Schriftkonventionen in Pragmatischer Perspektive: Akten Der Arbeitstagung Der Indogermanischen Gesellschaft 9789042951143, 9789042951150, 9042951141

Der vorliegende Band "Schriftkonventionen in pragmatischer Perspektive" umfasst funfzehn Beitrage zur gleichna

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort Schriftkonventionen in pragmatischer Perspektive: Ein Thema für die Indogermanistik 1. Die Rolle der Schrift(lichkeit) b
2. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Pragmatik der Schriftverwendung
3. Beiträge des vorliegenden Bandes
Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift Anja Busse Ludwig-Maximilians-Universität München
1. Einleitung
2. Abkürzungen in Divinationstexten
3. Abkürzungen außerhalb der Divination
4. Zusammenfassung
Pan-Slavism and Orthography – the Czech Orthographic Reforms of the Early 19th Century and Slavic Universal Orthography
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Schriftkonventionen in Pragmatischer Perspektive: Akten Der Arbeitstagung Der Indogermanischen Gesellschaft
 9789042951143, 9789042951150, 9042951141

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L E T T R E S O R I E N TA L E S E T C L A S S I Q U E S

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SCHRIFTKONVENTIONEN IN PRAGMATISCHER PERSPEKTIVE herausgegeben von

THERESA ROTH, EMMANUEL DUPRAZ und VALENTINA BELFIORE

PEETERS

SCHRIFTKONVENTIONEN IN PRAGMATISCHER PERSPEKTIVE

LETTRES ORIENTALES ET CLASSIQUES Collection dirigée par Sylvie Vanséveren (Université Libre de Bruxelles) La collection Lettres Orientales et Classiques est dédiée aux langues, aux textes et aux civilisations qui composent le monde méditerranéen antique aussi bien que les civilisations de langue indo-européenne. Elle a pour objectif de publier des travaux et des ouvrages de référence consacrés aux langues, à la culture, la mythologie, la religion dans une optique scientifique qui allie comparaison et reconstruction, diachronie et histoire, recherche et pédagogie. Comité scientifique: Gary Holland, University of California — Berkeley Francine Mawet, Université Libre de Bruxelles Alice Mouton, CNRS — Université de Strasbourg Giovanna Rocca, Libera Università di Lingue e Comunicazione IULM Ghislaine Widmer, Université Charles-de-Gaulle — Lille 3

LETTRES ORIENTALES ET CLASSIQUES 22

SCHRIFTKONVENTIONEN IN PRAGMATISCHER PERSPEKTIVE AKTEN DER ARBEITSTAGUNG DER INDOGERMANISCHEN GESELLSCHAFT (BRÜSSEL, 13.–14. SEPTEMBER 2018)

herausgegeben von THERESA ROTH, EMMANUEL DUPRAZ und VALENTINA BELFIORE

PEETERS

LEUVEN – PARIS – BRISTOL, CT

2023

Illustration de couverture d’après Theodor Mommsen, 1848, “Iscrizioni messapiche”, dans Annali dell’Instituto di Corrispondenza Archeologica, 20, p. 59-156 et tables B-D, ici table B.

ISBN 978-90-429-5114-3 eISBN 978-90-429-5115-0 D/2023/0602/51 No part of this book may be reproduced in any form by print, photoprint, microfilm or any other means without written permission from the publisher © 2023 – Peeters, Bondgenotenlaan 153, B-3000 Leuven

Inhaltsverzeichnis Vorwort Schriftkonventionen in pragmatischer Perspektive: Ein Thema für die Indogermanistik...............................................................................vii Vorklassische Zeit Anja Busse Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift........2 Annick Payne Worttrennung bei Lydern und Phrygern...............................................26 Zsolt Simon Die karischen Worttrennungszeichen....................................................46 Dagmar Wodtko Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen.......................................76 Małgorzata Zadka Using Linear B writing: a multimodal solution...................................104 Klassische Antike Valentina Belfiore Interpunzioni e uso degli spazi nelle descrizioni di rituali del liber linteus etrusco........................................................................................124 Enrico Benelli Scrittura degli scribi e scrittura delle città. Per una fenomenologia della scrittura nell’Italia preromana......................................................156 Carlo Consani Bilingual documentation of Kafizin (Cyprus): writing conventions and communication planning strategies................................................176 Emmanuel Dupraz Storia ed uso dei testi delle Tavole Iguvine: interpunzione, espedienti grafici e suddivisioni delle descrizioni di rituali...................................208

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inhaltsverzeichnis

Götz Keydana Constituent structure in non-informant languages: Evidence from inscriptions.............................................................................................268 Luca Rigobianco La ‘semiologia grafica’: disposizione del testo e struttura informativa nelle iscrizioni in lingua osca................................................................295 Nicholas Zair ‘Old-fashioned’ spelling in the Roman Empire....................................323 Mittelalter und Neuzeit Carmen Brandt Die Macht der Buchstaben: Schrift und Identität im modernen Südasien. 350 Rosemarie Lühr Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen in der althochdeutschen Schreibtradition.....................................................................394 Ondřej Šefčík Pan-Slavism and Orthography – the Czech Orthographic Reforms of the Early 19th Century and Slavic Universal Orthography.............425

Vorwort Schriftkonventionen in pragmatischer Perspektive: Ein Thema für die Indogermanistik 1. Die Rolle der Schrift(lichkeit) bei der Untersuchung altindogermanischer Sprachen Seit den Anfängen der vergleichenden Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert beschäftigt sich die Indogermanistik mit der Untersuchung von schriftlichen Dokumenten v.a. aus älteren Sprachstufen, sei es um noch frühere, unbelegte Vorstufen dieser Sprachen zu rekonstruieren (darunter das Urindogermanische selbst) oder um die verschiedenen Strukturen der bezeugten altindogermanischen Sprachen miteinander zu vergleichen. Die Tatsache, dass Sprache ‒ z.T. schon zu sehr frühen Zeitpunkten ‒ verschriftlicht wurde, stellt dabei für Forschende überhaupt erst den Zugang zur Sprachgeschichte her; die Erfindung und Nutzung von Schrift bedeutet damit nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch aus linguistischer Sicht einen entscheidenden Wendepunkt. Die genaue Analyse der verschiedenen Schriftsysteme stellt deshalb auch seit jeher eine wichtige, ja grundlegende, Komponente der Indogermanistik dar. Die Korrespondenz zwischen Graphemen und Phonemen muss so präzise wie möglich bestimmt werden, allein schon, um die Phonologie der nur schriftlich bezeugten Sprachen erschließen zu können.

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Vorwort

Die Erforschung eines Schriftsystems erschöpft sich allerdings nicht damit, den verschiedenen Graphemen ihren phonologischen Wert zuzuordnen, denn Schriftsysteme notieren nicht nur Phoneme. Sie schließen auch unterschiedliche Konventionen und Zeichen ein, die pragmatische Eigenschaften der Texte notieren bzw. deren Gebrauch von pragmatischen Faktoren mitbestimmt wird. In vielen Schriftsystemen der Moderne und bereits auch der Antike dienen bestimmte Schriftkonventionen dazu, syntaktische oder diskursive Einheiten abzugrenzen und hervorzuheben, die so z.T. als selbständige graphische Segmente innerhalb des Diskurses verstanden werden können. Dazu gehören die Konventionen, die in modernen Sprachen der sogenannten „Zeichensetzung“ zugerechnet werden, z.B. der Gebrauch der Kommata. Auch in der Antike ist vielfach bezeugt, dass bestimmte Zeichen eine vergleichbare demarkative Funktion in Bezug auf längere syntaktische oder pragmatische Einheiten erfüllen wie die zeitgenössischen Kommata. In diesem Kontext sind auch die Worttrennungszeichen zu betrachten, die in vielen altindogermanischen Sprachen belegt sind: Im Einzelnen weist ihr Gebrauch verschiedene Besonderheiten auf, die uns einerseits Aufschluss über die Zugänge der Sprachverwender zur Konzeption sprachlicher Einheiten wie „Wort“ geben können. Andererseits legen sie nahe, dass die Worttrenner eben nicht nur die prototypische Funktion erfüllen, Wörter (sei es als phonetische, morphologische oder prosodische Einheiten) voneinander zu trennen, sondern auch komplexere, pragmatisch bedingte und auf den Gesamttext oder die Gesamtkommunikation bezogene Aufgaben übernehmen oder allgemein durch „Belüftung“ die Lesbarkeit erhöhen. Andere Schriftkonventionen werden nur in bestimmten semantisch-pragmatischen Kontexten verwendet. In vielen Fällen können sie als konventionell anerkannte Komponenten bestimmter Textgattungen verstanden werden, welche sich von anderen Textgattungen abgrenzen lassen, in denen

Vorwort

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diese Konventionen nicht oder nicht im gleichen Umfang auftreten. Zu diesen Phänomenen kann z.B. der Wechsel zwischen verschiedenen Schriftsystemen zur Notierung ein und derselben Sprache oder aber die Herstellung von Bilinguen gehören. Der Wechsel von Schriftsystemen kann in bestimmten Textsorten besonders charakteristisch auftreten, wenn er von den Schreibern mit der spezifischen pragmatischen Absicht dieser Textsorten im Gegensatz zu anderen belegten Gattungen in Bezug gesetzt wird. Hierbei sind nicht zuletzt sozio-kulturelle Phänomene wie Prestige und Status, aber auch die Konstruktion von Identität und Alterität anhand der Verwendung eigener oder fremder Schriftsysteme zu berücksichtigen. Textsortenspezifische Konventionen gelten nicht nur bei der Notation von syntaktischen oder pragmatischen Merkmalen. In vielen Sprachen existieren unterschiedliche Varianten für Zeichen, die bestimmte Phoneme oder Gruppen von Phonemen notieren. Dabei konnte die jüngste Forschung vielfach zeigen, dass auch die Wahl zwischen diesen Varianten textsortenbedingt ist: Je nachdem, ob die betreffende Textgattung etwa als mehr oder weniger feierlich und offiziell eingestuft wird, werden unterschiedliche Zeichen bzw. Digraphe verwendet. Zu dieser Art von normhafter Schreibpraxis zählt z.B. auch die unterschiedlich strenge Berücksichtigung der Konventionen zur Notierung der Vokallänge in denjenigen Sprachen, in denen solche Konventionen existieren und fakultativ beachtet werden. „Fakultativ“ bedeutet dabei häufig, dass eine Konvention auf Ebene der Gesamtsprache zwar nicht systematisch befolgt wird, aber in bestimmten Textsorten doch nahezu obligatorisch ist. Solche Variationen innerhalb ein und derselben Sprachstufe gelten aber durchaus nicht nur auf Ebene der verschiedenen Textgattungen: In Gesellschaften wie der hethitischen oder mykenischen, deren Literarizität maßgeblich von einzelnen Schreibern oder Schreiberschulen getragen wurde,

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Vorwort

existieren individuen- oder gruppenspezifische Verwendungen graphischer Regeln, die ihre Benutzer von allen anderen Zeichenbenutzern der betreffenden Sprache trennen. In vielen Fällen ist es möglich, die Existenz von Schulen bzw. von Traditionen zu rekonstruieren: Die betreffenden Schreiber sind jeweils durch eine spezifische Kombination von Schriftkonventionen identifizierbar, die diejenige einer früheren Autorität fortsetzt und weiterentwickelt. Untersuchungen in diesem Bereich sind sowohl in Bezug auf die hethitischen Palastarchive als auch auf westeuropäische mittelalterliche Klöster relevant, d.h., in allen Fällen, in denen über einen gewissen Zeitraum hinweg kleinere Gruppen von Schreibern in ein und derselben Institution gelebt und gearbeitet haben. Die Analyse aller dieser Merkmale ist für die Indogermanistik als vergleichende und historische Sprachforschung besonders wichtig, und zwar nicht nur, um die phonologischen Eigenschaften der altindogermanischen Sprachen sowie indirekt auch des Urindogermanischen zu rekonstruieren. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Indogermanistik mit der Untersuchung der ältesten indogermanischen Sprachen befasst und somit als Teilgebiet einer umfassenden historischen Linguistik zu definieren ist, so ist nicht nur die Rekonstruktion von noch älteren Strukturen, sondern auch die gesamte Interpretation der bezeugten Quellen im Vergleich miteinander sowie mit anderen Sprachstufen und -zweigen als ihre Aufgabe zu betrachten. Zur vergleichenden Sprachwissenschaft auf dem Gebiet der altindogermanischen Sprachen gehört mithin auch die vergleichende Erforschung der Schriftsysteme und der verschiedenen Regeln, die den Gebrauch der Zeichen bestimmen, sei es auf phonologischer oder auf weiteren sprachlichen Ebenen. Obwohl die Schriftkonventionen der Tochtersprachen keine ererbten Merkmale altindogermanischer Sprachsysteme darstellen und somit nicht auf die (nur mündliche) Ursprache zurückverweisen, stellen sie, ab

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dem Moment der Literarisierung einer Gesellschaft, eine entscheidende Komponente der Sprachen dar, der die gleiche Aufmerksamkeit gebührt wie den anderen. 2. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Pragmatik der Schriftverwendung Der vorliegende Band repräsentiert die Akten der Arbeitstagung der Indogermanischen Gesellschaft, die am 13. und 14. September 2018 in Brüssel zum Thema „Schriftkonventionen in pragmatischer Perspektive“ stattgefunden hat. Darin sind nicht nur Aufsätze zu indogermanischen Sprachen der Antike und des Mittelalters, sondern auch Abhandlungen zu späteren Sprachstufen und zu nicht-indogermanischen Sprachen zu finden. Dies ist in der Tatsache begründet, dass die Pragmatik der Schriftkonventionen nach unserer Überzeugung ein Thema ist, bei dem eine interdisziplinäre Herangehensweise und insbesondere der Vergleich zwischen den Phänomenen verschiedener Sprachen und ihrer Schriftsysteme substanziell zum Erkenntnisgewinn beitragen. Dies gilt umso mehr, als davon ausgegangen werden darf, dass die pragmatischen Bedürfnisse, die sich darin widerspiegeln, Universalien der schriftlichen Kommunikation darstellen, die in allen Schriftsystemen mehr oder weniger ausgeprägt zum Tragen kommen, im Detail jedoch maßgeblich vom jeweiligen historischen Kontext mitbestimmt sind. Insbesondere in den Gebieten der anatolischen und der mittelalterlichen europäischen Sprachen sind solche Konventionen bereits intensiv und sehr fruchtbar untersucht worden. Wir hoffen, dass der vorliegende Band die Relevanz dieses Themenkomplexes auch für die anderen altindogermanischen Sprachen zeigen und seine Anschlussfähigkeit an verschiedene philologische, linguistische und kulturwissenschaftliche Disziplinen herausstellen möge.

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Vorwort

3. Beiträge des vorliegenden Bandes Der vorliegende Band ist nach chronologischen Kriterien grob in drei Bereiche gegliedert: Die erste Sektion umfasst fünf Beiträge, die sich mit Fragestellungen zu Schriftkonventionen vorklassischer Kulturen auseinandersetzen, darunter Untersuchungen zu verschiedenen Aspekten der Schriftsysteme anatolischer Sprachen des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr., zum mykenischen Griechisch und dem Charakter der Linear B-Schrift sowie zum Tartessischen, einer um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. inschriftlich bezeugten Sprache der iberischen Halbinsel, über deren familiäre Zuordnung noch keine definitiven Aussagen möglich sind. In der zweiten Sektion sind sieben Beiträge zu Fragen der Schriftverwendung und Schreibpraxis in Sprechergemeinschaften der Klassischen Antike versammelt, die sich mit epigraphischen Zeugnissen des Griechischen, Etruskischen, Lateinischen, Oskischen und Umbrischen befassen, wobei auch vergleichende Studien und die Betrachtung von Bilinguen eingeschlossen sind. In der dritten Sektion schließlich werden in drei Beiträgen Themen aus Mittelalter und Neuzeit aufgegriffen, die sich mit Schriftphänomenen in einer althochdeutschen Handschrift, in der tschechischen Orthographie des frühen 19. Jahrhunderts und in den ethnolinguistischen Gruppen des modernen Indiens befassen. So vielfältig und kulturspezifisch die pragmatischen Funktionen der Schreibpraxis sind, die in den Beiträgen identifiziert und analysiert werden, können sie doch einem oder mehreren der folgenden größeren Bereiche zugeordnet und so als typologisch vergleichbare Phänomene betrachtet werden:

Vorwort

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a) produzentenbezogene Phänomene, die sich in Kulturen mit Schreiberschulen oder monopolisierten Zentren der Textproduktion und -transmission als übergreifende Konventionen oder aber individuenspezifische Praktiken niederschlagen (z.B. Benelli, Busse, Dupraz, Lühr, Zadka) b) rezeptionsbezogene Phänomene, die z.B. als Strategien der Informationsstrukturierung und Leserführung in den Texten zu beobachten sind (z.B. Belfiore, Busse, Payne, Lühr, Wodtko) c) funktions- oder inhaltsbezogene Phänomene mit Bedeutung für Textstrukturierung, Fachsprachlichkeit, Textsorte oder Register (z.B. Busse, Belfiore, Dupraz, Lühr, Rigobianco, Zadka, Zair) Diese ersten drei Bereiche hängen durch ihre unmittelbare Rolle im Kommunikationsprozess eng zusammen; es sind aber durchaus verschiedene Gewichtungen und Ausprägungen der einzelnen Elemente möglich. Weitere Faktoren betreffen die Materialität und den größeren Kontext schriftlicher Äußerungen: d) materialbasierte Phänomene, bei denen Material und/oder Beschaffenheit des Textträgers Einfluss auf Textanordnung oder Zeichengestaltung nehmen oder sogar bewusst in diese integriert werden (Payne, Rigobianco, Simon) e) soziokulturelle Phänomene, bei denen die Schriftverwendung kontextbezogene Implikationen aus den Bereichen Kultur, Politik oder Identität aufweist (Benelli, Brandt, Consani, Šefčík, Zadka, Zair). Im Folgenden werden die Beiträge mit zentralen Fragestellungen und Erkenntnissen kurz zusammengefasst, um auch auf Berührungspunkte und übergreifenden Zusammenhänge hinzuweisen.

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Vorwort

Vorklassische Zeit In ihrem Beitrag zur Verwendung von Abkürzungen in Keilschrifttexten der mittelhethitischen Periode weist Anja Busse nach, dass sich abgekürzte Wortformen besonders in Fachtexten aus dem Bereich des Orakelwesens finden. Diese genrespezifische Praxis offenbart also pragmatische Funktionen im Kontext der Spezialisierung von Textproduzenten und -rezipienten. Die Autorin stellt daneben aber auch textexemplarspezifische Konventionen fest, die einen Hinweis auf die individuellen Präferenzen von Schreibern zu geben scheinen. Der Praxis der Worttrennung in Alphabetschriften widmet sich Annick Payne mit einer Untersuchung der verschiedenen Konventionen in lydischen und phrygischen Lokalalphabeten. Der von ihr ebenfalls vorgenommene Vergleich der Worttrennungspraktiken in den vier größten anatolischen Alphabetschriften zeigt, dass grundsätzlich ein gemeinsames Repertoire an Merkmalen zur Verfügung stand. Unterschiede sind v.a. in Bezug auf deren Kombinationen und quantitative Verteilungsmuster festzustellen, wobei auch die Materialität des Textträgers eine wichtige Rolle spielt. Auch Zsolt Simon analysiert die Worttrennungspraxis einer anatolischen Sprache des 1. Jahrtausends v. Chr., nämlich in karischen Inschriften aus dem Sprachgebiet selbst sowie aus Ägypten und Griechenland. Dabei weist er nach, dass die Trennung grundsätzlich nach phonologischen Einheiten erfolgt, aber deutliche regionale Unterschiede hinsichtlich der verwendeten Merkmale und der vollständigen oder nur partiellen Textstrukturierung durch Trennzeichen bestehen. Die Erkenntnisse scheinen einen Ursprung des ägyptisch-karischen Alphabets in der weiteren Umgebung von Iasos zu stützen und tragen zur Herkunftsbestimmung einiger der Inschriften bei.

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In Bezug auf die als tartessisch bestimmten Inschriften der Iberischen Halbinsel sind, aufgrund der spärlichen Überlieferungslage und noch unvollständigen Durchdringung der Sprache selbst, grundlegendere Fragen in Bezug auf die Schreibpraxis zu stellen. Dagmar Wodtko evaluiert diejenigen Fälle, in denen Trennzeichen möglicherweise Wortgrenzen kennzeichnen, und kommt zu dem vorläufigen Schluss, dass ihre offenbar nur fakultative Verwendung mit großer Wahrscheinlichkeit (auch) textstrukturierende Funktion besitzt. Für ihre Betrachtung der Linear B-Schrift der mykenischen Textzeugnisse wählt Małgorzata Zadka einen multimodalen Ansatz, der es erlaubt, dem spezifischen Charakter dieses Schriftsystems Rechnung zu tragen, indem Lautzeichen wie Bildzeichen nicht nur als isolierte Elemente, sondern in ihrem kompositorischen Gesamtlayout und größeren sozialen Kontext betrachtet werden. Ein wichtiges Postulat, das sie daraus ableitet, ist die Notwendigkeit, nicht nur Lautwerte, sondern v.a. auch die „Geschichte“ zu erfassen, die von der Inschrift vermittels ihrer verschiedenen Modalitäten „erzählt“ wird. Klassische Antike Im Beitrag von Valentina Belfiore werden Elemente der graphischen Textstrukturierung in den rituellen Anweisungen des Liber Linteus, dem längsten zusammenhängenden Text des Etruskischen, systematisch evaluiert. Die Autorin zeigt, dass nicht allein phonologische oder morphologische Kriterien den Einsatz von Trennzeichen bedingen, sondern dass durch die Verwendung von Interpunktion und Spatien vielmehr auch die Hervorhebung bestimmter inhaltlich besonders relevanter Termini umgesetzt werden konnte.

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Vorwort

Eine entsprechende Untersuchung nimmt Emmanuel Dupraz für die umbrischen Ritualbeschreibungen der Iguvinischen Tafeln vor. Durch die Gegenüberstellung zweier gleichartiger und zeitlich paralleler Textsorten aus verwandten kulturellen Kontexten können die Aufschlüsse über Worttrennerzeichen im Abgleich miteinander validiert und funktional im Rahmen der fachsprachlichen Verwendung eingeordnet werden. Für das Umbrische ist zudem auch die innovative Praxis der verschiedenen Schreiber der Tafeln und der stetige, kontextbedingte Wandel der Konventionen zu konstatieren. Differenzierungen innerhalb der etruskischen Epigraphik (gleichwohl unter Bezugnahme auf die Konventionen italischer Inschriften) evaluiert Enrico Benelli in seinem Beitrag anhand eines schematischen Gesamtüberblicks. Dabei ist das Ziel, unter den zahlreichen graphischen Varianten diejenigen zu identifizieren, die jeweils aussagekräftig für einen bestimmten Schrifttyp sind, nämlich schreiberspezifische Varianten einerseits und stadtstaatenspezifische Varianten andererseits. Auf diesem Wege erschließt sich ein Zugang zu Schreibpraktiken, die als Indikatoren politischer oder ethnischer Identität gewertet werden können. Carlo Consani beschäftigt sich mit dem Korpus von Weihinschriften aus dem Heiligtum von Kafizin (Zypern), das sich durch seine Abgeschlossenheit und inhaltliche Einheitlichkeit auszeichnet. Die Mehrheit der Inschriften ist in der lokalen Koiné verfasst; jedoch existieren auch in Silbenschrift verfasste Texte im zyprischen Dialekt sowie zweisprachige und -schriftige Texte. Neben den Einsichten in die synchrone Variabilität gewinnt der Autor aus den Daten auch eine wichtige methodische Forderung: Die Analyse eines epigraphischen Textes muss den Kontext der Verschriftlichung und die an der Kommunikation beteiligten Akteure miteinbeziehen, um seinen Inhalt so umfassend wie möglich zu erschließen.

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Eine vergleichende Untersuchung der Worttrennungspraxis in den Iguvinischen Tafeln und in attischen Inschriften unternimmt Götz Keydana. Unterschiede zwischen den jeweiligen Konventionen betreffen dabei die durch Worttrennung strukturierten Konstituenten: prosodische Strukturen, auch bei größeren Einheiten, in den umbrischen Texten im Gegensatz zu entweder syntaktischen oder prosodischen Einheiten in den attischen. Die Untersuchung erlaubt zudem wichtige Rückschlüsse auf das Wissen der Sprecher über die jeweils eigene Sprache und deren Kategorien, in diesem Fall die Kategorie „Wort“. Die Materialität oskischer Inschriften nimmt Luca Rigobianco in den Blick – und zwar unter Rückgriff auf das von Prosdocimi eingeführte Paradigma der „semiologia grafica“, der Zeichenhaftigkeit graphischer Elemente. Dabei steht konkret die Interrelation zwischen dem geschriebenen Text als sprachlichem Zeichen und der Textanordnung als Mittel der Informationsstrukturierung im Zentrum der Untersuchung, auf welche auch die Beschaffenheit des Textträgers Einfluss hat. Einem Korpus aus nähesprachlichen, privaten Texten der römischen Kaiserzeit und den darin enthaltenen „veralteten“ (old-fashioned) Schreibungen widmet sich Nicholas Zair. Dabei stellt er zunächst methodologische Überlegungen zu der Frage an, was eine Einordnung als „veraltet“ gegenüber „modern“ überhaupt bedeutet und wie derartige Kategorisierungen validiert werden können. Durch den Abgleich mit Texten der Eliten und öffentlichen Institutionen kann Zair in Zeugnissen der Sub-Eliten größere Tendenzen zu veralteten Schreibungen feststellen, wobei die Zuordnung zu spezifischen Registern oft einen entscheidenden Faktor darstellt.

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Vorwort

Mittelalter und Neuzeit Der Beitrag von Carmen Brandt hat die äußerst heterogene Sprach- und Schriftsituation im modernen Indien zum Thema. Die Autorin zeigt, dass die im Vergleich zur Mehrsprachigkeit oft vernachlässigte Mehrschriftigkeit ein ebenso großes Potenzial für identitätspolitische Implikationen und Konflikte besitzt. Diese werden von ihr sowohl innerhalb der synchronen Komplexität als auch historisch eingeordnet und anhand von spezifischen „Schriftbewegungen“ exemplifiziert, zu deren Hauptzielen kulturelle Aufwertung der eigenen Gemeinschaft sowie Abgrenzung von anderen ethnolinguistischen Gruppen zählen. In der althochdeutschen Handschrift Vindobonensis 2687 untersucht Rosemarie Lühr die Verwendung bestimmter Zeichenformen zur Kodierung schreiberspezifischer Kommunikationsabsichten in Otfrids Evangelienbuch. Dabei liegt ein Hauptaugenmerk auf dem bewussten Einsatz verschiedener Kapitel-, Strophen- und Stophengruppeninitialen, die durch Merkmale wie Einrückung, Zeichengröße und Schriftart informationsstrukturelle und inhaltliche Informationen in den Text integrieren. Ondrej Šefčík untersucht und vergleicht die konkurrierenden Reformationsbewegungen im Bereich der tschechischen Orthographie, besonders bzgl. der Verwendung diakritischer Zeichen, im frühen 19. Jahrhundert. Ähnlich wie im Beitrag von Carmen Brandt werden dabei die hochpolitischen Zusammenhänge und Hintergründe der verschiedenen Akteure sehr deutlich herausgearbeitet und ‒ hier ‒ im historischen Kontext panslawischer und anti-panslawischer Politik verortet. Wenn aus dieser Vielzahl verschiedener Themen und Materialien ein gemeinsames Fazit gezogen werden kann, dann sicher dasjenige, dass gerade historische Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler mög-

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lichst viele linguistische und außerlinguistische Informationsquellen in den Blick nehmen müssen, um ein umfassendes und möglichst vollständiges Bild der jeweiligen Sprach(stuf)e zu erhalten. Dabei bestehen zahlreiche Interrelationen zwischen sprachlichen Ebenen mit traditionell hoher Bedeutung in der Indogermanistik, wie Phonologie und Morphologie, und erst in jüngerer Zeit erschlossenen Perspektiven wie Pragmatik und Textlinguistik. Die hier versammelten Untersuchungen zeigen, dass die Praxis der Schriftverwendung ein wichtiges Bindeglied zwischen diesen linguistischen Ebenen sein kann, dass sie aber auch Zugang zum engeren und weiteren Kontext der außersprachlichen Realität ermöglicht, der essenziell ist für ein vollständiges Verstehen der Texte als Sprachäußerungen und kommunikative Einheiten. Das Potenzial, das die Schriftverwendung als kommunikatives Zeichen besitzt, kann dabei gerade durch den Austausch mit Nachbardisziplinen und die Berücksichtigung moderner Phänomene noch weiter erschlossen werden. Danksagung Die Organisation und Durchführung der Konferenz sowie die anschließende Publikation der Beiträge wurden durch die Unterstützung verschiedener Institutionen und Personen begünstigt und ermöglicht, denen wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank aussprechen wollen. Unser Dank gilt zunächst dem Vorstand der Indogermanischen Gesellschaft, der uns die Gelegenheit gegeben hat, die Verbindung von Schriftkonventionen und pragmatischen Fragestellungen im Rahmen einer Arbeitstagung der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Diskussion zu stellen und auf diese Weise sichtbar zu machen. Desweiteren sind wir der Fédération Wallonie-Bruxelles zu großem Dank verpflichtet, die uns im Rahmen des Projet Action de Recherche Con-

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Vorwort

certée „Descriptions de rituels dans l’Italie du Ier millénaire avant notre ère“ die nötigen finanziellen Bedingungen geschaffen hat, sowie der Université libre de Bruxelles, die uns großzügig Räumlichkeiten und Infrastrukturen für die Konferenz zur Verfügung gestellt hat. Für die tatkräftige Unterstützung bei allerlei Handgriffen und Fußwegen vor und während der Konferenz sei unserer Kollegin Sylvie Vanséveren und den Studierenden †Clara Chemais, Thomas Meurisse und Pierre-Louis Watine unser herzlicher Dank ausgesprochen. Der reibungslose Ablauf, die Organisation der Pausen sowie die freundliche Atmosphäre während der Konferenztage wurden maßgeblich von ihrer Mithilfe getragen. Auch den Teilnehmenden gilt unser Dank, die durch ihre anregenden Beiträge, den freundlichen Austausch und die wissenschaftlichen Diskussionen die Konferenz zu einem rundum gelungenen Ereignis und durch die hilfsbereite Zusammenarbeit die Herausgabe der Tagungsakten zu einer schönen Aufgabe für uns gemacht haben. Die Publikation des vorliegenden Bandes wurde auf der praktischen Seite durch die großzügige Aufnahme in die Reihe „Lettres Orientales et Classiques“ des Peeters-Verlags ermöglicht. Für die kollegiale Zusammenarbeit und kompetente technische Betreuung danken wir insbesondere wiederum Sylvie Vanséveren. November 2021

Theresa Roth, Emmanuel Dupraz und Valentina Belfiore

Vorklassische Zeit

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift Anja Busse Ludwig-Maximilians-Universität München 1. Einleitung 1.1. Abkürzungen als Forschungsgegenstand Das Thema des Tagungsbandes zeigt, dass die Graphematik zunehmend als wichtige Teildisziplin der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft zwischen klassischer Paläographie und neueren pragmatischen Ansätzen etabliert wird. Dazu gehört auch die Erforschung von unvollständigen Wortformen, die zumeist nur bei der Edition von Texten oder marginal bei Lexikoneinträgen aber nur sehr selten selbst im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen (einen guten Überblick zum Forschungsstand bieten Nievergelt, 2016, 226–227, 230f. und der Handbuchartikel von Römer, 1994). Dabei wird auch die Problematik einer allgemeinen Definition des Phänomens von Kürzungen (z.B. in Abgrenzung zu Merographie1, vgl. Niever-

1. Dabei handelt es sich nicht um Kürzungen im engeren Sinne, sondern von vornherein um Teilschreibungen oder Strukturmerkmale (z.B. die Angabe von Flexionsendungen in Glossen als Hilfe zur Interpretation einzelner Wörter).

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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gelt, 2016, 230) und ihren Funktionen sowie einer einheitlichen Typologie deutlich (vgl. Römer, 1994, 1508f.). Die Gemeinsamkeit der Kürzungen besteht jedenfalls darin, dass Teile einer Form weggelassen werden und zwar entweder an den Rändern (Wortanfang, Wortende), was als Suspension bezeichnet wird, oder in der Wortmitte, was als Kontraktion bezeichnet wird. Eine Kürzung kann zudem schriftlich gekennzeichnet werden (vgl. Römer, 1994, 1511f. und Nievergelt 2016, 231), etwa durch einen Abkürzungspunkt2 oder durch die Verwendung von Spatien in der Wortmitte (auch als Versparung bezeichnet, vgl. ebd. 232). Beide Formen der Kennzeichnung sind laut Nievergelt, 2016, 231f. bereits als Substitution zu bezeichnen, da die Markierung den gekürzten Teil der Wortform ersetzt. Eine solche Markierung von Zeichenfolgen als Abkürzung unterscheidet nach Furhop & Peters, 2016, 253f. rein graphematische Abkürzungen gegenüber Kurzwörtern wie Uni oder Bus. Letztere sind unmarkierte Kurzformen, die (wie etwa im Deutschen) auch gegenüber der Langform ihre eigene Flexion (z.B. bei der Pluralbildung) entwickeln können. Zu dieser Gruppe gehören auch Initialkurzwörter wie AG für Arbeitsgruppe, die ebenfalls eine abweichende Flexion aufweisen. Das Spektrum an Motiven3 für den Gebrauch von Abkürzungen wird von Nievergelt, 2016, 233 in zwei verschiedene Bereiche unterteilt: a) Motive, die den Schreibprozess betreffen: individuelle Motive des Schreibers (wie persönliche Gewohnheiten) oder ökonomische Motive wie Verringerung von Menge und Zeit des Schreibaufwands (etwa

2. Zum Abkürzungspunkt (neben Apostroph und Divis) als Interpunktionszeichen (im Gegensatz zu Diakritika) und Teil von markierten graphematischen Wörtern vgl. auch Furhop & Peters, 2016, 252. 3. Vgl. auch Römer, 1994, 1506f.

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Anja Busse

durch Abkürzung häufig wiederholter Begriffe im Text) und damit verbunden auch Platzersparnis beim Schreibmaterial b) Motive, die auf den Gebrauch durch Rezipienten ausgerichtet und z.B. innerhalb bestimmter Schreibtraditionen mit Blick auf die Lesegewohnheiten etabliert waren (wie Aspekte des Layouts oder Regeln für bestimmte Textsorten) Motive der ersten Gruppe sind allgemein schwieriger zu ermitteln als solche der zweiten Gruppe, da diese konventionalisiert sind und zumeist zeitlich und / oder räumlich begrenzt (z.B. in bestimmten Textsorten oder Schreiberzirkeln) verwendet werden. 1.2. Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift Im vorliegenden Beitrag geht es um die hethitischen Keilschrifttexte, die aus der zweiten Hälfte des 2. Jts. v. Chr. überliefert sind. Das Hethitische gehört zum altanatolischen Sprachzweig der indogermanischen Sprachen und verwendet ein adaptiertes4 Keilschriftsystem, dessen Vorläufer für strukturell andere Sprachen entwickelt und verwendet wurden. Es ist ein logo-syllabisches Schriftsystem und enthält neben hethitischen5 Sequenzen, die mit Silbenzeichen geschriebenen werden, auch heterographische6

4. Zum Hintergrund der Schriftübernahme in Anatolien vgl. den Überblick in Weeden, 2011, 57–80. 5. Die Schreiber verwendeten dieses Schriftsystem auch für andere anatolische Sprachen (wie Luwisch und Palaisch) sowie für nicht zu dieser Sprachfamilie gehörende Sprachen (wie Hurritisch oder Hattisch), die ebenfalls in Kontakt mit dem Hethitischen standen. 6. Darunter werden hier Zeichen oder Zeichensequenzen verstanden, deren Funktion oder Bedeutung bereits in einem Schriftsystem für eine Sprache konventionalisiert wurden, die aber nach der Adaption für ein System, das für eine andere Sprache gebraucht wird, andere Funktionen haben können (vgl. zu diesem Begriff auch Kudrinski & Yakubovich, 2016, 55 mit einer etwas anderen Formulierung).

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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Schreibungen, die sog. Sumerogramme und Akkadogramme.7 Bislang gibt es keine allgemeine Untersuchung zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift. Dabei sind verschiedene Bereiche zu unterscheiden, darunter die Kürzung bzw. Vereinfachung von Zeichenformen8, die Kürzung von (komplexen) Wortzeichen9 und die Kürzung von Zeichensequenzen.10 Zum letzten Bereich gehört auch die Kürzung von syllabisch11 geschriebenen Wortformen, mit der sich der vorliegende Beitrag beschäftigt. Die einzige Sammlung, die bislang zu dieser Art von Abkürzungen zur Verfügung steht, ist eine Liste im Hethitischen Zeichenlexikon von Rüster und Neu (Anhang 7), außerdem können die entsprechenden Wörterbucheinträ-

7. Während die Sumerogramme als Logogramme für zumeist heth. Wörter stehen und auch als semantische Klassifikatoren für bestimmte Wortklassen verwendet werden, erscheinen akkadographische Schreibungen vorwiegend als Morphogramme. Inwiefern bestimmte Akkadogramme in hethitischen Texten auch als akkadische Wörter gelesen werden konnten, wird in der Forschung noch diskutiert (vgl. den Überblick in Busse, 2018, 343‒345 mit weiterer Literatur). 8. Beispiele finden sich in Weeden, 2011, 67, 188, 193 und 213. Vgl. auch das „halbierte“ Zeichen ALAMx, das von Cammarosano, 2018, 34 und 165 besprochen wird. 9. Zu Kurzformen von Sumerogrammen vgl. Weeden, 2011, 185, 259, 269, 313f., 378, 593 sowie speziell zu Omentexten ebd. 155 (zu Beispielen in akkadischen Omentexten aus Hattuša vgl. Cohen, 2007, 243 und 247). 10. Einige Logogramme sind vermutlich aus Abkürzungen für akkadographische (oder akkadische?) Wörter entstanden (vgl. Weeden, 2011, 177, 618), wobei nicht immer klar ist, ob es sich z.B. beim zumeist als Sumerogramm interpretierten IR ‚Orakelanfrage‘ (aus akk. erištu) um eine akkadographische Abkürzung (z.B. ER. bzw. mit Kontraktion ER.-TU4) handelt oder um ein Sumerogramm (IR bzw. mit akkadographischer Komplementierung IR-TU4), vgl. Weeden, 2011, 253. 11. In diesem Beitrag werden jedoch nicht die z.B. von Hoffner & Melchert, 2008, 13f. als „system of scribal shorthand“ bezeichneten Schreibvarianten behandelt, bei denen bestimmte Konsonanten zwischen Vokalen einfach statt doppelt geschrieben wurden, da es sich eher um Vereinfachungen der Sequenzen handelt, die sich durch die Struktur der Silbenzeichen ergeben, als um Abkürzungen.

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ge12 zu den Lexemen herangezogen werden, für die verkürzte Schreibungen belegt sind und es finden sich auch vereinzelt Anmerkungen zu Kürzungen in Texteditionen und der Sekundärliteratur. Die formale Struktur der in der hethitischen Keilschrift verwendeten Abkürzungen von syllabisch geschriebenen Wörtern folgt einem einfachen Prinzip. Dabei wird entweder am Wortende oder in der Wortmitte die Menge der Silbenzeichen reduziert, so dass das graphematische Wort meist nur noch aus ein oder zwei Zeichen besteht.13 Diese beiden Arten der Kürzung werden auch als Suspension und Kontraktion bezeichnet.14 Die Abkürzungen wurden von den hethitischen Schreibern nicht als solche gekennzeichnet.15 Abbreviaturzeichen (wie & oder @) sind aus dieser Schrifttradition bislang ebenfalls nicht bekannt. Abgesehen von Maßeinheiten oder Zahlwörtern (die jedoch wiederum einen eigenen Untersuchungsbereich darstellen würden)16 gilt der Gebrauch von Kürzungen in der hethitischen Keilschrift als Charakteristikum von

12. Bislang ist kein vollständiges Großwörterbuch zum Hethitischen vorhanden. HW2 und CHD ermöglichen einen weitgehend guten Überblick zur Beleglage der Wörter unter den Buchstaben A‒Š, weitere Belegstellen sind auch in den etymologischen Wörterbüchern HEG, HED und EDHIL zu finden (auch in den aktuellen Handwörterbüchern von Tischler, 2016 und Ünal, 2016 sind Abkürzungen mit aufgenommen). 13. Bei Sumerogrammen mit syllabischer Komplementierung wird nur dann eine Abkürzung angenommen, wenn nicht das letzte Zeichen der entsprechenden syllabischen Sequenz geschrieben wurde. 14. Vgl. zu diesen Ausdrücken und zur Abgrenzung vom Verfahren der Substitution Nievergelt, 2016, 230–232. 15. Theoretisch könnte sich daher im Einzelfall die Frage stellen, ob es sich um Abkürzungen oder Kurzwörter handelt (s. 1.1). 16. Diese beiden Gruppen von Wörtern werden hier nicht behandelt, da sie ebenfalls eigene Untersuchungen erfordern. Beispiele für abgekürzte Maßeinheiten in der heth. Keilschrift sind: gi. (= gipeššar), wa. (= wakšur) sowie akkadographisch PA. (=PARĪSU/I vgl. Weeden, 2011, 598) und sumerographisch MA. (= MA.NA). Beispiele für abgekürzte Zahlwörter sind: akkadographisch 1-NU (für 1-NU-TU4, vgl. Hoffner & Melchert, 2008, 159), LI. (für LI-IM), oder TA. (für = TA-PAL, vgl. Hoffner & Melchert, 2008, 159f.).

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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Orakeltexten (s. unter 2) und wird (zumindest mit Blick auf bestimmte Wörter) mit Texten aus späteren Schriftepochen17 in Verbindung gebracht.18 Doch Abkürzungen sind schon früher bezeugt und kommen auch in anderen Textsorten vor. Zudem lässt sich bei manchen Abkürzungen keine Verbindung zum fachsprachlichen Genre der Divination herstellen (s. unter 3). Im Folgenden wird ein kurzer Überblick zu Formen und der Verteilung von Abkürzungen in hethitischen Texten sowie den davon betroffenen Wortarten gegeben. 2. Abkürzungen in Divinationstexten 2.1. Verwendung von Abkürzungen in verschiedenen Textsorten der Divination Aus dem hethitischen Schrifttum sind eine ganze Reihe unterschiedlicher Arten der Zukunftsdeutung19 bezeugt, darunter verschiedene Orakeltechniken wie die Leberschau beim Schaf, die Vogelbeobachtung20 oder das

KIN(Sym-

bolmarken)-Orakel21. Zu den Vorgängen dieser Orakelpraxis sind jeweils Orakelprotokolle überliefert, die Anfrage und Ergebnis schriftlich festhalten. Ünal & Kammenhuber, 1974, 161 sahen die Motivation für die von ihnen als

17. Die hier angegebenen Datierungen (ah.= ‚althethitisch‘, mh.= ‚mittelhethitisch‘; jh.= ‚junghethitisch‘; und sjh.= ‚spätjunghethitisch‘) beziehen sich auf die Angaben zu den einzelnen Manuskripten (zu unterscheiden von Textkompositionen) in der Konkordanz der hethitischen Keilschrifttafeln (S. Košak, hethiter.net/hetkonk). 18. Vgl. u.a. Hoffner & Melchert, 2008, 159, n. 22; Haas 2008, 31; Hoffner, 2009, 347; Miller, 2010, 513 und 2012, 103 sowie Weeden, 2011, 253. 19. Siehe dazu Kammenhuber, 1976 und Haas, 2008. Neben den Protokollen aus der Orakelpraxis sind noch weitere Textsorten aus dem Bereich der Divination überliefert, die jedoch eher als gelehrte Texte zu Studien- und Referenzzwecken verwendet wurden: Omenserien (s. Riemenschneider, 1970 und 2004 sowie Fincke, 2004) und beschriftete Tonlebermodelle (s. de Vos, 2013 und Mouton, 2015). 20. Siehe Archi, 1975 und Sakuma, 2009. 21. Siehe dazu jetzt Warbinek, 2020.

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‚Telegrammstil‘ bezeichnete Schreibweise der Orakeltexte in zeitökonomischen Gründen, die durch die unmittelbare Schreibsituation bedingt waren.22 Allerdings erscheinen die Abkürzungen nicht nur in den Protokollen, sondern auch in daraus (z.T. auch aus unterschiedlichen Orakelanfragen) später kompilierten Orakelberichten, die eine erhebliche Länge aufweisen konnten (vgl. KUB 22.70 z.B. Vs. 27). Sakuma, 2009, 455–462 beschreibt einige Texte zur Vogelbeobachtung, die keine Orakelprotokolle darstellen, sondern Omina. Auch in diesen Texten wurden die Abkürzungen nicht aufgelöst, was vermuten lässt, dass es sich dabei nicht (oder vielleicht nicht mehr?) um rein zeitökonomische Graphien handelt. Hier könnten auch andere Motivationen eine Rolle spielen, wie etwa die häufige Wiederholung von bestimmten Begriffen in einem zumeist formelhaften Fachkontext (vgl. unter 2.1.). Unabhängig von der einzelnen Schriftsprache finden sich typologisch gesehen in Fach- und Verwaltungstexten oft erheblich mehr Abkürzungen als beispielsweise in literarischen Texten (vgl. Römer, 1994, 1507).23 Die Fachterminologie der Divinationstexte kann hier nicht ausführlich behandelt werden. Im Folgenden werden stattdessen nur zwei Be-

22. „Was Orakeltexte so schwer verständlich macht, ist ihr Telegrammstil, die abgekürzten Schreibungen und die in der Orakelausführung auftretenden Begriffe und Beschreibungen, sc. im Losorakel viele Gegenstände und abstrakte Begriffe, im Vogelorakel Flugbewegungen und verschiedene Gebärden der Vögel und im Eingeweideorakel stark abgekürzte, zum Teil hurritische Bezeichnungen für die Teile der Tiereingeweide und ihre Beschaffenheit. Für abgekürzte Schreibungen, Telegramm-Stil, schlechte Syntax und sehr flüssigen, auseinandergezogenen Schriftduktus verantwortlich zu machen ist der Umstand, daß die Schreiber die raschen Vorgänge protokollartig möglichst schnell fixieren mußten.“ (Ünal & Kammenhuber, 1974, 161). 23. Auch auf einem der o.g. Tonlebermodelle (bei denen es eher unwahrscheinlich ist, dass sie in einer Situation beschriftet wurden, die nach Zeitökonomie verlangte) ist vermutlich eine Abkürzung zu finden. Dabei handelt es sich um das in die althethitische Schriftepoche datierte zweisprachig akkadisch-hethitische Modell KBo 25.1, allerdings in der akk. Protasis: im Text b, Zeile 1: ṣé. oder ṣí. (von de Vos, 2013, 180f. als akk. ṣēlu ‚Seite‘ interpretiert und von Mouton, 2015, 228 als akk. ṣibtum ‚Auswuchs‘).

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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reiche herausgegriffen, anhand derer sich einige Merkmale der Verwendung von Abkürzungen in der Orakelpraxis zeigen lassen: die Leberschau und die Vogelbeobachtung. 2.2. Abkürzungen bei der Leberschau Die immer wiederkehrenden Sequenzen der Orakelanfragen und -ergebnisse zeigen sich beispielsweise beim Leberorakel. Wie bereits erwähnt erscheinen hier im hethitischen Text (neben akkadischen) einige hurritische Fachbegriffe, die abgekürzt geschrieben werden können. Dabei handelt es sich um Merkmale, hinsichtlich derer die Leber bei der Orakelanfrage untersucht wurde.24 Beispiele für abgekürzte Fachtermini im Leberorakel (Abkürzungspunkte wie hier in der Umschrift kommen dort wie gesagt nicht vor, da die Abkürzungen in der hethitischen Schrift unbezeichnet blieben): ḫilipšiman-

(Anomalie der Gallenblase)

ḫi-li8/13.

keldi-

‚Bauchspeicheldrüse (?)‘

ke.; ki.-iš; ki.-eš

mazeri-

(Teil der Leber)

ma-zé.; ma-zé.-eš

nipašuri-

(Teil der Leber)

ni.; ni.-eš; ni.-iš

šintaḫi-

,Standort‘

ši.; ši.-iš

tanāni-

‚Verdickung‘

ta.; da.

zizaḫi-

‚Bandwurmfinne‘

zi.-iš

Besonders gut veranschaulicht eine Textpassage aus dem jh. Orakelbericht KBo 5.6++, wie dicht die Abkürzungen sich in solchen Texten aneinanderreihen konnten. Es handelt sich dabei aber nicht um ein flüchtig geschriebenes Protokoll, sondern um einen später verfassten Bericht, der die

24. Siehe Schuol, 1994 und vgl. Belege zu den einzelnen Wörtern unter den Lemmata der Wörterbücher HW2 und CHD, sowie HEG, HED und EDHIL.

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Orakelpassagen in den Kontext der Anfrage einbindet. Hier wechseln ausformulierte Passagen zum Kontext des Anlasses mit rein protokollartig wiedergegebenen Passagen zu Anfrage und Ergebnis der durchgeführten Orakel. Im folgenden Beispiel ist nur ein Teil der Orakelpassage wiedergegeben (die Abkürzungen sind hier in der Transliteration hervorgehoben, jedoch nicht im Originaltext): (1) KUB 5.6++ Vs. I 35’–37’ (CTH 570)25 (35’)

(…) nam-ma-kán ˹dUTU-ŠI˺ A-NA DINGIR-LÌ 1 GU4 ‹4›6 UDU-ia

(36’)URU

KÙ.BABBAR-aš

la-a-an ḫar-ti SIG5 (35’)

(37’)

i-wa-ar ši-ip-pa-an-ti DINGIR-LÌ-za QA-TAM-MA ma-

nu TE.MEŠ SIG5-ru ni. ši. ta. ke. zi. a-ri 10 ŠÀ/UZUTIR.

ka-ru-ú SUM-an

(…) Soll die Majestät einen Ochsen und ‹4›6 Schafe

(36’)

nach der

Art (wie es in) Hattuša (üblich ist) opfern? Hast du, Gottheit, selbst so eingewilligt? (37’)dann sollen die Extispizien günstig sein: nipašuri, šintaḫi, tanāni, keldi, zizaḫi kommt an; 10 Darmwindungen – (Ergebnis): günstig; (das Opfer) ist bereits dargebracht. Die Fachbegriffe nipašuri, šintaḫi, tanāni, keldi und zizaḫi folgen unmittelbar aufeinander und sind alle auf solche Weise durch Suspension abgekürzt, dass nur noch das erste Zeichen geschrieben wurde. In derselben Zeile finden sich vor und nach den hurritischen Termini noch zwei akkad(ograph)ische Bezeichnungen, die ebenfalls in dieser Form abgekürzt erscheinen (TE.MEŠ für ‚Darmwindungen‘).

MEŠ

TÊRĒTE

‚Extispizien‘ und

UZU

TIR

für

UZU

TĪRĀNU

26

25. Transliteration basierend auf dem Konkordanzfoto unter Berücksichtigung von Beckman, Bryce & Cline, 2011, 186f. 26. Bei MEŠ handelt es sich um einen sumerographischen Pluralmarker und bei UZU um ein Determinativ für Körperteile, beide sind unabhängig von etwaigen Abkürzungen der

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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Hinsichtlich der hurritischen Termini ist zudem erwähnenswert, dass in Zeile 37 auf dem Konkordanz-Foto27 zwischen ni. ši. und ta. (nipašuri, šintaḫi und tanāni) kein Spatium zu erkennen ist, so als würde es sich dabei um ein einziges graphematisches Wort28 ni(-)ši(-)ta handeln (die Abkürzungen ke. und zi. für keldi und zizaḫi, sind hingegen durch Spatien abgegrenzt). Die drei Fachtermini, die durch Kürzungen ersetzt wurden, sind auf den ersten Blick durch das Fehlen der Worttrennung zwischen diesen einzelnen Begriffen schwieriger zu lesen. Allerdings kommt diese Wortfolge so häufig in dieser Textsorte vor, dass ihr hoher Grad an Konventionalität (und damit die Erwartung beim Rezipienten) auch das Weglassen der Spatien zwischen den einzelnen Abkürzungen lizensiert haben könnte (vgl. Nievergelt, 2016, 233 der darauf hinweist, dass die Auflösbarkeit einer Abkürzung direkt mit ihrem Grad an Konventionalität zusammenhängt).29 Darüber hinaus könnte es sich möglicherweise sogar um die Entstehung eines Akronyms30 (in diesem Fall ein Wort, das aus den Anfangssilben mehrerer Wörter zusammengesetzt ist) handeln.31 Doch für den Nachweis sol-

syllabischen Formen, da sie als „stumme“ Zusatzzeichen verwendet wurden. 27. Vgl. hethiter.net/: PhotArch BoFN00496. 28. Nach Furhop, 2008, 190 ist ein graphematisches Wort eine Zeichensequenz, die im Gebrauch eines Schriftsystems als zusammengehörig angesehen bzw. so dargestellt wird. Abhängig vom jeweiligen Schriftsystem können graphematische Wörter mit verschiedenen Einheiten aus dem Sprachsystem korrespondieren (phonologischen, morphologischen oder syntaktischen). Die Verwendung von Worttrennzeichen wie Spatien hilft dem Leser, einzelne Wörter besser zu erkennen und syntaktisch schneller zu verarbeitet (vgl. Furhop & Peters, 2016, 254). 29. Auch bei der Schreibung ZÍ(-)ḫilipšiman ‚Gallenblase(-)Anomalie‘ wird die Sequenz oft ohne Trennzeichen geschrieben (vgl. HW2 Ḫ 594), weswegen auch hier eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Lesung besteht. Es scheint sich dabei aber um ein Logogramm und ein darauffolgendes syllabisch geschriebenes Wort zu handeln und keine Abkürzung. 30. Vgl. dazu Römer, 1994, 1508f. 31. Die Bestandteile würden dabei jedoch einer Art Aufzählung entsprechen, anders als Akronyme, die syntaktische Einheiten bilden wie etwa das spanische Akronym Mercosur (für Mercado Común del Sur ‚gemeinsamer Markt des Südens‘).

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cher Entwicklungen wäre eine vergleichende Untersuchung anhand des hethitischen Materials notwendig, die an dieser Stelle nicht möglich ist. 2.3. Abkürzungen bei der Vogelschau Beim Vogelflugorakel wird das Verhalten von Vögeln beobachtet und dokumentiert. Die Termini sind hier einerseits Lokaladverbien und andererseits bestimmte Bereiche, in denen sich die Vögel bewegen.32 Auch hier werden Fachbegriffe abgekürzt. In manchen Fällen erscheint nur der Wortanfang und in anderen kontrahierten die Schreiber Zeichensequenzen. Abkürzungen erscheinen bei diesen Begriffen eher in jüngeren als in älteren Texten. Die Schreibungen weisen in den verschiedenen Schriftepochen eine unterschiedliche Frequenz auf, wobei die Entwicklung auch je nach Lexem anders verläuft. Sakuma, 2009, 265, 271–274 hat diese und andere Frequenzunterschiede in den Schreibungen gesammelt, die hier gelistet sind: Fachbegriff

mh.

jh. /sjh.

gun-? ‚günstiger Bereich‘

gun.-an

gun.-li12-an (häufig) gun.-li12 gun.-an

kuštayati ‚vom ungünstigen (Bereich)‘

ku-uš. (häufig)

ku-uš. (häufig) ku. ku.-za ku-uš.-za

32. Ähnliche Abkürzungen erscheinen auch in Protokollen, die andere Orakeltechniken dokumentieren wie beispielsweise beim KIN-Orakel (z.B. da.-i, da.-an, da.-n⸗a für dapian ‚all, gesamt‘; pa.-i, pa.-wi für pangawi ‚Gesamtheit‘; mi.-mar für minumar ‚Erfolg‘ oder in.tar für innarawatar- ‚Lebenskraft‘), vgl. auch Warbinek, 2020, 73f.

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

pariyawan ‚schräg‘

pa-ri. (selten)

pa.-an (häufig) pa-ri.-an pa-ri.-u-an

peran ‚vorne‘

pé. (selten)

pé., pé.-an (häufig)

tarwalli-

tar-u.-an

tar.-li12-an tar.-li12 tar-u.-iš tar.-u-e-eš tar.-li12-ú-eš tar.- li12-in

zilawan ‚längs‘

zi. (selten)

zi.-an (häufig) zi. zi-la.-an

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Die Abkürzungen erscheinen also bereits in mh. Texten und werden allgemein in den jh. Exemplaren dieser Textsorte häufiger und mit mehr Varianten verwendet, dennoch ist die Ausprägung der Frequenz an Schreibungen in einzelnen Schriftepochen je nach Lexem unterschiedlich. 2.4. Abkürzungen in anderen Texten mit Bezug zur Divination Es gibt noch andere Textsorten, die sich auf die Divinationspraxis beziehen, aber nicht zu deren Kerntextsorten gehören. So erwähnt das jh. Ritual des Auguren Ḫuwarlu (CTH 398 KBo 4.2++)33 an einer Stelle den aus den Vogelbeobachtungstexten bekannten gun.-Bereich (der überhaupt nur in abgekürzter Form bezeugt ist): gun.-li12. (Rs. III 28). In einem mh. Brief KBo 15.28 (CTH 195)34 berichten mehrere Auguren der Königin vom Verlauf einer Vogelorakelbeobachtung. Dabei erwähnen sie ebenfalls die abgekürzten Begriffe (Vs. 6 und Rs. 3’) gun.-eš17 und zi. (vgl. Sakuma, 2009, 130). Die

33. Vgl. Bawanypeck (ed.), hethiter.net/: CTH 398 (Expl. A, 24.03.2016). 34. Vgl. Hoffner, 2009, 84f., Sakuma, 2009, 9.

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Schreibung ist im Fall der Orakeltexte auch durch die dort gebräuchliche Verknappung und Formelhaftigkeit erklärbar. Doch in den o.g. Kontexten ist eine solche Kürzung nur sinnvoll, wenn auch hier der fachsprachliche Aspekt in irgendeiner Form eine Rolle gespielt hat, sei es unter Spezialisten oder bei der Kommunikation der Expertise nach außen. 2.5. Die Schreibung pé(-)an: Abkürzung oder phonologische Variante von peran? Einen Sonderfall stellt das Lokaladverb peran dar. Es wird in jh. Vogelbeobachtungsprotokollen üblicherweise abgekürzt pé.-an geschrieben (vgl. Sakuma, 2009, 99), doch diese Schreibung findet sich auch in den verschiedensten anderen Textsorten (Belege aus CHD P 293): Jh: Fragment eines Abwehrrituals (CTH 453)35, Gebetsfragment (CTH 389)36, Traum/Gelübde-Fragmente (CTH 590)37 sowie Traum der Königin (CTH 584)38, Mythos von Ullikummi (CTH 345, T1)39, Instruktion der Ašmunikkal für die Wächter der Grabanlage (CTH 252)40, weiteres Fragment von Instruktion/Vertrag (CTH 212)41, ‚Tawagalawa Brief‘ (CTH 181)42, Tafelkatalog (CTH 279, Bk E)43, Landschenkungsurkunde Tudḫaliyas IV. an Šaḫurunuwa (CTH 225)44 und akkadisch-hethitischer Weisheitstext (CTH 316)45.

35. KUB 46.45 Rs.? 10, 13, 21. 36. KUB 54.1 Vs. I 47, II 24; Rs. IV 9, 17’. 37. KUB 15.18 Rs. III 6, KUB 15.20 Vs. II? 2, KUB 15.22 10. 38. KUB 15.23 9. 39. KUB 33.93 Vs. I 5; Rs. IV 11, 38. 40. KUB 13.8 Vs. 9. 41. KBo 40.13 Vs. 7’. 42. KUB 14.3 Rs. IV 46. 43. KUB 30.56 Rs. III 18’. 44. KUB 26.43 Rs. 27, 35. 45. KBo 12.128 8’.

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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Sjh: ebenfalls in einem Fragment von Instruktion/Vertrag (CTH 212)46; im Ritual der Bappi (CTH 297, Unterst.)47 sowie im Ritual (CTH 495)48 ‚nach Art der Stadt Arušna‘ vom Schreiber Attanali49 und in einem Manuskript des AN.TAḪ.ŠUMSAR-Fests (CTH 609, Bk A)50. Diese Verbreitung außerhalb der Divinationstexte wirft die Frage auf, ob die Schreibung pé(-)an eine rein graphematische Kürzung ist oder einen phonologischen Hintergrund hat. So vermutete Kronasser, 1956, 72 einen Verlust von intervokalischem /r/, das aufgrund schwacher Artikulation auch in der Schrift nicht mehr dargestellt wurde (vgl. Hoffner & Melchert, 2008, 46 „sporadic nonrepresentation in writing“). Einige Jahre später erwägt Kronasser, später 1966, 67, dass es sich um eine Abkürzung handelt, denn einerseits kommen analog dazu die Lokaladverbien pariyawan und zilawan mit ähnlichen Abkürzungen vor (vgl. 2.2.) und schließlich erscheint eine Kürzung bis auf das erste Zeichen mit der Schreibung pé. ausschließlich in (jh. und sjh.) Orakeltexten (Belege in CHD P 293), die eine Abkürzung auch für die Schreibung pé-an zunächst einmal wahrscheinlicher macht als eine phonographische Wiedergabe eines schwach artikulierten /r/ (vgl. auch CHD P 293, HEG L–S 573 und Sakuma, 2009, 99). Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich gerade bei diesem Wort eine verkürzte Schreibung auch in andere Textsorten ausgebreitet hat. Die Gründe dafür sind noch unbekannt.

46. KUB 60.69 Rs. 7’. 47. KUB 54.34 Vs. II 2. 48. KBo 56.9++ Rs. 9’, 35’, 62’, 71’, 89’; KUB 39.54 Vs.? 13, 14 (dieses Ritual enthält noch weitere Abkürzungen, vgl. unter 3.1). 49. Dieser verwendet auch andere ungewöhnliche Schreibungen (vgl. Miller, 2012, 103). 50. IBoT 3.1 11, 12; KUB 34.69 Vs. 2.

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3. Abkürzungen außerhalb der Divination Neben den aus Divinationstexten bekannten Abkürzungen gibt es noch weitere unvollständige Wortformen, die nur außerhalb dieses Genres bezeugt sind. Diese lassen sich unterscheiden in Kürzungen, die mehrfach im selben Text verwendet wurden und solchen, die nur vereinzelt in einem Text erscheinen. 3.1. Mehrfach im gleichen Text verwendete Kürzungen Manche Texte weisen eine häufige Abkürzung ganz bestimmter Wörter auf. So erscheint die Personenbezeichnung des männlichen und weiblichen Ritualpersonals

LÚ/MUNUS

kankatitalla- im sjh. Ritual ‚nach Art der Stadt

Arušna‘ (KBo 56.9++) mehrfach abgekürzt (Belege in Miller, 2010, 513) als LÚ





kán.-la (vgl. KBo 56.10 5‘); ?

kán.-˹eš ˺ oder auch

MUNUS

kán.-eš. (vgl.

kán.⸗ia-aš;

MUNUS



kán.-a⸗š-ši-ia-an;

kán-ka4-ti-da.-a⸗š-ši-eš in Bo

8819, 4’ sjh. CTH 495). Auch hier zeigen sich verschiedene Varianten der Abkürzung und es wird in einigen Fällen die Flexionsendung mit angegeben. Miller, 2010, 512 nennt noch eine weitere Berufsbezeichnung, die ebenfalls in diesen Ritualen abgekürzt vorkommt:



IGI-zi-šal-la 51

46.42++ iii 14’, iv 12, 17; KUB 46.39++ iii 40’), abgekürzt : (KUB 46.40+ obv. 19);



IGI-zi.-a⸗š-ši-iš

(KUB



IGI-zi.

(KUB 46.38 ii 9’).

Neben den genannten Personenbezeichnungen kommen auch Bezeichnungen von Gegenständen mit Abkürzungen vor, so etwa in einem jh. Truheninventar (NBC 3842, CTH 224), in dem die Stoffbezeichnung TÚGmaššiya- mehrfach abgekürzt erschein:

TÚG

ma.;

TÚG

ma-ši. (Belege vgl. HEG L–S

51. Die Schreibungen LÚIGI-la und LÚIGI-eš können dagegen nicht eindeutig als Abkürzungen identifiziert werden, da sie das letzte Zeichen der syllabischen Sequenz zeigen und der vordere Wortteil bereits durch das Sumerogramm abgedeckt ist, was einer normalen Schreibung mit Sumerogramm und Komplement entspricht.

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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159–161, CHD L–N 205f.). Nicht nur in jh. Texten kommen solche Abkürzungen vor, sondern auch in einem (laut Konkordanz vermutlich) mh. Manuskript (einer Festbeschreibung IBoT 1.29)52. Hier erscheint mehrfach die Brotbezeichnung

NINDA

wageššar abgekürzt als

NINDA

wa. (Vs. I 57, 58; II 11,

12, 13, Belege vgl. HEG U–Z 226f.). Der Gebrauch abgekürzter Personennamen zeigt sich anhand von zwei Textexemplaren aus mittelhethitischer Zeit. Dabei erscheint jeweils immer derselbe Name mehrfach abgekürzt. In den beiden Ritualtexten auf der Tafel KBo 15.10+ (CTH 443)53, die vom Schreiber

ŠUKUR-anza

geschrieben

f

wurde, wird der Name der Ritualexpertin Ziplantawiya nur am Anfang ausgeschrieben und im restlichen Text abgekürzt als fZi. An bestimmten Stellen wird noch eine Flexionsendung angezeigt: fZi.-aš. Ganz ähnlich (wenn auch mit weniger Belegen) wird auch im Gebet des mKantuzzili KUB 30.10 (CTH 373)54 die Abkürzung dieses Namens verwendet: Kán.-iš. (Rs. 10, 11), mKán.-li (Vs. 3’)55. In beiden Fällen handelt es sich

m

bei den Abkürzungen um den Namen des Autors bzw. der Autorin, dem/der der Text zugeschrieben wird. Diese Praxis der Abkürzung von Personennamen ist aus dem hethitischen Korpus nur selten belegt.56 Zudem ist bemer-

52. Vgl. Mouton, 2011. 53. Vgl. die Transliteration bei S. Görke (ed.), hethiter.net/: CTH 443.1 (Expl. A, 11.12.2013). 54. Vgl. die Transliteration bei E. Rieken et al. (ed.) hethiter.net/: CTH 373 (Expl. A, 11.12.2017). 55. An dieser Stelle erscheint der Name mit dem akkadographischen Kasusmarker im Dat.Lok. und könnte demnach auch als akkadographische Sequenz A-NA KAN.-LI aufzufassen sein. 56. Mehrfache Abkürzung eines Namens im gleichen Manuskript ist außer in den beiden genannten Texten nur noch beim PN mKur. in zwei sjh. Orakeltexten (KBo 48.28 und KUB 5.24++) belegt. Weitere seltene Beispiele für abgekürzte Namen sind für Tudḫaliya: mTu-ut. (im sjh. Kultinventar KUB 25.22 in Vs. II 15’, CTH 524, vgl. Cammarosano, 2012, 22, n. 54), mTu. (in einer Festbeschreibung des AN.TAḪ.ŠUMSAR-Fests KUB 20.63+ Vs. I 6, vgl. Groddek, 2004, 111) sowie Tu-du-ḫa-li. (vermutlich nur eine Übung auf einer jh. Schülertafel des Schreibers Šanta(ku)runtiya= m.dAMAR.UTU-dKAL: KUB 46.34 Vs. II 2’, hier könnten auch nur einige Silbensequenzen getestet worden sein, es muss sich nicht um

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kenswert, dass beide Textexemplare nicht nur (laut Konkordanz) aus derselben Schriftepoche stammen, sondern auch im gleichen Gebäude (Bk. A) in der Oberstadt von Hattuša gefunden wurden.57 Römer, 1994, 1507 weist darauf hin, dass mit Blick auf den Leser in Aufzeichnungen zum Eigengebrauch mehr Kürzungen verwendet werden können als in Texten für andere Leser. Dies könnte evtl. in solchen Texten eine Rolle gespielt haben, die der Schreiber für sein eigenes Studium verwendet hat. 3.2. Vereinzelte Abkürzungen Ein interessantes Beispiel für möglicherweise durch Raumökonomie motivierte Abkürzungen stellt der sjh. Milawata-Brief (KUB 19.55++) dar. Hier erscheint auf dem unteren Rand eine Reihe von Abkürzungen: KUB 19.55++ (CTH 182)58 (u. Rd. 4)

(…) GIM-an-ma-mu A-BU-KA LÚLI. URUU. URUAt. NU.SUM (…)59

(u. Rd. 4)

(…) als mir aber dein Vater die Gefangenen der Stadt Utima

und der Stadt Atriya nicht gegeben hat (…) Auf dem linken Rand erscheinen ebenfalls abgekürzte Ortsnamen:

Abkürzungen handeln, vgl. Torri, 2010, 323–326 und zu diesem Schreiber auch Gordin, 2016, 228f.). 57. Interessant ist jedoch, dass gerade in diesem Gebäude auch Orakeltexte aus mh. Zeit zu finden sind und zwar „solche Tafeln (…) die frei von Abkürzungen sind und die man vermutlich als „gelehrte“ Dokumente aufbewahrte.“ (Alaura, 2001, 25). 58. Transliteration anhand der Konkordanzfotos unter Berücksichtigung von Hoffner, 2009, 320 und Beckman, Bryce & Cline, 2011, 129–131. 59. Das Zeichen SUM liegt genau auf der Bruchkante, Reste sind aber auf dem Anschlussstück klar zu erkennen (vgl. die Fotos in der Konkordanz: hethiter.net/:PhotArch BoFN01076 und hethiter.net/: PhotArch BoFN09617a). Nach dem Bruch ist bis zum Rand noch etwa ein Drittel der Tafel Raum.

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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KUB 19.55++ (CTH 182)60 (l. Rd. 3 ) URU

(…) INIM URUA. URUPí. (…) (l. Rd. 4)[…]x LÚLI-ṬÚ-TU4 URUA-wa.

Pí-na

(l. Rd. 3 )

(…)

(…) die Angelegenheit der Stadt Awarna und der Stadt Pina

(l. Rd. 4)

[…] die Gefangenen der Stadt Awarna und der Stadt Pina

Zwar erscheinen die Abkürzungen jeweils auf den Tafelrändern aber dort immer mitten im Text, bis zum Rand war jeweils noch Raum zum Schreiben, so dass Raumökonomie als Motivation zwar in Frage kommt aber nicht zwingend notwendig gewesen sein muss.61 Wie aus dem Text auf dem linken Rand hervorgeht, erscheinen dort nach den Abkürzungen dieselben Wörter auch in längerer Form (vgl. Hoffner, 2009, 320 und Beckman, Bryce & Cline, 2011, 130). Dennoch ist der untere Rand noch aus anderen Gründen interessant. Der Schreiber verwendet in diesem Text nämlich (ohne dass es einen inhaltlichen Bezug geben würde) einige Graphien, die sonst für Divinationstexte charakteristisch und außerhalb dieses Genres ungebräuchlich sind: in der Reihe der Abkürzungen erscheint der einzige bekannte rein logographische Beleg von

SUM

(also ohne syllabische Komplementierung) außerhalb von

Orakeltexten (vgl. Busse, 2018, 348). Außerdem kommt das Sumerogramm ME

für das Verb dai- ‚setzen / stellen / legen‘ vor (sonst wird es außerhalb

der Divinationstexte nur als Logogramm nur für dā- ‚nehmen‘ verwendet,

60. Transliteration anhand der Konkordanzfotos unter Berücksichtigung von Hoffner, 2009, 320 und Beckman, Bryce & Cline, 2011, 129–131. 61. Bei den Tafelrändern handelt es sich tendenziell um marginale Bereiche (ähnlich wie bei den allerdings deutlich abgegrenzten Kolophonen), in denen eher ungewöhnliche Schreibungen vorkommen können (vgl. dazu Sebba, 2007, 24f.). Zudem beziehen sich die abgekürzten Schreibungen alle auf Namen (bis auf eine Personenbezeichnung), diese lizensieren aus typologischer Sicht ohnehin eher besondere Schreibungen (vgl. Carney, 1994, 443 und Sebba, 2007, 44f.).

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Anja Busse

vgl. Weeden, 2011, 304f.). Zwar kommen die hier belegten Abkürzungen von Ortsnamen und Personenbezeichnungen sonst nicht vor, aber die Tatsache, dass der Schreiber solche charakteristischen Merkmale von Divinationstexten wie den spezifischen (graphematischen) Gebrauch bestimmter sumerographischer Verben auch in diesem Brief verwendet hat, könnte darauf schließen lassen, dass er auch mit solchen Fachtextsorten vertraut war und möglicherweise Konventionen aus diesem Bereich hier mit eingebracht hat. Leider wissen wir nichts weiter über den Schreiber des MilawataBriefs, aber eine ähnliche Übertragung von Schriftkonventionen aus dem Bereich der Divination in andere Textsorten wie Feste und Rituale hat Weeden, 2011, 53–55 auch beim Schreiber Pikku II beobachtet.62 Insofern wäre es nicht unbegründet, die Übertragung einer Schreibpraxis wie den Gebrauch von Abkürzungen auf andere Textsorten anzunehmen. 4. Zusammenfassung Obwohl sie insgesamt häufiger in späteren Texten belegt sind, kommen Abkürzungen bereits in mh. Texten vor. Innerhalb der Orakeltexte ist bei der Schreibung bestimmter Fachbegriffe eine Entwicklung hin zu vermehrt abgekürzter Schreibung zu erkennen, wobei auch der Variantenreichtum bei den Abkürzungen zunimmt. Die Abkürzungen weisen insgesamt sowohl genrespezifische Verwendungsweisen als auch textexemplarspezifischen (und somit wohl schreiberabhängigen) und lexemspezifischen Gebrauch auf. Dabei wird deutlich, dass sie in den Fachtexten der Divination systematisch gebraucht werden und außerhalb dieses Genres nur vereinzelt und bei Namen oder bestimmten Bezeichnungen auftreten. In Texten aus dem Bereich der Divination, wo sie auch am häufigsten erscheinen, können Abkürzungen konventionali-

62. Vgl. zu diesem Schreiber auch Gordin, 2015, 183–185 sowie Gordin, 2016, 617.

Zum Gebrauch von Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift

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siert für gängige Fachbegriffe verwendet werden (weisen jedoch Varianten auf). Hinsichtlich ihrer Entstehung ist als Motivation die Zeitökonomie bei den Entwurfsprotokollen, die direkt während der Durchführung der Orakelanfragen aufgezeichnet wurden, einleuchtend. Doch allein das häufige Vorkommen der Begriffe in immer gleichen oder ähnlichen schematischen Kontexten hat sicher mit zur Verkürzung dieser Wörter (im Schriftgebrauch) beigetragen, denn sie erscheinen auch bei Texten, bei denen das schnelle schriftliche Erfassen keine unmittelbare Rolle gespielt hat. Die in der Fachkommunikation unter Experten etablierten konventionellen Abkürzungen erscheinen nur bei ganz bestimmten Fachbegriffen und werden in der Regel nicht außerhalb dieser Texte verwendet oder nur dann, wenn der Bezug über den Fachkontext hergestellt wird (vgl. 2.3.). Nur im Einzelfall breitet sich der Gebrauch einer Abkürzung mit der Zeit aus, wie es im Fall des Lokaladverbs pé.-an zu beobachten ist. Außerhalb dieser Fachtexte sind Abkürzungen in der hethitischen Keilschrift nur selten belegt (mit Ausnahme von Maßeinheiten und Zahlwörtern). Wenn doch, kommen sie bei Eigennamen (Personennamen, Personenbezeichnungen, Toponymen, Stoff- und Gefäßbezeichnungen) vor. Dabei bleiben sie jedoch auf einzelne Manuskripte (und damit Schreiber) beschränkt. Dieser kurze Überblick hat gezeigt, dass die Pragmatik von Abkürzungen in hethitischen Texten v.a. im Detail noch viel Potenzial für zukünftige Untersuchungen zu den angesprochenen Teilaspekten bietet.

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Bulunan

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Worttrennung bei Lydern und Phrygern1 Annick Payne Universität Bern

Dieser Beitrag stellt die Worttrennung in zwei anatolischen Lokalalphabeten, dem lydischen und dem phrygischen vor. Für den weiteren Kontext der Worttrennungspraktiken in anderen anatolischen Alphabetschriften sei auf die aktuellen Beiträge von Simon zum Karischen, sowie Busse und Payne zum Lykischen verwiesen.2 Grundsätzlich dient die Trennung von Worten der besseren Orientierung in einem geschriebenen Text, kann aber sowohl als Markierung linguistischer Grenzen wie auch als visuelle Gliederung verstanden werden. Selbstverständlich schließen sich diese beiden Aspekte nicht aus, ihre Gewichtung kann jedoch unterschiedlich interpretiert werden. Für die nachfolgende Untersuchung antiker Schriftsysteme soll der Fokus auf Worttrennung als visuellem Organisationsprinzip von Text liegen und auch bezüglich der Materialität von Monumenten und beschriebenen Objekten untersucht werden.

1. Die hier präsentierte Forschung wurde ihm Rahmen des SNF-geförderten Projektes „A History of Early Alphabetic Writing in Anatolia“ durchgeführt. 2. Busse, 2022; Payne, 2021; Simon, in diesem Band.

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

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Dass eine Trennung von Text in kleinere Abschnitte das Lesen erleichtert, ist instinktiv und durch kreatives Ausprobieren nachvollziehbar. Das Ausmaß des Beitrags, den der Abstand zwischen Wörtern für den Leseprozess leistet, wie auch die Mechanik der Augenbewegungen beim Lesen eines Textes, lassen sich heutzutage mit moderner medizinischer Technologie messen. Da dies aber nicht das Thema des Artikels sein soll, sei nur kurz auf zwei Punkte hingewiesen.3 Neuropsychologische Studien haben der Verwendung unterschiedlicher Worttrennungsarten im Vergleich zu fehlender Trennung einen positiven Effekt nachweisen können, der aus einem erhöhten Lesetempo durch bessere Steuerung der Augenbewegungen und besserer Worterkennung besteht. Sowohl Worttrennungszeichen als auch Spatien können grundsätzlich vergleichbare Ergebnisse liefern, sofern die verwandten Worttrennungszeichen klar von Buchstabenzeichen zu unterscheiden sind, es also keine Interferenz zwischen zwei unterschiedlichen Funktionen eines Schriftzeichens gibt. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung wird auch die Nichtmarkierung der Worttrennung, also scriptio continua, als Negativbeispiel (Trennungsmerkmal: -) unter den Begriff Worttrennung subsumiert. 1. Lydisch Das Lydische kennt verschiedene Worttrennungspraktiken, von denen zwei, die Trennung durch Interpunkt und die fehlende Trennung (scriptio continua) nur marginale Kategorien darstellen. Als dominante Praxis muss die Trennung durch Spatien gelten. Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die untersuchten Inschriften, ihre quantitative Verteilung, Materialträger und maximale Datierung für die untersuchte Praktik. Von der hier vorgenommen Untersuchung ausgeschlossen sind Inschriften, deren frag-

3. Eine Einführung hierzu bietet Payne, loc.cit.

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Annick Payne

mentarischer Zustand kein aussagekräftiges Urteil erlaubt, ein-Wort-Inschriften sowie Markierungen.4 Typologie

Anzahl absolut / prozentual

Materialträger

Inschrift (LW Nr.5)

max. Datierung (v. Chr.)

Spatien

57 = 87,7 %

Stein, Keramik, Siegel

1-28, 32,6 40-48, 50-51, 54, 59, 61, 62, 66, 70, 71,7 72(?), 75, 80, 98, 101(?), 103, 107(?), 108, 113(?), 115

Mitte 7. ‒ Ende 4. Jh.8

Interpunkt

5= 7,7 %

Keramik, Siegel

[:] 30, 74, 97; [⫶] 64, 112

Mitte 7. ‒ Mitte 5. Jh.

scriptio continua

3 = 4,6 %

Stein, Keramik, Münze

49, 99(?), 120

663 ‒ 500

Tabelle 1: Worttrennungspraktiken Lydien

4. LW 29, 31, 33‒39, 47, 52‒53, 55‒56, 58, 60, 63, 65, 67‒69, 73, 76‒79, 81‒88, 90‒96, 100, 102, 104‒106, 109. 5. Die Nummerierung der Inschriften basiert auf der Zählung nach Gusmani (1964; 1980; 1986; LW = Lydisches Wörterbuch); zu den aktuellen Ergänzungen, vgl. Payne–Wintjes 2016, 77 Anm. 80 (bis LW 119); der neueste Corpuszugang ist die Münze LW 120 (Schürr apud Tekin 2006, Nr. 725). 6. Nach Gusmani (1964, 263) wäre ein Worttrenner zu ergänzen, doch die erhaltenen Spuren lassen Zweifel an dieser Ergänzung aufkommen. Sichtbar sind Spuren, die eher auf ein bildhaftes (herzförmiges?) Element verweisen. 7. Das in der Zeichnung Gusmanis vorhandene kleine Zeichen in Z. 4 dieser Inschrift lässt sich aufgrund der schlechten Qualität des Fotos (Gusmani 1975, Abb. 4 und 5, Inschrift A I 3) in seiner Form und Existenz nur erahnen und muss daher hier unberücksichtigt bleiben. Die Position würde eine Funktion als Worttrenner jedoch hergeben. 8. Ein einzelnes Objekt, die Säulentrommel LW 21, könnte noch später (300 v. Chr. ‒ 1 Jh. v. Chr.) datieren; der terminus post quem ist der Zeitpunkt der Errichtung der Säule, doch die Datierung ist stark umstritten (vgl. Gruben 1961; Cahill – Greenewalt 2016; Yegül 2010).

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

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Wie sich aus der obigen Tabelle ablesen lässt, ist die verwendete Worttrennungsmethode nur in begrenztem Ausmaße als Datierungskriterium verwendbar: da die Trennung durch Spatien in allen Perioden belegt ist, kann diese Methode nicht als Datierungskriterium dienen. Die Trennung durch Interpunkt bzw. das Fehlen von Worttrennung dagegen sind auf frühe Perioden begrenzte Praktiken, die derart selten sind, dass sie maximal für ein Zehntel der untersuchten Inschriften bezeugt sind. Auch wenn man aufgrund der geringen Anzahl vorsichtig sein sollte, sich ergebende Muster zu verallgemeinern, so fällt doch auf, dass speziell die Kategorie der Worttrennung durch Interpunkt nur auf kleinen, tragbaren Objekten attestiert ist, und zwar mit der einzigen Ausnahme eines Siegels lediglich auf Keramik. Der Interpunkt als Worttrenner ist sowohl als Doppelpunkt [:] als auch als dreifacher Punkt [⫶] belegt; ein Wechsel zwischen beiden Interpunkten innerhalb eines Schriftdokumentes ist nicht belegt,9 bei mehreren Interpunkten in einer Inschrift gilt meist, dass diese eine vergleichbare vertikale Anordnung zeigen.10 Nachfolgend soll hinterfragt werden, welche Rolle die Materialität des Inschriftenträgers für die Wahl des Worttrenners gespielt hat. Mit 88% ist die Norm lydischer Worttrennung die Verwendung von Spatien, die bis auf ein frühes Gegenbeispiel für Steininschriften ausschließlich gilt. Sie ist zudem auch auf fast allen übrigen Materialträgern belegt, und ist für die gesamte Periode lydischer Schriftlichkeit bezeugt. Das Fehlen dieser Worttrennungspraxis auf Münzen ist vmtl. nicht signifikant, da Münzlegenden im Normfall aus lediglich einem Wort bestehen, so walwet

9. Der doppelte Interpunkt auf LW 64 zeigt durch die Höhe der Punkte und im Vergleich mit den weiteren Interpunkten auf diesem Objekt deutlich, dass in dem beschädigten oberen Teil des Registers ein dritter Punkt zu erwarten wäre. Eine Ergänzung um weitere Punkte im oberen Teil des Registers bei LW 97 wäre theoretisch möglich, aber kaum zwingend. 10. Eine Ausnahme hierzu ist LW 97, deren zwei Worttrennungszeichen eine jeweils eigene räumliche Anordnung zeigen.

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(LW 52), kukalim (LW 6911; 114), ifelim (LW 116); nur ein Gegenbeispiel ist bekannt, die Legende der Münze LW 120 (s.u.). Ein Vergleich von kurzen und langen sowie von mono- und bilingualen Inschriften ergibt, dass die Textlänge kein diagnostisches Kriterium darstellt, wenn auch längere Inschriften wie z.B. LW 1; LW 5 eine Tendenz zur Verkleinerung von Spatien im Textverlauf zeigen; da diese jedoch weiterhin als Spatien erkenntlich sind und zeitgleich auch der Abstand zwischen einelnen Buchstaben eines Wortes verkürzt wird, ist dies wohl nur der Platzökonomie geschuldet. Eine Beziehung zwischen Kursivität der Schrift und Größe der Spatien ist nicht nachweisbar. Bilingual lydisch-griechische Inschriften (LW 20; LW 40) zeigen deutlich unterschiedliche, schriftspezifische Praktiken: sinistroverse lydische Schrift mit Worttrennung durch Spatien vs. dextroverse griechische scriptio continua. Auch bilingual lydisch-aramäische Inschriften zeigen in beiden Versionen für die jeweilige Schrift gängige Worttrennungspraktiken auf: LW 1 zeigt in der aramäischen Version lexemtrennende Spatien, wie sie zum Entstehungszeitpunkt zu erwarten wären;12 ob dies auch auf die fragmentarische Bilingue LW 41 zutrifft, lässt sich aufgrund des Erhaltungszustandes leider nicht beurteilen. Unsicher bleibt, ob diese Handhabung fremder Schriften ein aussagekräftiges Urteil über die intendierte Leserschaft zulässt, also dass man eine kompetente (native?) griechisch- bzw. aramäischsprachige Leserschaft postulieren darf, oder ob dies lediglich auf die Kompetenz des jeweiligen Schreibers zurückzuführen ist.

11. Zur Lesung rkalim vgl. Browne 1996, 50; die Abbildungen in der online-Datenbank der American Numismatic Society zeigen relativ deutlich, dass der erste Buchstaben oben offen ist, also eher ein U (𐤰) statt eines Rs (𐤭) erkennen lässt: http://numismatics.org/collection/ 1960.139.27 12. R.G. Lehmann, pers. Mitteilung .

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

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Die kleine Gruppe an beschriebenen Objekten, die eine Worttrennung durch Interpunkt aufweisen, lässt sich anhand der verwendeten Markierungszeichen, nämlich des doppelten wir dreifachen Interpunktes, weiter differenzieren. Den doppelten Interpunkt weisen drei Objekte auf: LW 30, eine Kanuförmige Vase aus Sardis; LW 74, ein Siegel unbekannter Herkunft; LW 97, eine Gefäßscherbe aus Izmir. Im Falle der zuletzt genannten Scherbe kann zwar aufgrund der Beschädigung am oberen Ende des Schriftregisters nicht ausgeschlossen werden, dass der ursprüngliche Wortrenner der dreifache Interpunkt gewesen ist, jedoch gibt es keine zwingenden Gründe, entsprechend zu ergänzen; auffällig ist die ungleiche räumliche Anordnung der beiden Interpunkte innerhalb des Registers. LW 30 zeigt noch eine weitere Besonderheit der Schrift auf, denn es handelt sich hierbei um das einzige Beispiel für eine Boustrophedonschreibung; ob diese Ausrichtung der Schrift durch die Form des Schriftträgers oder von äußeren Einflüssen geprägt wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Das Siegel LW 74 zeigt einen kreisförmigen Schriftverlauf mit nur einem Worttrenner in der drei-WortInschrift es šadmẽs : mitratališ, „Dies (ist) das Zeichen des Mitratas“. Die Legende ist um ein mittleres Element angeordnet, das entweder bildhafter Natur oder eine Ligatur aus drei Buchstaben (T-O-L) von unbekannter Bedeutung sein könnte.13 Eine sichtbare Lücke zwischen den Buchstaben m und ẽ im Wort šadmes̃ ist weder als Spatium im Sinne eines Worttrenners, noch als visuelle Leshilfe („Belüftungsprinzip“14) zu deuten, sondern ist

13. Eine solche Ligatur wurde bereits von Barnett (1969, 22) postuliert. Da sich mit den Silben tol-/lot-/tlo- keine bekannten lydischen Wörter beginnen lassen, könnte man ggfs. an ein Akronym denken. 14. Das von P. Saenger (1997) für mittelalterliche Handschriften entwickelte „Belüftungsprinzip“ bedient sich eines Vergleiches aus dem Gartenbau: so, wie Belüftungslöcher einen Rasen besser wachsen lassen, so unterstützt selbst unregelmäßige Worttrennung im Text die

32

Annick Payne

vmtl. der Krümmung des Inschriftenträgers geschuldet. Zu überlegen wäre, ob der Interpunkt als Orientierungszeichen der kreisförmigen Legende vielmehr den Anfang der Legende markiert, also :mitratališ es šadmẽs.15 Ein derartiger Gebrauch wäre insofern verständlicher, als dass die traditionelle Lesung trotz Worttrennungszeichen dem Leser ein hohes Maß an räumlicher Orientierung und Segmentierung abverlangt, eine Markierung des Anfangspunktes durch das Worttrennungszeichen dagegen die Lesung vereinfachen würde. Eine Parallele hierzu bietet ein Spinnwirtel aus Phrygien, HP-101. Auch für dieses Objekt scheint eine Umstellung der traditionellen Lesung zu „: per bastidages“, [Präposition + Personennamen? Dreigliedriger Personenname?]16 sinnvoll. Dem Gebrauch des Interpunktes als Worttrennungszeichen steht eine solche Neuinterpetation nicht entgegen, vielmehr würde das Zeichen in dieser Interpretation an besonders exponierter Stelle stehen, als Worttrenner zwischen letztem und erstem Wort der Legende, und somit eine doppelte Markierungsfunktion erfüllen: Worttrennung und Markierung des Anfangs-/Endpunktes. Die beiden Töpferwaren, die den dreifachen Interpunkt aufzeigen, stammen aus Sardis (LW 64) und Daskyleion (LW 112). Da der dreifache Inter-

Augenbewegungen beim Lesen. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin, dass eine nach strikten linguistischen Regeln uneinheitliche Trennungspraxis als graphische Konvention nach neuropsychologischen Kriterien durchaus als konsistent interpretiert werden kann, da das Ziel der Unterstützung des Leseprozesses erreicht wird. Somit muss kein anachronistisches Werturteil über die Kompetenz des antiken Schreibers gefällt werden. Das „Belüftungsprinzip“ wurde von der Autorin als formative Kategorie der lykischen Inschriften nachgewiesen (Payne, im Druck). 15. Diese Stellung wäre auch noch näher an der Münzlegende ΦΑΝΕΟΣ ΕΜΙ ΣΕΜΑ, „ich bin das Zeichen des Phanes“ auf einem Gold-Stater aus Ephesus (Weidauer 1975, 62–63), die eine starke inhaltliche Parallele bietet. 16. Vgl. Dinç – Innocente 1999, 69–72.

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

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punkt besonders typisch für die Worttrennung bei den Phrygern ist, ist zu hinterfragen, ob ein phrygischer Einfluss auszumachen ist. Für die Tonscherbe aus Daskyleion ist ein phrygischer Einfluss durchaus wahrscheinlich, da bekannt ist, dass Phryger und Lyder gemeinsam in Daskyleion siedelten.17 Auch der Becher LW 64 zeigt womöglich phrygischen Einfluss: der Keramiktypus ‚Black on Red‘ von LW 64 ist auch in Gordion bekannt.18 Die Frage, ob die Verwendung zwei- bzw. dreifacher Interpunkte ein chronologisches Muster aufweist, ist aufgrund der wenigen Belege allerdings nur mit Vorsicht zu beantworten. Zudem lassen die Datierungen lydischer Inschriften für eine derartige Frage keine ausreichend feine Differenzierung zu: beide Interpunktzeichen sind zuerst im Zeitraum Mitte bis Ende des 7. Jh. v. Chr. belegt (LW 74; LW 112) und werden bis Ende des 6. Jh. v. Chr. (LW 30; 97; 64), maximal bis Mitte des 5. Jh. verwendet (LW 64). Texte in scriptio continua sind rar und datieren immer früh (7. bis max. 6 Jh v. Chr.), die drei Beispiele finden sich auf jeweils anderen Materialträgern: einem Graffito (LW 49), einer Tonscherbe (LW 99) und einer Münze (LW 120). Letztere ist besonders im Münzcorpus, da ansonsten Münzlegenden grundsätzlich nur aus jeweils einem Wort bestehen (s.o.). Das Graffito LW 49 ist nur in drei Zeichnungen von Sayce (1895; 1905; apud Buckler 1924, 67) erhalten und daher nicht am Original überprüfbar.19 Die beschriebene Tonscherbe LW 99 zeigt, neben einer früh datierenden, dextroversen Schreibrichtung als weitere Auffälligkeit eine ansonsten nicht bezeugte dekorative Ausgestaltung des Buchstaben r, der zudem größer als al-

17. İren 2013, 1. 18. Kealhofer, pers. Mitteilung . 19. Bei einem letzten Besuch Sayces 1907 war der Stein nicht mehr auffindbar (Sayce apud Buckler 1924, 67).

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Annick Payne

le anderen Buchstaben dieser kurzen Aufschrift ist. Desweiteren fällt auf, wie nah einige Buchstaben aneinanderstehen, sodass sich vertikale Codastriche z.T. über mehrere Buchstabenbreiten ausdehnen, wie beim zweiten š, dessen oberer Codastrich sich bis über den übernächsten Buchstaben erstreckt – und dabei nahezu ein i in ein t verwandelt. Diese beiden fürs Lydische singulären Aspekte der Inschrift finden eine nahe Parallele im phrygischen Corpus mit der Inschrift P-106, „]ti : makiotaTiBi : [“. Die Inschrift zeigt eine vergleichbare interne Ausgestaltung eines Buchstabens, hier ein o, und auch hier zieht sich ein langer Strich über mehrere Buchstaben, als sei er die Vertikalcoda eines Buchstaben t (auch hier: i). Diese Ähnlichkeit, für die sich nur diese beiden Beispiele anbringen lassen, mag dem Zufall geschuldet sein, doch ebenso könnte sie ein Bindeglied in einer phrygisch-lydischen Kontaktzone darstellen. Beide Scherben sind in den Zeitraum 7.‒6. Jh. v. Chr. zu datieren, die räumliche Distanz ihrer Fundorte Boğaköy bzw. Sardis von ca. 700 km lässt sich jedoch nicht durch weitere Indizien oder Verbindungen überbrücken. 2. Phrygisch Das phrygische Textcorpus zeigt eine breitere Streuung und Kombination unterschiedlicher Worttrennungspraktiken als das lydische, darunter die Kombination verschiedener Interpunkte sowie die Kombination von Interpunkt und Spatium – hierin zeigt das Phrygische größere Nähe zum lykischen und karischen Alphabet, wenn auch die quantitative Verteilung jeweils eine andere ist (s.u., Tabelle 4). Auch die für lykische20 und karische21 Texte postulierte „Belüftung“ von Texten durch unregelmäßiges Setzen von Spatien ist einige wenige Male im phrygischen Textcorpus bezeugt, kann

20. Payne, 2021. 21. Simon, dieser Band.

35

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

mit maximal drei Textbelegen aber nur als marginal gelten.22 Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Inschriften, deren Erhaltungszustand und Länge eine Aussage zur Worttrennung ermöglicht.23 Typologie

Anzahl absolut / prozentual

Materialträger Inschrift

Spatien

4 = 7,7 %

Stein, Keramik, B-1, G-109, sp. 8.‒6. Silbergefäß HP-102, Jh.? Dd-102

Interpunkt 1 (˙) + Spat.

2 = 3,8 %

Stein

2 (:)

3 = 5,8 %

Stein, Keramik, B-6, B-108, 6.‒5. Jh. Siegel, Dd-103

2+ Spat.

1 = 1,9 %

Stein

B-7

5. Jh.?

2, 3

2 = 3,8 %

Stein

T-1b, T-3

vmtl. 8. Jh.

B-4, B-5

max. Datierung (v. Chr.)

5.‒4. Jh.

22. B1, HP 102(?), G125(?). 23. Ausgeschlossen wurden stark beschädigte und ein-Wort-Inschriften: M1c, M3, M7–9, W3, W5a, W6, B2, B101‒107, G3–9, G11, G101–3, G105–8, G110–124, G126–135, G137‒ 228, G230‒345, NW102‒119, C1, C101‒102, P1, P5, P102–105, T1a, T2a, T2c, HP103‒ 113, Emircik, Demirli. Ebenfalls ausgeschlossen wurde die nicht mehr erhaltene Inschrift Üyüçek, da die erhaltenen Fotos nicht von ausreichender Qualität sind, um die disparaten Transliterationen von Cox-Cameron (1932) und Friedrich (1952, 140‒141) zu überprüfen.

36

scriptio continua

Annick Payne

3 (⫶)

14 = 26,9 %

Stein

3, 4

4 = 7,7 %

Stein, Keramik, M-1a, M-1b, G-2, P-106,

8.‒6. Jh.

4

3 = 5,8 %

Stein, Keramik, M-1f, G-125, P-107

8.-4. Jh.

4+ Spat.

1 = 1,9 %

Tonzylinder

?

19 = 36,5 %

Stein, Keramik, M-1d, M-5, 8.-4. Jh. Siegel W-4, W-5a(?), W-5b, W-8, W-9, W-10, B-3, G-11, G-229, NW-101, P-2, P-3, P-4a, P-4b, P-4c, P-101, Dd-101

Tabelle 2: Worttrennung im Phrygischen

M-2, M-6, sp. 8.‒6. Jh. M-10, W-1a, W-1b, W-1c, W-2, W-7, G-1, G-10, G-136, P-6, T-2b

HP-101

37

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

Das phrygische Textcorpus bevorzugt den Interpunkt, der als Gesamtkategorie 57,7% aller Worttrennung ausmacht. Innerhalb dieser Gruppe herrscht jedoch eine große Vielfalt unterschiedlicher Interpunkte, die teilweise miteinander, teilweise mit Spatien kombiniert werden. Die nach den Interpunkten am häufigsten verwandte Worttrennungpraxis ist scriptio continua, beide Praktiken gemeinsam sind für fast 95% aller Inschriften verantwortlich. Spatien alleine sind dagegen marginal (7,7%); selbst wenn man die Inschriften hinzurechnet, die Spatien mit Interpunkten kombinieren, enthalten nur 15,3 % aller Inschriften Spatien. Auch das phrygische Alphabet zeigt eine diachrone Entwicklung der Worttrennung, die aufgrund der selten sehr spezifischen Datierung einzelner Texte jedoch nur allgemeine Tendenzen aufzeigen kann. Unterscheiden lassen sich eine frühere Phase (8.–6. Jh.), welche die Trennung durch Spatien, Interpunkt sowie scriptio continua kennt, und eine spätere Phase (5.–4. Jh.), in der nur noch die Trennung durch Interpunkt praktiziert wird. Auch das Verteilungsmuster der verschiedenen Interpunkte und Interpunktkombinationen ist aufschlussreich: Jh. 2/3 Pkt. 3 Pkt. v. Chr. 8. 7. 6.

3/4 Pkt.

4 Pkt.

2 Pkt.

2 Pkt. + 1 Pkt. + Spatium Spatium

(2) (14)

(4) (3)

5. 4. Tabelle 3: Interpunkttrennung im Phrygischen

(3)

(1)

(2)

38

Annick Payne

Die Tabelle zeigt Interpunkt- bzw. Interpunkt-Spatium-Kombinationen in den jeweiligen Belegungszeiträumen,24 in Klammern angegeben ist die Anzahl der Textbelege; diese zeigt, dass eine lange Belegperiode nicht zwingendermaßen eine hohe Frequenz einer bestimmten Worttrennungsoption bedeutet. Es lassen sich sowohl Kontinuitäten und Brüche erkennen, wobei sich das 6. Jh. als varietätenreichste Brückenperiode zeigt, die neben Praktiken früherer Perioden (3, 3/4, 4 Pkt.) neue Praktiken einführt (2 Pkt.). Der dreifache Interpunkt wird deutlich bevorzugt, und macht in unterschiedlichen Kombination mehr als die Hälfte aller Belege aus, ist jedoch auf die frühere Phase 8.–6. Jh. beschränkt. Mit der Ausnahme des Spinnwirtels HP 101, für den keine Datierung vorliegt, ist die seltene Kombination von Interpunkt und Spatium als spät (5.‒4. Jh.) anzusehen. Zu vermerken ist, dass die Kombination von Interpunkt und Spatium zeitgleich in Lykien dominiert – solange jedoch ein Kontakt zwischen Lykern und Phrygern in dem relevanten Zeitraum nicht nachweisbar ist, sollte diese parallele Entwicklung als zufällig zeitgleiches Phänomen angesehen werden. Die Verteilung der einzelnen Worttrennungspraktiken auf die Materialgruppen Stein, Ton, Metall und Siegel ergibt weniger deutliche Gruppierungen als im lydischen Corpus. Als am stärksten vertretener Materialträger ist es nicht verwunderlich, dass Steininschriften mehrere der Sonderzeichen alleinig zeigen (1+Sp.; 2+Sp.; 2,3; 3); aufgrund der wenigen Belege für Metall und Siegel ist die Aussagekraft der hier erkennbaren Muster unsicher. Im Kontext einer phrygisch-lydischen Kontaktzone sollte aber die Frage gestellt werden, ob die alleinige Verwendung von Spatien auf phrygischen Metallobjekten auf einen lydischen Einfluss deuten könnte. Wenigstens eine der beiden Silberschalen datiert in den Zeitraum, in dem dieselbe

24. Nicht in diese Tabelle mit aufgenommen wurde HP101, da dieses Objekt bislang nicht datiert ist; Brixhe, pers. Mitt. .

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

39

Worttrennungspraxis in Lydien verbreitet war,25 und entstammt einer lydisch-phrygischen Kontaktzone im östlichen Hermostal, nahe der Grenze zum westlichen Phrygien: HP-102 gehört zum sogenannten Lydischen Schatz und ist eine Grabbeigabe aus dem Ikiztepe-Tumulus, in der Nähe von Güre, 20km westlich von Uş ak.26 Vergleich anatolischer Alphabetschriften Alle anatolischen Alphabete kennen verschiedene Methoden der Worttrennung. Ein Vergleich der Worttrennungspraktiken in den vier größten anatolischen Alphabetschriften zeigt, dass alle Schriften aus einem gemeinsamen Repertoire schöpfen, das aus den Merkmalen Abstand bzw. Sonderzeichen: existent/fehlend besteht. Konkret bedeutet dies die Trennung durch Spatien oder Interpunkt bzw. Trennungslinie, aber auch scriptio continua. Unterschiede bestehen v.a. darin, ob – und wenn ja, welche – Kombinationen dieser Merkmale vorkommen sowie in den quantitativen Verteilungsmustern. Die nachfolgende Tabelle zeigt die bezeugten Worttrennungsmöglichkeiten, ihre Kombination und die prozentuale Verteilung innerhalb einer Schrift. Die häufigste Option ist dunkelgrau, die zweithäufigste hellgrau markiert. Die Angaben zum Lykischen und Karischen dienen an dieser Stelle nur dem Vergleich, sollen aber aus thematischer Begrenzung nicht für sich selbst diskutiert werden.

25. Trennung mit Spatien (lydisch): max. Mitte 7. ‒ Ende 4. Jh. v. Chr.; (HP-102): max. Mitte 6. ‒ Anf. 5. Jh.v. Chr. 26. Für die zweite Silberschale, Dd-102, gibt es keine Angaben zu Fundort oder Datierung.

40

Annick Payne

Lydisch Phrygisch

Lykisch

Karisch27

87,7 %

7,7 %

5,9 %

--

4,6 %

36,5 %

5,9 %

29,7 %

Sonderzeichen + Interpunkt 7,7 %

44,2 %

66,3 %

13,5 %

Interpunkt -+ Spatium

7,6 %

19,1 %

0,7 %

)

--

--

1,4 %28

--

|

--

--

1,4 %

54 %

||

--

--

--

2%

Typologie Abstand

+ Spatien

Abstand Sonderzeichen -

scriptio continua

Tabelle 4: Vergleich der anatolischen Alphabete

Auf den ersten Blick fällt bereits auf, dass sich die Schriften bei der Worttrennung grundlegend unterscheiden. So zeigt das lydische Alphabet die geringste Variabilität: nur wenige der möglichen Optionen sind belegt und die Kombination von Abstand und Sonderzeichen ist unbekannt. Zudem bevorzugt das Lydische als einzige der hier angeführten Schriften als dominante Worttrennungspraxis die Verwendung von Spatien. Die marginale Bedeutung der scriptio continua im Lydischen ist der Situation des Lykischen vergleichbar. Die ebenfalls seltene Verwendung von Sonderzeichen stellt ein Einzelmerkmal im Vergleich mit den anderen Schriften dar. Man kontrastiere die 7,7 % Belege im Lydischen mit jeweils – und teils deutlich – über der Hälfte aller Belege in den anderen Schriften: 51,8 % (phrygisch); 88,2 % (lykisch); 70 % (karisch). Sollte sich der postulierte Einfluss

27. Die Angaben zum Karischen beruhen auf der Untersuchung Z. Simons (dieser Band). 28. Die gekrümmte Linie (Klammer) ist multifunktional: sie kann in den Inschriften TL 29 und TL 36 als alternativer Worttrenner interpretiert werden (nur dieser Gebrauch ist hier gelistet); in den Inschriften TL 44 und TL 55 taucht sie als Markierungszeichen längerer Sinnesabschnitte, vmtl. Strophen auf. Zudem ist sie auch im Kontext von Zahlzeichen belegt.

Worttrennung bei Lydern und Phrygern

41

des Phrygischen auf die Verwendung von Interpunkten im lydischen Alphabet bewahrheiten, so wären Sonderzeichen eine adoptierte, aber nicht native Schriftpraxis bei den Lydern. Das Phrygische dagegen vertritt zwei dominante Trennungspraktiken, wobei die Trennung durch Sonderzeichen – meist ohne, selten in Kombination mit Spatien – etwas über die Hälfte aller Belege ausmacht. Aber auch scriptio continua ist im Phrygischen stark vertreten, eine Situation die sich ebenfalls im Karischen Alphabet findet. Weder das Lydische noch das Phrygische zeigen eine nennenswerte Tendenz zur „Belüftung“ von Inschriften, d.h. zu einer unregelmäßigen Worttrennung, deren Begründung in praktisch-visuellen statt linguistischen Aspekten beruht.29 Dies steht im Gegensatz zu den lykischen und karischen Inschriften. Auch wenn das lykische und karische Alphabet nicht Hauptgegenstand dieser Untersuchung sind, lässt sich aus der obigen Tabelle unschwer ablesen, dass in diesen Alphabeten ebenfalls jeweils andere Schwerpunkte gesetzt wurden: die Dominanz der Trennung durch Sonderzeichen teilen diese beiden Schriften, jedoch in unterschiedlicher Art und Weise, insbesondere was die Verteilung von Interpunkten bzw. Trennungslinien betrifft. Es ist entsprechend vielleicht kein Zufall, dass diese beiden Schriften mit geraden Vertikalen und gekrümmter Linie (Klammer) noch weitere, in den anderen beiden Alphabeten nicht bekannte Sonderzeichen aufzeigen.30

29. Payne, 2021. 30. Ein letzter vertikaler Strich in der in dieser Untersuchung ausgeschlossen lydischen Inschrift LW 58 (unsicher Gusmani 1980, 18; 1975, 31‒32) lässt sich nicht nachweisen, da das beschrieben Fragment an dieser Stelle abbricht; stattdessen wäre auch der Buchstabe i rekonstruierbar, entsprechend identifiziert in Gusmanis Kommentar zu dieser Inschrift (id. 1964, 269). Das vollständige Fehlen von Trennungslinien im Lydischen spricht aus meiner Sicht gegen eine Interpretation als Worttrenner.

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Dass die Materialität des Inschriftenträgers eine Rolle für die Wahl des Worttrenners spielen konnte, zeigt eindrücklich das lydische Textcorpus. Da sowohl Materialträger als auch Worttrenner eine mögliche Verbindung nach Phrygien aufweisen, stellt sich als weiterführende Frage, die an anderer Stelle bearbeitet werden soll,31 in welchem Maße sich eine Verbreitung der Schrift bzw. einzelner Schriftpraktiken auf spezifische Materialgruppen und den Austausch der dazugehörigen Objekte, beispielsweise Tongefäße, beziehen lässt. Aber auch im Phrygischen könnte ein Einfluss lydischer Schriftpraktiken in der Kontaktzone im östlichen Hermstal stattgefunden haben; aufgrund der geringen Belegmenge muss dies jedoch mit Vorsicht postuliert werden. Abschließend ist ebenfalls hervorzuheben, dass eine Untersuchung der Worttrennungspraktiken andere Muster ergibt, als ein Vergleich von Graphem und Phonem: diesbezüglich zeigen beispielsweise das lydische und phrygische Alphabet ein deutlich höheres Maß an Übereinstimmung als für das Merkmal Worttrennung: beide Schriften teilen Form und Lautwert von elf Schriftzeichen,32 auf die 26 Zeichen des lydischen Alphabetes bezogen ergibt dies eine Übereinstimmung von 42 %. Die Worttrennung der beiden Schriften zeigt jedoch eine deutlich geringere Übereinstimmung, und mag daher bei der Frage nach den Parametern von Schriftadoption und -adaption als besonders aussagekräftiger Indikator für lokale Entwicklungen gelten.

31. Payne, in Vorbereitung. 32. Die folgenden lydischen Buchstaben teilen wenigstens eine Variante mit dem phrygischen Alphabet: a, e (Münzvariante), i, k, m, n, o, r, s, t, u.

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Worttrennung bei Lydern und Phrygern

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Annick Payne

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Die karischen Worttrennungszeichen Zsolt Simon Ungarisches Zentrum für Sprachwissenschaft

1. Einführung Dieser Beitrag ist einem noch unbearbeiteten Thema der Erforschung des Karischen gewidmet, und zwar den Worttrennern in den karischen Inschriften. Nach einem kurzen Überblick über die Quellen wird beschrieben, welche Worttrenner in den Regionen, in denen Karisch gesprochen wurde, verwendet wurden. Im zweiten Schritt wird analysiert, ob sie geographische oder chronologische Unterschiede aufweisen und ob sie zur Herkunftsbestimmung der Inschriften mit unbekannter Provenienz beitragen. Schließlich wird versucht, mögliche Regeln beim Gebrauch dieser Worttrenner im Zusammenhang mit der Textsorte, dem Inhalt und der Grammatik der jeweiligen Inschriften zu erfassen. 2. Die Quellen Die Grundlage meiner Untersuchung bildet die aktuelle Edition der karischen Inschriften (Adiego 2007), mit Ausnahme derjenigen Inschriften, die

Die karischen Worttrennungszeichen

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nicht einmal in Umzeichnungen veröffentlicht wurden.1 Diese Sammlung wurde außerdem um die inzwischen veröffentlichten Inschriften ergänzt. Selbstverständlich wurden die sog. para-karischen Inschriften, bei denen nicht bewiesen ist, dass es sich überhaupt um Inschriften in karischer Sprache handelt (Adiego 2007, 22‒29), außer Acht gelassen. Dies betrifft auch E.xx 5, bei der es fraglich ist, ob es sich um eine karische Inschrift handelt (vgl. Adiego 2007, 127, Schürr 2010, 134‒135; zu C.Ke 1‒2 s. unten) und die vollkommen unklaren Graffiti aus Sardes und Smyrna mit karischen Buchstaben (Adiego 2007, 27‒29, 2019a, 26‒27).2 Meine Typologie beruht auf den aktuellsten Umzeichnungen der Inschriften, die, falls dies möglich war, an den Fotos (und in einigen wenigen Fällen auch am Original) überprüft wurden. 3. Die Typologie der karischen Worttrenner In dieser Typologie werden die Inschriften nach den zwei großen Regionen mit karischen Schriftdenkmälern, einerseits in Karien und andererseits in Ägypten, besprochen, zusätzlich werden auch die Inschriften aus Griechenland mit einbezogen. Dabei wird überprüft, ob die Worttrenner zu der Frage beitragen können, aus welcher Region die jeweiligen „griechisch-karischen“ Inschriften stammen.

1. E.Ab 36‒42, E.Me 66, und E.Th 14‒26, 29‒37, 41‒53, vgl. Adiego 2007, 93, 79, 95‒96 (mit E.Th 13‒14 gemeint sind hier E.Th 12‒13), zur Publikation von E.Th 27, 38‒40 sowie zwei weiteren Graffiti s. Villalba Varneda 2007. 2. Vgl. aber Anm. 13. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden zwei der drei unveröffentlichten Graffiti von Piras 2009, 242 (Abb. 21 und 22), da sie vermutlich nicht karisch sind (vgl. Kunnert & Schürr & Zingg 2010, 175 mit Anm. 16), sowie 51*, die sich ebenfalls als nicht-karisch herausgestellt hat (Weiß 2007). Für einen weiteren möglichen karischen Graffito mit angeblichen, bisher unbelegten Worttrennerzeichen s. Schürr 2019, 14‒15 mit Abb. 3.

48

Zsolt Simon

3.1. Karien Abgesehen von den Inschriften, die nur aus einem einzigen Wort (zum Teil auch nur aus einem Buchstaben) bestehen oder fragmentarisch sind,3 lassen sich 26 Inschriften hinsichtlich des Gebrauchs von Worttrennern auswerten (s. Tabelle 1, zu den kursiv gesetzten Einträgen vgl. noch unten). Die Hälfte dieser Inschriften (13) zeigt keinen Worttrenner, dreizehn Inschriften zeigen allerdings die folgenden Zeichen: die meisten (fünf Inschriften) eine buchstabengroße senkrechte Linie | (die gelegentlich noch länger als die Buchstaben sein kann), vier Inschriften zeigen einen Doppelpunkt : , zwei Inschriften drei vertikale Punkte und schließlich je eine Inschrift einen Hochpunkt sowie einen kurzen Strich in der oberen Hälfte der Zeile. Spatium scheint praktisch nicht verwendet zu sein, nur in einer einzigen Inschrift (C.My 1) wird es manchmal (neben einem Worttrennerzeichen) und inkonsistent zwischen einigen Personennamen und Patronymikon verwendet. In dem anderen Fall (C.Tr 1) ist es nicht klar, ob das Spatium in der Mitte eines Namens steht oder zwei Wörter bzw. vielleicht sogar zwei Sätze voneinander trennt. Eine Entscheidung ist hier kaum möglich, weil die Inschrift fragmentarisch und inzwischen verschollen ist (vgl. Duhoux 2007, 57‒59 und Simon 2019b, 2 mit Diskussion und Lit.).4

3. Wenn diese Inschriften unklar sind, kann man natürlich nicht ausschließen, dass sie aus mehreren Wörtern bestehen könnten, die ohne Worttrenner geschrieben wurden. Daher kann die hier vorgelegte Zusammenstellung lediglich den aktuellen Kenntnisstand widerspiegeln. Die kleine Anzahl dieser Fälle im Korpus Kariens (vgl. Tabelle 1) bedingt jedoch, dass sie die Ergebnisse kaum beeinflussen können. 4. Das Spatium von C.Ka 8 in der Zeichnung Adiegos (2007, 156) stellt eigentlich die Grenze zwischen den beiden Steinblöcken dar, vgl. das Photo in Frei & Marek 2000, 116. Unklar ist die Rolle des Spatiums in der Inschrift von C.xx 3, die allerdings völlig undurchsichtig ist und eventuell eine Art Abecedarium zeigt (s. die Diskussion in Adiego 2007, 350, 2019a, 31, beide mit Lit.).

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Hydai / Damlıboğaz (C.Hd 1);5 Kaunos (C.Ka

keine

2, C.Ka 3, C.Ka 4, C.Ka 5, C.Ka 8); Kildara (C.Ki 1); Krya (C.Kr 1); Stratonikeia (C.St 1, C.St 2); Tralleis (C.Tr 1, C.Tr 2); C.xx 3; |

Euromos (C.Eu 1); Iasos (C.Ia 1, C.Ia 2, C.Ia 3); C.xx 1

:

Hyllarima (C.Hy 1); Kaunos (C.Ka 1); Sinuri (C.Si 1); C.xx 2

drei senkrechte Punkte

Euromos (C.Eu 2); Mylasa (C.My 1)

kurzer Strich in der oberen Hälfte Halikarnassos (C.Ha 1) der Zeile Hochpunkt unklar

Sinuri (C.Si 2)

ein fragmentarisches C.Di 1; C.Ia 5, C.Ia 6; C.Ka 7; C.Ka 9; Wort

„C.Ka“ (Piras 2009: 242 Abb. 23); C.Kn 1; C.Mi 1 (Milet);6

5. Der Worttrenner in der Edition (Türkteki & Tekoğlu 2012) ist nach den veröffentlichten Photos und nach meiner Kollation (Juli 2013) nur ein Kratzer. Das Sigel C.Hd 1 folgt Adiego 2019a, 24 mit Anm. 5. 6. Herda & Sauter 2009. Blümel 2010 stellt nur eine Wiederholung ihrer Ergebnisse dar.

50

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ein einziges Wort7 sonstiges

C.Ka 6, „C.Ka 10“ (Kaunos);8 C.Ia 4; C.Al 1;9

Fragmentarisches Tabelle 1. Typologie der karischen Worttrenner in Karien

Bei dieser Tabelle muss darauf hingewiesen werden, dass die meisten Inschriften ohne Worttrenner auch keine anderen Methoden für die Strukturierung des Textes verwenden (z.B. Zeilenrand oder neue Zeile), d.h., dass man dort auf die Textstrukturierung bewusst verzichtete. Allerdings gibt es Inschriften, bei denen keine Worttrenner notwendig waren, da hier der Text mithilfe anderer Methoden (teilweise) strukturiert werden konnte (sie sind in der Tabelle kursiv gesetzt). Dazu gehören eine Inschrift aus Kaunos (C.Ka 3, mit neuer Zeile: 1šoruś 2ann ibrsś [Adiego 2007, 152‒153]) und eine Inschrift aus Krya (C.Kr 1, mit dem Zeilenrand, soweit sich der Text übersetzen lässt10). Andere Inschriften aus Kaunos zeigen dagegen Worttrenner (Doppelpunkt). Die Inschrift aus Krya ist allerdings das einzige karische Schriftzeugnis aus dieser Region, weshalb sich nicht ermitteln

7. Ohne die Inschriften, die einen Namen aufweisen (C.xx 4–5 [zur Interpretation s. Nunn & Simon im Druck] und vermutlich C.La 1 [Karlsson & Henry 2008, 172‒173]) und C.Ke 1‒ 2, in denen dem Wort für ‚Jahr‘ das Zahlzeichen ‚1‘ vorangeht (nach der neuesten Interpretation von Adiego 2019, 42‒43). 8. Zur Analyse der Inschrift s. Kunnert & Schürr & Zingg 2010. 9. Die Inschrift C.Al 1 wurde in scriptio continua geschrieben („sδiax ̣mob“), in der sδia° ein gebrochenes Zeichen folgt, aus dem nur der untere Teil, ein einziger vertikaler Strich bewahrt wurde. Dieses Zeichen wurde von Schürr 2001, 109 Anm. 12 und Henry 2007, 98 (mit Fragezeichen) als Worttrenner rekonstruiert. Allerdings rekonstruiert Duhoux 2007, 62 das Zeichen als , was aus epigraphischer Sicht genauso möglich ist (vgl. Simon 2019a, 1). Der Kontext hilft nicht bei der Entscheidung, weil die Bedeutung der Phonemreihe (a)x ̣mob unbekannt ist. 10. 1qoΩomu sδisa 2snś šoδubrś 3sbmnoś knor 4norilams (zur Interpretation s. Schürr 2013, 21‒26 und Simon 2019a, 3‒6).

Die karischen Worttrennungszeichen

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lässt, mit welchem Trennzeichen man dort eine Inschrift strukturiert hätte, sofern dies überhaupt erfolgte. Die nächste Tabelle (Tabelle 2) veranschaulicht das Problem der Abbzw. Anwesenheit der Worttrenner in Karien im Allgemeinen und zeigt, dass es, abgesehen von den unklaren Gegenden (Alabanda, Didyma, Keramos, Kindye), Regionen gibt, in denen die Worttrenner nie (Stratonikeia, Tralleis) bzw. immer (Euromos, Iasos) verwendet wurden. Zwar zeigen auch andere Regionen ein einheitliches Bild (nie: Hydai / Damlıboğaz, Kildara, Krya; immer: Hyllarima, Mylasa, Sinuri), allerdings handelt es sich dabei jeweils nur um eine einzige Inschrift, weshalb sich die regionalen Ausprägungen hier nicht beurteilen lassen. In Kaunos, schließlich, wird deutlich, dass die Worttrenner in manchen Inschriften verwendet wurden und in anderen nicht. Daher kann man schlussfolgern, dass die Verwendung der Worttrenner in Karien nicht obligatorisch bzw. vom Gebrauch in der jeweiligen Region abhängig war. nie (zumindest zwei Inschriften)

Stratonikeia; Tralleis

nie (nur eine Inschrift)

Hydai / Damlıboğaz; Kildara; Krya

gemischt

Kaunos

immer (nur eine Inschrift)

Hyllarima; Mylasa; Sinuri

immer (zumindest zwei Inschriften)

Euromos; Iasos

Tabelle 2. Regionale Beleglage der Worttrenner in Karien

Der Gebrauch der Worttrenner hat offensichtlich nichts mit der Textgattung zu tun. Sowohl offizielle als auch private Inschriften (einschließlich Grabinschriften) können ohne Worttrenner erscheinen (C.Ka 2 (?), C.Ka 5, C.Ki 1, C.St 2, C.Tr 1‒2 bzw. C.Ka 3, C.Kr 1, C.Hd 1), sind aber auch mit Worttrennern gut belegt: die zwei vertikalen Punkte erscheinen sowohl im privaten (Grabinschrift, C.Ka 1; Gefäßinschrift, C.xx 2) als auch im offizi-

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Zsolt Simon

ellen Bereich (C.Hy 1, sowie einmal nicht identifizierbar, C.Si 1). Dagegen erscheint die buchstabengroße senkrechte Linie nur in Privatinschriften, d.h. Votiv- und Grabinschriften (C.Ia 3, C.xx 1, C.Eu 1 sowie in nicht identifizierbaren Gefäßinschriften, C.Ia 1‒2). Die drei vertikalen Punkte und der Hochpunkt erscheinen nur im offiziellen Bereich (C.My 1 bzw. C.Si 2, erstere auch in einer nicht identifizierbaren Inschrift, C.Eu 2). Dies ist eventuell dem Umstand zuzurechnen, dass sie Neuerungen innerhalb des offiziellen Bereichs darstellen können (zur Frage der Neuerungen s. noch unten). In Tabelle 2 fehlt Halikarnassos, und zwar weil die Herkunft von C.Ha 1 nicht gesichert ist. Das Objekt, eine Bronzephiale, stammt aus dem Antikenhandel. Ihre Herkunftsangabe folgt der Aussage des Antikenhändlers (Jucker & Meier(-Brügger) 1978, 104, 109), die entweder zutreffen kann oder auch nicht, weshalb sich dazu schon Adiego 2007, 144 nur vorsichtig äußerte (vgl. jetzt auch Adiego 2019a, 31‒33). Meier-Brügger 1994, 113 schlägt vor, dass dieses Objekt zusammen mit den Trägern der Inschriften C.xx 1, C.xx 2, und C.xx 3 vom gleichen karischen Ort (eventuell aus einem Heiligtum der Gottheit Natr) stammt, was allerdings zur eigentlichen Herkunft des genannten Objekts nicht viel beiträgt, weil auch die Herkunft der anderen Objekte unbekannt ist. Die These einer gemeinsamen Herkunft unterstützt auch Schürr 2010, 134, der allerdings auch die Inschrift E.xx 7 miteinschließt und daher dieses angebliche Heiligtum vorsichtig („vermutlich“) in Ägypten lokalisiert. Abgesehen davon, dass es sich bei den Inschriften C.Ha 1 und E.xx 7 um Votivinschriften handelt, gibt es zwischen ihnen keine weiteren Gemeinsamkeiten. Die Herkunftsfrage wurde also bis heute nicht geklärt. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Inschrift C.Ha 1 einen Worttrenner aufweist, der in Karien bisher nicht belegt ist: einen Strich in der oberen Hälfte der Zeile. Dieser ist aber gerade in Ägypten gut belegt

Die karischen Worttrennungszeichen

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(vgl. unten). Somit könnte es sich dabei um einen Hinweis darauf handeln, dass die Phiale nicht aus Halikarnassos, sondern tatsächlich aus Ägypten stammt. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass die Inschrift linksläufig ist, was in Ägypten üblich war (jedoch nicht in Karien). Zudem passt auch das Schriftbild zu den ägyptisch-karischen Inschriften (beobachtet schon von Jucker & Meier(-Brügger) 1978, 115 und Adiego 2007, 216, 2013, 22, s. die Form der Buchstaben und , die auf das memphitische Alphabet hindeuten, zu den Eigenschaften des ägyptisch-karischen Alphabets s. Adiego 2007, 219‒223, 2013, 20‒21). Falls man in der jeweiligen Region Worttrenner nutzte bzw. nutzen konnte, gab es wiederum verschiedene Situationen, wie die geographische Verteilung zeigt (Tabelle 3): Euromos

|

Hyllarima Iasos Kaunos

drei senkrechte Punkte :

| :

Mylasa Sinuri

drei senkrechte Punkte :

Hochpunkt

Tabelle 3. Regionale Verteilung der Worttrenner in Karien

Die Tabelle zeigt, dass einige Regionen (Euromos, Sinuri) mehrere Typen von Worttrennern verwendet haben. Dagegen stehen Iasos und Mylasa, aus denen mehr als zwei Inschriften mit Worttrennern bekannt sind und die konsequent einen bestimmten Typ verwenden. Die anderen (Hyllarima und Kaunos) sind zwar konsistent, jedoch kennen wir darunter nur je eine einzige Inschrift mit Worttrennern, weshalb sich diese Frage nicht beurteilen

54

Zsolt Simon

lässt. Daher scheinen die Regionen teils strikt, teils frei zu sein, was die Auswahl des Worttrenners betrifft. Diejenigen Worttrenner, die in mehreren Regionen belegt sind, scheinen geographisch zusammenhängende Regionen zu bilden: 1) die buchstabengroße vertikale Linie im Nordwesten (Euromos – Iasos), 2) der Doppelpunkt im Osten (Hyllarima – Sinuri – Kaunos), und 3) die drei vertikalen Punkte im Norden (Euromos – Mylasa). Interessant ist dabei, dass man zwar mehrere Schriftprovinzen mithilfe der Varianten der karischen Buchstaben etablieren konnte (Adiego 2013, 23‒28), allerdings fallen diese nicht mit der geographischen Verteilung der Worttrenner zusammen. Geographisch betrachtet ergibt sich dabei auch die Frage, ob die Worttrenner zur Bestimmung der Provenienz von Inschriften unbekannter Herkunft beitragen können. Drei unter diesen Inschriften konnten oben typologisch kategorisiert werden: C.xx 1, C.xx 2 und C.xx 3. C.xx 3 zeigt keinen Worttrenner. Dies ist allerdings so weit verbreitet (Hydai / Damlıboğaz, Kaunos, Kildara, Stratonikeia, Tralleis), dass es zur Bestimmung der Herkunft von Inschriften allgemein nicht aussagekräftig ist. Das gleiche gilt für C.xx 2 mit dem Doppelpunkt (belegt in Hyllarima, Kaunos und Sinuri). Dagegen weist C.xx 1, über deren Herkunft man nichts Bestimmtes weiß (Gusmani 1978, 67), eine buchstabengroße senkrechte Linie auf, die sonst nur in Euromos und Iasos belegt ist. Die Inschrift kann allerdings nicht aus Euromos stammen, weil die Buchstaben und (und eventuell ) nicht mit denen aus Euromos identisch sind (zum Alphabet von Euromos s. Adiego 2007, 208‒209). Dies bedeutet allerdings noch nicht, dass C.xx 1 aus Iasos stammt: abgesehen davon, dass man in Iasos sowohl identische ( und auf C.Ia 3) als auch unterschiedliche Zeichen findet ( auf

Die karischen Worttrennungszeichen

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C.Ia und auf C.Ia 4 und C.Ia 3 (!), zum Alphabet von Iasos s. Adiego 2007, 216‒217), zeigt C.xx 1 ein ausschließlich in Ägypten belegtes Zeichen . Demnach wäre hier die oben zitierte Vermutung Schürrs naheliegend, derzufolge auch die Inschrift C.xx 1 aus Ägypten stammt (der Worttrenner dieser Inschrift ist der meistverwendete in Ägypten, s. unten). Dementsprechend wird sie im Folgenden als Teil des ägyptischen Korpus betrachtet (was die Schlussfolgerungen nicht beeinflusst). Zur Chronologie des Inventars der Worttrennerzeichen lässt sich durch den bekannten Umstand, dass viele karische Inschriften nicht datierbar sind, kaum etwas sagen. Die relative Chronologie der drei großen Typen, also der buchstabengroßen senkrechten Linie (Euromos – Iasos), des Doppelpunkts (Hyllarima – Sinuri – Kaunos), und der drei senkrecht übereinander stehenden Punkte (Euromos – Mylasa), lässt sich nur ganz grob bestimmen, weil sich die Inschriften mit drei vertikalen Punkten nicht genauer datieren lassen (zu C.Eu 2 s. Deroy 1955, 316; zu C.My 1 s. Blümel – Kızıl 2004, 138 mit Disk. [eventuell 4./3. Jh.?]) und nur vereinzelte Inschriften aus den anderen beiden Gruppen datierbar sind: C.Hy 1 mit Doppelpunkt stammt aus dem Jahr 263/262 (Adiego & Debord & Varınlıoğlu 2005, 626 mit Disk.)11 und C.Ia 3 bzw. C.Ia 1 mit der senkrechten buchstabengroßen Linie aus der Zeit zwischen 525‒500 bzw. aus dem 8./7. Jh. (Pugliese Carratelli 1985, 149, 151).12 Die Datierung der Inschrift C.Si 2 mit dem einzigartigen Hochpunkt ist dagegen bekannt (351/350‒344/343, Adiego 2007, 141 mit Lit.). Diese Datierungsangaben sowie die auffallende Tatsache,

11. Die Datierung der anderen Inschriften (C.Ka 1, C.Si 1 und C.xx 2) mit Doppelpunkt ist dagegen unbekannt (Marek 2006, 125; Adiego 2007, 151 mit Lit. bzw. Deroy 1955, 316 sowie Gusmani 1978, 67 contra Adiego 2019a, 32). 12. Die Datierung von C.Eu 1 ist unbekannt (Deroy 1955, 309). Zu C.xx 1 s. oben.

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dass die drei vertikalen Punkte in Ägypten nicht belegt sind (vgl. unten), erlauben folgenden Annahmen: 1) die drei vertikalen Punkte stellen eine Neuerung in Karien dar; 2) der Hochpunkt stellt eine späte karische Neuerung dar (und zwar in offiziellem Gebrauch, weil die Inschrift ein Dekret der Satrapen Idrieus und Ada bietet); 3) der Doppelpunkt wurde erst spät in Karien eingeführt. Man muss allerdings darauf hinweisen, dass diese Punktierungen auch in den griechischen bzw. in den semitischen Vorläuferalphabeten bekannt waren, weshalb sich diese Frage solange nicht entscheiden lässt, bis die Frage der genauen Herkunft des karischen Alphabets geklärt ist, auch wenn die Abwesenheit der drei vertikalen Punkte und des Hochpunkts in Ägypten für die Neuerung spricht (man beachte zudem, dass Adiego 2018, 156‒157 überzeugend dafür argumentiert, dass man auch mit lydischem Einfluss in der Gestaltung des karischen Alphabets rechnen muss – weshalb ein ähnlicher Einfluss auch im Bereich der Worttrenner vorstellbar wäre: die lydischen Worttrenner bestehen aus dem Doppelpunkt sowie aus drei vertikalen Punkten [zu den lydischen Worttrennern s. Payne in diesem Band]). Der Doppelpunkt war daneben auch in Ägypten weit verbreitet (s. unten), was an sich eine späte Einführung ausschließt, nicht aber eine sekundäre Einführung z.B. aus Lydien. Obwohl die früheste datierbare Inschrift mit Worttrennern (C.Ia 1, 8./7. Jh.) später als die früheste datierbare Inschrift ohne Worttrenner (C.Hd 1, 7. Jh.) sein kann,13 folgt daraus noch nicht, dass die Worttrenner eine Erfindung aus Karien sind: Einerseits ist die früheste karische Inschrift aus

13. Die rätselhafte Inschrift aus Smyrna mit karischen Buchstaben zeigt einen Worttrenner schon im 7. Jh. (Adiego 2007, 29, 2019a, 26).

Die karischen Worttrennungszeichen

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Ägypten mit Worttrennern (E.Sa 2, Adiego 2007, 33) zeitgleich mit der Inschrift aus Hydai / Damlıboğaz bezeugt, außerdem sind die karischen Worttrennerzeichen teils mit den Worttrennerzeichen der griechischen (senkrechter Strich, Doppelpunkt, die drei Punkte) und teils mit denen der semitischen Vorläuferalphabete identisch (senkrechter Strich und drei senkrechte Punkte im 2. Jt., aber im 1. Jt. schon nur Hochpunkt, Naveh 1973). Was die Funktion der Zeichen betrifft, lassen sich zwei Gruppen identifizieren. In der ersten Gruppe wird der Text völlig strukturiert, in der anderen nur teilweise (man beachte, dass die Mittel der neuen Zeile bzw. des Zeilenrandes in beiden Gruppen verwendet wurde). Als Definitionsgrundlage dient hier, dass die nur teilweise strukturierten Inschriften zumindest eine Zeile aufweisen, in der die Wörter oder Ausdrücke nicht getrennt werden, die sonst getrennt vorkommen: 1) „Durchgängig“ strukturiert: C.Eu (Grab) C.Ia 1 (unklar), C.Ia 2 (unklar, ggf. Gefäßinschrift), C.Ia 3 (Votiv) C.Ka 1 (Grab), C.Si 1 (unklar); 2) „Teilweise“ strukturiert: C.Eu 2 (unklar), C.Hy 1 (offiziell), C.My 1 (offiziell), C.Si 2 (offiziell), C.xx 2 (Gefäßinschrift). Es stellt sich dabei heraus, dass diejenigen Inschriften durchgängig strukturiert sind, die Privatinschriften, d.h. Grab- oder Votivinschriften (ggf. Gefäßinschriften) sind. Dagegen verwenden die offiziellen Inschriften die Worttrennung nicht konsequent. Zwar ist hier trotz der relativ großen Anzahl an klaren Fällen Vorsicht geboten, weil es in beiden Gruppen unklare Inschriften gibt, doch diese Regel wird auch durch die beiden Grabinschriften (C.Ka 3, C.Kr 1) unterstützt, die zwar keine Worttrenner aufzeichnen, aber ihren Text konsequent durch neue Zeilen und die Zeilenränder strukturieren. Über den Grund dieser Verteilung kann man nur spekulieren. Aus der Sicht des Textverständnisses wäre die Erwartung genau umgekehrt,

58

Zsolt Simon

d.h. gut strukturierte Texte wären eher im offiziellen Gebrauch zu erwarten. Aus historischer Sicht ist es klar, dass die Worttrennung in den offiziellen Inschriften aufgegeben wurde. Dies ist keineswegs ohne Parallele (vgl. das Phönizische oder den eingeschränkten Gebrauch in den attischen Inschriften [Threatte 1980, 81]14), aber die Gründe dafür sind schwer nachvollziehbar (auch Naveh 1973, 208 stellt sich diese Frage für das Phönizische). Es bleibt zudem unbeantwortet, warum gewisse Wörter bzw. Ausdrücke dennoch getrennt wurden. Eine Analyse der Einheiten, die durch die Worttrenner segmentiert werden (d.h. als graphematische Einheiten betrachtet wurden) ergibt folgende Gruppen: 1) einzelne Wörter (C.Eu 1, C.Ia 1, C.Ia 2, C.Ia 3, C.Ka 1, C.Si 2); 2) ein Wort mit Klitikon: Wort + k̂ i (C.Eu 2), Demonstrativpronomen mit Personennamen (C.Ka 3); 3) Personenname mit Patronymikon (C.Eu 1, C.Ka 1, C.My 1, C.Si 2, ggf. C.Kr 1); 4) Personenname mit ethnischem Adjektiv (C.Ka 1, ggf. C.Kr 1); 5) Relativsatz (?) (C.Si 2); 6) unklar (C.Eu 2, C.Hy 1, C.Ia 3, C.Si 1, C.xx 2). Abgesehen von den unklaren Fällen kann man diese Kategorien in einer gröberen Regel zusammenfassen: Worttrennerzeichen werden nach phonologischen Einheiten gesetzt, da auch die Fälle der Personennamen mit Patronymika bzw. ethnischen Adjektiva sowie die Relativsätze als phonologische Einheiten aufgefasst werden können.

14. Freundlicher Hinweis von Götz Keydana.

Die karischen Worttrennungszeichen

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3.2. Ägypten Abgesehen von den Inschriften, die aus der Sicht der Worttrenner unklar sind, entweder weil sie nur aus einem einzigen Wort bestehen oder weil sie fragmentarisch sind (vgl. oben), kann man 116 Inschriften auswerten (s. Tabelle 4). Im Gegensatz zu Karien zeigt hier nur eine Minderheit der Inschriften (30 bzw. 31) keinen Worttrenner. Wie in Karien zeigen die meisten, hier eigentlich die überwiegende Mehrheit der Inschriften (58), die buchstabengroße senkrechte Linie | (die gelegentlich noch länger bzw. kürzer (und dann in der Mitte platziert) als die Buchstaben sein kann). An zweiter Stelle folgen die Inschriften mit Doppelpunkt (13). Einen kurzen Strich in der oberen Hälfte der Zeile findet man in 13 Inschriften. Darüber hinaus gibt es noch eine kleine Anzahl von anderen Worttrennern: ein kurzer Strich in der unteren Hälfte der Zeile (in drei Inschriften), zwei Striche (in drei Inschriften) und mehrere Punkte in einer vertikalen Linie (in einer Inschrift). Diese Zeichen sind in Karien nicht belegt, weshalb sie vermutlich ägyptisch-karische Neuerungen darstellen. Das Spatium wurde nicht verwendet, die extrem wenigen angeblichen Beispiele stammen aus wissenschaftlich nicht veröffentlichten Texten (E.Si 8, E.Si 9, vgl. aber E.Th 38 unten). keine

Abu Simbel (E.AS 1, E.AS 6); Abydos (E.Ab 2, E.Ab 4, E.Ab 5, E.Ab 8, E.Ab 9, E.Ab 10, E.Ab 11, E.Ab 12, E.Ab 15, E.Ab 19, E.Ab 21, E.Ab 25, E.Ab 34); Buhen (E.Bu 4); Luxor (E.Lu 2); Memphis (E.Me 3, E.Me 7, E.Me 15, E.Me 19, E.Me 23, E.Me 25,15 E.Me 44, E.Me 45, E.Me

15. Die Umschrift Adiegos (2007, 54) zeigt einen Worttrenner, seine korrekte Zeichnung

60

Zsolt Simon

50, E.Me 63); Sais (E.Sa 2); Theben (E.Th 4,16 E.Th 10, E.Th 27,17 ggf. E.Th 3818); |

Abu Simbel (E.AS 4, E.AS 5, E.AS 7*19); Abydos (E.Ab 3, E.Ab 6, E.Ab 7, E.Ab 22, E.Ab 28, E.Ab 33, E.Ab 35); Buhen (E.Bu 1, E.Bu 2, E.Bu 6); Gebel Sheik Suleiman (E.SS 1);20 Luxor (E.Lu 5, E.Lu 621); Memphis (E.Me 1, E.Me 4, E.Me 5, E.Me 8*, E.Me 11,22 E.Me 12, E.Me 13, E.Me 14, E.Me 16, E.Me 17, E.Me 18, E.Me 20, E.Me 24, E.Me 26*, E.Me 28, E.Me 29, E.Me 31, E.Me 32*, E.Me 33, E.Me 34, E.Me 35, E.Me 36, E.Me 37, E.Me 38, E.Me 39, E.Me 40, E.Me 41*, E.Me 43, E.Me 46, E.Me 47, E.Me 49, E.Me 51, E.Me 52, E.Me 65); Murwāw (E.Mu 1);

(überprüft am Foto in Masson 1978, pl. XI.2) allerdings nicht. 16. Die Lesung führt einen Worttrenner auf, die einzige veröffentlichte Abbildung, eine Zeichnung, zeigt ihn allerdings nicht (Adiego 2007, 97). 17. Contra die Umschrift in Adiego 2007, 103, s. die Bildaufnahme in Villalba Varneda 2007, 24. 18. Ggf. mit Spatium, aber dies ist sehr ungewiss, vgl. Villalba Varneda 2007, 22 mit Bildaufnahme. 19. Die Worttrennerzeichen sind kürzer als üblich (Adiego 2007, 118). 20. Eine der beiden veröffentlichen Zeichnungen zeigt teilweise viele Punkte statt der Linie. Nach Angabe Adiegos (2007, 123 mit Lit.) wurde die Inschrift leider nie abfotografiert und befindet sich heutzutage schon im Nil. 21. Trotz der Umschrift Adiegos (2007, 108) mit einem Worttrenner am Anfang scheint die Zeichnung auch auf der anderen Seite des Wortrenners noch Reste eines Buchstabens zu zeigen. 22. Der Worttrenner sieht nicht so senkrecht aus wie üblich, sondern erscheint als .

Die karischen Worttrennungszeichen

61

Sais (E.Sa 1*); Silsilis (E.Si 2*,23 E.Si 3, E.Si 4, E.Si 6*); Theben (E.Th 5, E.Th 12, E.Th 39); E.xx 6; :

Abydos (E.Ab 30); Memphis (E.Me 6, E.Me 8*, E.Me 9, E.Me 10, E.Me 21, E.Me 22, E.Me 27, E.Me 30, E.Me 42, E.Me 48, E.Me 64); E.xx 7;

ein kurzer Strich

Abu Simbel (E.AS 3, E.AS 7*, E.AS 8);

(in der oberen

Abydos (E.Ab 20);

Hälfte der Zeile)

Memphis (E.Me 2;24 E.Me 26*, E.Me 41*); Silsilis (E.Si 1, E.Si 2*); Theben (E.Th 2, E.Th 11,25 E.Th 13); E.xx 1

kurzer Strich unten

Abu Simbel (E.AS 7*); Abydos (E.Ab 13); Silsilis (E.Si 6*);

zwei Striche

Abydos (E.Ab 26); Memphis (E.Me 32*); Sais (E.Sa 1*);

mehrere Punkte

Abydos (E.Ab 18);

23. Die Worttrennerzeichen sind teilweise kürzer als üblich (Adiego 2007, 111‒112, nur Zeichnungen sind bekannt). 24. Die Umschrift Adiegos (2007, 35) zeigt zwei Worttrenner, obwohl die Inschrift nur einen aufweist. 25. Die einzige bekannte Abbildung (eine Zeichnung) ist allerdings nicht vollständig und ein Worttrennerzeichen ist daher graphisch nicht bekannt (Adiego 2007, 99‒100).

62

Zsolt Simon

unklar ein fragmen-

E.Ab 14, E.Ab 29; E.Bu 3; E.Lu 1; E.Me 53,

tarisches Wort

E.Me 54, E.Me 55, E.Me 56, E.Me 59, E.Me 60, E.Me 61, E.Me 62;

ein einziges Wort26

E.Ab 16, E.Ab 17, E.Ab 23, E.Ab 27, E.Ab 31, E.Ab 32, E.Ab 43; E.AS 2, E.AS 9; E.Lu 3, E.Lu 4, E.Lu 7; E.Si 5, E.Si 8,27 E.Si 9,28 E.Si 10, E.Si 11; E.Th 1, E.Th 3, E.Th 6; E.xx 3; E.xx 4;

Sonstiges

E.Ab 24,29 E.Me 57,30 E.Me 58;31 E.Si 732

Tabelle 4. Die Typologie der Worttrenner in karischen Inschriften (Ägypten)

26. Ohne die Inschriften, die aus einem Namen bestehen (E.Ab 1, E.Bu 5, E.Th 7, E.Th 8, E.Th 9, und E.xx 2). Nach Adiego 2007, 359, 361, 369, 376, 395, 399, 425 gehören auch E.Ab 31, E.Ab 32, E.Si 8, E.Th 1, E.Th 3, E.xx 3, und E.xx 4 (vielleicht auch E.Si 11) hierher, deren Status als Personennamen allerdings fraglich ist. 27. Die Zeichnung zeigt allerdings zwei Wörter, die durch Spatium getrennt sind (Adiego 2007, 114), eine Überprüfung am Original ist nach der Angabe in Adiego 2007, 110 nicht mehr möglich. 28. Die Zeichnung zeigt allerdings zwei Wörter, die durch Spatium getrennt sind (Adiego 2007, 114), eine Überprüfung am Original ist nach der Angabe in Adiego 2007, 110 nicht mehr möglich. 29. Das einem Namen vorangehende fragmentarische Zeichen ist entweder ein Buchstabe (und dann gibt es keinen Worttrenner) oder eine vertikale Linie als Worttrenner (Adiego 2007, 89). Keine Bildaufnahme wurde bisher veröffentlicht. 30. Nur ein fragmentarisches Syntagma, zwar ohne Worttrenner aber gerade mit k̂ i, weshalb unklar ist, ob man sonst Worttrennerzeichen verwendet hätte. 31. Nur ein fragmentarisches Syntagma, zwar ohne Worttrenner aber gerade mit k̂ i, weshalb unklar ist, ob man sonst Worttrennerzeichen verwendet hätte. 32. Die einzige bekannte Abbildung (eine Zeichnung) zeigt einen Worttrenner in der Mitte des Namens (Adiego 2007, 113).

Die karischen Worttrennungszeichen

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Vor der Beurteilung der geographischen Verteilung muss auf zwei Umstände hingewiesen werden. Erstens, dass die meisten Inschriften ohne Worttrenner auch keine anderen Methoden für die Strukturierung des Textes verwenden (z.B. Zeilenrand, neue Zeile), d.h. dass man dort auf die Textstrukturierung insgesamt bewusst verzichtete. Mit anderen Worten war die Textstrukturierung nicht obligatorisch. Allerdings gibt es eine große Anzahl von Inschriften, die ihren Text mithilfe neuer Zeilen (bzw. ggf. mit dem Rand der Schriftfläche) strukturieren (sie sind in der Tabelle kursiv gesetzt): zwei Inschriften in Abu Simbel (E.AS 1, E.AS 6), zwei Inschriften aus Abydos (E.Ab 10, E.Ab 11), eine Inschrift aus Buhen (E.Bu 4) eine Inschrift aus Luxor (E.Lu 2), und sechs Inschriften aus Memphis (E.Me 15, E.Me 19, E.Me 23, E.Me 45, E.Me 50, E.Me 63). Die regionale Verteilung zeigt (vgl. Tabelle 5), dass Trennzeichen überall verwendet wurden. Es gibt jedoch Regionen, die immer Worttrenner verwenden (Silsilis) bzw. den Text durch andere Methoden strukturieren, weshalb die Verwendung der Worttrenner in gewissen Fällen nicht nötig war (Abu Simbel, Buhen, Luxor, sie sind in der Tabelle kursiv gesetzt). In Gebel Sheik Suleiman und Murwāw erscheinen die Worttrenner konsequent, jedoch bezieht sich diese Aussage nur auf je eine Inschrift, weshalb sich diese Gebiete nicht eindeutig klassifizieren lassen. Schließlich stammen die meisten Inschriften aus Regionen, in denen die Worttrenner teils verwendet wurden, teils nicht (Abydos, Memphis, Sais, Theben). Daher kann man den Schluss ziehen, dass die Verwendung von Worttrennern in Ägypten, wie auch in Karien, nicht obligatorisch war. nie (zumindest zwei Inschriften)

--

nie (nur eine Inschrift)

--

64

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gemischt

Abydos, Memphis, Sais, Theben

immer (nur eine Inschrift)

Gebel Sheik Suleiman; Murwāw

immer (zumindest zwei Inschriften)

Abu Simbel, Buhen, Luxor, Silsilis

Tabelle 5. Regionale Beleglage der Worttrenner in Ägypten

Für den Gebrauch von Worttrennern gab es in den Regionen, in denen solche Zeichen zur Verfügung standen, wiederum unterschiedliche Ausprägungen, wie die geographische Verteilung zeigt (Tabelle 6): Abu Simbel

|

kurzer Strich kurzer Strich oben

Abydos

|

:

kurzer Strich kurzer Strich oben

Buhen Gebel

unten Doppelstrich

unten

viele Punkte

| Sheik

|

Suleiman Luxor

|

Memphis

|

:

kurzer Strich

Doppelstrich

oben Murwāw

|

Sais

|

Silsilis

|

Doppelstrich kurzer Strich kurzer Strich oben

Theben

|

unten

kurzer Strich oben

Tabelle 6. Regionale Verteilung der Worttrenner in Ägypten

Die geographische Verteilung zeigt, dass diejenigen Regionen, aus denen mehr als eine Inschrift mit Worttrennern belegt ist (Abu Simbel, Abydos,

Die karischen Worttrennungszeichen

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Memphis, Sais, Silsilis, Theben), mehrere Typen von Worttrennern verwendet haben (aus den „konsistenten“ Regionen von Buhen, Gebel Sheik Suleiman, Luxor, und Murwāw kennt man nur eine Inschrift mit Worttrennern). Hier scheint es im Gegensatz zu Karien keine festen Regeln für den Gebrauch eines bestimmten Worttrennerzeichens gegeben zu haben. Dies wird auch weitgehend dadurch unterstützt, dass einige Inschriften zwei Typen von Worttrennern aufweisen (sie sind in der Tabelle mit * gekennzeichnet): E.Me 8 (| und :), E.Me 26 (| und kurzer Strich oben), E.Me 32 (| und zwei Striche), E.Me 41 (| und ein kurzer Strich oben), E.Sa 1 (| und zwei Striche); E.Si 2 (| und ein kurzer Strich oben), E.Si 6 (| und ein kurzer Strich unten), E.AS 7 (| und ein kurzer Strich oben bzw. unten). Zwar kann man diskutieren, ob die Kombination von | und einem kurzen Strich tatsächlich zwei Typen von Worttrennern darstellt (E.Me 36 bietet ein schönes Beispiel dafür, wie schwierig es gelegentlich ist, eine Entscheidung zu treffen), doch dies ist zweifellos der Fall bei E.Me 8 (Strich und Doppelpunkt) sowie E.Me 32 und E.Sa 1 (Linie und zwei Striche). Regionale Unterschiede derjenigen Worttrenner, die in mehreren Regionen belegt sind, lassen sich nicht identifizieren: dies beruht nicht nur auf der besonderen Geographie Ägyptens, sondern (eher) darauf, dass Karer nur in Memphis bzw. im Nildelta gelebt haben, in allen anderen Fällen haben wir es mit Graffiti von „durchreisenden“ Karern (d.h. Söldnern) zu tun. Interessant ist allerdings, dass die gemeinsamen Worttrenner der ägyptischen und der karischen Varianten des karischen Alphabets, nämlich die buchstabengroße senkrechte Linie und der Doppelpunkt, in Karien in zwei verschiedenen Regionen erscheinen: die buchstabengroße senkrechte Linie im Nordwesten (Euromos – Iasos) und der Doppelpunkt im Osten (Hyllarima – Sinuri – Kaunos). Da erwartungsgemäß Schriftgebräuche aus den eigenen Herkunftsregionen (und nicht aus den anderen) tradiert werden, wä-

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ren diese beiden Regionen als mögliches Herkunftsgebiet des ägyptischkarischen Alphabets zu identifizieren. Dies ist allerdings problematisch: Zwar ist die Geschichte der Varianten des karischen Alphabets noch ungeklärt, Adiego 2013, 20‒21 argumentiert überzeugend dafür, dass das ägyptisch-karische Alphabet homogen ist (z.B. Verwendung von bestimmten Varianten der formal vielfältigen Buchstaben) und zudem Eigenschaften aufzeigt, die von den Alphabeten in Karien abweichen (z.B. mehr Vokalzeichen; lokale neue Buchstaben; nicht alle Buchstaben in Karien können aus ägyptisch-karischen Zeichenformen stammen). Daher kann das ägyptischkarische Alphabet kein Uralphabet sein, sondern würde einem lokalen, allerdings bisher nicht identifizierten Alphabet in Karien entstammen. Anhand der ethnischen Adjektive der ägyptisch-karischen Inschriften identifiziert Adiego diese Gegend mit der Region von Iasos – Kindye – Suangela – Keramos – Halikarnassos (Adiego 2013, 21‒22, auf der Karte auch Kos). Abgesehen von Kos, deren Identifizierung nicht verifiziert werden kann (kojoλ bedeutet nämlich nicht ‚von Kos‘, sondern stellt vermutlich eine Berufsbezeichnung dar, s. die kritische Diskussion in Simon 2019a), zeigt diese Region Übereinstimmung mit der Region der buchstabengroßen senkrechten Linie (Euromos – Iasos), die den mit Abstand wichtigsten Worttrenner in Ägypten darstellt und daher eine gute Übereinstimmung mit der Hypothese Adiegos zur Herkunft des ägyptisch-karischen Alphabets bildet. Wie kann man aber die Anwesenheit des Doppelpunkts in den ägyptisch-karischen Inschriften erklären? Es gibt mehrere nennenswerte Umstände: 1) Am wichtigsten ist, dass wir mangels Inschriften einfach nicht wissen, welche(r) Worttrenner in Kindye, Syangela, und Keramos verwendet wurden, wenn überhaupt. Man kann also weder ausschließen noch bestätigen, dass man dort auch den Doppelpunkt verwendete.

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2) Die griechischen und semitischen Uralphabete kannten beide Worttrennerzeichen, weshalb es nicht überrascht, dass beide auch in den karischen Alphabeten erscheinen. Unklar bleibt, ob sie parallel oder regional beschränkt erscheinen. Die obigen Überlegungen zeigen, dass es sowohl Regionen gibt, in denen man sich auf einen Worttrenner beschränkte als auch solche, in denen verschiedene Worttrennerzeichen Verwendung fanden. Wenn die geographische Verteilung stimmt, fehlen eventuell einfach die Regionen mit Doppelpunkt (wie oben) oder aber die Fälle mit nur einem Worttrenner sind einfach statistisch gesehen ein Produkt der kleinen Anzahl der Inschriften. Unabhängig von diesen Überlegungen bilden die Worttrenner eine Bestätigung der Hypothese Adiegos zur Herkunft des ägyptisch-karischen Alphabets. Es ergibt sich des Weiteren die Frage danach, ob die Worttrenner zur Bestimmung der Provenienz der Inschriften unbekannter Herkunft hilfreich sein können. Im Falle von E.xx 1 beobachtete Adiego 2007, 125, dass das darin verwendete Alphabet dem aus Memphis und Sais entspricht. Der Worttrenner (ein kurzer Strich in der oberen Hälfte der Zeile) ist allerdings nur in Memphis, nicht aber in Sais belegt (wo nur die buchstabengroße vertikale Linie und der Doppelstrich belegt sind), weshalb eine Herkunft aus Memphis wahrscheinlicher ist. Im Falle von E.xx 6 und E.xx 7 erlaubt leider die Anzahl der Möglichkeiten allerdings keinen Fortschritt.33

33. Aus chronologischer Sicht ist das Material nicht besonders aussagekräftig: einerseits lassen sich viele Inschriften (und daher die Typen „kurzer Strich unten“ und „viele Punkte“) nicht datieren, andererseits kann der Beginn der meisten Typen nicht genauer als der Anfang der saitischen Dynastie angegeben werden (mögliche Ausnahme ist der Doppelpunkt, der erst um 625‒590 (E.Me 48, Kammerzell 1993, 169, 171) erscheint (für die datierbaren Inschriften s. Masson & Yoyotte 1956 [Sais]; Kammerzell 1993 [Memphis]; Žába 1974 [Murwaw]; Adiego 2007, 95 [Theben]).

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Die Textsorten in Ägypten sind anders als in Karien: hier haben wir logischerweise keine offiziellen Inschriften, nur Privatinschriften, die allerdings ihrerseits sehr unterschiedlich sein können: neben zahlreichen Grabinschriften und ebenfalls zahlreichen Graffiti finden wir auch einige Votivinschriften. Die Textsorten haben offenbar wie in Karien nichts mit der An- bzw. Abwesenheit der Worttrenner zu tun: Votivinschriften, Grabinschriften und Graffiti kommen sowohl mit als auch ohne Worttrenner vor. Was die vorhandenen Worttrenner betrifft, erscheinen sowohl die buchstabengroße senkrechte Linie, als auch der Doppelpunkt, der kurze Strich in der oberen Hälfte der Zeile (C.Ha 1 ist die Votivinschrift hier), und die zwei Striche in allen drei Textsorten (Graffito, Grab- und Votivinschriften). Lediglich der kurze Strich unten und die vielen Punkte sind vermutlich dem Gebrauch in Graffiti zuzuschreiben, da sie nur in dieser Textsorte belegt sind. Was die Funktion der Zeichen betrifft, besteht der erste und wichtigste Unterschied im Vergleich zu Karien darin, dass hier die Dichotomie zwischen „durchgängig“ und „teilweise“ strukturierten Texten unbekannt ist: hier sind nämlich alle Texte „durchgängig“ strukturiert, d.h. alle Wörter sind voneinander getrennt (ggf. mithilfe einer neuen Zeile bzw. des Zeilenrandes, einschließlich C.xx 1, nicht aber C.Ha 1, wo zwei Worttrenner fehlen). In den insgesamt 116 Inschriften gibt es nur zwei Ausnahmen, die allerdings streng genommen keine Ausnahmen sind: In E.Mu 1 werden alle Wörter getrennt, nur ein Worttrenner fehlt zwischen den beiden Wörtern der zweiten Zeile, die identisch sind. Der andere Fall ist E.Th 12, in dem Worttrenner nur teilweise verwendet wurden, der Text ist allerdings völlig unklar und, was noch wichtiger ist, er wurde noch nicht wissenschaftlich veröffentlicht, daher kann dieser Befund dem Beweis der mehr als 100 anderen Texte kaum widersprechen.

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Die Trennung aller Wörter ist wörtlich zu verstehen, d.h. es werden auch solche Wörter getrennt, die in Karien üblicherweise nicht getrennt werden, typischerweise Namen mit Patronymikon. Dies betrifft auch die ethnischen Adjektive, obwohl es gerade hier zwei Ausnahmen gibt (E.Ab 35, E.Me 17 [hier ist es eventuell Berufsbezeichnung]). Die anderen Ausnahmen, d.h. Wörter, die nicht einmal in Ägypten getrennt erscheinen, sind mit ähnlichen Konstruktionen in Karien identisch: das Relativpronomen k̂ i34 mit einem Sonderfall (E.Me 42, in dem alle Wörter, einschließlich k̂ i getrennt waren); das Demonstrativpronomen sa (E.Me 26); das Wort (Proklitikon) sb ‚und‘ (E.Me 8, E.xx 6, E.Th 13), und das Pronomen k̂ ik̂ (E.AS 7). Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Pronomina und Konjunktionen im Karischen klitisch waren. Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass eventuell auch das Verb klitisch sein konnte: es gibt zumindest Fälle, in denen das ungetrennte Wort ein Verb zu sein scheint (E.Sa 1: zidks mδane; E.xx 7: nu mδane [hier bleibt auch die patronymische Kombination ungetrennt], s. zuletzt Simon 2020 mit ausführlicher Disk.). Die Regeln zum Gebrauch der Worttrenner sind also ähnlich wie in Karien, doch sie werden viel konsequenter umgesetzt: Worttrennerzeichen werden nach phonologischen Einheiten gesetzt. Es ergibt sich schließlich die Frage danach, worin der Grund der unterschiedlichen Verwendung des Worttrenners in Karien besteht. Einen chronologischen Grund gibt es nicht: das ägyptisch-karische Alphabet ist nicht älter als das in Karien und wir haben schon gesehen, dass es kein „Uralphabet“ darstellt. Eine rein geographische Erklärung wäre allerdings verfrüht: es ist nämlich auffallend, dass in Karien die privaten Inschriften eine durch-

34. E.Bu 6; E.Me 6, E.Me 8, E.Me 9, E.Me 10, E.Me 12, E.Me 13, E.Me 16, E.Me 17, E.Me 18, E.Me 20, E.Me 21, E.Me 28, E.Me 30, E.Me 31, E.Me 32, E.Me 33, E.Me 35, E.Me 36, E.Me 38, E.Me 40, E.Me 43, E.Me 46, E.Me 47, E.Me 57, E.Me 58; E.xx 1.

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gängige Strukturierung zeigen, d.h. genau diejenigen Textsorten, die wir aus Ägypten kennen. Der Grund kann daher nicht in der Entfernung, sondern im Gebrauch liegen. Dies beantwortet allerdings nicht die Frage, warum die Worttrenner in Ägypten viel konsequenter verwendet wurden. Hier kann man momentan nur spekulieren, auffallend ist allerdings, dass die konsequentere Verwendung in einem fremdsprachlichen Milieu stattfindet. 3.3. Griechenland Wie erwähnt, sind auch aus Griechenland vier karische Inschriften bekannt, obwohl karische Splittergruppen nie in Griechenland ansässig waren (hier muss angemerkt werden, dass entgegen der weit verbreiteten Meinung keine Karer auf der Insel von Imbros gelebt haben, s. Simon 2015). G1 aus Athen zeigt den Doppelpunkt, was an sich nicht hilfreich ist, weil der Doppelpunkt sowohl in Karien als auch in Ägypten belegt ist. Zudem zeigt auch der griechische Teil dieser Bilingue den Doppelpunkt, weshalb man den lokalen epigraphischen Einfluss nicht ausschließen kann. G2 aus Thessaloniki zeigt die senkrechte buchstabengroße Linie, die sowohl aus Karien als auch aus Ägypten bekannt ist, und daher nicht weiterführt. Das Gleiche gilt für G4 aus Karaburnaki, obwohl man in diesem Fall vermutlich mit einem ägyptischen Buchstaben rechnen kann (Adiego et al. 2012, 199‒200), weshalb eine ägyptische Herkunft wahrscheinlicher ist (wie man dies mit der Tatsache vereinbaren kann, dass es sich um einen Dachziegel handelt, muss momentan offen bleiben). G3 aus Karaburnaki (Adiego et al. 2012, 196‒199) zeigt dagegen zwei vertikale Striche, die ausschließlich aus Ägypten bekannt sind (vgl. oben), und die Zeichen sind tatsächlich ägyptisch-karisch: die Form von und

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sowie die Anwesenheit von (s. schon Adiego et al. 2012, 198).35 Es handelt sich um eine Gefäßinschrift, wir haben es also vermutlich mit einem Import aus Ägypten zu tun. Beachtenswert ist dabei, dass beide karischen Inschriften identifizierbarer Herkunft mit Ägypten verbunden sind. 4. Fazit Die Worttrennung war in den karischen Inschriften nicht obligatorisch, auch wenn es Regionen gab, in denen man immer Worttrenner verwendete. Wenn dies der Fall war, bestand das ursprüngliche Inventar aus einer buchstabengroßen senkrechten Linie und aus dem Doppelpunkt. Diese Zeichen wurden später sowohl in Karien als auch in Ägypten mit weiteren Zeichen ergänzt (ggf. die drei vertikalen Punkte und der Hochpunkt bzw. ein kurzer Strich in der oberen Hälfte der Zeile, ein kurzer Strich in der unteren Hälfte der Zeile, zwei Striche, sowie viele Punkte in einer vertikalen Linie). Außer durch den Worttrenner selbst strukturierte man den Text oft auch mithilfe einer neuen Zeile und des Zeilenrandes. Die Auswahl der Form war regional unterschiedlich: das Spektrum dehnt sich von völliger Freiheit bis zu einer einzigen Möglichkeit. Die Analyse der Zeichenformen und deren Verbreitungen liefern einen neuen Beweis dafür, dass Adiegos Hypothese, der den Ursprung des ägyptisch-karischen Alphabets in der weiteren Umgebung von Iasos sucht, korrekt ist. Die gleiche Analyse hilft auch, die Herkunft einiger Inschriften zu bestimmen. Wurden die Worttrennerzeichen verwendet, wurden sie in den Privatinschriften konsequent zwischen allen phonologischen Einheiten gesetzt, sowohl in Karien als auch in Ägypten

35. Adiego macht allerdings auch auf das nicht-ägyptische Zeichen aufmerksam, mit der Bemerkung, dass es auch in der gesichert aus Ägypten stammenden Inschrift E.xx 7 belegt ist. Dadurch ist das Zeichen allerdings nicht mehr „nicht-ägyptisch“ und da das Zeichen einem standardkarischen Phonem entspricht, muss seine bisherige Abwesenheit (genauer gesagt, nicht gesicherte Anwesenheit) in den anderen ägyptischen Inschriften dem Zufall zugeschrieben werden.

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(wenn auch in Ägypten viel konsequenter). Dies zeigt, dass Pronomina, Konjunktionen und eventuell Verben im Karischen als Klitika galten. Offizielle Inschriften sind allerdings bei weitem nicht so konsistent. Zwar verwenden sie diese Zeichen ebenfalls zwischen phonologischen Einheiten, doch wurden auch sehr lange Sequenzen ohne Segmentierung geschrieben. Die Frage, wozu sie diese Zeichen dennoch verwendeten, bedarf noch weiterer Forschungen.

Danksagung Dieser Aufsatz wurde im Rahmen des durch das spanische Ministerium für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit geförderten Forschungsprojekts Los dialectos lúvicos de transmisión alfabética en su contexto lingüístico, geográfico e histórico (FFI2015‒68467‒C2‒1‒P) verfasst. Ich bedanke mich bei Anja Busse für die Korrektur meines Deutschs. Literatur Adiego, I. J., The Carian Language, Leiden – Boston, 2007. Adiego, I.‒X., Unity and Diversity in the Carian Alphabet, in Euploia. La Lycie et la Carie antiques. Dynamiques des territoires, échanges et identités. Actes du colloque de Bordeaux, 5, 6, et 7 novembre 2009, Hg. P. Brun et al., Bordeaux, 2013, 17–28. Adiego, I.‒X., Local adaptations of the alphabet among the non-Greek peoples of Anatolia, in Paths into Script Formation in the Ancient Mediterranean, Hg. S. Ferrara & M. Valério, Roma, 2018, 145–162. Adiego, I.‒X., ‘Archaic’ Carian, in Karia Arkhaia. La Carie, des origines à la période pré-hekatomnide. 4èmes Rencontres d’archéologie de l’IFÉA. Istanbul, 14-16 novembre 2013, Hg. O. Henry & M. Valério, Istanbul, 2019a, 23-41.

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Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen Dagmar Wodtko Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig § 1 Tartessisch ist der konventionelle Name für eine Sprache, die trümmerhaft aus dem Süden des heutigen Portugals und angrenzenden südwestlichen Gebieten Spaniens überliefert ist. Andere Namen für diese Sprache sind „Südlusitanisch“ oder „die Sprache der südwestlichen Inschriften“.1 Tartessisch ist in etwa 100 Texten auf Steinstelen überliefert. Wichtige Neufunde, die nach dem Abschluß der Edition in MLH IV zu Tage gekommen sind, sind publiziert in Guerra et al. 1999, Guerra 2002, Guerra 2009, Guerra 2013. Hierzu gehören die langen Texte von São Martinho sowie von Mesas do Castelinho, der bisher längste bekannte tartessische Text.2 Andere Inschriftenträger als Stein sind bisher nur marginal gefunden worden. Sie bleiben hier außer Betracht.3 Viele Texte stammen aus Grabkontexten, soweit ein Fundkontext überhaupt bekannt ist; doch finden sie sich dort oft in sekundärer Verwendung. Die Funktion dieser Steine ist deshalb nicht ein-

1. S. MLH IV, S. 96 § 103. Die Nummerierung der Inschriften folgt der Edition in diesem Band. Fundortkarten finden sich z.B. in MLH IV 169f., bei Koch 2011 und unter http:/ /hesperia.ucm.es/. 2. Vgl. auch eine Zusammenfassung neuerer Funde bei Correa 2016. 3. S. J.A. Correa & J.Á. Zamora 2008, Guerra 2013, 329ff., Correa 2016, 340f.

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deutig. Zwar werden sie oft als Grabsteine betrachtet, doch kann es sich im Einzelfall ebenso gut etwa um Gedenksteine oder um Grenzmarkierungen handeln (MLH IV S. 130ff.; Rodríguez Ramos 2002). Diese Funktionen schließen sich auch nicht gegenseitig aus, da etwa Gräber eine Grenze markieren können. Zusätzlich zu diesem charakteristischen Inschriftentyp ist ein Stein mit einem Alphabet gefunden worden (J. 25.1, Espanca). Ein weiteres Bruchstück eines Alphabetes diskutiert Ferrer 2017. Die unsicheren oder sekundären Fundkontexte erschweren auch die Datierung der Inschriften. Die älteste sichere Datierung führt in das 6. Jh. v. Chr. zurück; es handelt sich um eine Steinplatte (J. 57.1), die sekundär verwendet in einem Grab gefunden wurde.4 Man kann also damit rechnen, daß die Denkmäler mehr oder weniger der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. zuzuschreiben sind. Auch eine relative Chronologie der Texte ist noch nicht etabliert.5 Die Sprache der tartessischen Inschriften ist bisher nicht entschlüsselt. Es wurden zwar mehrfach Zuweisungen zur indogermanischen Sprachfamilie versucht – zum Anatolischen6 und in neuerer Zeit zum Keltischen7 – doch stehen schlagende Argumente noch aus. § 2 Offene Fragen bleiben ferner hinsichtlich der Schrift, in der diese Sprache überliefert ist. Soweit Zeichenwerte mit einiger Sicherheit bestimmt werden können, stützt sich die Zuordnung auf den Vergleich mit anderen, besser bekannten althispanischen Schriftsystemen. Im 1. Jt. v. Chr.

4. Almagro-Gorbea 2004, 14. 5. S. Überlegungen bei Brandherm 2013, 2016. 6. Wikkander 1966. 7. So nach Früheren (s. MLH IV 165ff.) ausführlich Koch 2009, 2011, Kaufman 2015. S. Kritik an diesen Ansätzen z.B. bei Clancy 2013, 192f., Eska 2013, 2014, 2017, Valério 2014.

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wurde in der Iberischen Halbinsel außer dem Tartessischen auch die iberische Sprache verschriftlicht, später dann die keltiberische. Dabei liegen Schriftsysteme vor, die untereinander so ähnlich sind, daß man mit einer gemeinsamen Quelle rechnen darf. Am besten bekannt ist die nordiberische Schrift, von der die keltiberische adaptiert wurde. Weniger gut bezeugt und verstanden ist die südiberische Variante, die aber gerade in Nachbarschaft zum Tartessischen verwendet wird und deshalb Einfluß auf die Deutung des tartessischen Zeichenbestandes hat. Die letzte Quelle der althispanischen Schriften ist das phönizische Alphabet. Ob daraus die althispanische Schrift mit oder ohne griechischen Einfluß geschaffen wurde, ist in der Diskussion.8 S. die Tabelle in MLH IV, 154f., die die verschiedenen althispanischen Schriften und ihre phönizischen und griechischen Entsprechungen neben einander stellt. Eine Eigenschaft aller althispanischer Schriften ist ihr Mischcharakter; es handelt sich um Semisyllabare, wo für Vokale und Dauerlaute Buchstaben verwendet werden, für Verschlußlaute jedoch Silbenzeichen. Damit geht einher, daß Oppositionen in der Artikulationsart von Verschlußlauten unbezeichnet bleiben können. Das Iberische und das Keltiberische kennen Stimmtonoppositionen, jedenfalls werden in Texten in griechischem oder lateinischem Alphabet Zeichen für stimmhafte sowie stimmlose Verschlußlaute distinktiv benutzt, und gleiches gilt für Namen in griechischer oder lateinischer Überlieferung.9 In einheimischer Schrift werden diese jedoch gewöhnlich nicht ausgedrückt. Die neuere Forschung ist zwar vermehrt dazu

8. S. z.B. Untermann 1997, Valério 2016 und eine neuere Zusammenfassung bei Ferrer / Moncunill 2019 § 6. Phönizische Steininschriften, die zum Vergleich herangezogen werden könnten, sind kaum zu finden, s. Zamora 2005. 9. S. zu Orts- und Völkernamen jetzt MLH VI, zu (hispano-keltischen) Personen- und Götternamen s. Vallejo 2016.

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übergegangen, mindestens für das Nordiberische, aber z.T. auch für das Südiberische und Keltiberische mit Schriftvarianten in einem „sistema dual“ zu rechnen – d.h., daß in manchen Texten Zeichenvarianten zum Ausdruck von Stimmtonoppositionen verwendet werden; doch bleibt ein großer Teil von Texten, der auf diese Unterscheidung verzichtet.10 Ob auch das Tartessische eine vergleichbare Opposition im Bereich der Verschlußlaute kannte, ist unbekannt, da die Sprache bisher nur in einheimischer Schrift überliefert ist.11 § 3 Ein weiteres Charakteristikum der tartessischen Steininschriften ist die Verwendung von redundanten Vokalzeichen. Das bedeutet, daß der Vokal, der einem Verschlußlautzeichen als Silbenzeichen bereits inhäriert, gewöhnlich dennoch nach dem Verschlußlautzeichen geschrieben wird. Dieses System der redundanten Vokalschreibung findet sich gelegentlich auch sonst, beispielsweise in einigen keltiberischen Inschriften.12 Es ist hier aber eher die Ausnahme, während es auf tartessischen Steinen die Norm ist – eine Norm, von der es gelegentlich Abweichungen gibt.13 In der Transliterierung tartessischer Texte werden die den Verschlußlauten inhärierenden Vokale hochgestellt. Die hier verwendete Transliterierung folgt der Ausgabe in MLH IV. Abweichende Transliterierungen für Verschlußlautzeichen haben keinen Einfluß auf die hier diskutierte Fragestellung.14

10. Ferrer 2005, 2010, Jordán 2005, 2017. 11. S. jedoch Correa 2002 für wichtige Beobachtungen zum Anlaut von vorrömischen Ortsnamen, die aus der späteren Nebenüberlieferung für die Baetica bezeugt sind. Gegen die Existenz eines „sistema dual“ in tartess. Texten spricht sich Ferrer 2016, 69 und in Ferrer / Moncunill 2019 § 4.2 aus. 12. So z.B. in K.9.2, K.13.1 (s. MLH IV S. 380 § 502 am Ende) sowie in der neu gefundenen Steininschrift, die Gorrochategui 2014 publiziert hat. 13. S. eine tabellarische Darstellung der Abweichungen bei Ferrer 2016, 46 und Ferrer / Moncunill 2019 Table 4.5. 14. S. eine Gegenüberstellung der verschiedenen Interpretationen für tartess. Schriftzeichen

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Beispielsweise wird das Zeichen ` hier als ku transliteriert, doch wurde es auch als bu gedeutet. Umgekehrt wird • hier mit bu umschrieben, während es alternativ als ku aufgefaßt wird. Der Text J.12.1 (s.u.), der hier als irualkuusie| naŕkeentii etc. erscheint, wird also anderwärts mit irualbuusie| naŕkeentii etc. wiedergegeben; doch ist dies für die folgende Argumentation nicht relevant. Endlich unterscheidet sich das Tartessische von den übrigen althispanischen Epigraphiken dadurch, daß die Texte in aller Regel in scriptio continua geschrieben sind, wogegen das Iberische und das Keltiberische häufig Worttrenner verwenden.15 Eben dieser Aspekt ist es, der hier genauer betrachtet werden soll: obwohl tartessische Texte gewöhnlich keine Trennzeichen verwenden, scheinen solche aber in einigen wenigen Fällen doch vorzukommen.16 Mögliche Beispiele werden im Folgenden zusammengestellt, um eine Basis für die Frage nach der Funktion solcher Trennmarkierungen zu bilden. § 4 Als potentielles Beispiel für ein Trennzeichen, das freilich unsicher gelesen ist, soll zunächst der Text J.12.1 näher betrachtet werden. Dieser Stein ist zwar uncharakteristisch durch seine Verbindung aus Text und – wohl zeitgleich angebrachter – bildlicher Darstellung, die dem tartess. Corpus recht fremd ist;17 der Text selbst ist aber charakteristisch und erlaubt ei-

in MLH IV, S. 153 und in neuerer Zeit bei Ferrer / Moncunill 2019, Table 4.4. 15. Scriptio continua ist in diesen beiden Traditionen eher die Ausnahme, s. Simón Cornago 2011; für ein weiteres Beispiel einer keltib. Steininschrift ohne Worttrennung s. Gorrochategui 2014. 16. Vgl. MLH IV S. 175. 17. S. Guerra 2017. Fälle wie J.54.1 (La Capote) und Cabeza de Buey 4 sind nicht direkt vergleichbar; es handelt sich dabei um Wiederverwendungen von Kriegerstelen, deren Bilder zu einem früheren Zeitpunkt angebracht sein dürften. Jedenfalls sind die Texte dann lesbar, wenn die Bilddarstellungen von oben nach unten gekehrt werden, so daß der Text dem Bild keinen Respekt zu zollen scheint. S. M. Díaz-Guardamino Uribe 2010, 345 und

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nen Vergleich mit wiederkehrenden Elementen auf weiteren Inschriften. Dadurch ermöglicht er auch einen Zugang zu Ermittlung von Worttrennung durch interne Analyse. Die Inschrift ist vollständig, so daß mindestens der Textanfang (iru-) auch ein Wortanfang ist und das Textende (auf -atee) auch ein Wortende. Der Text beginnt unten rechts und läuft zwischen zwei Linien um das Bild herum. Weil der Text noch länger ist, wird er dann aufsteigend an der Außenkante des Steins fortgesetzt (beginnend mit ero-). Es gibt keinen Hinweis darauf, daß die Linien, die das Textfeld bilden, mit einer Wortgrenze verbunden sind. Vielmehr überschreitet der Vokal e- von ero- die Linie, obwohl er als redundanter Vokal, der dem Silbenzeichen te folgt, zu verstehen ist. Vgl. J.12.1:18 irualkuusie|naŕkeentiimubaate erobaareEataaneatee In der oberen Zeile scheint ein Trennstrich vor dem Wort naŕkeentii zu stehen. Allerdings wurde hierfür auch der Buchstabe l gelesen, was paläographisch weniger wahrscheinlich ist (MLH IV S. 270). Warum hier eine Markierung angebracht sein sollte, ist nicht klar, klar ist aber, daß danach ein neues Wort beginnt, naŕkeentii. naŕkeentii und baare (das hier auf erofolgt) sind wiederkehrenden Elemente. Sie gehören zum Formular dieser Steine und finden sich auch in weiteren Inschriften. Ein weiteres, seltener bezeugtes Formularwort ist uarbaan. Diese Wörter sollen hier zunächst mit ihren Belegkontexten vorgestellt werden. § 5 In der folgenden Auflistung finden sich verschiedene Varianten von naŕkee- (A), baare (B) und uarbaan (C). Die Natur der Variation als z.B.

die Abb. 265 und 275. 18. Zeichen sind unterstrichen, wenn sie beschädigt oder unsicher gelesen sind; unlesbare werden durch + bezeichnet. E ist ein unentziffertes Zeichen, das vor dem Vokal a erscheint und so vielleicht einen Konsonanten mit inhärierendem a ausdrückt (MLH IV S. 147 § 426).

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Flexion, Derivation, Antritt von Enklitika, diachroner Entwicklung, Dialekt etc. bedarf weiterer Untersuchung. Der Deutlichkeit halber ist in den Inschriftenzitaten jeweils das Formularwort nicht in Fettdruck wiedergegeben; ihm ist außerdem ein Leerzeichen vorgesetzt. Andere Formelwörter, die im selben Text vorkommen, sind kursiv gesetzt. Das Formelwort baare erscheint öfter nach identischen Ausgängen wie tee, (te)ero, die im Folgenden gleichfalls nicht fett gesetzt und unter B kursiv sind: (A) Varianten naŕkeentii, naŕkeen↑i, naŕkeetii, naŕkeenii, naŕkeenai, naŕkeen, naŕkeeii, naŕkee (1) naŕkeentii irualkuusie| naŕkeentiimubaateerobaareEataaneatee (J.12.1) uursaar+arbaanteebaar+baa naŕkeentii (J.16.1) bootii!anakeertoorobaateebaarebaa naŕkeentii (J.18.1)19 kuuiarairbu++[

]Hare naŕkeentii (J.17.2, verschollen)20

itiia$ŕe$anakaa[?]robaakeebaa naŕke[.]ntii (J.16.3, oder itiiarteeranakaa)21 Hierher gehören vermutlich auch śutuuireabaar[ ]aŕkeentii [?]tii[?]a+musokeeonii (J.1.5) ]+rteeaionkaa[ ]ŕkeentii[ (J.4.3) (2) naŕkeen↑i22

19. ! kann eine Variante des Zeichens für den Vokal e sein (so MLH IV S. 301). 20. Der Text ist nur durch eine Zeichnung bekannt. Zu H s. MLH IV S. 146 § 423. 21. Zu $ s. MLH IV S. 147f. § 427. [.] bedeutet, daß in der Lücke 1 Zeichen verloren ist; [?] bedeutet, daß nicht klar ist, ob in dem Abstand Zeichen vorhanden waren. 22. ↑ ist ein noch nicht sicher gedeutetes Zeichen, das vor verschiedenen Vokalen erscheint (MLH IV S. 147 § 425). Im benachbarten südiber. Semisyllabar hat es den Lautwert -bi, in den nördl. Schriften bezeichnet es den Vokal u. Valério 2008, 131 hat (wenn auch mit problematischen externen Vergleichen) einen Wert z/ts vorgeschlagen, diese Annahme jedoch in Valério 2016, 137 verworfen.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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ooŕoir naŕkeen↑i (J.19.2)23 (3) naŕkeetii akoosioś naŕkeetii (J.56.1)24 (4) naŕkeenii ]booara naŕkeenii (J.2.1) uarbooiirsaruneea25baare naŕkeenii (J.22.1) ]uarbaantee[ ]are naŕkeenii (J.21.1) ]++++naŕkeeniiraśenbaare (J.7.10) aiooŕorainnbaaanon++earonbaaren

naŕkeenii

aliśne++aś+a+taka

(J.11.4 verschollen, oder kaba+a+śa++ nach aliśne) Hierher gehören vermutlich auch soloiruarbaan[ ]ina[]o+[ ]+aŕkeenii (J.11.3) liirnestaakuunbaaneooŕoirebaa+[]+++keenii (J.19.1) Rielaoe|oiśaHabaanerobaae nŕkeenii (J.11.1)26 koobeeliboonaRibuuoira uarbaa+tiirtoosnebaa naŕrkeeni (J.1.2) (5) naŕkeenai aokoolio+eertaaune

taarielnon|liŕniene naŕkeenai (J.55.1; die

2. Zeile beginnt mit taariel-)

23. Die Form ooŕoir kehrt in J.19.1 vom selben Fundort wieder, wo fragmentarisches ]keenii erscheint. 24. Rodríguez Ramos 2002, 89f. und 94 Anm.5 schlägt für J.56.1 die Lesung akoosion | naŕkeetii mit n, gefolgt von einem Trennzeichen vor (d.h. nB; s.u. § 9). Doch scheint graphisch wahrscheinlich, daß nur 1 Zeichen ‡ (ś) intendiert ist. 25. saruneea findet sich in fragmentarischem Kontext auch in J.22.2 ]saruneeaoar[ vom selben Fundort. 26. Zu R s. MLH IV S. 146 § 423. Es wird meist als ki- interpretiert. Zu H s. ibid. S. 148f. § 433. Daß baae vor nŕkeenii für baare verschrieben ist, ist nur eine Vermutung.

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aś¨aboo↑ir naŕkeenai

aś¨anaboolon (J.7.1; die 2. Zeile beginnt

mit aś¨ana-)27 (6) naŕkeen taalainontuuŕekuuior[ +]nośtaaebaare naŕkeen (J.14.1) Hierher gehören vermutlich auch uuŕerkaarua+++nRikeearkaareronbaare na[.]keentaabeeanoÒion (Monte Gordo, Guerra 2013, Correa 2016) ++keeuuakee[ ]ebooteebaere naŕkeenemuntuureaiubaa (J.7.8 sic mit bae). Die Trennung ist zweifelhaft, das Beispiel kann auch zu naŕkee (s.u. 8) gehören (so MLH IV S. 250). (7) naŕkeeii a++↑oiona ]ŕakuurśteebaare naŕkeeii (J.1.3) (8) naŕkee Die Trennung ist eine Vermutung, Belege am Ende eines vollständigen Textes fehlen noch.28 baasteebuuŕoionunaiotee[ ]i[ ]o+reiar+nioebuualaRimuŕboa naŕkeebaa+ eanbaara bo (São Martinho, Guerra 2002; die erste Zeile endet mit naŕkeebaa+) ]ukeeśaenbaare naŕkee beeśo++ (J.27.1 verschollen, oder: ]nboośebe in der 2. Zeile) Hierher gehört wahrscheinlich auch lokoobooniirabootooaŕaiaikaalteelokoonane naŕ[.]ekaaRiśiinkoolobo oiiteerobaarebeeteasiioonii (J.1.1; die innere Zeile beginnt mit oii)

27. ¨ ist anderwärts nicht greifbar, s. MLH IV S. 236. 28. Zu J.7.8 s.o. unter Nr. (6).

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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(9) Weitere (mögliche) Belege sind ]naŕkeeuu+[ (Corte do Freixo, Guerra 2002) beetiisaiteeebaarentiiiru arbuuiel naŕrkee|n|uśnee (J.23.1; MLH IV S. 321ff. und s.u. § 9) ]uŕnibeeliśonuarnbaane+baar[.]n naŕkeen[ (J.20.1; die 2. Zeile beginnt mit baane-) ]uarboHi[ ]naŕken[ (J.7.5) ]lokoon+[ ]loia naŕkee[ li [baa[ (J.57.1) ]enaŕke[ (J.17.3) tiilekuurkuuarkaastaabuuteebaantiilebooiirerobaare naŕke[]aRiuu lii+eianiitaaeanirakaalteetaaobeesaru?an (Mesas do Castelinho, Guerra 2009)29 ]tarnekuÖunbaane[]+baare naŕke[ (J. 26.1), ]++albateebaare naŕ[ (Vale de Águia, Guerra 2009), ]+eonuu[]ur+ba+[]enii[ (J.4.4), ]eabaare n[ ]nii[(J.6.1), ]+ananua§baane$e naŕ[ (J.9.1) ]anteeerobaare na[ (J.18.2) (B) baare tiilekuurkuuarkaastaabuuteebaantiilebooiirerobaare naŕke[]aRiuu lii+eianiitaaeanirakaalteetaaobeesaru?an (Mesas do Castelinho) ]anteeero baare na[ (J.18.2) lokoobooniirabootooaŕaiaikaalteelokoonane naŕ[-]ekaaRiśiinkoolobo oiiteero baarebeeteasiioonii (J.1.1) irualkuusie| naŕkeentiimubaateero baare Eataaneatee (J.12.1) a++↑oiona ]ŕakuurśtee baare naŕkeeii (J.1.3) ]++albatee baare naŕ[ (Vale de Águia)

29. Die erste Zeile endet mit ]aRiuu. Das drittletzte Zeichen ist bisher nur aus diesem Text bekannt. Es ist ungedeutet und hier als ? wiedergegeben.

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bootii!anakeertoorobaatee baare baa naŕkeentii (J.18.1) taalainontuuŕekuuior[ + ]nośtaae baare naŕkeen (J.14.1) uarbooiirsaruneea baare naŕkeenii (J.22.1) ]ukeeśaen baare naŕkeebeeśo++ (J.27.1 verschollen) ]tarnekuÖunbaane[ ]+ baare naŕke[ (J.26.1) ]ea baare n[ ]nii[ (J.6.1) aiooŕorainnbaaanon++earon baaren naŕkeenii aliśne++aś+a+taka (J.11.4, verschollen) uuŕerkaarua+++nRikeearkaareron baare na[]keentaabeeanoÒion (Monte Gordo) ]++++naŕkeeniiraśen baare (J.7.10) Vgl. auch: śutuuirea baar[ ]aŕkeentiitii[?]a+musokeeonii (J.1.5) uursaar+arbaantee baar+baanaŕkeentii (J.16.1) ]uarbaantee []are naŕkeenii (J.21.1) ]uŕnibeeliśonuarnbaane+ baar[.]nnaŕkeen[ (J.20.1) ++keeuuakee[]ebootee baere naŕkeenemuntuureiaiubaa (J.7.8) ]ireabarela[ (J.52.1) beeu+[ ]ae+bareŕkeeni (Corte Pinheiro, Guerra 2009) baasteebuuŕoionunaiotee[ ]i[ ]o+reiar+nioebuualaRimuŕboa naŕkee baa+ eanbaara bo (São Martinho) Rielaoe|oiśaHabaanerobaae nŕkeenii (J.11.1) (C) uarbaan ?

]aRinbaai↑i

rolaäa aibuuris[? uarbaanubu[? ka[ (J.3.1. oder

rolakua in der oberen Zeile) 'ibooiionasune uarbaanekuuŕ[+]neobaarbaara[ +baataaoretoo (J.4.1) ]uarbaantee[]are naŕkeenii (J.21.1)

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

soloir uarbaan[]ina[]o+[

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]+aŕkeenii (J.11.3)

koobeeliboonaRibuuoira uarbaa+tiirtoosnebaa naŕrkeeni (J.1.2) ]+anan ua§baane$e naŕ[ (J.9.1)30 § 6 Im Text von J.12.1 lassen sich somit naŕkeentii und baare als wiederkehrende Elemente isolieren. Da sich naŕkeentii (und Varianten) mehrfach am Textende findet (s. § 5 A) und dann eine vollständige Form sein dürfte, kann man vermuten, daß auch im vorliegenden Fall nach naŕkeentii mit mubaa ein neues Wort beginnt. Die Elemente, die vor den naŕkee-Varianten zu finden sind, sind vielfältig. Sie enden auf -a, -r (J.7.1, J.19.2), -ś (J.56.1)31, -l (s.u.), -n (s.u.), am häufigsten aber auf -e. Die Häufigkeit von -e vor naŕkee-Varianten ist dadurch bedingt, daß baare ihnen oft direkt vorangeht und seltener, wie in J.12.1, an anderer Position steht. Vgl.32 uarbooiirsaruneea baare naŕkeenii (J.22.1) ]ukeeśaen baare naŕkee beeśo++ (J.27.1) uuŕerkaarua+++nRikeearkaareron baare na[]keentaabeeanoÒion (Monte Gordo) taalainontuuŕekuuior[ +]nośtaae baare naŕkeen (J.14.1) a++↑oiona ]ŕakuurśtee baare naŕkeeii (J.1.3) ]++albatee baare naŕ[ (Vale de Águia) tiilekuurkuuarkaastaabuuteebaantiilebooiirero baare naŕke[]aRiuulii+ etc. (Mesas do Castelinho)

30. Das Beispiel gehört hierher, wenn § zu Recht als Variante des Zeichens für r (Ê, ») interpretiert wird, s. MLH IV S. 255, 171. 31. S. Fn.24. 32. Nicht alle Beispiele sind gleichermaßen sicher. Aus noch fragmentarischeren Kontexten könnten hierher gehören: śutuuirea baar[ ]aŕkeentiitiia+musokeeonii (J.1.5), ]ea baare n[ ]nii[(J.6.1), Rielaoe|oiśaHabaanero baae nŕkeenii (J.11.1, s. Fn.26), ]anteeero baare na[ (J.18.2), ]+eonuu[]ur+ ba+[ ]enii[ (J.4.4), kuuiarairbu++[] Hare naŕkeentii (J.17.2, verschollen, s. Fn.20).

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]tarnekuÖunbaane[]+ baare naŕke[ (J. 26.1). ++keeuuakee[]ebootee baere naŕkeenemuntuureaiubaa (J.7.8) ]uarbaantee []are naŕkeenii (J.21.1) Abgesehen von diesen Fällen sind naŕkee-Variante nach -ne und im unklaren Kontext bezeugt: aokoolio+eertaaune taarielnon|liŕniene naŕkeenai (J.55.1) lokoobooniirabootooaŕaiaikaalteelokoonane naŕ[.]ekaaRiśiinkoolobooiiteerobaarebeeteasiioonii (J.1.1) ]+ananua§baane$e naŕ[ (J.9.1) ]e naŕke[ (J.17.3)33 In den zwei Beispielen, in denen naŕkee-Varianten Wörter auf -n vorausgehen, handelt es sich anscheinend um baaren: aiooŕorainnbaaanon++earon baaren naŕkeenii aliśne++ etc. (J.11.4, verschollen) ]uŕnibeeliśonuarnbaane+ baar[.]n naŕkeen[ (J.20.1) Die Beispiele sind unsicher, da J.11.4 nur durch eine Zeichnung bekannt und J.20.1 mit Lesungsproblemen belastet ist. Noch fehlt ein Fall, wo ein anderes mit n beginnendes Element als naŕkee- auf baare folgt oder eine andere mit n auslautende Folge naŕkee- vorausgeht.34 Unter den Formen auf -a, die den naŕkee-Varianten vorausgehen, ist -baa mehrfach bezeugt. Es ist nicht klar, ob es sich hierbei um ein eigenes Wort handelt oder etwa um ein Suffix, das an das vorausgehende Wort antritt oder ein Präfix, das naŕkee- modifiziert.

33. Dieses Fragment kann ebenso ein weiteres Beispiel für naŕkee- nach baare gewesen sein. 34. S.u. § 11 zu anderen Belegen für nn; s. Fn. 38 zu einem etwaigen weiteren Fall von baaren in J.23.1.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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uursaar+arbaanteebaar+baa naŕkeentii (J.16.1) bootii!anakeertoorobaateebaarebaa naŕkeentii (J.18.1) itiia$ŕe$anakaa[?]robaakeebaa naŕke[.]ntii (J.16.3) koobeeliboonaRibuuoira uarbaa+tiirtoosnebaa naŕrkeeni (J.1.2) Hierher gehört vielleicht auch der Beleg in der Inschrift von São Martinho, wo vor naŕkee- der Ausgang -boa mit einem Bruch der Redundanz zu stehen scheint:35 baasteebuuŕoionunaiotee[ ]i[ ]o+reiar+nioebuualaRimuŕboa naŕkeebaa+eanbaara bo (São Martinho) Zwei weitere Beispiele zeigen andere Formen auf -a vor naŕkee-Varianten: ]booara naŕkeenii (J.2.1) ]lokoon+[ ]loia naŕkee[ li [baa[ (J.57.1) § 7 Nach -l erscheint eine naŕkee-Variante sicher in J.23.1: beetiisaiteeebaarentiiiru arbuuiel naŕrkee|n|uśnee Dieser Text zeigt weitere Ähnlichkeit mit demjenigen von J.12.1: irualkuusie|naŕkeentiimubaateerobaareEataaneatee J.12.1 beginnt mit der Folge irualkuusie| vor naŕkeentii. Eine vergleichbare Folge läßt sich in J.23.1 vor naŕrkee|n| isolieren: iru arbuuiel.36 Am Textanfang, wie in J.12.1, steht iru- auch in J.7.9: irubaaruaionbaa[. In allen drei Fällen kann nach iru- ein weiteres Wort auf -u stehen, wenn man Trennungen beetiisaiteeebaarentii iru alkuu sie |

iru arbuu iel

naŕrkee|n|uśnee

naŕkeentii mubaateerobaareEataaneatee

35. Zur Lesung s. Guerra 2002, 226. 36. iru steht am Ende der 1. Zeile. Der Abstand vor folgendem arbuuiel ist gewollt.

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und iru baaru aionbaa[ annimmt.37 Diese Folgen suggerieren, daß auf iru jeweils ein weiteres Wort auf -u folgt, das vielleicht mit iru kongruiert; der Vergleich von J.12.1 mit J.23.1 wirft dazu die Frage auf, ob in J.12.1 nicht doch siel mit auslautendem -l an Stelle eines Trennstrichs zu lesen ist, da sich somit eine weitere Vergleichsmöglichkeit mit iel in J.23.1 ergäbe. Keine dieser Hypothesen läßt sich bisher weiter stützen. Obwohl Kongruenz durch Endungsgleichheit ausgedrückt werden kann, ist doch gut bekannt, daß eben auch verschiedene Ausgänge dieselbe Funktion erfüllen können. iru und die übrigen vermuteten Wörter in der vorgeschlagenen Trennung sind recht kurze Folgen, und man muß damit rechnen, daß Wörter rein graphisch zusammenfallen, falls beispielsweise Vokallänge phonemisch distinktiv, aber graphisch unbezeichnet ist.38 Eine Wortgrenze vor naŕkeentii in J.12.1 ist nach Allem zwar plausibel. Unklar ist aber noch, ob sie auch durch eine Trennmarkierung hervorgehoben ist. § 8 Betrachten wir weitere Trennmarkierungen, so bezeichnen sie in mehreren Fällen den Textbeginn. Die Form der Trennmarkierungen ist variabel. In J.4.1 scheint das Trennzeichen ' eine Art Paragraphenzeichen zu sein, das in die Linienführung gesetzt ist und Textanfang und -ende in der umlaufenden Schriftführung markiert:

37. S. MLH IV S. 160 § 515. Die Folge -aion-, wie in J.7.9, erscheint auch in fragmentarischem Kontext in J.4.3: ]+rteeaionkaa[ ]ŕkeentii[, wo es keine weiteren Hinweis auf Wortstatus gibt. 38. Die hier vorgeschlagene Trennung für J.23.1 impliziert, daß vor iru eine Folge baarentii steht. Da es aber potentielle Parallelen für eine Form baaren gibt (s. § 6), ist auch eine Trennung baaren tiiru denkbar, die den Vergleich relativieren würde.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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'ibooiionasuneuarbaanekuuŕ[+]neobaarbaara[+baataaoretoo[[']]39 Abgesehen von einer möglichen Funktion als Markierung des Textbeginns kann es vielleicht auch als Herstellersymbol gedient haben. Auch in der Inschrift von Mesas do Castelinho ist der Textbeginn markiert. Diesmal durch einen simplen Strich, der gleichzeitig das Ende der ersten umlaufenden Zeile nach ]aRiuu markiert, wonach in einer inneren Zeile lii+- folgt: /tiilekuurkuuarkaastaabuuteebaantiilebooiirerobaare naŕke[ ]aRiuu [[/]] lii+eianiitaa eanirakaalteetaao beesaru?an40 Eine entsprechende Interpretation als Markierung des Textbeginns ist vielleicht auch für J.16.3 möglich, wo sich aber der Textkreis nicht schließt: | itiia$ŕe$anakaa[?]robaakeebaa naŕke[.]ntii (J.16.3, oder itiiarteeranakaa) Ähnlich vielleicht für die verlorene Inschrift J.17.4, wenn die Zeichnung zuverlässig ist: | keenilarin bee+nnenbaa+rne

39. Das Zeichen ist hier am Textende als [[']] wiederholt, da es sowohl auf das Ende wie den Anfang verweisen kann. S. MLH IV S. 150 § 441. Ferrer 2016, 74 Fig. 24 listet es unter den nicht gedeuteten Schriftzeichen auf, was möglich bleibt. Sieht man hier eine Ligatur aus zwei r (Ê) als Anfangs- und Endbuchstaben des Textes, so würden beide die falsche Ausrichtung aufweisen. 40. Kaufman 2015 vermutet, daß das auffällige unbekannte Zeichen im Inneren, zwischen beesaru und an, eine Trennmarkierung ist, doch sehe ich kein gutes Argument dafür.

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Diese Markierungen erscheinen als senkrechte Striche, die nicht Teil der Linien des Textfeldes sind. § 9 In einigen Fällen scheinen nun solche Striche auch innerhalb des Textes eine Trennung zu markieren, wie vielleicht in J.12.1 oben. In J.5.1 ist ein Trennstrich zwischen zwei i als Verlängerung von o (") der nächsten Zeile (in iboor-) durchgezogen: sabooi|is+ iboorinoeboo

anakeenake|e ibooiibaaubaarRii41

Ein weiterer Strich hier, der nicht die Verlängerung eines anderen Zeichens ist, trennt „redundantes“ e nach anakeenake ab. In J.10.1 werden drei Einheiten getrennt. Hier stehen Markierungen zwischen e und o (2x) und zwischen i und l: ariariśe | oni↑akaatiiśe | o↑er$e ŕi | leoinearbaarie+i↑ensere Hau42 Auch in J.11.1 trennt anscheinend ein Strich die Vokale e und o: Rielaoe | oiśaHabaanerobaae nŕkeenii Zwei gleiche Vokale, wie die beiden i in J.5.1, sind getrennt in J.16.4, wo ein Trennstrich zwischen zwei a zu stehen scheint: ainestaa | ataa[ ai+e+ta+a[ In dem Fragment J.16.5 steht der Strich zwischen zwei n: ]uabaan | ne(++re)[43

41. MLH IV S. 231 liest das Textende -baanbaareii und hält R hier für unwahrscheinlich. 42. H steht hier für eine Art Leiterzeichen, dem vielleicht kein Schriftwert zukommt (s. MLH S. 257 und s.o. zu '). 43. S.o. Fn. 24 zu J.56.1.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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Trennstriche scheinen das auslautende n von naŕrkee|n| vor uśnee der inneren Zeile in J.23.1 abzutrennen: beetiisaiteeebaarentiiiru arbuuiel naŕrkee|n| uśnee Es ist möglich, daß hier, wie auch in der auffälligen Schreibung ŕr in dieser Form, ein Fehler vorliegt und naŕkeenii intendiert war (MLH IV S. 321ff.).44 In J.55.1 ist ein Strich über die Linien hinaus gezogen. Es handelt sich vielleicht nicht um einen zufälligen Schaden. Der Strich trennt n und l von taarielnon und liŕniene. Vor dem Strich ist ein Abstand gelassen: aokoolio+eertaaune taarielnon | liŕniene naŕkeenai Schließlich bezeugt der Neufund von Monte Novo do Castelinho einen Doppelpunkt zwischen ]kooloion und kooloar. Doppelpunkte sind in der iberischen und keltiberischen Epigraphik als Worttrenner geläufig, im Tartessischen ist die Verwendung bisher singulär (Guerra 1999, 150f.). Später im selben Text kann in zerstörtem Kontext ein Trennstrich | zwischen ŕ und s stehen. Wegen der schwierigen Lesung an dieser Stelle muß die Beurteilung offenbleiben. § 10 Es zeigt sich, daß die Funktion wie auch die Form der Trennmarkierungen unterschiedlich sein kann. Sicher handelt es sich nicht um einfache Worttrenner, da die Verwendung hierfür auch innerhalb eines Textes zu sporadisch bleibt. Doch bleibt die Frage, inwieweit diese Trennung mit der Wortgrenze zusammenfällt. Wenn hier etwa Phrasen oder das Ende von z.B. durch Sandhi gebundenen Einheiten markiert werden, so ist noch immer auch zusätzlich eine Wortgrenze impliziert.

44. Zu ŕr vgl. naŕrkeeni in J.1.2.

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In mehreren Fällen fand sich die Trennung zwischen zwei gleichen Buchstaben, zwischen zwei i in sabooi|is+ in J.5.1, wo aber zwei i auch in ibooiibaaubaarRii aufeinandertreffen und vielleicht nicht überall dieselben Lautwerte wiedergeben. Da keine Zeichen für y und w bekannt sind, werden i und u womöglich auch zur Schreibung von Halbvokalen oder nicht phonemischen Glides verwendet. Nach Vokalen ist i häufig.45 Zwischen zwei a steht die Trennung in J.16.4 ainestaa|ataa[; in dem Fragment J.16.5 ]uabaan|ne[ steht der Strich zwischen zwei n. Hier schließt sich die Frage an, ob es sinnvoll ist, eine Wortgrenze etwa zwischen zwei a zu markieren – oder ob umgekehrt diese Folge innerhalb eines Wortes nicht vorkommt und deshalb immer eine Wortgrenze impliziert, die also nicht markiert werden müßte. Eine klare Antwort steht aus, doch kann man immerhin die Beispiele für zwei aufeinander folgende a in tartessischen Texten zusammen tragen. Zwei a finden sich am Textbeginn in J.7.6 und J.15.3: aarkuuioriou+

+etuurea+[ ]aŕ[ ]nii (J.7.6)

aalaeinŕe[

]+eni (J.15.3)

Wenn hier das erste a als eigenes Wort abzutrennen ist, so handelt es sich um ein kurzes Segment, das möglicherweise proklitisch ist. Zwei a im Textinnern ohne weitere Hinweise auf Worttrennung finden sich beispielsweise in ]+ekuuiuurkeeoteerkaaŕ+[

]aeHaeo++aala[ (J.1.4)

bootooEar ]aakaaŕnerionire (J.7.2) ]uultiinaar$ieŕituula[ (J.12.3) uursaar+arbaanteebaar+baa naŕkeentii (J.16.1)

45. S. MLH IV S. 164. Vgl. die Statistik bei Ferrer 2016, 44 und 46 Fig. 2.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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§ 11 Hinsichtlich der Trennung von zwei n ist zu bemerken, daß Geminaten im Wortinneren in anderen althispanischen Schriftsystemen unausgedrückt bleiben, auch wenn es sich um Dauerlaute handelt, die mit einem Buchstaben, nicht mit einem Silbenzeichen, geschrieben werden. So kann der keltiberische Name TURROS in lateinischer Schrift mit Doppel-R erscheinen (so K.3.17), in einheimischer aber mit nur einem r (turos K.1.3); Doppelung kommt nicht vor. Ähnliches gilt etwa für -m- in dem Namen Ammo (z.B. CIL II 2797, Clunia, in lat. Nebenüberlieferung) gegenüber amu (K.1.3). Die Geminata ist aber problemlos an der Wortgrenze, wo ein Worttrenner verwendet wird. So ist in der Namenformel akuia : alaskum : memunos (K.1.3) sowohl das auslautende -m des Familiennamens alaskum (im Gen. Pl.) als auch das anlautende m- des Patronymikons memunos (im Gen. Sg.) geschrieben. Im Tartessischen, wo gewöhnlich keine Worttrenner verwendet werden, gibt es bisher auch keine Evidenz für die Doppelung von Buchstabenzeichen, wie ll, ss oder rr. Lediglich die Folge nn wird 2x in verlorenen Inschriften gelesen, deren Überlieferung problematisch ist: aiooŕorainnbaaanon++earonbaarennaŕkeenii aliśne++aś+a+taka (J.11.4, s. MLH IV S. 267) und J.17.4: | keenilarin

bee+nnenbaa+rne

Weiterhin erscheint sie in J.20.1 (vgl. § 6 oben): ]uŕnibeeliśonuarn baane+baar[.]nnaŕkeen[ Die Lesung ist unsicher, im zweiten Fall aber doch wohl n, da das

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Formularwort vorliegt; auch im ersten Fall scheint das Zeichen eher n (N) als i (I) zu sein.46 Sollte im Tartessischen eine Schreibregel existiert haben, die eine graphische Vereinfachung von Geminaten auch an der Wortgrenze vorgibt, so wären die Belege von nn womöglich als vereinzelte Verstöße gegen diese Regel zu verstehen. Unter den in § 6 aufgelisteten Beispielen für die Folge baare naŕkee- könnten sich dann weitere Fälle von baaren naŕkee- verbergen, die durch die Graphie überdeckt werden. § 12 Endlich fand sich ein mutmaßliches Trennzeichen in J.11.1, wo es in der Folge Rielaoe | oiśaHabaanerobaae nŕkeenii zwischen e und oi steht. Die Texte zeigen verhältnismäßig viele Vokalgruppen. Daß -e am Wortende stehen kann, und also hier eine Wortgrenze denkbar ist, ergibt sich z.B. durch das Formelwort baare (z.B. J.7.10). Weitere Hinweise liefern z.B. die (mutmaßliche) Variante naŕkee (s. § 5 Nr. 8) sowie Eataaneatee in J.12.1 mit -e nach Verschlußlaut am Textende, -uśnee (J.23.1) mit -(e)e nach Resonant am Textende sowie -e vor Formelwörtern, wo kein Verschlußlaut vorangeht, z.B. in ibooiionasune uarbaan... (J.4.1). Andererseits war eine Folge eoi, (wie in Rielaoe|oiśa-) im Wortinneren vielleicht möglich. Jedenfalls suggeriert das die Trennung in J.10.1, die in der zweiten Zeile ŕi | leoinearbaarie+i↑ensere auf ein Wort leoine... deuten könnte. Ein weiteres mögliches Beispiel findet sich in J.16.2, wenn dort keeoio+[ auf das Formelwort naŕkee folgte, was durch den fragmentarischen Kontext nicht sicher ist. Vgl.

46. S.o. Fn. 24 zu J.56.1.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

omuŕikaa+[

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(oder ośu-?)

]anbaatiiaiobaa ]ŕkeekeeoio+[ ]oebaa (oder teebaa) Wenn somit in der Folge Rielaoe|oiśa- (J.11.1) eine Worttrennung intendiert ist, so trennt sie vielleicht das erste Wort des Textes ab, obwohl weitere Wortgrenzen unmarkiert bleiben. Daß Rielaoe ein einziges Wort ist, läßt sich nicht beweisen. Die Vokalfolge aoe, auf die das Wort dann enden müßte, hat vielleicht eine Parallele in J.24.1 ... isakaaoeaŕte[ oder +ŕaeoakaasiaś, wo aber weder die Schriftrichtung noch eine etwaige Wortgrenze eindeutig ist. Ich habe keine weiteren Argumente dafür, daß oiin oiśa.... ein Wortanfang ist. Das letzte Beispiel, J.55.1, zeigt in der zweiten Zeile, taarielnon | liŕniene naŕkeenai, Trennung von -on und l-. Die Folge -nl- erscheint auch in fragmentarischem Kontext in J.11.2: J.11.2: ]onlinbooireanbaa[ Nimmt man nach taarielnon eine Wortgrenze an, so spricht nichts dagegen, eine solche auch hier zu suchen. Wortauslaute auf -n erscheinen in dem Formelwort uarbaan, in der Variante naŕkeen (J.14.1), am Textende (vgl. J.7.1, Mesas do Castelinho) und wiederum vor Formelwörtern (vgl. -ron vor baare in J.11.4 und in der Inschrift von Monte Gordo). Umgekehrt habe ich kein Beispiel, wo die Gruppe -nl- im Wortinneren zu stehen scheint. § 13 Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Interpretation der Trennzeichen als Markierungen, die mit der Wortgrenze verbunden sind, nicht unplausibel scheint. Ihre Verwendung ist zwar offenbar alles andere als zwingend; wo sie aber vorliegen, tragen sie wohl zur Klärung des Textflusses bei. Dabei kann es sich um Fälle handeln, wo eine Grenze zwischen

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Lauten steht, die auch innerhalb eines Wortes möglich sind, wie zwei a, aber auch umgekehrt um solche, die im Wortinneren gewöhnlich nicht vorkommen oder aber nicht geschrieben werden, wie vielleicht zwei n. Denkbar sind gewiß komplexere Modelle. In J.5.1 könnte beispielsweise die Markierung in anakeenake|e, die das redundante -e nach ke abtrennt, als eine Art „tartessischer Virāma“ interpretiert werden. Dann wäre die Folge etwa als anakenak mit auslautendem Verschlußlaut zu lesen, obwohl redundantes -e nach ke geschrieben ist. -e kann andererseits ein Enklitikon oder vielleicht ein Formans sein.47 Es würde dann jedenfalls nicht zu dem Wort gehören, das in der folgenden Zeile mit ibooii- beginnt.48 § 14 Typologisch stimmt die Form der Markierungen mit Worttrennern im benachbarten iberischen Bereich überein. Geographisch ergibt sich bisher keine überzeugende Verteilung, die auf eine regionale Mode innerhalb des tartessischen Fundgebiets weisen könnte. Die diachrone Einordnung der Texte ist unbekannt. Unbekannt ist aber auch noch die nähere Natur der Einheiten, die durch Trenner markiert werden. Prosodische Eigenschaften und Phrasen sind bisher nicht hinreichend ermittelt.

47. Zu sporadischer graphischer Abtrennung von Endungen vgl. z.B. keltib. sarniki.ei (K.1.1 A-9); zu den avest. Verhältnissen s. Hoffmann / Forssman 2004 § 11. 48. Dies vergleicht sich womöglich mit iboorinoeboo in der zweiten Zeile von J.5.1 und mit dem Textbeginn ibooiionasune in J.4.1.

Zu den Trennmarkierungen im Tartessischen

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and

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Using Linear B writing: a multimodal solution Małgorzata Zadka University of Wrocław 1. Introduction Linear B script is often classified as a syllabic system.1 More rarely it is categorized as a ‘core-syllabary’ or ‘logo-syllabary’.2 The latter group of classifications takes into account the role of a large number of semasiographic signs in the Linear B repertory but still, it treats the linguistic information conveyed by the syllabic signs as more important and decisive for the categorization process than the pictorial representations. Semasiograms are seen as an auxiliary apparatus, useful for unifying and clarifying records but secondary and dependent. Moreover, the very use of semasiograms has frequently been evaluated as proof of weakness and insufficiency in the basic phonetic system.3 These interpretations, however, may be a result of analyzing the structure of the Linear B system only in a theoretical way, and not taking into account the application of the different types of signs in the process of inscription-making.

1. Coulmas, 1996, 297; Palaima, 1988; Palmer, 2008, 26. 2. Consani, 2017; Melena, 2014, 11; Sproat, 2000, 136. 3. See Bennett, 1996, 125–127; Ventris & Chadwick, 1973, 49.

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In this article, I intend to show that the meaning of Linear B inscriptions is composed not only of both linguistic and pictorial elements but also their mutual compositional layout and broader social context. The content of the inscriptions is not limited to reflecting the sounds of speech but it tells a kind of story and may be understood correctly only by a person who can add non-linguistic elements to what is visibly written. A multimodal approach to the communication process is commonly used in relation to modern forms of media but I have found it especially useful in describing Linear B inscriptions. Modes such as text, image, spatial layout and social context are integrated in a coherent way to make the inscriptions easily understood. Multimodality makes the division between phonetic and semasiographic elements irrelevant as all of them are meaningful and participate in the process of meaning-making. I will present the theoretical background of these assumptions as well as structural elements of the Linear B system and their practical application in the formation of inscriptions. 2. Glottography, semasiography and multimodality The majority of the typologies of writing systems are based on their structure, relationships with speech and non-linguistic context. Depending on the degree and proportions between these elements, one may distinguish a broader and narrower definition of writing. In the narrow definition, a writing system is defined as “a system of more or less permanent marks used to represent an utterance in such a way that it can be recovered more or less exactly without the intervention of the utterer”.4 According to this approach, systems of graphical marks may be named writing only when they represent sounds of speech and they do not need any additional expla-

4. Daniels & Bright 1996, 3.

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nation after being written down. The utterance can be reconstructed in the same form by any reader.5 Such a definition restricts the number of scripts considered as ‘true writing’ to those based on the graphical representations of sounds or syllables. Pictorial marks which do not have a strict connection with sounds of a language, even if they do refer to concrete ideas, stories or events, are treated as something additional, less important or even more primitive than phonetic signs.6 Treating the relationship with speech as a factor defining the ‘full’ writing systems divides the graphical systems of communication into two main categories. On one side there are glottographic scripts, which are languagedependent by representing concrete glotta ‘words’. They can also transmit all kinds of information and are self-sufficient enough to be context-free.7 Glottographic scripts divide into logographic systems, in which characters correspond to a whole word or a morpheme and phonographic scripts, in which signs do not carry meaning but represent unique (and usually arbitrary) phonetic values like phonemes or syllables. On the other side of communication systems, there are semasiographic scripts, which are not tied to any specific spoken language. They are based on semasia ‘meaning’ and their signs are supposed to be ‘recognized’ and expressed as a whole sentence, general idea or a specific construction rather than to be read in a phonetic manner. Semasiographic systems are strongly contextual and restricted to a narrow range of meanings.8 As they need the active participation of their user, they usually serve as mnemonic aids, administrative records and support for traditional singers and performers. Semasiograms

5. Daniels 2018, 4; DeFrancis 1989, 5; Diringer 1962, 13. 6. See Daniels & Bright 1996; Sampson 1985; Trigger 1998, 40–41. 7. Kammerzell 2009, 277–279; Sampson 1985, 29. 8. Boone 2004, 317–335; Sampson 1985, 30–32; Trigger 1998, 44.

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are also used in all situations that places a graphical message in a concrete, narrow context: such as mathematical and musical notation, road signs or laundry symbols. This theoretical approach, based on the sharp distinction between linguistic and pictorial units, context-free and context-bound elements or language-based and meaning-based systems, does not, however, reflect the real complexity and wealth of written communication. Moreover, it introduces some valuation of ways of transferring and storing information, which may entail value judgements about the people using them.9 The broad definition of writing calls it “a system of intercommunication by means of conventional visible marks”,10 which assumes that semantic elements are equally important as phonetic ones.11 Also, a graphical layout of the text or its cultural and social context contribute significantly to a proper understanding of a message.12 All these elements are combined together in “a way of characterizing communicative situations (considered very broadly) which rely upon combinations of different ‘forms’ of communication to be effective”.13 This multimodal approach avoids putting one modality above others by seeing all modes as meaningful and important and by blurring the boundary between pictures and words. 14 Although multimodality is often perceived as a feature of so-called ‘new media’, the Internet, smartphone and computer interface, it ‘always has

9. Boone 1994, 6; Joyce & Borgwaldt 2011, 201; Trigger 1998, 40. 10. Gelb 1963, 12. 11. Boone 1994, 15; Drucker 2008; Gaur 1984; Gelb 1963, 12; Houston 2004; Sampson 1985. 12. Hagoort, Hald, Bastiaansen, Petersson 2004; Houston 2004, 228; Kammerzell 2009, 304; Rogers 1995, 37–38; Sampson 1985, 30–32; Vigliocco, Perniss, Vinson 2014. 13. Bateman, Wildfeuer, Hiippala 2017, 7. 14. Kress 2010, 79, 114.

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been the norm’.15 As users of the alphabetic writing, we have a tendency to diminish or ignore modalities other than the textual one. I believe, however, that Linear B tablets are a good example of a combined medium whose content is composed of textural, pictorial and spatial modalities. Each of them separately conveys only a part of the message, but integrated together with the cultural and social context, they contain precise and complete information. To demonstrate the existence of such compositions, I will first present the structure of the Linear B system as a theoretical construct. Second, I will show the actual use of these elements and their mutual relations in the process of meaning-making. 3. Linear B 3.1. Structure Linear B script was used in the Late Bronze Age in the palatial administration of the Greek mainland (in Pylos, Thebes, Mycenae, Tiryns and a few more sites) and Crete (mainly in Knossos). It is the oldest known record of the Greek language, in the so-called Mycenaean dialect. Linear B is classified a syllabary, core-syllabary or logo-syllabary.16 Linear B system contained four types of signs: syllabograms, ideograms, metrograms and numerals. Syllabic signs represented five different vowels or their combinations with consonants in a form of open syllables (V, CV and rarely CCV). Ideograms depicted, either iconically or non-iconically, people, animals, plants, vessels, tools and agricultural products. Syllabograms gave the opportunity to write down personal names, professions and actions, even if syntax was poorly developed. Ideograms represented concrete objects as

15. Bateman, Wildfeuer, Hiippala 2017, 15. 16. Melena 2014, 11; Palaima 1988; Palmer 2008, 26; Sproat 2000, 136

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well as more general concepts.17 Signs were used independently or as a part of a longer sequence. They were also combined into ligatures or so-called monograms. Ligatures linked two ideograms or, more often, an ideogram with the additional syllabogram that complemented or clarified the basic meaning of the ideogram.18 Monograms were combinations of two or three syllabograms, which were not read as a sequence of signs but recognized as a complex whole in a similar way as ideographic signs. The system was not created by the Greeks themselves but it was adapted from the earlier Cretan system, called Linear A by scholars. Because of differences between languages written in these two scripts, there is no full correspondence between the phonetic system of Mycenaean Greek and its graphical record. As the Greek language has no set syllabic structure and it contains a lot of consonant clusters as well as consonant word endings, the necessity of using only the syllabic signs causes distortions and inaccuracies in notation. 3.2. Use of the system Linear B inscriptions are mainly accounting records. The majority of them are preserved on oblong clay tablets, containing lists of people, animals, dry and liquid products, food and other commodities used in the palace system of goods redistribution or the tax system. Some documents are small clay labels or sealings, probably used to certify documents, vessels, baskets, and other elements of storage or commercial use. As documents were produced and used by the specialized scribes, they are based on the substantial standardization, even if they vary between individual palatial centers.19 Similar content and material type caused a similar construc-

17. Bartoněk 2003, 113–117; Consani 2017, 96. 18. Bartoněk 2003, 119–121; Bennett 1972, 15, 60. 19. Duhoux 2007, 1; Palaima 1987, 504.

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tion of the majority of Linear B inscriptions: sequences of syllabograms are followed by a numeral or a logogram. Sentences are short, simple and concentrated on what kind of commodities are presented, to whom they are offered or sent, and in what amount. Both syllabic and logographic signs were adapted from LA, but a large group of logograms was created by the Greeks to precise the meaning of some deformed Greek words. As mentioned above, Linear B adapted the script made for a language used on Crete before the Greeks came there. Although this language is unknown, it probably had a different structure than the Greek language. Because of that, the Greeks had to make far-reaching modifications in the use of characters not adapted directly to their language. As the phonetic part of the system represents open syllables or single vowels, consonant clusters cannot be written down directly. As Mycenaean scribes could use only signs representing whole open syllables, to put two consonants next to each other, they had to put two syllables next to each other and read the word with the omission of this additional, ‘mute’ vowel (Knossos > ko-no-so). Geminates were written down as single consonants and consonants at the end of the word were omitted (pater ‘father’ > pa-te). Not all Greek phonemes had their equivalents in graphical signs as the phonological system of Linear A must have been different. For both r- and l- series there was only one sign, transliterated as r- (leukos ‘white’ > re-u-ko) and for unvoiced/voiced/aspired consonants, there was only one sign representing the unvoiced variant (khrysos ‘gold’ > ku-ru-so). Some consonants were also omitted before other consonants, like sibilant s or sonorants m, n, r before stops (khalkos ‘bronze’ > ka-ko) and aspiration at the beginning of the word (hupnos ‘sleep’ > u-po-no).20 All these modifications not only distorted

20. About the LB system, see Bartoněk 2003; Duhoux 2008; Melena 2014; Ventris & Chadwick 1973.

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Greek words but also hampered expressing the grammatical information: the word do-so-mo ‘tax’ may indicate both nominative singular dosmos, dative singular dosmōi or nominative plural dosmoi. 4. Multimodality of Linear B tablets Despite the importance of information conveyed by syllabograms, Linear B is not an entirely syllabic script, just as the presence of numerous ideograms does not make it an ideographic script. Each of these elements provides only a part of a message, integrated together in a suitable layout and supported by the knowledge of a concrete social context. Textual modality reflects the specifics of the Greek language. Even with the limited ability to express grammatical forms and inflectional endings, scribes tried to include at least some grammatical information for greater precision of their message. The pictorial modality allowed them to express the content with maximum precision, adding to the textual information easily recognizable pictorial representations of socially important objects. Not without significance, however, was the spatial layout, which ordered the content in a predicatable manner, making that similar information could always be found in a place analogous to other tablets. The whole inscription was fully understood only thanks to knowledge of cultural convention and social context. Knowing Greek was certainly important for understanding Linear B inscriptions but an awareness of the conventions of construing the words and the ability to find the right words in their distorted versions was also crucial, especially for more ambiguous texts. Images, even those which were iconic and therefore easy to recognize, still required an awareness of artistic convention. Simplified pictures can be linked to what they represent only by recognizing the key elements which make them specific and unique. The sign *209VAS 𐃨 can be easily identified as a vessel but its form does not include the information that this particular vessel was used to store

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liquid commodities, especially honey. Moreover, only the specific context allows a scribe to distinguish when such an image represents the quantity of a stored product (one typical amphora of honey, e.g. on the tablet KN Gg(1) 702) and when it represents a valuable vessel, made of a noble metal (*202VAS

‘jar’ in the inventory of luxurious vessels on tablet PY Ta 641 or

*215VAS 𐃮 ‘cup’ as an offering for the deities on tablet PY Tn 316). For a person representing a society that does not use such objects, these pictures would be completely incomprehensible. Multimodality eliminated the problem of insufficient data coming from the grammatically incomplete record: both pictorial and contextual information clarified the semantic content and grammatical forms. Mycenaean scribes clearly did not consider any pictorial elements as inferior and less needed but they treated this multimodal structure as a complex, overall message. For the needs of this article, I have chosen four short inscriptions of typical construction, from two different palatial centers, to show the repeating combinations of modalities. I will analyze their textual and pictorial modalities, as well as the spatial layout and social context. 4.1. KN Gg(1) 702 Tablet KN Gg(1) 702 indicates the amount of honey (meri) to be offered to all the gods (pasi teoi) and to the Lady of the Labyrinth (dapuritojo potinija). The name of the expected recipient and the nature of the gift is written syllabically and is followed by the pictorial representation of the amount of the gift. The whole construction of the tablet, however, is multimodal and it integrates more elements than only text and images.

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Image 1 (Tablet KN Gg(1) 702, the picture from: CoMIK IV, 267)

.1 .2

pa-si-te-o-i /

me-ri

*209VAS 1

da-pu2-ri-to-jo , / po-ti-ni-ja ‘me-ri’

*209VAS 1

text: the names of recipients are composed of syllabic signs. They represent Greek words and its inflectional forms: words for recipients are put in the dative (‘to whom’) and the name of the gift is put in the nominative (‘what’). Although the record cannot reflect all phonetic aspects of the language, using these forms allows to identify the case and therefore the relations between the objects and deities. image: the amount of honey is specified by using the unit of quantity, a vessel, and the numeric sign representing ‘one’ unit. The ideogram depicting the vessel, *209VAS, is iconic and it is intended to resemble the shape of an amphora, used for transport and storage of wine, olive and honey. layout: the tablet is divided by a horizontal line into two verses. In each of these verses, the content is organized in a similar way: the names of the recipients are on the left side of the tablet, followed by the syllabically written word meaning ‘honey’. On the right side, there is an iconic representation of an amphora and the exact number of amphoras. As there are two different recipients, the information is repeated in the same form in each verse. The sequence can be defined as to “whom – what – how much.” The content of the inscription is composed of both linguistic and pictorial information, which do not repeat the same content but complement each other.

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social context: although the construction of the inscription seems to be clear and simple, it can be understood properly only by complementing this with non-linguistic and non-pictorial knowledge. Textual modality refers to the religious knowledge of who the recipients are and why they are bestowed with honey. The pictorial representation of an amphora looks iconic but in fact, it represents not the vessel itself but the quantity of its liquid content. 4.2. KN Ca 895+fr Tablet KN Ca 895+fr presents the equine inventory. First, it lists horses: respectively five mares, four stallions and (?) foals; then donkeys: three jennets, two colts and four donkeys.

Image 2 (Tablet KN Ca 895+fr, the picture from: CoMIK I, 363)

.1 i-qo

EQUf 5

.2 o-no EQUf 3

EQUm 4

po-ro EQU[

po-ro EQU 2 EQUm 4

[

text: information written syllabically is reduced to the general name of the species at the beginning of the inscription and the additional word poro indicating the young animal. image: information on the number of animals and their gender are presented only in the pictographic forms. The young age of some of them is indicated only by the words written syllabically. layout: the tablet is again divided by a horizontal line into two verses. On the left side of each verse, there are species names in textual modality

Using Linear B writing: a multimodal solution

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and then the exact number of animals of each specified type. The proportion between textual and pictorial information is more balanced than on the previous tablet, where the text dominated. social context: although depictions of horses and donkeys are iconic, some elements of their representations can be understood only by knowing the specific convention. The animals’ representations show only their heads and necks and the gender is indicated by using small marks on the necks: an additional vertical line on the neckline for females transverse strokes for males

and two short

. These adjustments are not iconic and are

not associated especially with the equine representations: gender of all animals depicted in Linear B tablets is indicated in this way. 4.3. PY Es 647 Tablet PY Es 647 lists the amount of wheat to be sent as a tax (dosomo) for the god Poseidon and three other recipients.

Image 3 (Tablet PY Es 647, the picture from: PT II, 68)

.1 o-po-ro-me-no, po-se-da-o-ne do-so-mo GRA 1 T 7 .2 *34-ke-te-si, do-so-mo

GRA T 1 v 2

.3 we-da-ne-we do-so-mo

GRA T 1 v 2

.4 di-wi-je-we, do-so-mo

GRA T 1 v 2

.5

vacat

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text: names of the recipients are written syllabically on the left side of the tablet. They are put in the dative and followed by the word for tax (dosomo), which is repeated after each recipient’s name and put in the nominative. image: the ideogram for wheat is followed by metrograms representing the amount of wheat. *120 GRA is based on the similar sign from the Linear A repertory and it is probably non-iconic. The metrograms (T and v) are of completely abstract forms without any iconic similarities to any known objects or vessels. layout: four horizontal lines divide the tablet into five long verses. The fifth verse remains empty, while in the four above the syllabically written words are on the left side and the pictorial representation of wheat and its quantity are on the right. Although in line .2, .3 and .4 the syllabic part is much shorter than in line .1, the ideogram GRA ‘wheat’ is placed in the same area of the tablet as in line .1, which creates a spatially separated pictorial column. social context: in the Linear B inscriptions, usually ideogram GRA does not represent the weight measure but the surface measure, as the area needed to produce a specific quantity of wheat.21 However, in this particular tablet, the ideogram means the exact quantity of wheat. Scribes had to pay attention to what kind of meaning they should take into account while reading the tablet. Moreover, the Linear B numeral system was more complex than a simple representation of natural numbers and the numeric signs are not just summed up. As the basic unit for wheat equals 96 liters (or 60 ares for obtaining 96 liters), T equals 1/10 of GRA and v equals 1/60 of GRA, the unit GRA should be first divided as indicated by metrograms and then

21. See Duhoux 2008, 299.

Using Linear B writing: a multimodal solution

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multiplied according to numerical signs. On the tablet, one can see fractions for dry capacity units: 9.6 liters of wheat represented by T and 1.6 liters of wheat by v.22 4.4. KN Od(1) 562 Tablet KN Od(1) 562 lists three deliveries of wool to a manufacturer’s workshop.

Image 4 (Tablet KN Od(1) 562, the picture from: CoMIK I, 202)

.1a

a-ti-pa-mo

.1b ]o-pi , no-nu-we , .2a

pe-re LANA 91

po-ro-to

.2b ]si-da-jo , pe-re

LANA 42

.3

LANA 69

a-po-te ,

pe-re

text: names of wool deliverers and a person in charge of a textile workshop are written syllabically, as well as the information that they ‘bring’ (pere) the wool. image: the information about the brought commodity and its quantity is depicted using the ideogram *145 LANA and numerical signs. However, LANA is a sign of more complex structure than other ideograms, as it is a monogram: a combination of two syllabographic signs, ma and re, in one

22. For more details on weights and measures, see Melena 2014, 154–161.

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pictorial composition.23 The sign is, therefore, neither iconic nor even ideographic. layout: the tablet represents a structure typical for Linear B inscriptions: syllabograms are followed by pictorial representations of more complex ideas and, finally, by numerals. However, the sign representing wool is a monogram, which means that it is composed of syllabic signs not read phonetically but recognized as a complex whole. This makes the LANA sign structurally a syllabogram but functionally an ideogram and shows that in actual use the boundaries between these two categories cannot always be separated. social context: in addition to the ability to read the sequences of syllabic and numerical signs, understanding of this tablet needs taking into account an additional assumption. Similarly to ideogram GRA, also LANA has its basic unit, 3 kg, which is to be modified by additional numerals.24 Therefore, the proper quantity of wool in verse .1 is not 91 kg, which may be suggested by the numerical signs but 3x91 = 273 kg, as the result of multiplying the numerical values with the amount contained in the ideogram itself. 5. Conclusion The structure of the Linear B script is based on the phonetic and ideographic signs. However, naming the whole script ‘syllabic’ or even ‘logosyllabic’ does not reflect its complexity and multimodal character. Linear B script is based on relationships between syllabic signs and the Greek language, as well as on references of images to the real world. But only the comprehensive combination of these elements in an appropriate spatial lay-

23. Melena 2014, 129. 24. Duhoux 2008, 268.

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out, taking into account the proper context, allows us to understand a full and complex message. The intention of Mycenaean scribes was not to create a graphical representation of concrete words but to record a specific situation or event. Understanding the social context of elements depicted phonetically or pic-torially was a necessary factor in their understanding. Rather than ‘reading’ the inscriptions, scribes must have ‘recognized’ them using both phonetic and visual elements as an overall, spatial communication. In the process of recording, scribes ‘encoded’ the socially and linguistically complex message, even if they were using phonetically inadequate syllabograms or schematically drawn images. Their co-workers ‘decoded’ this simplified construction and obtained the full message successfully, even if they could not read it literally word by word. By integrating different modalities, Myceneaen scribes made multilevel messages, blurring the boundaries between what is verbal, pictorial and social.

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Klassische Antike

Interpunzioni e uso degli spazi nelle descrizioni di rituali del liber linteus etrusco Valentina Belfiore Direzione regionale Musei Abruzzo

Nel presente contributo e in quello di Emmanuel Dupraz vengono esaminati gli usi delle interpunzioni e degli spazi nelle descrizioni di rituali umbre ed etrusche di epoca ellenistica contenute nel liber linteus e nelle Tavole Iguvine, vale a dire nei testi più lunghi documentati in queste lingue. L’uso delle interpunzioni nel liber linteus presenta alcune irregolarità che sono, a parere dell’autore, il risultato di decisioni consapevoli e non di errori scrittori. In base a confronti anche con altri testi lunghi a carattere non religioso, le interpunzioni si direbbero utili nel sottolineare lessemi e frasi di particolare rilievo, non solo in chiave fonetica o morfologica, ma spesso anche a livello pragmatico nel contesto del rituale da eseguire. Oltre alle interpunzioni, il calendario rituale si segnala per un uso particolare dello spazio nell’impaginazione del testo che permette ulteriori riflessioni sulla pratica scrittoria e sull’impiego dei testi rituali stessi.

Interpunzioni e spazi nel liber linteus

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1. Il liber linteus: stato della questione Il liber linteus, com’è noto, si caratterizza per un’impaginazione molto particolare, con una delimitazione laterale dello spazio destinato alla scrittura mediante una linea rossa ormai impercettibile, per la presenza di spaziature all’interno delle colonne che segnalano lo stacco concettuale e verosimilmente anche temporale tra un rituale e l’altro e per i “complementi sovrapposti”, come sono stati definiti da Roncalli (1980). La doppia linea rossa che delimita lo spazio scritto è stata osservata in più punti: le linee parallele distano circa 1,80 cm l’una dall’altra, dettaglio attribuito all’intenzione di incorniciare le colonne/pagine più che di separarle.1 A questa osservazione Roncalli ha collegato la presenza dei “complementi sovrapposti” che confermerebbero una distribuzione del testo per pagine piuttosto che per colonne2. I “complementi sovrapposti” consistono nella pratica di riportare, in rari punti alla fine del rigo, in alto, la parte di testo che eccede lo spazio della delimitazione della pagina mediante grafemi specchiati rispetto al senso della scrittura. Esempi di questa pratica sono rappresentati da: LL II 12śrencv/e LL VIII 2amp-/eri LL IX f2θaχśe/ri LL X 19 cesasi/n; f5ner/i

1. Roncalli 1980, 239. Cfr. ibid. anche l’ipotesi di Herbig che le linee rosse fossero da supporre anche in alto e in basso nella pagina. 2. Sulla ricostruzione del liber linteus come vero e proprio libro – da cui il concetto di “pagina” – piegato a fisarmonica si veda ibid. Roncalli 1985, Roncalli 2015–2016 e più avanti.

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Valentina Belfiore

Si segnala inoltre la presenza di una piccola inserzione di testo illeggibile nella colonna V 15, sopra raχθ sutanaś. Le pagine delimitate da linee rosse, la cura nell’evitare parole spezzate con “a capo” e le ripartizioni testuali sono state interpretate nel complesso come indicazioni di un’accurata redazione3. Per quanto concerne le notazioni e le divisioni in rosso, si osservano, oltre alle delimitazioni dello specchio della pagina4: LL VI 8‒9: una linea orizzontale continua sotto iχ sacnicla; LL VII, 5: un segno formato a margine del testo, già annotato da Krall con una divisione centrale; Roncalli lo descrive come una macchia ellittica disposta orizzontalmente nell’intercolumnio dopo la parola vale; Roncalli inoltre lo considera come un segno casuale mentre per Krall doveva essere voluto5. LL XI, 13‒14: un lungo tratto a L comincia a margine dello spazio vuoto fra le righe 11 e 12 e piega tra le righe 13 e 14 sottolineando le prime parole della nuova partizione di testo (tuχlac eθri) secondo un espediente documentato anche alle Tavole Iguvine I‒II e III‒IV (part. IV 13 per un caso analogo alla paragrafazione della colonna VI del liber linteus). LL XII, 9: barrette verticali come separazione delle ultime righe di testo. LL IX, 22, v.i.n.u.m.: particolare evidenza di una sequenza forse destinata ad essere cantata (Roncalli 1985).

3. Roncalli 1985, 50. 4. Roncalli 1980, 239; Roncalli 1985, 50. 5. Roncalli 1980, 245.

Interpunzioni e spazi nel liber linteus

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Come anticipato, le delimitazioni mediante linee rosse e i complementi sovrapposti sono stati interpretati come prova di una struttura per pagine ottenuta mediante una piegatura a fisarmonica del telo di lino. A supporto di questa ipotesi sono stati ricordate alcune testimonianze scultoree e figurate, in cui il defunto è raffigurato in veste di sacerdote e affiancato da un panno di tessuto ripiegato6. Maggiani (2007) ha successivamente rilevato che se così fosse stato, gli intercolumni, ovvero gli spazi vuoti fra le pagine, avrebbero dovuto essere più consunti per usura e che l’inizio del testo, molto più compromesso rispetto alla parte finale, lascia piuttosto pensare all’impiego di un ben più tradizionale volumen7. 2. Interpunzioni e spazi nel liber linteus Venendo ora alla questione dell’uso delle interpunzioni osservabili nel testo, vanno osservati alcuni dettagli. Molti passi sono difficili da verificare dal momento che l’inchiostro è svanito, specialmente nelle prime colonne di testo. In molti casi bisogna affidarsi alle trascrizioni che sono state date e in particolare all’ultimo apografo redatto con cura in occasione della mostra del testo a Perugia nel 1985 (Roncalli 1985) e ancor più alle foto all’infrarosso che sono state effettuate per la stessa occasione. Posto che lo stato di conservazione del tessuto rende difficile apprezzare l’esistenza di segni e ancor meno di punti, in alcuni casi molto evanescenti, si elencano di seguito le interpunzioni straordinarie che è stato possibile riconoscere in questo testo mediante l’aiuto degli ingrandimenti fotografici e sulla base del confronto con le trascrizioni di precedenti editori.

6. Roncalli 1980; Roncalli 1985. 7. Per una nuova replica a questa ricostruzione cfr. Roncalli 2015–2016.

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2.1. Casi di puntuazione anomala LL III 16cletram. śrenχve. iχ. śca.nin.? ce: posta la difficoltà di lettura in questa benda, sembra di intravvedere in foto con chiarezza il punto dopo a di śca.nin.? ce8. LL III 17 ara. nunθene. ś.a.θaś: prima e dopo śan sembra di vedere un punto (forse una macchia dell’inchiostro e un segmento nero che unisce a theta). LL III 18vinum us.i. tri.nθ: il punto tra vinum e usi può essere svanito, come pure può essere solo un’impressione il fatto che di usi sia delimitata da punti. Allo stesso modo può essere illusorio il punto dopo la di tri.nθ, ma la trascrizione di Roncalli di questo segno con potrebbe tradire l'esistenza di un punto. LL III 20v.i.n.u.m. eśi. sese. ramue. r.acuś.e: da foto; non è da escludere che non vi siano altri punti (Krall, eśis esera nuera arśe; Her. eśis esera nuera-rśe; Runes eśis esera muera cuśe; Crist. eśi()seseramueracuśe; Ronc. esiseseramuer. acuśe; Vett. Rix eśi sese. ramue. racuśe) LL III 21ś.purestreś: in Ronc. il punto dopo ś è notato come errore. LL IV 15 un mlaχ: Belf. Ronc; e l’eventuale punto che dovrebbe seguire ricadono in una piccola lacuna del tessuto. LL IV 17 an. c.ś mele. θun: da foto. LL IV 20 faśe. śi.n: Ronc. LL V 14 χiś. esvi.?śc: da foto; impressione non supportata da altri apografi, cfr. Pall. Crist. χiś esviśc; Ronc. χiśesviśc LL V 18 truθt. raχ.?ś: Krall truθ. traχś; Her. Pall. truθtraχś.

8. Per le abbreviazioni usate con riferimento ai nomi degli editori del liber linteus e la numerazione delle linee di testo mi permetto di rimandare all’edizione Belfiore 2010, cui va aggiunto VDM = Van der Meer 2007.

Interpunzioni e spazi nel liber linteus

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LL V 21 θesane. us.lanec.: da foto. Ronc. trascrive uslanec ma il punto finale è presente nell’apografo. LL V 23: enaś c.la θesan: Krall Pall Crist. enś cla; Ronc enaśc.la; Rix enaś c{.l}a. LL VI 2 ś.nuiuφ. urχeiś. ce.ś.u?: da foto. Per il ricorrere di termini insoliti è stata riprodotta da vari editori una cesura dopo ceś o sono state fornite separazioni diverse: Krall, Run., Crist. śnutuφ. iχ. reuśceśc; Vett: reuśceś.c.; Ronc. s̉ nuiuφ. urχe. -s. cesu; Rix ceśc. LL VI 3 hamφe.ś.: da foto. LL VI 5 amφe.?θ.i ... lae.?ti.: da foto. LL VI 5 anc. θaχś.in: da foto. LL VI 6 heci. naχ.va.: visto da Krall, Her, Run, Pall. LL VI 7 aisunal. θunχ.erś: attestato solo nell’apografo di Roncalli, non riscontrato in foto ma possibile per la presenza di spaziatura. LL VII 16 ic. cleva.?na.: la trascrizione di Krall ic clevr:nθ sembra confermare l’esistenza di un punto prima della sillaba finale. LL VII 17 va.?c.l. ara. θuni: il punto tra ara e θuni manca in tutte le trascrizioni ma si vede in foto. LL VII 19 cnticn[θ]. i.n. ceren cepar. nac. amc.e.: il punto tra ceren e cepar manca in tutti gli editori LL VII 21 ar. par. ścun(.?)ueri.: il punto dopo ścun è stato trascritto da quasi tutti gli editori probabilmente perché hanno creduto di riconoscere nella parte finale la parola zeri (Krall ar: pavścle. zeri; Her. ar pa-ścl--eri; Run. var. ścun. zeri; Vett. par. ścun; Cri var. scun. zeri). LL VII 22 θaurχ etnam: dopo θaurχ c’è una lacuna nel tessuto; per questo motivo nessuno degli editori trascrive il punto. LL VIII 2 etnam. i.c. esvitle: il punto centrale in i.c. è stato trascritto anche da Rix e da Van der Meer, ma non dai primi editori.

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LL VIII 4 ś(.?)ucri. θezeric. scara. priθa.ś. raχ. t.e.i: dopo il primo san lo spazio prima della seconda lettera sembra maggiore del solito; possibile intravvedere un punto. LL VIII 7 mac ra.?murθi: parte annerita e poco leggibile; gli editori in modi diversi hanno però trascritto un punto dopo ra.(cfr. Krall, Pall., Cri. mac ̣ra. ś ̣ụrθ̣ i). LL VIII 8 reuχzineti. ram.?ueθ.: da foto. LL VIII 11 sacnicle(.?)ri: presenza di punti molto incerta. LL VIII 15 tinśi tiurim. av(.?)ilś: da foto. LL VIII f5 śacnicś.treś: Ronc. LL IX 10 cil.θś.: da foto LL IX 22 v.i.n.u.m.: tutti. LL IX f2ciem. cea.?lχuś. lauχum.neti. ei.s(.?)na. θa.χś(.?)e/ri: da foto. LL X 7 θuni. śerφue. a.c.i.l.?: da foto. LL X 17 sulχva. maθ.cvac.: da foto. LL X 19 tei mutti ceś.asi/n: il punto prima di può essere una sbavatura. LL X f3n.e.ri.? c.an.va.? ca.r.si.?: da foto; il primo è correzione di un digamma). LL XI 2vacl. vin.u.m. ś.antiś.tś: da foto; la presenza di punti può derivare da un’impressione dovuta alla spaziatura delle lettere e alla presenza di macchie di inchiostro; allo stesso modo anche vin.u.m. alla riga 4 potrebbe essere puntato. LL XI 8 mur.?in. velθin.eś: dopo mur la presenza di punto è debole ma registrata da vari editori (Krall, Ronc., Rix, VDM); dopo velθin e prima di eś sembra ugualmente di vedere un punto. LL XI f5θui. araś. mucum. ania.χeś. ras.n.a. hilar.: da foto. LL XII 3θunχulem. m.u.θ.: da foto. LL XII 7h.urs.ic. caplθ.u. ceχam: da foto.

Interpunzioni e spazi nel liber linteus

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LL XII 11a.θ.r.e. acil: da foto. LL XII 12caperi. zam.t.?i.?c. s.vem: da foto. LL XII 13mata.n. cluctraś. h.?i.?la.r: da foto. I casi qui sottolineati non possono considerarsi un campione rappresentativo del reale utilizzo delle puntuazioni. Si è sottolineato come la lettura di punti possa essere frutto di un’impressione, mentre è possibile che molti altri luoghi in cui dei punti erano previsti ad oggi sfuggano totalmente. Date queste premesse, si possono comunque rilevare alcune ricorrenze che possono essere così raggruppate: • Il punto sembra separare la radice o la base dai suffissi derivativi (forse anche presunti o percepiti come tali: ad es. in ananc.veś a rigore sarebbe attesa una separazione anan.cveś), cfr. śca.nin; naχ.va; θunχ.erś?

cleva.?na;

lauχum.neti;

maθ.cvac;

ram.?u.e.θ;

ścun(.?)ueri; o dalle terminazioni morfologiche di caso, cfr. esvi.śc; raχ.?ś; hamφe.ś.; amφe.θ.i ... lae.ti?; sacnicle(.?)ri; velθin.eś; zam.t.?i.?c.) o dalle terminazioni di forme verbali, cfr. us.i? amc.e.; priθa.ś.; mur.?in. Sembrano interessate da questo fenomeno tanto le forme nominali quanto quelle verbali. • Il punto separa ogni carattere di cui si compone la parola (v.i.n.u.m. in un’occorrenza ma cfr. anche le grafie vi.num e vin.um; a.c.i.l.? a.θ.r.e.? m.u.θ.; cfr. inoltre n.e.ri. c.an.va. ca.r.si tra i casi incerti). Anche in questo caso il fenomeno sembra interessare forme nominali e verbali. Con questo stilema potrebbero essere sottolineate delle parole o delle forme verbali importanti per il rito (il vino e altre bevande, ad es. neri, o termini che conosciamo solo dal rituale). Ancora una volta è tuttavia il caso di rilevare la possibilità che molti punti non si siano conservati e che altri siano rilevati per impressioni dovute all’espansione dell’inchiostro o alla conservazione del tessuto e

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delle macchie di bitume. • Il punto ricorre in presenza di dimostrativi agglutinati per separarli dal tema (śacnicś.treś) o ancora per “analizzarli” evidenziando la radice rispetto al suffisso (es. ś.antiś.tś, c.ś., c.la; tuttavia t.e.i non sembra rientrare in questo fenomeno); punti si osservano anche con altri pronomi (i.n) e connettori frasali (i.c.): anche nel caso dei dimostrativi e dei connettori sembra di osservare l’interesse a sottolineare la formazione della parola distinguendo la base/ radice dalla desinenza; • Il punto isola la consonante o sonante finale di parola (mata.n; tri.n? śi.n): il fenomeno può ancora rientrare nel comportamento inziale, rilevato anche con i dimostrativi; tra questi casi si può ricordare anche h.?i.?la.r; va comunque sottolineato che questa rappresenta la parola con cui si conclude l’intero calendario rituale, a cui può essere riservata una particolare enfasi. • Il punto isola o sottolinea la sibilante solitamente a inizio parola (es. ś.antiś.tś; ś.a.θaś?; ś.purestreś?; ś.nuiuφ.; ś(.?)ucri.; s.vem). Questo comportamento, saltuario, potrebbe spiegarsi ipotizzando la necessità di enfatizzare la pronuncia di determinate voci. Con le puntuazioni delle sibilanti è forse opportuno ricordare anche il caso di us.lanec. (V 21) con punto dopo il sigma. Altri casi di notazione della sibilante interna potrebbero essere rappresentati inoltre da ce.ś.u (VI 2), θaχ.ś.in (VI 5). • Nel complesso, i fenomeni qui osservati non sembrano privilegiare determinati passi (o rituali) rispetto ad altri ma investono tutto il testo. Di seguito si elencano inoltre i casi di incerta interpretazione: • av(.?)ilś; cil.θś.; cea.(?)lχuś.; ei.s(.?)na.; va.?c.l.; θa.χś(.?)e/ri; ceś.asi/n; le sequenze n.e.ri. c.an.va. ca.r.si.; ania.χeś. ras.n.a.;

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h.urs.ic. caplθ.u; puntuazione della consonante/ sonante iniziale in r.acuś.e? Si vedano inoltre zam.t.?i.?c; ram.?ueθ, in cui sembra siano isolate le radici nominali. 2.2. (Apparente) assenza di interpunzione Rispetto alla norma generale di segnalare a mezzo di punti la separazione tra una parola e l’altra, che per la grande cura con cui il testo calendariale è redatto si attenderebbe sempre osservata, si rilevano inoltre alcune assenze, che si elencano qui di seguito: LL III 14ananc veś Krall, Run. ananc. veś Crist. (non verificabile); LL III 15ścanince. sasc saθ. persin: altro punto poco chiaro/ leggibile, trascritto dagli editori come ścanin ceia pieseθ veisin (Krall); ścanin cesasi saθ veisini (Run.); ścanin. cria suvaθ. versin (Vett.); Crist. ścanin cr-as---asθ versin; Ronc. sa--saθ. peθsin; Rix saucsaθ. persin. LL IV 15 un mlaχ Belf. Ronc: e l’eventuale punto che segue ricadono in una piccola lacuna del tessuto. LL V 6: tutta la riga è tagliata per la parte superiore; impossibile dire se vi fossero interpunzioni o meno. LL VIII 12 la riga è tagliata per la parte superiore: i punti tra una parola e l’altra non sono trascritti. LL VIII 15 tinśi tiurim. av(.?)ilś: da foto e ingrandimenti. LL VIII f4 vinum eśi: punto assente fra vinum e eśi; così anche Rix. In alcuni casi l’assenza di interpunzione sembra dovuta al mancato riconoscimento delle parole da parte degli editori in punti poco leggibili; in altri è possibile che il punto, previsto, sia svanito con lo svanire dell’inchiostro. La puntuazione sarebbe dunque nel complesso caratterizzata da quella regolarità che si conviene ad un testo redatto con così tanta cura.

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Rispetto inoltre alla tendenza generale a evitare punti a fine rigo (ad es. LL VI 13 e 17), bisogna osservare la presenza di questi a fine sezione, quando il rigo conclusivo occupa la metà del verso e segue uno spazio vuoto o altro espediente di divisione testuale: LL VI 8: iχ. śacnicla.: da foto; il punto dopo śacnicla non è trascritto né da Krall né da Runes né da Cristofani. Tra la linea 8 e 9 una linea rossa doveva ulteriormente dividere il testo. LL XI 11 cla. θesns.: il punto finale, non riportato da Krall, sembra tuttavia presente; segue uno spazio vuoto. Un’eccezione all’assenza di puntuazione a fine rigo è rappresentata dal nesso LL V 21... θesane. us.lanec. Tale nesso figura all’interno di una formula di preghiera dopo la quale inizia la parte esortativa (22mlaχe. luri. zeric. zec. aθeliś...): si potrebbe qui ipotizzare di vedere, a mezzo del punto, un rafforzamento della cesura sintattica tra una componente e l’altra della preghiera per gli aiser. 2.3. Uso degli spazi vuoti Considerando altri aspetti dell’impaginazione del LL, si può osservare anzitutto che non vi sono rientri, almeno per quanto concerne la parte conservata (diversamente dall’incipit del Cippo di Perugia; per le Tavole Iguvine si veda il contributo di Emmanuel Dupraz). Sono presenti al contrario degli spazi vuoti che segnalano nell’ordine: • LL IV 22: la fine delle cerimonie per il flere in crapśti. • LL VI 8: la fine del rito apniś aniaχ apnis urχ, di interpretazione ancora incerta, che si conclude con una riga breve (iχ. sacnicla, v. sotto). • LL VI 13: la fine del rito di Lusa, mediante una riga breve seguita da uno spazio vuoto.

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• LL VI 14‒17: il rito/ dedica fatta a tin in śarle, che si conclude con riga breve (anc. martiθ. sulal), seguita da uno spazio vuoto. • LL VIII 1‒2: il rito delle porte (?) preceduto e seguito da uno spazio vuoto. • LL VIII 3: l’inizio del rito del flere neθunsl a settembre (il 26) preceduto da uno spazio vuoto. • LL IX f1: la fine del rito del flere neθunsl seguito da uno spazio vuoto. • LL IX f2: un nuovo cerimoniale nel *lauχumna (bosco sacro? radura?) a nuova data senza indicazione del mese. • LL XI 11: la fine della cerimonia con libagioni, sottolineata da una riga breve (cla. θesns) seguita da uno spazio vuoto. • LL XI 12‒15: un paragrafo isolato con rito per tuχla e per veive (vedi più avanti), diviso in due da un segno orizzontale fra il rigo 13 e 14. • LL XI 17: l’inizio del nuovo rito (nuova data ma senza nome di mese: “il 29 come il 28”) con aniaχ, rasna hilar (limiti pubblici funerari?). 2.4. Divisioni interne A livello concettuale le linee rosse sembrano ulteriormente segnalare alcuni momenti importanti del rito nel testo: • LL VI, 8‒9: breve linea rossa dopo la riga 8 che divide l’oscuro rito apniś aniaχ urχ dal rito per Lusa, il quale, benché sintetico, si richiama a sua volta a quello del flere in crapśti, analogamente a quanto avviene per la colonna IX. Questa cesura concettuale è dunque sottolineata da un espediente grafico che doveva avere meno rilievo dello spazio vuoto lasciato qualche riga sotto. Le successive quattro righe 14‒17 riguardano un nuovo rito in cui si dedica un altare o un fuoco

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il 18 giugno a tinś in śarle. Il rito per Lusa viene celebrato infatti il 20 di un mese imprecisato, ma precedente (perché già ricordato nel testo e dunque non ripetuto): vista la spaziatura deve trattarsi di maggio o di aprile (rispettivamente ampilie o apirase, in base alla testimonianza della Tabula Capuana). La cesura segnalata in rosso si accompagna inoltre al fatto che dopo iχ. śacnicla. della colonna VI è presente un punto (solitamente assente a fine rigo). Nella colonna XI è il breve rigo 11 cla. θesns. a presentare una puntuazione anche finale e uno stacco grafico anziché una linea rossa, che troviamo invece poco dopo, a metà del breve paragrafo di 4 righe. Sembra che nei casi rilevati la riga intera tendenzialmente non richieda il punto finale, mentre la riga riempita a metà lo preveda. • LL XI, 13‒14: un lungo tratto a L comincia a margine dello spazio vuoto fra le linee 11 e 12 e piega tra le righe 13 e 14 sottolineando le prime parole della nuova partizione di testo (tuχlac eθri). In tal modo il cerimoniale del 28 (settembre?) per Cana e Tuchla (?) da officiare (eθri?) così come sopra (suntnam ceχa?) si direbbe separato graficamente dal cerimoniale che si incentra sull’offerta di vittime a Veive lo stesso giorno (cntnam θesan) e che si richiama, questa volta in modo esplicito, al cerimoniale del 26 (settembre) per neθunś. Anche le linee rosse della colonna XII potrebbero rientrare in questo sistema separando la conclusione del rituale graficamente e idealmente: che il testo prosegua lungo lo stessa riga sembra ancora dovuto al fatto che la chiosa finale riguarda lo stesso giorno del rito descritto, ovvero il 29. La “macchia” ellittica di colore rosso della colonna VII, se intenzionale, potrebbe ugualmente segnalare un momento particolare, mettendo ad es. in evidenza la fine della sequenza cantata o cantilenata di testo.

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A giudicare dall’uso delle spaziature per segnalare un cambio di data e molto spesso anche di mese (le cerimonie che avvengono nello stesso mese sembrano evidenziate solitamente mediante espedienti grafici, come linee orizzontali e verticali, cfr. la Tabula Capuana), si può ricostruire il calendario seguente9: Calendario ed espressioni temporali nel LL in relazione alla spaziatura grafica (I ?)

gennaio?

(II)

febbraio? rito degli aiser śic śeuc I

(III/IV)

marzo? rito del flere in crapśti

(V)

aprile? rito degli aiser śic śeuc II

VI 9 zaθrumsne lusaś... (dopo linea il 20 - maggio? cerimonia per Lusa rossa) VI 14 eslem zaθrumiś acale (dopo il 18 giugno - cerimonia per l’altare o il spazio)

fuoco sacro di tinś in śarle

segue nuovo paragrafo illeggibile

luglio?

VIII 1 θucte ciś sariś (dopo spazio)

il 13 - agosto? cerimonia delle porte

VIII 3 celi huθiś zaθrumiś (dopo il 26 settembre - rito del flere neθunś spazio)

9. Come già osservato (Belfiore 2010, 193 ss.), è evidente quanto sia distante questo calendario da quello di Capua (da Cristofani 1995, 118): marzo/giorno -?-: rito di Leθams, di Savlasie, di Fulinusne, di Savcne, compimento del rito di Leθams aprile/idi: feriae di Leθams ad Hamae giorno celuta: rito di Uni nel santuario di Uni giorno aperta: festa di Aφe, rito di Calu, rito di Aφe maggio/idi: Festa di Larun/Laran; giorno giovio (tiniantule ilucve): festa di Leθams giugno/giorno aperta: festa di Leθams; offerta a θanur luglio?/idi: festa di Tinun e Seθumsai; giorno -?-: rito di Fulinusne, (? festa di Natinusnai ? cfr. Cristofani 1995, 66).

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IX f2 ciem cealχuś lauχumneti eisna il 27 - settembre/ ottobre? θaχse/ri (dopo spazio) X 2 peθereni ciem cealχuz (dopo di nuovo il 27 - settembre/ ottobre? spazio) XI

8

peθereni

eslem

zaθrum di nuovo il 18 - ottobre/ novembre?

(all’interno del testo) XI 12 eslem cealχus (dopo spazio)

il 28 - ottobre/ novembre?

XI 14 cntnam θesan (dopo linea rossa)

lo

stesso

giorno

(=

28

ottobre/

novembre?) XI 17 θunem cialχuś etnam iχ eslem il 29 così come il 28 - ottobre/ cealχuś (dopo spazio)

novembre?

XII 10 θunem cialχuś masn... eθri (di il 29 - ottobre/ novembre/ dicembre? la seguito al testo dopo le righe verticali)

cerimonia nel luogo sacro di Uni Ursmnai

Giusta questa ricostruzione, dal momento che il calendario trova la sua conclusione con la colonna XII, si direbbe che il complesso delle cerimonie sia riferito ad un anno che nell’ipotesi minima potrebbe constare di 10 mesi, come si presume per la Tabula Capuana, divisa in 10 sezioni10, oppure comprendere 12 mesi, come il calendario riformato secondo la tradizione da Numa Pompilio stesso (Macr. Sat. I, 12,39, sul calendario romuleo; Plut., Numa, XVIII, 1‒4; Liv. I, 19; Ov. Fas. I, 25‒62). 3. Affinità e differenze rispetto ad altri testi lunghi etruschi Un’interpunzione anomala rispetto all’uso consolidato della puntuazione interverbale e un’impaginazione particolare con spaziature, segni grafici di stacco o di nuovo paragrafo e parole spezzate in a capo sono presenti anche

10. Cristofani 1995.

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in altri testi di una certa lunghezza che conviene considerare per valutare le peculiarità del calendario rituale rispetto ai testi giuridici. Per quanto riguarda l’interpunzione, nella Tabula Cortonensis (TCo) si osserva, nell’incipit del documento, che la prima parola, e.t., è stata considerata dagli editori come grafia per eθ avverbiale “così” e il punto è stato quindi considerato una disattenzione dello scriba11. Secondo Peruzzi al contrario questo incipit corrisponde in forma abbreviata alla locuzione iniziale del cippo perugino, e(urat) t(anna). Occorre tuttavia verificare che non vi siano altre interpunzioni “casuali” nel testo. Di seguito si osservano diversi esempi legati all’assenza di interpunzione interverbale. I punti sono verificati sulla prima edizione (Agostiniani & Nicosia 2000) e sulla lettura di Maggiani (2001): A r. 1 petruiśśceveśeliuntś r. 2 tênθurśar (ma r. 3 tênθur. 4śa) r. 5 raśnas̉ iiii u which took place before ‘dark’ l (e.g., eventually, uult < uolt), and as the result of vowel weakening in non-initial closed syllables, e.g. *eontis > euntis, consol > consul. But even in this context, o became u by the end of the first century BC (Leumann 1977, 49; Meiser 1998, 84) and it is generally implied that the spelling stopped being used about this

7. In the case of Kalaḅ[el], we might think of influence from Greek orthography (or the tendency for non-Roman place names like Karthago to be written with ). 8. And aequm (471/146.14) for aequum, which is best taken as representing spoken [aekum], with reduction of /kʷ/ to [k] before a back vowel; although here the standard spelling may have influenced the use of . 9. It is just possible that bolt could instead reflect the merger of /oː/ and /u/ in Latin rather than being a (quasi-) old-fashioned spelling. But this is generally assumed to have taken place relatively late (between the third and fifth centuries AD, according to Adams 2013, 63‒70).

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time, both by modern scholars,10 and by Quintilian in the late first century AD, who writes that “[m]y teachers wrote seruos (‘slave’) and ceruos (‘stag’) with uo, on the ground that a vowel following itself could not coalesce or be blended to form a single sound. Today we spell with two u’s” (Institutio 1.7.26).11 In one letter we find cum ‘when’ written qu[u]m (472/147.5); qu[o]m is also possible. The extent to which this is an old-fashioned feature is uncertain. Certainly, /kʷ/ had lost its labiality in the course of the third century BC (Meiser 1998, 92), but Quintilian’s mention of the spelling quom (Institutio 1.7.5) suggests it was still acceptable, and Marius Victorinus, while seeing quom as archaic, was recommending the spelling quum in the fourth century (Ars Grammatica 4.30-33). A clear example of an old-fashioned spelling is the use of for /iː/ in reṣc ̣ṛeibae for rescrībe ‘write back’ (469/144.11).12 The diphthong -ei- underwent monophthongisation to close mid /eː/ and subsequently raising to /iː/, thus falling together with inherited /iː/. The monophthongisation is generally dated around the middle of the third century BC, and the raising to the middle of the second (Meiser 1998, 58). Spellings with continued into the first century AD as a method of distinguishing between short and

10. E.g. “these changes [i.e of o > u] do not appear in writing until the end of the republic. Until then inscriptions still show such forms as uolgus, auonculus, seruos, perspicuos, equos, instead of uulgus, etc.” (Allen 1978, 18‒19); “the old forms and survived until late republican times” (Ittzés 2015, 333 fn. 13). 11. “Nostri praeceptores ‘seruum’ ‘ceruum’que u et o litteris scripserunt, quia subiecta sibi uocalis in unum sonum coalescere et confundi nequiret; nunc u gemina scribuntur”. Elsewhere, he also refers to the “modern spelling of ‘uulgus’ and ‘seruus’” (“nunc scribitur ‘uulgus’ et ‘seruus’”, 1.4.11). The text and translation is that of Russell (2001), although minor orthographical changes have been made to the former. 12. For illei as illaei rather than illī see CEL (vol. 2 p. 160).

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long /i/ (Clackson 2011, 245‒246), but Quintilian (Institutio 1.7.14‒17) implies that this was now out of favour towards the end of the century.13 Lastly, gnata (470/145.16) for nata ‘born’ will have been poetical and/or high register by the start of the second century AD, initial g- having been lost by the second century BC (Sommer-Pfister 1977, 177). What can we take away from this discussion of the Terentianus and Tiberianus letters? Firstly, they force us to be aware that spellings which would be old-fashioned, and hence out of place in (non-poetic) inscriptions written according to the standard orthography used by the elite, are to be found in sub-elite, and indeed often sub-standard, epigraphy. We should remember that these features can characterise sub-elite texts, which we can otherwise be tempted to see as providing unmediated access to the ‘real’ Latin spoken in the empire. Secondly, they provide evidence for the type of education received by sub-elite speakers of Latin, for which explicit descriptions tend to be lacking in our ancient texts. In the case of the Terentianus and Tiberianus letters, Halla-aho (2003, 250‒252) has suggested that they are likely to be written by army-trained scribes, and draws attention to the difference in orthographical performance between them and the scribes of the army post at Vindolanda in northern Britain at about the same time (note also Adams 1995, 91). She attributes this to the higher rank of the auxiliaries at Vindolanda than soldiers in the imperial fleet in Alexandria, but also the much greater use of Latin at Vindolanda than in Alexandria, where Greek will have been much more common.

13. Although perhaps his objections suggest continued usage.

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While it is true that the least standard letters of the archive show much more variation in spelling than most of the Vindolanda tablets, which are in the main characterised by a fairly ‘correct’ orthography (Adams 2003b, 530‒531), there are some striking similarities between them. Thus, the fact that two of the instances of before in 467/141 belong to the lexeme carus is reminiscent of the situation at Vindolanda, where, ignoring instances of Kalendae, for which use of is the standard spelling, out of 29 instances of , 24 belong to the lexeme carus.14 Conversely, I have found only two instances of carus spelt with a (c ̣arissiṃẹ Tab. Vindol. II.255.16 and caris[ Tab. Vindol. II.306.5). According to Cugusi (CEL, 2. 67, 71), this is the result of maintenance of in the formulaic context of greeting and farewell in letters.15 However, the spelling for /wu/ mentioned above, does not have a similar formulaic context which may have led to its preservation. In Republican inscriptions we find both this sequence and the sequence /uu/ written , e.g. suom (CIL 12.593, 45 BC) for suum ‘his/her’, but in the Tiberianus letters we find a distinction between for /wu/ in saluom, no]uom, fugitiuom and bolt, and for /uu/ in tuum (467/141.34, .35, 468/142.59).16 The same distinction is found more clearly in the Vindolanda tablets, where all instances of /wu/ are spelt , and all instances of

14. And 3 instances, across two tablets (Tab.Vindol. II. 343.17, .18, III. 583.4) belong to carrus ‘wagon’, where one suspects the visual similarity to carus may have played a rôle in the use of . 15. I am grateful to Hilla Halla-aho for drawing this point to my attention. In fact, use of karus seems to have spread to other contexts too: in a request in a letter at Tab. Vindol. II. 331, and as the writer’s cognomen in Tab. Vindol. II. 250 (albeit in a greeting). The spelling karus is also very common in grave inscriptions (as pointed out to me by Katherine McDonald). 16. Neither spelling probably reflected real pronunciation by this stage, since in original /uu/ the first high vowel had probably been lost in hiatus, as demonstrated by tus for tuus ‘your’ and sum for suum ‘his/her’ (471/146.17, .30).

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/uu/ and /uw/ are spelt , as shown in Table 1.17 Once again, we see a consistency in the orthographic rules used by military scribes, in this case presumably due to the maintenance of conservative spelling in the training provided by the army.18 This is particularly clear with regard to the spelling of letter 467/141, which contains all the spellings, and most of the spellings. By comparison, the reasonably high use of the spellings in the letters other than 467/141 (11 instances, including aequm and qu[u]m, vs 9 instances of ) reflects a rather different tradition compared to the Vindolanda tablets, in which two examples (quequmque Tab. Vindol. III. 643.a.i.3 for quaecumque ‘whatever’, quụr Tab. Vindol. III. ̣ 652.4 for cur ‘why’) are found beside over a hundred with . /wu/

Tablet (Tab. Vindol.)

/uu/ and /uw/

Tablet (Tab. Vindol.)

uolnerati ‘wounded’

II. 154.23

adiuụ[19

II. 160.A.6

saluom ‘in good health’ II. 225.6

Ingenuus

II. 187.i.11

siluolas ‘thickets’

II. 256ii.3

Luguualio

II. 250.9

nouọm ‘new’

II. 261.3

tuu[ ‘your’

II. 270.ii.4

uolt ‘wants’

III. 720.3

t]ụum ‘your’

II. 291.9

tuum ‘your’

II. 292.c.v.2

Cluụịo

II. 281.Back.3

Ingenuus

III.631.1

Ingenuus

III.735.A.2

Table 1: use of and at Vindolanda

17. Context does not allow us to know what sequence is represented by [ ].uus (Tab. Vindol. II. 160.B.4). 18. Note that all examples for the spelling given by Quintilian in fn. 11 in fact reflect /wo/; one wonders how far back the distinction goes. 19. The editors suggest adiuu[andum or ad iuu[encos. It is difficult to think of a plausible word which would involve for /wo/ here.

‘Old-Fashioned’ spelling in the Roman Empire

333

Moving on, the second case study consists of more than a hundred documents written on wax tablets from the archive of the Sulpicii, a family of bankers, which were found near Pompeii, and date to the first century AD (known as TPSulp. and edited by Camodeca 1999). One of the types of document found is contracts for loans which feature an agreement on the wax inside ‘pages’ of the tablets, and a copy in ink on the wooden outside. The outside version was (presumably) written by a scribe working for the Sulpicii, but the inside was written by the person taking out the loan themselves. We know this for a number of reasons; firstly, the standard formula begins scripsi ‘I have written’; secondly, there are instances in which one person has written on behalf of another because, we are told, the party to the contract is not literate (TPSulp. 46, 78, 98); if it were standard practice for the contract to be written by a scribe, this information would not need to be included.20 Likewise, the Greek chirographum in 78 and the one in Latin but using the Greek alphabet (115) presumably reflect the fact the writers could not speak or write Latin respectively, but, being literate in Greek, were required to write themselves rather than relying on a scribe; lastly, there are a number of instances where the spelling of the inner writing differs significantly from the more standard spelling on the outside, implying that a different person wrote the inner and outer versions of the text.21

20. On the use and practice of chirographa see Camodeca (2017, 22‒24). 21. To some extent this solves the problem of identifying old-fashioned spelling: we can assume that the scribes who wrote the exterior version used something close to the standard spelling of the time. This, however, may not be what we think of as ‘classical’ spelling in every particular: as shown in footnote 30 some scribes still wrote caussa for causa ‘case’; also millia for milia ‘thousands’ and its dative/ablative millibus for milibus appear to be standard, being used 17 times (6 of which are written by scribes) between 29 and 58 AD (milia, milibus are found three times in the writing of Eunus, who anyway tends to write geminates single, and by two other individuals at 76.3.9, undated, and 82.2.9, 43 or 45 AD,

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This is particularly characteristic of the contracts (datable to 37‒39 AD) written by one C. Nouius Eunus, whose language has been discussed by Adams (1990). Eunus’ spelling is characterised by a large number of substandard features, which include for (e.g. Cessaris ‘of Caesar’ 51.2.4, 52.2.5, 67.2.4, 68.2.4; hypercorrect petiaerit for petierit ‘he will seek’ 51.2.8), for (e.g. Iobe 68.2.12 for Ioue ‘by Jupiter’), omission of high vowels in hiatus (e.g. sesterta for setertia ‘sesterces’ 51.2.8; quator for quattuor ‘four’ 51.3.4; muta for mutua ‘on loan’ 52.2.4; tra for tria ‘three’ 52.2.7; mutos for mutuos ‘on loan’ 68.2.8), for before /r/ (petiarit for petierit ‘(s)he will seek it’ 67.2.9), omission of nasals wordfinally and before stops (nummu for nummum ‘of money’ 51.2.7, 52.2.8; Alxadrini for Alexandrini ‘Alexandrine’ 51.3.1,. 52.3.5; Septeberes 67.2.2 for Septemberes ‘September’, quiqaginta for quinquaginta ‘fifty’ 68. 2.6), writing double consonants single (redam for reddam ‘I shall give back’ 51.2.7, suma for summa ‘sum’ 52.3.4, 68. 2.9, mile for mille ‘thousand’ 68.2.5), voicing of intervocalic voiceless stops (tridici 51.3.1, tridigi 52.3.5 for tritici ‘of wheat’), syncope (Alxadrini for Alexandrini 51.3.1, Hessco for Hessuco ‘to Hessucus’ 52.2.5, redturum for rediturum ‘going to give back’ 68.2.11), epenthesis (ominia 51.3.4, ominis 52.3.4, omini 68.2.6 for omnia, omnis, omni ‘all’, Septeberes 67.2.2), general production errors (ets corrected to est ‘(s)he is’ 51.2.9, Cessasare 52.2.1, stertertios 68.2.5). Despite the many ways in which Eunus’ writing is faulty compared to the educated standard, I wish to emphasise here that he nonetheless has access to, and uses, old-fashioned spellings on occasion.22

the latter showing some sub-standard features). 22. According to Seidl (1996), Eunus did not compose the text of the interior of the tablets himself, but had it dictated to him; however, the spelling was clearly his responsibility.

‘Old-Fashioned’ spelling in the Roman Empire

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A particularly striking case is Eunus’ use of spepodi (51.2.11, 52.3.3, 67.3.5, 68.3.7), i.e. spopondi ‘I have sworn’. The form spepondi is also used in two other chirographa, of L. Faenius Eumenes (27.3.7) and L. Marius Iucundus, freedman of Dida (53.2.11). The second century AD author Aulus Gellius (6.9.12-15) tells us that the first-century BC authors Valerius Antias, Cicero and Caesar used spepondi, but spopondi is presumably the more current form by the first century AD (Adams 1990, 244; Camodeca 1999, 90), as demonstrated by its use in the scribal part of the relevant tablets, where these are preserved (51.5.9, 68.5.16, 27.1.9, 53.5.8), and also elsewhere in the archive, used by both scribes and other individuals (22.3.9, 48.3.6, 48.5.17, 69.1.3, 75.5.6, 54.5.6, 103.5.11, 57.5.10, 48.2.11, 48.5.7, 104.3.1, 63.5.14, 42.3.8, 44.3.5, 105.3.5, 2.2.8, 1bis.3.1, 7.2.7, 12.2.8, 1.2.9, 8.2.8, 6.5.6). In addition to spepo(n)di we find another old-fashioned feature of spelling showing up in the chirographa of Eunus in the form of puplicis for publicis ‘public’ (51.3.6, 52.3.7). The original form of this word in Old Latin was poplicos, but by Classical Latin this had become pūblicus (see footnote 23). The spelling publicus was well-established by the first century BC, but the change of pop- to pūb- must have taken place already by the second century, on the basis of such instances as Publio(s) (Marengo 2004, 169‒170 no. 17: third or start of the second century), Poublilia (CIL 12.42), poublicom (CIL 12.402), poublic[om] (CIL 12.403), and the scansion of the first vowel in publicus as heavy in Plautus (Sen 2015, 151). The only instance of puplic- (alongside poplic- and poblic-) prior to the TPSulp. tablets is in CIL 12.583 (= Crawford 1996 no. 1) (123‒122 BC). It seems likely that puplicus is actually a false archaism, used as part of a general tendency for Latin legal texts to use an elevated and old-fashioned register, which resulted in the maintenance (or in this case perhaps inven-

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tion) of spellings which had already tended to disappear from texts in other contexts.23 It is attested occasionally also in inscriptions later than the tablets (into the second or third century AD). Once again, the scribal portion of the tablet, where it is preserved, has the expected ‘modern’ form publicis (51.5.15), which also appears in both hands of another tablet (45.2.9 and 45.5.7). A very uncertain case is the spelling dede for dedī ‘I have given’ (51.2.13), where the second may represent the mid stage of the development of -ei- > /eː/ > /iː/ discussed above. The use of to represent /iː/ seems not have been so widespread as , no doubt because was also used for /e(ː)/ arising from inherited *e and *ē, but there are sporadic instances in informal or sub-elite texts of at least the first century AD. These cases of for /iː/ have mostly been explained as reflecting a rural or dialectal failure of -ei- > /eː/ to undergo the final raising to /iː/ found in Roman/standard Latin (Adams 2007, 138-9). In the case of those at Pompeii, such as futue for futuī ‘I fucked’ (CIL 4. 1516, 1517), se for sī ‘if’ (CIL 4.1520), amecis for amīcis (CIL 4.3152a), the effect of the Oscan substrate has been proposed by Väänänen (1966, 23; apparently accepted by Adams 1990, 231, but doubted at 2007, 443), which is possible but not attractive.24

23. The standard explanation for the change from poplicos to publicus is by contamination by pūbēs ‘manpower, adult population’, in which case a form xpūplicus presumably never existed. Alternatively, if we are dealing with a phonological change, the long vowel in the first syllable will have been conditioned by the following /b/ and must therefore have developed after -pl- > -bl- (Sen 2015, 142‒146). 24. Oscan generally preserved the diphthong /ɛi/ in spelling. There are some instances of omission of , , which may imply that the diphthong became a monophthong in speech, but apart from de(í)vaí (Saepinum 4/Sa 59), eseí (Abella 1.A 23/Cm 1a), all instances are in the genitive singular, where a morphological explanation may be preferred (see Zair 2016, 50 fn. 18; the references are first to the edition of Crawford et al. 2011,

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Instances of deuo for dīuo ‘to the god’ are attested in British curse tablets (Kropp 3.19/3 = Urbanová 294, unknown date and RIB 306 = Kropp 3.15/1 = Urbanová 289, from the 1st to the 5th century AD); in these cases the use of deuo could reflect a British pronunciation of deo ‘god’, or be a codeswitch into British Celtic, for which deuos would have been the word for ‘god’ (Adams 2007, 602). However, a similar explanation is not to hand for demediam for dīmidium ‘half’ in RIB 306. Other epigraphic cases include amẹcos for amīcos ‘friends’ (Tab. Vindol. III. 650.8) at Vindolanda; deuom for diuum (P. Oxy 44.3208 = CEL 10) at Oxyrhynchus in Egypt, from the Augustan period. In the latter case, where it is part of the formula deuom atque hominum, Adams (2007, 138 fn. 69, 149‒150, 442‒443) accepts that the use of may be an archaising spelling feature, and also adduces reported spellings of sibī ‘to him/herself’ and quasī ‘as if’ as sibe and quase by Livy, and notes that “it is sometimes impossible to say whether such a spelling represents a phonetic reality or old-fashioned orthography” (Adams 2007, 138 fn. 69). However, he is sceptical that this can be the case in either Pompeii or in the text written by Eunus: “an old-fashioned spelling … seems out of the question in obscene graffiti of this type [i.e. in Pompeii] … Eunus was not given to old-fashioned spellings; on the contrary, he spells phonetically, and was probably taking the text down from dictation … Dede must represent what he heard” (Adams 2007, 442‒443).25

followed by that of Rix 2002). No cases are found in inscriptions from Pompeii. 25. In a later work, Adams (2013, 51‒61) is much more open to the idea of old-fashioned spellings in a number of sub-elite texts, including at Pompeii (and also in a number of forms in the Terentianus and Tiberianus letters which I think are more likely to be due to confusion of short /i/ and long /eː/ after iambic shortening, in the same way as ube for ubĭ < ubī discussed just below).

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In the discussion up to now I have shown that even sub-elite writers – including Eunus – who make a number of mistakes relative to the elite written standard also have access to old-fashioned spellings. This warns us to be careful in assuming that in texts with sub-par spelling old-fashioned features may not also appear; nor that quotidian content precludes such features. It might reasonably be observed that in a text which otherwise uses for /iː/, as in the instance from Eunus or the example from Vindolanda, we ought to see use of instead as a mistake of some kind (in the case of Eunus’ dede, dittography seems possible). But we may compare the case in Terentianus’ letter of reṣc ̣ṛeibae, where appears only once in a text which otherwise uses for /iː/. There is also another possible instance of for /iː/ in the TPSulp. texts: ube for ubī (45.3.3) in the chirographum of Diognetus, slave of C. Nouius Cypaerus. However, by this stage, original ubī has probably become ubĭ by iambic shortening; the scribe writes ubI, which might imply a long vowel, but this would itself be an archaising spelling at this point.26 In this instance, therefore, could be representing the close mid /e/, which was the result of the lowering of short /i/ (and merger of quality with /eː/), since Diognetus, who uses a number of other sub-standard spellings (see Flobert 1995), also has legumenum (45.3.4‒5) for leguminum ‘of pulses’.27

26. Furthermore, i-longa is not infrequently found on short vowels in the tablets anyway: in the scribal portion of this text, note TI(berio) (5.2), TI(berii) (5.6), In (5.7, 5.8, 5.14), Item (5.10), Intercolumnia (5.11-12), legumInum (5.13). In the case of ubI and legumInum I wonder if the scribe is emphasising correct compared to Diognetus’ . 27. The same explanation will not do for Eunus’ dede, because, although dedī is an environment for iambic shortening, Eunus never writes for ĭ. Given how sub-standard his spelling otherwise is, the lack of this spelling suggests that he has not undergone the merger.

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A final instance of what might be considered ‘old-fashioned’ spelling in the tablets of Eunus is the use of rather than in Optumm Mʽa’xu/mu (68.2.10-11).28 However, while the use of seems to have been a topic of discussion already in the first century BC, usage was not settled by the time of Eunus, as is made clear by the second century AD grammarian Velius Longus (GL 7.49.19-50.7). In any case, we might expect the older spelling to last longer in this cult title of Jupiter, and the scribe also uses in Optumum (68.5.9‒10).29 Furthermore, we find in pr[o]xum[e] (15.2.4) and prox]ume (19.2.6), both in scribal tablets. On the basis of spepodi and of puplicis, it seems clear that, notwithstanding his general lack of control with regard to many of the features of standard first-century AD Latin spelling, Eunus did have enough education to have picked up some spellings which were old-fashioned for the period in which he was writing;30 they did not reflect the Latin that Eunus would have been speaking (or hearing, if Eunus was writing from dictation), and

28. Adams (1990, 231) also considers spelling of luberto (51.2.5) for līberto ‘freedman’ to be a hypercorrection on the basis of old-fashioned spellings like lŭbens for lĭbens ‘willing’. But Camodeca reads liberto. 29. He uses the abbreviation Max for Maxumum. 30. The consistent writing of double -ss- between vowels is evidence for this education, in this instance misunderstood or misremembered by Eunus (Adams 1990, 239‒240). Double -ss- was degeminated after a long vowel or diphthong around the start of the first century BC; the double spelling was used by Cicero and Virgil but was not considered standard by Quintilian (Meisser 1998, 125; Weiss 2009, 60). Apparently Eunus has been taught that some words require spelling with double -ss- but has overgeneralised (Seidl 1996, 107‒ 108). That the double -ss- spelling was still current at the time of the tablets for some writers other than Eunus (at least for one lexeme) is shown by caussa for causa ‘case’ at 27.2.5, .3.2 (individual), .4.4 (scribe; but causá .1.4) in 48 AD and at 87.3.1 (scribe) in 51 AD. Single s is found in causa at 90.2.9 (scribe) and 91.2.9 (scribe), both in 61 AD, and in promisit at 13.2.8 (scribe) and pr]ọmisIt at 14.3.3 (scribe), both after 44 AD, promisisset at 48.2.10 (individual) and .5.7 (scribe) in 48 AD, promisI at 56.5.11 (scribe) in 52 AD and 58.3.7 (individual) without date, promIsI 68.5.7 (scribe) in 39 AD, prọmiṣisse at 81.2.5 (individual) in 45 AD, and ụṣus at 101.5.7 (scribe) in 48 AD.

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so could not have been created ad hoc. Instead, they probably reflect an attempt to use formal language appropriate for the legal context of the contract which he was agreeing: spepodi is a key part of the formula of the contract, while puplicis is previously only attested in a legal text.31 It at least cannot be ruled out that the one-off use of for /iː/ in dede is also part of this nexus of context-appropriate spelling. Another instance of old-fashioned orthography, this time in a poetic context, comes from Pompeii. It appears in a wall-painting showing equipment connected with writing,32 including an open scroll containing a (more-orless) hexametric poem of four lines, whose first two lines, which are easier to read, are quisquis / ama(t) ualia(t), / peria(t) qui n/o(n) sci(t) amare / bis [t]anti pe/ria(t) quisqu/is ama[re] / uota(t) (CIL 4.1173; with note on p. 204 and p.1320; for the second pair of lines see also note on p. 461). “Whoever loves, may (s)he thrive; may (s)he perish who does not know how to love; twice over may (s)he perish who forbids loving”. This is a distich which is also known from graffiti elsewhere in Pompeii,33 most fully as quis amat ualeat pereat qui / nescit amare bis tanto quisquis amare uetat (CIL 4.4091) and cu(i)scu(i)s amat ualeat pereat qui no(n) scit amare (CIL

31. Another case of Eunus’ awareness of register may be the erasure of dico at 51.3.7 and replacement by fateor. Flobert (1995, 150) observes that fatíum means ‘to speak’ in Oscan, but is not aware that dico had been originally written; I cannot imagine a scenario in which fateor has the Oscan meaning that would require dico to be erased and replaced. Adams (2016, 219) states that “Eunus might simply have written the most banal verb possible in such a sentence and then have had it corrected”, i.e. presumably by a third party. If we follow the model of dictation to Eunus proposed by Seidl (1996) one could imagine instead that it is the person dictating who changed their mind. But it is also possible that this shows Eunus himself making an effort to use the higher register verb (it may be relevant that fateor is found also in another of his chirographa, 52.3.13, as fator, and otherwise only in one other chirographum, 54.5.12). 32. Hence the inscription is not a graffito, as often described. 33. In fact, it was the discovery of the other examples at Pompeii which made clearer the reading of CIL 4.1173.

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4.3199), and now also at Rome, quisquis amat ualeat pe/reat qui{s} nescit amare{m} / bis tanto pereat qui{s} amare uetat (Caruso et al. 2014, 201; 105‒109 AD). The non-standard nature of CIL 4.1173 has been frequently observed (e.g. Väänänen 1981, 274; Baldi 2002, 237); in terms of spelling, the raising of e to i in hiatus is represented in ualia for ualeat, peria for pereat, loss of nasals before obstruents in nosci for non scit, and the loss of final -t in ama, ualia, peria, nosci, uota.34 However, uota for uetat ‘forbids’ also shows an old-fashioned use of uotfor /wet-/: the sound change had taken place by the last quarter of the second century BC (Weiss 2009, 140); the standard spelling was presumably uet- by the first century AD.35 Milnor (2014, 184‒188) has emphasised the existence of a ‘popular’ poetry revealed to us by the graffiti at Pompeii, with the phrase quisquis amat plus iussive verb acting as “a kind of generic marker – a signal to the reader that the author is embarking upon writing an erotic epigram in a ‘popular’ mode” (Milnor 2014, 186). It seems plausible that the usage of the oldfashioned spelling uot- may have been occasioned by the attempt to include in the image a ‘traditional’ verse in an appropriately poetic (and hence archaising) register. What conclusions can be drawn from these case studies? Firstly, that spelling which we (perhaps anachronistically) consider, and probably (at

34. In terms of grammar, also the use of the genitive of price in bis tanti ‘twice as much’, in place of the ablative of difference bis tanto in CIL 4.4091 and the version from Rome. 35. Quintilian’s (1.7.25) comment is “what shall I say about ‘uortices’ and ‘uorsus’ and other words of the same type?”, which is difficult to interpret (quid dicam ‘uortices’ et ‘uorsus’ ceteraque ad eundem modum). But the spellings discussed just before and directly after are both clearly to be seen as old-fashioned.

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least some of) the first century AD elite would have considered, old-fashioned, can be found in sub-elite texts of the first century and later. Certain contexts - of education or register - may have favoured it: the army seems to have been the venue for a conservative training in writing, which favoured the retention of older spellings; the formalised tradition of written contracts may have spurred on Nouius Eunus to include archaisms like spepodi; uota may have had an appropriately poetical ring to it for the artist of CIL 4.1173. But we can certainly find instances where there are no obvious reasons to elicit old-fashioned spelling. Another example from Pompeii can illustrate this. This consists of a series of four scenes from a tavern wall, with the words spoken by the characters painted alongside them in each panel (CIL 4.3494, with 1363‒1364). The painting can be dated to between 62 and 79 AD. The language of these inscriptions has tended to be analysed as ‘vulgar’ or sub-standard, and there are some features of spoken Latin.36 However, in a recent discussion of the text, Clackson (2016, 84) has concluded that “[t]he tavern conversation is … perhaps less far removed from ‘classical Latin’ than has sometimes been thought”. The spelling, on the other hand has at least one definitely old-fashioned feature, uol for uult; for is also considered old-fashioned by Clackson, but here we run into difficulties of definition: it does seem fairly likely that elite writers at this time would use , but is not uncommon at Pompeii (Väänänen 1966, 64‒65) or Vindolanda (Adams 1995, 90–91). Most striking, perhaps, is the use of for /g/ in eco for ego ‘I’, having been invented in the third

36. Lack of -t in uol for uult ‘wants’, loss of -o in the stereotyped phrase orte for oro te ‘I beg you; please’, and active rixsatis for deponent rixamini ‘you’re fighting’.

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century BC, but this can probably be attributed to the small size of the writing, in limited space and using a brush, such that the one-stroke difference between and was just hard to write and/or is hard to make out.37 My examination of the painting itself (Museo Archeologico Nazionale di Napoli, 01/07/2017), however, suggests the possible existence of another old-fashioned feature. The text given in CIL has, in the fourth panel, the sequence noxsi · / a me / tria · /eco / fui, with the being spelt as two vertical lines II. However, following the of me there are in fact three strokes, thus: III.38 James Clackson (p.c.) has made the brilliant suggestion that the third stroke could be the descender of a , the cross stroke having been lost in the damage to the plaster that runs between, and to some extent through, the first two lines. And if so, that the word would be met, which could be a spelling for med, the old ablative singular of ‘I’.39 If this is correct, there is no question about such a form being highly archaic; in our

37. On for in Pompeii, see Väänänen (1966, 53): “simples erreurs d’écriture”. 38. Just visible in the image at Capaldi-Zevi (2017, 264‒265); harder to make out at VaroneStefani (2009, 334). My own photo, which shows this far more clearly, can be found online at https://greekinitaly.wordpress.com/2017/07/28/hail-fellow-well-met-a-follow-up-to-gamblingin-greek/. Three strokes are clearly represented also in the 19th century reproductions of a drawing by Discanno of the Pompeiian painting, at Fiorelli (1876, Table VI) and Presuhn (1878, Abtheilung V, Plate VI and VII). These do not mark any damage, but this does not necessarily mean it was not there. The later reproduction, it must be admitted, is highly inaccurate, at least as regards the images, portraying the woman in the first scene as a man (despite Presuhn’s, Abtheilung V, p. 4, description of it as depicting “einen Mann und eine Frau …, welche sich küssen”), and showing the two men in scene 4 as having swapped cloaks (or beards) since scene 3. 39. On -t for -d, see Adams (2013, 157‒162), and note that the following word begins with /t/.

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literary texts, only Plautus preserves it,40 and final -d after long vowels had been lost by the mid third century BC (Meiser 1998, 100). There is no obvious contextual reason why the painter of these words should have used old-fashioned spellings. Although some of the activities in the pictures have been likened to Plautine scenes (Laurence 2007, 100), none of the language used is particularly Plautine or theatrical. It seems likely that uol(t), met (if correct) was just how they had learnt to write uult, me. On the basis of looking at a range of sub-elite texts, my feeling is that the case studies I have used here are not unusual, indeed that old-fashioned spelling is relatively frequent in sub-elite and sub-standard texts. Speaking purely speculatively, I would even hazard a guess that old-fashioned spelling was more prevalent – or at least lasted longer – in this type of text than in those written by the elite.41 If so, it might have survived longer in this context either because sub-elite writers were out of touch with the changing habits of the elite; or because it had a prestige value as a marker of education in sub-elite writers, and as a ‘unique selling point’ among teachers of literacy. But more rigorous analysis of the full range of evidence is required if this suggestion is to be substantiated.

40. See TLL s.v. ego, 5.2.256.60. In the manuscripts it is maintained only before a vowel, where it prevents elision. Otherwise me is written. The form med is only attested inscriptionally as an accusative; the latest example (CIL 12.477) is from the third or second century BC (Agostiniani 1982, 148) or c. 150 BC (Caruso in Friggeri-Granino CecereGregori 2012, 29). 41. Here, of course, the risk of circularity comes in, if ‘old-fashioned’ is taken to mean ‘not used in elite texts’.

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Mittelalter und Neuzeit

Die Macht der Buchstaben: Schrift und Identität im modernen Südasien Carmen Brandt Universität Bonn

Dass die hohe sprachliche Heterogenität Südasiens eine Herausforderung für fast alle südasiatischen Staaten und deren Bürger darstellt, ist bereits Thema zahlreicher Studien.1 Nur marginale Beachtung findet in diesem Zusammenhang jedoch die Rolle von Schrift,2 die oftmals lediglich als Anhängsel einer Sprache wahrgenommen wird. Bei genauer Betrachtung wird jedoch sichtbar, dass nicht nur die hohe Anzahl an Schriften, sondern auch die identitätspolitische Bedeutung von Schrift in den letzten Jahrzehnten zu einer Vielzahl von neuen Herausforderungen und Konflikten geführt hat. Sowohl die Frage, welcher Natur diese Konflikte und deren historische Hintergründe sind, als auch ein Überblick, der die Komplexität von Schrift in Südasien illustriert, stehen im ersten Teil dieses Beitrags im Mittelpunkt, während im zweiten drei Schriftbewegungen, jeweils ein Fallbeispiel aus Indien, Pakistan und Bangladesch, zu denen ich vor Ort geforscht habe,

1. Vgl. z.B. die Publikationen zu Südasien im Allgemeinen (Hock & Bashir 2016; Kachru, Kachru & Sridhar 2008), zu Indien (Kothari 2018) und Pakistan (Rahman 1996). 2. Vgl. z.B. Bashir 2016; Brandt 2014; Brandt & Sohoni 2018.

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vergleichend vorgestellt werden. Der erste Teil, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, soll insbesondere die Notwendigkeit, sich vermehrt auch soziolinguistisch mit dem Thema Schrift im gegenwärtigen, aber auch vergangenen Südasien zu beschäftigen, verdeutlichen, während der Vergleich von Fallstudien aus Indien, Pakistan und Bangladesch ermöglicht, nicht nur das Phänomen wachsender Schriftbewegungen in Südasien besser zu verstehen, sondern auch Schlüsse auf den staatlichen Umgang mit ethnolinguistischen und religiösen Minderheiten in diesen drei Ländern, von denen große Teile vor 1947 Britisch-Indien bildeten, zulässt. 1. Das Phänomen Schrift in Europa und Südasien im Vergleich Während Europa im Vergleich zu Asien heutzutage fast als monoschriftlicher Kontinent3 klassifiziert werden kann, kennt man auch aus dieser Region schriftpolitische Phänomene, die bereits umfangreich untersucht wurden und uns somit dabei helfen können, ähnliche Phänomene in Südasien zu verstehen. So sind die Schriftreform im Jahre 1928 in der Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk, bei der die arabische Schrift durch die Lateinschrift für die türkische Sprache ersetzt wurde,4 und die Schriftreformen für zahlreiche Sprachen in der linguistisch sehr heterogenen Sowjetunion5 in den 1920er und 1930er Jahren die zwei wichtigsten Beispiele aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein weiteres Beispiel ist die Trennung der serbokroatischen6 Sprache vor allem aufgrund der Verwendung verschiedener

3. Neben der dominanten Lateinschrift, vor allem in West-, Süd- und Nordeuropa, werden in einigen ost- und südosteuropäischen Ländern die kyrillische, in Griechenland die griechische und in der Kaukasusregion zudem die armenische und georgische Schrift verwendet. Der Begriff „monoschriftlich“ bezieht sich aber vor allem auch auf die Tatsache, dass die meisten Sprachen in lediglich einer Schrift wiedergegeben werden. 4. Vgl. z.B. Lewis 1999. 5. Vgl. z.B. Baldauf 1993 und Frings 2007. 6. Linguisten zählen zudem das Bosnische zu diesen beiden politisch motiviert getrennten Sprachen und verwenden dafür oftmals lediglich die Abkürzung BKS (Bosnisch/Kroatisch/

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Schriften nach dem Zerfall Jugoslawiens.7 Serbisch wird offiziell in der kyrillischen Schrift wiedergegeben und Bosnisch in der Lateinschrift, auch wenn die Realität wesentlich komplexer ist und z.B. Serbisch auch weiterhin von vielen Sprechern in der Lateinschrift festgehalten wird. Die meisten anderen Schriftphänomene in Europa liegen entweder länger zurück, wie z.B. die Verbreitung der Lateinschrift in Europa und der damit verbundene Niedergang anderer Schriften (z.B. der Oghamschrift8 und der Runen9), oder betreffen lediglich graphische Varietäten einer Schrift, wie z.B. die Fraktur- und Sütterlinschrift des lateinischen Alphabets.10 Während z.B. der staatliche Gebrauch der Frakturschrift im Dritten Reich im Vergleich zur Antiquavariante, die heute fast ausschließlich für die Lateinschrift verwendet wird, politisch besonders aufgeladen war und auch noch heute entsprechende Assoziationen hervorruft, löst die Verwendung der Lateinschrift für eine Vielzahl von europäischen Sprachen (wenn auch mit oftmals zusätzlichen Buchstaben und diakritischen Zeichen) ansonsten kaum identitätspolitische Spannungen aus, wie man sie aus Südasien kennt. Tatsächlich haben heutzutage Menschen in Europa zur Schrift ihrer Erstsprache in den meisten Fällen ein recht neutrales Verhältnis, insbesondere wenn diese Schrift seit Jahrhunderten auch für andere Sprachen Verwendung findet. Je exklusiver jedoch eine Schrift ist, umso stärker scheint auch der identitätspolitische Bezug zu dieser zu sein, wie z.B. im Falle der arme-

Serbisch). Diese Bezeichnung schließt jedoch die montenegrinische Sprache aus, die mit diesen drei Sprachvarietäten, besonders mit dem Serbischen, eng verwandt und die jüngste dieser vier Sprachen ist. Erst 2007 erhielt sie einen offiziellen Status, als sie zur Amtssprache Montenegros erklärt wurde. 7. Vgl. z.B. Bunčić 2016. 8. Vgl. z.B. Ziegler 1994. 9. Vgl. z.B. Spurkland 2005. 10. Vgl. z.B. Spitzmüller & Bunčić 2016.

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nischen, georgischen und griechischen Schrift. In diesen drei Fällen scheinen vor allem die fast exklusive11 Benutzung für die Sprachen mit identischem Namen in der Gegenwart und das erhebliche Alter der Schrift12 und Literaturtradition in dieser die zwei wichtigsten Faktoren für die Bedeutung dieser Schriften für die moderne Nationenbildung der Armenier, Georgier und Griechen zu bilden. Auch Südasien verfügt über sehr alte Schriften, z.B. über die Brahmi-13 und Kharoshthi-Schrift,14 die jedoch heute ‒ anders als die Latein-, armenische, georgische oder griechische Schrift ‒ nicht mehr in Gebrauch sind. Stattdessen gab es eine Vielzahl von Weiterentwicklungen der in Südasien entstandenen Brahmi-Schrift, zu denen Schriften, die zweifelsohne außerhalb Südasiens entwickelt wurden, wie z.B. die perso-arabische15 und Lateinschrift, hinzukamen. Während Schriften früher oftmals eher an bestimmte Regionen und nicht einzelne Sprachen gebunden waren, fanden im

11. Die georgische Schrift wird heute freiwillig auch für andere Sprachen, insbesondere Minderheitensprachen innerhalb Georgiens, z.B. für die lasische Sprache, benutzt oder wurde zwangsweise im Laufe des 20. Jahrhunderts lediglich für eine begrenzte Zeit für andere Sprachen, z.B. für Abchasisch und Ossestisch, verwendet. Das griechische Alphabet wurde in der Vergangenheit zwar auch für andere antike Sprachen verwendet, z.B. Phrygisch, jedoch heute kaum und wenn, dann lediglich punktuell für andere moderne Sprachen, wie z.B. Aromunisch. 12. Die Entstehung der griechischen Schrift wird heute auf das 9./8. Jahrhundert v.u.Z., die der armenischen auf die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts u.Z. und die der georgischen Schrift ebenfalls auf das 5. Jahrhundert u.Z. datiert. 13. Aufgrund der Vielzahl von Sprachen und Schriften, aus denen Begriffe in diesem Beitrag verwendet werden, wird auf eine Transliteration dieser verzichtet, wenn es sich um weithin bekannte Wörter handelt. 14. Beide Schriften wurden z.B. auch für die sogenannten Ashoka-Edikte im 3. Jahrhundert v.u.Z. verwendet. Vgl. Publikationen zur Brahmi- und Kharoshthi-Schrift, z.B. Baums 2016; Falk 1993; Salomon 1998. 15. Da sich diese Schrift insbesondere, aber nicht ausschließlich über die persische Sprache und deren Variante der arabischen Schrift in Südasien verbreitet hat, bevorzuge ich die Bezeichnung „perso-arabische Schrift“.

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Laufe der Zeit aufgrund verschiedener Faktoren starke Ausdifferenzierungen und als Resultat exklusive Assoziationen von einzelnen Schriften mit lediglich einer Sprache, Ethnizität und/oder Religion statt, die heute mehr denn je Konfliktpotential bergen. 1.1. Überblick über Schriftphänomene im gegenwärtigen Südasien Aufgrund der Ausdifferenzierungsprozesse in den letzten 2.300 Jahren, die leider noch immer nur marginal untersucht sind, wurden auf Grundlage der Brahmi-Schrift eine Vielzahl von Schriften entwickelt, von denen noch heute eine hohe Anzahl sowohl in Südasien und Südostasien als auch teilweise in Zentralasien, z.B. die tibetische Schrift, Verwendung findet. Die recht gut nachvollziehbare Entwicklung der tibetischen Schrift16 im 7. Jahrhundert verdeutlicht, dass auch im vormodernen Asien Schriften Ergebnisse politischer Veränderungen sein konnten. Inwiefern die Ausdifferenzierung von Schriftlichkeit auch im Falle autochthoner südasiatischer Schriften ein Teil politischer Prozesse war, ist nicht eindeutig belegt. Jedoch deuten die dominante Assoziation einiger Schriften mit bestimmten Reichen und deren vorherrschende Verwendung innerhalb dieser geopolitischen Entitäten, z.B. der Gupta-Schrift im Gupta-Reich (ca. 320 bis 550 u.Z.) und der Grantha-Schrift im Pallava-Reich (ca. 275 bis 897 u.Z.), darauf hin, dass Herrscher, wie im Falle der tibetischen Schrift, als Patrone von Schriften fungierten bzw. die Verwendung und Standardisierung spezifischer Schriften unterstützten.17 Ob hier eine bewusste identitätspolitisch motivierte Abgrenzung zu anderen Sprachen, Schriften und sogar Reichen intendiert war oder ob die Weiterentwicklung von Schriften vornehmlich Ergebnis von Anpassungen an Schreibmaterialien und -praktiken war und

16. Vgl. z.B. Schaik 2011. 17. Vgl. z.B. Kannaiyan 2000 (1960), 5f.

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der besseren Darstellung spezifischer Phonetik diente, bedarf genauerer Untersuchungen, die jedoch aufgrund der ungenügenden Quellenlage in den meisten Fällen wohl nicht mehr möglich sein werden. Zu diesen autochthonen Schriften kommen im gegenwärtigen Südasien Schriftarten hinzu, die entweder außerhalb Südasiens entstanden sind oder erst in der jüngeren Vergangenheit entwickelt wurden. Allein die Schriftvielfalt in Indien ist mit keinem anderen Staat vergleichbar. So gab der People’s Linguistic Survey of India (PLSI)18 im Jahr 2013 an, dass in Indien 780 Sprachen gesprochen und 86 verschiedene Schriften verwendet werden. Zwar wird aus dieser Zahl nicht ersichtlich, wie verbreitet die Verwendung dieser Schriften ist, jedoch werden bereits für die 23 offiziell von der indischen Verfassung anerkannten Sprachen 13 Schriften19 verwendet, in denen entsprechend umfangreich Literatur und Schulmaterialien mit zentralstaatlicher Unterstützung produziert werden. Die 28 indischen Bundesstaaten und 8 Unionsterritorien verfügen wiederum über eine Vielzahl weiterer anerkannter Sprachen mit zum Teil eigenen Schriften. Zweifelsohne ist Indien mit seiner Einwohnerzahl von ungefähr 1,4 Milliarden Menschen

18. Der People’s Linguistic Survey of India geht auf eine Initiative von nichtstaatlichen Akteuren, u.a. auch Linguisten, zurück, die sich u.a. für den Erhalt von Minderheitensprachen, die noch immer über keine schriftliche Literatur verfügen, einsetzen. Vgl. z.B. dessen Webseite: http://www.peopleslinguisticsurvey.org/. 19. Bereits an den 13 Schriften für die 23 offiziellen Sprachen wird die Komplexität der Schriftverwendung im gegenwärtigen Indien sichtbar: Obwohl diese Schriften oftmals für mehrere Sprachen verwendet werden, verweist ihr Name in vielen Fällen lediglich auf die Sprache mit der größten Sprecherzahl. Dies ist der Fall für die sogenannte bengalische (= Ost-Nagari), Gujarati-, Kannada-, Malayalam-, Oriya-, Tamil- und Telugu-Schrift. Die Meitei Mayek wird momentan tatsächlich nur für Meitei (offiziell: Manipuri) benutzt. Andere Schriften beinhalten zwar nicht den Namen der Sprache, deren Gebrauch ist heute jedoch, wie im Falle der Meitei Mayek, lediglich auf eine Sprache begrenzt: die GurmukhiSchrift für Pandschabi und die Ol Chiki für Santali. Sowohl die moderne Nagari (offiziell: Devanagari) und die Lateinschrift als auch Varianten der perso-arabischen Schrift finden für verschiedene Sprachen Verwendung.

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der südasiatische Staat mit der höchsten Anzahl von Sprachen und Schriften, allerdings kann man identitätspolitische Bestrebungen im Zusammenhang mit Schrift auch in allen anderen Ländern des Subkontinents ‒ teilweise auch Staatsgrenzen übergreifend ‒ beobachten bzw. sind einige Schriftphänomene eng mit der Entstehung der modernen südasiatischen Staaten verknüpft. Bevor jedoch auf diese historischen Hintergründe näher eingegangen wird, werden im Folgenden die weit verbreiteten Schriftphänomene im gegenwärtigen Südasien mit entsprechenden Beispielen vorgestellt. Mehrschriftigkeit Das einzige umfangreich untersuchte Beispiel in Südasien für Mehrschriftigkeit20 ist Hindi/Urdu.21 Während sowohl Grundvokabular,22 Grammatik als auch Syntax nahezu identisch sind, entlehnt Hindi für Fachsprachen, z.B. in Bezug auf Politik und Religion, aber auch im gehobenen Stil öffentlicher Diskurse, vorwiegend Wörter aus dem Sanskrit und Urdu aus dem Arabischen und Persischen. Als Hauptunterscheidungsmerkmal werden jedoch die moderne Nagari23 für Hindi und die Nastaliq, eine Vari-

20. Insbesondere Hindi/Urdu gilt als Paradebeispiel für Zweischriftigkeit bzw. Digraphie. Jedoch wird neben der perso-arabischen Schrift und der modernen Nagari auch die Lateinschrift für diese Sprache verwendet, auch wenn diese keinen offiziellen Status genießt. Auch sonst liegen im Falle von Südasien zumeist Fälle von Mehr- und nicht Zweischriftigkeit vor. 21. Vgl. Brandt 2016; Hakala 2016; Rahman 2011. 22. Während Urdu nach wie vor viele Wörter aus dem Persischen und Arabischen verwendet, sowohl im Grundvokabular als auch im Bereich der Fachsprachen (z.B. Politik und Religion), verfügt das Hindi für Fachsprachen mittlerweile über ein breites Vokabular aus dem Sanskrit. Im Hindi-Grundvokabular gibt es noch immer eine sehr hohe Anzahl von Wörtern, die perso-arabischen Ursprungs sind (vgl. Kuczkiewicz-Fraś 2008 & 2012). 23. Statt der offiziellen Bezeichnung „Devanagari“ (vgl. z.B. Government of India 2009, 212) bevorzuge ich den Begriff „moderne Nagari“ (bzw. Modern Nagari in Englisch), da der Name „Devanagari“ (Sanskrit: devanāgarī) ein Neologismus ist, der eng mit der politischen und religiösen (deva = „Gott“, „göttlich“) Aufwertung dieser Schrift verbunden

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ante der perso-arabischen Schrift, die zunächst für die persische Sprache spezifisch war, für Urdu wahrgenommen. Und obwohl Hindi/Urdu auf dem Gebiet des heutigen Indiens entstand, ist Urdu heute die Nationalsprache Pakistans und Hindi neben Englisch die Amtssprache Indiens auf zentralstaatlicher Ebene. Ein ähnliches Beispiel von Mehrschriftigkeit ist das Festhalten der tamilischen Sprache in der gleichnamigen und der perso-arabischen Schrift. Im letztgenannten Fall wird diese dann Arwi genannt und verfügt zudem über eine umfangreiche arabische Lexik, die in diese Varietät des Tamils Eingang gefunden hat.24 Im Gegensatz zu Urdu wird in Arwi heute kaum noch Literatur produziert und die meisten tamilischen Muslime praktizieren diese Sprache nicht mehr, auch wenn ihre Grundlagen nach wie vor Bestandteil des Lehrplans einiger islamischer Bildungsinstitutionen im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu und in Sri Lanka sind und sich punktuell für deren Wiederbelebung ausgesprochen wird.25 Die vornehmlich visuelle Trennung von Hindi/Urdu und Arwi/Tamil wird auch durch die unterschiedlichen Namen deutlich, während es in Südasien auch zahlreiche Fälle von Mehrschriftigkeit gibt, bei denen die Sprache, auch wenn sie in unterschiedlichen Schriften wiedergegeben wird, denselben Namen trägt. Dies trifft z.B. für Pandschabi zu, das in Indien vornehmlich und auch offiziell in der Gurmukhi und nur selten in der modernen Nagari geschrieben wird und in Pakistan fast ausschließlich in der perso-arabischen Schrift, die in diesem Fall Shahmukhi genannt wird. Auch Konkani wird in mehr als einer Schrift geschrieben und dann in der Regel auch als Konkani bezeichnet: in der modernen Nagari (offiziell), der sogenannten Kannada-Schrift, der sogenannten Malayalam-Schrift, der

ist (Brandt & Sohoni 2018, 8). 24. Vgl. z.B. Tschacher 2018. 25. Vgl. z.B. Nainar 2019.

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Lateinschrift und der perso-arabischen Schrift. Die Wahl der Schrift kann sich entweder nach der Region, in der die Konkani-Sprecher leben, und deren jeweiliger Mehrheitssprache und deren Schrift (Kannada und Malayalam) oder nach der Religion der Sprecher richten ‒ Christentum (Lateinschrift), Hinduismus (Nagari) und Islam (perso-arabische Schrift) ‒, wobei diese Zuschreibungen in der Realität nicht so streng sind, sondern viel mehr Erklärungsmuster für die Bevorzugung einer Schrift darstellen.26 So wie bei Hindi/Urdu, Pandschabi und Konkani haben die modernen staatlichen (z.B. Hindi/Urdu und Pandschabi in Indien und Pakistan) und bundesstaatlichen Grenzen im Falle von Indien (z.B. Konkani in Malayalam-Schrift in Kerala und in Kannada-Schrift in Karnataka) und die staatlich geförderte Mehrheitssprache bzw. lingua franca (im Falle von Urdu und Pakistan) und deren Schrift auch einen erheblichen Einfluss auf die Schriftwahl von einer Vielzahl anderer Sprachen. Überwiegend sind davon Sprachen betroffen, die über keine lange und umfangreiche schriftliche Literaturtradition verfügen, d.h. sogenannte Stammessprachen,27 deren Sprecher oftmals über mehrere indische Bundesstaaten oder sogar südasiatische Länder verteilt leben: Gondi z.B. in der modernen Nagari in Madhya Pradesh und der Telegu-Schrift in Telangana, Ho z.B. in der modernen Nagari in Jharkhand, der Oriya-Schrift in Orissa und der Telugu-Schrift in Telangana, Santali z.B. in der modernen Nagari

26. Vgl. Sarangi 2018. 27. Die offizielle Bezeichnung für Gruppen dieser Sprachen ist in Indien „tribe“ bzw. „Scheduled Tribe“, da sie in einem entsprechenden Zusatz der Verfassung ‒ The Constitution (Scheduled Tribes) Order, 1950 ‒ aufgelistet („scheduled“) sind. Aktivisten dieser Gruppen lehnen jedoch den Begriff „tribe“ bzw. „Stamm“ ab und bevorzugen ādivāsī (anglisiert: Adivasi), ein Neologismus aus dem Sanskrit, der u.a. mit „Ureinwohner“ übersetzt werden kann. Auch in Bangladesch bevorzugen z.B. die Chakmas die Bezeichnung „Adivasi“, die ihnen der Staat jedoch nicht offiziell zugesteht.

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in Jharkhand, der Oriya-Schrift in Orissa und der Ost-Nagari28 bzw. sogenannten bengalischen Schrift in Westbengalen und Bangladesch und Sora z.B. in der Oriya-Schrift in Orissa und der Telugu-Schrift in Telangana. Während in den meisten Fällen, die modernen Grenzen durch das traditionelle Siedlungsgebiet dieser ethnolinguistischen Gruppen führen und somit andere Mehrheitssprachen das öffentliche Leben (Bildungsinstitutionen, Administration und Medien) dominieren, gibt es auch Ethnien, von denen Bevölkerungsteile während der britischen Kolonialzeit in anderen Regionen zwangsangesiedelt wurden, z.B. Santals und Soras von Zentral- und Ostindien ins nordostindische Assam als Arbeiter in den Teeplantagen. Zu den Regionalschriften, die von den Sprechern dieser Gruppen, die mehrheitlich mindestens zweisprachig aufwachsen, übernommen wurden, kommen zudem noch die Lateinschrift und Schriften, die insbesondere eigens für diese Sprachen entwickelt wurden, hinzu. Dass vor allem im gegenwärtigen Indien so viele Sprachen in jeweils unterschiedlichen Schriften geschrieben werden, ist jedoch kein exklusives Phänomen der Moderne, sondern war z.B. auch für Sanskrit die Regel, das u.a. in verschiedenen Varianten der Nagari im Norden und Nordwesten Südasiens, der Ost-Nagari im Osten und der Grantha-Schrift im Süden festgehalten wurde. Eine Schrift für mehrere Sprachen Die oben genannten Schriften, die man in den verschiedenen Regionen für Sanskrit benutzte, wurden jedoch auch für andere Sprachen, zumeist für Vorstufen der modernen Regionalsprachen, in den jeweiligen Gebieten ver-

28. Auch wenn die Internationale Organisation für Normung diese Schrift als „Bengali“ listet, bevorzuge ich den aus der Epigraphik bekannten neutraleren Begriff „Ost-Nagari“ (bzw. Eastern Nagari), da diese Schrift seit Jahrhunderten auch für andere Sprachen, insbesondere für das Assamesische, verwendet wird. Die politische Brisanz, die aus der Bezeichnung dieser Schrift als „Bengali“ entstanden ist, wird unten deutlich.

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wendet, die wiederum in einigen Fällen in weiteren Schriften festgehalten wurden, so z.B. Malayalam in der Kolezhuthu-, Malayanma- oder Vateluttu-Schrift29, wobei sich letztendlich jedoch aus der Grantha-Schrift die moderne Malayalam-, aber auch die Tamil- und die singhalesische Schrift (Sri Lanka) entwickelten. Wie aus den Namen dieser beiden modernen Schriften deutlich wird, werden diese im gegenwärtigen Südasien vornehmlich jeweils mit einer bestimmten Sprache assoziiert, obwohl sie in der Regel auch für weitere Sprachen benutzt werden. Hierbei handelt es sich wiederum um Sprachen, die oftmals keine lange bzw. keine schriftliche Literaturtradition haben. Im Gegensatz zu der ausgeprägten Schriftvielfalt in Südindien, wo die vier größten Sprachen heute eine „eigene“ Schrift haben ‒ Kannada, Malayalam, Tamil und Telugu ‒, teilen sich heute im Nordwesten und Nordosten auch Sprachen, die über eine lange schriftliche Literaturtradition verfügen, die gleiche Schrift, so z.B. die moderne Nagari für Bhojpuri, Braj Bhasha, Dogri, Hindi, Konkani, Marathi etc. und die Ost-Nagari für Assamesisch, Bengalisch, Bishnupriya und Meitei (offiziell: Manipuri), wobei für einige dieser Sprachen, wie z.B. Dogri und Meitei, auch andere Schriften verwendet wurden und werden. In Pakistan wird Dogri heute vornehmlich in der perso-arabischen Schrift und in Indien in der modernen Nagari geschrieben, obwohl die Sprache bis Mitte des 19. Jahrhunderts offiziell im Fürstentum Jammu und Kaschmir in einer eigenen Schrift festgehalten wurde.30 Meitei wird heute zwar noch immer überwiegend in der Ost-Nagari wiedergegeben, z.B. in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften, aber offiziell in der Meitei Mayek, einer Schrift, die in der Region, in der Meitei gesprochen wird, im indischen Bundesstaat Manipur in Nordostindien, bereits früher Verwendung fand.

29. Diese wurde wiederum auch für Tamil verwendet. 30. Vgl. z.B. Pandey 2015.

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Schriftwiederbelebungen und -erfindungen im modernen Südasien Neben der Meitei Mayek für Meitei, der tibetischen Schrift für Balti und der Chakma-Schrift für Chakma, deren Wiederbelebungsbestrebungen im zweiten Teil dieses Beitrags vergleichend diskutiert werden, gibt es weitere Schriften, die wiedereingeführt werden sollen: in Nordostindien die Lepcha-Schrift für Lepcha, in Südindien die Saurashtri-Schrift für Saurashtri und die Tigalari für Tulu und in Nepal die Limbu-Schrift für Limbu. Während die Verwendung dieser Schriften in den jeweiligen Regionen tatsächlich nachgewiesen werden kann, gibt es andere, für die in einigen Fällen Gleiches behauptet wird, die jedoch erst im 20. und 21. Jahrhundert für bestimmte Sprachen entwickelt wurden.31 Dabei handelt es sich in der Regel um die bereits oben erwähnten sogenannten Stammessprachen, die bis ins 19. Jahrhundert nicht schriftlich festgehalten wurden und oftmals noch immer über keine umfangreiche schriftliche Literaturtradition verfügen. Bei diesen Schrifterfindungen des 20. und zum Teil 21. Jahrhunderts (z.B. Toto und Wancho) handelt es sich z.B. um die Varang Kshiti für Ho (Indien), die Ol Chiki für Santali (Indien), die Sorang Sompeng für Sora (Indien), die Tikamuli (Nepal) und Jenticha (Indien) für Sunuwar und viele weitere Schriften, die nicht über einen spezifischen Namen verfügen, z.B. für Gondi (Indien), Mru (Bangladesch), Naga-Sprachen (Indien), Toto (Indien), Wancho (Indien), aber auch weitere Schriften für Ho, Santali und Sora, die sich nicht ‒ wie die anderen drei ‒ durchsetzen konnten. Diese Beispiele und

31. Während in manchen Fällen, wie z.B. bei der Ol Chiki (Brandt 2014, 89–91) und der erst jüngst erfundenen Schrift für Wancho (vgl. Everson 2017), Urheber der Schriften deutlich machen, dass sie diese selbst kreiert bzw. erfunden haben, wird in anderen Fällen berichtet, dass die Schrift z.B. in einem Traum von einer göttlichen Macht oder aus der Vergangenheit empfangen wurde. Diese Form des Narrativs geht oftmals einher mit Geschichten, die davon berichten, dass die eigene Gruppe über eine schriftliche Literaturtradition verfügt hat, jedoch z.B. auf der Flucht diese verlor oder dass ein Tier, z.B. eine Ziege, alle Dokumente auffraß (vgl. z.B. Blackburn 2010).

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noch zahlreiche weitere Schrifterfindungen und -wiederbelebungsversuche im modernen Südasien verdeutlichen besonders, dass die Bedeutung von Schrift in den letzten 100 Jahren enorm gewachsen ist und Schrift offensichtlich mehr denn je Dreh- und Angelpunkt von Identitätspolitik geworden ist. Der Beginn dieser Bedeutungszunahme scheint in der Wahrnehmung von Schriften als „fremd“ oder „eigen“ zu liegen,32 weshalb sich das nächste Unterkapitel zunächst den Hintergründen und Auswirkungen der Verbreitung nichtautochthoner Schriften in Südasien widmet. 1.2. Verwendung nichtautochthoner Schriften in Südasien Wie bereits oben deutlich wurde, spielen auch Schriften, die außerhalb Südasiens entwickelt wurden, im gegenwärtigen Südasien eine wichtige Rolle. Dazu gehören Schriften, die exklusiv für Sprachen verwendet werden, die auch ihren Ursprung außerhalb Südasiens haben, wie z.B. die armenische Schrift innerhalb der mittlerweile sehr kleinen armenischen Gemeinde in Indien. Zwei weitere Schriften, die nicht autochthon in Südasien sind, aber dennoch eine breite Verwendung für einheimische Sprachen finden, sind die perso-arabische und die Lateinschrift. Die perso-arabische Schrift Warum und wie die perso-arabische Schrift sich so stark in Südasien verbreiten konnte und ob eine Intention und gegebenenfalls welche dieser Verbreitung vorausging, ist unklar, selbst wenn diese heute oftmals angenommen wird. So schreibt der Historiker Richard M. Eaton Folgendes zur perso-arabischen Schrift im Kontext der Verbreitung des Islams in Südasien:

32. Für einen spannenden Beitrag zu diesem Themenkomplex mit Beispielen auch aus anderen Regionen siehe Unseth 2005.

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One finds considerable variation, for example, in the ways that scripts served as vehicles for the transmission of Islamic traditions in India. One way this was accomplished was by adapting the Arabic script, which is phonetic and hence easily portable across language barriers, to existing vernacular languages. […] As had occurred earlier in Iran, the use of the Perso-Arabic script greatly facilitated the direct transmission of Islamic terms and the ideas they carried into Indian vernacular traditions.33

Zweifelsohne sind die Verbreitung des Islams in den unterschiedlichen Regionen Südasiens und die Etablierung muslimisch geprägter Reiche ‒ des Sultanats von Delhi (1206–1526) und des Mogulreiches (1526–1858) ‒ eng mit der Übernahme der perso-arabischen Schrift auch für südasiatische Sprachen verknüpft, jedoch muss infrage gestellt werden, ob die perso-arabische Schrift tatsächlich den Vorteil bietet, die Phonetik unterschiedlichster Sprachen problemlos darzustellen. Tatsächlich ist die perso-arabische Schrift weder phonetisch34 noch besonders gut geeignet, vokalreiche Sprachen ‒ wie es die südasiatischen sind ‒ wiederzugeben, da in der Regel die kurzen Vokale nicht dargestellt werden. Zudem kamen für die südasiatischen Sprachen noch weitere Schriftzeichen bzw. Diakritika hinzu, da weder die arabische noch die persische Sprache spezifische Phoneme einer Vielzahl südasiatischer Sprachen kennen, z.B. retroflexe Laute. Die Wiedergabe einheimischer Sprachen in dieser Schrift wird sich deshalb nicht so einfach gestaltet haben, wie es Eatons Aussage vermuten lässt. Darüber hinaus ist die schriftliche Übertragung islamischer Begriffe und Ideen in einheimische Traditionen selbstverständlich nur möglich, wenn

33. Eaton 2003, 3f. 34. Es ist unklar, was Eaton damit meint, da eine Schrift nicht phonetisch sein kann. Selbst das sogenannte Internationale Phonetische Alphabet (IPA) ist lediglich ein Versuch, die schriftliche Wiedergabe aller Laute der verschiedenen Sprachen zu standardisieren.

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diese entsprechend auch kulturell übersetzt werden und Einheimische die Schrift auch lesen können. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist deshalb, wer, warum, unter welchen Umständen die perso-arabische Schrift für eine einheimische Sprache lernte? Auch für Islamwissenschaftler könnte deshalb u.a. die Beantwortung der Frage, warum in manchen Regionen somit islamisch geprägte Literaturtraditionen in einheimischen Sprachen in perso-arabischer Schrift und in anderen in einheimischen Schriften entstanden sind, neue Erkenntnisse über die Art und Weise der Verbreitung des Islams liefern. Eine Schlüsselfunktion für die Adaption der perso-arabischen Schrift für einheimische Sprachen hatten nachweislich die Zentren islamischer Herrschaft, wo Persisch in der Verwaltung eine zentrale Rolle spielte, was z.B. die Entstehung von Urdu begünstigte, das jedoch wiederum von Muslimen und Hindus auch für nicht-religiöse literarische Zeugnisse verwendet wurde.35 Aber welche Umstände führten in anderen Regionen ‒ außerhalb des Delhi-Sultanats und MogulReichs und an deren Peripherien ‒ zu islamisch geprägten Literaturtraditionen in perso-arabischer oder einheimischer Schrift? Hier muss z.B. das Bildungsmonopol religiöser Institutionen,36 die sich zwar vornehmlich auf das Studium von Literatur in den klassischen Sprachen der jeweiligen Religionen konzentrierten, wie z.B. Arabisch und Sanskrit, deren Schriften jedoch später auch für die Alltagssprachen der Gläubigen Verwendung fanden, berücksichtigt werden. Aber kann man daraus schließen, dass es in Regionen, in denen eine islamisch geprägte Literaturtradition in einer einheimischen Schrift entstanden ist, wie z.B. in Bengalen in der Ost-Nagari, diese Art von islamischen Bildungsinstitutionen für die

35. Vgl. z.B. Brandt 2016. 36. Für eine Einführung zu islamischen Bildungsinstitutionen im kolonialen Südasien und heutigen Pakistan siehe Rahman 2012.

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einheimische Bevölkerung eine geringere Rolle spielte als in anderen Regionen oder diese schlichtweg anders aufgestellt waren in Bezug auf Lehre und Umgang mit einheimischen Sprachen und Schriften? Ein weiteres Beispiel aus der Peripherie muslimischer Großreiche ist das bereits oben erwähnte Arwi, eine Varietät der tamilischen Sprache in arabischer Schrift, die durch die kulturellen und religiösen Kontakte zwischen der einheimischen tamilischen Bevölkerung und arabischen Händlern, die sich in Südindien und auf dem Gebiet des heutigen Sri Lanka niederließen, entstanden ist.37 Zwar ist auch hier die Verbreitung dieser Schrift eng mit dem Islam verbunden, aber diese war zweifelsohne anders gestaltet als in den Machtzentren des Delhi-Sultanats und Mogulreichs. Die Lateinschrift Wie die Lateinschrift in Südasien Fuß fassen konnte, ist heute wesentlich besser nachvollziehbar und stark mit der Kolonisierung verschiedener Regionen durch die unterschiedlichen europäischen Mächte verbunden. So wird die Lateinschrift heute u.a. mit der Sprache der wichtigsten europäischen Kolonialmacht in Südasien, Großbritannien, und deren dominanter Sprache, dem Englischen, assoziiert. Ähnlich dem Persischen in den muslimisch geprägten Reichen stieg auch die Bedeutung des Englischen aufgrund seines Status als Verwaltungssprache in Britisch-Indien für die einheimische Bevölkerung, insbesondere unter deren Eliten, im 19. und 20. Jahrhundert stark an. Im Gegensatz zum Persischen spielt Englisch allerdings nach wie vor eine zentrale Rolle für Bildung und Wirtschaft im gegenwärtigen Südasien, was heute jedoch auch mit seiner Bedeutung auf globaler Ebene einhergeht. Neben anderen Gründen38 hat die englische

37. Vgl. Tschacher 2001 & 2018. 38. Ein wichtiger Grund ist z.B., dass es im multilinguistischen Indien bis heute keine Nationalsprache gibt, auf die man sich einigen konnte, und Englisch nach wie vor die

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Sprache auch deshalb in Indien und Pakistan noch immer einen offiziellen Status, der nicht gefährdet zu sein scheint. Insbesondere den Eliten Südasiens dient Englisch weiterhin sowohl auf lokaler als auch globaler Ebene ‒ wie bereits zur britischen Kolonialzeit ‒ als lingua franca. Aufgrund der jahrhundertelangen und noch immer anhaltenden Bedeutung der englischen Sprache fand selbstverständlich auch deren Schrift Verbreitung, jedoch ist die Allgegenwärtigkeit der Lateinschrift im modernen Südasien noch weiteren Faktoren zuzuschreiben und wurde bereits im 16. Jahrhundert, weit vor der Machtübernahme in Teilen Südasiens durch die britische East India Company im 18. Jahrhundert, begründet. Einer dieser wichtigen Faktoren ist die christliche Missionierung, die oftmals mit der Eroberung Südasiens durch europäische Mächte einherging. So waren es Jesuiten, die im Jahre 1556 die erste Druckerpresse nach Südasien,39 d.h. nach Goa, das zwischen 1510 und 1961 eine portugiesische Kolonie war, brachten. Bevor jedoch die lokale Sprache Goas, Konkani, zum ersten Mal in der Lateinschrift in einem gedruckten Buch erschien, im Jahre 1622,40 wurde 1554 in Lissabon bereits die südindische Sprache Tamil in der Lateinschrift gedruckt.41 Jedoch schon 24 Jahre später wurde Tamil in der Tamil-Schrift gedruckt,42 während die Verbreitung von Literatur sowohl in einheimischen Sprachen als auch Schriften in Goa während der sogenann-

bevorzugte Verwaltungssprache z.B. in Südindien ist. 39. Einen guten Überblick über die Veränderungen in Südasien aufgrund der Einführung der Druckerpresse bietet der Sammelband The History of the Book in South Asia (Orsini 2011). 40. Als erstes gedrucktes Werk, das auch Gebete in Konkani in Lateinschrift enthält, gilt das 1622 veröffentlichte Buch Doutrina Christam em lingoa Bramana Canarim des Jesuiten Thomas Stephens (ca. 1549–1619). 41. Dabei handelte es sich um einen Katechismus mit dem Titel Cartilha ẽ lingoa Tamul e Portugues, das von Vincente de Nazareth, Jorge Carvalho und Thoma da Cruz verfasst wurde (Zvelebil 1992, 151f.). 42. Henrique Henriques’ Tampirāṉ vaṇakkam aus dem Jahr 1578 (Zvelebil 1992, 151).

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ten Inquisition von Goa zwischen 1560 und 1820 immer stärker sanktioniert wurde. Vor allem die christliche Bevölkerung Goas wurde somit mit dem Portugiesischen als Bildungssprache und deren Lateinschrift konfrontiert, was spätestens mit dem Ausklang des 19. Jahrhunderts, nach dem Ende der Inquisition von Goa, zu einer dynamischen Konkani-Literaturproduktion in Lateinschrift führte. Andere südasiatische Sprachen erlebten aufgrund der zunehmenden Verbreitung der Druckerpresse und des Erstarkens westlich gebildeter einheimischer Eliten zu jener Zeit jedoch einen Literaturboom in einheimischen Schriften, allen voran die bengalische Sprache.43 Sprachen, die bereits über eine schriftliche Literaturtradition in einer einheimischen Schrift verfügten, wurden zwar auch hin und wieder, z.B. in Grammatiken, in der Lateinschrift wiedergegeben, jedoch wurden die meisten von diesen überwiegend in einheimischen Schriften gedruckt. Sprachen, die hingegen noch keine schriftliche Literaturtradition besaßen, wurden in der Regel erst einmal in der Lateinschrift gedruckt, was vornehmlich auch auf christliche Missionare zurückging, die nicht selten, wie im Falle von Konkani und Tamil, als erstes religiöse Traktate oder die Bibel in diesen Sprachen publizierten. Dies betrifft insbesondere die bereits erwähnten Stammessprachen, Sprachen ethnolinguistischer Minderheiten, die oftmals im ländlichen Raum, teilweise in damals schwer zugänglichen Gebieten lebten, und unter denen christliche Missionare verschiedener Konfessionen und Nationalitäten im 19. Jahrhundert vermehrt aktiv wurden.44 Das Fest-

43. Das erste gedruckte Werk, das die sogenannte bengalische Schrift bzw. Ost-Nagari enthielt, war Nathaniel Brassey Halheds A Grammar of the Bengal Language (1778). Bis die bengalische Sprache jedoch eine lebhafte Literaturproduktion erlebte, vergingen noch einmal fast 100 Jahre. Der erste Roman in bengalischer Sprache erschien z.B. im Jahre 1865, Dūrgeśnandinī von Bankim Chandra Chattopadyay (auch Chatterjee; Bengalisch: Baṅkim'candra Caṭṭopādhyāẏ). 44. Brandt 2011, 18–25.

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halten und insbesondere die Standardisierung dieser Sprachen als erstes in der Lateinschrift haben in vielen Fällen dazu geführt, dass diese entweder exklusiv oder zumindest noch immer teilweise in der Lateinschrift geschrieben werden, z.B. Bodo, Garo und Mizo im Nordosten Indiens und Santali in Bangladesch und Ostindien. Während viele Sprecher dieser Sprachen, wie auch im Falle von Konkani, sich heute zum Christentum bekennen und auch deshalb nach wie vor die Lateinschrift bevorzugen, befürworten andere wiederum, in der Regel Anhänger der ursprünglichen sogenannten Stammesreligion oder des Hinduismus, Schriften, die entweder auch für andere südasiatische Sprachen, wie z.B. Bengalisch und Hindi, verwendet werden oder in der jüngeren Vergangenheit exklusiv für diese Sprachen entwickelt bzw. „wiederentdeckt“ wurden. 1.3. Schrift als Symbol von Fremdbestimmtheit und kultureller Unterdrückung Die Lateinschrift wird in diesem Zusammenhang in einigen Fällen als Symbol von Fremdbestimmtheit und kultureller Unterdrückung empfunden, so auch von mehreren Santal-Schriftaktivisten, mit denen ich in den letzten Jahren in Indien und Bangladesch sprechen konnte. Ihr Einwand gegen die Lateinschrift richtet sich vor allem gegen deren Assoziation mit christlichen Missionaren, von denen einige in der Tat nach wie vor unter den Santals missionieren.45 Dieser Einwand geht zudem einher mit dem Vorwurf, dass christliche Missionare versuchten, die Kultur und Religion der Santals zu zerstören. Aber auch unter Sprechern größerer Sprachen, wie z.B. Hindi, stößt die Verwendung der Lateinschrift für ihre Sprachen hin und wieder auf Kritik und wird von manchen als Ausdruck des kolonialen Erbes wahrgenommen, von dem man sich endlich trennen sollte. So kam es

45. Vgl. Brandt 2011.

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auch zu kontroversen Diskussionen, als 2015 bekannt wurde, dass Rahul Gandhi, zwischen 2017 und 2019 Präsident der Indischen Kongresspartei und deren erfolgloser Spitzenkandidat bei den Parlamentswahlen 2019, seine Hindi-Reden im Parlament offensichtlich in der Latein- und nicht der modernen Nagari verfasst.46 Die Entstehung von Hindi Interessanterweise verdankt jedoch ausgerechnet Hindi der britischen Kolonialzeit, dass diese Sprache heute offiziell in der modernen Nagari geschrieben wird. Im gegenwärtigen Indien ist jedoch nur wenigen Menschen bekannt, dass Hindi, so wie es als standardisierte Sprache auch in den meisten indischen Schulen unterrichtet wird, d.h. Modern Standard Hindi,47 das Ergebnis komplexer Prozesse ist, die im 19. Jahrhundert dazu führten, diese Sprache, die zuvor überwiegend in der perso-arabischen Schrift festgehalten wurde, in der modernen Nagari wiederzugeben und mit Vokabular aus dem Sanskrit (oftmals Neologismen) zu erweitern. Dies ist zwei Hauptfaktoren zuzuschreiben: Zum einen wurde die Nagari insbesondere durch europäische Indologen, die das „authentische“ Indien in der vormuslimischen Zeit suchten, und deren Vervielfältigung von Sanskrit-Literatur vornehmlich in dieser Schrift aufgewertet, während zum anderen parallel die persoarabische Schrift im Zuge des wachsenden einheimischen Nationalismus, der sich u.a. ‒ angeregt durch die europäische Indienforschung ‒ auf diese

46. Daniyal 2015. 47. Die offizielle Verwendung des Begriffs „Hindi“ von Seiten indischer Behörden ist höchstproblematisch, da z.B. in der Volkszählung der Begriff „Hindi“ als Kategorie (language) verwendet wird, unter der eine Vielzahl von Sprachen, auch Modern Standard Hindi, als mother tongue von „Hindi“ aufgeführt werden. So werden Sprachen als Unterformen/Dialekte von „Hindi“ subsumiert, um dessen Sprecherzahl durch diesen statistischen Trick zu vergrößern. In der Volkszählung von 2011 werden unter der Kategorie „Hindi“ (language) 528.347.193 Sprecher aufgeführt und bei [Modern Standard] Hindi (mother tongue) lediglich 322.230.097 (Government of India 2018, 11).

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imaginierte „goldene“ vormuslimische Zeit bezog, als muslimisch und fremd identifiziert. Auf der Suche nach einer potentiellen Nationalsprache eines unabhängigen Indiens formierten sich in Britisch-Indien somit unterschiedliche Interessengruppen, die ihre Vorstellung von „Hindi“ verwirklichen wollten. Dabei setzten sich die moderne Nagari und die Sprache durch, die zu der Zeit u.a. als Hindi, Hindustani und Urdu bekannt war,48 bereits über eine umfangreiche Literaturtradition in perso-arabischer Schrift verfügte und sowohl unter Hindus als auch Muslimen im Norden und Nordwesten, aber auch in Zentralindien und im Osten British-Indiens ein hohes Ansehen als lingua franca, Bildungs-, Literatur- und Verwaltungssprache genoss. Auch wenn die Varianten dieser Sprache heute exklusiv als Urdu (in perso-arabischer Schrift) und Hindi (in der modernen Nagari) bezeichnet werden, können Sprecher in Alltagssituationen kaum erkennen, dass die jeweils andere Sprache gesprochen wird, da beide Sprachen in ihren Grundzügen noch immer identisch sind. Nichtsdestotrotz war die identitätspolitisch motivierte Trennung dieser Sprache erfolgreich und findet heute ihre Manifestation in dem Fakt, dass diese offiziell als zwei separate Sprachen klassifiziert wird: Urdu, die Nationalsprache der Islamischen Republik Pakistans, und Hindi, neben Englisch die Amtssprache Indiens, dessen Bevölkerungsmehrheit sich zum Hinduismus bekennt. Während die perso-arabische Schrift heute somit fast exklusiv mit dem Islam assoziiert wird und im gegenwärtigen Indien weitestgehend aus der nichtreligiösen Öffentlichkeit verdrängt wurde, wird die moderne Nagari, wie bereits oben erwähnt, offiziell für eine Vielzahl von weiteren Sprachen verwendet, die

48. Dabei handelt es sich um eine Sprache, die auch als Khari Boli (khaṙī bolī) bezeichnet wird und historisch lediglich in Delhi und Umgebung, dem Machtzentrum des Mogulreichs, verbreitet war und aufgrund der Verwendung in der Umgebung dieses Machtzentrums an Prestige gewann.

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jedoch früher auch in anderen einheimischen Schriften festgehalten wurden, wie z.B. Awadhi, Bodo, Bhojpuri, Maithili und Marathi. Die Folgen der Drucktechnik für einheimische Schriften Die Bevorzugung der Nagari durch europäische Orientalisten und deren strukturelle Förderung auch von Seiten staatlicher Institutionen während der Kolonialzeit und insbesondere im unabhängigen Indien nach 1947 waren jedoch nicht die einzigen Gründe, weshalb diese Schrift im gegenwärtigen Indien eine so dominante Rolle spielt und ähnlich wie die perso-arabische und Lateinschrift von manchen Sprechern von Sprachen, die in anderen Schriften wiedergegeben werden, als hegemonial empfunden wird.49 Es war letztendlich auch die stetig steigende Verbreitung der Drucktechnik im 19. Jahrhundert, die generell zu weitreichenden Folgen für die einheimischen Schriften führte: Diese neue Technologie erforderte die Standardisierung von Schriften, begünstigte die Fixierung von Sprachen mit lediglich einer bestimmten Schrift, obwohl diese vorher auch in weiteren Schriften geschrieben wurden,50 und führte zu einer weiten Verbreitung einer begrenzten Anzahl von Schriften, während der Gebrauch von anderen stark eingeschränkt wurde, da sie nicht für den Druck Verwendung fanden. So wurden auch aus oftmals ökonomischen Gründen51 z.B. die moderne

49. Dies ist z.B. der Fall für Sprecher dravidischer Sprachen in Südindien, die sowohl Hindi als auch die moderne Nagari oftmals als Bedrohung ihrer Sprachen und Schriften betrachten. Vgl. z.B. den Protest, als die Nagari-Zahlen auf neuen Geldscheinen erschienen (Brandt & Sohoni 2018, 1f.). 50. Dies betrifft z.B. Sanskrit, das heute oftmals lediglich mit der modernen Nagari assoziiert wird, obwohl es in vielen anderen Schriften festgehalten wurde und teilweise noch immer wird. 51. Die Herstellung von Drucklettern war aufwendig und kostenintensiv, weshalb nicht für alle Schriften die Drucktechnik eingeführt werden konnte und diejenigen bevorzugt wurden, denen man mehr Bedeutung zuwies, so z.B. die Nagari als Schrift religiöser und philosophischer Abhandlungen, während z.B. Kaithi hauptsächlich „nur“ für die Buchführung und Verwaltung verwendet wurde.

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Nagari, die Ost-Nagari, die Kannada- und Tamil-Schrift etc. für den Druck bevorzugt, während andere Schriften, die noch im 19. Jahrhundert für verschiedenste Handschriften, z.B. auch für die Buchführung, noch weit verbreitet waren, überhaupt nicht oder nur marginal gedruckt wurden: z.B. die Kaithi (z.B. für Awadhi, Bhojpuri und Maithili), die Modi (z.B. für Marathi) und die Tigalari (z.B. für Kannada, Sanskrit und Tulu) etc. Die Vernachlässigung dieser vormals weit verbreiteten Schriften für den Druck führte schließlich zu deren Niedergang, da die Sprachen, die u.a. in diesen Schriften geschrieben wurden, nun exklusiv mit den verfügbaren Drucklettern vervielfältigt wurden. Des Weiteren wurden Schriften im Zuge des einheimischen Literaturbooms jenen Sprachen zugeordnet und oftmals offiziell nach diesen benannt, die über die größte Sprecherzahl und die umfangreichere Literaturtradition verfügten. Die Ost-Nagari: die bengalische oder assamesische Schrift? Auch wenn so z.B. Assamesisch und Bengalisch und deren Vorstufen, die zweifelsohne einen gemeinsamen Ursprung haben, seit Jahrhunderten in derselben Schrift, der Ost-Nagari, geschrieben werden,52 wird diese heute offiziell als „Bengalisch“ bzw. „Bengali“ bezeichnet, was bei assamesischen Schriftaktivisten auf große Ressentiments stößt. Diese Ressentiments von Seiten assamesischer Schriftaktivisten gegenüber Bengalisch in der Gegenwart gehen auf ein weiteres Phänomen des 19. Jahrhunderts zurück,

52. Offiziell gibt es heute lediglich zwei unterschiedliche Buchstaben, die unten aufgeführt sind. Jedoch wurden z.B. die vermeintlich exklusiv „assamesischen“ Buchstaben sogar für den Druck bengalischer Texte bzw. der „bengalischen“ Schrift verwendet (vgl. z.B. Ross 1999, 13). Vor Einführung der Druckerpresse waren die Schreib- und Schriftkonventionen zudem noch flexibler und heterogener, weshalb die rigide Standardisierung der Schrift zwar ein wichtiger Schritt für die Standardisierung der Verschriftlichung der beiden Sprachen war, aber aus heutiger Sicht als problematisch betrachtet werden muss, da der gemeinsame Ursprung von Assamesisch und Bengalisch und deren Schrift so besser negiert werden kann.

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als nicht nur die Schriften, sondern auch Sprachen standardisiert und klassifiziert wurden. So wurde Assamesisch als Dialekt des Bengalischen kategorisiert, u.a. weil beide Sprachen in derselben Schrift geschrieben wurden. Als Folge dieser Klassifizierung war Bengalisch als vermeintliche Hochsprache des Assamesischen zwischen 1836 und 1873 die Unterrichtssprache in den Schulen Assams.53 Heute hat Assamesisch zwar einen eigenständigen Status, jedoch ist es für einige Assamesen ein großes Ärgernis, dass sogar die Internationale Organisation für Normung „ihre“ Schrift als „Bengali (Bangla)“ bzw. überhaupt nicht aufführt.54 Aus einem Interview, das ich im März 2016 in Assam mit einem assamesischen Schriftaktivisten führen konnte, wurde deutlich, dass dies wohl kaum jemandem aufgefallen wäre, wenn das Unicode-Konsortium diese Klassifizierung nicht übernommen hätte. Besonders die Bezeichnung der beiden heute lediglich im Assamesischen verwendeten Buchstaben als „Bengali Letter Ra55 With Middle Diagonal“ (= ৰ / U+09F0) und „Bengali Letter Ra With Lower Diagonal“ (= ৱ / U+09F1) ließ die Emotionen bei meinem Gesprächspartner hochkochen. Er fordert letztendlich auf internationaler Ebene die Bezeichnung „Assamese“ und einen zusätzlichen Eintrag innerhalb der Unicode-Fonts für die gesamte Schrift und nicht nur für einzelne Buchstaben und Zeichen, die heute exklusiv für das Assamesische Verwendung finden; d.h. eine separate Aufführung der assamesischen und bengalischen Schrift, obwohl es sich dabei zweifelsohne nicht um unterschiedliche Schriften handelt. Die Hauptargumente für diese Forderung sind die wenigen unterschiedlichen Zeichen im heutigen Gebrauch und ins-

53. Sarma 1976, 74. 54. Unicode Consortium. 55. „Bengali letter Ra“ = র (U+09B0).

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besondere die divergierende Aussprache einzelner Buchstaben.56 Gemeinsam mit anderen Schriftaktivisten konnte mein Interviewpartner diese Forderung gegenüber der Regierung in Assam glaubhaft vortragen, die daraufhin Ende Februar 2016 einen entsprechenden Antrag bei der indischen Zentralregierung einreichte.57 Diese sollte wiederum die entsprechenden Maßnahmen bei der Internationalen Organisation für Normung beantragen, damit das Unicode-Konsortium diese übernehmen könne. Nach fünftätigen Gesprächen Mitte 2018 in London zwischen einer Arbeitsgruppe der Internationalen Organisation für Normung und verschiedenen Vertretern aus Indien, die sich für die assamesische Schrift einsetzen, konnte man sich jedoch erst einmal nur darauf einigen, die gemeinsame Schrift als „Bengali/Assamese“58 zu bezeichnen, assamesischspezifische Zeichen deutlich als assamesisch zu kennzeichnen und weitere assamesische Zeichen, z.B. für Maße, hinzuzufügen. Dies stößt jedoch bei einigen assamesischen Schriftaktivisten auf Kritik, da diese „ihre“ Schrift nicht nur als „anders“, sondern auch als älter als die bengalische deklarieren, den gemeinsamen Ursprung negieren und nach wie vor einen kompletten separaten Eintrag für die assamesische Schrift verlangen.59 Während Bengalisch und die vermeintliche Vereinnahmung dieser Schrift in diesem Zusammen-

56. So bemängelte mein Gesprächspartner auch die Transkription der Schrift von Seiten des Unicode-Konsortiums, die sich in der Tat an der bengalischen Aussprache orientiert. 57. Government of Assam 2016. 58. Da noch weitere Sprachen eine schriftliche Literaturtradition in dieser Schrift haben, z.B. Bishnupriya, plädiere ich für den aus der Epigraphik bekannten Namen „Eastern Nagari“ bzw. „Ost-Nagari“ für diese Schrift, da in diesem Fall keine Sprache diese Schrift für sich vereinnahmt. Eine weitere Variante der Ost-Nagari wurde u.a. bis Mitte des 20. Jahrhunderts für Maithili verwendet, die dann „Mithilakshar“ oder „Tirhuta“ genannt wird. Zwar weist sie mehr Unterschiede zur assamesischen/bengalischen Variante auf, jedoch ist der gemeinsame Ursprung offensichtlich und die gegenseitige Verständlichkeit/Lesbarkeit ist mit ein wenig Mühe zweifelsohne gegeben. 59. Agarwala 2018.

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hang als Bedrohung empfunden werden, gibt es wiederum andere Gruppen in Assam, die das Assamesische als Bedrohung wahrnehmen und diese Schrift exklusiv mit Assamesisch und linguistischer und kultureller Hegemonie von Seiten der Assamesen verbinden. Die Bodo-Schriftmärtyrer Das prominenteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Bodo-Sprache und die Forderung von Bodo-Schriftaktivsten in den 1970er Jahren, statt der Ost-Nagari, die in diesem Fall als „assamesische Schrift“ bezeichnet wurde, offiziell die Lateinschrift für ihre Sprache zu verwenden.60 Vertreter der Bodo Sahitya Sabha, der Bodo-Literaturgesellschaft, die ich im März 2016 treffen konnte, sprachen sogar von Schriftmärtyrern, als sie mir von den 15 Bodos erzählten, die 1974 bei Protesten für eine offizielle Anerkennung der Lateinschrift für Bodo getötet wurden. Viele Bodos, die innerhalb Assams eine Minderheit darstellen, befürchten auch noch heute eine Marginalisierung und Zerstörung ihrer eigenen Kultur und Sprache aufgrund der Dominanz der Assamesen im Bundesstaat Assam, weshalb einige Bodo-Gruppen einen eigenen Bundesstaat und andere noch radikalere Gruppen sogar die vollständige Unabhängigkeit von Indien fordern, obwohl es seit 2003 eine autonome Region mit dem Namen „Bodoland Territorial Area Districts“ innerhalb Assams gibt. Die Forderung nach der Lateinschrift und die Ablehnung der Ost-Nagari/assamesischen Schrift als Antwort auf den wachsenden assamesischen (Sprach-)Nationalismus ab den 1960er Jahren können auch als Beginn dieser Separatismusbewegung verstanden werden. Nachdem die assamesische Regierung auf die 1971 gestellte Forderung der Bodo-Schriftaktivisten nicht einging und die wachsenden Proteste 1974 blutig niederschlug, mischte sich die indische Zen-

60. Vgl. z.B. Sarmah 2014.

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tralregierung ein. Diese versprach eine offizielle Anerkennung der BodoSprache und weitreichende finanzielle Unterstützung für die Entwicklung und Stärkung dieser und ihrer Literatur, wenn man sich auf die moderne Nagari als offizielle Schrift für Bodo einigen könnte. Dieser Kompromissvorschlag wurde 1975 von der Bodo Sahitya Sabha akzeptiert. Und tatsächlich wird Bodo heute vornehmlich in der modernen Nagari geschrieben, obwohl auch die Lateinschrift weiterhin unter bestimmen Bodo-Gruppen vermehrt Verwendung findet. Die Lateinschrift – Die scripta franca Südasiens Das Beispiel von Bodo und der Forderung nach der Lateinschrift verdeutlicht, dass diese im gegenwärtigen Südasien von einigen Gruppen, z.B. auch von vielen Garo-, Konkani-, Mizo- und Santali-Sprechern, als positiv bzw. neutral wahrgenommen wird, auch wenn sich nur wenige Mitglieder dieser Gruppen, wie z.B. im Falle der Bodos (weniger als 10 Prozent), zum Christentum bekennen. Der wachsende (Sub-)Nationalismus und die zum Teil aggressive Identitätspolitik im gegenwärtigen Südasien, die sich nicht mehr gegen die vormals britische Kolonialherrschaft richtet, sondern sich auf das „Eigene“ und die Vereinnahmung von Symbolen, z.B. Schriften, zur Identitätsfestigung konzentriert, führen letztendlich zu einer steten Fragmentierung der einheimischen Bevölkerung entlang ethnischer, aber auch religiöser Grenzen, bei der auch Schriften als Bedrohung, als Symbol potentieller hegemonialer Bestrebungen empfunden werden können. In diesem Zusammenhang sind es nun autochthone Schriften, die für viele ethnolinguistische Gruppen ein größeres Feindbild darstellen als die perso-arabische oder die Lateinschrift. So genießt letztere in Südasien mittlerweile den Status einer scripta franca.61

61. Diesen Begriff verwende ich parallel zu dem der lingua franca für eine Schrift, die

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So werden heute z.B. Hindi und viele weitere Sprachen in Indien zwar offiziell in der modernen Nagari geschrieben, nachdem sich Hindi von Urdu und der „fremden“ perso-arabischen Schrift lösen konnte und die moderne Nagari auch für andere Sprachen weite Verbreitung fand, jedoch wird die moderne Nagari nun aufgrund ihrer Assoziation mit Hindi und dessen hegemonialer Vormachtstellung auf dem Weg zur potentiellen Nationalsprache Indiens von Sprechern anderer Sprachen, wie z.B. Bengalen, als Bedrohung wahrgenommen. Jedoch gelten Bengalisch und dessen Schrift wiederum als Symbole hegemonialer Vorherrschaft für andere Gruppen im Osten Südasiens, wie z.B. für Chakma und Meitei. Während so Hindi-Nationalisten die Verwendung der Lateinschrift für ihre Sprache, wie oben erwähnt, kritisieren, empfinden Mitglieder anderer Sprachgruppen die Lateinschrift mittlerweile oftmals als neutral und wünschen sich diese sogar offiziell für ihre Sprache, wie z.B. Bodo-Schriftaktivsten in den 1970er Jahren und viele Konkani-Sprecher im heutigen Goa.62 Aber auch Hindi wird noch immer und in einigen Bereichen sogar vermehrt ‒ entgegen der Kritik von Hindi-Nationalisten63 ‒ in der Lateinschrift geschrieben, wofür es verschiedene Gründe gibt: Zwar verstehen sehr viele Menschen in Indien (und auch in den anderen südasiatischen Ländern) sehr gut Hindi, auch wenn dies nicht ihre Erstsprache ist (schon allein aufgrund

entweder auch außerhalb ihres Ursprungsgebiets eine große Verbreitung gefunden hat und so heute als Primärschrift für eine hohe Anzahl oftmals nicht miteinander verwandter Sprachen Verwendung findet (vgl. z.B. Park 2018, 101) oder als Sekundärschrift für Sprachen, die ansonsten vornehmlich in einer anderen Schrift wiedergegeben werden. Beides trifft in Südasien insbesondere für die Lateinschrift, aber auch auf die persoarabische Schrift und die moderne Nagari zu. 62. Ein weiterer Grund für die Bevorzugung der Lateinschrift ist auch die geringere Anzahl von Buchstaben gegenüber den auf der Brahmi-Schrift basierten Silbenschriften, die zudem zusätzlich eine Vielzahl von zusammengesetzten Buchstaben besitzen. 63. Zum Hindi-Nationalismus siehe Rai 2001.

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der Beliebtheit von Hindi-Spielfilmen und Fernsehserien), jedoch kann ein Großteil der Inder die moderne Nagari nicht lesen. Da jedoch Englisch ‒ und somit auch die Lateinschrift ‒ Pflichtfach in allen staatlichen Schulen Indiens ist, kann jeder, der Hindi versteht und eine Schule besucht hat, auch Hindi in der Lateinschrift lesen. So wird, wie schon während der britischen Kolonialzeit, auch noch heute hin und wieder, wenn auch nicht offiziell, in der indischen Armee Hindi in der Lateinschrift benutzt, aber auch für Filmplakate und sogar Drehbücher sogenannter Bollywood-Filme,64 für deren Produktion selbstverständlich auch Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler etc. aus den unterschiedlichen Sprachregionen Indiens arbeiten. Einige Hindi-Sprecher selbst, z.B. der bekannte Schriftsteller Chetan Bhagat, favorisieren sogar grundsätzlich die Lateinschrift für Hindi, um den aktiven Gebrauch dieser Sprache zu stärken.65 Dies wird mit der Notwendigkeit der englischen Sprache für einen sozioökonomischen Aufstieg und eine daraus resultierende Vernachlässigung des schriftlichen Gebrauchs von Hindi, aber auch durch neue Technologien, z.B. das Internet und soziale Medien und Smartphones, die oftmals in der Lateinschrift einfacher zu handhaben sind, begründet. In der Tat kann man trotz der mittlerweile einfacheren Anwendung der modernen Nagari im Internet in sozialen Netzwerken (Facebook, Twitter, YouTube etc.) Hindi noch immer in der Lateinschrift lesen. Dies betrifft aber auch die meisten anderen südasiatischen Sprachen, für die es heutzutage sehr anwendungsfreundliche Fonts für Computer und das Internet gibt, z.B. Bengalisch und Urdu. Und auch Sprecher von Balti, Chakma und Meitei, für die gegenwärtig alte, vermeintlich „authentische“ Schriften wiederbelebt werden sollen, greifen für ihre Sprache situationsbedingt auf die Lateinschrift zurück.

64. Sadana 2012, 46. 65. Bhagat 2015 und auch Daniyal 2015.

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2. Die Balti-, Chakma- und Meitei-Schriftbewegungen66 Bei den drei Schriftbewegungen handelt es sich um jeweils einen Fall aus dem multilinguistischen aber vorwiegend monoschriftlichen Pakistan (Balti), dem sowohl multilinguistischen als auch -schriftlichen Indien (Meitei)67 und dem überwiegend monolinguistischen und -schriftlichen Bangladesch (Chakma). Besonders interessant ist, dass die betreffenden ethnolinguistischen Gruppen in Regionen am geopolitischen Rand dieser Staaten beheimatet sind: die Baltis in Baltistan, die Meiteis in Manipur und die Chakmas in den Chittagong Hill Tracts. Der geopolitische Hintergrund Nicht nur die geografische Entfernung zum politischen Zentrum der jeweiligen Länder, sondern auch ethnische und religiöse Eigenschaften dieser Gruppen, die teilweise im starken Kontrast zu den konstruierten Nationalidentitäten der jeweiligen Staaten stehen, scheinen die Integration dieser Gruppen zu erschweren. Dies findet auch Ausdruck im administrativen Status dieser Regionen und den teilweise bewaffneten Auseinandersetzungen: Während Baltistan zwar administrativ als östlicher Teil von Gilgit-Baltistan Pakistan unterstellt ist und nur eine begrenzte Autonomie genießt, darf dieses Sonderterritorium, das zwischen 1846 und 1948 offiziell ein Teil des Fürstentums Jammu und Kaschmir war, aufgrund des noch immer schwe-

66. Für detailliertere Ausführungen und Literaturhinweise zu allen drei Schriftbewegungen und deren Hintergründe siehe meine Artikel „Writing Off Domination: The Chakma and Meitei Script Movements“ (Brandt 2018) und „Writing Balti(ness): The Challenge of Nation-Building in a Geopolitically Contested Region“ (Brandt 2021). 67. Seit 1992 heißt Meitei offiziell Manipuri, was jedoch problematisch ist, da dieser Name auch von Bishnupriya-Sprechern beansprucht wird. Zudem werden Meitei-Sprecher, die die Bevölkerungsmehrheit in dem multiethnischen Bundesstaat Manipur stellen, nach wie vor als Meiteis bezeichnet. Die Umbenennung von Meitei zu Manipuri ist zweifelsohne Ausdruck des Hegemonialanspruchs von Meitei-Nationalisten.

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lenden Kaschmirkonflikts konstitutionell nicht zu Pakistan gehören; GilgitBaltistan wird nach wie vor von Indien als Teil von Jammu und Kaschmir beansprucht. Dieser Umstand verhindert eine politische Partizipation der Bewohner dieser Region auf zentraler Ebene, indem sie z.B. nicht an den Wahlen für das Zentralparlament teilnehmen dürfen, und schränkt auch ihre Selbstverwaltung ein. Manipur, das erst 1949 ein Teil von Indien wurde, ist zwar seit 1972 ein selbstständiger indischer Bundesstaat, jedoch gibt es seit Mitte der 1960er Jahre Gruppen, die auch noch heute mit Waffengewalt für eine Unabhängigkeit Manipurs von Indien kämpfen. U.a. um diese Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterbinden, ist die indische Armee seit 1980 in Manipur allgegenwärtig und mit Sonderrechten ausgestattet. In den Chittagong Hill Tracts ist die Situation ähnlich: Obwohl der bewaffnete Kampf zwischen der bangladeschischen Armee und militanten Gruppen, die eine Unabhängigkeit dieser Region erreichen wollten, 1997 offiziell beendet wurde, ist die Präsenz der bangladeschischen Armee unübersehbar, was ‒ wie auch im Falle von Manipur ‒ unter Teilen der Bevölkerung die Ressentiments gegenüber der Zentralregierung wachsen lässt. Ethnische und religiöse Eigenschaften Zudem sind es ‒ wie bereits oben erwähnt ‒ auch ethnische und religiöse Eigenschaften dieser Gruppen, die eine Integration in die jeweiligen modernen Staaten und deren konstruierter Nationalidentität erschweren. Dies trifft besonders für die Chakmas in Bangladesch68 zu: Mit ca. 98% Bengalen und ca. 90% Muslimen basiert die Staatsidentität Bangladeschs auf ei-

68. Es gibt mittlerweile auch zahlreiche Chakmas in Indien, die über mehrere Bundesstaaten, insbesondere im indischen Nordosten, verteilt leben. Viele von ihnen sind Flüchtlinge/Migranten bzw. deren Nachfahren aus Bangladesch (bzw. Ostpakistan vor 1971), die entsprechend auch in Indien Integrationsprobleme haben. In diesem Beitrag wird jedoch nur die Schriftbewegung unter den Chakmas in Bangladesch thematisiert.

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ner Mischung aus bengalischem Nationalismus und Islam, weshalb die Chakmas als Nicht-Bengalen und mehrheitlich Buddhisten eine doppelte Minderheit darstellen. Was Indien betrifft, so ist zwar ein wichtiger Leitspruch „Einheit in Vielfalt“, doch vor allem die im Nordosten beheimateten Sprecher sino-tibetischer Sprachen fühlen sich seit der Staatsgründung oft als Staatsbürger zweiter Klasse und orientieren sich zum Teil soziokulturell stärker nach Südostasien. Dies trifft auch auf die Meiteis zu, von denen mir viele bei meiner Feldforschung 2014 und 2016 berichteten, dass sie sowohl in Kalkutta als auch Delhi aufgrund ihres Aussehens immer wieder als Ausländer wahrgenommen würden, während sie sich bei Besuchen in südostasiatischen Ländern nicht diskriminiert fühlten. Die Baltis, die eine tibetanische Sprache sprechen, sind wie die Chakmas aufgrund ihrer Ethnie und als Anhänger des schiitischen Islams in dem mehrheitlich sunnitischen und von Pandschabis dominierten Pakistan eine doppelte Minderheit. Aufgrund ihrer Sprache fühlen sich einige Aktivisten mit den in Indien lebenden Baltis und Ladakhis verbunden und sehen sich als Nachkommen des tibetischen Reichs (7. bis 9. Jh.), das weite Teile Asiens und auch Baltistan umfasste. Wiederum andere Baltis fühlen sich als Schiiten mit der Bevölkerung im Iran verbunden. Selbstverständlich gibt es unter allen drei Gruppen Menschen, die sich als Staatsbürger ihrer jeweiligen Länder betrachten und selbst eine Integration anstreben bzw. sich als integriert fühlen, jedoch müssen die Forderungen von anderen Gruppenmitgliedern nach einer eigenen Schrift auch als visuell untermauerte Abgrenzung zum Rest des Landes und auch zu den anderen ethnolinguistischen Gruppen, die in der gleichen Region ansässig sind, betrachtet werden. Die Schriften Folgende vermeintlich „authentische“ Schriften sind bereits implementiert bzw. sollen für die jeweiligen Sprachen implementiert werden: die ti-

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betische Schrift für Balti, die Meitei Mayek für Meitei und die ChakmaSchrift für Chakma, die jedoch fast identisch mit der birmesischen Schrift69 ist. Sowohl Balti als auch Chakma verfügen zwar über orale Literaturtraditionen, jedoch bis heute nur marginal über schriftliche Literatur und wenn, dann in der dominanten Schrift ihrer jeweiligen Staaten: Balti in der persoarabischen Schrift und Chakma in der Ost-Nagari. Letztere wird auch spätestens seit dem 18. Jahrhundert für Meitei benutzt, das dementsprechend über Literatur in dieser Schrift verfügt. Sowohl im Falle von Chakma als auch Meitei hatte vor allem der Umstand, dass die Schulbildung während der britischen Kolonialzeit in bengalischer Sprache war, einen erheblichen Einfluss auf die bisherige Schriftwahl, wobei laut Meitei-Schriftaktivisten der Hauptgrund im Falle von Meitei auf den Übertritt eines Meitei-Herrschers zum bengalischen Vaishnavismus im 18. Jahrhundert zurückgeht. Dieser ließ angeblich nach seiner Konvertierung die religiösen Texte der Meiteis, die heute der wiederbelebten lokalen Religion namens Sanamahismus zugeordnet werden, und deren Tempel zerstören und führte nicht nur eine neue Religion, sondern auch die Ost-Nagari (hier als bengalische Schrift bezeichnet) ein. Dieses Narrativ ist zwar im heutigen Manipur stark verbreitet, jedoch mangelt es an einer historisch glaubhaften Überlieferung, die die These, dass die einheimische Schrift gezielt vernichtet werden sollte, belegt. Während in der Region, in der Meitei gesprochen wird, jedoch tatsächlich seit Jahrhunderten eine Schrift benutzt wird, die aus keiner anderen Region bekannt ist und auch für Meitei Verwendung fand, sind die Beweise, dass Balti in der tibetischen Schrift und Chakma in der ChakmaSchrift geschrieben wurden, fragwürdig: Die Inschriften auf dem berühmten Buddha-Felsen aus dem 7. bis 10. Jahrhundert in der Nähe von Bal-

69. Interessanterweise wird von Seiten der Chakma-Schriftaktivisten auf diesen Umstand nicht eingegangen.

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tistans Hauptstadt Skardu sind in Alt-Tibetisch und die Manuskripte, die Chakma-Schriftaktivisten als Beweis einer Literaturtradition in einer eigenen Schrift dienen, höchstwahrscheinlich ausschließlich in Pali. Besonders der Umstand, dass die Chakma-Schrift fast identisch mit der birmesischen ist und die entsprechenden Manuskripte der Chakmas dem Theravada-Buddhismus zugeschrieben werden können, der über Birma seinen Weg in die Chittagong Hill Tracts fand, lässt darauf schließen, dass Schriftlichkeit in dieser Region eng mit religiöser Praxis und den entsprechenden Texten verbunden war und Chakma selbst, das mit der bengalischen Sprache eng verwandt ist, zum ersten Mal erst im 19. Jahrhundert in der Ost-Nagari systematisch festgehalten wurde. Aber auch hier ist eine umfangreiche Studie dringend notwendig. Implementierung der Schriften Der Wunsch nach einer eigenen Schrift kam unter Meitei-Nationalisten bereits in den 1930er Jahren auf und wurde verstärkt, als immer mehr Manuskripte entdeckt wurden, die verdeutlichen, dass Meitei in einer einzigartigen Schrift geschrieben wurde. Aber erst in den 1980er Jahren wurde diese standardisiert und als Nebenfach in Schulen eingeführt. Dies reichte militanten Schriftaktivisten jedoch nicht aus, die daraufhin ihrer Forderung nach einer allumfassenden Implementierung der Meitei Mayek Nachdruck verschafften, indem sie 2005 in der Staatsbibliothek Manipurs Feuer legten und über 100.000 Bücher und Manuskripte zerstörten. Daraufhin wurde die Meitei Mayek offiziell für Meitei eingeführt und Kinder müssen seit 2006 diese exklusiv für Meitei in der Schule lernen. Den Beginn der gegenwärtigen Chakma-Schriftbewegung stellt ein Lehrbuch für Chakma von dem Autor Noẏārām Cāk'mā dar, das 1959 veröffentlicht wurde. Zwar druckte bereits 1903 George Abraham Grierson in seinem Linguistic Survey of India die Chakma-Schrift ab, jedoch beflügelte erst das Buch von Noẏārām

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Cāk'mā, der sich auf Griersons Publikation bezog, einzelne Personen dazu, die Chakma-Schrift zu lernen und zu verbreiten. Dies geschah jedoch erst ab den 1980er Jahren vereinzelt in lokalen Schulen und vermehrt nach dem Waffenstillstand 1997 in Schulen, die von internationalen Geldgebern abhängig sind. Vor allem aufgrund des internationalen Drucks auf die bangladeschische Regierung werden seit 2017 staatlich erstellte Chakma-Lehrbücher in Chakma-Schrift kostenlos für den Unterricht in Vor- und Grundschulen verteilt, die jedoch lediglich als Übergangshilfe zum bengalischsprachigen Schulunterricht fungieren sollen. Die Balti-Schriftbewegung hat ihre Anfänge in den 1980er Jahren. Damals äußerte der Kulturaktivist Yousuf Hussain Abadi in seiner Publikation von 1985 über die Geschichte der Baltis, dass Balti als eine tibetanische Sprache, die eng mit dem Tibetischen verwandt ist,70 auch in der tibetischen Schrift geschrieben werden sollte, was von einigen Landsleuten mit Begeisterung aufgenommen wurde. Diesen gelang es auch Anfang des neuen Jahrtausends, die Tibet Foundation in London davon zu überzeugen, im Jahr 2001 ein Lehrbuch für das Erlernen der tibetischen Schrift für Balti und mehr als 100 Ladenschilder in Balti in tibetischer Schrift für die beiden größten Städte Baltistans ‒ Skardu und Kaplu ‒ zu finanzieren. Situation heute Bei meinen Besuchen in Baltistan 2014 und 2017 konnte ich jedoch lediglich ein einziges Ladenschild finden, auf dem die tibetische Schrift zu finden war. Die Ladenbetreiber, die das Geschäft erst vor wenigen Jahren erworben hatten, haben offensichtlich keine Ahnung, warum die tibetische Schrift auf diesem Schild ist. Diese Situation schildert sehr gut, was für die meisten von mir befragten Baltis der Fall ist: Weder verstehen sie sich als

70. Balti wird auch oft als archaischer Dialekt des Tibetischen bezeichnet.

Die Macht der Buchstaben

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Verwandte der Tibeter, noch können sie sich vorstellen, ihre Sprache in der tibetischen Schrift zu schreiben. Zudem haben sich mittlerweile zwei weitere Gruppen gebildet, von denen sich eine für die Lateinschrift und die andere ‒ wesentlich einflussreichere Gruppe ‒ für die perso-arabische Schrift für Balti engagieren. Auch Chakma in Chakma-Schrift kann man heutzutage kaum im öffentlichen Raum finden. Zudem können die meisten von mir befragten Chakmas diese Schrift nicht lesen, obwohl sie sich ihrer bewusst waren und zudem mit Stolz von ihr berichteten. Es bleibt zu beobachten, ob die Chakma-Schrift tatsächlich mehr Verbreitung finden kann, wenn erst einmal die staatlich erstellten Lehrbücher über einen längeren Zeitraum im Unterricht verwendet wurden. Noch finden sie nur punktuell Verwendung, da die meisten Lehrer diese Schrift selbst nicht lesen können und kaum die notwendigen Weiterbildungsmaßnahmen erhalten. Wenn man in Imphal, der Hauptstadt Manipurs, ist, bekommt man den Eindruck, dass die Implementierung der Meitei Mayek erfolgreich war: Auf jedem Ladenschild, auf jeder Werbung ist die Meitei Mayek zu sehen. Jedoch haben meine Interviews vor Ort ergeben, dass dieser Umstand eher auf die Angst vor militanten Schriftaktivisten zurückgeht. Vor allem Erwachsene können diese Schrift immer noch nicht lesen und fühlen sich offensichtlich kaum motiviert, diese zu lernen, da bis heute kaum Literatur in dieser Schrift vorhanden ist. Zwar lernen mittlerweile alle Meitei-Schulkinder diese Schrift, allerdings gehen die meisten auf englischsprachige Schulen, weshalb sie mehr mit englischsprachiger Literatur vertraut sind. Zudem können sie weder die umfangreiche Meitei-Literatur in Ost-Nagari lesen, noch gibt es ausreichend Publikationen in der Meitei Mayek, um sie mit der Meitei-Literatur vertraut zu machen. Es ist deshalb fraglich, wie sich die Zukunft der Meitei-Literaturproduktion entwickeln wird, wenn mindestens eine Generation von dieser entfremdet ist.

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3. Fazit Auch wenn diese drei Beispiele von Schriftbewegungen nur grob umrissen werden konnten, wurde hoffentlich deutlich, dass Schrift im gegenwärtigen Südasien für einige Gruppen eine große Rolle spielt. Schrift im Falle von Balti, Chakma und Meitei ist ein wichtiges Feld für identitätspolitische Bestrebungen und symbolisiert den Wunsch der Schriftaktivisten nach kultureller Differenz und der Beseitigung von Symbolen, die z.B. im Falle von Chakma und Meitei mit der bengalischen Hegemonie in Gegenwart und Vergangenheit assoziiert werden. Hingegen suchen Balti-Schriftaktivisten, die sich für die tibetische Schrift stark machen, mit ihrer Forderung Anschluss an Gruppen, die in einer benachbarten geopolitischen Entität leben, bzw. an eine glorreiche Vergangenheit, als ihre Vorfahren „Staatsbürger“ des tibetischen Großreiches waren und nicht Staatsbürger zweiter Klasse in einem Staat, mit dessen Nationalidentität sie sich kaum identifizieren können. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass Vertreter des pakistanischen Staats der tibetischen Schrift gegenüber kritisch eingestellt sind, diese mit separatistischen Bestrebungen assoziieren und lieber die persoarabische Schrift für Balti unterstützen. Besonders die Assoziation der perso-arabischen Schrift mit dem Islam, stößt auch bei religiösen Vertretern in Baltistan auf Zuspruch, während die tibetische als „unislamisch“ wahrgenommen wird. Andere Befürworter der perso-arabischen Schrift betonen zudem die Verbreitung und Unumgänglichkeit der Nationalsprache und lingua franca Pakistans, Urdu, in der gleichen Schrift. Die verwaltungspolitische Aufteilung Indiens erlaubt es den einzelnen Bundesstaaten weitreichende Entscheidungen selbstständig zu treffen, weshalb die Einführung der Meitei Mayek nicht von der indischen Zentralregierung abhängig war. Die Schriftaktivisten mussten „lediglich“ in Manipur die entsprechenden Institutionen überzeugen bzw. unter Druck setzen und die lokale Bevölke-

Die Macht der Buchstaben

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rung für sich gewinnen bzw. einschüchtern. Generell ist es in Indien aufgrund der Verwaltungsstruktur möglich, die linguistische Heterogenität zumindest teilweise aufrechtzuerhalten. Im Falle von Bangladesch scheint die Anerkennung der Chakma-Schrift eng mit der Abhängigkeit des Landes von internationalen Entwicklungsgeldern und den Minderheitendiskursen auf globaler Ebene verknüpft zu sein. Besonders die schwierige Situation von ethnischen und religiösen Minderheiten in dem Staat, dessen Nationalidentität zwischen Bengalentum und Islam zu verorten ist, gerät immer wieder in den Fokus internationaler Kritik, weshalb die Erstellung von Lehrmaterialien in der Chakma-Schrift auch als Zugeständnis gegenüber internationalen Kritikern zu verstehen sein muss. Interessanterweise werden im Falle aller Schriftbewegungen als wichtige Argumente die bessere schriftliche Wiedergabe der Sprache und dadurch eine stabilisierende Wirkung für diese angebracht. Jedoch ist anhand des Überblicks zur Bedeutung von Schrift im gegenwärtigen Südasien und den drei ausführlicher diskutierten Beispielen deutlich geworden, dass Schrift im heutigen Südasien unter vielen Gruppen vielmehr eine identitätsstärkende Funktion hat. Gerade unter ethnolinguistischen Minderheiten, deren Sprache nur marginal verschriftlich ist, kann eine eigene Schrift als Nachweis für einen angestrebten Status als Hochkultur, aber insbesondere zur Abgrenzung gegenüber anderen ethnolinguistischen Gruppen, die als eine potentielle Bedrohung für die eigene Kultur und Sprache wahrgenommen werden, dienen. Zwei Faktoren begünstigen die Umsetzung der Forderungen nach einer eigenen Schrift: Zum einen spielen globale Minderheitendiskurse eine wichtige Rolle, die statt der früheren Forderung an kleinere Gruppen, sich in die dominante größere zu integrieren (= Mainstreaming), eine kulturelle Differenzierung und die aktive Förderung für einen Kulturund Spracherhalt bevorzugen, auch wenn diese in den verschiedenen süd-

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asiatischen Ländern sehr unterschiedlich ist. Besonders in Indien, aber auch in Bangladesch stoßen Forderungen von Seiten ethnolinguistischer Minderheiten immer mehr auf ein offenes Ohr, während Pakistan diese nach wie vor kaum beachtet und teilweise sogar als Bedrohung wahrnimmt. Zum anderen ermöglichen technologische Neuerungen, dass Schriftaktivisten selbst ohne staatliche Unterstützung ihre eigenen Fonts am Computer entwerfen und diese über das Internet verbreiten können. Während so, wie oben deutlich wurde, die Druckerpresse zu einer Standardisierung und Homogenisierung von Schriften und Fonts geführt hat, ermöglicht die digitale Technologie eine Heterogenisierung von Schriftlichkeit, die letztendlich eine Schriftvielfalt ermöglicht, wie sie ähnlich bereits vor Aufkommen der Moderne in Südasien vorhanden war. Aufgrund der weitreichenden Vernetzungen und fortschreitenden Bildung der Massen, die an lokalen, nationalen und globalen Prozessen partizipieren möchten, erfordert diese linguistische Heterogenität jedoch eine lingua und sogar scripta franca, die sich im Falle von Südasien als Englisch und die Lateinschrift herauskristallisieren, auch wenn diese Entwicklung nationalistischen Gruppen ein Dorn im Auge ist.

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Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen in der althochdeutschen Schreibtradition Rosemarie Lühr Humboldt-Universität zu Berlin

Die Begriffe „Zeichenlehre“, „Zeichentheorie“, σηµειωιοτική, die bereits die Vorsokratiker diskutierten, erhielten spätestens seit Aristoteles (384‒ 322 v.Chr.) ihre heutige Bestimmung. Die Anwendung auf nichtsprachliche Zeichen geht auf Augustinus (354‒430) zurück. Eine explizit pragmatische Komponente erhält die Semiotik dann im Peirceschen semiotischen Pragmatismus. Ein Zeichen hat nicht nur eine Repräsentations- und Erkenntnisfunktion, vielmehr ist die Bedeutung nicht von seiner Wirkung zu trennen (Hoffmann 2011). Es hat somit eine semiotisch-pragmatische Funktion. Dass nicht nur Wörter, Syntagmen oder außersprachliche Zeichen, sondern auch Schreibzeichen diese Funktion haben können, wird im Folgenden für das Althochdeutsche gezeigt. Ist der Schreiber zugleich Korrektor oder sogar Autor des Textes, kann er durch bestimmte Zeichenformen seine Kommunikationsabsicht dem Leser mitteilen. Diese einmalige Situation ist in althochdeutscher Zeit bei Otfrids Evangelienbuch gegeben. Mit der Hand-

Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen

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schrift Vindobonensis 2687, dem ältesten der vier erhaltenen Textzeugen,1 ist ein Manuskript überliefert, das kurze Textpassagen, Marginalien und eine Vielzahl von Korrekturen enthält, die Otfrid höchstwahrscheinlich mit eigener Hand eingetragen hat. Auch die Initialengliederung wird ihm zugeschrieben. Es kommen Kapitelinitialen, Stropheninitialen und Strophengruppenitialen vor. Textuell gesehen, haben sie die Funktion, den nächst größeren Textabschnitt visuell zu markieren. Merkmale sind Einrückung, Größe der Schreibzeichen und Schriftart. Zunächst geht es um Otfrids eigene Schrift und Initialengliederung im Vindobonensis. Darauf wird die semiotisch-pragmatische Funktion der Kapitelinitialen von Buch III beschrieben. Es ist als letztes der fünf Bücher entstanden und bildet den Kern des Gesamtwerkes. Im Fokus stehen dann aber die Strophengruppeninitialen. 1. Otfrids Schrift Abkürzungen: Klassifizierung der Initialen nach Funktion: KI = Kapitelinitiale; SGI = Strophengruppeninitiale Auszeichnungsschrift: Cap. Quad. = Capitalis Quadrata; Cap. Rust. = Capitalis Rustica; Unziale Auf der Tafel sieht man unterschiedliche Schrifttypen, zunächst die Weißenburger karolingische Minuskel oder Carolina in den althochdeutschen Textpartien.2 Das Textstück enthält auch Auszeichnungsschriften, in

1. Zur Heidelberger und Freisinger Handschrift vgl. Kleiber 2006; Pivernetz 2000. 2. Otfrids Schrift wird als V6 bezeichnet. Butzmann (1972, 22f.) beschreibt diese Hand folgendermaßen: „… obwohl er [Otfrid] zwischen den einzelnen Buchstaben ziemlich viel Luft läßt, gewinnt man den Eindruck eines stetigen Dahinfließens der Zeilen. Die Buchstaben sind klein und fast zierlich“. Von dieser Schrift unterscheiden sich die andern

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der lateinischen Kapitelüberschrift die Capitalis Rustica (Kleiber 2004, 53f., 64): XXX De inrisione sacerdotū et omniū praetereuntium.

Abbildung 1 (Tafel VIII, Abb. 8)

Otfrid IV 29,43‒IV 30,5 Sélbo si thaz wólta, tho si Kríste scolta, thaz si in théra nahi sélbo iz al bisáhi; Theiz wari in álalichi thera sínera líchi, wíht ni missihúlli, sid sí sia selbo spúnni;

fünf Hände deutlich. V1 und V2 sind identisch mit P1 und P2, den Schreibern des Cod. Pal. lat. 52 (Otfrid) Heidelberg. V2 war offenbar V1 unterstellt. V1, der auch als Rubrikator tätig war, V2 und Otfrid haben den größten Teil des Codex niedergeschrieben, V4 nur wenige Seiten, V3, wohl ein Schreibanfänger, und V5 nur etliche Zeilen (Kleiber 2004, 55‒58).

Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen

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Thaz níaman thar ni ríafi, sid sí sia selbo scúafi, thaz wíht thar míssihúlli thes líchamen fólli; Súntar selb si in gáhi Kristan ánasahi, joh sélbon scówoti ana wánk, tho simo skúaf thaz gifánk. Káritas thiu gúata si sélbo iz sus gifúagta; si noh híutu ana wánk wibit Kríste sin gifank. Nist wiht so rédihaftes (drof ni zuífolo thu thés, laz thir quéman iz in múat) so thaz káritas giduat; Si líuzit iz al thanana uz zi themo drúhtines hus, si ist álla zit iowánne símbolon tharínne. Súmenes farent thánana thio iro suéster zuá, afur thísu in min wár ist émmizigen ío thar! XXX. DE IRRISIONE SACERDOTUM ET OMNIUM PRAETEREUNTIUM. Sih fuarun thrángonti umbi ínan tho thie líuti, intéretun nan hérton mit iro skéltworton. Thar stúantun tho ginúage inti hábetun nan zi húahe, zi bísmere hárto mit íro selben wórto. Álle thie thar wárun, joh ouh thar fúrifuarun 2.Weitere Auszeichnungen 2.1. Stropheninitialen, Kapitelinitialen, nomen sacrum Auch Stropheninitialen finden sich auf der Tafel: Es werden „zwei binnengereimte, jeweils durch Abverspunkte getrennte Langzeilen, zusammen[gefasst]“. Durch die vorgesetzte Initiale wirkt der zweite Vers abgerückt und betont auch visuell die Einheit des Verspaares.“ (Kleiber 2004, 71; 1971, 54). Dadurch wird eine gleichbleibende Anordnung hergestellt. Das Textstück enthält weiterhin eine althochdeutsche Kapitelinitiale, näm-

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lich in IV 30,1 Sih. Im Apparat zu dieser Initiale erscheinen folgende Angaben: K[apitel]I[nitiale], Cap[italis] Quad[rata], Größe 11/4 ZII [Zeilen], 1,1 cm (Kleiber 2004, 94 Am. 30) Ein nomen sacrum3, abgekürztes Χριστός, Dativ Kríste, enthält die erste Zeile, x́ p̄ c4. Die Kontraktion bei nomina sacra war ursprünglich ein Zeichen ihrer Weihe und Göttlichkeit. Man wollte diese nomina verhüllen und gleichzeitig auszeichnen (Traube 1907, 6)5.

2.2. Kapitelinitialen in Buch III Die kunstvolle Gliederung von Buch III hat Kleiber (1971) aufgedeckt.6 Es handelt von Wundern und Lehren Christi (Kleiber 1971, 307)7 und ent-

3. Otfrid nennt sie Nomina dei. 4. Merkwürdigerweise erscheint der Name Jesus bei Otfrid überhaupt nicht. Nach Kleiber (1971, 73) wollte Otfrid möglicherweise, wie auch anderweitig bezeugt, den jüdischen Hintergrund, vor allem bei Namen, in seinem Werk zurücktreten lassen. 5. nomina sacra allein können keine Strophengruppeninitalen verursachen. An der folgenden Textstelle mit Krist ist nur N in vorausgehendem Nichódemus ausgezeichnet. Warum Krist keine Auszeichnung erhält, ist klar: Es steht im Satzzusammenhang: V 35, 17‒20 Nichódemus ther gúato, er quám thar tho gimúato, unz ér nan tho thána nam, ther náhtes er ju zi ímo quam; Ther bráng mit imo in wára sálbun filu díura, Krist zi sálbonne, so thar was sítu thanne. ,Der fromme Nikodemus, kam da in Liebe dorthin, als man ihn dort vom Kreuze nahm, der kam nun bei Nacht zu ihm: der führte fürwahr sehr kostbare Salbe mit sich, um Christus zu salben, so wie es damals Sitte war.‘ Das bei Otfrid am häufigsten belegte Krist, insgesamt 170-mal, kommt regellos gekürzt und ungekürzt vor: x́ p̄ c vs. Krist. 6. In seinem Approbationsschreiben, der Bitte um Freigabe seines Textes, an den Erzbischof Luitbert von Mainz schreibt Otfrid, dass Buch III nicht ordinatim ,in geordneter Reihenfolge‘ entstanden ist, sondern – so Otfrid ‒ frei, meae parvae memoriae ,meinem armseligen Gedächtnis‘ folgend. 7. Die Überschrift von Buch III ist seinem Inhalt entsprechend im Palatinus von De miraculis Domini zu De miraculis Domini et de doctrina Judaios erweitert.

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hält die meisten exegetischen Kapitel ‒ sie sind mit Mystice, Moraliter und Spiritaliter überschrieben. Sie folgen der intelligentia spiritualis oder dem sensus spiritualis. Moraliter dient der Belehrung, Spritaliter meint eine erklärende theologische Deutung des Textabschnitts und Mystice stellt als eine Art Prophezeiung einen Zusammenhang zwischen einem erzählten Text mit dem Leben nach dem Tod her (Schnelle 2017, 73).8 Zusammen mit den Kapiteln nach der historica interpretatio oder dem sensus literalis, d.h. dem wörtlichen Textsinn, bilden sie die vier Textinterpretationsebenen oder den vierfachen Schriftsinn der seit der Spätantike und im gesamten Mittelalter

geläufigen

Exegesepraxis

(Scheffczyk

1962,1298;

McKenzie

1967,18). In der Mitte von Buch III rahmen zwei Moraliter- und ein SpiritaliterKapitel sieben Kapitel in der Mitte ein. Die äußeren Kapitel schildern die Wundertaten Jesu. Nach Kleiber (1971, 316‒333) ergibt sich folgende Gliederung: III 5

III 7

III 11

Mor.

Spir.

Mor.

7 Kapitel III 19 Mor.

III 21

III 26

Spir.

Mor.

Die Verszahl der Rahmenkapitel ist symmetrisch: III 5 III 7

III 11

22

32

90 144

7 Kapitel III 19 38 492

III 21

III 26

26

70

144

Verse Verse

8. Die intelligentia spiritalis, der ‚geistige Sinn‘, wird unterteilt in allegoria, tropologia oder – in scholastischer Tradition ‒ sensus moralis und die anagogia (vgl. Schildenberger 1964, 491). „In der allegoria werden die Geheimnisse Christi und seiner Kirche vorgebildet, die anagoge führt zu den himmlischen (und eschatologischen) Geheimnissen hinauf. […] der moralische Sinn kommt in der Auswertung des Wortsinns für das sittlich-religiöse Handeln zur Geltung.“ (Schildenberger 1964, 491).

400

Rosemarie Lühr

Kleiber (1971, 316) sieht in der Zahl 144 das Quadrat der 12, also der Apostelzahl als einer bedeutsamen Symbolzahl. Die Siebener Gruppe ist durch folgende Kapitalinitialen ausgewiesen: III 12

III 13

III 14

III 15

III 16

III 17

III 18

B

E

T

T

T

E

V

Bigan

Er

Thes

Thie

Tho

Er

Vntar

Diese Gruppe spiegelt folgende theologische Intentionen Otfrids: 1) Der Widerstreit zwischen Glaube und Unglaube 2) Die hypostatische Union in Jesus Christus (Kleiber 1971, 320f., 324) Der Mensch soll seinen Unglauben überwinden und die Menschwerdung Jesu als Mittel seiner Erlösung begreifen. Zu der ordnenden Funktion der Kapitelgliederung in Buch III kommt noch folgende semiotisch-pragmatische hinzu: III 14, 15 und 16 zeigen drei gleiche T-Initialen. Wie Kleiber (1971, 318) annimmt, symbolisiert T (Tau) das Kreuz, das Sinnbild der Überwindung des Todes und des ewigen Lebens (Kretschmer 2008, 234).9 3. Strophengruppeninitialen Was nun die Strophengruppeninitialen betrifft, so liegt die Annahme nahe, dass Otfrid bei der Setzung dieser Initialen ebenso überlegt vorgegangen ist, wie er es bei den Kapitelinitialen getan hat.10 Zu unterscheiden ist

9. Die crux commissa ist ein altes heiliges Zeichen für den Mittelpunkt der Welt. Das Kreuz war damals eines der grausamsten Hinrichtungsinstrumente. 10. Als Initialensondertyp haben sich Strophengruppeninitalen erst allmählich im Laufe von Otfrids Arbeit an Buch I ausgebildet (Kleiber 2004, 69).

Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen

401

zwischen Strophengruppeninitialen in Kapiteln nach dem sensus literalis und dem sensus spiritualis. 3.1. sensus spiritualis Strophengruppeninitialen nach dem sensus spiritualis sind leichter zu begründen als nach dem sensus literalis. Untersucht wird aus der Mitte des III. Buches das Kapitel III 7 Spiritaliter. Es geht um die Deutung der Brotvermehrung. Um die richtige Auslegung bittet Otfrid Gott gleich am Anfang. Es ist ein Gebet (Haunschmidt 2017: 39): (1) (a) III 7, 1‒4

Drúhtin min ther gúato, nu ríhti mih gimúato, zi thísu mir then húgu dua joh thaz hérza tharzua, Tház ih hiar gizéine waz thiu thin góuma meine, mit géistlichen rédinon then thínen liobon thégenon. ,Mein guter Gott, nun leite mich gnädig, verleihe mir dazu Verstand und dazu auch das Herz, dass ich hier erkläre, was diese deine Speisung in geistlicher Auslegung für deine liebe Diener bedeutet.‘

Drúhtin, KI, Cap. Quad.

11

Auch am Ende des Kapitels folgt auf eine kurze Narration ein Gebet, das das zentrale Thema der Auslegung, die geistliche Speisung, wiederaufnimmt. Kennzeichen ist die indirekte Anrede des Herrn mit ,er‘ (Haunschmidt 2017, 54): (1) (b) III 7, 87‒81

Thie líuti datun mári thaz fórasago er wári; quam úns gilóuba hérasun thaz ér ist selbo gótes sun.

11. Drúhtin enthält eine Kapitelinitiale und ist daher größer als die Strophengruppeninitialen (Kleiber 2004, 68f.). Zu den folgenden Beschreibungen der Initialen vgl. Kleiber 1974.

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Rosemarie Lühr

Er wérd unsih giblíden io zen góumon sinen, húngere biwérien joh ouh fon tóde nerien! ,Das Volk machte bekannt, dass er ein Prophet sei; uns aber kam der Glaube, dass er selber Gottes Sohn ist. Er werde uns bei seinem Mahl erfreuen, uns vor der Hungersnot bewahren und auch vom Tod erretten!‘

Thie, SGI, Cap. Quad. Wie die Siebener Gruppe in der Mitte von Buch III durch exegetische Kapitel eingerahmt ist, umgeben in dem Spiritaliter-Kapitel also zwei Gebete die Deutung. Otfrid bringt aber auch zum Ausdruck, dass seine Exegese der Speisung unvollständig sein kann. Es ist eine Art Bescheidenheitsbekundung. (1) (c) III 7, 49‒52

Ob iz war zi thíu gigat thaz man thia díufi ni firstát, thero brósmono kléini joh thes brótes reini: Lésent zi ín thia rédina thie hóhun gotes thégana; in giscríp iz kléibent thaz míne gilichon léibent. ,Wenn es irgendwo dazu kommt, dass man die Tiefe nicht fasst, den tiefen Sinn der Krümel und des Brotes lautere Bedeutung: die Deutung sammeln die hohen Diener Gottes auf; sie kleiden es in Worte, was meinesgleichen übrig lässt.‘

Ob, SGI, Cap. Quad. Die sonstige Gliederung ist klar: Otfrid gibt eine Fülle von Gleichnissen, die strophenweise abgehandelt werden: (1) (d) III 7, 13f.

Galiléa, thaz ih quád, theist in frénkisgon rád,

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thaz sih io úmbi zerbit joh émmizigen wérbit. ,Galilea, das ich nannte, das ist auf fränkisch Rad, das sich stets umdreht und sich beständig umdreht.‘

Galiléa, SGI, Cap. Quad. (1) (e) III 7, 23f.

Thes sarphen wízodes nót bizéinot thisu fínf brot, mit thíu er io in nóti thuángta thie líuti. ,Auf den Zwang des strengen Gesetzes weisen die fünf Brote, mit denen er fürwahr stets eindringlich die Menschen in Zaum hielt.‘

Thes, SGI, Cap. Quad. (1) (f) III 7, 33f.

Thie selbun físga zeinent waz fórasagon méinent; thiu góuma losget tháre so físg in themo wáge. ,Eben diese Fische bezeichnen, was die Propheten mitteilen. Die Nahrung ist dort verborgen so wie der Fisch in dem Wasser.‘

Thie, SGI, Cap. Quad. (1) (g) III 7, 63f.

THaz gras sint ákusti, thes líchamen lústi; sie blýent hiar in mánne sar zirthórrenne ,Die Gräser sind die Sünden, des Fleisches Lust, sie blühen hier bei dem Menschen, um alsbald zu verdorren.‘

THaz, SGI, Cap. Quad., Cap. Rust. Die Juden sind gemeint: (1) (h) III,7, 37‒39

Ther knéht ther thaz allaz drúag, er es wíht ni giwúag, er ímo iz ni ginúzta, furi ándere ouh ni sázta;

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So duent thie Júdeon in wár: ,Der Knabe, der das Alles trug, er erwähnte es nicht, er benützte es nicht für sich, setzte es anderen nicht vor. So handeln in der Tat die Juden:‘

Ther, SGI, Cap. Quad. Gegen Ende des Kapitels spricht Otfrid auch seine Leser und Hörer an. Er bezieht sich mit ein und wählt die erste Person Plural: (1) (i) III, 7, 69f.

Ni múgun wir, thoh wir wóllen, thoh wír es ouh bigínnen, zi then Kristes góumon sizzen, wir sélbon ni giwizzen. ,Wir können nicht, selbst wenn wir es wollen, selbst wenn wir es versuchen, an Jesu Mahl teilzunehmen, wenn wir nicht dazu fähig sind.‘

Ni, SGI, Cap. Quad. Mit einem Imperativ wendet sich Otfrid nur an seine Leser und Hörer: (1) (j) III 7, 75f.

Lís thir mit giwúrti in thero búahstabo hérti, grúbilo in giríhti in thes giscríbes slihti: ,Lies mit Freude die Härte der Buchstaben, dringe in richtiger Weise in die Schlichtheit der Heiligen Schrift ein‘

Lís, SGI, Cap. Quad. Gebet, Bescheidenheitsbekundung, Gleichnis, Appell an Leser und Hörer liefern also klare Strophengruppengliederungen:

precatio (Otfrid) ‒ captatio benevolentiae (Otfrid) ‒ parabola (Otfrid) ‒

advocatio ad legentes et audientes (Otfrids Aufforderung an

den Leser, die Heilige Schrift selbst zu lesen) (1)(a) – (1)(j).

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3.2. sensus literalis Nicht so eindeutig ist die Motivation für die Strophengruppengliederung in den Kapiteln nach dem sensus literalis. Es gibt zwar Präferenzen. Otfrid weicht aber zuweilen davon ab. Im Folgenden versetzen wir uns in den Dichter und versuchen Otfrids Gründe für die Abweichung von seinen Präferenzen herauszufinden. Zuerst wird stets ein klar gegliedertes Textstück analysiert, dann folgt die Beschreibung der Abweichungen. 3.2.1. oratio recta Kleiber (1971, 190‒194) hat Strophengruppeninitialen bei Otfrid vor allem anhand der oratio recta untersucht. Die Strophengruppeninitiale hinter einer direkten Rede bezeichnet er als eine Art von „Gruppenschlusstechnik“ (Kleiber 1971, 193).12 Solche Initialen würden nach einer oratio recta fast regelmäßig „gleichsam als Schlusspunkt zum Vorherigen und als Zeichen eines Neuanfangs“ fungieren (Kleiber 2004, 72). In der Tat ist diese Art der Auszeichnung die häufigste. Betrachtet man aber die mit Strophengruppen-initialen ausgezeichneten Verse näher, entsteht der Eindruck, dass es sich eher um eine „Gruppenbeginntechnik“ handelt. Eines von Kleibers Beispielen ist Otfrids Erzählung von der Auferweckung des Lazarus13: Martha und Maria berichten Jesus von der Krankheit des Lazarus. Jesus bricht erst am dritten Tage nach Judäa auf. Die Jünger weisen ihn auf die Gefahren hin, die ihm von den Juden drohen: (2) (a) III, 23, 31‒32 „Méistar“, quádun, „hugi thés: sie fárent thines férehes mit selb stéinonne; nu súachist sie afur thánne?“

12. Zu inhaltlichen Bezügen vgl. Kleiber 1971, 189‒194. 13. Kleiber teilt die Verse III, 13, 1‒60 in 10 durch Strophengruppeninitialen gekennzeichnete Gruppen.

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,„Bedenke, Meister“, sagten sie, „sie stellen deinem Leben nach selbst mit der Steinigung; und nun suchst du sie wieder auf?“‘ Darauf folgt ein Vers mit einer Strophengruppeninitiale in einer oratio recta. Es findet ein Sprecherwechsel statt, Turn-Taking, wobei allein Jesu Rede ausgezeichnet ist: (2) (b) III, 23, 33f. „Ia sínt“, quad er, „bi nóti zuelif dágo ziti, thio iro stúnta werbent joh themo dáge folgent.“ ,„Ja, es sind doch“, sagte er, „genau zwölf Stunden an jedem Tag, die zu jeder Stunde abrollen und so dem Tag folgen?“‘14

Ia, SGI, Cap. Quad. Die Struktur ist: oratio recta (Jünger) ‒ oratio recta (Jesus) (2)(a) – (2)(b). Eine Abweichung von dieser Struktur ist (3)(a): Jesus weigert sich, sich auf dem Laubhüttenfest zu erkennen zu geben. (3) (a) III 15, 27‒36

Firságet er in thaz gizámi; sin zít, quad, noh ni quámi, er sih mit gúalliche iróugti in themo ríche. „Ni mag thiu wórolt, wizit tház, haben in íu theheinan ház,

14. Dass eine wörtliche Rede hinter einer anderen wörtlichen Rede eine bedeutende textgliedernde Funktion hat und markiert wird, zeigt auch das althochdeutsche Hildebrandslied: Halbverse ohne eine Stabreim tragende Entsprechung verwendet der Dichter dazu, um den Anfang bzw. Abschluss von direkten Reden anzuzeigen. So beginnt die direkte Rede Hildebrands mit: Hl V. 10 *eđđo [h]welihhes cnuosles đu sis und die darauffolgende Rede Hadubrands mit Hl V. 14, StD V. 15 *đaz sagetun mir unsere liuti. Den Abschluss der Rede Hadubrands bildet: Hl V. 27b, StD V. 29 *ni, waniu ih, iu lib habe. (Lühr 1982; 2018)

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in ábuh kéren zi iu thaz múat, só ther liut zi mír duat. Wanta íh zellu in nóti iro ármilichun dáti, thio míssidat, so ságen ih; bi thiu inkúnnun sie mih.“ Quad thaz síe thara fúarin, joh iro zítiz warin. sie síh tho sar irhúabun, zen wíhen zitin fúarun.

Er áfter thiu gidóugno, nales ófono tho, fuar thára mit then sínen zen stétin filu wíhen. ,Er verweigert ihnen diesen Schritt, seine Zeit, sagte er, sei noch nicht gekommen, dass er sich mit seiner Herrlichkeit in der Gegend zeige. „Nicht kann die Welt, wisst das, gegen euch irgendeine Feindschaft haben, ins Böse gegen euch den Sinn verkehren, wie das Volk mir tut. Weil ich fürwahr ihre erbärmlichen Taten aufzähle, ihre Missetaten, so sage ich euch, deswegen klagen sie mich an.“ Er sagte, dass sie dorthin gehen sollten, es sei ihre Zeit. Sie brachen sogleich dann auf, zu der heiligen Festzeit begaben sie sich. Erst später ging er heimlich, nicht öffentlich dahin mit den Seinen zu der heiligen Stätte.‘

Firság&, SGI, Cap. Quad. Er, SGI, Unziale, Cap. Rust. Im Johannesevangelium ist die Anweisung an die Jünger als direkte Rede formuliert: (3) (b) J 7, 8 [vos ascendite] ad diem festum hunc! ego autem non ascendo, quia meum tempus nondum impletum est. ‚Gehet ihr hinauf auf dieses Fest; ich will noch nicht hinaufgehen auf dieses Fest, denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.‘ Der Grund für die fehlende Auszeichnung der direkten Rede Jesu liegt in der Struktur des durch Strophengruppeninitialen gekennzeichneten Ab-

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schnitts: Auf eine kurze Narration, die sich auf Jesus bezieht, folgen eine direkte und eine indirekte Rede Jesu und denn wieder eine Narration mit Bezug auf die Jünger. Dadurch, dass Otfrid die Anweisung an die Jünger indirekt wiedergibt, erhält zwar der Inhalt der vorausgehenden direkten Rede Jesu mehr Gewicht. Dennoch verwendet Otfrid eine Strophengruppeninitiale erst dann, wenn hinter der Fortführung der Narration vom Aufbruch der Jünger wieder von Jesus die Rede ist, also ein Neuansatz vorgenommen wird. Die Kennzeichnung des thematischen Zusammenhalts des Textabschnitts ist also Otfrid wichtiger als nach einer oratio recta eine Strophengruppeninitiale zu setzen. Somit ergibt sich:

narratio (über Jesus) + oratio recta (Jesus) + oratio obliqua (Jesus) + narratio (über die Jünger) ‒ narratio (über Jesus) (3)(a) – (3)(b). 3.2.2. antagonismus Der Antagonismus zwischen Jesus einerseits und dem Teufel und Judas andererseits führt zur Auszeichnung des nomen sacrum Kríst in (4): (4) IV 11, 1‒6

So síe tho thar gázun noh tho zi dísge sazun: spíohota ther díufal selbon Júdasan thar. Dét er sos er ío duat, wárf iz hárto in sinaz múat, thes náhtes er gisítoti, er drúhtinan firséliti.

Xr̄ c mínnota thie síne unz in énti themo líbe, thi er zi zúhti zi imo nám, tho er erist brédigon bigan. ,Als sie da dort gegessen hatten, da noch bei Tische saßen, erspähte der Teufel eben den Judas dort. Er tat, wie er immer tut, er gab ihm eifrig ein, dass er nachts es bewerkstelligen sollte, dass er den Herrn übergab. Christus liebte die Seinen bis an das Ende seines Lebens, die er zur Schulung zu sich genommen hatte, als er zum ersten Mal zu predigen begann.‘

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So, KI, Cap. Quad. Xr̄ c, SGI, Cap. Quad., Cap Rust. Die Strukturierung ist einfach:

narratio (über Judas) ‒ narratio (über Jesus) (4) Antagonismus bestimmt auch sonst Otfrids Setzung von Strophengruppeninitialen. (5) VI 12, 19‒24

THo sprachun sie álle fon ín: „ja íh iz, drúhtin, ni bín? ja iz hérza min ni rúarit noh súlih balo fúarit!“ Thoh síe sih westin réinan úzana then éinan, gilóubtun sie mer hárto thero sínero worto.

Quad tho Júdas ther iz ríat joh állan thesan scádon bliant, er sprah mit únwirdin: „meistar, ja íh iz ni bin?“ ,Da sprach jeder von ihnen: „Ja, ich bin es doch nicht, Herr? Ja, dies bewegt mein Herz doch nicht, noch führt es solches Unheil herbei!“ Obwohl sie sich mit Ausnahme des einen für unschuldig hielten, glaubten sie doch weitaus mehr seinen Worten. Es sagte da Judas, der es riet und das ganze Unheil anstiftete, er sprach mit unwürdigem Benehmen: „Meister, ja, bin ich es? ‟‘

THo, SGI, Cap. Quad., Cap Rust. Quad, SGI, Unziale Es ergibt sich folgende Strukturierung:

narratio (über die Jünger) + oratio recta (Jünger) + narratio (über die Jünger) ‒ narratio (über Judas) + oratio recta (Judas) (5)

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Anders verhält es sich in (6). Wie in (4) und (5) kommt zwar auch an der folgenden Stelle Judas als Antagonist zu Jesus vor. Die Verse, die auf Judas referieren, sind aber nicht ausgezeichnet: Auf die Frage der Jünger, wer ihn verrät, antwortet Jesus: (6) IV 12,37‒47 „THaz sítot“, quad er, „ana nót themo ih bíutu thiz brót.“ tho nám er eina snítun thar inti bot sa Júdase sar. After thémo muase so kleib er sátanase, joh wíalt sin sár ubar ál, sélbo ther díufal. So er zi thíu tho giwánt thaz er thia snítun thar firslánt: úzgiang sar tho líndo ther díufeles gisíndo. Spráh tho drúhtin zi imo sár (ni tház er iz gibúti in war!): „thaz thu in múate fuaris, slíumo so giscíari iz.“

Ni wás thar ther firstúanti, waz er mit thíu meinti, ouh thia múatdati thehéino mezzo irknáti ,„Das bewirkt der“, sagte er, „dem ich ohne Zwang dieses Brot anbiete.“ Da nahm er eine Schnitte und bot sie dem Judas da an. Nach dem Mahl hing er [Judas] dem Satan an, im Augenblick beherrschte ihn der Teufel selber ganz und gar. Nachdem er sich angeschickt hatte, dass er die Schnitte da verschlang, ging er alsbald leise hinaus, der Geselle des Teufels. Es sprach da der Herr zu ihm sofort (es war wahrlich nicht der Fall, dass er es gebot!). „Was du im Sinn hast, führe es ganz schnell aus.“ Es war keiner da, der verstand, was er damit meinte und auf irgendeine Weise die Absicht erkannte.‘

THaz, SGI, Cap. Quad., Cap Rust. Ni, SGI, Cap. Quad.

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Jesus und Judas müssen an dieser Stelle einander nicht gegenübergestellt werden, Judas ist schon vorerwähnt, und der Vers mit einer Strophengruppeninitiale versehen. Erst Otfrids Interpretation ist wieder ausgezeichnet. Die Reden Jesu schließen dabei die Judas betreffende Narration ein. Somit ergibt sich folgende Strukturierung:

oratio recta (Jesus) + narratio (über Judas und Jesus) + oratio recta (Jesus) ‒ interpretatio (Otfrid) Otfrid sucht also bei seinen Kontrastierungen Redundanzen in der Auszeichnung zu vermeiden. 3.2.3. cogitationum interpretatio Judas und Jesus erscheinen auch an der folgenden Stelle: (7) (a) IV 16,23‒28

Zi ín sprah tho Júdas, ther iro léitiri was, fúrista ouh in wára thera ármilichun fára: „Thaz ír ni missifáhet (ni wánu ir nan irknáhet), séhet then ih kússe, so sít es sar giwísse; Ther íst iz, sagen ih íu in wár, then gifháhet ir sár, sar zi thémo wipphe, thaz er iu nintslúpfe!“ ,Zu ihnen sprach da Judas, der ihr Führer war, auch tatsächlich der Erste des armseligen Zuges: „Damit ihr nicht fehlgreift (ich denke nicht, dass ihr ihn erkennt), seht den, den ich küsse, so seid ihr dessen dann sicher. Der ist es, sage ich euch fürwahr, den ergreift sofort, auf der Stelle in dem Augenblick, damit er euch nicht entwische.“‘

Zi, SGI, Cap. Quad. Otfrid erklärt im nächsten Abschnitt, warum Judas vermutet haben könnte, dass die Jünger Jesus nicht erkennen. Er fungiert hier als auktoria-

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ler Erzähler und nimmt eine Gedankenauslegung, eine cogitationum interpretatio, vor. Er kennzeichnet diese Art der Auslegung mit ausgezeichnetem Óda ,vermutlich‘15: (7) (b) IV 16,29‒34 (Óda er horta gáhun fon thén theiz gisáhun, wíolih er sih fárota, in themo bérge sih gibílidta; Tho wánt er in ther nóti sih ánderlichan dáti, tház man nan nirknáti joh thiz bi thíu quati; Sin kráft ouh thi uns giscríban ist, theiz wari góugulares líst, mit thíu sih in biwériti joh síh fon in ginériti.) ,(Vermutlich hatte er sofort von denen, die es gesehen hatten, gehört, wie er sich veränderte, sich auf dem Berg verwandelte; da dachte er, dass er sich notwendigerweise in einen anderen verwandeln müsste, so dass man ihn nicht erkannte und dass er dies deshalb gesagt habe, dass seine Herrlichkeit, die uns beschrieben wird, die Kunst eines Gauklers sei, mit der er sich beschützte und sich vor ihnen rettete.)‘ Óda, SGI, Cap. Quad., kleine Unziale. Dann erst folgt die Narration dem Geschehen um Jesus mit Auszeichnung des nomen sacrum und einer direkten Rede Jesu: (7) (c) IV 16,35f.

Xp̄ c giang fórna, sos iz zám, jóh ingegin ín quam; er slíumo sar tho zín sprah: „wenan súachet ir?“ quad. ,Christus trat hervor, wie es sich geziemte, und kam ihnen entgegen. Er sprach zu ihnen alsbald: ,„Wen suchet ihr?“ so sagte er.‘

Xp̄ c, SGI, Cap. Quad. 15. Es liegt also eine intra-speaker-variation vor (Schnelle 2017, 4).

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Die Strophengruppeninitialen dienen hier also der Markierung des Perspektivenwechsels. Die Reihenfolge ist: narratio (über Judas) ‒ oratio recta (Judas) ‒ cogitationum interpretatio (Otfrids Interpretation von Judas‘ Gedanken) ‒

narratio (über Je-

sus) + oratio recta (Jesus) Ein Perspektivenwechsel erscheint auch in dem mit BREVIS AMMONITIO DE SIGNIS überschriebenen Kapitel III 1416 der Siebener Gruppe. Es geht unter anderem um die Heilung der blutflüssigen Frau. Die Textstelle im Markusevangelium enthält einen inneren Monolog: (8) (a) Mk 25,28 dicebat enim quia si vel vestimentum eius tetigero salva ero et confestim siccatus est fons sanguinis eius et sensit corpore quod sanata esset a plaga ,Denn sie sprach: „Wenn ich nur sein Kleid anrühren könnte, so würde ich gesund.“ Und alsbald trocknete die Quelle ihres Bluts aus; und sie fühlte es am Leibe, dass sie von ihrer Plage gesund geworden war.‘ Bei Otfrid ist zunächst die Menschenmenge um Jesus, in der sich die kranke Frau befand, beschrieben. Dann heißt es: (8) (b) III 14,17‒22

Bigonda génu dráhton, in ira múate ouh áhton, si sih zi thíu gifiarti, tház siu ịnan birúarti (Thoh bi thía meina thia drádun ekord éina); si iz zi thíu gisítoti, thaz méra wiht ni géroti

16. Kapitel III 14 hat 11 Strophengruppeninitalen bei 120 Versen. Es enthält eine Zusammenstellung von Wundern nach Matthäus, Markus und Lukas (Kleiber 1971, 321).

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Thaz sár io mit giwúrti si wola gánz wurti; joh ób iz zi thíu wurti, thaz blúat iru firstúlti! ,Jene fing an zu überlegen, bei sich überdies nachzudenken, wie sie es anstellen konnte, dass sie ihn berührte (jedoch wahrlich nur einen einzigen Faden!), dass dieses ihr gelänge, dass sie mehr nicht wünschte, dass sie alsbald dann ganz gesund würde und ob es dazu käme, dass ihr Blut zum Stehen kam, dass sie bald mit Freude ganz gesund würde und ob es dazu käme, dass ihr Blut gestillt wurde!‘

Bigonda, SGI, Cap. Quad. Thoh, SGI, Cap. Quad. Otfrid ist wieder auktorialer Erzähler und führt den inneren Monolog der kranken Frau im Markusevangelium in einer cogitationum interpetatio fort. Er leitet seine Interpetation mit einem durch eine Strophengruppeninitiale ausgezeichneten Ausruf ,jedoch wahrlich nur einen einzigen Faden!‘ ein. Mit der Bekundung seines Erstaunens appelliert Otfrid an seine Leser, die Größe von Jesu Wunder anzuerkennen. Otfrid fährt dann mit der biblischen Narration fort; er setzt aber keine Strophengruppeninitiale: (8) (c) III 14,23‒28 Si iz zi thíu bibrahta joh drúhtine sih náhta, joh iz zi thíu gifiarta, thes giwates trádon ruarta. Mit míhileru ílu so wárd si sár io heilu, sar io thía warba in allen ánahalba. Sar gab stál, thaz ist wár, mer zi rínnanne thár brúnno thes blúates; so fúalta sar * thes gúates. ,Sie brachte es dazu, dass sie sich dem Herrn näherte und es gelang ihr, dass sie einen Faden des Gewandes berührte. Unverzüglich war sie da ganz und gar gesund, da auf diese Weise in jeder Hinsicht. In

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diesem Augenblick hörte tatsächlich der Blutstrom plötzlich zu fließen auf; So fühlte sie sogleich Genesung.‘ Die Ursache für die fehlende Auszeichnung ist: Es findet kein Personenwechsel statt. Als aber Jesus wieder ins Spiel kommt, wird dieser Abschnitt erneut durch eine Strophengruppeninitiale kenntlich gemacht. (8) (d) III 14,29‒30

Sih drúhtin kerta wídorort, ther thia héili thar gibót, joh frágeta bi nóti, wér nan thar tho rúarti. ,Da wendete sich der Herr um, der ihr zur Gesundheit verholfen hat. Er frage nachdrücklich, wer ihn berührt hätte.‘

Sih, SGI, Cap. Quad. Als Struktur ergibt sich:

narratio (über die kranke Frau) ‒ cogitationum interpretatio (Otfrids Interpretation der Gedanken der kranken Frau) + narratio (über die kranke Frau) ‒ narratio (über Jesus) + oratio obliqua (Jesus) Perspektivenwechsel infolge einer Gedankenauslegung ist also nicht immer die Ursache für Strophengruppeninitialen. Otfrid kann innerhalb einer Strophengruppe trotz Wechsel von Narration auf den auktorialen Erzählstil bei ein und derselben Person bleiben, um einen Personenwechsel, in diesem Fall zu Jesus, in der nächsten Strophengruppe hervorzuheben. 3.2.4. allocutio ad legentes et audientes Ein Beispiel für Appelle an den Leser oder Hörer mit Strophengruppeninitialen aus der Siebener Gruppe ist die eben angeführte Narration von der blutflüssigen Frau. Die allocutio beginnt nach Jesu Rede: (9) (a) III 14, 47‒54 „Fár“, quad er tho, „innan thés, tohter, héimortes

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mit frídu joh mit gúatu, mit gilóubu so gihéiltu. Gilóuba thin in wára thiu déta thih hiar héila, thiu déta thaz gizámi, thu hiar thia fruma nami. “

Maht lésan in theru rédinu zéichan filu mánagu, giwísso, so ih thir zéllu, thiu er deta sáman ellu: Wio fuarun thiu díufilir úz thar zi Pétruses hus tho drúhtin thaz giméinta, er sina suígar heilta. ,„Geh“, sagte er da, „hinein, Tochter, nach Hause mit Frieden und auch mit Gnade, durch deinen Glauben bist du nun geheilt. Dein Glaube, fürwahr, der machte dich hier gesund, der bewirkte das Wunder, dass du hier die Wohltat empfingst.“ Auf diese Weise kannst du sehr viele Wunder lesen, gewiss, wie ich dir sage, die er allesamt mit Eifer wirkte. Wie die Teufel da in des Petrus‘ Haus fuhren, als der Herr beschloss, dass er seine Schwiegermutter heilte.‘

Maht, SGI, Unziale Otfrid beschließt die Aufzählung von Wundern und fährt mit einem erneuten Appell, der eine Strophengruppeninitiale aufweist, fort – er beruft sich ausdrücklich auf die Evangelien von Matthäus und Lukas: (9) (b) III 14, 63‒68 Thíe ouh zi imo súnnun thie mit díufele wúnnun, hórngibruader thánne, thie héilt er sár io alle.

Lis thir Mátheuses déil, wio ward ein hórngibruader héil; in Lúcases deile, wio zéhini wurtun héile. Thár sint ouh gizálte béttirison álte, úmmahtige mán; thie heilt er ál so gizam. ,Die kamen auch zu ihm, die mit dem Teufel kämpften, dann die Aussätzigen, die heilte er alle zugleich. Lies den Teil des Matthäusevangeliums, wie ein Aussätziger geheilt wurde, im Lukasevangelium wie

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zehn geheilt wurden, dort sind auch die bejahrten Bettlägerigen aufgezählt, kraftlose Menschen; die heilte er alle zusammen.‘

Lis, SGI, Cap. Quad. Kennzeichen der Leserappelle sind die 2. Person Singular Indikativ maht lesan und der Imperativ lis thir. Die Abfolge ist:

allocutio ad legentes et audientes (Quellenhinweis für den Leser) + narratio (über die Aussätzigen) ‒ allocutio ad oratio recta (Jesus) ‒

legentes et audientes (Aufruf an den Leser, das Matthäus- und Lukasevangelium selbst zu lesen) Anders verhält es sich bei folgendem Beleg: In (10) sind allocutiones in der Mitte der Langzeile mit der biblischen Narration über die Verklärung des Herrn verwoben, weshalb Otfrid keine Strophengruppeninitalen einsetzt. Strophengruppeninitialen erscheinen vielmehr bei der Zeitangabe und bei dem Wechsel der Protagonisten: (10) III, 13,43‒58

Er ahto dágon after thíu (thaz zellu ih híar nu bi thíu, thaz thu thir sélbo leses thár thaz séltsana wuntar, Zi thiu er sár tho gifíang), er úfan einan bérg giang. thar lisist thu ouh ana wán, thaz thrí er hiaz mit ímo gan; Joh sie thar in gáhun scóni sino sáhun, wio sie ouh mit únredinon in wóltun thar gisélidon.

Ther fáter iz gisúazta, then sinan líobon grúazta, quad er wári (weist es mér) éinego síner. Móyses giwaro, Helías ouh ther máro fon heilegero ménigi quámun thara ingégini. Zélit thir iz Lúcas waz iro thíng thar tho wás,

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waz sine scálka in feste thar kósotun mit Kríste.

Thie júngoron thar tho gáhun thera scóni hintarquámun, joh sie tho théro dato irfórahtun sih thráto; Er in sélbo gibot, thaz sie iz hálin thuruh nót, unz thiu sín guati uf fon tóde irstuanti. ,Hierauf, noch vor dem achten Tag (das erzähle ich nur deshalb hier, damit du selbst von dem seltsamen Wunder liest, zu dem er sich alsbald anschickte), ging er hinauf auf einen Berg. Da liest du auch fürwahr, wie er drei aufforderte, mit ihm zu gehen und sie da plötzlich seine Herrlichkeit sahen, wie sie sich nämlich ohne Verständnis da niederlassen wollten. Der Vater machte es verständlich, er redete den lieben Sohn an, er sagte, er sei (du verstehst es besser) sein einziger Sohn. Moses wahrhaftig, auch der berühmte Elias aus der heiligen Schar kamen da entgegen. Es berichtet dir Lukas, was ihre Angelegenheit da damals war, was seine Diener wahrlich dort mit Christus erörterten. Die Jünger staunten da alsbald über diese Herrlichkeit und sie fürchteten sich sogleich wegen diesen Geschehnissen. Er selbst trug ihnen auf, dass sie es, wie es nötig ist, verheimlichten, bis seine Heiligkeit vom Tode auferstanden sei.‘

Er, SGI, Unziale Ther, SGI, Cap. Quad. Thie, SGI, Cap. Quad. Die Narration hat also den Vorrang:

narratio (über die Verklärung Jesu) + allocutio ad legentes et audientes (Aufforderung an den Leser, den Bericht über das Wunder selbst zu lesen) + narratio (über die Verklärung Jesu) + allocutio ad legentes et audientes (Aufforderung an den Leser, den Bericht über das Wun-

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der der Verklärung selbst lesen) + narratio (über die Verklärung Jesu) + narratio (über Gott Vater) ‒ narratio (über die Jünger) 3.2.5. invocatio ad deum In der Siebener Gruppe kommen auch Anreden Gottes vor. In der Narration von Jesus und der Ehebrecherin nach Johannes wendet sich Otfrid nach der Rede Jesu unmittelbar an Gott. Er bittet Gott, dass er sich seiner auf gleiche Weise erbarmt, denn Otfrid ist Gottes sündiger Knecht, der in Gedanken gesündigt hat (Haunschmidt 2017: 64). Die 2. Person Singular Imperativ Ginádo enthält eine Strophengruppeninitiale. Nach dieser Strophengruppe wird die Narration mit einer Strophengruppeninitiale fortgesetzt: (11) III 17,57‒68 „Noh íh“, quad er, „firmónen thih: nu gank thu frámmort inti síh thaz thu bigóumes iamer thír, thaz thu ni súntos furdir.“

Ginádo, druhtin, thu ouh mín, íh bin suntig scálk thin, bin súntig in githánkon joh léidlichen wérkon! Waz wari rácha minu, ni wari gináda thinu, thuruh thio míno ubili joh mánagfalto frávili? Hilf, drúhtin, mir in nóti, so thu híar nu dati thésemo armen wíbe, thaz húarlust mir ni klíbe; Thaz íh ni missigánge joh zi thír io thinge, joh ih si, drúhtin, io, mín, émmiziger scálk thin!

Áfur zalta in drúhtin tház, thaz er ist líoht irwélitaz, joh sínero dato unlástarbarig thráto; ,„Auch ich“, sprach er, „verurteile dich nicht, nun geh du hin, und sieh dich stets vor, dass du nicht weiter sündigst.“ „Sei gnädig, Herr, du auch mit mir, ich bin dein sündiger Diener, ich bin sündig in Gedanken und widerwärtigen Werken. Wie wäre meine Lage, wenn dei-

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ne Gnade infolge meiner Übeltaten und vielen Vergehen nicht wäre? Hilf, Herr, mir in der Not, wie du hier an dieser armen Frau gehandelt hast, dass unkeusche Begierde nie an mir hafte, dass ich nicht fehlgehe, vielmehr zu dir strebe und dass ich, Herr mein, stets dein immerwährender Diener sei.“ Wiederholt sagte ihnen der Herr das, dass er das auserwählte Licht ist und stets untadelig in seinen Taten;‘

Ginádo, SGI, Cap. Quad. Áfur, SGI, Unziale Die Abfolge ist: oratio recta (Jesus) ‒ invocatio ad deum (Otfrid) ‒ narratio (über Jesus) (11) Die beiden Strophen sind also klar voneinander abgetrennt. Eine Anrede Gottes ist in der Siebener Gruppe immer eigens mit einer Strophengruppeninitale versehen. 4. Fazit Eine Übersicht über die ermittelten Texteinheiten nach den Strophengruppeninitialen ergibt folgendes Schema (erklärungsbedürftig sind jeweils die b-Fälle): A. sensus spiritualis

precatio (Otfrid) ‒ captatio benevolentiae (Otfrid) ‒ parabola (Otfrid) ‒

advocatio ad legentes et audientes (Otfrids Aufforderung an

den Leser, die Heilige Schrift selbst zu lesen) (1)(a) – (1)(j) B. sensus literalis 1. oratio recta a) oratio recta (Jünger) ‒ oratio recta (Jesus) (2)(a) – (2)(b)

Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen

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b) narratio (über Jesus) + oratio recta (Jesus) + oratio obliqua (Jesus) + narratio (über die Jünger) ‒ narratio (über Jesus) (3)(a) – (3)(b) Die Erzählung über Jesus, die indirekte und direkte Rede Jesu wie die folgende Erzählung über die Jünger betrachtet Otfrid als Einheit. Der Neuansatz beginnt mit einer weiteren Erzählung über Jesus. 2. antagonismus a) narratio (über Judas) ‒ narratio (über Jesus) (4)

narratio (über die Jünger) + oratio recta (Jünger) + narratio (über die Jünger) ‒ narratio (über Judas) + oratio recta (Judas) (5) oratio recta (Jesus) + narratio (über Judas und Jesus) + oratio recta (Jesus) ‒ interpretatio (Otfrid) (6) Die Reden Jesu schließen eine Erzählung über Jesus und Judas, der vorerwähnt ist, ein. Einen Neuansatz bildet Otfrids Interpretation. 3. cogitationum interpretatio

oratio recta (Judas) ‒ cogitationum interpretatio (Otfrids Interpretation von Judas’ Gedanken) ‒ narratio (über a) narratio (über Judas) ‒

Jesus) +oratio recta (Jesus) (7)(a) – (7)(c) Die Strophengruppeninitialen sind zur Markierung des Perspektivenwechsels eingesetzt. b)

narratio (über die kranke Frau) ‒ cogitationum interpretatio (Ot-

frids Interpretation der Gedanken der kranken Frau) + narratio (über die kranke Frau) ‒

narratio

(über Jesus) + oratio obliqua (Jesus)

(8)(b) – (8)(d) Auch hier ist die Erzählung über die kranke Frau durch eine cogitationum interpretatio unterbrochen und durch eine Strophengruppeninitiale

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Rosemarie Lühr

ausgezeichnet. Den Neuansatz eröffnet eine Erzählung über Jesus in Verbindung mit einer indirekten Rede. 4. allocutio ad legentes et audientes

allocutio ad legentes et audientes (Quellenhinweis für den Leser) + narratio (über die Aussätzigen) ‒ allocutio a) oratio recta (Jesus) ‒

ad legentes et audientes (Aufruf an den Leser, das Matthäus- und Lukasevangelium selbst zu lesen) (9)(a) – (9)(b) b)

narratio (über die Verklärung Jesu) + allocutio ad legentes et au-

dientes (Aufforderung an den Leser, den Bericht über das Wunder selbst zu lesen) + narratio (über die Verklärung Jesu) + allocutio ad legentes et audientes (Aufforderung an den Leser, den Bericht über das Wunder der Verklärung selbst lesen) + narratio (über die Verklärung Jesu) ‒

narratio (über Gott Vater) ‒ narratio (über die Jünger)

(10) Die einzelnen Erzählschritte stehen im Vordergrund. 5. invocatio ad deum

oratio recta (Jesus) ‒ invocatio ad deum (Otfrids Bitte um Vergebung seiner Sünden ebenso wie bei der Ehebrecherin) ‒ narratio (über Jesus) Otfrids Bitte wird eigens ausgezeichnet. Die unmarkierte Binnenstrukturierung durch Strophengruppeninitialen ist mit der heutigen Textgestaltung eines fortlaufenden Textes vergleichbar: Ein Absatz hat einen eigenen Sinnzusammenhang oder auch ein eigenes kleines Thema. Ist dieser Gedanke ausgeführt, folgt ein neuer Absatz oder Sinnabschnitt. Weicht Otfrid in einer markierten Binnenstruktur von diesem Schema ab, hat er folgende Gründe. Er kann Darstellungsarten mischen, wenn es ihm vorrangig um Reden oder Gedanken einer Person geht

Markierung von semiotisch-pragmatischen Funktionen

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oder wenn die Reihenfolge der Erzählschritte im Vordergrund steht. Die übergordnete semiotisch-pragmatische Funktion ist hier variatio.

Literatur Beierwaltes, W., Revue des Études Augustiniennes 15,1969, 51‒61. Butzmann, Otfrid von Weissenburg: Evangelienharmonie. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek, ed. H. Butzmann, Graz, 1972. Haunschmidt, K., Form und Funktion der Gebete in Otfrids Evangelienbuch, Diplomarbeit, Wien, 2017. Hoffmann, M. H. G., Peirces Zeichenbegriff: seine Funktionen, seine phänomenologische Grundlegung und seine Differenzierung, 11.11.2001, URL: http://works.bepress.com/cgi/viewcontent.cgi?article=1017& context=michael_hoffmann (besucht am 26.06.2019). Kleiber, W., Otfrid von Weissenburg: Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Aufbau des Evangelienbuches, München ‒ Bern, 1971. Kleiber, W., Otfrid von Weißenburg: Evangelienbuch. Bd. I: Edition nach dem Wiener Codex 2687. Teil 1: Text. Teil 2: Einleitung und Apparat, ed. W. Kleiber unter Mitarbeit von R. Heuser, Tübingen, 2004. Kleiber, W., Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch, Bd. II: Edition der Heidelberger Handschrift P (Cod. Pal. Lat. 52) und der Handschrift D (Codex Discissus). Teil 1: Texte (P, D), ed. W. Kleiber unter Mitarbeit von R. Heuser, Tübingen, 2006. Kretschmer, H., Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst, Stuttgart, 2008. Oehler, K., Semiotischer Pragmatismus und der Begriff der Realität: Ch. S. Peirce, Zeitschrift für Philosophie 46, 1998, 69‒78.

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Pan-Slavism and Orthography – the Czech Orthographic Reforms of the Early 19th Century and Slavic Universal Orthography Ondřej Šefčík Masaryk University Brno

0. A need to reform? The early 19th century was born under the rising star of nationalism and, as part of the multinational Austrian Empire, the Czech lands were no exception. For the second generation of the so-called Czech national awakening around Josef Jungmann and his pupils and followers (we will use the term Jungmannians) the key element was the Czech language itself1 (“v jazyce naše národnost [in the language is our nationality]”, Jungmann 1845, 25). Jungmann and his (proudly self-termed) “patriotic” friends2 res-

1. It is interesting that this supposedly modern approach to nationalism, focusing on language instead of country, was already present in Dalimil’s chronicle: (finished 1314). Jungmann, as an informal leader of his generation, rejected the thesis of two languages of a single “Bohe-mian” nation (Landesnation), as stated earlier by Bolzano and in many aspects accepted by Dobrovský. 2. The used Czech word was vlastenec derived from vlast “motherland”, with the lit. meaning “our own (land)”, hence vlastenec suggests not only a patriot, but someone who literally belongs to the patriotic circle. It has to be noted that self-revelation as a vlastenec was a demonstrative act, comparable with a religious conversion sui generis.

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olutely rejected the fantastical idea of Bohemian supranational patriotism as proposed by Bolzano (cf. Hroch 1999, 197‒202), especially since Bolzano’s ideas found no followers either in Czech or German-speaking communities in Czech lands. The Jungmannian generation of Czech patriots considered the language the most important factor determining the national affiliation of a given person, and in this way, it differed significantly from the earlier generation of patriots (cf. cf. Macura 1983, 50, 180; Hroch 1999, 202‒203). Enormous attention was subsequently paid to the language, especially to the written language, and this emphasis was manifested in numerous grammars, lexicons, and orthographic manuals since the orthography was seen as the vehicle of the written language. For the most part the Jungmannian generation used three canonic texts: the Czech grammars by Josef Dobrovský (Dobrowsky 1809 and Dobrowsky 1819 – Dobrovský was a teacher of this generation, and though later their links with Dobrovský were almost severed, their admiration of his work has been preserved, if not in its original then in some digests like Hanka 1822); the great lexicon by Jungmann himself (printed in years 1834‒1839) and the orthographic manual by Václav Hanka (Hanka 1817 and following editions Hanka 1821a, 1833, 1835, 1839, 1844, 1847a, 1848, 1849). The particular focus on the orthography is surprising in many respects, since the Czech language at the time had more than a five-century-long tradition of literature of its own, and more than that, it had been equipped, for at least three centuries, with a highly functional and widely used orthography, based on the system developed in the early 16th century and known as an “orthography of the Brethren”.3 In this respect the Czech language was

3. I.e. Unity of the Brethren, the early Proto-Protestant church, based in 1457 on the teaching both of Jan Hus (1369? – 1415) and Petr Chelčický (1390 – 1460), predating Luther. The most illustrious member of the Unity was John Amos Comenius (1592 – 1670),

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in a situation quite different from many other Slavic languages (for example Croatian with three incompatible orthographic systems, based either on German, Italian or Hungarian orthography).4 With regard to orthography, the Czech language was in a similar position to the Polish language which had been equipped with the fixed orthography of a very similar style (initially imitating the Czech example). It should be noted that Polish orthography is preserved in its traditional form of the early 19th century till today, which strongly contrasts with the Czech development. 1. The orthography of the Brethren The orthography of the Brethren, though initially historically connected with this early Protestant church, was not just a sectarian orthography, as its name would suggest, but a standard orthography accepted by all religious communities. Especially noteworthy was the acceptance by the Catholic Church, which was for a long period (from 1624 to the Tolleranzpatent of 1781) the single official Christian denomination in the Bohemia and Moravia.5 However, the oldest Czech grammar Grammatyka Cžeſka was written already in 1533 by Václav Beneš Optát and Petr Gzel,6 as a part of the same generation of the “grammatical movement” of vernacular languages of

its last bishop. From the “hidden seed” of the illegal religious community from northern Moravia (German speaking), brought to Herrnhut by Count von Zinzendorf, arose the new Moravian (Brethren) Church, existing worldwide till today. 4. It should be mentioned that these three standards were not used in a single territory, but in three: Italian standard in Dalmatia, German in proper Croatia and Hungarian in Slavonia, though books printed in different orthographies were used without strict limitation. 5. Protestant churches were tolerated, at least partially, in Silesia and Hungary, including modern-day Slovakia. 6. The original title was Grammatyka Cžeſka w dwogj stránce wywedená; the part on orthography was written by Optát and Gzel, the part Etymologia was written by Filomates). The last critical edition is that by Koupil (Optát / Gzel / Philomates / Koupil 2019).

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humanistic Europe (cf. early works on German language by Valentin Ickelsammer Die rechte Weis, auffs kürtzist lesen zu lernen, first published 1527 (?) and Ein Teutsche Grammatica, first published in 1537).7 It should be noted that both authors were not Brethren, but “Erasmians” (formally probably Utraquists, i.e. Hussites), i.e., on the shadowy middle ground (via media) between Catholicism and Protestantism. The orthography which they used followed in general the principles of the diacritic orthography as given by the unknown author of Orthographia bohemica8 (cca 1410), attributed traditionally and not without good reasons to the ecclesial reformer, Jan Hus. However, the orthographic standard of Grammatyka Cžeſka was accepted not only by the following generations of Czech grammarians, but especially for the print of the Bible by Brethren (so-called Bible kralická [The Bible of Kralice], in print since 1579), which was widely used (after 1624 especially by Protestant communities outside of Bohemia and Moravia, i.e. in Silesia and modern Slovakia,9 but good numbers of copies were available even in Czech lands during the counter-reformation). The Brethren standard was so influential that it was later accepted by Catholics, especially for their Bible svatováclavská ([The St. Wenceslaus’ Bible] printed since 1677), which became the standard Catholic translation not only for Catholics in Bohemia, Moravia and Silesia, but also in Slovakia today. From the “grammatical” production, which was always based on the orthographic standard of Grammatyka Cžeſka, we should mention especially the so-called “Žáček” (lit. “little pupil”) by Matěj Šteyer (named in fact Výborně dobrý způsob, jak se má dobře po česku psáti neb tisknouti tisknouti [Excellently good way of writing and printing well in Czech],

7. Note that Grammatyka Cžeſka is just few years older than Ein Teutsche Grammatica. 8. Latest edition is that by Voleková (2019). 9. Both Hungary (including todays Slovakia) and Silesia were exceptional in tolerating Protestantism throughout the Habsburg monarchy.

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printed in 1668, 1730, 1781). In additional to this widely used orthographic manual, Šteyer was the main translator of the above-mentioned Catholic Bible svatováclavská, hence his influence on the use of the orthography of the Brethren was enormous (cf. Tešnar 2001, 95; Koupil 2015, 151–161). The orthographic standard of the Brethren was part and parcel of the Czech grammar even for the first generation (Pre-Jungmannian) of the national movement but became a matter of debate and rejection for the Jungmannians. The reforms are surprising in the context of the admiration of the Golden Era of Czech literacy of the 16th and 17th century by all subsequent generations, including all generations of the national awakening. The praise of the literary works of this golden era was indivisibly connected with the admiration of the used language. It has to be emphasized that the morphology of the 16th century was not reformed/modernized but preserved and, in many aspects, is still the grammatical standard of written Czech today. It was strictly the orthography itself which was reformed, not the grammar itself.10 2. Towards the orthographic reforms The orthographic reforms of the first half of the 19th century are hence surprising in many respects since the Czech orthographic system of the Brethren was fixed, traditional and highly functional. The functionality of Czech orthography in different eras was examined by Kučera (1998), and the effectivity11 of the orthography of the Brethren in 1800 is on the same level as in 1850, since for 1800 the number is given as 99,25 %, for 1850 it

10. This is remarkable comparing the different plural paradigms of standard written Czech, based on the 16th century standard, with a single plural paradigm of all spoken varieties of Modern Czech. 11. The effectivity of the orthography is given as a ratio of graphemes and phonemes.

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is 99,80 %.12 If we consider the high degree of the effectivity as a mark of the high functionality of a given orthography,13 then the orthography of the Brethren already had a considerably higher level of effectivity than French or English, and we can doubt that this ratio was increased by the later reforms at all to any measurable degree. Note: Besides all true reforms of the orthography, there was a parallel reform of the script in the transition from the Fracture script to the Antiqua script. The motivation of the replacement of the Fracture with the Antiqua was definitely to increase the difference with the German writing system, motivated either by writing systems of western languages, or by the writing system of Latin ‒ the Slavic language was considered by many proponents of the national movement as a “classical language”, which logically should have a “classical form”.14 This reform was an antithesis of the similar acceptance of the Fracture instead of the Antiqua in German writing system, the Czech trajectory willingly contrary to that of German. The side effect of this development was the simplification of the writing of the phonemes /s/ and especially /š/ : in the Fracture script they were often written as , (beside , ), but with the change to the Antiqua this was reduced only to the form with diacritics (Gebauer 1871, 222‒223).

3. Three decades of the orthographic reforms I. – the accepted reforms The reforms were taken as a series of steps, some of them widely criticized from conservative positions, others accepted without controversy.

12. The difference is probably more a result of the different texts used for counting than the orthography itself, since for years 1900, 1950 and 2000 are numbers 99,63 %, 99,51 % and 99,73 %, i.e. statistically the same level. 13. Cf. Gebauer 1871, 223. 14. Kollár even considered Slavic as a substrate language of Greek and the Italic languages, cf. Kollárʼs book Staroitalia slavjanská of 1853, and as such, the Czech language was necessarily destined to be “classical”!

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There were three finally accepted reforms (the “analogous” reform, the first “consistency” reform, a second “consistency” reform”), all formulated by the group around Jungmann and Hanka. Václav Hanka was also an author of the fourth reform (“diacritic”), which was not accepted but which forms, as we will see, a part of the wider reform project. We will describe the first three accepted reforms since they changed the Czech orthography to the form used in modern times.15 For an overview of reforms see especially Gebauer (1871, 222‒235), Lisický (1898, 308‒493), Havránek (1980, 28‒30), Sedláček (1993, 57‒71, 126‒137), Tešnar (2000, 2001, 2003), Pleskalová & Šefčík (2007, 499‒539). 3.1. The “analogous” reform The first realized orthographic reform was the “analogous” reform.16 The subject of this reform was the replacement of some of the groups and by the and 17 according to the analogy in given morphemic contexts (hence the reform was called “analogous”, see Table 1). The earliest variation was used by Dobrovský in his grammar of 1809 (Dobrowsky 1809, xvii, 8) and was limited to endings. In later version of the same grammar (Dobrowsky 1819, xvii, 8) the use of i/j after s, z, c extended to all parts of a word as given by the etymology. The reform affected all high palatal vowels after c, since the was replaced by ci in all cases, but only some of cases were replaced, since the leading

15. All subsequent changes were not true reforms, but just minor accommodations either of the writing of some of the loanwords or of the writing of capitals. 16. Beside the above-mentioned literature, see Kopečný (1979). 17. The orthography of the Brethren expressed the quantity through the acute mark (a vs. á etc.), but in case of i the long phoneme was expressed by j, which was later the subject of the first consistency reform.

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principles were both analogy and etymology (on motivation of Dobrovský cf. Lisický 1898, 310). The effect of it was an increase in the number of Czech letters with “ambiguous” value,18 though originally, they were “hard” letters, which could be followed only by y/ý. the old orthography (of the Brethren)

the analogous orthography

cy (vojácy)

ci (vojáci as páni)

sy (sy, kosy, hasyti)

si (si, kosi, hasiti as ti, bratři, voditi)

zy (koželuzy, kazyti)

zi (koželuzi, kaziti as bratři, trápiti)

cý (telecý)

cj (telecj as jarnj)

sý (psý)

sj (psj as chytřj)

zý (kozý)

zj (kozj as mladj)

the “etymological” orthography cybule, cyzý

cibule, cizí

synalý, syrotek, sýra, sýdlo

sinalý, syrotek, sjra, sjdlo

zývati, zýrati

zívati, zírati

(conjuction) y

(conjuction) i

Table 1, the analogous reform Note: As predecessors of the “analogous” orthography Pelcl and Tomsa are often mentioned, which is not strictly correct. Pelcl wrote in his grammar (Pelzel 1798, 18) that c is “ein Böhmischer Buchstabe” and should be followed by i, but his arguments are not given by the analogy as with Dobrovský, but by the older ways of writing of pre-Brethren authors. He says that “usus tyrannus” introduced y after c, but his remark is neither reform nor anything more than just historical note in the margin. Sim-

18. A letter is considered as “ambiguous” if it can be followed either by y/ý or i/í.

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ilarly, Tomsa (1802, 11) notes that Czech differs from other Slavic languages by the writing of y after c, s, z (and h, ch, k, r) but states there is no need to reform the orthography, which would be more complicated after all (Tomsa 1802, 17).

It has to be emphasized that it seems Dobrovský never planned to reform the old orthography. His idea was a scientific transliteration according to the newly born Slavic philology. He retained the old orthography in his letters and repeatedly remarked that his “reform” was a variant of the older orthography, not the replacement, and that all users could freely choose a way of writing according to their taste (see his foreword do Hanka’s Grammar, Hanka 1822, xxxi‒xxxii). The person who took the real weight of reforms was Václav Hanka, Dobrovský’s private student and Dobrovský’s other pupils of the same Jungmannian generation, including Josef Jungmann himself. Hanka wrote his Prawopis český podle základu Grammatiky Dobrowského od geho žáka Wáclawa Hanky [The Czech orthography according to the Grammar by Dobrovský by his pupil Václav Hanka] (Hanka 1817), where he introduced the principles of the “analogous” reform, cunningly shielded by the authority of Dobrovský. He really needed such a shield since his older private lessons at Prague University in the years 1814‒ 1817 were canceled on the direct orders of the professor of the Czech language and literature Jan Nejedlý, who became the most prominent defender of the older orthography and even a personal antagonist of all reformers, especially Hanka. Nejedlý’s critical statements were published first in the third edition of his own grammar (Nejedlý 1821, ii‒iv, 22, 24), finally provoked by the second edition of Hanka’s Prawopis (Hanka 1821a). The backing and protection of Dobrovský was very important for Hanka. Dobrovský wrote

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the above-mentioned foreword to Hanka’s grammar (Hanka 1822), especially the parts on the analogous orthography (Hanka 1822, xxvii‒xxxii). Momentum was kindled by Josef Jungmann who alongside Nejedlý and Dobrovský was the third authoritative figure of the time. The first published text by Jungmann using the analogous orthography was his foreword to Hanka’s anthology of the verses (Jungmann 1817). We have to remember that every published book had to come through the censor office, hence the text is about six months older than the publication date and roughly from the same time as Hanka’s Prawopis. Hanka and Jungmann anonymously19 wrote the treatise O počátku a proměnách prawopisu českého [On the beginning of and changes to Czech orthography] ([Hanka & Jungmann] 1828) in which the subject was orthography again, this time even proposing all other later reforms (including the “diacritic” reform!). This treatise was fiercely rejected by Nejedlý in his own treatise Widerlegung der sogenannten analogisch-orthographischen Neuerungen in der böhmischen Sprache (Nejedlý 1828) where he argues that the orthography of the Brethren had already reached a state of perfection in the 16th century (Nejedlý 1828, 1‒2, 9‒12); that it was more complicated and confuses pupils (Nejedlý 1828, 6‒9); that the new orthography was a loan from Russian; and that proponents of the new orthography wished to rebuild the Czech language itself and thus merge it with other Slavic languages or replace it with an artificially created Slavic universal speech (Nejedlý 1828, 10, 18‒19). The last point especially was a political bombshell, and very dangerous, since the new orthography could be per-

19. For the readers it was probably very easy to predict the author(s), but the authorship was never officially revealed in the given era. The authorship of both writers is confirmed by Jungmannʼs Memories, written 1846 but published decades later. Here we use the modern edition (Jungmann 1973). The passage regarding the authorship, see Jungmann 1973, 15.

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ceived by the Austrian bureaucracy as Pan-Slavic treason. This was probably the reason why Jungmann wrote (this time under his own name and without Hanka) his last word on this hazardous question, the treatise Beleuchtung der Streitfrage über die böhmische Orthographie (Jungmann 1829),20 written in German and probably aimed at the same readers that had been engaged by Nejedlý. Here he both tries to surpass Nejedlý’s arguments for the older orthography and to assert that the reformed orthography is taken neither from Russian nor Pan-Slavic. The new analogous orthography was slowly accepted, especially after Nejedlý died in 1834. The opposition became weaker and finally, in 1842 the analogous orthography was accepted as a school norm. It is interesting that another fierce opponent of the reform from the beginning was Juraj (Jiří, Georg) Palkovič (Palkowič, Palkowitsch), the professor of the Czech language and literature at the Evangelical lyceum in Pressburg (today Bratislava), who wrote several treatices opposing Hanka and Jungmann (especially Palkowič 1817; Palkowitsch 1830). 3.2. The first “consistency” reform The principles of the reform were (see Table 2): i to unify the writing of the phoneme /j/, which was in the orthography of the Brethren written generally as before vowels, but as before a pause or consonant, i.e. the expression of the phoneme /j/ will be more consistent;

20. Sak (2007, 144) writes that the treatise was written by Jungmann and his friend Vinařický, but Jungmann is the sole author stated on the first page.

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ii to write the phoneme /g/, which was written as , as simple , because the use of háček was not consistent with other uses of the same diacritic; iii to write the phoneme /i:/, written as (which is not consistent with writing of quantity of other vowels, where the acute sign is used), analogously as . The old orthography (of the Brethren)

The first consistency orthography

g (geho, gegj)

j (jeho, její)

ey, ay, oy (dey, kray, boy)

ej, aj, oj (dej, kraj, boj)

j (pjle, pjseň)

í (pile, píseň)

ğ (ğenerál, ğroš)

g (generál, groš)

Table 2, the first consistency reform

The reform was officially proposed by Pavel Šafařík in his speech to the philological section of the Czech Royal societas eruditorum in June 1842, printed the following year (Šafařík 1843). We can be sure that Šafařík, a Jungmannian, was speaking for many, since his proposal was accepted not only by the philological section but by the whole committee of the Museum in Prague and Matice česká. The shift to these two institutions as arbiters is significant: the university is no longer considered an authority, this role being shifted to the Museum and Matice.21 Hanka and Jungmann welcomed this reform, which is not surprising, if we consider the fact that this change was already proposed by both in the treatise O počátku ([Hanka & Jungmann] 1828, 13).

21. The (Patriotic/Czech/National) museum started to work in 1818 as a scientific institution, while Matice was the support organization of the Museum and a publishing house for science and education, focused on the spreading of Czech written books, schools and textbooks for such schools.

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3.3. The second consistency reform This reform replaced old by and word-onset with , see Table 3. The old orthography (of the Brethren)

The second consistency orthography

w (wlk, weliký, wrazit)

v (vlk, veliký, vrazit)

au (smlauva, pauta)

ou (smlouva, pouta)

v- (vrazit, vmořit)

u- (urazit, umořit)

(vnor, vmor)

ú- (únor, úmor)

Table 3, the second consistency reform

The replacement of word-onset by was already proposed by Hanka in his Prawopis in 1817 (Hanka 1817, 7). The same change was suggested later in 1828 in the treatise O počátku (i.e. [Hanka & Jungmann] 1828, 13, 15) where the replacement of for (which is consistent with Czech pronunciation) was furthered to which appears in the Hanka’s diacritic reform as it had also already appeared in the treatise O počátku ([Hanka & Jungmann] 1828, 13). Again, the forum for the proposal was Matice, where Hanka personally kept the talk on the theme in October 1846. Jungmann was not participating, being seriously ill and tired (he died in 1847). Hanka’s speech was a reaction on a talk by Palacký (a new rising star of National movement, soon to become an undisputed leader of the movement, nicknamed Otec národa [Father of the nation]22), published later (Palacký 1846). Palacký criticized the reform-in-creation, especially mentioning the last reform (the first consistency reform), which was accepted but with a public statement that no other reform would be approved in the future, especially mention-

22. Clearly the variation on Pater patriæ used in milieu of the Czech culture for the emperor Charles IV. Note the shift from patria towards natio!

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ing the change of to , i.e. the later second consistency reform! Hanka’s statement (Hanka 1847b) was so negative and aggressive in its form that the paper was not published in the official magazine of Museum, as it would ordinarily be the case, but it was privately printed, allegedly by anonymous friends of Hanka (probably by Hanka himself). Palacký had the answering speech in November 1848 which was published after many years (Palacký 1871, 212‒224). The argument demonstrated directly that the older brotherhood of Jungmannians had already ended and with it the era of reforms ended. The reform itself was accepted in the years 1849 – 1850 and since 1850 Czech orthography reached a status quo that has been in use until modern times. 4. Three decades of the orthographic reforms II. – The diacritic reform As we saw above, the weight of the reforms was especially on Václav Hanka, and we have to emphasize that Hanka was successful with all the above-mentioned reforms, but not with his “diacritic reform”, which followed the following principles: i.

the replacement of the diacritic letters with the newly created letters ;

ii. the replacement of the digraph with a simple grapheme ; iii. the replacement of the digraph with an archaicizing letter ; iv. the replacement of with an archaicizing letter ;23 v. the replacement of the háček (hook, caron) with a dot,24 which is an archaizing of the orthography, and the same form of diacritics used

23. Cf. the Polish grapheme , which arose from original West Slavic /ó/ but is pronounced today as (secondarily arisen) [u], i.e. in the same way as the original /u/. 24. Note that is replaced by , since the is always followed by and never by .

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already by Hus in his Orthographia bohemica.25 The reform kept diacritic writing, even archaizes it, on one hand, though on the other hand, three diacritic letters were removed and replaced by new creations, see Table 4. the old orthography (of the Brethren) the diacritic orthography š (šat, široký, všechno)

ᴕ (ᴕat, ᴕiroký, vᴕeɦno)

ž (život, žízeň)

ƨ (ƨivot, ƨízeṅ)

č (čilý, čirý)

ч (чilý, чirý)

ch (chudý, chuť)

ɦ (ɦudý, ɦuṫ )

ou (touha, bouře)

ú (túha, búṙe)

ů (půle, vůči)

ó (póle, vóчi)

ť, ď, ň, ě, ř (síť, viď, hoň, věř, vpřed, ṫ , ḋ , ṅ, ė, ṙ (síṫ , viḋ , hoṅ, vėṙ, tři)

vpṙed, tri)

Table 4, the diacritic reform

This reform appeared in the form of the appendix to Hanka’s Pravopis of 1844 and was printed as such in subsequent editions, too (Hanka 1844; 1847a; 1848; 1849). Hanka used it in persona, but he did not find many influential followers (except Kašpar 1900), and even his works were printed in the standard orthography after his death. The whole reform can be split into two sub-reforms: the replacement of three diacritic letters and ch by newly created figures on one side (the prop25. Orthographia bohemica does not use háček, but a dot. This standard was replaced by a macron later to guarantee a better distinction between both diacritics.

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er diacritic block) and the archaizing of the writing of ou, ů and remaining letters with the háček by older orthography (the archaizing block). It should be taken into consideration that this “diacritic” reform contained all the changes of the second consistency reform, too, since it preceded the second consistency reform by two years. Hence, we can understand the second consistency reform as an accepted part of a more complex reform, the “diacritic reform” as its unaccepted part. Looking back in time, we can meet similar symbols Hanka used for his “diacritic” block already in his edition of Dobrovský’s Slavin (Dobrovský 1834, see especially 5, but it is employed passim), where Hanka used the same letters in a kind of “phonemic transliteration”, cf. the older edition (Dobrovský 1806, 4). As Dobrovský died 1829, we can be sure this innovation is purely Hanka’s work. It is remarkable that Hanka’s diacritic reform had a predecessor in Ján Herkeľ, who proposed a unified orthography of Slavic languages as a part of his grammar of the invented artificial Universal Pan-Slavic language (Herkel 1826; for the modern edition and translation see Buzássyzová 2009), with the main features of the orthography just as in the system that Hanka proposed in his orthography of 1844, almost two decades later. It is interesting that where Hanka uses new characters for /š, ž, č, ch/, Herkeľ sticks to Cyrillic characters, except for ž26 (cf. table 5), and the similarity not only in the forms, but especially in the idea itself, is striking. Hanka argues that the substitution of diacritic characters is motivated pure-

26. Herkeľ argues purely aesthetically that “Russicum ж discrepat a litteris Europaeis, Bohemicu vero ž est Europaeum, imprimis si signum ad medium collocetur ƶ.” Hanka argues aesthetically in all three cases but it seems more like the secondary and substitute argumentation.

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ly aesthetically, but it is highly probable he just did not want to be accused of Pan-Slavism (as already happened with O počátku in 1827, as we saw earlier). It has to be emphasized that Hanka does not give any Pan-Slavic argumentation in Pravopis, but since he used a similar orthography for editing of Dobrovský (1834) as a kind of Slavic scientific orthography, the secret Pan-Slavic aim of his reform is secure, especially if we consider that even the “archaizing” block of the reform was in its archaizing reforming the Czech orthography to a general Slavic state. We can be sure that Herkeľs grammar was known in Prague, since at least Pavel Josef Šafařík was interested in the project and he was a key member of the Jungmannian group. He later criticized Herkeľs grammar for its lack of quality, not for its Pan-Slavic intention.27 Herkeľs orthography

Cyrillic orthography

Hanka’s orthography

Czech orthography

ш ƶ ч x

ш ж ч x

ᴕ ƨ ч ɦ

š ž č ch

Table 5, the comparison of different orthographies

But was Hanka taking the ideas for his diacritic reform from Herkeľ, or were both taking inspiration from a third source? We know for sure that Hanka used a very similar system of letters in his translation of Tale of Igor’s Campaign (Hanka 1821b, cf. especially page viii, note that he adheres his letters to Dobrovský’s not yet in that moment printed Institutiones, Dobrovský 1822, but we know for sure Dobrovský did not use such

27. Šafařík in his letter to Kollár from 1st of March 1826 (Šafařík 1874, 64). Šafařík knew the manuscript, since the book was published 1827. The critique was aimed at the realization, not at the project itself.

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figures, cf. Dobrovský 1822, 3, 7), where he used the same letters for č and ch, but innovative letters for š and ž.28 The oldest proof of Hanka’s reforming of š, ž, č, ch we can find in the letter to Hanka from his close friend Sklenčka, who wrote in 1814 that in his lost letter Hanka used strange “hooks and zigzags” instead of these letters (Kolář 2016, 193).29 Further to that, if we read the anonymous treatise O počátcích (written by Hanka and Jungmann, as we already know), there is a passage saying that “…a pro č, š, ž a ch gednoduché tahy byly, mohlaby se té neydokonalegšj mezi wšemi gazíky po boku postawiti. Ale my…ponecháwáme uwedenj takowých gednoduchých tahů časům budaucjm […and would we have for č, š, ž and ch simple features, it (i.e. the Czech orthography) could stand with the most perfect languages stand… but leave the introducing of these simple features to future times.]” ([Hanka & Jungmann 1828], 13).

There are no examples of the given letters in the treatise. We know for sure that it was this passage of the treatise which was the subject of Nejedlý’s fierce opposition, when he wrote that “und anstatt č, š, ž und ch einfache Züge gebraucht werden sollten, die man wahrscheinlich erst wieder erfinden, oder wohl gar aus dem Russischen entlehnen sollte (denn dahin mag wahrscheinlich die Tendenz des Ungenannten gehen, da die Russen diese einfachen Züge in ihrer Sprache haben: ч (č), ш (š), ж (ž), х (ch)), so ist diese Grille lächerlich, verdient kein männliche Würdigung und man müßte das ganze klassische Schreibgebäude im Böhmischen einstürzen, um sich der russischen

28. For technical reason we will just describe them: for š Hanka used B, turned left, for ž he used P, again turned left. 29. It is interesting that Sklenčka ridicules this orthographic reform, not probably knowing about Hanka’s authorship (or cleverly avoiding the direct confrontation).

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Schreibart zu nähern, wodurch ein nutzlose und unsinnige Verwirrung entstehen würde.” (Nejedlý 1828, 16‒17).

From this it is clear that it was not just the analogous reform, which caused Nejedlý’s opposition, but the whole proposed complex of reforms (including both consistency reforms). We know that Jungmann, the co-author of O počátku, felt the need to defend publicly in his Beleuchtung. He mentioned even the problem of diacritic letters: “Was endlich die Buchstaben č, š, ž und ch betrifft, so wäre unser Alphabet ohnstreitig vollkommener wenn wir für selbstständige Laute, wie diese es sind, auch selbstständige Zeichen hätten. Uibrigens, wenn Jemand glaubt dass russische oder cyrilische Lettern wirklich in die böhmischen (b. i. Lateinische oder deutsche) Schrift aufgenommen werden können, so veräth er einen schlechten Geschmack. … alle übrigen Aenderungen, die nur Vereinfachung der Schriftzüge bezwecken, überließ er einer künftigen Generation, die den Verbesserungen nicht so abhold wäre wie die gegenwärtige.” (Jungmann 1829, 50).

Summing it up, we can be sure that Hanka used some form of his orthography already in 1814. The orthography he used in print in 1821 (in a partially different form, cf. Hanka 1821b) was what he (and Jungmann) proposed in 1828 pro futuro and which he finally came out with it in 1844 and used from then on. Hence, we can be sure that Herkeľs orthography was not merely copied by Hanka, but it came from a parallel source which we will demonstrate later.

5. From Hanka through Jungmann to Dobrovský and Kopitar We saw already above that if any other person of the second generation of the Czech national movement than Hanka was interested and active in the proposing of the new orthographic ways, it was its informal leader Josef

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Jungmann himself. We know now that he was an anonymous co-author of the treatise O počátku and the author of Beleuchtung. We have to keep in mind that in O počátku we meet not only the proposal of the analogous reform but the proposal of all other following reforms including the diacritic reform and that Beleuchtung is not only a defense of the analogous reform, but of all reforms. We saw above that Hanka proposed some form of the diacritic reform in about the same time as the analogous reform and we know surely that all (later accepted) reforms were bound to later diacritic reforms since 1828, i.e., since O počátku. Jungmann’s contribution to the diacritic reform was not fully admitted or accepted (cf. Zelený 1873, 193), who from the perspective of later generations considers the “diacritic” reform chimeric), but since Jungmann himself in his Zápisky [Memoirs] (Jungmann 1973, 15) admits the co-authorship and defends all the theses of the treatise, there is no doubt that all reforms were his work, too, especially since he writes in the same Zápisky (Jungmann 1973, 105‒108) that it would be better if all Slavs were using a single written language. More to that, we have a correspondence between Jungmann and his closest friend Marek from the September of 1813 (Jungmann 1882, 37), where he writes that Dobrovský, Linde and other “Slavs” should arrange a unification of the Slavic orthographies. Jungmann writes that the base will be a Latin script, with a replacement for diacritic letters. He states that Dobrovský and “Praguers” would like to use “Russian” for , for ,30 for and for , note that two of letters agree with Hanka’s later proposal! Jungmann mentioned the unifying of the orthography even in later letters (cf. Jungmann 1882, 38), and in the same letter of November of 1813 he wrote that Russian is a “little clumsy”

30. Note that this replacement was later never proposed.

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(Jungmann 1882, 39). As we already know that Herkeľ used Cyrillic letters, except for , it seems that this feature of his orthography is not only shared with Jungmann but taken from Jungmann, directly or indirectly. In a letter from an unknown month of 1814 (probably from April) Jungmann writes to Marek again that he is willing to accept (this time he uses Cyrillic ш, not ᴕ, but he still refuses (Jungmann 1882, 40). From the letter it is clear that even Marek was a member of the group of orthographic reformers, since Jungmann is objecting to both Dobrovský’s and Marek’s replacements for (without direct examples of those). He urges Marek to work in cooperation with Kopitar and Dobrovský (Jungmann 1882, 41). The name of Kopitar is important for us, since we know that Kopitar wrote a paper (anonymously published but of undisputed authorship) on the need of Pan-Slavic orthography ([Kopitar] 1813) and this study was translated to Czech by Jungmann ([Jungmann] 1813, again anonymously but of certain authorship). Speaking about Kopitar,31 we have his preserved correspondence with Dobrovský. Dobrovský wrote to Kopitar at the end of 1809 that “Ich meyne weitläuftig in Rücksicht der Revision der Orthographischen Versuche, die freylich für mich ihren Werth hat, aber kaum für Lernende.” (Jagić 1885, 43). In March of 1810 Dobrovský writes that “Für ч schlage ich das lat. q vor, da man es zu nichts ändern brauchen kann; doch gefällt ändern c für ц und ç für ч, wie es schon Micalia gebraucht hat. ш will niemanden (sic!) gefallen, eben so wenig щ, das ohnehin in zwey Elemente aufzulösen ist; für ж bringe ich z (in der Mitte stark durchstrichen), der Aenlichkeit wegen mit z, oder ȥ

31. Relationships between Kopitar and Dobrovský were friendly, but on the other hand his relationships with Hanka and Jungmann became sour and strained after Dobrovskýʼs death though his relationship with Šafařík remained friendly (Vidmar 2014, 33–35).

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Ondřej Šefčík mit einem çedil, weil die Punkte oberhalb (ž) nicht allen behagen. Doch sollte man das lateinische x auch wozu verwenden. Man mache also ein ж daraus, oder lasse es für χ gelten. Die Servier wünschten auch Zeichen für tj und dj, d.i. für ihren Zischer ħ und den mildern, wofür die Pohlen dz, die alten Slawen žd schreiben; was aber am meisten nöthig wäre, ist ein Zeichen für ь, denn j am Ende der Consonanten will, so wenig als der Apostroph ’ (ń, ť, ď, m̕ etc.) vielen nicht gefallen. Die erste Sitzung hat ein Ende und es wird nichts ausgemacht, als diess, man soll mit lat. Lettern schreiben, indessen aber behelfe man sich, wie man kann.” (Jagić 1885, 107‒108).

Kopitar preferred the united orthography based on the Cyrillic script; he wrote in February 1810 that “Hätten wir nur eine, kyrillmässige, Orthographie! so wäre einmahl die conditio sine qua non erfüllt: quaerite primum ortographiam, cetera ordine venient als natürliche Zugabe.” (Jagić 1885, 90). It seems that the idea of Pan-Slavic orthography came from Kopitar, since in his grammar of Slovenian of 1808 he writes: “…die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer gleichförmigen Orthographie ist einleuchtend; der alte Schlendrian hat nichts für sich, als die Gewohnheit der wenigen Slawischen Dilettanten, die ihren kleinen Patriotismus dem grösseren wahren aufopfern sollten…”(Kopitar, 1808, xxvii‒xxviii). Dobrovský himself published only a very schematic vision (not a fullgrown proposal) of Pan-Slavic orthography in his Slovanka (Dobrovský 1814, 48‒50). He especially mentioned the Czech-Russian pasigraphy by Puchmajer (1805) as a pioneering work in the field. It seems that the plan to create a Pan-Slavic universal orthography (and a Pan-Slavic language, if possible) was deeper rooted that we would think, as it has roots to Kopitar, Dobrovský, and Linde.32

32. Linde wrote in the preface to his Polish vocabulary about the need of the Universal PanSlavic language as a result of the closing up of Slavic “dialects” (Linde 1807, xiii‒xiv).

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6. Conclusions Hanka’s “diacritic reform” is hence deeply rooted in the idea of the Universal Pan-Slavic orthography, though he did not admit it publicly since Pan-Slavism was the subject of police observation in the Austrian Empire of his time. For the same reason Jungmann who was collaborating on the same projects publicly rejected any Pan-Slavic allegations (especially those by Nejedlý) though he followed the same ideas privately. We meet similar ideas with Herkeľ who even dared to publish his Pan-Slavic universal grammar with roots in Dobrovský’s and Kopitar’s ideas. The idea of a PanSlavic orthography (or even grammar) were privately shared, as we can see, by the foremost Slavists of the times. We do not have to emphasize the role of Dobrovský or Kopitar in establishing of Slavistik, but Jungmann was both an informal leader of his generation and a foremost Bohemist. Hanka was surely a reputable scholar with huge international recognition,33 not a philologist outsider at all. The “diacritic reform” was a part of a whole system of reforms of the older orthography of the Czech written language, as we saw above, since the analogous reform was “etymological” and hence brought Czech orthography closer to a general Slavic orthography, as were both consistency reforms. However, the approach to the “(pan)slavization” of the Czech orthography was to do it by stealth and not overtly (though this agenda was clear to Nejedlý, as we saw above), and to do it in several steps, which led to only partial acceptation of the reforms (analogous reform, both consistency reforms), but not to the acceptance of the diacritic reform, though for Hanka this was the real core and aim of all his reforms. From Hanka’s point

33. It was Hanka, who published the first edition of the Reims Gospel in 1846 and was rewarded by the tsar with the Order of Saint Anna (and hence got a knighthood with it) and a diamond ring from the Austrian Emperor.

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of view, the final outcome of reforms was limited and partial, but for users of written Czech, not knowing of the secret agenda beyond reforms, the reforms themselves were more than sufficient, and such users were finally tired of all reforms. The reasons of this failure are probably numerous, but we can name two of them: first, the new diacritic orthography would need, in contrast to other reforms, to introduce whole new sets of letters, not just reuse existing sets. The second reason is that the entire atmosphere and context of the Czech national movement changed: in 1848 the awakening was successfully achieved or close to success, and a newly gained self-confidence did not need any more Pan-Slavic support. For politicians of the new generation, as František Palacký (though initially a Jungmannian) or Karel Havlíček Borovský (arguably the first real Liberal thinker amongst Czech politicians), it was easier to work in the framework of Austroslavism (considered as a political partnership of Slavic nations of the Habsburg monarchy, not a political union of any kind) than to hold with the chimerical ideas of PanSlavism, Russophilia etc.34 This did not mean that Pan-Slavism and the idea of the Pan-Slavic language died out, but it fell from its pedestal and never affected the orthography again.

34. Havlíček in Pražské noviny wrote in his paper Slovan a Čech [The Slav and the Czech] in year 1846 that “Slované nejsou jedním národem [Slavs are not a single nation]” and that “Ruští panslavisté…počínají všude místo ruský říkati a psáti všude slovanský, aby pak místo slovanský zas také ruský říci mohli [Russian Pan-Slavists… start to say and write everywhere Slavic instead of Russian to the reason later to say instead of Russian instead of Slavic]” and that “aby někdy Slované všichni jediného jazyka…užívati mohli je věc nemožná [it is impossible thing that all Slavs can use a single language]” (Havlíček Borovský 1986, 55‒81).

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über

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35. Grammatykáři is an willingly used archaism by Koupil, we reflect it with this translation.

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