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German Pages 456 [316] Year 1960
PLOTINS SCHRIFTEN
Band V Die Schriften 46–54 der chronologischen Reihenfolge a) Text und Übersetzung
Übersetzt von Richard Harder Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler
FE LI X M EI NE R VE R LAG H AMB U RG
P HI LO S OPHISC HE BI BL IO THE K BAN D 2 1 5 a
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PAUL HENRY HANS-RUDOLF SCHWYZER den Plotineditoren unseres J ahrhunde1·ts
VORWORT Es war Richard Harder nicht vergönnt, die zweite Auflage seiner Platin-Übersetzung zu Ende zu führen. Nur als eine vorläufige Festlegung der Ergebnisse seiner Arbeiten hatte er immer die erste Auflage angesehen, die in den Jahren
1930-1937
bandweise veröffentlicht wurde. Als Zwischen
lösung ist sie gekennzeichnet vor allem auch durch den Hin weis auf die nachzuliefernden Anmerkungen, in denen sich die volle Rechtfertigung der Textgestaltung finden sollte . Das Material für diese Anmerkungen schwoll aber immer stärker an, so daß schließlich auch unter dem Gesichtspunkt der Entlastung des Anmerkungsbandes der Gedanke, einen grie chischen Lesetext neben den deutschen zu stellen, besonderes Gewicht erhielt. Nur der erste Band lag vor, als der Tod ihn am tember
1957
4.
Sep
in Zürich ereilte - auf der Rückreise von der
Plotin-Tagung,
die
Baron
Kurd von
Hardt
nach Van
doeuvres bei Genf einberufen hatte (auch Kurd von Hardt raffte der Tod am
29.
November
1958
hinweg ) . Diese Tagung
im kleinsten Kreis der Platin-Forscher betrachtete der den nahen Tod Ahnende als die glücklichste Erfüllung seines Lebens. Ein eindrucksvoller Vortrag dort ist nun sein Ver mächtnis geworden. Auf der Reise hatte er sein Korrektur exemplar des V. Bandes mit sich geführt, um bei j eder Ge legenheit daran arbeiten zu können. Druckfertig fand sich j edoch nur die Vita Plotini des Porphyrios vor, die inzwischen
1958
von Walter Marg (als Band V c der Reihe ) veröffent
licht worden ist. Die Frage, wer das angefangene vVerk übernehmen sollte, wurde schwer dadurch, daß "\Valter Marg anderen Zielen zu strebte und die berufensten Platin-Forscher Paul Henry und Hans-Rudolf Schwyzer absagten, teils um ihre große Edition nicht zu verzögern, teils um zu vermeiden, Begründer einer
VIII
Vorwort
einsträngigen Plotinorthodoxie zu werden. Schließlich haben wir Unterzeichnete es unternommen, wenn möglich das Werk Harders zu Ende zu führen. Der eine von uns war ihm durch ähnliche wissenschaftliche Interessen seit langem freund schaftlich verbunden und
193 1/32
sein Kollege in Kiel (nach
schmerzlichen Jahren der Trennung ist er ihm erst i n Van doeuvres wieder begegnet ) , der andere ist e inst des Älteren Schüler in Königsberg gewesen. Was den Umstand betrifft, daß der V. Band als nächster nach dem I. Band herauskommt, so war für diesen Entschluß Harders entscheidend, daß die (nach der chronologischen Folge) letzten S chriften Plotins mit einer Ausnahme bereits in dem
195 1 erschienenen
ersten Band der großen kritischen
Ausgabe von Henry- Schwyzer gedruckt vorlagen. Wir fan den in Harders Nachlaß Bemerkungen zum griechischen Text und verschiedene Änderungsvorschläge für die Übersetzung vor (die letzteren hauptsächlich zu den Schriften
46-4 8)
und zu diesen auch kommentatorische Noten , die allerdings kaum als ganz endgültig anzusehen waren. Im groben haben wir die Arbeit so unter uns geteilt, daß der Zweitgenannte die Abfassung des Kommentars besorgte, wobei er für die Schriften
46-48
die Noten Harders umarbei
tete und ergänzte. Die Umarbeitung, welche die allzu aus führlichen textkritischen Erörterungen Harders zusammen zog und statt dessen mehr inhaltliche Hilfen bieten wollte (sich auch an den von uns gewählten Stil der Kommentie rung anpassen muß te ) , ist so umfassend ausgefallen, daß Harder nicht mehr mit der Verantwortung belastet werden darf. Soweit einzelne im wesentlichen stehengebliebene Noten Harders durch originelle Formulierung oder ungewöhnliche Text- und Sacherhellung hervorstechen, sind sie am Schluß mit einem ( Ha . ) gekennzeichnet . Auf die Übersetzung in der ersten Auflage weist „Harder1" hin. Der Erstgenannte hat vor allem den griechischen Text druckfertig gemacht und die Übersetzung dort geändert, wo
IX
Vorwort
sich auf Grund des Überlieferungsbildes von H-S oder neu aufgenommener Konjekturen ein anderer griechischer Text ergeben hatte, als es der war, den Harder der ersten Auf lage zugrunde gelegt hatte. Aber auch sonst blieb - in
un
gleichem Maße in den verschiedenen Schriften - manches zu ändern oder genauer zu fassen, in einigen Fällen nach hand schriftlichen Bemerkungen von Harder selber. Freilich würde der neue deutsche Text, wenn nicht die im Vordergrund stehende Absicht gewesen wäre, Harders Werk zu vollenden, beträchtlich stärker von dem der ersten Auflage abweichen. Denn grundsätzlich wurde seine Übersetzung nach Inhalt und Stil - einem manchmal eigenwilligen Stil - soweit wie möglich beibehalten ; die Interpunktion haben wir dem ge genwärtigen Brauch angepaßt. Es ist uns eine Freude, daß Paul Henry und Hans- Rudolf Schwyzer die "Widmung dieses Bandes annahmen. S ie beide (im folgenden durch H- S abgekürzt) haben durch die Er gründung der maßgebenden Handschriften und ihres Zu sammenhanges das wichtigste Fundament für die zukünftige Plotinforschung gelegt. Sie drücken es im I. Band paradox so aus, daß die beste frühere Ausgabe die von Creuzer und Moser ( Oxford
1835,
ohne Apparat Paris
1855)
sei und daß
die folgenden bis Brehier und Faggin immer schlechter ge worden seien. Gewiß waren sie immer unzuverlässiger ge worden in der Darbietung j ener Überlieferung, der einst Creuzer nachgegangen war. Mit der Freude der Entdeckung hatten H- S diese gegenüber den modernen Konjekturen wie der zur Geltung bringen wollen. Aber immer wird auf die Gewinnung neuer Überlieferungsträger die Besinnung folgen auf das , was sachlich und sprachlich (hier im Sinne des Erst herausgebers Porphyrios ) möglich ist . "Wie schon im ersten von Harder herausgegebenen Band werden nun häufiger wieder erscheinen die Namen des nur seinem sprachlichen Gewissen folgenden Kirchhoff, des hingebungsvoll nachden kenden Müller und des zuweilen mit Glück nachbosselnden
X
Vorwort
Volkmann. Zu diesen treten neuere, in diesem Band z . B . Sleeman, und natürlich auch Harder selber. Nicht immer freilich war, wenn nur die Übersetzung vorlag, deutlich, was Konjektur, was freie Wendung bei Harder sein sollte. H- S konnten
von ihrem I I . Bande
an
authentische
Angaben
Harders über die von ihm anerkannten eigenen und von seinem Freunde Heintz stammenden Textvorschläge wieder geben. Diese Vorschläge werden, wenn sie nicht im Text berücksichtigt sind, meist im Kommentar genannt ; dort war auch der Platz, wo die überlegte konservative Entscheidung von H-S bei wichtigen Fällen Erwähnung finden mußte. Der Apparat unter dem griechischen Texte verzeichnet nur Abweichung von der Überlieferung, darunter auch der indirekten (aus Zitaten bei Theodoret, Lydus u. a . ) . Aber in den Fällen z. B . , wo eine offensichtliche Konj ektur Ficins, des großen Plotinkenners und -Übersetzers der Renaissance
(1492),
in seine griechischen Handschriften A (A3) und F (F3)
eingetragen wurde, ist Ficin genannt ; mit ihm konkurriert (oder ist identisch ? - so gegen H-S , die in A1 Überlieferung sehen, Harder zu III
2, 17, 58)
der „corrector codicis A . " .
Gelegentlich wurde auch ein einzelner Codex genannt, wenn seine richtige Lesart Konj ektur sein kann . Änderungen, die keine sind, etwa von 1Xu-roü in IXUTOÜ, IXUTIXL in IXOTIXL, tv€pyeL1X. in tvepydqi:, unterschiedliche Orthographie
und Interpunk
tion wurden natürlich nicht im Apparat des Lesetextes ver zeichnet . Gelegentlich ist im Kommentar darauf hingewiesen . Die äußere Anlage ist die Hardersche geblieben, mit einer wichtigen Ausnahme : Harder hat im Kommentar auf andere Plotinschriften etwa in der Form 47,
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verwiesen, wobei 47
die von Porphyrios überlieferte chronologische
6
X
9
Schriften,
33
Stelle der
den von ihm selber erst eingeführten und
von Cilento in seine treffliche italienische Übersetzung auf genommenen Paragraphen bedeutet . Aber auch Harder hat oft die traditionelle, auf Ficin zurückgehende Zitierweise ge wählt, im Kommentar fortlaufend beide \Veisen angewandt,
Vorwort
XI
nach Paragraphen einerseits und Kapitel mit Zeile anderer seits . Das führte, wie auch die Kritik feststellte, zu Unklar heiten und Verwechslungen, und auch räumlich wurde nichts gewonnen. So wird von nun an im Kommentar nur noch nach den üblichen Kapiteln und nach der Normalzeile von Brehier - H-S zitiert, die j etzt dankenswerterweise auch unsere Druckerei in diesem Bande übernommen hat . Nach dem in Vandoeuvres beschlossenen Verfahren lautet ein Zitat nun III 2 [47] 4, 1 oder, ohne Wiederholung der chronologi schen Stelle, III 2, 4, 1 ; dabei meint 4, 1 Kapitel und Zeile . Entsprechend wurde auf der Text - und Übersetzungsseite die Bezifferung geändert. Die Zahlen, nach denen zitiert wird, sind aufrecht, kursiv die Paragraphenzahlen Harders (Harder selbst hat deren Einführung in Vandoeuvres als Fehlschlag bezeichnet, nachdem H-S sie nicht aufgenommen hatten) . So können Hardersche Zitate, die im ersten Kom mentarband stehen,
doch aufgefunden werden. Auch der
Übersetzung wurde nun am inneren Rand zu der deutschen Zeile, innert welcher die 5. 10 . . . griechische Zeile beginnt, die Ziffer beigeschrieben. Zu danken haben wir außer dem Verleger Dr. Felix Meiner, dessen hingebender Begeisterung die Fortführung des Har derschen vVerkes zuzuschreiben ist, Hans-Rudolf Schwyzer für mannigfache Auskünfte und Hilfsmittel und dem Helfer bei der Korrektur Friedrich Schultes. München und Bern, 7. Oktober 1959 Rudolf Beutler, Willy Theiler
TEXT UND ÜBERSETZUNG
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9, 10 add. Theiler
9, 28 del. Perna
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Die Glückseligkeit
[46]
10 ob er, solange er edel ist, glückselig sei. Gut, sagen sie, so bleibe er edel - wenn er aber sich dessen nicht bewußt ist
und sich nicht der Tugend gemäß betätigen kann, wie soll er da glückselig sein? Nun, wenn sein Gesundsein ihm nicht zum Bewußtsein kommt, ist er nichtsdestoweniger gesund; bleibt ihm seine Schönheit unbewußt, ist er nichtsdestoweniger schön: und da sollte er, wenn seine Weisheit ihm nicht bewußt wird, darum weniger weise sein ? Es sei denn, man wolle behaupten, 15 in der Weisheit müsse das Bewußtsein und um sich selber Wissen enthalten sein, denn erst in der Betätigung der Weis heit sei die Glückseligkeit enthalten - eine Behauptung, an der etwas daran wäre, wenn Verstand und Weisheit äußere Zutat wäre; wenn dagegen die Weisheit ihren Bestand in einer Wesenheit, vielmehr in der Wesenheit hat, und wenn 20 diese Wesenheit nicht zunichte werden kann weder im Schlafenden noch üb erhaupt in dem, von dem man sagt, er sei nicht bei sich, wenn dann die reine Wirkungskraft der Wesenheit in ihm waltet, wenn ferner eine solche Wirkungs kraft sich nicht einschläfern läßt - so folgt, daß der Edle, insoweit er edel ist, auch in solchem Zustande seine Wirk samkeit fortsetzt. Unbewußt aber bleibt diese Wirksamkeit 25 nicht vor ihm in seiner Gänze, sondern nur vor einem Stück von ihm. So gelangt auch, wenn die Wachstumskraft in uns tätig ist, die \Vahrnehmung solcher Betätigung nicht vermöge der Empfindung zum übrigen Menschen hin. Beruhte nun unser Wesen in unserer \Vachstumskraft, so wären wir es selber, die jene Betätigung ausüben. In Wahrheit aber be ruht unser \Vasen nicht darin, sondern in der Betätigung der geistigen Kraft, und daher betätigt sich unser eignes 30 Wesen, wenn die Denkkraft sich betätigt. 10 Daß dies aber unbewußt bleiben kann, erklärt sich viel leicht daraus, daß es sich auf keinerlei Sinnending bezieht; denn nur vermöge der Sinnesempfindung als Mittelglied läßt sich, scheint es, eine Betätigung auch in Bezug auf die Sinnendinge ausüben. Der Geist selber aber, warum sollte er nicht ständig Betätigung üben und desgleichen die ihn umgebende Seele, die vor der Sinneswahrnehmung und 5 überhaupt allem Gewahren liegt ? Denn geben muß es ja
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Die Glückseligkeit
[46]
eine vor allem Gewahren liegende Betätigung, wenn anders 'Denken und Sein dasselbe' sind. Es scheint, das Gewahren 81 besteht darin und kommt dadurch zustande, daß der Denk akt sich zurückbiegt (reflektiert) und das tätige Denken an dem Lebensorgan der Seele gleichsam zurückgeworfen wird, so wie in einem Spiegel von der glatten und glänzenden Fläche, wenn sie im Ruhezustand ist. So wie in derartigen 82 Fällen nun bei Vorhandensein eines Spiegels das Abbild zustande kommt, ist aber der Spiegel nicht vorhanden oder nicht im richtigen Zustand, trotzdem doch das in Wirklichkeit vorhanden ist, von dem jederzeit ein Abbild entstehen könnte - gleichermaßen treten beim Menschen, 83 wenn der seelische Bereich, an dem die Abbilder des Denkens und des Geistes sichtbar werden, in ruhigem Zustand ist, diese Bilder an ihm in Erscheinung und werden in gleichsam sinnlicher Wahrnehmung erkannt, wobei die Erkenntnis vorangeht, daß es sich um Wirkungen des Geistes und Denkens handelt. Wird dagegen dieser Seelen- 84 bereich zerbrochen, weil das harmonische Gefüge des Leibes gestört wird, so denkt der Gedanke und der Geist ohne sol ches Abbild, und dann verläuft das Denken ohne Vorstel lung. Es ist also ein so merkwürdiges Ding durchaus denkbar, daß das Denken von der Vorstellung begleitet ist und dabei doch das Denken nicht Vorstellung ist. Übrigens lassen 85 sich auch im wachen Zustande viele wertvolle Betätigungen ausfindig machen, auf dem Gebiet des Denkens wie des Handelns, welchen durchaus das Moment fehlt, daß wir ihrer, während wir sie denkend oder handelnd vollziehen, gewahr würden. So braucht z. B. der Lesende keineswegs 86 dessen gewahr zu werden, daß er liest, und am wenigsten dann, wenn er mit voller Anspannung liest; so der Mann hafte nicht, daß er mannhaft handelt und seine Tätigkeit dem Vorbild der l\fannhaftigkeit entspricht - und um so weniger wird er dessen gewahr, je mannhafter er tätig ist; und so tausend andere Beispiele. Danach scheint das Be- 87 wußtsein die Tätigkeiten, deren es gewahr wird, geradezu zu trüben, während sie nur dann, wenn sie allein stattfinden, rein sind und in höherem Grade wirksam und lebendig; und so wird denn, scheint's, auch wenn der Weise in das oben 88
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Die Glückseligkeit
(46 ]
geschilderte Schicksal gerät, das Leben in ihm gesteigert, indem es nicht ausgeschüttet wird ins Bewußtsein, sondern in sich selbst in einem Punkt versammelt bleibt. Wollte aber wer behaupten, der Mensch i n solcher Lage habe nicht einmal mehr Leben, so werden wir erwidern, daß er sehr wohl lebt, nur entgeht ihnen die Glückseligkeit seines Zustandes ebenso wie sein Leben. Wollen sie das nicht glauben, so werden wir verlangen, daß sie von einem lebenden Menschen, der edel und ernst ist, ausgehen und dann fragen, ob er glückselig ist, nicht aber das Leben in ihm verkleinern und dann fragen, ob Lebenserfüllung vorliegt, nicht das Menschsein aufheben und dann nach der Glückseligkeit des Menschen fragen, nicht zugeben, daß der Edle nach innen gewandt ist, und ihn dann bei äußerer Tätigkeit suchen. Ü berhaupt sollten sie das Ziel seines Willens nicht in die äußeren Dinge setzen; denn dann hätte die Glückseligkeit freilich niemals eine Daseinsmöglichkeit, wenn sie die Außendinge als Willensziel bezeichnen und behaupten, der Edle wolle sie. Wollen mag er wohl auch, daß es allen Menschen gut gehe und niemanden irgend ein Ü bel treffe; aber, auch wenn das nicht eintrifft, kann er trotzdem glückselig sein. Entgegnet man, daß ein derartiges Wollen reinen "Widersinn bedeuten würde - denn es sei ja unmöglich, daß es kein Ü bel gäbe - nun, so gibt man klärlich uns damit Recht, die wir seinen Willen ganz nach innen wenden. Vermißt man aber an solcher Lebensführung das Lustvolle, so wird man gewiß nicht die Lüste der Lüstlinge verlangen und überhaupt die des Leibes (denn sie können in einem solchen Leben unmöglich zugegen sein, auch würden sie die Glückseligkeit auslöschen) und ebensowenig Freudenüberschwang (wozu auch ?) ; sondern nur die mit der Gegenwart der Werte unmittelbar gegebene Lust, welche nicht in Bewegungen verläuft und mithin auch nichts ·werdendes ist; denn die Werte sind ja bereits gegenwärtig, und der Mensch ist bei sich selber zugegen; so ist denn diese Lust und diese Heiterkeit ein unbewegtes Stillestehen. Heiter aber ist der Edle immerdar, sein Zustand ist ruhevoll, seine Stirnmung voll Zufriedenheit, und keines der angeblichen Übel kann sie erschüttern, wenn er wirklich ein Edler ist. Ver-
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Die Glückseligkeit
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mißt man aber eine andere Art von Lust am Leben des Edlen, so ist es nicht das Leben des Edlen, das man im Sinne hat. 13 Auch die Betätigungen werden keineswegs durch jene Schicksale eingeengt, sondern sie werden nur anders je nach den andern Schicksalsumständen, bleiben aber gleichwohl allesamt schön und vielleicht um so schöner, als sie unter dem Druck der Umstände stehen. Und was die Betätigungen im Denken und Betrachten angeht, so gilt von den einen, die sich auf das Einzelne beziehen, vielleicht wirklich, daß 5 sie gehemmt werden, z. B. von denen, die erst Forschung und Untersuchung voraussetzen, um sich zu äußern; das 'größte Lehrstück' dagegen liegt jederzeit bereit und ihm gegenwärtig, und nur noch um so mehr, wenn er auch selbst im vielberedeten Stier des Phalaris steckt - eine Lage die 'lustvoll' zu nennen nichts ausrichtet, mögen sie (die Epi kureer) es auch zweimal und noch öfter tun; denn bei ihnen ist das Subjekt, welches diesen Ausspruch tut, eben das im 10 Zustand des Schmerzes befindliche, für uns dagegen ist das Schmerzen leidende Subjekt unterschieden von jenem andern Subjekt, welches, solange es jenem gezwungen bei wohnt, doch das Anschauen des Guten in seiner Gänze nicht einzubüßen hat. 14 Daß aber der 'Mensch', und besonders der ernste Mensch, nicht in dem Beisammen von Seele und Leib besteht, das wird bezeugt sowohl durch die Abtrennung vom Leibe wie durch die Verachtung der angeblichen Güter des Leibes. Zu verlangen, daß die Glückseligkeit sich soweit erstrecke wie 5 das Lebewesen, ist lächerlich, wo doch die Glückseligkeit Lebenserfülltheit bedeutet, welche ja nur an der Seele statt hat, da sie eine Betätigung von ihr ist - und zwar nicht von der gesamten Seele: denn sie liegt natürlich nicht der Wachstumsseele ob (sie müßte sich dann ja auch mit dem Leib befassen !), denn Größe und guter Stand des Leibes, das ist doch nicht Glückseligkeit ! Auch beruht sie nicht in besonders 10 gutem Wahrnehmungsvermögen; ja ein Vorwalten an diesen beiden Vermögen birgt sogar die Gefahr, den 'Menschen' zu beschweren und zu sich herabzuziehen. Und wenn so ein Gegengewicht gegen das Gute nach der Seite des Schiech-
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Die Glückseligkeit
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noch an Reinheit des Guten. Es ist also in einem so durch10 schnittlichen Leben keine Glückseligkeit möglich. So fordert denn auch Plato sehr treffend, man müsse das Gute von dort droben herholen, und wer weise und glückselig sein wolle, müsse zu Jenem hinblicken und Ihm sich angleichen und nach Seiner Richtschnur leben. Dies allein muß er besitzen zur Erreichung des Zieles; die übrigen Dinge, z. B. den Ort, wird er wechseln, nicht weil ihm aus dem Ort ein 1 5 Zuwachs zur Glückseligkeit kommt, sondern er ist auch auf die Dinge aus, die sich um einen anderen, als er selbst ist, ergießen; denn er gönnt diesem irdischen Ich, soviel die Notdurft verlangt und er zu geben vermag, er selber aber ist ein anderer, nichts kann ihn hindern, dieses irdische Ich sogar fortzuschicken, und wirklich wird er es fortschicken, wenn die Stunde der Natur herannaht, ist freilich aber auch selbst befugt, hierüber von sich aus Beschluß zu fassen. 20 So werden denn seine Handlungen nur zum Teil auf die Glückseligkeit zielen, zum andern Teil geschehen sie nicht um des letzten Zieles willen, überhaupt nicht um seinet willen, sondern wegen des irdischen Ich, das mit ihm ver koppelt ist, für das er sorgt und das er erträgt, solange es angeht, so wie der Leierspieler sein Instrument versorgt, solange es angeht, darauf zu spielen; geht das aber nicht mehr, s o vertauscht e r e s mit einem andern Instrument, 25 oder er gibt; überhaupt das Leierspielen auf und unterläßt die Betätigung auf der Leier, da er jetzt ein anderes Geschäft ohne Leier treibt, er läßt sie unbeachtet neben sich liegen, denn er singt jetzt ohne Instrument. Und doch wurde ihm nicht umsonst zunächst dies Instrument verliehen, er hat doch oft auf ihm gespielt.
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