Schöpfung: Protologische Fallstudien 9783666567117, 9783525567111, 9783647567112


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Schöpfung: Protologische Fallstudien
 9783666567117, 9783525567111, 9783647567112

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525567111 — ISBN E-Book: 9783647567112

Studium Systematische Theologie

Band 7

Vandenhoeck & Ruprecht

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Gunther Wenz

Schöpfung Protologische Fallstudien

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56711-1 ISBN 978-3-647-56711-2 (E-Book)

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schöpfung, Sünde, Versöhnung, Vollendung: Dogmatische Perspektiven . . .

22

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

11. Biblische Schöpfungszeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

12. Altkirchliche Protologie und platonische Ursprungsmetaphysik . . . . . . . .

85

13. Christliches Welt- und Menschenverständnis zwischen Platonismus und Aristotelismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 14. Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikels im Kontext scholastischen Erbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 15. Gottes opus primum ad extra nach Maßgabe altlutherischer Orthodoxie . 155 16. Kants Kopernikanische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 17. Schleiermachers neuprotestantische Schöpfungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 197 18. Der schöpferische Geistprozess nach Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 19. Barths Schöpfungstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 10. Gottes Schöpfungshandeln und die Welt der Geschöpfe nach W. Pannenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 11. De creatione: Protologische Grundlegungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 12. Schöpfungstheologie und Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 13. Die ersten Tage der Schöpfung: Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . 334 14. Der fünfte Schöpfungstag: Biologische Evolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 15. Der sechste und siebte Schöpfungstag: Menschengeschöpf und Schöpfergott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415

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Vorwort

Lit.: Th. Bedorf/St. Blank (Hg.), Diesseits des Subjektsprinzips. Körper – Sprache – Praxis, Magdeburg 2002. – H. Blumenberg, Wirklichkeiten, in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart 1981. – H. u. G. Böhme, Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt a. M. 1983. – I. U. Dalferth, Umsonst. Eine Erinnerung an die kreative Passivität des Menschen, Tübingen 2011. – F. Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York 1992 (dtsch. Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992). – H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 41975. – G. Gamm, Flucht aus der Kategorie. Die Positionierung des Unbestimmten als Ausgang der Moderne, Frankfurt a. M. 1994. – Ders., Nicht nichts. Studien zu einer Semantik des Unbestimmten, Frankfurt a. M. 2000. – Ders., Philosophie im Zeitalter der Extreme. Eine Geschichte philosophischen Denkens im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2009. – J. Habermas, Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt a. M. 1985. – K. Hermann, De deo uno et trino. Bildprogramme barocker Dreifaltigkeitskirchen in Bayern und Österreich, Regensburg 2010. – E. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, München/Wien 1995. – S. P. Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1996 (London 2002; dtsch.: Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München u. a. 1996). – A. Hutter, Der kritische Sinn des Gottesbegriffs, in: Th. Buchheim u. a. (Hg.), Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft, Tübingen 2012, 149–177. – B. Ihme-Tuchel, Die DDR, Darmstadt 2002. – K. Koschorke (Ed./Hg.), Falling Walls. The Year 1989/90 as a Turning Point in the History of World Christianity. Einstürzende Mauern. Das Jahr 1989/90 als Epochenjahr in der Geschichte des Weltchristentums, Wiesbaden 2009. – J. Kunath, „Sein beim Anderen“. Der Begriff der Perspektive in der Theologie Wolfhart Pannenbergs, Münster/Hamburg/London 2000. – E. Lévinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg/München 21987. – Ders., Totalität und Unendlichkeit. Versuch über Exteriorität, Freiburg/München 21983. – O. Marquard, Universalgeschichte und Multiversalgeschichte, in: ders., Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart 1986, 54–75. – M. McLuhan/B. R. Powers, The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, Paderborn 1995. – M. Neumann, Das Buddenbrook-Syndrom und lange Wellen in Wirtschaft und Politik, München 1991. – H. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens. Von den Anfängen bei den Griechen bis auf unsere Zeit. 4 Bde., Stuttgart/Weimar 2001–2012. – P. Ricœur, Zeit und Erzählung. Bd. I: Zeit und historischer Erzählung. Aus dem Französischen von R. Rochlitz, München 22007. Bd. III: Die erzählte Zeit. Aus dem Französischen von Andreas Knop, München 1991. – G. A. Ritter, Der Umbruch von 1989/91 und die Geschichtswissenschaft, München 1995. – W. Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, Pfullingen 1972. – T. Snyder, Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München 22010. – B. Stöver, Die Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 2002. – G. Vattimo, Das Ende der Moderne, Stuttgart 1990. – H.-W. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Fünfter Band: Bundesrepublik und DDR 1949–1990, München 2008. – L. Wittgen-

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Vorwort

stein, Werkausgabe Bd. 1: Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen, Frankfurt 1984.

Wer vom Münchener Stachus oder Marienplatz kommend die in der Pacellistrasse gelegene Kirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit betritt, sieht seinen Eingang und Ausgang von einem Emblem an der Decke des Vorraums begleitet. Es zeigt drei sich überschneidende Ringe, in deren beiden äußeren je eine Sonne und in deren mittlerem das Tetragramm zu erkennen ist, während im Schnittpunkt aller drei Ringe eine Taube schwebt. Darunter ist eine weite und wüste Wasserfläche zu sehen, die ins Grenzenlose zu verfließen droht. „Abyssus abyssum invocat“, lautet die dazugehörige Inschrift: „Flut ruft der Flut zu.“ Der Text erinnert an die Vulgata- und Septuagintaversion von Ps 41(42),8 und an Chaoswasser und Sintfluten, die in den Abgrund des Todes und in Höllenschlünde zu reißen drohen. Zu retten vermag aus ihnen nur der dreieinige Gott, dessen schöpferischer Geist alle Kreatur begründet und erhält, die Ordnung des Kosmos gewährleistet und in Jesus Christus Versöhnung und Erlösung schafft, damit die Schöpfung sich vollende. In kaum einem anderen sakralen Raum Deutschlands sind reichere Beiträge zur Trinitätsikonographie zu finden wie in der Münchener Dreifaltigkeitskirche. Obwohl sie zugleich als Votivkirche der Stände der Geistlichkeit, des Adels und der Bürgerschaft sowie als Ordenskirche der Karmelitinnen diente, ist das konzeptionelle Programm, welches ihre Architektur und Innengestaltung prägt, ganz von der Trinitätsthematik bestimmt. Diese verbindet alle funktionalen Aspekte zu einer einheitlichen Sinnperspektive. Wohin immer sich der Blick richtet, ob in den Chor, in den Zentralraum und seine Querarme oder an die Emporendecken: das Freskenprogramm, das 1714/15 unter der Hand namentlich von Cosmas Damian Asam Gestalt angenommen hat und im Inneren das architektonische Äußere reflektiert, schließt theologische, christologische und pneumatologische Aspekte zu einer differenzierten Einheit zusammen, die narrativ den protologischen Grund und das eschatologische Ziel des Heilsprozesses in seinen von göttlicher Ökonomie gesteuerten Verlaufsformen zur Darstellung bringt. Genauere Hinweise zur künstlerischen Gesamtkonzeption der Münchener Trinitätskirche gibt K. Hermann in ihrem 2010 erschienenen Werk „De deo uno et trino. Bildprogramme barocker Dreifaltigkeitskirchen in Bayern und Österreich“. Als hermeneutischer Schlüssel der Interpretation fungiert die zentral angebrachte Wendung „Per speculum in aenigmate“, der zufolge einzig und allein im Spiegel Jesu Christi das trinitarische Geheimnis Gottes in der differenzierten Einheit seiner immanenten und ökonomischen Wirklichkeit erkannt werden kann. Im auferstandenen Gekreuzigten ist der dreieinige Gott als Schöpfer, Versöhner und Vollender seiner Schöpfung offenbar. Dabei beseitigt die Christusoffenbarung nicht etwa Gottes Geheimnis; es ist im Gegenteil so, dass sich die göttliche Dreieinigkeit in ihr als unergründliches Mysterium erschließt. Das Liebesgeheimnis des im Zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit

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Vorwort

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Sohne offenbaren väterlichen Gottes ist tiefer und unergründlicher als die Abgründe des Meeres, des Todes und der Hölle. Es ist der göttliche Geist, der dieses Geheimnis wahrnehmen und seine Wahrheit gewiss werden lässt. Dies macht Asams Bild am Eingangsjoch der Münchener Votiv- und Klosterkirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit dem Besucher vorstellig, wenn er das Gotteshaus betritt, und daran erinnert es ihn, wenn er die Kirche wieder verlässt und in die Alltagswelt zurückkehrt. Der christliche Glaube und seine Gewissheit gründen im Geist des dreieinigen Gottes, der sie bewirkt. Über die Wirkzeichen, mittels derer sich der göttliche Geist heilsam expliziert, wurde im Epilog des vorangegangenen Bandes dieser Reihe gehandelt, der die Trilogie zu Gott, Christus und Geist zu einem vorläufigen Abschluss brachte. Sein Nachwort verwies zugleich zurück auf die vorhergehende Themensequenz von Religion, Offenbarung und Kirche, um die Ekklesiologie der christlichen Religion mit der Pneumatologie zusammenzuschließen, die den Geist des in Jesus Christus offenbaren Gottes bedenkt, ohne den die Kirche weder Grund noch Bestand hat. Kirche ist, was sie ist, in der Gemeinschaft des Geistes, der die Offenbarung Gottes in Jesus Christus für Menschheit und Welt erschließt. Die Wirkmittel der kirchlichen Geistgemeinschaft sind Wort und Sakrament, ihre vorzüglichen Äußerungsformen Gebet und Bekenntnis, ihre Wesensattribute Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität. Als Urkunde und kanonische Norm der Kirche aber hat die Hl. Schrift Alten und Neuen Testaments zu gelten. Nach ihrer Maßgabe, die im Evangelium Jesu Christi gründet, bestimmt sich das Kirchesein der Kirche. In der Kirche nimmt die christliche Religion, die in der Offenbarung des dreieinigen Gottes gründet, verfasste Gestalt an, wobei als Grundsatz ekklesiologischer Gestaltung die Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität des Glaubens zu gelten hat. Was das heißt, ist in dem Reihenband zum Thema „Kirche“ ebenso erörtert worden wie das Problem, welches durch die Pluralität kirchlicher Denominationen und durch das Faktum konfessioneller Differenzen in der Christenheit gegeben ist. Diese Erörterungen und die Überlegungen, die im ekklesiologischen Kontext und in anderen Zusammenhängen zur ökumenischen Aufgabe konfessionsgebundener Theologie und ihrem Wissenschaftsanspruch vorgetragen wurden, sind hier nicht zu wiederholen. Ergänzend hingewiesen sei lediglich auf einige Studien und Schriften, in denen ich das Programm einer konfessionellen Theologie in ökumenischer und wissenschaftlicher Verpflichtung unter einigen Gesichtspunkten über das in dieser Reihe Gesagte hinaus zu entfalten suchte: Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch. 2 Bde., Berlin/ New York 1996/98; Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation. 2 Bde., Hannover 2000/02; Grundfragen ökumenischer Theologie. 2 Bde., Göttingen 1999/2010.

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Vorwort

Der wesentlich durch Asams Fresken ausgestaltete Innenraum der Münchener Dreifaltigkeitskirche basiert auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes, während die von Giovanni Antonio Viscardi entworfene Aussenarchitektur als ein erhebend-erhabener Hinweis auf die Auferstehung und himmlische Verherrlichung Jesu Christi gelesen werden kann. Differenziert vereint sind Innen und Außen in dem trinitarischen Gesamtentwurf, der den im auferstandenen Gekreuzigten offenbaren Gott in seiner Dreieinigkeit als Vater, Sohn und Hl. Geist bezeugt. Eine Fortführung im Sinne des pneumatologischen Prozesses, der von der Gottesoffenbarung in Jesus Christus ausgeht, um für Menschheit und Welt zu erschließen, was im trinitarischen Geheimnis beschlossen ist, hat das Konzept der Dreifaltigkeitskirche im Zuge der Barockisierung der Spitalkirche Heilig Geist im Zentrum Münchens erfahren, für die der Viscardischüler Johann Georg Ettenhofer zusammen mit den Asambrüdern maßgeblich war. Der 1: 3: 1 Rhythmus, auf den die Gestaltung angelegt ist, stellt mehr und anderes dar als ein Zahlenspiel und lässt sich als ein Ausdruck deuten für die Aufgeschlossenheit immanenter Trinität in Form jener Ökonomie, die sich nicht im Protologischen erschöpft, sondern heilsgeschichtlich darauf zielt, auch und gerade der gefallenen Kreatur eschatologische Teilhabe an Gott zu gewähren. Die Theologie der Dreieinigkeit Gottes wird so auf den Gegensatz bezogen, der durch Sünde und Übel in die Welt gekommen ist. Dieser Bezug ist für die Anlage einer evangelischen Glaubenslehre entscheidend, wie sie in schöpfungstheologischer, hamartiologischer, soteriologischer und eschatologischer Perspektive von den vier Abschlussbänden dieser Reihe skizziert wird. Die Spitalkirche Heilig Geist gehört ihrem Gründungsdatum nach neben St. Peter und der Frauenkirche zu den ältesten Kirchenbauten Münchens. Der ursprüngliche Gebäudekomplex fiel einem verheerenden Stadtbrand zum Opfer. Den gotischen Neubau und seine barockisierende Umgestaltung ruinierten Luftangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Bestand hatten nur noch die Außenwände. Das erwähnte Ettenhofer-Asamsche Trinitätskonzept mitsamt seiner pneumatologischen Ausrichtung war zuvor schon durch Abrisse und Umbauten infolge der Säkularisation erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden. Mittlerweile ist das traditionsreiche Gotteshaus wiederhergestellt. Inwiefern damit dem Hl. Geist ein bleibendes Gedächtnis gestiftet ist, hängt von dessen aktuellem Wirken ab, das unverfügbar ist. Es ist weder durch Restaurationsmaßnahmen, noch durch eilfertige Anpassungen an den Zeitgeist zu erzwingen, so sehr dieser theologisch bedacht sein will, um das Erbe der Tradition fruchtbar werden zu lassen. Was es mit dem Geist der gegenwärtigen Zeit auf sich hat und was aktuell an der Zeit ist, lässt sich kaum auf einen bestimmten Begriff bringen. Es überwiegt der Eindruck des Unbestimmten. Über weiten Teilen des vergangenen Jahrhunderts lag der dunkle Schatten militanter Politideologien, deren Totalitarismus als säkularer Religionsersatz zu fungieren trachtete. Das „Kurze 20. Jahrhundert“, das mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den sonstigen Umwälzungen in Spitalkirche Heilig Geist

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Vorwort

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dessen Kontext endete, nahm seinen historischen Anfang mit der Katastrophe des Ersten Weltkriegs. In ihm geriet die europäische Zivilisation in eine Grundlagenkrise, die sich im Laufe des „Langen 19. Jahrhunderts“ seit den euroamerikanischen Revolutionen bis hin zum imperialen Zeitalter ausgebildet hatte. Die bürgerliche Ära schien zu Ende, kaum dass sie begonnen hatte, und mit ihr eine Periode, in der sich die Bedingungen eines zivilisierten Lebens beispielsweise in Deutschland zwar nicht für alle, aber doch für einen nicht unerheblichen Teil der Menschen so verbessert hatten, dass der Gedanke kontinuierlichen Fortschritts nicht von vornherein als geschichtsphilosophische Fiktion erscheinen musste. Nach der Weimarer Interimsphase ergriffen Hitler und die NSDAP die Macht, um einen zweiten Weltkrieg herbeizuführen, dessen Totalität das Wesen des Totalitarismus verheerend zur Erscheinung brachte. In keiner anderen Epoche der Menschheitsgeschichte kamen auch nur annähernd so viele Menschen gewaltsam ums Leben wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Allein den vorsätzlichen Massenmordkampagnen in den sog. Bloodlands, den „Territorien, die zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen 1933 und 1945 unter deutscher und sowjetischer Armeeund Polizeigewalt standen“ (Snyder, 417), fielen ungefähr 14 Millionen Menschen zum Opfer. Trotz seiner furchtbaren Abgründe kann das „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm), wie Zeitalter der Extreme man das 20. Jahrhundert genannt hat, zumindest für einige Weltgebiete auch mit einer vergleichsweise goldenen Phase aufwarten. Sie beginnt für den Westen Deutschlands im Geburtsjahr des Autors 1949, wenn man, wofür gute Gründe sprechen, die Katastrophenzeit des Zweiten Weltkriegs nicht schon mit dessen förmlichen Ende, sondern erst vier Jahre danach zum Abschluss kommen lässt, wie das etwa in Hans-Ulrich Wehlers „Deutsche(r) Gesellschaftsgeschichte“ der Fall ist (vgl. Wehler). Die Jahre nach 1949 bringen nicht nur, aber auch und gerade für die junge Bundesrepublik Deutschland ein außergewöhnliches Wirtschaftswachstum und soziale Transformationen von großem Ausmaß. Die integrierte Gesellschaft ist, um ein Stichwort späterer Jahre aufzugreifen, nicht länger bloße Idee, obzwar vielfältige Spannungen und Desintegrationsindize nicht zu leugnen sind. Mit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts gingen in Westdeutschland, aber auch anderwärts die Jahrzehnte einer aufstrebenden Bürgergesellschaft nach 1949 allmählich in eine Ära neuer Struktur- und Grundlagenkrisen über. Für große Bereiche der Welt mehrten sich die Zeichen eines konjunkturellen und sonstigen Abschwungs. Im Falle der Sowjetunion und des sozialistischen Teils Europas wurde aus dem Niedergang ein Untergang. Es ist noch nicht zu ermessen, welche Bedeutung und Folgewirkung die späten achtziger und frühen neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts für die Zukunft der Weltgeschichte haben werden. Ebensowenig lässt sich absehen, wie die globalen Probleme einer Lösung zuzuführen sind, die das zu Ende gegangene Jahrtausend nicht zuletzt in religionspolitischer Hinsicht hinterlassen hat. Auch in regionaler Hinsicht bleiben viele offene

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Vorwort

Fragen: Wenngleich die Deutsche Demokratische Republik seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr existiert, sondern durch Wende, Implosion, Revolution oder „Refolution“ (vgl. Ihme-Tuchel, 73) ihr Ende gefunden hat, sind die politischen einschließlich der kirchen- und theologiepolitischen Folgen dieses Ereignisses noch längst nicht aufgearbeitet. Man mag statt von Wiedervereinigung von einer Einfügung Ostdeutschlands in das System des dreimal so großen Westterritoriums sprechen: an der Tatsache ändert dies nichts, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr die „alte“ ist, „wie sie zwischen 1949 und 1990 existierte“ (Stöver, 1). Ob die Epochenschwelle von 1989/90 als Umbruch oder als Zusammenbruch qualifiziert und beschrieben wird: als allgemein akzeptiert darf gelten, „daß das Ende des großen, im Kalten Krieg kulminierenden Systemkonflikts der Nachkriegszeit, das Scheitern des welthistorischen (in den sozialistischen Ideen und Bewegungen des 19. Jahrhunderts wurzelnden) Experiments zur Verwirklichung einer sozialistischen Utopie, die Befreiung der mitteleuropäischen Staaten von der sowjetischen Herrschaft, die Überwindung der Teilung Deutschlands und der schließliche Zerfall der Sowjetunion einen tiefen Einschnitt in der europäischen Geschichte, ja der Weltgeschichte darstellen, dessen Bedeutung möglicherweise nicht hinter der der Französischen Revolution von 1789 zurückbleibt“ (Ritter, 3). In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts endete eine weltgeschichtliche Ära und das 21. Jahrhundert nahm seinen historischen Anfang. Zäsuren dieser Tiefe und Schärfe „bringen es mit sich, dass sie die gesamte Vorgeschichte umwerten, sie in einem neuen Licht, in einer neuen Perspektive erscheinen lassen. Das gilt sowohl für unsere Beurteilung epochaler Ereignisse wie der Französischen Revolution von 1789, der bolschewistischen Revolution von 1917 oder der Zerschlagung des Deutschen Reiches 1945 wie auch für unsere Auffassung von den die Geschichte bestimmenden Kräften und Ideen. Auf die Frage nach der relativen Bedeutung von Strukturen und langwierigen Prozessen einerseits und nach den Ereignissen, den Personen und auch dem Zufall in der Geschichte andererseits wird neu gestellt. Da wir das Ende des gewaltigen Transformationsprozesses, der dem Zusammenbruch der alten Ordnung 1989/91 folgt, noch nicht kennen und Geschichte auch in Zukunft offen bleibt, ist das neue Bild der Geschichte vor allem des 20. Jahrhunderts bisher alles andere als klar und zudem in ständiger Veränderung.“ (Ritter, 5) Wie sich das Jahrhundert des Totalitarismus und seiner Überwindung (vgl. Ottmann 4/1) kommenden Generationen darstellen wird, bleibt abzuwarten. Epochenschwellen reizen zu Revisionen des sozioFalling walls kulturellen Gedächtnisses, provozieren aber ebenso weitreichende Vorhersagen dessen, was künftig zu erwarten steht: Wird das neue Zeitalter einen kompromisslosen „Kampf der Kulturen“ (S. P. Huntington) oder gar das „Ende der Geschichte“ (F. Fukuyama) überhaupt herbeiführen? Wir wissen es nicht. Seriöse Prognosen sind mittel- und selbst kurzfristig nicht möglich. Klar scheint lediglich zu sein, dass sich die seit geraumer Zeit in Gang befindliche Entwicklungstendenz zur Globalisierung forciert fortset-

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Vorwort

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zen wird. „Falling Walls“ (Koschorke [Ed./Hg.]): Die Erde wird mehr und mehr zum globalen Dorf, wie Mc Luhan vorhergesagt hat (vgl. McLuhan/B. R. Powers), mit der Folge, dass regionale Lösungen bestehender Probleme nur noch bedingt möglich sind, weil diese weltumgreifende Dimensionen angenommen haben. Dies gilt für Probleme demographischer und ökologischer Art ebenso wie für Wirtschaftsprobleme. Auch und gerade die Ökonomie hat globales Format gewonnen, ja der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Sowjetsystems und dem Sturz seiner sozialistischen Trabanten, mit welchem die ideologische Zweiteilung der Welt endete, die globale Einheit wesentlich durch das Medium des Kapitals hergestellt und gewährleistet wird. Dass dies erhebliche Gefahren neuer Friktionen in sich birgt, ist evident und in vieler Hinsicht bereits manifest geworden. Für die weitere Entwicklung wird es entscheidend darauf ankommen, dass Politik supranationale Steuerungsmöglichkeiten ausbildet, welche die Totalisierung des Ökonomischen verhindert. Das ist möglich nur, wenn das Politische selbst nicht einseitig ökonomisiert und den alleinigen Direktiven einer kapitalistischen Weltwirtschaft unterworfen wird. Entsprechend müssen die sonstigen sozialen Subsysteme wie etwa Recht, Kunst und Religion auch unter Globalisierungsbedingungen jene Eigenständigkeit und ökonomische Nichtsubstituierbarkeit beibehalten, die kennzeichnend sind für die Rationalität und Liberalität funktional ausdifferenzierter Gesellschaften. Auch die christlichen Kirchen und dabei insbesondere die protestantischen werden sorgsam darauf zu achten haben, dass sie keiner Selbstökonomisierung aufsitzen. Dann nämlich wären sie mittelfristig auch ökonomisch nichts mehr wert. Das Entscheidende, was evangelisches Christentum der ursprünglichen Einsicht der Reformation gemäß zu geben hat, wird „gratis“ gegeben. Genau darin liegt der ökonomisch unschätzbare und unersetzbare Wert christlicher Religion begründet. Als Geschöpf und vor allem als der Sünder, der er faktisch ist, lebt der Mensch von einer unbedingt und bedingungslos gegebenen Gabe, die er nur „mere passive“ empfangen kann. Er lebt „von der Kreativität einer Passivität vor aller Aktivität und Passivität“ (Dalferth, VI). Wahrgenommen wird dies im Glauben, im Schöpfungsglauben und im Glauben an das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen zumal. „Gott ist ‚semper ubique actuosus‘, der Mensch dagegen im Verhältnis zu Gott in entscheidender Hinsicht ganz und gar passiv: ‚mere passive‘, wie Luther nicht müde wird zu sagen.“ (Dalferth, 48 unter Verweis auf WA 18, 753, 14 ff.) Was das heißt, hat I. U. Dalferth unlängst in Reflexionen und Meditationen zur Passivität der Gabe bei Luther (Dalferth, 50 ff.), zur Kunst des Schenkens und zu den Grenzen der Gabe (Dalferth, 92 ff.), zur Passion der Liebe und zur altruistischen Selbstaufopferung Jesu Christi (Dalferth, 132 ff.) sowie zur Menschwerdung Gottes und des Menschen (Dalferth, 160ff; 190 ff.) eindrucksvoll verdeutlicht. Im Wörtchen „umsonst“ fasst sich der Gehalt reformatorischen Christentums bündig zusammen; es markiert zugleich die religiöse Grenze aller Ökonomie, die göttliche ausgenommen.

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Vorwort

Die Welt als globale Marktgesellschaft: Es wäre einseitig, neben den wirtschaftlichen Entwicklungen und den mit ihnen verbundenen Antagonismen die Probleme und Potentiale zu vernachlässigen, welche Fragen der politischen Ordnungssysteme und Sozialstrukturen, des Generations- und Geschlechterverhältnisses, der gesellschaftlichen Alterssicherung oder sonstiger Dimensionen des öffentlichen und privaten Lebens betreffen, die sich in Gesamteuropa anders darstellen als in Deutschland und in Europa wiederum anders als etwa in Asien oder in Afrika. Die geschichtliche Situation im frühen 21. Jahrhundert ist – niemand wird diese These überraschen – in hohem Maße komplex und nur auf die Gefahr von Pauschalurteilen auf einen identischen Begriff zu bringen; einheitlich ist die Situation am ehesten in ihrer pluralen Vielfalt, die Gegensätze mannigfacher Art in sich enthält. Was universale Reichweite und globale Effektivität betrifft, so scheint mit der Ökonomie in neueren Zeiten allenfalls die Wissenschaft und zwar in jener Form von Rationalität konkurrieren zu können, die mit den Naturwissenschaften ihre großen, im wesentlichen technischen Erfolge errungen hat. Einen exemplarischen Beleg hierfür gibt offenbar auch jene akademische Disziplin, zu deren vorzüglichen Aufgaben es traditionell gehörte, den Geist der Zeit zu begreifen, nämlich die Philosophie als der in Zu- und Abneigung seit alters engsten Vertrauten der Theologie; doch belegt die philosophische Entwicklung der sog. Postmoderne auch diametral gegenläufige Trends, die auf eine lange Geschichte zurückblicken können und beweisen, dass die sog. aufgeklärte Moderne von Anbeginn eine Erscheinung von höchst diversifizierter Art war. Unter den Grundtendenzen, die nach Walter Geist der Zeit Schulz die „Philosophie in der veränderten Welt“ (vgl. Schulz) des 19. und 20. Jahrhunderts kennzeichnen, nimmt diejenige der Verwissenschaftlichung die erste Stelle ein. In der philosophischen Orientierung an der Wissenschaft, insbesondere an den Naturwissenschaften, reflektiert sich deren beherrschender Einfluss in den okzidentalen Gesellschaften der Neuzeit. Belege hierfür bieten positivistische und neopositivistische Strömungen von A. Comte bis R. Carnap und W. v. Orman Quine, der kritische Rationalismus K. Poppers oder die Anfänge sprachanalytischen Philosophierens bei G. E. Moore, B. Russell, G. Frege sowie dem frühen L. Wittgenstein, dessen „Tractatus logico-philosophicus“ darauf angelegt ist, eine wissenschaftliche Idealsprache zu konstruieren. Von diesem Versuch ist Wittgenstein später allerdings signifikanterweise abgerückt. Hauptbezugspunkt seiner „Philosophischen Untersuchungen“ bildet die Alltagssprache, deren Sprachspiele in keine formalisierte Wissenschaftssprache aufhebbar und die gewissermaßen vorwissenschaftliche Grundlage aller welterschließenden Verständigung sind. Wittgensteins Philosophie ist unter – sit venia verbo – Zeitgeistentwicklungsgesichtspunkten nach wie vor von exemplarischer Bedeutung, insofern sich in ihr Wissenschaft in Konstruktion und Kritik selbst thematisch wird, um so über ihren Sinn und ihre Grenzen zu befinden: „Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.“ (Wittgen-

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Vorwort

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stein, 9) Klar sagen und zum Ausdruck bringen lässt sich, was der Fall ist, also alles, was der Welt zugehört; ist doch die Welt gemäß dem ersten Satz des Traktats alles, was der Fall ist. Was der Fall ist, ist das Bestehen von Sachverhalten. Sie sind denkbar, wenn wir uns ein logisches Bild von ihnen machen können. „Die Gesamtheit der wahren Gedanken sind ein Bild der Welt.“ (Wittgenstein, 17) Inbegriff von Sätzen, in denen Gedanken sinnvollen Ausdruck finden, ist die Sprache, deren Theorie auf der Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen basiert. Der Schlusssatz des Traktats weist auf das Vorwort zurück, das ihm 1918 vorangestellt wurde: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ (Wittgenstein, 85) Wittgenstein zeigt sich von der definitiven Wahrheit der in seinem Werk mitgeteilten Gedanken überzeugt; was sich denken und gedanklich zum Ausdruck bringen lasse, sei durch den Traktat einer klaren Bestimmung zugeführt. Zugleich sei durch ihn dem Ausdruck der Gedanken eine Grenze gezogen, jenseits derer zwar nichts zu suchen und zu finden sei, wovon die Rede sein könne, ohne dass das Unaussprechbare deshalb als unsinnig oder sinnlos gelten müsste. Die Annahme liegt vielmehr nahe, dass Wittgenstein den Sinn von Welt nicht in ihr, sondern in einem Welttranszendenten vermutete, von dem man nicht sprechen, sondern nur mystisch schweigen kann. Für diese Annahme spricht nicht nur der letzte Satz des Traktats, sondern auch die Schlussbemerkung seines Vorworts, demzufolge der Wert der vorgelegten Arbeit neben der Lösung der ihm aufgegebenen Probleme wesentlich darin bestehe, „daß sie zeigt, wie wenig damit getan ist, daß diese Probleme gelöst sind“ (Wittgenstein, 10). In seinen „Philosophischen Untersuchungen“, deren erster 1945 und deren zweiter Teil 1949 abgeschlossen wurde, hat Wittgenstein seinen ehemaligen Versuch als missglückt bezeichnet, eine formale Wissenschaftssprache zu entwickeln, mit der sich definitiv auf den Begriff bringen lasse, was bedeutsam sei. Dem entspricht der Verzicht, seine Überlegungen zum Begriff des Satzes, der Bedeutung, des Sinnverstehens etc. zu einem logischen Ganzen zu verbinden. Die essayistische Form der „Philosophischen Untersuchungen“ ist ihrem Gehalt und der Einsicht gemäß, dass Wörter auf ihre alltägliche Verwendung zurückzuführen seien, um verstanden zu werden. „Wenn ich über Sprache (Wort, Satz etc.) rede, muß ich die Sprache des Alltags reden.“ (Wittgenstein, 301) Die Alltagssprache ist sprachlich unhintergehbar. Auch die Philosophie darf ihren tatsächlichen Gebrauch „in keiner Weise antasten, sie kann ihn am Ende also nur beschreiben“ (Wittgenstein, 302). Sie tut dies, indem sie den alltäglichen Sprachspielen, dem „Spiel des Worterlebens“ (Wittgenstein, 556), auf die Spur zu kommen sucht. Zwar kommt die „unsägliche Verschiedenheit aller der tagtäglichen Sprachspiele“ (Wittgenstein, 570) im Sprechen nicht eigens zu Bewusstsein. Aber deren Pragmatik bildet die unausdrückliche Voraussetzung jeden sprachlichen Verstehens. Die pragmatische Wendung der Ordinary Language Philosophy und die seit L. Austin und G. Ryle geläufige Beachtung performativer Anteile sprachlicher Äußerungen gehört in diesen Zusammenhang. Der „linguistic turn“ verbindet sich mit einem „pragmatic turn“, wie er sowohl für die Theorie kommunikativen Handelns von K.-O. Apel

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Vorwort

und J. Habermas als auch für den Neopragmatismus von H. Putnam und R. Rorty in ihrem Anschluss an die Denktraditionen von W. James, Ch. S. Peirce oder J. Dewey charakteristisch ist. Mit der von Wittgenstein initiierten pragmatiMetaphorik und Narration schen Wende von kunstsprachlicher Formallogik zum Alltagssprachlichen steht die Hochschätzung von Metaphorik und Narration in Verbindung, die in Teilen jüngerer Philosophie (Hutter, 175: „narrative Ontologie“) und Theologie zu beobachten ist. Metapher und Erzählung sind formal unterschieden. Bei Ersterer handelt es sich um eine Redefigur, bei Letzterer um eine literarische Gattung. Doch die von beiden hervorgebrachten Sinnwirkungen sind vergleichbar. Sie beruhen „auf demselben Phänomen der semantischen Innovation“ (Ricœur I, 7). Metaphorische Aussage und narrative Rede treiben über dasjenige hinaus, was sie äußern, und verweisen auf ein Jenseitiges, das Begreifen transzendiert, ohne es ins Unbegreifliche aufzulösen. Die philosophische Bedeutung beider erhellt, wenn man sich verdeutlicht, dass Metapher und Erzählung in der Geschichte des Denkens stets dann reüssierten, wenn die Unmöglichkeit einer begrifflichen Totalvermittlung eingesehen wurde oder eingesehen zu sein schien. Auf diesen Sachverhalt hat u. a. Raul Ricœur hingewiesen und ihn mit dem Ende des Hegelianismus in Verbindung gebracht, in welchem das Scheitern aller späteren Totalvermittlungsstrategien in antizipatorischer Definitivität inbegriffen sei. Metapher und Erzählung hüten die Zeitlichkeit von Geschichte und verhüten so, dass eine Geschichte sich mit der Geschichte schlechthin gleichsetzt. Positiv formuliert: „Geschichte geht immer aus Geschichte hervor.“ (Ricœur III, 397) Geschichtliche Identität kann entsprechend nie abschließend begriffen, sondern nur metaphorisch und narrativ auf jenen vorläufigen Begriff gebracht werden, der allem Endlichen entspricht. Auf die Idee einer „absolute(n) Vermittlung von Geschichte und Wahrheit“ (Gadamer, 324; bei G. kursiv) sei daher zu verzichten. Wofür Wittgensteins Wende steht, findet im unmittelbaren Kontext neuerer Wissenschaftstheorien eine mehr oder minder direkte Entsprechung. Zu erinnern ist an Th. S. Kuhns Werk über „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ von 1962. Der von ihm in die Theorie der Wissenschaftsgeschichte eingeführte Paradigmabegriff bezeichnet einen „latente(n) Komplex von Prämissen, die als Implikationen der wissenschaftlichen Praxis gar nicht ausdrücklich formuliert werden müssen, sondern in die Methoden und Fragestellungen bereits eingegangen sind“ (Blumenberg, 158). Der paradigmatische Prämissenkomplex bildet, wenn man so will, den stillschweigenden Sinnhintergrund aller expliziten Theoriebildungen. Unter seiner Voraussetzung werden nicht nur alle experimentellen Ergebnisse angeeignet, bereits die Experimente selbst folgen seiner Axiomatik, die nicht auf evolutionäre, sondern nur auf revolutionäre Weise transformiert werden kann. Kuhn wies nach, dass wissenschaftliche Paradigmata und Paradigmenwechsel häufig durch wissenschaftsexterne Faktoren veranlasst sind, die einer lediglich methodologischen und epistemologischen Wissenschaftsanalyse entgehen und nur durch

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psychologische, soziologische bzw. historische Diskursanalysen erfassbar sind. Diese Analysen müssen nicht zu „anything goes“-Thesen oder zu der Annahme führen, Wissenschaft sei nichts anderes als dasjenige, was jeweils dafür gehalten wird. Sie zwingen aber die wissenschaftliche Theorie zu interner Kritik und zur Reflexion der geschichtlichen Bedingungen ihrer rationalen Geltungsansprüche. Strukturalismus, Poststrukturalismus und hermeneutische Philosophie haben sich an diesem Problem in unterschiedlicher Weise abgearbeitet und das Bewusstsein für die hintergründigen Motive geschärft, welche Wissenschaft bestimmen, ohne zu ihrem ausdrücklichen Gegenstand zu werden. Dass sie das rationale Systemganze nicht sei, für welches sie sich häufig halte, haben der modernen Dekonstruktion Wissenschaft mit besonderem Nachdruck die sog. Dekonstruktivisten nachzuweisen versucht. Zu nennen sind u. a. J. Derrida, M. Foucault oder J.-F. Lyotard. Der tragende Grund, die innere Mitte und das Sinnziel des Ganzen stehen nach ihrem Urteil unter dem Vorzeichen einer Differenz, die gerade durch Versuche reproduziert werde, sie zu beheben. An diesem aporetischen Dilemma habe nicht nur die traditionelle Metaphysik, sondern auch die moderne Wissenschaft teil, so dass es an der Zeit sei, nicht nur den metaphysischen, sondern auch den wissenschaftlichen Großerzählungen den Abschied zu geben und die Irreduzibilität pluraler Wissens- und Lebensformen anzuerkennen. Statt Metadiskurse zu führen, gelte es, die Vielfalt heterogener Sprachspiele verständig zu fördern und denjenigen zur Selbstartikulation zu verhelfen, die durch totalitäre Ansprüche wissenschaftlicher oder sonstiger Art ausgegrenzt würden. Was ist aktuell an der Zeit und was hat es mit dem Geist der gegenwärtigen Zeit näherhin auf sich? Im Blick auf die Verhältnisse hierzulande hatte Jürgen Habermas vor gut einem Vierteljahrhundert eine „Neue Unübersichtlichkeit“ diagnostiziert, wie es im Titel des fünften Bandes seiner Kleinen Politischen Schriften von 1985 hieß. Wenngleich sie mittlerweile nicht mehr neu zu nennen ist, so hat sich die Unübersichtlichkeit der geistigen Lage der Zeit nicht nur erhalten, sondern weiter zugesteigert. Um auch nur Grundtendenzen eines philosophisch reflektierten Zeitgeistes zur Erkenntnis zu bringen, bedarf es erheblicher Komplexitätsreduktionen. Dazu passt der Befund, dass sich als die vielleicht wichtigste philosophische Tendenz der Gegenwart diejenige wachsender Aufmerksamkeit auf vorphilosophische Weisen der Weltwahrnehmung identifizieren lässt. In seiner jüngst erschienenen Geschichte philosophischen Denkens im 20. Jahrhundert hat Gerhard Gamm diesen Befund zu plausibilisieren und zugleich zu zeigen versucht, dass die erhöhte philosophische Wahrnehmung des Anderen der Vernunft aus einer seit längerem in Gang befindlichen Entwicklung resultiert. Gamm illustriert seine Grundannahme an den „Leibphilosophien“ von L. Feuerbach, F. Nietzsche und M. Merleau-Ponty, an K. Marx und marxistischen Theorien gesellschaftlicher Praxis sowie an analytischen Konzeptionen des individuellen und sozialen Unbewussten von S. Freud bis G. Bataille. Vorangestellt sind Kurzstudien zu S. Kierkegaard, M. Heidegger und J.-P. Sartre, die nach Urteil

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Vorwort

Gamms je auf ihre Weise vorwegnahmen, was unter postmodernen Bedingungen ein Kennzeichen philosophischen Denkens insgesamt geworden zu sein scheint: Kritik totalisierenden Denkens und einer repressiven Vernunft, welche die soziale Lebenswelt kolonialisiert und die vorphilosophische Selbst- und Welterfahrung leibhafter Subjekte begrifflich vereinnahmt oder abstrakt negiert. Religion scheint solch kritischen Tendenzen traditionell entgegenzukommen. Doch bleibt sie samt der Theologie nach Gamm für aktuelles Philosophieren ein eher marginales Phänomen. Ihm zufolge „kommt ein (der) Fragenkomplex, der ganze Jahrhunderte bewegt hat – ‚Gott‘ – in den Hauptströmungen der Philosophie des 20. Jahrhunderts nicht mehr vor“ (Gamm, Philosophie, 10). Theologie, die ihren Namen verdient, wird sich Postmoderne mit der tatsächlichen oder vermeintlichen Absenz der Gottesthematik in der neuesten Philosophiegeschichte nicht abfinden und im Übrigen keinen unkritischen Anschluss an die tatsächlichen oder vermeintlichen philosophischen Großtrends suchen. Dennoch muss ihr die Situation des postmodernen Geistes zu denken geben, und zwar gerade in demjenigen, was sich an ihm gewissermaßen definitiv nicht auf den Begriff bringen lässt und seine, wenn man so will, prinzipielle Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit ausmacht. Um noch einmal Gamm zu zitieren: „Im losen Verbund mit Merkmalen wie Fragmentierung und Montage, dem Ende der grands récits (Lyotard) und der Entkanonisierung autoritativer Lebensentwürfe, mit Performance und Partizipation, Ironie und Ichverlust taucht regelmäßig auch Unbestimmtheit auf, um die Postmoderne zu kennzeichnen. Unbestimmtheit, besser Unbestimmtheiten gelten als Medien eines postmodernen Existenzgefühls.“ (Gamm, Flucht, 8) Im Zuge konsequenten Reflexivwerdens aller modernen Selbst- und Weltverhältnisse stelle sich das gesteigerte Empfinden einer nicht zu beseitigenden Unbestimmtheit ein, das alle Bestimmungen menschlichen Wissens und Handelns begleite. Das Unbestimmtheitsempfinden sei dem Subjekt nicht äußerlich, sofern es sich mit dem Innewerden einer Grundlosigkeit bzw. Hintergründigkeit von Subjektivität und dem Bewusstsein verbinde, es gebe nichts, woran das Ich einen stabilen und dauerhaften Halt finden könne. Doch begegne Unbestimmtheit auch in der „objektiven“ Welt, wie etwa das Beispiel der Physik des Prä- bzw. Subatomaren beweise, die mit prinzipieller Unbestimmbarkeit ihrer „Gegenstände“ rechne. Was unbestimmt bleibt und sich der Bestimmung entzieht, ist „Nicht nichts“, wie der Titel eines Bandes gesammelter Studien Gamms zur Semantik des Unbestimmbaren treffend konstatiert. Ja, man wird weitergehen und sagen können, dass sich die „Positivierung des Unbestimmten“ (vgl. Gamm, Flucht, 212 ff.), wie sie Teile der postmodernen Geistesrichtung kennzeichnet, nicht nur auf eine altehrwürdige philosophische Tradition zurückbeziehen, sondern auch theologische Gründe für sich geltend machen kann. Einen frühen Anhalt findet die positive Bestimmung des begrifflich Unbestimmbaren beispielsweise am späten Schelling. „Der Zentralbegriff der Schellingschen Spätphilosophie, der einer Unvordenklich-

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keit des Grundes, deutet schon terminologisch auf eine transkategorial begriffene Wirklichkeit. Jeder Versuch der Selbstbegründung der Vernunft führt auf ihre Depotenzierung. In den (vermeintlich) letzten Grund zeigt sich eine Differenz eingeschrieben, die ihn stets aufs neue zerstreut.“ (Gamm, Nicht nichts, 157) Dass das Absolute kein Gegenstand des Denkens und gedanklich nicht zu fassen sei, habe Schelling seit seinen philosophischen Anfängen gewusst. In seiner späten Philosophie habe er dann das Unbestimmte in Form seiner Philosophie der Mythologie und Offenbarung ausdrücklich affirmiert, um eine positive Philosophie der namentlich durch Hegel repräsentierten negativen in Kritik und Konstruktion zur Seite zu stellen. „Die Nobilitierung des Unbestimmten besteht in der Bejahung des Differenz-Sinns der Freiheit.“ (Gamm, Flucht, 224) Einer in der Bejahung des Differenz-Sinns der Freiheit bestehenden Nobilitierung des Unbe- Das Andere der Vernunft stimmten wird christliche Theologie unter der Voraussetzung zustimmen, dass „Das Andere der Vernunft“ (H. u. G. Böhme) vernunftbezogen bleibt und nicht demjenigen überantwortet wird, was vernünftigerweise als unvernünftig und irrational zu bezeichnen ist. Die Religion des Christentums und ihr Offenbarungsglaube sind durch Theorie und Praxis nicht substituierbar, aber auf Denken und bedachtes Handeln konstitutiv und unveräußerlich bezogen. In dieser Überzeugung stimmen so unterschiedliche Theologen wie Friedrich Schleiermacher und Karl Barth überein. Im Übrigen hat sich der Respekt vor dem Anderen der Vernunft und die Pflege des Bewusstseins irreduzibler und unaufhebbarer Differenz nach christlichem Urteil vor allem durch Anerkennung der Alterität von Mitmenschen und sonstiger Mitgeschöpfe zu bewähren, deren Anderssein sich einem absoluten Identifikationszugriff entzieht und gegen Überführung in Selbigkeit sperrt (vgl. Levinas, Spur; Totalität). „Der Begriff des Subjekts“, so wurde konstatiert, „bildet seit längerem nicht mehr das Zentrum philosophischer Positionen und mit dem Verlust an Vertrauen in seine konstruktive Potenz ging eine Kritik an seinen politischen Implikationen einher. Die unter dem Label ‚Postmoderne‘ geführte Debatte um das ‚Ende des Subjekts‘ hat diese Bewegung ins öffentliche Bewußtsein geführt; zahllose Erzähler der ‚kleinen Erzählungen‘ entdeckten die Vorzüge der Differenzen, Vervielfältigungen und Hybridisierungen, die endlich dem ‚totalisierenden Zugriff des Subjekts‘ entkommen konnten.“ (Bedorf/Blank [Hg.], 7) Diese Entwicklung hat ihre Richtigkeit, sofern sie sich gegen Gleichschaltungstendenzen richtet, die mit bestimmten Theorien subjektiver Identität verbunden waren. Einen prinzipiellen Abschied von Subjektivität darf sie gleichwohl nicht zur Folge haben, wenn sie nicht kontraproduktive Konsequenzen zeitigen soll, die den traditionellen Subjektbegriff unter- statt überbieten. Nur wer sich selbst als Ich zu erkennen vermag, ist in der Lage, Andere als seinesgleichen und damit in jener irreduziblen Andersheit und Individualität anzuerkennen, die jedem Ichwesen eigen ist. Eine Herabsetzung von Ich zu einer Funktion natürlicher oder sozialer Bedingungen würde mit dem Subjekt zugleich jenem ein Ende bereiten, was Humanität heißt. Christliche

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Vorwort

Theologie wird solcher Herabsetzung ebenso wenig folgen wie Theorien und Praktiken einer unmittelbaren Selbstsetzung und Selbstdurchsetzung des Ich. Um nach dem zeitgeschichtlichen Exkurs vor Beschluss des Vorworts wieder an den Ort zurückzukehren, von dem er seinen Ausgang genommen hat, nach München. Die Evangelisch-Theologische Fakultät der dortigen Ludwig-MaximiliansUniversität, die Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gegründet wurde, ist insbesondere durch den universalgeschichtlichen Entwurf ihres ersten Systematikers, Wolfhart Pannenberg, zu zeitiger Berühmtheit gelangt. Noch mag es zu früh sein, fakultäts- und institutshistoriographisch von einem BuddenbrockSyndrom und davon zu sprechen, was es in theologicis mit dem Gesetz vom fallenden Grenznutzen der Kapitalakkumulation auf sich hat (vgl. Neumann). Angebracht und zeitgemäß hingegen dürfte es sein, sich über das Verhältnis von universal- und provinzialgeschichtlichen Perspektiven Gedanken zu machen. Denn inzwischen ist im Verein mit dem Ende geschichtlicher Großerzählungen das Ende der Geschichte überhaupt proklamiert worden. Es hat, so Gianni Vattimo in dem Reklambändchen „Das Ende der Moderne“, nicht nur als ausgemacht zu gelten, „daß eine ‚Universalgeschichte‘ als Geschichtsschreibung, als historia rerum, nicht möglich ist, sondern auch, daß die Bedingungen selbst zu einer Universalgeschichte als einem wirklich einheitlichen Gang der Ereignisse, als res, geschwunden sind“ (Vattimo, 15). In nachmodernen Zeiten der post-histoire könne von der Geschichte nicht mehr die Rede sein, weil deren Singular sich in eine uneinheitliche Vielfalt von Geschichten aufgelöst habe. „Wenn es aber keine einheitliche tragende Geschichte, sondern nur die verschiedenen Geschichten, die verschiedenen Ebenen und Rekonstruktionsweisen der Vergangenheit im Bewußtsein und in der kollektiven Einbildungskraft gibt, dann ist es schwer einzusehen, bis zu welchem Grad die Auflösung der Geschichte als Verbreitung von ‚Geschichten‘ nicht zugleich ein wahres und richtiges Ende der Geschichte als solcher ist; der Geschichtsschreibung als der Vorstellung – und sei sie noch so vage – von einem einheitlichen Gang von Ereignissen, der aber auch selbst, nachdem die Einheit des Diskurses über ihn beseitigt wurde, jede wiedererkennbare Konsistenz verliert.“ (Vattimo, 14) Multiversalgeschichte statt Universalgeschichte: es Multiversalgeschichte darf aus Gründen der Liberalität und Buntheit des Lebens „nicht nur eine einzige Geschichte, sondern es muß viele Geschichten geben“ (Marquard, 71). Die Absage an universalgeschichtliche Konzeptionen gehört in den Kontext postmoderner Reserven gegen Letztbegründungsdenken jedweder Art. An die Stelle starker Theorie soll ein „schwaches Denken“ treten, das nicht ohne Selbstironie dafür plädiert, dem Nichtidentischen und Differenten, dem Heterogenen und Ambivalenten, dem Präreflexiven, Situativen, Individuellen und Mannigfaltigen, das sich auf keinen identitätslogischen Begriff bringen lässt, die nötige Aufmerksamkeit zuzuwenden. Einer am religiösen Bewusstsein des Christentums orientierten Theologie werden entsprechende Plädoyers und die Forderung, sich zur Beschränktheit der je eige-

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Vorwort

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nen Perspektive zu bekennen, nicht völlig fremd sein. Man darf freilich auch nicht vergessen, dass es im theologischen Denkhorizont in jeder Hinsicht und unter allen Aspekten stets ums Ganze geht. Das Sinnganze ist niemals identisch mit der Vorstellung, die man von ihm hat. Theologie, die ihrem Begriff entspricht, weiß darum; sie „denkt in Anerkennung ihrer eigenen Perspektivität“ (Kunath, 175). Selbstunterscheidung von dem ihr zu bedenken aufgegebenen Sinngehalt ist daher ein Kennzeichen ihrer Güte, die sie zugleich von Innovationssucht abhalten und zu Respekt vor den Denkleistungen der theologischen Tradition anhalten wird. So gesehen hat der Rat skeptischer Weisheit seine Richtigkeit, man solle sich „beim Dauerlauf Geschichte – je schneller sein Tempo wird – unaufgeregt überholen lassen und warten, bis der Weltlauf – von hinten überrundend – wieder bei einem vorbeikommt: vorübergehend gilt man dann – in immer kürzeren Abständen – bei denen, die überhaupt mit Avantgarden rechnen, ebenso irrtümlich wie wirksam wieder als Spitzengruppe.“ (Marquard, 68 f.) München, 1. Oktober 2012

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Gunther Wenz

Schöpfung, Sünde, Versöhnung, Vollendung: Geistesgeschichtliche und dogmatische Perspektiven

Lit.: J. Baur, Einsicht und Glaube. Aufsätze, Göttingen 1978. – I. U. Dalferth, Radikale Theologie, Leipzig 2010. – Chr. Danz, Einführung in die evangelische Dogmatik, Darmstadt 2010. – J. Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus. Studien zum Verhältnis von religiösem Vollzug und theologischer Bestimmtheit bei Barth und Bultmann sowie bei Hegel und Schleiermacher, Tübingen 1996. – F. W. Graf, Die Freiheit der Entsprechung zu Gott. Bemerkungen zum theozentrischen Ansatz der Anthropologie Karl Barths, in: T. Rendtorff (Hg.), Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, Gütersloh 1975, 76– 118. – Ders., Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2011. – St. Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien zur kritischen Deutung seiner Theologie, Göttingen 2007. – D. Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth, Tübingen 1996. – W. Krötke, Rez. T. Rendtorff (Hg.), Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, Gütersloh 1975, in: ThLZ 105 (1980), 300–303. – M. Laube, Theologie und neuzeitliches Christentum. Studien zu Genese und Profil der Christentumstheorie Trutz Rendtorffs, Tübingen 2006. – W. Pannenberg, Grundfragen Systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze. Band 2, Göttingen 1980. – G. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie: Zu Genese und Kontext eines paradigmatischen Entwurfs systematischer Theologie im 20. Jahrhundert, Tübingen 2000. – T. Rendtorff, Theorie des Christentums, Gütersloh 1972. – Ders., Der ethische Sinn der Dogmatik. Zur Reformierung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik bei Karl Barth, in: ders. (Hg.), a. a. O., 119–134. – Th. Ruster, Rez. G. Wenz, Studium Systematische Theologie. Bd. 1–4, in: ThLZ 106 (2010), Sp. 44–50. – W. Sparn, ‚Extra Internum‘. Die christologische Revision der Prädestinationslehre in Karl Barths Erwählungslehre, in: T. Rendtorff (Hg.), a. a. O., 44–75. – F. Wagner, Theologische Gleichschaltung. Zur Christologie bei Karl Barth, in: T. Rendtorff (Hg.), a. a. O., 10–43. – Ders., Christologie als exemplarische Theorie des Selbstbewusstseins, in: T. Rendtorff (Hg.), a. a. O., 135–167. – G. Wenz, Wolfhart Pannenbergs Systematische Theologie. Ein einführender Bericht, Göttingen 2003.

Nach der am 1. Oktober 1967 erfolgten formellen Errichtung einer Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität München (vgl. Bd. 1, 20 ff.; Bezug genommen wird durch diesen und durch entsprechende Verweise auf vorhergehende Bände dieser Reihe.) fanden zu Beginn des Sommersemesters am 2. Mai 1968 in Hörsaal 302 des Hauptgebäudes der LMU die ersten evangelisch-theologischen Lehrveranstaltungen im Rahmen des neuen Fachbereichs statt. Gleichzeitig wurde der Semesterbetrieb in den Räumen an der Georgenstrasse 7 aufgenommen. Die von der Fakultäts- und Universitätsleitung vorbereiteten Eröffnungsfeierlichkeiten mussten wegen eskalierender StuEvang-Theol. Fakultät der LMU

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Schöpfung, Sünde, Versöhnung, Vollendung: Geistesgeschichtliche u. dogma. Perspektiven

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dentenunruhen unterbleiben. Im ersten Vorlesungsverzeichnis der Fakultät ist Wolfhart Pannenberg mit einer Lehrveranstaltung zur Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung angekündigt. In ihr entfaltete der erste Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie I sein Projekt „Offenbarung als Geschichte“ (vgl. Wenz, 9–18), mit dem Anfang des Jahrzehnts innerhalb des deutschen Protestantismus ein neuer theologischer Gesamtentwurf in Abgrenzung zur sog. Wort-Gottes-Theologie Karl Barths und seiner Schule an die Öffentlichkeit trat. Nach geraumer Zeit erhielt Trutz Rendtorff den Ruf auf den zweiten Lehrstuhl für Systematische Theologie. Ein dritter systematisch-theologischer Lehrstuhl, der in Forschung und Lehre speziell auf die lutherische Theologie und die Dogmatik der Wittenberger Tradition ausgerichtet sein sollte, wurde mit Jörg Baur besetzt; er verließ München Ende der siebziger Jahre mit „Dank und Widerspruch“ (vgl. Baur, Widmung) in Richtung Göttingen. Geschichtlich gehört die Gründung der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität München jener Entwicklungsphase evangelischer Theologie an, die man wegen Fehlen eines passenderen Begriffs mit der Verlegenheitsbezeichnung „nachdialektisch“ versehen hat. Als charakteristische Grundtendenzen sog. nachdialektischer Theologie lassen sich u. a. eine Neubesinnung auf die Religionsthematik und die Thematik der theologischen Anthropologie, eine weitreichende Historisierung des theologischen Bewusstseins sowie eine mehr oder minder ausgeprägte Tendenz zur Emanzipation ethischer Theologie von der Dogmatik namhaft machen. In der einen oder anderen Weise sind diese Tendenzen auch innerhalb der Frühgeschichte der Münchener Evangelisch-Theologischen Fakultät zu identifizieren – unbeschadet der konzeptionellen Vielfalt, die erwünscht und von Anfang an unübersehbar war. Zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung hat Pannenberg in einem internen Rückblick folgende Charakteristika namhaft gemacht, die für die Gesamtfakultät über die Systematische Theologie im engeren Sinn hinaus kennzeichnend sein sollten. An erster Stelle nannte er das Bemühen um eine modernitätsspezifische Gestalt des Christentums und der christlichen Lehre. Als zweiter Gesichtspunkt wurde die Verbindung von Modernität und Kirchlichkeit und das engagierte Interesse an den kirchlichen Lebensformen neuzeitlichen Christentums erwähnt. Schließlich hob Pannenberg drittens die enge Beziehung zur Philosophie und die intensive Auseinandersetzung mit dem philosophischen, insbesondere dem metaphysischen Erbe hervor, welche die Beschäftigung mit der Theologiegeschichte nicht nur in der Dogmatik, sondern auch in den anderen Disziplinen präge. Insgesamt sei seit ihrer Gründung im Jahr 1967 eine Fakultät mit einem Profil entstanden, für das die Verbindung von Liberalität und Pflege geschichtlicher Kontinuität bestimmend sei. Geschärft wurde das Profil der Münchener Münchener BarthEvangelisch-Theologischen Fakultät vorzugsweise interpretation durch die Auseinandersetzung mit dem Theologiekonzept Karl Barths und seiner Schule, an dem sich namentlich die Systemati-

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schen Theologen nach Kräften abarbeiteten. Ein signifikantes Beispiel hierfür bieten die Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths, die Trutz Rendtorff 1975 unter dem Titel „Die Realisierung der Freiheit“ (vgl. Rendtorff [Hg.]; dazu Laube, 460 ff.) im Gütersloher Verlagshaus herausgab. Als Spiritus Rector des Unternehmens fungierte freilich nicht er, sondern Falk Wagner. Pannenberg hinwiederum hielt sich trotz sachlicher Berührungspunkte und späterer Bezugnahmen (vgl. etwa Pannenberg, 96–111) fern. Es bedarf keiner hohen Interpretationskunst, um Gründe hierfür zu benennen. Doch mag die Feststellung genügen, dass weder die Münchener Fakultät im Allgemeinen noch ihre Systematischen Theologen im Besonderen trotz gemeinsamer Grundtendenzen eine homogene Gruppe darstellten (vgl. im Einzelnen Holtmann, 21 ff., 173 ff., 259 ff.). Dies war weder bezüglich des kritischen Verhältnisses zu Barth und zur Dialektischen Theologie noch in anderer Beziehung der Fall. Einer der damaligen Jungautoren hat dies aus seiner Sicht erst unlängst dem Publikum erneut zur Kenntnis gebracht. Die „Münchner“ – „damit waren in der deutschsprachigen protestantischen Universitätstheologie der 1970er und 1980er Jahre immer gemeint: Trutz Rendtorff und kritische Jüngere in seinem Umkreis, nicht aber Wolfhart Pannenberg und sein, mit entschiedener Ausnahme Falk Wagners, allzu treu ergebener Schülerkreis“ (Graf, Zeitgeist, 97). Mit der Interpretation, die als die sog. Münchener in die Geschichte der Barthforschung eingegangen ist, hat es eine eigene Bewandtnis. Nicht nur Barthianern gaben einige ihrer Aspekte Anlass zu der besorgten Nachfrage, wie die theologische Landschaft einer kaum den Kinderschuhen entwachsenen Fakultät beschaffen sein müsse, „in der man darauf angewiesen ist, sich durch wilde Thesen zu profilieren“ (Krötke, 301). Empörung rief insbesondere der Vergleich der Strukturen Barth’schen Denkens mit denen des deutschen Faschismus hervor: „Die Absurdität dieser politischen Denunziation der Theologie Barths richtet sich selbst . . . Karl Barth – ein potentieller Verbündeter der Mörder und Verbrecher des ‚Dritten Reiches‘: das ist nun wirklich etwas ‚Neues‘. Aber es ist sicher nichts Neues, das die Praxis der Gemeinde in die Zukunft weist und die theologische Wissenschaft sinnvoll fördert.“ (Ebd.) Ähnlich kritische Kommentare ließen sich hinzufügen (vgl. Graf, Zeitgeist, 97 f.). Doch dürfte es sinnvoller und für die theologische Wissenschaft förderlicher sein, sich durch die „wilde“ These, wonach Barths Denken mit dem faschistischen strukturell „identisch“ (Graf, Entsprechung, 116, vgl.: ders., Zeitgeist, 421; Wagner, Gleichschaltung, 41) sei, zu der Frage provozieren zu lassen, ob sie wirklich radikal genug ist, um die Radikalität der Barth’schen Theologie von der Wurzel her zu erfassen. Karl Barths Theologie ist radikale Theologie. „Bei Barth geht es darum, wie Gott uns und sich versteht. Das heißt, vom göttlichen Selbstverstehen her ist das Verstehen Gottes und das dadurch bestimmte menschliche Selbst- und Weltverstehen zu entfalten: Gott zu verstehen, heißt, Gott so zu verstehen, wie Gott sich selbst versteht.“ (Dalferth, 79) Zu verstehen vermag der Mensch das göttliche Selbstverständnis nur, weil Gott es ihm durch seine Selbstoffenbarung in Jesus Christus

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kraft des Hl. Geistes zu verstehen gegeben hat. Theologie ist infolgedessen Hermeneutik der Selbstauslegung Gottes und nicht etwa Religionshermeneutik, deren Thema die Selbst- und Daseinsdeutungen des Menschen im Horizont der Symbolwelten der christlichen oder sonstigen religionskulturellen Überlieferungen darstellen (vgl. Dalferth, 179 ff.). Barths Wort-Gottes-Theologie will ihrem Begriff und Selbstverständnis zufolge mit einer kulturhermeneutischen Religionstheologie im epochalen Stile Schleiermachers dezidiert nichts mehr zu tun haben. Ihr entschiedener Antimodernismus scheint offenkundig zu sein. Lässt sie sich dennoch in neuzeitlicher Perspektive und auf modernitätsspezifische Weise interpretieren? Die Bejahung dieser Frage bildete das Grundmotiv der Münchener Barthdeutung, die mit Trutz Rendtorffs These von der radikalen Autonomie Gottes bei Karl Barth ihren Anfang nahm. Folgt man dem Rendtorff ’schen Interpretationsansatz, dann ist Barths Theologie, wie sie in der „Kirchlichen Dogmatik“ unter dem Vorzeichen des Offenbarungsbegriffs klassisch entfaltet wurde, nicht als neoorthodoxe Repristination vorneuzeitlicher Theologieansätze, sondern als eine den Problemstellungen der Moderne verpflichtete Theorie absoluter Autonomie zu begreifen. In der Dialektischen Theologie, so die Grundannahme, sei die historische Konstellation neuzeitlicher Freiheitsgeschichte in theologischer Kritik und Konstruktion radikal thematisch geworden. „Über die Abstraktion vom empirischen Subjekt der Geschichte wird die Vorstellung von Geschichte überhaupt theologisch identifiziert, so nämlich, daß sie auf Tätigkeit überhaupt, und das heißt auf Gott hin, durchschaut wird.“ (Rendtorff, Theorie, 183) Barths Theologie lasse sich „als der Versuch charakterisieren, die neuzeitliche Autonomie radikal für die Theologie zu reklamieren und als die reine Selbsterfassung des Selbstbewußtseins auszuarbeiten“ (Rendtorff, Theorie, 196). Mit dem Gedanken Gottes und seiner absoluten Souveränität denke die Dialektische Theologie Barths den Gedanken der Autonomie radikal zu Ende, indem sie das selbstbestimmende Selbstbewusstsein nicht mehr vermittels seiner geschichtlichen Realisierungsgestalten, sondern unmittelbar an sich selbst thematisiere. Sie sei damit Theologie im emphatischen Sinne, insofern sie den Gedanken der Selbstbestimmung nicht mehr über seine verschiedenen Bestimmtheitsweisen, sondern unbedingt, mithin das Unbedingte als solches zu erfassen suche. Bleibt zu fragen, ob sich mit der absoluten Freiheit des göttlichen Subjekts die Freiheit endlicher, individueller Subjekte zusammendenken lässt. In den Reihen der Barthdeuter der jungen Münchener Evangelisch-Theologischen Fakultät wurde diese Frage einhellig verneint, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität. Trutz Rendtorff, der Herausgeber des Sammelbandes „Die Realisierung der Freiheit“, beschränk- Realisierung der Freiheit te in seinem Text „Zur Reformierung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik bei Karl Barth“ (vgl. Rendtorff, Der ethische Sinn) die Kritik auf den „milden Vorwurf der Reduktion der Freiheit auf religiöse Ethik“ (Korsch, 166 Anm. 45). Zwar werde bei Barth die menschliche Selbsttätigkeit der göttlichen strikt subordiniert, was sich in der Unterordnung der Ethik

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unter die Dogmatik methodisch reflektiere; aber diese Subordination bedeute keine abstrakte Unterdrückung, sofern die dogmatische Vorgabe in Form religiöser Ethik eine entsprechende Folge zeitige. Theoriegeschichtlich ordnete Rendtorff „Barths Theologie nicht den Denkstrukturen des Faschismus, sondern der dann wesentlich friedlicheren ‚liberalen Theologie‘ zu“ (Krötke, 302); sie gilt ihm, wenn man so will, „als Vorstufe der Theorie des Christentums“ (Holtmann, 123 ff.). Eher friedlich fiel auch noch die Kritik der „christologische(n) Revision der Prädestinationslehre in Karl Barths Erwählungslehre“ aus, die von Walter Sparn vorgetragen wurde. Doch kündigte sich in der skeptischen Frage nach dem theologischen Status des von Gott „verschiedenen Anderen“ (Sparn, 58) und in dem Zweifel an der Fähigkeit des prädestinationstheologischen Ansatzes Barths, sich geschichtliche Wirklichkeit individueller Subjekte und ihrer Erfahrung zu öffnen (vgl. Sparn, 74 f.), bereits der schroffe Vorwurf an, den Friedrich Wilhelm Graf und Falk Wagner in ihren Beiträgen formulierten. Graf und Wagner zufolge ist in Barths Theologie unbedingter und unmittelbarer Selbstbestimmung göttlicher Subjektivität für die Freiheit endlicher Subjekte kein Platz. Menschliche Freiheit werde unter den Zwang der Entsprechung zur Herrscherfreiheit Gottes gestellt und damit theoretisch und praktisch eliminiert. Grafs „Bemerkungen zum theozentrischen Ansatz der Anthropologie Karl Barths“ führen zu demselben Resultat wie Wagners Analysen zur Barth’schen Christologie, in der die Anthropologie ihre Grundlegung finde und welche ihrerseits nichts anderes sei als eine „Kopie der Theo-Logie im Medium des Unterschieds, der keiner ist“ (Wagner, Gleichschaltung, 18). Barths „Kirchliche Dogmatik“ sei das programmatische und großangelegte Konzept einer „Theologische(n) Gleichschaltung“ (Wagner, Gleichschaltung, 10; 25 ff.), welches das Andere Gottes als Anderes nicht bzw. nur in der Weise gleichschaltender Entsprechung zulasse: Für ein, mit Wagner zu reden, „starkes Anderes“ sei in Barths Theologie kein Platz, weder anthropologisch, noch christologisch-theanthropologisch. Jesus Christus stehe als Offenbarungsgestalt in der Menschenwelt Gottes für „Gleichschaltung durch Appell“ (Wagner, Gleichschaltung, 35), „(g)leichgeschaltete(n) Gehorsam“ (Wagner, Gleichschaltung, 32) und für einen „Gott für uns“ als „Gott ohne uns“ (Wagner, Gleichschaltung, 25). Gott ist Gott: Die radikale Autonomie und absolute Selbstbestimmung Gottes ermöglicht nach Wagner und Graf menschliche Freiheit nicht nur nicht, sondern macht sie von Grund auf unmöglich. Der tautologische Grundsatz Barth’scher Theologie bestätige dieses Resultat in wünschenswerter Klarheit. Er sei auf prinzipielle Eliminierung endlicher Subjektivität und Freiheit angelegt. Die Diagnose einer Barth’schen Faschismusaffinität stellt lediglich eine polemisch zugespitzte Konsequenz dieser interpretatorischen Grundthese dar, deren konstruktive Voraussetzung im Anhang des Münchener Sammelbandes zur Barthkritik unter dem Titel „Christologie als exemplarische Theorie des Selbstbewusstseins“ (vgl. Wagner, Christologie) in Form eines modellhaften Gegenentwurfs skizziert wurde. Darin machte Falk Wagner die Christologie als den beispielhaften Fall einer Lehre

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namhaft, die den aporetischen Zirkel, in welchem sich die Selbstbewusstseinstheorie traditionellerweise befinde, dadurch aufzulösen vermöge, dass sie die Selbstentwicklung des allgemeinen als besonderes Selbstbewusstsein und die Selbstentwicklung des besonderen als allgemeines Selbstbewusstsein dergestalt zu denken in der Lage sei, dass sich beide Entwicklungen gemäß der Logizität der Selbstexplikation im jeweils anderen zu differenzierter Einheit zusammenfänden. Das „christologische Subjekt“ steht nach Wagner in seiner gottmenschlichen Person exemplarisch für die Selbstexplikation Gottes im Menschen, als auch des Menschen in Gott und stellt so den beispielhaften Fall eines Selbstbewusstseins dar, in dem Grund und Begründetes zu einer Einheit gelangen, die sich nicht länger in der verkehrten Weise unmittelbarer Selbstbestimmung, sondern in Form der Anerkennung der Liebe realisiert sowie Anderes als „starkes“ Anderes anerkennt, statt es gleichzuschalten oder zum bloßen Modus des Eigenen herabzusetzen. Als die Einheit von allgemeinem und besonderem Selbstbewusstsein ist „Jesus Christus das exemplarische Selbstbewusstsein, die absolute Einzelheit, die sich selbst in der Unterscheidung und Einheit von Besonderheit und Allgemeinheit erfaßt und zur Darstellung bringt“ (Wagner, Christologie, 151). Die naheliegende Frage, welche das als Gegenmodell zum Ansatz Barths entworfene Konzept nicht nur in Barth’scher Perspektive hervorrufen muss, betrifft den Status, welcher der absoluten Einzelheit Jesu Christi im Zusammenhang einer christologischen Theorie des Selbstbewusstseins zuzudenken ist. Wagner bestimmt ihn als exemplarisch. Damit aber wird das „christologische Subjekt“ lediglich als beispielhafter Fall gelungenen Selbstbewusstseins und die Christologie nur als Muster einer gegebenenfalls auch ohne sie adäquat zu leistenden Selbstbewusstseinstheorie in Betracht gezogen. Eine in strengem Sinn konstitutive Funktion wird Jesus Christus weder für sie noch für sonstige Theoriezusammenhänge zugedacht. Genau auf diese Konstitutionsfunktion dürfte indes, wenn nicht alles täuscht, der Barth’sche Christozentrismus und sein theologischer Ansatz bei dem allen gedanklichen Setzungen vorauszusetzenden und vorausgesetzten Faktum der in der Kraft des Hl. Geistes erschlossenen Selbstoffenbarung Gottes ausgerichtet sein. Dies droht in der Münchener Barthdeutung, wie Wagner sie am konsequentesten repräsentierte, mehr oder minder verkannt zu werden. Ihr am Begriff des Absoluten orientierter Theoriezugriff neigt zu übersehen, was offenbar eine der Zentralpositionen und -motive Barth’scher Theologie ist, nämlich sich auf theorieexterne Bedingungen ihrer selbst bezogen zu wissen und ein entsprechendes Bewusstsein bei den Theorierezipienten zu generieren (vgl. Pfleiderer). Man hat Barths Theologie strukturell als eine Theorie des prinzipiellen „Theorie des prinzipiellen (singulären) Faktums“ Faktums (Korsch, 170) charakterisiert, deren – in der ersten These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 klassisch formulierter – Grundsatz („Jesus Christus das eine, das einzige Wort Gottes“ [KD IV/3, 109]) auf kein allgemeines und generalisierbares Prinzip, sondern auf ein „absolutes Singulum“ (Korsch, 171) ausgerichtet sei, das zwar logisch Prinzipienstatus ein-

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nehme, ohne aus logischen oder sonstigen Prinzipien ableitbar zu sein, weil es als ratio essendi und cognoscendi allem theologischen Begreifen zuvorkommt. Die theoretische Unableitbarkeit des singulären Faktums Jesus Christus, das sich nicht anders als durch Offenbarung erschließe, lasse sich nicht dadurch gewährleisten, dass man es zu absoluter Positivität verfestige, weil es gerade so nicht als unableitbar, sondern als willkürliche Setzung subjektiv-subjektivistischer Dezision erscheine. Die Prinzipialität des im Namen Jesu Christi beschlossenen und durch den göttlichen Geist als Selbstoffenbarung Gottes erschlossenen singulären Faktums könne überhaupt nicht generell und generalisierend, sondern nur im unvertretbar individuellen Glaubensvollzug erfasst werden, dessen prinzipielle Individualität indes in keinem Gegensatz zur Sozialität des Glaubens stehe, weil die Christusgemeinschaft den Glaubenden eo ipso mit der communio fidelium verbinde, in der Individualität und Sozialität gleichursprünglich gültig seien. Die Aporie, in die sich Theorien einer Selbstsetzung von Subjektivität verstricken, ist im Sinne besagter – von Dietrich Korsch in die Diskussion eingebrachter – Theorie des prinzipiellen (singulären) Faktums durch keine exemplarische Selbstbewusstseinstheorie und das Problem der Voraussetzungen vernünftiger Selbstvollzüge durch keinen Absolutismus der Vernunft, sondern nur religiös und in einem Glaubensverhältnis behebbar, das gerade dadurch zu vernünftigem Selbstbewusstsein kommt, dass es sich auf den offenbaren Grund seiner selbst verlässt, wie er in Jesus Christus gegeben ist. Für die Theologie resultiere daraus (gerade wenn sie – wie im Falle Barths – emphatisch als Theologie betrieben werde) die Notwendigkeit, ihre eigentümliche Rationalität durch rationale Selbstbegrenzung unter Beweis zu stellen und von jedem Versuch abzusehen, Religion theologisch zu substitutieren. Sowenig religiöse Unmittelbarkeit Theologie zu ersetzen vermöge, so wenig könne Theologie einen Ersatz bilden für das religöse Verhältnis, in welchem der Glaube sich zu seinem Grund befindet. Ein hohes Maß an Plausibilität wird man dieser These nicht bestreiten können. Sie soll den Ausgangspunkt einiger Überlegungen zu den dogmatischen Rahmenbedingungen bilden, unter denen die protologischen, hamartiologischen, soteriologischen und eschatologischen Fallstudien in den vier Abschlussbänden dieser Reihe dargeboten werden. Der Glaube und sein Grund: Jede Religionstheologie steht vor der Herausforderung zwischen religiösen Selbst- und Weltdeutungen und der Bedeutung dessen zu unterscheiden, was alle Deutungen fundiert und trägt. Lässt sich Religion formal als traditional vermitteltes Unmittelbarkeitsverhältnis von Subjekten zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt bestimmen, so bedarf es, um das religiöse Verhältnis basal zu erfassen, der Voraussetzung einer Selbsterschließung dessen, was Selbst und Welt fundiert. In dem, was in religiöser Überlieferung Offenbarung, näherhin Selbstoffenbarung Gottes heißt, wird dem religiösen Selbstbewusstsein der Grund seiner selbst und seiner Welt, den es unmittelbar aus sich heraus nicht zu begründen vermag, als sich selbst begründender und als eine Voraussetzung vorstellig, welche die notwendige Prämisse aller Setzungen ist.

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Offenbarungstheologie thematisiert die allen Setzungen als nichtgesetzt vorausgesetzte und sie allererst ermöglichende Voraussetzung und rekonstruiert, was Bedingung und Prämisse aller konstruktiven Vollzüge darstellt. Sie ist als solche konstitutiv für den Religionsbegriff selbst, der ohne sie keinen Bestand hat. Das religiöse Verhältnis ist, was es ist, nur unter der Voraussetzung, dass der Grund von Selbst und Religion und Offenbarung Welt, durch den es sich fundiert weiß, seinen Bestand in sich selbst und nicht etwa im Begründeten hat. Ohne den in Jesus Christus von Gott erschlossenen Offenbarungsgrund bleibt das religiöse Verhältnis, welches der christliche Glaube ist, grundlos und in sich verschlossen. Erst durch die Selbstevidenz der göttlichen Geistpräsenz in Jesus Christus wird der Glaube zu dem, was er ist, um zu einer Gewissheit zu gelangen, die alle Vollzüge der theoretischen Selbstreflexion und praktischen Selbsttätigkeit transzendiert. Die Evidenz des Offenbarungsgeschehens wird für den Glauben stets Widerfahrnischarakter und die Form eines Ereignisses haben, das von sich aus und aufgrund der ihm eigenen Bedeutung und nicht erst durch Deutungen überzeugt, die der Glaube mit ihm verbindet; das Gedeutetwerden durch seinen Grund wird vom Glauben stets als prioritär gegenüber allen Vollzügen seiner Selbst- und Weltdeutung erfahren und dies nachgerade dann, wenn das Ich des Glaubens selbst zur Disposition steht, wie das der Fall ist, wenn von Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung angemessen gehandelt wird. Zwischen gefallenem und gerechtfertigtem Adam besteht, um ein entscheidendes Beispiel zu geben, kein einfachhin kontinuierliches oder dialektisch zu vermittelndes, sondern ein diskontinuierlich-paradoxes Verhältnis, dessen Einheit nicht auf die Identität eines sich selbst gleichen Subjekts zurückzuführen, sondern nur durch Gottes Geist zu gewährleisten ist. Theologie muss deshalb radikal theologisch und daher von Gott her denken, wenn sie das Wesen des Glaubens zu begreifen sucht, dessen Perspektive sich von allen innerweltlichen Selbstorientierungen fundamental unterscheidet. Theologisch zu bedenken ist freilich ebenso, dass die Glaubensperspektive darauf angelegt ist, alle Aspekte der Selbst- und Welterfahrung zu durchdringen und sie in den durch die Gotteserfahrung erschlossenen Horizont zu rücken. Theologie muss daher als Lehre von Gott und seiner Offenbarung stets Hermeneutik göttlicher Präsenz im Leben des Menschen in der Welt sein, deren Herkunft, Hintergrund und Ziel samt aller menschlichen Erfahrung in ihr durch Gottes Wirklichkeit und Wirken bestimmt ist. Denn die Erscheinung Gottes in Jesus Christus ist nur dann geistgemäß wahrgenommen, wenn sie über die Vorstellungsgrenzen hinaus, die menschlichem Denken und Handeln gesetzt sind, alle Phänomene der Selbst- und Weltwahrnehmung in ein neues Licht zu stellen vermag, um sie von innen heraus zum Strahlen zu bringen. Gott ist der ganz Andere und mit Selbst und Welt nur um den Preis völliger Verkennung und ignoranter Verkehrtheit zu verwechseln. Aber sein radikales totaliter aliter ist im Geiste Jesu Christi als ein Anderssein offenbar, das sich im Anderen seiner selbst als es selbst zu präsentieren bereit und in der Lage ist, um allem

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Geschöpflichen je in seiner Weise lebendigen Anteil zu geben an der göttlichen Wirklichkeit, wodurch eine Veränderung und Neuorientierung eintritt, die Selbst und Welt von sich aus nicht zu leisten vermögen. Der der Theologie von ihrem Thema her vorgeschriebene Rationalitätsweg ist daher ein doppelter, und seine Duplizität lässt sich nicht auf einen einfachen Reflexionsgang reduzieren, wenn Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus für den Menschen geist- und glaubensgemäß bedacht werden soll: „Einmal ist von der Religion aus auf Gott hin zu denken; das anderemal ist vom Gedanken Gottes aus auf die Religion zurückzukommen.“ (Korsch, 310) Schleiermacher und Barth sind in der evangelischen Theologie der Moderne die beiden exemplarischen Protagonisten für einen der beiden Wege. Ihre konzeptionellen Ansätze und jeweiligen methodischen Verfahrensweisen scheinen sich alternativ und ausschließend zueinander zu verhalten; doch lassen allein schon die theologiegeschichtlichen Entwicklungen im Binnen- oder Nahbereich der jeweiligen Schule bzw. Bewegung vermuten, dass sich die Alternative nicht wirklich durchhalten lässt. An der Beziehung, in der etwa Barth und Bultmann innerhalb der Dialektischen Theologie zueinander stehen, ist dies exemplarisch wahrzunehmen. Der Zusammenhang von religiösem Vollzug und theologischer Bestimmtheit kann unbeschadet des eindeutig gerichteten Begründungsgefälles, das zwischen beiden herrscht, nur mit der Konsequenz der Abstraktion nach einer der beiden Seiten hin aufgelöst werden (vgl. Dierken). Ein kundiger Rezensent der ersten vier Bände vorliegender Reihe hat das dogmatische Programm, welches sie verfolgen, mit dem zutreffenden Hinweis umschrieben, es sei beabsichtigt, den offenbarungstheologischen Ansatz Karl Barths rückzuvermitteln mit Religionstheorien, wie sie im Deutschen Idealismus und namentlich von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher vertreten wurden, und diese umgekehrt aufzuschließen für eine entschiedene Theologie der Offenbarung (vgl. Ruster, 47). In Anbetracht des Gegensatzes, den Barth zwischen seiner und der Schleiermacher’schen Position gegeben sah, mag ein Projekt dieser Art wie der Versuch einer Quadratur des Kreises anmuten. Dieser Eindruck verflüchtigt sich, sobald man sieht, dass sich Barth und Schleiermacher, um bei ihrem Beispiel zu bleiben, in ihren jeweiligen Ansätzen keineswegs so ausschließend zueinander verhalten, wie das vordergründig erscheinen mag. Hintergründig sind sie in einer Arbeitsgemeinschaft verbunden, die durch nichts weniger als den Gehalt begründet ist, welchen zu bedenken aller christlichen Theologie aufgetragen ist. Christliche Religion und christlicher Glaube beruhen ihrem Selbstverständnis nach auf der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, wie der Hl. Geist sie erschließt. Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus durch den Geist hinwiederum zielt auf den Glauben als jenes religiöse Vertrauensverhältnis, das seines göttlichen Grundes in Jesus Christus kraft des Hl. Geistes gewiss ist. Dieser Zusammenhang lässt sich durch keine Begriffsanstrengung und durch keine Form tätigen Handelns aufheben, so sehr er auf Theorie und Praxis bezogen ist und bezogen sein muss, um die Gewissheit des Glaubens von bloßem Subjektivismus zu unterscheiden und als dasjenige zu nehmen, was es zu sein beansprucht: Wahr-

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nehmung der Evidenz Gottes als des offenbaren Grundes von Selbst und Welt. Es ist insbesondere der Systematischen Theologie in ihrer dogmatischen und ethischen Gestalt aufgegeben, den Theorie- und Praxisbezug der Korrelation von Religion und Offenbarung, Glauben und Glaubensgrund methodisch geregelt zu bedenken und auf diese Weise Sorge dafür zu tragen, dass die christliche Gewissheit von subjektivistischer Dezision unterscheidbar und verantwortlich zu kommunizieren ist. Theologie ist mehr und anderes als Theorie positiver christlicher Religion, weil sie die Positivi- Schleiermacher und Barth tät des Christentums und seine Glaubensgewissheit gedanklich auf alles, was wahr zu sein beansprucht, und insbesondere auf Gott als den offenbaren Grund bezieht, in dem fundiert zu sein der christliche Glaube gewiss ist. Gott und seine Geistoffenbarung in Jesus Christus sind Primärgegenstand christlicher Theologie, wie Karl Barth dies mit Recht geltend gemacht hat. Doch kann die Positivität der Offenbarung ebensowenig wie die des christlichen Glaubens als unmittelbare Gegebenheit vermittlungslos vorausgesetzt werden, um nicht ihrerseits als bloße Setzung subjektiver Dezision zu erscheinen. Sie muss vielmehr auf das religiöse Verhältnis so bezogen werden, dass im Verein mit dem Gottesverhältnis auch das Selbst- und Weltverhältnis des Glaubens argumentativ verantwortet und verständlich kommuniziert werden kann. Schleiermachers Ansatz ist durch den Barth’schen ebensowenig zu erledigen wie umgekehrt; beide Theologieprogramme stehen in einer konstitutiven Wechselbeziehung, ohne in das jeweils andere aufhebbar zu sein. Theologisch ist dies kein Schaden, sondern im Gegenteil ein Gewinn. Religion ist Schleiermacher zufolge ein anthropologisches Universale. Formal lässt sich das religiöse Verhältnis als Beziehung zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt bestimmen, der als unendlicher Sinnhorizont alles, was ist, umfasst, das Endliche über seine Beschränktheit hinausführt, ihm seine jeweilige Eigenbedeutung verleiht und so nicht nur als Fundament, sondern auch als Sinnziel weltlichen Seins und menschlichen Daseins fungiert. Religion ist auf die alles Vorhandene transzendierende und umgreifende Totalität des Wirklichen bezogen. In der üblichen Erfahrung ist diese Beziehung nur unausdrücklich mitgesetzt, weil das Alltagsbewusstsein das Partikulare und Endliche je für sich nimmt und von dessen Bezug zum Ganzen und Unendlichen absieht. In der Religion hingegen wird der Bezug eigens thematisch, in dem alles einzelne Endliche zum unendlichen Ganzen steht. Es ist das Innewerden des ungeteilten Ganzen, welches das religiöse Bewusstsein von anderen menschlichen Bewusstseinsformen unterscheidet. Nicht dass das religiöse Bewusstsein vom Alltagsbewusstsein getrennt wäre: Es ist im Gegenteil darauf angelegt, dieses zur Besinnung zu bringen und über seine internen Grenzen hinauszuführen. Religion erhebt angesichts des Alltäglichen über dessen Schranken, um im Endlichen des Unendlichen gewahr zu werden. Erhebung des Endlichen zum Unendlichen: Das ist bei allen sonstigen Unterschieden zu Schleiermacher auch die Bestimmung, die Hegel dem Begriff der Religion

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gegeben hat. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass die religiöse Erhebung Sich-Erheben und Erhoben-Werden in einem ist. In der selbstüberschreitenden Erhebung des Endlichen ist das Unendliche selbst wirksam. Religion erhebt. Sie transzendiert die Schranken des endlichen Daseins und führt das Ich über seine und die Selbstbeschränktheit seiner Welt hinaus. Kann bis zu dieser Bestimmung eine an das Erbe der klassischen Metaphysik anschließende Religionsphilosophie gewissermaßen von sich aus gelangen, so bleibt der in Anschlag gebrachte Religionsbegriff doch solange formal, als der fundierende Grund des religiösen Verhältnisses und das Ziel, auf das es ausgerichtet ist, nicht namhaft gemacht und materialiter benannt werden. Die christliche Religion ist, was sie ist, durch den Bezug auf Jesus Christus, den auferstandenen Gekreuzigten. Dieser Bezug bestimmt nicht nur ihren Begriff, sondern ihren gesamten Gehalt. Ohne Christus gibt es kein Christentum. Als Offenbarer Gottes ist er der Erschließungsgrund der christlichen Religion, deren Geist von seinem Geist lebt. Die christliche Religion ist, wie ihr Name besagt, in einer ihre Identität begründenden Weise auf Jesus Christus bezogen. Er ist Grund und Inbegriff des religiösen Verhältnisses, welches Christen zu Christen macht. Das religiöse Grundbekenntnis des Christentums lautet entsprechend, dass in Jesus Christus Gott für Menschheit und Welt offenbar ist und zwar als er selbst. Vornehmste Aufgabe christlicher Theologie ist es, die Gottesoffenbarung in Jesus Christus, welche die christliche Religion konstituiert, in methodisch geregelter Weise und in einer alle Aspekte menschlichen Daseins in der Welt umfassenden Weise konstruktiv und kritisch zu bedenken. Sie hat dies sowohl unter historischen als auch unter systematischen Gesichtspunkten zu tun, wobei das eine vom anderen nicht zu trennen ist. Die neutestamentliche Exegese studiert die Urkunden des christlichen Glaubens, was ohne Berücksichtigung des Alten Testaments nicht möglich ist, welches unveräußerlich dem Kanon der Heiligen Schriften des Christentums zugehört. Die Kirchenhistorie verfolgt die Entwicklung des Christentums im Laufe der Zeiten, um die Genese seiner gegenwärtigen Verfassung verständlich zu machen und Horizonte künftiger Gestaltung zu erschließen. Systematische Theologie hat den Wahrheitsanspruch des Christentums in dogmatischer und ethischer Hinsicht wissenschaftlich geltend zu machen und in kohärente Verbindung mit allem zu bringen, was berechtigterweise als wahr zu gelten hat. Bei alledem darf die praktische Ausrichtung des Christentums und die Tatsache nicht vergessen werden, dass alle Christen dazu berufen sind, in Wort und Tat ein gemeinsames und verbindliches Zeugnis zu geben, damit die Welt glaube und dem kommenden Reich Jesu Christi getrost und freudig entgegengehe. Die innere Einheit der Disziplinen christlicher Innere Einheit christlicher Theologie ist durch ihren gemeinsamen Bezug zu Theologie dem in Jesus Christus erschlossenen Gottesverhältnis gegeben, welches das Christentum ausmacht und das zu bedenken christlicher Theologie aufgetragen ist. Sinnvoll wahrgenommen werden kann diese Aufgabe nicht ohne förmliche Erwägungen fundamentaltheologischer Art. Die allgemeine

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Religionstheorie hat Kriterien zu entwickeln, nach denen sich Religion von Nichtreligion unterscheiden lässt, um auf diese Weise einen identifizierbaren und identischen Religionsbegriff zu erhalten. Teilt doch auch das Christentum auf seine Weise formale Kennzeichen, die für alles, was Religion zu nennen ist, charakteristisch sind und Religion von Nichtreligion abheben. Das gilt vergleichbar für den formalen Begriff der Offenbarung, der für jedes religiöse Verhältnis grundlegend ist, aber neben der Möglichkeit einer Unterscheidung von Religion und Nichtreligion zugleich erste Indizien liefert, zwischen einzelnen Religionen zu differenzieren und etwa Religionsgemeinschaften monotheistischer Prägung von naturreligiös, polytheistisch oder wie auch immer ausgerichteten zu unterscheiden. Soll dies nicht in abstrakt typisierender Weise geschehen, wird Religionstheorie die geschichtlichen Gestalten von Religion konkret in Betracht zu ziehen und sich historisch in die Geschichte der Religionen zu vertiefen haben. Eine elaborierte Theorie der Religionen in ihrer Geschichte kann in den vorliegenden Studien auch nicht ansatzweise geboten werden. Genauer thematisiert wird allein die christliche Religion, deren implizite Voraussetzungen der vierte Reihenband anhand der israelitisch-frühjüdischen Überlieferungen und der Traditionen griechisch-hellenistischer Philosophie behandelte, während der fünfte die Jesusgeschichte und die Anfänge der Christologie, der sechste unter pneumatologischen Gesichtspunkten den Prozess der Ausbildung des trinitarisch-christologischen Dogmas erörterte. Alles dort Gesagte wird für das Folgende vorausgesetzt. Hinzugefügt sei nur noch ein Wort zum Problem theologischer Religionskritik. Als Theorie der Religion ist Theologie Wissenschaft von dem, was als fundierender Grund von Selbst und Welt fungiert. Das kann im Prinzip alles Mögliche sein, und die Geschichte der Religionen zeigt, dass die Stelle dessen, was Selbst und Welt fundiert, höchst unterschiedlich besetzt ist. Zur Theologie als wissenschaftlicher Theorie der Religion gehört deshalb Religionskritik elementar hinzu. Doch kann diese Kritik konstruktiv nur dann erfolgen, wenn sie ihrem Gegenstand nicht äußerlich bleibt, sondern orientiert ist an dem, was Religion im Innersten bewegt. Theologische Religionskritik ist in der Absicht zu betreiben, das religiöse Bewusstsein an seinem eigenen Anspruch zu bemessen, auf den fundierenden Grund von Selbst und Welt bezogen sowie des unendlichen Sinnganzen von Sein und Dasein inne zu sein. Ist das Fundament, welches das religiöse Verhältnis fundiert, wirklich fundamental und von beständiger Tragfähigkeit? Kann der Grund des religiösen Verhältnisses das Sinnziel sein, auf welches alle Dinge jeweils für ihren Teil und als Ganzes hingeordnet sind? Ist der offenbare Grund der Religion des Bösen dergestalt mächtig, dass er es von innen heraus zu bekehren und zum Guten zu wenden vermag? Kurz: Ist das religiöse Verhältnis wirklich auf den wahren Gott oder auf einen Abgott und Götzen bezogen? Die zentralen Fragen der Religionstheorie sind theologischer Art. Kritische Theologie nimmt ernst, dass jedes religiöse Verhältnis auf einer Voraussetzung beruht, von der vorausgesetzt wird, dass es sich bei ihr um keine bloße Setzung des religiösen Bewusstseins handelt, sondern um eine sich selbst voraussetzende

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Voraussetzung, die unbedingt und nicht lediglich bedingungsweise angeht. Kritische Theologie schließt aber keineswegs prinzipiell aus, dass es sich bei der im religiösen Verhältnis vorausgesetzten Voraussetzung nur um eine solche handelt, die als nichtgesetzt gesetzt ist, ohne unbedingt durch sich selbst gesetzt und allen Setzungen absolut vorausgesetzt zu sein. Dieser kritische Vorbehalt löst das religiöse Verhältnis nicht auf, um es durch Vollzüge theoretischer und praktischer Vernunft zu ersetzen. Theologie ist, wo sie selbstkritisch betrieben wird, der Religion im Bewusstsein ihrer Unersetzbarkeit durch Theorie und Praxis verbunden. Sie macht aber zugleich bewusst, dass Religion ohne Bezug zu vernünftiger Theorie und sittlicher Praxis in Gefahr steht, zur inhumanen Ideologie zu verkommen. Wo dieses Bewusstsein in eine Religion eingeht, wird sie von sich aus darauf aus sein, eine kritische Theologie auszubilden, wie dies im Christentum jedenfalls auf weite Strecken hin charakteristischerweise der Fall war. Als Reflexionsgestalt christlicher Religion ist die Dogmatische Theorie Theologie namentlich in ihrer dogmatischen Disziplin Theorie des Christentums im Medium der Wissenschaft. Dabei kann sie sich nicht darauf beschränken, den Vollzug gläubiger Selbstverständigung zu reflektieren, so sehr auch dies zu ihren wesentlichen Aufgaben gehört. Gegenstand ihrer Theoriebildung sind immer auch die materialen Inhalte der christlichen Religion, die für den Glauben zwar mehr und anderes sind als objektivierte Satzwahrheiten, die aber ebensowenig darin aufgehen, bloße Symbole der Selbstauslegung gläubiger Subjektivität zu sein. Zwar ist der Glaubensvollzug mit Selbsterkenntnis stets verbunden, deren reflexive Erhebung der Theologie aufgetragen ist. Aber die gläubige Selbstverständigung ist nicht nur wegen ihrer Einbindung in einen geschichtlichen Überlieferungszusammenhang, sondern auch und vor allem deshalb auf gegenstandsbezogene Aussagen angewiesen, weil der Glaube nicht unmittelbar in sich gründet, sondern in Gott und seiner Offenbarung. Nicht als ob die Rede von Gottes Offenbarung mit Aussagen über Weltgegenstände gleichzusetzen wäre; doch geht sie ebensowenig darin auf, Selbstexplikation subjektiven Glaubens zu sein. Denn diesem ist sein Grund nicht nach Art einer Setzung – und sei diese auch als nichtgesetzt gesetzt –, sondern als sich selbst voraussetzende Voraussetzung präsent. Dem Glauben gilt daher nicht nur der Anfang, sondern das gesamte Beginnen seines Vollzugs als nicht aus menschlicher Eigenleistung hervorgegangen, sondern als ein unableitbares, nur auf göttliches Zuvorkommen rückführbares Geschehen. Glaube ist Gottesverhältnis, welches ein Selbstverhältnis in sich enthält und ebenso mit einem Weltverhältnis unveräußerlich verbunden ist; aber die Wirklichkeit Gottes transzendiert Selbst und Welt unendlich, und ohne die Voraussetzung göttlicher Transzendenz ist die Konstitution weder der Welt noch des Ich selbst denkbar, jedenfalls nicht auf christliche Weise. Dass die Transzendenz Gottes nicht nach Weise einer vorkritischen Metaphysik zu fassen ist, wird der christliche Glaube gerne zugestehen. In Gott lediglich eine symbolische Chiffre für die Entzogenheit bzw. Erschlossenheit seines Grundes zu entdecken, wird ihm dennoch

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nicht einfallen, weil dies nachgerade seinem Selbstverständnis nicht gemäß ist. Es entspricht dem Selbstverständnis des Glaubens nicht nur nicht, sondern widerspricht ihm, den Gottesbegriff lediglich als einen Ausdruck menschlicher Selbstdeutung zu begreifen. Zwar ist der Glaubensvollzug ein auf das Aktzentrum menschlicher Personalität bezogenes Geschehen, das alle emotionalen, voluntativen und kognitiven Aktivitäten des Menschen umfasst; ihn auf einen personalen Akt der Selbstdeutung zurückzuführen, wäre gleichwohl ein Missverständnis. Niemals wird der Glaube die Bedeutung, die der Grund, auf den er sich verlässt, für ihn hat, auf seine Selbstdeutung reduzieren. In dem, was für ihn Gott heißt, spricht sich der Glaube nicht nur selbst aus, sondern kommt er erst zu sich selbst, um die Sprache zu finden, die ihm gemäß ist: Gebet und Bekenntnis. Im Vertrauen auf Gott wird das gläubige Selbst erst es selbst. Das Glaubensich wird den Grund seiner selbst daher nie zu einer bloßen Funktion seiner Selbstverständigung herabsetzen können. Es muss ein alter Ego offenbar werden, damit das Ich im religiösen Verhältnis des Glaubens zu sich selbst komme. Auf einen Akt der Selbstauslegung und Selbstdeutung kann der Glaube seinen Grundgehalt daher keineswegs unmittelbar zurückführen. Auch erscheint es als theologisch fragwürdig, in der Andersheit Gottes nichts anderes wahrzunehmen, als den „Ausdruck der dem Subjekt entzogenen Konstitution seiner selbst“ (Danz, 41). Zwar ist es richtig, dass der Glaubende im Glauben „die ihm entzogene Konstitution seiner selbst in sein eigenes Selbstverständnis aufnimmt“ (ebd.). Aber just diese Aufnahme und damit seinen Glauben selbst wird der Glaubende nicht sich selbst, sondern Gott und dem göttlichen Geist zuschreiben, in dem er sich in seiner Gewissheit gegründet weiß. Diese Zuschreibung als Selbstbeschreibung und als Ausdruck der ihm eigenen Gewissheit auszugeben, wird dem Glauben kaum in den Sinn kommen. Das Sich-verständlich-Werden des Menschen kann sich, wenn es im Glauben geschieht, nur darin ereignen, dass sich ihm Gott zu verstehen gibt. Glaubensvorstellungen ergeben sich durch Vorstelligwerden Gottes in seiner Offenbarung. Glaube kann und muss als das Geschehen des Sich-Verstehens bzw. Sich-Verständlich-Werdens des Menschen verstanden werden, aber nicht auf unmittelbar selbstbezügliche Weise. Denn der Selbstbezug des Glaubenden ist ein Modus seines Gottesbezugs. Zwar ist der Gottesbezug des Glaubens keine Beziehung auf eine Gegebenheit, die sich innerweltlich vorfinden ließe. Aber er ist auch kein transzendentaler Akt, der sich im Vollzug menschlicher Selbsttranszendierung erschöpft, sondern ein Ereignis, das durch das Vorstelligwerden Gottes in seiner Offenbarung zustande kommt, dem im Glauben absolute Faktizität zuerkannt wird. Der personale Inbegriff dieses Faktums von absoluter Positivität ist nach Maßgabe christlichen Glaubens Jesus Christus, der auferstandene Gekreuzigte, in dem Gott in der Kraft seines Hl. Geistes als er selbst vorstellig wird. In Jesus Christus koinzidieren, wie das christliche Glaubensbekenntnis bezeugt, Faktizität und Bedeutung, insofern seine Personwirklichkeit im göttlichen Geist als eine sich selbst deutende manifest wird, um sich für den Glauben zu offenbaren. Christologie hat daher nicht lediglich die Aufgabe, den Zirkel und das „Inei-

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nander von Deutung der Geschichte und geschichtlicher Bestimmtheit jeder Deutung der Geschichte“ (Danz, 64 f.) exemplarisch zu entfalten. Wo die Christologie lediglich als exemplarische Theorie geschichtlicher Selbstverständigung gläubiger Subjektivität fungiert, hat sie ihre eigentliche Pointe verfehlt. Denn ihr Thema ist wie dasjenige der Dogmatik insgesamt nicht nur die begrifflich-reflexive Selbstbeschreibung des Glaubensaktes, sondern das Namhaftmachen dessen, worauf sich der Glaube verlassen kann, wenn er von Selbst und Welt verlassen zu werden im Begriff steht. Christliche Theologie ist nach Maßgabe des altPneumatologische kirchlichen Dogmas Lehre von Jesus Christus als Theologie der im Geist des dreieinigen Gottes offenbaren gottmenschlichen Person, in dem Christsein und Christentum gründen. Als der ihr durch ihren eigenen Begriff zugewiesene systematische Ort, von dem her sie ihre Gehalte expliziert, hat die Pneumatologie zu gelten. Im Geist des in Jesus Christus für Menschheit und Welt offenbaren Gott ist theologisch erschlossen, was es mit der Schöpfung, Versöhnung und Vollendung auf sich hat, um pneumatologisch zu Bewusstsein und in Form glaubensgewissen Wissens mit den Weisen menschlichen Welt- und Selbstverständnisses in Verbindung gebracht zu werden. Ihre inhaltliche Bestimmtheit, ohne die Glaubensgewissheit nicht zu denken ist, ist der Pneumatologie dabei durch die Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten gegeben, den der Geist als Sohn des Vaters verherrlicht und als Evangelium in Person auf eine Weise bezeugt, die alles betrifft, was Menschheit und Welt angeht, und Anfang und Ende umgreift. Dies gilt auch in Bezug auf den Richtungssinn, der beide verbindet und die Verlaufsform des pneumatologischen Prozesses ausmacht; er folgt den Vorgaben dessen, der als A und O, als anfänglicher Mittler und Vollender der Schöpfung Gottes zu gelten hat. Der Pfingstgeist ist österlicher Geist, der Geist Osterns pfingstlich ausgerichtet, wie es der Geschichte des dreieinigen Gottes mit Menschheit und Welt entspricht. Die österliche Selbstoffenbarung des Schöpfergottes als des Vaters Jesu Christi und die österliche Epiphanie des Gekreuzigten als des Sohnes Gottes sind im Geiste Osterns in ihrer Differenziertheit so vereint wie Offenbarer und Offenbarender im Vollzug der Offenbarung eins sind, welche das österliche Geistgeschehen ausmacht. Zu seiner offenbaren Erfüllung gelangt das österliche Geistgeschehen, indem es die Wahrnehmung des Osterereignisses erschließt, damit seine objektive Gegebenheit innerlich wahrgenommen werden kann. Der Hl. Geist steht für eben diese Aufgeschlossenheit des Ostergeschehens und der in ihm offenbaren Beziehung zwischen dem Sohn Gottes und seinem göttlichen Vater. Er ist, wenn man so will, die Aufgeschlossenheit in Person und repräsentiert als dritter im göttlichen Bunde die Offenheit der Vater-Sohn-Beziehung für Mehrzahl, damit die Menschen im Geiste Jesu Christi Kinder Gottes seien in ihrer Welt. Der Geist nimmt Menschheit und Welt hinein in die offenbare Wirklichkeit Osterns, so dass diese nicht lediglich Gegenstand äußerer Wahrnehmung bleibt, sondern zur Wahrheit menschlicher Wirklichkeit selbst wird. Dies ist nicht so zu denken, dass sich die

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im Geistgeschehen erschlossene Offenbarung und das gegebene Selbstverständnis des Menschen einfachhin vermitteln. Zwar trifft es wohl zu, dass die Osteroffenbarung dem ihr eigentümlichen Sinngehalt gemäß zur Aufhebung ihrer gegenständlichen Form tendiert, um auf die Subjektivität des Menschen überzugreifen. Aber dieser Aufhebungsprozess vollzieht sich nicht anders denn in der Weise einer fundamentalen Wandlung faktischer Subjektivität des Menschen. Die Ereignisfolge des pneumatologischen Prozesses lässt sich nach Maßgabe göttlicher Ökonomie mit vier theologischen Grundsätzen umschreiben: 1. Im göttlichen Geist, wie er in Jesus Christus österlich offenbar ist, wird dessen irdisches Leben schöpfungsanamnetisch erinnert und Gott, der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde, als Vater von Menschheit und Welt manifest. 2. Im göttlichen Geist, wie er in Jesus Christus österlich offenbar ist, wird dessen irdisches Leiden und Sterben als Schuld menschlicher Sünde wahrgenommen und bekannt, die Gott gerechterweise richtet. 3. Im göttlichen Geist, wie er in Jesus Christus österlich offenbar ist, wird das Kreuz des Auferweckten als Wirklichkeitsgrund der Versöhnung Gottes und des Menschen geglaubt und verkündet. 4. Im göttlichen Geist, wie er in Jesus Christus österlich offenbar ist, wird der Auferstandene Gekreuzigte als der kommende Herr der Herrlichkeit erwartet. Was die protologischen Gehalte evangelischer Glaubenslehre betrifft, so ist vor allem zu bedenken, dass Jesus im Verfolg seiner Sendung gerade deshalb das wahre Geschöpf ist, in welchem der göttliche Logos präsent und vermittels der Logospräsenz die Väterlichkeit des Schöpfergottes offenbar ist, weil er sich als Geschöpf vom Schöpfer unterschieden weiß und konsequent unterscheidet. Diese Selbstunterscheidung Jesu wiederum, durch welche seine Einheit mit Gott vermittelt ist, ist die Basis seiner Mitmenschlichkeit und Weltliebe. Indem Jesus der einige Sohn des Vaters in seiner Unterscheidung von ihm ist, anerkennt er dessen Schöpfungswerk als ein von ihm unterschiedenes und unterscheidbares, mithin sich selbst als Geschöpf. Jesu Anerkennung des väterlichen Schöpfers impliziert mithin die Anerkennung seiner selbst als Geschöpf und die Anerkennung anderer Geschöpfe dergestalt, dass Jesus nicht einer allein, sondern einer unter anderen in einer gemeinsam gegebenen Welt sein will. Jesus ist die erfüllte Schöpfung gerade deshalb, weil er andere Geschöpfe als von ihm unterschiedene will und anerkennt. Jesu Anerkennung der Eigenständigkeit der Geschöpfe ist seiner Anerkennung des Schöpfergottes komplementär. In der Liebe zum Geschöpf findet Jesu Liebe zum Schöpfer ihren lebensweltlichen Ausdruck, und in der Hingabe an die Menschen realisiert sich, was in der Hingabe an Gott seinen Grund hat. In der Gestalt Jesu koinzidieren so Gottesglaube und Menschenliebe. Was der irdische Jesus solchermaßen vorlebte, Jesusgedächtnis und nimmt der Mensch in der Kraft des österlichen Schöpfungsanamnese Pfingstgeistes als seine eigene Bestimmung wahr –

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freilich nicht ohne zugleich zu erkennen, dass er diese Bestimmung fundamental verfehlt hat und somit in einer für ihn unhintergehbaren Weise am Fall dessen partizipiert, was die Tradition Sünde nennt. In der durch das Geistzeugnis vom irdischen Leben Jesu hervorgerufenen Schöpfungsanamnese ist Schöpfung mithin nur noch in Vergangenheitsform präsent. Oder anders gesagt: Die Erkenntnis der eigenen geschöpflichen Wesensbestimmung ist mit dem Bewusstsein ihrer Verfehlung untrennbar verbunden. Seinen äußersten Abgrund und seine innerste Tiefe erreicht das Bewusstsein menschlicher Selbstverfehlung in der Begegnung mit dem Kreuz, welches dem vom göttlichen Geiste erfassten Menschen als die Folge eigener Gottlosigkeit und Unmenschlichkeit erscheinen muss. Damit ist der Mensch am Ende und seine Welt verfinstert. Doch bringt das aus sich selbst erstrahlende Licht Osterns, mit welchem der Pfingstgeist erleuchtet und die Gewissheit des Glaubens geschaffen wird, ein Neues hervor, welches den Sündenfall des Menschen behebt und seine Welt erhellt und zum Strahlen bringt. In diesem Lichte erscheint das Kreuz Jesu Christi nicht länger als Gericht über den Menschen, sondern als Grund und Wirkzeichen der Rechtfertigung des Sünders aus unbedingter göttlicher Gnade und damit als Möglichkeitsbedingung einer Aufhebung menschlicher Sündenschuld und des Beginns eines neuen Lebens, das seine schöpfungsgemäße Bestimmung nicht länger als verfehlte und der Vergangenheit verfallene betrachten muss, sondern dem eine offene Zukunft erschlossen ist. Allein von dieser neu erschlossenen Zukunft her kann schließlich auch die besagte Schöpfungsanamnese und die Erkenntnis des Falls der Sünde als sinnvoll erscheinen, wie denn auch das Leben und das Kreuzesgeschick Jesu ohne Ostern heillos und ohne jene Bedeutung wäre, von welcher das Evangelium kündet. Sind mithin wie Leben und Sterben Jesu, so auch Schöpfungsanamnese und Schuldbewusstsein des Christenmenschen immer schon vom Lichte Osterns umstrahlt zu denken, so ist das doch nur deshalb der Fall, weil und insofern das österliche Licht als ein aus sich selbst erstrahlendes einleuchtet. Aus diesem Lichte österlicher Epiphanie geht in der Kraft des Geistes die Gewissheit des Glaubens hervor. Wessen ist der Glaube gewiss, und was ist in der Gewissheit des Glaubens zu heilsamer Erkenntnis gebracht? Dass Gott als er selbst österlich vereint ist mit dem Menschensohn, der Sohn Gottes nicht sein wollte ohne jene, die durch den Fall der Sünde ihrer Gotteskindschaft durch eigene Schuld verlustig gingen. Durch seine Solidarität mit den Sündern wurde Jesus selbst in den Fall der Sünde hineingezogen und drohte in ihm unterzugehen. In diesem Sinne hat das Kreuz tatsächlich den Charakter des Strafleidens, von dessen bis zur „resignatio ad infernum“ reichenden Abgründigkeit man sich keinen Begriff machen kann. Aber an Ostern hat sich Gott selbst zum am Schandpfahl gekreuzigten Sünderfreund bekannt und sich mithin als derjenige erwiesen, der zwar die Sünde hasst, aber den Sünder liebt. Davon zeugt der Geist. Wie aber der Geist, der von der österlichen Selbstoffenbarung Gottes ausgeht, der Gottheit gleich wesentlich zugehört, so ist die soteriologische Bedeutung Osterns in ihrem theologischen Sinn mitent-

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halten. Während die mit sich allein gelassene Sünde dem Abgrund verfällt, der sie selbst ist, bekehrt der Geist des österlich erhöhten Gekreuzigten den Sünder vom in sich widrigen Unwesen seiner Sünde und nimmt ihn hinein in das göttliche Reich, dessen universale Vollendung zwar noch aussteht, dessen Wirklichkeit und Wahrheit aber in Glaube, Liebe und Hoffnung bereits jetzt zum Vorschein kommen. Protologie und Eschatologie bilden christologisch und soteriologisch einen ebenso untrennbaren wie unterscheidungsbedürftigen Zusammenhang, dessen heilsgeschichtliche Zielrichtung dem Osterglauben gewiss ist. So bleibt der Osterglaube nicht bei Schöpfungsanamnese und Schulderkenntnis, nicht bei dem Gedächtnis der Vergangenheit des Lebens und Sterbens Jesu stehen, sondern orientiert sich geistesgegenwärtig an der Zukunft des Gekommenen, dessen künftiger Parusie, durch welche Gott Menschheit und Welt vollenden wird, er in Geistepiklese und Jesusnachfolge mit Gottvertrauen entgegengeht. Im irdischen Leben Jesu, wie es im Lichte Osterns in Erscheinung tritt, wird dem christlichen Glauben die Bestimmung des Menschengeschöpfs im Zusammenhang aller Kreatur vorstellig, nämlich Gottes Ebenbild und so ein humaner Mensch unter Menschen in einer gemeinsamen Welt zu sein, wie das Schöpfungsgebot es gebietet. Im Kreuzestod Jesu, der als wahres Geschöpf der zweite, der rechte Adam ist, wird nicht nur die üble Verfassung der faktischen Welt manifest, sondern die sündige Verkehrtheit des Bösen vorgehalten, in welches das Menschengeschlecht und ein jeder Mensch verstrickt ist. Doch wo alles als verwirkt und zugrunde gerichtet erscheint, da erschließt sich ein neues Beginnen; der Gekreuzigte ist auferstanden. Im Lichte Osterns ist das Kreuz Jesu Christi als Wirk- und Wahrzeichen der Erlösung und Versöhnung offenbar, von der das Evangelium der Rechtfertigung des Sünders und der Befreiung vom Übel kündet. Der auferstandene Gekreuzigte ist es schließlich, der wiederkommen und uns jener Vollendung zuführen wird, zu der wir bestimmt sind, obwohl wir sie aus eigenen Kräften beim besten Willen nicht zu erlangen vermögen. Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung: In diesem eschatologisch ausgerichteten Offenbares Geheimnis Zusammenhang ist die Wahrheit des christlichen Glaubens beschlossen. Theologie als Theorie des Christentums hat dies im Einzelnen zu bedenken, was auf rechte und wahrhafte Weise nur geschehen kann, wenn Gott selbst als die Wirklichkeit erkannt wird, die die Wahrheit des Christentums bewirkt und bewahrheitet. Ihrem Begriff entspricht Theologie nur als Wissenschaft von Gott. Die klassische Form, in der die christliche Theologie die Wahrheit und Wirklichkeit Gottes bedenkt, ist die Trinitätslehre. Sie ist nicht etwa selbst Glaubensgegenstand, sondern die Weise, in welcher der Grund des Glaubens und mit ihm der Grund des Denkens selbst als offenbares Geheimnis bedacht wird. Was besagt die Trinitätslehre? Zunächst und vor allem, dass Gott selbst es ist, der uns in Jesus Christus als Schöpfer, Richter, Retter und Vollender offenbar ist, um Menschheit und Welt in der Kraft seines göttlichen Geistes hineinzunehmen in seine schöpferische, gerechte, versöhnende und vollendende Wirklichkeit.

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Im Menschensohn Jesus Christus ist Gott der allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde durch den Hl. Geist als Vater seiner Menschenkinder und aller Kreatur, im Gekreuzigten als gerechter Richter des Bösen und der Sünde und im auferstandenen Gekreuzigten als Erlöser und Versöhner für uns erschlossen, der durch die Wiederkehr seines Sohnes sein ewiges Reich bereiten wird vor aller Welt. Dessen ist der Glaube gewiss, wenn er glaubt, und deshalb bekennt er sich zum dreieinigen Gott als zu seinem Grund: zu Gott Vater, Gott Sohn und Gott, dem Hl. Geist, die personal unterschieden und doch eines ungeteilten Wesens sind.

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Einleitung

Lit.: G. Ahn, Art. Schöpfung I. Religionsgeschichtlich, in: TRE 30, 250–258. – R. Albertz, Weltschöpfung und Menschenschöpfung. Untersucht bei Deuterojesaja, Hiob und in den Psalmen, Stuttgart 1974. – I. Baldermann (Hg.), Schöpfung und Neuschöpfung, Neukirchen-Vluyn 1990. – G. Baumbach, Die Schöpfung in der Theologie des Paulus, in: Kairos 21/22 (1979/80), 196– 205. – O. Bayer, Schöpfung als Anrede. Zu einer Hermeneutik der Schöpfung, Tübingen 21990. – H. Bedford-Strohm, Schöpfung, Göttingen 2001. – E. Behler, Die Ewigkeit der Welt. Problemgeschichtliche Untersuchungen zu den Kontroversen um Weltanfang und Weltunendlichkeit im Mittelalter. Bd. 1: Die Problemstellung in der arabischen und jüdischen Philosophie des Mittelalters, München 1965. – U. Beuttler, Gott und Raum – Theologie der Weltgegenwart Gottes, Göttingen 2010. – C. Breytenbach, Art. Schöpfung III. Neues Testament, in: TRE 30, 283–292. – I. U. Dalferth, Die Selbstverkleinerung des Menschen, in: ZThK 105 (2008), 94–123. – R. C. Dulles, Medieval Discussions of the Eternity of the World, Leiden 1990. – J. B. M. Wissink (Hg.), The Eternity of the World in the Thought of Thomas Aquinas and his Contemporaries, Leiden 1990. – H.-J. Eckstein, Durch ihn ist alles geschaffen und wir durch ihn. Schöpfung in neutestamentlicher Perspektive,, in: ders., Kyrios Jesus. Perspektiven einer christologischen Theologie, Neukirchen 2010, 59–74. – W. Foerster, Art. ktizein etc., in: ThWNT III, 999–1034. – D. Henrich, Werke im Werden. Über die Genesis philosophischer Einsichten, München 2011. – A. Käfer, Inkarnation und Schöpfung. Schöpfungstheologische Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth, Berlin/New York 2010. – I. Kant, Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt, in: ders., Werkausgabe. Hg. v. W. Weischedel, Bd. I: Vorkritische Schriften bis 1768, Frankfurt 1968, 219–396. – R. Kratz/H. Spieckermann, Art. Schöpfung II. Altes Testament, in: TRE 30, 258–283. – G. Kraus, Welt und Mensch. Lehrbuch zur Schöpfungslehre, Frankfurt a. M. 1997. – G. May, Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo, Berlin/New York 1978. – G. v. Rad, Art. ouranos. B. Altes Testament, in: ThWNT V, 501–509. – W. H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Genesis 1,1–2,4a und 2,4b-3,24, Neukirchen-Vluyn 31973. – H. Seebaß, Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn 1996. – O. H. Steck, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a, Göttingen 21981. – M. Tilly, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005. – H. Timm, Dichtung des Anfangs. Die religiösen Protofiktionen der Goethezeit, München 1996. – H. Traub, Art. ouranos etc. A. Griechischer Sprachgebrauch, in: ThWNT V, 497–501. – H. Weippert, Schöpfer Himmels und der Erde. Ein Beitrag zur Theologie des Jeremiasbuches, Stuttgart 1981. – J. B. M. Wissink (Hg.), The Eternity of the World in the Thought of Thomas Aquinas and his Contemporaries, Leiden 1990. – M. Witte, Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Betrachtungen zu Genesis 1,1–11,26, Berlin u. a. 1998.

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Einleitung

In einem auch unter theologischen Gesichtspunkten sehr bemerkenswerten Text über die Genese von Hauptwerken der Philosophie hat Dieter Henrich gezeigt, dass am Anfang der Entstehung großer philosophischer Entwürfe häufig eine plötzliche Einsicht stand, in der sich dem Denker die maßgebliche Grundlage für die konzeptionelle Gestaltung seines Werkes in einer Weise erschloss, die man mit demjenigen vergleichen kann, was in der religiösen Überlieferung Offenbarung, Erleuchtung oder Berufung genannt wird. Solche ursprünglichen Einsichten, wie sie für Nikolaus von Kues, Jacob Böhme, Rene Descartes, Blaise Pascal, Jean Jacques Rousseau, Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Nietzsche, Edmund Husserl oder Ludwig Wittgenstein biographisch und werkgeschichtlich dokumentiert sind, verbinden sich mit einer augenblicklichen Veränderung der Gesamtverfassung des Bewusstseins und dem Wissen, „inkommensurabel, nicht wiederholbar und verbindlich zu sein“ (Henrich, Werke im Werden, 27). Dem Moment des Aufgangs folgt nach Henrich „eine erregte und doch konzentrierte Phase, in der sich die Erfahrung ausbreitet und mit ihrem verwandelnden Bedeutungsgewicht in alle Dimensionen des Lebens eindringt“ (ebd.). Ohne theoretische Selbst- und Weltdeutungen und ohne praktische Konsequenzen, die an sie anschlössen, habe die ursprüngliche Einsicht keinen Bestand; gleichwohl werde sie nie auf subjektive Deutungsvollzüge oder selbsttätige Aktionen zurückgeführt, sondern auf einen Grund bezogen, der mit der ursprünglichen Einsicht zugleich das von ihr erschlossene Sinnganze fundiere. Das Erschließungsgeschehen, auf welchem die Entwurfsidee und Konzeptionsgestalt philosophischer Werke von Rang basierten, sei kein bloßes Ergebnis konsequenten Denkens und zielgerichteten Handelns, sondern vollziehe sich in der spontanen Weise einer nicht herleitbaren und irreduziblen Evidenz. Ein Evidenzereignis ist auch für das Christentum bestimmend geworden. Die Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten, der sich an Ostern als der Messias der Juden, der Christus der Heiden und der Heiland der Welt zu erkennen gibt, steht nicht nur am Anfang seiner Geschichte, sondern bildet den beständigen Grund des christlichen Glaubens. Nach dem Bekenntnis dieses Glaubens ist im österlichen Herrn offenbar, worin Selbst und Welt gründen, nämlich Gott, der sich in der Kraft des Geistes in Jesus Christus für Menschheit und Welt als Vater erschließt und dessen Gottheit der Sohn und der Geist gleichwesentlich zugehören. Diese Offenbarung ist grundlegend nicht zuletzt für den christlichen Schöpfungsglauben, der wie der jüdische erst durch ein Evidenzereignis zu seiner charakteristischen Eigenart gelangt. Im Judentum ist der Glaube an den Schöpfer und die Ursprungsgüte seiner Schöpfung von der Offenbarung göttlicher Gerechtigkeit geprägt, im Christentum von der in Jesus Christus offenbaren Vaterliebe Gottes zu seinen Kreaturen und zum Menschengeschöpf zumal. Ohne die Christusoffenbarung ist der christliche Schöpfungsglaube nicht angemessen zu erfassen. Zwar setzt er nicht nur die jüdischen Schöpfungszeugnisse voraus, sondern rechnet auch mit einer allgemein zugänglichen Einsicht in einen welttranszendenten Grund des Ursprüngliche Einsicht

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Universums. Aber zu heilsamer Eindeutigkeit gelangt diese Einsicht nach christlichem Bekenntnis nicht ohne die Offenbarung des dreieinigen Gottes in Jesus Christus, die nicht nur einen Sachverhalt erschließt, der auch abgesehen von ihr Bestand hat, sondern die für das, was Schöpfung heißt, von konstitutiver Bedeutung ist. Im auferstandenen Gekreuzigten hat sich Gott selbst in der Kraft seines Geistes auf Glauben hin offenbart, um in seiner Dreieinigkeit deus pro nobis zu sein. Von diesem Urdatum her hat nicht erst die christliche Soteriologie samt allen folgenden Lehrstücken, sondern bereits die Protologie in ihren schöpfungstheologischen und hamartiologischen Bestimmungsmomenten ihren Ausgang zu nehmen, wenngleich auf differenzierte Weise. Jesus Christus ist einer, aber er erscheint und zwar nachgerade unter Voraussetzung der österlich-christlichen Perspektive, ohne die vom christlichen Glauben nicht die Rede sein kann, unbeschadet seiner personalen Einheit und Selbigkeit anders, ob er als der Irdische, der Gekreuzigte, der Erhöhte oder als derjenige in Betracht kommt, dessen endzeitliche Wiederkehr zu erwarten steht. Der im Lichte seiner österlichen Erscheinung wahrgenommene vorösterliche Jesus ist derjenige, der vorzugsweise protologische Horizonte erschließt, wobei sein irdisches Leben schöpfungstheologische, sein Sterben und sein Tod am Kreuz hamartiologische Erkenntnis wirkt. Die Erinnerung des Glaubens an das irdische Inkarnierter SchöpfungsLeben Jesu, die der österliche Herr in der Kraft logos und wahrer Adam des Hl. Geistes wirkt, um sich als Subjekt seines Gedächtnisses zu erweisen, bringt eine Schöpfungsanamnese mit sich, durch die sowohl der göttliche Schöpfer als auch die geschöpfliche Bestimmung des Menschengeschöpfs in der kreatürlichen Welt zur Einsicht gebracht wird. So wie der irdische Jesus im Lichte Osterns und gemäß dem Zeugnis des Pfingstgeistes als der inkarnierte Schöpfungsmittlerlogos und wahre Adam offenbar ist, so erhellt aus seinem Gedächtnis für den christlichen Glauben, was es mit dem ursprünglichen Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf auf sich hat. Es ist als eine Beziehung von väterlicher Zuwendung des allmächtigen Gottes bestimmt, der die Gotteskindschaft des Menschen entspricht. Der Mensch ist als Ebenbild Gottes geschaffen und dazu ersehen, Kind, Sohn bzw. Tochter Gottes zu sein. In dieser Bestimmung, wie sie aus der durch das österliche Gedächtnis des irdischen Jesus hervorgerufenen Schöpfungsanamnese des Glaubens erhellt, ist alles enthalten, was schöpfungstheologisch über den Menschen zu sagen ist. Auch kosmologische Bezüge sind in der christlichen – durch die Gottesikone Jesus und die Schöpfungsmittlerschaft des in ihm inkarnierten Logos bestimmten – Schöpfungsanamnese impliziert. Der irdische Jesus wandelte leibhaft und nicht nur zum Schein auf der Welt, er war in Raum und Zeit als dieser und kein anderer, also auf welthafte Weise wirklich da, und dieses wirkliche Dasein Jesu ist durch Ostern nicht etwa erledigt, sondern als ewig bedeutsame Realität erwiesen. Sucht man das leibhafte Weltdasein des irdischen Jesus als der einen gottmenschlichen Person, welche das altkirchliche Dogma bekennt, nach Maßgabe des kanonischen

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Zeugnisses des Neuen Testamentes näher zu charakterisieren, so geschieht dies am besten mit der Rede von Proexistenz. Der ganz seinem göttlichen Vater hingegebene und in Selbstunterscheidung mit ihm vereinte Menschensohn ist als solcher vorbehaltlos für seine Mitmenschen samt aller Kreatur da und zwar nicht nur in seelsorgerlicher, sondern in einer Weise, welche Fürsorge für den Leib und die leibhafte Welt mit umfasst. Was in Band 5 über die Jesus zugeschriebenen Zeichen und Wunder, über die Heilungen des Therapeuten und Exzorzisten und über Ähnliches gesagt wurde, wäre in diesem Zusammenhang ebenso in Erinnerung zu bringen wie die Affirmation, mit welcher der Irdische dem Schöpfer zustimmt und das Werk seiner Schöpfung bejaht. Zu erinnern wäre ferner an den weisheitlichen Grundzug der jesuanischen Botschaft, der diese unbeschadet ihrer eschatologischen Ausrichtung durchwirkt und protologische Rückbezüge erschließt, die nicht vergessen werden dürfen, wenn die Reich-Gottes-Predigt verstanden werden soll. Die kommende basileia tou theou erschöpft sich zwar nicht in der Wiederbringung eines Ursprünglichen, lässt aber, was „im Anfang“ war, keineswegs hinter sich, um es zu einem unentwickelten Vorstadium endzeitlicher Vollendung herabzusetzen. Bedarf es hierfür eines Beweises, dann ist er nicht nur durch den Beginn, sondern durch die Gesamtkonzeption des Johannesevangeliums gegeben, mit dem in dieser Hinsicht das gesamte neutestamentliche Zeugnis übereinstimmt. Vieles noch wäre über schöpfungstheologisch aufschlussreiche Aspekte des im Osterlicht offenbaren irdischen Lebens Jesu zu sagen, über die spezifische Form seiner Gleichnisrede etwa oder über die Tatsache, dass sein Wort mit sinnenfälligen Wirkzeichen und tätigem Handeln stets aufs engste verbunden war. Doch muss der zusammenfassende Hinweis genügen, dass durch das Leben des irdischen Jesus das Werk der Schöpfung als grundsätzlich gut und der allmächtige Schöpfer als Gott väterlicher Güte erinnert wird, der seinem eingeborenen Sohn und in ihm allen Menschengeschöpfen, ja aller Kreatur in herzlicher Liebe zugetan ist. Manifest ist die Güte des Schöpfers namentlich in der göttlichen Weisung und in dem Schöpfungsgebot, dessen Erfüllung der Irdische ist. Was der erste Evangelist über jesuanische Worte zum Gesetz und zu den Propheten berichtet, ist dem Gehalt nach nicht etwa matthäisches Sondergut, sondern Grundbestand des gesamten neutestamentlichen Jesuszeugnisses. „Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.“ (Mt 5,18) Auf die Frage hinwiederum, welches Gebot im Gesetz das wichtigste sei, antwortete Jesus mit Dtn 6,5 und Lev 19,18: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das Gesetz samt den Propheten.“ (Mt 22,37–40) Der irdische Jesus war Jude, und er bleibt es in alle Ewigkeit, auch und gerade wenn man ihn im Lichte Osterns als wahren Menschen und inkarnierten Schöpfungslogos bekennt, der er ist. Wem sich Jesus in Erinnerung bringt, dem wird das religiöse Erbe des Judentums unvergessen und für immer bedeutsam sein, wie das

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bei jedem Christentum der Fall ist, das seinen Namen verdient. Ist doch der erhöhte Christus zwar anders, aber kein anderer als der irdische Jesus, dessen österliches Gedächtnis, wie es in der Kraft des göttlichen Geistes geschieht, gewahr werden lässt, dass der fleischgewordene Logos und wahre Mensch, als welcher Jesus Christus zu bekennen ist, das Gebot des göttlichen Schöpfers nicht etwa beseitigt, sondern erfüllt hat. Gegeben ist das Schöpfungsgebot Gottes in der Tora, zusammengefasst im Dekalog und im Doppelgebot der Liebe, deren universale Geltung dem Judentum beizeiten zur Einsicht gelangt war, um im Verein mit dem Schöpfungsglauben allen Völkern bezeugt zu werden. Dieses Zeugnis wird von Jesus nicht negiert, sondern affirmiert und zur Vollendung gebracht, und wenn sich das Christentum zu Jesus als dem Christus bekennt, dann bekennt es sich mit ihm auch zur ursprünglichen Einsicht des Judentums, als deren Erfüllung es ihn bezeugt. Als der inkarnierte Logos ist Jesus christlich auch und – man sollte wohl sagen – zuerst als fleischgewordene Tora und als der Gerechte Israels zu bekennen. Nach Maßgabe der kanonischen Zeugnisse jüdiFleischgewordene Tora scher Religion, die in die christliche Bibel nicht und Gerechter Israels von ungefähr integriert sind, sondern ihr unveräußerlich zugehören, bestimmt sich Gottes schöpferische Allmacht nicht auf gleichsam naturhafte Weise, um sich in Form ungebundener Gewalt und Willkür zur Geltung zu bringen; der allmächtige Gott gibt sich vielmehr in seiner göttlichen Wirklichkeit kraft jener Gerechtigkeit zu erkennen, die er mittels der Weisung der Tora seinem erwählten Volk und durch dieses allen Völkern und der gesamten Menschheit offenbarte. Der vom Christentum im Namen Jesu bestätigte protologische Grundsatz des Judentums lautet entsprechend, dass Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde gerecht und seine Schöpfung auf jene Gerechtigkeit angelegt ist, zu deren Realisierung unter den Kreaturen vorzugsweise der Mensch als das Ebenbild und als der irdische Mandatar Gottes bevollmächtigt ist. Dieser Grundsatz ist auch für die christliche Schöpfungslehre vorauszusetzen. Dennoch kann es bei ihm unter christlichen Bedingungen nicht sein Bewenden haben. Zwar geht das Christentum mit dem Judentum davon aus, dass Gottes Schöpfung gerecht und gut und die Möglichkeit gegeben ist, sich zu ihrer Gesamtheit in allen Teilbeständen in ein gerechtes und gutes Verhältnis zu setzen. Ein integrer Kreaturstatus, wie er im Paradiesmythos vorstellig und in dem Gedanken einer iustitia originalis auf den Begriff gebracht wird, muss denkbar oder jedenfalls ahnungsweise nachvollziehbar sein und zwar grundsätzlich für alle Menschen. Für den christlichen Glauben nimmt dieser Status in dem im Lichte Osterns erscheinenden irdischen Jesus konkrete und beispielhafte Gestalt an. Er ist als der zweite zugleich der wahre Adam, und seine die eschatologische Vollendung des Menschengeschöpfs antizipierende Erscheinung weist zurück auf einen protologischen Urstand, den sie schöpfungsanamnetisch in Erinnerung bringt – freilich als einen prinzipiell vergangenen und durch Schuld des menschlichen Sündenfalls grundsätzlich verfehlten. Hinzuzufügen ist, dass weder Urstand noch ursündiger Fall durch ein äußerliches chronologisches Maß zu bemessen und zu terminieren sind.

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Zwar eignet beiden ein Zeitbezug, jedoch so, dass dieser Bezug über das jeweilige Wesen bzw. Unwesen des Temporären entscheidet. Ist in dem, was die Tradition status integritatis nennt, alle Zeit zur Ewigkeit bestimmt, so bringt es, was traditionell peccatum originale heißt, mit sich, dass das Zeitliche seine Bestimmung verfehlt und der Vergänglichkeit verfällt. Daraus folgt u. a., dass zwischen dem theologischen Begriff von Genesis und etwa demjenigen faktisch in Erfahrung zu bringender mundaner und menschheitsgeschichtlicher Entwicklung zwar nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden ist. Unter christlichen Bedingungen kommt die Schöpfung immer unter einem Doppelaspekt in Betracht: zum einen in ihrer ursprünglichen Integrität, die durch ein rechtes Verhältnis von Schöpfer und Menschengeschöpf unter Einschluss aller Kreaturen gekennzeichnet ist und im irdischen Jesus als dem inkarnierten Schöpfungslogos und zweiten Adam in österlicher Paradigmatik zutage tritt; zum anderen durch den Fall der Sünde und durch Übel aller Art korrumpiert, so dass der status integritatis als prinzipiell vergangen und verfehlt zu gelten hat, woran kein menschliches Streben nach Gerechtigkeit und keine Jesusnachfolge, die seinem Beispiel nachzueifern sucht, etwas zu ändern vermögen. Weder das ursprüngliche Schöpfungsgebot noch das vorbildliche Exempel, das Jesus durch seine Gesetzeserfüllung in Wort und Tat gab, können von dem Bösen erlösen, dem die gute Schöpfung verfallen ist. Das vermag nur das Evangelium, dessen personaler Inbegriff der auferstandene Gekreuzigte ist, in dessen Erscheinung das Unheil des im Tode endenden Lebens Jesu zum Heil der Versöhnung und Erlösung gewendet ist. Von diesem Vorgang her und auf ihn hin entfaltet sich die gesamte christliche Theologie einschließlich der Schöpfungstheologie; von ihm her und auf ihn hin wird rezipiert, wovon das Buch der Genesis im Kontext der Religionsgeschichte der Menschheit ursprünglich kündet. Thema christlicher Schöpfungslehre ist der Grund von Selbst und Welt, der von dem in Jesus Christus kraft seines Geistes offenbaren Gott ursprünglich gelegt ist, um im Glauben in Form einer Ursprungsanamnese wahrgenommen und erinnert zu werden. Zwar schließt der Schöpfungsglaube evolutionäre Dynamik und eschatologische Orientierung nicht aus, sondern ein. Aber seine protologische Struktur bleibt erhalten und grundlegend. Sie wird verkannt, wenn die Wirklichkeit und Realisierungsmöglichkeit eines gerechten und guten Ursprungsverhältnisses von Gott, Selbst und Welt von vornherein für unmöglich und undenkbar erklärt wird. Zwischen Gottes-, Selbst- und Weltverhältnis ist schöpfungstheologisch zu unterscheiden, nicht aber zu trennen. Das schöpfungstheologische Ursprungsverhältnis findet seinen Primärausdruck in dem Bekenntnis: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat.“ (Vgl. BSLK 510, 33) Ohne die gläubige Gewissheit, selbst Gottesgeschöpf zu sein, „erschließt sich einem die Welt nicht als Schöpfung. Im Licht dieses Selbstverständnisses aber bekommt alles, was einem widerfährt, nicht nur das Außerordentliche und Einmalige, sondern auch Alltäglichkeiten wie ‚Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind‘ und alles übrige, was zum Leben gehört, einen anderen Glanz. Nichts von

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all dem versteht sich von selbst, nichts muss, aber alles kann als Schöpfungsgabe verstanden werden.“ (Dalferth, 117 unter Verweis auf BSLK 510, 37 f.) Schöpfungsglaube ist personal verfasst; Selbstverhältnisse lassen sich nachgerade schöpfungstheologisch nicht auf Weltverhältnisse reduzieren. Doch gilt ebenso, dass Weltbezüge nach christlichem Schöpfungsverständnis Selbstbezügen in leibhafter Unveräußerlichkeit zugehören. Daher verbietet sich ein Personalismus, der „ausschließlich betont, ‚daß mich Gott geschaffen hat‘“ (Bayer, 1) und dabei ausblendet und unbegriffen lässt, dass „dies nur ‚samt allen Kreaturen‘ geschehen ist und geschieht“ (ebd.; vgl. BSLK 510, 34). Der auf Gott, seinen Schöpfer, bezogene Mensch ist ganz er selbst und doch als er selbst in der psychosomatischen Differenzeinheit, die er ist, wesentlich und elementar auf seine Mitgeschöpfe bezogen, die wie er und je nach ihrer Art der Schöpfung zugehören. Der Mensch ist ein Geschöpf unter Geschöpfen; er entspricht seiner kreatürlichen Bestimmung nur als gottunterschiedener Mensch unter Menschen in einer gemeinsam gegebenen Welt. Mit diesem schöpfungstheologischen Grundsatz wird sich auch und gerade der Schöpfungstheologe vertraut zu machen haben. Zwar gehört er dem Sinnganzen, welchem er nachdenkt, konstitutiv an und ist in seiner Subjektivität in es einbegriffen, wenn anders er nicht lediglich äußere Sachverhalte oder doktrinäre Lehrsätze auf fremde Autorität hin geltend machen will. Aber sowenig Theologie denkbar ist ohne den Theologen, der sie betreibt, so fungiert dieser doch nicht als ihr und ihrer Gehalte fundierendes Subjekt. Was Henrich in Bezug auf den zünftigen Philosophen geltend macht, gilt umso mehr für den Theologen, der seinem Begriff entsprechen will: Er ist bestenfalls „tätige Mitte und der zur Rechenschaft fähige Meister, nicht aber der Konstrukteur des ihm eigenen Wissensganzen. Das heißt: Er beherrscht den Aufbau dieses Ganzen, aber er schafft ihn nicht. Darum versucht er auch, ihn als gegründet in etwas zu verstehen, was am allerwenigsten sein eigenes Werk sein kann . . .“ (Henrich, Werke im Werden, 107). Wie der Christ, so ist auch der christliche Theologe in das Ganze einbezogen, das er zu bedenken hat, ohne sich doch als dessen konstruierendes und sinngebendes Subjekt wahrzunehmen und wissen zu können. Je deutlicher dies wird, desto bedeutender ist die Theologie des Theologen. Nachgerade der Schöpfungstheologe wird sich, will er seinem Thema nicht von Grund aus widersprechen, mit der Kreatürlichkeit seiner Person und seiner Theologie reflexiv ins Benehmen zu setzen und mit dem Gedanken zu befreunden haben, nicht einer allein, sondern ein Geschöpf unter vielen zu sein. Dem Begriff der Schöpfung kann am Ort theologischen Begreifens nur durch das Bewusstsein entsprochen werden, nicht selbst das Sinnganze zu sein, das es zu begreifen gilt. Dieses Bewusstsein schließt die Anerkenntnis der Perspektivität allen Erkennens in sich, ohne deshalb dem Anspruch auf Erkenntnis den Abschied zu geben. Ist doch im Blick auf das Sinnganze und seinen Grund die Einsicht keine Verlegenheit, sondern vollkommen angemessen, seiner nicht anders als aspektweise ansichtig werden zu können. Das Bewusstsein der Grenzen dessen, was philosophisch und theologisch zu begreifen ist, stellt das

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gerade Gegenteil jener Beschränktheit dar, die alles durchschaut und auf einen abschließenden Begriff gebracht zu haben meint. Bewusste Selbstbegrenzung ist ein Indiz der OffenBewusstsein der Grenzen heit und ein Reflex jenes Erschließungsgeschehens, in dem sich der Grund allen Erkennens in einer Weise zu erkennen gibt, die Erkenntnis eröffnet, ohne sie zu definitivem Abschluss kommen zu lassen. Der Grund, der Erkenntnis des Sinnganzen erschließt, erschließt mit ihr zugleich die Einsicht, dass das Sinnganze alles einschließlich seiner Erkenntnis umfasst, ohne je auf einen Begriff gebracht werden zu können, in dem nicht zugleich seine Unbegreiflichkeit inbegriffen wäre. Die religiöse Form universaler Sinnerkenntnis ist unaufhebbar und wird durch die ursprüngliche Einsicht in den Grund allen Erkennens bestätigt. Durch Theorie und Praxis kann das religiöse Verhältnis zum fundierenden Grund von Selbst und Welt nicht ersetzt werden. Dies gilt für Philosophie und Theologie gleichermaßen. Doch bindet Religion, sofern sie wie im Christentum wesentlich auf Denken und Handeln bezogen ist, Philosophie und Theologie nicht an ein externes Anderes, sondern an den inneren Grund ihrer selbst, der Wissen und Tun, indem er sie von innen heraus begrenzt, zugleich über alle äußeren Schranken hinausführt und eine ursprüngliche Einsicht ermöglicht, der die Vollendung des Endlichen gewiss ist, weil sie sich durch das Unendliche zugleich limitiert und affirmiert weiß. Die protologische Ausdrucksgestalt dieser Einsicht ist die christliche Schöpfungslehre, deren Christlichkeit darin besteht, christologisch bestimmt zu sein. Dass das christliche Verständnis der Schöpfung christologisch, näherhin inkarnatorisch bestimmt zu sein hat, wird, wie die nachfolgenden Fallstudien belegen werden, von so unterschiedlichen Theologen wie Luther, Schleiermacher und Barth gemeinsam in Anschlag gebracht (vgl. im Einzelnen Käfer). Unbeschadet aller sonstigen Differenzen setzen sie eine christologische Vermittlung der Schöpfungstheologie voraus. Im Inkarnierten ist erschlossen und erfüllt, was im Schöpfungswerk ursprünglich beschlossen war und zu protologischer Ausführung kam. Als menschgewordener Logos Gottes ist Jesus Christus der Offenbarer von Schöpfer und Geschöpf in ihrem genuinen Verhältnis zueinander. In seiner Person gibt sich der allmächtige Schöpfer als göttlicher Vater seiner Menschengeschöpfe zu erkennen, der sie zu jener Gotteskindschaft bestimmt hat, welche im Leben des Menschensohns vollendet realisiert wurde. Der irdische Jesus hat die durch den Schöpfergott gegebene Bestimmung des Menschengeschöpfs verwirklicht und erfüllt, was durch das Wirken des Schöpfers ursprünglich geboten war. Als wahrer Mensch stellt er das vollendete Urbild rechter menschlicher Gottesbeziehung, Selbstbeziehung und Beziehung zu Mitmensch und Welt dar. Während der erste Adam durch den abgründig verkehrten Willen, sein zu wollen wie Gott, den Fall der Sünde samt all seiner üblen Folgen verschuldete, wahrt der zweite konsequent den Unterschied zu Gott, um gerade so als Sohn des göttlichen Vaters und als derjenige offenbar zu sein, in dem sich mit der Bestimmung des Menschen zugleich der genuine Wille des Schöpfers erfüllt, so dass der wahre

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Mensch Jesus als die Inkarnationsgestalt des Schöpfungslogos selbst zu bekennen ist. Im ganz und gar logosgegründeten Menschsein Jesu expliziert sich der Schöpfungslogos als er selbst, um in der Kraft des göttlichen Geistes für Menschheit und Welt zu offenbaren, wie das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf dem genuinen Willen Gottes gemäß ursprünglich verfasst ist. Gott und Mensch, göttlicher Wille und menschlicher Wille sind im Leben Jesu, wie es im Lichte Osterns erscheint, in einer Weise eins, die den Unterschied von Schöpfer und Geschöpf definitiv, aber unter Ausschluss aller Gegensätzlichkeit ihres Verhältnisses zueinander wahrt. Ist damit der christentumsspezifische Ansatz des Lehrstücks „De creatione“ in Grundzügen skiz- Akt und Resultat ziert, so bleibt die christliche Schöpfungslehre in ihrer konkreten Bestimmtheit doch stets mit jener unbestimmten Bedeutung verbunden, die dem Begriff der Schöpfung und den Texten, in denen er Verwendung findet, im Allgemeinen eignet. Schöpfung bedeutet im Deutschen allgemein die Hervorbringung von etwas sowie das Hervorgebrachte selbst, also den Akt des Erschaffens und sein Resultat, das Geschaffene. Die genauere Bedeutung erschließt sich wie bei allen Begriffen erst aus dem kontextuellen Zusammenhang sprachlich-literarischer Verwendung. Zumeist ist der Schöpfungsbegriff mit religiösen Konnotationen, also mit Bezügen auf einen grundlegenden Hervorbringungsvollzug verbunden, dessen wie auch immer geartetes Ergebnis die fundierende Elementarbasis für alles Folgende bildet. Dennoch ist es nicht leicht, die religiösen Bezüge typisiserend zu ordnen, da die Vorstellungen und Gedanken, die sich geschichtlich mit dem Begriff der Schöpfung assoziierten, vielfältig und in hohem Maße komplex sind (vgl. zum Folgenden Ahn, 250 ff.). Wie für den Schöpfungsbegriff im Allgemeinen, so ist auch für seine übliche religiöse Verwendung im Besonderen die Simultanbedeutung von Schaffen und Geschaffenem kennzeichnend; das Verbalsubstantiv bringt Kreativität und Kreatürlichkeit gleichermaßen zur Sprache. Von einer Gleichursprünglichkeit der beiden Bedeutungsmomente kann dennoch nicht die Rede sein. Denn in logischer Hinsicht waltet ein klares Prioritätsgefälle zwischen Grund und Begründetem, Ursache und Wirkung, Aktivität und Passivität, Tun und Leiden. Die Schöpfung als wirkende Wirklichkeit geht der Schöpfung als gewirkter eindeutig voran. Nichtsdestoweniger erweist sich die Kausalitätskategorie in vieler Hinsicht als nur bedingt geeignet, die überlieferten Schöpfungsvorstellungen der Religionsgeschichte präzise zu beschreiben. Denn zum einen hat, was sich als Ursache-Wirkung-Zusammenhang in Erfahrung bringen lässt, nach Maßgabe vieler religiöser Schöpfungstraditionen an sich selbst als geschaffen und damit nicht als ursprünglich zu gelten; zum anderen ist mit dergestalten Interdependenzen zwischen Schaffendem und Erschaffenem zu rechnen, welche die Möglichkeit einer Rückwirkung von letzterem auf ersteres nicht aus-, sondern einschließt, ohne dass deshalb die Prioritätsstellung der erschaffenden Wirklichkeit der erschaffenen gegenüber grundsätzlich in Frage gestellt würde. Gesetzt, das Geschaffene ist von einer Beschaffenheit, dass es selbständig zu

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agieren vermag, dann ist eine mögliche retroaktive Einwirkung vonseiten des Geschaffenen auf seinen schöpferischen Ursprung und Grund nicht von vorneherein für unmöglich zu erachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Verselbständigung der geschaffenen Wirklichkeit durch das schöpferische Ursprungswirken bewusst intendiert oder doch in Kauf genommen wird. Ist der Schöpfungsvollzug darauf angelegt, dass das Geschöpf selbst schöpferisch sei, dann kann das Verhältnis ursprünglichen Schaffens zur geschaffenen Schöpfung nicht mehr ohne weiteres nach Maßgabe eines naturkausalen Ursache-Wirkung-Zusammenhangs bestimmt werden. Denn dann muss die Beziehung von Schöpfung als Schaffen und Schöpfung als Geschaffenem in einer Weise gedacht werden, die das Verhältnis von Grund und Folge transzendiert. Dies erfordert Differenzierungsleistungen sowohl in Bezug auf das schöpferische Prinzip als auch auf das geschaffene Prinzipiat. In der Geschichte religiöser Verwendungsweisen des Schöpfungsbegriffs und der mit ihm verbundenen Vorstellungen und Gedanken reflektieren sich die angedeuteten Probleme in mannigfacher und unterschiedlicher Form, woran sich zeigt, dass der Schöpfungsbegriff einer kontextuellen Identifizierung seiner jeweiligen Bestimmungsmomente bedarf, um verständlich zu sein und konkret verstanden zu werden. Im Deutschen wird mit der erschaffenen SchöpMythos und Natur fung nicht selten der Naturbegriff assoziiert, ja, es ist gelegentlich so, dass Natur als der Inbegriff von Kreatürlichem gilt. Dieser Sprachgebrauch ist durch die Annahme nahegelegt, dass Natur die ursprünglichste Seinsart darstellt, die allem Seienden zugrundeliegt. Als Basis aller Entitäten, die ihre Seins-, Bewusstseins- und Selbstbewusstseinsvollzüge fundiert, empfiehlt sich Natur gewissermaßen von Hause aus als Kandidat für jenes Ursprüngliche, das auf ursprüngliche Weise aus dem schöpferischen Ursprung hervorgeht, wenn es nicht gar selbst in die Rolle des Ursprungs aller Dinge einrückt. In diesem Zusammenhang gehört, dass Schöpfungsaussagen sich nicht selten auf das prähistorisch-naturhafte Fundament alles Geschichtlichen und auf eine gründende Urzeit beziehen, die der Zeit des Menschen entweder gänzlich voranging oder in die un- bzw. unterbewussten Regionen seines Daseins hinabweist. Die jüdisch-christliche Tradition ist der naturhaft-mythischen Fassung des Schöpfungsgedankens mit wachsender Reserve begegnet, was eine terminologische Klarstellung und eine Zwischenbemerkung aus gegebenem Anlass nahelegt. Grundsatzüberlegungen „zu einem theologisch verantworteten Verhältnis des Menschen zur Natur“ (Bedford-Strohm, 11) gehören zu jeder christlichen Schöpfungslehre, die sich ihrer praktischen Implikationen und Verbindlichkeiten bewusst ist. Innerhalb der ökumenischen Bewegung und namentlich in der Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen ist auf diesen Gesichtspunkt mit Recht besonderes Gewicht gelegt worden. Die im sog. Konziliaren Prozess ausgebildete und üblich gewordene Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“ ist gleichwohl in mehrfacher Hinsicht problematisch. Denn zum einen tendiert sie dazu, den

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Begriff der Schöpfung mit der extrahumanen Natur zu identifizieren, obgleich doch der Mensch nicht minder Geschöpf Gottes zu nennen ist als die nichtmenschliche Kreatur. Zum anderen kann sie in dem Sinne missverstanden werden, als sei unmittelbar der Mensch Erhalter der Schöpfung, wohingegen er doch nur in konsequenter Selbstunterscheidung vom Schöpfer und auf dergestalt vermittelte Weise ihrer Bewahrung und Förderung dienen kann (vgl. Bedford-Strohm, 151 ff.). Einen christlich verantwortbaren Sinn erhält die Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“ also nur unter der Voraussetzung ihrer Differenzierung und Präzisierung. Schöpfungstexte haben häufig naturhaft-mythischen Charakter. Doch gehört die Form des Mythos nicht notwendig zu ihrem Wesen, sofern in der Religionsgeschichte auch und nicht selten sogar vorzugsweise Entitäten als geschaffen bezeichnet werden, die ihrer kreatürlichen Bestimmung nach wenn nicht als übernatürlich-naturtranszendent, so doch als naturtranszendierend zu denken sind. Werden nicht nur naturhafte, sondern auch geschichtliche Ichwesen, für deren Sein Bewusstsein und Selbstbewusstsein kennzeichnend sind, Geschöpfe genannt, dann kann das für die Form von Schöpfungsaussagen nicht folgenlos bleiben und ihr mythischer Ursprungsgehalt muss logoshaft gestaltet werden sei es durch die Kategorie der Entwicklung oder auf andere Weise. Für den Begriff der Schöpfung im genuinen Sinn ergibt sich daraus, dass er nicht auf einen Ursprungsakt festgelegt werden kann, ohne einer kontinuierlichen oder wie auch immer gearteten Fortsetzung fähig zu sein. Die Vorstellung ursprünglicher Schöpfung muss sich aus einer inneren Logik heraus, die im Einzelnen zu entschlüsseln die Aufgabe der Schöpfungslehre ist, zur Annahme einer creatio continua fortbilden, die mit einem genuinen Weiterwirken der schöpferischen Ursprungstätigkeit rechnet, um den dauerhaften Erhalt des Geschaffenen zu gewährleisten. Der Schöpfungsgedanke ist in der Einheit von creatio originalis und creatio continua zu denken, ohne dass dadurch sein protologischer Charakter beseitigt wird. Dieser ist vielmehr auch in Bezug auf die dauerhafte und kontinuierliche Fortsetzung des Schöpfungsprozesses zu wahren. Der genuine Sinn der Rede von Schöpfung ist und bleibt protologischer Art, worauf u. a. ihre vielfach anzutreffende ätiologische Funktion hinweist. Die Komplexität der Vorstellungen, die sich religionsgeschichtlich mit dem Schöpfungsbegriff ver- Ätiologische Funktion binden und seine jeweilige Bedeutung bestimmen, lässt sich formal am ehesten durch den Verweis auf die ätiologische Funktion reduzieren, die sie auf die eine oder andere Weise erfüllen. Ätiologie nennt man allgemein die Lehre von den Ursachen oder der Ursache, etwa von Krankheiten; in ätiologischen Sagen wird versucht, ungewöhnliche Sachverhalte, die der Erklärung bedürfen, ohne aus dem Gewohnten und Bekannten heraus erklärbar zu sein, mit unterschiedlichen Mitteln, die zwar nicht notwendigerweise irrational, aber zumeist trans- oder prärationaler Natur sind, auf eine Ursache zurückzuführen, die den Grund ihres Zustandekommens angibt (vgl. im Einzelnen Ahn, 253 ff.). So wird beispielsweise in Grimms Märchen die Naht der Bohne mit dem Hinweis

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erklärt, sie sei einst vor Lachen geplatzt und musste anschließend wieder zusammengeflickt werden. Unzählige andere Beispiele schlussfolgender oder anders prozedierender Ätiologieverfahren ließen sich anführen. Ihnen allen ist gemein, dass sie tatsächlich oder vermeintlich Unerklärbares auf eine Weise zu erklären versuchen, die noch in der Enträtselung des Mysteriösen geheimnisvoll bleibt. Viele der in der Religionsgeschichte begegnenden Schöpfungsaussagen sind ihrer sprachlichen oder literarischen Gattung nach als Ätiologien zu bezeichnen, wobei die formgeschichtlichen Grenzen fließend sind. Zumeist handelt es sich um Ätiologien von vergleichsweise großer Reichweite, die sich auf grundlegende Ursprungsfragen beziehen bis hin zum Problem, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts. An den aus der Antike bekannten Antworten auf letztere Frage lässt sich exemplarisch studieren, was man den Übergang vom Mythos zum Logos genannt hat, der freilich ebenso fließend ist wie der materiale Bestand religionsgeschichtlicher Schöpfungstraditionen, die sich nicht trennungsscharf voneinander abgrenzen lassen, sondern sich in dem charakteristischen Bestreben überlagern, unterschiedliche Genesen ätiologisch zur Darstellung zu bringen mit dem Ziel, einen Grund oder Gründe für grundlegend Begründungsbedürftiges anzuführen. Um eine kosmogenetische Ätiologie handelt es sich für den Fall, dass nicht nur etwas in der Welt, sondern die ganze Welt samt ihrer Grundordnung zur Begründung ansteht. Anthropogonien suchen Sein und Wesen von Menschheit und Mensch einer Erklärung durch ätiologische Genetisierung zuzuführen. Aber auch Theogonien kennt die Religionsgeschichte, woran sich zeigt, dass auch Götter dem Werden unterliegen können und ihren Ursprung nicht notwendigerweise in sich tragen, was unter polytheistischen Bedingungen die Regel ist. Erst unter der Voraussetzung eines streng ausgebildeten Monotheismus rückt ein Gott in die Stellung des absoluten Ursprungs ein, der allein in sich und in keinem anderen gründet und daher zur einzigen Ursache und zum alles bestimmenden Grund der Wirklichkeit zu erklären ist, ohne den nichts ist, was ist. Die Annahme der Transzendenz des Schöpfers und seiner ebenso ureigenen wie urtümlichen Schöpfungstätigkeit allem Geschaffenen gegenüber ist ein Implikat der monotheistischen Prämisse, die zwar die Möglichkeit einer göttlichen Weltimmanenz nicht ausschließt, sie aber im Falle ihrer Gegebenheit kategorial anders bestimmt sein lässt als unter polytheistischen Voraussetzungen. Die unüberschaubare Fülle religionsgeschichtlicher Schöpfungskonzeptionen auf einen Begriff bringen zu wollen ist ein aussichtsloses Unterfangen. Denn was Schöpfung heißt, kann als Inbegriff und Grund von allem Möglichen fungieren. Doch mag gerade darin der Schlüssel zu finden sein, welcher den einheitlichen Sinn aller Schöpfungskonzeptionen zumindest formal erschließt. Sie sind allesamt im Übergang vom Unbestimmten zum Bestimmten begriffen, um jene Funktion zu erfüllen, die ihnen gemeinsam ist, nämlich, mit Luhmann zu reden, Unbestimmbares von Grund auf in Bestimmbares zu überführen. Je gründlicher dies geschieht, desto umfassender sind die religionsgeschichtlichen Schöpfungskonzepte angelegt. Die Mehrzahl von ihnen beschränkt sich darauf, Begründungen

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elementarer Art für die Bedingungen und Umstände des Lebens, insbesondere des menschlichen Lebens in der Welt zu liefern. Diese Lebensumstände können unter naturhaften, sozialen oder individuellen Gesichtspunkten und in konstruktiver oder kritischer Absicht in den Blick genommen werden. Auch beide Absichten können wirksam werden, etwa wenn Schöpfungskonzepte als Ätiologie idealer, um nicht zu sagen, paradiesischer Zustände und Lebensordnungen hinsichtlich der gegebenen Lage, auf die sie bezogen sind, kritisch und konstruktiv zugleich fungieren. Nicht minder relevant als das Problem eher affirmativer oder eher negativer Anteile einzelner Schöpfungskonzepte ist die Frage, ob die durch sie jeweils gegebene Ätiologie auf zeitinvariant Immerseiendes ausgerichtet ist, das sich in beständigen Wiederholungen vergegenwärtigt, oder ob sie offen bzw. bewusst angelegt ist auf Neues, noch nie Dagewesenes, also auf den Verlauf einer im Einzelnen einmaligen Geschichte. Klärungsbedürftig bleibt ferner, ob Schöpfung als einmaliger Akt oder stetiges Geschehen oder als beides zugleich vorzustellen ist. Bereits vermerkt wurde, dass sich in manchen Traditionen schöpferische Ursprungsaktion und Reaktion des Geschaffenen in einer Weise verbinden, die aus einem Verhältnis bloßer Dependenz komplexe Interdependenzverhältnisse werden lässt. Auch dass die Transzendenz des schöpferischen Grundes allem Kreatürlichen gegenüber seine immanente Wirksamkeit im Geschaffenen und gegebenenfalls unter dessen Mitwirkung nicht notwendig ausschließt, ist schon gesagt worden. Gilt das bisher Festgestellte tendenziell für alle religionsgeschichtlichen Schöpfungskonzeptionen Creatio ex nihilo einschließlich solcher polytheistischer Prägung, so werden ihre Funktion und der Begriff, der sie konzeptionell bestimmt, doch erst unter monotheistischen Bedingungen voll erfüllt, sofern erst unter ihrer Voraussetzung die Transzendenz des schöpferischen Grundes auch dann keine Einschränkung erleidet, wenn er sich mit Wirkkräften verbindet, die dem Erschaffenen immanent sind. Nur unter der Prämisse eines einzigen Gottes kann fernerhin die Funktion der Transformation des schlechterdings Unbestimmbaren in Bestimmbarkeit und Bestimmtes, auf die alle Schöpfungskonzeptionen der Religionsgeschichte tendenziell angelegt sind, in vollumfänglicher Weise, nämlich im Hinblick auf alles Mögliche geleistet werden. Ein Indiz dafür ist, dass der Gedanke einer creatio ex nihilo als der konsequentesten Ausformung des Schöpfungsbegriffs nur im Zusammenhang eines entwickelten Monotheismus lehrhafte Gestalt angenommen hat. Dieser Gedanke koinzidiert mit der Einsicht, dass die Wirklichkeit alles Geschaffenen, auch wo sie sich als eigenständig und selbsttätig wirksam wahrnimmt, in ihrem Ureigensten schlechterdings in demjenigen gründet, der in seiner Einheit und Einzigkeit allein und im wahrsten Sinne des Wortes Schöpfer zu nennen ist. Im Hebräischen reflektiert sich der konstitutive Zusammenhang von entwickeltem Monotheismus und voll ausgebildetem Schöpfungsgedanken im Wörtchen br‘. Es ist erst in exilisch-nachexilischer Zeit, also mit Beginn des monotheisti-

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schen Judentums gebräuchlich geworden und bedeutet in der Priesterschrift und bei Deuterojesaja, wo es am häufigsten begegnet, „schaffen“ im emphatischen Sinn des unvergleichlichen Schöpfungshandelns Gottes. Dieser allein kommt als Subjekt der Schöpfungsaussage in Betracht, weil er, der Gott Israels, der einzige Gott und in seiner Einzigkeit alleiniger Schöpfer Himmels und der Erden ist. Indem das Verbum br’ ausschließlich die göttliche Schöpfertätigkeit bezeichnet, hebt es den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf entschieden hervor und betont die Unvergleichlichkeit ihrer beider Wirklichkeit und Wirken. Das Schaffen Gottes ist analogielos und von einer Ursprünglichkeit, die der Einzigkeit des einen Gottes in seiner jedem Vergleich enthobenen Singularität entspricht. Der unvergleichlichen Singularität göttlichen Schaffens korrespondiert hinwiederum seine Voraussetzungslosigkeit. Nie wird in der biblischen Genesis ein Material erwähnt, aus dem Gott erschafft. Sein schöpferisches Beginnen, das allem einen Anfang setzt, bedarf, um zu wirken, keines Wirkstoffs oder keiner wie auch immer gearteten Prämisse, sondern vollzieht sich voraussetzungs- und anfanglos. Zwar enthält das Wort keine explizite Lehre von einer creatio ex nihilo; aber deren förmlicher Begriff liegt doch in der Konsequenz der genuinen Bedeutung von br’, das Gottes Schaffen als absolut souverän und frei umschreibt. Gottes Schöpfung „am Anfang“, von der Gen 1,1 spricht, ist uranfänglich und endgültig zugleich. Sie bedarf keiner Ergänzung, sondern ist vollendet in sich, wozu die prozessuale und schrittweise Erschaffung der jeweiligen Kreaturen in keinem Gegensatz steht. Das göttliche Schöpferhandeln umfasst alle Räume und alle Zeiten. Deuterojesaja kann deshalb die von Anfang an entschränkte, weil gottbezogene Bedeutung von br’ auch auf das gegenwärtige und zukünftige Handeln Gottes beziehen. Nichtsdestoweniger hat das Verb auch bei ihm die Primärbedeutung, die ihm in der Priesterschrift zukommt, nämlich die eines allerersten und grundlegenden Werkes, wie es gemäß LXX „en arche“, gemäß der Vulgata „in principio“ statthat. Beide Übersetzungen verweisen auf einen absoluten Primat sowohl der Zeit als auch des Ranges. Durch Gottes schöpferische Tätigkeit fängt nicht nur irgendetwas Neues an, sondern ein schlechterdings nie Dagewesenes beginnt, dem nichts vorherging. Anders als in der antiken Kosmologie, wo die Wörter arche bzw. principium protologisch neben Gott häufig mit einem Urstoff alles Gewordenen assoziiert werden, rechnet die jüdisch-christliche Schöpfungslehre nur mit einem Prinzip der Schöpfung, welches Gott als der das All schöpferisch gründende Grund selbst ist. Von ihm kommt alles her und auf ihn ist alles hingeordnet. Obzwar die Septuaginta die begriffliche Eindeutigkeit der hebräischen Rede vom göttlichen Schaffen nicht durchgehalten hat und br’ teils mit ktizein, teils aber auch, wie im Zusammenhang der Genesis, mit poiein wiedergegeben hat, wurde der genuine Sinn von Gen 1,1 durch die Übersetzung und durch den späteren Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts, wie er sich unter hellenistischen Bedingungen ausprägte, im Grundsatz bewahrt. Dies gilt umso mehr, als LXX das Allerweltswort poiein recht häufig theologisch verwendet und als Bezeichnung für Gottes Tun stets mit einem singulären Sinn versieht, der namentlich dort mit beson-

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derer Betonung geltend gemacht wird, wo vom ursprünglichen Schaffen Gottes die Rede ist. Für den Gebrauch von ktizein als Ausdruck göttlichen Schaffens gilt dies ohnehin. LXX bevorzugt das Wort und die ihm verbundene Wortgruppe gegenüber den von weiten Teilen der griechischen Tradition nahegelegten Begriff demiourgein, weil dieser vornehmlich auf einen technisch-handwerklichen Vorgang, jenes auf eine souveräne Willenssetzung abhebt: „demiourgein läßt an das eigentliche handwerkliche Verfertigen denken, ktizein dagegen an den Herrscher, dessen Befehl etwa aus dem Nichts eine Stadt entstehen läßt, weil dem Wort des Herrschers die Macht des Herrschers zu Gebote steht.“ (Foerster, 1025) Auch die um „konsequent ausgangssprachliche Übertragung der hebräischen Heiligen Schriften ins Griechische“ (Tilly, 87) bemühte Übersetzung des jüdischen Proselyten Aquila aus dem 2. Jhd. n. Chr. bevorzugt ktizein als Ausdruck göttlichen Schöpfungshandelns und gibt bereits das Verb br’ in Gen 1,1 entsprechend wieder. Im Übrigen setzt sie an die Stelle des en arche von LXX „betont etymologisierend“ (ebd.) ein en kephalaio, was lediglich als Beleg für die Schwierigkeit vermerkt werden soll, die mit jeder Wiedergabe eines Textes in eine andere Sprache verbunden ist; sachlich bedeutsame Akzentverlagerungen sind kaum vermeidbar. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1). So lautet der erste Satz der Bibel, der zugleich als ihr protologischer Grundsatz zu gelten hat. Er unterscheidet zwischen Schöpfer und dem Geschaffenen, welchem alles zuzurechnen ist, was Gott nicht selbst und was selbst nicht Gott ist. Keiner der Unterschiede, die im Geschaffenen walten – und sei es der Unterschied von Himmel und Erde –, ist mit dem Unterschied zu vergleichen, durch welchen Schöpfer und Geschöpf unterschieden sind. Der unvergleichliche Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf ist im Vollzug der göttlichen Schöpfung selbst begründet. Durch sein Erschaffen bestimmt sich Gott selbst als die alles bestimmende Wirklichkeit und das Geschaffene als das von ihm Gewirkte und Bestimmte. Doch ist das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf mit Grund-Folge-Verhältnissen, wie sie im Geschaffenen begegnen, nicht gleichzusetzen, weil diese auf Unterschiede bezogen sind, die den von Gott mit seiner Schöpfung gesetzten Unterschied von Schöpfer und Geschaffenem schon voraussetzen. Nicht von ungefähr behalten Deuterojesaja und der priesterschriftliche Schöpfungsbericht das Wörtchen br’ dem Schöpferwirken Gottes vor: „Der transzendente Gott hat alles geschaffen, den Kosmos, die Natur und die Menschheit, und er erhält sie auch weiterhin am Leben.“ (Kratz/Spieckermann, 269) Der schöpferische Akt Gottes, durch den er das All setzt und alles, was ihm zugehört, ist allem geschaffenen Sein transzendent und jeder menschlichen Handlung zuvorkommend. Er liegt auch allem Wissen voraus und kommt zu Bewusstsein nicht durch empirische Betrachtung, sondern durch Reflex auf den fundierenden Grund von Selbst und Welt und dessen Selbsterschließung. Schöpfungsaussagen sind auf Gottesoffenbarung gründende Aussagen religiöser Reflexion und als solche auf empirische Beobachtungssätze zwar bezogen, ohne mit ihnen gleichgesetzt werden zu können. In ihnen verbinden sich ureigenes Endlichkeitsbewusst-

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sein und das Bewusstsein der Kontingenz alles Endlichen mit der Gewissheit, dass Selbst und Welt in ihrer gottunterschiedenen Endlichkeit von Gott gewirkt und geschaffen sind. Im Unterschied zu Gott und seiner differenzbestimmenden Schöpfermacht ist alles Geschaffene differenzbestimmt. Jedes Endliche ist durch den Unterschied zu all demjenigen bestimmt, was es nicht unmittelbar selbst ist. Unter zeitlichen Bedingungen geht dieser Unterschied dergestalt in das Endliche ein, dass seine Endlichkeit als anfangend und endend wahrgenommen wird. „Zwei Enden hat die Endlichkeit, den rückwärtigen Beginn und den vorwärtigen Schluß.“ (Timm, 7) Auf den rückwärtigen Beginn, der allem aktuellen Beginnen eines Endlichen immer schon uranfänglich vorausgesetzt ist, und auf die Setzung dieses Uranfangs ist der Grundsatz von Gen 1,1 zu beziehen, jedenfalls dann, wenn man sich an seine archäologische (en arche) bzw. prinzipientheologische (in principio) Rezeptionsgeschichte im Christentum hält. Der Anfang, in dem Gott die Welt erschuf, ist kein Zeitpunkt, sondern der Ursprung allen Beginnens einschließlich desjenigen der Zeit. Ist Gott der Herr der Zeit, dann ist sein schöpferisches Beginnen „zeitlich nicht terminierbar“ (Seckler, 312), weil es Zeit setzt und nicht als bereits gegeben voraussetzt. Die Schöpfung vollzieht sich nicht zu einem Zeitpunkt „in tempore“, sondern „cum tempore“, also dergestalt, dass mit ihr die Zeit aktuiert wird. So lehrte es Augustin und im Anschluss an Aristoteles auch Thomas, nach dessen Urteil der Begriff des ursprünglichen Anfangs als Zeitprädikat „philosophisch sinnlos (ist). Man kann nicht sagen, am Anfang der Zeit sei die Schöpfung erfolgt, als ob der Anfang der Zeit ein Meßpunkt für die Dauer des Universums wäre. Die Dauer einer Sache geht dieser Sache nicht voraus. Die Auffassung, daß das Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt aus seiner Ursache entstanden sein müsse, ist deshalb trügerisch. Daß die Welt ex nihilo entstanden sei, bedeutet deshalb nicht, daß sie post nihilum entstanden ist. Mit anderen Worten: Ob das Universum einen Anfang hat, kann man aus dem Universum heraus nicht ableiten.“ (Seckler, 309 f.) Gott und er allein ist nach schöpfungstheologischem Urteil der Anfang des Universums, in dessen schöpferischer Uranfänglichkeit alles Weltbeginnen begriffen ist. Das Universum ist zeitlich verfasst, sein Ursprung gleichwohl chronologisch nicht fassbar, weil mit der Erschaffung der Welt deren Zeit allererst konstituiert wird. So lehrt es traditionellerweise christliche Schöpfungstheologie, deren Realitätsanspruch mit naturwissenschaftlichen Theoriebildungen in dem Bewusstsein in Verbindung zu bringen ist, durch sie zwar herausgefordert, nicht aber substituiert werden zu können. Mit der Schöpfung ist eine allen weiteren DiffeKreatürliche Differenz renzierungen vorausgesetzte Grunddifferenz gesetzt, nämlich der Unterschied von Schöpfer und Geschöpf. Dieser Unterschied reflektiert sich am Ort des Geschöpflichen in Form der Unterscheidung von Himmel und Erde. Beide sind geschaffen und damit Geschöpfe und nicht Gott. Aber beide sind als unterschiedene Geschöpfe geschaf-

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fen dergestalt, dass der Himmel die Differenz von Schöpfer und Geschöpf geschöpflich unter dem Vorzeichen des Schöpfers, die Erde unter dem Vorzeichen des Geschöpfs widerspiegelt. Weitere Differenzierungen kommen hinzu: So enthält der Begriff des Himmels selbst seit alters eine Zweiheit in sich: „Das Wort unterliegt immer einer doppelten Prägung.“ (Traub, 497) Es bezeichnet zum einen das Firmament über der Erde im Sinne von „sky“ und zum anderen eine Sphäre in der Bedeutung von „heaven“, wo Gott in seiner Schöpfung wohnt umgeben von Engeln als reinen Geistern, die seine himmlischen Heerscharen bilden. Die Vorstellung des über dem Himmelszelt thronenden Gottes und seines englischen Hofstaats gehört ebenso hierher wie diejenige himmlischer Entrückungen oder anderer Weisen der Verhimmelung, die mit der Segnung des Zeitlichen und irdischer Vollendung assoziiert werden. Ähnlich differenziert ist der Begriff der Erde, der, wenn man so will, sowohl zu Überirdischem, als auch zu Unterirdischem in Beziehung steht. Die irdische Sphäre erstreckt sich zum einen nach oben hin bis zum Firmament, wo sie sich mit der überirdischen Himmelswelt berührt, und sie reicht zum anderen nach unten in Tiefen hinab, von denen man sich keinen einsichtigen Begriff machen kann. Im hellenistischen Denken wurde unter dem Einfluss griechischer Tradition die Differenz von Himmel und Erde und die interne Differenziertheit, die beiden innewohnt, in vielfältiger Weise spekulativ ausgestaltet mit einer Tendenz, die nicht selten dualistische Züge mit sich führte. Davon kann unter hebräischen Bedingungen schon deshalb nicht die Rede sein, weil Himmel und Erde unbeschadet ihrer Unterschiedenheit gleichermaßen als vom einen Gott geschaffen zu gelten haben. Die Vorstellung, die sich im Alten Testament mit dem Schöpfungsgedanken in seiner protologischen Ursprünglichkeit, aber auch in eschatologischer Hinsicht verbindet, ist, wenn man so will, diejenige eines Himmels auf Erden, jedenfalls nicht diejenige einer Separierung einer intelligiblen Welt des Göttlichen und einer sinnlichen Welt, die von Anbeginn und bis zuletzt im Zeichen eines Widergöttlichen stünde. Nachgerade was den Himmel betrifft, so bleibt die „unauflösliche Doppelheit“ (Traub, 497), die sich im griechischen Sprachgebrauch und der ihm verbundenen Grundanschauung findet, unter hebräischen Bedingungen durchweg rückgebunden an den Glauben an den einen Gott, welcher den Himmel als eine in sich differenzierte Einheit geschaffen hat, die in ihrer Unterschiedenheit von der Erde mit dieser grundsätzlich eins und nicht getrennt zu sein bestimmt ist. Himmel und Erde, Überirdisches und Irdisches bilden zusammen die eine – vom einen Gott geschaffene – Welt. Weil sie mit der Erde hinsichtlich ihrer Geschöpflichkeit „durchaus auf gleicher Stufe“ (v. Rad, 508) stehen, sind der Himmel und aller Himmel Mächte von sich aus nicht dagegen gefeit, ihren integren Status zu verlieren, wie das Traditionsbeispiel der gefallenen Engel belegt, die das Oberste zu Unterst kehrten und in ihrer Verkehrtheit dem innersten Abgrund des Bösen verfielen. Zwar sind die himmlischen Wesen gemäß der Überlieferung den irdischen gleichsam von Hause aus überlegen; doch diese relative Überlegenheit wandelt sich augenblicklich ins absolute Gegenteil, wo die Engel ihrer reinen

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Geistigkeit zum Trotz sich vom Schöpfer abwenden und selbst sein wollen wie Gott. Sie stürzen dann ins Bodenlose der Hölle, um als Teufel und böse Geister ihr Unwesen zu treiben. Die biblischen Aussagen über Gottes Erschaffung Spätprodukte theolovon Himmel und Erde, wie sie innerhalb der bibligischer Reflexion schen Urgeschichte (vgl. Seebaß, Witte) im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,4a (vgl. Schmidt, Steck), dann bei Deuterojesaja und in einzelnen Psalmen (vgl. im Einzelnen Albertz) und Prophetentexten (vgl. Weippert) begegnen, stellen traditionsgeschichtlich vergleichsweise späte Produkte theologischer Reflexion dar, die frühestens der spätvorexilischen, in ihrer Mehrheit erst der exilisch-nachexilischen Zeit angehören. Zwar handeln sie von einem schlechterdings grundlegenden Geschehen, das von Uranfang an und fortwährend Gültigkeit für alles Folgende hat; aber ihre kosmogonischen Reflexionen setzen die Überlieferungen der Religions- und Theologiegeschichte Israels in weiten Teilen bereits voraus und erfolgen auf ihrer Basis. Der Bund, den Gott um seiner Gerechtigkeit willen mit dem erwählten Volk geschlossen hat, lässt sich von der alttestamentlichen Schöpfungstheologie nicht ablösen, stellt vielmehr die Bedingung ihrer Möglichkeit dar. Auch wenn vom weltbegründenden und welterhaltenden Wirken Jahwes bereits in älteren Hymnen und spruchweisheitlichen Texten sowie in Dank- und Klageliedern des Einzelnen etc. die Rede ist, so setzt die förmlich ausgebildete Schöpfungstheologie des Alten Testaments doch die fortgeschrittene geschichtliche Entwicklung des Toramonotheismus voraus, dessen universale Geltung zu fundieren ihre wichtigste Funktion darstellt. Es überrascht daher nicht, dass in Teilen des hellenistischen und rabbinischen Judentums die Tora zu demjenigen zählt, was bereits vor der Welt in Geltung steht. In der Konsequenz konnte mit der Tora oder der göttlichen Weisheit, deren offenbarer Inbegriff sie ist, die Funktion von Gottes Bauplan bei der Erschaffung von Himmel und Erde verbunden werden. Auch wenn Spekulationen dieser Art der hebräischen Bibel von Hause aus nicht naheliegen, dürfen sie doch keineswegs als bloße Verfremdung oder gar Verfälschung ihres Ursprungszeugnisses gewertet werden. Denn Gottes Schöpfungshandeln, wie es das Alte Testament vielschichtig bezeugt, hat es von Beginn an und dauerhaft mit Ordnung zu tun, mit derjenigen der Natur sowohl, deren anfängliches Chaos Gott in gesetzliche Bahnen lenkt, als auch und vor allem mit derjenigen der Geschichte, deren rechten Gang er durch seine Weisung gründet, leitet und lenkt. Der gerechte Gott Israels, wie ihn das Judentum gemäß dem Zeugnis der hebräischen Bibel bekennt, ist einer und in seiner Einzigkeit der alleinige Schöpfer Himmels und der Erden. Er und niemand sonst hat die Welt erschaffen und alles, was ihr kreatürlich zugehört. Er hat dies in jener Souveränität getan, die seiner Gottheit und dem universalen Anspruch gemäß ist, die sich mit ihr verbindet. „Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh alles, was es da gibt, und erkenne: Gott hat das aus dem Nichts erschaffen und so entstehen auch die Menschen.“ Die Annahme einer göttlichen creatio ex nihilo, wie sie

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expressis verbis erstmals in 2 Makk 7,28 vertreten wird, ist eine folgerichtige Konsequenz dieser Einsicht, die in der christlichen Schöpfungslehre der Alten Kirche übernommen und förmlich ausgearbeitet wurde (vgl. May). Wie die altkirchliche, so schließt bereits die neutestamentliche Schöpfungslehre kontinuierlich an die einschlägigen Überlieferungen des Alten Testaments und des Frühjudentums an, wobei zu bedenken ist, dass die Terminologie der Schöpfungsaussagen im Neuen Testament nicht nur in der Apostelgeschichte und in der Apokalypse „stark durch die griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel beeinflußt“ (Breytenbach, 284) ist. Aus der Selbstverständlichkeit, mit der dies geschieht, erklärt sich, warum im Neuen Testament Gottes Schöpferhandeln vergleichsweise selten eigens thematisiert wird. Am häufigsten begegnet die Rede von der Schöpfung im Neuen Testament in formelhaften Wendungen; wo sie genauer expliziert wird, geschieht dies in mehr oder minder direktem Anschluss an alttestamentlich-frühjüdisches Traditionsgut, wobei den Überlieferungen der Apokalpytik besondere Bedeutung zukommt. Die Eschatologisierung des Schöpfungsgedankens hebt indes dessen protologischen Ursprungssinn keineswegs auf (vgl. Baldermann u. a. [Hg.]). Vielmehr bleibt die Rede von der Neuschöpfung auf ihn bezogen; die Wendung selbst ist ein Beleg dafür. Neben und im Verein mit apokalyptischen üben gelegentlich auch Überlieferungen der griechischen Antike und des Hellenismus prägenden Einfluss aus, wie dies, um nur ein Beispiel zu geben, in der Areopagrede des lukanischen Paulus Apg 17,22 ff. der Fall ist. Ein eigentliches Novum hat man darin nicht zu erblicken, sofern die frühjüdische Tradition bereits in vorjesuanischer Zeit mannigfache Verbindungen mit dem Hellenismus eingegangen war. Wie immer die herkömmlichen schöpfungstheologischen Gedanken und Vorstellungen im Einzelnen beschaffen gewesen sein mögen: für ihre neutestamentliche Aneignung ist entscheidend, dass sie unter einem dezidierten Christusbezug erfolgte. Ostern, noch einmal, ist das Urdatum nicht nur der Christologie, sondern auch der christlichen Schöpfungstheologie. Die ihr eigentümliche Form konnte sie daher nur im Vollzug produktiver Rezeption annehmen, welche das vorgefundene Überlieferungsmaterial aufgriff, um es konstruktiv zu gestalten. Am erkennbarsten wird der Vorgang christlicher Schöpfungsmittlerschaft Gestaltung überlieferter Schöpfungstraditionen in Jesu Christi den neutestamentlichen Aussagen zur Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi, die Gottes Schöpfer- und Erhaltungstätigkeit in konstitutiver Weise mit Wirklichkeit und Wirken dessen in Verbindung bringen, der gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren ist. Der christliche Glaube bezeugt nicht nur die Zukunft des solchermaßen Gekommen, sondern bekennt Jesus Christus zugleich als Ursprung und inneren Grund des Daseins geschöpflicher Wirklichkeit. Beide Aspekte lassen sich nicht durch Sonderung einer weisheitlichen Schöpfungs- und einer apokalyptischen Neuschöpfungschristologie auseinanderdividieren, sondern bilden einen differenzierten Zusammenhang. Die Schöpfung Gottes war gemäß neutestamentlichem Zeugnis ursprünglich und von

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Anfang an auf Jesus Christus und auf das in ihm offenbare Heil angelegt und lässt sich nur von dorther theologisch recht und heilsam erfassen. Diese Einsicht ist in 1. Kor 8,6 klassisch formuliert (vgl. Baumbach) und findet sich entsprechend in der Eikonchristologie des Kolosser- (1,15–17) und des Hebräerbriefes (1,2 f.) sowie in der Logoslehre des Johannesevangeliums; sie begegnet aber mehr oder minder explizit auch an den neutestamentlichen Stellen, wo Jesus Christus als Herr über die Mächte der Finsternis und des Verderbens, als Wundertäter, der Dämonen austreibt, Kranke heilt und der zerstörenden Natur Einhalt bietet, sowie als derjenige vorgestellt wird, der Gottes Ursprungswillen in genuiner und vollkommener Weise realisiert und erfüllt hat. So lässt sich sagen, „dass in der neutestamentlichen Schöpfungstheologie die für die Frühzeit der alttestamentlichen Traditionsgeschichte konstitutive Verbindung von Schöpfungs- und Erlösungsglauben, von Gottes grundlegendem Erschaffen der Welt und seinem bewahrenden und rettenden Handeln in der Geschichte auf ein ganz neue Weise – und quasi im Rückgriff auf die Anfänge – neu begründet wird“ (Eckstein, 61). Trotz und unbeschadet ihrer christologischen Neubegründung wahrt die neutestamentliche Schöpfungstheologie den Zusammenhang mit dem jüdischen Toramonotheismus, der die Protologie und die eschatologischen Ansätze der hebräischen Bibel bestimmt. Jesus Christus ist nach christlichem Glaubenszeugnis nicht das Ende der Tora, sondern deren Vollendung und damit das wahre Geschöpf, das mit seinem Schöpfer dergestalt innig verbunden ist, dass es als sein inkarnierter Sohn zu gelten hat, dessen Sohnschaft sich von der Gottheit des Schöpfergottes nicht trennen lässt, sondern ihr unveräußerlich zugehört. Von diesem Grundsatz hat die christliche Schöpfungslehre ihren Ausgang zu nehmen. Im Lichte Osterns ist der irdische Jesus als zweiter Adam, welcher der – vom ersten verfehlten – Bestimmung zu geschöpflicher Gottebenbildlichkeit entspricht, und als inkarnierter Schöpfungslogos offenbar. Der österlich erscheinende Christus Jesus ist in hypostatischer Einheit wahres Menschengeschöpf und göttlicher Schöpfungsmittler, und in seiner gottmenschlichen Person sind kraft des Hl. Geistes Schöpfer und Geschöpf in ihrem genuinen Beziehungszusammenhang offenbar. Des Weiteren gilt, dass die christologisch vermittelte Schöpfungsanamnese christlicher Protologie die theologia crucis und die eschatologische Zukunft des Gekommenen nicht unbedacht lassen darf. Gereicht doch das Gedächtnis der Schöpfung unter den Bedingungen des Falls der Sünde und der Übel der Welt, die in ihrer Faktizität wahrzunehmen und nicht zu leugnen sind, nur dann zum Heil, wenn die protologische Erinnerung ganz von der österlichen Geistesgegenwart des auferstandenen Gekreuzigten bestimmt ist, welcher der Vergangenheit Herr und aller Zukunft mächtig ist. Der wahre Mensch und inkarnierte Logos, als welcher Jesus an Ostern kraft des göttlichen Geistes erscheint, um das ursprüngliche Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf zu offenbaren, ist der Christus des Heils, weil der Irdische der dem Kreuz Entgegengehende und derjenige ist, der um uns und unserer Sünde willen starb und wegen unserer Versöhnung und Erlösung auferweckt wurde und aufer-

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standen ist. Wäre Jesus nur der vollendete Erfüller der Tora, dann könnte er zwar als urbildliches Exempel, nicht aber als Sakrament des Heils und der Rechtfertigung der Sünder gelten, die ihre geschöpfliche Bestimmung gründlich verfehlt haben und gegenüber der Gerechtigkeit Gottes in einer alles soteriologische Eigenvermögen destruierenden Weise schuldig geworden sind. Christliche Theologie wird dies bereits in schöpfungstheologischer Hinsicht gebührend zu bedenken haben, was ohne entsprechende trinitarische Reflexionen nicht gelingen kann: Die Schöpfung kommt vom Vater, geschieht durch den Sohn und vollzieht sich im Geist (vgl. Kraus, 181 ff.). In Jesus Christus ist der Schöpfer Himmels und Gerechte Schöpferallmacht der Erden als Vater offenbar, ohne deshalb die und Väterlichkeit Gottes Eigenschaft allmächtiger Gerechtigkeit und gerechter Allmacht einzubüßen, die sein göttliches Wesen ausmacht. Väterlichkeit und gerechte Schöpferallmacht Gottes sind gerade dann als Einheit zu denken, wenn die Lehre von der Schöpfung, wie unter christlichen Bedingungen erforderlich, in christologischer Bestimmtheit gedacht wird. Geschehen kann dies nur, wenn die Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi, seiner Präexistenz sowie der Logosinkarnation nicht losgelöst werden von seiner tatsächlichen Geschichte, die ans Kreuz führte und damit eine äußerste Krise des Schöpfungsgedankens manifest werden ließ, die nicht erst hamartiologisch, sondern bereits schöpfungstheologisch zu erwägen ist. Dies hat vorzugsweise unter dem Gesichtspunkt zu geschehen, dass derjenige, den das Neue Testament als den Gerechten Gottes bezeugt, zugleich als der Sünderfreund zu bekennen ist, der Gemeinschaft hält mit denjenigen, die Gottes gutes Schöpfungsgebot auf üble und boshafte Weise verachten und ihm zuwider handeln, was Gott um seiner Gerechtigkeit und der Ordnung seiner Schöpfung willen nicht recht sein kann. Der Gegensatz von Recht und Unrecht ist Gott nicht gleichgültig. Wie sich mit dieser theologischen Wesensaussage das evangelische Zeugnis von der im auferstandenen Gekreuzigten offenbaren bedingungslosen Gnadenliebe Gottes vereinbaren lässt, ist die für das Christentum selbst und sein Verhältnis zum Judentum entscheidende Frage, die sich bereits unter schöpfungstheologischen Gesichtspunkten stellt, sofern, was Schöpfung heisst, offenbar sowohl als grundsätzlich gut und vollkommen als auch als faktisch verfehlt und vergangen zu denken ist. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den die Hl. Schriften Israels als Schöpfer Himmels und der Erden bezeugen, ist der Vater Jesu Christi, des in der Kraft des göttlichen Geistes auferstandenen Gekreuzigten. Diesen Grundsatz, durch den das christliche Verhältnis zur jüdischen Tradition auch in schöpfungstheologischer Hinsicht bündig umschrieben ist, hat die Alte Kirche im christologisch-trinitarischen Dogma lehrmäßig expliziert und gegen gnostische, manichäische, markionitische oder welche Bestreitungen auch immer vehement verteidigt. Durch Integration des Alten Testaments in den christlichen Kanon ist seine Richtigkeit definitiv festgeschrieben worden. Eine dualistische Scheidung zwischen Schöpfer- und Erlösergott hat unbeschadet aller Differenzierungen, die diesbezüglich nötig und

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trinitätstheologisch zu leisten sind, unter christlichen Bedingungen als ebenso unstatthaft zu gelten wie eine doketische Anthropologie und Christologie. Dass der Mensch als leibseelische Einheit erschaffen wurde, ist grundsätzlich gut und wird durch die leibhafte Auferstehung Jesu Christi ratifiziert, der keineswegs nur zum Schein Fleisch angenommen, sondern unter irdischen Bedingungen gelebt und den Tod am Kreuz wirklich erlitten hat, um Versöhnung zwischen dem gerechten Schöpfergott und dem sündigen Menschen sowie Erlösung zu bereiten von allen Übeln, damit soteriologisch erfüllt werde, was durch die göttliche Wohltat der Schöpfung verheißen war. Um gegen Ende der auf Begriffsklärungen und eleChristlicher Platonismus mentare Konzeptionsprobleme konzentrierten Einund Aristotelismus leitung noch einen kurzen Ausblick auf die folgenden Fallstudien zum Lehrstück „De creatione“ zu geben: Für die altkirchliche Lehrentwicklung ist die neutestamentliche Einsicht einer Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi entscheidend, wenngleich sie erst allmählich präzise dogmatische Gestalt annahm. Hintergründig ist sie auch dort wirksam, wo sie nicht auf den ersten Blick erkennbar wird, etwa in der Auseinandersetzung mit der antiken Kosmologie, welche die Theologie des frühen Christentums seit seinem Eintritt in die Welt des Hellenismus beschäftigen sollte. Die Apologeten geben dafür ein signifikantes Beispiel. Ihre kosmologischen Theoriebildungen stehen mit der Logoschristologie, die sie mit nachhaltiger Wirkung vertraten, in einem engen Zusammenhang, zu dessen systematischer Ausgestaltung insbesondere der zeitgenössische Platonismus Hilfestellungen leistete. Während die in Kreisen der Peripatetiker vertretene These einer Ewigkeit der Welt und die epikureische Annahme der Zufälligkeit des Weltenlaufs apologetische Kritik provozieren musste, bot die Weltentstehungstheorie, wie sie in Platons „Timaios“ vertreten und im sog. mittleren Platonismus interpretatorisch ausgestaltet wurde, diverse Möglichkeiten konstruktiver Bezugnahme, selbst wenn der Status der Materie und der Ideen im Vollzug der vom Demiurgen ins Werk gesetzten Kosmogenese problematisch blieb. Die Ausbildung der Lehre von der creatio ex nihilo und die christologisch-pneumatologische Adaption der Ideenlehre erbrachten die für die christliche Klärung des Problem nötigen Korrekturen und ermöglichten jenes Bündnis von Christentum und Platonismus, das die Theologie der Alten Kirche nachhaltig prägte. Der Einfluss des Platonismus auf die christliche Theologie endet nicht mit der Zeit der Alten Kirche, sondern setzt sich im Mittelalter und darüber hinaus vielfältig fort. Erst nachdem im Zuge der arabischen Aristotelesrezeption das Werk des Stagiriten in seiner ganzen Breite im Abendland bekannt geworden war, nahm dieser die bisherige Stellung Platons ein und wurde zum philosophischen Hauptgewährsmann der mittelalterlichen Scholastik, deren Physik und Metaphysik er wesentlich bestimmte. Einen hervorragenden Beleg hierfür gibt das Werk des Thomas von Aquin. Es trug entscheidend dazu bei, die theologische Vorherrschaft des neuplatonischen Augustinismus zu brechen. Dieser Vorgang erfolgte gegen bleibende Widerstände, die ihn zu verhindern suchten. Nicht nur mit seiner

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These, die Welt sei zwar nicht ewig, aber anfangslos, setzte sich Thomas dem kirchlichen Verdacht der Häresie aus (vgl. Wissink [Hg.]; ferner: Behler, Dulles). Langfristig verhindert werden konnte der theologische Siegeszug des Aristotelismus dadurch nicht. Seine Erfolge dauerten bis in die frühe Neuzeit an und erwiesen sich auch im reformatorischen Bereich als wirksam. Zwar begegnete Luther Aristoteles mit kritischer Distanz; dies hinderte jedoch nicht, dass der Normalphilosoph des hohen Mittelalters auch für die Dogmatik der altprotestantischen Orthodoxie zum philosophischen Leitstern wurde. Erst mit dem Aufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaft und mit der Kopernikanischen Wende, die Kants Erkenntniskritik vollzog, büßte der Aristotelismus seine beherrschende Stellung ein, was in Teilen der Theologie zu einer förmlichen Verabschiedung der Kosmologie führen konnte. Die Revolution der Denkungsart, die Kants Kritizismus bewirkte, lässt sich an der Lehre vom Raum, wie die transzendentale Ästhetik der reinen Vernunft sie entwickelt, beispielhaft erläutern. Galt der Raum der traditionellen Kosmologie als eine subjektunabhängige Sphäre, die theologisch als Medium göttlicher Weltallgegenwart verstanden werden konnte, so änderte sich dies unter Kantischen Bedingungen fundamental. Statt ein objektives Absolutum außerhalb erkennender Subjektivität oder eine Eigenschaft von Dingen an sich bzw. ihres Verhältnisses zueinander zu sein, hat der Raum nach Kant als eine apriorische Anschauungsform zu gelten, welche als Bedingung der Möglichkeit aller Gegenstandswahrnehmung fungiert, ohne selbst der erfahrbaren Außenwelt anzugehören. Als bloße Form aller Erscheinungen äußerer Sinne geht der Raum der Anschauung der Wirklichkeit sinnlicher Gegenstände vorher; subjektunabhängiger Objektivität entbehrt er. Er gehört der erkennenden Subjektivität an und stellt in Gestalt des äußeren Sinnes die subjektive Bedingung der Sinnlichkeit dar, unter der allein Anschauung möglich ist. Entsprechendes gilt von der Zeit. Auch sie ist gleich dem Raume, zu dem sie sich wie der innere zum äußeren Sinn verhält, eine reine, vorempirische Anschauungsform, die als Prinzip der Sinnlichkeit apriori die Möglichkeit aller Erfahrung bedingt, ohne selbst erfahrbar zu sein. Raum und Zeit sind nach Kant keine objektiNeuzeitliche Subjektven, vom Subjekt zu rezipierenden Gegebenheiten, orientierung sondern an sich selbst durch Subjektivität konstituiert. Der Schöpfungslehre schienen mit der Objektivität eines absoluten Raumes und einer absoluten Zeit wichtige kosmologische Parameter ihrer Theoriebildung entzogen zu sein, was dazu führen konnte, dass sie sich, wenn man so will, aus dem kosmischen Außenraum ganz in die Innenräume des Subjekts zurückzog, um allein dort die schöpferische Präsenz Gottes in Erfahrung zu bringen, von dessen objektiver Weltgegenwart unter Kantischen Bedingungen offenbar nicht länger die Rede sein konnte. Ob bzw. inwiefern Schleiermacher als exemplarischer Kandidat für diese Entwicklungstendenz gelten kann, wird zu prüfen sein. Tatsache ist, dass seine Theologie einschließlich seiner Lehre von der Schöpfung ganz auf die innere Begründung von Subjektivität konzentriert ist, um erst von dort her

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und im Zusammenhang damit Aussagen über die kreatürliche Außenwelt zu machen. Naturwissenschaftliche Bezüge fehlen fast völlig, was sich bei Schleiermachers Antipoden Karl Barth nicht anders darstellt. Beider Schöpfungstheologien thematisieren die Welt recht eigentlich nicht als physischen Kosmos, sondern allein unter dem Gesichtspunkt der leibhaften Umwelt des Menschen, in der sich seine Geschichte vollzieht, für welche die Natur lediglich den äußeren Rahmen abgibt. Über Recht und eventuelle Grenzen dieses Ansatzes wird ebenso zu befinden sein, wie über Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer schöpfungstheologischen Kosmologie unter neuzeitlichen Bedingungen und unter Bezug auf die modernen Naturwissenschaften. Von Hegel stammt das kühne Diktum, seine Wissenschaft der Logik diene einer Entwicklung der Gedanken Gottes, wie er sie in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und endlicher Geister gedacht habe. Einer weniger verfänglichen Hegelformulierung gemäß ist der Logik die Aufgabe gestellt, den Gesamtzusammenhang reiner Denkbestimmungen von sich aufhebenden und zum absoluten Wissen erhebenden Negationsverhältnisse zu erschließen gemäß dem spinozistischen Grundsatz: Omnis determinatio est negatio. Begriffliche Bestimmtheit kommt nicht anders als durch Negation zustande. Bestimmen heißt negieren. Jede Bestimmtheit ist auf ihre Negation bezogen und zwar so, dass dieser Bezug als ein Bestimmungsmoment ihrer selbst zu gelten hat. Was hieraus folgt und welche realphilosophischen Konsequenzen Hegels Logik zeitigt, wird in einem eigenen Abschnitt genetisch rekonstruiert in der Absicht, im Anschluss an Kant eine unter Kantischen Bedingungen immerhin denkbare Alternative zur Transzendentalphilosophie und zu der von Schleiermacher eingenommenen Position zu skizzieren. Ob es sich hierbei um eine realisierbare Möglichkeit handelt, wird zu erwägen sein. Einstweilen sei die Erwähnung des auf Gesamtintegration des Wissens seiner Zeit angelegten Hegel’schen Systems nur mit dem abschließenden Hinweis verbunden, dass sich eine Isolation von Philosophie und Theologie gegenüber den Naturwissenschaften, ja gegenüber jeder empirisch orientierten Weltwahrnehmung mit Aussicht auf Erfolg nur dann vermeiden lässt, wenn naturwissenschaftliche Empirie und Naturphilosophie bzw. Schöpfungstheologie ohne Leugnung ihrer fundamentalen Unterschiede ihr Verhältnis zueinander nicht durch intransigente Gegensätze bestimmen. Es besteht Anlass zur Vermutung, dass eine wechselseitige Aufgeschlossenheit zum Nutzen beider Teile ausfallen kann. Naturphilosophie wie theologische Kosmologie und Schöpfungslehre benötigen Tatsachenwissen, um nicht in haltlose Spekulationen zu verfallen. Die modernen Naturwissenschaften wiederum bedürfen einer durchgängigen Reflexion ihrer experimentellen Methoden, Hypothesen und Theoriebildungen, was ohne philosophisch-wissenschaftstheoretische Begriffsarbeit nicht möglich ist. Hier liegen Chancen für einen interdisziplinären Dialog zwischen Naturwissenschaften, Philosophie und Theologie begründet, die es wahrzunehmen gilt.

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1. Biblische Schöpfungszeugnisse Lit.: M. Bauks, Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentstehung in Gen 1 und in der altorientalischen Literatur, Neukirchen-Vluyn 1997. – K.-H. Bernhardt, Delitzsch, Friedrich (1850–1922), in: TRE 8, 433 f. – C. Breytenbach, Art. Schöpfer/Schöpfung III. Neues Testament, in: TRE 30, 283–292. – N. Brox, Terminologisches zur frühchristlichen Rede von Gott, München 1996. – Chr. Dohmen, Schöpfung und Tod. Die Entfaltung theologischer und anthropologischer Konzeptionen in Gen 2/3, Stuttgart 21996. – H.-J. Eckstein, So haben wir doch nur einen Herrn. Die Anfänge trinitarischer Rede von Gott im Neuen Testament, in: ders., Kyrios Jesus. Perspektiven einer christologischen Theologie, Neukirchen 2010, 3–33. – H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt, Göttingen 61964. – F. Hartenstein, JHWHs Wesen im Wandel. Vorüberlegungen zu einer Theologie des Alten Testaments, in: ThLZ 137 (2012), Sp. 4–20. – B. Janowski, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in: JBTh 5 (1990), 37–69. – B. Janowski/B. Ego, Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte, Tübingen 2001. – O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Bd. III: Weisheitstexte, Mythen und Epen (Mythen und Epen II), Gütersloh 1994. – O. Keel/S. Schroer, Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Göttingen 2002. – R. G. Kratz/H. Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung II. Altes Testament, in: TRE 30, 258–283. – W. G. Lambert, Babylonien und Israel, in: TRE 5, 67–79. – K. Löning/E. Zenger, Als Anfang schuf Gott. Biblische Schöpfungstheologien, Düsseldorf 1997. – E. Otto, Erneuerungen aus dem Nullpunkt. Situationen extremer Machtlosigkeit als Ursprung religiöser Erneuerungsbewegungen in der Literatur des antiken Judentums, in: B. Oberdorfer/R. Waldmann (Hg.), Machtfaktor Religion. Formen religiöser Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft, Köln/Weimar/Wien 2012, 15–25. – G. Pettinato, Das altorientalische Menschenbild und die sumerischen und akkadischen Schöpfungsmythen, Heidelberg 1971. – G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments. Bd. 1: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München 1966. – Ders., Art. eikon. D. Die Gottesebenbildlichkeit im AT, in: ThWNT II, 387–390. – W. H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, Neukirchen 1964. – W. v. Soden, Babylonisch-assyrische Religion, in: TRE 5, 79–89. – O. H. Steck, Die Paradieserzählung. Eine Auslegung von Gen 2,4–3,24, in: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien, München 1982, 9–116. – H. Stinglhammer, Einführung in die Schöpfungstheologie, Darmstadt 2011. – E. Zenger, Art. Priesterschrift, in: TRE 27, 435–446.

Der Assyrologe und Keilschriftforscher Friedrich Delitzsch (1850–1922), Sohn des erweckten Alt- Babel und Bibel testamentlers und philosemitischen Judenmissionars Franz Julius Delitzsch (1813–1890), hielt am 13. Januar 1902 in der Berliner Singakademie einen öffentlichen Vortrag, dessen Titel „Babel und Bibel“ dem anschließenden Streit seinen Namen gab. Streitgegenstand war der Umfang des Einflusses der babylonischen Literatur auf die Texte des Alten Testaments. Die sog. Panbabylonisten wie etwa der (u. a. für Thomas Mann bedeutsame) Delitz-

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schschüler Alfred Jeremias gingen soweit, mehr oder minder alle Inhalte des Alten Testaments, die sie für kulturgeschichtlich belangvoll hielten, auf Quellen aus dem Zweistromland zurückzuführen. Der Eigenwert der hebräischen Bibel wurde gering veranschlagt. Delitzsch selbst plädierte ausdrücklich dafür, sie wegen ihres angeblich sekundären und theologisch-sittlich zweitrangigen Charakters aus dem Kanon der christlich verbindlichen Schriften auszuscheiden. In wachsendem Antisemitismus verstieg er sich zu „hemmungslose(r) Polemik gegen das Judentum ‚auf deutschem Boden‘ . . . und wurde so zu einem der geistigen Wegbereiter der Deutschgläubigen Bewegungen und der Politik gegenüber dem Judentum im nationalsozialistischen ‚Dritten Reich‘“ (Bernhardt, 433 f.). Der Babel-Bibel-Streit gehört der Vergangenheit an. „Delitzschs babylonische Interpretation des Alten Testaments ist forschungsgeschichtlich längst als Irrweg erkannt worden und kann als erledigt betrachtet werden, wenngleich prinzipiell die Methode, aus Ähnlichkeiten Abhängigkeiten zu konstruieren, immer noch gelegentlich Anwendung findet.“ (Bernhardt, 434) Ähnlichkeiten zwischen alttestamentlichen und babylonischen Traditionsbeständen finden sich vor allem in den Anfangskapiteln der Genesis, in den beiden Schöpfungsberichten, insbesondere in der Erzählung vom Garten Eden, sowie in den, wenn man so sagen darf, vorsintflutlichen Generationenregistern und der Flutgeschichte selbst. Auch in den Patriarchenüberlieferungen ist wahrscheinlich „eine mesopotamische Komponente“ (Lambert, 70) enthalten. Denkbar ist eine Reihe weiterer Bezüge; doch reichen sie keineswegs so weit wie von den Panbabylonisten vermutet. Als falsifiziert darf insbesondere die Delitzsch’sche These gelten, der alttestamentliche Monotheismus sei lediglich ein matter Abglanz babylonischer Aufklärung, in deren Verlauf die Göttervielzahl schrittweise auf die in Marduk gegebene Einheit reduziert worden sei. Für einen allgemeinen Strukturvergleich zwischen Hierarchisierungstendenzen des Pantheons, wie sie sich innerhalb und außerhalb der babylonischen Religion finden, und monolatrischen Entwicklungen im vorexilischen Israel bieten sich vielfältige Ansatzpunkte. Doch stellt der erst im exilisch-nachexilischer Zeit voll ausgebildete Toramonotheismus des Judentums, wie im 4. Band dieser Reihe gezeigt, eine religionsgeschichtliche Erscheinung sui generis und keineswegs eine bloße Folge von Fremdeinflüssen dar. Dies wird spätestens dann klar, wenn man sich verdeutlicht, dass die ursprüngliche Einsicht des Judentums gewissermaßen aus einem religiösen Nullpunkt heraus erfolgte. „Wie kaum sonst im Alten Orient dokumentieren die Texte der Hebräischen Bibel einen Reflexionsprozess, der die Einsicht erzeugte, dass Situationen extremer Machtlosigkeit Umschlagspunkte für religiöse Erneuerung werden können.“ (Otto, 16) Der Erweis göttlicher Allmacht war für Israel nicht länger an die Demonstration innerweltlichen Erfolgs gebunden. Dadurch konstituierte sich das Judentum als eine von den Konstellationen weltlicher Macht unterschiedene Religion. Im Übrigen muss man sich vor Augen halten, dass die babylonische Religion in ihren diversen Gottesvorstellungen, rituellen und kultischen Praktiken, Mythen, Königsideologien und weisheitsliterarischen Erzeugnissen etc. kein einheitliches, sondern im Gegenteil ein „in sich

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besonders widerspruchsvolle(s)“ (v. Soden, 89) Gebilde repräsentiert. Ein Überblick über die Geschichte Mesopotamiens lässt rasch erkennen, „dass seine Kultur keine homogene Größe war, sondern ein sich komplex entwickelnder Organismus“ (Lambert, 69), der bereits lange vor Eintritt Israels in die Geschichte unterschiedliche ethnische und sonstige Komponenten in sich verband. „Es wäre sinnlos, Babylonisches und Israelitisches ohne Kenntnis dieses Sachverhalts vergleichen zu wollen.“ (Lambert, 70) Eine komparatistische Lektüre der Schöpfungstexte der biblischen Genesis und des nach seinen Anfangsworten Enuma elis (akkad. als oben der Himmel noch nicht existierte und unten die Erde noch nicht entstanden war [Tafel 1,1 f.]) genannten babylonischen Lehrgedichts, in dem der vom Stadtgott Babylons zum Reichsgott und Götterherrn aufgestiegene Marduk aus dem niedergekämpften und getöteten Chaosdrachen Tiamat die Welt erschafft und einer beständigen Ordnung zuführt, ist aufschlussreich und erhellend (vgl. Kaiser [Hg.], 565–602). Auch religionsgeschichtliche Vergleiche alttestamentlicher mit anderen altvorderorientalischen oder ägyptischen Schöpfungszeugnissen können verständnisförderlich sein (vgl. etwa Bauks, Janowski/Ego, Keel/Schroer, Pettinato), weil sie auf Vorstellungsähnlichkeiten auch dort aufmerksam machen, wo keine literarischen Abhängigkeiten nachweisbar sind. Doch darf dadurch nicht der Blick für die Eigenart der jeweiligen Traditionen verstellt werden, deren Skopus im Falle der israelitisch-jüdischen Überlieferungen in der Ausbildung des Toramonotheismus gegeben ist, der als charakteristisches Kennzeichen nicht zuletzt der Schöpfungsaussagen der hebräischen Bibel zu gelten hat (vgl. Kratz/Spieckermann). Auch wenn sie Uranfängliches zum Gegenstand Jüdische und christliche haben, sind die alttestamentlichen Schöpfungstexte Schöpfungstradition traditionsgeschichtlich in der Regel vergleichsweise späte Produkte und handeln von gründender Urzeit weniger im mythischen als im soteriologischen Sinn einer auf Gottes Heilstaten ausgerichteten Vorgeschichte, die in der Gabe der Tora ihre verheißene Erfüllung findet. „Es ist schon lange aufgefallen, dass sich umfangreichere Aussagen von Jahwes Weltschöpfung erst in jüngeren Texten finden. Sieht man vom Jahwisten ab, weil er doch von keiner Weltschöpfung handelt, so bleiben aufs Ganze gesehen Deuterojesaja, die Priesterschrift und einige Psalmen, die zwar schwer zu datieren, denen aber ein besonders hohes Alter zuzuschreiben kein Grund vorliegt.“ (v. Rad, Theologie, 149) Mag Israel seinen Gott Jahwe schon vor dem Exil in seiner schöpferischen Macht verehrt haben; sein eigentümliches Profil gewinnt der für die hebräische Bibel charakteristische Schöpfungsglaube erst in exilisch-nachexilischer Zeit im Zusammenhang des für das Judentum grundlegenden Toramonotheismus. Der jüdische Gott ist einer und seinem erwählten Volk als derjenige offenbar, der seine göttliche Allmacht ganz in den Dienst seiner Gerechtigkeit stellt. Als solcher ist er als der Schöpfer des Himmels und der Erde und als der Herr zu bekennen, der die Welt erschaffen hat und das Universum erhält, um das Reich seiner Herrlichkeit und Gerechtigkeit machtvoll herbeizuführen. In diesem Grundbekenntnis sind die ver-

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schiedenen Schöpfungsaussagen der hebräischen Bibel vereint und von denen ihrer religionsgeschichtlichen Umwelt signifikant unterschieden. Die „explizite Schöpfungstheologie, wie sie beinahe zeitgleich in Dtjes und der Priesterschrift prominent hervortritt (nicht ohne einen ‚Jahwisten‘ als Vorläufer), fügt dem auf Israel gerichteten Beziehungswillen JHWHs eine umfassende Reichweite hinzu“ (Hartenstein, 16 f.; bei H. teilweise kursiv). Ihren zentralen Sitz im Leben hat die alttestamentliche Prädikation Jahwes als des Schöpfers des Himmels und der Erde (Gen 14,19.22) „in heilsgeschichtlichen Reflexionen Israels“ (Stinglhammer, 42), die ihrerseits auf die Gabe der Tora konzentriert sind. Als ihre „Vor-Gabe“ (Stinglhammer, 21) hat die Schöpfung zu gelten, die, um es in Anklang an Karl Barth zu sagen, den äußeren Rahmen dessen bildet, was in der offenbaren Gerechtigkeit des allmächtigen Gottes und seiner Königsherrschaft über Menschheit und Welt seinen inneren Grund findet. Was sich im frühen Schöpfungslob Israels andeutet, wie es sich etwa im 19. und 24. Psalm oder in dem Lied Ps 104 ausspricht, „das dem ägyptischen Sonnenhymnus des Amenophis nachempfunden ist“ (Stinglhammer, 23), wird in den exilischen und nachexilischen Schöpfungstheologien der Priesterschrift, des Deutero- und Tritojesaja, aber auch der späten Weisheitsliteratur manifest: Es ist der eine Gott Israels, der seine Gerechtigkeit in der Tora erschlossen hat, welcher die Welt allmächtig begründet und im Innersten dergestalt zusammenhält, dass kreatürliche Ordnung und ein menschengemäßes Leben in ihr möglich sind. Die Eschatologisierung des jüdischen Schöpfungsglaubens im Zuge der apokalyptischen Tradition hebt diesen Grundsatz nicht auf, sondern bestätigt ihn in widriger Zeit und unter Bedingungen, welche in Bezug auf die faktische Welt- und Menschheitsgeschichte nichts Gutes mehr erwarten ließen. Das Neue Testament kennt keine förmlich explizierte Darstellung der Schöpfungslehre. Dies liegt wesentlich in der vorbehaltlosen Selbstverständlichkeit begründet, mit dem es das alttestamentliche Schöpfungszeugnis rezipiert. Die israelitisch-jüdische Schöpfungstradition bildet die unstrittige Basis neutestamentlicher Überlieferung, deren implizite Voraussetzung sie darstellt. Bezugnahmen erfolgen häufig und stets in affirmativer Weise. Dass der Gott Israels der eine und allmächtige Schöpfer des Universums und all dessen ist, was es umfängt, wird nirgends in Frage gestellt, sondern durchweg bestätigt. Bestätigt wird auch, dass Gott seine Schöpfung durch weise Gesetze und insbesondere mittels jener Gebote geordnet hat, die in der Tora als dem manifesten Gotteswillen für sein Volk offenbar sind. Ihre Geltung beschränkt sich nicht auf einen partiellen Bereich, sondern erstreckt sich, soweit der Himmel reicht. Der gerechte Gott ist der allmächtige Schöpfer, ohne dessen Wirken keine Wirklichkeit Bestand hat, und seine Gerechtigkeit ist so universal wie seine schöpferische Allmacht. Religiöse Probleme mit dem sog. Tun-Ergehens-Zusammenhang, die an der gerechten Allmacht Gottes zweifeln ließen, haben im Frühjudentum eine Eschatologisierungstendenz bewirkt und dazu beigetragen, das überkommene Schöpfungszeugnis endzeitlich auszurichten. Nachgerade diese Orientierung, wie sie die

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frühjüdische Apokalyptik charakterisierte, ist auch für die urchristliche Schöpfungsüberlieferung kennzeichnend geworden. Wozu alle Geschöpfe ihrem kreatürlichen Wesen gemäß von Gott her bestimmt sind, ist in der empirisch erfahrbaren Wirklichkeit von Menschheit und Welt nicht real manifest, sondern im Gegenteil durch Übel und Sünde vielfältig verstellt. Diesen Missstand wird Gott der allmächtige Schöpfer nach Maßgabe seiner Gerechtigkeit beheben, wenn er endzeitliches Gericht halten, Gerechte von Ungerechten scheiden und auf diese Weise die Bestimmung seiner Schöpfung realisieren wird. Gottes Schöpfung geht dem gerechten Ziel entgegen, auf welches sie von Anbeginn angelegt ist. Diesen Grundsatz frühjüdischer Apokalyptik teilt christliche Schöpfungslehre ohne Vorbehalt. Sie verbindet ihn aber mit dem Zeugnis von Jesus Christus und dem Evangelium der in seinem Namen begründeten Gerechtigkeit, die eschatologische Versöhnung mit Gott nicht nur für Gesetzestreue, sondern auch für gottlose Sünder erschließt, welche glauben. Durch diese Verbindung, die nicht von äußerer Art, sondern auf das Innerste der Überlieferung ausgerichtet ist, gewinnt die christliche Schöpfungstradition ihr eigentümliches Format, wofür im Neuen Testament insbesondere die Lehre der sog. Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi steht, von der aus ein folgerichtiger Weg zum christologisch-trinitarischen Dogma und zum Zentralgedanken christlicher Schöpfungslehre führt, wonach Gott, der Vater Jesu Christi, in seiner Einheit mit dem Sohn kraft des Hl. Geistes alle Kreaturen erschaffen hat und erhält. Gott ist einer, und kein Gott ist neben und außer ihm. So bekannten es Christen im Verein mit gläubigen Juden und allen antiken Monotheisten. Daher überrascht es nicht, dass die Widerstände gegen das Bestreben einer christologischen Verwendung des Gottesbegriffs anfangs auch innerhalb des Christentums groß waren. Norbert Brox hat dies in einer terminologiegeschichtlichen Untersuchung frühchristlicher Rede von Gott detailliert belegt. Trotz der Elastizität und Variabilität der antiken Begriffe theos bzw. theios erschien die Prädikation Jesu Christi als Gott vielen frühen Christen als bedenklich. „Unproblematisch darf man sich diesen Gebrauch auch am Anfang seiner Geschichte nicht vorstellen.“ (Brox, 46) Vergleichbares gilt für die Annahme einer Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi und in Bezug auf die ihr impliziten präexistenzchristologischen Voraussetzungen, die später von den Apologeten systematisch ausgearbeitet wurden. Die apologetische Logoschristologie wollte den jüdischen Monotheismus niemals bestreiten, sondern durchweg affirmieren. Gott ist einer und in seiner unvergleichlichen Einzigkeit der alleinige und souveräne Schöpfer Himmels und der Erde. Dennoch wäre nach Urteil der neutestamentlichen Schöpfungsmittlerschaftschristologen, der Apologeten und der späteren Trinitätstheologen die göttliche Schöpfung ohne Christus nicht nur nicht zu erkennen, sondern nicht wirklich das, was sie ist. Die Annahme einer Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi ist für das Neue Testament spezifisch Mittler der Schöpfung und kennzeichnend für die Eigenart seines Schöpfungszeugnisses. Formal vorbereitet wurde sie durch eine etwa im 4. Jhd. v. Chr.

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einsetzende Überlieferungstendenz, in deren Verlauf der Modus des Schöpfungshandelns Gottes medial näher bestimmt und personifiziert bzw. mit personhaften Zügen ausgestattet wurde. In diesem Sinne konnte etwa das Wort, durch das Gott nach biblischem Zeugnis die Welt erschuf, hypostasiert und zu einer Mittlergröße von relativer Eigenbedeutung erklärt werden. Vergleichbares lässt sich in Hinblick auf die schöpferische Weisheit Gottes oder seinen Geist beobachten, die mehr oder minder eigene Gestalt annehmen, um den Schöpfer zu seinem Schöpfungshandeln zu inspirieren sowie die schöpferische Inspiration fortwirken zu lassen in den Geschöpfen, um diese zur Realisation dessen zu führen, wozu sie kreatürlich bestimmt sind. Ein erstes Ergebnis dieses Entwicklungstrends lässt sich exemplarisch anhand der redaktionellen Rahmung des Buches der Sprüche studieren, in der die personifizierte Weisheit im Kontext eines schöpfungstheologischen Gesamtkonzepts auftritt, wobei Spr 1–9 und Spr 31,10–31 interpretatorisch aufeinander zu beziehen sind (vgl. Löning/Zenger, 79). Als paradigmatische Konkretion schöpfungsgemäßen Lebens, zu dem die Kap. 1–9 aufrufen, kann die weise Frau von Kap. 31 zum Sinnbild der göttlichen Weisheit werden, mit deren hilfreichen Beistand Gott die Welt begründet hat. Im Buch Sirach wird die weisheitliche Schöpfungstheologie dadurch bedeutsam fortgeschrieben, dass nun die Tora als Bauplan der Schöpfung fungiert. Dadurch ist nicht nur der Skopus alttestamentlicher Schöpfungslehre, sondern die innere Mitte jüdischer Theologie insgesamt benannt, auf deren Erkenntnis sich die israelitische Religionsgeschichte hinbewegte. Wort und Weisheit der Schöpfung erfüllen sich in der Tora, gemäß deren Ordnung Gott die Welt erschaffen hat, um sie seinem schöpferischen Geist gemäß zu gestalten. Auf diese Grundkonzeption frühjüdischer Schöpfungstheologie, die in der Tradition in vielfältigen Varianten auftritt, ist das neutestamentliche Zeugnis von der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi in Konstruktion und Kritik bezogen. Auch griechischhellenistische Einflüsse werden wie zuvor schon im jüdischen Überlieferungszusammenhang erkennbar, wobei ihre Wirkung in der Regel nur von mittelbarer und sekundärer Bedeutung ist. Zu denken ist vor allem an popularphilosophische Aspekte stoischer Kosmologie, wie sie sich etwa in der terminologischen Parallelisierung von Schöpfung und All oder in der schöpfungsmittlerischen Stellung zu erkennen geben, die dem Logos als göttlichem Vernunftprinzip zugedacht wird. Im Prolog des Johannesevangeliums ist im Rahmen der Logoschristologie in hochdifferenzierter Weise zum Ausdruck gebracht, was es mit der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi auf sich hat. Der in Jesus Christus inkarnierte Logos, der Fleisch angenommen hat und auf die Welt gekommen ist, um durch Kreuz und Auferstehung Erlösung von allem Übel und Versöhnung des Sünders mit Gott zu bereiten, war von Anfang an bei Gott, um bereits beim schöpferischen Urbeginn alles Kreatürlichen sein unvergleichliches, gottgleiches Werk zu erfüllen: „Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn wurde nichts, was geworden ist.“ (Joh 1,3) Der Bezug auf Gen 1 ist offenkundig und konzeptionell gewollt. Die Stellung, die dem Gotteswort in der Schöpfung zukommt, wird auf Jesus Christus übertragen,

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der als inkarnierter Logos der Sohn des Vaters in und vor aller Zeit ist, um mittlerisch die Schöpfung zu wirken und zu durchwirken. Vergleichbares ist in 1. Kor 8,6 gesagt, wo das Zeugnis vom einen Gott, von dem alles stammt und auf den hin wir leben, ergänzt wird durch das Bekenntnis zum einen Herrn Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn. „Der kyrios ist an Gottes Schöpfungs- und an seinem Endzeithandeln beteiligt“ (Breytenbach, 287) und zwar auf konstitutive Weise. Weitere neutestamentliche Zeugnisse für die Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi finden sich in Hebr 1,2 f., wonach Gott den Sohn, durch den er die Welt erschaffen, zum Erben des Alls eingesetzt hat, oder im sog. Kolosserhymnus, in dem Jesus Christus als Ebenbild des unsichtbaren Gottes und Erstgeborener der ganzen Schöpfung verherrlicht wird: „Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.“ (Kol 1,16 f.) In ihm, durch ihn und auf ihn hin hat Gott alles geschaffen: Wenngleich die neutestamentlichen Schöpfergeist Aussagen zur Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi Assoziationen an hellenistische Kosmologiekonzepte nahelegen, so sind sie doch primär auf das alttestamentliche Schöpfungszeugnis bezogen, das sie von der österlichen Erscheinung des auferstandenen Gekreuzigten herkommend aufgreifen und umprägen, wie es dem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias/Christus entspricht. Mit dem Judentum der Zeit bekennt das neutestamentliche Zeugnis den Gott Israels als allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, der seine Welt und alle Kreatur gemäß dem Gesetz seiner Gerechtigkeit regiert, um seine Herrschaft endzeitlich zu vollenden. Die Linie, an der entlang sich allmählich die religiöse Differenzierung von Christentum und Judentum auch in schöpfungstheologischer Hinsicht vollziehen wird, ist durch den konfessorischen Grundsatz markiert, wonach, was Schöpfung ist, weder in protologischer noch in eschatologischer Hinsicht angemessen erfasst werden kann ohne Hinordnung auf den auferstandenen Gekreuzigten, in dessen Gedächtnis christliche Schöpfungsanamnese und eschatologische Heilserwartung beschlossen und erschlossen sind. Der schöpferische Geist, der die Gegenwart des christlichen Glaubens sowie seine Erinnerung und Erwartung bestimmt, geht von dem in Jesus Christus offenbaren Gott aus, der sich im Sohn als Vater erzeigt. Der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde ist im Geist als Vater manifest, der in, mit und durch den Sohn aller Kreatur eschatologischen Anteil gibt an seiner väterlichen Herrlichkeit oder besser: an seiner herrlichen Väterlichkeit, die Gnade übt, ohne die Gerechtigkeit preiszugeben. Ostern ist samt Pfingsten das Urdatum des Christentums auch in schöpfungstheologischer Hinsicht. Zwar setzt das christliche Osterzeugnis die israelitischjüdische Religionsgeschichte, ihre Schöpfungsüberlieferungen und vermittels derer den Bezug zu einer gottgeschaffenen Menschheit und Welt implizit voraus; durch Ostern ist kein absoluter, sondern ein Anfang gesetzt, in dem Relationen protologischer, aber auch eschatologischer Art konstitutiv mitgegeben sind. Nichtsdesto-

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weniger lassen sich beide Bezüge im christlichen Sinne nur dann angemessen wahrnehmen, wenn sie von der österlichen Erscheinung Jesu Christi und der göttlichen Geistoffenbarung in ihm bestimmt sind. Evangeliumsgemäßer Osterglaube ist unveräußerlich mit dem Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer verbunden, weiß aber die Explikation dieses Bekenntnisses zugleich von der österlichen Erscheinung Jesu Christi so abhängig, dass ohne den schöpferischen Neubeginn, welcher mit der Auferweckung und Auferstehung des Gekreuzigten gemacht ist, von der göttlichen Schöpfung weder in protologischer noch in eschatologischer Hinsicht heilsam die Rede sein könnte. Die Schöpfungstheologie geht gemäß christlicher Lehre der Christologie und der Pneumatologie voraus, so wie das Zeugnis Israels von Gott der göttlichen Geistoffenbarung in Jesus Christus vorausgeht. Dennoch lässt sich die christliche Schöpfungslehre ohne christologische und pneumatologische Bezüge nicht angemessen erfassen. Die trinitätstheologische Fundierung des Bekenntnisses zu Gott dem Schöpfer, wie sie im Zuge des altkirchlichen Dogmas erfolgte, liegt in der Konsequenz dieser Einsicht und gibt ihr das entsprechende dogmatische Format. Die Priorität Gottes des Schöpfers als der ersten trinitarischen Person bleibt dabei ebenso erhalten wie die ökonomische Sequenz von Schöpfung, Versöhnung und Vollendung. Gleichwohl ist, was Schöpfung heißt, im Sinne des christlichen Glaubens nicht unter Absehung vom Prozess göttlicher Ökonomie heilsam zu erkennen, wie denn auch die Erkenntnis der Väterlichkeit des allmächtigen Schöpfers nur durch christologisch-pneumatologische Vermittlung und auf trinitätstheologische Weise möglich ist. Das altkirchliche Trinitätsdogma, welches in der Folge christlichen Osterzeugnisses ausgebildet worden ist, um den Realgrund dessen theologisch zu benennen, was im auferstandenen Gekreuzigten kraft des göttlichen Geistes zur Erkenntnis gelangt ist (vgl. Eckstein, bes. 27), bezeugt Jesus Christus als den Sohn des göttlichen Vaters und den schöpfungsmittlerischen Logos, der Mensch geworden ist und Fleisch angenommen hat zum Heile der Welt. Als der inkarnierte Logos ist Jesus Christus zugleich als wahrer Mensch zu bezeugen, in welchem sich die Bestimmung des Menschengeschöpfs erfüllt und manifest ist, was es mit der menschlichen Gottebenbildlichkeit auf sich hat. Nach alttestamentlichem Zeugnis „ist der Mensch in seinem Herrschaftsbereich ein Mandatar Gottes, er ist aufgerufen, die Herrschaft Gottes und Gottes Hoheitsrecht in der Welt zu vertreten. Es ist wichtig, daß auch Ps 8, der zu Gn 1 bestenfalls nur in ganz loser Beziehung steht, ebenso die gottgesetzte Aufgabe der Beherrschung der Kreatur mit der Tatsache der Gottähnlichkeit des Menschen verbindet; gleichartig ist der Gedankengang in Sir 17,3 f..“ (v. Rad, eikon, 390) Neutestamentliche Anthropologie schließt an diese und vergleichbare Zeugnisse an und setzt sie schöpfungstheologisch voraus, macht aber zugleich deutlich, dass sie christologisch-pneumatologischer Vermittlung bedürften, um hilfreich und heilsam zu sein. Was der Mensch gemäß seiner Gottebenbildlichkeit kreatürlich zu sein bestimmt ist, lässt sich im Sinne christlicher Schöpfungstheologie nicht unter

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Absehung, sondern nur im Blick auf die eikon Jesu Christi wahrnehmen, der als wahrer Mensch Ikone Gottes und zweiter Adam zu bekennen ist, welcher die vom ersten verfehlte Bestimmung realisiert hat mit dem Ziel, die Menschheit in sein eigenes Bild zu verwandeln (vgl. 2. Kor 3,18). Die paulinischen Adam-Christus-Typologien reflektieren diesen Zusammenhang in theologisch hoch differenzierter Weise (vgl. Röm 5,14; 1. Kor 15,22.45 etc.). Er ist aber ebenso in den Evangelien präsent, etwa wenn Jesus in der prominent platzierten markinischen Versuchungsgeschichte erkenntlich als Antitypos zu Adam gekennzeichnet wird (vgl. Mk 1,12 f.); auch die Rückführung des Stammbaumes Jesu auf den Adam tou theou in Lk 3,38 unmittelbar vor der anschließenden Versuchungsgeschichte (Lk 4,1–13) will bedacht sein. Obwohl das christologische ebensowenig wie das trinitarische Dogma der Alten Kirche in der neutestamentlichen Überlieferung direkt und in doktrinaler Form aufgefunden wird, so ist die grundlegende Verbindung des Bekenntnisses zur wahren Gottheit Jesu Christi mit demjenigen zu seiner wahren Menschheit doch vom Neuen Testament her geurteilt sachlich folgerichtig und zwar auch in schöpfungstheologischer Hinsicht. Jesus Christus ist in Personeinheit göttlicher Schöpfungsmittler und wahres Geschöpf. In ihm als dem inkarnierten Logos ist das genuine Ursprungsverhältnis realisiert, das zwischen Gott dem väterlichen Schöpfer und seinen zu Gottebenbildlichkeit und Gotteskindschaft bestimmten Menschengeschöpfen waltet. Auch in protologischer Hinsicht hat sich der christliche Glaube entsprechend an der Erscheinung Jesu Christi zu orientieren, dessen Gedächtnis jene Schöpfungsanamnese bewirkt, durch welche mit der Erkenntnis Gottvaters als des Schöpfers zugleich die ursprüngliche Bestimmung des Menschengeschöpfs in der kreatürlichen Welt in Erinnerung gebracht wird, die verfehlt zu haben Schuld der Adamsünde ist, welche die Theologie peccatum originale nennt und zur causa deficiens aller Aktualsünden erklärt. Unter den israelitisch-jüdischen Schöpfungstraditionen hat sich christliche Lehre seit alters besonders intensiv mit den beiden Texten am Anfang des Buches der Genesis auseinandergesetzt, nämlich mit Gen 1,1–2,4a und Gen 2,4bff. „Im Anfang hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen.“ (Gen 1,1) Der an das hymnische Gotteslob der Gemeinde gemahnende Satz bildet Überschrift und Vorzeichen nicht nur für den folgenden Schöpfungsbericht der Priesterschrift als eines Teils des Pentateuchs, sondern für alle Hl. Schriften Alten und Neuen Testaments: „kein Wort gibt es in den Kosmogonien anderer Völker, das diesem ersten Wort der Bibel gleichkäme.“ (Gunkel, 101) Zu vergleichen ist ihm lediglich der Grundsatz, mit dem der Prolog des Johannesevangeliums seinen Anfang nimmt, um den in Jesus Christus inkarnierten Logos als den Mittler des göttlichen Schöpfergeistes für alle Kreaturen zu bezeugen. Dass der Rückbezug von Joh 1,1 auf Gen 1,1 konzeptionell intendiert und beispielhaft ist In principio für christlich-christologische Anverwandlung über-

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kommener Schöpfungstheologie, wurde bereits vermerkt. Vergleichbar produktiv rezipiert wurden auch die Aussagen des sog. jahwistischen Schöpfungsberichts, der von den kreatürlichen Grundbedingungen menschlicher Existenz in der Welt, nicht eigentlich von deren Entstehung handelt. Im Verein mit der Sündenfallgeschichte hat die Erzählung vom Paradies und vom paradiesischen Dasein von Adam und Eva in der Tradition christlichen Glaubens und Denkens von Anfang an und durchweg eine wichtige Rolle gespielt. Das Neue Testament nimmt auf sie mehrfach Bezug, etwa wenn es vom Menschen als Geschöpf (1. Kor 15,45.47; 1. Tim 2,13) und von seiner Erschaffung als Mann und Frau (Mk 10,7par; 1. Kor 6,16; Eph 5,31; 1. Tim 2,13 f.) spricht, und die anschließende Entwicklung der dogmatischen Lehre vom Urstand war ebenfalls entscheidend von der biblischen Paradiesgeschichte motiviert, die bis heute einen klassischen Orientierungstext der Dogmatik darstellt. Nicht nur Karl Barth gibt dafür ein prominentes Beispiel (vgl. etwa KD III/2, bes. 351 ff. oder KD IV/1, bes. 481 ff.). Unterstrichen wird die zentrale Bedeutung der biblischen Erzählung vom Ursprungsdasein des ersterschaffenen Menschen durch die unlösliche Verbindung, in die sie in Gen 2,4–3,24 mit der Geschichte vom Fall Adams und Evas und ihrer Vertreibung aus dem Paradies in eine von Mühsal und vielen Beschwernissen gekennzeichnete Welt tritt. Die dogmatische Stellung der christlichen Lehre vom status integritatis ist durch diesen Konnex elementar bestimmt. Als der Protologie zugehörig ist der integre Urstand für die Selbst- und Welterfahrung des real existenten Menschen nicht unmittelbar zugänglich, sondern im Wesentlichen verschlossen und nur durch eine Glaubenseinsicht erschließbar, welche gegebene Erfahrungszusammenhänge übersteigt. Gemäß christlichem Bekenntnis ist der Grund jener Einsicht Jesus Christus. Seine österliche Erscheinung ruft eine Schöpfungserinnerung hervor, die mit der Wahrnehmung ursprünglicher Bestimmung des Menschen zugleich deren gründliche Verfehlung zur Erkenntnis bringt, die nur durch Gottes Gnade zu beheben ist, wohingegen der auf sich gestellte Mensch Erlösung und Versöhnung von sich aus nicht zu erlangen und zu bereiten vermag. Soll angemessen vom sog. Urstand der Schöpfung die Rede sein, dürfen demnach dessen grundsätzlicher Vergangenheitsstatus und die Tatsache nicht verschwiegen werden, dass von der kreatürlichen Bestimmung des Menschen und der Welt nur im Verein mit deren sündiger Verfehlung samt ihren üblen Folgen gesprochen werden kann, wie dies bereits in Gen 2,4b3,24 der Fall ist. In seiner vorliegenden Form ist der Text Gen 2,4– Jahwistische Urgeschichte 3,24 in den großen literarischen Zusammenhang des Pentateuch eingebettet, durch dessen Redaktion zumindest zwei Quellen zu der gegebenen Einheit verwoben worden sind. Der Urpentateuch dürfte durch die Verbindung des sog. jahwistischen Geschichtswerks J und der sog. Priesterschrift P entstanden sein. Allerdings wurden nachträgliche Anreicherungen von erheblichem Umfang hinzugefügt, ja, es spricht vieles dafür, dass die späteren Textanteile des Pentateuchs größer sind als seine vormali-

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gen Quellen zusammen. Für die Urgeschichte Gen 1–11 lässt sich die Verbindung von J und P unschwer erkennen. Dem gegliederten Rahmen von P wurde der Text von J so eingefügt, dass die parallel laufenden Quellen abschnittsweise hintereinandergestellt wurden. Dieses Verfahren ist neben den Schöpfungsgeschichten selbst etwa auch bei den Genealogien Gen 4 (J) und 5 (P) zu beobachten. Die Quelle J, der die meisten Exegeten Gen 2,4–3,24 zuweisen, trägt den Kunstnamen Jahwist, weil sie den in P erst durch die Moseoffenbarung in Ex 6 bekannt gemachten Gottesnamen Jahwe von Anfang an gebraucht. Ob das Werk eine aus mündlicher Überlieferung hervorgegangene Erzählkomposition oder eine Sammlung vorgegebener schriftlicher Quellen unter einheitlichen Gesichtspunkten darstellt, ist in der Forschung ebenso umstritten wie die Frage des ursprünglichen Bestandes von J, dessen Rekonstruktionen hypothetisch bleiben. Hypothetisch bleibt ferner die Datierung. Die Schwankungen bewegen sich zumeist in der Periode zwischen Davids Tod und der Zeit der großen Prophetien; zuweilen wird auch eine spätere Zeit angegeben. Uneinig ist die Forschung zudem bezüglich der Frage, ob J aus Israels Norden oder aus dem Süden stammt und ob an Jerusalem oder an das Umland zu denken ist, falls die Herkunft aus Juda zutrifft. Während die Probleme von Ort und Zeitpunkt seiner Entstehung sowie von Umfang und Schluss des jahwistischen Geschichtswerks nach wie vor ungelöst sind, stimmt die Exegese darin überein, dass J frühestens mit Gen 2,4b begonnen haben kann. Als wahrscheinlich darf ferner gelten, dass die Passage Gen 2,4b-3,24 neben einigen anderen Texten der Urgeschichte der frühesten Fassung von J angehört haben wird. Es gibt freilich auch Gegenstimmen. Wichtiger als ein definitiver Entscheid in dieser Frage ist die Erkenntnis der Hinordnung der Gesamtkonzeption auf die Gabe des Heiligen Landes, auf die auch die Erzählung von Adam und Eva, ihrem Fall und ihrer Vertreibung aus dem Paradies bezogen ist, wie immer man über ihre anfängliche Stellung urteilen mag. Was in der Schöpfungserzählung von J berichtet wird, ist der äußere, ins Universale ausgeweitete Rahmen dessen, was in den nachfolgenden Vätergeschichten und in der Geschichte der Landnahme seinen inneren Grund findet. Auch gegen Widerstände seiner Menschengeschöpfe und trotz aller Hinderlichkeiten, die ihr Fall aus dem paradiesischen Dasein mit sich brachte, zu dem er sie ursprünglich bestimmt hatte, hält Jahwe an seinem göttlichen Vorsatz fest, Abraham zu einem großen Volk werden zu lassen und ihm das Land zu geben, das er verheißen hat. Auf diese Verheißung und ihre Erfüllung ist die Botschaft des Jahwisten einschließlich seines Schöpfungsberichts vor allem ausgerichtet. Die jahwistische Urgeschichte ist als Ätiologie, als Ursprungs- und Erhaltungsgeschichte des Volkes Gottes und des Landes gestaltet, das Jahwe ihm bereitet hat, und Gen 2,4b-3,24 stellt den grundlegenden Teil der ätiologischen Gesamtkonzeption dar, in deren Horizont sich alle Einzelaspekte einordnen. Wie die jahwistische Urgeschichte insgesamt Ätiologische Absicht und ist auch die Schöpfungsgeschichte von J ätiologisch konzeptionelles Ziel gestaltet und von der Absicht geleitet, den „Ur-

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sprung einer als gegenwärtig erfahrenen Gegebenheit aufzuzeigen“ (Steck, 61). Um welche Gegebenheit es sich dabei handelt, ist unschwer zu erkennen: um die gegebene Defizienz menschlicher Daseinsbedingungen in der Welt (vgl. Dohmen). Für sie sucht der Jahwist, wer immer er sein oder welche Redaktorengruppe mit seinem Namen assoziiert werden mag, wenn nicht einen Erklärungsgrund, so doch eine einsichtige Beschreibungs- und Beurteilungsgrundlage zu geben, wenn er ein paradiesisches und nachparadiesisches Dasein konstruiert und gegenbildlich miteinander verbindet. Gewiss verarbeitete er dabei Traditionswissen und Überlieferungsbestände, die im Falle der Paradiesesgeschichte schon eine vergleichsweise fest umrissene Gestalt gehabt haben werden. Doch dürfte er an der literarischen Formung der vorliegenden Texte, die sich als äußerst planvoll zu erkennen gibt, erheblichen Anteil gehabt haben. Als ein charakteristisches Motiv der Redaktionsarbeit von J darf die Intention ätiologischer Aufklärung defizienter Lebensbedingungen gelten, die dem Menschengeschöpf in der gegebenen Welt zu schaffen machen. Das entscheidende Konzeptionsziel ist allerdings noch nicht damit, sondern erst mit der gewissen Einsicht erreicht, die J zu vermitteln sucht, dass nämlich Jahwe seinem Volk und dem Land, das er ihm zuerkannt hat, auch unter widrigen Voraussetzungen, die Menschenschuld verursacht hat, Bestand verleihen und seine Verheißungen an den erwählten Geschöpfen selbst unter Bedingungen des Falls der Sünde erfüllen wird. Die von J gestaltete Textpassage Gen 2,4b-3,24 ist ihrem ätiologischen Zweck gemäß klar und übersichtlich in drei Abschnitte gegliedert: Erschaffung und ursprüngliche Ausstattung des Menschen (2,4b-25), Übertretung göttlicher Weisung (3,1–6) und Folgen der Übertretung (3,7–24). Was die Erschaffung und ursprüngliche Ausstattung des Menschen anbelangt, so setzt die Erzählung mit einer Zustandsschilderung der Erdenwelt ein, die durch gänzliche Abwesenheit der nachparadiesischen Situation mit ihrer mühseligen Ackerarbeit und anderen Beschwernissen gekennzeichnet ist. Die geschaffene Erde ist anders als die dem Leser bekannte „noch zu vollendeter Förderlichkeit fähig“ (Steck, 70). Der Mensch wird in eine paradiesische Welt hinein erschaffen, die er ebenso wenig wie sich selbst von sich aus hervorgebracht hat. Das Dasein des Menschen in der kreatürlichen Welt verdankt sich Gott. Er allein kommt als fundierender Konstitutions- und Erhaltungsgrund in Betracht. Ihren verdichteten Ausdruck findet diese selbstverständlich vorausgesetzte Annahme in der Schilderung des Aktes der Erschaffung eines ersten Menschen, der als sagenhafter Einzelner in seiner ausgezeichneten Individualität zugleich für das Kollektiv der ganzen Menschheit stehen kann. Sein Name hinwiederum will als ein Indiz der Nähe des Menschen zur Erde verstanden sein, aus der er geschaffen wurde. Doch verweist die terminologisch markierte Verbindung des kreatürlichen Menschen zur Erde an dieser Stelle der Erzählung noch nicht auf die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit seines Daseins. Sie zeigt lediglich den unveräußerlichen Zusammenhang an, der „zwischen Menschsein und dem Lebensraum des fruchtbaren Erdbodens“ (Steck, 72) waltet. Der Protoplast ist ein von Gottes Atem und Geist ins Leben gerufenes und am Leben

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erhaltenes Geschöpf, das der kreatürlichen Erde, die ihn nährt, in leibhafter Elementarität verbunden ist. Die Einrichtung von Lebensraum und Wirkstätte des Menschen wird in Gen 2,8–15 thematisiert; Gott setzt Adam in den Garten Eden, damit er diesen bebaue und hüte. Das Gebot, welches er ihm anschließend aufträgt (Gen 2,16 f.), regelt den menschlichen Umgang mit dem anvertrauten Lebensraum und will weniger als Gehorsamsprobe, die den Menschen vor den Wahlentscheid zwischen Gut und Böse stellt, denn als Ausdruck göttlicher Sorge und Fürsorge für ihn verstanden sein. Gott und Gott allein weiß in seiner schöpferischen Güte und zugewandten Aufgeschlossenheit, was für sein Menschengeschöpf förderlich und abträglich ist. Es ist daher für den Menschen heilvoll, sich ganz und gar dem göttlichen Willen anzuvertrauen, dem er sein Dasein verdankt, und sich vorbehaltlos auf den zu verlassen, der es wohl mit ihm meint. Gottes Gebot, von allen Bäumen des Gartens zu essen, nur von dem todbringenden Baum der Erkenntnis nicht, zielt nicht auf eine Gehorsamstat widerspruchsloser Unterordnung, sondern auf das gotteskindschaftliche Urvertrauen dessen, der sich bei seinem Schöpfer kreatürlich geborgen und gut aufgehoben fühlen darf. Gott weiß, was für sein Geschöpf gut ist, und entlastet es durch sein Gebot davon, es partout („auf Teufel komm raus“) selbst wissen zu müssen. Gottes Wille für sein Menschengeschöpf ist nichts als lauter Wohlwollen, worauf sich fraglos zu verlassen die Selbstbestimmung des Menschen nicht einschränkt, sondern zur Erfüllung bringt. Das Eigenleben des Menschengeschöpfs erfüllt sich als Eigenleben im Schöpfer und in dem kreatürlichen Rahmen, der ihm durch diesen im Gehege des paradiesischen Gartens gesteckt ist. Nicht so, als ob die Freiheit des Menschen grenzenlos und unendlich wäre: Dies wäre für ihn fatal und seiner Bestimmung zuwider. Auf die Vermeidung dieser Bestimmungswidrigkeit ist Gottes Schöpfungsgebot angelegt. Es befreit den Menschen davon, seinem Belieben zu folgen und einer Willkür aufzusitzen, die lediglich den Schein eines Gutes erzeugt, in Wahrheit aber das Gute zersetzt. Gut und seiner Freiheit gemäß ist es für den Menschen, sich in kindlichem Vertrauen ganz auf die Güte Gottes zu verlassen, der es gut mit ihm meint und vor aller menschlichen Eigenerkenntnis von Gut und Böse weiß, was für sein Menschengeschöpf recht und richtig ist. Gott der Schöpfer will dem Menschengeschöpf wohl. Einen weiteren Beleg hierfür über das Bisherige hinaus bietet der göttliche Entschluss, Adam eine Hilfe beizugesellen, die ihm entspreche. „Dann sprach Gott, der Herr: ‚Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.‘“ (Gen 2,18) Zunächst formte der Schöpfer aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels, um sie dem Menschen zuzuführen, damit er sie benenne. Aber eine dem Menschen gemäße Hilfe war damit noch nicht gefunden. Diese erbrachte erst die Erschaffung Evas. In ihr erkennt Adam augenblicklich Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch, was durch den weisen Erfahrungsspruch unterstrichen wird, wonach ein Mann Vater und Mutter verlassen wird, um seiner Frau anzuhangen und mit ihr

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eins zu werden. Scham voreinander kannten Adam und Eva in ihrer kreatürlichen Nacktheit ursprünglich nicht. Diese und das mit ihr verbundene Gefühl des Befremdens stellten sich erst im Zuge des Falles der Sünde ein, von dem und dessen üblen Folgen Gen 3,1 ff. berichtet. Die Verse Gen 2,25 und Gen 3,1 sind durch eine Schöpfung und Fall scharfe Zäsur geschieden. Die Kluft, die sich zwischen ihnen auftut, ist durch Gedankenspekulation ebenso wenig überbrückbar wie die Ursache des Bösen einer theologischen Erklärung zuzuführen ist, die sie verständlich macht und mit Sinn versieht. Der Fall der Sünde ergibt keinen Sinn, sondern ist sinnlos, ja sinnwidrig, um üble Folgen zu zeitigen, die zwar unleugbar, aber gleichwohl mit der Ursprungsbestimmung der in der Güte Gottes gründenden Schöpfung nicht vereinbar sind. Zwar stellt das jahwistische Geschichtswerk zwischen ursprünglicher Schöpfung, Fall und Fallfolgen einen narrativen Zusammenhang her, doch sowenig sich die Erzählung schöpfungstheologisch in abstrakten Reflexionen über den Weltbeginn und den Anfang des Menschengeschlechts ergeht, so wenig versucht sie, die Faktizität des Bösen aus dem Zustand spekulativ zu deduzieren, den sie als den ursprünglichen und gottgewollten kennzeichnet. Die Tatsache der menschlichen Sünde bleibt unbegriffen und unbegreiflich, so sehr sie als Faktum in Anschlag und in einen Zusammenhang gebracht wird mit den unseligen Bedingungen der vorfindlichen Lebenswelt des Menschen, die als defizitär, ja der gottgewollten Verfassung der Schöpfung, wie der Glaube sie bekennt, konträr empfunden werden. Zu der Annahme, das Schöpfungswerk Gottes sei schon ursprünglich und gleichsam von Anbeginn an ungenügend und unvollkommen gewesen, findet sich der Jahwist nicht bereit; er weist sie durch den scharfen Einschnitt deutlich zurück, den er zwischen Gen 2,25 und 3,1 setzt. Die chronologisch anmutende Sequenz des dreigliedrigen Erzählverlaufs, der von der kreatürlichen Ursprungsbestimmung des Menschengeschöpfs über deren sündige Grundverkehrung zu den Folgeergebnissen der eingetretenen Wandlung zum Üblen hinführt, darf nicht über den Gegensatz hinwegtäuschen, der die Güte der Schöpfung von allem Bösen trennt. Dieser Gegensatz ist formal durch eine narrative Diskrepanz angezeigt, die dem Inhalt gemäß ist. Diese Diskrepanz ist kein Mangel der Darstellung, „sondern Ausdruck des unbegreiflichen Widerstreits menschlicher Art gegen Jahwes wohltätige Ausstattung des ursprünglichen Menschen, wie ihn in Tun und Ergehen jeder an sich trägt“ (Steck, 89). Durch das literarisch höchst anspruchsvolle Zwiegespräch zwischen der Frau und der Schlange wird dieser Sachverhalt bestätigt. Der Fall der Sünde besteht im unbegreiflichen Verlust des selbstverständlichen Vertrauens in die Förderung menschlichen Daseins durch Jahwe. In der Folge dieses Vertrauensverlustes verkehrt sich das Verhältnis nicht nur von Mensch und Tier, sondern auch und vor allem das Verhältnis von Mann und Frau. Fragt man, worin die eigentliche causa efficiens des Bösen besteht, so wird man recht eigentlich nicht auf einen Wirk-, sondern auf einen Verwirkgrund, auf eine causa deficiens verwiesen: Indem der Mensch das Vermögen begehrt und erstrebt, sich von

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der göttlichen Förderung seines Lebens zu lösen und in Selbstorientierung das Gute seines Lebens in die eigene Gewalt zu nehmen, ist er dem Abgrund des Bösen bereits verfallen, was nach Urteil des Jahwisten die Wurzel allen Übels in der Welt ist. Die Wirkung der verbotenen Frucht (Gen 3,7–13), die nachfolgenden Verfluchungen (Gen 3,14–19) sowie die schließlich statthabende Vertreibung aus dem Paradies (Gen 3,20–24) sind fatale Konsequenzen menschlicher Schuld. Ein Zurück in das Paradies ist unter den vorhandenen Lebensumständen verstellt und steht nicht im Eigenvermögen des Menschen. Adam und Eva befinden sich jenseits von Eden und zwar durch eigene Schuld, welche die Signatur eines fatalen Verhängnisses an sich trägt. Der ätiologische Skopus des narrativen Dreischritts, den Gen 2,4b-3,24 vollzieht, erschließt sich angemessen nur von seinem Schluss her: Die Lebenswelt des Menschen entspricht ihrer gottgewollten Ursprungsbestimmung nicht nur nicht, sondern widerspricht ihr in vielem, und dies in der Folge einer Verfehlung, die dem Menschen zuzurechnen ist, in dessen Sünde alles äußere Übel seine innere Ursache hat. Indem der Jahwist diese Einsicht an den Anfang seines Geschichtswerks stellt, ja mit dem Anfang von Menschsein und Welt überhaupt assoziiert, gibt er zu verstehen, dass der erkannte Gegensatz und Widerstreit für das Menschsein des Menschen in der Welt immer und überall charakteristisch ist, ohne deshalb das Ende der Wege Gottes mit dem Menschen zu bezeichnen. Stellt doch die Erzählung von Paradies, Fall und Vertreibung wie die Urgeschichte von J insgesamt nur die Vor- bzw. Hintergrundgeschichte jenes Geschehens dar, welches auf die Erfüllung der Verheißungen ausgerichtet ist, die Gott seinem Volk gegeben hat. Wie die Schöpfungsgeschichte von J ist auch die Priesterschriftlicher priesterschriftliche in Gen 1,1–2,4a auf ein VerheiSchöpfungsbericht ßungsziel hingeordnet, in dem sie ihre Erfüllung findet. Gottes weltstiftendes Schöpfungswerk zielt nach P von Beginn an auf das Sinaigeschehen, in dem sich Jahwes innerstes Wesen offenbart. „Erst vom Sinai her wird . . . erkennbar, was mit Gottes Schöpfungshandeln ‚am Anfang‘ intendiert war und d. h.: wozu Gott die Welt erschaffen hat: nämlich dazu, Gemeinschaft mit dem Menschen/Israel zu haben . . . Am Sinai wird . . . Israel das schöpfungstheologische Geheimnis des siebten Tages aufgedeckt, weil in der kultischen Präsenz des im ‚Begegnungszelt‘ einwohnenden Sinaigottes (Ex 24,15b-18,aα/40,34f ) und in der Feier des ersten Opfergottesdienstes (Lev 9,1–24* Pg103) die Schöpfungsabsicht Gottes, Gemeinschaft mit den Menschen zu haben, für Israel konkret erfahrbare Wirklichkeit wird.“ (Janowski, 61 f.) „Mit dem ‚siebten Tag‘ von Ex 24,16b18aα (+ 25,1 ff.*) wird nicht nur der bisherige Geschichtsverlauf zwischen Schöpfung und Sinai ‚vollendet‘, sondern ein Prozeß eingeleitet, der auf die Verwandlung der Welt als Raum konkret erfahrbarer Gottesnähe zielt. An Israel wird damit exemplarisch Wirklichkeit, was für die Welt insgesamt noch aussteht – dies ist die Hoffnung der Priesterschrift für die nachexilische JHWH-Gemeinde.“ (Janowski, 67) Der mit dem Siglum P bezeichnete Name Priesterschrift wird in der Regel als Sammelbegriff für Texte bzw. Textschichten priesterlich-rituellen Charakters im

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Pentateuch verwendet. Einige Exegeten rechnen mit P-Anteilen auch im Josuabuch. Formale Charakteristika von P bzw. der zu P verbundenen Textschichten sind neben sprachlichen Eigenarten das Interesse an begrifflichen Strukturen und Formeln, an Wiederholungen und spezifischen Gliederungsfiguren. Dieses Interesse lässt sich bereits in Gen 1,1–2,4a, mit dem die Quelle bzw. Urkunde P ihren Anfang nimmt, unschwer identifizieren. Es ist Kennzeichen einer Theologie, „die eine verborgene, gottgesetzte Lebensordnung der Welt und der Geschichte insinuieren will“ (Zenger, 436), welche in der Tora Israels offenbare Gestalt annimmt. Auch wenn in der Forschung weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass die PTexte in literarhistorischer Hinsicht keine ursprüngliche Einheit darstellen, so bleibt die Frage nach spezifischen Bearbeitungsschichten oder Primärquellen notorisch strittig. Strittig sind auch die genaue Umfangsbestimmung und die Datierung von P. Die schöpfungstheologische Nähe zu Deuterojesaja sowie die Bedeutung, die in P dem Sabbat zukommt, lassen an die spätexilische oder frühnachexilische Zeit denken. Doch deuten Bezüge auf ezechielische Traditionsbestände auf eine eher noch spätere Entstehung hin. Wahrscheinlich hat man sich die Genese von P als gestreckten Prozess vorzustellen, wobei sich als Redaktionszentrum Jerusalem nahelegt, sofern die Einrichtung des dortigen Tempels für die Toratheologie von P entscheidend ist. Höhe- und Zielpunkt priesterlicher Theologie ist die Manifestation Jahwes im Sinaigeschehen, auf welches die Geschichte Israels, ja die Weltgeschichte ursprünglich angelegt ist. Bereits in der uranfänglichen Geschichte der Welt ist präfiguriert, was sich in der Geschichte der Völker und namentlich in der Geschichte des erwählten Volkes immer deutlicher abzeichnet, um in der Tora völlig offenkundig zu werden: Gottes Weisung und Gebot für Israel, in denen Menschheit und Welt ihre Bestimmung finden, weil es sich dabei um die Fundamentalordnung humaner Schöpfung und um das Grundgesetz des einen und einzigen Gottes handelt, dessen Wesen universale Gerechtigkeit ist. In der gottesdienstlichen Feier, wie sie im Jerusalemer Tempel den Bestimmungen der Tora gemäß statthat, wird die Nähe des gerechten Gottes aktuell erfahren, der die Ungerechtigkeit richtet, die Gerechten erbaut, aber aus seiner Barmherzigkeit heraus auch Möglichkeiten der Sühne und Versöhnung gewährt, damit alle Welt zu jener Heiligkeit hingeführt werde, zu welcher das göttliche Gesetz Israel und mittels Israel die ganze Menschheit anleitet. Liturgie und Ritus auf der einen und sittliches Gebot auf der anderen Seite bilden in P keinen Gegensatz, sondern bedingen sich wechselseitig, wobei Lev 16 als die, wenn man so will, innere Mitte des Pentateuchs die Tatsache zu erkennen gibt, dass ohne ein von Gott gestiftetes Versöhnungsgeschehen die Gemeinschaft Gottes und des Menschen keinen Bestand zu haben vermag. Christliche Theologie wird darin einen proleptischen Verweis auf die Erscheinung Jesu Christi und das durch ihn bereitete Heilswerk entdecken, ohne welches in Anbetracht von Sünde und Übel weder von Schöpfung noch gar von Vollendung heilsam die Rede sein kann.

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Betrachtet man die Schöpfungsgeschichte von P Redaktionelle Sechstagein der kanonischen Form, wie sie in Gen 1,1–2,4a einteilung vorliegt, so fallen zwei Eigentümlichkeiten ins Auge, nämlich zum einen die Spannung zwischen acht Werken der Schöpfung und ihrer Aufteilung auf sechs bzw. sieben Schöpfungstage, zum anderen die Differenz zwischen einem sog. Tat- und einem sog. Wortbericht. Die erste Beobachtung gehört zu den ältesten Entdeckungen in der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments. Sie wird am plausibelsten durch den Hinweis erklärt, dass die redaktionelle Sechstageeinteilung des Schöpfungswerkes offenbar um des siebten Tages willen, also wegen einer ätiologischen Begründung und Herleitung der Institution des Sabbats vorgenommen wurde. Was hinwiederum das Verhältnis von Schöpfungstat und Schöpfungswort in Gen 1,1–2,4a anbelangt, auf das die alttestamentliche Exegese seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts aufmerksam wurde, wird man eher nicht mit ehemals selbständig existierenden Erzähleinheiten, sondern wahrscheinlich mit einer Bearbeitungssequenz in dem Sinne zu rechnen haben, dass der sog. Wortbericht dem sog. Tatbericht als Interpretation nachfolgte (vgl. im Einzelnen Schmidt). Die kanonische Fassung von Gen 1,1–2,4a ist das Ergebnis eines traditionsgeschichtlichen Prozesses, dessen einzelne Stationen sich – wie ein möglicher Urtext – nur hypothetisch rekonstruieren lassen. Die Vorgeschichte des Stoffes ist zum einen durch mythologische, zum anderen durch hymnisch-weisheitliche Traditionen bestimmt. Auch in sumerischen, babylonischen und ägyptischen Kontexten und in vielen altorientalischen Mythen findet sich beispielsweise die Vorstellung, dass die Welt durch eine Scheidung der Chaoswasser entstand, die am Anfang alles bedeckten. Die Annahme ursprünglicher Scheidung stellt einen verbreiteten Grundtyp mythologischer Kosmogonien des Alten Orients und darüber hinaus dar. Auch Grundriss und Gesamtrahmen der Schöpfungsgeschichte von P sind nicht ohne Vorbilder. Die Abfolge der Schöpfungswerke weist bis in Einzelheiten hinein Ähnlichkeiten mit dem babylonischen Schöpfungsepos Enuma elis auf. Nach dem Urmeerchaos am Anfang entstehen der Reihe nach Himmel und Erde, die Gestirne am Firmament, sodann der Mensch. Nicht minder auffällig sind indes die gegebenen Unterschiede und Abweichungen. Theogonische oder theomachische Mythenanteile bleiben für P theologisch ausgeschlossen. Auch die kreatürliche Bestimmung des Menschen wird wesentlich anders aufgefasst als im babylonischen Mythos, der in Israel wohl bekannt war, ohne dass sich hieraus auf eine unmittelbare literarische Abhängigkeit der Priesterschrift schließen ließe. Entsprechendes gilt in Bezug auf ägyptische, phönizische oder sonstige Einflüsse. Entscheidender als mythische Vorgaben, denen P mit einer erkennbaren Tendenz zur „Entmythologisierung“ begegnet, sind die Prägungen, die Gen 1,1–2,4a durch hymnische und weisheitliche Traditionen empfangen hat. Parallelen zum Gesamtaufbau des priesterlichen Schöpfungsberichts finden sich in Überlieferungen sowohl außerhalb als auch innerhalb des Alten Testaments. Von den einschlägigen alttestamentlichen Texten ist neben Stellen bei Hiob (38) oder Jesus Sirach

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(43,1 ff.) vor allem der Psalter (135,6 f.; 136,5–9) und dabei insbesondere Ps 104 bedeutsam, der Gen 1,1–2,4a am nächsten steht. Insgesamt werden inner- und außertestamentarische Traditionen der Weisheit dazu beigetragen haben, den erwähnten Entmythologisierungsprozess in der Schöpfungsgeschichte von P zu verstärken, wonach beispielsweise die Gestirne als natürliche Gebilde und Erscheinungen zu betrachten und nicht etwa als göttliche Wesen zu verehren sind wie in weiten Teilen von Israels Umwelt. Der Stoff, aus dem Gen 1,1–2,4a geformt ist, war Souveränität göttlichen in weiten Teilen durch die Tradition vorgegeben Schöpfungshandelns und durch einen langen Überlieferungsprozess geprägt. Die priesterschriftliche Redaktion wird ebenfalls in Etappen erfolgt sein. Auch wenn bezüglich des redaktionellen Verlaufsprozesses Fragen offen bleiben, lassen sich doch einige schöpfungstheologische Hauptanliegen von P identifizieren. Von der mit dem Sabbat ihren Abschluss findenden Tageszählung sowie von der Rahmung der einzelnen Schöpfungswerke im Zusammenhang des Wortberichts war bereits die Rede. Zu ergänzen ist, dass die Aufhebung der Tatschöpfung in die Schöpfung durch das Wort die absolute Souveränität des Schöpfungshandelns Gottes und seine Unabhängigkeit von jedweder Vorgabe unterstreichen will. Dabei handelt es sich um einen außerordentlich wirkungsmächtigen Bedeutungsaspekt, der sowohl gegen dualistische als auch gegen die platonische, etwa im Timaiosdialog begegnende Schöpfungsvorstellungen geltend gemacht werden konnte. Weder Materie noch Ideen sind dem Schöpfungswirken Gottes vorgegeben. Es ist vielmehr voraussetzungslos und frei, ohne deshalb willkürliches Belieben zu sein. Indem er es durch das Wort schafft, distanziert der Schöpfer sein Schöpfungswerk zugleich von sich, ohne dass seine Transzendenz Weltimmanenz ausschließen müsste. Ausgeschlossen ist hingegen jede Vorstellung einer Emanation der Welt aus dem göttlichen Wesen. Gottes Schöpfungshandeln ist absolut souverän. Unterstrichen wird dieser für P entscheidende Aspekt durch die pointierte Verwendung des Verbums br’, das ausschließlich der Bezeichnung göttlichen Schaffens vorbehalten ist. Gott, der eine und transzendente Herr der Welt, schafft analogielos, und sein weltwirkendes Tun ist einzigartig und unvergleichlich. Das Werk seiner Schöpfung vollbringt er in müheloser Freiheit und ohne jede Voraussetzung. Einen vorgegebenen Stoff benötigt er nicht. Er bildet die Welt allein aus sich und einem Motiv heraus, das in seinem ureigenen Wesen begründet liegt. Zwar ist das Theorem göttlicher creatio ex nihilo erst durch 2. Makk 7,28 explizit und in hellenistischen Zeiten genauer ausgebildet worden, aber auf seine Weise meint das Zeitwort br’ gerade das, was die spätere Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts unter veränderten Denkvoraussetzungen zum Ausdruck bringt. Gott erschafft die Welt durch sein schöpferisches Wort, das in sich tatkräftig ist: „so er spricht, so geschieht’s; so er gebeut, so stehet’s da.“ (Ps 33,9; vgl. Ps 148,5) Seine Schöpfung entsteht weder durch Emanation noch als Ergebnis eines Urkampfs widerstreitender Mächte, sondern allein durch sein gebieterisches Wort,

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das souverän bewirkt, was es besagt, und dabei kein Handlungsmaterial voraussetzt. Damit ist zugleich deutlich gemacht, dass nichts in der Welt Gott ist. Die Welt ist Schöpfung Gottes und eben dadurch vom Schöpfer kategorial unterschieden. Jede Vorstellung einer Erzeugung Gottes aus der Welt oder einer wie auch immer gearteten Theogonie ist theologisch definitiv abgewiesen. Die erwähnte Entmythologisierung ursprünglich mythologischer Aussagen durch P entspricht diesem Befund. Eine negative Vergöttlichung des Chaos wird ebenso wenig geduldet wie das Verlangen, ein Endliches für unendlich zu erklären. Die Sterne sind an den Himmel gesteckte Leuchtträger bzw. Lampen und kein Gegenstand astralreligiöser Verehrung, wie sie im antiken Vorderen Orient üblich war. Weder vermögen die Sterne das Schicksal des Menschen zu bestimmen, noch existieren sie von Urbeginn an. Durch Gott ist ihnen wie der Welt insgesamt ein Anfang gesetzt, von dem alles Beginnen abhängt. Schöpfung ist kein Immerseiendes, das ewig in sich gründet, sondern mit der Zeit ins Dasein gerufen. Während der Mythos von der Zeit abstrahiert, um sich ein zeitloses Ansehen zu geben, setzt Gott nach Maßgabe des priesterlichen Schöpfungsberichts der Welt selbst einen sie zeitigenden Anfang, der sie von seiner Ewigkeit unterscheidet. Zwar ist die von Gott geschaffene endliche Welt ein vollendetes Datum, wie die sog. Billigungsformeln eigens unterstreichen; das schließt aber nicht aus, sondern ein, dass ihr Bestand im zeitlichen Werden begriffen ist. Die Genese der Welt ist prozessualer Natur, nicht obwohl, sondern weil ihre Genesis ein un- Differenzierte Fülle mittelbares Schöpfungswort Gottes darstellt. Gott will nicht nur Differenz, sondern in sich differenzierte Differenz und lebendige Fülle, die nicht nur räumliche, sondern auch temporale Unterschiede und komplexe Entwicklungen mit sich führt, die auf keinen einheitlichen Begriff zu bringen und gerade dadurch Indizien sind für die unendliche Schöpfermacht Gottes, dessen Werke ebenso unergründlich wie wunderbar sind (vgl. Ps 139,14). Das Streben nach gegliederter Ordnung, das für die priesterliche Redaktion des Schöpfungsberichts kennzeichnend ist, steht zu dieser Annahme in keinem Widerspruch, sondern hat sie zur Voraussetzung. Die Diversität des Kreatürlichen, wie sie sich in der Komplexität des Kosmos, in der pflanzlichen Artenfülle und der Vielzahl der Tiergattungen zeigt, ist gottgewollt und auf seine weise Anordnung zurückzuführen, deren Regeln zu erkennen eine Zentralaufgabe aller Menschenweisheit ist. Der Schöpfer hat allen Kreaturen und jedem Geschöpf den Platz und die Rolle zugewiesen, die ihm im Kosmos zukommt. Der Herr des Himmels und der Erde ist kein Gott der Unordnung, sondern der Ordnung. Aber die Schöpfungsordnung, welche von seinem göttlichen Ursprung her den Kosmos durchwirkt, beinhaltet keine Fremdbestimmung, sondern entspricht der kreatürlichen Bestimmung, die jedem Geschöpf gemäß seiner Art und seinem Wesen eignet. Dies gilt gerade für den Menschen, der einerseits dazu berufen ist, den extrahumanen Kreaturen Namen zu geben, dabei aber nicht zur Willkür befugt, sondern beauftragt

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ist, just jenen Namen zu wählen, welcher dem Benannten wesensgemäß ist und ihm entspricht. Was hinwiederum die Bestimmung des Menschen selbst angeht, auf welchen P die Schöpfung angelegt sieht, so liegt sie in seiner Gottebenbildlichkeit begründet. Das Wort zelem bezeichnet seiner Grundbedeutung nach eine aufgestellte Götterstatue (vgl. 2. Kön 11,18; Amos 5,26), eine Skulptur (1. Sam 6,5.11), dann auch eine nachbildende Zeichnung; demut kann ebenfalls Figur (2. Chron 4,3 o.ä.) oder Abbild (2. Kön 16,10; vgl. Ez 23,15; Jes 40,18) bedeuten, wird aber meistens als Abstraktum im Sinne von Gleichheit oder Ähnlichkeit gebraucht. In jedem Fall bestimmen beide Begriffe in ihrer Parallelverwendung in Gen 1,27 den Menschen als Zeugen und irdischen Repräsentanten Gottes. Der göttliche Schöpfer tritt im Menschengeschöpf selbst abbildlich in Erscheinung und zwar nicht nur in diesem oder jenem Menschen, dem König etwa, sondern grundsätzlich in jedem. Gottes Schöpfung nimmt nach P ihren Anfang nicht beim Menschen. Die Erschaffung der extrahumanen Natur geht der seinen voran. Dennoch ist diese eindeutig auf jene hingeordnet, wobei der Gang der Entwicklung durch den Fortschritt von demjenigen, was dem Menschen eher fernsteht, zu dem vergleichsweise Näherstehenden bestimmt wird. Zum Nächsten hinwiederum kann für den Menschen nur Seinesgleichen werden. Er bedarf des Anderen, des Mitmenschen, um er selbst zu sein. Die prototypische Manifestation humaner Differenzeinheit, ohne die Menschsein nicht denkbar ist, sind Mann und Frau, als welche Gott den Menschen geschaffen hat. Auf den als Mann und Frau erschaffenen Menschen ist der ganze Kosmos als Schöpfung Gottes hingeordnet. Das sog. anthropische Prinzip hat an Gen 1,1–2,4a einen festen Anhalt. Dennoch bleibt der Grundsatz, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist, nur insofern das letzte Wort von P, als am siebten Schöpfungstag sabbatliche Ruhe einkehrt. Dass das Siebentagesschema in Spannung zu den acht aufgezählten Werken der Schöpfung steht, wurde bereits ebenso erwähnt wie das Interesse der P-Redaktion, das gesamte Werk der Schöpfung auf den Sabbat Gottes zu beziehen. In Gott und in Gott allein finden alle Weltwirklichkeit und alles Wirken des Menschen ihr Ziel und die Erfüllung, die ihrer ursprünglichen Bestimmung entspricht. Nicht als ob die Sabbatruhe Gottes sein Schöpfungswort revozieren und zunichte machen würde. Das Gegenteil ist der Fall: Im sabbatlichen Ruhetag sind alle schöpferischen Werktage Gottes mitsamt ihren kreatürlichen Resultaten gut aufgehoben. Der Sabbat ist nicht das Ende, sondern die Vollendung der Schöpfung und die Realisierung ihrer Bestimmung. Diese kommt dort immer schon zum Vorschein, wo sich die Gemeinde der Toratreuen zur sabbatlichen Feier zusammenfindet, um Gott die Ehre zu geben, damit die Gebote der Tora, in welcher er seine universale Gerechtigkeit und das Grundgesetz seiner Schöpfung offenbart, eingehalten und zu Nutz und Frommen aller Kreatur verwirklicht werden.

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2. Altkirchliche Protologie und platonische Ursprungsmetaphysik

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Art. Jesus Christus. II. Alte Kirche, in: TRE 16, 726–745. – Ders., Art. Origenes/Origenismus, in: TRE 25, 397–420. – H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, München 31977.

Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. In Bekräftigung dieses Grundsatzes, mit dem die Bibel ihren Anfang nimmt, bekennt das Nizänokonstantinopolitanische Symbol den Glauben der Christenheit an den einen Gott (eis hena theon), den Vater, den Allmächtigen (patera pantokratora), der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt (oratoon te pantoon kai aoratoon). Wie immer das Bekenntnis genau entstanden sein mag, das seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert den Namen Nizänokonstantinopolitanum trägt: dass sich in seinem ersten Artikel der Schöpfungsglaube der Alten Kirche bündig zusammenfasst, wird niemand bestreiten. Gott der Schöpfer ist einer, und er allein hat in seiner Allmacht alles geschaffen. Zugleich ist die Gottheit des allmächtigen Schöpfergottes trinitarisch bestimmt: Der Schöpfer der Welt ist Gott, der allmächtige Vater, dessen Person Sohn und Geist in Wesenseinigkeit verbunden sind. Wenn daher das Werk der Schöpfung dem Vater als der ersten Person der Gottheit zugeschrieben wird, dann sind damit Sohn und Geist nicht aus-, sondern eingeschlossen. Der Schöpfer Himmels und der Erde ist der dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der Hl. Geist. Als Werk des einen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes, dessen Appropriation an die erste Person der Gottheit sich aus Gründen sowohl der Binnenverfassung der Trinität als auch der trinitarischen Ökonomie ergibt, ist die Schöpfung nach Maßgabe der Schrift aus freiem Entschluss Gottes allein durch sein allmächtiges Schöpferwort in der Kraft des göttlichen Geistes und ohne jedes Zutun einer anderen Macht ins Dasein gerufen worden. Gottes Schöpferwerk unterliegt keiner außergöttlichen Notwendigkeit, sondern ist allein in seiner absolut souveränen Freiheit begründet, die indes von Beliebigkeit und allen Formen arbiträrer Willkür prinzipiell zu unterscheiden und von der Gemeinschaft wechselseitiger Selbstmitteilung her zu denken ist, welche die göttliche Dreieinigkeit bestimmt. Gott schafft in der Freiheit der Güte und der Liebe, die sein Wesen ist. Zwar sind die göttlichen Personen intern unterschieden und durch hypostatische Eigentümlichkeiten gekennzeichnet, die ihre unmittelbare Gleichsetzung verbieten. Auch trifft es zu, dass die inneren Unterschiede, die in der Gottheit walten, für ihre Externbeziehungen nicht unbedeutsam sind, so dass das Werk der Schöpfung besonders von der ersten Person der Trinität auszusagen ist. Dennoch schließt ihre schöpferische Tat das Mitwirken des Sohnes und des Geistes nicht aus, sondern ein. Andernfalls könnte das Schöpfungswerk des allmächtigen Gottes nicht als väterlich und als Werk vollendeter Wesensgüte und Liebe Gottes bekannt werden. Die Realisation der schöpferischen Freiheit Gottes, dessen trinitarische ousia und substantia bereits nach Urteil der vornizäischen Kirchenväter (vgl. v. Ostheim) reine Liebe ist, erfolgt nicht sukzessive nach Art einer stufenweisen EmanaErster Glaubensartikel

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tion, sondern instantan und in einer Unmittelbarkeit, die nur durch Gott und durch keine außergöttlichen Mittlerinstanzen vermittelt ist. Weder irdische noch überirdische Mächte außer Gott haben am Werk der Schöpfung mitgewirkt. Andere Schöpfungsprinzipien neben Gott in Anschlag zu bringen, ist ausgeschlossen. Keine natürliche und keine übernatürliche Kraft kooperierte beim Werk seiner Schöpfung. Gott der Schöpfer ist weder auf die Mithilfe von Engeln oder sonstiger Geistwesen angewiesen noch an materielle Naturvorgaben gebunden. Himmlisches und Irdisches, Ideales und Materiales, Seele und Leib etc. sind Werke seiner Schöpfung und Kreatürliches, nicht Göttliches. Denn Gott ist Schöpfer sowohl der sichtbaren als auch der unsichtbaren Welt; er und er allein ist der Herr des Alls. Das All der Welt und damit die Welt als Ganze samt allem, was in ihr ist, wurde von Gott und Gott allein geschaffen. Damit ist zugleich gesagt, dass die Welt als Inbegriff alles Kreatürlichen selbst nicht Gott, sondern gottunterschiedene Schöpfung, Werk des Schöpfers ist. Die Vorstellung einer von Ewigkeit her existierenden Welt ist damit ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist ebenso die Annahme eines von Ewigkeit her schon vorhandenen Stoffes, durch dessen Zubereitung und Formung Gott die Welt gebildet habe. Selbst das rudimentärste Substrat, aus dem die Welt besteht, ist von Gott erschaffen. In der altkirchlichen Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts hat diese Wahrheit schöpfungstheologischen Ausdruck gefunden. Sie besagt, dass nichts vorhanden gewesen sei, dessen sich Gott bei seinem Schöpfungswerk bedient hätte, sondern dass alles Sein allein aus ihm, von ihm und durch ihn hervorgerufen wurde. Auch die Materie ist von Gott erschaffen und damit nichts, was der Güte der göttlichen Schöpfung prinzipiell widerständig sein könnte. Jeder Prinzipiendualismus ist schöpfungstheologisch abgewiesen. Als Grund und Ursache seiner Schöpfung ist Gott zugleich deren Endzweck und letztes Ziel. Aus der Hinordnung auf Gott, von der sie insgesamt herkommt, bestimmt sich die Ordnung der Schöpfung, wie sie die Schöpfungstheologen der Alten Kirche in der Regel an der Abfolge der Schöpfungswerke in dem häufig kommentierten ersten Kapitel der Genesis abgelesen haben. Die Erschaffung des Grundstoffs, aus dem die Welt besteht, erfolgte aus Nichts und unmittelbar, die Folgewerke gestalteten sich auf mittelbare Weise, jedoch so, dass die jeweiligen kreatürlichen Formen als unmittelbar gottgewollt und nicht lediglich als Epiphänomene eines materiellen Substrats in Erscheinung treten. Am geistigen Wesen des kreatürlichen Menschen lässt sich dies ebenso exemplarisch verdeutlichen wie am Geistwesen der Engel, die zwar in der Schöpfungsgeschichte nicht erwähnt werden, von denen die altkirchliche Theologie gleichwohl annahm, dass sie von Gott geschaffene Wesen sind, auch wenn weder über Tag noch Stunde ihrer Erschaffung Näheres auszumachen ist. Als unkörperliche Geistwesen sind die Engel weder an die Grenzen des Raumes noch an die Schranken der Zeit gebunden und haben gleichwohl nach altkirchlichem Urteil als gottunterschiedene Kreaturen zu gelten, die unbeschadet ihrer reinen Geistnatur nicht göttliche Wesen, sondern Geschöpfe sind. Dies ist ein

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bemerkenswerter Sachverhalt, der geeignet ist, einen ersten Ansatzpunkt für eine systematische Skizze der konstruktiven und kritischen Auseinandersetzung zwischen altkirchlicher Schöpfungslehre und hellenistisch-griechischer Denkungsart zu bieten, deren erste Phase signifikanterweise durch das Problem der theologischen Stellung geistiger Entitäten bestimmt war, bis dann der Status der Materie ins Zentrum der Aufmerksamkeit trat. Erst sehr viel später konzentrierten sich die Debatten auf das Gottesverständnis, das den christlichen Schöpfungsglauben mit den diversen Formen griechisch-hellenistischer Ursprungsmetaphysik einerseits verbindet, andererseits von ihnen unterscheidet. Die sog. Hellenisierung des Christentums, die Angelologische Aspekte gerade von protestantischen Theologen lange mit Ablehnung bedacht wurde (vgl. Glawe), war kein Überfremdungsprozess, sondern eine Entwicklung produktiver Rezeption (vgl. Scheffczyk, Hellenisierung), bei der es die noch junge Religion an selbstbewusster Kritik hellenistischen Traditionsguts nicht fehlen ließ. Die Angelologie gibt dafür ein Beispiel. Das deutsche Wort „Engel“ ist dem Lateinischen entlehnt und stammt von „angelus“, was seinerseits dem Griechischen entlehnt wurde. Angelos, angelus, Engel (hebr. mal’ak) heißt derjenige, welcher eine Botschaft zu überbringen hat und zwar im Unterschied zu einem Nuntius keine bloß menschliche, sondern eine göttliche. Götterboten treten in der Religionsgeschichte häufig auf. Sie stehen im Dienst höherer Mächte und sind als Mittler zwischen ihnen und den Menschen tätig, etwa indem sie Offenbarungen oder Weisungen überbringen. Bleibt ihr Status als Mittelwesen unter naturreligiösen und polytheistischen Bedingungen ambivalent, so werden sie in monotheistischen Religionen eindeutig vom einen Gott unterschieden und zu dessen Geschöpfen erklärt. In der alttestamentlichen Überlieferung, die von Engelsvorstellungen verhältnismäßig sparsamen Gebrauch macht, steht die Geschöpflichkeit der himmlischen Boten spätestens zu dem Zeitpunkt fest, als sich in Israel der Eingottglaube definitiv ausgeprägt hatte. Über die spezifische Eigenart und Seinsweise von Engeln wird im Alten Testament nicht spekuliert. Ihre Bedeutung erfüllt sich in der Funktion, Gesandte und Melder Jahwes zu sein. Entscheidend ist die Botschaft, nicht sosehr der Bote, der sie überbringt. An der Tora als der Grundweisung Gottes zeigt sich zuletzt, wer als Gottes Bote zu gelten hat und wer nicht. An dem konstitutiven Zusammenhang von göttlichen Geboten und gottgesandten Boten halten auch diejenigen frühjüdischen Traditionen fest, welche Ansätze zu förmlichen Angelologien ausbilden und etwa Engelhierarchien aufstellen, einzelne Engel mit Namen benennen und mit einem spezifischen Zuständigkeitsbereich versehen etc. Der den himmlischen Heerscharen gebotene Dienst besteht in der liturgischen Verehrung Gottes als des Herrn der Herrlichkeit, wie Cheruben und Seraphen ihn verrichten, in der Ausführung seines schöpferischen und erhaltenden Willens gegenüber seinen Menschengeschöpfen und seinem erwählten Volk zumal, dem mitsamt seinen Gliedern Schutz und Geleit in besonderer Weise verheißen ist, in der Exekution von Anklage, Gericht und Strafe über die Sünde

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und in der Hilfe für die Frommen, die Gottes Gebote halten und Recht tun nach seinem Willen. Hinzuzufügen ist, dass am Prozess der Eschatologisierung der alttestamentlichen Überlieferung, wie er sich in der Apokalyptik vollzieht, auf ihre Weise auch die frühjüdische Angelologie Anteil hat. Einen angelologischen Komplex der besonderen Art stellen die Traditionen vom Engelsfall dar. Da ein prinzipieller Engelsdualismus, der uranfänglich zwischen guten und bösen Geistern unterscheidet, der biblischen Überlieferung und dem Glauben an die Güte Gottes und seines Schöpfungswerkes fremd ist, muss der Fall der Engel auf schuldhafte Abkehr von Gott und der Ursprungsordnung seiner Schöpfung zurückgeführt werden. Als unergründliches und unbegreifliches Motiv hierfür wird das in sich verkehrte Streben angegeben, sein zu wollen wie Gott. Die selbstüberhebliche Rebellion gegen Gott verfällt der Grund- und Bodenlosigkeit der Hölle, in der Satan und die Seinen ihr teuflisches Unwesen treiben und aus Gotteshass heraus alle Kreaturen zu verführen und zu destruieren trachten, damit alles auf üble und boshafte Weise zugrunde gerichtet werde. In den Teufels- und Dämonenvorstellungen reflektiert sich, wenn man so will, die Angelologie im Modus abgründiger Verkehrung. Der hamartiologische Sinn solcher Vorstellungen kann und darf nicht in der Entschuldigung menschlicher Sünde bestehen, was eine weitere Verschuldung wäre. Ihre Bedeutung liegt ausschließlich darin begründet, Sünde unbeschadet zurechenbarer Schuld als ein Besessenheitsphänomen und die Macht des Bösen als eine Größe zu identifizieren, bei deren Bekämpfung der Mensch ohne die Hilfe Gottes und ohne gläubiges Vertrauen auf sie zwangsläufig unterliegen müsste. Personaler Inbegriff und offenbare Gestalt göttlicher Hilfe gegen Tod und Teufel, sündige Bosheit und Übel aller Art ist nach dem Bekenntnis christlichen Glaubens Jesus Christus, der auferstandene Gekreuzigte, der als Versöhner und Erlöser von Menschheit und Welt der Gottheit Gottes unveräußerlich zugehört und in der Kraft des göttlichen Geistes durch Wort und Sakrament heilsamen Anteil gibt an seinem Sohnesverhältnis zum göttlichen Vater, damit die Bestimmung der Menschengeschöpfe, ja in gewisser Weise aller Kreaturen zur Gotteskindschaft sich erfülle. Die ganze neutestamentliche Angelologie ist auf dieses Grundbekenntnis und diese Grunderkenntnis abgestellt, in deren Bezeugung sich die Engelwesen als dasjenige erweisen, was sie in Wahrheit sind: Diener und Boten des Evangeliums Jesu Christi, in dem Gott Mensch geworden ist, um Menschheit und Welt zu versöhnen mit sich selbst und von allen bösen und üblen Mächten in Glaube, Liebe und Hoffnung zu erlösen (vgl. im Einzelnen Tavard). Ohne an einer Systematisierung der rezipierten Überlieferungen von Engelswesen, ihren Ordnungen und Funktionen näher interessiert zu sein, ist die neutestamentliche Angelologie in allen ihren Aspekten auf die Botschaft göttlicher Geistoffenbarung in Jesus Christus konzentriert, wie sie im christologisch-trinitarischen Dogma der Kirche lehrhaften Ausdruck gefunden hat. Es ist die übliche religionsgeschichtliche Funktion von Engeln, zwischen Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung bzw. Geschöpfen zu vermitteln. Sie nehmen

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daher häufig die Stellung von Mittelwesen und gelegentlich auch die Stellung von Schöpfungsmittlern ein. Als solche kommen sie in der altkirchlichen Schöpfungstheologie nicht infrage, weil sie erstens gemäß alttestamentlicher Überlieferung selbst als Geschöpfe zu gelten haben und weil zweitens nach neutestamentlichem Zeugnis Jesus Christus der Schöpfungsmittler ist, dessen Mittlerschaft alle Engel dienend zugeordnet sind. Zwar sind sowohl innerhalb als auch außerhalb des neutestamentlichen Kanons „Spuren einer frühen, auf die jüdische Angelologie zurückgehenden Form christologischer Reflexion zu finden“ (Williams, Jesus Christus, 726), wonach Jesus Christus als eine Art von Engelswesen zu gelten habe; entsprechende Auffassungen begegnen auch in der gnostischen Literatur. Aber bestimmend für den Verlauf der Theologiegeschichte der Alten Kirche mitsamt der Entwicklung ihrer Schöpfungstheologie sollte nicht der engelschristologische Ansatz, sondern der Ansatz der Logoschristologie werden, wie er namentlich vom Johannesevangelium vorgegeben war. Während sich die Apostolischen Väter ganz im Rahmen der biblischen Engelsüberlieferung bewegten, kam es bei den Apologeten, deren Logoschristologie weichenstellend für die altkirchliche Lehrentwicklung wurde, zu ersten Ansätzen systematischer Angelologie, die dann bei den Alexandrinern, bei Augustin und bei Dionysius Areopagita unter dem Einfluss des Platonismus immer spekulativer ausgestaltet wurden, bis der „Doctor Angelicus“ Thomas von Aquin auf aristotelischer Basis eine scholastische Synthese schuf, die trotz kritischer Einwände für das lateinische Hochmittelalter und darüber hinaus klassisch werden sollte. Danach sind Engel geistige Substanzen (substantiae intellectuales), die notwendig zur Vollkommenheit des Universums gehören und willentlich und mit freiem Entscheidungsvermögen wirken, ohne dazu des Mediums eines eigenen Körpers oder körperlicher Kräfte zu bedürfen. Körper setzen sich aus Form und Materie zusammen. Das Sein der Engel hingegen hängt nicht von Materie ab, da es sich bei ihnen um immaterielle Substanzen und selbständige Formen (formae subsistentiae) reiner Geistigkeit handelt. Die englische Unsterblichkeit ergibt sich hieraus. Während alles, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist, zerstört werden kann, sind geistige Substanzen unzerstörbar. Obwohl Engel als unsterbliche geistige Substanzen weder körperlich, noch aus Materie und Form zusammengesetzt sind, noch wie materielle Formen in der Materie existieren, kommen sie dennoch der Gottheit Gottes nicht gleich, sondern sind von ihr und ihrer Einfachheit grundsätzlich unterschieden. Engel sind Geschöpfe. Ihre Kreatürlichkeit zeigt sich vornehmlich daran, dass in ihnen Sein und Wesen (esse et quod est) differieren. Während Gott sein Wesen ist, sind in Engeln Sein und das, was ist, nicht dasselbe. Engel sind aus Substanz und Sein zusammengesetzt, und Akt und Potenz koinzidieren in ihnen nicht unmittelbar. So lehrte es der große christliche Angelologe Thomas von Aquin in seinen theologischen Summen.

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Es kommt im gegebenen Zusammenhang weder Schöpfer alles Sichtbaren darauf an, über interne Differenzen christlicher und Unsichtbaren Angelologie, die sich nicht zum Geringsten auf unterschiedliche sei es platonisch sei es aristotelisch geprägte philosophische Einflüsse zurückführen lassen, noch auch über die theologische Notwendigkeit der Annahme einer Existenz von Engeln zu befinden. Entscheidend ist allein, dass christliche Theologen unter Voraussetzung ihrer Existenzannahme Engel stets und zwar trotz und unbeschadet ihrer immateriellen Wesensnatur nicht als göttlich, sondern als Geschöpfe Gottes qualifizierten. Dies gilt für die Repräsentanten der Hochscholastik ebenso wie für patristische Theologen, in deren geistigem Umfeld Engeln nicht selten ein göttlicher oder ein Status als gottähnliches Mittelwesen zuerkannt wurde. Nicht nur der Gnostizismus bietet dafür genügend Beispiele. Auch für die Auseinandersetzung mit den Traditionen namentlich der platonischen Schulphilosophie war die patristische These einer Geschöpflichkeit der Engelwesen insofern von erheblicher Relevanz, als diese dort nicht selten als Repräsentanten der Ideenwelt und als Seelenprototypen in Anspruch genommen wurden, um die Göttlichkeit und Gottähnlichkeit der Vernunftideen, die ewige Präexistenz der Seele und die ihr eigene Unsterblichkeit zum Ausdruck zu bringen. Bezieht man sie hierauf, dann beinhaltet die patristische These der Geschöpflichkeit der Engel eine Absage an Annahmen, wie sie für den philosophischen Zeitgeist zumindest in Teilen kennzeichnend waren. Gottes Schöpferhandeln sind weder materielle Substanzen noch immateriellgeistige Wesenheiten vorgegeben. Er ist Schöpfer sowohl alles Sichtbaren als auch alles Unsichtbaren und Herr der Geister und Seelen, deren Leiblichkeit, wie sie im Falle des Menschen gegeben ist, im Übrigen kein Defizit, sondern eine gute Gabe göttlicher Schöpfungsgüte darstellt. Dass Gott leibhafter Mensch und nicht etwa ein leibloser Engel geworden ist, um sich zu offenbaren, beweist definitiv, was durch die jüdisch-israelitische Schöpfungstradition ohnehin nahegelegt wird. Der von Gott aus Erde (adama) gebildete und mit dem Hauch seines Lebensodem versehene Mensch (adam) ist ein beseeltes und zugleich ein irdisches Wesen von erdverbundener Leibhaftigkeit. Die jahwistische Geschichte von Schöpfung und Paradies nennt ihn in Gen 2,7 eine näfäs hajja, ein lebendiges Wesen, das nicht in Leib und Seele aufzuteilen ist, sondern als psychosomatische Einheit zu gelten hat (vgl. Wolff, 25 ff.). „Der sich mit dem Stofflichen verbindende göttliche Lebensodem macht den Menschen zu einem ‚Lebewesen‘ sowohl nach der Seite des Physischen wie des Psychischen hin. Dieses Leben stammt direkt von Gott; – so direkt wie der leblose Menschenleib den Anhauch aus dem Munde des über ihn gebeugten Gottes empfangen hat!“ (v. Rad, 62) Der Mensch ist insgesamt und nicht etwa nur in Teilen Geschöpf Gottes und von kreatürlicher Art. Was seinen Leib beseelt, kommt ebenso ganz von Gott her wie dieser. Die Annahme einer Göttlichkeit der Seele, wie sie sich bei den Griechen, namentlich bei Platon und in der platonischen Tradition findet, ist der jüdischen Überlieferung fremd. Daran schließen die altkirchlichen Theologen an,

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wenn sie die Geschöpflichkeit der Seele und ihre untrennbare Verbindung mit der leiblichen Existenz des Menschen betonen, was Kritik bestimmter Aspekte zeitgenössischer Seelenlehre mit sich führte. Auch die Seele ist von Gott geschaffen und nicht etwa an sich selbst göttlichen Wesens. Ihr Leben und insbesondere ihr ewiges Leben kommt ihr nicht von sich aus, sondern als Gnadengabe Gottes zu. Allein Gottes Geist gewährt Unsterblichkeit, wohingegen die Seele für sich genommen sterblich ist wie der Leib, dem sie als sein Inneres unveräußerlich verbunden ist. Der Mensch ist Gottes Geschöpf nach Leib und Seele. Dies wird im Anschluss an das Zeugnis der Bibel und der Apostolischen Väter seit den Zeiten der Apologeten gegen andersartige Auffassungen von Gnosis und griechischer Philosophie dezidiert geltend gemacht mit weitreichenden Folgen, die im gegebenen Zusammenhang nur angedeutet werden können (vgl. im Einzelnen Pannenberg, 37 ff.). Die Vorstellung einer ewigen Präexistenz der Seele, die mit der Annahme ihrer Göttlichkeit oder Gottähnlichkeit verbunden war, wird außer bei Origenes, der sie modifiziert beibehält, ebenso abgelehnt wie diejenige ihrer Postexistenz im Sinne einer Seelenwanderung. Wo man mit der Möglichkeit bzw. Tatsächlichkeit mehrfacher Wiederverkörperungen einer Seele rechnet, wird nach Urteil der christlichen Apologeten und ihrer theologischen Nachfolger der Zusammenhang von Leib und Seele unstatthaft aufgelöst, der Leib zu einer bloßen Einkleidung und äußeren Hülle herabgesetzt und zugleich die Unwiederholbarkeit des Daseins des Menschen sowie die Einmaligkeit seiner geschichtlichen Individualität infrage gestellt. Dies aber stehe im Widerspruch sowohl zur menschlichen Bestimmung als auch zur Offenbarung Gottes in der einen Person des Gottmenschen Jesus Christus und führe zur Konsequenz, dass der Gang des Weltgeschehens sich in einen ziellosen Kreislauf ewiger Wiederkehr des Gleichen auflöse, statt als auf Gott ausgerichteter Prozess wahrgenommen zu werden, wie es der Ordnung der Schöpfung und der Bestimmung des Menschengeschöpfs entspreche. Eine weitere Folge christlicher Kritik von Lehrformen seelischer Prä- und Postexistenz betrifft die erkenntnistheoretischen Annahmen, die traditionell mit ihnen verbunden sind. Vernünftige Erkenntnis und namentlich Erkenntnis Gottes vollzieht sich nicht durch Rückerinnerung an präexistente Seelenzustände, die der Menschenseele vermöge ihrer Göttlichkeit auch unter irdischen Daseinsbedingungen mehr oder minder direkt und von sich aus zugänglich sind, wie dies die platonische Anamnesislehre nahelegt. Zu Vernunft und Gotteserkenntnis gelangt der kreatürliche Mensch nach christlichem Erachten nur von Gott her, der sich ihm von sich aus als sein Schöpfer erschließt. Schöpfungserkenntnis und Selbsterkenntnis des Menschen als Geschöpf ist ohne den Schöpfer nicht zu haben, der Sein und Erkenntnis gleichermaßen bewirkt. Gott hat den Menschen samt aller Kreatur als einen beseelten Leib und eine leibhafte Seele geschaffen und ihn zur Gottebenbildlichkeit bestimmt, wie es der zweite locus classicus alttestamentlicher Anthropologie neben Gen 2,7 bezeugt. Gemäß Gen 1,27 schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde und Gleichnis. In der Septuaginta, der griechischen Version des Alten Testaments, sind die hebräi-

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schen Wörter zelem und demut durch eikon und homoiosis wiedergegeben, woraus sich die Wendung ergab, der Mensch sei kath’ eikona kai homoiosin theou (secundum imaginem et similitudinem Dei) erschaffen worden. Die biblische Aussage bekam dadurch „eine unwiderstehlich platonische Färbung. Sie bedeutete nun, daß der Mensch nicht nur Abbild des göttlichen Urbilds, sondern auch zu fortschreitender Angleichung an Gott bestimmt sei im Sinne der platonischen homoiosis theo.“ (Pannenberg, 52) Altkirchliche Theologen haben im Zusammenhang ihrer Rezeption des Verses Gen 1,27, den sie im Lichte der neutestamentlichen Worte von Jesus Christus als vollendeter Ikone Gottes deuteten, vielfach Bezug genommen auf die platonische Lehre von der Angleichung an Gott, der zufolge der Mensch durch den seiner Seele innewohnenden Eros motiviert wird, sich von der vergänglichen Welt des Irdischen zur Unvergänglichkeit des wahrhaft Seienden zu erheben, um Gottes gewärtig zu werden. Auch diese Bezugnahme erfolgte nicht kritiklos, wie angesichts der christlichen Probleme mit der platonischen Seelenmetaphysik nicht anders zu erwarten war. Dies ändert jedoch nichts daran, dass hier wie auch sonst die platonische Tradition zur wichtigsten philosophischen Referenzgröße altkirchlicher Lehrbildung wurde: „Keine andere Philosophie der Antike hat die christliche Theologie im Zeitalter ihrer Entstehung und ersten Entwicklung so tief geprägt wie der Platonismus.“ (Pannenberg, 37) Zwar sind auch eine Reihe von Einflüssen der Stoa zu verzeichnen, die vor ihrem schnellen Erlöschen als selbständige Schule in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts eine durchaus beherrschende Stellung einnahm und das allgemeine Bildungsklima nachhaltig bestimmte (vgl. May, 2). Doch zum entscheidenden geistigen Gegenüber des frühen Christentums wurde auch und gerade in schöpfungstheologischer Hinsicht der Platonismus, wie sich an der Rezeptionsgeschichte namentlich des Timaios-Dialogs, der platonischen „Dichtung des Schöpfungsmythos“ (Wilamowitz-Moellendorf, 474), exemplarisch belegen lässt. Sie bestätigt zugleich, dass sich der christliche Platonismus altkirchlicher Theologie in einem „Vorgang produktiver Rezeption“ (Pannenberg, 37) ausgebildet hat, bei dem sich Affirmation und Abstandnahme nicht auseinanderdividieren lassen. Seines eigenen Wesens wurde das griechische Denken anfänglich dadurch gewahr, dass es Ein- Platons Timaios sicht nahm in die gesetzmäßigen Ordnungen der Natur und in einen ursprünglichen Grund, der das kosmische All fundiert und erhält. Thales von Milet und die ionischen Physiker geben dafür ein Beispiel, das Schule machte und in der Arithmetik der Pythagoreer, in der eleatischen Seinslehre, in Heraklits Denken, der die Einheit des Seins als beständige Veränderung verstand, oder in den Theoriebildungen des Empedokles und der demokritischen Atomisten Fortsetzungen fand, die je auf ihre Weise als exemplarisch gelten können. Mit Anaxagoras beginnt dann allmählich zu Bewusstsein zu kommen, dass die Natur auf rein naturhafte Weise nicht zu erkennen und nicht zu erklären ist, weil es dazu des Geistes bedarf, dessen Natur und Wesen von nun an ins Zentrum

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des philosophischen Interesses tritt. Für diese charakteristische Wende ist die Gestalt des platonischen Sokrates paradigmatisch, dessen Verhältnis zur sophistischen Skepsis bereits ebenso ausführlich dargestellt wurde wie das Denken seines größten Schülers Platon (vgl. Bd. 4, 240 ff.). Der Grund allen Seins ist Geist. Dieser Satz prägt die platonische Ursprungsmetaphysik prinzipiell und in allen ihren Teilen, und er bietet zugleich die wesentliche Erklärung für den nachhaltigen Eindruck, den sie auf das frühe Christentum und seine Theologiekonzeptionen machte. Die zahllosen Bezugnahmen auf Platon und seine Dialoge belegen dies. Was den Timaiosdialog betrifft, der nach einem pythagoreischen Philosophen aus dem unteritalienischen Lokri benannt ist und in der altkirchlichen Theologie wiederholt kommentiert, ja zu einem „Grundtext der Kosmologie in Spätantike, Mittelalter und Renaissance“ (vgl. Leinkauf/Steel) wurde, so handelt er unter transformierender Integration mythologischer Überlieferungsbestände von der Entstehung der Welt und vom Ursprung des Menschen. Die Gedankenabfolge ist in drei Hauptabschnitte gegliedert: Der erste handelt von dem durch Vernunft und auf vernünftige Weise nach Maßgabe immerseiender Ideen frei Hervorgebrachten, der zweite von demjenigen, was sich mehr oder minder zwangsmäßig ergibt, um sich dem sinnlichen Meinen in seiner Vernunftlosigkeit als stetes Werden und Vergehen darzustellen, der dritte schließlich vom Zusammenwirken von Vernunft und Notwendigkeit im kosmischen Geschehen und im Weltleben leibhafter Seelen. Der erste Teil ist auf die Intentionen des Demiurgen und die causa finalis der Schöpfung ausgerichtet, der zweite auf die causa efficiens als ihre conditio sine qua non, der dritte auf den Verbund von Kausalität und Finalität in beseelten Wesen und namentlich im Menschen (vgl. Gauss, 159). Ob Platon sein Werk „mehr beendet als vollendet“ (Wilamowitz-Moellendorf, 496) oder in Aufbau und Durchführung bis zum Schluss als vollkommenes „Abbild des Kosmos“ (Friedländer, 355) gestaltet hat, ist unter den Interpreten strittig. Der Urheber und Vater des Weltalls ist nach Platon einem guten Werkmeister zu vergleichen, der, von Liebe zu seinem geplanten Objekt motiviert, es gemäß den ihm vorschwebenden Ideen nach bestem Vermögen und unter Aufwand all seines Könnens aus dem Stoff heraus gestaltet, der ihm vorliegt. Die Ideen der Weltgestaltung des Demiurgen sind von urbildlicher Vollkommenheit, als Grundordnungsformen der Vernunft in der Idee des vollkommenen Guten inbegriffen und somit Implikat der Güte des Schöpfergottes. Sie schränken, indem sie den vernünftigen Modus ihrer Realisierung gewährleisten, die Freiheit des Schöpfers nicht ein, unterscheiden sie aber kategorial von bloßem Belieben als einer Entartungsform von Freiheit, die deren Namen nicht verdient, sondern Willkür zu nennen ist. Das Werk des Schöpfers vollzieht sich in der vollkommenen Form freier und vernünftiger Gestaltung des Stoffs, der ihm gestaltlos zugrunde liegt, um geformt und gestaltet zu werden. Gestalt nimmt der Kosmos in Form jener Ordnung an, die seinen Begriff ausmacht, welcher das Gegenteil dessen bezeichnet, was Chaos ist. Bezüge zur politi-

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schen Welt sind gewollt. „Platon verfolgte im TIMAIOS ein Projekt, das im engsten Zusammenhang mit den Intentionen und Aufgaben der Staatsphilosophie zu sehen ist.“ (Schäfer, 18) Als Motto kann gelten: „Den Kosmos betrachten, um richtig zu leben.“ (Vgl. Brisson) Schaffen heißt Ordnen, wobei die ideelle Vollkommenheit, wie die Vernunftideen sie repräsentieren, als Vorbild und Prinzip schöpferischen Ordnungshandeln gilt. „Indem nämlich der Gott wollte, daß alles gut und nach Möglichkeit nichts schlecht sei, so nahm er also alles, was sichtbar war und keine Ruhe hielt, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung war, und führte es aus der Unordnung zur Ordnung, da ihm dieser Zustand in jeder Beziehung besser schien als jener.“ (vgl. Platon, Timaios 30a [37 ff.]) Der Kosmos ist, sofern er seinem vernünftigen Begriff entsprechend in Ordnung gebracht wurde, einer und in seiner Einheit ein kreatürliches Abbild der Einheit dessen, der ihn erschuf. Seine abbildliche Einheit ist in sich differenziert, was seiner Ordnung solange nicht nur nicht widerspricht, sondern entspricht, als das Chaos nicht erneut überhand nimmt, welches den indifferenten Anfang der kosmischen Genese markiert. Bestimmt, wie es sich gehört, die Vernunft die jeweilige Seele, die Seele den ihr anvertrauten Körper, um ihn einzuordnen in das kosmische Ganze, dann hat das Weltall als seiner Bestimmung entsprechend und als ein Reflex derjenigen Güte zu gelten, die es hervorbrachte. Der Raum bietet alle Möglichkeiten zur Realisierung von Sinnerfüllung, und die Zeit gibt sich als bewegliches Abbild der Ewigkeit zu erkennen. Daraus erhellt, was bei Platon genesis heißt. Der Ausdruck bezeichnet „nicht ein innerweltliches Werden oder eine innerweltliche Veränderung . . . , sondern etwas, was sich zwischen der bloß denkbaren Welt der Ideen und der sinnlich wahrnehmbaren abspielt: genesis bezeichnet das Hervortreten von Ideen in der sinnlichen Welt.“ (Böhme, 5) Das Beginnen dieses Hervorgangs ist zwar zeitlich verfasst, ohne als anfänglich begriffen werden zu können. „Einen Anfang der Zeit können wir nicht denken. Er läge schon in der Zeit.“ (Blumenberg, 11) Als Maß der Zeit dienen nach Platon die sieben Planeten in den relativen Geschwindigkeiten, mit denen sie ihre vorgeschriebenen Bahnen ziehen. Damit die Zeit erzeugt werde und ihre Zahlenwerte zustande kämen, seien Sonne, Mond und fünf andere Sterne entstanden. Ihnen seien die Fixsterne beigesellt. All dies und vieles mehr wäre zu erörtern, wenn die Kosmogenesetheorie des Timaiosdialogs umfassend analysiert werden sollte: Die Vorstellung der Kugelgestalt der Welt, die Lehre von der Weltseele und ihrer Verknüpfung mit den Weltkörpern, die Elementenlehre und die Lehre von den vier Lebensformen bis hin zur Theorie der Erschaffung des Menschen als einer leibhaften Vernunftseele. Manches, wie etwa die Seelenwanderungslehre, musste christlicher Theologie fremd bleiben. Doch der Grundsatz Platons, dass die Schöpfung ein Werk vernünftiger Ordnung sei, konnte mit prinzipieller Zustimmung unter der Voraussetzung rechnen, dass die Ideen, nach Maßgabe derer der Schöpfer die Welt erschuf, als sein eigen und der Demiurg als wahrer Gott erachtet wurden. Die Vernunftideen sind Gott eigen, Implikat seiner Gottheit und ihr nicht

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äußerlich vorgegeben. Konnte sich diese Auffassung trotz gegenteiliger Interpretationen in seiner Schule nicht ohne Recht auf Platon berufen, so bereitete die Annahme eines dem demiurgischen Schöpferhandeln vorgegebenen Stoffs, welcher der Realisierung vernünftiger Freiheit zwangsnotwendigen Widerstand leistet und ihre Verwirklichung einschränkt, scheinbar ununüberwindliche Probleme. Der göttliche Baumeister, so Platon, bedarf eines Rohmaterials, um den geplanten Bau ideenmäßig zu gestalten. Er benötigt Materie, um sie zu formen. Diese Notwendigkeit beschränkt offenbar seine Freiheit und lässt es zugleich nicht zu, sein Schöpferwerk mit dem Prädikat vollkommener Güte zu versehen. Unter den Bedingungen jüdisch-christlicher Schöpfungstradition konnte man sich dies schwerlich gefallen lassen. Die Apologeten geben hierfür ein Beispiel: „Wenn die Materie, so argumentierten sie, ungeschaffen wäre, müßte sie Gott gleich sein, also wie Gott ohne Ursprung. Zumindest besäße Gottes schöpferisches Handeln bei einer ungeschaffenen Materie eine Grenze und wäre demnach nicht schlechthin voraussetzungslos; eine ungeschaffene Materie würde also eine Einschränkung der schöpferischen Macht des göttlichen Wortes darstellen.“ (Hoping, 296) Das altkirchliche Theorem einer göttlichen creatio Nihil pure negativum und ex nihilo ist ausdrücklich gegen ein Weltbildungsgestaltlose Materie modell gerichtet, das mit einer dem göttlichen Schöpferhandeln vorgegebenen ungewordenen Materie rechnet. Zum nihil, aus dem Gott die Welt erschuf, ist zu bemerken, dass es adverbial und als pure negativum zu verstehen ist. Denn nur durch ein adverbiales Verständnis des Wörtchens „nichts“, das nichts als völlige Abwesenheit dessen bedeutet, was Gott in seiner Gottheit nicht selbst ist, kann der Sinn der christlichen Rede von der creatio ex nihilo gewahrt werden, wohingegen seine Substantivierung zum „Nichts“ den allein theologisch fassbaren Sinn des nihil pure negativum und des ihm zugeordneten „ex“ zu verkennen droht (vgl. Taubes). Substantivisch und mithin als „Nichts“ tritt dasjenige, was schöpfungstheologisch „nihil“ heißt, erst, wenn man so will, unter postlapsarischen Bedingungen, also im hamartiologischen Kontext auf, wohingegen es protologisch nichts weiter besagt, als dass der göttliche Schöpfer nicht nur in sich vollendet ist, sondern auch und zwar allein und auf vollendete Weise Externes außer sich zu erschaffen vermag. Zu ergänzen ist, dass für alles Geschaffene der Grundsatz gilt, dass aus nichts nichts hervorgeht und dass dies gut so ist und der vollendeten Ursprungsgüte der Schöpfung entspricht. Zwischen der Lehre von der creatio ex nihilo und der Formel ex nihilo nihil fit besteht also kein theo-logischer Widerspruch. Gegensätzlich wird ihr Verhältnis erst infolge des nihilistischen Falls der Sünde, in dessen Folge das „nihil“ sich substantiviert und mit einer Größe versieht, die es prinzipiell nicht hat. Der ewige, ungeschaffene Gott, der in seiner unergründlichen Transzendenz allmächtig waltet, ist in seinem schöpferischen Wirken absolut souverän und schafft voraussetzungslos. Deshalb ist die Vorstellung einer ewigen und anfangslosen Materie ebenso abzuweisen wie jeder Versuch, den Monotheismus der Schöpfungstheologie durch Einführung eines zweiten Prinzips dualistisch zu unterminie-

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ren. Inwiefern Platon, die platonische Tradition oder andere philosophische Weltentstehungslehren der griechischen Antike tatsächlich im Gegensatz zur Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts stehen, muss historisch nicht entschieden werden. In Erinnerung gerufen sei, was an anderer Stelle zum platonischen Materieverständnis, zum aristotelischen Hylemorphismus und zu stoisch-epikureischen Kosmologiekonzeptionen ausgeführt wurde (vgl. Bd. 5, 248 ff.). Hält man vorstellungshafte Assoziationen fern, dann steht der Begriff der Materie zunächst für nichts weiter als für ein chaotisch Unbestimmtes, das allein dazu bestimmt ist, bestimmt, will heißen: geformt und gestaltet zu werden. In ihrer gänzlichen Unbestimmtheit gleicht die Weltmaterie einem nichtigen Chaos bzw. chaotischer Leere. Kann sie dann nicht auch mit dem nihil verglichen werden, aus dem Gott nach altkirchlicher Lehre die Welt erschuf? Die eigentümliche kritische und konstruktive Pointe der Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts im Sinne einer creatio ex nihilo pure negativo lässt sich nur erfassen, wenn man sie primär nicht auf die Vorstellungen, die sich mit der Indifferenz eines unbestimmt Anfänglichen verbinden, sondern auf die Frage der Bestimmbarkeit jenes Unbestimmten bezieht. Nach griechischer Auffassung kann, um es zu wiederholen, die Materie für ein schlechterdings Unbestimmtes stehen, das an sich selbst nichts und lediglich dazu bestimmt ist, bestimmt, also geformt und gestaltet zu werden. Lässt sie sich insoweit als ein Moment in die christliche Schöpfungslehre integrieren, so ist Widerspruch gegen die gekennzeichnete Auffassung angesagt, wenn sich mit dem Unbestimmten und zur Bestimmung Bestimmten die Annahme einer gegebenen oder verbleibenden Unbestimmbarkeit verbindet, die unaufhebbar ist. Dagegen richtet sich der Protest der creatio ex nihilo. Denn durch die Annahme eines solchermaßen Unbestimmbaren ist nicht nur ein Unbestimmtes benannt, wie es in der Weise etwa der Chaosvorstellung auch in den biblischen Schöpfungstraditionen begegnet, sondern dem göttlichen Schöpferwillen eine Grenze gesetzt, die theologisch unangemessen ist und das Bekenntnis zur vollkommenen Güte der Schöpfung nicht zulässt. Gott ist Herr des Chaos. Auch die Unbestimmtheit indifferenter und gestaltloser Materie steht in seiner Macht, und er bestimmt sie von sich und von Grund aus dazu, nicht in ihrer Unbestimmbarkeit zu verharren, sondern ihrer Bestimmung zu entsprechen und Form anzunehmen. Die Vorstellung einer dem göttlichen Schöpferhandeln vorausgesetzten und darin ewigen Materie ist unter diesen Bedingungen ausgeschlossen. Ein zweites Ungewordenes neben Gott kann es nicht geben. Deshalb lehren die Apologeten spätestens seit Tatian, dass auch die Materie geschaffen und der souveräne Wille Gottes der einzige Grund der Schöpfung sei. Dem korrespondiert der Gedanke der unbedingten Freiheit von Gottes schöpferischem Handeln, der als Implikat der Lehre von der creatio ex nihilo ebenfalls „konstitutive Bedeutung für das christliche Verständnis von Schöpfung“ (May, VII) besitzt. Ob dies entsprechend auch für die These eines zeitlichen Anfangs der Welt gilt, hängt davon ab, was man unter Zeit und unter Anfänglichkeit versteht. Dass die Welt insgesamt und in allen ihren Komponenten geschaffen und nicht

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ewig ist wie Gott, wird einvernehmlich von allen christlichen Theologen gelehrt, wobei einige von ihnen das ursprüngliche Beginnen der Schöpfung zeitlich fassen, andere hingegen mit Zeitlosigkeit insofern assoziieren, als chronologisch fassbare Dimensionen erst aus dem Verlauf „anfänglichen“ Beginnens hervorgehen. Wie immer man hier zu urteilen hat: Die Welt ist nicht Gott, sondern von ihm mit allem, was in ihr ist, unterschieden wie Geschöpf und Schöpfer. Eine derjenigen Gottes vergleichbare oder auch nur ähnliche Ewigkeit haben der Welt daher auch diejenigen christlichen Denker nicht zuerkannt, die sich außerstande sahen, Anfang und Ende der gottunterschiedenen Endlichkeit des geschaffenen Kosmos in raum-zeitliche Kategorien zu fassen. Mit der Annahme einer Ewigkeit der Welt ist zugleich derjenigen einer ewigen, Gottes Schöpferhandeln vorausgesetzten Materie der Abschied gegeben. Weder bedarf Gott außer ihm existierender Ideen noch eines nicht von ihm gemachten Rohstoffs, um die Welt erschaffen zu können. Er tut dies aus der souveränen Freiheit seiner Gottheit heraus, die keiner Fremdbestimmung unterliegt. Wurde diese Voraussetzung gewahrt, dann konnte der Platonismus christlich rezipiert werden, wie dies in vielerlei Hinsicht, etwa unter vorsehungstheologischen Gesichtspunkten der Fall war. Ein entscheidender Grund für die Affinität altkirchlich-patristischer Theologie zum Platonismus war der platonische Gedanke, dass der Grund der Welt nicht ein ihr immanentes Prinzip wie in der Stoa, sondern ein von ihr unterschiedenes, transzendentes Geistwesen sei, dessen Vorsehung die Schöpfung nicht nach Art eines fatalen Geschicks, sondern auf intelligible Weise durchwalte. Grundgedanken christlicher Lehre von der pronoia Gottes ließen sich daran anschließen, wohingegen das kosmologisch-pantheistische Providenzverständnis der Stoa eine christliche Fortbildung kaum zuließ. Gemäß seiner Vorsehung waltet Gott nach altkirchlichem Urteil, indem er das von ihm Geschaffene erhält, bei allem, was in der Welt geschieht, auf seine Weise mitwirkt und alles entsprechend seinem göttlichen Willen leitet und lenkt. Auch wenn dieser Wille im Gang des Weltgeschehens vielfältig verborgen und durch das der Ursprungsgüte der Schöpfung widersprechende Unwesen des Bösen, welches durch den Fall der Sünde in die Welt kam, menschlicher Einsicht verstellt ist, so ist er doch in Jesus Christus offenbar und in der Kraft des Hl. Geistes für den Glauben, den das Christentum bekennt, manifest geworden. Ohne die Glaubensgewissheit begründende OffenTrinitarische Schöpfungsbarung Gottes in Jesus Christus lässt sich nach lehre christlichem Bekenntnis weder von der Vorsehung des göttlichen Schöpfers noch von seiner Schöpfung angemessen sprechen. Die altkirchliche Schöpfungslehre nimmt daher aus innerer Konsequenz heraus fortschreitend trinitarische Gestalt an. Auch dieser Prozess, der im vierten Jahrhundert zu einer ausgebildeten Trinitätstheologie führte, wird durch konstruktive und kritische Bezugnahmen auf die zeitgenössische Philosophie und vornehmlich den Platonismus ständig begleitet. Im platonischen Denken meinte man christliche Vorahnungen der Dreieinigkeit Gottes insbesondere seit der Zeit entdecken zu

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können, als der sog. mittlere Platonismus der frühen Kaiserzeit durch Plotin zum Neuplatonismus als der dritten Entwicklungsstufe des antiken Platonismus umgestaltet wurde. Doch war es zunächst Philo, der bedeutsamen philosophischen Einfluss auf die bini- bzw. trinitarische Grundlegung altkirchlicher Schöpfungstheologie gewann. Der Alexandriner Philo, Miterneuerer des Platonismus in der frühen Kaiserzeit (vgl. Bonazzi), darf als der bekannteste Philosoph und Exeget nicht nur des Judentums der jesuanischen Zeit, sondern des antiken Judentums überhaupt gelten. Sein auf die Tora konzentriertes Denken war auf eine Synthese von jüdischer Tradition und griechischer Philosophie ausgerichtet. Was letztere ersann, war nach Philos Urteil im Pentateuch und in anderen heiligen Schriften Israels bereits grundgelegt, wenngleich in deutungsbedürftiger Weise. In diesem Sinne konnte der jüdische Philosoph dem mosaischen Schöpfungsbericht am Anfang des Buches Genesis den Weltentwurf Platons im Dialog Timaios zur Seite stellen. Die Apologeten, welche die christliche Lehre unter hellenistischen Bedingungen darzulegen und zu verteidigen suchten, verfuhren ähnlich, wobei Philo nicht selten als Vorbild diente. Inhaltlichen Einfluss auf die altkirchliche Schöpfungslehre hat dieser namentlich durch seine Logostheorie gewonnen. Gott, von dem nur gesagt werden kann, dass er ist, nicht was er ist, bedient sich intermediärer Mächte und Mittelwesen, um die von ihm unterschiedene Welt ins Sein zu rufen und im Dasein zu erhalten. Der Schöpfungsmittler schlechthin, der alle Tätigkeiten Gottes bezüglich seiner Schöpfung in sich vereint sowie die Welt als immaterielle Substanz durchwaltet und vernünftig bestimmt, ist der Logos. Daran konnten die Apologeten anschließen, um der trinitarischen Grundlegung altkirchlicher Schöpfungslehre den weiteren Weg zu bahnen, der bei der Einsicht seinen Ausgang nahm, dass der Logos, als dessen Inkarnationsgestalt man Jesus Christus im Anschluss vor allem an das Johannesevangelium bekannte, der Mittler der Schöpfung und als solcher allen Geschöpfen einschließlich der Engel überlegen sei. Mochte in der jüdisch-hellenistischen Tradition, wie das Beispiel Philos belegt, auch der Logos gelegentlich mit einem Engelwesen assoziiert werden, so wird er von den Apologeten, welche der christlichen Logoslehre zum Durchbruch verhalfen, deutlich von Engeln und sonstigen Geschöpfen abgerückt, auch wenn verbleibende Theorieprobleme nicht zu leugnen sind. Diese zeigen sich nicht nur an der Art und Weise, wie etwa Justin Engels- und Logoschristologie miteinander verknüpft, sondern auch an dem noch nicht hinreichend geklärten Status, den der Logos bei den Apologeten in Beziehung zu Gott einnimmt. Der naheliegende Anschluss an stoische bzw. philonisch-mittelplatonische Theoriekonzepte führte tendenziell dazu, den Logos dem Schöpfergott zu subordinieren und seine Bedeutung auf eine rein kosmologische Funktion einzuschränken (vgl. im Einzelnen Scheffczyk, Schöpfung und Vorsehung, 36 ff.). Als Vernunftkraft des Schöpfers geht der Logos erst zum Zwecke der Weltschöpfung aus diesem hervor, ohne recht eigentlich für die Gottheit des Schöpfergottes selbst wesentlich zu sein. Zwar wird dem Logos ein ewiges Sein bei Gott keineswegs grundsätzlich bestritten; aber zur

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Wirkung kommt der logos endiathetos doch erst als logos prophorikos, also im Vollzug der Schöpfung, deren Vorgang er mediatisiert. Unklarheiten bestehen bei den Apologeten auch in Bezug auf die genauen Bestimmungen des Verhältnisses, welches zwischen dem schöpfungsmittlerischen Wirken des Logos und dem Inkarnationsgeschehen sowie zwischen Protologie und Eschatologie waltet. Hinsichtlich dieser Zusammenhänge konnte der Ansatz, den Irenäus von Lyon im Kampf mit dem Gnostizismus durch seine heilsökonomische Verbindung der Lehre von Schöpfung, Erlösung und Vollendung begründete, neue Perspektiven erschließen. Die irenäische Konzeption der Heilsgeschichte wehrt jeder Isolierung der Schöpfungstheologie und reiht sie ein in den Gesamtkomplex christlicher Lehre, die nicht nur nach Ursprung, sondern ebenso nach zentraler Bestimmung und dem Ziel alles Geschaffenen fragt. Dem christologisch-trinitätstheologischen Begründungszusammenhang christlicher Schöpfungslehre konnte Irenäus auf diese Weise nachdrücklichere Geltung verschaffen, als es den Apologeten gelang. Doch ruft seine sog. Rekapitulationstheorie zugleich neue Fragen hervor, die sich vor allem auf das nicht ausreichend differenzierte Verhältnis von Vollendung und Wiederherstellung sowie im Zusammenhang damit auf das Problem beziehen, das neben dem Übel mit dem schöpfungswidrigen Faktum der Sünde gegeben ist. Um diesbezüglich genauere Aufschlüsse zu erlangen, bedurfte es weiterführender theologischer Arbeit, deren wesentlicher Ertrag im christologisch-trinitarischen Dogma der Alten Kirche vorliegt, um des Weiteren soteriologisch vertieft zu werden. Zum Vergleich christlicher Trinitätslehre mit SysPlotins Ursprungstemtriaden platonischer Tradition bietet sich insbehypostasen sondere die Lehre von den drei ursprünglichen Hypostasen an, wie sie in den Enneaden Plotins entfaltet ist, des neben Platon und Aristoteles bedeutendsten Denkers der Antike. Porphyrios, der Biograph des Gründervaters des Neuplatonismus, hat dessen hinterlassene Schriften in einer mehr oder minder sachlichen Anordnung nach Maßgabe von sechs Neunerreihen (Enneaden) gesammelt. Die erste Enneade enthält nach Bekunden des Porphyrios Gegenstände mehr ethischen Inhalts, die zweite naturphilosophisches Schrifttum, die dritte weitere Untersuchungen über den Kosmos und die Dinge der Welt, die vierte Texte über die Seele, die fünfte solche über den Geist und verwandte Themen, die sechste schließlich Abhandlungen über die Klassen des Seienden, das Sein des Seienden in seiner Identität und Differenz sowie über das Eine, das alles Begreifen transzendiert. Besondere Attraktivität auf christliche Theologen hat seit alters Enneade V,1 ausgeübt, aus der sich Grundzüge der Lehre Plotins vom Einen (hen), vom Geist (nus) und von der Seele (psyche) rekonstruieren lassen, die im Laufe der Christentumsgeschichte immer wieder zu trinitätstheologischen Bezugnahmen Anlass gegeben hat (vgl. Aubin, bes. 11 ff.). Der Inhalt von Enn V,1 wurde bereits dargestellt (vgl. Bd. 4, 300 ff.), ebenso die Genese des trinitarischen Dogmas und die Form, die es im vierten Jahrhundert gefunden hat. Eine offenkundige Abweichung der plotinischen Ursprungsmeta-

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physik von der altkirchlichen Trinitätslehre liegt darin begründet, dass in ihr der Logosbegriff keine eigene Hypostase bezeichnet. Allerdings steht der Logos, ohne selbst eine Hypostase zu sein, zu Hen, Nus und Psyche in elementarer Beziehung, wobei namentlich der Nus logoshaft zu denken ist (vgl. Früchtel), wie er denn auch mit den Ideen aufs innigste verbunden wird. Auch der Geist hat selbstverständlich am Nus einen festen Anhalt. Weit mehr als terminologische Abweichungen fällt ins Gewicht, dass zwischen den plotinischen Hypostasen gestufte Übergänge walten, wohingegen die trinitarischen Personen untereinander eines Wesens sind. Damit hängt aufs engste zusammen, dass die Einheit Gottes in der christlichen Trinitätslehre anders gedacht wird als in der triadischen Hypostasenlehre Plotins. Zwar ist das plotinische Eine in den von ihm unterschiedenen Hypostasen präsent, aber nicht als es selbst, sondern nur in dem Maße, welches der graduellen Hypostasenstufung entspricht. Während die trinitarischen Personen in ihrer Wesenseinigkeit wechselseitig aufeinander bezogen und füreinander aufgeschlossen sind, ist dem Einen Plotins die Relation auf das, was es nicht unmittelbar selbst ist, vergleichsweise äußerlich. Weder Nus noch gar Psyche haben konstitutive Bedeutung für die Einheit des Einen. An sich selbst bleibt dieses verschlossen in sich, wohingegen der trinitarische Gott als Einer in sich erschlossen ist für Anderes, was die Voraussetzung seiner freien Selbsterschließung in einem schöpferischen Akt ist, der sich auf emanative Weise nicht fassen lässt. Nach Plotins Urteil ist seine Theorie von den drei Ursprungshypostasen – weit davon entfernt, eine spitzfindige Neuerung zu sein – als echt platonisch und als schulgerechter Ausdruck der Lehre des Altmeisters zu werten. Im Grundsatz strukturiert sei sie nach vorhergehenden Andeutungen bei Parmenides in dem nach diesem benannten Platondialog, in welchem dem durch die traditionelle Königsmetapher umschriebenen höchsten Prinzip der Nus als das, wie es heißt, „Vielfach Eines“ oder „Eines Vieles“ und die Psyche als „Eines und Vieles“ zu- und nachgeordnet werden. Über das Recht dieser Selbsteinschätzung Plotins und seines Verzichts auf jeden Originalitätsanspruch Platon gegenüber ist hier nicht zu urteilen. Dass es im Platonismus ursprungsmetaphysische Varianten und Verschiedenheiten bezüglich der hypostatischen Prinzipienlehre gab, ist unbestreitbar. Dennoch konnte die platonische Philosophietradition von der Theologie des antiken Christentums als eine differenzierte Einheit wahrgenommen werden, die in Konstruktion und Kritik zu einheitlichen Problemwahrnehmungen Anlass gab (vgl. Rist), deren Wirkungsgeschichte weit über die Alte Kirche hinaus bis in die Neuzeit reicht (vgl. Fürst/Hengstermann [Hg.]). Dass die wahrgenommenen Probleme dem Christentum selbst nicht äußerlich blieben, son- Origenes „De principiis“ dern es in seinem Innersten umtrieben, lässt sich an vielen Exempeln verdeutlichen, nicht zuletzt am Beispiel von Plotins älterem Zeitgenossen Origenes (185–254). Mit einer kurzen Fallstudie zu seinem in der christlichen Theologiegeschichte höchst umstrittenen, aber gleichwohl weichenstellenden Denken soll das Kapitel zum Verhältnis von platonischer Ursprungsmetaphysik

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und altkirchlicher Schöpfungslehre beschlossen werden. Wollte es jemand in Angriff nehmen, das Leben dieses Mannes in Ruhe zu beschreiben, dann hätte er viel zu sagen, und die Darstellung würde ein eigenes Werk erfordern. So steht es im Sechsten Buch (VI,2) der Kirchengeschichte Eusebs von Caesarea zu lesen. Origenes war der christliche Platoniker par excellence, was ihn von konstruktiver Platonismuskritik nicht abhielt (vgl. Edwards). Dabei ist es noch nicht eigentlich der Neuplatonismus, sondern der mittlere Platonismus, der das Denken des Origenes geprägt hat, wobei der Alexandriner Philo den erheblichsten Einfluss namentlich im Hinblick auf den Logosbegriff des Origenes in seinem Verhältnis zur Gottheit Gottes ausgeübt hat; ob und inwieweit die valentinianische Gnosis einflussreich war, kann dahingestellt bleiben (vgl. Krämer, 264 ff.). Mit seinen zwischen 220 und 231 entstandenen vier Büchern „Peri archon“, die in Rufins lateinischer Übersetzung mit „De principiis“ betitelt sind, hat der gelehrte Alexandriner „den ersten Versuch einer systematisch angelegten Darstellung des christlichen Glaubens“ (Görgemanns/Karpp, 9) unternommen. Darin wird das apostolische Kerygma von Buch I/1 bis IV/3 in achtfacher Hinsicht entfaltet: Gott, Jesus Christus, Hl. Geist, Seele, Freiheit des Willens, Teufel und böse Mächte, Schöpfung und Vollendung der Welt sowie die Heilige Schrift nach Ursprung und geistlichem Sinn. In Buch IV/4 wird eine knappe Zusammenfassung geboten. Seiner literarischen Form nach ist das Werk, das im Oeuvre des Origenes eine besondere Stellung einnimmt, eine Zwischenform zwischen Lehrbuch und problemorientierter Abhandlung, die das Christentum apologetisch und polemisch gegen äußere Bestreitungen und innere Anfechtungen zu verteidigen und im Sinne einer philosophisch-theologischen Gedankensynthese spekulativ zu erfassen sucht. Die, wie man sie genannt hat, „undogmatische Antiorigenistische Dogmatik“ (L. Lies) des Origenes hat zu zahlreiAnathematisierungen chen kirchlichen Einwendungen Anlass gegeben, die schließlich zu den antiorigenistischen Anathematisierungen von 543 (vgl. DH 403–411) und 553 (vgl. DH 433) führten. Waren diese auch weniger gegen den genuinen Origenes als gegen den Origenismus im 6. Jahrhundert gerichtet, so trafen sie doch in ihrer Wirkung auch das dogmatische Werk von „Peri archon“, das infolge der origenistischen Streitigkeiten in seiner griechischen Originalfassung nicht mehr bzw. nur mehr in den kurzen Auszügen der sog. Philokalie erhalten ist, einer die Abschnitte III/1 und IV/1,1–3.11 umfassenden Anthologie, die Basilius der Große und Gregor von Nazianz herausgaben. Vollständig ist lediglich die lateinische Übersetzung Rufins. Was die Damnationen inhaltlich betrifft, so waren sie insbesondere gegen die Lehre von der Präexistenz der Menschenseelen (DH 403: „ehedem Geister und heilige Kräfte“), ihres vorzeitlichen Falls, in dessen Folge sie zur Strafe an einen Leib gebunden worden seien, sowie gegen die Annahme einer Wiederbringung aller einschließlich der Dämonen gerichtet (vgl. DH 411; ferner: 409). Im Zusammenhang mit der Anathematisierung der Lehre von der Präexistenz der Menschenseelen wurden auch die Annahme, die Geschöpfe seien gleich

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ewig wie Gott (DH 410), sowie die christologische Auffassung verworfen, derzufolge die Seele des Herrn präexistiert habe und mit dem Logos vor der Fleischwerdung und Geburt aus der Jungfrau geeint worden sei oder ähnliches (vgl. DH 404 f.). Auch der Lehre, welche den Logos an die himmlischen Mächte heranrückt, statt ihn klar von diesen zu unterscheiden, wird in dem Edikt des Kaisers Justinian an Patriarch Menas dezidiert widersprochen, das auf der Synode von Konstantinopel 543 veröffentlicht und zehn Jahre später auf dem 2. Konzil von Konstantinopel in erweiterter Form bestätigt wurde. Jedenfalls im Osten hat die Anathematisierung des Origenes mitsamt seiner „gottlosen Schriften“ (DH 433) der Geltung seiner Theologie „wirksam Abbruch getan“ (Williams, Origenes, 417). Zuvor jedoch war sein Einfluss kaum zu überschätzen und zwar nicht nur, wie bereits dargelegt (vgl. Band 5, 297 f.), in trinitätstheologischer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich der inkriminierten Schöpfungstheologie. Nach Origenes hat Gott zu Anfang seiner Schöpfung rein intelligible Geister geschaffen, in deren Welt es wohl Unterschiede, aber keine Differenzen leiblicher Natur und sonach auch keine Raum-Zeit-Differenzen gab. Ursprünglich sind die gottgeschaffenen Geistwesen von einer Idealität, die von nichts Materiellem behaftet ist. Erst die Deformation des Falls der Sünde, wie er durch verkehrten Freiheitsgebrauch eintrat, bewirkte, dass ihrer Bestimmung nach reine Geister von ihrer himmlischen Höhe in die Niederungen des Irdischen, ja in die Abgründe der Hölle gerieten. Dem Ausmaß des Verstoßes, welchen der Abfall darstellt, korrespondiert die Tiefe der Verstoßung, in welche die abtrünnigen Geister fallen. Den abgründigsten Fall aus dem Himmel der Engel hat der Teufel getan, der sein satanisches Unwesen in einer bodenlosen, weil gottlosen und allein sich selbst verfallenen Weise treibt. Die Menschen als leibhafte Seelen hinwiederum nehmen eine Zwischenstellung zwischen Engeln und Teufeln, zwischen Himmel und Hölle ein, welche sie hin- und hergerissen sein lässt zwischen Gut und Böse und ihrer Freiheit den unentschiedenen Status der Indifferenz zuweist. Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen Gut und Böse erklärt sich daraus, dass der Mensch seiner ursprünglichen Bestimmung gemäß von intelligibler Wesensart ist, faktisch aber materieller Sinnlichkeit unterliegt, die in einem beständigen Widerstreit liegt zu seiner Geistigkeit. Erlösung scheint so nur möglich durch Befreiung von den Lasten der sinnlichen Materie, wie sie das menschliche Weltdasein charakterisiert, dessen körperliche Verfassung offenbar Konsequenz des Falles der Sünde ist. Dass Körperlichkeit nach dem Urteil des Origenes gleichwohl nicht lediglich „selbstverschuldete Strafsituation“ (Lies, 84) ist, lässt sich an dessen Materieverständnis erkennen. Als Prinzip körperlicher Vielheit ist die Materie zwar einerseits das formlose Substrat möglicher Entfernung von Gott, sie ist aber an sich nicht böse, weil sie in ihrer reinen Blöße nichts ist als schiere Möglichkeit, gottunterschieden zu sein. Ihr Begriff koinzidiert tendenziell mit demjenigen der Indifferenzfreiheit. Origenes behauptet also die Materie keineswegs in dualistischer Manier als Gegenprinzip zu Gott, sondern dezidiert als von Gott erschaffen, wobei Geschöpflichkeit

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seiner Auffassung gemäß nicht gleichzusetzen ist mit Zeitanfänglichkeit. Zeitlos wie die Ideen und ihrer Bestimmung nach ursprünglich ganz in deren Formmacht kommt die geschaffene Materie als formdifferente Größe recht eigentlich erst zum Zuge, nachdem die zur Idealität bestimmten intelligiblen Menschenwesen jenen Fall sich haben zuschulden kommen lassen, der in der Materie wohl seinen äußeren Anstoß, nicht aber seinen inneren Grund hat. Um zu den nötigen Präzisierungen zu gelangen, ist Geistwesen und materielle die Kenntnis der Passage II/2,1 unerlässlich, wo Substanz sich Origenes der Frage stellt, ob eine körperlose Existenz von Vernunftwesen denkbar ist. Zwar räumt er unter der Zwischenüberschrift „Von der Ewigkeit der Körpersubstanz“ die theoretische Möglichkeit ein, zwischen Geistwesen und materieller Substanz zu unterscheiden, was dadurch unterstrichen wird, dass ersteren kreatürliche Priorität zuerkannt, von letzterer aber gesagt wird, sie sei für sie und nach ihnen geschaffen. Faktisch aber hätten Geistwesen nie materielos existiert, da nur das Leben der Trinität in ihrer Lebendigkeit gänzlich körperlos sei. Dass dies so ist, nimmt Origenes an. Warum es so ist, bleibt hingegen unklar. Ob Körperlichkeit als mögliches Schöpfungsgut zu gelten hat oder stets als kreatürliches Defizit, an dem der Fall der Sünde schuld ist, bleibt eigentümlich in der Schwebe. Das mag damit zusammenhängen, dass der geschöpfliche Urstand überhaupt einem Schwebezustand zu vergleichen ist, bei dem in dem Moment, da Zeit und Raum ihren Anfang zu nehmen im Begriffe stehen, für den Augenblick unentschieden bleibt, wohin das Geschöpf sich wendet, wohingegen alles Leben in Raum und Zeit den Fall bereits hinter sich hat und unter den Bedingungen sinnlicher Körperlichkeit lebt. „Any world apart from corporality and time is unthinkable“ (Tzamatikos, 175). Dieser Grundsatz muss nicht per se als Ausdruck eines defizitiären Weltzustands gewertet werden, da Origenes mit der Möglichkeit eines vernünftigen Lebens im Kosmos durchaus rechnet. „Nach unserer Meinung . . . gibt es nichts in der ganzen vernunftbegabten Schöpfung, was nicht zur Aufnahme des Guten wie des Bösen fähig wäre. Aber wenn wir sagen, daß kein Wesen unfähig wäre, das Böse aufzunehmen, behaupten wir darum noch nicht, daß jedes Wesen (tatsächlich) das Böse in sich aufgenommen hat, d. h. böse geworden ist; sondern ebenso wie man sagen kann, die Natur jedes Menschen sei aufnahmefähig für die Seefahrt, ohne daß darum jeder Mensch zur See fahren muß; und wie es jedem Menschen möglich ist, die Grammatik oder Medizin zu erlernen, ohne daß damit behauptet würde, jeder Mensch sei ein Arzt oder Grammatiker: so sagen wir, daß kein Wesen unfähig sei, das Böse aufzunehmen, ohne daß wir darum meinten, er habe tatsächlich das Böse aufgenommen; umgekehrt ist kein Wesen unfähig, das Gute aufzunehmen, ohne daß damit erwiesen wäre, jedes Wesen habe das Gute aufgenommen.“ (Görgemann/Karpp, 257) Alles Weltbeginnen ist anfänglich indifferent und daher nach Origenes zwar als unentschieden, nicht aber als zwangsläufig in sich verkehrt zu bezeichnen. Faktisch indes geht er von einer Verkehrtheit aus, in der sich der Mensch in jeder seiner Selbst- und Welterfahrungen immer schon vorfindet.

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Die schöpfungstheologischen Probleme, welche die Wertung der Materie und des Status bereitet, der der sinnlichen Existenz zuerkannt wird, begegnen im christologischen Zusammenhang in der Frage wieder, ob und gegebenenfalls mit welchem Eingehen des Logos auf leibhaftes Menschsein im Ereignis der Inkarnation zu rechnen sei. Origenes will Doketismus vermeiden. Dem widerspricht die Auffassung nicht, dass sich der Logos nicht unmittelbar, sondern mittels der Seele und durch sie mit der Materie eines sinnlichen Leibs verbunden hat. Dass die Menschenseele Jesu mit dem Logos uranfänglich eins und dergestalt von ihm durchdrungen ist, dass ihre Existenz ohne ihn nicht gedacht werden kann, hat insofern seine Richtigkeit, als diese perichoretische Einheit Differenz nicht naturhaft einzieht, sondern freiheitlich bestimmt ist dergestalt, dass der Erwählung der Jesusseele durch den Logos die willentliche Entsprechung derselben durch Wort und Tat korrespondiert. In der Christologie des Origenes zeichnet sich die klassische Zwei-NaturenLehre ebenso wie der spätere Dyotheletismus der orthodoxen Kirchenlehre u. a. darin ab, dass die Einheit von göttlichem Logos und Menschenseele nicht indifferent, sondern auf differenzierte und personale Weise aufgefasst wird. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, warum die zwar nicht in ihrem Verhältnis zum Logos, wohl aber in ihrem Verhältnis zur sinnlichen Leibeswelt präexistente Seele Jesu in die Materie überhaupt eingegangen ist, um Fleisch anzunehmen und körperlich dazusein unter den Bedingungen von Raum und Zeit. Um ihrer selbst willen, so wird man sagen müssen, geschah dies nicht: denn für die Jesusseele, deren Individualität – wie diejenige der trotz ihrer wesentlichen Gleichheit nicht ununterschiedenen, sondern differenten intelligiblen Geister – Origenes vorauszusetzen scheint, bestand ob ihrer gänzlichen Übereinstimmung mit dem Logos keine Nötigung, in die Niederungen der sinnlichen Welt und der Körper herabzusteigen. Jesus Christus hat das vielmehr nach Origenes um unseretwillen und um der Sünde unserer Seelen willen getan, welchen sich mit der Tatsache selbstverschuldeten Falls der bloße Gedanke an die Möglichkeit rein intelligiblen Seins als prinzipiell vergangen darstellen muss. Vermöge der reinen Vernunftseele Jesu, die nach Origenes vom Logos wie glühendes Eisen vom Feuer durchwirkt wird (vgl. II/6,6), ist auch sein um unseretwillen angenommener Leib als makellos und frei von aller Sünde vorzustellen. Durch die Hingabe seines Lebens, die sich im Kreuzestod vollendet, bewährt der leibhafte Mensch Jesus nicht nur die Reinheit seiner Seele und deren personale Einheit mit dem Logos Gottes, er eröffnet zugleich denen, die ihm folgen und ihr Streben ganz auf ihn richten, um ihre Seele mit der seinen konform zu gestalten, den Aufgang in die Höhe intelligiblen Seins, von welcher herabgestürzt zu sein den durch Seelenverkehrung bewirkten und verschuldeten Fall der Sünde ausmacht. Die Faktizität dieses Falls lässt die Seele des Menschen von Anbeginn als eine ambivalente Größe erscheinen, welche für einen Moment ein Mittleres bildet zwischen gottwidrigem Fleisch und willig seiner göttlichen Bestimmung entsprechendem Geist, um augenblicklich der Sinnlichkeit sich hinzugeben und ihrem Banne zu verfallen.

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Das Beispiel Jesu Christi aber zeigt die Möglichkeit auf, die seine singuläre Sendung neu erschließt, dass nämlich die Seele des Menschen kraft des Logos gottgefällig zu leben vermag und der Sinnenwelt keineswegs zwangsläufig und gleichsam schöpfungsnotwendig verfallen ist. Kreatürliches Sein in Konformität mit Gott ist Gottkonforme möglich und realisierbar. Die irdische ErscheiKreatürlichkeit nungsgestalt der mit dem Logos vereinten Menschenseele Jesu macht dies vorstellig und offenbart damit die göttliche Bestimmung des Menschen unter den Bedingungen seiner Weltexistenz. Geht man davon aus, dass mit der Erscheinungsgestalt Jesu Christi unbeschadet ihrer Exemplarität Individualität unveräußerlich zu verbinden ist, wird man nicht länger sagen können, dass Origenes die „Theorie des Abfalls von Gott (benötigt), um die Individualität allen (belebten) Seins erklären zu können“ (Lies, 111). Nicht nur ist, wie Jesu Auferstehungsleib zeigt, Leibhaftigkeit für Origenes kein bloßes körperliches Sinnesdatum, auch die Seele ihrerseits ist bestimmungsmäßig kein abstrakt Allgemeines, sondern eine Gattung je für sich, ohne dadurch zwangsläufig aus der Einheit mit Gott und der Einigkeit mit den Geschöpfen herauszufallen. Geistige Vielheit ist konkrete, nämlich individuelle Vielheit, und die mit solcher Vielheit zu assoziierende mannigfaltige Welt ist keineswegs notwendig dem Bösen verfallen. Der Fall, der die weltliche Mannigfaltigkeit in die sinnliche Konfusion treibt, tritt erst mit jener seelischen Verkehrung ein, die weder gottgewollt, noch kreatürlich notwendig ist, auch wenn sie sich ein alternativloses Ansehen gibt, um zuletzt für sich selbst als zwangsläufig geschehen zu erscheinen. Für das Leib-Seele-Verhältnis ergibt sich daraus grundsätzlich Folgendes: Leib und Seele sind für Origenes keine dualistischen Konträrprinzipien, sondern Beziehungsgrößen, denen die Relation zum jeweils anderen nicht äußerlich ist. Dies wird dadurch bestätigt, dass Origenes nicht nur mit unterschiedlichen Beseelungsformen des Leibes, sondern auch mit diversen Leibgestalten der Seele rechnen kann bis hin zum Auferstehungsleib, der, ohne aufzuhören Leib zu sein, alle Verweslichkeit sinnlicher Körperlichkeit abgelegt hat, um reines Medium unvergänglicher Seele zu sein. Die Differenziertheit des Leib-Seele-Verhältnisses ist nicht nur externer, sondern interner Natur und im Falle des Menschen überhaupt nur unter der Voraussetzung seiner Reflexivität angemessen zu erfassen. Der Gang der Argumentation ist dabei durch zwei gegenläufige Tendenzen bestimmt: Der Weg, der in den Abgrund der Sünde und des Bösen führt, ist mit den Namen Sinnlichkeit, Leib und Materie noch nicht angemessen bezeichnet. Denn es sind nicht die sinnliche Materie und das leibliche Sein als solche, welche den Fall der Sünde ausmachen und böse sind an sich selbst. Böse und der Sünde verfallen ist vielmehr die Seele, die sich selbst dadurch definiert, dass sie nichts erstrebt als materielle Sinnlichkeit und so tut, als sei sie bloßer Körper. Dies ist die Schuld der Seele, die sie dem Banne dessen ausliefert, was ihrer kreatürlichen Bestimmung zwar keineswegs schlechterdings zuwider, aber zur Formgestaltung aufgegeben ist. Was hinwiederum den Leib betrifft, der erst vermöge seiner Beseelung die ihm

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zukommende Gestalt erhält, so wird man annehmen dürfen, dass die Formung, die ihm durch die Seele zuteil wird, ihm gemäß ist insofern, als in bloßer Materie alle Gestalt zerfallen müsste. Der seelische Gehalt einer Entität ist somit entscheidend für die Form seiner leibhaften Gestalt. Je beseelter, umso formvollendeter ist die Gestalt eines Leibes. Ganz von der Seele durchdrungen, die mit dem göttlichen Logos wesentlich und willentlich eins ist, nimmt der Menschenleib diejenige Lichtgestalt an, die im Auferstehungsleib Christi präfiguriert ist. So wird es im Eschaton geschehen. Auf eine Wiederbringung aller Dinge darf in eschatologischer Perspektive dabei insofern gehofft werden, als Gottes Wille kein Geschöpf um seiner Kreatürlichkeit willen der Verderbnis preisgibt. Das schließt freilich nicht aus, dass es zu elementarsten Grundverkehrungen kreatürlicher Bestimmung und zu schuldhaften Verfehlungen kommen kann, die der Verdammnis anheimfallen. Eine Erlösung des Satans und seiner dämonisch verkehrten Inkarnationsgestalten hat auch Origenes nicht gelehrt, wobei hinzuzufügen ist, dass der Teufel nach seinem Urteil keine „Unnatur“, sondern ein gefallenes Geistwesen ist, das seine Lage selbst verschuldet hat. Zu ergänzen ist ferner, dass das Wesen des Geistes nicht eine gegebene und als Gegebenheit vorzustellende Substanz, sondern seine göttliche Bestimmung ist. Sie bleibt auch im Falle des Satans erhalten, freilich nur noch als eine mit höllischen Folgen in radikaler Sündhaftigkeit gänzlich verfehlte.

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3. Christliches Welt- und Menschenverständnis zwischen Platonismus und Aristotelismus

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Schöpfung bedeutet im Deutschen allgemein die Hervorbringung einer Sache sowie die hervorge- Schöpfungsbegriffe brachte Sache selbst. In seiner religiös-theologischen Verwendung bezeichnet das Wort die Erschaffung der Welt durch Gott den Schöpfer sowie die Welt als Schöpfung mitsamt aller Geschöpfe einschließlich des Menschengeschöpfs. Analoge Konnotationen verbinden sich mit dem lateinischen Wort creatio, das mit einigen seiner Derivate ins Deutsche eingegangen ist. Lehnwörter wie Kreation, Kreieren, Kreativität oder kreativ deuten je auf ihre Weise auf schöpferische Potenzen, Gestaltungen und Gestalten hin, deren Bezeichnung als Kreaturen allerdings teilweise einen pejorativen Sinn angenommen hat, welcher der theologischen Verwendung des Begriffs ursprünglich ganz fern lag. Denn was Gott „in principio“ (Gen 1,1 Vulg.) kreierte, ist nach jüdisch-christlichem Urteil grundsätzlich gut. Im Septuagintagriechisch wird Gottes Schaffen en arche mit poiein wiedergegeben, welches Wort auch sonst in der Genesis und anderwärts als Ausdruck für göttliche Schöpfertätigkeit dominiert. Daneben findet sich nicht selten die Wortgruppe ktizein, der LXX den Vorzug gegenüber dem vom antiken Sprachgebrauch her nahegelegten demiourgein gibt, weil dieses eher an ein handwerkliches Verfertigen als an jenen Vorgang denken lässt, den die hebräische Bibel mit dem Wörtchen br’ bezeichnet. Die Bedeutung des erst in exilisch-nachexilischer Zeit gebräuchlich gewordenen hebräischen Begriffs für „schaffen“ ist in der Priesterschrift und bei Deuterojesaja, wo er am häufigsten begegnet, bereits auf Gottes gute Schöpfung eingeschränkt. Als Subjekt der Schöpfungsaussage kommt nur Gott in Betracht und zwar stets und ausschließlich der Gott Israels. Indem das Verbum allein der Bezeichnung göttlicher Schöpfertätigkeit vorbehalten bleibt, wird der unvergleichliche Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen dem schöpferischen Wirken Gottes und der kreatürlichen Wirklichkeit der Geschöpfe betont hervorgehoben, so schöpferisch das kreatürlich Wirkliche selbst sein mag und seiner Bestimmung nach tatsächlich ist. Die Souveränität göttlichen Schöpferhandelns und die Transzendenz des Schöpfers gegenüber seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen ist ein durchgängiges Motiv sowohl der rabbinischen Literatur als auch der Literatur der Alten Kirche, das sich in der jüdischen und christlichen Schöpfungstheologie des Mittelalters kontinuierlich durchgehalten hat. Gott ist einer, und er allein hat in seiner Allmacht die Welt erschaffen und alles, was in ihr ist. Dazu bedurfte er keiner Vorgaben, weder eines vorgegebenen Materials, noch ideeller Prämissen, die ihm äußerlich waren. Gottes Schaffen ist voraussetzungslos; der Schöpfer setzt das Geschaffene aus ureigenem Willensentschluss, motiviert allein durch seine schöpferische

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Güte, die frei und ohne jeden Zwang den Geschöpfen aus Liebe heraus ihr Dasein gibt und erhält. Inmitten seiner Schöpfung wirksam ist und bleibt der göttliche Schöpfer ihr gegenüber jenseitig, um in seiner Transzendenz die Welt und seine Geschöpfe zu lenken und zu leiten. Als ungeschaffenes Wesen ohne Ursprung ist er der Grund alles dessen, was er gemacht hat, um es zu erhalten und hinzuführen zu dem vorhergesehenen Vollendungsziel. Seit der Zeit der Apologeten sind die einzelnen Aspekte altkirchlicher Schöpfungstheologie in Auseinandersetzung mit Gnosis, Markionitismus und anderen als Irrlehren ausgegrenzten Doktrinen wie etwa der Emanationsvorstellung immer detaillierter ausgearbeitet und systematisch expliziert worden, wobei der Platonismus die wichtigste philosophische Bezugsgröße für die christliche Theologie der Spätantike sowohl in theologischer als auch in kosmologischer Hinsicht bildete, bis ihm im Mittelalter der Aristotelismus jedenfalls zum Teil konkurrierend zur Seite trat. Neuzeitliche Kosmologie ist empirisch orientiert Hexaemeronauslegung und experimentalwissenschaftlich ausgerichtet. In und Timaiosinterpretation der Antike ist das anders. Altkirchliche Theologie und kaiserzeitliche Philosophie entwickeln ihre kosmologischen Konzeptionen nicht auf der Grundlage systematisch erworbenen Erfahrungswissens, sondern auf der Basis autoritativer Texte und in Gestalt von Textauslegung. Was für die altkirchlichen Theologen der biblische Schöpfungsbericht nach Gen 1 ist, das stellt für die kaiserzeitlichen Philosophen, die in ihrer Mehrheit der platonischen Tradition angehörten, der Timaios ihres Schulhauptes Platon dar. Vergleicht man die christliche Genesisexegese und namentlich die Hexaemeronauslegungen, die eine Textgattung von eigener Art darstellen, mit den alt-, mittel- und neuplatonischen Timaiosinterpretationen (vgl. im Einzelnen Köckert), so fallen neben vielen Übereinstimmungen einige signifikante Differenzen auf, die allerdings gelegentlich von Unterschieden innerhalb der beiden Traditionsstränge überlagert werden. Während die christlichen Hexaemeroninterpreten im Anschluss und unter Berufung auf den biblischen Schöpfungsbericht die Annahme einer Ewigkeit der Welt einvernehmlich ablehnten, wurde sie im antiken und spätantiken Platonismus unterschiedlich beurteilt. Manche Platoniker lehnten die Aristoteles zugeschriebene Vorstellung eines ungewordenen Kosmos ab, wollten aber von einem Vergehen der gewordenen Welt nichts wissen, weil Gott das Gewordene ewig zu erhalten fähig und willens sei. Auf christlicher Seite wiederum gab es Differenzen in Bezug auf Implikationen und Folgerungen der Ablehnung der Ewigkeit der Welt. Ob die gottunterschiedene Endlichkeit des Kosmos im Sinne eines zeitlichen Anfangs und wenn ja auch im Sinne eines zeitlichen Endes zu bestimmen sei, wurde nicht einheitlich entschieden. Einvernehmen hingegen bestand unter den christlichen Genesisexegeten darin, dass Materie und Ideen als geschaffen zu gelten hätten, wohingegen die Platonausleger diesbezüglich zu teilweise abweichenden Auffassungen kamen. Die meisten deuteten die Kosmogenese als Vorgang der Ordnung eines vorkosmischen Zustands von irrationaler Chaotik, den man mit der Materie assoziierte (vgl. Bäumker, 110 ff.; 371 ff.; ferner: Happ).

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Damit der Kosmos, meint Plutarch (vgl. Köckert, 8 ff.), jene Gestalt annehme, die seinem Begriff entspricht, mussten die prä- bzw. unvernünftigen Materiebestände der ursprünglichen Weltseele von ihren Vernunftanteilen fortschreitend durchherrscht werden, was im Schöpfungsprozess geschah. Allerdings wirkt die materiehafte Irrationalität des Anfangs im Verlauf der Kosmogenese nach und bestimmt deren Resultat durch eine bleibende Widerständigkeit gegen die kosmische Vernunftordnung, so dass von einer vollkommenen Güte der Schöpfung nicht die Rede sein kann. Die Materie sperrt sich dagegen, restlos von Vernunft durchdrungen zu werden. Die Welt verbleibt unter einem unaufgehobenen Dualismus. Dem trat die christliche Kosmologie mit der antidualistischen These entgegen, dass wie der Kosmos insgesamt, so auch die Materie geschaffen und Element der guten Schöpfung Gottes sei. Dezidiert abgelehnt wurde die These, die Materie sei ein unentstandenes, Gott gegenüber gleichewiges Prinzip. Sowohl das aktive Prinzip des Intelligiblen als auch das passive Materieprinzip gehen auf Gott zurück, der sie und ihre Differenz einheitlich gesetzt hat. Die Vorstellung eines erst allmählich zu kosmischer Vernunftordnung geführten Anfangschaos irrationaler Materialität, wie etwa Plutarch sie vertrat, wurde von einer Reihe von Platonikern abgelehnt, z. B. mit dem Hinweis, durch den strengen Begriff göttlicher Verursachung sei die Annahme eines anfänglichen Ideenmangels der Welt ausgeschlossen. Insbesondere die Behauptung, „daß das vorkosmische Chaos auf die ungeordneten Bewegungen einer irrationalen Seele an der Materie zurückgeht“ (Köckert, 218), wurde von vielen als ein eklatanter Widerspruch gegen die platonische Lehre vom göttlichen Ursprung der Seele und ihrer Idealität gewertet. Wie ihre Ewigkeit galt die genuine Rationalität der Seele beispielsweise Porphyrios als ein Implikat ihrer Verursachung durch Gott, die er auch der Materie nicht abspricht. Eine Nähe zur christlichen Lehre von der creatio ex nihilo scheint gegeben zu sein, zumal ein Vergleich der Schöpfertätigkeit Gottes mit der eines Handwerkers oder Künstlers, der Material für sein Tun voraussetzt, ausdrücklich abgelehnt wird. Doch lässt Porphyrios die Materie als Prinzip von Körperlichkeit und Vielheit recht eigentlich nicht aus freiem Entschluss, sondern emanativ aus der göttlichen arche hervorgehen. Dies beinhaltet, dass die Materie als nur momentan im göttlichen Ewigkeitsgrund gründend zu denken ist, um mit dem Moment ihrer Emanation augenblicklich in einem Vergehen begriffen zu sein, das sie fortschreitend und mit Zwangsläufigkeit von der Gottheit entfernt. Mit dem idealen Status der ewigen Seele ist der ihre daher nur insofern zu vergleichen, als Materie Idee im Stadium der Deszendenz genannt werden kann. Zunächst nichts anderes als Idee im Modus von Differenz und Anderssein wird die Materie umso stofflicher und damit vergänglicher, je weiter sie sich im emanativen Prozess von ihrem intellektualen Ursprung entfernt. Beziehungen zwischen biblischer Genesisexegese und philosophischer Kosmologie, für die unter Berücksichtigung platonischer Timaiosexegese einige Beispiele gegeben wurden, begegnen bereits in der Tradition des hellenistischen Judentums, wofür Philo von Alexandrien ein hervorragendes Beispiel gibt. Weitere jüdische

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Repräsentanten hexaemeraler Literatur aus der Zeit des Hellenismus ließen sich anführen. Daran konnte die altkirchliche Theologie in ihrer Auseinandersetzung mit der philosophischen Kommentarliteratur zur Platons Timaios oder zu anderen platonischen, aber auch aristotelischen Schriften (vgl. Dillon, Dörrie/Baltes, Moraux) anknüpfen. Die christliche Genesisauslegung wird so auf ihre Weise selbst Bestandteil der zeitgenössischen kosmologischen Debatte. Dies wird durch die Tatsache unterstrichen, dass der Bibeltext unbeschadet des zu achtenden Wortlauts und sensus literalis nie im lediglich buchstäblichen Sinne verstanden wurde. So lehrte Origenes im Anschluss an Philo, durch das Sechs-Tage-Schema des Schöpfungsberichts werde der Schöpfer keineswegs an ein Maß der Zeit gebunden, vielmehr sei zum Ausdruck gebracht, dass die geschaffenen Entitäten in einer Ordnung ins Sein gesetzt würden, die Stufen und Abfolgen impliziere. Die Grundstruktur des Kosmos ist nach Origenes gemäß Gen 1,1 durch den differenzierten Zusammenhang von Himmel als dem Inbegriff intelligibler Wesenheiten und der Erde als dem Inbegriff sensibler Natur bezeichnet, wobei der Mensch als leibhafte Seele an beiden Sphären partizipiert, die unterschieden, aber nicht prinzipiell zu trennen sind. Beide, Himmel und Erde, haben als geschaffen und damit als gottunterschieden zu gelten, wodurch sich ihr Unterschied voneinander relativiert. Wie mit körperlicher Geistigkeit sei auch mit geistiger Körperlichkeit zu rechnen, was eine intransigente Alternative von ideeller und materieller Welt ausschließe. Ideales und Reales bilden einen differenzierten kosmischen Zusammenhang, der seine Einheit allein im transzendenten Gott findet, dem Schöpfer Himmels und der Erde. Obwohl Origenes die These einer Ewigkeit des Kosmos negiert, lässt er offen, ob mit einem zeitlichen Anfang und Ende der Welt zu rechnen ist. Ursache der Vergänglichkeit der Welt ist jedenfalls nicht ihr Geschaffensein, sondern ihre Verderbnis. Basilius von Caesarea (vgl. Köckert, 240 ff.), dessen Kirchennaher Origenismus Homilien zum Hexaemeron von großer und nachhaltiger Wirkmächtigkeit waren, Gregor von Nyssa (vgl. Köckert, 400 ff.) und viele andere altkirchliche Theologen bis zu Augustin und darüber hinaus haben in ihrer Auseinandersetzung mit der platonisch-neuplatonischen Kosmologie an origenistische Argumentationen angeschlossen, von diesen aber einen, wenn man so will, kirchennahen Gebrauch gemacht. Gegen die neuplatonische Annahme, die Welt sei „eine ewige und notwendige Folge der Existenz ihrer Ursache“ (Köckert, 393), insistiert Basilius auf dem realen, zeitlich verfassten Anfang der Welt und auf der Kontingenz ihrer Erschaffung. Auch die „Apologia in Hexaemeron“ des Gregor von Nyssa erklärt den göttlichen Willensentschluss, der allein in sich gründe und in keiner Weise genötigt sei, zur voraussetzungslosen Setzungsursache der Welt, die in der differenzierten Einheit von Idealem und Materialem augenblicklich ins Dasein getreten sei und einen allein durch Gottes Willen bestimmten Anfang genommen habe. Hinzuzufügen bleibt, dass für die altkirchliche Schöpfungslehre die christologische Deutung des en arche bzw. in principio in Gen 1,1, wie sie paradigmatisch in Joh 1,1 erfolgte, von ele-

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mentarer und durchgängiger Relevanz ist. Auch wenn im Kontext der Schöpfungstheologie nur gelegentlich explizit christologisch argumentiert wird, sind Christologie und Pneumatologie doch implizit präsent. Die sich ausbildende Trinitätslehre darf sonach nicht unbedacht bleiben, wenn die altkirchliche Schöpfungslehre angemessen gewürdigt werden soll. Dies gilt entsprechend für das christologische Dogma, dessen Genese mit der Geschichte christlicher Genesisauslegung zusammengehört und insbesondere in Bezug auf das Verhältnis von Schöpfergott und Menschengeschöpf von basaler theanthropologischer Bedeutung ist. Nach Maßgabe des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts hat Gott den Menschen zu seinem Ebenbild erschaffen. Die beiden hebräischen Ausdrücke für Gottebenbildlichkeit zelem und demut sind in Gen 1,26 f. gleichbedeutend verwendet. Mit der Übersetzung der Termini in der Septuaginta, die sie mit eikon und homoiosis wiedergab, konnte sich dagegen eine Bedeutungsdifferenz verbinden, die insbesondere durch den Sprachgebrauch der die altkirchliche Theologie prägenden platonischen Tradition nahegelegt wurde. Danach bezeichnet eikon das vom Urbild unterschiedene Abbild und homoiosis den Prozess fortschreitender Angleichung an das Urbild. Gottebenbildlichkeit wäre so im Doppelsinn einer ursprünglichen Anlage und eines prozessual zu Realisierenden zu verstehen. Als Abbild Gottes ist der Mensch dazu bestimmt, sich immer mehr seinem Urbild anzunähern gemäß der Devise: werde, was du bist! Variabel bleiben konnte im Kontext der Annahme einer in Entwicklung begriffenen Gottebenbildlichkeit die Beziehung des Verhältnisses von gottebenbildlicher Ursprungsanlage und ihrem Realisierungsziel. Die Zuordnung von eikon und homoiosis bzw. ihrer lateinischen Äquivalente imago und similtudo im Sinne von urbilddifferentem Abbild und zu verwirklichender Urbild-Abbild-Gemeinschaft stellt theologiegeschichtlich nur eine Möglichkeit dar, der Bestimmung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit Ausdruck zu verleihen. Dies ist u. a. dadurch bedingt, dass in ihr offen bleibt, wie man das Verhältnis von Ursprungsverfassung und erfüllter Realisierung menschlicher Gottebenbildlichkeit genau zu denken hat. Bezeichnet die gottebenbildliche Bestimmung des Menschen eine Anlage, die es zwar evolutiv zu explizieren gilt, die aber bereits in nuce bzw. der Möglichkeit nach enthält, was zu entwickeln ist; oder ergibt sich der Sinn dessen, was Gottebenbildlichkeit heißt, erst vom Ende vollgültiger Realisierung ihres Begriffs her? Trifft letzteres zu, wie kann dann der schöpfungstheologische Charakter des Gedankens der Gottebenbildlichkeit festgehalten werden? Verhindert seine konsequente Eschatologisierung nicht jene protologische Verwendung des Begriffs, wie sie durch seinen Sitz im Leben in der Schöpfungsgeschichte erfordert wird? Die schöpfungstheologische Bindung des Gottebenbildlichkeitsgedankens ist in der älteren Theo- Status integritatis logiegeschichte in aller Regel festgehalten worden und zwar üblicherweise so, dass man den Gedanken mit einem Urstand assozi-

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ierte, den man unter Berufung auf den sog. jahwistischen Bericht vom Paradies und vom ursprünglichen Leben Adams und Evas in ihm voraussetzte. Der Urstand wurde als Status der Integrität gekennzeichnet, ohne deshalb statisch und unter Ausschluss dynamischer Bewegung vorgestellt werden zu müssen. Die menschliche Gottebenbildlichkeit ist durchaus eine differenzierte Einheit von Wesensnatur und bestimmungsgemäßer Realisierung derselben, jedoch so, dass die integre Ganzheit von Anlage und dynamischer Anlageverwirklichung auf genuine Weise und damit protologisch zur Geltung gebracht wird. Der Mensch ist seiner geschöpflichen Bestimmung nach auf Vervollkommnung angelegt, die sich prozesshaft zu realisieren hat; aber das Moment der Prozessualität, das der menschlichen Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit eignet, darf den Gedanken ursprünglicher Vollkommenheit und damit die protologische Verwendung des Gottebenbildlichkeitsgedankens nicht unmöglich machen. Zwar wussten die altkirchlichen Theologen zwischen Gottebenbildlichkeit des ersten und zweiten Adams zu unterscheiden und der Schöpfung eine christologisch-eschatologische Ausrichung zu geben. Sie zogen aber daraus nicht den scheinbar naheliegenden Schluss, dass die Gottebenbildlichkeit des ersten Adam unvollkommen bzw. auf Vollkommenheit lediglich virtuell angelegt war, weil sie in dieser Annahme eine Gefährdung des Gedankens genuiner Güte der Schöpfung und namentlich des Menschengeschöpfs sahen, dessen Gottunterschiedenheit sie nicht etwa als Defizit, sondern dergestalt deuteten, dass sie deren Anerkennung zum Kriterium vollendeter Erfüllung gottgesetzter Bestimmung des Menschen erhoben. Dabei nahmen sie an, dass diese Erfüllung faktisch nur in Jesus Christus, dem wahren Adam und inkarnierten Logos, gegeben sei. Allein in Bezug auf ihn erhellt, was es mit der geschöpflichen Bestimmung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit auf sich hat, und nur von ihm her werden Möglichkeiten erschlossen, die ihren Verlust durch den Fall der Sünde zu überwinden in der Lage sind. Dies änderte indes nichts daran, dass der Gedanke gottebenbildlicher Bestimmung des Menschen protologisch gedacht und primär in schöpfungstheologischer, nicht in eschatologischer Perspektive entwickelt wurde, so sehr mit einer Horizontverschmelzung beider Perspektiven zu rechnen ist. Die status-integritatis-Lehre stellt ein Erbe altkirchlich-mittelalterlicher Theologie dar, das erst unter neuzeitlichen Bedingungen problematisiert wurde. Diese Problematisierung hat darin ihre Richtigkeit, dass sie die Vorstellung eines paradiesischen Urzustands historisch-prähistorischer Art in Frage stellt. In der Tat handelt es sich beim status integritatis nicht um einen Ort, der im Modus dessen zu identifizieren wäre, was üblicherweise Empirie heißt. Die Vorstellungen, die sich mit ihm und dem menschlichen Urelternpaar verbinden, sind „mythologischer“ Art und beziehen sich auf keine Gegebenheiten, die in der Welt in Erfahrung zu bringen wären. Soweit ist der modernen Kritik am Urstandsgedanken zuzustimmen. Nicht problemlos zu folgen hingegen ist der scheinbar alternativlosen Konsequenz, mit der quasi historischen Urstandsvorstellung den protologischen Status der Schöpfungslehre und damit auch denjenigen der Lehre geschöpflicher Gott-

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ebenbildlichkeit des Menschen zu beseitigen. Denn diese Folgerung brächte Probleme mit sich, die keineswegs geringer sind als diejenigen der traditionellen Urstandsvorstellung. Die Wirklichkeit der Güte der Schöpfung und die vollkommene Realität menschlicher Gottebenbildlichkeit müssen protologisch denkbar bleiben, auch wenn der Vorstellung eines irgendwann und irgendwo vorhandenen Urstands der Abschied zu geben ist. Nicht als ob die geschöpfliche Bestimmung von Welt und Menschheit anfangshaft zu fassen und mit einem anfänglichen Zustand des Kosmos und des Menschen in ihm zu assoziieren wäre. Das lediglich Anfängliche der Welt ist alles andere als vollkommen, sondern bloßes Moment einer Entwicklung, die evolutiv zu nennen zwar begründungsbedürftig, aber grundsätzlich begründungsfähig ist. Auch die historische Geschichte der Menschheit wie des einzelnen Menschenlebens fängt nicht mit einem Urzustand an, dem Vollkommenheit zu attestieren wäre. Gleichwohl ist es nicht einfachhin abwegig, wenn Mensch und Welt ursprünglich als integre Einheit und Ganzheit vorgestellt werden. Die mythologische Form dieser Vorstellung spricht nicht gegen ihre Bedeutsamkeit und ihren religiösen Wert, dessen Unverzichtbarkeit im Schöpfungsgedanken selbst begründet liegt, der nur dann erhalten bleiben kann, wenn sein protologischer Charakter bewahrt bleibt. Gott hat den Menschen als Mann und Frau zu Psychosomatische seinem Ebenbild erschaffen und zwar in psychosoDifferenzeinheit matischer Differenzeinheit. Der Mensch ist Gottes Geschöpf nach Leib und Seele bzw. nach Leib, Seele und Geist. Zwischen diesen und anderen Aspekten seines Menschseins ist zwar zu unterscheiden, nicht aber so, dass Scheidungen auftreten, die trennen, was nach Gottes Willen zusammengehört. Gemäß altkirchlicher Schöpfungstheologie entspricht nicht nur die leibhafte Verfassung des Menschengeschöpfs und die seiner Welt dem Schöpfungswillen Gottes; auch die menschliche Seele ist ihr zufolge als gottgeschaffen und nicht etwa als eine Idee zu beurteilen, die Gottes Schöpfungshandeln vorgegeben wäre und als ewig in sich zu gelten hätte. Was in kosmologischer Hinsicht in Bezug auf die Materie der Welt und die ihre Ordnung bestimmenden Ideen zu sagen war, trifft anthropologisch in vergleichbarer Weise für Leib und Seele bzw. Leib, Seele und Geist des Menschen zu, die geschaffen und dazu bestimmt sind, im Menschengeschöpf eine differenzierte, aber unauflösliche Einheit zu bilden. Trotz der vielen terminologisch-begriffsgeschichtlichen Probleme, die mit den Dicho- bzw. Trichotomien der anthropologischen Tradition einhergehen, sind die christlichen Stellungnahmen zur Leib-Seele-(Geist)-Thematik durch klare Grenzmarkierungen bestimmt. Eindeutig abgelehnt werden sowohl dualistische Lösungen als auch monistische Reduktionsprogramme, die entweder in materialistischer Manier Geistig-Psychisches auf Physisches zurückführen oder im Physischen lediglich einen Schein und Reflex geistig-psychischer Prozesse zu entdecken vermögen, wie in radikalidealistischen Monismen der Fall (vgl. Gloy, 647 ff.). Nach christlichem Urteil ist der Leib weder ein Epiphänomen der Seele, noch die Seele kör-

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perlich zu fassen. Identitätsthesen dieser Art kommen ebensowenig in Frage wie ein Dualismus, welcher das Verhältnis von Leib und Seele entweder im Sinne zweier unabhängiger Entitäten oder gar als Gegensatz und Prinzipienantagonismus bestimmt. Das Verhältnis von Leib und Seele ist nach jüdisch-christlicher Auffassung als differenzierter Zusammenhang zu bestimmen, der eine unmittelbare Identifikation beider Beziehungsgrößen ebenso ausschließt wie ihre Trennung. Trennungstendenzen sah die altkirchliche Theologie in einigen Spielarten des Platonismus sowie in gnostischen und manichäischen Systemen wirksam. Obwohl es die Annahme einer Immaterialität der Seele teilte, suchte das frühe Christentum doch alle Vorstellungen zu meiden und abzuwehren, die auf ihre prinzipielle Scheidung vom Leib hinausliefen oder hinauszulaufen schienen. Die Distanz gegenüber bestimmten Theorien seelischer Präexistenz gehört ebenso hierher wie die scharfe Kritik an der Lehre von der Palingenesie, also der wiederholten Inkarnation ein und derselben Seele in unterschiedlichen Körpern, die man für unvereinbar mit christlichen Grundprinzipien erachtete. Die Ablehnung von Reinkarnation und Metempsychose erfolgte in der Alten Kirche einhellig. Das Neue Testament schloss die Annahme einer Seelenwanderung und einer körperlichen Wiedergeburt ebenso aus wie die große Mehrheit der antiken Kirchenschriftsteller dies taten. Vermeintliche Ausnahmen wie der numidische Rhetor Arnobius von Sicca oder Origenes bedürfen differenzierter Analyse, bestätigen aber in jedem Fall die altkirchliche Regel, deren klassische Begründung Augustin mit dem Hinweis auf die Einmaligkeit des Lebens, Leidens und Sterbens Jesu Christi gegeben hat, welche die Vorstellung einer beständigen Wiederkehr des Gleichen unmöglich mache. „Das Ereignis Christi prägt die Denkform der Geschichtlichkeit vollkommen aus, die gekennzeichnet ist durch Einmaligkeit, Unableitbarkeit, Endgültigkeit, von seiten des Menschen aber durch die Verpflichtung zur Entscheidung. Sie unterscheidet sich wesentlich vom griechischen Kreislaufdenken, in dem der Mensch schicksalhaft determiniert erscheint. Die Einmaligkeit des Christusgeschehens sprengt den Zyklus auf, macht aus ihm eine ansteigende Bewegung mit einem höchsten göttlichen Vollendungsziel, das eine Wiederholung der Bewegung ausschließt.“ (Scheffczyk, Reinkarnationsgedanke, 39) Geschichtliche Existenz und leibhaftes Leben der Unwiederholbare Menschenseele sind unwiederholbar und von indiEinmaligkeit vidueller Einmaligkeit. Unter dieser Voraussetzung hatte selbst der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele im Unterschied zum sterblichen Leib mit christlichen Reserven für den Fall zu rechnen, dass die Annahme einer Fortexistenz der Seele über den Tod hinaus auf eine definitive Separation vom Leib hinauslaufen sollte. Die Seele des Menschen ist nach altkirchlicher Anthropologie von seinem Leib zwar zu unterscheiden, recht eigentlich aber nicht zu trennen. Zwar rechnete man in der Regel nicht nur mit einer im Tode erfolgenden Trennung von Leib und Seele, sondern auch mit einer postmortalen Fortexistenz der vom Leib getrennten Seele, um die Selbigkeit des Menschen vor und nach

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seinem Tode zu gewährleisten. Ohne Annahme verbleibender Identität unsterblicher Seele schien die Verheißung ewigen Lebens anthropologisch schwer plausibilisierbar zu sein. Doch ist der Zustand der ihres verstorbenen Leibes entbehrenden Menschenseele durchaus defizient, wie in Übereinstimmung mit der altkirchlichen auch die mittelalterlichen Theologie bestätigt. Nach Thomas von Aquin „überdauert die Geistseele zwar den Tod aufgrund ihrer Subsistenz, aber als anima separata besteht sie nicht mehr in der Einheit der Person. Ihr eignet eine unvollkommene, in gewisser Weise unnatürliche Existenz, weil es zur Natur der Seele gehört, mit dem Leib geeint zu sein.“ (Scheffcyk, Unsterblichkeit, 41) Mit ihrer Auffassung, dass es zur Natur der Seele gehöre, mit dem Leib geeint zu sein, und es soteriologisch-eschatologisch nicht genüge, allein der Seele ewiges Leben zuzuerkennen, weil diese für sich genommen nicht der ganze Mensch sei, wusste sich christliche Theologie in Übereinstimmung mit dem jahwistischen Schöpfungsbericht. Wie immer man die Wendung näfäs hajja in Gen 2,7 sowie die Bedeutungsnuancen des am häufigsten mit Seele übersetzten hebräischen Wortes bzw. anderer hebräischer Äquivalente für den Seelenbegriff genau zu verstehen hat: Fest steht, dass „das Alte Testament den Menschen ganzheitlich (begreift): Er ist eine untrennbare Einheit aus Leib und Seele/Geist. Der Gedanke einer präexistenten und unsterblichen Seele, losgelöst vom Körper, ist ihm fremd.“ (Schöpflin, 740) Zu einem ähnlichen Ergebnis führen die Untersuchungen zur neutestamentlichen Überlieferung und zur altkirchlichen Tradition. Zwar wird von der patristischen Theologie die postmortale Existenz der Seele gelehrt, aber nicht im platonischen Sinne, sondern im Sinne der Vorstellung einer Unsterblichkeit leibhaft individuierter Seele. Sachlich näher als dem Platonismus, der ihren unmittelbaren philosophischen Kontext bildete, stand die altkirchliche Theologie mit ihrer Auffassung von der menschlichen Seele und ihrem Verhältnis zum Leib jenem Denker, „der in einer eigenen Abhandlung Über die Seele (De anima) die philosophische Psychologie begründet hat“ (Seidl, 750) und in der mittelalterlichen Scholastik zum Normalphilosophen avancierte. Nach Aristoteles ist die Seele weder ohne Körper in seiner quantitativen, lokalen und qualitativen Erscheinungsgestalt (vgl. Wiplinger, 119 ff.), noch selber als ein Körper zu denken, sondern als das Formprinzip, welches körperliche Lebensmöglichkeiten aktuiert. Ihrem Wesen nach fungiert sie als erste Entelechie des Leibes. Für die mit Vernunft bzw. Verstand ausgestattete Menschenseele hat entsprechend zu gelten, daß sie wahrhaft und durch sich die Form des menschlichen Leibes sei. So hat es das Konzil von Vienne 1312 in Anschluss an Aristoteles definiert, um zugleich jene als Häretiker anzusehen, die hartnäckig behaupteten, „quod anima rationalis seu intellectiva non sit forma corporis humani per se et essentialiter“ (DS 902). Um über Sinn und aristotelischen Charakter der Definition der Geistseele des Menschen (anima rationalis seu intellectiva) als forma substantialis des menschlichen Körpers befinden zu können, ist die Seelenlehre von „De anima“ (vgl. im Einzelnen Polansky) einzureihen in den Zusammenhang der nach dem Ordnungs-

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schema von Andronikos Metaphysik genannten Ersten Philosophie des Stagiriten (vgl. Rapp/Corcillus [Hg.], 123 ff.; ferner: Hager). Sie sucht nach eigener Auskunft das Sein des Seienden und seinen Grund zu erkennen. Das Was-Sein des Seienden ist entweder dasjenige, was die Seiendheit des Seienden ausmacht, also seine ousia, substantia bzw. sein Wesen, oder etwas am Wesen, ein Hinzutretendes (symbebekos), Akzidentelles. Als Akzidenz(i)en, die das Veränderliche und darin Zufällige und Unwesentliche an einem Gegenstand bezeichnen, nennt Aristoteles Qualität im Sinne der Beschaffenheit eines Seienden (Härte, Farbe etc.), Quantität im Sinne seiner mit Hilfe von Zahlen erfassbaren Größe oder Menge, Relation im Sinne von Bezüglichkeit bzw. Beziehung zu dem, was es nicht unmittelbar selbst ist, Örtlichkeit, Zeitlichkeit sowie In-Bewegung-Setzen und -gesetzt-Werden, InRuhe-Halten und -gehalten-Werden (Lage, Habe; Tun, Leiden). Als Weisen des Was-Seins bilden die Akzidenzien zusammen mit der Substanz die zehn sog. Kategorien, wie sie den Grundformen der Aussagen über das Seiende entsprechen. Gelegentlich erscheint die Zahl der Urteilsarten bzw. Kategorien bei Aristoteles auf acht (ohne Lage und Haben) oder auf drei (Substanz, Zustand, Relation) reduziert, manchmal werden nur die Akzidenzien ohne die Substanz als Kategorien bezeichnet. Doch darauf kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht an. Wichtig ist lediglich die Feststellung, dass die Seele substanzhaft, also wesentlich und nicht etwas am Wesen ist. Seiner genuinen Wortbedeutung gemäß bezeichnet Begriff der Substanz der Begriff der Substanz (vgl. Viertel) das Zugrundeliegende und damit das Beständige, welches die Identität und Selbigkeit eines Seienden im Wechsel seiner akzidentellen Zustände und zuständlichen Eigenschaften gewährleistet. Substantiell bzw. essentiell ist dasjenige, was in sich selbst Bestand hat und nicht an oder in einem anderen besteht. Als das bleibend In-sich-Bestehende und Selbständige bildet die Substanz das Wesen des Seienden und seine Seiendheit, wobei nach Aristoteles zwischen einer substantia prima und einer substantia secunda zu unterscheiden ist. Letztere bezeichnet das allgemeine Wesen eines Seienden im Sinne seiner wesentlichen Seiendheit, erstere das in sich subsistierende Seiende selbst bzw. die Selbständigkeit, die ihm in seiner individuellen Konkretheit eignet und es zum identischen Trägersubjekt seiner wechselnden Bestimmungen macht. An der Substanz eines Daseienden, dessen Wesen keine lediglich abstrakte, sondern eine konkrete, gegenständlich zu erfassende Größe darstellt, sind nach Aristoteles hyle und morphe bzw. eidos, Materie und Form zu unterscheiden. Die Wesen, Art und individuelle Eigenheit bestimmende Form und der materielle Stoff, den die Form prägt, bilden nach Lehre des Hylemorphismus den Bestand jeder konkreten Entität, in welchem sie ist, was sie ist. Dabei hat die ungeformte und zur Formung bestimmte Materie kein eigentliches Dasein für sich, sondern ist als bloße Möglichkeit und Potentialität zu denken. Was man analog zur substantia prima materia prima genannt hat, bezeichnet kein irgendwie körperlich vorzustellendes Urmaterial, das allen Entitäten stofflich

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zugrunde liegt, sondern zunächst nichts als reine Seinsmöglichkeit. Die aristotelischen Gegenbegriffe sind Energie und Entelechie, durch die überhaupt erst förmliches Begreifen der Verfasstheit von Seiendem und damit Ontologie erschlossen wird. Energeia meint nach Aristoteles im Unterschied zu dynamis nicht lediglich das Werdenkönnen, sondern das tatsächlich Gewordene, aktual ins Werk Gesetzte und Gewirkte und sonach Wirkliche, das sich entelechisch, will heißen: zielgerichtet und dem eigenen Zweck gemäß als dasjenige realisiert, was es seinem intern wirksamen Formprinzip nach zu sein bestimmt ist. Reine Energie im Sinne dessen, was die aristotelische Scholastik actus purus genannt hat, ist allein dem göttlichen Sein zuzuerkennen, wohingegen alles, was nicht göttlich ist, im steten Übergang von dynamis zu energeia, potentia und actus, Möglichkeit und Wirklichkeit begriffen ist, in welchem beständigen Werden das mögliche und tatsächliche Vergehen gottunterschiedenen Seins mitgesetzt ist. Das Formprinzip lebendig zu nennender EntitäFormprinzip und ten und die Primärentelechie, welche die LebensPrimärentelechie potentialität körperlichen Seins aktuiert und verwirklicht, nennt Aristoteles psyche. Die Seele durchwirkt den Körper und lässt ihn sein, wozu er bestimmt ist, indem sie seine Lebensmöglichkeit realisiert. Dies geschieht entsprechend der Differenziertheit der dynamischen Seinspotentialität, die Körpern eignet, auf vielfältige Weise, jedoch stets so, dass jene innere Einheit hergestellt wird, für welche die Seele einsteht. In allen Lebewesen bewirkt die Beseelung die Realität ihres Vermögens zu wachsen und sich auf die eine oder andere Weise fortzupflanzen. Tieren und Menschen eignet im Unterschied zu Pflanzen das seelisch verwirklichte Können des sich Fortbewegens sowie der Wahrnehmung, wohingegen die von der Seele realisierte Denkfähigkeit allein dem Menschen als animal rationale vorbehalten ist. Als immaterielle Substanz ist die Seele Form und erste Entelechie jedes organischen Körpers, der potentielles Leben hat (vgl. Aristoteles, Über die Seele II,1,412a [59 ff.]). Der Allgemeinbegriff von psyche bedarf aber insofern der Konkretion, als es einen Unterschied macht, ob mit ihm eine vegetative, animalische oder vernünftige Seele bezeichnet wird und ob von einem präbewussten, einem bloß sinnlichen oder einem rationalen Seelenvermögen die Rede ist. Allen beseelten Wesen eignet Lebendigkeit, die ihnen gemeinsam ist. Doch nur das Lebewesen Mensch verfügt über seelisches Nähr-, Bewegungs-, Strebe- und Wahrnehmungsvermögen hinaus auch über Denkvermögen und zwar nach Aristoteles in Form passiver und aktiver Vernunft. In Bezug auf das tätige Vernunftvermögen, dem im 6. Kapitel des III. Buches „De anima“ allein Unvergänglichkeit attestiert und ein ewiger Status zuerkannt wird, ist allerdings fraglich, ob es überhaupt ein Bestandteil menschlicher Seele und nicht am Ende ein nur Gott vorbehaltenes Prinzip ist. Wie immer man hinsichtlich dieser Frage zu urteilen hat: Die unbestreitbare Nähe der christlichen zur aristotelischen Lehre von der Menschenseele stößt an eine Grenze dort, wo das Christentum für den Menschen als leibseelische Einheit ewiges Leben erhofft, während nach Aristoteles „die dem Leibe verbundene Seele des

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Menschen mit Gedächtnis, Einbildungskraft, Selbstbewußtsein und Wahrnehmungsbewußtsein samt dem damit befaßten Denken im Tode vergehen wird“ (Pannenberg, 79). Neben der umstrittenen Frage der Vernunftanteile der Menschenseele und ihrer Vergänglichkeit bzw. Unvergänglichkeit bildete die Stellung Gottes als des unbewegten Bewegers und des göttlichen Nus als höchster Zweckursache der Welt ein Zentralproblem christlicher Aristotelesrezeption (vgl. Pannenberg, 82 ff.). Gemäß aristotelischer Entelechie ist nicht nur jedes Einzelseiende das sich kraft seiner energetischen Form aus seiner materiellen Dynamik heraus entwickelnde Wesen: auch die Welt insgesamt stellt sich insofern als in teleologischer Entwicklung begriffen dar, als sie in allen ihren Teilen aus der Sphäre bloßer Möglichkeit und aus der Unbestimmtheit stofflicher Materie, welche das Substrat jeder körperlichen Erscheinung bildet, in einem gestuften Prozess und in geordneter Reihung der in ihr vertretenen Entitäten hinstrebt auf jenes Endziel, welches ihre Zweckursache bildet, nämlich auf das vollkommene Sein, das als unbewegt Bewegendes reine Tätigkeit, die keine Möglichkeit außer sich hat, und als solche nichts als reine Form und reines Denken ist, das kein anderes denkt als sich selbst: noesis noeseos. Kann mit jenem Denken des Denkens jene Willenstätigkeit und -tat assoziiert werden, als welche christliche Theologie Gottes Schöpfungswerk begreift, um den Schöpfer zugleich als Erhalter, Lenker und Leiter seiner Schöpfung zu bezeugen, der sie trotz und gegen Übel und Sünde der Vollendung zuzuführen und dabei jeden materiellen Widerstand zu überwinden bereit und in der Lage ist? Anstelle einer pauschalen Antwort auf diese Frage sei anhand jenes Theologen, durch den der Stagirite zur größten philosophischen Autorität des Mittelalters wurde, ein konkretes Beispiel konstruktiver und kritischer Aristotelesrezeption gegeben, deren Geschichte nur ansatzweise skizziert sei. Nach der „Phase einer diffusen Nachwirkung“ (Dörrie, 769) in der vorchristlichen Antike, erbrachte die Wiederentdeckung der Lehrschriften des Aristoteles eine Renaissance seiner Schule, welche allerdings die christliche Lehrbildung im 2. und 3. Jahrhundert anders als der Platonismus kaum beeinflusste. „Von einem Aristotelismus im vornikänischen Christentum kann . . . nicht die Rede sein.“ (Dörrie, 775) Später wurde der Aristotelismus häufig als eine Spielart des Platonismus wahrgenommen, dem man ihn zu- und unterordnete. Die zeitgenössischen Platoniker begründeten bzw. verstärkten diesen Eindruck durch ihre Kommentararbeit und das Bemühen, zumindest die aristotelische Logik und Kategorienlehre in den eigenen Schulbetrieb zu integrieren. Entsprechend wurde seit den großen Kappadoziern auch durch die christliche Theologie von Aristoteles in Teilen Gebrauch gemacht. Dies geschah unter der Voraussetzung, dass es sich bei diesem um einen Platon nahestehenden Denker handle. Erst im lateinischen Mittelalter „stellten sich Aristoteles und Platon als Verfechter alternativer Positionen dar. Dieser Eindruck setzte sich in den Auseinandersetzungen des 12. Jahrhunderts über die Natur der ‚Universalien‘, also der Allgemeinbegriffe, fest, und seit dem Bekanntwerden der aristotelischen Erkenntnislehre wurde deren empirische Hal-

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tung als Gegenposition zur platonisch inspirierten Illuminationstheorie Augustins begriffen.“ (Pannenberg, 69) Seit dem 13. Jahrhundert, mit dem die entscheiTheologischer dende Rezeptionsphase beginnt, wurde Aristoteles Aristotelismus zum „Normalphilosophen“ der Theologie des lateinischen Mittelalters. Vorbereitet durch den jüdischen und den arabisch-islamischen hat der mittelalterliche Aristotelismus des westlichen Christentums zu Synthesen von Vernunft und Offenbarungsglauben geführt, die für die hochscholastische Gestalt von Wissenschaft kennzeichnend werden sollten. Institutioneller Ort des theologischen Aristotelesstudiums war die Universität, zunächst in Paris, dann auch an anderen europäischen Orten, wo man dem Pariser Vorbild folgte. Verfuhren die frühscholastischen Theologen bis hin zu Bonaventura noch überwiegend ekklektisch, suchte der Dominikaner Thomas von Aquin im Anschluss an Albertus Magnus, der gegenüber dem von der Franziskanerschule vertretenen Augustinismus bereits eindeutig, wenngleich noch zurückhaltender als sein Schüler aristotelisch lehrte, die Prinzipien der aristotelischen Philosophie mit denjenigen der Theologie systematisch zu verbinden. Die aristotelische Kosmologie machte Thomas durch Abwehr der Lehre von der Ewigkeit der Welt akzeptabel, die nachmals anathematisierte averroistische Annahme, dass die menschliche anima rationalis vel intellectiva „mortalis sit, aut unica in cunctis hominibus“ (DH 1440), wies er zurück. Die Substanz der vernunft- bzw. verstandesbegabten Seele ist nach Thomas nicht nur wahrhaftig und durch sich die Form des menschlichen Leibes, wie die Konstitution „Fidei catholicae“ des Konzils von Vienne besagt, sondern auch, um mit den Worten des 5. Laterankonzils von 1513 zu reden, unsterblich und „pro corporum quibus infunditur multitudine singulariter multiplicabilis, et multiplicata, et multiplicanda“ (ebd.). Als wesenhafte forma corporis ist die Seele entsprechend der Vielzahl der Menschenleiber, denen sie eingegossen wird, einzeln vervielfältigbar, vervielfältigt und zu vervielfältigen. An den Summen des Thomas lässt sich der Einfluss des Aristotelismus, wie er für die scholastische Theologie des Hochmittelalters prägend wurde, exemplarisch verdeutlichen (vgl. Doig). Während als Basis der Darstellung seiner schulmäßigen Rezeption des christologischen Dogmas (vgl. Bd. 6, 324 ff.) und der quinque viae zum Beweis des Daseins Gottes (vgl. Bd. 4, 27 f.) die zwischen 1265 und 1273 entstandene „Summa Theologiae“ gewählt wurde, soll Darstellungsgrundlage der thomanischen Lehre von Gott und dem Werk seiner Schöpfung der Abwechslung halber die kompaktere und in manchen Teilen übersichtlichere ältere „Summa contra Gentiles“ sein, über deren Verhältnis zur großen Summe bereits das Nötige gesagt wurde (vgl. Bd. 1, 25 f.). Insbesondere die „Rezeption und Kritik der griechisch-arabischen Rationalität, mit der sich Thomas in der ScG in einer Breite auseinandersetzt, die in der STh so nicht gegeben ist“ (Hoping, 15), macht sie „nach der für den Schulbetrieb geschriebenen STh zu dem bedeutendsten systematisch-theologischen Werk des Aquinaten“ (ebd.).

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Die 1264 abgeschlossene „Summa contra Gentiles“ ist in vier Bücher aufgeteilt, von denen die ersten drei die vom Glauben bekannten Wahrheiten darlegen, die nach Urteil von Thomas für die Vernunft erforschbar sind, während das vierte bedenkt, was Gott von sich aus über sich selbst aus überströmender Güte heraus bekannt gemacht hat, um der Unzulänglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis entgegenzukommen. Näherhin handelt es sich dabei um die Wahrheit der göttlichen Trinität, der Inkarnation des Logos und der eschatologischen Bestimmung von Menschheit und Welt. Diese dreifache Wahrheit ist für den bloßen Verstand unerschwinglich und gelangt in der Weise der göttlichen Offenbarung zu uns, um anfänglich auf wunderbeglaubigte Autorität hin wahrgenommen zu werden. Sie wird uns entsprechend, wie Thomas im Proömium des vierten Buches sagt, durch Rede vermittelt und nicht unmittelbar vor Augen gestellt. Gleichwohl ist es Zielbestimmung göttlicher Offenbarung, vom menschlichen Geist in reiner Theorie geschaut zu werden. Das Entgegenkommen Gottes in seiner Offenbarung durch übernatürliche Erleuchtung des natürlichen Lichts der Vernunft ist darauf aus, den menschlichen Geist zu vollkommener Einsicht in das Offenbarte emporzuheben, was der Menschengeist von sich aus nicht vermag. Zur Selbstvollendung jedenfalls ist er aus sich heraus nicht in der Lage. Dies wird durch den um rationale Apologetik bemühten Charakter der „Summa contra Gentiles“ nicht in Abrede gestellt, sondern im Gegenteil bekräftigt. Seiner Anlagetendenz nach kann das Werk daher insgesamt als ein theologisches verstanden werden, auch wenn Fragen in Bezug auf das genaue Verhältnis von Philosophie und Theologie offenbleiben, auf die zu Beginn des nächsten Abschnitts zurückzukommen sein wird. Die von dem Thomasexperten Marie-Dominique Chenu ausgegebene Interpretationsanweisung ist ernstzunehmen, aber weiterer Diskussion bedürftig: „Es stimmt, daß die drei ersten Bücher (Gott, Schöpfung, sittliches Leben) Wahrheiten zum Gegenstand haben, die der Vernunft zugänglich sind. Aber man darf von daher nicht aus ihnen eine Summa philosophica machen und den christlichen Lehrstoff und die theologische Methode dem IV. Buch vorbehalten wollen. Tatsächlich sind diese rationalen Wahrheiten immer dargestellt als Teile des Glaubensgutes, die unter diesem Titel bewiesen und verteidigt werden müssen.“ (Chenu, 331) Die Themenbestände der traditionellen Schöpfungstheologie behandelt Thomas im Buch II und III der „Summa contra Gentiles“. Doch darf die in Buch I nach erfolgtem Daseinsbeweis vorgetragene Lehre von Wesen und Eigenschaften sowie von den Tätigkeiten Gottes, durch welche er in sich selbst aktiv wirksam ist, nicht unbedacht bleiben, da sie die Voraussetzung der thomanischen Schöpfungslehre bilden. Sind es doch der göttliche Intellekt und der göttliche Wille, durch welche die geschaffenen Dinge von Gott ursächlich hervorgebracht und zielgerichtet auf ihren Bestimmungsgrund hingeordnet werden. Setzt man den vernünftigen Existenzbeweis mit Thomas als erbracht voraus, so muss, um zu rationaler Erkenntnis der göttlichen Substanz, also dessen fortzuschreiten, was Gott in seiner Summa contra Gentiles

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Gottheit eignet, vornehmlich der Weg der Verneinung beschritten werden. Denn eine folgerichtige Einsicht in die Eigenschaften Gottes ist möglich nur durch konsequentes Sich-Wegbewegen von der Beschränktheit des Sinnlichen, dessen Grenzen via remotionis zu transzendieren sind. Während affirmatives Bestimmen ein Definitionsverfahren durch begrenzendes Differenzieren darstellt, verfährt negative Theologie entgrenzend, um auf nicht infinitesimale, sondern gleichsam indefinitesimale Weise der Unbegrenztheit Gottes näherzukommen. Thomas nimmt mit Denknotwendigkeit an, dass Gott existiert und alles Seiende von ihm geschaffen ist. Seine Schöpfungslehre „ist von seinem Gottesbegriff durchherrscht“ (Grabmann, 115), und sein „Erweis für die Entstehung der Welt durch Gottes Schöpfungstat stützt sich auf die Gottesidee“ (ebd.). Aus dem bewiesenen Sein Gottes als des unbewegten Bewegers, der als Prinzip und Ziel alles Seienden den per viam remotionis zu erlangenden Fortschritt theologischer Erkenntnis motiviert und leitet, geht für Thomas konsequent hervor, dass Gott ewig ist. Gottes Sein bemisst sich nicht nach der Zeit in ihrem Früher und Später, sondern ist ohne Anfang und Ende. Dabei ist die göttliche Ewigkeit mit immerwährender Dauer der Zeit nicht gleichzusetzen, da wie alles Zeitliche auch die Zeit selbst in Gott ihren Grund und jene Grenze findet, die ihr Wesen bestimmt. Folgt aus dem Sein des unbewegten Bewegers dessen Ewigkeit, so geht aus dieser notwendig hervor, dass es in Gott keine passive Potenz gibt. Da nämlich Gott nicht im zeitlichen, sondern im ewigen Sinne immerwährend ist, kann er aufgrund seines Seins nicht nicht sein. Er ist per se seinsnotwendig, hingegen auf keine Weise seinsmöglich. Er ist actus purus und potentia absoluta, reiner Akt und absolutes Vermögen. Gott ist die Wirklichkeit alles Möglichen und als solche absolutes Wirkvermögen, das auf keine ihm äußerliche Möglichkeit angewiesen ist, diejenige der Ideen eingeschlossen (vgl. Boland). Auch die reine Materie als bloße Möglichkeit ohne eigenes Wirkvermögen stellt in keiner Weise eine Voraussetzung Gottes dar; der Schöpfergott schafft sie vielmehr vermöge seiner eigenen Wirkmächtigkeit aus dem schieren Nichts. Als völliger Unsinn ist es daher nach Thomas zu beurteilen, den Schöpfergott mit der Erstmaterie gleichzusetzen. Denn die potentia absoluta, die Gott als actus purus eignet, ist mit der reinen Potentialität der Materie, die ursprünglich nichts als die Indifferenz des bloß Möglichen ist, nur um den Preis völliger Verkennung zu verwechseln. Gott ist der Herr der Materie, ohne selbst Materie zu sein, mit der er in nichts übereinkommt, die er vielmehr aus dem nihil pure negativum souverän erschafft. In indirekter Weise gilt Entsprechendes in Bezug auf alle aktgeformten Materiegestalten, denen Gott in erhaltender Fortführung seiner Schöpferwirksamkeit das Sein ermöglicht, ohne selbst mit einer von vielen Gestalten, mit deren Vielheit oder mit dem vielfältigen All selbst ineins gesetzt werden zu können. In Gott ist keine Zusammensetzung: Seine Einheit ist daher auch keine numerische Größe, sondern Grund aller Zahl und aller Zählung.

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Aus der Einsicht, dass Gott als actus purus die absolute Wirkmacht alles Möglichen und Wirklichen ist, folgt nicht nur, dass er kein Körper oder eine in einem Körper befindliche Kraft ist, weil diese, auch wenn sie als maßlose Kraft des Weltkörpers vorgestellt würde, als endlich und gottunterschieden gedacht werden müsste; es ergibt sich aus ihr zugleich, dass Gott keiner necessitas ex alio und damit keiner necessitas coactionis unterliegt, sondern als durch sich selbst notwendig und als Grund für die Notwendigkeit von anderem zu gelten hat. Als der durch sich selbst Notwendige, dessen Wirklichkeit keine Möglichkeit außer sich hat, sondern alles Wirkliche aus absolutem Vermögen heraus ermöglicht und alles Mögliche durch seine absolute Wirklichkeit erwirkt, ist Gott derjenige, dessen Sein als Sein selbst sein Wesen ist. Während in Bezug auf alles Seiende zwischen Sein und Wesen sowie zwischen Substanz und Akzidenzien zu unterscheiden ist, ist Gott sein Wesen, dessen Substanz keine Akzidenzien zuzudenken sind, da in ihm nichts außer seinem Wesen ist, welches er ist. Gott ist seine Gottheit: „divina essentia est per se singulariter existens et in seipsa individuata.“ (ScG, cap. XXI) Gott hat kein Wesen, das nicht zugleich sein Sein wäre, und umgekehrt. Kann und muss in Bezug auf alles Seiende zwischen der Seiendheit des Wesens und dem individuierten Einzelsein unterschieden werden, so ist die Anwendung dieser Differenz auf Gott ebenso unstatthaft und verkehrt wie die Annahme, Gottes wesentliches Sein sei eine mit Akzidenzien versehene Substanz. Alles, was Gott eigen und seine Eigenschaft zu nennen ist, eignet ihm wesentlich, ohne dass zwischen Substanz und Akzidenz in dem für Seiendes eigentümlichen Sinne unterschieden werden könnte. Wie Gottes Sein nicht durch die Differenz von Substanz und Akzidenz bestimmt ist, so kann es auch nicht durch Addition substantieller Unterschiede bestimmt werden. Denn Gottes Substanz ist nicht nur relativ, sondern absolut einfach und damit die in sich identische Identität von Einssein und Einheit, die keiner Differenz, auch nicht der von Identität und Differenz unterliegt. Gottes Einheit ist in keiner Weise differenzabhängig: weder von einem akzidentiellen noch auch von einem substantiellen Unterschied. Der Grundsatz, „quod Deus non sit in aliquo genere“ (ScG, cap. XXV), ergibt sich daraus von selbst. In der differenzbestimmten Logizität von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem lässt sich Gottes Sein, welches sein Wesen ist, deshalb nicht fassen, weil Gott als das Sein selbst im Unterschied zu allem Seienden nicht durch den Unterschied zu anderem bestimmt ist. Gott ist nicht nur das nicht, was er nicht ist, sondern auch nicht durch den Unterschied zu dem bestimmt, was er nicht ist. Die via remotionis negativer Theologie verfolgt einen Erkenntnisweg, in dessen Konsequenz sich die Einsicht erschließt, dass auch der Satz, dass Gott anders als alles andere ist, weder in unmittelbarer Affirmation, noch in einfacher – durch Negierung affirmierter – Negation zu vertreten ist, sondern nur in einer Negationslogik, die alle Unterschiede unterschiedslos auf Gott zurückführt, dessen Sein und Wesen durch keinen Unterschied bestimmt, sondern aller Unterschiede einActus purus

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schließlich des Unterschieds seiner selbst von allem anderen mächtig ist. Mit dieser Einsicht ist zugleich der Begriff Gottes gegeben, den negative Theologie auf rationale Weise via remotionis zu erlangen vermag: der Begriff göttlicher Unbegreiflichkeit. Negative Theologie begreift rational, dass schlechterdings Unbegreifbares ist und zwar als absoluter Grund von allem, was begreifbar ist. Das „Dass“ Gottes gilt ihr insofern einschließlich aller unmittelbaren Implikationen des Daseins Gottes als beweisbar. „Was“ Gott hingegen seinem Wesen nach ist, vermag die ratio nicht bzw. nur insofern zu begreifen, als sie begreift, dass Gott substantialiter für die Menschenvernunft unbegreifbar ist. Gott, so wurde gesagt, ist keine Materie, auch nicht die Erstmaterie, die als schiere Möglichkeit allem Seienden zu Grunde liegt, um durch Formakte gestaltet zu werden. Obgleich die Formierung der Materie Prinzip der Wirklichkeit alles Seienden ist, weil nichts, was ist, ohne Formgestalt ist, ist Gott dennoch nicht das Sein als Form aller Dinge. Denn die Formiertheit alles Seienden, welche als die Seinsform im Allgemeinen begriffen werden kann, ist stets materierelativ und an sich selbst nicht wirklich, sondern als generelles Sein real nur im materialiter ermöglichten spezifischen Seienden. Gott aber ist idealiter real und realiter ideal und daher weder formlose Materie noch die von allem materialen Sein abstrahierte Formidee eines allem Seienden gemeinsamen Seins. Als Sein selbst ist das Sein Gottes der Differenz von Form und Materie, der alles Seiende unter- Ipsum esse liegt, schlechterdings überlegen und damit auch dem Sein, das allem Seienden gemeinsam ist, transzendent, um als transzendenter Seinsgrund die Differenz von Form und Materie und mittels dieser das Sein des Seienden zu ermöglichen und zu erwirken. Schöpfungstheologisch heißt das: Gottes Sein schafft Seiendes weder aus einer vorgegebenen Materie noch aus einer ihm vorausgesetzten Formidee des Seins, sondern ruft das Sein alles Seienden und damit das universale All der Entitäten, welches die Welt ist, ursprünglich aus dem Nichts hervor. Ist Gott sonach nicht das Sein von allem im Sinne der allem Seienden gemeinsamen Form, so ist er noch weniger die Form irgendeines Seienden. Kurzum: Gott ist weder Weltseele noch gar Seele eines Körpers in der Welt. Immanent ist er der Welt des Seienden nur in vollkommener Transzendenz, die auch noch den Unterschied von Immanenz und Transzendenz – ihrer selbst und ihres anderen – zu umspannen und in sich zu begreifen vermag (vgl. Goris u. a. [Ed.]). Fragt man, wie unter dieser Voraussetzung von Gott überhaupt die Rede sein kann, so ist man auf die Analogielehre des Thomas verwiesen. Ursprünglich ein mathematischer Term, der durch Platon in die Philosophie Eingang gefunden hat, ist der Analogiebegriff erst in der durch Aristoteles geprägten Scholastik und namentlich durch Thomas selbst zu einem Leitbegriff theologischer Systematik geworden. Vorzugsweise bezeichnet er einen Modus der Prädikation, der sowohl von Univokation als auch von Äquivokation unterschieden ist. Während bei der Univokation ein Begriff bei Anwendung auf differente Satzsubjekte stets gleichsin-

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nig verwendet wird, handelt es sich bei der Äquivokation um bloße Gleichnamigkeit bei gegebener Differenz von Sache und Bedeutung wie im Falle des „Hundes“, unter dem einerseits ein bergmännischer Förderwagen und andererseits ein mehr oder minder bissiges Tier verstanden wird. Analoge Prädikation bildet ihrem Anspruch nach die Mitte univoker und äquivoker Weise zu prädizieren, sofern sie sich bestimmt weiß, Identität und Differenz zugleich auszusagen. In seinen Summen unterscheidet Thomas zwei Arten der Analogie: 1. Zwei (bzw. mehrere) Sachverhalte sind in Bezug auf ein ihnen vor- oder übergeordnetes Drittes gemeinsam auszusagen, das als ihre Vergleichsgröße, als ihr tertium comparationis fungiert. Auf diese Weise kann Gemeinsames weder von Substanz und Akzidens noch gar von Schöpfer und Geschöpf ausgesagt werden. Denn das Seiende und das Sein selbst lassen sich nicht in Bezug auf ein Drittes vergleichen, weil das Sein selbst als Quelle und Ziel alles Seins dem Sein alles Seienden schlechterdings vor- und übergeordnet ist. 2. Theologisch kann also nur die analogia unius ad alterum ernsthaft in Betracht kommen. Eine solche Analogie wird von Gott her ermöglicht, der dem Seienden, das er aus dem Nichts hervorruft, schöpferischen Anteil gibt am Sein des ipsum esse und eine Ähnlichkeit der gottgewirkten Kreatur mit ihrem göttlichen Grund verursacht, welche es erlaubt, bestimmte geschöpfliche Namen zwar nicht unmittelbar, aber hinsichtlich der res significata von Gott zu prädizieren wie etwa Güte. In vollkommener Weise kommt Güte Gott und Gott allein zu; gleichwohl lässt sich eine gotterschlossene Ähnlichkeit alles Guten mit der Güte Gottes behaupten und in analoger Weise vom Gutsein des gegebenen Guten und der Güte von dessen göttlichem Geber sprechen. Von Gott und den von ihm unterschiedenen anderen Dingen kann nichts univok ausgesagt werden. Eine sinnidentische Prädikation etwa des Seinsbegriffs in Beziehung auf das Seiende und das Sein selbst verbietet sich wie jede sonstige Univokation wegen der Transzendenz Gottes vorweg. Gleichwohl wird nicht alles, was von Gott und den gottunterschiedenen Entitäten ausgesagt wird, im Sinne bloßer Äquivokation prädiziert. Denn das Seiende hat als gottgewirkt gewisse Ähnlichkeit mit Gott als seiner Ursache. Dabei verdankt sich die zu konstatierende Ähnlichkeit allein Gott mit der Folge, dass zwar mit Recht zu sagen ist, der Mensch sei Gottes Ebenbild, nicht aber Gott gleiche dem Bilde des Menschen. Im Übrigen schließt die Gottebenbildlichkeit des Menschen wie die Ähnlichkeit alles Seienden mit Gott Unähnlichkeit keineswegs aus, sondern ein, so dass alle vergleichende theologische Rede ihre metaphorische Bedeutung allein durch eine von Gott gewährte Sinnübertragung gewinnt. Allein die von Gott geordnete Hinordnung seiner – von ihm herkommenden – Geschöpfe auf ihn ermöglicht analoge Rede von Gott. Der logos analogans, der die Analogate verbindet und analoge Rede theologisch sinnvoll macht, ist weder im Seienden, noch in einem tertium comparationis, sondern allein im göttlichen Sein selbst begründet. Zwar nimmt analoge Gottesrede gemäß ihrer ratio cognoscendi wie alle rationale Gotteserkenntnis des Menschen beim Seienden ihren Anfang; der ratio essendi zufolge hingegen gründet sie in Gott, der Ursache und Ziel allen theologischen Denkens und Redens ist.

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Die analog von Gott prädizierten Aussagen ver- Via negationis und einen in sich Entsprechung und Nichtentspre- Analogie chung, wobei die Entsprechung durch Gott schöpferisch ermöglicht, die Nichtentsprechung der sinnlichen Beschränktheit des Geschöpfs zuzurechnen ist, die freilich dank des Verhältnisses Gottes zu diesem nicht im Widerspruch enden muss, sondern zu fortschreitender Negation ihrer Nichtentsprechung und damit dazu berufen ist, Gott immer mehr zu entsprechen, was seinerseits ohne wachsendes Bewusstsein, dass kein Seiendes das Sein selbst ist, unmöglich ist. Die Verneinung ist also der Analogie nicht äußerlich, sondern intern. Die Weisen, per analogiam und via negationis von Gott zu reden, stellen strukturell und in Bezug auf die Bedingungen ihrer Ermöglichung hin betrachtet keinen Gegensatz, sondern einen zwar differenzierten, aber gleichwohl einigen Zusammenhang dar. Menschliche Rede von Gott ist nach Maßgabe der Analogielehre des Thomas entsprechend nur, wenn ihr unmittelbarer Bedeutungsgehalt bestimmt negiert wird. Die prädikative Erschließung des ipsum esse in seiner absoluten Priorität allem bestimmten Sein und Wesen gegenüber ist nach Thomas nur durch Analogie und durch eine Methode möglich, die man in Abhebung von der im absoluten Begriff sich vollendenden Dialektik „Analektik“ (vgl. Lakebrink, 9 ff.) genannt hat. Das für sie kennzeichnende Negationsverfahren erweist sich an der namentlichen Benennung Gottes. Die Vielfalt der von Gott ausgesagten Namen widersprechen seiner Einfachheit nicht nur nicht, sind vielmehr unvermeidbar und gerade in ihrer nicht synonymen Verwendung sachgemäß, insofern der Einheit des einen Gottes unter den Differenzbedingungen des irdischen Daseins des Menschen annähernd entsprochen werden kann nur durch vielfältige Aussagen, die um ihre Vielfältigkeit und damit um ihre Beschränktheit wissen, um sich gerade so selbst zu transzendieren, im Zuge ihrer Selbstüberschreitung wechselseitig zu ergänzen und der Wahrheit Gottes approximativ näher zu kommen. In diesem Sinn hat der menschliche Verstand die Verschiedenheit seiner Aussagen über Gott sich selbst und seinen Grenzen zuzuschreiben, wohingegen die Einheit, die in der Aussagenvielfalt zur Sprache gebracht werden soll, einzig und allein Gott zuzuerkennen ist, dessen suprarationales Entgegenkommen im Übrigen die Voraussetzung dafür ist, dass die menschliche Gotteserkenntnis nicht auf der Strecke bleibt, sondern konsequente Fortschritte macht hin auf ihr absolutes Sinnziel. Die Aussagen rationaler Theologie über Gottes Eigenschaften sind im Einzelnen folgende: Gott ist gut und zwar nicht irgendein Gut, sondern das Gutsein selbst, welches das Gute alles Guten ist und in welchem es nichts Schlechtes geben kann. Als summum bonum ist Gott zugleich einer und einer allein, dessen Gottheit einzig und in ihrem Wesen das singuläre Sein des Sein selbst ist. Mehrere Götter, wie die Polytheisten meinen, oder eine Dualität von Erstprinzipien im manichäischen Sinne kann es daher nicht geben. Weil die Einheit des einen Gottes keine numerische Größe darstellt, sondern schlechterdings singulär und unvergleichlich ist, kann Unendlichkeit Gott nicht ratione multitudinis, also im Sinne

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der Vielheit einer unbegrenzten Zahlenreihe zugeschrieben werden. Denn in Gott findet sich weder Zusammensetzung noch Ausdehnung. Unendlichkeit kommt ihm als einer rein geistigen Wirklichkeit zu, durch welche auch noch der Unermesslichkeit des Kosmos ihr Maß gesetzt ist. Als unendlicher Geist ist Gott erkennend. Erkennen ist sein Wesen, durch welches allein und durch nichts anderes Gott erkennt. Die Annahme, als seien Gottes Erkenntnis Ideen vorgegeben, wird damit abermals abgewiesen. Der intellectus divinus erkennt in vollkommener Weise sich selbst und ist in dieser Selbsterkenntnis vollkommen und keiner äußeren Ergänzung bedürftig, sondern als Einheit von Erkennendem, Erkanntem und Erkenntnis absolut. Deshalb gilt, „quod Deus primo et per se solum seipsum cognoscit“ (ScG, cap.XLVIII). Das von Gott zuerst und an sich Erkannte ist nichts von ihm Verschiedenes, sondern er selbst. Ja, auch das, was von ihm verschieden ist, erkennt Gott in sich selbst dergestalt, dass er sich als absolute Wirk- und Erhaltungsursache desselben weiß und damit einen Begriff von sich selbst als Schöpfer und Erhalter der Welt hat. Dabei sieht Gott in seiner Selbsterkenntnis nicht nur das Sein dessen, was von ihm verschieden ist, als solches vor, er hat zugleich eine auf das Eigensein der Dinge gehende Erkenntnis, also eine „propria cognitio de omnibus rebus“ (vgl. ScG, cap. L) und nicht lediglich eine cognitio universalis. Gott kennt das Seiende nicht nur in dessen allgemeiner Gottunterschiedenheit, sondern in jener Differenziertheit, die das eine vom anderen sondert, also als einzelnes Seiendes. Sonach begreift Gottes Selbsterkenntnis nicht nur ein allgemeines Differenzbewusstsein in sich, sondern ein Wissen um die Differenziertheit des Differenten und damit um das Eigensein der gottunterschiedenen Entitäten in ihrer Unterschiedenheit voneinander. Es bleibt zu fragen, wie die differenzierte Vielheit des erkannten Seienden in der Erkenntnis Gottes Sein hat. Thomas beantwortet diese Frage im Kontext erkenntnistheoretischer Erwägungen, die für sein Gesamtsystem höchst bemerkenswert sind, mit dem Hinweis, der Logos Gottes, in dem Gott sich selbst erkennt und sein Sein begreift, enthalte als Begriff Gottes von sich selbst auch den Begriff des Seins alles Seienden. Vermittels seines Logos ist Gott unbeschadet der Einheit und Einfachheit seines Wesens die propria similitudo aller erkennbaren Dinge. Dabei enthält der Logos, wie gesagt, nicht nur das Urbild des Seins des Seienden im Allgemeinen in sich, sondern die Idee jedes Seienden in seinem Eigensein, so dass mit einer Unterschiedenheit und Vielheit von Begriffen in Gott zu rechnen ist, die aber die Einheit der Erkenntnis Gottes nicht auflösen, weil diese – weder habituell noch diskursiv nach Weise eines zusammensetzenden und trennenden Verstandes verfahrend – alles zugleich und in einem einzigen Akt erkennt. Die Erkenntnis Gottes erkennt sonach, indem sie sich selbst erkennt, im Logos das Viele als Vieles in einem und das Getrennte als Getrenntes ungetrennt. Nachdem festgestellt wurde, dass Gott als die geisGöttliche Erkenntnis der tige Tätigkeit vollkommener Erkenntnis die erste Einzeldinge und höchste Wahrheit, ja die unvermischte reine Wahrheit selbst ist, kommt Thomas noch einmal ausführlich auf die Argumente

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derer zu sprechen, die Gott die Erkenntnis der Einzeldinge absprechen wollen. Um sie zu widerlegen, zeigt er erstens, dass Gottes immaterieller Verstand das Einzelne unter Einschluss von Materie als Seiendem in Potenz (ens in potentia) und Akzidens als Seiendem in anderem (ens in alio) kennt, dass er zweitens auch vom Nichtseienden Kenntnis hat und zwar sowohl insofern es sich dabei um noch nicht Seiendes als auch insofern es sich dabei um solches Nichtseiendes handelt, das weder war, noch ist, noch sein wird. Während dabei letzteres ein Verhältnis zum göttlichen Wissen nur dadurch hat, dass es von Gott im Vermögen seiner Kraft liegend gewusst wird, erkennt Gott ersteres „secundum quod sunt in sua potentia, et in propriis causis, et in seipsis“ (vgl. ScG, cap. LXVI). In einem Fall handelt es sich um eine notitia simplicis intelligentiae, im andern um eine sog. notitia visionis (ebd.). Kennt Gott das noch nicht Seiende in seiner Singularität, dann gilt dies drittens auch von den „singularia contingentia futura“ (ScG, cap. LXVII). Auch über das, was als Künftiges sein und nicht sein kann, hat Gott von Ewigkeit her ein unfehlbares Wissen, weil Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sowie jeder Augenblick der Zeit überhaupt im Ewigen präsent sind. Des Weiteren kennt Gott nach Thomas viertens nicht nur alle „cogitationes mentium et voluntates cordium“ (ScG, cap. LXVIII), seine Erkenntnis ist fünftens auch imstande, Unendliches zu erkennen und zwar sowohl seine eigene Unendlichkeit, als auch das in Potenz Unendliche der natürlichen Dinge. Dass es ein unendliches Seiendes in actu gebe, wird, wie hinzuzufügen ist, nicht nur von Aristoteles bestritten, sondern auch vom christlichen Glauben in Abrede gestellt, da die Reihe des Seienden nicht als realiter unendlich zu denken sei, „cum generatio ex neutra parte sit infinita“ (ScG, cap. LXIX). Gott weiß demgemäß Unendliches wie das nie seiende Nichtseiende in der Weise der scientia simplicis intelligentiae und nicht in der Weise der notitia visionis. Gleichwohl ist auch das Wissen in der Weise des bloßen Denkens ein Wissen, vermöge dessen Gott das Unendliche, das weder war, noch ist, noch sein wird, als das in seiner eigenen Macht bzw. in der Potenz der Geschöpfe Liegende weiß. Verbleibt zum sechsten und siebten der Hinweis, dass Gott nicht nur das Wertloseste bis hin zu dem bloß in Potenz Seienden, welches das Letzte und Mangelhafteste unter dem Seienden ist, sondern auch das Schlechte kennt, welches zu erkennen nicht schlecht, sondern im Gegenteil ein Gut ist. Die Güte der Erkenntnis nämlich zeichnet sich nicht unwesentlich dadurch aus, dass sie das Schlechte in seinem falschen Schein und verkehrten Bestreben, als gut verkannt zu werden und sich selbst zu verkennen, durchschaut und so in seiner Schlechtigkeit identifiziert (vgl. insgesamt Goris). Gott ist vollkommene Erkenntnis seiner selbst und des anderen seiner selbst, welches der Logos ist, mittels dessen er in der Kraft seines Geistes gottunterschiedenes Anderes schafft, um es als solches zu erkennen. Als Erkennender hinwiederum ist Gott wesentlich Wollender. Nach der Darlegung dessen, was zu der dem Verstand Gottes eigenen Erkenntnis gehört, verbleibt Thomas die theologische Erörterung des Willens Gottes. Als reiner Geist ist Gott absolut frei wollender

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Wille. Wie seine Erkenntnis ist auch Gottes Wille sein Wesen. Unmöglich hingegen ist es, den Willen Gottes als ein additum seines Wesens zu denken. Er ist mithin auch keine nachgeordnete Zutat seiner Erkenntnis. Als intellectus ist Gott wesentlich voluntas. Verstand und Wille sind in Gott von gleicher Einfachheit (ScG, cap. LXXVII: aequalis simplicitatis). Wie aber die Erkenntnis Gottes wesentlich Selbsterkenntnis ist, so ist der göttliche Wille prinzipiell auf sein Wesen gerichtet. Gottes Wille will sich selbst in seinem ungeteilten Sein und Wesen und zwar mit unbedingter, in Gottes Gottheit selbst gründender Notwendigkeit. Das Andere hingegen, welches er nicht unmittelbar selbst ist, will Gott von sich aus mit bedingter Notwendigkeit, womit gesagt ist, dass die Erschaffung der Welt in freier göttlicher Willentlichkeit geschieht, ohne deshalb in einem äußerlichen Sinne beliebig zu sein. Beliebig kann man das Schöpferwerk Gottes nur insofern nennen, als es aus dem Belieben seiner Liebe hervorgeht. Es ist der in Gottes Selbstwollen ursprünglich gründende Liebeswille, der will, dass Gottunterschiedenes ist. In diesem Sinne will Gott dadurch, dass er sich will, auch das andere seiner selbst und vermittels dessen das Sein einer differenzierten und in unterschiedenes Seiendes differenzierten Welt. Gott will die Vielheit der Entitäten, die das Sein Gottgewollte Vielheit der Welt ausmachen, weil er sein Wesen will und liebt, das an sich selbst weder steigerungs- noch vervielfältigungsbedürftig ist und daher das von ihm Geschaffene um seines Selbstseins willen nicht nötig hat. Insofern ist zwischen der unbedingten Notwendigkeit, mit der Gott sich selbst will, und der bedingten Notwendigkeit, mit welcher er die gottunterschiedene Welt will, zu unterscheiden, ohne dass damit ausgeschlossen wäre, dass unter der Bedingung durch Gott bedingter Notwendigkeit mit einer weltlichen Notwendigkeit zu rechnen ist, die nicht dinghaft bedingt ist. Auch darf die Unterscheidung zwischen göttlich unbedingter und bedingter Notwendigkeit nicht als Trennung missverstanden werden. Ausdrücklich hebt Thomas hervor, dass Gott durch einen einzigen Akt des Willens sich und das Andere der Welt will. Der Akt, durch welchen Gott sich und das Weltandere will, ist ein und derselbe. Dabei widerspricht die Vielheit des von Gott gewollten Anderen nicht der göttlichen Einfachheit. Indem er sich auf alles erstreckt, was ist, und dabei auch dieses umfasst, was noch nicht ist, hört der Wille Gottes nicht auf, ein einziger zu sein. Gottes Wille ist absolutes Vermögen, dem nichts unmöglich ist. Zu diesem Grundsatz steht die Annahme, dass sich der Wille Gottes nicht auf das an sich Unmögliche richtet, in keinem Widerspruch. Denn das an sich Unmögliche begründet keinen Gegensatz zu Gott und seinem Willen, da es als in sich gegensätzlich und widersprüchlich sich selbst aufhebt, bevor von seiner Möglichkeit und seinem Sein überhaupt die Rede sein könnte. Das an sich Unmögliche ist das in sich selbst Nichtige. Es widerspricht daher der Allmacht des göttlichen Willens nicht nur nicht, sondern entspricht ihr, dass sich Gottes Willen auf das an sich Unmögliche nicht richtet. Indem Gottes Wille will, dass Seiendes sei, will er nicht, dass dieses als Seiendes nicht sei; denn eben dies würde Gottes Willen zersetzen

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und zugleich bedeuten, dass seine Vernunft nicht vernünftig ist. Schließt Gottes Wille das göttliche Wollen dessen aus, was an sich unmöglich und sich selbst widersprechend ist, so heißt das nicht, dass Gott nicht Entitäten will, die sein und nicht sein können. Dass Seiendes als Seiendes nicht sei, ist in sich unmöglich und von Gottes Willen selbstverständlich, also gemäß dem vernünftigen Wesen, das er ist, notwendigerweise nicht gewollt. Dass Seiendes sei, das sein und nicht sein kann, hingegen will Gott und zwar um der von ihm gewollten Ordnung des Universums der geschaffenen Welt willen. Gott will das andere nicht nur als gottunterschiedene Welt als solche, also als das bloß Differente, sondern als in sich differenzierte Differenz, nämlich als universal geordnete Welt. Dabei bemisst sich die in sich differenzierte Differenz des Kosmos an der Gradualität des Seins, die Gott seinem vernünftigen Willen gemäß dem Seienden – darin das eine vom anderen und dem anderen des je anderen unterscheidend – beigemessen hat. Das Maß der Dinge ist ihr jeweiliger Seinsgrad, und die universale Ordnung der Welt besteht in ihrer Seinsstufung. Bleibt zu fragen, ob sich ein Grund dafür angeben lässt, warum Gott die Welt als graduell gestufte Seinsordnung wollte. Thomas beantwortet diese Frage teleologisch: Gott will die Welt des Seienden als zielgerichtet auf ihn hinstrebende. Die Welt erschaffend setzt Gott sich selbst dieser als ihr Ziel voraus. Sind Ursprung und Ziel in der Wirklichkeit des Schöpfers eins, so treten sie in der erschaffenen Welt in Entsprechung zu der bedingten Notwendigkeit, welche für Gottes Weltschöpfung kennzeichnend ist, auseinander, nicht um sich – der Einheit des göttlichen Schöpferwillens widerstrebend – zu trennen, sondern um jene prozessual geordnete Bewegungsreihe gradueller Seinsstufen zu ergeben, die durch das Maß ihrer Zielstrebigkeit ebenso unterschieden wie vereint sind. Die teleologische Seinsordnung hat in Gottes Willen sonach ihren Grund, ohne deshalb Ursache von Gottes Willen zu sein. Ursache von Gottes Willen nämlich kann nichts als dieser selbst sein. Dabei ist Gottes Wille als Ursache seines Wollens zugleich dessen Ziel. In Gottes Wille gibt es daher anders als in dem von Gott gewollten Anderen kein Nacheinander (oder auch Nebeneinander). Gott ist Herr von Zeit (und Raum). Die (Raum-)Zeitordnung des Kosmos hingegen, die Herr von Raum und Zeit Gott in freiem Entscheidungsvermögen mit durch dieses bedingter Notwendigkeit aus dem Nichts ins Sein ruft, ist durch ein Nebenund Nacheinander gekennzeichnet, wobei der prozessuale Richtungssinn des universalen Ganzen, welches der Kosmos ist, durch die teleologische Hinordnung auf Gott bestimmt ist. Diesen prozessualen Richtungssinn denkt Thomas nach Weise einer teleologischen Stufenordnung des Seins, dergemäß sich Unterschiede und Zusammenhänge des Seienden aus dessen jeweils eigentümlicher Seinsgradualität ergeben. Gott waltet, so lässt sich sagen, in allen Entitäten, aber er waltet in ihnen auf je unterschiedene Weise, deren Unterschiedenheit durch verschiedenartige Zwecke innerhalb der einen Zielordnung bestimmt ist. Auch das geringste Seiende hat einen Sinn und Zweck, und man wird hinzufügen dürfen: durchaus in und an

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sich selbst. Kein Seiendes ist bloßes Mittel eines ihm gänzlich äußeren Zweckes. Gleichwohl bemisst sich sein Sinn nicht unmittelbar an ihm selbst, sondern an dem Maß des Ziels, auf das alles Seiende hingeordnet ist: Gott, auf den hin der ganze Weltprozess von seinem göttlichen Ursprung her teleologisch angelegt ist. Die Güte des Seienden besteht in seinem je eigenen Zweck, wodurch es dem Sinn des Ganzen auf unterschiedliche Weise dienlich ist. Alles was ist, ist gut, sagt Thomas. Doch es ist dies in Anbetracht des Ganzen auf eine Weise, die eine Unterscheidung zwischen einem Mehr oder einem Minder nicht nur erlaubt, sondern nötig macht. Warum ist das so? Weil sonst, meint Thomas, eine gottunterschiedene Welt nicht nur nicht wirklich, sondern auch nicht möglich wäre, was zu wollen weder sinnvoll noch gut wäre. In Bezug auf die graduelle Stufenordnung des Seins bleibt Thomas daher von Anbeginn bis zuletzt nur zu sagen: Gott hat es so gewollt, und das ist gut so und zwar gut nicht nur im Blick auf das Ganze, sondern auch in Bezug auf die einzelnen Teile, deren Maß an Sein auch dann prinzipiell ein Gut ist, wenn es sich dabei um ein geringes, in seiner Geringfügigkeit aber zweckbestimmtes und zielorientiertes Maß handelt. Um ein Beispiel zu geben: auch das sinnlich Gegebene, wie es im Anorganischen, im Pflanzlichen und Tierischen bis hin zum Leib des Menschen manifest wird, ist ein Gut, wenngleich das Sinnziel des Ganzen über Körperlichkeit hinausweist und der Zweck des Körpers nur im Verein mit dessen befristeter Zeitlichkeit begriffen werden kann. Es ist der gottgewollte Begriff sinnlicher Körperlichkeit, so wird man sagen müssen, das Zeitliche zu segnen. Dass und inwiefern von seinem körperlichen Los auch die Seele des Menschen betroffen ist, lässt sich der thomanischen Lehre von „der vom Leibe getrennten, ‚abgeschiedenen‘ Seele“ (Kluxen, 96) entnehmen, derzufolge der anima separata „der Personcharakter“ (ebd.) abzusprechen ist. Dieses Lehrstück vermittelt einen exemplarischen Eindruck nicht nur von der Leib-Seele-Thematik im Werk von Thomas (vgl. Kläden), sondern von seiner Anthropologie insgesamt (vgl. Pesch, 187 ff.), wie sie in der Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen grundgelegt ist (vgl. Krämer). Der gottebenbildliche Mensch ist eine psychosomatische Differenzeinheit, durch seinen Leib verbunden mit aller Welt und durch seine Seele hingeordnet auf Gott als seinen Grund und sein Bestimmungsziel, in dem er leibseelische Erfüllung findet. Leidenschaften (vgl. ScG, cap. LXXXIX) sind Thomas a Creatore nicht in Gott. Weil es im körperlosen Gott keine cognitio sensitiva und keine durch körperliche Veränderungen erzeugten Bewegtheiten gibt, kann es in ihm auch keine passiones affectuum, keine „Bewegungen oder Veränderungen des sinnengebundenen Strebevermögens“ (Brungs, 16) geben. So lehrt es Thomas in Übereinstimmung mit Aristoteles und der antiken Theorietradition. Das hindert ihn nicht, Gottes liebende Anteilnahme an seinen Geschöpfen und namentlich an seinem kreatürlichen Ebenbild bereits in der Schöpfungstheologie in einer Weise zu betonen, die an die Grenze des metaphysischen Gottesbegriffs führt. Gottes Liebe, die sein Wesen ausmacht, ist zwar von sinnlichen Leidenschaften rein, aber doch passio-

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Christliches Welt- und Menschenverständnis zwischen Platonismus und Aristotelismus

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niert insofern zu nennen, als sie sich ganz auf das Geschöpf einlässt und es je nach seiner Eigenart als es selbst einschließlich seiner Leiblichkeit liebt. Der Schöpfergott will jedes Seiende als je eigenes; entsprechend liebt er seine Geschöpfe nicht lediglich im Allgemeinen, sondern in der spezifischen Eigenart, in der er sie geschaffen hat. Weil sie auf das individuelle Einzelgeschöpf eingeht, ist Gottes Liebe zur Kreatur in nicht steigerungsfähigem Maß differenziert, ohne deshalb aufzuhören, eine und eins zu sein; es ist vielmehr so, dass die unvergleichliche Differenziertheit göttlicher Liebe die Bestätigung ihrer singulären Vollkommenheit und Einheit ist. Indem Gott seine Kreaturen liebt, liebt er sie nicht unter Abstraktion von ihrer jeweiligen kreatürlichen Eigenart, sondern genau in der ihrer eigenen Art gemäßen Weise. Das Maß der Liebe Gottes zu den Kreaturen ist mithin kein fremdes, sondern je und je dasjenige Gut, welches ihr eigenes ist und ihre eigentümliche Bestimmung ausmacht. Gott liebt die Kreaturen als sie selbst und damit in konkreter Beziehung auf das, was sie als sie selbst und in sich von anderem unterscheidet. Genau dies will bedacht sein, wenn über das Recht der Wendung zu befinden ist, Gott liebe das eine Seiende mehr als das andere Seiende. Bezieht man diese Wendung auf die Stärke der Liebestätigkeit, so ist sie theologisch unstatthaft. Denn Gott will das einer Entität eigentümliche Gute nicht stärker als das Gute einer anderen Entität. In Bezug auf die Liebestätigkeit Gottes ist daher zu sagen, dass Gott in Bestätigung der Einheit seines tätigen Schöpferwillens alles Seiende in gleichem Maße liebt. Hinsichtlich des Gutes hingegen, das Gott für das jeweilige Seiende will, kann mit Recht und muss von einem Mehr oder Weniger göttlicher Liebe gesprochen werden, sofern die nach Seinsstufen graduell differenzierte Differenziertheit des Seienden die Güte der gottgewollten Schöpfungsordnung ausmacht. Dass Gott den Esel als Esel und den Menschen als Menschen und insofern den einen weniger und den anderen mehr liebt, ist gut so und kein Widerspruch zur Einheit göttlicher Liebe, sondern deren Bestätigung, weil jede gegenteilige Annahme sich als in sich unmöglich und der gottgesetzten Weltvernunft zuwiderlaufend erweisen müsste. In sich eins ist Gottes Schöpferliebe zugleich unendlich differenziert und ihrem Wesen nach unerschöpflich: so lehrt es „Thomas a Creatore“, wie Gilbert Keith Chesterton den Aquinaten genannt hat (vgl. Pieper, 47).

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4. Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikels im Kontext scholastischen Erbes

Lit.: P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1962. – J. Baur, Die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums, in: ders., Einsicht und Glaube. Aufsätze, Göttingen 1978, 112–121. – O. Bayer, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, Göttingen 1971. – Ders., Schöpfung als Anrede, Tübingen 1986. – Ders., Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2003. – O. Bayer/B. Gleede (Hg.), Creator est creatura. Luthers Christologie als Lehre von der Idiomenkommunikation, Berlin/New York 2007. – Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 61967 (= BSLK). – A. Beutel (Hg.), Luther Handbuch, Tübingen 2005. – H. Bornkamm, Luther und das Alte Testament, Tübingen 1948. – Th. Dieter, Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie, Berlin/New York 2001. – W. Dreß, Die Zehn Gebote und der Dekalog. Ein Beitrag zu der Frage nach den Unterschieden zwischen lutherischem und calvinistischem Denken, in: ThLZ 79 (1954), Sp. 415–422. – G. Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 4 1981. – E. Herms, Luthers Auslegung des Dritten Artikels, Tübingen 1987. – W. Joest, Ontologie der Person bei Luther, Göttingen 1967. – D. Löfgren, Die Theologie der Schöpfung bei Luther, Göttingen 1960. – B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995. – M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe = WA). Bd. 1 ff., Weimar 1883 ff. – P. Meinhold, Die Genesisvorlesung Luthers und ihre Herausgeber, Stuttgart 1936. – U. Mennecke-Hausstein, Luthers Trostbriefe, Gütersloh 1989. – W. Metz, Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin, Hamburg 1998. – K. O. Nilsson, Simul. Das Miteinander von Göttlichem und Menschlichem in Luthers Theologie, Göttingen 1966. – A. Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen. Bd. I: Die Zehn Gebote. Luthers Vorreden. Bd. II: Der Glaube. Hg. v. G. Seebaß, Göttingen 1990/1. – H. G. Pöhlmann, „Er hat sich ganz und gar ausgeschüttet und nichts behalten, das er uns nicht gegeben hätte“. Die Gotteslehre der lutherischen Bekenntnisschriften, in: KuD 39 (1993), 48–63. – J. Ringleben, Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her, Tübingen 2010. – E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München (1940) 31948. – J. Schwanke, Creatio ex nihilo. Luthers Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts in der Großen Genesisvorlesung (1535–1545), Berlin/New York 2004. – G. Wenz, „Das ist mein Glaube . . .“. Luthers Großes Bekenntnis von 1528 (WA 26, 499–509), in: ders., Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation. Bd. 1, Hannover 2000, 9–34. – G. Wingren, Schöpfung und Gesetz, Göttingen 1960.

Zwiefach, sagt Thomas von Aquin, ist der Modus theologischer Wahrheit. Einiges von ihr übersteigt die Fähigkeiten menschlicher Vernunft und kann durch ihr Vermögen nicht erfasst, sondern nur durch suprarationale Offenbarung Zwiefacher Wahrheitsmodus nach Thomas

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Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikels im Kontext scholastischen Erbes

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zur Erkenntnis gebracht werden. Dazu zählen das Mysterium der göttlichen Trinität, das Geheimnis der Logosinkarnation sowie die eschatologische Bestimmung von Menschheit und Welt. Andere Bestände der Theologie hingegen sind rational erschließbar und der natürlichen Menschenvernunft zugänglich. Dazu rechnet Thomas die theologische Wahrheit der Existenz des einen Gottes und der Erschaffung der Welt durch ihn. Die Schöpfungslehre gehört entsprechend in den Zusammenhang natürlicher, nicht supranaturaler Theologie. Aus der Gliederung der „Summa contra Gentiles“ geht dieser Sachverhalt unmittelbar hervor; er wird aber auch durch den Aufbau der großen Summe bestätigt, deren Architektonik lediglich deutlicher zutage treten lässt, dass die modale Zweiheit theologischer Wahrheit nicht auf einen Gegensatz, sondern auf ein einheitliches Endziel der Erkenntnis hin angelegt ist, in welchem lumen naturale und lumen supranaturale koinzidieren (vgl. Metz). Wie sich die Einsicht in die Existenz des einen Gottes aus vernünftiger Welterkenntnis ergibt, so gibt sich die Welt der durch das lumen naturale erleuchteten Menschenvernunft als Schöpfung des einen Gottes zu erkennen, der als das Sein selbst der Seinsgrund alles Seienden ist. Die Schöpfungslehre von Thomas ist als Metaphysik konzipiert, und theologische und philosophische Aussagen kommen in ihr tendenziell und mehr oder minder differenzlos überein. Auf der Basis der Lehre von Existenz, Wesen, Eigenschaften und Tätigkeitsweisen Gottes wird erstens analog zur prima-causa-Theorie die göttliche productio rerum in esse, also die Hervorbringung der kreatürlichen Entitäten ins Sein, zweitens die ontische Differenziertheit der Kreaturen und drittens die den Kreaturen je eigene Natur erörtert. In ersterer Hinsicht kommen Gott als einiger Ursprung des Seins und alles Seienden, sein Schöpferwirken als creatio ex nihilo, der weder Materie noch ewige Formideen zu Grunde liegen, sowie die Logizität des schöpferischen Handelns Gottes in Betracht. In zweiter Hinsicht wird gezeigt, dass die Verschiedenheit und Ungleichheit in den geschaffenen Dingen weder aus Zufall oder aus Verschiedenheit der Materie noch wegen des Dazwischentretens irgendwelcher Ursachen zustande kam, sondern durch Gottes ureigene Absicht bedingt ist, dergemäß er dem Geschaffenen die höchstmögliche Vollkommenheit geben wollte. Drittens werden ausführliche Analysen zum Wesen des endlichen Geistes in seiner Selbständigkeit und Einzelheit sowie zum Problem der differenzierten Einheit von Leib und Seele und zur seelischen Unsterblichkeit gegeben. Weil Gott als der Konstitutions- und Erhaltungsgrund aller Entitäten zugleich deren Vollendungsziel ist, schließt sich an die Lehre des Aquinaten vom Hervorgang der Kreaturen aus Gott diejenige ihrer Hinordnung auf ihn an. Dabei wird erstens erörtert, inwiefern Gott Ziel aller Dinge ist, zweitens wie er durch seine universale jedes Geschöpf und drittens wie er durch seine spezielle Leitung die verstandesbegabten Geschöpfe lenkt. Die Themenbestände scholastischer Schöpfungstheologie, wie sie von Thomas klassisch ausgearbeitet wurden, sind auch für reformatorische Lehre kanonisch geworden. Nicht sie machen den entscheidenden Unterschied aus, sondern eher

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ihre jeweilige Organisation und Anordnung im Gesamtzusammenhang der Dogmatik, als deren regulatives und kriteriologisches Prinzip nach Luthers ursprünglicher Einsicht die Lehre von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade um Christi willen durch Glauben fungiert. Am Rechtfertigungsevangelium bemisst sich Luthers Verhältnis zu Thomas und Aristoteles (vgl. Dieter) sowie zu den metaphysischen Schöpfungstheorien, wie sie im Rahmen der aristotelischen Scholastik konzipiert wurden. Eine von der Rechtfertigungslehre abgesonderte Schöpfungstheologie kennt Luther nicht und will er nicht kennen. Die enge Verbindung, die er, ohne die Notwendigkeit ihrer Unterscheidung zu leugnen, zwischen ihr und der Hamartiologie herstellt, ist ebenso dem rechtfertigungstheologischen Kriterium geschuldet wie die Tatsache, dass heilsame Erkenntnis der väterlichen Schöpfergüte und der Rechtheit seiner Schöpfung ohne christologisch-pneumatologische Vermittlung nicht möglich ist. Entschlossener als Thomas drängt Luther daher darauf, die christliche Schöpfungslehre konsequent in einen trinitätstheologischen Kontext zu stellen und offenbarungstheologisch zu entfalten. Dabei nimmt er bewusst alle Folgen in Kauf, die diese Entscheidung für das Verhältnis von Theologie und Philosophie im Allgemeinen und zur aristotelischen im Besonderen nach sich zieht. „Sein Kampf gegen Aristoteles ist Kampf für das rechte theologische Denken. Darum gewinnt man den eigentlichen Zugang gar nicht über allgemeine antiaristotelische Invektiven, sondern nur durch die Einsicht in die konkreten theologischen Zusammenhänge, in denen die Verwendung aristotelischer Denkformen zum Verhängnis wird.“ (Ebeling, 95) Zwar ist die theologische Protologie ebenso wie die RechtfertigungstheologiEschatologie nach Auffassung des Reformators von sches Kriterium der christologisch begründeten Soteriologie sorgsam zu unterscheiden. Förmlich separiert werden kann sie von ihr indes nicht, wenn der christliche Sinngehalt der Schöpfungslehre angemessen erschlossen werden soll. Schon der Schöpfergott ist daher trinitarisch und in seiner Dreieinigkeit als derjenige zu denken, „der sich uns allen selbs gantz und gar gegeben hat mit allem, das er ist und hat“ (WA 26, 505, 38 f.; vgl. Pöhlmann). Nicht dass Luther die Möglichkeit vernünftiger Erkenntnis eines transzendenten Weltgrundes einfachhin in Abrede gestellt hätte. Aber als Vater seiner Geschöpfe ist der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erden nur im Geiste Jesu Christi und im Glauben an den Dreieinigen zu erkennen. Mit Luthers Großem Bekenntnis von 1528 zu reden: „Das sind die drey person und ein Gott, der sich uns allen selbs gantz und gar gegeben hat mit allem, das er ist und hat. Der Vater gibt sich uns mit hymel und erden sampt allen creaturen, das sie dienen und nütze sein müssen. Aber solche gabe ist durch Adams fal verfinstert und unnütze worden, Darumb hat darnach der son sich selbs auch uns gegeben, all sein werck, leiden, weisheit und gerechtickeit geschenckt und uns dem Vater versunet, damit wir widder lebendig und gerecht, auch den Vater mit seinen gaben erkennen und haben möchten. Weil aber solche gnade niemand nütze were, wo sie so heimlich verborgen bliebe, und zu uns nicht komen kündte, So kompt der heilige geist und gibt sich auch uns

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gantz und gar, der leret uns solche wolthat Christi, uns erzeigt, erkennen, hilfft sie empfahen und behalten, nützlich brauchen und austeilen, mehren und foddern, Und tut dasselbige beide, ynnerlich und eusserlich: Ynnerlich durch den Glauben und ander geistlich gaben. Eusserlich aber durchs Evangelion, durch die tauffe und sacrament des altars, durch welche er als durch drey Mittel odder weise zu uns kompt und das leiden Christi ynn uns ubet und zu nutz bringet der seligkeit.“ (WA 26,505,38–506,12; vgl. Wenz) Gott ist als Schöpfer zwar anders Gott denn als Versöhner und Vollender. Aber er ist als der Vollender und Versöhner kein anderer Gott als der Schöpfer, sondern auch in seinem Schöpfersein wesentlich der deus pro nobis, als der er in Jesus Christus durch den Geist offenbar ist, um als allmächtiger Vater bekannt zu werden. Der Sinngehalt von Luthers Schöpfungslehre erschließt sich aus einem trinitarischen Zusammenhang, der streng christozentrisch verfasst ist, ohne zu einem Christomonismus zu führen, welcher die trinitarische Ökonomie entdifferenziert und die Unterschiede innerhalb der göttlichen Dreieinigkeit nivelliert. Der dreieinige Gott ist ungeteilt Gott für uns, und eben weil dies so ist, hat die Trinitätslehre als „Summe des Evangeliums“ (vgl. Baur) zu gelten. Als solche ist sie aber wie das Evangelium selbst nur zu erfassen, wenn in differenzierter Weise bedacht wird, dass der trinitarische Gott in seiner ungeteilten Dreieinigkeit Gott für uns als Schöpfer, Versöhner und Vollender ist. Wird dies erwogen, dann erhellt zugleich, dass dort, wo vom Schöpfer und seiner Schöpfung zu reden ist, vom Fall der Sünde und den Übeln der Welt nicht geschwiegen werden darf. Luthers eigentümliche Wendung „homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator“ (WA 40/ II,328,1 f.), mit welcher er die Frage nach dem subiectum theologiae in einer von der mittelalterlichen Scholastik signifikant abweichenden Weise beantwortet, ist nachgerade für seine Schöpfungslehre und für die protologische Stellung bestimmend, die er ihr im Rahmen der Gesamtdogmatik in antipelagianischer Absicht zuweist. Die Vergegenwärtigung der Schöpfungswahrheit ist untrennbar verbunden mit der hamartiologischen Einsicht in die abgründige Verfehlung kreatürlicher Bestimmung, ohne dass deshalb die theologische Dignität des ersten Glaubensartikels in manichäischer Weise zur Disposition gestellt würde. Der Verlust des Paradieses setzt seinen ehemaligen Besitz voraus, der Fall der Sünde in den status corruptionis den ursprünglichen Stand der Integrität, wenngleich als einen verlorenen. In der theologischen Überlieferung wurde der status integritatis in der Regel als eine Grundordnung begriffen, in welcher die Beziehung des Menschen zu Gott, zu sich selbst und zur Welt recht und richtig war. In der Urstandsgerechtigkeit stehen Seele und Leib in einem Verhältnis, das ihrer kreatürlichen Bestimmung gemäß ist, und die sinnliche Welt fügt sich den Formen des Geistes, ohne dass Sinnlichkeit einfachhin unterdrückt oder abstrakt negiert würde. Die Integrität des Urstands schließt psychosomatisches Wohlergehen in sich; es besteht die Möglichkeit, weder zu leiden noch zu sterben. Nachgerade in der Alten Kirche wurde die paradiesische Freiheit von den Verderbensmächten der Krankheit und des Todes besonders betont; der prälapsarische Adam

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war nicht zwangsläufig dem Leidengeschick ausgeliefert, welchem der Fall der Sünde den Menschen unterwarf. Dieses Motiv bleibt auch in der mittelalterlichen Urstandslehre erhalten, obwohl die Gedanken der Sündenfreiheit und der Gerechtigkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit treten. Die Leitbegriffe zur Bestimmung des status integritatis lauten nun rectitudo und iustitia originalis. Als Stand ursprünglicher Wohlverfasstheit des Status rectitudinis et Menschen und seiner Welt ist der status integritatis iustitiae für mittelalterliche Theologie primär ein status rectitudinis et iustitiae. Dies tritt spätestens seit Anselm von Canterbury offen zutage. Dabei bezeichnen Rechtheit und Gerechtigkeit nicht nur eine potentielle Anlage, mit der Gott den Menschen ins Dasein treten ließ, sondern einen Akt vernunftgeleiteten Willens, der auf die Realisierung des gerechten Vermögens ausgerichtet ist. Strittig war unter den Scholastikern, wie sich im Vollzug der Verwirklichung der Urstandsgerechtigkeit Natur und Gnade zueinander verhalten. Die Unübersichtlichkeit dieses Streits ist zu einem nicht geringen Teil durch die Verschiedenheiten der Bedeutungen begründet, die sich jeweils mit den Begriffen Natur und Gnade verbanden. Dachte man die Schöpfung an sich selbst als einen Akt göttlicher Gnade und die Integrität ursprünglicher Wesensnatur des Menschen als eine Wirkung der gratia creationis, dann konnte die kreatürliche Natur des Menschenwesens selbst als gnadenhaft verfasst gedacht werden und es bedurfte keiner prinzipiellen Unterscheidung des Begriffes der Natur von demjenigen der Gnade, was nicht ausschloss, dass die grundsätzliche Einheit beider mit internen Differenzierungen versehen wurde. Anders stellte sich die Angelegenheit dar, wenn zwischen der Natur des Menschen als einer Wesenheit mit Wirkvermögen eigener Art und seiner Begnadung im Grundsatz unterschieden und mit der menschlichen Schöpfungsnatur etwa lediglich ein Anfängliches bezeichnet wurde, dessen Beginnen durch einen gnadenhaften Prozess zu vervollkommnen sei: Dann steht Gnade für ein Naturtranszendentes, dessen Übernatürlichkeit im Verhältnis zur Natur wiederum unterschiedlich bestimmt werden kann. Die Möglichkeiten der Variation sind äußerst vielfältig und werden in der Scholastik, wie nicht anders zu erwarten, extensiv genutzt, wobei sich die einzelnen Systeme am besten unter Traditionsgesichtspunkten gruppieren und zu Einheiten zusammenschließen lassen. Repräsentanten der augustinischen Schule, die philosophisch in Sonderheit durch die platonischneuplatonische Überlieferung geprägt waren, vertreten in der Regel signifikant andere Natur-Gnade-Lehren wie Thomas und der aristotelische Thomismus. Wie immer der prälapsarische Urstand des Menschen speziell zu denken ist, ob als Gnadenstand, als kreatürliche Grundlage der Begnadung oder in anderer Weise: generelles Einvernehmen unter den mittelalterlichen Scholastikern herrschte in der Überzeugung, dass er einen Status der Integrität und der Ursprungsgerechtigkeit darstellt, in dem Sündenfreiheit herrscht. Gottwidriger Hochmut und verderbliche Konkupiszenz haben am Ort der iustitia originalis keinen Platz. Der Urstand ist ein Hort der Tugenden, wie sie in derjenigen der

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Gerechtigkeit inbegriffen sind, ohne dadurch an ihrer spezifischen Ausdifferenzierung gehindert zu werden. Nicht nur die vier natürlichen, auch die drei sog. theologischen Kardinaltugenden sind im status integritatis wirksam, sei es aus naturhaften, sei es aus gnadenhaften oder sei es aus beiden Gründen zusammen. Der prälapsarische Mensch glaubt, liebt und hofft, wie es seiner kreatürlichen Bestimmung und Wesensnatur gemäß ist, was unbeschadet des Urteils über deren Bedürftigkeit und das Bedürfnis zutrifft, durch Gnade, sei es in Form der gratia gratis data oder der gratia gratum faciens, ergänzt und vervollkommnet zu werden. Zu Unglaube, Lieblosigkeit und hoffnungsloser Verzweiflung gibt es im status integritatis ebensowenig vernünftigen Anlass wie zu Lastern sonstiger Art. Der Fall der Sünde und ihr entartetes Unwesen können daher nur als unvernünftig, vernunftwidrig und als eine abgründige Verkehrung der Verhältnisse gelten, die Gott durch seine Schöpfung hinsichtlich der Beziehung des Menschen zu ihm, zu sich selbst und zur kreatürlichen Welt gesetzt hat. Wie ihre Theorie vom Fall und von der Ursünde hat die Theologie der mittelalterlichen Scholastik Dimensionen des Urstands ihre Lehre vom ursprünglichen status integritatis zumeist in mehr oder minder direktem Anschluss an die einschlägige biblische Geschichte entwickelt. Die berichteten Vorgänge werden dabei als reale Begebenheiten vorausgesetzt, was nicht hindert, sondern im Gegenteil dazu motiviert, Einzelaspekte spekulativ und in zum Teil auch phantastischer Weise auszudeuten. Als Ort des Urstands gilt nach Maßgabe biblischen Zeugnisses das Paradies, dessen Lage und Beschaffenheit detailliert erkundet werden. Obwohl in der kreatürlichen Welt lokalisiert, ist es doch zugleich der aktuellen Welterfahrung entzogen, so dass es die Scholastiker nicht überrascht, dass bisher kein Forscher seine Lokalität zu entdecken und aufzuspüren vermochte. Nachdem Adam und Eva aus ihm vertrieben wurden, hat das Paradies einstweilen als unbewohnt zu gelten. Ob es ursprünglich neben dem Urelternpaar des Menschengeschlechts auch Tieren eine Heimstatt geboten hatte, wird unterschiedlich und in Abhängigkeit davon beurteilt, wie man den animalischen Schöpfungsstatus bewertet. Auch die kreatürliche Ursprungsbedeutung von Pflanzen und anorganischen Entitäten ruft Probleme hervor, die hier ebenso wenig zu erörtern sind wie die Frage, ob Adam außerhalb (ager Damascenus) oder innerhalb des Paradieses erschaffen wurde. Neben der räumlichen zeigen die Scholastiker auch an der zeitlichen Dimension des Urstands intensives Interesse. Wie lange verblieben Adam und Eva im Paradies? Die Antworten hierauf fallen unterschiedlich aus. Lassen die einen die Dauer unbestimmt, rechnen andere mit bemessenen Fristen, wobei einige in Jahren, andere mit nur wenigen Stunden, ja Augenblicken paradiesischer Gerechtigkeit und paradiesischen Glücks rechnen, so dass sich der Eindruck aufdrängt, im Nu sei der kaum begonnene Urstand auch schon vorbei gewesen. Wie auch immer: In der Überzeugung, dass das Paradies prinzipiell der Vergangenheit angehört und der menschliche Aufenthalt in ihm befristet war, stimmen die Scholastiker überein. Einig sind sie auch in der Auffassung, dass die Schuld an der Befristung und

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am Verlust des Paradieses allein die Sünde trägt, deren Fall ipso facto einen Zustand jenseits von Eden herbeiführte. Jenseits von Eden steht der Mensch unter dem Banne der sinnlichen Welt, die ihm nicht nur Übel äußerer Art zufügt, sondern von der er sich dazu verleiten lässt, das Verhältnis von Leib und Seele innerlich zu verkehren, um zwieträchtig zu werden in sich und in widriger Weise danach zu trachten, als Geschöpf den Status des Schöpfers zu usurpieren, was ein ebenso hochmütiges wie verzweifeltes Unternehmen darstellt. Im Paradies hingegen befinden sich Adam und Eva in ursprünglicher Harmonie mit Gott, mit sich selbst und mit der Welt, wie sie dem göttlichen Schöpferwillen entspricht, der aus nichts als reiner Güte heraus den Menschen ins Dasein rief; keine Zwangsnotwendigkeit und kein innerer Mangel haben Gott zum genuinen Akt seiner Schöpfung motiviert. Das Motiv zur Erschaffung der Kreatur liegt ausGöttliches Schöpfungsschließlich in der göttlichen Intention begründet, motiv seine überreiche Güte zu erweisen und namentlich dem Menschen gut zu sein. Zwar finden sich in der Scholastik Vorstellungen, wonach Gott den Menschen deshalb geschaffen habe, um einen Ausgleich für die gefallenen und verlorenen Engel zu erlangen, deren Zahl ebenso variieren konnte wie die Zahl der zur Erlösung bestimmten menschlichen Kreaturen. Aber zentral blieb nicht zuletzt aus christologischen Gründen die Annahme, die Erschaffung des Menschen sei um des Menschen willen und nicht lediglich als Beiwerk erfolgt. Gott will nicht nur, dass etwas ist und nicht nichts, er will auch und vor allem den Menschen und zwar in jener leibseelischen Identität, zu deren Schutz er die Engel in den Dienst stellt, so dass ihre Erschaffung, obwohl derjenigen des Menschen vorhergehend, als von Anfang an auf die Menschenkreatur hingeordnet erscheint. Der allmächtige Schöpfergott ist ein menschlicher Gott, seine Gottheit dem Menschen gut und in der Güte ihres schöpferischen Willens auf nichts anderes aus als auf eine kreatürliche Humanität, zu deren weltlicher Realisierung er das Menschengeschöpf bestimmt hat. Indem es dieser Bestimmung entspricht und in Anerkennung des Unterschieds von Schöpfer und Geschöpf dasjenige ist, was es seinem Begriff zufolge zu sein hat, verwirklicht das Menschengeschöpf, was rectitudo und iustitia originalis heißt und was nichts anderes ist als das von Gott gewollte Menschenwesen, dem ein unveräußerlicher Bestand bei Gott selbst zukommt. Das schöpfungstheologische Erbe der Scholastik wurde in der reformatorischen Theologie nicht nur nicht verworfen, sondern intensiv rezipiert und zwar nicht erst in der durch Wiederkehr aristotelischer Metaphysik gekennzeichneten altprotestantischen Orthodoxie, sondern bereits bei Luther. Seine Schöpfungslehre unterscheidet sich von der scholastischen im Allgemeinen und der thomanischen im Besonderen weniger durch thematische Bezüge als durch den Status, der ihr im Gesamtzusammenhang der Theologie zugewiesen wird. Dieser Unterschied hängt, wie gesagt, aufs engste mit der kriteriologischen Funktion zusammen, die dem Rechtfertigungsartikel für die lutherische Dogmatik und die Organisation ihrer

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Stoffe zukommt. Wie alle dogmatischen Gehalte so lassen sich auch diejenige der Schöpfungslehre nach Auffassung Luthers angemessen nicht unter Absehung von dem Versöhnungs- und Erlösungsgeschehen thematisieren, in dem Gott sich in Jesus Christus kraft seines Hl. Geistes als derjenige offenbart hat, der aus reiner Gnade und durch Glauben allein den Sünder rechtfertigt. Die reformatorische Wende in Luthers Theologie ist durch den Gnadenzuspruch des Evangeliums, durch die promissio der Sündenvergebung bewirkt (vgl. Bayer, Promissio), deren gläubiger Empfang „ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit“ (BSLK 511,5) auch für den evangelischen Schöpfungsglauben ausschlaggebend ist und ihn rechtfertigungstheologisch bestimmt. „Dass die Rechtfertigungslehre kein Einzelthema ist, sondern das Ganze der Theologie betrifft und nicht zuletzt schöpfungstheologische Bedeutung hat, weiß seit 1529 jedes lutherische Kind oder könnte es jedenfalls wissen – nämlich aus dem Kleinen Katechismus.“ (Bayer, Theologie, 87) Luther hat seine Gesamttheologie niemals in einer etwa den Summen des Thomas vergleichba- Katechismussystematik ren Weise systematisch expliziert. Nichtsdestoweniger waltet in ihr ein innerer Zusammenhang, dessen Organisation von der christologisch-trinitarisch begründeten rechtfertigungstheologischen Ursprungseinsicht reguliert wird. Beispielhaft kann man sich dies am Aufbau der Katechismen verdeutlichen, die Luther neben „De servo arbitrio“ unter all seinen Werken für einzig erhaltenswert erachtete (vgl. WA Br 8,99,5–8); tatsächlich wurden sie „Bücher der Kirche“ (Beutel [Hg.], 311). Luthers „Katechismussystematik“ (Bayer, Schöpfung, 84) verdient es, formal und inhaltlich bedacht zu werden und zwar nachgerade in Bezug auf die Stellung der Schöpfungstheologie im katechetischen Beziehungsgefüge (vgl. im Einzelnen Peters; ferner Herms, 3 ff.; 18 ff.). Signifikant ist bereits, wie eng der erste Glaubensartikel mit den Zehn Geboten als dem ersten Katechismushauptstück verbunden wird. Während der Dekalog als der am spätesten dem kirchlichen Volksunterricht eingefügte Stoff in der Regel auch zuletzt behandelt wurde, beginnen Luthers Großer und Kleiner Katechismus mit der Erörterung der Zehn Gebote, um im Anschluss daran Credo und Vaterunser zu thematisieren. Für die Vermutung, dass diese Anordnung systematisch etwas zu bedeuten hat, jedenfalls theologisch nicht gleichgültig ist, spricht u. a. die Tatsache, dass Luther die drei aus der Überlieferung übernommenen Hauptstücke zwar in wechselnder Reihenfolge aufzählen konnte, dass er aber dann, wenn er sie im Zusammenhang auslegte, in der Regel die in der Tradition nur ganz vereinzelt anzutreffende Abfolge gewählt hat: Gebote, Glaube und Herrengebet. Einen Hinweis auf eine mögliche Deutung dieser Abfolge hat Luther in seiner „Kurzen Form der Zehn Gebote . . .“ von 1520 selbst gegeben, wenn er schreibt: „Dan drey dingk seyn nott eynem menschen zu wissen, das er selig werden muge: Das erst, das er wisse, was er thun und lassen soll. Zum andernn, wen er nu sicht, das er es nit thun noch lassen kan auß seynen krefften, das er wisse, wo erß nehmen und suchen unnd finden soll, damit er dasselb thun und lassen muge. Zum drittenn, das er wisse, wie er es suchen und holen soll. . . . Alßo leren die gepott

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den menschen seyn kranckheit erkennen, das er siht und empfindet, was er thun und nit thun, lassen und nit lassen kan, und erkennet sich eynen sunder und bößen menschen. Darnach helt yhm der glaub fur und leret yhn, wo er die ertzney, die gnaden, finden sol, die yhm helff frum werden, das er die gepott halte, Und tzeygt yhm gott und seyne barmhertzickeyt, in Christo ertzeygt und angepotten. Zum dritten leret yhn das vatter unßer, wie er die selben begeren, holen und zu sich bringen soll, nemlich mit ordentlichem demutigen trostlichem gepeet . . .“ (WA 7, 204, 13 – 205, 2). Der Katechismus will als strukturiertes Ganzes verstanden sein, namentlich was seine ersten drei Hauptstücke betrifft. Sie sind aufeinander bezogen und ohne diesen Bezug und seine spezifische Ausrichtung nicht recht zu verstehen. Die Zehn Gebote lehren uns, was wir zu tun und zu lassen haben, und geben uns zugleich die faktische Verkehrtheit und den sündigen Widerspruch zu erkennen, in dem wir zu Gottes gutem Schöpfungswillen und seiner kreatürlichen Ordnung stehen. Im Credo wird der Glaube an den dreieinigen Gott als Vater, Sohn und Hl. Geist, als Schöpfer, Versöhner und Vollender bekannt. Dabei fungiert der zweite Artikel als innere Mitte sowohl des zweiten Hauptstücks als auch des Gesamtkatechismus, weil ohne die Offenbarung Gottes in Jesus Christus weder heilsame Schöpfungserkenntnis noch Gewissheit der Vollendung möglich ist. Indes vermag der christologische Artikel seine Funktion nur im differenzierten Zusammenhang mit dem ersten und dritten zu erfüllen, wie denn der Sohn seine Sohnschaft nicht anders hat als in der Gemeinschaft des Vaters und des Geistes, in welcher alle theologische Wahrheit beschlossen ist, um nach Maßgabe göttlicher Ökonomie für uns erschlossen zu werden. Was den Schöpfungsartikel als den ersten Artikel Erster Artikel des zweiten des zweiten Hauptstücks betrifft, so geht er zwar Hauptstücks dem zweiten und dritten sowohl aus Gründen göttlicher Ökonomie als auch aus innertrinitarischen Gründen voraus. Er ist aber gerade in seiner protologischen Stellung hingeordnet auf den christologischen und pneumatologischen Zusammenhang, ohne den sein Sinngehalt weder erkannt werden könnte noch überhaupt in der vom Glauben zu bekennenden Weise gegeben wäre. Interpreten haben von einer Doppelgestalt des ersten Glaubensartikels in Luthers Theologie gesprochen und zwischen Aussagenreihen unterschieden, in denen je nach Lage der Dinge mehr die Allmacht oder mehr die Väterlichkeit des Schöpfergottes akzentuiert werde (vgl. Peters II, 56 ff.). Dass solche historische Akzentunterschiede zu registrieren sind, ist zu konzedieren, trägt aber wenig zur Lösung des systematisch aufgegebenen Problems bei. Dieses Problem liegt darin begründet, dass der Gedanke einer alles bestimmenden Wirklichkeit und schöpferischen Allmacht weder der Erkenntnis noch der Sache nach ohne Weiteres zur Deckung zu bringen ist mit demjenigen väterlicher Gottesgüte. Die Koinzidenz beider Gedanken erschließt sich erst und allein im Geiste Jesu Christi, welcher erweist, dass Gottes Vatergüte allmächtig und Gottes schöpferische Allmacht nichts als Vatergüte ist. Ohne christologisch-pneumatologischen Bezug müsste der erste

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Artikel zweideutig bleiben. Darauf verweist seine Doppelgestalt bei Luther, welche mehr und anderes ist als ein bloß historisch zu erklärendes Faktum. Um im Zusammenhang des zweiten und dritten Artikels seine eindeutige Stellung einzunehmen, muss der erste Artikel ein Moment zu behender Uneindeutigkeit zum Ausdruck und im Kontext des zweiten Hauptstücks zu sachlicher Geltung bringen. Das ist er, wenn man so sagen darf, der Erscheinung Jesu Christi und dem Bekenntnis zu seinem Herrsein in der Kraft des göttlichen Geistes schuldig. Zwar ist der allmächtige Schöpfergott an sich selbst und seinem göttlichen Wesen nach nichts als reine Vatergüte, wie die Trinitätslehre zu Recht vermerkt. Aber für uns ist dies nicht durch unmittelbare Selbst- und Welterfahrung, sondern nur vermittels der Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus offenbar, ohne welche Offenbarung die Schöpfungslehre nicht nur uneindeutig bliebe, sondern in eine ausweglose Zweideutigkeit und selbstdestruktive Ambivalenz führen müsste. Nur in dem „nicht aus eigener Vernunft noch Kraft“ (BSLK 511,46 f.), sondern durch den Hl. Geist erschlossenen Glauben, „daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geborn und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrauen Maria geborn, sei mein HERR“ (BSLK 511,23–26), kann unzweideutig bekannt werden, was von Gott her eindeutig und von Ewigkeit zu Ewigkeit feststeht: die Väterlichkeit des allmächtigen Schöpfergottes. Luthers Auslegung des ersten Artikels des zweiPersönlicher Schöpfungsten Hauptstücks im Kleinen Katechismus bietet glaube keine spekulative Metaphysik oder Kosmogenese, sondern setzt bei der Selbstwahrnehmung des Glaubenden als Gottesgeschöpf im Kreaturzusammenhang an: „Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn . . .“ (BSLK 510,33 f.). Von der inneren Mitte persönlichen Schöpfungsglaubens aus werden in immer weiter ausgreifenden konzentrischen Kreisen die Gaben benannt, für welche der Mensch der väterlichen Güte und Barmherzigkeit des allmächtigen Schöpfergottes „zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein“ (BSLK 511,6 f.) schuldig ist. Der Große Katechismus verfährt ähnlich und antwortet auf die Frage, was es mit dem Bekenntnis zu Gott dem allmächtigen Vater und Schöpfer Himmels und der Erden auf sich habe: „Das meine und gläube ich, daß ich Gottes Geschepfe bin, das ist, daß er mir geben hat und ohn Unterlaß erhält Leib, Seele und Leben, Geliedmaße klein und groß, alle Sinne, Vernunft und Verstand und so fortan, Essen und Trinken, Kleider, Nahrung, Weib und Kind, Gesind, Haus und Hof etc., dazu alle Kreatur zu Nutz und Notdurft des Lebens dienen lässet, Sonne, Mond und Sternen am Himmel, Tag und Nacht, Luft, Feuer, Wasser, Erden und was sie trägt und vermag, Vogel, Fisch, Tier, Getreide und allerlei Gewächs, item, was mehr leibliche und zeitliche Güter sind, gut Regiment, Friede, Sicherheit. Also daß man aus diesem Artikel lerne, daß unser keiner das Leben noch alles, was itzt erzählet ist und erzählt mag werden, von ihm selbs hat noch erhalten kann, wie klein und gering es ist. Denn es alles gefasset ist in das Wort ‚Schepfer‘.“ (BSLK 648,12–32) Weil aber Gott auch erhalten will und tatsächlich erhält, was er geschaffen hat, ist das Bekenntnis des Glau-

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bens an den Schöpfer zu ergänzen durch das dankbare Zeugnis von Gottes Erhaltungshandeln und durch das Lob seines göttlichen Lenkens und Leitens. Die Auslegung des ersten Glaubensartikels in Luthers Katechismen ist vergleichsweise knapp gehalten. Auch in anderen Bekenntnisschriften der Wittenberger Reformation zeigt sich eine eigentümliche Zurückhaltung bezüglich der Schöpfungslehre und ihrer Ausgestaltung. Es ist häufig und nicht selten mit Verwunderung registriert worden, dass sich in der Confessio Augustana und ihrer Apologie kein eigener Schöpfungsartikel findet. Beide gehen nach Behandlung der Trinitätslehre sogleich zur Sündenlehre über. Zwar wird in CA I analog zu den Schmalkaldischen Artikeln Gott ausdrücklich als creator und conservator, als Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge bekannt, wie ja auch die entsprechenden Aussagen in den altkirchlichen Symbolen vorbehaltlos rezipiert werden. Doch bleibt es im Konkordienbuch insgesamt bei eher knappen und verstreuten Aussagen über Schöpfer und Schöpfung, die nicht eigens entfaltet werden. Der theologische Grund für diese Zurückhaltung ist vor allem darin zu suchen, dass nach lutherischer Lehre ein direkter Zugang zur Schöpfung in ihrer ursprünglichen Güte und eine unmittelbare Erkenntnis des allmächtigen Schöpfers als Vater durch die Übel der Welt und namentlich durch die Sünde des Menschen verstellt sind. Erst im Vollzug der Überwindung von Unheil wird offenbar, was Schöpfung ihrem Wesen nach ist. Dazu bedarf es christologisch-pneumatologischer Vermittlung und einer soteriologischen Konzentration, ohne die von Schöpfung nicht heilsam die Rede sein kann. Die Kürze der lutherischen Schöpfungslehre ist so gesehen kein Defizit, das nach dogmatischer Behebung verlangt, sondern ein förmliches Indiz für einen inhaltlich bedeutsamen Sachverhalt. Schöpfungslehre kann von der Sündenlehre ebenChristologisch-pneumatosowenig absehen wie von der Soteriologie. Ihr prologischer Zusammenhang tologischer Sinn erschließt sich erst aus dem Gesamtzusammenhang der Dogmatik. Luthers Katechismussystematik bestätigt dies. Sie ist christologisch zentriert, ohne dass die Christozentrik zu einer Abstraktion vom trinitarisch-ökonomischen Lehrzusammenhang führen würde, auf dessen Mitte sie verweist. Der erste Glaubensartikel ist durch den zweiten und den dritten nicht zu ersetzen, sondern ein selbständiger Topos eigener Art. Die Schöpfungslehre bezeichnet ein dogmatisches Lehrstück sui generis, das von Christologie und Pneumatologie signifikant unterschieden ist. Auch das erste Hauptstück hat an der unersetzbaren Eigenständigkeit des Schöpfungsartikels Anteil und lässt sich christologisch und pneumatologisch nicht substituieren. Ursprünglicher Sinn und universaler Geltungsanspruch der Gebote sind schöpfungstheologischer Natur und erschließen sich vom Schöpfungsglauben her. „Schöpfung und Gesetz“ (vgl. Wingren) stehen, wie nicht nur die schwedische Lutherforschung betont hat, in einem für beide konstitutiven Zusammenhang und sind darin von der Lehre von Christus und vom Geist charakteristisch unterschieden. Jedes Glied im dreigegliederten Katechismus und im dreigliedrigen Glaubensbekenntnis in seiner Mitte ist von den jeweils anderen zu differenzieren und in dieser Differenziertheit wahrzu-

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nehmen und zu würdigen. Dies gilt auch und in besonderer Weise für den ersten Glaubensartikel und das ihm aufs engste verbundene Glaubensstück von den Geboten. Luther bestätigt dies, indem er den Schöpfungsartikel „unverkennbar eigenständig hält“, was freilich nicht bedeutet, „daß er ihn isoliert. Zwar läßt er ihn mit dem zweiten und dritten Artikel nicht zusammenfallen, doch versteht sich seine Erklärung allein von ihnen her.“ (Bayer, 86 f.). Unter Abstraktion von Christologie und Pneumatologie kann es keine eigenständige Schöpfungstheologie geben, die christlich zu nennen und heilsam ist. Damit ist zugleich gesagt, „daß eine Schöpfungslehre von einer Sündenlehre ebenso wenig absehen kann wie von einer Eschatologie“ (Bayer, V). Namentlich die Einsicht, seine konkrete Bedeutung in der gegebenen Welt nicht unter Absehung von hamartiologischen Bezügen geltend machen zu können, dürfte der entscheidende Grund für die Zurückhaltung Wittenberger Theologie in der Ausgestaltung des Schöpfungsartikels gewesen sein. Ist die Erkenntnis der Schöpfergüte Gottes „nur möglich in der Erkenntnis der Gnade“ (Schlink, 92), dann „ist die Kürze der lutherischen Schöpfungslehre keine Schwäche und die scheinbar unsystematische Zerstreutheit mancher Einzelaussagen nicht mangelnde Systematik. Im Gegenteil erweist sich die scheinbare Unvollständigkeit und mangelnde Betonung der Schöpfungslehre als theologische Notwendigkeit. Die Entscheidung muss . . . in der Lehre von der Rechtfertigung für die Lehre von der Schöpfung fallen.“ (Schlink, 93) Abgesehen von seinen Auslegungen des ersten Artikels im Großen und Kleinen Katechismus hat Luther selbst „nie eine abgeschlossene Darstellung seiner Theologie der Schöpfung gegeben“ (Löfgren, 8). Doch lässt sich, was die Katechismen schöpfungstheologisch in bündiger Kürze formulieren, durch Textzeugnisse des Reformators vielfältig anreichern, wobei seinen Genesisauslegungen trotz der überlieferungsgeschichtlichen Probleme, die sich mit ihnen verbinden (vgl. Meinhold), besondere Bedeutung zukommt. „Am Anfang des Großen Genesiskommentars grenzt sich Luther folgendermaßen nach zwei Seiten hin ab: Das jüdische Verständnis des Schöpfungsberichts ist falsch, weil es diesen nicht im Licht der Christusoffenbarung und des zweiten Artikels sieht, und der griechische Schöpfungsbegriff (insbesondere der des Aristoteles) muß verworfen werden, weil er sich nicht mit dem biblischen Gedanken von der Erschaffung aus dem Nichts vereinbaren läßt.“ (Löfgren, 9) Was ersteres Urteil betrifft, so ist es durch die „Eigenart von Luthers Betrachtung des Alten Testaments“ (Bornkamm, 209) bedingt, das er konsequent christologisch deutete. Was aber den Gedanken der „creatio ex nihilo“ angeht, so führt er insofern „direkt in die Mitte von Luthers Theologie der Schöpfung“ (Löfgren, 23), als er mit der schöpferischen Allmacht und Alleinwirksamkeit Gottes die schlechthinnige Abhängigkeit seiner Geschöpfe von ihm benennt: „creatura ex nihilo est: ergo nihil sunt omnia, quae creatura potest.“ (WA 43, 178, 39–179,2; Gen 21,17) Alle Kreatur hängt schlechthin und ganz vom Schöpfer ab, der seine Schöpfung aus dem Nichts ins Sein rief und ihr alleiniger Herr ist: „solus est et solus ex nihilo

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fecit omnia.“ (WA 39/II,340,20) Dieser Grundsatz hat seine Gültigkeit nicht lediglich in Bezug auf ein anfängliches Schaffen Gottes, sondern auf sein schöpferisches Beginnen und Handeln insgesamt, das Erhaltung, Lenkung und Leitung umfasst und ob seiner Wunderhaftigkeit stets neu zu loben und zu preisen ist. Nicht nur dass etwas ist und nicht nichts, ist ein unvergleichliches Wunder, auch dass Gott nicht aufhört, schöpferisch tätig zu sein, muss alltäglich als ein Wunder geglaubt und bekannt werden, das Mirakel jedweder Art in den Schatten stellt. Die creatio ex nihilo ist nach Luther nicht lediglich punktuell auf eine singuläre Anfangssituation beschränkt, sondern ein „permanenter Geschehenszustand: Aufgrund der bleibenden und prinzipiellen Abhängigkeit der Kreatur von ihrem Schöpfer ist alles Wunder, alles creatio ex nihilo. Die Formel ist somit keine Peripherbestimmung göttlichen Handelns, sondern Grundmatrix seines Umgangs mit Mensch und Welt.“ (Schwanke, 5) Wenn von creatio als creatio ex nihilo die Rede ist, dann sind conservatio und recreatio stets mitgemeint, weil Gott immer schöpferisch ist. „Gott sein und Schöpfer sein, das ist für Luther ein und dasselbe. Gott ist Gott darin, dass er der Schaffende ist und zwar der allein Schaffende.“ (Althaus, 99) Doch bedeutet die schöpferische All- und Alleinwirksamkeit Gottes gerade nicht, dass er ohne seine Geschöpfe Gott und Schöpfer sein will. Das Gegenteil ist der Fall: Die ganze geschaffene Welt und namentlich die Menschengeschöpfe haben den Auftrag, „mit Gott zusammenzuwirken“ (Lohse, 259; ferner: Nilsson, 35 ff.) und sich in der Gewissheit des väterlichen Zuvorkommens des Schöpfers wirklich als seine kreatürlichen Ebenbilder und kooperativen Kinder zu erweisen. Im Logoswort, durch das Gott in der Kraft seines Geistes die Welt erschafft und erhält, entspricht Gott ganz sich selbst (vgl. Ringleben, 110 ff.), verspricht aber zugleich, niemals Gott sein zu wollen ohne seine Geschöpfe. Ja, im Blick auf den inkarnierten Logos und Gottmenschen Jesus Christus kann und muss sogar gesagt werden: Creator est creatura (vgl. Bayer/Gleede [Hg.]). Der allmächtige Schöpfergott, der aus dem Nichts zu schaffen vermag, ist seinen Kreaturen in schöpferischer Väterlichkeit zugewandt. Diese trinitarisch bestimmte Einsicht ist bei Luther mit dem Gedanken der creatio ex nihilo untrennbar verbunden. Was der Gedanke ausschließt, ist wichtig und bedeutsam: Gottes Schöpferwerk geschieht in absoluter Souveränität und Freiheit, voraussetzungslos und ohne jeden Zwang, nicht emanativ oder auf mechanistische Weise. Noch wichtiger und bedeutsamer aber ist, was der Gedanke einschließt: Der allmächtige Schöpfergott ist Vater seiner Geschöpfe und hängt an ihnen in herzlicher Liebe unbeschadet ihrer gänzlichen Abhängigkeit von ihm. So ist es in Jesus Christus, dem göttlichen Menschensohn und menschlichen Gottessohn offenbar. Indem der in ihm inkarnierte Logos als Schöpfungsmittler und als das Wort bezeugt wird, durch welches alles geschaffen ist, wird bekannt und erkannt, dass der allmächtige Schöpfer als er selbst aufgeschlossen und offen ist für anderes, um in und durch den Sohn kraft seines göttlichen Geistes als Vater zu wirken und zu walten. Darauf gründen sich der Glaube und seine Hoffnung.

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Glaube und Hoffnung werden nach Luther auch dann nicht zuschanden, wenn Selbst und Welt zugrunde gehen: „Quo enim perveniat, qui sperat in deum, nisi in sui nihilum? Quo autem abeat, qui abit in nihilum, nisi eo, unde venit? Venit autem ex deo et suo nihilo, quare in deum redit, qui redit in nihilum. Neque enim extra manum dei quoque cadere potest, qui extra seipsum omnemque creaturam cadit, quam dei manus undique complectitur. ‚Mundum enim pugillo continet‘, ut Isaias dicit. Per mundum ergo rue, quo rues? utique in manum et sinum dei.“ (WA 5,168,1–7; vgl. auch Bd. 2 des Archivs zur WA, 283 ff.) Allein der Glaube an den dreieinigen Gott, der Selbst und Welt aus dem Nichts ins Sein zu rufen vermag, errettet vor nihilistischem Grauen. Wer aus sich selbst und aller Kreatur herausfällt, fällt doch nicht tiefer als in die Hand und in den Schoß Gottes. Darauf in der Gewissheit des Geistes Jesu Christi vertrauen zu dürfen, ist die soteriologische Quintessenz von Luthers Schöpfungslehre und seinem Verständnis von der göttlichen creatio ex nihilo. Einen eindrucksvollen Beleg hierfür bieten u. a. seine Trostbriefe (vgl. Mennecke-Hausstein). Niemals hört Gottes schöpferisches Beginnen Schöpferisches Beginnen auf, das allem seinen Grund und Anfang setzt. Gottes Zwar vermag der Schöpfer, was er will, augenblicklich und perfekt ins Werk zu setzen; doch konstituiert er damit nach Luther keine lediglich momentane Wirklichkeit, sondern eine bleibende Realität, deren Dauerhaftigkeit er durch ebenso beständige wie neue schöpferische Tätigkeit begründet und erhält. Gott schafft unablässig; er hat nicht nur vor unvordenklichen Zeiten schöpferisch gehandelt, sondern er tut es noch heute, wovon der Schöpfungsglaube ausgeht und wofür er seinem Schöpfer dankt. Gottes creatio ist generatio, conservatio und gubernatio und stellt sich für das Geschöpf in unterschiedlichen Aspekten und unter diversen Gesichtspunkten dar. Doch in Gott selbst sind Schaffen, Erhalten und Lenken eins, so differenziert sein innertrinitarisches Leben und so unterschiedlich seine ungeteilten Werke nach außen auch sind. Gott ist als Schöpfer creator, conservator und gubernator auf zwar differenzierte, aber doch einige Weise; die innere Einheit seines schöpferischen Tuns erhellt, wo der väterliche Wille des Schöpfers erkannt wird. Die Erkenntnis der Güte Gottes erschließt die Einsicht, dass die Schöpfung von Grund auf gut ist. Was Gott schöpferisch ins Werk gesetzt hat und ins Werk setzt, ist gut und ein Wirkzeichen seiner Güte, die nicht genug gepriesen werden kann. Je in ihrer Art sind alle Geschöpfe zum Lobpreis des Schöpfers in der Lage. Auch Steine können auf ihre Weise Gott loben und sind kreatürlich bestimmt, es zu tun, umsomehr Pflanzen und Tiere und am allermeisten der Mensch als Krone der Schöpfung. Wo das Wunder der Schöpfung wahrgenommen wird, da erhebt sich ein Schöpferlob, das alle Wesen erfasst und die Welt zum Klingen und Singen bringt. Kein Engelsgesang bringt Erhabeneres und Erhebenderes zu Gehör. Man versteht Luthers Schöpfungstheologie nicht oder bringt sich um ihre schönstes Züge, wenn man Aspekte wie diesen unterschlägt. Auch was es nach Urteil des Reformators mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen auf sich hat, erschließt sich am ehes-

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ten und am besten im Kontext von Lob, Preis und Dank, zu welchem die Geschöpfe und namentlich die Menschengeschöpfe in ihrer Gotteskindschaft bestimmt sind. Rechte Herren der Welt können Menschen nur und unter der Voraussetzung dankbaren und lobpreisenden Bewusstseins ihrer Gotteskindschaft sein, welche das Wesen ihrer Gottebenbildlichkeit ausmacht. Domini mundi zu sein sind Menschen als Kinder Gottes berufen. Wohl ist es wahr, dass Gott alles Geschaffene auf den Menschen hin angelegt und ausgerichtet hat: „Omnia propter nos creata sunt.“ (WA TR 3,322,10) Doch schöpfungsgemäß und human kann das dominium terrae nur im Sinne einer Herrschaft ausgeübt werden, die mit Dienstbarkeit einhergeht. Auch in schöpfungstheologischer Hinsicht gelten die beiden Maximen, die Luther in „De libertate christiana“ zusammengeführt hat. Was Luthers schöpfungstheologische AnthropoloMenschliche Geschöpfgie, seine Bestimmung des Verhältnisses von Leib lichkeit und Seele bzw. Leib, Seele und Geist sowie das Problem anbelangt, welche Auswirkung der Gegensatz von Geist und Fleisch in Bezug auf jene Verhältnisbestimmungen hat (vgl. Joest, 163 ff.; 196 ff.), so wird näheres hierzu erst im Kontext reformatorischer Sündenlehre ausgeführt werden. Zur Gottebenbildlichkeitsthematik sei einstweilen nur folgendes vermerkt: Weil der Reformator die Begriffe zelem und demut, eikon und homoiosis, imago und similitudo als ursprüngliche Einheit verstand, lehnte er es nicht nur ab, zwischen geschöpflicher Wesensnatur des Menschen und seiner genuinen Ausstattung mit übernatürlichen Gnadengaben zu unterscheiden; er stellte auch in Abrede, dass der Fall der Sünde nur einen Aspekt und nicht den ganzen Menschen betreffe. Zwar wurde die bleibende Geschöpflichkeit des sündigen Menschen niemals geleugnet, sondern im Gegenteil entschieden behauptet, nicht aber im Sinne eines imago-Restes, der auf den Erhalt eines soteriologischen Eigenvermögens schließen ließe. Heil für das sündige Menschengeschöpf ist allein von Jesus Christus her zu erwarten und ohne ihn in keiner Weise gegeben. An dieser Stelle haben die kontroverstheologischen Auseinandersetzungen um die Verhältnisbestimmung von imago und similitudo, natürlicher und übernatürlicher Schöpfungsgnade ihren eigentlichen systematischen Ort. Bei allen Gegensätzen stimmt Luther mit seinen kontroverstheologischen Gegnern in dem Grundsatz überein, Gottebenbildlichkeit sei eine protologische Bestimmung und nicht dergestalt im Werden begriffen, dass von ihrer genuinen Realisierung und ursprünglichen Realität gar nicht die Rede sein könnte. Zwar spricht Luther mehrmals und ausdrücklich davon, dass das Menschengeschöpf auf künftige Vollendung hin angelegt sei. Aber die Zukunft der Vollendung darf dabei nicht in einer Weise als ausständig gedacht werden, welche die Annahme geschöpflicher Vollkommenheit ausschließt. Als von seinem Schöpfer vollkommen geschaffen ist das Menschengeschöpf vollendet in sich und zwar auf durchaus protologische Weise; auch wenn sie ihre Vollendung allein in Gott zu finden vermag, ist kreatürliche Endlichkeit doch schöpfungstheologisch als ein Vollendungsdatum zu qualifizieren.

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Was der Mensch von seinem Schöpfer und sei- Verfassungsurkunde der nem kreatürlichen Wesen her zu sein bestimmt ist, Schöpfung wird in den Geboten ausdrücklich. Sie stellen keine gesetzliche Vorschrift von arbiträrer Positivität dar, sondern explizieren die innere Verfasstheit der Schöpfung und insbesondere den gottebenbildlichen Stand des Menschen, wie es dem Willen des Schöpfers entspricht. Im mandatum Dei erschließt sich bewusst und willentlich, was es mit der Schöpfung des Schöpfers nach Maßgabe seiner genuinen Intention auf sich hat. In diesem Sinne sind die Gebote, wie sie im Dekalog bündig zusammengefasst sind, die Verfassungsurkunde der Schöpfung zu nennen, und es bestätigt sich, was über den Zusammenhang des ersten Glaubensartikels mit dem ersten Hauptstück des Katechismus gesagt wurde. Achtung und Befolgung des Dekalog sind notwendige und unveräußerliche Implikate christlichen Schöpfungsglaubens. Wer sich in Lob und Dank zum väterlichen Schöpfergott bekennt, weiß sich den Zehn Geboten nicht nur äußerlich, sondern von innen heraus verbunden. Gebieten die Gebote doch nichts anderes als was der inneren Ordnung der Schöpfung gemäß ist und der kreatürlichen Bestimmung des Menschengeschöpfs entspricht. Luther hebt diesen Sachverhalt im Rahmen seiner Katechismen ausdrücklich und wiederholt hervor und unterstreicht ihn förmlich dadurch, dass er den Dekalog als erstes Hauptstück dem Credo voranstellt und mit dessen ersten Artikel strukturell ebenso verbindet wie mit dem Vaterunser als dem dritten Hauptstück, auf welches der pneumatologische Artikel verweist. Gott hat die Welt als geordneten Kosmos geschaffen. Die Gesetze der Natur bestimmen die Ordnung der Dinge und der sinnlichen Gegebenheiten. Die Wesensbestimmung des Menschen als eines vernunftbegabten Geschöpfs ist in den Schöpfungsgesetzen grundgelegt, die sich im menschlichen Gewissen zu Bewusstsein bringen und im Dekalog ihren klassischen Ausdruck gefunden haben. Exemplarische Realisationsgestalt der geschöpflichen Bestimmung des Menschen ist der irdische Jesus, der das Grundgesetz humaner Schöpfungsordnung im Doppelgebot der Liebe zusammengefasst hat. Sei ein gottunterschiedener Mensch unter Menschen in einer gemeinsam gegebenen kreatürlichen Welt. So gebietet es Gottes Schöpfungsgebot, wie es im Dekalog beurkundet ist. Die Zehn Gebote formulieren, was dem Wesen des Menschen als eines vernünftigen Gottesgeschöpfs und seiner Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit gemäß ist; als lex naturalis, welche der gottgeschaffenen Natur des Menschen entspricht, bilden sie die Basis einer humanen Ordnung der Schöpfung, die aktuellen Anspruch auf universale Geltung und allgemeine Verbindlichkeit erhebt. Luthers Gliederung des Dekalogs, auf der seine Gebotsauslegung in den Katechismen basiert, folgt der traditionellen Unterscheidung der Gebote der ersten und zweiten Tafel. Bei den ersten drei Geboten handelt es sich um Bestimmungen, die auf Gott (vgl. BSLK 586,36), bei den sieben folgenden um solche, die auf den Nächsten (vgl. BSLK 586,47) gerichtet sind. Die gebotenen Beziehungen zum Nächsten betreffen dabei nicht nur das Verhältnis zum Mitmenschen, son-

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Luthers Auslegung des ersten Glaubensartikels im Kontext scholastischen Erbes

dern auch das menschliche Selbstverhältnis, sofern der Mensch in gewisser Hinsicht für sich selbst Bezugspunkt sittlicher Verpflichtung, also ein Nächster ist. In der Binnenstruktur des Dekalogs reflektiert sich sonach ein komplexes Relationengefüge von Gottesbeziehung, Selbstbeziehung und Beziehung zu Mitmensch und Welt. Dabei löst die innere Differenziertheit des Dekalog seine Einheit nicht auf, da das rechte Gottesverhältnis als Grund und Möglichkeitsbedingung eines richtigen Verhältnisses zu Selbst und Menschenwelt zu gelten hat. Die Gebote der zweiten Tafel stehen demzufolge zu denen der ersten in einem indirekten Explikationsverhältnis. Das zweite und dritte Gebot wiederum explizieren auf direkte Weise das erste Gebot als den Inbegriff des gesamten Dekalogs. Das erste Gebot und die beiden ihm zugeordneten Das erste Gebot sind auf rechte Unterscheidung zwischen Schöpfer und Schöpfung bzw. Geschöpf, zwischen Gott, Mensch und Welt ausgerichtet. Die vollkommene Realisierung dieser Unterscheidung aufseiten des Menschen sind Gottvertrauen und Gottesfurcht, kurzum: der Glaube, der sich ganz und ohne jeden Vorbehalt auf seinen Schöpfer und dessen väterliche Güte verlässt und nichts und niemand seinen Herrn sein lässt außer ihm. Die Erfüllung des gottgebotenen und schöpfungsgemäßen Gottesverhältnisses des Menschen im Glauben wird für das menschliche Selbstverhältnis nicht folgenlos bleiben, sondern zur Konsequenz haben, dass der Mensch sich im Vertrauen auf den Schöpfer zu seiner Geschöpflichkeit bekennt und sie in der Gewissheit bejaht, dass seine Endlichkeit zur Vollendung bestimmt ist. In der Affirmation eigenen Weltdaseins, auf die das Gebot der Elternehrung ausgerichtet ist, erfüllt sich die gläubige Gewissheit, sich selbst in der leibseelischen Individualität des Eigenen von Gott gegeben zu sein. Solche gläubige Selbstwahrnehmung, Selbstanerkennung, ja Selbstliebe ist die Grundlage der Nächstenliebe, der Liebe zur Welt und zu all demjenigen, was man nicht unmittelbar selbst ist. Der humane Mensch, welcher nicht sein will wie Gott, sondern als Gottesgeschöpf lebt, wird Mitmenschlichkeit als das Grundgesetz seines Weltdaseins betrachten. Im Zusammenhang der Sündenlehre wird auf all dies zurückzukommen und zugleich zu klären sein, wie sich der Ursprungssinn des Schöpfungsgebots zu seinen Gebrauchsweisen unter postlapsarischen Bedingungen verhält. Für Luther ist der Inhalt des Dekalogs, sofern er verbindlich ist, „identisch . . . mit dem natürlichen Gesetz, das Gott in der Menschen Herz geschrieben hat“ (Dreß, 419). Als „paradigmatische Fassung des allen Menschen ins Herz geschriebenen Gottesgebotes“ (Peters, 74) behalten die Zehn Gebote auch für die Christenheit ihre Bedeutung und Gültigkeit. Das neutestamentliche Doppelgebot der Liebe koinzidiert infolgedessen für Luther inhaltlich völlig mit dem altestamentlichen Zehngebot als dem exemplarischen Ausdruck der lex naturae, der Grundordnung der Schöpfung. Allerdings versteht sich weder die rechte Erkenntnis der lex naturae noch gar die willige Befolgung derselben für den Reformator unter den gegebenen Umständen von Menschheit und Welt von selbst. Im Gegenteil: Schon die bloße Wahrnehmung der Gebote ist für Luther konstitutiv auf den Zusam-

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menhang eines trinitarisch verfassten und damit christologisch-pneumatologisch ausgerichteten Schöpfungsgedankens bezogen. Als jene lex charitatis, welche zu sein sie bestimmt ist, kann die lex naturae recht wahrgenommen werden nur im Geiste Jesu Christi und in Anbetracht des Vorbilds der Gesetzeserfüllung, welches Jesu irdisches Leben gegeben hat. „Erst der beharrliche Aufblick zu dem einen Menschen der vollkommenen Gottes- und Nächstenliebe läßt uns die durch den Urfall nahezu unlesbar gewordene Urschrift der lex naturae in unserem eigenen Gewissen erneut klar erkennen.“ (Peters I, 72) Materialiter freilich enthält das Exempel Jesu nichts anderes als das im Gewissen als geboten Gewusste. Das Gewissen nimmt daher das Vorbild Jesu als seine eigene Bestimmung wahr. Indes wäre es ein unseliges Missverständnis, durch selbsttätige Nachahmung des Beispieles Jesu Heil vor Gott und eine entsprechende soteriologische Basis für das eigene Selbstverhältnis und das Verhältnis zu Mitmensch und Welt schaffen zu wollen. Wie der Dekalog ohne Credo und Vaterunser nicht Gerechtigkeit, sondern Gericht schafft, so wirkt das Exempel Jesu, wenn es ohne Kreuz und Auferstehung in Betracht kommt, nichts als Hochmut oder – wenn die Sache ernst ist – schiere Verzweiflung. Das für sich genommene Vorbild Jesu muss dem Menschen ebenso zum heillosen Schuldvorwurf werden wie die lex naturae des Dekalogs, dessen personale Erfüllungsgestalt Jesus ist. Erlösung von hochmütiger und verzweifelter Sünde, Versöhnung ihrer Schuld und Befreiung zu einem Leben, das Gottes Gebote willig und nach Vermögen befolgt, verschafft keine Form der Nachahmung Jesu, sondern nur der Geist des auferstandenen Gekreuzigten, der gratis die rechtfertigende Gerechtigkeit wirkt, wie sie der Glaube wahrnimmt, um sich ihrer im Gebet innerlich zu versichern. Die eigentümliche Verfasstheit christlichen Lebens und seine Bestimmung zur Gebotserfüllung ist möglich nur unter dem Vorzeichen des Gebets, das dem Christen als erstes und wichtigstes Werk des Glaubens aufgetragen ist und das sich zum Bekenntnis, welches ihm untrennbar zugehört, wie Glaubensinnewerdung und Glaubensäußerung verhält. Um die zentrale Einsicht von Luthers Auslegung des dritten Katechismushauptstückes zu benennen, Gebot und Gebet die in pneumatologischer Perspektive diejenige des Dekalogs rekapituliert: Im Zeichen des Gebets, zu dessen Vollzug der Glaube vornehmlich beauftragt ist, um sich seiner Konstitution entsprechend verwirklichen zu können, wird ein Zweifaches zugleich, d. h. als differenziertes Internverhältnis einer einheitlichen theologischen Wahrheit erkenntlich: Deutlich wird zum einen, dass der gläubige Mensch nie als unmittelbar selbstidentisches Subjekt seines Christenlebens fungiert. Im Vollzug des Gebets nimmt der Glaubende vielmehr wahr, dass er „recht bei Trost“, will heißen: recht gläubig und aus Glauben heraus tätig nur ist bzw. nur sein kann, wenn er sich – und eben diese Hingabe wird im Gebet aktuell – ganz auf Jesus Christus verlässt, um durch solch – im wahrsten Sinne des Wortes – ekstatisches Außersichsein in der Kraft des göttlichen Geistes ganz zu sich zu kommen und zu dauerhafter Gewissheit seines unvergänglichen Grundes in Gott zu gelangen. In jener Gewissheit hinwiederum, deren Manifest-

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werden nichts anderes ist als Gebetserhörung, tritt – das ist das zweite – ein Glaubens-Ich zutage, das außer von der Neigung zur Selbstüberhebung auch von dem zur Verzweiflung tendierenden fatalen Grundsatzzweifel am Sinn des Eigenen und der dem Eigenen zugesellten kreatürlichen Welt befreit ist. Zwar ist das Ich des Glaubens als eine spirituell-pneumatologische Größe, deren individuierte Leibhaftigkeit allein im Geiste, welchen das Gebet erschließt, offenbar ist, in der empirischen Perspektive einer irdischen Welt- und Selbsterfahrung, welche unter den Bedingungen des alten Äons sich vollzieht, nie rein identifizierbar, so dass scheinbar zwangsläufig der Eindruck entsteht, es handle sich beim Christenherzen um eine Mixtur, in der Gutes und Böses und entsprechend timor filialis und timor poenae unscheidbar vermischt sind. Aber die Annahme eines unaufhebbaren status permixtus, in dem sich der Christ zeitlebens befindet, müsste dessen Entwicklungsfähigkeit im Sinne fortschreitender Heiligung wenn nicht unmöglich machen, so doch entscheidend einschränken und hemmen, würde ihm nicht mit dem Gebet (und namentlich mit dem Gebet des Herrn) ein Medium anvertraut sein, mittels dessen er sich des beständigen Grundes seines Glaubens und seiner selbst als eines Glaubenden, dessen Ich einen bleibenden und unveräußerlichen Namen bei Gott hat, vergewissern könnte. Solche Glaubensgewissheit ist die Bedingung der Möglichkeit sinnvoller Werke der Liebe und damit eines zielstrebigen Fortschritts der Heiligung. Das Gebet und nur das Gebet gewährleistet die Kontinuität und Unumkehrbarkeit des auf leib-seelisches Heil von Selbst und Welt hingeordneten Prozesses der Heiligung, in welchem sich der pneumatologische Prozess des Ausgangs des Hl. Geistes von dem im Sohne offenbaren Vater realisiert, an welchen das Herrengebet sich wendet, um göttlichen Zuspruch zu empfangen. Mit Luthers Katechismus zu reden: „Denn weil es also mit uns getan ist, daß kein Mensch die zehen Gepot vollkommen halten kann, ob er gleich angefangen hat zu gläuben, und sich der Teufel mit aller Gewalt sampt der Welt und unserm eigenen Fleisch dawider sperret, ist nichts so not, denn daß man Gott immerdar in Ohren liege, rufe und bitte, daß er den Glauben und Erfüllung der zehen Gepot uns gebe, erhalte und mehre und alles, was uns im Wege liegt und daran hindert, hinwegräume.“ (BSLK 662,20 – 31) In der Abfolge der Katechismushauptstücke Dekalog, Credo und Oratio dominica kann man eine formale Entsprechung zu dieser inhaltlichen Einsicht entdecken. Was das vom Herrn selbst gebotene Gebet erbittet, ist eigentlich nichts anderes als die Erfüllung dessen, was der Dekalog gebietet. Insofern kommen erstes und drittes Hauptstück materialiter völlig überein. Gleichwohl bedarf es ihrer förmlichen Differenzierung, wie sie das zweite Hauptstück vollzieht, welches dem Glauben gewidmet ist, der Gesetz und Evangelium zu unterscheiden vermag. Von jener inneren Mitte her, welche das Credo bezeichnet (dessen drei Artikel die drei Hauptstücke fokussieren, um sie auf die Mitte aller Mitten, auf Jesus Christus hin, auszurichten), erschließt sich daher die von Luther gewählte Reihenfolge der Katechismushauptstücke als durchaus sinnvoll und das nicht zuletzt deshalb, weil sie

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das durch das Credo markierte Zentrum nicht statisch festlegt, sondern in einen – durch die Begriffe Gesetz und Evangelium kürzelhaft benannten – dynamischen Zusammenhang hineinstellt, als dessen bewegende Richtgröße es fungiert und dessen Bestimmungsmomente nachgerade das zur Geltung bringen, was das Credo intern bestimmt: die Geschichte Gottes mit den Menschen in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung. Das Gebet nimmt diese Geschichte in anamnetisch-epikletischer Weise wahr und vergewissert sich ihres Sinnzieles, auf dass gemäß der die Mission Jesu Christi erfüllenden Sendung des Geistes für uns und in uns wahr werde, was an sich selbst die Wahrheit ist. Ist damit zur Stellung des dritten Hauptstücks im Gesamtzusammenhang des Katechismus in Ultima petitio genereller Hinsicht das Nötige gesagt, so gilt hinsichtlich des strukturellen Ordnungsgefüges der Vaterunserauslegung im Speziellen folgendes: Vom „Amen“ Gottes und des Beters bekräftigter Skopus des Vaterunsers ist nach Luther die siebente und letzte Bitte (BSLK 689,2 f.: „Sondern erlöse uns von dem Ubel, AMEN“), die er unter Berufung auf den Urtext auf den Kampf wider den Teufel bezieht, so dass sich sagen lässt, „daß die ganze Summa alles Gebets gehe wider diesen unsern Häuptfeind. Denn er ist der, so solchs alles, was wir bitten, unter uns hindert: Gottes Namen oder Ehre, Gottes Reich und Willen, das täglich Brot, fröhlich gut Gewissen etc.“ (BSLK 689,8 – 13) Zu den unglücklichen Widerfahrnissen des Bösen im Reich des Teufels, von denen erlöst zu werden wir bitten, gehören nach Luther auch „Armut, Schande, Tod und kürzlich aller unseliger Jammer und Herzleid, so auf Erden unzählich viel ist“ (BSLK 689,19 – 21). Die siebente Bitte umfasst daher neben den geistlichen auch die Belange des zeitlichen irdischen Daseins; ist der Teufel doch nicht nur ein Lügner, der das durch Gottes Wort erschlossene Verhältnis des Menschen sündig verkehrt, sondern auch ein „Totschläger“ (BSLK 689,23; vgl. Joh 8,44) und Feind allen Lebens auf der Welt. Die Bitte an Gott, Leib und Seele aus der Macht des Teufels zu erlösen, umfasst alle vorhergehenden Artikel des Vaterunsers und setzt sie zugleich als ihre Bestimmungsmomente voraus. Deshalb ist die siebente Bitte zurecht „zum letzten gestellet. Denn sollen wir von allem Ubel behütet und los werden, muß zuvor sein Name in uns geheiligt, sein Reich bei uns sein und sein Wille geschehen. Darnach will er uns endlich fur Sunden und Schanden behüten, darneben von allem, was uns wehe tuet und schädlich ist.“ (BSLK 690,3 – 10) Damit sind die Bitten 1 bis 6 nicht nur der siebten Bitte als ihrem Skopus zugeordnet, sondern unter sich in zwei Teile gegliedert: während die drei ersten Bitten sich auf die Not beziehen, „so Gotte selbs betrifft“ (BSLK 678,7 f.), wird mit und ab der vierten Bitte auf alles Bezug genommen, „was zu diesem ganzen Leben in der Welt gehöret“ (BSLK 679,34 – 36). Betrachtet man die beiden Gruppen als Einheit, so lassen sie sich unschwer in ein analoges Verhältnis setzen zu den Geboten der ersten bzw. der zweiten Tafel. Wie aber durch das erste Gebot der gleichsam protologische Grund für alles weitere gelegt ist, so markiert die siebte Vaterunserbitte das escha-

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tologische Ziel, auf welches der christliche Glaube hoffnungsvoll ausgerichtet ist. Nicht das Ende der Schöpfung erhofft der Glaube vom Eschaton, sondern ihre Vollendung und damit die Erfüllung dessen, was durch Gott den Schöpfer in principio grundgelegt ist.

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5. Gottes opus primum ad extra nach Maßgabe altlutherischer Orthodoxie

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Unter den Werken Gottes sind opera ad intra und opera ad extra zu unterscheiden. Die opera Dei ad Opus primum Dei ad extra intra sind auf das innere Leben Gottes bezogen, die opera ad extra auf dasjenige gerichtet, was Gott nicht unmittelbar selbst ist. Die operationes Dei internae geschehen innerhalb, die operationes Dei externae außerhalb der Gottheit Gottes. Unter den Werken Gottes nach außen nimmt die Schöpfung der Welt die erste Stelle ein. Sie ist das erste opus Dei ad extra. Die Lehre von der Schöpfung folgt entsprechend direkt auf die Lehre von Dasein, Wesen und Eigenschaften des dreieinigen Gottes. Als erstes opus Dei ad extra ist das Werk der Schöpfung ein Werk, das Gott allein vollbracht hat. Schöpfungsprinzipien außer ihm in Anschlag zu bringen, ist ausgeschlossen. Ausgeschlossen

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ist ferner die Annahme kreatürlicher Mitwirkung beim göttlichen Werk der Schöpfung. Dieses ist einzig und allein Gottes Werk. Als actio Dei erfolgt das Werk der Schöpfung ungezwungen und aus freiem göttlichen Entschluss. Aus der Freiheit seines souveränen Willens heraus und nicht aus irgendeiner Zwangsnotwendigkeit hat Gott die Welt erschaffen. Motiviert hat ihn dazu seine unendliche Güte und der Wunsch, sich seinen Geschöpfen mitzuteilen und in Gemeinschaft mit ihnen zu treten. Ins Werk gesetzt wird die Schöpfung durch das Wort des dreieinigen Gottes in seiner Allmacht. Daraus erhellt erneut, dass sie völlig freiwillig und keineswegs notgedrungen erfolgte. Emanationsvorstellungen und Vorstellungen, die vergleichbare Zwangsläufigkeiten nahelegen, sind abzuweisen. Als durch das freie und allmächtige Wort Gottes getätigt geschieht das Werk der Schöpfung instantan und in einer Unmittelbarkeit, die keiner außergöttlichen Vermittlungen bedarf, sondern ausschließlich durch den dreieinigen Gott selbst vermittelt ist. Dabei hat die creatio als das ungeteilte Werk des dreieinigen Gottes zu gelten, an dem alle göttlichen Personen mitwirken. Nur per appropriationem ist die creatio im Besonderen das opus Dei patris ad extra zu nennen. Diese spezifische Benennung basiert auf dem Verhältnis der göttlichen Hypostasen zueinander und der entsprechenden Ordnung ihres Handelns, der die Rede von der Schöpfung als dem ersten Werk Gottes korrespondiert. Sie hebt aber den Grundsatz nicht auf, sondern hat ihn zu bestätigen, dass die actio creationis das eine und ungeteilte Werk Gottes des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes ist. Der deus triunus ist der eine Gott, der einzig und allein die Welt erschafft. Er tut dies aus sich und aus seinem innertrinitarischen Leben heraus, ohne eines Materials für seine Schöpfungstätigkeit zu bedürfen. Gott bildet die Welt nicht aus einem ihm vorgegebenen, von Ewigkeit her vorhandenen Stoff, sondern aus nichts und zwar ex nihilo pure negativo. Damit ist zugleich gesagt, dass der Grund der Schöpfung dieser gänzlich extern ist. Gott ist absolut welttranszendent und in seiner Transzendenz die alleinige Ursache der Welt und all dessen, was ihr zugehört. Nichts in der aus Nichts geschaffenen Welt kommt Gott gleich. Dieser ist der Herr der Welt, die Welt Gottes Geschöpf und der Gottheit Gottes in keiner Weise zu vergleichen. Die Annahme einer gottgleichen Ewigkeit der Welt oder einer ewigen Weltschöpfung ist mit christlicher Schöpfungstheologie nicht kompatibel, ohne dass zu sagen wäre, die Welt sei zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen worden. Sind doch anfängliches Beginnen und Verlauf der Zeit selbst im Weltursprung begründet, der nicht in der Zeit, sondern in zeitgenerischer Weise statthat. Die Zeit beginnt mit der Welt. Im Vollzug dieses Creatio immediata et Beginnens nimmt der kreatürliche Prozess selbst mediata eine Verlaufsform an, die Differenzierungen wie jene zwischen geschaffener Urmaterie und einzelnen Stoffen etc. und damit die Vorstellung einer Aufeinanderfolge von Schöpfungsvollzügen ermöglicht, wie sie u. a. von der biblischen Genesisgeschichte nahegelegt wird. Dogmatisch ist ent-

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sprechend zwischen creatio immediata und creatio mediata, einer unmittelbar ex nihilo erfolgenden Schöpfungsaktion Gottes und mittelbaren Schöpfungswerken zu unterscheiden, die an das Ursprungsgeschehen anschließen und es fortführen, damit das Geschaffene immer differenziertere Form annehme und eine indefinite Fülle von kreatürlichen Gestalten hervorgehe bis hin zum vernunft- und willensbegabten Menschen als dem finis creationis intermedius. Als allein von Gott geschaffen ist die Welt und alles, was in ihr ist einschließlich des Menschen, ursrpünglich gut und zwar sehr gut im Sinne von bestens. Alles Böse und alles Übel, was aktuell in ihr herrscht, entspricht nicht dem genuinen Schöpfungswillen Gottes und der Ursprungsrealität seiner Schöpfung, sondern ist auf eine ihrer Grundbestimmung widersprechende Weise in sie eingefallen. Eine Prinzipialisierung des malum kann daher nicht infrage kommen. Nicht Gott der Schöpfer ist Urheber von Üblem und Bösem; die causa deficiens mali ist kreatürlich und namentlich durch die Sünde des Menschen bedingt und verschuldet. Im hamartiologischen Kontext wird davon direkt gehandelt, im schöpfungstheologischen nur indirekt und insofern, als Gottes Schöpfungshandeln sich nicht in anfänglicher creatio erschöpft, sondern darin fortsetzt, dass er dasjenige, was er erschaffen hat, auch erhalten will. Der Begriff der Erhaltung gehört einerseits unveräußerlich zum entwickelten Begriff der Schöpfung, setzt den Schöpfungsbegriff im engeren Sinn aber andererseits als ein konstitutives Bestimmungsmoment seiner selbst insofern voraus, als er den kreativen Ursprungsakt Gottes als vorgängig und das Dasein der Geschöpfe als gegeben in Anspruch nimmt. Der temporale Charakter des schöpfungstheologischen Erhaltungsbegriffs bestätigt dies. Während Schöpfung im ursprünglichen Sinne kein Akt in der Zeit ist, sondern Zeit aktuiert, ist der Begriff der Erhaltung zeitlich bestimmt und auf ein zeitliches Geschehen bezogen. Gottes Erhaltungswirken, das von seinem schöpferischen Wirken nicht abzulösen ist, sondern ihm untrennbar zugehört, vollzieht sich in vorausschauender Fürsorge für seine Geschöpfe. Als Momente der Vorsehung Gottes, mittels derer er für seine Geschöpfe sorgt, lassen sich conservatio, concursus und gubernatio unterscheiden. Conservatio bezeichnet jenen Akt göttlicher Providenz, durch den Gott das Seiende im Sein hält und verhindert, dass es in jenes nichtige Nichts zurückfällt, aus dem es geschaffen ist. Das Vermögen, sich im Dasein zu erhalten, eignet den Kreaturen nicht unmittelbar; sie bedürfen daher der Erhaltung durch Gott, um dauerhaft zu bleiben. Ohne conservatio Dei hätte nicht nur kein Einzelwesen andauernden Bestand, ohne sie würde der Kosmos seine Grundordnung verlieren, ins Chaos versinken und gänzlich zuschanden werden. Gehört die conservatio der creatio als deren Conservatio, concursus, Fortsetzung dergestalt an, dass sie creatio continua gubernatio bzw. continuata zu nennen ist, so wäre es dennoch ein Missverständnis, die Erhaltungstätigkeit Gottes auf eine bloße Kontinuierung seiner schöpferischen Ursprungsaktion zu beschränken. Mit der göttlichen conservatio sind concursus und gubernatio Dei zu verbinden, kraft derer er bei allem,

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was in der Schöpfung geschieht, mitwirkt, um alles in ihr zu lenken und zu leiten. Alles Geschehen in der Schöpfung ist nicht als kreatürliche Selbstläufigkeit, sondern unter Voraussetzung einer cooperatio Dei zu denken, welche die geschöpflichen Werke nicht nur begleitet, sondern ursächlich mitbewirkt und zwar je nach Eigenart und Beschaffenheit der Kreaturen. So ist beispielsweise die Mitwirkung Gottes bei Abläufen im anorganischen anders geartet als im organischen Bereich, und bei vernunft- und willensbegabten Wesen unterschieden von derjenigen bei Entitäten, die über keinen vernünftigen Willen verfügen. Dass die gubernatorische Tätigkeit Gottes nicht immer und in allen Fällen der vom Schöpfer ermöglichten Eigenaktivität der Kreaturen konform geht, liegt in der Tatsache begründet, dass diese faktisch und in schöpfungswidriger Weise von ihrer Bestimmung abgewichen sind und ständig abweichen. Zu differenzieren ist entsprechend zwischen verschiedenen Modi der gubernatio Dei wie permissio, impeditio, directio oder determinatio. Gott leitet, indem er gewähren lässt, hindert, lenkt und steuert oder Grenzen setzt. Dabei kann er sein providentielles Handeln der geschöpflichen Ordnung gemäß, aber auch außerordentlich gestalten, sodass zwischen einer providentia Dei ordinaria und einer providentia Dei extra-ordinaria zu unterscheiden ist. Im Übrigen verbleibt es bei dem Grundsatz, dass die göttliche Providenz sich auf alles erstreckt, jedoch nicht auf alles in gleicher Weise, sondern jeweils in der Form, die den kreatürlichen Eigentümlichkeiten und Individualitäten entspricht. Gott ist von Anbeginn der Schöpfung stets und ausnahmslos auf die Gesamtheit seiner Geschöpfe bezogen, aber immer so, dass sein schöpferisches, erhaltendes und regierendes Handelns jedem Geschöpf in seiner spezifischen Besonderheit, ja Singularität gilt. Ist Gottes Wirken dabei vorbehaltlos darauf ausgerichtet, Gutes zu tun, so stellt sich die eigentliche theologische Schwierigkeit dort ein, wo es die göttliche Providenz mit dem malum in Form des Übels und insbesondere des Bösen zu tun bekommt, das in keiner Weise aus dem Schöpfungswillen Gottes und aus der genuinen Wirklichkeit seiner Schöpfung abzuleiten ist, ohne doch in seiner Faktizität geleugnet werden zu können. Die einleitend gegebene Allgemeincharakteristik altlutherischer Schöpfungslehre in der Zeit der Barockscholastik erfolgte auf der Basis der von Heinrich Schmid vorgenommenen Quellendarstellung (vgl. Schmid; ferner Ratschow, 155 ff.). Bevor sie an einem ausgewählten Einzelwerk zu exemplifizieren und zu spezifizieren ist, sei in Form eines Exkurses eine generelle Kennzeichnung barockscholastischer Dogmatik und ihrer wissenschaftstheoretischen Stellung im konfessionalistischen Zeitalter zwischengeschaltet, die neben der lutherischen die reformierte Gestalt des sog. Altprotestantismus und des Weiteren die tridentinischnachtridentinische Form katholischer Lehre zumindest ansatzweise in den Blick nimmt: Aristoteles hatte die Wissenschaften in theoretische, praktische und sog. poetische, auf Hervorbringung bezogene unterschieden. Seit Alexander von Aphrodisias ist die Drei- in der Regel auf eine Zweiteilung in theoretische und praktische Wissenschaften reduziert worden. Ist die Theologie eine theoretische oder

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eine praktische Wissenschaft im aristotelischen Sinn? Unter den theologischen Aristotelesrezipienten des Mittelalters wurden auf diese Frage unterschiedliche Antworten gegeben. Während Thomas von Aquin unter Verweis auf die höhere Würde, die der Theorie wegen ihrer Selbstzwecklichkeit im Vergleich zum praktischen Wissen eigne, die Theologie als spekulative Wissenschaft zu bestimmen suchte, galt sie anderen Theologen vor und nach ihm als scientia practica bzw. als eine sapientiale Wissenschaft, in der sich theoretische und praktische Aspekte verbinden. Endzweck aller Praxis ist nach Aristoteles Glückseligkeit als ein in sich vollendetes und sich selbst genügendes Gut, auf das alle Tugendübung hinstrebt. Dieses Gut liegt allen spezifischen Handlungszielsetzungen voraus, und seine Erkenntnis bildet die Basis jeder Bestimmung richtiger Praxis. Gleichwohl kann Aristoteles die Erkenntnis des Ziels, dem alle rechte Praxis zustrebt, selbst bereits der praktischen Wissenschaft zurechnen, sofern zu dieser nicht nur das Wissen um aktuelle Zielbestimmungen des Willens, sondern auch dasjenige um den Endzweck gehört, der allen aktuellen Zielbestimmungen des Willens als letztes Bestimmungsziel zugrunde liegt. Dementsprechend konnte im Anschluss an Aristoteles auch die Lehre vom Wesen Gottes und seiner Erkenntnis als praktische Wissenschaft verstanden werden. Die Wirklichkeit Gottes, wie sie an sich selbst ist, ist Gegenstand und Grundthema nicht nur einer Theologie, die sich als theoretische, sondern auch einer solchen, die sich als praktische Wissenschaft versteht. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Auffassung der Theologie als scientia practica im Unterschied zu ihrer Deutung als rein theoretische Wissenschaft die Gottebenbildlichkeit alles Kreatürlichen und nachgerade die Hinordnung des gefallenen Menschen auf Gott explizit in den Theologiebegriff aufnimmt. Theologie als Wissenschaft von Gott steht in einer für ihren Begriff konstitutiven Relation zum Heil von Menschheit und Welt, dessen Ermöglichung und Realisierung von der Wirklichkeit Gottes und seinem göttlichen Wesen nicht zu trennen ist, weil zur Gottheit Gottes unveräußerlich der Wille gehört, dass allen Menschen geholfen werde. In der Reformation wurde der Begriff der Theologie als einer scientia practica nicht nur beibehal- Scientia practica ten, sondern eigens und dezidiert hervorgehoben: „Vera theologia est practica“ (WA TR 1, 72,16 [Nr. 153]), sagt Luther, wohingegen er die spekulative Theologie ablehnt, weil sie nach seinem Urteil Gott und Mensch beziehungslos oder jedenfalls nicht in jenem Beziehungszusammenhang denkt, der in dem Grundsatz umschrieben ist, „ut proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator“ (WA 40/II, 328, 1 f.). Weil Theologie ohne Bezug auf das Verhältnis, das von der Christusoffenbarung her in der Kraft des Hl. Geistes zwischen dem sündigen Menschen und dem den Sünder rechtfertigenden Gott waltet, nicht konkret zu denken ist, hat sie ihrem Begriff nach nicht als eine rein theoretische, sondern als eine praktische Wissenschaft zu gelten. Die Dogmatik der altlutherischen Orthodoxie hielt an dieser

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Bestimmung fest und verband sie nach geraumer Zeit mit der die Loci-Methode allmählich ablösenden sog. analytischen Methode, „die den untersuchten Gegenstand im Hinblick auf seine Zweckbeziehung nach den Gesichtspunkten von Ziel, Subjekt und Mitteln zum Ziel analysiert und darstellt“ (Pannenberg, 234). Scientia practica ist die Theologie primär nicht deshalb, weil sie den menschlichen Willen zu einzelnen religiös-sittlichen Handlungen bestimmt, sondern weil sie die Wesensstruktur und gesamte Existenz des Menschen auf Gott als ihren Endzweck ausrichtet. Ziel des Theologiestudiums ist demgemäß die Verbindung von eruditio und pietas im Theologen; doch wird dieser zum förmlichen Vertreter seiner Profession „erst dadurch, dass er die Fertigkeit erworben hat, andere Menschen durch Lehren, Ermahnen, Trösten zum ewigen Heil zu führen“ (Nieden, 243). Neben der tridentinischen Barockscholastik und der Theologie der altreformierten ist diejenige der altlutherischen Orthodoxie die dritte Lehrgestalt westlichen Christentums im konfessionalistischen Zeitalter, von dessen soziokultureller Verfassung bereits im ersten Band dieser Reihe (Bd. 1, 104 ff.) ausführlich gehandelt wurde; charakteristisch ist die Verpflichtung nicht nur der Lehrer und Studenten der Theologie auf das jeweils in Geltung stehende kirchliche Bekenntnis (vgl. Tholuck I,1 ff.), wie sie im Kontext von Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa (vgl. Schilling [Hg.]) mit wachsender Strenge erfolgte. Unbeschadet ihrer sonstigen Gegensätze sind alle drei Theologieformationen in philosophischer Hinsicht aristotelisch geprägt. Im Protestantismus ist die Vorherrschaft der aristotelischen Philosophie trotz seiner eklektischen Art zu philosophieren von Philipp Melanchthon grundgelegt und durch den Sieg des Melanchthonianismus über den Ramismus befestigt worden. Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert hat der Aristotelismus an protestantischen Universitäten und Schulen auf Physik, Ethik, Rhetorik und Logik bestimmenden Einfluss gewonnen und auf die Theologie namentlich durch die Metaphysik eingewirkt. „Wie im dreizehnten Jahrhundert durch die Bekanntschaft mit der Metaphysik des Aristoteles der Wissenschaft des Abendlandes ein neuer Antrieb zu großartiger Denkarbeit gegeben wurde, so hat die Aufnahme der metaphysischen Fragen innerhalb der protestantischen Welt Deutschlands seit Ende des sechzehnten Jahrhunderts den Schulwissenschaften kraftvolleres Leben zugeführt und vielseitig fruchtbar gewirkt.“ (Petersen, 327) Das 17. Jahrhundert ist für Deutschland „das Jahrhundert der Metaphysik geworden“ (Petersen, 219). Dabei galt die Gotteslehre der aristotelischen Metaphysik den Theologen als „ein Stück natürliche Theologie“ (Petersen, 332) mit der Folge, dass die frühaufklärerischen Tendenzen, die theologia revelata in eine theologia naturalis zu überführen, an der Dogmatik der altprotestantischen Orthodoxie einen zumindest partiellen Anhalt finden konnten. Der Begriff der Orthodoxie, der in seiner in der christlichen Gräzität entwickelten und allmählich auch im lateinischen Westen übernommenen Allgemeinbedeutung Rechtgläubigkeit u. ä. bezeichnet (vgl. Baur), wird theologiehistoriographisch üblicherweise als Sammelname für die im konfessionalistischen Zeitalter herrschende Kirchenlehre lutherischer und reformierter Provenienz verwendet. Doch

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kann er in funktionsanaloger Weise auch auf die – der sog. altprotestantischen Orthodoxie im Widerspruch verbundene – nachtridentinische Barockscholastik Anwendung finden. Während sich die reformierte Orthodoxie der Zeit zwischen Calvins Tod und dem beginnenden 18. Jahrhundert in Ländern von politisch und kulturell sehr unterschiedlichem Gepräge auszubilden hatte, war die lutherische „an einen geographisch homogenen Raum gebunden“ (Fatio, 487). Zu Zentren ihrer Entwicklung wurden die jeweiligen, teilweise neugegründeten Universitäten in den Kernländern der Reformation. Zu nennen sind neben Wittenberg insbesondere Tübingen, Gießen, Straßburg, Leipzig, Rostock, Jena oder Greifswald (vgl. Tholuck II,15 ff.). Eine Sonderstellung nimmt die Universität Helmstedt ein, wo Georg Calixt wirkte, dessen am altkirchlichen Traditionsprinzip und einer Theologie des Heilsnotwendigen (vgl. Böttigheimer) orientierte Irenik Anlass zum sog. Synkretistischen Streit im Luthertum des 17. Jahrhunderts gab; der Begriff Synkretismus bezeichnet gemäß einer Fabel Plutarchs ursprünglich die Verbundenheit der ansonsten uneinigen Kreter gegenüber äußeren Feinde und im übertragenen, seit dem Humanismus gebräuchlichen Sinn die Vermischung verschiedener Religionen und Kulte. In Dänemark gelangte die Kopenhagener Theologie zu überregionaler Bedeutung (vgl. Matthias), in Schweden u. a. die Fakultäten in Uppsala und Lund (vgl. Tholuck II,166 ff.). Ihren Anfang nahm die lutherische Orthodoxie Dogmatik altlutherischer in der Zeit nach dem Augsburger Religionsfrieden Theologie 1555 mit dem sich ausbildenden Konkordienwerk von 1580 (vgl. Wenz). Auf die Phase der Frühorthodoxie, deren Katechetik besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. Ohlemacher), folgte die Hochorthodoxie als die wissenschaftlich produktivste Periode. Sie reicht von der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bis etwa 1675 und ist gekennzeichnet durch eine „Wiederkehr der Metaphysik“ (vgl. Sparn) mit extensiver, wenngleich keineswegs unkritischer Rezeption der aristotelischen Schulphilosophie sowie einer umfassenden Systematisierung der Dogmatik in scholastischer Manier (vgl. van Asselt/Dekker [Hg.]). Man begnügte sich nicht länger mit einer philologisch-rhetorischen Schriftauslegung im humanistischen Stil bzw. einer bloßen Zusammenstellung verallgemeinernder Leitsätze und Ordnungsgesichtspunkte in der Weise von Loci communes. Die Anforderungen an wissenschaftliche Kohärenz der Theologie wurden nicht unerheblich gesteigert. Johann Gerhards Loci theologici sind dafür ein erster hervorragender Beleg. In offener Distanzierung zur Methodik Melanchthons und in dezidierter Aufnahme der neuaristotelischen Theorie Giacomo Zabarellas (1533– 89) wird „das Wesen der Theologie als Wissenschaft neu bestimmt“ (Matthias, 475). Im Zuge der Konzeptionierung der Theologie als einer scientia practica wird innerhalb des wissenschaftlichen ordo generalis mehr und mehr die sog. analytische Methode führend, die ausgehend vom Ziel menschlicher Beseligung in Gott nach dem Subjekt dieser Zielbestimmung, nämlich dem gefallenen Menschen, und den Prinzipien und Mitteln fragt, dieses Ziel zu erreichen. Der klar strukturierten Systematik des Lehrgebäudes im Großen und Ganzen

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entspricht eine gesteigerte Differenzierung des Stoffs im Einzelnen, der in alle möglichen Details zergliedert wird. Die Prolegomena und dabei insbesondere die Lehre von der Heiligen Schrift als dem Erkenntnisprinzip der Dogmatik nehmen immer elaboriertere Form an. In der materialen Dogmatik wird namentlich die Christologie und in ihr besonders die Lehre von der Idiomenkommunikation in hochkomplexer Weise ausgebaut, was zu teilweise heftigen Schulauseinandersetzungen wie dem sog. Kenosis-Krypsis-Streit zwischen den Tübinger und den Gießener Theologen führte. Auch der Grad soteriologischer Differenzierung steigert sich erheblich; obwohl der Begriff selbst im Luthertum erst verhältnismäßig spät begegnet, wird ein förmlicher ordo salutis ausgearbeitet, der den Rechtfertigungsvorgang in seine logischen Momente zergliedert, was beispielsweise bei Hollaz zu folgender Reihung führt: vocatio, illuminatio, conversio, regeneratio, iustificatio, unio mystica, renovatio, conservatio fidei et sanctitatis. Wie die reformierte, die seit der Dordrechter Synode in den Niederlanden ihr Zentrum hatte, neigte sich auch die lutherische Hochorthodoxie im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts ihrem Ende zu, um in eine Phase der Spätorthodoxie überzugehen, die durch wachsende Auseinandersetzungen mit aufgeklärt-rationalistischen und pietistischen Tendenzen der Zeit gekennzeichnet ist. Schon seit geraumer Zeit hatten die wachsenden Erfolge der empirischen Wissenschaften und die Entstehung neuer philosophischer Ansätze wie etwa des cartesianischen den Neoaristotelismus als die schulphilosophische Basis der Orthodoxie in Zweifel gezogen. Die historische Problematisierung des Kanons und die allmähliche Auflösung des inspirationstheoretisch abgesicherten zeitinvarianten Autoritäts- und Geltungsanspruchs der Hl. Schrift taten ein Übriges. Spätestens 1740 war die altprotestantische Orthodoxie von einigen Nachhutgefechten abgesehen an ihr theologiegeschichtliches Ende gelangt. Einer der ersten und zugleich repräsentativsten Vertreter einer sog. Übergangstheologie von lutherischer Orthodoxie zu Aufklärung und Pietismus war Johann Franz Budde (Buddeus; 1667–1729), bei dem sich bereits der Gedanke findet, die Offenbarung könne nichts der vernünftigen Gotteserkenntnis und der religio naturalis Widersprechendes enthalten. Eine Mittelstellung in der Geschichte der altlutheDas Beispiel Königs rischen Theologie nimmt sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht Johann Friedrich König (1619–1664) ein, dessen als Dogmatikkompendium konzipierte Theologia positiva acroamatica von 1664 ein signifikantes Beispiel für eine als scientia practica entworfene Theologie bietet. Das Werk ist von A. Stegmann herausgegeben und übersetzt (vgl. König; Sperrungen im Text werden im Folgenden nicht wiedergegeben) sowie im Rahmen des frühneuzeitlichen Theologiestudiums genauestens analysiert worden (vgl. Stegmann). Es ist geeignet, einen exemplarischen Eindruck von der Dogmatik lutherischer Barockscholastik und ihrem Theologiebegriff im Allgemeinen und ihrer Lehre vom Schöpfer und von der Schöpfung im Besonderen zu verschaffen, deren Sinn nur aus dem theologischen Gesamtkontext erhellt, in dem sie entworfen wird. Auch wenn Königs „Theologia positiva“ als ein

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für den akademischen Dogmatikunterricht geschriebenes Lehrbuch „nicht primär als systematisch-theologischer Text im Rahmen der theologie- und philosophiegeschichtlichen Entwicklung der nachreformatorischen Theologie gelesen werden“ (Stegmann, 1) darf, lässt sich an ihr doch der Charakter lutherischer Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung exemplifizieren und das umso mehr, als Originalitätsdenken jedem und namentlich jedem theologischen Autor des 17. Jahrhunderts „im Tiefsten fremd“ (Schöne [Hg.], VII) war: „Er unterwarf das private Erlebnis, die persönliche Empfindung, das individuelle Ausdrucksverlangen allgemeinen Ordnungen und überpersönlichen Formen: er fügte sich dem Gesetz der Gattung.“ (Ebd.) Zu den Gattungsgesetzen lutherischer Dogmatik in der Barockscholastik gehörte ihre konsequente Ausrichtung auf das Heil der Sünder. Ihre Mitte ist, wie Königs Beispiel belegt, „die Versöhnungs- und Rechtfertigungslehre“ (Stegmann, 190 f.), von der her und auf die hin auch die Schöpfungstheologie entworfen wird. Entscheidend ist, dass die Schöpfungslehre und die Lehre von der Sünde und vom Übel nicht theoretisch auseinanderdividiert, sondern praktisch und in soteriologisch-eschatologischer Absicht aufeinander bezogen werden, wobei die Basis der Argumentation das Zeugnis der Hl. Schrift bildet. In einer Protheoria generalis (= Proth.), die zusammen mit besonderen Vorerörterungen zur christlichen Religion, zur Hl. Schrift als Erkenntnisprinzip der Theologie und zu den theologischen Schlussfolgerungen und Glaubensartikeln das eigentliche System einleitet, erörtert König den Theologiebegriff seiner Theologia positiva acroamatica zunächst onomatologisch mit dem Ergebnis, dass der Terminus, der seinem griechischen Wortsinn nach nichts anderes als „Rede von Gott“ (logos peri tou theou) bedeute, in seiner eigentlichen Verwendung entweder archetypisch oder ektypisch gebraucht werde. Die archetypisch-urbildliche Theologie ist diejenige, die Gott selbst wesensmäßig, aber auch dem „per unionis gratiam“ (Proth. 12) mit der göttlichen Natur personal vereinten Menschsein Jesu eigen ist. Der Begriff der abbildlich-ektypischen Theologie hingegen wird erstens auf die secundum humanitatem betrachtete menschliche Natur Jesu Christi, zweitens auf die guten Engel und drittens auf die adamitische Menschheit bezogen, um nach den jeweiligen Status differenziert zu werden, in denen diese sich befindet. Mit dem postlapsarischen Stand des Menschen ist der Theologie jener Status zugewiesen, in dem sie als scientia practica konkret zu betreiben ist. Als in statu corruptionis zu betreibende scienctia practica hat die Theologie entweder natürliche oder übernatürliche, geoffenbarte Form, wobei die theologia naturalis entweder nach Art einer eingeborenen Beschaffenheit eingepflanzt oder hinzuerworben ist, die offenbarte Theologie entweder auf unmittelbarer oder auf mittelbarer Erleuchtung beruht. Die auf mittelbarer Erleuchtung beruhende offenbarte Theologie wird als theologia positiva entweder katechetisch für alle Christen oder akroamatisch als Sache der Gelehrten und Diener des Wortes entwickelt, wobei zwischen Verfahrensweisen exegetischer, didaktisch-systematisch-thetischer, polemischer, homiletischer oder sonstiger Art unterschieden werden kann. Der Begriff, den Königs theologia positiva acroamatica als eine für werdende Gelehrte

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und Diener des Wortes in thetischer Form entworfene postlapsarische Offenbarungstheologie von sich selbst hat, ist damit im wesentlichen nominaldefinitorisch entwickelt. Ergänzt wird die onomatologische Nominaldefinition durch den doppelten Hinweis, dass die auf mittelbare Erleuchtung beruhende, in thetischer Form akroamatisch vorgelegte theologia revelata als auf den Endzweck der Rückführung des Sünders zu Gott angelegte theologia viatorum nicht nur die himmlische Lehre vom wesenseinen Gott und den trinitarischen göttlichen Personen, sondern auch die göttliche Ökonomie umfassen soll. Ihrem Selbstverständnis gemäß will sie dabei nicht lediglich akzidentelle, bloß um der Lehre und Wissenschaft willen, sondern wesenhaft und absolut, mit einem habitus practicus betriebene Theologie sein. Auf die theologische Onomatologie folgt Königs Pragmatologisches Pragmatologie. Sie ist an der aristotelischen PhiloSchema sophie und an metaphysischen Vorgaben orientiert, von denen sich die theologischen Sacherörterungen zumindest ein Stück weit leiten lassen. Bestimmend für sie sind insbesondere die vier aristotelischen causae, die in den einzelnen Lehrtopoi gegebenenfalls im Verein mit anderen Bestimmungen die theologische Realdefinition vorbereiten und prägen. Als pragmatologisches Idealschema für die Behandlung eines locus ergibt sich etwa folgende Reihung: – causa efficiens – forma – objectum, materia circa quam – subjectum, materia in qua – materia ex qua – finis – effectus – definitio, descriptio – affectiones, attributa, proprietates, adjuncta. Was den pragmatologischen Begriff der Theologie anbelangt, so werden zunächst die Prinzipien ihres Werdens, ihres Seins und ihres Erkennens aufgezählt. Das theologische principium fiendi umfasst die Wirkursache und die Zweckursache. Die causa efficiens movens der Theologie ist von innen her Gottes barmherzige Güte, extern das Elend des unwissenden Menschen. Als causa efficiens agens fungiert hauptsächlich der dreieinige Gott, auf instrumentelle Weise das geschriebene Wort Gottes, dem unmittelbar die inspirierten Schriften und mittelbar deren Interpreten dienend zugeordnet sind. Letzter Zweck der Theologie ist absolut die Ehre Gottes und damit verbunden das ewige Heil des Menschen, auf welches Glaube und Theologie je auf ihre Weise hingeordnet und bezogen sind. Kommen hinsichtlich des Prinzips ihres Werdens Wirk- und Zweckursache der Theologie in Betracht, so ist ihr Seinsprinzip materialiter durch die theologischen Wahrheiten, formaliter durch den entweder logischen oder metaphysischen Inbegriff dessen bestimmt, was sie ihrer gegebenen Bestimmung nach definitions- und wesensgemäß ist. Hat als das eine und ungeteilte principium cognoscendi der Theologie die von Gott eingegebene und insoweit unfehlbar wahre Heilige Schrift zu gelten, so ist ihr Subjekt zum einen derjenige, welcher sich mit ihr beschäftigt, zum andern dasjenige, womit sie sich beschäftigt. Aus der Näherbestimmung dieses differenzierten Zusammenhangs ergibt sich die pragmatologische Realdefinition der Theologie: Sie ist das Befähigtsein der Vernunft zu einem bestimmten Handeln, das die Religion betrifft und aus dem geschriebenen Wort Gottes

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geschöpft ist, damit durch seine Betätigung der Sünder durch den Glauben zum ewigen Leben geführt werde (Proth. 54). Seine methodische Entsprechung findet Königs Begriff der Theologie als einer scientia practica in der bei der Einteilung und Durchführung des dogmatischen Systems in Anwendung gebrachten Verfahrensweise. Die analytische Methode schreitet von der Bestimmung des Endzwecks der Theologie und Analytische Methode der Erkenntnis ihres Subjekts zur Darstellung der Prinzipien und Mittel voran, aufgrund derer und durch die das theologische Ziel der Vollendung in Gott für den gefallenen Menschen als Subjekt der Theologie realisiert wird. Der Zweck der Theologie ist nach König entweder objektiv oder formal (Pars Prima § 2 [= I,2]: Finis . . . cui, seu objectivus; . . . cujus, seu formalis). Der objektive Zweck der Theologie ist die „ipsa res“ (I,3), die ihren Begriff und gesamten Inhalt bestimmt: Gott. Ihr formaler Zweck hinwiederum ist die fruitio Dei in ihrer anfänglichen und vollendeten Gestalt (vgl. I,287 f.) Als Subjekt der Theologie kommt der gefallene, zu Gott zurückzuführende Mensch in Betracht (II,1: homo lapsus ad Deum reducendus). Sein Fall wird zunächst hinsichtlich seines terminus a quo (II,2), nämlich seines Ausgangspunkts beim Zustand der Unschuld in den Blick genommen, wie er im status integritatis ursprünglicher Gottebenbildlichkeit des Menschen gegeben ist. Auf diesem Hintergrund, der theologisch geurteilt einer prinzipiellen Vergangenheit angehört, wird dann von der Sünde und schließlich von den bescheidenen natürlichen Kräften gehandelt, die unter postlapsarischen Bedingungen im Menschen zurückgeblieben sind. Schließlich werden die Prinzipien, von denen das ewige Heil abhängt, und die Mittel thematisiert, durch welche der gefallene Mensch ihm zuzuführen ist. Doch davon ist nicht mehr im gegebenen Zusammenhang, sondern erst unter soteriologischen Gesichtspunkten zu berichten. Die christliche Religion (vgl. Proth. 58 ff.) als die wahre und rechte Weise der Verehrung des in Christus kraft seines Hl. Geistes offenbaren Gottes und die Theologie als die ihr und ihren Glaubensbekenntnissen (vgl. Proth. 75 ff.) entsprechende Reflexionsgestalt finden König zufolge das Prinzip ihrer Erkenntnis allein im Worte Gottes und nach vollständigem Vorliegen der kanonischen Bücher Alten und Neuen Testaments ausschließlich in dessen schriftlicher Gestalt. Es gilt der Grundsatz: „Quicquid Sciptura sacra docet, divinitus inspiratum, adeoque infallibiliter verum est.“ (Proth. 79) Nach onomatologischen Erwägungen zur Wendung „Heilige Schrift“, die insbesondere im Blick auf das Verhältnis zwischen Wort Gottes und biblischem Buchstaben von dogmatischem Interesse sind, expliziert König die Lehre von der Schrift als principium cognoscendi theologiae pragmatologisch zunächst anhand der vier aristotelischen causae. Causa efficiens principalis der Schrift ist der dreieinige Gott, der nicht nur die Sachaussagen, sondern auch den Wortlaut der Schrift eingibt (Proth. 86: inspirans non tantum res, sed ipsa etiam Scripturae verba); als Ministerialursache fungieren Propheten, Evangelisten und Apostel, die beim Schreiben der Schrift wegen der unmittelbaren göttlichen

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Erleuchtung nicht irren konnten. Materia circa quam sind die der Schrift innewohnenden göttlichen Gehalte, als deren Summe Gesetz und Evangelium zu gelten haben und deren Mitte Jesus Christus ist. Die Form der Schrift ist als forma externa ihre Schriftprinzip Sprache, ihr Stil und die Art und Weise ihres Ausdrucks, als forma interna der Schriftsinn im buchstäblichen oder im mystischen Sinn. Im Unterschied zum bloßen Buchstabensinn bezeichnet der buchstäbliche Schriftsinn jenen, den der Hl. Geist mit den von ihm eingegebenen Worten und Schriftzeichen zu verbinden gedachte. Formal kann es daher wegen der Selbigkeit des göttlichen Autors der Schrift nur einen authentischen buchstäblichen Sinn derselben geben. Der mystische Schriftsinn als die zweite innere Form der Schrift ist derjenige, welcher im Unterschied zum buchstäblichen vom Hl. Geist absichtlich auf etwas anderes als das von den Worten unmittelbar Bezeichnete bezogen wird. Er bedarf daher einer anderen Auslegung als der buchstäbliche Schriftsinn. Was schließlich den Zweck der Schrift betrifft, so liegt er in der Erkenntnis Gottes und seiner entsprechenden Verehrung um des zeitlichen und ewigen Heiles des Menschen willen begründet. Unter den affectiones scripturae ist die Eigenschaft göttlicher Schriftautorität (divina auctoritas) die hervorragendste. Das Prinzip der Erkenntnis göttlicher Schriftautorität ist nach König das geistvolle und begeisternde Zeugnis, welches die Schrift von sich selbst gibt, sowie das Wirken des Hl. Geistes durch die Schrift. Mit der divina auctoritas S. Scripturae verbunden sind infallibilitas, perpetua conformitas, revelationis perfectio, perspicuitas, infallibilis semetipsam ex semetipsa interpretandi facultas, will heißen: das unfehlbare Vermögen, sich selbst auszulegen, sowie diverse andere Eigenschaften, die sich aus der göttlichen Schriftautorität ergeben. Zweitrangige Eigenschaften der Schrift wie ihre catholica communicabilitas, ihre Mitteilbarkeit an grundsätzlich alle verständigen Menschen fügen sich an. Königs Schriftlehre schließt mit zwei Paragraphen zur Gliederung der kanonischen Bücher Alten und Neuen Testaments. Ist die Hl. Schrift principium cognoscendi theologiae, so besteht die Aufgabe der Theologie im wesentlichen darin, Schlussfolgerungen aus ihren Vorgaben zu ziehen, um durch Konklusionen zu Hauptaussagen der christlichen Lehre und insbesondere zu Glaubensartikeln zu gelangen, welche die doctrina fidei im Sinne der fides, quae creditur, enthalten. Seiner generellen Definition gemäß ist ein articulus doctrinae fidei sonach ein Teil der himmlischen Lehre von irgendeinem in den kanonischen Schriften geoffenbarten, zu glaubenden geistlichen Gegenstand als solchen. Eingeteilt werden die Glaubensartikel, für welche Übereinstimmung mit der Hl. Schrift und untereinander charakteristisch ist, in reine, die einzig auf der Offenbarung Gottes beruhen und nur geglaubt, und gemischte, die teils aus der göttlichen Offenbarung, teils durch das Licht der Natur erkannt werden können. Doch gilt auch im Hinblick auf sie: „creduntur tamen solum, quatenus e revelatione divina constant.“ (Proth. 138)

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Eine weitere Einteilung unterscheidet Fundamentalartikel von nicht grundlegenden, die ohne Fundamentalartikel Beeinträchtigung des Glaubensgrundes sowohl nicht gewusst als auch geleugnet werden können. Dazu gehören die Dogmen von der Schöpfung der Welt in der Zeit, vom Engelsfall und der fortwährenden Verwerfung einiger gefallener Engel, vom Begräbnis Christi, vom Antichrist, vom Untergang der Welt etc. Anders verhält es sich mit den grundlegenden Glaubensartikeln, die in naher oder allernächster Verbindung zum Glaubensgrund stehen. Diese können ohne Beeinträchtigung der Glaubensgrundlage nicht einmal nicht gewusst werden. Dies gilt insbesondere von jenen Artikeln, die den Glaubensgrund innerlich und unmittelbar begründen. „Dazu gehören die Aussagen der christlichen Lehre von der unsere Sünden sühnenden und Gott versöhnenden Genugtuung des Gottessohnes, vom allgemeinen Wohlwollen Gottes gegen das gefallene menschliche Geschlecht, vom allen geltenden Verdienst Christi, von der ernsthaften Absicht Gottes, allen Christi Verdienst zukommen zu lassen und das Mittel der Zueignung dieses Verdienstes zu geben, den Glauben nämlich für alle, und von der Rechtfertigung durch das im Glauben angeeignete Verdienst Christi.“ (Proth. 150) Von diesen articuli fundamentales constitutivi unterscheidet König solche Artikel, die nicht unmittelbare, sondern mittelbare Voraussetzung des Glaubensgrundes sind, den sie zwar nicht innerlich legen, als dessen notwendige Bedingung sie aber fungieren. Dazu rechnet König „die Lehrstücke von der Existenz, Zuverlässigkeit und Unfehlbarkeit einer göttlichen Offenbarung; von Gottes Existenz, Macht, Wissen, Wahrheit, Unwandelbarkeit, Heiligkeit und Barmherzigkeit; vom dreieinigen Gott; von der Tatsache, daß der Messias der Welt versprochen und gegeben ist, von seiner Gottheit; von der Wahrheit seiner menschlichen Natur und ihrer Sündlosigkeit; von der persönlichen Einheit der zwei Naturen in Christus; von Leiden, Tod und Auferstehung des Gottmenschen, und zwar nicht als rein historische Geschehnisse, sondern als Teile des Mittleramtes; ferner von unserer Hineinführung ins ewige Leben, vom Jüngsten Gericht, von der Auferstehung der Toten etc.“ (Proth. 149) Zusammengenommen ergibt sich aus den Fundamentalartikeln, welche lehrmäßig die Grundlage des Glaubens formulieren, folgendes Zentraldogma, in welchem Ursprung und Ziel des Heilsglaubens inbegriffen sind: „Gott will aus reiner Gnade, daß alle und jeder einzelne gefallene Mensch gerettet werde durch den einzigen Mittler Christus, der, vom Vater in die Welt gesandt, um für alle und jeden Gefallenen der göttlichen Gerechtigkeit vollauf genugzutun, für alle und jeden die Gnade und das ewige Leben verdient hat. Und dieses Verdienst des Sohnes beabsichtigt Gott fest, allen zuzueignen; allen und jedem will er den Glauben geben, durch den jenes Verdienst zugeeignet werden kann. Schließlich hat er festgesetzt, allen und jedem hinreichende und wirksame Gnadenmittel reichlich bereitzustellen, mit der festen Absicht, daß durch den Glauben, der auf das einzigartige Verdienst Christi gegründet ist, gänzlich alle gerechtfertigt und gerettet werden.“

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(Proth. 151) Bleibt hinzuzufügen, dass König von den bisher behandelten erstrangigen Fundamentalartikeln eine Reihe von articuli fundamentales secundarii unterscheidet, von denen gilt, dass sie zwar nicht gewusst, nicht aber geleugnet werden können, ohne den Glaubensgrund preiszugeben. „Von der Art sind die Artikel von der Unübertragbarkeit des Namens ‚Jehovah‘, von der Unermeßlichkeit, Unendlichkeit und Geistigkeit Gottes, von den personalen Eigenheiten, durch welche die göttlichen Personen sich voneinander unterscheiden, von der gegenseitigen Mitteilung der beiden Naturen in Christus, von der aufgrund der personalen Einheit geschehenden Idiomenkommunikation der göttlichen Natur an die menschliche Natur Christi, von der Allgegenwart des Menschen Christus, vom Ratschluß der mit Blick auf Glaube und Unglaube von Ewigkeit her geschehenen Erwählung und Verwerfung, von der Rechtfertigung durch die Anrechnung des Verdienstes Christi unter Ausschluß der einwohnenden Gerechtigkeit etc.“ (Proth. 152) Das Ziel der Theologie als einer scientia practica, Fruitio Dei wie es von ihrem Endzweck her bestimmt ist, besteht darin, ihr Subjekt, den gefallenen Menschen, durch rechte Anleitung zum Gebrauch der in den Prinzipien des Heils gründenden Mittel zu Gott zurück- und der Freude in und an Gott zuzuführen. Die fruitio Dei ist der theologische Zweck, dessen finis objectivus Gott selbst ist, der die besagte Freude von sich aus ermöglicht und ihr Gegenstand ist. Anfänglich wird die fruitio Dei bereits in diesem Leben durch den Glauben an Christus erlangt, der schon jetzt wirkliche Teilhabe an allen wesentlichen Heilsgütern Gottes erschließt. Ihre Vollendung gehört gleichwohl erst in die kommende Welt, in der sie den zum ewigen Heil Bestimmten in vollendeter Weise zukommt. Ganz vollendet ist die fruitio Dei nach erfolgter Wiedervereinigung von Seele und Leib, weil sie nun den ganzen zum Heil geführten Menschen beseligt. Doch darf sie auch schon unter der mit dem Tode gegebenen Bedingung der Trennung des Körpers von der Seele als in bestimmter Hinsicht vollendet gelten, insofern die Seelen der im Glauben Abgeschiedenen sofort und ohne Verzug der fruitio Dei teilhaftig werden. Grund und Inbegriff der fruitio Dei, zu welcher hinzuführen den höchsten Zweck der Theologie als einer scientia practica darstellt, ist Gott selbst als finis cui und ipsa res theologiae. König beginnt den umfangreichen Lehrbuchabschnitt „De Deo“ mit Ausführungen zur Gotteserkenntnis. Erkannt wird Gott zum einen „ex lumine naturae“ (I,4), also auf natürliche, zum anderen „ex lumine gratiae“ (ebd.), d. h. auf übernatürliche bzw. geoffenbarte Weise. Dass das Gegebensein natürlicher Gotteserkenntnis durch die Schrift belegt ist, wird vorausgesetzt. Erste Wirkursache der notitia Dei naturalis ist Gott, ihre mittelbare das menschliche Vernunftvermögen (I,6: facultas hominis intellectiva), das entweder durch „notitia insita“ (vgl. I,7) oder „notitia acquisita“ (vgl. ebd.), also entweder durch angeborene oder durch erworbene Kenntnis zur Einsicht zu gelangen vermag, dass es „aliquod supremum Numen“ (I,18), irgendein höchstes, göttliches Wesen gibt, wel-

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ches mit Weisheit und Macht das Weltgeschehen bestimmt und entsprechend zu verehren ist. Existenz Gottes und Grundbestimmungen seines Wesens sind der notitia Dei naturalis durchaus einsichtig, wenngleich uneindeutig bzw. nicht in jener Eindeutigkeit, die erst von der geoffenbarten Gotteserkenntnis, der „notitia Dei supernaturalis“ (I,23) erschlossen wird, „quae est cognitio Dei unitrini salvifica e verbo Dei scripto hausta“ (ebd.). Erst durch sie gewinnt die Gotteslehre ein tragfähiges Fundament. Der vornehmste Zweck der notitia Dei naturalis ist darin begründet, zur Erkenntnis anzureizen, weiter nach Gott zu fragen und zu suchen. Die seine ignorantia Dei entschuldigende Ausrede des Menschen, er habe zur Frage nach Gott bzw. zur Gottsuche von seiner Natur her keinen Anlass gesehen, wird mit Verweis auf die facultas hominis zu natürlicher Gotteserkenntnis zum Verstummen gebracht. Materialiter entwickelt wird die Gotteslehre von König unter dem Gesichtspunkt einerseits des Vom Wesen Gottes Wesens und andererseits der Werke Gottes. Das Wesen Gottes kommt zunächst absolute, will heißen: an sich selbst und ohne Bezug auf die trinitarischen Personen, sodann „relative in ordine ad tres personas divinas“ (I,32), also bezogen auf die drei göttlichen Personen in Betracht. Der conceptus quidditativus absolutus, der Begriff von Gottes Gottheit ihrem reinen Wesen nach ist derjenige einer essentia spiritualis infinita. Die Eigenschaften, die von dem unbegrenzten geistigen Wesen Gottes prädiziert werden, sind von diesem und untereinander nur in Gedanken und nicht der Sache nach unterschieden, weil in Gott Essenz und Attribute untrennbar eins sind. Der gedanklichen Ordnung gemäß können die göttlichen Eigenschaften danach differenziert werden, ob sie das Wesen Gottes in sich und ohne Rücksicht auf göttliche Werke oder unter deren Berücksichtigung beschreiben. Zu den attributa absoluta zählt König „Perfectio, Unitas, Veritas, Bonitas, Independentia in essendo, Aeternitas, Immensitas, Incomprehensibilitas, Immutabilitas etc.“ (I,40). Unter den Eigenschaften, die sich auf das göttliche Außenwirken beziehen, bezeichnet das unsterbliche Leben Gottes, durch das sich sein Wesen als immer tätig erweist, das Prinzip des Ursprungs göttlichen Handelns. Die Art und Weise seines Handelns hinwiederum gibt Anlass, zwischen einem bestimmenden, anordnenden und ausführenden (dirigens, imperans, exequens) Prinzip dieses Handelns und entsprechenden Eigenschaften zu unterscheiden. Das erste Prinzip der Art und Weise göttlichen Handelns, nämlich das bestimmende, ist Gottes Vernunft, „Dei intellectus, cognoscens per omniscientiam, judicans per omnisapientiam“ (I,60). Das zweite, anordnende Prinzip ist der Wille Gottes, durch den er seit Ewigkeit von sich aus mit einem einzigen beständigen und freien Akt das Gute will, wobei die Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Geduld umfassende Güte Gottes seine Willensbetätigungen bewegt, während sie durch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit gelenkt werden. Ausgerichtet werden die in Gottes Vernunft und Willen gründenden Ratschlüsse schließlich durch die göttliche Macht, durch welche Gott kraft der ewigen Tätigkeit seines Wesens

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gänzlich unabhängig alles tun kann und als der Allerwahrhaftigste tut, was keinen Widerspruch in sich enthält. Wurde bislang das göttliche Wesen absolut und ohne Rücksicht auf die drei Personen der Gottheit betrachtet, so erfolgt die Betrachtung der trinitarischen Beziehungen in grundlegender Hinsicht auf dreifache Weise, nämlich erstens unter Hervorhebung der Erhabenheit des mysterium trinitatis, das alles Verstehen, Erfassen und Begreifen übersteigt und daher aus Vernunftgründen weder widerlegt noch bewiesen werden kann, zweitens durch Geltendmachen des Prinzips der Erkenntnis und des Bekenntnisses der göttlichen Dreieinigkeit, welches allein in der in den Schriften Alten und Neuen Testaments mitgeteilten Offenbarung gegeben ist, und drittens in Bezug auf die Heilsnotwendigkeit, das trinitarische Dogma weder zu negieren noch auch nur zu ignorieren. Seine pragmatologische Explikation erfolgt nach knappen onomatologischen Erwägungen in zwei Teilen: der erste handelt von Zahl, Namen, Unterschiedenheit und Wesenseinheit der göttlichen Personen, der zweite von jeder Person für sich. Was die distinctio personarum divinarum betrifft, so sind die trinitarischen Personen einerseits vom göttlichen Wesen, andererseits untereinander unterschieden, wobei letzterer Unterschied in re begründet ist, wohingegen ersterer zwar einen Anhalt an der zu bedenkenden Sache hat, aber realiter nur in der menschlichen Gedankenoperation auftritt. Aus der realen Unterschiedenheit der trinitarischen Personen ergibt sich ihre Seins- und Tätigkeitsordnung. Der ordo in subsistendo betrifft die unterschiedliche Weise der Teilhabe am einen und selben göttlichen Wesen: „Pater habet (sc. hanc essentiam) a seipso, tanquam fons et principium SS. Trinitatis, atque inde prima persona est: Filius eandem habet a Patre per aeternam generationem, atque inde secunda persona est: Spiritus Sanctus a Patre et Filio per aeternam spirationem, atque inde tertia Divinae essentiae persona est et dicitur.“ (I,88) Die Tätigkeitsordnung, die sich aus der realen Unterschiedenheit der trinitarischen Personen ergibt, entspricht dieser und ist in der Schrift etwa mit den Präpositionen „aus“ (sc. dem Vater), „durch“ (sc. den Sohn) und „im“ (sc. Hl. Geist) umschrieben. Insgesamt gilt, dass die Personen der göttlichen Dreieinigkeit unbeschadet ihrer wirklichen Unterschiedenheit wesenseins sind und bleiben mit der Konsequenz eines einzigartigen und gegenseitigen Ineinanderseins und Einanderdurchdringens, einer vollkommenen Gleichheit und gleichen Vollkommenheit sowie einer Selbigkeit ihrer nach außen gerichteten Werke und Handlungsweisen, dergemäß sie dasselbe auf dieselbe Weise, wenngleich nicht in derselben Ordnung tun. Was die trinitarischen Personen je als solche betrifft, so thematisiert sie König durchgehend unter den Gesichtspunkten des Namens, der Gottheit, der personalen Subsistenz sowie der personalen Eigenheit, um jeweils mit einer zusammenfassenden descriptio Gottes des Vaters, des Sohnes bzw. des Hl. Geistes zu enden. Am umfänglichsten werden die proprietates characteristicae erörtert und zwar sowohl in Bezug auf die Innen- als auch auf die Außenbeziehung der trinitarischen Personen. Nach außen besteht die personale Eigenheit des Vaters in der Schöp-

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fung, Erhaltung und Lenkung der Welt, des Sohnes in der Erlösung des Menschengeschlechts und des Hl. Geistes in der Heiligung. Die proprietas Patris ad intra ist seine jede Weise des Hervorgehens aus einer anderen Person ausschließende Ungezeugtheit (agennesia), die eine doppelte Bezogenheit mit sich führt, nämlich im Verhältnis zum Sohn diejenige der aktiven Zeugung (generatio activa) und im Verhältnis zum Hl. Geist diejenige der aktiven Hauchung (spiratio activa). Durch das seiner personalen Eigenheit der Ungezeugtheit entsprechende interne Werk bringt der ewige Vater sonach (zusammen mit dem ewigen Sohn) durch Mitteilung seines an Zahl einen und selben Wesens den ihm wesenseinen und gleichewigen Hl. Geist in einem unteilbaren und ewigen Akt auf übernatürliche und unaussprechliche Weise hervor. Die innertrinitarische Eigenheit der göttlichen Person des Sohnes ist die Zeugung (gennesis). Durch sie ist die zweite Person der Gottheit auf die erste durch dasjenige bezogen, was man generatio passiva nennt, aus der die missio passiva Filii in carnem folgt, welche der Inkarnation vorhergeht (vgl. I, 125). Auf den Hl. Geist als die dritte Person der Gottheit ist die zweite kraft ihrer personalen Eigenheit durch die sog. aktive Hauchung (spiratio activa) bezogen, deren Folge die Sendung des Hl. Geistes in der Zeit ist. Zu vermerken ist, dass dieses opus ad intra nur im Westen gelehrt, von der ostkirchlichen Trinitätslehre hingegen dezidiert in Abrede gestellt wird. Die Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche betrifft analog die Lehre von der innertrinitarischen Personeigenheit des Hl. Geistes, sofern dieser nach der von König geteilten westlichen Lehrart als nicht nur vom Vater, sondern auch vom Sohn passiv gehaucht und hervorgebracht zu gelten hat mit der Folge seines Gesandtseins von Vater und Sohn. Eigens erwähnt wird, dass die Beziehung der personalen Eigenheit des Hl. Geistes auf die beiden anderen Personen als nur eine gedacht werden muss, weil die aktive Hauchung des Vaters und des Sohnes nur eine einzige ist. Nach Gottes Wesen handelt der zweite Hauptteil der materialen Gotteslehre als der Lehre vom Von den Werken Gottes finis objectivus der Theologie von den göttlichen Werken. Die opera SS. Trinitatis ad intra beziehen sich auf Gott selbst und sind entweder opera essentialia oder opera personalia. Die zum göttlichen Wesen gehörenden Werke Gottes nach innen betreffen das allen trinitarischen Personen gemeinsame Prinzip des Handelns in Form des actus intellectus, durch den Gott sich selbst erkennt, sowie des actus voluntatis, wie er in göttlichen Ratschlüssen wirksam ist. Sind die opera essentialia SS. trinitatis ad intra ungeteilt und allen drei Personen der Gottheit gemeinsam, so sind die opera personalia geteilt und so auf Gott selbst gerichtet, dass das Prinzip des Handelns nicht das den drei Personen gemeinsame Wesen ist, sondern entweder eine Person oder zwei der Personen (vgl. I,146). Es bestätigt sich, was in der Lehre von den proprietates characteristicae der trinitarischen Personen über ewige Zeugung und Hauchung sowie über die zeitliche Sendung des Sohnes im Fleisch und die Geistsendung zum Werk der Heiligung ausgeführt wurde.

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Im Unterschied zu den opera divina ad intra richten sich die opera ad extra nicht auf Gott selbst, sondern auf ein von Gott Verschiedenes. Dabei ist zwischen opera ad extra interna und opera ad extra externa zu unterscheiden. Erstere beziehen sich zwar auf ein von Gott Verschiedenes, aber geschehen nicht außerhalb von Gott, sondern in Gott und im Innersten der Gottheit. Zu ihnen gehören sowohl die Akte des göttlichen Intellekts, durch welche Gott alles, was er nicht selbst ist, erkennt, sowie Gottes freie Willensbetätigungen bezüglich der Geschöpfe. Die opera ad extra externa dagegen beziehen sich auf ein außerhalb von Gott Befindliches, um, sobald sie getätigt sind, eine gottexterne Wirkung zu zeitigen. Als opera ad extra externa personalia sind sie einer bestimmten trinitarischen Person kraft heilsgeschichtlicher Zuordnung appropriiert. Die opera ad extra externa essentialia hinwiederum beziehen sich auf einen äußeren Gegenstand dergestalt, dass sie allen drei Personen der Gottheit im Rahmen ihrer Personordnung gemeinsam sind. Unterschieden werden die außerhalb des Inneren Gottes vollbrachten, zum göttlichen Wesen gehörenden Werke nach außen in solche der Macht, der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit. Während König die beiden opera ad extra externa essentialia misericordia und iustitia in die Lehre von den Prinzipien des Heils im dritten Teil seines Lehrbuches zieht, handelt er in der pars prima lediglich von den beiden ersten Werken der Macht, nämlich von Schöpfung und Vorsehung. Die Erschaffung der Welt als das erste Werk der Das Schöpfungswerk göttlichen Macht wird zum Zwecke der Ehre und des Lobpreises Gottes sowie des Nutzens des Menschens durch den einheitlichen und ungeteilten Akt der Hl. Dreieinigkeit getätigt, welcher aus dem – in rein negativem Sinn verstandenen, nicht durch den Gegensatz zu etwas bestimmten – Nichts (I,164: ex nihilo pure negativo) die Materie produziert, um aus ihr mit Ausnahme der Seele alles hervorzubringen, was ist. Die forma creationis besteht in der absoluten Allmacht Gottes und seines Willens, durch dessen Entschluss das Sein gesetzt ist, damit Seiendes sei, und ohne welchen nichts wäre, was ist, weder Sichtbares noch Unsichtbares. Die erste Stelle unter den Schöpfungswerken Gottes nehmen die Engel und die Menschen ein. Engel sind körperlose Geister ohne physische Materie und Form. Ihnen eignet Unteilbarkeit, Unsichtbarkeit, vergleichsweise Unwandelbarkeit, Unsterblichkeit und Ortsungebundenheit. Der materiellen Welt können sie sonach nicht ohne weiteres zugerechnet werden, obwohl sie als Geschöpfe mit den sonstigen Kreaturen der Schöpfung verbunden sind. Das Innere des Engelwesens ist durch Kraft des Verstandes und Willens sowie durch andere Vermögen und Mächtigkeiten wie diejenige höchster Beweglichkeit bestimmt. Extrinsisch haben Engel die Eigenschaft einer Dauerhaftigkeit, die zwar einen Anfang, aber kein Ende hat. Aber nicht nur ihre Zeit, auch ihre Räumlichkeit ist von eigener Wesensart, sofern das Wo der Engel zwar Unterschiede, aber keine Schranken der sinnlichen Menschenwelt kennt. Um die eigentümliche Raumzeitlichkeit der Engel genauer zu erfassen, muss vor allem bedacht werden, was neben den actiones angelicae immanentes über transeunte Handlungen von Engeln wie Körperannahme oder Orts-

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wechsel gesagt wird (vgl. I,86). Doch mag es bei der zusammenfassenden Feststellung sein Bewenden haben, dass Engel als reine Geistwesen zwar einerseits allen materiellen Schranken überlegen, aber doch andererseits nicht unbegrenzt und infinit, sondern mit einem internen finis versehen sind. Dies liegt in der Urtatsache ihrer gottunterschiedenen Geschöpflichkeit begründet, die zugleich der Grund ihrer gegebenen Mehr- bzw. Vielzahl ist. Ob auch mit bestimmten Ordnungen unter den Engeln wie Engelshierarchien etc. zu rechnen ist, lässt König offen. Das neben den Engeln zweite der edelsten Geschöpfe ist der Mensch. Hinsichtlich seines Werdens (I,234: in fieri) und faktischen Seins (vgl. ebd.: in facto esse) unterscheidet er sich von den Engeln wesentlich dadurch, dass er nicht als leibloses spirituelles Geistwesen geschaffen, sondern – sei es aus Erdenstaub, wie Adam, sei es aus Adams Rippe, wie Eva – leibhaft gebildet wurde, um ein beseelter Leib zu sein. Insofern gilt: „Principia hominis constitutiva interna sunt materia et forma Physica.“ (I,242) Die Materie des Menschen ist sein beseelter stofflicher Körper; seine stoffliche Form aber bildet die Seele, die nach König durch Weitergabe fortpflanzbar ist (I,244: propagabilis per traducem). Bleibt hinzuzufügen, dass der beseelte stoffliche Körper (I,243: corpus animatum organicum) des Menschengeschöpfs in statu integritatis weder leidentlich noch sterblich und die Menschenseele als forma physica rein und frei von jedem Sündenmakel sowie durch das große Licht der anerschaffenen Weisheit und Einsicht erleuchtet war. Der Schöpfung als dem ersten Werk der göttlichen Macht folgt als zweites die Vorsehung, wobei Das Werk der Vorsehung unter providentia nach König strikt ein opus SS. Trinitatis ad extra externum, also ein ungeteiltes trinitarisches Werk nach außen zu verstehen ist, welches auch nach außen gerichtet ist und nicht lediglich das Internverhältnis göttlichen Außenwirkens bezeichnet. Materie der so verstandenen göttlichen Vorsehung ist generell alles, was ist. Aller Kreatur gilt Gottes Providenz. Im Speziellen versieht Gott sich des Lebens und Tuns von Engeln und Menschen insgesamt und je einzeln, wobei die Differenz von gut und böse für den Modus göttlicher Vorsehung von elementarer Bedeutung ist. Die konkrete Form der providentia Dei ergibt sich aus den drei Handlungen, aus denen sie besteht, nämlich Erhaltung (conservatio), Mitwirkung oder Begleitung (cooperatio seu concursus) und Lenkung (gubernatio). Durch die conservatio erhält Gott seinem Willen gemäß die Geschöpfe in ihrer Natur, in ihren Eigenschaften und in den Kräften, die sie in der Schöpfung empfangen haben. Durch cooperatio seu concursus wirkt er in allgemeiner und unmerklicher Weise an allen Geschehensabläufen mit, die seiner Allgegenwärtigkeit präsent sind. Von der Providenzform der gubernatio hinwiederum macht Gott vierfachen Gebrauch: durch Zulassung (permissio), Hinderung (impeditio), Leitung (directio) sowie durch Vorherbestimmung (determinatio), nach Maßgabe derer Gott den Vermögen, Tätigkeiten und Widerfahrnissen der Geschöpfe unüberschreitbare Grenzen setzt. Wie Gott sein gubernatorisches Wirken in Bezug nicht nur auf das natürliche, sondern auch und vor allem auf das moralische Böse

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gebraucht, macht König am Beispiel von Handlungen klar, die der Sünde vorangehen, sie begleiten und ihr folgen (I,283: actus, peccatum tum antecedentes, tum concomitantes, tum consequentes). Es ergeben sich hamartiologische Bezüge, von denen die Schöpfungslehre nur um den Preis der Abstraktion absehen kann. So bestätigt sich, was bereits gesagt wurde: Konkretes Subjekt der Theologie ist nach König der gefallene Mensch, der zu Gott zurückgeführt werden muss. Theologisch in Betracht kommt der Mensch mithin vor allem als Sünder. Vom Zustand seiner Unschuld und kreatürlichen Gottebenbildlichkeit wird unter dem Gesichtspunkt des terminus a quo des Sündenfalles, also immer schon unter Bezug auf diesen gehandelt. Dies muss bedacht sein, um den Stellenwert der Lehre vom status integritatis und von der urständischen imago Dei nicht falsch einzuschätzen. Der dreieinige Gott hat durch das erste seiner nach Das Menschengeschöpf außen gerichteten Werke in der Freiheit seiner göttlichen Allmacht teils unmittelbar aus dem Nichts, teils mittels der Materie, die er „ex nihilo pure negativo“ (I,164) schuf, die Welt zum Zweck seiner Ehre und zum Nutzen des Menschen ins Sein gerufen. Der ursprüngliche Zustand der Schöpfung war ganz und ohne Einschränkung gut. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Engel als auch in Bezug auf die Menschen, die beide unter den Werken der Hände Gottes den ersten Platz einnehmen. Als körperlose Geistwesen waren die Engel in statu originali allesamt heilig und mit der ihnen zukommenden Einsicht in die göttliche Wahrheit ausgestattet. Obwohl „indifferentes . . . ad bonum et malum morale“ (I,188) hatte die „inclinatio ad bonum“ (ebd.) in ihnen doch dergestalt die Oberhand, dass jede „potentia peccandi naturalis et proxima“ (ebd.) gänzlich abwesend war. Auch der Mensch als das andere der beiden edelsten Geschöpfe war, obwohl keine rein geistige Substanz, sondern seinem kreatürlichen Wesen nach eine leibhafte Seele, ursprünglich gut und zwar insgesamt und in Gestalt beider Geschlechter. Die Vernunft des prälapsarischen Menschen stand in exzellenter Übereinstimmung mit ihrer gottebenbildlichen Bestimmung sowohl hinsichtlich ihres Verstandes, als auch ihres Willens und ihres appetitus sensitivus. Entsprechendes galt für den menschlichen Leib, der durch die vernünftige Seele seine innere Form gewinnt und vor dem Fall in allem ihren verständigen, willentlichen und sinnesbezogenen Vollkommenheiten korrespondiert. Der beseelte Leib des prälapsarischen Menschen war deshalb zwar nicht apathisch, aber doch leidenslos im Sinne konkreter Abwesenheit von Leid und mit einer zwar nicht absoluten, aber doch geordneten, an bestimmte von Gott eingesetzte Mittel gebundenen Unsterblichkeit versehen. Auch war es ihm gegeben, sein dominium terrae in Übereinstimmung mit der Macht und Erhabenheit des Schöpfers wahrzunehmen. Kurzum: Vor dem Fall der Sünde war der Mensch als die differenzierte Leib-Seele-Einheit, als welche er geschaffen ist, gut und Gottes vollkommenes Ebenbild, das sich in einer vorzüglichen Übereinstimmung mit Gottes Weisheit, Gerechtigkeit, Erhabenheit und Unsterblichkeit befand, die ihm anerschaffen war, damit er Gott vollkommen erkenne, liebe und verherrliche.

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Zwar war die ursprüngliche Vollkommenheit von Seele und Leib des Menschen König zufolge insofern nicht absolut, als sie nicht grundsätzliche und allseitige Sündenunfähigkeit, sondern nur das Fehlen eines wie auch immer gearteten schöpfungsbedingten Vermögens zu sündigen einschloss. Da dieses Fehlen aber gänzlich war, kann der status integritatis perfekt, wenn auch nicht vollendet im Sinne absoluter Vollkommenheit genannt werden. Dies wird durch den akzidentellen Gebrauch des Wortes Gottebenbildlichkeit in der Lehre vom Menschengeschöpf nicht falsifiziert. Gottebenbildlichkeit ist zwar eine veränderliche und verlierbare, aber gleichwohl eine Qualität des Menschen, die konstitutiv und wesentlich zu seinem kreatürlichen Ursprungstatus gehört. Der Fall der Sünde kann daher weder aus der Geschöpflichkeit des Menschen noch aus der ursprünglichen Verfassung der Schöpfung insgesamt oder gar aus dem Schöpfer selbst abgeleitet werden; Faktum ist er nach König gleichwohl.

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6. Kants Kopernikanische Wende

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unparteiische Erinnerung an Immanuel Kants Philosophie, in: W. Thiede (Hg.), Glauben aus eigener Vernunft? Kants Religionsphilosophie und die Theologie, Göttingen 2004, 11–66.

Die platonischen und aristotelischen Kosmologien Geozentrisches und waren geozentrisch angelegt. Nach Maßgabe des heliozentrisches Weltbild geozentrischen Weltsystems, das „in den letzten vier vorchristlichen Jahrhunderten als Resultat einer Jahrhunderte währenden Himmelsbeobachtung“ (Hamel, 134) entstanden ist, sind die Himmelkörper, die als kugelförmig vorgestellt werden, „in gleichförmiger Kreisbewegung um die ebenfalls kugelförmige Erde begriffen“ (Hamel, 135). Benannt wurde der Geozentrismus nach dem im zweiten Drittel des 2. Jhds. n. Chr. in Alexandrien wirkenden Naturforschers Klaudios Ptolemaios (um 100 – ca. 160/70 n. Chr.), dessen astronomische Werke das antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Weltbild bis ins 17. Jahrhundert hinein prägten. Ptolemaios zufolge fällt das Zentrum des Kosmos näherungsweise mit dem Erdzentrum zusammen. Die Sonnenbewegung und die Bewegungen aller Planeten beschreiben geozentrische Kurven „um die als ruhend oder um ihre Achse rotierend gedachte Erde“ (Mittelstrass, Sp.1708). In modifizierter Form wurden das ptolemäische Weltsystem und sein kosmologischer Geozentrismus noch von dem dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546–1601) und seinen Schülern vertreten. Im Tychonischen System kreisen Sonne und Mond um die den Weltmittelpunkt markierende Erde, während die übrigen Planeten die Sonne umrunden. Zum Begründer eines konsequent heliozentrischen Weltbildes wurde der ein Jahrzehnt vor Luther geborene und drei Jahre vor ihm verstorbene Astronom Nikolaus Kopernikus (1473–1543), seit 1497 Mitglied des ermländischen Domkapitels zu Frauenberg. Nach seiner kosmologischen Auffassung steht die Sonne im Mittelpunkt kreisförmiger Planetenbahnen, deren eine die Erde beschreibt, die sich täglich einmal um ihre Achse dreht und ihrerseits vom Mond umkreist wird. In dem erst in seinem Todesjahr erschienenen Hauptwerk über die Umläufe der Himmelskörper hat Kopernikus die Grundlagen des nach ihm benannten Weltbilds im Einzelnen entfaltet. Verbleibende Unvollkommenheiten seiner Planetentheorie wurden von Johannes Kepler (1571–1630) beseitigt, der unter Rückgriff auf Beobachtungen Brahes die Gesetze der Gestirnsbewegungen zu erheben vermochte und zu ihrer genauen Berechnung gelangte (vgl. im Einzelnen Gingerich). Nach Maßgabe der Keplerschen Gesetze bewegen sich die Planeten in Ellipsen, deren einen Brennpunkt die Sonne bildet. Die jeweilige Verbindungslinie von Sonne und Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen, wobei sich die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten wie die Kubikzahlen ihrer mittleren Entfernung von der Sonne verhalten. Zum Newtonschen Gravitationsgesetz, demzufolge bei punktförmig gedachten Massen die Anziehungskraft K proportional dem Produkt der beiden Massen m1 und m2 und umgekehrt proportional dem Quadrat ihrer Entfernung r ist, stehen die Keplerschen Gesetze in einer Herleitungsbeziehung, die wechselseitig ist. So jedenfalls kann man es in einschlägigen Lehrbüchern lesen.

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Für Kopernikus selbst beinhaltete die Wende von der Geozentrik zur Heliozentrik keine Marginalisierung der Stellung des Menschen im Kosmos. Sie war im Gegenteil von der „anthropozentrischen“ Überzeugung getragen, dass die Welt, wie es in der Widmungsschrift der sechs Bücher „De revolutionibus orbium caelestium“ an Papst Paul III. hieß (vgl. Kopernikus, 3–7), von Gott um des Menschen willen geschaffen sei und deshalb keine der menschlichen Vernunft prinzipiell transzendenten Wirklichkeiten enthalten dürfe: Die gottgeschaffene Welt des Menschen ist nach Kopernikus in sich eins, für den vernunftbegabten „contemplator caeli“ rational durchsichtig und nicht etwa durch einen Dual von sublunar-verständnisoffener und supralunar, lediglich hypothetisch-vermutungsweise zugänglicher Welt gekennzeichnet, wie das beispielsweise in Teiltraditionen der averroistischen Kosmologie der Fall war. Um es zugespitzt zu formulieren: Im Gegensatz zu Formen dualistischer Kosmologie stellte die wissenschaftliche Alternative von Geozentrismus und Heliozentrismus für Kopernikus keine weltanschauliche Differenz von theologisch-philosophischer Grundsatzbedeutung dar. Worauf es ihm grundsätzlich ankam, war das Prinzip rationaler Erforschbarkeit des Kosmos in seiner einheitlichen Gesamtheit durch die gottgegebene Menschenvernunft. Anthropozentrismus und Heliozentrik schlossen sich in diesem Sinne keineswegs aus. Der Mensch kompensierte den Verlust seiner Zentralstellung im Raum durch ein Selbstverständnis, das mehr und mehr sein erkennendes Ich zur inneren Mitte des Kosmos und zur Grundlage aller Theorie und Praxis werden ließ. Dass er dieses Ich religiös fundiert wusste, darf in der Regel vorausgesetzt werden. Generell und trotz aller Abweichungen von der offiziellen Kirchenlehre gilt: „The Emergence of a Scientific Culture“ (vgl. Gankroger) und die Gestaltannahme der Wissenschaften in der werdenden Moderne waren weniger durch religöse Brüche als durch Motive bestimmt, die selbst der Religion zugehörten. Nachgerade Isaac Newton hat sich wiederholt zu den theologischen Prämissen und Implikationen seiner Mechanik bekannt (vgl. Funkenstein). Die der neuen Astronomie des Kopernikus zugehörige Physik entwickelte nach Vorarbeiten Galileo Galileis, der bekanntlich in Konflikt mit seiner Kirche geriet und von der Inquisition inhaftiert wurde (vgl. McMullin [Ed.]), insbesondere besagter Newton, der Begründer der klassischen Mechanik. In einem Studentenbonmot wurde er einst als der Mann bezeichnet, welcher ein Buch geschrieben habe, das weder er selbst noch irgend jemand sonst verstehe. Gemeint waren die „Principia Mathematica“ (London 1687, 21713, 31726), also jene Schrift, „die eine Zusammenfassung der Mechanik des 17. Jahrhunderts und deren Ausbau zu einem geschlossen System bietet“ (Schneider, 203). Ihr Titel erinnert an die 1644 veröffentlichten Principia Philosophiae von Descartes. Newtons Principia entwickeln eine umfassende Bewegungslehre, um auf der Grundlage der Gravitationstheorie die Probleme der Himmelsphysik einer Lösung zuzuführen. Der Newtonianismus wurde für die physikalische und astronomische Vorstellungswelt von Generationen bestimmend, „bis sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentliche Grundlagen – wie absoluter Raum und absolute Zeit oder das Kon-

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zept der Fernkraftwirkung vor allem im Licht der von Maxwell entwickelten Nahwirkungstheorie des elektromagnetischen Feldes – als problematisch und schließlich als nicht mehr haltbar erwiesen“ (Schneider, 211). Der neuerliche Wandel im physikalischen Weltbild ist mit Namen wie Bohr, Einstein, Heisenberg, Rutherford und Planck und mit Theoriemodellen wie Allgemeine und Spezielle Relativitätstheorie und Quantenmechanik verbunden. Zu den Innovationen der neuesten Zeit gehört das Quantenmodell der subatomaren Elementarteilchen. Das wachsende Verständnis ihrer Wechselwirkungen, ohne die ihre jeweilige Eigenart nicht zu fassen ist, darf als „das herausragende Ereignis in der Physik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (Fritzsch, 421) gelten. Zurück zu Kopernikus: Seine Wirkung auf AstKopernikanische ronomie und Physik war nachhaltig, die kirchliMetaphorik chen und theologischen Reaktionen auf sein kosmologisches Werk vielfältig und teilweise gegensätzlich. Die Rezeptionsgeschichte in ihren Stationen nachzuzeichnen, würde zu weit führen. Festgehalten sei lediglich, dass die Ablösung des Geozentrismus durch das Kopernikanische System nicht per se als jener grundstürzende weltanschauliche Paradigmenwechsel wahrgenommen werden musste und wahrgenommen wurde, zu welchem der Wandel unter Abstraktion von seiner Allmählichkeit im Laufe der Zeit stilisiert wurde. Zur absoluten Metapher im Sinne Hans Blumenbergs und zur Bezeichnung eines paradigmatischen Orientierungsumschwungs im Gottes-, Welt- und Selbstverständnis des Menschen wurde der Ausdruck „Kopernikanische Wende“ erst in der nachkopernikanischen Zeit (vgl. Blumenberg). Dabei bleibt, was der Ausdruck expliziert, unbeschadet seiner prinzipiellen Bedeutung, ambivalent und wird unterschiedlich gedeutet. Einerseits kann die Kopernikanischen Wende pejorisiert und mit einem – Unendlichkeitsgrauen erregenden – kosmischen Nihilismus assoziiert werden; die religiöse Verpflichtung auf den Geozentrismus war nicht selten eine Reaktion hierauf. Andererseits kann sie mit dem Nimbus des aufgehenden Lichts der Aufklärung versehen und als Großtat humaner Entdeckerfreude und Geistesmacht gedeutet werden, welche den Menschen nicht verkleinere oder erniedrige, sondern in vormals ungeahnte Höhen erhebe. Wie auch immer: Das metaphorisierte Bild des Kopernikus darf mit dessen historischer Gestalt nicht gleichgesetzt werden. „Kopernikanisches Pathos und kopernikanische Resignation haben beide mit der kopernikanischen Reform als einem theoretisch-astronomischen Werk nichts zu tun. Beide nehmen die Leistung des Kopernikus nicht als Erkenntnis, sondern als absolute Metapher: als ambivalentes Orientierungsmodell für die Rangindikation des Menschen in der Welt.“ (Dienst, Sp.1098) Zwischen den wissenschaftlichen Forschungsergebnissen des Kopernikus und ihrer metaphorischen Deutung ist wenn auch nicht strikt zu trennen, so doch sorgfältig zu unterscheiden. Entsprechend differenziert ist zu verfahren, wenn die Rede von der Kopernikanischen Wende mit Immanuel Kant in Verbindung gebracht wird. Dieser Bezug ist von diesem selbst insofern nahegelegt, als er die Einsicht in die Subjektbestimmtheit der Gegenstandserkenntnis mit der durch

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Kopernikus erschlossenen vergleichen konnte, derzufolge sich die Erde um die Sonne dreht. Als tertium comparationis fungierte der Paradigmenwechsel, der mit beiden Erkenntnissen vollzogen wurde. Vergleichbar mit dem Abrücken des Kopernikus „vom natürlichen Standpunkt des Subjekts zu seinem Gegenstand, der Sonnen- und Planetenbewegung“ (Höffe, 55), erschließt Kant „eine neue Stellung des Subjekts zur Objektivität. Die Erkenntnis soll sich nicht länger nach dem Gegenstand, sondern der Gegenstand nach unserer Erkenntnis richten.“ (Ebd.) Zwar bedarf es zur Gegenstandserkenntnis sinnlicher Rezeptivität und empirischer Wahrnehmung, aber zugleich der Konstruktivität verständiger und vernünftiger Freiheit. Diese ist „nicht naturalisierbar“ (vgl. Wendel), weil sie Erfahrungen macht und nicht lediglich hinnimmt. Der Kopernikanischen Wende, wie sie die Schrift „De revolutionibus orbium caelestium“ dokumentiert, entspricht die Revolution der Denkungsart, welche die Kantsche Erkenntnistheorie zu vollziehen beansprucht. Doch lässt sich dem Kontext, in dessen Zusammenhang der Vergleich vorgenommen wurde, unschwer entnehmen, dass Kant die erkenntnistheoretische Wende, die sich mit seinem Denken verbindet, weniger revolutionär als vielmehr evolutionär herbeigeführt sah. Im Zuge ihrer wiederholten Experimente sei den Naturforschern im Gefolge von Kopernikus, Galilei und anderen allmählich ein Licht aufgegangen, dass sie einsehen ließ, die Vernunft vermöge nur das wirklich zu begreifen, was sie selbst nach ihren Entwürfen zugleich hervorbringe. „Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt. Und so hat sogar die Physik die so vorteilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemäß, dasjenige in ihr zu suchen (nicht ihr anzudichten), was sie von dieser lernen muß, und wovon sie für sich selbst nichts wissen würde. Hierdurch ist die Naturwissenschaft allererst in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, da sie so viel Jahrhunderte durch nichts weiter als ein bloßes Herumtappen gewesen war.“ (Kant, KrV B XIIIf.; Kursivierung wurde nicht wiedergegeben) Physik als Basiswissenschaft der Natur ist empirische Wissenschaft, die durch Experimente fundiert wird. Sie kann aber als experimentell operierende Erfahrungswissenschaft der logisch-mathematischen Konstruktionen in Form arithmetischer Berechnungen, geometrischer Strukturbildungen etc. nicht entbehren und bleibt angewiesen auf Anschauungsformen, Verstandeskategorien und Begriffe theoretischer Vernunft, die sich nicht aposteriorisch herleiten lassen, sondern von apriorischer Gültigkeit sind. Ist Naturwissenschaft als reine Vernunfterkenntnis, die zwar auf empirische Anwendung hingeordnet ist, ohne doch angewandte Wissenschaft mit entsprechenden aposteriorischen Gehalten zu sein, überhaupt mög-

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lich? Kant bejaht diese Frage, indem er die Möglichkeit synthetischer Urteile vor aller Erfahrung behauptet. Zwar sind synthetische Urteile a priori nur wirklich in Beziehung auf mögliche Erfahrung; gleichwohl gehen sie jeder Erfahrung insofern voraus, als sie die Bedingungen der Erfahrbarkeit von Gegenständen überhaupt formulieren. In seiner Schrift „Metaphysische Anfangsgründe Metaphysische Anfangsder Naturwissenschaft“ von 1786 hat Kant Grundgründe der züge rationaler Naturwissenschaft als reiner VerNaturwissenschaft nunfterkenntnis zu entwickeln versucht (vgl. Irrlitz, 288 ff.). Thema der Metaphysik der Natur sind die formalen Grundsätze der Notwendigkeit dessen, was zum Dasein eines Dinges vor aller realen Gegenstandserfahrung gehört. Dabei sind vom Dingbegriff zunächst alle Assoziationen spezifischer Körperlichkeit fernzuhalten. Der Dingbegriff soll anfänglich nichts als reines Sein im Sinne unbestimmter Materie bezeichnen, ein bloßes Etwas, das im Begriffe steht, Gegenstand äußerer Sinne zu werden oder doch werden zu können. Damit sich dieses ermögliche, ist nach Kant Bewegung in Anschlag zu bringen. Bewegung muss die formale Grundbestimmung eines materialen Etwas sein, das Gegenstand sinnlicher Sinnerfahrung sein soll, weil durch Bewegung allein die äußeren Sinne affiziert werden können. Metaphysik der Natur ist infolgedessen reine Bewegungslehre. Von der angewandten unterscheidet sich die reine Bewegungslehre dadurch, dass sie Bewegung als Grundbestimmung der Materie nach Maßgabe reiner Verstandesbegriffe, also in kategorialer Apriorität denkt. Entsprechend bilden die Kategorien in ihren vier Klassen der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität die elementaren Bestimmtheitsweisen apriorischer – in ihrer reinen Rationalität nicht nur von der Physik, sondern auch noch von der angewandten Mathematik abgehobenen – Naturwissenschaft. „Die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft sind also unter vier Hauptstücke zu bringen, deren erstes die Bewegung als ein reines Quantum, das in der Zusammensetzung, ohne alle Qualität des Beweglichen, betrachtet, und Phoronomie genannt werden kann, das zweite sie als zur Qualität der Materie gehörig, unter dem Namen einer ursprünglich bewegenden Kraft, in Erwägung zieht, und daher Dynamik heißt, das dritte die Materie mit dieser Qualität durch eigene Bewegung gegeneinander in Relation betrachtet, und daher unter dem Namen Mechanik vorkommt, das vierte aber ihre Bewegung oder Ruhe bloß in Beziehung auf die Vorstellungsart, oder Modalität, mithin als Erscheinung äußerer Sinne, bestimmt, und Phänomenologie genannt wird.“ (Kant, Metaphysische Anfangsgründe, A XXf.; bei K. teilweise gesperrt) Grundgelegt ist die formale Basis rein rationaler Naturwissenschaft und ihrer Einteilung in Kants Logik, welche die bloße Form des Denkens und dessen wesentliche Regeln in Begriff, Urteil und Schluss zum Thema hat. Die logische Elementarlehre von den Begriffen als den von den Einzelvorstellungen der Anschauung unterschiedenen reflektierten oder allgemeinen Vorstellungen, durch welche zu erkennen im ursprünglichen Sinne denken heißt, unter-

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scheidet Materie und Form, Empirizität und Reinheit, Aposteriorität und Apriorität der Begriffe, um des Weiteren nach ihrem logischen Ursprung etc. zu fragen. Die Logik des Urteils als der Vorstellung der Einheit des Bewusstseins verschiedener Vorstellungen differenziert die logischen Formen der Urteile nach Quantität, Qualität, Relation und Modalität, wobei die Urteile der Quantität nach entweder allgemeine, besondere oder einzelne, der Qualität nach bejahende, verneinende oder unendliche, der Relation nach kategorische, hypothetische oder disjunktive, der Modalität nach problematische, assertorische oder apodiktische sind. Die Logik des Schließens endlich als derjenigen Funktion des Denkens, kraft derer ein Urteil aus einem anderen hergeleitet wird, differenziert Verstandesschlüsse, Vernunftschlüsse und Schlüsse der Urteilskraft. „Die Verstandesschlüsse gehen durch alle Klassen der logischen Funktionen des Urteilens, und sind folglich in ihren Hauptarten bestimmt durch die Momente der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität.“ (Kant, Logik, § 45) Die Vernunftschlüsse als Erkenntnisse der Notwendigkeit eines Satzes durch die Subsumtion seiner Bedingungen unter eine gegebene Regel werden in kategorische, hypothetische und disjunktive unterschieden. Die Schlüsse der (reflektierenden) Urteilskraft, die vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreitet, sind durch Induktion oder Analogie bestimmt und nützlich für die Erweiterung der Erfahrungserkenntnis, ohne mehr als empirische Gewissheit vermitteln zu können. Bleibt hinzuzufügen, dass die Momente, durch welche die Hauptarten verständigen Schließens nach Maßgabe der logischen Urteilsformen bestimmt sind, nach Kant zugleich als die Gliederungsmomente rein rationaler, apriorisch verfasster Naturwissenschaft zu gelten haben. Die Phoronomie oder Kinematik als erster Teil Phoronomie, Dynamik und apriorischer Naturwissenschaft legt der Materie Mechanik keine andere Eigenschaft bei als Beweglichkeit, ohne verursachende Kräfte zu berücksichtigen. Wenn in ihrem Zusammenhang gleichwohl gelegentlich von Körpern die Rede ist, so geschieht dies nach Kant nur, „um die Anwendung der Prinzipien der Phoronomie auf die noch folgende bestimmtere Begriffe der Materie gewissermaßen zu antizipieren, damit der Vortrag weniger abstrakt und faßlicher sei“ (Kant, Metaphysische Anfangsgründe, A 2). In Bezug auf den kinematischen Grundsatz Kants, wonach Materie das Bewegliche im Raume sei, ist daher von allen Qualitätsbestimmungen des Beweglichen zu abstrahieren und Bewegung als reines Quantum aufzufassen. Was hinwiederum den Raum betrifft, so ist er materieller und relativer Raum dann zu nennen, wenn er selbst beweglich ist. Als solcher ist er Thema metaphysischer Phoronomie. Hingegen fungiert der Begriff des reinen oder absoluten Raumes, in dessen Unbeweglichkeit alle Bewegung zuletzt gedacht werden muss, lediglich als Grenzbegriff, der auf ein grenzenlos Immenses verweist, das den Horizont aller Raumbewegung bildet, ohne als für sich gegeben angenommen werden zu können. „Der absolute Raum ist also an sich nichts und gar kein Objekt, sondern bedeutet nur einen jeden andern relativen Raum, den ich mir außer dem gegebenen jederzeit denken kann, und den ich nur über jeden gegebenen ins Unendliche hinausrücke, als

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einen solchen, der diesen einschließt und in welchem ich den ersteren als bewegt annehmen kann.“ (Kant, Metaphysische Anfangsgründe, A 3 f.; bei K. teilweise gesperrt.) Die These der transzendentalen Ästhetik in Kants Kritik der reinen Vernunft, dass nämlich der Raum die apriorische Form aller durch materielle Bewegung initiierten Sinneserfahrung sei, gehört in diesen Zusammenhang, ohne durch ihn bereits hinreichend erklärt zu werden. Im Unterschied zur rein quantitativ operierenden Kinematik bedenkt die Dynamik Materie qualitativ als das Bewegliche, sofern es einen Raum erfüllt. „Einen Raum erfüllen heißt allem Beweglichen widerstehen, das durch seine Bewegung in einen gewissen Raum einzudringen bestrebt ist.“ (Kant, Metaphysische Anfangsgründe, A 31; bei K. teilweise gesperrt.) Dynamisch ist die Raumerfüllung der Materie deshalb, weil sie nicht durch deren bloße Existenz, wie Kant sagt, sondern durch eine besondere bewegende Kraft geschieht. Auf diesen ersten Lehrsatz seiner Dynamik ist alles bezogen, was Kant über die Bestimmtheit materieller Bewegungszustände durch Abstoßung- und Anziehungskräfte nach Maßgabe der Qualitätskategorie entwickelt. Die vermöge eigentümlicher Bewegungskräfte raumerfüllende Materie relational, also beziehungsweise zu thematisieren, ist Aufgabe der Mechanik, in deren Durchführung der Körperbegriff erst das ihm eigentümliche Format annimmt, insofern dem Begriff der bewegenden Kraft derjenige der trägen Masse zugeordnet wird, um Wirkung und Gegenwirkung ins entsprechende Verhältnis zu setzen. Ist die apriorische Mechanik die Elementarwissenschaft rationaler Körperlehre, so bedarf sie gleichwohl der Ergänzung durch die sog. Phänomenologie als dem vierten und letzten Hauptstück der Metaphysik körperlicher Natur, sofern Körper in Bewegung und Ruhe als Erscheinungsgegenstände äußerer Sinne in Betracht zu ziehen sind, sollen sie überhaupt erkannt werden. Von Materiebewegung ist daher zuletzt nach Maßgabe der Modalitätskategorie in Beziehung auf denkbare Vorstellungen zu handeln entsprechend der Devise: „Materie ist das Bewegliche, so fern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann.“ (Kant, Metaphysische Anfangsgründe, A 138) Aus der Bestimmung der Modalität der Bewegung der Materie, wie Kant sie unter Rückbezug auf Phoronomie, Dynamik und Mechanik gemäß ihrer Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit vornimmt, ergibt sich, dass Bewegung stets nur als relative, nie als absolute Größe Gegenstand der Erfahrung sein kann. Mögliches Erfahrungsobjekt ist absolute Bewegung ebenso wenig wie der absolute Raum, der als Grenzgedanke einer Metaphysik der Natur zwar vernunftnotwendig und unvermeidlich ist, aber nichts weiter markiert als eine bloße Idee, der kein Erfahrungsgegenstand berechtigterweise assoziiert werden kann, da Raum ohne Materie nicht erfahrbar ist. Der absolute Raum ist demgemäß nicht ein Begriff von einem Wirklichen, sondern eine Vernunftidee mit der regulativen Funktion, alle Bewegung und Ruhe als relativ und in ihrer Relativität in der Unbewegtheit des absoluten Raumes vereint zu betrachten. Indem sie das absolute Ganze aller Raumbewegungszusammenhänge zu identifizieren sucht, stiftet die Idee des absoluten Raumes jene Einheit der Empirie materieller Raumbewegung, welche nicht

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entbehrt, aber ebensowenig zum Gegenstand möglicher Erfahrung gemacht werden kann. In dem nach Prinzipien geordneten Ganzen der Kritik metaphysischer Erkenntnis, das Kant System nennt, nimmt die Kosmologie Wissenschaft von der Natur als dem materialen Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstand sinnlicher Erfahrung sein können, eine Basisstellung ein. Gegenstand der äußeren Sinne sind res extensae, also Dinge ausgedehnter Natur, wie sie vermöge der apriorischen Anschauungsformen des Raumes erfasst werden. Auf diesen Bereich ist die Naturwissenschaft im eigentlichen Sinne bezogen. Sie ist Körperlehre und rationale Wissenschaft stricte dictu dann, wenn sie die äußeren Sinnesgegenstände nicht lediglich empirisch umschreibt und nach bloßen Erfahrungsgesetzen ordnet, sondern die Gesetze aller möglichen Gegenstandserfahrung durch äußere Sinne apriorisch zur Erkenntnis bringt. Welche Bedeutung im Unterschied und im Verhältnis zum äußeren, dem inneren Sinn und dem Zusammenhang damit der Psychologie Kants zukommt, ist im Kontext der Zeitlehre der „Kritik der reinen Vernunft“ bereits ansatzweise erörtert worden (vgl. Bd. 1, 140 f.). Bevor die dort gegebenen Hinweise anhand der Kant’schen „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ ergänzt und vertieft werden sollen (vgl. Foucault), sei die Kritik in Erinnerung gerufen, die Kant der metaphysischen Kosmologie und ihrem Weltbegriff in der Dialektik seines theoretischen Hauptwerks hat zuteil werden lassen. Bei der Ausbildung des Begriffs der Welt als der Bezeichnung der absoluten Totalität in der Synthesis der Bedingungen aller möglichen Dinge gerät die Vernunft in eine Aporie, die in einer vierfachen Antithetik manifest wird. Um nur den ersten Widerstreit der den Kosmos betreffenden Denkannahmen zu benennen. Er besteht nach Kant zwischen der Behauptung einer räumlichen Begrenzung der Welt und ihrer räumlichen Unendlichkeit sowie eines behaupteten zeitlichen Anfangs und der Bestreitung desselben im Sinne der Anfanglosigkeit der Welt. Verantwortlich für die Aporie und ihre scheinbare Unlösbarkeit ist nach Kant die irreführende und fälschliche Annahme, die Welt als Inbegriff aller Erscheinungen sei ein an sich existierendes Ganzes, das sich als solches tatsächlich oder jedenfalls der Möglichkeit nach in Erfahrung bringen lasse, was prinzipiell nicht der Fall sein könne. Werde eingesehen, dass von der Weltidee kein objektiver, sondern nur ein regulativer Gebrauch zu machen sei, dann lösten sich mit der ersten zugleich alle weiteren kosmologischen Antinomien auf, und es werde klar, dass die Weltidee nur für die regressive Synthesis in der Reihe der Erscheinungen, nicht aber für ein Ding an sich selbst stehe. Die Bedeutung der mit Kants Denken verbundenen Kopernikanischen Wende für sein eigenes Werk erhellt, wenn man die Kritik der Kosmologie rationaler Metaphysik, wie sie in der „Kritik der reinen Vernunft“ vorliegt, beispielsweise mit dem „Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes“ vergleicht, den der sog. vorkritische Kant in der 1755 erschienen Schrift über „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ unternom-

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men hat (vgl. Irrlitz, 70 ff., bes. 83 ff.). Das Werk folgt, wie es im Titel ihrer Originalausgabe heißt, den Prinzipien der Newtonschen Weltwissenschaft, deren Grundbegriffe eingangs skizziert werden. Inhaltlich zentral ist der von Erwägungen zum Fixsternhimmel und zu den Bewohnern der Gestirne umrahmte zweite Teil, in welchem Kant die Bildung der Weltkörper und den Ursprung ihrer Bewegungen aus dem ersten Zustand der Natur durch mechanische Gesetze herzuleiten und das Systematische zu ergründen sucht, welches, wie es heißt, „die großen Glieder der Schöpfung in dem ganzen Umfange der Unendlichkeit verbindet“ (Kant, Versuch, A IX). Den ersten Naturzustand in seiner einfachsten Verfassung und Ursprung Verfassung, welche dem schieren Nichts folgt und des Weltgebäudes allen Differenzierungen vorhergeht, die sich erst des Weiteren ausbilden, findet Kant in bewusstem Anschluss an Traditionen antiker Naturphilosophie „in der allgemeinen Zerstreuung des Urstoffs aller Weltkörper, oder der Atomen“ (Kant, Versuch, A XXIV), wodurch ein Raumfeld reiner Möglichkeit und schierer Energie entsteht. Damit sich aus der indifferenten Potenz des Allchaos in seiner universalen Materiezerstreuung eine Grundordnung der Natur ausbilde, müssen nach Kant lediglich zwei in ihrem Gegensatz aufeinander bezogene materielle Urkräfte wirksam werden, nämlich die Kraft der Anziehung und diejenige der Zurückstoßung. Mit Newton seien beide als „gleich gewiß, gleich einfach und zugleich gleich ursprünglich und allgemein“ (Kant, Versuch, A XLVII) in Anschlag zu bringen. Aus dem wechselseitigen Zusammenwirken beider Grundkräfte lasse sich auf rein mechanische Weise der Ursprung des Kosmos und der geordneten Welt der Gestirne erklären, in welcher die Planeten ihre festumschriebenen Bahnen ziehen. Nach ersten Regungen der Anziehungskraft geraten die durch den ganzen Weltraum zerstreuten Elemente der Urmaterie in Bewegung, und in dem Punkte der stärksten Attraktion bilden sich primitive Urkörper aus, die durch Repulsion zueinander in Beziehung treten, um mikro- und makrokosmische Zirkularbewegungen von Teilchen um einen Kern bzw. von Planeten um einen Zentralkörper zu initiieren und zu generieren. Alles Weitere ergibt sich hieraus, um nach dem mechanischen Gesetz seines Zustandekommens erhalten sowie regelrecht gelenkt und geleitet zu werden. Dem Vorhalt derer, denen eine mechanistische Rekonstruktion der Kosmogenese und eine Weltordnungserklärung nach Maßgabe reiner Naturgesetzlichkeit als Leugnung göttlichen Schöpfungshandelns gilt, begegnet Kant bereits in der Vorrede seiner Abhandlung mit dem physikotheologischen Argument, dass nachgerade die naturgesetzmäßige Entwicklung von einem indifferenten Weltenchaos hin zu einem wohlgeordneten Ganzen, welches der Kosmos in seiner differenzierten Einheit darstelle, auf das planvolle Wirken eines obersten Werkmeisters schließen lasse. Weit davon entfernt, die Existenz des göttlichen Schöpfers zu falsifizieren, sei es gerade die mechanische Notwendigkeit, mit der sich die Gestaltwerdung der Materie vollziehe, sowie die gesetzliche Determiniertheit der natürlichen Erhaltungsordnung der Welt, welche das Walten des schöpferischen Geistes auf

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verständige und vernünftige Weise beglaubige. Kurzum: Die Mechnik, gemäß derer der natürliche Kosmos konstituiert worden sei und erhalten werde, sei an sich selbst „das herrlichste Zeugnis“ (Kant, Versuch, A XXIII) eines vernünftig und mit verständigem Willen waltenden Urwesens und der grundlegenden Abhängigkeit der gesamten Welt von ihm. Dass der Urstoff, aus dem alle Dinge sind, trotz der Indifferenz seines Beginnens, die ans Nichts grenzt und nichts als reine Leere und Nichtigkeit zu sein scheint, Geordnetes aus sich hervorzubringen gesetzmäßig genötigt ist, stellt nach Kant den überzeugendsten Beweis des Daseins Gottes dar: „es ist ein Gott eben deswegen, weil die Natur auch selbst im Chaos nicht anders als regelmäßig und ordentlich verfahren kann.“ (Kant, Versuch, A XXIX; bei K. gesperrt) Das der materiellen Natur bzw. der natürlichen Materie zukommende Vermögen, sich aus einer chaotischen Unbestimmtheit, in der alles möglich und nichts Bestimmtes real ist, zur vollkommenen Ordnung des Kosmos fortzuentwickeln, ist für Kant ein überzeugender Beweis göttlicher Existenz. Vor seiner Kopernikanischen Wende zur Transzendentalphilosophie, die, bevor sie bestimmte Aussagen macht, stets nach den Bedingungen von deren Möglichkeit fragt, führte Kant die theontologische Tradition rationaler Gottesbeweise auf seine Weise ebenso fort wie die kosmologische Überlieferung, welche objektive Vernunftauskünfte über den Uranfang der Welt und die Genese ihrer Ordnung zu geben beanspruchte. So sind der Raum und die Ursprungsmaterie, die seine Leere virtuell erfüllt, um ihn eine – vom schieren Nichts unterschiedene – Lokalität reiner Möglichkeit sein zu lassen, nach seinem damaligen Urteil zwar Abstraktionsgebilde, dennoch Gegebenheiten, denen eine Art von Objektivität zukommt. Wohl lässt sich der Weltanfang nicht eigentlich chronologisch-temporär bestimmen, da die Materie in dem Bestreben, ihre Kräfte auszubilden, die Leere des Raumes in Attraktion und Repulsion sofort energetisch erfüllt hat, um die Ruhe des Alls, wie es so schön heißt (vgl. A 29), augenblicklich und mit einem Schlag zu beseitigen, der sich wie ein Urknall angehört haben muss: Der erste Moment kosmischen Beginnens lässt sich also zeitlich kaum fassen. Dennoch nennt ihn Kant einen Anfang. Gemäß der Dialektik seiner Kritik der reinen Vernunft kann davon nicht länger die Rede sein. Die Idee der Welt ist nicht objektiv, sondern lediglich regulativ zu gebrauchen; damit erledigen sich Fragen wie etwa diejenige nach einem Anfang oder Nichtanfang des Kosmos. Methodisch vergleichbar wird mit der Psychologie traditioneller Metaphysik verfahren. Wie von der Weltidee so kann gemäß Kants Kritik Kritik traditioneller der theoretischen Vernunft auch von der Idee der Seelenmetaphysik Seele kein objektiver, sondern nur ein regulativer Gebrauch gemacht werden (vgl. Barth). Die traditionelle Metaphysik der Seele als einer immateriellen und immortalen Substanz hat nach seinem Urteil aus Gründen, die im Einzelnen bereits dargelegt wurden (vgl. Bd. 1, 143 f.), als obsolet zu gelten. Ihr Grundfehler liege darin, die Einheit des Bewusstseins zu objektivieren und das „Ich denke“, das alle möglichen und tatsächlichen Vorstellungen begleiten muss, selbst auf gegenständliche Weise vorstellig zu machen, obwohl das die Ein-

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heit des Bewusstseins identifizierende Ichsubjekt allein transzendentale Bedeutung habe und bloße Einheit im Denken bezeichne – ohne jede gegebene Anschauung, auf welche Verstandesbegriffe Anwendung finden können. Als Bedingung der Möglichkeit aller Anschauungen ist transzendentale Subjektivität zwar stets vorauszusetzen, ohne doch selbst je Gegenstand von Anschauung werden zu können. Kants kritische Destruktion der metaphysischen psychologia rationalis führt von der ontologischen Substantialität zum formalen Subjekt, von der ontologischen Einfachheit zur Funktion der Synthesis etc., kurzum: von der Seele zum formalen Ich (vgl. Coriando, bes. 27 ff.). In transzendentaler Hinsicht fungiert der Seelenbegriff wie derjenige der Welt nur mehr regulativ und ohne objektiven Realitätsanspruch. Doch kann er unter dem Gesichtspunkt individueller Selbstwahrnehmung des Subjekts zugleich dasjenige bezeichnen, was Kant unter dem Stichwort des inneren Sinnes thematisiert. Methodisch begründet sind die zweifache Verwendung des Seelenbegriffs und die Binnendifferenzierung Kant’scher Psychologie in einer Doppelstellung des Ichsubjekts, was seine Eigenheit gleichwohl nicht zertrennen soll, weil transzendentale und empirische Subjektivität einen differenzierten Zusammenhang bilden. Als Subjekt des Denkens fungiert das sich wissende Ich im Sinne reiner Apperzeption, welche logisch-reflexive Einheit aller Wahrnehmungszusammenhänge stiftet, ohne selbst Gegenstand möglicher Wahrnehmung zu sein. Als Transzendentalsubjekt enthält das Ich keine weitere Bestimmung als diejenige der Einheit in sich. Als Objekt der Selbstwahrnehmung hingegen wird sich das Ich selbst Gegenstand von Erfahrung mittels des inneren Sinns und enthält als empirische im Unterschied zu transzendentaler Subjektivität eine Mannigfaltigkeit von Bestimmungen in sich, die als Seelenerfahrungen Bezugspunkt analytischer Psychologie sein können (vgl. im Einzelnen Jansohn, bes. 213 ff.). Kants kritische Philosophie ist als Theorie der nichtempirischen Möglichkeitsbedingungen von Empirie konzipiert. Diese Theorieanlage kennzeichnet nicht nur seine Kosmologie, sondern auch seine Psychologie. Die Menschenseele ist demnach zugleich unter transzendentalen und empirischen Gesichtspunkten zu erörtern, ohne deshalb in eine unverbundene Zweiheit aufgelöst werden zu dürfen. Formaliter in die reine und die empirische Apperzeption unterschieden ist das Ich materialiter gleichwohl in sich eins, weil das in Objekt- bzw. Selbsterfahrung begriffene Subjekt sich zwar stets unter der Bedingung des reinen Ich-denke, nie aber als solches wahrnimmt, sofern alle seine Verstandes- und Vernunftätigkeit beständig bezogen ist auf Sinnlichkeit, wie sie der innere Sinn in den Formen von Raum und Zeit (zugleich oder nacheinander zu sein) anschaulich macht und zur Vorstellung bringt. Um „Kants letztes großes Werk“ (Irrlitz, 440) zu zitieren: „Ich, als denkendes Wesen, bin zwar mit mir, als Sinnenwesen, ein und dasselbe Subjekt; aber, als Objekt der inneren empirischen Anschauung, d. i. so fern ich innerlich von Empfindungen in der Zeit, so wie sie zugleich oder nach einander sind, affiziert werde, erkenne ich mich doch nur, wie ich mir selbst erscheine, nicht als Ding an sich selbst. Denn es hängt doch von der Zeitbedingung, welche kein Ver-

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standesbegriff (mithin nicht bloße Spontaneität) ist, folglich von einer Bedingung ab, in Ansehung deren mein Vorstellungsvermögen leitend ist (und gehört zur Rezeptivität). – Daher erkenne ich mich durch innere Erfahrung immer nur, wie ich mir erscheine; welcher Satz dann oft böslicherweise so verdreht wird, daß er sowohl sagen wolle: es scheine mir nur (mihi videri), daß ich gewisse Vorstellungen und Empfindungen habe, ja überhaupt daß ich existiere. – Der Schein ist der Grund zu einem irrigen Urteil aus subjektiven Ursachen, die fälschlich für objektiv gehalten werden; Erscheinung ist aber gar kein Urteil, sondern bloß empirische Anschauung, die durch Reflexion, und den daraus entspringenden Verstandesbegriff zur inneren Erfahrung und hiemit Wahrheit wird. Daß die Wörter innerer Sinn und Apperzeption von den Seelenforschern gemeinhin für gleichbedeutend genommen werden, unerachtet der erstere allein ein psychologisches (angewandtes), die zweite aber bloß ein logisches (reines) Bewußtsein anzeigen soll, ist die Ursache dieser Irrungen. Daß wir aber durch den ersteren uns nur erkennen können, wie wir uns erscheinen, erhellet daraus, weil Auffassung (apprehensio) der Eindrücke des ersteren eine formale Bedingung der inneren Anschauung des Subjekts, nämlich die Zeit, voraussetzt, welche kein Verstandesbegriff ist, und also bloß als subjektive Bedingung gilt, wie nach der Beschaffenheit der menschlichen Seele uns innere Empfindungen gegeben werden, also diese uns nicht, wie das Objekt an sich ist, zu erkennen gibt.“ In seiner 1798 in erster (A), 1800 in zweiter verAnthropologie in besserter Auflage (B) erschienenen „Anthropologie pragmatischer Absicht in pragmatischer Absicht“, der die zitierte Textpassage entnommen ist (BA 28 f.; bei K. teilweise gesperrt.), hat Kant unter dem Stichwort der Didaktik seine theoretische Lehre vom Menschen mit dem praktischen Ziel entfaltet, menschliche Selbsterziehung zum Zwecke der Realisierung humaner Bestimmung zu befördern. Programmatisch ist dieses Unternehmen insofern zu nennen, als Kants Philosophie insgesamt nach Maßgabe einer Pragmatik verfährt, die theoretische Kritik um konstruktiver Praxis willen übt. Die anthropologische Grunddevise, die als der Grundsatz seiner Lehre vom Menschengeschöpf und der Stellung des Menschen in der kreatürlichen Welt zu gelten hat, lautet: Werde, was zu sein du bestimmt bist, nämlich ein humaner Mensch, welcher der Menschenwürde entspricht. „Der Mensch ist durch seine Vernunft bestimmt, in einer Gesellschaft mit Menschen zu sein, und in ihr sich durch Kunst und Wissenschaft zu kultivieren, zu zivilisieren und zu moralisieren; wie groß auch sein tierischer Hang sein mag, sich den Anreizen der Gemächlichkeit und des Wohllebens, die er Glückseligkeit nennt, passiv zu überlassen, sondern vielmehr tätig, im Kampf mit den Hindernissen, die ihm von der Rohigkeit seiner Natur anhängen, sich der Menschheit würdig zu machen.“ (Kant, Anthropologie, B 318 f./A 321; bei K. teilweise gesperrt.) Kants „Anthropologie in pragmatischer Absicht“ ist auf die Menschwerdung des Menschen durch tätige Praxis ausgerichtet. Ihr erster und grundlegender Teil, die sog. anthropologische Didaktik, handelt vom Erkenntnisvermögen, vom

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Gefühl der Lust und der Unlust und vom Begehrungsvermögen des Menschen, um auf dieser Basis einen humanen Begriff vom Charakter der Person, des Geschlechts, des Volkes und der Gattung zu entwickeln. Was die sog. anthropologische Charakteristik als zweiten Textteil betrifft, so genügt die zusammenfassende Feststellung, die zugleich das Ergebnis der Gesamtabhandlung markiert, wonach Charakter diejenige Eigenschaft des Willens bedeutet, „nach welcher das Subjekt sich selbst an bestimmte praktische Prinzipien bindet, die er sich durch seine eigene Vernunft unabänderlich vorgeschrieben hat. Ob nun zwar diese Grundsätze auch bisweilen falsch und fehlerhaft sein dürften, so hat doch das Formelle des Wollens überhaupt, nach festen Grundsätzen zu handeln (nicht wie in einem Mückenschwarm bald hiehin bald dahin abzuspringen), etwas Schätzbares und Bewunderungswürdiges in sich; wie es denn auch etwas Seltenes ist. Es kommt hiebei nicht auf das an, was aus dem Menschen, sondern was dieser aus sich selbst macht; denn das erstere gehört zum Temperament (wobei das Subjekt großenteils passiv ist) und nur das letztere gibt zu erkennen, daß er einen Charakter habe.“ (Kant, Anthropologie, B 264 f./A 266; bei K. teilweise gesperrt.) Richtig sind die Grundsätze praktischen Vernunftgebrauchs, wenn sie dem Sittengesetz entsprechen, welches der kategorische Imperativ gebietet. An seiner konsequenten Befolgung erweist sich daher, wer wirklich Charakter hat, was mit Hilfe etwa der Physiognomik als der äußeren Betrachtung des Menschen nach Gesichtsbildung, Gesichtszügen und habitueller Gesichtsgebärde bestenfalls erahnt, gegebenenfalls aber auch verkannt werden kann. Der Charakterologie der Person analog ist, was Kant zum Gattungscharakter der Menschheit im Unterschied zur Tierwelt sagt. Auch hier bleibt die äußere Erscheinung ambivalent, ohne zu wirklicher Eindeutigkeit zu führen, die erst in der inneren Gewissensgewissheit gefunden ist, zu vernünftiger Selbstbestimmung bestimmt zu sein. Auf das praktische Ziel vernünftiger Selbstbestimmung des Menschen ist hingeordnet, was Kant im grundlegenden Teil seiner Anthropologie, der Didaktik, ausführt. Was die menschliche Erkenntnis betrifft, so ist sie dazu bestimmt, die Sinneseindrücke, mit denen sie ihren Anfang nimmt, aus dem anfänglichen Dunkel ins Licht treten zu lassen, um sie verständig zu begreifen und einen vernünftigen Umgang mit ihnen pflegen zu können. Zwar macht, wie Kant einräumt, das Feld dunkler Vorstellungen den größten Teil im Menschen aus. Doch überlässt er ihre Erkundung der sog. physischen Anthropologie, wohingegen er der pragmatischen die Aufgabe zuweist, den Weg des Erkennens von der Sinnlichkeit über den Verstand zur Vernunft zu verfolgen. Während in der sinnlichen Wahrnehmung das Subjekt affiziert wird und sich wesentlich passiv verhält, gehört zum intellektuellen Erkenntnisvermögen des Verstandes spontanes Tun. Ohne Denkaktivität gibt es allenfalls dunkles Ahnen, aber keine Erkenntnis von Dingen: „Denn dazu gehört Verstand, ein Vorstellungsvermögen mit Bewußtsein der Handlung wodurch die Vorstellungen auf einen gegebenen Gegenstand bezogen und dieses Verhältnis gedacht wird.“ (Kant, Anthropologie, BA 26 Anm.; bei K. teilweise gesperrt.) Trotz der Unentbehrlichkeit verständigen Begreifens, ohne welches sinnliche

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Anschauungen blind sind, besteht nach Kant zur Anklage der Sinnlichkeit kein Anlass, sofern ebenso gilt: Verstandesbegriffe ohne sinnlichen Gehalt sind gänzlich leer. An sich selbst zwar umnachtet, weil ohne Denken, ist die Sinnlichkeit gleichwohl unbegründetermaßen in einen üblen Ruf gelangt, „weil ohne sie es keinen Stoff geben würde, der zum Gebrauch des gesetzgebenden Verstandes verarbeitet werden könnte“ (Kant, Anthropologie, BA 31). Zwei Stücke enthält die Sinnlichkeit im ErkenntSinn und Einbildungskraft nisvermögen als Vermögen der Vorstellungen in der Anschauung: „den Sinn und die Einbildungskraft“ (Kant, Anthropologie, BA 46; bei K. teilweise gesperrt.). Ersterer ist zu unterteilen in den inneren Sinn und die äußeren Sinne. Die äußeren Sinne gliedert Kant in solche der Vital- und solche der Organempfindung, welche letztere er mit den üblicherweise sogenannten fünf Sinnen identifiziert: Tast-, Gesichts-, Gehörs-, Geschmacks- und Geruchssinn. Im Unterschied zu den äußeren Sinnen, die auf raumeinnehmende res extensae ausgerichtet sind, welche den Stoff der Naturwissenschaften bilden, um von ihnen nach Maßgabe apriorischer Verstandeskategorien begriffen zu werden, bezeichnet der innere Sinn das Gemüt, das den sinnlich gegliederten Körper einheitlich fühlen und empfinden lässt. Wird der Mensch mittels äußerer Sinne körperlich affiziert, so lässt der innere Sinn den menschlichen Körper seiner selbst inne werden. In seiner Unmittelbarkeit bloßen Fühlens und lediglich durch die Differenz von Lust und Unlust bestimmt nimmt der innere als inwendiger Sinn, wie Kant sagt, differenzierte Gestalt an, indem er das durch die äußeren Sinne Vermittelte von außen nach innen wendet, um sich durch inwendige Anschauungen affizieren zu lassen. Dabei verhält er sich primär leidentlich, was ihn von der reinen Apperzeption des transzendentalen Ich elementar unterscheidet. Doch vermag der sensus interior sich und sein inwendiges Seelenleben mit der facultas imaginandi zu verbinden, welche sinnliche Eindrücke nicht nur hinnimmt, um sich lediglich passiv beeindrucken zu lassen, sondern Anschauungen auch ohne Gegenwart des affizierenden Gegenstandes bzw. ohne Wirksamkeit der äußeren Sinne präsent zu halten und zu präsentieren vermag. Die Einbildungskraft als zweites Moment dessen, was er Sinnlichkeit nennt, ist nach Kant entweder produktiv oder reproduktiv. Die reproduktive Einbildungskraft vergegenwärtigt eine vorangegangene empirische Anschauung, die produktive ist das Vermögen der ursprünglichen Gegenstandsdarstellung im Sinne reiner Raumes- und Zeitanschauungen. Drei verschiedene Arten originären Gegenstandsdarstellungsvermögens sieht Kant vor: die imaginatio plastica, welche die sinnliche Anschauung, ohne sie schöpferisch hervorgerufen zu haben, räumlich ausbildet und daher recht eigentlich erst wahrnehmbar macht; die imaginatio associans, welche den zeitlichen Assoziationszusammenhang empirischer Vorstellungen erschließt, sowie die produktive Einbildungskraft, welche das Mannigfaltige der Vorstellung durch Imagination in einem Grunde zu vereinigen vermag. Hinzuzufügen ist, dass nach Kant ohne Einbildungskraft weder das Vermögen der Vergegenwärtigung des Vergangenen (Erinnerungsvermögen/Gedächtnis) und des

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Künftigen (Vorsehungsvermögen) noch das Bezeichnungsvermögen als das Vermögen der Erkenntnis des Gegenwärtigen als Mittel der Verknüpfung der Vorstellung des Vorhergesehenen mit der des Vergangenen erklärbar ist. Während das Erkenntnisvermögen der Sinnlichkeit auf das Einzelne in den Gegenständen der Erfahrung gerichtet ist, vermag der Verstand als das Vermögen, zu denken und durch Begriffe sich etwas vorzustellen, die Eigentümlichkeit sinnlicher Anschauungen in allgemeine Regeln zu fassen, um so Einheit der Objekterkenntnis zu ermöglichen. Als das Vermögen begrifflicher Erkenntnis allgemeiner Regeln ist der Verstand in seinem richtigen Gebrauch die Voraussetzung dafür, die Urteilskraft als das Vermögen auszubilden, das Besondere, sofern es ein Fall der Regel ist, aufzufinden, um schließlich zu jener differenzierten Einheit von verständiger Allgemeinheit und besonderem Urteil zu gelangen, welche vernünftig zu nennen ist. Ist die Vernunft theoretisch auf Ideen ausgerichtet, denen kein Gegenstand in der Erfahrung entspricht, weiß sie sich praktisch dazu bestimmt, alles Gegebene nach Vermögen ihrem Gesetze konform zu gestalten. Wie die Urteilskraft zwischen Verstand und VerGefühl und nunft vermittelt, so bildet das, was Kant im zweiBegehrungsvermögen ten Buch seiner anthropologischen Didaktik über das Gefühl der Lust und Unlust sagt, die Mitte zwischen der Erörterung des Erkenntnis- und des Begehrungsvermögens. Lust (und in negativer Analogie Unlust) ist zu unterscheiden in sinnliche einerseits und intellektuelle andererseits, wobei die sinnliche Lust sich entweder durch den Sinn als Vergnügen oder durch die Einbildungskraft als Geschmack, die intellektuelle entweder durch darstellbare Begriffe oder durch Ideen manifestiert. Ist Vergnügen das unmittelbare Gefühl des Angenehmen in der Empfindung eines sinnlichen Gegenstandes, so nimmt die Lust im Gefühl für das Schöne, welches sich dem guten Geschmack vermittelt, reflektierte Gestalt an, um vom sinnlichen Modus ihrer selbst zum intellektuellen und damit zu jener Lust überzuleiten, die im verständigen Denken und Urteilen begründet liegt, um in theoriegeleiteter Vernunftpraxis sich zu erfüllen. Die höchste Menschenlust ist es nach Kant, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und nach freien Vernunftgrundsätzen zu handeln. Verfolge der Mensch dieses Ziel, dann entspreche er seiner kreatürlichen Bestimmung und erweise sich als Ebenbild seines Schöpfers. Damit sich die menschliche Bestimmung realisiere, bedarf es eines rechten Gebrauchs des Begehrungsvermögens, von welchem der dritte Teil der anthropologischen Didaktik handelt. Begierde (appetitio) nennt Kant „die Selbstbestimmung der Kraft eines Subjekts durch die Vorstellung von etwas Künftigem, als einer Wirkung derselben“ (Kant, Anthropologie, B 202/A 203). Im Einzelnen differenziert er den Begehrensbegriff wie folgt: „Die subjektive Möglichkeit der Entstehung einer gewissen Begierde, die vor der Vorstellung ihres Gegenstandes vorhergeht, ist der Hang (propensio). – Die innere Nötigung des Begehrungsvermögens zur Besitznehmung dieses Gegenstandes, ehe man ihn noch kennt, der Instinkt (wie der Begattungstrieb, oder der Elterntrieb des Tiers, seine Junge zu

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schützen u. d. g.). – Die dem Subjekt zur Regel (Gewohnheit) dienende sinnliche Begierde heißt Neigung (inclinatio). – Die Neigung, durch welche die Vernunft verhindert wird, sie, in Ansehung einer gewissen Wahl, mit der Summe aller Neigungen zu vergleichen, ist die Leidenschaft (passio animi).“ (Kant, Anthropologie, B 225/A 226; bei K. teilweise gesperrt.) Die Leidenschaften, deren differenzierter Zusammenhang mit den Affekten hier ebenso unerörtert bleiben muss wie ihre innere Differenzierung in natürliche und kulturell vermittelte, repräsentieren im Zusammenhang des Begehrungsvermögens in analoger Weise dies, wofür im Kontext des Erkenntnisvermögens die Sinnlichkeit steht, womit bereits gesagt ist, dass Affekte und Leidenschaften dazu bestimmt sind, durch praktischen Vernunftgebrauch beherrscht zu werden, damit real werde, worauf Kants Anthropologie in pragmatischer Absicht abzielt: die Menschwerdung des Menschen. Werde, was zu sein du bestimmt bist! Von diesem Imperativ, der durch die praktische Vernunft kategorisch vorgeschrieben und mit Evidenz zu humaner Geltungsgewissheit gebracht wird, um entsprechend befolgt zu werden, ist Kants ganze Anthropologie geprägt. Um ihre pragmatische Absicht zu realisieren, werden die Formen menschlichen Vermögens in einen differenzierten Beziehungszusammenhang mit eindeutiger Ausrichtung gesetzt, wobei dem Erkenntnisvermögen eine theoretische Basisfunktion zukommt, deren grundlegende Bedeutung indes erst im Rahmen einer praktischen Teleologie zutage tritt. In Beziehung auf sich selbst bringt sich das Erkenntnisvermögen durch verständiges Begreifen, in Beziehung auf das Gefühl von Lust und Unlust durch Urteilskraft und in Beziehung auf das Begehrungsvermögen durch praktische Vernunft zur Geltung, die den Schluss bildet, der aus dem gesamten Argumentationszusammenhang zu ziehen ist. Das apriorische Prinzip des Verstandes ist Gesetzmäßigkeit, dasjenige des Gefühls Zweckmäßigkeit und dasjenige der Vernunft Verbindlichkeit im Sinne einer Zweckmäßigkeit, die zugleich verallgemeinerungsfähiges und allgemeinverbindliches Gesetz ist. Was für den Verstand die Natur ist die Sittlichkeit für die Vernunft, zu der sich zu erheben der sinnlich-natürliche Mensch seinem intelligiblen Wesen nach moralisch verpflichtet ist. Theoretisches Begreifen zielt auf Urteilen, das sich Kritik der Urteilskraft im praktischen Schließen in Form sittlicher Selbsttätigkeit erfüllt. Dabei kommt dem Urteilen eine Mittelstellung zu, welche zu der Frage Anlass gibt, ob und gegebenenfalls inwiefern der Urteilskraft das Vermögen eignet, zwischen Natur und Sittlichkeit zu vermitteln. Dem Verfahren der Urteilskraft, die nicht lediglich Verstandesgesetzen, sondern reflektierend ihren eigenen Prinizipien folgt, liegt nach Kant ein apriori vorauszusetzender Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur zugrunde, wobei der Naturzweck entweder im Sinne bloß subjektiver oder im Sinne möglicher objektiver, also die Gesetzmäßigkeit der Dinge der Natur selbst betreffender Zweckmäßigkeit zur Geltung gebracht wird. Kraft des reflektierenden Urteils subjektiver Zweckmäßigkeit der Natur wird deren Gegenständen zum einen Schönheit, zum anderen Erhabenheit beigelegt, wohingegen die auf die mögliche Objektivität des

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Naturzwecks bezogene Urteilskraft die natürliche Vollkommenheit und Nützlichkeit reflektiert. Das auf Schönheit und Erhabenheit ausgerichtete Urteil ist ein ästhetisches, das auf Vollkommenheit und Nützlichkeit der Natur bezogene ein teleologisches. Die Kritik der (reflektierenden) Urteilskraft von 1790 (A; B: 17932; C: 17993) besteht demgemäß aus den zwei Teilen der Kritik des ästhetischen und des teleologischen Urteilsvermögens der Naturdinge, wobei der erste Teil die Kritik des Geschmacks als der Beurteilung des Schönen und des Geistesgefühls als der Beurteilung des Erhabenen, der zweite Teil hingegen die Beurteilung der Dinge als Naturzweck in Ansehung ihrer inneren Möglichkeit (Vollkommenheit) sowie das Urteil ihrer relativen Zweckmäßigkeit (Nützlichkeit) zum Inhalt hat. Während die ästhetische Urteilskraft als das Vermögen, die formale Zweckmäßigkeit der Natur durch das Gefühl der Lust und Unlust zu beurteilen, erkenntlich nur zu subjektiv evidenten Resultaten zu kommen vermag, scheint das teleologische Urteilsvermögen, welches die realen Zweckmäßigkeiten der Natur namhaft zu machen bestrebt ist, zu objektiven Ergebnissen zu gelangen. Es ist das für die Schöpfungstheologie wohl wichtigste Ergebnis der Kritik der Urteilskraft, dass Kant die objektive Gültigkeit teleologischer Urteile bezüglich einer realen Zweckmäßigkeit der Natur in Abrede stellt. Der Begriff einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur ist lediglich ein kritisches Vernunftprinzip für die reflektierende Urteilskraft ohne theoretischen Beweischarakter. Die Physikotheologie als der Versuch der Vernunft, aus den empirisch erhobenen und teleologisch beurteilten Zwecken der Natur auf einen obersten Lenker derselben zu schließen, kann daher für sich allein keine objektive Gültigkeit erlangen und ihre Überzeugungskraft nur im Zusammenhang der Ethikotheologie und von dieser her erhalten, wie denn insgesamt der Sinn ästhetischer und teleologischer Naturbeurteilung nur der einer moralischen Unterstützung sein kann. Die moralische Teleologie ist es, die allein den Objektivitätsmangel der physischen zu ersetzen und eine Theologie zu begründen vermag. Denn die moralische Freiheit ist der einzige Begriff des Übersinnlichen, welcher nicht nur die subjektive Evidenz seiner Geltung, sondern zugleich den Anspruch objektiver Realität unmittelbar mit sich führt, Natur durch spontanes Handeln zwecktätig gestalten zu können. Während Ontotheologie und Kosmotheologie theoretisch scheitern und Physikotheologie nur eine propädeutische Funktion haben kann, ist es die Ethiko- oder Moraltheologie, welche allein der Religion ihre bleibende Bedeutung zu behaupten erlaubt. Aus der Kritik von Onto-, Kosmo- und Physikotheologie geht diejenige philosophischer Theo- Theodizeekritik dizeekonzepte direkt hervor. Mit besonderer Deutlichkeit hat sich Kant „Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee“ in einem gleichnamigen Text ausgesprochen, der 1791 in den Berlinischen Monatsschriften erschienen ist. Verstanden wird unter Theodizee „die Verteidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt“ (Kant, Theodi-

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zee, A 194 f.). Um eine solche Rechtfertigung leisten zu können, sei es erforderlich, „daß der vermeintliche Sachwalter Gottes entweder beweise: daß das, was wir in der Welt als zweckwidrig beurteilen, es nicht sei; oder: daß, wenn es auch dergleichen wäre, es doch gar nicht als Faktum, sondern als unvermeidliche Folge aus der Natur der Dinge beurteilt werden müsse; oder endlich: daß es wenigstens nicht als Faktum des höchsten Urhebers aller Dinge, sondern bloß der Weltwesen, denen etwas zugerechnet werden kann, d. i. der Menschen (allenfalls auch höherer, guter oder böser, geistiger Wesen) angesehen werden müsse.“ (Kant, Theodizee, A 195; bei K. teilweise gesperrt.) Das Zweckwidrige in der Welt, was der Weisheit ihres möglichen, wenngleich nach Kant nicht theoretisch beweisbaren Urhebers widerstreitet, ist dreifacher Art: „I. Das schlechthin Zweckwidrige, was weder als Zweck, noch als Mittel, von einer Weisheit gebilligt und begehrt werden kann; II. das bedingt Zweckwidrige, welches zwar nie als Zweck, aber doch als Mittel, mit der Weisheit eines Willens zusammen besteht. Das erste ist das moralisch Zweckwidrige, als das eigentliche Böse (die Sünde); das zweite das physische Zweckwidrige, das Übel (der Schmerz). – Nun gibt es aber noch eine Zweckmäßigkeit in dem Verhältnis der Übel zu dem moralischen Bösen, wenn das letztere einmal da ist und nicht verhindert werden konnte oder sollte: nämlich in der Verbindung der Übel und Schmerzen, als Strafen, mit dem Bösen, als Verbrechen; und von dieser Zweckmäßigkeit in der Welt fragt es sich, ob jedem in der Welt hierin sein Recht widerfährt. Folglich muß auch noch eine IIIte Art des Zweckwidrigen in der Welt gedacht werden können, nämlich das Mißverhältnis der Verbrechen und Strafen in der Welt. Die Eigenschaften der höchsten Weisheit des Welturhebers, wogegen jene Zweckwidrigkeiten als Einwürfe auftreten, sind also drei: Erstlich die Heiligkeit desselben, als Gesetzgebers (Schöpfers), im Gegensatz mit dem moralisch Bösen in der Welt. Zweitens die Gütigkeit desselben, als Regierers (Erhalters), im Kontraste mit den zahllosen Übeln und Schmerzen der vernünftigen Weltwesen. Drittens die Gerechtigkeit desselben, als Richters, in Vergleichung mit dem Übelstande, den das Mißverhältnis zwischen der Straflosigkeit der Lasterhaften und ihren Verbrechen in der Welt sich zu zeigen scheint.“ (Kant, Theodizee, A 198 ff.; bei K. teilweise gesperrt.) Jeweils dreifach sind ferner die Argumente, mit denen philosophische Versuche einer Theodizee aufwarten, um Gott gegen den Vorwurf der Zweckwidrigkeit seiner Schöpfung zu verteidigen. Der Beschwerde gegen die Heiligkeit des göttlichen Willens wird entgegengehalten, a) dass es Zweckwidriges gar nicht in Wirklichkeit, sondern nur in der Weise eines von der Beschränktheit unserer Vernunft hervorgerufenen Scheins gebe, b) dass es im Wesen der Endlichkeit im allgemeinen und im Wesen des Menschen im Besonderen begründet liege und von Gott als malum metaphysicum nicht habe verhindert werden können, c) dass das Zweckwidrige in Wahrheit Schuld des Menschen sei, die Gott, ohne sie zu billigen, um der Freiheit des Menschen willen lediglich zugelassen habe. Der Kritik der Gütigkeit Gottes, wie sie um der Übel in der Welt willen entsteht, wird mit dem Hinweis begegnet, a) dass Lebensgenuss die Übel des Lebens faktisch überbietet, b)

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dass Übel ein Implikat des Lebens überhaupt sei und dass uns c) Gott schließlich die Aussicht auf künftige Glückseligkeit eröffnet habe, was die Beschwerlichkeit irdischer Prüfungen relativiere. Auf die Anklage wider die Gerechtigkeit des Weltenrichters schließlich wird geantwortet, a) dass das Böse seine Strafe vermöge der Gewissenspein unmittelbar in sich trage, b) dass immerhin das Ende aller Dinge als ein gutes zu erwarten sei und c) dass der Lauf der Natur inskünftig ein anderer werde. Keines der Theodizeeargumente hält nach Kant einer Überprüfung stand, was nicht zufällig, sondern notwendig sei, weil „unsre Vernunft zur Einsicht des Verhältnisses, in welchem eine Welt, so wie wir sie durch Erfahrung immer kennen mögen, zu der höchsten Weisheit stehe, schlechterdings unvermögend sei“ (Kant, Theodizee, A 210; bei Kant teilweise gesperrt). An die Stelle der theoretischen Theodizee setzt er daher eine praktische Haltung, für die exemplarisch auf Hiob verwiesen wird, der die fehlgeleiteten Versuche, mit denen seine vermeintlichen Freunde das Übel seiner Lage zu erklären suchen, beseite schiebe, um auf der Lauterkeit seines gottergebenen Herzens zu beharren. Als der kanonische Gebrauch der Vernunft hat der praktische zu gelten. Nur die praktische Ver- Praktischer Imperativ nunft vermag nach Kant die Gewissheit objektiver Wirklichkeit jener transzendentalen Subjektivität zu begründen, die für die Theorie lediglich einen regulativen Grenzbegriff darstellt. Von dieser Gewissheit her hat sich das Verhältnis des Ich zur Welt zu bestimmen, deren moralische Perfektibilität ebenso zu postulieren ist wie die Gottheit Gottes als des Garanten einer letztendlichen Koinzidenz von Sittlichkeit und Sinnlichkeit. Was dies für Theologie und Religionsphilosophie bedeutet, ist in einem eigenen Abschnitt des Bandes über Aspekte des Begriffs der Religion und ihrer Theorie in der Neuzeit ausführlich dargelegt worden (vgl. Bd. 1, 150–165). Für die Schöpfungslehre hatte Kants transzendentale Wende und seine in praktischer Absicht erfolgte Kritik der theoretischen Vernunft zur Folge, dass sie in der Regel nicht mehr in der Weise der kosmologischen, psychologischen und ontologischen Metaphysiktradition konzipiert wurde. Die Grundlegung der Schöpfungslehre erfolgte wie die aller anderen Themen von Philosophie und Theologie bei denen, die Kant zu folgen bereit waren, nicht mehr in platonischer oder aristotelischer Manier, sondern aus dem Ich heraus, welchem Kant freilich anders als Subjektivitätstheoretiker wie Fichte, Schelling, Hegel oder auch Schleiermacher allein unter praktischen Gesichtspunkten sowohl Idealität als auch Realität zubilligte. Schöpfungsglaube nach Maßgabe praktischer Vernunft ist Kant zufolge Gewissheit des Gesollten und in einem damit Gewissheit der Realisierbarkeit des sittlich Gebotenen unter den Bedingungen der Sinnlichkeit. Alle kosmologischen, psychologischen und theologischen Aspekte haben sich in diese Perspektive einzuordnen, die im Grundsatz auch von denen geteilt wurde, welche durch konstruktive Kritik über Kant hinaus und zu einer Vereinigung von theoretischer und praktischer Philosophie gelangen wollten. Auch ihre Schöpfungslehren waren, wie das Beispiel Schleiermachers zeigen wird, nicht mehr auf Theorien der Weltentste-

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hung, -erhaltung und -leitung ausgerichtet, sondern auf die innere Fundierung endlicher Subjektivität in einem unendlichen und absoluten Grund, durch welchen das Ich sich als sich gegeben zu wissen vermag, um sich zu sich und seiner Welt differenziert verhalten zu können. Ob man, was sich bei Kant und im Anschluss an ihn vollzog, als Anthropologisierung der Schöpfungstheologie im Zuge einer Rückführung des Ganzen von Erfahrung auf die Einheit des Ich zu beurteilen hat, mag zweifelhaft sein. Außer Zweifel steht, dass Kants Philosophie der Subjektivität in vielerlei, nicht zuletzt schöpfungstheologischer Hinsicht eine Kopernikanische Wende vollzog und bewirkte.

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7. Schleiermachers neuprotestantische Schöpfungslehre: F.D.E. Schleiermacher

Lit.: F. Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott dargestellt nach seinen Reden und seiner Glaubenslehre, Göttingen 1970. – D. Burdorf/R. Schmücker (Hg.), Dialogische Wissenschaft. Perspektiven der Philosophie Schleiermachers, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998. – M. Eckert, Gott – Glauben und Wissen. Friedrich Schleiermachers Philosophische Theologie, Berlin/New York 1987. – W. Gräb, Humanität und Christentumsgeschichte. Eine Untersuchung zum Geschichtsbegriff im Spätwerk Schleiermachers, Göttingen 1980. – F. W. Graf, Art. Neuprotestantismus I. Kirchengeschichtlich, in: RGG4 6,239 f. – E. Hartlieb, Geschlechterdifferenz im Denken Friedrich Schleiermachers, Berlin/New York 2006. – E. Herms, Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher, Tübingen 2003. – A. Käfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“. Schleiermachers Ästhetik im Kontext der zeitgenössischen Entwürfe Kants, Schillers und Friedrich Schlegels, Tübingen 2006. – Th. Lehnerer, Die Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers, Stuttgart 1987. – F.-W. Marquardt, Theologie in der bürgerlichen Gesellschaft I. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Berlin 2012. – W. Pannenberg, Schleiermachers Schwierigkeiten mit dem Schöpfungsgedanken, München 1996. – W. H. Pleger, Schleiermachers Philosophie, Berlin/New York 1988. – M. Rössler, Schleiermachers Programm der Philosophischen Theologie, Berlin/New York 1994. – S. Schaefer, Gottes Sein zur Welt. Schleiermachers Subjektanalyse in ihrer Prinzipienfunktion für Glaubenslehre und Dialektik, Regensburg 2002. – F. D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22). Hg. v. H. Peiter, Berlin/New York 1984 (KGA I/7, 1 u. 2 = GL1). – Ders., Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31). Hg. v. R. Schäfer, Berlin/New York 2003 (KGA I/ 13, 1 u. 2 = GL2). – Ders., Vorlesungen über die Dialektik. 2 Bde. Hg. v. A. Arndt, Berlin/New York 2002 (= KGA II/10, 1 u. 2). – G. Scholtz, Die Philosophie Schleiermachers, Darmstadt 1984. – M. Schröder, Die kritische Identität des neuzeitlichen Christentums. Schleiermachers Wesensbestimmung der christlichen Religion, Tübingen 1996. – K.-V. Selge (Hg.), Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984. 2 Bde., Berlin/New York 1985. – Y. Spiegel, Theologie der bürgerlichen Gesellschaft. Sozialphilosophie und Glaubenslehre bei Friedrich Schleiermacher, München 1968. – M. Trowitzsch, Zeit zur Ewigkeit. Beiträge zum Zeitverständnis in der „Glaubenslehre“ Schleiermachers, München 1976.– K. E. Welker, Die grundsätzliche Beurteilung der Religionsgeschichte durch Schleiermacher, Leiden/Köln 1965. – G. Wenz, An die Gebildeten unter ihren Verächtern. Zu Schleiermachers Reden über die Religion von 1799, in: KuD 58 (2012), 21–53. – V. Weymann, Glaube als Lebensvollzug und der Lebensbezug des Denkens. Eine Untersuchung zur Glaubenslehre Friedrich Schleiermachers, Göttingen 1977. – Chr. v. Witt, Protestanten. Das Werden eines Integrationsbegriffs in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2001.

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Der Protestantismusbegriff war nicht schon am Anfang seiner Terminologiegeschichte ein auf Integration aller Reformationskirchen angelegter Begriff. Er ist dies erst im Laufe der Frühneuzeit durch allmähliche Entschränkung seiner Bedeutung geworden (vgl. Witt). Eine eigene Bewandtnis hat es mit dem Begriff des Neuprotestantismus. Er steht zum Neuzeitbegriff in einem Korrespondenzverhältnis (vgl. Band 1,41 f. u. a.) und bildet in kirchen- und theologiegeschichtlicher Hinsicht sein Pendant. Festen Gehalt hat der um 1800 erst vereinzelt begegnende Begriff etwa Anfang der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts (vgl. Graf, 239), also in der Zeit gewonnen, als die Zweitauflage von Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers Dogmatik „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt“ erschien. Seither gilt die Schleiermacher’sche Glaubenslehre als die neuprotestantische Dogmatik par excellence und zugleich als Musterbeispiel einer „Theologie der bürgerlichen Gesellschaft“ (Spiegel; ferner: Marquardt) und zwar unabhängig davon, ob man dies positiv oder negativ wertet. Von der Stellung der Dogmatik in der Schleiermacher’schen Enzyklopädie der theologischen Wissenschaften und von deren Unterschieden und Bezügen zur Philosophie wurde bereits ausführlich gehandelt. Zum Philosophieverständnis bzw. zur Philosophie Schleiermachers sei deshalb nur mehr auf die zusammenfassenden Darstellungen von Gunter Scholtz und Wolfgang H. Pleger sowie auf den Sammelband „Dialogische Wissenschaft“ (Burdorf/Schmücker [Hg.]), zum enzyklopädischen Ort, zum Programm Philosophischer Theologie und zu ihrem Verhältnis zur Dogmatik auf die Untersuchungen von Michael Eckert und Martin Rössler verwiesen. Zum Religionsverständnis in den verschiedenen Ausgaben der „Reden“ und zu deren Bezügen zur Erst- und Zweitauflage der „Glaubenslehre“ ist in meiner Studie „Zu Schleiermachers Reden über die Religion von 1799“ (vgl. Wenz) noch einmal das Nötige gesagt. Die kritische Ausgangsthese bleibt erhalten: Religion ist weder eine Funktion der Metaphysik noch der Moral. Wie die Kunst, der sie sich geschwisterlich verbunden weiß (vgl. Käfer; Lehnerer), lässt sich die Religion weder in Theorie noch in Praxis aufheben; sie steht in einem unveräußerlichen Bezug zu Denken und Handeln, ohne an sich selbst Wissen oder Tun zu sein (vgl. Herms, 272 ff.). Selbstgestellte Aufgabe der Dogmatik SchleiermaChristlicher Glaube nach chers ist es ihrem Titel gemäß, den christlichen den Grundsätzen Glauben nach den Grundsätzen der evangelischen evangelischer Kirche Kirche im Zusammenhang darzustellen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, bedarf es als erstes eines Begriffs der evangelischen Kirche. Seine Entwicklung erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst wird die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften bildet, rein für sich in Betracht gezogen und ein allgemeiner Begriff von Religion entwickelt. Sodann werden Arten und Stufen frommer Gemeinschaften bestimmt, um ihrer spezifischen Unterschiede ansichtig zu werden mit dem Ziel, die christliche Religion in ihrer Eigentümlichkeit zu erfassen. Schließlich wird die kirchliche Gemeinschaftsform

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christlicher Frömmigkeit von häretischen Fehlformen abgegrenzt und der Begriff evangelischen Kirchentums im Unterschied zum katholischen gekennzeichnet. Ausgangspunkt und Grundlage der Argumentation bilden die „Analyse endlicher Subjektivität“ (Schäfer, 18 ff.) und der „Aufweis des Gottesbewusstseins aus dem Selbstbewusstsein des Menschen“ (Schäfer, 34 ff.; im Einzelnen Selge [Hg.] I, 211 ff.; II, 857 ff.). Doch bedarf die „subjektivitätstheoretisch fundierte Theorie der Frömmigkeit“ (Schäfer, 12) der Ausrichtung auf positive Religionsgestalten, um sich nicht in der abstrakten Idee einer natürlichen Religion zu erschöpfen, die keinen Anspruch darauf hat, realiter Religion zu heißen, weil ihr konkret ausgebildete Religiosität fehlt (vgl. Welker, 133 ff.). Die „Notwendigkeit des positiven Religionsindividuums“ (Welker, 100) in seiner geschichtlich bestimmten Gestalt steht Schleiermacher spätestens seit der fünften seiner „Reden“ von 1799 fest, und an ihr hat er bis ins Spätwerk festgehalten (vgl. Gräb). Thema der Schleiermacher’schen Dogmatik ist entsprechend die lehrhafte Selbstauslegung des christlichen Glaubens als einer Religionsgestalt von geschichtlicher Positivität, deren „Wesensbestimmung als ‚kritische‘ Vermittlung von Spekulation und Empirie“ (Schröder, 124 ff.) zu erfolgen hat. Dass diese Auslegung nicht in zeitinvarianter Form, sondern nur in und für die eigene Zeit erfolgen kann, ergibt sich aus Schleiermachers Dogmatikverständnis und zugleich aus seiner dogmatischen Gewissheit, dass jede Zeit zur Ewigkeit (vgl. Trowitzsch) bestimmt ist. Dogmatische Theologie ist nach Maßgabe des §19 der Zweitauflage der Schleiermacherschen Glaubenslehre „die Wissenschaft von dem Zusammenhang der in einer christlichen Kirchengesellschaft zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre“. Christliche Frömmigkeit artikuliert sich in aktuellen Glaubenssätzen, um ihrem Inneren Ausdruck zu verschaffen. Dogmatische Theologie steht im wissenschaftlichen Dienst christlicher Frömmigkeit, indem sie Glaubenssätze lehrhaft fasst, mit dem höchst möglichen Grad an Bestimmtheit versieht und in eine systematische kohärente Beziehung zueinander bringt. Nimmt man den konkreten Zeitbezug hinzu, dann ist das Verständnis, das Schleiermachers Glaubenslehre von sich selbst hat, auf den Begriff gebracht und ihr Titel hinreichend erklärt. Die Bildung dogmatischer Aussagen geschieht, wenn sie recht erfolgt, aus dem Lebens- und Sprachvorgang der Frömmigkeit heraus: Lehrsätze der Dogmatik „sind angewiesen auf Äußerungen der Frömmigkeit, die im Lebensvorgang selbst entspringen, und ausgerichtet auf sprachliche Mitteilung, die Frömmigkeit hervorzurufen intendiert“ (Weymann, 82). Auch der Aufbau der Glaubenslehre ist am Lebensvorgang der Frömmigkeit orientiert, der das „Grundmuster“ (Weymann, 104) ihrer Strukturbildung vorgibt. Maßgeblich für sie sind „die grundlegenden Momente christlicher Frömmigkeit“ (ebd.): „Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, wie es im christlichen Glauben seine schärfste Ausprägung gewinnt“ sowie der im Erlösungsgeschehen sich erschließende Gegensatz „zwischen der Unfähigkeit des Menschen und der durch den Erlöser mitgeteilten Fähigkeit, alle Lebensmomente vom schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl durchdringen zu lassen“ (Weymann, 104 f.).

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Die Anordnung des Stoffs ergibt sich aus der Grobgliederung der Glaubenslehre in zwei Teile, deren zweiter die, um die materialdogmatischen Generalüberschriften der Zweitauflage zu zitieren, „Tatsachen des frommen Selbstbewusstseins“ entwickelt, wie sie durch den Gegensatz von Sünde und Gnade bestimmt sind, wohingegen der erste unter Absehung von diesem Gegensatz der Entwicklung des frommen Selbstbewusstseins gewidmet ist, „wie es in jeder christlich frommen Gemütserregung immer schon vorausgesetzt wird, aber auch immer mit enthalten ist“. Verbunden ist die Stoffanordnung mit einer Untergliederung, die sich daran orientiert, ob der christliche Glaube unter dem Aspekt gläubigen Selbst-, Weltoder Gottesverhältnisses zur Darstellung kommt. Grundlegend ist jeweils die Beschreibung des frommen Selbstbewusstseins, also desjenigen Verhältnisses, in dem die Frömmigkeit zu sich selbst steht. Dementsprechend bietet der erste Teil der Zweitauflage der Glaubenslehre, welche die schöpfungstheologische Tradition und die ihr zugehörigen Überlieferungsbestände bearbeitet, in einem ersten Abschnitt die Beschreibung unseres frommen Selbstbewusstseins, sofern sich darin das Verhältnis zwischen der Welt und Gott ausdrückt, während ein zweiter von den göttlichen Eigenschaften handelt, welche sich auf das fromme Selbstbewusstsein beziehen, sofern es das Verhältnis von Gott und der Welt ausmacht. Ein dritter Abschnitt thematisiert schließlich die Beschaffenheit der Welt, welche in dem frommen Selbstbewusstsein angedeutet ist. So besagen es die jeweiligen Abschnittsüberschriften (vgl. u. a. Schaefer, 102 ff.). Um den ersten Teil der Glaubenslehre und die Art und Weise recht zu verstehen, in der in ihm die christliche Schöpfungslehre konstruktiv und kritisch rezipiert wird, bedarf es zunächst einer Rekapitulation dessen, was Schleiermacher generell unter dem in jeder christlichen Gemütserregung immer schon vorausgesetzten und stets enthaltenen frommen Selbstbewusstsein versteht, also eine Rekapitulation seines allgemeinen Religionsbegriffs. Die Entwicklung eines Allgemeinbegriffs der Religion und der allen Religionsgemeinschaften zugrundeliegenden Frömmigkeit ist Aufgabe derjenigen wissenschaftlichen Disziplin, die Schleiermacher Ethik nennt. Er versteht darunter nicht lediglich Sittenlehre, sondern die Wissenschaft vom Menschenwesen im Unterschied zur extrahumanen Natur insgesamt. Ihr fällt die Aufgabe zu, Religion als anthropologisches Universale, das wesentlich zum Menschsein des Menschen gehört, und die durch andere menschliche Vollzugsweisen nicht substituierbare Eigentümlichkeit von Frömmigkeit zu erweisen. Das Ergebnis, zu dem Schleiermacher gelangt, sei nurmehr (vgl. im Einzelnen Band 1, 225 ff.) unter Bezug auf die einschlägigen Paragraphengrundsätze umschrieben. Ihrem allgemeinmenschlichen Wesen nach ist Frömmigkeit weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Neigung und Bestimmtheit des Gefühls, wie es in der Erstauflage der GL heißt (§ 8), bzw. eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins, wie die Zweitauflage formuliert (§ 3). Von sonstigen Gefühlen und Selbstwahrnehmungsweisen ist das Gefühl bzw. unmittelbare Selbstbewusstsein, das allen religiösen Erregungen und den noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit gemeinsam ist, dadurch unterschie-

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den, dass wir uns in ihm unserer selbst als schlechthinnig abhängig bewusst sind oder, was dasselbe heißt, „uns abhängig fühlen von Gott“ (GL1 § 9; GL2 § 4: „in Beziehung mit Gott bewußt sind“). Das sich selbst gleiche Wesen aller Frömmigkeit besteht mithin im fühlenden Innesein bzw. unmittelbaren Selbstbewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit, die ihrem Begriff nach nichts anderes sein kann als Abhängigkeit von Gott als „Ermöglichungsgrund“ (Beißer, 249) des Glaubens. Nach Schleiermacher bildet das fromme SelbstGefühl schlechthinniger bewusstsein, welches fühlendes Innesein schlechtAbhängigkeit hinniger Abhängigkeit von Gott ist und die Basis aller wie auch immer gearteten religiösen Gemeinschaftsformen darstellt, die höchste Stufe menschlichen Gefühls und Selbstbewusstseins, jedoch so, dass sie in ihrem wirklichen Vorkommen von untergeordneten Selbstbewusstseinsstufen zwar unterschieden, nicht aber getrennt werden kann. Als Stufen menschlichen Selbstbewusstseins, die dem durch das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit repräsentierten untergeordnet sind, kommen erstens das „thierartig verworrene“ (GL2 § 5,1) und zweitens und vor allem das sinnliche in Betracht. Auf der ersten Selbstbewusstseinsstufe, wie sie für die „erste dunklere Lebenszeit des Menschen“ (GL2 § 5,1) kennzeichnend ist und im Erwachsenenleben nur noch in träumerischen oder in ähnlichen Zuständen wiederkehrt, sind „das Gegenständliche und das In-sichZurückgehende, oder Gefühl und Anschauung“ (ebd.), wie es heißt, noch nicht klar voneinander geschieden. Solche Scheidung vollzieht sich erst auf der Stufe des sinnlichen Selbstbewusstseins im Sinne eines trennungsscharf entwickelten Unterschieds von Selbst und Welt. Dieser Stufe, die durch wechselnde Mischungsverhältnisse relativer Abhängigkeit und relativer Freiheit bestimmt ist, gehören alle Wissens- und Handlungsvollzüge des irdischen Menschen an. Selbst das ein denkbar höchstes Wissen bzw. ein alle Selbsttätigkeit umfassendes Tun begleitende Selbstbewusstsein liegt „auf dem Gebiete des Gegensazes“ (GL2 § 5,2) bzw. im Felde des „objectiven Bewußtseins“ (ebd.), ohne das Verhältnis des Subjekts als eines Wissenden bzw. Handelnden zu dem Gewussten bzw. Getanen als Gegenstand prinzipiell hinter sich zu lassen. Dies ist erst auf der Stufe des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit der Fall, welchem Gefühl kein anderes unmittelbares Selbstbewusstsein beigeordnet ist, das vielmehr die höchste Stufe menschlichen Selbstbewusstseins allein repräsentiert. An und für sich ist das höchste Selbstbewusstsein einfach und von stetiger Selbigkeit, da es von äußerlichen Gegenständen, die das Subjekt auf die eine oder andere Weise affizieren und entsprechende Gegenwirkungen erfahren, gänzlich unabhängig ist. Indes tritt es in seinem reinen Wesen und seiner wechsellos beständigen Sichselbstgleichheit nirgends und niemals in Erscheinung. „Die Forderung einer Beharrlichkeit des höchsten Selbstbewußtseins kann nur aufgestellt werden unter der Voraussetzung, daß zugleich mit demselben auch das sinnliche Selbstbewußtsein gesezt sei.“ (GL2 § 5,3) Dieses Zugleichsein, wie Schleiermacher sagt, bedeutet kein Verschmelzen, sondern eine Verbindung zu einer Einheit des Moments im Sinne eines unauflöslichen Beziehungsgeschehens. „Niemand kann

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sich auch in einigen Momenten ausschließend seiner Verhältnisse im Gegensaz und in andern wiederum seiner schlechthinnigen Abhängigkeit an und für sich und im allgemeinen bewußt sein, sondern als ein im Gebiet des Gegensazes für diesen Moment schon auf gewisse Weise bestimmter ist er sich seiner schlechthinnigen Abhängigkeit bewußt. Dieses Bezogenwerden des sinnlich bestimmten auf das höhere Selbstbewußtsein in der Einheit des Momentes ist der Vollendungspunkt des Selbstbewußtseins.“ (GL2 § 5,3) Hinzuzufügen ist, dass das höchste Selbstbewusstsein, so wie es an und für sich nie in zeitliche Erscheinung tritt, sondern stets nur im Verein mit dem sinnlichen Selbstbewusstsein, auch auf der tierisch verworrenen ersten Stufe desselben gänzlich im Verborgenen bleibt. Zu ergänzen ist ferner, dass die Art und Weise wechselseitiger Beziehung zwischen höchstem und sinnlichem Bewusstsein über den Grad der Frömmigkeit – sei es über deren Steigerung, sei es über deren Minimierung – entscheidet. Von unten her, nämlich von der Gegensatzsphäre aus geurteilt, gilt folgendes: „Je mehr . . . in jedem Moment sinnlichen Selbstbewußtseins das Subject sich mit seiner theilweisen Freiheit und theilweisen Abhängigkeit zugleich schlechthin abhängig sezt, um desto frömmer ist es.“ (GL2 § 5,3) Von oben her aber, nämlich aus der Perspektive des höchsten Selbstbewusstseins, stellt sich die Angelegenheit so dar: Je mehr das im höchsten Selbstbewusstsein unmittelbar präsente Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit „in jeden Moment bestimmten sinnlichen Selbstbewußtseins einschießt, ohne einen vorbeizulassen, so daß der Mensch, wie er immer sich partiell frei und partiell abhängig fühle gegen anderes endliche, sich doch zugleich gleichmäßig mit allem, wogegen er sich so fühlt, auch schlechthin abhängig fühlt, um desto frömmer ist er“ (GL2 § 5,3). Durch die gradunterschiedene Verbindung mit Relative Abhängigkeit und dem sinnlichen Selbstbewusstsein zu einer Einheit relative Freiheit des Moments bekommt das im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl gegebene höchste Selbstbewusstsein Anteil an der Gegensatzsphäre insgesamt und mithin auch an dem Gegensatz des Angenehmen und des Unangenehmen (vgl. GL2 § 5 Leitsatz) oder der Lust und der Unlust, in den das sinnliche Selbstbewusstsein seiner Natur nach und für sich selbst zerfällt – im Unterschied zum höheren Selbstbewusstsein, das einen solchen Gegensatz nicht in sich trägt (vgl. GL2 § 5,4). Indes ist es keineswegs so, „als ob das schon in dem sinnlichen Gefühl gesezte angenehme und unangenehme nun auch dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl denselben Charakter mitteile“ (GL2 § 5,4). Das sinnlich Unangenehme kann im Gegenteil mit vertrauensvoller Freudigkeit des höheren Selbstbewusstseins verbunden sein wie umgekehrt sinnliche Lust zum Anlass frommer Trübsal werden kann, wobei beide fromme Regungen erfahrungsgemäß ihrer Stärke nach differieren können. Letzteres hängt mit den unterschiedlichen Gemengelagen von relativem Freiheitsgefühl und relativem Abhängigkeitsgefühl zusammen, wie sie für die diversen Erscheinungsgestalten des sinnlichen Selbstbewusstseins charakteristisch sind. „Aber unverträglich ist keine Bestimmtheit des unmittelbaren sinnlichen Selbstbewußtseins mit dem höheren, so daß von

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keiner Seite eine Nothwendigkeit eintritt, daß eines von beiden irgendwann müsse unterbrochen werden, ausgenommen wenn beide sich hinter der überhandnehmenden Verworrenheit des Bewußtseins zurückziehen.“ (GL2 § 5,5) Denken wir das im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit gegebene höhere Selbstbewusstsein in seinem Sich-selbst-gleich-Sein ohne Beziehung auf das sinnliche Selbstbewusstsein und den durch diesen Zusammenhang gegebenen Wechsel, so ist dies nach Schleiermacher die Idee unveränderlicher, gegen jeden Gegensatz indifferenter Selbigkeit seligen Lebens, wie sie in der Annahme einer eschatologischen Erfüllung vollendeter Endlichkeit und in anderer Hinsicht in der Annahme eines protologischen Urstandes vorstellig wird. Bei beiden Annahmen handelt es sich um Grenzwerte, die sich raumzeitlicher Vorstellungskraft entziehen, weil im Zusammenhang von Raum und Zeit nur mit Approximationen an sie zu rechnen ist, wohingegen die Idee des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als solche ganz transempirischer Natur ist. Der unter irdischen Bedingungen erreichbare Realisierungsgrad der höchsten Selbstbewusstseinsstufe ist derjenige des „Fast-wieder-Verschwinden(s)“ (GL2 § 5,4) des für das sinnliche Selbstbewusstsein charakteristischen Gegensatzes, nicht derjenige der vollendet vollzogenen Aufhebung. Gleichwohl hält Schleiermacher an der reinen Idee des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit fest, ja er geht davon aus, dass auf der höchsten Stufe des Selbstbewusstseins sowohl die Idee als solche als auch ihr unter raumzeitlichen Realisierungszusammenhängen unaufhebbarer Unterschied zu ihren – durch den Zusammenhang mit dem sinnlichen Selbstbewusstsein vermittelten – Erscheinungsgestalten in der Weise unmittelbaren Bewusstseins präsent sei. Dieses unmittelbare Bewusstsein von sich und der unaufhebbaren Differenz seiner selbst von aller Erscheinung, wie sie dem Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit eigen ist, tritt als reales Bewusstsein zwar ebenfalls nur im momentanen Verein mit dem sinnlichen Selbstbewusstsein ins Dasein, ohne darüber freilich seinen Transzendenzcharakter bzw. die Gewissheit einzubüßen, dass im frommen Gefühl das sinnliche Selbstbewusstsein und der für dieses unübersteigbare Gegensatz transzendiert ist. Die protologische Explikation dieser für das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit kennzeich- Dogmatische Organisation nenden unmittelbaren Transzendenzgewissheit, welche die Gewissheit der Prinzipialität der Gott–Nichtgott(Selbst/Welt)–Differenz impliziert, ist die Schleiermachersche Schöpfungslehre, wie sie im ersten Teil der Glaubenslehre inklusive aller sie bestimmenden Einzelmomente entfaltet wird. Thema dieses Teils ist entsprechend die, um zur Abwechslung die Erstauflage der Glaubenslehre zu zitieren, „Entwiklung des frommen Selbstbewußtseins als eines der menschlichen Natur einwohnenden, dessen entgegengesezte Verhältnisse zum sinnlichen Selbstbewußtsein sich erst entwikkeln sollen“ (GL1 Erster Theil: Überschrift). Für die Untergliederung der Schöpfungslehre Schleiermachers ist, wie erwähnt, ausschlaggebend, dass alle Sätze, welche die christliche Glaubenslehre aufzustellen hat, in dreifacher Gestalt erfasst werden können: als Explikationen eines bestimmten Zustands des frommen Gefühls, als Begriffe von göttlichen

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Handlungsweisen und Eigenschaften sowie als Aussagen von Beschaffenheiten der Welt. Der Auslegung des frommen Gefühlszustandes gebührt dabei nach Schleiermacher als der ursprünglichen Form dogmatischer Aussage der Vorzug, ohne dass deshalb die beiden anderen Formen verzichtbar wären. Entsprechend wird zuerst das im frommen Selbstbewusstsein „gesezte Verhältniß zwischen dem endlichen Sein der Welt und dem unendlichen Sein Gottes“ (GL2 § 35 Leitsatz) beschrieben. Die Beschreibung unseres frommen – „die Gesammtheit des endlichen Seins repräsentirenden“ (GL1 Erster Teil. Erster Abschnitt, Überschrift) – Selbstbewusstseins, sofern sich darin das Verhältnis zwischen der Welt und Gott ausdrückt, enthält sowohl das Lehrstück von der Schöpfung als auch dasjenige von der Erhaltung; beide lassen sich nach Schleiermacher nicht trennen, sondern bilden einen differenzierten Zusammenhang. Sodann wird in einem zweiten Abschnitt entwickelt, „wie geeigenschaftet in jenem Selbstbewußtsein Gott in Beziehung auf die Welt gesezt wird“ (GL2 § 35 Leitsatz), will heißen: mit welchen „auf die Welt im allgemeinen sich beziehenden Eigenschaften Gottes“ (GL1 § 42 Leitsatz) dogmatisch zu rechnen ist. Dieser Abschnitt enthält im Wesentlichen die Lehre von der Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht und Allwissenheit Gottes. Überschrieben ist er in der ersten Auflage der Glaubenslehre wie folgt: „Von den göttlichen Eigenschaften, welche sich auf das Abhängigkeitsgefühl, sofern sich noch kein Gegensaz darin entwikkelt, beziehen“. In der zweiten Auflage lautet die entsprechende Überschrift, wie bereits erwähnt: „Von den göttlichen Eigenschaften, welche sich auf das fromme Selbstbewußtsein, sofern es das allgemeine Verhältnis zwischen Gott und der Welt ausdrückt, beziehen.“ Ein dritter und letzter Abschnitt des ersten Teil der Glaubenslehre schließlich handelt davon, „wie beschaffen in demselben die Welt vermöge der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott gesezt ist“ (GL2 § 35 Leitsatz), also „von durch die Abhängigkeit von Gott in der Welt gesezten Beschaffenheiten“ (GL1 § 42 Leitsatz). Er enthält die Lehre von der ursprünglichen Vollkommenheit sowohl der Welt als auch des Menschen. Seine Überschrift in der ersten Auflage spricht kurz von der „Beschaffenheit der Welt, welche in dem Abhängigkeitsgefühl an sich angedeutet ist“, wohingegen der schon genannte Zusatz in der zweiten Auflage ausführlicher gestaltet ist: „welche in dem frommen Selbstbewußtsein, sofern es das allgemeine Verhältnis zwischen Gott und der Welt ausdrückt, angedeutet ist.“ Die primäre Gestalt von Schleiermachers ProtoloFrommes Innesein sich gie thematisiert die Lehre von Schöpfung und gegebener Endlichkeit Erhaltung, indem sie das religiöse Empfinden (sich) gegebener Endlichkeit und das fromme Innesein endlichen Bestands expliziert. In der Entwicklung des frommen Selbstbewusstseins, wie es in jeder christlich frommen Gemütserregung immer schon vorausgesetzt wird, aber auch immer mitenthalten ist, kommt das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit gewissermaßen als solches und ohne Berücksichtigung jener Gegensätzlichkeit in Betracht, wie sie für die Sphäre sinnlichen Selbstbewusstseins insgesamt charakteristisch und

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religiös durch den Gegensatz von Sünde und Gnade gekennzeichnet ist. Thematisch wird das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit dabei als allgemeines Endlichkeitsbewusstsein bzw. als Manifestation eines allem endlichen Sein gemeinsamen Verhältnisses, dessen die Frömmigkeit inne wird, um auf diese Weise die höchste Selbstbewusstseinsstufe zu repräsentieren, in der sich Selbst und Welt vereint und vereint von Gott als ihrem absoluten Grund unterschieden und von ihm getragen wissen. Das im unmittelbaren Selbstbewusstsein Sich-schlechthin-abhängig-Finden ist also zugleich und in einem Bewusstsein seiner selbst als eines der Endlichkeit als solcher angehörigen Endlichen und Innesein des Unendlichen als desjenigen, durch welches das Endliche als es selbst sich gegeben ist. Eine andere Weise des Einsseins von Endlichem und Unendlichem sieht Schleiermacher nicht vor: vielmehr ist das im unmittelbaren Selbstbewusstsein Sich-schlechthin-abhängig-Finden, wie es in jedem christlich frommen Selbstbewusstsein immer schon vorausgesetzt wird und daher immer mitenthalten ist, „die einzige Weise, wie im allgemeinen das eigne Sein und das unendliche Sein Gottes im Selbstbewußtsein Eines sein kann“ (GL2 § 32, Leitsatz). Dass das im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit seiner sich gegebenen Endlichkeit innegewordene Selbstbewusstsein eben damit auch Gottes innegeworden ist, dass mithin im unmittelbaren Selbstbewusstsein der Frömmigkeit das Bewusstsein Gottes als des wahrhaft Unendlichen und nicht nur das Bewusstsein der Welt als der Ganzheit und Gesamtheit alles Endlichen, von der sich das einzelne Endliche abhängig weiß, mitgesetzt ist, davon geht Schleiermacher entschieden aus. Zwar bestreitet er nicht ein Mitgesetztsein der Welt im Selbstbewusstsein, aber dieses sei „ein anderes als das Mitgeseztsein Gottes in demselben. Denn die Welt, wenn man sie auch als Einheit sezt, ist sie doch die in sich selbst geteilte und zerspaltene Einheit, welche zugleich die Gesamtheit aller Gegensäze und Differenzen und alles durch diese bestimmten Mannigfaltigen ist, wovon jeder Mensch auch eines ist und an allen jenen Gegensäzen theilhat. Das Einssein mit der Welt im Selbstbewußtsein ist also nichts anders, als daß wir uns unserer selbst als eines in diesem Ganzen mitlebenden Theiles bewußt sind; und dies kann unmöglich ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit sein. Vielmehr da alle mitlebenden Theile in Wechselwirkung untereinander stehn, so ist dieses mit dem Ganzen eins sein in jedem solchen Theile wesentlich ein zwiefaches, ein Gefühl der Abhängigkeit freilich, sofern die anderen Theile selbstthätig auf ihn einwirken, aber ebenso auch ein Gefühl der Freiheit, sofern er selbst ebenfalls selbstthätig auf die andern Theile einwirkt, und das eine ist von dem andern nicht zu trennen. Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl also ist nicht als ein Mitgeseztsein der Welt zu erklären, sondern nur als ein Mitgeseztsein Gottes als der absoluten ungetheilten Einheit. Denn weder giebt es in Beziehung auf Gott unmittelbar ein Freiheitsgefühl, noch auch kann das Abhängigkeitsgefühl in Beziehung auf ihn ein solches sein, dem ein Freiheitsgefühl als Gegenstükk zukommen kann; sondern auch auf der höchsten Stufe der christlichen Frömmigkeit und beim klarsten Bewußtsein der ungehemmtesten Selbstthätigkeit bleibt doch die Schlechthinnigkeit des Abhän-

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gigkeitsgefühls in bezug auf ihn unverringert. Und dies soll der Ausdrukk bezeichnen, das sich schlechthinnig abhängig finden sei die einzige Weise, wie Gott und Ich im Selbstbewußtsein zusammen sein kann.“ (GL2 § 32,2) Als die einzige Weise des Zusammenseins von Gott Anthropologisches und Ich im Selbstbewusstsein ist das Gefühl Universale schlechthinniger Abhängigkeit nach Schleiermacher ein anthropologisches Universale, dessen Evidenz für die Glaubenslehre „vollständig alle sogenannten Beweise für das Dasein Gottes“ ersetzt (GL2 § 33 Leitsatz). Was ersteren Aspekt, nämlich die anthropologische Universalität, Unvermeidbarkeit und Unersetzbarkeit der Religion angeht, so geht er von der Annahme aus, dass das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit als das die Endlichkeit des Seins im allgemeinen vertretende Selbstbewusstsein ein zum Menschsein des Menschen gehöriges Lebenselement ist und nicht etwa nur etwas Kontingentes bzw. lediglich für einzelne Individuen Gültiges. Das religiöse Gefühl kennzeichnet in diesem Sinne das Wesen des Menschen und ist als das für den Menschen Wesentliche „das Allen schlechthin gemeinsame“ (GL2 § 33,1). Als das allen schlechthin Gemeinsame ist das religiöse Gefühl fernerhin zugleich „in Allen dasselbe“ und „nicht in dem Einen so, in dem Andern anders“ (ebd.). Die behauptete Tatsache, dass es sich beim schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl und bei dem in diesem mitgesetzten Gottesbewusstsein um ein wesentliches menschliches Lebenselement handelt, wird nach Schleiermacher durch den Hinweis auf faktische Gottlosigkeit von Menschen keineswegs falsifiziert. Denn die GL2 § 33,2 aufgeführten drei Formen der Gottlosigkeit sind entweder nur Indizien mangelhafter oder gehemmter Entwicklung des Menschlichen oder „eine Krankheit der Seele“ (GL2 § 33,2). Weit davon entfernt, durch gottlosen Schein falsifiziert zu werden, ist das zum Menschsein des Menschen gehörende religiöse Wesen vielmehr ein manifester Beleg des Daseins Gottes, ja der einzige Beleg, der als Gottesbeweis gelten kann und mithin dazu bestimmt ist, die traditionellen Gottesbeweise zu ersetzen, die eigentlich der Metaphysik angehören. Das ursprüngliche Abhängigkeitsgefühl ist nach Schleiermacher nicht nur das Innesein des differenzierten Selbst-Welt-Zusammenhangs in seiner Unauflöslichkeit, in ihm hat zugleich jene Koinzidenz von Selbst- und Weltgewissheit statt, wie sie durch die Wendung „reines Innesein sich gegebener Endlichkeit“ umschrieben ist. Mit dem Leitsatz von GL1 § 41 zu reden: „In derjenigen frommen Gemüthserregung, worin das Abhängigkeitsgefühl auf unser Geseztsein in den allgemeinen Naturzusammenhang bezogen ist, stellt unser Selbstbewußtsein zugleich die Gesammtheit alles endlichen Seins dar.“ Im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit werden sonach Selbst und Welt als ursprünglich eins empfunden. Gleichwohl wäre es nach Schleiermacher falsch und unfromm zu meinen, das ursprüngliche Einssein von Selbst und Welt, dessen das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit in der Weise unmittelbaren Selbstbewusstseins inne wird, besage „eigentlich nur die Abhängigkeit eines einzelnen Endlichen von der Ganzheit und Gesammtheit alles endlichen“ (GL1 § 36,2). Diese Annahme hat als ebenso irrig zu gelten

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wie die irre Behauptung, ein Einzelsubjekt sei Inbegriff und Abhängigkeitsgrund der Welt als ganzer. Gegen den Pantheismus hat sich Schleiermacher nicht erst in der Zweit-, sondern schon in der Erstauflage seiner Glaubenslehre energisch abgegrenzt. Wie die Idee des Ich so ist auch die Idee der Welt von der Idee Gottes zu unterscheiden, soll das Wesen der Frömmigkeit nicht in ihr gerades Gegenteil verkehrt werden. Zwar werden, um es zu wiederholen, im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit Selbst und Welt als ursprünglich eins empfunden. Aber dieses empfundene Einssein von Selbst und Welt ist nicht unmittelbar gleichzusetzen mit der im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit manifesten Gottesgewissheit, insofern Gott als „die ungetheilte absolute Einheit“ (GL1 § 36,2) identisch ist weder mit dem Ich, welches auf der höchsten Stufe des Selbstbewusstseins seiner selbst „als des Ortes für die Gesammtheit der Begriffe“ (GL1 § 41,2) und damit als der conditio sine qua non von Weltwirklichkeitswahrnehmung inne wird, noch mit der Welt als des Inbegriffs jener „getheilte(n) Einheit, welche zugleich die Gesammtheit aller Gegensäze und Differenzen ist“ (GL1 § 36,2). Im reinen, die Selbst-Welt-Differenz umgreifenden Innesein sich gegebener Endlichkeit, wie es im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit statthat, ist vielmehr zugleich und ursprünglich jene irreduzible und unaufhebbare Grunddifferenz offenbar, die durch den Unterschied von Unendlichem und Endlichem, Gott und Nichtgott, Schöpfer und Kreatur bezeichnet ist. Dem entspricht der ursprüngliche Ausdruck der Frömmigkeit, demzufolge die Welt (samt dem Ich selbst) „nur in der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott besteht“ (GL2 § 36 Leitsatz). In der kirchlichen Lehre spaltet sich der Ausdruck schlechthinniger Selbst-Welt-Abhängigkeit Schöpfung und Erhaltung von Gott „in die beiden Säze, daß die Welt von Gott erschaffen ist und daß Gott die Welt erhält“ (ebd.). Nach Schleiermachers Urteil ist diese Spaltung allenfalls aus Konventionsgründen beizubehalten, da sich beide Sätze recht verstanden nicht nur ergänzen, sondern wechselseitig ineinandern aufheben lassen (vgl. § 38). Entscheidend für ihre dogmatische Erörterung sei, sie so zu behandeln, dass sie zusammengenommen den ursprünglichen Ausdruck des auf das Verhältnis zwischen der Welt und Gott bezogenen frommen Selbstbewusstseins erschöpfen, demgemäß „die Gesamtheit des endlichen Seins nur in der Abhängigkeit von dem Unendlichen besteht“ (GL2 § 36,1; vgl. § 37). Im einzelnen gilt dabei folgende Regel: „Denkt man nun die Schöpfung der Welt als Einen göttlichen Act und mit diesem den ganzen Naturzusammenhang, so kann dieses ein vollkommner Ausdrukk des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls sein, wenn man sich nur nicht jenen Act denkt als aufgehört habend, mithin auf der einen Seite in Gott einen Wechsel von Thätigkeit in Beziehung auf die Welt und von Ruhe, auf der andern aber in der Welt einen Wechsel zwischen einem Bedingtsein des Ganzen durch Gott und einem Bedingtsein alles einzelnen jedes durch das andere. Ebenso denkt man sich die Erhaltung als eine auf den ganzen Weltenlauf sich beziehende göttliche Thätigkeit, und auf dieser ebenso den

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ersten Anfang beruhend wie jeden folgenden Zustand: so ist dieses ein vollkommner Ausdrukk des betreffenden Selbstbewußtseins, wenn man sich nur nicht denkt auch vor und außer jener Thätigkeit noch etwas anderes den Anfang der Welt bedingend.“ (GL2 § 38,2) Was Schleiermachers eigenen Umgang mit den beiden traditionell gesonderten, sachlich hingegen untrennbar verbundenen Vorstellungen von Weltschöpfung und Welterhaltung Gottes angeht, so folgt er dem Leitsatz: „Die Lehre von der Schöpfung ist vorzüglich in der Hinsicht zu entwikkeln, daß fremdartiges abgewehrt werde, damit nicht aus der Art wie die Frage nach dem Entstehen anderwärts beantwortet wird, etwas in unser Gebiet einschleiche, was mit dem reinen Ausdrukk des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls im Widerspruch steht. Die Lehre von der Erhaltung aber vorzüglich um daran jenes Grundgefühl selbst vollkommen darzustellen.“ (GL2 § 39, Leitsatz) Geht es also in der Schöpfungslehre insbesondere um „die Aufstellung der nöthigen Vorsichtsregeln“ (GL2 § 39,3), so in der Erhaltungslehre überwiegend um „die positive Entwiklung“ (ebd.) der das Gott-Welt-Verhältnis betreffenden Frömmigkeitsgehalte. Schleiermacher begründet dieses Vorgehen mit dem Hinweis, es sei sachgemäßer, die Schöpfungslehre unter der Form der Erhaltungslehre zu entwickeln als umgekehrt. Dies sei insbesondere deshalb der Fall, weil im Unterschied zur Frage nach dem Erhaltungsgrund die Frage nach dem Anfang alles endlichen Seins, von welchem wir „kein Selbstbewußtsein haben“ (GL2 § 39,1), nicht im unmittelbaren Interesse der Frömmigkeit liege; das Interesse der Frömmigkeit sei vielmehr lediglich ein mittelbares, „nämlich daß sie keine Beantwortung derselben anerkennt, welche den Frommen mit seinem Grundgefühl in Widerspruch brächte“ (GL2 § 39,1). Ein solcher Widerspruch läge im Falle jeder Vorstellung von dem Entstehen der Welt vor, „durch welche irgend etwas von dem Entstandensein durch Gott ausgeschlossen, oder Gott selbst unter die erst in der Welt und durch die Welt entstandenen Bestimmungen und Gegensäze gestellt wird“ (GL2 § 40 Leitsatz). Von „beiden Klippen“ (GL2 § 40,3) habe sich die christliche Frömmigkeit und Glaubenslehre fernzuhalten. Erstere Klippe zu meiden ist Funktion der Annahme einer creatio ex nihilo, welche „läugnet, daß vor der Entstehung der Welt irgend etwas aus Gott vorhanden gewesen, was als Stoff in die Weltbildung eingegangen wäre“ (GL2 § 41,1). Ist aber kein Seiendes vom Entstandensein durch Gott ausgeschlossen, so heißt dies, dass das Entstehen der Welt „ganz auf die göttliche Thätigkeit zurükkgeführt werden“ muss, wobei eine Bestimmung derselben nach Art menschlichen Tuns sich selbstverständlich verbietet (GL2 § 41 Leitsatz). Damit ist bereits die zweite zu meidende Klippe und die Forderung angesprochen, Gottes Schöpfungshandeln nicht der Logizität und den Bedingungen der ins Werk gesetzten Schöpfung zu unterwerfen. D. h. u. a., dass die Entstehung der Welt zwar „als die allen Wechsel bedingende Zeiterfüllung dargestellt werden (soll), aber nicht so, daß die göttliche Thätigkeit selbst eine zeitliche würde“ (GL2 § 41 Leitsatz). Ebensowenig darf die göttliche Tätigkeit dem Gegensatz von Notwendigkeit und

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Zufälligkeit, wie er für die Sphäre des sinnlichen Selbstbewusstseins charakteristisch ist, subsumiert werden: Gottes Schöpferhandeln ist absolut frei, ohne deshalb arbiträre Willkür zu sein (vgl. GL2 § 41 Zusatz). Während das Lehrstück von der Schöpfung nach Schleiermacher im Wesentlichen die negativen Grenzmarkierungen für den angemessenen Ausdruck frommen Selbstbewusstseins gottgesetzter Endlichkeit abzustecken hat, expliziert das Lehrstück von der Erhaltung dieses positiv, indem es Gott als den beständigen Konstitutionsgrund des Endlichen in seiner Gesamtheit vorstellig macht. Dabei kommt Schleiermacher alles darauf an, göttliche Weltkonstitution und Naturzusammenhang als unauflösliche Einheit zur Geltung zu bringen. Der einschlägige Leitsatz lautet wie folgt: „Das fromme Selbstbewußtsein, vermöge dessen wir alles, was uns erregt und auf uns einwirkt, in die schlechthinnige Abhängigkeit von Gott stellen, fällt ganz zusammen mit der Einsicht, daß eben dieses alles durch den Naturzusammenhang bedingt und bestimmt ist.“ (GL2 § 46 Leitsatz) Um den Verdacht des Pantheismus erneut abzuwehren und eine undifferenzierte Identifizierung von deus und natura zu vermeiden, bringt Schleiermacher in Erinnerung, dass unbeschadet der Tatsache untrennbaren Zusammengehörens von Abhängigkeit von Gott und Bedingtsein durch Natur die Idee Gottes von derjenigen der Welt als Inbegriff des Naturzusammenhangs strikt zu unterscheiden ist. Während nämlich im Naturzusammenhang nur relative Abhängigkeit und „theilweisige“ (GL2 § 46,2), ihrerseits bedingte Ursächlichkeit statthabe, sei die Gott zu attestierende Ursächlichkeit eine absolute, von der nicht nur jede besondere Ursache, sondern auch die Welt als die den Naturzusammenhang als solche darstellende Gesamtheit geteilter Ursächlichkeit selbst abhängig sei. Von einer Gleichschaltung Gottes und der Welt bzw. einer indifferenten Koinzidenz des Unendlichen und des Endlichen im frommen Gefühl kann nicht die Rede sein. Die Pointe der These, dass das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit die Einsicht eines alles bestimmenden und bedingenden Naturzusammenhangs nicht aufhebt, sondern bestätigt, erhellt vielmehr aus der Überlegung, wonach jenes Gefühl „am vollständigsten (ist), wenn wir uns in unserm Selbstbewußtsein mit der ganzen Welt identificiren, und uns auch so noch, gleichsam als diese, nicht minder abhängig fühlen. Diese Identification kann uns aber nur in dem Maaß gelingen, als wir in Gedanken alles in der Erscheinung getrennte und vereinzelte verbinden, und mittelst dieser Verknüpfung alles als Eines sezen. In diesem AllEinen des endlichen Seins ist dann der vollkommenste und allgemeinste Naturzusammenhang gesezt, und wenn wir uns also als dieses schlechthin abhängig fühlen: so fällt beides, die vollkommenste Ueberzeugung, daß Alles in der Gesamtheit des Naturzusammenhanges vollständig bedingt und begründet ist, und die innere Gewißheit der schlechthinnigen Abhängigkeit alles Endlichen von Gott vollkommen zusammen.“ (GL2 § 46,2) Was es mit der inneren Gewissheit der schlechthinnigen Abhängigkeit alles Endlichen von Gott Drei Extrapolationen näherhin auf sich hat, entfaltet Schleiermacher in

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Form dreier sog. Extrapolationen: Es handelt sich dabei erstens um das Wunderthema einschließlich des Themas des Gebets, zweitens um das Problem des Übels und drittens um die Frage des Verhältnisses freier und natürlicher Ursachen in ihrer jeweiligen Abhängigkeit von Gott. Den gemeinschaftlichen Bezug der genannten Sachzusammenhänge zu den entwickelten Grundsätzen der Erhaltungslehre findet Schleiermacher darin, dass dieselben von Polaritäten bestimmt sind, welche in den Kontext des frommen Empfindens müssen integriert werden können, wenn dieses Bestand haben soll. Um welche Polaritäten es sich dabei handelt bzw. wie die Herkunft der jeweiligen Gegensatzpaare zu beurteilen ist, sagt Schleiermacher so: „Der Gegensaz zwischen dem gewöhnlichen und dem wunderbaren geht zurück auf das Größte und Kleinste des Naturkreises, aus dem das eine und das andere zu erklären ist; der Gegensaz zwischen gut und übel auf das Größte und Kleinste in der Zusammenstimmung der allgemeinen Wechselwirkung zu dem Fürsichbestehen des einzelnen; der Gegensaz zwischen Freiheit und Mechanismus auf das Größte und Kleinste des individualisirten Lebens.“ (GL2 § 49 Zusatz) Ziel der Argumentation ist es zu zeigen, dass die erwähnten Polaritäten im Rahmen dessen bleiben, worauf das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit in seinem Verhältnis zum sinnlichen Selbstbewußtsein bezogen ist. Zitiert seien der Kürze halber nur die einschlägigen Leitsätze aus GL2: „§ 47. Aus dem Interesse der Frömmigkeit kann nie ein Bedürfniß entstehen, eine Thatsache so aufzufassen, daß durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr Bedingtsein durch den Naturzusammenhang schlechthin aufgehoben werde.“ „§ 48. Erregungen des Selbstbewußtseins, welche Lebenshemmungen ausdrükken, sind vollkommen ebenso in die schlechthinnige Abhängigkeit von Gott zu stellen wie diejenigen, welche eine Lebensförderung ausdrükken.“ „§ 49. Ob das was unser Selbstbewußtsein erregt, mithin auf uns einwirkt, auf irgendeinen Theil des sogenannten Naturmechanismus zurückzuführen ist, oder auf die Thätigkeit freier Ursachen: das eine ist vollkommen ebenso wie das andere von Gott geordnet.“ Die zitierten Leitsätze verfolgen das Primärinteresse, Bestimmungen zu vermeiden, welche, wie Schleiermacher sagt, „das richtige Verhältniß zwischen Schöpfung und Erhaltung trüben. Dies geschieht bei dem Wunderbaren, wenn man es als rein übernatürlich aufstellt, indem auf diese Weise eine Nachschöpfung entsteht, welche die Erhaltung theilweise aufhebt und also mit ihr im Widerspruch steht. Dasselbe geschieht, wenn man die Uebel weniger von Gott geordnet denkt als anderes, weil er ja dann von dem gleich sehr geschaffenen einiges mehr im Stich läßt als anderes. Es geschieht endlich, wenn man die freien Ursachen so sehr den natürlichen entgegensezt, daß jene in ihrer Wirksamkeit weniger von Gott abhängig erscheinen. Denn sie haben dann ihre Wirksamkeit zum Theil anderwärts her, da sie doch ihr Dasein ebenso von Gott her haben, mithin ist auch hier eine Ungleichheit zwischen Schöpfung und Erhaltung gesezt.“ (GL2 § 49 Zusatz) Ein zweites Argumentationsinteresse der Leitsätze und ihrer Ausführung besteht darin, „die Zusammenstimmung zu zeigen zwischen dem Interesse der Frömmigkeit und dem wissenschaftlichen auf der einen dem sittlichen auf der andern Seite.

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Das sittliche nämlich muß immer gefährdet sein oder seinerseits das fromme gefährden, wenn die schlechthinnige Abhängigkeit so gefaßt wird, daß die freie Selbstbestimmung dabei nicht bestehen kann und umgekehrt. Das wissenschaftliche aber ist ein zwiefaches, das der Naturforschung und das der Geschichte. Die erstere von diesen findet sich durch die Annahme des schlechthin übernatürlichen mitten im Naturverlauf so beengt, daß sie dadurch auf nichts zurükkgeführt werden kann. Die letztere hat es vorzüglich mit dem Gegensaz zwischen Gutem und Uebel zu thun, und muß bei der Art, wie sich beide ineinander verschlungen zeigen, notwendig fatalistisch werden, d. h. die Beziehung auf die Idee des Guten aufgeben, wenn das Uebel gar nicht oder auch nur minder sollte von Gott geordnet sein als sein Gegenteil.“ (Ebd.) Ohne Berücksichtigung des sinnlichen Selbstbewusstseins bzw. der durch den Gegensatz nament- Göttliche Ursächlichkeit lich von Sünde und Gnade bestimmten Tatsachen des frommen Selbstbewusstseins kommt das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit im Wesentlichen seines religiösen Seins in Betracht als allgemeines Innesein sich gegebener Endlichkeit als solcher. Drei Formen der Explikation dieses allgemeinen Inneseins sieht Schleiermacher vor: die ursprüngliche, welche in der in Schöpfungs- und Erhaltungslehre entfalteten Aussage besteht, dass alles endliche Sein als einzelnes sowohl als auch in seiner Gesamtheit nur in schlechthinniger Abhängigkeit vom Unendlichen besteht, sowie zwei abgeleitete Formen, deren erste sich auf Eigenschaften und Handlungsweisen Gottes und deren zweite sich auf Beschaffenheiten der Welt bezieht. Was die göttlichen Eigenschaften betrifft, welche sich auf das im Abhängigkeitsgefühl als solchem gegebene fromme Selbstbewusstsein beziehen und, wie es heißt, „keinesweges für eine Beschreibung des göttlichen Wesens gelten wollen“ (GL2 § 56 Zusatz zu diesem Abschnitt), so folgt ihre Erörterung dem Grundsatz, dass sie „nicht etwas besonderes in Gott bezeichnen (sollen), sondern nur etwas besonderes in der Art, das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl auf ihn zu beziehen“ (GL2 § 50 Leitsatz). Weit davon entfernt, die Theorie der göttlichen Eigenschaften auf metaphysisch-spekulativem Wege entwickeln zu wollen, bestreitet Schleiermacher entschieden, dass sie „ursprünglich von dem dogmatischen Interesse ausgegangen ist“ (GL2 § 50,1). Das dogmatische Interesse, das Schleiermacher an der Lehre von den Eigenschaften Gottes nimmt, ist ein lediglich indirektes, nämlich: das im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl mitgesetzte Gefühl schlechthinniger Ursächlichkeit zu thematisieren. Die Methode seiner Eigenschaftslehre bevorzugt entsprechend gegenüber der via eminentiae oder via negationis die via causalitatis. Denn es gilt ihm als gewiss, „daß alle in der christlichen Glaubenslehre abzuhandelnden göttlichen Eigenschaften, da sie nur das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl erklären sollen, auf die göttliche Ursächlichkeit irgendwie zurükkgehen müssen“ (GL2 § 50,3). Damit ist zugleich deutlich, dass die traditionell behauptete Pluralität und Verschiedenheit göttlicher Eigenschaften „nichts Reelles in Gott“ (GL2 § 50,3) ist, wie „(d)enn auch das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl . . .

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nicht an und für sich betrachtet und sich selbst immer und überall gleich sein (könnte), wenn in Gott selbst differentes gesezt wäre“ (GL2 § 50,2). Bleibt als wesentliche Eigenschaft Gottes streng genommen lediglich eine einzige, nämlich diejenige unbedingter Ursächlichkeit, auf welche das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl verweist, so kann diese „nur so beschrieben werden, daß sie auf der einen Seite von der innerhalb des Naturzusammenhanges enthaltenen unterschieden, ihr also entgegengesetzt, auf der andern Seite aber dem Umfange nach ihr gleichgesezt wird“ (GL2 § 51 Leitsatz). Schleiermacher kommentiert diesen Leitsatz wie folgt: „Da wir das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl als ein solches haben, welches einen Moment erfüllen kann, sowol in Verbindung mit dem theilweisen und bedingten Abhängigkeitsgefühl, als mit dem theilweisen und bedingten Freiheitsgefühl, da in diesem Ineinander von bedingter Abhängigkeit und bedingter Freiheit oder teilweiser Ursächlichkeit und Leidentlichkeit unser Selbstbewußtsein das endliche Sein überhaupt repräsentirt; immer aber, wenn irgendwo Abhängigkeit oder Leidentlichkeit gesezt ist in einem Theil des endlichen Seins, dann in einem andern Selbsthätigkeit und Ursächlichkeit gesezt ist, worauf jene bezogen wird, und dies gegenseitig aufeinander bezogen sein von verschieden vertheilter Ursächlichkeit und Leidentlichkeit den Naturzusammenhang bildet: so folgt nothwendig, daß das unser schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl begründende, d. h. die göttliche Ursächlichkeit, sich auch so weit erstrekkt als der Naturzusammenhang und die darin enthaltene endliche Ursächlichkeit, mithin dieser dem Umfange nach gleichgesetzt ist. Da sich ferner das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl zu dem partiellen Abhängigkeitsgefühl grade ebenso verhält, wie zu theilweisem Freiheitsgefühl, mithin der zwischen diesen beiden bestehende Gegensaz in Beziehung auf jenes verschwindet; die endliche Ursächlichkeit aber nur vermittelst ihres Gegensazes zu der endlichen Leidentlichkeit das ist, was sie ist: so ist folglich auch die göttliche Ursächlichkeit der endlichen entgegengesezt.“ (GL2 § 51,1) Bezeichnet die göttliche Ursächlichkeit, wie sie im Allmacht und Ewigkeit, Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit dessen Allgegenwart und Einheit entsprechend mitgesetzt ist, das allen göttAllwissenheit lichen Eigenschaften wesentlich Gemeinsame, so folgt deren lehrhafte Differenzierung der bereits erwähnten Grundunterscheidung, wonach die schlechthinnige Ursächlichkeit Gottes nur so beschrieben werden kann, dass sie von der im Naturzusammenhang enthaltenen einerseits differenziert, andererseits mit ihr dem Umfang nach identifiziert wird. Die Entgegensetzung wird in der Gotteseigenschaft der Ewigkeit, diejenige der Gleichsetzung in der Gotteseigenschaft der Allmacht namhaft gemacht (vgl. im Einzelnen GL2 § 51,1). Ergänzt wird die der Unterscheidung von Seinsimmanenz und Seinstranszendenz göttlicher Ursächlichkeit analoge Unterscheidung von Allmacht und Ewigkeit Gottes dadurch, dass dem Begriff seinstranszendenter Ewigkeit derjenige der Allgegenwart, dem Begriff seinsimmanenter Allmacht derjenige der Allwissenheit zugeordnet wird. Der Ewigkeit Gottes ist die Frömmigkeit in der Gewissheit

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seiner Gegenwart unter allen Bedingungen von Raum und Zeit gewahr, auf seine Allmacht vertraut sie in dem Bewusstsein, dass diese nicht nach Weise toter Kräfte, sondern bewusstseinsförmig wirkt. Der allwissende Gott realisiert seine Allmacht in vollkommener Geistigkeit, und seine allgegenwärtige Ewigkeit ist wirklich in der zeitlosen Verursachung nicht nur alles Zeitlichen, sondern der Zeit selbst bzw. in der raumlosen Verursachung nicht nur alles Räumlichen, sondern des Raumes selbst. Raum und Zeit gründen in Gott. Dessen gewiss zu sein, ist der Frömmigkeit genug. Hingegen erachtet Schleiermacher die Streitfrage eines zeitlichen Anfangs oder einer Anfangslosigkeit der Welt für religiös ebenso belanglos wie analoge Fragen bezüglich ihrer räumlichen Verfasstheit. Bleibt anzumerken, dass die traditionellen göttlichen Eigenschaftsbegriffe wie Einheit, Unendlichkeit und Einfachheit Gottes recht eigentlich nicht, jedenfalls „nicht in demselben Sinn wie die bisher abgehandelten“ (GL2 § 56 Leitsatz) in den gegebenen Zusammenhang gehören: So ist das Attribut der Einheit Gottes „weniger eine einzelne Eigenschaft, als der monotheistische Kanon, welcher aller Untersuchung über göttliche Eigenschaften immer schon zum Grunde liegt“ (GL2 § 56,2). Der Ausdruck „unendlich“ hinwiederum, indem er das dem Endlichen insgesamt Entgegengesetzte und nicht lediglich dasjenige bezeichnet, „was ohne Ende ist“, bewährt sich „als im genauesten Zusammenhang mit dem vorigen monotheistischen Grundkanon, und sagt unter der Form eines abwehrenden Prädicats die Differenz der göttlichen Ursächlichkeit von aller Endlichkeit aus“ (ebd.). Der Begriff der Einfachheit schließlich bestätigt auf seine Weise dieses Ergebnis: „Wie . . . die Unendlichkeit auf der einen Seite eine Eigenschaft aller Eigenschaften Gottes ist, so die Einfachheit nur das ungetrennte und untrennbare Ineinandersein aller göttlichen Eigenschaften und Thätigkeiten, wie es hier im allgemeinen und bei jeder besonders ist dargestellt worden.“ (Ebd.) Grundlegende Bezugsgröße der Schleiermacher’schen Schöpfungslehre ist das allgemeine Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit. Es wird zunächst an sich selbst thematisiert, um dann im Hinblick auf die Gottesthematik expliziert zu werden. Abschließend handelt Schleiermacher von der Beschaffenheit der Welt in Bezug auf das allgemeine Abhängigkeitsgefühl, um so seine Lehre von der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt des Menschen zu entwickeln. Dass die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt einschließlich des Menschen vor der gegenwärtigen Beschaffenheit des Daseins einen Zeitraum ausgefüllt haben soll, um sich hernach in die gegenwärtige Unvollkommenheit umzuwandeln, wird von Schleiermacher abgewiesen (vgl. GL2 § 59 Zusatz). Zwar finde sich diese Behauptung „in den Ueberlieferungen der meisten Völker als Sage von einem vor der eigentlichen Geschichte abgelaufenen goldenen Zeitalter“ (ebd.) und in bestimmter Weise auch in den „kurzen alttestamentischen Andeutungen von dem paradiesischen Leben“ (ebd.). Doch handle es sich dabei recht eigentlich nicht um prähistorische, sondern um Aussagen von transhistorischer Bedeutung, deren bleibender Sinn nach Schleiermacher in der Gewissheit besteht, „daß die Gesamtheit des endlichen Seins, wie sie auf uns einwirkt, und so auch die aus unserer Stellung in derselben

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hervorgehenden menschlichen Einwirkungen auf das übrige Sein dahin zusammenstimmt, die Stätigkeit des frommen Selbstbewußtseins möglich zu machen“ (GL2 § 57,1). Genau in diesem und nur in diesem Sinne gilt: „Die Allgemeinheit des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl schließt in sich den Glauben an eine ursprüngliche Vollkommenheit der Welt.“ (GL2 § 57 Leitsatz) Der Glaube an eine Vollkommenheit der Welt Ursprungsvollkommenheit beinhaltet die Gewissheit, dass einerseits „die Richder Welt tung des Geistes auf das Gottesbewußtsein“ mit allen Welteindrücken, will heißen: „mit jeder sinnlichen Bestimmung des Selbstbewußtseins“ „compossibel“ ist (GL2 § 57,1) und dass andererseits auch die konsequenteste Einwirkung menschlicher Selbsttätigkeit auf das gegebene Sein das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl nicht aufhebt, sondern bestätigt. Letzteres gilt auch und gerade für den Fall, dass „wir unser Selbstbewußtsein . . . zu dem der ganzen Welt erweitern, also sofern wir in demselben das endliche Sein im allgemeinen repräsentiren“ (ebd.). Was aber die angenommene Ursprünglichkeit der bezeichneten, in der Allgemeinheit des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit impliziten Vollkommenheit der Welt anbelangt, so soll durch den Ausdruck „ursprünglich“ nach Schleiermacher „bevorwortet werden, daß hier nicht von irgendeinem bestimmten Zustand der Welt noch auch des Menschen oder des Gottesbewußtseins in dem Menschen die Rede ist, welches alles eine gewordene Vollkommenheit wäre, die ein Mehr und Minder zuläßt, sondern von der sich selbst gleichen aller zeitlichen Entwicklung vorangehenden, welche in den innern Verhältnissen des betreffenden endlichen Seins gegründet ist“ (ebd.): „Unmittelbar wird also hier gar nicht von irgendeinem zeitlichen Zustande der Welt und des Menschen, insbesondere weder vergangenen noch gegenwärtigen oder zukünftigen, gehandelt, sondern nur von den der ganzen zeitlichen Entwikklung gleichmäßig zum Grunde liegenden und während derselben sich immer gleichbleibenden Verhältnissen.“ (GL2 § 57,2) Der prinzipielle Sinn der Lehre von der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt als der durch den differenzierten Zusammenhang von Ich und Nicht-Ich bestimmten Einheit besteht in der Annahme, dass alles endliche Sein, sofern es unser Selbstbewusstsein mitbestimmt, auf jene göttliche Ursächlichkeit zurückzuführen ist, deren Gewissheit im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit mitgesetzt ist. In dem Glauben an die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt liegt deshalb Schleiermacher zufolge „zugleich dieses, daß die göttliche Allmacht in der ganzen Lebendigkeit als die ewige allgegenwärtige und allwissende sich überall in der Welt vermittelst des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl offenbart, ohne einen Unterschied von Mehr oder Weniger oder gar einen Gegensaz, der in Beziehung auf die Abhängigkeit stattfände zwischen einem Theil und dem andern“ (GL2 § 57,1). Nichts anderes bezeuge der Glaube an „die göttliche Billigung der Welt“ (GL2 § 57,2) bzw. die Annahme, dass die kreatürliche Welt ihrem gottgeschaffenen Wesen nach insgesamt und ausnahmslos gut sei. Versteht man unter Welt die gottgebene Einheit, in der alles Endliche inbegriffen ist, so umfasst dieser Begriff, wie

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unschwer zu sehen ist, den differenzierten Zusammenhang von Selbst und Welt bzw. von Ich und Nichtich als solchen und nicht etwa nur das vom Selbstsein des Menschen unterschiedene Endliche. Entsprechend beinhaltet Schleiermachers Lehre von der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt nicht nur die Lehre „von der übrigen Welt in Beziehung auf den Menschen“, sondern ebenso diejenige „von der Vollkommenheit des Menschen selbst“ (GL2 § 58 Leitsatz). Was die ursprüngliche Vollkommenheit der von Menschen unterschiedenen Welt in Beziehung auf diesen angeht, so ist zunächst zu bedenken, dass der Zusammenhang von Selbst und Welt bzw. Ich und Nicht-Ich ein zwar differenzierter, aber unauflöslicher ist, „indem nämlich beide Glieder einander gleichzeitig gegenübertreten“ (GL2 § 59,1). Was für den – einen Zusammenhang stetiger Gleichzeitigkeit bildenden – Gegensatz zwischen dem Selbst und dem diesem gegebenen Sein bzw. zwischen Selbstbewusstsein und gegenständlichem Bewusstsein gilt, gilt analog von demjenigen von Tätigem und Leidentlichem: auch Tun und Leiden lassen sich niemals trennen, sondern stehen in beständiger Relation. Indes hebt die Relativität ihres Verhältnisses den gegebenen Unterschied nicht auf, sondern bestätigt ihn in der Weise relativer Abhängigkeit und Passivität einerseits und relativer Freiheit und Aktivität andererseits. Als Wirkgrund relativer Abhängigkeit ist die Welt dem Selbst präsent erstens durch Erregung leidentlicher Zustände; dabei haben in der Glaubenslehre dem teleologischen Charakter christlicher Frömmigkeit entsprechend nur solche in Betracht zu kommen, „aus welchen thätige werden sollen“ (GL2 § 59,1): solche Zustände nennt Schleiermacher Reize. Der zweite Aspekt von Weltpräsenz, wie sie dem Selbst gegeben ist, schließt an die Behandlung tätigkeitsmotivierender Reize mit dem Hinweis auf die allgemeine Bestimmbarkeit der Welt durch das Selbst an. Diese allgemeine Bestimmbarkeit der Welt ist vollkommen in der Weise „unbeschränke(r) Empfänglichkeit derselben für die Einwirkungen der geistigen Selbstthätigkeit des Menschen“ (GL2 § 59,2). Solche Empfänglichkeit der Welt fasst Schleiermacher unter den Ausdrücken Organ und Darstellungsmittel zusammen, wobei der Organbegriff vor allem mit dem Leib des Menschen als primärem Weltmedium zu assoziieren ist, durch dessen Vermittlung das übrige weltliche Sein zum Darstellungsmittel des geistigen Selbst des Menschen werden kann. „Jeder Moment in welchem wir uns dem uns äußerlich gegebenen Sein gegenüberstellen enthält theils die Voraussezung, daß die Welt dem menschlichen Geist eine Fülle von Reizmitteln darbiete zur Entwikklung der Zustände, an denen sich das Gottesbewußtsein verwirklichen kann, theils die, daß sie sich in mannigfachen Abstufungen von ihm behandeln lasse, um ihm als Organ und als Darstellungsmittel zu dienen.“ (GL2 § 59, Leitsatz) Der Leitsatz des Lehrstücks von der ursprüngliUrsprungsvollkommenheit chen Vollkommenheit des Menschen nimmt in seides Menschen nem ersten Gesichtspunkt vorweg auf den zuletzt genannten Aspekt Bezug, wenn es heißt: „Die Richtung auf das Gottesbewußtsein schließt als innerer Trieb das Bewußtsein des Vermögens in sich mittelst des menschlichen Organismus zu denjenigen Zuständen des Selbstbewußtseins zu

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gelangen, an welchen sich das Gottesbewußtsein verwirklichen kann; und der davon unzertrennliche Trieb, das Gottesbewußtsein zu äußern, schließt ebenso den Zusammenhang des Gattungsbewußtseins mit dem persönlichen Selbstbewußtsein in sich, und beides zusammen ist die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen.“ (GL2 § 60 Leitsatz) Erster Satzteil besagt, „daß in unserm klaren und wachen Leben eine Stätigkeit des Gottesbewußtseins an und für sich betrachtet möglich ist; wie wir es auch im Gegentheil als eine wesentliche Unvollkommenheit empfinden müßten, wenn das Hervortreten des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl, ohnerachtet es kein theilweisiges Abhängigkeits- oder Freiheitsgefühl aufhebt, doch schon an und für sich nur auf einzelne zerstreute Momente beschränkt wäre.“ (GL2 § 60,1) Der zweite Satzteil hinwiederum macht deutlich, dass Individualität und Sozialität des Menschen als gleichursprünglich und als ursprünglich eins zu gelten haben. Wie die Vollkommenheitslehre überhaupt so enthält auch die Lehre von der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen nach Schleiermachers Urteil selbstverständlich keine Aussagen über einen status integritatis eines vermeintlich ersten Menschen. Die alttestamentliche Genesisgeschichte vom prälapsarischen Adam vermittelt keinerlei Nachricht von einem geschichtlichen Zustand. Grundsätzlich gilt, dass „alle Versuche . . . , ein geschichtliches Bild von den ersten Anfängen des menschlichen Daseins zu gestalten, . . . nothwendig mißlingen (müssen), weil es uns, wie uns denn überhaupt kein absoluter Anfang gegeben ist, an aller Analogie fehlt, woran wir uns einen absoluten Anfang des vernünftigen Bewußtseins verständlich machen könnten“ (GL2 § 61,3). Steht sonach fest, „daß ein schlechthin erster Zustand sich gar nicht denken läßt“ (ebd.), so gibt es auch „keine Veranlassung, besondere Glaubenssäze aufzustellen, deren Gegenstand die ersten Menschen wären“ (GL2 § 61,4), zumal da diese auch in der mosaischen Darstellung der Schöpfung nicht „in ihrer Besonderheit“ in Betracht kommen, „sondern nur sofern sie der erste Abdrukk der Menschengattung waren“ (ebd.), deren geschlechtliche Differenziertheit ein Kapitel für sich darstellt (vgl. Hartlieb), das in der Glaubenslehre nicht eigens erörtert wird. Fällt eine eigene Lehre vom Protoplasten flach, so ist Schleiermacher geneigt, mit dieser fernerhin den traditionellen Begriffen der Urstandslehre wie Gottebenbildlichkeit und iustitia originalis insgesamt den Abschied zu geben, worin er durch die Beobachtung bestärkt wird, „daß sowol unsere symbolischen Bücher als auch im Gefolge derselben die späteren Glaubenslehrer im Gebrauch dieser Ausdrükke schwanken, bald mehr die ursprünglichen aller menschlichen Entwicklung zum Grunde liegenden Vorzüge der menschlichen Natur dadurch bezeichnend, bald wiederum mehr einen bestimmten vollkommnen Zustand des ersten Menschen, und also Glaubenssäze über den ersten Menschen aufstellend, wobei denn dieser Zustand bald mehr als anerschaffen, bald zum Theil als erworben gedacht werden kann“ (GL2 § 61,5). Schleiermacher schließt daraus, dass es zweckdienlicher sei, den Glaubensgedanken vollkommener Menschennatur aus der Allgemeinheit des frommen Selbstbewusstseins heraus zu entwickeln, wie es in jeder

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christlichen Gemütserregung vorausgesetzt und enthalten ist, statt ihn mit der Vorstellung eines ursprünglichen Zustands des Menschengeschlechts bzw. mit einem einzelnen Menschen zu assoziieren: „Soll aber in einer einzelnen menschlichen Erscheinung alles zusammengeschaut werden, was sich aus solcher ursprünglichen Vollkommenheit entwikkeln kann: so wird dieses nicht in Adam aufzusuchen sein, in dem es wieder verlorengegangen sein müßte, sondern in Christo, in welchem es allen Gewinn gebracht hat.“ (Ebd.) In Jesus Christus wird urbildlich und in einer dem christlichen Glauben allein gemäßen Weise vorstellig, was es mit der göttlichen Wesensbestimmung von Mensch und Welt auf sich hat. Ohne Christologie kann es mithin nach Schleiermacher ein angemessenes christliches Schöpfungsverständnis nicht geben. Dass diese Annahme Anfragen in Bezug auf die materiale Gliederung seiner Glaubenslehre hervorrufen muss, war Schleiermacher bewusst. Wie er diese Anfragen beantwortet hat, wird im Zusammenhang der Entwicklung der durch den Gegensatz von Sünde und Gnade bestimmten Frömmigkeitsgehalte erörtert werden. Was Schleiermacher im ersten Teil seiner materialen Dogmatik zur Darstellung bringt, ist mit der Wendung Schöpfungslehre nur unzureichend bezeichnet. Dies ist deshalb der Fall, weil der Schöpfungsbegriff nach Urteil des Glaubenslehrers ein Problem in sich enthält, das ihn von vorneherein ungeeignet macht, die Glaubenswahrheit zum vollgültigen Ausdruck zu bringen, die traditionell mit ihm verbunden wird: Der Schöpfungsgedanke ist an sich selbst differenzbestimmt und von jener Duplizität geprägt, die allen Gedankenvollzügen in Form der Unterscheidung von Denken und Gedanken inhäriert, ohne spekulativ behoben werden zu können. Er ist daher nicht in der Lage, demjenigen angemessenen Ausdruck zu verschaffen, was allem Seienden und begrifflich Fassbaren als transzendenter Grund vorausgesetzt ist. Des transzendenten Grundes innezuwerden, ist nach Schleiermacher grundsätzlich keine Möglichkeit des Denkens, welches den Glauben lediglich zu explizieren, nicht aber zu begründen vermag. Von diesem Vermögensmangel ist ursprünglich und in der prioritären Weise, die seiner traditionellen Stellung entspricht, der Schöpfungsgedanke betroffen, der allenfalls als approximative Umschreibung, nicht aber als adäquate Bestimmung des Glaubensgehalts fungieren kann, auf den er genuin bezogen ist. Denn ohne die Differenz von Schaffen und Erschaffenem, die er voraussetzt, hat der Schöpfungsbegriff nach Schleiermacher keinen Bestand und keine sinnvolle Bedeutung. Nach üblicher Redensart, so steht es etwa in der Schwierigkeiten mit dem Nachschrift eines Dialektikkollegs zu lesen, das Schöpfungsgedanken Schleiermacher in der Zeit des Erscheinens der Erstauflage seiner Glaubenslehre gehalten hat (vgl. KGA II/10,1,XXXV–XXXIX), ist der durch die unaufhebbare Differenz von Schaffen und Erschaffenem bzw. zu Erschaffendem bestimmte Schöpfungsbegriff auf ein Material bezogen, welches der schöpferischen Tätigkeit vorauszusetzen sei; aber auch für den Fall, dass davon abstrahiert und Schaffen als reine Tätigkeit aufgefasst werde, iteriere das Problem, sofern der Begriff des Tuns nur unter der Voraussetzung der Differenz von Tätig-

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keit und Getätigtem einen Sinn ergebe. Die Aufhebung dieser Differenz im Sinne etwa einer trinitätstheologischen Einholung ist Schleiermacher verwehrt, weil er jedwede Art solcher Aufhebung für spekulativ und realem Wissen nicht zugänglich erachtet. Auch der transzendentalen Idee, derzufolge von der Einheit von Schaffen und Geschaffenem nur ein regulativer Gebrauch in dem Sinne zu machen sei, die Bedingung der Möglichkeit von Selbst und Welt zu erklären, verweigert er sich, weil diese Idee erstens und ihrem eigenen Verständnis zufolge kein reales Wissen erzeuge und zweitens nur jene Aporie reproduziere, die sie zu lösen vorgebe. Weder Denken noch Wollen sind fähig, den Grund, der sie fundiert, in sich zu fassen. Sie setzen ihn voraus, ohne ihn als ihre Setzung begreifen und ohne seiner wissentlich und willentlich habhaft werden zu können. Der Grund von Denken und Wollen transzendiert alles Wissen und alles bewusste Tun, ohne im Unterbewussten angesiedelt oder der Bewusstlosigkeit preisgegeben werden zu können. Sein Jenseits lässt sowohl einen Absolutismus als auch einen Defätismus von Denken und Wollen hinter sich und führt über den Gegensatz von Materialismus und Idealismus hinaus. Denken und Wollen sind Schleiermacher zufolge differenzbestimmt und durch die Duplizität von Denken und Gedachtem, Willen und Gewolltem gekennzeichnet. Als Kandidaten, das Absolute und damit den Grund ihrer selbst zu erfassen, kommen sie nicht infrage, weil sie beide und nachgerade in ihrem differenzierten Verhältnis zueinander einen Unterschied beständig widerspiegeln, dessen Grund ihnen entgeht, weil er reflexiv nicht fassbar ist. Die Lösung ihrer Aporie, die durch keine Begriffs- und Willensanstrengung zu leisten ist, kann nur von einem Dritten erwartet werden, das zwar in allem Denken und Wollen mitgesetzt ist, ohne selbst Denken oder Wollen zu sein. Schleiermacher nennt jenes zu Denken und Wollen hinzutretende Dritte – wohl wissend, dass es sich jedweder numerischen Klassifikation entzieht – unmittelbares Selbstbewusstsein oder Gefühl resp. Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit. Von ihm her und unter ständigem Bezug hierauf entwickelt Schleiermacher seine Gesamtdogmatik einschließlich der Lehre von der Schöpfung. Seine „Schwierigkeiten mit dem Schöpfungsgedanken“ betreffen „nicht nur die altbekannte Frage, was denn bei der Annahme eines Anfangs der Welt im Akt der Schöpfung diesem Anfang vorhergegangen sei“ (Pannenberg, 9), auch nicht in erster Linie das Problem der Kontingenz der Welt und alles dessen, was ihr zugehört, sondern die begriffliche Fassung dieses Gedankens selbst. Die Reichweite des Schöpfungsgedankens ist nach Schleiermacher durch zwei Grenzwerte bestimmt. An seiner Obergrenze stellt sich die Idee reiner Tätigkeit und Formkraft, an seiner Untergrenze die, wenn man so will, Antiidee ungeformter chaotischer Materie ein. Der Obergrenzidee entspricht die Vorstellung eines absoluten Subjekts, das alles aus seiner unbedingten Freiheit heraus in ungezwungener Notwendigkeit wirkt, der Untergrenzenantiidee diejenige eines naturhaften Schicksals, das fatal und blind im Sinne der bewusstlos wirkenden Totalität aller Kausalverhältnisse waltet. Keine der gedanklichen Grenzwertformeln, wie sie in der rationalen Metaphysik in unterschiedlichen Variations- und Kombinationsformen begegnen, ist nach

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Schleiermachers neuprotestantische Schöpfungslehre: F. D. E. Schleiermacher

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Schleiermacher geeignet, den von ihm so genannten transzendenten Grund zu identifizieren. Weder ist dieser mit gestaltloser Materie oder mit einem blind waltenden Schicksal, noch mit reiner Aktivität bzw. einem Subjekt von absoluter Selbsttätigkeit gleichzusetzen. In der Ablehnung des Materialismus, der ungeformte Stofflichkeit zum generierenden Prinzip und zur potentiellen Grundlage aller Wirklichkeit erklärt, um sie in naturhafter Notwendigkeit fatalistisch walten zu lassen, weiß sich Schleiermacher eins mit der jüdisch-christlichen Tradition. Doch lehnt er nicht minder entschieden die idealistisch-spiritualistische Variante des Schöpfungsgedankens ab, derzufolge ein absolutes Geistsubjekt in allmächtiger Freiheit die Welt aus dem Nichts erschaffen habe. Denn auch dieser Gedanke reflektiere in sich die Differenz von Denken und Gedanken, ohne in der Lage zu sein, sie zu beheben. Vorstellungshaft führe dies zur Annahme, der Schöpfer habe seine Schöpfung gegebenenfalls auch unterlassen können, und zwar unbeschadet der Tatsache, dass die Setzung der Schöpfung, einmal getätigt, als ein Akt freier Notwendigkeit und notwendiger Freiheit gelten müsse. Denn auch dort, wo Freiheit und Notwendigkeit göttlichen Schöpfungshandelns vorsehungstheologisch und damit so vermittelt seien, dass jedwede Form von Zwang und Zwangsläufigkeit ausgeschlossen sei, reproduziere sich die Differenz von Denken und Gedanken in dem Bestreben, den Akt der Schöpfung direkt und den der Erhaltung und Vollendung indirekt auf arbiträre Entscheidungsfreiheit Gottes zurückzuführen, womit der ausgeschiedene Fatalismus gleichsam durch die Hintertür erneut schöpfungstheologischen Einzug halte. Für Schleiermacher bleibt es dabei: Der Schöpfungsgedanke ist in gewisser Weise selbst das Problem, für dessen Lösung er steht.

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8. Der schöpferische Geistprozess nach G.W.F. Hegel

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Die klassische Lehre von der Schöpfung als erstem opus dei triuni ad extra handelt nicht nur vom anfänglichen Beginnen der Welt, sondern auch von der Erhaltung des Geschaffenen, dessen Wirklichkeit ohne Gottes tätige Mitwirkung keinen Bestand hätte. Dabei leitet der Schöpfer seine Kreaturen so, dass er sie nach dem Maß ihrer jeweiligen Bestimmung hinlenkt auf ein Vollendungsziel, in dem sich die Schöpfung erfüllt und Gott in seiner trinitarischen Gottheit als derjenige offenbar wird, der ein und alles ist. Ohne das Resultat des pneumatologischen Prozesses, auf welches der göttliche Schöpfergeist die Schöpfung hinordnet, ist weder die Wirklichkeit des Schöpfers, noch die seiner Schöpfung angemessen zu erfassen. Der Sinn des kreatürlichen Ganzen erschließt sich von dem Telos her, zu welchem es der Schöpfer bestimmt hat. Hingegen wäre es abstrakt und bar jeder Konkretion, Gottes Schöpferwerk und die Wirklichkeit seiner Schöpfung auf ein bloß Anfängliches zu restringieren. Durch ein solches Verfahren müsste der Schöpfungstheologie die Fülle ihres Gehalts entgehen, welcher alles Sein, alles Bewusstsein und alle Formationen umfasst, in welchen selbstbewusstes Leben Gestalt annimmt, um das Ziel zu realisieren, welches ihm gesetzt ist. Thema der Schöpfungslehre hat in diesem Sinn nicht nur die Welt des Seienden und der extrahumanen Kreatur, sondern ebenso, ja mehr noch und in gesteigerter Weise die Humanwelt mitsamt ihrer Kultur zu sein, durch welche über die bloße Natur sich zu erheben der Mensch im Begriff steht, um zum entwickelten Bewusstsein seiner selbst und seiner Welt sowie zu begreifender Einsicht in das Absolute zu gelangen, in dem sich vollendet, wozu alles bestimmt ist. Mit dem erfolgten Vorspruch sind entscheidende Aspekte der Hegelschen Lehre vom Schöp- Problem des Anfangs fergeist benannt: Sie nimmt ihren Anfang bei der Einsicht in die Unmöglichkeit, einen geistreichen Anfang in der Philosophie zu finden, um sodann das im Werden begriffene Sein des Geistes von der Naturphilosophie über die Philosophie des subjektiven und objektiven Geistes bis hin zur Philosophie des Absoluten mit ihren ästhetischen, religionsphilosophischen und wissenschaftstheoretischen Momenten in Betracht zu ziehen. Im Einleitungsband dieser Reihe (Bd. 1, 166 ff.) ist unter dem Aspekt des Begriffs der Religion und ihrer Theorie in der Moderne bereits eingehend vom Prozess der Erhebung vom Endlichen zum Unendlichen gehandelt worden, in welchem sich das Denken des Absoluten nach Hegel entwickelt. Ausführlich dargestellt wurde insbesondere der Gang vom Kunstschönen zur Religion. Auch wenn es gelegentliche Wiederholungen mit sich führt, ist es lohnend, im Rahmen der Schöpfungstheologie auf Hegels spekulatives System zurückzukommen, das an Perspektivenreichtum und gedanklicher Integrationskraft seinesgleichen sucht. Als geistlos nicht nur, sondern als geistwidrig hat es nach Hegels Urteil zu gelten, das Uranfängliche des Denkens in der Weise eines Prinzips zum Grundsatz philosophischer Wahrheit zu erklären. Denn aller Anfang ist leer. Ein anfänglicher Grundsatz der Philosophie ist daher notwendigerweise falsch, sofern er als wahr

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behauptet wird. Denn das Grundsätzlich-Prinzipielle ist nicht das perfekte Ganze, welches zu sein es vorgibt, sondern als das bloß Anfängliche völliger Mangel an Sein und an sich selbst nichts: reine Indifferenz. Als ein desaströser Widerspruch in sich muss daher nach Maßgabe Hegels die These beurteilt werden, Philosophie könne mit dem Geist, der ihren Sinn begründet, wie aus der Pistole geschossen ihren Anfang nehmen. Ein solches Verfahren endet, bevor es eigentlich begonnen hat, in der sprichwörtlichen Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Wie das Wissen, dessen Wahrheit im Werden begriffen und nur als im Werden begriffen zu begreifen ist, ist die philosophische Wissenschaft als System des Wissens Resultat, in welchem der Prozess des Resultierens aufgehoben ist. „Wo wir eine Eiche in der Krafft ihres Stammes und in der Ausbreitung ihrer Aeste und den Massen ihrer Belaubung zu sehen wünschen, sind wir nicht zufrieden, wenn uns an dieser Stelle eine Eichel gezeigt wird. So ist die Wissenschaft, die Krone einer Welt des Geistes, nicht in ihrem Anfange vollendet.“ (Phän. 15) Am Anfang seiner „Wissenschaft der Logik“ hat Hegel das Problem, welches das Gleichnis von Eichel und Eiche umschreibt, eigens und in begriffsmäßiger Form benannt. „In neuern Zeiten erst“, heißt es, „ist das Bewußtseyn entstanden, daß es eine Schwierigkeit sey, einen Anfang in der Philosophie zu finden, und der Grund dieser Schwierigkeit so wie die Möglichkeit, sie zu lösen, ist vielfältig besprochen worden. Der Anfang der Philosophie muß entweder ein Vermitteltes oder Unmittelbares seyn, und es ist leicht zu zeigen, daß es weder das Eine noch das Andre seyn könne; somit findet die eine oder die andre Weise des Anfangens ihre Widerlegung.“ (Logik I, 53) Die Philosophie hat den Anfang, den sie macht, daher logisch als dasjenige zu nehmen, was er ist: nichts als Anfang und bloßes Beginnen. Der Anfang der Philosophie, mit dem die Logik beginnt, ist nichts als bloßes Sein, was an sich selbst reine Unbestimmtheit und Leere und damit Nichts, nichts als reines Nichts ist, nämlich einfache Gleichheit mit sich, Ununterschiedenheit in ihm selbst. Sein ist somit der leerste Begriff, ja die Begriffsleere als solche, wie sie in reiner Anfänglichkeit gegeben ist. Erst im Fortgang der Logik stellen sich Gedankeninhalte ein, wobei das logische Vorwärtsgehen auch als ein Rückgang zum Grund der Wahrheit vorstellig gemacht werden kann. Endgültiges Resultat und absoluter Grund der Logik koinzidieren. Liegt es in der Natur des Anfangs selbst, dass er das reine Sein sei und sonst nichts, so muss es der logischen Entwicklung des Begriffs überlassen bleiben, zu differenzierten inhaltlichen Bestimmungen fortzuschreiten. Gedankenlos und inhaltsleer wäre hingegen in Wahrheit der Anspruch, den entwickelten Begriff als Prinzip und auf uranfängliche Weise zu haben. Unter dem Gesichtspunkt, dass der Anfang als Anfang nichts als ununterschiedene Einheit sein könne, setzt sich Hegel u. a. mit Versuchen auseinander, das Ich als unmittelbares Selbstbewusstsein oder den absoluten Geist Gottes an den logischen Anfang der Philosophie zu stellen. Beides wird als reine Willkür verworfen. Wollte die Logik den Gang ihrer Gedanken unmittelbar mit Gott beginnen lassen, der doch das unbestrittenste Recht hätte, „daß mit ihm der Anfang gemacht werde“ (Logik I, 65), so wäre dies

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bloßes Belieben und in seiner willkürlichen Beliebigkeit gedankenlos und geistwidrig, da die anfängliche Logik philosophischen Beginnens den Gottesgedanken in keiner Weise zu fassen vermöchte, weil diesem erst der voll entwickelte Begriff gemäß ist. Die Methode, durch deren Verfahren die Abstraktion von Hegel’sche Philosophie ihre Inhalte gewinnt, vollAbstraktionen zieht ihren Gang in konsequenter Abstraktion von Abstraktionen, wie sie das Beginnen des Denkens momentan bestimmen, um in seinen fortschreitenden Verlauf aufgehoben zu werden. Die Konkretion, welche Philosophie erstrebt, ist nicht unmittelbar, sondern nur vermittlungsweise zu erlangen. Ihren logischen Anfang nimmt Philosophie bei der abstraktesten Abstraktheit des leeren Seins, ihre Vollendung findet sie im entwickelten Begriff des absoluten Geistes, dessen Wahrheit und Wirklichkeit nur im Vollzug der Systemgenese zu erfassen ist. Für die Genese des Hegel’schen Systems sind drei Momente konstitutiv, die ihre Idee bestimmen. Diese negiert, um sich zu realisieren, ihre Unmittelbarkeit und vermittelt sich mit dem, was sie nicht unmittelbar selbst ist. Aus der Bestimmung der Idee, Identität von Identität und Differenz zu sein, ergibt sich die Entwicklung des Systemganzen, welches nach Maßgabe der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ in drei Teile gegliedert ist (vgl. im Einzelnen Drüe u. a.): in die Wissenschaft der Idee, wie sie an sich selbst ist (Logik), in die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein (Naturphilosophie) und in die Wissenschaft der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt (Philosophie des Geistes). Diese dreigeteilte Systemkonzeption kompliziert sich, wenn man sie von der Unterscheidung von Logik und Realphilosophie überlagert sein lässt und ferner in Rechnung stellt, dass die Logik sowohl eine Dreiteilung in Seins-, Wesens- und Begriffslogik als auch eine Zweiteilung in die Seins- und Wesenslogik umfassende objektive Logik einerseits und die subjektive Logik des Begriffs andererseits aufweist. Lassen sich Korrespondenzen zwischen der internen Gliederungsstruktur der Logik und derjenigen der Natur- und Geistphilosophie namhaft machen? Findet sich zu der Doppelgliederung der Logik eine Entsprechung in der Realphilosophie? Können überhaupt Entsprechungsverhältnisse zwischen Logik und Realphilosophie namhaft gemacht werden, und wie verhält sich eine eventuelle Strukturierungsfunktion der Logik für das Systemganze zu der Tatsache, dass sie den ersten Teil des Systems und nicht schon unmittelbar das ganze System ausmacht? Fragen dieser Art wurden bereits an früherer Stelle erwogen (vgl. Bd. 1,176 ff.) mit dem Ergebnis, dass die Logik, obwohl sie das Systemganze strukturiert und strukturell das Systemganze ist, doch nicht unmittelbar das ganze System in sich erhält, sondern nur antizipativ in Gestalt des über sich selbst hinausführenden ersten Systemteils. Im Hinblick auf das Systemganze ergibt sich demzufolge die Reihung Logik, Naturphilosophie, Philosophie des endlichen Geistes, Philosophie des absoluten Geistes. Dabei lässt sich die tetradische Systemeinteilung unschwer in eine triadische überführen, sofern sich Natur und endlicher Geist „als Submo-

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mente des negativen Moments der ganzen Systemtriade“ (Hösle I, 149; bei H. kursiv) deuten lassen. Die Makrostruktur des Hegel’schen Systems kann dementsprechend mit folgender Sequenz umschrieben werden: I. Wissenschaft der Logik: 1. Die Logik des Seins. 2. Die Logik des Wesens. 3. Die Logik des Begriffs. II. Realphilosophie: 1. Philosophie der Natur. 2. Philosophie des subjektiven Geistes. 3. Philosophie des objektiven Geistes. III. Philosophie des Absoluten: 1. Ästhetik. 2. Religionsphilosophie. 3. Wissenschaftslehre. In der Wissenschaftslehre vollendet sich das System im absoluten Wissen des Absoluten. Nach Urteil eines zeitgenössischen Vertreters der Disziplin hat gegenwärtige Logik mit Hegels „Wissenschaft der Logik“ „nicht mehr als den Namen gemein“ (Strobach, 9). Geht es bei ersterer „um die Formen des Denkens . . . und nicht um einen bestimmten Inhalt“ (Strobach, 9), ist Hegels Logik von ihrem Ansatz her darauf angelegt, diese Differenz dialektisch zu beheben (vgl. Kesselring, bes. 47 ff.). Auch sie kann als Theorie des Argumentierens und Lehre vom richtigen Schließen begriffen werden; aber zu schlüssigen Argumenten gelangt man ihr zufolge nur, wenn man die Form des Denkens und seinen Gehalt nicht auseinanderdividiert, sondern als durcheinander bestimmt begreift, was für den Satz vom Nichtwiderspruch und vom ausgeschlossenen Dritten samt aller sonstigen Grundgesetze der Logik nicht folgenlos bleiben kann. Ihrem Selbstverständnis nach ist Hegels Logik Wissenschaft der Idee, wie sie an sich selbst ist. An sich selbst ist die Idee durch Begriffsunmittelbarkeit, Reflexivität und mit sich selbst vermitteltes Begreifen bestimmt. Die Logik des Seins ist entsprechend Lehre vom Begriff an sich oder vom Gedanken in seiner Unmittelbarkeit, die Logik des Wesens Lehre vom Fürsichsein und, wie Hegel sagt, vom Schein des Begriffs oder vom Gedanken in seiner Reflexion und Vermittlung, die Logik des Begriffs schließlich die Lehre von der entwickelten Idee oder dem Gedanken, der im Ausgang von seiner Unmittelbarkeit und im Durchgang durch Reflexivität zurückschreitet in sich selbst, um als Begriff des Begriffs die zu sich selbst gekommene Idee an und für sich zu sein. Ist mit der durchgeführten Logik die Idee absoluten Wissens erfüllt und der Begriff der Wissenschaft vollendet, so kann nach Hegel die Wissenschaft der Logik als vollendete Wissenschaft gleichwohl nur dann behauptet werden, wenn sie in Selbstanwendung ihres eigenen logischen Gesetzes die in ihr realisierte Idee durch keinen äußeren Gegensatz bestimmt sein lässt. In reinen Gedanken beschlossen wäre die Idee zwar absolut im logischen, nicht aber im absoluten Sinne. Um im absoluten Sinne absolut zu sein, muss sie den Gegensatz, der sich zwischen Idealität und Realität auftut, in sich begreifen. Die logische Idee hat sich daher realphilosophisch zu entäußern, um im Durchgang durch das, was sie als Idee nicht unmittelbar selbst ist, ihre absolute Wahrheit zu bewähren. Die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein ist Äußerlichkeit der Natur primär Naturphilosophie. In der Natur ist die Idee als das Negative ihrer selbst sich gegenübergestellt und äußerlich. Äußerlichkeit macht mithin die Bestimmung der Idee aus, in welcher sie als Natur ist. Das Außersichsein der Idee der Natur bedeutet nicht nur

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deren Unterschiedensein von sich, sondern ein Sich-Entgegensein. Das Sein der Natur entspricht dem Begriff nicht nur nicht, sondern ist der unaufgelöste Widerspruch des Begriffs mit sich selbst. Das Sein der Natur kann in diesem Sinne als Abfall der Idee von sich selbst bezeichnet werden, „indem die Idee als diese Gestalt der Aeußerlichkeit in der Unangemessenheit ihrer selbst mit sich ist“ (Enz. § 248). Indes darf die Vorstellung vom Fall der Idee nicht zu dem Missverständnis führen, die Natur sei an sich geistwidrig und in der Lage, auf dualistische Weise einen unvermittelt-vermittlungslosen Widerspruch dem Geist gegenüber aufzurichten. Ihre Bestimmung ist es vielmehr, geistig aufgehoben und von der abstrakten Äußerlichkeit ihres Seins befreit zu werden. Der Prozess der Aufhebung, in welchem die Natur begriffen ist, vollzieht sich nach Hegel in drei Schritten, deren stufenweise Abfolge bis hin zur organischen Natur bereits skizziert wurde (vgl. Bd. 1, 183 f.; im Einzelnen Horstmann/Petry [Hg.]). Seine mechanischen und physikalischen Basalmomente seien im Folgenden näher entfaltet, weil sich auf diese Weise genauere Einsicht gewinnen lässt in dasjenige, was man Hegels schöpfungstheologische Grundlegungstheorie nennen kann. Sie handelt als Theorie des Raumes, der Zeit und der Materie vom Fundamentalsten und zugleich Abstraktesten der Schöpfung, dessen Abstraktheit aufzuheben die Voraussetzung dafür ist, kreatürlich Konkretes zur Erkenntnis zu bringen. Nach Parmenides ist das eine Ganze rings umzirkt und kugelmäßig gerundet, so dass das Sein des Seienden – in sich geschlossen – ein ihm Äußeres ebenso wenig kennt wie das Nichts. Sein ist alles und alles ist Sein. Das ganz mit Sein erfüllte All schließt die Annahme einer inneren oder äußeren Leere aus. Die Atomisten dagegen rechnen ausdrücklich mit Leere und setzen dem Da-Sein des Seienden ein „Da-wo-nichts-ist“ entgegen. Raum wird als dimensionierte Leererstreckung ohne Grenze vorgestellt, in der gegebenenfalls verschiedene Seinswelten unterzubringen sind. Der Leerraum ermöglicht ein Nebeneinander von Seiendem und dessen Veränderung sei es innerhalb, sei es außerhalb der Welt, die wir die unsere nennen. Hegels Lehre ist auf die antike Kontroverse zwischen Eleaten und Atomisten sachlich insofern bezogen, als die Dialektik von Sein und Nichts das kosmische Werden als Thema beginnender Kosmologie grundlegend bestimmt. Die im Werden begriffene Welt ist als Einheit von Sein und Nichts der unbegriffliche Inbegriff des Differenzbestimmten, dessen Bestimmtheit indes noch gänzlich unentwickelt bleibt. Alles, was der Welt zugehört, ist, was es ist, im Unterschied zu dem, was es nicht ist. Welt ist, Raum und Zeit wenn man so will, ein ursprüngliches Durch-einander. Das Eine ist, was es ist, durch ein Anderes, ohne dass das anfängliche Durcheinander des Weltalls bereits begriffsförmig wäre. Es ist unbestimmtes Chaos und seinem unbegrifflichen Begriff nach dazu bestimmt, anfänglich und als der leere Anfang, der es ist, bestimmt zu werden. Die erste rudimentäre Bestimmung des chaotischen Durcheinanders des Weltalls ist der Raum, mit dem die im Werden begriffene Naturphilosophie ihren statischen Anfang nimmt. Raum ist

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Durcheinander in Form des Aus- bzw. Aussereinander, welches das eine neben dem anderen virtuell zu stehen kommen lässt. Als reines Neben- und Auseinander begreift der Raum jedoch noch keinen bestimmten Unterschied in sich, sondern ist nichts als die an sich selbst unterschiedslose Sphäre von Unterscheidungen. In seiner völligen Unterschiedslosigkeit in sich indifferent ist der Raum nicht wirkliches Auseinander, sondern sein eigenes Nichts dergestalt, dass er in Wahrheit alles räumliche Neben negiert: Er ist ein unbestimmtes Ineinander, nichts als ausdehnungsloser Punkt. Auf den Punkt gebracht erweist sich der ursprüngliche Raum als das Nichts dessen, was er zu sein vorgibt. Sein entwickeltes Sein ist durch das Nichts seines ursprünglichen vermittelt. Entwickeltes Sein nimmt der Raum anfänglich in der Linie an als dem wechselseitigen Bezogensein von Punkten, in der sich die Ursprungsbeziehung von reinem Raum und Punkt reflektiert. Die Linie ist die Synthese von Auseinander und Nichtauseinander. Sie ist grenzenlos ausgedehnt und punktartig zugleich. Aus der Dialektik ihres Begriff gehen nach Hegel Fläche und schließlich jene Dreidimensionalität hervor, die als die eigentliche Raumform des Auseinanders zu gelten hat. Der dreidimensionale, flächengegliederte Raum ist nach Hegel apriorischer und nicht aposteriorischer Natur, sofern ihn alle reale Erfahrung bereits zur Voraussetzung hat. Seine begriffliche Deduktion ist aber gleichwohl von nicht bloß formaler Art, weil sie als Begreifen der im Werden begriffenen Welt begriffen werden will. Räumlich verfasst nimmt das chaotische Durcheinander, dessen völlige Unbestimmtheit die Welt ihrem ursprünglichen – gänzlich unbegrifflichen – Begriff nach bestimmt, die Form eines distinkten Ausund Nebeneinanders an, das sich dreidimensional gestaltet, ohne doch bereits eine konkrete Gestalt angenommen zu haben. Noch gänzlich unbegriffen bleibt, was es realiter heißt, im Raum, also ein bestimmtes Eines außer und neben Anderem zu sein: das Sein des Raumes bleibt gänzlich virtuell. Als rein virtuell zu verstehen gibt sich auch der ursprüngliche Begriff der Zeit, der mit demjenigen des Raumes die anfängliche Unbegrifflichkeit teilt und seinerseits durch begriffliche Grenzwertigkeit bestimmt ist, wenngleich in einer Weise, welche die Begriffsgrenze des Raumes transzendiert. Raum begreift auf unbegriffliche Weise nur Auseinandersein in sich, Zeit hingegen ist der formale Begriff von Veränderung. Ist der Raum das unvermittelte Auseinander von einem und anderem, so manifestiert er sich als Zeit selbstreferentiell und in sich reflex. Das eine ist nicht nur das Andere des Anderen, sondern das Andere seiner selbst: es hat Veränderung statt. Veränderung ist das Anderswerden des Einen als Einen. Das Andere ist nicht mehr das bloße Andere des Einen, wie im Aus- und Nebeneinander des Raumes, sondern das Eine wird als Eines anders, ohne aufzuhören selbig zu sein. Dass dabei noch nicht an eine bestimmte, sondern lediglich an eine virtuelle Veränderung zu denken ist, wurde bereits gesagt. Die Zeit ist wie der Raum an sich selbst eine gänzlich abstrakte, von allem konkret Seienden abstrahierte Größe. Zeit ist nach Hegel negative Einheit des Außersichseins, gewissermaßen die in sich gegangene Äußerlichkeit des Räumlichen, das nun nicht mehr nur an sich,

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sondern zugleich für sich bestimmt ist. In der Zeit nimmt der Raum primitive Realität an. Die erste Form des in der Zeit realisierten Raums ist das simultane oder stetige Nebeneinander, in dem, wenn man so will, die Zeit stillsteht und noch ganz im Raume verharrt. Aus dem Stillstand der Zeit, in dem die Zeit noch nicht eigentlich geworden ist, sondern ruhig in absoluter Gleichzeitigkeit verharrt, geht durch Abstraktion von der Abstraktheit des Raumbegriffs, will heißen: durch dessen begriffliche Aufhebung als seinem wahren Begreifen das Nacheinander und damit der Lauf der Zeit hervor. In ihrem Lauf ist die Zeit als reines Werden begriffen, also als der aufgehobene Gegensatz von Sein und Nichts. Als Werden das Zugleich von Sein und Nichts ist die Zeit zugleich Vergehen. Im Werden und Vergehen ist die Zeit, was sie ist – Veränderung, ins Nacheinander fortbestimmte Nebeneinander: „nicht in der Zeit entsteht und vergeht Alles, sondern die Zeit selbst ist diß Werden, Entstehen und Vergehen, das seyende Abstrahiren, der Alles gebährende und seine Geburten zerstörende Chronos.“ (Enz. § 258) In dem Werden, Entstehen und Vergehen, in welchem das Sein der Zeit begriffen ist, sind deren Zeitlichkeitsmodi Dimensionen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit mitgesetzt. Sie sind „das Werden der Aeußerlichkeit als solches, und dessen Auflösung in die Unterschiede des Seyns als des Uebergehens ins Nichts, und des Nichts als des Uebergehens in Seyn. Das unmittelbare Verschwinden dieser Unterschiede in die Einzelnheit ist die Gegenwart als Jetzt, welches als die Einzelnheit ausschließend und zugleich schlechthin continuirlich in die andern Momente, selbst nur diß Verschwinden seines Seyns in Nichts, und des Nichts in sein Seyn ist.“ (Enz. § 259) Einen festen Bestand hat das Jetzige der Natur der Zeit bzw. dem Begriff der Naturzeit zufolge ebensowenig wie Vergangenheit und Zukunft. Der Unterschied der natürlichen Zeitdimensionen ist kein bestehender, sondern ein schlechterdings flüchtiger. Beständige Form nimmt der Unterschied von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach Hegel erst im subjektiven Geiste an, näherhin in der subjektiven Vorstellung, welche das Jetzt als konkrete Einheit affirmiert und als seiend fixiert, um es so von der erinnerten Vergangenheit und der erwarteten Zukunft dauerhaft zu unterscheiden. Erst im subjektiven Geist verwirklicht sich der Zeitbegriff wahrhaft, wohingegen die Natur keinen Begriff der Zeit kennt und eben deshalb der Macht der Zeit in Werden und Vergehen ohnmächtig unterworfen ist und in ständiger Gefahr steht, in den zeitlosen Raum zu regredieren. Gleichwohl zeigen sich in der Natur Zeichen der Zeit, die der Begriff als Vernunftzeichen und damit in höherem Maße als das Seine zu begreifen vermag, als das beim Raum der Fall war. Darauf deutet Hegels Bemerkung hin, dass die Zeit dasselbe Prinzip sei als das Ich = Ich des reinen Selbstbewusstseins, wohingegen der Raum nicht mit abstrakter Subjektivität, sondern mit abstrakter Objektivität zu assoziieren sei. Dieser Hinweis wäre gründlich missverstanden, wollte man ihn als Unterscheidung einer subjektiven Zeitsphäre oder einer objektiven Raumsphäre interpretieren. Ausdrücklich sagt Hegel, dass der Unterschied der Objektivität und eines gegen dieselbe subjektiven

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Bewusstseins den Begriff weder des Raums noch der Zeit unmittelbar etwas angeht. Zutreffend freilich ist, dass der Begriff unbeschadet der noch gänzlichen Äußerlichkeit und Abstraktheit natürlicher Zeit sich in dieser bereits näher gekommen ist als in der vergleichsweise noch ferneren Fremde des Raums. Als eine vom Raum unterschiedene Größe zeichnet sich die Zeit dadurch aus, dass in ihr das Verhältnis des einen zum anderen, dessen Differenz sich zum Vielen differenziert, nicht lediglich extern und in der Weise einer durch den reinen Gegensatz bestimmten Abstraktion, sondern intern auftritt. Das eine ist nicht lediglich das Andere des Anderen, die räumliche Differenziertheit wird vielmehr reflex dergestalt, dass eine Veränderung des einen als einen statthaben kann. Das eine hat das andere nicht mehr nur außer sich, sondern auch in sich: Zeit ist ein in sich Anderssein desselben. Dabei ist die Selbigkeit desselben Stetigkeit oder Gegenwart, das Andere desselben Vergangenheit und die der Selbigkeit des Einen interne differenzierte Differenz des Vielen Zukunft zu nennen. Auf unterschiedene Weise entsprechen so die Modi der Zeit den Dimensionen des Raumes. Ihr Verhältnis ist das eines externen und eines internen Verhältnisses von einem, anderem und vielem. Das eine ist räumlich das Hier, zeitlich das Jetzt; das Andere ist räumlich das Lineare, zeitlich das Vorliegende; das differenziert differente Viele ist das Perspektivenreiche, zeitlich ein Prospekt von allem Möglichen. Der aufgehobene Unterschied von Raum und Zeit Materie generiert sich gemäß der Logizität des Begriffs der Natur in das räumliche Jetzt oder den Ort einerseits und die Bewegung andererseits, deren gleichgültiges Ineinanderübergehen dasjenige ist, was Hegel Materie nennt, durch welche die Raumzeit erfüllt ist (vgl. Petry [Hg.], 247 ff.). Die Materie – in ihrer unmittelbaren Allgemeinheit lediglich quantitativ unterschieden und in verschiedene Quanten besondert – differenziert sich über die Trägheit ihrer in abstrakten Körpern ohne inhaltliche Bestimmtheit begriffenen Masse durch das Gegeneinander von Körpermassen zum bedingt freien Fall als der gleichförmig beschleunigten Bewegung, in dem sich ein Körperquantum in dem in verfließender Zeit durchlaufenen Raum bewegt. In diesem Zusammenhang schickt Hegel sich an, den Beweis des Galileischen Fallgesetzes, demzufolge sich die durchlaufenen Räume wie die Quadrate der verflossenen Zeiten verhalten (S/t2), aus dem Begriff der Sache zu geben dergestalt, dass er das Quadrat als die nach ihrer eigenen Bestimmtheit sich vermehrende Größe von der Gleichförmigkeit von Raum und Zeit in ihrer Verschiedenheit her deutet. Hat die gleichförmige Beschleunigung, wie sie im Fallgesetz begriffen ist, in allgemeiner Körperlichkeit statt, so nimmt sie in einem System mehrerer, gegeneinander besonderter Körper die Form der Gravitation an (vgl. im Einzelnen Ihmig). Im Gesetz der Gravitation sind Trägheitsgesetz und Fallgesetz unter Abstraktion von ihrer gegenseitigen Abstraktheit aufgehoben. In sich verharrend strebt Materie zugleich aus sich heraus zu anderem hin. Die Gesetze der absolut freien Bewegung, deren Entdeckung sich Kepler rühmen dürfe, ergeben sich hieraus. Statt hierauf oder auf die Polemik gegen die Annahme einer selbständigen Zentri-

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fugal- und Zentripedalkraft näher einzugehen, sei zum Thema Mechanik und Physik nur noch vermerkt, dass Hegels naturphilosophischer Begriff der Materie im Anschluss insbesondere an die aristotelische Tradition das an sich selbst Unbestimmte und Formlose bezeichnet, das dazu bestimmt ist, geformt zu werden und bestimmte Gestalt anzunehmen. Materie ist an sich selbst noch nichts real Bestimmtes, sondern bloße Virtualität. Mit ihr kann alles Mögliche assoziiert werden, nur kein konkretes Reales. Materie ist nach Hegel die daseiende Einheit von Raum und Zeit, mit der Realität real zu werden beginnt, ohne es bereits zu sein. Konstituiert ist Materie durch die ihr eigenen Bestimmungsmomente von Attraktion und Repulsion. Durch Attraktivität nimmt Materie den Raum ein, durch Repulsivität verschafft sie sich Zeit, um in ihrem kontinuierlichen Bestand als vorausgesetzter Grund jeder kosmischen Formgestalt die aufgehobene und zu unmittelbarer Identität gebrachte Raum-Zeit-Differenz zu sein. Materie ist einer Substanz zu vergleichen, die gegenüber jeder Form gleichgültig ist und daher alle möglichen Gestalten annehmen kann. Als ihre Ursprungsgestalt, mittels derer sie aus der Träge ihrer bloßen Substrathaftigkeit blitzartig heraustritt, nimmt Hegel die formlose Form des Lichts an. Licht gilt ihm als die Antimaterie der trägen, schwerfälligen und dunklen Materie. Aus beider Synthetisierung ergeben sich alle weiteren Bestimmungen Hegel’scher Mechanik und Physik. Bemerkenswert ist u. a. die Feststellung, dass relative Bewegung gleichbedeutend mit Körperbewegung, nichtrelativ-absolute Bewegung hingegen die Bewegung eines Nichtkörpers, nämlich des Lichtes sei, dessen Geschwindigkeit nicht körperhaft begriffen werden könne. Man hat darin trotz grundsätzlicher Bindung an den Newtonianismus (vgl. Petry [Ed.]) eine prinzipientheoretische Antizipation der beiden Prämissen der Speziellen Relativitätstheorie zu entdecken versucht (vgl. Wandschneider). Hegel habe die Sonderstellung des Lichts und die Konstanz seiner Geschwindigkeit spekulativ erhoben und die Relativität körperlicher Bewegung mit der Absolutheit der Lichtbewegung begrifflich zu vermitteln versucht, längst bevor die Thematik Gegenstand naturwissenschaftlicher Wahrnehmung geworden sei. Was Hegels Organik (vgl. Petry [Hg.], 349 ff.) thematisiert, ist im Unterschied zu den vorherge- Insichgehen der Natur henden naturphilosophischen Themengebieten durch fortschreitendes Insichgehen der Natur gekennzeichnet. Die Natur wird, wenn man so will, allmählich ihrer selbst auf naturhafte Weise inne. Manifest wird dies im animalischen Leben, das durch das vegetabilische Reich der Natur und durch den Erdorganismus mit dem Anorganischen kontinuierlich verbunden ist, ohne aus ihm einfachhin abgeleitet werden zu können. Als erste Vermittlungsinstanz zwischen Anorganischem und Organischem fungiert die Chemie. Alles organische Leben beruht auf chemischen Prozessen, ohne darin aufzugehen. Denn Organismen stehen nicht nur in Wechselbeziehung mit anderem, sondern zugleich mit sich selbst. Ihre Teile bezeichnen ein stimmiges Ganzes, das sich weder auf rein chemische, noch gar auf bloß mechanische Weise erfassen lässt.

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Zwar stehen auch im organischen Bereich die Gesetze der Physik und Chemie in Geltung, aber sie müssen zugleich transzendiert werden, um der Eigentümlichkeit organischen Lebens inne zu werden. Organisches Sein ist in sich reflektiertes Sein und lässt sich nur reflexiv erfassen. Organische Systeme sind selbstreferentiell. In ihnen hält Natur dergestalt Einkehr in sich, dass sie zu sich findet und nicht länger in bloßer Äußerlichkeit verharrt, sondern zum Innesein ihrer selbst fortschreitet. Eben jenen Prozess fortschreitender Innewerdung der Natur bedenkt die Organik ihrem Begriff gemäß. Gibt sich nach Hegel bereits das geologische Erdgefüge ansatzweise als Organismus zu erkennen, so tritt organisches Leben im pflanzlichen Bereich und in den vegetabilischen Gestaltungs-, Assimiliations- und Gattungsprozessen immer mehr zutage, um im tierischen Sein offenkundig manifest zu werden. Zumindest hochentwickelte Tiere sind Organismen, die ein in seinen Teilen gänzlich abgestimmtes Ganzes bilden. Können Teile der Pflanze gegebenenfalls selbständig bestehen, so ist das Tier in seinem Bestand ein unteilbares Ganzes und ein Lebewesen von ansatzweise ausgebildeter Individualität (vgl. Petry [Hg.], 377 ff.). Es ist Beziehung auf sich selbst und dessen auch mehr oder minder rudimentär inne. Tiere unterscheiden sich von leblosen Dingen grundsätzlich dadurch, dass ihnen unmittelbares Selbstgefühl eignet. Was es heißt, selbstzwecklich zu sein, deutet sich im animalischen Leben zumindest an. Tiere sind nicht nur Gattungsexemplare, sondern lebendige Organismen von je nach Gattung graduell unterschiedener Individualität. Ein Gradmesser fortschreitender Individualisierung ist nach Hegel der Gattungsprozess. Deutet er sich im pflanzlichen Bereich lediglich an, so nimmt das Geschlechtsverhältnis im Tierreich immer differenziertere Gestalt an. Entwickelte Tiere sind entweder männlich oder weiblich. Unter den Bedingungen voll ausgebildeter Zweigeschlechtlichkeit erfolgt der Fortpflanzungsprozess auf eine andere Weise als es der Begriff der Fortpflanzung nahelegt. Tiere pflanzen sich eben nicht wie Pflanzen fort. Vielmehr ist die animalische Begattung, durch welche sich die Gattung regeneriert, ein Akt, in dem sich zwei Gattungsexemplare, deren Geschlecht differiert, nach Art von unteilbaren Ganzheitsgrößen zusammenfinden, ohne sich freilich in ihrer Individualität schon bewusst zu erkennen oder anzuerkennen. Im animalischen Geschlechtsverhältnis ist sonach zwar einerseits die höchste Form natürlicher Vereinigung des Allgemeinen und des Besonderen realisiert, ohne dass dasjenige, was Hegel realisierte Einzelheit nennt, bereits zur Verwirklichung gelangt wäre. Die Wirklichkeit voll ausgebildeter Einheit von Gattungsallgemeinheit und individueller Besonderheit hebt erst in dem Augenblick an, in dem begriffen wird, dass der Akt höchster animalischer Lust, in dem die Vitalität der Natur sich vollendet, zugleich unter dem Schatten des Todes steht. Mit Hegel zu reden: Der animalische „Proceß der Fortpflanzung geht in die schlechte Unendlichkeit des Progresses aus. Die Gattung erhält sich nur durch den Untergang der Individuen, die im Processe der Begattung ihre Bestimmung erfüllt, und insofern sie keine höhere haben, damit dem Tode zugehen.“ (Enz. § 370) Die Naturphilosophie endet nach einem

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vorgeschalteten Abschnitt über die organische Krankheit mit Erwägungen über den natürlichen Tod des individuellen Organismus. Natur, so wurde gesagt, ist dem Begriff äußerOhnmacht und lich und in ihrer Äußerlichkeit zu begreifen, damit Gelassenheit zu Bewusstsein gebracht werde, was sie an sich selbst ist. Um die Natur nicht der Geistlosigkeit zu überlassen oder gar in geistwidriger Weise zur alles bestimmenden Wirklichkeit zu verklären, muss ihre vermittlungslose Unmittelbarkeit fortschreitend aufgehoben werden, um gerade so das Natürliche seiner Bestimmung zuzuführen. Dabei kann und darf nicht geleugnet werden, dass im stufenweisen Fortschritt des Begreifens von Natur mit einem natürlichen Zurückbleiben, ja mit natürlichen Restbeständen zu rechnen ist, die begrifflich unaufhebbar sind. Auch Hegel leugnet dies nicht, wie seine Weigerung beweist, die Krug’sche Schreibfeder zu deduzieren. Doch dürfe sich der Begriff durch den unleugbaren Verbleib von begrifflich unaufhebbarer Kontingenz nicht in einen Gegensatz zwingen lassen. Er habe dem Zufälligen vielmehr, ohne es in Abrede zu stellen, mit Gelassenheit zu begegnen, um es das sein zu lassen, was es an sich selbst ist: Nichts, was aus sich heraus und ohne Schuld desselben eine Befangenheit des Geistes begründen könnte. Natürlicher Zufall ist begrifflich als Kontingenzschutt zu werten, den man im Geiste gelassen sein und hinter sich lassen kann. Statt den Antagonismus zwischen Naturnotwendigkeit und regelloser Zufälligkeit, welcher den Widerspruch der als Natur sich selbst äußerlichen Idee in seiner Begriffsgegensätzlichkeit bestimmt, begrifflich zu fixieren und so auf Dauer zu stellen, ist er der Ohnmacht der Natur zuzurechnen, deren der Begriff nur, aber nun auch gerade dadurch mächtig zu werden vermag, dass er sie in ihrer Ohnmacht ohnmächtig sein lässt. Zwar setzt die Ohnmacht der Natur der Philosophie insofern Grenzen, als sie, auch wenn sich Spuren der Begriffsbestimmung bis ins Partikularste hinein verfolgen lassen, in ihrer äußersten Äußerlichkeit sich begrifflich nicht ausschöpfen lässt. Doch kann, meint Hegel, die Natur in diesem Äußersten der Ordnungslosigkeit getrost sein gelassen werden. Statt sich im Zufälligen bzw. im Abarbeiten am Gegensatz von Naturnotwendigkeit und natürlicher Regellosigkeit zu erschöpfen, rät Hegel der Vernunft in dieser Hinsicht zu vernünftiger Gelassenheit, die das Sein in seiner kontingenten Blöße sein lässt, wissend, dass es in Wahrheit nichts ist, was eine Alternative zum Geist zu begründen vermöchte. Im Begriff des Geistes ist derjenige der Natur aufgehoben, will heißen: bestimmt negiert, Werden des Geistes bewahrt und zu seiner wahren Bestimmung erhoben. Doch bedarf der Geist, um zu sein, was er ist, eines Werdeprozesses, der ihn über den Status seiner naturemanzipierten Unmittelbarkeit hinausführt, damit er nicht erneut in den Stand der Natur regrediere. Die Entwicklung des Geistes vollzieht sich vom subjektiven über den objektiven zum absoluten, womit bereits Gliederung und wesentliche Inhalte der Hegel’schen Philosophie des Geistes angegeben sind. Die Philosophie des subjektiven Geistes begreift den Geist in der

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Form der Selbstbeziehung, die Philosophie des objektiven Geistes „in der Form der Realität als einer von ihm hervorzubringenden und hervorgebrachten Welt, in welcher die Freiheit als vorhandene Nothwendigkeit ist“ (Enz. § 385), die Philosophie des absoluten Geistes schließlich in der vollendeten Wahrheit ewig sich hervorbringender Einheit von geistiger Subjektivität und Objektivität. Wie die Philosophie des Geistes überhaupt, so ist auch die Philosophie des subjektiven Geistes in drei Teile gegliedert: Zunächst wird der subjektive Geist in seiner bloßen Unmittelbarkeit, also so bedacht, wie er auf gleichsam natürliche Weise an sich selbst ist. Der zweite Teil der Philosophie des subjektiven Geistes hat diesen als Bewusstsein, also in seiner medialen Reflexivität zum Gegenstand. Im Begriff des sich wissenden Subjekts, das – seiner selbst bewusst – auf verständige und willentliche Weise sich zu realisieren vermag, vollendet sich schließlich die Philosophie des subjektiven Geistes, um sich in diejenige des objektiven zu erheben bzw. aufheben zu lassen (vgl. im Einzelnen Eley [Hg.] sowie Fetscher). In seiner Unmittelbarkeit ist der subjektive Geist nur seiend und noch nicht zu klarem Bewusstsein, geschweige denn zum entwickelten Bewusstsein seiner selbst als eines sich wissenden Subjekts gelangt. Er ist insofern, wie Hegel sagen kann, natürlicher Geist oder Naturgeist. Als bloß seiender Geist ist er durch natürliche Qualitäten wie klimatische Unterschiede, Wechsel der Jahres- und Tageszeiten, geographische und ethnische Faktoren, nationale und regionale Komponenten und schließlich durch Eigentümlichkeiten der Individualnatur im Sinne von Physiognomie, Temperament usf. bestimmt. Im Modus ihrer Veränderung treten die natürlichen Qualitäten in der Weise menschlicher Lebensalter zutage, in deren Verlauf der Einzelne als Kind, Jüngling, Erwachsener oder Greis auftritt. Durch natürliches Anderssein ist ebenso das biologische Geschlechtsverhältnis gekennzeichnet, demzufolge der Mensch als Mann oder Frau zur Welt kommt. Des Weiteren ist der Wechsel von Wachen und Schlafen bzw. Träumen zu nennen, der den natürlichen Verlauf des Menschenlebens bestimmt. Im Durchgang durch diese Veränderungen gelangt die seiende Seele mitsamt ihren natürlichen Qualitäten zur Empfindung als der ersten und unmittelbarsten „Weise, in der etwas erscheint“ (Enz. § 400). Ist der Gehalt der Empfindung vage und flüchtig, das Empfinden nicht fähig, das Empfundene fest zu erfassen, so nehmen die Empfindungsweisen der natürlichen Seele, die ebenso innerlich wie leibhaftig und mit den Sinnen des Menschen gegeben sind, im Gefühl eine dichtere Form an. Als fühlend ist die Menschenseele nicht mehr nur seiende, natürliche, sondern innerliche, in ein Beziehungsverhältnis zu ihrer Unmittelbarkeit getretene Seele. Im Sinne dieser Begriffsentwicklung pflegt Hegel einen Sprachgebrauch, demzufolge mit Empfindung vorzüglich Empfindsamkeit, mit Gefühl eher erinnerndes Innesein des Empfundenen assoziiert wird. Im Gefühl als in sich gegangener Empfindung ist das Subjekt seiner selbst inne und unmittelbar bei sich, ohne sich bereits als es selbst, nämlich auf in sich reflektierte Weise präsent zu sein. Noch nicht zu selbstischer Subjektivität gelangt, nimmt für die fühlende Seele in ihrer Unmittelbarkeit die Subjektstellung recht

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eigentlich nicht ein eigenes Ich selbst ein, sondern ein Genius, wie es heißt, von dem die fühlende Seele auf widerstandslose Weise bestimmt wird. Am symbiotischen Verhältnis des Kleinkinds zu seiner Mutter kann Hegel dies ebenso exemplifizieren wie an somnambulen oder ähnlichen Zuständen. Zu manifestem Selbstgefühl und zu einer konturierten Besonderung ihres jeweiligen Gefühls gelangt die Seele, sobald sie sich über die Unmittelbarkeit ihrer selbst erhebt und das Gefühlte als von ihr gefühlt und damit sich als fühlende identifiziert. Damit wird, wie das im unverrückten Falle zutrifft, das Gefühl zum herrschenden Genius seiner selbst und aller seiner Gefühle und Empfindungen, die seine Welt ausmachen. Im Durchgang durch die Besonderung der Gefühle in sich selbst eingekehrt, findet die fühlende Seele in der Gewohnheit schließlich bleibenden Bestand und wird durch geübte Wiederholung und wiederholte Übung heimisch in sich. Gewohnheit, sagt Hegel, „ist der Mechanismus des Selbstgefühls“ (Enz. § 410), die zweite Natur, will heißen: gesetzte Unmittelbarkeit des Seins der Seele. Zur Gewohnheit fortentwickelt hebt die Seele den Unterschied ihrer Natürlichkeit und ihres Selbstgefühls in sich auf und wird wirkliche Seele im Sinne vollzogener Einheit natürlicher Äußerlichkeit bzw. Leiblichkeit und fühlender Seeleninnerlichkeit. „Die Seele ist als diese Identität des Innern mit dem Aeußern, das jenem unterworfen ist, wirklich; sie hat an ihrer Leiblichkeit ihre freie Gestalt, in der sie sich fühlt und sich zu fühlen gibt, die als das Kunstwerk der Seele menschlichen, pathognomischen und physiognomischen Ausdruck hat.“ (Enz. § 411) Hegels Stellung zur klassischen Leib-Seele-Thematik ist damit umschrieben. Das Verhältnis von Leib und Seele kann weder durch die Unterscheidung leiblicher Materialität und seelischer Immaterialität, noch überhaupt so bestimmt werden, dass beide zunächst als selbständig gegeneinander vorausgesetzt und erst sekundär vermittelt werden. Die wirkliche Seele ist nicht anders denn in der Weise durchgebildeter und individuierter Leiblichkeit; umgekehrt kann vom Leib des Menschen nur als einem beseelten die Rede sein, wohingegen er sonst nur als toter Körper in Betracht kommt. Als leibhafte Seele hat der subjektive Geist sein Sein unmittelbar in sich. Er befindet sich, wie Subjektiver Geist gesagt wird, noch im Schlafe des Geistes, und seine Wirklichkeit ist mit der des Traumes als einer unwirklichen Wirklichkeit zu vergleichen. Zu wachem Bewusstsein gelangt die Seele, die sich aus ihrer natürlichen Unmittelbarkeit über das Fühlen zum wirklichen, leibhaften Sein ihrer selbst entwickelt hat, dadurch, dass sie ihr Sein sich entgegensetzt, es aufhebt und als das ihrige setzt. Im Bewusstsein erwacht die Seele zum Ich. Vom Schlafe des Geistes erstehend transzendiert die Seele ihr natürliches Sein, um zu Bewusstsein zu kommen, selbstbewusstes Ich zu werden und sich mittels der Vernunft zu jener theoretischen und praktischen Geistigkeit zu erheben, in der Subjektivität ihrer Freiheit Objektivität zu geben vermag. Am Anfang des skizzierten Prozesses der Erhebung steht das Bewusstsein überhaupt, welches als sinnliches Bewusstsein einen äußeren Gegenstand als solchen

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hat, ohne dass er in seiner Äußerlichkeit schon näher bestimmt wäre. Das sinnliche Bewusstsein ist so für schlechterdings Alles und Nichts offen und erscheint als das reichste an Inhalt, obgleich es das ärmste an Gedanken ist (vgl. Enz. § 418). Der sinnlich gegebene Stoff hat entsprechend anfänglich nur die gänzlich unbestimmte Bestimmung des Seins, die nichts Bestimmtes besagt. In seiner unmittelbaren Sinnlichkeit lediglich abstrakte Gewissheit gelangt das Bewusstsein zu gewisser Wahrnehmung, in welcher es den Gegenstand in dessen Wahrheit nimmt, indem es ihn in der Mannigfaltigkeit seiner Beziehungen gedanklich erfasst, um ihn nicht länger unbestimmt, sondern bestimmt zu wissen. Solches bestimmte Gegenstandswissen des Bewusstseins nennt Hegel kategorial bestimmtes Erfahrungswissen. Das Erfahrungswissen, wie es den Standpunkt nicht nur des Alltagsbewusstseins, sondern auch denjenigen der empirischen Einzelwissenschaften kennzeichnet, ist in seiner Mannigfaltigkeit aufgehoben in der Einheit des Verstandes, der die sinnlichen Erscheinungen in sich reflektiert und ihren Wechsel nicht der Konfusion überlässt, sondern identifiziert, um das Differente in seiner Differenziertheit einheitlich zu erfassen. Indem das Bewusstsein die gegenständlichen Erscheinungen versteht, d. h. in ihrer gesetzlichen Ordnung verständig begreift, weiß das verstehende Ich den verstandenen Gegenstand auf differenzierte Weise mit sich eins und vermag in ihm sich selbst zu erfassen. Aus dem Bewusstsein geht so das Selbstbewusstsein als dessen fundierendes Resultat hervor. Doch ist das Selbstbewusstsein in seiner Unmittelbarkeit bloße sich wissende Selbstgleichheit: Ich = Ich. Um das Ich als Negationsfähigkeit überhaupt aus der allgemeinen Leere seiner reinen Selbstgleichheit herauszuführen, bedarf es des Prozesses der Anerkennung, vermittels dessen sich das Ich als Besonderes bestimmt, um sich im anderen seiner selbst zu explizieren. Erst wenn es von der abstrakten Allgemeinheit seiner selbst abstrahiert und sich durch Beziehung auf andere Subjekte besondert, vermag das Ich sich selbst jene Realität zu verschaffen, die seinem Begriff entspricht und subjektiver Geist in konkreter Freiheit zu sein. Die Weisen, in denen der subjektive Geist seinem Begriff entspricht und seine Freiheit konkret realisiert, sind die Ausbildung theoretischen Erkennens nach innen und die Praxis vernünftigen Wollens nach außen. Theoretisch bildet sich der subjektive Geist in den Formen von Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis aus, in denen die Anschauung und mit ihr die sinnliche Erscheinungswelt aufgehoben sind, um in ein Reich des Vorstellens überführt zu werden, in welcher das Gegebene gedanklich erfasst und zur Sprache gebracht werden kann. Sprache als in Worte gefasstes Denken ist zugleich wesentliches Medium jener Praxis, in welcher der Wille subjektiven Geistes auf vernünftige Weise tätig wird, um in die Objektivität einer Kulturwelt einzugehen, ohne welche er nicht zu sein vermag, wozu er bestimmt ist. Im freien Geist, der sich als frei weiß und will, vollendet sich die Philosophie des subjektiven Geistes und mit ihr der Begriff individueller Subjektivität, deren unendlicher Wert nach Hegel im Christentum offenbar geworden ist. Zu weltlicher Existenz und Objektivität realisiert sich die Idee indi-

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vidueller Freiheit, wie sie im freien Vernunftwillen des einzelnen Menschen manifest ist, indem sie aus der Unmittelbarkeit ihrer selbst heraustritt und sich zur kulturellen Gegenständlichkeit rechtlicher, moralischer und sittlicher Wirklichkeit entwickelt, um schließlich in Kunst, Religion und spekulativer Philosophie zum absoluten Geist erhoben zu werden. Die rechtliche, moralische und sittliche Wirklichkeit, in welcher der freie Geist sich verwirk- Objektiver Geist licht, ist Inhalt der Philosophie des objektiven Geistes (vgl. im Einzelnen Lucas/Pöggeler [Hg.]). Ein äußeres und für sich genommen äußerliches Dasein gibt sich der objektive Geist in der „Sphäre des abstracten oder formellen Rechts“ (Rechtsphil. § 33). Es ist durch die Momente des Eigentums-, des Vertrags- und des Strafrechts sowie durch das Grundgesetz bestimmt, als Mensch Rechtsperson unter Rechtspersonen zu sein. Worauf es ankommt, ist ausschließlich die abstrakte Rechtspersönlichkeit und deren Rechte (und Pflichten) in Bezug auf das der Freiheit Äußerliche. Abstraktes Recht ist demgemäß wesentlich Sachenrecht, will heißen: in der abstrakten Rechtspersönlichkeit begründetes Recht von Personen an Sachen, die der äußeren Sphäre ihrer Freiheit zugehören und an sich selbst unfrei, unpersönlich, rechtlos, kurzum: sächlich sind. Das Zugriffsrecht der freien Rechtspersönlichkeit auf Sachen ist nach Hegel grundsätzlich unbegrenzt. Es gibt keine Sache, welche ein Ding an sich wäre, das sich nicht aneignen ließe. Alles, was Sache ist, steht unter der Bedingung, angeeignet und ins Meinige überführt werden zu können. Das abstrakte Ich, welches den Begriff der Rechtspersönlichkeit ausmacht, ist Aneignungsfähigkeit überhaupt. Im Eigentum verschafft es sich sein erstes Dasein, wobei es nach Hegel zunächst und primär sein organischer Körper ist, welchen das Ich sich aneignet, um lebendig zu sein in ihm. Persönliche Eigentumsrechte beziehen sich demnach in erster Linie auf Leib und Leben und in zweiter Linie auf all das, was zu Erhalt und Förderung des menschlichen Leibes und Lebens nötig ist. Schafft der Vertrag die Möglichkeit der Mediatisierung von Eigentumsrechten, so ist es die Rechtsstrafe, welche der äußeren Freiheit objektiven Geistes durch ihre Macht, wider Willen auf gerecht geordnete Weise zu zwingen, dauerhaften Bestand ermöglicht. Hegels Theorie der förmlichen Rechtsstrafe basiert auf dem Grundsatz, dass durch die Brechung des Verbrecherwillens, in dessen Besonderheit die Rechtsverletzung ihre einzige positive Existenz hat, das verletzte Recht geheilt und wiederhergestellt, das Verbrechen durch bestimmte Negation ins Recht aufgehoben wird. Die Strafe hat ihr Wesen also nicht in irgendeiner Verhütungs-, Abschreckungs-, Androhungs- oder Besserungsabsicht, sondern im Begriff des Rechts als solchem, in dem die Notwendigkeit der Strafe von Unrecht unveräußerlich mitgesetzt ist. Es ist Recht und Pflicht des Rechts zugleich, das Unrecht zu strafen (vgl. im Einzelnen Klesczewski). Strafe des Unrechts kann nicht nur, sie muss sein, so sehr deren Modalität dem gerechten Richten anheim gestellt und damit variabel ist. Dabei ist die Strafe als solche nicht nur an sich, sondern auch für den Verbrecher

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gerecht, sofern dieser in ihr als Rechtspersönlichkeit geachtet wird. Infolgedessen kann Hegel sagen (Rechtsphil. § 100), dass der Verbrecher selbst ein Recht auf seine Strafe hat. Indem ihm geschieht, was er getan hat, wird der Verbrecher als existenter Vernunftwille geehrt. Weil auch der unmenschlich Handelnde als Mensch zu achten ist und nicht zum schädlichen Tier herabgewürdigt werden darf, kann ihm das Recht auf eine seiner Untat angemessene Strafe nicht entzogen werden. Dabei ist das allgemeine Maß, nachdem sich die Strafe bemisst, im Wesentlichen durch die Gleichheitsregel des „ius talionis“ gegeben, wohingegen das konkrete Strafmaß im Einzelnen dem urteilenden und richtenden Verstand anheimgestellt ist, der sich um eine annähernde Äquivalenz von Unrechtstat und Rechtsstrafe zu bemühen hat. Bleibt hinzuzufügen, dass es nachgerade ihre Rechtsnotwendigkeit ist, welche die Strafe von der Rache kategorial unterscheidet. Die kategoriale Unterscheidung der strafenden Gerechtigkeit von allen Formen der Rache enthält die im Wesen des freien Geistes begründete Zumutung an den Einzelnen, sein Recht nicht unmittelbar, sondern vermittels des Allgemeinwillens zu verfolgen. Mit diesem Hinweis ist der Übergang vom abstrakten und formellen Recht zur Moralität insofern vollzogen, als es deren Begriff ist, dass ein besonderer subjektiver Wille das Allgemeine als solches wolle. In der Moralität hört mithin das Recht auf, bloß äußerliches Gesetz zu sein und nimmt innerliche Gestalt an. Doch stellt die Moralität, auf deren interne Verfassung hier nicht näher einzugehen ist, nur ein Durchgangsmoment zu jener konkreten Sittlichkeit dar, in welcher der Unterschied von rechtlicher Äußerlichkeit und moralischer Innerlichkeit aufgehoben und der Begriff objektiven Geistes realisiert ist. Die Sittlichkeit ist „der zur vorhandenen Welt und zur Natur des Selbstbewußtseyns gewordene Begriff der Freyheit“ (Rechtsphil. § 142; bei H. teilweise kursiv). In ihr soll das Gute nicht nur sein, in ihr ist das Gute. Die Sittlichkeit ist objektiv und doch dem Subjekt kein Fremdes, sondern das andere seiner selbst. In den Institutionen der Sittlichkeit findet die Subjektivität des Menschen, indem sie ihr zur Gewohnheit werden, eine bleibende Heimstatt und eine zweite Natur, die in Wahrheit ihre erste und eigentliche ist. Drei Momente bestimmen die Sittlichkeit in der Realisierung ihres Begriffs. Ihr unmittelbarer oder natürlicher Geist ist in der Familie gegeben, deren Einheit in die Entzweiung der bürgerlichen Gesellschaft übergeht, in welcher die Individuen als selbständige Personen aufeinander bezogen und zu formeller Allgemeinheit verbunden sind. Das die bürgerliche Gesellschaft bestimmende System der Bedürfnisse und seine Rechtsverfassung als Mittel der Sicherung der Personen und ihres Eigentums nehmen sich über die äußerliche Ordnung der besonderen und gemeinsamen Interessen in die Staatsverfassung zurück, in der sie ihren fundierenden Grund finden. Diese ist der zu einer organischen Wirklichkeit entwickelte Geist und als selbstbewusste Substanz der Zweck und die Wirklichkeit des wahrhaft Allgemeinen und des demselben gewidmeten öffentlichen Lebens. In drei Momenten entwickelt sich Hegels Lehre vom Staat in ihren Gehalten. Seine unmittelbare Wirklichkeit hat der Staat in seiner Gestalt als Einzelstaat, dessen Verfassung, wie sie der Idee gemäß ist, Hegel unter

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dem Binnenaspekt des inneren Staatsrechts bedenkt. Das Verhältnis der Einzelstaaten zueinander wird unter dem Gesichtspunkt des äußeren Staatsrechts thematisch. Die geistige Wirklichkeit der Staatenwelt in dem ganzen Umfang ihrer Innerlichkeit und Äußerlichkeit ist schließlich die Weltgeschichte, in der der Geist der Welt sein Recht ausübt, um über die Staaten zu richten. In der Philosophie der Weltgeschichte vollendet Weltgeschichte, Ästhetik sich Hegels Staatslehre und mit ihr die Lehre vom und Religion objektiven Geist insgesamt. Welchen Entwicklungsgang der Geist im Zuge der Weltgeschichte nimmt, ist hier nicht zu verfolgen. Festgehalten werden soll nur, dass er in ihrem Verlauf mitnichten zu derjenigen Vollendung gelangt, die seiner Bestimmung entspricht. „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“, wie Hegel, Schillers Gedicht „Resignation“ zitierend, am Ende seiner Rechtsphilosophie (§ 340) sagt (vgl. Bubner/Mesch [Hg.], bes. 13 ff., 91 ff., 291 ff.), der Weltgeist mithin nicht der absolute Geist. Es bedarf im Gegenteil der Aufhebung der Weltgeschichte und des in ihr wirksamen Geistes, damit der Geist sich erfülle und das Absolute als Absolutes offenbar werde. Ohne Negation des weltgeschichtlich wirkenden Geistes ist die Lehre vom absoluten Geist nicht zu denken. Das Moment geistigen Befremdens, das im Naturzusammenhang nicht zu beheben war, sondern den Geist bewog, sich in sich zu kehren und reflexive Gestalt anzunehmen, tritt, wenngleich auf andere – erhabenere zwar, aber auch abgründigere – Weise erneut dort auf, wo der aus natürlicher Unmittelbarkeit befreite subjektive Geist, zum objektiven fortgeschritten, weltgeschichtliches Format angenommen hat. Abermals vollzieht sich ein geistiger Rekurs: nicht, wie vormals, in die innere Leere eines bloß sich selbst gleichen Ich, wohl aber in die Gefilde der Kunst, die den Schmerz über die Weltgeschichte zumindest anfänglich zu heilen verspricht. Zweifellos bleiben in der Ästhetik Hegels wie fernerhin in seiner Philosophie der Religion und in der Wissenschaftslehre Erinnerungsbezüge an den weltgeschichtlichen Gang des Geistes erhalten. Es wäre sonach offenkundig falsch, von einer abstrakten Negation der Geschichte in seinem System zu sprechen. Die Rede von der Weltgeschichte als dem Weltgericht gibt keinen Anlass hierzu. Aber als nicht minder verkehrt muss die Annahme gelten, Hegels System erfülle sich geschichtsphilosophisch. Richtig ist vielmehr, dass es der Aufhebung der Weltgeschichte bedarf, durch welche diese bestimmt negiert, bewahrt und über sich selbst erhoben wird, damit der Geist wahrhaft zu sich selbst komme und sich vollende. Den ersten Schritt der Erhebung des Geistes über die Weltgeschichte hinaus vollzieht die Kunst, deren allgemeiner Begriff und deren typische Realisierungsformen bereits ausführlich dargestellt wurden (vgl. Bd. 1, 187 ff.). Vollendete Realgestalt nimmt die Idee des Kunstschönen nach Hegel in den Skulpturen der griechischen Antike an. Doch sei das klassische Kunstwerk zu schön, um wahr zu sein. Weil die Klassik kein entwickeltes Bewusstsein der Endlichkeit habe und der Tod ihr äußerlich bleibe, müsse sie geistig vergehen und im Durchgang durch die christentumstypische Kunstform, die ihr vorzüglichstes Realisierungsmedium in der Flüchtigkeit musikalischer Töne finde, in die Religion aufgehoben werden.

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Der Fortschritt vom Kunstschönen zur Religion konveniert mit dem Übergang von der Anschauungsform zur Vorstellungsform geistiger Erkenntnis des Absoluten. Der Begriff der Vorstellung, mit dem Hegel das religiöse Bewusstsein und seine Inhalte formaliter charakterisiert, gehört ursprünglich nicht der Wissenschaftssprache an und ist erst als deutsches Äquivalent des Leibniz’schen perceptioBegriffs zu einem philosophischen Terminus geworden, durch den sinnliche Anschauung und begriffliches Denken koordiniert werden. Für den religionsphilosophischen Gebrauch, den Hegel von dem Terminus macht, genügt vorerst der Hinweis, dass religiöse Vorstellung den äußeren Schein künstlerischer Anschauung des Absoluten behebt, um desselben auf andächtige Weise innerlich inne zu werden. In der ihr eigentümlichen Form fungiert Religion sonach als Medium, das zwischen künstlerischer Anschauung und dem philosophischen Begriff absoluten Wissens vermittelt. Religion ist Bewusstsein des Absoluten in der Vorstellungsform erinnerter Anschauung des Absoluten. In welchen Momenten der absolute Geist dem religiösen Bewusstsein vorstellig wird, um die Idee der Religion zu realisieren, kann hier nicht erneut Gegenstand der Erörterung sein. Was Hegel über den allgemeinen Begriff der Religion und die Besonderheiten bestimmter Religionen ausführt, muss als bekannt vorausgesetzt werden (vgl. Bd. 1, 197 ff.). Auch in Bezug auf die Religion des Christentums, in der nach Hegel der Begriff der Religion vollendet realisiert ist und die mithin als die Religion der Religionen zu gelten hat, soll nur das Allernötigste in Erinnerung gebracht werden. Der absolute Geist, wie er sich dem religiösen Bewusstsein in der offenbaren Religion des Christentums erschließt, ist nach Hegel die manifeste Einheit von Wesen und Erscheinung des trinitarischen Gottes. Die Lehre von der immanenten Trinität bedenkt Gottes seiendes Wesen, wie es an sich selbst ist. Gott ist ewige Einheit seiner selbst und seines Anderen, absolute Identität von Identität und Differenz. Als das ewige Leben und die ewige Liebe, die er seinem Wesen nach ist, ist der dreieinige Gott realiter nicht begreifbar und nicht begriffen, ohne als Schöpfer gedacht zu werden. In der Schöpfung, wie sie als kreatürliche Welt und Menschheit auf je besondere Weise in Erscheinung tritt, äußert sich das innere Wesen der Gottheit in freier Notwendigkeit. Mit der Erschaffung des Kreatürlichen ist ein Anderes Gottes zu gottexterner Bestimmtheit gelangt, ohne dass damit zwangsläufig Entfremdung von Gott gesetzt wäre. Entzweiung tritt erst mit dem Fall der Sünde ein, der darin besteht, dass sich das endliche Geschöpf, statt sich durch Selbstunterscheidung von seinem Schöpfer mit sich und seiner Geschöpflichkeit zu identifizieren, zu verabsolutieren bestrebt ist und unmittelbar sein will wie Gott. Damit ist aus dem Anderen Gottes ein Gott Fremdes geworden, in dem der schöpferische Wille Gottes zwar erhaltend und steuernd, aber zugleich als richtender „Unwille“ waltet. Die Rückkehr von Menschheit und Welt zu Gott Die offenbare Religion ist durch das religionsgeschichtlich wachsende, in Israel übermächtig werdende Bewusstsein der Entfremdung des endlichen Geistes vom absoluten und durch das immer dringendere

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Bedürfnis motiviert, dass die Entzweiung sich behebe. Mit dem Erscheinen des Gottmenschen Jesus Christus, der in Kreuz und Auferstehung die Versöhnung zwischen Gott und Mensch verwirklicht, und mit seiner Verherrlichung im Geiste der Gemeinde wird das ersehnte Heil real und die eschatologische Aussicht auf die absolute Verwirklichung der Idee des Absoluten erschlossen. Dass der geschichtliche Ort, den er seiner Religionsphilosophie unter genetischen Gesichtspunkten zuweist, die christliche Gemeinde ist, duldet ebenso wenig Zweifel wie die Tatsache, dass die Singularität der Erscheinung des Gottmenschen Jesus Christus von Hegel stets als notwendig und als unhintergehbar kontingent zugleich behauptet wurde. Die Annahme einer Mehrzahl von Mittlern zwischen Gott und Mensch bzw. einer Pluralität gottmenschlicher Erscheinungsgestalten wird definitiv ausgeschlossen. Der Gottmensch ist auf namentlich identifizierbare Weise dieser da und kein anderer, und sein Erscheinen gilt nicht lediglich als eine göttliche Gestalt unter vielen, sondern als ein für allemal geschehen. Die immerwährende Ewigkeitsgeltung des einen und einzigen Gottmenschen Jesus Christus hat nach Hegel freilich zur impliziten Voraussetzung, dass dessen Einzelheit nicht auf die Besonderheit seiner historischen Erscheinung beschränkt wird. Eben diese Einsicht geht dem christlichen Bewusstsein an Ostern auf. Ostern ist das Urdatum des Christentums und der pfingstlichen Geistsendung. In der Gestalt des auferstandenen Gekreuzigten, wie er den Ursprungszeugen des Christentums vorstellig wird, ist der historische Jesus aufgehoben, bestimmt negiert, als bestimmt negierter aber zugleich bewahrt und in seiner wahren Bestimmung offenbar, um durch den Geist und im Geiste verherrlicht zu werden. Als entscheidendes Problem der Gesamtkonzeption verbleibt die Frage, wie die These zu leistender Aufhebung religiöser Vorstellung in den reinen Begriff absoluten Wissens zu beurteilen sei. Diese Frage ist für das Selbstverständnis christlicher Theologie von erheblicher Relevanz. Denn als Theorie des religiösen Bewusstseins des Christentums teilt christliche Theologie auf ihre Weise die Aufgabe, die Hegel der Religionsphilosophie als Übergangsform zur philosophischen Theorie des Absoluten zugewiesen hat, nämlich zwischen religiöser Vorstellung und vernünftigem Begreifen zu vermitteln. Wird der religiöse Gehalt vom religiösen Bewusstsein in Form der Vorstellung gewusst, so ist es Bestimmung der Religionsphilosophie, ihn in begrifflicher Gedankenform zu erfassen, um seine Allgemeinheit und universale Gültigkeit unter Beweis zu stellen. Dabei soll das Verhältnis zwischen der zu absolutem Wissen fortzuentwickelnden Religionstheorie und dem religiösen Bewusstsein durch inhaltliche Identität bei nichtidentischer Form bestimmt sein. Wie hat man sich das Verhältnis von identischem Inhalt und differenter Form zu denken? Soll dem Inhalt der kategoriale Status der Substanz zugewiesen und die Differenz der Formen zu einer lediglich akzidentellen erklärt werden? Dies würde weder dem Problemniveau neuzeitlichen Denkens noch gar den Denkbewegungen des Hegel’schen Systems entsprechen (vgl. Wagner). Wie aber ist dann der differenzierte Zusammenhang zwischen religiöser Vorstellung und vernünftigem Begriff zu fassen?

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Die Annahme, die Vorstellungswelt des religiösen Bewusstseins sei in primitiver Weise sinnlich verfasst, ist nachgerade im Fall des Christentums abwegig. Das christliche Bewusstsein weiß seine Vorstellungen und namentlich die Zentralvorstellung Jesu Christi durchaus von unmittelbaren sinnlichen Anschauungen unterschieden. Gleichwohl hängt die christliche Religion sowohl an der leibhaften Welt als auch an der leibhaftigen Geistgestalt des auferstandenen Jesus Christus, dessen österliche Erscheinung vom irdischen Leben des am Kreuz gestorbenen Jesus von Nazareth zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen ist. Wohl ist es wahr, dass dem Christentum das sinnliche Hören und Sehen ihres Herrn in bestimmter Weise vergehen musste, um seiner heilsamen Präsenz gewärtig und offen zu werden für seine Parusie. Es ist die erinnernde Andacht, in der Jesus Christus dem christlichen Glauben vorstellig wird, um sich im Geist als wirksames Subjekt seines Gedächtnisses zu erweisen. In die Vorstellungsform des Christentums ist die Wirklichkeit des Kreuzestodes und des Endes des irdischen Jesus konstitutiv eingegangen. Nichtsdestoweniger ist nach dem Zeugnis des Geistes, der an Pfingsten die christliche Kirche schafft, der österliche Christus mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth untrennbar eins. Die Wirklichkeit und Wirksamkeit des Hl. Geistes ist unter diesen Bedingungen nicht anders denkbar als im Zusammenhang des Vorstelligwerdens der österlichen Herrlichkeit des am Kreuz für uns gestorbenen Jesus, dessen Auferweckung als ein absolutes Faktum zu gelten hat, welches in eschatologischer Prolepse das vollendete Ende alles Gegebenen in sich birgt. Dieses Faktum gibt sich zwar pneumatologisch zu verstehen, jedoch so, dass im Begriff österlicher Wirklichkeit, wie der Hl. Geist sie erschließt, der Irreduzibilität des Nichtbegrifflichen Rechnung getragen wird. Unter den Philosophen hat insbesondere der späte Schelling dem spekulativen Überbietungsanspruchs widersprochen, den Hegels Philosophie absoluten Wissens dem religiösen Vorstellungsbewusstsein gegenüber zu erheben scheint. Von den zeitgenössischen Theologen ist insbesondere Schleiermacher zu nennen, der seit seinen Reden über die Religion von 1799 deren Nichtsubstituierbarkeit durch Handeln und Wissen konsequent vertreten hat. Aber auch in Hegels eigener Philosophie lassen sich Hinweise auf ein dem philosophischen Begriff eigenes Wissen um die Irreduzibilität des Nichtbegrifflichen entdecken. In Bezug auf die Anfänge muss nach entsprechenden Indizien nicht lange gesucht werden. Noch zur Jahrhundertwende, als sich in der Konsequenz der Denkbemühungen der sog. Jugendschriften die Grundzüge des Systems bereits klar abzeichneten, sieht Hegel zum konkreten Vollzug der Erhebung des Endlichen zum Unendlichen nur die Religion in der Lage. Ihr fällt entsprechend die Aufgabe zu, die Reflexionsphilosophie über ihre Schranken hinaus- und der Vollendung entgegenzuführen. Erst später wird die Erfüllung dieser Aufgabe von spekulativem Denken erwartet, wobei sich mit ihrer Durchführung die besagte Forderung nach Aufhebung religiöser Vorstellung in den absoluten Begriff verbindet. Doch zeigt ein Blick auf die wechselnde Stellung, die Hegel der „Phänomenologie des Geistes“ in seinem Gesamtwerk Religiöse Vorstellung und philosophischer Begriff

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zugewiesen hat, dass anfängliches Beginnen und resultierender Schluss seines Systems für ihn selbst offenbar immer Problem geblieben sind. Mit einem Interpreten des Schlusses der „Phänomenologie“ und ihrer Lehre vom absoluten Wissen zu reden: „Die Vollendung kann nur dann als solche bewahrt werden, wenn sie sogleich in ein weiteres Explizieren überführt wird, wobei der Ausgangspunkt dieser neuen Bewegung gerade die starr fixierte Vollendung ist.“ (Schmidt, 458; vgl. Schulz) Vermag der Begriff die Einheit des Denkens und des Seins dergestalt in sich zu begreifen, dass er sich in vollendeter Weise als mit sich identisch zu wissen vermag? Ist das Problem des Anfangs der Philosophie, von dem nicht nur Hegels Seinslogik betroffen ist, durch fortschreitendes Denken zu beheben oder verfolgt die Unbegreiflichkeit denkerischen Beginnens beim Sein überhaupt den Begriff bis zum Schluss dergestalt, dass er nicht ohne, sondern erst im Begreifen des Unbegreifbaren zur Erfüllung gelangt (vgl. Koch, 174)? Lässt sich realphilosophisch behaupten, dass „jede Differenzerfahrung bereits restlos in der Bewegung der Aufhebung zur Ruhe gebracht ist“ (Cornehl, 124 f.), oder verweist nicht gerade die Gewissheit erfüllten Perfekts der Versöhnung auf eine eschatologische Zukunft ihrer vollendeten Realisierung? Fragen dieser Art sind nicht von außen an Hegels Denken herangetragen, sondern werden von diesem selbst provoziert. Die Erkenntnis der Schwierigkeit, einen Anfang nicht nur, sondern auch ein Ende der Philosophie zu finden, ist nicht systemfremd. Der Prozess der Erhebung, welchen das Denken von seinem Anbeginn vollzieht, um seinen Begriff zu realisieren, kommt offenbar seiner internen Dialektik zufolge zu keinem Ende, welches Abschluss bedeutet, sondern geht auf lebendig bewegte Weise in sein Resultat ein, um fortlaufende Verstehensbewegungen zu erzeugen. Offenheit wäre demnach ein konstitutives Implikat Hegel’schen Systemdenkens, das durch das Ende des Systems nicht falsifiziert, sondern bestätigt wird, weil es bereits in dessen Anfang inbegriffen ist. Wie immer das Urteil bezüglich der systeminternen Stimmigkeit dieser Interpretation ausfallen mag: dass sie theologisch naheliegend ist, lässt sich jedenfalls unter der Voraussetzung einer bleibenden Bindung der Theologie an die religiöse Vorstellungsform schwerlich bestreiten, wie sie sowohl für die christliche Schöpfungserinnerung, als auch für die Erwartung eschatologischer Zukunft vollbrachter Versöhnung kennzeichnend und unaufgebbar ist.

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9. Barths Schöpfungstheologie Lit.: H. U. v. Balthasar, Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie, Köln 1991. –K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Zürich 1942 ff. (= KD). – Ders., Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich (1946) 21952. – B. Dahlke, Die katholische Rezeption Karl Barths, Tübingen 2010. – I. U. Dalferth, Malum. Theologische Hermeneutik des Bösen, Tübingen 2008. – Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths. Eine Einführung, Frankfurt a. M. 1988. – W. Härle, Sein und Gnade. Die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, Berlin/New York 1975. – H. Hempelmann, Unaufhebbare Subjektivität Gottes? Probleme einer Lehre vom concursus divinus dargestellt an Hand von Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, Wuppertal/Zürich 1992. – E. Jüngel, Art. Barth, Karl (1886–1968), in: TRE 5, 251–268. – J. F. Konrad, Abbild und Ziel der Schöpfung. Untersuchungen zur Exegese von Genesis 1 und 2 in Barths Kirchlicher Dogmatik III,1, Tübingen 1962. – D. Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth, Tübingen 1996. – Chr. Kress, Gottes Allmacht angesichts von Leiden. Zur Interpretation der Gotteslehre in den systematisch-theologischen Entwürfen von Paul Althaus, Paul Tillich und Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 1999. – W. Krötke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, Neukirchen-Vluyn 21983. – J. F. Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus. Die Rezeption des Neukantianismus im „Römerbrief“ und ihre Bedeutung für die weitere Ausarbeitung der Theologie Karl Barths, Berlin/New York 1995. – W. Lütgert, Schöpfung und Offenbarung. Eine Theologie des ersten Artikels, Gütersloh 1934. – D. Lütz, Homo Viator. Karl Barths Ringen mit Schleiermacher, Zürich 1988. – M. Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie, Tübingen 2000. – G. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie. Zu Genese und Kontext eines paradigmatischen Entwurfs systematischer Theologie im 20. Jahrhundert, Tübingen 2000. – M. Plathow, Das Problem des concursus divinus. Das Zusammenwirken von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken in K. Barths „Kirchlicher Dogmatik“, Göttingen 1976. – L. Scheffczyk, Einführung in die Schöpfungslehre, Darmstadt 21987. – Ders., G. W. Fr. Hegels Konzeption der „Absolutheit des Christentums“ unter gegenwärtigem Problemaspekt, München 2000. – K. Stock, Anthropologie der Verheißung. Karl Barths Lehre vom Menschen als dogmatisches Problem, München 1980. – F. Wittekind, Geschichtliche Offenbarung und die Wahrheit des Glaubens. Der Zusammenhang von Offenbarungstheologie, Geschichtsphilosophie und Ethik bei Albrecht Ritschl, Julius Kaftan und Karl Barth (1909–1916), Tübingen 2000. – M. D. Wüthrich, Gott und das Nichtige. Zur Rede vom Nichtigen ausgehend von Karl Barths KD § 50, Zürich 2006.

Man hat Hegels System des Panlogismus bezichtigt und behauptet, sein gesamtes Beginnen erschöpfe sich in begrifflichen Gedankenbestimmungen, denen Realität faktisch äußerlich bleibe. Als Beleg hierfür wurde häufig der problematische Übergang von der Logik zur Realphilosophie angeführt, der nur scheinbar und nicht wirklich erfolgt sei. Zwar konstatiere Hegel, dass die Logik ohne die Realphilosophie keinen absoluten Begriff vom Absoluten habe. In reine Gedanken Hegelkritik

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gefasst wäre die Idee zwar absolut im logischen, nicht aber im absoluten Sinne der Einheit von Sein und Begriff. Um im absoluten Sinne absolut zu sein, müsse sich die logische Idee an die Realphilosophie entäußern, um im Durchgang durch sie ihre absolute Wahrheit zu bewähren und die Differenz, die zwischen Idee und Realität walte, in sich zu begreifen. Doch bleibe, so die Kritiker, diese Forderung bloßes Postulat und realiter uneingelöst, da Hegel, was wirklich ist, von Beginn an logifiziere. Wenn er die Naturphilosophie, mit welcher die Realphilosophie ihren Anfang nehme, als die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein bestimme, dann nicht, um den Begriff mit einem starken Anderen zu konfrontieren, sondern lediglich, um ihn auf das andere seiner selbst zu beziehen, das sich seinem selbstexplikativen Fortgang mehr oder minder umstandslos fügt. Bereits Schelling hat in diesem Sinne argumentiert, und Feuerbach, Marx und andere sind ihm zumindest darin gefolgt. Auch unter Theologen wurde, wie mehrfach vermerkt, das Panlogismus- bzw. Pantheismusverdikt zum Standardeinwand gegenüber Hegel. Bei allem Respekt, den man seiner Religionsphilosophie und seiner Lehre von der offenbaren bzw. absoluten Religion des Christentums nicht zuletzt wegen ihrer denkerischen Reintegration zentraler Lehrbestände der dogmatischen Tradition entgegenbrachte, blieb eine Grundreserve stets erhalten. Sie betraf im Wesentlichen die Hegel’sche These gedanklich zu leistender Aufhebung der religiösen Vorstellung in den Begriff. Hegels Philosophie bescheide sich nicht, ein Mittel zu sein, die Inhalte der Religion gedanklich zu erschließen, um sich in ihr zu befestigen. Ihrem Selbstverständnis nach sei sie vielmehr, um einen römisch-katholischen Theologen und Kardinal zu zitieren, „das die Religion überhöhende, sie im Begriff vollendende wesentliche Wissen“ (Scheffczyk, Hegel, 37). Zwar räume Hegel ein, „dass Religion und Philosophie den gleichen Gegenstand besitzen, was er durch die Heranziehung der christlichen Religionswahrheiten auch unter Beweis stellt“ (Scheffczyk, Hegel, 39). Das hindere ihn aber nicht, die Behebung der religiösen Vorstellungsform und ihre Überführung in jenen absoluten Begriff zu erstreben, in welchem das System sich vollende. Damit aber gerate er „in eine theosophische Spekulation“ (Scheffczyk, Hegel, 41; vgl. ders., Schöpfungslehre, 90 f.), welche für christliche Theologie inakzeptabel sei wie weiland die Gnosis. Karl Barths Hegelkritik unterscheidet sich von der üblichen durch die Weite ihres Horizonts. Sie ist gegen ein ganzes Zeitalter gerichtet. In Hegels Philosophie des Geistes, so die Grundannahme, sei der Geist einer Epoche samt ihrer Theologie auf den Begriff gebracht worden. Ihre eigentümliche Größe verkennen könne nur, wer sie nicht verstehe, heißt es im ersten Band der Vorlesungen über die Vorgeschichte und Geschichte der protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert. „Ihr zu widersprechen wird man sich immer wieder dreimal überlegen müssen, weil es sich zeigen könnte, daß Alles, was man gegen sie einwenden möchte, in ihr selber schon ausgesprochen und aufs beste beantwortet ist.“ (Barth, Prot. Theol., 354) Dies gilt nach Barth auch und gerade für die Themen der Theologie. Ja, es habe den Anschein, als sei die Theologie in der von Hegel heraufgeführten Philo-

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sophie „besser aufgehoben . . . als bei ihr selber“ (Barth, Prot. Theol., 366). Ein letztes Mal werde in dieser der groß angelegte Versuch unternommen, unter neuzeitlichen Bedingungen die Wissenschaften zu vereinen und der Gottesidee die Stellung eines letztbegründenden Abschlussgedankens zuzuerkennen. Ein System von ähnlich synthetisierender Kraft und Stärke sei seither nicht mehr entworfen worden. Im Vergleich mit der Hegel’schen Philosophie erweise sich alles Folgende als eher schwach und epigonal. Als geistiges Integral einer Epoche sei sie „die mächtige und eindrucksvolle Stimme eines ganzen Zeitalters (gewesen), die Stimme des modernen Menschen oder dessen, der von 1700 bis 1914 der moderne Mensch hieß“ (Barth, Prot. Theol. 354). Mit dem Ersten Weltkrieg und der grundstürzenKrise der Moderne den Katastrophe, die er mit sich brachte, endete ein Zeitalter und der Geist der Moderne stieß an eine Grenze, die sich nach Barths Urteil nicht mehr nach Weise Hegel’scher Dialektik oder im Sinne Schleiermachers (vgl. Lütz), aber auch nicht so bewältigen ließ, wie es beispielsweise ein „Krisentheologe“ wie Wilhelm Lütgert vorschlug; seine aus dem Ende der Religion des Deutschen Idealismus für die Theologie und insbesondere für die Schöpfungstheologie gefolgerten Konsequenzen (vgl. Lütgert) sind von den Barth’schen elementar unterschieden. Für Karl Barth und die Theologie, die man wenig passend die Dialektische nannte, markierte die Weltkriegskrise einen äußeren Wendepunkt, der zu einem inneren Umdenken, ja, zu einer radikalen Umkehr des Denkens nötigte. Dieses hatte nicht länger in sich seinen Ausgang und Eingang zu suchen und zu finden, sondern in dem ganz Anderen Gottes und seiner Offenbarung. „Hegel hat die Positivität, die Geschichtlichkeit der Offenbarung, die Einzigartigkeit Christi nicht in Abrede gestellt, sondern mit Emphase behauptet. Aber zu einem realen und aufhebbaren Gegenüber von Gott und Mensch, zu einem Gesprochenwerden und Hören eines Wortes, eines neuen, im strengen Sinn offenbarenden Wortes zwischen Beiden kann es bei ihm nicht kommen.“ (Barth, Prot. Theol., 375 f.) Darin sieht Barth die innere Schranke des Hegel’schen Denkens und des Geistes der Zeit, der in ihm auf den Begriff gebracht wurde. Eine Kehrtwende im Sinne einer Bekehrung tue not. Ihr systematischer Vollzug ist in der „Kirchlichen Dogmatik“ klassisch dokumentiert. Die Wahrheit, der sie nachdenkt, geht nicht aus der Selbstbewegung des Denkens hervor, sondern folgt gehorsam einer von Gott und ihm allein initiierten Bewegung: Deus dixit! Durch das offenbare Perfekt des Wortes Gottes sind der Theologie Anfang und Ende gesetzt, was sie protologisch und eschatologisch zu bezeugen hat. Im Perfekt der göttlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus findet nach Barth die Theologie aller Zeiten ihren Ursprung und Bestimmungsgrund, dem sie zu entsprechen hat. Durch Restaurationsmaßnahmen könne dies nicht geleistet werden. Denn Gottes Offenbarung transzendiere die Unterschiede der Zeiten und relativiere damit auch den Gegensatz von Modernismus und Antimodernismus. Nur durch diese Einsicht könne die Krise der Moderne theologisch konstruktiv bewältigt werden. Es

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ist daher durchaus im Sinne Barths, Bezüge und Kontinuitäten herauszuarbeiten, die seinen Ansatz mit vorangegangenen Theologietraditionen verbinden, wie dies in der aktuellen Forschung verstärkt geschieht (vgl. Lohmann, Korsch, Moxter, Pfleiderer, Wittekind u. a.). Theologiegeschichtlich betrachtet ist Barths Theologie nach eigener Einschätzung nichts radikal Neues, sondern kritische und konstruktive Transformation von Überkommenem. Novitätscharakter im eigentlichen Sinne kommt ihr zufolge generell nicht der Theologie als Wissenschaft, sondern allein der göttlichen Offenbarung zu, die gänzlich Neues zu schaffen vermag, angesichts dessen nicht nur dieses oder jenes, sondern prinzipiell alles, was sich außer ihr in Erfahrung bringen lässt, als alt und vergänglich erscheint. Nachgerade die christliche Schöpfungslehre hat nach Barth mit diesem Bekenntnis ihren Anfang zu nehmen. Die im III. Band der „Kirchlichen Dogmatik“ in vier Teilbänden (KD III,1 [1945]. 2 [1948]. 3 [1950] und 4 [1951]) entfaltete Schöpfungslehre Barths schließt an die Lehre vom Worte Gottes (KD I) sowie die Lehre von Gott (KD II) an und basiert auf der in der Hl. Schrift beurkundeten und in der Verkündigung der Kirche bezeugten Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes in Jesus Christus. Schöpfungslehre ist Offenbarungslehre, ihr Kriterium, wie das der Dogmatik insgesamt, das Wort jenes Gottes, dessen Sein sich allein im Vollzug der Christusoffenbarung durch den Hl. Geist zu erkennen gibt (vgl. Frey, 185 ff.). Gott wird in seiner Gottheit und in den Werken, die seine Wirklichkeit wirkt, nur durch Gott erkannt. Dieser offenbarungstheologische Grundsatz bestimmt die gesamte „Kirchliche Dogmatik“ und damit auch die Barth’sche Lehre von der Schöpfung, deren Gehalt sich nur von Gott und der göttlichen Gnadenwahl her erschließt, die innertrinitarisch von Ewigkeit zu Ewigkeit getroffen wurde, um in der Zeit Jesu Christi kraft des Hl. Geistes für Menschheit und Welt bewahrheitet zu werden. Als Summe des Evangeliums ist die Erwählungslehre Grund und Ziel der Lehre von der Schöpfung, die an sie anschließt, um sich in ihr zu vollenden. Indem Gott in Jesus Christus Menschheit und Mensch von Ewigkeit her erwählt hat, ist jener Bund geschlossen, den das Alte und Neue Testament nach Barth als den inneren Grund der Schöpfung bezeugt. Die Schöpfung ist der äußere Grund des BunInnerer und äußerer Grund des, der Bund der innere Grund der Schöpfung des Bundes (vgl. KD III/1, § 41). Zwar manifestiert sich der Gnadenbund, den der ewige Gott in Jesus Christus durch den Hl. Geist geschlossen hat, zeitlich in der Schöpfung und steht insofern in ihrem Folgezusammenhang. Aber dass er geschichtlich auf sie folgt, heißt nicht, dass er aus ihr hervorgeht. Vielmehr stellt die Schöpfung nach Barth lediglich die äußere Voraussetzung des Gnadenbundes dar, in dem sie ihren inneren Grund findet. Ihre Bestimmung ist diejenige eines Vorzeichens dessen, was auf sie folgen wird. Die Welt ist dazu geschaffen, Ort der göttlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus und Realisierungsstätte jenes Geistgeschehens zu sein, das in Gottes ewigem Gnadenbund beschlossen ist (vgl. v. Balthasar, 131 ff., 335 ff.; dazu Dahlke, 166 ff.). Nicht die

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Welt ermöglicht die Gnade, sondern die Gnade setzt von sich aus die Welt als die Bedingung der Möglichkeit ihrer Selbstrealisierung in dieser voraus. In ihrer Gestalt als extrahumane Natur stellt die geschaffene Welt dabei des Gnadenbundes äußeren Grund in seiner Äußerlichkeit, in ihrer Gestalt als Menschheitsgeschichte in seiner innerlichen Bestimmung dar, die in der Offenbarung der freien Gnadenliebe Gottes, dessen Geist in Jesus Christus gottmenschliche Versöhnung schafft, die Erfüllung findet, die in, mit und durch die Erschaffung alles Kreatürlichen verheißen war. Was es mit dem Glauben an Gott den Schöpfer (§ 40) und dem Verhältnis von Schöpfung und Bund (§ 41) näherhin auf sich hat, ist im III. Band der „Kirchlichen Dogmatik“ in vier Kapiteln in epischer Breite entfaltet. Das Werk der Schöpfung, von welchem das erste handelt, gründet im unbedingten Ja Gottes des Schöpfers und besteht im Besonderen „in der Wohltat, daß, was er geschaffen hat, in den Grenzen seiner Geschöpflichkeit als durch ihn verwirklicht sein und als von ihm gerechtfertigt gut sein darf“ (KD III/1,377). Auf die Lehre von der Schöpfung als Wohltat, Verwirklichung und Rechtfertigung folgt die Lehre vom Geschöpf, näherhin vom Menschengeschöpf im Kosmos. Sie nimmt nach Vorbemerkungen zum Problem dogmatischer Anthropologie (§ 43) ihren Ausgang bei Jesus, der als „Mensch für Gott“ (KD III/2, 64) und „für den anderen Menschen“ (KD III/ 2,242) den realen Inbegriff humaner Bestimmung repräsentiert und allein zu erschließen vermag, was es mit dem Wesen des Menschen als Geschöpf Gottes (§ 44) und seiner Bestimmung zu Gottes Bundesgenossen (§ 45) auf sich hat. Als ganzer Mensch steht Jesus zugleich exemplarisch und wirkungsvoll für die im Geist gründende psychosomatische Einheit des Menschen ein, für das Verhältnis von Seele und Leib in ihrer Zusammengehörigkeit, in ihrer Besonderheit und in ihrer Ordnung (§ 46). Als Herr der Zeit schließlich ist Jesus das humane Maß der gegebenen, der befristeten, der anfangenden und der endenden Zeit des Menschen als Gottesgeschöpf (§ 47). Als das offenbarende Wort Gottes bietet der Mensch Jesus die Erkenntnisquelle des von Gott geschaffenen Menschenwesens und den Realgrund dafür, dass der Mensch, dessen Verhältnis zu Gott in ihm beschlossen und erschlossen ist, den vorzüglichen, ja praktisch alleinigen Gegenstand der Lehre vom Geschöpf darstellt. Zwar ist der Mensch nach Barth „nur ein und nicht das Geschöpf“ (KD III/ 2,2): „Der Mensch ist ein Geschöpf inmitten anderer, von Gott direkt geschaffener und unabhängig vom Menschen existierender Mitgeschöpfe.“ (Ebd.) Auf der Erde und unter dem Himmel lebend ist der Mensch Geschöpf unter Geschöpfen in einem gemeinsam gegebenen Kosmos, dem er zugehört. Gleichwohl ist er das einzige Geschöpf, dessen Verhältnis zu Gott durch Gott und sein Wort eigens offenbart wurde. Die Dogmatik hat daher nach Barth den Auftrag, „sich zu einer bestimmten Lehre vom Menschen“ (KD III/2,13), nicht aber, sich zur Kosmologie zu entfalten. Gerade in ihrer konzentriertesten Gestalt als Lehre vom Menschen sei sie „Lehre vom ganzen Geschöpf, die Lehre vom Himmel und von der Erde, die Gott geschaffen hat“ (KD III/2,20). Weil Gottes Güte und Barmherzigkeit

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sich in Jesus und damit „am Menschen und nicht anderswo“ (ebd.), „in parte pro toto“ (ebd.) offenbart habe, sei Gegenstand der dogmatischen Lehre vom Geschöpf nicht die Kosmologie, sondern die Anthropologie und nur sie. Das Sein des Menschen als Gottes Geschöpf ist die Geschichte und nicht die Natur bzw. die Natur Natur und Geschichte nur insofern, als diese den äußeren Rahmen der Menschheitsgeschichte umschreibt, die in der Geistoffenbarung des in der Person Jesu Christi geschlossenen ewigen Bundes Gottes mit dem Menschen ihren inneren Grund und das Ziel ihres Verlaufs findet. Als eines von Gottes Geschöpfen ist der Mensch in Jesus Christus von Gott erwählt und dazu berufen, in geschichtlicher Selbstverantwortung vor Gott begriffen zu sein und zu realisieren, was er von Gott als seinem Schöpfer her vermag. Als Gottesgeschöpf ist der Mensch von Gott nicht lediglich idealiter, sondern realiter zum Leben mit Gott bestimmt. Die Wirklichkeit dieser Bestimmung ist nach Barth durch Beziehungen gewährleistet, die in der geschichtlichen Welt des Menschengeschöpfs in einer Weise walten, die der Urbeziehung Gottes zu sich und seiner Schöpfung entspricht. Eine dieser Entsprechungen, in denen sich das Selbstverhältnis Gottes und seine Beziehung zur Schöpfung an deren Ort reflektiert, ist die Beziehung von Himmel und Erde, eine andere, die im Vergleich zur erstgenannten die inwendige zu nennen ist, diejenige zwischen Ich und Du, wie sie im Verhältnis von Mann und Frau prototypisch ausgeprägt ist. Geschöpfliches Sein des Menschen ist Sein in der Begegnung: „In dieser Begegnung ist es menschlich, und in dieser seiner Menschlichkeit ist es das Gleichnis des Seins seines Schöpfers und ein Sein in der Hoffnung auf ihn.“ (KD III/2, 242; bei B. kursiv) Als Gottesgeschöpf ist der Mensch dazu geschaffen, in gehorsamer Anerkenntnis seiner Gottunterschiedenheit Gott entsprechendes Geschöpf unter Mitgeschöpfen zu sein, denen verantwortlich zu begegnen seiner Selbstverantwortung aufgetragen ist. Die Wahrnehmung dieser Selbstverantwortung, zu der er von seinem Schöpfer befähigt und beauftragt ist, wird nach Barth durch die leibhafte Verfassung und die zeitliche Befristung menschlichen Daseins in der Welt keineswegs unmöglich gemacht oder auch nur eingeschränkt. Gottgewolltes Subjekt seines geschöpflichen Lebens hat der Mensch nicht in der Form reiner Seele, sondern in leiblicher Realität dergestalt zu sein, dass seine gottbegeisterte Seele den stofflichen Organismus des Leibes lebendig durchwirkt und gestaltet, damit sich in der Zeit erfülle, was ewige Bestimmung des Menschen ist. Die mit der Zeitlichkeit seines geschöpflichen Daseins als leibhafte Seele gesetzte Frist stellt nach Barth mitnichten einen zwangsläufigen Hinderungsgrund der Erfüllung des Menschenlebens dar. Die gegebene Frist seines vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Lebens, in welcher der Mensch ist, was er ist, kann im Gegenteil als Vollendungsdatum begriffen werden, sofern der ewige Gott, der vor dem Menschengeschöpf war und nach ihm sein wird, als dessen Schöpfer und Bundesgenosse erkannt und anerkannt wird. Wird der in Jesus Christus offenbare Gott als der das Sein des Menschen ermöglichende und begrenzende Schöpfer wahrgenommen, dann stellt

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die Frist des geschöpflichen Menschenlebens kein Defizit, sondern an sich selbst eine gute Schöpfungsgabe dar, weil sie den Menschen vor einer schlechten Unendlichkeit bewahrt und das sein lässt, was zu sein er bestimmt ist: endlich. Der Mensch ist als endliches Wesen geschaffen; deshalb ist es gut, dass sein Leben endet. Ist er doch gerade in seiner Endlichkeit durch den Bund, den Gott in Jesus Christus mit ihm geschlossen hat, dazu erwählt und berufen, in Gott vollendet zu werden und vollendet zu sein. Der Mensch als solcher hat kein Jenseits und verfügt über kein ewiges Leben, das ihm eigen wäre. Er ist „diesseitig und also endend und sterbend und wird also einmal nur noch gewesen sein, wie er einmal noch nicht war“ (KD III/2, 770). Sterblichkeit und Tod gehören untrennbar zum geschöpflichen Leben des Menschen, ohne als solche Zeichen eines kreatürlichen Mangels oder gar Indiz göttlichen Gerichts zu sein. Dies ist nach Barth deshalb so, weil das Menschengeschöpf als solches nicht nur kein Jenseits hat, sondern auch keines Jenseits bedarf: „denn Gott ist sein Jenseits. Daß er, Gott, als des Menschen Schöpfer, Bundesgenosse, Richter und Retter sein schon in seinem Leben und endgültig, ausschließlich und total in seinem Tode treues Gegenüber war, ist und sein wird, das ist des Menschen Jenseits.“ (KD III/2, 770) Der manifeste Beleg hierfür ist nach Barth die Auferweckung des gekreuzigten Jesus, dessen im Tode endendes Leben Gott österlich verherrlicht hat, um ihm ein unvergängliches Gedächtnis zu stiften in ihm selbst. Nach der christologischen Begründung und entVorsehungslehre sprechenden schöpfungstheologischen Explikation der Anthropologie im zweiten Kapitel seiner Schöpfungslehre geht Barth im dritten daran, die Beziehung von Schöpfer und Geschöpf vorsehungstheologisch zu konkretisieren. Gemäß dem Grundsatz, der ihrer Durchführung vorangestellt ist (§ 48), handelt es sich in der Lehre von der Vorsehung „um die Geschichte des geschaffenen Seins als solchen, und zwar darum, daß auch sie in jeder Hinsicht und in ihrem ganzen Umfang unter der väterlichen Herrschaft Gottes des Schöpfers verläuft, dessen Wille in seiner Gnadenwahl und also in der Geschichte des Bundes zwischen ihm und dem Menschen und also in Jesus Christus geschieht und erkennbar ist“ (KD III/3, 1; bei B. kursiv). Geht es in der Lehre von der Schöpfung um die Begründung und den unvergleichlichen Anfang des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf, so in der Lehre von der Vorsehung um Dauer und Erhalt dieses Verhältnisses im Verlauf der Schöpfungsgeschichte. Es gilt der Grundsatz, dass Gott erhalten will, was er geschaffen hat, und der existierenden Schöpfung Fortexistenz zu ermöglichen bestrebt ist, damit in ihr der in Ewigkeit geschlossene Gnadenbund offenbar werde, in welchem sie ihre verheißene Erfüllung findet. Um den Bund der Gnade in der Schöpfung in Erscheinung treten zu lassen, erhält, lenkt und leitet Gott sie nach Maßgabe seines Wohlgefallens, das in der ewigen Erwählung des Menschensohnes Jesus beschlossen ist, um für Menschheit und Welt erschlossen zu werden. Die Erwählung des Menschensohns ist es zugleich, durch die Gott sich bestimmt hat, als Herr seines Geschöpfs sein fürsorglicher Vater zu sein, der es in seiner

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Väterlichkeit göttlich erhält, begleitet und regiert, um in und durch Jesus Christus kraft des Hl. Geistes seine Herrschaft über Menschheit und Welt zu errichten. Besondere Aufmerksamkeit haben, wie Barth selbst, seine Interpreten in diesem Kontext der Lehre vom concursus divinus zugewandt, weil in ihr über das „Zusammenwirken von göttlichem Schöpferwirken und geschöpflichem Eigenwirken in K. Barths ‚Kirchlicher Dogmatik‘“ (Plathow; vgl. Hempelmann) entschieden wird. Als gerechtfertigt und seiner im Sohn offenbaren Väterlichkeit gemäß erscheint die Weltherrschaft des allmächtigen Schöpfergottes im Sieg seines Regiments über das Nichtige, dessen Problem, Erkenntnis und Wirklichkeit Barths Schöpfungslehre einen eigenen Paragraphen widmet (§ 50), dessen Inhalt als „Probestück auf das Ganze“ (Jüngel, 264) seiner Schöpfungslehre zu würdigen ist. Das Nichtige ist nicht nichts, sondern treibt sein befremdliches und widriges Unwesen in der Schöpfung, indem es Gottes Schöpfer- und Erhaltertätigkeit faktischen Widerstand entgegenzusetzen sucht. Notorisch verkannt und entweder dämonisiert oder verharmlost wird es, wenn man es unter Absehung von seiner in der Auferweckung des Gekreuzigten göttlich vollzogenen Überwindung in Betracht zieht. In seiner grundlosen Abgründigkeit und als das in sich Nichtige identifiziert kann es nur in Jesus Christus und in dem österlichen Ja werden, in welchem das ihm widersprechende Nein definitiv erledigt und das Nichtige vernichtet ist, um als dasjenige durchschaut zu werden, was es von sich aus ist: nichtiges Nichts. In dem Ja zum Sein, das Gott in Jesus Christus kraft seines Hl. Geistes gesprochen hat, ist das Nichtige dergestalt genichtet, dass es an sich selbst zugrunde geht, ohne länger den boshaften Schein eines Gegensatzes zur Güte Gottes und seiner Schöpfung erzeugen zu können. Das Kreuz des österlich von Gott Erweckten steht in ursakramentaler Verlässlichkeit dafür ein, dass das Böse gerichtet und prinzipiell vergangen ist. Es ist das Wahr- und Wirkzeichen sowohl der menschlichen Rechtfertigung als auch der Gerechtigkeit Gottes, die am Kreuz sowohl als rechtfertigend als auch als gerechtfertigt offenbar wird. Die Theodizee ist in Kreuz und Auferweckung Jesu von Gott selbst ins Werk gesetzt. Gottes schöpferisches Beginnen und die Vorsehung, die er in Fürsorge für seine Geschöpfe wal- Grundlos Abgründiges ten lässt, haben vermöge des inneren Grundes, der im ewigen Gnadenbund beschlossen und in der Zeit Jesu Christi erschlossen ist, als von Ewigkeit zu Ewigkeit gerechtfertigt und recht zu gelten. Nichts, am allerwenigsten das Nichtige, kann dagegen etwas ausrichten. Denn alles Böse ist von Grund auf gerichtet, um als ein ewig Vergangenes und zeitlich im Vergehen Begriffenes begriffen zu werden. Gottes schöpferisches Sein lässt Gutes werden und Böses dem eigenen Abgrund verfallen, wie der Gnadenbund dies verbürgt. Dessen inne zu werden und inne zu sein ist die Möglichkeitsbedingung für das Geschöpf, der Schöpfung als des äußeren Grundes des Bundes in rechter Weise gewahr zu werden und der kreatürlichen Ordnung gemäß zu leben. In Jesus Christus, in dessen Person der ewige Gott in der Kraft seines Geistes als

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er selbst offenbar ist, ist das Beginnen des Bösen vorweg als ein leeres, nichtiges, eitles und unwesentliches Beginnen bestimmt, welches im Verschwinden begriffen und theologisch nur als Verschwinden zu begreifen ist. Das Böse ist keiner Begründung fähig, indem es als das in sich Grundlose zu gelten hat. Ebensowenig lassen sich das Böse und seine Gestalten wie Wesen und Erscheinung einander zuordnen, denn sie sind Unwesentlichkeiten und bloßer Schein. Barth lehnt jede Metaphysik, die das Böse auf einen Urgrund zurückführt und zu einem eigenständigen Wesen neben Gott (dualistisch) oder gar in Gott (monistisch) erklärt, rigid ab. Denn das Böse ist bei Gott ein Nichtiges und mithin auch kein selbständiges Thema der Theologie. Jeder Versuch, das Böse theologisch zu begründen und zu erklären, müßte auf seine unstatthafte Verklärung hinauslaufen. Insofern gilt es, auch die Frage nach dem Woher des Bösen als eine äußerliche und unangemessene Fragestellung zu verabschieden. Vom Bösen als solchem kann theologisch eigentlich gar nicht die Rede sein, denn es ist „an sich“ nichts. Thema der Theologie sind Nichtiges und Böses nach Barth ausschließlich als unmögliche Möglichkeiten, die Gott nicht gewählt, sondern verworfen hat. Gott will weder das Böse noch das Nichtige; beide sind von ihm nicht gewollt, sondern Gegenstand seines Unwillens, der sie zum Verschwinden bestimmt. Das Gottwidrige tritt zwar in der Schöpfung auf, ohne doch in seiner Widerlichkeit kreatürlich genannt werden zu können. Wenn Barth das Nichtige und Böse gelegentlich doch mit schöpfungstheologischen Begriffsformen bezeichnet, so hat man darin entweder eine Inkonsequenz oder ein Indiz für ein nicht lediglich marginales, sondern konzeptionell begründetes Problem seiner Dogmatik zu sehen. Nach W. Krötke steht Barths Lehre vom NichtiLehre vom Nichtigen gen, in dem sie Formen einer negativen Ontik annimmt oder jedenfalls nicht konsequent vermeidet, in Gefahr, sich auf indirekte Weise mit der Behauptung einer wie auch immer gearteten Notwendigkeit einer Schattenseite der Schöpfung zu verbinden. Zwar nenne er das Nichtige „unmögliche Möglichkeit“, „ontologische Unmöglichkeit“, „das schlechthin Abnormale und Maßlose“, „das in sich Widerliche“, „das Absurde“, „das Wesen des Unwesens“ etc., um deutlich zu machen, dass ihm eigentlich kein Seinstatus, auch kein defizienter Seinstatus zukomme. Das Nichtige sei nach Barth nicht Mangel an Sein, nicht eine Art mindere Stufe von Sein. Gleichwohl müsse gefragt werden, ob die erwähnte Begrifflichkeit einer negativen Ontologie eine Ontologisierung des Nichtigen überhaupt vermeiden könne (vgl. Krötke, bes. 17 ff.; 32 ff. sowie 104 ff.). Diese Frage lässt sich innerhalb der Barth’schen „Ontik des Nichtigen“ schwerlich abschließend beantworten. Denn die vielfältigen Variationen, das Nichts des Nichtigen als ein Nichts zu bestimmen, das weder nihil pure negativum noch relatives Nicht-Sein im Gegensatz zum Sein ist, umschreiben nur stets neu die gegebenen Schwierigkeiten, statt sie zu beheben. Man kann zwar sagen, dass sich gerade darin der einzig angemessene theologische Umgang mit dem Nichtigen zeige, dessen unaufhebbare Aporetik es nicht zu erkennen, sondern zu bekennen gelte; das ist aber nur insoweit zutreffend, als sich

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das theologisch gebotene Bekenntnis zur in sich verkehrten Intransigenz des Nichtigen nicht dem Verdacht aussetzt, dem Bösen einen versteckten Schöpfungsstatus zuzusprechen und so die vollkommene Güte des göttlichen Schöpfungswerks in Misskredit zu bringen. Die Probleme der Barth’schen Lehre vom Nichtigen verstärken sich, wo der Zusammenhang der Thematik mit der Erwählungs- und Versöhnungslehre ausdrücklich wird, auf den die Schöpfungslehre von Anfang an angelegt und ausgerichtet ist: „Indem Alles auf Jesus Christus, auf seinen Tod und seine Auferstehung hin geschaffen ist, muß Alles zum vornherein unter dieser doppelten, entgegenstehenden Bestimmung stehen: es ist nicht Nichts, sondern Etwas, aber Etwas am Rande des Nichts, ein dem Nichts benachbartes und von ihm bedrohtes und aus und durch sich selbst dieser Bedrohung nicht gewachsenes Etwas.“ (KD III/l, 430 f.) W. Krötke erkennt das Fragwürdige dieser Begründung in der „Behauptung der Notwendigkeit (des Muß!) der Schattenseite der Schöpfung“ (Krötke, 40). Barth komme zu dieser Behauptung, weil er von einer problematischen Fassung des Verhältnisses von Kreuz und Auferweckung her argumentiere. „‚Wie dem Kreuz die Auferweckung, der Erniedrigung die Erhöhung‘ folgt, so muß der positive dem negativen Daseinsaspekt folgen, aber auch – und hier wird der Gedanke fragwürdig – der negative dem positiven vorangehen. Kreuz und Auferstehung sind hier zu stark als isolierte Ereignisse in den Blick gefaßt. Darum kann der negative Daseinsaspekt zu einem isolierten Problem werden.“ (Ebd. unter Verweis auf KD III/1, 440) Im Unterschied dazu plädiert Krötke dafür, Kreuz und Auferstehung als einen differenzierten Zusammenhang, mithin geschichtlich zu begreifen, um so auch „die der einen Geschichte von Kreuz und Auferweckung entsprechende Schöpfung in ihren beiden Daseinsaspekten . . . geschichtlich“ (ebd.) denken zu können. Nur so werde die Barth’sche Maxime eingelöst, dass der Gegensatz von Licht- und Schattenseiten der Schöpfung von der Versöhnung her „nur in der Aufhebung begriffen“ (KD III/1,441; vgl. Krötke, 40) sein könne. Mißverständliche Formulierungen wie etwa der Begriff „Rand“ der Schöpfung seien ebenso zu korrigieren oder auszuscheiden wie „Barths irreführende Behauptung, die Gefährdung des Geschöpfs gründe in seiner Erschaffung aus dem Nichts“ (Krötke, 41). Darauf wird zurückzukommen sein. Den Schluss des Kapitels von Barths „Kirchlicher Dogmatik“ über den Schöpfer und sein Geschöpf bildet eine umfangreiche Darlegung zum Himmelreich und zu den Engeln als Botschaftern Gottes sowie ihren Widersachern, die als Mächte des Chaos und der Finsternis dem Nichtigen verfallen sind und in widerlicher Weise Gott und dem Heil des Menschen entgegenzuwirken streben. In ihrer abgründigen Verkehrtheit sind sie dabei nicht nur Gott und den Menschen, sondern auch sich selbst und untereinander zuwider. Was sie vereint und was ihnen gemeinsam ist, ist allein die Zwietracht des Bösen. Seine gottwidrige Macht hat sich am Kreuz Jesu Christi im Äußersten ausgewirkt und zugleich definitiv verwirkt, was in vorauseilendem Gehorsam objektiv und authentisch zu bezeugen die vornehmste Aufgabe der Engel ist. Sie gehören dem „Reich der Himmel“ als der oberen Welt

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zu, die Gottes Handeln in Jesus Christus nach Barth zuerst und vor allem für sich in Anspruch nimmt, um über seine Geschöpfe zu herrschen. Als von Gott erwählte und gesandte Botschafter richten die Engel die göttliche Offenbarung in Jesus Christus den Menschen auf zuvorkommende Weise aus, damit der Wille Gottes auf Erden geschehe, in dessen Bezeugung sie ihre Erfüllung finden. Als treue und vollmächtige Diener Gottes begleiten die Engel die Sendung Jesu Christi, halten überlegene Wacht gegenüber allem, was Gott und den Menschen feind ist, und beschirmen und beschützen das von Gott Geschaffene und namentlich die Menschengeschöpfe, um sie ihrer kreatürlichen Bestimmung und der Versöhnung mit Gott zuzuführen, die im ewigen Gnadenbund Gottes beschlossen ist. Gottes ewiger Gnadenbund, den die Engel zu Schöpfungsethik bezeugen haben und tatsächlich bezeugen, besteht in der Erwählung des Menschensohnes Jesus zum Sohn Gottes und zum Heiland für Menschheit und Welt. So sehr Gottes Gnadenhandeln in Jesus Christus, in welchem die Schöpfung innerlich begründet ist, zuerst die himmlischen Heerscharen der Engel in Anspruch nimmt, so wenig mindern diese die Verantwortlichkeit des Menschengeschöpfs, die sie im Gegenteil nach Kräften befördern. Es ist der erklärte und von Engeln bezeugte Wille Gottes, dass der Mensch als Geschöpf sich vor ihm, vor sich selbst und vor Mitmensch und Welt verantworte. Richtmaß kreatürlicher Verantwortlichkeit des Menschen ist das Gebot Gottes des Schöpfers, das im vierten und letzten Kapitel der Barth’schen Schöpfungslehre in Form einer Schöpfungsethik thematisiert wird. Ihre Aufgabe ist Barth zufolge „der Nachweis, daß und inwiefern das eine Gebot des einen Gottes, der dem Menschen in Jesus Christus gnädig ist, auch das Gebot seines Schöpfers ist und darum die Heiligung schon des geschöpflichen Tuns und Lassens des Menschen“ (KD III/4, 1; bei B. gesperrt). Gott gebietet, und er tut dies in Sonderheit als allmächtiger Schöpfer Himmels und der Erden. Aber der Schöpfergott ist kein anderer als der Vater Jesu Christi, der im erwählten Sohn und durch seine Selbstoffenbarung in ihm dem Menschen und seiner Welt gnädig ist. Daher steht auch das Schöpfungsgebot Gottes unter dem Vorzeichen göttlicher Gnadenzuwendung, ohne welche es nicht wäre, was es ist. Die Gnade Gottes in Jesus Christus befreit kraft des Hl. Geistes das Menschengeschöpf zu verantwortlicher Freiheit, auf welche das göttliche Schöpfungsgebot ausgerichtet ist. Barth thematisiert sie als Freiheit vor Gott (§ 53), Freiheit in der Gemeinschaft (§ 54), Freiheit zum Leben (§ 55) und Freiheit in der Beschränkung (§ 56). Zunächst wird nach der Freiheit gefragt, „die der Wille des gebietenden Gottes hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen ihm selbst gegenüber ist“ (KD III/4, 50); Barth handelt hier von Feiertagsheiligung, Bekenntnis und Gebet. Sodann erörtert er die Freiheit, „in der Gott den Menschen in seinem Verhältnis zu seinen Mitmenschen sehen will“ (ebd.); thematisiert wird in diesem Zusammenhang die Begegnung von Mann und Frau, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern sowie zu all den Nahen und Fernen, denen der Mensch um seiner kreatürlichen Bestimmung willen mitmenschlich zu begegnen hat. Nach

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Maßgabe des Schöpfungsgebots des Gottes der Gnade darf der Mensch „den Andern mit sich selbst und mit sich selbst auch den Andern bejahen, in Ehren halten und erfreuen“ (KD III/4, 127; bei B. gesperrt). Unter dem Gesichtspunkt der Freiheit, „die der Mensch nach Gottes Willen und Gebot in der Tat seines Lebens als Seele seines Leibes verwirklichen soll“ (KD III/4, 50), wird drittens von der Ehrfurcht vor dem Leben, vom Schutz des Lebens und vom tätigen Leben gehandelt. Schließlich gilt das Augenmerk derjenigen Freiheit des Menschen, „die Gott ihm mit Rücksicht darauf zugedacht hat, daß er ein endliches, ein von ihm zeitlich befristetes und begrenztes Wesen ist“ (ebd.); Gegenstand dieser Erörterungen sind das Leben als einmalige Gelegenheit, der Beruf und die Ehre. Wie die Schöpfungslehre insgesamt, so findet auch die spezielle Schöpfungsethik nach Barth ihren inneren Grund in der Gnadenzuwendung Gottes, deren äußere Voraussetzung die Schöpfung ist. Zwar gehen Schöpfung und Schöpfungsgebot äußerlich dem Versöhnungsevangelium voraus, wie es in der ewigen Erwählung Jesu Christi grundgelegt und in seinem Leben, Sterben und Auferstehen offenbar geworden ist; aber was das Gebot des Schöpfers von innen heraus geltend und verbindlich macht, ist die im Hl. Geist offenbare Gnadenwahl Gottes in Jesus Christus, durch die „Gott in freier Gnade sich selbst für den sündigen Menschen und den sündigen Menschen für sich selbst bestimmt“ (KD II/2, 101; bei B. gesperrt). Strukturell wiederholt sich, worauf Barth in einem anderwärts bereits ausführlich erwähnten Beitrag von 1935 (vgl. Bd. 2, 235 ff.) mit seiner programmatischen Umkehrung der traditionellen Reihenfolge von Gesetz und Evangelium hingewiesen hat. Diese Reihenfolge habe zwar am rechten Ort ein beschränktes Recht; richtungsgebend für das Ganze indes könne sie nicht sein, weil das richtige Verhältnis von Gesetz und Evangelium nur vom Evangelium her erschlossen werde. Der Inhalt des Evangeliums ist nach Barth die Bedingung der Form des Gesetzes, das als evangeliumsförmig insofern zu gelten hat, als es die Gnade Gottes bezeugt und darin und erst darin den innersten Grund seiner verbindlichen Geltung findet. Der vierte Teil der Barth’schen Schöpfungslehre bestätigt in ethischer Hinsicht, was im dogmatisch Biblische Sage grundlegenden ersten über das Verhältnis von Schöpfung und Bund ausgeführt wurde. Darauf ist in dem Interesse zurückzukommen, Einblick in die Gesamtorganisation der kirchlichen Dogmatik und die eigentümliche Stellung des ersten Glaubensartikels in ihr zu nehmen. In Bezug auf die konzeptionelle Gestaltung des Schöpfungsartikels verdienen folgende Gesichtspunkte besondere Beachtung. Barth begründet den Artikel, wie es im Vorwort von KD III/1 heißt, in der „längst aus der Mode gekommenen Form einer prinzipiellen Entfaltung des Inhalts der beiden ersten Kapitel der Bibel“. Die Schöpfungslehre soll also gerade nicht auf spekulativ-metaphysische Weise oder auf der Basis erfahrungswissenschaftlicher Prinzipien expliziert werden, sondern in exegetischer Narration, die sich ihre Grundsätze von der biblischen „Sage“ vorgeben lässt. Dass dies keinen Abschied vom Prinzipiellen bedeutet, sondern aus theologisch grundsätzlichen Erwägungen heraus geschieht, ist unschwer zu erkennen.

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Wie die Theologie generell so ist auch die Schöpfungstheologie im Besonderen nach Barth keine Funktion von Metaphysik oder eine Wissenschaft, die sich einem allgemeinen Wissenschaftsbegriff subsumieren ließe. Sie ist, was sie ist, als eine Unternehmung sui generis, deren von ihrem Gegenstand geforderte Wissenschaftlichkeit in ihrer Art unvergleichlich und nur nach den ihr eigentümlichen Gesetzen unter Beweis zu stellen ist. Infolgedessen verzichtet Barth etwa bewusst darauf, naturwissenschaftliche Probleme schöpfungstheologisch aufzugreifen. „Ich meinte es ursprünglich tun zu müssen“, heißt es im zitierten Vorwort, „bis mir klar wurde, daß es hinsichtlich dessen, was die heilige Schrift und die christliche Kirche unter Gottes Schöpfungswerk versteht, schlechterdings keine naturwissenschaftlichen Fragen, Einwände oder auch Hilfestellungen geben kann. So wird man in diesem Mittelpunkt des vorliegenden Buches von ‚naiver‘ hebräischer ‚Sage‘ sehr viel, von der hier vielleicht erwarteten Apologetik und Polemik aber gar nichts finden. Ich sah die für die Dogmatik sachgemäße Aufgabe hier in der Tat ausschließlich darin, jene ‚Sage‘ nachzusagen, und ich fand diese Aufgabe dann doch auch schöner und lohnender als die dilettantischen Quälereien, denen ich mich im anderen Fall hätte hingeben müssen.“ Den Mittelpunkt des grundlegenden ersten Teils Schöpfung und Bund der Schöpfungslehre der „Kirchlichen Dogmatik“ bildet eine systematische Exegese von Gen 1,1– 2,4a und Gen 2,4b-25 (vgl. im Einzelnen Konrad). Dabei soll mittels des ersten Schöpfungsberichts die Schöpfung als äußerer Grund des Bundes, mittels des zweiten der Bund als innerer Grund der Schöpfung erwiesen werden. Auch dieser Gesichtspunkt ist konzeptionell in hohem Maße bemerkenswert, sofern er darauf aufmerksam macht, dass das Verhältnis von Schöpfung und Bund differenziert und von komplexer Natur ist. Der Bezug zum Gnadenbund ist der Schöpfungslehre keineswegs äußerlich, sondern bestimmt sie intern. Er begegnet deshalb nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb ihres Zusammenhangs, woraus erhellt, dass die für das Verhältnis von Schöpfung und Bund bestimmende Beziehung von äußerem und innerem Grund reflex aufzufassen ist. Ohne aufzuhören, äußerer Grund des Bundes zu sein, ist die Schöpfung von diesem doch bereits im Innersten dergestalt bestimmt, dass es zwangsläufig zu schöpfungstheologischen Äußerlichkeiten und Verfälschungen kommen müsste, wo dieses nicht bedacht wird. Die Schöpfung ist der äußere Grund des Bundes; aber sie verhält sich zu diesem nicht äußerlich. Umgekehrt ist der Bund im Inneren der Schöpfung bereits angelegt, obwohl er nicht in dieser aufgeht. Der Satz Gen 1,1, wonach Gott am Anfang Himmel und Erde erschaffen hat, mit dem das Buch der Genesis und damit das gesamte Bibelbuch seinen Anfang nimmt, ist nach Barth kein metaphysischer oder naturwissenschaftlicher Satz, sondern ein articulus fidei, „weil (1.) sowohl die in ihm behauptete Wirklichkeit der Welt als auch (2.) die in ihm behauptete Begründung dieser Wirklichkeit in Gott anders denn als Glaubenssatz nicht aussprechbar ist und weil er (3.) in all seinen Elementen, d. h. nach Subjekt, Prädikat und Objekt durch den Sprachge-

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brauch der heiligen Schrift und durch dessen Sinngehalt bestimmt, von dorther aber anders denn als Glaubenssatz nicht zu verstehen ist“ (KD III/1,22). Dies gilt nach Barth nicht nur in Bezug auf naturwissenschaftliche, sondern auch auf metaphysische Verständnisformen. Der von der Schrift bezeugte und vom christlichen Glauben bekannte Schöpfer Himmels und der Erde darf mit dem ursprünglichen Weltgrund kosmologischer Metaphysik nicht gleichgesetzt oder verwechselt werden. Die Erkenntnis des Geheimnisses der Schöpfung, des Schöpfers und des Geschöpfs ist weder Physik noch Metaphysik, die allenfalls unbestimmte Ahnungen des Mysteriums enthalten, sondern allein dem Glauben gegeben, der sich auf den in Jesus Christus durch den Hl. Geist offenbaren Gott und auf das Wort der Schrift und der kirchlichen Verkündigung verlässt, die ihn bezeugen. In den biblischen Schöpfungsgeschichten geschieht dieses Zeugnis in Form der „Sage“. Unter „Sage“, als deren Abarten Legende und Anekdote angesprochen werden, versteht Barth „ein divinatorisch-dichterisch entworfenes Bild einer konkret einmaligen, zeitlich-räumlich beschränkten prähistorischen Geschichtswirklichkeit“ (KD III/1,88). Als Sagen sind die biblischen Schöpfungsgeschichten sowohl gegen ein mythisches als auch gegen ein historisches Verständnis abzugrenzen. Die gründende Urzeit des Mythos macht das immerseiende Wesen der Dinge jenseits aller Zeit bzw. als einen Ursprungsvorgang vorstellig, der nichts Neues erbringt, sondern auf die ewige Wiederkehr des Gleichen hinausläuft. Die biblischen Schöpfungssagen hingegen erzählen eine Geschichte, in der sich je eigenes ereignet und ein Geschehen in der Weise eines gerichteten Verlaufsprozesses gezeitigt wird. Indes handelt die Geschichte, von der die biblische Schöpfungssage erzählt, nicht von Historie, sondern von reiner Prähistorie im Sinne einer Vorgeschichte, die allem historisch fassbaren Geschehen als Bedingung seiner Möglichkeit und Realität faktisch vorausliegt. Die Schöpfungsgeschichten erzählen von einer Zeit am Anfang aller Zeiten, die selber damit anfing, dass der Schöpfer sie für seine Geschöpfe beginnen ließ. Von einer Zeit vor der Schöpfung kann nach Barth nicht die Rede sein; wohl aber sei von einer Zeitlichkeit der Schöpfung in der Weise zu reden, wie die biblische Schöpfungssage dies tue. Anders als bei Augustin soll die biblisch bezeugte Weltschöpfung nicht nur als creatio cum tempore, sondern als creatio in tempore verstanden sein, sofern nach Barths Urteil die Weltzeit nicht wirklich als geschaffene Zeit im Unterschied zur weder zeitlichen, noch zeitlosen, sondern zeitschaffenden Ewigkeit des Schöpfergottes verstanden wäre, wenn mit ihrem anfänglichen Beginnen im Verein mit Gegenwart und Zukunft nicht zugleich auch das Tempus der Vergangenheit gesetzt wäre. Die Interpretation der beiden biblischen Schöpfungsberichte, die im Einzelnen nachzuzeichnen zu weit führen würde, dient nach Barth dem Aufweis des Verhältnisses von Schöpfung und Bund, wie es für die Schöpfungstheologie grundlegend ist. Der erste biblische Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,4a (vgl. KD III/1, 103–258) erweise die Schöpfung als äußeren Grund des Bundes, der zweite Gen 2,4b-25, der nach Barth „gewissermaßen eine Schöpfungsgeschichte von innen“ (KD III/1,

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263) darstellt, den Bund als inneren Grund der Schöpfung (vgl. KD III/1, 258– 377). Um nur einige Auslegungsaspekte in den Blick zu nehmen: Den Satz Gen 1,2, wonach die Erde am ersten Schöpfungstag wüst und leer war und Finsternis auf der Flut lag und der Geist Elohims über den Wassern schwebte, nimmt Barth zum Anlass, erneut auf das Thema „Gott und das Nichtige“ Bezug zu nehmen, das in KD § 50 in systematischer Ausführlichkeit erörtert wird. Nicht zufällig seien die Elemente des Verses, der „von jeher eine ganz besondere crux interpretum“ (KD III/1, 112) gebildet habe, „ganz und gar dem Mythus“ (KD III/1, 119) entnommen, den die biblische Sage nur rezipiert, um ihn sogleich zu verabschieden. Es bleibe nichts übrig, als Gen 1,2 als das Gemälde der von der durch das göttliche Wort ins Dasein gerufenen wirklichen Schöpfung „verneinten und verworfenen, übergangenen und hinter sich gelassenen Welt zu verstehen, zu der notwendig auch jener ohnmächtig, weil wortlos über ihr schwebende oder brütende, in seiner Wirklichkeit verkannte ‚Geist Elohims‘ gehört“ (ebd.). Die üble Greuelwelt des Nichtigen hat nach Barth Nichtiges Gewese mit der von Gott gewollten und geschaffenen ganz und gar nichts gemein. Gleichwohl sei sie auf widerliche Weise wirklich, freilich als eine prinzipiell gewesene, als eine bloße Verwesungswelt, wenn man so will, die in Gottes Schöpfung grundsätzlich der Vergangenheit angehört und keine Zukunft hat, auch wenn ihr hinterhältiges und verkommenes Treiben nach wie vor Unfug stiftet und den Menschen zu aktueller Sünde zu verleiten vermag. Im in sich verkehrten Unwesen menschlicher Sünde wird der schleichende Nihilismus, den das Nichtige zeugt, zum akuten, um einen Abgrund heraufzubeschwören, in dem Selbst und Welt zu versinken drohen. Ohne in seiner Faktizität schöpfungstheologisch genetisierbar zu sein, kann der Fall der Sünde in der Schöpfung gleichwohl vorkommen, weil diese einen vom Schöpfergott verworfenen Schatten wirft und hinter sich lässt. Anders und in direktem Anschluss an Barth formuliert: „Es kann das Alles geschehen, weil die Kreatur als solche in ihrer Unterschiedenheit von Gott zwar nicht das Widergöttliche, wohl aber das Nichtgöttliche ist, dessen Setzung zweifellos ein Wagnis ist, weil sie die Setzung einer Freiheit ist, die von der Freiheit Gottes verschieden ist. Daß das ein Wagnis ist, wird im Besonderen im Verhalten der menschlichen Kreatur sichtbar.“ (KD III/1, 120) In Jesu Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz ist nach Barth alles wirklich geworden, was in Gen 1,2 angezeigt ist, um im Lichte der österlichen Herrlichkeit definitiv zum Verschwinden gebracht zu werden. „Die Stelle Gen 1,2 redet von dem Alten, das laut 2. Kor 5,17 im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi radikal vergangen ist.“ (KD III/1, 121) Von dem in ihm offenbaren Erwählungsbund Gottes mit dem Menschen her leuchtet ein, dass das finstere Unwesen der Dunkelwelt des Üblen und des Bösen nichts ist und vom Schöpfungsanfang an nichts war als nichtiges Gewese. Einen Reflex dieses Tatbestands findet Barth nicht nur im ersten Schöpfungsbericht vor, sondern auch und insbesondere in dem Verhält-

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nis, in dem dieser zum zweiten steht, wo am Ort der Schöpfungstheologie der Bund als innerer Grund der Schöpfung erzählerisch bedacht wird. Obwohl es zur üblichen Charakteristik der beiden Quellenschriften von Gen 1,1 ff. und Gen 2,4bff., nämlich Priesterschrift und jahwistisches Geschichtswerk, nicht zu passen scheint, gibt Barth zu überlegen, „ob es einer Vertiefung dieser Charakteristik nicht dienen würde, wenn man zugäbe, daß wir es Gen. 1 mit einer prophetischen Auffassung der Schöpfung zu tun haben, während zu einer Bezeichnung der in Gen. 2 vorliegenden Sicht eben der Begriff des Sakraments mindestens hilfreich“ (KD III/1, 264) wäre. Wie auch immer: Der zweite Schöpfungsbericht gibt nach Barth ein expliziteres Bundeszeugnis als der erste und macht damit den inneren Grund seiner und der Geltung des in Gen 1,1 ff. Gesagten ausdrücklicher als dies dort der Fall ist. Nicht umsonst habe „diese Gestalt der Schöpfungssage schon den bundesgeschichtlichen Namen Jahve-Elohim gegeben“ (KD III/1, 269). Damit ist nach Barth sowohl auf die Erwählung und Berufung Israels als auch – wenn nicht von der subjektiven Auslegungsintention, so doch vom objektiven Text des Schriftkanons her – auf die Erwählung und Berufung Jesu verwiesen, in dessen Geschichte sich die Verheißungsgeschichte Israels erfüllt. Die Zeit der Schöpfung, auf welche die Geschichte Israels und die ganze Menschheitsgeschichte folgt, ist in der Zeit Jesu Christi erfüllt, die als Gnadenzeit den inneren Grund des äußeren Zeitverlaufs der kreatürlichen Geschichte offenbart, der mit dem Beginnen der Welt seinen Anfang nimmt, um sich am Ende aller Tage im dreieinigen Gott zu vollenden. Alles, was in der Welt- und Menschheitsgeschichte geschieht, ist Vor- und Nachzeit des im Namen Jesu Christi beschlossenen und erschlossenen heilsgeschichtlichen Geschehens, das Anfang und Ende in sich begreift und aus sich entlässt. Die Heilszeit Jesu Christi, die unmittelbar in der Ewigkeit Gottes gründet und durch nichts als das trinitarische Gnadenwesen seiner Gottheit begründet ist, geht selbst noch der Prähistorie, von der die Schöpfungsgeschichte erzählt, insofern voran, als sie den inneren Grund dessen darstellt, was in dieser geschieht. Bleibt zu wiederholen, dass die extrahumane Kreatur nach Barth den, wenn man so will, natürlichen Raum der geschichtlichen Zeit abgibt und als die Außensphäre des äußeren Grundes des Bundes an diesem und seinem inneren Sinn nicht unmittelbar, sondern mittels des Menschengeschöpfs teilhat, das in der Menschwerdung Gottes seiner geschöpflichen Bestimmung ansichtig und ihrer Erfüllung zugeführt wird. Schöpfung ist Gnade, aber als erstes unter den Werken Gottes noch nicht Manifestation des inne- Erstes Gotteswerk ren, sondern erst des äußeren Grundes jenes Gnadenbundes, der im ewigen Ratschluss des dreieinigen Gottes beschlossen und in der göttlichen Offenbarung Jesu Christi durch den Geist erschlossen ist. Von Gott her ist das Schöpfungswerk als ungeteiltes Werk der ganzen Trinität zwar nichts als reine Gnade; am Ort der Schöpfung aber wird das Werk der Schöpfung, in dem es als das erste Werk Gottes zu gelten hat, noch nicht als reines Gnadenwerk wahrgenommen, was für das Geschöpf nicht nur ein Erkenntnis-, sondern ein Seinsprob-

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lem in sich birgt. Am Ort des Geschöpfs wird die Schöpfung nur uneindeutig als solche wahrgenommen, welche Uneindeutigkeit zu Zweideutigkeiten und zu möglichen und faktischen Verfehlungen der geschöpflichen Bestimmung führt, wenn der Schöpfungsartikel nicht auf den christologischen und den pneumatologischen bezogen wird. Nur durch diesen Bezug gewinnt er nach Barth seine Eindeutigkeit. Zwar sei die Reihenfolge der Artikel des Glaubens durch die Bibel, die nicht von ungefähr mit dem Schöpfungszeugnis beginne, kanonisch normiert und der kirchlichen Katechese förmlich vorgeschrieben; unter den Werken Gottes ist die Schöpfung das erste und als solches in besonderer Weise mit der ersten Person der Dreieinigkeit zu verbinden. Doch wie der allmächtige Schöpfer nur im Sohn durch den Hl. Geist der Vater sei und als solcher erkannt werde, so könne auch der Status des Schöpfungszeugnisses im Kontext des christlichen Glaubensbekenntnisses nur aus dem einigen Zusammenhang seiner drei Artikel heraus angemessen begriffen werden. Die Erststellung des Schöpfungsartikels erhält nach Barth ihre eigentümliche Bestimmtheit, wie sie der christlichen Lehre gemäß ist, durch den geklärten Bezug zum zweiten und zum dritten Artikel: „Wenn die Bibel und wenn das Bekenntnis der Kirche von Schöpfung redet, so bezeichnet sie damit ein besonderes Werk oder ein besonderes Moment in dem einen Werk Gottes, in welchem er sich auf Grund seines eigenen, inneren Willens und Beschlusses nach außen wendet. Schöpfung ist nicht als solche schon Versöhnung und Erlösung, obwohl Versöhnung und Erlösung in der Schöpfung ihre Voraussetzung haben und insofern schon mit der Schöpfung anheben.“ (KD III/1,44) Der erste Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses, wie er durch die Hl. Schrift beurkundet ist, bezeugt autoritativ und verbindlich, dass alle Kreaturen in ihrer Gottunterschiedenheit „aus Gott“ sind. Wären sie nicht „aus Gott“, so könnten sie in ihrem Sein auch nicht „durch Gott“ und „zu Gott hin“ sein. Doch gilt nach Barth zugleich, dass das Sein der Geschöpfe aus Gott und damit ihre Geschöpflichkeit nicht anders real und realiter erkennbar ist als mittels ihrer göttlichen Hinordnung auf Gott. Geschöpfe sind, was sie sind, aus Gott durch Gott und zu Gott hin, als Werk Gottes des Vaters als des Schöpfers, des Sohnes als des Versöhners und des Hl. Geistes als des Vollenders. Wird von diesem trinitarischen Zusammenhang abstrahiert, dann kann nach Barth weder vom Geschöpf noch auch vom Schöpfer in einer Weise die Rede sein, welche der christlichen Lehre gemäß ist. Ebendarum sei der christliche Begriff der Schöpfung keineswegs identisch zu setzen mit dem metaphysischen Allgemeinbegriff des ersten Grundes oder einer schlechthinnigen Abhängigkeit aller Entitäten und Wesenheiten. Zwar sei die Theorie einer allmächtigen Wirk- bzw. Zielursache allen Seins oder einer alles bestimmenden Wirklichkeit, von der alle Realität in ihrer Herkunft, Präsenz und Zukunft schlechterdings abhängig sei, von christlicher Schöpfungstheologie nicht einfachhin als falsch zu verwerfen, sondern als ein Moment zu integrieren. Aber für sich genommen seien metaphysische oder allgemeine religionstheoretische Begrifflichkeiten schöpfungstheologisch nicht nur ungenau, sondern in ihrer Ungenauigkeit

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auch irreführend, sofern sie zu Verwechslungen Anlass geben können, die den Schöpfungsgedanken um seine Wahrheit bringen. Die Wahrheit christlicher Schöpfungstheologie wird nach Barth nur im Lichte der Selbsterschließung des Schöpfergottes als Vater seiner Geschöpfe offenbar, wie sie im Sohn durch den Hl. Geist statthat. Nur in der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, wie der Geist sie dem Glauben erschließe, seien Schöpfer und Geschöpf realiter das, was sie sind, um in ihrer Realität entsprechend wahrgenommen zu werden. Gerade im Blick auf die Schöpfung kann man daher nach Barth „an Jesus Christus unmöglich vorbeisehen“ (KD III/1,49). Denn erst in Ansehung Jesu Christi gewinne der christliche Schöpfungsgedanke die ihm eigentümliche Bestimmtheit, welche den Schöpfergott als allmächtigen Vater und menschliche Geschöpflichkeit im Sinne von Gotteskindschaft bekennen lasse (vgl. Stock, bes. 113 ff.). Der erste Glaubensartikel bleibt nach Barth unterbestimmt, solange ihm lediglich eine Fassung nach Maßgabe metaphyischer Allgemeinbegriffe gegeben wird. Nur wenn deren Unbestimmtheit identifiziert, ihre Uneindeutigkeit eindeutig namhaft gemacht und so verhindert werde, dass man von ihnen wegen unerkannter Zweideutigkeit einen irreführenden und falschen Gebrauch mache, könnten sie als integriertes Moment christlicher Schöpfungslehre gelten. Nur wenn sie nicht mit philosophischer Ontologie oder welchen Formen sog. „natürlicher“ Theologie auch immer gleichgesetzt werde, könne christliche Schöpfungstheologie in eine ihr und ihrem Thema angemessenen Weise in Beziehung treten zu metaphysischem Denken. Ansonsten drohe ihr ein Rückfall ins antike Heidentum. Ungleich näher als die pagane Antike und ihre Metaphysiktraditionen in Vergangenheit und Gegenwart stehen nach Barth dem christlichen Glauben die Überlieferungen Israels. Dies gilt auch in schöpfungstheologischer Hinsicht. Doch bleibt nach Barth die alttestamentlich-jüdische Schöpfungstheologie ihrerseits mit einem Uneindeutigkeitsmoment versehen, das christologisch-pneumatologisch identifiziert und behoben werden muss, wenn aus ihm nicht eine dem Irrtum zuneigende und letztlich in ihm endende Zweideutigkeit hervorgehen soll. Nach Maßgabe jüdischen Toramonotheismus ist die Schöpfung auf die geschichtliche Offenbarung des göttlichen Gebots angelegt, die für Menschheit und Welt zu bezeugen das Bundesvolk Israel von Gott her bestimmt ist. In Anlehnung an Barthsche Terminologie wäre daher nach dem Bekenntnis jüdischen Glaubens die Tora der innere Grund der Schöpfung, die Schöpfung der äußere Grund der Toraoffenbarung zu nennen, mittels derer sich Gott in seiner Gerechtigkeit zu erkennen gibt, die er als allmächtiger Schöpfer Himmels und der Erde in Zuspruch und Anspruch zu universaler Geltung bringt, um seine Herrschaft über die Schöpfung zu erweisen und zu realisieren. Wie verhält sich christliche Schöpfungslehre zu dieser Aussage? Dass das Schöpfungswerk Gottes darauf angeRealisierung göttlicher legt ist, dass die göttliche Gerechtigkeit sich uniGerechtigkeit versal realisiere und das Geschöpf dem göttlichen Gebot als der Ordnung der Schöpfung konsequent entspreche, wird man unter

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christlichen Bedingungen kaum leugnen können. Gleichwohl beurteilt es Barth als „Rückfall ins Judentum“ (KD III/1,49), wenn beispielsweise Kant den Endzweck des Daseins der Welt in der Existenz vernünftiger Wesen unter moralischen Gesetzen sehen wollte. Auch wenn klärungsbedürftig bleibt, ob und gegebenenfalls inwiefern Kants Denken im paradigmatischen Sinne als „jüdisch“ qualifiziert werden kann, so lässt sich aus Barths Bemerkung eindeutig dies entnehmen, dass nach seinem Urteil als innerer Grund der Schöpfung nicht das „Gesetz“, sondern das „Evangelium“ zu gelten hat. Nicht dass Barth leugnen würde, dass Gottes Schöpfungswerk auf den Erweis seiner universalen Gerechtigkeit und die konsequente Erfüllung des göttlichen Gebots am Ort des Geschöpfs hin angelegt ist. Der als jüdisch apostrophierte Grundsatz, demzufolge die Tora als innerer Grund der Schöpfung anzusehen sei, bleibt auch unter christlichen Bedingungen insofern in Geltung, als das jüdische Erbe unveräußerlich zum Bestand des Christentums gehört. Doch als innerer Grund der Schöpfung kann die Tora nach Barth christlich nur dann angemessen in Betracht kommen, wenn die Schöpfung inklusive der Tora als der äußere Grund jenes Bundes namhaft gemacht wird, der in Jesus Christus beschlossen und durch das Evangelium Jesu Christi kraft des göttlichen Geistes erschlossen ist. Als äußerer Grund der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus durch den Hl. Geist enthält die Schöpfung einen ihr als Schöpfung eigenen inneren Grund in sich, der aber als Schöpfungsgrund nur insofern Gültigkeit beanspruchen kann, als er auf die Christusoffenbarung hin und von ihr her begriffen wird. Man kann das auch so sagen: Das christlich bestimmte Verhältnis von Schöpfung als äußerem Grund des Bundes und des Bundes als innerem Grund der Schöpfung, wie Barth es bestimmt, reflektiert sich im Verhältnis zweier Bünde, von denen der erste, mit Israel geschlossene, die Innenseite der Schöpfung als des äußeren Grundes des Christusereignisses, der zweite, nämlich der in Christus geschlossene den inneren Grund der Schöpfung einschließlich ihrer Innenseite repräsentiert. Dessen inne zu werden ist die Voraussetzung dafür, dass die Beziehung von Äußerem und Innerem, gemäß derer Barth das Verhältnis von Schöpfung und Bund bestimmt, nicht lediglich äußerlich in Betracht gezogen wird. Zieht man sie gewissermaßen von innen heraus in Betracht, dann kann dies nur in Form jenes Verhältnisses geschehen, das zwischen Gesetz und Evangelium bzw. zwischen Evangelium und Gesetz waltet. Die programmatische Wendung, die Barth der Formel gibt, wenn er statt von Gesetz und Evangelium von Evangelium und Gesetz spricht, um die traditionelle Reihenfolge zu einem aufgehobenen Moment der von ihm bevorzugten zu erklären, kann als hermeneutischer Schlüssel für seine gesamte Dogmatik und damit auch für die Stellung der Schöpfungslehre in ihr gelten. In ungleich innigerer Weise als der Gott der Metaphysik ist vom christlichen Glauben der Gott Israels als der allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde zu bekennen, der sich in der Tora für sein Volk um der Menschheit und ihrer Welt willen als Gott universaler Gerechtigkeit offenbart hat. Doch gilt dies nicht bedingungslos, sondern unter der Voraussetzung, die nach Bekenntnis christlichen

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Glaubens um Gottes und seiner Geschöpfe willen unbedingt anzuerkennen ist, dass nämlich der Gott Israels der Vater Jesu Christi ist, der sein göttliches Wesen nicht anders hat und zu haben gewillt ist als im Sohn, wie der Geist dies dem Glauben verbürgt. Gott der Schöpfer ist einer: Das Einheitsdenken der antiken Ontotheologie, das auf metaphysische Letztbegründung zielt, ist samt seinen Folgegestalten keineswegs abgetan, geschweige denn der jüdische Toramonotheismus, der dem christlichen Gottesglauben unveräußerlich und unvergänglich zugehört. Aber der eine Schöpfergott ist nicht einer allein, sondern in seinem schöpferischen Wesen im christlichen Sinn allein dreieinig zu verstehen, als Vater, Sohn und Hl. Geist, die in ungeteilter Einigkeit, wenngleich nicht differenzlos schöpferisch tätig sind, um die Schöpfung zu wirken. Um Einheit und Differenziertheit des göttlichen Schöpfungswerkes angemessen zur Geltung zu Unbedingtes Ja Gottes bringen, nimmt Barth im Anschluss an die dogmatische Tradition Identifizierungen und Unterscheidungen vor, welche die innertrinitarischen, die ökonomischen Verhältnisse und die Beziehung betreffen, die zwischen beiden Verhältnissen in Anschlag zu bringen sind. Formaliter ist es der Entsprechungsgedanke, nach dessen Logizität das komplexe Relationengefüge gestaltet ist. Doch wäre es nach Barth falsch, ihn zum Konstruktionsprinizip der trinitarischen Beziehungszusammenhänge zu erklären, welche der Schöpfungstheologie grundgelegt sind. Denn materialiter hat sich die Logik des Entsprechungsgedankens der Wirklichkeit des inkarnierten Logos zu fügen, ohne die es keine Möglichkeit theologischen Begreifens gibt. In der Person des inkarnierten Logos ist unter den Bedingungen der Zeit das Wort gesprochen, in dem sich der ewige Bundesgott selbst ausspricht. Es lautet: Ja; ja, ja, ja. Im 42. Paragraphen seiner „Kirchlichen Dogmatik“ hat Barth das Ja Gottes (vgl. KD III/1,377 ff.) zu jenem einen Wort erklärt, in dem alle Werke der Schöpfung beschlossen und erschlossen sind. Indem Gott schafft, bejaht er, was er schafft, und gibt allem Geschaffenen je eigenes Sein samt dem dazugehörigen Sinn. Darin erweist sich Gottes schöpferisches Handeln als eine Wohltat. Der Schöpfer lässt sein Geschöpf das sein, was es zu sein hat, um es selbst zu sein. Darin erweist er seine Güte. Aus ihr heraus und durch sie erschafft Gott, und was er erschafft, ist gut und wohlgetan. Gottes Schöpfung ist, weil in seiner Güte gründend, gut, Wohltat, nicht Übeltat, wie Markion und andere meinten behaupten zu sollen. Markions Häresie bestand nach Barth nicht darin, dass er seine Aufmerksamkeit auf die Christusoffenbarung konzentrierte, um von dort her Gott als reine Liebe zu verstehen. Zum Häretiker sei er erst durch den Doketismus seiner Christologie geworden, die ihn zwischen Bund und Schöpfung in einer Weise habe scheiden lassen, die weder dem christlichen Bundes- noch dem christlichen Schöpfungsverständnis gemäß sei. Indem Gott seine Schöpfung realisiert, schafft er Realität, die wirklich ist und weder nicht ist noch lediglich zu sein scheint. Dass etwas ist, steht sonach als Tatsache fest, indes nach Barth nur durch den Schöpfergott und in der Gewissheit

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des Schöpfungsglaubens. „Unsere als Ichbewußtsein und Weltbewußtsein, d. h. als Wahrnehmung und Begriff unserer Selbst und der Weltdinge außer uns sich vollziehende Existenzerkenntnis könnte auch bloß vermeintlich, sie könnte auch Schein, und zwar reiner Schein, eine Gestalt des Nichts sein, unser Schritt vom Bewußtsein zum Sein eine leere Fiktion. Es ist nicht wahr, daß wir unmittelbar unsere eigene oder um irgend eine Wirklichkeit wissen. Wahr ist nur dies, daß wir unmittelbar meinen, darum zu wissen.“ (KD III/1,395) Unsere Meinung müsste bloße Vermutung bleiben, die über ein „als ob“ nicht hinausgelangte, stünde nicht selbstverständlich fest, was sich in Gottes Offenbarung unmissverständlich zu verstehen gibt, dass nämlich Gott fundierender Grund von Selbst und Welt ist. Wären Gott und Gottes Wirklichkeit nicht selbstverständlich, wäre nicht nur nichts zu verstehen, sondern auch nichts real; alle Wirklichkeit müsste sich in bloßen Schein auflösen, um schließlich im Nichtigen zugrunde zu gehen. Sein, Bewusstsein und Selbstbewusstsein sind gottgesetzt; die Existenz Gottes hingegen ist keine Setzung, sondern eine sich selbst voraussetzende Voraussetzung, die allen kosmologischen oder ichphilosophischen Setzungstheorien entgegenzusetzen ist, nicht um das Sein von Ich und Welt in Abrede zu stellen, sondern um es als in Gott gründend zu bezeugen. Primärer Inhalt der Selbstkundgabe Gottes des Göttliche Selbstkundgabe Schöpfers ist seine Existenz und sein ureigenes Wissen um sie. Alles Wissen um kreatürlich Existierendes hebt mit der Gewissheit schöpferischer Gottesexistenz an, die von niemand anders als von Gott erschlossen werden kann und tatsächlich erschlossen worden ist. Wahrhafte, authentische und wirksame Seinserkenntnis kann es nur in Form von Anerkenntnis der Selbstkundgabe Gottes als Schöpfer geben. Auch Schöpfungstheologie ist „Erkenntnis unter dem Gesetz des Glaubens und des Gehorsams. Das unterscheidet sie formal von aller auf unser Ich- und Welt- und Gottesbewußtsein begründeten Erkenntnis.“ (KD III/1,400) Dass Selbst und Welt sind, lässt sich nur sagen, weil Gott ist und weil uns von Gott gesagt ist, dass er ist. Ohne solche Selbstkundgabe göttlicher Existenz kann weder vom Sein der Welt noch vom Selbstsein des Ich und seines Bewusstseins begründet die Rede sein. Barths eingehende Auseinandersetzung mit Rene Descartes’ „Meditationes de prima philosophia“ (vgl. KD III/1,401 ff.) dient ausschließlich dem Zweck, dies in der nötigen Deutlichkeit klarzustellen. Wie Gottes Selbsterweis der einzige Beweis für seine Existenz zu sein vermag, so lassen sich das Sein des Seienden und das menschliche Dasein nicht anders denken als von Gott her, der es als sein Schöpfer ins Sein ruft und sein lässt; gehorsam zu sein, was es von Gott her sein darf, ist die Bestimmung alles Seienden. Fehlt der Gehorsam, wie er sich im Hören auf Gottes Wort erfüllt, verfällt alles dem Nichtigen. Statt weitere Variationen der ursprünglichen Einsicht Barths und ihrer bewusst tautologisch gestalteten Expressionen zu bieten, sei zum Schluss selbst auf die Gefahr hin, auch diesbezüglich erneut dasselbe zu sagen, die Aufmerksamkeit noch einmal auf dasjenige Thema konzentriert, das Eberhard Jüngel, wie erwähnt,

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zum „Probestück auf das Ganze“ (Jüngel, 264) erklärt hat: auf die Lehre vom Nichtigen, wie sie im 50. Paragraphen der „Kirchlichen Dogmatik“ entwickelt ist. Will man Barths Überlegungen zum Nichtigen und zur Nichtigkeit des Bösen konstruktiv rezipieren, dann muss man „jeden Anschein vermeiden, eine theologische ‚Ontologie des Bösen‘ zu skizzieren“ (Dalferth, 508 Anm. 88) und eine theometaphysische Erklärung des Bösen in seiner Nichtigkeit zu geben. Dies ist umso nötiger, als Barth die wünschenswerte Klarheit selbst gelegentlich vermissen ließ, wenn er „in der Gestalt einer negativen Erklärung dessen, was Gott nicht will, eben doch eine Erklärung für das Böse“ (ebd.) zu bieten scheint. Aufgabe christlicher Theologie kann es jedoch nicht sein, „als sinnvoll auszuweisen, was keinen Sinn hat“ (Dalferth, 507). Ihr Bemühen muss auf die gedankliche Erschließung eines religiösen Verhältnisses ausgerichtet sein, in dem auch in Situationen der Betroffenheit durch Sinnloses und Sinnwidriges der Sinn des Ganzen mit einer Gewissheit gewiss bleibt, die sich im offenbaren Gott selbst begründet weiß. Barths Lehre vom Nichtigen, so wurde konstatiert, tendiere infolge einer entgeschichtlichten Grenzwertige Aussagen Erwählungs- und Versöhnungslehre zu einer Rationalisierung des malum und verkenne das theologische Recht der Klage, die keineswegs bloßer Ausdruck schöpfungstheologischer Uneinsichtigkeit sei. Die „Abwertung der Klage“ (Wüthrich, 340) hinwiederum sei wesentlich durch theologische Aufhebung dessen bedingt, wovon die menschliche Klage Gott gegenüber ihren Ausgang nimmt: die Erfahrung der unfassbaren Faktizität des Bösen. Indem er es zum Nichtigen erkläre, dass durch den göttlichen Erwählungswillen ewig verworfen sei, integriere Barth das Üble und Böse zwar nicht direkt in den theologischen Begriff, statte es aber mit dem Schein einer Bedeutung aus, die seine faktische Unbegreiflichkeit und mit dieser ein eigenständiges theologisches Recht der Klage tendenziell beseitige (vgl. im Einzelnen Wüthrich, 337 ff.). Vergleichbare Bedenken wurden schon früher gegen Barths Lehre vom Nichtigen als dem in gewisser Weise notwendigen Schatten der Schöpfung geltend gemacht. Statt darauf zu verzichten, das Übel als eine Gestalt des Bösen in das theologische System einzufügen, halte Barth an dem Versuch fest, „Gottes Wille und das Nichtige in einen ‚ursächlichen‘ Zusammenhang zu bringen“ (Kress, 218). Am deutlichsten trete dies im Zusammenhang seiner „Rede von einer verneinenden, zulassenden und dennoch nicht unwirksamen voluntas permittens im Kontext seiner Überlegungen zum Nichtigen“ (Kress, 217) zutage. Diese Rede sei die fatale Konsequenz eines abstrakten Verständnisses von Gottes Allmacht, welches Barth in den Grundlegungsbänden seiner Kirchlichen Dogmatik nicht konsequent genug vermieden habe. Zwar wolle Gott das Nichtige nach Barth nicht, aber das göttliche NichtWollen des Nichtigen sei ihm zufolge kein bloßes, sondern ein Gewährenlassen in Form eines Willens, der als nichtwollender nicht voluntas inefficax, sondern durchaus voluntas efficax sei. Eine theologische Erklärung von Übel und Leid werde also durchaus gegeben, wenngleich in höchst indirekter Form. Gott ist nicht der Urheber des Nichtigen, aber dieses ist durch ihn insofern, als

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es im Vollzug der Schöpfung als das schöpferisch Nichtgewollte durch die göttliche voluntas permittens effektiv zugelassen wird. Bleibt zu fragen, „warum Gott . . . in seiner voluntas permittens das Nichtige wirksam wolle“ (Härle, 268). Barths Antwort lautet: „Es ist das Wesen unserer Versöhnung als Gnade, das eben daran hängt, daß es auch eine göttliche voluntas permittens und vermöge ihrer die Wirklichkeit von Ungnade, Verdammnis und Hölle gibt. Ist Gott größer eben darin, daß er der Gott ist, der Sünden vergibt und vom Tode errettet, dann werden wir ihn nicht anklagen dürfen, dann werden wir ihn gerade dafür preisen müssen, daß sein Wille auch die Zulassung der Sünde und des Todes in sich schließt.“ (KD II/ 1, 672) Sätze wie diese, von denen sich in der „Kirchlichen Dogmatik“ eine Reihe finden lassen, sind nach Urteil der Kritiker nicht nur grenzwertig, sondern übersteigen eine Grenze, die christlicher Theologie nicht nur äußerlich, sondern von innen her gesetzt ist. Wer das religiöse Verhältnis und das offenbare Geheimnis seines Grundes wahren wolle, müsse jede Ontologie des Nichtigen und des Bösen abweisen und sich zu den begrifflichen Grenzen bekennen, welche der Theologie bei ihren Versuchen gesetzt sind, die Faktizität natürlichen Übels und mehr noch die Untat des Bösen zu erklären. Aufgabe von Religion und Theologie könne es nicht sein, Sinnloses und Sinnwidriges für sinnvoll zu erklären; ihre Bedeutung liege vielmehr darin begründet, einen offenbaren Sinn zu bezeugen, der weder durch Sinnloses noch durch Sinnwidriges zu falsifizieren sei, sondern eine evidente Gewissheit erschließe, deren lichte Klarheit in der Finsternis strahle, ohne ihr Dunkel zu leugnen. Kurzum: Gott will das Nichtige nicht und zwar weder in der Form des Übels noch gar in derjenigen des schuldhaften Bösen; und er will es nicht nur nicht, sondern bekämpft und besiegt es, wenn es aus Gründen, die zuletzt kein Mensch, sondern nur Gott selbst zu ergründen vermag, faktisch wird. Das Nichtige, sagt Barth, ist dasjenige, was nur in der Negativität seines Nichtgewählt- bzw. Verworfenseins von Gott wirklich ist. Sätze dieser Art sind nicht falsch; sie werden aber „fragwürdig, wenn man sie im Sinne einer absolutistischen Handlungs-, Wahl- und Entscheidungslogik versteht, die nur Entscheidungshandlungen kennt und daher auch Nichtentscheidungen als Entscheidungen konstruiert. Etwas nicht zu wählen wird dann zur Wahl, es nicht zu wählen, und diese Wahl wird nicht als Nichtwahl, sondern als Wahl des Nichtwählens konzipiert, die eben als solche dem Nichtgewählten einen prekären Realitätsstatus verleiht: Dass man wählt, etwas nicht zu wählen, heißt dann nicht, dass man nicht wählt, weil es nichts zu wählen gibt, sondern dass es etwas gibt, was man nicht wählt. Das Nichttun wird dann zum Tun, und das Unterlassen von etwas zum Zulassen von etwas, das man unterlässt.“ (Dalferth, 508 Anm. 87) Barths Lehre von der Nichtwahl bzw. Verwerfung des Nichtigen durch Gott ist ambivalent. Abwegig und irreführend wird sie, sobald sich mit dem Gedanken der Nichtwahl derjenige willentlicher Zulassung verbindet, womit die Faktizität des malum theologisch indirekt erklärt und damit verklärt wird, statt direkt soteriologischer Überwindung durch Gott anheim gestellt zu werden. Es ist nicht sicher, aber auch nicht auszuschließen, dass Barth dies genauso sah.

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10. Gottes Schöpfungshandeln und die Welt der Geschöpfe nach W. Pannenberg

Lit.: C. Albright/J. Haugen (Ed.), Beginning with the End. God. Science, and Wolfhart Pannenberg, Chicago 1997. – K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Zürich 1942 ff. (= KD). – C. Braaten/Ph. Clayton (Ed.), The Theology of Wolfhart Pannenberg, Minneapolis 1988. – T. Bradshaw, Trinity and Ontology. A Comparative Study of the theologies of Karl Barth and Wolfhart Pannenberg, Edinburgh 1988. – G. C. Berkouwer, Der Triumph der Gnade in der Theologie Karl Barths, Neukirchen 1957. – T. Bradshaw, Trinity and Ontology. A Comparative Study of the Theologies of Karl Barth and Wolfhart Pannenberg, Edinburgh 1988. – J. A. M. Camino, Aufhebung. Zur Architektur des ersten Bandes der Systematischen Theologie Wolfhart Pannenbergs, in: KuD 45 (1999), 91–101. – N. M. Gregersen, Einheit und Vielfalt der schöpferischen Werke Gottes. Wolfhart Pannenbergs Beitrag zu einer trinitarischen Schöpfungslehre, in: KuD 45 (1999), 102–129. – M. Kappes, „Natürliche Theologie“ als innerprotestantisches und ökumenisches Problem? Die Kontroverse zwischen Eberhard Jüngel und Wolfhart Pannenberg und ihr ökumenischer Ertrag, in: Catholica 49 (1995), 276–309. – K. Koch, Der Gott der Geschichte. Theologie der Geschichte bei Wolfhart Pannenberg als Paradigma einer philosophischen Theologie in ökumenischer Perspektive, Mainz 1988. – H. D. Mutschler, Schöpfungsglaube und physikalischer Feldbegriff bei Wolfhart Pannenberg, in: ThuPh 70 (1995), 543–558. – C.-D. Osthövener, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, Berlin/ New York 1996. – W. Pannenberg, Gottebenbildlichkeit als Bestimmung des Menschen in der neueren Theologiegeschichte, München 1979. – Ders., Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983 (= Anthr.). – Ders., Systematische Theologie. 3 Bände, Göttingen, 1988 ff. (= STh I, II, III). – Ders., Natur und Mensch – und die Zukunft der Schöpfung, Göttingen 2000. – J. C. Polkinghorne, Fields and Theology. A Response to Wolfhart Pannenberg, in: Zygon 36 (2001), 795–797. – J. Ringleben, Gottes Sein, Handeln und Werden. Ein Beitrag zum Gespräch mit Wolfhart Pannenberg, in: J. Rohls/G. Wenz, Vernunft des Glaubens. Wissenschftliche Theologie und kirchliche Lehre, Göttingen 1988, 457–488. – G. Wenz, Wolfhart Pannenbergs Systematische Theologie. Ein einführender Bericht, Göttingen 2003.

Barths Schöpfungslehre wird erwählungstheologisch fundiert. Die Stellung der Erwählungslehre in der „Kirchlichen Dogmatik“ ist vorentscheidend sowohl für deren Gesamtkonzeption als auch für den Status, welcher der Schöpfungstheologie in ihr zuzuerkennen ist. Denn mit der Entscheidung, die Gott in der Wahl seiner Gnade getroffen hat, ist über alles entschieden, was kirchlich zu verkünden und dogmatisch zu lehren ist. Barth bestätigt dies ausdrücklich, sofern er im Unterschied zur theologischen Tradition die Erwählungslehre „im Zusammenhang der Lehre von Gott selber“ (KD II/2, 82) behandelt und ihr eine Grundsatzstellung „vor allen anderen, den einzelnen christlichen Sätzen über Gottes Handeln“ (ebd.) zuweist.

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Die Lehre von Gottes Gnadenwahl, wie sie im dritten und letzten Kapitel der Barth’schen Gotteslehre behandelt wird, stellt deren Skopus insofern dar, als sie die ewige, freie und beständige Gnade als Anfang und Ende aller Wege Gottes bezeugt. Die Erwählungslehre ist, wie Barth im ersten Satz ihres Grundlegungsparagraphen (§ 32) ausdrücklich vermerkt, „die Summe des Evangeliums, weil dies das Beste ist, was je gesagt und gehört werden kann: daß Gott den Menschen wählt und also auch für ihn der in Freiheit Liebende ist.“ (KD II/2, 1; bei B. gesperrt) Erkannt werden Gott und seine in Ewigkeit getroffene Gnadenwahl im Vollzugsgeschehen der Offenbarung, in der sich Gott im Sohn durch den Hl. Geist zu erkennen gibt. „Gott wird nur durch Gott erkannt“ (KD II/1, 200; bei B. gesperrt): Dies gilt es im Gehorsam des Glaubens und um der Gottheit Gottes willen anzuerkennen, die für immer verborgen bliebe, hätte sie sich nicht von sich aus offenbart. Die Möglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis ist allein in der Tatsache begründet, dass Gott sich in Jesus Christus durch den Hl. Geist selbst zu erkennen gegeben hat und zu erkennen gibt. Indem er sich offenbart, erschließt sich Gott in seiner Wirklichkeit und in ihr zugleich als die Möglichkeitsbedingung seiner Erkennbarkeit. Erkennbarkeit und Erkenntnis Gottes gründen allein in ihm und in seiner Selbstoffenbarung. Sie ist weder durch vorgefasste, noch durch Anschauungen und Begriffe zu gewährleisten, mit denen im Glauben auf die ergangene Offenbarung geantwortet wird. Gleichwohl darf, soll und muss der Glaube seine Antwort nicht schuldig bleiben, sondern sie auf Gottes Geheiß hin versuchen – der Erlaubnis und dem Befehl gemäß, die in seiner Offenbarung offenkundig sind. „Das Gelingen dieses Unternehmens und also die Wahrhaftigkeit unserer menschlichen Gotteserkenntnis besteht darin, daß unser Anschauen und Begreifen zur Teilnahme an der Wahrheit Gottes durch Gott selbst in Gnaden aufgenommen und bestimmt wird.“ (KD II/1, 200; bei B. gesperrt) In seiner Offenbarung gibt sich Gott als der in Freiheit Liebende und damit als der zu erkennen, der er in Wirklichkeit ist (vgl. Osthövener, 159 ff.). Gottes Wirklichkeit ist vollkommen in sich. In der Vollkommenheit, die sein göttliches Wesen ausmacht, ist Gott nichts anderes als er selbst und derjenige, der sein Leben ewig aus sich selbst hat. Um der in Freiheit Liebende zu sein, bedarf Gott keines anderen außer ihm selbst. Gott ist in seiner Gottheit als er selbst zugleich das andere seiner selbst und die Einheit seines Seins und seines Andersseins. Er ist als Gott trinitarischer Gott und in der Einheit seiner Trinität als Vater, Sohn und Hl. Geist der Liebende „auch ohne uns, in der Freiheit des Herrn, der sein Leben aus sich selber hat“ (KD II/1, 288; bei B. gesperrt). Als der in Freiheit Liebende und in der Liebe Freie ist Gott nichts anderes als er selber, „sein eines, einfaches, ihm eigenes Wesen“ (KD II/1, 362). Als solcher ist er vollkommen in sich selbst offenbar, ohne der Selbstoffenbarung für anderes, das er nicht selbst ist, zu seiner Vollkommenheit zu bedürfen. Entsprechend hat auch die Erkenntnis Gottes als vollkommen in sich zu gelten. Der in Freiheit Liebende

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Gott erkennt sich selbst in vollkommener Weise, ohne die Erkenntnis durch ein anderes, das er nicht ist, zu benötigen. Gott ist sich selbst offenbar, ohne sich seiner selbst entäußern zu müssen. Die wesentliche Wirklichkeit seines Seins gründet absolut in sich und hat nichts außer sich, dessen es bedürfte, um zu sein, was es ist. Dass Gott in der Dreieinigkeit seiner Gottheit in Beziehung steht zu einem externen Anderen, ist durch nichts anderes begründet als durch den Akt ewiger Wahl, durch den Gott in Jesus Christus den Menschen erwählt und seinen Gnadenbund mit ihm geschlossen hat. In der Erwählung Jesu Christi hat Gott sich selbst dazu bestimmt, Deus pro nobis und Deus pro me zu sein. Jesus Christus, in dessen durch Gottes Selbstoffenbarung für uns begründeten Erkenntnis die Erwählungslehre gründet, ist nach Barth der erwählende Gott und der erwählte Mensch in einem. Seine gottmenschliche Person ist die konkrete Gestalt des göttlichen Dekrets, welches unter Absehung von Jesus Christus nicht erfasst werden kann. Allein in seinem Namen und in der Singularität des Faktums, das in ihm beschlossen und erschlossen ist, wird manifest, was es mit der göttlichen Erwählung des Menschen auf sich hat. Die Erwählungslehre lässt sich daher nicht auf einen systematischen Begriff bringen, der von sich aus generalisierbar wäre, sondern nur in narrativer, nacherzählender Weise vergegenwärtigen. Nur von der unvergleichlichen Geschichte Jesu Christi her, wie sie die Hl. Schrift beurkundet und die kirchliche Verkündigung bezeugt, erschließt sich, was die Erwählungslehre zu lehrhafter Darstellung bringt. Die dogmatischen Deutungen der Geschichte Jesu Christi sind Funktionen der Bedeutung, die ihr als einem sich selbst deutenden Geschehnis per se eignen. Als göttliche Offenbarung gibt sich die Geschichte Jesu Christi von sich aus zu erkennen. Ihr Ereignis ist der Realgrund ihrer Erkenntnis, die sich in der gläubigen Anerkenntnis erfüllt, dass Jesus Christus der erwählende Gott und der erwählte Mensch in Einem und als der Eine das Wirkzeichen der im ewigen Bund beschlossenen Gnade Gottes für den Menschen ist. Die Gnade Gottes ist wie der Bund, in dem sie beschlossen ist, an den Namen Jesu Christi gebunden, umfasst in diesem Namen aber alles, was Gott nicht ist, nämlich alles gottexterne Andere bis hin zum befremdlichen, gottlosen, ja gottwidrigen Anderssein der Sünde. Auch ihre in sich widrige Verkehrtheit ist samt der Widerlichkeit alles Bösen vom Namen Jesu Christi und vom Bundesschluss umschlossen, für den er steht. Die Erwählung Jesu Christi bezieht sich nicht nur auf alle Formen menschlicher Verworfenheit, Triumph der Gnade sie findet in diesem Bezug ihre eigentliche Erfüllung, um die Gnade Gottes als absolut mächtig zu erweisen. In Jesus Christus bestimmt sich Gott dergestalt für den sündigen Menschen, dass er diesen für sich bestimmt, um menschliche Verworfenheit aufzuheben in seiner Gnade. Verwirklicht ist die göttliche Selbstbestimmung zur unbedingten Gnade für den Sünder, wie sie im ewigen Bund beschlossen ist, in Kreuz und Auferweckung Jesu Christi, der als der Erwählte zugleich der Verworfene, als der Verworfene zugleich der Erwählte ist, jedoch so, dass seine Erwählung seine Verwerfung umschließt, um

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ihrer mächtig zu sein. Zwar ist der Mensch Jesus allein deshalb erwählt, um verworfen zu werden; aber seine Verwerfung hebt seine Erwählung nicht auf, sondern wird durch Gottes Gnade dergestalt behoben, dass der erniedrigte Menschensohn als der erhöhte Gottessohn und als der zur Rechten Gottes Verherrlichte in Erscheinung tritt, in dessen Namen Gott universale und unbedingte Gnade walten lässt, sofern er alle Verworfenheit und mit ihr die Verwerfung auf sich nimmt, die er ihr selbst zuteil werden lässt. Bleibt zu fragen, ob der „Triumph der Gnade“ (Berkouwer) bei Barth nicht dadurch erheblich an Dramatik einbüßt, dass er ewig, von Anbeginn und gewissermaßen supralapsarisch feststeht. Wird der Supralapsarismus der Erwählungslehre durch die Lehre von der infralapsarischen Versöhnung überhaupt noch ernsthaft berührt, oder ratifiziert diese nur in wiederholender Weise, was Gott vor Anbeginn der Zeiten in dem trinitarischen Bund entschieden hat, den er mit sich selbst und mit einem Menschen vor dessen geschichtlicher Existenz geschlossen hat? Ist damit nicht auch über die Schöpfung und ihren natürlichen und geschichtlichen Verlauf in einer Weise vorwegentschieden, die Kennzeichen einer deterministischen Prädestination aufweist und über Ordnung und Sinn von Wirklichkeit befindet, noch bevor diese kreatürlich in Erscheinung tritt und geschöpflich erlebt wird? Berücksichtigt die göttliche Präszienz und Providenz die kreatürliche Realität, wie sie sich in der Erfahrung der Geschöpfe darstellt, oder ist die Schöpfungswirklichkeit von ihrem Ursprung her dergestalt definitiv gesetzt, dass ihr Ende bereits feststeht, noch ehe sie überhaupt begonnen hat? Kurzum: Nimmt Barths Theologie ernst, was Geschichte heißt? Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts Offenbarung als fand in Heidelberg eine rebellische Gruppe evangeGeschichte lischer Jungtheologen zusammen, die planten, der langjährigen akademischen und kirchlichen Vorherrschaft der sog. Dialektischen Theologie ein rasches Ende zu bereiten. Zum systematischen Kopf und Vordenker wurde bald Wolfhart Pannenberg. Mit der 1961 erschienenen Studie „Offenbarung als Geschichte“ lieferte er die Programmschrift des später nach ihm benannten Kreises. Heftig kritisiert wurde nicht nur das religionskritische Offenbarungsdenken im Gefolge Karl Barths, sondern auch die existentiale Hermeneutik der Bultmannschule. Der angeblich antihistoristische Glaubenssubjektivismus beider herrschenden Gestalten der Wort-Gottes-Theologie sollte überwunden werden durch Wiederentdeckung der Universalgeschichte als des umfassenden Mediums der Offenbarung Gottes und durch Nachweis einer allem Irrationalismus und Dezisionismus überlegenen Vernünftigkeit des Glaubens. Intendiert wurde vornehmlich eine Rekonstruktion der Geschichte des Christentums, die dessen Ursprünge mit der christlichen Gegenwart vermittelt. Als durch die Christentumsgeschichte selbst nahegelegte Leitkategorie sollte der das künftige Geschehen einschließende und eschatologisch ausgerichtete Gedanke der Universalgeschichte fungieren, welcher der Bedingtheit jedes Einzelgeschehens durch das künftige Ganze Rechnung trägt und mit der Einsicht in die Unabgeschlossenheit des

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Gottes Schöpfungshandeln und die Welt der Geschöpfe nach W. Pannenberg

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geschichtlichen Verlaufs das Bewusstsein der Vorläufigkeit allen historischen Geschehens und seiner Darstellung verbindet. Pannenbergs universalgeschichtliche Orientierung der Hermeneutik suchte die Auflösung der Theologie in eine bloße Sprachlehre des Glaubens zu vermeiden und forderte statt dessen die Ausarbeitung einer religionsgeschichtlichen Theologie, welche die Offenbarungsgeschichte mit den wissenschaftlichen Mitteln der historisch-kritischen Forschung untersucht. Das Christentum mit seiner eschatologischen Botschaft von der kommenden und in Jesus von Nazareth bereits angebrochenen Gottesherrschaft wurde verstanden im Kontext der geschichtlichen Überlieferungen Israels, insbesondere der jüdischen Apokalyptik. Als Spezifikum des christlichen Glaubens galt dabei die Annahme, dass sich das Ende der Geschichte und die Zukunft der Welt in der Auferweckung Jesu Christi als der Bestätigung seines Vollmachtsanspruches durch Gott vorwegereignet habe. Pannenbergs Theologie stellt einen Versuch dar, diese Annahme vor dem Forum des allgemeinen Wahrheitsbewusstseins zu rechtfertigen. Anthropologisch sollte die Vernünftigkeit des Glaubens vor allem anhand der Struktur der Gottoffenheit des Menschen aufgewiesen werden. Zugleich wurden die Aussagen des christlichen Glaubens selbst als eine den universalen Sinnzusammenhang thematisierende Hypothese begriffen, deren endgültige Verifikation noch aussteht, womit die Theologie eine Fundierung im Rahmen der allgemeinen Wissenschaftstheorie erhielt und sich so als rationale Theologie gestalten konnte. Der Pannenbergkreis zerfiel im Laufe der Jahre. Pannenberg selbst hingegen hat das Programm von „Offenbarung als Geschichte“ lebenslang und mit eherner Konsequenz verfolgt. 1962 erschien die Schrift „Was ist der Mensch“, deren Konzept zwei Jahrzehnte später in der großen „Anthropologie in theologischer Perspektive“ ausgearbeitet wurde. 1964 lagen „Grundzüge der Christologie“ vor. 1973 folgte „Wissenschaftstheorie und Theologie“; daneben wurden Studienbände zur evangelischen Theologiegeschichte in der Neuzeit und zum Verhältnis von Philosophie und Theologie sowie diverse Aufsatzsammlungen zu unterschiedlichen Themen der Dogmatik und Ethik publiziert. Mit der in den Jahren 1988 bis 1993 erschienenen dreibändigen „Systematischen Theologie“ liegt Pannenbergs „opus magnum“ vor. Das Werk, das mit dem Barth’schen trotz aller Kritik mehr gemein hat, als man vermuten möchte, stellt in 15 Kapiteln den Gesamtzusammenhang christlicher Dogmatik dar und will seinem Titel gemäß durchweg als wissenschaftliche Lehre von Gott verstanden werden. Die Wahrheit der christlichen Lehre, welche Systematische Theologie ihrem Begriff gemäß zu thematisieren hat, ist nach Pannenberg wie bei Barth in der Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes begründet. Doch könne die trinitarische Offenbarungstheologie nicht unvermittelt zur Geltung gebracht werden, wenn dem Verdacht eines autoritären Dogmatismus bzw. subjektiver Dezision mit vernünftigen Argumenten entgegengetreten werden solle. Es bedürfe vermittelnder Erörterungen zur sog. natürlichen Gotteserkenntnis des Menschen und ihrer theologischen Bedeutung sowie zur Wirklichkeit Gottes und der Götter in der Erfah-

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rung der Religionen. Mit ihnen setzt Pannenberg im Anschluss an einleitende Bemerkungen zum thematischen Gehalt und zur wissenschaftlichen Gestalt Systematischer Theologie ein, um sodann die Funktion des Offenbarungsbegriffs in der Theologie und ihrer Historie sowie die Vielschichtigkeit religionsgeschichtlicher und biblischer Offenbarungsvorstellungen zu erörtern (vgl. im Einzelnen etwa Koch, bes. 97 ff.; ferner: Camino). Eine zusammenfassende Darstellung von Pannenbergs Lehre der sog. natürlichen Gotteserkenntnis sowie der Wirklichkeit Gottes und der Götter in der Erfahrung der Religionen ist in meiner Einführung in seine Systematische Theologie gegeben (Wenz, 38 ff.). Dort finden sich auch Ausführungen zum allgemeinen Wahrheitsanspruch christlicher Lehre im Sinne Pannenbergs (Wenz, 19 ff.; vgl. ferner: Kappes, Bradshaw). Mit dem Ende des Offenbarungskapitels und dem Trinitarische Relation entwickelten Begriff göttlicher Selbstoffenbarung vollzieht sich im systematischen Gedankengang eine methodische Wende. War bisher der Gesichtspunkt vorläufiger Annäherung an die Wahrheit der christlichen Lehre leitend, so wird sie im Folgenden unter dem Aspekt der Explikation des in der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus Enthaltenen dargestellt. Den Schlüssel zum Verständnis der Lehre vom dreieinigen Gott, wie er nach dem Bekenntnis christlichen Glaubens im auferstandenen Gekreuzigten offenbar ist, liefert Jesu Gebrauch des Vaternamens für Gott und die Einsicht, dass die Einheit des Sohnes mit dem Vater durch seine konsequente Selbstunterscheidung von ihm vermittelt ist. Das Verständnis des altkirchlichen Trinitätsdogmas und seiner Lehre von der Wesenseinheit und hypostatischen Differenz des dreieinigen Gottes ergibt sich hieraus. Die wechselseitige Selbstunterscheidung von Vater, Sohn und Geist bildet die konkrete Gestalt der trinitarischen Relation (STh I, 335 ff.; vgl. Wenz, 71 ff.; ferner: Braaten/Clayton [Ed.], 188 ff.). Die Lehre von der Einheit des göttlichen Wesens und seiner Eigenschaften schließt in Pannenbergs Konzeption an die Trinitätslehre an und ist selbst trinitarisch verfasst. Zwar rechnet er mit einem unbestimmten Gewahrsein des Daseins einer alles bestimmenden Wirklichkeit. Doch bleibt die ursprüngliche Intuition des Unendlichen nach seinem Urteil solange verworren, bis sie im religionsgeschichtlichen Prozess – der vielfach von metaphysischen Theoriebildungen begleitet wurde, ohne durch sie ersetzt werden zu können – fortschreitende Klarheit gewinnt, um sich unter den Bedingungen christlicher Offenbarung zum trinitarischen Verständnis Gottes auszubilden. Allein vom trinitarischen Gottesverständnis her ließen sich die Einheit des Wesens Gottes, dessen Dasein seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte dunkel erahnt wurde, sowie die göttlichen Eigenschaften im christlichen Sinne verstehen (vgl. im Einzelnen Gregersen). Eine Schlüsselstellung in Pannenbergs Lehre von Dasein, Wesen und Eigenschaften Gottes, die mit Ausführungen zum trinitarischen Liebeswalten enden, nehmen die Erörterungen zum Begriff des göttlichen Handelns ein (vgl. Ringleben), die dann auch für die Lehre von der Schöpfung der Welt grundlegend sind,

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sofern diese als Akt Gottes verstanden werden soll. Entscheidend ist das Problem, ob bzw. inwiefern Gott „ein selbstbewußt handelndes und in diesem Sinne ‚persönliches‘ Wesen“ (STh I, 401) genannt werden kann. Zum Zwecke der Lösung dieses Problems wendet sich Pannenberg zunächst der für das traditionelle christliche Gottesverständnis grundlegenden Vorstellung einer höchsten Vernunft zu (vgl. STh I, 402ff). Er weist darauf hin, dass der biblische Geistbegriff nicht Vernunft oder Bewusstsein bedeutet (vgl. STh I, 404), dass vielmehr die „Durchsetzung einer auf die vernünftige Seele und ihr Bewußtsein verengten Auffassung vom Pneuma in der christlichen Theologie . . . mit dem Aufstieg der platonischen Schule im 3. Jahrhundert und mit der Option der christlichen Theologie für die transzendente Gottesvorstellung der Platoniker gegenüber dem stoischen Pantheismus zusammen(hängt)“ (STh I, 405). In diesem Zusammenhang werden Kritik und Antikritik an der Vorstellung eines absoluten Selbstbewusstseins erwogen und anthropologische Problembezüge hergestellt: Ist im menschlichen Selbstbewusstsein mit einer Differenz zwischen Ich und Selbst als Ausdruck der Tatsache zu rechnen, dass wir nicht schlechthin mit uns identisch sind, so muss für die Beziehungen der trinitarischen Personen zueinander eine Vollkommenheit der Identität angenommen werden, die es fraglich macht, ob die Form ihrer Selbstbeziehung noch auf den Begriff des Selbstbewusstseins zu bringen ist. Jedenfalls stimmt Pannenberg dem Urteil Spinozas zu, „daß das Reden von einem göttlichen Intellekt im Prinzip ebenso metaphorisch ist wie etwa das Reden von Gott als dem ‚Fels‘ unseres Heils“ (STh I, 410). Er kommt daher zu dem Schluss, die metaphorische Rede vom „Wissen Gottes“ bedeutet, „daß nichts ihm entgeht in seiner ganzen Schöpfung. Alles ist ihm gegenwärtig und wird von ihm in seiner Gegenwart festgehalten. Solches Gegenwärtighalten ist nicht notwendigerweise ein Wissen im Sinne unseres menschlichen Bewußtseins und Wissens.“ (STh I, 411) Analog wird im Blick auf die Vorstellung vom göttlichen Willen argumentiert (vgl. STh I, 411 ff.). Pannenberg fasst im Anschluss an anthropologisch-religionswissenschaftliche Erwägungen die Vorstellung vom Willen Gottes als eine „Konkretisierung der Dynamik des Gottesgeistes zu einer bestimmten Willensrichtung“ (STh I, 413), wobei er den biblischen Geistgedanken als Kraftfeld der machtvollen Gegenwart Gottes charakterisiert und mit der, wie er annimmt, in der Nachfolge der stoischen Pneumalehre entwickelten Feldtheorie der modernen Physik in Verbindung bringt. In der Feldtheorie werden Phänomene „nicht mehr als körperhafte Größen auf(gefaßt), sondern als der Materie gegenüber autonom und nur durch ihre Beziehungen zum Raum bzw. zur Raumzeit definiert“ (STh I, 414). Von daher ergeben sich „überraschende Möglichkeiten für eine Neufassung des Verhältnisses zwischen den trinitarischen Personen und dem ihnen allen gemeinsamen göttlichen Wesen. Die Autonomie des Feldes bedarf keiner Zuordnung zu einem Subjekt, wie das bei der Deutung des Geistes als Nus der Fall ist. Die als Feld gedachte Gottheit kann als in allen drei trinitarischen Personen gleichermaßen in Erscheinung tretend gedacht werden.“ (STh I, 414 f.) Vom Feldbegriff her erschließe sich dann auch eine Lösung des trinitätstheologischen Dauerproblems, inwiefern der Geist sowohl das

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gemeinsame Wesen der Gottheit als auch die dritte trinitarische Person im hypostatischen Unterschied zu Vater und Sohn bezeichnen kann. Die trinitarischen Personen sind konkrete AktionsAktionszentren göttlichen zentren göttlichen Handelns, doch nicht je für Handelns sich, sondern in jener trinitarischen Gemeinsamkeit, die ihre Wesenseinheit ausmacht. „Die Gemeinsamkeit des Handelns kann die Wesenseinheit weder begründen noch ersetzen. Es kann sich aber in der Gemeinsamkeit des Handelns von Vater, Sohn und Heiligem Geist die Lebensund Wesenseinheit manifestieren, durch die die drei Personen immer schon verbunden sind.“ (STh I, 417) Im Zusammenwirken von Vater, Sohn und Geist gewinnt das Handeln des einen Gottes Gestalt, um als eine Wirklichkeit zu wirken, welche die Rede vom Subjektsein Gottes und seines einen Vernunftwirkens nun doch, wenngleich indirekt und auf vermittelte Weise ins Recht setzt. Indes ist die Subjektivität Gottes nicht als ein zur Dreiheit der Hypostasen Hinzutretendes oder ihnen Vorangehendes zu denken. Das göttliche Selbstsein ist Ausdruck hypostatischer Lebensgemeinschaft der Gottheit im Handeln an der Welt, in welchem Gott sich selbst verwirklicht. „Gott verwirklicht sich selbst in der Welt durch sein Kommen in die Welt. Dafür ist sein ewiges Dasein in der Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes schon vorausgesetzt, und das ewige Wesen Gottes bedarf nicht der Vollendung durch sein Kommen in die Welt, obwohl mit der Schöpfung einer Welt die Gottheit Gottes und sogar sein Dasein abhängig werden von der Vollendung ihrer Bestimmung in der Gegenwart der Gottesherrschaft.“ (STh I, 423) Hinzuzufügen ist, dass Gott als Schöpfer kein anderer ist denn als Versöhner und Vollender. Er ist derselbe, aber auf je andere Weise, kein anderer Gott, aber anders Gott. In der Lehre von den göttlichen Eigenschaften reflektiert sich dies darin, dass durch den Begriff der göttlichen Liebe als dem Inbegriff der Theologie überhaupt deren Identität benannt, zugleich aber die Notwendigkeit attributiver Unterscheidungen festgehalten wird, wie sie der hypostatischen Differenziertheit und der Differenziertheit des göttlichen Weltwirkens entspricht. Ist die Wirklichkeit der Welt als Werk des trinitarischen Gottes denkbar, dessen Selbstoffenbarung in Jesus Christus der christliche Glaube bekennt? Mit der Beantwortung dieser Frage sind alle Lehrstücke der Dogmatik und nicht nur ihre schöpfungstheologischen Abschnitte befasst, wenngleich diese vorzugsweise, sofern sie den Grund des Daseins der Welt sowie ihrer Erhaltung und Zielbestimmung in protologischer Perspektive zu klären suchen. Pannenberg unterteilt die Schöpfungslehre in die Lehre von Gott als Schöpfer und der Welt als Schöpfung. Zunächst wird die Schöpfung der Welt als freier Akt des trinitarischen Gottes beschrieben und erörtert, wie sich der ursprüngliche Schöpfungsakt zu den göttlichen Tätigkeiten der Welterhaltung und -regierung verhält. Sodann wird die geschöpfliche Welt bzw. die Welt der Geschöpfe ins Auge gefasst, um sie als Werk des dreieinigen Schöpfergottes zu verstehen (vgl. im Einzelnen Gregersen). Die Einheit des göttlichen Aktes der Schöpfung ist wie die Einheit Gottes selbst

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unbeschadet ihrer Einzigkeit trinitarisch differenziert, sofern die drei Personen der Trinität gemeinsam die von Gott unterschiedene Wirklichkeit einer geschöpflichen Welt hervorbringen. In ökonomischer Perspektive stellt sich der eine Schöpfungsakt des dreieinigen Gottes gemäß der innertrinitarischen Differenziertheit göttlicher Einheit unter den zusammengehörigen und gleichwohl unterscheidbaren und unterscheidungsbedürftigen Aspekten von Schöpfung, Erhaltung und Regierung der Welt dar. Dabei erweist sich „der Begriff der Schöpfung als bezogen auf die übergreifende Einheit des göttlichen Aktes, während der Gedanke der Erhaltung das Dasein der Geschöpfe auf ihren Anfang zurückbezieht und die göttliche Weltregierung auf die künftige Weltvollendung zielt“ (STh II, 165). Aus der Tatsache, dass der Schöpfungsbegriff nicht lediglich einen Teilaspekt, sondern die welthervorrufende Tätigkeit Gottes als solche und in der ihr eigenen Einheit benennt, erklärt es sich, dass er zum Inbegriff der nach ihm bezeichneten Lehre werden konnte, auch wenn diese Lehre und die sie bestimmende Einheit nur auf differenzierte Weise zur Darstellung gebracht werden kann. Einheit und innerer Zusammenhang der Schöpfungslehre in der Differenziertheit ihrer Aspekte sind nach Pannenberg wesentlich durch die Vorstellung von einem Handeln Gottes bezeichnet. Durch sie und erst durch sie wird das Dasein der Welt auf Gott als ihren Ursprung zurückgeführt und als Schöpfung bestimmt: „Die Welt ist Produkt einer Tat Gottes.“ (STh II, 15) Als Tat Gottes ist die Schöpfung der Welt ungeteiltes Werk der göttlichen Dreieinigkeit und von Produkt göttlicher Tat den opera trinitatis ad intra, also von den differenzierten Tätigkeitsvollzügen im binnentrinitarischen Beziehungszusammenhang „scharf zu unterscheiden“ (STh II,17). Letztere seien der göttlichen Schöpfungstat vorauszusetzen, sofern Gott als in sich tätig zu denken sei, damit sein Werk nach außen angemessen gedacht werden könne. Gott bedarf der Welt nicht, um lebendige Tätigkeit und wirksame Wirklichkeit zu sein; er erschafft sie aus innerer Freiheit und ohne jedweden Zwang. Alle Emanationsannahmen sind damit schöpfungstheologisch als ebenso abwegig ausgeschieden wie etwa die Vorstellung eines dem Schöpferhandeln Gottes vorgegebenen Materials. Ausgeschlossen sind auch alle dualistischen Auffassungen bezüglich der die Welt wirkenden Wirklichkeit. Die Welt ist „nicht Ergebnis irgendeines Zusammenwirkens Gottes mit einem anderen Prinzip“ (STh II, 29), sondern ausschließliches Produkt einer alleinigen Tat Gottes. Daraus folge indes nach biblischem Zeugnis keineswegs eine monistische Vorstellung vom Schöpfungshandeln Gottes. „Dieselben Gründe, die dem biblischen Schöpfungsglauben, wie er im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht seinen klassischen Ausdruck gefunden hat, jede Konzession an eine dualistische Kosmogonie versagt haben, trennen ihn auch von der entgegengesetzten Auffassung des Verhältnisses Gottes zur Welt im Akt ihrer Hervorbringung: Beschränkt jede dualistische Vorstellung von der Weltentstehung die Freiheit des Schöpfers in seinem allmächtigen Wirken, so wird die göttliche Freiheit in den Systemen eines philosophischen Monismus einer ehernen Notwendigkeit geopfert, die den Her-

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vorgang der Welt aus ihrem göttlichen Ursprung regiert. Gott selbst erscheint hier als gebunden an eine aus seiner eigenen Natur fließende Logik, nach der alles so geschehen muß, wie es tatsächlich geschieht.“ (STh II, 32) An der antiken Heimarmenevorstellung lässt sich das nach Pannenberg ebenso illustrieren wie an Hegels Schöpfungslehre, die als manifest monistisch kritisiert wird. Im Gegensatz zum Prinzipiendualismus und zu Theoriebildungen, die er als monistisch kritisiert, bringt Pannenberg den Gedanken kontingent wirkender Freiheit göttlichen Schöpfungshandelns zum Zuge. Um ihn von Willkür und Zwangsnotwendigkeit gleichermaßen abzugrenzen, sind der trinitarische Ursprung und die trinitarische Verfasstheit des göttlichen Schöpfungsaktes stets mit zu bedenken. Dabei ist es für die Pannenberg’sche Konzeption charakteristisch, schöpfungstheologisch nicht abstrakt von der ersten Person der Gottheit und einer einseitig mit ihr assoziierten, tendenziell indifferenten Einheit der Gottheit her zu argumentieren, sondern von der Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater aus, in welcher er den Seinsgrund für das Dasein der Schöpfung als der Welt der Geschöpfe in ihrer Unterschiedenheit vom Schöpfer entdeckt. Als Erkenntnisgrund hierfür gilt die für Jesu Erscheinung charakteristische Selbstunterscheidung vom Vater, die ihn als personale Inkarnation des ewigen Sohnes erweist. Der ewige Sohn, wie er in Jesus offenbar ist, ist in seiner die Einigkeit mit dem Vater in der Kraft des Geistes realisierenden Selbstunterscheidung von ihm der Mittler der Schöpfung und das generative Prinzip einer gottunterschiedenen Welt mitsamt der Mannigfaltigkeit der geschöpflichen Wirklichkeit. Als der Logos der Schöpfung repräsentiert der Prinzip der Andersheit ewige Sohn nicht lediglich einen intelligiblen Ideenkosmos, sondern ermöglicht es als das Prinzip der Andersheit, welches er ist, dass das Andere Gottes in seiner Gottunterschiedenheit realiter in Erscheinung treten und als es selbst leibhafte Gestalt annehmen kann. „In der freien Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater ist das selbständige Dasein einer von Gott unterschiedenen Schöpfung begründet, und in diesem Sinne läßt sich die Schöpfung als ein freier Akt nicht nur des Vaters, sondern des trinitarischen Gottes verstehen: Sie geht nicht schon notwendig aus dem Wesen der väterlichen Liebe hervor, die von Ewigkeit her auf den Sohn gerichtet ist. Ihr Möglichkeitsgrund ist die freie Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater, die aber noch im Heraustreten aus der Einheit der Gottheit mit dem Vater geeint ist durch den Geist, der der Geist der Freiheit ist (2. Kor 3,17). Die Sendung des Vaters liegt auf dem Sohn nicht als Zwang, einem Gebot väterlicher Liebe zu folgen, so als ob sie dem Sohn äußerlich auferlegt wäre. Er selber, der Sohn, tritt in einem Akt der freien Realisierung seines Sohnseins aus der göttlichen Einheit heraus, indem er den Vater allein den einen Gott sein läßt. Daß er aber noch in diesem Akt seiner Freiheit mit dem Willen des Vaters geeint ist, läßt sich nur durch ein Drittes verstehen, nämlich als Ausdruck der beide vereinenden Gemeinschaft des Geistes. So ist die Schöpfung freier Akt Gottes als Ausdruck der Freiheit des Sohnes in seiner Selbstunterscheidung vom Vater und der Freiheit väterlicher

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Güte, die im Sohn auch die Möglichkeit und das Dasein einer von ihm unterschiedenen Schöpfung bejaht, sowie auch des Geistes, der beide in freier Übereinstimmung verbindet.“ (STh II, 45) Aus dieser dichten Passage lässt sich neben einer Fülle anderer Aspekte u. a. dies entnehmen, dass Sohn und Geist beim Werk der Schöpfung auf zwar differenzierte, aber nichtsdestoweniger untrennbare Weise zusammenwirken. Das schöpferische Wirken des Logos als des ewigen Sohnes des Vaters ist durchgängig mit demjenigen des Geistes als der dritten trinitarischen Person verbunden zu denken und umgekehrt. „Während die Selbständigkeit der Geschöpfe Gott gegenüber und ihr von Gott unterschiedenes Bestehen auf die Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater zurückgeht, ist der Geist das Element der Gemeinschaft der Geschöpfe mit Gott und der Teilhabe an seinem Leben unbeschadet ihrer Verschiedenheit von Gott.“ (STh II, 47) Indem er den Geschöpfen im Prozess fortschreitender Verinnerlichung ihrer schöpfungsgemäßen Anlage zur Selbsttranszendenz die Möglichkeit erschließt, ihre eigene Endlichkeit exzentrisch auf Gott hin zu transzendieren, um gerade so ihrer kreatürlichen Bestimmung inne zu werden und sie zu realisieren, repräsentiert der Geist die dem Schöpfungshandeln Gottes und dem Leben der Schöpfung innewohnende Dynamik. Dem Logos hinwiederum als dem produktiven Prinzip der Andersheit ist der generierende Akt schöpferischer Gestaltung zu appropriieren, durch welchen er als Ursprung jedes einzelnen Geschöpfs in seiner Besonderheit und als Ursprung der Ordnung von Beziehungen zwischen den Geschöpfen tätig ist. Durch diese beiden – in der Perspektive einigen Zusammenwirkens von Sohn und Geist beim Werk der Schöpfung wahrzunehmenden – Aspekte ist die Beschreibung der Welt als Schöpfung entscheidend bestimmt, sofern die Wirklichkeit der Welt zunächst auf das einige Vielheit wirkende Werk des Logos und sodann auf das dynamische Wirken des Geistes durchsichtig gemacht wird. Der eine Akt der Schöpfung ist das Werk des trinitarischen Gottes und in seiner Einheit entsprechend differenziert wahrzunehmen, nämlich gemäß der schöpfungstheologischen Binnendifferenzierung von Schöpfung, Erhaltung und göttlicher Weltregierung. Die Schöpfung ist kein Akt in der Zeit, sondern ein ewiger Akt des ewigen Gottes, in welchem die endliche Wirklichkeit der Geschöpfe mitsamt der Zeit als ihrer Daseinsform konstituiert wird. Als an sich selbst zeitloser Ursprung aller Zeit kann der göttliche Schöpfungsakt daher „nicht auf den Anfang der Welt begrenzt sein, sondern ist aller geschöpflichen Zeit gleichzeitig“ (STh II, 52 f.). Zwar ist die Schöpfung, insofern das Dasein der Geschöpfe in ihr seinen Anfang nimmt, auf deren Beginnen bezogen. „Aber daraus folgt nicht, daß der Schöpfungsakt Gottes der Zeit des Weltanfangs angehörte und damit auch auf diese Zeit des Anfangs beschränkt wäre. Er wäre dann ein Akt in der Zeit, nicht ein ewiger Akt Gottes. Die Zeit wäre nicht erst mit dem Dasein der Geschöpfe gesetzt, sondern der Übergang von der Ewigkeit in die Zeit läge schon in Gottes Herausgehen aus der Immanenz seines Wesens zum Akt der Schöpfung. Wäre aber der Schöpfungsakt selber schon ein Akt in der Zeit, dann wäre es unvermeidlich,

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nach einer ihm vorausgehenden Zeit zu fragen. Damit wiederum wäre die Vorstellung einer Veränderung in Gott beim Übergang zur Schöpfung verbunden.“ (STh II, 53) Trotz einiger Vorbehalte gegenüber ihren metaphysischen Voraussetzungen, die namentlich ein zeitloses Ewigkeitsverständnis betreffen, teilt Pannenberg Augustins These, wonach die Welt nicht in der Zeit, sondern mitsamt der Zeit (non in tempore, sed cum tempore) geschaffen worden sei. Der Begriff der Erhaltung setzt das Dasein der Beständige Ordnung und Geschöpfe und mithin den Akt ihrer Schöpfung Ereigniskontingenz als vorgängig voraus und ist damit im Unterschied zum Schöpfungsbegriff zeitlich strukturiert. Denn was im Dasein erhalten werden soll, muss zuvor schon sein. „Weiterhin impliziert der Gedanke der Erhaltung auch, daß das zu Erhaltende sein Dasein nicht schlechthin sich selbst verdankt; denn es bedürfte keiner Erhaltung, wenn es die Ursache seines Seins in sich selber hätte. Sofern nun Gottes Schöpfungsakt das Dasein der Geschöpfe begründet, so sind sie auch für ihre Erhaltung im Dasein in erster Linie auf Gott angewiesen.“ (STh II, 50) Gottes erhaltende Tätigkeit, ohne welche die Geschöpfe ins Nichts zurücksinken müssten, aus dem sie geworden sind, kann nach Pannenberg als fortgesetzte Schöpfung namentlich deshalb verstanden werden, weil das Dasein der Geschöpfe nicht nur anfänglich, sondern in jedem Augenblick von Gottes Schöpfungshandeln abhängt. Den Einwand, durch die Annahme einer fortgesetzten Schöpfungstätigkeit Gottes und einer durchgängigen Kontingenz des Geschaffenen werde die Identität und Selbstständigkeit der Geschöpfe sowie die Kontinuität ihrer Handlungen in Frage gestellt, erklärt Pannenberg mit dem Hinweis für haltlos, dass Gott in seinem Schöpfungshandeln sich selbst treu sei. „Die Treue Gottes ermöglicht und garantiert das Entstehen und Bestehen kontinuierlich existierender Gestalten geschöpflicher Wirklichkeit, ihre zeitüberdauernde Identität und ihre Selbständigkeit.“ (STh II, 56) Um den durch die Erhaltungstreue des Schöpfergottes gewährleisteten Bestand seiner Geschöpfe zum Ausdruck zu bringen, bedarf es keineswegs zwangsläufig der Annahme einer definitiv abgeschlossenen, gegen Neues im eigentlichen Sinne immunen Schöpfung. Es ist im Gegenteil so, dass der schöpferische Bestandserhalt der Geschöpfe durch Gott in, mit und unter dem Vollzug produktiver Hervorbringung von Neuem statthat (vgl. Pannenberg, Natur, 69 ff.). Wie das Schöpfungshandeln Gottes, so ist auch die Kontingenz des Geschaffenen nicht nur anfänglicher Art, sondern kennzeichnend für das geschöpfliche Dasein in seiner ganzen Erstreckung. Sinn der göttlichen Weltregierung ist es, Schöpfung und Geschöpfe unter Wahrung und Förderung ihrer je spezifischen Selbstzwecklichkeit dem Ziel zuzuführen, welches der Schöpfer ihnen bestimmt hat. Sie gewährleistet nicht nur die Beständigkeit der Schöpfung in den mit ihr gesetzten Ordnungen, sondern beinhaltet eine jedem einzelnen Geschöpf zugewandte, auf das integre Ganze seines Daseins präszient ausgerichtete Fürsorge. Nicht so, als ob Gott das Einzelgeschöpf lediglich als Mittel zu allgemeinen Zwecken nutzen würde; es gilt ihm vielmehr als Selbstzweck. Pannenberg geht soweit

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zu sagen, „die Vorstellung, daß nicht etwa die Geschöpfe, sondern Gott sich selbst der letzte Zweck seiner Weltregierung sei, (habe) etwas Schiefes und verleite . . . zu dem Eindruck, daß solche Herrschaft Züge der Unterdrückung trage“ (STh II, 71, Anm. 135). Demgegenüber wird geltend gemacht, dass Gottes Schöpfungshandeln als Bestätigung und Ausdruck seiner freien Liebe ganz und gar den Geschöpfen zugewandt ist. „Sie sind ihm Gegenstand und Zweck der Schöpfung in einem. Gerade darin besteht seine Ehre als Schöpfer, die Ehre des Vaters, die durch den Sohn und durch den Geist in den Geschöpfen verherrlicht wird.“ (STh II, 74) Die Lehre von der Erschaffung der Welt durch den freien Schöpfungsakt Gottes lässt sich von der Die Welt der Geschöpfe Lehre von der Welt der Geschöpfe zwar unterscheiden, nicht aber trennen, wenn anders die Welt als Welt Schöpfung Gottes und die Geschöpfe in ihr Gottes Geschöpfe sein sollen. Pannenbergs Lehre von der Welt der Geschöpfe als Schöpfung Gottes setzt in der Absicht, die trinitarische Grundlegung der Schöpfungslehre im Vollzug ihrer Durchführung zu konkretisieren, nicht sofort mit der Behandlung der Vielfalt kreatürlicher Gestalten ein, wie dies in der Dogmatik im Anschluss an Gen 1,1 ff. üblich geworden ist. Erneut werden vielmehr in eins mit dem schöpferischen Tun des Vaters dasjenige des Logos und des Geistes bedacht, nun unter dem Gesichtspunkt des weltimmanenten Wirkens, wonach der Logos als gestaltendes Wirkprinzip kosmischer Ordnung, der Geist als Prinzip der Schöpfungsdynamik in Betracht kommt, ohne dass beide Prinzipien voneinander separiert werden könnten. Was die Schöpfungsmittlerschaft des Logos betrifft, die in der Inkarnation des ewigen Sohnes in Jesus ihre manifeste Erfüllung findet, so vollzieht sie sich als Werk der Besonderung jeder geschöpflichen Gestalt durch Unterscheidung von Gott dem Schöpfer und von den anderen Mitgeschöpfen. Entsprechend ist es die im Logos gegebene Bestimmung jeden Geschöpfs, sich in Selbstunterscheidung von Gott als Geschöpf neben Geschöpfen in einer gemeinsam gegebenen Welt der kreatürlichen Ordnung gemäß zu gestalten. Unterschiedenheit von Gott und Unterschiedenheit der Geschöpfe untereinander lassen sich nicht trennen. Als geschaffene Entitäten sind die Geschöpfe endlich. „Zur Endlichkeit einer Sache gehört es, durch anderes begrenzt zu sein, und zwar nicht nur durch das Unendliche, sondern auch durch anderes Endliches. Erst dem anderen Endlichen gegenüber hat ein endliches Wesen seine Besonderheit. Nur im Unterschied zu anderem ist es etwas. Daher existiert Endliches nur als Vielheit von Endlichem.“ (STh II, 79) Damit ist nicht gesagt, dass die Schöpfung von ihrem zeitlichen Anbeginn unmittelbar als eine Vielheit von Geschöpfen existierte. Aber sie ist der Schöpfungsmittlerschaft des Logos gemäß auf eine Vielheit innerweltlich irreduzibler Gestalten wesentlich angelegt, die durch die kreatürliche Ordnung, deren Grund und Inbegriff der Logos ist, dazu bestimmt sind, als Verschiedene in einer Welt einig zusammen zu sein. Dabei ist die Schöpfungsordnung des Logos mit der naturgesetzlichen Ordnung weltlicher Erscheinungsformen

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nicht unmittelbar gleichzusetzen: Die naturgesetzliche Ordnung der Erscheinungen „ist zwar Inbegriff der Regeln für das Hervortreten der Erscheinungen im Prozeß der Zeit, aber sie ist als Inbegriff von Regeln dennoch abstrakt, losgelöst von der Vielheit der Geschöpfe in ihrer konkreten Realität“ (STh II, 80). Hingegen ist der Logos „die nicht abstrakte, sondern konkrete Ordnung der Welt. Das ist darum so, weil im Begriff des göttlichen Logos die ewige Dynamik der Selbstunterscheidung (der logos asarkos) nicht getrennt werden darf von ihrer Realisierung in Jesus Christus (dem logos ensarkos). Der universale Logos ist in der Welt nur tätig, indem er den partikularen Logos des jeweiligen besonderen Geschöpfes hervorbringt.“ (STh II, 81) Im Lichte definitiven Einsseins des Logos mit Jesus von Nazareth als einem einzelnen, von allen anderen unterschiedenen Geschöpf erhellt, dass zum Wirken des Logos in der Schöpfung sein Eingang in die individuelle Gestalt wesentlich hinzugehört. Als generisches, erhaltendes und leitendes Prinzip konkreter Individualität hört der Logos allerdings nicht auf, universal und Garant des Allgemeinen zu sein. Manifest ist er als die differenzierte Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, die er an sich selbst ist, in jenem einen Menschen, der als dieser eine „Neue Mensch“ die Menschheit und durch sie die Vielzahl der Geschöpfe zu integrer Ganzheit vereint. „Die Inkarnation ist das Integrationszentrum der geschichtlichen Ordnung der Welt, die im Logos begründet ist, ihre vollendete Gestalt allerdings erst in der eschatologischen Zukunft der Weltvollendung und Weltverwandlung zum Reiche Gottes in seiner Schöpfung finden wird. Wenn das richtig ist, dann kann die Inkarnation keine nur äußerliche Zutat zur Schöpfung sein, nicht nur Ergebnis einer Reaktion des Schöpfers auf den Sündenfall Adams. Sie bildet dann vielmehr von vornherein den Schlußstein der göttlichen Weltordnung, die äußerste Konkretion der wirkenden Gegenwart des Logos in der Schöpfung.“ (STh II, 82) Die inkarnationstheologische Einsicht in die Individualität und schöpferische Funktion des in Jesus Christus offenAllgemeinheit baren Logos, individuelle Besonderheit und geordnete Allgemeinheit gleichermaßen zu gewährleisten, bewährt sich für Pannenberg nicht nur im Blick auf die Geschichte, deren Zusammenhang nicht unter Abstraktion von der Kontingentes, Einmaliges, Individuelles, Neues, Noch-nie-da-Gewesenen hervorbringenden Ereignisfolge, sondern durch diese konstituiert wird, sondern auch hinsichtlich des Geschehenszusammenhangs der Natur, da diese nach heutiger Auffassung Ereigniskontingenz als Grundcharakter allen Geschehens, also des historisch ebenso wie des physikalisch fassbaren, erkennen lasse. Gelte doch die Irreversibilität der Zeitrichtung nicht nur für geschichtliche, sondern auch für natürliche Geschehenszusammenhänge: „Die naturgesetzliche Ordnung steht also nicht im Gegensatz zum kontingenten Wirken Gottes bei der Hervorbringung der geschöpflichen Gestalten, sondern sie ist das wichtigste Mittel dazu. Die Gleichförmigkeit des Naturgeschehens ist einerseits Ausdruck der Treue und Beständigkeit Gottes in seiner Tätigkeit als Schöpfer und Erhalter, und bildet andererseits

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den Boden, der für das Entstehen immer neuer und komplexerer Gestalten in der Welt der Geschöpfe unerläßlich ist.“ (STh II, 91) Unter den im unumkehrbaren Laufe der Zeit immer komplexer werdenden Gestalten nimmt der Mensch nach Pannenberg eine im Grundsatz unüberbietbare Spitzenstellung ein. Die gesamte Geschichte des Universums lasse sich daher nach Maßgabe des anthropischen Prinzips als Vorgeschichte für das Erscheinen des Menschen darstellen. Der göttliche Geist ist das belebende und bewegende Prinzip der Schöpfung. So bezeugt es die Geist als Feld Hl. Schrift (vgl. STh II, 96ff). Auch wenn in ihr „keine allgemeine Konzeption der kosmischen Bewegung als zusammenfassende Bezeichnung für die verschiedenen Bewegungen und Tätigkeiten der Geschöpfe entwickelt“ (STh II, 99) wurde, liegt in der Vorstellung von der schöpferischen Dynamik des Gottesgeistes ein Ansatzpunkt hierzu vor, den Pannenberg aufgreift, um das Wirken des Schöpfergeistes mit dem Feldbegriff der modernen Physik in Verbindung zu bringen (vgl. Pannenberg, Natur, 55 ff.; 64 ff.; dazu u. a. Albright/ Haugen [Ed.], 249 ff.; Mutschler; Polkinghorne). Diese Verbindung liegt nach seinem Urteil sowohl von der Begriffs- und Geistesgeschichte her nahe, als auch aus sachlichen Gründen und zwar unbeschadet der prinzipiellen Differenzen zwischen physikalischer und theologischer Betrachtungsweise bei der Beschreibung der Weltwirklichkeit, die ausdrücklich eingeräumt werden. Den in der eigenen Sachthematik der Theologie angelegten Grund, den naturwissenschaftlichen Feldbegriff im Rückgang auf seine vorphysikalische, philosophische Prägung theologisch in Gebrauch zu nehmen, findet Pannenberg vor allem in der spezifisch biblischen Rede von Gott als Geist, die, wie erwähnt, durch die traditionelle Auffassung der Geistigkeit Gottes als vernünftige Subjektivität, als Nus nicht angemessen zur Geltung komme. Besser entspreche es dem biblischen Befund, Gottes Geist bzw. Gott als Geist „als dynamisches Feld zu denken, das trinitarisch strukturiert ist, wobei die Person des Heiligen Geistes als eine der personalen Konkretisierungen der Wesenheit des einen Gottes als Geist, und zwar im Gegenüber zu Vater und Sohn, aufzufassen ist. Die Person des Heiligen Geistes ist also nicht selber als Feld, sondern eher als einmalige Manifestation (Singularität) des Feldes der göttlichen Wesenheit zu verstehen. Weil aber das personale Wesen des Heiligen Geistes erst im Gegenüber zum Sohn (und so auch zum Vater) offenbar wird, hat sein Wirken in der Schöpfung mehr den Charakter dynamischer Feldwirkungen. Auch bei der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes ist ja die personale Beziehung zum Vater erst in der Inkarnation, im Gegenüber des Menschen Jesus zum Vater, voll ausgeprägt, obwohl alle geschöpfliche Andersheit gegenüber Gott wie gegenüber den Mitgeschöpfen von der Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater her und auf ihr Offenbarwerden hin zu verstehen ist. Entsprechendes gilt auch für das Wirken des Heiligen Geistes in der Schöpfung. Es läßt sich im Unterschied zur Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes und ihrer Bedeutung für die Unterschiedenheit und Andersheit jedes besonderen Geschöpfes dem Bezogensein und darum auch der Bewegung zuordnen, die die Geschöpfe untereinander und

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mit Gott verbindet.“ (STh II, 104) Die Beziehung der nach Maßgabe des göttlichen Logos gottunterschiedenen und in ihrer Gottunterschiedenheit voneinander unterschiedenen Geschöpfe zueinander ist möglich nur, wenn ihnen hierzu durch das dynamische Wirken des göttlichen Geistes Raum geschaffen und Zeit gelassen wird. Raum und Zeit sind in diesem Sinne Zentralaspekte schöpferischen Geistwirkens. Indem der unendliche Gott das Endliche als das In sich differenzierte von ihm Unterschiedene ins Sein ruft, gibt er ihm Differenz Raum neben sich und zwar in in sich differenzierter Weise dergestalt, dass mit dem Unterschied des unendlichen Gottes zum Endlichen der Unterschied der endlichen Entitäten und ihrer jeweiligen Örtlichkeiten mitgesetzt ist. „In der Unermeßlichkeit Gottes selber werden die Unterschiede gesetzt und eingeräumt, die zum Dasein geschöpflicher Endlichkeit gehören. Im Blick auf die Raumvorstellung besagt dies, daß erst mit der Erschaffung von Geschöpfen eine Mannigfaltigkeit von Örtern, also von gegeneinander abgegrenzten Teilräumen entsteht. Dem geht allerdings schon eine Mannigfaltigkeit in Gott selbst voraus, nämlich die Mannigfaltigkeit seines trinitarischen Lebens. Dabei mag die ewige Gleichzeitigkeit der drei Personen in ihren Beziehungen zueinander die Vorstellung räumlicher Unterschiede und Beziehungen in Gott selber nahelegen. Aber die trinitarischen Unterschiede sind nicht von der Art eines festen Unterschiedenseins, einer Teilung, sondern im Akt der Selbstunterscheidung ist jede der trinitarischen Personen zugleich vereint mit dem Gegenüber, von dem sie sich unterscheidet.“ (STh II, 107) Anders als die trinitarischen Unterschiede in Gott nehmen die in der Gottunterschiedenheit der Schöpfung gesetzten Unterschiede „die Form der Teilung und des getrennten Daseins an, sofern die Geschöpfe im Raum nebeneinander existieren, obwohl auch hier das Geteilte aufeinander bezogen bleibt. Der Raum der Geschöpfe wird dadurch gebildet, daß sie gerade durch ihre Endlichkeit – in der Abgrenzung voneinander – gleichzeitig aufeinander bezogen sind. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich der Raum dar als ein Inbegriff von Relationen zwischen Teilräumen, idealisiert als Inbegriff von Beziehungen zwischen Raumpunkten.“ (STh II, 107 f.) Weil der Begriff des Raumes durch die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen konstituiert ist, hat er den Begriff der Zeit zu seiner Basis. Entsprechend ist der Ansatz beim Raum, der seinem Begriff nach alles das umfasst, was gleichzeitig gegenwärtig ist, in denjenigen der Zeit aufzuheben. Den Ausgangspunkt hierfür bildet eine Interpretation der Gleichzeitigkeit. Unter physikalischen Messbedingungen ist der Gedanke absoluter Gleichzeitigkeit und damit die Zusammenfassung von Raum und Zeit zur Vorstellung der Raumzeit als eines vierdimensionalen Kontinuums problematisch geworden, seit die Relativitätstheorie die Standortrelativität und Bezugssystemabhängigkeit von Messungen aufgezeigt hat. Der Gedanke der Gleichzeitigkeit ist damit nicht insgesamt eliminiert worden. Er erweist sich aber in empirischen Zusammenhängen stets als relative Gleichzeitigkeit. „Solche relative Gleichzeitigkeit ist stets Gleichzeitigkeit des in sich Ungleichzeitigen. Im Falle

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des menschlichen Zeitbewußtseins ist sie ermöglicht durch das Phänomen zeitüberbrückender Gegenwart“ (STh II, 112), welches im Erlebnis der Dauer die umfassendste und komplexeste Gestalt annimmt. An Augustins berühmter Zeitabhandlung im elften Buch seiner „Confessiones“ wird im Einzelnen Zeit und Ewigkeit erwiesen, was es mit dem Erlebnis von Dauer auf sich hat. Während indes das menschliche Erleben zeitübergreifender Gegenwart, in welchem Vergangenes als erinnert und Künftiges als erwartet präsent wird, begrenzt und nicht von unbegrenzter Dauer ist, hat Gottes Ewigkeit als „ungeteilte Gegenwart des Lebens in seiner Ganzheit“ (STh II, 113) zu gelten. „Das ist nicht im Sinne einer vom Vergangenen einerseits, vom Zukünftigen andererseits abgesonderten Gegenwart vorzustellen, sondern als zeitübergreifende Gegenwart, und zwar im Unterschied zu der des menschlichen Zeiterlebens als eine zeitübergreifende Gegenwart, die keine Zukunft außer sich hat: Was eine Zukunft außer sich hat, dessen Gegenwart ist dadurch begrenzt. Ewig kann nur eine solche Gegenwart sein, die von ihrer Zukunft ungeschieden ist und für die darum auch nichts in Vergangenheit versinkt.“ (Ebd.) Der solchermaßen umschriebene Gedanke der Ewigkeit ist nach Pannenberg keine abstrakte Idee, sondern „konstitutiv für das Erleben und den Begriff der Zeit; denn der Zusammenhang des im Fortgang der Zeit Getrennten wird nur verständlich, wenn die Zeit als Einheit – d. h. aber als Ewigkeit – schon zugrunde liegt.“ (STh II, 114) Gottes Ewigkeit ist der Einheitsgrund der Zeit sowie die Bedingung der Möglichkeit des Zusammenhangs ihrer Modi. Die Zeitform geschöpflichen Daseins ist als prinzipiell gut zu bezeichnen, solange sich das Zeitliche nicht von seinem Grund löst, um sich in sich selbst zu gründen. Selbst das Auseinandertreten der Zeitmomente kann nicht als verkehrt gelten, wenn im Nacheinander und in der Abfolge der Zeit das temporale Sinnganze präsent bleibt, was nach Pannenberg unter den Bedingungen einer Gegenwart, die eine Vergangenheit hat, nur durch proleptische Antizipation der endzeitlich zukommenden Zukunft möglich ist. Die vom Logos gewirkte kosmische Ordnung und das dynamische Wirken des Schöpfergeistes in ihr bilden die Voraussetzung dafür, dass sich kreatürliche Gestalten dem göttlichen Schöpfungshandeln gemäß ausbilden können. Bei aller Zeitgebundenheit einzelner Aussagen stimmt nach Pannenberg die Darstellung des göttlichen Schöpfungswerkes, wie die alttestamentliche Priesterschrift sie im sechsten Jahrhundert vor Christus gegeben hat, mit der modernen Naturwissenschaft in der Grundvorstellung einer Stufenfolge von Gestalten beim Aufbau der geschöpflichen Welt überein. „Mag diese Stufenfolge sich heutiger Naturerkenntnis in vielen Einzelheiten anders darstellen als dem Schöpfungsbericht der Priesterschrift: Um eine Stufenfolge handelt es sich auch in der Weltauffassung, die aus der Arbeit der modernen Wissenschaft entstanden ist.“ (STh II, 142) Im Unterschied zu dieser ist dem priesterlichen Schöpfungsbericht allerdings jeder Gedanke an eine Evolution der Gestalten geschöpflicher Wirklichkeit fremd, da in seiner Sicht „durch die Schöpfung am Anfang eine für alle Zeiten bleibende Ordnung

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begründet worden ist, so daß jedes der Schöpfungswerke für alle Folgezeit auf Dauer gestellt wird“ (ebd.). Nach Pannenbergs Urteil ist diese Sicht weder für das biblische Gesamtzeugnis repräsentativ noch für sich genommen überzeugend, da Gottes Schöpfertätigkeit nicht auf ein Anfangsstadium der Welt zu beschränken sei, sondern fortdauernd wirke. Die Beständigkeit des einmal von Gott geordneten Emergent evolution Kosmos, auf welche die unverbrüchliche Geltung der Naturgesetze verweist, ist zusammenzudenken mit dem Gedanken einer fortgesetzten Schöpfertätigkeit Gottes, die zu begreifen die Theorie der „emergent evolution“ eine Möglichkeit bietet, die nach Pannenberg auch theologisch genutzt werden sollte. Die Emergenztheorie weist ein reduktionistisches Evolutionsverständnis zurück; im Prozess der Genese der kreatürlichen Gestalten entsteht folgeweise Neues, das nicht auf bereits Vorhandenes zurückzuführen ist. Ihr theoretischer Vorzug gegenüber einer alle Arten seit Weltbeginn als gegeben voraussetzenden Konstanztheorie liegt nach Pannenberg vor allem darin begründet, dass sich im Unterschied zur klassischen Physik nun wissenschaftlich plausibel von einer Geschichtlichkeit auch der Natur sprechen lasse. In evolutionstheoretischer Perspektive könne der mit der Expansion des Universums anhebende kosmische Prozess als eine unumkehrbare und zielgerichtete, alle Teilmomente zur Universalität der einen und ganzen Welt integrierende Entwicklung beschrieben werden, in deren Verlauf es zur Herausbildung immer selbstständiger werdender Gestalten geschöpflicher Wirklichkeit komme. Sei die Selbstständigkeit der Entitäten im anorganischen Bereich noch vergleichsweise gering, so werde „mit den Lebewesen eine neue Stufe selbständigen Daseins erreicht: Selbständigkeit als Selbstorganisation der eigenen Daseinsformen. Damit kommt es erstmalig zur Aktivität eines Sichverhaltens, das nicht nur Ergebnis äußerer Einwirkungen ist. Solches aktives Sichverhalten aber ist immer auf ein Anderes gerichtet, auf die Umgebung, in und von der das Lebewesen lebt. Bei Pflanzen ist die Selbständigkeit des Verhaltens noch eingeschränkt durch ihre Standortgebundenheit. Die Tiere hingegen bewegen sich frei im Raume. Dabei verhält sich das Tier, indem es sich zu seiner Umwelt verhält, zugleich zu sich selbst, nämlich zur Zukunft des eigenen Lebensvollzuges; das ist unmittelbar anschaulich am Beispiel der Nahrungssuche. Die umgebende Wirklichkeit und damit die Bedingungen der eigenen Fortdauer sind dem Tier nicht mehr bloß äußerlich. Allerdings scheint ein ausdrückliches Selbstverhältnis vor der Stufe der menschlichen Lebensform noch zu fehlen, mit Ausnahme vielleicht von Schimpansen, ebenso wie das Andere der gegenständlichen Wirklichkeit noch nicht oder nur in Ansätzen als anderes unterschieden wird. Dem entspricht das Fehlen einer Unterscheidung der Zukunft als Zukunft von der eigenen Gegenwart.“ (STh II, 159) Die Fähigkeit, sich selbst von allem anderen zu unterscheiden, ist erst beim Menschen gegeben, dessen entwickeltes Selbstverhältnis mit dem im religiösen Verhältnis explizit wahrgenommenen Gottesbezug einerseits und der Beziehung zum Mitmenschen mitsamt der gegebenen Gegenstandswelt andererseits als einem

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vom eigenen Ich abgegrenzten Differenten untrennbar verbunden ist (vgl. im Einzelnen Anthr. 25 ff.; 40 ff.; ferner: Pannenberg, Natur, 99 ff.). Doch ist der Mensch, was er ist, nicht auf vermittlungslos unmittelbare, sondern nur auf vermittelte Weise. „Nicht als unvermittelte göttliche Schöpfung, sondern nur auf dem Umweg der Expansion und Abkühlung des Universums, der Bildung von Atomen, Molekülen, Gestirnen und der Entstehung des Planeten Erde mit den besonderen Bedingungen seiner Atmosphäre ist diejenige Selbständigkeit kreatürlichen Daseins möglich geworden, die durch pflanzliches und tierisches Leben und schließlich durch den Menschen Gestalt gewonnen hat.“ (STh II, 160) Mit der Hinordnung der Reihe der kreatürlichen Gestalten auf den Menschen ist nicht gesagt, dass die prä- und extrahumanen Formen des kreatürlichen Daseins lediglich Mittel zur Realisierung eines ihnen äußerlichen Zwecks seien. Sie haben vielmehr in bestimmter Weise ihren Sinn durchaus in sich selber, was dem Menschen nachgerade dann zu Bewusstsein kommt, wenn er erkennt, „daß seine Herkunft aus der Evolution des Lebens Bedingung für die Selbständigkeit seines Daseins als Geschöpf ist. Der Kampf gegen die Evolutionslehre erscheint von daher als theologisch geradezu widersinnig.“ (Ebd.) Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Dieser Satz ist nach Pannenberg wissenschaftlich nicht unplausibel und unter inkarnationstheologischen Bedingungen alternativlos. Seine klassische Begründung bietet die Lehre von der gottebenbildlichen Bestimmung des Menschengeschöpfs. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, welche nach Gen 1,26ff die Voraussetzung und den Maßstab seiner Herrschaftsfunktion in der Schöpfung darstellt, besteht nach Pannenberg im Wesentlichen darin, dass der Mensch gemäß seiner kreatürlichen Anlage zu personaler Gemeinschaft mit Gott bestimmt ist. Durch den aufrechten Gang symbolisch angezeigt ist Gottebenbildlichkeit eine Bestimmung des ganzen Menschen und lässt sich nicht auf dessen Geistseele bzw. Vernunft beschränken. Nicht lediglich in je einer Hinsicht, sondern in der differenzierten Einheit von Leib und Seele, Individualität und Sozialität ist der Mensch in seiner personalen Gänze zur Gottesgemeinschaft bestimmt, wie sie in Jesus Christus vollendet offenbar ist. Als die Gottesgemeinschaft in Person ist Jesus Christus der Inbegriff menschlicher Gottebenbildlichkeit, was in der christlichen Überlieferung u. a. dadurch zum Ausdruck gebracht wurde, dass man hinsichtlich des Bildbegriffs zwischen Christus als Urbild und Adam als Abbild unterschied und Urbild und Abbild zugleich durch den Gedanken der durch das Urbild zu rekapitulierenden Bildlichkeit des Abbilds verband. Die überlieferten Auffassungen von der GottWerdende Gottebenebenbildlichkeit des Menschen stimmen nach Panbildlichkeit nenbergs Urteil bei allen gegebenen Differenzierungen in der Annahme überein, „daß diese Gottebenbildlichkeit am Anfang der Menschheitsgeschichte einmal bestanden hat, nämlich in der Vollkommenheit des Urstands des ersten Menschen vor dem Sündenfall“ (Anthr., 47). Die Differenzierungen betreffen namentlich die Unterscheidung und Zuordnung von eikon und homoiosis bzw. von imago und similitudo, mit welchen Vokabeln die hebräischen

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Ausdrücke zelem und demut wiedergegeben wurden. Während für die Reformatoren die Gottebenbildlichkeit in der aktuellen Gottesbeziehung besteht, deren Verkehrung im Falle der Sünde den Verlust der Urstandsgerechtigkeit insgesamt ausmacht, unterscheidet die mittelalterlich-katholische Auffassung zwischen der formalen Struktureigenschaft des menschlichen Wesens und der aktuellen Gottesbeziehung und kann daher auch unter postlapsarischen Bedingungen mit einer verbleibenden Rest-imago des gefallenen Menschen rechnen. Ungeachtet dieser Differenzen sind beide konfessionellen Auffassungen an der Vorstellung eines vollkommenen Urzustandes orientiert. Die traditionelle Vorstellung eines vollkommenen Urzustandes Adams sowie eines Verlusts der Gottebenbildlichkeit des Menschen durch den Sündenfall hält nach Pannenberg weder einer exegetischen noch einer systematischen Prüfung statt. Er gibt dieser Vorstellung deshalb zu Gunsten des Gedankens der werdenden Gottebenbildlichkeit den Abschied. Ausgeprägt findet er diesen Gedanken insonderheit bei Herder, der für ihn den „Ausgangspunkt der modernen philosophischen Anthropologie“ (Anthr., 40; bei P. kursiv) markiert. Die Annahme einer sich entwickelnden Gottebenbildlichkeit lasse sich aber auch schon im Kontext der Unterscheidung von Intensitätsgraden der Gottähnlichkeit, wie sie bei Irenäus begegne, sowie vor allem im Umkreis der Renaissancephilosophie entdecken. Es blieb Pannenberg zufolge Herder vorbehalten, diese Ansätze aufzugreifen und sie mit den Grundeinsichten moderner Anthropologie vom Menschen als dem nicht fertiggestellten Wesen zu verbinden. Herders „Gedanke einer werdenden Gottebenbildlichkeit“ (Pannenberg, Gottebenbildlichkeit 6) dynamisiert die klassische Vorstellung einer urständlichen Vollkommenheit Adams und fasst die geschöpfliche Bestimmung des Menschen so, dass sie „mit dem evolutiven Grundzug des neuzeitlichen Verständnisses des Menschen“ (Pannenberg, Gottebenbildlichkeit, 20) konvergiert: die Gottebenbildlichkeit wird „zum entelechischen Prinzip des Bildungsprozesses des Menschen zur Humanität“ (ebd.). Ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen nicht Eschatologisches Vollenmit einem sagenhaften Urstand zu assoziieren, sondungsziel dern im Werden begriffen und nur als im Werden begriffene angemessen zu begreifen, so koinzidiert ihr Begriff mit demjenigen der Bestimmung des Menschen. Der Begriff der Bestimmung des Menschen, den Pannenberg auf K. G. Bretschneider (vgl. Anthr., 51) zurückführt, benennt das eschatologische Vollendungsziel, auf das der Mensch im Prozess seiner Geschichte ausgerichtet ist. Dieses Vollendungsziel ist nicht nur und nicht in erster Linie die Herrschaft des Menschen über die sonstige Schöpfung, sondern auch und primär die menschliche Gemeinschaft mit Gott und die Teilhabe an seiner Weisheit, Gerechtigkeit sowie an seinem unvergänglichen Wesen. Letzteren Aspekt akzentuiert Pannenberg mit Nachdruck, sofern für ihn nicht nur die Tugend eines weisen und gerechten Lebens, sondern die eschatologische Bestimmung des Menschen zur Teilhabe am ewigen Leben Gottes konstitutiv zum Begriff der Gottesgemeinschaft gehört.

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Erfüllt sich das Sinnziel der Gottebenbildlichkeit des Menschen in seiner vollendeten Verbundenheit mit Gott, weil die „Bildbeziehung zu Gott ihr inneres Telos in der Gemeinschaft mit Gott hat“ (STh II, 258), so muss man die Gottebenbildlichkeit Jesu Christi und diejenige Adams einander so zuordnen, dass Christus als die offenbare Realisation dessen zu gelten hat, woraufhin Adam geschöpflich angelegt ist. Handelt es sich bei der Vereinigung Gottes und des Menschen in Jesus Christus um die durch keine andere Form überbietbare Gemeinschaft von Gott und Mensch, so kann zugleich gesagt werden, „daß die Erschaffung des Menschen zum Ebenbild Gottes von Anfang an bezogen war auf diejenige Erfüllung, die in der Geschichte Jesu von Nazareth eingetreten bzw. angebrochen ist“ (STh II, 259). Der Mensch hat in diesem Sinne als von Anfang seiner Geschichte an auf die in Jesus Christus manifeste Gottesgemeinschaft hin angelegt zu gelten. Diese Anlage ist dem Wesen und den realen Lebensvollzügen des Menschen nicht äußerlich, sondern diesen im Innersten zugehörig. Sie steht von daher auch keinesfalls zu seiner Disposition. Allerdings ist dem Menschen das Ziel, auf das hin er angelegt ist, von Natur aus „primär unbestimmt gegenwärtig, nicht einmal als Ziel, sondern in dem unbestimmten Vertrauen, das den Horizont der Welterfahrung und der Intersubjektivität eröffnet, sowie andererseits im unruhigen Drang zur Überschreitung jeder endlichen Gegebenheit“ (STh II, 263). Zu Bestimmtheit gelangt das menschliche Grundvertrauen allein im Geiste Jesu Christi, durch dessen begeisterndes Wirken das selbsttranszendente Wesen des Menschen sich exzentrisch in Gott gegründet weiß, um Ruhe zu finden in ihm. In Gott vollendet sich das Werden des gottebenbildlichen Menschen, und seine geschöpfliche Bestimmung ist dergestalt erfüllt, dass Protologie und Eschatologie zu theanthropologischer Einheit gelangen.

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11. De creatione: Protologische Grundlegungsprobleme

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Man mag das Denken von David Friedrich Strauß pseudospekulativ (vgl. Graf ) nennen. Anregend Unbegriffene Vorstellung und auf eine unterhaltsame Weise lehrreich ist es allemal und zwar auch und gerade in dogmatischer Hinsicht. Gemäß seinem 1840/41 erschienenen Werk über „Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft“ umfasst die Dogmatik als materialer Inbegriff der christlichen Glaubenslehre zwei Teile, von denen der erste das Absolute als Gegenstand des abstrakten und der zweite als Gegenstand des empirischen Vorstellens thematisiert. Thema des ersten Teils der Dogmatik ist, wie es heißt, das Absolute im Element der Ewigkeit und damit als göttliches Wesen, Thema des zweiten als göttliches Geschehen im Element der Zeit. Die zeitliche Erscheinung des Göttlichen ist nach den drei temporalen Grundmomenten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft unterteilt: „Nach dem Momente der Vergangenheit ist sie vorausgesetzte heilige Geschichte; nach dem der Gegenwart jeweilige religiöse Erfahrung eines Jeden; nach dem der Zukunft ist sie gläubige Hoffnung.“ (Strauß, 615) Die Anfangs- und Endpunkte, in denen sich die zeitliche Erscheinung des Absoluten mit der Ewigkeit berührt, von der sie herkommt und auf die sie hinzielt, sind unter dem Vergangenheitsaspekt durch die Urzeit der Schöpfung und in künftiger Hinsicht durch die Endzeit bestimmt, deren eschatologischer Charakter in differenzierter Weise dem protologischen Ursprung korrespondiert. Mit der Schöpfung hebt die zeitliche Erscheinung des Göttlichen an und die Geschichte Gottes mit Menschheit und Welt beginnt. Dabei liegt es nach Strauß in der Logik des Schöpfungsgedankens begründet, ihn vorstellungsmäßig nach zwei Seiten hin zu entfalten, um die Schöpfung zum einen als Tat Gottes, zum anderen als das durch göttliche Tätigkeit Gesetzte bzw. Getätigte zur Geltung zu bringen. Allerdings verstrickt sich die religiöse Vorstellung dem Urteil von Strauß zufolge durch die für sie unvermeidbare, weil mit ihrer Form notwendig gegebene Differenzierung zwischen schöpferischer Urtat Gottes und ihrem kreatürlichen Resultat in mancherlei Ungereimtheiten, wie er sie in Bezug auf die These einer creatio ex nihilo (Strauß, 625 ff.), auf die traditionelle Lehre von Grund und Zweck der Weltschöpfung (Strauß, 629 ff.) sowie auf die Problematik aufzuweisen sucht, ob die Schöpfung zeitlich oder ewig sei (Strauß, 643 ff.). Beheben ließen sich diese Ungereimtheiten, wenn die vorstellungshafte Differenz zwischen schöpferischer Tat und Geschaffenem spekulativ aufgehobenen und in einen ihre hintergründige Logizität begreifenden Begriff überführt würde. Dann aber müsste die Rede von der Schöpfung der Welt als einem Akt Gottes „eigentlich aufgegeben“ (Strauß, 659) werden, weil dieser in einer für ihn konstitutiven Weise ein unbegriffenes Vorstellungselement enthalte und ohne die Differenz von Grund und Folge, Ursprung und Wirkung, Tat und Getätigtem nicht zu erfassen sei. Straußens Kritik zielt auf Destruktion der Schöpfungsvorstellung und des Begriffs eines schöpferischen Handelns Gottes. Am Beispiel der Systematischen Theologie W. Pannenbergs, dem die letzte Fallstudie gewidmet war, wurden kon-

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struktive Möglichkeiten erwogen, diese Destruktion zu verhindern. Doch verwiesen die komplexen trinitätstheologischen Erwägungen auf die erheblichen Schwierigkeiten, die sich mit der traditionellen Schöpfungsvorstellung und dem Begriff des Handelns Gottes verbinden. Offenkundig reicht der übliche monotheistische Gedanke eines selbstbewusst und willentlich handelnden Allmachtssubjekts nicht hin, um die Schöpfungstheologie angemessen zu begründen. Zwar ist der Monotheismus auch nach Pannenberg unter keinen Umständen preiszugeben; doch bedarf er von protologischem Anbeginn, wenn man so sagen darf, einer trinitarischen Fassung, um eine fundierende Basis für die Lehre von der Schöpfung und vom konstitutiven, erhaltenden und regierenden Welthandeln Gottes zu gewinnen. Nach Pannenberg bleibt die Rede vom allmächtiSchöpfung und gen Schöpferhandeln Gottes abstrakt, solange sie Eschatologie nach nicht mit dem Zeugnis vom göttlichen Werk der Pannenberg und Versöhnung und Vollendung verbunden wird. Moltmann Namentlich der Begriff der göttlichen Liebe als Inbegriff der Theologie, ohne den weder von der Väterlichkeit des allmächtigen Schöpfers noch von der vollkommenen Güte seiner Schöpfung gesprochen werden könne, lasse sich nur trinitätstheologisch und im konkreten Bedenken der Heilsökonomie des dreieinigen Gottes fassen. Solches Bedenken erfordert, wie Pannenberg immer wieder vermerkt hat, einen Vorgriff auf die eschatologische Zukunft des Reiches Gottes, unter Absehung von dessen endzeitlichem Kommen auch der christliche Schöpfungsgedanke nicht zu begreifen ist. Erst die künftige Vollendung der Gottesherrschaft wird abschließend erweisen, was es mit der Schöpfung, ihrer Güte und der schöpferischen Liebe Gottes von Anbeginn auf sich hat. Auf dem Wege dorthin bleibt die Wahrheit der Schöpfungstheologie unvermeidlich strittig. Lässt sich unter diesen Bedingungen ihr Ursprungsstatus und der protologische Begriff, den sie von sich hat, überhaupt noch behaupten und wenn ja, in welcher Weise? „Is the World infinished?“ Die Theologie, meint Jürgen Moltmann, habe diese Frage traditionell verneint und sei bis in die Gegenwart davon ausgegangen, „dass Gott im Anfang eine fertige und vollkommene Welt geschaffen habe und die Geschichte nur aus paradise lost und paradise regained bestehe“ (Moltmann, Wechselwirkungen, 332). Sie habe erst durch die moderne Naturwissenschaft, für welche die Welt „ein unvollendeter Prozess (ist), der seine eigene Zukunft nicht kennt“ (Moltmann, Wechselwirkungen, 333), daran erinnert werden müssen, „dass mit den Schöpfungsgeschichten ‚im Anfang‘ kein fertiger, vollkommener Urzustand gemeint ist, sondern nur der erste Akt eines weit in die Zukunft ausgreifenden Schöpfungsprozesses“, „der erst in der Neuschöpfung aller Dinge zu seinem Ziel kommt“ (Moltmann, Wechselwirkungen, 334; vgl. Sicouly). Bezüge zu einem kosmologischen Prozessdenken im Anschluss beispielsweise an A. N. Whitehead liegen nahe und werden von Moltmann selbst oder etwa seinem Schüler M. Welker (vgl. Welker, Universalität; ders., Schöpfung) auch intensiv wahrgenommen.

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Der jüdisch-christliche Schöpfungsglaube ist nicht auf die Vorstellung einer anfänglichen Welt festgelegt. Darin hat Moltmann zweifellos recht, wobei dahingestellt bleiben kann, ob es der modernen Naturwissenschaft bedurfte, um die Theologie aus dem „Bann des religiösen Ursprungsmythos“ (Moltmann, Wechselwirkungen, 332) zu befreien. Entscheidender als diese ist die Frage, ob die berechtigte Kritik an einem mythologischen oder pseudohistorischen Urstandsdenken die theologische Notwendigkeit beseitigt, an der protologischen Denkbarkeit des Gedankens genuiner Schöpfungsgüte bzw. daran festzuhalten, dass ein vollkommenes und integres Kreaturverhältnis zur geschaffenen Welt und zur eigenen Geschöpflichkeit nicht prinzipiell menschenunmöglich, sondern eine gottgegebene, wenngleich faktisch vertane Möglichkeit des Menschen ist. Unter dem Gesichtspunkt dieses Problems, dessen grundlegende Bedeutung für das Lehrstück „De creatione“ evident ist, sei im Horizont der Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Eschatologie zunächst Pannenbergs Argumentation erneut aufgegriffen, um sodann anhand von Moltmanns Konzeption ein weiteres prominentes Beispiel eschatologisch orientierter Schöpfungslehre zu erörtern. Das differenzierte Verhältnis von Schöpfungslehre und Eschatologie ist nach Pannenberg in der trinitarischen Einheit des Schöpfungsaktes selbst begründet. Die Einheit des ewigen Schöpfungsaktes des dreieinigen Gottes geht der Zeit und damit auch der Unterscheidung von Anfang und Ende einerseits voraus, um die temporale Daseinsform der Schöpfung doch andererseits und zugleich freizusetzen in der nach Maß von deren jeweiliger Formgestalt für alle Geschöpfe charakteristischen zeitlichen Unumkehrbarkeit, mit welcher die Differenz von Anfang und Ende gegeben ist. Der göttliche Schöpfungsakt wäre deshalb Pannenbergs Urteil zufolge fehlbestimmt, wenn er und die ihm eigene Einheit undifferenziert mit dem Anfang der Schöpfung identifiziert würde. Das Schöpfungshandeln Gottes erschöpft sich nicht in einem vom Verlauf der zeitlichen Entwicklung abstrahierten Anfang der Welt; sein Beginnen umfasst die Welt in ihrer zeitlichen Erstreckung als ganze. Das bedeutet zugleich, dass Sein und Verhalten der Geschöpfe nicht von einer bloß anfänglichen und in ihrer bloßen Anfänglichkeit vergangenen Schöpfung her in definitiver Abgeschlossenheit festgelegt sind, was echte Ereigniskontingenz und geschöpfliche Freiheit für Gegenwart und Zukunft der Schöpfung ausschließen würde. Im Unterschied zur Vorstellung einer am Anfang der Weltzeit abgeschlossenen Schöpfung, wie der priesterschriftliche Schöpfungsbericht und die Schöpfungsmythen der Völker sie seinem Urteil zufolge voraussetzen, und der mit ihr verbundenen Annahme uranfänglicher göttlicher Präszienz unternimmt Pannenberg unter Bezug auf Ansätze apokalyptischer Tradition und namentlich auf Jesu Verkündigung des eschatologischen Kommens des Reiches Gottes den Versuch, „das Eschaton als den schöpferischen Ursprung des Weltprozesses überhaupt zu denken“ (Pannenberg, STh II, 171): „Das Universum und seine Geschichte rücken damit in ein gegenüber dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht neues Licht. Auch dort war es nicht nur um den Anfang, sondern um das Ganze des Weltgeschehens

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gegangen. Aber das Ganze der Welt wurde als in ihrem Anfang begründet zur Darstellung gebracht. Eine solche Betrachtungsweise ist charakteristisch für eine mythische Weltauffassung, die die gegenwärtig maßgebliche Ordnung der Welt auf eine gründende Urzeit zurückführt, welche sowohl Anfang als auch Urbild alles Späteren ist.“ (Pannenberg, STh II, 171 f.) Bestimmt hingegen die eschatologische Zukunft Gottes im Kommen seines Reiches die Perspektive für die Auffassung der Welt im Ganzen, dann verliert der Anfang der Welt die Funktion einer unveränderlich gültigen Grundlegung ihrer Einheit im Ganzen ihres Prozesses und ist „nur noch der Anfang dessen, was sich erst am Ende in seiner Vollgestalt und wahren Eigenart herausstellen wird“ (Pannenberg, STh II, 172). Gegenüber der Annahme einer Anfangslosigkeit und unbegrenzten Fortdauer des Universums rechnet Pannenberg mit dessen Anfang und Ende. Der Gedanke eines zeitlichen Anfangs und Endes der Welt sei durch die schöpfungstheologische These ihrer Endlichkeit gefordert, wohingegen die Behauptung ihrer Anfangsund Endlosigkeit diejenige ihrer Unendlichkeit impliziere. Gehört zum Wesen des Endlichen und damit auch zur Welt als dem Inbegriff alles Endlichen in seiner Gänze notwendig ein zeitlicher Anfang, so ist damit in bestimmter Weise ein Anfang der Zeit selbst behauptet. Tatsächlich lässt sich nach Pannenberg der Ursprung der Zeit aus Gottes ewiger Schöpfertätigkeit nicht einfachhin als zeitlos denken. Vielmehr sei mit Augustin zu lehren, dass die Zeit als kreatürliche Größe nicht ohne Anfang sei, auch wenn dieser Anfang nicht im zeitlichen Sinne erfasst werden könne. Vorausgesetzt ist bei dieser Argumentation, dass die Vorstellung von der Welt als ganzer, anders als Kant dies behauptet hatte, sowohl gedanklich unverzichtbar und unvermeidbar als auch empirisch sinnvoll sei. Letzteren Aspekt findet Pannenberg durch die moderne Physik und ihre von der Vorstellung eines unendlichen Universums abrückende Urknalltheorie bestätigt. Mit der Urknalltheorie als dem aktuellen StanKosmogenetisches dardmodell der Kosmogenese ist nach Pannenberg Standardmodell die Vorstellung eines zeitlichen Anfangs der Welt elementar verbunden, auch wenn dieser als Anfang der Zeit zu denkende zeitliche Anfang einer genauen physikalischen Bestimmbarkeit entzogen sei. Unbeschadet dessen habe zu gelten, dass zur Endlichkeit jeden Vorgangs in der Zeit ein Anfang gehöre. „Wenn das Universum im ganzen als ein endlicher Prozeß zu denken ist, dann und insofern ist auch für das Universum als solches ein zeitlicher Anfang anzunehmen, unbeschadet der Relativität der Zeitabläufe und der Zeitmaße. Die Vorstellungen der Neuzeit von einem in Raum und Zeit grenzenlosen (also nicht nur in einer, sondern in jeder Richtung unbegrenzten) Universum haben zwar die Teile der Welt als endliche, aber nicht die Welt im ganzen als einen endlichen Prozeß gedacht. Die moderne physikalische Kosmologie hingegen legt mit dem Standardmodell der Expansion des Universums zumindest für dessen Anfang die Annahme der Endlichkeit nahe.“ (Pannenberg, STh II, 183) Zwar handle es sich bei dem Anfang des endlichen Weltprozesses in der ihm eigenen Unumkehrbarkeit seines Verlaufs nicht um „einen Anfang ‚in‘ der Zeit, so als ob ihm eine leere Zeit

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vorausginge, sondern einen Anfang der Zeit selbst, der aber seinerseits schon zeitlich bestimmt ist, also den Beginn einer Folge von Zeitmomenten darstellt. Die Annahme liegt nahe, daß in einer solchen Anfangsphase die Zeit selbst als Ereignisfolge und meßbarer Verlauf allererst Gestalt gewinnt. Dabei mag sich die subjektive, ‚imaginäre‘ Zeit gerade in der Nähe des Anfangs ins Unbegrenzte dehnen. Objektiv jedoch, d. h. relativ auf den Gesamtprozeß des Universums, ist mit dem Anfang auch eine Grenze gesetzt, mit der aber die Weltzeit nicht an eine ihr vorausgehende Zeit, sondern an die Ewigkeit grenzt.“ (Pannenberg, STh II, 183 f.) Nicht nur an seinem Anfang, sondern auch an seinem in irreversibler Zeitabfolge angestrebten Ende grenzt die endliche Welt an die Ewigkeit Gottes. Es gilt, „daß zur Endlichkeit der Welt, insofern sie als ganze zeitlich strukturiert ist, auch ihr Ende gehört“ (Pannenberg, STh II, 184). Der Physik sei die Vorstellung eines Weltendes erst wieder durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik im Sinne eines thermodynamischen Gleichgewichts in den Blick gekommen. Wie beschränkt und theologisch problematisch die damit eröffnete Perspektive auch sein mag: deutlich werde, dass ein dem zeitlichen Anfang entsprechendes zeitliches Ende des Universums physikalisch denkbar sei. Dieses Ende als Ort herauszustellen, von dem her der Gesamtprozess der Welt von allem Anfang an begründet ist, sei Aufgabe der Eschatologie, ohne deren Wahrnehmung die Schöpfungstheologie und mit ihr die Theologie insgesamt keinen Bestand haben könne. Ohne eschatologische Aussicht müsste nachgerade das für die Lehre von der Schöpfung bedrängendste Problem der sog. Theodizee offen und unbeantwortet bleiben. „Erst angesichts der Zusammengehörigkeit der Schöpfung mit Gottes Werk der Versöhnung und Erlösung der Welt ist eine Antwort möglich. Wenn erst durch Versöhnung und Erlösung der Welt die Schöpfung selber vollendet wird, dann ist der Schöpfer dem Menschen verbündet im Kampf um die Überwindung des Bösen und um Linderung und Heilung des Leides in der Welt. Erst die eschatologische Vollendung der Welt kann die Gerechtigkeit Gottes in seinem Schöpfungshandeln und damit auch seine Gottheit definitiv erweisen.“ (Pannenberg, STh II, 201) Hervorgerufen ist die Theodizeefrage insonderheit durch das Faktum des Übels und des Bösen in Vollendung der Welt der Welt, welches die Güte der Schöpfung zu falsifizieren scheint. Obgleich diese Frage auf eine eschatologische Antwort drängt, so ist sie mit der protologischen Thematik doch insofern verbunden, als auch im Lichte von Versöhnung und Vollendung problematisch bleibt, warum der Schöpfer nicht von vorneherein eine Welt ohne Leid und Schuld geschaffen hat. Beider Ursprung auf die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Geschöpfs zurückzuführen, bietet zum einen deshalb keinen theologischen Ausweg, als Leiden und Schmerz schon in der vormenschlichen Welt des Lebendigen verbreitet sind und nicht allgemein als Folgen der sündhaften Ichzentriertheit des Menschen dargetan werden können. Aber auch ansonsten vermag der Hinweis darauf, dass das Böse in der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Geschöpfes seinen Ursprung habe,

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„den Schöpfer von der Verantwortung für diese seine Schöpfung nicht zu entlasten: Wie immer frei das Geschöpf sein mag, es ist doch gerade in dieser seiner Freiheit Geschöpf Gottes. Das Bemühen um Entlastung des Schöpfers ist ein Irrweg christlicher Theodizee gewesen, der weder gedanklich zum Ziele führen konnte, noch dem neutestamentlichen Zeugnis entspricht, wonach Gott selbst durch den Kreuzestod seines Sohnes die Verantwortung für die von ihm geschaffene Welt übernommen und getragen hat.“ (Pannenberg, STh II, 193) Bleibt sonach die in der christlichen Tradition üblich gewordene Antwort auf die Theodizeefrage versperrt, dann wird man die Möglichkeit und die durch sie ermöglichte Tatsächlichkeit von Übel und Sünde mit dem Risiko in Verbindung zu bringen haben, das der Schöpfertätigkeit Gottes nicht nur äußerlich beigefügt ist, sondern das ihr gemäß ihrer ureigenen Vollzugsbestimmung innewohnt, um der Schöpfung selbst wegen in Kauf genommen zu werden. Dieses Risiko ist nach Pannenberg mit der von Gottes Schöpfungsintention beabsichtigten, zur Schöpfung und zu der ihr eigenen Güte unveräußerlich hinzugehörigen kreatürlichen Selbstständigkeit als der Bedingung der Möglichkeit freier Gottesgemeinschaft des Geschöpfs untrennbar und insofern notwendig verbunden. Als Bedingung für die Realisierung des Zieles freier Gemeinschaft des Geschöpfs mit ihm als seinem Schöpfer nimmt Gott im Vollzug seines Schöpfungshandelns das Risiko von Sünde und Übel in Kauf. „Das Böse und die Übel werden nicht als solche von Gott gewollt, d. h. sie können nicht für sich Gegenstand seines Wohlgefallens und also Zweck seines Willens sein. Aber sie werden als faktische Begleiterscheinungen und so als Bedingungen geschöpflicher Realisierung der Absicht Gottes mit seiner Schöpfung hingenommen unter dem Gesichtspunkt der göttlichen Weltregierung, die noch aus Bösem Gutes zu schaffen vermag, indem sie auf die Versöhnung und Erlösung der Welt durch Jesus Christus gerichtet ist.“ (Pannenberg, STh II, 194) Bildet sonach die Selbstständigkeit, zu der das Geschöpf geschaffen wurde, den Grund der Möglichkeit des Bösen und des Übels, so ist deren Faktizität nach Pannenberg nicht schon mit der gottgewollten Selbstständigkeit des Geschöpfs als solcher, auch nicht mit dessen Endlichkeit und der mit solcher Endlichkeit gegebenen Beschränkung, sondern erst mit der Verselbstständigung des Endlichen gegenüber seinem unendlichen Grund und der damit verbundenen selbstverkehrten Beschränktheit verbunden. Die Wurzel des Bösen ist nicht in der Endlichkeit des Geschöpfs als solcher gegeben, welche an sich selbst eine gute, auf Vollendung hin angelegte Größe darstellt, sie ist vielmehr „im Aufstand gegen die Schranke der Endlichkeit zu suchen, in der Weigerung, die eigene Endlichkeit anzunehmen, und in der damit verbundenen Illusion der Gottgleichheit (vgl. Gen 3,5)“ (Pannenberg, STh II, 199). Anders formuliert: „Im Übergang von der gottgegebenen Selbständigkeit zur Verselbständigung liegt die Quelle des Leidens der Geschöpfe ebenso wie auch des Bösen, und, daraus folgend, derjenigen Leiden, die sie einander zufügen über das Maß ihrer Endlichkeit hinaus.“ (Ebd.) Die Verselbstständigung der Geschöpfe gegeneinander, die mit ihrer Verselbstständigung gegen Gott zwangsläufig verbunden ist, „bahnt sich an auf der aufsteigenden Linie der Lebens-

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formen und erreicht einen Höhepunkt in der Sünde des Menschen, und zwar gerade darum, weil für ihn das Gottesverhältnis thematisch wird“ (Pannenberg, STh II, 200). Die Abgründigkeit der Sünde des Menschen verhält sich entsprechend negativ reziprok zur Hoheit der Gottebenbildlichkeit seiner geschöpflichen Bestimmung. Bleibt zu erörtern, ob und gegebenenfalls wie der abgründige Fall der Sünde in seiner Abgrün- Protologisches Perfekt digkeit zu ermessen und die Sünde als Schuld zuzurechnen ist, wenn die Gottebenbildlichkeit des Menschen nur als im Werden begriffene erfasst und nicht, jedenfalls nicht ohne Weiteres im Sinne eines schöpfungstheologischen Perfekts vorausgesetzt werden kann. Lässt sich der protologische Status der Schöpfungslehre, der sich traditionell mit ihrem Leitbegriff verbindet, unter den Bedingungen ihrer konsequenten Eschatologisierung überhaupt noch behaupten? Eine Antwort auf diese und vergleichbare Fragen hat im Wesentlichen systematisch und durch fundamentaltheologische Klärung von Begriffen wie Zeit und Werden, Anfang und Ursprung, Wesensnatur und Bestimmung etc. zu erfolgen. Ohne, wenn man so will, prinzipientheoretische Klärung der kategorialen Begrifflichkeiten, die den Sinn von Aussagen bestimmen, auch wenn sie in diesen nicht eigens expliziert werden, ist begreifendes Erkennen grundsätzlich und namentlich im Kontext der Schöpfungstheologie unmöglich, die zwar auf Empirie bezogen ist, ohne deshalb in Erfahrungswissen aufzugehen. Schöpfungstheologie ist theologische Prinzipienlehre und von empirischen Wissensbeständen zwar nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden. Dies gilt auch in praktischer Hinsicht, wie beispielsweise am schöpfungstheologischen Grundsatzstatus des Dekalogs zu erweisen wäre, der als lex naturalis et rationalis allen geschichtsspezifischen Einzelweisungen vorausgesetzt ist. Die grundsätzliche Aufgabe der Schöpfungslehre besteht darin, die theologischen Prämissen aller Welt- und Selbsterfahrung zu thematisieren, was nicht ausschließt, dass schöpfungstheologische Einzelentwürfe von konkreten empirischen und historischen Konstellationen konzeptionell beeinflusst, ja entscheidend geprägt sind. Exemplarisch lässt sich dies an der Verhältnisbestimmung von Protologie und Eschatologie verdeutlichen. Beide Begriffe standen im 20. Jahrhundert nicht nur mit dogmatischen Loci, sondern mit Theologieprogrammen in Verbindung, deren konkurrierende Leittermini sie bildeten. Repräsentierte die protologische Theorie göttlicher Schöpfungsordnungen pauschal geurteilt einen theologischen Konservativismus der Legitimation des Gegebenen, so gab die Orientierung am noch nicht ausgeschöpften Künftigen, wie sie für eschatologisch bestimmte Konzeptionen kennzeichnend ist, offenbar der revolutionären Dynamik verändernden Wandels den Vorzug vor der Bewahrung des Bestehenden. War die Lehre von den Schöpfungsordnungen bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zum Gegenstand heftiger Attacken vonseiten der Dialektischen Theologie geworden, so schien sie und mit ihr jede Form sog. natürlicher Theologie nach 1945 endgültig ihre Legitimation verloren zu haben. Der Eindruck verfestigte sich, die politischen

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Irrwege theologischen Denkens in der Zeit des Nationalsozialismus seien wesentlich durch Prädominanz des Protologischen verursacht. Auch in der nachdialektischen Theologie galt die Alternativlosigkeit eschatologischer Theologiekonzeptionen als ausgemacht. Die im Vorfeld der 68-Bewegung 1964 erstmals erschienene „Theologie der Hoffnung“ von Jürgen Moltmann ist der prominenteste Beleg hierfür. Vom Bloch’schen Geist der Utopie und einer ihm entsprechenden politischen Aufbruchstimmung motiviert, wurde das endzeitliche Geschichtsdenken jüdischer Apokalyptik emphatisch gegen eine ursprungsmythische Statik in Stellung gebracht, wie sie die vom Immerseienden der Natur bestimmte Ontologie der griechischen Antike und zugleich wesentliche Teile der abendländischen Metaphysik charakterisiere. Der mit ihr assoziierten reaktionären Haltung wurde die Progressivität entgegengesetzt, welche der eschatologische Reich-Gottes-Gedanke verheißungsvoll aktiviere. Dies hinderte nicht, in den Folgezeiten unter dem Stichwort ökologischer Ganzheitlichkeit organologische Symbiosen von Mensch und Natur zu propagieren, die nicht nur entfernt an Rousseaus Annahme erinnerten, der vom Menschen unberührte Naturzustand sei identisch mit dem status integritatis ursprünglicher Schöpfungsgüte. Bei Moltmann selbst findet sich diese Gleichsetzung allerdings nicht; er urteilt differenzierter. Moltmanns im Jahre 1985 erschienenes Buch Ökologische Schöpfungs„Gott in der Schöpfung“ ordnet sich in die Reihe lehre seiner Systematischen Beiträge zu einer messianischen Theologie ein, die 1980 mit dem Buch „Trinität und Reich Gottes“ begonnen wurde (vgl. Pehar). War es damals die Absicht, eine soziale Trinitätslehre zu entwickeln, so geht es nun um eine entsprechende ökologische Schöpfungslehre. Der Zusammenhang beider Aspekte wird von Moltmann folgendermaßen umschrieben: „Verstehen wir Gott nicht mehr auf monotheistische Weise als das eine, absolute Subjekt, sondern auf trinitarische Weise als die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Geistes, dann können wir sein Verhältnis zu der von ihm geschaffenen Welt auch nicht mehr als ein einseitiges Herrschaftsverhältnis auffassen, sondern müssen es als ein vielschichtiges und mehrstelliges Gemeinschaftsverhältnis verstehen. Dies ist der Grundgedanke der nicht-hierarchischen, dezentralisierten, genossenschaftlichen Theologie.“ (Moltmann, Schöpfung, 16) Moltmanns Leitideen für eine ökologische Schöpfungslehre ergeben sich hieraus: Die Erkenntnis der Natur als Gottes Schöpfung ist teilnehmende Erkenntnis. „Man will nicht mehr erkennen, um zu beherrschen, nicht mehr analysieren und reduzieren, um zu rekonstruieren, sondern man will erkennen, um teilzunehmen und in die wechselseitigen Beziehungen des Lebendigen einzutreten.“ (Moltmann, Schöpfung, 18) Eine christlich-messianische Schöpfungslehre sei dabei nicht auf den protologischen Aspekt festgelegt, sondern eschatologisch offen: Sie ist Schöpfung zur Herrlichkeit; ihre Vollendung besteht darin, „zur Heimat und zur Wohnung der Herrlichkeit Gottes zu werden“ (Moltmann, Schöpfung, 19). Die Vollendung der Schöpfung wird als deren Sabbat vorstellig gemacht. Nicht im Menschen, sondern im Fest des Sabbats vollendet sich die göttliche Schöpfung.

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Mit dem Sabbat der Schöpfung ist bereits deren messianische Bereitung zum Reich Gottes angesprochen. Es gilt: „Gratia non perficit, sed praeparat naturam ad gloriam aeternam. Gratia non est perfectio naturae, sed praeperatio messianica mundi ad regnum Dei.“ (Moltmann, Schöpfung, 22) Die messianische Vorbereitung der Welt zum Reiche Gottes erfolgt in der Kraft des Hl. Geistes. Erst der Geist bringt das Wirken des Vaters und des Sohnes zum eschatologischen Vollendungsziel. Der pneumatologisch-eschatologische Ansatz impliziert, wie es heißt, „ein neues Denken über Gott. Nicht mehr die Unterscheidung von Gott und Welt steht in ihrem Zentrum, sondern die Erkenntnis der Präsenz Gottes in der Welt und der Präsenz der Welt in Gott.“ (Moltmann, Schöpfung, 27) Im Verhältnis Gottes zur Welt, das durch Immanenz und Transzendenz gleichermaßen bestimmt ist, waltet das Prinzip gegenseitiger perichoretischer Durchdringung, wie es für den trinitarischen Lebensbegriff insgesamt charakteristisch ist. Nicht als ob Moltmann Natur unmittelbar verhimmeln, mit dem status integritatis gleichsetzen und die Welt zum Leib Gottes verklären wollte, wie das in anderen ökologischen Theologieprogrammen geschehen ist (vgl. etwa McFague); ein eschatologischer Vorbehalt bleibt erhalten. Die Bestimmung der Schöpfung, Sakrament Gottes und Wirkzeichen seiner Präsenz zu sein, ist noch nicht realisiert, woran die Sünde im Allgemeinen und insbesondere diejenige unstatthafter Trennung von Sein und Bewusstsein die Schuld trägt, welche aufzuheben eines der Zentralanliegen Moltmann’scher Schöpfungstheologie ist. Was Moltmann im Anschluss an die Tradition Geist nennt, ist mit menschlichem Bewusstsein nicht unmittelbar gleichzusetzen. „Bewußtsein ist reflektierender und reflektierter Geist. Mit dieser These heben wir die augustinisch-cartesianische Identifikation von Geist und Bewußtsein auf. Wir verstehen den Geist nicht idealistisch, sondern realistisch, wie es die biblischen Traditionen nahelegen. Ist Bewußtsein reflektierter Geist, dann bleibt uns ein großer Bereich auch des menschlichen Geistes unbewußt. Denn der Mensch ist ein hochkomplexes, mehrschichtiges, ein in vielen Beziehungen und Abhängigkeiten offenes Lebenssystem. Geist ist der Inbegriff seiner Selbstorganisation und seiner Selbsttranszendenz, seiner inneren und seiner äußeren Symbiosen.“ (Moltmann, Schöpfung, 31 f.) 9. Infolgedessen ist das individuelle Bewusstsein schöpfungstheologisch zum sozialen, zum ökologischen, zum kosmischen und zum göttlichen Bewusstsein hin zu erweitern. Moltmann verbindet mit diesem Hinweis evolutionstheoretische Annahmen: „Es gibt eine Schöpfung der Evolution, weil Evolution nicht aus sich erklärbar ist. Es gibt eine Evolution der Schöpfung, weil die Schöpfung der Welt auf das Reich der Herrlichkeit hin entworfen worden ist und deshalb sich selbst zeitlich transzendiert.“ (Moltmann, Schöpfung, 32) Den zeitgeschichtlichen Hintergrund von Moltmanns Schöpfungslehre bildet, wie dem Untertitel zu entnehmen ist, die ökologische Krise. Sie ist nach Urteil des Autors durch die Theologie zumindest mitveranlasst, insofern diese sich tendenziell „auf das Feld der Geschichte zurückzog und die Natur den Wissenschaften überließ“ (Moltmann, Schöpfung, 45): Der Aspekt, wonach die menschliche

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Geschichte im Kontext der Natur der Erde stattfindet, wurde weitgehend ausgeblendet. Infolgedessen kam es zu einem Rückzug christlicher Schöpfungstheologie aus der Kosmologie in den lediglich personalen Schöpfungsglauben. Die Spaltung der Welt in Subjektivität und Verdinglichung, in res cogitans und res extensa, wie sie bei Descartes exemplarisch vertreten ist, wurde damit theologisch befestigt. In geschichtlicher Dialektik erschien die Natur nur mehr als Objekt des Menschen. In ihrer Eigenständigkeit konnte sie auf diese Weise nicht mehr wahrgenommen werden. Auf das Selbstverhältnis des Menschen blieb dies nicht ohne Auswirkung, sofern die leibliche Existenz zum bloßen Modus der Menschenseele herabgesetzt wurde. Dem hält Moltmann Friedrich Oetingers These entgegen, daß Leiblichkeit das Ende, will heißen, die Vollendung aller Werke Gottes sei. Der Wiederentdeckung der äußeren Natur muss Leiblichkeit als Ende der nach Moltmann diejenige der Natur drinnen, will Werke Gottes heißen derjenigen Natur entsprechen, die der Mensch selbst in seiner Leiblichkeit ist. Jedweder Leib-Seele-Dualismus sei zu kritisieren und in die Annahme einer leib-seelischen Einheit und Ganzheit des Menschen zu überführen. In diesen Zusammenhang gehört die These: „Die Überwindung der durch den Menschen bewirkten Entfremdung der Natur ist ohne die Naturalisierung des Menschen selbst nicht denkbar. Unter einer solchen ‚Naturalisierung‘ ist keine romantische Rückkehr zur Natur zu verstehen, sondern ein neues Selbstverständnis des Menschen und eine neue Auslegung seiner Welt im Rahmen der Natur.“ (Moltmann, Schöpfung, 63) Moltmann will seine ökologische Schöpfungslehre nicht als eine unkritische Wiederaufbereitung sog. natürlicher Theologie (vgl. Moltmann, Schöpfung, 70–73) verstanden wissen, sondern als eine Konsequenz messianischer Erkenntnis, welche die Welt als Verheißung und Antizipation zu verstehen vermag. „Jede natürliche Theologie geht von der Selbstevidenz der Natur als Schöpfung Gottes aus. Jede Theologie der Natur interpretiert dagegen Natur im Lichte der Selbstoffenbarung des schöpferischen Gottes. Wie also verhalten sich dann natürliche Theologie und Theologie der Natur zueinander? Mit dieser Frage kehren wir das traditionelle Interesse an der natürlichen Theologie herum: Nicht was Natur zur Gotteserkenntnis beiträgt, sondern was der Gottesbegriff zur Naturerkenntnis beiträgt, soll untersucht werden.“ (Moltmann, Schöpfung, 66) Einen Beitrag zur Naturerkenntnis im Sinne christlicher Schöpfungstheologie kann der Gottesbegriff nach Moltmann leisten, wenn er weder theistisch, noch pantheistisch, sondern panentheistisch, also so konzipiert werde, dass göttliche Weltimmanenz und Welttranszendenz gleichermaßen zur Geltung kämen, wie es dem trinitarischen Gottesgedanken entspreche. Geschehe dies und werde gemäß göttlicher Ökonomie zugleich die messianisch-pneumatische Ausrichtung des panentheistischen Gottesgedankens auf eschatologische Zukunft hin beachtet, dann gehe daraus eine Dynamik hervor, die den Naturbegriff seiner Statik entnehme, überkommene Gegensätze von Natur und Geist, Natur und Geschichte etc. überwinde und ein prozessuales Verständnis von Schöpfung ermögliche, das den Schwung aktueller Bewegungen in Wissenschaft und Gesellschaft ungleich besser

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in sich aufzunehmen und produktiv mitzugestalten vermöge als eine urständisch orientierte Schöpfungstheologie. Anfängliches, naturhaftes und geschichtliches sowie eschatologisches Schaffen Gottes bilden einen Zusammenhang mit eindeutigem Richtungssinn. „Creatio ex nihilo am Anfang ist die Vorbereitung und Verheißung der erlösenden annihilatio nihili, aus der das ewige Sein der Schöpfung hervorgeht. Die Schöpfung der Welt ist selbst eine Verheißung der Auferstehung und der Überwindung des Todes im Sieg des ewigen Lebens . . .“ (Moltmann, Schöpfung, 103) Auf diesen Sieg hin müsse christliche Schöpfungslehre ihrer messianisch-pneumatischen Grundorientierung gemäß hingeordnet werden. Dazu sei es erforderlich, dass „die Vorstellungen der eschatologischen Schöpfung die überlieferten Vorstellungen von der protologischen Schöpfung bestimmen“ (Moltmann, Schöpfung, 106; vgl. ders., Zukunft) und nicht umgekehrt. Statt die theologisch-christologisch-pneumatoloProtologie und gischen Bestimmungsmomente im trinitarischEschatologie eschatologischen Realisierungsprozess göttlicher Schöpfungsökonomie im Einzelnen zu erheben, sei unter Bezug auf die evolutionstheoretische Tradition lediglich ein Beispiel dafür gegeben, wie Moltmann sein Konzept in Beziehung setzt zu Theoriebildungen zeitgenössischer Wissenschaft. Entscheidend für sein Verständnis des evolutionären Geschehens im anorganischen und organischen Bereich ist die Annahme, dass sich in seinem Fortgang Kontinuitäten und qualitative Sprünge gleichermaßen aufweisen lassen. Zu rechnen sei mit folgender Sequenz: Elementarteilchen, Atom, Molekül, Makromolekül, Zelle, multizellularer Organismus, lebendiger Organismus, Organismuspopulationen, Lebewesen, Tier, Tier-Mensch-Übergangsfeld, Menschen, menschliche Populationen, Menschheitsgemeinschaft. Unbeschadet seiner Sonderstellung im kreatürlichen Kosmos ist und bleibt der Mensch nach Moltmann ein Teil von ihm: „Es gibt eine Schöpfungsgemeinschaft, und der Mensch ist ihr Mitglied.“ (Moltmann, Schöpfung, 194) Zwar sei der Mensch das letzte Geschöpf und insofern auch das höchste: ihre Vollendung findet die Schöpfung indes nicht im Menschen, sondern in der sabbatlichen Erlösung und Versöhnung aller Kreatur. Dabei soll folgende Regel gelten: „Nach der Ordnung der Schöpfungsgeschichte stehen Himmel und Erde am Anfang und die Menschen am Ende vor dem Sabbat. Nach der Ordnung der Erlösungsgeschichte stehen demgegenüber die neuen Menschen am Anfang und die Neuschöpfung von Himmel und Erde am Ende.“ (Moltmann, 196) Unbeschadet der Tatsache, dass nach den biblischen Traditionen die Ordnung der Erlösungsgeschichte offenbar die exakte Umkehr der Ordnung der Schöpfungsgeschichte darstellt, sei festzuhalten, „daß sowohl in der Schöpfung wie in der Erlösung der Mensch nicht isoliert und auch nicht im Gegenüber zur Welt, sondern im bleibenden Zusammenhang der ganzen Schöpfung gesehen wird“ (Moltmann, Schöpfung, 197). Moltmann hält es für einen der Vorzüge der Evolutionslehre, dass sie den untrennbaren Zusammenhang des Menschengeschöpfs mit der extrahumanen Kreatur hervorhebt. Er stellt dieses Urteil allerdings unter den Vorbehalt, dass

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durch die richtige These evolutionärer Kontinuität das Auftreten von qualitativ Neuem nicht ausgeschlossen werden dürfe. Der Evolutionskosmos sei als ein kommunizierendes und zukunftsoffenes System von irreversiblem Richtungssinn zu begreifen. Die gedanklichen Möglichkeiten hierzu stelle eine Schöpfungslehre bereit, welche den Schöpfungsbegriff differenziere und zwischen einer anfänglichen, einer fortgesetzten und einer eschatologischen Schöpfung unterscheide. Diese Unterscheidung impliziere, dass die Vorstellung einer creatio originalis nicht auf einen Urzustand festgelegt und die Zukunft der Schöpfung nicht als Rückkehr zum status integritatis eines paradiesischen Urzustands vorstellig gemacht werden dürfe. Es gebe ein fortwährendes Schaffen Gottes am Geschaffenen, wobei die creatio continua Gottes durchaus neue, kontingente Ereignisse hervorbringe. Die creatio continua ist Moltmann zufolge als Zukunft der Zukunft creatio nova zugleich creatio anticipativa, nämlich proleptische Vorwegnahme jener Zukunft der Schöpfung, in der diese ihre eschatologische Erfüllung finde. Bleibt hinzuzufügen, dass die eschatologische Zukunft der Schöpfung nach Moltmann alle ihre Zeitdimensionen bestimmt. Sie ist in allen erinnerten, erfahrenen und zu erwartenden Gegenwarten präsent und transzendiert sie zugleich. „Sie ist nicht als zukünftige Geschichte, sondern als die Zukunft der Geschichte aufzufassen. Als Zukunft der Geschichte ist sie die Zukunft der Vergangenheit wie auch der Gegenwart und der Zukunft.“ (Moltmann, Schöpfung, 140) Die von zukünftiger Geschichte zu unterscheidende eschatologische Zukunft der Geschichte ist Zukunft der Zukunft. Sie kommt allen Zeiten, auch dem temporalen Futur zuvor. Damit ist der prinzipientheoretische und insofern auch protologische Charakter der Schöpfungslehre unter eschatologischem Vorzeichen wiederhergestellt. Der panentheistisch verfasste, eschatologisch dynamisierte Schöpfungsgedanke, wie er von Moltmanns Konzeption beispielhaft repräsentiert wird, begegnet in der Theologie der jüngeren Zeit in unterschiedlichen Varianten und zwar vor allem im englischsprachigen Bereich, wie einschlägige Überblicksbände belegen (vgl. etwa Clayton/Simpson [Eds.]; Eisen/Laderman [Eds.]; Lindberg/Numbers [Eds.]; van Huyssteen et al. [Eds.]). Panentheismus meint, dass Gottes Sein die ganze Welt durchdringt und zugleich in transzendierender Weise umfasst. Eines seiner zentralen Probleme besteht in der Frage, wie Gottes Wirken in einer Welt natürlicher Verursachung zu denken ist. Im Unterschied zu Theorien, die nicht nur mit einer unmittelbaren Setzung der Welt durch einen welttranszendenten Schöpfer, sondern mit beständigen supranaturalen Einwirkungen in ihren natürlichen Verlauf rechnen, gehen panentheistische Schöpfungstheologien in der Regel davon aus, dass sich Gottes Weltwirken ohne Verletzung und Aufhebung der Naturgesetze vollziehe. Man hat sie daher nichtinterventionistische Theorien genannt und innerhalb des sog. Nichtinterventionismus zwischen kompatibilistischen und inkompatibilistischen Ansätzen unterschieden. Die kompatibilistischen Nichtinterventionisten halten dieser Unterscheidung zufolge die Annahme göttlichen Wirkens mit derjenigen einer kausalen Determiniertheit der natürlichen Welt für

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vereinbar, die Inkompatibilisten lokalisieren „das besondere göttliche Wirken in Regionen physikalischer Indeterminiertheit“ (Hüttenhoff, 353). Über den Sinn dieser Differenzierung kann man geteilter Meinung sein. Sie erübrigt sich, wenn man mit natürlichen Prozessen unbeschadet ihrer kausalen Bestimmtheit die Ermöglichung von irreduzibel Neuartigem assoziiert, dessen Möglichkeit jedenfalls nicht ausschließt. Emergenz-, Supervenienz-, Fulgurations- oder ähnlich gelagerte Theorien unterbereiten entsprechende Angebote. Stets sind in den Naturwissenschaften im Zusammenhang natürlicher Organisationsformen Irreduzible Komplexität Komplexitätssteigerungen registriert worden, was sich in der Abfolge ihrer Disziplinen von der Physik über die Chemie zu Biologie und Anthropologie widerspiegelt. Das höherstufige Komplexitätsgestalten die niedrigeren zur konstitutiven Voraussetzung haben, ist unstrittig. Strittig hingegen ist, ob sich die Zuwächse an Komplexität auf eine Ursprungskausalität reduzieren lassen oder ob dies nicht der Fall ist. Der sog. Emergentismus geht von letzterem aus und rechnet mit Phänomenen, die zwar kausale Voraussetzungen haben, welche sie bedingen, ohne doch auf diese Prämissen reduzierbar zu sein. Trifft dies zu, dann scheint die Möglichkeit eröffnet, ein schöpferisches Wirken Gottes in der Welt in Anschlag zu bringen, ohne supranaturale Eingriffe in ihren natürlichen Verlauf annehmen zu müssen. Gott, so wird argumentiert, beeinflusst die Regelzusammenhänge des Kosmos, aber er durchbricht sie nicht auf irreguläre Weise. Er leistet, wenn man so sagen will, einer evolutionären Entwicklung Vorschub, die kontinuierlich und ohne Beeinträchtigung kausaler Gesetzmäßigkeit erfolgt, gleichwohl irreduzibel Neues, noch nicht Dagewesenes kontingent hervorbringt. Zutage tritt dies namentlich in der biologischen Sphäre, sofern es die Biologie mit Entitäten zu tun hat, die nicht nur von außen her bestimmt sind, sondern von innen heraus in ein Verhältnis zu ihrer Umwelt treten und dabei nach Grad ihrer Komplexität wachsende selbstreferentielle Verhaltensformen ausbilden. Emergenztheoretiker unter den christlichen Schöpfungstheologen ziehen die in Darwins Klassiker von 1859 „On the Origin of Species“ vertretene Grundannahme in aller Regel empirisch nicht in Zweifel, wonach Pflanzen und Tiere in ihren gegenwärtig begegnenden Formen und Gestalten nicht auf einen Schlag und unabhängig voneinander, sondern erst im langen Lauf der Zeiten aus einem gemeinsamen Herkunftszusammenhang heraus entstanden sind. Was sie bestreiten, ist zumeist lediglich die Möglichkeit einer Reduktion biologischer Komplexität auf genetische Herkunft aus einer allkausierenden Urnatur. Argumentative Unterstützung erfahren sie dabei durch prozessphilosophisches Denken in der Tradition eines Alfred North Whitehead oder Charles Hartshorne, die wichtige Deutungen von Emergenz neuartiger Eigenschaften in komplexen Systemen angeboten und auf ihre Weise nicht nur die Evolutionslehre, sondern die Kosmologie insgesamt revolutioniert haben, indem sie neben der Woher- bzw. Wiesofrage der Wozufrage neue Geltung verschafften, ohne welche die Frage nach dem Warum keiner sinnvollen Antwort zugeführt werden kann.

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Naturwissenschaften erforschen die Kausalbedingungen natürlicher Prozesse, um die Wirkursachen ihres Verlaufs zu erheben. Keine Wirklichkeit kann der sie wirkenden Ursachen entbehren, aber nicht alles Wirkliche lässt sich hinreichend durch Reduktion auf seine Wirkursachen erklären. Darauf verweisen Terminie wie Emergenz, Supervenienz oder Fulguration. Sie rechnen mit Neuentstandenem, das zwar in konstutivem Bezug zu Vorhergehendem steht, ohne in seiner Komplexität darauf reduzierbar zu sein. Sind Begriffe dieser Art anderes als bloße „Chiffren für das prinzipiell Unerklärliche“ (Spaemann, Personen, 167), dann rufen sie notwendigerweise Zweck- und Zielfragen hervor, ohne deren Beantwortung das Ergebnis, zu dem ein Resultierungsprozess führt, weder gänzlich erfasst noch an sich selbst als Einheit begriffen werden kann. Auf identische Einheiten wird bei der Erforschung der Ursachen ihres Zustandekommens immer schon referiert; daher sind neben Woherfragen Wozufragen unentbehrlich, wenn nach Gründen und danach gefragt wird, warum etwas, was ist, so geworden ist, wie es geworden ist. Um ein Schlüsselbeispiel zu geben: Die Theorie humaner Evolution ist letztlich ohne Erklärungswert, wenn sie nicht mit allem, was sie sonst erklärt, auch die Fähigkeit des Menschen zu erklären vermag, seine bzw. die Genese seiner Gattung evolutionstheoretisch zu rekonstruieren. Warum-Fragen lassen sich durch Angabe einer Wieso- und Warumfragen gesetzmäßigen Kausalität, aber auch durch Verweis auf einen Zweck beantworten, um dessentwillen dasjenige, wonach gefragt wird, erfolgt ist. Macht ersterer Antworttyp durch Ursachenerklärung nachvollziehbar, wieso das Gefragte ist, so gibt der zweite sein Wozu zu verstehen. Wieso-Antworten sind genealogischer Art und an Herkunftszusammenhängen orientiert, Wozu-Antworten teleologisch bestimmt und auf einen Zweck ausgerichtet, den sie als finales Sinnziel intendieren. Von Platon und Aristoteles grundlegend, wenngleich in unterschiedlicher Weise konzipiert und im stoischen Denken universal ausgeweitet hat die teleologische Weltsicht die mittelalterliche Scholastik entscheidend bestimmt um erst in der beginnenden Neuzeit und im Zuge des Sieges einer mechanistischen Kosmologie in die Krise zu geraten und fortschreitend entmachtet zu werden (vgl. Spaemann/Löw, 27 ff.). Zwar fehlte es nicht an „Vermittlungsversuche(n) zwischen Teleologie und Universalmechanik bei Leibniz, Wolff und Kant“ (Spaemann/Löw, 113); bei Fichte, Schelling und Hegel gewann die Teleologie sogar noch einmal systembestimmende Bedeutung. Doch wurde nach vorausgegangener philosophischer Problematisierung etwa durch Schopenhauer und Nietzsche der Antiteleologismus durch die Naturwissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts mit dem zum Grundsatz verfestigten Ergebnis vollstreckt, dass „generell jede Lebenserscheinung auf nicht-teleologische Ursachen zurückgeführt werden“ (Spaemann/Löw, 213; vgl. zuvor 113 ff.) könne. Nicht nur physikalisch-chemische, sondern auch biologische Prozesse einschließlich derjenigen des menschlichen Lebens sind, so die Grundannahme moderner Naturwissenschaft, ganz und gar kausalgesetzlich zu erklären und auf Ursachen zurückzuführen, die ein teleologisches Verständnis überflüssig machen.

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Spätestens mit Ernst Haeckels Monismus schien die wissenschaftliche Entteleologisierung der Wirklichkeit und damit auch die Überführung der Geisteswissenschaften in die Naturwissenschaften erreicht. Doch bald schon erwies sich der Haeckel’sche Monismus als Ideologie und als dasjenige, was er von Anbeginn war: „Weltanschauung und – offen bekräftigt – Religionsersatz.“ (Spaemann/Löw, 224) Dagegen und nicht gegen empirisch verifizierbare Ergebnisse physikalischer Kosmologie oder einer Theorie biologischer Evolution hat sich die „Kritik am Antiteleologismus“ (Spaemann/Löw, 239) berechtigterweise zu richten. Für ihre Notwendigkeit spricht die evidente, kaum falsifizierbare Einsicht, dass nicht nur evolutionstheoretische Aussagen, sondern „auch die anscheinend metaphysikfreien physikalischen Begriffe bei genauerer Analyse auf einen teleologischen Handlungshorizont des Menschen verweisen, von welchem sie gar nicht scharf abgelöst werden können, und daß sie daher der Entteleologisierung und Entanthropomorphisierung der Wissenschaft, in deren Dienst sie stehen, bei konsequenter Betrachtung selbst zum Opfer fallen“ (Spaemann/Löw, 254). Kausalgesetzliche Betrachtung ist wissenschaftlich unverzichtbar, erledigt sich aber selbst, wenn sie sich totalisiert und das Ganze dessen wahrzunehmen beansprucht, worauf sich Wissen, das Wissenschaft sein will, zu richten hat. Denn um zu verstehen, was Ursachenforschung erklärt, bedarf es eines Gesichtspunkts, der über sie hinausweist und sich in Wesensfragen artikuliert. Das Gesetz der Kausalität wird in teleologischer Perspektive keineswegs um seine Geltung gebracht, vielmehr im Gegenteil daran gehindert, sich selbst um den Sinn seines Geltens zu bringen. Besinnungsloser Reduktionismus beseitigt, was er zu erklären und zu verstehen sucht, und damit zuletzt auch sich selbst. Kausale Reduktion und teleologische ProdukDekonstruktion und tion- bzw. Reproduktion von Komplexität bilden Rekonstruktion in ihrer Gegenläufigkeit einen Zusammenhang. An allen Naturwissenschaften einschließlich der Physik als der Fundamentalwissenschaft der Natur lässt sich aufweisen, dass dem Dekonstruktions- ein Rekonstruktionsprozess zu korrespondieren hat, wenn es zu Verstehen kommen soll. Um ein Beispiel zu geben: Während noch Einsteins physikalisches Weltbild auf der Überzeugung beruhte, „dass ein Ereignis, das an einem festen Punkt in Raum und Zeit stattfindet, durch keine anderen Einflüsse bestimmt sein dürfe als solche, die in der Vergangenheit dieses Ereignisses liegen und sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten“ (Esfeld [Hg.], 129), ist diese Auffassung durch die Quantenmechanik problematisiert worden. Diese kennt im Grunde keine fixen Punkte in Raum und Zeit, weil ihr der traditionelle Atomismus mit seiner Annahme eindeutig identifizierbarer Teilchen fraglich geworden ist. „Die spezielle Art der Zustandsbeschreibung in der Quantenfeldtheorie gibt generell keine klare Auskunft über die räumliche Einbettung der elementaren Teilchen. Auch die Unterscheidung der klassischen Physik zwischen kontinuierlichen Feldern und diskreten Teilchen ist auf der fundamentalen Ebene aufgehoben.“ (Esfeld [Hg.], 151) Subatomare Quanten sind keine Teilchen im klassischen Sinne durchgängig loka-

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lisierbarer und chronologisch eindeutig benennbarer Größen. Der übliche Begriff einer Entität ist in Auflösung begriffen, und die Bedingungen für das, was einst Ding hieß, lassen sich nicht mehr eindeutig identifizieren. Mit Unschärfen ist nicht nur zu rechnen, vielmehr scheint die quantenstatistische Rechnung gerade unter ihrer Voraussetzung zu stehen, da sich die von ihr in Anschlag gebrachten Einheiten sprunghaft verhalten können und als Einheiten nur näherungsweise zu identifizieren sind. Quantenmechanische „Objekte“ bzw. „Zustände“, heißt es in einem Sammelwerk zur „Philosophie der Physik“, sind „mathematisch gut zu verstehen, doch ihre physikalische Bedeutung, in jedem Sinne, der über eine funktionelle Bestimmung im Rahmen des abstrakten Formalismus hinausgeht, ist alles andere als offenbar und bleibt in den üblichen Formulierungen der Theorie auch eher vage“ (Esfeld [Hg.], 116): „Typische Zustände in der Quantenmechanik sind gänzlich verschieden von der Welt, in der wir leben.“ (Esfeld [Hg.], 117) Dies mag so sein, ändert aber nichts daran, dass der quantenmechanischen Dekonstruktion der menschlichen Lebenswelt und der förmlichen Mathematisierung der Physik ein gegenläufiger Prozess und eine physikalische Rekonstruktion zu korrespondieren haben, ohne welche Physik sich erledigen und um ihre Fähigkeit bringen würde, die Welt, in der wir leben, verständlich zu machen und ihre Natur für sinnvolle Gestaltung zu erschließen. Damit nicht auf reduktionistische Weise beseitigt werde, was erklärt und verstanden werden soll, bedarf es naturwissenschaftlicher Selbstreflexion und einer Besinnung auf die szientifischen Bedingungen der eigenen Möglichkeit, die neben erkenntnistheoretischen Aspekten (vgl. u. a. Cushing) auch die historischen Voraussetzungen in Betracht zu ziehen hat, die „The Emergence of a Scientific Culture“ (vgl. Gaukroger) ermöglicht haben. Nicht erst durch T. S. Kuhns Werk „The Structure of Scientific Revolutions“ (vgl. Kuhn) ist auf die grundlegende Bedeutung außerwissenschaftlicher Faktoren für Wahl und Wechsel naturwissenschaftlicher Paradigmen hingewiesen worden, welche die konzeptionellen Rahmenbedingungen für die Forschungen und Theoriebildungen der scientific community vorgeben. Naturwissenschaft war, anders als manche Wissenschaftstheoretiker meinten (vgl. Popper), niemals „knowledge without knower“, und sie wird es auch fernerhin nicht sein, solange sie Wissenschaft, also eine Form menschlichen Wissens ist. Es gilt der Grundsatz, dass Subjektivität konstitutiv zu jeder Objekterkenntnis gehört (vgl. Polanyi). Welt ist nicht auf subjektlose Objektivität reduzierbar, sowenig menschliche Subjektivität einer objektiven Grundlage ihres Daseins entbehren kann. Letzteres hat christliche Anthropologie niemals bestritten, sondern im Gegenteil stets affirmiert. Als geschöpfliches Subjekt ist der Mensch traditioneller Leib-Seele-Lehre zufolge „zugleich Subjekt und Objekt bzw. Geist und Materie“ (Kraschl, 416). Er ist in seinem Wesen weder rein spiritualistisch, noch auf bloß materialistische Weise zu erfassen, wie dies ein kausalmechanischer Reduktionismus gelegentlich versuchte. Erweist sich ein solcher Reduktionismus bereits physikalisch als unhalt-

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bar, so trifft dies umso mehr für die Biologie zu, die zwar auf Physik basiert, ohne sich auf sie reduzieren zu lassen. Leben eignet Irreduzibilität, was sich nur um den Preis des Lebens selbst negieren lässt. Dies gilt nicht nur im speziellen Fall, sondern grundsätzlich. Lebewesen sind „nicht einfach Stadien eines prozessualen Kontinuums . . . , deren jedes nichts ist als die Vermittlung akkumulierter Antezedensbedingungen zum nächsten Stadium, sondern ‚etwas‘, das sich von seinen Entstehungsbedingungen eben dadurch emanzipiert hat, daß es ‚selbst‘ etwas ist“ (Spaemann, Personen, 166). Biologie, welche dies leugnen würde, widerspräche ihrem Begriff und bedürfte der dringenden Wiederbelebung der Frage, was Leben heißt (vgl. Rose). Lebendiges ist nicht nur an sich gegeben, sonUnterschied zwischen dern für sich da und nach Maß seines Für-sich„etwas“ und „jemand“ Seins in seiner Selbstzwecklichkeit zu achten (vgl. Hull/Ruse [Eds.], Ruse [Ed.]). Haben bereits extrahumane Lebewesen als mehr und anderes zu gelten denn als gegenständliche Objekte, so kann nachgerade das Personleben von Menschen überhaupt nur dann auf humane Weise gewürdigt werden, wenn zwischen „etwas“ und „jemand“ unterschieden wird (vgl. Spaemann, Personen, 25 ff.). Personalität ist ohne Achtung irreduzibler Selbstzwecklichkeit nicht denkbar, welche die Personenwürde ausmacht. Namentlich dies verkennt und muss eine Wissenschaft verkennen, welche die Welt auf subjektlose Objektivität reduziert. „Sie erklärt uns, was wir als Menschen sind, indem sie uns erklärt, wie wir entstanden sind. Das Wahre und das Gute sind unter diesem Aspekt nichts als überlebensdienliche Idiosynkrasien; sogenannte Erkenntnisse sind nicht Repräsentationen dessen, was erkannt wird, sondern kausale Wirkungen von etwas, das gerade nicht erkannt wird. Daraus folgt, daß auch alle Ideen von personaler Selbstbestimmung Selbstmißverständnisse sind.“ (Spaemann, Gerücht, 33 f.) Stellt man den Menschen in kosmische Horizonte, kann leicht der Eindruck entstehen, er sei alles in allem eher eine Randfigur des Universums. Vergleicht man die Menschheitsgeschichte auch nur mit dem Alter der Erde, liegt der Schluss nahe, der homo sapiens habe sein Weltdasein erst am letzten Tag des Jahres kurz vor Mitternacht begonnen. Dieser Schluss ist nicht einfachhin falsch. Doch führt er in die Irre, wenn er, was unter der Voraussetzung und unter den Bedingungen von Bewusstsein und Selbstbewusstsein als Raum und Zeit wahrgenommen wird, unreflektiert mit den „Räumen“ und „Zeiten“ bewusstloser Natur gleichsetzt. Weil diese unreflektierte Gleichsetzung den Grund zahlloser Misserverständnisse bildet, bedarf sie der Aufklärung. Lässt der kosmische Raum zunächst an nichts als an ein amorphes Aggregat aller möglichen Räume denken, die ein Maß benötigen, um dimensioniert zu werden und sich nicht im Unermesslichen zu verflüchtigen, so bedarf auch der Zeitbegriff in seinem differenzierten Verhältnis zu demjenigen des Raumes einer Bestimmung, die sowohl seinem durch Eindimensionalität und Gerichtetheit gekennzeichneten Grundsinn als auch den verschiedenen Bedeutungen gerecht wird, die sich mit ihm verbinden, wenn von zeitlicher Extension und

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Dauer, von Zeitpunkten und ihrem Vergehen, schließlich von den temporalen Modi Vergangenheit, Gegenwart und Futur unter der Prämisse eines präsenten Subjekts die Rede ist, das in bewusster Erinnerung und zukunftsoffener Erwartung lebt. Die erlebte Zeit ist von anderer Art als die Zeit der unbelebten Natur. Die Zeit zeitigt sich, wenn man so will, auf dialektische Weise, und ihr Begriff kann konkret nur jeweils so erfasst werden, dass Identität und Differenz seiner Bedeutung auf den unterschiedlichen Stufen seiner Verwendung zugleich zutage treten. Zwischen „human time“ und „geological time“ (vgl. Gould) ist daher, um zum angesprochenen Fall zurückzukehren, zwar nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden. Auf den Zyklus des Jahreskreises, der keinen Anfang und kein Ende kennt, lässt sich die Zeit des Menschen und seiner Geschichte nur um den Preis ihrer Verkennung projezieren. Das menschliche Maß darf in temporaler Hinsicht nicht außer Acht gelassen werden. Entsprechendes gilt unter Raumaspekten: Die Weite des Kosmos, im Vergleich zu der die menschliche Stellung marginal anmutet, ist relativ zum Betrachter, dem sie als unermesslich erscheint. Der Status von Subjektivität als Bedingung jeder möglichen Erkenntnis wird mithin durch kosmologische Exkursionen ebensowenig tangiert wie die Personalität des Menschen reduktionistisch zu erledigen ist. Die gegenteilige Behauptung stellt kein Ergebnis aufgeklärter Wissenschaft, sondern die Vorurteilsfolge eines weltanschaulichen Naturalismus dar, der vorgibt, Wissenschaft zu sein, ohne über einen selbstkritischen Begriff von Wissen und Wissenschaftlichkeit zu verfügen. Wissenschaft bedarf, um zu sein, was zu sein sie von ihrem Begriff her bestimmt ist, der Wissenschaftstheorie, also einer Wissenschaft von der Wissenschaft, die ein reflexes Bewusstsein von Status und Geltung wissenschaftlicher Aufgaben und insbesondere davon entwickelt, dass ohne sich wissende Ichsubjekte, die als Personen anzusprechen sind, von Wissenschaft prinzipiell nicht die Rede sein kann. Man muss kein Transzendentalphilosoph sein, um zu dieser Einsicht zu gelangen, die im Übrigen in keinem Widerspruch steht zu der unbestrittenen Tatsache, dass jedes menschliche Realich und Personsubjekt naturhafte und soziale Entwicklungsbedingungen zur Voraussetzung hat, ohne doch auf diese Prämissen reduzierbar zu sein. „Der Mensch beginnt erst nach längerer Zeit ‚ich‘ zu sagen. Aber wen er mit ‚ich‘ meint, ist nicht ‚ein Ich‘, sondern eben der Mensch, der ‚ich‘ sagt. So sagen wir: ‚Ich wurde dann und dann geboren‘, oder sogar: ‚Ich wurde dann und dann gezeugt‘, obgleich das Wesen, das da gezeugt oder geboren wurde, damals nicht ‚ich‘ sagte. Aber wir sagen deshalb trotzdem nicht: ‚Damals wurde etwas geboren, aus dem dann ich wurde‘. Ich war dieses Wesen. Personalität ist nicht das Ergebnis einer Entwicklung, sondern immer schon die charakteristische Struktur einer Entwicklung. Da Personen nicht in ihre jeweils aktuellen Zustände versenkt sind, können sie ihre eigene Entwicklung als Entwicklung und sich selbst als deren zeitübergreifende Einheit verstehen. Diese Einheit ist die Person.“ (Spaemann, Personen, 261)

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Die Genese personaler Selbstverhältnisse ist komplex, aber nur so angemessen zu rekonstruie- Würde der Person ren, dass durch die Rekonstruktion das Ergebnis, zu dem sie führen soll, nicht falsifiziert wird. Zum reflexen Bewusstsein seiner selbst, das es ihm ermöglicht, Ich zu sagen und sich als Personsubjekt zu wissen, gelangt der Mensch erst im Laufe einer Entwicklung, für die naturhafte und soziale Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Sie geltend zu machen, kann indes nicht bedeuten, Personsein als das durch sie bedingte Resultat zu behaupten. Denn dann wäre durch die Erklärung das Verständnis dessen faktisch entzogen, was erklärt werden soll. Ohne naturhafte Daseinsbedingungen ist menschliche Personalität nicht denkbar; sie ist deshalb aber kein Naturprodukt, sondern wäre gründlich verkannt, wenn sie als solches verstanden würde. Persönlichkeitsbildung setzt Sozialisierungsprozesse voraus; gleichwohl wäre es ein Verstoß gegen die Würde der Person, sie zum Epiphänomen intersubjektiver Vorgänge herabzusetzen, zumal da Intersubjektivität selbst Subjektivität immer schon zur unabdingbaren Voraussetzung hat. Personen gehören einer sozialen und natürlichen Welt an, aber ihr Personsein lässt sich daraus nicht herleiten, sondern ist irreduzibel und enthält in seiner Irreduzibilität einen Hinweis darauf, dass alles Lebendige, ja überhaupt alles, was ist, zwar Ursachen zur Voraussetzung hat, die es bewirken, ohne in seiner je eigenen Wirklichkeit darin aufzugehen. Es ist unter allen irdischen Entitäten dem Personwesen Mensch vorbehalten, dies wahrzunehmen. Wo sich diese Wahrnehmung und die Einsicht einstellt, in seinem personalen Selbstsein weder auf externe Weltursachen reduzierbar, noch unmittelbar durch sich selbst verursacht zu sein, tritt die Wahrheit zutage, die sich mit Anspruch auf humane Allgemeingeltung und vernünftige Generalisierbarkeit dem christlichen Schöpfungsglauben erschlossen hat und zu der er sich bekennt, wenn er Gott als den schöpferischen Grund von Selbst und Welt bezeugt. „Wer glaubt, daß Gott ist, glaubt, daß das, was der Fall ist, die Welt unserer Erfahrung einschließlich seiner selbst, eine ‚Tiefe‘, eine Dimension hat, die sich der Erfahrung, auch der introspektiven, entzieht. Diese Dimension ist der Ort, wo das, was ist, aus seinem Ursprung hervorgeht. Und zwar nicht im Sinne eines zeitlichen Folgens auf Antezedensbedingungen, sondern als gemeinsames Hervorgehen mit den Entstehungsbedingungen und zugleich als Emanzipation von diesen, also als Selbstsein. An einen Schöpfer glauben heißt glauben, daß das Sein der Dinge und das Leben der Sterblichen weder notwendig noch die Folge eines universellen Trägheitsprinzips ist, sondern in jedem Augenblick Hervorgang aus dem Ursprung.“ (Spaemann, Gerücht, 17) Auf den instantanen Hervorgang aus dem Grund, der als Ursprung zugleich Ziel von Selbst und Welt ist, ist der Glaube an Gott den Schöpfer bezogen. Die traditionelle Lehre hat den Vorgang göttlicher Schöpfung als ursprüngliche creatio ex nihilo und zielgerichtete creatio continua beschrieben, wobei zwischen beiden Aspekten zu unterscheiden, nicht aber zu trennen ist. Schon daraus erhellt, dass der Gedanke einer creatio originalis mit der mythischen Vorstellung gründender

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Urzeit nicht gleichzusetzen ist. Gleichwohl kommt der Schöpfungslehre im Zusammenhang der Dogmatik traditionell eine protologische Stellung zu, die durch die Appropriation des Werkes der Schöpfung vornehmlich an die erste Person der Gottheit unterstrichen wird und zwar unbeschadet des Grundsatzes, wonach die opera Sanctae Trinitatis ad extra als prinzipiell ungeteilt und unteilbar zu gelten haben. Ist dieser Status beizubehalten oder ist die Schöpfungslehre konsequent zu eschatologisieren und die protologische Rede von ihrer Ursprungsgüte folgerichtig in diejenige ihrer eschatologischen Vollendung zu überführen? Das eschatologische Futur, auf welches die SchöpErinnerung und Erwartung fung ausgerichtet ist, sei, so hieß es bei Jürgen Moltmann, nicht als zukünftige Geschichte in der Zeit, sondern als Zukunft der zeitlichen Geschichte und damit als Zukunft von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Ist das Eschaton die Zukunft nicht nur der geschichtlichen Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch der zukünftigen Geschichte, dann stellt sich die Frage, ob seine Erwartung nicht eine Erinnerung zur Voraussetzung hat, welche vergegenwärtigt, warum die eschatologische Zukunft geschichtlich aussteht und alles von der künftigen Geschichte zu Erwartende transzendiert. Muss der Eschatologie nicht eine Protologie korrespondieren, die zwar nicht vergangene Geschichte, aber eine Vergangenheit der Geschichte erinnert, die ihr so zuvorkommt wie die eschatologische Zukunft über sie hinausweist? Das protologisch zu thematisierende proton ist ebensowenig mit einem empirisch fassbaren Vergangenheitsdatum im Naturgeschehen und in der Menschheitsgeschichte gleichzusetzen wie das eschatologisch zu bedenkende eschaton mit einem Zukunftsmoment, das in der Tempusform des geläufigen Futur zu fassen wäre. Zwar beinhalten Protologie und Eschatologie Zeitbezüge, so dass es nicht abwegig ist, von Urzeit und Endzeit zu sprechen. Beide verhalten sich aber nicht wie ein chronologisch identifizierbarer Anfang und Schluss zueinander. Das Verhältnis zwischen ihnen hat sich primär an der göttlichen Ökonomie zu bemessen, deren Verlauf zwar stetig auf Weltgeschehen und Menschheitsgeschichte bezogen ist, ohne mit ihnen in jeder Hinsicht deckungsgleich zu sein. Das gibt Anlass zu einer Reihe weiterer Fragen: Kann ohne protologische Anamnese ursprünglicher Geschöpflichkeit überhaupt ein Begriff dessen entwickelt werden, was es mit dem Vergehen der Zeit und der Vergänglichkeit der Kreatur auf sich hat? Beinhaltet die kreatürliche Evolution nicht Elemente, die auf eine Revolution der Schöpfung gegen ihren Schöpfer hindeuten, wie sie im Falle der Sünde des Menschengeschöpfs Ereignis geworden ist, um sich fortwährend zu ereignen? Darf, um diese Einsicht wachzuhalten, die Schöpfungslehre dergestalt eschatologisiert werden, dass ihr angestammter protologischer Status zum prozessual aufzuhebenden Moment herabgesetzt wird? Wird nicht gerade dadurch, was ursprünglich und im genuinen Sinne Schöpfung heißt, als bloßer Anfang missverstanden? Anfänglichkeit gehört zwar nach traditioneller Lehre ebenso zum Begriff der Schöpfung wie ihre Fortführung im Sinne der creatio continua, die auf eschatolo-

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gische Vollendung zielt. Aber dieses Vollendungsziel ist der genuinen Schöpfung nicht äußerlich, wennanders sie vom schöpferischen Beginnen Gottes her geurteilt als gänzlich gut und vollendet zu gelten hat. An der protologischen Denkbarkeit dieser vollendeten Güte, so scheint es, wird eine Schöpfungstheologie auch und gerade im Wissen um die für Selbst- und Welterfahrung prinzipielle Vergangenheit des status integritatis festhalten müssen. Dass dies theologisch nicht ohne christologisch-pneumatologische Vermittlung möglich ist, steht fest. Doch bewirkt nicht der Geist, der von dem in Jesus Christus offenbaren Geist ausgeht, im Verein mit eschatologischer Erwartung eine Erinnerung, die protologisch zu entfalten die genuine Aufgabe der Schöpfungstheologie ist, im Vergleich zu der alle weiteren Aufgaben, die sie zweifellos hat, als sekundär einzuschätzen sind? Schöpfungstheologie ist stets auf Weltwissen bezogen gewesen und hat diesen Bezug auch aktuell in gebührender Form wahrzunehmen. Doch kann dies im christlichen Sinne nur im Verein mit menschlicher Selbstverständigung geschehen, die an dem im Geiste Jesu Christi offenbaren Gott-Mensch-Verhältnis ihr Maß findet. In diesem Verhältnis sind Weltbezüge unveräußerlich inbegriffen, wenn anders der in Jesus Christus offenbare Gott als der Herr des Kosmos zu bekennen ist, dessen Geist das Universum durchwaltet. Aber der rechte Bezug zur Welt erschließt sich gemäß christlichem Glauben für den Menschen vom Gottesverhältnis her und nicht umgekehrt. Dafür steht der an Ostern als Christus offenbare Jesus, dessen Gedächtnis christliche Schöpfungsanamnese und Einsicht in dasjenige bewirkt, was in genuinem Sinne Schöpfung heißt. Der irdische Jesus erscheint im Lichte des durch den pfingstlichen Gottesgeist beglaubigten Osterereignisses als der inkarnierte Logos und als das wahre Geschöpf, in dem Gott und Mensch auf differenzierte und alle Welt umschließende Weise eins sind. Kraft dieser Erscheinung, wie sie in den Evangelien beurkundet und durch Wort und Sakrament schriftgemäß zu bezeugen ist, wird eine Anamnese ursprünglicher Schöpfung bewirkt. Im Gedächtnis des irdischen Jesus, der sich durch die Medien des Heils in der Kraft des göttlichen Geistes selbst in Erinnerung bringt, memoriert der christliche Glaube das Ursprungsverhältnis von Gott, Menschheit und Welt und bringt den genuinen Sinn dessen in Erfahrung, was creatio originalis heißt. Dieser Sinn ist im Leben Jesu offenbar, das den entscheidenden Erkenntnisgrund christlichen Schöpfungsglaubens darstellt. Am Sohnesverhältnis des irdischen Jesus zu Gott, seinem himmlischen Vater, zu sich selbst und zu Mitmensch und Welt lässt sich erkennen, was es mit dem status integritatis auf sich hat. Protologisch ist diese Erkenntnis insofern, als sie im Modus der Erinnerung statthat. Der irdische Jesus vergegenwärtigt einen Beziehungszusammenhang von Schöpfer und Menschengeschöpf, der durch ein Vergehen vergangen ist, das die Tradition peccatum originale nennt. Christliches Schöpfungsgedächtnis ist daher mit dem Bewusstsein des Verlusts, der Nichtübereinstimmung mit ursprünglicher Bestimmung, ja des Widerspruches untrennbar verbunden. Daher kann es mit dem Gedächtnis des irdischen Jesus und der durch es bewirkten Schöpfungsanam-

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nese nicht sein Bewenden haben. Der Glaube weiß sich vielmehr an das Kreuz und an den auferstandenen Gekreuzigten gewiesen, um des Heils der Versöhnung gewärtig zu werden, das im österlichen Herrn beschlossen liegt. Gläubige Geistesgegenwart ist ganz vom Evangelium der Rechtfertigung des Sünders bestimmt, in dem Gott sich als derjenige präsentiert, der in Jesus Christus seine gefallene Schöpfung versöhnt hat mit sich selbst, um sie nicht auf Gewesenes zu fixieren, sondern ihr die hoffnungsfrohe Erwartung einer Zukunft zu eröffnen, in der das protologisch Verfehlte eschatologischer Erfüllung zugeführt wird.

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12. Schöpfungstheologie und Naturwissenschaft

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In dem größten Arbeitsprojekt seines letzten Lebensjahrzehnts, dessen Ergebnisse unter dem Titel „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ auf der Basis einer von ihm selbst besorgten Teilpublikation, der Abschrift stenographischer Aufzeichnungen von eigener Hand und ergänzender Texte als VI. Band der Gesammelten Werke veröffentlicht wurde, hat Edmund Husserl (1859–1938) den Verlust der Lebensbedeutsamkeit der Wissenschaft beklagt und dafür die positivistische Reduktion ihrer Idee auf bloße Tatsachenwissenschaft verantwortlich gemacht (vgl. Husserl, 3 ff.). Die mit der Renaissance anhebende neuzeitspezifische „Idee eines rationalen unendlichen Seinsalls mit einer systematisch es beherrschenden rationalen Wissenschaft“ (Husserl, 19; bei H. gesperrt) habe zu einer Mathematisierung der Natur, für welche die Physik Galileis exemplarisch sei (vgl. Husserl, 20 ff.), und zu einer „Sinnentleerung der mathematischen Naturwissenschaft in der ‚Technisierung‘“ (Husserl, 45) geführt, die nur mehr einen formalen, in gehaltlosen Formeln fassbaren und auf den einzigen Zweck praktischer Nutzung ausgerichteten Umgang mit ihren Gegenständen kenne. Nicht als ob Husserl den Nutzen der techne gering schätzen würde; das Gegenteil ist der Fall: er rühmt die mathematisch vermittelte Technisierung der Natur als eine der Großtaten modernen Verstandes. Wogegen er sich wendet, ist die Totalisierung des technischen Zugriffs auf der Grundlage der irrigen Annahme, ein subjektloser Objektivismus sei möglich bzw. als wissenschaftliches Ideal sinnvoll und erstrebenswert. Wo die Lebenswelt als fundierende Sinngrundlage der Naturwissenschaften vergessen werde, bringe diese sich nicht nur um eine über bloße Nutzanwendung hinausreichende Bedeutsamkeit, sondern drohe durch Totalisierung ihres Objektivitätsideals zugleich alle Wissenschaften um ihren humanen Sinn zu bringen. Was er mit der Bezeichnung Lebenswelt versieht, bildet nach Husserls Urteil die vorwissenschaftliche, wissenschaftlich niemals aufzuhebende Grundlage aller Wissenschaft. Dies scheint selbstverständlich zu sein und ist es Husserls Auffassung nach auch; es werde aber in seiner Selbstverständlichkeit wissenschaftlich häufig nicht nur nicht erkannt, sondern verkannt und mit methodischer Systematik notorisch verstellt. Ihre Ursache habe das für die moderne Naturwissenschaft charakteristische Unverständnis bzw. Missverstehen einer Selbstverständlichkeit in der ihre Methode kennzeichnenden formalen und materialen Abstraktion von Subjektivität und dem Bestreben, alles auf einen subjektlosen Objektivismus sog. Tatsachen zurückzuführen. Es liegt in der Konsequenz dieses Reduktionismus, alle Wissenschaften auf sein Verfahren zu verpflichten mit der Folge, dass auch die Psychologie als Lehre von der Seele und die sog. Geisteswissenschaften immer mehr in den naturwissenschaftlichen Objektivismussog gerieten. Die Vergegenständlichung der seelischen Welt und die fortschreitende Naturalisierung des Geistes folgten daraus zwangsläufig. Zwar seien Widerstände gegen die Zwangsläufigkeit dieses Entwicklungsprozesses zu verzeichnen. So habe Rene Descartes, dessen Meditationen Husserl 1931 eine für die transzendentale Phänomenologie seiner Krise europäischer Wissenschaften

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Spätzeit programmatische Untersuchung gewidmet hat, schon beizeiten die Irreduzibilität und Unhintergehbarkeit des gerade im konsequenten Zweifel unfalsifizierbar evidenten ego cogito erwiesen und damit Subjektivität als Grundvoraussetzung aller wissenschaftlichen Vollzüge entdeckt. Aber Cartesius habe seine Entdeckung zugleich dadurch wieder verdeckt und verloren, dass er das in absoluter Apodiktizität aller erdenklichen Objektwahrnehmung vorangehende Ego mit einer res cogitans identifizierte bzw. zu einem empirisch fassbaren Ichsubjekt vergegenständlichte. Anlass für diese Selbstmissdeutung von Descartes war Husserl zufolge das vordringliche Inte- Husserls Descarteskritik resse an Objektivation, das dieser bei allen Zweifeln mit dem Wissenschaftsideal der Moderne teilte und welches ihn dazu verführte, das aller Differenz von Ich und Welt, Ich, Du und Wir etc. vorausgehende Ego mit einer res cogitans als einer von res extensae unterschiedenen Seelengröße gleichzusetzen. „Descartes machte sich nicht klar, dass das ego, sein durch die Epoché entweltlichtes Ich, in dessen funktionierenden cogitationes die Welt allen Seinssinn hat, den sie je für ihn haben kann, unmöglich in der Welt als Thema auftreten kann, da alles Weltliche eben aus diesen Funktionen seinen Sinn schöpft, also auch das eigene seelische Sein, das Ich im gewöhnlichen Sinne. Erst recht war ihm natürlich unzugänglich die Erwägung, dass das ego, so wie es in der Epoché als für sich selbst seiend zur Entdeckung kommt, noch gar nicht ‚ein‘ Ich ist, das andere oder viele Mit-Iche außer sich haben kann. Es blieb ihm verborgen, dass alle solche Unterscheidungen wie Ich und Du, Innen und Außen erst im absoluten ego sich ‚konstituieren‘. So versteht es sich, warum Descartes in seiner Eiligkeit, den Objektivismus und die exakten Wissenschaften als metaphysisch-absolute Erkenntnis gewährende zu begründen, sich nicht die Aufgabe stellt, das reine ego – in der Epoché konsequent verbleibend – systematisch zu befragen nach dem, was ihm an Akten, an Vermögen eignet und was es in ihnen als intentionale Leistung zustandebringt.“ (Husserl, 83 f.; bei H. teilweise gesperrt). Die, wie er kritisiert, psychologistische Missdeutung des der Selbst-Welt-Differenz mit apodiktischer Evidenz vorausgesetzten reinen Ego hat Husserl zufolge nach Descartes Schule gemacht und jene Subjekt-Objekt-Aufspaltung der Wirklichkeit herbeigeführt, die deren Vergegenständlichung nicht behebt, sondern zementiert, indem sie zwischen objektiven res extensae und jener res cogitans unterscheidet, die Gegenstand einer der Kosmologie parallel laufenden Seelenlehre sein soll. Im vermeintlichen Gegensatz von Empirismus und Rationalismus, der weite Teile der vorkantischen Aufklärungsphilosophie bestimmte, reflektiert sich nach Husserl das duale Modell Descartes, ohne überwunden zu werden. Erst Kants Transzendentalphilosophie habe über fixierte Scheinalternativen hinausgeführt und die Aufklärung über die vergessene Selbstverständlichkeit aufgeklärt, dass das Ich denke alle gegenständlichen Weltvorstellungen begleiten müsse und als Bedingung ihrer Möglichkeit fungiere. Unaufgeklärt sei aber auch bei ihm das Verhältnis geblieben, das zwischen dem transzendentalen und jenem Ich walte, als

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das ich mich seelisch selbst und im Unterschied zu den Weltgegenständen wahrnehme, die mir bewusst sind. Auch Fichte samt den an ihn anschließenden Systemkonzeptionen des Deutschen Idealismus hat nach Husserl das Verhältnis zwischen transzendentalem Ich und dem Ich der Selbsterfahrung nicht zu klären vermocht: „Unvermeidlich blieb die Differenz zwischen empirischer und der transzendentalen Subjektivität, und doch auch unvermeidlich, aber auch unverständlich, ihre Identität. Ich selbst als transzendentales Ich ‚konstitutiere‘ die Welt und bin zugleich als Seele menschliches Ich in der Welt. Der Verstand, der der Welt sein Gesetz vorschreibt, ist mein transzendentaler Verstand, und dieser formt mich selbst nach diesen Gesetzen, er, der doch mein, des Philosophen, seelisches Vermögen ist. Das sich selbst setzende Ich, von dem Fichte spricht, kann es ein anderes Sein als das Fichtes?“ (Husserl, 205) Immerhin wird Kant und seinen Nachfolgern attestiert, einen ersten großen Schritt auf dem Weg zu einer wesentlich neuen Art von Philosophie getan zu haben, „die gegenüber dem vorwissenschaftlichen und auch wissenschaftlichen Objektivismus auf die erkennende Subjektivität als Urstätte aller objektiven Sinnbildungen und Seinsgeltungen zurückgeht und es unternimmt, seiende Welt als Sinn- und Geltungsgebilde zu verstehen“ (Husserl, 102; bei H. teilweise gesperrt). Den definitiven Durchbruch zu ihr vollzogen zu haben, schreibt Husserl der von ihm konzipierten transzendentalen Phänomenologie zu. Diese erst habe die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, die auch Kants Denken noch unbefragt voraussetze, aufgeklärt und dadurch dem Verstehen erschlossen, dass sie das Selbst-Welt-Verhältnis von Grund auf zur Einsicht brachte und die auch bei Kant noch vorherrschende Undurchsichtigkeit des Verhältnisses von transzendentaler Subjektivität und leibhaftem Seelenich in einer intersubjektiv gegebenen Lebenswelt behob. Es würde zu weit führen, Genese, Durchführung Transzendentale und Folgewirkungen der transzendentalen PhänoPhänomenologie menologie Husserls genauer zu analysieren. Motiviert wurde ihre Ausbildung v. a. durch Franz Brentanos Theorie der Intentionalität, derzufolge seelische Vollzüge stets intentional, nämlich auf etwas ausgerichtet sind. Gerichtetheit habe entsprechend als ein Wesensmerkmal aller menschlichen Bewusstseinsvollzüge zu gelten. Bewusstsein sei stets Bewusstsein von etwas und auf evidentes Sich-Zeigen der gegenständlichen Welt in ihrem gegebenen Sein durch Erscheinen aus. Im Bewusstsein hat nach Brentano gegenständliche Wahrnehmung statt, insofern das Bewusstsein stets auf Sinngehalte gerichtet ist (intentio recta); zugleich unterscheidet das Bewusstsein die wahrgenommenen Gegenstände reflexiv vom wahrnehmenden Subjekt, indem das Bewusstsein ein gegenstandsdifferentes Wissen um sich selbst hat (intentio obliqua). Beides, Gegenstandswahrnehmung und subjektive Selbstwahrnehmung, seien im Bewusstseinsvollzug ursprünglich verbunden und nicht voneinander zu trennen. Man müsse des Äußeren innewerden, um seiner gewahr zu sein; man sei aber nur dadurch des Äußeren inne, dass man es als Externes wahrnehme und mit externer Seinsgeltung versehe,

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worin sich die konstitutive Intentionalität aller Bewusstseinsvollzüge bestätige. Innen und Außen ließen sich im Bewusstsein zwar unterscheiden, nicht aber trennen, wie das entsprechend für das Verhältnis von Leib und Seele, Form und Gehalt etc. gelte. Brentanos Bewusstseinstheorie und Psychologie ist erkenntlich von Aristoteles geprägt, dem er auf Anregung seines Lehrers F. A. Trendelenburg schon früh intensive Studien widmete. Aristotelische Einflüsse lassen sich unschwer auch bei Husserl ausmachen, dessen Phänomenologie in der Einsicht einer unauflöslichen Korrelativität von Sein und Wissen in jedem bewussten Lebensvollzug gründet. Bewusstes Leben ist intentional auf leibhaft gegebenes Sein bezogen, das seinerseits nicht ohne Wissen und seelische Gewissheit gegeben ist. Zwar konstituiert das Bewusstsein nicht das Sein, um welches es weiß, aber ohne es kann von Seinsgegebenheit und objektiver Gegenständlichkeit ebensowenig die Rede sein. Husserl hat diese Grundeinsicht in mehreren Anläufen philosophisch zu sichern versucht, bis er seiner phänomenologischen Konzeption der bewusstseinsgegebenen Erscheinungwelt die für sein Spätwerk charakteristische transzendentale Wendung gab, derzufolge ein jeder Objektivation sich entziehendes ungegenständliches Ego die selbstoffenbar-evidente „monadische“ (vgl. etwa Husserl, 415 ff.) Grundlage aller Wahrnehmung von Welt bilde, in deren Universalhorizont allem Einzelseienden seine objektive Seinsgeltung zukomme. Martin Heidegger war bekanntlich nicht der Einzige, der Husserls „transzendentale“ Wende und die nunmehr verfolgte Methode einer konsequenten „Reduktion auf das absolute ego als das letztlich einzige Funktionszentrum aller Konstitution“ (Husserl, 190) als Abkehr von der ursprünglichen Bestimmung philosophischer Phänomenologie beurteilte, nämlich, um einen berühmten Satz aus § 7 von „Sein und Zeit“ zu zitieren, dasjenige, was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen zu lassen. Hierauf, wie gesagt, ist im gegebenen Zusammenhang ebenso wenig einzugehen wie auf die Durchführung von Husserls egologischer Phänomenologiekonzeption oder auf die Ontophänomenologie, zu der sich Heidegger nach seiner phänomenologischen Daseinsanalyse kehrte. Aufgenommen und weiterverfolgt sei Husserls Ansatz im Folgenden lediglich unter dem Gesichtspunkt der Erhebung jener Selbstverständlichkeiten, die allem wissenschaftlichen Denken vorausliegen und von ihnen in der Regel unbefragt und zweifellos in Anspruch genommen werden. Als zentral und von den Problemen ihrer Explikation, die zu erheblichen konzeptionellen Differenzen führten, nicht unmittelbar betroffen, darf die phänomenologische Grundeinsicht gelten, dass dasjenige, was Husserl Lebenswelt nennt, den beständigen und nicht zu beseitigenden Hintergrund aller wissenschaftlicher Arbeit einschließlich der naturwissenschaftlichen bildet. Nachgerade die Naturwissenschaften setzen in ihren Forschungen und Theoriebildungen selbstverständlich die Lebenswelt und die ihr zugehörigen Ursprungsevidenzen wie etwa diejenige voraus, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts. Die Tatsache, dass diese Voraussetzung nicht eigens thematisiert, ja in der Regel gar nicht bewusst wird, spricht

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nicht gegen, sondern im Gegenteil für ihre Selbstverständlichkeit, bringt aber die Gefahr mit sich, den Schein eines Objektivismus zu erzeugen, der die Einsicht verstellt, dass Objektivität ohne lebensweltliche Subjektivitäts- und Intersubjektivitätsbezüge evidentermaßen nicht zu denken ist. Ohne Bewusstseinsleben kann von nichts gewusst Lebensweltliches werden. Auch Naturwissenschaft setzt selbstverBewusstsein ständlich lebensweltliches Bewusstsein voraus, um Wissenschaft zu sein. Ihr Ideal einer subjektlosen Objektivität erweist sich von daher als Abstraktion, von der zu abstrahieren um konkreter Wissenschaftlichkeit willen notwendig ist. Einen Begriff von sich selbst zu haben und sich entsprechend auszubilden vermag Wissenschaft nur in Erkenntnis und Anerkenntnis beständiger Korrelativität von Selbst und Welt. Wird diese Korrelativität verkannt, droht nach Husserl allgemeine Verdinglichung und eine physikalistisch-naturalistische Reduktion der Welt des Lebens. „Die Welt reduziert sich in solcher mit universaler Konsequenz durchgeführten Abstraktion auf die abstrakt-universale Natur“ (Husserl, 230), auf ein All reiner Äußerlichkeit, das aus dem Nichts des leeren Raums urplötzlich auftaucht, um am Ende wieder in ihm zu verschwinden. Dem Nihilismus eines konsequenten Naturalismus und Physikalismus, der sich nicht mit einer Mathematisierung der äußeren Natur begnügt, sondern auch das seelische Innenleben seinem objektivistischen Ideal unterwirft, kann nach Husserl wirksam nur durch die Einsicht in die Unauflöslichkeit lebensweltlicher Korrelation von Subjektivität, Intersubjektivität und leiblich-gegenständlicher Weltgegebenheit begegnet werden, welche die irreduzible Voraussetzung nicht nur aller vorwissenschaftlichen, sondern auch aller wissenschaftlichen Erfahrung bildet. Haben die Naturwissenschaften primär die Welt als gegenständliche Umwelt zum Inhalt, wie sie Subjekten in objektiver Seinsgeltung erscheint, thematisieren die Geisteswissenschaften vorrangig die menschliche Subjektivität in ihren aktiven und passiven Bewusstseinsbezügen auf die gegebene Erscheinungswelt, ohne dass zwischen beiden wissenschaftlichen Orientierungen eine Trennung vollzogen werden könnte, weil sich gerade in ihrer unterschiedlichen Zugangsweise die unauflösliche Einheit jenes Korrelationszusammenhangs reflektiert, der die phänomenologisch zu erhebende Ontologie der Lebenswelt kennzeichnet. Die Lebenswelt fungiert als unhintergehbare Basis der Wissenschaft und gibt ihr die Grundprinzipien ihrer Ordnung vor, etwa indem sie mit nichtfalsifizierbarer Evidenz, die sich nur um den Preis nihilistischen Sinnverlustes bestreiten lässt, zwischen Natur und Geist wesentlich zu unterscheiden lehrt, ohne zwischen beiden zu trennen. Geist ist als um sich wissendes Bewusstsein konstitutiv naturbezogen und auf eine objektive Welt gerichtet, die sich ihm gegenständlich zu erkennen gibt. Natur hinwiederum ist ohne Geist nicht fassbar, sondern nur für ihn erschlossen, um als Umwelt seines Lebens zu fungieren. Die Entäußerung an die natürliche Welt, die konstitutiv zum geistigen Leben gehöre, hat deshalb unter der Voraussetzung nötiger Selbstbesinnung zu erfolgen, weil ansonsten eine Naturalisierung des Geistes droht, die vergessen lasse, was um der Bewahrung von Huma-

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nität und um des Schutzes einer humanen Lebenswelt des Menschen willen wissenschaftstheoretisch nicht zu vergessen sei, dass nämlich Naturwissenschaft als Naturwissenschaft die Wissenschaft vom Geiste zur impliziten Voraussetzung habe. Man kann dasselbe auch schlicht so sagen: Eine Naturwissenschaft, die mit unverstandener Selbstverständlichkeit, also ohne sich ihrer methodischen Abstraktion bewusst zu sein, vom Naturwissenschaftler bzw. seiner scientific community prinzipiell absieht, tendiert verfahrensinduziert zu einer Inhumanisierung und Technisierung der Lebenswelt, die diese, um es mit einem zeitgenössischen Husserlrezipienten zu sagen, fortschreitend kolonialisiert. In philosophischen Aufsätzen seines 2005 Wider einen szientistischen erschienenen Sammelbandes „Zwischen NaturalisNaturalismus mus und Religion“ hat Jürgen Habermas unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Husserl auf die Gefahren sich ausbreitender naturalistischer Weltbilder bzw. eines szientistischen Naturalismus hingewiesen, der alles Psychische und Mentale zu einem Epiphänomen von Körperlichkeit oder eines physischen Substrats herabzusetzen gewillt sei. Gesucht werden müsse dagegen nach Möglichkeiten einer empirisch angelegten Rekonstruktion der naturgeschichtlichen Genese des Geistes, in deren Ergebnis sich dieser wiederzuerkennen vermöge (vgl. Habermas, 52). Das evidente Faktum, von forschenden Subjekten erzielt worden zu sein, könne hinsichtlich der Ergebnisse nachgerade der Naturwissenschaften vom Menschen nicht unberücksichtigt und unbedacht bleiben. Ansonsten gerate die Anthropologie in einen Selbstwiderspruch und drohe in naturalistischer Weise sich selbst zu zersetzen. Habermas sympathisiert mit der u. a. von P. Janich zum methodischen Prinzip erhobenen Forderung, dass naturwissenschaftliche Anthropologie für keines ihrer Ergebnisse Geltung beanspruchen könne, welches die Tatsache verkenne, durch menschliche Erkenntnis oder jedenfalls nicht ohne diese zustande gebracht worden zu sein. Janich postuliert darüber hinaus, „dass die Naturwissenschaften vom Menschen ihre Ergebnisse so zu fassen haben, dass eben die Fähigkeit zum Treiben dieser Naturwissenschaft vom Menschen erklärt wird“ (Janich [Hg.], 41). Wie immer man das von ihm so genannte kulturalistische anthropische Prinzip zu beurteilen hat, unbestreitbar ist Janichs Grundthese, dass naturwissenschaftliche Anthropologie Wissenschaft vom Menschen stets im zweifachen Sinn des Begriffs ist, sofern sie zum einen den Menschen zum Forschungsobjekt hat, zum andern von Menschen als forschenden Subjekten betrieben und realisiert wird. Diese Doppelstellung widerspruchsfrei zusammenzudenken und auf differenzierte Weise zu vereinen, ist eine wissenschaftstheoretische Zentralaufgabe sowohl von Philosophie als auch von Theologie, deren Wahrnehmung aus Gründen wissenschaftlicher Selbstkonsistenz unaufgebbar ist. Die Auffassung eines reduktiven Naturalismus vom Menschen ist „nicht mit der christlichen Anth- Jenseits der Konflikte? ropologie kompatibel“ (Becker, 30). Sie widerspricht ihr „in allen zentralen Punkten“ (ebd.). Vordringliche Aufgabe der Theolo-

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gie muss unter diesen Bedingungen „die Überprüfung sein, ob die Ergebnisse der Naturwissenschaften zwangsläufig zur Naturalisierung des Ichs führen“ (ebd.). Diese Frage ist, wie sich zeigen wird, entschieden zu verneinen. Verfolgt man die Diskussionen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, wie sie außerhalb des Feuilletons im universitär-akademischen Bereich stattfinden, gewinnt man sowohl im Blick auf die kontinentaleuropäische als auch auf die angelsächsische Situation den Eindruck, dass der traditionelle Konflikt der Disziplinen nur noch bedingt fortwirkt, wenngleich es nicht nur übertrieben, sondern falsch wäre, von erreichter Konsonanz zu sprechen (vgl. Dennebaum, Urknall, 183; ders., Schöpfungsglaube). Zu registrieren sind weniger kämpferische Auseinandersetzungen als vielmehr Haltungen von entweder wechselseitiger Ignoranz, respektvoller Anerkennung unterschiedlicher Zuständigkeiten oder produktiver Bezugnahme. Aktuelle Typologien der Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaften und Theologie sind jüngst unter dem Titel „Jenseits der Konflikte“ am Beispiel Ian G. Babours und John Polkinghornes, Ted Peters sowie Jürgen Hübners und unter Berücksichtigung der Bedeutung Michael Polanyis für das Gespräch beider Wissenschaften genau analysiert worden. Dabei wurde insbesondere die Fortentwicklung eines naiven zu einem kritisch-konstruktiven Realismus infolge gewachsener Aufmerksamkeit für die unveräußerliche Bedeutung von Subjektivität im Prozess naturwissenschaftlicher Theoriebildung für die Entspannung des beiderseitigen Verhältnisses verantwortlich gemacht (vgl. Losch, 242 ff.; zum „concept of a critical realism“ vgl. etwa Polkinghorne, ferner McGrath). Naturwissenschaft ist, wie ihr Name sagt, eine Institution des Wissens und damit kein natürliches Phänomen, obgleich Natur ihren eigentümlichen Gegenstand bildet. Diese – an jedem menschlichen Verhalten zur Natur zu verifizierende (vgl. Wenz) – Einsicht ist, wie immer man über die geltend gemachte Entspannungsdiagnose urteilen mag, grundlegend für einen offenen Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaft, der sich nicht in Konflikten erschöpft, die im Wesentlichen auf wechselseitigen Vorurteilen beruhen. Einen wichtigen theologischen Beitrag zu einem solchen Dialog hat in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts u. a. Wolfhart Pannenberg geleistet, wie aus der Skizze seiner Schöpfungslehre ansatzweise zu ersehen ist. An zwei exemplarische Beiträge aus der ersten Jahrhunderthälfte sei durch die folgenden Fallstudien erinnert: Sie sind Werken von Arthur Titius und Karl Heim gewidmet, die trotz ihrer Schranken je auf ihre Weise geeignet sind, ein Bewusstsein für die bestehenden Grundsatzprobleme zu erschließen und damit die Basis zu bereiten für die aktuell zu führenden Debatten. In seiner 1926 publizierten Monographie „Natur und Gott“ hat der Berliner Systematiker A. Titius den Versuch unternommen, im Ausgang von Kant die Grundlage einer für beide Seiten förderlichen Verständigung zwischen Naturwissenschaft und Theologie zu bereiten. Die Kant’sche Erkenntnistheorie und Philosophie bietet Titius zufolge nach wie vor den „sichersten Orientierungspunkt“ (Titius, 8) für eine solche Unternehmung, auch wenn die von ihr nahegelegte

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„vollständige Trennung“ (Titius, 9) von Natur- und Geisteswissenschaften nicht zu halten und nach Maßgabe des „Kritizismus im Sinne der neuern Kantischen Schulen“ (Titius, 11 f.) in einen differenzierten Zusammenhang beider zu überführen sei. Eine solche Entwicklung werde entscheidend durch die Tatsache gefördert, „daß Kants Grundgedanke, die Abhängigkeit alles Erkennens von den Bedingungen eines erkennenden Bewußtseins überhaupt und damit die Abgrenzung wissenschaftlichen Erkennens von allem Dogmatismus materialistischer oder spiritualistischer Art, also der erkenntniskritische Phänomenalismus, mehr den je zum lebendigen Ferment der naturwissenschaftlichen Forschung geworden ist“ (12). Auf der Basis dessen, was er erkenntniskritischen Arthur Titius über Natur Phänomenalismus nennt, sucht Titius einen Ausund Gott gleich und eine für beide Teile nutzbringende Beziehung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, näherhin zwischen Physik, Chemie, Biologie und naturwissenschaftlicher Anthropologie einerseits sowie Religion und Theologie andererseits herzustellen. Den Grundsatz seiner Bemühungen liefert die Annahme, dass vernünftige Geistigkeit zwar ohne Naturzusammenhänge nicht denkbar, aus diesen heraus aber auch nicht kausal zu deduzieren sei. Vernunft, deren Angewiesenheit auf religiöse Fundierung Titius im Sinne seiner suprarationalistischen, an Ritschlscher Tradition orientierten Kantrezeption voraussetzt, könne eines naturhaften Bezugs nicht entbehren, ohne deshalb durch Natur substitutierbar zu sein. Da im Übrigen die Wissenschaften der Natur nicht nur auf technische Beherrschung, sondern auf ein darüber hinausweisendes Gesamtverständnis ihres Gegenstandes im Sinne einer Weltanschauung zielten, was religiös nicht zu beklagen, sondern zu begrüßen sei, müsse auch aus diesem Grunde von der Theologie ein Verständigungsangebot unterbreitet werden, welches Unterschiede wahre, ohne sie zu Separationen ausarten zu lassen. Nach allgemeinen Erörterungen über die Bedeutung der Natur für die Religion und für ihre Geschichte sowie über wissenschaftliche und religiöse Naturanschauung in der Geschichte des Christentums rekonstruiert Titius zunächst das physisch-chemische Weltbild, wie es sich ihm aktuell darstellt, um in Bezug insbesondere auf Relativitätslehre, Quantentheorie und Atom- bzw. Molekularforschung geltend zu machen, dass die für Physik und Chemie methodisch alternativlose empirisch-rezeptive Ausrichtung die konstruktiven Momente nicht übersehen lassen dürfe, die in ihr von Anfang an und in unhintergehbarer Weise wirksam seien. Nachgerade dann, wenn sie die Struktur des Weltganzen und seines Werdens zu begreifen sich anschickten (vgl. Titius, 262 ff.), seien die Fundamentalwissenschaften der Natur auf transempirische Annahmen angewiesen, welche als Bedingungen der Möglichkeit fungieren, Erfahrungswissen zu einer einheitlichen Weltanschauung zu formieren. In gesteigerter Form gelte dies für die Biologie. Gelange die Lebenswissenschaft zu einem entwickelten Begriff ihrer selbst und ihres Gegenstandes, dann müsse sich ihr zugleich die Richtigkeit der These Kants bestätigen, das sowohl die Erfassung der inneren Identität des Einzelorganismus als auch und vor allem einer alles Lebendige umfassenden organischen Einheit äußerer Natur-

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beobachtung allein nicht möglich, sondern von transempirisch-konstruktiven Voraussetzungen abhängig sei, ohne dass diese methodisch geregelte Beobachtung der Natur unnötig machen oder auch nur einschränken würden. Dass organisches Leben durch physikalische und chemische Gesetzmäßigkeiten bedingt ist, bestreitet Titius nicht nur nicht, sondern behauptet er entschieden. Was er in Abrede stellt, ist die mögliche Reduktion biologischer Verhältnisse auf Phänomene der Physik und der Chemie. Er sieht sich darin im Urteil der Wissenschaften seiner Zeit über Ernst Haeckels Rezeption der Darwinischen Abstammungslehre und Evolutionstheorie bestätigt. Durch einen monistischen Empirizismus seien weder die Welträtsel im Allgemeinen noch gar die Rätsel des Lebendigen im Besonderen zu lösen. Empirische Forschung sei für ein biologisches Verständnis der Entwicklungszusammenhänge des Lebens unverzichtbar; sie dürfe aber nicht dazu führen, Lebendiges durch ein reduktives Verfahren seiner Eigenart zu berauben. Eine Methode, die zersetze, was sie zu begreifen suche, falsifiziere sich selbst. Dem Kapitel „Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft“ kommt im Werk von Titius insofern eine Schlüsselstellung zu, als in der naturwissenschaftlichen Anthropologie das Forschersubjekt sich selbst zum Gegenstand wird. Daraus ergeben sich Fragen der Selbstbeziehung, die traditionell im Rahmen der Leib-SeeleThematik erörtert wurden, deren überkommene Form nach Titius zwar zu problematisieren, in ihrem Gehalt aber keineswegs für obsolet zu erklären ist. Der Mensch ist eine psychosomatische Einheit; physiologische Bedingungen menschlichen Seelenlebens und Selbstbewusstseins in Zweifel zu ziehen, kommt Titius nicht in den Sinn. Gleichwohl gelten ihm die Menschenseele bzw. das sich wissende Ich nicht als Epiphänomene eines körperlichen Substrats. Eine naturwissenschaftliche Anthropologie, die einen Begriff ihrer selbst und ein Bewusstsein dessen hat, was sie unternimmt, kann nach Titius nicht ernsthaft die Auffassung vertreten, deren Schranken sich durch ein schlichtes Verfahren theoretischer Selbstanwendung erweisen lassen. Um ein Beispiel zu geben: Seelisch-geistige Vollzüge des Menschen sind ohne Vorgänge im menschlichen Gehirn nicht denkbar. Dennoch ist der Verweis auf Gehirntätigkeit kein hinreichender Grund ihrer Erklärung, was spätestens dann einleuchtet, wenn man das Verhältnis bedenkt, in welchem der Hirnforscher bei seiner Forschung zu sich selbst steht. Die SubjektObjekt-Beziehung, die dabei ins Werk gesetzt wird, lässt sich nicht gegenständlich auflösen. Zwar schließt Titius jeden Leib-Seele-Dualismus aus und spricht sich eindeutig für die „Abhängigkeit des Seelenlebens von organischen Zuständen und Funktionen“ (Titius, 645) aus. Aber nachgerade diese Abhängigkeit lasse sich nur unter der Voraussetzung eines Seelen- und Geisteslebens erfassen, dessen kulturelle Leistungen nicht lediglich naturhaft zu erklären seien. Kurzum: Solange Naturwissenschaft weiß, dass sie eine Wissenschaft ist, wird sie ein Bewusstsein von der Notwendigkeit haben, sich selbst von ihrem Gegenstand gerade in der Beziehung auf ihn zu unterscheiden.

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Neben Arthur Titius ist der seit 1920 in Tübin- Karl Heims Beitrag zum gen lehrende Karl Heim zu seiner Zeit einer der Thema wenigen evangelischen Theologen gewesen, „der von seinen theologischen und philosophischen Voraussetzungen aus eine produktive Auseinandersetzung mit dem neuesten naturwissenschaftlichen Denken vollzogen hat“ (Wiesner, 198). Verwiesen sei vor allem auf den apologetischen Teil seines zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen bestimmten Leitfadens der Dogmatik (vgl. Heim, Leitfaden) sowie auf den vierten Band seines seit 1931 in sechs Bänden erschienenen Hauptwerks „Der evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart. Grundzüge einer christlichen Lebensanschauung“ (vgl. Heim, Grundzüge), der ausdrücklich das Verhältnis des christlichen Gottesglaubens zur Naturwissenschaft thematisiert. Heims Apologetik wendet sich kritisch, aber zugleich in konstruktiver Absicht insbesondere gegen drei Angriffe vonseiten einer nach seinem Urteil pseudometaphysischen Naturwissenschaft. Der erste Angriff bestreitet auf der Basis mechanistischer Physik die Möglichkeit einer Kausalität aus Freiheit, indem er alles Geschehen einem naturkausalen Determinismus unterworfen sein lässt. Diesen Angriff wehrt Heim unter Berufung auf Kant mit dem Aufweis unauflöslicher Antithetik von Freiheit und Abhängigkeit ab, welche die Annahme einer subjektlosen Objektivität als ebenso unhaltbar erkennen lasse wie diejenige einer objektlosen Subjektivität des Menschen. Analoge Argumente werden gegen den Psychomonismus vorgebracht: obwohl von ihrer Leibhaftigkeit nicht zu trennen, sei die Psyche des Menschen dennoch nicht hinreichend aus empirischen Weltzusammenhängen abzuleiten, sondern unbeschadet ihrer unveräußerlichen somatischen Gestalt von transmundaner Wertigkeit. Was schließlich die Auseinandersetzung mit dem Evolutionismus angeht, so ist dessen Angriff auf das Christentum nach Heim ein doppelter: zum einen erkläre er die Genese dauerhafter Lebensgebilde unter Ausschaltung bewusster Zwecksetzung aus dem mechanischen Prinzip der Selektion, zum anderen leugne er jede Neuentstehung organischer Formationen durch schöpferische Akte, indem er diese durch Transmutation aus bereits vorhandenen Gestalten hervorgehen lasse. Beiden Angriffen hat man durch systematischen Aufweis von Sprüngen zu begegnen versucht, welche den Beginn der ersten Bewegung bzw. die Entstehung des Weltstoffs überhaupt, die anfängliche Genesis organischen Lebens sowie das Auftreten von Bewusstsein und Selbstbewusstsein kennzeichnen sollen, um in die Lücken mechanisch-evolutionärer Welterklärung sodann göttliche Schöpfungsakte einzusetzen. Heim lehnt derartige Versuche theologisch strikt ab, weil sie zum einen den christlichen Glauben direkt von der naturwissenschaftlichen Forschung abhängig machten und indirekt dadurch erschütterten, dass sie Gottes Handeln auf tatsächliche oder vermeintliche Leerstellen beschränkten, statt es in allem Weltgeschehen wirksam sein zu lassen. Theologisch angemessen und apologetisch erfolgversprechend könne die Selbstauflösung eines christentumswidrigen Prinzips allein dadurch erreicht werden, dass man es in radikaler Folgerichtigkeit in seine Konsequenz treibe.

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Im Falle des Evolutionismus führt diese Konsequenz Heim zufolge zu der Einsicht, dass das ihn bestimmende Selektions- und Transmutationsprinzip zur Selbstanwendung nicht fähig sei, weil dessen geltend gemachte Wahrheit selbst als Folge einer evolutionären Selektion und Transmutation begriffen werden müsste, was zwangsläufig zu einer Theorieantinomie führe. Ein konsequent durchgeführter Evolutionismus ende im Selbstwiderspruch, welcher sein (Un)wesen ausmache, wohingegen er den Schein seiner Geltung ausschließlich undurchschauter Inkonsequenz verdanke. Damit ist das relative Recht evolutionärer Weltbetrachtung nicht abstrakt, will heißen: zugunsten eines abgehobenen, empirievergessenen Idealismus bestritten. Aber dieses relative Recht besteht nach Heim eben in seiner Relativität, also darin, dass seine Behauptung nicht beansprucht, die Spannung zwischen mechanischer und teleologischer Betrachtung des Gesamtgeschehens der Wirklichkeit einseitig und in naturkausaldeterministischer Weise aufzuheben. Aufgabe der Apologetik ist es seinem Urteil zufolge, Sorge dafür zu tragen, dass die bestehende Spannung unangetastet bleibt und ihre sinnvolle Bestimmung durch den christlichen Offenbarungsglauben, dem Apologetik nur das Feld zu bestellen vermag, ohne ihn hervorrufen und bewirken zu können, nicht durch unter öffentlichem Schein der Wissenschaftlichkeit vorgetragene, in Wahrheit selbstwidersprüchliche und verkehrte Ansätze verstellt wird. Man muss die kantisch geprägten Ansätze von Heim und Titius nicht teilen, um anzunehmen, dass das in ihren Konzeptionen erreichte Problemniveau nicht unterboten werden darf, wenn der Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften sinnvoll geführt werden soll. Beide sind aneinander verwiesen und bedürfen einander um ihrer selbst willen. Im Falle der Geisteswissenschaften wird dies heutzutage kaum jemand bestreiten. Doch gilt entsprechendes auch für die Naturwissenschaften, wie bereits ihr Begriff belegt. Das aus zwei Wörtern zusammengesetzte Kompositum enthält eine implizite Bestimmung, die sich in dem Grundsatz explizieren lässt, dass Natur in Naturwissenschaft nicht in vermittlungsloser Unmittelbarkeit, sondern in wissensförmiger Weise thematisch wird, wobei die spezifische Form des Wissens der Naturwissenschaft die Verstandeserkenntnis ist. Diese besteht wesentlich darin, „dass sich das erkennende Subjekt in Distanz zum Objekt, zum Erkenntnis-Gegenstand, setzt, eben um dieses zu beobachten, zu messen und die Gesetzmäßigkeit seiner Entstehungsbedingungen festzustellen“ (Koch, 203). In der rationalen Welt der Naturwissenschaften begegnet Natur nicht als Selbstzweck; ihre Erkenntnis dient vielmehr primär als Mittel zum Zweck ihrer Beherrschung durch Technik als der praktischen Nutzanwendung mathematisch formulierter Naturgesetzlichkeiten. Dies schließt nicht aus, dass dem Forscher selbst die Entdeckerfreude oder das Streben nach integraler Theoriebildung als das wichtigste Motiv seines wissenschaftlichen Handelns gilt. Die Sprache der Naturwissenschaften ist die Sprache der Mathematik. Dieser eignet nicht nur das VermöNaturwissenschaften gen, Naturregelmäßigkeiten in gesetzesförmiger Selbstanwendungsprobleme

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Exaktheit zu erfassen, sie ist zugleich in der Lage, präexperimentell neue Naturgesetze zu postulieren und so zum „Führer zu neuen Einsichten in die Natur“ (Honerkamp, 109) zu werden. Die Mathematisierung der Naturwissenschaften ist mittlerweile längst nicht mehr auf die Physik beschränkt, sondern weit über sie hinausgeschritten bis hin zur Biologie bzw. den life sciences, die in ihren diversen Teildisziplinen immer komplexer werdende Formen der Berechnung lebendiger Wesenheiten ausgebildet haben. Als basales Verständigungsmittel des Verstandes erschließt Mathematik ein wissenschaftliches Verständnis von Natur, dessen Rationalität im Wesentlichen auf Ausbildung und Steigerung technischer Kunstfertigkeit ausgerichtet ist. Die Mathematisierung der Naturwissenschaft dient ihrer Rationalisierung zum Zwecke der Technisierung. Im Vergleich zur Mathematik spielt die Sprache der alltäglichen Lebenswelt in den professionell betriebenen Naturwissenschaften nur am Rande eine Rolle. Gleichwohl wird sie nicht völlig marginalisiert, was als ein Indiz dafür zu werten ist, dass Naturwissenschaft von Voraussetzungen abhängig bleibt, die sich nicht gänzlich in die verstandeslogische Sprache der Mathematik oder vergleichbare Kunstformen der Verständigung übersetzen lassen. Zu diesen Voraussetzungen sind nicht zuletzt die Naturwissenschaftler selbst zu rechnen, ohne deren Wissensvermögen und Bewusstseinsfähigkeit von Natur nicht gewusst werden könnte: von Subjektivität als der Bedingung möglicher Objekterkenntnis lässt sich zwar okkasionell, nicht aber prinzipiell abstrahieren. U. a. darin liegt es begründet, dass analog zur kulturellen Prägung des Naturbegriffs die Naturwissenschaften eine Geschichte haben und an sich selbst geschichtlich bedingt sind (vgl. Groh). Naturwissenschaft hat Subjektivität und die scientific community zur Voraussetzung. Eine nicht minder fundamentale Prämisse, die allen naturwissenschaftlichen Verstehens- und Tätigkeitsweisen vorausgesetzt ist, betrifft das Urfaktum, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts, was zum Gegenstand von Wissen werden kann. Im Zuge naturwissenschaftlicher Verständigung über diese Selbstverständlichkeit stellen sich nicht von ungefähr Bezüge zur Alltagssprache her, wofür die Rede vom Urknall, welche die Grundgegebenheit alles Gegebenen erklären soll, ein signifikantes Beispiel darbietet. Sie verweist auf Unbestimmtheitshorizonte naturwissenschaftlicher Theoriebildung und auf Grenzen ihrer Verstandeserkenntnis, deren rationale Wahrnehmung nur dann gewährleistet ist, wenn Physik den Unterschied zur Metaphysik wahrt und Naturwissenschaft nicht vorgibt, die Gegenstände ihrer Erkenntnis voraussetzungslos genetisieren zu können. Dies gilt für kosmische Gegebenheiten im Allgemeinen und besonders für die Gegebenheit von Leben in der Welt, dessen selbstbezügliche Innerlichkeit in bloße Außenbeziehungen nicht aufgelöst und durch externe Betrachtung allein nicht hinreichend erschließbar ist, woran das lebensweltliche Bewusstsein, wie es sich in der Alltagssprache artikuliert, die Naturwissenschaften zu erinnern hat, falls diese es vergessen haben sollten. Um Unterschied und Zusammenhang zwischen Physik und Metaphysik, Naturwissenschaft und Naturphilosophie näher zu bezeichnen, mag es nützlich und ver-

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ständigungsförderlich sein, zwischen einer Weltbetrachtung, die unter Absehung von subjektiven Selbstbezügen auf rein objektive Erkenntnis und gegenständliche Beschreibungen ausgerichtet ist, und einer Weltanschauung zu differenzieren, die den im Weltbezug stets mitgesetzten Selbstbezug eigens reflektiert und Fragen nach Sinn oder Unsinn der Welt bzw. ihrer Wesensbestandteile stellt, die in einer am Modell subjektloser Objektivität orientierten Weltbetrachtung notwendigerweise ausgespart bleiben (vgl. Sparn). Auch wenn sich Weltbetrachtung und Weltanschauung ebenso wenig trennen lassen wie Objekt und Subjekt, so unterscheiden sich doch beide ebenso erkenntlich wie ein naturwissenschaftliches Experiment von lebensweltlicher Naturerfahrung. Dies wird umso deutlicher je mehr sich die naturwissenschaftliche Weltbetrachtung spezialisiert und von der Alltagswelt entfernt. Eine sich steigernde Asymmetrie im Verhältnis beider scheint dabei einzutreten. Während Weltanschauung, wie sie lebensweltlich statthat, subjektiver Erfahrungswerte niemals entbehren kann, strebt naturwissenschaftliche Weltbetrachtung offenbar danach, sich in möglichst subjektfreier Objektivität und im Verzicht auf Weltanschauungsanleihen zu vollenden. Bei näherem Zusehen zeigt sich jedoch rasch, dass die sog. exakte Wissenschaft von Weltanschauungsperspektiven nicht völlig frei ist. Sie treten subtil bereits bei der Anlage ihrer Experimente, deutlicher noch bei deren Deutung und unübersehbar dann zutage, wenn von der Welt als Ganzer, von kosmischer Genese und universalen Entwicklungszusammenhängen die Rede ist. Das lässt sich an den vorneuzeitlichen Beschreibungen der Welt im ganzen ebenso zeigen wie an modernen Kosmologien. Deuteten Platon und Aristoteles, dessen „Physik“ Physik und Metaphysik die mittelalterliche Naturphilosophie entscheidend prägte, die Welt als stationäres Gebilde von zeitinvariantem Bestand, wird sie in der Stoa teleologisiert und auf den mikrokosmischen Zweck des Menschen ausgerichtet. Eine Verzeitlichung der Kosmologie und eine heilsgeschichtliche Periodisierung der Weltzeit bahnt sich dann spätestens seit Augustin an, um über spekulative Weltepochenlehren wie diejenige Joachim von Fiores wirksam zu werden bis in jene neueren Zeiten hinein, in denen sich Physik von Metaphysik, Naturwissenschaft von Naturphilosophie zu emanzipieren anschickte. Die Naturwissenschaft hat eine Geschichte und ist an sich selbst geschichtlich vermittelt. Um diese im Grunde selbstverständliche, aber dennoch gelegentlich vom Vergessen bedrohte Tatsache an einigen Zusatzexempeln zu illustrieren, sei als erstes in Erinnerung gebracht, dass die antike und mittelalterliche Physik im Wesentlichen auf der Autorität von Texten beruhte. „Daß diese Autoritäten höhere Beweiskraft hatten als jegliche persönlich gemachte Erfahrung, stand bis ins späte Mittelalter völlig außer Zweifel.“ (Simek, 128) Die Emanzipation von autoritativer Vorschrift durch Experiment und experimentelle Erfahrung erfolgte bis in die frühe Neuzeit hinein „nur punktuell“ (Simek, 129), auch wenn mit der einsetzenden Aristotelesrezeption des späten 12. und 13. Jahrhunderts „vereinzelte Forscher zu experimentieren und diesen Experimenten auch Beweiskraft zuzumessen“ (Simek, 129) begannen.

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Was Aristoteles selbst betrifft, so basierte seine Physik auf einer kategorialen Ontologie, die trotz ihres Erfahrungsbezugs weniger experimentell als gedanklich erschlossen wurde. Fundamental ist, um nur einiges Wenige zu repetieren, der Begriff der Substanz oder des Wesens. Erste Substanz nennt Aristoteles das tó de ti, das individuell Da-Seiende, zweite Substanz die Art bzw. Gattung eines Seienden, also dasjenige, was als dessen Allgemeinbegriff die im Lateinischen mit forma wiedergegebene Bestimmung des Seienden ausmacht, wohingegen das zu Bestimmende, also der formbare bzw. zu formende Stoff hyle genannt wird. „Hýle bedeutet eigentlich Wald, Holz, entwickelt sich aber schon vor Aristoteles über die Bedeutung Bauholz zu der allgemeineren Bedeutung Baumaterial. Der entsprechende lateinische Begriff mit dem gleichen Wortfeld ist materia.“ (Krafft, 85 f.) Materie ist nach Aristoteles an sich selbst nicht wirklich, aber auch nicht unwirklich, sondern die Möglichkeit, zur Form zu werden, bzw. schiere Formbarkeit. Sein Hylemorphismus sowie der differenzierte Zusammenhang, in welchem Möglichkeit und Wirklichkeit, Dynamik und Energie in ihm stehen, bilden für Aristoteles die Grundlage der Erklärung aller Bewegung und Veränderung, die er als Wechsel nichtwesentlicher, also akzidenteller Eigenschaften eines hypokeimenon bzw. subiectum deutet, dessen Substanz erhalten bleibt. Der aristotelische Hylemorphismus, der seit dem Hochmittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein das Naturverständnis autoritativ prägte, war keineswegs erfahrungsverschlossen, sondern empirieorientiert. So begründete Aristoteles beispielsweise die im Vergleich zu manch anderen Gestirnen eher geringe Größe des Erdballs, dessen Kugelform bereits den älteren Pythagoräern feststand, mit dem Hinweis, „daß etwa in Ägypten und Griechenland andere Fixsterne gesehen würden und daß für diese Gegenden andere Begrenzungskreise für die zirkumpolaren Sterne gälten“ (Krafft, 92). Die pythagoräischen Spekulationen über die Kugelgestalt der Erde waren zuvor schon „empirisch bestätigt worden durch Beobachtungen von Mondfinsternissen, bei denen der Erdschatten im Gegensatz zu den Mondphasen stets kreisförmig begrenzt ist, durch das allmähliche Auftauchen eines sich der Küste nähernden Schiffes über dem Horizont und die Existenz zirkumpolarer Sterne“ (ebd.). Zu erinnern ist ferner an das ca. 300 v. Chr. durchgeführte Brunnenexperiment des Eratosthenes zur Messung des Erdkugeldurchmessers. Die antike Physik, die aristotelische zumal, war offen für Empirie und methodisch geregelte Erfah- Empirie und Spekulation rung. Nichtsdestoweniger war sie spekulativ angelegt und ontologisch-metaphysisch begründet. Es dauerte lange, bis sich die Wissenschaft der Natur primär experimentell gestaltete und ihre Grundlagen durch Formierung und Variation künstlicher Bedingungen der Naturbeobachtung zu gewinnen suchte. Noch länger zog es sich hin, bis die experimentelle Naturwissenschaft der Naturphilosophie den bis auf weiteres definitiven Abschied gab. Noch in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts konnte Julius Schaller in seiner zweiteiligen „Geschichte der Naturphilosophie von Baco von Verulam bis auf unsere Zeit“

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die „Einheit von Empirie und Speculation“ (Schaller I,IV) als nach wie vor gegeben in Anschlag bringen, obwohl die Emanzipation der empirischen Naturwissenschaften von der spekulativen Naturphilosophie schon seit geraumer Zeit eingesetzt hatte. Eine „Scheidewand zwischen Naturphilosophie und empirischer Physik“ (ebd.) wollte Schaller umso weniger akzeptieren, als nach seinem Urteil sich weder die Philosophie bei allgemeinen Prinzipien, noch die Physik als basale Naturwissenschaft bei einer bloßen „Erzählung des Factischen“ (ebd.) beruhigen könne. Benötige erstere Tatsachenwissen, um nicht haltlose Spekulation zu sein, so letztere eine durchgängige Reflexion ihrer Hypothesen und Theoriebildungen, was ohne philosophische Arbeit nicht möglich sei. Ob damalige Forscher wie etwa Faraday diese Auffassung teilten, ist eine andere Frage. Zwischen dem Fortschritt der empirischen Beobachtungen und der naturphilosophischen Entwicklung muss nach Schaller ein Zusammenhang gegenseitiger Wechselwirkung bestehen. Den historischen Bestand eines solchen Zusammenhangs seit den Zeiten Bacos von Verulam belegt er in Bezug auf zwei nach seinem Urteil epochale Formen von Naturauffassung, deren erste er die mechanische und deren zweite er die dynamische nennt. Die Periode der mechanischen Auffassung der Natur wird ihrerseits in drei Stufen unterteilt, deren erste den Empirismus Bacos, Hobbes und Gassendis sowie den Idealismus von Cartesius, Geulinx, Malebranche und Spinoza umfasst. Einer zweiten werden die Empiristen Locke und Newton sowie die Idealisten Leibniz und Wolff, einer dritten der Idealismus Berkeleys und Humes Empirismus zugeordnet. Das Verhältnis der drei Stufen zueinander bestimmt Schaller im Sinne Hegelscher Dialektik mit dem Ziel, die mechanistische Naturbetrachtung an ihre Grenzen und über sich hinauszuführen, damit jene dynamische Auffassung der Natur Platz greifen kann, die Schaller mit Kant (und Fries) beginnen und in den Systemen des Idealismus zur Vollendung gelangen lässt. War „in der vorigen Periode der Begriff der Substanz der höchste Begriff, so bewegt sich jetzt das Denken innerhalb des Begriffs der Subjectivität“ (Schaller II,49). Daraus ergebe sich nicht weniger als ein neuer Begriff der Natur. Sie ist „hiernach nicht eine selbständige, eine schlechthin außer dem Subject fallende Welt; vielmehr in allen ihren besonderen Erscheinungen zugleich ein Product der sich selbst wissenden Subjectivität, von dem Proceß des Ichs durchdrungen, nichts Träges, in sich Ruhendes, sondern Bewegtes, innerlich Unterschiedenes.“ (Schaller II,50) Man muss Schallers Hegelsche Sicht der Dinge ebenso wenig teilen wie die kantisch geprägte von Titius und Heim, um zumindest der zuletzt zitierten Bemerkung ein Wahrheitsmoment auch unter Theoriebedingungen aktueller Naturwissenschaft zuzuerkennen. Natur ist der Wissenschaft, deren Gegenstand sie bildet, nicht gleich einem Ding an sich, das es mere passive zu rezipieren gilt, sondern unter Voraussetzungen gegeben, von deren konstruktiven Implikationen sich nicht abstrahieren lässt, wenn es zu wissenschaftlichem Naturbegreifen in Theorie und Praxis kommen soll. Alles Erkennen ist von Bedingungen eines erkennenden Bewusstseins abhängig, ohne dass sich dessen Unabhängigkeit von den Gegenstän-

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den seiner Erkenntnis behaupten ließe. Auf diese unauflösliche Wechselwirkung, wie sie alles empirische Erkennen kennzeichnet, muss Bezug genommen werden, wenn man zu einem konkreten Verständnis der Naturwissenschaften in ihrer Geschichte gelangen will. Als Wissenschaft hat die Naturwissenschaft teil an der Kultur, die sie geschichtlich prägt. Sie ist Wandel der Weltbilder entgegen dem Selbstverständnis einiger ihrer Vertreter nicht schlechterdings kulturunabhängig. Der Wechsel naturwissenschaftlicher Weltbilder belegt dies. Gleichwohl ist Naturwissenschaft nicht lediglich eine Funktion der jeweiligen kulturellen Situation und keine bloße Folgegestalt von rein geisteswissenschaftlich zu erhellenden Konstellationen. Denn die kulturelle Situation, welche die Geisteswissenschaften bedenken, ist ihrerseits von Paradigmen abhängig, die sich im Verfolg empirieorientierter Naturwissenschaften einstellen, deren Theoriebildungen trotz ihrer konstruktiven Gehalte nicht als reine Konstrukte zu bewerten sind. Zwar sind in allen Weltbildern Weltanschauungen mitgesetzt; doch in welchen Bildern die Welt in Betracht kommt, ist nicht allein in die Macht der Weltanschauung gestellt. Theologisch anderes zu behaupten, hieße das Buch der Natur als Erkenntnisquelle gänzlich zu schließen und den Rückzug in die Sphäre reiner menschlicher Selbsterfahrung anzutreten, was in sich unmöglich ist, weil das Sein des Menschen in der Welt zur conditio humana unveräußerlich hinzugehört. Im Übrigen würde auch und gerade eine Theologie, die auf kosmologische Seinsurteile verzichten und sich auf sog. Werturteile zurückziehen wollte, durch den geisteswissenschaftlichen Gegensatz, in den sie sich zu den Naturwissenschaften begibt, die indirekte Abhängigkeit von diesen beweisen. Die tiefgreifenden Veränderungen des physikalisch-biologischen Weltbilds in der Moderne können daher von der Theologie nur zu ihrem Schaden unberücksichtigt bleiben. Als derzeitiges Standardmodell von Kosmologie bzw. Kosmogenese darf nicht nur nach feuilletonistischer Meinung, sondern nach mehrheitlicher Auffassung der Forschung die Theorie vom sog. Urknall („Big Bang“) gelten. Lässt man die „in den letzten Jahren mehr und mehr in den Vordergrund der Physik“ (Lüst, 14) gerückten problemhaltigen Fragen einstweilen beiseite, ob es „eine Zeit“ (ebd.) oder „Naturgesetze vor dem Urknall“ (ebd.) gab und ob mit möglichen „Parallelwelten, auch oft als Multiversen bezeichnet“ (ebd.), zu rechnen ist, dann stellt sich die kosmologische Standardtheorie gegenwärtiger Physik ungefähr wie folgt dar: Bestimmend für sie ist die Annahme einer abstandsproportionalen Fluchtbewegung der Galaxien und die Folgerung einer beständigen Expansion des Universums, welche den Rückschluss auf einen die Expansionsbewegung initiierenden Uranfangszustand nahelegt. In den unmittelbaren wissenschaftshistorischen Kontext der Urknalltheorie gehören Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, mit der allerdings auch das Steady State Modell vereinbar ist, ihre kosmologische Anwendung durch Alexander Friedmann und die Beobachtung der sog. „Rotverschiebung“ durch Edwin Powell Hubble, wonach sich die Spektrallinien von kos-

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mischen Spiralnebeln nach dem roten Spektrumsende hin um einen Betrag verschieben, welcher der Entfernung des entsprechenden Nebels zum Beobachterstandpunkt proportional ist. Gedeutet wurde der Hubbleeffekt nach Maßgabe des Dopplereffekts als Indiz für eine radial gerichtete Fluchtbewegung des Sternensystems und eine gleichmäßige Ausdehnung des Universums. Während Einstein mittels der Hypothese einer kosmischen Konstante an der Vorstellung eines stabilen Universums festhielt, gab Friedmann diese Annahme auf und ersetzte sie durch diejenige einer kosmischen Expansion, die durch Hubble einer Erklärung zugeführt wurde, woraus sich das kosmologische Modell eines von einem punktartigen Anfangszustand stetig expandierenden Kosmos ergab (vgl. Bauberger, 187 ff.) Mag einstweilen offenbleiben, ob er als unaufhörUnhintergehbares Urlich oder verbunden mit einem gleichsam zum geschehen Nullpunkt zurückführenden Kollabierungsvorgang zu denken ist, so wurde der Prozess der Expansion des Universums nach Maßgabe der kosmologischen Standardtheorie doch in jedem Fall durch einen protologischen Urknall initiiert. Am Anfang war ein Punkt von unendlicher Materiedichte, den singulär zu nennen aller Grund besteht. Was über ihn gesagt zu werden vermag, ergibt sich nicht unmittelbar aus der Empirie, sondern mittels retrospektiver Extrapolationen naturwissenschaftlicher Erfahrungsdaten wie der sog. kosmischen Hintergrundsstrahlung, die man als verbleibende Restwärme jener maßlosen Anfangshitze deutete, die, wenn man so sagen darf, den Urknall zum Knallen brachte. Alles natürliche Beginnen hebt, so die Modellvorstellung, mit einem unhintergehbaren Urgeschehen von schierer Plötzlichkeit an. Zwar ist der Anfang, mit dem alles begonnen haben soll, nach üblicher Auffassung vom gegenwärtigen Zustand des Alls durch einen bestimmten Zeitraum unterschieden, der als chronologisch bemessbar gilt und in der Regel auf ein gutes Dutzend Milliarden Jahre veranschlagt wird. Doch was ihn selbst angeht, so sprengt, wie nicht anders zu erwarten, der Urknall in seiner unvergleichlichen Singularität jedes Raumzeitmaß. Er geschieht nicht innerhalb von Raum und Zeit, sofern er diese allererst ereignet und, wie soll man sagen, werden und entstehen lässt. In der sog. Planckzeit, die auf etwa 10–43 s angesetzt wird, waren Raum und Zeit noch nicht ausdifferenziert und alle Kräfte in einer jeder physikalischen Beschreibung entzogenen Weise eins. Wie vormals den antiken Hylemorphisten die bloße Materie gilt die Urenergie moderner Physik als reine Potenz bar jeder Form. Erst gegen Ende der Planckzeit kommt es allmählich zu einer Ausdifferenzierung von Kräften samt Raum und Zeit, bis nach einer Phase extrem rascher Expansion Vorgänge von naturgesetzlich fassbarer Art auftreten und zu identifizieren sind. „Nach etwa 10–3s vereinigen sich die Quarks zu den heute vorhandenen Bestandteilen der Atomkerne, zu Protonen und Neutronen. Etwa 10 s nach dem Urknall ist die Temperatur so weit gesunken, dass sich Protonen nicht mehr in Neutronen umwandeln können.“ (Bauberger, 193) Doch mussten noch Jahrtausende vergehen, bis sich feste Atomkerne fixieren konnten, was erst nach der Entkoppelung von Strahlung und Materie der Fall gewesen sein soll. Die bislang

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strukturlose Materie nimmt nun Form an, und mit Galaxien und Sternhaufen treten Gestalten in Erscheinung, die mit der Zeit den Raum erfüllen, bis vor etwa 4,5 Milliarden Jahren das die Erde umgebende Sonnensystem zu jener Bedeutung gelangte, ohne die es keine terrestrischen Urknalltheoretiker gäbe. Glaubt man den Prognosen physikalischer Kosmologie bezüglich der Zukunft des Universums, so wird sich von heute an gerechnet in voraussichtlich fünf Milliarden Jahren „die Sonne zu einem roten Riesen aufblähen und die Erde verbrennen“ (Bauberger, 195). Wie es um das Schicksal der Sonne selbst, anderer Sonnensysteme und schließlich um dasjenige des ganzen Universums bestellt sein wird, muss hier nicht weiter interessieren. Manches scheint dafür zu sprechen, dass das All und alles, was ihm zugehört, samt Raum, Zeit und Materie dereinst wieder an dem Punkt angelangt, von dem das Universum seinen Ausgang nahm mit dem Unterschied allerdings, dass nun nicht mehr metaphorisch von einem Urknall, sondern von einem Pfiff aus einem letzten – schwarzen!? – Loch zu reden wäre (vgl. im Einzelnen Müller [Hg.]). Doch sei zum Trost derer, die unter solchen Umständen lieber gleich Schluss machen möchten, hinzugefügt, dass das Postulat eines End- ebenso wie dasjenige eines Anfangszustands „ein kontingentes Element der physikalischen Beschreibung“ (Ehlers, 137) darstellt. Ein Ende, nach dem nichts sein wird, kann von der Physik ihrer Methodik gemäß ebensowenig erfasst werden, wie ein „‚Anfang‘, vor dem noch nichts da war“ (ebd.). Protologische und eschatologische Gewissheiten im strikten Sinne sind religiöser Natur und liegen „außerhalb der Aussagemöglichkeiten der Physik“ (ebd.). Sie „erforscht das mit endlichen Größen (M)eßbare, das meßbar Große und Kleine“ (Ehlers, 134); Unendliches und Absolutes gibt es in ihr „nur der Möglichkeit nach, nicht als aktuelles Maß“ (ebd.). Über das Problem der mit anderen sog. SingulaUnvergleichliche ritäten wie etwa dem absoluten TemperaturnullSingularität punkt nur sehr bedingt vergleichbaren, in ihrer Art einzigen Singularität, welche die Urknalltheorie dem Anfangspunkt unvergleichlicher Energiedichte zuerkannt hat und über die Frage, warum die Gesetze der Physik erst im Verlauf des Urknallgeschehens ihre Geltung erlangen, ist viel diskutiert worden (vgl. Bauberger, 198 ff.). Die Entscheidung dieser Frage ist aus naheliegenden Gründen bis heute offen, und sie wird es bis auf Weiteres bleiben. Ertragreicher als die Erwägung alternativer Sachoptionen wie etwa derjenigen Stephen W. Hawkings einerseits oder Richard Swinburnes andererseits (vgl. Bauberger 205 ff.) dürfte die genauere Erörterung jener Grundbegriffe von Raum, Zeit und Materie sein, die sowohl Bedingungen möglicher physikalischer Urteilsbildung als auch Größen und Daten bezeichnen, die im kosmologischen Prozess keineswegs von Anfang an, sondern erst im Laufe seines Vollzugs identifizierbar sind; sollen doch im Augenblick des Urknalls Raum und Zeit noch nicht da, sondern erst im Werden begriffen gewesen sein, wie denn auch die Materie noch keine identifizierbare Größe, sondern im Verein mit Strahlung eine indifferente Masse bildete, die weder Teil noch Ganzes kannte, weil sich das All noch in einem energetischen Fluss

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befand, den mit mythologischen Urbrei- oder Urschleimvorstellungen zu assoziieren nicht gänzlich abwegig sein dürfte. „Raum, Zeit, Materie“: Unter diesem Titel hat der Mathematiker Hermann Weyl 1918 in Vorlesungen über die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins die drei Grundgrößen moderner physikalischer Theoriebildung erörtert. In einer im Jahr 2000 erschienenen Dissertation über den Dialog christlicher Schöpfungstheologie mit naturwissenschaftlicher Kosmologie ist dieser Titel erneut, aber in veränderter Reihenfolge aufgegriffen worden: „Raum, Materie, Zeit“. Als Begründung für die Entscheidung, nach dem Raum zunächst den kosmischen Stoff und erst dann die kosmische Zeit zu thematisieren, wurde angeführt, dass sich auf diese Weise „die Entwicklung der heutigen physikalischen Kosmologie am natürlichsten rekonstruieren“ (Evers, 9) lasse: „Diese entwickelte zunächst aufgrund der die Verhältnisse des materieerfüllten Raumes beschreibenden allgemeinen Relativitätstheorie das Standardmodell des Urknalls, die sie dann vor allem in Bezug auf die allerersten Anfänge des Kosmos durch Überlegungen der Quantentheorie als der Standardtheorie der Materie ergänzte und modifizierte und zugleich begann, in das so entwickelte Modell die in der Zeit irreversiblen und Leben ermöglichenden thermodynamischen Prozesse zu integrieren.“ (Evers, 9 f.) Die Zuordnung der drei kosmologischen Grundkategorien von Raum, Materie und Zeit zu den drei großen Theoriekonzepten der Physik des 19. und 20. Jahrhunderts, Relativitätstheorie, Quantentheorie und Thermodynamik, ist nicht unplausibel, zumal die mit ihr verbundene Reihung den Eindruck einer zielgerichteten Entwicklung und teleologischen Abfolge vermittelt: „Der Raum wird sich als das vielfältige Möglichkeiten eröffnende Zusammensein von Verschiedenem erweisen, der Stoff als der mit der Zeit sich vollziehende Übergang vom Möglichen zum Wirklichen, die vielfältig zu differenzierende Zeit als eben dieses kontingente, offene Geschehen, in dem sich im Raum differenzierte und organisierte Strukturen von Materie aufbauen.“ (Evers, 12) Durch ihre Verbindung mit der Abfolge von Relativitätstheorie, Quantentheorie und Thermodynamik, die als theoriegeschichtlich konsequent und systematisch folgerichtig gedeutet wird, ergibt die Reihung von Raum, Materie und Zeit eine ihrerseits eindeutig gerichtete Sequenz, die zu irreversiblen Prozessen führt und hingeordnet ist auf die Selbstorganisation rückgekoppelter Systeme, ohne deren Zustandekommen Leben nicht denkbar ist. Diese auf ihre Weise sinnvolle, weil Sinn generierende Sequenz darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Gang der Theoriebildung auch gegenläufig und so beschreiben lässt, dass er in der Indifferenz seiner Bestimmungsgrößen endet. Wie immer man ihre Reihenfolge anlegen mag, Relativität von Raum, einen physikalischen Sinn hat Einstein und andeZeit und Materie ren modernen Physikern zufolge „(n)ur die Einheit von Raum, Zeit und Materie“ (Evers, 67), von deren Unterschied nur relativ und beziehungsweise die Rede sein kann, wohingegen ansonsten nur indifferente Unbestimmtheit zu konstatieren ist. Raum, Zeit und Materie lassen sich allenfalls

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logisch, nicht aber ontologisch sondern, und selbst ihre logische Sonderung enthält Probleme, die von der physikalischen Ursprungstheorie mehr gestellt als gelöst werden. Was vorstellungshaft Urknall, in Theoriesprache Anfangssingularität heißt, führt insofern in eine logische Aporie, weil beide Benennungen zwei Bestimmungsmomente enthalten, die eigentlich und auf unbestimmte Weise eins sein müssten: Soll doch der singuläre Anfang des Kosmos und der urtümliche Knall, dem das All folgte, einerseits schlechterdings indifferent und andererseits und zugleich potentiell differenzgenerierend sein. Nicht nur physikalisches Denken stößt mit dieser Annahme an eine Grenze. Die Urknalltheorie als Standardmodell aktueller physikalischer Kosmologie ist das Ergebnis eines Rückschlussverfahrens, das von der Annahme kontinuierlicher kosmischer Expansion zur Feststellung einer Singularität gelangt, von der alles seinen ursprünglichen Anfang genommen haben soll, ohne dass dieser „Anfang“ an sich selbst bereits physikalisch zu erfassen wäre, weil weder Relativitäts- und Quantentheorie noch Thermodynamik im Moment des Urknalls bereits Gültigkeit besessen hätten. Die Anfangssingularität ist demnach absolut und schlechterdings singulär und sie bildet die Voraussetzung von Raum, Zeit und Materie, zu der sie ihrerseits nur insoweit in Beziehung steht, als diese in ihrem Beziehungsgefüge zueinander aus ihr hervorgehen bzw. hervorgegangen sein sollen. Selbst mit durch Gravitationskollaps entstandenen sog. Schwarzen Löchern lässt sich die Anfangssingularität nicht wirklich vergleichen, da diese im Unterschied zu jenen „keinen Ereignishorizont und einen sie umgebenden Außenraum besitzt“ (Evers, 100 f.). Die kosmologische Urknalltheorie setzt eine Anfangssingularität als Grund ihrer Geltung voraus, die mit Mitteln der Physik nicht einwandfrei erfasst werden kann. Sie stellt, wie mit Recht gesagt wurde, „eine Art Metaphysikum der naturwissenschaftlichen Theorie“ (Evers, 102) dar. Alternativmodelle wie die Steady-StateTheorie, die statt eines Anfangs des Kosmos von schlechthinniger Kontingenz mit der absoluten Notwendigkeit seines unhintergehbaren Gegebenseins bzw. seiner permanenten Selbstreproduktion rechnet, führen zu vergleichbaren Problemen und erwecken ihrerseits den Eindruck einer metaphysischen Physik, die es ratsam erscheinen lässt, noch einmal die von Kant konstatierten kosmologischen Antinomien sowie die Möglichkeitsbedingungen und impliziten Voraussetzungen naturwissenschaftlicher Theoriebildung zu bedenken. Jedes theoretische Reduktionsverfahren stößt auf Grenzen, die ihm nicht äußerlich sind, sondern die es von Innen heraus limitieren. Es liegt in der Eigenart von Theorie begründet, sich nur bedingt, nicht aber unbedingt hintergehen zu können. Unhintergehbarkeit und Irreduzibilität sind Voraussetzungen ihrer selbst, ohne die sie nicht möglich ist und keinen Bestand hat. Will sich Physik nicht zu der spekulativen These versteigen, sich selbst als Theorie samt ihren Gegenständen voraussetzungslos genetisieren zu können, wird sie mit unhintergehbaren und irreduziblen Prämissen rechnen müssen, welche die Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit sind. Die erste der physikalisch nicht geneti-

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sierbaren Prämissen lautet, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts. Um aber Sein überhaupt von Nichts unterscheiden zu können, muss eine Differenz in Anschlag gebracht werden, die schlechterdings irreduzibel und die Bedingung der Möglichkeit jenes „koexistenten, relationierten Beianders von Verschiedenem“ (Evers, 111) ist, ohne welches das All des Universums nicht denkbar wäre, dessen abstraktester Begriff derjenige des Raumes ist. Auch wenn der Raum nicht wie bei Kant zur apriorischen Anschauungsform erklärt, sondern als Weltraum verstanden wird, ist seine Objektivität doch von einer Art, die sich nicht in der Weise empirischer Gegenstandswahrnehmung in Erfahrung bringen lässt, weil sie jeder Empirie immer schon vorausgesetzt ist. Materie bezeichnet formal dasjenige, „woraus ein Emergenzidee in Raum und Zeit identifizierbares Phänomen besteht“ (Evers, 161), näherhin das beharrend Gleichbleibende in allen sich wandelnden Phänomenen. Die naheliegenden Assoziationen an Stofflichkeit bzw. an ein substantielles Substrat etc., die seit alters die Vorstellungen bestimmen, die sich mit dem Materiebegriff verbinden, wurden durch die moderne Physik fortschreitend problematisiert bis hin zur quantentheoretischen Auflösung der Differenz von Teilchen und Kräften, Atomen und Energie etc., in deren Folge sich Materie in der subatomaren Sphäre als ein dynamisches Geschehen beständiger Komplexitätssteigerung und -reduktion darstellt, in welchem unterschiedliche Formgestalten in einer Weise werden und vergehen, die den Gegensatz von Determinismus und Indeterminismus unterläuft bzw. den Unterschied von Möglichkeit und Wirklichkeit noch vor sich hat. Von Seiendem im Sinne distinkter Entitäten kann im Zusammenhang basaler Geschehnisse des Mikro- und des Makrokosmos offenbar noch nicht die Rede sein, was die Frage nach sich zieht, inwieweit in der von der klassischen Physik beschriebenen naturgesetzlichen Ordnung, die strukturellen Notwendigkeiten folgt, das Zufallsprinzip fortwirkt. Die Emergenzidee, derzufolge höhere Seinsstufen irreduzible Zusatzqualitäten gegenüber denjenigen aufweisen, aus denen sie entstanden sind, bietet eine denkbare Antwort auf diese Frage. Sie nimmt aber ihrerseits einen Entwicklungsgedanken in Anspruch, der ohne einen starken Begriff von Zeit nicht fassbar ist. Innerhalb der physikalischen Theoriebildung deutet sich ein strenger Begriff von Zeit, der mit eindeutig gerichteten Verlaufsformen rechnet, in der Thermodynamik an. Mit dem Begriff der Entropie und dem Gesetz fortgesetzter Wärmedissipation „ist erstmals ein physikalisches Grundprinzip behauptet, das ein unumkehrbares zeitliches Gerichtetsein aller physikalischen Prozesse und damit ein objektives Unterscheidungsmerkmal von Vergangenheit und Gegenwart zu etablieren scheint“ (Evers, 310). Man wird freilich die thermodynamische Zeit nicht vorschnell mit temporalen Modi gleichsetzen dürfen, deren Wahrnehmung Wesen vorbehalten ist, die auf die eine oder andere Weise ihrer selbst und der Veränderungen inne werden, die sie in ihrer Selbigkeit samt der umgebenden Welt durchlaufen. Offenbar ist das Wesen der Zeit dergestalt zeitlich bestimmt, dass mit Emergenzen zu rechnen ist, die ihrem Verlauf nicht äußerlich sind, sondern ihn

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an sich selbst kennzeichnen. Zeit hat, wenn man so will, selbst an der dynamischen Entwicklung teil, die sie benennt. Ihr Begriff stellt sich in konkreter Bestimmtheit entsprechend erst „im Laufe der Zeit“ her, obwohl er für die formale Charakterisierung besagten Verlaufsprozesses schon immer in Anspruch genommen wird. Es bestätigt sich ein für alle physikalische Theoriebildung charakteristischer Befund: Diese arbeiten mit Prämissen, deren Voraussetzbarkeit auf Voraussetzungen beruht, die ohne die vorausgesetzten Prämissen zwar nicht begründbar sind, die sich aber auch nicht auf sie reduzieren lassen, sondern sich gleichsam erst im Nachhinein ergeben. Nur wenn dieser komplexe Befund, der sich an der Genese des Zeitbegriffs paradigmatisch verdeutlichen lässt, durchschaut wird, kann verhindert werden, dass naturwissenschaftliche Theoriebildung notorisch auf eine petitio principii hinausläuft. Man mag die eigentümliche Anisotropie der Zeit, mit welcher die Thermodynamik rechnet, Anisotropie der Zeit mit ontischem Prioritätsstatus ausstatten und zu einer Weltzeit erklären, welche für alle Zeiten die chronologische Basis bildet. Doch dürfte die Annahme nicht abwegig sein, dass der thermodynamische Zeitbegriff und die Bestimmung der kosmischen Zeit als eines irreversiblen Prozesses und eines unumkehrbaren Verlaufs von Werden und Vergehen ohne Anleihen bei der Zeitwahrnehmung fühlender, bewusster und sich wissender Entitäten nicht auskommt, die jedenfalls in noetischer Hinsicht unersetzbar sind, wenn von Zeit begrifflich und begreifbar die Rede sein soll. Auch die basalsten physikalischen Zeitkonzepte können daher von lebensweltlicher Zeiterfahrung nicht gänzlich abstrahieren. Grundsätzlicher formuliert: Jede Art von naturwissenschaftlicher Theoriebildung setzt Wissen und Bewusstsein voraus, das zwar ohne vorausgesetztes Sein gehaltlos wäre, als bewusste Form des Seinsgehalts gleichwohl nicht auf diesen reduziert werden kann. Dies droht vergessen zu werden, wenn empirische begründete Theorien mit holistischem Anspruch auftreten. Physikalische Kosmologien, die mit dem Schein des Metaphysischen versehen werden, sind daher allesamt ideologieverdächtig. Theoriebildung, naturwissenschaftliche eingeschlossen, ist ein bewusster Vollzug und ohne Bewusstsein nicht möglich. Ein wissenschaftliches Verständnis von Wissenschaft verlangt daher, die elementaren Bestimmungen menschlichen Bewusstseinslebens zur Erkenntnis zu bringen und sich zugleich dessen zu versichern, was Alltagsbewusstsein und methodisch geregeltes Wissen bei allen Unterschieden miteinander verbindet. Wer zu Bewusstsein kommt und sich bewusst wird, bei Bewusstsein zu sein, nimmt sich selbst als Ich und zugleich Gegenstände wahr, die von ihm unterschieden und nicht Ich bzw. Nichtich zu nennen sind. Subjekt und Objekt bilden im bewussten Leben einen differenzierten Zusammenhang, der Trennungen ebenso ausschließt wie unmittelbare Gleichsetzungen. Die Selbst-Welt-Beziehung ist im Bewusstseinsleben auf eine Weise präsent, die es verbietet, sie von einem der beiden Korrelate her aufzulösen. Weder weiß sich das selbstbewusste Ich dergestalt als Grund seiner Bewusstseinsgegenstände, dass es

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diese auf seine Eigentätigkeit zurückführen könnte, noch hinterlassen die Gegenstände des Bewusstseins in diesem den Eindruck, in reiner Passivität hingenommen zu werden. Denn in jedem Bewusstsein ist das Wissen mitgesetzt, dass ohne Subjektivität von wie auch immer gearteter Objektivität nicht die Rede sein könnte. Was Ich heißt, lässt sich weder zu einer bloßen Gegenstandserscheinung noch zu einem Epiphänomen von Welt als Inbegriff dessen herabsetzen, was möglicher und tatsächlicher Bewusstseinsgegenstand werden kann. Umgekehrt kann Welt samt allem, was ihr zugehört, nicht zu einer Ichfunktion und zu einem bloßen Modus subjektiven Selbstbewusstseins erklärt werden. Die Selbst-Welt-Korrelation bildet im bewussten Leben einen zwar differenzierten, aber unauflöslichen Zusammenhang. Wohl variieren die Gewichtungen der beiden Pole ja nach Bewusstseinslage: Es gibt Momente und Phasen des Bewusstseins, in denen das Ich sich seiner überlegenen Freiheit in kaum steigerbarer Weise bewusst ist und die Gegenstandswelt beinahe differenzlos in sich befasst. Doch verbleibt ein Rest, der es als unmöglich erscheinen lässt, Welt gänzlich ichförmig zu gestalten. Eine absolute Freiheit selbstbewusster Subjektivität der Gegenstandswelt gegenüber sieht bewusstes Leben nicht vor. Gerade unter der Voraussetzung entwickelten, zum Wissen um sich selbst gelangten Bewusstseins kann sich das selbstbewusste Ich niemals zum fundierenden Grund seiner Welt erklären. Ebenso wenig wird es sich freilich, solange es bei Bewusstsein ist und um sich selbst weiß, auf Gegenständliches reduzieren bzw. aus jenem Zusammenhang deduzieren lassen, dessen Gesamtheit der Weltbegriff umschreibt. Unbeschadet seiner unauflöslichen Weltbeziehung stellt das Ich eine transmundane Größe dar, und es weiß darum, solange es bei Bewusstsein ist. Im bewussten Leben ist der Mensch stets zugleich Bewusstes Leben in Selbst- und Weltbeziehung begriffen und zu begreifen in der Lage, dass sein Bewusstsein weder unmittelbar in ihm selbst noch in der Totalität dessen gründet, was Welt heißt. Die Frage nach einem fundierenden Grund von Selbst und Welt ergibt sich hieraus wie von selbst, ohne dass über ihre Antwort bereits in irgendeiner Weise entschieden wäre. Doch kann sie in der ihr eigenen Fraglichkeit immerhin einen heuristischen Hinweis auf ein Problem geben, das dem bewussten Leben des Menschen nicht äußerlich, sondern in seinem Innersten angelegt ist. Naturhaft ist diese Anlage nur insofern zu nennen, als sie offenbar zur Natur des Menschen als eines zugleich selbst- und welttranszendierenden Wesens gehört. Zu Welt- und Selbstbewusstsein gelangt ist der Mensch über Selbst und Welt immer schon hinausgewiesen, ohne dass mit Bestimmtheit gesagt werden könnte wohin. Der Transzendenzbezug bewussten Menschenlebens ist unbestimmt, aber gerade in seiner Unbestimmtheit dazu bestimmt, jener Bestimmung zugeführt zu werden, wie sie im religiösen Verhältnis vollzogen und ausdrücklich wird. Das religiöse Verhältnis des Christentums gründet in der im Geist erschlossenen Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus. Dieses Fundament ist auch für die christliche Schöpfungslehre entscheidend bis hin zu ihrem Verständnis von Natur

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und Kosmos. Aus dem Verhältnis des Glaubens zu seinem göttlichen Grund heraus ist die Beziehung zu erheben, in welcher der Mensch zu sich selbst, zu Mitmenschen und zur extrahumanen Welt einschließlich ihrer mikro- und makrokosmischen Bestände steht. Von letzteren und von den physikalischen Grundlagen der Welt, in der sich der Mensch befindet, wird sogleich noch einmal ausführlich zu handeln sein und zwar unter Bezug auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht der Genesis. Schöpfungstheologische Erwägungen zu biologischen Evolutionen schließen sich an, bis dann gemäß den letzten beiden Schöpfungstagen in P ausdrücklich vom Verhältnis von Schöpfergott und Menschengeschöpf gehandelt wird, aus dem heraus sich alles Wesentliche ergibt, was christliche Schöpfungstheologie zu sagen hat. Wie die einzelnen Tagewerke der Schöpfung auf den sechsten und siebten Tag hingeordnet sind, so finden entsprechend die naturwissenschaftlichen Exkursionen ihr Ziel im theanthropologischen Zusammenhang, in dem sich der Sinn christlicher Schöpfungslehre erfüllt. Vor Aufbruch zu erneuten Amateurstreifzügen in physikalische Gefilde sei noch ein kurzer Blick auf die Alpen gerichtet, was erstens unter Münchener Gesichtspunkten naheliegt und zweitens auch Nichtmünchenern horizonterweiternde Perspektiven zu erschließen vermag etwa mittels der Einsicht, dass das, was Natur heißt, sehr unterschiedlich in Betracht gezogen werden kann. Bekanntlich war der Weg „Von den schrecklichen zu den erhabenen Bergen“ (vgl. Groh, 93–149) recht weit, und er ist es bisweilen auch heute noch. Wer ihn begeht, kann beispielhaft lernen, dass der Begriff der Natur und die Formen ihrer Wahrnehmung historisch vermittelt und kulturell geprägt sind. Die ästhetische Erfahrung von Natur beispielsweise ist offenkundig ein Phänomen, welches erst im Stadium fortgeschrittener Naturbeherrschung in Erscheinung treten konnte. Erst wenn Natur aufgehört hat, unmittelbar lebensbedrohlich zu sein, kann Gefallen an ihrer ursprünglichen Wildnis gefunden werden. Die ersten Alpinisten waren signifikanterweise mehrheitlich Großstädter, Münchener eben oder auch Wiener. Was Natur heißt, ist nur bedingt ein natürlich gegebenes Datum. An der allgemeinen Kulturgeschichte der Natur lässt sich dies ebenso studieren wie beispielsweise am Naturverständnis evangelischer Theologie – am Naturbild Luthers etwa, demzufolge uns ein Kirschkern Mores lehren kann (vgl. WA 19,497,16 f.; dazu Peters), oder an jener „Lokale(n) Überweltigung“ (Timm, 260), wie sie vorzugsweise Heidelberger Theologen erfasst. Doch lässt sich eine entsprechende Einsicht auch umstandsloser erlangen. Jeder weiß um den elementaren Unterschied zwischen dem Naturumgang, wie ihn das Alltags- bzw. Wochenendbewusstsein pflegt, und dem wissenschaftlich-technischen, der Natur tendenziell objektiviert und instrumentalisiert, um sie Zwecken sei es von Einzelnen oder von Gruppen oder der Menschheit insgesamt dienstbar zu machen. Mag sich bei zweckfreien Naturbezügen gelegentlich noch der Eindruck von Unmittelbarkeit einstellen, so verflüchtigt sich dieser sofort, wo Wissenschaft und Technik in Aktion treten: ein Grund mehr, das Thema der Naturwissenschaft nicht dieser allein zu überlassen.

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Lit.: Augustinus, Confessiones. Lateinisch-Deutsch, Düsseldorf 2004. – U. Barth, Abschied von der Kosmologie – Befreiung der Religion zu sich selbst, in: W. Gräb (Hg.), Urknall oder Schöpfung? Zum Dialog von Naturwissenschaft und Theologie, Gütersloh 1995, 14–42. – St. Bauberger, Was ist die Welt? Zur philosophischen Interpretation der Physik, Stuttgart 22005. – W. Beinert (Hg.), Texte zur Theologie. Dogmatik 3,2: Schöpfungslehre I/II, Graz/Wien/Köln 1992. – U. Beuttler, Gott und Raum – Theologie der Weltgegenwart Gottes, Göttingen 2010. – P. Copan/W. L. Craig, Creation out of Nothing. A Biblical, Philosophical, and Scientific Exploration, Grand Rapids 2004. – J. Ehlers, Die Zeit in Physik und Astronomie, in: H. Nöth (Hg.), Reflexionen über die Zeit, München 2000, 75–83. – A. Einstein/L. Infeld, Die Evolution der Physik, Berlin/Darmstadt 1958. – M. Esfeld, Einführung in die Naturphilosophie, Darmstadt 2002. – H. Gunkel, Genesis übersetzt und erklärt, Göttingen 91979. – M. Jammer, Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raumtheorie, Darmstadt 21980. – H. A. Müller (Hg.), Kosmologie. Fragen nach Evolution und Eschatologie der Welt, Göttingen 2004. – A. Peisl/A. Mohler (Hg.), Die Zeit, München/Wien 1983. – G. v. Rad, Das erste Buch Mose. Kap. 1–12,9, Göttingen 1949. – J. Roloff, Periodisierung der Zeit und Milleniumsmotiv, in: H. Nöth (Hg.), Reflexionen über die Zeit, München 2000, 7–15. – J. Weinhardt (Hg.), Naturwissenschaften und Theologie. Methodische Ansätze und Grundlagenwissen zum interdisziplinären Dialog, Stuttgart 2010.

Nach traditionellem Sprachgebrauch wird das Universum primär mit dem Begriff des Raumes assoziiert. Umgangssprachlich begegnet die synonyme Rede von Weltall und Weltraum noch heute. Daran hat die physikalische Kritik an der Newtonschen Annahme eines absoluten Raumes wenig geändert. Welche theologischen Folgen mit dieser Kritik verbunden sind, wird unterschiedlich beurteilt. Am häufigsten begegnet die These, die Abkehr vom absoluten Verständnis des Raumes, wie sie im Zuge der transzendentalen Wende Kants aus erkenntnistheoretisch-metaphysikkritischen Gründen und eineinhalb Jahrhunderte später aus physikalischen vollzogen worden sei, habe für die Theologie einen „Abschied von der Kosmologie“ (Barth, 14) mit sich gebracht, wobei dann immer noch strittig bleiben kann, ob dieser Abschied als „Befreiung der Religion zu sich selbst“ (ebd.) oder als Verlust zu verbuchen ist. Beide Bewertungen führen je eigene Probleme mit sich, die es als geraten erscheinen lasssen, ihre Prämissen einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Diese hat mit der Frage zu beginnen, was unter theologischem Abschied von der Kosmologie näherhin zu verstehen ist. Die neuzeitliche Schöpfungslehre (vgl. Beinert [Hg.], II, 63 ff.), so liest man häufig, habe sich sukzessive aus dem kosmischen Außenraum in die Innenräume Externes und Internes

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des Subjekts zurückgezogen, um allein dort die Gegenwart Gottes zu erfahren, von dessen objektiver Weltpräsenz nicht länger die Rede sein könne. Allenfalls der existentiell erlebte Raum als das Worin leibhaften Daseins des Menschen vermöge weiterhin als phänomenologischer Bezugspunkt schöpfungstheologischer Erwägungen zu fungieren (vgl. Beuttler, 257 ff.). Der „physische“ Raum als solcher hingegen bleibe theologisch außen vor. Für den Gedanken einer Wirkpräsenz Gottes im Weltraum gebe es nach Destruktion des absoluten Raumbegriffs keinen Platz mehr. In Bezug auf diese Beschreibung ist zunächst zu fragen, ob sie der Geschichte neuzeitlicher Schöpfungslehre tatsächlich entspricht. Es genügt der Verweis auf Namen wie Arthur Titius, Karl Heim oder Wolfhart Pannenberg, um nur einige zu nennen, um diesbezüglich Zweifel anzumelden. Noch weitaus fraglicher und zweifelhafter ist die Annahme, bis mindestens zur Mitte des 18. Jahrhunderts habe der Raum unter der Voraussetzung seines absoluten Verständnisses wenn nicht problemlos, so doch problemloser als nach erfolgter Kritik „als Repräsentant der Allgegenwart Gottes“ (Beuttler, 233) und als Medium seines schöpferischen, erhaltenden und providentiellen Weltwirkens verstanden werden können. Diese Annahme dürfte kaum haltbar sein. Zwar hat sich die schöpfungstheologische Problemlage kompliziert; von einer grundsätzlichen Veränderung kann hingegen nicht bzw. nur insofern die Rede sein, als nun bereits in Bezug auf den Raum als den vermeintlich objektivsten unter den kosmologischen Begriffen erkenntnisund mithin auch subjektivitätstheoretische Bezugnahmen nötig sind, um zu einem geklärten Verständnis zu gelangen. Entsprechendes gilt bezüglich des Zeitbegriffs, um vom dritten Terminus im Bunde, demjenigen der Materie vorerst zu schweigen. Die lineare Ordnung der Zeit, wie sie die Zeitgerade abbildet, unterscheidet Früher und Später als gerichtetes Nacheinander in Relation zu einem momentan fixierten Jetztpunkt, der die Beobachterstelle markiert. Ein eigentliches Maß der Zeit ist damit noch nicht gegeben. Die Zeitmetrik differenziert die Ordnung der Zeit, indem sie vergleichend deren Dauer bemisst und Zeitintervalle festlegt, um schließlich Bewegungsverläufe in Form von Raum-Zeit-Diagrammen aufzuzeichnen. Ob es eine universelle Zeit gibt, die, wie Newton annahm, wesensmäßig gleichförmig und ohne Beziehung auf irgend einen äußeren Bezugspunkt „fließt“ und in ihrem Fluss mithin eine absolute Größe darstellt, ist der modernen Physik durch Einsicht in Phänomene wie der Relativität von Gleichzeitigkeit oder der Geschwindigkeitszeitdehnung fraglich geworden. „Aus der Speziellen Relativitätstheorie ergibt sich, daß die Beziehung zwischen Zeitstruktur und Kausalität wesentlich verschieden ist von derjenigen, die der Newtonschen Physik zugrunde liegt.“ (Ehlers, 80) Werden zusätzlich Gravitation und Beschleunigung in Rechnung gestellt, dann erhellt, dass, was Zeit heißt, eine relative Größe und die Rede von „der Zeit“ im absoluten Sinn sinnlos ist; „denn ‚die Zeit‘ gibt es eben nicht – zumindest nicht als experimentell gestützten Begriff einer bewährten physikalischen Theorie“ (Ehlers, 82). Die Zeit durchherrscht nicht in gleicher Weise das ganze Universum, weil es

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nach heutiger Kenntnis „keine naturgesetzlich identifizierbare, von willkürlichen Konventionen unabhängige Gleichzeitigkeit von Ereignissen“ (Ehlers, 82) gibt und die Beschreibung eines Vorgangs als zeitliche Aufeinanderfolge räumlicher Größenanordnungen auf viele, prinzipiell gleichwertige Weisen möglich ist. Hinzuzufügen ist, dass die Begriffe von Abstand und Dauer unterhalb dessen, was Planckeinheit, näherhin Plancklänge und Planckzeit, genannt wird, „ihren Sinn verlieren“ und „das Modell der Raumzeit als eines beliebig unterteilbaren Kontinuums . . . unbrauchbar wird“ (Ehlers, 83). Analog zur physikalischen Kritik des absoluten Raumes stellt auch diejenige der absoluten Zeit die Schöpfungstheologie vor eine veränderte Problemlage, ohne dass aus dieser ein „Abschied von der Kosmologie“ notwendig folgen müsste. Mit der nötigen Konsequenz ist allerdings auf die begrifflichen Bedingungen kosmologischer Theoriebildung zu reflektieren, wie das spätestens seit Kants Erkenntniskritik obligat ist. Solche Reflexion hat mit der banalen, aber gleichwohl nicht überflüssigen Feststellung zu beginnen, dass beispielsweise die in der ersten Schöpfungsgeschichte der Genesis begegnende Verteilung des göttlichen Schöpfungswerkes auf eine dem Sabbat zustrebende Sechstagewoche und insbesondere die Verbindung uranfänglicher Kosmogenese mit der Vorstellung eines durch Abend und Morgen umschriebenen Tages mit dem Zeitverständnis moderner Physik und Astronomie nicht deckungsgleich ist. Jede Hexaemeronexegese, die theologisch zu nennen ist, wird dies sofort und unumwunden einräumen, ohne deshalb genötigt zu sein, jeden auch naturwissenschaftlich denkwürdigen Wert der priesterschriftlichen Genesiserzählung vorweg in Abrede zu stellen. Zwar handelt es sich bei ihr um einen genuin religiösen Text, der aber bewussten Bezug nimmt auf die gelehrte Weltweisheit einschließlich der Naturerkenntnis seiner Zeit und daher gegenwärtige Schöpfungstheologien zu entsprechenden Bezugsnahmen motiviert. Die Periodisierung der Zeit ist mit Recht die neben Periodisierung der Zeit der Alphabetisierung „bedeutendste Kulturleistung der Menschheit“ (Roloff, 7) genannt worden. „Zeit, anfänglich nur erfahrbar als subjektives Erleben des Einzelnen in der Abfolge verschiedener Lebensphasen und Situationen, wurde durch Periodisierung zu einer transsubjektiven, gemeinschaftlich erfahrbaren und messbaren Größe.“ (Ebd.) Die biblische Genesiserzählung gibt dafür ein prominentes Beispiel. Zu einer religionsspezifischen Größe wird Zeit im priesterlichen Schöpfungsbericht insbesondere deshalb, weil nicht nur das ursprüngliche Beginnen der Welt allein auf Gott zurückgeführt, sondern der Weltlauf insgesamt ganz auf die sabbatliche Ruhe des Schöpfers hingeordnet wird, in der alle geschöpfliche Wirklichkeit ihre Vollendung findet. Der Sonnenumlauf der Erde bestimmt das Jahr und den Wechsel von Frühling, Sommer, Herbst und Winter, der Mondstand die Monate, die Erdumdrehung den Tag. An der Bahn der Gestirne bemisst sich die übliche Zeit. Das Zeitquantum der Woche hingegen hat keinen unmittelbaren astronomischen Anhalt. Dennoch folgt die Gewohnheit mehr oder minder selbstverständlich einem Siebentagerhythmus und teilt den Alltag entsprechend ein. Warum ist

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das so? Vermutlich hängt die Entstehung der Siebentagewoche mit der hohen Bedeutung zusammen, welche die Siebenzahl als Zahl der Vollendung bei fast allen Völkern des Altertums besaß. Wahrscheinlich ist ferner, dass die Viertelung des Monats in Wochen der regelmäßigen Wiederkehr von Märkten entsprach, die sich an den menschlichen Versorgungsbedürfnissen mit frischen Lebensmitteln orientierten. Ihre uns vertraute historische Gestalt hat die Siebentageabfolge durch eine Verschmelzung der antik-paganen Planeten- und der jüdischen Sabbatwoche angenommen, wobei in der christlichen Tradition der Sonntag als der Gedächtnistag der Auferstehung Jesu Christi an die Stelle des Sabbats trat, so dass der Ruhetag vom Ende an den Anfang der Woche verlagert wurde. Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn: Die sieben heidnischen Planetengötter bzw. ihre nordischen Äquivalente prägen bis heute die üblichen europäischen Wochentagsbezeichnungen. Sonntag, Montag, Mars-Thors-Dienstag bis hin zu Saturday, Saturntag, Samstag. In der jüdischen Woche – und die christliche hat ihr darin zu folgen – ist dem polytheistischen Reigen grundsätzlich der Abschied gegeben, und die Götter Mars-Thor, Jupiter-Wotan, Venus-Freya und wie sie alle heißen mögen haben dem einen Gott zu weichen, der in seiner Einzigkeit keine anderen Götter neben sich duldet. Die einzelnen Wochentage gehören daher nach theologischem Urteil schlicht durchnummeriert, wie das im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht der Bibel der Fall ist. Da ward, um es im Anklang an Luthers Übersetzung zu sagen, aus Abend und Morgen der erste, zweite, dritte, vierte, fünfte und sechste Tag, bis Gott am sabbatlichen siebten seine Schöpfung vollendete und von allen Werken ruhte, die er gemacht hatte. Als einen Tag vollendeter Ruhe segnete und heiligte Gott den Sabbat, um durch ihn sich und seinem Werk ein ewiges Gedächtnis zu stiften in den Zeiten. Ziel der Schöpfung ist Gott und die Verherrlichung Gottes, in dem sie ihren Ursprung hat, um selbst in Herrlichkeit vollendet zu werden. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde aber war wüst und leer . . .“ Nach einer ande- Am Anfang ren Lesart stellt der erste Vers des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts in Gen 1 keinen selbständigen Satz, sondern einen Vordersatz zum Folgenden dar, so dass zu übersetzen wäre: „Am Anfang, da Gott Himmel und Erde schuf, war die Erde wüst und leer . . .“ Syntaktisch sind beide Fassungen möglich, inhaltlich nicht bzw. nur unter dem Vorbehalt, dass der Satz vom Tohuwabohu demjenigen von der Schöpfung Gottes in jedem Fall zeitlich bzw. logisch nachzuordnen ist. Die Vorstellung einer die Schöpfermacht Gottes einschränkenden Vorgängigkeit des Chaos bzw. chaotischer Kräfte muss nach Maßgabe nicht nur des Schöpfungsberichts der Priesterschrift, sondern des gesamten biblischen Schöpfungszeugnisses ausgeschlossen werden. Der Schöpfergott ist Herr des Chaos und der Chaosmächte und in seinem souveränen Schöpfungshandeln in keiner Weise von ihnen abhängig. Inhaltlich spricht also alles dafür, Gen 1,1 als selbständigen Satz und als Überschrift zu verstehen, die alles Weitere

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grundsätzlich in sich zusammenfasst. Gott der Herr setzt durch sein allmächtiges Schaffen, dessen Analogielosigkeit durch das ausschließlich ihm vorbehaltene Verb br’ ausdrücklich hervorgehoben wird, schlechterdings allem einen Anfang. Nichts außer Gott hat als anfangslos im Sinne von ungeschaffen zu gelten; dies ist die implizite Prämisse der Wendung „Creation out of Nothing“ (Copan/Craig). Die Welt und alles, was ihr zugehört, ist geschaffen. Dem muss nicht widersprechen, dass sich die kosmische Ordnung der Welt im Vollzug göttlichen Schöpferhandelns weltlich betrachtet erst allmählich aus einer Uranfänglichkeit gebildet hat, die chaotisch bzw. schlechterdings unbestimmt zu nennen nicht abwegig ist. Genau von dieser Annahme scheint der priesterschriftliche Schöpfungsbericht auszugehen, wenn er davon spricht, die Erde sei nicht vor, sondern zu Beginn des ersten Schöpfungstages wüst und leer, ein chaotisches Tohuwabohu gewesen, das jenseits allen menschlichen Vorstellungs- und Begriffsvermögens liegt, ohne doch der gestaltenden Schöpfermacht Gottes entzogen zu sein. Es wird nicht in Abrede gestellt, dass sich, wenn man so will, am Rande der Welt Dimensionen auftun, die allem Vorstellen und Begreifen ihre durch Gewohnheit bestimmte Bemessungsgrundlage ins Unbestimmte und Maßlose hinein entziehen. Zugleich gibt der Schöpfungsbericht Zeugnis von dem gewissen Vertrauen, dass der Schöpfer sich der Unheimlichkeit jener schaurigen Finsternis mächtig erweist, die anfänglich auf dem den chaotischen Urzustand der Erde repräsentierenden Urmeer lag. Als ihr schöpferischer Grund ist Gott Herr auch der unergründlichen Abgründe der Welt, die sich nachgerade in Bezug auf ihren Anfang und ihr Ende auftun. Gott ist nicht ein Gott der Unordnung (vgl. 1. Kor 14,33). Dies gilt ewig und bewährt sich von Anbeginn der Welt dadurch, dass es der Schöpfer nicht beim urweltlichen Chaos belässt, sondern eine kosmische Grundordnung herstellt, in der sich leben lässt. Dieses zu gewährleisten ist das göttliche Werk, das mit dem Augenblick des „fiat lux“ unter Scheidung von Licht und Finsternis beginnt, um sich über den ersten Schöpfungstag hinaus in immer komplexer werdenden Vorgängen fortzusetzen, bis Gott am fünften Tag der Schöpfung erstmals animalische Lebewesen ins Dasein ruft und auf die Welt bringt. Um die bei aller Kontinuität gegebene Neuartigkeit dieses Vorgangs zu unterstreichen, greift der Schöpfungsbericht auf das Wort br’ zurück, mit dem er im ersten Satz das uranfängliche Schöpfungshandeln Gottes bezeichnete. Auch alle übrigen Wörter und Sätze im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht sind überlegt und unter Aufwand hoher theologischer Gelehrsamkeit formuliert, die wissenschaftlich zu nennen alles andere als abwegig ist. Der Text „enthält die Essenz priesterlichen Wissens in konzentriertster Form“ (Rad, 36) und ist durch eine erkenntliche Tendenz zur Entmythologisierung, Rationalisierung, ja, wenn man so will, Säkularisierung gekennzeichnet, was sich nicht nur an der Funktion ablesen lässt, die den im religiösen Umfeld verhimmelten Gestirnen zugewiesen wird: Welt ist Welt; nichts in ihr ist göttlich. Schöpfungsglaube und natürliches Erkennen bilden in Gen 1 eine differenzierte, aber gleichwohl untrennbare Einheit.

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Wohl ist es wahr, dass die naturwissenschaftli- Schöpfungsglaube und chen Erkenntnisse, die in den ersten Text der Bibel natürliches Erkennen eingegangen sind, diejenigen seiner Zeit und daher historisch zu relativieren sind. „Nur ein ganz unhistorischer Sinn kann also den Versuch machen, Gen 1 und die moderne Naturwissenschaft in Einklang zu bringen, oder umgekehrt, Darwin gegen ‚Moses‘ ins Feld zu führen.“ (Gunkel, 131) Dennoch bietet der priesterschriftliche Schöpfungsbericht nicht nur einen äußeren Anlass, sondern ein von Innen heraus verpflichtendes Motiv, den Schöpfungsglauben in aktuelle Beziehung zu setzen zu den Ergebnissen und Debatten der Naturwissenschaften der eigenen Zeit. Der Begriff der Naturwissenschaft enthält zwei Bestimmungsmomente. Als Wissenschaft der Natur ist die Naturwissenschaft eine Form des Wissens, die Natur als das Ingesamt dessen zum Gegenstand hat, was empirisches Objekt im weitesten Sinne sein bzw. werden kann. Wenn die Naturwissenschaft unmittelbar naturwissenschaftlich, also nicht in der reflexiven Form einer Wissenschaftstheorie oder einer Geschichte der Naturwissenschaften betrieben wird, nimmt ihr Gegenstand für sie tendenziell die Gestalt einer Gegebenheit von subjektloser Objektivität an. Diese Tendenz ist von innerer Folgerichtigkeit insofern, als Natur als begriffsbestimmender Bezugspunkt von Naturwissenschaften in vielen ihrer Phänomene zwar als seiend, nicht aber in Gestalt bewussten oder gar sich wissenden Seins in Erscheinung tritt. Namentlich die Physik, deren Begriff demjenigen der Natur (physis) schon terminologisch sehr nahe steht, hat es mit dieser als einer Größe zu tun, die noch keine Bewusstseinsphänomene zur Erscheinung gebracht hat, sondern den – wenn man so will – präbewusst-bewusstlosen Basisgrund allen Bewusstseins darstellt. Naturwissenschaft ist wissenschaftliches Wissen vom natürlichen Sein (vgl. im Einzelnen Weinhardt [Hg.]). Als das Sein, das allem Seienden zugrunde liegt und gemeinsam ist, ist Natur Grundlage aller bewussten Erfahrung, wie sie in den empirischen Wissenschaften auf methodisch geregelte Weise betrieben wird. Ohne Natur kann weder von realem Wissen noch von empirischen Bewusstseinsgehalten die Rede sein. Als Fundamentalwissenschaft der Natur ist die Physik ihrem signifikanten Namen entsprechend die naturwissenschaftlichste aller Naturwissenschaften. Sie thematisiert, was Basisgrund aller Naturerscheinungen und Fundament jedes empirischen Weltphänomens ausmacht. In ihrer modernen Gestalt ist Physik wesentlich Experimentalwissenschaft. Ihr Gegenstandsbezug soll primär nicht begrifflich, sondern empirisch vermittelt sein, um Natur und natürliche Gegebenheiten als das zu erfassen, was sie an sich selbst und von sich her sind. Im Experiment ist, wenn man so will, die Physik dergestalt ihrem Gegenstand hingegeben, dass ihr Bewusstsein, Wissenschaft als eine Form des Wissens zu sein, restlos in den Gegenstand eingeht, der sich an sich selbst offenbar nur dann erfassen lässt, wenn er als Gegebenheit von ohne Bewusstsein und auf subjektlose Weise gegebener Objektivität erfasst wird. Teilt die Physik diese Annahme mit dem natürlichen, auf Erfahrungsgegenstände ausgerichteten Alltagsbewusstsein, so unterscheidet sie sich von diesem durch den methodisch betriebenen Prozess einer Abstraktion,

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durch welche ergründet werden soll, was im Hintergrund der vordergründigen Phänomene statthat, wie sie dem Alltagsbewusstsein erscheinen. Ziel ist es, die Welt der Bewusstseinsgegenstände auf Fundamentalprinzipien zu reduzieren, aus denen heraus sie allesamt zu erklären sind. Die klassische Disziplin moderner Physik, die für Aufstieg und Niedergang ihren Ursprung bestimmend und prägend wurde, der Mechanik ist die Mechanik, als deren Fundamentalprinzipien Materie, nach deren Gehalt sich die Masse eines physikalischen Körpers bemisst, sowie Raum und Zeit zu gelten haben. Ihrem Selbstverständnis zufolge besteht die wesentliche Aufgabe der Mechanik darin, die örtliche Lage von Körpern und jene Lageveränderung im Raum zu beschreiben, welche die Zeitkategorie benennt. Bezeichnet die kinematische Mechanik die Lehre von den möglichen Bewegungen eines Körpers im Raum, so nimmt die Bewegungslehre in der Dynamik konkretere Gestalt an, sofern diese wirkliche Bewegungen im Zusammenspiel von träger Masse und wirkender Kraft zu erfassen sucht. Von den Bemessungsgrundlagen der traditionellen Mechanik, also von Raum-, Zeit- und Massemaßen ist hier nicht zu handeln. Konstatiert werden soll einstweilen nur, dass in den modernen Naturwissenschaften schon seit längerem eine – ins 18. Jahrhundert (z. B. Lagrange) zurückreichende – Entwicklung im Gange ist, die Mechanik mathematisch und physikalisch fortzubilden bzw. ihre Grundprinzipien auf eine noch fundamentalere Theoriebasis zurückzuführen. Zu nennen ist die feldtheoretische Aufhebung des Begriffs physikalischer Körper, die Relativierung des von der Mechanik absolut angesetzten Raumes sowie die Problematisierung der Absolutheit der Zeit durch Aufweis der Betrachtungsrelativität der Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Diese Entwicklungstendenzen, die im Folgenden skizziert werden sollen, haben fortschreitende Reduktionen mit sich geführt, die auf eine Indifferenzierung von Differenz hinauszulaufen und in einer Unbestimmtheit zu enden scheinen, die aus jedem Vorstellungs- und Begriffsrahmen fällt und an das uranfängliche Chaos von Gen 1,1 erinnert. Doch wird man von Chaostheorien bzw. anderweitigen Theorien trans- bzw. submechanischer Art erwarten dürfen, dass der reduktionistische Prozess einer Indifferenzierung von Differenz ein, wenn man so sagen darf, physikalisches Feld bereitet, das eine Redifferenzierung von Indifferenz ermöglicht, ohne welche die gegebene Erfahrungswelt nicht zu verstehen ist. Komplexitätsreduktionen und Komplexitätssteigerungen dürften auch in der Physik in einem Korrespondenzverhältnis zueinander stehen. Dem Niedergang der Mechanik wird also auf die eine oder andere Weise ihr Aufstieg zu folgen haben. Der Begriff der Materie, die neben Raum und Zeit zu den Grundeinheiten mechanischer Physik zählt, lässt sich ethymologisch auf das lateinische Lehnwort mater zurückführen, das im Verein mit Mutter als Lebensgebärerin allgemein Schöpferin, Urheberin, Quelle heißen kann. Mit dem materia-Begriff verbinden sich entsprechend die Bedeutungen Anlass, Ursache, aber auch Anlage und Naturell sowie Grundstoff, aus dem eine Entität bzw. die Summe aller Entitäten besteht. Auch ein thematischer Gegenstand kann Materie heißen. Im physikali-

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schen Sinn bezeichnet Materie traditionell die stoffliche Ursubstanz, aus der alle Gegebenheiten und Dinge prinzipiell bestehen und ohne welche nichts ist, was ist. Materie ist entweder der Rohstoff eines bestimmten Dinges oder das Urmaterial zu nennen, aus dessen ungeformter Masse heraus alles gestaltet ist. Im Alltagsbewusstsein verbindet sich mit dem Begriff der Materie üblicherweise die Vorstellung eines Stoffs, der ein bestimmtes Raumquantum kontinuierlich erfüllt und durch Ausgedehntheit, Teilbarkeit etc. gekennzeichnet ist. Auch mit der Annahme einer Urmaterie, die als Grundstoff allem Stofflichen zugrunde liegen soll, ist gewöhnlich eine unbestimmte Massevorstellung verbunden, deren Unbestimmtheit aber darauf hindeutet, dass die Urmaterie der Formung bedarf, um eine wie auch immer geartete Körpergestalt anzunehmen. Die philosophischen Anfänge im antiken Griechenland schließen an solche oder vergleichbare Alltagsvorstellungen an, um sie einer fortschreitenden gedanklichbegrifflichen Aufklärung zuzuführen und der alltäglichen Erfahrungswelt eine tiefergehende Begründung zuteil werden zu lassen. Bleiben die vorsokratischen Ursprungsmodelle noch vergleichsweise indifferent, so charakterisiert den antiken Hylemorphismus, wie er in unterschiedlicher Weise von Platon und Aristoteles ausgeprägt wurde, seinem Namen entsprechend die Grundunterscheidung eines ungeformten Urstoffs und einer gestalteten Materie. Bei Platon umschreibt der Begriff der Urmaterie das ursprüngliche und grundlegende Substrat der Körperwelt, das, obwohl irgendwie raumerfüllend, nichts Seiendes, kein bestimmtes Sein und als das ungeformte „Nicht-Seiende“, wie der Philosoph sagen kann, recht eigentlich nichts weiter ist als das in seiner formlosen Unbestimmtheit zur Gestaltung Bestimmte. Körperliche Formbestimmtheit nimmt die Materie nicht aus sich selbst heraus, sondern durch den sie gestaltenden Geist an, der auf Materie nicht rückführbar ist, sondern ihr gegenüber ein irreduzibles zweites Prinzip darstellt. Metaphysisch geurteilt kommt dem Geist nach Platon eindeutig der Primat zu, da das Sein des Seienden ohne geistige Formung nicht nur nicht gedacht werden könnte, sondern recht eigentlich gar nicht wäre. Insofern die Gestalt jeder Entität nach Platon ein Abbild ihrer Formidee darstellt, kommt dieser der Materie gegenüber ontologische Priorität zu; der Idealismus erweist sich dem Materialismus gegenüber grundsätzlich überlegen. Aristoteles bekräftigt dies, betont aber zugleich in der Absicht, einen Prinzipiendualismus bereits im Ansatz zu vermeiden, den zwar differenzierten, aber untrennbaren Zusammenhang von Materie und Idee, Stoff und Form etc. Als Urstoff der Gestaltung des Seienden, dessen Wirkprinzip die Form bzw. die in ihr sich realisierende Idee ist, stellt die Materie die dynamis dar, will heißen: die zu verwirklichende Seinsmöglichkeit alles Seienden. Der Hylemorphismus platonisch-aristotelischer Provenienz, der bei genauerer Betrachtung mit Hylemorphismus stoischen und epikureischen Welterklärungsmodellen zu vergleichen wäre, hat im christlichen Mittelalter variantenreich und auf vielfach ausdifferenzierte Weise fortgewirkt. Was den Materiebegriff betrifft, so wurde, um nur ein scholastisches Beispiel zu nennen, zwischen materia prima als dem

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allen Körpern gemeinsam zugrundeliegenden Urstoff, und einer materia secunda differenziert, welche die Stofflichkeit der konkreten Einzeldinge ausmachen und als ihr körperliches Individuationsprinzip fungieren soll. Der neuzeitliche Materiebegriff wurde nachhaltig von Rene Descartes geprägt, dessen rationalistisches Weltbild grundlegend durch die entfernt an den Platonismus erinnernde Gegenüberstellung von res cogitans und res extensa bestimmt ist. Als das der geistigen Substanz entgegengesetzte Prinzip ist die Materie außer durch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit allein durch mathematisch definierbare Eigenschaften bestimmt. Die Mechanik als Grundlegungstheorie moderner Physik schließt hieran an mit der Tendenz, Materie zum wenn nicht einzigen, so doch fundamentalsten und elementarsten Bestimmungsprinzip der physischen Wirklichkeit zu erklären. Doch sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich bereits bei Leibniz eine – der antidualistischen Reaktion des Aristoteles auf Platon vergleichbare – Redynamisierung des Materiebegriffs abzeichnet, die mit der Annahme monadisch-energetischer Krafteinheiten für die moderne Physik langfristig viel einflussreicher wurde als der Cartesianismus. Im Übrigen darf die klassische Mechanik, zu deren elementaren Prinzipien bekanntlich auch Energie- und Energieerhaltungssätze gehören, ohnehin nicht unbesehen mit einem mechanistischen Weltbild gleichgesetzt werden. In der Mechanik kommt der Annahme von sich selbst gleichen Größen materieller Art, die identische Körper bilden, insofern theoriekonstitutive Bedeutung zu, als alle physikalischen Erscheinungen auf eine zwischen Materieteilchen statthabende Wechselwirkung zurückgeführt werden sollen. Körperliche Entitäten sind dem Newton’schen Trägheitsgesetz zufolge dadurch charakterisiert, dass sie in ihrem Ruhezustand bzw. im Zustand geradlinig-gleichförmiger Bewegung so lange verharren, bis sie durch entgegenwirkende Kräfte zu einer Zustandsänderung veranlasst werden. Das Walten der Kräfte ist selbst von körperlicher Art. Zwar haften Kräfte den Körpern nicht unmittelbar an; aber sie sind durch diese insofern vermittelt, als sie zwischen unveränderlichen Materiepartikeln in der Weise der Anziehung bzw. Abstoßung wirksam sind, wobei die Wirkmacht der Kraft von der Entfernung der Körper voneinander abhängig ist. In der Mechanik der Bewegung wurde die Kräftelehre als Lehre der Geschwindigkeitsänderung und der Änderung der Bewegungsrichtung etc. schon zeitig (Newton, Leibniz, Lagrange) in hochkomplexer Weise ausdifferenziert und vektorial zur Darstellung gebracht, um Formeln aufstellen zu können, welche die Dynamik von Bewegungen insgesamt verständlich machen. Im Allgemeinen kam es darauf an, den Zusammenhang zwischen Kraft und Geschwindigkeitsänderung, im Speziellen das Abhängigkeitsverhältnis der gegebenen Kraftwirkung von der Entfernung zwischen Körpern präzise zu formulieren. Das allgemeine Bewegungsgesetz Newtons und sein Gesetz der Gravitation sind darauf angelegt, das Wesen körperlicher Dynamik prinzipiell zu bestimmen.

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In seinen erwähnten, 1687 erstmals erschiene- Newtons „Principia nen „Philosophiae naturalis principia mathema- mathematica“ tica“ hat Newton die Bewegungslehre und das System der theoretischen Mechanik zusammengefasst. Er macht deutlich, dass alle Einzelfälle von Körperbewegung Manifestationsmodi einer universell wirksamen Kraft sind, die zwischen materiellen Entitäten nach Maßgabe ihrer Masse waltet, wobei zwischen träger und schwerer Masse eines Körpers, wie sich später herausstellen sollte, Identität insofern vorauszusetzen ist, als die Beschleunigung eines fallenden Körpers proportional zu seiner schweren Masse zu- und proportional zu seiner trägen abnimmt. So komplex und hochdifferenziert die Darlegungen im Einzelnen sind, die strukturellen Voraussetzungen der Theoriebildung basieren auf der Annahme einfacher, will heißen: auf eine Grundkraft reduzierbare Kräfte, die zwischen Objekten walten, deren Identität unveränderlich und damit ihrerseits einfach ist. Die zwar in sich differenzierte, aber gleichwohl vom einheitlichen Begriff körperlicher Kräfte her argumentierende Einfachheit der mechanischen Physik, derzufolge alle Erscheinungen der natürlichen Welt sich aus der Dynamik heraus erklären lassen, die nach Maßgabe identifizierbarer Parameter zwischen unveränderlichen Entitäten im Sinne von massehaltigen Materiepartikeln wirksam sind, ist seit geraumer Zeit in die Krise geraten. Die Gründe für diese Krise zu begreifen, die zu neuen und innovativen Theoriekonstruktionen Anlass gab, ist alles andere als einfach und möglich nur dann, wenn man ein Doppeltes bedenkt, nämlich dass physikalische Neuerungen zwar einerseits empirisch-experimentell induziert, andererseits aber mit Begriffsbildungen versehen sind, die sich nicht zwangsläufig aus den Verhältnissen in der sog. Außenwelt ergeben, sondern sich immer auch der produktiven Einbildungskraft des forschenden Geistes verdanken. Trifft dies zu, dann gibt sich die postmechanische Physik als eine Unternehmung zu erkennen, in welcher die Bedingungen der Möglichkeit der Mechanik auf gleichsam transzendentalempirische Weise zum Thema erhoben werden. Die Anlässe zur Problematisierung der Auffassung, alle physikalischen Erscheinungen seien auf mechanistische Weise erklärbar, ergaben sich insbesondere aus der Wahrnehmung elektrischer und optischer Phänomene sowie der methodischen Verfeinerung experimenteller Analysen. Namentlich die Theorie des Lichts in seiner im Unterschied von materiellen Körpern nichtrelativen Bewegung hat im Zusammenhang mit der Annahme seiner nicht steigerbaren Geschwindigkeit und der Frage des Mediums seiner Ausbreitung die mechanische Physik vor Probleme gestellt, die sie an die Grenzen ihrer Fassungskraft führten. Während die strahlenmäßige Ausbreitung des Lichts im Raum als ein Wellenvorgang gilt, werden ihm in Bezug auf sein Emissions- und Absorptionsverhalten korpuskulare Eigenschaften zugeschrieben. Die Bewegungsgeschwindigkeit des Lichts im Vakuum, die nahezu 300000 km/sec beträgt, ist nach Maßgabe der Speziellen Relativitätstheorie eine universelle Konstante, die in ihrer Stetigkeit zugleich die oberste Grenze des Tempos bezeichnet, mit dem sich Energie auszubreiten vermag. Materielle

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Körper können sich der Lichtgeschwindigkeit asymptotisch annähern, sie aber niemals erreichen, geschweige denn überbieten. Physikalisch betrachtet ist Licht ein Teilbereich des Spektrums elektromagnetischer Strahlung. Strahlung bezeichnet jede Form der Ausbreitung von Energie als einer Speichergröße von Potenz und Wirksamkeit. Für einige Formen von Strahlung wird traditionell der Wellenbegriff in Anwendung gebracht. Wellen nennt man alltagssprachlich periodische Änderungen einer Flüssigkeitsoberfläche wie etwa Wasser; im generalisierten Sinn sind damit Zustandsänderungen physikalischer Größen überhaupt umschrieben. In dieser Verwendungsweise werden neben Materiewellen und Schall elektromagnetische Strahlungen wie Licht, Röntgenstrahlen, Gammastrahlen, ultrarotes und ultraviolettes Licht und elektrische Wellen mit dem geläufigen Bild von der Welle in Verbindung gebracht. Während das gesamte Spektrum elektromagnetischer Strahlungen als wellenförmig bezeichnet wird, hat man in Bezug auf die Ausstrahlungen wägbarer Masse, wie sie in Form von Elektronen-, Atom- und Molekülstrahlungen statthat, den Wellenbegriff üblicherweise nicht verwendet, sondern die Vorstellung von Teilchenbahnen bzw. korpuskularen Bewegungen bevorzugt. Doch hat die neuere Entwicklung der Physik gezeigt, dass ein strahlungstheoretischer Welle-Korpuskel-Antagonismus unhaltbar ist, weil jede Ausbreitung von Strahlung sowohl als Wellenvorgang als auch als Vorgang raumzeitlicher Fortbewegung ausgeschleuderter Korpuskel wie Photonen (Lichtquanten) beschrieben werden kann. Wellen- und Korpuskeltheorie können keinen unvermittelten Gegensatz begründen. Das einzelne Photon oder Elektron weist einerseits energetische Eigenschaften eines Korpuskels auf, kann aber andererseits in seiner individuellen Bahn nie verfolgt, sondern nur nach quantentheoretischen Gesetzen der Verteilungswahrscheinlichkeit und in wellenartiger Form erfasst werden. Inwieweit die Quantenelektrodynamik eine konsistente Erklärung und Zusammenführung der Korpuskel- und Wellenmodelle zu bieten vermag, bleibe dahingestellt. Die Hoffnung jedenfalls, den Charakter des Lichts nach Maßgabe der Mechanik entschlüsseln zu können, hat sich zerschlagen. Auch was Bewegungsmessung und Geschwindigkeit des Lichts betrifft, gelangte die klassische Mechanik an ihre Grenzen. Bewegungen materieller Körper sind stets relativ und bemessen sich an ihrem Verhältnis zueinander. Das Licht hingegen bewegt sich, wie es scheint, relationsunabhängig, und seine Geschwindigkeit hat als stets gleich und nicht steigerbar zu gelten. Es blieb der Einstein’schen Relativitätstheorie (vgl. Einstein/Infeld) vorbehalten, die Relativität von Körperbewegung und die Nichtrelativität der Lichtbewegung in ihrer konstanten, durch keinen Körper überbietbaren Geschwindigkeit als einen Zusammenhang zu erfassen. Zur impliziten Voraussetzung hatte diese Theoriebildung eine grundlegende Revision der überkommenen Vorstellungen von Raum und Zeit, die auch für den Materiebegriff nicht folgenlos blieb. Gemäß der Speziellen Relativitätstheorie sind sowohl räumlicher Abstand als auch zeitliche Differenz von Ereignisdaten abhängig von der Wahl des Bezugssys-

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tems. „Während räumliche und zeitliche Abstände jeweils relativ zu einem Bezugssystem sind, kann man zwischen je zwei verschiedenen Ereignissen einen vierdimensionalen raum-zeitlichen Abstand definieren, der invariant unter dem Wechsel von einem Bezugssystem zu einem anderen Bezugssystem ist. Das heißt: Welches Bezugssystem auch immer man betrachtet, der raum-zeitliche Abstand zwischen zwei Ereignissen ist derselbe. Weil nur der raum-zeitliche Abstand invariant ist, sind Raum und Zeit in der speziellen Relativitätstheorie vereinigt, statt voneinander unabhängige Größen zu sein.“ (Esfeld, 31) Daraus ergibt sich ein Wandel im Verständnis von Materie. Unmittelbar identische Selbigkeit hört auf, eine charakteristische Grundeigenschaft ihres Bestands zu sein. „Die gesamte Materie ist ein Feld, das in physikalischen Eigenschaften von Punkten oder Gebieten des Raumes und der Zeit besteht.“ (Esfeld, 27) An die Stelle intrinsischer Eigenschaften treten Relationszusammenhänge (vgl. Esfeld, 73 ff.), die Eigenheiten nur unter bestimmten Konstellationsbedingungen zustande kommen lassen. In der klassischen Betrachtungsweise sind materielle Objekte identische Größen, „die in erster Näherung unabhängig voneinander existieren und dann sekundär miteinander in Wechselwirkung treten. In der quantenmechanischen Beschreibung existieren solche Objekte nur als eine, unter bestimmten Umständen mögliche und immer genäherte Zerlegung einer Gesamtheit des betrachteten Systems.“ (Bauberger, 60) Um sich einen Begriff von der Grenze der Mechanik und ihrer feld-, relativitäts- und quan- Grenzen der Mechanik tentheoretischen Aufhebung machen zu können, empfiehlt es sich, die Atomtheorie als Fundamentaltheorie des Aufbaus von Materie genauer in Betracht zu ziehen. Zu den bekanntesten Grundsätzen moderner Physik gehört die These, dass die Materie aus Atomen aufgebaut ist, also aus kleinsten, ihrem Begriff nach unteilbaren Teilchen besteht, aus denen alles, was physisch heißt, zusammengesetzt und aufgebaut ist. Die atomistische Grundidee ist schon alt und von Demokrit im Anschluss an Leukipp im 5. Jahrhundert v. Chr. auf rein gedankliche, nicht experimentell abgesicherte Weise entwickelt worden, um das aller empirischen Beobachtung zugrundeliegende „Urphänomen“ von Identität und Nichtidentität des Seienden in seinen Erscheinungen wesenhaft zu ergründen und Vielfalt und Veränderung auf einheitliche Weise verständlich zu machen. Nach Demokrit sind die Atome, deren Pluralität unmittelbar in Anspruch genommen wird, ohne dass über ihre konkrete Verschiedenheit genauere Auskünfte gegeben würde, an sich selbst unveränderlich, aber zugleich die grundlegendsten Bezugspunkte von Verwandlung und stofflicher Vielfalt, welche durch Lagewechsel ihrer Positionen im als leer gedachten Raum und durch unterschiedliche atomare Anordnungen zustande kommen. Erst in der Neuzeit wurde die antike Atomhypothese durch methodisch kontrollierte Experimente auf eine empirische Basis gestellt, was zugleich zu einer Näherbestimmung der ursprünglich in Anschlag gebrachten Grundkonstellation führte. In Konsequenz der Versuchsergebnisse namentlich von Ernest Rutherford geht man davon aus, dass jedes Atom aus einem positiv geladenen Atomkern und einer

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Hülle von negativ geladenen Elektronen besteht, welche die Ladung des Atomkerns nach außen hin elektrisch neutralisieren. Begrifflich geurteilt vereint das moderne Atommodell im Unterschied zum antiken Statik und Dynamik auf grundsätzliche Weise, was empirisch insbesondere durch die Entdeckung vormals unbekannter elektromagnetischer Kräfte veranlasst wurde. Gibt sich das Atom infolge der Unterscheidung von Atomkern und Elektronenhülle bereits als in sich differenziert zu erkennen, so haben auch die Atomkerne, die, obwohl etwa 10000mal kleiner als das Gesamtatom, als atomare Nuklei fast dessen gesamte Masse enthalten, nicht mehr als unteilbar zu gelten, sofern sie alle aus zwei Bestandteilen bestehen, nämlich den elektrisch positiv geladenen sog. Protonen und den elektrisch neutralen Neutronen, die beide annähernd gleich schwer sind. In jedem Proton und jedem Neutron finden sich drei Masse- und Ladungszentren. Sie werden als Quarks bezeichnet. Das Proton ist aus zwei sog. Up- und einem sog. Downquark, das Neutron aus zwei Down- und einem Upquark zusammengesetzt. Wie bei den in der Atomhülle auftretenden Elektronen lässt sich bisher in Bezug auf die beiden Sorten von Quarks keine weitergehende Internstrukturierung namhaft machen. Doch endet der fortschreitende physikalische Weg zu immer kleineren Einheiten nicht bei dem „Elementarteilchen“ namens Elektron und Quark. Er tendiert vielmehr dazu, die Vorstellung elementarster Teile, die an sich selbst unteilbar sind, ganz hinter sich zu lassen und sie feld- und quantentheoretisch aufzuheben. An der Lehre von den Fermionen und Bosonen ließe sich dies belegen. Diese werden zwar gelegentlich noch Materie bzw. Kraft- oder Wechselwirkungsteilchen genannt; doch muss dieser Sprachgebrauch als später Nachklang des überkommenen atomaren Standardmodells beurteilt werden, der von der aktuellen physikalischen Theoriebildung inzwischen überholt ist. Gefragt werden kann allerdings, ob der Bezug zur alten Elementarteilchenlehre, der sich in dem bezeichneten Sprachgebrauch reflektiert, in Feld- und Quantentheorie nicht dergestalt erhalten bleiben muss, dass er aus ihr heraus wieder herstellbar ist. Was ist Materie? Die Mechanik als die klassische, wenngleich in grundlegenden ihrer Vorstellungsweisen inzwischen revidierte Gestalt moderner Physik verwendete den Materiebegriff in der Regel noch vergleichsweise anschauungsnah und in einer dem Alltagsbewusstsein grundsätzlich zugänglichen Weise. Die Atomphysik macht diesbezüglich zunächst keine prinzipielle Ausnahme. Es ist im Gegenteil so, dass ihre Grundannahmen die alltagspraktische Vorstellung der Materie als einer mit sich selbst gleichen Substanz, die kontinuierlich einen bestimmten Raum einnimmt und sich dadurch von anderen, gleich- oder verschiedenartigen Substanzen unterscheidet, ohne jemals immateriell zu werden, im Prinzip beibehalten und bestätigen. Erst im Zuge von Relativitäts- und Quantentheorie wurde das klassische, Alltagsanschauungen aufgreifende und im antiken Atomismus präfigurierte Atommodell und mit ihm der Materiebegriff der Mechanik fortschreitend aufgehoben zugunsten der Annahme dynamischer Zentren, die materialiter nur mehr bedingt fassbar sind, obwohl sie als wesentliche Grundlage aller materiellen Entitäten gelten, die Raum einnehmen und sich zeitlich erstrecken. Dass im Zusammen-

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hang dieser Entwicklung auch die Begriffe von Raum und Zeit und ihr Grundverhältnis zueinander zur Disposition gestellt wurden, lässt sich am mikro- und makrophysikalisch gleichermaßen bedeutsamen Feldbegriff exemplarisch erweisen. Der aus der Theorie der Elektrizität heraus entGesetz der standene Feldbegriff umschreibt auf metaphorische Wahrscheinlichkeit Weise einen dynamischen Spannungszusammenhang von Ursache-Wirkungs-Verhältnissen, die an die Grenze des Kausalitätsprinzips führen, ohne es einfachhin zu sprengen. In ihm herrscht das Gesetz der Wahrscheinlichkeit, demgemäß sich die Determiniertheit der Materie und entsprechend die Grundbestimmung ihres Begriffs nurmehr quantentheoretisch bzw. im Quantum großer Zahlen fassen lässt, wohingegen das unteilbare, nicht quantifizierbare „Einzelereignis“ sich der Determinierung entzieht, ohne deshalb einfachhin indeterminiert genannt werden zu können. Spätestens im Zusammenhang der erwähnten atomtheoretischen Annahme von Fermionen und Bosonen wird dies manifest. Zwar scheint die Atomtheorie die Hypothese identischer Grundeinheiten der Materie, wie sie die Mechanik voraussetzt, festzuhalten, in dem ihr wenn auch nicht das Atom an sich selbst, so doch die atomaren Elementarteilchen der Quarks und der Elektronen als nicht weiter teilbare bzw. nicht aus noch kleiner Bausteinen zusammengesetzte Entitäten gelten. Doch wird die irreduzible Identität dieser Entitäten zwar nicht schon durch den in Anschlag gebrachten Unterschied von unteilbaren Quarks und unteilbaren Elektronen, wohl aber durch die Differenzierung infrage gestellt, die mit der Annahme von Fermionen und Bosonen gegeben ist. Die Fermionen sollen als Teilchen mit halbzähligem Spin fundamentale Bestandteile der Materie, also Materieteilchen, die Bosonen als Teilchen mit ganzzähligem Spin Träger der Wechselwirkung der Materie und insofern Kraftteilchen sein, die freilich mit dem Teilchenbegriff recht eigentlich nicht mehr zu fassen sind. Damit ist die begriffliche Grenze des mechanisch Definierbaren erreicht. Spätestens durch die Annahme von Bosonen ist die Theorie identischer Entitäten gesprengt; auch wird man sagen müssen, dass schon in Bezug auf Quarks der Begriff der Zusammensetzung keinen rechten Sinn mehr ergibt. Man ist gewissermaßen an der untersten Grenze physikalischen Begreifens angelangt. Theoretisch vermieden wird eine gänzliche Indifferenzierung bzw. abstrakte Mathematisierung des physikalischen Begriffs nur dadurch, dass man Differenz als faktisch gegeben voraussetzt, was sich nicht nur in der begrifflich kaum fassbaren Unterscheidung der Materie- und Wechselwirkungsteilchen genannten Fermionen und Bosonen, sondern auch in der angenommenen Differenz unteilbarer Quarks und ebenso unteilbarer Elektronen reflektiert. Indifferenzierung von Differenz und Differenzierung des Indifferenten gehen gewissermaßen ineinander über. So wird, um nicht länger von den Quarks und ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Bestandteilen zu reden, gesagt, dass bei der Zerspaltung von Elektronen nicht etwa, wie naheliegender Weise zu vermuten, Bruchstücke derselben entstehen, sondern neue „Teilchen“, die freilich weder als Elektronenteilchen noch überhaupt als Teilchen fassbar sind, sondern stattdessen

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den Übergang von partikularen Entitäten zu Zuständen markieren, in denen von identischen Größen recht eigentlich nicht mehr oder noch nicht die Rede sein kann. Es liegt nahe, die Zuflucht zur unvorstellbaren Vorstellung von reinen Energiefeldern zu nehmen, welche allen identifizierbaren Größen als Bedingung ihrer Möglichkeit zugrunde liegen und seien diese noch so elementar. Der Raumgedanke bietet sich hierfür an, freilich nur, wenn er mit dem, was Zeit genannt wird, in ein ebenso ursprüngliches Indifferenzverhältnis gebracht wird, wie es hinsichtlich seiner Beziehung zur Materie zu veranschlagen ist. Nach Maßgabe der klassischen Physik hat der Energiefelder Raum als solcher keine Eigenschaften, sondern lediglich die Funktion, Beziehungen zwischen Entitäten in Form von Abständen zu definieren. An sich selbst ist der Raum absolut leer und in seiner Leere gänzlich unabhängig von allem, was ist. Nur Entitäten im Raum sind vermittels der Positionierung in ihm bestimmte Größen mit kraft ihrer Sichselbstgleichheit definierten Eigenschaften. Der Raum als solcher hingegen ist eigenschaftslos und nichts als das Definiens des zu Differenzierenden und Differenzierten. Die Äthertheorie versuchte den leeren Raum zwar mit einer subtilen Substanz zu füllen, blieb aber ein bloßes physikalisches Zwischenspiel, welches der Annahme weichen musste, dass der Raum, obzwar an sich selbst keine bestimmte Größe, doch als Substrat von Eigenschaften fungiert, sofern er den Grund dafür abgibt, Wirkliches zu ermöglichen. Mit dem „Vakuum“, welches der Raum in seiner unbestimmten Leere darstellt, wird von der modernen Physik die Potenz assoziiert, Wirklichkeit in Form von elementaren Materiegrößen hervorzubringen. Der Raum ist, wenn man so will, darauf angelegt, sich zu quantifizieren. In seinem Vorwort zu Max Jammers Studien zur Entwicklung der Raumtheorie hat Albert Einstein 1953 auf das schwere geistige Ringen verwiesen, welches nötig war, „um zu dem für die theoretische Entwicklung unentbehrlichen Begriff des selbständigen und absoluten Raumes zu gelangen. Und es hat nicht geringerer Anstrengung bedurft, um diesen Begriff nachträglich wieder zu überwinden – ein Prozeß der wahrscheinlich noch keineswegs beendet ist.“ (Jammer, XVIf.) Die Idee des absoluten Raumes, wie Newton sie in einer für die Mechanik grundlegenden Weise ausgeprägt hatte, führt Raum nicht als eine örtliche Gegebenheit ein, sondern schreibt ihm eine absolute Rolle im kausalen Gesamtgefüge der Theorie zu. „Absolut ist diese Rolle insofern, als er (als Inertialsystem) zwar auf alle körperlichen Objekte wirkt, ohne daß diese auf ihn eine Rückwirkung hätten.“ (Jammer, XVI) Als ein Bezugsystem, in dem ein kräftefreier Massepunkt in Ruhe bleibt oder sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, ist der Raum, weil keine Trägheitskräfte in ihm auftreten, in Newtons Theorie eine absolute Größe. Folgt man Jammers Entwicklungsgeschichte des physikalischen Raumbegriffs, so ist Newtons Theorie des absoluten Raumes zum einen durch die in der Naturphilosophie der Renaissance erfolgte Emanzipation des Raumbegriffs vom scholastischen Substanz-Akzidenz-Schema, zum anderen durch theologische Vorstellungen motiviert, welche den Raum als Attribut Gottes auffassten.

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Der Raumbegriff der mittelalterlichen Scholastik war wesentlich durch ihren „Normalphilosophen“ Aristoteles bestimmt, der diesen mit dem Begriff des Ortes (topos) gleichsetzte und „als die anliegende Grenze des umfassenden Körpers“ (Jammer, 55; vgl. im Einzelnen 5–26, bes. 15 ff.) definierte. Der aristotelische Raum hat als Ortsbestimmtheit reale Bedeutung, aber lediglich akzidentell und d. h. relativ zur Existenz eines substantiell Seienden. Den Begriff eines leeren Raumes bzw. die Theorie seiner Absolutheit lehnte Aristoteles ebenso dezidiert ab wie die Annahme eines Vakuums, das er für unmöglich hielt. Zwar war der aristotelische Raumbegriff bereits im Altertum Gegenstand philosophischer Kritik, in einer für die moderne Physik wirkungsmächtigen Weise ist er aber erst in der italienischen Naturphilosophie überwunden worden, in der sich die Auffassung von einem homogen und unendlichen Raum ausprägte, an welche Newtons Grundlagentheorie der Mechanik anknüpfen konnte. Zudem waren für ihn Gedanken jüdischchristlicher Theologie über den Raum als die unendliche Sphäre göttlicher Erstreckung und Omnipräsenz einflussreich (vgl. Jammer, 27–54). Als Ort der Allgegenwart Gottes ist der Raum eine absolute Größe und als real auch ohne Materie zu denken. Newton selbst nennt den absoluten Raum wiederholt „sensorium Dei“ (vgl. Jammer, 119 ff.). Nach Newtons Grundlagentheorie der Mechanik ist der Raum eine absolute Größe von beständiger und unbeweglicher Wesensnatur. Die Beziehung auf einen gegebenen Gegenstand ist für seinen Begriff und die mit diesem assoziierte Realität nicht konstitutiv. Alle relativen, in Koordinatensystemen fassbare Räumlichkeiten sind im absoluten Raum inbegriffen, ohne ihn als solchen zu bedingen. An sich selbst ist der absolute Raum als losgelöst und unabhängig von allen Ortsbestimmtheiten und als ein Bezugssystem zu denken, welches von allen relativen Räumen verschieden und ihnen vorausgesetzt ist. Es bedarf nach Newton nicht der Annahme örtlich in ihm enthaltener Körper, um sich von der Gegebenheit des Raumes zu überzeugen. Er ist eine absolute, unendliche, homogene und isotrope Größe, deren Gegebensein sowohl aus logischen als auch aus ontologischen Gründen vorauszusetzen und nach Newtons Überzeugung auch experimentell nachweisbar ist (vgl. im Einzelnen Jammer, 102–137). Die Theorie des absoluten Raumes blieb schon Leibniz versus Newton und zu Zeiten Newtons nicht unumstritten. Besonders Clarke aufschlussreich ist diesbezüglich die Kontroverse zwischen Newton und dem englischen Theologen und Hofprediger Samuel Clarke einerseits sowie Gottfried Wilhelm Leibniz andererseits über das Verhältnis von Gott und Raum. U. a. in dem Briefwechsel, den er mit Clarke in den Jahren 1715/16 geführt hat, vertritt Leibniz mit theologischen, aber nicht minder mathematisch-physikalischen Gründen die Auffassung, dass der Raum keine Absolutheitsgröße, sondern lediglich ein System von Relationen sei, welches Entitäten netzwerkartig verbinde. Für die Idee des Raumes genüge der relative Begriff der Lagebeziehung, wohingegen die Annahme einer absoluten Raumrealität entbehrlich sei. In eine ähnliche Richtung hatte bereits der niederländische Physiker und

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Mathematiker Christiaan Huygens argumentiert (vgl. im Einzelnen Jammer, 122– 137), dessen relativer Begriff des Raumes demjenigen der aktuellen Physik ungleich näher kommt als der Newtonsche. Im Unterschied zur absoluten Newtons stellt die relative Raumtheorie, wie Leibniz und Huygens sie vertraten, den Raum als ein Netz von Beziehungen zwischen koexistenten Entitäten vor, ohne deren materielle Gegegenheit von Raum nicht die Rede sein könnte. Zumindest was ihren Widerstand gegen Newtons Theorie des absoluten Raumes anbelangt, hat die spätere Entwicklung Leibniz und Huygens recht gegeben. Entscheidend mitbestimmt wurde die Verabschiedung der Idee des absoluten Raumes in der modernen Physik durch ihren Abschied vom Begriff des körperlichen Objekts, der „als Fundamentalbegriff der Physik allmählich durch den des Feldes ersetzt wurde. Unter dem Einfluss der Ideen von Faraday und Maxwell entwickelte sich die Idee, dass die gesamte physikalische Realität sich vielleicht als Feld darstellen lasse, dessen Komponenten von vier raum-zeitlichen Parametern abhängen. Sind die Gesetze des Feldes allgemein kovariant, d. h. an keine besondere Wahl des Koordinatensystems gebunden, so hat man die Einführung eines selbständigen Raumes nicht mehr nötig. Das, was den räumlichen Charakter des Realen ausmacht, ist dann einfach die Vierdimensionalität des Feldes. Es gibt dann keinen leeren Raum, d. h. keinen Raum ohne Feld.“ (Jammer, XVII; vgl. im Einzelnen Jammer,138–240) Die physikalische Problematisierung der Idee des absoluten Raumes verläuft simultan zu derjenigen des körperlichen Objekts, dessen realen Begriff Newton für seine Raumtheorie in Anspruch genommen hatte, obwohl er den Gedanken eines materiellen Substrats im Vergleich etwa zu Descartes schon äußerst abstrakt gefasst hatte. Descartes hatte Materie wesentlich mit Ausdehnung gleichgesetzt und Extensität als ihr entscheidendes Kennzeichen betrachtet. Demgegenüber bestimmte Newton Materie vorzüglich als Masse. Dies muss zunächst nicht als gegensätzlich erscheinen, sofern jeder reale Körper sowohl räumliche Ausdehnung als auch Masse besitzt und weder ohne das eine noch ohne das andere zu denken ist. Bemerkenswert ist allerdings, dass Newton mit seinem Begriff des Massepunkts vom Gedanken materieller Ausdehnung weitestgehend abstrahierte, welche Abstraktion ihm die nicht minder abstrakte Idee des absoluten Raumes allererst ermöglichte. Diese Feststellung wird durch den richtigen Hinweis nicht falsifiziert, dass die Annahme eines Massepunkts aus pragmatischen Erwägungen und der Einsicht heraus erfolgte, dass die mathematische Reduktion ausgedehnter Körper auf ihren Schwerpunkt die Berechnung ihrer Bewegung drastisch erleichtert. Wie im traditionellen Atomismus dem Atom als dem materiellen Urpartikel die Leere korrespondierte, so dem Newtonschen Materiepunkt die Absolutheit des Raumes. Entsprechend gibt sich die Abschiedsnahme von der absoluten Raumtheorie in der modernen Physik als ein Korrelat zur Transzendierung der Idee des allerkleinsten, gewissermaßen punktförmigen Elementarteilchens zu verstehen, wie sie in Bezug auf die Lehre von den Fermionen und Bosonen bereits angesprochen wurde, die nicht länger als substantielle Grundeinheiten von Materie, son-

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dern als präatomare Momente zu gelten haben, deren Bestimmtheit nicht differenziert identifizierbar und determinierbar, sondern nur im Medium von Wahrscheinlichkeitsgesetzen zu fassen ist. Hören sonach Raum und Materie in der modernen Physik gewissermaßen in einem auf, absolute Größen zu sein, so wird ihr gemeinsames Schicksal, wenn man so will, auch von der Zeit geteilt. Auch sie hört auf, jene absolute Größe zu sein, die sie in der klassischen Physik gewesen war. Die Spezielle Relativitätstheorie bestätigt dies, indem sie Raum und Zeit in kontraintuitiver Weise übereinkommen lässt, was, wie die Allgemeine Relativitätstheorie zeigt, den Massebegriff als Grundbegriff von Materie nicht unberührt lässt, sofern ihr zufolge Gravitation ein Effekt der Geometrie der Raumzeit sein soll. „Raum“ kann alltagssprachlich der unbestimmteste Begriff für Welt sein. Vorstellungshaft ist der Inbegriff des Differenten Weltraum an sich nichts als bloße Leere und von dem, was nihil pure negativum genannt werden kann, nur dadurch unterschieden, dass er in seiner Unbestimmtheit dazu bestimmt ist, nicht bestimmungslos zu bleiben, sondern Raum für etwas zu sein. Abstrahiert man von jedwedem Bezug auf etwas und räumt diesem keinen lokalen Stellenwert ein, dann lässt sich mit dem Raumbegriff nur schlechthinnige Unbestimmtheit in Form von Unermesslichkeit, Dimensionslosigkeit etc. assoziieren. An sich selbst ist der Raum unfassbar. Fassbares Format nimmt er erst in Bezug auf Etwas an, das es zu lokalisieren gilt. Jenes seinerseits anfänglich ganz unbestimmte Etwas lässt sich mathematisch durch einen Punkt symbolisieren, von dem allerdings zunächst alle physikalischen Annahmen wie diejenige der Materie fernzuhalten sind. Als Materiepunkt kann ein Punkt im Raum erst unter der Voraussetzung der Grunddifferenz von einem und anderem bestimmt werden. Ein etwas ist, was es ist, dadurch, dass es all das, was es nicht ist, nicht ist. Alles, was ist, ist negationsbestimmt. Negationsbestimmtheit ist die Grundbestimmtheit des Weltraums als All. Das All ist der universale Inbegriff des Differenten. Im Raum, der für etwas erschlossen ist, hat das Differente die Form schieren Nebeneinanders. Für das räumliche Nebeneinander ist allein kennzeichnend, dass der Ort des Einen von der Lokalität alles anderen prinzipiell unterschieden ist. Zeit lässt sich unter diesen Voraussetzungen allein nicht denken. Ihr Begriff setzt voraus, dass ein Etwas sich nicht lediglich durch den Unterschied zu allem anderen bestimmt, wie das im räumlichen Nebeneinander der Fall ist, sondern das Eines als Eines und unter Wahrung seiner Einheit anders wird. Das Anderswerden des Einen als dessen, was es im Unterschied zu allem anderen ist und bleibt, ist der Grundbegriff der Zeit, der denjenigen des Raumes insofern zur Voraussetzung hat, als die rudimentärste Form dessen, was man in der Regel physikalische Zeit nennt, durch Lageveränderung gekennzeichnet ist. Die Terminologie- und Bedeutungsgeschichte des Zeitbegriffs ist ungleich komplexer als diejenige des vergleichsweise rudimentären Begriffs des Raumes. Abstrahiert man vom Bewusstsein der Zeit und sieht entsprechend vom subjektiven Zeitempfinden und von der consecutio temporum von Vergangenheit, Gegenwart

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und Zukunft ab, welche für Sprache und Grammatik sowie für die gesamte individuelle und soziale Selbstwahrnehmung des geschichtlichen Menschen grundlegend ist, dann lässt sich die Genese eines physikspezifischen Begriffs der Zeit am ehesten mit der Entwicklung von Uhren in Verbindung bringen, deren Bemessungsgrundlage periodisch wiederkehrende Abfolgen abgeben, wie sie sich etwa astronomisch erkennen lassen. „Quid est ergo, tempus?“ (Augustin, Confessiones XI,14,17) Die Frage nach der Zeit beantworten wir für uns selbst und für andere gewöhnlich mit dem Blick auf die Uhr, deren vertrauteste Gestalt immer noch durch den Kreislauf zweier Zeiger von unterschiedlicher, genau relationierter Bewegungsgeschwindigkeit bestimmt ist. Nach ihrem jeweiligen Stand auf dem Scheibenrund bzw. ihrem austaxierten Verhältnis zueinander bemisst sich unsere Zeit, werden uns Stunden, Minuten und gegebenenfalls Sekunden angezeigt. Auch andere Uhrwerke und Zeitmesssysteme funktionieren in ähnlicher Weise. Maßeinheiten für Zeitvergleiche liefern stets stark periodisierte bzw. regelmäßig sich wiederholende Vorgänge. Dies galt bereits für die Sanduhr und dies gilt – unbeschadet gesteigerter Präzision – noch für die modischen Digitaluhren unserer Gegenwart. An der periodischen Wiederkehr des Gleichen finAstronomische Zeit det die Zeit offenbar das ihr adäquate Maß. Nicht von ungefähr galt deshalb der gleichmäßige Ablauf der Himmelserscheinungen von Anbeginn als Prototyp der Uhr. Mechanische Zeitmesser simulieren die Drehbewegung der Himmelskörper und sind ein Nebenerzeugnis der Astronomie. Zugleich wurde das neuzeitliche Weltbild häufig nach der Uhr geformt, deren Zeitmaß mehr und mehr den Alltag bestimmte. Dem Vergleich des Verhältnisses zwischen Gott und Schöpfung mit demjenigen von Uhrmacher und Uhr korrespondierte ein Verständnis der Welt als eines zentral und nach Weise eines rationalen Funktionssystems organisierten Kosmos. Hat sich die Vorstellung der Welt als eines uhrwerkähnlichen Automaten erst im Laufe der Moderne ausgebildet, so stellte die Periodizität von Himmelserscheinungen schon lange vorher das elementare Paradigma theoretischer Erforschung des Wesens der Zeit dar. Aristoteles, um ein hervorragendes Beispiel zu wählen, hatte die Zeit im vierten Buch seiner „Physik“ als die „Zahl der Bewegung im Hinblick auf das Frühere und Spätere“ bestimmt. Die Zeit hat nach dieser Definition als eine nach Maßgabe punktueller Grenzsetzungen geordnete Menge der Phasen eines kontinuierlich sich vollziehenden und richtungsbestimmten Prozessverlaufes zu gelten. Ausgegangen wird dabei zunächst von empirischen Einzelprozessen, deren Phasenfolge für das wahrnehmende Bewusstsein, für die Seele, wie Aristoteles sagt, die Möglichkeit der Zählung eröffnet und den Eindruck eines geregelten Zeitablaufes verschafft. Um indes angesichts der Unterschiedlichkeit und Vielfalt von Prozessverläufen, wie sie in der Welt vorkommen, die kosmische Einheit der Zeit sowie die Vergleich- und Messbarkeit jener diversen Prozesse garantieren zu können, sieht Aristoteles sich veranlasst, auf die nach seiner Auffassung absolut stabile

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Periodizität und Gleichförmigkeit der Rotationsbewegung der Körper des Fixsternhimmels zu verweisen, in der das Maß aller Zeit fest gründet. Ihr Kreisen bzw. der Umlauf des sogenannten „Ersten Himmels“ gilt ihm mithin als Weltuhr schlechthin, als universale Maßeinheit aller innerweltlichen Prozesse und ihrer jeweiligen Zeit. Die aristotelische Lehre von der Zeit mündet so zuletzt in die Astronomie ein, um sich in ihr zu vollenden. Die Faszination der Gestirnwelt und ihrer gleichförmigen Bewegungsabläufe, wie sie das griechische Kosmosdenken charakterisiert, dessen Einfluss auf das aristotelische Zeitverständnis offensichtlich ist, hat noch die naturwissenschaftliche Weltanschauung der Moderne in entscheidender Weise mitbestimmt. Vielfach und mit Recht wurde darauf hingewiesen, dass das neuzeitliche Bild der Welt als eines geschlossenen und determinierten Systems eindeutige Züge des griechischen Glaubens an eine ewige kosmische Ordnung in sich trägt. Die Annahme der Absolutheit der Zeit, von der die Physik seit Newton ausgeht, ist – bei allem gegebenen Wandel gegenüber dem aristotelischen Zeitverständnis – einer von vielen Belegen hierfür. Das trifft umso mehr zu, als diese Annahme in einer offenkundigen Spannung steht zu dem Zeitempfinden des alltäglichen, individuell-lebensweltlichen Bewusstseins, welchem sich die Zeit darstellt als eine klar strukturierte, unumkehrbare Geschehnisfolge. Allenfalls in psychopathologischen oder sonstigen außerordentlichen Zuständen können die Zeitdimensionen durcheinandergeraten, so dass die Zeit labil und diskontinuierlich, etwa als mehr oder minder zusammenhangloser Wechsel, ungeheure Dehnung oder ständiges Verharren erlebt wird. Das Zeitempfinden des gesunden Menschenverstandes hingegen schließt einen Zeitstillstand oder gar eine Umkehr der Zeit ebenso selbstverständlich aus, wie es mit einer in irreversiblen Ereignissen manifesten Richtgröße, mit der sogenannten Anisotropie erlebter und erinnerter Zeit rechnet. Umso erstaunlicher muss es erscheinen, dass in der Physik seit Newton die Zeit als unabhängige Variable einen absoluten Charakter erhielt, d. h. als durch keinerlei Vorzugsrichtung ausgezeichnete Koordinate einer Raum-Zeit-Welt vorgestellt wurde. Die Gesetze der klassischen Mechanik gelten deshalb als in der Zeit umkehrbar (Zeitumkehrinvarianz), mithin unabhängig von der täglich erfahrenen Gerichtetheit des Zeitflusses von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. „Einen Widerspruch zwischen der Zeitsymmetrie der Bewegungsgleichung und der subjektiv nur in einer Richtung fließenden Zeit sah Newton insofern nicht, als er seine Axiome als Idealisierung oder Näherung ansah für Bewegungen ohne ‚Reibung‘.“ (Peisl/Mohler [Hg.], 3) So musste der durch die Newtonsche Mechanik geprägten naturwissenschaftlichen Weltanschauung das Universum bis ins letzte Jahrhundert hinein als Inbegriff eines geschlossenen Systems und stationären Gebildes erscheinen, „in dem die Himmelskörper ihre wiederkehrenden Bahnen ziehen“ (Peisl/Mohler [Hg.], 12). Der in sich zurücklaufende, mit keiner Vorzugsrichtung ausgestattete Kreis war das angemessenste Symbol dieser Denkungsart.

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Erst Thermodynamik, und in bestimmter Weise Relativitätstheorie und Quantenmechanik haben hier einen Wandel des physikalischen Bewusstseins eingeleitet. So rechnet im Unterschied zu den Gesetzen der klassischen Mechanik der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, demgemäß sich Wärme nie ganz in andere Energie umwandeln lässt, währenddessen kinetische oder elektrische Energie ihrerseits völlig in Wärme transformiert werden kann, mit einer irreversiblen Tendenz des natürlichen Weltprozesses insgesamt und insofern mit einer unumkehrbaren Vorzugsrichtung der Zeit. Wie immer man in diesem Zusammenhang die Theorie von einem anfänglichen „Urknall“ bzw. schließlichen allgemeinen Gravitationskollaps (totales „schwarzes Loch“) beurteilen will, bemerkenswert ist, dass die moderne Physik die Vorstellung einer Unumkehrbarkeit nicht nur der einzelnen empirischen Prozesse, wie das auch bei Aristoteles der Fall war, sondern des Naturgeschehens im Ganzen nahelegt. Als universales Zeitmaß hat demzufolge nicht mehr der Kreislauf periodischer Wiederkehr des Gleichen, sondern die Zunahme von Entropie zu gelten, wie immer es mit einem uranfänglichen „Zeitpunkt“ minimaler und einer kosmischen „Endzeit“ ins äußerste maximierter Entropie bestellt sein mag. Ihrem physikalischen Begriff nach ist Wärme eine besondere Form von kinetischer Energie auf der Basis atomarer bzw. molekularer Bewegungen. Dem Griechischen energeia, von dem sich der Energiebegriff herleitet, liegt das Wort ergon zugrunde. Es bedeutet Werk im Sinne von Handlung, Arbeit bzw. von demjenigen, was durch Handlung und Arbeit tatkräftig hervorgebracht wurde. Energeia heißt im antiken Griechisch entsprechend Wirksamkeit etc. Der physikalische Begriff der Energie als gespeicherter Arbeit bzw. Arbeitsfähigkeit steht dazu in Beziehung, wobei Arbeit als physikalisches Maß das Produkt aus Kraft und Verschiebung (Weg) benennt. Die Formen von Energie sind unterschiedlich, wobei Umwandlungen von der einen in die andere Form stattfinden können, also etwa eine Transformation von Wärmeenergie in elektrische Energie. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems immer konstant bleibt. Wegen der energetischen Äquivalenz von Wärme und Arbeit kann der allgemeine Energieerhaltungssatz thermopyhsikalisch so formuliert werden, dass er die spezielle Gestalt des sog. ersten Hauptsatzes der Wärmelehre annimmt. Dieser besagt, dass die einem Körper zugeführte Wärmemenge sich in der Zunahme seiner inneren Energie und in der von ihm nach außen geleisteten Arbeit wiederfinden muss. Enthält der erste Hauptsatz der Wärmelehre lediglich die Aussage, dass bei jeder Umwandlung von Wärme in Arbeit und von Arbeit in Wärme die gegebene Energie erhalten bleibt, nimmt der zweite seinen Ausgang bei der Beobachtung des schlechten thermischen Wirkungsgrades von Wärmekraftmaschinen, also der Unmöglichkeit, einem Körper dauernd Wärme zu entziehen und sie vollständig in mechanische Nutzarbeit umzuwandeln. Wärme kann unbeschadet des Energieerhaltungssatzes nicht vollständig in Arbeit transformiert werden. Zugleich gilt, dass Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik

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Arbeit geleistet werden muss, um Wärme von einem Körper tieferer auf einen anderen höherer Temperatur zu übertragen. Wärme geht von selbst stets nur von einem wärmeren auf einen kälteren, nie aber umgekehrt von einem kälteren auf einen wärmeren Körper über. Der Ausgleich von Temperaturunterschieden, wie er der Natur der Wärme entspricht, hat stets vom Warmen zum Kalten hin, nie aber umgekehrt statt. U. a. auf diesen Sachverhalt ist der vom griechischen entropein „umkehren“ abgeleitete Entropiebegriff als einer der wichtigsten physikalischen Grundbegriffe der Gegenwart bezogen. Zwar bleibt bei der Zusammenführung zweier temperaturunterschiedener Körper die Gesamtenergie erhalten, weil sich die zwischen Wärmer und Kälter statthabende Differenz von Bewegungsenergie ausmittelt; es steigt aber die Entropie. Als thermodynamische Zustandsgröße dient Entropie bei Energietransformationen zur Berech- Entropiegesetz nung desjenigen Teils der Wärmeenergie, der nicht in mechanische Arbeit umgesetzt werden kann. Als Entropiegesetz besagt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, dass der Anteil der Wärmeenergie, die nicht mehr in andere Energieformen umgewandelt werden kann, innerhalb eines geschlossenen Systems entweder zunehmen oder gleichbleiben, nie aber abnehmen kann. Unveränderter Entropie entsprechen reversible, zunehmender irreversible Prozesse. Erhöht sich im Zuge fortlaufender Wärmeerzeugung der Natur, von der auszugehen ist, der Anteil thermischer Energie, der nicht in andere Energieformen transformierbar ist, dann ist damit eine Steigerung von Entropie gegeben, die offenbar auf die Unumkehrbarkeit des gesamten Geschehensverlaufs des Naturprozesses schließen lässt. Das Gesetz der Zunahme der Entropie steht in Spannung zur Annahme einer zeitumkehrinvarianten Geltung physikalischer Gesetze, wie sie für die Newtonsche Mechanik grundlegend ist. Stellt Zeit im mechanischen System eine absolute Größe dar, so scheint der zweite Hauptsatz der Thermodynamik auf eine eindeutige, unumkehrbare Gerichtetheit natürlicher Verlaufsprozesse insgesamt und damit auf einen Begriff von Zeit zu verweisen, der ungleich stärker ist als der Newtonsche, sofern er mit irreversiblen und unwiederholbaren Abläufen im Zusammenhang des gesamten Naturprozesses und mit einer ausgezeichneten Zeitrichtung rechnet, demzufolge die Natur an sich selbst eine Geschichte zu haben scheint. Zeitlich gerichtete Prozesse im Naturverlauf begegnen in der Physik nicht nur in der Thermodynamik, sondern auch bei Phänomenen von Wellen und Strahlungen. Inwiefern die Irreversibilität von Wellen- bzw. Strahlungsphänomenen mit thermodynamischer Irreversibilität zusammenhängt, kann dahingestellt bleiben. Unstrittig ist, dass Entropie im Universum global zunimmt. Mit dem Anfangszustand des Universums wäre demnach sehr niedrige, mit seinem Endstadium hingegen maximale Entropie, schließlich ein Zustand mit völlig gleichmäßiger Temperatur ohne verbleibende innere Dynamik zu assoziieren. Trotz des populären Reizes bzw. Grauens, der von der Annahme eines anfangssingulären Urknalls einerseits sowie eines endsingulären Wärme- bzw. Kältetodes

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des Universums andererseits ausgeht, ist es wissenschaftlich mehr als problematisch, Aussagen über universale Ursprungs- und Endsingularitäten mit dem Status des empirisch Verifizierbaren zu versehen. Sie scheinen eher Grenzwerte des Erfahrungsmöglichen als empirisch verifizierbare Sachverhalte zu benennen (vgl. im Einzelnen Müller [Hg.], bes. 5 ff.). Zwar kann die Auffassung vertreten werden, dass die verfügbaren empirischen Belege zu gewissen Grundannahmen über makro- und mikrokosmische Genesen von nicht hintergehbarer Ursprünglichkeit berechtigen. Der „Ursprung“ des Kosmos als solcher ist damit freilich nicht ergründet; die Physik müsste Metaphysik werden, um anderes zu behaupten. Entsprechendes gilt für die physikalischen Theorien von einem Ende des Universums. Sie können allenfalls Annäherungswerte für kosmische Extremzustände, aber keine empirisch verifizierbaren Tatbestände für Weltuntergangsszenarien liefern. Für die gedanklichen und vorstellungshaften Folgerungen, die aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gezogen werden, sind diese Bemerkungen ebenso bedeutsam wie für den physikalischen Begriff der Zeit. Man wird genau zu erwägen haben, wie sich die Zeitumkehrinvarianz der Newtonmechanik zur physikalischen Annahme einer eindeutigen Zeitrichtung bzw. zeitlich gerichteter Prozesse verhält, die als anisotrop, asymmetrisch und irreversibel zu gelten haben. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei Zeit und zeitlichem Sein um Erkenntnisgehalte handelt, die vom Prozess des Erkennens mitgestaltet und ohne diesen nicht wären, was sie sind. Damit ist nicht behauptet, dass Zeit eine bloß subjektive Anschauungsform sei, wie angeblich Kant meinte. Vermutet wird lediglich, dass Natur und Naturbeobachtung einen differenzierten Zusammenhang darstellen, der zwar Unterscheidungen, aber keine Trennungen erlaubt. Nur so ist es zu erklären, dass physikalische Gesetze, zu deren Begriff wesentlich Wiederholbarkeit gehört, mit innerer Konsequenz und Stimmigkeit zur These einer Unwiederholbarkeit von natürlichen Vorgängen führen. Nicht als ob der Naturbeobachter in der physikalischen Naturbeobachtung schon in persona, will heißen: als bewusste und sich wissende Subjektivität die Szene beträte. Dies ist nicht nur nicht der Fall, es soll auch nicht der Fall sein. Aber hintergründig ist der Beobachter dennoch präsent, auch wenn er aus methodisch einsehbaren Gründen unbeachtet bleibt. Von subjektloser Objektivität kann auch in der Unbestimmtheitshorizonte Sphäre der Naturwissenschaften allenfalls approximativ die Rede sein. Wenn Philosophie und Theologie daran erinnern, kann dies nicht in der Absicht geschehen, empirische Forschung durch Spekulation zu ersetzen. In Erinnerung gebracht wird lediglich, dass auch die Wissenschaft der Natur Bewusstsein als Bedingung ihrer Möglichkeit voraussetzt und sich von kulturellen Vorgaben nicht gänzlich ablösen lässt. Insofern darf der Bezug zur menschlichen Lebenswelt bis hin zum alltäglichen Naturerleben, dem Philosophie und Theologie je auf ihre Weise verbunden bleiben, in naturwissenschaftlicher Theoriebildung nicht verloren gehen. Alle menschliche Welterfahrung ist von Unbestimmtheitshorizonten umgeben, die sich kosmolo-

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gisch insbesondere dort auftun, wo von Anfang und Ende des Makrokosmos die Rede ist oder auf mikrokosmische Extrembereiche Bezug genommen wird. Größen, die in sich und in ihrem Verhältnis zueinander für stabil erachtet wurden, verfließen ineinander und tendieren zu einer Indifferenz, wie am Beispiel von Raum, Materie und Zeit exemplarisch zu ersehen ist. Chaosassoziationen analog zu Gen 1,1 stellen sich ein, wo vom anfänglichen Kosmos gesagt wird, er sei das Gegenteil seines Begriffs gewesen, nämlich wüst und leer. Vergleichbares ließe sich in Bezug auf dasjenige sagen, was physikalische Theorie Anfangssingularität nennt, um in vermittlungsloser Unmittelbarkeit ein gänzlich Unbestimmtes zur Geltung zu bringen, das gleichwohl dazu bestimmt sein soll, alle weiteren Bestimmungen aus sich hervorgehen zu lassen, ohne dass ein anderer Grund für diesen Vorgang namhaft gemacht werden könnte als das unbegreifliche Faktum seines Erfolgtseins. Dieses Faktum wird in seiner unvordenklichen Tatsächlichkeit als nichtgenetisierbar vorausgesetzt. Eine entsprechende, wenngleich unvergleichlich problemhaltigere Aporie zeigt sich dort, wo die naturwissenschaftliche Theorie auf das letzte Ende des Kosmos zu sprechen kommt. Der Kosmos endet just in jener Indifferenz und bestimmungslosen Unbestimmtheit, in der er seinen Anfang nahm, so dass Anfang und Ende im Grunde zusammenfallen, wobei besagter Grund recht eigentlich nichts anderes ist als nichts. Physik, die sich mit dem Schein des Metaphysischen umgibt, beschwört die Gefahr eines Nihilismus herauf, in der jeder Sinn vergeht. Ihre Meisterschaft kann sie nur durch Selbstbeschränkung erweisen. Nach Niklas Luhmann besteht die wesentliche, weder theoretisch noch praktisch substituierbare Funktion von Religion darin, unbestimmbare in bestimmbare Kontingenz zu transformieren, um auf diese Weise chaotische Komplexität durch Ermöglichung einer Differenzierung ihrer Indifferenz zu reduzieren. Man muss kein Anhänger der Systemtheorie und ihres funktionalen Verständnisses von Religion sein, um der Auffassung zuzustimmen, dass naturwissenschaftliche Theoriebildung religiöser Transformationsleistungen nicht entbehren kann, um sinnvoll zu sein. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde: Das Beginnen der Welt ist immer schon vollzogen, Differenz auf eine sinngenerierende Weise gesetzt, die mehr und anderes erwarten lässt, als eine ins Metaphysische verkehrte physikalische Endvorstellung verheißt. Der die Welt ex nihilo erschaffen hat, wird sie auch erhalten, und einem Ende zuführen, das allen Anspruch darauf hat, nicht Nichts, sondern Vollendung genannt zu werden.

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14. Der fünfte Schöpfungstag: Biologische Evolutionen

Lit.: G. Altner, Schöpfungsglaube und Entwicklungsgedanke in der protestantischen Theologie zwischen Ernst Haeckel und Teilhard de Chardin, Zürich 1965. – P. Bahr/St. Schaede (Hg.), Das Leben. Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs. Bd. 1, Tübingen 2009. – U. Barth, Gott und Natur. Schellings metaphysische Deutung der Evolution, in: ders., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 461–481. – D. Burnie, Kompaktwissen Biologie, London/ Starnberg 2003. – N. A. Campbell/J. B. Reece, Biologie, Heidelberg/Berlin 62003. – H. Driesch, Philosophie des Organischen, Leipzig 21921. – A. Ganoczy, Schöpfungslehre, Düsseldorf 1983. – I. Kant, Kritik der Urteilskraft, in: ders., Werkausgabe. Hg. v. W. Weischedel, Bd. X: Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie 2, Frankfurt 1968. – M. Kehl, Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg/Basel/Wien 2006. – D. Kehlmann, Die Vermessung der Welt. Roman, Hamburg 2005. – H. Kessler, Evolution und Schöpfung in neuer Sicht, Kevelaer 2009. – U. Krohs/G. Toepfer (Hg.), Philosophie der Biologie. Eine Einführung, 2005. – Chr. Kummer, Der Fall Darwin. Evolutionstheorie contra Schöpfungsglaube, München 2009. – Ders., Schöpfung und Evolution – die anhaltende Herausforderung. Vier Buchempfehlungen als Nachlese zum Darwin-Jahr, in: StdZ 135 (2010), 775–784. – H. Mania, Carl Friedrich Gauß – eine Annäherung, in: G. Nickel (Hg.), Daniel Kehlsmanns „Die Vermessung der Welt“. Materialien, Dokumente, Interpretationen, Hamburg 2008, 47–59. – A. Neuberg, Entwicklung und Schöpfung, Berlin 1955. – M. J. Petry (Hg.), Hegel und die Naturwissenschaften, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987. – H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 31975. – Th. D. Pollard/W. C. Earnshaw, Cell Biology, Philadelphia 2004. – R. Spaemann, Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne, Stuttgart 2007. – Ders. u. a. (Hg.), Evolutionismus und Christentum, Stuttgart/Weinheim 1986. – G. Toepfer, Zweckbegriff und Organismus. Über die teleologische Beurteilung biologischer Systeme, Würzburg 2004. – D. Wandschneider, Raum, Zeit, Relativität. Grundbestimmungen der Physik in der Perspektive der Hegelschen Naturphilosophie, Frankfurt a. M. 1982.

Es soll Menschen geben, die rechnen können, bevor sie zu sprechen in der Lage sind. Der Mathematiker und Astronom Carl Friedrich Gauß, dessen Erkenntnisse für die moderne Physik grundlegend wurden, hat angeblich zu dieser bemerkenswerten Sorte von Mensch gehört. „Gerechnet“, so liest man, „habe er noch vor seinem ersten Wort. Einmal habe der Vater beim Abzählen des Monatslohns einen Fehler gemacht, darauf habe er (sc. Gauß junior, der kleine Carl Friedrich) zu weinen begonnen. Als der Vater den Fehler korrigiert habe, sei er sofort verstummt.“ (Kehlmann, 12) Wen wundert, dass Gauß schon als Grundschüler auf seiner Schiefertafel im Nu – „fünzig mal hunderteins“ (Kehlmann, 56) – alle Zahlen von eins bis hundert zu summieren vermochte, währenddessen seine Kameraden der Reihe nach Additionsfehler begingen. Es dauerte nicht lange, Vermessung der Welt

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Der fünfte Schöpfungstag: Biologische Evolutionen

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bis Carl Friedrich auch höhere Formen der Arithmetik beherrschte und in der Geometrie Leistungen erzielte, die man bislang für unmöglich hielt. Noch keine zwanzig Jahre alt erbrachte er den Nachweis der Konstruierbarkeit des regelmäßigen 17-Ecks, um wenig später über den Fundamentalsatz der Algebra zu dissertieren. Er stellte die Gaußsche Formel zur Berechnung des Ostertermins auf, prognostizierte den Bahnverlauf des Planetoiden Ceres, übte sich in Zahlentheorie und in der Methodik kleinster Quadraturen, um im Verlauf seines weiteren Lebens theoretische und praktische Neuentdeckungen zu machen, deren Fülle selbst der Fachmann kaum zu würdigen vermag. Nicht nur auf dem Feld der nichteuklidischen Geometrie wirkte Gauß als Pionier. Er war in vielerlei Hinsicht einsame Spitze. Als er „am 23. Februar 1855 stirbt, hinterläßt er rund fünfzig mathematische Verfahren und Begriffe, die seinen Namen tragen“ (Mania, 58). Das seiner Leiche entnommene Gehirn von Gauß wird bis heute als „das weltweit älteste Präparat der Elitehirnforschung in einem Institut der Göttinger Universität aufbewahrt“ (Mania, 59). Es diente „jahrelang als Referenzorgan bei der Suche nach einem physiologischen Abbild von Intelligenz und Genie“ (ebd.). Einige Verehrer des Vermessungskünstlers haben die mit dessen Gehirn postmortal angestellten Maßnahmen als unangemessen, wenn nicht vermessen empfunden. Mag dieses Empfinden primär von wissenschaftsexternen Faktoren bestimmt gewesen sein, wissenschaftlich relevant ist es als unmittelbarer Ein- und Ausdruck des Bewusstseins, das es zur Erfassung von Leben und seiner Leistungen eines eigenen Maßes bedarf, weil sich in allem Lebendigen von seinen ersten Formen an eine Wirklichkeit zur Geltung bringt, die auf bloß physiologisch-physikalische Weise nicht zu fassen ist. Naturwissenschaft abstrahiert aus methodisch notwendigen Gründen, und Physik als die fundamentalste Wissenschaft der Natur schreitet auf dem Weg der Abstraktion von allem, was nicht unmittelbar Natur ist, am weitesten fort. Die Mathematik bietet in ihrer äußersten Abstraktheit die der Physik entsprechende „Sprache“, die in ihrer Formalität völlig Unanschauliches korrekt zu „beschreiben“ vermag wie etwa die Vier- oder Mehrdimensionalität nichteuklidischer Räume. Doch muss dem Prozess der Abstraktion ein solcher der Rekonkretisierung korrespondieren, der über mathematisch-physikalische Sachverhalte hinaus die Entwicklung lebendiger Wesen bis hin zu jenem zu verstehen sucht, ohne welches es weder Mathematik noch Physik oder sonstige Naturwissenschaften gäbe. Der Wissenschaftler und Mensch Carl Friedrich Gauß steht exemplarisch für diese Notwendigkeit ein und zwar nicht nur in seiner Eigenschaft als einer der beiden Helden in Daniel Kehlmanns Roman. Die von den Naturwissenschaften bestimmte, naturalistisch orientierte Wissenschaft der Zeit „reduziert die Welt auf subjektlose Objektivität“ (Spaemann, Gerücht, 33) oder tendiert zumindest in diese Richtung. Dieser Tendenz ist mit „wissenschaftstheoretische(r) Besinnung auf Status und Geltung wissenschaftlicher Aussagen“ (Spaemann, Gerücht, 255) und auf die konstitutive Bedeutung von Bewusstsein und sich wissender Subjektivität für jede wissenschaftliche Einsicht zu begegnen. Natur als Gegenstand der Naturwissenschaft ist dieser vorgegeben inso-

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fern, als sich ohne Empirie und empirisch ausgerichtete Experimentalforschung keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gewinnen lassen. Doch bedarf es, damit sie als Erkenntnisse gewusst werden, zugleich verständigen und vernünftigen Begreifens. Es ist die Aufgabe von Wissenschaftstheorie im Allgemeinen und einer Philosophie der Naturwissenschaften im Besonderen, auf die kategoriale Bedeutung der wissenschaftlich mehr oder minder unmittelbar aufgegriffenen und in Gebrauch genommenen Begriffe und Begriffszusammenhänge zu reflektieren und ihre implizite Logizität ausdrücklich zu machen und so zu Bewusstsein zu bringen. Empirische Erkenntnis stellt sich nie begrifflos ein, ohne dass damit behauptet wäre, sie sei rein begrifflich oder auf abstrakt logische Weise zu erlangen. Realwissenschaften sind unersetzbar. Um aber, mit Hegel zu reden, zum begreifenden Erkennen der von ihnen erarbeiteten Inhalte und darüber hinaus zur Einsicht in den systematischen Zusammenhang ihrer Disziplinen zu gelangen, bedarf es einer prinzipientheoretischen Analyse realwissenschaftlicher Grundbestimmungen. Welch erschließende Bedeutung philosophischem „Prinzipiierungswissen“ (Wandschneider, 220; bei W. kursiv) etwa für die moderne Physik zukommen kann, hat, um ein Beispiel zu geben, Dieter Wandschneider im Anschluss an Hegels dialektische Naturphilosophie in Bezug auf physikalische Grundbestimmungen wie Raum, Zeit, relative und absolute Bewegung, Materie und Licht dargelegt. Er vermag nicht nur die logische Struktur des Übergangs von Raum und Zeit sowie die notwendige Rückbindung des definitiven Zeitbegriffs an den Begriff des Raumes offenzulegen, sondern auch plausibel zu machen, in welch konstitutivem, durch den Bewegungsbegriff vermittelten Verhältnis der Begriff der Materie zur Differenzeinheit von Raum und Zeit steht. Unter dieser Voraussetzung lassen sich dann auch prinzipientheoretische Bezüge zur physikalischen Relativitätstheorie herstellen. Bewegungen materieller Körper sind stets relativ und bemessen sich an ihrem Verhältnis zueinander. Die Lichtgeschwindigkeit hingegen ist nach Maßgabe postmechanischer Physik von Bezugskörpern unabhängig und hat in diesem Sinne als absolut, stets gleich und nicht steigerbar zu gelten. Sinn ergibt letztere Behauptung indes nur unter Voraussetzung einer Relation zwischen der nichtrelativen Bewegung des immateriellen Lichts und der relativen Bewegung materieller Körper. Nach Wandschneider gilt es, Relativität von Körperbewegung und Nichtrelativität der Lichtbewegung als einen Zusammenhang zu begreifen, wie das in Einsteins empirisch motivierter Relativitätstheorie tatsächlich statthabe. „Die ‚Zentralität‘ der Materie kommt in der Relativität der Körperbewegung ebenso zum Ausdruck wie die Aufhebung der Zentralität in der Nicht-Relativität der Lichtbewegung. Materie und Licht begründen so einen Doppelsinn von Bewegung, deren entgegengesetzte Formen, relative und nicht-relative Bewegung, beide als notwendige Momente des Bewegungsbegriffs zu verstehen sind. Es wäre von daher ein Missverständnis, Bewegung ausschließlich als relative Bewegung materieller Körper zu fassen: eben weil der immanente Bezug auf Nicht-Relativität der Licht-

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bewegung darin sachlich immer schon mitgesetzt ist, so wie umgekehrt Licht stets auf sein Anderes, den materiellen Körper (in der Funktion als Bezugskörper), verwiesen bleibt, wenn anders seine Bewegung als solche bestimmbar sein soll.“ (Wandschneider, 203 f.; vgl. Petry [Hg.], 293 ff.) Mit diesem Hinweis verbindet sich nicht die irrige Annahme, die empirische Forschung der Physik ließe sich durch reine Begriffs- und Gedankenentwicklung ersetzen und überflüssig machen. Behauptet soll allerdings werden, dass ohne begriffliches Denken physikalische Erkenntnis als Erkenntnis weder zu gewinnen noch fortzubilden ist. Dies gilt nicht nur für die Physik, sondern auch und mehr noch für die auf sie aufbauenden Naturwissenschaften und insbesondere für die Biologie als die Wissenschaft vom natürlichen Leben, wie sich ebenfalls an Hegel (vgl. Horstmann/Petry [Hg.], bes. 121 ff.; 151 ff.; 264 ff.; 276 ff.; Petry (Hg.), 33 ff.; 349 ff.; 377 ff.), aber auch am Beispiel Kants und seiner Teleologie des Organischen verdeutlichen lässt. Der Organismusbegriff ist ein Zentralterminus Teleologie des aller Wissenschaft vom Leben. Kant hat ihn teleoOrganischen logisch und nicht lediglich mechanistisch bestimmt, ohne deshalb kausale Wirkzusammenhänge auszuschließen. Im Cartesianismus sind Organismen analog zu Maschinen und ihren Funktionsmechanismen beschrieben worden. Kant leugnet nicht, dass diese Beschreibung in bestimmter Hinsicht zutreffend ist; doch entgeht der äußeren Betrachtung das innere Wesen und damit die Eigentümlichkeit von Organismen. Sie sind im Unterschied zu anorganischen Entitäten durch Empfindungsvermögen und als empfindsame Wesen dadurch charakterisiert, auf die eine oder andere Weise der Differenz von Innen und Außen inne zu sein. Organische Wesen kennzeichnet eine interne Reflexivität und Selbstbezüglichkeit, die sie zur Selbstorganisation befähigt. Organismen sind, wie Kant sagt, sich selbst organisierende Wesen. Ihre Teile stellen keine durch bloße Addierung zu erlangende Summe dar, sondern wirken in Gestalt eines integrierten, eben eines organischen Ganzen zusammen. Sie stehen in einem Verhältnis nicht lediglich kausaler, sondern teleologischer Wechselseitigkeit, in der Mittel und Zweck durcheinander vermittelt sind. Kants Theorie der Teleologie des Organischen, wie er sie im zweiten Teil seiner „Kritik der Urteilskraft“ entwickelt hat (vgl. Kant, 467 ff.), ist für die biologische Wissenschaftslehre bis heute relevant und in ihrer fundamentalen Bedeutung insbesondere dort greifbar, wo die Biologie sich über eine experimentelle Datensammlung hinaus zu einer Systemwissenschaft ausgestaltet hat (vgl. im Einzelnen Toepfer). Systematische Theorien biologischer Selbstorganisation geben zu erkennen, dass die Funktionsweise lebendiger Organismen zwar ohne physikalisch-chemische Basis nicht denkbar, aber nicht auf diese Basis reduzierbar ist. Mit Vitalfaktoren und -kräften nichtphysikalischer und nichtchemischer Art zu rechnen, ist abwegig und nicht haltbar; dennoch liegt es in der speziellen Organisation von Lebewesen selbst begründet, dass ihre Eigentümlichkeit durch Physik und Chemie allein nicht fassbar ist, sondern einer eigenen Wissenschaft bedarf, die sie mit ihren Physik und Chemie zwar verbundenen, aber von beiden zugleich charakteristisch

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unterschiedenen Methoden „bio-logisch“ zu erfassen hat. Organische Wesen sind ungleich komplexer als präorganische Entitäten, und ihre organische Komplexität lässt sich nur ergründen, wenn man sie nicht kausal reduziert und entsprechend determiniert sein lässt, sondern die den Organismen eigentümliche, mit Kant zu reden, Teleologie in Rechnung stellt. Die naturwissenschaftliche Fundamentalthese, dass alles, was ist, aus einem identischen „Material“ namens „Materie“ o. ä. besteht und physikalischen Gesetzen gehorcht, die mit supranaturalen Einwirkungen nicht nur nicht rechnen, sondern diese ausschließen, gilt auch für die Biologie als die Wissenschaft vom natürlichen Leben. Die Annahme immaterieller Lebenssubstanzen oder elementarer Vitalenergien, die eine Sonderklasse von physikalisch oder chemisch wirksamen Kräften bilden, konnte sich in ihr nicht behaupten. Doch folgt daraus nicht, dass sich Biologie einem physikalisch-chemischen Reduktionismus ergeben müsste. Theorien wie etwa diejenige der Emergenz oder der Supervenienz weisen ihr vielmehr einen Weg, trotz und unbeschadet ihrer physikalisch-chemischen Basis der Irreduzibilität und durch keinen Determinismus zu beseitigenden Neuartigkeit lebendiger Wesen Rechnung zu tragen. Ihre großen Erfolge im 20. Jahrhundert hat die Biologie in ihren biochemischen bzw. molekularbiologischen Disziplinen und als Genetik gefeiert. Dies mag erklären, warum man in weiten Teilen der gegenwärtigen Biologie „vergeblich nach einem explizit formulierten Organismusbegriff“ (Krohs/Toepfer [Hg.], 111) sucht. An seiner konzeptionellen Bedeutung für die wissenschaftstheoretische Grundlegung der Biologie hat dies gleichwohl nichts geändert (vgl. Krohs/Toepfer [Hg.], 114 ff.). Als die „elementaren Einheiten des Lebendigen“ (Krohls/Toepfer [Hg.], 109) sind und bleiben Organismen die entscheidenden Referenzgrößen der Biologie als einer Wissenschaft vom Leben. Leben hinwiederum erschließt sich als lebendig nur in Anbetracht und im Innewerden seiner organischen Form und seiner organisch strukturierten Funktionsweise. Welche Bestimmungsmomente des Lebensbegriff man auch immer anführen mag, angefangen vom Vermögen spontaner Bewegung, der Fähigkeit zu Wachstum und zur Entwicklung oder der Kraft etwa der Assimilation, Dissimilation, Produktion und Reproduktion bis hin zu Sensibilität und Reizbarkeit, Rezeptivität und Reaktivität, Regulation und Deregulation, Mutabilität und Konstanz (vgl. Krohs/Toepfer [Hg.], 164 f.; vgl. im Einzelnen Driesch, Plessner): stets ist der Begriff reflexer Organisation und damit der Organismusbegriff mitgesetzt. Dieser hinwiederum verweist, wie Kant überzeugend geltend machte, auf eine Selbstzwecklichkeit, die zwar Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge keineswegs auflöst, aber sich auch nicht durch kausaldeterministische Reduktionen beseitigen lässt, sondern die zu achten ist, wenn Lebendiges als Lebendiges erkannt und anerkannt werden soll. Dass diese Feststellung auch sittliche Implikationen enthält, versteht sich unter Kant’schen Bedingungen von selbst: „Jedes Lebewesen verfolgt seine jeweils eigenen Zwecke und diese konfrontieren den Beobachter mit einer anderen teleologischen Ordnung als seiner eigenen. Das Leben eines Lebewesens ist daher

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in gewisser Weise der Verfügung eines Beobachters entzogen – das eigene Leben zumindest in seiner Entstehung und das Leben der Anderen in deren eigenen Zwecken. Von einem lebendigen Seienden geht eine Faszination der Selbstbezüglichkeit aus, die auch in der Biologie noch präsent ist.“ (Krohs/Toepfer [Hg.], 171) Reduktion von Naturerscheinungen auf Basisgründe und Rekonstruktion des solchermaßen Reduzierten in seinem phänomenalen Bestand sind zwei naturwissenschaftliche Verfahrensweisen, die sich nicht ausschließen, sondern zu ergänzen haben. Der Prozess der Indifferenzierung von elementaren Differenzannahmen der klassischen Mechanik, wie er sich in der modernen Physik vollzog und im vorhergehenden Abschnitt in einigen Grundzügen skizziert wurde, muss mit der gegenläufigen Bestrebung einer Redifferenzierung von Indifferenz verbunden sein, will er nicht im Sinnlosen enden. Physikalisch hat auf die Dekonstruktion der Mechanik deren Rekonstruktion zu erfolgen, damit aus dem wiederhergestellten Zusammenhang von Raum, Zeit und Materie heraus dasjenige in den Blick komme, was Chemie und Biologie zu erforschen aufgegeben ist. Physik ist die Fundamentalwissenschaft der Natur, aber als fundamenalste aller Naturwissenschaften zugleich die abstrakteste, von deren Abstraktheit abstrahiert werden muss, um konkrete Naturphänomene und namentlich die Natur des Lebendigen erfassen zu können. Lebewesen sind nicht lediglich Weltgegenstände, deren Eigentümlichkeit sich äußerer Betrachtung erschließt. Um inne zu werden, was sie sind, muss man der reflexen Selbstorganisation gewahr werden, kraft derer sie existieren und sich in Umweltverhältnissen selbst erhalten und selbst reproduzieren. Anzeichen für innere Bewegung und gestaltende Form gibt es bereits im anorganischen Bereich, etwa bei Kristallen, die im Falle ihrer Beschädigung dazu tendieren, die gegebene Eigennatur in, wenn man so will, präorganischer Weise zu reorganisieren. Organismen im eigentlichen Sinne des Begriffs lassen sich immer weniger als bloße Summe ihrer Teil verstehen. Sie sind wandelbare Einheiten, die sich aus sich heraus beständig erneuern. Zwar ist ohne physikalisch-chemische Basisfaktoren kein organisches Leben möglich. Doch wird dadurch seine Eigenart und vergleichsweise Neuheit nicht infrage gestellt oder falsifiziert. Entwicklung wickelt nicht lediglich aus, Evolution entrollt und treibt nicht bloß hervor, was ursprünglich, am Anfang und immer schon war. Sie ist offen für noch nicht Dagewesenes (vgl. Neuberg). Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht bestätigt dies. „Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.“ (Gen 1,23) Nicht dass nicht alle Schöpfungs- Eigentümlich Neues tage ihre je eigene Besonderheit hätten; aber der fünfte Schöpfungstag bringt etwas ganz Besonderes und unvergleichlich Neues hervor: Gott lässt fühlende Wesen entstehen, Tiere des Wassers und Tiere der Luft. Am nächsten Schöpfungstag, dem sechsten, werden sich Landtiere hinzugesellen, die auf der befestigten Erde leben. Sie stehen dem Menschen vergleichsweise näher als das Getier zu Wasser und zu Luft, sind aber mit diesen durch einen

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kontinuierlichen Zusammenhang verbunden. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein spezifisches Schöpfungswerk Gottes tagübergreifend gestaltet. Schon am Übergang vom zweiten zum dritten Schöpfungstag ließ sich Ähnliches wahrnehmen. Gott schied zunächst das Firmament, das sich die Alten wie eine Art von überdimensionaler Käseglocke vorstellten, zwischen den chaotischen Wassern darunter und darüber, um dann am folgenden Tag das am vorhergehenden Begonnene zu vollenden, das unter der Himmelsfeste befindliche Wasser zu begrenzen und trockenes Land zutage zu fördern, womit der Rohbau des Weltgebäudes errichtet war. Noch am selben Tag sprossen Pflanzen aus dem Erdreich hervor. Auch bei ihnen handelt es sich bereits um organisches Leben, wenngleich in rudimentärer Form, das weiterer kreatürlicher Entwicklung harrte (vgl. Bahr/Schaede [Hg.]). Eine den Tieren vergleichbare Lebendigkeit eignet Kräutern, Bäumen und sonstigen botanischen Kreaturen nach Auffassung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts noch nicht. Fühlende Wesen, die auf die eine oder andere Weise ihrer selbst inne sind, werden von Gott erst nach geraumer Zeit ins Dasein gerufen, eben am fünften Tag der Schöpfung. Um das Erstmalige des fünften Schöpfungstages und das Neue, das an ihm in Gestalt tierischen Lebens erschaffen wird, gebührend hervorzuheben, greift der Schöpfungsbericht auf das Wort zurück, mit dem er im ersten Satz das uranfängliche Schöpfungshandeln Gottes bezeichnete: br‘. Es bezeichnet ein Schaffen analogieloser Art, wie es allein Gott vorbehalten ist, der im Falle der Erschaffung der Tiere als fühlend-beseelter Wesen ganz unmittelbar tätig ist, ohne dadurch den Kontinuitätszusammenhang mit dem vorhergehenden Schöpfungswerk aufzuheben. Die besondere Beziehung, die zwischen dem göttlichen Schöpfer und seinen animalischen Geschöpfen waltet, wird fernerhin durch die Tatsache unterstrichen, dass den neu geschaffenen tierischen Lebewesen ein spezifischer göttlicher Segen zuteil wird, der ihnen das Vermögen zuspricht, das empfangene Leben durch gattungserhaltende Paarung von sich aus weiterzugeben: „Seid fruchtbar und mehret Euch!“ (Gen 1,22) Selbstreproduktion begegnet auch bei Pflanzen und selbst in der anorganischen Natur wie etwa beim Kristallwachstum. Doch unterscheidet sich der gattungsmäßige Regenerationsprozess entwickelter Tierarten charakteristisch von Fortpflanzung im vegetabilischen Bereich. Gleichwohl ist es nicht leicht, den Begriff der Tierheit im Unterschied zu anderen Organismen klar zu definieren und die Vielfalt tierischer Erscheinungsgestalten systematisch zu erfassen. Was die Klassifikationen des Tierreichs betrifft, so unterscheidet der Schöpfungsbericht nach dem Dreierschema von Wasser, Luft und Erde schlicht zwischen Fischen, Vogelarten und Arten der Landtiere, die ihrerseits in die drei Gruppen von Wild, Vieh und Kleingewürm aufgeteilt werden. Zuvor schon war der vegetabilische Bereich als die unterste Stufe organischen Lebens in zwei Hauptarten untergliedert worden, nämlich in Kraut, das unmittelbar Samen erbringt, und in Bäume, die samenenthaltende Früchte tragen (vgl. Gen 1,12). Dass die professionelle biologische Systematik in dieser Hinsicht einige Differenzierungsfortschritte erbracht hat, wird

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man nicht leugnen können. Während anfangs auch hier wie in biblischen Zeiten nur zwei Organismenreiche begegneten, zählt man heute in der Regel fünf, nämlich Monera, Protisten, Pilze, schließlich, wie gehabt, Pflanzen und Tiere. Den Monera rechnet man einzellige Lebewesen ohne Zellkern zu. Es handelt sich dabei um mikroskopisch kleine Prokaryo(n)tenzellen. Dazu gehören Bakterien und sog. Archäen (vgl. Burnie, 56 ff.). Die Monera waren nach biologischem Urteil die Monera, Protisten, Pilze ersten und primitivsten Lebewesen. Ihr Reich und Pflanzen umfasst etwa viertausend Arten. Die Gruppe einzelliger, tier- oder pflanzenähnlicher Lebewesen werden Protisten genannt. Dabei handelt es sich um kompliziert gebaute Eukaryo(n)tenzellen. Manche Formen sind tierähnlich, manche ähneln Pflanzen. Protisten bestehen meist nur aus einer Zelle, aber eine klare Abgrenzung zwischen Ein- und Vielzellern gibt es nicht. Viele Algen leben z. B. als Einzelzellen, während ihre engen Verwandten sich zusammentun und wie Pflanzen aussehen. Viele Biologen ordnen alle Algen in diese Gruppe ein, andere nur die einzelligen Formen. Zum Reich der Protisten gehören mindestens 50.000 Arten. Aus dem Organismusreich Protista gehen Pilze, Pflanzen und Tiere hervor. Pilze sind weder Pflanzen noch Tiere. Zwar sehen manche Pilzarten wie Pflanzen aus, sie müssen aber wie Tiere Nährstoffe aufnehmen. Diese beziehen sie über dünne, verflochtene Zellfäden aus lebendem oder abgestorbenem organischen Material. Pilze bilden ein eigenes Organismenreich, das sich in diverse Gruppen einteilen lässt. Als Klassifizierungskriterium kann die Methode der Sporenverteilung und die entsprechende Vielgestaltigkeit der Pilzfruchtkörper dienen. Auch für die Klassifikation von Pflanzen eignet sich die Fortpflanzungstechnik als Differenzierungskriterium. Es gibt Pflanzen, die sich mit Hilfe von Blüten fortpflanzen, und solche, die keine Blüten haben und keinen Samen produzieren, sondern sich durch Sporen verbreiten. Pflanzen ohne Blüten standen am Anfang der vegetabilischen Entwicklung. Sporen sind kleine Päckchen aus Zellen, wie sie bei Algen, Moosen, sog. Nacktsamern und Farnen begegnen. Nacktsamer sind Pflanzen, deren Samen sich ohne Schutzhülle entwickeln. Zusammen mit den Blütenpflanzen oder Bedecktsamern (Angiospermen) bilden die Nacktsamer die Gruppe der Samenpflanzen oder Spermatophyta, die sich durch Samen fortpflanzen. Blütenpflanzen tragen samenproduzierende Blüten für die sexuelle Fortpflanzung. Die Samen entwickeln sich in einer Schutzhülle, dem sog. Fruchtknoten. Deshalb heißt diese Gruppe auch Bedecktsamer. Zu den Blütenpflanzen zählen 250.000 Arten, die in etwa 300 Gruppen oder Familien eingeteilt werden. Charakteristisch für Pflanzen ist, dass sie ihre Nährstoffe selbst produzieren können. Dieser Vorgang wird Photosynthese genannt. Darunter versteht man die Herstellung von Nährstoffen aus einfachen Substanzen mithilfe des Sonnenlichts. Die Photosynthese als die Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie findet in den Chloroplasten der Pflanzenzellen statt. Dabei nutzt die Pflanze die Energie des Sonnenlichts für eine Reihe chemischer Reaktionen und stellt aus Kohlendioxid- und Wassermolekülen u. a. den Nährstoff Glucose her. Initiiert

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wird die Photosynthese durch lichtabsorbierende Farbstoffe von Pflanzenzellen, meistens durch das Chlorophyll genannte Blattgrün. Die zentrale Aufgabe der Pflanzenblüte besteht in der Sorge für die Bestäubung und Erzeugung von Samen zur Fortpflanzung. Einhäusige Pflanzen sind solche, die mit männlichen und weiblichen Organen ausgestattet sind. Diese liegen entweder in getrennten Blüten derselben Pflanze, oder, wie bei zwittrigen Pflanzen, in derselben Blüte. Eine zweihäusige Pflanze liegt dann vor, wenn sie entweder männliche oder weibliche Blüten trägt. Der Samen entsteht aus der befruchteten Samenanlage. Er ist größer und weitaus komplizierter gebaut als eine Spore. Als Frucht bezeichnet man alles, was Samen enthält, von der Kokosnuss bis zur Gurke. Um das Tierreich zu systematisieren, kann man Tierarten zwischen wirbellosen Tieren und sog. Wirbeltieren unterscheiden. Neun Zehntel aller Tierarten gehören zu den Wirbellosen. Genannt seien Schwämme, Hohltiere, Quallen, alle möglichen Würmer, Weichtiere, deren Körper durch einen Panzer geschützt ist, Stachelhäuter und Seescheiden, diverse Gliederfüßler wie Krebse und Spinnen sowie die Insekten, die drei Viertel aller Tierarten umfassen. Unter den Wirbeltieren ist die größte Gruppe diejenige der Fische. Fische sind wasserbewohnende Wirbeltiere, die durch Kiemen atmen. Es gibt drei große Fischgruppen: kieferlose Fische, Knorpel- und Knochenfische. Als erste Wirbeltiere, die anstelle von Flossen über Beine verfügen und auf Land zu leben vermögen, haben die Amphibien zu gelten. Sie sind Wirbeltiere und Kaltblütler. Viele machen während ihrer Entwicklung eine Metamorphose durch, sie sind anfangs Larven oder Kaulquappen und atmen durch Kiemen, um erst später Lungenatmung und Beine zu entwickeln. Völlig an das Leben auf dem Trockenen angepasst sind die Reptilien, zu deren wichtigsten Errungenschaften Eier gehören, die auch an Land nicht austrocknen. Zur Klasse der Reptilien gehören 6000 Arten wie Echsen, Geckos, Schildkröten, Schlangen, Krokodile, Dinosaurier etc. Die wichtigsten unter den Flugtieren sind Vögel. Dabei handelt es sich um Wirbeltiere und Warmblüter, die als Einzige Federn besitzen. Eine der vielgestaltigsten Tiergruppen sind die Säugetiere, denen die Gruppe der Primaten und vermittels ihrer auch die Menschen angehören. Den Primaten rechnet man Säugetiere mit biegsamen Fingern und nach vorne gerichteten Augen zu. Die rund 180 Primatenarten gliedern sich in die Gruppe der Halbaffen und der höheren Affen. Zu den höheren Affen rechnet die Biologie Kleinaffen, Menschenaffen, die auf den Hinterbeinen gehen können, und Menschen. Zu den höheren Menschenaffen gehören nur vier Arten: der Orang-Utan, der Gorilla, der Schimpanse und der Zwergschimpanse. Tiere erzeugen Nährstoffe nicht durch Photosynthese, sondern nehmen sie von außen auf. Dies gilt bereits für die Protozoen genannte Gruppe von Einzellern und bekanntlich ebenso für den Menschen. Auch er ist heterotroph. Einzeller wie die Amöbe umschließen meist ihre Nahrung und nehmen sie so in sich auf. Vielzeller besitzen besondere Körperteile für die Nahrungsaufnahme. Unter den Tieren unterscheidet man Allesfresser, Pflanzenfresser und Fleischfresser. Dem

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Zerteilen und Zermahlen der Nahrung dienen Zähne, die auch zum Beutefang und zur Selbstverteidigung eingesetzt werden können. Sie sind meist die härtesten Körperteile und fest im Kiefer verankert. Das Verdauungssystem baut die Nahrung zu einfachen, für den Organismus nutzbaren Substanzen ab. Bei Wirbeltieren besteht das Verdauungssystem aus einem langen Rohr und mehreren Organen einschließlich der Leber. Während z. B. die Spinne ihre Nahrung außerhalb ihres Organismus verdaut, indem sie einer gefangenen Fliege ihre Verdauungsenzyme einspritzt, um dann den nährstoffreichen Saft abzusaugen, ist bei Wirbeltieren die Verdauung ein organismusinterner Vorgang, der über verschiedene Stationen vom Eingang zum Ausgang des Verdauungskanals führt. Analog zur Verdauung ist der Gasaustausch ein Elementarvorgang organischer Innen-Außen-Beziehung. Alle Tiere müssen Sauerstoff aufnehmen und Kohlendioxid abgeben. Kleine Tiere tun das über ihre Oberfläche. Größere brauchen Organe wie Lunge oder Kiemen, um Gase auszutauschen. Im Atmungssystem der Lunge werden Luft und Blut in engen Kontakt gebracht, so dass Gase, vor allem Sauerstoff und Kohlendioxid, hin und her wandern können. Der Körperkreislauf des Blutes wird durch die Pumptätigkeit des Herzens gewährleistet. Im Kreislaufsystem strömt das Blut ständig durch den animalischen Körper, wobei ein kompliziertes Gefäßsystem jede Zelle mit lebensnotwendigen Substanzen versorgt. Die Kreislaufsystemfunktion des Blutes besteht u. a. darin, dass es Sauerstoff und die Nährstoffe aus verdauter Nahrung zu den Zellen trägt und Abfallstoffe abtransportiert. Außerdem trägt es zur Bekämpfung eingedrungener Krankheitserreger bei. Als Krankheitserreger kommen Viren, Bakterien, Pilze, manchmal aber auch Protisten wie der Parasit in Betracht, der Malaria hervorruft. Erreger erzeugen Krankheit, indem sie den Zustand eines Organismus destabilisieren. Kollabiert die Homöostase und wird das körpereigene Steuerungssystem, das für stabile Verhältnisse im Organismus sorgt, definitiv destruiert, dann stirbt das Lebewesen. Kompensiert wird der Tod der Lebewesen durch Regeneration, für die in der Natur verschiedene Strategien begegnen. Im Tierreich sind zwei Grundtypen zu identifizieren: Manche Tiere bringen ihre Nachkommen ohne, die meisten durch Paarung hervor. Paarungslose Fortpflanzung kann sich bei Urtieren etwa durch schlichte Abschnürung eines Körperteils vollziehen. Zu erwähnen ist ferner beispielsweise die Parthegonese, die asexuelle Entstehung tierischen Lebens aus unbefruchteten weiblichen Geschlechtszellen. Fortpflanzung durch Paarung hingegen erfolgt mittels Kopulation zweier Individualwesen männlichen und weiblichen Geschlechts, vorausgesetzt, die Begattung führt zur Befruchtung weiblicher Eizellen durch männliche Spermien. Durch sexuelle Fortpflanzung entstandene Nachkommen verfügen jeweils über eine einzigartige Genkombination, den sog. genetischen Code. Jedes Tier, das durch sexuelle Fortpflanzung entsteht, ist anfangs eine einzige Zelle, aus der sich dann in einer Reihe komplizierter Wandlungen der vollständige Organismus entwickelt. Während seiner Embryonalentwicklung wird ein Lebewesen immer komplexer. Dieser Vorgang ist in der Regel mit Wachstum verbunden,

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er kann aber auch ohne Größenzunahme ablaufen. Während des Wachstums stellen Zellen normalerweise identische Kopien ihrer selbst her. In der Entwicklung jedoch differenzieren sich die Zellen: sie verändern sich und passen sich an ganz bestimmte Aufgaben an. Außerdem wechseln sie ihre Lage. Früher glaubte man, in jedem Schritt der Embryonalentwicklung (Ontogenie) müsse sich ein Schritt der Evolutionsgeschichte (Phylogenie) widerspiegeln. Diese sog. Rekapitulationstheorie wird heute kaum mehr vertreten. Gleichwohl bleibt zu fragen, ob nicht bereits der sowohl für das ontogenetische Werden des einzelnen Lebewesens als auch für die stammesgeschichtliche Phylogenese in Anschlag gebrachte Entwicklungs- bzw. Evolutionsbegriff eine wie auch immer geartete Vergleichbarkeit voraussetzt. Auch wenn die Aufeinanderfolge der Stationen, die ein biologisches Einzelwesen von den Anfängen seines Lebens bis zu seiner Endgestalt mit innerer Notwendigkeit und unter Einhaltung einer beständigen Zielrichtung durchläuft, sich nicht analog verhält zum Prozess der Herausbildung und Wandlung von Lebensformen in Gestalt von Stämmen, wie er sich im Laufe der Erdgeschichte vollzogen hat, scheint die Annahme einer Beziehung zwischen beiden dennoch nicht einfach abwegig zu sein. In jedem Fall bedarf der Entwicklungs- bzw. Evolutionsbegriff einer terminologischen Präzisierung. Monera, Protisten, Pilze, Pflanzen und Tiere jedBiologische Systematik weder Art: warum der weitschweifige Exkurs in die biologische Systematik? Zum einen, um einen bescheidenen Begriff von der ungeheuren Vielfalt des Lebendigen zu verschaffen, zum anderen zum Zwecke des Erweises, dass in der Klassifikation organischen Lebens im Vergleich zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht zwar erhebliche Differenzierungsfortschritte erreicht, aber keine grundsätzlichen Widersprüchlichkeiten namhaft gemacht wurden. Dies gilt auch in Bezug auf die anfängliche Genese organischen Lebens, wie bei genauerem Zusehen zu erkennen ist. Zwar attestiert das erste Kapitel der Genesis Leben im eigentlichen und entwickelten Sinne erst den Tieren. Doch wird, solange die spezifische Eigenart tierischen Lebens nicht geleugnet wird, dessen Kontinuitätszusammenhang mit präanimalischen Kreaturen nicht nur nicht in Abrede gestellt, sondern ausdrücklich vorausgesetzt. Bemerkenswert ist ferner, wie der Schöpfungsbericht das Anfangsstadium des Tierlebens umschreibt. Nach gefasstem göttlichen Entschluss, wonach die Gewässer, wie es schön heißt, von einem Gewimmel von lebenden Wesen wimmeln und Vögel über die Erde hinfliegen sollen am Firmament, treten als erste lebende Wesen große Seeungetüme auf. Das erstaunt, solange man nicht zur Kenntnis nimmt, dass es sich dabei um Größen handelt, die aus der mythischen Tradition des Alten Orients stammen und von dort in den gänzlich unmythischen, ja mythoskritischen und nach den Maßstäben der Zeit höchst rationalistischen Schöpfungsbericht übernommen wurden, der das Wissen von Generationen von Priestergelehrten speichert. Wie hat man sich diese Übernahme zu erklären? Im Mythos stehen die Seeungeheuer für Wesen, die in den Abgründen des Meeres und am äußersten Rand des humanen Kosmos ihr Dasein fristen und dem

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menschlichen Begreifen und vollends der menschlichen Nutznießung weitestgehend entrückt und entzogen sind. In ihrer Unheimlichkeit und derjenigen ihrer Wohnstatt, den ungeheuerlichen Meerestiefen, reflektiert sich unter den Bedingungen beginnenden Lebens noch einmal das chaotische Tohuwabohu, von dem zu Beginn der Genesis die Rede war. Was im grenzwertigen Bereich des Makro- bzw. Mikrokosmos statthat, begegnet, wenngleich in anderer Weise, im Zusammenhang der Genese des Lebens und an dessen Rändern wieder; sie rühren ans Chaotische. U. a. dafür stehen die dem Mythos entstammenden, aber im Schöpfungsbericht bereits entmythologisierten Seeungeheuer, mit denen die göttliche Erschaffung der Tiere ihren Anfang nimmt. Sie erinnern an den Unbestimmtheitsbezug, in dem alles Lebendige sich befindet und der auch für den Menschen durch keine Form der Selbst- und Welterfahrung behebbar ist. Die unheimlichen Seeungeheuer und das so form- und gestaltlos erscheinende Element, dem sie erwachsen und in dessen abgründigen Tiefen sie ihr Wesen treiben, steht aber auch und zugleich dafür, dass Gott, der allmächtige Schöpfer, des Unheimlichen Herr ist. Schließlich hat er selbst die Meeresungeheuer erschaffen, um von ihrer Randexistenz am äußersten Ende und in den untersten Tiefen der Welt her jenes rege Gewimmel von zahllosen Fischscharen heraufzuführen, das die Meere und sonstigen Gewässer durchschwärmt, und allerlei Arten von Vögeln in die freie Luft zu entlassen, die sich unter dem schützenden Firmament auftut, bis schließlich die Landtiere die Erde betreten, um so eine Umwelt für den Menschen zu bilden, die ihm wesentlich vertrauter ist als das anfängliche Ungetüm. Biologie ist ihrem Begriff zufolge Wissenschaft vom Leben. Als solche ist sie einerseits Physik und Wissenschaft vom Leben Chemie als basalen Wissenschaften der Natur, andererseits den Humanwissenschaften verbunden. Dieser Zwischenstellung hat sie auch methodisch Rechnung zu tragen. Die Natur macht keine Sprünge; davon war nicht nur der berühmte Botaniker Carl von Linné überzeugt. Das Recht dieses Grundsatzes wird durch den Hinweis nicht in Abrede gestellt, dass die biologische Wissenschaft eines Begriffes ihrer selbst und eines entsprechenden Methodenbewusstseins bedarf, welches beide sie auf rein physikalische und chemische Weise nicht zu erlangen vermag. Physik, Chemie und vergleichbare Basiswissenschaften der Natur bilden das Fundament der Biologie, auf das sie kontinuierlich und ohne Brüche aufzubauen hat. Gleichwohl wäre es abstrakt und unterkomplex, Biologie auf Chemie und Physik zu reduzieren. Um der Komplexität jener Entitäten konkret gewahr zu werden, die Lebewesen zu nennen sind und als solche den Gegenstand der Wissenschaft vom Leben bilden, muss die Biologie an die physikalischen, chemischen etc. Wissenschaften anschließen und sie zugleich transzendieren. Physik und Chemie sind unverzichtbare Teile und Konstitutionselemente der Biologie, nicht aber das biologische Ganze, welches, indem es physikalische und chemische Bestände in sich aufhebt, zugleich über sie hinausweist. Unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten ist evident, dass sich Natur-

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wissenschaft konstruktiv nur im kritischen Bewusstsein der Begrifflichkeit betreiben lässt, die sie leitet. Namentlich im Falle der Biologie ist diese Einsicht von grundlegender Relevanz, weil diese ansonsten Gefahr läuft, in Widerspruch zu ihrem Begriff zu geraten und, statt Lebendiges zu erkennen, zu verkennen, was Leben ist. Leben hat dingliche Komponenten, die sich auf dinghafte Weise und in objektiver Gegenständlichkeit erfassen lassen; aber es geht darin nicht auf. Ohne dessen inne zu werden, kann es einen Begriff und ein Verständnis des Lebendigen und damit wissenschaftliche Biologie nicht geben. Sie fasst nicht lediglich physikalische und chemische Sachverhalte wie Cluster zusammen, um sie durch Zusätze und Verfahren zu ergänzen, die für sie zweckmäßig sind. Denn was Zweck heißt, lässt sich in Bezug auf Lebewesen nicht mehr nur äußerlich erfassen, weil Organismen ab einem gewissen Entwicklungsstadium Zwecke in sich zu nennen sind. Physikalische Biologie und insbesondere Biochemie bilden Fundamentaldisziplinen biologischer Wissenschaft, insofern Lebendiges ohne atomare und molekulare Basis nicht zu existieren vermag. Wie alle Stoffe besteht auch die Zelle als Grundbestand aller lebendigen Entitäten aus Atomen, wobei sich die ursprüngliche Annahme, in Lebewesen gebe es andere Atome als in der unbelebten Materie, als unzutreffend erwiesen hat. Ohne Physik kommt Biologie nicht aus. Dies gilt umso mehr für ihr Verhältnis zur Chemie als der traditionellen naturwissenschaftlichen Mittel- bzw. Mittlerdisziplin zwischen Physik und Biologie. Das vom arabischen cheme „schwarz“, „Ägypten“ oder vom griechischen chyma „Metallguss“ abgeleitete Wort Chemie bezeichnet denjenigen Teil der Naturwissenschaften, der die Eigenschaften und Umwandlungen von Stoffen zum Gegenstand hat. Ein Alchemist, Alchimist oder Alchymist wurde im Mittelalter derjenige genannt, der – nicht selten nach aus Arabien übernommenen Rezepten – stoffliche Produkte und Elixiere der unterschiedlichsten Art herzustellen vermochte. Erst im Verlauf des Siegeszuges der streng empirisch verfahrenden Naturwissenschaften geriet die Alchymistenküche seit dem 17. Jahrhundert in den Verdacht unwissenschaftlicher Geheimniskrämerei. Die moderne Chemie ist antialchemistisch. Zentralthema der modernen Chemie bietet der durch unveränderliche artspezifische Eigenschaften charakterisierte Stoff. Wesentliche Aufgabe ist es, die stoffliche Zusammensetzung materieller Dinge zu analysieren, diese in ihre Bestandteile zu zerlegen, deren Struktur und Ordnung festzustellen und aus gegebenen Stoffen andere synthetisch aufzubauen. Erfüllt werden kann diese Aufgabe nur durch Erforschung der Gesetze, welche die Bildung und Reaktionen chemischer Verbindungen sowie stofflicher Veränderungen bestimmen. Intern wird die Chemie in der Regel in einen anorganischen und einen organischen Zweig unterteilt. Erstere Disziplin untersucht vornehmlich Stoffe, die keinen Kohlenstoff enthalten und vorwiegend aus der unbelebten Natur stammen, letztere die Vielfalt der Kohlenstoffverbindungen, deren Zahl die aller anderen chemischen Verbindungen übersteigt. Wichtige Kohlenstoffverbindungen sind neben Kohlenwasserstoffen Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate, ohne welche die biologische Entwicklung komplexer Lebewesen nicht möglich wäre.

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Die Übergänge der analytisch, synthetisch, präparativ und nach Maßgabe sonstiger empirischer Methoden arbeiteten Chemie zur Physik einerseits und zur Biologie andererseits sind fließend. Namentlich die in der Naturwissenschaft des 20. Jahrhunderts gewonnenen neuen Erkenntnisse über den Aufbau der Atome wurden in engster Zusammenarbeit von Physik und Chemie erschlossen und haben zu einer wachsenden Klärung der Zusammenhänge stofflicher Strukturen, Eigenschaften und Reaktionsweisen geführt, ohne welche nachgerade die Fortschritte in der Biologie nicht möglich gewesen wären. Haben als Stoffe alle chemisch zu untersuchenden Erscheinungsarten von Materie zu gelten, die durch ihre unabhängig von Größe und Gestalt gleichbleibenden spezifischen Eigenschaften charakterisiert sind, so nennt man chemische Elemente diejenigen Grundstoffe, die durch chemische Verfahren nicht in einfachere zerlegt werden können. Sie reichen von Actinium zu Zirkonium und sind jeweils mit einer Ordnungszahl und einem chemischen Zeichen versehen wie etwa C für Kohlenstoff, H für Wasserstoff oder O für Sauerstoff. Bestimmend für die chemischen Eigenschaften der Elemente ist ihr atomarer Aufbau. Hieraus ergibt sich das sog. Periodensystem, das bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgestellt und in der Folgezeit ergänzt und verbessert wurde. Seine physikalische Erklärung findet das periodische System der chemischen Elemente im Schalenaufbau der Atomhüllen, insofern die Eigenschaften der Atome der verschiedenen Elemente durch die der Kernladung korrespondierende Anzahl der Elektronen bestimmt ist. Was die äußere Schicht der Erde einschließlich der Meere sowie die Erdatmosphäre betrifft, so bauen sie sich aus verhältnismäßig wenigen chemischen Elementen auf. Am häufigsten begegnet Sauerstoff teils frei, teils im Wasser oder in Oxyden, gefolgt von Silizium im Gestein. Gebräuchlich ist die Unterscheidung der Elemente in Metalle und Nichtmetalle. Metalle hinwiederum lassen sich in Leicht- und Schwermetalle, letztere ihrerseits in niedrig-, hoch- bzw. sehr hochschmelzende untergliedern. Hält man sich an physikalische Untersuchungsmethoden, so legt sich die Differenzierung von sog. Reinelementen und Mischelementen nahe. Während in einem Mischelement Atome mit gleicher Elektronenhülle, aber jeweils etwas verschiedener Atomkernmasse enthalten sind, sind die Atome innerhalb eines Reinelements untereinander völlig gleich. Für nähere Aufschlüsse ist man an die Atompyhsik verwiesen. Die Atomphysik untersucht die Binnenstruktur der kleinsten Teile eines chemischen Elements, näherhin die Elektronenhülle der Atome unterschiedlicher Elemente und ihre Wechselwirkung bei der Molekülbildung. Die Artdifferenz der Atome wurde anhand ihrer chemischen Eigenschaften festgelegt, wobei hinzuzufügen ist, dass sich auch Atome gleicher Art im Bau des Atomkerns unterscheiden können, was jedoch bei ihren chemischen Eigenschaften kaum in Erscheinung tritt; Isotope verhalten sich chemisch identisch. Ihre Definition als kleinste Teile eines chemischen Elements besagt nicht, dass Atome, wie von ihrem Begriff her nahegelegt, unteilbar sind, sondern lediglich, dass die Teile eines Atoms für die das chemische Verhalten eines Elements kennzeichnenden Eigenschaften nicht unmit-

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telbar relevant sind. Die spezifischen Eigenschaften eines chemischen Grundstoffs sind jeweils durch das Atom als Ganzes bestimmt, dessen Art sich von anderen Atomarten charakteristisch unterscheidet. Als kleinste chemische Einheiten sind die Atome untereinander verschieden, aber strukturell vergleichbar, weil ihr Aufbau signifikante Gemeinsamkeit aufweist. Basiert die Chemie, indem sie die ZusammensetPhysik, Chemie, Biologie zung gleicher und unterschiedlicher Elemente und die Struktur dieser Zusammensetzung zu bestimmen sucht, auf Physik, ohne auf sie reduzierbar zu sein, so gilt entsprechendes für das Verhältnis von Biologie und Chemie. Erstere Wissenschaft hat letztere zur Voraussetzung, weist aber zugleich über sie hinaus. Was für die Physik das Atom und für die Chemie die molekulare Verbindung ist für die Biologie die Zelle. Sie bildet den Grundbestand aller lebendigen Entitäten, welche die Wissenschaft vom Leben erforscht. Dabei enthält die Zelle Atome und Moleküle als ihre impliziten Voraussetzungen, aus denen sie zusammengesetzt ist und ohne welche sie nicht wäre, was sie ist. Biologie basiert entsprechend auf Physik und Chemie. Doch stellt sie unbeschadet dessen einen Wissenschaftsbereich von eigener Valenz und Dignität dar, dessen komplexe Eigenart sich nicht auf ausschließlich physikalisch und chemisch verfasste und erfassbare Sachverhalte zurückführen lässt. Zwar verfolgen die Naturwissenschaften in der Regel eine reduktionistische Methode, die analog zum Wesen der Natur ihre Wesensnatur auszumachen scheint. Doch muss der tendenzielle naturwissenschaftliche Reduktionismus spätestens dann als gegenstandsinadäquat gelten, wenn er im Verfolg der Absicht, Komplexität zu reduzieren, unterkomplexe Ergebnisse zur Folge hat. Das Wesen von Entitäten, die als Lebewesen zu gelten haben und den eigentümlichen „Gegenstand“ der Biologie als der Wissenschaft vom Leben darstellen, sind zwar nicht ohne Kenntnisse physikalischer und chemischer Sachverhalte, aber dennoch nicht unmittelbar aus diesen heraus erklärbar. Um ihrem Begriff und ihrem Gegenstand zu entsprechen, muss sich Biologie als eine Wissenschaft eigener Art begreifen, die zwar an Physik und Chemie und andere ihr zugrundeliegende Wissenschaftsdisziplinen anschließt, ohne doch in diesen aufzugehen. Einer Biologie, die nichts anderes wäre als eine Spezialform der Physik oder der Chemie, müsste ihr eigentümlicher Forschungsgegenstand zwangsläufig äußerlich bleiben. Denn um inne zu werden, was lebendige Entitäten an sich selbst sind, reichen rein physikalische bzw. chemische Methoden nicht aus. Gegenstandsadäquanz ist ohne Methodenreflexion nicht zu erreichen. Im Übrigen ist stets zu bedenken, dass Naturwissenschaften Wissenschaften sind, die von Wissensformationen bestimmt sind, wie sie in der extrahumanen Natur nicht vorliegen. Es darf auch naturwissenschaftlicherseits nicht übersehen werden, dass das Geschäft der Wissenschaft einschließlich der Naturwissenschaften ein Unternehmen ist, das Bewusstsein und sich wissendes Wissen unveräußerlich voraussetzt. Zwar ist es nicht nur zulässig, sondern durchaus produktiv, vom aktuellen Wissen, Wissenschaft zu sein, zu abstrahieren. Gerade in den Naturwissenschaften kann

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eine tendenzielle Bewusstlosigkeit bezüglich der eigenen Wissenschaftlichkeit durchaus ein Indiz der Gegenstandsadäquanz und einer entsprechenden Hingabe an die Sache sein. Eignet doch den Objekten naturwissenschaftlichen Forschens nach allem, was Naturwissenschaften wissen, in den allermeisten Fällen kein Bewusstsein, geschweige denn ein entwickeltes Bewusstsein ihrer selbst. Ein gleichsam subjektloses, ohne Begriff seiner selbst vollzogenes Begreifen lässt sich als gegenstandsadäquat in Bezug auf Objekte begreifen, die ihrer selbst nicht inne sind, also zwar da, aber nicht für sich selbst, sondern nur für andere, nämlich für jene Wesen da sind, die ihrer auf die eine oder andere Weise inne zu werden vermögen. Zwar kann man schon im Hinblick auf physikalische und nachgerade auf chemische Objekte nicht ohne Recht fragen, ob sie sich rein gegenständlich und auf schlechterdings subjektlose Weise angemessen verstehen lassen. Doch fällt eine rein dingliche Betrachtung, die Äußeres als bloß äußerlich auffasst, dort kaum ins Gewicht, wo es um Dinge geht, denen fehlt, was Leben heißt. Das Wesen lebendiger Entitäten hingegen verlangt eine Form der Wahrnehmung, die über Verdinglichung hinausreicht. Ansonsten lässt sich die Differenz zwischen Nichtlebendigem und Lebendigem schon im Ansatz nicht erfassen. Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass Kontinuitätszusammenhänge zwischen Nichtlebendigem Doppelhelix und Lebendigem gegeben sind, welche die Differenz zwischen beiden verflüssigen, ohne sie deshalb zu beseitigen. Ihre Rekonstruktion ist insbesondere die Aufgabe von Biochemie, Molekularbiologie und Genetik, deren Forschungsergebnisse in jüngerer Zeit der Biologie mit Recht eine Vorrangstellung innerhalb der Wissenschaften verschafft haben. Die Nukleinsäuren DNA und RNA sowie ihre Übersetzungsprodukte bilden die Grundbestände der Zellen und damit allen Lebens (vgl. Campbell/Reece, 339 ff.). Die Desoxyribonucleinsäure, kurz DNA genannt, ist das Trägermolekül der Gene und aus drei Grundkomponenten, den sog. Nucleotiden aufgebaut, dem Zucker Desoxyribose, stickstoffreichen Basen in den Varianten Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin sowie aus Phosphat. Diese Grundeinheiten bilden gemeinsam einen DNA-Einzelstrang aus, der sich mit einem anderen zu einem Doppelstrang verbindet, wobei sich die Stränge spiralartig umeinander wickeln, wodurch die sog. Doppelhelix zustande kommt, deren physikalische und chemische Struktureigenschaften hier nicht zu thematisieren sind. Als eine Art von Zwilling der DNA fungiert die sog. RNA, die Ribonucleinsäure, die ebenfalls aus drei verschiedenen chemischen Grundbausteinen besteht und sich von der DNA abgesehen davon, das sie wesentlich kürzer ist als diese und meist nur als Einzelstrang vorkommt, lediglich in der Art des Zuckers und der Basenauswahl unterscheidet: statt Thymin wird in der RNA Uracil verwendet. Entscheidende Aufgabe der RNA in Form der Boten-RNA ist der Transport genetischer Informationen. Als Komplement von DNA-Abschnitten übermittelt sie deren genetischen Code den sog. Ribosomen, damit diese entsprechende Proteine hervorbringen. Nach geleisteter Übersetzungsarbeit nimmt die RNA früher oder

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später unleserliche Form an und fällt der Zerstörung anheim, um auf diese Weise zur Steuerung der Proteinmenge und zur Aufrüstung des Basenbausteinvorrats beizutragen. Als Ergebnis des in den drei Schritten der sog. Initiation, Elongation und Termination erfolgten Vorgangs der Transkription genetischer Informationen, die in der DNA codiert sind, enthält eine RNA die Bauanleitung für ein Protein. Die sog. Translation als der Vorgang der Proteinherstellung erfolgt wie die Transkription in drei Schritten mit dem Resultat vollzogener Genexpression in Proteinensembles, ohne welche kein Leben zustande kommt und durch die zugleich die Diversität alles Lebendigen in seiner organischen Differenziertheit bestimmt wird. Als Übersetzungsprodukte des genetischen Codes der DNA stellen die Proteine genannten Eiweißmoleküle ihrem Namen gemäß neben den Nukleinsäuren die ersten und wichtigsten Funktionselemente alles Lebendigen dar, auch wenn es noch eine ganze Reihe anderer Moleküle gibt, die, wie etwa Vitamine, im Stoffwechsel von Organismen eine grundlegende Rolle spielen. Die Desoxyribonucleinsäure als Trägersubstrat oder Speicher der genetischen Information, deren Struktur James Watson und Francis Crick 1953 erstmals aufzuklären vermochten, die Ribonucleinsäure, mittels welcher die Codons der DNA abgelesen und übersetzt werden, und die nach Maßgabe der RNA gebauten Proteine bilden die, wenn man so will, Rohstoffe der Biologie, zu denen zwar noch andere biochemische Bestände hinzutreten müssen, damit Leben sich lebendig entfalte, ohne die aber kein organisches Leben in Form von Wesen möglich ist, die sich von anorganischen Entitäten unterscheiden. In Anbetracht der differenzierten Struktur ihres jeweiligen Aufbaus und der Komplexität ihres Verhältnisses zueinander scheint es vermessen zu sein, den Zusammenhang, der unter den einzelnen Elemente der besagten „Rohstoffe“ und zwischen ihnen waltet, auf einen systematischen Begriff bringen zu wollen. Gleichwohl lässt die skizzierte molekularbiologische Beschreibung der elementarsten Lebensgrundlagen eine gewisse Logik des Lebendigen erkennen, die auch unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht unbedacht bleiben sollte. In der DNA sind alle Informationen über ein Lebewesen in Form von Codons gespeichert. Sofern das Genom den Bauplan eines Lebewesens enthält, kann es als dessen identitätsstiftendes Prinzip bezeichnet werden. Doch bedarf es, um den DNA-Plan zu realisieren, der Vermittlungsinstanz der RNA, ohne deren Transkriptionsleistung jene Translation nicht erfolgen könnte, welche die Bedingung dafür ist, dass aus einer abstrakten und in ihrer Abstraktheit irrealen Möglichkeit jene organische Realität entsteht, die allein auf der Basis der Proteine zu verwirklichen ist. Gemäß biologischer Logik ließe sich somit das Verhältnis von DNA, RNA und Proteinen begrifflich als ein gerichteter Zusammenhang von identitätsbegründender Einheit, differenzerschließender Verschiedenheit und Einheit von Einheit und Verschiedenheit beschreiben, wobei sich am komplexen Zentralaufbau jedes einzelnen molekularbiologischen Rohstoffes zu erkennen gibt, dass die Logizität der Biologie reflexer Art ist dergestalt, dass in jedem Teilmoment sich das

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Ganze des organisch gerichteten Verlaufs widerspiegelt. Anders lässt sich der biologische Entwicklungsgedanke in der ihm eigenen Organologik gar nicht begreifen. An der Zellentwicklung sei dies ansatzweise exemplifiziert. Die Zelle ist nach üblicher biologischer Nomenklatur die rudimentärste organische Einheit und Zellentwicklung das Grundelement, aus dem alle Lebewesen zusammengesetzt sind (vgl. Pollard/Earnshaw). Einzeller bestehen aus einer, Mehrzeller aus vielen Zellen. Als charakteristisches Kennzeichen einer Zelle werden in der Regel Eigenständigkeit und die Fähigkeit zu befristeter Selbsterhaltung benannt. Ob diese Charakteristika hinreichen, Begriff und Wesen einer Zelle zu bestimmen, bedarf der Prüfung. Sortiert wurden die Zellwesen üblicherweise in zwei Arten, in Prokaryoten und Eukaryoten. Prokaryotische Zellen haben keinen von einer Membran umschlossenen Zellkern. Ihre DNA schwimmt unzentriert im Zellinneren, das zwar vom Zelläußeren signifikant unterschieden, im Binnenbereich aber noch weitgehend undifferenziert ist. Das Innen-Außen-Verhältnis ist, wenn man so will, obwohl äußerlich gegeben, noch nicht in die Binnenstruktur der Zelle eingegangen. Anders stellt sich die Angelegenheit im Falle eukaryotischer Zellen dar. Sie haben einen von einer Kernhülle umschlossenen Zellkern, in dem sich die DNA zentriert. Insgesamt sind Eukaryoten ungleich komplexer strukturiert als Prokaryoten und im Unterschied zu diesen in sich differenziert und durch Organellen in verschiedene Binnenräume unterteilt. Im Sinne biologischer Logik kann und muss man sagen, dass eukaryotische Zellen ungleich lebendiger sind als prokaryotische, welche sich unbeschadet der Beständigkeit ihrer Art als Übergangsphänomen vom Anorganischen zum Organischen qualifizieren lassen, welches in Form eukaryotischer Zellen entwickelte Gestalt anzunehmen beginnt. Dass prokaryotische Zellen die Zellen von Einzellern sind, wohingegen die Zellen mehrzelliger Pflanzen und Tiere eukaryotische Zellen sind, bestätigt diesen Sachverhalt. Zur Grundausstattung eukaryotischer Zellen gehören neben der Zellmembran, die das Innere der Zelle von ihrer Außenwelt unterscheidet, dem Zellkern, in dem sie zentriert ist, und den Organellen, die ihren Binnenraum differenzieren, das sog. Cytosol, also der flüssige Inhalt der Zelle, der zusammen mit den Organellen das Cytoplasma bildet. Im Cytoplasma finden zahlreiche Stoffwechsel statt, ohne die das von ihrem Kern her gesteuerte Leben der Zelle nicht möglich wäre. Analog zum Verhältnis von DNA, RNA und Proteinen gibt auch dasjenige von Zellkern, Cytoplasma und der membranumschlossenen Zelle insgesamt Anlass zu Fragen nach einer erkennbaren biologischen Logik und das umso mehr, als zwischen beiden Verhältnissen Beziehungen walten, die nicht unbedacht bleiben dürfen, wenn Leben in seinen ursprünglichen Formen verstanden werden soll. Während sich die chromosomale DNA, welche den identitätsbestimmenden Informationscode eines Lebewesens enthält, im Zellkern zentriert, befindet sich die RNA außer im Zellkern, den Mitochondrien oder Chloroplasten auch im Cytoplasma der Zelle, um den Informationsfluss von der DNA zu den Proteinen

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zu vermitteln und jene Proteinsynthese zu ermöglichen, welche die Bedingung des zugleich selbst- und fremdbezüglichen Lebens der Zelle ist. Lebendig ist die Zelle als eine organische Einheit differenter Größen, die offenbar nach einer bestimmten biologischen Logizität dergestalt organisiert sind, dass Außenbezug und selbstreferentielle Binnenbeziehung auf eine Weise zusammengeschlossen werden, die jenes fortschreitende Innewerden des Innen-Außen-Verhältnisses ermöglicht, welches den Prozess der Lebensentwicklung kennzeichnet. Im Unterschied zum „stabilen“ Genom ist das Proteom jedes Lebewesens in „ständiger“ Veränderung begriffen. Doch hebt diese Veränderung, die Metamorphosen von der Kaulquappe zum Frosch umfassen kann, die Einheit des lebendigen Organismus nicht zwangsläufig auf, sofern Leben als eine reflexe Einheit von Einheit und Verschiedenheit fungiert. Lebendiges unterliegt nicht nur Veränderungen, sondern entwickelt sich. Um zu begreifen, was damit gesagt ist, bedarf es einer entsprechenden biologischen Logizität, die Identität und Differenz in reflexer Weise zusammenzudenken vermag, wobei ein teleologischer Einschlag wohl in allen Fassungen des Entwicklungsbegriffs unvermeidbar ist. Wie sich unter dieser Voraussetzung das Verhältnis von Ontogenese und Phylogenese darstellt, bleibt auch dann eine offene Frage, wenn man eine analoge Beziehung zwischen beiden in Abrede stellt. Offen zu halten ist ferner die Frage, wie der biologische Zweck bestimmt werden soll, den die ontogenetische und phylogenetische Entwicklung verfolgt. Lässt sich ein der Lebensentwicklung immanentes Ziel benennen, das einen Begriff vom eigentümlichen Wesen und Wert des Lebens zu vermitteln vermag? Diese Frage stellt sich mit innerer Notwendigkeit nicht nur im Blick auf das Einzellebewesen und seine klassifizierende Bewertung, sondern auch in Bezug auf den stammesgeschichtlichen Evolutionsprozess insgesamt. Die im Vollzug begriffene Verlaufsform organiZentraldogma der schen Lebens kann offenbar nur als eindeutig Molekularbiologie gerichteter Prozess verstanden werden. Dafür spricht bereits das von Francis Crick formulierte Zentraldogma der Molekularbiologie, wonach der Fluss genetischer Information in allen lebenden Zellen von der DNA zur RNA und mittels dieser zum Protein und nicht umgekehrt verläuft. Indes hat man mittlerweile Viren entdeckt, die vermöge eines ihnen eigenen Enyzms RNA zu DNA zurückzuschreiben vermögen. Abgesehen von dem ungewöhnlichen Vorgang der sog. reversen Transkription war schon seit langem bekannt, dass die RNA zusammen mit ihrer Aufgabe als Transporter genetischer Information auch diejenige der Genregulation übernimmt, ohne welche die Diversität des Lebendigen weder zu begründen noch zu erhalten wäre. Interessant ist beispielsweise, dass die nicht für ein Protein codierte Menge an RNA in einer Zelle desto größer ist, als je höher entwickelt das betreffende Lebewesen zu gelten hat. Für die Frage der Evolution des Lebens ist das Problem seines Anfangs und damit das Problem des Übergangs von prokaryotischen zu eukaryotischen Zellen von besonderer Relevanz. Nach Maßgabe der sog. Endosymbiontentheorie sind

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Mitochondrien, die man gleichsam als Zellen in der Zelle ansehen kann, dadurch entstanden, dass Einzeller sich andere Einzeller einverleibten, so dass Anderes zum Eigenen wurde, ohne aufzuhören Anderes zu sein. Es hatte sich allerdings von einem äußeren zu einem inneren Anderen gewandelt, so dass die Beziehung von Innen und Außen sich zu einer Beziehung nicht nur von äußerer, sondern zugleich von innerer Art gestaltete. Die Natur begann auf diese Weise, um es im Anklang an Hegel zu sagen, in sich zu gehen, auch wenn es sich bei diesem anfänglichen Insichgehen um ein Insichgehen von noch sehr äußerlicher Art handelte. Wie immer man die sog. Endosymbiontenhypothese und ihre mögliche Fortentwicklung zu der Annahme zu beurteilen hat, dass eukaryotische Zellen dadurch entstanden sind, dass prokaryotische andere prokaryotische Zellen umschlossen haben: sie enthält einen bemerkenswerten Hinweis darauf, dass die biologische Logik ohne Selbstreferentialität sowie entsprechende Begrifflichkeiten und Theoreme nicht auskommt. Lebende Systeme sind mehr und anderes als die Summe ihrer Teile. Als organisches Ganzes werden sie erst erkannt, wenn die Komponenten, aus denen sie gebildet sind, in ihrer Bezüglichkeit so wahrgenommen werden, dass jene Selbstreferentialität zutage tritt, die unveräußerlich zum Begriff des Lebens in all seinen Seinsgestalten gehört. Grundlegend für zelluläre Biosysteme ist erstens die Markierung der InnenAußen-Differenz wie sie durch die Ausbildung einer Membran zustande kommt, die für alle Urzelltypen in mehr oder minder stabiler Form in Anschlag zu bringen ist. Doch erschöpft sich das Wesen bereits von Urzelltypen wie etwa Bakterien nicht in der Membranbildung, zumal da schon zu ihrer Erklärung Annahmen erforderlich sind, die eine bloße Separierungslogik transzendieren. All dies und vieles mehr mahnt zur Vorsicht gegenüber allzu einlinigen und monokausalen Versuchen, die Evolution des Lebens zu plausibilisieren. Nicht selten sind solche Versuche begrifflich zu undifferenziert, um die Komplexität von Lebensphänomenen in ihrer Genese zu erfassen. Ist die Genese des Lebens ursprünglich genetisch bedingt oder haben sich Gene erst allmählich entwickelt? Wie ist im Verein mit der Entstehung von Zellen die Entwicklung von einzelligen zu mehrzelligen Lebewesen und schließlich die Ausbildung der biologischen Grundbaupläne sog. höherer Lebewesen zu verstehen? Reicht es hin, mit kontingenten Variationen und Mutationen eines biologischen Substrats zu rechnen, was immer damit gemeint ist? Sind die enormen Zuwächse an Komplexität reduktionistisch oder durch Prinzipien der Selektion bzw. optimaler Reproduktionsfähigkeit hinreichend zu erklären? Die aktuelle Biologie rechnet mit zwei Spezies Prokaryoten und prokaryotischer Ureinzeller: mit den Archäazellen Eukaryoten und den Bakterien. Als dem Anfangsstadium des Lebens zugehörig erweisen sie sich u. a. darin, dass der Fluss genetischer Information in ihrem Fall primär nicht vertikal, in Richtung einer Nachkommenschaft, sondern in großem Umfang weiterhin horizontal-lateral erfolgt, wie dies vor dem Entstehen stabiler Zellen die Regel war und für die Ausbildung von Immunsyste-

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men nach wie vor virulent ist, etwa wenn Säugetiere Gene von Viren in ihr eigenes Genom übernehmen. Im Falle der Prokaryoten kann der überwiegend seitlich verlaufende Gentransfer als ein Indiz für eine erst im Anfang begriffene Lebensentwicklung gedeutet werden. Das räumliche Nebeneinander dominiert gewissermaßen noch das temporale Nacheinander, das für die Lebendigkeit des Lebens kennzeichnend ist. Was Leben heißt zeitigte sich sozusagen erst allmählich, um gleichsam erst im Nachhinein in seinem Entwicklungsbeginn identifiziert werden zu können. Zwar bleibt auch unter den Bedingungen entwickelten Lebens der horizontale Gentransfer erhalten; aber bestimmend wird der vertikale, nachkommenschaftsorientierte und damit zeitlich erstreckte. Veränderung hat nicht mehr nur auf äußerliche, sondern im innerlichen Sinne eines reflexiven und progressiven Sichveränderns statt und zwar dergestalt, dass Selbigkeit und Anderssein keine Gegensätze mehr darstellen, sondern ein kontinuierliches Wechselverhältnis mit unumkehrbarer Ausrichtung bilden. Nach Maßgabe der erwähnten Theorie der sog. Endosymbiose wurde ein wesentlicher biologischer Evolutionsschub dadurch bewirkt, dass Archäazellen Bakterien in sich aufnahmen und in den eigenen Zellorganismus integrierten, wodurch ein neuer, zukunftsträchtiger Zelltyp generiert wurde, der sog. eukaryotische. Auch wenn Zweifel an Einzelmomenten dieser Theorie angebracht sein mögen, so ist sie doch bio-logisch insofern plausibel, als es zur fortschreitenden Entwicklung von Leben eines Insichgehens und Reflexivwerdens der prokaryotischen Außenverhältnisse bedurfte. Im eukaryotischen Zelltyp manifestiert sich, wie es scheint, ein Zwischenresultat dieses Prozesses. Nach fachmännischem Urteil sind Eukaryoten zur Basis des sich weiter und komplexer ausbildenden Lebens geworden bis hin zur Pflanzen- und Tierwelt. Der Nichtfachmann kann diese Annahme nicht überprüfen, sondern muss sich mit der Auskunft zufriedengeben, dass es zum Vorankommen des evolutionären Lebensprozesses der Fortbildung von einzelligen Eukaryoten zu Mehrzellern bedurfte, wie sie im sog. Proterozoikum erfolgte, in der sich durch Genmultiplikation, Fortwirken des horizontalen Gentransfers, Endosymbiosevariationen oder Mutationen vielfältige Spezies innerhalb der Eukaryotengruppe ausbildeten, aus deren Zusammenhang Eumetazoa, also mehrzellige Lebewesen und in einem weiteren großen Schritt auch Bilateralia, also Lebewesen mit rechts-links-symmetrischem Körperbau und Körperlängsachse hervorgingen. Vielzelligkeit erfordert ein komplexes genetisches Programm, um Teilungsebenso wie Bindungsvorgänge koordiniert zu steuern. Es ist erstaunlich, wie vergleichsweise schnell dieser Prozess verlief: Biologen sprechen von der „Kambrischen Explosion“, in deren Folge zunächst amorphe Vielzeller in Form von Schwämmen, sodann radial symmetrische Vielzeller und schließlich Lebewesen mit bilateraler Symmetrie in Erscheinung traten. Dabei wirkten Faktoren der Genstabilisierung, -duplizierung, -differenzierung und -rekombinierung auf schwer überschaubare Weise zusammen, um jene genetischen Entwicklungsschübe zu bewirken, ohne welche der evolutionäre Komplexitätszuwachs an Leben nicht

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denkbar wäre, der schließlich über Wirbeltierfische, Knochenfische, Amphibien und Reptilien das Auftreten von Säugetieren inklusive der Primaten und der Menschen ermöglichte. Um es kurz zu machen und zum Schluss die entscheidende Frage bündig zu formulieren: Wie Biologische Genesen lässt sich der Prozess biologischer Komplexitätssteigerung bis hin zur Hominisation systematisch stimmig beschreiben? Mit Kontinuität ist gewiss auch bei explosionsartigen Entwicklungsschüben zu rechnen; die Natur, noch einmal, macht keine Sprünge. Doch folgt daraus nicht zwingend jener Reduktionismus, der meint, biologische Genesen und ihre Resultate umstandslos auf physikalisch-chemische Sachverhalte zurückführen zu können. Kontraveniert konsequente Reduktion biologischer Komplexität nicht zwangsläufig dem fortschreitenden Prozess ihrer Steigerung, dessen Genese verständlich gemacht werden soll? Modelle biologischer Systemerfassung wie dasjenige der Emergenz oder der Supervenienz dürften weiterführend und am ehesten geeignet sein, nicht nur Einzelprozesse biologischer Selbstorganisation, sondern den Gesamtprozess der Lebensentwicklung zu bestimmen, der nach mittlerweile fast allgemeinem Sprachgebrauch mit dem Begriff der Evolution bezeichnet wird. Im Verlauf des evolutionären Prozesses, so die Grundannahme der Emergenztheoretiker, ist mit dem Auftauchen und Emporkommen, eben mit der Emergenz von Momenten zu rechnen, die irreduzibel neu sind gegenüber denjenigen Faktoren, aus denen sie entstanden sind, ohne dass dadurch die Kontinuität des prozessualen Geschehens auf supranaturale oder welche nichtnatürliche Weise auch immer unterbrochen würde. Zwischen Ei und Henne besteht ein Zusammenhang, der sich evolutionär insofern nennen lässt, als sich aus dem Ei als dem Edukt ein Huhn als Produkt naturgemäß und kontinuierlich entwickelt, sofern die stetige Fortdauer des Entwicklungsprozesses nicht unterbrochen wird. Dennoch und unbeschadet dessen wird man schwerlich sagen können, dass ein Ei im Grunde dasselbe sei wie ein Huhn, auch wenn dieses „in ovo“ bereits „angelegt“ ist. Der dem Lateinischen entlehnte Evolutionsbegriff ist wie der deutsche Begriff der Entwicklung schillernd und in seiner Verwendung nicht eindeutig. In seinem biologischen Gebrauch steht er in der Regel im Kontext der Abstammungslehre, die mit einem nicht minder uneindeutigen Begriff operiert, um die Genese des heutigen Arten- und Formenreichtums des Lebendigen begreiflich zu machen. Die evolutionäre Abstammungslehre besagt, dass die Vielfalt differenter Organismusklassen oder Sorten von Lebewesen nicht ursprünglich und in unveränderlicher Konstanz gegeben war, sondern sich stammesgeschichtlich prozessual und in einem langen Zeitlauf in Form einer gestaffelten Ordnung ausgebildet hat. Ein Gegensatz zu einer biblisch orientierten Schöpfungslehre muss mit dieser Annahme solange nicht verbunden sein, als sich die Evolutionstheorie auf eine empirisch begründete Rekonstruktion des naturgeschichtlichen Prozesses der Entwicklung und des Wandels der Arten beschränkt. Widersprüche ergeben sich erst, wenn der Begriff der Naturentwicklung in trans-

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empirisch-metaphysischer Weise gebraucht und dergestalt totalisiert wird, dass „der Weltprozess als Ganzer als eine Art große einheitliche Substanz mit wechselnden Zuständen“ (Spaemann u. a. [Hg.], 3) erscheint. Erst unter dieser Voraussetzung treten, wenn man so will, Gott und Natur in Konkurrenz. Der dann zu führende Streit kann nicht mit Mitteln empirischer Wissenschaft, sondern allenfalls im Sinne eines metaphysischen Empirismus behoben werden, wie der späte Schelling ihn vertreten hatte (vgl. Barth). Charles Darwin begründete die biologische EntEntstehung der Arten wicklungsordnung in seinem 1859 erschienenen Grundwerk „Von der Entstehung der Arten“ im Wesentlichen selektionstheoretisch, nämlich durch die Lehre von der natürlichen Auslese: Je höher die Eignung, sich an die Umweltbedingungen gegebenenfalls durch Mutationen anzupassen, desto höher ist die Überlebensrate (the survival of the fittest). Inzwischen hat die darwinische Standardform der Evolutionstheorie mancherlei Modifikationen erfahren, etwa hinsichtlich ihrer genealogisch-genetischen Bezüge. Keineswegs jede an Darwins Forschungsergebnisse anschließende Theorie biologischer Evolution muss zu jenen „darwinistischen“ Reduktionskonsequenzen führen, wie sie der Urzeugungstheoretiker Ernst Haeckel und seine Monistenbündler für zwangsläufig hielten. Mit diesem Hinweis wird sich der bis heute fortwährende Streit zwischen Darwinisten und Antidarwinisten nicht ohne weiteres schlichten lassen, zumal da die Streitparteien vielfach in sich gespalten sind und in ihrem Verhältnis zueinander keinen einfachen Gegensatz bilden (vgl. Kummer, Schöpfung; näherhin ders., Darwin, bes. 197 ff.; ferner: Kessler); doch vermag er die Aufmerksamkeit auf dasjenige Begründungsproblem zu fokussieren, das für alle Evolutionstheorien in der Vielzahl ihrer Ansätze strukturell entscheidend ist. Die Vielzahl evolutionstheoretischer Ansätze sollte weder als Indiz der Beliebigkeit ihrer Theoriebildungen noch dahingehend verstanden werden, „dass es sich bei dem Referenten des Ausdrucks ‚Evolution‘ um eine bloße Konstruktion handelt. Allerdings kann die – methodologisch wenig überraschende – Vermutung ergehen, dass die Einheit des Naturvorganges ‚Evolution‘ kein empirischer Sachverhalt ist, sondern die Voraussetzung auch nur einer einzigen Konzeptualisierung derselben“ (Krohs/Toepfer [Hg.], 250). Evolution versteht ein situativ Gegebenes bzw. einen Zusammenhang von Gegebenheiten als Ergebnis einer vorhergehenden Entwicklung. Soll diese Entwicklung als ein ursprüngliches Sichentwickeln gedacht werden, muss der Evolutionsursprung den Reflex auf sein Ergebnis bereits unausdrücklich in sich enthalten. Er steht unter der Voraussetzung antizipativ vollzogener Einheit von Edukt und Produkt. Um sie als aus ihm hervorgehend begreifen zu können, müssen die Entwicklungsergebnisse in bestimmter Weise schon in den Ursprung eingegangen sein, dessen Anfangsstellung nicht von jener vermittlungslosen Unmittelbarkeit ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Auch eine Theorie biologischer Evolution, die einen entwickelten Begriff ihrer selbst hat, muss daher ihre Tendenz zu kausaler Reduktion mit gegenläufigen

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Bestrebungen teleologischer oder teleologieanaloger Art verbinden. Nur so lässt sich die Evolutionsgeschichte unter Verarbeitung empirischer Daten konstruktiv als Geschichte einer sich entwickelnden Entwicklung begreifen. Die nachdarwinische Geschichte der evolutionsgeschichtlichen Theoriebildungen beweist, dass sich ein entsprechendes Bewusstsein in der Biologie ausgebildet hat. Man muss kein Vertreter kontra-, anti- oder nichtdarwinistischer Theorien (vgl. Krohs/Toepfer [Hg.], 267 ff., bes. 281 f.) sein, um sich von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass der Prozess biologischer Entwicklung in der Einheit von, wenn man so will, „evolution“ and „development“ einen Vollzug darstellt, in dem sich sowohl aus empirischen als auch aus Gründen methodischer Systematik kausale und finale Bestimmungsmomente ebenso wenig trennen lassen wie „explanans“ und „explanandum“. Das Forschungsprogramm der evolutionären Entwicklungsbiologie und ihr Versuch einer Theoriensynthese bilden dafür nur ein Beispiel (Krohs/Toepfer [Hg.], 322 ff.). Solange die Theorie der Evolution empirieorientiert bleibt und sich nicht zu einer pseudometaphysischen Ideologie im Sinne etwa der Monisten entwickelt, wird sie für Evolutionen ihrer selbst offen sein, so dass sich theoretische Revolutionen gegen sie erübrigen. Christliche Schöpfungstheologie und Theorien biologischer Evolution bilden keinen Gegensatz wechselseitiger Exklusion, so unterschiedlich sie angelegt sind (vgl. Altner, Ganoczy, bes. 143 ff., Kehl, bes. 25 ff., 302 ff. u. a.). Letztere werden erstere dazu motivieren, sich in ein konstruktives Verhältnis zu setzen zu biologischer Empirie und zu Daten wissenschaftlicher Welterfahrung. Eine bleibende Aufgabe von Philosophie und Theologie wird vorzugsweise darin bestehen, die Naturwissenschaft im Allgemeinen an ihre kulturelle Herkunft und die Biologie im Besonderen an den unlöslichen Zusammenhang zu erinnern, in dem sie gerade auch in der Erforschung extrahumaner Entitäten mit der menschlichen Lebenswelt steht. So wurde vonseiten kulturphilosophisch orientierter Wissenschaftstheorie der Biologie betont, „dass die Rede über den Menschen und seinen Leib, die Beschreibung dieses Leibes als Körper der methodische Anfang der Strukturierung von Körpern nicht-menschlicher Lebewesen“ (Krohs/Toepfer [Hg.], 414) sei. Die Folgethese lautet: „Das Wissen vom nicht-menschlichen Lebewesen hat seinen Grund in unserem Wissen von menschlichen Lebensformen und nicht etwa umgekehrt.“ (Krohs/Toepfer [Hg.], 413) Dieser Grundsatz wäre missverstanden bzw. falsch, würde er zu einer Abschottung des Bewusstseins des Menschen und seines Wissens um sich selbst von Empirie und Welterfahrung führen, ohne die auch Selbsterfahrung nicht möglich ist. Ansonsten hat der Satz seine Richtigkeit. Man erinnere, was eingangs zu Gauß und seinem Gehirn gesagt wurde.

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In seiner zweiteiligen (1779/1806) Propädeutik Schlözers Weltgeschichte einer „historia universalis“, wie sie Kindern zu lehfür Kinder ren sei, hat der aufgeklärte Göttinger Geschichtswissenschaftler und Publizist August Ludwig von Schlözer (1735–1809) unter Berufung auf das biblische Genesisbuch die Abstammung aller Menschen von Adam und Eva mit dem Argument verteidigt, dass die Annahme eines einheitlichen Ursprungs des Menschengeschlechts um der Anerkennung prinzipieller Parität aller seiner Glieder willen nötig sei. Ursprünglich seien alle Menschen gleich und „einer so gut wie der andere“ (Schlözer II, § 17). Die Unterschiede, die sich unter Menschen im Laufe der Generationenfolge ausgebildet hätten, höben ihre grundsätzliche Einheit nicht auf. Als Nachkommen ihrer Stammeltern seien sie alle Kinder einer einzigen Familie und untereinander geschwisterlich verbunden. Schlözer lässt seine Dorothea eine Reihe von Manns- und Weibsbildern unterschiedlichsten Aus- und Ansehens betrachten, eine Comtesse aus Paris und eine Kamtschadalin aus Gala, einen Hottentotten vom Kap und den Engländer Newton, eine Exzellenz aus Mandschu und daneben eine Feuerländerin: „Schau hier, mein Kind, lauter echte Adams-Söhne und Evas-Töchter in zuverlässigen Porträts, alle Deine Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen.“ (Schlözer I, § 26) Der Substanz nach gibt es nach Schlözer unter den Menschen keine Unterschiede; diese sind allesamt akzidentell. Im Wesentlichen hingegen sind alle Menschen eins und zwar sowohl in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht. „Der Neger auf Guinea, der Irokese am Ontario, der Kalmücke am Altai und selbst der Kakerlake auf Java sind in beider Rücksicht Menschen wie der Deutsche, der Franzose, der Brite. Alle gleichen sich im Körperlichen. Es gibt keine Spezies im Menschengeschlecht wie bei den allermeisten Tiergeschlechtern. Noch hat kein Anatomiker etwas finden können, das auf wirklich verschiedene Menschenrassen hinweise. Alle ohne Ausnahme haben Vernunft, wenngleich in gar verschiedenen Graden.“ (Schlözer II, § 17) Doch sei diese graduelle Differenz historisch kontingent und betreffe nicht das Wesen des Menschen als solches. Jedes Menschenwesen habe daher grundsätzlich dasselbe Recht. Menschenrechte sind unteilbar. Sie kommen allen Repräsentanten der Menschheitsgattung in gleicher Weise zu. „Alle Menschen sind ja Verwandte, alle aus einem Hause, dem alten Hause Adams. Jeder hat so viel recht wie der andere auf alles, was Gottes Erdboden zu des Menschen Bedürfnis und Wohlsein liefert. Fluch den weißen Un-Menschen, die ihre schwarzen Brüder nicht wie Menschen, sondern wie Lasttiere behandeln!“ (Ebd.) In Adam und seiner Eva wird die wesentliche Einheit des Menschengeschlechts vorstellig, die konstitutiv zu seinem Begriff gehört. Dieser Begriff ist ideeller Natur, aber dennoch keine irreale Idee, sondern ein Realideal, das im Stammelternpaar zur Anschauung kommt. Nicht als ob Schlözer seine Tochter für dumm

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verkaufen wollte: Adam und Eva sind keine historisch verifizierbaren Gestalten, und wie sie auf die Welt gekommen sind, wird sich niemals in Erfahrung bringen lassen. Die Antwort auf die entsprechende Frage kann nur religiös gegeben werden und lauten: Gott hat sie unmittelbar erschaffen. Dabei handelt es sich nach Schlözer um keinen theoretischen Satz, mit dem sich reales Wissen und ein empirisch ausweisbarer Gedanke verbinden ließen; und dennoch sei er wahr und unaufgebbar, weil jede andere Antwort auf die Ursprungsfrage den Wesensgrund des Menschen und seine genuine Bestimmung verkennen müsste. Das Menschsein des Menschen weist über seine Empirizität hinaus. Empirisch betrachtet ist der anfängliche Mensch noch kein wirklicher Mensch, sondern viel eher ein Tier und zwar sowohl in onto- als auch in phylogenetischer Hinsicht. Was für die Phylogenese, also die Stammesentwicklung vorauszusetzen ist, wird durch die ontogenetische Entwicklung jedes einzelnen Menschen bestätigt. „Ein mitleidswürdigeres Jammerbild lässt sich gar nicht denken als so ein neugeborener Mensch. Er sieht noch nicht, er hört noch nicht, winselt nur, kann sich nicht von der Stelle bewegen. Kein Tier kommt so hilflos, so elend auf die Welt und bleibt so lange in diesem Elend; kein ausgekrochenes Hühnchen, kein eben erst geworfener Hund.“ (Schlözer II, § 16) Es dauert sehr lange, bis ein neugeborenes Menschenwesen ohne fremde Hilfe allein sein äußeres Dasein fristen kann. Auf sich selbst gestellt müsste es in wenigen Tagen physisch verkommen. Noch langwieriger gestaltet sich die Ausbildung seiner geistigen Existenz. „Es ist ein sonderbares Ding um den Menschen. Sein ganzer Unterschied vom Tiere besteht nicht darin, dass er Vernunft hat, sondern dass er Vernunft kriegen kann.“ (Schlözer I, § 32) Kein Mensch kommt vernünftig auf die Welt; er muss erst zur Vernunft gebracht werden. Das Menschenkind ist zwar auf Humanität angelegt; aber seine anfangs nur als Möglichkeit gegebene Anlage muss ausgebildet werden, um wirklich zu sein. „Respekt für Erziehung, mein Kind! Respekt und Dank für die, welche Dich erzogen haben und noch erziehen. Ohne die wärest du eine kleine Wilde, ein ungepflegtes Ding geworden – vielleicht gar das sprachlose, unvernünftige Tierchen geblieben sein, das du warst, als du auf die Welt kamst.“ (Ebd.) Ähnlich wie die Humangenese des EinzelmenErziehung des schen hat man sich nach Schlözer die allmähliche Menschengeschlechts Heranbildung des Menschengeschlechts zu Humanität zu denken. „Die ersten Menschen waren Tiere und mussten sich in der Folge selbst erst zu wirklichen Menschen machen.“ (Schlözer II, § 16) Wie jeder Einzelmensch war auch die Menschheit in ihren Anfängen lediglich auf Vernunft hin angelegt und noch nicht vernünftig, sondern instinktgeleitet wie Tiere. Erst im Laufe der Zeit machte die Erziehung des Menschengeschlechts Fortschritte, und der göttliche Vernunftfunke fing, wenn er nicht durch widrige Einflüsse erstickt und ausgelöscht wurde, allmählich zu glimmen und zu glühen an, um immer leuchtender zu werden. Dies geschah nicht durch äußeren supranaturalen Eingriff vonseiten der Gottheit, sondern aus dem menschlichen Inneren heraus und auf eine Weise, die der Wesensbestimmung des Menschen gemäß ist. Die Ehre, ihre

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humane Anlage in sich auszubilden und sich selbst zu kultivieren, „überließ der große Schöpfer den Menschen selbst“ (ebd.). Sie selbst sollten in schöpferischer Freiheit realisieren, wozu sie ihr göttlicher Schöpfer bestimmt hatte. Sorgsam zu unterscheiden ist nach Schlözer zwischen Ur-Mensch und KunstMensch (vgl. ebd.). Der Urmensch ist faktisch noch tierisch und erst virtuell human. Wirklich human wird der Mensch auf künstliche Weise, nämlich durch Kultur. Diese ist nicht nur seine zweite, sondern seine eigentliche Natur, zu der er von seiner Wesensanlage her bestimmt ist. Man nenne daher die Urmenschen „ja nicht Natur-Menschen“ (ebd.), wie Rousseau und seine Gefolgschaft dies irrigerweise nahelegten: Widerspricht es doch der Menschennatur, Urmensch zu bleiben oder in den Naturzustand der Anfänge des Menschengeschlechts zu regredieren. Diese hinter sich zu lassen, gehört zum Wesen des Menschen, der nicht in der Naturwelt zu verbleiben, sondern sie in selbsttranszendenter Weise kulturell zu übersteigen bestimmt ist. „Je mehr der Mensch sich kultiviert, desto mehr NaturMensch wird er.“ (Ebd.) Erwachsen werden Menschenkind und Menschheit nicht durch Verharren im Urtümlichen, sondern durch kulturelle Tätigkeit, die ihrer Wesensnatur entspricht. Humangeschichte ist Kulturgeschichte, ja, die ganze Weltgeschichte ist, sofern sie den Menschen betrifft, auf eine Geschichte der Selbstkultivierung des Menschen angelegt, die seiner göttlichen Bestimmung entspricht. Schauplatz der Geschichte der Menschheit ist die Erde. Diese mit der Welt insgesamt gleichzusetzen, wie der Volksmund dies tut, ist nach Schlözer astronomisch geurteilt „lächerlich“ (Schlözer I, § 2). Nimmt der Erdball doch nur die Stellung eines „kaum merklichen Pünktchens im großen All“ (Schlözer II, § 3) ein. Diese Tatsache gemahne zu menschlicher Selbstbescheidung und dazu, den Weltbegriff „nicht in der kleinstädtischen Bedeutung, da man nur unsere Erde darunter versteht, sondern in hohem Verstande“ (ebd.) zu gebrauchen. Die Erhabenheit des Weltalls kann Menschheit und Mensch Demut lehren, die elementar zu humaner Bildung gehört, und an der Einbildung hindern, ein und alles zu sein. Die Menschheitsgeschichte ist in einen kosmischen Horizont eingestellt, den sie nie vollends zu erfüllen vermag und dessen Grenzen ins Unendliche gehen und sich im Unbestimmten verlaufen. Anfang und Ende der Welt liegen nicht nur im Dunkeln, sondern sind prinzipiell nicht zu erfassen. Selbst den Traum des Menschen, das vornehmste Geschöpf im Kosmos zu sein, lässt Schlözer nicht gelten. Es sei durchaus denkbar, dass es weit höhere Wesen im Weltall gebe, „Geister, die sich zu uns verhalten wie wir zum Affen“ (ebd.). Wie immer es damit bestellt sein mag: Dem irdischen Mensch ist ein Platz nicht im Irgendwo, sondern auf der Erde gewiesen, und seine Bestimmung besteht nicht darin, ein Engel oder ein Übermensch, sondern ein Mensch zu werden, der seiner humanen Bestimmung entspricht. Medium der Menschwerdung des Menschen Menschwerdung des und seiner Selbstbildung zur Humanität ist die Menschen Kultur. Es ist nicht nötig, die einzelnen Stationen

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und Momente der Schlözer’schen Kulturgeschichte der Menschheit nachzuzeichnen. Sie hebt an einem Ort an, den die „Postillensprache“ (Schlözer II, 18) Paradies nennt, und zu einer Zeit, in der die Menschen, auch wenn man sie sich als erwachsen vorzustellen hat, noch infantil und im Zustand der Tierähnlichkeit waren. Mit einem Vollkommenheitsstatus darf dieser Zustand ebenso wenig gleichgesetzt werden wie ein im sagenhaften Eden lokalisierter Hort mit dem status integritatis. „Paradiesisch“ waren in ihm allenfalls die klimatischen und geographischen Umstände, die ein Überleben und eine erste Kulturentwicklung des primitiven Menschengeschlechts ermöglichten. In Europa konnte das Stammvaterland der Menschheit nach Schlözer mit Sicherheit nicht gelegen haben. „Denn dieser Erdteil war noch vor 3000 Jahren selbst im Süden bis zum Erfrieren kalt und bis zum Verhungern unfruchtbar.“ (Ebd.) Es bedurfte milderer und lieblicherer Örtlichkeiten, um den prähistorischen Urmenschen in die Geschichte eintreten und zu jenem Kulturmenschen werden zu lassen, der sich selbst mitsamt seiner Umwelt fortschreitend zu kultivieren vermochte. Durch die in ihm erwachende Vernunft im Begriffe, „ein kleiner Gott“ (Schlözer I, § 14; vgl. Gremmels) zu werden, beginnt der Mensch, schöpferisch über Erde und Feuer, Wasser und Luft zu gebieten und sich die Elemente dienstbar zu machen, wie sein göttlicher Schöpfer ihm auftrug. Weil dies nicht allein zu bewerkstelligen war, kam es über die Familie hinaus, in der, wie Schlözer sagt, Eltern und Kinder „teils vor Langeweile, teils aus Not, beieinander blieben“ (Schlözer I, § 34), zu gesellschaftlichen Gruppenbildungen und Volksverbänden, die sich gemeinsam kulturell erfinderisch zeigten und Staaten und Reiche samt den dazugehörigen Regierungen errichteten. Der Mensch ist ein animal sociale: „Ohne Gesellschaft werden die Menschen nie menschlich werden.“ (Schlözer I, § 37) Ziel humaner Vergesellschaftung indes ist nicht die Vermassung des Menschen, sondern seine Heranbildung zu einem selbständigen Individuum, in dessen Einzelheit das kollektive Menschheitsganze je und je vorstellig wird wie in Adam und Eva, die als Einzelsubjekte zugleich für das Menschenwesen überhaupt stehen. Genug damit und nur noch der Hinweis, dass nach Schlözer biblische Geschichte sowie Welt- und Menschheitsgeschichte in keinerlei Widerspruch stehen, wenn man sie nur recht zu erschließen vermag. Mit einer kurzen Erklärung über beide und der Aufforderung an Zöglinge und Erzieher, sich das Studium des Buches der Natur, der Geschichte und der Bibel angelegen sein zu lassen, schließt die Schlözer’sche Universalhistorie. Schlözers Buch für Kinderlehrer ist weder kindisch, noch so kindlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es enthält nicht nur eine Fülle auch heute noch bedeutsamer anthropologischer Einsichten, sondern bietet mit der Differenzierung von natürlichem Menschen und menschlicher Wesensnatur einen wichtigen hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis der Stellung des Menschen im Kosmos und seines Verhältnisses zu Gott nach Maßgabe christlicher Schöpfungslehre: Mensch sein heißt Mensch werden (vgl. Thielicke). Humanes Sein ist nach Schlözer nicht ohne Werden, humanes Werden nicht ohne einen Wesensbegriff

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menschlichen Seins adäquat zu erfassen. Beides muss auf differenzierte Weise in eins gedacht werden wie überhaupt das Menschsein des Menschen sich als Differenzeinheit und als komplexes Verhältnis von Verhältnissen, nämlich von Beziehung zum göttlichen Grund und Ziel, von Selbstbeziehung und von Beziehung zu Mitmensch und Welt darstellt. Am Ort des Menschen selbst reflektiert sich dieser Beziehungszusammenhang nach Schlözer im Leib-Seele-Verhältnis, dem daher besondere Aufmerksamkeit gebühre. Gemäß traditioneller theologischer Anthropologie, wie sie sich im Christentum im Anschluss an Leib und Seele jüdische Überlieferungen und in Auseinandersetzung mit dem Erbe vor allem der griechischen Antike ausgebildet hat, ist der Mensch in seiner Grundverfassung als Gottesgeschöpf eine durch den Geist seines Schöpfers ins Sein gerufene, zum Leben und zu sich selbst gebrachte psychosomatische Differenzeinheit. Seelische Selbstbeziehung und leibhafte Weltbezüge sind zu unterscheiden, nicht aber zu trennen. Der lebendige Leib des Menschen ist beseelt und in seinen Lebensvollzügen auf Bewusstsein und Selbstbewusstsein hin angelegt, die menschliche Seele hinwiederum leibhaft verfasst und nicht körperlos zu denken. Leib und Seele sind different und eins zugleich, sie gehören untrennbar zusammen, ohne aufeinander zurückführbar zu sein. Dieser Grundsatz christlicher Anthropologie wurde von der altkirchlichen Patristik gegenüber dem seit Mitte des 2. Jahrhunderts zur herrschenden Philosophie der Spätantike aufsteigenden Platonismus entschieden verteidigt. Die Seele ist zwar Lebensprinzip des Körpers, aber keine durch sich selbst bewegte göttliche Substanz, sondern wie der menschliche Leib gottunterschieden. Mag die Seele auch unsterblich sein, was unter frühchristlichen Theologen durchaus umstritten war, so ändert dies doch nichts an der Tatsache ihrer Gottunterschiedenheit und daran, dass Gott Leib und Seele des Menschen zusammen erschaffen hat. Die spätere Kontroverse zwischen Traduzianern, denen zufolge die Erschaffung der Menschenseele im Verein mit der Zeugung des Leibes statthat, und den sog. Kreatianern, die sie je und je unmittelbar von Gott gewirkt sein ließen, änderte an diesem gemeinsamen Grundsatz nichts, den sie im Gegenteil zur Voraussetzung hatte. In der Ablehnung von Reinkarnations- und Seelenwanderungslehren waren sich christliche Theologen entsprechend von Anfang an einig. Deutlicher noch als in der patristischen Anthropologie wurde die untrennbare Einheit von Leib und Seele im christlichen Aristotelismus des Hochmittelalters zur Geltung gebracht, wie er paradigmatisch von Thomas von Aquin vertreten und im Konzil von Vienne 1312 (vgl. DH 902; zur Vorgeschichte vgl. Schneider) als kirchliche Lehre bestätigt wurde. Danach ist die Seele des Menschen keine präexistente Substanz, die sich von seinem Leib separieren ließe, sondern humani corporis forma, Wesensform des menschlichen Körpers, der dazu bestimmt ist, dem Seelenleben konkrete Ausdrucksgestalt zu verleihen. Eine Nähe zur biblischen Anthropologie wird man diesem Verständnis nicht bestreiten können. Der Mensch ist kein bloßer Körper, seine Seele keine epiphänomenale Funktion von

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Körperlichkeit; ebensowenig ist die Menschenseele dergestalt leiblos, dass ihre Existenz auch ohne Körper und in diesem Sinne prä- bzw. postexistent gedacht werden könnte. Rein physikalistische Lösungen des Leib-Seele-Problems scheiden damit ebenso aus wie ein Dualismus, der den menschlichen Leib ignoriert oder zu einer lediglich äußeren Hülle seiner Seele herabsetzt; der Mensch ist eine psychosomatische Differenzeinheit, seine Identität nur als differenzierter Zusammenhang von Leib und Seele zu denken. Als leibhaftes Wesen ist der Mensch elementar weltbezogen. Er gehört der Welt natürlicherweise an und lässt sich ohne sie nicht denken. Seine Stellung im Kosmos scheint nicht überragend zu sein, jedenfalls wenn man unter diesem nicht lediglich die Erde oder gar nur die eigene Domäne versteht. Schlözer mahnt Dorothea, sich vor solcher Perspektivenbeschränktheit zu hüten und universale Zusammenhänge in den Blick zu nehmen. Auch hält er ihr drastisch die dürftige und kümmerliche Gestalt vor Augen, in welcher der natürliche Mensch auf die Welt kommt und sein anfängliches Dasein fristet. Was für den einzelnen Menschen gilt, trifft nach Schlözer auf die Menschheitsgattung insgesamt zu, die sich erst allmählich von ihrer tierischen Herkunft emanzipiert habe. Kurzum: als körperliches Wesen, das er in seiner beseelten Leiblichkeit nie zu sein aufhört, ist und bleibt der Mensch naturbestimmt, von natürlichen Konstellationen bis hin zu seinem Naturell abhängig, dem Verlauf der Lebensalter ebenso unterworfen wie dem Wechsel von Wachsein und Schlafen usf. (vgl. Huxel, 389 ff.). Seine Sinnesempfindungen binden ihn, auch wo sie über den rudimentären Tast- sowie den Geruchsund Geschmackssinn hinaus durch die distanzierten Formen des Hörens und Sehens vermittelt sind, an in naturhafter Äußerlichkeit Gegebenes, und auch sein Sprechen kommt ohne physisches Substrat, wenn man es so nennen will, nicht aus. Es wäre Aufgabe einer Anthropologie im Sinne etwa desjenigen Begriffs, den Hegels Enzyklopädie von ihr entwickelt (vgl. Fetscher; Eley), diese Zusammenhänge im Einzelnen zu erörtern, um erst dann von den klassichen Themen Verstand und Vernunft, Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Wille und Einbildungskraft etc. zu handeln. Entscheidendes hierzu findet sich im Anschluss an die Hegel’sche Enzyklopädie und die sog. Philosophische Anthropologie sowie über beide hinaus in W. Pannenbergs „Anthropologie in theologischer Perspektive“ und zwar ebenfalls ausgehend von der Differenzierung zwischen dem Menschen in der Natur und der Natur des Menschen (vgl. Pannenberg, 25 ff.). Als leibhaftes Wesen ist der Mensch unveräußerlich mit der extrahumanen Welt verbunden und diese phyische Bindung reicht hinab bis ins Anorganische, dessen er für seine Existenz nicht entbehren kann. Die Physik behält somit als Basiswissenschaft der Natur auch für den Menschen Geltung. Ohne sie samt Chemie und Biologie etc. ist Anthropologie nicht denkbar. Doch muss der Mensch deshalb keineswegs zu einem Epiphänomen physikalisch-biochemischer Prozesse herabgesetzt werden, was spätestens dann erhellt, wenn zwischen Außen- und Innenwahrnehmung differenziert und registriert wird, dass bereits die schlichteste körperliche Selbstwahrnehmung einen nicht falsifizierbaren Beleg für Beseelung und die Not-

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wendigkeit beinhaltet, zwischen seelenlosen Körpern und beseelten Leibern zu unterscheiden. Um nicht nur äußerlich, sondern von innen her zu erfassen, was es mit dem Menschen anthropologisch auf sich hat, ist die Perspektive der ersten Person unersetzbar (vgl. Hermanni, 163). „Jedes menschliche Individuum besitzt als psychisches System einen epistemisch privilegierten Zugang zu sich selbst. Niemand kann in das Innere eines anderen Menschen hineinblicken, geschweige denn die Welt oder das eigene Selbst aus dessen Perspektive erfahren. Diese Erlebniszentriertheit teilt sich allen Erlebnisgehalten mit und entzieht diese einer blanken Vergegenständlichung. Auch alles Ausdrucksverstehen und Miterleben stößt hier an eine Grenze. Mit der Innenperspektive konstituiert sich ein Erlebnisfeld eigener Art.“ (Barth, 209) Dies gilt bereits für die elementarsten Erlebnisformen eigener Leiblichkeit. Nur durch Selbstwahrnehmung vermag der Mensch seiner psychosomatischen Identität wahrhaft inne zu werden. Mag in der Außenperspektive der dritten Person der Leib eines menschlichen Lebewesens wie ein bloßer Körper erscheinen, so ist der in Selbstwahrnehmung begriffene Mensch unmittelbar dessen gewiss, was in der sprachlichen Differenzierung von Körper und Leib auf mittelbare Weise zum Ausdruck kommt. Als Körper lässt sich jedes Ding, als Leib nur jener Körper bezeichnen, der zu einer wie auch immer gearteten Selbstwahrnehmung fähig ist. In diesem Sinne ist Leib ein „beseelter“ Körper zu nennen. Auch wenn die Übergänge von bloßen zu leibhaften Körpern fließend sind, kann auf die Leistung, die sich mit ihrer Unterscheidung verbindet, nicht verzichtet werden und das umso weniger, als nachgerade der Mensch im Vollzug seines identischen Selbstverhältnisses nicht umhin kann, zwischen sich selbst als bloßem Körper und Teil der körperlichen Welt und seiner Leiblichkeit sowie der Weise, in der er durch sie an der Welt Anteil hat, zu differenzieren. Damit wird er rasch dessen gewahr, dass die leibhafte die Bedingung der Möglichkeit körperlicher Selbstwahrnehmung ist, so wenig der beseelte Leib der körperlichen Basis entbehren kann, die für ihn und seine Selbstwahrnehmung vielmehr grundlegend ist. In bestimmter Hinsicht muss das Körperliche durchaus fundamentaler in Anschlag gebracht werden als das Leibhafte; doch inne zu werden vermag man auch dieses Sachverhalts nur auf leibhafte Weise. Lässt sich doch die Außenwelt einschließlich eigener Körperlichkeit ohne leibhaftes Fühlen und Empfinden nicht in Erfahrung bringen. Um res externae als solche identifizieren zu können, muss ein Vermögen gegeben sein, der Differenz von Innen und Außen inne zu werden. Leibern eignet auf welche rudimentäre Weise auch immer eine Innerlichkeit, die sie mehr und Leiber und bloße Körper anderes sein lässt als bloße Körper. Dies gilt ansatzweise bereits für vegetabilische Gebilde, offenkundig für die Leiber entwickelter Tiere, und es gilt nachgerade für den Leib des Menschen als eines nicht nur fühlenden, sondern bewusstseinsbegabten und um sich selbst wissenden Lebewesens. Das Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Außenerscheinung und zu den Erscheinungen der äußeren Welt insgesamt lässt sich rein körperlich nicht erfas-

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sen. Denn es impliziert eine Innerlichkeit, die bloß körperlicher Betrachtung entgeht; ihr blinder Fleck ist einer um konsequente Objektivierung bemühten Schau nicht äußerlich, sondern immanent. Denn gerade indem sie alles Subjektive auszublenden bestrebt ist, droht die objektivierende Betrachtung zu übersehen, was ihre evidente Voraussetzung bildet, ohne deren selbstverständliche Inanspruchnahme sie zum Selbstvollzug nicht in der Lage wäre. Körperwahrnehmung setzt Leiberfahrung voraus. Diese stellt zugleich die Grundlage dafür bereit, in der sog. Außenwelt zwischen Körpern und Leibern, zwischen anorganischen und organischen Entitäten, zwischen fühlenden Lebewesen und anderen Seinsformen zu unterscheiden. Es ist eine produktive Abstraktion, die nicht zuletzt um ihres immensen technischen Erfolges willen vorurteilsfrei gewürdigt zu werden verdient, wenn die Naturwissenschaften bei ihrer Weltbetrachtung Selbstwahrnehmungsformen systematisch abblenden und sich methodisch einer naturalistischen Perspektive verschreiben, die scheinbar jeder Rücksicht auf subjektive Belange zu entbehren vermag. Für die Physik als der fundamentalsten und zugleich abstraktesten Wissenschaft der Natur ist diese Methodik naheliegend und gegenstandskonform insofern, als die physikalische Aufmerksamkeit mehr oder minder ausschließlich Gegebenheiten im prävitalen Bereich gehört. Für die Biologie stellt sich die Angelegenheit anders und ungleich problematischer dar, sofern sie ohne Einsicht in die Innerlichkeit, die allem Lebendigen eignet, in Gefahr läuft, ihren wissenschaftlichen Begriff zu verfehlen. Vermag doch eine Lebenswissenschaft, die sich nur äußerlich zu ihrem Gegenstand verhält, dessen Eigenart prinzipiell nicht zu erfassen. Dies gilt in gesteigertem Maße für die Anthropologie und zwar auch und gerade dann, wenn sie humanbiologisch ansetzt. Als dasjenige, was er ist, kommt der Menschenkörper nur in Betracht, wenn er als fühlender und beseelter Leib wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung schließt die Einsicht nicht aus, sondern ein, dass der menschliche Leib durch Fremdeinwirkung, Eigenbehandlung oder gewissermaßen von selbst und aus sich heraus tendenziell zum bloßen Körper herabgesetzt werden kann. In äußerster Lust oder extremem Schmerz tendiert die menschliche Leib-Körper-Differenz ins Tierische reduziert oder gänzlich um ihre Bedeutung gebracht zu werden, wie dies spätestens im Augenblick des Todes definitiv der Fall ist, wenngleich selbst der tote Menschenkörper noch eine zeitlang mit der Aura jenes leibhaften Lebens umgeben ist, die der Leichnam entbehrt. Der lebendige Mensch ist kein bloßer Körper, sondern ein beseelter Leib und eine leibhaftige Seele, als welche er sich mit innerer Evidenz selbst wahrnimmt, um von der Selbstwahrnehmung her auch anderen Menschen einen beseelten Leib zuzuerkennen und damit generell zu bestätigen, was das Menschengeschöpf nach biblischem Zeugnis ist: eine psychosomatische Einheit. Der Mensch ist weder dazu bestimmt, bloßer Körper noch eine leiblose Seele zu sein. Dies gilt nach christlichem Urteil nicht nur in schöpfungstheologischer, sondern auch in eschatologischer Hinsicht (vgl. Herrmann). Impliziert die traditionelle Annahme einer wesentlichen Immortalität der Seele, wie sie in platonischer Tradition vertreten

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wurde, ihre prinzipielle Trennbarkeit von ihrer körperlichen Erscheinungsgestalt, dann steht dies in Spannung, wenn nicht in Gegensatz zur biblischen Anthropologie. Eine andere Frage ist es, ob man aus der – für sie konstitutiven – Bindung der Menschenseele an den Leib ihre Sterblichkeit notwendigerweise zu folgern hat. Eine sehr differenzierte Ansicht hierzu hat Thomas von Aquin in seiner Lehre von der anima separata vorgetragen (vgl. Kluxen). Thomas hebt die Seele zwar vom Körperlichen ab, trennt sie aber deshalb nicht von ihrem je eigenen Leib, sondern lässt sie mit diesem innigst verbunden sein und bleiben, welche Bindung hinabreicht bis in organische Gefilde. Wohl ist die leibhafte Menschenseele als anima rationalis etwas anderes als eine tierische anima sensitiva oder pflanzliche anima vegetativa; doch hört die vernünftige Seele des Menschen nie auf, in leibhafter Weise weltbezogen zu sein. Dieser Grundsatz gilt sowohl in protologischer als auch in eschatologischer Hinsicht; anderes zu behaupten wäre nach Thomas nicht geistreich, sondern geistlos, ja geistwidrig. Was den Geist betrifft, den Gott nach Gen 2,7 dem Menschen eingehaucht hat, so handelt es sich Geist des Lebens nicht um ein göttliches Prinzip, das dem Menschengeschöpf von nun an gleich einer spirituellen Substanz innewohnt, sondern um den Lebensatem, mit dem Jahwe sein Geschöpf schöpferisch belebt und ein lebendiges Wesen werden und sein lässt. Die Vorstellung ist nicht, als habe Gott eine lebendige Seele in den aus Lehm geformten Körper hineingegeben. „Der Mensch in seinem Lebendigsein ist ganzheitlich verstanden. Ein Verständnis, nach dem der Mensch aus Leib und Seele bestünde, ist damit ausgeschlossen.“ (Westermann, Genesis, 283). Der Geist Gottes beseelt Adam zu leibhaftem Leben und „schafft“ so menschliche Einheit und Ganzheit (vgl. Ratschow, 196 ff., hier: 209). Durch seine schöpferische Kraft wird das Menschenleben bewirkt und in jener Lebendigkeit erhalten, die seiner Bestimmung entspricht. Der göttliche Schöpfergeist begeistert, und er lässt den Menschen gerade dadurch wahrhaft zu sich kommen, dass er ihn zu einer Selbsttranszendenz bewegt, ohne die sein Leben nicht lebendig wäre. Sich selbst transzendierend ist der Mensch auf Gott bezogen, ohne deshalb für die Welt verschlossen zu sein. Aus dem menschlichen Gottesbezug, den der Geist wirkt, folgt nicht Weltverschlossenheit, sondern Weltoffenheit. Was die Bibel Geist nennt, ist die in allem Lebendigen wirksame, im Menschenleben zu einer alles Extrahumane in sich bergenden und transzendierenden Wirksamkeit gelangende Wirklichkeit des Schöpfergottes, der lebendig macht und am Leben erhält. Es wäre deshalb verkehrt, den biblischen Geistbegriff mit einer spezifischen Fähigkeit des Menschen, einer Seelenkraft oder seinem Vernunftvermögen gleichzusetzen. Denn einerseits ist der göttliche Lebensgeist nicht dem Menschen vorbehalten; er verbindet ihn vielmehr mit aller Kreatur, damit er leibseelischen Anteil an ihr nehme. Andererseits lässt sich der Gottesgeist nicht so fassen, dass man ihn mit einem eigentümlichen Wesensbestand des Menschen identifiziert. Wohl kann der Mensch auch im biblischen Sinne animal rationale genannt werden. Aber seine Vernunft, die ihn vor allen Geschöpfen auszeichnet, ist im Sinne

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der Bibel kein rationales Seelenvermögen bzw. eine Größe, die in sich Bestand hätte und die ein göttliches Prinzip oder eine göttliche Substanz im Menschen zu nennen wäre. Denn vernünftig ist der Mensch gerade nicht unmittelbar in sich, sondern auf exzentrische Weise, nämlich in Beziehung zu Gott als dem schöpferischen Grund seiner selbst und aller Welt. Gottes Geist ist es, der den Menschen zu sich bringt und zugleich mit seinesgleichen und allem Geschaffenen verbindet. Er lässt ihn zur Vernunft kommen, nicht damit er sie in der Form unmittelbarer Selbstbestimmung und Selbstdurchsetzung missbrauche, sondern damit er sich in allgemeiner Verantwortlichkeit übe und zwar im Bewusstsein, im Verein mit aller Kreatur in Gott zu gründen. Es ist die Bestimmung der Menschenvernunft, dass der Gottesgeist in ihr schöpferisch wirksam werde. Gerade deshalb aber kann nach biblischem Zeugnis eine Gleichsetzung beider nicht in Frage kommen. Eine solche Identifizierung ist zum einen darum auszuschließen, weil das Wirken des Geistes alle Lebewesen betrifft und nicht auf die Menschenseele zu beschränken ist. Zum anderen ist der spezifische Geistbezug, der die leibhafte Seele des Menschen auszeichnet und ihren Vorrang vor den übrigen Lebewesen ausmacht, nur sekundär mit deren intellektuellen Fähigkeiten, in erster Linie mit ihrer Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott zu assoziieren, wie sie durch die Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet ist. Die Vernünftigkeit des Menschen ist sonach von seiner Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit her zu erfassen und nicht umgekehrt. Bedarf doch die menschliche Vernunft wie alle anderen Lebensfunktionen der Geschöpfe der Aktualisierung des Schöpfergeistes, um ihr kreatürliches Erkenntnisvermögen angemessen zu realisieren und der geschöpflichen Anlage des Menschen zur Gottebenbildlichkeit zu entsprechen. Das schließt nicht aus, dass der Vernunft „als der führenden Funktion der menschlichen Seele für das Verhältnis des ganzen Menschen zum Geist eine entscheidende Rolle zukommt“ (Pannenberg, STh II, 220). Aber die Vernunft ist nicht der Geist, sondern auf diesen angewiesen; sie vermag ihrem Begriff nur zu entsprechen, wenn sie sich nicht unmittelbar mit diesem gleichsetzt, sondern exzentrisch in ihm gründet. Die Exzentrizität, zu welcher der lebensspendende und -erhaltende Schöpfergeist das Menschengeschöpf bestimmt und bewegt, erschließt durch Gottoffenheit menschliche Selbsttranszendenz und Weltoffenheit. Die Implikationen dieses Grundsatzes biblischen Menschenverständnisses hat Wolfhart Pannenberg in seiner „Anthropologie in theologischer Perspektive“ (vgl. auch Pannenberg II, 203 ff.) im Einzelnen ausgeführt. Er unternimmt den großangelegten Versuch, vom Gedanken exzentrischer Gottesgemeinschaft her die Sonderstellung des Menschen in der Natur, sein Welt- und Selbstverhältnis als fühlendes Wesen und bewusstes und um sich wissendes Ichsubjekt sowie das Verhältnis von Subjektivität und Sozialität bis hin zu einer Geschichtstheorie humaner Kultur und ihrer Institutionen in Auseinandersetzung mit den Humanwissenschaften der Zeit zu erhellen (vgl. Wenz, 123 ff.). Exemplarisch verwiesen sei auf die signifikante Rede von einer „Transzendenz des Personseins“ (Pannenberg, Anthropologie, 232), mittels

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derer Pannenberg nicht nur den an der berühmten Boethiusdefinition orientierten Begriff der Person als vernünftiger Individualität einer anthropologischen Revision unterzieht, sondern seiner Anthropologie eine explizit trinitätstheologische Fundierung zuteil werden lässt (vgl. Wenz, 128 ff.). Im trinitätstheologischen Kontext begegnet der Transzendenz des deutsche Personbegriff als Übersetzung des lateiPersonseins nischen persona und des griechischen hypostasis. Hatte hypostasis in der von Platon ausgehenden Metaphysik eine zentrale philosophische Stellung erlangt und bei Plotin und Porphyrios die förmliche Bedeutung einer Manifestationsgestalt des göttlichen Einen angenommen, so gewann der Begriff seinen eigentümlich christlichen Sinngehalt durch Athanasius. Obwohl dieser wie etwa auch Origenes ousia und hypostasis zunächst ohne Unterschiede gebrauchen konnte, ermöglichte er gleichwohl deren Differenzierung, um fernerhin das Verhältnis von Sein und Hypostase als differenzierte Einheit zu denken. Damit kam er der neuplatonischen Terminologie sehr nahe mit dem entscheidenden Unterschied, dass Hypostasen des Einen nach ihm keine Stufenordnung indizieren; die drei Hypostasen der Gottheit sind koordiniert, aber nicht subordiniert: Vater, Sohn und Hl. Geist sind hypostatisch differenziert und wesenseins zugleich. Die trinitarische Differenziertheit des einen göttlichen Wesens durch den Hypostasenbegriff auszusagen, lag nicht zuletzt deshalb nahe, weil dieser in der Antike häufig die konkrete Seinsverwirklichung im Einzelding bezeichnete. In der Fachsprache der Peripatetiker etwa bestimmt der Begriff das Sein einer Entität in concreto, die besondere Realisierung des Seins in Einzeldingen. Während nun aber ansonsten jedes Einzelding Realisierung eines besonderen Wesens ist, hat im Mysterium der Trinität das eine göttliche Wesen drei Hypostasen. Ein vergleichbares Geheimnis lässt sich im christologischen Kontext konstatieren, sofern in Jesus Christus nach Maßgabe des chalkedonischen Dogmas göttliche und menschliche Natur hypostatisch vereint sind. Geht man in der Folge dessen von der Enhypostasie des Menschseins Jesu Christi im Logos aus, so lässt sich der abstrakte Gedanke einer ihres Einzelseins beraubten menschlichen Natur nur dann vermeiden, wenn deren Anhypostasie aus einer Bezüglichkeit heraus und zwar so begründet wird, dass das eigentümliche Sein des Menschen Jesus aus seiner vollkommenen Logosteilhabe, also aus seiner Gottesrelation heraus gedacht wird. Das Personsein Jesu Christi hätte so als Inbegriff seines Gottgegründetseins zu gelten und wäre nach Weise einer konstitutiven Relationalität zu denken, wie sie in anderer Begründungshinsicht auch für die differenten, aber nichtsdestoweniger wesenseinen göttlichen Hypostasen in Anschlag zu bringen ist. Sein trinitätstheologisch-christologischer Gebrauch hat die Geschichte des Personbegriffs nicht nur im Allgemeinen entscheidend geprägt, sondern dem Begriff erst eigentlich jene Bedeutung gegeben, die für seine christliche Verwendung auch in anthropologischer Hinsicht maßgebend ist. Menschliches Personsein ist exzentrisch verfasst und auf Selbsttranszendenz hin angelegt. Die Personalität des Menschen realisiert sich als differenzierte Einheit von Beisichsein und Sein beim Ande-

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ren als einem Anderen. Sein personales Selbstverhältnis lässt sich von seinem Weltverhältnis und der Fülle intersubjektiver und sonstiger Bezüge, die mit diesem verbunden sind, zwar unterscheiden, nicht aber trennen, weil beide Verhältnisse im Gottesverhältnis ihren Grund und Bestand haben, wie der Geist gemäß biblischer Überlieferung dies bezeugt. Es ist aufschlussreich zu sehen, dass dieses Geistzeugnis und seine trinitätstheologische Fassung, wie sie für das Christentum kennzeichnend ist, das Verständnis menschlichen Personseins terminologisch und sachlich entscheidend geprägt hat. Christliche Anthropologie findet ihren fundierenden Grund im trinitarischen Gott und ihr bestimmendes Maß in Jesus Christus, in welchem Gottheit und Menschheit hypostatisch vereint sind. Von Personsein Jesu Christi her, das mit demjenigen des göttlichen Logos identisch ist, erschließt sich, was es mit dem Verhältnis von Schöpfergott und Menschengeschöpf ursprünglich auf sich hat. An der personalen Einheit dessen, was die Tradition göttliche und menschliche Natur Jesu Christi nennt, wäre das ebenso zu demonstrieren wie an der Beziehung menschlichen und göttlichen Willens in der Person Jesu Christi. Diese verfügt nach klassischer dyotheletischer Lehre über einen eigenen menschlichen Willen, der freilich weder durch Indifferenz, noch durch arbiträre Willkür oder eigensinniges Belieben, sondern durch Konformität und Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen gekennzeichnet ist, in dem er sich gut aufgehoben weiß, weil er gewiss ist, dass ihm der göttliche Wille väterlich begegnet. Der menschliche Wille Jesu Christi ist durchaus Eigenwille, so wie sein Sein als Mensch wahrhaftes und nicht etwa nur scheinbares Menschsein ist. Dem Menschen Jesus Christus eignet wirkliches Selbstsein. Er ist weder selbstlos noch selbstisch, weil sein Wesen und Wille ganz in Gott gründen, der seinerseits dem Sohn nicht nur väterlich zugetan, sondern in seiner Väterlichkeit ganz hingegeben ist. Im Geist ist dies manifest. Indem er Jesus Christus als den inkarnierten Logos verherrlicht, gibt er nach außen und innen hin zu erkennen, wie das Verhältnis von Schöpfergott und Menschengeschöpf ursprünglich und seinem genuinen Sinn nach zu verstehen ist: Der Schöpfergott verhält sich zum Menschengeschöpf als liebender Vater, das Menschengeschöpf hinwiederum steht zu seinem Schöpfer im Kindschaftsverhältnis der Gottebenbildlichkeit. Nach dem Bekenntnis des christlichen Glaubens, dessen Gewissheit im Zeugnis des Geistes gründet, ist der Mensch Jesus Christus Ikone Gottes und Inbegriff menschlicher Gottebenbildlichkeit, weil er in seinem Sohnesverhältnis zum himmlischen Vater ein vollendetes Beispiel gibt für die lebendige Realisierung der geschöpflichen Bestimmung des Menschen. Sein irdisches Leben erfüllt in aktivem Gehorsam, was Gottes Schöpfungsgebot gebietet und was im Doppelgebot der Liebe beschlossen liegt. Jesu Selbstverhältnis und sein Verhältnis zu Mitmensch und aller Kreatur ist ganz von der Kindschaftsbeziehung zu seinem väterlichen Schöpfer und Erhalter bestimmt, wodurch er sich als der wahre Adam und zugleich als derjenige erweist, mit dem der göttliche Logos als der Mittler der Schöpfung in der Kraft des schöpferischen Geistes in Personeinheit steht, so dass

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er als der inkarnierte Logos selbst zu gelten hat. Von seiner Erscheinung her, wie sie sich im Lichte Osterns zu erkennen gibt, erhellt, was es mit der geschöpflichen Bestimmung des Menschen und seiner Welt in genuiner Weise auf sich hat, so dass eine Realvorstellung desjenigen entsteht, was die Lehrtradition Urstand nennt. Dieser wird durch die österliche Erscheinung des irdischen Jesus in Form protologischer Anamnese in Erinnerung gebracht, wodurch das christliche Verständnis von Menschheit und Welt seine fundierende schöpfungstheologische Basis erlangt. Was christliche Schöpfungstheologie vom MenGedächtnis des irdischen schengeschöpf und der kreatürlichen Welt zu lehJesus ren hat, findet im Gedächtnis des irdischen Jesus Grund und Maß, wobei der österliche Herr selbst es ist, der die vollendete Wirklichkeit seines irdischen Lebens mittels der Ur-Kunde in Erinnerung bringt, welche namentlich die neutestamentlichen Evangelien von ihm geben. Orientiert man sich schöpfungstheologisch primär an der evangelischen Jesusgeschichte, dann verflüchtigt sich der falsche Schein, der sich mit der traditionellen Urstandslehre nicht selten verbunden hat. Ihr Thema ist kein Mythos gründender Urzeit und keine nach rückwärts gewandte Utopie, sondern die vom Schöpfergott vorgesehene Bestimmung von Menschheit und Welt, wie sie im irdischen Dasein Jesu Christi realiter erfüllt ist und zwar nicht nur auf anfängliche, sondern auf vollendete Weise. Zwar muss der Entwicklungsgedanke und derjenige einer allmählich fortschreitenden Genese vom Leben Jesu ebensowenig ferngehalten werden wie vom protologischen Begriff der Schöpfung. Es gehört zum Wesen der Schöpfung, in sich bewegt und dynamisch zu sein, was durch die traditionelle Verbindung der Lehre von creatio ex nihilo und creatio continua stets unterstrichen wurde. Doch zwingt die Erkenntnis der Dynamik der Schöpfung, die jeden Reduktionismus verbietet, keineswegs dazu, den protologischen Gedanken perfekter Schöpfungsrealität aufzugeben, sofern dieser an der weltlichen Erscheinungsgestalt Jesu selbst einen Anhalt an. Der im Lichte Ostern vorstellig werdende irdische Jesus ist als wahrer Adam und inkarnierter Logos und damit als derjenige zu bekennen, in dem der Ursprungssinn dessen offenbar ist, was Schöpfung heißt. Dem Leben Jesu sind kreatürliche Entwicklung und prozessuale Genese ebensowenig äußerlich wie der Bezug zu der in ihrer Differenziertheit irreduziblen Komplexität, welche nicht nur die Menschenwelt, sondern die Welt der Schöpfung überhaupt charakterisiert. Doch ändert dies nichts daran, dass das jesuanische Leben im Lichte Osterns als in sich vollendet und in seiner kreatürlichen Endlichkeit, ohne die seine Geschichte in Raum und Zeit nicht gedacht werden kann, als dem unendlichen Leben des allmächtigen Schöpfergottes unveräußerlich zugehörig zu erachten ist und zwar als es selbst. Vom österlichen Perfekt des Lebens Jesu her tritt zutage, was unter der perfekten Ursprungsgüte der Schöpfung zu verstehen und zwar protologisch zu verstehen ist. Durch die Erscheinungsgestalt des irdischen Jesus wird urbildlich vorstellig, wozu von Gott her Mensch und Welt bestimmt sind. Diese Vorstellung ist realitätshaltig, und es wäre abwegig zu

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behaupten, dass der Mensch von dieser Realität vor dem Inerscheinungtreten Jesu keine Ahnung hatte. Seine Bestimmung ist ihm durchaus real präsent, wenngleich als eine faktisch verfehlte und vergangene. Das schöpfungstheologische Perfekt, das nach evangelischem Zeugnis im Leben Jesu wirklich geworden ist, muss sich daher für den Menschen, wie es faktisch um ihn steht und er sich in seiner Welt vorfindet, im Modus des Gewesenen darstellen. Heillos wäre es daher, ihm lediglich das Exempel Jesu vor Augen zu stellen, welches ihm wie das Gesetz, das sich im Leben Jesu erfüllt, nur zum Vorwurf bzw. zur Trauer über den unwiederbringlichen Paradiesverlust gereichen könnte. Sein Blick ist vielmehr auszurichten auf das Kreuz und den auferstandenen Gekreuzigten, weil er der personale Grund und Inbegriff des Evangeliums ist, das den Sünder, der seine geschöpfliche Bestimmung verfehlt hat, rechtfertigt und eine dem Bösen und dem Übel verfallene Welt erlöst. Ostern ist das Urdatum des Christentums. Dies gilt auch in schöpfungstheologischer Hinsicht. Christliche Schöpfungstheologie findet im österlichen Gedächtnis des irdischen Jesus, wie er sich in der Kraft des göttlichen Geistes durch Wort und Sakrament lebendig in Erinnerung bringt, ihren offenbaren Grund und ihr entscheidendes Maß. Durch die Erscheinung dessen, den der göttliche Geist als den wahren Adam und inkarnierten Logos bezeugt, ist ein protologisches Perfekt gesetzt, in dem der Ursprungssinn von Schöpfung beschlossen liegt und zwar in unvergänglicher Weise. Wenn von der ursprünglichen Schöpfung wie vom irdischen Leben Jesu gleichwohl und trotz des zu behauptenden protologischen Perfekts in der Vergangenheitsform zu reden ist, dann wird der Grund hierfür am Kreuz offenbar. Löst sich christliche Schöpfungslehre von ihrem staurologischen Bezug, dann endet sie zwangsläufig in einer Selbstmythologisierung, indem sie ihre protologischen Urstandsaussagen mit einem quasiempirischen Schein versieht und das Gedächtnis des Lebens Jesu zu einer Erinnerung werden lässt, der nicht nur Historizität, sondern auch ihr soteriologischer Skopus abhanden kommt. Heilsam nämlich ist das Gedächtnis des Irdischen nur, wenn sich die Erinnerung des durch ihn gegebenen Exempels vollkommen realisierter kreatürlicher Bestimmung mit der Einsicht verbindet, dass sich die jesuanische Sendung nicht in der eines nachzuahmenden Vorbilds, sondern im stellvertretenden Leiden und Sterben zum Heile von denjenigen erfüllt, die ihr Geschöpfsein durch den Fall der Sünde von Grund auf verfehlten. Auf diesen Skopus hin ist die christologisch-trinitätstheologisch begründete Schöpfungslehre des Christentums ökonomisch auszurichten, und von ihm her ist sie ins Verhältnis zu setzen zu diversen Schöpfungsvorstellungen der Religionsgeschichte und namentlich zur jüdischen Schöpfungsüberlieferung, auf die sie unverbrüchlich bezogen ist und bezogen bleibt. Die Vorstellungen und Gedanken, die sich reliTypische Schöpfungsgionsgeschichtlich mit dem Begriff der Schöpfung narrative verbinden, sind vielfältig und in hohem Maße komplex (vgl. im Einzelnen Ahn). Sie nach Maßgabe formaler Kriterien bzw. phänomenologischer Invarianten zu ordnen, ist kaum möglich. Zwar legt sich eine typologische Unterscheidung zwischen Theogonien, Kosmogonien und Anthropo-

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gonien nahe; doch bleibt im Einzelnen klärungsbedürftig, was mit Gott bzw. Göttern, Mensch und Welt gemeint ist, wie sich die drei Größen zueinander verhalten und insbesondere wie der genetische Aspekt genau bestimmt werden soll. Namentlich in letzter Hinsicht legt es sich nahe, die Einheit diverser Reden von Schöpfung und Genesis in der Unterschiedlichkeit ihrer Ausprägung funktional zu bestimmen, um von dort her zu einer benennbaren Identität von sog. Schöpfungskonzeptionen zu gelangen. Der Begriff der Schöpfung markiert auf die eine oder andere Weise ein ursprüngliches Gründungsgeschehen, das Selbst und Welt im jeweils Ureigenen angeht. Ihrer Funktion nach betrachtet sind Schöpfungskonzepte Ätiologien, die wenn nicht Letztbegründungen, so doch Begründungen elementarer Art für die Bedingungen und Umstände des Lebens, insbesondere des menschlichen Lebens in der Welt liefern. Im Einzelnen kann zwischen Schöpfung als Ätiologie der Lebenswelt, der individuellen und sozialen Lebensbedingungen usw. unterschieden werden, wobei hinzuzufügen ist, dass die jeweiligen Ätiologien sowohl eine konstruktive als auch eine kritische Funktion bzw. beide Funktionen zugleich haben können. So können Schöpfungskonzepte als Ätiologie idealer Lebensordnungen hinsichtlich der gegebenen Lage, auf die sie bezogen sind, in einem kritisch und konstruktiv fungieren. Wesentlicher als das Problem eher affirmativer oder eher negierender Anteile einzelner Schöpfungskonzepte ist die Frage, ob die durch sie jeweils gegebenen Ätiologie auf zeitinvariant Immerseiendes ausgerichtet ist, das sich in beständigen Wiederholungen vergegenwärtigt, oder ob sie offen bzw. bewusst angelegt ist auf Neues, noch nie Dagewesenes, also auf den Verlauf einer im einzelnen einmaligen Geschichte. Klärungsbedürftig bleibt, ob Schöpfung als einmaliger Akt oder als stetiges Geschehen, als creatio ex nihilo oder als kreatives Ordnen des Chaos zu begreifen ist, ohne welches der Kosmos keine Basis und keinen Bestand hat. Doch fügen sich eine Reihe von Schöpfungskonzepten diesen oder vergleichbaren Alternativen nicht, weil die unterstellten Gegensätze interner Logik gemäß keine sind. Auch die geläufige Assoziation des Schöpfungsbegriffs mit dem Gedanken absoluter Verursachung und Hervorbringung ist nicht ohne Probleme, da sich in vielen Traditionen Aktion und Reaktion, göttliches Handeln und menschliches Tun etc. in einer Weise schöpferisch verbinden, die aus einem Verhältnis bloßer Dependenz Interdependenzverhältnisse werden lässt. Ebenso schließt die Transzendenz eines Gottes allem Kreatürlichen gegenüber nicht aus, dass er in der Immanenz seiner Schöpfung wirksam ist und zwar auch und gerade mittels der Wirklichkeit und des Wirkens seiner Geschöpfe, deren Eigenaktivität unbeschadet ihrer schlechthinnigen Abhängigkeit vom Schöpfer nicht nur nicht bestritten, sondern vorausgesetzt wird. Kurzum: Die Kausalitätskategorie ist zu unterkomplex, um die überlieferten Schöpfungsvorstellungen begrifflich zu erfassen. Die einseitige Festlegung der Schöpfungslehre auf das Kausalmodell ist noch nicht dadurch überwunden, dass man, was Genesis heißt, evolutionär zu verstehen sucht. Denn nachgerade der Evolutionsgedanke, der mittlerweile über die Biologie hinaus auf die Kosmogonievorstellungen der Astronomie ausgeweitet wurde, ist

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keineswegs von vorneherein dagegen gefeit, sich auf die Frage nach der Ursächlichkeit im Sinne von Entstehungsbedingungen von Entitäten sowie auf kausale Gesetzmäßigkeiten von Entwicklungsabläufen zu fixieren. Dadurch droht der irreduzible Novitätsgehalt, den kreatürliche Komplexitätssteigerung mit sich bringt, reduktionistisch verkannt und übersehen zu werden, dass die Entwicklung der Natur keineswegs nur einen äußeren, sondern einen nach innen gerichteten Prozess darstellt, der Formen des Inneseins wie Gefühl, Bewusstsein und Selbstbewusstsein mit sich bringt, die von außen nicht angemessen erfasst werden können, so unveräußerlich sie mit Außenbezügen verbunden sind. Der Fortschritt in der Natur bemisst sich, wenn man so will, am Grad der Emanzipation von ihr. Damit ist die Möglichkeit nicht geleugnet, den Formenreichtum der Natur und insbesondere den Zusammenhang ihrer minder und höher komplexen Gestalten als Sukzession im Sinne eines sich weiter entwickelnden Naturprozesses zu begreifen. Doch setzt der Begriff des Einfacheren als einer Vorstufe des Höhergeformten und der Gedanke eines fortschreitenden Evolutionsprozesses, der in Mutationsstufen vom Minder- zum Höherkomplexen führt, nicht nur dessen Kenntnis, sondern auch die Erkenntnis voraus, die diesem, nämlich dem Höherkomplexen, als ihm selbst eignet. Nur ein Wesen, das über Bewusstsein verfügt und seiner selbst bewusst ist, kann das Präbewusste, dem Eigenbewusstsein abgeht, als Vorstufe seiner selbst wissen. Eine unmittelbare Deduktion entwickelter Komplexität aus ihren Vorstufen heraus hingegen ist nicht möglich, sondern läuft auf eine petitio principii bzw. eine Reduktion hinaus, die zwangsläufig verkennen muss, was sie zu begreifen sucht. Die Theorie natürlicher Evolution ist daher nur insoweit überzeugend, als sie die Einsicht in die Tatsache nicht ideologisch verstellt, eine Methode nachträglichen und rückwirkenden Begreifens zu sein. In diesen Zusammenhang gehört die Grundsatzbemerkung, dass es, jedenfalls im christlichen Sinn, nicht nur undifferenziert, sondern tendenziell abwegig ist, den Begriff der Schöpfung mit demjenigen der extrahumanen Natur gleichzusetzen, wie das im alltäglichen, auch kirchlicherseits gepflegten Sprachgebrauch nicht selten geschieht. Denn Geschöpfe Gottes sind auch die Menschen und nicht nur die außermenschlichen Kreaturen. Einen verständlichen Sinn ergibt die verbreitete Assoziation des Schöpfungsbegriffs mit dem Begriff extrahumaner Natur lediglich unter dem Gesichtspunkt gegebener Nähe von Protologie und Prähistorie. Wie die Natur reichen auch die Schöpfungsberichte in der Regel hinter die Historie der Menschheit zurück, um dem menschlichen Beginnen eine naturhafte Anfangsbasis zugrunde zu legen. Der Menschheitsgeschichte geht eine prähistorische „Naturgeschichte“ voraus, wie denn auch die Lebensgeschichte jedes menschlichen Individuums einen gleichsam naturhaften Anfang nimmt. Ob solcher „Urgeschichte“ die mythische Bedeutung gründender Urzeit zuzuerkennen ist, muss gleichwohl fraglich bleiben und ist sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Tradition in Frage gestellt worden. Beide suchen und finden den Grund ihrer Schöpfungsgewissheit weniger im Uranfänglichen, sondern inmitten der

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Geschichte des zum Bewusstsein seiner selbst gekommenen Lebens, auf das die göttliche Offenbarung bezogen ist, um von dort her den gesamten Zusammenhang von Selbst und Welt zu umgreifen. Die extrahumane Natur bildet den Vorhof, nicht das Zentrum des Heiligen. Was das Judentum betrifft, so ist die innere Universaler Mitte seines Glaubens einschließlich seines SchöpToramonotheismus fungsverständnisses von einem ins Universale ausgreifenden Toramonotheismus bestimmt. Während im Polytheismus mit vielen göttlichen oder gottähnlichen Potenzen zu rechnen ist, bilden sich innerhalb der Götterwelt mittels Hierarchierungen allmählich graduelle Abstufungen aus, die zu einer obersten Gottheit hinführen, welche zu irgendeinem Zeitpunkt beansprucht, alleinig und einzig zu sein. Religionsgeschichtlich begründet wird dieser Anspruch zumeist mit überlegener Macht, schließlich mit Allmacht, wie sie nur einem Einzigen und diesem allein zukommen kann. Die Vermutung liegt nahe, dass sich eine entsprechende Vorstellung bereits unter naturreligiösen Bedingungen, also gewissermaßen schon vor und nicht erst nach polytheistischen Ausdifferenzierungen ausgeprägt hat. Doch spricht die Indifferenz, wie sie Naturreligionen kennzeichnet, gegen diese Vermutung und für die Annahme, dass es besagter Ausdifferenzierungen bedurfte, wie sie der fortschreitenden Selbst-Welt-Differenzierung im Prozess der Bewusstwerdung menschlichen Lebens entspringen, um zu einer Allmachtsvorstellung zu gelangen, die sich von selbst mit der Vorstellung unvergleichlicher Einzigkeit verband. Das allmächtige Eine ist mehr und anderes als Natur, sofern unter dieser nur eine Seite des Selbst-Welt-Zusammenhangs zu verstehen ist, den es zu fundieren hat. Dennoch lassen sich vom Allmachtsgedanken naturhafte Assoziationen nicht fernhalten und zwar auch dann nicht, wenn man den Allmächtigen personanalog und mit so etwas wie Bewusstsein und Willen ausgestattet denkt. Denn unter dieser Voraussetzung lässt sich der allmächtige Grund wohl von Natur unterscheiden und als fundierende Basis von Welt und Selbst geltend machen, aber nur unter dem Vorbehalt einer Willkür, deren zwar bewusst, aber arbiträr getroffene Entscheidung fatale Züge aufweist und die nach Art eines Schicksals waltet, dessen Ratschlüsse im Grunde und zuletzt gänzlich unerforschlich bleiben. Menschliche Freiheit, wie immer man sie zu verstehen hat, findet unter solchen Voraussetzungen grundsätzlich keine Basis und wird zu einem bloßen Moment eines vorherbestimmten Weltenlaufs herabgesetzt. Dies steht im Widerspruch sowohl zum jüdischen als auch zum christlichen Schöpfungsglauben, welche beide zwar den Allmachtsgedanken in sich enthalten, ohne sich in ihm theologisch zu erschöpfen. Bereits in der jüdischen Religion ist der Gedanke göttlicher Allmacht seiner Abstraktheit entkleidet und in eine konstitutive Beziehung gebracht worden zu demjenigen göttlicher Gerechtigkeit, von dem aus er sich nun zu verstehen gibt. Zwar bedurfte es, wie gezeigt, einer längeren religionsgeschichtlichen Entwicklung, bis sich der Toramonotheismus als die verbindliche Religionsgestalt des Judentums etablierte. Teilte Israel anfänglich die naturreligiös-polytheistischen

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Vorstellungen seiner Umwelt, um über monolatrische Stationen erst allmählich zur Erkenntnis der Einzigkeit Gottes zu gelangen, so steht für das Judentum der exilisch-nachexilischen Zeit fest, dass der eine Gott jener ist, der seine Allmacht ganz und allein in den Dienst seiner Gerechtigkeit stellt, wie er sie in der Tora offenbart und erschlossen hat. Im hebräischen Kanon ist diese Einsicht authentisch bekundet. Jüdische Schöpfungstheologie lässt sich von ihr nicht ablösen. Es ist im Gegenteil so, dass diese erst vom Toramonotheismus her ihr eigentümliches Profil gewinnt, sofern sie den einen und gerechten Gott als den Herrn von Menschheit und Welt und den Schöpfer Himmels und der Erde bekennt. Jüdischer Schöpfungsglaube erschließt sich vom gewissen Vertrauen auf die Gerechtigkeit des einen Gottes her, mit dessen universaler Allmacht zugleich die Allgemeinverbindlichkeit seiner Weisung zu bekennen ist, die vor den Völkern zu bezeugen der Grund und das Sinnziel der Erwählung Israels ist. Traditionsgeschichtlich und sachlich geurteilt steht die Schöpfungstheologie nicht am Anfang jüdischen Glaubens und in seiner Mitte nur insofern, als sie mit der Allmacht des einen Schöpfergottes zugleich seine göttliche Gerechtigkeit und die universale Verbindlichkeit seiner gerechten Weisung zur Geltung bringt. Es liefe deshalb auf ein gründliches Missverständnis hinaus, der schöpfungstheologischen Überlieferung der hebräischen Bibel primär kosmogenetische oder vergleichbare Interessen zu unterstellen. Was jüdischer Glaube in protologischer Hinsicht bezeugt, um theologisch die allgemeinen Prämissen jeder Selbst- und Weltwahrnehmung geltend zu machen, steht unter der Voraussetzung der Selbsterschließung des einen Gottes in der Tora, von welcher her er Grund und innere Einheit findet. Die Schöpfungstheologie der hebräischen Bibel ist ein auf Universalisierung hin angelegter Reflex des Toramonotheismus, der ihr Zentrum bildet. Dies wird sowohl durch den priesterschriftlichen als auch durch den sog. jahwistischen Schöpfungsbericht bestätigt. Nach P vollendet sich das göttliche Werk der Schöpfung mit der Erschaffung des Menschen als der „Krone der Schöpfung“ (vgl. Neidhardt/Ott) am sechsten Tag, um sich in der Sabbatruhe des siebten zu erfüllen. Nach Erschaffung der Tiere beschloss Gott Gen 1,26 zufolge, Menschen zu machen, die herrschen sollen über die ganze Erde und alles Getier: Und er „schuf den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27) Beide, Mann und Frau (vgl. Th. Schneider [Hg.]), sind Ebenbilder Gottes und durch ihre Gottebenbildlichkeit und ihren besonderen Bezug zum Schöpfer als dessen Repräsentant und Zeuge zur Herrschaft über die außermenschlichen Mitgeschöpfe bestimmt. Die Nomina zelem und demut sind samt der zugehörigen Präpositionen in Gen 1,26 f. austauschbar verwendet, auch wenn ihre jeweilige Eigenbedeutung verschieden sein mag. Das Wort zelem bezeichnet ein plastisches Bild in Gestalt einer Skulptur, einer Statue oder einer sonstigen figürlichen Abbildung; demut leitet sich her vom Verb für „gleichen“ und meint als Abstraktum Abbild im Sinne dessen, was einem anderen gleicht oder ähnelt. Weitgehend einig sind sich die Exegeten, dass beide Terminie nicht auf spezifische Prärogativen des menschlichen

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Geistes oder gar des menschlichen Körpers verweisen, sondern auf den ganzen Menschen. Weder in seiner äußeren Gestalt, noch vorzugsweise in seinem geistigen Vermögen, sondern in seinem gesamten, alle Einzelaspekte umfassenden Menschsein ist er Gottes Ebenbild (vgl. Scheffczyk [Hg.]). Mit Gottebenbildlichkeit ist in Gen 1,26 f. „nicht etwas am Menschen, weder etwas Körperli- Ebenbild Gottes ches noch etwas Geistiges, sondern der ganze Mensch gemeint“ (Westermann, Genesis, 208). Die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise der Mensch durch seine Gottebenbildlichkeit zur Stellvertreterschaft Gottes auf Erden bestimmt ist, wird unterschiedlich bis kontrovers verhandelt. Eindeutig dürfte sein, „daß die Erschaffung des Menschen nach dem Bild Gottes nicht etwas noch zur Menschenschöpfung Hinzukommendes aussagt, sondern dass sie explikativen Charakter hat“ (Westermann, Genesis, 217; bei W. teilweise gesperrt). Als von Gott gebildet ist der Mensch Gottes Ebenbild. Seine Ähnlichkeit mit Gott, ja seine Gottgleichheit nivelliert die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht, sondern beruht im Gegenteil auf ihr, sofern das Menschengeschöpf den Grund seiner Gottebenbildlichkeit nicht unmittelbar in sich, sondern im Schöpfer findet, der sie ihm gewähren will und tatsächlich gewährt und zwar dem Menschen sowohl als Mann als auch als Frau. Man hat darüber diskutiert, ob die Verse Gen 1,26 f. vom Menschen im Singular oder im Plural handeln. Unstrittig ist, dass beide, der männliche und der weibliche Mensch, Gottesgeschöpfe und als Gottesgeschöpfe menschliche Ebenbilder Gottes sind, die zu ihrem Schöpfer in einem gemeinsamen Kindschaftsverhältnis stehen. Als von Gott her kommend und ursprünglich auf ihn bezogen, lebt das Menschengeschöpf als Ebenbild Gottes. „Die Gottesbeziehung ist nicht etwas zum Menschsein Hinzukommendes, der Mensch ist vielmehr so geschaffen, daß sein Menschsein in der Beziehung zu Gott gemeint ist.“ (Westermann, Genesis, 218) Gottebenbildlichkeit ist ein Relationsbegriff und nur relational, also von einer durch Gott ursprünglich und beständig erschlossenen Beziehung her zu verstehen, ohne welche der Mensch nicht nur dieses oder jenes nicht, sondern überhaupt nicht wäre. Hermann Gunkel hat in seinem Genesiskommentar die Vermutung geäußert, die vorgefundene Pluralform der Gottesrede in Gen 1,26 sei von P eben deshalb unangetastet geblieben, „um den fast blasphemischen Gedanken der Jahve-Ähnlichkeit nicht aufkommen zu lassen“ (Gunkel, 111). Diese Vermutung trifft schwerlich zu: denn erstens handelt es sich beim Plural wahrscheinlich um einen solchen der Deliberation (pluralis deliberationis) und zweitens wird das Menschengeschöpf ja ausdrücklich als gottähnlich qualifiziert. Doch zeigt Gunkel sensibles Gespür für die Ungeheuerlichkeit, welche die Rede von einer Gottähnlichkeit des Menschen darstellt. Sie beinhaltet nur dann keine Blasphemie, wenn menschliche Gottähnlichkeit und Geschöpflichkeit zusammengenommen und zusammengedacht werden, wie dies vom priesterschriftlichen Schöpfungsbericht nicht nur nahegelegt, sondern gefordert wird und zwar durch die Bindung des Menschengeschöpfs an das göttliche Schöpfungsgebot.

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Der sechste Schöpfungstag ist in P im Unterschied zur üblichen Regel und abweichend von den vorhergehenden Tagen mit bestimmtem Artikel versehen und als der Tag qualifiziert, an dem Gott sein Schöpfungswerk zur Vollkommenheit eines zusammenstimmenden Ganzen gebracht sah. Die Bedeutung des Tages wird fernerhin durch die Verstärkung der üblichen Billigungsformel (Gen 1,31: sehr gut) „wie durch einen Fingerzeig, ein Notabene hervorgehoben“ (Delitzsch, 106). Man hat diesen Sachverhalt zumeist mit der Erschaffung des Menschen als dem krönenden Abschluss der Schöpfung erklärt. Dies ist nicht falsch, wenn man haggadische Deutungen hinzunimmt, welche den Tag der Vollendung von Himmel und Erde und der Erschaffung des Menschen gerne mit demjenigen in Verbindung brachten, „an dem die Gesetzgebung auf dem Sinai stattgefunden habe und auf die als ihren wahren Zweck hin die Schöpfung erfolgt sei“ (Jacob, 63). Erschaffung des Menschen, Billigung der vollendeten Schöpfung und Sinaigesetzgebung gehören nach jüdischem Verständnis zusammen. Es ist die Tora, in welcher der allmächtige Schöpfergott seine Gerechtigkeit offenbart und zeigt, dass er es mit seinen Geschöpfen gut meint und das Rechte für sie will; und es ist die Tora, ohne deren Erfüllung, wie sie dem Menschen als der Krone der Schöpfung aufgetragen ist, von einer vollendeten Welt nicht die Rede sein kann. Der als Ebenbild Gottes erschaffene Mensch wird von seinem Schöpfer in besonderer Weise ausgezeichnet. Mann und Frau empfangen eigens göttlichen Segen und den Zuspruch, fruchtbar zu sein, sich zu vermehren, die Erde zu bevölkern und über sie samt allem Getier zu herrschen; Pflanzen und Baumesfrüchte sollen ihnen zur Nahrung dienen. Der Mensch steht als eine Kreatur neben anderen zwar inmitten der Schöpfung; aber er bekommt eine Sonderstellung zugewiesen und ist zur Herrschaft über die nichtmenschlichen Mitgeschöpfe bestimmt. Damit er diese verantwortlich wahrnehme, bedarf er jenes Grundgesetzes der Schöpfung, wie es in der Tora erschlossen ist. Die von der rabbinischen Auslegungstradition Göttlicher Sabbat nahegelegte Ansicht, wonach sechster Schöpfungstag und Toraerschließung aufs engste zu verbinden sind, passt mit dem Befund des priesterschriftlichen Textes zwar nicht unmittelbar, aber doch insofern gut zusammen, als der Schöpfungssabbat den Skopus der Genesisgeschichte von P darstellt, wodurch ein eindeutiger Zusammenhang von Schöpfung und Tora hergestellt wird. Nimmt man Gen 2,1 statt zum sechsten zum siebten Schöpfungstag, was durch die spätere Kapiteleinteilung nahegelegt und exegetisch wohl ebenso möglich ist wie der Anschluss an Gen 1,31, dann tritt die Einheit von Schöpfungsvollendung und Sabbaterfüllung noch klarer hervor, als das ohnehin der Fall ist: „Am siebten Tag vollendete Gott sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte.“ (Gen 2,2 f.) „Ein ätiologischer Mythos“ (Gunkel, 115), kommentiert Hermann Gunkel knapp, dazu bestimmt, den Sabbat, ohne ihn beim Namen zu nennen,

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begründend zu erklären. Beantwortet werde „die Frage: warum ist der Sabbath d. h. der siebente Tag, der heilige Feiertag? warum darf man an diesem Tage keine Werkeltagsarbeit tun? Die Antwort lautet: weil Gott selber nach der Schöpfung der sechs Tage am siebenten Tage von der Werkeltagsarbeit . . . gefeiert und den Sabbath so zum ‚Grundgesetz der Weltordnung‘ (Hehn) gemacht hat.“ (Ebd.) Auch wenn man die These einer Einsetzung bzw. ätiologischen Begründung des Sabbats in Gen 2,2 f. skeptisch beurteilt, lässt sich eine enge Verbindung zwischen Schöpfungsvollendung und Gottesgebot für Israel und mittels seiner für alle Welt nicht leugnen. Die Schöpfung findet an den Geboten im Allgemeinen und am Sabbatgebot im Besonderen ihr Vollendungsmaß. Man hat daraus gefolgert, dass ihre vollkommene Güte nicht im Sinne eines statischen Perfekts, sondern „in einem mehr funktionalen Sinne“ (Westermann, 229), nämlich im Sinne von „gut für“ (ebd.) zu verstehen sei. Das göttliche Schöpfungswerk sei darauf angelegt, dass das Menschengeschöpf ihm durch sein kreatürliches Verhalten in Tun und Lassen kooperativ entspreche. Zwar enthalte die abschließend zu einem „sehr gut“ gesteigerte Billigungsformel eine dezidierte „Verwahrung Gottes gegen die Urheberschaft des Bösen“ (Delitzsch, 106). Das heiße aber nicht, dass die Schöpfung am sechsten bzw. siebten Tag zu einem dergestalt vollendeten Abschluss gelangt sei, der tätiges menschliches Beginnen überflüssig mache. Gesagt sei vielmehr, „dass das Schöpfungsganze in seinen einzelnen Theilen nun soweit zu einem gottgefälligen Stande emporgearbeitet war, dass die dem letzten Ziele zustrebende Gesamtgeschichte . . . ihren Anfang nehmen kann“ (ebd.). Das Vollendungsperfekt der Schöpfung bezeichne nicht das Ende eines Geschehens, von dem im Präteritum zu reden sei, sondern enthalte den Zuspruch und Anspruch an den Menschen in sich, der wohlgefügten Genesisordnung und der eigenen gottebenbildlichen Bestimmung dadurch zu entsprechen, dass er sich der göttlichen Weisung gemäß verhalte, welche die Schöpfung in sich berge und die Tora offenbare: „pleasing to him, answering his purpose“ (Collins, 69) – genauso und nicht anders habe Gott seine Schöpfung gewollt, was u. a. durch 1. Tim 4,4 neutestamentlich bestätigt werde. Wie immer diese Interpretation exegetisch zu beurteilen ist: Aus dem perfekten Ergebnis des göttlichen Schöpfungswerkes sind nach P Schlüsse zu ziehen, die auf ein schöpfungsgemäßes Verhalten des Menschen zielen. Die Tora bietet hierfür die nötige Wegweisung. Ihre Erschließung kann daher als Skopus des Schöpfungsgeschehens angesehen werden. Dieser Befund hat nicht nur am priesterschriftlichen, sondern auch am jahwistischen Schöpfungsbericht und der Erzählung vom paradiesischen Garten Eden einen festen Anhalt. Das deutsche Wort Paradies stammt vom griechischen paradeisos, das einerseits dem Altirani- Garten Eden schen entlehnt ist und ursprünglich Umwallung, dann den umfriedeten Park und umhegten Garten bezeichnet. Auch im Hebräischen und Aramäischen begegnet das Fremdwort in dieser Bedeutung. Parkanlagen und Gärten, die „eine Schnittstelle zwischen Natur und Kultur“ (Stolz, 705)

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markieren, dienten im Alten Orient häufig als Modelle einer Gegenwelt, die heilvolles Leben und eine kosmologische Eintracht symbolisiert, die alles Lebendige umfängt und zu einer harmonischen Ordnung zusammenschließt. Im Paradies sind die chtonischen Chaosmächte der Finsternis ausgegrenzt und in die Unterwelt verbannt, die vegetabilischen und animalischen Wildnisse gelichtet und gezähmt, und wo sich einst unheimliche Wüsteneien breitmachten, in die das schiere Nichts grauenvolle Schatten warf, da ist Mensch und Tier eine Wohnstatt bereitet, in der sie heimisch sein, ein gepflegtes Leben führen und das hohe Lied der Liebe singen können. Die raumzeitlichen Konnotationen, die sich religionsgeschichtlich mit der Paradiesvorstellung verbinden, variieren in den einzelnen Symbolsystemen ebenso wie die Weisen ihrer Inszenierung. Wo lokale Bezüge hergestellt werden, was nicht selten der Fall ist, bleiben sie zumeist unbestimmt und deutungsoffen. Gilt das Paradies nicht einfachhin als ortlos, dann ist es ein „utopischer“ Ort doch insofern, als seine Lokalität über alle Raumgrenzen hinausweist. Entsprechendes gilt in zeitlicher Hinsicht: die paradiesische Gegenwelt transzendiert, wo sie nicht überhaupt als zeitlos vorgestellt wird, in aller Regel das chronologische Zeitmaß und wird entweder in einer protologischen Urzeit oder einer eschatologischen Endzeit angesetzt, welche die Zeitbegriffe der üblichen Erfahrungswelt übersteigt. Protologisch orientierte Paradiesvorstellungen, die von einem goldenen Äon am Anfang der Zeiten ihren Ausgang nehmen, führen nicht selten Dekadenzannahmen mit sich, wenn sie nicht gar mit dem restlosen Verlust ursprünglicher Integrität rechnen. In endzeitlicher Perspektive kommt das Paradies demgegenüber vor allem als Zielpunkt einer Entwicklung in Betracht, in der Fortschritte zum Guten hin unter der Voraussetzung möglich sind, dass die gegebene Erfahrungswelt nicht als gänzlich korrupt und prinzipiell verkehrt angesehen wird. Für den Fall einer völligen Verderbnis muss der künftige Eintritt des paradiesischen Eschatons als ebenso unvermittelt gedacht und erwartet werden wie die Setzung des Ursprungsdatums, welches die urzeitlich konnotierte Paradiesvorstellung in Erinnerung bringt. Die Übergänge vom profanen zum symbolisch-religiösen Gebrauch des Paradiesbegriffes sind fließend und zwar in allen Sprachen, in denen er Verwendung findet. Im Griechischen hat der Begriff seine theologische Prägung vor allem durch die Septuaginta erhalten, die den von Gott in Eden angelegten Hort mit dem Ausdruck paradeisos bezeichnet, der erstmals bei Xenophon begegnet und ab dem 3. Jh. v. Chr. in den allgemeinen griechischen Sprachgebrauch eingegangen ist. Nach Gen 2,8 ff. wird das Menschengeschöpf von seinem Schöpfer in den paradiesischen Gottesgarten gesetzt, damit es diesen der Ordnung der Schöpfung gemäß hege und hüte. Bewässert wird der göttliche Park von einem in Eden entspringenden Strom, der sich in vier Hauptflüsse verteilt, zu denen Euphrat und Tigris zählen. Ausgestattet ist er mit allerlei verlockend anzusehenden Bäumen, welcher der Herr aus dem Ackerboden wachsen und köstliche Früchte tragen lässt. Wichtiger als diese Aspekte und die Frage ihres traditionsgeschichtlichen Verhältnisses zueinander ist das Erzählmotiv, das in die Mitte des Gartens führt und ins

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Zentrum der biblischen Paradiesesgeschichte, zum Baum des Lebens und zum Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. „Von allen Bäumen des Gartens“, so gebietet es Gott, der Herr, seinem Menschengeschöpf, „darfst du essen; doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben.“ (Gen 2,16 f.) Durch das göttliche Gebot ist dem Paradies eine Ordnung gegeben, wie sie dem Menschen in seinem Verhältnis zu dem umgebenden Garten gemäß ist, den er nach Gottes Willen bebauen und pflegen soll. Indem Gott den Menschen in die Pflicht nimmt, weist er ihn in jene Stellung ein, die seinem kreatürlichen Wesen entspricht: nicht Garten, sondern Gärtner, also jener zu sein, der die Natur einschließlich seiner eigenen zu kultivieren bestimmt ist. Nach rabbinischer Auslegung bildet die Tora das innere Zentrum und den Skopus der biblischen Paradies und Tora Paradiesgeschichte. Sie gewährleistet die paradiesischen Verhältnisse in Eden, sofern sie den Menschen ins rechte Verhältnis zu Gott, zu sich selbst, zu den Kreaturen (vgl. Gen 2,19f ) und nicht zuletzt zu seinesgleichen setzt (vgl. Gen 2,21 ff.). Das integre Beziehungsgefüge zwischen allen Kreaturen und nachgerade zwischen Mann und Frau ist nicht einfachhin natürlich gegeben, sondern durch eine Ordnung willentlicher Natur bestimmt. Weit davon entfernt, dem Menschen Edens paradiesische Wonnen zu entziehen, ist es die göttliche Weisung, die ihm ihren humanen Genuss eigentlich erst ermöglicht. Erst durch sie wird der Mensch in die Lage versetzt, wahrzunehmen und zu verwirklichen, wozu er ursprünglich bestimmt ist und den Platz einzunehmen, den ihm sein Schöpfer unter den Geschöpfen zuerkannt hat. Das göttliche Gebot beschränkt nicht etwa den paradiesischen Reichtum, welchen der Schöpfer gegeben hat, sondern würdigt den Menschen, ihn recht zu gebrauchen. Ohne die göttliche Tora wäre das Paradies weder ein Gottesgarten noch ein Hort humanen Lebens. Zu diesem wird sie erst durch das göttliche Gebot, durch dessen Weisung der Schöpfer sein Menschengeschöpf über bloße Naturunmittelbarkeit erhebt und zum Bewusstsein seiner kreatürlichen Bestimmung kommen lässt. Die biblische Paradieseserzählung redet keiner mythischen Regression das Wort, sondern ist auf eine Geschichte angelegt, die Natur zur Basis hat, ohne in ihr aufzugehen. Diese Einsicht wird durch weitere Stellen des Alten Testaments, in denen das für sein Gesamtzeugnis eher marginale Motiv des paradiesischen Gottesgartens begegnet, nicht falsifiziert, sondern bestätigt. Die Tora steht inmitten der Paradiesesgeschichte, ja auf sie ist die ganze Schöpfung angelegt. Auf drei Dingen, pflegte Schimon der Gerechte gemäß Mischna Avot 1,2 zu sagen, steht die Welt: „auf der Tora und auf dem (Tempel-)Dienst und auf den Liebeswerken“ (nach Avemarie, 57), wobei die drei eigentlich eins sind, da die Tora „Kult und Nächstenliebe im Grunde schon in sich schließt“ (Avemarie, 58). Als göttliche Weisung an den Menschen hat sie im Verein mit ihrer ethischen eine kosmologisch-universale Dimension. „Denn wird die Tora nicht gehalten, der Tempeldienst vernachlässigt und keine Nächstenliebe geübt, so

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muß es die Welt in ihren Grundfesten erschüttern.“ (Ebd.) Ohne menschliche Befolgung göttlicher Weisung hat die Schöpfung keinen Bestand, und der geschaffene Kosmos ist nicht von Dauer. Es liegt in der Konsequenz dieser Annahme, der Tora „die Funktion sowohl einer Schöpfungsmittlerin . . . als auch einer Garantin für die Erhaltung der Welt“ (Avemarie, 576) zuzuerkennen, wie das nicht erst in der rabbinischen Tradition, sondern bereits in den Hl. Schriften Israels der Fall ist. Das jüdische Zeugnis von der Schöpfungsmittlerschaft der Tora wird durch das christliche Bekenntnis zum Schöpfungsmittler Jesus Christus nicht erledigt, sondern im Gegenteil affirmiert. Dies kann man sich beispielhaft durch Reflexion auf das kritische Verhältnis zu naturreligiösen Schöpfungsüberlieferungen verdeutlichen, das beiden gemeinsam ist. Schöpfung ist nach jüdisch-christlichem Urteil kein naturgegebenes Datum, sondern willentliche Setzung Gottes, dessen Wesen Gerechtigkeit ist. Gerechtigkeit bestimmt die göttliche Allmacht und alles, was durch sie schöpferisch ins Werk gesetzt wird. An ihr bemisst sich die Güte der Schöpfung und die kosmische Ordnung, die zu wahren und zu fördern vor allen Kreaturen dem Menschengeschöpf aufgetragen ist. Um noch einmal bei Adam und Eva zu beginnen: Beide stehen in ihrer Zusammengehörigkeit als iš und išša sowohl für individuelle existierende Personen als auch für die prototypischen Repräsentanten des Menschengeschlechts; als Korporativpersönlichkeiten bilden sie das Stammelternpaar der Menschheit, als namentlich benannte Einzelne treten sie selbst als numerische Glieder innerhalb der menschlichen Generationenfolge auf, was u. a. insofern seine Richtigkeit hat, als, was Mensch heißt, seinem Wesen nach nie in abstrakter Allgemeinheit, sondern stets als konkretes Personwesen existiert. Der biblische Adam nimmt mitsamt seiner Eva Adam und Eva eine Doppelstellung ein, die auf einen differenzierten Zusammenhang verweist. Als der Prototyp des gotterschaffenen Menschen eröffnet er die Reihe der Geschlechter, ohne ihr selbst als ein fixes, namentlich identifizierbares Glied anzugehören. Damit ist keine individuelle Prärogative Adams, sondern die anthropologische Zentralaussage biblischer Schöpfungstheologie zum Ausdruck gebracht, dass nämlich jeder Mensch als Gottes Geschöpf zu gelten hat. Gottesgeschöpf aber ist der Mensch niemals für sich allein, sondern stets als Mitmensch. Auch dafür gibt der biblische Adam ein Beispiel: sobald er namentlich in Betracht kommt, reiht er sich in den Zusammenhang des Menschengeschlechts ein, um als Gotteskind zugleich Glied der Menschheitsfamilie zu sein. Die Genese des Adamnamens gehört zur adamitischen Genesis des Menschengeschlechts unveräußerlich hinzu. Das Wort adam, so wurde mehrfach gesagt, ist mit dem hebräischen Ausdruck adama terminologisch verwandt, auch wenn die genaue Bestimmung der Art der Verwandtschaft Probleme aufgibt. In seiner Grundbedeutung bezeichnet adama den Erdboden, der im Gegensatz zu Wüste und Steppe als Kulturland zu nutzen ist (vgl. Schmid, 58). Die wortspielerische Beziehung, die Gen 2,7 zwischen adam und adama herstellt, verweist, wie immer man das sprachliche Verhältnis beider

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Begriffe und ihre jeweilige Etymologie zu beurteilen hat, auf eine elementare Verbindung des Menschengeschöpfs zum Erdboden. Der Mensch ist irdisch und der Erde, aus der Gott seine Gestalt formte, leibhaft zugehörig. Darin gleicht er den Tieren, die Gott gemäß Gen 2,19 ebenfalls aus dem Ackerboden formte. Zugleich ist der Mensch als das von Gottes ureigenem Geist belebte Geschöpf dazu bestimmt, das Erdreich und alles Vieh zu beherrschen, damit es ihm dienstbar sei. Befähigt und berechtigt ist der Mensch zu solch naturkultivierender Herrschaft von Gott her und in Verantwortung ihm gegenüber, der als Schöpfer des Menschen zugleich Schöpfer aller Kreaturen ist und bleibt und in ihnen als solcher zu ehren ist, was das Menschengeschöpf zur Achtung der extrahumanen Schöpfung innerlich verpflichtet. Die biblische Geschichte von der Erschaffung Adams (und Evas) besagt, „daß die Menschheit, und d. h. jeder Mensch, seine Existenz von Gott hat, nicht mehr und nicht weniger“ (Westermann, adam, 46). Zur Richtigkeit dieser Aussage gehört die Feststellung, dass Menschheit und Mensch dazu erschaffen sind, der Gerechtigkeit ihres Schöpfers in tätiger Verantwortung zu entsprechen. Gerecht zu sein vor Gott und der Welt ist die Wesensnatur des Menschen, zu der er bestimmt ist. Nach Zeugnis christlichen Glaubens ist diese Bestimmung in Jesus Christus realisiert, wohingegen sie durch den Adam der Genesis faktisch und in bestimmungswidriger Weise verfehlt wurde. Als Realisator der Bestimmung Adams ist Jesus Christus gemäß der Lehre des Dogmas seiner Menschheit nach mit diesem und mit dem gesamten Menschengeschlecht vollkommen eins, doch unterschieden durch Sündlosigkeit und gänzliche Logospersonierung, welche in ihrer Zusammengehörigkeit das wirkliche Menschsein des zweiten Adam nicht beschränken, sondern im Gegenteil seine Wahrheit ausmachen. Jesus Christus ist der vor Gott gerechte Mensch, in dem die Bestimmung des Menschengeschöpfs samt aller Kreatur offenbar und der göttliche Schöpfergeist dergestalt manifest geworden ist, dass der Mensch Jesus Christus als der inkarnierte Logos zu bekennen ist, in dem Gott als der Schöpfer in seiner Schöpfung sich real präsentiert. Im Neuen Testament wird die, wenn man so will, Sakramentalität des Offenbarungsmysteriums Jesu Christi in unterschiedlichen Vorstellungweisen, jedoch stets so bezeugt, dass der Irdische im Lichte Osterns als das Wirkzeichen dessen erscheint, was im genuinen Sinne Schöpfung heißt. Auf die programmatische Bezugnahme von Joh 1,1 auf Gen 1,1 wurde wiederholt hingewiesen. Auch in den Ursprungsgeschichten der anderen Evangelien sind protologische Bezüge zum Schöpfungsgeschehen unverkennbar. Wie immer man den Anfang von Mk sowie die Vorgeschichten in Mt und Lk in ihrem Verhältnis zueinander zu interpretieren hat: Ein Rückbezug auf den Ursprung der Welt und insbesondere des Menschengeschlechts wird hergestellt, ob nun der Stammbaum Jesu wie in Lk 3,38 mittels Josef über Abraham hinaus ausdrücklich auf Adam zurückgeführt wird oder nicht. Auch der erste Adam stammte von Gott. Doch erlag er der Versuchung des Bösen, wohingegen Jesus Christus sie überwand, wie in Lk 4,1–13 ausgeführt wird und zwar im Anschluss an Mk 1,13, wo die Notiz von der

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satanischen Versuchung Jesu in der Zeit seines vierzigtägigen Aufenthalts in der Wüste mit dem Satz beschlossen wird: „Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.“ Paradiesassoziationen werden bewusst nahe gelegt. Explizit ist von paradeisos neutestamentlich in Lk Erschlossenes Himmelreich 23,43, 2. Kor 12,4 sowie in Apk 2,7 die Rede, wo den im Glaubenskampf Siegreichen zugesagt wird, ihnen werde vom Baum des Lebens zu essen gegeben. Der Text setzt wie die beiden anderen die vollzogene Eschatologisierung der Paradiesvorstellung voraus, die für die apokalpytische Tradition bereits in vorchristlicher Zeit charakteristisch war. Doch beseitigt die tendenzielle Gleichsetzung von Paradies und Reich Gottes bzw. Himmelreich die protologischen Gehalte der Ursprungsvorstellung keineswegs. Vielmehr werden das endzeitliche Reich und seine Erwartung in aller Regel rückbezogen auf den als die genuine Bestimmung des Menschen erinnerten, durch den Fall der Sünde verfehlten Ursprungsstatus der Unschuld und Gerechtigkeit. Es ist kennzeichnend für die gesamte biblische Überlieferung, dass der Verlust des Paradieses Adam als Schuld und als ungerechte Verfehlung zugerechnet und nicht etwa mit Hinweis auf seine irdischen Daseinsbedingungen und seine Bindung an den Erdboden entschuldigt wird. Adam und adama sind unter den Bedingungen Edens in integrer Weise aufeinander bezogen. Erst die Übertretung des göttlichen Gebots hat die Vertreibung aus dem Paradies zur fatalen Folge. Für die prinzipielle geschöpfliche Erfüllbarkeit des göttlichen Gebots gibt der irdische Jesus der Welt ein signifikantes Beispiel, durch welches das Urbild des Menschen in Erinnerung gebracht und die Schuld des menschlichen Sündenfalls dem Vergessen entzogen wird. Indes erschöpft sich die Sendung des zweiten Adam als der Inkarnationsgestalt des göttlichen Schöpfungslogos nicht in vollkommener Gebotserfüllung. Wäre Jesus Christus lediglich ein alter Moses bzw. ein exemplarisches Vorbild tätigen Gehorsams, der sündlos dem Schöpfungswillen Gottes entspricht, dann könnte er bestenfalls ein Bewusstsein der Schuld der Sünde erzeugen, ohne die adamitische Menschheit aus dem Abgrund ihres Falls zu erretten und Versöhnung Gottes und des Menschen zu bewirken. Um gottmenschliche Versöhnung und Erlösung zu stiften, genügte, mit der dogmatischen Tradition zu reden, nicht die aktive Obödienz Jesu Christi; es bedurfte mit jener inneren Konsequenz, die in der jesuanischen Sendung selbst begründet liegt, der oboedientia passiva des Leidens und Sterbens. Nicht von ungefähr sind die Evangelien als Passionsgeschichten mit, wie man sagte, verlängerter Einleitung konzipiert. Im Kreuzestod, den der Gerechte stirbt, werden das Vergehen der Sünde und die definitive Vergangenheit der verfehlten protologischen Stellung des Menschen manifest. Zukunft ist angesichts dessen nur von der Gegenwart des auferstandenen Gekreuzigten zu erwarten, welche der österliche Pfingstgeist erschließt. In ihm ist der gerechte Gott für den Glauben als derjenige offenbar, der in seiner Gerechtigkeit die Sünde straft, aber den Sünder um Christi willen aus Gnade rechtfertigt und liebt. Auf diesen alle menschliche Theorie und Praxis transzendierenden Zusammenhang ist die Botschaft der Evangelien primär ausgerichtet, und auf ihn

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sind namentlich die paulinischen Adam-Christus-Typologien konzentriert (vgl. Strolz [Hg.]). Sie machen unter Bezug auf die universale Adamssünde die Universalität der Gottesgnade in Jesus Christus namhaft, an der alle Anteil haben, die in der Kraft des Geistes in den Tod des Herrn hineinsterben, um durch ihn an der österlichen Herrlichkeit zu partizipieren. Wie es in 1. Kor 15,45 im Anschluss an die Septuagintaversion von Gen 2,7 heißt: „Der erste Mensch, Adam, wurde ein irdisches Lebewesen, der letzte Adam zu einem Leben schaffenden Geist.“ Lebendigmachend ist der Geist Jesu Christi insonderheit dadurch, dass er die Sünde überwin- Gericht und Gnade det, die durch den ersten Adam mitsamt allen tödlichen Folgen in die Welt kam (vgl. Röm 5,12), und die schöpferische Wirklichkeit Gottes in einer Neuheit zur Geltung bringt, wie sie protologisch nicht auszudenken ist. „Wie es durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung für alle Menschen gekommen, die Leben gibt.“ (Röm 5,18) Der zweite Adam hat die Sünde des ersten stellvertretend auf sich genommen und ihm so Gerechtigkeit vor Gott verschafft. In Jesus Christus sind nicht nur Schöpfer und Geschöpf ursprünglich vereint, wie die Inkarnationslehre im Kontext der Weihnachtsbotschaft dies besagt; im auferstandenen Gekreuzigten sind zudem „Gericht und Gnade in wunderbarer Weise“ (Cremer, 34) dergestalt zusammengeschlossen, dass der allmächtige Schöpfer als Versöhner, der gerechte Richter als gnädiger Retter offenbar wird. Die Gerechtigkeit des Schöpfergottes, wie sie gemäß der ursprünglichen Einsicht der jüdischen Religion in der Tora erschlossen ist, bleibt in Ewigkeit bestehen und hört niemals auf, zwischen Recht und Unrecht zu scheiden. Der durch das göttliche Gesetz gesetzte Gegensatz gegen die Sünde und das Böse wird durch das Evangelium Jesu Christi nicht antinomistisch vergleichgültigt. Er schließt aber ebensowenig die vorbehaltlose Zuwendung zum Sünder aus, weil der Gott der Gerechtigkeit in der Kraft seines Geistes aus Gnadenliebe den Sünder zu rechtfertigen gewillt ist und tatsächlich rechtfertigt, welcher im Glauben auf den Gekreuzigten und Auferstandenen vertraut. Im auferstandenen Gekreuzigten ist nach dem Bekenntnis des christlichen Glaubens Gott selbst offenbar und in seinem Geist heilsam präsent. Die göttliche Geistesgegenwart, in welcher der Glaube gründet, erschließt für ihn sowohl eschatologische Erwartungsbezüge als auch Bezüge protologischer Erinnerung. Die eschatologische Erwartung ist auf die zukünftige Vollendung in Gott, die protologische Erinnerung auf die Herkunft von ihm ausgerichtet. Die in der Präsenz des Gottesgeistes im auferstandenen Gekreuzigten nicht nur mitgesetzten, sondern prinzipiell vorausgesetzten Erinnerungsbezüge zu entfalten, ist, bei allem was sonst noch zu ihren Aufgaben gehört, die Zentralbestimmung christlicher Schöpfungslehre. Sie ist die Reflexionsgestalt jener Anamnese, wie sie durch das österliche Geistgedächtnis des irdischen Lebens Jesu hervorgerufen wird. Im Geiste Osterns ist der Irdische als der wahre Adam und der inkarnierte Logos zu bekennen, in welchem das ursprüngliche Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf manifest ist.

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Der irdische Jesus stellt sich im Lichte Osterns als der Offenbarer von Schöpfer und Geschöpf dar, in dessen Person Menschheit und Gottheit auf eine dergestalt differenzierte Weise eins sind, wie es dem Ursprungssinn der Schöpfung entspricht. Der allmächtige Schöpfergott ist im inkarnierten Gotteskindschaft Logos Jesus Christus kraft seines Geistes als Vater des Menschengeschöpfs offenbar, das Menschengeschöpf im zweiten Adam und göttlichen Menschensohn als zur Kindschaft bestimmtes Ebenbild Gottes. Schöpfer und Geschöpf sind in ihrer Unterschiedenheit dergestalt innig vereint, dass ihre Gemeinschaft alle Welt zu umfassen vermag. Nichts in der Welt kann Schöpfergott und Menschengeschöpf scheiden. In diesem Sinne hat das Universum als grundsätzlich und von Grund auf gut zu gelten. Auch wenn sich für das Menschengeschöpf nicht alles im Kosmos unmittelbar als ein Gut erschließt, kann es doch der Güte des Weltschöpfers gewiss sein. Selbst das als ungut Empfundene, ja als Übel zu Beklagende kann unter der Voraussetzung eines kreatürlichen Kindschaftsverhältnisses des Menschengeschöpfs zum Schöpfergott dessen Väterlichkeit so anvertraut werden, dass keine Zweifel an seiner Güte aufkommen. Ist das kindliche Gottvertrauen doch gewiss, dass der allwissende Vatergott weiß, was es heißt, nicht allwissend zu sein; er wird entsprechend für seine Geschöpfe auch und gerade dort Sorge tragen, wo sie den Weg nicht kennen, den sie geführt werden. Für die Möglichkeit und Tatsächlichkeit solch gewissen Gottvertrauens bietet Jesus Christus Beispiel und offenbare Begründung. Wer Jesu Christi als des inkarnierten Logos und wahren Adam gedenkt, kann der ursprünglichen Güte sowohl des Schöpfers als auch der Schöpfung und der Grundlosigkeit des Zweifels an beider Güte und Gutheit gewiss sein. Dies ist gemeint, wenn von der durch das österliche Geistgedächtnis hervorgerufenen Schöpfungsanamnese die Rede ist. Sie bringt in Erinnerung, was von Gott her protologisch in unverrückter Geltung steht und den wesentlichen Sinn christlicher Schöpfungstheologie ausmacht. Die Schöpfungstheologie ist die Prämisse von Christologie und Pneumatologie, so wie das Leben Jesu die ihrerseits voraussetzungshaltige Prämisse seines Kreuzes, seiner Auferstehung und des Geistzeugnisses vom auferstandenen Gekreuzigten bildet. Gleichwohl bedarf es christologisch-pneumatologischer Vermittlung, um des Sinnes ansichtig zu werden, der sich nicht nur mit dem Begriff der Schöpfung im Allgemeinen, sondern nachgerade mit dem christlichen Schöpfungsbegriff verbindet. Was Schöpfung heißt, benennt eine prinzipielle Voraussetzung alles Weiteren einschließlich der Sendung Jesu Christi und des Geistes. Doch erschließt sich die Bedeutung dieser Voraussetzung nicht voraussetzungslos, weil ein unmittelbarer Zugang zu ihr für die menschliche Selbst- und Welterfahrung nicht nur nicht offen steht, sondern verschlossen ist. Schöpfung benennt eine Voraussetzung, die zwar nicht aufgehört hat und niemals aufhören wird, die Prämisse alles dessen zu sein, was über Selbst und Welt zu sagen ist. Sie ist aber für Selbst und Welt faktisch nur mehr in Form eines prinzipiell Vergangenen präsent. Christliche, durch

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das österliche Geistgedächtnis Jesu bewirkte Schöpfungsanamnese bestätigt dies. Sie vergegenwärtigt den Ursprungssinn von Schöpfung, bringt aber, indem sie dieses leistet, zugleich seine faktische Verkennung seitens des Menschen zu Bewusstsein. Wahrhafte Schöpfungserkenntnis geht stets mit der Erkenntis der Verfehlung und des Verlustes einher. Eine vom österlichen Gedächtnis Jesu geleitete Schöpfungsanamnese kann zu keinem anderen Ergebnis kommen. Steht doch das Leben Jesu von Anbeginn unter dem Vorzeichen des Kreuzes. An ihm kommt der zu Tode, der nach christlichem Bekenntnis den Ursprungssinn der Schöpfung erschlossen hat. Von diesem Faktum her hat die christliche Hamartiologie ihren Ausgang zu nehmen. Dass sie nicht in schierer Ausweglosigkeit endet, ist auf der Basis der Schöpfungstheologie allein nicht zu gewährleisten. Zwar bildet diese die Voraussetzung der Sündenlehre, wie denn auch das Leben Jesu seinem Kreuzestod vorausgesetzt ist. Aber Heil kommt dem in Sünde gefallenen Geschöpf nur vom österlichen Geist des auferstandenen Gekreuzigten zu, in welchem der allmächtige Schöpfergott zwar nicht aufhört, gerecht zu sein, seine Gerechtigkeit aber in den alleinigen Dienst seiner Versöhnungsliebe stellt, die den Sünder um Christi willen durch Glauben rechtfertigt, damit er frei sei aus Gnade (vgl. Pesch). Im Geiste des auferstandenen Gekreuzigten löst Gott so in überschwenglicher Weise das Versprechen (vgl. Biser) ein, das dem Menschen mit seiner und der Schöpfung der Welt gegeben wurde.

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Personenregister erstellt von Laura Feichtmeier (In den Literaturangaben aufgeführte Personennamen werden in der Regel nicht eigens benannt.)

Abraham 75 Adam 29, 39, 43, 45 f., 48, 60, 73 ff., 77 ff., 114, 136 f., 139 f., 173, 216 f., 278, 283 ff., 383 f., 386, 391, 394 ff., 406 ff. Albertus Magnus 121 Anaxagoras 93 Andronikos von Rhodos 118 Anselm von Canterbury 138 Apel, K.-O. 15 Aristoteles 56, 62 f., 110, 118 ff., 125, 129, 132, 136, 158 f., 300, 313, 322 f., 341 f., 349, 352 ff. Arnobius von Sicca 116 Asam, C. D. 8 ff. Athanasius 393 Augustin 56, 90, 112, 116, 121, 255, 276, 281, 290, 322, 352 Austin, L. 15 Baco von Verulam 323 Barth, K. 19, 23 ff., 30 f., 48, 64, 74, 243, 269, 334, 389 Basilius der Große 102 Basilius von Caesarea 112 Bayer, O. 47, 141, 145 Bedford-Strohm, H. 50 f. Berkeley, G. 324 Biser, E. 411 Blank, St. 19 Bloch, E. 294 Blumenberg, H. 16, 95, 179 Böhme, H.u.G. 19 Böhme, J. 42, 95 Bonaventura 121

Bornkamm, H. 145 Brahe, T. 177 Brentano, F. 312 f. Bretschneider, K.G. 284 Budde, J. F. 162 Bultmann, R. 30, 268 Calixt, G. 161 Carnap, R. 14 Chenu, M.-D. 122 Chesterton, G. K. 133 Clarke, S. 349 Comte, A. 14 Cremer, H. 409 Crick, F. 374, 376 Dalferth, I.U. 13, 24 f., 47, 263 f. Danz, Chr. 35 f. Darwin, Ch. 299, 380 Delitzsch, F. 65 f., 402 f. Demokrit 345 Derrida, J. 17 Descartes, R. (Cartesius) 42, 262, 296, 310 f., 324, 342, 350 Dewey, J. 16 Dionysius Areopagita 90 Ebeling, G. 136 Ehlers, J. 327, 335 f. Einstein, A. 301, 325, 326, 328, 344, 348, 360 Empedokles 93 Eratosthenes 323 Esfeld, M. 301 f., 345 Eusebs von Caesarea 102

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Personenregister

Eva 74 f., 77 ff., 114, 139 f., 173, 383 f., 386, 406 f. Evers, D. 328 ff.

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Husserl, E. 42, 310 ff. Huygens, Ch. 350 Irenäus von Lyon 100, 284

Faraday, M. 324, 350 Feuerbach, L. 243 Fichte, J. G. 42, 300, 312 Foucault, M. 17 Frege, G. 14 Friedländer, P. 94 Friedmann, A. 325 f. Fries, J.F. 324 Fukuyama, F. 12 Gadamer, H.-G. 16 Galilei, G. 178, 180, 310 Gamm, G. 17 ff. Gassendi, P. 324 Gauß, C.F. 358 f., 381 Gerhard, J. 161 Geulinx, A. 324 Grabmann, M. 123 Graf, F. W. 24, 26, 198 Gregor von Nazianz 102 Gregor von Nyssa 112 Gunkel, H. 73, 339, 401 Habermas, J. 16 f., 315 Haeckel, E. 301, 318, 380 Hartshorne, Ch. 299 Hawking, St. W. 327 Hegel, G. W. F. 19, 31, 64, 221 ff., 274, 300, 360 f., 377, 388 Heidegger, M. 313 Heim, K. 316, 319 f., 335 Henrich, D. 42, 47 Heraklit 93 Herder, J.G. 284 Hobbes, Th. 324 Hobsbawm, E. 11 Höffe, O. 180 Hollaz, D. 162 Hoping, H. 96, 121 Hubble, E. P. 325 f. Hübner, J. 316 Hume, D. 324 Huntington, S. P. 12

James, W. 16 Jammer, M. 348 ff. Joachim von Fiore 322 Jüngel, E. 249, 262 f. Justin 99 Justinian 103 Kant, I. 42, 63 f., 179 ff., 260, 290, 300, 311 f., 317, 319, 324, 329 f., 336, 356, 361 f. Kehlmann, D. 358 Kepler, J. 177, 228 König, J. F. 162 ff., Kopernikus, N. 177 ff. Korsch, D. 25, 27 f., 30 Krötke, W. 24 f., 250 f. Kues, N. v. 42 Kuhn, Th. S. 16, 302 Lagrange, J.-L. 340, 342 Leibniz, G. W. 300, 324, 342, 349 f. Leukipp 345 Lévinas, E. 19 Linné, C. v. 369 Locke, J. 324 Luhmann, N. 52, 357 Lütgert, W. 244 Luther, M. 13, 48, 63, 136 f., 140 ff., 159, 333, 337 Lüst, D. 325 Lyotard, J.-F. 17 f. Malebranche, N. 324 Markion 261 Marquard, O. 20 f. Marx, K. 243 Maxwell, J. G. 179, 350 Mc Luhan, M. 13 Melanchthon, Ph. 160 f. Mittelstrass, J. 177 Moltmann, J. 288 f., 294 ff., 306 Moore, G.E. 14

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Register

Newton, I. 178, 185, 324, 335, 342 f., 348 ff., 353, 355 Nietzsche, F. 42, 300 Oetinger, F. Chr. 296 Origenes 92, 101 ff., 112, 116, 393 Pannenberg, W. 20, 23 f., 93, 120 f., 160, 218, 268 ff., 316, 335, 388, 392 Parmenides 101, 225 Pascal, B. 42 Peirce, Ch. S. 16 Philo 99, 101, 111 f. Platon 62, 91, 93 ff., 101, 110, 112, 120, 125, 300, 322, 341 f., 393 Plotin 99, 100 f., 393 Plutarch 111 Polanyis, M. 316 Polkinghornes, J. 316 Popper, K. 14 Porphyrios 100, 111, 393 Ptolemäus 177 Putnam, H. 16 Quine, W. Van Orman Rad, G.v. 57, 67, 72, 91, 338 Rendtorff, T. 23 ff. Ricoeur, P. 16 Rorty, R. 16 Rousseau, J. J. 42, 294, 385 Rufin 102 Russell, B. 14 Ruster, Th. 30 Rutherford, E. 345 Ryle, G. 15 Schaller, J. 323 f. Scheffczyk, L. 116 f., 243 Schelling, F. W. J. 18, 240, 243, 300, 380 Schiller, F. 237

Schleiermacher, F. D. E. 19, 25, 30 f., 48, 63 f., 195, 198 ff., 240, 244 Schlözer, A. L. v. 383 ff. Schmid, H. 158 Scholtz, G. 198 Schopenhauer, A. 300 Schulz, W. 14 Soden, W. v. 67 Sokrates 94 Spaemann, R. 300 f., 303 ff., 359, 380 Spinoza, B. de 271, 324 Steck, O.H. 76, 78 Strauß, D. F. 287 Snyder, T. 11 Swinburne, R. 327 Tatian 97 Thales von Milet 93 Thomas von Aquin 56, 62 f., 90, 117, 121 ff., 159, 387, 391 Titius, A. 316 ff., 335 Toepfer, G. 362 f., 380 f. Trendelenburg, F.A. 313 Vattimo, G. 20 Viscardi, G. A. 10 Wagner, F. 24, 26, 27 Wandschneider, D. 360 f. Watson, J. 374 Wehler, H.-U. 11 Westermann, C. 401, 403, 407 Whitehead, A. N. 288, 299 Wilamowitz-Moellendorf, U. v. 93 Wittgenstein, L. 14 ff., 42 Wolff, Chr. 300, 324 Xenophon 404 Zabarella, G. 161

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Sachregister erstellt von Simon Paule Abbild 84, 93 ff., 113, 163, 242, 283, 335, 341, 359, 400 Adam 29, 39, 43, 45, 73 ff., 114, 136, 139 f., 173, 217, 278, 283 ff., 382 ff., 391, 394 ff., 406 ff. – erster 48, 407 – prälapsarischer 137, 216 – zweiter 46, 60, 73, 114, 409 Anfangssingularität 329, 357 Angelologie 88 ff. Anthropologie 22 f., 26, 62, 72, 86, 92, 116, 132, 148, 176, 184, 188 ff., 242, 264 ff., 269, 284, 299, 302, 315 ff., 382 f., 387 ff. Antimaterie 229 Apokalyptik 69, 89, 269, 294 Apologetik 122, 254, 319 f. Äquivokation 125 f. Aristotelismus 62 f., 108 ff., 160, 387 Ätiologie 51 ff., 75, 397 Atomist 93, 225, 345 Auferstehung 70, 72, 106 f., 151, 167, 239, 251, 256, 297, 337, 382, 410 Baum der Erkenntnis 77, 405 Baum des Lebens 405, 408 br’ (schaffen) 53 ff., 82, 109, 338, 364 Cartesianismus 342, 361 Chaos 58, 83, 94 f., 97, 111, 157, 185 f., 225, 251, 337 f., 340, 357, 397, 404 Christologie 22, 26 f., 33, 35 f., 41, 59 f., 62, 70, 72, 90, 99, 105, 113, 134, 144 f., 162, 217, 261, 269, 410 Creatio ex nihilo (Erschaffung aus dem Nichts) 41, 53 f., 58, 62, 85, 96 f., 111, 134 f., 145 ff., 208, 287, 297, 395, 397

Credo 141 f., 149, 151 ff. Dauer 56, 123, 139, 147, 231, 248, 281 f., 304, 335 f., 406 Dekalog 45, 134, 141, 149 ff., 293 Deuterojesaja 41, 54 f., 58, 67, 80, 109 Dialektik 127, 184, 186, 197, 217, 220, 225 f., 241, 244, 296, 324 DNA 373 ff. Doketismus 105, 261 Doppelgebot 45, 149 f., 394 Dreieinigkeit/Dreifaltigkeit 7 ff., 43, 86, 98, 136 f., 170, 172, 258, 267, 273 Dyotheletismus 105 Ebenbild/Gottebenbildlichkeit 39, 43, 45, 60, 65, 71 ff., 84, 92, 108, 113 ff., 126, 132, 146 ff., 159, 165, 174 f., 191, 216, 283 ff., 293, 392, 394, 400 ff., 410 Ego/Ich 35, 67, 311 ff., 324, 331 f. Einmaligkeit 92, 116 Elementarwissenschaft 179, 181, 183, 297, 317, 328 f., 346 f., 350 Emanation 82, 110 f., 156, 273 Emergenz 282, 299 f., 330, 362, 379 Empfindung 163, 187 f., 190 f., 232 f., 361, 388 Empirismus 311, 324, 380 Engel 57, 87 ff., 99, 103, 140, 163, 167, 172 ff., 251 f., 385, 408 Entelechie 117, 119 f. Entmythologisierung 81 ff., 338 Epiphänomen 87, 115, 305, 315, 318, 332, 387 f. Erhaltungslehre 208, 210 f. Erlösung 8, 39, 46, 60, 62, 70, 74, 100, 103, 107, 140 f., 151, 171, 199, 258, 291 f., 297, 408

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Register

Erwählungslehre 22, 26, 245, 265 ff. Eschatologie 39, 100, 107, 136, 145, 154, 220, 285 f., 288 f., 291, 293, 297, 306, 309, 334, 382, 404 Evolution 281 ff., 295, 297 ff., 306, 309, 318 ff., 333 f., 358 ff., 397 f. Ewigkeit 44, 46, 62, 83, 87, 95, 98, 104, 110 ff., 121, 123, 129, 143, 156, 168 f., 197, 199, 204, 212 f., 239, 245, 248 f., 255, 257, 266, 274 ff., 281, 287, 291, 409 Extrapolation 209 f., 326 Fall der Sünde 46, 48, 78, 98, 104 ff., 114, 148, 174 f., 238, 256, 293, 396, 408 Firmament 57, 81, 364, 368 f. Frömmigkeit 198 ff., 205, 207 f., 210, 212 f., 215, 217 Frühe Neuzeit 63, 322 f. Garten Eden 66, 77, 403 Gebet 9, 35, 74, 141, 151 ff., 210, 252 Gefühl 78, 189, 191 ff., 199 ff., 218, 232 f., 398 Geist 31, 36, 72, 89, 117, 247, 283 Geisteswissenschaft 301, 310, 314, 317, 320, 325 Geistigkeit 58, 90, 103, 112, 168, 213, 233, 279, 317 Genese 22, 32, 42, 52, 80, 83, 95, 100, 113, 155, 186, 223, 242, 282, 300, 305, 312, 315, 319, 322, 331, 352, 356, 368 f., 377, 379, 395, 406 Genesis 41, 46, 54, 65 ff., 73, 83, 85, 87, 95, 99, 109 ff., 134, 145, 156, 176, 216, 242, 254, 319, 333 f., 336, 368 f., 382 f., 391, 397, 401 ff., 406 f. Gerechtigkeit 42, 45 f., 58, 61, 67 ff., 71, 80, 84, 137 ff., 151, 167 ff., 172, 174, 194 f., 236, 249, 259 f., 284, 291, 399 ff. Glaubens -artikel 86, 134 ff., 163, 166 f., 253, 259 -lehre 10, 37, 197 ff., 203 f., 206 ff., 211, 215 ff., 286 f. Globalisierung 12 f.

Glückseligkeit 159, 188, 195 Gnade 13, 38, 61, 71,74, 92, 136, 138 f., 141, 145, 167, 169, 200, 205, 211, 217, 242, 245 f., 248 f., 252 ff., 257, 264 ff., 382, 408 ff. Gnadenbund 245 f., 248 f., 252, 254, 257, 267 Gnostizismus 91, 100 Gottes -geschöpf 46, 143, 149 f., 246 f., 387, 401, 406 -kindschaft 38, 43, 48, 73, 77, 89, 148, 259, 410 -verhältnis 31 f., 34, 150, 200, 293, 307, 394 Gratis/umsonst 13, 139, 151 Häresie 63, 261 Hauchung 171 Heiligkeit 9, 80, 167, 169, 194 Heiligung 152, 171, 252 Heliozentrik 178 Hellenisierung 88 Herrengebet 141, 152 Hl. Geist 10, 25, 27, 30, 35 f., 40, 43, 60, 86, 98, 102, 141 ff., 156, 159, 165 f., 170 f., 240, 245, 249, 252 f., 255, 258 ff., 266, 295, 393 Hoffnung 39, 79, 89, 146 f., 247, 287, 294, 344 Hölle 9, 58, 89, 103, 264 Humanwissenschaft 369, 382, 392 Hylemorphismus 97, 118, 323, 341 Hypostase 100 f., 156, 272, 393 Ichwesen 19, 42, 51 Identität 9, 16, 19 f., 29, 32, 100, 116 ff., 124, 126, 134, 140, 197, 223, 229, 233, 238 f., 271 f., 276, 304, 312, 317, 343, 345, 347, 374 ff., 388 f., 397 Immaterialität 116, 233 Inkarnation 41, 49, 61, 99 f., 107 f., 116, 122, 135, 171, 274, 277 ff., 387, 408 f. Jahwe 58, 67 f., 75 f., 78 ff., 88, 391 Jahwist 67 f., 74 ff., 79

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Sachregister

Kanon 32, 61, 66, 90, 162, 213, 400 Katechismus 141 ff., 149 ff. Kategorischer Imperativ 189 Kindschaftsverhältnis 394, 401, 410 Konkordienbuch 9, 144, 155, 161 Kosmogenese 62, 95, 110 f., 143, 185, 290, 325, 336 Kreatürlichkeit 47, 49, 90, 106 f. Kreuzestod 39, 105, 240, 292, 408, 411 Leere 97, 186, 222 ff., 234, 237, 348, 350 f. Leib-Seele-Verhältnis 106, 387 Lenkung 146, 171, 173 Logosinkarnation 61,135 Materialität 111, 233 Melanchthonianismus 160 Menschenwürde 85, 188 Messias 42, 71, 167 Metempsychose 116 Mittelwesen 88, 90 f., 99 Monismus 273, 301 Monotheismus 52 f., 66, 69, 85, 88, 96, 288 Mythos 50 ff., 81, 83, 255, 289, 368 f., 395, 402 Nächstenliebe 150 f., 405 Natur -alismus 304, 309, 314 f. -begriff 50, 296, 321 -philosophie 64, 176, 185, 221, 223 ff., 230, 243, 309, 321 ff., 348 f., 358, 360 -religion 399 Neuprotestantismus 197 f. Neuschöpfung 41, 59, 286, 288, 297 Nihilismus 179, 256, 314, 357 Nus 101, 120, 271, 179 Offenbarungslehre 245 Onomatologie 164 Ontologie 16, 119, 134, 242, 250, 259, 263 f., 314, 323, 382 Organismus 67, 215, 229 ff., 247, 297, 317, 358, 361 f., 365, 367, 376, 378 f. Origenismus 102, 112

417

Orthodoxie 140, 155 ff. Panentheismus 298 Panlogismus 242 f. Pantheismus 207, 209, 243, 271 Parusie 39, 240 Pentateuch 73 f., 80, 99 Persona/hypostasis 393 Pfingsten 71, 240 Pfingstgeist 36 ff., 43, 408 Platonismus 62, 85, 90, 93, 98 ff., 108, 112, 114, 116 ff. Pneumatologie 9, 36, 72, 113, 144 f., 410 Präexistenz 61, 69, 91 f., 102, 116 Pragmatologie 164 Priesterschrift 41, 54 f., 65, 67 f., 73 f., 79, 81, 109, 113, 257, 281, 337 Primat 54, 341, 366, 379 Protestantismus 22 f., 160, 198 Protologie 39, 43, 60, 74, 85 ff., 204, 285, 293, 297, 306, 398 Prototyp 352, 406 Psyche 101, 319 Raumzeitlichkeit 172 Rechtfertigung 13, 38 f., 61, 136, 140 f., 145, 162 f., 167 f., 194, 246, 249, 308, 409 Reformation 9, 13, 134, 144, 155, 159, 161, 163, 198 Reinkarnation 116, 387 Relativitätstheorie 179, 229, 280, 325, 328, 335, 343 ff., 354, 360 Religionsphilosophie 32, 176 f., 195, 224, 239, 243 Revolution 11 f., 16, 63, 176, 178, 180, 286, 293, 299, 302, 306, 381 RNA 373 ff. Sabbat 80, 82, 84, 294 f., 297, 336 f., 400, 402 Sakrament 9, 61, 89, 249, 257, 295, 307, 396 Schöpfungs -anamnese 37 ff., 43, 60, 71, 73 f., 241, 307, 410 f. -gebot 39, 44 ff., 61, 77, 149 f., 252 f., 394, 401

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Register

-logos 43 f., 46, 49, 60, 408 -mittlerschaft 43, 59, 61 f., 69 ff., 277, 279, 406 -ordnung 83, 133, 149, 277, 293 -tag 81, 84, 256, 333, 338, 358 ff. -werk 37, 48, 78 f., 81 f., 86 f., 89, 120, 123, 157, 172, 151 ff., 273, 281 f., 336, 364, 402, 403 -wort 81, 83 f. Seelenlehre 92, 117, 311 Seelenwanderungslehre 95, 387 Selbst -erfahrung 152, 187, 293, 312, 325, 381 -offenbarung 24, 27 ff., 36, 38, 244 f., 252, 259 f., 266 ff., 296, 332 Soteriologie 43, 136, 144 Stoa 93, 98, 322 Sündenlehre 144 f., 148, 150, 411 Sündlosigkeit 167, 407 Supralapsarismus 268 Synkretismus 161 Teleologie 192 f., 300, 361 f., 381 Telos 221, 285 Teufel 58, 77, 89, 102 f., 107, 152 f. Theodizee 176, 193 ff., 249, 291 f. Theogonie 52, 83, 396 Tohuwabohu 337 f., 369 Toramonotheismus 58, 60, 66 f., 259, 261, 399 f. Transmutation 319 f. Transzendentalphilosophie 64, 186, 311 Transzendenz 34, 52 f., 82, 96, 109 f., 125 f., 156, 203, 212, 275, 295 f., 332, 391 f., 397 Trinität 10, 86, 104, 122, 135, 238, 257, 266, 273, 286, 294, 393 Trinitätslehre 39, 100 f., 113, 134, 137, 143 f., 171, 270, 294 Universalgeschichte 20, 268 Universalität 206, 282, 286, 288, 409

Universum 43, 56, 67 f., 90, 131, 279, 282 f., 289 ff., 303, 307, 325 ff., 353, 355 f., 410 Univokation 125 f. Urbild 48, 93, 113, 128, 283, 290, 408 Urknalltheorie 186, 290, 309, 316, 321, 325 ff., 334, 354, 355 Urmaterie 156, 185, 341 Urmensch 385 f. Ursprungsmetaphysik 85 ff. Urstandsgerechtigkeit 137 f., 284 Urteilskraft 182, 191 ff., 358, 361 Urzeit 50, 67, 227, 255, 287, 290, 306, 382, 395, 398, 404 Väterlichkeit 37, 61, 71 f., 142 f., 146, 249 f., 288, 394, 410 Vaterunser 141, 149, 151, 153 Vollender 8, 36, 39, 137, 142, 258, 272 Wahrer Mensch 72 f. Weltall/Weltraum 94 f., 185, 225, 330, 334 f., 351, 385 Welt -anfang 41, 186, 275 -deutung 28 f., 42 -enchaos 185 -erfahrung 18, 29, 74, 104, 139, 143, 285, 307, 356, 369, 381, 410 -prozess 132, 289, 290, 354, 380 -schöpfung 41, 67, 99, 131, 156, 208, 255, 287 -urheber 193 f. -zeit 255, 289, 291, 322, 331 Willkür 45, 77, 83, 86, 94, 209, 222, 274, 394, 399 Wunder 44, 60, 83, 122, 144, 146 f., 189, 210, 309, 358, 409 Zehn Gebote 134, 141, 149 f. Zufälligkeit 62, 209, 231 Zwei-Naturen-Lehre 105

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Studium Systematische Theologie

Band 1: Gunther Wenz

Band 4: Gunther Wenz

Religion

Gott

Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit 2005. 279 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56704-3

Implizite Voraussetzungen christlicher Theologie 2007. 320 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56707-4

Band 2: Gunther Wenz

Band 5: Gunther Wenz

Offenbarung

Christus

Problemhorizonte moderner evangelischer Theologie 2005. 285 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56705-0

Jesus und die Anfänge der Christologie 2011. 352 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56708-1 E-Book ISBN 978-3-647-56708-2

Band 3: Gunther Wenz

Band 6: Gunther Wenz

Kirche

Geist

Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht 2005. 284 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56706-7

Zum pneumatologischen Prozess altkirchlicher Lehrentwicklung 2011. 379 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56710-4 E-Book ISBN 978-3-647-56710-5

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Studium Systematische Theologie

Band 8: Gunther Wenz

Sünde Hamartiologische Fallstudien 2013. 363 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-56712-8 E-Book ISBN 978-3-647-56712-9

Gunther Wenz bietet dogmatische Grundinformationen zur Lehre von der Sünde und vom Bösen anhand exemplarischer Fallstudien. Auch das Problem der leiblichen Übel und die Theodizeefrage greift Wenz unter soteriologischen Gesichtspunkten erneut auf. Hervorragend zugeschnitten auf die Bedürfnisse von Studierenden im Hauptstudium bietet Gunther Wenz im achten Band der Reihe zum Studium Systematische Theologie dogmatische Grundinformationen zur Lehre von der Sünde und vom Bösen anhand exemplarischer Fallstudien. Skizzen zu einer Hamartiologie jenseits von Pelagianismus und Manichäismus sind beigegeben. Auch das Problem der leiblichen Übel und die Theodizeefrage greift Gunther Wenz unter soteriologischen Gesichtspunkten erneut auf.

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