 Ebd., S. 78. 12 Ebd.

 2 The Historical Association 1906–1956. London: The Historical Association, 1957.

13 Konvention zwischen der Argentinischen Republik und den Vereinigten Staaten von Brasilien betr. die Revision von Geschichts- und Erdkundebüchern. Abgedruckt in: Schröder 1961, S. 194 f.

 3 Schröder 1961.

14 Schröder 1961.

 4 The Historical Association, 1957.

15 UNESCO Handbuch, S. 15.

 5 Ebd.

16 Abgedruckt in Schröder 1961, S. 51.

 6 A Handbook for the Improvement of Textbooks and Teaching Materials as Aids to International Understanding. Paris: UNESCO, 1949.

17 Faure 2015; siehe auch: Corine Defrance & Ulrich Pfeil, Symbol or reality? The background, implementation and development of the Franco-German history textbook. In: Karina V. Korostelina & Simone Lässig (Hg.), History education and post-conflict reconciliation: reconsidering joint textbook projects. London: Routledge, 2013; Romain Faure, Vom internationalen zum historiographischen Konflikt. Der erste Weltkrieg in der deutsch-französischen Schulbuchkommission. In: Eckert. Das Bulletin 11 (2012), S. 11–14, URL: http://www.gei.de/ fileadmin/gei.de/pdf/publikationen/Bulletin/Bulletin_11/EB_11_03_ Faure.pdf (abgerufen am 01.07.2018); Karl-Dietrich Erdmann, Internationale Schulbuchrevision zwischen Politik und Wissenschaft. In: Internationale Schulbuchforschung 4 (1982), S. 249–260.

 7 Romain Faure, Netzwerke der Kulturdiplomatie: die internationale Schulbuchrevision in Europa 1945–1989. Berlin [u. a.]: De Gruyter, 2015.  8 Henrik Åström Elmersjö, The Norden Associations and international efforts to change history education, 1919–1970: international organisations, education, and hegemonic nationalism. In: Paeda­ gogica Historica 51:6 (2015), S. 727–743.  9 Ebd. 10 Ebd.

24

III Vom Internationalen Institut für Schulbuchverbesserung zum Leibniz-Institut

« Hier begann Professor Eckert 1949 die internationale Schulbucharbeit.

28

Die Gründungsphase

Biographie Georg Eckert (*14. August 1912, † 7. Januar 1974)

1931 Abitur und Aufnahme des Studiums der Geschichte, Geographie, Germanistik, Volks- und Völkerkunde; im gleichen Jahr Beitritt zur SPD

1935 Promotion in Völkerkunde 1937 Beitritt zur NSDAP Ab 1940 Angehöriger der Wehrmacht 1943 Habilitation und Venia Legendi in Bonn

Georg Eckert

1944 Leiter der Wetterwarte Saloniki/ Griechenland, Zusammenarbeit mit der griechischen Volksbefreiungsarmee ELAS

1946 Berufung als Dozent für Geschichte und Methodik des Geschichtsunterrichtes an die neu gegründete Pädagogische Hochschule/Kant-Hochschule in Braunschweig,

1952 Professur für Geschichtsdidaktik 1964–1974 Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission

1972 Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland

Ministerpräsident Alfred Kubel (links) überreicht Georg Eckert das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland am 4. Juli 1972

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Georg Eckert gründete 1946, unmittelbar nach seiner Berufung an die Pädagogische Hochschule Braunschweig/Kant-Hochschule, gemeinsam mit gleichgesinnten Lehrkräften und Angehörigen der Schulverwaltung einen Geschichtspädagogischen Arbeitskreis, dessen Mitglieder sich zum Ziel setzten, neue, den internationalen Forschungsstand repräsentierende Lehrmaterialien für den Geschichtsunterricht zu erarbeiten. Die Mitglieder des Arbeitskreises wollten in verstärktem Maße eigene historische und pädagogische Forschungen durchführen, um eine Grundlage für die Erarbeitung der neuen Lehrmaterialien zu schaffen. Eckert plante darüber hinaus ein stiftungsfinanziertes Stipendienprogramm, mit dem in- und ausländische Wissenschaftler an den vom Geschichtspädagogischen Arbeitskreis initiierten Forschungen beteiligt werden sollten.1 Die Aktivität dieses Arbeitskreises fand die ausdrückliche Förderung der Textbook Section der Erziehungsabteilung der britischen Militärverwaltung, deren Leiter Terence J. Leonard Georg Eckert frühzeitig in die Netzwerke der Revision des Geschichtsunterrichtes einführte. Diese wurden von den Erziehungsabteilungen der alliierten Militärverwaltungen, vor allem aber von der UNESCO geknüpft. Es gelang Eckert erfolgreich, das Engagement der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, der späteren Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, zur Revision der Geschichtsschulbücher mit den internationalen Initiativen der alliierten Erziehungsabteilungen und der UNESCO zu verbinden und für die Institutionalisierung der internationalen Schulbucharbeit in Braunschweig fruchtbar zu machen. Terence J. Leonard machte Georg Eckert mit den 30

Vertretern der internationalen Schulbucharbeit in der UNESCO bekannt. Dabei erwies sich die Begegnung mit dem amerikanischen Historiker Richard Perdew, der seit 1948 die Schulbucharbeit der UNESCO koordinierte, als besonders folgenreich. Perdew lud Eckert 1950 zur Teilnahme an der Sommerschule der UNESCO in Brüssel ein, die unter dem Titel „Textbook improvement“ im Zeichen der Schulbuchverbesserung stand. Hier fand Eckert die Inspirationen und knüpfte die internationalen Kontakte, die es ihm ermöglichten, die von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände und dem Geschichtspädagogischen Arbeitskreis ausgegangenen Initiativen in einem internationalen Zentrum der Schulbuchrevision zu institutionalisieren. Mit dem Ziel der Gründung eines solchen internationalen Zentrums lud Eckert 1951 Kolleginnen und Kollegen aus Lehrergewerkschaften und Fachverbänden aus Belgien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, der Schweiz und den USA, die er 1950 auf dem UNESCO-­ Seminar in Brüssel kennen- und schätzen gelernt hatte, nach Braunschweig ein. Auf dieser, von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände angeregten, internationalen Geschichtslehrertagung wurde in Anwesenheit des UNESCO-Vertreters Richard Perdew das „Internationale Institut für Schulbuchverbesserung“ gegründet. Die Gründung war das Ergebnis der Aushandlungsprozesse zwischen den in den Schulbuchaktivitäten der UNESCO aktiven Geschichtslehrerverbänden, den britischen Besatzungsbehörden und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände darüber, wie Schulbuch-

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revision im nationalen und internationalen Rahmen betrieben werden sollte. Eckert verstand das Institut als „Seminar“, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schulbuchgespräche auf eine internationale Schulbuchsammlung zurückgreifen konnten, um auf dieser Grundlage Schulbücher des Faches Geschichte und später der Geographie analysieren, revidieren und neu entwickeln zu können. Nach der erfolgreichen Gründung des „Internationalen Instituts für Schulbuchverbesserung“ versuchte Eckert zunächst, den Geschichtspädagogischen Arbeitskreis in eine Stiftung öffentlichen Rechts umzuwandeln, um die Arbeit an der Reform des Geschichtsunterrichtes im Bundesland Niedersachsen in einem Rahmen fortsetzen zu können, der ihm ein höchstmögliches Maß an inhaltlichem und organisatorischem Freiraum sicherte. Parallel dazu sondierte er die Möglichkeiten für die Einrichtung eines UNESCO-Institutes sowie Fördermöglichkeiten durch amerikanische Stiftungen. Nach dem ablehnenden Bescheid des Landes Niedersachsen in der Stiftungsfrage2 setzte sich der Rektor der Pädagogischen Hochschule Braunschweig, Heinrich Rodenstein, gegenüber dem niedersächsischen Kultusministerium dafür ein, dem „Internationalen Institut für Schulbuchverbesserung“ an der Hochschule eine institutionelle Heimstatt zu schaffen. Das Ministerium folgte diesem Vorschlag und richtete 1953 das „Internationale Schulbuchinstitut“ als ein der Pädagogischen Hochschule in Braunschweig angeschlossenes Forschungsinstitut ein, dessen Aufgabe in der „Durchführung von Forschungsarbeiten auf den Gebieten der Lehrmittelgestaltung und der 32

Unterrichtsmethoden“ bestand. Ein besonderes Gewicht lag auf dem Geschichtsunterricht und verwandten Fächern, die ausdrücklich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit untersucht werden sollten.3 Gleichzeitig erhielt das Institut zwei aus dem niedersächsischen Landeshaushalt finanzierte Etatstellen: die eines Dozenten für „vergleichende Schulbuchkunde“ und die einer Sekretärin, die bis zum Ende der 1960er Jahre das institutionell finanzierte „Rückgrat“ der internationalen Schulbucharbeit in Braunschweig bildeten.4 Die Stelle des Dozenten wurde mit dem Historiker Otto-Ernst Schüddekopf besetzt, der seit 1950 eng mit Georg Eckert zusammengearbeitet hatte. Das Gros der finanziellen Förderung der internationalen Schulbucharbeit entfiel bis 1970 auf die Abteilung für kulturelle Angelegenheiten des Bundes im Bundesinnenministerium. Regelmäßige Zuwendungen erhielt das Institut in diesem Zeitraum darüber hinaus vom Auswärtigen Amt, der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrerverbände, dem Europarat und der Stadt Braunschweig. Die von den Zuwendungsgebern bereitgestellten Mittel verwendete das ISBI zweckgebunden für die Finanzierung der bi- und multilateralen Schulbuchkonferenzen mit den europäischen Partnern und den USA sowie die Publikation ihrer Ergebnisse. Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrerverbände leistete in den Anfangsjahren den entscheidenden finanziellen Beitrag für die Publikation des „Internationalen Jahrbuchs für Geschichtsunterricht“ (später: „Internationales Jahrbuch für Geschichts-

Otto-Ernst Schüddekopf (links) und Georg Eckert (2. v. r.) mit zwei Mitarbeiterinnen des Internationalen Schulbuchinstitutes

Otto-Ernst Schüddekopf (*20. November 1912, † 19. Oktober 1984)

1931 Abitur und Aufnahme des Studiums der Politischen Geographie, Geschichte und Deutschen Literatur an der Universität Berlin

1937 Promotion am Institut für Wehrpolitik und Wehrgeographie, anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter in der kriegswissenschaftlichen Abteilung der Luftwaffe Februar 1940 bis November 1941 Fronteinsatz

1942 Versetzung zum Reichssicherheitshauptamt, Amt VI „Auslandsnachrichtendienst“ (Auslands-SD), Abteilung VI D „Westen“

1945–1948 britische Kriegsgefangenschaft

1950–1953 Mitarbeiter von Georg Eckert 1953 Berufung als Dozent an die Pädagogische Hochschule Braunschweig/Kant-Hochschule

und Geographieunterricht“). Damit war zwar das von Georg Eckert gewünschte hohe Maß an Autonomie bei der Auswahl der Partner und der Themen der internationalen Schulbuchgespräche gesichert. Eine finanzielle Grundlage für den Aufbau eines Stabes von langfristig am Institut tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, die angesichts der überaus erfolgreichen Entwicklung der bilateralen Schulbuchgespräche wünschenswert gewesen wäre, schaffte diese finanzielle Förderung allerdings nicht.

1965 Schulbuchzentrum des Europarates Die erfolgreiche Arbeit des Institutes auf dem Gebiet der bi- und multilateralen Schulbucharbeit in den Fächern Geschichte und Geographie (siehe Kapitel IV) führte dazu, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen der Schulbuchkonferenzen des Europarates im Fach Geographie 1964 in Reykjavik anregten, das Internationale Schulbuchinstitut zu einem europäischen Forschungs- und Dokumentationszentrum für die Fächer Geschichte und Geographie weiterzuentwickeln. 33

Die Erziehungsabteilung des Europarates unterstützte diese Anregungen bereitwillig. Für das Institut sprach dessen langjährige Erfahrung bei der Durchführung von bi- und multilateralen Schulbuchgesprächen, die sich auf eine internationale Schulbuchsammlung stützen konnte.5 „The International Schoolbook Institute at Brunswick (Federal Republic of Germany), has already acquired valuable experience in this field and has a library of European history and geography textbooks as well as a collection of source material, concerning the revision of history and geography textbooks in Europe and other parts of the world.“5

Das Institut und die Leitung der Pädagogischen Hochschule nahmen diese Einladung an und begannen im Januar 1966 mit dieser Arbeit, die bis heute zu den Aufgaben des GEI Quelle: Recommendations of the Fourth Conference on Geozählt. Die Konstituierung des europäischen graphy Teaching and the Revision of Geography Textbooks and Atlases (Reykjavik 1964). In: E. C. Marchant (Hg.), Geography Schulbuchzentrums wurde durch die von Teaching and the Revision of Geography Textbooks and Atlases, der niedersächsischen Landesregierung beStrasbourg 1967, S. 139. willigten Mittel für zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fächern Gleichzeitig entsprach das Braunschweiger Institut Geschichte und Geographie, die ihre Expertise für der „Philosophie“ des Europarates, durch die Einihr Unterrichtsfach mit einer spezifischen kulturellen richtung von Kompetenzzentren in den MitgliedsKompetenz für je eine Weltregion verbanden, sowie staaten einer übermächtigen, den Prinzipien einer die fachliche Betreuung der Bibliothek begleitet. europäischen Zusammenarbeit auf der Grundlage des Föderalismus widersprechenden Zentralisation Das Interesse des Europarates an der Arbeit des von Institutionen in Straßburg entgegenzuwirken. Internationalen Schulbuchinstitutes korrespondierte Im Sommer 1965 lud der Direktor der Abteilung für mit der zunehmenden Aufmerksamkeit, die die Erziehung, Kultur und Wissenschaft beim EuropaBundesrepublik Deutschland der auswärtigen Kulturrat, Anthony Haigh, das Braunschweiger Institut ein, politik schenkte, die sich rasch zur „dritten Säule“ die Aufgabe eines europäischen Informations- und der Außenpolitik entwickelte. In deren Rahmen Dokumentationszentrums für die Verbesserung von spielte die internationale Bildungszusammenarbeit 6 Geschichts- und Erdkundebüchern zu übernehmen. seit dem Ende der 1960er Jahre eine besonders 34

wichtige Rolle. Das Auswärtige Amt übernahm deshalb im Herbst 1970 die Verantwortung für die bis dahin vom Europafonds des Innenministeriums finanzierten internationalen Projekte des ISBI und erhöhte seine finanziellen Zuwendungen an das Institut kontinuierlich. Die Interessen des Auswärtigen Amtes an einer Stärkung transnationaler Vorhaben auf der europäischen Ebene und der bildungs- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit über politische und kulturelle Systemgrenzen hinweg führten seit dem Beginn der 1970er Jahre zu einer intensiveren Diskussion über die zu schaffenden institutionellen Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Ziele. Das Land Niedersachsen bereitete dazu ein Verwaltungsabkommen mit dem Auswärtigen Amt vor, das dem Institut eine größere finanzielle Planungssicherheit verschaffen sollte. Parallel dazu erfolgten erste Sondierungen für die Aufnahme des Institutes in die Bund-Länder-Finanzierung. Diese Überlegungen gewannen durch den unerwarteten Tod Georg Eckerts im Januar 1974 eine besondere Dringlichkeit.

1975: Das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung Georg Eckert starb am 7. Januar 1974 plötzlich während einer Vorlesung an der Pädagogischen Hochschule Braunschweig. Nach seinem Tod äußerten zahlreiche Kolleginnen und Kollegen neben ihrer Betroffenheit auch ihre Hoffnungen und Erwartungen, dass die erfolgreiche Arbeit des Internationalen Schulbuchinstitutes fortgesetzt würde.

In einer Situation, in der es auch skeptische Stimmen darüber gab, ob das Institut ohne die charismatische Persönlichkeit Georg Eckerts weiterbestehen könne, ließen die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Alfred Kubel und das Auswärtige Amt keinen Zweifel daran, dass sie unbedingt gewillt waren, die für die Kontinuität der internationalen Schulbucharbeit in Braunschweig notwendigen juristischen und finanziellen Schritte zu unternehmen. Sie plädierten dafür, das Institut aus der Pädagogischen Hochschule herauszulösen und zu einem selbstständigen außeruniversitären Forschungsinstitut umzugestalten. Noch im Januar 1974 berief Alfred Kubel Mitglieder seines Kabinettes sowie Vertreterinnen und Vertreter der Pädagogischen Hochschule Braunschweig zu einem Gespräch über die Zukunft des Internationalen Schulbuchinstitutes ein. Die Teilnehmer konstituierten eine Arbeitsgruppe, der Vertreter der Staatskanzlei, des Kultusministeriums und der Rektor der Pädagogischen Hochschule angehörten und die die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung eines selbstständigen Institutes prüfte und einen Gesetzesentwurf erarbeitete. Neben Alfred Kubel leisteten die SPD-Politiker Rolf Wernstedt und der niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst, Joist Grolle, die CDU-Abgeordneten Werner Remmers und Georg-Berndt Oschatz sowie der FDP-Politiker Walter Hirche einen entscheidenden Beitrag dazu, die Abgeordneten des niedersächsischen Landtages davon zu überzeugen, die internationale Schulbucharbeit in Braunschweig fortzuführen. ­Walter ­Hirche unterstützte diese Bemühungen nachdrücklich als Vorsitzender des Kultusausschusses des niedersäch­ 35

sischen Landtages. Als Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission setzte er sich außerdem engagiert dafür ein, die Arbeit der internationalen Schulbucharbeit gemeinsam mit der UNESCO fortzuführen. In der intensiven Debatte um die Neugründung des Institutes, die im niedersächsischen Landtag geführt wurde, hob vor allem die SPD die Bedeutung des ISBI für die „Verständigung mit unseren Nachbarn in Europa“ hervor, die, „nachdem die Aussöhnung nach Westen hin abgeschlossen ist“, intensiv auf eine Verständigung mit den östlichen Nachbarn hinwirken werde. Gleichzeitig antizipierte die Diskussion im Landtag die notwendige Erweiterung der Perspektive von der Schulbucharbeit auf die Schulbuchforschung. In einer Zeit, in der es galt, Schulbücher und Bildungsinhalte neu auszuhandeln und völlig neuartige Schulbücher auf den Markt zu bringen, plädierten alle im Landtag vertretenen Parteien für eine wissenschaftliche Einrichtung, die auf der Grundlage von internationalen Vergleichen Wissen für die Bildungspolitik sowie Lehrerinnen und Lehrer bereitstellen und zu einer Versachlichung der sehr emotional geführten nationalen Debatte um den ideologischen Gehalt von Schulbüchern beitragen könne. Der eingebrachte Gesetzesentwurf wurde in zweiter Lesung im Juni 1975 einstimmig von allen im niedersächsischen Landtag vertretenen Parteien angenommen. Bereits am 27. November 1974 hatte Joist Grolle ein Gremium von vier Hochschullehrern berufen, die die wissenschaftliche Leitung des Institutes in der Interimsperiode bis zur Neugründung leiten, die Schulbucharbeit fortsetzen und die zukünftige 36

Alfred Kubel, *25. Mai 1909, † 22. Mai 1999

wissenschaftliche Ausrichtung konzipieren sollten. Die Historiker Rudolf von Thadden und Wolfgang Marienfeld, der Soziologe Siegfried Bachmann, der Politikwissenschaftler Walter Mertineit und der Geograph Wilhelm Wöhlke, der 1977 als fünftes Mitglied in das Gremium berufen wurde, verfügten über Erfahrungen in der internationalen Schulbucharbeit und vertraten in Gestalt der Pädagogischen Hochschule Braunschweig und der Deutschen UNESCO-Kommission diejenigen Institutionen, die die Arbeit des Institutes in der Vergangenheit gefördert hatten. Mit ihrer Expertise auf den Gebieten der Didaktik der Geschichte und der Sozialwissenschaften, die Marienfeld und Bachmann einbrachten, eröffneten sie gleichzeitig neue Perspektiven für die internationale Schulbucharbeit, die das zu gründende Georg-Eckert-Institut für inter-

nationale Schulbucharbeit aufgreifen sollte. Das Gremium sicherte die Fortführung der bilateralen Schulbuchgespräche etwa mit Polen, Rumänien und Tunesien und bahnte die Aufnahme beziehungsweise Wiederaufnahme von Schulbuchgesprächen mit Israel und den USA an. Gleichzeitig führten die fünf Hochschullehrer die multilateralen Forschungsvorhaben mit dem Europarat und der UNESCO zu einem erfolgreichen Abschluss (siehe Kapitel IV). Das Gesetz über die Gründung des Georg-Eckert-­ Institutes für internationale Schulbuchforschung vom 26. Juni 1975 schuf die juristische Voraussetzung für die Auflösung des Internationalen Schulbuchinstitutes an der Pädagogischen Hochschule Braunschweig zum 30. Juni 1975 und die Gründung des Georg-Eckert-Institutes für internationale Schulbuchforschung, das seine Arbeit zum 1. Juli 1975 aufnahm. Niedersachsen lud alle übrigen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland dazu ein, das Georg-Eckert-Institut zu einem gemeinsamen Schulbuchinstitut aller Länder zu gestalten, da es darin einen wesentlichen Schritt zur Erhöhung der Wirksamkeit der internationalen Schulbucharbeit im Rahmen der Kultusministerkonferenz und gegenüber den ausländischen Partnern sah. Es gelang dem Land Niedersachsen, Verwaltungsvereinbarungen zunächst mit den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz abzuschließen, die mit der Konstituierung des Kuratoriums 1977 das Georg-Eckert-Institut gemeinsam finanzierten. Später unterzeichneten auch

das Saarland und Schleswig-Holstein entsprechende Vereinbarungen. Neben den Kultusministerien dieser Länder leisteten das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ab den 1970er Jahren wichtige finanzielle Beiträge. Das Auswärtige Amt förderte das Institut ab 1978 auf der Grundlage des Rahmenplanes „Auswärtige Kulturpolitik im Schulwesen“. Es finanzierte die Durchführung bi- und multilateraler Projekte, die Schulbücher und Lehrmaterialien im Sinne einer auf Frieden und Verständigung, nachhaltige ökologische, soziale und kulturelle Entwicklung und Kooperationsfähigkeit ausgerichtete Zusammenarbeit untersuchten. Das Kuratorium, dessen Mitglieder die das Institut tragenden Bundesländer, das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Deutsche UNESCO-Kommission und die Pädagogische Hochschule vertraten, wählte auf seiner konstituierenden Sitzung im November 1977 Alfred Kubel zum Vorsitzenden und Christoph Stollenwerk, Staatssekretär im Kultusministerium Rheinland-Pfalz, zu dessen Stellvertreter. Im Folgejahr berief es den Geschichtsdidaktiker Karl-Ernst Jeismann zum Direktor des Institutes und verabschiedete die Satzung. Der Historiker und Geschichtsdidaktiker Wolfgang Jacobmeyer übernahm die Position des stellvertretenden Direktors. Die Satzung schuf die Voraussetzung für die Konstituierung eines Wissenschaftlichen Ausschusses, der von den nationalen und internationalen Partnern des Institutes angeregt worden war und die Erfahrungen des wissenschaftlichen Beratungsgremiums, das das Institut zwischen 37

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dem Tod Georg Eckerts und der Neugründung des Institutes geleitet hatte, berücksichtigte. Mit der Berufung des neuen Direktors und der Konstituierung des Wissenschaftlichen Ausschusses unter dem Vorsitz des Göttinger Historikers Rudolf Vierhaus konnte das Institut im Herbst 1978 seine Arbeit auf einer neuen institutionellen Grundlage aufnehmen. Nachdem sich die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern zunächst nicht an der Finanzierung des Georg-Eckert-Institutes für internationale Schulbuchforschung beteiligt hatten, eröffnete das Jahr 1990 die Chance, alle Bundesländer des wiedervereinigten Deutschlands bei dessen Trägerschaft einzubeziehen. Dieser Einladung folgten mit Ausnahme Mecklenburg-Vorpommerns alle der fünf neu gebildeten Bundesländer. Erneute Versuche, ­Baden-Württemberg und Bayern zur Mitträgerschaft zu bewegen, scheiterten dagegen an der gleichen Argumentation, die die zuständigen Kultusminister bereits in den 1970er Jahren vorgetragen hatten. Sie beriefen sich darauf, dass die Zuständigkeit für die schulische Bildung allein in der Verantwortung der Bundesländer liege. Gleichzeitig markierte die Wiedervereinigung auch eine Zäsur für die personelle Kontinuität der wissenschaftlichen Arbeit des Institutes. In den Folgejahren erhielten einige Mitarbeiter, darunter der langjährige stellvertretende Direktor des Institutes Wolfgang Jacobmeyer und die Mitarbeiter Karl-Peter Fritzsche, Michael Riekenberg und Wolfgang Höpken, Rufe auf Lehrstühle an deutschen Universitäten und verließen das Institut. Zeitgleich brachten neue Mit-

arbeiter zusätzliche wissenschaftliche und kulturelle Kompetenzen zum Geographie- und Geschichtsunterricht mit dem Fokus auf Osteuropa, Zentralund Südasien ein.

2011: Das Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung In den Jahren um die letzte Jahrtausendwende wurden die Grenzen der 1975 gewählten Formen der Organisation und der Finanzierung für die weitere Entwicklung des Georg-Eckert-Institutes deutlicher sichtbar. Die sehr konkreten Erwartungen, die die Kultusministerien der das Institut tragenden Bundesländer an eine unmittelbar auf die Praxis des Unterrichts orientierte Forschung artikulierten, ließen sich immer schwieriger mit den vielfältigen Anforderungen vereinbaren, die nationale Bildungsinstitutionen in Asien, Afrika oder im arabischen Raum und vielfältige internationale Initiativen der UNESCO und des Europarates an die Arbeit des Institutes richteten. Der Entschluss der Bundesländer Berlin und Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2002 beziehungsweise 2004, ihre Mitträgerschaft des Institutes zu beenden, stellte die Frage nach einer künftigen nachhaltigen Finanzierung mit aller Dringlichkeit. Die niedersächsische Landesregierung beauftragte daher auf Vorschlag der verbliebenen Mitglieder des Kuratoriums im Jahr 2004 die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen mit der Evaluierung des Institutes. Diese erfolgte noch im selben Jahr unter Leitung des Historikers 39

Winfried Schulze. Die Kommission schlug in ihrem Evaluationsbericht vom Oktober 2004 vor, „angesichts der renommierten und wichtigen Arbeit des Institutes, die von überregionaler Bedeutung ist und im gesamtstaatlichen wissenschaftspolitischen Interesse liegt, eine institutionelle Mitfinanzierung des Bundes unter Beibehaltung der Länderverantwortung – etwa in der Leibniz-Gemeinschaft (WGL)“ anzustreben.7 Gleichzeitig bat das Kuratorium die niedersächsische Landesregierung, die Stelle der Direktorin beziehungsweise des Direktors künftig in einem gemeinsamen Berufungsverfahren mit einer niedersächsischen Universität zu besetzen, um die Kontinuität der Arbeit sicherzustellen, wie dies bei Instituten der Bund-Länder-Förderung üblich sei. Mit der Berufung von Simone Lässig zur Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an die Technische Universität Braunschweig und als Direktorin des Georg-Eckert-Institutes für internationale Schulbuchforschung im Herbst 2006 kehrte das Institut zu seinen Wurzeln zurück, die in der engen Verbindung von Schulbuchforschung und universitärer Lehre an der Pädagogischen Hochschule Braunschweig gelegen hatten. In den folgenden Jahren wurden die Weichen für die empfohlenen, grundlegenden institutionellen Veränderungen gestellt. Dazu gehörte die positive Evaluierung durch den Wissenschaftsrat, der in seinem Gutachten im Sommer 2009 die Aufnahme des GEI in die renommierte Leibniz-Gemeinschaft als selbstständige wissenschaftliche Forschungs- und Infra40

struktureinrichtung empfahl. Der offizielle Eintritt des Institutes in die WGL im Jahr 2011 ging einher mit der Anpassung von Gesetz und Satzung sowie der Gremien. Das Kuratorium besteht seitdem aus Vertretern von Sitzland, Bund und dem Auswärtigen Amt, der Präsidentin/dem Präsidenten der Technischen Universität Braunschweig sowie Repräsentanten aus Wissenschaft, Bibliothekswesen und Wirtschaft. Der Wissenschaftliche Ausschuss wurde in Wissenschaftlichen Beirat umbenannt und zusätzlich ein Nutzerbeirat berufen.

Karl Ulrich Mayer, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft 2010–2014, beim Festakt zur Aufnahme des GEI in die L ­ eibniz-Gemeinschaft

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Vorsitzende des Kuratoriums Alfred Kubel, Ministerpräsident a. D. (1977–1985) Georg-Bernd Oschatz, Kultusminister, Direktor des Bundesrates (1985–2014) Rüdiger Eichel, Ministerialdirigent (2014–2015) Dr. Barbara Hartung, Ministerialrätin (seit 2015)

Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates Prof. Dr. Rudolf Vierhaus (1978–1994) Prof. Dr. Jörn Rüsen (1994–2003) Prof. Dr. Bodo von Borries (2003–2007) Prof. Dr. Ute Wardenga (2007–2015) Prof. Dr. Peter Haslinger (2015–2017) Prof. Dr. Sabine Reh (seit 2017)

Vorsitzende des Nutzerbeirates Dr. Peter Lautzas, Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) (2008–2011) Frank Biewendt, Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (2011–2015) Dr. Doris Bambey, Deutsches Institut für internationale pädagogische Forschung (DIPF) (seit 2015)

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Entwicklungstrends der Schulbucharbeit und -forschung 1951–1989: Das ursprüngliche Ziel des Internationalen Schulbuchinstitutes bestand darin, die Schulbuchrevision beginnend mit den Partnerinnen und Partnern in denjenigen Ländern, die gegen das nationalsozialistische Deutschland gekämpft hatten, systematisch auf der Grundlage klar definierter Prinzipien zu gestalten.

Prinzipien der Schulbuchrevision: Auf der Grundlage eines Kulturabkommens zwischen den beteiligten Staaten oder auf Initiative von nationalen UNESCO-Kommissionen, Gewerkschaften oder Lehrerverbänden wurden die Schulbücher des entsprechenden Faches ausgetauscht. Universitätshistorikerinnen und -historiker sowie Geschichtslehrkäfte des einen Landes untersuchten die Schulbücher des Partnerlandes und umgekehrt. Die Gutachten wurden im Anschluss auf gemeinsamen Schulbuchkonferenzen diskutiert und in der Regel gemeinsame Schulbuchempfehlungen verabschiedet, die in den Sprachen der teilnehmenden Länder verfasst wurden.

Dazu mussten die auf verschiedenen Ebenen geknüpften Netzwerke zu einer gemeinsamen Arbeit zusammengeführt werden. Nachdem die Erziehungsabteilungen der westalliierten Besatzungsmächte auf der nationalen und internationalen

Ebene diesbezüglich wichtige Voraussetzungen geschaffen hatten, stand das Institut vor der Aufgabe, die Schulbuchrevision auf Ebene der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Fachverbände der Geschichtslehrerinnen und -lehrer zu organisieren. Es initiierte und koordinierte fernerhin die Zusammenarbeit nationaler und internationaler Gewerkschaften der Lehrerinnen und Lehrer, der Fachverbände der Geschichtslehrkräfte und der nationalen UNESCO-Kommissionen. Dabei galt es, den Vertrauensvorschuss zu rechtfertigen, den die westeuropäischen und amerikanischen Partner ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen entgegenbrachten. Georg Eckert zeigte sich in dieser Hinsicht überaus dankbar, denn es stellte keine Selbstverständlichkeit dar, wenige Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft mit Vertreterinnen und Vertretern der Länder, die vom nationalsozialistischen Deutschland überfallen und besetzt worden waren und deren Bevölkerungen vielfältige Repressalien erleiden mussten, gemeinsam an der Revision der Geschichtsschulbücher zu arbeiten. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schulbucharbeit bildeten das gemeinsame Engagement für die Gestaltung demokratischer Gesellschaften und ein übereinstimmendes Interesse an der Entwicklung transnationaler Perspektiven auf die europäische Geschichte. Bereits in den 1950er Jahren ging dies mit Bemühungen einher, osteuropäische Länder in die Schulbucharbeit einzubeziehen. Ebenso mussten die Partnerinnen und Partner von der wissenschaftlichen Unabhängigkeit der 43

Revisionsaktivitäten überzeugt werden. Georg Eckert setzte sich dafür ein, dass „die Schulbuchrevision zwar von staatlichen Stellen soweit wie möglich gefördert werden, die Arbeit selbst aber ausschließlich in den Händen von unabhängigen Experten – Historikern, Schulbuchautoren und Pädagogen – bleiben“ sollte.8

lich oder föderal organisiert sein konnten, sowie den Grad an Freiheit und Autonomie, den Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulbuchverlage in diesem Prozess beanspruchen durften. Eine große Herausforderung bestand darin, nach der Anbahnung von bilateralen Schulbuchgesprächen deren Kontinuität zu sichern.

Während dieses Prinzip von den europäischen und amerikanischen Partnern geteilt wurde, bildete die Forderung nach der Umsetzung der im Ergebnis der Schulbuchgespräche erarbeiteten fachlichen und didaktischen Empfehlungen durch die staatlichen Behörden und die Schulbuchverlage einen Gegenstand anhaltender Diskussionen und Kontroversen.

Das Institut leistete auch einen originären Beitrag zur durchlässigeren Gestaltung der politischen Systemgrenzen zwischen Ost und West. Dies gelang mit tatkräftiger Unterstützung der nationalen UNESCO-Kommissionen verschiedener osteuropäischer Länder. Während die Schulbuchgespräche mit der CˇSSR mit der gewaltsamen Beendigung des „Prager Frühlings“ durch die Truppen des „Warschauer Vertrages“ auf lange Sicht unterbrochen wurden, boten die „Neue Ostpolitik“ der Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt und der KSZE-Prozess günstige außenpolitische Rahmen-

Diese Debatten hatten ihren Ausgangspunkt im unterschiedlichen Selbstverständnis der beteiligten Kolleginnen und Kollegen über die Organisation und Kompetenz staatlicher Institutionen, die zentralstaat-

Willy Brandt (erste Reihe Mitte) und Georg Eckert (erste Reihe rechts) auf der UNESCO-Generalkonferenz in Paris 1968

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bedingungen für die Durchführung von Schulbuchgesprächen mit Polen und Rumänien. Vor allem die Gespräche mit Polen waren überaus erfolgreich, da zahlreiche polnische Kolleginnen und Kollegen mit ihren deutschen Partnerinnen und Partnern in einem wichtigen Punkt übereinstimmten: Die Arbeit der Revision dürfe nicht von staatlicher Seite determiniert, sondern müsse in ergebnisoffen geführten Diskussionen zwischen Expertinnen und Experten, die ihrem wissenschaftlichen Ethos verpflichtet seien, durchgeführt werden. Die bilateralen Schulbuchgespräche sollten allerdings nur einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer internationalen Verständigung über die Inhalte und Interpretationen des Geschichtsunterrichtes in Europa markieren. Das Institut beteiligte sich deshalb ab 1953 aktiv an den Schulbuchkonferenzen des Europarates zur Revision der Geschichtsschulbücher. Georg Eckert betrachtete es außerdem als eine besondere Verantwortung, bi- und multilaterale Schulbuchgespräche über Europa und die USA hinaus auch mit Historikerinnen und Historikern sowie Geschichtslehrerinnen und -lehrern aus asiatischen und afrikanischen Staaten durchzuführen. Er sah dies als Chance, vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen im Demokratisierungsprozess nach 1945 einen spezifischen Beitrag zur Gestaltung des Geschichtsunterrichtes in besagten Ländern leisten zu können und das Institut gleichzeitig im Systemwettbewerb mit den bildungspolitischen Initiativen der Sowjetunion und der DDR zu profilieren. Für die Erweiterung des Blickes über Westeuropa hinaus auf

die jungen Nationalstaaten Asiens und Afrikas bot die UNESCO den idealen Rahmen, um diese Länder in das Programm der internationalen Schulbucharbeit einzubinden. Die besondere Intensität, mit der das Institut die Schulbucharbeit über Westeuropa und die USA hinaus systemübergreifend mit den sozialistischen Ländern Polen und Rumänien gestaltete, und die stärkere transnationale Orientierung stellten zu Beginn der 1970er Jahre nicht nur organisatorisch und personell größere Ansprüche, sondern provozierten Fragen nach dem (geschichts-)politischen Selbstverständnis und den theoretischen und methodischen Konzepten, die der zukünftigen Institutsarbeit zugrunde liegen sollten. Neben der Kritik an der Vernachlässigung der Schulbucharbeit mit Westeuropa und den USA stellte sich auf der (geschichts-)politischen Ebene das Problem, ob im Interesse des Wunsches nach Verständigung und Versöhnung Kompromisse zu Lasten der wissenschaftlichen Überzeugungen gefunden werden mussten und wie diese Problematik selbst Gegenstand von Forschungsvorhaben werden könne. Das Georg-Eckert-Institut entwickelte daher 1978 ein Programm der Schulbucharbeit und Schulbuchforschung, das auf diese Anforderungen für die weitere Schulbucharbeit reagierte. Karl-Ernst Jeismann zeigte sich überzeugt davon, dass der Prozess der Schulbuchrevision nicht mehr pragmatisch ausgehandelt, sondern selbst Gegenstand kritischer Analyse werden musste. Die Schulbucharbeit stieß in seinen Augen 45

„notwendig auf Aussagen mit legitimatorischer Wirkung oder Absicht. Nationale politische Legitimationsbedürfnisse fließen in die notwendig komprimierten Schulbuchdarstellungen besonders stark ein – sei es durch direkte Einflussnahme über staatliche Richtlinien und Zulassungsverfahren, sei es durch unreflektierte nationale Einstellungen und Deutungsmuster. Die genauere Kenntnis, auf welche Weise solche legitimatorischen Elemente wirken, wie weit sie wissenschaftlich begründet sind und welche Berechtigung ihnen zukommt, ist für Schulbuchrevision im internationalen Rahmen unerlässlich. Ohne diese Kenntnis bleiben bei aller Bemühung um sachliche Richtigkeit der Fakten die gegenseitigen Wahrnehmungsmuster unverstanden.“9 Das GEI musste, vor allem in den zwei Jahrzehnten vor Ende des Kalten Krieges, immer wieder eine Balance zwischen wissenschaftlicher Schulbucharbeit und unterschiedlichen politischen Interessenlagen innerhalb Deutschlands und in der internationalen Arena finden. Jeismann hat daher wiederholt darauf bestanden, das GEI nur dann in solche Aktivitäten einzubringen, wenn es aktiv an der Planung und Leitung beteiligt und der Einfluss politischer Vertreter gering gehalten würde. Er plädierte dafür, die Beteiligung an multilateralen Forschungsvorhaben von den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Standards abhängig zu machen, die diesen Vorhaben in ihren Arbeitsabläufen und Ergebnisformen zugrunde lagen. Im Angesicht eines zunehmenden Bewusstseins für weit über die Steuerungsfähigkeit nationalstaatlicher und europäischer Institutionen 46

hinausreichender Probleme einer globalen Friedensordnung, eines neuen (Selbst-)Verständnisses von kultureller und geschlechterspezifischer Gleichberechtigung und der Gefährdung der Umwelt setzte sich Ernst Hinrichs, der Karl-Ernst Jeismann im Herbst 1984 in der Position des Direktors des Georg-Eckert-Institutes nachfolgte, ebenfalls für eine Stärkung der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und auf multilateraler Ebene ein.

Der Direktor des GEI Ernst Hinrichs und UNESCO-Generalsekretär Amadou-Mahtar M’Bow bei der Preisverleihung 1985 in Paris

Das Engagement des Institutes auf dem Gebiet der Schulbucharbeit in einer transnationalen kultur­ verbindenden Perspektive über Europa hinaus fand 1985 mit der Verleihung des UNESCO Prize for Peace Education seine Würdigung. Diese internationale Anerkennung bildete Motivation und Grundlage für den stetigen Ausbau des trans-

Biographie Robert-Hermann Tenbrock (*2. April 1908, † 23. November 1995)

1927 Abitur und Aufnahme des Studiums der Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und Anglistik nationalen Netzwerkes der Schulbuchforschung. Dazu gehörte das Stipendienprogramm, das 1985 Ernst Hinrichs auf ursprüngliche Initiative von KarlErnst Jeismann einrichtete und in dem ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine besonders wichtige Rolle spielten und bis heute spielen. Die Vorzüge für das Institut würden auf der Hand liegen,

„der internationale Austausch wird intensiviert und vervielfacht; die Forschungsarbeit des Instituts wird durch diese Mitarbeiter von auswärtigen Institutionen breiter und lebendiger werden. Das Institut selbst kann auf diese Weise unmittelbarer auf die wissenschaftliche und pädagogische Arbeit in anderen Ländern einwirken. Dies wird der Erfüllung der Aufgaben des Instituts direkt zugutekommen.“10 Die Einrichtung des Programmes wurde durch das Preisgeld für den UNESCO-Friedenspreis und die Umwidmung des Robert-Hermann-Tenbrock-Preises in ein Stipendium ermöglicht.

1933 Promotion in Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

1933–1939 Lehrer an verschiedenen Schulen

1939–1945 Nachrichtenoffizier, anschließend britische Kriegsgefangenschaft

Robert Hermann Tenbrock (Mitte) mit Georg Eckert (rechts) bei der Verleihung des ersten Preises an Gerhard E. Neumann (1972)

Ab 1946 erneut Schuldienst und Verfasser von Geschichtsschulbüchern

1969 Stiftung des Robert-Hermann-­ Tenbrock-Preises

1974 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse

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1989–2011: Das Ende der Blockkonfrontation eröffnete Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre neue Perspektiven für die Schulbucharbeit und die Chance darauf, eine Reihe von Staaten aus dem ehemals sowjetischen Machtbereich in den Prozess der Schulbuchrevision einzubinden. Dazu zählten Russland, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Tschechoslowakische, später Tschechische Republik und weitere ost- und mitteleuropäische Staaten. Weniger stand die bilaterale Schulbuchrevision im Vordergrund, sondern vielmehr der Transfer des fachwissenschaftlichen und didaktischen Wissens für die Neukonzeption des Unterrichtes in diesen Ländern. Die 1989 eingeleiteten gesellschaftlichen Transformationen in Mittel- und Osteuropa waren mit der Hoffnung verbunden, dass sich die traditionellen politischen Feindbilder, die die Schulbücher in der Zeit der „Blockkonfrontation“ geprägt hatten, auflösen und Europa stärker zusammenwachsen würde. Dies stellte gleichfalls neue Ansprüche an den Geschichts- und Politikunterricht. Das Georg-EckertInstitut führte ab 1990 eine Reihe von Forschungsvorhaben durch, die den widersprüchlichen Realitäten des erweiterten Europas Rechnung trugen. Während beispielsweise einige Gesellschaften Mittel- und Osteuropas das Projekt einer Gemeinschaft mit ihren westeuropäischen Partnern gestalteten, flammte in anderen Gesellschaften des ehemaligen Sowjetblocks ein neuer Nationalismus auf. Alte Vorurteile wurden im Kontext der neu entstandenen Nationalstaaten auch in Südosteuropa wiederbelebt und im Rahmen einer neuen nationalistischen 48

Geschichtsschreibung für die Ausgrenzung ethnischer und kultureller Minderheiten instrumentalisiert. Die ausbrechenden Konflikte in Südosteuropa und in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion verdeutlichten die Notwendigkeit, Schulbücher für den Geschichts- und Politikunterricht auch künftig auf Feindbilder, ethnozentrische, xenophobe und ­nationalistische Darstellungen hin zu untersuchen. Damit gewann die originäre Aufgabe des Institutes auf dem Gebiet der Schulbucharbeit klar an Bedeutung. Im Unterschied zu den traditionellen Schulbuchgesprächen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das heißt nach dem Ende eines gewaltsamen Konfliktes, auf staatlicher Ebene der Verständigung und Versöhnung zwischen ehemals verfeindeten Nationalstaaten durchgeführt worden waren, galt es nun, Schulbucharbeit in unmittelbaren Postkonflikt- oder noch akuten Konfliktgesellschaften durchzuführen. Neben der Aufgabe, nationalistische Darstellungen aus den Schulbüchern zu eliminieren, war es auch erforderlich, das Konfliktpotenzial zwischen religiösen und kulturellen Gemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft zu erforschen und damit die Grundlage für Schulbuchdarstellungen zu schaffen, die ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher kultureller und religiöser Gemeinschaften fördern könnten. Das Georg-Eckert-Institut stand vor der Herausforderung, diese Aufgabe in zahlreichen bi- und multilateralen Projekten der Schulbucharbeit umzusetzen und zugleich in diesem Feld Grundlagenforschung zu betreiben. Diese Projekte, die verstärkt mit Akteuren der Zivilgesellschaft durchgeführt wurden, zeigten

auch, dass es schwierig war, die Forschungsergebnisse gegen staatliche Vorbehalte praktisch anzuwenden. Nach 1993 engagierte sich das Institut bei der Beratung von Schulbuchautorinnen und -autoren in den baltischen Staaten und ab dem Jahr 2000 im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa insbesondere in Bosnien-Herzegowina bei der Neuausrichtung der historisch-politisch-geographischen Bildung und der Erarbeitung entsprechender Lehrmaterialien. Diese Aktivitäten folgten nur noch bedingt dem klassischen Modell bi- oder multilateraler Schulbuchgespräche. Die Rahmenbedingungen erforderten es nun vielmehr, andere Formen der Projektarbeit mit intensiven, seminarähnlichen Diskussionen zu entwickeln und gleichzeitig als Berater, Gutachter und Vermittler aufzutreten. Im Zentrum stand dabei der Transfer von Wissen und Expertise. In den baltischen Staaten wurde dieser Transfer neben der Beratung bei der Entwicklung neuer Schulbücher auch in Form der Gründung eines Schulbuchzentrums umgesetzt, das 1998 mit finanzieller Hilfe der Robert-Bosch-Stiftung und des litauischen Bildungsministeriums in Vilnius eröffnet wurde. Im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa nutzte das Institut seine Expertise dafür, wissenschaftliche und didaktische Ergebnisse der Schulbuchforschung gemeinsam mit Fachkräften aus der Region zu diskutieren und jene zu befähigen, auf dieser Grundlage neue Lehrpläne und Schulbücher zu entwickeln.

Die aus den neuen Bedingungen nach 1989 entstehenden Aktivitäten des Institutes verdeutlichten, dass die Schulbuchrevision zum einen noch immer ein zeitgemäßes und vielfach nachgefragtes Instrument zur Transformationsbewältigung und Konfliktbearbeitung darstellte. Dies gilt nicht nur für Südosteuropa oder die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, sondern auch für Staaten im Nahen Osten und in Ostasien, in denen die vom GEI gesammelten Erfahrungen als Vorbild und Inspiration genutzt ­wurden. Zum anderen zeigte sich, dass Schulbuch­ revision nicht mehr allein Konflikte zwischen Staa­ ten, sondern auch innerhalb einer Gesellschaft thematisieren musste. Inhalte und Formen traditioneller Schulbuchrevision reichten daher seit den 1990er Jahren nicht mehr aus. Angesichts aktueller Problemlagen, wie der Globalisierung und den dabei vorherrschenden Entwicklungsunterschieden, wachsender Heterogenität und kultureller Dynamik mussten komplexere Ansätze und Methoden gefunden werden. Die Tatsache, dass sich sowohl internationale Spannungen als auch Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft nicht nur an sozialen Verteilungskonflikten, sondern immer häufiger auch an Kämpfen um die Anerkennung kollektiver Identitäten entzündeten, verdeutlichte, dass Schulbuchrevision über die Beseitigung von nationalen Vorurteilen hinausgehen musste. Dies wurde neben der Zusammenarbeit mit den Staaten des ehemaligen sowjetischen Blocks auch mit lateinamerikanischen Staaten umgesetzt.

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Seit 2011: Mit der Aufnahme des GEI in die Leibniz-Gemeinschaft im Jahr 2011 setzte das Institut seine Aktivitäten in der bi- und multilateralen Schulbucharbeit fort und entwickelte zugleich ein kohärentes Forschungsprofil, das die Schulbuchforschung als wissenschaftliches Feld systematisch in den Blick nimmt. Neben der Untersuchung von nationalen Identitätsangeboten, kollektiven Deutungsmustern sowie Selbst- und Fremdbildern, die in Schulbücher eingeschrieben sind, verknüpft das GEI seitdem seine Forschungen zu Wissensinhalten mit Fragen der Produktion, Nutzung und Aneignung von Schulbüchern. Dabei bezieht es zunehmend digitale Bildungsmedien ein und knüpft damit an erste, unter der Direktorin Ursula A. J. Becher in den 1990er Jahren begonnene Forschungen zum Lernen mit elektronischen Medien im schulischen Unterricht an.

 1 NLA. Staatsarchiv Wolfenbüttel 143 N, Zg. 2009/069, Nr. 259.  2 Der Präsident des niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig. Abteilung für Volksbildung an den Geschichtspädagogischen Forschungskreis Braunschweig vom 3. Dezember 1951. NLA. Staatsarchiv Wolfenbüttel 143 N, Zg. 2009/069, Nr. 263.  3 NLA. Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 400 Acc. 121/81, Nr. 556.  4 Vgl. Rainer Riemenschneider, Das Tandem Eckert-Schüddekopf und das Institutsgedächtnis. In: Ursula A. J. Becher, Rainer Riemenschneider (Hg.), Internationale Verständigung, S. 123.  5 Recommendations of the Fourth Conference on Geography Teaching and the Revision of Geography Textbooks and Atlases (Reykjavik 1964). In: E. C. Marchant (Hg.), Geography Teaching and the Revision of Geography Textbooks and Atlases, Strasbourg 1967, S. 139.   6 Kjk (Kürzel für den Chefreporter Karl-Joachim Krause), Schulbuchinstitut wird Europazentrum. Europarat entschied sich für Braunschweig, in: Braunschweiger Zeitung vom 20. Juli 1965, S. 18.  7 Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, Forschungsevaluation an niedersächsischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. Ergebnisse und Empfehlungen, Hannover 2008 (Oktober), S. 21.  8 Georg Eckert an von Trützschler vom 16.3.1957. NLA. Staatsarchiv Wolfenbüttel 143 N, Zg. 2009/069, Nr. 175.  9 Karl-Ernst Jeismann, Vorbemerkung des Herausgebers. In: Geschichte als Legitimation? Internationale Schulbuchrevision unter den Ansprüchen von Politik, Geschichtswissenschaft und Geschichtsbedürfnis, Braunschweig 1984 (Studien zur Internationalen Schulbuchforschung, Bd. 39), S. 7. 10 Karl-Ernst Jeismann, Positionspapier, Einrichtung von Forschungsstipendien am Georg-Eckert-Institut vom 15. September 1981. Für die 13. Kuratoriumssitzung am 27./28. Oktober 1981. AA B 93, Nr. 1158. L.

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IV Internationale Schulbucharbeit

« Georg Eckert auf dem Treffen der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission im Altstadtrathaus von Braunschweig (17. Oktober 1972)

Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden die Bemühungen um die Schulbuchrevision, die von Beginn an durch ein Spannungsverhältnis von Wissenschaft, Politik und pädagogischer Praxis gekennzeichnet waren, ihre Fortsetzung auf verschiedenen, aber miteinander verbundenen Ebenen. Auf der nationalen Ebene – in Deutschland – führten die Schulbuchabteilungen der westalliierten Besatzungsmächte gemeinsam mit Vertretern des demokratischen Deutschlands die Schulbuchrevision im Kontext der re-education-Politik durch. Auf der internationalen Ebene gingen die zentralen Initiativen von der UNESCO und dem Europarat aus, die den nationalen und bilateralen Aktivitäten der ­Schulbuchrevision wesentliche Impulse verliehen.

Re-education und Schulbuchrevision Die Schulbuchrevision in Deutschland oblag den Besatzungsmächten. Sie war neben der Neugestaltung der Lehrpläne zentraler Bestandteil der re-education, die auf eine demokratische Reform des deutschen Bildungssystems abzielte. Nationalsozialistisches Gedankengut sollte aus Lehrplänen und Schulbüchern entfernt werden, wobei insbesondere die Fächer Geschichte, Geographie, Sozialkunde und Deutsch im Vordergrund standen. Die Besatzungsmächte folgten dabei der Prämisse, dass eine Demokratisierung nur unter freiwilliger Mitarbeit der Bevölkerung gelingen könne. Die Neustrukturierung des Bildungssystems und damit auch die Erstellung neuer Lehrpläne und Schulbücher betrachteten die Alliierten als zentralen Bestandteil der Besatzungspolitik. Vor 54

allem die Briten setzten dabei von Anfang an auf eine Zusammenarbeit mit jenen Deutschen, die dem nationalsozialistischen Staat kritisch gegenübergestanden oder aktiv Widerstand geleistet hatten. Terence J. Leonard, der seit 1945 Mitglied der Textbook Section der Education Branch in der britischen Besatzungszone war und diese ab 1948 leitete, arbeitete in einem eigens eingerichteten Central Textbook Committee mit Lehrerinnen und Lehrern, Vertreterinnen und Vertretern der Bildungsbehörden sowie Verlegerinnen und Verlegern zusammen. Dazu gehörten die Mitglieder des Geschichtspädagogischen Arbeitskreises, die ab 1947 eine Reihe von Lehrheften zu Aspekten der deutschen Geschichte für die Lehrerbildung erarbeiteten. Die „Beiträge zum Geschichtsunterricht“ behandelten Fragen und Weichenstellungen der deutschen Geschichte von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Sie diskutierten Chancen, Scheitern und Perspektiven demokratischer Entwicklungen in der deutschen Geschichte. Damit antworteten sie auf die dringende Notwendigkeit, Arbeitsmaterialien für Lehrkräfte bereitzustellen und einen neuen Lehrplan für das Fach Geschichte zu entwickeln. Parallel dazu setzte sich Georg Eckert in der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände für die Revision der Geschichtsschulbücher ein. Diese hatte auf ihrer Jahresversammlung 1948 beschlossen, einen Ausschuss für Geschichtsunterricht zu bilden, dessen Vorsitz Georg Eckert übernahm und der auf einer im Januar 1949 durchgeführten Geschichtslehrertagung eine internationale Zusammenarbeit in der Schulbuchrevision forderte.

Eckert arbeitete in Fragen der Schulbuchrevision aber nicht nur mit den Besatzungsbehörden zusammen. Als Mitglied der Deutschen UNESCO-­Kommission initiierte er 1952 die Einrichtung des Ausschusses für Schulbuchverbesserung der DUK und übernahm 1956 dessen Vorsitz. Der Ausschuss sah es als seine Aufgabe an, die Zusammenarbeit von Lehrkräften und Lehrerverbänden national und international zu fördern, die Arbeit auf alle Arten von Schulbüchern und anderen Unterrichtsmaterialien auszudehnen sowie Vorschläge zur Verbesserung der Schulbücher im Sinne der UNESCO-Grundsätze zu unterbreiten. Er verabschiedete daher Grundsätze zur Verbesserung von Lehrmaterialien, die auf Überlegungen zurückgingen, die Eckert seit 1949 gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände und dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands im Hinblick auf eine internationale Schulbuchrevision entwickelt hatte und die das Institut in den Folgejahren umsetzte.

Bilaterale Schulbuchaktivitäten Dank der engen Zusammenarbeit zwischen Georg Eckert und der Erziehungsabteilung der britischen Besatzungsmacht konnte im Juli 1949 finanziert vom britischen Erziehungsministerium eine deutsch-britische Geschichtslehrertagung in Braunschweig organisiert werden. Diese Tagung markiert den Beginn der bilateralen Schulbuchgespräche, die bis in die Gegenwart einen wichtigen Pfeiler der Arbeit des Georg-Eckert-Institutes bilden. Nach der gemeinsamen Formulierung „DeutschFranzösischer Vereinbarungen über strittige Fra-

Arbeitsatmosphäre am ISBI

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Die Teilnehmer der deutsch-britischen Schulbuchgespräche in Braunschweig (1949)

gen europäischer Geschichte“ trafen sich seit 1952 regelmäßig deutsche und französische Geschichtslehrer. Diese französisch-deutschen Schulbuchgespräche, die die Association des Professeurs d’Histoire et de Géographie gemeinsam mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands organisierte, verliehen der bilateralen Schulbucharbeit eine neue Qualität, da die Gespräche unter Leitung von Edouard Bruley und Georg Eckert im Rahmen einer Schulbuchkommission institutionalisiert wurden. Die Kommission sicherte die Kontinuität der Arbeit in einer stabilen Arbeitsgemeinschaft. Dank dieser Struktur konnte die Französisch-Deutsche Schul56

buchkommission den Anspruch einer nachhaltigen Schulbucharbeit erfüllen, die über die Beziehungsgeschichte hinaus auch Themen der europäischen Geschichte bearbeitete. Als Reaktion auf kritische Äußerungen von deutschen und französischen Historikern und Geschichtslehrkräften wurden in der Folgezeit auch umstrittene Themen behandelt, zu denen Imperialismus/Kolonialismus, Kriegsschuld und nationalsozialistische Herrschaft gehörten. Ab Mitte der 1960er Jahre wandte die Kommission sich Fragen zu, die von der didaktischen und sozialwissenschaftlichen Forschung für den Geschichtsunterricht ausgingen.

Neben Frankreich und Großbritannien initiierte das Internationale Schulbuchinstitut in den 1950er und 1960er Jahren zahlreiche bilaterale Schulbuchgespräche zwischen Deutschland und Belgien, Dänemark, Italien, Jugoslawien, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, der Tschechoslowakei, ­Luxemburg, Schweden und den USA, an denen Vertreter nationaler Lehrergewerkschaften und der Fachverbände der Historikerinnen und Historiker sowie Geschichtslehrerinnen und -lehrer beteiligt waren. Das Institut entwickelte sich daher rasch zum international anerkannten clearing house für die internationale Schulbuchrevision.

Frühe bilaterale Schulbuchaktivitäten Europa und USA Großbritannien (ab 1949) Frankreich (ab 1951) USA (ab 1952) Dänemark (1952) Italien (ab 1953) Norwegen (1953)

Jugoslawien (ab 1953) Belgien (1954) Niederlande (1956) Österreich (ab 1956) Luxemburg (1957) Schweden (1957)

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Das Internationale Schulbuchinstitut nahm die internationalen Wissensbestände auf und agierte als zentraler Akteur der bilateralen Schulbuchrevision. Es etablierte dazu ein weitverzweigtes, mehrdimensionales Netzwerk, das faktisch die „Transferkanäle“ jenseits geographischer Grenzen schuf und das mit der Person Georg Eckerts über einen zentralen Knotenpunkt verfügte. Eckert nutzte seine vielfache institutionelle Anbindung, um seine Aktivitäten umzusetzen beziehungsweise weitere anzuregen, zunächst gemeinsam mit der Textbook Section und später mit der DUK. Das Netzwerk ermöglichte die Rezeption und Anpassung der Empfehlungen der UNESCO für die internationale Schulbucharbeit. Dies ging einher mit einer Standardisierung der Schulbuchrevision. Das etablierte Format bestand darin, individuell oder über das Auswärtige Amt beziehungsweise die Vertretungen der betreffenden Länder in der Bundesrepublik Kontakte zu potenziellen Partnern aufzunehmen, den Austausch von Schulbüchern aufzubauen, erste Sondierungsgespräche auf politischer Ebene zu führen, die Schulbuchanalysen mit externen Experten durchzuführen und schließlich auf Konferenzen die Ergebnisse zu präsentieren und Schulbuchempfehlungen zu verabschieden.

UNESCO und Europarat In Bezug auf die multilaterale Ebene hatte die UNESCO bereits Anfang der 1950er Jahre begonnen, ihren einseitig eurozentristischen Fokus 58

zu hinterfragen. Eine Expertentagung in Paris im Jahr 1952 artikulierte die Notwendigkeit, Schulbücher, Lehrpläne und andere Lehrmaterialien zu revidieren und alle Staaten dazu aufzurufen.1 1953 erbat die UNESCO daher von allen Mitgliedsstaaten und Nationalkomitees im „Westen“ einerseits und in Asien andererseits eine quantitative und inhaltliche Schulbuchanalyse hinsichtlich der Darstellung der jeweils anderen Region. Die daraufhin eingereichten Berichte aus 16 Ländern wurden 1956 auf einer UNESCO-Konferenz in Paris diskutiert und bildeten die Grundlage für das im Folgejahr eingerichtete „Major Project on the Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values“, das sogenannte „East-West Major Project“, das den Dialog zwischen dem „Westen“ und dem „Osten“ durch die Entwicklung spezieller Programme unter anderem für Schulen, Universitäten, Jugendorganisationen, Wissenschaft, Museen unterstützen sollte. Das ISBI spielte eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung und Umsetzung dieses Projektes. Eckert wurde 1961 Mitglied des International Advisory Board des „EastWest Major Project“, dem Vertreter von 18 Ländern angehörten, und unterbreitete der UNESCO Vorschläge über eine westlich-asiatische Kooperation im Feld der Schulbucharbeit. Deren Schwergewicht sollte auf der Zusammenarbeit zwischen Lehrerinnen und Lehrern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf der Basis regionaler und überregionaler Seminare liegen. Einen zentralen Aspekt bildete seine Idee, dass die UNESCO in Zusammenarbeit mit den nationalen UNESCO-Kommissionen nationale Studienzentren für Fragen des Geschichtsund Sozialkundeunterrichtes schaffen sollte. Das

Internationale Schulbuchinstitut hatte konzeptionell bereits einen entscheidenden Anteil an der Vorbereitung der Tokioter Konferenz von 1958, zu der das japanische UNESCO-Nationalkomitee eingeladen hatte und an der 42 Vertreter – darunter Bildungspolitikerinnen und -politiker, Hochschuldirektorinnen und -direktoren, Geschichtslehrerinnen und -lehrer sowie Angehörige von Forschungseinrichtungen und Verlagen – aus 25 Ländern teilnahmen und das eine gemeinsame Erklärung mit den zentralen Zielen und Prinzipien des Projektes verabschiedete. Eckert selbst wurde zu einem der vier Vizepräsidenten des Kongresses gewählt. Das „East-West Major Project“ fand im Hinblick auf die Schulbuchrevision seinen Abschluss auf der vierten Konferenz, die im Mai 1962 in Goslar stattfand und von der DUK in Zusammenarbeit mit dem ISBI organisiert wurde. Sie diente dazu, die bisherigen Aktivitäten im Rahmen des „East-West Major Project“ zu beurteilen und

Ryon Kwai Kim und Gerhard E. Neumann

Prinzipien und Methoden der Schulbucharbeit sowie Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung zu unterbreiten. Neben den vielfältigen bilateralen Aktivitäten arbeitete das ISBI auch nach Abschluss des „East-West Major Project“ weiterhin eng mit der UNESCO und der DUK zusammen. Multilaterale Konferenzen wie 1968 in Ghana über „Textbook Writing for Developing Countries“ oder 1978 in Finnland über die „Adaption of the UNESCO-Recommendation on International Education to Educational Curricula“ sind unter Beteiligung des ISBI durchgeführt und formuliert worden. Dies trifft auch auf Dokumente wie den „Report on the final meeting of the project for multilateral consultations on school history, geography and social studies text books, 1971–1974“ oder die 1974 von der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedete „Recommendation concerning education for international understanding, co-operation and peace and education relating to human rights and fundamental freedoms“ zu. Insbesondere das unter der Ägide von Ryon Kwai Kim, Leiter der Section of Education for International Cooperation and Peace der UNESCO, mit dem ISBI von 1971 bis 1974 durchgeführte Projekt „Promoting International Understanding through School Textbooks“ ging vom Internationalen Schulbuchinstitut aus und wurde von diesem koordiniert. Die Analyse von 70 Schulbüchern aus sieben Ländern von insgesamt vier Kontinenten thematisierte unter anderem erstmals Fragen von Multiperspektivität und Qualitätsstandards für gute Schulbücher. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass diese Aktivitäten zu Zeiten der Block59

an denen er als Vertreter der deutschen Kommission teilnahm, wichtige Kontakte knüpfen. Seine internationalen Reisen, etwa 1958 nach Japan und Indien oder 1960 nach Indonesien, nutzte er, um diverse akademische, pädagogische oder bildungspolitische Institutionen zu besuchen. Zum anderen organisierte Eckert die bilateralen Schulbuchgespräche oftmals gemeinsam oder mit Unterstützung der Kommission beziehungsweise ihres Schulbuchausschusses. konfrontation stattfanden und es damit bei den multilateralen Konferenzen oft auch darum ging, den Einfluss der sozialistischen Länder zu begrenzen. Die Aktivitäten Eckerts im Rahmen des „East-West Major Project“ waren aufs Engste mit der bilateralen Schulbucharbeit des ISBI mit asiatischen Ländern verbunden. Eckert verstand es auf hervorragende Weise, seine Tätigkeit im Rahmen der DUK, deren Repräsentant er bei der UNESCO war, mit der Arbeit des Institutes zu verbinden. Fast alle Projekte führte das ISBI gemeinsam mit asiatischen Partnern oder unter Leitung der UNESCO-Kommission durch. Die Deutsche UNESCO-Kommission beauftragte das Institut, die deutsch-japanischen und deutsch-indischen Historikertagungen zu veranstalten und finanzierte diese. Die DUK bot Eckert zwei zentrale Voraussetzungen für seine Aktivitäten mit und in Asien: Zum einen konnte er auf den Treffen der UNESCO, 60

Das Institut arbeitete aber nicht nur eng mit der UNESCO zusammen, sondern knüpfte frühzeitig Beziehungen zum Europarat, der zwischen 1953 und 1983 zwölf Konferenzen über Geschichtslehrbücher und den Geschichtsunterricht durchgeführt hatte. In deren Kontext wurden – faktisch in Fortsetzung der Völkerbundaktivitäten – fast 1000 Schulbücher aus 17 Ländern geprüft.2 Ein wichtiges Ergebnis der Geschichtskonferenzen des Europarates stellt die 1964 publizierte Terminologie historischer Begriffe dar.3 Die Ausweitung der bilateralen Arbeit auf eine multilateral-europäische Ebene fand seinen Ausdruck 1965 in der Einladung an das ISBI, das European Information and Documentation Centre for the Improvement of History and Geography Textbooks des Europarates zu konstituieren. Das ISBI wurde damit – so auch die öffentliche Wahr-

nehmung – „die Schaltzentrale zwischen der historischen Forschung, der Pädagogik und der Lehrmittelproduktion“4 – und zwar nicht nur für Europa. 1969 fungierte das Institut als Gastgeber einer Schulbuchkonferenz des Europarates zum Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe I. Auf diesem und einem Nachfolgetreffen 1971 in Straßburg wurde empfohlen, europäische und Weltgeschichte mit dem Ziel in den Lehrplan aufzunehmen, dass „the history of Europe should be viewed in a world perspective“.5 Mit der Konferenz „Co-operation in Europe since 1945“ im Jahr 1979 erweiterte das Institut seine Forschungsperspektive über den Geschichtsunterricht auf die Fächer Geographie und Sozialkunde/Politik und verknüpfte infolge der 1990 durchgeführten Konferenz zu „History and social studies – Methodologies of textbook analysis“ die Analysen der Schulbuchinhalte mit Untersuchungen zu Methodenfragen der Schulbuchanalyse. In den 1990er Jahren beteiligte sich das Institut an den intergouvernementalen Programmen für einen neuen Geschichtsunterricht für Europa und antwortete damit auf den Vorschlag der europäischen Bildungsminister, Europa als Querschnittsthema in die Schulbücher verschiedener Fächer einzubeziehen. Die Idee einer standardisierten einheitlichen Version zur europäischen Geschichte im Unterricht wurde allerdings auf der Konferenz der europäischen Bildungsminister in Kristiansand im Jahr 1997 abgelehnt. Es ging ihnen vielmehr darum, Lehrerinnen und Lehrer mit der gemeinsamen Geschichte Europas vertraut zu machen. So wurde auf Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der

Gerhard E. Neumann und Georg Eckert

Mitgliedsstaaten des Europarates 1993 und 1997 das Projekt „Lernen und Lehren der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“ initiiert und seitdem in einer Reihe von Konferenzen und entsprechenden Tagungsbänden realisiert. Trotz dieser zahlreichen Aktivitäten des Europarates dominierte bis weit in die 1990er Jahre hinein der nationalgeschichtlich ausgerichtete Unterricht in den europäischen Ländern. In Deutschland erließ die Kultusministerkonferenz zwar bereits 1978 und 1990 als Reaktion auf die Entschließungen des Europarates Richtlinien über das Thema „Europa im Unterricht“, wobei die Schaffung eines „europäische(n) Bewusstsein(s) als pädagogischer Auftrag der Schule“6 formuliert wurde. Ihnen war allerdings – wie Lehrplanstudien zeigen – vor allem in der Sekundarstufe I zunächst wenig Erfolg bei der 61

konkreten Umsetzung in Lehrplänen oder gar der Erarbeitung entsprechender didaktischer Methoden beschieden. Durchgesetzt haben sich dagegen entsprechende Prüfkriterien für die Zulassung von Lehrund Lernmitteln. Das GEI stellte für die Initiativen des Europarates zur Reform des Geschichtsunterrichtes und der Schulbücher in Osteuropa und in Russland vielfach seine Expertise zur Verfügung.

Bilaterale Zusammenarbeit mit Asien Die multilateralen Aktivitäten fanden ihre Entsprechung auch in bilateralen Beziehungen mit asiatischen Ländern. So organisierte das Institut gemeinsam mit der Deutschen UNESCO-Kommission die erste und die zweite japanisch-deutsche Historikertagung in Braunschweig im Mai und Sep-

Wolfgang Höpken (links) und Rainer Riemenschneider (rechts) im Gespräch mit dem Generalsekretär der südkoreanischen UNESCO-Kommission Kim Yersu (2001)

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tember 1953. Im Oktober desselben Jahres beauftragte der Schulbuchausschuss der DUK das ISBI offiziell, die Zusammenarbeit mit Asien zu intensivieren. Die aus den bilateralen deutsch-japanischen Gesprächen hervorgegangenen Empfehlungen beinhalteten einen kurzen Abriss der japanischen Geschichte, den 1954 das Internationale Jahrbuch für den Geschichtsunterricht veröffentlichte. Kontakte des Georg-Eckert-Institutes zur International Society for Educational Information in Tokio führten allerdings erst im Frühjahr 1982 zur Wiederaufnahme von Schulbuchgesprächen. Den Gesprächen folgten im Oktober 1987 erneute bilaterale deutsch-japa-

nische Schulbuchkonsultationen, diesmal zum Fach Geographie, die in Braunschweig stattfinden sollten. Im Oktober 1954 in Braunschweig, also ein Jahr nach dem deutsch-japanischen Treffen, fand eine deutsch-indische Historikertagung statt, in deren Ergebnis die „Deutsch-indischen Thesen“ mit Schulbuchempfehlungen verabschiedet wurden. Im Februar 1956 und Januar 1957 erfolgten die Vorbesprechungen für die erste deutsch-indonesische Historikertagung, die dann im Mai 1957 im Kontext des „East-West Major Project“ durchgeführt wurde. Im Unterschied zu den japanisch-deutschen Schulbuchgesprächen sind die Empfehlungen nur für deutsche Schulbücher verabschiedet worden und ungleich kürzer ausgefallen, allerdings wurden sie als separate Publikation veröffentlicht.7 Die Wirkungen der ersten deutsch-indonesischen Tagung sind nicht gering zu schätzen. Georg Eckert engagierte sich insbesondere für Reisen und For­

Frühe bilaterale Schulbuchaktivitäten Asien Japan (1953) Indien (1954) Südkorea (1957) Indonesien (1956–1959)

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schungs­aufenthalte indonesischer Wissenschaftler in Deutschland sowie den Buchaustausch. So organisierte er Anfang 1960 eine deutschlandweite Sammlung von Schulbüchern und wissenschaftlicher Lite-

Deutsch-indonesisches Treffen in Braunschweig (1968)

Bis Anfang der 1960er Jahre hatte sich das ISBI als Treffpunkt der internationalen Schulbucharbeit – von den USA über Europa bis Asien – etabliert. Es übernahm eine Dienstleistungsfunktion für den internationalen Austausch, erfüllte aber zugleich eine wichtige politische Rolle im Kontext der deutschen auswärtigen Kulturpolitik. Ende der 1950er Jahre war die erste Phase der Schulbuchrevision in Europa abgeschlossen, die vor allem auf bilateralen Beziehungen beruhte. Sie sollte durch multilaterale Schulbuchgespräche erweitert werden, wie Eckert 1958 in einem Brief an seine finanziellen Förderer aus dem Bundesinnenministerium hervorhob: 64

ratur für Indonesien. Das ISBI koordinierte zudem die Übersetzung indonesischer Lehrpläne ins Deutsche (1962) und die Veröffentlichung einer Geschichte Indonesiens für Lehrer (1963).

„Auf diese erste Phase unserer Arbeit ist vor einigen Jahren eine zweite gefolgt. In enger Zusammenarbeit mit dem Europarat bemühen wir uns darum, die großen Gemeinsamkeiten der europäischen Geschichte und Kultur herauszuarbeiten und auf diese Weise sowohl die nationalstaatliche Sicht des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu überwinden, wie den Europagedanken und das Gefühl der europäischen Solidarität zu fördern. Wir glauben bei aller Bescheidenheit, damit einen wesentlichen Beitrag zu der von der Bundesrepublik seit über 10 Jahren betriebenen Politik geleistet zu haben.“8 Quelle: Georg Eckert, 19.3.1958. NLA, Staatsarchiv Wolfenbüttel, 143 N Zg. 2009/069, Nr. 178/2.

Dieser Einschätzung wird man auch im historischen Rückblick zustimmen können. Die Aktivitäten des ISBI in einem weltweiten Netzwerk mit den zahlreichen Konferenzen, die Erarbeitung von Empfehlungen, der Austausch von Schulbüchern und die Veröffentlichung des Internationalen Jahrbuches sowie anderer gedruckter Materialien und deren Versand an hunderte wissenschaftlicher Einrichtungen, politischer und zivilgesellschaftlicher Institutionen und Privatpersonen begründeten den Ruf des Institutes in aller Welt bereits in den 1960er Jahren.

Eine neue Phase der bilateralen Zusammenarbeit Auch in den Folgejahrzehnten setzte das Institut seine bilaterale Arbeit fort, die in den 1970er Jahren in eine weitere Phase eintrat: Neue Inhalte, die mit der Einbeziehung transnationaler Beziehungen sowie europäischer und globaler Perspektiven über das Ziel der Versöhnung hinausreichten, rückten zunehmend in den Blickpunkt. Nachdem das ISBI in den frühen 1970er Jahren einerseits einen deutlichen Schwerpunkt auf die Verständigung im Rahmen der internationalen Schulbucharbeit über Westeuropa und die USA hinaus gelegt hatte, wovon die Schulbuchgespräche mit Rumänien und Tunesien, vor allem aber die Arbeit der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission Zeugnis ablegen, leitete Karl-Ernst Jeismann andererseits eine neue Serie von Schulbuchgesprächen mit den westeuropäischen Partnern Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden und Frankreich sowie den USA ein. Dabei erwiesen sich die französisch-deutschen Schulbuchgespräche wie bereits in den 1950er und 1960er Jahren als besonders erfolgreich. Es gelang erneut, eine Deutsch-Französische Schulbuchkommission zu konstituieren.

Georg Eckert (2. v. r.) und der Präsident der rumänischen UNESCO-Kommission Jean Livescu (2. v. l.) (1968)

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Zu dieser Serie gehörten auch die Neuaufnahme der deutsch-amerikanischen Schulbuchgespräche ab 1979, die um das Thema Holocaust kreisten, und 1981 die Gründung einer Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission. Die deutsch-amerikanischen Gespräche machten deutlich, wie schwierig sich Reformbemühungen realisieren ließen, wenn die Schulsysteme, Unterrichtsfächer und Kooperationspartner sehr divers waren und mit den Schulbuchgesprächen unterschiedliche Ziele verfolgt wurden. Sie regten aber dazu an, die in der bilateralen Schulbucharbeit bewährten gemeinsamen „Empfehlungen“ auf den Prüfstand zu stellen und nach neuen Ergebnisformen zu suchen. So einigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Redaktion von Fachgutachten, die die zentralen Probleme der Schulbuchgespräche auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes detailliert behandelten.

Die erste Deutsch-Israelische Schulbuchkommission, die zwischen 1979 und 1987 sechsmal tagte, war das Ergebnis vielfältiger deutsch-israelischer Initiativen. Der Hannoveraner Geschichtsdidaktiker Wolfgang Marienfeld leistete dazu neben Chaim Schatzker von der Universität Haifa einen entscheidenden Beitrag. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Erik Blumenfeld, nahm die Rede des Bundeskanzlers Helmut Schmidt auf dem Historikertag 1978 zum Anlass, den Kanzler zu bitten, für 1979 eine deutsch-israelische Schulbuchkonferenz einzuberufen. Der Vorschlag wurde seitens der deutschen Politik und der Kultusministerkonferenz positiv aufgenommen und trotz der Kontroversen um die deutsch-polnischen Empfehlungen (siehe unten) und der Tatsache, dass auf israelischer Seite keine dem GEI verwandte institutionelle Partnereinrichtung existierte, sprach sich auch das Kuratorium des GEI für die Aufnahme deutsch-israelischer Schulbuchgespräche aus. Das Institut machte sich allerdings dafür stark, die bilateralen Gespräche nicht auf die politische Ebene zu heben, sondern es favorisierte eine aus wissenschaftlichen Expertinnen und Experten zusammengesetzte und von politischen Gremien unabhängige Kommission. Zwischen 1981 und 1984 fanden vier bilaterale Schulbuchkonferenzen statt, in deren Ergebnis gemeinsame Empfehlungen zur Behandlung der jüdischen Geschichte in beiden Ländern formuliert wurden.

Deutsch-israelische Schulbuchgespräche 1985 in Israel, von links: Karl-Ernst Jeismann, Yehuda Ben Avner, Reinhard Rürup und Chaim Schatzker

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Neben der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission förderte das GEI auch die Zusammenarbeit zwischen Vertretern der israelischen Zivilgesellschaft und palästinensischen Partnern. Dazu zählte beispielsweise das Projekt „From Peace Making to Peace Building. An Israeli-Palestinian Comparative Research of History and Civics Textbooks and Curricula Statements“, das 1996/1997 gemeinsam mit dem Harry S. Truman Institute for the Advancement of Peace und der Bethlehem University mit dem Ziel durchgeführt wurde, die gegenseitigen Darstellungen des israelisch-palästinensischen Verhältnisses im 20. Jahrhundert zu analysieren. Das GEI wurde im Jahr 1996 außerdem zu einer potenziell noch stärker konfliktbehafteten Zusammenarbeit als Berater angefragt: der Entwicklung eines gemeinsamen israelisch-palästinensischen Schulbuches. Im Auftrag der Forschungsorganisation Palestine Consultancy Group hatte sich eine Gruppe aus Forscherinnen und Forschern sowie Lehrerinnen und Lehrern zusammengefunden, die zunächst aktuelle Schulbücher analysieren und vergleichen wollte, um daraufhin gemeinsame Lehrmaterialien zu erstellen. Das GEI stellte ab 2004 den für solche kontroversen Gespräche notwendigen „neutralen Ort“ zur Verfügung, vermittelte zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und beriet bezüglich der Methoden der Schulbuchforschung sowie der Prinzipien des internationalen Schulbuchvergleiches. Der erste Vergleich konnte 2001 abgeschlossen werden. Gemeinsame Arbeitsmaterialien wurden schließlich in den Jahren 2003 bis 2009 unter Leitung des Peace Research Institute

in the Middle East in Beit Jalah veröffentlicht. Darin stellten die Autorinnen und Autoren die jeweiligen nationalen Narrative einander gegenüber, mit einer Leerspalte in der Mitte für eigene Eintragungen der Schülerinnen und Schüler. Auch wenn dieses gemeinsame bilaterale Lehrmaterial aus politischen Gründen nicht zum offiziellen Einsatz kam, stellt es wegen seiner Entstehung und seines einzigartigen Ansatzes ein Vorbild für die transnationale Schulbucharbeit dar.

Gemeinsames israelisch-palästinensisches Schulbuch (2006)

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Die 2010 gegründete zweite Deutsch-Israelische Schulbuchkommission befasst sich heute nicht mehr ausschließlich mit den traditionellen Themen der Schulbuchrevision, sondern mit der Darstellung des Holocaust und gesellschaftlichen Herausforderungen wie Globalisierung und Migration. Die gemeinsame Entwicklung von digitalen Lehrmodulen markiert dabei eine neue Stufe der Zusammenarbeit. Neben diesen verstärkten Aktivitäten mit westlichen Partnern richtete sich das Institut in den 1990er Jahren zunehmend auf Osteuropa aus. Zum einen übernahm mit Wolfgang Höpken ein Osteuropahistoriker die Leitung des Institutes, zum anderen verfügte eine Vielzahl neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Osteuropaexpertise. Darüber hinaus stammte die Mehrzahl der Stipendiatinnen und Stipendiaten aus dieser Region. Der Beginn der deutsch-tschechischen Schulbuchgespräche im Jahre 1967 ging auf eine Initiative der UNESCO-Kommissionen der CˇSSR und der Bundesrepublik Deutschland zurück. Die im selben Jahr in Braunschweig durchgeführte Konferenz befasste sich mit der gesellschaftlichen Wirkmächtigkeit von hussitischer Bewegung und Reformation, die ebenso wie die nationalen Bewegungen in beiden Ländern bis zur Revolution von 1848 in einer europäischen Perspektive dargestellt werden sollten. Infolge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im Jahr 1968 kam es zum Abbruch der Schulbuchgespräche. Erst 1987 konnte der Kontakt zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen wieder aufgenommen werden. Eine Schulbuchkonferenz in Prag 1988 be68

Deutsch-Polnische Schulbuchkommission, Władysław Markiewicz und Georg Eckert

handelte Probleme der gemeinsamen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert in den Schulgeschichtsbüchern der CˇSSR und der BRD. In den beiden Folgejahren fanden Konferenzen zu den Nationalbewegungen sowie zum Imperialismus und zum Ersten Weltkrieg statt. Wegen personeller und organisatorischer Umstrukturierungen im Zusammenhang mit dem Zerfall der CˇSSR wurden die Gespräche erst 1994 in Form von exklusiv deutsch-tschechischen Konferenzen fortgesetzt. Auf einer vierten Konferenz im Jahr 1994 in Braunschweig und einer fünften 1995 in Prag wurde der chronologische Durchgang durch die deutsch-tschechoslowakische Beziehungsgeschichte fortgesetzt, indem sie die „Deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen bis Mitte der dreißiger Jahre“ und „Tschechen, Deutsche und der Zweite Weltkrieg“ thematisierten. Zwei Folgekonferenzen fanden 1997 und 1999 zum Thema „Nation“ statt. Im September 2000 wurde die tschechische Sektion der Gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Schulbuchkommission institutionalisiert und im November 2002 konstituierte sich die Gemeinsame Deutsch-Tschechische Schulbuchkommission in Dresden nach 35 Jahren Schulbuchzusammenarbeit auch formal. Seitdem organisiert die

Deutsch-Polnische Schulbuchkonferenz 1972 in Braunschweig

Kommission alle zwei Jahre Schulbuchkonferenzen zu unterschiedlichen historischen und geschichtsdidaktischen Themen. In jüngster Zeit öffnete sich die Kommission auch gegenüber der Geographie. Von zentraler Bedeutung für die Schulbucharbeit des Institutes war die 1972 unter dem Dach der deutschen und polnischen UNESCO-Kommissionen gegründete Deutsch-Polnische Schulbuchkommission. Ihr Ziel bestand darin, die Geschichts- und Geographiebücher beider Seiten auf mögliche Falschdarstellungen, Vorurteile und Stereotypen hin zu untersuchen, für eine sachliche Darstellung der konflikthaften Beziehungsgeschichte einzutreten und nationalistische Sichtweisen zu überwinden. Die im Klima des Kalten Krieges begonnene Arbeit der Kommission war dabei von Anfang an von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen in beiden Ländern geprägt. In der Bundesrepublik führten insbesondere die 1976 veröffentlichten „Empfehlungen für die Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen“ zu einer kontroversen

gesellschaftlichen Debatte, berührten sie doch die neuralgischen Punkte wie „Vertreibung“ nach 1945 oder die „Oder-Neiße-Grenze“. Es wurde unterstellt, dass in den „Empfehlungen“ diese Grenze festgeschrieben werde, obwohl es ein von der Bundesrepublik erstelltes Rechtsgutachten gebe, das die Rechtswidrigkeit einer Anerkennung infolge des fehlenden Friedensabkommens zwischen beiden Ländern festgestellt habe. Die Empfehlungen enthielten, so ein weiterer Vorwurf, keinen Verweis auf den „­Hitler-Stalin-Pakt“. Die deutsch-polnischen Schulbuchgespräche bieten ein gutes Beispiel dafür, wie eine bilaterale Schulbuchkommission unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges ihre Spielräume immer wieder neu ausloten musste. In den Folgejahrzehnten traf sich die Kommission zweijährlich zu ihren wissenschaftlichen Tagungen und gab eine Reihe von Unterrichtsmaterialien und an Lehrende beider Länder gerichtete Themenbände heraus. Die 2001 erschienene Lehrerhandreichung „Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert“ erreichte mit einer Gesamtauflage von über 32.000 Exemplaren eine besondere Breitenwirkung. 69

Das Ende des Kalten Krieges Mit dem Ende des Kalten Krieges verschwanden die traditionellen politischen Feindbilder, die die Schulbücher in der Zeit der Blockkonfrontation geprägt hatten. Die neu ausbrechenden Konflikte auf dem Balkan und in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion trübten allerdings die Hoffnung, dass Schulbücher künftig nicht mehr auf Feindbilder oder Vorurteile hin befragt werden müssten. Während sich Teile Europas beschleunigt aufeinander zubewegten, flammte in einigen Ländern des ehemaligen Sowjetblocks ein neuer Nationalismus auf. Alte Vorurteile wurden im Kontext der neu entstandenen Nationalstaaten insbesondere in Südosteuropa durch solche ersetzt, die sich auf ethnische und kulturelle Minderheiten bezogen und von nationalistischen Geschichtsbildern gekennzeichnet waren. Nicht selten wurden von nationalen Eliten ethnozentrische Ressentiments geschürt. Neben diesen neuen

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Nationalismen entstanden auch Konflikte, die sich zwischen religiösen und kulturellen Gemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft entluden. Darüber hinaus stellte die Auseinandersetzung mit virulenten gewaltsamen Konflikten insbesondere in Südosteuropa eine Herausforderung für die internationale Schulbucharbeit dar. Die traditionellen Aufgabenfelder des Institutes wurden damit wieder hochaktuell und bedurften der konzeptionellen und methodischen Weiterentwicklung. Die Schulbuchrevision gewann erneut an Bedeutung. Sie folgte aber nur noch bedingt dem klassischen Modell bi- oder multilateraler Schulbuchgespräche. Die neuen Rahmenbedingungen erforderten es für das GEI nun, andere Formen der Schulbucharbeit mit intensiven, seminarähnlichen Diskussionen zu entwickeln und gleichzeitig als Vermittler, Berater und Gutachter aufzutreten. Auch die bilateralen Schulbuchkommissionen wurden erweitert und neu ausgerichtet: Im Zentrum standen nicht mehr nur konfliktbehaftete nationale beziehungsweise beziehungsgeschichtliche Perspektiven, sondern die Auswirkungen der europäischen Integration auf die in Schulbüchern vermittelten Identitätsangebote. Das Georg-Eckert-­Institut wandte sich daher in Zusammenarbeit mit der Fondazione Giovanni Agnelli vom Ende der 1980er Jahre bis 2003 dieser Thematik zu. Das Ziel bestand darin, in einer Periode der politischen Öffnung und Vertiefung der europäischen Integration nach 1989 die Perspektiven europäischer Bildung in den Fächern Geschichte, Geographie und Politik neu zu bestimmen. Die Studie verband die Inhaltsanalysen

mit Untersuchungen der Lehrplanentwicklung und der unterschiedlichen Fächerkulturen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Ein besonderer Fokus der Schulbuchuntersuchungen lag auf der Darstellung der Europäischen Gemeinschaft und des Europagedankens in Schulbüchern ihrer Mitgliedsstaaten. Zudem wurden Vorschläge erarbeitet, die den europäischen Integrationsprozess gegenüber nationalgeschichtlichen Ansätzen stärker betonten. Vorgespräche über die Aufnahme von Schulbuchgesprächen mit der Sowjetunion begannen Mitte der 1970er Jahre in einer Periode der Entspannung unmittelbar nach dem Abschluss des deutsch-­ sowjetischen Kulturabkommens. Sie führten allerdings nicht zur Einrichtung einer bilateralen Schulbuchkommission. Schulbuchgespräche im Fach Geschichte scheiterten an der Weigerung der sowjetischen Seite, zentrale Fakten der Zeitgeschichte, wie das geheime Zusatzprotokoll zum „Hitler-­StalinPakt“, als gegeben anzusehen. Im Unterschied dazu gelang es den Geographen, zwischen 1983 und 1989 fünf bilaterale Konferenzen durchzuführen. Nach 1989 war die Expertise des Institutes dann in zahlreichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gefragt. Die baltischen Staaten, die Ukraine, die Republik Moldova oder Georgien konnten und mussten nun zum ersten Mal weisungsfrei Schulbücher entwickeln. Das GEI arbeitete von 1997 bis 2000 in einem von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekt mit den Ländern Ukraine, Belarus, Republik Moldova, Georgien und Aserbaidschan zusammen, in dem Geschichts- und Sozialkundebücher ana-

lysiert und Empfehlungen zur inhaltlichen und formalen Verbesserung erarbeitet wurden. Die neuen Schulbücher lieferten nicht nur eine Legitimation für die eigene Staatlichkeit, sondern halfen Schülerinnen und Schülern, sich in einer vielfältigen, zunehmend vernetzten und oft widersprüchlichen Welt zu orientieren. Daneben war die Implementierung einer Kultur der kritischen Schulbuchrevision eines der Projektziele. Die Kriege in Südosteuropa und die daraus resultierende Notwendigkeit der Versöhnung waren der Anlass

Über die Kooperation mit der UNESCO und dem Europarat hinaus arbeitete das Institut seit dem Ende der 1980er Jahre auch eng mit internationalen Stiftungen zusammen, die mit ihren Programmen schulische Bildung zur europäischen Integration, zu Umweltproblemen oder religiöser Diversität förderten. Dazu gehörten unter anderem die Fondazione Giovanni Agnelli und die Aga Khan Foundation.

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dafür, dass sich das GEI ab dem Jahr 2000 im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, mit dem die internationale Staatengemeinschaft seit 1999 Initiativen für einen nachhaltigen Frieden in der Region koordinierte, engagierte. Dies betraf insbesondere die Unterstützung bei der Neuausrichtung der historisch-politisch-geographischen Bildung und die Erarbeitung entsprechender Lehrmaterialien in dieser Region. Die Expertise des Institutes diente dazu, wissenschaftliche und didaktische Neuansätze der Schulbuchforschung bei der Entwicklung neuer Schulbücher in der Region umzusetzen. Überregionale Arbeitsgruppen legten Veränderungs- und Verständigungspotenziale durch kontinuierliche Analyse und den Vergleich der Materialien frei. Der Fokus richtete sich zunächst auf die Staaten Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Kroatien. Eine erste Konferenz im Jahr 2000 zielte auf den Austausch über Aus- und Fortbildung von Lehrkräften ab und bot Unterstützung bei der Integration von vergleichender, transnationaler Geschichte im Unterricht, bei sensitiven oder kontroversen Themen, der Einführung von active learning oder frageorientierten Unterrichtsansätzen. Mit der Aufnahme Jugoslawiens – dem damaligen Bündnis der heutigen Staaten Serbien und Montenegro – in den Stabilitätspakt im Herbst 2000 wurde dieses Land ebenfalls gleichberechtigt in das Projekt miteinbezogen, 2002 folgte außerdem Albanien. In den Folgejahren wurden diverse Konferenzen, Sommerschulen oder Trainingsworkshops für Lehrkräfte durchgeführt und ein virtuelles Netzwerk für Schulbuchforschung in Südosteuropa eingerichtet. Zugleich war das GEI als fachliche Begleitung an der 72

Entwicklung des „Common Core Curriculums“ in Bosnien-Herzegowina beteiligt. Daneben spielten auch der Vergleich und die Entwicklung von Schulbüchern in dieser Region eine zentrale Rolle. Im Fokus standen dabei die Darstellung sowie Interpretationen von Minderheiten und die Entwicklung von Konzepten zur adäquateren Darstellung multiethnischer, multikonfessioneller oder multinationaler Gesellschaften und ihrer Geschichte(n). Die politische Dimension dieser Aktivitäten trat bei einer internationalen Konferenz hervor, die 2005 alle Erziehungsminister Bosnien-Herzegowinas, Schulbuchexpertinnen und -experten aus Kroatien und Serbien sowie Schulbuch- und Lehrplanspezialistinnen und -spezialisten aus deutschen Bildungsministerien in Braunschweig zusammenführte. Ziel der Konferenz war es nicht nur, die Schulbuchreform in Bosnien und Herzegowina in den größeren südosteuropäischen Kontext zu stellen, sondern vor allem mit den Bildungsministern dieses Landes über einen von einer Expertenkommission vorgelegten Entwurf für gemeinsame Richtlinien für zukünftige Geschichts- und Geographiebücher zu beraten und zu einer Übereinkunft darüber zu gelangen, die gemeinsamen Richtlinien in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen verbindlich anzuwenden. Die Erarbeitung von „Guidelines for the Writing and Evaluation of History Textbooks for Primary and Secondary Schools“ konnte ein Jahr später erfolgreich abgeschlossen werden. Auf dieser Grundlage setzte das Institut seine Be-

ratungstätigkeit für Schulbuchautorinnen und -autoren sowie Geschichtslehrerinnen und -lehrer in der Region fort. Auch die Schulbuchentwicklung in der Republik Moldova hatte eine stark politische Komponente. In einem ebenfalls im Rahmen des Stabilitätspaktes in Zusammenarbeit mit dem Europarat durchgeführten Projekt vermittelte das GEI in den innerpolitischen Kontroversen um den Charakter und die Reform des Geschichts- und Sprachunterrichtes. Im Ergebnis konnten gemeinsam Schulbücher für das Schuljahr 2006/2007 entwickelt werden. Parallel zum Stabilitätspakt-Projekt wirkte das GEI außerdem auf Anfrage der United Nations Interim Administration in Kosovo und des Ministeriums für

Wissenschaft und Technologie an der Evaluierung der Geschichtsbücher im Kosovo mit. Das dortige Erziehungsministerium hatte das GEI beauftragt, alle unter ministerialer Verantwortung neu entwickelten albanischsprachigen sowie die in den serbischen Schulen benutzten serbischen Geschichtsbücher fachwissenschaftlich und fachdidaktisch zu begutachten und Vorschläge zur Verbesserung vorzulegen. 2004 wurden die Untersuchungsergebnisse präsentiert und mit Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums sowie einer Kommission zur Schulbuchzulassung diskutiert. Dank seiner im Rahmen der internationalen Schulbucharbeit lange vor 1989 systematisch aufgebauten Netzwerke konnte das GEI als fachliche Autorität und als Mediationsinstanz zwischen den 73

„Parteien“ an einer friedensstabilisierenden Ausrichtung von Schulbüchern mitwirken und profilierte sich als international anerkannte Transferinstitution für die Vermittlung schulbuchbezogenen Wissens und entsprechender Kompetenzen. So war das Institut beispielsweise 2002 an dem UNESCO-Seminar „Education in Societies Emerging from Conflict“ beteiligt, woraus diverse Anfragen betroffener Länder um Hilfestellung und daran anschließende Kooperationen resultierten. In Ostasien, wo kontroverse Diskussionen über Geschichtsschulbücher bis heute insbesondere in China, Japan und Südkorea eine große politische und gesellschaftliche Dimension haben, war seit den 1980er Jahren ebenfalls die Unterstützung des GEI in Schulbuchangelegenheiten gefragt. Die Arbeit der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission hatte in dieser Region das Interesse am Institut als wissenschaftliche Begleit- und Beobachtungsinstanz neu geweckt. Die Gespräche mit Japan wurden ab 1981 erneut aufgenommen, auf das Fach Geographie ausgedehnt und 1992 auf einer Konferenz bilanziert. Zu China hatte das Institut seit 1993 Kontakte in Form von bilateralen Schulbuchgesprächen; mit Südkorea intensivierte sich die Zusammenarbeit, nachdem bereits in den 1950er und dann wieder Anfang der 1980er Jahre – ebenfalls anlässlich eines japanisch-chinesisch-koreanischen Schulbuchstreites – Beziehungen, unter anderem zum Korean Educational Development Institute, geknüpft worden waren. Ein von 2003 bis 2006 gemeinsam mit den Universitäten Leipzig und Erlangen durchgeführtes Pro74

jekt befasste sich mit Identitätskonstruktionen in Geschichtsschulbüchern in China, Japan, Taiwan und Südkorea. Dabei zeigte sich, dass die Frage, wie eine Darstellung der gemeinsamen Geschichte ermöglicht werden könnte, durch die aus aktuellen politischen Konflikten, Globalisierungsängsten und politischen Legitimationsbedürfnissen genährten Nationalismen erschwert wurde. Die dort erzielten Erkenntnisse bildeten eine wichtige Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Kooperationsbeziehungen des GEI mit dieser Region im letzten Jahrzehnt, etwa mit der Northeast Asia History Foundation in Seoul, dem National Institute for Compilation and Translation in Taipeh oder Universitäten in Beijing und Shanghai. Sie wurden genutzt, um sich beratend in die gemeinsamen Anstrengungen verschiedenster Akteure in der Region, speziell im Rahmen des japanisch-chinesisch-koreanischen Projektes „A History open to the future“, zu integrieren. Auf diversen Veranstaltungen in Braunschweig, Beijing, Tokio und Seoul brachte das Institut seine Erfahrungen in der Erarbeitung gemeinsamer Schulbücher ein und beförderte damit den Verständigungsprozess über die komplexe und konfliktbeladene jüngste Vergangenheit dieser Länder. Die vom GEI koordinierte Übersetzung eines trilateralen Schulbuches, das 2017 in englischer Sprache erschien, trug dazu bei, die ostasiatischen Schulbuchaktivitäten und ihre Ergebnisse auch international bekannt zu machen. Und im Jahre 2014 konnte als Resultat eines deutsch-ostasiatischen Projektes, das vom GEI initiiert und koordiniert wurde, ein Lehrmaterial zur Geschichte Ostasiens für das deutsche Gymnasium veröffentlicht werden.

Lehrmaterial für deutsche Schulen

Daneben war und ist das GEI auch in Lateinamerika und Afrika aktiv. Neben einem deutsch-argentinischen Schulbuchvergleich in den frühen 1990er Jahren beschäftigte sich ein auf Lateinamerika bezogenes Projekt am Ende desselben Jahrzehntes mit der Funktion von Geschichtsunterricht im Kontext der nationalen Identitätsbildung in multikulturellen und multiethnischen Gesellschaften. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Institutes arbeiteten dazu mit Partnerinnen und Partnern in Mexiko und Guatemala zusammen. In jüngster Zeit befasst sich das GEI mit Fragen von transitional justice und kooperiert dabei mit verschiedenen universitären und außeruniversitären Einrichtungen, insbesondere in Kolumbien. Die Zusammenarbeit des Institutes mit afrikanischen Ländern reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Das ISBI hatte frühzeitig Kontakte zu afrikanischen Staaten, die ihre Unabhängigkeit errungen hatten, wie zum Beispiel Marokko, Kenia, die Demokratische Republik Kongo und Uganda, gesucht. Dabei ging es zum einen um die Zusendung von Schulbüchern, zum anderen beteiligte sich das ISBI an Veranstaltungen, bei denen die Lehrerausbildung im Mittelpunkt stand. So organisierte das Institut zum Beispiel im Jahr 1966 im Rahmen der Dritten

Deutschen Afrika-Woche ein Fachseminar für die Leiter von Pädagogischen Hochschulen und Lehrerbildungsanstalten zum Thema „Ausbildung von Volksschullehrern mit afrikanischen Entwicklungsländern“ in Braunschweig. Dass bilaterale Schulbuchgespräche nicht immer erfolgreich enden, zeigte das Beispiel Tunesiens. Nach zwei Konferenzen zu Geschichts- und Geographieschulbüchern in den Jahren 1976 und 1977 wurden 1980 die Gespräche beendet, ohne dass es zu einer Verständigung über gemeinsame Empfehlungen gekommen war. Die deutlich artikulierten Vorbehalte bezogen sich sowohl auf die Definition der Themenfelder als auch auf die Interpretation zentraler Konzepte und Prozesse der historischen Entwicklung. Diese Schulbuchgespräche verdeutlichten die Schwierigkeiten, unterschiedliche Interpretationen der eigenen und der Geschichte des Gegenübers zwischen europäischen und arabischen Gesellschaften miteinander zu verbinden. Sie regten das Institut aber dazu an, sich in seiner Forschung verstärkt der Geschichte und Kultur der arabischen Welt zuzuwenden und intensiv über die traditionel75

len Methoden und Ergebnisformen der Schulbucharbeit, die auch in den Schulbuchgesprächen mit liberalen Gesellschaften wie Großbritannien, den Niederlanden oder den USA stark kritisiert worden waren, zu reflektieren. In Südafrika war das GEI nach dem Ende der Apartheid als Berater für neue Schulbücher und Curricula gefragt. Die Initiative dazu ging von südafrikanischen Wissenschaftlern aus, die dem Apartheid-Regime kritisch gegenübergestanden hatten, sich aber nach dessen Ende für einen Verständigungs- und Versöhnungsprozess zwischen den unterschiedlichen kulturellen Gemeinschaften des Landes einsetzten. Unterstützt vom Auswärtigen Amt und der „Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung“ organisierte die South African Society for History Teaching zusammen mit dem GEI 1993 und 1994 zwei Tagungen zur Erarbeitung von Lehrplänen und Geschichtsbüchern für das „neue“ Südafrika. Dabei interessierten sich die südafrikanischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer besonders dafür, wie es der internationalen Schulbuchrevision in Europa nach 1945 gelungen war, politisch verfeindete Gesellschaften im Rahmen von Schulbuchgesprächen miteinander zu versöhnen. Das GEI versprach sich gleichzeitig vom Projekt wichtige Anregungen für die Forschungen zu Geschichtsschulbüchern in ethnisch und kulturell differenzierten Gesellschaften. Die Methoden der Schulbuchrevision bildeten dabei den Ausgangspunkt für die Beratungen, die sich jedoch nicht nur auf die Revision der bestehenden 76

und Erarbeitung neuer Schulbücher und Curricula beschränkten, sondern auch die Grundsätze der Schulbuchproduktion und -zulassung beinhalteten. Insgesamt zeigten die letzten beiden Jahrzehnte, dass die Inhalte und Formen traditioneller internationaler Schulbuchrevision nicht mehr ausreichten. Angesichts aktueller Problemlagen wie der Globalisierung und den dabei vorherrschenden Entwicklungsunterschieden, wachsender Heterogenität und kultureller Dynamik konnten aber komplexere Ansätze und Methoden entwickelt werden. Die Tatsache, dass sich sowohl internationale Spannungen als auch Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft nicht nur an sozialen Verteilungskonflikten, sondern immer häufiger auch an Kämpfen um die Anerkennung kollektiver Identitäten entzündeten, verdeutlichte, dass Schulbuchrevision über die Beseitigung von nationalen Vorurteilen hinausgehen und neue gesellschaftliche Konflikte und Herausforderungen im Kontext von Migration, Heterogenität und Diversität berücksichtigen musste.

Bilaterale Schulbücher Die ersten Bestrebungen, bi- beziehungsweise multilaterale Schulbücher zu entwickeln, gingen auf die Zwischenkriegszeit zurück, waren aber wenig erfolgreich. Frühe Projekte der UNESCO, wie die mehrbändige „History of the Cultural and Scientific Development of Mankind“, oder das 1992 erschienene und von zwölf europäischen Historikern verfasste

erste „Europäische Geschichtsbuch“ fanden wenig Resonanz in den Schulen, da sie nicht als Schulbücher konzipiert waren. Sie regten aber die Diskussionen zu einem „europäischen Schulbuch“ wesentlich an. Die Idee, über gemeinsame transnationale Schulbücher zu Aussöhnung, Konfliktbewältigung, guter Nachbarschaft und multiperspektivischer Vergangenheitsbewältigung beizutragen, hat allerdings erst in den letzten zwei Jahrzehnten neuen Aufschub erhalten. So sind etwa in Ostasien und auf dem Balkan auf Initiative verschiedener gesellschaftlicher Akteure und Institutionen derartige Lehrwerke entstanden. Hervorzuheben sind aber insbesondere das gemeinsame deutsch-französische und das deutsch-polnische Geschichtsbuch, da sie als staatlich unterstützte, offiziell zugelassene und den nationalen Geschichtslehrplänen angepasste Schulbücher eine Besonderheit darstellen. Die 1980 wiederaufgenommenen deutsch-französischen Schulbuchgespräche mündeten um die Jahrtausendwende zunächst in die Erarbeitung der digitalen Unterrichtsmaterialien DeuFraMat „Frankreich und Deutschland auf dem Weg in ein neues Europa“ und markierten im Jahr 2003 mit der Idee zur Entwicklung eines bilateralen gemeinsamen Schulbuches eine neue Qualität an Ergebnisformaten. Aus Anlass der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrages hatte das Französisch-Deutsche Jugendparlament neben der Intensivierung des kulturellen Austausches und des Spracherwerbes die Erarbeitung eines Geschichtsbuches mit gleichem Inhalt für beide Länder vorgeschlagen. Dieser Vorschlag traf

sich mit den Initiativen der deutsch-französischen Bildungsarbeit, die zuvor von der Germanistin Brigitte Sauzay und dem Historiker Rudolf von Thadden im Rahmen einer Initiative des Bundeskanzleramtes koordiniert worden waren. Sie wurden vom damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder begrüßt und gefördert. Das 2006 begonnene Projekt, an dem das GEI beteiligt war, endete 2011 mit der Herausgabe des dritten und letzten Bandes. Damit wurde trotz unterschiedlicher Lehrpläne in beiden Ländern, differierender Auffassungen zur didaktischen Umsetzung und teilweise abweichender Interpretationen historischer Ereignisse erstmals ein gemeinsames, staatlich zugelassenes Schulbuch für zwei Länder entwickelt, das schnell in andere Sprachen übersetzt wurde und damit Modellcharakter gewann. 77

Auch das gemeinsame deutsch-polnische Ge­ schichts­buch ging aus einer staatlichen ­Initiative hervor. Der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte 2006 ein solches Projekt angeregt, das seit 2008 vom GEI und dessen polnischem Partner koordiniert und im Rahmen der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission durchgeführt wird. Dieses auf vier Bände angelegte Schulbuch thematisiert die Geschichte Europas unter besonderer Berücksichtigung Polens und der

deutsch-polnischen Beziehungen. Basierend auf einer Lehrplananalyse beider Länder setzt es innovative didaktische Prinzipien wie Multiperspektivität, Kontroversität und Offenheit des Geschichtsbildes um. Dieses Vorhaben zeigt, dass trotz durchaus konträrer Interpretationen von historischen Ereignissen und politischer Turbulenzen solche bilateralen Aktivitäten auf Basis gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses sowie mit Unterstützung staatlicher Akteure realisiert werden können.

Präsentation des ersten Bandes des gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtsschulbuches mit den beiden Außenministern, Frank-Walter Steinmeier (3. v. r.) und Witold Waszczykowski (3. v. l.) (2016)

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Die Bedeutung der Schulbuchkommissionen, aber auch die Schwierigkeiten, mit denen sie sich im Zuge ihrer Zusammenarbeit auseinandersetzen müssen, wurden 2015 von Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview betont.

years of European co-operation on history textbooks: the role and contribution of the Council of Europe. In: Internationale Schulbuchforschung 21 (1999), S. 147–161. 3 Grundbegriffe der Geschichte: 50 Beiträge zum europäischen Geschichtsbild, hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Europarat und dem Internationalen Schulbuchinstitut. Gütersloh: Bertelsmann, 1964. 4 Das Schulbuchinstitut ist die Schaltzentrale. In: Braunschweiger Zeitung vom 4.2.1971. 5 Council of Europe 1986, S. 7 und 36.

1 Laura E. Wong, Relocating East and West: UNESCO’s Major Project on Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values. In: Journal of World History 19:3 (2008), S. 357 f. 2 Council of Europe, Against Bias and Prejudice: the Council of Europe’s work on history teaching and history textbooks. Strasbourg: Council for Cultural Co-operation, 1986; Maitland Stobart, Fifty

6 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Europabildung in der Schule. O. O., 2008. 7 Indonesien–Deutschland: Empfehlungen der indonesisch-deutschen Historikertagung (Braunschweig 1957). 8 Georg Eckert, 19.3.1958. NLA, Staatsarchiv Wolfenbüttel, 143 N Zg. 2009/069, Nr. 178/2.

Angela Merkel im Interview mit der jüdischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth, 02.10.2015 Eine deutsch-israelische Schulbuchkommission veröffentlichte vor kurzem eine Studie, wonach das Bild Israels in deutschen Schulbüchern sehr negativ dargestellt wird. „Erstaunlich ist“, schreibt die Kommission, „dass sich an dem zentralen Befund der ersten deutsch-israelischen Kommission seit 1985 nichts geändert hat.“ Wie kann man diese Situation ändern? „Zunächst einmal ist es gut, dass wir diese deutsch-israelische Schulbuchkommission haben, die auf solche Dinge achtet. Wenn der Befund

dieser Studie stimmt, dann können wir etwas verändern, indem wir gemeinsam Schulbuchtexte verfassen, die auch die israelische Perspektive einbringen. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit deutsch-französischen Geschichtsbüchern gemacht. Es hat lange gedauert, bis man sich auf eine solche gemeinsame Sicht der Geschichte verständigt hat. Es war ein sehr lehrreicher Prozess; vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ihn auch zwischen unseren beiden Ländern anzustoßen.“

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V Schwerpunkte der Schulbuchforschung

1 Instrumentarien der Schulbuchrevision und Grundlagen der Schulbuchforschung

Von einer systematischen Schulbuchforschung als einem eigenständigen Forschungsfeld kann international bis weit in die 1970er Jahre nicht gesprochen werden. Die Analyse von Schulbüchern unterlag in den ersten Nachkriegsjahrzehnten politischen und normativen Zielstellungen. Vor allem gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die durch demographische Entwicklungen, Bildungsexpansion, soziale Bewegungen, politische Krisen und expandierende Wirtschaft gekennzeichnet waren, führten dazu, dass die soziale und politische Funktion von Schulbüchern ins Blickfeld geriet. Begünstigt durch die Reformbewegungen im Bildungsbereich seit dem Ende der 1960er Jahre fanden öffentliche Debatten über Schulbücher in der Politik, der Schulbuchproduktion und der Wissenschaft statt. Diese Debatten richteten ihr Augenmerk primär auf die Inhalte von Schulbüchern und verlangten eine „Modernisierung“ von Schulbuchwissen. Die wissenschaftliche Kritik bezog sich überwiegend auf den Ideologiegehalt und auf die Verständlichkeit von Lehrmitteltexten. Das Schulbuch wurde nun als „Produkt und Faktor gesellschaftlicher Prozesse“ und als Austragungsort politischer Interessen angesehen. Die damit verbundene Analyse von Schulbüchern in einer ideologiekritischen Perspektive erfolgte in Deutschland durch das von Ernst Horst Schallenberger und Gerd Stein geleitete Institut für Schulbuchforschung in Duisburg. Steins Definition des Schulbuches als „Pädagogicum“, „Informatorium“ und „Politicum“ prägte die Forschung nachhaltig. Damit wurde erstmalig festgestellt, dass Schulbücher nicht nur Wissen vermitteln, sondern selbst auch politische Medien darstellen. Das GEI be82

teiligte sich an diesen Debatten vor allem im Kontext seiner bi- und multilateralen Schulbucharbeit und entwickelte in Abgrenzung zum Duisburger Institut sein eigenes Programm der Schulbuchforschung. Begünstigt wurde dies zugleich dadurch, dass mit der Gründung des GEI im Jahr 1975 die finanziellen, personellen und rechtlichen Grundlagen für die weitere Entwicklung des Institutes gesichert waren. Dadurch konnte bis zum Ende des letzten Jahrhunderts die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf knapp 30 anwachsen und mit der Besetzung von sieben Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Voraussetzung für eine stärkere wissenschaftliche Arbeit des Institutes geschaffen werden. Sichtbaren Ausdruck fand diese Entwicklung zum einen in der im selben Jahr erfolgten Einsetzung des Wissenschaftlichen Ausschusses. Zum anderen setzte mit der Berufung von Karl-Ernst Jeismann als erstem Direktor im Jahr 1978 eine stärkere Ausrichtung auf die Forschung ein. Entsprechend dem zentralen Arbeitsbereich des Institutes bezogen sich die methodischen Reflexionen vor allem auf die Erfahrungen der bi- und multilateralen Schulbucharbeit. Im Mittelpunkt der von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis zum Jahrtausendwechsel gemeinsam mit Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, Fachdidaktikerinnen und -didaktikern, Lehrkräften sowie Schulbuchautorinnen und -autoren des In- und Auslandes durchgeführten Projekte stand die Untersuchung unterschiedlicher Wahrnehmungsmuster, Stereotypen und daraus entstehender Feindbilder im internationalen Vergleich. Es ging dabei primär um die Analyse und die Revi-

sion von Inhalten, die aus Sicht der Beteiligten einer internationalen Verständigung entgegenstanden und nationalistische oder chauvinistische Einstellungen hätten fördern können. Jeismann setzte die Arbeit Georg Eckerts auf veränderter Basis fort und erweiterte sie zugleich wissenschaftlich. Er entwarf ein präzises und theoretisch durchdachtes Konzept einer „internationalen Schulbuchforschung“, das auf die Anforderungen eines lernzielorientierten Unterrichtes reagierte und das Lehrbuch als „Unterrichtshilfsmittel im Rahmen des gesamten Lehrplans“ verortete. Schulbuchforschung musste den Einsatz des Schulbuches im Unterricht „und seine Bedeutung für den Lernprozeß kenn[en]“ und „die Entstehungsbedingungen der Schulbücher und die Sachzwänge zur Kenntnis [nehmen], unter denen die Autoren stehen“.1 So legte er in seinen methodischen Betrachtungen dar, dass die Geschichte fremder Nationen nie so dargestellt werden könne wie die der eigenen, dass es im Geschichtsunterricht um die Einführung in die Kultur einer Gesellschaft, nicht aber um eine umfassende historische Kenntnis oder gar Bildung gehe und dass die internationale Schulbuchrevision nicht darauf abziele, die Geschichtssicht anderer Staaten zu übernehmen. Jeismann legte auf diese Weise die Grundlagen für die Schulbuchforschung am Institut, indem er eine Programmatik entwickelte, die Schulbuchanalysen mit geschichtsdidaktischen Ansätzen verband und ihr damit einen aus der Fachwissenschaft abgeleiteten didaktischen Referenzrahmen gab. Dieser geschichtsdidaktische Ansatz, der Schulbücher als ein Medium im Kontext historischer Bewusst-

seinsbildung verankerte, spielte in den Forschungen auch seiner Nachfolger eine wichtige Rolle. Noch heute geschichtsdidaktisch relevante Kriterien wie Sach- und Orientierungskompetenzen oder Multiperspektivität sind von Jeismann in Kooperation mit der International Society for History Didactics mitentwickelt und vom GEI immer wieder in die Schulbuchanalyse integriert worden. Die Erfahrungen der internationalen Schulbucharbeit auf Basis einer vergleichenden Schulbuchforschung bildeten auch in den Folgejahren den wichtigsten Ausgangpunkt für die Beschäftigung mit theoretisch-methodischen Grundlagen am GEI. Dies bezog sich sowohl auf die Techniken einer internationalen Verständigung über Schulbücher und auf konkrete didaktische Umsetzungen als auch auf die Erweiterung der Revisionstätigkeit, sowohl bezogen

Karl-Ernst Jeismann, Geschichte als Horizont der Gegenwart. Über den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, Paderborn 1985.

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auf die Themen und Zielstellungen als auch auf die Produkte. Das von Falk Pingel erarbeitete „UNESCO Guidebook on Textbook Research and Textbook Revision“, dessen erste Auflage 1999 erschien, präsentierte erstmals systematisch Kategorien für die Schulbuchanalyse sowie methodische Grundlagen der Schulbuchrevision und -praxis. Die in dem Handbuch vorgeschlagenen Stadien von Schulbuchgesprächen leiteten sich ebenso aus der Praxis ab wie deren Modi und Produkte. Das „Guidebook“ war damit das erste Handbuch für die internationale Schulbuchrevision und -forschung. Die dort behandelten Inhalte wurden vom Institut stetig weiterentwickelt. Dass dies vor allem auf didaktische Themen fokussierte, war mit den Hauptkritikpunkten an den aus der internationalen Schulbucharbeit resultierenden „Empfehlungen“ der ersten Jahrzehnte verbunden, zu denen, wie der langjährige stellvertretende Direktor Wolfgang Jacobmeyer 2005 hervorhob,

eine wenig unterrichtstauglich und didaktisch fundierte Ausrichtung und eine Beschränkung auf den Geschichtsunterricht gehörten.2 Über die Schulbuchrevision hinaus hat das GEI geschichtsdidaktisch mit der Öffnung zu transnationalen und weltgeschichtlichen Perspektiven vor allem für den Geschichtsunterricht neue Impulse gesetzt. So führte es 2002 gemeinsam mit der German Studies Association, dem American Institute for Contemporary German Studies und anderen Partnern aus den USA eine Veranstaltung zu „Weltgeschichte“ im Geschichtsunterricht durch und gründete ein Jahr später einen entsprechenden Arbeitskreis, der sich mit Fragen eines Curriculums und einer entsprechenden Quellensammlung für einen weltgeschichtlichen Unterricht befasste. Die Ergebnisse konnten 2005 auf dem Europäischen Kongress für Welt- und Globalgeschichte und in einer wegweisenden Buchpublikation präsentiert werden. Das Institut bringt diese spezifische didaktische Perspektive auch als Evaluationsinstanz von Schulbüchern in öffentliche ­Debatten ein. Ab 1971 verlieh es alle vier Jahre den Tenbrock-­ Schulbuchpreis „für eine vorbildlich ­didaktisch-methodische und auf den neuesten Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung beruhende Darstellung der Geschichte der

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europäischen Völkerfamilie in einem Geschichtswerk für Schüler unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen und politischen Integrationsbestrebungen der jüngsten Vergangenheit“. Nachdem der Preis 1993 in ein Stipendium für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Schulbuchautorinnen und -autoren umgewandelt wurde, verleiht das GEI seit 2012 unter der Schirmherrschaft der Kultusministerkonferenz gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Didacta Verband der Bildungswirtschaft den Preis „Schulbuch des Jahres“. Damit werden Herausgeberinnen und Herausgeber sowie Autorinnen und Autoren für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Schulbuchkonzepte ausgezeichnet. Im dreijährigen Turnus richtet sich die Ausschreibung an Lehrwerke der Grundschule sowie der Sekundarstufen I und II für die Kategorien Gesellschaft, die naturwissenschaftlichen Fächer und Sprachen. Durch seine Haupttätigkeitsfelder in der internatio­ nalen Schulbucharbeit und Netzwerkbildung, die zumeist auf Geschichtsschulbücher abhoben, lag

Verleihung des Tenbrock-Preises durch Ernst Hinrichs an Scipione Guarracino (1989)

bis zum Beginn dieses Jahrtausends die Profilierung der theoretischen und methodischen Schulbuchforschung jenseits geschichtsdidaktischer Fragen nur partiell im Fokus der Institutsarbeit. Internationale Entwicklungen, wie etwa neo-institutionalistische Makrostudien oder Ansätze der Wirkungs- und Rezeptionsforschung, die seit den 1980er Jahren Eingang in die internationale Schulbuchforschung fanden, sind am GEI deshalb zunächst wenig rezipiert worden. Dies lag auch darin begründet, dass im Spannungsfeld von Forschungsanforderungen 85

und Serviceleistungen des Institutes die Ressourcen für umfassende und eigenständige Forschungen nicht ausreichten. Mit der 2008 erfolgten Konzipierung seines wissenschaftlichen Profils richtete das Institut entsprechende Forschungsabteilungen ein und definiert seither mit seinen Forschungsprogrammen die Schwerpunkte seiner Arbeit. Im Zentrum steht dabei ein kulturwissenschaftlich-historischer Ansatz, der aus kritischer Perspektive die Schulbuchforschung in einem breiten gesellschaftlichen, sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Kontext verortet. Dies geschieht zum einen im Rahmen weit gespannter Forschungsthemen, die von nationaler über europäische bis hin zu transnationaler Geschichte reichen, die sich mit dem Zusammenhang von Konflikt und Schulbüchern befassen und die Fragen zu Diversität und Heterogenität, Umwelt, Religion und Menschenrechten behandeln. Zum anderen bildet seit der wissenschaftlichen Profilierung des GEI die Entwicklung der historischen, theoretischen und methodischen Grundlagen der Schulbuchforschung 86

einen zentralen Bestandteil seiner Arbeit. Dies führte einerseits zum Ausbau der historischen Forschung, die sich bis dahin vor allem auf die Geschichte der Schulbuchrevision konzentriert hatte. Sie wurde ergänzt durch Untersuchungen zur Geschichte der Bildungsmedienproduktion im 20. Jahrhundert oder dem Wechselverhältnis von Schulbüchern mit anderen Medien. Neben der historischen Forschung wurden andererseits Aneignungsprozesse von Bildungsmedien im Klassenraum untersucht, die innovative geschichtsdidaktische Zugänge nutzten und zugleich mit der Ausrichtung auf Erinnerungspraktiken ein neues Forschungsfeld eröffneten, etwa in dem Projekt „Teaching the Cold War“. Gerade der kulturwissenschaftliche Ansatz, der die Medialität von Bildungsmedien in den Fokus rückt, führte zur Einführung neuer Methoden in die Schulbuchforschung, zu denen ethnographische oder medienwissenschaftliche Ansätze zählen. Die Publikation „Das Schulbuch in der Forschung“ und das 2018 erschienene „Palgrave Handbook of International Textbook Studies“, in denen aus historischer, theoretischer und methodischer Perspektive wichtige Überblicke zum multi-

mBook – Das multimediale Lernbuch (Institut für digitales Lernen), Eichstätt 2016

disziplinären Feld der Schulbuchforschung und seinen Perspektiven bereitgestellt wurden, bilden Meilensteine für die Vermessung des Forschungsfeldes. Mit der Hinwendung zu digitalen Bildungsmedien beschreitet das GEI seit einigen Jahren Neuland, indem das Zusammenspiel von Medienwandel, Medieninhalten und Medienaneignung und die damit verbundenen Aushandlungsprozesse in ihren sozialen, kulturellen und politischen Kontexten untersucht werden. In den Mittelpunkt rückt dabei die Wirkkraft von digitalen Bildungsmedien auf das schulische Geschehen, die mit empirischen Fall­ analysen auch im Hinblick auf die sozio-politischen Implikationen der Digitalisierung untersucht werden. Gefragt wird ebenso nach Aneignungsprozessen erinnerungskultureller Angebote im Klassenraum, vor allem durch ethnographische Ansätze, die die Schülerperspektive ins Zentrum rücken. Damit trägt es vor allem in den Bereichen Medialität, Erinnerungskulturen und Aneignungspraktiken zur theoretischen und methodischen Weiterentwicklung der Bildungsmedienforschung bei.

Das GEI beteiligt sich im Kontext des digitalen Wandels auch intensiv an der Entwicklung des Feldes der Digital Humanities. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des GEI entwickelten im Projekt „World Views“ nicht nur eine digitale Quellenedition, sondern auch für die digitale Geschichtswissenschaft nutzbare Tools. Am von 2014 bis 2017 durchgeführten Verbundprojekt „Welt der Kinder“, einem der ersten großformatigen Forschungsvorhaben in diesem Bereich, war das GEI federführend beteiligt. Im Zentrum stand die Entwicklung neuer Möglichkeiten des Umganges mit Massenquellen in der historischen Forschung. Auf Grundlage von über 4000 digitalisierten Schul- und Kinderbüchern rekonstruierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler intertextuelle Verknüpfungen, benannten thematische Cluster und erschlossen semantische Felder. Dabei ging es nicht nur um die Erhebung quantitativer Befunde, sondern auch um historische Kontextualisierung und Erklärung. Den digitalen Methoden und Werkzeugen wurden klassische hermeneutische Zugänge gegenübergestellt, um Chancen und Grenzen der Digital Humanities auszuloten. 87

2 Demokratie und Diktatur

Wie sollten Schulbücher für den Geschichtsunterricht aussehen, um dazu beizutragen, junge Menschen zur aktiven Gestaltung einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft zu befähigen? Diese Frage bestimmte die Arbeit des Internationalen Schulbuchinstitutes von Beginn an. Georg Eckert zeigte sich davon überzeugt, dass „der Aufbau einer lebensfähigen Demokratie in Deutschland nur gelingen kann, wenn die künftigen Staatsbürger schon in der Schule das geistige Rüstzeug erhalten, das ihnen eine stärkere Teilnahme am staatlichen Leben und selbständige verantwortungsbewußte politische Entscheidungen ermöglicht“. Quelle: Georg Eckert, Der Beitrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zur Reform des Geschichtsunterrichts. In: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände (Hg.), Geschichtsunterricht in unserer Zeit, Braunschweig 1951, S. 147.

Dabei wies Eckert dem Geschichtsunterricht eine besondere Rolle bei der staatsbürgerlichen Erziehung für eine demokratische Gesellschaft zu. Um dieses Ziel zu erreichen, mussten Lehrerinnen und Lehrer mit Themen und Personen in der deutschen und europäischen Geschichte vertraut gemacht werden, die für eine demokratische Tradition standen. Eckert erarbeitete dafür mit seinen Kollegen aus dem Geschichtspädagogischen Arbeitskreis Materialien für die Hand des Lehrers, die emanzipatorische Gesellschaftsentwürfe sozialer und demokratischer Bewegungen des 16. Jahrhunderts, des Vormärz, der Revolution von 1848/1849 und der Weimarer Republik in knapper Form darstellten. 88

Der Geschichtsunterricht für eine demokratische Gesellschaft musste aber vor allem die Frage beantworten, wie autoritäre Formen politischer Herrschaft und totalitäre Regime im 20. Jahrhundert durchgesetzt und wie die Verbrechen des Nationalsozialismus möglich gemacht wurden. Dabei bildete die Frage danach, welches Gewicht die Darstellung des Herrschaftssystems und der Verbrechen der Nationalsozialisten in den Schulbüchern im Verhältnis zur Darstellung der demokratischen Traditionen und des Widerstandes gegen Diktaturen einnehmen sollten, eine zentrale Frage für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Generation der bilateralen Schulbuchgespräche. Die Beteiligten aus Belgien, den Niederlanden oder Norwegen forderten seit den 1950er Jahren die Darstellung der Verbrechen des Nationalsozialismus in den deutschen Schulbüchern besonders nachdrücklich ein.

Fritz Fikenscher, Der Geschichtsunterricht, Teil IV. Ansbach 1964

Historische Referenzen für eine demokratische Gesellschaft wurden in den Schulbuchgesprächen mit den USA und den westeuropäischen Partnern thematisiert. Dabei hoben die deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Bedeutung der Weimarer Republik als Chance für die Entwicklung eines demokratischen Deutschlands nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Revolution von 1918 hervor. Sie plädierten dafür, diese Periode der deutschen Geschichte nicht ausschließlich als Vorgeschichte der nationalsozialistischen Herrschaft zu erzählen, sondern deutlich zu machen, dass die deutsche Geschichte nicht „naturnotwendig“ auf die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zugeschrieben werden sollte. Die Wahlen zur Nationalversammlung und die Erarbeitung der Verfassung legten in ihren Augen von einem demokratischen Potenzial der Weimarer Republik Zeugnis ab, das sich auch in deren Stabilisierungsphase innen- und außenpolitisch widergespiegelt habe. Die Diskussionen über das Gewicht und die Interpretationen der Weimarer Republik blieben seit der Erarbeitung der „Deutsch-Französischen Vereinbarungen über strittige Fragen europäischer Geschichte“ vom Oktober 1951 bis in die 1980er Jahre hinein ein wiederkehrendes Thema in den bilateralen Schulbuchgesprächen. Die Beteiligten an diesen Gesprächen hoben die Bedeutung hervor, demokratische Traditionen des 20. Jahrhunderts in einer weitreichenderen historischen Perspektive einzubetten. Italienische Kollegen regten eine intensivere Diskussion über die unterschiedlichen intellektuellen Strömungen und Ausprägungen demokratischer Bewegungen vom Mittelalter über das Risorgimento bis zur ver-

gleichenden Darstellung des Widerstandes gegen die faschistischen Regime im 20. Jahrhundert an.

Demokratie und demokratische Bewegungen in Europa Während die Darstellungen des Widerstandsrechtes gegen autoritäre Herrschaft und des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur in den Arbeiten des Institutes eine wichtige Rolle einnahmen, hatten Forschungen zur Darstellung der Institutionen der demokratischen Gesellschaft und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Konstituierung und Entwicklung dieser Institutionen bis in die 1970er Jahre eine geringere Bedeutung. Wichtige Anregungen für die Forschungen zum Konzept der Demokratie, ihren Institutionen und den gesellschaftlichen Bewegungen, die eine demokratische Gesellschaft gestalteten, gingen von der zweiten Generation der deutsch-amerikanischen Schulbuchgespräche aus. Sie initiierten die Diskussion um das Konzept der politischen Kultur und hoben die Notwendigkeit hervor, die Bildung demokratischer Institutionen mit der Darstellung gesellschaftlicher Bewegungen zu verbinden. Die Beteiligten richteten den Blick dazu auf die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die mit den sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik der 1960er Jahre verglichen werden sollte. Die Vermittlung der Werte, Normen und Institutionen demokratischer Gesellschaften im Unter89

richt wurde seit dem Ende der 1980er Jahre dann in enger Verbindung mit den Forschungen zu Menschenrechten untersucht, die (siehe Kapitel V.8) für eine historische Perspektive auf die Entwicklung der Prinzipien demokratischer Gesellschaften plädierten und danach fragten, wie diese Prinzipien auf der nationalen und internationalen Ebene kodifiziert werden konnten. Seit 2000 entwickelten internationale Organisationen, wie die UNESCO, ihre Programme der Bildung für eine demokratische Gesellschaft zu einer Bildungsinitiative für Global Citizenship Education weiter, an der sich das Institut mit schulbuchspezifischen Projekten beteiligt. Die Frage der Darstellung der politischen Institutionen von Diktaturen, der ihnen zugrunde liegenden Ideologien und der sie tragenden oder widerständigen gesellschaftlichen Gruppen gewann in den Jahren nach 1989 deutlich an Bedeutung für die Forschungen des Institutes. Anregungen dafür gingen von den zu Beginn der 1990er Jahre mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den baltischen Staaten und den 1994 aufgenommenen deutsch-russischen Schulbuchgesprächen aus. Sie bildeten thematische Schwerpunkte der deutsch-­ polnischen und deutsch-tschechischen Schulbuchgespräche im Fach Geschichte und einen Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit südosteuropäischen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. So fragten Untersuchungen am GEI nach der Darstellung der stalinistischen Herrschaft in Geschichtsschulbüchern und den Gründen für die Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung, diktatorische Regime mitzutragen. Es 90

wurde vorgeschlagen, über die Darstellung der politischen Institutionen die Ideologien in die Schulbuchdarstellungen einzubeziehen. Ein anderes Projekt untersuchte zwischen 1997 und 2000 die Geschichts- und Sozialkundebücher der GUS-Staaten im Spannungsfeld von nationaler Selbstvergewisserung und internationaler Orientierung. Es rekonstruierte demokratische Bestrebungen und autoritäre Tendenzen im Bildungssektor der Ukraine, von Belarus, der Republik Moldova sowie der kaukasischen Republiken. Mit einem dezidiert historischen Ansatz auf die Erforschung von demokratischen Gesellschaften und Diktaturen warnten die Forscherinnen und Forscher davor, die Errichtung autoritärer Regimes als unmittelbare Folge philosophischer Überlegungen darzustellen und mit diesen zu identifizieren. Die sozialistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts hätten sich in unterschiedlichen politischen Kulturen weiterentwickelt und dürften nicht notwendig auf die Errichtung autoritärer Herrschaftssysteme zugeschrieben werden. Die Forschungen plädierten dafür, die politischen Systeme in den Ländern des ehemaligen sozialistischen Systems in einer vergleichenden Perspektive zu untersuchen. Diese Perspektive versprach neben der Erkenntnis von Gemeinsamkeiten die Offenheit des Blickes für unterschiedliche Entwicklungsphasen in den einzelnen sozialistischen Ländern, die Eingang in die Schulbücher finden sollten. Forschungen aus einer didaktischen Perspektive sahen ein Spannungsverhältnis zwischen chrono-

logischen und systematischen Zugängen bei der Darstellung der Geschichte der sozialistischen Länder. Sie hoben die historische Perspektive deshalb besonders hervor. Diese könnte verhindern, die Geschichte in osteuropäischen Staaten, vor allem die Geschichte Russlands, teleologisch als einen seit der Frühen Neuzeit durch autoritäre Herrschaft gekennzeichneten Gegenpol zu einer demokratischen westeuropäischen Entwicklung darzustellen. Der systematische Vergleich autoritärer und demokratischer Gesellschaften diente der Verdeutlichung, dass autoritäre Herrschaft keine Form der politischen Kultur darstellt, die ausschließlich die osteuropäischen Gesellschaften charakterisiert hat. Beabsichtigt war, Schülerinnen und Schüler durch den Vergleich dazu zu befähigen, Demokratie und Selbstbestimmung als grundlegende Prinzipien der politischen Organisation menschlicher Gesellschaften in der Auseinandersetzung mit autoritären Herrschaftssystemen zu verstehen. Neben dem synchronen Vergleich plädierten Forscher wie Wolfgang Jacobmeyer auch für einen diachronen Vergleich der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Die Aufgabe, Kommunismus, Nationalsozialismus und die DDR nicht länger

als einzelne Phänomene, sondern in einem strukturgeschichtlichen Verbund zu behandeln, stellte sich nicht nur aus forschungspraktischen Gründen, „weil diese drei Diktaturen nunmehr historisch geworden sind“, sondern vor allem „weil die Umfangprobleme der zeitgeschichtlichen Lehrbücher bei stetig zuwachsendem Stoff nur noch strukturell beherrschbar sein werden“. Jacobmeyer sah darin einen „qualitativen Sprung, weil er eine neue Dimension der historischen Einsicht und eine Schärfung des historischen Sachurteils oberhalb des derzeitigen Niveaus mit sich bringen würde“.3 Die Französische Revolution von 1789 stellte das zentrale Beispiel dafür dar, wie die Auseinandersetzungen um die Herausbildung moderner demokratischer Gesellschaften in Europa seit dem 18. Jahrhundert in Schulbüchern dargestellt wurden. Das ISBI reagierte darauf 1959 mit der Veröffentlichung einer im Rahmen der Revision der Geschichtsschulbücher durch den Europarat erarbeiteten Studie zu 1789 in den Schulbüchern Westeuropas in der Schriftenreihe des Internationalen Schulbuchinstitutes. 91

Die Fragestellungen zu Prozessen und Institutionen gesellschaftlichen Wandels, die seit der Studie von 1959 eine wichtige Rolle in den Forschungen gespielt hatten und von den Schulbuchgesprächen mit den USA und den westeuropäischen Partnern angeregt worden waren, wurden dann in den Forschungen aufgegriffen, die das GEI in den 1980er Jahren zu Lateinamerika und seit dem Beginn der 1990er Jahre zu den mittel- und osteuropäischen Staaten durchführte. Mit Blick auf die Darstellung revolutionären Wandels von Gesellschaften griff die größere Enquete zu „Bildern einer Revolution“ noch einmal die Fragestellungen auf, die in der Untersuchung von 1959 behandelt worden waren. Die von Rainer Riemenschneider koordinierte Studie zu den Schulbuchdarstellungen der Revolution von 1789, die 47 Länder in Europa, Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und Australien umfasste, wurde 1994 veröffentlicht. Sie gab aus unterschiedlichen (geschichts-)kulturellen Perspektiven Antworten auf die Frage nach den Entwicklungspfaden demokratischer Gesellschaften und deren Reinterpretationen im Licht von 1917 und 1989. Die Autorinnen und Autoren fragten in einer international vergleichenden Perspektive danach, ob 1789 als Referenz für die Erarbeitung und Kodifizierung der Menschenrechte und die Begründung einer 92

demokratischen Gesellschaft interpretiert und in den Schulbüchern dargestellt wird. Wird die Französische Revolution neben der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung als das konstituierende Ereignis der Entstehung moderner demokratischer Gesellschaft(en) seit dem 18. Jahrhundert beschrieben oder steht sie symbolisch für ein Modell gesellschaftlicher Transformation, das nach einer Phase des Terreur in autoritäre Herrschaft und Diktatur mündet? Neben 1789 nahmen die Forschungen des Institutes dann auch zunehmend die politische und kulturelle Dimension der Revolution von 1848 und der Bewegung von 1968 in den Blick. Die Revolution von 1848 wurde in ihrer Bedeutung für die Herausbildung einer demokratischen Bewegung in Europa im Rahmen des 2002 begonnenen Programmes des Europarates zur Erforschung der europäischen Dimension im Geschichtsunterricht als eines der zentralen Ereignisse der europäischen Geschichte untersucht (siehe Kapitel V.7). 1989 bot die Voraussetzungen dafür, Initiativen und Bewegungen für eine demokratische Gesellschaft und ihre Darstellung in den Schulbüchern des Geschichts- und Politikunterrichtes in einer vergleichenden west- und mitteleuropäischen Perspektive zu erforschen und

das Epochenjahr 1968 im Licht von 1989 neu zu untersuchen. Die Untersuchungen fragten danach, welche Kontinuitätslinien sich in der Organisation und den Positionen demokratischer Bewegungen feststellen lassen, an welche Positionen und politischen Praktiken von 1968 die Akteurinnen und Akteure der Revolutionen von 1989 anknüpften und in welchen Kommunikationszusammenhängen diese Referenzen diskutiert wurden. Die entstandenen Forschungsarbeiten ließen sich in ihren Untersuchungen zu 1968 aus mittel- und westeuropäischer Perspektive auch von den Überlegungen einer histoire croisée inspirieren. Sie analysierten das Phänomen 1968 aus der Perspektive einer transnationalen Geschichte, die gerade durch

die vielfältigen Kontakte und Begegnungen der Protagonisten aus Mittel- und Osteuropa mit ihrem westeuropäischen Gegenüber die Gemeinsamkeiten, vor allem aber die unterschiedlichen Positionen und die daraus resultierenden Missverständnisse herausstellte. Die Studien zeigten, dass die unterschiedliche Akzentuierung der Feindbilder in Gestalt des Imperialismus und der kommunistischen Herrschaft nicht unwesentlich zu jenem Phänomen beitrug, das von der Transformationsforschung als Prozess des kulturellen crossing and missing bezeichnet worden ist. Die mitteleuropäische Perspektive lieferte insgesamt vielfältige Anregungen dafür, die Darstellung von 1968 in westeuropäischen Schulbüchern in einer neuen Perspektive zu untersuchen.

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3 Gewalterfahrungen und Widerstand

Die Thematisierung einer gemeinsamen Erfahrung des Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime bildete ein wichtiges, verbindendes Element für die Schulbuchgespräche zwischen Deutschland und seinen europäischen Nachbarn in den unmittelbaren Nachkriegsjahren. Der Historiker Hans Rothfels hatte dazu bereits für die erste deutsch-amerikanische Historiker- und Geschichtslehrertagung, die im Mai 1952 in Braunschweig stattfand, die These entwickelt, dass „[d]ie deutsche Widerstandsbewegung […] Teil einer europäischen Bewegung gegen das nationalsozialistische Regime [war] und […] den überall bestehenden Schwierigkeiten der Opposition gegen ein totalitäres System [unterlag]. Sie stand darüber hinaus unter den besonderen Schwierigkeiten der Auflehnung nicht gegen einen fremden Eroberer, sondern gegen die eigene, mit dem Anspruch auf Legalität auftretende Regierung. Sie war daher nicht nur eine nationale Freiheitsbewegung, sondern eine wesentlich ethisch bestimmte Empörung von Menschen der verschiedensten Weltanschauungen und politischen Lager gegen totalitäre Vergewaltigung als solche.“ Quelle: Hans Rothfels, Die deutsche Widerstandsbewegung 1933 bis 1945. In: Internationales Jahrbuch für Geschichtsunterricht 2 (1953), S. 155–156.

Diese Überlegungen bildeten in den 1950er und 1960er Jahren die Grundlage für die Argumentation der deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Schulbuchgesprächen mit den USA 94

und den westeuropäischen Staaten. Dabei fanden sie bei ihren italienischen Partnerinnen und Partnern die größte Unterstützung, da diese frühzeitig die europäische Dimension der Partisanenbewegung im Widerstand gegen das nationalsozialistische Besatzungsregime thematisierten und hervorhoben, dass sich auch Deutsche an diesen Partisanenbewegungen beteiligt hatten. Forschungen zum Widerstand gegen autoritäre Regime bildeten auch einen wichtigen Gegenstand der bilateralen Schulbuchgespräche mit Jugoslawien und Polen. Dabei wurden die unterschiedlichen Gewichtungen und Interpretationen von antifaschistischen und antikommunistischen Widerstandsbewegungen thematisiert, die seit den 1990er Jahren dann eine wichtige Rolle in den Schulbuchgesprächen mit Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern des ehemaligen sowjetischen Blocks bildeten. Die Darstellung der von Deutschen verübten Verbrechen, die im Völkermord an den europäischen Juden ihr maximales Ausmaß erreichten, und die Anerkennung von Verantwortung und Schuld wurden bereits in den bilateralen Schulbuchgesprächen der 1950er Jahre von niederländischen, belgischen und norwegischen Kolleginnen und Kollegen nachdrücklich eingefordert. Wichtige Anregungen für die Forschung gingen 1960 und 1962 von den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz zur Behandlung der jüngsten Vergangenheit und des Totalitarismus im Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht aus. Dieser Beschluss bildete den Auftakt für wissenschaftliche Untersuchungen zur Darstellung von Ver-

folgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Das ISBI betraute mit diesem Auftrag den Direktor des UNESCO-Institutes für Pädagogik in Hamburg, Saul B. Robinsohn, der die Studie zur Darstellung der jüdischen Geschichte in deutschen Geschichtslehrbüchern gemeinsam mit dem Geschichtslehrer Chaim Schatzker aus Haifa durchführte. Robinsohn und Schatzker plädierten im Ergebnis für eine Darstellung der Verfolgung und Vernichtung eines Großteils der europäischen Juden durch die nationalsozialistische Herrschaft, die den Blick über das deutsche und westeuropäische Judentum hinaus auf die zahlreichen jüdischen Gemeinden in Osteuropa lenken sollte. Diese bildeten die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung in Europa und würden bis in die Gegenwart in Deutschland auf Ablehnung stoßen. Neben den israelischen Partnern forderten auch französische Kolleginnen und Kollegen, die sich in der jüdischen Organisation B’nai B’rith engagierten, eine deutliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft in Schulbüchern. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer gemeinsam mit dem Internationalen Schulbuchinstitut durchgeführten deutsch-französischen Tagung in Paris, an der neben Historikerinnen und Historikern sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten jüdischer Organisationen auch Vertreterinnen und Vertreter von Schulbuchverlagen teilnahmen, definierten es 1961 als „unerlässlich“, Schülerinnen und Schülern „klarzumachen, bis zu welchem Grade der Nationalsozialismus die Rassendiskriminierung, den Terror, die Folter, die Entwürdigung und schließlich die Ausrottung ganzer Menschengruppen zum Regierungssystem erhoben hat“.4

Die von Saul B. Robinsohn und Chaim Schatzker in ihrer Untersuchung von 1963 aufgeworfenen Fragestellungen und Befunde wurden in den folgenden Jahren in regelmäßigen Abständen überprüft. Die Forschungen fragten nach der Perspektive, aus der die Ermordung der jüdischen Bevölkerung beschrieben und erklärt wurde, und nach der Verantwortung für die Judenverfolgungen und den Völkermord. Sie plädierten dafür, Antisemitismus und Judenverfolgung paradigmatisch auch für die Untersuchung ähnlicher Mentalitäten und Voraussetzungen für Gewaltverbrechen zu nutzen. Diese Forderungen fanden Eingang in die Schulbuchempfehlungen, die 1985 im Ergebnis der ersten „Runde“ der deutsch-israelischen Schulbuchempfehlungen erarbeitet wurden: 95

„Die zentrale Stellung des Antisemitismus in der nationalsozialis­ tischen Ideologie und seine Bedeutung für die Politik des ‚Dritten Reiches‘ sollten hervorgehoben werden. Die antijüdische Politik in Deutschland von 1933 bis zum Beginn des systematischen Massenmordes darf nicht nur beiläufig behandelt werden. […] Der von den Nationalsozialisten geplante und in erschreckendem Umfang verwirklichte Genozid an den europäischen Juden bedarf einer eingehenden, genau informierenden Darstellung, die zugleich den Schülern die Möglichkeit eröffnet, die Einzigartigkeit dieses mit administrativer und technischer Systematik durchgefahrenen Geschehens zu begreifen. Daher ist es wichtig, daß die Darstellung nicht ausschließlich aus der Perspektive der Täter und der von ihnen hinterlassenen Dokumente erfolgt, sondern auch die Erfahrung der Opfer […] zum Ausdruck kommt. Die Frage nach der Verantwortung und Mitverantwortung für die Judenverfolgung und den Völkermord sollte gestellt und dem Versuch ihrer Beantwortung nicht ausgewichen werden.“ Quelle: Deutsch-israelische Schulbuchempfehlungen. Zur Darstellung der deutschen Geschichte und der Geographie der Bundesrepublik Deutschland in israelischen Schulbüchern, Braunschweig 1985, S. 26.

Diese Thematik wurde in den beiden folgenden Jahrzehnten vor allem im Rahmen der deutsch-amerikanischen und der deutsch-israelischen Schulbuchgespräche fortgeführt. Dazu gehörten zahlreiche Konferenzen zum Lehren und Lernen des Holocaust sowie Schulbuchanalysen, die das GEI koordinierte und an denen es mit seiner Expertise beteiligt war. Einen Höhepunkt stellte dabei die internationale Konferenz „Lernen und Erinnern – Holocaust, Völkermord und staatliche Gewaltverbrechen im 20. Jahrhundert“ dar, die 2003 zusammen mit dem International Committee of Memorial Museums for the Remembrance of Victims of Public Crimes und der Berliner Stiftung Topographie des Terrors durchgeführt wurde. Deren Ziel bestand darin, sich dem Thema Holocaust, Völkermord und staatliche Gewaltverbrechen aus einer vergleichenden Perspektive zuzuwenden und zu überlegen, wie diese Phänomene in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit vermittelt werden können. Einen 96

weiteren Meilenstein bildete neben der ersten Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission die Zusammenarbeit mit der Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research und der UNESCO ab Beginn des neuen Jahrtausends, die in der 2015 vom GEI verfassten Studie über „The International Status of Education about the Holocaust. A Global Mapping of Textbooks and Curricula“ gipfelte.

4 Nation

Die internationale Schulbuchrevision, die bis in die 1970er Jahre den deutlich sichtbaren Schwerpunkt der Arbeit des ISBI bildete, setzte auch den Rahmen, in dem die Schulbuchforschung zu Repräsentationen von Nation am Institut durchgeführt wurde. Mit Blick auf die Nation teilte Georg Eckert die Überzeugung des Generalsekretärs der französischen Lehrergewerkschaft Syndicat national des instituteurs, Georges Lapierre, dass eine erfolgreiche Schulbuchrevision von den nationalen Traditionen und Bestrebungen auszugehen habe, auf deren Grundlage die junge Generation zum Verständnis für die internationale Solidarität und die Praxis der Zusammenarbeit erzogen werden sollte. Die nationale Geschichte sollte in den Augen Eckerts weiterhin eine zentrale Stellung in den Schulbüchern einnehmen, entlastet von nationalistischen Darstellungen und Feindbildern, aber eingebettet in die europäische und Weltgeschichte. Die Nation stand daher im

Mittelpunkt der bilateralen Schulbuchgespräche der „ersten Generation“ und bildete den Ausgangspunkt, von dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Geschichtskonferenzen des Europarates seit 1953 die Analyse und Revision der Geschichtsschulbücher durchführten und dafür plädierten, die Darstellungen der Nationalgeschichte in europäische und weltgeschichtliche Zusammenhänge einzubetten. Französische und deutsche Historikerinnen und Historiker diskutierten dieses Thema im Juli 1955 im Rahmen der deutsch-französischen Schulbuchgespräche in Sèvres. Dabei hoben sie hervor, dass „der französische, auf dem Naturrecht fußende Begriff der Nation den Nachdruck auf die freie Willensentscheidung der Bevölkerung“ lege, „der deutsche, von Herder und den Romantikern geprägte Begriff der Nation“ dagegen auf „die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die durch Abstammung, Sprache und Kultur bestimmt ist“.5 Sie verwiesen auf die Risiken, die beide Definitionen in sich bargen: die französische, die kulturelle Vielfalt einer einheitlichen Staatsidee unterordnete und die deutsche, die sich durch ihren kulturellen Essentialismus für rassistische und völkische Ideen als besonders anfällig erwiesen hatte. Die Forschungen zur Nation erfuhren durch die Diskussionen der deutsch-österreichischen Schulbuchgespräche von 1956 neue Impulse. Die Habsburger Monarchie wurde darin als ein multinationales Modell 97

von Staatlichkeit behandelt, welches im Geschichtsunterricht im Vergleich mit dem Modell der Staatsnation behandelt werden sollte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der deutsch-tschechoslowakischen Historikertagung in Braunschweig im November 1967 warnten vor einer Verwendung des modernen Begriffes der Nation für die Geschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Sie plädierten dafür, „bei der Behandlung der Geschichte der Hussiten […] das nationale Element in seiner Bedeutung für die Gesamtbewegung nicht [überzubewerten]“. Die hussitische Revolution sei eine religiöse, soziale und nationale Bewegung mit tiefen inneren Gegensätzen gewesen. Von einem „Nationalismus“ oder gar „Chauvinismus“ im Sinne des 19. oder 20. Jahrhunderts könne in diesem Zusammenhang keine Rede sein.6

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Die Nation als Gegenstand der Analysen blieb auch nach dem Tod von Georg Eckert bestimmend für das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. Karl-Ernst Jeismann stellte sie als eine die europäische Geschichte seit der Frühen Neuzeit prägende Form der Identifikation sozialer und kultureller Gruppen innerhalb der europäischen Geschichte dar. Die vergleichende Untersuchung der Darstellung der Geschichte der deutschen Nation in den Lehrbüchern der Bundesrepublik Deutschland und der DDR wurde folgerichtig zum Gegenstand eines der ersten großen Forschungsvorhaben des Institutes in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Im Rahmen dieser Untersuchung, an der Historikerinnen und Historiker, Geographinnen und Geographen sowie Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Universitäten Braunschweig, Hannover, Oldenburg, Hildesheim, Trier und Münster beteiligt waren, wurden historische, geographische und sozialwissenschaftliche Unterrichtswerke der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik von 1949 bis in die 1980er Jahre hinein analysiert. Die Studie beschränkte sich nicht auf die Lehrpläne und Lehrbücher der allgemeinbildenden Schulen, sondern schloss die berufsbildenden Schulen und die Auslandsschulen der Bundesrepublik Deutschland ein. Die Forscher identifizierten unterschiedliche Konjunkturen, in denen in den Schulbüchern und Lehrplänen die Zugehörigkeit zu einer deutschen Nation nach 1945 dargestellt wurde. Jeismann hob die besondere Bedeutung hervor, die der deutschen Nation in den Schulbüchern der frühen DDR zugeschrieben wurde:

„Die DDR sah sich als unmittelbarer Nachfolger jener Bewegungen der deutschen Geschichte, die seit der aufkommenden Arbeiterbewegung gegen die Herrschaft der Junker und der Bourgeoisie gekämpft hatten. 1945 war in dieser nationalen Sicht das Jahr der Befreiung, das endlich den progressiven und humanen Kräften die Möglichkeit der Wirkung verschaffte. 1949, das Jahr der Gründung der DDR, erschien als der bisherige Höhepunkt der deutschen Geschichte. Die Vollendung würde sich in der Wiedervereinigung unter sozialistischen Zeichen ereignen. Die Spaltung der Volksnation zu überwinden hieß, sie als Klassennation neu zu vereinigen. Die Gegner dieser deutschen Einheit waren diejenigen, die das Entstehen der engen gesamtdeutschen Klassennation verhinderten.“ Quelle: Karl-Ernst Jeismann, Nationalgeschichte als Lernziel des Unterrichts in Deutschland. In: Wolfgang Jacobmeyer (Redaktion), Nationalgeschichte als Problem der deutschen und der polnischen Geschichtsschreibung. XV. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker. 16. bis 20. November 1982 in Braunschweig, Braunschweig 1983 (Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, Bd. 22/VI), S. 139.

Während in der Bundesrepublik die Perspektive der Einheit der deutschen Nation durch den Beschluss der KMK von 1978 gestärkt wurde, proklamierte die Führung der DDR zur gleichen Zeit die These einer eigenständigen sozialistischen deutschen Nation. Es erschien besonders fruchtbar, die Untersuchung des Deutschlandbildes mit der Behandlung der deutschen Frage in den Schulbüchern beider deutscher

Staaten zu verknüpfen, da die unterschiedliche Akzentuierung der gewünschten (oder erwarteten) Lösung der deutschen Frage mit unterschiedlichen Interpretationen und Traditionsbildungen der deutschen Geschichte verbunden wurde. Die Ergebnisse der Studie zum Deutschlandbild und der deutschen Frage in den Schulbüchern der beiden deutschen Staaten gewannen gerade vor dem Hintergrund der Entwicklungen nach 1989 an Aktualität und Bedeutung. Der nationale Staat hatte in den Augen Karl-Ernst Jeismanns nichts von seiner Bedeutung als Steuer-, Finanz- und Verwaltungszentrum verloren, das „die Grundlage der sozialen Lebensabsicherung, der konkreten Solidargemeinschaft zwischen den Generationen“ bildete.7 Er plädierte deshalb gerade vor dem Hintergrund der Er99

fahrungen von 1989 für eine Neukonzeption der Darstellung der Nation und des Staates im Unterricht, die zudem die „moderne, demokratische Industrienation unter Ausbau ihrer rechtsstaatlichen, sozialstaatlichen und föderativen Tradition, ihrer regionalen Eigenarten und ihrer gesamtstaatlichen Vergleichbarkeit“ weiterentwickeln sollte. Nationalgeschichte musste vor dem Hintergrund eines zunehmenden Bewusstseins für das Zusammenleben unterschiedlicher kultureller Gemeinschaften in einer gemeinsam zu gestaltenden Gesellschaft und ihres Staates neu geschrieben werden.8 Die nationale Frage spielte allerdings nicht nur eine entscheidende Rolle in der revolutionären Bewegung des Herbstes 1989 in der DDR. Die gesellschaftlichen Umbrüche wurden in allen Staaten Mittel- und Osteuropas von einer Renaissance nationaler Bewegungen getragen und führten in den ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion zur Wiederherstellung der nationalen staatlichen Souveränität. Diesen Prozess begleitete in diesen Staaten eine neue „Konjunktur“ der vergleichenden Untersuchungen zur Nation im Schulbuch. Daher standen zu Beginn der 1990er Jahre Forschungen, die gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland durchgeführt wurden, im Zentrum der Arbeit des Institutes. Ab dem Ende der 1990er Jahre richtete sich der Blick dann vor allem auf Südosteuropa. Die Vorhaben, die das GEI gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den Nachfolgestaaten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien realisierte, analysierten die Darstellung der Konstituierung der 100

Nation in den Schulbüchern als Selbstdefinition einer ethnischen Gemeinschaft bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber anderen kulturellen Gruppen. Sie schärften den Blick für die Renaissance nationaler Stereotype und Feindbilder, die in den Darstellungen der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zum ausschließlich dominierenden identitätsstiftenden Merkmal im Geschichtsunterricht wurden. Zahlreiche Historikerinnen und Historiker Ost- und Südosteuropas interpretierten im Unterschied zu ihren westeuropäischen Kolleginnen und Kollegen supranationale Institutionen als negativ konnotierte Gegenentwürfe zur Nation und leiteten die Legitimation für die neuerliche Konjunktur nationaler Geschichtserzählungen gerade aus dem Scheitern dieser supranationalen Institutionen ab. Sie standen der These von der „Erfindung“ der Nation kritisch gegenüber. In der Valorisierung der Nation sahen sie dagegen ein wichtiges Argument für die Durchsetzung der Gleichberechtigung der einzelnen Nationen innerhalb der europäischen Gemeinschaft, das einer neuerlichen Fremdbestimmung durch größere europäische Nachbarn oder europäische Institutionen entgegenwirken sollte. In einem Forschungsprojekt am Georg-Eckert-Institut wurde deshalb die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in diesem Prozess hervorgehoben. Während in den mittel- und osteuropäischen Staaten die Forschungen zur Darstellung der Nation in Schulbüchern als wichtige Voraussetzung für die Herausbildung eines nationalen Bewusstseins angesehen wurde, stießen diese Überlegungen bei den westeuropäischen Partnern in den 1990er Jahren auf Skepsis. Sie hatten das

Konzept der Nation in viel stärkerem Maße historisiert und die Herausforderung für zukünftige Gesellschaften gerade in der Gestaltung transnationaler Perspektiven gesehen. Angesichts der Mobilisierung ethnischer Stereotype und Feindbilder in politischer Absicht warnte Wolfgang Höpken Mitte der 1990er Jahre allerdings davor, das Phänomen eines neuen Nationalismus als ein auf Südosteuropa beschränktes Pro­blem zu identifizieren. Sein Plädoyer, die Perspektive über diese Region hinaus auszuweiten, hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Die Forschungen zur Nation erfuhren in den 1990er Jahren außerdem eine Erweiterung und Vertiefung durch Untersuchungen zu den Gesellschaftskonzepten, die den jeweiligen Konstituierungen der Nationen zugrunde lagen. Die Erziehung zum mündigen Bürger und zur mündigen Bürgerin wurde dabei als eine Voraussetzung dafür angesehen, einer unkritischen und unreflektierten Identifikation mit dem Nationalstaat vorzubeugen.

Nachdem die Untersuchungen des GEI zu Nation im Schulbuch bis in die 1980er Jahre ausschließlich aus einer historischen Perspektive durchgeführt worden waren, öffneten sich die Forschungen ab diesem Zeitraum auch ethnographischen und sprachwissenschaftlichen Zugängen. Dazu gehörte beispielsweise ein Projekt zu Geschichts- und Sozialkundebüchern der nicht-russischen GUS-Staaten, das zwischen 1997 und 1999 die Nation als eine semantische Konstruktion untersuchte und ihre gemeinschaftsstiftende und/oder Abgrenzungen konstruierende Funktion in Schulbüchern analysierte. Fortgesetzt wurden diese Studien durch ein von 2008 bis 2013 durchgeführtes Forschungsvorhaben zu „Kulturellen Deutungsmustern des Sozialismus“ in Georgien, Kirgisien und Litauen, das in vergleichender Perspektive untersuchte, welche Deutungen der sozialistischen Vergangenheit in drei Gesellschaften der post-sowjetischen Peripherie um Deutungshoheit rangen. Parallel dazu lenkte das Institut in seinen Forschungen zur Nation den Blick über Europa hinaus. So 101

wurde das Thema in einer Studie über die politische Funktion der Geschichte in den nationalen Legitimationsdiskursen in Argentinien und Guatemala im 19. und 20. Jahrhundert untersucht. Ein weiteres Projekt richtete den Blick auf nationale Identitätskonstruktionen und ihre Umsetzung im Geschichtsunterricht in Deutschland und Mexiko. In Lateinamerika stellte die Nation eine zentrale Kategorie „positiver Selbstversicherung“ dar,9 während man in Deutschland, angesichts der Besonderheiten der deutschen Geschichte, dieser positiven Selbstversicherung eher misstrauisch gegenüberstand.

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Diese Forschungsprojekte zu Repräsentationen der Nation im Schulbuch in Lateinamerika hoben durch ihren Blick auf die ethnische Diversität in den von ihnen untersuchten Staaten Guatemala und Mexiko den identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Charakter der nationalen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts hervor. Sie betonten aber auch, wie der Fokus auf die einheitsstiftende Funktion des Konzeptes der Nation dazu benutzt wurde, soziale und kulturelle Gegensätze hinter einer konstruierten und geschichtspolitisch propagierten nationalen Einheit verschwinden zu lassen.

Die Definition von Nation bildete auch einen Schwerpunkt der Forschungen, die seit den 1990er Jahren zur Darstellung der Geschichte Palästinas und Israels in den Schulbüchern der palästinensischen Autonomiebehörde durchgeführt wurden. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten die Selbstbilder, die die Autorinnen und Autoren der ersten Generation der palästinensischen Schulbücher nach der Erarbeitung eines nationalen Lehrplanes durch die Palästinensische Autonomiebehörde von der Konstituierung und Entwicklung der eigenen Nation zeichneten und verglichen sie mit den in israelischen Schulbüchern gezeichneten Fremdbildern. Sie verorteten die Nation im Kontext der jüdischen Religion und des Islam sowie von panarabischen Vorstellungen. Ein Ziel der Untersuchung bildete die Beantwortung der Frage, wie das Verhältnis der beiden Nationen zueinander in den Schulbüchern dargestellt wurde. Dabei zeigte sich, dass sich die Darstellungen nicht generalisierend gegen die jüdische Religion oder den Islam richteten, sondern dass in ihnen Kritik an konkreten politischen Überzeugungen, Maßnahmen und Aktionen des israelischen Staates beziehungsweise palästinensischer Organisationen geübt wurde. Die geschichtspolitischen Diskurse des frühen 21. Jahrhunderts verweisen auf die ­Notwendigkeit, die Forschungen zur Konstruktion der Na­tion in Schulbüchern stärker auf der regionalen und globalen Ebene zu verorten. Die Forderung nach dieser

Notwendigkeit reicht bis in die Anfänge der internationalen Schulbucharbeit am GEI zurück, als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bilateralen Schulbuchgespräche nach Alternativen für die Herausbildung des auf dem Prinzip der Staatsnation gegründeten Nationalstaates suchten. Im Rahmen der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche wurden Herrschaftsräume und Kulturlandschaften in einer historischen Perspektive untersucht. Im Zusammenhang mit der Entstehung regionalistischer Bewegungen in Europa in den 1970er Jahren fand dann der „kleine Raum“, die Region als unmittelbare Lebenserfahrung der Menschen, das Interesse der internationalen Schulbuchforschung. Jeismann verband diese Perspektive mit einem transnationalen Blickwinkel. Er sah die Region als einen Zugang an, mit dessen Hilfe nationale Grenzen mental und organisatorisch leichter überwunden werden könnten. Schulbuchforschungen sollten deshalb die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark und den deutsch-niederländischen und deutsch-französischen Grenzregionen auch in ihrer historischen Perspektive stärker in den Blick nehmen. Die von Ernst Hinrichs initiierten Forschungen zu Region und regionaler Identität im europäischen Vergleich erfuhren in den 1990er Jahren eine Erweiterung auf den „kleinen Raum“ in Südasien und wurden im letzten Jahrzehnt mit Studien zur Region Oberschlesien und zur Konstruktion der historischen „Landschaft“ „Pruzzenland“ fortgesetzt.

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5 Kolonialismus und postkoloniale Perspektiven

Die Darstellungen des Kolonialismus und der Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien bildeten seit den 1950er Jahren einen besonders umstrittenen Gegenstand der bi- und multilateralen Schulbuchgespräche zwischen den europäischen Staaten. In diesen Gesprächen hoben die Vertreter Frankreichs und Belgiens lange Zeit vor allem den Beitrag der Kolonialpolitik für die Modernisierung der von ihnen kolonisierten Gesellschaften hervor. Dabei interpretierten sie den Prozess der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien als freiwilligen Rückzug der Kolonialmächte nach der erfolgreichen „Erziehung“ der einheimischen Bevölkerung für die Gestaltung „moderner“ Gesellschaften nach westlichem Verständnis. Diese Interpretationen standen im Gegensatz zu den Empfehlungen, die 1954 und 1956 in den Schulbuchgesprächen mit Indien und Indonesien erarbeitet wurden. Letztere hoben zwar ebenfalls den Einfluss des Westens auf technischem und zivilisatorischem Gebiet hervor, gleichzeitig formulierten sie jedoch eine deutliche Kritik an der Ausbeutung der kolonisierten Gebiete durch die Kolonialmächte. Sie betonten das Recht auf nationale Selbstbestimmung, das sie im Rekurs auf die politische Tradition der Demokratisierung und Selbstbestimmung eben jener ehemaligen Kolonialmächte für sich beanspruchten. Darin manifestierte sich bereits das ambivalente Verhältnis zwischen den neuen unabhängigen Nationalstaaten und den ehemaligen Kolonialmächten. Das in einem Land mit einer kurzen kolonialen Vergangenheit arbeitende Schulbuchinstitut war in 104

besonderem Maße geeignet, eine vermittelnde Position zwischen den Kolonialmächten und ihren ehemaligen Kolonien einzunehmen. Zudem könnte es, so Georg Eckert, vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft nach 1945 einen eigenständigen Beitrag im Wettbewerb um die zukunftsleitenden gesellschafts- und bildungspolitischen Grundlagen der jungen Nationalstaaten leisten. Das Institut reagierte damit auch auf die von der Sowjetunion und der DDR geförderten sozialistischen Entwicklungen in einer Reihe von afrikanischen und asiatischen Staaten. Es setzte sich frühzeitig für eine Veränderung der Darstellung des Asien- und Afrikabildes in deutschen Schulbüchern ein und förderte Forschungsaufenthalte von asiatischen und afrikanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Internationalen Schulbuchinstitut, die im Kontext der UNESCO und der internationalen Arbeiter(bildungs)bewegung neue Bildungsmedien für ihre Länder entwickeln wollten. Dazu gehörten unter anderem Gérald-Félix Tchikaya aus der Demokratischen Republik Kongo oder Jogindra Kumar ­Banerji aus Indien. In den bilateralen Schulbuchgesprächen, die 1976 und 1977 mit Tunesien geführt wurden, forderten die tunesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine gleichberechtigte Betrachtung der jeweiligen Geschichte und eine Diskussion gesellschaftlicher Entwicklungsperspektiven auf Augenhöhe. Sie regten an, vor allem die durch die koloniale Eroberung versperrten oder abgebrochenen Entwicklungspotenziale und Chancen stärker in die Schulbücher

Georg Eckert (Mitte) mit Professor Surindar Suri (rechts, Neu Delhi) und Gérald-Félix Tchikaya (links, Brazzaville) (Goslar, 1962)

der westeuropäischen Länder einzubringen. Einen zentralen Kritikpunkt stellte die Darstellung der nationalen Unabhängigkeitsbewegung dar, die in den Augen der tunesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in viel zu starkem Maße aus der geopolitischen Entwicklung der europäischen Mächte im Kalten Krieg und viel zu wenig aus der Perspektive der indigenen nordafrikanischen, eher passiv dargestellten Bevölkerung beschrieben wurde.

Die multilateralen Projekte, die das Institut im Rahmen des Europarates und der UNESCO in den 1970er Jahren durchführte, trugen zu einer allmählichen Veränderung in den Darstellungen des Kolonialismus in den Schulbüchern der westeuropäischen Länder bei, die die afrikanischen und lateinamerikanischen Perspektiven stärker berücksichtigten. Das Forschungsdesign eines mehrdimensionalen Vergleiches ermöglichte nicht nur die Gegenüberstellung unterschiedlicher Kolonialmächte und ehemaliger Kolonien, sondern gestattete gleichzeitig den vergleichenden Blick zwischen unterschiedlichen Kolonialsystemen und Entwicklungswegen, die in den ehemaligen Kolonien in Afrika, Lateinamerika und Südasien konzipiert wurden. Die Perspektiven afrikanischer, indischer oder lateinamerikanischer Forscherinnen und Forscher erfuhren eine gleichberechtigte Berücksichtigung gegenüber westeuropäischen Auffassungen. Gleichzeitig beförderten die intensiven Diskussionen, die Forscherinnen und Forscher aus den ehemaligen Kolonien mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus Europa in gemeinsamen Vorhaben führten, die Intensivierung von Forschungen zur Darstellung außereuropäischer Kulturen in europäischen Schulbüchern. Nachdem Georg Eckert im Jahr 1970 eine Untersuchung zum Afrikabild in englischen, französischen, italienischen, portugiesischen und spanischen Geschichtsbüchern initiiert hatte, wurde eine komplementäre Untersuchung der Darstellungen Afrikas in den Geographieschulbüchern Belgiens, der Bundesrepublik Deutschland, Englands, Frankreichs, der Niederlande und Wales durchgeführt. 105

Die Analyse war sowohl in den Kontext des nationalen Selbstverständnisses und der gesellschaftlichen Diskussion über die koloniale Vergangenheit in den von ihr untersuchten europäischen Ländern als auch in die fachwissenschaftlichen und didaktischen Traditionen in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Englands, Frankreichs und der Niederlande eingebettet. Sie kritisierte die sehr stark europäische Perspektive bei der Auswahl der Themen, Kategorien und Fragestellungen in den untersuchten Lehrwerken und plädierte dafür, dass „außereuropäische Völker und Kulturen aus sich heraus interpretiert und evaluiert werden“ sollten.10 Gleichzeitig sprach sie sich für eine verstärkte Einbeziehung ethnologischer Verfahren in die Schulbuchforschung aus, die als besonders geeignet erschienen, die eurozentrische Bias der bislang dominierenden theoretischen und methodischen politikwissenschaftlichen und wirtschaftsgeographischen Zugänge zu erkennen und zu überwinden.11 Nachdem sich die Forschungen am Internationalen Schulbuchinstitut und später am Georg-Eckert-Institut bis in die 1980er Jahre vor allem auf die Darstellungen von Kolonialismus und Imperialismus in Afrika in deutschen und europäischen Schulbüchern konzentriert hatten, richteten sie in den Folgejahren ihren Blick stärker auf die Geschichtsdiskurse und die Schulbuchdarstellungen in den ehemaligen Kolonien selbst. Diese wurden seit dem Ende der 1980er Jahre am Beispiel Guatemalas und Algeriens untersucht und in vergleichenden Vorhaben mit den Diskursen und Schulbüchern der Kolonialmächte verglichen. 106

Forschungen zu Kolonialismus aus einer postkolonialen Perspektive bildeten sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als einer der Schwerpunkte am GEI heraus. Einen Anstoß hierzu lieferte die 2004 in Braunschweig veranstaltete Konferenz „Der Algerienkrieg: Erinnern, debattieren, lehren“, die sich inspiriert durch die postcolonial studies und die Forschungsperspektiven transnationaler Geschichte am Beispiel der überaus konfliktträchtigen Erinnerungspolitik zum Algerienkrieg programmatisch auf die historisch bedingte Verflechtung zwischen den ehemaligen europäischen Kolonialmächten und ihren ehemaligen Kolonien richtete. Dieser Ansatz wurde im Rahmen des Forschungsprogrammes des GEI fortgeführt, indem Geographinnen und Geographen, Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Historikerinnen und Historiker gemeinsam die Repräsentation von Kolonialismus und Dekolonisierung in europäischen Schulbüchern im postkolonialen und transnationalen Vergleich untersuchten. Ein besonderer Fokus richtete sich dabei auf die programmatische Fragestellung, inwiefern die koloniale Vergangenheit nicht nur die ehemaligen Kolonien, sondern eben auch die Gesellschaften der ehemaligen Kolonialmächte und insbesondere deren nationalstaatliches oder auch europäisches Selbstverständnis geprägt und verändert hat. Anhand des Mediums Schulbuch widmeten sich verschiedene Projekte des GEI den seit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in Europa und Afrika mit größerer Intensität geführten Debatten um Interpretationen des Kolonialismus über Modernisierung und Unterdrückung bis hin zum Völkermord.

Dazu verknüpften sie die Schulbuchanalysen mit der Untersuchung weiterer Diskurse gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen. Diese Forschungen leisteten einen Beitrag sowohl zur Wissensgeschichte von Kolonialismus und Dekolonisierung als auch zur Untersuchung nationalstaatlicher und europäischer postkolonialer Erinnerungskulturen und Erinnerungspolitiken. So widmeten sich verschiedene miteinander kooperierende multidisziplinäre Projekte der Produktion von kolonialen Repräsentationen sowie Afrikawissen in deutschen und englischen Schulbüchern, der Darstellung der kolonialen Vergangenheit in deutschen, britischen und französischen Schulbüchern, den korrespondierenden Debatten postkolonialer Erinnerungspolitik im nationalstaatlichen und europäischen Rahmen sowie der Bedeutung der Dekolonisierung für gesellschaftliche Diskurse der nationalstaatlichen beziehungsweise europäischen Selbstbeschreibung insbesondere am Beispiel Frankreichs. Insgesamt haben diese Untersuchungen gezeigt, welche zentrale Bedeutung die Repräsentation der kolonialen Vergangenheit und die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die um diese geführt worden sind, für das jeweilige nationalstaatliche und europäische Selbstverständnis erlangt haben.

Darüber hinaus machten vergleichende Studien zu History und Civics textbooks, die das GEI gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus nordafrikanischen Ländern und Staaten des Nahen Ostens durchführte, deutlich, dass die Interpretationen des europäischen Einflusses nicht nur in Europa selbst, sondern auch in den ehemaligen Kolonien nach wie vor ein umkämpftes Feld zwischen der Fokussierung von Ausbeutung und Unterdrückung einerseits und der Hervorhebung einer kulturellen Referenz für den Aufbau moderner Gesellschaften andererseits darstellen. Die Beharrungskraft des kolonialen Erbes zeigt sich bis in die Gegenwart in zahlreichen Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent. Eine vom GEI und der UNESCO durchgeführte Studie zu „Learning to Live Together in Africa through History Education“ analysierte vor diesem Hintergrund die Entwicklung des Geschichtsunterrichtes in 28 Staaten Afrikas und erarbeitete Vorschläge, wie History Education dazu beitragen kann, die bestehenden Konflikte zu überwinden. Die Studie plädierte dafür, auf Grundlage der von afrikanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeiteten „General History of Africa“ transnationale Geschichtserzählungen und Curricula zu entwickeln, die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt als „Bereicherung“ verstehen. 107

6 Religion

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bilateralen und multilateralen Schulbuchgespräche sahen in den Religionen ein wichtiges verbindendes Element der europäischen Gesellschaften. Sie regten deshalb ab den 1960er Jahren an, die ideellen Voraussetzungen, Wissensordnungen und Glaubenssysteme, die der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfindung und Institutionenbildung zugrunde lagen, einer eigenständigen Analyse zu unterziehen. Sie konnten dabei in den 1960er Jahren auf die Förderung durch den Vatikan zurückgreifen, der sich in seinem zweiten Konzil für ein aggiornamento, eine stärkere Öffnung gegenüber den Pro-

Georg Eckert (Mitte) im Dialog mit der Historischen Kommission des Vatikans (1969)

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blemen der gegenwärtigen Welt, ausgesprochen und auch für einen stärkeren Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften plädiert hatte. Vertreter des Vatikans regten 1968 die Durchführung einer vergleichenden Untersuchung zur Behandlung der Religions- und Kirchengeschichte in den Schulbüchern der Mitgliedsstaaten des Europarates an. Das Internationale Schulbuchinstitut koordinierte dieses Vorhaben, das zwischen 1969 und 1977 die Darstellungen von Religionen in drei Zeitschnitten – der Antike, der Epoche von Reformation und katholischer Reform im 16. und 17. Jahrhundert und der industriellen Gesellschaft – untersuchte und vom Europarat sowie der Stiftung Volkswagenwerk gefördert wurde. Dieses Projekt führte Kirchenhistorikerinnen und -historiker, Religionssoziologinnen und -soziologen sowie Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Italien, den Niederlanden, Großbritannien, Spanien, Norwegen, Belgien, der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien und dem Vatikan zusammen. Sie untersuchten die Entwicklung der Religionen in engem Zusammenhang mit Zäsuren des gesellschaftlichen Wandels und traten dafür ein, die jüdische Religion und den Islam „in their own right“ zu analysieren. Die gewählte Perspektive der Untersuchung privilegierte allerdings deutlich die katholische und die evangelische Religion. Bei der Behandlung des Themas Religion in der Industriegesellschaft wurde diese dann vor allem um die Untersuchung von Zivilreligionen erweitert. Auch in den Gesprächen und Analysen der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission von

1979 bis 1985 nahm die Frage nach der Darstellung jüdischer Geschichte, Kultur und Religion breiten Raum ein: Von den Befunden und Empfehlungen von 1985 bezog sich der überwiegende Anteil auf die jüdische Geschichte von der Antike bis 1945; nur ein geringer Teil widmete sich der Darstellung Israels beziehungsweise Deutschlands nach 1945. Die Befunde der Kommission von 1985 würdigten zwar den großen Stellenwert, der „der religionsgeschichtlichen Bedeutung des Judentums für das Christentum“ in damaligen deutschen Schulbüchern eingeräumt wurde, verwiesen aber auch auf Fehlstellen und inhaltliche Mängel und kritisierten die bisweilen stereotypisierende Darstellung von jüdischem Leben und jüdischer Religion insbesondere in Schulbuchkapiteln zur Antike und zum Mittelalter. Wesentliche Anregungen für die vergleichende Untersuchung der christlichen Religionen und des Islam lieferten in der Mitte der 1970er Jahre auch die bilateralen Schulbuchgespräche mit Tunesien. Die tunesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer forderten, beide Religionen mit der gleichen wissenschaftlichen „Seriosität“ zu untersuchen und tradierte Gegenüberstellungen in europäischen Schulbüchern, die den Islam vor allem mit militärischer Gewalt und Unterentwicklung in Verbindung bringen, das Christentum dagegen

als friedensstiftende und gesellschaftlichen Fortschritt befördernde Religion zeigten, zu überwinden. Sie formulierten mit der Thematisierung der Rolle von Gewalt und Friedensstiftung in den Religionen und der Frage nach der Funktion von Religionen bei der wirtschaftlichen Entwicklung und in der Auseinandersetzung mit Umweltrisiken einige der zentralen Fragestellungen, die seit den 1990er Jahren wieder im Zentrum der Schulbuchstudien des Georg-Eckert-Institutes standen. So zeigten die Studien zu den nach den Bürgerkriegen entstandenen Schulbüchern in Südosteuropa, unter anderem in Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina, dass Christentum und Islam erneut als Gegensätze dar-

Expertengespräch über die Behandlung der Religionsgeschichte in europäischen Geschichts­ schulbüchern (1969)

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ab, sollten aber auch die Voraussetzungen für eine etwaige Rückkehr in die Türkei schaffen.

gestellt wurden, die die jeweils eigene Religion als Garant des Friedens und die des Gegenübers als Legitimation von militärischer Gewalt stilisierten. Das Georg-Eckert-Institut nahm in den 1980er Jahren aber auch die Anregungen auf, die von der Bildungspolitik an die Schulbuchforschung herangetragen worden waren. Die 1987 veröffentlichten Studien zu „Türkisch als Muttersprache in der Bundesrepublik Deutschland“, die das GEI, türkische und deutsche Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Soziologinnen und Soziologen durchführten, konzentrierten sich auf die Schulbücher der türkischen Bevölkerungsgruppe, deren Kinder in der Bundesrepublik Deutschland eine kulturelle Bildung erhalten sollten. Diese zielten sowohl auf ihre Integration in die Bundesrepublik 110

Parallel dazu beteiligte sich das Georg-Eckert-­Institut an der von der Islamischen Wissenschaftlichen Akademie initiierten Studie zur Darstellung des Islam in den Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland, deren Ergebnisse zwischen 1986 und 1990 in der Schriftenreihe des Institutes veröffentlicht wurden. Die Studie fragte nach einer angemessenen Darstellung des Islam in deutschen Schulbüchern, die das Verständnis für die Kultur des Anderen wecken und damit die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit unterschiedlicher kultureller Gemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland schaffen sollte. Dabei wurde hervorgehoben, dass Analysen über den Islam nicht auf Nordafrika und den Nahen und Mittleren Osten reduziert werden dürften, sondern die muslimischen Gemeinschaften in Europa und Asien gleichberechtigt in den Blick genommen werden müssten. Im Zentrum der Kritik standen jene Darstellungen, die die angebliche Unfähigkeit muslimischer Gesellschaften hervorhoben, eine im westlichen Verständnis „moderne“ Wirtschaft und Gesellschaft aufzubauen. Sie betonten den Nomadismus als Organisationsform der Gesellschaften der islamischen Welt zu stark und maßen der städtischen Entwicklung in der Geschichte und der Gegenwart der islamisch geprägten Länder eine zu geringe Bedeutung bei. Ernst Hinrichs, der sich in seiner damaligen Funktion als Direktor für die Mitarbeit in diesem Forschungsvorhaben und die Veröffentlichung der Ergebnisse

in der Schriftenreihe des Georg-Eckert-Institutes eingesetzt hatte, lobte den mit der Untersuchung des Islam in deutschen Schulbüchern eingeleiteten Perspektivenwechsel und plädierte dafür, den auf die Schulbücher bezogenen kulturellen Dialog zwischen christlichen Religionen und Islam durch Untersuchungen zur Darstellung der christlichen Religionen in Schulbüchern muslimischer Gemeinschaften fortzuführen. Die Forschungen des Institutes zur Darstellung des Islam in deutschen Schulbüchern erfuhren zu Beginn des neuen Jahrtausends erneut Beachtung. Die gesellschaftlichen Debatten, die nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 über den Islam geführt wurden, machten die Notwendigkeit einer sachgerechten Darstellung in deutschen Schulbüchern deutlich. Die neuen Studien gingen nun von dem Selbstverständnis aus, dass Deutschland zu einem Einwanderungsland geworden sei und der Islam mit Blick auf die Bedeutung der Muslime, die teilweise bereits in der dritten Generation in Deutschland lebten und arbeiteten, nicht mehr

als eine für und in Deutschland „fremde“ Religion angesehen werden könnte. Das Georg-Eckert-Institut führte dazu im Jahr 2002 eine Analyse der Darstellung des Islam in deutschen, zwischen 1995 und 2002 erschienenen Schulbüchern durch, deren Ergebnisse 2004 in der Zeitschrift „Internationale Schulbuchforschung“ veröffentlicht wurden. Ebenso wie in der Untersuchung der Islamischen Wissenschaftlichen Akademie analysierte die Studie Schulbücher der Fächer Geschichte, Geographie, Sozialkunde und Politik sowie evangelische und katholische Religion. Die Autorinnen und Autoren kritisierten, dass nach wie vor eigenständige Beiträge muslimischer Gemeinschaften zur wirtschaftlichen Entwicklung nicht dargestellt, sondern die Rückständigkeit dieser Gesellschaften unterstrichen würde. Wirtschaftliche Erfolge würden auf der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen beruhen, die nur mit Hilfe von Spezialisten aus Westeuropa und den USA erschlossen und gefördert werden könnten. Sie beanstandeten auch, dass die Darstellung kultureller Leistungen von Muslimen auf Folklore, Bauchtanz und exotische Küche begrenzt bliebe und sprachen sich dafür aus, die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen von Muslimen, gerade auch als Migrantinnen und Migranten der ersten Generation und deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger mit Migrationshintergrund, in der deutschen Gesellschaft zu würdigen. Die Religions- und Islamwissenschaftlerinnen am GEI erweiterten diese Untersuchungen in den folgenden Jahren auf die Schulbücher einer Reihe von europäischen Ländern. Sie kritisierten in ihren histori111

schen Längsschnittstudien zu Repräsentationen des Islam in europäischen Schulbüchern das Beharrungsvermögen des traditionellen Gegensatzes zwischen „Wir“ und „Nicht wir“ in den Schulbüchern und plädierten für die vergleichende Darstellung pluraler Wertesysteme, Normen und Organisationen, die an die Stelle eines von allen zu teilenden christlichen Erbes treten sollten. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Forschungen zu aktuellen Repräsentationen des Islam in den Schulbüchern Spaniens, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Österreichs wurden 2011 in einer Untersuchung des GEI unter dem Titel „Keine Chance auf Zugehörigkeit?“ veröffentlicht. Die Studie fragte danach, ob der Islam in den Schulbüchern dieser Länder nach wie vor als einheitliche Religion und Muslime als homogene Gruppe hervorgehoben werden. Zusätzlich wurde geprüft, ob islamisch geprägte Gesellschaften in ihrer historischen Entwicklung eher als statisch präsentiert werden oder die Schulbücher auf die Vielfalt von Entwicklungssträngen verweisen. Im Widerspruch zur Praxis der vielfältigen Begegnungen und des Dialoges zwischen unterschiedlichen kulturellen Gemeinschaften mussten die Autorinnen und Autoren der Studie feststellen, dass der Islam in den Schulbüchern nach wie vor als Gegenpol zu einer konstruierten europäischen Identität dargestellt wird. Gesellschaftliche Rückständigkeit und Gewaltbereitschaft wurden noch immer als Begründungen für die Argumentation herangezogen, die die Unterschiede und das Trennende zwischen 112

den muslimischen Gesellschaften und Europa hervorhoben. Die Schulbuchdarstellungen in den westeuropäischen Ländern ignorierten damit die historische Tradition des Zusammenlebens christlicher und muslimischer Gemeinschaften in Südosteuropa ebenso wie die Debatten, die in der islamischen Welt um postkoloniale Perspektiven, Interkulturalität und Diversität geführt wurden. Untersuchungen zur Darstellung von Religionen im Unterricht in einer vergleichenden Perspektive bilden heute einen Schwerpunkt der Forschungen am Georg-Eckert-Institut. Zum einen erfolgt dies aus historischer Sicht: So beschäftigten sich deutsche und israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

seit 2014 mit der Frage, welche Rolle die Berufung auf die jüdische religiöse Tradition in den Transformationsprozessen des deutschsprachigen Judentums während der als „Sattelzeit“ bezeichneten Periode der Entwicklung moderner Gesellschaften zwischen 1750 und 1850 spielte. Dabei wurden Predigten, Gesangbücher, Bibelübersetzungen, Katechismen und Schulbücher für den jüdischen Religionsunterricht systematisch auf kulturelle Übersetzungsprozesse hin untersucht, die dem fundamentalen Wandel in der jüdischen Erziehung und Gesellschaft zugrunde lagen.

Zum anderen widmen die Untersuchungen den Entwicklungen des Islam und dem interreligiösen Dialog besondere Aufmerksamkeit. Die im Frühjahr 2016 gemeinsam mit der Universität Göttingen durchgeführte Berufung einer Islamwissenschaftlerin sichert die Kontinuität der Forschungen des Institutes zu Selbst- und Fremdbildern des Islam in europäischen Schulbüchern und in Lehrwerken muslimisch geprägter Gesellschaften und stärkt die anwendungsorientierte Islamforschung am GEI an den Schnittstellen von religiöser Pluralität, Diversität und Migration.

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7 Europa und die europäische Integration

Das Internationale Schulbuchinstitut hatte seit seiner Gründung einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Europadarstellungen in westeuropäischen Geschichtsschulbüchern geleistet, insbesondere im Rahmen der Schulbuchkonferenzen des Europarates zwischen 1954 und 1958. Eckert sah in der Untersuchung gemeinsamer Entwicklungen in der europäischen Geschichte und ihrer Behandlung im Geschichtsunterricht ein wichtiges Mittel, um die nationalstaatliche Sicht des 19. Jahrhunderts zu überwinden und den Europagedanken und das Gefühl der europäischen Solidarität zu fördern. Er stimmte mit dem Kieler Historiker Karl Dietrich Erdmann, dem späteren Vorsitzenden des Verbandes der Historiker Deutschlands, darin überein, dass Forschungsvorhaben zur Darstellung der europäischen Geschichte die Beschränkungen der bilateralen Schulbuchgespräche auf die Behandlung der Nationalgeschichte und der Beziehungsgeschichte überwinden und eine transnationale Perspektive für den Geschichtsunterricht eröffnen könnten. Der Europarat verfolgte seit den 1950er Jahren eine über die Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende Perspektive der europäischen Zusammenarbeit. Diese traf sich mit den Bemühungen des Internationalen Schulbuchinstitutes, jugoslawische und tschechoslowakische Forscherinnen und Forscher in die Untersuchungen einzubeziehen. Die Diskussionen auf den Konferenzen des Europarates verdeutlichten, dass Forschungen zum Selbstverständnis zentraler Konzepte und Linien der euro114

Zwei Wegbereiter eines europäischen Geschichtsunterrichtes: Georg Eckert (links) und André Puttemans (1954)

päischen Entwicklung als Voraussetzung gemeinsam zu definierender Inhalte von Lehrplänen und Lehrbüchern am Beginn der Arbeit stehen sollten. Auf der dritten Konferenz zur Revision der Geschichtsbücher im Jahr 1955 in Rom beschlossen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Erarbeitung eines Lexikons historischer Grundbegriffe der europäischen Geschichte, dessen Koordination und redaktionelle Betreuung das Internationale Schulbuchinstitut übernahm. Das Institut leistete mit der Redaktion des Lexikons „Grundbegriffe der Geschichte: 50 Beiträge zum europäischen Geschichtsbild“, das von 25 Historikerinnen und Historikern und Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftlern aus Belgien, der BRD, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Österreich, Schweden und der Schweiz gemeinsam erarbeitet wurde, einen wichtigen Beitrag zur Verständigung über das Selbstverständnis Europas sowie zentrale Konzepte und Entwicklungslinien, die in Schulbüchern dargestellt werden sollten. Die ausgewählten Konzepte überwanden die Beschränkung auf Westeuropa und erarbeiteten Ensembles von Begriffen, die den Weg der wirtschaftlichen Entwicklung und der Demokratisierung der Gesellschaft nachzeichneten, den gesellschaftlichen Wandel im Spannungsfeld von Reform und Revolution skizzierten und sich mit dem Begriff des Kolonialismus auseinandersetzten. Die an den Forschungen beteiligten Historikerinnen und Historiker grenzten sich von Beginn an von einem essentialistischen Europabegriff ab. Sie

standen allerdings in einem Spannungsfeld zu den Wünschen der europäischen Politik, den europäischen Integrationsprozess zum Leitmotiv künftigen Geschichtsunterrichtes zu machen. Die Forscherinnen und Forscher folgten in den 1950er und 1960er Jahren einem normativen Zugang. Sie gründeten ihre Forschungen auf ein Verständnis, das die Zugehörigkeit zu Europa in Geschichte und Gegenwart an die Prozesse der Demokratisierung und Säkularisierung band. Die Untersuchungen hoben die historische Zugehörigkeit einer Reihe von mitteleuropäischen Gesellschaften zu Europa hervor, schlossen aber Osteuropa in der Zeit des Kalten Krieges aus der europäischen Geschichte aus. Die Studien zum Geschichtsunterricht in den Lehrbüchern Westeuropas und der Türkei, die Geographinnen und Geographen sowie Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ab den 1960er Jahren am ISBI durchführten, lieferten darüber hinaus vielfältige Anregungen für die weiterführenden Untersuchungen des europäischen Einigungsprozesses und seiner Auswirkungen auf die Verräumlichung von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Prozessen. Die aus diesen Studien abgeleiteten Empfehlungen forderten dazu auf, die Geschichte und Geographie Europas in den Schulbüchern ausdrücklich nicht als Fortschreibung der traditionellen Nationalgeschichten und Nationalgeographien auf einer anderen räumlichen Ebene darzustellen, sondern in einer eigenständigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungsperspektive. Die historische Langzeitbetrachtung sollte verhindern, dass der von den 115

nationalen Antagonismen geprägte Blick unkritisch auf andere Perioden der Geschichte übertragen und damit ein essentialistisches Europakonzept entwickelt wurde. Der europäische Einigungsprozess sollte in der Konfrontation von alternativen Entwicklungskonzepten dargestellt und deshalb transnationalen Zusammenschlüssen in Gestalt der Hanse oder des Herzogtums Burgund größere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

mittelnde Wissen über die gemeinsame Geschichte ermöglicht werden. Der Gefahr des Missverständnisses, das Europa-Projekt als politisches Instrument der Europäer, genauer gesagt der Westeuropäer, zur Abgrenzung gegenüber der übrigen Welt zu missbrauchen, könne dadurch vorgebeugt werden, dass die Schulbuchgespräche mit den Staaten der „Dritten Welt“ weitergeführt und mit dem Europa-Projekt verbunden werden.

Die Gründung des Georg-Eckert-Institutes im Jahr 1975 fiel in eine Zeit verstärkter Nachfrage nach Forschungen zu Europa, die vor allem von denjenigen europäischen Staaten ausgingen, die die Diktaturen erfolgreich überwanden und eine demokratische Entwicklung einschlugen, wie zum Beispiel Griechenland und Spanien, und die die europäische Bildungspolitik förderte.

Die Konferenz „Geschichte Europas für den Unterricht der Europäer“ führte 1979 Historikerinnen und Historiker sowie Geschichtslehrerinnen und -lehrer aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Polen zusammen. Es gelang dem Institut damit, die bis dahin vorherrschende Trennung zwischen einer westund einer mittel- und osteuropäischen Forschungsperspektive zu überwinden. Der polnische Historiker Franciszek Ryszka thematisierte mit seinem Beitrag zum „Jus Publicum Europaeum“ nicht zufällig die Konstituierung eines gemeinsamen öffentlichen europäischen Rechtsverständnisses als zentralen Baustein gemeinsamer europäischer Geschichte.

Karl-Ernst Jeismann betrachtete vor diesem Hintergrund im Jahr 1978 die Durchführung eines multilateralen Forschungsvorhabens zum Thema „Europa in den Schulbüchern der europäischen Völker“ als eine der zentralen Aufgaben des Institutes, die die Arbeit in den 1980er Jahren bestimmen sollte.12 Er plädierte dafür, die Forschungen zu Europa zu nutzen, um einen gemeinsamen, mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen zu definierenden Untersuchungsgegenstand zu entwickeln und damit auf die Herausforderungen reagieren zu können, die mit den wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Veränderungen im Jahrzehnt des KSZE-Prozesses verbunden waren. Es sollte ein neues Nachdenken über das eigene Selbstverständnis und das zu ver116

Neben den Forschungen zu Darstellungen der europäischen Geschichte forderten der Europarat ebenso wie die Kultusministerien der das Georg-EckertInsti­tut tragenden Bundesländer seit dem Ende der 1970er Jahre eine stärkere Betrachtung der Darstellungen des europäischen Einigungsprozesses in den Schulbüchern für Sozialkunde/Politik. Ein besonderer Fokus lag vor diesem Hintergrund darauf, der Gefahr einer Zuschreibung der europäischen Ge-

schichte auf die europäische Integration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu begegnen. Seit den 1970er Jahren plädierten Historikerinnen und Historiker, Geographinnen und Geographen sowie Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler für eine multiperspektivische Sicht auf den europäischen Einigungsprozess. Sie wehrten sich gegen die Vorstellung der Politik, eine klar definierte Form der europäischen Kooperation unmittelbar durch den Unterricht legitimieren zu wollen. Gleichzeitig setzten sie sich kritisch mit dem Auftrag auseinander, ein Europabewusstsein als legitimierende Grundlage der Europäischen Gemeinschaft zu entwickeln. Schülerinnen und Schülern sollte Raum gegeben werden für eine ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem Thema. Die 1979 im Auftrag des Europarates vom GEI durchgeführte Konferenz „Co-operation in Europe since 1945“ untersuchte in diesem Zusammenhang die Darstellung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kooperation der Staaten Westeuropas seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und definierte diese als ein zentrales Thema, um die Identifikation mit dem europäischen Integrationsprozess zu fördern. Dabei sollte die europäische Zusammenarbeit als ein eigenständiges, fächerübergreifendes Thema im gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht behandelt werden. Die erfolgreiche Gestaltung des europäischen Integrationsprozesses in den 1980er Jahren wurde von einer Konjunktur der Forschungen zur europäi-

schen Dimension in den Schulbüchern europäischer Länder begleitet. Die bildungspolitischen Institutionen der Europäischen Gemeinschaft riefen dazu auf, die verbindenden Aspekte europäischer Geschichte zur Grundlage der Erarbeitung von Schulbüchern des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtes zu machen. Die Beschlüsse des Europäischen Rates zur Aufwertung der europäischen Dimension im Bildungswesen vom Juni 1985 schufen gemeinsam mit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz die Voraussetzung für die Konzipierung von neuen Forschungsvorhaben. Das Georg-Eckert-Institut entwickelte dazu ein von der Fondazione Giovanni Agnelli finanziertes Projekt, das zwischen 1990 und 1994 die Europarepräsentationen in französischen, deutschen, spanischen, italienischen und britischen Schulbüchern analysierte. Die Studien verbanden zum ersten Mal die Inhaltsanalysen systematisch mit einer vergleichenden Analyse der Schulbuchsysteme und der Entwicklung der Lehrpläne in diesen europäischen Ländern. Falk Pingel plädierte in der Veranschaulichung der neuen Perspektiven der Europadarstellungen in Schulbüchern dafür, eigenständige Kapitel zur Geschichte der europäischen Einigungsbewegung zu erarbeiten. Im Angesicht der alltäglich erfahrenen Zunahme europäischer Lebensbezüge könnte die „Unterschätzung europäischer Zusammenhänge in der bisherigen politisch-historischen Bildung Abwehrhaltungen oder Ignoranz gegenüber europäischer Verantwortlichkeit nach innen und außen vertiefen oder verfestigen“.13 Das Plädoyer für die Herausbildung eines Bewusstseins dafür, dass die Grenzen Europas in der Ge117

schichte veränderbar waren und sich die ­Gestalt Europas auch in Zukunft verändern wird, trug ebenso wie die Frage nach der ­Durchlässigkeit ­dieser Grenzen, den veränderten politischen Rahmen­bedingungen und Bedürfnissen Rechnung, die sich seit 1989 aus den mittel- und osteuropäischen Revolutions- und Transformationsprozessen ableiteten.

„Bis zum Ende dieses Jahrhunderts wird sich die europäische Union ausweiten und es wird die Integration nach innen wirtschaftlich wie politisch voranschreiten. Das wird auch die Bildungssysteme der Mitgliedsstaaten beeinflussen. Schon heute werden Berufs- und Bildungsabschlüsse innerhalb der Union weitgehend gegenseitig anerkannt, auch wenn dem noch viele praktische Hindernisse entgegenstehen. Wenn aber die Bildungsabschlüsse überall in der Union gültig sein sollen, so werden sich auf lange Sicht auch Bildungsinhalte angleichen. Zumindest aber wird Europa selbst und der Prozeß der europäischen Integration Thema des Geschichts-, Geographie- und Sozialkundeunterrichts in den Schulen werden müssen.“ Quelle: Falk Pingel, Europa im Schulbuch – Einleitung. In: Ders., Learning and teaching about the history of Europe in the 20th century im Rahmen des Projektes des Council of Europe: The Ways in which the history of Europe in the 20th century is presented in textbooks for secondary schools, Strasbourg 1999.

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Während die Ende der 1980er Jahre begonnene Agnelli-Studie noch auf Westeuropa beschränkt blieb, konnten die seit der Mitte der 1990er Jahre im Rahmen des Europarates und der Fondazione Giovanni Agnelli durchgeführten Untersuchungen als vergleichende Studien mit Kolleginnen und Kollegen aus Mittel- und Osteuropa umgesetzt werden. Das Forschungsdesign dieser Studien verband die Blicke west- und osteuropäischer Schulbuchautorinnen und -autoren auf Europa miteinander und fokussierte unterschiedliche Entwicklungsstränge in der europäischen Geschichte. Parallel dazu untersuchten die am Institut tätigen Geographinnen und Geographen sowie Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Rahmen der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission, wie die neuen Möglichkeiten, die die europäische Kooperation für die Gestaltung von Wirtschafts- und Lebensräumen bot, in den Schulbüchern dargestellt wurden. Sie fragten danach, welchen Beitrag die Zusammenarbeit in einem gewachsenen Europa zur Lösung der mit zunehmender Mobilität, verstärktem Massenverkehr oder steigender Umweltbelastung und -zerstörung verbundenen Probleme leisten

konnte, da diese allein im nationalstaatlichen Kontext nicht mehr zu lösen waren. Gleichzeitig bezog der Europarat seit der Mitte der 1990er Jahre in stärkerem Maße Organisationen der Zivilgesellschaft, wie die European Standing Conference of History Teachers Associations, in die Konzeption und Durchführung der Forschungen zur Darstellung der Geschichte Europas in europäischen Schulbüchern ein. Das Georg-Eckert-­Institut erhielt dadurch die Möglichkeit, gemeinsam mit ­EUROCLIO – European Association of History Educators und der European Educational Publishers Group, die Konzeption des Forschungsvorhabens „Learning and teaching about the history of Europe in the 20th century“ wesentlich mitzugestalten. Das zwischen 1997 und 2001 umgesetzte Projekt trug der Erweiterung des Kreises der Mitgliedsstaaten des Europarates Rechnung, indem eine repräsentative Auswahl von Länderstudien erstellt wurde, die die Vielfalt der Schulbuchsysteme und Unterrichtskulturen abbildete. Das GEI führte gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Russland, Großbritannien, Spanien, Italien, Tschechien, Ungarn, Polen, Litauen, Norwegen und Finnland die Schulbuchstudien durch, deren Ergebnisse im Jahr 2000 als „The European Home: Representations of 20th Century Europe in History Textbooks“ veröffentlicht wurden. Mit der Veröffentlichung „Crossroads of European histories – Multiple outlooks on five key moments of the history of Europe“, an der sich das GEI mit einer 119

Studie zum Revolutionsjahr 1848 beteiligte, und der Publikation des digitalen europäischen Geschichtsbuches „Shared Histories for a Europe without dividing lines“ im Jahr 2014 öffnete die History Teaching Unit des Europarates den Blick über die Krisenjahre der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts hinaus auf Schlüsseljahre und Bewegungen, die für politische, kulturelle und wirtschaftliche Aufbrüche standen. Analysen zu Repräsentationen und Identifikationsprozessen in und mit Europa wurden mit der Aufnahme des GEI in die Leibniz-Gemeinschaft ab 2011 Teil seines ersten mittelfristigen Forschungs- und

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Arbeitsprogrammes zu „Europa in der Welt. Die Welt in Europa. Repräsentationen, Praktiken und Transfers im Kontext von Schule und Unterricht“. Die jüngeren Forschungsvorhaben des GEI untersuchten Abgrenzungen und Überschneidungen zwischen nationaler und europäischer Geschichte am Beispiel Frankreichs und Deutschlands und in einer vergleichenden Perspektive auf die osteuropäischen Staaten Russland, Ukraine, Belarus, Aserbaidschan, Georgien und die Republik Moldova. Sie arbeiteten die unterschiedlichen Kontexte und Zusammenhänge heraus, in denen stärker mit der Nation oder mit Europa argumentiert worden ist und untersuchten die Relationen zwischen beiden Konzepten.

8 Menschenrechtsbildung

Das Internationale Schulbuchinstitut beschäftigte sich seit seiner Gründung im Rahmen der bi- und multilateralen Schulbuchanalysen mit Fragen der Darstellung der Menschenrechte. Erste Anstöße dafür gaben die Schulbuchgespräche, die in den 1950er und 1960er Jahren mit Großbritannien, den USA und Frankreich geführt wurden. In diesen Gesprächen wurde auch die Darstellung der Grundrechte in Gestalt der „Bill of Rights“, der „Declaration of Independence“ und der „Déclaration des Droits de l’Homme“ thematisiert. Die wichtigsten Anregungen für die Forschungen des Institutes zur Menschenrechtsbildung gingen jedoch von der UNESCO aus. Das GEI organisierte in den 1970er und 1980er Jahren mehrere internationale Tagungen, die die Umsetzung der 1974 von der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedeten „Erklärung über die Erziehung zu internationaler Verständigung und Zusammenarbeit und zum Frieden in der Welt sowie die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ in der schulischen Bildung untersuchten. Die in den 1980er Jahren durchgeführten Veranstaltungen und Vorhaben fanden Eingang in die 1991 veröffentlichten „UNESCO Guidelines for Curriculum and ­Textbook Development in International Education“. Die Guide­ lines forderten dazu auf, Schülerinnen und Schüler mit den Rechten und Pflichten von Bürgerinnen und Bürgern auf der globalen, nationalen und lokalen Ebene vertraut zu machen und sie dazu zu befähigen, sich aktiv mit Gefährdungen und Verletzungen von Menschenrechten auseinanderzusetzen.

Das Thema Menschenrechtsbildung ­gewann in der Umbruchzeit und des beginnen­ den Transformationsprozesses der mittelund osteuropäischen Staaten seit 1989/90 eine zusätzliche Bedeu­ tung für die Arbeiten am Georg-EckertInstitut. Neben der Dis­kussion über die Entwicklung der Menschenrechtsbildung amerikanischer und westeuropäischer Tradition in den mittel- und osteuropäischen Staaten nach 1989 stellte die zunehmende kulturelle Diversität in einer globalisierten Gesellschaft die traditionelle Menschenrechtsbildung vor neue Herausforderungen. Das GEI reagierte gleichermaßen auf gesellschaftliche Entwicklungen und die Veränderungen in den Fachkulturen der Unterrichtsfächer Geschichte und Sozialkunde/Politik, die in zunehmendem Maße nationale Grenzen überschreitende Fragestellungen in die Curricula und Schulbücher aufnehmen wollten und gegenüber dem GEI einen wachsenden Forschungsbedarf anmeldeten. Die Menschenrechtsbildung stellte ein Untersuchungsfeld dar, das von den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Ausschusses des Georg-Eckert-­ 121

Institutes übereinstimmend gefordert und gefördert wurde. Neben dem Berliner Erziehungswissenschaftler und Vize-Präsidenten der Deutschen UNESCO-Kommission Klaus Hüfner und dem Bielefelder Historiker Jörn Rüsen engagierte sich vor allem Peter Weinbrenner, Politikdidaktiker an der Universität Bielefeld, auf dem Gebiet der Menschenrechtsbildung. Er erarbeitete gemeinsam mit dem GEI ein Forschungsdesign und Kategoriensystem, das als Leitfaden für gesellschafts- und kulturvergleichende Analysen zum Thema Menschenrechte im Schulbuch diente. Dieses Design trug den Veränderungen Rechnung, denen das Konzept der Menschenrechtsbildung in seiner historischen Entwicklung unterworfen war, indem es danach fragte, ob die Geschichte der Menschenrechte in den Lehrbüchern nur als Abfolge von Deklarationen präsentiert oder die dahinterliegenden Konflikte und Fortschritte aufgezeigt werden sollten. Es forderte dazu auf, genauer zu untersuchen, ob die Lehrbücher die Entwicklung verschiedener Generationen von Menschenrechten als einen ergebnisoffenen Prozess darstellten. Einen wichtigen Untersuchungsaspekt bildete zudem die Gewichtung der Definition und Anerkennung der eigenen Rechte im Verhältnis zu den Rechten anderer kultureller Gemeinschaften. Schulbuchanalysen sollten schließlich deutlich herausarbeiten, ob die untersuchten Lehrwerke Handlungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger bei der Definition und Durchsetzung der Menschenrechte thematisierten. Die kritische Auseinandersetzung mit der Frage der universellen Gültigkeit der westlich-kulturell geprägten Defini122

tion der Menschenrechte und die Diskussion ihrer Weiterentwicklung in einer kulturvergleichenden Perspektive mussten demzufolge künftig im Zentrum der Forschungen zur Menschenrechtsbildung stehen. Das GEI organisierte auf der Grundlage dieses Forschungsdesigns im Dezember 1992 und im Februar 1993 zwei Konferenzen zur Darstellung der Menschenrechte in europäischen Lehrbüchern des Geschichts- und des Sozialkunde-/Politikunterrichtes sowie über Menschenrechte in Schulbüchern weltweit, deren Ergebnisse in die Diskussionen des Weltaktionsplanes für Erziehung über Menschenrechte und Demokratie in Montreal und der Weltkonferenz der Vereinten Nationen über Menschenrechte in Wien einflossen. Die Konferenz von 1992 zur Darstellung der Menschenrechte in europäischen Lehrbüchern führte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Dänemark, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Russland, Schweden und Ungarn am GEI zusammen. Die vergleichende Perspektive der aus diesem Treffen resultierenden Studie wurde dann 1993 über Europa hinaus auf Australien, Israel, Kanada, und die Türkei erweitert. Dabei wurde das von Peter Weinbrenner erarbeitete Modell eines didaktischen Würfels für die Behandlung des Themas Menschenrechte in Curricula und Lehrbüchern, das die RaumZeit-Entwicklung mit der theoretisch-systematischen Dimension der Menschenrechte und den unterschiedlichen Dimensionen des Lernens verband, zur Diskussion gestellt.

Quelle: Peter Weinbrenner, Menschenrechte lehren – Empfehlungen für die Entwicklung von Lehrbüchern zur Menschenrechtserziehung. In: Ders., Karl-Peter Fritzsche, Menschenrechtserziehung. Ein Leitfaden zur Darstellung des Themas „Menschenrechte“ in Schulbüchern und im Unterricht, Bonn/Braunschweig 1998, S. 24.

Die Befunde der Länderstudien machten deutlich, dass die normative Ebene bei der Darstellung der Menschenrechte in den meisten Lehrwerken überrepräsentiert war. Die empirische Ebene der Menschenrechtsverletzungen und die Ebene der Durchsetzung von Menschenrechten sowie die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger fanden dagegen kaum Berücksichtigung. Die Menschenrechtsbildung durfte sich jedoch nicht auf normative und faktische Darstellungen beschränken, sondern musste ein multiperspektivisches Wissen über die Entwicklung der Menschenrechte vermitteln. Der Unterricht sollte die Fähigkeit zur Gegenwartsanalyse mit der Prognostik verbinden und die Schülerinnen und Schüler dazu befähigen, im Unterricht erworbenes Wissen und kognitive und emotionale Fähigkeiten über die Menschenrechte im Alltags-

handeln anzuwenden. Grundlage der Human Rights Education war eine skill- und handlungsorientierte Perspektive, in der „die Lernenden ein Verständnis für ihre Rechte und ihre Verantwortung als Bürger lokaler, nationaler und globaler Gemeinschaften sowie für die Notwendigkeit, Diskriminierungen und Bedrohungen aller Art zu beseitigen“ entwickeln konnten.14 Die historische Dimension, vermittelt über das Mehrgenerationenmodell der Menschenrechte, sollte Schülerinnen und Schüler dazu anregen, die Weiterentwicklung der Menschenrechte zu denken. Die vom GEI koordinierten kulturvergleichenden Forschungen auf europäischer Ebene führten über diese Befunde hinaus zu konkreten Empfehlungen für die Entwicklung von Curricula und die Gestaltung der Schulbücher, die die Deutsche UNESCO-Kommission und das Georg-Eckert-Institut 1993 unter dem Titel „Teaching Human Rights. Suggestions for Teaching Guidelines“ veröffentlichten. 123

9 Umwelt

Die Geographinnen und Geographen aus Frankreich, Polen, der Sowjetunion und China, die an den vom Institut organisierten bi- und multilateralen Schulbuchgesprächen im Fach Geographie teilnahmen, hoben seit den 1970er Jahren immer wieder die Notwendigkeit hervor, die Gefährdung und Erhaltung der natürlichen Lebensbedingungen zu einem Gegenstand der Schulbuchforschung zu machen. Sie reagierten damit auf die gewachsene Kritik, die in Wissenschaft und Öffentlichkeit an ein Industrialisierungsmodell gerichtet wurde, das die Risiken technologischer Entwicklungen, etwa der Kernenergie, nicht thematisiert und die Folgen des Industrialisierungsprozesses für die Umwelt ignoriert habe. Ernst Hinrichs bilanzierte 1989 am Ende seiner ersten Amtsperiode als Direktor, dass es gerade Kolleginnen und Kollegen aus den sozialistischen Ländern Polen, Ungarn und der Sowjetunion waren, die ein besonders großes Interesse an Informationen über die Forschung auf den Gebieten der Umweltbildung und -erziehung gezeigt hätten. Das Thema bot in seinen Augen gleichzeitig Raum für eine Erweiterung der Perspektive des Institutes auf die Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Fachleuten der Umweltforschung. Diese Überlegungen wurden seit dem Ende der 1980er Jahre von den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Ausschusses und des Kuratoriums des Georg-Eckert-Institutes nachdrücklich unterstützt. Sie identifizierten das Themenfeld Umwelt als Gegenstand der schulischen Bildung, das über das Fach Geographie hinaus stärkere Beachtung in den Schulbüchern des gesellschaftswissenschaftlichen 124

Unterrichtes finden sollte. Sie sahen es als besonders geeignet an, Wahrnehmungen und Deutungsmuster zu entschlüsseln und die Herausbildung von Wertvorstellungen im Vergleich der Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde zu untersuchen. Dabei ließen sich kontroverse Positionen des Selbstverständnisses der modernen Gesellschaft und Entwicklungsperspektiven für die Lösung der aufgezeigten Umweltprobleme herausarbeiten. Das Institut entwickelte daher ein Forschungsvorhaben, in dem die Darstellung der Umwelt in den Lehrplänen und Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland im Fokus stand. Dieses Projekt analysierte 1993 die Lehrplanvorgaben der Bundesländer in Bezug auf Klimawandel, Luftverschmutzung, Gewässerverschmutzung, die Verschlechterung der Bodenqualität und den damit verbundenen Rückgang der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen sowie die Maßnahmen, die gegen die Schädigung der natürlichen Umwelt ergriffen werden sollten. Als Ergebnis zeigte sich, dass die Umwelt in den Lehrbüchern als eine vom Menschen zu beherrschende externe Größe präsentiert wurde und die deutschen Lehrpläne und Schulbücher ökologische Probleme vor allem in geographisch entfernten Gegenden Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas verorteten und behandelten. Sie müssten stattdessen am Beispiel der europäischen Industriegesellschaften ausgeführt werden. Schließlich plädierte die Studie für eine Perspektive, die Umweltprobleme nicht vorrangig aus dem Blickwinkel der eigenen Betroffenheit und der damit häufig verbundenen Schuldzuweisung an den An-

deren zu thematisieren, sondern Probleme und Entwicklungsperspektiven in einem internationalen Zusammenhang zu behandeln. Die in den Folgejahren am Georg-Eckert-Institut durchgeführten Arbeiten auf dem Gebiet des Geographieunterrichtes gingen unter anderem von den deutsch-chinesischen Schulbuchgesprächen aus. Ein Ergebnis war die vom Geographiedidaktiker Wang Min von der Beijing Normal University verfasste Analyse zur Behandlung des Themas Environmental Awareness in den Lehrplänen und Schulbüchern der chinesischen Grund- und Mittelschulen, die 2007 in

Wang Min, Lehrerhandbuch zum Umweltschutz, Beijing 2009

der Zeitschrift „Internationale Schulbuchforschung“ erschien. Für die Erarbeitung einer interdisziplinären Perspektive entwickelte der Hamburger Geschichtsdidaktiker Bodo von Borries, der dem Wissenschaftlichen Ausschuss des Georg-Eckert-Institutes angehörte, ein paralleles Forschungsvorhaben für den Geschichtsunterricht. Borries plädierte als Ergebnis für einen Unterricht, der gerade mit Blick auf das Zusammenleben von Mensch und Natur die gegenseitigen Abhängigkeiten hervorhob, für eine kritische Sicht auf die „Kehrseite“ von wissenschaftlicher Neugier und industriellem Wachstum der westlichen Moderne sowie für den Vergleich mit alternativen Wertvorstellungen und Lebensformen.15 Das Institut griff diese Anregungen in den folgenden Jahren auf und untersuchte 2005 die Darstellung von Naturkatastrophen in deutschen Geschichts-, Sozialkundeund Geographieschulbüchern. Die Forscherinnen und Forscher kritisierten dabei, dass die Fragen der Umweltzerstörung nach wie vor aus einer eurozentristischen Perspektive behandelt würden. Vor allem die Darstellung der Diskussionen und Lösungsvorschläge für den Umgang mit Natur­katastrophen und die Folgen von Klimaveränderungen und Umweltzerstörungen durch die Bevölkerung in den betroffenen Regionen selbst sei bisher zu selten in den Blick der Schulbuchautorinnen und -autoren geraten. Gleichzeitig forderte die Studie, in den Geographie- und Sozialkundelehrbüchern anwendungsorientiertes Wissen zu präsentieren, das auf Prävention setzt und zu einem angemessenen Verhalten bei Naturkatastrophen befähigt. 125

Die im Rahmen der deutsch-chinesischen Schulbuchgespräche angebahnte Kooperation zwischen den Geographinnen und Geographen der Beijing Normal University, der Universität Würzburg und des Georg-Eckert-Institutes fand seit 2005 in einem im Rahmen der UN-Dekade für Nachhaltige Entwicklung initiierten „International Dialogue on ­Educational Approaches to Sustainability“ eine Fortsetzung. Kolleginnen und Kollegen aus den USA, China und Palästina erforschten gemeinsam mit dem Georg-Eckert-Institut fachwissenschaftliche und fachdidaktische Zugänge zum Thema Nachhaltige Entwicklung, die gemeinsam mit der Alfred ­Toepfer Akademie für Naturschutz auf Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer vorgestellt wurden.

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Gleichzeitig blieben Untersuchungen zum Verhältnis von Ökonomie und Ökologie ein wichtiges Thema der bilateralen Schulbuchgespräche mit Polen, Tschechien und Israel. Dabei wurden die Forschungen über die Darstellung von Umweltproblemen und Perspektiven nachhaltiger Entwicklung in den Geographieschulbüchern in zunehmendem Maße mit Fragen der Friedens- und Konfliktforschung verbunden. In der Gegenwart spielt beispielsweise der Zusammenhang von Umweltproblemen, politischen und sozialen Konflikten und Bildungsmedien in der Arbeit des GEI eine große Rolle.

10 Kulturelle Vielfalt und Diversität

Die Frage, wie kulturelle Vielfalt in den Schulbüchern des Geschichts-, Geographie- und Sozialkunde-/Politikunterrichtes dargestellt werden sollte, gewann seit den 1980er Jahren eine zunehmende Bedeutung in den Forschungen des Georg-Eckert-­ Institutes. Die Schulbuchgespräche mit Ländern der arabischen Welt hatten die Defizite für das Verständnis der eigenen und der fremden kulturellen Identifikation deutlich hervortreten und einen erheblichen Forschungsbedarf auf dem Feld kultureller Selbstund Fremdbilder erkennen lassen. Die Schulbuchgespräche mit Israel schärften dagegen den Blick für die Tradition des Zusammenlebens unterschiedlicher religiöser und kultureller Gemeinschaften, die die Entwicklung in Europa geprägt hatten. Diese Tradition sollte in ihren Konflikten und Erfolgen neben dem Zivilisationsbruch in Gestalt des Holocaust in den Schulbüchern sowohl für die Geschichte vor 1933 als auch nach 1945 deutlich gemacht werden.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in ihren Herkunftsländern auf eine lange Tradition des Zusammenlebens unterschiedlicher religiöser und kultureller Gesellschaften zurückblicken konnten und deren Heimatstaaten sich im Unterschied zu Deutschland als Einwanderungsländer definierten und dafür kulturelle und juristische Standards erarbeitet hatten. So hoben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bilateralen Schulbuchgespräche mit Kanada im Jahr 1997 hervor, dass „ein besonders charakteristisches Merkmal von Kanada […] sein Bemühen um eine multikulturelle Gesellschaft bei gleichzeitiger Betonung der kulturellen Bedeutung der beiden Gründernationen (Frankreich und England)“ sei. Die zu „Kanadas Gründungszeit schon anwesende dritte Gruppe, die Urbevölkerung, werde dagegen oft vernachlässigt“. Gleichzeitig betonten sie, dass Kanada sich die Errichtung eines modernen multikulturellen Staatsgefüges zum Ziel gesetzt

Parallel dazu regten Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Politikerinnen und Politiker vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Deutschland seit den 1960er Jahren in immer stärkerem Maß zu einem Ort von Migration und kultureller Vielfalt geworden war, eine intensivere Beschäftigung mit deren Darstellung in deutschen Schulbüchern an. Diese Forschungen sollten die Voraussetzungen für die Erarbeitung von Lehrmaterialien schaffen, die die Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Kulturen zum gemeinsamen Lernen für eine miteinander gestaltete Gesellschaft befähigten. Forscherinnen und Forscher des GEI diskutierten ihre Überlegungen mit niederländischen und kanadischen 127

habe, „was im klaren Gegensatz zum Schmelztiegel-Konzept z. B. der USA steht“.16

tenz als wichtige Eigenschaften für die Gestaltung multikultureller Gesellschaften würdigte.

Der Direktor des Institutes, Ernst Hinrichs, definierte in seiner Amtszeit die Auseinandersetzung mit der Frage, wie Menschen in unterschiedlichen Weltregionen mit unterschiedlichen kulturellen Wertesystemen und materiellen Lebensbedingungen in „einer Welt“ zusammenarbeiten können, als eine zentrale Aufgabe der Institutsarbeit. Für die Erreichung dieses Zieles war eine neue Forschungsperspektive notwendig, die die traditionelle nationalstaatliche und länderkundliche Perspektive des Geschichts- und Geographieunterrichtes überwand und zentrale Themenfelder und Probleme der internationalen Friedensordnung und der Gestaltung einer kulturell vielfältigen und ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft zum Gegenstand der Forschungen und des Unterrichtes machen musste. Mit Blick auf die Darstellung kultureller Vielfalt untersuchte das Institut 1987 gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern der Universitäten Bamberg, Berlin, Essen, Gießen und Mainz Schulbücher und Unterrichtskonzepte für den muttersprachlichen Unterricht türkischsprachiger Kinder in der Bundesrepublik Deutschland. Das GEI hob dabei die Notwendigkeit der Erarbeitung von Schulbüchern hervor, die die Schülerinnen und Schüler dazu anregten, sprachliche und kulturelle Kenntnisse aus zwei Kulturen für ihr Leben fruchtbar zu machen. Die Schulbücher sollten die Perspektive der Integration „fremder“ Kulturen in eine vorgegebene nationale Gesellschaft durch eine transnationale Perspektive ersetzen, die Multilingualität und kulturelle Kompe-

Die Periode des Vereinigungs- und gesellschaftlichen Transformationsprozesses der Bundesrepublik Deutschland, die unmittelbar auf die gesellschaftlichen Umwälzungen von 1989 folgte, führte zu einer noch stärkeren Fokussierung der Forschungen des Institutes auf kulturelle Vielfalt. Die Erfahrungen zunehmender Fremdenfeindlichkeit, die in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre deutlich sichtbar wurden, forderten dringend dazu auf, deren Ursachen und die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben sowie die gemeinsame Gestaltung der Gesellschaft in Deutschland zu erforschen. Sie stärkten die Aufmerksamkeit dafür, dass die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland aus unterschiedlichen religiösen und kulturellen Gemeinschaften bestand und wiesen auf die Notwendigkeit hin, gerade in einer Periode sozialer und kultureller Unsicherheit in den neuen Bundesländern Forschungen dazu durchzuführen, wie diese unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus gemeinsam miteinander kommunizieren, lernen und eine Gesellschaft gestalten konnten. Schülerinnen und Schüler mussten dazu unterschiedliche kulturelle Erfahrungen, historische Traditionen und Lebensweisen kennen-, verstehen und respektieren lernen. Schulbücher dürfen die xenophoben und rassistischen Äußerungen nicht nur beschreiben, sondern müssen es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, die Herausbildung eigener und fremder Vorurteile zu verstehen und auf dieser Grundlage aktiv gegen Fremdenfeindlichkeit agieren zu können. Zwei Studien arbeiteten den

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Konstruktionscharakter des „Fremden“ heraus und fragten danach, welche Personen und Kulturen als „fremd“ wahrgenommen wurden. Die im Rahmen der ersten Studie „Schulbücher gegen Fremdenfeindlichkeit“ durchgeführten Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern wurden in den folgenden Jahren durch ein zweites Forschungsprojekt ergänzt, das Schülerinnen und Schüler befragte und eine weitere Lehrkräftebefragung durchführte. Die Ergebnisse wurden 1997 unter dem Titel „Der Umgang mit ‚Fremden‘. Eine deutsch-deutsche Schülerbefragung zum Thema Schulbuch und Fremdenfeindlichkeit“ veröffentlicht. Diese Studie hob den Zusammenhang zwischen formulierten Vorurteilen oder sogar Hass gegenüber den als „fremd“ wahrgenommenen Gruppen und den sozialen und ökonomischen Bedingungen, unter denen diese Vorurteile herausgebildet wurden, hervor. Demnach verstärkten sich Vorurteile, wenn diese Gruppen einen höheren gesellschaftlichen Status oder eine bessere ökonomische Lebenssituation besäßen. Zugeschriebene essentialistische Eigenschaften von Unterlegenheit und Rückständigkeit würden Gefühle von Ohnmacht und Hass hervorrufen, zu deren Überwindung neue Konzepte gemeinsamen Lernens entwickelt werden müssten. Die Mitglieder derjenigen kulturellen Gemeinschaften, die Gegenstand von fremdenfeindlichen Angriffen geworden waren, sollten aus einer einseitigen Betrachtung als Opfer befreit und ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, ein eigenes kulturelles Selbstverständnis zu artikulieren. Dies wäre aber nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einem nachhaltigen Verständigungsprozess, da die Gegenüberstellung „sie“ und „wir“ beziehungsweise „wir“

und „nicht wir“ nur dadurch überwunden werden könnte, dass die für das Zusammenleben und gemeinsame Gestalten der Gesellschaft notwendigen Erfahrungen artikuliert würden. Die Forschungen, die das Institut seit den 1980er Jahren zu kultureller Vielfalt und der Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland durchführte, wurden von wissenschaftlichen Studien zu kultureller Vielfalt in lateinamerikanischen, arabischen und südasiatischen Gesellschaften begleitet. Wichtige konzeptionelle Überlegungen gingen dabei von Geographinnen und Geographen aus. Sie beschäftigten sich auf der Grundlage von Feldforschungen in muslimischen Gesellschaften kritisch mit einem Kulturbegriff, der explizit oder implizit westliches Überlegenheitsgefühl reproduzierte. Darüber hinaus kritisierten sie eine europäische Perspektive, die die Entwicklung in den außereuropäischen Regionen nur aus dem Blickwinkel der westlichen Modernisierung beschrieb. Geographinnen und Geographen führten gemeinsam mit Geographiedidaktikerinnen und ­-didaktikern zu Beginn der 1990er Jahre am GEI 129

ein Forschungsvorhaben über „Fremde Kulturen im Geographieunterricht“ mit dem Ziel durch, Wissen für Lehrbücher zu erarbeiten, das die Neugier auf die Begegnung mit fremden Kulturen wecken sollte. Das aus dem Projekt entstandene Lehrmaterial zu „Fremde Kulturen im Geographieunterricht“ für den Sozialkunde-/Politik- und Geographieunterricht in der Sekundarstufe I wurde an niedersächsischen Schulen getestet und als offizieller deutscher Beitrag zum internationalen, 2001 von den Vereinten Nationen organisierten Jahr des Dialoges zwischen den Kulturen ausgewählt. Die Arbeiten, die das Institut seit den 1980er Jahren zu kultureller Vielfalt durchgeführt hatte, zeigten, dass es sinnvoll und notwendig war, Schulbuchstudien in regelmäßigen Abständen zu wiederholen und die aktuellen Schulbücher an den Empfehlungen vorangegangener Studien zu messen. So führte das Institut im Jahr 2015 gemeinsam mit der Universität Hildesheim im Auftrag der Bundesregierung eine Studie zur Darstellung von Migration und Integration in deutschen Schulbüchern für den Geschichts-, Geographie- und Sozialkundeunterricht 130

durch. Im Ergebnis empfahlen die Autorinnen und Autoren, Migration noch stärker als charakteristisches Merkmal der für die globalisierte Welt notwendigen sozialen und kulturellen Mobilität dazustellen. Gleichzeitig machten sie deutlich, dass Fragen der Auswanderung, Einwanderung und (Re)Migration stärker in einer historischen Perspektive betrachtet und nicht auf tagesaktuelle Fragen von Flucht und Asyl reduziert werden dürften. Schülerinnen und Schüler müssten in die Lage versetzt werden, die Entstehung der gegenwärtigen Migrationsgesellschaft historisch einzuordnen. Die historische Perspektive gestatte es, die Motive und Erfahrungen von Auswanderung und Einwanderung der Menschen aus den deutschen Territorien von der Zeit des Deutschen Reiches über den Nationalsozialismus bis zur deutschen Geschichte nach 1945 in den Blick zu nehmen. Diesen Anregungen folgend untersuchte das Institut in jüngsten Projekten die Migrationsgesellschaft der Bundesrepublik in einer historischen Perspektive und analysierte dabei auf dem Gebiet des Bildungswesens unterschiedliche religiöse und kulturelle

Gemeinschaften in ihrem Selbstverständnis, ihren Schwierigkeiten und Erfolgen bei der gemeinsamen Gestaltung dieser Gesellschaft. Historische Forschungen wandten diese Fragestellungen auch auf Metropolen und Regionen an, die in ihrer historischen Entwicklung in besonderem Maße durch kulturelle und religiöse Vielfalt geprägt worden waren, wie Berlin,

Łodz oder die Region Oberschlesien. Am Beispiel des „Pruzzenlandes“ erforschten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes gemeinsam mit polnischen Historikerinnen und Historikern, wie plurikulturelle Geschichtsregionen im Schulbuch konstruiert werden, und entwickelten digitale Unterrichtsmaterialien.

1 Karl-Ernst Jeismann, Internationale Schulbuchforschung. Aufgaben, Arbeitsweisen und Probleme. In: Ders., Geschichte als Horizont der Gegenwart. Über den Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive, Paderborn: ­Schöningh, 1985, S. 1183.

  9 Vgl. Verena Radkau García, Zu den Schwierigkeiten lateinamerikanischer Gesellschaften im Umgang mit der Differenz. In: Dies., Javier Pérez Siller (Hg.), Identitäten – Mythen – Rituale. Beispiele zum Umgang mit der Nation aus Lateinamerika und Spanien, Hannover: Hahn, 1998 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung. Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts, Bd. 98), S. 7–19.

2 „Empfehlungen“: Arbeitsform, Medium und Ergebnis der international vergleichenden Schulbuchforschung. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik (2005), S. 196–209. 3 Wolfgang Jacobmeyer, Die Geschichte der DDR im Lehrbuch der Bundesrepublik. Bemerkungen zur Qualität von Schulbuchtexten. In: Isabelle de Keghel, Robert Maier (Hg.), Auf den Kehrichthaufen der Geschichte? Der Umgang mit der sozialistischen Vergangenheit, Hannover: Hahn, 1999, S. 60. 4 Vgl. Kommuniqué des Deutsch-Französischen Colloquiums vom 11. und 12. November 1961 in Paris. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 13 (1962), S. 113. 5 Thesen der deutsch-französischen Geschichtslehrertagung in Sèvres, 18.–25. Juli 1955. In: Internationales Jahrbuch für Geschichtsunterricht 5 (1956), S. 310. 6 Empfehlungen der deutsch-tschechoslowakischen Historikertagung in Braunschweig 28.–30. November 1967, Braunschweig 1968 (Schriftenreihe des Internationalen Schulbuchinstituts, Bd. 14), S. 7. 7 Karl-Ernst Jeismann, Deutschland in Europa. Erfahrungen und ­Wahrnehmungen. Thesen zum historischen Lernen im nationalgeschichtlichen Kontext. In: Ders., Udo Margedant, Wolfgang W. Mickel, Bernhard Sutor (Hg.), Deutschland und Europa im Unterricht und Schulbuch, Sankt Augustin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 1994, S. 11. 8 Vgl. Karl-Peter Fritzsche, Hannelore Ifert, Ingrid Krieger, Arnim ­Mennecke, Petra Moritz, Beate Schneider (Hg.), Schulbücher gegen Fremdenfeindlichkeit? Ein Forschungsbericht, Braunschweig: Georg-Eckert-Institut, 1993, S. 16.

10 Elfriede Hillers, Afrika in europäischer Sicht. Eine vergleichende Untersuchung zur Behandlung außereuropäischer Völker in ausgewählten europäischen Erdkundelehrbüchern, Braunschweig: Georg-Eckert-Institut, 1984 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung. Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts, Bd. 38), S. 191. 11 Ebd. 12 Vgl. Karl-Ernst Jeismann, Skizze eines Forschungs- und Arbeitsplans des Georg-Eckert-Instituts vom 18.2.1978. NLA. Staatsarchiv Wolfenbüttel 143 N, Zg. 2009/069, Nr. 255. 13 Falk Pingel, Befunde und Perspektiven – eine Zusammenfassung. In: Ders. (Hg.), Macht Europa Schule? Die Darstellung Europas in Schulbüchern der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt a. M.: Diesterweg, 1995, S. 289. 14 Vgl. Peter Weinbrenner, Menschenrechte lehren – Empfehlungen für die Entwicklung von Lehrbüchern zur Menschenrechtserziehung. In: Ders., Karl-Peter Fritzsche (Hg.), Menschenrechtserziehung: ein Leitfaden zur Darstellung des Themas „Menschenrechte“ in Schulbüchern und im Unterricht. Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission, 1998., S. 5. 15 Vgl. Bodo von Borries, Lernpotentiale der Umweltgeschichte. Kategoriale Einsichten, regionale Beispiele und praktische Erfahrungen. In: Internationale Schulbuchforschung 12 (1990), S. 9–33, hier S. 15. 16 Empfehlungen zur Behandlung Deutschlands/Kanadas in Geographie-Schulbüchen. In: Alfred Hecht, Alfred Pletsch (Hg.), Geographies of Germany and Canada. Paradigms, Concepts, Stereotypes, Images. Perspectives on German and Canadian Textbooks and Atlases, Hannover: Hahn, 1997, S. 349.

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VI Forschungsinfrastrukturen

1V  on der Schulbuchsammlung zur internationalen Forschungsbibliothek

Die internationale Schulbuchsammlung als Grundlage der Schulbuchrevision Die Motivation für die internationale Schulbucharbeit bestand darin, auf die Produktion von Schulbüchern für die Fächer Geschichte, Geographie, Sozialkunde/Politik und Religion, die zukünftige Generationen zu Weltoffenheit und Verantwortung für eine friedliche, demokratische Gesellschaft befähigen sollten, hinzuwirken. Dafür war der Blick auf die Lehrwerke der Nachbarn ebenso unverzichtbar wie die kritische Analyse der eigenen Schulbücher. Somit mussten Bildungspolitikerinnen und -politikern, Schulbuchautorinnen und -autoren sowie Verlegerinnen und Verlegern nicht nur die aktuellen Schulbücher zur Verfügung stehen, sondern sollte auch ein historischer Schulbuchbestand aufgebaut werden, mit dessen Hilfe Kontinuitäten und Veränderungen des fachlichen und didaktischen Wissens in einer historischen Perspektive untersucht werden konnten. Die Konstituierung einer Schulbuchsammlung bildete die Grundlage für die Arbeit des Institutes. Mit Hilfe der Textbook Section der Education Branch der britischen Militärverwaltung konnte ein Grundbestand an deutschen und internationalen Schulbüchern und fachwissenschaftlicher Literatur aufgebaut werden. Die Schulbuchsammlung wurde durch Spenden von Institutionen und Privatpersonen, wie zum Beispiel der Preußischen Staatsbibliothek, schnell erweitert, sodass sie zum Zeitpunkt der Gründung des Internationalen Institutes für Schulbuchverbesserung im Jahr 1951 bereits 134

über einen Bestand von mehr als 2000 Schulbüchern verfügte. Die Sammlung erfuhr durch die Kooperation mit deutschen Schulbuchverlagen, den Austausch von Schulbüchern im Rahmen der biund multilateralen Schulbuchgespräche und die finanzielle Unterstützung des Auswärtigen Amtes in den folgenden Jahrzehnten eine kontinuierliche Erweiterung. Das Institut antwortete im Jahr 1956 auf den mit dem Wachstum der Sammlung einhergehenden Raumbedarf mit dem Umzug in das Hochhaus in der Okerstraße 8b (siehe Kapitel VII). Der neue Ort der internationalen Schulbucharbeit gestattete nicht nur einen weiten Blick über die Stadt, sondern schuf gleichzeitig Platz für die Aufstellung der Schulbuchsammlung. Dabei machte die unmittelbare Nachbarschaft von Arbeits-, Seminar- und Sammlungsräumen in den Augen zahlreicher Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den frühen Schulbuchgesprächen den besonderen Charme des Institutes als Werkstatt der Schulbuchrevision aus. Die Hartnäckigkeit und Sorgfalt, mit der das Team des Internationalen Schulbuchinstitutes den Aufbau der Schulbuchsammlung verfolgt hatte, wurde im Jahr 1965 honoriert, als der Europarat das Institut mit dem Aufbau eines europäischen Informations- und Dokumentationszentrums für die Schulbücher der Fächer Geschichte und Geographie betraute. Seit 1966 ist die Bibliothek Referenzbibliothek des Europarates für die Fächer Geschichte und Geographie. Die neue Funktion ging mit der Empfehlung des Europarates an die Bildungsministerien

seiner Mitgliedsstaaten einher, ihre neu herausgegebenen Schulbücher und neuen Lehrpläne kostenlos oder kostengünstig der Bibliothek des Internationalen Schulbuchinstitutes zur Verfügung zu stellen. Die Bildungsministerien der Mitgliedsstaaten des Europarates kamen dieser Bitte jedoch nur sehr unregelmäßig nach. Neben dem Engagement des Europarates trug deshalb vor allem die Volkswagen-Stiftung, die den materiellen und personellen Ausbau der Schulbuchbibliothek 1965 mit

einer Anschubfinanzierung von 100.000 DM unterstützt hatte, dazu bei, dass sich der Bestand der Sammlung innerhalb eines Jahrzehntes von 20.000 auf 40.000 Bände verdoppeln konnte. Ebenfalls im Jahr 1965 bezog das Institut das neue Gebäude auf dem Campus der Pädagogischen Hochschule am Rebenring, das einen Archivraum und eine Kompaktanlage für die Schulbuchsammlung enthielt, die Platz für 50.000 Bände

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bot. Auf die Anschubfinanzierung durch die Volkswagen-Stiftung folgte eine kontinuierliche Förderung der Bibliothek durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Diese übertrug dem Institut 1969 innerhalb der Sondersammelgebiete der wissenschaftlichen Bibliotheken die Verantwortung für den Bereich der Schulbücher, die sie bis 2015 innehatte.

Von der Schulbuchsammlung zur wissenschaftlichen Bibliothek Der Tod des Institutsgründers Georg Eckert im Jahr 1974 führte zu einer intensiven Diskussion über die Neugestaltung der internationalen Schulbucharbeit in Braunschweig mit dem Ergebnis, dass die wissenschaftliche Schulbuchforschung zukünftig gleichberechtigt an die Seite der Schulbuchrevision treten sollte.

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Die Gutachten ausgewiesener Bibliotheksfachleute der Landesbibliothek Hannover und der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig schlugen einen Aufbauplan für die Bibliothek und die Einstellung von Fachpersonal vor, der im Rahmen der Gründung des Georg-Eckert-Institutes für internationale Schulbuchforschung ab 1975 schrittweise umgesetzt wurde. Die Bibliothek erhielt einen eigenen Etat für die beiden Abteilungen, die wissenschaftliche Sammlung und die Schulbuchsammlung, die durch die neue Direktion ab 1978 institutionell verankert und von zwei Bibliothekarinnen erfolgreich aufgebaut wurden. Der Umzug in die „Villa von Bülow“ als neues Institutsgebäude im Jahr 1981 schuf dafür die notwendigen räumlichen Voraussetzungen (siehe Kapitel VII). Die Bibliothek entwickelte sich seit den 1980er Jahren zu einem Servicezentrum für die in- und ausländische Schulbuchforschung. Neben der systematischen Erweiterung der Bestände erarbeiteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Bibliographien zu Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Schulbuchforschung und Synopsen der in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Schulbücher. Mit den Auswahlbibliographien zu zentralen Forschungsthemen am Georg-Eckert-Institut und korrespondierenden Unterrichtsmaterialien, die Lehrerinnen und Lehrern bei der Vorbereitung des Unterrichtes Orientierung und Hilfe bei der Auswahl und Strukturierung des Unterrichtes liefern sollten, leistete die Bibliothek einen Beitrag zur Forschung und schlug zugleich die Brücke in die Praxis des Schulunterrichtes.

Seit 2012 sammelt die Forschungsbibliothek auch Schulbücher der Fächer Religion, Ethik und Werteerziehung und ist seit 2015 gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Internationale Päda­ go­gische Forschung mit seinen Abteilungen „Informationszentrum Bildung“ in Frankfurt am Main und der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin, der Universitätsbibliothek der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin verantwortlich für den „Fachinformationsdienst Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung“.

Die historische Schulbuchsammlung Ab den 1980er Jahren gewann die historische Dimension der Schulbuchsammlung zunehmend an Bedeutung und die Geschichte der Schulbücher der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer wurde selbst zu einem Gegenstand der Forschung. Das Institut machte es sich zur Aufgabe, Schulbücher als zentrale Quellen für das Verständnis der Entwicklung der schulischen Bildung, des fachlichen und pädagogischen Wissens, aber auch der Konstituierung und des Transfers von Wissen in unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen zu erforschen. 137

Die Leiterin der Schulbuchsammlung, Gisela Teistler, verfolgte den Ausbau der historischen Schulbuchsammlung mit großer Ausdauer und einem ausgeprägten Spürsinn für die verstreuten Bestände historischer Schulbücher. Sie überzeugte Institutionen sowie Privatsammlerinnen und -sammler davon, ihre Sammlungen als Leihgaben oder Schenkungen in die Obhut der Bibliothek des Georg-Eckert-Institutes zu geben. Deren Sammlung erfuhr 1988 durch eine Dauerleihgabe des DIPF in Frankfurt am Main und durch den Erwerb des historischen Schulbuchbestandes des Verlages Ferdinand Hirt eine deutliche Erweiterung. Darüber hinaus ermöglichte es der Verlag Volk und Wissen, einen vollständigen Bestand an Schulbüchern für Geschichte, Geographie und Staatsbürgerkunde der DDR aufzubauen, der die Grundlage für zahlreiche Forschungen zur Geschichte des gesellschaftlichen Unterrichtes in der DDR lieferte. Über die Sammlung der Schulbücher der Fächer Geschichte, Geographie, Sozialkunde/ Politik und Religion/Ethik hinaus bilden die Fibeln und Lesebücher, die bereits seit der unmittelbaren Nachkriegszeit gesammelt werden, einen wichtigen Bestandteil der historischen Schulbuchsammlung. Diese umfasst heute circa 25.000 Bände und stellt damit den größten geschlossenen historischen Schulbuchbestand in einer deutschen Bibliothek dar.

Erschließung und Katalogisierung Die finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte die Katalogisierung der Schulbuchsammlung und der 138

Forschungsliteratur. Ab 1989 wurde im Rahmen eines DFG-Projektes zunächst die historische Schulbuchsammlung katalogisiert. Ab 1994 folgte dann sukzessive die digitale Erschließung der Schulbuchbestände und der wissenschaftlichen Literatur sowie die Umstellung des Ausleihverfahrens auf EDV. Zudem wurden bereits 1995 Datenbanken für die institutseigenen Schriftenreihen erstellt, um die Recherche und Zugangsmöglichkeiten zu vereinfachen. Seit Mitte 2000 nimmt die Bibliothek zudem an der aktiven Fernleihe teil. Ab 2005 wurden die digitalen Kataloge, zunächst jener der wissenschaftlichen Literatur, auch über das Internet recherchierbar; 2006 folgte der Katalog der Schulbuchbestände. Seit 2007 ist die Forschungsbibliothek Mitglied im Gemeinsamen Bibliotheksverbund. Im selben Jahr wurde zudem die Trennung der zwei Sammlungsbereiche aufgehoben und die Schulbuchsammlung mit der wissenschaftlichen Bibliothek wieder zusammengeführt. Die Bibliothek entwickelte sich mit diesen Maßnahmen und Aktivitäten von einer Spezialbibliothek zu einer Forschungsbibliothek für die internationale Schulbuchforschung. Begünstigt wurde dies einerseits durch die konsequente Ausrichtung aller bibliothekarischen Leistungen an den Bedürfnissen der Schulbuch- und Bildungsmedienforschung, andererseits durch die interne Verzahnung der Bibliothek mit allen wissenschaftlichen Arbeitsbereichen des Institutes. Seit der Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft im Jahr 2011 entwickelt sich die Bibliothek verstärkt zu einer hybriden Forschungsbibliothek, in der den Benutzerinnen und Benutzern sowohl analoge als

auch digitale Angebote zur Verfügung stehen. So wurde zunächst das Informationssystem „GEI-DZS“ entwickelt, das die seit dem Schuljahr 2010/2011 für den Unterricht an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ab Klasse 5 in Deutschland zugelassenen Schulbücher und Atlanten für die Fächer

Geographie, Geschichte und Sozialkunde/Politik enthält. Da der digitale Wandel im Bildungsbereich den Untersuchungsgegenstand „Schulbuch“ und damit die Anforderungen der Forschungen verändert, erweitert die Forschungsbibliothek ihr Erwerbungsprofil seit 2016 um digitale Bildungsmedien.

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2 Digitale Infrastrukturen für Forschung und Bildung

Erste Ansätze im Bereich Digitalität im GEI schlugen sich zu Beginn der 2000er Jahre allerdings in einem Bereich nieder, der nicht zum originären Auftrag des Institutes gehört: In spezifischen Segmenten und in Kooperation mit Partnern aus den bilateralen Schulbuchgesprächen erarbeiteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunächst digitale Lehrmaterialien. So stellten sich im Rahmen der traditionellen bilateralen Projektzusammenarbeit im Jahr 2001 deutsche und kanadische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEI, der Philipps-Universität Marburg und der Wilfrid Laurier University, Waterloo/Ontario (Kanada) mit den „Virtuellen Geographischen

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Texten über Kanada und Deutschland“ und dem Projekt „[email protected]“ gemeinsam der Herausforderung des Internets als Informations- und Arbeitsmittel und konzipierten in einer Pilotstudie digitale, didaktisch aufbereitete Materialien und Module für den Geographieunterricht in beiden Ländern. Im selben Jahr wurde eine Online-Materialsammlung zur deutsch-französischen Geschichte und Geographie erarbeitet, die als Ergänzung zu einem gemeinsamen deutsch-französischen Schulbuch für die Verwendung an Schulen in beiden Ländern gedacht war. Unter dem Namen DeuFraMat („Deutsch-französische Materialien für den Geschichts- und Geographieunterricht“) konnte das Projekt mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung und unter Leitung des Marburger Geographieprofessors Al-

fred Pletsch umgesetzt werden. Ziel der Bereitstellung signifikanter Texte, statistischer Tabellen, kartographischer Abbildungen und anderer Bildmaterialien für den schulischen und universitären Unterricht war es, die parallelen und divergenten Entwicklungslinien beider Länder seit Beginn der Industrialisierung im Hinblick auf Gesellschaft und Wirtschaft, Kultur und Bildungswesen, Staat und Politik zu veranschaulichen. Mit Fertigstellung der Plattform im Jahr 2005 übernahm das GEI die Pflege der Materialien im Rahmen der deutsch-französischen Schulbucharbeit. Auch in den folgenden Jahren blieb die Erstellung digitaler Lehrmaterialien zu gesellschaftlich relevanten Themen ein – wenngleich nicht profilbildendes – Segment der Institutsarbeit. Von 2005 bis 2011 bereitete das GEI im Projekt „1001 Idee“ fach-

wissenschaftliche Forschungen zu Lebensformen in muslimisch geprägten Gesellschaften auf und stellte sie als web-basierte Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Aktuelle Diskurse über den Umgang mit Geschichte und Geschichten zwischen Europa und dem Orient sowie zwischen Christentum und Islam flossen vor dem Hintergrund von Kategorien des Eigenen und des Fremden sowie von Darstellungen und Verschleierungen des Kulturtransfers in die Lehrmittel ein, um zu einer pluralistischen Wahrnehmung von Musliminnen und Muslimen, muslimischen Traditionen, Kulturen und Geschichte in den Fächern Geschichte, Sozialkunde/Politik, Deutsch, ­Literatur, Musik und Ethik beizutragen. Seit 2013 betreibt das GEI thematisch daran anknüpfend und die Angebote in diesem Bereich bündelnd die Webplattform „Zwischentöne – ­Materialien für

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Vielfalt im Klassenzimmer“. Das ­Institut entwickelt dafür ausgehend von den am GEI generierten Forschungsergebnissen und unter Einbeziehung externer Autorinnen und Autoren mit spezifischen fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Expertisen online frei zugängliche Unterrichtsmodule. Die Besonderheit der multimedialen Materialien liegt in einem Perspektivwechsel, durch den der Islam und die Vielfalt der Lebenswelten von Musliminnen und Muslimen als Teil gesellschaftlicher Diversität sichtbar gemacht werden. Der ursprüngliche Fokus auf islambezogene Themen erweiterte sich in den vergangenen Jahren – analog zu den gesellschaftspolitischen Diskursen und Forschungen des GEI zu Migration und Integration – auf Aspekte migrationsbedingter Diversität. Begleitend zur Modulentwicklung veran142

stalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes Fortbildungen mit Lehrkräften und Studierenden, um diese thematisch einzuführen und die Module zu erproben und zu evaluieren. Daneben bewirkt der digitale Wandel tiefgreifende Veränderungen in der Bereitstellung von Infrastrukturen für die Wissenschaft – eine Kernaufgabe des GEI seit seiner Gründung. So etablierte das Institut im Jahr 2008 eine Abteilung für digitale Informations- und Forschungsinfrastrukturen, die in enger Zusammenarbeit mit der Forschungsbibliothek den stetigen Ausbau der digitalen Angebote vorantreibt. Seitdem betreibt das GEI mit „Edumeres“ („Educational Media Research“) ein Online-Portal, das Informationen, Daten und Publikationen aus der

kulturellem Erbe, als Wissensspeicher von Gesellschaften bei und stellt zugleich einen hochwertig erschlossenen Daten- und Quellenbestand für Forschungen mit Schulbüchern zur Verfügung. Auch aktuelle und historische Lehrpläne der am GEI gesammelten Fächer bietet das Institut seit 2011 möglichst online und in Volltexten an. So ermöglicht die „Curricula Workstation“ neben einer Suche in den Metadaten auch die strukturierte Recherche nach Geltungsland, Lernbereich, Bildungslevel und Erscheinungsjahr.

internationalen Schulbuch- und Bildungsmedienforschung zusammenführt. Dazu gehört auch die Einrichtung und Pflege eines fachlichen und eines institutionellen Repositoriums für kostenfreie wissenschaftliche Online- und Open ­Access-Publikationen. Überdies hat die Forschungsbibliothek im Jahr 2009 mit der Digitalisierung ihrer wertvollen historischen und urheberrechtsfreien Schulbuchbestände begonnen. Mit „GEI-Digital“ wurde, zunächst gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, eine frei zugängliche digitale Infrastruktur geschaffen, über die die digitalisierten Schulbücher standortunabhängig verfügbar und im Volltext durchsuchbar sind. „GEI-Digital“ trägt damit zur nachhaltigen Sicherung von Schulbüchern als

Die internationale Vernetzung des GEI und seine überregionale Bedeutung als weltweit einzige Institution für die Sammlung, Erschließung und Erforschung von Bildungsmedien haben seit etwa einem Jahrzehnt dazu geführt, dass das Institut zunehmend eine neue Funktion als zentraler Knotenpunkt für den digitalen Zugang zu weltweit existierenden Bildungsmediensammlungen übernimmt. Von 2011 bis 2017 entstand mit Förderung der DFG und des Landes Niedersachsen als Ergänzung zum OPAC der Forschungsbibliothek das Rechercheinstrument „International TextbookCat“, das die Sammlung des GEI mit anderen internationalen Schulbuchbeständen standardisiert verknüpft und unter Nutzung schulbuchspezifischer Klassifikationen erstmals mehrsprachig durchsuchbar macht. Die interoperable Konzeption des „International TextbookCat“ ermöglicht perspektivisch die global ausgerichtete Erweiterung des Kataloges, die umfassende Integration digitalisierter Volltexte und die zunehmende Einbindung digitaler Bildungsmedien. 143

Mit seinen auf Bildungsmedien basierenden digitalen Forschungsinfrastrukturen beteiligt sich das Institut seit einigen Jahren auch verstärkt an den Debatten um Auswirkungen und Potenziale des digitalen Wandels für die Geistes- und Kulturwissenschaften. So dient die Infrastruktur „GEI-Digital“ seit 2014 als Quellenbasis für Forschungsprojekte im Feld der Digital Humanities. In den Jahren 2014 und 2015 koordinierte das GEI ein Projekt der LeibnizGemein­schaft, in dessen Rahmen Kriterien zur Quali-

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tätsbestimmung und Qualitätssicherung für digitale wissenschaftliche Infrastrukturen entwickelt wurden. Zudem leitet das Institut die CLARIN-D Facharbeitsgruppe „Geschichte“, in der die europäische Forschungsinfrastruktur CLARIN aus Sicht der historischen Wissenschaften und auch unter Nutzung digitaler Bestände des GEI getestet und evaluiert wird. So prüften und verbesserten in den Jahren 2015 und 2016 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEI im CLARIN-D-Kurationsprojekt „Quellen

des Neuen: Realkundliches und naturwissenschaftliches Wissen für Dilettanten und Experten zwischen Aufklärung und Moderne“ in Kooperation mit der Göttinger Akademie der Wissenschaften und dem Göttingen Centre for Digital Humanities unter anderem die Nachnutzbarkeit von „GEI-Digital“, indem ein Teilbestand an CLARIN-D-Standards angepasst und in das Deutsche Textarchiv am CLARIN-D-Zen­ trum an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften integriert wurde. Ebenfalls der Auslotung von Potenzialen, aber auch von Grenzen digitaler Zugänge zu geistes- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen diente das zwischen 2014 und 2017 im Wettbewerbsverfahren der Leibniz-Gemeinschaft geförderte und am GEI koordinierte Verbundprojekt „Welt der Kinder. Weltwissen und Weltdeutung in Schul- und Kinderbüchern zwischen 1850 und 1918“. Durch die enge Zusammenarbeit von Historikerinnen

und Historikern, Computerlinguistinnen und -linguisten sowie Informationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern wurden in explorativer Forschung digitale Werkzeuge für die Analyse großer digitaler und mit hermeneutischen Methoden kaum zu durchdringender Quellenkorpora entwickelt, die der Semantik verschiedener Bildungsmedien des 19. Jahrhunderts gerecht werden und ‚qualitative‘ Strukturen aufdecken können. Einen weiteren Ansatz zur Entwicklung und Gestaltung des Forschungsfeldes der digitalen Geisteswissenschaften verfolgt das seit 2015 laufende Editionsprojekt „WorldViews. Die Welt im Schulbuch“: Um zu gewährleisten, dass Quellen computerunterstützt effektiv und effizient erhoben und (weiter-) bearbeitet werden können, entstand bis 2017 ein integriertes Informationssystem, das als Workflow zur Arbeit mit internationalen Schulbuchquellen von der Digitalisierung über die Meta- und Normdatenerfassung bis zur Analyse dient.

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3 Die Publikationen des Georg-Eckert-Institutes

Der nachhaltige Erfolg der bi- und multilateralen Schulbuchgespräche war nicht zuletzt davon abhängig, ob es gelang, die Ergebnisse einer breiten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit in dafür speziell zugeschnittenen Publikationen zugänglich zu machen. Die Publikationen des Institutes richteten sich deshalb von Beginn an nicht allein an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern boten Handreichungen für Lehrerinnen und Lehrer sowie die Redaktionen der Schulbuchverlage. Gleichzeitig warben Publikationen des GEI in Veröffentlichungen von Gewerkschaften, Stiftungen und Verbänden für die internationale Schulbucharbeit. 146

Vom „Internationalen Jahrbuch für Geschichtsunterricht“ zum „Journal for Educational Media, Memory, and Society“ Seit Gründung des Internationalen Institutes für Schulbuchverbesserung im Frühjahr 1951 veröffentlichte das Institut die Ergebnisse der internationalen Schulbucharbeit jährlich in seinem „Internationalen Jahrbuch für Geschichtsunterricht“, ab 1965 unter dem Titel „Internationales Jahrbuch für Geschichts- und Geographie-Unterricht“. Das Periodikum war in seiner Konzeption auf die internationale Schulbuchrevision zugeschnitten. So veröffent-

lichte es die Schulbuchanalysen, die den jeweiligen bi- oder multilateralen Schulbuchkonferenzen vorausgingen, sowie die verabschiedeten Empfehlungen und Thesen, jeweils in der Sprache des ausländischen Partners und auf Deutsch. Ein umfangreicher Rezensionsteil informierte darüber, ob die Empfehlungen Eingang in die neu erschienenen Schulbücher gefunden hatten. Daneben publizierte das „Jahrbuch“ wissenschaftliche Artikel zu Fachund Methodenfragen des Geschichts- und Geographieunterrichtes im internationalen Vergleich und machte einen nationalen und internationalen Kreis von Leserinnen und Lesern mit den Bildungs-

systemen, Lehrplänen und Lehrwerken zahlreicher Länder vertraut. Nachdem der ambitionierte Versuch, das Jahrbuch mit Hilfe des Europarates in ein internationales Publikationsorgan umzugestalten, das Beiträge in den Arbeitssprachen des Europarates veröffentlichen sollte, zu Beginn der 1970er Jahre gescheitert war, stellte sich die Frage nach dem neu zu definierenden Profil eines Periodikums des Institutes, das neben der Schulbuchrevision auch die Ergebnisse der internationalen Schulbuchforschung veröffentlichte, mit neuer Dringlichkeit. Der Wissenschaftliche 147

Ausschuss und das Kuratorium des neu gegründeten Georg-Eckert-Institutes sprachen sich für ein Format aus, das einen fach- und erziehungswissenschaftlichen Kreis von Leserinnen und Lesern in kürzeren Abständen als bisher mit den Ergebnissen der Schulbucharbeit und -forschung vertraut machen sollte. Die daraufhin neu gegründete Zeitschrift „Internationale Schulbuchforschung“ zielte daher darauf ab, schneller auf aktuelle Trends der Forschung zu reagieren und auch Austragungsort wissenschaftlicher und bildungspolitischer Debatten zu sein. Dafür wurden in der Rubrik „Forum“ strittige und problematische Themen in zugespitzter Form zur Diskussion gestellt. Die Zeitschrift erschien zwischen 1979 und 2008 in 30 Jahrgangsbänden. 1996 wurde die internationale Ausrichtung der Zeitschrift noch einmal stärker akzentuiert. Beginnend mit dem Themenheft „Europa/Europe“, an dem sich Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Großbritannien, Polen und Marokko gemeinsam mit dem Leiter der Erziehungsabteilung des Europarates, Maitland Stobart, beteiligten, erschien die Zeitschrift unter dem neuen Titel „Internationale Schulbuchforschung/ International Textbook Research“. Sie veröffentlichte systematisch Beiträge in deutscher, englischer und französischer Sprache mit mehrsprachigen Resümees und entwickelte sich damit zu einem international anerkannten Publikationsorgan der Schulbuchforschung. Mit der Aufnahme des Institutes in die Leibniz-Gemeinschaft entschied das Institut, dass die Zeitschrift in Zukunft stärker den Anforderungen renommierter Wissenschaftszeitschriften entsprechen und in eng148

lischer Sprache bei einem internationalen Wissenschaftsverlag erscheinen sollte. Die Zeitschrift „Journal of Educational Media, Memory, and Society“, deren Beiträge in einem peer-review-Verfahren begutachtet werden, erscheint seit 2009 im New Yorker Wissenschaftsverlag Berghahn Books. Ein zentrales Anliegen besteht darin, mit ihren Beiträgen Bildungsmedien stärker in die sozialen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontexte einzuordnen.

Die Schriftenreihe Bei der Publikation der Ergebnisse der internationalen Schulbuchforschung konnte das Institut in den ersten Jahrzehnten auf die Unterstützung des Braunschweiger Verlegers Hans Eckensberger zählen, der Jahrbuch und Schriftenreihe des Internationalen Schulbuchinstitutes im technisch fortgeschrittenen und unabhängigen Verlag Albert Limbach publizierte. Das Institut gab in diesem Verlag seit 1956 die „Schriftenreihe des internationalen Schulbuchinstituts“ heraus. Diese veröffentlichte die Ergebnisse der vom Institut organisierten bi- und multilateralen Schulbuchgespräche. Gleichzeitig förderten die Herausgeber Autorinnen und Autoren, die neue thematische und/oder methodische Zugänge zur Schulbuchanalyse eröffneten und diese in einer vergleichenden europäischen Perspektive durchführten. Die Herausgeber nahmen die ersten Analysen zur Darstellung der jüdischen Geschichte in deutschen

Schulbüchern aus der Feder von Saul B. Robinsohn und Chaim Schatzker in die „Schriftenreihe“ auf und trugen durch „fremde“ Blicke auf die deutsche Geschichte, wie etwa von der polnischen Historikerin Maria Wawrykowa, früh zum Dialog zwischen polnischen und deutschen Historikerinnen und Historikern bei. Die „Studien zur internationalen Schulbuchforschung“ führten diese Tradition ab 1978 fort. Sie veröffentlichten neben den Ergebnissen der bi- und multilateralen Schulbuchgespräche internationale Forschungsberichte sowie Bibliographien und Studien zur Schulbuchforschung, zur Didaktik des Geschichtsunterrichtes und zur Geschichtskultur, die gemeinsam mit dem Europarat, der Konferenz für Geschichtsdidaktik oder der International

Society for History Didactics erarbeitet wurden. Die Schriftenreihe wurde seit 1979 in den in der fachwissenschaftlichen Community gut verankerten Verlagen Westermann und Moritz Diesterweg publiziert. Seit 2008 erscheint sie im Wissenschaftsverlag V&R unipress. „Eckert. Die Schriftenreihe“ wird seit 2016 parallel in Print- und in elektronischer Form publiziert. Sie stellt damit einen wichtigen Baustein der differenzierten elektronischen Publikationsangebote des Georg-Eckert-Institutes dar, die als Teil des Repositoriums des GEI online zugänglich sind. Seit 2017 wird sie durch die englischsprachige Reihe „Palgrave Studies in Educational Media“ ergänzt, die sich mit Schulbüchern und anderen Bildungsmedien als Austragungsorten kultureller und sozio-politischer Auseinandersetzung beschäftigt. 149

Neue Publikationsformate für die Praxis der Schulbuchrevision und des Unterrichtes

Informationen für die gesellschaftliche Öffentlichkeit

Die gesellschaftlichen Transformationen nach 1989 und der sich verändernde Charakter von (Schulbuch-)Konflikten in zahlreichen Weltregionen erhöhten den Bedarf an Handreichungen und Handbüchern für die internationale Schulbuchrevision und die Praxis des schulischen Unterrichtes deutlich.

Das Georg-Eckert-Institut konnte seit seiner Gründung auf die Unterstützung einer breiten gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit bauen. Diese sollte durch das neu gegründete Institut genauer über die Arbeit der internationalen Schulbuchrevision und -forschung informiert werden. Seit 1982 erschienen dazu die „Informationen des Georg-Eckert-Instituts“, die in regelmäßigen Abständen zeitnah über die Institutsarbeit und ihre Resonanz in der Öffentlichkeit berichteten. Die 2006 berufene Direktorin des Institutes, Simone Lässig, plädierte dann dafür, über die „Informationen“ hinaus in einen noch stärkeren Austausch und Dialog mit der Gesellschaft einzutreten. Diesen eröffnete zwischen 2007 und 2016 das „Eckert. Bulletin“, das neben der Wissenschaft auch der Bibliothek einen breiteren Darstellungsraum gewährte, die Arbeit der Stipendiatinnen und Stipendiaten vorstellte und die Entwicklung des Institutes mit Stakeholdern aus Politik und Bildung diskutierte. Zudem veröffentlicht das GEI seit 2010 seinen Jahresbericht.

Falk Pingel, damals stellvertretender Direktor des Georg-Eckert-Institutes, veröffentlichte dazu 1999 das „UNESCO Guidebook on Textbook Research and Textbook Revision“, in dessen überarbeiteter Neuauflage von 2010 nicht zuletzt auch seine Erfahrungen als Director of Education der OSZE-Mission in Bosnien und Herzegowina einfließen konnten. Das Format „Eckert. Expertise“ reagiert seit 2006 auf die Nachfrage nach Publikationen, die Forschungsergebnisse des Institutes zu aktuellen Fragestellungen für die Praxis des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtes aufbereiten. Der Fokus der neuen Reihe liegt folgerichtig auf der Dokumentation, Darstellung und Diskussion von Studien zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Das Profil des neuen Formates lässt sich mit den Schlagworten „Aktualität – Forschungsorientierung – Praxisbezug“ umreißen.

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VII Das Institut in der Region

Im Laufe der Jahrzehnte wurden vielfältige Verbindungen zwischen Georg Eckert, dem Internationalen Schulbuchinstitut, später dem Georg-Eckert-Institut und der Stadt geknüpft. In diesem letzten Kapitel laden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, daher zu einem kleinen Rundgang durch Braunschweig ein, der Sie zu verschiedenen Orten und Gebäuden führt, die symbolisch für die enge Zusammenarbeit zwischen dem Institut und seiner Heimatstadt stehen.

Pädagogische Hochschule/ Haus der Wissenschaft Seine erste Heimstatt fand das Internationale Schulbuchinstitut im heutigen „Haus der Wissenschaft“. Dieses Gebäude wurde im Jahr 1937 für die nationalsozialistische Hochschule für Lehrerbildung „Bernhard-Rust-Hochschule“ erbaut, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Pädagogische Hochschule/ Kant-Hochschule neu gegründet wurde. Damit symbolisierte es auch den Neuanfang einer wissenschaftlichen Lehrerbildung in einer demokratischen Gesellschaft nach 1945. Dazu trug Georg Eckert, der 1946 als Dozent an die Pädagogische Hochschule berufen worden war, maßgeblich bei. Siegfried Bachmann, ehemaliger Dekan der Hochschule und nach Eckerts Tod kommissarischer Direktor des Georg-Eckert-Institutes, sprach deshalb 1974 im Rückblick davon, dass das Internationale Schulbuchinstitut „buchstäblich aus Eckerts Dozentenzimmer hervorgegangen“ sei.1

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Das Gebäude wurde auf dem sogenannten „Kleinen Exerzierplatz“ in direkter Nachbarschaft der Technischen Universität errichtet und bestand aus sechs Bauteilen: dem Hörsaalbau (Turmbau), dem Naturhistorischen Museum, der Sporthalle sowie drei niedrigeren Verbindungstrakten. Angrenzend wurden zudem Sportanlagen eingerichtet. In den obersten Turmgeschossen planten die Architekten außerdem eine „Ehrenhalle“ sowie eine „Volkssternwarte“. Eine besondere Verbindung zur Region und zu Norddeutschland sollte durch die Klinkerverblendung der kompletten Fassade hergestellt werden – ungeachtet dessen, dass Backstein ein für die Region völlig untypisches Baumaterial ist. Diese Außengestaltung sowie der formale Aufbau des Gebäudekomplexes mit seinem weit über die umliegenden Gebäude aufragenden Turmbau sorgten dafür, dass sich das Gebäude nicht in die Umgebung

einpasste, sondern von Anfang an eine herausragende Stellung einnahm. Im Gegensatz zu den Bauten der Technischen Universität wurde die Bernhard-Rust-Hochschule während der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg nur geringfügig beschädigt. Das Naturhistorische Museum, der Turmbau und der dazwischen liegende Verbindungstrakt blieben nahezu vollständig erhalten, lediglich die Sternwarte mit Kuppel wurde zerstört. Größere Schäden entstanden an den übrigen Gebäudeteilen. In den beiden anderen Verbindungstrakten brannten jeweils die Dachstühle völlig aus und die Sporthalle wurde durch einen Bombentreffer schwer beschädigt, sodass nur noch das Erdgeschoss nutzbar war. Die zerstörten Dächer wurden nach Kriegsende jedoch rasch instandgesetzt. Bereits im November 1945 konnte

der Lehrbetrieb in der nun in „Kant-Hochschule“ umbenannten Pädagogischen Hochschule wieder aufgenommen werden. Trotzdem schienen die Arbeitsbedingungen für die Lehrenden in dieser insgesamt schwierigen Zeit bescheiden gewesen zu sein: So schreibt Georg Eckert in seinem Tagebuch im Jahr 1947, dass er für längere Schreibarbeiten verschiedene Lokale oder das SPD-Parteibüro nutze – sein Büro war offenbar kaum beheizbar. Im Kontext der ab 1956 begonnenen umfangreichen Baumaßnahmen für die Pädagogische Hochschule waren auch neue Räumlichkeiten für das Internationale Schulbuchinstitut vorgesehen. Aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen dem Staatshochbauamt und dem Stadtplanungsausschuss beziehungsweise dem Städtischen Bauamt konnte mit der Umsetzung allerdings erst 1963 155

begonnen werden. An den Turnhallenbau anschließend entstand ein völlig neuer Gebäudetrakt parallel zum Rebenring, in dem nicht nur das Internationale Schulbuchinstitut mit eigener Bibliothek untergebracht war, sondern auch Übungsräume, Dozenten- und Assistentenzimmer sowie ein großer Konferenzraum existierten. Dieser Bau wurde 1965 fertiggestellt und anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Hochschule eingeweiht. Die Raumsituation für das Internationale Schulbuchinstitut blieb allerdings beschränkt, da trotz des Neubaus an der gesamten Pädagogischen Hochschule Platzund Raummangel herrschte. Eine dem Institut zugesagte halbe Etage mit acht Büroräumen sowie diverse Kellerräume vergab die Hochschulleitung anderweitig. 1965, im Jahr des Umzuges des Institutes an den Rebenring, stellte der Senat der Päda156

gogischen Hochschule fest, dass „[…] Ausstattung und Arbeitsmöglichkeiten völlig unzureichend [sind] und […] dringend weiteren Ausbaus [bedürfen]“.2 Ab 1972 erfolgte die Anmietung weiterer Räume in einem regulären Wohnhaus. Das Institut blieb in den Räumen am Rebenring, bis 1981 die Villa von Bülow bezugsfertig war. Während der Bauarbeiten an der Pädagogischen Hochschule war das Internationale Schulbuchinstitut von Januar 1956 bis 1965 mit Unterstützung der Stadt Braunschweig in der Okerstraße 8b angesiedelt und nutzte die Räumlichkeiten im obersten Stockwerk auch nach dem Rückzug an die Pädagogische Hochschule weiter als Lager für einen Teil seiner Schulbuchbestände, da selbst die neuen Räume dafür nicht ausreichten.3

Universitätsbibliothek

Okerstraße 8b

Technische Universität Braunschweig Carolo-Wilhelmina Nur wenige Schritte vom Haus der Wissenschaft entfernt befindet sich der Hauptcampus der Technischen Universität mit dem Hauptgebäude, dem Audimax und der Universitätsbibliothek. Die Geschichte der Technischen Universität reicht zurück auf das „Collegium Carolinum“, das älteste deutsche, 1745 gegründete Polytechnikum. Constantin Uhde entwarf das Hauptgebäude in Anlehnung an barocke Schlossarchitekturen. Der ursprüngliche Bau war als vierseitiges Ensemble angelegt, zweigeschossig und mit einem hohen, durchfensterten Innenhof. Die schweren Kriegsschäden von 1944 führten dazu, dass das Gebäude heute nur noch in wenigen Abschnitten im Originalzustand erhalten ist.4

Hauptgebäude der Technischen Universität

Die Universitätsbibliothek ist Teil des dem Hauptgebäude gegenüberliegenden Hochschulforums, zu dem daneben das Auditorium Maximum sowie das Rektorat und die Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät (ehemals Fakultät I) gehören. Sie hatte starke Bombenschäden davongetragen und – trotz Auslagerung von etwa 60 bis 70 Prozent der Bücher – hohe Bestandseinbußen hinnehmen müssen. Eine Bestandserfassung nach 1945 war schwer möglich, grobe 157

Schätzungen gingen von etwa 120.000 bibliographischen Bänden aus. Erst der 1964 eröffnete Neubau konnte eine ordentliche Aufstellung und Nutzung der zu diesem Zeitpunkt wieder etwa 600.000 Bücher gewährleisten.5 Die Verbindungen des Georg-Eckert-Institutes mit der Technischen Universität sind vergleichsweise jung. Zu Zeiten des Internationalen Schulbuchinstitutes waren die Technische Universität und die Pädagogische Hochschule voneinander unabhängige Institutionen. Erst 1978 wurde die Pädagogische Hochschule als Erziehungswissenschaftlicher Fachbereich in die Technische Universität eingegliedert – drei Jahre nach Gründung des Georg-Eckert-Institutes als rechtsfähiger Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Vertretung der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen im Kuratorium des Georg-Eckert-Institutes, die im Gründungsgesetz von 1975 festgeschrieben worden war, ging damit an die Technische Universität Braunschweig über, die bis heute gemäß § 6 Abs. 1 der Satzung des Institutes im Kuratorium vertreten ist. Ein Kooperationsvertrag zwischen dem Institut und der Universität wurde im Jahr 2005 unterzeichnet: Seitdem erfolgt unter anderem die Berufung des Direktors beziehungsweise der Direktorin des Georg-Eckert-Institutes gemeinsam mit der Technischen Universität. In unmittelbarer Nähe des Hauptcampus befindet sich außerdem der Sitz der ForschungRegion Braunschweig e. V. Das Georg-Eckert-Institut ist seit 2008 Mitglied in diesem Wissenschaftsnetzwerk für Technik, Leben und Kultur. 158

Neues Rathaus Das Neue Rathaus als Teil des Stadtrundganges steht symbolisch für die Verbindung zwischen dem Institut und der Stadtregierung. Von den ehemals fünf Rathäusern der Stadt Braunschweig ist es neben dem

Altstadtrathaus eines der letzten beiden im Stadtbild verbliebenen. Der damalige Stadtbaurat Ludwig Winter entwarf das Rathaus und ließ es zwischen 1885 und 1900 errichten. Der im Stil der Hochgotik gestaltete Bau ersetzte ein bis dato zu diesen Zwecken genutztes Stiftungskurienhaus. Die prägnantesten Bauteile sind zum einen der Turm, der sowohl eine unübersehbare städtebauliche Dominante als auch ein markantes Kennzeichen der Braunschweiger Stadtsilhouette darstellt, sowie zum anderen die Hauptfassade mit ihren repräsentativen, dreiflügeligen Eingangsportalen und der darüberliegende, für Ansprachen und Bekanntmachungen dienende Balkon.6

Die Zusammenarbeit zwischen Institut und Stadt begann schon in den frühen Nachkriegsjahren durch die enge Bekanntschaft zwischen Georg Eckert und der damaligen Kultusministerin des Landes Braunschweig und von 1959 bis 1964 Oberbürgermeisterin der Stadt Braunschweig Martha Fuchs. Dieser persönliche Kontakt zog auch offizielle Verbindungen nach sich: So geht beispielsweise die Städtepartnerschaft zwischen Bandung und Braunschweig auf die deutsch-indonesischen Historikerkonferenzen der 1950er Jahre zurück, die vom Internationalen Schulbuchinstitut initiiert wurden. 1960 wurde dann die formelle Städtepartnerschaft geschlossen, aus der unter anderem Kontakte in Form von Museumsausstellungen, Schülerbriefwechseln, Indonesien-Tagen in Braunschweig und Hochschulkooperationen zwischen den Technischen und Pädagogischen Hochschulen beider Städte hervorgingen.7

Martha Fuchs (2. v. l.) und Georg Eckert (4. v. l.) mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern der deutsch-amerikanischen Schulbuchgespräche

159

Der „Verein der Freunde und Förderer“ unterstützt seit 1973 das GEI ideell und materiell, beispielsweise durch die Einrichtung und den Unterhalt der Gästezimmer für Stipendiatinnen und Stipendiaten. Der Verein hat damit einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, den internationalen Austausch des GEI zu fördern und dadurch die internationale Schulbuchforschung zu vernetzen.

Auch der private Kontakt zwischen Georg Eckert und Otto Bennemann, Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig von 1948 bis 1952 sowie von 1954 bis 1959, förderte die Beziehungen zwischen Institut und Stadt. So unterstützte Bennemann beispielsweise die ersten deutsch-britischen Historikertagungen nicht nur politisch, sondern auch durch seine im britischen und australischen Exil erworbenen englischen Sprachkenntnisse. Bennemann stimmte 1972 außerdem zu, Mitglied des ein Jahr später gegründeten „Vereins der Freunde und Förderer des Internationalen Schulbuchinstituts“ zu werden, dessen Mitglieder, wie Hans-Peter Harstick oder Rainer Zirbeck, das Institut über viele Jahrzehnte berieten und unterstützten. Zudem förderte Bennemann die Institutsarbeit während seiner Zeit als Mitglied des Niedersächsischen Landtages von 1947 bis 1974, insbesondere in seiner Funktion als Innenminister nach 1959. 1994 wurde schließlich die „Otto-Bennemann-Stiftung Braunschweig“ ins Leben gerufen, aus deren Mitteln das Georg-Eckert-Institut jährlich das Otto-Bennemann-Stipendium zur Förderung methodisch innovativer Schulbuchforschung vergibt. Die Beziehungen zwischen dem Schulbuchinstitut und der Stadt Braunschweig beschränkten sich jedoch nicht nur auf diese zwei Kontakte. Im Verlauf der gesamten Institutsgeschichte förderte die Stadt 160

die Institutsarbeit finanziell, beispielsweise durch die Ausrichtung von Empfängen. Karl-Ernst Jeismann, Direktor des Georg-Eckert-Institutes von 1978 bis 1984, beschrieb die Zusammenarbeit mit der Stadt im Jahr 1984 wie folgt:

„Die außerordentlich freundliche und für die Atmosphäre der Konferenzen wichtige Unterstützung, die das Institut stets durch die Stadt Braunschweig, den Oberbürgermeister, den Rat und das Kulturdezernat gefunden hat, muß besonders hervorgehoben werden. Die spontane Herzlichkeit der lokalen Kommunalvertreter und Behörden ist mehr als eine Annehmlichkeit des Rahmenprogramms; sie hilft die Vertrauensbasis zu schaffen, ohne die gerade bei schwierigen Gesprächen eine fruchtbare Zusammenarbeit nur schwer möglich wäre.“ Quelle: Karl-Ernst Jeismann, Das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung 1978–1984. Bericht des Direktors zur 20. Kuratoriumssitzung. Braunschweig 1984, S. 25.

Alfred Kubel und Karl-Ernst Jeismann

Hotel Deutsches Haus Gegenüber dem Rathaus liegt das Hotel „Deutsches Haus“, das einen informellen Symbolcharakter für die Verbindungen zwischen Stadt und Institut besitzt. Das Hotel wurde in den Jahren 1896 und 1897 auf dem zusammengelegten Grundstück zweier Adelshöfe an der Ecke Burgplatz/Ruhfäutchenplatz errichtet. Diese Eckposition griff auch die an den jeweiligen Plätzen unterschiedlichen Fassadengestaltungen auf. Der Architekt Otto Rasche entwarf die zum Burgplatz gerichtete Fassade dreigeteilt: die unteren beiden Geschosse in massiver Ausführung,

das darüberliegende als Fachwerk, um das Gebäude in die Architektur des Platzes einzufügen. Zum Ruhfäutchenplatz hingegen wurde das Gebäude im Stil der deutschen Renaissance mit einer streng symmetrischen Schaufassade gestaltet.8 Über die Jahre hinweg hat das Institut hier nicht nur unzählige nationale und internationale Gäste beherbergt, hier trafen sich zwischen 1977 und 2010 auch die Mitglieder des Kuratoriums. Der weitere Weg führt nun durch die Innenstadt zum Altstadtmarkt mit dem Altstadtrathaus.

161

Altstadtrathaus Das Altstadtrathaus wurde ab 1250 im gotischen Stil errichtet: zunächst der Westflügel, ab dem späten 14. Jahrhundert dann der rechtwinklig angeschlossene Nordflügel. Der Bau wurde 1450 mit der Aufstellung der Herrscherfiguren an den Laubenpfeilern abgeschlossen. Drei Jahre zuvor war der Festsaal im Obergeschoss, die „Dornse“, neu gestaltet worden. Im Laufe seiner Geschichte wurde das Altstadtrathaus als Zeughaus und Gefängnis, Lager und Kellerraum für den Rat sowie als Speicher genutzt, bis es nach dem Zweiten Weltkrieg nach

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leichter Beschädigung in mehreren Schritten restauriert wurde.9 Für die Institutsgeschichte ist vor allem die „Dornse“ von Bedeutung: Dieser Raum wurde und wird von der Stadt für verschiedene Konferenzen und Veranstaltungen zur Verfügung gestellt, so beispielsweise in den 1970er Jahren für die deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen. Auch heute nutzt das Georg-Eckert-Institut die „Dornse“ für besondere Veranstaltungen. Unter anderem findet hier alle zwei Jahre die Verleihung des Georg-Eckert-Forschungs­ preises statt.

Villa von Bülow Das Georg-Eckert-Institut verleiht seit 2010 alle zwei Jahre den von der Verlagsgruppe Westermann in Braunschweig gestifteten Georg-Eckert-Forschungspreis für wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der internationalen Bildungsmedienforschung. Ausgezeichnet werden Arbeiten, die sich mit kulturellen, politischen, bildungspraktischen oder wissenssoziologischen Aspekten von Schulbüchern und schulischen Bildungsmedien befassen.

Der Tod Georg Eckerts markiert eine Zäsur in der Geschichte der Schulbuchforschung in Braunschweig. Auf Initiative von Alfred Kubel, dem damaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens sowie langjährigem Freund und Parteigenossen Eckerts, wurde das Institut aus der Pädagogischen Hochschule herausgelöst und in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt. Damit konnte nun auch die lang überfällige Umsiedelung in neue Räumlichkeiten realisiert werden – die bisher angemieteten Räume am Rebenring 53 in der Pädagogischen Hochschule waren schon lange nicht mehr ausreichend und wurden als zu spartanisch für ein renommiertes, international tätiges Forschungsinstitut angesehen. Auch die Bibliotheksbestände sollten endlich angemessen aufgestellt werden und Raum für Bestandserweiterungen sowie Arbeitsplätze für Benutzerinnen und Benutzer entstehen. Indem die Stadt Braunschweig dem Institut die Villa von Bülow an der Celler Straße als Sitz anbot, lösten sich zwei Probleme gleichzeitig: Zum einen erhielt das GEI auf diese Weise angemessene Räumlichkeiten, zum anderen wurde der Erhalt dieser denkmalgeschützten klassizistischen Villa gesichert. Die Villa hatte seit ihrer Erbauung 1839 eine wechselvolle Geschichte erlebt, stand aber seit Anfang der 1950er Jahre leer und drohte zu verfallen.

Verleihung des Georg-Eckert-Forschungspreises, von links: Direktor Eckhardt Fuchs, Bürgermeisterin Annegret Ihbe und der Ministerpräsident Niedersachsens Stephan Weil

Ursprünglich errichtete der Architekt Carl-Theodor Ottmer die Villa 1839 als Gartenhaus für den damaligen Kammerpräsidenten der Justizverwaltung, 163

164

­ einrich Georg C. F. von Bülow. Ottmer war geH bürtiger Braunschweiger und hatte unter anderem an der Bau- und Kunstakademie in Berlin als Schüler

Karl Friedrich Schinkels studiert. Sein bekanntester Bau in Braunschweig ist das neue Braunschweiger Schloss.10

Die Villa von Bülow entspricht dem italienischen Castellum-Typ, bei dem die Fassade von vier Ecktürmen eingespannt wird. Der ursprüngliche Haupteingang ist mittig zur Celler Straße hin angeordnet, eine geschwungene Auffahrtsrampe führte zu ihm hinauf. Auf der Gartenseite der Villa wurde – vermutlich nachträglich – ebenfalls mittig eine Terrasse

angelegt, von der eine Freitreppe in den Garten hinunterführt. Der rechteckige Grundriss des Gebäudes wird an der der Oker zugewandten Traufseite durch eine Apsis aufgebrochen. Im Originalzustand hatte die Villa zwei Wohngeschosse sowie ein mäßig hohes Keller- und ein optisch niedrig gehaltenes Mezzaningeschoss. 165

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Der Auftraggeber des Baues, Heinrich von Bülow, starb bereits ein Jahr nach dessen Fertigstellung und die Villa ging in den Besitz seiner Erben über. 1873 wurde sie an den Kaufmann Ferdinand Ebeling verkauft, 1891 dann an den Bankier Arthur Löbbecke. Seitdem ist das Familienwappen der Löbbeckes über dem früheren Haupteingang angebracht. Finanzielle Verluste veranlassten Rudolf Löbbecke 1934, Villa und Grundstück an die Stadt Braunschweig zu verkaufen. Diese stellte beides dem Reichshandwerksmeister Wilhelm Georg Schmidt als Standort für eine Reichführerschule des Deutschen Handwerks zur Verfügung, deren Lehrbetrieb im Oktober desselben Jahres aufgenommen wurde.11 Umbaumaßnahmen fanden während dieser Zeit hauptsächlich außerhalb des Wohngebäudes statt: So wurden 1937 die noch von Ottmer erbauten Nebengebäude abgerissen und an deren Stelle ein Dienstwohngebäude mit zwei Garagen errichtet. Während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 war dann eine Wehrmachtsdienststelle in der Villa untergebracht. Kriegsschäden sind für die Villa von Bülow nicht überliefert, von der fast vollständigen Zerstörung der Innenstadt (diese betrug bis zu 90 Prozent) blieb das Gebäude verschont. Nach Kriegsende wurde die Villa einige Jahre als Schwesternwohnheim des angrenzenden Krankenhauses in der Holwedestraße genutzt. Diese Übergangsnutzung wurde allerdings bereits Mitte der 1950er Jahre aufgegeben, als im hinteren Teil des Parks ein neues Wohnheim errichtet wurde. Die Villa von Bülow stand nach Aufgabe dieser Nutzung leer und war zunehmend von Schwammbefall, Plünde-

rung der Natursteinarbeiten und Diebstahl der Haustür betroffen. Sie verkam zur Ruine. 1964 nahm daher die Stadt Braunschweig die Villa von Bülow in die Liste der schutzwürdigen Gebäude in der Anlage der Denkmalpflegesatzung auf. Diese wurde 1978 in das Verzeichnis der Kulturdenkmale nach § 4 des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes überführt. Eine Restaurierung kam in diesen Jahren jedoch vorwiegend aus Kostengründen nicht in Frage. Eine Veräußerung an Privatinvestoren wurde abgelehnt, um das Grundstück und die Gebäude als Nutzungsmöglichkeiten für das angrenzende Krankenhaus zu sichern. Doch es kam anders: 1975 stellte der damalige Ratsherr Friedrich Theodor Kohl, der sich als ge167

lernter Architekt besonders für Baugestaltung und Denkmalpflege einsetzte, den Antrag, die Villa von Bülow an das gerade neu gegründete Georg-Eckert-Institut zu vermieten.12 Da das Kuratorium sich noch nicht konstituiert hatte, konnte eine Einigung über die Nutzung der Villa für das GEI erst 1978 erzielt werden. 1979 folgte dann die endgültige Eigentums- und Nutzungslösung, indem die Stadt Braunschweig das Grundstück an das Land Niedersachsen übereignete, das wiederum dem GEI ein Erbbaurecht einräumte.13 Da die Jahre 1975 bis 1979 für den Entwurf, das Genehmigungsverfahren sowie die Ausführungsplanung genutzt worden waren, konnte der Umbau noch im selben Jahr beginnen.14

Der veranschlagte Platzbedarf des Institutes war allerdings mehr als doppelt so groß wie die bestehende nutzbare Fläche innerhalb der Villa. Die existierenden Holzträger waren außerdem nicht stabil genug, um die geplante Last der Buchbestände in der Bibliothek zu tragen. Das Gebäude wurde daher komplett entkernt, um neue Bauteile einzusetzen. Dadurch wurden Keller und Dachgeschoss nutzbar sowie eine Galerieetage zwischen Erd- und Obergeschoss für die Bibliothek konstruiert. Der Haupteingang wurde an die Nordseite an der Freisestraße verlegt und ein neues Treppenhaus eingebaut. Da die Villa unter Denkmalschutz stand, sah die Bauplanung die Bewahrung der Längs- und Querachse sowie eine teilweise originalgetreue Restaurierung der Gipsstuckdecke und des Parketts im ehemaligen Gartensaal vor.15 Im Jahr 1981 konnte das Georg-Eckert-Institut die Villa beziehen und im angrenzenden Dienstgebäude Gästezimmer für internationale Stipendiatinnen und Stipendiaten einrichten. Mit der personellen Erweiterung des Institutes seit 2007 reichte auch die Villa von Bülow nicht mehr aus, um alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterzubringen. Daher mussten Büroräume in diversen Gebäuden der Stadt angemietet werden, beispielsweise am Inselwall, im benachbarten städtischen Klinikum und in einem Gebäudekomplex des Arbeitsamtes am Cyriaksring. Der Stadtrundgang endet an der „Persönlichkeitstafel“ für Georg Eckert vor der Villa, die im Jahr 2012 eingeweiht wurde. Mit diesen Tafeln erinnert

168

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Außenstelle am Cyriaksring

die Stadt in Zusammenarbeit mit der Bürgerstiftung Braunschweig an bedeutende Personen der Stadtgeschichte. Die Tafeln beziehen sich auf Personen, die entweder in Braunschweig geboren sind oder aber ihren Lebensmittelpunkt hier gesehen haben. So wie Georg Eckert mit seinem Schaffen Braunschweig national und international sichtbarer gemacht hat, wird das GEI auch in Zukunft zur Gestaltung der Stadt und ihrer Entwicklung beitragen. Dies wird sich ebenfalls im Stadtbild niederschlagen. Im Jahr 2011 begann das Institut mit den Planungen zu einer baulichen Erweiterung, die alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder an einem Standort zusammenführen wird. An der Stelle des Dienstgebäudes wird eine neue Bibliothek entstehen, die die Villa von Bülow mit einem renovierten Bürogebäude auf der gegenüberliegenden Gartenseite zu einem in sich geschlossenen GEI-Campus verbindet. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, dass das Georg-Eckert-­ Institut auch in Zukunft als ein „wissenschaftlicher Leuchtturm“ in der Stadt Braunschweig strahlen wird.

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Enthüllung der Persönlichkeitstafel Georg Eckert, von links: Bürgermeisterin Cornelia Rose-Paul, Direktorin Simone Lässig und Karin Heinemann-Thien von der Bürgerstiftung Braunschweig

 1 Rede von Prof. Dr. Siegfried Bachmann anlässlich der akademischen Trauerfeier zum ehrenden Gedenken an Professor Dr. phil. habil. Georg Eckert am 14. Januar 1974. In: In Memoriam Georg Eckert (1912–1974), Braunschweig: Pädagogische Hochschule, 1974.  2 Empfehlungen des Senats der Pädagogischen Hochschule Niedersachsens (1965), Ausbau der Pädagogischen Hochschulen. O. O., S. 17.  3 BZ vom 28.05.1965.  4 Niedersächsisches Landesverwaltungsamt Hannover, Institut für Denkmalpflege (Hg.), Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Baudenkmale in Niedersachsen, Bd. 1.2, Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1996.  5 Fritz Meyen, Die Bibliothek. In: Senat der Carolo-Wilhelmina (Hg.), Die Technische Hochschule Braunschweig, Berlin-West/Basel: Länderdienst-Verlag, 1963.  6 Niedersächsisches Landesverwaltungsamt Hannover, Institut für Denkmalpflege (Hg.), Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Baudenkmale in Niedersachsen, Bd. 1.1, Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1993.  7 BZ vom 22.10.1959, E_15_178_0010, Stadtarchiv Braunschweig.  8 Niedersächsisches Landesverwaltungsamt Hannover, Institut für Denkmalpflege 1993.  9 Niedersächsisches Landesverwaltungsamt Hannover, Institut für Denkmalpflege 1993. 10 BZ vom 05.05.1984. 11 Brief an den Magistrat der Stadt Braunschweig, 5. Juli 34. E_23_301.1_301.100018, Stadtarchiv Braunschweig. 12 BZ vom 27.8.75, E_65_60100008, Stadtarchiv Braunschweig. 13 Beschluss des Verwaltungsausschusses der Stadt Braunschweig vom 18.04.1978, E_15_359_0011, Stadtarchiv Braunschweig. 14 Gerd Biegel, Angela Klein (Hg.), Carl Theodor Ottmer: 1800–1843; Braunschweigischer Hofbaumeister – europäischer Architekt. Braunschweig: Braunschweigisches Landesmuseum 2000. 15 Ebd.

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VIII Anhang

1 Direktorinnen und Direktoren des Georg-Eckert-Institutes und des Internationalen Schulbuchinstitutes

Prof. Dr. Eckhardt Fuchs: seit Oktober 2015

Prof. Dr. Simone Lässig: Oktober 2006 – September 2015

Dr. Falk Pingel: Oktober 2005 – September 2006

Prof. Dr. Wolfgang Höpken: Oktober 2000 – September 2005

Prof. Dr. Ursula A. J. Becher: Oktober 1992 – September 2000

Prof. Dr. Ernst Hinrichs: Oktober 1984 – September 1992

Prof. Dr. Karl-Ernst Jeismann: Oktober 1978 – September 1984

Dr. Wolfgang Jacobmeyer: Mai 1978 – September 1978

Prof. Dr. Siegfried Bachmann: (August 1974) September 1977 – April 1978

Prof. Dr. Georg Eckert: März 1951 – Januar 1974

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2 Abkürzungsverzeichnis

Bpb

Bundeszentrale für politische Bildung

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BZ

Braunschweiger Zeitung

CDU

Christlich Demokratische Union

CICI Commission internationale de coopération intellectuelle (Internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit) CˇSSR Tschechoslowakische Sozialistische Republik DDR

Deutsche Demokratische Republik

DUK Deutsche UNESCO-Kommission EDV

Elektronische Datenverarbeitung

FDP

Freie Demokratische Partei

GBV

Gemeinsamer Bibliotheksverbund

GEI 1975–2011: Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung; seit 2011: Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung GUS

Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

ISBI

Internationales Schulbuchinstitut

KMK Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, kurz: Kultusministerkonferenz KSZE

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

OPAC

Online Public Access Catalogue

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization USA

United States of America

WGL

Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz

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3 Bildnachweise

Ammerpohl, Thomas: S. 40 Architektur: SEHW Architektur GmbH/ Visualisierung: THIRD: S. 171 Archiv der TU Braunschweig: S. 29 oben, 154 (CII:11:10), 155 (CII:11:10), 156 (CII:11:10) Archiv des Büros der Vereinten Nationen, Genf: S. 19 Archiv GEI: S. 7, 10, 11, 12, 15, 16, 21, 23, 27, 29 unten, 31, 33, 34, 36, 47 links, 59, 60, 61, 62, 66, 68, 73, 75 beide links, 77, 78 unten, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 91, 92, 95, 96, 97, 98, 99, 101, 102, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 118, 119, 121, 123, 125, 127, 129, 130, 140, 141, 143, 146, 147, 149, 151, 153, 157, 158, 161, 162, 163, 166, 169, 170, 173 Ausserhofer, David: S. 135, 136, 139, 164, 173 (Eckhardt Fuchs) Kruszewski, Marek: S. 9, 28, 57, 63, 67, 70, 71, 75 rechts, 78 oben, 81, 132, 137, 142, 144, 166 oben, 173 (Simone Lässig) Sammlung Heike Mätzing: S. 56 Stadtarchiv Braunschweig: S. 47 rechts (G IX_78_0360_0063001), 52 (G IX_78_0360_0065009), 55 (G IX_78_0360_0062004), 64 (H_XXX_1_15350005), 65 (H_XXX_1_15350007), 69 (G IX_78_0360_0065013), 105 (H_XXX_1_15350001), 114 (G_IX_108_Nr.16100005 gross), 159 (Amerikanische Vertreter 0001), 160 (G IX_78_0360_0029001), 165 (H_XVI_C_VII_4_F10001), 167 (H_XVI_C_VII_4_F_10002), 168 (H_XVI_C_VII_4_F_10006) UN Photo/Emmanuel Hungrecker: S. 17 UNESCO/Dominique Roger: S. 44 UNESCO/Michel Claude: S. 46

Wir haben uns nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen. ­Etwaige unberücksichtigte Rechteinhaber wenden sich bitte an den Verlag.

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4 Ausgewählte Publikationen zur Institutsgeschichte

Becher, Ursula A. J. (im Gespräch) mit Karl-Ernst Jeismann,

Hinrichs, Ernst, Internationale Schulbuchforschung – mehr

Perspektiven der internationalen Schulbuchforschung. In:

als eine Sisyphusarbeit? In: Internationale Schulbuch-

Internationale Schulbuchforschung 17.1 (1995), S. 61–76.

forschung 14.3 (1992), S. 295–312.

Becher, Ursula A. J. und Rainer Riemenschneider (Hg.), Inter-

Hinrichs, Ernst und Falk Pingel, Georg Eckert (1912–1974)

nationale Verständigung. 25 Jahre Georg-Eckert-Institut

und die internationale Schulbuchforschung. In: Verband

für internationale Schulbuchforschung. Hannover: Verlag

der Geschichtslehrer Deutschlands (Hg.), Geschichts-

Hahnsche Buchhandlung, 2000.

unterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich

Dowe, Dieter; Fuchs, Eckhardt; Mätzing, Heike Christina; Sammler, Steffen (Hg.), Georg Eckert. Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik, Göttingen: V&R unipress, 2017 (Eckert. Die Schriftenreihe, Bd. 146). Faure, Romain, Netzwerke der Kulturdiplomatie. Die internationale Schulbuchrevision in Europa 1949–1989, Berlin: De Gruyter, 2015. Fuchs, Eckhardt; Henne, Kathrin, Wissensaustausch international – Schulbuchrevision und das Internationale Schulbuchinstitut in Braunschweig nach dem Zweiten

bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen Bestehen. Stuttgart: Klett, 1988, S. 320–340. Hirsch, Helmut, Lehrer machen Geschichte. Das Institut für Erziehungswissenschaften und das internationale Schulbuchinstitut. Ratingen: Henn, 1971. Jacobmeyer, Wolfgang, Das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. In: Schulverwaltungsblatt für Niedersachsen 37.1985 (11), S. 319–322. Jeismann, Karl-Ernst, Internationale Schulbuchforschung

Weltkrieg. In: Sabine Reh, Edith Glaser, Britta Behm und

oder nationale Staatsräson? Gedanken zum 10jähri-

Tilman Drope (Hg.). Wissen machen. Beiträge zu einer

gen Bestehen des Georg-Eckert-Instituts. Braunschweig:

Geschichte erziehungswissenschaftlichen Wissens in Deutschland zwischen 1945 und 1990: Zeitschrift für

Georg-Eckert-Institut, 1985. Sammler, Steffen, Die Institutionalisierung der internatio­

Pädagogik. 63. Beiheft. (Weinheim: Beltz 2017), S. 108–

nalen Schulbucharbeit auf dem Gebiet der Geschichte.

123.

Das internationale Schulbuchinstitut in Braunschweig

Fuchs, Eckhardt; Sammler, Steffen, Schulbücher zwischen

(1951–1965), in: Jürgen Elwert (Hg.), Geschichte jenseits

Tradition und Innovation. Ein Streifzug durch die Ge-

der Universität. Netzwerke und Organisationen in der

schichte des Georg-Eckert-Instituts. Braunschweig:

frühen Bundesrepublik, Stuttgart: Steiner, 2016 (Histori-

Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale

sche Mitteilungen – Beiheft 94), S. 169–185.

Schulbuchforschung, 2015.

Schüddekopf, Otto Ernst, Zwanzig Jahre westeuropäischer Schulgeschichtsbuchrevision 1945–1965: Tatsachen und Probleme. Braunschweig: Limbach, 1966.

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