Schopenhauer - Kierkegaard: Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz 9783110254112, 9783110254136, 2011032629

This book undertakes an extensive study of the constellation of two eminent thinkers of post-idealism for the first time

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German Pages 425 [428] Year 2011

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Table of contents :
Systematische Einleitung: Schopenhauer und Kierkegaard in der philosophiegeschichtlichen Konstellation des Nachidealismus
Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer?
Sektion I. Zwischen Idealismus und Moderne
Resignation. Zu einem Grundmotiv bei Schopenhauer und Kierkegaard
Boredom in Schopenhauer and Kierkegaard
Das verlorene Paradies: Schopenhauer, Kierkegaard und die religiöse Wurzel der industriellen Moderne
Reduplikation. Zum methodischen Hintergrund von Kierkegaards später Auseinandersetzung mit Schopenhauer
Die Schopenhauer-Rezeption in Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie unter Berücksichtigung möglicher Kierkegaard-Spuren
Sektion II. Wille, Freiheit und Ethik
Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard
Das Konzept von Willens(un)freiheit bei Kierkegaard und Schopenhauer
Die Herausforderung der Entscheidungsfreiheit. Lebensgeschichte als Leidensweg der Selbstverwirklichung bei Schopenhauer und Kierkegaard
Mensch und Tier – eine ethische Beziehung? Kant, Schopenhauer und Kierkegaard im programmatischen Vergleich
Schopenhauer und Kierkegaard: Leidende Philosophen und Philosophien des Leidens
Sektion III. Kunst und Religion
Ästhetische Erfahrung und Selbstbewusstsein. Kant, Schopenhauer, Kierkegaard
Nur das Schöne kann uns retten? Kunst in soteriologischer Perspektive bei Kierkegaard und Schopenhauer
Glauben und Wissen. Versuch über den Wahrheitsbegriff der Religionsphilosophie im Anschluss an Kierkegaard und Schopenhauer
Anhang
Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854
1. Vorbemerkung des Übersetzers
2. Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer
3. Kommentar
4. Übersicht
Bibliographie Schopenhauer – Kierkegaard
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
Siglen und Abkürzungen
Namesregister Beitragsteil
Sachregister Beitragsteil
Names- und Sachregister Anhang
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Schopenhauer - Kierkegaard: Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz
 9783110254112, 9783110254136, 2011032629

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Kierkegaard Studies Monograph Series 26

Kierkegaard Studies Edited on behalf of the

Søren Kierkegaard Research Centre by Niels Jørgen Cappelørn and Hermann Deuser

Monograph Series 26 Edited by Niels Jørgen Cappelørn

De Gruyter

Schopenhauer ⫺ Kierkegaard Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz Herausgegeben von Niels Jørgen Cappelørn, Lore Hühn, Søren R. Fauth und Philipp Schwab

De Gruyter

Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Niels Jørgen Cappelørn and Hermann Deuser Monograph Series Volume 26 Edited by Niels Jørgen Cappelørn

ISBN 978-3-11-025411-2 e-ISBN 978-3-11-025413-6 ISSN 1434-2952 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Schopenhauer, Kierkegaard : von der Metaphysik des Willen zur Philosophie der Existenz / [herausgegeben von] Niels Jørgen Cappelørn ... [et al.]. p. cm. ⫺ (Kierkegaard studies. Monograph series, ISSN 1434-2952 ; 26) German and English. Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025411-2 (hardcover : alk. paper) 1. Kierkegaard, Søren, 1813⫺1855. 2. Schopenhauer, Arthur, 1788⫺1860. I. Cappelørn, Niels Jørgen. B4377.S335 2011 193⫺dc23 2011032629

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston ⬁ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Schopenhauer und Kierkegaard sind zwei zentrale und wirkmächtige denkerische Gestalten in der Umbruchskonstellation von Idealismus und Moderne. Sie treffen sich schon auf den ersten Blick in ihrer polemischen Abstandnahme von den philosophischen Größen des idealistischen Denkens, namentlich von Hegel, sind aber weit darüber hinaus durch ein ganzes Geflecht von Gemeinsamkeiten verbunden. In ihren Analysen existenzieller Grundphänomene der Angst, der Langeweile und der Schuld stellen beide wie kaum ein Denker vor ihnen Erfahrungen von Negativität und Leiden in den Mittelpunkt ihrer Philosophie. Gemeinsam ist beiden zudem der Versuch einer Neubegründung der Ethik in Abkehr von der Moralphilosophie Kants, sei sie mitleidstheoretisch oder existenzphilosophisch motiviert; beide sind überdies Denker ausgezeichneter Zeiterfahrungen, des Augenblicks, des Plötzlichen und des ,Sprungs‘. Angesichts dieser weit reichenden, hier nur in ihren Umrissen angedeuteten Verwandtschaftsverhältnisse muss es verwundern, dass vergleichende Studien zu beiden Denkern bislang nur in äußerst spärlicher Form vorliegen. Die Beiträge dieses Bandes wollen einen ersten Schritt zur Erschließung dieses Feldes leisten, indem sie die augenfälligen Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zwischen Schopenhauer und Kierkegaard aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nehmen: Sie untersuchen das Verhältnis Schopenhauer – Kierkegaard systematisch und historisch aus philosophischem, theologischem und literaturwissenschaftlichem Blickwinkel und unter den thematischen Schwerpunkten von Metaphysik und Ethik, Freiheit und Erbsünde, Existenzphilosophie und Theorie des Leidens, Kunst und Ästhetik, Religion und Wissenschaft, hinsichtlich Kierkegaards expliziter Auseinandersetzung mit Schopenhauer und nicht zuletzt im Spannungsfeld von Idealismus und Moderne. Komplettiert wird der Band durch eine erstmals vollständige und kommentierte Übersetzung von Kierkegaards späten Journalnotizen zu Schopenhauer ins Deutsche und einer Bibliographie der bisherigen Forschung zu beiden Denkern. Der einleitende Beitrag von Lore Hhn zeichnet die systematischen und historischen Parallelen und Differenzen zwischen Schopenhauer und Kierkegaard vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Ausgangslage in

VI

Vorwort

der klassischen deutschen Philosophie nach. Dabei wird Kierkegaards Theorie der ethischen Selbstwahl mit Schopenhauers performativer Ethik asketischer Selbstrücknahme in ein Verhältnis gesetzt. Zugleich profiliert der Beitrag Kierkegaard als Kritiker der Mitleidsethik Schopenhauers, in der dieser seine eigene Intention einer Selbstaufhebung der Ethik konterkariere. Niels Jørgen Cappelørn beleuchtet in seiner „Historical Introduction“ den Hintergrund von Kierkegaards Schopenhauer-Lektüre und geht insbesondere der Frage nach, wann und weshalb Kierkegaard sich Schopenhauer zugewandt hat. Dabei nimmt er sowohl die zeitgenössische philosophische Debatte in Dänemark wie auch Kierkegaards Lektürepensum seit 1850 in den Blick. Vor diesem Hintergrund erweist es sich als wahrscheinlich, dass Kierkegaard Schopenhauer erstmals im Mai 1854 gelesen hat. Der Beitrag wirft abschließend die Frage nach einer möglichen Beeinflussung Kierkegaards durch Schopenhauers Denken auf. Die erste Sektion widmet sich dem Verhältnis von Schopenhauer und Kierkegaard zwischen Idealismus und Moderne. Der Beitrag von Jochem Hennigfeld untersucht das Motiv der Resignation bei Schopenhauer und Kierkegaard, wobei er sich von der These leiten lässt, dass beide Denker diesem Begriff eine je eigene Bedeutung geben: Während Schopenhauer die Resignation als Askese sowie als – das Selbst gleichsam auflösende – Verneinung des Willens zum Leben bestimme, fasse Kierkegaard in Furcht und Zittern die Resignation als Reflexionsbewegung und Voraussetzung des Glaubens, in dem das Selbst allererst seiner vollkommen bewusst werde. Das Phänomen der Langeweile bei Schopenhauer und Kierkegaard steht im Zentrum des Beitrags von George Pattison. Trotz struktureller Verwandtschaften konstatiert Pattison eine grundlegende Differenz: Bei Schopenhauer gehe die Langeweile aus der Begierde hervor und sei mithin zunächst einem bewussten Zugriff entzogen, wohingegen sie bei Kierkegaard – etwa in der Figur des Ästhetikers von Entweder/Oder – als ein moralisches Phänomen manifest werde, von welchem nur der Glaube Erlösung gewähre. Claus-Artur Scheier untersucht das Verhältnis Schopenhauer – Kierkegaard ausgehend von der Beobachtung einer Horizontalisierung der Produktionsverhältnisse im 19. Jahrhundert, innerhalb derer sich eine reine Reproduktivität unumkehrbar von ihrem göttlichen, produktiven Grund ablöse. Der Beitrag zeigt, wie Schopenhauer mittels des Gedankens einer – unter dem Namen des Nichts – sich negierenden Reproduktion einerseits sowie Kierkegaard in der Mobilisierung einer nicht länger metaphysisch gedachten, im entzogenen Du gefassten Produktivität andererseits einer Entwicklung zu

Vorwort

VII

entkommen suchen, die etwa durch Feuerbach philosophisch repräsentiert wird. Der Beitrag von Philipp Schwab richtet sich auf den methodischen Hintergrund von Kierkegaards später Kritik an Schopenhauer und macht den Versuch, diese durch Bezugnahme auf Kierkegaards Theorie einer indirekten Mitteilung und den Begriff der Reduplikation aufzuschlüsseln. Vor diesem Hintergrund zeige sich eine grundlegende Differenz: Schopenhauer halte noch an dem idealistischen Anspruch eines umfassenden Systems fest, während Kierkegaard eine perspektivisch gebrochene Methode entwickele, die allein auf die ungreifbare Singularität des Einzelnen ziele. Der Rezeption Schopenhauers und möglichen Kierkegaardspuren in Kafkas Erzählung In der Strafkolonie geht Søren R. Fauth nach. Anhand des Dualismus von Leib und Seele sowie von Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben führt er vor, dass das durch eine Foltermaschine symbolisierte Strafverfahren des alten Kommandanten nur vor diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund angemessen verstanden werden könne. Die zweite Sektion unterzieht Schopenhauer und Kierkegaard in der Perspektive von Willensbegriff und Ethik einer vergleichenden Untersuchung. Matthias Koßler macht die Bedeutung der auf Augustinus und Luther zurückgehenden Lehre von der Erbsünde für die Problematik der Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard sichtbar, die für beide denkerischen Ansätze von zentraler Bedeutung sei. Während aber Schopenhauer die theologische Dogmatik nur zur Exemplifizierung philosophischer Inhalte diene und bei ihm Erlösung nur in der Aufhebung des Charakters zu erlangen sei, mache bei Kierkegaard der Gedanke des Gesetztseins durch Gott den festen ethischen Charakter noch in der Abwendung von der Welt aus. Auch Walter Dietz widmet sich ausgehend von Luther dem Konzept der ,Willens(un)freiheit‘ bei Schopenhauer und Kierkegaard. Obgleich sich beide Denker in ihrer skeptischen Einschätzung der klassischen Theorie der Willensfreiheit in Scholastik und Humanismus, in Aufklärung und Rationalismus einig seien und somit als radikale Kritiker des neuzeitlichen Fortschrittsoptimismus aufträten, so ist doch Dietz zufolge Schopenhauers Entgrenzung der Leidensperspektive das christologisch zugespitzte, auf das Seelische bezogene Verständnis des Leidens bei Kierkegaard von Grund auf fremd. Den ,Herausforderungen der Entscheidungsfreiheit‘ im Anschluss an Schopenhauer und Kierkegaard wendet sich Eva Birkenstock zu. Der Beitrag zeichnet Schopenhauers Kritik der Entscheidungsfreiheit als Illusion sowie die Auseinandersetzung zwischen „Künstler“ und „Bürger“ in Kierkegaards Entweder/Oder nach, um zu zeigen, dass beide Denker in neuartiger Weise das komplexe Wech-

VIII

Vorwort

selspiel zwischen kontrollierbaren und unverfügbaren Aspekten individuellen Lebens bedenken. Der Frage nach dem ethischen Status von Tieren bei Kant, Schopenhauer und Kierkegaard widmet sich der Beitrag von Joachim Boldt. Er vertritt die These, dass sowohl Schopenhauer als auch Kierkegaard sich von der anthropozentrischen Position Kants abgrenzen: Bei Schopenhauer zeige sich, indem er Mensch und Tier als durch das Leiden wesentlich verbunden ansehe, eine ,Naturalisierung der Ethik‘, während bei dem Kierkegaard der Erbaulichen Reden angesichts des Gedankens, dass alles von Gott ins Leben gerufen sei, von einer ,Ethisierung des Natur‘ gesprochen werden könne. Ausgehend von dem Spektrum an Leidensformen, das Schopenhauer und Kierkegaard in ihren philosophischen Überlegungen heranziehen, unternimmt schließlich Tobias Hçlterhof einen Vergleich zwischen den zwei Philosophen, die beide Glück als Täuschung herausstellen, eine Überwindung dieser Täuschung anstreben und insofern eine angemessene Haltung gegenüber dem Grundzustand des Leidens zu beschreiben suchen. Die späte Kritik Kierkegaards an Schopenhauer zeige sich hierbei mehr als Auseinandersetzung mit seiner eigenen Philosophie denn als fundierte Kritik des Danzigers. Das Interesse der dritten Sektion gilt den Themen Kunst und Religion. In seinen Überlegungen zu Selbstbewusstsein und ästhetischer Erfahrung greift Ettore Rocca auf Kant, Schopenhauer und Kierkegaard zurück. Im Gegensatz zur jeweiligen Intention Kants und Schopenhauers stellt er heraus, dass in die ästhetische Erfahrung bei beiden ein reflexives Interesse hineinspiele, das menschliche Verstehensbedürfnis zu ,verstehen‘ bzw. – bei Schopenhauer – der menschlichen Bedürftigkeit überhaupt bewusst zu werden. Einzig Kierkegaard vermöge jedoch durch die Benennung eines Ortes, den die Kunst nicht schaffen könne und gleichwohl voraussetzen müsse – nämlich des Geistes –, die Perspektive einer Selbstbefreiung zu eröffnen. Hartmut Rosenau richtet seinen Blick ebenfalls auf die soteriologische Perspektive der Kunst bei Schopenhauer und Kierkegaard. Während sich bei Schopenhauers Deutung der Kunst als wenigstens zeitweilig erlösendes ,Quietiv‘ des Wollens eine innere Aporie seiner willensmetaphysischen Kunstauffassung im Hinblick auf Zeit und Zeitlosigkeit zeige, trete bei Kierkegaard dagegen – angesichts des weder ethisch noch ästhetisch in seiner Genese vermittelbaren Glaubens – die Kunst als das allein angemessene Medium einer ,indirekten Mitteilung‘ der erlösten Existenz auf. Tilo Wesche schließlich fragt nach einem religionsphilosophischen Wahrheitsbegriff im Anschluss an Kierkegaard und Schopenhauer. Im Kontrast zu Schopenhauer zeigt Wesche dabei die besondere Bedeutung von Kierkegaards Wahrheitsbegriff, der im Gegensatz zu ersterem eine

Vorwort

IX

Integration von Wissen und Glauben, von Wahrheit und Hoffnung sowie von Philosophie und Religion zu erreichen suche. Der Anhang enthält in der Übersetzung von Philipp Schwab erstmals alle expliziten Bezugnahmen Kierkegaards auf Schopenhauer in deutscher Sprache. Eine Bibliographie zum Verhältnis Schopenhauer – Kierkegaard beschließt den Band. Die hier versammelten Beiträge gehen zurück auf ein internationales Symposium, das vom 24.–26. April 2009 in Kopenhagen von der Schopenhauer-Gesellschaft (Sitz Frankfurt a.M.) und dem Søren Kierkegaard Research Centre (Kopenhagen) in Verbindung mit dem Institut für Sprache, Literatur und Kultur, Universität Aarhus und dem Philosophischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg veranstaltet wurde. Das Zustandekommen des Symposiums wie des Bandes verdankt sich einer Vielzahl von Beteiligten und Institutionen, denen hier herzlich gedankt sei. Der Schopenhauer-Gesellschaft und ihrem Präsidenten Prof. Dr. Matthias Koßler (Mainz) sei vielmals für ihre Unterstützung nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht gedankt, die das Symposium erst möglich gemacht hat. Der Fonden Søren Kierkegaard Forskningscenteret hat die Tagung wie auch den Druck des Bandes unterstützt; dafür gilt ihm unser herzlicher Dank. Ebenfalls gedankt sei an dieser Stelle der Humanistischen Fakultät der Universität Aarhus, die mit einem großzügigen Zuschuss die Drucklegung des Bandes ermöglicht hat. Gedankt sei auch denjenigen, die an der redaktionellen Fertigstellung des Bandes mitgearbeitet haben. Herr David Carus, M.A. (Freiburg) hat dankenswerterweise die Übersetzung und Korrektur der englischsprachigen Abstracts übernommen. Herrn Sören Wulf, B.A. (Freiburg) sei für seine engagierte Unterstützung bei der Erstellung der Übersetzung und des Kommentars herzlich gedankt. Ihm und Herrn Bjarke Mørkøre Hansen, stud. mag. (Kopenhagen) danken wir für ihre Unterstützung bei der Erstellung der Bibliographie. Ein besonderer Dank gilt Herrn Philipp Höfele, M.A. (Freiburg), der bei der abschließenden Vereinheitlichung und Korrektur der hier versammelten Beiträge sowie des Kommentars zur Übersetzung wesentlich mitgewirkt hat. Aarhus, Freiburg und Kopenhagen, im Sommer 2011

Die Herausgeber

Inhalt Lore Hhn Systematische Einleitung: Schopenhauer und Kierkegaard in der philosophiegeschichtlichen Konstellation des Nachidealismus . .

1

Niels Jørgen Cappelørn Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Sektion I Zwischen Idealismus und Moderne Jochem Hennigfeld Resignation. Zu einem Grundmotiv bei Schopenhauer und Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

George Pattison Boredom in Schopenhauer and Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . .

47

Claus-Artur Scheier Das verlorene Paradies: Schopenhauer, Kierkegaard und die religiöse Wurzel der industriellen Moderne. . . . . . . . . . . . . . . .

67

Philipp Schwab Reduplikation. Zum methodischen Hintergrund von Kierkegaards später Auseinandersetzung mit Schopenhauer . . .

81

Søren R. Fauth Die Schopenhauer-Rezeption in Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie unter Berücksichtigung möglicher Kierkegaard-Spuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

XII

Inhalt

Sektion II Wille, Freiheit und Ethik Matthias Koßler Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard

133

Walter Dietz Das Konzept von Willens(un)freiheit bei Kierkegaard und Schopenhauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

Eva Birkenstock Die Herausforderung der Entscheidungsfreiheit. Lebensgeschichte als Leidensweg der Selbstverwirklichung bei Schopenhauer und Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

Joachim Boldt Mensch und Tier – eine ethische Beziehung? Kant, Schopenhauer und Kierkegaard im programmatischen Vergleich

211

Tobias Hçlterhof Schopenhauer und Kierkegaard: Leidende Philosophen und Philosophien des Leidens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Sektion III Kunst und Religion Ettore Rocca Ästhetische Erfahrung und Selbstbewusstsein. Kant, Schopenhauer, Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Hartmut Rosenau Nur das Schöne kann uns retten? Kunst in soteriologischer Perspektive bei Kierkegaard und Schopenhauer . . . . . . . . . . . .

271

Tilo Wesche Glauben und Wissen. Versuch über den Wahrheitsbegriff der Religionsphilosophie im Anschluss an Kierkegaard und Schopenhauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291

Inhalt

XIII

Anhang Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854 bersetzt von Philipp Schwab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

329

1. Vorbemerkung des Übersetzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer . . . . . . . 3. Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331 335 353 381

Bibliographie Schopenhauer – Kierkegaard . . . . . . . . . . . . . . . .

383

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger . . . . . . . . . . . . . .

387

Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

391

Namesregister Beitragsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397

Sachregister Beitragsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

401

Names- und Sachregister Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

409

Systematische Einleitung: Schopenhauer und Kierkegaard in der philosophiegeschichtlichen Konstellation des Nachidealismus Von Lore Hhn Sören Aabye Kierkegaard ist mit philosophiegeschichtlichen Selbstverortungen nicht sehr freigebig gewesen. Um so mehr fällt auf, dass er ein Jahr vor seinem Tod, nämlich im Frühjahr und Sommer des Jahres 1854 beginnt, sich mit der nihilistischen Daseinsdeutung Arthur Schopenhauers intensiv auseinanderzusetzen, und zwar derart, dass er durch diese Daseinsdeutung hindurch die Erfahrungen und lebensweltlichen Bedingungen in Deutschland freizulegen versucht, aus denen diese entsprungen ist. Das resignative politische Klima nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution in den Jahren 1848 und 1849 in Deutschland ist Kierkegaard als zeitgeschichtlicher Hintergrund für die Popularität der nihilistischen Daseinsdeutung über die nationalen Grenzen hinaus offenkundig präsent. Zum Zeitpunkt der vermutlich ersten Begegnung1 mit dem deutschen Privatier lag das Lebenswerk Kierkegaards bereits vor. Die Begegnung war zunächst eine Episode, die nichts grundstürzend Neues als Echo bei dem jüngeren Dänen hervorrief, die aber durchaus affine Ansichten über das Falsche an einer auf Zweckrationalität und Fortschrittsgläubigkeit verpflichten Selbstauslegung des Menschen in der Moderne bekräftigte. Der einundvierzigjährige Kierkegaard deutet Schopenhauers nihilistische Willensmetaphysik biographisch.2 Dies zeugt keineswegs von theoretischer Ambitionslosigkeit. Es spricht vielmehr Bände, dass der Kopenhagener entgegen seinem schriftstellerischen Selbstanspruch in Schopenhauers Nihilismus nur eine verschlüsselte Selbstdarstellung eines 1 2

Vgl. dazu in diesem Band die historische Einleitung v. Niels Jørgen Cappelørn „Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer?“. Vgl. Joakim Garff Sçren Kierkegaard. Biographie, aus d. Dän. v. Herbert Zeichner / Hermann Schmid, München 2004, S. 803 – 810.

2

Lore Hühn

Philosophen erblickt, der sich den Imperativen der eigenen Moralphilosophie nicht stellt, sondern ,sophistisch‘,3 also sich schadlos gegenüber dem verhält, worauf diese Philosophie mit Blick auf den normativ ausgezeichneten, performativen Selbstvollzug des Asketen ansonsten so lautstark pocht. Streng genommen ist Schopenhauer „nicht der, der er selbst meint zu sein, und was unbestreitbar äußerst heilsam wäre, wenn er es wäre: er ist weder wirklich Pessimist, noch ganz frei davon, selbst ein Sophist zu sein.“4 Das von Kierkegaard gezeichnete Bild des fünfundzwanzig Jahre älteren Deutschen als eines sich selbst missverstehenden Pessimisten ist nicht sehr originell. Doch aus der Feder eines methodisch hoch reflektierten Schriftstellers, der sich zeitlebens dagegen gesperrt hat, auf seine persönliche Autorschaft verpflichtet zu werden, ja der unter Aufbietung aller Techniken indirekten und gebrochenen Schreibens geradezu eine Meisterschaft darin ausgebildet hat, sich als Autor hinter seinen Pseudonymen bis zur Unkenntlichkeit zurückzunehmen,5 macht eine solche Kritik schon hellhörig. Schließlich kennzeichnet es das schriftstellerische Ethos des Dänen, dass seine Schriften als das gelesen werden sollen, was sie sind und nicht mit Rücksicht darauf, wer sie und womöglich aus welchen Motiven heraus verfasst hat. Und nicht zufällig kommt Kierkegaard auf Schopenhauer als einen Geistesverwandten stets so zu sprechen, dass er diesem ankreidet, was ihm selber am Herzen liegt, ja was er glaubt, sich sozusagen urheberrechtlich als das Proprium der eigenen philosophischen Grundüberzeugung zurechnen zu dürfen. Kierkegaard unterbreitet diese Grundüberzeugung in der eigentümlichen Gestalt einer Umkehr6 dessen, 3

4 5 6

Vgl. NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 142) [alle Zitate aus Kierkegaards Journalnotizen zu Schopenhauer nach d. Übers. v. Philipp Schwab im Anhang dieses Bandes modifiziert]: „Nein, das Sophistische liegt in: dem Abstand zwischen dem, was man versteht und dem, was man ist, derjenige, der nicht in seinem Charakter seinem Verstehen entspricht, der ist Sophist. Aber dies ist der Fall bei Schopenhauer.“ NB32:35 (T 5, 264 / SKS 26, 141). Vgl. zu Kierkegaards indirekter Mitteilungsform Philipp Schwab Der Rckstoß der Methode. Kierkegaard und die indirekte Mitteilung (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 25). Berlin / New York 2011. Vgl. NB29:95 (T 5, 195 / SKS 25, 352), wo Kierkegaard zu Schopenhauers Initialen „A. S.“ in einer Anmerkung notiert: „Erstaunlich genug, ich heiße: S. A. Wir verhalten uns wohl auch umgekehrt zueinander.“ Vgl. hierzu auch Garff Sçren Kierkegaard, S. 803.

Systematische Einleitung

3

was Schopenhauer „unvergleichlich an trefflicher Grobheit“,7 jedenfalls direkt und mit schonungsloser Deutlichkeit ins Werk zu setzen versucht: „Es hat mich unsagbar vergnügt, Schopenhauer zu lesen. Es ist vollkommen wahr, was er sagt, und, was ich wiederum den Deutschen gönne, so grob wie nur ein Deutscher sein kann.“8 Man hat Grund genug zu vermuten, dass Schopenhauers metaphysische Daseinsdeutung sich in einer solch großen Nähe zu Kierkegaards eigenen Grundintuitionen bewegt, dass diese Deutung die Vorlage bildet, von welcher der Däne sich zwar negativ abgrenzt, dies aber nur, um das eigene Hauptanliegen um so klarer in den Blick bringen zu können. Es ist bezeichnend, dass die philosophisch interessante und herausfordernde Seite an Kierkegaards Auseinandersetzung mit Schopenhauer dort zutage liegt, wo Schopenhauer sich am weitesten vorgewagt hat, die monistische Klammer seines Nihilismus zu lockern und diesen Monismus offen zu halten für eine – wie Adorno einmal in der Nachfolge Kierkegaards treffend gesagt hat – „Lücke“,9 in der und durch die hindurch der Mensch alleine noch sein Wesen als in Freiheit gegründet erfahren kann. Diese in der Verneinung des Willens zum Leben hinterlegte Freiheitserfahrung ist der insulare Rettungsversuch Schopenhauers, inmitten einer durchgängig durch die Triebdynamik des Willens organisierten Erfahrungswirklichkeit dem Existenzvollzug des Einzelnen einen von den Systemvorgaben seiner monistischen Willensmetaphysik unabhängigen, offenen Erfahrungsraum zu verschaffen. Der Asket ist in den Augen Schopenhauers nicht mehr der Schnittpunkt gegenläufiger Kräfteverhältnisse eines agonalen Willens,10 sein Entwurf nimmt vielmehr – so meine These – das Thema vorweg, das Kierkegaard in eigener Sache gar nicht nachdrücklich genug hat aktualisieren und ausbauen können: der Vorrang des je eigenen Existenzvollzuges, welcher im unwiderruflichen Bruch mit allem, was und wozu wir jeweils geworden sind, eine unaufhebbare Distanz gegenüber allen Definitionen unseres Selbst schafft, sodass – stärker als jede 7 NB29:95 (T 5, 197 / SKS 25, 355). 8 NB30:11 (T 5, 209 / SKS 25, 388). 9 Theodor W. Adorno Negative Dialektik [1966] in Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann / Gretel Adorno, 20 Bde., Frankfurt a.M. 1970 – 1986, Bd. 6, 1973, S. 370. 10 Zu der gegenläufigen Interpretation Friedrich Nietzsches und Theodor W. Adornos vgl. näher Lore Hühn „Die Wahrheit des Nihilismus. Schopenhauers Theorie der Willensverneinung im Lichte der Kritik Friedrich Nietzsches und Theodor W. Adornos“ in Interpretationen der Wahrheit (Tbinger phnomenologische Bibliothek), hrsg. v. Günter Figal, Tübingen 2002, S. 143 – 181, hier S. 173 – 181.

4

Lore Hühn

noch so radikal verstandene caesura temporis – das Leben selbst in ein Davor und ein Danach getrennt wird, und zwar in einem so grundlegenden Sinn, dass nach 2 Kor 5, 17 „also wirklich gleichsam ein neuer Mensch an die Stelle des alten tritt“.11 Bei Kierkegaard lässt sich dies in den Aufzeichnungen von B aus Entweder/Oder so nachlesen: „Dies Selbst, das er dergestalt wählt, ist unendlich konkret, denn es ist er selbst; dennoch ist es schlechthin verschieden von seinem früheren Selbst, denn er hat es absolut gewählt. Dies Selbst ist zuvor nicht dagewesen, denn es ist durch die Wahl geworden, und doch ist es dagewesen, denn es war ja ,er selbst‘.“12 Zeitdiagnostisch antizipiert Schopenhauer in der Vision eines radikalen Hinter-sich-Lassens unserer vorgegebenen Erfahrungswelt, in der sich der Wille kollektiver Selbsterhaltung verbirgt und eine Welt des vollendeten Egoismus sich breit macht, eine Tiefenstruktur unserer Erfahrung, die den geschlossenen Endlichkeitshorizont vorgängiger Negativität gewissermaßen vertikal durchbricht – und dies in einer Weise, dass dieser Horizont uns als das erscheint, was er nach Schopenhauer erst einmal in Wahrheit ist, nämlich einer, der auf der Grundlage unseres vorgängigen Jasagens zu einem im Hintergrund agierenden Willen überhaupt erst ermöglicht und aufgebaut wurde. Dieses Jasagen ist der Ort, und zwar der einzig legitime, an dem sich ein kategorialer Wechsel unseres Selbstseins vollziehen kann und auch vollziehen muss, soll denn dieser Horizont in seiner scheinbaren Ausweglosigkeit am Ende nicht wirklich ohne Ausweg (ver-)bleiben. Es ist in dieser Hinsicht Michael Theunissen zuzustimmen, der gerade mit Blick auf den Ansatz Kierkegaards, „gelingendes Leben aus mißlingendem zu erklären“,13 auf die strukturell vergleichbare Ausgangslage des passiven Nihilismus bei Schopenhauer einerseits und Kierkegaards Phi11 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 500 (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke. Zrcher Ausgabe, hrsg. v. Arthur Hübscher, 10 Bde., Zürich 1977). 12 EO2, 229 / SKS 3, 206f. Dies ist in aller größter Nähe zu Johann Gottlieb Fichte formuliert, der in der Bestimmung des Menschen (1800) schreibt: „Die Fäden, durch welche bisher mein Gemüth an diese Welt angeknüpft war, und durch deren geheimen Zug es allen Bewegungen in ihr folgte, sind auf ewig zerschnitten, und ich stehe frei, und selbst meine eigne Welt, ruhig, und unbewegt da“ (Johann Gottlieb Fichte Die Bestimmung des Menschen [1800] in Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth u. a., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962ff., Bd. 1,6, S. 145 – 309, hier S. 302f.). Vgl. dazu auch Wilfried Greve Kierkegaards maieutische Ethik. Von „Entweder/Oder II“ zu den „Stadien“, Frankfurt a.M. 1990, S. 126 – 129. 13 Michael Theunissen Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a.M. 1991, S. 60f.

Systematische Einleitung

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losophie einer zunächst der Ohnmacht verfallenen und zum Scheitern disponierten menschlichen Existenz andererseits aufmerksam macht. Es scheint […] geradezu geboten, die These der Krankheit zum Tode mit der Behauptung Schopenhauers zu vergleichen, daß wir Menschen das Leben, zu dem wir nein sagen sollen, zunächst einmal bejahen. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten verdient die Beziehung zu Schopenhauer sogar mehr Aufmerksamkeit als alle Bezüge zu Fichte, Schelling und Hegel, so wichtig diese auch in formaler Hinsicht sein mögen.14

1. Die ethische Wahl des Selbst bei Kierkegaard und Schopenhauer Es ist die Pointe der von Schopenhauer anvisierten performativen Ethik asketischer Entsagung und Selbstrückname, dass diese von vorneherein an ihrer eigenen Selbstaufhebung arbeitet, insofern diese Ethik sich in einem praktisch-existentiellen Selbstvollzug erfüllt, diese Erfüllung aber nur im Sprung über jede Ethik, die autonomes Handeln im Sinne Kants oder Fichtes fordert, realisiert werden kann. Der Däne ist zwar der festen Überzeugung, dass niemand anderes als Schopenhauer es ist, der seine eigene Intention auf eine Selbstaufhebung der Ethik konterkariert, gleichwohl bleibt festzuhalten, dass der Jüngere den Rahmen für den eigenen Ansatz einer konkret-maieutischen Ethik geradezu mustergültig abgesteckt vorfand. Schließlich zielt diese erklärtermaßen darauf ab, dass aus der performativen Einstellung des Betroffenseins heraus „existentiell das Erkannte zu reduplizieren“ und konkret anzueignen sei:15 „Das Ethische und das Ethisch-Religiöse müssen existentiell und in Richtung auf das Existentielle mitgeteilt werden.“16 Wie weit die im Äußersten eines sich selbst dementierenden Willens vermutete innerweltliche Freiheitserfahrung auch von der Vielfalt möglicher Existenzweisen entfernt sein mag, die Kierkegaard in den 14 Michael Theunissen Der Begriff Verzweiflung. Korrekturen an Kierkegaard, Frankfurt a.M. 1993, S. 15. 15 Søren Kierkegaard Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiçsen Mitteilung, aus d. Dän. u. hrsg. v. Tim Hagemann, Bodenheim 1997, S. 50 / Pap. VIII 2 B 88. Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag v. Philipp Schwab „Reduplikation. Zum methodischen Hintergrund von Kierkegaards später Auseinandersetzung mit Schopenhauer“. 16 Kierkegaard Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiçsen Mitteilung, S. 57 / Pap. VIII 2 B 88.

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indirekten Mitteilungen seiner perspektivisch gebrochenen Schreibpraxis entwirft, es ist Schopenhauer, der diesen Entwurf wie kein zweiter in der ersten nachidealistischen Generation antizipiert und auf den Weg gebracht hat. Nicht zufällig liest Schopenhauer die in der Verneinung des eigenen Wollens hinterlegte Grenzerfahrung als eine solche, die die Aufhebung des principium individuationis als höchstmögliche Form einer ,Selbstwahl‘ des Subjekts vorstellig und plausibel machen soll. Es handelt sich um das Paradox eines ausgezeichneten Freiheitsvollzuges, der regelrecht das aufzuheben strebt, was doch die eigene Voraussetzung ist, nämlich das Dasein, in dem wir uns als individuell Existierende zunächst ungefragt vorfinden. Es bedarf ja wohl keines Beweises, dass gerade Schopenhauer mit diesem ins Paradoxe gesteigerten Widerspruch genau besehen die Ansprüche an das menschliche Freiheitsvermögen nicht minimalisiert, sondern umgekehrt höher schraubt: Denn er verlangt diesem Vermögen das menschenmöglich buchstäblich Äußerste ab, nämlich einen Selbstanfang zu stiften, der die Grenzen unserer Erfahrungswirklichkeit so übersteigt, dass er all jene Bedingungen ausstreicht und negiert, unter denen wir allein als individuell Wollende uns zunächst einmal vorgefunden haben. So spekulativ überzogen und gewagt es sich auf den ersten Blick auch ausnimmt, die bei Kierkegaard so emphatisch ausgewiesene Freiheitserfahrung der ethischen ,Selbstwahl‘ mit Schopenhauers Ideal eines asketischen Selbstvollzuges auf einer Ebene zu diskutieren, und so offenkundig die Unterschiede ja auch sind, die strukturelle Nähe in der Beschreibung ist aber doch auffällig. Dies jedenfalls hätte auch Schopenhauer in dem letzten Paragraphen des ersten Bandes seiner Welt als Wille und Vorstellung 17 zum „Augenblick“18 der wahrhaften Wahl authentischen Selbstseins schreiben können: 17 Schopenhauer schreibt: „Wenden wir aber den Blick von unserer eigenen Bedürftigkeit und Befangenheit auf Diejenigen, welche die Welt überwanden, in denen der Wille zur vollen Selbsterkenntniß gelangt, sich in Allem wiederfand und dann sich selbst frei verneinte […], so zeigt sich uns, statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Ueberganges von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid […] jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüths, jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit, deren bloßer Abglanz im Antlitz, wie ihn Raphael und Carreggio dargestellt haben, ein ganzes und sicheres Evangelium ist: nur die Erkenntniß ist geblieben, der Wille ist verschwunden. Wir aber blicken dann mit tiefer und schmerzlicher Sehnsucht auf diesen Zustand, neben welchem das Jammervolle und Heillose unsers eigenen, durch den Kontrast, in vollem Lichte

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Wenn da um einen her alles still geworden, feierlich gleich einer sternklaren Nacht, wenn die Seele allein ist in der ganzen Welt, da zeigt sich vor ihr nicht ein hervorragender Mensch, sondern die ewige Macht selbst, da tut der Himmel sich gleichsam auf, und das Ich wählt sich selbst, oder richtiger, es empfängt sich selbst. Da hat die Seele das Höchste geschaut, das kein sterblich Auge zu schauen vermag, und das sie niemals vergessen kann, da empfängt die Persönlichkeit den Ritterschlag, der sie für eine Ewigkeit adelt. Der Mensch wird nicht ein andrer denn er zuvor gewesen, nein, er wird er selbst; das Bewußtsein schließt sich zum Ringe, und er ist er selbst.19

Und um an die einschlägige Schlusspassage des ersten Bandes von Schopenhauers Hauptwerk zu erinnern: Wir bekennen es vielmehr frei: was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrig bleibt, ist für alle Die, welche noch des Willens voll sind, allerdings Nichts. Aber auch umgekehrt ist Denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen – Nichts.20

Weit davon entfernt, den von Schopenhauer angeschlagenen Ton resignativer Selbstzurücknahme mit zu tragen, beerbt Kierkegaard gleichwohl im Modus einer umbildenden produktiven Aneignung die freiheitstheoretischen Überlegungen des Danzigers. Die in der conversio des Willens hinterlegte innerweltliche Freiheit des Menschen hat jedenfalls sehr viel mehr mit Kierkegaards Vision einer Selbstwahl des Ich gemein, als man für gewöhnlich anzunehmen bereit ist. Für die strukturelle Verwandtschaft spricht vor allem, dass es sich hier wie dort um ein Freiheitsgeschehen handelt, das in sich die ganze Zwiespältigkeit einer Spannung austrägt, deren Extreme es nachgerade charakterisiert, als erscheint. […] Also auf diese Weise, durch Betrachtung des Lebens und Wandels der Heiligen […], haben wir den finstern Eindruck jenes Nichts, das als das letzte Ziel hinter aller Tugend und Heiligkeit schwebt, und das wir, wie die Kinder das Finstere, fürchten, zu verscheuchen; statt selbst es zu umgehn, wie die Inder, durch Mythen und bedeutungsleere Worte“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 71, 507f.). 18 EO2, 188 / SKS 3, 172. 19 EO2, 188 / SKS 3, 172f. Die wichtige Stelle leitet Kierkegaard so ein: „Mithin: was durch mein Entweder/Oder in Erscheinung tritt, ist das Ethische. Es ist daher noch nicht die Rede davon, daß man Etwas wähle, noch nicht die Rede von der Realität dessen, das man wählt, sondern von der Realität, welche das Wählen als solches hat. Dies ist jedoch das Entscheidende, und dazu Dich zu erwecken ist mein Bemühen. Bis zu diesem Punkte vermag ein Mensch dem andern zu helfen; ist er bis zu ihm gelangt, so wird die Bedeutung, die ein Mensch für den andern haben kann, zu etwas mehr Untergeordnetem“ (EO2, 188 / SKS 3, 172). 20 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 71, 508.

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höchster Akt negativer Freiheit die eigene Tat des Menschen zu sein und doch zugleich aus dessen eigener Kraft gar nicht ins Werk gesetzt werden zu können, insofern dieser Tat in zweifach transzendierender Weise ein unvordenklicher Grund der Abhängigkeit vorhergeht: zum einen die gewissermaßen von innen her die Selbsttätigkeit des Menschen übersteigende Kraft eines Selbstvollzuges, der sich einem Grund verdankt, der nicht aus dessen eigenem Vermögen und aus dessen eigener Selbstmacht eingesetzt worden ist, insofern er – ursprünglicher als jedes Anfangen in der Zeit – diesen Selbstvollzug ermöglicht und trägt; zum anderen die von außen die Selbsttätigkeit des Menschen aufbrechende Kraft eines Geschehens, das die ganze Existenz des Menschen erschüttert und den Weg zu einer solchen Transzendenz weist, welche nicht auf den (ekstatischen) Moment eines Erlebnisses restringiert in sich verschlossen bleibt, sondern Folgen zeitigt – nämlich Folgen, die Schopenhauer bekanntlich so radikal veranschlagt, dass „das ganze Wesen des Menschen von Grund aus geändert und umgekehrt wird“.21 Diese Umkehrung birgt ihrerseits in sich die Paradoxie eines solchen Aktes, der als Geschehen am Menschen von diesem als eigene Tat vollbracht werden muss, als Tat freilich, welche – in sich selbst rätselhaft – auf einen nicht selbst gesetzten Grund eigener Abhängigkeit verwiesen bleibt. Schopenhauer hat diese in der Willensverneinung zutage tretende Einheit von Freiheit und Abhängigkeit – eher auf sehr verhaltene Weise – vor dem christlichen Erfahrungshintergrund der Gnadenlehre expliziert und einen ihrer Grundgedanken – wie verschmt und hinter unzähligen ,Gleichwie‘ und ,Als-ob‘ auch immer versteckt22 – dem eigenen Denken anverwandelt.23 Es handelt sich um den Grundgedanken einer Gabe, die in ihrer christlichen Gestalt einer „Gnadenwirkung“24 dort zum Austrag kommt, 21 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 500. 22 Vgl. Karl Werner Wilhelm Zwischen Allwissenheitslehre und Verzweiflung. Der Ort der Religion in der Philosophie Schopenhauers (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Bd. 36), Hildesheim / New York 1994, S. 156 – 171. 23 Vgl. hierzu auch Matthias Koßler Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiçsen und einer religiçsen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther (Beitrge zur Philosophie Schopenhauers, Bd. 3), Würzburg 1999. 24 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 499: „[S]o ist auch jene Verneinung des Wollens, jener Eintritt in die Freiheit, nicht durch Vorsatz zu erzwingen, sondern geht aus dem innersten Verhältniß des Erkennens zum Wollen im Menschen hervor, kommt daher plötzlich und wie von außen angeflogen. Daher eben nannte die Kirche sie Gnadenwirkung“.

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wo jede Möglichkeit der Gegengabe ausgeschlossen ist, ja wo der Verzicht, diese Gabe noch einmal zum Produkt eigenen Wollens zu machen, unabweislich sich aufdrängt. Die dergestalt in der Gnade zutrage tretende Einheit von Freiheit und Abhängigkeit ist eine Einheit, die Kierkegaard in ganz großem Stil sich gewissermaßen als eine operationale Schlüsselfigur seinem Denken zu eigen gemacht hat, insofern er sie einsetzt, um die Selbstwahl des Ich als einen solchen Freiheitsakt vorstellig zu machen, der beides auf sich vereint: Es handelt sich um einen ausgezeichneten, auf den „Augenblick“25 restringierten Akt, in dem das Ich im Äußersten seines praktisch-existentiellen Tätigseins gerade im Verzicht, diesen Akt selbstmächtig herstellen zu wollen, sich – rätselhaft genug – als empfangend und getragen, mithin sich selbst wahrhaft wählend erfährt. Wie bereits zitiert: „da zeigt sich […] die ewige Macht selbst, da tut der Himmel sich gleichsam auf, und das Ich wählt sich selbst, oder richtiger, es empfängt sich selbst.“26

2. Die nihilistische Beschreibung der Erfahrungswirklichkeit bei Schopenhauer und Kierkegaard Unverkennbar sind in der Orientierung an derart ausgezeichneten Formen der Selbsterfahrung Grundoptionen wirksam, deren innere Maßstäblichkeit sich bis in die in der Krankheit zum Tode (1849) durchgeführten Analysen menschlicher Verzweiflung fortsetzt. Es ist dort die Figur des ,verzweifelt man selbst sein Wollens‘,27 welche die Dialektik einer in ihrer Selbstüberforderung sich zugleich verfehlenden und nach Kierkegaard schließlich in Sünde umschlagenden Freiheitsbehauptung des neuzeitlichen Subjekts am prägnantesten spiegelt. Schopenhauer so nahe wie womöglich nirgendwo sonst, hat Kierkegaard gerade in der Gestalt verzweifelten, trotzigen Selbstseinwollens28 die prometheisch-hybriden Formen der Selbstermächtigung neuzeitlicher Subjektivität dargestellt und zugleich vernichtend kritisiert. Es lässt sich mühelos zeigen, dass er im Spiegel dieser Kritik den zeitdiagnostischen Befund unterbreitet, demzufolge es die jener Ermächtigung innewohnende Verdrängungsleistung ist, welche – offenkundig zur Norma25 26 27 28

EO2, 188 / SKS 3, 172. EO2, 188 / SKS 3, 172. Vgl. KT, 9 / SKS 11, 130. Vgl. Theunissen Der Begriff Verzweiflung, S. 80f. und S. 120ff.

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lität geronnen – das Leben in der Moderne zur Verfehlung eines Gesollten herabstuft und dergestalt geradezu nihilistisch entleert. Kierkegaard hat in der Krankheit zum Tode diese Verfehlung als Verfehlung eines unvordenklich in Gott hinterlegten existentiellen Grundverhältnisses gedeutet29 und in der Folge keine Gelegenheit ausgelassen, jene Verfehlung in einem strikt verantwortungsethischen Sinne als Schuld und in einem sündentheologisch abermals radikalisierten Sinne als Sündenfall der Moderne bewusst zu machen. Kritisch zunächst an die Adresse des frühen Fichte gewendet, deutet er sodann jene Verdrängungsleistung – zumal wenn sie im Gewand einer zu zeitloser und apriorischen Geltung gelangten Selbstsetzung eines voraussetzungslos agierenden Ich auftritt und damit als solche womöglich gar nicht mehr kenntlich sein sollte – als eine solche, die in der Fluchtbewegung vor einem Gesollten innerweltlich Präsenz gewinnt und die Negativität unserer eigenen Zeit grundlegend durchherrscht. Nicht umsonst gibt die Form der „Verzweiflung, verzweifelt man selbst sein zu wollen“,30 mithin der Trotz ganz entscheidend das Thema vor, um das die Verzweiflungsanalyse wesentlich kreist. So variantenreich Kierkegaard dieses Thema auch durchspielt, dieses hat seine ganze Pointe darin, dass er dem neuzeitlichen Autonomieverständnis vorrechnet, in der es kennzeichnenden Option voraussetzungslosen Aus-und-durch-sich-selbst-Seins unentwegt dasjenige auszuschließen, woraus es in seinem freigegebenen Ermöglichtsein durch einen in Gott hinterlegten Grund in Wahrheit lebt. Die Figur eines solchen ruinösen Selbstausschlusses hat Kierkegaard in direktem Anschluss an die von Schelling in seiner Freiheitsabhandlung (1809) unterbreiteten Fundamentaldifferenz von einem „Wesen, sofern es bloß 29 In den einschlägigen Worten des Dänen hört sich dies so an: „Ein solches abgeleitetes Verhältnis ist des Menschen Selbst, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, und, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Andern sich verhält. Daher kommt es, daß für eigentliche Verzweiflung zwei Formen möglich werden. Hätte des Menschen Selbst sich selber gesetzt, so könnte nur von einer Form die Rede sein, von der, nicht man selbst sein zu wollen, sich selbst los werden zu wollen, aber es könnte nicht davon die Rede sein, daß man verzweifelt man selbst sein will. Letztere Formel ist nämlich der Ausdruck für die Abhängigkeit des ganzen Verhältnisses (des Selbsts), der Ausdruck dafür, daß das Selbst durch sich selber nicht zu Gleichgewicht und Ruhe gelangen oder darinnen sein kann, sondern allein dadurch, daß es, indem es sich zu sich selbst verhält, zu demjenigen sich verhält, welches das ganze Verhältnis gesetzt hat“ (KT, 9 / SKS 11, 130). 30 KT, 67 – 74 / SKS 11, 181 – 187.

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Grund ist, von Existenz“31 und einem „Wesen, sofern es existiert“,32 entfaltet. In radikalisierender Überbietung dessen, was Schelling dort als „sich selbst aufzehrende[n] und immer vernichtende[n] Widerspruch, daß es [das Böse] creatürlich zu werden strebt, eben indem es das Band der Creatürlichkeit vernichtet“,33 – als den Selbstwiderspruch in der Moderne – vor Augen führt, bestimmt Kierkegaard diese Konstellation in Gestalt der ,dämonischen Selbstverschlossenheit‘34 moderner Subjektivität weiter fort. Mit Schelling ist Kierkegaard davon überzeugt, dass die Stabilität einer jeden nach Maßgabe der causa sui verfassten Konzeption von Autonomie nur in einem beständigen Selbstwiderspruch mit sich aufrechterhalten werden kann, indem diese in derselben Hinsicht ausschließt, worüber sie sich geradewegs35 definiert. Und dies macht die Unruhe in einer sich selbst unterhaltenden Dynamik aus, die nach Kierkegaard in der Form einer dämonischen Selbstverschlossenheit neuzeitlicher Subjektivität offen zutage liegt: „Diese Verstecktheit ist gerade etwas Geistiges, und eines der Vorbeugungsmittel, um sich gleichsam hinter der Wirklichkeit den Besitz einer Einschließung zu sichern, einer Welt ausschließlich für sich selbst, einer Welt, in der das verzweifelte Selbst rastlos und tantalisch damit beschäftigt ist, es selbst sein zu wollen“.36 Wäre man aufgefordert, eine Gedankenfigur Schopenhauers zu benennen, die in größtmöglicher Nähe zu der Kierkegaardschen Schlüsselfigur perennierenden Selbstverfehlens – zumal in Gestalt einer ,dämo31 SW VII, 357 (Die Werke Schellings werden unter der Sigle SW nach der folgenden Ausgabe zitiert: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Smmtliche Werke, hrsg. v. Karl Friedrich August Schelling, 14 Bde., Stuttgart / Augsburg 1856 – 1861). 32 SW VII, 357. 33 SW VII, 390f. 34 KT, 72f. / SKS 11, 185 – 187. 35 Was es heißt, die Anwesenheit Gottes im Modus extremer Verkehrung innerweltlich zu bezeugen, selbst da, wo die Präsenz seiner Anwesenheit bis hin zur Unkenntlichkeit verdeckt scheint, hat Schelling exemplarisch am Beispiel der satanologischen Zentralmetapher vom „umgekehrte[n] Gott“ (SW VII, 390) in seiner Freiheitsschrift auszubuchstabieren versucht. Vgl. zur Struktur perennierender Selbstverfehlung: Jörg Jantzen „Sucht und Verlangen. Über den Grund der Person“ in „Alle Persçnlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde“. Schellings Philosophie der Personalitt, hrsg. v. Thomas Buchheim / Friedrich Hermanni, Berlin 2004, S. 215 – 226; vgl. auch Axel Wüstehube Das Denken aus dem Grund. Zur Bedeutung der Sptphilosophie Schellings fr die Ontologie Ernst Blochs (Epistemata: Reihe Philosophie, Bd. 52), Würzburg 1989. 36 KT, 73f. / SKS 11, 186f.

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nischen Selbstverschlossenheit‘ – formuliert ist, dann dürfte es leicht sein, sich auf die Metapher zu verständigen, an deren Leitfaden der Danziger seine ganze nihilistische Daseinsdeutung entfaltet hat: „So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus“.37 Schopenhauer hat seine nihilistische Beschreibung unserer Erfahrungswirklichkeit, rein als Vorstellung betrachtet, an der Maxime der Dialektik schlecht unendlicher Progression ausgerichtet, insofern es unsere Erfahrungswirklichkeit als ein beständig im Aufschub befindliches Immer-Weiter in ihrer nirgendwo ankommenden Rastlosigkeit nachgerade definiert, völliger Entzug eigener Gegenwärtigkeit zu sein. Es ist Schopenhauers zeitdiagnostischer Befund, dass unserer Erfahrungswirklichkeit keine eigene Dimension ursprünglicher Zeitlichkeit, sondern nur eine deriviert-scheinhafte zugesprochen werden kann. Unter dem „Schleier der Maja“38 wird unsere Erfahrungswirklichkeit zum leeren Kontinuum stets gleicher Jetztpunkte, deren schiere Linearität für eine solche Zeiterfahrung einsteht, die ständig unterwegs und nirgendwo ankommend in der antinomischen Verfaßtheit ihres Vollzuges sich förmlich selbst zersetzt.39 Jene auf der Stelle tretende und unablässig im Aufschub befindliche Zeiterfahrung schieren Nacheinanders ist eine solche, welcher die Faktizität unserer durch die Vorstellung strukturierten Welt der Erscheinungen in den Augen des Danzigers ausnahmslos 40 unterliegt. 37 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 38, 252. 38 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 3, 34. 39 „Wann aber äußerer Anlaß, oder innere Stimmung, uns plötzlich aus dem endlosen Strohme des Wollens heraushebt, die Erkenntniß dem Sklavendienste des Willens entreißt, die Aufmerksamkeit nun nicht mehr auf die Motive des Wollens gerichtet wird, sondern die Dinge frei von ihrer Beziehung auf den Willen auffaßt, […] dann ist die auf jenem ersten Wege des Wollens immer gesuchte, aber immer entfliehende Ruhe mit einem Male von selbst eingetreten, und uns ist völlig wohl“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 38, 252f.). 40 „Wie in ihr [der Zeit] jeder Augenblick nur ist, sofern er den vorhergehenden, seinen Vater, vertilgt hat, um selbst wieder eben so schnell vertilgt zu werden; wie Vergangenheit und Zukunft (abgesehn von den Folgen ihres Inhalts) so nichtig als irgend ein Traum sind, Gegenwart aber nur die ausdehnungs- und bestandlose Gränze zwischen Beiden ist; eben so werden wir die selbe Nichtigkeit auch in allen andern Gestalten des Satzes vom Grunde wiedererkennen und einsehn, daß wie die Zeit, so auch der Raum, und wie dieser, so auch Alles, was in ihm und der Zeit zugleich ist, Alles also, was aus Ursachen oder Motiven hervorgeht, nur ein

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Die Metaphorik schlechter Unendlichkeit („Rade des Ixion“41), von der Schopenhauer in einem mehr als nur rhetorischen Sinne weidlich Gebrauch macht, ist – wie gesagt – beredt darin, dass ihr die Grundstruktur abgelesen ist, die sich immer wieder in jedem Willensakt auf abgründige Weise reproduziert. Schon der Versuch, jenem Selbstwiderspruch einer permanent sich selbst durchstreichenden Vollzugsform endlosen Wollens durch immer neue Anstrengungen zu entkommen, wird von jenem in einer Weise ereilt, die einen immer nur tiefer in das hineingeraten lässt, was man, wenn man sich nur recht versteht, gar nicht wollen kann. Schopenhauer hat diesen Selbstwiderspruch so tief in die Fundamente seiner Metaphysik eingebaut, dass dieser Widerspruch regelrecht zum Motor eines sich selbst reproduzierenden Willensgeschehens gerät, zu einem Motor, der die Dynamik dieses Geschehens in Gang hält, der aber auch gewissermaßen der Sand im Getriebe dieses Geschehens ist. Und von hier aus lohnt abermals ein Blick zu Kierkegaard. Denn der Däne weiß in eigener Sache so gut wie der Deutsche in der seinen, was es wirklich bedeutet, nach Maßgabe der Iteration endlosen Wollens einen in sich verkehrten, weil nicht aus eigener Vollmacht unterhaltenen Prozess des Trotzes zur Darstellung zu bringen. Es kennzeichnet die strukturell mit dem Phänomen der „Sucht“ verwandte Form der Verzweiflung, die im trotzig man selbst sein Wollen Präsenz gewinnt, geradezu, wenn Kierkegaard schreibt: „Insoweit arbeitet das Selbst mit seinem verzweifelten Streben, es selbst sein zu wollen, sich in das gerade Gegenteil hinein; es wird eigentlich kein Selbst.“42 Die Nähe zu Schopenhauer wird dadurch noch auffälliger, dass die Iterationsstruktur schlecht unendlichen Wollens immer zugleich auch die Unmöglichkeit einer Befreiung und Erlösung aus eigener Kraft und eigener Vollmacht impliziert.43

relatives Daseyn hat, nur durch und für ein Anderes, ihm gleichartiges, d. h. wieder nur eben so bestehendes, ist“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 3, 34). 41 „So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 38, 252). 42 KT, 69 / SKS 11, 183. 43 Vgl. Theunissen Der Begriff Verzweiflung, S. 96ff.

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3. Kierkegaards Kritik an Schopenhauers Mitleidsethik Arthur Schopenhauer und Sören Kierkegaard sind bei aller Verwandtschaft doch stets auch ein recht ungleiches Paar. Auf den ersten Blick jedenfalls ist auffällig, dass der 1788 in Danzig geborene Kaufmannssohn eine metaphysische Deutung unseres Daseins nach Maßgabe eines monistisch verfassten Willens unterbreitet, die buchstäblich am Rande eines Systems gerade einmal zulässt, was der fünfundzwanzig Jahre jüngere dänische Privatgelehrte nachdrücklicher gar nicht in das Zentrum der nachidealistischen Moderne hat rücken können: die Erfahrungswirklichkeit des je Einzelnen, die gerade nicht im Prozess der Singularisierung eines Allgemeinen aufgeht oder etwa in durchgängiger Analogie zum principium individuationis begriffen werden kann.44 Es ist die radikale Offenheit und Inkommensurabilität eines sich jeder Darstellungs- und Mitteilungsform geradezu widersetzenden Erfahrungsraums, innerhalb dessen Kierkegaard die ,Innerlichkeit‘ als die eigentliche Tiefenschicht von Subjektivität verankert. Weit gefehlt, diese Tiefenschicht in einem im praktischen Selbstvollzug zum Austrag kommenden Wollen zu fundieren, sie als ein im verkleinerten Maßstab des Ganzen sich wiederholendes Geschehen zu deuten, zielt Kierkegaard von vorneherein auf den offenen Ort existentieller Grundverhältnisse ab, wo aus der Verfehlung des Selbstseins das Selbst erst noch zu gewinnen sei.45 In denkbar größtem Abstand zu Schopenhauers Grundannahme, wonach man mit der Erklärung unserer menschlichen Willenstätigkeit zugleich den Schlüssel zum Verständnis des Seienden im Ganzen in der Hand halte, schreibt Kierkegaard gegen die Semantik derartig affirmativer Totalitätsaussagen mit jeder Zeile an. Kierkegaards aus der Kritik des deutschen Idealismus erwachsene, existentiell gewendete Philosophie des Geistes und des Selbst ist jüngeren Datums, jedenfalls sehr viel moderner, insofern sie die Auflösung von zentrierten, geschlossenen und homogenen Einheiten eines Systemdenkens in dezentrierte, heteronome Erfahrungsräume schon längst im Rücken hat. Wie weit blickend Schopenhauer auch zum Zeitpunkt des Erscheinens seines Lebens- und Hauptwerkes Die Welt als Wille und 44 Vgl. hierzu Claus-Artur Scheier Kierkegaards rgernis. Die Logik der Faktizitt in den „Philosophischen Bissen“, Freiburg i.B. / München 1983, bes. S. 25f. 45 Vgl. den im Anschluss an Michael Theunissen vorgenommenen Versuch von Jürgen Habermas Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt a.M. 2001, S. 17 – 27.

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Vorstellung (1818) wesentliche Grundeinsichten des späten 19. Jahrhunderts vorwegnahm und wie radikal seine berüchtigte Kritik am „ruchlosen Optimismus“46 aufklärerischer Vorstellungen von kontinuierlich und bewusst gestalteter Freiheits- und Fortschrittsgeschichte auch ausfiel, es sind Welten, die ihn von dem jüngeren dänischen Schriftsteller trennen. Keine Frage, Kierkegaard hat nicht ohne Sympathie vermerkt, dass Schopenhauer sein nihilistisches Urteil über die Gesamtverfassung der Wirklichkeit als Umkehr des Leibnizschen Optimismus profilierte, indem er die bestehende Welt kurzerhand „zur schlechtesten unter den möglichen Welten“47 stempelte. Keine Frage ist aber auch, dass Schopenhauer sich selbst als der berufene Nachfolger Kants verstand, welcher in betonter Konkurrenz zur Systemphilosophie des deutschen Idealismus mit einem eigenen System aufwartete, um das kritische Erbe des Königsbergers antreten zu können. Wäre man aufgefordert, eine Schlüsselfigur Schopenhauers zu benennen, die in größtmöglicher Distanz sich zur Existenzphilosophie Kierkegaards bewegt, dann dürfte es auch hier keine Schwierigkeiten bereiten, sich schnell zu verständigen; und zwar auf jenen Systemanspruch, auf den Schopenhauer seine ganze metaphysische Daseinsdeutung verpflichtete, wo er dieser doch zutraut, wie es in der Vorrede der Welt als Wille und Vorstellung programmatisch heißt, nur einen „einzigen Gedanken“48 über die vier Bücher hinweg explizieren zu wollen. Es handelt sich um den Gedanken, dass die Welt als Selbsterkenntnis eines monistischen Willens zu begreifen sei, – ein Gedanke, der sich je nachdem, von welcher Seite man ihn betrachte, als dasjenige zeige, was man für gewöhnlich unter Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ästhetik oder Ethik verstehe. Kierkegaard dürfte es nicht viel anders ergangen sein als uns heute, in diesem weit ausgreifenden Selbstanspruch das bemerkenswerte Zeugnis eines Zeitalters zu sehen, wo Philosophie, wohl zum letzten Mal in ihrer Geschichte zumal vor dem Hintergrund sich durchsetzender Differenzierungen und Spezialisierungen der Wissenschaften und Disziplinen, sich eine solche integrative Leistung zutraute. Zufall ist es indes nicht, dass Kierkegaard in seiner späten Begegnung Schopenhauers metaphysische 46 „Uebrigens kann ich hier die Erklärung nicht zurückhalten, daß mir der Optimismus, wo er nicht etwan das gedankenlose Reden Solcher ist, unter deren platten Stirnen nichts als Worte herbergen, nicht bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Denkungsart erscheint, als ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 59, 407f.). 47 Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 46, 683. 48 Schopenhauer Werke (ZA), W I, Vorrede zur 1. Auflage, 7.

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Daseinsdeutung an dieser ihrer empfindlichsten Stelle, mithin ihrem Selbstanspruch zu treffen versuchte. Um es kurz zu machen: Kierkegaard ist zu einem der schärfsten Kritiker der Mitliedsethik Arthur Schopenhauers geworden,49 weil dieser die Sphären des Ethischen und des Ästhetischen über den alles nivellierenden Leisten eines einzigen Prinzips geschlagen habe und gerade darüber die Intention der Mitleidsethik, in einem normativ verbindlichen Sinne, sich zum Leiden des Anderen zu verhalten, aufs Groteskeste konterkariere. Kierkegaard schreibt: Wenn man dann A. Ss Ethik durchgelesen hat, so erfährt man nun – so ehrlich ist er natürlich – dass er nicht selbst ein solcher Asket ist. Er ist also nicht selbst die durch Askese erreichte Kontemplation, sondern eine Kontemplation, die sich kontemplierend zu jener Askese verhält. Das ist äußerst misslich, hier kann sich sogar das Allerentsetzlichste verbergen, eine verderbliche Art schwermütiger Wollust, item ein tiefer Mschenhaß usw.50

Kierkegaard macht auf den Grundwiderspruch aufmerksam, der die moralphilosophischen Überlegungen Schopenhauers in der Tat und zwar in ihrem Kern trifft. Selbst nicht leidend, nimmt aus der ästhetischen Distanz des Zuschauerraums heraus der Betrachter insbesondere in der tragischen Form des Mitleidens eine Haltung gegenüber dem Leiden des Protagonisten der Tragödie ein, die bewusst außer Kraft setzt, worauf die normativ handlungsgebundene Haltung des tätigen Mitleids in der Ethik zielt. Was in der Handlungsneutralität der sthetischen Haltung dem Leidenden gegenüber zutage liegt, wird zum definiens eines ethischen Indifferentismus, der in gleichgültiger Gelassenheit jede Form des Handelns zum Stillstand bringt, also auch diejenige, die sich, wie Schopenhauer ja fordert, auf das „Wohl und Wehe“51 des Anderen bezieht.52 Wer wie Schopenhauer ver49 Näheres hierzu: Lore Hühn „Das Mit-Leid. Zur Grundlegung der Moralphilosophie bei J. J. Rousseau und Arthur Schopenhauer“ in Ethik und sthetik des Mitleids (Rombach Wissenschaften: Reihe Litterae, Bd. 143), hrsg. v. Nina Gülcher / Irmela von der Lühe, Freiburg 2007, S. 113 – 133. 50 NB29:95 (T 5, 196 / SKS 25, 354); vgl. hierzu Philipp Schwab „Der Asket im System. Zu Kierkegaards Kritik an der Kontemplation als Fundament der Ethik Schopenhauers“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 321 – 345, hier S. 325f. 51 Schopenhauer Werke (ZA), E, § 16, 247. 52 Hierzu Weiteres: Oliver Hallich Mitleid und Moral. Schopenhauers Leidensethik und die moderne Moralphilosophie (Beitrge zur Philosophie Schopenhauers, Bd. 2), Würzburg 1998.

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sucht, den naturwüchsigen Kampf der Subjekte um Selbsterhaltung zum unverrückbaren Bezugspunkt der Analyse menschlichen Selbstseins zu machen, muss sich, so der Vorbehalt des Dänen, die kritische Anfrage gefallen lassen, ob eine solch einseitige Festlegung überhaupt noch Raum lässt, normativ sozusagen dosiert, abgestuft zwischen moralisch gebotenem und verwerflichem Tun zu unterscheiden. Nicht von ungefähr dürfte sich der Verdacht aufdrängen, dass eine dergestalt im Mitleid fundierte Moral unweigerlich ihre eigene Grundlage in Frage stellt.53 Schließlich: Wie kann sinnvoll behauptet werden, dass eine empirische, im Gefühl des Mitleids verankerte Moral für die Ethik unverzichtbar sei, wenn die Pointe dieser Ethik ist, tendenziell jene Empirie auszuschalten, in der diese Moral wirksam werden kann? Und wenn nach Schopenhauer eine moralische Handlung die Negation derjenigen ist, die aus bloßem Eigennutz erfolgt, so steht jene Handlung von vornherein in dem Widerspruch, sich gegen die Voraussetzung zu definieren, der sie zugleich ihren eigenen Selbstvollzug verdankt, nämlich das Wohl des Anderen zu wollen. Es ist Kierkegaards Generaleinwand gegen diese Form einer Selbstaufhebung der Ethik, die – blind für die angestammten Grenzen zwischen den verschiedenen Domänen unserer Erfahrung – in der kontemplativen Haltung sthetischer Indifferenz außer Kraft setzt, worauf die normativ handlungsgebundene Haltung des tätigen Mitleids gerade zielt. Für Kierkegaard ist es jedenfalls eine ihres gleichen suchende Provokation, die Schopenhauer für seine philosophisch gebildeten Leser bereithält, ausgerechnet die Differenz einzuziehen, die J. J. Rousseau der neuzeitlichen Tradition des Diskurses über das Mitleid gewissermaßen ins Stammbuch geschrieben und mit auf den Weg gegeben hat, nämlich die Differenz zwischen dem Mitleid aus der ästhetischen Distanz des Betrachters eines Schauspiels54 und dem tätigen Mitleid als dem Ursprung aller moralischen Tugenden.55 Dass die erste Form untergräbt und verhindert, was die letztere gerade fordert, gehört zum Kernsbestand eines Diskurses, der offenkundig gegenläufige Fundierungsoptionen auf sich vereint. 53 Vgl. Mirko Wischke Die Geburt der Ethik. Schopenhauer – Nietzsche – Adorno, Berlin 1994, S. 113f. 54 Vgl. Jean-Jacques Rousseau Diskurs ber die Ungleichheit. Discours sur l’ingalit, kritische Ausg. des integralen Textes, mit sämtlichen Fragm. und erg. Materialien nach den Orig.-Ausg. u. den Hs. neu ed., übers. u. komm. v. Heinrich Meier, Paderborn 52001, S. 89. 55 Vgl. Jean-Jacques Rousseau „Brief an D’Alembert über das Schauspiel“ in Schriften, hrsg. v. Henning Ritter, 2 Bde., München / Wien 1978, hier Bd. 1, S. 333 – 474.

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Lore Hühn

Kierkegaard gehört wie Friedrich Nietzsche nach ihm zu den schärfsten Kritikern der Mitleidsethik, gerade weil diese in der Gefahr steht, „daß man mit ihm [dem Mitleid] eher seinen Egoismus umfriedet“56 und das asymmetrische Herrschaftsverhältnis zwischen dem, der mitleidet und dem, der bemitleidet wird, zementiert. Freilich kennt Kierkegaard auch „das wahre menschliche Mitleid“,57 das er bei Schopenhauer glaubt, nicht finden zu können.

56 BA, 123 / SKS 4, 421. 57 BA, 124 / SKS 4, 422.

Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer? By Niels Jørgen Cappelørn1 In Journal NB29, entry no. 95, entitled “On Arthur Schopenhauer,” Kierkegaard writes: “A. S. is undeniably a significant author; he has interested me very much and, in spite of a total disagreement, I have been surprised to find an author who affects me so much.”2 The entry itself is not dated, but based on preceding entries it can be concluded that it was written after June 21, 1854 but sometime before June 28 of the same year. The phrase “he has interested me very much” seems to indicate that Kierkegaard is here looking back in time. That raises the question: When did Kierkegaard become interested in Schopenhauer?

Schopenhauer in Kierkegaard’s Library When Kierkegaard passed away on November 11, 1855, he left a library containing some 2,380 volumes. And because his book collection was sold at a public auction in April, 1856, every title was registered in the sales catalogue.3 This catalogue indicates that at the time of his death, Kierkegaard owned the following books by Schopenhauer: Ueber den Willen in der Natur. Eine Erçrterung der Besttigung, welche die Philosophie des Verfassers, seit ihrem Auftreten, durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat, Frankfurt am Main: Verlag von Siegmund Schmerber 1836, Ktl. 944.

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My thanks to Associate Prof. PhD K. Brian Söderquist for having assisted with some of the English formulations in this essay. NB29:95 (JP 4:3877 / SKS 25, 352). Ktl., see Abbreviations.

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Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften. I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens, gekrçnt von der Kçnigl. Norwegischen Societt der Wissenschaften, zu Drontheim, am 26. Januar 1839. II. Ueber das Fundament der Moral, nicht gekrçnt von der K. Dnischen Societt der Wissenschaften, zu Kopenhagen, den 30. Januar 1840, Frankfurt am Main: Joh. Christ. Hermannsche Buchhandlung 1841, Ktl. 772. Die Welt als Wille und Vorstellung. Zweite, durchgngig verbesserte und sehr vermehrte Auflage, Bd. 1 (“Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält”) – Bd. 2 (“welcher die Ergänzungen zu den vier Büchern des ersten Bandes enthält”), Leipzig: F. A. Brockhaus 1844 [erste Auflage 1819], Ktl. 773 – 773a. Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, Bd. 1 – 2, Berlin: A. W. Hayn 1851, Ktl. 774 – 775. Although Kierkegaard kept many book receipts, as well as some of the bills from the various bookstores he frequented, the invoices for the Schopenhauer books have not been preserved, unfortunately, and thus we do not know when they were purchased.

Schopenhauer in the Danish Philosophical Debate According to the available sources, there is a strong probability that Schopenhauer never played an important role – if he played any role at all – in the Danish philosophical debates during Kierkegaard’s time.4 And yet I am convinced that Kierkegaard must have heard about Schopenhauer while he was a theology student at the University of Copenhagen in the 1830s – first and foremost from his two philosophy instructors. The first is Professor Poul Martin Møller, with whom Kierkegaard had an intimate relationship. In 1837, about a year before he passed

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There were no articles on Schopenhauer and his philosophy in Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (Journal for Foreign Theological Literature), ed. by H. N. Clausen / M. H. Hohlenberg, Copenhagen 1833 – 1844, from 1845 ed. by H. N. Clausen alone. As the title indicates, the Journal was primarily theologically oriented and yet it contained several introductory articles on German philosophers and philosophical literature.

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away, Møller published an extensive essay “Thoughts on the Possibility of Proofs of Human Immortality, with Reference to the Most Current Literature on the Matter,” published in Maanedsskrift for Litteratur (The Literary Monthly).5 The article was a response to the extensive debate between left and right Hegelians about the degree to which Hegel’s philosophy was compatible with a doctrine of personal immortality. In one of the eleven sections of his essay, Møller criticizes what he calls the pantheistic nihilism of the preceding four decades of European thought. In this context, he mentions Schopenhauer. He writes: According to this distorted pantheism, which is essentially indistinguishable from annihilation, perfect knowledge is not only unattainable for the human race, but there is no such knowledge, neither in heaven nor on earth. The world moves in a ceaseless cycle from one void to another according to the strict laws of necessity, from nothing to nothing. This nihilistic aspect of modern pantheism is nowhere carried out more consistently and forcefully than in a work by Arthur Schopenhauer,* professor in Berlin, and although the work was published in 1819, it is still only rarely and loosely discussed by other philosophers. The author himself openly and boldly describes his philosophy as anti-Christian and nihilistic. He therefore considers many Indian myths to be superior to the dogmas of Christianity, and enthusiastically praises the Brahmin doctrine of the abode of the blessed after death because it is termed “Niban,” which is said to mean “nothing.” Were this work, which hardly by accident has been relegated to the background of literature, better known, it would unquestionably contribute much to making the nihilism – which this distorted pantheism leads to – more understandable for our age.6 * Die Welt als Wille und Vorstellung.

Secondly, Kierkegaard knew of Schopenhauer through the distinguished professor of philosophy at the University of Copenhagen, Frederik Christian Sibbern. In January 1840, Schopenhauer’s Preisschrift ber das Fundament der Moral was rejected by the Royal Danish Learned Society; and the majority opinion against this treatise was presumably written by Professor Sibbern, with whom Kierkegaard had a close relationship. 5

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Poul Martin Møller “Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, med Hensyn til den nyeste derhen hørende Literatur” in Maanedsskrift for Litteratur 17, 1837, pp. 1 – 72 and pp. 422 – 453 / Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, vols. 1 – 3, ed. by F. C. Olsen, Copenhagen 1839 – 1843, here vol. 2, 1842, pp. 158 – 272. Møller “Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed”, pp. 62f. / pp. 226f.; passage trans. by K. Brian Söderquist.

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After that, Schopenhauer was – so to speak – a persona non grata in Danish philosophical circles; it is therefore understandable that Kierkegaard paid no attention to him – neither in his published works nor in his journals – during his activity as an author, from 1838 to 1851. But beginning in early June, 1854, without warning, he did. This makes it even more urgent to ask why Kierkegaard became interested in Schopenhauer then. In order to give an interpretative answer to this question, another complex matter must be clarified, namely: What occupied Kierkegaard from the early-1850s – after he had finished (though not published) what he understood to be his authorship – until June, 1854, when he refers to Schopenhauer for the very first time?

Kierkegaard’s Reading Occupation 1850 to 1854 Because Kierkegaard’s journals usually reflect what he was currently occupied with, we can begin with an examination of the journals from this period in order to arrive at an answer. According to Journal NB21, which runs from September to November, 1850, he had become specifically interested in Blaise Pascal. Although Kierkegaard had Pascal’s Penses in three different German translations, one from the 1770s and two from the 1840s,7 he read and commented on the old edition, Gedanken Paskals. 8 In continuation with these interests, Kierkegaard became familiar with German Church historian August Neander’s booklet, ber die geschichtliche Bedeutung der Penses Pascal’s fr die Religionsphilosophie insbesondere. 9 And Kierkegaard, who liked this lecture, notes that

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Pascal’s Gedanken ber die Religion und einige andere Gegenstnde in Pascal’s Smmtliche Schriften ber Philosophie und Christenthum, trans. by K. A. Blech, vols. 1 – 2, Berlin 1840 – 1841, Ktl. 712 – 713, here vol. 1, 1840; and Pascal’s Gedanken, Fragmente und Briefe, trans. by C. F. Schwartz, vols. 1 – 2, Leipzig 1848, Ktl. 714. Gedanken Paskals, ed. and trans., with notes and commentary, by J. F. Kleuker, Bremen 1777, Ktl. 711. August Neander ber die geschichtliche Bedeutung der Penses Pascal’s fr die Religionsphilosophie insbesondere. Ein zur Feier des Geburtstages Seiner Majestt des Kçnigs in der çffentlichen Sitzung der Akademie am 16. Oktober 1846 gehaltener Vortrag, Berlin 1846. Kierkegaard read this lecture in a second edition from 1847, which he found at the reading society Athenæum.

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Neander correctly points out that Pascal subordinates the theoretical to the practical, and thought to will.10 Neander writes: Wir haben bemerkt, daß Pascal die unmittelbare Gewißheit von dem Herzen ausgehn läßt. Es hängt dieses zusammen mit dem Charakteristischen seines Standpunktes, nach welchem er in Beziehung auf die höchsten Interessen des Menschen nicht das Praktische dem Theoretischen, sondern das Theoretische dem Praktischen unterordnet, nicht den Willen dem Denken, sondern das Denken dem Willen, den Willen zum Hebel der ganzen menschlichen Entwicklung macht.11

Journal NB22, running from November, 1850, to January, 1851, shows that Kierkegaard’s interest in Pascal continued but, at this point, he became more preoccupied with Pascal’s life. He read Hermann Reuchlin’s extensive work, Geschichte von Port-Royal, 12 and took note of the fact that Pascal withdrew from the world into a pious and ascetic life at the rural monastery Port-Royal, and that it was at Port-Royal that Pascal wrote and published his Lettres  un Provincial (Provincial Letters). Kierkegaard continued his reading even more intensively with Hermann Reuchlin’s study, Pascal’s Leben und der Geist seiner Schriften zum Theil nach neu aufgefundenen Handschriften mit Untersuchungen ber die Moral der Jesuiten, 13 and along with the many notes and excerpts from it, he quoted, in his Danish translation, the following: “Gott nur spekulativ kennen, heißt, ihn nicht kennen.”14 At the same time, Kierkegaard became interested in St. Bernard of Clairvaux and St. Chrysostom of Constantinople, reading closely August Neander’s famous monographs about them.15

10 Cf. NB21:163 (JP 3:3109 / SKS 24, 99). 11 Neander ber die geschichtliche Bedeutung der Penses Pascal’s, pp. 23f. 12 Hermann Reuchlin Geschichte von Port-Royal. Der Kampf des reformirten und des jesuitischen Katholicismus unter Louis XIII und XIV, vol. 1 (“bis zum Tode der Angelica Arnauld 1661”), Hamburg / Gotha 1839. Kierkegaard does not seem to have read vol. 2 (“vom Tode der Reformatorin Maria Angelica Arnauld 1661 bis zur Zerstörung des Klosters 1713”), Hamburg / Gotha 1844. 13 Hermann Reuchlin Pascal’s Leben und der Geist seiner Schriften zum Theil nach neu aufgefundenen Handschriften mit Untersuchungen ber die Moral der Jesuiten, Stuttgart / Tübingen 1840. 14 Reuchlin Geschichte von Port-Royal, p. 243. 15 Der heilige Bernhard und sein Zeitalter. Ein historisches Gemlde, 2nd revised edition, Hamburg / Gotha 1848 [1813]; and Der heilige Johannes Chrysostomus und die Kirche, besonders des Orients, in dessen Zeitalter, vols. 1 – 2, Berlin 1821 – 1822.

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Finally, Kierkegaard turned to Salvianus Massiliensis or Silvian of Marseilles (ca. 400-ca. 480), a Roman Catholic priest and author, critical of the Church and the lack of morality at his time.16 Kierkegaard was especially attracted to Silvian’s major work, De gubernatione Dei (On God’s Governance) and his ascetic treatise, Adversus avaritiam (Against Greediness), also known as Ad ecclesiam (To the Church). We have arrived at Journal NB23, from late January to mid-April, 1851, which is almost entirely filled with quotations, excerpts, and notes from Kierkegaard’s patristic readings. His main source is Swiss priest and Church historian Friedrich Böhringer’s large work, Die Kirche Christi und ihre Zeugen oder die Kirchengeschichte in Biographieen, in seven volumes.17 As he was reading volume 1 (i. e., vol. 1.1, “Die drei ersten Jahrhunderte”), Kierkegaard recorded, in Danish, the following citation from Tertullian’s Ad martyras (To the Martyrs): Wenn wir bedenken, sagt er [Tertullian], dass vielmehr die Welt selbst ein Kerker ist, so müssen wir es so ansehen, dass ihr vielmehr aus dem Kerker ausgetreten, als in einen Kerker eingetreten seid. Die Welt trägt grössere Finsterniss, in welcher die Herzen der Menschen erblinden; schwerere Fesseln legt sie an, welche die Seelen selbst gefangen halten; eine grössere Menge von Schuldigen umschliesst die Welt, nämlich das ganze Menschengeschlecht; sie wird nicht das Gericht eines Prokonsuls erdulden, sondern das Gericht Gottes.18

Turning to Journal NB24, from mid-April to late November, 1851, we learn that Kierkegaard was reading the Danish-German theologian Andreas Gottlob Rudelbach’s monograph on Italian Dominican monk Girolamo Savonarola (1452 – 1498), taking special interest in Savonarola’s dogmatics.19 After that, Kierkegaard returned to Tertullian, this time to his work De poenitentia, in German translation (ber die Buße) by German theologian Christian Friederich Rößler.20 He continued reading an 16 In his library Kierkegaard had Sanctorum presbyterorum Salviani Massiliensis et Vincentii Lirinensis Opera, published by Stephanus Baluzius [Étienne Baluze], 4th edition, Pedeponti, vulgo Stadt am Hoff, prope Ratisbonam [Podepontium, colloquially Stadt am Hoff, close to Regensburg] 1743 [1663], Ktl. 757. 17 Friedrich Böhringer Die Kirche Christi und ihre Zeugen oder die Kirchengeschichte in Biographieen, vols. 1,1 – 1,4 and 2,1 – 2,3, Zürich 1842 – 1855. Only the first five volumes (1,1 – 1,4 and 2,1) were available in 1851. 18 Böhringer Die Kirche Christi, vol. 1,1, p. 294. 19 A. G. Rudelbach Hieronymus Savonarola und seine Zeit. Aus den Quellen dargestellt, Hamburg 1835. 20 See Tertullian ber die Buße in C. F. Rößler Bibliothek der Kirchen-Vter in Uebersetzungen und Auszgen aus ihren fhrnehmsten, besonders dogmatischen Schriften,

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extract of Cyprian’s work, De opere et eleemosynis, in Rößler’s translation (Von der Gutthtigkeit und Allmosen).21 In time that followed, Kierkegaard read Paul Henry’s work on the life of John Calvin,22 Adolf Müller’s prize theses on the life of Erasmus of Rotterdam,23 Carl Ullmann’s study of the reformers prior to the German and Dutch reformation,24 and Friedrich Galle’s monograph on Melanchthon’s theology.25 Journal NB25, from late November, 1851, to early June, 1852, contains no references to readings. Journal NB26, from early June to late August, 1852, reveals that Kierkegaard was reading French Augustinian theologian and Cartesian philosopher Nicolas Malebranche’s two-volume work (divided into six books), De la recherche de la vrit. O l’on traitte de la nature de l’esprit de l’homme, et de l’usage qu’il en doit faire pour eviter l’erreur dans les sciences (Concerning the Search after Truth. In which is Treated the Nature of the Human Mind and the Use that Must be Made of It to avoid Error in the Sciences),26 a work – published in 1674/75 – that constitutes the foundation for Malebranche’s reputation in the modern period. Aside from a few references to stoicism (Marcus Aurelius and Epictetus), as well as to rhetoric (according to Plato and especially Aristotle), Journal NB26 contains no evidence of further readings at that time. Kierkegaard’s readings seem to have come to a stop; at any rate, there are no signs that he studied books, nor do we find evidence of

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sammt dem Original der Hauptstellen und nçthigen Anmerkungen, vols. 1 – 10, Leipzig 1776 – 1786, here vol. 3, 1777, pp. 73 – 86. See Cyprian Von der Gutthtigkeit und Allmosen in Rößler Bibliothek der KirchenVter, vol. 3, 1777, pp. 212 – 217. Paul Henry Das Leben Johann Calvins des großen Reformators, vols. 1 – 3, Hamburg 1835 – 1844. Adolf Müller Leben des Erasmus von Rotterdam. Mit einleitenden Betrachtungen ber die analoge Entwickelung der Menschheit und des einzelnen Menschen. Eine gekrçnte Preisschrift, Hamburg 1828. Carl Ullmann Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden, vols. 1 – 2, Hamburg 1841 – 1842. Friedrich Galle Versuch einer Charakteristik Melanchthons als Theologen und einer Entwickelung seines Lehrbegriffs, Halle 1840. Nicolas Malebranche Von der Wahrheit, oder von der Natur des menschlichen Geistes und dem Gebrauch seiner Fhigkeiten um Irthmer in Wissenschaften zu vermeiden; sechs Bcher, aus dem franzçsischen bersetzt, und mit Anmerkungen herausgegeben von einem Liebhaber der Weltweisheit, vols. 1 – 4, Halle 1776 – 1780, Ktl. 637 – 640.

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it in Journal NB27, from late August, 1852, to mid-February, 1853, or Journal NB28, from mid-February, 1853, to mid-May, 1854. This brings us to Journal NB29, from May 5 to June 28, 1854, where we find the first evidence of new readings in entry no. 26, from early June, which happens to be the very first reference to Schopenhauer. Let me briefly summarize: according to Journals NB21 to NB24, covering the period from September, 1850, to November, 1851, Kierkegaard seems to have been reading almost constantly. According to Journals NB25 to NB28, covering the period from November, 1851, to May 1854, Kierkegaard seems – with only a few exceptions – not to have done any readings. In this period of intensive reading, Kierkegaard was searching for true expressions of true Christianity, expressed existentially, by individuals. As he did that, he himself was fighting an intense, vivid, and difficult struggle with his own conception of true Christianity. And – as far as I can see – he had to clarify his understanding in the direction of imitation, dying away from the world, suffering, penury, destitution, asceticism, and martyrdom, as the signs of a true Christian existence; in addition, he had to define his notion of a true ethical and religious character as one who is willing to suffer in order to adequately live in accordance with his or her own thought or – to use his favorite concept – to “reduplicate” his or her faith in deeds. According to an entry dated October 13, 1853, Kierkegaard had altered his way of life during the past year and a half, presumably toward an ascetic life in penury – in order to see how much he could bear. And yet it seemed to him that asceticism could easily become sophistic – and thus he felt compelled to again return to grace.27 All this led him toward a deeper, painful theological struggle to comprehend how suffering is related to God’s love. In entry no. 44 in Journal NB26 from June, 1852, entitled “The Two Theses of Christianity,” he writes: “Because you are a sufferer, God loves you,” and “Because you love God, you must suffer.”28 About two months later, he arrives at the conclusion (in entry NB26:107, from August, 1852) that

27 Cf. NB28:54 (JP 6:6843 / SKS 25, 257 – 260). In this entry Kierkegaard decides to give a kind of a narrative status account of his life from the time when he broke the engagement with his former fiancee, Regine Olsen to present. 28 NB26:44 (JP 4:4688 / SKS 25, 49 – 51) [trans. modified].

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suffering is the distinctive mark of a true God-relationship.29 Thus, to be a Christian is to suffer – but to suffer voluntarily! Based on this tour de force through Kierkegaard’s journals from September, 1850, to early June, 1854, we can conclude that Kierkegaard’s Schopenhauer reading was not part of his extensive reading during the period from September, 1850, to November, 1851, but it certainly prepared him for getting into a discussion with Schopenhauer. Now we return to these questions: Why did Kierkegaard begin reading Schopenhauer, and how did he become aware of Schopenhauer?

Kierkegaard’s Spiritual Encounter with Schopenhauer As mentioned above, the first reference to Schopenhauer occurs in entry no. 26 in Journal NB29, written between June 3 – 5, 1854.30 In this entry, Kierkegaard quotes a verse from Goethe cited by Schopenhauer in the second volume of Die Welt als Wille und Vorstellung. 31 Shortly afterward, in entry no. 29 of the same journal,32 Kierkegaard quotes a Heraclitus fragment in Greek, also cited by Schopenhauer in volume two of Die Welt als Wille und Vorstellung. 33 Further on, in entry no. 50 from mid-June,34 Kierkegaard takes note of the five Chinese cardinal virtues: compassion, justice, politeness, wisdom, and sincerity. He does not refer to Schopenhauer but it seems obvious that it is likely that his information originiates from Die beiden Grundprobleme der Ethik, 35 29 Cf. NB26:107 (JP 4:4694 / SKS 25, 103). 30 NB29:26 (JP 4:3872 / SKS 25, 314). 31 Cf. Arthur Schopenhauer Die Welt als Wille und Vorstellung. Zweite, durchgngig verbesserte und sehr vermehrte Auflage, vols. 1 – 2, Leipzig 21844 [1819], here vol. 2, p. 559 (cf. the explanatory note to this entry). 32 Cf. NB29:29 (JP 4:3873 / SKS 25, 316). 33 Cf. Schopenahuer Die Welt als Wille und Vorstellung, vol. 2, p. 584 (cf. the explanatory note to this entry). 34 Cf. NB29:50 (JP 4:4229 / SKS 25, 325). 35 Cf. Arthur Schopenhauer Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften. I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens, gekrçnt von der Kçnigl. Norwegischen Societt der Wissenschaften, zu Drontheim, am 26. Januar 1839. II. Ueber das Fundament der Moral, nicht gekrçnt von der K. Dnischen Societt der Wissenschaften, zu Kopenhagen, den 30. Januar 1840, Frankfurt a.M. 1841, p. 252 (cf. the explanatory note to this entry).

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though it could also be from the second volume of Parerga und Paralipomena. 36 The next direct Schopenhauer reference occurs in entry no. 62, from mid-June, and is entitled “Docendo discimus” (“By teaching others we ourselves learn”),37 a quotation from Seneca, which is cited and discussed by Schopenhauer in Die beiden Grundprobleme der Ethik. 38 In the following entry, no. 63, Kierkegaard states that Schopenhauer “vigorously declaims against treating the morality as Kant did: presenting this ideal you shall, the ideal virtues and obligations, without regard to anyone’s doing it.”39 The title of the entry – “Is Not Moral Philosophy like Astrology, Alchemy, a Science that Concerns Itself with Something That Does Not Exist?” – is clearly a reference to Die beiden Grundprobleme der Ethik. 40 Later on in Journal NB29, in entry no. 91 from about June 20,41 Kierkegaard writes, in Danish, that merchants are the only honest men in this world because they are sufficiently honest to admit that they cheat – and notes that this is an excellent observation by Schopenhauer. This refers to the second volume of Parerga und Paralipomena. 42 In the next entry, no. 92, Kierkegaard briefly refers to Schopenhauer who – like the pseudonyms, but in his own way – rages against the elevated position that women have been given in Protestantism.43 That is likely a reference to Schopenhauer’s essay “Ueber die Weiber,” in vol. 2 of Parerga und Paralipomena. 44 Shortly after this we find the famous journal entry NB29:95, from about June 25, entitled “On Arthur Schopenhauer,” which opens with Schopenhauer’s initials, “A. S.” In the margin, Kierkegaard adds 36 Cf. Arthur Schopenhauer Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, vols. 1 – 2, Berlin 1851, here vol. 2, p. 171 (cf. the explanatory note to this entry). 37 NB29:62 (JP 4:3874 / SKS 25, 331). 38 Cf. Schopenhauer Die beiden Grundprobleme der Ethik, p. 141 (cf. the explanatory note to this entry). 39 NB29:63 (JP 4:3875 / SKS 25, 331) [trans. modified]. 40 Cf. Schopenhauer Die beiden Grundprobleme der Ethik, pp. 119 – 126, 134 – 139, 189 – 199, 206 – 208 (cf. the explanatory notes to this entry). 41 NB29:91 (JP 4:3876 / SKS 25, 349) (cf. the explanatory note to this entry). 42 Cf. Schopenhauer Parerga und Paralipomena, vol. 2, p. 178 (cf. the explanatory note to this entry). 43 Cf. NB29:92 (JP 4:4998 / SKS 25, 349f.). 44 Schopenhauer “Ueber die Weiber” in Parerga und Paralipomena, vol. 2, §§ 362 – 371 in chapter XXVII, pp. 495 – 502.

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the following remark: “Strangely enough, my name is S. A. [the initials for Søren Aabye]. We, too, no doubt stand in an inverse relation to each other.”45 This is the most extensive entry about Schopenhauer, which reveals that, at the time, Kierkegaard must have read Die beiden Grundprobleme der Ethik and Die Welt als Wille und Vorstellung as well as parts of Parerga und Paralipomena. 46 Because this important entry – together with all the other Schopenhauer entries – is quoted in its entirety in German translation in the ‘Anhang’ to this volume, I shall restrict myself to commenting on two passages especially relevant to the issue at hand. Kierkegaard writes: “To repeat, A. S. has interested me very much. And so, of course, also his fate in Germany.” And a little bit later he adds: There can be no doubt that the situation in Germany now – it is easy to see, because the literary hacks and porters, the journalists and two-bit authors have gotten busy with S. – is such that S. is now going to be lugged upstage and acclaimed […].

Although it cannot be proven, it seems obvious to me that Kierkegaard became interested in Schopenhauer’s new fate in Germany because he imagined that a similar thing might happen to him in Denmark. Just like Schopenhauer, Kierkegaard felt that he had been ignored, not least by the influential academics in the rpublique des lettres. This gives rise to the question of how Kierkegaard could possibly know about that situation in Germany. According to my investigation, the answer is that he undoubtedly knew about it from Julius Frauenstädt’s book Briefe ber die Schophenhauer’sche Philosophie, Leipzig 1854, or – at first – from Karl Fortlage’s review of Frauenstädt’s book in the weekly Bltter fr literarische Unterhaltung, no. 12, March 16, 1854.47 From other entries we know that from time to time Kierkegaard did read this important German weekly, which was available at the reading society Athenæum in Copenhagen. When Kierkegaard read Fortlage’s review, we do not know. But if we assume that it took about two weeks to get an issue of Bltter fr literarische Unterhaltung from Leipzig to Copenhagen, it could not have happened before April 1, at the earliest; it might also have been at a later occasion in April. However that may be, what matters is that Kierke45 NB29:95 (JP 4:3877 / SKS 25, 352 – 357) [trans. modified]. 46 See the explanatory notes to this entry. 47 Bltter fr literarische Unterhaltung, volume 1854, part 1 (Jan.-June), Leipzig 1854, pp. 205 – 209.

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gaard seems to have ordered Frauenstädt’s book at the time he became aware of it, and it seems evident that he did indeed receive and read it before June 25.48 In Frauenstädt’s preface, Kierkegaard could read the following about the new turn in Schopenhauer’s fate: Die Schopenhauer’sche Philosophie, nach meiner bereits mehrfach öffentlich ausgesprochenen Ueberzeugung die bedeutendste seit Kant, die nicht sowol in die Reiche der nachkantischen Systeme gehört, als vielmehr ber denselben steht, fängt endlich, nachdem sie über dreißig Jahre lang fast gänzlich ignorirt und, als ob sie gar nicht mitzählte, aus den Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie ausgeschlossen worden war, in der Gegenwart an, die Aufmerksamkeit der Denkenden und Philosophirenden in hohem Grade auf sich zu lenken. Es erscheint jetzt keine geschichtliche Darstellung der neuesten Philosophie mehr, die sich nicht genöthigt sähe, ihr einen bestimmten Platz im nachkantischen Entwickelungsgange der Gedanken anzuweisen, und nicht blos die Lehrbücher haben ihr Schweigen gebrochen, sondern auch die kritischen Journale. Namentlich hat I. H. Fichte in seiner erneuerten “Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik” der Prüfung und Verurtheilung der Schopenhauer’schen Philosophie zwei längere Artikel, einen von Erdmann und einen sich darauf beziehenden von ihm selbst, gewidmet.49

In a note Frauenstädt mentions die geschichtlichen Darstellungen der nachkantischen Philosophie von Fortlage, Noack und Erdmann, sowie auch in I. H. Fichte’s “Die philosophischen Lehren von Recht, Staat und Sitte.”50 48 Julius Frauenstädt Briefe ber die Schophenhauer’sche Philosophie, Leipzig 1854, is registered in Ktl. as no. 515. 49 Frauenstädt Briefe ber die Schophenhauer’sche Philosophie, p. Vf. By the two articles in Fichte’s magazine Frauenstädt refers to J. E. Erdmann “Schopenhauer und Herbart, eine Antithese” and I. H. Fichte “Ein Wort über die ‘Zukunft’ der Philosophie. Als Nachschrift zum vorigen Aufsatze” in Zeitschrift fr Philosophie und philosophische Kritik. Neue Folge, ed. by I. H. Fichte / H. Ulrici / J. U. Wirth, vol. 21, Halle 1852, pp. 209 – 226 and pp. 226 – 241. 50 Frauenstädt Briefe ber die Schophenhauer’sche Philosophie, p. V. Frauenstädt is here referring to the following works: Carl Fortlage Genetische Geschichte der Philosophie seit Kant, Leipzig 1852, where Schopenhauer is dealt with in a separate section, pp. 407 – 423; Ludwig Noack Geschichte der Philosophie in gedrngter Uebersicht. Lehrbuch zum Gebrauche bei akademischen Vorlesungen und zum Selbstunterrichte, Weimar 1853, where Schopenhauer is talked-about in the last paragraph of the book, § 59 “In die Zukunft weisende Versuche einer neuen Grundlegung der Philosophie,” pp. 348f.; J. E. Erdmann Die Entwicklung der deutschen Speculation seit Kant, Part 1 – 2, Leipzig 1848 – 1853 (vols. 3,1 – 2 in Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie); Part 2 (“Zweiter und letzter Theil”), where Schopenhauer’s philosophy, as it is ex-

Historical Introduction

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In the main text, Frauenstädt continues by telling about the extensive article “Iconoclasm in German philosophy” in the April 1853 issue of Westminster Review, which proves that now Schopenhauer’s name has also prevailed abroad.51 In a note, Frauenstädt adds that “die Voß’sche ‘Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen’” has published this English article in a successful, complete German translation entitled “Deutsche Philosophie im Auslande,” provided with notes, a preface and an epilogue by the translator, Dr. O. Lindner.52 Frauenstädt decided to reprint this translation, now entitled “Artikel der ‘Westminster Review’ über die Schopenhauer’sche Philosophie. / (Abdruck aus der Voß’schen Zeitung),” in his book, inserted just before his own text.53 So far so good. But when did Kierkegaard begin reading Schopenhauer? Although I cannot positively prove it, I assume that he began in May, 1854. I have at least two reasons for this assumption: First, Journal NB29, which Kierkegaard began using on May 5, contains only very few entries written during the whole month of May. Secondly, the first references to Schopenhauer in early June are all to volume 2 of Die Welt als Wille und Vorstellung. In short, my hypothesis is that Kierkegaard began reading volume 1 of Die Welt als Wille und Vorstellung in May, 1854, continued reading volume 2 and Die beiden Grundprobleme der Ethik in mid-June, and followed this by reading the two volumes of Parerga und Paralipomena. He returned to a selected reading of Die Welt als Wille und Vorstellung in early and midJuly. After that, there are only four references to Schopenhauer in October, 1854, and one in December of the same year. In the latter, entitled “The Propagation of the Race,” Kierkegaard writes: “Schopenhauer is pressed in Die Welt als Wille und Vorstellung, is copiously treated in the fifth book “Pantheismus, Individualismus und ihre Vermittelung auf kritischer Basis,” § 40 “Schopenhauer,” pp. 381 – 412 (pp. 381 – 384 constitutes a combined biography and bibliography up to 1851), and § 41 “Schlussbemerkung zu Herbart und Schopenhauer,” pp. 412 – 417; and I. H. Fichte System der Ethik, vol. 1, Die philosophischen Lehren von Recht, Staat und Sitte in Deutschland, Frankreich und England, von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Leipzig 1850, Ktl. 510, where Schopenhauer is discussed in chapter VII “Arthur Schopenhauer,” § 169 – 177, in the first book “Die Lehren von Recht, Staat und Sitte in Deutschland von Kant bis zur Gegenwart,” pp. 394 – 415. 51 Frauenstädt Briefe ber die Schophenhauer’sche Philosophie, p. VI. 52 Ibid. 53 Cf. Frauenstädt Briefe ber die Schophenhauer’sche Philosophie, pp. 1 – 31.

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right in saying that every man is born with the fallacious idea that the destiny of this life is to be happy.”54 The reason Kierkegaard began reading Schopenhauer was because both Fortlage’s review and Frauenstädt’s book had made him aware of the sudden change of Schopenhauer’s position: he had moved from having been ignored to being philosophically fashionable; at the same time, Kierkegaard was now prepared to read Schopenhauer and to be genuinely challenged and profoundly affected by him.

Did Schopenhauer influence Kierkegaard? Based on my work writing explanatory notes to Kierkegaard’s Schopenhauer-entries, my answer is: No, Kierkegaard was not influenced by Schopenhauer’s thought – if being influenced means to absorb new ideas and to change and revise one’s own position. On the other hand, Schopenhauer served as a catalyst for Kierkegaard, I would say, helping him to gain a deeper, clearer, sharper and more severe conception of the following: • Christian suffering as voluntary suffering in opposition to suffering as a necessity; • a true ethical and religiously extraordinary character as one who is willing to suffer in order to adequately live in accordance with his or her own thought, to reduplicate his or her faith in deeds; • true asceticism as a religious duty reduplicated in practice in existence, which presupposes a desire of the joyful life – instead of asceticism as abstract ideas in contemplative thinking, which presupposes a cognition or experience of the wretchedness of life; • contemporary Protestantism as unchristian optimism and eudaemonism and thus as a falsification of Christianity; • and misanthropic pessimism as a new and sophistic form of eudaemonism or even of a pleasure characterized by melancholy or spleen. To this, we must add that Kierkegaard regarded Schopenhauer to be “a very significant author”;55 he enjoyed his eminent stylistic ability, and he agreed upon and valued his rude and harsh criticism of Hegel’s philosophy as well as “professor- and university philosophy.” 54 NB35:14 (JP 4:3970 / SKS 26, 376). 55 NB30:12 (JP 4:3881 / SKS 25, 389) [trans. modified].

Sektion I Zwischen Idealismus und Moderne

Resignation. Zu einem Grundmotiv bei Schopenhauer und Kierkegaard Von Jochem Hennigfeld Abstract The concept of resignation has a quite different meaning in both Schopenhauer’s and Kierkegaard’s philosophical expositions: 1. Schopenhauer’s principle is a metaphysical hypothesis; Kierkegaard’s interest is focused on the paradox of belief. 2. For Schopenhauer the move towards resignation presupposes the knowledge of self; yet for Kierkegaard self-knowledge is the outcome of resignation. 3. Schopenhauer accentuates physical asceticism as a condition of resignation; according to Kierkegaard resignation is an (infinite) activity of reflection. 4. In Schopenhauer’s system, complete resignation lies in pure contemplation as a nullification of Self; this is the diametrical opposite of Kierkegaard’s analysis: resignation ends in self-consciousness with all its individual designations.

Im Herbst 1854 notiert Kierkegaard: In gewisser Hinsicht ist es mir fast unbehaglich, daß ich dazu gekommen bin, Schopenhauer zu lesen. Ich habe eine so unbeschreiblich skrupulöse Angst, Ausdrücke und dergleichen von einem andern zu benutzen, ohne das kenntlich zu machen. Aber seine Ausdrücke sind zuweilen mit meinen so verwandt, daß ich schließlich vielleicht aus übertriebener Ängstlichkeit ihm zuschreibe, was doch Meines ist.1

Sollte diese enge Verwandtschaft auch für den Begriff der Resignation gelten? Wenn der direkte Einfluss Schopenhauers auf die von Kierkegaard publizierten Abhandlungen ausgeschlossen werden kann, dann läge es nahe, der gemeinsamen Wurzel dieses Begriffs – etwa in der Tradition des Mittelalters, bei Luther oder in der deutschen Mystik – nachzugehen. Diesen Spuren werde ich hier nicht folgen. Denn – so meine These: Schopenhauer und Kierkegaard geben dem Begriff der Resignation, der in beiden Denkwegen eine wichtige Funktion hat, eine je eigene Be1

NB32:137 (T 5, 307 / SKS 26, 233).

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deutung. Diese Bedeutung erschließt sich nicht im Rückgang auf die Tradition, sondern nur im Zusammenhang der spezifischen anthropologisch-ontologischen Fragestellung. Das werde ich in drei Abschnitten darzulegen versuchen. Zunächst (1.) soll die Funktion der Resignation in Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung (§ 68) in Erinnerung gerufen werden. Der zweite Abschnitt analysiert die einzelnen Schritte der Resignationsbewegung, wie Kierkegaard sie in Furcht und Zittern detailliert vorgetragen hat. Abschließend (3.) werde ich auf Kierkegaards Kritik an Schopenhauers Resignationsbegriff eingehen.

1. Resignation als Verneinung des Willens zum Leben Ausgangspunkt des schopenhauerischen Systems ist eine ontologischmetaphysische Hypothese. Diese Hypothese, die durch einen Analogieschluss aus der Erfahrung der leibhaften Existenz des Menschen gewonnen wird, lautet bekanntlich: Der Wille ist das Ansich-Sein alles Seienden. Diese abstrakte These hat eine ernüchternde Konsequenz für das Verständnis menschlichen Daseins und für das Leben überhaupt. Denn das Wesen des Willens – das legt bereits der Deutsche Idealismus eindringlich dar – ist ein immerwährendes Streben. Das Streben wiederum ist Folge eines Mangels, der nicht dauerhaft befriedigt werden kann. Das aber heißt: Alles Leben ist Leiden. „Das Streben sehn wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also immer als Leiden: kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens.“2 Der tiefste Grund des Leidens liegt im Egoismus alles Lebendigen. Dieser Egoismus ist unvermeidlich, weil der Wille an sich in jedem Individuum ungeteilt vorhanden ist. „Daher will jeder alles für sich, will alles besitzen, wenigstens beherrschen, und was sich ihm widersetzt, möchte er vernichten.“3 Die Besonderheit des Menschen liegt darin, dass er dieses selbstbezügliche Leiden nicht nur lebt, sondern sich auch eigens bewusst machen kann.

2

3

Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 56, 425 (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Smtliche Werke, textkrit. bearb. und hrsg. v. Wolfgang Frhr. v. Löhneysen, 5 Bde., 2. überpr. Aufl., Stuttgart / Frankfurt a.M. 1968). Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 61, 454.

Resignation. Zu einem Grundmotiv bei Schopenhauer und Kierkegaard

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Die damit erreichte Selbsterkenntnis birgt Verhängnis und Versöhnung zumal. Dann nämlich steht der Mensch vor folgender Wahl: Entweder er bejaht trotzdem den Willen zum Leben; d. h. er versucht vergeblich, als Sisyphos glücklich zu werden. Oder aber er verneint den Willen zum Leben; er resigniert. Diese Resignation stellt sich nicht mit einem Schlage ein; vielmehr ist sie ein Prozess, d. h. eine Bewegung zu einem bestimmten Ziel. In diesem Prozess lassen sich verschiedene Momente bzw. Stufungen unterscheiden: 1. Überwindung des Egoismus Der Egoismus ist – wie bereits erwähnt – der Grundtrieb alles Lebendigen. Aber dieser Egoismus kann auf zweifache Art durchbrochen werden: Zum einen durch das Gefhl, nämlich durch Mitleid; zum anderen (und das ist die höhere Stufe) durch eine Einsicht, nämlich durch „die unmittelbare Erkenntnis der Identität des Willens in allen seinen Erscheinungen.“4 Wird auf diese Weise das principium individuationis durchschaut, „dann folgt von selbst, daß ein solcher Mensch, der in allen Wesen sich, sein innerstes und wahres Selbst erkennt, auch die endlosen Leiden alles Lebenden als die seinen betrachten und so den Schmerz der ganzen Welt sich zueignen muß.“5 Ist der täuschende Schein des principium individuationis aufgehoben, dann eröffnet sich die Möglichkeit für die Verwirklichung der Tugenden: für die Gerechtigkeit, für die Güte, für die uneigennützige Liebe.6 Kurzum: Die Überwindung des Egoismus und die resignierende Verneinung des Willens gründen in einer ethischen Existenz. Für das Erreichen des ethischen Standpunktes ist allerdings Folgendes zu beachten: Das so in abstrakt-theoretischer Erkenntnis Dargelegte muss im konkreten Existenzvollzug angeeignet werden. Die Wahrheit der ethischen Lebensführung kann nicht andemonstriert, nicht mitgeteilt werden (jedenfalls nicht direkt). „Die echte Güte der Gesinnung, die uneigennützige Tugend und der reine Edelmut gehn […] nicht von abstrakter Erkenntnis aus, aber doch von Erkenntnis: nämlich von einer unmittelbaren und intuitiven, die nicht wegzuräsonieren und nicht anzuräsonieren ist, von einer Erkenntnis, die, eben weil sie nicht abstrakt ist, sich auch nicht mitteilen läßt, sondern jedem selbst aufgehn muß, die 4 5 6

Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 514. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 515. Vgl. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 514.

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daher ihren eigentlichen adäquaten Ausdruck nicht in Worten findet, sondern ganz allein in Taten, im Handeln, im Lebenslauf des Menschen.“7 Hat ein Mensch diese Einsicht gewonnen, dann wird sie ihm zum Quietiv, d. h. zur Beruhigung des egoistisch drängenden Willens zum Leben. Damit ist eine neue Phase der Resignationsbewegung erreicht. 2. Asketische Lebensführung Askesis versteht Schopenhauer als die „vorstzliche Brechung des Willens durch Versagen des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung zur anhaltenden Mortifikation des Willens.“8 Der Asket begnügt sich nicht mehr damit, Mitleid mit dem anderen Leben zu empfinden; sondern er verneint das Wesen, nämlich den Willen zu leben. Er „hütet sich, seinen Willen an irgend etwas zu hängen, sucht die größte Gleichgültigkeit gegen alle Dinge in sich zu befestigen.“9 Der erste Schritt zur Askese besteht in der Keuschheit, weil dadurch die Weitergabe des Lebens negiert wird. Der nächste Schritt wird in der Armut vollzogen – nicht, um durch den Verzicht auf Eigentum andern zu helfen, sondern um den sich immer wieder regenden Lebenswillen gewaltsam zu unterdrücken. Schließlich äußert sich die Negation des Willens in Fasten und Selbstkasteiung. Um wirklich zu verstehen, was die abstrakte Formel von der ,Verneinung des Willens‘ bedeutet, sollte man nach Schopenhauer die Lebensbeschreibungen der Heiligen und die Schriften der Mystiker studieren. Wem es gelingt, das strikt asketische Leben eines Heiligen zu führen, der hat die höchste Stufe der Resignation erreicht, die 3. Reine Kontemplation Von außen betrachtet, erscheint das Leben in der größten Askese trostund glücklos. In Wahrheit jedoch ist die reine Kontemplation durchstimmt von innerer Freude und Heiterkeit, von tiefer Ruhe und unerschütterlichem Frieden. Eine Ahnung von diesem friedvollen Zustand vermittelt uns die ästhetische Erfahrung, allerdings nur für Augenblicke. Die Freude am Schönen kündet davon, „wie selig das Leben eines

7 8 9

Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 66, 503. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 532. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 517.

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Menschen sein muß, dessen Wille nicht auf Augenblicke wie beim Genuß des Schönen, sondern auf immer beschwichtigt ist“.10 In der reinen Kontemplation ist der Mensch wunsch- und sorgenlos; er ist gleichsam sein Selbst und damit seine Lebensangst losgeworden. Zur Bestätigung beruft sich Schopenhauer auf die französische Mystikerin de la Mothe-Guyon, die gesagt haben soll: „,ich weiß oft nicht, ob ich da bin oder nicht‘“.11 Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch beachtet werden, dass die Kontemplation kein Zustand ist – d. h. kein Bleibendes, das, einmal errungen, endgültige Sicherheit und Ruhe gewährt. Denn solange der Mensch lebt, kann der selbstsüchtige Wille zum Leben wieder erweckt werden. Deshalb gilt auch für den Heiligen, dass er die Kontemplation immer aufs Neue erringen muss. Voraussetzung für den Aufstieg zur reinen Kontemplation ist – wie bereits gesagt – die Einsicht, dass alles Leben von Grund auf Leiden ist. Diese Einsicht kann auf zweierlei Weise erlangt werden: Zum einen aufgrund reiner Erkenntnis; dieser Weg wird nur von sehr wenigen begangen. Es gibt aber – zum anderen – noch eine ,zweite Fahrt‘,12 nämlich die Erfahrung eigenen großen Leidens. Für die meisten gilt, dass der Wille zunächst durch großes Leid gebrochen werden muss, damit das Selbst negiert werden kann. „Dann sehn wir den Menschen, nachdem er […] zum Rande der Verzweiflung gebracht ist, plötzlich in sich gehn, sich und die Welt erkennen […], sich über sich selbst und alles Leiden erheben und […] in unanfechtbarer Ruhe […] willig allem entsagen […] und den Tod freudig empfangen.“13 In diesem Umschwung von äußerster Verzweiflung in unanfechtbare Ruhe liegt nach Schopenhauer auch das Wesen des Tragischen und der Kern der Tragödie: „darin besteht der tragische Geist: er leitet […] zur Resignation hin.“14 Das gilt allerdings nicht – jedenfalls nicht immer – für den tragischen Helden selbst. Vielmehr soll vor allem der Zuschauer zur Resignation aufgefordert werden. „Also Aufforderung zur Abwendung des Willens vom Leben bleibt die wahre Tendenz des Trauerspiels“.15

10 11 12 13 14 15

Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 530. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 531. Vgl. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 533. Schopenhauer Werke (Lç), W I, § 68, 533. Schopenhauer Werke (Lç), W II, Kap. 37, 557. Schopenhauer Werke (Lç), W II, Kap. 37, 559.

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An Schopenhauers Analyse der Resignation ist im Blick auf den anstehenden Vergleich mit Kierkegaard vor allem das Folgende bemerkenswert: 1. Ausgangspunkt ist eine metaphysische Hypothese: Der Wille ist das Ding an sich. 2. Voraussetzung für die Resignation ist die Erkenntnis des eigenen Selbst, das Durchschauen des principium individuationis. 3. Die Resignation ist zuerst und vor allem Askese im Sinne der Unterdrückung leiblicher Bedürfnisse. 4. Das Ziel der Resignation ist die reine Kontemplation, in der das Selbst sich gleichsam auflöst. 5. Der Anstoß zur Resignation kann auch von der Kunst ausgelöst werden – vornehmlich durch die dramatische Form der Tragödie.

2. Die Resignation als Voraussetzung des Glaubens Die Klärung des Verhältnisses von Resignation und Glaube ist das zentrale Thema von Furcht und Zittern. 16 Die systematische Analyse der Resignation führt Kierkegaard allerdings nicht an Abraham vor, sondern an einem fiktiven Beispiel, das – wie so oft bei Kierkegaard – die Welt der Märchen anklingen lässt. Ausgangspunkt ist eine konkrete Existenzsituation: die unglückliche Liebe eines jungen Mannes zu einer jungen Frau (im Beispiel: eine Prinzessin). Wenn diesem jungen Mann nun klar wird, dass diese Liebe unerfüllt bleiben muss, dann kann er zum Ritter der Resignation werden – vorausgesetzt, er besitzt genug Leidenschaft für diesen Sprung in eine unendliche Bewegung.17 Damit diese Resignationsbewegung gelingt, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: 1. Die Leidenschaft des Gefühls „Fürs erste denn wird der Ritter die Kraft haben, den ganzen Inhalt des Lebens und die ganze Bedeutung der Wirklichkeit in einen einzigen 16 Hinweise zur Bedeutung der Resignation in anderen (pseudonymen) Schriften Kierkegaards (vor allem: Entweder / Oder) gibt Wilfried Greve Kierkegaards maieutische Ethik. Von „Entweder / Oder II“ zu den „Stadien“, Frankfurt a.M. 1990, besonders S. 167 – 171, S. 250 – 252. 17 Vgl. FZ, 42 Anm. / SKS 4, 137 Anm.

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Wunsch zu sammeln.“18 Diese Konzentration auf den einen Wunsch hat folgende Konsequenz: Alles, was das Dasein gemeinhin bestimmt und uns besorgt sein lässt – die Besitzverhältnisse, eine bestimmte Bildung, die Stellung innerhalb der Gesellschaft, die Beziehung zu den Mitmenschen usw. – all dies hat überhaupt nur Bedeutung im Blick auf den Wunsch, diese Liebe zu realisieren. „[D]er Inhalt seines ganzen Lebens ist in dieser Liebe beschlossen“.19 Kurzum: aut amor – aut nihil. Wer zu dieser leidenschaftlichen Konzentration des Fühlens nicht gelangt, kann nicht resignieren, sondern verharrt auf dem Standpunkt berechnender Klugheit „wie die Geldleute, die ihr Kapital in allerlei verschiedenen Papieren anlegen, um an dem einen zu gewinnen, wenn sie am andern verlieren“.20 2. Die Leidenschaft des Bewusstseins „Sodann wird der Ritter die Kraft haben, das ganze Ergebnis der Gedankentätigkeit in einem Bewußtseinsakt zu sammeln.“21 Das heißt: Zur leidenschaftlichen Entschlossenheit reicht nicht die äußerste Steigerung des Gefühls. Vielmehr muss sich der zur Resignation Entschlossene klar bewusst sein, dass diese Bewegung ein Abschied von der Vielfalt der Endlichkeit ist. Wer meint, erst noch dieses oder jenes erledigen und besorgen zu müssen, wird nie den Sprung im Augenblick wagen; d. h. er wird nie die Zeitlichkeit überwinden. Zur Resignation gehört eben nicht nur die Konzentrationsfähigkeit des Gefühls, sondern auch das Abstraktionsvermögen des Verstandes, d. h. die Fähigkeit, von der Vielfältigkeit endlicher Bestimmungen abzusehen. 3. Der Gewinn des Selbst Indem der Ritter der unendlichen Resignation das Zeitliche hinter sich lässt, findet er das dem Zeitlichen immer Zugrundeliegende – das, was er bei aller Abstraktion nicht loswerden kann: das Selbst, das konkrete Ich seiner Existenz. Dabei ist entscheidend: Der Resignierende akzeptiert dieses Selbst. Die Leidenschaft des Denkens bewahrt den Ritter der

18 FZ, 42 / SKS 4, 137. 19 FZ, 41 / SKS 4, 136. Zu Recht betont Tilo Wesche: „Damit ist weniger der Verzicht eines partikularen Wunsches als vielmehr die Preisgabe dessen gemeint, worin sich der Inhalt eines ,ganzen Lebens‘ […] zusammenschließt“ (ders. Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003, S. 102). 20 FZ, 43 / SKS 4, 137. 21 FZ, 43 / SKS 4, 137.

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Unendlichkeit vor dem Widerspruch, der darin bestände, „den Inhalt seines ganzen Lebens [zu] vergessen und doch derselbe [zu] bleiben.“22 Derselbe zu bleiben – das bedeutet aber auch: seine Erinnerung zu bewahren – für das Beispiel: die Liebe zu der unerreichbaren Prinzessin. Diese Erinnerung ist ,dialektisch-zweideutig‘. Zum einen ist diese Erinnerung schmerzlich; denn der junge Mann hat auf die Erfüllung seines irdischen Glücks verzichtet. Das ist unmittelbar einsichtig. Zum anderen aber ist der Ritter der Resignation zugleich mit dem Dasein versöhnt. Die Versöhnung wird durch die Resignation auf folgende Weise erlangt: Der Ritter der Unendlichkeit hat eingesehen, dass die Erfüllung seiner Liebe in der Endlichkeit unmöglich ist. Um diese Liebe dennoch zu bewahren – weil sie zu seinem Selbst gehört –, wendet er sie nach innen, er drückt sie geistig aus. Das Geistige aber ist das Allgemeine, das Überzeitliche, folglich das Ewige. So gesehen, ist der Ritter der Resignation Platoniker – im wörtlichen und im übertragenen Sinne. In Kierkegaards Formulierung: „Die Liebe zu jener Prinzeß ist für ihn Ausdruck einer ewigen Liebe geworden […], hat sich in eine Liebe zum ewigen Wesen verklärt, welches die Erfüllung freilich nicht gewährte, aber doch ihn versöhnte in dem ewigen Bewußtsein ihrer Gültigkeit in einer Ewigkeitsgestalt, die keine Wirklichkeit ihm rauben kann.“23 Wer die Bewegung der Resignation vollzogen hat, kann durch ein äußeres Ereignis nicht mehr verunsichert werden – etwa dadurch, dass die Geliebte einen anderen heiratet. Denn der Resignierende hat das Bewusstsein seines ewigen Selbst gewonnen; „wer unendlich resigniert hat, ist sich selber genug.“24 Das heißt: Wer resigniert hat, lässt sich das Gesetz seines Handelns nicht mehr von anderen Menschen oder von äußeren Umständen vorschreiben; sondern er handelt aus Freiheit (im Sinne der Selbstbestimmung). In diesem Sinne hat der Ritter der unendlichen Resignation bei allem Schmerz um den Verlust des Endlichen Frieden und Ruhe gefunden. Soweit kann die Philosophie gelangen. Sie lässt das existierende Selbst gleichsam in der Schwebe. Denn die wirklich vollzogene Resignation bleibt zweideutig – nicht nur, weil Friede und Schmerz miteinander streiten, sondern vor allem, weil das gewonnene Selbst den Widerspruch

22 FZ, 43 / SKS 4, 138. 23 FZ, 44 / SKS 4, 138. 24 FZ, 45 / SKS 4, 139.

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zwischen Zeit und Ewigkeit nicht aufheben kann.25 Deshalb bedarf es der Gegenbewegung zur Resignation; es bedarf der Rückkehr zur Endlichkeit, ohne den in der Resignation gewonnenen Bezug zur Unendlichkeit preiszugeben. Diese Doppelbewegung vollzieht der Ritter des Glaubens. Der Glaubensritter hat in der Resignation sein individuelles Selbst gewonnen; aber nun geht er einen Schritt weiter, indem er dieses Selbst in ein ,absolutes Verhältnis zum Absoluten‘26 setzt. Dazu gelangt der ,nur‘ Resignierende nicht. Diesen Durchbruch vollziehen aber auch nicht der tragische Held und seine Versöhnung des Konflikts. Denn die Tragödie verharrt im Horizont des Ethisch-Allgemeinen. Dem ist hier nicht im Einzelnen nachzugehen. Vielmehr ist zu klären, wie die Analyse Kierkegaards im Vergleich mit Schopenhauers Verständnis von Resignation zu charakterisieren ist. Sicherlich ist zunächst einmal festzustellen, dass es Gemeinsames gibt – z. B. der Hinweis auf die Unmittelbarkeit des Anfangs (also die Resignation als Tat der Freiheit) oder die Betonung der Leidenschaft für den zur Resignation Entschlossenen. Aufschlussreicher ist es jedoch, auf folgende markante Unterschiede hinzuweisen: 1. Während Schopenhauers Analyse auf einer metaphysischen Hypothese gründet, steht in Furcht und Zittern von Anfang an das Paradox des Glaubens im Mittelpunkt. 2. Nach Schopenhauer steht die Erkenntnis des Selbst (als individuelle Erscheinung des Willens zum Leben) am Beginn der Resignationsbewegung. Für Kierkegaard hingegen ist die Erkenntnis und Anerkenntnis des Selbst Resultat der Resignation. 3. Bei Schopenhauer steht die leibliche Erfahrung des Menschen im Vordergrund; Resignation ist für ihn nicht möglich ohne körperliche Askese. Für Kierkegaard dagegen ist die Resignation eine Reflexionsbewegung. Nur in diesem Sinne kann die Resignation eine unendliche Bewegung sein. „Zum Resignieren braucht es keinen

25 In der Krankheit zum Tode subsumiert Kierkegaard „vieles von dem, was in der Welt unter dem Namen der Resignation aufgeputzt wird“ unter die Verzweiflung (des Trotzes). „Die Dialektik der Resignation ist eigentlich folgende: sein ewiges Selbst sein wollen, und so hinsichtlich eines gewissen Etwas, an dem das Selbst leidet, nicht man selbst sein wollen, indem man sich damit tröstet, daß es in der Ewigkeit doch fortfallen müsse, und sich darum für berechtigt hält, es in der Zeitlichkeit nicht auf sich zu nehmen“ (KT, 71 Anm. / SKS 11, 184 Anm.). 26 Vgl. FZ, 59 / SKS 4, 149.

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Glauben, denn was ich in der Resignation gewinne, ist mein ewiges Bewußtsein, und das ist eine rein philosophische Bewegung“.27 4. In Schopenhauers Konzept erreicht die Resignation ihr Ziel in der reinen Kontemplation, in der sich das Selbst gleichsam auflöst. Das ist geradezu der Umsturz von dem, was Kierkegaard anstrebt. Für ihn beschließt sich die Resignation darin, dass sich das Selbst – mit allen seinen Bestimmungen – in voller Klarheit bewusst wird. 5. Die Erfahrung des Tragischen – sei es im Drama, sei es in der Realität – kann nach Schopenhauer Anlass für die Resignation sein. Das würde Kierkegaard sicherlich nicht bestreiten. Aber für ihn bleibt doch der Sinnhorizont der klassischen Tragödie mit dem Mangel behaftet, dass er dem Allgemeinen verpflichtet bleibt und die Kategorie des Einzelnen nicht gewinnt. Abschließend bleibt zu fragen, ob Kierkegaard selbst sich in der von mir beschriebenen Weise von Schopenhauer abgrenzt.

3. Kierkegaards Kritik an der Resignation Schopenhauers In Kierkegaards Auseinandersetzung mit Schopenhauer spielt die Resignation (bzw. die damit zusammenhängenden Begriffe ,Askese‘ und ,Kontemplation‘) eine zentrale Rolle. Mir erscheinen die folgenden fünf Gesichtspunkte besonders bemerkenswert: 1. Schopenhauers Begriff der Askese ist inkonsistent. Wenn das Leben grundsätzlich Leiden ist, dann wird die Askese zum Glücksstreben, zum Eudämonismus.28 Das ist so gemeint: Soll der Begriff ,Askese‘ einen Sinn haben, dann kann Askese doch nicht bedeuten, auf ein Übel zu verzichten. Und weiter: Wenn man in der reinen Kontemplation kaum mehr weiß, ob man noch da ist – die entsprechende Textstelle wurde zitiert –, dann läuft dieser Versuch darauf hinaus, etwas (nämlich das Glück) zu verwirklichen, indem man die Nichtwirklichkeit anstrebt. Soweit das Argument Kierkegaards. In diesem Zusammenhang ist aber noch ein anderer Gesichtspunkt bedeutsam: Wenn man in der Kontemplation nicht mehr recht um seine Existenz weiß, dann strebt man in der Kontemplation ein sthetisches Existenzstadium an, d. h. eine Le27 FZ, 49 / SKS 4, 142. 28 Vgl. NB30:12 u. NB30:12.a (SKS 25, 389f.).

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bensweise, die sich dem ethischen und religiösen Anspruch widersetzt. Dazu passt folgender Eintrag Kierkegaards: „ethischer oder religiöser Charakter zu sein – das ist für ihn [Schopenhauer] gar nicht vorhanden.“29 2. Schopenhauer selbst ist kein Asket. Schopenhauer selbst gesteht, dass er kein Asket in dem von ihm geforderten Sinne ist. Es ist aber immer misslich – so Kierkegaard –, wenn man eine Ethik lehrt, die keine Macht über den Lehrer hat.30 Anders gesagt: „Also er [Schopenhauer] ist nicht selber die durch Askese gewonnene Kontemplation, sondern eine Kontemplation, die sich kontemplierend zu jener Askese verhält.“31 Oder: Da Schopenhauer selbst kein Asket ist, traut er sich die Resignation nicht zu und muss sich selbst – den Erlösungsverkündiger – von der Erlösung ausschließen. 3. Schopenhauer weist der Askese einen bestimmten Platz im System zu. Mit diesem Argument, das mit dem zweiten eng verbunden ist, rückt Kierkegaard Schopenhauers Philosophie in die Reihe idealistischer Systementwürfe, deren Existenzvergessenheit das treibende Motiv des Kierkegaardschen Denkens ist. Indem man auch die Askese in ein System einordnet, macht man sie nämlich zum Teil einer Wesensphilosophie, die sich nur im Bereich des denkbar Möglichen bewegt. „Jetzt rühmt sich einer: er sei der Erste, der ihr [der Askese] den Platz im System anweist. Aber eben dies, daß er sich auf die Art mit der Askese beschäftigt, zeigt ja, daß sie im wahren Sinne für ihn nicht da ist“.32 4. Schopenhauer ist nicht wirklich Pessimist. Der schopenhauerische Pessimismus ist nach Kierkegaard nur eine Reaktion darauf, dass Schopenhauer sein Professorenglück nicht machen konnte. Eine solche Wahl muss sich den Vorwurf gefallen lassen, aus einer bestimmten Situation das Beste gemacht zu haben. So gesehen, ist der Pessimismus ein verkappter Optimismus und die daraus resultierende Resignation keine Tat der Freiheit. Ein echter Pessimist dagegen ist jemand, „der es in seiner Macht gehabt hätte sein Glück zu machen, Anerkennung zu gewinnen – und das dann verschmäht hätte.“33 29 30 31 32 33

NB29:95 (T 5, 199 / SKS 25, 356). Vgl. NB29:95 (T 5, 196 / SKS 25, 354). NB29:95 (T 5, 196 / SKS 25, 354). NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 141). NB32:35 (T 5, 264 / SKS 26, 141).

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5. Schopenhauer gelangt in die Nähe der Sophisten. Schopenhauer wettert gegen die besoldete Professorenzunft. Der Unterschied zwischen Philosophen und Sophisten lässt sich damit jedoch nicht begründen. Das entscheidende Kriterium ist vielmehr dies: „das Sophistische liegt in dem Abstand zwischen dem, was man versteht, und dem, was man ist; der, dessen Wesensart seinem Verstehen nicht entspricht, der ist Sophist.“34 Wenn Schopenhauer fordert, dass die für seine Philosophie notwendige Erkenntnis allein am Handeln zu bemessen ist (vgl. oben 1.1) – wenn er dann selbst dieser Forderung nicht nachkommt, dann muss er sich für Kierkegaard eben den Vorwurf der Sophisterei gefallen lassen. Überblickt man diese Argumente Kierkegaards, dann lässt sich Folgendes festhalten: Zum einen kritisiert Kierkegaard eine unklare Begriffsarbeit (z. B. bei dem Begriff der Askese). Zum anderen kritisiert Kierkegaard das schopenhauerische System von seinem eigenen Standpunkt aus (z. B. Kritik an der ästhetischen Existenz einer reinen Kontemplation). Schließlich aber (und vor allem) kritisiert Kierkegaard die Diskrepanz zwischen der Lehre und der individuellen Existenz Schopenhauers. Diese ,biographische‘ Kritik folgt der bereits in Furcht und Zittern erhobenen horazschen Mahnung „iam tua res agitur“.35 Die Aufforderung zur Rückwendung (Reflexion) auf die eigene Existenz gilt nicht nur für Schopenhauer, sondern für jeden, der es ernst nimmt mit dem Denken.

34 NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 142). 35 FZ, 31 / SKS 4, 128.

Boredom in Schopenhauer and Kierkegaard By George Pattison Abstract Following a survey of the emergence of boredom as a significant trope of modern culture, the paper moves to examine the views of Schopenhauer and Kierkegaard. Schopenhauer is seen to regard boredom as an unavoidable feature of life, resultant on the satisfaction of desire. Its ubiquity is revealed in such diverse phenomena as card. However, those capable of intellectual pleasures will suffer less from boredom than the “philistines” whose highest pleasures are oysters and champagne. Such intellectual endowment (or lack thereof) is, however, dependent on physiological factors outside the individual’s control. Kierkegaard’s approach to boredom is not so much to describe it as to show how it manifests itself in the life of Either/Or’s aesthetes. However, despite the humour of A’s ode to boredom in “The Rotation of Crops” the paper shows that this in fact conceals a basically violent view of human relations, a violence exemplified in “The Diary of the Seducer”. Boredom thus becomes a moral problem and an issue for freedom (in contrast to Schopenhauer). However, The Concept of Anxiety complexifies this situation by describing the entanglement of freedom and unfreedom in the demonic. Yet the Kierkegaardian faith that all things are possible for God offers a prospect of relief from boredom.

1. Modern Boredom According to the late George Harrison, the Beatles saved the world from boredom. If they did, it was only a temporary respite. For a later generation, the Beatles too have become boring. Schopenhauer and Kierkegaard would each have been able to predict this situation for reasons I shall shortly consider, but before coming to them, I should like to begin with a few general comments about boredom. A basic decision we have to make in considering boredom is whether it is essentially a modern phenomenon. In Journal EE, Kierkegaard links the modern ‘spleen,’ often used as a synonym for boredom, with

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the medieval acedia and the deadly sin of tristitia 1 and this kind of transhistorical connection has since then become quite common. Yet the identification of modern boredom with acedia or the tedium vitae (world-weariness) of the classical world is far from obvious. Even within the time-span of modernity, it is far from clear whether the courtly ennui described in the seventeenth century by Pascal, the mid-nineteenth century spleen of the urban fl neur, or the ubiquitous boredom of post1950s teenagers are all manifestations of the same phenomenon. Even a term such as ennui can have complex meanings and alongside the ennui of those whom Pascal described as becoming bored even when they had no reason to be so,2 Racine could put the word in the mouth of Andromache to describe the very real torments of her captivity.3 So what could be the analogy between the temptations of desert hermits and these various forms of modern boredom – none of which share the hermits’ religious context or values? As far as the English language is concerned, Robert Burton’s Anatomy of Melancholy, an encyclopaedic taxonomy of all possible forms of melancholy known to the early seventeenth century, does not use the term and nor, a century later, does Dr. Johnson, whose dictionary defines “to bore” in the sense of boring a hole, or a horse having its muzzle close to the ground – although, famously, he seems to have known people who were ‘tired’ of London and therefore, as he put it, were clearly tired of life and whom we might be tempted to say were clearly bored. The Oxford English Dictionary dates the earliest usages of the noun “a bore,” meaning a boring person, to 1766, and the first two examples it cites indicate the aristocratic provenance of the term. The first is from a letter of the Earl of March, “Augustus Hervey and Lord Cadogan are in a long bore” and the second in a letter from one G. J. Williams, “He sits every night next to Lord Temple, and has a complete bore of it for two hours”. In 1768 the Earl of Carlisle writes “I pity my Newmarket friends, who are to be bored by these Frenchmen” and “I have seen as yet nothing of Florence, therefore shall not bore you”. Of course, words are not everything, and Burton seems to describe some phenomena that are akin to what might later be called boredom, 1 2 3

Cf. Søren Kierkegaard Kierkegaard’s Journals and Notebooks, tr. and ed. Bruce H. Kirmmse et al., Princeton 2008, pp. 39 – 40 (EE, 117). Interestingly, Kierkegaard also says that it is what his father referred to as a ‘quiet despair’. Cf. Blaise Pascal Penses, ed. Zacharie Tourneur, Paris 1938, p. 77. Cf. Jean Racine Andromaque, Act 1, Scene 4.

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as in Part 1, Section 2, Member 2, Subsection 6, where he speaks of how this body of ours, when it is idle and knows not how to bestow itself, macerates and vexeth itself with cares, griefs, false fears, discontents, and suspicions; it tortures and preys upon his own bowels and is never at rest. Thus much I dare boldly say: he or she that is idle, be they of what condition they will, never so rich, so well allied, fortunate, happy, let them have all things in abundance and felicity that heart can wish and desire, all contentment, as long as he or she or they are idle, they shall never be pleased, never well in body and mind, but weary still, sickly still, vexed still, loathing still, weeping, sighing, grieving, suspecting, offended with the world, with every object, wishing themselves gone or dead, or else carried away with some foolish phantasy or other.4

This is a condition which, he immediately adds, is especially characteristic of the upper classes, “for idleness is an appendix to nobility” since the nobility have neither work nor vocation. Words are not everything, but they are something and the identification of a phenomenon by a new vocabulary will impact upon the meaning of that phenomenon itself. Burton’s wretched nobles were as they were and we suppose that few of them had any significant self-consciousness regarding their condition, but by the beginning of the nineteenth century boredom was becoming a recognizable part of the social landscape and, for some, a role to be played or a mask to be worn. Byron anticipates Kierkegaard when he writes in Don Juan XIII.95 that “Society is now one polished horde, /Formed of two mighty tribes, the Bores and Bored”.5 Those who aspired to the novel art of dandyism were careful not to show too much interest in anything they saw, and learned to peer through their lorgnettes in such a way as not to display excessive interest in anything that might be the object of their languid stare. Boredom subtly changed its guise as it travelled around Europe in the wake of those who, like the Earl of Carlisle, anticipated being bored in Florence. As the OED puts it, bore[dom] “is the malady of ennui, supposed to be specifically ‘French,’ as ‘the spleen’ was supposed to be English”. And if, having arrived from France, the English early on proved themselves to be the paradigmatic nation as regards boredom, as Kierkegaard himself commented, the model associated with such figures as Lord Byron and Beau Brummell soon returned to France, where Paris 4 5

Robert Burton The Anatomy of Melancholy, ed. Holbrook Jackson, New York 2001, pp. 243 – 244. Lord George Byron Poetical Works, ed. Frederick Page, Oxford 1970, p. 819.

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would establish itself as the location par excellence for the reincarnation of the dandy as the nineteenth century fl neur (with such exemplary exponent-commentators as Baudelaire). But perhaps boredom found some of its most virtuoso practitioners in Russia, where the eponymous hero of Pushkin’s novel Eugene Onegin is an early doyen of boredom: bored in the capital, bored in the country, bored at his uncle’s death-bed, bored with his friends, bored with himself. Already here a disturbing association between boredom and violence is beginning to emerge: apart from the self-destructive features of his way of life, Onegin’s boredom causes him to insult Lensky in such a way as to lead to the duel in which he will kill his sometime friend. Later nineteenth century Russian literature would develop the association and Dostoevsky’s bored criminals Svidrigailov (Crime and Punishment) and Nikolai Stavrogin (Demons), lead them to rape, murder, and suicide. The link between boredom and crime amongst contemporary teenagers is, of course, a matter of almost daily comment in newspapers, films, and literature – which does not, of course, mean that it is getting any better understood.6 In the course of the nineteenth century boredom not only became firmly linked with crime, it also acquired special associations with the world of the arts, and nineteenth century aestheticism would prove especially productive of boredom and of counter-measures against it. In a Pascalian sense, this might be understood in terms of the power of art to offer a diversion from an underlying sense of there being a lack of meaning in life, although some apologists for art might connect this power to art’s capacity to disclose what is genuinely meaningful and inspiring. It is in the writings of a circle of aesthetes that Kierkegaard makes his most significant contribution to the philosophy of boredom and it is no coincidence that the hero of Alberto Moravia’s novel Boredom is an artist, although (again, not coincidentally) he is an artist who is too bored to paint.7 Lars Svendsen concludes a recent study A Philosophy of Boredom with the thought that “Boredom has to be accepted as an unavoidable fact, as life’s own gravity. This is no grand solution, for the problem of boredom has none.”8 However, my introductory reflections suggest that 6 7 8

On the day I wrote this, I finished the novel Arctic Chill by the Icelandic writer Arnaldur Indridason. The novel deals with the murder of a child by two teenagers motivated solely – as revealed on the last page – by boredom. See Alberto Moravia Boredom, tr. Angus Davidson, New York 1999. Lars Svendsen A Philosophy of Boredom, tr. John Irons, London 2005, p. 154.

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boredom is not a trans-historical or cross-cultural constant. If boredom is “an unavoidable fact” it is a complex fact and has a specific history in the course of which it undergoes a sequence of transformations and acquires a shifting set of connotations. But here we already glimpse a divergence between the differing treatments of boredom that we find in Schopenhauer and Kierkegaard. Schopenhauer, I shall argue, takes boredom as an anthropological constant: it is, in a quite literal sense, a product of human beings’ physiological constitution. Kierkegaard, on the other hand, sees boredom as a phenomenon with a quite specific cultural location and as an essentially moral issue. In this paper I shall show what this difference involves for each of our thinkers and why, in my judgement, Kierkegaard’s is in the end the more interesting and, if I dare say it, therefore also less boring approach. I turn first to Schopenhauer.

2. Boredom in Schopenhauer Schopenhauer touches on boredom at a number of places and what he says about it is characteristically consistent. I shall focus here on two passages, one from The World as Will and Representation and the other from Parerga and Paralipomena. In § 57 of The World as Will and Representation, Schopenhauer turns to the question of how the one will that is the source of all phenomena manifests itself in the individual. The individual life, he says, is constantly vanishing into the past, constantly dying, so that “just as we know our walking to be only a constantly prevented falling, so is the life of our body only a constantly prevented dying, an ever-deferred death”.9 Every feature and detail of our lives is therefore an incessant struggle to maintain what we take to be our selves, our existence as a self-centred will, although, of course, “ultimately death must triumph, for by birth it has already become our lot”.10 In this context, “[w]illing and striving” 9 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 389 (Translation from Arthur Schopenhauer The World as Will and Representation, tr. Eric F. J. Payne, 2 vols., New York 1969, here vol. I, p. 311. All further translations from Die Welt als Wille und Vorstellung are from this edition. Schopenhauer is cited according to the following edition: Arthur Schopenhauer Werke. Zrcher Ausgabe, unter Mitarbeit v. Arthur Hübscher hrsg. v. Angelika Hübscher, 11 Bde., Zürich 1977). 10 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 390 / Payne, vol. I, p. 311.

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are the “whole essence”11 of the human being, and both have the character of ‘an unquenchable thirst,’ i. e., they are a longing for a continuous way of Being that we intrinsically lack. But because the willing, striving self is determined by lack means that it is also a suffering self: lack means pain. On the other hand, if it [the will] lacks objects of willing, because it is at once deprived of them again by too easy a satisfaction, a fearful emptiness and boredom come over it; in other words, its being and its existence itself become an intolerable burden for it. Hence its life swings like a pendulum to and fro between pain and boredom, and these two are in fact its ultimate constituents.12

In this situation the self is now seeking to avoid pain – and finding only boredom; now seeking to avoid boredom – but succeeding only in masking for a while the emptiness of their lives. “Boredom,” Schopenhauer says, is anything but an evil to be thought of lightly; ultimately it depicts on the countenance real despair. It causes beings who love one another as little as men do, to seek one another so much, and thus becomes the source of sociability. From political prudence public measure are taken against it everywhere, as against other universal calamities, since this evil, like its opposite extreme, famine, can drive people to the greatest excesses and anarchy; the people need panes et circenses. The strict penitentiary system of Philadelphia makes mere boredom an instrument of punishment through loneliness and idleness. It is so terrible an instrument that it has brought convicts to suicide.13 Just as need and want are the constant scourge of the people, so is boredom that of the world of fashion. In middle-class life boredom is represented by the Sunday, just as want is represented by the six weekdays.14

The same portrayal of life as a constant oscillation between pain and boredom recurs in Parerga and Paralipomena, when, in I/ii, Schopenhauer reflects “On that which One is”. Here, as in the allusion to solitary confinement as a form of punishment and as in a number of other passages that deal with boredom, Schopenhauer links the question of boredom to that of solitude and the ability – which most people lack – to be alone. Pain and boredom are once more presented as “the 11 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 390 / Payne, vol. I, p. 312. 12 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 390 / Payne, vol. I, p. 312. 13 Elsewhere, Schopenhauer questions the effectiveness of this as a form of punishment, since (a) solitary confinement is by nature invisible and punishment should be public and (b) the person driven by want or desire is unable to imagine the terrors of isolation. 14 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 392 / Payne, vol. I, p. 313.

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two enemies of human happiness,” although they are related in such a way that “in the measure that we succeed in getting away from the one we get close to the other and vice versa, so that our life presents a stronger or weaker oscillation between them”.15 Typically this oscillation is socially stratified such that whilst the struggle with pain and need is typical of the lower classes, “the wealthy and refined (vornehm) world” finds itself engaged in a perpetual struggle against boredom, a struggle that is sometimes “genuinely despairing”. However, “the true source of boredom”16 is rooted in a physiological lack of responsiveness to stimuli, which in turn generates a dullness of spirit that manifests itself in the vacant faces of those who are endlessly in search of external diversions, including every form of sociability, hanging around in doorways, peering from windows, smoking cigars, pursuing pleasure and indulging in every kind of luxury to the point of squandering all one has. The association of sociability, innate dullness, and the flight from boredom also provide Schopenhauer with the occasion for a repellent comment on supposed racial traits of Negro peoples. Schopenhauer’s especial contempt is reserved for card games, “the chief occupation of all social gatherings”. The universal popularity of cards rests on the act that “Because [people] have no thoughts to share they share out cards and try to get money off each other. Oh, deplorable generation!”17 Even if cards can be defended on the grounds that they prepare one for life by teaching the player to make the most of what chance has dealt out, this merely underlines the “demoralizing” feature of cards, since it points to the fact that the chief interest of the game is making a profit at others’ expense. A few pages later Schopenhauer returns to the subject, when considering how most people are unable to take an interest in anything they do not have a personal interest in. Once again, cards seem to offer a way out: “Cards, the ubiquitous preoccupation of ‘good society’ everywhere is to be regarded as one means by which people aim at arousing the will, albeit through such a trivial interest that it can only occasion momentary and light instead of constant and serious pain, and is thus a kind of flick of the whip for the will”.18 But the very triv15 Schopenhauer Werke (ZA), P I, 359 [All translations from Parerga and Paralipomena are my own]. 16 Schopenhauer Werke (ZA), P I, 360. 17 Schopenhauer Werke (ZA), P I, 362. 18 Schopenhauer Werke (ZA), P I, 368.

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iality of what is aimed at in cards and similar diversions, merely exposes those who seek such distractions all the more to boredom since, as we have seen, boredom is itself the almost inevitable result of having achieved what one was seeking. The easier it is to achieve what we want, the more frequently we will succumb to the resultant boredom. We have seen that Schopenhauer is attentive to the possibility of boredom having a physiological basis and, in this essay, he lists the three basic physiological powers that determine whether we are, in fact, capable of being alone without becoming rapidly bored. Over and above the reproductive powers, he identifies irritability and sensibility as especially relevant. The person of an irritable disposition will find outlets for their powers in such activities as walking, jumping, fighting, dancing, riding, athletics, hunting and war, whilst the person of a predominantly sensible nature will find satisfaction in contemplation, thinking, poetry, art, music, learning, reading, meditation, invention and philosophy (“etc.” – as Schopenhauer adds).19 Only the person in whom the sensible nature is highly developed will be able to enjoy their own company without the endless stimulus of something external. Such a person has a ‘second’ life alongside or above his life in the world, an intellectual life that, even if it too has its desires (and therefore its potential frustrations), these are only like courtesans to an old man.20 Moreover, the need involved in such desires is of a kind that it can find its own satisfaction in itself and, the more strongly the intellectual life is developed, the less external stimuli and satisfactions will be needed. “Thus we can only say of such a person that he has his centre of gravity in himself”21 or, in lines he quotes from Oliver Goldsmith, only such a one will be capable of the challenge that “Still to ourselves in ev’ry place consign’d,/ Our own felicity we make or find”.22 From insect collecting to philosophy23 the forms of this intellectual life offer a manifold of gradations and forms, but even in its lowest forms it protects against boredom and its ruinous consequences. Whilst others will quickly come to experience an excess of leisure (which, in any case, life rarely offers much of) as a burden rather than as a liberation, a person of intellectual gifts needs it if he is not to be 19 20 21 22 23

Schopenhauer Werke (ZA), P I, 367. Cf. Schopenhauer Werke (ZA), P I, 370. Schopenhauer Werke (ZA), P I, 372. Schopenhauer Werke (ZA), P I, 363. Cf. Schopenhauer Werke (ZA), P I, 370.

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a “harnessed Pegasus”.24 The one who is fortunate enough not only to have such an intellectual need but also to have the rare opportunity to be freed from the bondage of work comes close to transcending the dialectic of pain and boredom. However, Schopenhauer notes, it is also true that those of intellectual gifts are often physically more vulnerable to pain and, in addition, are likely to arouse the hostility of “normal” people. Here too, then, a law of balance or compensation is in operation and it may, after all, be true that those who are “spiritually limited” are the happiest.25 Both Sophocles and the Old Testament are called to witness to the difficulty of deciding the issue. Yet, in a final flourish, that rhetorically if not in terms of argument seems to resolve the debate, Schopenhauer reminds his readers that those who lack intellectual gifts are what the German language calls ‘Philistines,’ people for whom oysters and champagne are the best that life has to offer.26 Schopenhauer, then, presents an account of boredom that sees it as a trans-historical, cross-cultural phenomenon, as familiar to the Greeks and Hebrews as it is to “we moderns”. Social divisions can affect the appearance of boredom since, on the whole, only the upper classes have the leisure to escape the otherwise endless struggle for survival of which pain is the predominant feature. To this extent Schopenhauer might allow the modern world a distinctive experience of boredom, since the freedom from immediate physical want is more widely diffused in the modern European civilization of his time than generally is the case in history. However, such cultural variations are not, in the end, decisive. The appearance or non-appearance of boredom is more basically a matter of physiological determination. The quantum of energy in the will determines whether or not we decide that the game isn’t worth the candle27 and whether the human puppet keeps moving or falls inert to the ground.28

24 25 26 27 28

Schopenhauer Werke (ZA), P I, 374. Schopenhauer Werke (ZA), P I, 374. Cf. Schopenhauer Werke (ZA), P I, 376. Cf. Schopenhauer Werke (ZA), W II, 419 / Payne, vol. II, p. 358. Cf. Schopenhauer Werke (ZA), W II, 420 / Payne, vol. II, p. 359.

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3. Kierkegaard and Boredom (1) Either/Or At this point I want to leave Schopenhauer and turn to Kierkegaard. In doing so, I shall suggest, we find an account that, despite sharing some salient features with that of Schopenhauer, differs from it in a fundamental way. The reason for this is that whereas Schopenhauer treats boredom as a kind of phenomenon of life, to be described and analyzed, Kierkegaard is doing something essentially different. Although he might look as if he is offering a description of boredom, what he is really doing, I suggest, is examining the rhetoric of boredom or exploring how boredom is performed, i. e., what it means for a person to say of himself that he is bored. In other words, he is not attempting to say what boredom is or what boredom discloses, but why and for what reason a person might wish to depict their own situation as one of boredom.29 Either/Or 1 is a series of aphorisms, essays, reviews and a novella that collectively represent what Kierkegaard called the aesthetic life as expounded by one we only ever get to know by the designation “A”. It is aesthetic in a double sense. On the one hand, its practitioners have a self-conscious relation to the world of art as the sphere in which they are best able to realize their life values. On the other hand, it is aesthetic in the sense that it is lacking an ethical or a religious dimension: it preoccupies itself only with what can appear on the surface of life, with what can be experienced, enjoyed or played with, but refuses any serious commitment to anyone or anything. As such – as becomes clear in Either/Or 2 – we are invited to regard it as essentially immature, a life lived primarily in fantasy and predicated on the refusal of commitment and relationships. Boredom is early on revealed as a chronic feature of how the aesthete experiences life, alleviated only by the occurrence of what A and his circle call “the interesting”. That A himself is prey to boredom is made clear in several of the opening aphorisms entitled “Diapsalmata”. In a subsequent essay, “The Rotation Method: An Essay in the Theory of Social Prudence” he turns this affliction into a virtue. He begins the essay with a clear statement of principle: “that all people are boring,” to which he adds that “boredom is the root of all 29 I shall focus here on Either/Or. However, there is a related critique of boredom in the context of Romanticism in On the Concept of Irony. See CI, 284 – 285 / SKS 1, 319 – 320.

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evil”.30 In the light of this principle he then proceeds to parody the biblical history of the world in a display of literary and humorous virtuosity that merits citation at length: The gods were bored; therefore they created human beings. Adam was bored because he was alone; therefore Eve was created. Since that moment, boredom entered the world and grew in quantity in exact proportion to the growth of population. Adam was bored alone; then Adam and Eve were bored together; then Adam and Eve and Cain and Abel were bored en famille. After that, the population of the world increased and the nations were bored en masse. To amuse themselves, they hit upon the notion of building a tower so high that it would reach the sky. This notion is just as boring as the tower was high and is a terrible demonstration of how boredom had gained the upper hand. Then they were dispersed around the world, just as people now travel abroad, but they continued to be bored. And what consequences this boredom had: humankind stood tall and fell far, first through Eve, then through the Babylonian tower.31

This leads him to further reflections on the role of panes et circenses in delaying the fall of the Roman Empire, on the boringness of democratic institutions and economic prudence. The country’s financial situation is to be improved by economizing. Can anything more boring be imagined? Instead of increasing the debt, they want to pay it off in instalments. From what I know about the political situation, it would be easy for Denmark to borrow fifteen million rix-dollars. Why does no one think of this? Now and then we hear that someone is a genius and does not pay his debts; why should a nation not do the same, provided there is agreement? Borrow fifteen million; use it not to pay off our debts but for public entertainment. Let us celebrate the millennium with fun and games. Just as there are currently boxes everywhere for contributions of money, there should be bowls everywhere filled with money. Everything would be free: the theatre would be free, prostitutes would be free, rides to the Deer Park would be free, funerals would be free, one’s funeral eulogy would be free. I say “free,” for if money is always available, everything is free in a way.32

Once this plan is put into effect, Copenhagen will become a second Athens as all the world’s dancers, actors, and rich will move there, including the Shah of Persia, whom A proposes to kidnap and hold to ran-

30 EO1, 285 / SKS 2, 275. 31 EO1, 286 / SKS 2, 276. 32 EO1, 286 – 287 / SKS 2, 276 – 277.

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som, which will help keep funds in circulation.33After several further flourishes, he closes his peroration with some remarks about sociability as merely a mask over human beings’ basically aggressive and hostile relations to each other. This is almost an aside, but it has significant implications to which I shall return later. Returning to first principles, A follows Byron in making an important subdivision between the kind of bore “who bores others” and the kind who primarily “bores himself”. This distinction is immediately worked out in social terms and in such a way as to recall what we have heard from Schopenhauer, albeit with a certain qualification. Those who bore others are “the plebians, the crowd, the endless train of humanity in general; those who bore themselves are the chosen ones, the nobility”.34 To which he adds the “remarkable” observation “that those who do not bore themselves generally bore others,” whilst it may be said of those who bore themselves that the more they bore themselves “the more potent the medium of diversion they offer others, also when the boredom reaches its maximum, since they either die of boredom (the passive category) or shoot themselves out of curiosity (the active category).”35 It is with regard to this second, aristocratic form of boredom that the English, according to A, are the paradigmatic nation.36 The “rotation of crops” alluded to in the title of the essay is A’s contribution to overcoming boredom (until such time as his cunning plan can be put into effect). Basically it means living in such a way as to avoid doing the same thing twice, or, more precisely, not doing the same thing twice in the same way, something one can achieve by the manipulation of our capacities for remembering and forgetting. A further implication of the method is that one avoids friendship, marriage and a job for these might restrain a practitioner from what is most essential in resisting boredom: arbitrariness. Arbitrariness is the whole secret. It is popularly believed that there is no art to being arbitrary, and yet it takes profound study to be arbitrary in such a way that a person does not himself run wild in it but himself has pleasure from it. One does not enjoy the immediate object but something else that 33 I do not know whether Moravia read Kierkegaard, but it is striking that his hero of boredom is likewise an artist and also offers a short retelling of the biblical narrative as a narrative set in motion by boredom (See Moravia Boredom, p. 8). 34 EO1, 288 / SKS 2, 278. 35 EO1, 289 / SKS 2, 278. 36 Cf. EO1, 290 / SKS 2, 279.

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one arbitrarily introduces. One sees the middle of a play; one reads the third section of a book. One thereby has enjoyment quite different from that which the author so kindly intended. One enjoys something totally accidental; one considers the whole of existence from this standpoint; one lets reality run aground on this.37

As I indicated earlier, we may not simply take this as Kierkegaard’s view of boredom. A is often referred to as a pseudonym, but, more straightforwardly, he is simply a fictional character. What Kierkegaard shows us, then, is not boredom but the performance of a certain attitude towards boredom, the attitude, namely, of one who wishes always to have laughter on his side and to avoid the fate of being lumped together with the boring mass of humanity, the plebeians, one who, as A puts it, is bored by himself but in such a way as to entertain others. Of course, A’s is not the only view on the matter. We also have the opposing testimony of Assessor Vilhelm. However, it is an interesting quirk of the secondary literature, especially in the latter half of the twentieth century, that from Walter Lowrie38 to Roger Poole39 to Joakim Garff 40 the Assessor is either explicitly said to be boring or is described in terms that point to the suitability of such an epithet.41 Whilst this view is already found in some contemporary responses, others, e. g. H. P. Koefoed-Hansen and J. L. Heiberg, state a clear preference for the Assessor.42 Christoph Schrempf too suggests that A’s exceptional gifts appear to be somewhat over-rated and that the tendency to praise A’s genius at B’s expense is partially the fault of the Assessor himself, since he begins the tradition of praising A in terms that are not, in fact, justified by A’s own papers.43 The important point, however, is that whatever we make of the Assessor, his presence in the overall dialogical structure of Either/Or pre-empts any kind of monological read37 EO1, 299 / SKS 2, 288. 38 Cf. Walter Lowrie “Translator’s Preface” to Søren Kierkegaard Either/Or II, Princeton 1971, p. x. 39 Cf. Roger Poole “Reading Either – Or for the Very First Time” in The New Kierkegaard, ed. by Elsebet Jegstrup, Bloomington 2004, p. 44. 40 Cf. Joakim Garff “Den Søvnløse”. Kierkegaard laest aestetisk, biografisk, Copenhagen 1995, p. 93. 41 Cf. Lowrie “Translator’s Preface” to Kierkegaard Either/Or II, p. x. 42 See my Kierkegaard, Religion, and the Nineteenth-Century Crisis of Culture, Cambridge 2002, pp. 137 – 153 for discussion of these and other contemporary responses to Either/Or. 43 Cf. Christoph Schrempf “Nachwort” to Søren Kierkegaard Entweder/Oder II, Jena 1922, p. 317.

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ing that takes what A says at face value, which, of course, includes what A says about boredom. And, to repeat, the important point here is not what A says about boredom, but what A is saying, i. e., performing, in his discourse on boredom. What, then, is Kierkegaard showing us in the cult of boredom as practised by A and his associates? In the first instance, he seems to be showing the emptiness of the aesthetes’ lives and of the stratagems by which they seek to justify themselves in living as they do. In pursuing this aim Kierkegaard uses what Nietzsche will call a genealogical method. This can, however, be taken in two senses. The first would be to imagine that Kierkegaard is showing us how the aesthetes are engaged in a more or less unconscious strategy of avoidance of fundamental existential decisions. In this perspective, even their celebration of boredom is an – admittedly paradoxical – way of averting their gaze from the reality of boredom. If this is so, then the aesthetes could be ‘cured’ in a manner analogous to the way in which a patient is cured through psycho-therapy, i. e. by being enabled to gain insight into the ‘real’ causes of their dis-ease. However, that is perhaps already to give to much credence to the idea that what A is presenting is something like a straightforward account of the phenomenon of boredom. Looked at from a rhetorical or performative point of view, the representation of boredom found in Either/Or 1 is not a piece of inadequate introspection and may, in fact, not have anything directly to do with their experiences of boredom. In this perspective, boredom is not a psychological state to be described, but a rhetorical trope to be deployed for certain aims and deployed in such a way as to conceal those aims from the scrutiny of others. In “The Seducer’s Diary” that immediately follows “The Rotation Method,” Kierkegaard offers us a portrait of Johannes the Seducer, a man devoted, as his title suggests, to the art of seduction. But Johannes is no Don Juan, who seduces by the sheer force of sensuality. He does not sweep the girls off their feet, but – and this is precisely what he finds “interesting” in seduction – the campaign, the strategy, of which words are the decisive instrument. And words, for Johannes, rarely mean what they say. Nor is this simply in the sense that he tells girls he loves them when he does not (although he is guilty of this too). It is also a matter of entirely devious tactics, as when he sits and chats – boringly – with Cordelia’s aunt (Cordelia being the girl whose seduction the diary plots) about household trivia. Yet these are not at all what really concern him. In other words, Johannes does not merely equivocate and lie, he

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speaks to distract – in a saying Kierkegaard will use several times in his authorship “men speak only to conceal the mind”. And what do his words distract those around him from – the essential violence of his behaviour towards them. Something similar, I suggest, is going on in the case of boredom. Whether or not the aesthetes are really bored is not necessarily the main issue. What they say about boredom is not intended as psychological description but as a charge levelled against the society in which they live but in whose life they do not care to participate. It is, to resort once more to Nietzsche, an act of valuation: to say ‘I am bored’ is not to report an inner state but is to say “This task, this society, this world is not worth my attention or engagement”. It is a critical weapon in a campaign that is not merely an attempt to fill a void, but is rather the prosecution of a policy of egoism that cannot negate the resistance of the external world by sheer force. In the last of the “Diapsalmata” A expresses his view that the highest gift of the gods is always to have the laughter on his side. Boredom, I suggest, serves him in the deployment of this gift. It is a means not simply to make the other ridiculous, but to dehumanize him, to make his interests, his values, appear beneath consideration. It is to say that the other can have no significant ethical claim on me. In these terms it is always a form of verbal violence that is likely also to be found in proximity to actual violence. This may seem to be something of a leap from A’s hilarious worldhistory and political economy of boredom, but recall again the aside with which he ended the first part of his discourse: “There is so much talk about man’s being a social animal, but basically he is a beast of prey, something that can be ascertained not only by looking at his teeth. Therefore, all this chatter about sociality and community is partly inherited hypocrisy and partly studied perfidy.”44 Although this appears almost as a non sequitur, it can, I think, be read as a significant comment on what has gone before. The universal distribution of money, turning Copenhagen into an entertainment centre, and all that flows from that is essentially a means of distracting people from the reality of their relations to one another, and this reality is essentially violent. It is in the light of this view too that we might read the comment that those who are bored with themselves will chiefly entertain others by dying or committing suicide. 44 EO1, 288 / SKS 2, 278.

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Superficially, we might conclude that A is offering us some kind of alternative to the war of all against all. However, weighing his actual proposals (a boring thing to do, of course), the charge of violence itself serves to justify him in absolving himself from significant obligations to others. The others, all others (except for the few companions in the fellowship of buried lives): the plebeians, humanity in general, are violent – therefore one has no obligations towards them: neither friendship, nor love, nor collaboration in common social tasks. This is not a programme for overt violence, of course. It is more a case of what we now call “passive aggression”. Nevertheless, by the way in which it fosters a deliberate contempt for others, it removes the moral and social constraints that inhibit actual violence. “The Seducer’s Diary” that immediately follows “The Rotation of Crops” gives one example of how it might function as an apologia for violent relationships. Everything the Seducer does with and to Cordelia is justified by the boringness of her bourgeois background and the ‘interesting’ nature of the experiences to which the Seducer leads her. Of course, the charge that social relations are basically violent is not itself to be taken at face value. On the reading I am proposing, it is itself a matter of projection. Society is portrayed as violent in order precisely to justify the violence, passive or aggressive, of those who, under the mask of boredom, have disengaged themselves from it. But note the difference here from the standard view of the relationship between boredom and violence, namely, that (for example) alienated youth commit acts of violence in order to alleviate their boredom. Here boredom plays the part of a cause or, at least, a conditioning factor in the genesis of violence. On the view I am proposing the description of oneself or one’s society as bored is already motivated by a violent orientation towards the world. To pass judgement on the world as being, simply, boring is to remove from it the moral right of self-defence. The one who bears the label “boring” is scarcely worthy of the rights and dignities of civil society. Are declarations of boredom therefore manifestoes of immoralism? Should boredom be banned – or at least be made the object of moral disapprobation? If, on Schopenhauer’s view, there is not much one can do about boredom unless one is fortunate enough to have a level of physiological sensibility that enables one to develop the kind of intellectual life that is alone capable of delivering us from it, the argument I have been developing seems to invite a visit from Assessor Vilhelm with

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a summons to the bored to snap out of it and change their lives. Is that, then, what Kierkegaard is saying: either/or – make up your mind?

4. Kierkegaard and Boredom (2) The Concept of Anxiety That the matter is rather more complex is indicated by the further comments that Kierkegaard, this time writing under the pseudonym Vigilius Haufniensis, gives us in The Concept of Anxiety. These are found in the section dealing with “Anxiety about the Good,” sub-titled “The Demonic”. The phenomena of anxiety with which this section deals relate to those who are already “in sin”. But amongst those who are ‘in sin’ there is an important division between those who, in sin, are anxious about the evil and those who, in sin, are anxious about the good. As regards the former, we might think of such examples as the liar who is anxious that he will lie again or the killer who is anxious that he will kill again. Yet, “viewed from a higher standpoint” this reveals the good: it is precisely the goodness in the person that is still able to make them anxious about committing further wrong acts. Those who are anxious about the good are, however, “demonic,” where “the good” “signifies the restoration of freedom, redemption, salvation, or whatever one would call it”.45 Three alternative approaches to the demonic are then listed: the aesthetic-metaphysical, which regards it as a kind of fate suffered by the demonic person to whom we should therefore be essentially compassionate; the ethical, where being possessed is the moral fault of the one concerned who therefore calls for punishment; and the medical-therapeutic, where it is to be treated as a physical illness. These are not necessarily exclusive, and Vigilius comments that this division shows that the demonic does indeed belong in all three spheres: the somatic, the psychic, and the pneumatic. Getting more specific, Vigilius goes back to the question of the relation to the good. Whereas in the prelapsarian state of innocence freedom did not yet exist as such but merely as a possibility, the demonic person is someone who has lost their freedom, who is in a state of unfreedom – yet, both like and yet radically unlike the innocent person, retains a defining relation to the possibility of freedom, a possibility it is constantly resisting. This resistance takes the form of what Vigilius fa45 CA, 119 / SKS 4, 421.

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mously calls “inclosing reserve”. Whereas freedom is essentially open and communicative, the demonic person resists disclosure, and it will only be involuntarily disclosed by a word, a facial expression, an accusing or imploring glance or perhaps by projecting the demoniac’s own condition onto another, “as when an insane man betrays his insanity by pointing to another, saying […] he is no doubt insane”.46 Vigilius calls this “ventriloquism” and it is what I have suggested may be going on in the case of A’s accusation concerning the essential violence of human social relations. In any case, since the flow of communication is what gives continuity to life, the involuntary self-communication of the demonic has an essential quality of suddenness, lacking connection with what has gone before or the context in which the communication is being made. We may think of A’s valorization of arbitrariness here and, indeed, the next specification Vigilius makes is that “the demonic is the contentless, the boring.”47 If inclosing reserve is the form, the content of a demonic existence is, essentially, nothing, it is “the negative” (as long as this term is not burdened with the associations it has derived from “the most recent philosophy”48). Lacking content, the demonic is therefore unmasked not as terrible in a Satanic sense but, simply, as boring. The demoniac has nothing to say, nothing that gives his life an aim, a purpose, or any kind of fulfilment. The demoniac is unfree, unable to be himself. Yet he is nevertheless not without a certain and even essential relation to freedom. If freedom is integral to human identity, even a demoniac cannot be without some relation to freedom. He is therefore in a state of unfreedom but, qua human, is what and as he is by virtue of his relation to freedom: he is, we may say, a prototype of the Sartrean individual, condemned to a freedom he is unable ever to realize. But what, more precisely, is the demoniac’s relation to the freedom he is unable to realize, this impossible possibility? Vigilius considers two basic ways in which freedom may be lost. The first, freedom lost somatically-psychically, reveals itself in the dissociation of the body from the psyche and spirit. Instead of being the organ by which psyche and spirit express themselves, the body comes to dominate mind and spirit, as in cases of “hypersensibility and […] hy46 CA, 129 / SKS 4, 430. 47 CA, 132 / SKS 4, 433. 48 CA, 134 / SKS 4, 435.

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perirritability, neurasthenia, hysteria, hypochondria, etc.”49 which characteristically heighten the need for sociability and in such a way that “sociability in itself furnishes an assurance that the demonic is present”50 (a remark that, once more, makes us think of Schopenhauer and his association of boredom and sociability). More important, from Vigilius’ point of view, is freedom lost pneumatically. His account of this leads to some general remarks about the age as a whole and then onto a eulogy of certitude, inwardness, and seriousness – all of which are, of course, typically lacking in the modern world. Fundamental to this lack is the absence of an appropriate relation to the eternal. But Vigilius’ treatment does not offer an account of how freedom is lost in the sense of offering a causal explanation, as he might have seemed to promise. In any case, since he had already established that sin enters the world through a leap, any expectation that this was what he was about to give would obviously be misplaced. Instead he is giving us more of a portrait of what the loss of freedom looks like when it is viewed in the perspective of its psycho-somatic and pneumatic manifestations. Undoubtedly there are a great many extraordinarily condensed insights in this section, seeds of what subsequent existentialist writers would explore at much greater length. But what is important in the present context is that the situation being described, i. e., the psychological state that Vigilius calls the demonic and that he regards as essentially boring, is in all its phenomena a mixture of freedom and unfreedom. The demoniac lacks freedom, but simply to treat him under the rubric of this lack would be to reduce him to the status of animal life. As a human being, he is also, somehow, in a certain relation to freedom: he has the possibility of being or becoming the freedom that he is and, according to Kierkegaard, this also means that his life is “religiously planned,” that it is what it is by virtue of his relation to the eternal. This issues in the paradox that, unfree as he is, he is nevertheless responsible for his lack of freedom. In terms of this paradox, it follows that it is not ultimately appropriate merely to reproach the demoniac – who, remember, is also the essential exemplar of boredom – in purely moral terms and call on him to be otherwise. Such a moral or ethical demand (which many commentators ascribe to Assessor Vilhelm but which, I have suggested, is open to debate) will never be enough to break open the silence of inclosing reserve. The person who exercises their 49 CA, 136 / SKS 4, 437. 50 CA, 137 / SKS 4, 438.

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freedom in choosing to be bored achieves no more than self-parody, for boredom is precisely a manifestation of the absence of freedom. The person who sees the social world merely in terms of a war of all against all and who can only protect himself by excepting himself from the generality of humanity will not be won back by appeals to the common interest. Moral freedom may be the goal, but it cannot be the means because it is precisely this which has been lost, repressed, or disavowed. In this regard, Schopenhauer and Kierkegaard may be in agreement. But Kierkegaard does not, of course, stop there. The person who is incapable of hearing the moral demand is nevertheless a person who, as the object of God’s love, is destined for salvation, whose true being consists in how they are seen by the God who is love. Neither the Beatles nor we ourselves can save ourselves from boredom. But Kierkegaard’s testimony is surely that what is impossible for human beings is possible for the God for whom all things are possible. In all seriousness, love can save the world from boredom – love, and only love.

Das verlorene Paradies: Schopenhauer, Kierkegaard und die religiöse Wurzel der industriellen Moderne. Von Claus-Artur Scheier* Abstract This paper focuses on Kierkegaard’s thought within the context of the functional language of early industrial modernity. Mediated by Feuerbachs original you (Du), Schopenhauers nothing (Nichts) is translated into divine productivity and, as such, revoked. In view of this, the (meta)physical process of the reproduction of nature and, along with it, the reproductive I-You-relationship, i. e. “procreation”, prove to be tabu. The Concept of Anxiety thus evolves 1. as a deduction from Schopenhauer’s concept of guilt; 2. as a genealogy of the modern concept of reproduction and; 3. as a philosophical prelude to Freud’s concept of tabu. Kierkegaard, historically positioned in the context of post-Hegelian philosophy, marks the first radical aporia of modernity.

Wohl keiner der exemplarischen Denker der vergangenen zweihundert Jahre hat größere Mühe gehabt, zur Sache seines Gedankens zu kommen und sie festzuhalten, als Heidegger.1 So war er immer wieder gezwungen, anderes Denken zu paralysieren, abzustoßen, zu proskribieren, zuletzt unter dem Titel der „Metaphysik“ als das „rechnende“ oder technische Denken die gesamte Tradition von den frühgriechischen Anfängen bis in die eigne Gegenwart. Mit den Modernen schien es damit, von Schopenhauer angefangen, keine Not zu haben, zwei Denker ausgenommen: *

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Eine frühere Fassung dieses Beitrags ist unter dem Titel „Die Angst im Paradies – Zu Kierkegaards Theologie der industriellen Moderne“ erschienen in Fenster. Zeitschrift fr Zeichen und Wirkung, Bd. 1/III-IV (In memoriam Dirk Röller), Lüneburg 2009, S. 103 – 116. Gerd Jansen als Herausgeber sei herzlich für die Erlaubnis zur Weiterbearbeitung gedankt. Das Scheitern freilich signalisiert den Heroismus des heideggerschen Denkens: „jede Philosophie scheitert, das gehört zu ihrem Begriff“ (Martin Heidegger Schellings Abhandlung ber das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), hrsg. v. Hildegard Feick, Tübingen 1971, S. 118), denn: „Wer groß denkt, muß groß irren“ (ders. Aus der Erfahrung des Denkens, Pfullingen 21965 [1954], S. 17).

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Kierkegaard und Nietzsche. Nietzsche wurde zum zweiten großen Widerpart nach Husserl, im Unterschied zu Kierkegaard eine späte Entdeckung. Wie tief hingegen schon Sein und Zeit Kierkegaard verpflichtet ist – und nicht nur mit dem Existenzial Angst –, kann keinem Leser beider Denker verborgen bleiben. Hier drohte geradezu die Möglichkeit einer Kontinuität ursprünglichen Denkens, das unakzeptierbare Paradox einer entsprungenen Ursprünglichkeit. Schon in Sein und Zeit heißt es, Kierkegaard stehe „in ontologischer Hinsicht ganz unter der Botmäßigkeit Hegels“ und es sei „von seinen ,erbaulichen‘ Schriften mehr zu lernen als von den theoretischen“, immerhin: „– die Abhandlung über den Begriff der Angst ausgenommen“,2 aber noch diesen Rest nehmen die Holzwege zurück: „Kierkegaard ist kein Denker, sondern ein religiöser Schriftsteller“, freilich: „nicht einer unter anderen, sondern der einzige dem Geschick seines Zeitalters gemäße“.3 Das darf man immer noch auf den Begriff Angst beziehen, den Heidegger allererst gedacht hätte – das Übrige wäre repetierte hegelsche Metaphysik. Wir haben gelernt, anders zu sehen. Die Moderne denkt genau dort, wo sie sich, seit Schopenhauer, von aller „Botmäßigkeit“ der Metaphysik frei zu machen weiß. Kierkegaard steht weder religiös noch philosophisch unter irgendeiner Botmäßigkeit, geschweige der Hegels: das zu meinen hieße vorab Hegel verkennen. Und wie will man in einem Jahrhundert, in dem alle Grenzen sich verschieben, das Religiöse reinlich scheiden vom Philosophischen? Bestimmt sich, was Philosophie heißt, nicht länger von einer traditionellen Disziplin, sondern allein von der Sache her, und ist diese Sache mit Heidegger selber gesprochen das „Geschick“ des Zeitalters,4 dann ist der religiöse Schriftsteller, bei dem diese Bestimmung auf einzigartige Weise zur Sprache kommt, allerdings ein Denker, wiewohl eben kein metaphysischer, näher, wenn das Geschick seines Zeitalters dies ist, die nicht mehr metaphysische Moderne zu sein, ein moderner Denker, und wenn er als dieser gar „der einzige“ religiöse Schriftsteller seines Zeitalters ist, dann macht er innerhalb der Moderne und für deren Denken einen unhintergehbaren Unterschied.

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Martin Heidegger Sein und Zeit, Halle a.d.S. 1927, S. 235 Anm. Martin Heidegger „Nietzsches Wort ,Gott ist tot‘“ in ders. Holzwege, Frankfurt a.M. 1950, S. 209 – 268, hier S. 230. Seine tektonische Abtreppung heißt: Bestimmung – Sache – Denken. Vgl. Martin Heidegger Zur Bestimmung der Sache des Denkens, hrsg. v. Hermann Heidegger, St. Gallen 1984.

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Unbenommen bleibt dem Leser, sich mit Kierkegaard in religiöser Absicht nicht-philosophisch zu beschäftigen, erbauen kann man sich gewiss bei diesem Autor zahlreicher „erbaulicher Reden“, die anders als noch die Erbaulichkeit des 18. Jahrhunderts keinen Halt mehr suchen an der natürlichen Theologie. Man hat es jedenfalls mit radikal modernem Bauzeug zu tun. Auf dieses und seine Herkunft sei hier geachtet und „Kierkegaard“ als Instanz des Denkens der (industriellen) Moderne genommen, die er unmittelbar schon dadurch austrägt, dass er eine neue Möglichkeit von Christentum andenkt, ein Christentum ohne Gemeinde, des uneinholbar einsamen und einsam mit sich rechtenden Einzelnen – Kierkegaard ist der erste, der anstelle der traditionellen philosophischen Begriffe und religiösen Formeln Konzepte entwickelt, die genau das vorwegnehmen, was Sein und Zeit Existenzialien nennen wird.5 Wie wurden sie nötig? Kierkegaards Gott, das Ur-Du, aus der Gegenwart des Einzelnen ins selber wiederum entzogene „religiöse Stadium“ entzogen, ist gewiss gedacht als Schöpfergott (aber nicht länger onto-theo-logisch wie noch im deutschen Idealismus): „das Gebären (det at føde) gehört ja dem Gott an“6 – was auch dann noch, wenn man die Wendung zu einer poetischen Lizenz oder bloßen faÅon de parler herabstufen will, merkwürdig genug bleibt. Jedenfalls verweist es auf einen Entzug göttlicher Präsenz und Gegenwart, der Gott nurmehr im „absoluten Paradox“ denken lässt,7 nicht mehr im Horizont der vormaligen natürlichen Vernunft und der ihr eignen Offenbarung, wie Schelling sie zuletzt in seinen Berliner Vorlesungen ins System einer „positiven“ Philosophie versammelt hatte. Zweifelsohne: Im Namen Gottes denkt auch Kierkegaard den Ursprung der Produktivität, aber es ist ihm nicht mehr um diejenige Produktivität zu tun, die die Meta-Physik an ihrer physis hatte. Als 1835 die erste deutsche Dampfeisenbahnstrecke eröffnet wurde, waren die Staaten Mitteleuropas bereits unwiderruflich auf dem Weg von der Manufaktur zur Industrie,8 und mit dieser rapiden Transformation der Lebenswelt9 5

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Heidegger Sein und Zeit, S. 44: „Alle Explikate, die der Analytik des Daseins entspringen, sind gewonnen im Hinblick auf seine Existenzstruktur. Weil sie sich aus der Existenzialität bestimmen, nennen wir die Seinscharaktere des Daseins Existenzialien. Sie sind scharf zu trennen von den Seinsbestimmungen des nicht daseinsmäßigen Seienden, die wir Kategorien nennen.“ Das ist durchaus im Sinn Kierkegaards unterschieden. PB, 9 / SKS 4, 220; vgl. PB, 29 / SKS 4, 237 [Übers. durchgehend v. Verf.]. PB, 34 – 36 / SKS 4, 242 – 244. 1850 betrug das Eisenbahnnetz 38000 km, 1880 bereits 371000 km.

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von der handwerklichen zur technischen Produktion war auch die Metaphysik zu einem von den Kräften der Restauration vorerst freilich noch krampfhaft festgehaltenen Vergangenen geworden. Der hellwache Leser (und Feuerbach-Leser) Kierkegaard war dessen von Anfang an inne, bereits seine Dissertation über den Begriff Ironie legt davon beredtes Zeugnis ab. Mit der Erfindung und Nutzung der Motoren schien der Mensch sich die Prärogative des primus motor oder Gottes zugeeignet zu haben: Zwar vermochte er nicht wie dieser die Natur zu schaffen, aber sie war ihm auch nicht länger Ursprung seiner eignen Produktion, nurmehr deren Material.10 Wie stellt sich also im Unterschied zur althergebrachten handwerklich-manufakturiellen Produktion das Produktionsverhältnis überhaupt dar im sich öffnenden Horizont der industriellen Moderne? In den frühen Kulturen wird die Produktion erzhlt (Mythos), in der Zeit der Metaphysik wird sie angeschaut (Logos), in der Moderne wird sie entworfen (Syntax, Konstruktion, Modell). Der epochale Unterschied, um den es, aufmerksam auf Kierkegaards Rede vom gebärenden Gott, zu tun ist, ist dieser: Handarbeit :: maschinelle Produktion In der metaphysischen Epoche der Handarbeit sind Produzent und Produkt durch die Mitte der produktiven Bewegung zusammengeschlossen, die auch und gerade als menschliche den Charakter natrlicher Produktion hat. Diese bleibt so ihrerseits durch die produktive Natur (physis) bezogen auf Gott als deren produktiven Grund (Deus artifex). In ihm erst ist der Mensch seines produktiven Wesens als meta-physisches Wesen inne. Mit der industriellen Revolution ereignet sich aber etwas geschichtlich Beispielloses: Die erstlich-produktive Natur wird zum Material der Arbeit, und die menschliche Produktivität wird von einem 9 Kierkegaard an J. L. A. Kolderup-Rosenvinge im August 1848: „Ich hatte in einer Zeitung gelesen, dass man bei der Eisenbahn etwas verwendet, was man ,eine Bremse‘ nennt, um – ja, ist es nicht verrückt? man benutzt sie, um zu halten. Wahrlich, je verrückter, desto besser! Können Sie sich etwas Unsinnigeres denken“ (B, 183 / B&A I, 205; Übers. zit. nach Kierkegaard Briefe, aus d. Dän. u. mit einem Nachwort v. Walter Boehlich, Frankfurt a.M. 1983, S. 89). 10 Und korrelativ das Refugium der „Romantik“, die immer unbefangener ihre Anführungszeichen zur Schau trug. Im 19. Jahrhundert wurde ja auch der Kitsch erfunden, ein industrielles Ereignis – sowenig wie Andersens Märchen sind Kierkegaards erbauliche Reden davon frei. Zur Thematik vgl. Claus-Artur Scheier „Kitsch – Signatur der Moderne?“ in Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivialen (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 112), hrsg. v. Wolfgang Braungart, Tübingen 2002, S. 25 – 34.

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Produkt, der Maschine übernommen und so dem Menschen als Menschen entzogen („entfremdet“). Der vormalige vertikal-horizontale Doppel-Schluss Gott 0 Natur 0 Produzent – Produktion – Produkt ist jetzt eine einfache horizontale Differenz: Produzent 0 Produktion-Produkt, in der die metaphysische Vertikale verschwunden ist. Hier hat der ,religiöse Schriftsteller‘ seinen geschichtlichen Ort. Hegels Phnomenologie des Geistes und Wissenschaft der Logik hatten das bisherige Denken unter dem Namen des natürlichen Bewusstseins (ratio naturalis) in das logische Feld aufgelöst, das von der folgenden Moderne ins offene Sprach-, Zeichen- oder Signifikantenfeld transformiert wird.11 Darin kann es nicht mehr zu tun sein um das Nachdenken origineller Philosophien, die quasi den Status autonomer Kunstwerke hätten (mit dem Index der Wahrheit oder, gegebenenfalls, Unwahrheit), sondern um die Topographie geschichtlicher Orte, d. h. zugleich ihrer Nachbarschaften im konzeptualen Sprachfeld.12 Daher kann nicht einfach (isoliert) von „Kierkegaards Denken“ die Rede sein. Das 19. Jahrhundert ist insofern bestimmt durch die Horizontalisierung des Produktionsverhältnisses überhaupt. Was es für die gesellschaftliche Arbeit auf sich hat mit dieser Konkreszenz von Produktion und Produkt einerseits, der Isolierung des Produzenten von der Pro11 Vgl. Jacques Derrida De la Grammatologie, Paris 1967, S. 227: „Il n’y a pas de horstexte.“ Vom logischen Feld unterscheidet das moderne Sprachfeld sich dadurch, dass das onto-theo-logische „Faktum“ (Christus) als das Andere berhaupt an die Differenzen des Feldes selbst kommt. 12 Vgl. Claus-Artur Scheier „Unterwegs zur Logik der Moderne – Feuerbachs Abschied von der Copula“ in Pragmata. Festschrift fr Klaus Oehler zum 80. Geburtstag, hrsg. v. Kai-Michael Hingst, Tübingen 2008, S. 317 – 324.

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duktion andererseits, wird exemplarisch ablesbar an Marx’ Kritik der politischen konomie. Allerdings ist dies bereits ein nach-Kierkegaardscher Ort in der Entfaltung des modernen Denkens, der als benachbarter Terminus ad quem der geschichtlichen Tendenz des Kierkegaardschen Gedankens im Auge zu behalten ist. Die Termini a quibus sind Feuerbach und der Kierkegaard zunächst unbekannt gebliebene Schopenhauer, dies deshalb, weil beide in äußerster Radikalität die philosophischen Anfangsakzente im Denken der industriellen Moderne setzen. Beide kritisieren nicht mehr diese oder jene metaphysische Position, sondern die Bedingungen der Möglichkeit der Metaphysik als Onto-Theo-Logik selbst, die sie, wenn man es so nennen will, durch eine Onto-AnthropoLogik ersetzen. Sie sind Theoretiker des emphatisch modernen, d. h. nicht mehr „natürlichen“ Bewusstseins, und weil die Philosophie (als reale Logik) schon die potenzierte Abbreviatur der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist, sind sie Seismographen von deren geschichtlichen Rückungen. Schopenhauer ist der erste, der nicht in dieser oder jener Hinsicht, sondern mit seinem „einzige[n] Gedanke[n]“13 selbst aus dem geschichtlichen Horizont der Onto-Theo-Logik herausgetreten oder genauer gefallen ist.14 Sein Fazit: Wenn es keinen produktiven (kreativen) Weltgrund gibt, d. h. kein Ziel, keinen Zweck, dann ist alle natürliche wie menschliche Produktion nur sinnlose Reproduktion von sinnlosem Leben, ein Leerlauf und Leiden, dem das Nichts vorzuziehen ist, worein der durch Askesis sich verneinende Wille zum Leben sich aufzulösen vermöchte. Verdrängt die Restauration „romantisch“ den Begriff der industriellen Produktion, von der sie bereits zehrt, dann erweist sich hier als die erste Alternative zur simulierten Welt nicht die bestimmte Negation, sondern die Weltverneinung schlechthin. Das könnte noch als metaphysischer Rest verstanden werden, ist aber näher besehen die Signatur der modernen Religiosität.15 13 Schopenhauer Werke (L), W I, 7 (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke in fnf Bnden, hrsg. v. Ludger Lütkehaus, Frankfurt a.M. 2006). 14 Vgl. Claus-Artur Scheier „Schopenhauers Abschied vom Subjekt-Objekt und die intentionale Ethik“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 493 – 503. 15 In diesem Sinn gilt genau auch von Schopenhauer, was Heidegger von Kierkegaard sagt – nur wird es durch Schopenhauers philosophisch-kantische Terminologie noch larviert.

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Die bestimmte Negation ist dann Feuerbach, zugleich die erste Negation Schopenhauers. Feuerbachs Verfahren ist die „Umkehrung“ Hegels, aber sie ist asymmetrisch: Macht man den Versuch und kehrt seinerseits Feuerbach um, kommt nicht Hegel, sondern Schopenhauer zum Vorschein.16 Die Umkehrung ist mithin die Negation des schopenhauerischen Nichts: „Wir sollen das Unsrige nicht als Unsriges denken, sollen abstrahieren von der Bestimmtheit, in der etwas ist, was es ist, d. h., wir sollen es denken ohne Sinn, sollen es nehmen im Unsinn des Absoluten. Unsinn ist das höchste Wesen der Theologie – der gemeinen wie der spekulativen.“17 So wird die Transzendenz des Nichts umgekehrt in seine Immanenz: Immanent ist es das Andere, konkret mein Anderes, Du, und um seiner verbleibenden Unmittelbarkeit oder Natürlichkeit willen das Du im Geschlechterverhältnis. Das männliche Ich ist, was es ist, durch das weibliche Du, verdankt ihm seine Produktivität, die wiederum der Unmittelbarkeit wegen Bewusstseinsproduktivität, Sprache ist: „Das entschiedene, zu Fleisch und Blut gewordene Bewußtsein, daß das Menschliche das Göttliche, das Endliche das Unendliche, ist die Quelle einer neuen Poesie und Kunst, die an Energie, Tiefe und Feuer alle bisherige übertreffen wird.“18 Hier breitet sich das moderne Produktionsfeld aus als (ästhetisches) Sprachfeld, das noch – eine moderne Spielart des Rousseauismus – gepflegt wird von „natürlichen“ Individuen: die „Konversation des Menschen mit dem Menschen“.19 Du – Fleisch und Blut – Geschlechterverhältnis – Konversation – Poesie: Ohnehin hatte der belesene Kierkegaard unter der Konzeption des „ästhetischen Stadiums“ das ganze Junge Deutschland und seine europäische Zeitgenossenschaft im Sinn,20 aber der philosophische Repräsentant ist Feuerbach (und Kierkegaard wusste es).

16 Claus-Artur Scheier „Feuerbachs Motiv“ in Independent Journal of Philosophy 5/6, 1988, S. 121 – 127. 17 Ludwig Feuerbach „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ [1843] in Gesammelte Werke, hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, 22 Bde., Berlin 21981ff. [1967ff.], hier Bd. 9, 21982 [1970], § 23, S. 301. 18 Ludwig Feuerbach „Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie“ [1842] in Gesammelte Werke, Bd. 9, 21982, Abs. 23, S. 248 [Herv. v. Verf.]. 19 Feuerbach „Grundsätze“, § 42 (B § 41), S. 324. 20 Hierzu exemplarisch Hans-Joachim Krenzke sthetik und Existenz. Eine Studie zum frhromantischen Denken unter besonderer Bercksichtigung der philosophischen Vorgeschichte der Kierkegaardschen ,Diapsalmata ad se ipsum‘, Würzburg 2002.

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Das logische Produktionsverhältnis Produktion-Produkt 0 (Produzent) Oder f(a)21 lässt sich von hier aus in geschichtliche Gestalten auseinanderlegen. Wird Feuerbachs schwärmerische Vorstellung von der in der Konversation sich ereignenden unendlichen menschlichen Produktivität auf die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse als ihre Faktizität zurückgenommen,22 dann erscheint die Funktion (Produktion-Produkt) als das autopoietische Individuum oder als der Dandy, der seine Produktivkraft vampirisch aus dem ihn ermöglichenden weiblichen Du zieht:23 Cordelia als das Argument des „Verführers“. Das ist das erotische, d. h. in der festgehaltenen gesellschaftlichen Unmittelbarkeit eigentlich produktive, aber auch, weil kein einzelnes Argument die ideale Allgemeinheit der Funktion sättigen kann, in Serialisierung umschlagende Verhältnis („Don Juan“).24 Die reflektierte Möglichkeit ist die Umkehrung des Verhältnisses: Das Ich entsagt seiner scheinbaren Autonomie und so der Serialisierung des Erotischen und macht sich zum Argument der allgemeinen gesellschaftlichen Funktion, der Ehe: das „ethische Stadium“. Aber auch damit kann es nicht sein Bewenden haben, denn das ethische Stadium ist in der Tat bloß das ästhetische Stadium spiegelverkehrt (Entweder-Oder), Gerichtsrat Wilhelm predigt die „ästhetische Gültigkeit der Ehe“.25 Eigentlich ist hier nur die von Kierkegaard als die Wahrheit der feu21 Wobei „(Produktion-Produkt)“ = Funktion (f) und „Produzent“ = Argument (a) entsprechend der fregeschen Schreibweise. 22 Wie Marx sie dann in den Feuerbach-Thesen auf die materielle Produktion zurücknehmen wird. Zur Kierkegaardschen „Faktizität“ vgl. Claus-Artur Scheier Kierkegaards rgernis. Die Logik der Faktizitt in den „Philosophischen Bissen“, Freiburg i.B. / München 1983. 23 Karl Marx: „Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt“ (Ders. Das Kapital. Kritik der politischen konomie [1867] in Karl Marx / Friedrich Engels Werke, 43 Bde. u. 2 Erg.-Bde., Berlin 1957ff., hier Bd. 23, 1962, III.8.1, S. 247). 24 Vgl. Claus-Artur Scheier „Wie Don Juan in die Philosophie kam“ in Don Juan – Spuren des Verfhrers, hrsg. v. Hans-Joachim Jürgens, Hamburg 2008, S. 123 – 138. 25 In freudscher Terminologie ist jetzt zwar, wo Es war (Argument), Ich geworden, aber wo Ich war (Funktion), nur erst das (gesellschaftliche) Über-Ich.

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erbachschen Produktivität entdeckte Reproduktion, Serialisierung des Erotischen ersetzt durch die Reproduktion der Gattung – wie das Jahrhundert überhaupt denkt Kierkegaard die Ehe noch traditionell oder „natürlich“ als „Prokreations“-Verhältnis. Wo ist die Produktion selbst geblieben, deren Ursprung Feuerbach im Du angesiedelt hatte? Offenbar in der reinen Differenz beider Seiten, die das eine wie das andere Verhältnis setzt, logisch die Bestimmung weder von Funktion noch von Argument haben kann und daher unbegreiflich bleibt: Das Unbekannte – der Gott, heißt es in den Philosophischen Bissen. 26 So entspringt das Konzept des religiösen Stadiums der doppelten Reflexion des ästhetischen: Gelänge der Sprung ins religiöse Stadium (in den Glauben – während das natürliche Bewusstsein der Neuzeit auch in seiner aufgeklärtesten Gestalt stets noch ein glaubendes Bewusstsein war, und sei es an das leere tre supr me), dann brächte der Einzelne sich vor das entzogene göttliche Du und so ins Ereignis der göttlichen Produktivität – dann wäre die die Existenz konstituierende Reue getilgt. Die Differenz der Begrifflichkeit ist selbst begrifflich nicht fassbar, als Differenz von Funktion und Argument weder Funktion noch Argument – das zieht sich als Problematik durch die ganze Moderne und versammelt sich zuletzt bei Derrida unter dem Namen der diffrance. Am markantesten erscheint diese Unbegrifflichkeit/Unbegreiflichkeit von Schopenhauer bis jedenfalls zu Sartre unter dem seit Parmenides und Leukipp geläufigen Namen des Nichts. Es war reiner Terminus ad quem der sich negierenden Reproduktion bei Schopenhauer und verendlicht zum produktiven Du bei Feuerbach. Kierkegaards Konzept der Faktizität setzt das Nichts wieder frei, bereichert um die Bestimmung des damit zugleich entzogenen Du. Darum muss Kierkegaard gegen Feuerbach entschieden religiös denken und kann an die christliche Tradition anknüpfen. Geschichtlich neu darin ist die Legitimierung der nicht länger metaphysisch gedachten Produktivität gegen die Reproduktivität oder der entzogenen ursprünglichen Produktivität gegen die faktisch reproduktive Welt – genau die Denkfigur, die Marx ökonomisch durchführen wird, und nicht zufällig stoßen beide sich von Feuerbach ab.

26 PB, 37 / SKS 4, 244f. Unbeschadet der ferneren Verschiebungen bleibt Kierkegaards Bestimmung des Namens Gottes die erste radikal moderne Bestimmung (,das/der ganz Andere‘), so theologisch wie philosophisch unüberholbar. Insofern ist der theologische Rückgang auf Kierkegaard immer legitimiert.

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Hier wird klar, was mit dem Sprung ins religiöse Stadium gelänge: die reuelos-sinnvolle Existenz, an der Schopenhauer überhaupt verzweifelt war. Und sinnvolle Existenz heißt im Horizont der industriellen Moderne Partizipation an der ursprünglichen Produktivität als am nicht länger metaphysischen Wesen des Menschen. 1844, im Jahr der Philosophischen Bissen, notiert Marx: „Unsere Produktionen wären ebenso viele Spiegel, woraus unser Wesen sich entgegenleuchtete.“27 So würde bei Kierkegaard der Einzelne in seiner Geschöpflichkeit sich erkennen, was er in seiner spröden eigenschaftslosen Einzelheit oder faktischen Existenz a limine nicht vermag. Mit der Konzeption des religiösen Stadiums hat Kierkegaard die feuerbachsche Auratisierung des nachmetaphysischen Menschen überwunden und ist damit zugleich dem schopenhauerischen Nichts sozusagen in den Rücken gekommen: Er hat eine ursprüngliche, eine nicht reproduktive Produktivität entdeckt, die mit dem Willen zum Leben nicht identifiziert werden kann, sondern zu bejahen ist, wie Richard Wagner und Nietzsche sie dann (Nietzsche unter dem viel-missverstandenen Namen „Wille zur Macht“) mit anderen Vorzeichen bejahen werden. Von da her lässt sich verstehen, was Schopenhauer immer nur versichern und bestenfalls phänomenal, noch nicht phänomenologisch aufzuweisen vermochte. Denn auch die von Kant und Schelling übernommene Lehre vom „intelligiblen Charakter“ kann seine durchgängige Rede von Schuld und Erbsünde nicht decken.28 Aber wenn das Geheimnis des schopenhauerischen Nichts die ursprüngliche Produktivität ist, dann ist der (reproduktive) Wille abkünftige, d. h. nicht länger partizipative Produktivität, oder er ist auf unvordenkliche Weise von der ursprünglichen Produktivität abgefallen – und das ist seine „Schuld“ und „Erbsünde“.29 Der Schopenhauer-Leser Wagner wird ganz selbstver27 Karl Marx „Auszüge aus James Mills Buch ,Élémens d’économie politique‘“ [1844] in Werke, Erg.-Bd. 1, 21973, S. 445 – 463, hier S. 463. 28 Vgl. Schopenhauer Werke (L), P II, § 166, 282 (Nachträge zur Lehre von der Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben): „Der Antheil des Weibes an der Zeugung ist, in gewissem Sinne, schuldloser, als der des Mannes; sofern nämlich dieser dem zu Erzeugenden den Willen giebt, welcher die erste Sünde und daher die Quelle alles Bösen und Uebels ist; das Weib hingegen die Erkenntniss, welche den Weg zur Erlösung eröffnet.“ 29 Bedeutsamerweise hat die Lehre vom unvordenklichen Fall eine Renaissance im Existenzialismus etwa bei Sartre (L’Þtre et le nant) und Camus (La chute) – bei Heidegger ist sie schon in den Holzwegen in die Lehre vom „Entzug des Seins“ umgekehrt, was für Derridas Bestimmung der Spur bedeutsam wird.

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ständlich vom „wahre[n] Paradies von Produktivität des menschlichen Geistes“ sprechen, aus dem der Mensch erst durch die „Erfindung der Schrift“, zuletzt in die reproduktive Welt des Buchdrucks und der Zeitungen, vertrieben wurde.30 So gelesen, ist das berühmte erste Kapitel aus dem Begriff Angst 1. die erste Genealogie des modernen Reproduktionsbegriffs, 2. die Deduktion des schopenhauerischen Schuldbegriffs und 3. das philosophische Vorspiel von Freuds Tabubegriff:31 Schuldig macht sich, wer das Verbot übertritt. Schuldig macht sich Schopenhauers Wille zum Leben als Wille zur reproduktiven Natur, zur Reproduktion überhaupt, und da er immer schon individualisierter Wille ist, macht das Individuum sich schuldig in seinem sinnlosen Trieb zur Prokreation, zur Sexualität. Das gegenüber dem in puncto Erotik schon hellwachen 18. Jahrhundert geradezu emergent sich zeitigende Interesse der Moderne an der baren Sexualität,32 wie es auch Kierkegaards Analysen des ästhetischen Stadiums bezeugen, legt hier sein Motiv bloß. Tabu im Horizont der industriellen Moderne und ihrer neuen menschlichen Macht ist diese untilgbar-unmittelbare Restnatürlichkeit der sich reproduzierenden Gattung. An diesem Tabu brach sich Feuerbachs Konzept der rein menschlichen Liebe: Sie kontaminierte die ursprüngliche Produktivität mit der natürlichen Reproduktivität. Kierkegaards Auslegung der biblischen Sündenfallgeschichte stellt denn auch konsequenterweise alles auf die Spitze von „Verbot und Verurteilung“33 im Geschlechterverhältnis,34 wobei die Strafe für die in Angst und Furcht vor der Angst vollzogene Prokreation keine andre ist als die der Reproduktion von Verbot und Verurteilung ins Unendliche: Freuds „Unbehagen in der Kultur“ avant la lettre. 30 Richard Wagner Beethoven, Leipzig o. J. [1931], S. 74. 31 Vgl. Claus-Artur Scheier „Totem und Tabu – Zum Ursprung des Unbewußten aus der industriellen Revolution“ in Tabu. ber den gesellschaftlichen Umgang mit Ekel und Scham, hrsg. v. Anja Hesse u. a., Berlin 2009, S. 101 – 113. 32 Reiches Belegmaterial für die sozusagen schubweise sich pervertierende Sexualitätsproblematik des 19. Jahrhunderts bietet Mario Praz La carne, la morte e il diavolo nella letteratura romantica, Florenz 31948 [1930], dt.: Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik, übers. v. Lisa Rüdiger, München 1963. 33 BA, 45 / SKS 4, 352: „Forbudet og Dommen“ – das Verbot und das Urteil, nicht nur, wie Hans Rochol in: Der Begriff Angst, Hamburg 1984, S. 47, übersetzt, „das Verbot und die Strafandrohung“. 34 Hierzu Claus-Artur Scheier „Metamorphosen der Sexualität“ in ders. sthetik der Simulation. Formen des Produktionsdenkens im 19. Jahrhundert, Hamburg 2000, S. 165 – 179.

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Im schopenhauerisch-Kierkegaardschen Paradies ist also wie im biblischen alles schon vorhanden, aber alles in der Modalität moderner Möglichkeit: Geschlechterverhältnis, Sprache, Nichts, Angst und Verführung. Wovon nämlich wird Kierkegaards Adam verführt? Das Menschenwesen ist wie bei Schopenhauer und Feuerbach das göttliche Sprachwesen und dieses die ursprüngliche Produktivität. Aber nicht erst mit dem Sündenfall, sondern schon im paradiesischen Urzustand ist das göttliche Du, das Sprach- oder Produktionswesen als solches entzogen, weil in die beiden Extreme entzweit, die bei Feuerbach Sein und Denken waren, hier in die weibliche Möglichkeit der Reproduktion und das männliche Wort ihres Verbots. Solange das Verbot nicht übertreten wird, herrscht paradiesischer „Friede und Ruhe“,35 aber weil dies Paradies das irdische ist und nicht das himmlische, wirkt bereits auch das Nichts: „Welche Wirkung hat das Nichts? Es gebiert Angst“36 – Angst (angustiae) darum, weil Kierkegaard hier wie sonst den „Lebensweg“ denkt, der „schmaler und schmaler bis zum Äußersten, bis zum Tod“37 wird. Dem Nichts vermöchte Adam wohl zu widerstehen, denn auch der Lebensweg ist noch eine bloße Möglichkeit, aber faktisch – der Sündenfall bleibt ein „qualitativer Sprung“ – nicht Eva, die man das Programm der Reproduktion nennen kann, sodass das Nichts im paradiesischen Zustand das göttlich-produktive Sprachwesen auseinanderlegt in das Programm der Reproduktion und das Verbot seiner Durchfhrung. Adam wird also vom Nichts geängstigt, aber dass seine Angst in Furcht vor der Angst umschlägt, ist erst Folge seiner Verführung durch das Programm der Reproduktion – und der Umschlag der Sündenfall. Denn mit der Furcht vor der Angst, „Verdrängung“ wird Freud sagen, beginnt die Reproduktion. Geschichtlich genommen bezeugt dies, dass der Übergang in die industrielle Produktion im Kierkegaardschen Ort die allgemeine Wirklichkeit des Sündenfalls ist, angesichts derer der Rückweg in natürliche Produktionsweisen zugleich verwehrt bleibt, nicht etwa der geschichtlichen Eigendynamik der industriellen Produktion wegen, sondern weil diese sehen lässt, dass die Natur selbst schon nichts Anderes als Reproduktion ist, wie sie bereits Schopenhauer beschrieben hatte.38 Die Rückkehr in die Natur ist, weil Rckkehr in die Natur, darum keine Rückkehr in die physis der Metaphysik. 35 36 37 38

BA, 39 / SKS 4, 347. BA, 39 / SKS 4, 347 [Herv. v. Verf.]. ZS, 95 / SKS 13, 84 [i. Orig. Herv.]. Vgl. Schopenhauer Werke (L), W II, 582.

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Dies heißt zum einen, dass die menschliche Existenz hier als schlechterdings ausdehnungslos gedacht werden muss, als spröder Punkt, der das Individuum radikal vereinzelt; zum andern, dass dessen Bewährung nicht in der Welt liegen kann, sondern allein in der vollkommen gegen sie verschlossenen Innerlichkeit stattfinden muss. Dieser Entzug von Welt eigentlich ist Kierkegaards „Christentum“, das insofern anachoretischen Charakter hat (in einiger Nachbarschaft zu Flauberts heiligem Antonius). Kierkegaards „Verfasser-Tätigkeit“, insbesondere die Polemiken seiner Zeitschrift Der Augenblick gegen die dänische Staatskirche sind kein Einwand, da sie eben das sozialisierte Christentum vor die Entscheidung des Entweder-Oder als des Alles oder Nichts stellen. Kierkegaards Forderung konnte von der Kirche sowenig angenommen werden – der Einsatz wäre ihre Existenz gewesen –, sowenig Kierkegaard selber Pfarrer werden durfte. Nach allem ist sein geschichtlicher Ort der einer radikalen und in dieser Radikalität nicht wieder erreichten Aporie der Moderne. Sie ist für einen geschichtlichen Augenblick suspendiert. Nachdem es schon bei Schopenhauer und Feuerbach kein Zurck mehr gab – womit die akademische Tradition des Idealismus (der noch lebende Schelling war zum vereinsamten Nachlebenden geworden) als restaurativ erkannt war –, scheint hier nun auch das Vor unmöglich geworden zu sein. Freilich entfalten sich gleichzeitig Wagners völkische Ästhetik und Marx’ politische Ökonomie, und Nietzsche wird gegen ein Christentum zu Felde ziehen, das bei genauer Lektüre wenig genug zu tun hat mit der großen Tradition von seinen Anfängen bis zum deutschen Idealismus, aber viel mit einem modernen religiösen Bedürfnis, das mehr als einen Zug mit Kierkegaards existenziellem Ressentiment – nicht nur gegen ein simuliertes Christentum, sondern gegen eine glückende Moderne – gemein hat. Denn die Moderne hatte und hat nicht mit ihrem (vielleicht illegitimen) Anspruch auf Glück auch den Anspruch auf ihr Glücken aufgegeben. Er bewährt sich, und bewährt sich schon bei Nietzsche, in der Verwandlung des Menschenwesens ins Sprachwesen, geschichtlich in den Nachbarn des z ion logon echon. So oder so steht der Mensch im Wort.

Reduplikation. Zum methodischen Hintergrund von Kierkegaards später Auseinandersetzung mit Schopenhauer Von Philipp Schwab Abstract The following article argues that the pragmatic and objective dimension of Kierkegaard’s late critique of Schopenhauer can only be understood on the basis of his theory of indirect communication and the concept of “reduplication”, the latter being understood as a specific form of indirect communication in his late work. Kierkegaard’s critique of Schopenhauer is twofold: On the one hand, it addresses the manner in which Schopenhauer approaches ethics, i. e. within a closed system of thought; on the other hand, Kierkegaard criticizes Schopenhauer’s personal stance to his thought. This critique is based firstly on the concept of a double-reflected communication, according to which the singularity of existence can only be approached through an indirect mode of thought; secondly, on the demand to “reduplicate” what is being taught in existence. This approach reveals, despite all similarities, the fundamental difference between both thinkers as regards their relationship to Idealism and modernity.

I. Hinführung Offensichtlich mit Blick auf die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte seines eigenen Werkes notiert Arthur Schopenhauer zwischen August und Oktober 1827 in Berlin: Die Zahl der Jahre, welche zwischen dem Erscheinen eines Buchs und seiner Anerkennung verlaufen, giebt das Maaß der Zeit an, um die der Verfasser seinem Zeitalter vorgeeilt war […].1

Blickt man in die Philosophie des 19. Jahrhunderts und ihre Rezeption, so sind es wenigstens drei Denker, denen eine solcherart verspätete Wirkungsgeschichte zuteil geworden ist: Schopenhauer selbst, Kierkegaard und Nietzsche. In frappierend verwandten Formulierungen haben alle 1

HN III, 322 (Berliner Manuskripte 1818 – 1830).

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drei selbst das Bewusstsein der eigenen ,Unzeitgemäßheit‘ wie auch einer zukünftigen Wirkung zum Ausdruck gebracht. So heißt es bei Nietzsche, im „Vorwort“ zum Antichrist: „Erst das Übermorgen gehört mir. Einige werden posthu geboren.“2 Und auch der Dritte im Bunde der ,Unzeitgemäßen‘, der der Generation zwischen Schopenhauer und Nietzsche zugehört, Søren Kierkegaard, sagt im Augenblick über seine Werke, „ihre Stunde“ sei „noch nicht gekommen“.3 Nimmt man die wechselseitigen Bezugnahmen dieser drei ,Unzeitgemäßen Denker‘ aufeinander in den Blick, so zeigt sich – in Absehung der bekannten, ebenso umfänglichen wie ambivalenten Auseinandersetzung Nietzsches mit seinem ,Erzieher‘ Schopenhauer – eine eigentümliche Parallele: Kierkegaard notiert seine Kritik an jenem Philosophen, der wie sonst nur er selbst gegen die Größen des deutschen Idealismus polemisiert hat, erst 1854, im Jahr vor seinem Tod. Nietzsche wiederum ist bekanntlich erst in seinem letzten wachen Jahr, 1888, durch Georg Brandes auf Kierkegaard aufmerksam gemacht worden, und antwortet diesem, er habe sich „vorgesetzt“, sich auf seiner „nächste[n] Reise nach Deutschland […] mit dem psychologischen Problem Kierkegaard zu beschäftigen“4 – eine Auseinandersetzung, zu der es dann nicht mehr gekommen ist. In geschichtlicher Hinsicht bezeichnet die Trias Schopenhauer – Kierkegaard – Nietzsche, wenigstens ausschnittsweise, eine Konstellation des Umbruchs, des Übergangs von der klassischen Philosophie des deutschen Idealismus in die Moderne. Dabei tut man gut daran, im Gedächtnis zu behalten, dass zwischen dem ersten Auftreten dieser drei Denker jeweils knapp 30 Jahre liegen. Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung von 1818 ist mit der Hochphase des deutschen Idealismus noch unmittelbar gleichzeitig; Kierkegaards erstes 2

3 4

Friedrich Nietzsche Der Antichrist. Fluch auf das Christentum in Smtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbnden, hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari, München / Berlin / New York 31999 [1980] (= KSA), Bd. 6, S. 165 – 254, hier S. 167; vgl. auch die Parallelstelle in ders. Ecce homo. Wie man wird, was man ist in KSA, Bd. 6, 31999, S. 255 – 374, hier S. 298: „Ich selber bin noch nicht an der Zeit, Einige werden posthum geboren.“ A, 107 / SKS 13, 141 [alle Übers. v. Verf. modifiziert]. Brief Friedrich Nietzsches an Georg Brandes, 19. 02. 1888, Bf. 997 in Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari, Berlin / New York 1975ff. (= KGB), hier Abt. III, Bd. 5, 1984, S. 259; vgl. auch den Brief Brandes’ an Nietzsche, 11. 01. 1888, Bf. 512 in KGB, Abt. III, Bd. 6, 1984, S. 143 – 145.

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Auftreten fällt in die Periode der letzten großen Debatten im Ausgang der idealistischen Philosophie, insbesondere im Umfeld der von ihm selbst gehörten Berliner Antrittsvorlesung Schellings 1841/42;5 Nietzsche hingegen gehört schon einer Epoche an, in der die klassische deutsche Philosophie nicht mehr den fraglosen Hintergrund der denkerischen Auseinandersetzung bildet. Für eine annähernde, naturgemäß verkürzende Charakterisierung dieses dreifachen Verhältnisses bietet es sich an, die denkerischen Entwürfe der beiden Früheren – Schopenhauer und Kierkegaard – auf den dritten, auf Nietzsche hin zu perspektivieren. Zweifelsohne verdankt sich Nietzsches kritische Revision zentraler Begriffe und Konzeptionen der abendländischen Metaphysik einem Schopenhauerischen Impuls. Die genealogische Befragung der Vernunft und der Moral auf ihre gleichsam ,vorrationale‘ Entstehungsgeschichte und Ermöglichungsbedingung ist ohne Schopenhauers Konzeption einer Prioriät des Willens nicht denkbar. In methodischer Hinsicht hingegen setzt sich Nietzsche entschieden von seinem ,Erzieher‘ ab. Wenn er den Willen zum System als „Mangel an Rechtschaffenheit“,6 als philosophisch fragwürdige Vereinfachung und Vereindeutigung der vielgestaltigen Wirklichkeit kritisiert, so ist dies in erster Linie eine Auseinandersetzung mit Schopenhauer. Der methodische Gegenentwurf Nietzsches, der mit den Begriffen des Perspektivismus, der Experimentalphilosophie oder auch der „Schule des Verdachts“7 bezeichnet ist, verweist dann auch nicht auf Schopenhauer zurück, sondern – ohne dass freilich eine direkte Einflussnahme vorläge – eben auf Kierkegaard, genauer: auf dessen Methode einer indirekten Mitteilung. Dem Denken Kierkegaards und Nietzsches ist es bei allen Differenzen gemeinsam, dass sie eine Denkform konzipieren, die sich notwendig in gebrochenen Perspektiven und experimentalphilosophi5

6 7

Vgl. hierzu die Neuübersetzung des Verf. von Kierkegaards Vorlesungsmitschrieb in DSKE 3, 331 – 405 (Notizbuch 11) und die „Einleitung“ in DSKE 3, 773 – 784 sowie Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs (Philosophische Untersuchungen, Bd. 22), Tübingen 2009 und Philipp Schwab „,Das Reich der Wirklichkeit ist nicht vollendet‘. Kierkegaard als Hörer Schellings und Kritiker Hegels“ in Kierkegaard im Kontext des deutschen Idealismus, hrsg. v. Axel Hutter / Anders Moe Rasmussen, Berlin / New York 2012 (in print). Friedrich Nietzsche Gçtzen-Dmmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt in KSA, Bd. 6, 31999, S. 55 – 161, hier S. 63; vgl. auch die Parallelstelle in ders. Nachgelassene Fragmente, Herbst 1887, 9[188] in KSA, Bd. 12, 31999, S. 450. Friedrich Nietzsche Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch fr freie Geister. Erster Band in KSA, Bd. 2, 31999, S. 9 – 366, hier S. 13.

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schen Gestalten vollzieht und einer finalen systematischen Schließung widersteht.8 Die Opposition von System und gebrochener Form ist dabei keineswegs eine verschwindende Äußerlichkeit der Darstellung: Der Wille zum unabgeschlossenen und unabschließbaren Denken bezeichnet vielmehr die Charakteristik des spezifisch modernen, nachidealistischen Bewusstseins, dem eine umfassende, geschlossene und totale Darstellung von Welt und Wirklichkeit zusehends fragwürdig wird. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation sollen im Folgenden Kierkegaards späte Aufzeichnungen zu Schopenhauer gelesen werden. Dabei ist die leitende These eine zweifache: Erstens: Die Kritik Kierkegaards an Schopenhauer, die zunächst dadurch irritieren muss, dass sie sich nicht primär auf seine Philosophie, sondern auf Schopenhauer selbst als Person richtet, tritt nur dann in ihrer sachlichen Dimension in den Blick, wenn sie auf Kierkegaards Konzeption einer indirekten Mitteilung und insbesondere auf den Begriff der Reduplikation zurückbezogen wird. Die Reduplikation wird dabei als spezifische Gestalt indirekter Mitteilung in Kierkegaards spätem Denken auszuweisen sein. Zweitens: Durch diesen Rückbezug wird, trotz aller augenfälligen Gemeinsamkeiten zwischen Kierkegaard und Schopenhauer, die wesentliche Differenz der beiden denkerischen Entwürfe von Kierkegaards Kritik her sichtbar. Zweifelsohne, dies sei vorab bemerkt, ist Kierkegaards Kritik an Schopenhauer in einer gewissen Einseitigkeit befangen. Die mannigfache Parallelität und Verwandtschaft von Gedankenfiguren und sachlichen Motiven beider Denker, die zurecht im Mittelpunkt einer Vielzahl der Beiträge dieses Bandes stehen – neben der Frage nach der Willens(un)freiheit, der Grundstimmung der Langeweile und dem Motiv der Resignation wären etwa noch der ,Sprung‘ und das ,Plötzliche‘ oder auch 8

In dieser Hinsicht haben etwa auch Jaspers und Deleuze Kierkegaard und Nietzsche nebeneinander gestellt, vgl. Karl Jaspers Vernunft und Existenz. Fnf Vorlesungen, München 1960 [1935], S. 16; Gilles Deleuze Differenz und Wiederholung, aus d. Franz. v. Joseph Vogel., 2., korr. Aufl., München 1997 [Paris 1967], S. 24. Vgl. zur neueren Forschung Thomas P. Miles „Kierkegaard and Nietzsche Reconsidered“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2007, S. 441 – 469; Jaanus Sooväli „Was ist das souveräne Individuum? Neuerscheinungen zu Nietzsche und Kierkegaard“ in Nietzsche-Studien 38, 2009, S. 477 – 485 und Philipp Schwab „Ethik und Ethikkritik. Philosophie der Existenz bei Kierkegaard und Nietzsche“ in Existenzphilosophie und Ethik, hrsg. v. Hans Feger / Manuela Hackel, Berlin / New York 2012 (in print).

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das Verhältnis von Ästhetik und Interesse zu nennen –,9 diese Verwandtschaft wird von Kierkegaard allenfalls am Rande und im Einzelnen erwähnt, zumeist aber unterschlagen, um die pointierte, zudem oftmals scharf polemische Kritik an Schopenhauer desto nachdrücklicher zu formulieren. Die Schärfe von Kierkegaards Invektiven wird im Umfeld seiner Überlegungen zum Begriff der ,Reduplikation‘ nachvollziehbar werden, zeigt sich doch dort, dass Kierkegaard in seinen Notizen zu Schopenhauer auch um eine eigene Positionsbestimmung im Vorfeld des Augenblick-Streits ringt, den er kurze Zeit später beginnt. Die ,Gegenrechung‘ zu Kierkegaards Kritik, zu der diese in ihrer Einseitigkeit geradezu auffordert, kann im Folgenden allerdings nur angedeutet werden.

II. Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer In den insgesamt 25 Aufzeichnungen aus dem Jahr 1854,10 die explizit Schopenhauers Namen nennen,11 lässt sich zunächst eine durchaus positive, ja in Teilen emphatische Bezugnahme Kierkegaards auf Schopenhauer feststellen. Immer wieder hält Kierkegaard einzelne Gedanken oder Formulierungen Schopenhauers fest und versieht sie mit einem kurzen, oft zustimmenden Kommentar. Schon die erste Aufzeichnung, die – nachdem Kierkegaard in NB29:26 und NB29:29 Zitate von Goethe und Heraklit aus dem zweiten Band der Welt als Wille und Vorstellung notiert – auf Schopenhauer selbst eingeht, bezeichnet einen Passus über

9 Hierzu und zum Folgenden ist zu vergleichen: Philipp Schwab „Der Asket im System. Zu Kierkegaards Kritik an der Kontemplation als Fundament der Ethik Schopenhauers“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 321 – 345, hier S. 321 – 324. Zum Verhältnis Schopenhauer – Kierkegaard im Ganzen ist zu vergleichen ClausArtur Scheier Kierkegaards rgernis. Die Logik der Faktizitt in den „Philosophischen Bissen“, Freiburg i.B. / München 1983, bes. S. 18, S. 25f., S. 52 – 54, S. 60, S. 70, S. 88. 10 Vgl. zu den späten Journalen im Ganzen Hermann Deuser Dialektische Theologie. Studien zu Adornos Metaphysik und zum Sptwerk Kierkegaards (Fundamentaltheologische Studien, Bd. 1), München / Mainz 1980, S. 33 – 98. 11 Vgl. hierzu die Übersetzung und die Übersicht der Journaleinträge im „Anhang“ dieses Bandes. Im Folgenden werden die Stellen bei Schopenhauer, auf die sich Kierkegaard jeweils bezieht, nicht im Einzelnen angeführt; sie sind im Kommentar zur Übersetzung nachgewiesen.

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das Dozieren als „vortreffliche Bemerkung“.12 Ebenfalls als „vortrefflich[e]“ hält Kierkegaard eine Stelle bei Schopenhauer fest, nach der die Kaufleute „die einzigen redlichen Mschen auf dieser Welt“ seien, nämlich „redlich genug, offiziell einzugestehen – dass sie betrügen.“13 Es ist dies im Übrigen die einzige Journalnotiz Kierkegaards zu Schopenhauer, die direkte Spuren in einem publizierten Text hinterlässt – wenn auch der Name Schopenhauers dort nicht fällt und nur auf einen „deutschen Schriftsteller“ verwiesen wird.14 Auch nach der langen, kritischen Auseinandersetzung mit Schopenhauer in NB29:95 notiert Kierkegaard weiterhin zustimmend ,Lesefrüchte‘: Wenige Einträge später heißt es etwa unter dem Titel „Arthur Schopenhauer“, es sei den „theologischen Studenten, die hier in Dänemark in diesem unsinnigen (christlichen) Optimismus leben müssen“, zu „empfehlen, jeden Tag eine kleine Dosis von Ss Ethik einzunehmen, um sich davor zu schützen, mit diesem Gefasel infiziert zu werden.“15 Es scheinen insbesondere Schopenhauers Stil und Ausdrucksweise zu sein, die Kierkegaards Faszination auf sich ziehen. So notiert Kierkegaard in NB30:13, Schopenhauers polemischer Ausdruck „Windbeutel“ sei ein „ausgezeichnetes Wort“, und Schopenhauers Gebrauch dieses Wortes gleichfalls vortrefflich.16 Das Wort selbst sei, so Kierkegaard, gerade für einen Fehler des deutschen Charakters bezeichnend, nicht aber des dänischen; dieser habe einen „entsprechenden Fehler“, und demzufolge auch ein entsprechendes Pendant im Ausdruck, nämlich den „Windschlucker“: „So ist auch ungefähr das Verhältnis: ein Deutscher, um Wind zu machen – und eine Däne, um ihn zu schlucken: so haben sich Deutsch und Dänisch lange schon zueinander verhalten.“17 Und natürlich erkennt Kierkegaard in Schopenhauer auch aufgrund seiner Polemik gegen die institutionalisierte Philosophie, die ,Professoren-Philosophie‘, einen Gesinnungsgenossen. Es habe ihn, so vermerkt Kierkegaard, „unsagbar 12 Vgl. NB29:26 (T 5, 184 / SKS 25, 314f.); NB29:29 (SKS 25, 316) u. NB29:62 (SKS 25, 331). 13 NB29:91 (SKS 25, 349). 14 Es handelt sich um den Zeitungsartikel „Ein Resultat“ vom 10. 05. 1855, vgl. A, 66 / SKS 14, 201f., wo Kierkegaard die Wendung, die schon in NB29:91 Schopenhauer sehr frei wiedergibt, nochmals modifiziert: „Ein deutscher Schriftsteller hat gesagt, dass die ehrlichste Klasse der Gesellschaft die Kaufleute sind, denn sie sagen geradeheraus, dass es um Profit geht“. 15 NB29:114 (T 5, 205f. / SKS 25, 376). 16 NB30:13 (T 5, 209 / SKS 25, 390). 17 NB30:13 (T 5, 210 / SKS 25, 391).

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belustigt, Schopenhauer zu lesen. Was er sagt, ist völlig wahr, und wiederum was ich den Deutschen gönne, so grob wie nur ein Deutscher sein kann“;18 Schopenhauers „ganzes Dasein und dessen Geschichte“ sei, so Kierkegaard weiter, „eine der Professoren-Philosophie beigebrachte tiefe Wunde.“19 Gerade an diesem Punkt größter, von Kierkegaard emphatisch begrüßter Gemeinsamkeit aber setzt auch zugleich die Kritik an. Nimmt man die Einträge in den Blick, die sich ausführlich mit Schopenhauer auseinandersetzen,20 so muss die Stoßrichtung von Kierkegaards Kritik zunächst irritieren. Die umfänglichste Aufzeichnung NB29:95 beginnt zwar damit, zwei „Einwände“ gegen Schopenhauers Ethik zu formulieren,21 richtet sich aber bald auf Schopenhauer als Person im Verhältnis zu seinem Werk.22 Gerade Schopenhauers „Schicksal“ in Deutschland ist es, das Kierkegaard „sehr interessiert“.23 Zweifelsohne reflektiert Kierkegaard hierbei auch sein eigenes ,Schicksal‘ in Dänemark, und gerade dort, wo sich die beiden Wege trennen, formuliert Kierkegaard seine Polemik. Während nämlich – wie Kierkegaard im Rückblick auf die „Korsar“Affäre ausführt – er selbst sich „freiwillig“ dem ausgesetzt hätte, zur „Karikatur zu werden“ und mithin allen weltlichen Erfolg und Ruhm von sich gewiesen habe – so sei Schopenhauer „doch ein deutscher Denker, versessen auf Anerkennung“:24 „S. verhält sich unmittelbar zur Anerkennung, das hat er gewünscht, danach hat er gestrebt“.25 Schopenhauers Stolz über die Auszeichnung seiner Preisschrift durch die 18 NB30:11 (T 5, 209 / SKS 25, 388). 19 NB32:35 (T 5, 264 / SKS 26, 141). 20 Im Folgenden wird auf die Einträge NB29:95 und NB32:25 Bezug genommen; die dritte längere und kritische, ebenfalls wichtige Aufzeichnung NB30:12 über Schopenhauers Verhältnis zum Christentum muss in diesem Kontext zurückgestellt werden; vgl. zur detaillierteren Nachzeichnung dieser beiden Journalnotizen Schwab „Der Asket im System“, S. 330 – 337. 21 NB29:95 (T 5, 195 / SKS 25, 352). 22 Diesen ,privat-persönlichen‘ Zug von Kierkegaards Kritik heben u. a. Adorno und Sørensen hervor, vgl. Theodor W. Adorno Kierkegaard. Konstruktion des sthetischen [1933] in Gesammelte Schriften, 20 Bde., Frankfurt a.M. 1997, hier Bd. 2, S. 16; Villy Sørensen „Schopenhauer og Kierkegaard“ in ders. Schopenhauer, Kopenhagen 1969, S. 101 – 106 (erneut abgedruckt als „Arthur Schopenhauer“ in Sørensen om Kierkegaard. Villy Sørensens udvalgte artikler om Søren Kierkegaard, hrsg. v. Gert Posselt, Kopenhagen 2007, S. 253 – 258). 23 NB29:95 (T 5, 197 / SKS 25, 355). 24 NB29:95 (T 5, 198 / SKS 25, 356). 25 NB29:95 (T 5, 199 / SKS 25, 356).

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„Gesellschaft der Wissenschaften“ in Trondheim („du lieber Gott, in Trondheim“) wird dann ebenso zum Gegenstand der Polemik wie sein „ganz ernstaft[es]“ ,Lärmen‘ darüber, in Kopenhagen für seine zweite Preisschrift „nicht“ gekrönt worden zu sein.26 So kann auch Kierkegaard Schopenhauers Angriff auf die ,Professoren-Philosophie‘ letztlich nicht gelten lassen: „Aber was ist nun Schopenhauers Unterschied vom ,Professor‘? Zu guter Letzt doch nur der, dass er Vermögen hat.“27 Dass Kierkegaard aber seine Kritik auf die Person richtet, ist keineswegs bloße Polemik ad hominem, sie verweist vielmehr auf die sachliche Dimension der Auseinandersetzung, die allerdings in der Tat wesentlich an die Bestimmung der ,Persönlichkeit‘ gebunden ist. Diese sachliche Ebene lässt sich an den zwei miteinander verwobenen Hauptkritikpunkten aufzeigen, die Kierkegaard gegen Schopenhauer vorbringt. Was Kierkegaard erstens an Schopenhauer kritisiert, ist der theoretische, betrachtende Zugang zu Fragestellungen der Ethik. Damit geht untrennbar einher, dass Kierkegaard zweitens die Stellung, die Schopenhauer als Existierender zu seinem Werk einnimmt, einer Kritik unterzieht. Dieser gedoppelte Einwand liest sich in der reifsten und distanziertesten Aufzeichnung NB32:35 bei Kierkegaard wie folgt: Er übernimmt es dann, der Askese usw. [einen] Platz im System anzuweisen. Hier zeigt es sich nun, dass er ein bedenkliches Zeichen der Zeit ist. Nicht ohne große Selbstzufriedenheit sagt er, dass er der erste ist, der der Askese [einen] Platz im System angewiesen hat. Ach, dies ist durchaus ProfessorenRede, ich bin der erste, der der Askese [einen] Platz im System angewiesen hat. Und nun weiter, dass die Askese jetzt ihren Platz im System findet, ist das nicht ein indirektes Zeichen dafür, dass ihre Zeit vorbei ist. Es gab eine Zeit, in der war man Asket dem Charakter nach. Dann kam eine Zeit, in der man die ganze Sache mit der Askese der Vergessenheit übergab. Nun prahlt einer damit: der erste zu sein, der ihr [einen] Platz im System anweist. Aber eben das, sich mit der Askese auf diese Weise zu beschäftigen, zeigt ja, dass sie nicht in einem wahreren Sinne für ihn da ist […].28

Nimmt man hier die wiederum polemische Einkleidung fort, so lässt sich die Kritik Kierkegaards folgendermaßen reformulieren: Indem die Existenzform des Asketen zum Gegenstand einer theoretischen Betrachtung, in Form eines Systems zur Erörterung gemacht wird, ist sie ,im wahren Sinne nicht da‘, d. h. sie wird nicht als Vollzug der Existenz, sondern gleichsam ,neutral‘, in kontemplierender, d. h. distanzierter Be26 NB29:95 (T 5, 198 / SKS 25, 356). 27 NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 142). 28 NB32:35 (T 5, 264f. / SKS 26, 141).

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trachtung dargestellt. In eins mit der Kritik an einer theoretisch konzipierten Ethik zeigt sich sogleich schon der Einwand gegen eine Differenz zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden: dass nämlich der Denker, der die Askese bloß theoretisch beschreibt, sich selbst nicht anders als eben betrachtend und in existenzieller Distraktion zu ihr verhält. Diese gedoppelte Kritik wird auch in der folgenden Passage der Eintragung NB29:95 deutlich: Wenn man dann A. Ss Ethik durchgelesen hat, so erfährt man nun – so ehrlich ist er natürlich – dass er nicht selbst ein solcher Asket ist. Er ist also nicht selbst die durch Askese erreichte Kontemplation, sondern eine Kontemplation, die sich kontemplierend zu jener Askese verhält. Das ist äußerst misslich […]. Auch insofern ist es misslich, als es immer misslich ist, eine Ethik vorzutragen, die nicht die Macht über den Lehrer ausübt, dass er sie selbst ausdrückt.29

Die Gestalt eines Lehrers, der nicht ausdrücke, was seine Ethik lehrt, wird von Kierkegaard dann in der Aufzeichnung NB32:35, wiederum polemisch, an der Figur des Sophisten illustriert. Dieser sei nicht zuallererst dadurch gekennzeichnet, dass er sich für seine Unterweisung bezahlen lasse: „Nein, das Sophistische liegt in: dem Abstand zwischen dem, was man versteht und dem, was man ist, derjenige, der nicht in seinem Charakter seinem Verstehen entspricht, der ist Sophist. Aber dies ist der Fall bei Schopenhauer.“30 Ein Abstand zwischen dem, was man versteht, und dem, was man ist – auf diese Formel lässt sich der zweite Aspekt der Kritik Kierkegaards an Schopenhauer bringen. Die skizzierten Hautkritikpunkte Kierkegaards bleiben allerdings, sollen sie bloß für sich stehen, allenfalls eingeschränkt nachvollziehbar. Dass es bei einem Philosophen wesentlich darauf ankomme, wie er sich zu dem von ihm theoretisch Gefassten existenziell verhalte, weist wenigstens Schopenhauer in § 68 der Welt als Wille und Vorstellung als eine „seltsame Anforderung“ zurück: Es ist daher so wenig nöthig, daß der Heilige ein Philosoph, als daß der Philosoph ein Heiliger sei […]. Ueberhaupt ist es eine seltsame Anforderung an einen Moralisten, daß er keine andere Tugend empfehlen soll, als die er selbst besitzt. Das ganze Wesen der Welt abstrakt, allgemein und deutlich in Begriffen zu wiederholen, und es so als reflektirtes Abbild in bleibenden und

29 NB29:95 (T 5, 196 / SKS 25, 354). 30 NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 142).

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stets bereit liegenden Begriffen der Vernunft niederzulegen: dieses und nichts anderes ist Philosophie.31

In der Tat, so die hier leitende These, kann die Kritik Kierkegaards an Schopenhauer nur dann zureichend verstanden werden, wenn sie auf die gänzlich verschiedene Auffassung bezogen wird, was jeweils als Aufgabe der Philosophie, näher: der Ethik bestimmt wird. Der Schopenhauerischen Definition der Aufgabe der Philosophie nämlich würde Kierkegaard wiederum kaum zustimmen können – vielmehr ist eine ,abstrakte und allgemeine Wiederholung der Welt in Begriffen‘ gerade dasjenige Verständnis von Philosophie, von dem Kierkegaard sich entschieden absetzt. Dass und wie Kierkegaard einem Denken im Modus des Allgemeinen eine Denkform entgegensetzt, die wesentlich auf den Existenzvollzug ausgerichtet ist, ist im Folgenden an seiner Methode der indirekten Mitteilung zu zeigen.

III. Indirekte Mitteilung Soll nun die These, dass Kierkegaards Kritik an Schopenhauer erst vor dem Hintergrund des Konnexes von indirekter Mitteilung und Reduplikation angemessen zu verstehen sei, eingelöst werden, so scheint es zunächst geboten, eine allgemeine Definition der ,indirekten Mitteilung‘ zu geben. Gerade in der Frage allerdings, ob eine solche allgemeine Definition möglich ist, liegt das erste ,Problem‘ in der Bestimmung von Kierkegaards Methode. Dieses ,Problem‘ lässt sich zunächst durch eine einfache hypothetische Überlegung anzeigen, die Kierkegaards Pseudonyme wohl als ,Gedankenexperiment‘ oder ,Denkprojekt‘ vorführen würden: Wenn die indirekte Mitteilung in einem grundsätzlichen Sinne als Kierkegaards Methode zu verstehen ist – und nicht bloß als pädagogische oder literarische Einkleidung von ,Gedanken‘ oder ,Gegenständen‘, die sich als solche ebenso gut direkt darstellen und mitteilen ließen –, dann ist offensichtlich die Methode in einem wesentlichen Sinne indirekt und kann nicht einfach in eine direkte Bestimmung überführt werden. In anderen Worten: Die indirekte Mitteilung müsste, wenn sie sich als Kierkegaards denkerisches Verfahren und als Strukturprinzip seiner Philosophie sollte ausweisen lassen, nicht bloß als Methode des Indi-

31 W I, 453.

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rekten, sondern gewissermaßen als ,in sich selbst‘ indirekt und vielgestaltig bestimmt werden.32 Dass diese Überlegung nicht von außen an Kierkegaard herangetragen ist, zeigt vor allem das Pseudonym Johannes Climacus, das in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift sagt, das „Geheimnis“ indirekter Mitteilung liege keinesfalls darin, ihre Doppelreflexion „direkt“ auszusagen, vielmehr sei „eine solche Aussage […] gerade ein Widerspruch.“33 Und noch Kierkegaard selbst notiert im Journal NB3 Ende 1847, ein „Schriftsteller“, der „einen eigentümlichen Begriff davon hat, was Mitteilung ist“, könne „diese ihm eigentümliche Dialektik der Mitteilung […] ja doch nicht in der traditionellen“ – d. h. hier: direkten –„Dialektik der Mitteilung mitteilen. Das möchte die Zeit freilich von ihm verlangen, was nur natürlich ist, weil es Nonsens ist.“34 Die These, dass die indirekte Mitteilung eine in sich vielgestaltige Methode ist, wird zudem dadurch bestätigt, dass sich in Kierkegaards Werk zwischen 1846 und Ende 185235 in den unterschiedlichsten Texten – pseudonymen und nicht pseudonymen Schriften, Journalnotizen und Entwürfen – eine Reihe ganz unterschiedlicher Begriffe und Bestimmungen der indirekten Methode aufweisen lassen. Zwar kann diese Vielstimmigkeit36 in der Rede über das Indirekte annähernd durch einen Rückbezug auf Kierkegaards denkerische Entwicklung im angegebenen Zeitraum aufgehellt werden, gerade die Reflexionen in den späten Journalen aber, die die Frage der Mitteilung immer wieder neu wenden und bedenken, machen den grundlegend unabgeschlossenen, stets für Reformulierungen offenen Charakter des indirekten Verfahrens sichtbar. In Bezug auf Kierkegaards Schopenhauer-Kritik kann die systematische Dimension der indirekten Methode zurückgestellt werden; ihre Anzeige sollte hier allein verdeutlichen, dass es den einen und umfassenden Begriff von Kierkegaards Methode nicht gibt, und jeweils am spezifischen Text 32 Vgl. hierzu im Ganzen Philipp Schwab Der Rckstoß der Methode. Kierkegaard und die indirekte Mitteilung (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 25), Berlin / New York 2011, hier besonders Teil I. 33 AUN1, 66 / SKS 7, 74. 34 NB3:62 (T 2, 190 / SKS 20, 275). 35 Die letzte große Aufzeichnung zur Mitteilungsfrage ist NB27:59 (SKS 25, 172 – 174) mit dem Titel „ber mich selbst – ber indirekte und direkte Mitteilung“ von Ende 1852. 36 Zum Motiv der Vielstimmigkeit bei Kierkegaard vgl. Jochen Schmidt Vielstimmige Rede vom Unsagbaren. Dekonstruktion, Glaube und Kierkegaards pseudonyme Literatur (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 14), Berlin / New York 2006.

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auszuweisen ist, was unter dem Begriff ,indirekte Mitteilung‘ im Einzelnen verstanden wird. Präzisiert werden muss hingegen die angedeutete werkgeschichtliche Perspektive, lässt sich doch erst vor ihrem Hintergrund die Basis für Kierkegaards doppelten Einwand gegen Schopenhauer in den Blick bringen. In einer groben, typologischen Unterscheidung können zwei Zugänge zum Problem der indirekten Mitteilung differenziert werden, die als Antworten auf zwei unterschiedliche Fragen zu verstehen sind: In der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift von 1846 wirft Johannes Climacus die Frage auf, welche Form eine Mitteilung und Darstellung haben müsse, die den Einzelnen in seiner konkreten und je singulären Existenz zum ,Gegenstand‘ mache, und seine Antwort liegt eben in der indirekten Methode. Damit geht einher, dass Climacus dieses von ihm so genannte ,doppeltreflektierte‘ Denken scharf von einem objektiven und systematischen, für das Problem der einzelnen Existenz schlechthin uninteressierten Darstellungs- und Mitteilungsmodus abgrenzt. Nach 1846 richtet Kierkegaard, insbesondere in seinen Journalen, die Perspektive nun auf den Mitteilenden selbst und die Frage, wie dieser, der indirekt Mitteilende, sich existenziell zu seiner Mitteilung zu verhalten habe – und hier erhält der Begriff der Reduplikation, d. h. der existenziellen Verdopplung oder ,Wiederholung‘ des Mitgeteilten, entscheidende Bedeutung. Zweifelsohne fragt damit Kierkegaard zuallererst nach seiner eigenen Stellung zu seinem Werk – und im Zuge dieser ,persönlichen‘ Frage treten die strukturellen Aspekte der indirekten Methode als ,Existenzmitteilung‘ zunehmend in den Hintergrund.37 Diese beiden Konzeptionen – Doppelreflexion und Reduplikation – sind im Folgenden als Basis von Kierkegaards Kritik an Schopenhauer näher zu beleuchten.

37 Kierkegaard selbst kommt in diesem Reflexionsprozess zu dem Entschluss, er müsse für das im gesamten pseudonymen Werk ,Gewollte‘ mit einer direkten Mitteilung einstehen. Aus diesem Entschluss sind der postum publizierte Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller und die kurze, 1851 veröffentlichte Schrift ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller hervorgegangen. Der mit diesen beiden Schriften verbundene Anspruch, die Struktur der indirekten Mitteilung des pseudonymen Werks durch eine direkte Mitteilung dessen, was der Verfasser beabsichtigt hat, zu beleuchten, hat allerdings der Interpretation Vorschub geleistet, Kierkegaards indirektes Verfahren lasse sich im Ganzen einer direkten Bestimmung zuführen. Vgl. hierzu Philipp Schwab „Direkte Mitteilung des Indirekten? Zum Begriff der Mitteilung in Kierkegaards Gesichtspunkt und ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2010, S. 427 – 456.

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a) Doppelreflexion Nur an einer einzigen Stelle seines Werks, dem § 3 von Nr. II der Einbung im Christentum mit dem Titel „Die Unmçglichkeit der direkten Mitteilung“ unterscheidet Kierkegaard – genauer: sein Pseudonym AntiClimacus – die beiden hier einander gegenübergestellten Begriffe.38 Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Einbung als 1848/1849 entstandenes Werk schon auf dem Boden des späteren, reduplikativen Mitteilungsbegriffs steht und die Doppelreflexion von dort aus in den Blick nimmt. Dies zeigt sich darin, dass Anti-Climacus zwei Formen der Mitteilung vom Mitteilenden her unterscheidet: Das Gegenteil zur direkten Mitteilung ist indirekte Mitteilung. Diese kann auf zwei Weisen hervorgebracht werden. Die indirekte Mitteilung kann eine Kunst der Mitteilung sein, indem sie die Mitteilung verdoppelt. Die Kunst besteht dann eben darin, sich selbst, den Mitteiler, zu einem Niemand zu machen, rein objektiv, und dann ohne abzubrechen qualitative Gegensätze in Einheit zu setzen. Dies ist es, was einige Pseudonyme die Doppel-Reflexion der Mitteilung zu nennen pflegen. Es ist z. B. indirekte Mitteilung: Scherz und Ernst so zusammenzusetzen, dass die Zusammensetzung ein dialektischer Knoten ist – und dann selbst ein Niemand zu sein. Möchte jemand mit dieser Art Mitteilung zu tun haben, so muss er selbst aus sich selbst den Knoten lösen. 39

Zwei Elemente sind hier hervorzuheben: Einerseits nämlich ist die doppeltreflektierte indirekte Mitteilung offensichtlich durch eine Selbstzurcknahme des Mitteilenden gekennzeichnet; andererseits, und eng damit verbunden, dient diese Zurücknahme einer Aneignung des Mitgeteilten durch den Empfänger. Streng genommen freilich kann hier von einem ,Mitgeteilten‘, einem ,Gegenstand‘ der Mitteilung gar nicht die Rede sein – ,mitgeteilt‘ wird nämlich allein die spannungsreiche Zweideutigkeit der ,qualitativen Gegensätze‘, die beim Empfänger den Stachel der Anreizung an Stelle der Beruhigung durch ein Resultat oder eine ,Lehre‘ hinterlässt. Mit den ,Pseudonymen‘, auf die Anti-Climacus hier verweist, kann im Grunde nur eines gemeint sein: Johannes Climacus, der ,Verfasser‘ der Philosophischen Brocken und der Nachschrift. In dem Abschnitt „Der subjektive Denker ist aufmerksam auf die Dialektik der Mitteilung“ in der Nachschrift gibt Climacus eine ausführliche Darstellung der Doppelreflexion, 38 Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Roger Poole Kierkegaard. The Indirect Communication (Studies in Religion and Culture), Charlottesville, Va. 1993, S. 15 – 25. 39 EC, 127f. / SKS 12, 137.

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und schon von seinem Ansatzpunkt her wird deutlich, dass in diesem Begriff mehr liegt, als die kurze Passage aus der Einbung sichtbar macht: Während das objektive Denken gegenüber dem denkenden Subjekt und dessen Denken gleichgültig ist, ist der subjektive Denker als existierender wesentlich an seinem eigenen Denken interessiert und existiert in ihm. Deshalb hat sein Denken eine andere Art von Reflexion, nämlich die der Innerlichkeit, des Besitzes, wodurch es dem Subjekt und keinem anderen zugehört. Während das objektive Denken alles auf das Resultat abstellt, und der ganzen Menschheit zum Betrügen durch Abschreiben und Herunterleiern des Resultats und des Fazits verhilft, stellt das subjektive Denken alles auf das Werden ab, und lässt das Resultat aus, teils weil es eben dem Denker gehört, weil er den Weg hat, teils weil er als Existierender ständig im Werden ist […]. Die Reflexion der Innerlichkeit ist die Doppel-Reflexion des subjektiven Denkers. Denkend denkt er das Allgemeine, aber als in diesem Denken existierend wird er mehr und mehr isoliert.40

Die eigentliche Pointe der Doppelreflexion liegt also in der Abgrenzung vom objektiven, für die Existenz uninteressierten Denken – und dies bemerkenswerterweise schon dort, wo von der Mitteilung noch gar nicht gesprochen wird. „Doppelt“ wird diese Reflexion deshalb genannt, weil sie sich stets vor Augen hält, dass das Denken selbst, als wesentlich im Modus des Allgemeinen, die Singularität der konkret existierenden Subjektivität niemals erreicht; auf eine erste Reflexion, die z. B. einen Sachverhalt beschreibt, muss die zweite Reflexion auf die Inkommensurabilität des Singulären mit dem Allgemeinen folgen. Diese Reflexionsform ist selbst – in Übereinstimmung mit ihrem ,Gegenstand‘, der Existenz – wesentlich unabgeschlossen, im Werden, und einer jeden resultativen Schließung entgegengesetzt. Die doppelte Reflexion ,sichert‘ also gewissermaßen die ,Existenzbezogenheit‘ des subjektiven Denkens. Diese Doppelreflexion, die derart schon im ,Selbstverhältnis‘ des subjektiven existierenden Denkers liegt, muss sich nun auch in seiner Form der Mitteilung äußern. Das „Geheimnis“ dieser Mitteilung liegt, wie es ja auch Anti-Climacus rückblickend zum Ausdruck gebracht hatte, darin, „den anderen frei zu machen“41 – und zwar gerade dadurch, dass ihm ein Resultat vorenthalten und das Mitgeteilte zur Aneignung überantwortet wird: 40 AUN1, 65 / SKS 7, 73f. Vgl. zu diesem Abschnitt Tilo Wesche Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003, S. 165 – 174; Mariele Nientied Kierkegaard und Wittgenstein. „Hineintuschen in das Wahre“ (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 7), Berlin / New York 2003, S. 19 – 49. 41 AUN1, 66 / SKS 7, 74.

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Überall, wo in der Erkenntnis das Subjektive von Wichtigkeit ist, wo also die Aneignung die Hauptsache ist, da ist die Mitteilung ein Kunstwerk, sie ist doppelt-reflektiert, und ihre erste Form ist eben das Listige, dass die Subjektivitäten gottesfürchtig auseinander gehalten werden müssen und nicht gerinnend in Objektivität zusammenlaufen.42

Dass diese Reflexion spezifisch ethischer Natur ist, leuchtet unmittelbar ein, bezieht sie sich doch gerade auf die Existenz des Einzelnen, die nur durch diesen selbst zu verantworten ist. Den Zusammenhang von Ethik und Doppelreflexion macht auch eine Passage in Kierkegaards 1847 entworfenem Vorlesungskonzept Die Dialektik der ethischen und der ethischreligiçsen Mitteilung deutlich, wo es heißt: „Da es ethisch kein unmittelbares Verhältnis gibt, muss alle Mitteilung durch eine doppelte Reflexion hindurchgehen, die erste ist die, in der sie mitgeteilt wird, die zweite ist die, in der sie zurückgenommen wird“43 – abermals bedeutet die doppeltreflektierte Zurücknahme des Mitgeteilten gerade die Eröffnung des ethischen Aneignungsraums für den Empfänger. Vor diesem Hintergrund wird nun Kierkegaards erster Kritikpunkt an Schopenhauer verständlicher: Dass Kierkegaard dagegen polemisiert, Schopenhauer weise der Askese ihren „Platz im System“ zu, solcherart sei diese aber „in einem wahreren Sinne“ nicht „für ihn da“44 und er gebe damit eine „unethische Betrachtung des Ethischen“,45 deutet eben auf Kierkegaards Grundsatz zurück, in ethischen Fragen komme ein objektives, systematisches Denken nicht in Betracht. Der Vorwurf Kierkegaards gegen Schopenhauer besteht darin, dass dieser das Ethische gewissermaßen in der falschen ,Sphäre‘ behandele – nämlich in der reiner Betrachtung, die aber für Kierkegaard gerade das entscheidende Moment, nämlich Aneignung und Selbstübernahme des Gelehrten, unmöglich macht. Vor dem Hintergrund der Polemik gegen Resultat und Fazit im Namen der Doppelreflexion ließe sich zudem sagen, dass Schopenhauer in Kierkegaards Perspektive den Asketen als ,Schlussstein des Systems‘, eben als ein solches doziertes Resultat und Fazit fasse. Nicht zufällig ist es gerade Johannes Climacus, das Pseudonym der Nachschrift, das den Satz formuliert: „Ein System des Daseins kann es nicht geben“. 46 Und in einem 42 AUN1, 71 / SKS 7, 79. 43 Vgl. Sören Kierkegaard Die Dialektik der ethischen und der ethisch-religiçsen Mitteilung, aus d. Dänischen u. hrsg. v. Tim Hagemann, Bodenheim 1997, S. 27 / Pap. VIII 2 B 81,21. 44 NB32:35 (T 5, 264f. / SKS 26, 141). 45 NB29:95 (T 5, 196 / SKS 26, 354). 46 Vgl. den gleichlautenden Abschnitt AUN1, 111 – 117 / SKS 7, 114 – 120.

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Passus über das Ethische und die Betrachtung ist Kierkegaards Kritik an Schopenhauers kontemplierender Betrachtung der Askese geradezu vorweggenommen: Ethisch betrachtet ist Wirklichkeit höher als Möglichkeit. Das Ethische will gerade die Interesselosigkeit der Möglichkeit dadurch zunichte machen, dass es das Existieren zum unendlichen Interesse macht. Das Ethische will daher jeden Konfusionsversuch, wie z. B. Welt und Mensch ethisch betrachten zu wollen, verhindern. Ethisch betrachten lässt sich nämlich nicht machen, denn es gibt nur eine ethische Betrachtung, das ist Selbstbetrachtung. Das Ethische umschließt augenblicklich den Einzelnen, mit [der] Forderung an ihn, er solle ethisch existieren; es schwadroniert nicht von Millionen und Generationen […]. Das Ethische hat mit den einzelnen Menschen zu tun, und wohlgemerkt mit jedem Einzelnen.47

An dieser Stelle allerdings kann die eingangs genannte ,Gegenrechnung‘ angedeutet werden, die von Schopenhauer her bezüglich Kierkegaards Kritik aufgemacht werden muss. Schopenhauer behauptet nämlich keineswegs, den Existenzvollzug des Asketen mit in’s System hineingeholt zu haben, sondern markiert in den letzten Paragraphen der Welt als Wille und Vorstellung gerade die Grenze der eigenen Betrachtung und kommt in § 66 sogar ausdrücklich auf die für Kierkegaard so wichtige Mitteilungsfrage zu sprechen: Die ächte Güte der Gesinnung, die uneigennützige Tugend und der reine Edelmuth gehen also nicht von abstrakter Erkenntniß aus, aber doch von Erkenntniß: nämlich von einer unmittelbaren und intuitiven, die nicht wegzuräsonniren und nicht anzuräsonniren ist, von einer Erkenntniß, die eben weil sie nicht abstrakt ist, sich auch nicht mittheilen lßt, sondern Jedem selbst aufgehen muß, die daher ihren eigentlichen adäquaten Ausdruck nicht in Worten findet, sondern ganz allein in Thaten, im Handeln, im Lebenslauf des Menschen.48

Wenn auch Kierkegaard den Begriff einer ,intuitiven Erkenntnis‘ gewiss gleichfalls zurückgewiesen hätte, so kommt doch in der Hervorhebung der Grenze theoretischen Erkennens und dem Verweis auf die Sphäre konkreten Existierens Schopenhauer dem Kierkegaardschen Entwurf sehr viel näher als dessen scharfe Polemik vermuten lassen würde.

47 AUN2, 21 / SKS 7, 291f. 48 W I, 437 [Herv. v. Verf.].

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b) Reduplikation In Kierkegaards Kritik der späten Journale schlägt allerdings die Zurückweisung einer theoretischen Betrachtung des Ethischen stets sogleich um in die Frage nach Schopenhauers eigener Stellung zu seinem Werk. Dem entspricht es, dass Kierkegaard gerade im Spätwerk die Doppelreflexion zurückstellt, um den Begriff der Reduplikation eingehend zu bedenken. Diesen Begriff bestimmt Anti-Climacus in der Einbung nun als zweite mögliche Form der indirekten Mitteilung: Aber die indirekte Mitteilung kann auch auf eine andere Weise hervortreten, durch das Verhältnis zwischen der Mitteilung und dem Mitteilenden; hier ist also der Mitteilende mit dabei, während er im ersten Fall ausgelassen war, aber wohlgemerkt durch eine negative Reflexion. Unsere Zeit jedoch kennt eigentlich keine andere Art der Mittelung als jene mäßige: das Dozieren. Man hat rein vergessen, was existieren ist. Alle Mitteilung, die das Existieren betrifft, fordert einen Mitteilenden; der Mitteilende ist nämlich die Reduplikation der Mitteilung, in dem, was man versteht, existieren, heißt reduplizieren.49

Schon hier ergibt sich der Ansatzpunkt von Kierkegaards SchopenhauerKritik unmittelbar und beinahe ohne weitere Erläuterung.50 In fast wörtlicher Übereinstimmung heißt es in NB32:35, das „Sophistische“ liege in „dem Abstand zwischen dem, was man versteht und dem, was 49 EC, 128 / SKS 12, 137f. Es drängt sich hier freilich die Frage auf, inwiefern diese ,reduplizierte‘ Form der Mitteilung indirekt ist. In der Tat kann Anti-Climacus die Reduplikation hier nur deshalb ,indirekte Mitteilung‘ nennen, weil er an Christus und die christliche Mitteilung denkt. So heißt es weiter: „Aber weil ein Mitteilender da ist, der selbst in dem existiert, was er mitteilt, deshalb kann doch diese Mitteilung noch nicht indirekte Mitteilung genannt werden. Ist hingegen der Mitteiler selbst dialektisch bestimmt, sein eigenes Sein eine ReflexionsBestimmung, dann ist alle direkte Mitteilung unmöglich. So mit dem GottMenschen. Er ist ein Zeichen, das Zeichen des Widerspruchs, er ist in Unkenntlichkeit, also ist alle direkte Mitteilung unmöglich“ (EC, 128f. / SKS 12, 138). 50 Dass eben der Begriff der „Reduplikation“ zum Verständnis von Kierkegaards Schopenhauer-Kritik von entscheidender Bedeutung ist, wird auch bemerkt von: Søren Holm „Schopenhauer und Kierkegaard“ in Schopenhauer-Jahrbuch 43, 1962, S. 5 – 14, hier S. 10; Nelly Viallaneix „A. S./S. A.: Schopenhauer et Kierkegaard“ in Romantisme 32, 1981, S. 47 – 64, hier S. 61; Joakim Garff SAK. Søren Aabye Kierkegaard. En Biografi (Gads biografiserie), Kopenhagen 2000, S. 620 [dt.: Kierkegaard. Biografie, übers. v. Herbert Zeichner / Hermann Schmid, München 2004, S. 807].

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man ist […]. Aber dies ist der Fall bei Schopenhauer.“51 Ein Mitteilender, der sich bloß auf’s Mitteilen verlegt und kein existenzielles Verhältnis zu dem Mitgeteilten einnimmt, hat sich gewissermaßen selbst als Existierenden vergessen. Und gerade diese Existenzvergessenheit und ,Distraktion‘ steht im Mittelpunkt von Kierkegaards Spott und Polemik gegen das ,spekulative Denken‘ und das Dozieren ex cathedra. Um aber nachzuvollziehen, weshalb der Begriff der Reduplikation für Kierkegaard von so entscheidender Bedeutung ist, muss nochmals kurz auf die werkgeschichtliche Entwicklung des Mitteilungsbegriffs zurückgegangen werden. Im sukzessiven Wandel des Mitteilungsbegriffs kommt neben der Reduplikation noch einem zweiten Begriff eine zentrale Bedeutung zu: dem der Maieutik. Obgleich dieser Begriff zumeist mit der Konzeption einer indirekten Mitteilung unmittelbar assoziiert wird,52 kommt Kierkegaard die Einsicht, dass sein eigenes Werk als maieutische Struktur aufgefasst werden müsse, recht spät, nämlich erst 1846 nach der Veröffentlichung der Nachschrift. 53 Für Kierkegaard wird nun ab 1846 der Gedanke bestimmend, dass er selbst sich als Maieutiker zu begreifen habe, der auf indirekte Weise das Christentum wieder in die Christenheit einführe – ein Gedanke, der seine bekannteste Formulierung in der Rede vom „Hineinbetrgen in das Wahre“54 aus dem Gesichtspunkt und ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller erhalten hat. Der Prozess dieser Selbstreflexion, in dem Kierkegaard schließlich den Entschluss fasst, mit dem Gesichtspunkt eine direkte Mitteilung über das von ihm eigentlich ,Gewollte‘ zu formulieren, kulminiert im Journal NB6. In den knapp 100 Aufzeichnungen dieses Journals vom Juli/August 1848 lässt sich die 51 NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 142). 52 Dies liegt darin begründet, dass er in den von der Forschung zumeist rezipierten Schriften, dem Gesichtspunkt und noch mehr in ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller, eine zentrale Funktion innehat; vgl. hierzu Schwab „Direkte Mitteilung des Indirekten?“, S. 436 – 441. 53 In NB:13 notiert Kierkegaard erstmals den Gedanken, dass sein „Schaffen maieutisch“ gewesen sei; vgl. NB:13 (T 2, 52 / SKS 20, 25). Etwa zeitgleich macht er die ,Entdeckung‘, dass das fehlende Resultat in einigen platonischen Dialogen wesentlich eine „Wiedergabe der maieutischen Kunst des Sokrates“ sei; vgl. JJ:482 (DSKE 2, 311 / SKS 18, 299). – Dass Kierkegaard in der Ironieschrift auf die Maieutik des Sokrates nicht näher eingeht, hängt wesentlich damit zusammen, dass er gegenüber dem Verständnis Hegels, der Ironie und Maieutik gleichermaßen als Sokrates’ ,Manier der Konversation‘ begreift, die Ironie als dessen Standpunkt festhalten will (vgl. hierzu Schwab Der Rckstoß der Methode, Kap. III.1.). 54 WS, 5f. / SKS 13, 13; vgl. auch GWS, 47 – 49 / SV2 XIII, 577 – 579.

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Konzeption des Gesichtspunkts gleichsam Schritt für Schritt in ihrer Entstehung verfolgen. Dabei bedenkt Kierkegaard unter anderem die Frage, wie der Maieutiker sich zu seinem Schaffen denn selbst zu stellen habe; die Figur des bloß im verborgenen operierenden Maieutikers wird unter christlichen Voraussetzungen zunehmend fragwürdig. Hierzu heißt es in NB6:68: Die Mitteilung des Christlichen muss doch zuletzt in einem „Bezeugen“ enden, das Maieutische kann nicht die letzte Form sein. Denn, christlich verstanden, liegt die Wahrheit doch nicht im Subjekt (wie Sokrates es verstand), sondern ist eine Offenbarung, die verkündet werden muss. In der Christenheit kann ganz richtig das Maieutische zu gebrauchen sein, eben weil die meisten eigtl. in der Einbildung leben, Christen zu sein. Aber da das Christentum doch Christentum ist, so muss der Maieutiker der Zeuge werden.55

Und entsprechend in NB6:66: Es wird nun wohl gelten, unmittelbar mit voller Stimme die maieutische Anlage des Vorangehenden zu übernehmen, um bestimmt und direkt in den Charakter dessen zu treten, der der Sache des Christentums hat dienen wollen und will.56

Der Begriff, der nun diese Bewegung, ,mit voller Stimme Eintreten für das, was man gewollt hat und will‘, näher fasst, ist eben die Reduplikation – d. h. seiner Hauptbedeutung nach57 die Verdoppelung dessen, was gesagt bzw. gelehrt wird, in der Existenz. Schon vor der oben zitierten Passage der Einbung hält Kierkegaard in NB6:57 fest: „Reduplizieren ist zu sein, was man sagt.“58 Und gerade im Zusammenhang mit seinem verschärften Verständnis des Christentums wird die Reduplikation zur alles entscheidenden Forderung: Nein[,] Xstus hat nicht Dozenten eingesetzt – sondern Nachfolger. Wenn das Xstt (eben weil es nicht eine Lehre ist) sich nicht im Darstellenden re55 NB6:68 (T 3, 53 / SKS 21, 51). 56 NB6:66 (SS, 160 / SKS 21, 50). 57 ,Reduplikation‘ heißt zunächst einfach bloß ,Verdopplung‘. Der Begriff kann insofern bei Kierkegaard auch die doppelte Reflexion der indirekten Mitteilung bezeichnen, vgl. etwa NB6:61 (SKS 25, 45): „Es bleibt doch gewiss das Richtige: einmal der Mitwelt einen bestimmten und nicht-reduplizierten Eindruck davon zu geben, was ich von mir selbst sage, dass ich bin, was ich will usw.“ ,Nichtredupliziert‘ – das heißt hier so viel wie ,nicht indirekt‘; gemeint ist die ,direkte Mitteilung‘ des Gesichtspunkts. Vgl. für diese Verwendungsweise auch NB6:76 (T 3, 56 – 58 / SKS 25, 59). 58 NB6:57 (T 3, 51 / SKS 25, 42).

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dupliziert, dann stellt er nicht das Xstt dar; denn das Xstt ist eine ExistenzMitteilung, und kann nur dargestellt werden – durch Existieren. Überhaupt ist ja das, darin zu existieren, es existierend auszudrücken usw. das Reduplizieren.59

Von hier her wird erst die beißende Polemik Kierkegaards gegen Schopenhauer verständlich. Was dabei für Kierkegaard ,auf dem Spiel steht‘, ist nicht allein eine sachliche Diskussion über die angemessene Form einer Darstellung des Ethischen, sondern zuerst sein eigenes Selbstverständnis – die Frage, bis zu welchem Grad und in welcher Weise er für das selbst von ihm Erkannte und Gelehrte existenziell-reduplizierend einzustehen hat. Man tut gut daran, im Gedächtnis zu behalten, dass Kierkegaard zu dem Zeitpunkt, als er seine Kritik an Schopenhauer ab Mai 1854 formuliert, bereits den Text „War Bischof Mynster ein Wahrheitszeuge“ verfasst hatte,60 mit dessen Publikation im Dezember desselben Jahres die Auseinandersetzung mit Bischof Martensen und der dänischen Kirche – der so genannte Augenblick-Streit – beginnt. Dieser Kontext ist zweifelsohne für die Schärfe von Kierkegaards Polemik gegen Schopenhauer zu berücksichtigen. Es sollte aber sichtbar geworden sein, dass Kierkegaards Kritik sich keineswegs darin erschöpft, sondern ihr sachliches Fundament in einer Mitteilungs- und Darstellungstheorie hat, die sich entschieden vom Systemdenken ab- und dem konkreten Existenzvollzug des Einzelnen zuwendet.

IV. Der ,systemerzeugte Heilige‘ Von hier aus lässt sich der Bogen in aller Kürze zurückschlagen zu der eingangs skizzierten Umbruchskonstellation zwischen Idealismus und Moderne. In der nachdrücklichen Ausrichtung auf das einzelne Existieren als Anliegen einer Philosophie, das sich nicht mehr in einem systematisch geschlossenen und ganzheitlichen Entwurf einfassen lässt, sondern eine entschieden nicht-systematische, indirekte Methode entwirft, zeigt sich – trotz aller Gemeinsamkeiten – der gleichsam ,epochale‘ Unterschied 59 NB6:56 (T 3, 50 / SKS 25, 42). Vgl. hierzu auch NB6:13 (SKS 21, 17): „Die Reduplikation ist eigtl. das Christliche, es ist nicht bloß als Lehre verschieden von anderen Lehren, sondern wesentlich dadurch verschieden, dass es diejenige Lehre ist, die redupliziert, dann ist der Lehrer von Wichtigkeit. Christlich wird beständig gefragt: nicht bloß dass es christlich wahr ist, was einer sagt, sondern: wie ist er, der es sagt.“ 60 Vgl. A, 3 / SKS 14, 123. Der Text trägt als Abfassungsdatum „Febr. 1854“.

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zwischen Kierkegaard und Schopenhauer. Dass sich diese Differenz bei aller Einseitigkeit der Kritik Kierkegaards auch aus dieser herausarbeiten lässt, sofern ihre methodische Basis eingeholt wird, sollte hier skizziert werden. Die genannte Differenz bleibt – so die These – selbst dann noch bestehen, wenn gegen Kierkegaards Kritik mit Recht eingewandt wird, dass Schopenhauer den ,Existenzvollzug‘ der Askese ausdrücklich in das Jenseits der systematischen Betrachtung verlegt – besteht der entscheidende Unterschied doch darin, dass Kierkegaard seinen denkerischen Entwurf im Ganzen auf diese Ungreifbarkeit abstellt, was für Schopenhauers Entwurf des ,einzigen Gedankens‘61 offensichtlich nicht zutrifft. Dass Schopenhauer allerdings gerade eine Existenzform, nämlich die Askese, zum ,Schlussstein des Systems‘ macht, deutet nachdrücklicher auf Kierkegaard voraus, als dieser wahrhaben möchte. Die Ambivalenz dieser Konstellation hat, ohne allerdings den einen der beiden Protagonisten beim Namen zu nennen, Franz Rosenzweig im Stern der Erlçsung in einer eindringlichen Formulierung festgehalten: Schopenhauer fragte als erster unter den großen Denkern nicht nach dem Wesen, sondern nach dem Wert der Welt. Eine höchst unwissenschaftliche Frage, wenn sie wirklich so gemeint war, daß nicht nach dem objektiven Wert, dem Wert für irgend „etwas“, dem „Sinn“ oder „Zweck“ der Welt, gefragt sein sollte – was ja nur ein andrer Ausdruck für die Frage nach dem Wesen wäre –, sondern wenn die Frage auf den Wert für den Menschen, vielleicht gar für den Menschen Arthur Schopenhauer ging. Und so war es gemeint. Bewußt zwar wurde wohl nur nach dem Wert für den Menschen gefragt, und selbst dieser Frage wurden die Giftzähne ausgebrochen, indem sie schließlich doch ihre Lösung wieder in einem System der Welt fand. System bedeutet ja ohne weiteres schon unabhängiges allgemeines Gelten. Und so fand die Frage des vorsystematischen Menschen ihre Antwort durch den systemerzeugten Heiligen des Schlußteils. Immerhin auch dies schon etwas in der Philosophie Unerhörtes, daß ein Menschentyp und nicht ein Begriff den Systembogen schloß, wirklich als Schlußstein schloß, nicht etwa als ethisches Schmuckstück oder Anhängsel ergänzte.62

Rosenzweigs Darstellung von Schopenhauers Ambivalenz, die sich in sichtbarer Weise an Kierkegaard abarbeitet, ist ihrerseits ambivalent: Sie lässt einerseits Schopenhauer nicht nach dem ,Wesen der Welt‘ fragen – 61 Vgl. W I, VIIf. 62 Franz Rosenzweig Der Stern der Erlçsung, mit e. Einf. v. Reinhold Mayer u. e. Gedenkrede v. Gershom Scholem, Frankfurt a.M. 1988, S. 8f.; vgl. hierzu Lore Hühn „Sinn und Sinnkritik: Kierkegaards Weg zu einer konkret-maieutischen Ethik“ in Anfang und Grenzen des Sinns, hrsg. v. Brigitte Hilmer / Georg Lohmann / Tilo Wesche, Weilerswist 2006, S. 93 – 105, hier S. 93f.

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welches allerdings dieser mit dem Begriff des Willens durchaus erkannt zu haben beansprucht –, sondern nach dem ,Wert‘ der Welt gerade für den Einzelnen; andererseits aber werde dieser Frage durch die ihr gegebene Antwort, dem ,systemerzeugten Heiligen‘, die Spitze genommen. Ebenfalls mit offensichtlichem Bezug auf Kierkegaard und seine Folgen, aber in knapper pointierter Wendung, hat auch Adorno die ambivalente Stellung Schopenhauers zwischen Idealismus und Moderne ausgedrückt: Er sei der „verdrossene Ahnherr der Existenzphilosophie und boshafte Erbe der großen Spekulation“.63

63 Theodor W. Adorno Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschdigten Leben [1951] in Gesammelte Schriften, Bd. 4, 1997, S. 174.

Die Schopenhauer-Rezeption in Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie unter Berücksichtigung möglicher Kierkegaard-Spuren Von Søren R. Fauth Abstract This paper argues that the mechanistic and legal practices of the old commander in Kafka’s In the Penal Colony can be interpreted adequately and consistently in the context of a metaphysical worldview, especially in light of Schopenhaurian soteriology. Kafka’s famous story reawakens an old problem that lies in the history of European thought, i. e. the contrast between spirit and nature, soul and body, and between the affirmation and denial of the will for life. Furthermore, it is shown that the Schopenhaurian-Kierkegaardian understanding of sin and guilt casts greater light on fundamental themes expressed in one of the strangest stories written in Modern Literature.1

I. Kafkas Werk lässt sich nicht auf die für die Moderne und Postmoderne charakteristische Erfahrung eines allgegenwärtigen Sinnverlustes reduzieren, sondern verweist unaufhörlich auf neue – oder vielmehr alte – Sinnentwürfe. Wirft man einen Blick auf das von Jürgen Born rekonstruierte Verzeichnis der Privatbibliothek Kafkas, so wird ersichtlich, dass der Leser Kafka nebst einem bedeutenden Interesse für Schriftsteller und Dramatiker wie Dostojewski, Tolstoi, Shakespeare, Flaubert, Hamsun und Strindberg und einer Vorliebe für biographische Schriften (Briefe, Biographien und Autobiographien) eine beachtliche Sammlung von Darstellungen zur Religion und Philosophie besaß. Unter den Schriften 1

Diese Studie ist eine leicht veränderte Version meines Aufsatzes „,Die Schuld ist immer zweifellos‘. Schopenhauersche Soteriologie und Gnosis in Kafkas Erzählung In der Strafkolonie“, die erstmalig in der Deutschen Vierteljahrsschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 83, H. 2, 2009, S. 262 – 286, veröffentlicht wurde.

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zur Religion ragen Studien zum Judentum, zur jüdischen Mystik und zum Zionismus hervor, während die philosophischen Schriften eine deutliche Neigung zu Søren Kierkegaard und Arthur Schopenhauer bekunden. Abgesehen vom 1., 7. und 12. Band besaß Kafka die von Rudolf Steiner besorgte 12 bändige Ausgabe der sämtlichen Werke Arthur Schopenhauers.2 Unter Kafkas Büchern befanden sich von Kierkegaard Der Begriff der Angst; 3 Die Krankheit zum Tode; 4 Der Pfahl im Fleisch 5 und Stadien auf dem Lebensweg. 6 In Kafkas Tagebüchern und in den Briefen stößt man mehrfach auf Kierkegaard-Verweise: Der Augenblick, Entweder-Oder, Furcht und Zittern (so in einem Brief an die Schwester Ottla, in den Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und in zahlreichen weiteren Briefen), Stadien auf dem Lebensweg, Die Wiederholung und schließlich das für die Kierkegaard-Rezeption Kafkas wohl am meisten einschlägige, editionsphilologisch jedoch äußerst problematische Buch des Richters. 7 Die literarischen Antworten Kafkas auf die permanente Sinnkrise des eigenen Lebens und die der Jahrhundertwende können mit Gewinn vor dem Hintergrund philosophischer und religiöser Diskurse hermeneutisch reflektiert werden. Kierkegaard und Schopenhauer sollten hierbei in einer solchen Reflexion eminente Bedeutung erlangen. Namentlich von 2

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Jürgen Born Kafkas Bibliothek. Ein beschreibendes Verzeichnis, Frankfurt a.M. 1990. Zu Schopenhauer: S. 128 – 130. Die Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Kafkas In der Strafkolonie und Schopenhauers Philosophie sind spärlich. 1978 legten Martha Satz und Zsuzsanna Ozsvath in der German Studies Review den Aufsatz „A Hunger Artist and In the Penal Colony in the Light of Schopenhauerian Metaphysics“ vor. Diese Arbeit widmet sich vor allem einer eingehenden Interpretation des Hungerknstlers, während die Auseinandersetzung mit In der Strafkolonie mit insgesamt 4 Seiten Umfang etwas zu kurz kommt. Vgl. Martha Satz / Zsuzsanna Ozsvath „A Hunger Artist and In the Penal Colony in the Light of Schopenhauerian Metaphysics“ in German Studies Review 1, H. 2, 1978, S. 200 – 210. Ferner ist die 1956 erschienene Arbeit von T. J. Reed hervorzuheben: Terence James Reed „Kafka und Schopenhauer: Philosophisches Denken und dichterisches Bild“ in Euphorion. Zeitschrift fr Literaturgeschichte 59, 1956, S. 160 – 172. In der Übersetzung von Christoph Schrempf (Søren Kierkegaard Gesammelte Werke, Bd. 5, verlegt von Eugen Diederichs), erschienen 1912. Übersetzt von Hermann Gottsched (Gesammelte Werke, Bd. 8), erschienen 1911. Übersetzt von Theodor Haecker, Brenner Verlag, 1914. Übersetzt von Christoph Schrempf und Wolfgang Pfleiderer (Gesammelte Werke, Bd. 4), erschienen 1922. Sören Kierkegaard Buch des Richters. Seine Tagebcher 1833 – 1855, im Auszug aus d. Dän. v. Hermann Gottsched, Jena / Leipzig 1905.

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einigen Grundvorstellungen der Philosophie Schopenhauers ausgehend soll die 1914 entstandene und 1919 erstmalig veröffentlichte Erzählung In der Strafkolonie als literarisches Modell möglicher Antworten und Fragen zum zunehmenden Sinnverlust an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in den Blick genommen werden. Kierkegaard spielt in diesem ersten Annäherungsversuch eine Nebenrolle.8 Im Denken Schopenhauers – jenes philosophische Präludium des modernen Weltbildes menschlicher Ohnmacht par excellence – erscheint Leid als fundamentalontologisches Merkmal des Daseins.9 Der im ,principium individuationis‘ befangene, vom Schleier der Maja geblendete Mensch ist der Leidensexistenz ausgeliefert. Das Subjekt des Wollens ist eo ipso Subjekt des Leidens. Der Mensch, der sein Wollen bejaht, ist ewiglich dem Kreislauf des Nie-zur-Ruhe-Kommens verfallen: Der Wollende erreicht nur scheinbar das anvisierte Ziel; wird dieses erlangt, stellt sich die quälende Langeweile ein, die neues Verlangen gebiert. Das in der Vorstellungswelt dem ,principium individuationis‘ verhaftete Leidenssubjekt des 8

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Eine größere Studie zum Dreigestirn Kierkegaard-Kafka-Schopenhauer ist geplant. Zur Kierkegaard-Rezeption Kafkas vgl. den Übersichtsbeitrag im KafkaHandbuch, hrsg. v. Hartmut Binder, 2 Bde., Stuttgart 1979, hier Bd. 1: Der Mensch und seine Zeit, S. 523 – 528. Eigens hervorzuheben sei an dieser Stelle ferner der (luzide, nicht genug zu empfehlende, wenn auch zu sehr ein Kind der Postmoderne, und den hier vorliegenden Thesen im Wesentlichen widersprechende) auf die Ironie Kierkegaards und Kafkas fokussierte Beitrag Wolfgang Langes „Über Kafkas Kierkegaard-Lektüre und einige damit zusammenhängende Gegenstände“ in Deutsche Vierteljahrsschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 60, 1986, S. 286 – 308 und Richard Sheppard „Kafka, Kierkegaard and The K.’s: Theology, Psychology and Fiction“ in Journal of Literature and Theology 5, 1991, S. 277 – 296; vgl. auch Leena Eilittä Approaches to Personal Identity in Kafka’s Short Fiction: Freud, Darwin, Kierkegaard, Helsinki 1999; Leena Eilittä „Art as Religious Commitment: Kafka’s Debt to Kierkegaardian Ideas and Their Impact On His Late Stories“ in German Life and Letters 53, 2000, S. 499 – 510; Claude David „Die Geschichte Abrahams: Zu Kafkas Auseinandersetzung mit Kierkegaard“ in Bild und Gedanke. Festschrift fr Gerhart Baumann zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Günter Schnitzler u. a., München 1980, S. 79 – 90. Vgl. dazu Søren Kierkegaards zahlreiche Jounalaufzeichnungen zu Schwermut, Unglück und Leid, vor allem in Bezug auf seine qualvolle Verlobungs- und Entlobungsgeschichte mit Regine Olsen. So heißt es z. B. an einer Stelle, dem schopenhauerischen Tenor des ontometaphysischen Leidenmüssens sehr ähnlich: „Auch darin war, wie in allem, eine unendliche Verschiedenheit zwischen ihr [d.h. Regine Olsen] und mir: sie wünschte in der Welt zu glänzen oder hatte es doch gewünscht, – und ich mit meiner Schwermut und meiner schwermütigen Ansicht von leiden und leiden müssen!“ (Kierkegaard Buch des Richters, S. 25).

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Wollens bleibt, solange es seinen Willen bejaht, in diese sinnlose Ausweglosigkeit eines permanenten Hin- und Hergeworfenseins zwischen Verlangen und Erfüllung verstrickt – wie Vladimir und Estragon in Becketts Warten auf Godot, die in ihrem Haschen nach Sinn und Erfüllung des Lebens im sinnlosen Spiel des unruhigen Wartens verharren. Schopenhauer genießt zu Recht den Ruhm sprachlicher Meisterschaft, sein bildreicher Schreibduktus sucht in der modernen Geschichte der Philosophie seinesgleichen. Und ferner: Gerade seine suggestive und anschauliche Sprache hat, wie David E. Wellbery in seiner Studie Schopenhauers Bedeutung fr die moderne Literatur zeigen konnte, die Rezeption seines Denkens in der literarischen Moderne maßgeblich geprägt. Im ersten Band der Welt als Wille und Vorstellung heißt es: Darum nun, solange unser Bewußtseyn von unserm Willen erfüllt ist, solange wir dem Drange der Wünsche, mit seinem steten Hoffen und Fürchten, hingegeben sind, solange wir Subjekt des Wollens sind, wird uns nimmermehr dauerndes Glück, noch Ruhe. Ob wir jagen, oder fliehn, Unheil fürchten, oder nach Genuß streben, ist im Wesentlichen einerlei: die Sorge für den stets fordernden Willen, gleichviel in welcher Gestalt, erfüllt und bewegt fortdauernd das Bewußtseyn; ohne Ruhe aber ist durchaus kein wahres Wohlseyn möglich. So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus.10

Schon der Leib des Menschen ist die in Erscheinung getretene Bejahung des Willens. Die Genitalien sind der objektivierte Wille zur Fortpflanzung, der Mund, die Zähne, der Schlund der objektivierte Hunger. Jede Aktion des Leibes ist ein Akt des Willens. Man könne deswegen, so Schopenhauer in seinen Berliner Vorlesungsmanuskripten, „statt Bejahung des Willens, auch Bejahung des Leibes sagen.“11 Das secundum naturam vivere (d. h. der Natur gemäß leben) des Menschen und der Tiere ist das „von keiner Erkenntniß gestörte beständige Wollen“,12 oder anders gesagt: die allgemeine und natürliche Seinsweise des Menschen liegt in der erkenntnislosen Bejahung des Willens. Schopenhauer notiert: „Das Grundthema aller mannigfaltigen Willensakte ist die Befriedigung der Bedürfnisse, welche vom Dasein des Leibes in seiner Gesundheit unzertrennlich sind und daher schon im Leibe selbst ihren Ausdruck haben: 10 W I, 231. 11 Arthur Schopenhauer Philosophische Vorlesungen. Aus dem handschriftlichen Nachlaß, hrsg. u. eingel. v. Volker Spierling, 4 Bde., München 1984 – 1986, hier Bd. 4: Metaphysik der Sitten [1820], 1985, S. 135. 12 Ebd.

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sie lassen sich zurückführen auf Erhaltung des Individuums und Fortpflanzung des Geschlechts.“13 Die Befriedigung des Sexualtriebes im Zeugungsakt ist eine Bejahung des Willens, die über die bloße Erhaltung des Leibes hinausgeht, denn als „Folge des Zeugungs-Akts“ erscheint „ein neues Leben, ein neues Individuum: die Wiederholung der Lebenserscheinung.“14 Durch den Zeugungsakt wird die Leidensexistenz fortgesetzt. Die menschliche Vernunft, so Schopenhauers Zurechtweisung der Vernunftgläubigkeit der Aufklärung, ist ausschließlich damit beschäftigt, Motive für das Wollen zu finden. Der Kreislauf, in dem sich die Menschen befinden, ist dieser: „sie wollen, wissen was sie wollen“ und „streben danach“.15 Die Rangfolge ist entscheidend: Erst wollen wir, dann wissen wir, was wir wollen, nicht umgekehrt. Wir wissen nicht, was wir wollen, unabhängig vom Wollen selbst. Ohne die bewegende Kraft, ohne den ersten Anstoß des Wollens können wir keinen spezifischen von der Vernunft begrifflich erschlossenen und vom Verstand ins Auge gefassten Gegenstand unseres Verlangens verfolgen. Der menschliche Intellekt oder, wie Schopenhauer ihn auch nennt, die Gehirnfunktion steht im Dienst volitiver Kräfte, der Intellekt ist Werkzeug des Willens. Die mit diesen Gedanken einhergehende Entthronung der menschlichen Vernunft darf nicht mit lebensphilosophischem Irrationalismus verwechselt werden. Schopenhauers Willensmetaphysik und seine Analyse der Vorstellungswelt ist eine phänomenologische Deskription und Deutung der Welt, enthält keine normative Aufwertung menschlicher Triebhaftigkeit. Das Gegenteil ist der Fall. Und weiter: Die Erkenntnis der Welt als Wille entspringt nicht einer metaphysischen Setzung einer frei fabulierenden Vernunft, die unabhängig von der empirischen Welt ihr Gedankengebäude gestaltet, sondern der Wille ist unmittelbar in unserem Bewusstsein, in der Welt selbst aufzuspüren. Bemerkenswert im Zusammenhang mit Kafka ist die mit der Bejahung des Willens zum Leben eng verknüpfte Vorstellung Schopenhauers von der ewigen Gerechtigkeit. Im Gegensatz zur zeitlichen Gerechtigkeit, die ihren Ort im Staat hat und über gesellschaftlichen Fragen des Rechts und Unrechts waltet, beherrscht die ewige Gerechtigkeit die Welt als solche und sagt etwas über die eigentlich innere „ethische[n] Be13 Ebd. 14 Ebd., S. 138. 15 W I, 386.

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deutsamkeit des menschlichen Handelns“16 aus. Sie ist kein vergeltendes oder strafendes Recht, das in der Zeitlichkeit für Gerechtigkeit sorgt, sondern liegt dem Sein als solchem zugrunde.17 Als fundamentalontologische Gegebenheit und im Gegensatz zur staatlichen, von Menschen vorgegebener Gerechtigkeit ist sie weder unsicher noch schwankend, sondern sicher und unfehlbar. Die ewige Gerechtigkeit kennt keine Trennung von Strafe (malum poenae) und Vergehen (malum culpae), Schuld und Sühne sind eins. Eine unbestrafte Schuld ist undenkbar, die Strafe ist bereits in der begangenen Schuld enthalten. Schopenhauers Postulat einer ewigen Gerechtigkeit ist von seiner Willensmetaphysik untrennbar. Der den Willen zum Leben bejahende Mensch, dessen Erkenntnisvermögen von den Grenzen des ,principium individuationis‘ (Zeit, Raum und Kausalität) bestimmt wird, ist – wie bereits angeführt – dem Leiden an sich anheimgegeben, und mehr noch: je heftiger das Wollen, um so heftiger die Qualen. Die ewige Gerechtigkeit liegt in der unumstößlichen Korrelation zwischen Bejahung des Willens zum Leben und dem damit einhergehenden Quantum an Leid: „Die Welt selbst ist das Weltgericht.“18 Schuld, Strafe, Recht und Unrecht wurzeln in der metaphysischen Beschaffenheit der Welt, zeitliche Gerechtigkeit in Gestalt eines institutionalisierten Rechtswesens kann die ewige Gerechtigkeit nie außer Kraft setzen. Der Mensch steht allenthalben und zu jeder Zeit vor 16 W II, 697. 17 Nach der Entfesselung des Verurteilten und der Entscheidung des Offiziers, sich dem Tod auf der Foltermaschine hinzugeben, wird klar, dass der befreite Sträfling seinen innersten und primitiven Wünschen nach fälschlicherweise die Selbsttötung des Offiziers als „Rache“ (in seinen Augen eine Art zeitlicher Gerechtigkeit) deutet: „Was ihm [dem Verurteilten] geschehen war, geschah nun dem Offizier. Vielleicht würde es so bis zum Äußersten gehen. Wahrscheinlich hatte der fremde Reisende den Befehl dazu gegeben. Das war also Rache. Ohne selbst bis zum Ende gelitten zu haben, wurde er doch bis zum Ende gerächt. Ein breites, lautloses Lachen erschien nun auf seinem Gesicht und verschwand nicht mehr“ (Franz Kafka „In der Strafkolonie“ [1919] in Schriften, Tagebcher, Briefe. Kritische Ausgabe, hrsg. v. Jürgen Born u. a., Frankfurt a.M. 1982ff., Bd. Drucke zu Lebzeiten, 1994, S. 201 – 248, hier S. 241). Diese Textpassage verrät eine deutliche Distanz des Erzählers dem Verurteilten gegenüber. Das Verhalten des Verurteilten zeigt, dass der von den metaphysischen Bindungen losgelöste Mensch keineswegs vermag, einer dem Sein selbst innewohnenden ewigen Gerechtigkeit durch eine vom Menschen verwaltete zeitliche Gerechtigkeit zu ersetzen. Die offensichtliche Unvollkommenheit des Verurteilten als eines exemplarischen Repräsentanten des ,neuen Systems‘ macht ihn zu einem primitiven ,Richter‘, dessen rechtliche Überzeugung von Rachegefühlen bestimmt wird. 18 Schopenhauer Metaphysik der Sitten, S. 181.

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dem Richterstuhl des „Weltgerichts“, seine Schuld, die er schließlich mit dem Leben abträgt, liegt in seinem Sein als solchem begründet. Dieser Urschuld ist jeder verfallen, und niemand kann sich der ewigen Gerechtigkeit entziehen. Die Schuld und das damit verbundene Urteil, dem z. B. Joseph K. in Kafkas Prozeß hilflos ausgeliefert ist, ist von Anfang an verhängt. Aus weltlicher Perspektive mag das Urteil ungerecht, unbegründet und befremdlich anmuten, sub specie jener ewigen Gerechtigkeit korreliert die Strafe immer mit der angeborenen Schuld. Aus dieser metaphysischen Optik werden Prinzipien zeitlicher Gerechtigkeit obsolet, so z. B. das selbstverständliche Recht, den Wortlaut des Urteils zu kennen, und ferner das in demokratischen Rechtsstaaten waltende Recht des Verurteilten auf Verteidigung. Über das vom neuen Kommandanten sukzessiv kassierte alte Gerichtsverfahren der Strafkolonie berichtet der Verehrer des alten Kommandanten, jener für die Foltermaschine zuständige Offizier, dem staunenden Forschungsreisenden Folgendes, das den schopenhauerischen Gedanken sehr nahe kommt: Der Reisende hatte Verschiedenes fragen wollen, fragte aber im Anblick des Mannes nur: „Kennt er sein Urteil?“ „Nein“, sagte der Offizier und wollte gleich in seinen Erklärungen fortfahren, aber der Reisende unterbrach ihn: „Er kennt sein eigenes Urteil nicht?“ „Nein“, sagte der Offizier wieder […] „Aber daß er überhaupt verurteilt wurde, das weiß er doch?“ „Auch nicht“, sagte der Offizier und lächelte den Reisenden an, als erwarte er nun von ihm noch einige sonderbare Eröffnungen. „Nein“, sagte der Reisende und strich sich über die Stirn hin, „dann weiß also der Mann auch jetzt noch nicht, wie seine Verteidigung aufgenommen wurde?“ „Er hat keine Gelegenheit gehabt, sich zu verteidigen“, sagte der Offizier und sah abseits, als rede er zu sich selbst und wolle den Reisenden durch Erzählung dieser ihm selbstverständlichen Dinge nicht beschämen. „Er muß doch Gelegenheit gehabt haben, sich zu verteidigen“, sagte der Reisende und stand vom Sessel auf. 19

Als heutiger (und vermutlich auch damaliger) Leser identifiziert man sich unmittelbar mit der Perspektive des Forschungsreisenden und neigt dazu, Kafkas Erzählung als Spiegel einer sinnentleerten Moderne zu interpretieren, in der Zufall und Absurdität das Menschenleben bestimmen. Erst die kontraintuitive Lektüre, die den symbolischen und metaphysischen Kontext des Erzählten berücksichtigt, offenbart, dass sich hinter der eigenartigen denotativen Textoberfläche ein bestimmtes Sinnsystem verbirgt. Die transzendente, willensmetaphysische Sicht enthüllt die hinter der zeitlich und räumlich begrenzten Welt der Vorstellung verborgene ewige 19 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 211f.

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Gerechtigkeit. Die in der Erfahrung hervortretende Welt der Zeitlichkeit erscheint, als wäre sie von Zufall, Irrtum und Ungerechtigkeit regiert. Verschwände die Täuschung des ,principium individuationis‘, das den Blick auf die transzendente Wahrheit verstellt, würde der Mensch nach Schopenhauer erkennen, dass so sehr seine eigene Person „unschuldig“, sein „Wesen dennoch der Schuld theilhaft“ ist.20 Da „alles Böse, was auf der […] Welt verübt wird“, dem Willen, der unser Wesen ausmacht, entspringt und da die momentane oder anhaltende Außerkraftsetzung des Individuationsprinzips die Trennung zwischen Ich und Nicht-Ich aufhebt, würde eine Person, in der eine solche Wandlung der Erkenntnisweise stattgefunden hätte, erkennen, „daß in allem Leiden was ihn trifft ihm Recht geschieht: denn er selbst ist der Wille zum Leben von dem das Alles ausgeht und dessen Erscheinung diese Dinge mit sich bringt“.21 In der Zeit vor dem Tod des alten Kommandanten, d. h. vor dem Übergang zur Weltlichkeit des neuen Systems, besaßen alle Einwohner der Strafkolonie noch – glaubt man den Worten des Offiziers – einen Sinn für diese überzeitliche Gerechtigkeit: „Und nun begann die Exekution! Kein Mißton störte die Arbeit der Maschine. Manche sahen nun gar nicht mehr zu, sondern lagen mit geschlossenen Augen im Sand; alle wußten: Jetzt geschieht Gerechtigkeit“.22 Die im Wesen des Menschen wurzelnde Bejahung des Willens als Grundlage aller Qualen sieht Schopenhauer metaphorisch durch den Mythos des Christentums vom Sündenfall und der Erbsündenlehre ausgesprochen. Die ewige Gerechtigkeit ist durch die säkularisierte Optik des schopenhauerischen Denkens bereits im christlichen Dogma der Erbsünde vorformuliert, „wonach der Mensch schon durch seine Geburt schuldig ist, und daher der Mühe, dem Leiden und dem Tode mit Recht anheimgefallen“.23 Im zweiten Band der Welt als Wille und Vorstellung notiert Schopenhauer: Wenn man demgemäß den Menschen ansieht als ein Wesen, dessen Daseyn eine Strafe und Buße ist; – so erblickt man ihn in einem schon richtigeren Lichte. Der Mythos vom Sündenfall […] ist das einzige im Alten Testament, dem ich eine metaphysische, wenngleich nur allegorische Wahrheit zugestehen kann; ja, er ist es allein, was mich mit dem Alten Testament aussöhnt.24 20 21 22 23 24

Schopenhauer Metaphysik der Sitten, S. 185. Ebd. Kafka „In der Strafkolonie“, S. 225f. Schopenhauer Metaphysik der Sitten, S. 186. W II, 666.

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Und kurz zuvor heißt es, im Zusammenhang mit Kafka gleichfalls heuristisch fruchtbar: Denn das menschliche Daseyn, weit entfernt den Charakter eines Geschenks zu tragen, hat ganz und gar den einer kontrahirten Schuld. Die Einforderung derselben erscheint in Gestalt der, durch jenes Daseyn gesetzten, dringenden Bedürfnisse, quälenden Wünsche und endlosen Noth. Auf Abzahlung dieser Schuld wird, in der Regel, die ganze Lebenszeit verwendet: doch sind damit erst die Zinsen getilgt. Die Kapitalabzahlung geschieht durch den Tod. – Und wann wurde diese Schuld kontrahirt? – Bei der Zeugung.25

Nun stellt sich die Frage, was dies weiter mit Kafkas Erzählung In der Strafkolonie zu tun hat? Im zweiten Band der Parerga und Paralipomena formuliert Schopenhauer unter dem Titel „Nachträge zur Lehre vom Leiden der Welt“ etwas, was mit den oben skizzierten Grundgedanken seines Systems eng verflochten ist und zudem die deutliche Verbindung zu Kafkas Erzählwelt enthüllt: „Um allezeit einen sichern Kompaß, zur Orientirung im Leben, bei der Hand zu haben, und um dasselbe, ohne je irre zu werden, stets im richtigen Lichte zu erblicken, ist nichts tauglicher, als daß man sich angewöhne, diese Welt zu betrachten als einen Ort der Buße, also gleichsam als eine Strafanstalt, a penal colony“. 26 In the Penal Colony – so lautet der englischsprachige Titel von Kafkas In der Strafkolonie. Wenden wir uns nun der Erzählung etwas genauer zu.

II. In der Strafkolonie konfrontiert seinen Leser mit zwei einander konträr gegenüber stehenden ,Lebenssystemen‘: Das System des alten und des neuen Kommandanten und deren Vermittlung durch die Perspektive des Offiziers, der nach dem Tod des alten Kommandanten für den Rechtsvollzug der Strafkolonie zuständig ist, welches bedeutet, dass er über die in einem wüsten Tal aufgestellte Foltermaschine verfügt. Die Funktion und Bedeutung der vom Erzähler in allen Einzelheiten beschriebenen Foltermaschine erschließt sich nicht in ihrer konkreten Gegebenheit, sondern als Symbol möglicher Daseins- und Gesellschaftsformen. Der Zusammenbruch der Foltermaschine und der qualvolle Tod des Offiziers am Ende der Erzählung markieren den Übergang zur künftigen Welt. Diese Welt steht im Zeichen des neuen Kommandanten und dessen Hin25 W II, 665f. 26 P II, 321.

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wendung zur Diesseitigkeit. Das durch die Foltermaschine symbolisierte Strafverfahren wird vom neuen Kommandanten abgelehnt, die alte, brutale Vorgehensweise weicht einer, wie es im Text heißt, „milde[n] Richtung“.27 Während das Interesse des einstigen Kommandanten ganz der Perfektionierung der Foltermaschine galt, führt der jetzige Kommandant ein auf Hedonismus ausgerichtetes Leben, in dessen Mittelpunkt Frauen und „Hafenbauten, immer wieder Hafenbauten“28 stehen. Werte wie Handel, Sex und – im schopenhauerischen Sinne – zeitliche Gerechtigkeit haben unter der Führung des neuen Kommandanten allmählich das durch die Foltermaschine symbolisierte alte System ersetzt. Die introvertierte Selbstbesinnung auf eigene Schuld ist durch eine extrovertierte Zurschaustellung zeitlichen Vergnügens und auf Äußerlichkeit bedachte Performanz ersetzt worden. Mit den Worten des Offiziers: „Morgen findet in der Kommandatur [!] unter dem Vorsitz des Kommandanten eine große Sitzung aller höheren Verwaltungsbeamten statt. Der Kommandant hat es natürlich verstanden, aus solchen Sitzungen eine Schaustellung zu machen. Es wurde eine Galerie gebaut, die mit Zuschauern immer besetzt ist. Ich bin gezwungen an den Beratungen teilzunehmen, aber der Widerwille schüttelt mich. Nun werden Sie gewiß auf jeden Fall zu der Sitzung eingeladen werden […]. Nun sitzen Sie also morgen mit den Damen in der Loge des Kommandanten. […] Nach verschiedenen gleichgültigen, lächerlichen, nur für die Zuhörer berechneten Verhandlungsgegenständen […] kommt auch das Gerichtsverfahren zur Sprache.“29

Aus heutiger Perspektive liegt es auf der Hand, das alte strafrechtliche System der Kolonie als inhuman abzulehnen. Der säkularisierte und aufgeklärte Rezipient hat es schwer, gegen den eigenen Erwartungshorizont zu lesen, aber gerade dies ist bei Kafka die Bedingung einer angemessenen Deutung. Und mehr noch: Der durch die Foltermaschine exemplarisch vorgeführte Gerichtsvollzug ist – mehr als buchstäblich zu nehmendes Strafverfahren – eine sinnbildliche Repräsentation eines Hauptthemas im Werk Kafkas: die überall vorhandene Schuld- und Sühne-Ontologie. Die Erzählung übermittelt – aus der Optik des Erzählers und des Forschungsreisenden betrachtet – eindeutig weder ein Für noch Gegen hinsichtlich des alten oder neuen Systems. Der Forschungsreisende, der die Strafkolonie auf Veranlassung des neuen Kommandanten besichtigt, 27 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 223. 28 Ebd., S. 233. 29 Ebd., S. 232f.

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ist von der Foltermaschine zugleich entsetzt und fasziniert. Im vorliegenden Zusammenhang (schopenhauerische Eschatologie und Gnosis) interessiert die Beschreibung der Foltermaschine aus der Perspektive des Offiziers, jener einzig übriggebliebenen Person der Strafkolonie, die das strafrechtliche Verfahren und die Daseinsweise des alten Kommandanten offen und fanatisch befürwortet. Die Vorstellung Schopenhauers von einer dem Universum anhaftenden ewigen Gerechtigkeit ist in der Sentenz des Offiziers enthalten, die zugleich die Grundlage des abstoßenden Strafverfahrens der Kolonie offenbart. Sie lautet: „Die Schuld ist immer zweifellos“.30 Nach diesem Gericht haben die Verurteilten „keine Gelegenheit […], sich zu verteidigen“.31 Anders als Joseph K. im Prozeß, der immerhin vor Gericht erscheint, der aber – völlig parallel zu den Schilderungen in In der Strafkolonie – nie erfährt, worin die Anklage besteht, denn auch seine Schuld ist „zweifellos“, wird er doch a priori für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt. Spätestens seit Karl Erich Grözingers Buch Kafka und die Kabbala ist klar, dass auch die urteilende Gerichtsinstanz im Prozeß nicht von dieser Welt ist.32 Im sogenannten Oktavheft G 2, also unter den nachgelassenen Schriften und Fragmenten Kafkas finden sich viele Aufzeichnungen aphoristischer Art, die eine deutliche Affinität zu den Aussagen des Offiziers aufweisen. Eine dieser Aufzeichnungen lautet: „Sündig ist der Stand in dem wir uns befinden, unabhängig von Schuld.“33 Gedenken wir des Diktums Schopenhauers in den Berliner Vorlesungsmanuskripten, das besagt, dass so sehr die eigene Person gemessen an den Maßstäben der zeitlichen Gerechtigkeit „unschuldig“ ist, unser „Wesen dennoch der Schuld theilhaft“34 sei. Bei Schopenhauer ist „Schuld“ an dieser Stelle mit dem kafkaschen „sündig“ synonym. Diese universelle Sünde bzw. Schuld, die unserem Stand als solchem anhaftet und die eng mit den skizzierten Vorstellungen Schopenhauers einer ewigen Gerechtigkeit und seiner Lehre von der Bejahung des Willens korrespondiert, lässt sich nicht durch ein weltliches Gericht, eine zeitliche Strafe abtragen, sondern 30 Ebd., S. 212. 31 Ebd., S. 211. 32 Grözinger spricht von einem „himmlischen Gericht“ und einem „himmlischen Gerichtspersonal“ (Karl Erich Grözinger Kafka und die Kabbala. Das Jdische im Werk und Denken von Franz Kafka, Berlin / Wien 2003, S. 73. Zu Kafkas Prozeß vgl. v. a. ebd., S. 21 – 80). 33 Franz Kafka Schriften, Tagebcher, Briefe. Kritische Ausgabe, Bd. Nachgelassene Schriften und Fragmente II, 1992, S. 72. 34 Schopenhauer Metaphysik der Sitten, S. 185.

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fordert eine rabiate Vorgehensweise, die der schopenhauerischen Verneinung des Willens zum Leben nahe kommt. Die für die Deutung der Strafkolonie erhellende Grundkonzeption der Schuld-Ethik Schopenhauers ist bereits in der Einleitung des 48. Kapitels „Zur Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben“ aus dem zweiten Band der Welt als Wille und Vorstellung enthalten. Eine Auseinandersetzung mit antiker Philosophie bildet hier den Übergang zum Hintergrund der Verneinungseschatologie: Die Alten, namentlich die Stoiker, auch die Peripatetiker und Akademiker, bemühten sich vergeblich, zu beweisen, daß die Tugend hinreiche, das Leben glücklich zu machen: die Erfahrung schrie laut dagegen. Was dem Bemühen jener Philosophen, wenn gleich ihnen nicht deutlich bewußt, eigentlich zum Grunde lag, war die vorausgesetzte Gerechtigkeit der Sache: wer schuldlos war, sollte auch frei von Leiden, also glücklich seyn.35

Diese Vorstellung von Schuldlosigkeit beruhe jedoch auf einer NichtBeachtung ontologischer und metaphysischer Wahrheiten über die Natur des Menschen. Schopenhauer setzt seinen Gedanken wie folgt fort: Allein die ernstliche und tiefe Lösung des Problems liegt in der Christlichen Lehre, daß die Werke nicht rechtfertigen; demnach ein Mensch, wenn er auch alle Gerechtigkeit und Menschenliebe, mithin das acahom [Gute], honestum [Tugendhafte], ausgeübt hat, dennoch nicht, wie Cicero meint, culpa omni carens [frei von aller Schuld] ist: sondern el delito mayor del hombre es haber nacido (des Menschen größte Schuld ist, daß er geboren ward), wie es, aus viel tieferer Erkenntniß, als jene Weisen, der durch das Christenthum erleuchtete Dichter Calderon ausgedrückt hat.36

Es sei dieselbe ,tiefe‘ und im Christentum wurzelnde Erkenntnis Calderons, die im „Brahmanismus und Buddhaismus“37 die Sehnsucht nach Erlösung wecke, eine Sehnsucht, die als ihr „höchste[s] Ziel“ eine „final emancipation“ anvisiert.38 Oder wie es wenige Seiten später bei Schopenhauer heißt: „Die sündlichen Werke und ihre Folgen müssen, sei es nun durch fremde Begnadigung, oder durch Eintritt eigener besserer Erkenntniß, ein Mal getilgt und vernichtet werden, sonst hat die Welt kein Heil zu hoffen“.39 Die paradoxe, heutigen Lesern gegenüber fremd wirkende Idee, die sich hinter den inhumanen Exekutionen der Strafkolonie verbirgt, lässt die Lebensweise des neuen Kommandanten 35 36 37 38 39

W II, 692. W II, 692. W II, 693. W II, 693. W II, 698.

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(Handel, Frauen, Hedonismus) als eine Bejahung des Lebens hervortreten, die einer weltüberwindenden Eschatologie im Wege steht, einer Eschatologie, deren Voraussetzung die Erkenntnis einer im Wesen des Menschen wurzelnden Urschuld ist. Die schmerzvolle, introspektive Konfrontation mit der eigenen sündhaften Unzulänglichkeit fundamentalontologischer Art wird vom neuen Kommandanten durch eine diesseitsbezogene, lebensbejahende Seinsweise ersetzt. Diese Seinsweise meidet durch den Rausch des Lebens das Sich-Besinnen auf die eigene Urschuld und metaphysisch verankerte Sündhaftigkeit. Im Oktavheft G 2 findet man nebst der Aussage „Sündig ist der Stand in dem wir uns befinden, unabhängig von Schuld“40 eine andere einschlägige Aufzeichnung, die in diesem Zusammenhang den metaphysischen (religiösen, philosophischen) Kontext von Kafkas Erzählung erhellt, sie lautet: „Böse ist, was ablenkt.“41 Sinnverlust und Sinnkrise meinen bei Kafka – u. a. auch – die vom geistigen Weg ablenkende Sinnlichkeit. Die ,moderne‘ Gesellschaft des neuen Kommandanten fordert eine solche Ablenkung, institutionalisiert sie, postuliert als oberstes Gebot die Rechte des Menschen, die Entfaltung ihrer Triebe, die Fixierung auf die Sinnlichkeit. Diese auf Verwirklichung irdischen Glücks ausgerichtete Existenz revoltiert gegen das metaphysische Kreislaufsystem des alten Kommandanten, nach dem der Mensch wegen seines bloßen Da-Seins schuldig ist. Das postmetaphysische, moderne System verhindert die Einsicht in das eigene Ungenügen, den ungeschminkten Blick auf die im Wesen des Menschen wurzelnde, angeborene Schuld und vereitelt durch die hedonistische Flucht in den sinnlichen Genuss die erlösende Transformation des Bewusstseins, die mit einem Abwerfen des den Menschen an die sündhafte Zeitlichkeit fesselnden Körpers einhergeht. Aus dieser konträren Perspektive, die adversativ gegen die intuitive Leseerwartung verfährt, kann der Offizier – als vorbehaltloser Anhänger des alten Systems – die mildere Strafpraxis des neuen Kommandanten als inhuman und die des alten Kommandanten als „das menschlichste und menschenwürdigste“42 Verfahren bezeichnen. Oder genauer: Der Offizier stellt sich vor, wie der neue Kommandant die harmlosesten Aussagen des Forschungsreisenden über das bisherige Strafverfahren der Kolonie zu seinen eigenen Zwecken überinterpretieren wird: 40 Kafka Nachgelassene Schriften und Fragmente II, S. 72. 41 Ebd., S. 48. 42 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 229.

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„Ich sehe ihn, den guten Kommandanten, wie er sofort den Stuhl beiseite schiebt und auf den Balkon eilt, ich sehe seine Damen, wie sie ihm nachströmen, ich höre seine Stimme […], nun, und er spricht: ,Ein großer Forscher des Abendlandes, dazu bestimmt, das Gerichtsverfahren in allen Ländern zu überprüfen, hat eben gesagt, daß unser Verfahren nach altem Brauch ein unmenschliches ist. Nach diesem Urteil einer solchen Persönlichkeit ist es mir natürlich nicht mehr möglich, dieses Verfahren zu dulden. Mit dem heutigen Tage also ordne ich an – usw.‘“43

Und dann die entscheidende Wunschvorstellung des Offiziers: „Sie [d.i. der Forschungsreisende, an den der Offizier sich direkt wendet] wollen eingreifen, Sie haben nicht das gesagt, was er verkündet, Sie haben mein Verfahren nicht unmenschlich genannt, im Gegenteil, Ihrer tiefen Einsicht entsprechend halten Sie es für das menschlichste und menschenwürdigste, Sie bewundern auch diese Maschinerie – aber es ist zu spät; Sie kommen gar nicht auf den Balkon, der schon voll Damen ist; Sie wollen sich bemerkbar machen; Sie wollen schreien; aber eine Damenhand hält Ihnen den Mund zu – und ich und das Werk des alten Kommandanten sind verloren.“44

Die symbolische Bedeutung der Foltermaschine besteht in der äußerlichen Repräsentation eines verinnerlichten Schuldbewusstseins. Den Folterungen liegt die Annahme einer transzendenten Wahrheit über eine dem Sein selbst innewohnenden Schuld zugrunde, infolge derer Leben und Leiden Hand in Hand gehen müssen. Die Leiden des wollenden Subjekts können nur durch eine radikale Überwindung der sinnlichen Welt zum Schweigen gebracht werden, und mehr noch: Eine von außen herbeigeführte Steigerung des durch die angeborene Sünde verursachten Leidens kann die erlösende Transformation des Bewusstseins (Gnosis) zeitigen.

III. Werfen wir – durch die Beschreibungen des treuen Anhängers des alten Kommandanten, des Offiziers – einen Blick auf die dreiteilige Foltermaschine, die dem „Verurteilten“ „das Gebot, das er übertreten hat, mit [einer] Egge auf den Leib“45 schreibt. Eine wesentliche Pointe der Erzählung ist, dass der Verurteilte, der vorher sein Urteil nicht kennt, dieses 43 Ebd., S. 229. 44 Ebd., S. 229f. 45 Ebd., S. 210.

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„auf seinem Leib“46 erfährt. Eine rein abstrakte, durch Begrifflichkeit vermittelte Erkenntnis menschlicher Leiden genügt nicht, um den Willen des Individuums zu tilgen. Die Exekution dauert insgesamt 12 Stunden, während dieser Zeit wird das Urteil immer tiefer in den Leib geschrieben. Durch den schmerzvollen Prozess erfolgen eine sukzessive Steigerung des Bewusstseins und eine langsame Überwindung der körperlichen Bedürfnisse. Wie im „Brahmanismus und Buddhaismus“ scheint das „höchste Ziel“ der Folterung eine „final emancipation“47 zu sein. Mit den Worten des Offiziers: „Die ersten sechs Stunden lebt der Verurteilte fast wie früher, er leidet nur Schmerzen […]. Hier in diesen elektrisch geheizten Napf am Kopfende wird warmer Reisbrei gelegt, aus dem der Mann, wenn er Lust hat, nehmen kann, was er mit der Zunge erhascht. Keiner versäumt die Gelegenheit. Ich weiß keinen, und meine Erfahrung ist groß. Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnügen am Essen. […] Der Mann schluckt den letzten Bissen selten, er dreht ihn nur im Mund und speit ihn in die Grube. […] Wie still wird dann aber der Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem Blödesten auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter die Egge zu legen. Es geschieht ja nichts weiter, der Mann fängt bloß an, die Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit den Wunden.“48 46 Ebd., S. 211. 47 W II, 693. 48 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 219f. Die ,Hieroglyphe der Natur‘ (vgl. in der Folge) lädt zu einer ,Entzifferung‘ der Welt ein, die Schopenhauer mit seiner Auslegung der Welt als Wille meint geleistet zu haben. In seinem Werk erscheint das Wort ,entziffern‘ allenthalben verstreut und zwar als Beschreibung einer möglichen Dechiffrierung der rätselhaften ,Hieroglyphe der Natur‘. Im „Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen“ überschriebenen 17. Kapitel des zweiten Bandes der Welt als Wille und Vorstellung erwägt Schopenhauer die Möglichkeiten einer anderen Art von Metaphysik, die im Gegensatz zur rationalistischen und spekulativen vorkantischen Dogmatik auf die Erfahrung zurückgreift. Hier heißt es u. a.: „Allein es giebt noch andere Wege zur Metaphysik [als die der Dogmatik]. Das Ganze der Erfahrung gleicht einer Geheimschrift, und die Philosophie der Entzifferung derselben, deren Richtigkeit sich durch den überall hervortretenden Zusammenhang bewährt. Wenn dieses Ganze nur tief genug gefaßt und an die äußere die innere Erfahrung geknüpft wird; so muß es aus sich selbst gedeutet, ausgelegt werden können“ (W II, 202f.). Wie weiter unten gezeigt werden soll, liefert die unmittelbare Erfahrung des Menschen als Leib den Schlüssel zur Entzifferung der „Geheimschrift“. Zur hermeneutischen ,Entzifferungsthematik‘ von Kafkas Erzählung vgl. den Wortwechsel des Offiziers und des Forschungsreisenden über den „Zeichner“ des Apparats: „Er [der Offizier] zeigte das erste Blatt. Der Reisende hätte gerne etwas Anerkennendes gesagt, aber

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Anstelle einer über die Augen verlaufenden Entzifferung des Schriftsinns tritt hier eine über den Leib vermittelte (gesprte) Erschließung von Welt und Leben, die eine Steigerung des Hörvermögens einschließt. Die erlösende Erkenntnis läuft unabhängig von den kognitiven Fertigkeiten – der Intelligenz – des Delinquenten: Jedem könne, selbst „dem Blödesten“, „Verstand“ aufgehen. Schopenhauers Philosophie ist eine Philosophie des Leibes. In seinem Vorlesungsmanuskript zur Metaphysik der Natur wird die Frage nach Sinn und Bedeutung der Natur zum Beweggrund der metaphysischen Weltdeutung. Innerhalb der Grenze des Satzes vom Grund ist dem Wesen der Dinge nicht beizukommen. Die Ätiologie und Morphologie lassen die Dinge „als Erscheinungen stehn“.49 Indem die Naturwissenschaften stets am Leitfaden des Satzes vom Grund nach Ursachen und Wirkungen der empirischen Welt fahnden, gelangen sie nie zu einer definitiven Entzifferung der Natur – die Frageketten des Warum laufen ins Unendliche. Selbst die detailliertesten Klassifikationen der Naturwissenschaften lassen die Chiffren der Welt als „unverstandne Hieroglyphen“, als „Hieroglyphen der Natur“50 in ihrem erscheinungshaften und unverstandenen Sosein zurück. Dabei ist, so nun weiter die gleichnishafte Formulierung der Vorlesung, die „ganze Natur […] eine große Hieroglyphe, die einer Deutung bedarf.“51 Der nach Auskunft über die wesenhafte Beschaffenheit der Natur strebende Mensch steht vor der Welt wie vor den Rätseln der Sphinx. Die hermeneutische Entzifferung des Weltsinns, die Dechiffrierung der „Hieroglyphen der Natur“ wird nicht durch die Entzifferung der Schrift, sondern durch die konkrete Erfahrung des Subjekts als Leib erreicht.52 Von „außen“, d. h. über die Transzen-

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er sah nur labyrinthartige, einander vielfach kreuzende Linien, die so dicht das Papier bedeckten, daß man nur mit Mühe die weißen Zwischenräume erkannte. ,Lesen Sie‘, sagte der Offizier. ,Ich kann nicht‘, sagte der Reisende. ,Es ist doch deutlich‘, sagte der Offizier. ,Es ist sehr kunstvoll‘, sagte der Reisende ausweichend, ,aber ich kann es nicht entziffern‘“ (Kafka „In der Strafkolonie“, S. 217). Arthur Schopenhauer Philosophische Vorlesungen. Aus dem handschriftlichen Nachlaß, Bd. 2: Metaphysik der Natur [1820], 1984, S. 64. Ebd., S. 64. Ebd., S. 64. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass der Forschungsreisende die Schrift der Ledermappe (die heilige Schrift der Thora?) mit den Augen nicht entziffern kann: „Er [der Offizier] ging auf den Reisenden zu, zog wieder die kleine Ledermappe hervor, blätterte in ihr, fand schließlich das Blatt, das er suchte, und zeigte es dem Reisenden. ,Lesen Sie‘, sagte er. ,Ich kann nicht‘, sagte der Reisende, ,ich sagte schon, ich kann diese Blätter nicht lesen‘.

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dentalität der Vorstellungswelt ist „dem Wesen der Dinge nimmermehr beizukommen“;53 versucht man trotzdem, durch die Außenperspektive nähere Auskunft über die innere Beschaffenheit der Welt zu bekommen, „gewinnt man nichts, als Bilder und Namen“; man „gleicht Einem, der“ – wie der Landvermesser K. in Kafkas Das Schloß – „um ein Schloß herumgeht, vergeblich einen Eingang suchend und einstweilen die Fassaden skitzirend“.54 Da aber der Mensch, Schopenhauer spricht hier vom „Forscher“, nicht nur „rein erkennende[s] Subjekt (geflügelter Engelskopf ohne Leib)“55 sei, sondern zugleich in seiner leiblichen Gegebenheit in der Welt „wurzelt“, so ist die „Welt als Vorstellung“ durch unseren „Leib, dessen Affektionen […] dem Verstande der Ausgangspunkt der Anschauung jener Welt sind“,56 vermittelt. Die leibliche Gegebenheit des Menschen liefert im Denken Schopenhauers den Schlüssel zur Entzifferung der Welt: „Dem Subjekt des Erkennens, welches durch seine Identität mit dem Leibe als Individuum auftritt, ist dieser Leib auf zwei ganz verschiedene Weisen gegeben: ein Mal als Vorstellung in verständiger Anschauung, als Objekt unter Objekten, und den Gesetzen dieser unterworfen; sodann aber auch zugleich auf eine ganz andere Weise, nämlich als jenes Jedem unmittelbar Bekannte, welches das Wort Wille bezeichnet.“57 Der Delinquent gewinnt über die schmerzvolle Erfahrung seiner Wunden („es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit den Wunden“) Einsicht in sein innerstes Wesen, das zugleich die Quelle seines Leidens ist, und wendet sich von diesem ab („Wie still wird dann

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,Sehen Sie das Blatt doch genau an‘, sagte der Offizier und trat neben den Reisenden, um mit ihm zu lesen. Als auch das nichts half, fuhr er mit dem kleinen Finger in großer Höhe, als dürfe das Blatt auf keinen Fall berührt werden, über das Papier hin, um auf diese Weise dem Reisenden das Lesen zu erleichtern. Der Reisende gab sich auch Mühe, um wenigstens darin dem Offizier gefällig sein zu können, aber es war ihm unmöglich“ (Kafka „In der Strafkolonie“, S. 237f.). Vieles spricht dafür, diese Schrift als heilige, nicht zu beschmutzende Schrift (etwa die der Thora) zu betrachten. Die Unentzifferbarkeit des Schriftsinns soll mit anderen Worten nicht nur vor dem obenstehenden schopenhauerischen Hintergrund gedeutet werden. Eine Gesamtinterpretation, die hier weder Aufgabe noch Ziel ist, müsste den jüdischen Kontext weiterverfolgen. W I, 118. W I, 118. W I, 118. W I, 118. W I, 119.

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aber der Mann um die sechste Stunde!“).58 Und weiter: Der leiblich erfahrene Schmerz ist Quelle soteriologischer Einsicht. Erlösende Erkenntnis (Gnosis) kann sich dort einfinden, wo die leiblichen Qualen des Lebens eine nicht mehr zu bändigende Intensität erreichen, eine Intensität, die in potentia die erleuchtende Entsagung herbeiführt. Schopenhauer spricht – mit Luther und Paulus59 – von der „Gnadenwirkung, vermöge welcher ein neuer Mensch entsteht und der alte aufgehoben wird (d. h. eine fundamentale Sinnesänderung)“, denn allein „die Wiedergeburt in Jesu Christo […] könne uns aus dem Zustande der Sündhaftigkeit in den der Freiheit und Erlösung versetzen.“60 Das, was sich für den auf den Folterapparat Gespannten „um die sechste Stunde“ ereignet, kommt der Vorstellung Schopenhauers einer „fundamentale[n] Sinnesänderung“ sehr nahe.61 Dass die Bewusstseinswandlung des Verurteilten in der Tat mit einer Änderung der Sinne einhergeht leuchtet durch den bereits zitierten Passus ein: „Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es sich.“62 Es wäre verfehlt, die Funktion und Bedeutung der Maschine auf ihr denotatives So-Sein zu reduzieren. Die Perspektive des Offiziers vertritt zwar nur eine intradiegetische Stimme im Text, aber da diese Stimme fast ausschließlich das Wort hat, spricht sie mit besonderem Gewicht.63 Kein 58 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 219. 59 Zu Paulus als ,Bindeglied‘ zwischen Christentum und Gnostizismus vgl. die in Kafkas Bibliothek vorhandene Einführung in die Gnosis von Walther Köhler. (Walther Köhler Die Gnosis (Religionsgeschichtliche Volksbcher fr die deutsche christliche Gegenwart, Reihe IV, Bd. 16), Tübingen 1911, hier S. 13 – 19, zu Paulus vgl. besonders S. 17f. Vgl. Born Kafkas Bibliothek, S. 124). 60 W II, 694. 61 Die erhellende Erkenntnis vollzieht sich intuitiv, der Umschlag von Nichtverstehen in Erkennen findet mit einem Schlage statt. Der Wille des verständnislosen Delinquenten wendet sich nach sechsstündiger Folterung gegen sich selbst, hebt durch eine durch die leiblichen Schmerzen herbeigeführte Einsicht in die Quelle des Leidens den Willen zum Leben auf. Vgl. auch die überzeugenden Überlegungen bei Andrea Polaschegg „Maschinen (nicht) verstehen. Das kollabierte Paradox in Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie“ in Deutsche Vierteljahrsschrift fr Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 82, H. 4, 2008, S. 654 – 680, hier S. 673ff. 62 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 219. 63 Der gelungene, zur Erlösung führende Vollzug der Schriftfolter sei nach Polaschegg „vollständig in der Rede des Offiziers gebunden“ (Polaschegg „Maschinen (nicht) verstehen“, S. 658). Es stimmt zwar, dass die Beschreibung der soteriologischen Effekte der einst so reibungslos ablaufenden Folter dem speaker’s point of view des voreingenommenen Offiziers entstammt. Die Glaubwürdigkeit

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Grund, deswegen zu bezweifeln, dass dem bisherigen Strafverfahren eine symbolische Bedeutung zugeschrieben werden muss, die weit über die Buchstäblichkeit des offensichtlich inhumanen Verfahrens hinausweist. Über die Rolle des Forschungsreisenden und die Bedeutung der Foltermaschine heißt es mit den Worten des Offiziers: „Trotzdem seine Macht [d.h. die Macht des neuen Kommandanten] groß genug wäre, um gegen mich einzuschreiten, wagt er es noch nicht, wohl aber will er mich Ihrem, dem Urteil eines angesehenen Fremden aussetzen. Seine Berechnung ist sorgfältig; Sie sind den zweiten Tag auf der Insel, Sie kannten den alten Kommandanten und seinen Gedankenkreis nicht, Sie sind in europäischen Anschauungen befangen,64 vielleicht sind Sie ein grundsätzlicher Gegner der Todesstrafe im allgemeinen65 und einer derartigen maschinellen Hinrichtungsart im besonderen […] – wäre es nun, alles dieses zusammengenommen (so denkt der Kommandant), nicht sehr leicht möglich, daß Sie mein Verfahren nicht für richtig halten? Und wenn Sie es nicht für richtig halten, werden Sie dies (ich rede noch immer im Sinne des Kommandanten) nicht verschweigen, denn Sie vertrauen doch gewiß Ihren seines Berichts über die erlösende Folterung vergangener Zeiten wird aber weder vom Forschungsreisenden noch vom Erzähler hinterfragt. Vielmehr bestätigt der Erzähler durch die erlebte Rede des Forschungsreisenden, nachdem der Offizier, ohne erlöst zu werden, vom Apparat aufgespießt worden ist, den Bericht des Offiziers, indem er nüchtern feststellt: „was alle anderen in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht“ (Kafka „In der Strafkolonie“, S. 245). 64 Damit dürfte die aufgeklärte und säkularisierte moderne Welt europäischer Denkgeschichte gemeint sein, die u. a. durch die Kodifizierung der Menschenrechte bemüht ist, irdische Gerechtigkeit und irdisches Glück einzuführen. Vielleicht aber, so die rabiate Position des Offiziers, führt diese Vorstellung von einer irdischen Gerechtigkeit, in der erlösungsbedürftige, unvollkommene Menschen über Menschen richten, zur eigentlichen Inhumanität. Die Position des Offiziers problematisiert die Autonomievorstellung der aufgeklärten Moderne, indem dieser die Gerechtigkeit und Machtvollkommenheit des weltgewandten Subjekts in Frage zieht: Menschen können nicht gerecht über Menschen richten, und wer hochmütig die Idee einer göttlichen Vollkommenheit durch die Illusion menschlicher Vollkommenheit und Perfektibilität ersetzt, ist erst wirklich verloren. Wer die eigene Schuld und das damit einhergehende Bedürfnis nach Erlösung durch Setzung eigener Perfektion und Souveränität austauscht, ist notwendig von derselben Erlösung endgültig ausgeschlossen. Etwa so können die tiefer liegenden Überzeugungen des Offiziers und des alten Kommandanten rekonstruiert werden. 65 Gerade aus der metaphysischen und allgemeinen Perspektive des Offiziers betrachtet ist es wenig sinnvoll, gegen die Todesstrafe zu sein: Der Mensch lebt und wird für dieses Leben mit dem Tod bestraft. Wer diesen Horizont bei der Lektüre und Interpretation von Kafkas Erzählung(en) a priori ausblendet, wird die Unterschiede zwischen dem alten und neuen System nicht in ihrer ganzen Reichweite ausleuchten können.

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vielerprobten Überzeugungen. Sie haben allerdings viele Eigentümlichkeiten vieler Völker gesehen und achten gelernt, Sie werden daher wahrscheinlich sich nicht mit ganzer Kraft, wie Sie es vielleicht in Ihrer Heimat tun würden, gegen das Verfahren aussprechen. Aber dessen bedarf der Kommandant gar nicht. Ein flüchtiges, ein bloß unvorsichtiges Wort genügt. Es muß gar nicht Ihrer Überzeugung entsprechen, wenn es nur scheinbar seinem Wunsche entgegenkommt. Daß er Sie mit aller Schlauheit ausfragen wird, dessen bin ich gewiß. Und seine Damen werden im Kreis herumsitzen und die Ohren spitzen; Sie werden etwas sagen: ,Bei uns ist das Gerichtsverfahren ein anderes‘, oder ,Bei uns wird der Angeklagte vor dem Urteil verhört‘, oder ,Bei uns gibt es auch andere Strafen als Todesstrafen‘, oder ,Bei uns gab es Folterungen nur im Mittelalter‘.“66

Daraufhin nun der entscheidende Kommentar des Offiziers: „Das alles sind Bemerkungen, die ebenso richtig sind, als sie Ihnen selbstverständlich erscheinen, unschuldige Bemerkungen, die mein Verfahren nicht antasten“.67 Nur wer als Interpret und Leser dieser Erzählung bereit ist, den eigenen Horizont über das ,Selbstverständliche‘ hinauszuversetzen, vermag einzusehen, was hier eigentlich erzählt wird. Die Bedeutung und Funktion des alten Exekutionsverfahrens lassen sich nicht durch buchstäbliche Lektüre als schlichte Folterungsmaßnahme und Kränkung von Menschenrechten erschließen. Aus der Sicht des auf die Empirie fixierten Bewusstseins wären solche Aussagen gegen das Strafverfahren keineswegs „unschuldig“. Nur das metaphysische Bewusstsein, das die Folterungen als weltliche Repräsentation (Allegorie) einer ganz anderen ,Weltordnung‘ betrachtet, könnte „selbstverständlich[e]“ „Bemerkungen“ jener Art, wie sie vom Offizier imaginiert werden, als „unschuldig“ von der Hand weisen: unschuldige „Bemerkungen, die“ sein „Verfahren nicht antasten“, weil dieses nicht von der hiesigen Welt zeitlichen Rechts und Unrechts ist.

IV. Zwei Wege führen gemäß der Ethik Schopenhauers zur Verneinung des Willens. Der eine impliziert eine intuitive Wandlung des normalen Bewusstseins, der einen Einblick in das Wesen der Welt gewährt und zum Quietiv des Wollens führt. Der zweite Weg führt über das Leiden, welches bedeutet, dass eine Eskalation psychischer und physischer Schmerzen eine Umkehr des Willens initiieren kann, die zugleich eine 66 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 228f. 67 Ebd., S. 229.

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,geistige‘ Überwindung der animalischen Körperlichkeit bewirkt. Jene „final emancipation“,68 die den Menschen endgültig aus den Fängen eines per se sündhaften und qualvollen Daseins befreit, setzt eine grundsätzliche Transformation des Bewusstseins voraus, oder vielmehr: die Sühne- und Bußontologie – als Wissen um die eigene Urschuld – bilden die Bedingung der Möglichkeit der erleuchtenden Erlösung. Wie die „gnostischen Systeme“ ist Schopenhauers Denken „dualistisch“. Was Walther Köhler in seiner kleinen Schrift zur Gnosis, die sich in Kafkas Privatbesitz befand,69 über den metaphysischen Dualismus des Gnostizismus schreibt, weist eine strukturelle Homologie zum Denken Schopenhauers auf: „Die Spannung zwischen Gott und Welt hat den höchsten nur denkbaren Grad gewonnen: sie sind einander wesensfremd geworden, sind verschiedene Prinzipien; sämtliche gnostischen Systeme sind dualistisch.“70 Diesem Dualismus gesellt sich die Vorstellung einer fast unüberbrückbaren Diskrepanz zwischen weltlicher Unreinheit und göttlicher Reinheit zu: „Die Welt ist Materie und unrein, Gott aber ist Geist und der Reine.“71 „So ist“, wie es bei Köhler zusammenfassend heißt, „die Gnosis Heilserkenntnis.“72 Eine solche Heilserkenntnis impliziert die Offenbarung der wahren Gottheit, die sich als Deus absconditus aus der Welt zurückgezogen hat, nachdem sie vom bösen und falschen Weltschöpfer, dem Demiurgen, verdrängt wurde. Die strukturelle Homologie zwischen den Grundgedanken Schopenhauers und dem Gnostizismus liegt in der Soteriologie: Die sündhafte Bejahung des Willens zum Leben könne nur durch radikale Verneinung überwunden werden. Diese Verneinung schließt auch bei Schopenhauer eine geistige Überwindung der willensbejahenden Körperlichkeit ein. Bei Köhler heißt es: „Erlçsung ist die Befreiung von der Materie und ihren Dmonen durch Hinwendung zum Geist“.73 Ähnlich wird z. B. bei Schopenhauer die durch Askese erreichte Verneinung des Willens mit einer Steigerung der Erkenntnis vollzogen. Erlösung fordert demnach eine geistige Überwindung des Leibes, die Befreiung der Seele aus dem Körper. Schopenhauer notiert: „Wenn manche alte Philosophen, wie Orpheus, die Pythagoreer, Plato […], ganz so wie der Apostel Paulus, die Gemeinschaft der Seele mit 68 69 70 71 72 73

W II, 693. Born Kafkas Bibliothek, S. 124. Köhler Die Gnosis, S. 22. Ebd. Ebd., S. 20. Ebd., S. 28.

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dem Leibe bejammern und von derselben befreit zu werden wünschen; so verstehn wir den eigentlichen und wahren Sinn dieser Klage, sofern wir, im zweiten Buch, erkannt haben, daß der Leib der Wille selbst ist, objektiv angeschaut, als räumliche Erscheinung.“74 Mit dieser Denkfigur übereinstimmend gilt Köhler die gnostische „Erlösung“ als „Befreiung von der Materie“.75 Auf die Frage, wie sich „die Erlösung praktisch“ vollziehe, welche zugleich die Frage nach der „Ethik der Gnostiker“ sei, gibt Köhler folgende Antwort: „Nach den Grundprinzipien ist die Antwort sehr einfach: positiv gilt es, pneumatisch (geistig) zu werden, negativ, das Physische, Irdische, Materielle abzustreifen. Beides schließt sich zusammen zur Askese.“76 Der durch Steigerung des Leids herbeigeführte freiwillige Nahrungsentzug (Askese) leitet die weltüberwindende Verneinung des Delinquenten ein: „Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnügen am Essen. […] Der Mann schluckt den letzten Bissen selten, er dreht ihn nur im Mund und speit ihn in die Grube“.77 Demgegenüber steht kontrapunktisch das primitive Verhalten (Fressgier, Albernheit)78 des Soldaten, von dem auch der Erzähler sich distanziert: „Der Soldat hatte die Reinigungsarbeit beendet und jetzt noch aus einer Büchse Reisbrei in den Napf geschüttet. Kaum merkte dies der Verurteilte, der sich schon vollständig erholt zu haben schien, als er mit der Zunge nach dem Brei zu schnappen begann. Der Soldat stieß ihn immer wieder weg, denn der Brei war wohl für eine spätere Zeit bestimmt, aber ungehörig war es jedenfalls auch, daß der Soldat mit seinen schmutzigen Händen hineingriff und vor dem gierigen Verurteilten davon aß“.79 Da die erlösende Brechung des Willens die Negation der Welt schlechthin beinhaltet und einen „Punkt andeute[t], wo alle Erkenntniß nothwendig aufhört“, lässt sie sich nur ex negativo (u. a. als Nichts/Nirwana, Aufhebung der Vorstellungswelt) und durch „Schweigen“ zum Ausdruck bringen.80 Die Sprachlosigkeit des anderen Zustandes, in dem auch der W II, 699. Köhler Die Gnosis, S. 28. Ebd. Kafka „In der Strafkolonie“, S. 219. Zur Fressgier des Soldaten und des Verurteilten vgl. auch die folgende Stelle: „Die letzten Sätze hatte er [der Forschungsreisende] so geschrien, daß selbst der Soldat und der Verurteilte aufmerksam geworden waren; trotzdem sie nichts verstehen konnten, hielten sie doch im Essen inne und sahen kauend zum Reisenden hinüber“ (Kafka „In der Strafkolonie“, S. 235). 79 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 226f. 80 W II, 701. 74 75 76 77 78

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Delinquent sich nach sechsstündiger Folterung befindet, ist der adäquate äußere ,Ausdruck‘ der eschatologischen Bewusstseinstransformation: „Wie still wird dann aber der Mann um die sechste Stunde!“81 Wer aber die in der Essenz des Menschen wurzelnde Sündhaftigkeit leugnet oder, wie der neue Kommandant, die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse durch einseitige Hinwendung zu irdischen Genüssen institutionalisiert – stets von „Damen“82 umgeben und mit Hafenbauten (als Symbol des irdischen Verkehrs) beschäftigt –, ist von vornherein von der befreienden Transformation des Bewusstseins und der Suspendierung körperlicher Bedürfnisse ausgeschlossen. Bemerkenswert, dass die Selbstexekution des Offiziers eine erlösende Wandlung (Expansion) seiner Erkenntnis ausschließt. Dies rührt zunächst daher, dass die Maschine – als Symbol des Zusammenbruchs der alten Weltordnung – auseinander fällt. Der Mensch kann eine Erlösung des eigenen Selbst nicht willentlich herbeiführen und keineswegs das Tempo der soteriologischen Gnosis durch Freitod und Überspringen vorhergehender Leiden beschleunigen: „Die Egge schrieb nicht, sie stach nur, und das Bett wälzte den Körper nicht, sondern hob ihn nur zitternd in die Nadeln hinein. Der Reisende wollte eingreifen, möglicherweise das Ganze zum Stehen bringen, das war ja keine Folter, wie sie der Offizier erreichen wollte, das war unmittelbarer Mord“.83 Vergeblich appelliert der gegen Ende der Erzählung sich immer stärker mit dem Offizier identifizierende Forschungsreisende ans Mitgefühl des Verurteilten und des Soldaten: „Helft doch!“ schrie der Reisende zum Soldaten und zum Verurteilten hinüber und faßte selbst die Füße des Offiziers. […] Aber nun konnten sich die zwei nicht entschließen zu kommen; der Verurteilte drehte sich geradezu um; der Reisende mußte zu ihnen hinübergehen und sie mit Gewalt zu dem Kopf des Offiziers drängen. Hiebei sah er fast gegen Willen das Gesicht der Leiche. Es war, wie es im Leben gewesen war; kein Zeichen der versprochenen Erlösung war zu entdecken; was alle anderen in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht; die Lippen waren fest zusammengedrückt, die Augen waren offen, hatten den Ausdruck des Lebens […].84

Zieht man erneut die Philosophie Schopenhauers vergleichend heran, zeigt sich eine plausible Deutungsmöglichkeit für die ausbleibende Er81 82 83 84

Kafka „In der Strafkolonie“, S. 219. Ebd., S. 229. Ebd., S. 244f. Ebd., S. 245.

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lösung des Offiziers. Das einzig wahre moralische Argument gegen den Freitod besteht nach dem Denken Schopenhauers darin, dass das willentlich herbeigeführte Lebensende der einzig wahren Soteriologie, der Verneinung des Willens zum Leben, entgegensteht. Die durch den Zusammenbruch der Foltermaschine beschleunigte Exekution konterkariert die erlösende Transformation des Bewusstseins, die allein den Willen zum Schweigen bringen kann. Der „individuelle Wille“, schreibt Schopenhauer, hebt im Selbstmord „den Leib, welcher nur seine eigene Sichtbarwerdung ist, durch einen Willensakt“ auf, „eher als daß das Leiden den Willen breche.“85 Selbstmord als zgige Flucht vor den Qualen des Lebens ist sicherlich keine passende Beschreibung der Intention des Offiziers. Und dennoch: Seine qualvolle Enttäuschung über den Untergang der alten Weltordnung treibt ihn zum Selbstmord, er legt sich auf die Foltermaschine, um der für ihn unerträglichen neuen Gesellschafts- und Strafpraxis zu entkommen: Weil aber eben das Leiden, dem er sich so entzieht, es war, welches als Mortifikation des Willens ihn zur Verneinung seiner selbst und zur Erlösung hätte führen können; so gleicht in dieser Hinsicht der Selbstmörder einem Kranken, der eine schmerzhafte Operation, die ihn von Grund aus heilen könnte, nachdem sie angefangen, nicht vollenden läßt, sondern lieber die Krankheit behält. Das Leiden naht sich und eröffnet als solches die Möglichkeit zur Verneinung des Willens; aber er weist es von sich, indem er die Erscheinung des Willens, den Leib zerstört, damit der Wille ungebrochen bleibe.86

Der Grund, weshalb der Offizier unerlöst stirbt, liegt in der wegen des Zusammenbruchs der Maschine verursachten Rasanz der Exekution. Die sechste Stunde, in der bei normaler Funktion des Folterapparats die sukzessive Steigerung der Schmerzen mit dem Nahrungsentzug kulminiert und die Verneinung des Willens zum Leben einleitet, bleibt bei der beschleunigten Selbstexekution aus. Und endlich: Weil dadurch nur der „Leib zerstört“ wird und „der Wille ungebrochen bleibe“, haben die offenen Augen des Offiziers „den Ausdruck des Lebens“.87

85 W I, 472. 86 W I, 472f. 87 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 245.

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V. Nun stammen die euphemistischen Beschreibungen der dem Verfall ausgelieferten Foltermaschine von dem Offizier, dessen Perspektive keineswegs zur gültigen Sinnaussage der Erzählung erhoben werden kann. Enthielte die Erzählung eine Botschaft letzter Instanz, dann wäre sie, wenn überhaupt, den spärlichen Kommentaren des Erzählers und dem Verhalten des Forschungsreisenden zu entnehmen. Das Verhalten beider zeugt von einer inneren Spaltung. Bemerkenswert ist, dass der Forschungsreisende sich am Ende der Erzählung unmissverständlich gegen das alte ,inhumane‘ Strafverfahren ausspricht. Der auf Unterstützung hoffende Offizier erhält folgende Antwort auf seine drängenden Fragen: Die Antwort, die er zu geben hatte, war für den Reisenden von allem Anfang an zweifellos; er hatte in seinem Leben zu viel erfahren, als daß er hier hätte schwanken können; er war im Grunde ehrlich und hatte keine Furcht. Trotzdem zögerte er jetzt im Anblick des Soldaten und des Verurteilten einen Atemzug lang. Schließlich aber sagte er, wie er mußte: „Nein.“ Der Offizier blinzelte mehrmals mit den Augen, ließ aber keinen Blick von ihm. „Wollen Sie eine Erklärung?“ fragte der Reisende. Der Offizier nickte stumm. „Ich bin ein Gegner dieses Verfahrens“, sagte nun der Reisende, „noch ehe Sie mich ins Vertrauen zogen – dieses Vertrauen werde ich natürlich unter keinen Umständen mißbrauchen – habe ich schon überlegt, ob ich berechtigt wäre, gegen dieses Verfahren einzuschreiten und ob mein Einschreiten auch nur eine kleine Aussicht auf Erfolg haben könnte. An wen ich mich dabei zuerst wenden müßte, war mir klar: an den Kommandanten natürlich. Sie haben es mir noch klarer gemacht, ohne aber etwa meinen Entschluß erst befestigt zu haben, im Gegenteil, Ihre ehrliche Überzeugung geht mir nahe, wenn sie mich auch nicht beirren kann.“88

Trotz dieser eindeutigen Missbilligung der Strafmaßnahmen des ehemaligen Kommandanten flieht der Forschungsreisende am Ende der Erzählung, d. h. nachdem die Foltermaschine zerstört und der Offizier, ohne erlöst zu werden, von der Maschine aufgespießt worden ist, vor dem Soldaten und dem nunmehr befreiten Verurteilten. Sowohl der Soldat als auch der Verurteilte werden durch verschiedene Leitmotive des Textes dem profanen, geistlosen, schuldverleugnenden System des neuen Kommandanten attributiv zugeordnet. Der von allen religiösen und metaphysischen Bindungen freigesetzte moderne Mensch tritt in der Erzählung als ein narzisstisch auf die eigene Subjektivität begrenztes In88 Kafka „In der Strafkolonie“, S. 235f.

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dividuum hervor. Oder er erscheint, wie in der Folge, als ein jede Ernsthaftigkeit entbehrendes Individuum, das, ohne einen mitfühlenden Blick für den leidenden Mitmenschen übrig zu haben, auf alberne Weise mit sich oder anderen beschäftigt ist. Mit den Worten des Erzählers heißt es, nachdem der Verurteilte entfesselt worden ist und während der Offizier den Apparat für seine eigene Exekution vorbereitet: „Der Soldat und der Verurteilte waren nur miteinander beschäftigt“.89 Das Betragen des Soldaten und des befreiten Verurteilten wirkt angesichts der Tragik und des Ernstes des Offiziers unpassend: „Vielleicht [so der Erzähler] glaubte der Verurteilte verpflichtet zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er drehte sich in der zerschnittenen Kleidung im Kreise vor dem Soldaten, der auf dem Boden hockte und lachend auf seine Knie schlug“.90 So sehr der fremde Besucher der Kolonie vom System des alten Kommandanten Abstand nimmt, seine Distanz dem Soldaten und dem Verurteilten gegenüber steigert sich am Ende der Erzählung regelrecht zur Abscheu: „Der Reisende sah zu dem Soldaten und dem Verurteilten hinüber. Der Verurteilte war der lebhaftere, alles an der Maschine interessierte ihn, bald beugte er sich nieder, bald streckte er sich, immerfort hatte er den Zeigefinger ausgestreckt, um dem Soldaten etwas zu zeigen. Dem Reisenden war es peinlich. Er war entschlossen, hier bis zum Ende zu bleiben, aber den Anblick der zwei hätte er nicht lange ertragen“.91 Der Forschungsreisende und mit ihm der Erzähler hegen offensichtlich deutliche Sympathie für den so schändlich umgekommenen Offizier. Der endgültige Zusammenbruch des alten metaphysischen Systems und die darausfolgende Resignation des Offiziers, die vom Forschungsreisenden initiiert wird, bedeuten den Verlust soteriologischer Möglichkeiten. Durch die Forderung der modernen Zivilisation an den Menschen, die Entscheidung über Recht und Unrecht in die eigene Hand zu nehmen, um sich künftig von der Devise „Sei gerecht“92 leiten zu lassen, geht die Möglichkeit einer Erlösung verloren. Unzweifelhaft ist, dass der Forschungsreisende vor der modernen Lebensführung der Sinnlichkeit und vor dem oberflächlichen, primitiven Betragen des Soldaten und des Verurteilten flieht. Die letzten Zeilen der Erzählung heben mit Nachdruck seine Antipathie gegenüber den beiden hervor: „Während der Reisende unten mit einem Schiffer wegen der Überfahrt zum Dampfer 89 90 91 92

Ebd., S. 239. Ebd., S. 239. Ebd., S. 243. Ebd., S. 238.

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unterhandelte, rasten die zwei [der Soldat und der Verurteilte] die Treppe hinab, schweigend, denn zu schreien wagten sie nicht. Aber als sie unten ankamen, war der Reisende schon im Boot, und der Schiffer löste es gerade vom Ufer. Sie hätten ins Boot springen können, aber der Reisende hob ein schweres geknotetes Tau vom Boden, drohte ihnen damit und hielt sie dadurch von dem Sprunge ab“.93 Die von allen Bindungen losgelöste Modernität führt tiefer in die verderbte und verderbende Sinnlosigkeit, d. h. in die vom ,Guten‘ ablenkende Sinnlichkeit. Der Weg zurück ist versperrt, das durch die Foltermaschine repräsentierte alte metaphysische System endgültig zusammengebrochen. Der Forschungsreisende flieht auf die offene See. Und dort, der Ungewißheit und der inneren Spaltung zwischen alter metaphysischer Weltordnung und moderner, postmetaphysischer Profanierung preisgegeben, endet die Erzählung, auf den Wogen des offenen Meeres hin- und herschaukelnd. Die Sehnsucht nach messianischer Erlösung – der auch im Epilog der Strafkolonie-Erzählung als „Prophezeiung“94 einer Wiederkehr des alten Kommandanten Ausdruck verliehen wird – aus einer Welt des Leidens und der Schuld, das Trachten nach Überwindung des, wie es am Ende vom Urteil hieß, „geradezu unendliche[n] Verkehr[s]“95 der weltgewandten Existenz durch den Geist, gehört zu den Hauptthemen im Werk Kafkas. Ein ständiges Verlieren von und Ringen um Sinn, in einem Atemzug der Inbegriff moderner Literatur und dennoch in ihrer Thematik ein uraltes Problem der europäischen Geistesgeschichte darstellend: den Streit zwischen Natur und Geist, die Sehnsucht nach Erlösung aus einer unreinen, der animalischen Körperlichkeit ausgelieferten Welt des Leidens und einer auf hedonistische Sinnlichkeit fokussierten (sinnlosen) Existenz.

93 Ebd., S. 248. 94 Ebd., S. 247. 95 Franz Kafka „Das Urteil“ in Schriften, Tagebcher, Briefe. Kritische Ausgabe, Bd. Drucke zu Lebzeiten, 1994, S. 41 – 61, hier S. 61.

Sektion II Wille, Freiheit und Ethik

Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard Von Matthias Koßler Abstract Schopenhauer and Kierkegaard both ascribe great significance to the dogma of original sin. Both connect this dogma with ethical theories in which the freedom and dependence of will coincide. However, while Kierkegaard takes original sin to be a dogma that is presupposed in „new science“, Schopenhauer sees it as a mere allegorical illustration of philosophical truth. This distinction leads to different ethical conclusions, even if a thorough examination of how original sin is interpreted by Schopenhauer and Kierkegaard (especially in The Concept of Anxiety) puts a number of corresponding aspects in the foreground. With the aid of an analysis of the concept of regret (Reue) it can be shown that while in Schopenhauer the path to redemption from sinful human existence leads to a nullification of character in resignation, in Kierkegaard it leads to the overcoming of anxiety and a confident act of character; where indeed the latter depends on the fact that the existence of man is grounded in God.

Schopenhauer und Kierkegaard haben die christliche Lehre von der Erbsünde mit einer philosophischen Konzeption von Willensfreiheit verknüpft, die zugleich mit einer Konstatierung völliger Unfreiheit des menschlichen Willens zusammenfällt. Diese Widersprüchlichkeit, die im Begriff der Erbsünde als einer „geerbten Schuld“ schon angelegt ist, hat spätestens seit Augustinus das christliche Denken beschäftigt und bei Luther aber noch einmal eine besondere Zuspitzung erhalten. Sowohl Schopenhauer als auch Kierkegaard haben sich eingehend mit Luther befasst, insbesondere auch mit seiner Schrift De servo arbitrio. 1 Beide treten als scharfe Kritiker der Philosophie Hegels, insbesondere seiner Lehre vom Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, auf. Neben manchen 1

Vgl. Matthias Koßler Empirische Ethik und christliche Moral. Zur Differenz einer areligiçsen und einer religiçsen Grundlegung der Ethik am Beispiel der Gegenberstellung Schopenhauers mit Augustinus, der Scholastik und Luther (Beitrge zur Philosophie Schopenhauers, Bd. 3), Würzburg 1999, S. 309f., S. 337f.; Walter Dietz Sçren Kierkegaard. Existenz und Freiheit (Athenums Monografien: Philosophie, Bd. 267), Frankfurt a.M. 1993, S. 23, S. 261.

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weiteren Übereinstimmungen etwa in der Haltung zur Geschichte, zum Staat, zu Askese und Resignation2 ist es auffällig, dass beide überhaupt in einer Zeit, in der das orthodoxe Christentum längst seinen Einfluss in Wissenschaft und Philosophie verloren hat, der Erbsünde eine hervorgehobene Bedeutung in ihrem Denken zuteilen. Diese Parallelen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Art und Weise, in der sie die Erbsünde in der Philosophie heranziehen, ganz unterschiedlich ist. Für Schopenhauer ist die biblische Geschichte vom Fall Adams und der Vererbung der Sünde auf seine Nachkommen eine Verbildlichung der philosophischen Wahrheit, die er in seiner Lehre vom Willen als Wesen der Welt und von seiner Bejahung dargelegt hat. Während in der Religion diese Wahrheit „durch bloße Fabeln“ dem gemeinen Volk näher gebracht wird, ist sie in Schopenhauers Philosophie „rationell und im Zusammenhange der Dinge begründet“.3 An diesem Punkt tritt Kierkegaard vom Ansatz her in radikalen Gegensatz zu Schopenhauer: Die Sünde ist als religiöses Dogma gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie sich jeder rationalen Begründung entzieht. Nur durch den „Sprung in den Glauben“ eröffnet sich die Wahrheit über die Sünde, während die Erklärungsversuche der Philosophie und der Wissenschaft – aber auch der Theologie – die Wahrheit verstellen und verschleiern. Die Dogmatik ist die Voraussetzung einer Wissenschaft, in der die Ethik und die Wirklichkeit berücksichtigt sind, während bei Schopenhauer die Letztere als Philosophie autark ist und die Dogmatik nur der Vermittlung ihrer Inhalte dient; die Philosophie hat „ihre Beglaubigung in sich“, die Dogmatik dagegen hat sie „außer sich“. 4 In Der Begriff Angst hat Kierkegaard den Unterschied zu Schopenhauer deutlich gemacht: „Die neue Wissenschaft beginnt also mit der Dogmatik im gleichen Sinne, wie die immanente Wissenschaft mit der Metaphysik beginnt“.5 2

3 4 5

Zu weiteren Übereinstimmungen und Parallelen vgl. Philipp Schwab „Der Asket im System. Zu Kierkegaards Kritik an der Kontemplation als Fundament der Ethik Schopenhauers“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 321 – 345, hier S. 321 – 324. P I, 141. W II, 180. BA, 17f. / SKS 4, 328. Vgl. Anton Bösl Unfreiheit und Selbstverfehlung. Søren Kierkegaards existenzdialektische Bestimmung von Schuld und Snde (Freiburger theologische Studien, Bd. 160), Freiburg 1997, S. 39ff. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, dass Kierkegaard von der traditionellen Metaphysik spricht, von der

Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard

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Dieser grundlegende Unterschied ist im Kopf zu behalten, wenn ich im Folgenden die Interpretationen der Erbsünde und ihre Funktion für die Problematik der Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard vergleiche: ,Interpretation‘ bedeutet bei Kierkegaard eine bloße psychologische oder dialektische Annäherung an die Sünde als ein wirklich Gegebenes und daher mit Recht dogmatisch Gesetztes, das in seiner Faktizität unbegreifbar bleibt. Für Schopenhauer bedeutet ,Interpretation‘, dass die Sünde als allegorischer Ausdruck auf die in seiner Philosophie begriffene und „sensu stricto“ ausgesprochene „Schuld des Daseins“ bezogen wird. Zunächst werde ich darlegen, was Schopenhauer unter der „Schuld des Daseins“ versteht, die er mit der Erbsünde in diesem Sinne gleichsetzt.

A. Schopenhauer Das wohl prominenteste Zitat Schopenhauers zum Thema ,Erbsünde‘ findet sich im § 70 des Hauptwerks, in dem die Lehre von Erlösung und Freiheit in der Verneinung des Willens zum Leben vorgetragen wird: Nicht, dem Satz vom Grunde gemäß, die Individuen, sondern die Idee des Menschen in ihrer Einheit betrachtend, symbolisirt die Christliche Glaubenslehre die Natur, die Bejahung des Willens zum Leben, im Adam, dessen auf uns vererbte Sünde, d. h. unsere Einheit mit ihm in der Idee, welche in der Zeit durch das Band der Zeugung sich darstellt, uns Alle des Leidens und des ewigen Todes theilhaftig macht: dagegen symbolisirt die Gnade, die Verneinung des Willens, die Erlçsung, im menschgewordenen Gotte, der, als frei von aller Sündhaftigkeit, d. h. von allem Lebenswillen, auch nicht, wie wir, aus der entschiedensten Bejahung des Willens hervorgegangen seyn kann […].6

Wenn hier auch in aller Deutlichkeit gesagt ist, dass Schopenhauer die Lehre von der Erbsünde als Verbildlichung der Bejahung des Willens zum

6

sich Schopenhauers Verständnis einer „immanent[en]“ Metaphysik (vgl. W II, 736) dezidiert absetzt. W I, 479. In einer ähnlichen Formulierung, allerdings noch ohne die Begriffe der Bejahung und Verneinung des Willens, findet sich dieser Gedanke schon in den handschriftlichen Aufzeichnungen von 1814 (HN I, 85ff.); hier entspricht Adams Sündenfall „die endliche, thierische, sündige Natur des Menschen“ und „Jesu Christi Wandel, Lehre und Tod […] dagegen die ewige übernatürliche Seite, die Freiheit, die Erlösung des Menschen“ (HN I, 86). In einer Fußnote dazu führt Schopenhauer zur Bestätigung Stellen von Melanchthon und Belege von Luther an.

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Leben betrachtet, so bedarf diese Behauptung doch einiger Erläuterungen. Was hat die Bejahung des Willens zum Leben mit der Einheit der Menschen in der Idee zu tun, und wie kann der Lebenswille als Natur den Charakter einer Bejahung und einer Sünde haben? Im § 60, der die Bejahung des Willens expliziert, wird Schopenhauer konkreter. Hier legt er dar, dass die „entschiedenste Bejahung des Willens zum Leben“ in der Befriedigung des Geschlechtstriebes über das Individuum hinaus das Leben der Gattung betrifft. Unter der Bejahung des Lebens der Gattung ist dabei die Perpetuierung der Individualität und damit des mit der Individualität verbundenen Leidens und Todes gemeint. Indem so die Zeugung eines Individuums die Erzeugung von Leid und Tod bedeutet, ist sie mit einer Schuld verknüpft, die sich in der Scham über den Zeugungsakt bemerkbar macht. Da der Unterschied zwischen dem Erzeuger und dem Gezeugten nur in der Erscheinung, bedingt durch Raum und Zeit, liegt, der Wille aber als das Ding an sich in beiden derselbe ist, kommt die Schuld beiden gleichermaßen zu; es ist die „Schuld des Daseyns selbst“,7 die jedem Menschen aufgrund seines Geborenseins anhaftet. „Diese Ansicht ist mythisch dargestellt in dem Dogma der Christlichen Glaubenslehre, daß wir alle des Sündenfalles Adams (der offenbar nur die Befriedigung der Geschlechtslust ist) theilhaft und durch denselben des Leidens und des Todes schuldig sind.“8 Diese im Vergleich mit seinen Gewährsmännern Augustinus und Luther recht simpel anmutende Erklärung der Erbsünde9 gibt indessen noch keine Antwort auf die vorhin aufgeworfenen Fragen. Die Befriedigung des Geschlechtstriebs zur Erhaltung der Gattung teilt der Mensch mit den Tieren, im weiteren Sinne sogar mit den Pflanzen,10 denen man doch den Begriff der Sünde nicht zusprechen möchte. Außerdem steht die Ausrichtung auf die Gattung objektiv betrachtet eher dem Prinzip der Individualität entgegen, wie ja auch bei den Tieren sichtbar wird, die „nur Gattungscharakter, keinen Individualcharakter haben“.11 Es muss also in der Befriedigung des Geschlechtstriebs beim Menschen etwas liegen, 7 W I, 300. 8 W I, 388. 9 Einen ausführlichen Vergleich von Schopenhauers Auffassung von Sündenfall und Erbsünde mit den Lehren von Augustinus und Luther habe ich in Empirische Ethik und christliche Moral, Würzburg 1999, bes. S. 80ff. und S. 339ff., vorgenommen. Vgl. dazu auch Rudolf Malter „Schopenhauers Verständnis der Theologie Martin Luthers“ in Schopenhauer-Jahrbuch 63, 1982, S. 22 – 53. 10 Vgl. W I, 326f. 11 W I, 260.

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was ihn vom Tier unterscheidet und was auch das Verhältnis von Gattung und Individuum in ein anderes Licht stellt. Und das ist die Möglichkeit einer Verneinung des Willens zum Leben:12 Diese macht ja die Bejahung überhaupt erst zu einer solchen, die mit dem Gedanken einer Schuld in Verbindung gebracht werden kann. Freilich ist es nicht so, dass die Sünde einer Wahl im Sinne eines liberum arbitrium indifferentiae entspringt: Schopenhauer hält daran fest, dass die Bejahung des Willens die Natur des Menschen ausmacht, wenn er schreibt, dass sie „das von keiner Erkenntniß gestörte beständige Wollen selbst“13 ist. Die Verneinung ist gegen diese Natur gerichtet und daher vom Menschen her so schwer zu erklären, dass Schopenhauer auf die christliche Lehre von der Gnadenwirkung zurückgreift, um sie zu erläutern. Mit der Bestimmung der Sünde als Natur des Menschen, die ihm zugleich als Schuld angerechnet wird, kommt Schopenhauer in der Tat der Lehre von der Erbsünde nahe, wie sie bei Luther zu finden ist.14 Bei Luther knüpft die Problematik an dogmatischen Vorgaben an: Der Mensch ist von Natur aus schlecht, und er ist von Gott geschaffen; insofern Gott gut und gerecht ist, kann die schlechte Natur nicht auf die Schöpfung zurückgeführt werden, sondern ist dem Menschen selbst als Sünde zuzurechnen. In seiner Disputatio contra scholasticam theologiam spitzte Luther diese Lehre zu, indem er den Widerspruch in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Thesen über den menschlichen Willen ausspricht: „(8.) Nec ideo sequitur, quod sit naturaliter mala, id est, natura mali, secundum Manicheos. (9.) Est tamen naturaliter et inevitabiliter mala et viciata natura“.15 Luther versucht nun aber nicht, diesen Widerspruch etwa im Versuch einer Theodizee zu vermitteln, sondern gerade die Verhärtung des Widerspruchs soll zu der Einsicht führen, dass 12 Vgl. W I, 478: Die Möglichkeit der Verneinung des Willens zum Leben „ist der größte Vorzug des Menschen, der dem Thiere ewig abgeht, weil die Besonnenheit der Vernunft […] Bedingung derselben ist.“ 13 W I, 385. 14 Bei Augustinus und in der mittelalterlichen Theologie ist die Sünde nicht die Natur des Menschen, sondern ein durch den Sündenfall hervorgerufener Zustand; die ursprünglich gute Natur, in der der Mensch als Abbild Gottes (imago Dei) geschaffen wurde, bleibt dabei bestehen und wird durch die Gnade wieder hergestellt. 15 Martin Luther „Disputatio contra scholasticam theologiam“ [1517] in Werke, Abt. 1 – 4, Weimar 1883 – 1985, Abt. 1, Bd. 1, 1883, S. 224 – 228, hier S. 224.: „8. Und daraus folgt nicht, daß er von Natur aus schlecht, d. h. von der Natur des Bösen ist, wie bei den Manichäern. 9. Dennoch ist er eine von Natur aus und unausbleiblich schlechte und verdorbene Natur“.

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die Erbsünde als jede Vernunft übersteigende Wahrheit geglaubt werden muss, so dass die „durch Beweise, denen keine Vernunft und kein Licht der Natur widerstehen kann, gestützte Ungerechtigkeit Gottes ganz leicht durch das Licht des Evangeliums und die Erkenntnis der Gnade weggenommen wird“.16 Was daher Luther über den Sündenfall sagt, ist nur, dass er der Vermessenheit der Vernunft, das Wort Gottes (hier: das Gebot im Paradies) zu beurteilen, entspringt; alle weiteren Ausführungen und Kommentare, auch Versuche der Theodizee, die die Vernunft unternimmt, wären gerade Ausdruck dieser Vermessenheit, die die Sünde ausmacht. Wer dagegen der Gnade teilhaftig werden will, muss im Glauben alle Sünde auf sich nehmen und alle Güte und Gerechtigkeit Gott zusprechen. Diese Konsequenz der Widersprüchlichkeit der moralischen Natur des Menschen im Glauben ist nun gar nichts für Schopenhauer, der immer wieder darauf besteht, dass Leiden und Schlechtigkeit in der Welt in „Dissonanz“ zu dem Gedanken „eines allweisen, allgütigen und dabei allmächtigen Wesens“ stehen und zu „einer bittern Anklage gegen den Schöpfer“ führen müssen.17 Dagegen verliert die Sache für ihn sowohl ihre Inkonsistenz als auch ihre Anrüchigkeit, „sobald man vom Jüdischen Grunddogma [des Schöpfergottes] abstrahirt und erkennt, daß der Mensch nicht das Werk eines andern, sondern seines eigenen Willens sei. Dann ist sogleich Alles klar und richtig: dann bedarf es keiner Freiheit im Operari: denn sie liegt im Esse, und eben da liegt auch die Sünde, als Erbsünde“.18 Um zu verstehen, wie die Einheit von Natur und Schuld im Sein des Menschen von Schopenhauer auf der Grundlage der „Aseität“19 des Willens verstanden wird, ist seine Charakterlehre zu betrachten, die zwar nicht viel Raum im Hauptwerk einnimmt, aber genau an der Stelle in der Ethik eingefügt ist, an der die Frage nach dem Zusammenbestehen von Freiheit und Notwendigkeit bei der Bejahung und Verneinung des Willens zu erörtern ist.20 Auch diese Frage erhält zunächst eine holz16 Martin Luther „De servo arbitrio“ [1525] in Werke, Abt. 1, Bd. 18, 1908, S. 600 – 787, hier S. 785: „Et tamen haec iniquitas Dei vehementer probabilis et argumentis talibus traducta, quibus nulla ratio aut lumen naturae potest resistere, tollitur facillime per lucem Evangelii, et cognitionem gratiae“. 17 P II, 320. 18 W I, 481 Anm. 19 N, 142; W II, 364; E, 72. 20 Der Umstand, dass Schopenhauer gerade an dieser Stelle (W I, 337) noch einmal seine Ausführungen im Vorwort über die Einheit des Gedankens der Welt als

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schnittartig einfache Antwort, die aber in der weiteren Durchführung wesentlich komplizierter wird: Als Ding an sich ist der Wille frei, als Individuum erscheinend, also als Person, ist er unfrei, da er unter den Bedingungen des Satzes vom Grunde steht. Obwohl also das Handeln der Person „mit der Gesetzmäßigkeit einer Naturkraft“ erfolgt, so ist dennoch jede einzelne Tat, weil sie die Erscheinung des an sich freien Willens ist, „dem freien Willen zuzuschreiben und kündigt sich dem Bewußtseyn unmittelbar als solche an“.21 Mit Berufung auf Kant nennt Schopenhauer den Willen als Ding an sich, der in der Person zur Erscheinung kommt, den (freien) intelligiblen Charakter und die erscheinende Individualität den (unfreien) empirischen Charakter. Frei – und schuldig – ist der Mensch also nicht in seinem Handeln, das der Erscheinung angehört, sondern in seinem Sein und Wesen, das seine Handlungsweise prägt und in ihr sichtbar wird. Dieses scheinbar klare Verhältnis zwischen Sein und Handeln wird nun aber dadurch kompliziert, dass der Mensch Vernunft und Besonnenheit hat und daher unterscheiden kann zwischen dem, was er wollen kçnnte und was er wirklich will und tut. „Er findet in sich zu allen, noch so verschiedenen menschlichen Anstrebungen und Kräften die Anlagen; aber der verschiedene Grad derselben in seiner Individualität wird ihm nicht ohne Erfahrung klar“.22 Auch wenn die Motive das Handeln des Menschen seinem Charakter entsprechend bestimmen, ist doch das Bewusstsein vorhanden, dass jede Handlung eine Wahl aus unendlichen Möglichkeiten ist. Die Möglichkeiten, das, „was der Mensch berhaupt […] zu thun fähig wäre“,23 sind ihm in der Form von Wünschen und Willensregungen präsent; aber was er als Individuum tatsächlich zu tun fähig ist, erfährt er erst aus den vollbrachten Handlungen: „an dem was wir thun, erkennen wir was wir sind“. 24 Das Gewicht, das der Tat bei der Herausbildung des individuellen Charakters zukommt, dreht das Verhältnis zwischen dem intelligiblen Charakter und den durch ihn geprägten Handlungen zugleich um: Jede Tat ist ein Baustein zum Charakter, von dem Schopenhauer auch sagt, dass er durch „Erfahrung und Nachdenken“25 erworben wird. Deshalb ist jede Tat Ausdruck einer Freiheit, die

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Wille und Vorstellung wiederholt und in Erinnerung bringt, spricht für die zentrale Bedeutung, die die Charakterlehre für das gesamte Werk spielt. W I, 340. W I, 358. W I, 354. E, 97. W I, 357.

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nicht die Tat selbst betrifft, sondern den Charakter als ganzen; und deshalb schreibt der Mensch sich die Handlungen zu und „fühlt die Verantwortung, daß er hätte anders handeln können, wenn nur Er ein Anderer gewesen wre“. 26 In der Schrift ber den Willen in der Natur bringt Schopenhauer das Wechselverhältnis von Charakter und Handlung auf die kürzeste Formel: „Denn ich will je nachdem ich bin: daher muß ich seyn je nachdem ich will.“27 Um nun wieder auf Schopenhauers Interpretation des Sündenfalls zurückzukommen, so ist das Verhältnis zwischen Natur und Schuld auf den Prozess der Bildung des individuellen Charakters aus den Möglichkeiten des Menschseins überhaupt zu beziehen. Wenn Schopenhauer schreibt: Der Wille bejaht sich selbst, besagt: indem in seiner Objektität, d. i. der Welt und dem Leben, sein eigenes Wesen ihm als Vorstellung vollständig und deutlich gegeben wird, hemmt diese Erkenntniß sein Wollen keineswegs; sondern eben dieses so erkannte Leben wird auch als solches von ihm gewollt, wie bis dahin ohne Erkenntniß, als blinder Drang, so jetzt mit Erkenntniß, bewußt und besonnen[,]28

so ist das erkannte und bejahte Leben der durch Erfahrung erworbene individuelle Charakter, der der „Spiegel des Willens“29 ist; und die Besinnung, die die Bejahung begleitet und zu einer Schuld macht, besteht in dem Bewusstsein, dass der bejahte Individualcharakter nur die Realisierung einer der unendlichen Möglichkeiten des Menschseins ist (die dabei verneint werden). In der Bejahung des Charakters grenzt sich das Individuum gegen die Gattung, mit der es ursprünglich durch seine allgemeinen Anlagen verbunden ist, ab, und die Befriedigung des Geschlechtstriebs hat nicht, wie beim Tier, die Erhaltung der Gattung im Auge, sondern die Perpetuierung des individuellen Charakters. Hier greift dann der Gedanke der Schuld am Leiden und am Tod, doch sind Schopenhauers Ausführungen zur Erbsünde dann dahingehend zu korrigieren, dass die Sünde in der Bejahung des Charakters besteht, deren heftigste Ausprgung nur die Befriedigung des Geschlechtstriebs (bis zum „Wahn“ der Täuschung über den objektiven Zweck) ist. Die Verneinung des Willens zum Leben aber ist, wie Schopenhauer selbst im Zusam-

26 27 28 29

E, 93. N, 142. W I, 336. W I, 357.

Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard

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menhang mit der Gnadenwirkung formuliert, die „Aufhebung des Charakters“.30

B. Schopenhauer und Kierkegaard (Der Begriff Angst) Die Ergreifung einer der unendlichen Möglichkeiten des Menschen in der Tat, wie sie bei Schopenhauer als Bejahung des Willens zur Schuld führt, spielt auch in Kierkegaards Annäherung an die Erbsünde eine entscheidende Rolle. In Der Begriff Angst ist es die „ängstigende Möglichkeit zu kçnnen“,31 die mit dem Begriff der Sünde und zugleich der Erbsünde in Zusammenhang gebracht wird. Es ist hier daran zu erinnern, dass Kierkegaard die Sünde selbst als das nicht Begreifbare der Dogmatik überlässt und damit in dieser Hinsicht Luther folgt (im Gegensatz zu Schopenhauer – dazu später). Erst indem die Möglichkeit zu können ergriffen wird, entsteht durch einen qualitativen, nicht begreifbaren „Sprung“ die Sünde, indem mit der Wirklichkeit des Könnens die Schuld auftaucht.32 Wenn Schopenhauer in seiner Preisschrift über die Freiheit des Willens die berühmte Frage an den Verfechter der Willensfreiheit stellt: „Kannst du auch wollen, was du willst!“,33 so steht das erste Wollen zu dem zweiten im selben Verhältnis wie die Möglichkeit zu können zum Können. In beiden Fällen ist das Verhältnis das von Freiheit und Unfreiheit: bei Schopenhauer zwischen intelligiblem und empirischem Charakter, bei Kierkegaard zwischen der Angst vor der Sünde und der Angst nach der Sünde. Bei Berücksichtigung der vorhin gegebenen Interpretation der Charakterlehre, nach der das Bewusstsein der Freiheit in der Besinnung auf die Möglichkeiten des Menschseins überhaupt besteht, rücken Schopenhauer und Kierkegaard hinsichtlich der Auffassung von Sünde und Freiheit näher zusammen. Während Schopenhauer vom unfreien empirischen Charakter als dem „Spiegel des Willens“ sozusagen zurückblickt auf die intelligible Freiheit (ein Anderer sein zu können) und aus dieser Besinnung die „Seelenangst“, aber auch die „Beruhigung“ des Gewissens herleitet,34 geht Kierkegaard mit seinem Begriff der Angst 30 31 32 33 34

W I, 477. BA, 43 / SKS 4, 350. Vgl. BA, 41, 48 / SKS 4, 349, 354. E, 6. W I, 357. Vgl. ebd.: „Weil wir dies [unser innerstes Selbst] also nicht vorher, sondern erst nachher erfahren, kommt es uns zu, in der Zeit zu streben und zu

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hinter den Verlust der Freiheit zurück und bestimmt ihn als den „Schwindel der Freiheit“, die niederschaut in ihre eigene Möglichkeit, und sodann die Endlichkeit packt sich daran zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Freiheit zusammen […]. Den gleichen Augenblick ist alles verändert, und indem die Freiheit sich wieder aufrichtet, sieht sie, daß sie schuldig ist. Zwischen diesen beiden Augenblicken liegt der Sprung, den keine Wissenschaft erklärt hat oder erklären kann.35

Es ist nun zu fragen, was dieses Ergreifen der Endlichkeit, das Schopenhauer als Bejahung der Individualität fasst, bei Kierkegaard bedeutet. Die Angst kommt allein dem Menschen zu, weil er eine „Synthesis des Seelischen und des Leiblichen“ ist, die der „Geist“ vollbringt.36 Das Ergreifen der Endlichkeit ist diese Tat des Geistes, mit der er schuldig wird. Mit der Synthese ist die Sexualität in der Sünde gesetzt, denn um die Synthese zu setzen, muss der Geist sie zuerst „unterscheidend durchdringen“ und die Sinnlichkeit oder Leiblichkeit zuspitzen: die Sexualität ist „das Äußerste am Sinnlichen“.37 Mit der Sinnlichkeit ist auch die Zeitlichkeit da, und das Setzen der Synthese durch den Geist somit in die Geschichte der Menschheit ausgedehnt, die eine qualitative (Erb)sünde in eine quantitative Vielheit von Sünden.38 Obwohl bei Kierkegaard die Erzeugung des Individuums bei der Betrachtung der Sexualität als Sünde nicht den springenden Punkt ausmacht,39 sondern – auch hier näher an Luther – der Umstand, dass der

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kämpfen, eben damit das Bild, welches wir durch unsere Thaten wirken, so ausfalle, daß sein Anblick uns möglichst beruhige, nicht beängstige“. BA, 60f. / SKS 4, 365f. BA, 41 / SKS 4, 349. BA, 47 / SKS 4, 354. Vgl. Bösl Unfreiheit und Selbstverfehlung, S. 65ff. Vgl. Michael Bongardt Der Widerstand der Freiheit. Eine transzendentalphilosophische Aneignung der Angstanalysen Kierkegaards (Frankfurter theologische Studien, Bd. 49), Frankfurt a.M. 1995, S. 169ff. Vgl. aber Papir 572 (SKS 27, 669f.), wo für Kierkegaard eine Zeugung „christlich betrachtet, in Gottes Augen ein Verbrechen [ist,] und das besonders Gemeine an diesem Verbrechen ist wiederum, daß die Betreffenden nicht selber darunter leiden müssen, aber ein Unschuldiger wird (indem er geboren wird) in dies ganze Verbrecheretablissement, das ein solches Menschsein darstellt, mithineingezogen“ (zit. nach Bösl Unfreiheit und Selbstverfehlung, S. 67). Das erinnert an Schopenhauers Vergleich des Zeugungsakts mit einem Verbrechen (vgl. W II, 653) oder an seine Polemik gegen die kirchliche Auffassung, der eheliche Beischlaf sei erlaubt, sofern er nicht aus Lust, sondern zum Zweck der Kinderzeugung vollzogen würde, was „zur Zeugung aus bloßem Geschlechtstrieb sich

Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard

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Geist durch sich selbst die Synthese vollbringt, so zeigen sich auch hier Parallelen zu Schopenhauer, insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass bei diesem die Besonnenheit der Vernunft konstitutiv ist für die Bejahung des Willens in der Individualität. Für Kierkegaard ist im Augenblick der Empfängnis und bei der Geburt die Angst am größten, weil die Zuspitzung der Sinnlichkeit zum „äußersten Ende des einen Extrems der Synthesis“ geführt hat, in der der „Geist am weitesten fort“, also sich selbst in seiner synthetisierenden Tätigkeit am fernsten geworden ist.40 Diese Zuspitzung manifestiert sich im „erzeugten Individuum“, das „in der Ohnmacht der Angst [zusammen]sinkt“ und gerade dadurch „beides, schuldig wie unschuldig“ ist.41 Kierkegaard geht so weit, mit der Tradition die Sünde „das Selbstische“ zu nennen, betont dabei aber, dass „Selbst“ als existentieller Ausdruck keiner Erklärung dienen kann; was das Selbstische ist, „kann nur der Einzelne als der Einzelne wissen“,42 es ist also nur erfahrbar, nicht begrifflich fassbar. Das passt wiederum zu Schopenhauers Erkenntnis, dass wir erst aus der Erfahrung lernen müssen, was wir (als Individuum) sind. Mit dieser Erkenntnis hebt Schopenhauer seine eigene metaphysisch-wissenschaftliche Erklrung der Individualität aus dem principium individuationis auf und entdeckt, dass die Individualität beim Charakter des Menschen „im Dinge an sich, im Willen des Einzelnen, wurzelt […]. Wie tief nun aber hier ihre Wurzeln gehn, gehört zu den Fragen, deren Beantwortung ich nicht unternehme“.43 Allerdings bleibt Schopenhauer bei der Bestimmung der existenziellen Dimension des individuellen Selbst hinter Kierkegaard zurück, indem er die Erfahrung des Charakters noch weitgehend nach dem Vorbild wissenschaftlicher Erfahrung darzustellen versucht. Im Zusammenhang mit der Erbsündenproblematik gibt es eine Reihe weiterer interessanter Parallelen zwischen beiden Philosophen. So ist die Zeitlichkeit nicht nur sowohl mit Kierkegaards Synthese als auch mit Schopenhauers Bejahung eng verknüpft,44 sondern auch ihre Bestimmung weist Parallelen auf. Bei Kierkegaard entsteht die Zeitlichkeit erst aus der Synthese der Zeit mit der Ewigkeit in dem Sinne, dass die ewige Gegenwart als Augenblick die „unendliche Sukzession“ der Zeit „be-

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verhielte, wie der kaltblütig überlegte Mord zum Todtschlag im Zorn“ (P II, 337). BA, 72 / SKS 4, 376. BA, 73 / SKS 4, 376f. BA, 78 / SKS 4, 381. P II, 242. Vgl. BA, 86ff. / SKS 4, 388ff.

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rührend“ teilt und so einen „festen Angelpunkt“ gibt, von dem aus die Unterscheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erst möglich wird. Mit ähnlichen Worten beschreibt Schopenhauer die Zeitlichkeit, die in der Objektivation und Bejahung des Willens entspringt, indem die Gegenwart „die nach beiden Seiten unendliche Zeit schneidet und unverrückbar fest steht“;45 die Gegenwart ist dabei die Weise, in der der Wille als ewiger in die Erscheinung tritt, wie bei Kierkegaard der Augenblick der „erste Reflex der Ewigkeit in der Zeit“ ist: „Empirisch aufgefaßt das Flüchtigste von Allem, stellt sie sich dem metaphysischen Blick […] als das allein Beharrende dar, das Nunc stans der Scholastiker.“46 Und selbst die Feststellung Kierkegaards, dass „die Synthese des Zeitlichen und des Ewigen […] nicht eine zweite Synthese, sondern der Ausdruck für jene erste Synthese [ist], derzufolge der Mensch eine Synthese von Seele und Leib ist“,47 kehrt, freilich mit ganz anderer Begründung, bei Schopenhauer wieder, wenn er die „Berührung“ des Ewigen mit der Zeit als den „Berührungspunkt des Objekts, dessen Form die Zeit ist, mit dem Subjekt, das keine Form hat, weil es nicht zum Erkennbaren gehört“, fasst.48 Beiden gemeinsam ist weiterhin die Ablehnung einer Freiheit im Sinne des liberum arbitrium indifferentiae. 49 In Bezug auf die Wahrheit als Inhalt der Freiheit, die den Weg zur Erlösung aus der Sünde bereitet, entspricht die „Innerlichkeit“ des Erkennens bei Kierkegaard, die „allein handelnd erlangt wird und allein in der Handlung ist“,50 Schopenhauers Rückführung der „ächte[n] Güte der Gesinnung“ auf eine unmittelbare und intuitive Erkenntnis, die „ihren eigentlichen adäquaten Ausdruck nicht in Worten findet, sondern ganz allein in 45 W I, 330. 46 W I, 329. Zu Kierkegaards Begriff der Zeitlichkeit im Allgemeinen und zum Rückgriff auf das traditionelle nunc stans vgl. Hermann Deuser Kierkegaard. Die Philosophie des religiçsen Schriftstellers (Ertrge der Forschung, Bd. 232), Darmstadt 1985, S. 124ff. 47 BA, 90 / SKS 4, 392. 48 W I, 329. Die Parallelen in der Zeitauffassung sind sicher auch auf die Beziehungen beider Denker zum Deutschen Idealismus zurückzuführen. Eine Untersuchung dieser komplizierten Beziehungen, bei Kierkegaard deutlich zu Hegel, bei Schopenhauer möglicherweise zu Schelling, kann hier nicht vorgenommen werden. Zu Kierkegaard und Schelling vgl. Zoltán Gyenge „Über die Begriffe der Zeit und des Seins in der Philosophie Schellings und Kierkegaards“ in Zeit und Freiheit. Schelling – Schopenhauer – Kierkegaard – Heidegger, hrsg. v. István M. Fehér / Wilhelm G. Jacobs, Budapest 1999, S. 107 – 116. 49 Vgl. BA, 48, 115 / SKS 4, 355, 414. W I, 342; E, 5ff. 50 BA, 144 / SKS 4, 439.

Erbsünde und Willensfreiheit bei Schopenhauer und Kierkegaard

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Thaten, im Handeln, im Lebenslauf des Menschen“.51 Und wenn Kierkegaard bei aller Kritik am „rührseligen Mitleid“ eine von diesem „gewöhnlichen“ Verständnis abweichende höhere Auffassung vom „Mitleid von besserer Güte“ zulässt, das sich dadurch auszeichnet, dass „der Mitleidende bei seinem Mitleid sich so zum Leidenden verhält, daß er in strengstem Sinne begreift, es gehe hier um seine Sache“, dass „er sich mit dem Leidenden so in eins zu setzen weiß, daß er mit seinem Kampf um eine Erklärung für sich selber kämpft“,52 so hat er zwar ein anderes Leiden im Sinn, die formale Bestimmung des wahren Mitleids als eine Identifikation mit dem Leidenden entspricht aber der hinlänglich bekannten bei Schopenhauer, der sie metaphysisch durch das „Wiedererkennen“ des eigenen Wesens im Anderen begründet, mit der Maßgabe, dass uns als Mitleidenden „klar und gegenwärtig [bleibt], daß Er der Leidende ist, nicht wir: und geradezu in seiner Person, nicht in unserer, fühlen wir das Leiden, zu unserer Betrübniß“.53 Auf diese Parallelen sei hier nur hingewiesen, ihre Bewertung hinsichtlich der Frage von Übereinstimmungen und Differenzen würde zu umfangreiche Untersuchungen erfordern. Etwas ausführlicher sei zum Schluss nur auf einen weiteren Aspekt eingegangen, der auf die entscheidenden Differenzen hinführt: den Begriff der Reue. Auf den ersten Blick scheint die Reue im Zusammenhang mit der Sünde eine gegensätzliche Rolle bei Schopenhauer und Kierkegaard zu spielen. Für Schopenhauer bezieht sich die Reue auf Abweichungen vom Charakter und hat keine unmittelbare moralische Bedeutung – im Gegenteil: wer bereut, hat nur erkannt, dass er nicht seinem eigenen Willen, d. h. seinem individuellen, aus der Bejahung hervorgegangenen Charakter gemäß gehandelt hat.54 Für Kierkegaard dagegen entspringt die Reue der Angst vor dem Bösen in der Sünde:55 Bereut wird hier die Verwirklichung der Sünde (also schopenhauerisch gesprochen die BeW I, 437. BA, 123f. / SKS 4, 421. W I, 438; vgl. E, 211. Vgl. W I, 349f.; W II, 681. Die moralische Bedeutung der Reue beschränkt sich darauf, dass sie sich auch auf ethisch relevante Handlungen bezieht, wenn etwa festgestellt wird, dass an dem eigenen Charakter gemessen zu egoistisch oder aber auch zu wenig egoistisch gehandelt wurde. Reue bezieht sich aber nicht auf eine Änderung der Gesinnung: „Reue entsteht nimmermehr daraus, daß (was unmöglich) der Wille, sondern daraus, daß die Erkenntniß sich geändert hat“ (W I, 349). 55 Vgl. BA, 116ff. / SKS 4, 415ff. 51 52 53 54

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jahung des Willens), sei es in der Vergangenheit oder der Zukunft. Dieser an die christliche Tradition erinnernde Begriff von Reue als Zustand der Trauer über die Sünde wird indessen von Kierkegaard noch einmal als sophistischer Winkelzug der Angst entlarvt. Die Reue, „herabgesetzt zu einer Möglichkeit im Verhältnis zur Sünde“,56 muss „zu des Individuums Freiheit“57 werden, indem sie sich selbst zum Gegenstand wird und in einer „neue[n]“ bzw. „wahre[n]“ Reue „zusammensinkt“.58 An diesem Punkt, an dem Kierkegaard mit der Forderung, dass die Reue bereut werden soll, dem Standpunkt Schopenhauers wieder näher zu kommen scheint, treten beide entschieden auseinander, und zwar im Hinblick auf die Möglichkeit von Freiheit und Erlösung, die mittelbar auch auf Differenzen in der Auffassung der Erbsünde zurückweist. Schopenhauer stellt seinem Begriff von Reue (als Bedauern einer Abweichung vom eigenen Willen) den der „Gewissensangst“ gegenüber, der den „Schmerz über die Erkenntniß seiner selbst an sich“ bezeichnet, also darüber, dass man seinen eigenen Willen, seinen Charakter „noch immer hat“.59 Die Gewissensangst weist den Weg zur Erlösung, dem „einzigen Fall“, wo die Freiheit des Willens „in der Erscheinung sichtbar“ wird, nämlich in der Aufhebung des Charakters, der Verneinung des Willens zum Leben.60 Die schopenhauerische Gewissensangst kommt im Hinblick auf die Sünde bzw. Bejahung des Willens der (sophistischen) Reue Kierkegaards viel näher, und gerade diese wird dadurch aufgehoben, dass sie sich selbst 56 BA, 118 / SKS 4, 417. Der zur Möglichkeit herabgesetzten Reue entspricht bei Schopenhauer die oben als Ausdruck des Verantwortungsgefühls zitierte Rede „wenn nur Er ein Anderer gewesen wre“ (E, 93), mit der das Gewissen „direkt erst nach der Handlung laut wird“ (E, 95). Das, was bei Kierkegaard als das sich selbst zum Gegenstand Werden der Reue bezeichnet wird, wäre bei Schopenhauer darin zu finden, dass der Mensch sein Wesen, also die Tatsache, dass er nicht ein Anderer ist und sein kann, als „seine freie That“ (E, 97) anerkennt. Zum Verhältnis dieser „intelligiblen Tat“, mit der Schopenhauer an Schelling und Kant anschließt, zum Denken Kierkegaards vgl. Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs (Philosophische Untersuchungen, Bd. 22), Tübingen 2009, S. 227ff. 57 BA, 118 / SKS 4, 417. 58 BA, 119, 121 / SKS 4, 418f. Die Rede von der „neuen“ bzw. „wahren Reue“ übersieht Walter Dietz Sçren Kierkegaard, S. 213f., wenn er den Reuebegriff von BA dem in EO gegenüberstellt, der als „Signatur der Freiheit des Menschen“ zu verstehen sei; von einer „gänzlich anderen Einschätzung der Reue“ (ebd.) kann daher nicht gesprochen werden. 59 W I, 350. 60 W I, 476.

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Gegenstand wird. Aufgehoben wird die Reue, indem sie selbst noch als ein Sophisma der Angst, als Sünde erkannt wird. Die Individualität „offenbart“ sich, wenn sie „die Angst der Möglichkeit durchgangen“ hat und dazu gebildet ist, „sich nicht zu ängstigen“.61 Das geschieht im Vollbringen der Handlung aus der Innerlichkeit des Gemüts heraus,62 in der Tat, mit der die Reue nichts zu tun haben wollte.63 In Schopenhauers Charakterlehre entspricht dem das Handeln gemäß dem erworbenen (besonnenen) Charakter, und wenn Kierkegaard den „Ernst“ der Innerlichkeit als „die erworbene Ursprünglichkeit des Gemüts“ oder als „die Persönlichkeit selbst“ bestimmt,64 wird dies augenscheinlich. Die Freiheit und damit die Erlösung liegt also bei Kierkegaard in dem von der Persönlichkeit bewusst vor dem Hintergrund unendlicher Möglichkeiten vollzogenen Handeln, während sie bei Schopenhauer gerade im Aufheben der Persönlichkeit bzw. des Charakters besteht.65 Bei diesem Ergebnis ist jedoch noch einmal zu berücksichtigen, dass die Konzeption Kierkegaards auf einer dogmatischen Grundlage aufbaut, die bei Schopenhauer ausgeschlossen ist. Die Bildung durch die Angst, die zur Freiheit führt, ist nur möglich im Glauben an die Versöhnung Gottes. „Mit Hilfe des Glaubens erzieht die Angst die Individualität dazu in der Vorsehung auszuruhn“, und dies „auch im Verhältnis zur Schuld“.66 Dieses Element hat Kierkegaard in der Schrift Die Krankheit zum Tode stärker hervorgehoben, in der er die Sünde aus der Verzweiflung im Selbstverhältnis des Menschen angesichts des Umstands, dass dies Verhältnis ein von Gott gesetztes ist, herleitet.67 Dort wird die Überwindung der Verzweiflung in die Formel gesetzt: „indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will, gründet sich das Selbst durchBA, 163 / SKS 4, 456. Vgl. BA, 144 / SKS 4, 439. Vgl. BA, 121 / SKS 4, 419. BA, 154f. / SKS 4, 448f. Dass sich die Rede von der Aufhebung des Charakters bei Schopenhauer auch in einem schwächeren Sinne interpretieren lässt, bei dem sie notwendig mit einer Selbstbestimmung im Sinne des erworbenen Charakters zusammenfällt, habe ich v. a. in dem Aufsatz „Schopenhauers Philosophie als Erfahrung des Charakters“ in Schopenhauer im Kontext. Deutsch-polnisches Schopenhauer-Symposium 2000, hrsg. v. Dieter Birnbacher u. a., Würzburg 2002, S. 91 – 110, versucht zu zeigen. 66 BA, 167f. / SKS 4, 559. 67 Vgl. KT, 9f. / SKS 11, 130. Zum Verhältnis von KT zu BA vgl. Jochem Hennigfeld „Die Wesensbestimmung des Menschen in Kierkegaards ,Begriff Angst‘“ in Philosophisches Jahrbuch 94, 1987, S. 269 – 284, hier S. 281f. 61 62 63 64 65

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sichtig in der Macht, welche es gesetzt hat“.68 Auf der Grundlage von Schopenhauers Aseität des Willens gibt es nur die Alternative, man selbst sein zu wollen oder nicht zu wollen.69 In seinen Tagebüchern70 hat Kierkegaard an Schopenhauer vor allem den Mangel an ethischem und an religiösem Charakter kritisiert; der Philosoph habe die Verachtung der Welt (insbesondere der Universitätsprofessoren) und die asketische Abwendung von der Welt gelehrt, aber nicht im Ernst gelebt. Ungeachtet der Frage, inwieweit bei beiden Philosophen die Entsprechung von Leben und Lehre gegeben ist, lässt sich die Begründung seiner Kritik mit den Resultaten unserer Untersuchung auf eine prinzipiellere Ebene beziehen. Hinsichtlich des Verhaltens angesichts der Missachtung durch die Philosophieprofessoren bemängelt Kierkegaard das heimliche Erpichtbleiben auf deren Anerkennung und den Rückzug aus der Öffentlichkeit. Das sind Verhaltensweisen, die zur resignativen Aufhebung des Charakters führen. Kierkegaard setzt dagegen den „griechische[n] Philosoph im Charakter“ und den „christliche[n] Polizeioffizier“, der in die Öffentlichkeit tritt und deren Anerkennung verwirft, „weil ich nämlich eine religiöse Weisung habe“.71 Was die Askese betrifft, so meint Kierkegaard, Schopenhauer mache damit die Ethik zu einer Sache der Genialität, über die er selbst nicht und möglicherweise überhaupt niemand verfüge. Gegen die Kraftlosigkeit dieses Aufrufs zur Askese, der richtiger als eine Kontemplation der Askese zu betrachten sei, setzt er die Askese als „religiöse Pflicht“.72 Es ist also der Gedanke des Gesetztseins durch Gott, der den festen ethischen Charakter auch noch in der Abwendung von der Welt ausmacht, während das Fehlen desselben bei Schopenhauer die Askese als Resignation und als Aufhebung des Charakters auftreten lässt. Auf diesem Unterschied beruhen schließlich auch die bei allen herausgestellten Parallelen doch ganz unterschiedlichen inhaltlichen Bestimmungen der Begriffe des Mitleids und der Reue, die bei Kierkegaard unter dem Blickwinkel eines Sollens, einer Weisung stehen, während sie bei Schopenhauer ganz unabhängig vom Sollen betrachtet werden.

68 KT, 10 / SKS 11, 130. 69 Vgl. Claus-Artur Scheier Kierkegaards rgernis. Die Logik der Faktizitt in den „Philosophischen Bissen“, Freiburg i.B. / München 1983, S. 26. 70 Vgl. NB29:95 (T 5, 195 – 200 / SKS 25, 352 – 357). 71 NB29:95 (T 5, 197f. / SKS 25, 355). 72 NB29:95 (T 5, 197 / SKS 25, 354).

Das Konzept von Willens(un)freiheit bei Kierkegaard und Schopenhauer Von Walter Dietz Abstract Based on Schopenhauer’s World as Will and Representation (1818/44) and his Prize Essay on the Freedom of Will (1839), as well as on Kierkegaard’s works Either/Or, The Concept of Anxiety and The Sickness unto Death this paper unravels the different metaphysical backgrounds of the philosophers and how their approach to language differs profoundly. Essential terms like will, freedom, anxiety and suffering are interpreted quite differently. However, important affinities between them must also be emphasized, which cannot simply be reduced to their harsh opposition to Hegel and the philanthropic rationalism of the enlightenment. Rather, it is of crucial importance that both challenge the natural human being’s fundamental freedom of will (i. e. the ability to will what one in truth wants). Significantly, they hereby come into contact with Luther’s concept of a servum arbitrium (bondage of will). In contrast with this, the question of the mere freedom of action (the ability to do what one wants) appears irrelevant, and the liberum arbitrium indifferentiae (neutral, aseitic-unconditional freedom) appears like an apparition or fiction resulting from a limited understanding of real freedom.

Zunächst möchte ich in einigen Eingangsbemerkungen das aus meiner Sicht Grundlegende für die Verhältnisbestimmung beider Ansätze vorausschicken, dann in einem zweiten Schritt (3.–10.) einige zentrale Fragen und Begriffe schlaglichtartig herausgreifen und wechselseitig erörtern, so z. B. die gemeinsame Aversion gegen die idealistische Anthropologie und Geschichtsphilosophie, die Bedeutung von Angst und Verzweiflung für die Willensfreiheit und als Momente der Selbstverwirklichung, dann aber auch die Verhältnisbestimmung des Ästhetikers (EO) in Relation zur schopenhauerischen Willensmetaphysik. Am Ende (9. u. 10.) wird die Leidensthematik in Relation zur Willensthematik gestellt und dabei auch das Verhältnis von Biographie und Philosophie im Blick auf die theoretischen Lebenskonzepte beider beleuchtet. Der Beitrag schließt mit 15 Thesen (Anhang), die sich nicht auf den Beitrag

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insgesamt beziehen, sondern primär auf die Verhältnisbestimmung von Wille und Intellekt bei Kierkegaard (KT) und Schopenhauer.1

1. Schopenhauers Fundamentalunterscheidung von Freiheitsdimensionen und seine Bestreitung der naiven Willensfreiheit Schopenhauer bestreitet die klassische Theorie der Willensfreiheit, wie sie in Scholastik und Humanismus, aber auch in Aufklärung und Rationalismus verbreitet war. Und er tut das mit einem stringent philosophischen Anspruch, d. h. ohne auf eine göttliche Prädestination zu verweisen, durch die schon alles bestimmt sei und „sich mit Notwendigkeit vollziehe“ (Omnia necessitate fieri).2 Beide – Schopenhauer und Kierkegaard (= SK) – gehen aber mit Luther der Frage nach, wodurch die Freiheit des Willens sich eigentlich auszeichne (wobei „Willensfreiheit“ für Luther ein exklusives Gottesprädikat – nomen divinum 3 – ist, d. h. wir von menschlicher Willensfreiheit nicht oder nur in übertragener Weise sprechen können – was Erasmus von Rotterdam nachhaltig und im Blick auf die folgende, neuzeitliche Philosophiegeschichte erfolgreich bestritten hat). Wodurch wird ein (endliches) Wesen in seinem Wollen frei? Durch die Zuspitzung dieser Frage sind SK und Schopenhauer mit Luther vereint. Schopenhauers Hauptverdienst seiner preisgekrönten Schrift zur Willensfreiheit4 liegt darin, dass er zwei Dinge klar herausstellt: 1. Willens- und Handlungsfreiheit sind fundamental zu unterscheiden; d. h. die Bestätigung oder Negation der einen impliziert nicht die 1

2 3 4

Der Vortrag vom 24. 04. 2009 ist hier in erweiterter Form abgedruckt; die Thesen sind nur geringfügig überarbeitet und mit Fußnoten versehen. Für die Durchsicht des Manuskripts danke ich meinen Mitarbeitern, Herrn Wiss. Ass. Dipl.-Theol. Thorsten Leppek und Herrn stud. theol. Christoph Krauth. Zum Ganzen vgl. auch meinen Beitrag „Servum arbitrium. Zur Konzeption der Willensunfreiheit bei Luther, Schopenhauer und Kierkegaard“ (Vortrag Mainz / Marburg 1996) in Neue Zeitschrift fr systematische Theologie und Religionsphilosophie 42, 2000, S. 181 – 194, insbes. S. 182 – 185 u. S. 189 – 193. Martin Luther „De servo arbitrio“ [1525] in Werke in Auswahl, unter Mitwirkung v. Albert Leitzmann hrsg. v. Otto Clemen, 4 Bde., Bonn 1912f., Bd. 3, 1913, S. 94 – 293, hier S. 109,36; vgl. ebd., S. 108,7 – 10. Luther „De servo arbitrio“, S. 127,30; vgl. ebd., S. 151,18f.; S. 127,38. 1839 (wie wir wissen, hat SK die Preisschrift in späterer Auflage besessen).

Das Konzept von Willens(un)freiheit bei Kierkegaard und Schopenhauer

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Bestätigung bzw. Negation der anderen.5 Es wäre ein freier Wille denkbar, der sich unter Bedingungen von Unfreiheit nicht frei entfalten kann. Die Bedingungen der Unfreiheit können dann interner (Lähmung, Beschränktheit, Behinderung, körperliche und hormonelle Faktoren usw.) oder externer Art sein (soziale Bedingungen, Naturumstände, äußere Beschränkungen und gewaltsame Bindungen usw.) – innere wie äußere Konstellationen von Bindung, Besetztheit oder Determination, die das Handeln beeinflussen und den Handlungsspielraum beschränken. Andererseits wäre ein Wille denkbar, der von sich aus bzw. ,von Hause aus‘ nicht frei wäre, z. B. weil er durch Affekte durchgängig determiniert wird (so Melanchthon 15216) oder in unaufhebbarer Selbstbezüglichkeit auf sich selbst fixiert ist und diese Struktur nicht aufheben kann (so Luther 1525). 2. Die Frage der Willensfreiheit ist präzisierungsbedürftig. Der Kern des Problems der Willensfreiheit liegt nicht in Beantwortung der Frage, ob ich etwas wollen kann oder ob ich auch anderes wollen kann oder ob ich die Gegenstände meines Willens variieren oder erweitern kann, sondern allein darin, ob ich selber in meinem Wollen frei bin, d. h. das wollen kann, was ich will.7 Auf diese schon für Luther wesentliche Frage lenkt Schopenhauer sein besonderes Augenmerk: Kann ich wollen, was ich will? Und wenn ich’s nicht kann, welchen Sinn hat dann noch die Rede von Freiheit? Schopenhauer vertritt nicht die Auffassung, dass nur auf der Ebene des reinen Wollens von Freiheit gesprochen werden kann.8 Doch relativiert sich unsere Rede von Freiheit, wenn es eine fundamentale Freiheit auf der Ebene des Wollens nicht gibt bzw. auch gar nicht geben kann.9 5 6

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Vgl. hierzu Dietz „Servum arbitrium“, S. 182 – 185. Vgl. Philipp Melanchthon Loci communes [1521], lat.-dt., übers. u. mit kommentierenden Anm. vers. v. Horst Georg Pöhlmann, hrsg. v. Lutherischen Kirchenamt der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Gütersloh 1993, insbes. S. 36f. (I. De hominis viribus). Die entscheidende Frage der Willensfreiheit betrifft also nicht die objektive, sondern die fundamentale Willensfreiheit: „[K]ann ich auch wollen, was ich will?“ (vgl. Arthur Hübscher Schopenhauer. Biographie eines Weltbildes, Stuttgart 21967 [1952], S. 87). Denn faktisch verschaffe ich mir durch Vorstellung und Erkenntnis ein Deliberationsvermögen im Verhältnis zu den Affekten, so dass es auch hier Freiheit gibt – nicht, weil ein Affekt plötzlich machtlos würde, sondern weil ein stärkerer an seine Stelle tritt. Eine solche fundamentale Freiheit wäre in zweierlei Weise denkbar: 1. Als die Aufhebung des Willens selber durch einen reinen Willensakt. 2. Als die Auf-

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Der kantische Impetus, im Bewusstsein eines unbedingten Sollens sich selbst als frei zu wissen, d. h. das Können als Implikat eines Sollens aufzufassen, führt nach Schopenhauer nicht zum Ziel. Schopenhauer reflektiert auf die Willensfreiheit, ohne den moralischen Impetus (vom Pflichtgedanken her) zu reflektieren. Die Frage, ob der Mensch auch wirklich frei sei, steht im Zentrum seiner anthropologischen Reflexionen und kann nicht abgeleitet werden von dem Bewusstsein eines Sollens, sei dieses auch unbedingt. Indem Schopenhauer die Willensthematik schärfer als die rationalistische und transzendentalphilosophische Philosophie in den Vordergrund rückt, wird auch die sophistische Debatte über ein liberum arbitrium indifferentiae (den Esel Buridans) überwunden. Dieser Begriff ist jedoch bereits nach der Auffassung von Leibniz und SK eine Chimäre, ein philosophisches Hirngespinst und Konstrukt.10

hebung bzw. fundamentale Wandlung meines Charakters. Beides hält Schopenhauer für ausgeschlossen (zur Konstanz des Charakters vgl. die Belege bei Margot Fleischer Schopenhauer (Herder-Spektrum, Bd. 4931), Freiburg i.B. u. a. 2001, S. 148). Aus der Sicht von SK stellt beides jeweils eine Form von Verzweiflung dar, denn jede Negation des vorgegebenen Selbst ist ein Akt der Verzweiflung und kann daher niemals als soteriologische Option ins Spiel gebracht werden. Auch hier zeigt sich somit eine gravierende Differenz beider Denker. – Darin liegt auch eine Differenz Schopenhauers zu Luther und seiner anti-asketischen Selbst- und Lebensbejahung. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass Schopenhauers Theorie einer Unveränderlichkeit des Charakters eine sachlogische Entsprechung in Luthers Theorie vom servum arbitrium hat, die durch die These einer necessitas immutabilitatis (vgl. Luther „De servo arbitrio“, S. 127,2ff.) konkretisiert wird. Der Invarianz des Charakters dort entspricht die Unveränderlichkeit der Struktur unseres Wollens hier. 10 Vgl. BA, 44 – 50 / SKS 4, 351 – 356, wo SK betont, dass dieser Begriff ein „Gedanken-Unding“ ist. Ihm kommt weder infra- noch supralapsarisch ein Ort zu, d. h. er beschreibt fiktiv die Indifferenz eines Standpunktes zwischen gut und böse, gleichsam von außen, im Sinn einer ,Anthropologie des Als-ob‘ (vgl. BA, 48 / SKS 4, 355 bzw. BA, 15 / SKS 4, 414, dort mit positivem Verweis auf Leibniz). Der Gedanke, dass die Sünde sich selbst voraussetzt, bedeutet, dass es beim Menschen nie eine indifferente, in sich ruhende, angstfreie Freiheit gegeben hat; damit wird die klassische Urstandslehre kritisiert, die prälapsarisch eine anfängliche Unbefangenheit, Gerechtigkeit und ein posse non peccare (Augustin, Thomas v. Aquin) vorausgesetzt hat.

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2. Vorbemerkungen zum Hintergrund der Debatte über das liberum arbitrium. Die ansatzbedingten Differenzen von Kierkegaard und Schopenhauer 1. Für die Erörterung der Willensfreiheit ist in theologischer Perspektive nicht eine rein anthropologische Reflexion ausreichend, da es stets um den Zusammenhang von göttlichem Wirken und menschlicher Freiheit geht und sich zudem die Frage stellt, wie weit es mit der Freiheit des Menschen her ist, sofern er unter der Macht der Sünde steht (vgl. z. B. Röm 7). In kritischer Auseinandersetzung mit dem scholastischen und kirchlichen Verständnis von Sünde und Erlösung haben die Reformatoren im 16. Jahrhundert die Bedeutung des Willens zur Fokussierung der Sündenlehre (Hamartiologie) herangezogen. Dass der Mensch Sünder ist, hängt nicht an einzelnen (Misse-)Taten und moralischen Verfehlungen, sondern an der Art und Weise, wie er sich als wollendes Subjekt zu sich selbst und zu Gott verhält. Der Ort der Sünde ist der Wille, die Sünde liegt im Willen. Die einzelne Tat ist demgegenüber nur als Manifestation einer Verkehrtheit und Selbstzentriertheit des menschlichen Wollens zu verstehen. Luther11 hat dies in seiner Auseinandersetzung mit Erasmus 1525 durch die Theorie des servum arbitrium (gefangenen Willens) entfaltet, sein Freund und Schüler Melanchthon durch die einer subjektiven Unfreiheit aufgrund der affektiven Selbstbestimmtheit des Menschen.12 Seine Pointe ist, dass der Wille (voluntas) keine selbstständige Instanz gegenüber den Affekten ist, sondern durch diese faktisch durchgängig bestimmt wird. Soteriologisch ist daher eine Wende und Umwandlung des Menschen nur möglich, indem die natürlichen Affekte gegen geistliche ausgetauscht werden; immanente Auswege und Aufbesserungen sind ausgeschlossen. Für Luther stellt sich als komplementäre Kehrseite seiner Rechtfertigungslehre (im Anschluss an Röm 1,17f. und 3,27) die Theorie einer Verortung der Sünde im Willen dar. In De servo arbitrio (1525), jener berühmten Kampfschrift gegen Erasmus, den Rotterdamer Humanistenfürsten, stellt er den Sündenfall (Gen 3) als radikalen Freiheitsverlust dar (amissa libertas – nulla libertas 13). Sünde bedeutet Korruption unseres 11 Zum Verhältnis Schopenhauers zu Luther vgl. Rudolf Malter „Schopenhauers Verständnis der Theologie Martin Luthers“ in Schopenhauer-Jahrbuch 63, 1982, S. 22 – 53; zur Willensthematik vgl. ebd., S. 30 – 34. 12 Vgl. Melanchthon Loci communes, darin: De hominis viribus. 13 Luther „De servo arbitrio“, S. 160,27f.

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Freiheitsvermögens, Preisgabe der Unbefangenheit unseres Wollens und Wollenkönnens.14 In dieser Gebundenheit und Befangenheit ist sich der menschliche Wille undurchsichtig, weshalb er in seiner Verzweiflung Fiktionen von Freiheit entwickelt. In Wahrheit ist er jedoch armselig, impotent und ohnmächtig, blind für die Gnade und rasend in der Entwicklung neuer Bühnen seiner Selbstverherrlichung. Luthers Einsicht, dass mit unserer Macht nichts getan ist (d. h. nichts Positives ausgerichtet werden kann), hängt vor allem an seiner Sicht der Willensfreiheit und des Willensvermögens. Diese bahnt sich nicht erst im Disput mit Erasmus an, sondern bereits in Auseinandersetzung mit der Scholastik und ihrer Gnadenlehre (insbes. Gabriel Biel). So heißt es bereits in These 13 der berühmten Heidelberger Disputation (1518): „Liberum arbitrium post peccatum, res est de solo titulo, et dum fecit, quod in se est, peccat mortaliter.“15 D. h. nicht, dass es kein liberum arbitrium geben könnte (es also ohne Selbstwiderspruch nicht zu denken wäre), sondern „nur“, dass der Mensch faktisch nicht (mehr) über es verfügt. Faktische Unfreiheit im Wollen schließt das liberum arbitrium aus. Indem der Mensch Sünder ist und somit durch die Macht der Sünde bestimmt ist, ist er unfrei (so Luther 14 Zu Schopenhauers Auslegung von Luthers These eines servum arbitrium vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 497 – 504 (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke. Zrcher Ausgabe, hrsg. v. Angelika Hübscher, 10 Bde., Zürich 1977). Heute habe sich wieder der platte Pelagianismus durchgesetzt, und die tiefsinnigen Einsichten Augustins und Luthers zur Willensunfreiheit gelten als obsolet, „antiquirt“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 502). Schopenhauer kann Luthers antierasmische These von 1525 ganz mit kantischer Terminologie (1793) wiedergeben: Der Wille des Menschen sei zum Guten und zum Glauben unfähig, „dem Hange zum Bösen ursprünglich unterthan“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 501). Damit wird, wie bei Kant und Schleiermacher (These einer ursprnglichen Sündhaftigkeit), die Erbsündenlehre von dem Konzept von Urstand und Fall (Gen 3; Röm 5,12ff.) abgekoppelt. Darin besteht eine wesentliche Differenz zu Luther, zur altprotestantischen Orthodoxie und zu Julius Müller, während im Blick auf die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Erlösung (durch Aufhebung der incurvatio in se, d. h. der Selbstbezogenheit unseres Wollens) „von außen“ (extra nos) zwischen Luther und Schopenhauer prinzipielle Übereinstimmung besteht (mit unserer Macht ist’s nicht getan, der menschliche Wille vermag also das Heil weder zu gewährleisten noch irgendwie etwas zu ihm beizutragen, d. h. die Erlösung erfolgt sola fide, „ohne unser Zuthun“ (Schopenhauer Werke (ZA), § 70, W I, 501)). 15 Martin Luther „Disputatio Heidelbergae habita“ in Lateinisch-deutsche Studienausgabe, hrsg. v. Wilfried Härle, 3 Bde., Leipzig 2006 – 2009, Bd. 1, 2006, S. 35 – 69, hier S. 46,13f.

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im Anschluss an Joh 8 und Augustin16). Die captivitas und servitudo vollzieht sich hamartiologisch auf der Ebene des Wollens. Mag es auch noch andere Ebenen von Knechtschaft geben (durchaus auch unangenehme), diese innere Form von Sklaverei, Besetztheit und Abhängigkeit ist für Luther die schlimmste und gravierendste. 2. Luther geht dabei nicht nur nicht von der Autonomie der menschlichen Subjektivität aus (so sehr er etwa die Dimension des Gewissens stark macht), sondern schließt sie aus. Der Mensch ist nicht frei in seiner Bestimmtheit durch Vernunft und göttliches Gebot. Die reflexive Selbstvergewisserung im cartesischen Sinn, die transzendentale Apperzeption (Kant, Fichte, Schelling) als Angelpunkt eines reflexionslogischen Sichselbsterfassens oder die Idee einer Selbstsetzung des Subjekts (als Ich=Ich; Fichte) liegen ihm fern – ferner als etwa für Augustin. Für SK ist hingegen kennzeichnend, dass es im Sich-zu-sich-selbst-Verhalten eine unaufhebbare, elementare Freiheit des Menschen gibt. Die Reflexivität der subjektiven Selbstbezüglichkeit weist für SK17 über sich hinaus auf ein Anderes, nämlich auf Gott als konstitutiven Grund und Bezugspunkt jener reflexiven Selbstbezüglichkeit. Diese elementare Freiheit schließt so etwas wie Selbstveränderung und Selbsterkenntnis nicht aus, sondern (potentiell) ein. Indem ich mich zu mir selbst verhalte, bin ich unausweichlich und unaufgebbar „frei“ (Sartre würde sagen: zur Freiheit verdammt): Das Selbst „ist“ Freiheit (Selvet er Frihed).18 Das „Forhold“ ist dabei nicht nur Verhältnis, sondern aktives und wirkliches Verhalten, in dem ich mich zu mir selbst verhalte (und zugleich dieses Selbst als bloß individuelle Figuration transzendiere).19 Allerdings darf man diese elementare, fundamentale, ,existenzlogische‘ Dimension der Freiheit nicht gleichsetzen und verwechseln mit Willensfreiheit. Denn die Freiheit des Sich-zu-sich-Verhaltens bezieht sich nicht auf Willensakte, sondern auf das Selbst als solches, als „Ganzes“. 3. Wie Der Begriff Angst (1844) und Die Krankheit zum Tode (1849) deutlich machen, ist der Mensch hinsichtlich der Struktur seines Wollens nicht frei. Schon dass er sich ängstigt, indem er vor sich selbst (die Möglichkeit sich zu gewinnen oder zu verlieren), vor das Nichts gestellt 16 Augustin De spiritu et littera 3,5; ferner seine antipelagianischen Schriften, insbes. Contra Iulianum. 17 Vgl. den berühmten Anfang von KT, 8 / SKS 11, 129. 18 Vgl. KT, 25 / SKS 11, 145. 19 Diesen Zusammenhang habe ich im 2. Kap. meines Buches Sçren Kierkegaard. Existenz und Freiheit (Athenums Monografien, Bd. 267), Frankfurt a.M. 1993, ausführlich dargestellt, weshalb ich ihn hier nur kurz zusammenfasse.

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ist, kennzeichnet die prekäre Situation seiner Freiheit. In KT versteht es SK, die Verzweiflung strukturphänomenologisch von der Konstitution des Selbst als „Synthese“ (Zusammensetzung) z. B. von Endlichem und Unendlichem, Freiheit und Notwendigkeit usw. darzustellen. Ferner gibt es (am verbreitetsten) eine unbewusste Verzweiflung, die nicht primär von der Willensformation her zu verstehen ist (sie liegt gewissermaßen noch vor dem Willen bzw. unterhalb seiner). Die Spitze der hamartiologischen Formation findet sich dennoch in der Weise, wie der Mensch er selbst sein will: als übersteigerter Trotz oder in der Schwachheit der Selbstablehnung. Hier zeigt sich, wie bei Luther, dass der Kern der Sünde im Wollen liegt. In seinem Innersten kann der Mensch es nicht haben und nicht aushalten, dass Gott und nicht er selbst auctor sui im absoluten Sinn ist.20 In Wirklichkeit will er sein wie Gott, weil er die Wahrheit seines Daseins nicht in der zeitlich-endlichen Vollzugsweise seines Daseins erkennt, d. h. weil er nicht auf Gott vertraut. In diesem Sinn ist Sünde Unglaube, Mangel an Vertrauen (Melanchthon in Art. 2 der Confessio Augustana (1530): sine fiducia erga Deum 21). Schopenhauer knüpft an das augustinisch-reformatorische Sündenund Willensverständnis an. Luthers Gottvertrauen ist ihm fremd, nicht jedoch seine Theorie eines servum arbitrium. Die Einsicht, dass die Unfreiheit im konkreten Wollen des Menschen das Zentrum seiner soteriologischen Bedürftigkeit ausmacht, verbindet Schopenhauer mit Augustin, Luther und SK. Für alle vier Denker ist die Ebene des äußeren Handelns (Handlungsfreiheit: tun können, was man will) demgegenüber zweitrangig, sowohl in hamartiologischer wie soteriologischer Perspektive. 4. Die subjektivitätstheoretische Verschiebung und Zuspitzung der Sündenthematik bei SK bedeutet, dass er die Willens- auf die Selbst20 Die hamartiologische Grundthese Luthers lautet, dass der Mensch nicht will, dass Gott Gott ist, weil er im Grunde seines Herzens selber (wie) Gott sein will. Umgekehrt besteht das Ideal gelingenden Menschseins darin, sich damit zu begnügen, Mensch zu sein (so Kierkegaard). Luther in einem Brief an Spalatin: „Wir sollen Menschen sein und nicht Gott sein. Das ist die summa.“ (Martin Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 1 – 4, Weimar 1883 – 1986, hier Abt. 4, Bd. 5, 1969, S. 415,45). Alle Hybris, aber auch alle stille Verzweiflung am Menschsein, nämlich dessen Unterbietung in Richtung auf das Animalische, wäre Selbstverfehlung des menschlichen Daseins – „Sünde“ (hamartia) (vgl. Luther Werke. Kritische Gesamtausgabe, Abt. 4, Bd. 5, 1969, S. 415,45f.). 21 Philipp Melanchthon „Confessio Augustana“ [1530] in Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hrsg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, 2 Bde., Göttingen 1930, hier Bd. 1, S. 53.

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werdethematik bezieht. Diese subjektivitätstheoretische Zuspitzung stellt aus der Sicht Schopenhauers (wie auch Luthers) eine gewisse Verengung dar. Die individuelle Konfiguration des Willens muss (bei Luther im Anschluss an Joh 8 und Röm 7) im Blick auf seine transindividuellen Grundlagen hin analysiert werden. Bei SK geht es primär um den Einzelnen und sein Wollen bzw. Nichtwollen, bei Schopenhauer (und Luther) hingegen um die den Einzelnen umgreifende und schon vorweg bedingende Struktur des Wollens;22 d. h. im Einzelnen manifestiert sich eine captivitas, die ihm schon vorausliegt. Dies meint der Begriff ,Erbsünde‘. Indem Schopenhauer hier weniger als SK den Einzelnen fokussiert und fixiert, scheint er jenem Begriff näher zu kommen als der Däne, für den wesentlich ist, dass die Sünde immer nur durch den Einzelnen konkret in die Welt kommt. 5. Im Blick auf das eigene Wollen ist der Konkupiszenzbegriff (Paulus, Augustin) nach SK untauglich, um die captivitas (hildet i sig selv 23) adäquat zum Ausdruck zu bringen. Anders als bei Schopenhauer ist der Wille im Selbstverhältnis bei SK nicht so bodenlos, blind und wirkmächtig, dass er das Selbst als leib-seelische Synthese insgesamt – gleichsam a priori – formieren könnte. Die faktische Korruption findet im Einzelnen statt, der unbedingt er selbst (als Projekt seiner selbst) bzw. nicht er selbst (als dieses gegebene und gewordene Selbst) sein will.

22 Dieser Wille muss vor seiner unendlich mannigfaltigen Manifestation in einzelnen Individuen in der absoluten Einheit seiner mit sich selbst begriffen werden; d. h. es ist wesentlich ein Wille (vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 27, 193). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Vielheit seiner Objektivierung in einzelnen Naturgestalten und Lebewesen bloß fiktiv wäre, sondern nur, dass diese wirkliche Vielfalt auf eine letztwirkliche Einheit zurückzuführen ist. Die „Widersätzlichkeit“ der erscheinenden Individuen ist die Manifestation der „Selbstentzweiung des Willens“, der anderseits die „Identität des Willens in allen Erscheinungen“ nicht aufhebt, sondern voraussetzt (vgl. Rudolf Malter Arthur Schopenhauer. Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens (Quaestiones, Bd. 2), Stuttgart / Bad-Canstatt 1991, S. 260f.). Ethisch ist dies die Bedingung der Möglichkeit des Mitleids (als affektiver Entgrenzung der Individualität). 23 SKS 4, 354 / BA, 48 („gefesselte Freiheit“). Die Verschlingung der Freiheit in sich, dieses hamartiologische Moment von „Befangenheit“, macht es für SK unmöglich, den Konkupiszenzbegriff (vgl. Augustin) zum hamartiologischen Angelpunkt zu machen, da dieser Begriff (kontrafaktisch) ein konsistentes, unbefangenes Subjekt voraussetzt, das im Akt seines Wollens unbefangen bei sich selber ist.

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6. Schopenhauer betont mehrfach, dass der Wille an sich frei, in gewisser Weise sogar Inbegriff von Freiheit ist.24 Diese Freiheit liegt jedoch noch vor oder außerhalb der konkreten, personalen Wirklichkeit des 24 Besonders klar in W I, § 55, 361 – 385, wo Schopenhauer betont, dass „der Wille als solcher frei sei“, weil er als „Ding an sich“ nicht dem Satz vom Grund unterliegt. Der Mensch selber ist jedoch nicht frei, sondern aufgrund seines Charakters die „determinirte Erscheinung“ des (an sich selber freien) Willens (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 361f; vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 497: die „eigentliche Freiheit“ kommt „nur dem Willen als Ding an sich zu“; vgl. ferner, im Anschluss an Kant, Schopenhauer Werke (ZA), W I, 614; grundsätzlich gilt: „frei ist nur der Wille, welcher außerhalb der Natur oder Erscheinung liegt“, Schopenhauer Werke (ZA), W I, 618). – Das ursprüngliche Gefühl der Freiheit ist gewissermaßen ein Reflex auf den an sich freien Willen; a posteriori wird uns jedoch klar, dass all unser Handeln „ganz nothwendig hervorgeht aus dem Zusammentreffen des Charakters mit den Motiven“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 363). In diesem Zusammenwirken ist jedoch kein Spielraum für Freiheit, denn nur der Wille an sich ist frei (vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 362f.). Dabei kann sich Schopenhauer positiv auf Kants Unterscheidung von „intelligible[m]“ und „empirische[m] Charakter“ beziehen (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 364). Die transzendentale ist von der empirischen Freiheit zu unterscheiden; letztere ist eine Fiktion. Das in bestimmten Situationen Auch-anders-Können ist demnach illusorisch. Es zeigt die Naivität phantastischer Abgehobenheit, den naiven Glauben an das An-sich der Freiheit als nur durch meinen Entschluss von der Verwirklichung getrennt, d. h. eine eingebildete, aber keine wirkliche Freiheit – so wie die Selbstreflexion des Wassers im Tümpel illusorisch wäre, es könne ja ebenso gut sprudeln wie ein edler Springbrunnen oder stürzen wie ein gewaltiger Wasserfall – aber der Tümpel im Dorf ist eben nicht den Niagarafällen gleich, worauf die über ihm kreisenden Mücken und die in ihm sich labenden Kröten ja stets auch wohlgemut Bezug nehmen; ähnlich die Selbstvergewisserung des exzellenten Pianisten, der als verurteilter Schwerverbrecher in einer tristen Einzelhaftzelle sitzt, er könne ja auch Klavier spielen (wobei wir, um die Grausamkeit zu steigern, annehmen, er sei – obgleich Mörder – zugleich ein exzellent ausgebildeter Klavierspieler) etc. Die entscheidende Frage lautet stets: Kannst du das jetzt wirklich? Bist du frei dazu? Darauf hat Schopenhauer in seiner „gekrönten Preisschrift“ zur Frage der Willensfreiheit ausführlich rekurriert (vgl. den Vermerk Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 365). In jener Preisschrift ist zum einen die Unterscheidung von Willens- und Handlungsfreiheit klar gesetzt, zum anderen unter der Hand der Übergang zur positiven Freiheit gemacht (Freiheit zu etwas), während (in Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 361 – 385) dem Willen an sich nur negative Freiheit (Freiheit von Notwendigkeit und Zwang, vom Bedingtsein durch anderes) zukommt, wie Schopenhauer herausstellt (vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 361). Die Zielrichtung der Preisschrift ist dabei keine freiheitsphilosophische Sophistik, sondern die Läuterung unseres Freiheitsbewusstseins in Richtung auf einen Begriff der konkreten, wirklichen Freiheit.

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Selbst. In dieser ist der Wille nach Schopenhauer faktisch immer schon unfrei. Diese Unfreiheit, die sich im Miteinander von Motiv und Charakter25 ergibt, ist nicht identisch mit der Unfreiheit, die sich nach SK in der Weise des Selbstseinwollens ergibt. Schopenhauer steht in seiner Theorie der faktischen Unfreiheit des Menschen hier näher bei Melanchthon als bei SK. Melanchthon sieht ähnlich wie Schopenhauer, dass die affektive Bestimmtheit nur auf der Ebene der Affekte gelöst werden kann (hier beide unterschiedlich: Schopenhauer resignativ, selbstaufhebend; Melanchthon: Austausch der niederen durch höhere Affekte, die Gottes Geist in uns wirkt26). Für SK ist die Unfreiheit, die affektiv bestimmt ist, existenzdialektisch zweitrangig gegenüber der Unfreiheit, die in der 25 Schopenhauer sieht das Zusammenspiel von Motiv und Charakter als ein solches an, das zwingend bestimmte Handlungen hervorruft. In der Welt der Erscheinungen wirken Motiv und Charakter unausweichlich determinierend. Eine bloß inklinierende Wirkung von Motiven, wie sie noch Leibniz vertreten hatte, wird von Schopenhauer explizit verworfen. Vielmehr ist es so, dass „jede einzelne Handlung aus der Wirkung des Motivs auf den Charakter mit strenger Nothwendigkeit folgt“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 23, 158). Die Motive wirken dabei jedoch nicht unmittelbar (etwa im Sinn eines Reiz-ReaktionsSchemas), sondern stets vermittelt durch unsere Vorstellung (vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 23, 159). Schopenhauer bezieht sich hier auf die scholastische Philosophie des Suarez: „Causa finalis movet non secundum suum esse reale, sed secundum esse cognitum“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 27, 204 Anm.; vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 371). – Wenngleich der Wille in seiner Grundlosigkeit nie aus den Motiven erklärt werden kann (warum ich überhaupt will), so bestimmen doch die Motive mein konkretes Handeln durchgängig. „Diese Akte des Willens haben aber immer noch einen Grund außer sich, in den Motiven. Jedoch bestimmen diese nie mehr, als das was ich zu dieser Zeit, an diesem Ort, unter diesen Umständen will; nicht aber daß ich überhaupt will, noch was ich überhaupt will“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 20, 150). In einem bestimmten Koordinatensystem von Faktoren kann der Mensch mit seinem Charakter nur so handeln, wie er handelt. Schopenhauer bestreitet nicht die Deliberationsfähigkeit des Menschen (reflexives Abwägen von Motiven), bewertet diese aber kritisch, da sich faktisch am Ende doch immer das stärkste Motiv durchsetzen muss, und die Abwägung gegenüber instinktgesicherten Verhaltensweisen (beim Tier) keineswegs immer einen Vorteil bedeutet. So könne die „Deliberationsfähigkeit“ das „Daseyn [des Menschen] so sehr viel quaalvoller, als das des Thieres machen“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 374). Hingegen lebt das Tier frei von Sorgen, Reue und quälenden Gedanken, rein gegenwartsbezogen, „in beneidenswerter Sorglosigkeit“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 374 – man denke an Jesu Wort Mt 6,26) – zudem muss es Bücher weder lesen noch schreiben und sich nicht über die sophistische hegelsche Windbeutelphilosophie ärgern. 26 Melanchthon Loci communes, insbes. S. 36f. (De hominis viribus).

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Angst gründet (und sich als Verfangensein der Freiheit in sich, nicht in Naturnotwendigkeit darstellt). Sein Begriff der Angst meint keine affektive Gemütsbestimmung, sondern eine existentielle Befindlichkeit, die nur dem Menschen (dem Geist, dem Selbst) zukommt, nicht jeder x-beliebigen Kreatur. Sein Begriff Angst ist somit dem Schopenhauers nicht vergleichbar. Auch die Freiheitsbegriffe beider sind nicht kompatibel: einerseits (SK) Freiheit im Wollen, Freiheit zu sich selbst; anderseits (Schopenhauer) Freiheit vom Wollen, Freiheit von sich selbst. Beide vereint der Gedanke, dass Freiheit letztlich Freiheit vom unbedingten Selbstseinwollen voraussetzt. Diese Schnittlinie ist jedoch schmal. 7. Zur Bestimmung der hamartiologischen Problematik ist für beide, SK und Schopenhauer, das Zwischenspiel von Intellekt und Wille maßgeblich. Der Intellekt ist für Schopenhauer (wie später für F. Nietzsche) etwas Sekundäres, Epigonales, Aufgesetztes.27 Dennoch liefert er die Möglichkeit der Einsicht in die rechte Weise des Wollens, die aber bei

27 Seine Herkunft ist letztlich unerklärt und unerklärlich (wie ja auch der Wille selber unergründlich und seinerseits nicht Grund der Welt ist, sondern sich in ihr nur manifestiert). Der Intellekt ist nicht aus dem Willen ableitbar (aus seiner inneren Teleologie oder Notwendigkeit). Aus der Sicht des Willens ist der Intellekt ein „donum superadditum“, das den Willen an sich selber nicht tangiert. Schopenhauer behauptet, „daß der Wille in allen thierischen Wesen [so auch im Menschen] das Primäre und Substantiale ist, der Intellekt hingegen ein Sekundäres, Hinzugekommenes“, „bloßes Accidenz unseres Wesens“ (Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 19, 238, 234). Der „Grundirrthum aller Philosophen“ bestand nach Schopenhauer darin, in einer hypostasierten „Seele“ dem Denken statt dem Willen die maßgebliche Funktion zuzusprechen (Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 19, 239). Vgl. zu diesem Zusammenhang Rudolf Malter „Erlösung durch Erkenntnis. Über die Bedingung der Möglichkeit der Schopenhauerschen Lehre von der Willensverneinung“ in Zeit der Ernte. Festschrift fr Arthur Hbscher zum 85. Geburtstag, hrsg. v. Wolfgang Schirmacher, Stuttgart / Bad-Canstatt 1982, S. 41 – 59 passim, insbes. S. 50 – 57. Die Kollaboration von Intellekt und Wille funktioniert nach Schopenhauer nicht harmonisch, sondern problematisch. Der Intellekt bleibt dem Willen fremd, so „dass er von diesem bisweilen mystificirt [zum Narren gehalten] wird: denn er liefert ihm zwar die Motive, aber in die geheime Werkstätte seiner Beschlüsse dringt er nicht ein“ (Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 19, 245). Dass der Wille unbewusst unseren Intellekt manipuliert (austrickst, „mystificirt“) und ihm in der Dimension seiner Tiefe unerforschlich bleibt, hat die Psychoanalyse und Tiefenpsychologie des beginnenden 20. Jahrhunderts nachhaltig thematisiert (S. Freud; A. Adler; C. G. Jung).

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Schopenhauer nur Negation und Resignation28 bedeuten kann, mit SK gesprochen: Verzweifeln am Wollen selbst. SK verbindet mit Luther (und Leibniz) der Glaube an die prinzipielle Güte des Schöpfers, der unser geschöpfliches Wollen und Begehren zur Erfüllung bringt. Diesen – theologisch (wie auch sonst?) begründeten – „Optimismus“ teilt Schopenhauer nicht, weshalb seine Lösung der Willensproblematik als in sich konsequent angesehen werden muss. In der Sprache des frühen SK (EO2; anders KT): Der Verzweifelte whlt die Verzweiflung, um sie zu überwinden; bei Schopenhauer mehr noch, nämlich Einsicht in die verzweifelte Struktur des Wollens und daher der Entschluss, diese selbst zu überwinden. Im Sinne von EO2 wäre die Sublimation des Ästhetischen ein letzter Ausweg aus der immanenten Misere des Ästhetikers. Doch auch diese Fluchtburg des höchsten ästhetischen Raffinements29 vermag den Menschen nicht glücklich zu machen – er verzweifelt, weil er verzweifelt ist. Für Schopenhauer ist der Wille zwar frei, aber dennoch verzweifelt, weil unvollkommen, unstillbar, seiner undurchsichtig, ohnmächtig gegenüber dem Nichts, vor das er gestellt ist, absolute Aseität30 im Verbund mit einem Mangel an echter Autarkie.31 Anders bei SK: Hier kann der Wille als solcher (in Absehung von seiner konkreten Formation im Selbstverhältnis) nicht verzweifelt sein; eine derartige Verzweiflung, vor und außer dem Selbst, ist in den Augen SKs rein fiktiv, „phantastisch“. Wenn der Wille ,phantastisch‘ verzweifelt und das Subjekt diese ,phantastische‘ Verzweiflung fiktiv für seine eigene nimmt, so wird der Begriff der Verzweiflung im Kern unterboten. Weder Naturphilosophie noch Willensmetaphysik können sich (unter Ausklammerung der existenzdialektischen Zuspitzung auf das Selbstverhältnis) dem Begriff der Verzweiflung ernsthaft nähern; sie verbleiben im Vorfeld 28 Die Resignation ist „das letzte Ziel, ja, das innerste Wesen aller Tugend und Heiligkeit, und die Erlösung von der Welt“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 27, 204). 29 Bei SK (EO) durch die Haltung von Johannes dem Verführer repräsentiert. 30 Die Aseitt im Sinne eines vollkommenen Aus- und Durch-sich-selbst-Seins impliziert zugleich die (immanente, formelle) Freiheit des Willens; dieser Wille (noch nicht der Ananke der Welt unterworfen) ist gleichsam nur sich selbst verpflichtet, von nichts und niemand Anderem abhängig – schlechthinniges ens a se (vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 25, 374f.). 31 Der Mangel an Autarkie gründet in der Grundlosigkeit des Wollens an sich. „Der Wille als Ding an sich liegt […] außerhalb des Gebietes des Satzes vom Grund in allen seinen Gestaltungen, und ist folglich schlechthin grundlos, obwohl jede seiner Erscheinungen durchaus dem Satz vom Grunde unterworfen ist“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 23, 158).

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(Präliminarien, Prolegomena). Dies ist der Kern der Kritik an der Willensmetaphysik Schopenhauers sowie des mittleren und späten Schelling aus der Sicht SKs:32 Im Glauben, die Dimension der Tiefe des Problems (Verzweiflung im Wollen) erfasst zu haben, bleiben sie – d. h. der späte Schelling und Schopenhauer – faktisch bei naturphilosophischen Prolegomena stehen, schaffen nicht den Sprung in die Existenzdialektik, den SK33 vollzieht (weniger mithilfe Schellings und Schleiermachers, als Fichtes und Hegels). 8. Dass der Wille faktisch ein Problem darstellt, das einer soteriologischen Lösung bedarf, sehen beide – SK und Schopenhauer – durchaus klar. Schopenhauers ultimative Lösungsoption, das Wollen resignativ in einem bewussten Akt der Willensverneinung34 aufzuheben, wird von SK jedoch nicht als Lösung angesehen. Denn der Wille, der an sich verzweifelt, verzweifelt dabei an der Möglichkeit, so wollen zu können, dass das Selbst bewusst (vor Gott) es selbst sein kann und will, verbunden mit einer inneren Harmonie der Synthesis-Momente (des Endlichen und Unendlichen, usw.). Jene Form der Willensnegation wäre in den Augen des Dänen eine resignative („schwache“) Form der Verzweiflung, eine Form des Sich-selbst-loswerden-Wollens. SK bestreitet nun nicht, dass durch Schopenhauers Strategie die Überwindung einer Form von Verzweiflung gegeben ist, aber er bestreitet sehr wohl deren soteriologische Effizienz, insofern hier an die Stelle des einen Typs von Verzweiflung nun ein anderer gesetzt wird, der sich als definitive Lösung ausgibt, in den Augen des Dänen jedoch wiederum definitiv Verzweiflung darstellt. 9. Dass das Selbst des Menschen in Gott gründet, in ihm Quelle, Maßstab und Ziel seines Selbstseinkönnens hat, ist für SK eine zentrale Prämisse, die Schopenhauer nicht teilt.35 Zwar wäre es unsinnig zu be-

32 Allerdings hat SK diese Kritik an keiner Stelle seines Werkes expliziert. 33 Und mit ihm später dann auch Heidegger, Jaspers und Sartre. 34 Mit einem anders platzierten und verorteten Wort Karl Barths gesprochen, stellt diese Selbstaufhebung des Wollens eigentlich (zumindest aus der Sicht des Wollens selber) eine „unmögliche Möglichkeit“ dar, d. h. es ist eine Grenzmöglichkeit, keine genuin sich aus der Logik des Wollens ableitende. Die Bedingung dieser (Grenz-) Möglichkeit zur Verneinung muss im Willen selber liegen (d. h. ein Subjekt mit einem Willen, der sich nicht verneinen ließe, müsste mit ihm, nicht gegen ihn resignieren). Der Impetus zur Verneinung kann und muss jedoch aus dem Intellekt, nicht dem Willen selber kommen. Vgl. hierzu Malter „Erlösung durch Erkenntnis“, S. 41 – 59, bes. S. 49f., S. 57 – 59. 35 Zum Ausschluss des Gottesgedankens (etwa in leibnizscher Gestalt) bei Schopenhauer vgl. Rudolf Malter „,Eine wahrhaft ruchlose Denkungsart‘. Scho-

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haupten, er hätte ein unmetaphysisches Konzept, das auf den Gedanken eines Absoluten, eines ens a se, verzichtet. (Dem ist keineswegs so, da der Wille faktisch den Rang eines Absoluten,36 eines ens a se hat, aber keineswegs mit dem personalen Gott37 des Christentums identisch ist – auch nicht mit einem prozesstheologisch depotenzierten Gottesgedanken. Dieser Teil der abendländischen Metaphysik wird bei Schopenhauer klar verabschiedet.) Der Gedanke eines personalen Gottes und das mit ihm verbundene, optimistische Theodizee-Konzept38 wird bei Schopenhauer verabschiedet. Er würde in seinem willensmetaphysischen Konzept auch höchst deplatziert wirken, da der blinde, rational uneinholbare Wille bei Schopenhauer ja faktisch das Erbe eines depotenzierten deus absconditus angetreten hat, der als absolutes ens a se „keine andern Götter neben sich“ verträgt. Schopenhauers Verabschiedung des theistischen oder pantheistischen Gottesgedankens ist also in sich höchst konsequent. Hinter der Letztwirklichkeit des „Dings an sich“ (d. h. des reinen, blinden Willens) nach einem weiteren Absoluten zu fragen, wäre höchst paradox. Der verabschiedete Gottesgedanke kann nicht durch ein Hintertürchen zur Nebenrolle im „System“ wieder eingeladen werden; jetzt muss alles penhauers Kritik der Leibnizschen Theodizee“ in Studia Leibnitiana 18, 1986, S. 152 – 182, hier S. 165ff. 36 Im Sinn des klassischen Gottesgedankens ist der Wille allerdings kein Absolutes. Allenfalls könne die Materie als etwas Absolutes betrachtet werden, meint Schopenhauer (vgl. Alfred Schmidt Die Wahrheit im Gewande der Lge. Schopenhauers Religionsphilosophie, München / Zürich 1986, S. 175). Sofern der Wille jedoch ein absolutes, irreduzibles Phänomen darstellt, ein ens a se, ist er faktisch etwas Absolutes. Der Begriff des Absoluten ist nämlich weder an Transzendenz noch an den theistischen Gottesgedanken gebunden (was bereits Spinoza hinlänglich klarmacht). Die Absolutheit des Willens konkretisiert sich bis hin zur letzten, paradoxen Möglichkeit seiner Selbstaufhebung: „der Wille ist so absolut frei, dass er sich gegen sich kehren und sich verneinen kann“ (Rudolf Malter Der eine Gedanke. Hinfhrung zur Philosophie Arthur Schopenhauers, Darmstadt 1988, S. 83). 37 Der Wille in seiner grundlosen Absolutheit darf nicht mit Gott identifiziert werden (s. vorige Anm.). Er ist das allerrealste Wesen, aber nicht autarke, vollkommene causa sui (Spinoza). Vgl. Malter Arthur Schopenhauer, S. 352: „der Wille ist gerade nicht das vollkommene Wesen, er ist der Unbefriedigt-Allmächtige, schlechthin unvollkommen, die ewig sich selbst verzehrende Negativität.“ Zur Allmacht des Willens vgl. auch Schopenhauer Werke (ZA), W I, 614: Der Wille an sich ist „vollkommen unabhängig, frei, ja allmächtig“. 38 Vgl. hierzu Friedrich Hermanni Das Bçse und die Theodizee. Eine philosophischtheologische Grundlegung, Gütersloh 2002; ferner Walter Dietz „Gottes Allmacht und das Leiden der Kreatur. Zur neueren Diskussion über die Theodizeefrage“ in Zeitschrift fr Medizinische Ethik 41, 1995, S. 93 – 103.

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ohne ihn laufen, und der Wille macht’s selber, dass es läuft (wie es eben muss – nicht, wie es unserer Meinung nach sollte!). Der A-theismus Schopenhauers stellt freilich eine erhebliche Differenz zu SK (und Luther) dar. Zugleich führt er zu einer Verabsolutierung des Willens an sich selber, da die schöpfungstheologische Einholungsoption verstellt ist. 10. Beide, Schopenhauer und SK, sind sich darin einig, dass die Selbstzentriertheit die („sündige“) Gestalt des Wollens ausmacht. Der Selbstbehauptungstrieb der Individuen, der Grausamkeit, Torheit und Maßlosigkeit (Gier) mit sich bringt, ist eng verkoppelt mit der Struktur des Individuums als eines vereinzelten, am Ende gnadenlos und unausweichlich dem Tod unterworfenen Wesens. Die Aufgabe der Soteriologie besteht somit darin, diese Selbstzentriertheit zu durchbrechen und mit ihr einen wesentlichen Grund der Leidverfallenheit wegzunehmen. Bei aller fundamentalen Differenz zeigt sich hier eine wesentliche Übereinstimmung zwischen dem soteriologischen Lösungsweg Schopenhauers und SKs (d. h. verallgemeinert: zwischen dem indischen und dem christlichen Typus der Soteriologie). Die ethische Konkretion der „Entgrenzung“ des Individuums in seiner Selbstbezüglichkeit liegt bei Schopenhauer im Begriff des Mitleids, bei SK im Begriff der Liebe. 39 Beide, Mitleids- und Liebesethik, sind soteriologisch fundierte Entgrenzungsmodelle selbstfixierter Subjektivität – einmal (bei Schopenhauer) in schwacher Form, ein andermal (bei SK) in starker Form. Das ,Sein beim Andern‘ (wie immer dieser oder dieses bestimmt sei und wo auch immer der, die oder das Andere mir als Anderes meiner selbst begegnet) ist somit der Schlüssel zur Aufhebung der vereinzelten Individualität in ihrer elenden Angst- und Todverfallenheit.

3. Willensunfreiheit als Basis gemeinsamer Kritik am philanthropischen Fortschrittsoptimismus von Aufklärung und Idealismus Beide, Schopenhauer wie SK, sind aufgrund ihrer skeptischen Einschätzung des menschlichen Willens und seiner (positiven) Freiheit massive Kritiker des neuzeitlichen Kultur- und Fortschrittsoptimismus (so, wie auch Luther dem humanistischen Fortschrittsideal nicht weniger skeptisch gegenüberstand). Das Christentum wird von beiden nicht als 39 Vgl. LT / SKS 9 (Taten der Liebe / Kjerlighedens Gjerniger, 1847).

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Ingredienz einer Vervollkommnung von Welt und Geschichte gedacht, die sich durch den Menschen vollzieht. Hier sieht SK in Schopenhauer ein sehr gutes Gegengift40 gegen solch banalen, pseudochristlichen Fortschrittsoptimismus,41 der das Leiden nur als die notwendige Kraft der Negativität zur Vollendung der Geschichte interpretiert. Schopenhauers Philosophie war nach SKs Ansicht hervorragend geeignet, den Fortschrittsoptimismus als unhaltbar und illusionär zu entlarven, zugleich auch die falsche Allianz des neuzeitlichen Christentums mit diesem Konzept zu brandmarken. Schopenhauer bedauert nachdrücklich, dass „in neuerer Zeit das Christenthum seine wahre Bedeutung vergessen hat und in platten Optimismus ausgeartet ist“.42 Gegen diese falsche Instrumentalisierung des Christentums durch den Zeitgeist biete Schopenhauer, so SK, ein vorzügliches Gegenmittel (das allerdings, isoliert für sich genommen, auch lähmend und tödlich wirken kann).43

4. Der Begriff Angst – Grundlosigkeit, Abgründigkeit und Dämonie des kreatürlichen Willens Um den Menschen in der Tiefendimension seines Leidens in den Blick zu bekommen, genügt es nach SK nicht, den Blick auf physische Qualen, Gewalt und Grausamkeit zu lenken. Die wahre Innenseite des mensch40 Vgl. NB 29:114 (T 5, 205 / SKS 25, 376); vgl. hierzu Joakim Garff Sçren Kierkegaard. Biographie, Darmstadt 2004 [Kopenhagen 2000], S. 810. 41 Vgl. NB 30:12 (SKS 25, 389; zit. nach Garff Sçren Kierkegaard, S. 809): „Ich habe nichts dagegen, dass Schopenhauer mit großer Kraft gegen jenen ,niederträchtigen Optimismus‘ rast, mit dem insbesondere der Protestantismus glänzt“. 42 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 501. – In späterer Zeit haben M. Weber und E. Troeltsch auf die neuzeitliche Bedeutung des reformatorischen Christentums hingewiesen (Luther, Calvin). Nicht nur von Hegel ausgehend, wurde der Geist des Protestantismus als Movens der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet. Auch Schleiermacher und seine Schule stehen für diesen Weg, der mit der Konzeption von Richard Rothe (1799 – 1867) einen herausragenden Vertreter gefunden hat. Rothes kulturprotestantische Position, wonach der Protestantismus Triebkraft der Moderne ist, charakterisiert in nuce die von Schopenhauer und Kierkegaard gleichermaßen kritisierte Fortschrittsvariante des Christentums (bei der man freilich fragen mag, wie viel sie mit den Positionen von M. Luther und J. Calvin im Kern noch zu tun hat). 43 Dass Schopenhauer (nach Meinung SKs) zuwenig das Christentum studiert und zuviel Buddhismus und Hinduismus, nimmt ihm SK übel. Diese Hinwendung ist jedoch nachvollziehbar, sofern die Willensthematik nicht mehr im rein subjektivittstheoretischen Horizont im Blickfeld ist.

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lichen Leidens ist die Angst. Ihre Stellung ist herausragend, da in ihr der Mensch in einzigartiger Weise vor sich selbst gestellt ist (aus der Sicht SKs). Die Angst ist selbst da präsent, wo der Wille zu seinem Ziel kommt und subjektiv Glück empfunden wird. Die Angst ist nach SK (BA, 1844) vor allem im Akt der Zeugung und der Geburt präsent. Auf dem Grund der scheinbar tiefsten Lust lauert die Angst, auch weil wir wissen, wie prekr dieser Moment ist44 – es lauert der Absturz, die Katastrophe. Das Eigentümliche der Angst liegt darin, dass sie als nicht gewollte da ist, d. h. unabhängig von aller Willensbestimmung, unwillkürlich auftauchen kann. Die Angst begleitet den Willen, der in seinem Wollen ungesichert vor sich selbst gestellt ist. Angst ist kein Phänomen der Natur als solcher. Unter heftigem Protest späterer Psychologen und Zoologen (z. B. U. Hedinger und E. Drewermann) hat SK in BA (1844) die These aufgestellt, dass Tiere keine Angst haben können. Denn Angst ist an die spezifische Struktur des Geistes gebunden, eine Synthese zu sein aus Leiblichem und Seelischem,45 die im Geist als einem Dritten gründet (so BA) bzw. sich bewusst zu sich selbst verhält (so KT). Das gilt für Tiere in dieser Weise nicht. Nur Menschen haben das zweifelhafte Privileg, sich ängstigen zu können. Und sie können es, egal ob sie es wollen oder nicht. Bewusst in bestimmter Weise sich ängstigen zu wollen, wäre dann eine Frage des 44 Vgl. Schopenhauers Notiz in Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 45, 666: „Der Akt nun aber, durch welchen der Wille sich bejaht und der Mensch entsteht, ist eine Handlung, deren Alle sich im Innersten schämen, die sie daher sorgfältig verbergen, ja, auf welcher betroffen sie erschrecken, als wären sie bei einem Verbrechen ertappt worden.“ Der Zusammenhang von Angst, Scham und Reue kehrt auch bei SK wieder (in BA). 45 In dieser Synthese von Leib und Seele ist der Leib das Andere der Seele, aber in dieser Andersheit in sich selbst gründend. Anders bei Schopenhauer, der das Gewordensein des Leibes und seiner Organe als Manifestation und Verobjektivierung von Wille und Trieb versteht; der „ganze Leib“ kann „nichts Anderes seyn, als mein sichtbar gewordener Wille“, „Objektitt des Willens“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 20, 151f.). So sind z. B. „Zähne, Schlund und Darmkanal […] der objektivirte Hunger“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 20, 153). D. h. der Wille verschafft sich in ihnen objektive Gestalt, so dass er den eigenen Leib instrumentell zu verstehen lehrt. – Dabei besteht der Vorzug des Tieres vor dem Menschen darin, dass in ihm der „Wille zum Leben“ unmittelbarer, unverstellter zum Ausdruck kommt, „gleichsam nackter, als im Menschen, wo er mit so vieler Erkenntniß überkleidet“ ist; „[g]anz nackt […] zeigt er sich schließlich in der Pflanze, als bloßer, blinder Drang zum Dasein, ohne Zweck und Ziel“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 28, 208f.). Wir lassen offen, ob sich dies aus der Sicht der Pflanze ebenso darstellt. In jedem Fall ist zuzugeben, dass dem Menschen eine entsprechend naive und unbefangene Form des Daseins abgeht.

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Umgangs mit der Angst, die jedoch als solche dem Willen nicht unterliegt, sondern ihm zuvorkommt und auf undurchsichtige Weise ihm zugrunde liegt. In der Angst kann dem Menschen sein Wollen unheimlich werden46 und er sich selbst. Die Zielsetzungen des Wollens zersetzen sich in ihrer Stringenz, wenn der Mensch in der Angst vor das Nichts – auch das konkrete Nichts seines Nichtseinkönnens – gestellt wird. So gesehen ist die Angst eher ein Störfaktor im Wollen. Sie tritt störend und unwillkürlich auf, so wie die sexuelle Form der Angst, die Scham, die z. B. dem Jungen ins Gesicht steigt, wenn die bzw. der Geliebte ihn erblickt. Das Unwillkürliche ist weder durch die Natur noch durch den Willen gesteuert, es bricht sich Bahn, gründend in der Angst. Die Angst transzendiert somit die Willenssphäre. Sie tritt unwillkürlich auf, als das Plötzliche. Die Angst vor dem Schuldigwerden kann ebenso wenig gewollt sein wie die Angst danach, die Reue, das potenzierte Schuldgefühl. Angst ist demnach kein gewolltes Phänomen, sie ist vielmehr strukturell begründet und hängt elementar mit dem Wesen der menschlichen Freiheit zusammen, die SK als in sich instabil beschreibt, was vor allem in der von Schelling (1809) entlehnten Metapher des Schwindels (Schwindligseins) schön zum Ausdruck kommt.47 Schwindel beschreibt das Gefühl des Abgleiten- oder Umkippenkönnens in einen Abgrund – und steht so für die Abgründigkeit,48 die in der Freiheit selbst liegt. Im Zentrum steht dabei der Wille zum Selbstseinkönnen und zum wirklichen Selbstsein bis hin zur theologisch gesehen höchsten Stufe, nämlich ein ewig gültiges Selbst in Harmonie mit sich selbst vor Gott zu erringen (die moderne Variante der lutherischen Rechtfertigungslehre bei SK). Im Zentrum steht bei SK hingegen also weder ein bestimmtes Wollen noch die Konkretion der Freiheit im Wollen (auf die Hegel in seiner Rechtsphilosophie so großen Wert legt) noch der dunkle Drang, in dem das Wollen unbedingt, aber zugleich unbestimmt bei sich selber ist, 46 Darin liegt – aus der Sicht Schopenhauers – die soteriologische ,Brauchbarkeit‘ der Angst: In ihr wendet sich der Wille davon ab, ungebrochen sich selbst zu fixieren. In der Angst spürt das Individuum die Grundlosigkeit des Wollens, dem es aufsitzt. 47 Vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling „Über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“ [1809] in Smmtliche Werke, hrsg. v. Karl Friedrich August Schelling, 14 Bde., Stuttgart / Augsburg 1856 – 1861, Bd. 7, S. 336 – 416, hier S. 381. 48 Eine Abgründigkeit, die nach SK der sich ängstigenden Freiheit eignet, die aber nach Schopenhauer primär dem Wollen in seiner Grundlosigkeit und Blindheit zukommt.

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als ein zielloser, rational unfassbarer Wille, der den Grund alles Wollens und Wollenmüssens ausmacht (wie dies von Schopenhauer mit durchdringender Schärfe konzipiert worden ist). Weder in der sittlich gesetzten Bestimmung des Wollens im Sinne Hegels noch in der naturhaft vorgegebenen Unbestimmtheit des Wollens im Sinne Schopenhauers liegt für SK die Quelle der Angst. In ihrer doppelten Möglichkeit, Angst vor dem Bösen wie auch vor dem Guten zu sein, zeigt sich ihre Tiefe. Das Böse als solches wollen zu können, diese dämonische Verwandlung der Angst ist bei Plato, Kant und Hegel noch undenkbar geblieben. Die Abgründigkeit zeigt sich für SK somit im Dämonischen, für Schopenhauer (harmloser?) in der Grund- und Ziellosigkeit des Willens.

5. Verselbständigung der Willensthematik bei Schopenhauer – Vergleich mit Hegel Das klassisch-platonische Konzept vom lenk- und zügelbaren Willen, gebunden an ein hegemonikon, das rational bestimmt sein soll und sein kann, ist bei Schopenhauer nicht einfach nur zerbrochen, sondern radikal verkehrt worden. Diese Verkehrung, die mehr sein will als nur Gedankenspiel, führt dazu, dass sich der Wille (in seiner sich selbst undurchsichtigen Art, bei sich selbst zu sein) als die alles bestimmende Wirklichkeit erweist. SK und Hegel hatten dem Willen kein so unbedingtes Eigenrecht und keine so souveräne Alleinherrschaft zugebilligt. Denn der Wille als etwas Unmittelbares, als dieser reine Drang zu wollen, kann weder der letzte Grund noch das Ziel des Daseins sein. Es muss darum gehen, den zur Wahrheit seines Wesens vermittelten Willen philosophisch zur Geltung zu bringen. Dass Schopenhauer dieses Postulat nicht erfüllt hat, ist weder auf Verblendung und Sturheit noch auf geistig-intellektuelle Beschränktheit oder Impotenz zurückzuführen, sondern hat schlicht darin seinen Grund, dass er das reine, bei und aus sich seiende Wollen als eine Letztwirklichkeit ansieht, was insbesondere Hegel bestreitet (deutlicher als Kant und SK). In ethischer Hinsicht ist Hegel sicher im Recht, wenn er den Willen in eine rational strukturierte, institutionell verfasste Konzeption von Wirklichkeit eingefügt wissen will, auch um der Abstraktheit einer Pflicht- oder Mitleidsethik zu entgehen. Die Bändigung des Willens obliegt nicht dem einzelnen Moralität beanspruchenden Subjekt, sondern den Institutionen, d. h. vor allem Ehe, Familie und Staat. Im Staat gewinnt das Wollen eine Formation, die es so zu sich selber

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bringt, dass es SKs Angst und Schopenhauers allmächtigen Urdrang depotenzieren und sublimieren kann. Im absoluten Gehäuse (von Familie und Staat) ist der Wille so zu sich selbst befreit, dass die Angst und das unablässige Drängen als überwunden gedacht werden müssen. Die Freiheit als realisierte Freiheit ist im hegelschen Sinn die Aufhebung von abgründiger Angst und abgründigem Wollen zugleich, es bleiben die Narben, es bleiben die Wunden, aber all das Negative wird sich als Triebkraft geschichtlich überwinden, d. h. die Geschichte selbst ist die Überwindung des Negativen durch und vor dem Absoluten. Hier ist Gott selbst, der absolute Geist, die Triebkraft einer Geschichte, in der Angst und Drang (auch List und Grausamkeit) eine große Rolle spielen, aber eben nur eine Rolle auf dem Weg der Geschichte hin zu ihrer Vollendung. Diesem idealistischen Konzept sind beide, SK und Schopenhauer, nicht gefolgt, und beide haben eine Geschichtstheodizee radikal abgelehnt. Der Bruch liegt für Schopenhauer im Fixieren der Unmittelbarkeit des Wollens, während SK von einer Phänomenologie der Freiheit ausgeht, die ihre innere Abgründigkeit in der Angst sieht, nicht im Willen an sich. So ergibt es sich, dass SK in der KT von einer unbewussten Verzweiflung sprechen kann, die gar nicht abhängig ist von einer bestimmten Struktur des Wollens. Einerseits kann man trotzig („männlich“) man selbst sein wollen, anderseits schwach („weiblich“) das eigene Selbst ablehnen (oder durch eine fiktive Identität überbieten) wollen, aber – so SK – am verbreitetsten sei die „unbewusste“ Verzweiflung, die damit zusammenhängt, dass einem die Bedeutung des eigenen Selbst, des eigenen Selbstsein- und -werdenkönnens nicht aufgeht (entweder weil man sich darüber hinwegtäuscht oder weil man stumpfsinnig nie darauf aufmerksam geworden ist). Die Problematik des Selbstwerdens und der Selbstverwirklichung steht dabei bei SK ganz im Vordergrund, und sie wird subjektivitätsphilosophisch durchbuchstabiert auf der Basis von Kant, Fichte und Hegel. Die unbewusste, ungewollte Verzweiflung, die ungewollte, unwillkürlich sich auch manifestierende Angst machen deutlich, dass zwar der Freiheitsthematik, nicht aber der Willensthematik bei SK eine vorrangige Bedeutung zukommt. Anders Schopenhauer. Bei ihm wird die transzendentalphilosophische Subjektivitätsphilosophie (Fichte) nicht zur Basis gemacht. Sein kritischer Anschluss an Kant verfolgt das „radikal Böse“ und die Radikalität der Struktur unserer „Willkür“, aber nicht mehr die subjektivitätsphilosophische Fragestellung im Blick auf die Selbstsetzung (Fichte) oder Selbstverwirklichung (SK) des Subjekts bzw. des Absoluten in der Geschichte (Hegel). Der Bruch zum Idealismus ist jedoch bei Schopenhauer nur Teil einer grö-

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ßeren Bruchlinie, die einerseits den subjektivitätstheoretischen Zuschnitt der europäischen Philosophie (insbes. seit Descartes) betrifft, andererseits auch die Vorrangstellung der Vernunft im dialektischen Gefüge von Vernunft (Intellekt) und Wille.

6. Willensfreiheit und Angst Die Willensfreiheit wird bei SK nicht in der Weise bestritten, dass sie gleichsam mit einem theologischen Argument ,niedergebügelt‘ wird. Die Prädestinationslehre, wonach es keine Freiheit geben kann außer für Gott, der alles weise vorhersieht und vorherbestimmt, ist SK fremd. In seinem Tagebuch notiert er skeptisch, die Prädestinationslehre verschlinge (wie ein Ameisenbär) alles in sich. SK ist kein Calvinist, d. h. die Unfreiheit des Willens wird nicht durch die Souveränität eines alles bestimmenden Gottes begründet. Doch damit ist sie noch nicht vom Tisch. Wenngleich der Mensch in seinem Verhalten zu sich selbst wesentlich frei ist, zeigt schon das Phänomen der Angst, wie prekär diese Freiheit gelagert und wie es um sie bestellt ist. Angst ist dabei für SK kein Phänomen der Natur oder einer externen Notwendigkeit, sondern Signatur einer in sich verschlungenen, in sich verwobenen und gefesselten Freiheit (Frihed hildet i sig selv 49). Die Angst ist somit ein Phänomen, das wesentlich zur Wirklichkeit der Freiheit gehört. Entscheidend für ihr Aufkommen ist jedoch das Bewusstsein zu kçnnen, d. h. der Möglichkeit, sich verwirklichen oder verlieren zu können. In diesem Sinn ist die Angst ein elementares, nicht vom Willen gesteuertes Reflexionsphänomen. Der Wille kann – gerade in seiner dämonischen Verfassung – diese Angst zum Ausdruck bringen, jedoch nicht überwinden und ausschalten. Diese unvordenkliche Macht der Angst macht sie so unheimlich und unfassbar. Obwohl sie ein rudimentäres Reflexionsphänomen darstellt, das an die Geistnatur der menschlichen Subjektivität gebunden ist, bildet sie in bestimmter Hinsicht ein Analogon zu Schopenhauers Konzept des Willens, der als Urdrang etwas Nichtiges und rational letztlich Uneinholbares darstellt. Dieser Wille ist gerade kein Reflexionsphänomen, sondern jenseits der kleinen Insel rational fassbarer Wirklichkeit, jenseits des schematischen Zugriffs von Vernunft und Verstand. Dieser Wille gebiert aus sich heraus die Angst, die aber bei Schopenhauer elementarer und lebensweltlicher gefasst ist als bei SK – es ist die Angst vor dem Tod, 49 SKS 4, 354 / BA, 48 („gefesselte Freiheit“).

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dem Kampf, dem Leiden, der Grausamkeit und dem Elend des Lebensvollzugs insgesamt. Anders bei SK, der die Angst nicht auf das physische Ende bezieht, sondern auf ein geistiges Vernichtet- und Verzehrtwerden. Angst und Angst ist somit nicht dasselbe, genausowenig wie SKs Willenskonzeption der von Schopenhauer entspricht. Aus SKs Sicht ist der geistig-subjektivitätstheoretische Angstbegriff der tiefere, weil er der spezifisch menschlichen Weise des Sichängstigens näher kommt als Schopenhauer durch seinen lebensphilosophischen Ansatz. Der Vorteil Schopenhauers liegt darin, dass er die Lebensangst in Zusammenhang mit dem Lebenswillen als übergreifend-universal ansehen kann,50 während SKs entscheidender Vorteil darin liegt, die Angst nicht als unüberwindlich ansehen zu müssen. Freilich gibt es kein Naturmittel gegen die Angst; dem geistigen Krankheitsphänomen kann man eben nur geistig begegnen. Und freilich gibt es keinen Willensakt, der die Angst besiegen kann (was ja auch im Sinn Schopenhauers ein Unding wäre – man kann ja nicht das Obervirus, d. h. den Krankheitsinaugurator, zum Klinikdirektor machen…). Der Appell an den Mut oder den Willen ist zwecklos. Der Angst ist nicht mit aufmunternden Appellen beizukommen. Ich kann Angst nicht nicht haben wollen – das liegt im Wesen der Angst. Ich kann sehr wohl nicht mehr leben wollen. Doch mit dem Tod ist die Angst nicht überwunden, sondern nur ihr endgültig nachgegeben. Dass es der Glaube ist, der die Angst überwindet, heißt dann natürlich auch, dass der Glaube nicht als Willensakt gedacht werden kann. Der Glaube überwindet die selbstzentrierte Subjektivitätsstruktur, in der die Angst ihre Heimstätte hat. Dass ,des Rätsels Lösung‘ wesentlich in der Überwindung der selbstzentrierten Struktur der Subjektivität liegt, gehört – wie gezeigt – zu den entscheidenden Einsichten, die SK und Schopenhauer verbinden (einerseits untereinander, zudem aber auch mit dem Konzept der Spätphilosophie Schellings ab 1809). Im Detail zeigen sich jedoch erhebliche Differenzen, insofern der Preis der Lösung bei Schopenhauer größer ist (insofern die selbsthafte Subjektivität selbst negiert werden muss), während bei SK das Selbst – in seinem unbedingten Selbstseinwollen bzw. durch Alternativideale vermittelten Nichtselbstseinwollen – sich am Ende kathartisch wiedergewinnt bzw. erhält. Die Katharsis geht bei SK durch Angst und Verzweiflung hindurch, bei Schopenhauer muss die unbän50 Also theologisch gesprochen dem näher ist, was Paulus in Röm 8,19f. einigermaßen dunkel als ein „Seufzen“ und Sehnen der gesamten Kreatur nach Erlösung beschreibt.

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dige Struktur des Wollens insgesamt überwunden werden; sie selber ist zum Kern des Problems geworden, das bei SK die Angst war.

7. Die Abkehr vom rationalistischen Menschenbild und das Thema der Selbstverwirklichung. Die kathartische Funktion von Angst und Verzweiflung Was die Möglichkeit gelingenden Lebens und vollendeten Glücks für die Masse der Menschen angeht, so sind beide, SK wie Schopenhauer, ungeheuer skeptisch. Glück gibt es nach SK meist nur um den Preis der Selbsttäuschung, die individuell und kollektiv nicht ohne Erfolg vollzogen wird (bei SK schön dargestellt am „Spießbürger“). Der Mystiker, der sein Selbst negiert in der Gottesversenkung, frönt nach SK dem verzweifelten Versuch, dieses sein Selbst loswerden zu wollen. Diesen Vorgang sieht SK weitaus skeptischer als Schopenhauer. Für diesen ist die Selbstaufhebung im asketischen Negieren des Willens oder im Ästhetischen durchaus eine gangbare Lösung. Im Ästhetischen herrscht für SK die Unmittelbarkeit, das Sinnliche in all seinen rudimentären und sublimeren Formen; aber diese Herrschaft bedeutet einen Verlust der eigentlichen, geistigen Dimension des Menschen. Damit zeigt sich eine Grunddifferenz im Ansatz der Philosophie SKs. „Der Mensch ist Geist.“51 So beginnt der berühmte Eingangsteil der KT. Das ist für SK (Anti-Climacus) im Kern Sach- und Aufgabenbeschreibung seiner Existenzphilosophie. Aus der Sicht von Schopenhauer ist das eine falsche Glorifizierung der menschlichen Existenz durch einen schwammigen Begriff („Geist“), der das Eigentliche und Grundlegende (d. h. die Dimension urtümlichen Wollens) eher verstellt als offen legt. Dabei wird jedoch übersehen, dass der Geist selber als die Einheit des Seelischen und des Leiblichen, d. h. nicht einlinig vom Seelischen her bestimmt wird. Die Leibgebundenheit des Geistes zu behaupten, bedeutet den cartesischen und idealistischen Geistbegriff zu verlassen. In dieser Abkehr berühren sich SK und Schopenhauer offensichtlich. Worin wesentlich Menschsein besteht und wie es zur Verwirklichung seiner selbst kommt, diese grundlegendste aller Fragen, wird somit von SK und Schopenhauer nicht gleichsinnig beantwortet. Ebenso die Frage nach der Willensfreiheit: Beide gehen davon aus, dass der Mensch in 51 KT, 8 / SKS 11, 129.

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seinem Wollen nicht schlechthin frei ist. Beide halten es für einen Irrtum, den Willen rein rational durch die Vernunft bestimmt zu sehen. Beide halten (gegen den Rationalismus und gegen den Idealismus Hegels) die Vernunft nicht für eine alles bestimmende Wirklichkeit. Bei SK kommt dies schon in EO 1843 sehr schön zum Ausdruck. Dort lautet das Motto: „Ist denn die Vernunft allein getauft? Sind denn die Leidenschaften Heiden?“ (E. Young).52 Die Dimension des Affektiven wird von beiden scharf herausgearbeitet. Dabei ist aber festzuhalten, dass für SK die Angst kein „Gefühl“ ist wie Hass, Furcht oder Liebe, sondern eine phänomenologische Bestimmung der Freiheit des menschlichen Subjekts in seinem Selbstverhältnis.

8. Die erotische Komponente des Willens und das ästhetische Lebenskonzept Andererseits ist es gerade der Ästhetiker in EO (1843), der den Anspruch des Sinnlich-Triebhaften an das Leben eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Sein Motto: Wenn wir den erotischen Drang nicht loswerden können, dann müssen wir ihn eben zur Strategie unseres Lebens machen – das Ästhetische ist unser Leben, und wenn wir von ihm aus eine echte Lebenskunst entwickeln, dann haben wir mit ihm gesiegt, statt ihn spießig zu reglementieren oder ihn asketisch zu annullieren. Es geht darum, gleichsam Pingpong zu spielen mit dem ganzen Dasein (und das kann der Mensch nur, wenn er das Faktum seines Wollens – mit S. Freud gesprochen den unbewussten, im Es gründenden Anteil – nicht verdrängt und abwehrt, sondern lustvoll-selbstbejahend zum Motor seiner Lebenskunst macht). Stillstand oder gar Rückwärtsgang ist nicht erlaubt (Langeweile ist tödlich, Resignation am Willen selbst ist Verzweiflung am Ästhetischen), auch keine Tendenz zu institutioneller Erstickung lustvoller Spontaneität in Beruf und Ehe (Gerichtsrat Wilhelm, EO2, B). Im Ästhetischen kommt das Dasein zu seinem Recht – auch der dunkle Trieb und Drang kommt zu seinem Recht, er will Ewigkeit und sorgt dann

52 Motto zu EO (1843). Es stammt von dem englischen Schriftsteller Edward Young The Complaints, or Night-Thoughts on Life, Death & Immortality, London 1743, S. 79 („Are passions, then, the pagans of the soul? Reason alone baptiz’d? Alone ordain’d to touch things sacred?“).

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immerhin für einige schöne Momente. Verführen und Sich-verführenLassen, das ist die Pointe des ganzen Daseins.53 Bei SK hat das nur den Schönheitsfehler, dass es nicht unwidersprochen bleiben kann. Die Entgegnung durch den Gerichtsassessor Wilhelm (B) setzt die Freiheit der Bindung an die Stelle der ungebundenen Freiheit, und er toppt die ästhetische Lebensstrategie, indem er die Möglichkeit einer Bewahrung des ästhetischen Grundinteresses im Ethischen entfaltet. Dieser Dialog (A – B) kommt allerdings ins Stocken, wenn Vigilius Haufniensis die Angst als gebundene (hildet) Freiheit thematisiert. Der Ästhetiker braucht anders als der Ethiker keine Theorie der Willensfreiheit. SK fällt dieser Theorie aber in den Rücken, wenn er die Angst als eine Verstrickung von Freiheit und Unfreiheit noch vor alle Konkretion des Wollens stellt. Ein liberum arbitrium, mit dem ich wollen könnte, was ich will, wäre demnach fiktiv – und zudem eine leere, langweilige Fiktion. Denn als geängstigter Mensch, als Wesen einer Freiheit, auf dessen Grund stets die Angst lauert, ist die Wahlfreiheit belanglos, da ich im Kern meines Willens unfrei bin (frei wählen können innerhalb unfreier Strukturen bedeutet Unfreiheit, nicht Freiheit!). Angst und Verzweiflung sind derartige Phänomene bzw. Symptome von Unfreiheit. Sie heben das Faktum nicht auf, dass ich mich (frei) zu mir selbst verhalte. Aber im Kern meines Wollens bin ich unfrei, solange ich als geängstigtes Wesen Subjekt meines Wollens bin.

9. Charakteristische Affinitäten und Differenzen im lebensphilosophischen Konzept Schopenhauer und SK sind sich nie begegnet. SK hat Schopenhauer erst gegen Ende seines Lebens intensiver wahrgenommen, wofür auch entsprechende Tagebucheinträge stehen. Die Differenzen im Denkansatz sind dem Dänen freilich nicht verborgen geblieben. Auch wenn er Schopenhauers Affront gegen Hegel und die modische Hegelei (als „Windelbeutel“-Philosophie54) der Sache nach weithin geteilt hat, ist es 53 Vgl. hierzu Konrad Paul Liessmann sthetik der Verfhrung. Kierkegaards Konstruktion der Erotik aus dem Geiste der Kunst, Wien 2005 [Frankfurt a.M. 1991]. 54 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, 21 (Vorrede 2. Aufl. 1844). Der Kampf gegen Hegelianismus, philanthropen Idealismus, Rationalismus und theodizeegeleiteten Optimismus vereint Schopenhauer (sowie den späten Schelling) mit Kierkegaard. In dieser Weise hat dieser (trotz seiner Kritik an der Eitelkeit und

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nicht ausgemacht, dass er Schopenhauer für einen größeren und beachtenswerteren Philosophen als Hegel gehalten hat. Jedenfalls ist festzuhalten, dass SKs Bekanntschaft mit Schopenhauer rein literarischer Art ist und erst spät (1854) intensiv zu werden beginnt. In ihrer Abneigung gegen Hegel waren sich beide weithin einig, wenngleich die verbissene, polemisch-dreiste, verbissen-rechthaberische und verbohrte Form des Antihegelianismus von Schopenhauer dem Dänen fremd sein und bleiben musste. So grüßen sich beide auch in ihrer Kritik nur von Ferne. Das Verhältnis zu Schelling ist bei beiden außerordentlich diffizil und differenziert, aber als Figur einer idealistischen Metaphysik musste ihn Schopenhauer radikaler ablehnen als SK, der Schelling Richtungweisendes verdankt. Im Lebensstil unterscheidet beide, dass es im Leben Schopenhauers hochgeschätzte und vertätschelte Pudel gab, aber keine Regine, und die auch nicht geben konnte. Umgekehrt ist SK niemals Vater geworden. Gemeinsam ist beiden, dass sie Ehe und Familienleben umschifft haben. Allerdings ist es völlig verkehrt, sie im Frauenhass vereint zu sehen.55 Wie EO, aber auch SLW ganz klar zeigen, war SK weit über eine Verachtung der Frauen erhaben, und (worauf bereits K. Jaspers 1951 hingewiesen hat56) auch über die Ehe hat er sehr hoch gedacht. Ehelosigkeit heißt ja keineswegs Eheunfähigkeit und auch nicht Mangel an Liebe oder Mangel an Gelegenheit. Jedenfalls stellt diese Thematik eine interessante Probe aufs Exempel der eigenen Lehre dar, da beide den ethischen Kontext schärfer beleuchten als andere (Spinoza, Hegel). Zudem ist die Ehe als Ort realisierter Sexualität mit der TriebVerbiestertheit Schopenhauers) den Danziger Philosophen als willkommenen Kampfgenossen gegen den modisch verbreiteten Hegelianismus angesehen. Die entscheidende Differenz liegt jedoch darin, dass SK das hegelsche Denkprojekt als solches durchaus zu schätzen vermag und er sich mit ihm im Kampf gegen die romantische Abgehobenheit durchaus einig weiß (vgl. z. B. seine Dissertation ber den Begriff der Ironie, 1841). 55 Diesem gravierenden Fehlurteil frönt Garff Sçren Kierkegaard, S. 804: Schopenhauer sei „frauenfeindlich wie er selbst“ gewesen. Hier (wie schon bei Peter P. Rohde Sçren Kierkegaard. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Rowohlts Monographien, Bd. 28) Hamburg 1988) findet sich ein altes Vorurteil in neuem Gewand. Bezeichnend ist, wie bestimmte Etiketten (z. B. das der Frauenfeindlichkeit) ausgeweitet und undifferenziert gebraucht werden, um Personen unterschiedlichster Couleur und Auffassung in derartigen „Schubladen“ dankbar und selbstzufrieden abzulegen. 56 Vgl. Karl Jaspers „Kierkegaard“ [1951] in ders. Aneignung und Polemik. Gesammelte Reden und Aufstze zur Geschichte der Philosophie, hrsg. v. Hans Saner, München 1968, S. 296 – 311, hier S. 302 u. S. 307.

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dimension der Willenssphäre eng verbunden, worauf bereits Schopenhauer (und nicht erst S. Freud) hingewiesen hat.

10. Willens- und Leidensthematik – unterschiedliche Topik und Akzentuierung des Leidens Trotz der Ehelosigkeit betont SK immer wieder den Aspekt der Lebensfreude und Lebensbejahung (vor allem auch in den Erbaulichen Reden). Dass die reine Lustorientierung auf ästhetischer Ebene diese Freude nicht mit sich zu bringen vermag, zeigt bereits Gerichtsrat Wilhelm in EO2 (1843). Dass irdisches Dasein von Grund auf unerquicklich, mühselig und leidvoll ist, behauptet weder A noch B in EO. Die eigentliche Dimension des Leidens sieht SK erst mit dem Christentum in die Welt gekommen.57 Dies zielt primär auf die Abgrenzung zur ,griechischen Naivität‘, zur romantischen Kindlichkeit und zur klassizistischen Schöngeistigkeit sowie zum aufgeklärt-optimistischen Fortschrittsglauben, den der Protestantismus eilenden Fußes im Gleichschritt mitzugehen gedenkt (ein Fortschrittsglaube, gegen den sich beide – Schopenhauer und SK – vehement abgrenzen!). Dass Christentum Leiden58 ist, wird am Leiden Christi deutlich, aber auch an der Nachfolge und imitatio seines Leidens, dem der Christ (wie Paulus59 sagt) gleichförmig (gleichgestaltet) werden soll. SKs Konzept (in

57 Das ist im Blick auf Gestalten des Alten Testaments allerdings ungerecht, wenn man etwa an den Propheten Jeremia oder an die Gestalt Hiobs denkt. So hat die christologische Pointierung ihren Preis. 58 Gegen diese christologische Fokussierung der Leidensthematik ist Schopenhauer immun, bzw. für sie blind. Er entgrenzt sie vielmehr durch die Idee, „daß Leben […] durch und durch Leiden ist“ (Malter „,Eine wahrhaft ruchlose Denkungsart‘“, S. 159 mit Verweis auf Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 59, 404 – 408). 59 Vgl. 2 Kor 4,10; vgl. Röm 6,3ff. Die nicht nur im reformatorischen Christentum sichtbare christologische Zuspitzung und Fokussierung der Leidensthematik ist bedingt durch die Auffassung der Einzigartigkeit des Geschicks Jesu (Tod, Auferstehung) und seiner Bedeutung (versöhnungstheologisch, vgl. z. B. Mk 10,45; Anselm: stellvertretendes Sühneopfer, vgl. Hebr 7 – 10, v. a. 9f.), d. h. nicht durch die Einzigkeit der Art und Umstände seines Leidens und Sterbens. Aber es ist und war klar, dass jenes (Gott gehorsame, den Preis der Sünde darstellende) Leiden mehr und etwas anderes ist als das Leiden der Kreatur durch die „Schattenseiten“ der Schöpfung (vgl. Karl Barth Kirchliche Dogmatik, 4 Bde.,

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Auslegung von Joh 1,14) ist also, dass Gott inkognito in Jesus Christus die Gestalt eines einzelnen Menschen angenommen hat, dessen Leben (nicht nur dessen Lebensende!) insgesamt Leiden war. Hier orientiert er sich im Wesentlichen an dem schon vorpaulinisch geprägten Hymnus von Phil 2,6ff., wonach Gott in Christus die Gestalt eines leidenden Knechts angenommen hat. Hierbei ist die biblische Prägung der Knecht-Metapher60 nicht nur mit Dienen, sondern auch mit Lebenshingabe verbunden (vgl. Mk 10,45). In diesem Sinn steht für SK fest, dass durch das Christentum das Leiden in die Welt gekommen ist,61 wobei diesem Leiden (allerdings nicht per se, sondern von Gott her) die Kraft der Erlösung zukommt. Wäre Gott (als leidende Gestalt) in eine gleichermaßen leidende Welt gekommen, so wäre die Pointe verfehlt. Das Kreuz hätte dann zwar einen paradigmatischen Charakter und womöglich einen gewissen „Showeffekt“, wäre aber im Grunde überflüssig, wenn die Welt selber das Kreuz wäre. Die Welt bräuchte demnach keinen Gekreuzigten (dieser wäre, wie SK schön sagt, ein „Pleonasmus“62), sondern einen Erleuchteten. Bräuchte! Wenn dem so wäre, dass das Leben insgesamt und allesamt Leiden wäre. Diese Grundthese hält SK jedoch für unzutreffend. Das Leiden spielt eine herausragende Rolle, ohne Leiden kein Leben, aber es macht nicht dessen Kern und Wesen aus. Es liegt auch nicht in der Natur unseres Wollens, leiden zu müssen. Wir leiden im Sinne SKs nicht primär an unserem Wollen, sondern an uns selbst. Weil das Leben in sich die Vollendungsmöglichkeit der Liebe birgt, darf es nicht primär oder gar Zürich 1935 – 1970, hier Bd. III/1 u. Bd. III/3) wie Grausamkeit, Krankheit und Tod. 60 Vgl. die berühmten Gottesknechtlieder im Buch des Propheten Jesaja (DeuteroJes.), Jes 42,1 – 4; 49,1 – 6; 50,4 – 9; 52,13 – 53,12. 61 In dieser missverständlichen Zuspitzung ist diese These allerdings ein gefundenes Fressen für lebensbejahende Religionskritiker, die das Christentum als Religion der Neurotischmacher und Verunglimpfer aller Lebensfreuden ablehnen, z. B. F. Nietzsche, T. Moser oder H. Schnädelbach. Die Erbsündenlehre, die Schnädelbach als Geburtsfehler des Christentums ansieht (Herbert Schnädelbach „Der Fluch des Christentums. Die sieben Geburtsfehler einer alt gewordenen Weltreligion. Eine kulturelle Bilanz nach zweitausend Jahren“ in Die Zeit, Nr. 20, 11. Mai 2000), wird bei Schopenhauer hingegen positiv als „Mittelpunkt und Herz des Christentums“ hervorgehoben, als „die große Wahrheit, welche den Kern des Christenthums ausmacht“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 70, 501). Ihr Wahrheitsgehalt stand für Schopenhauer außer Frage. Vgl. auch Friedhelm Decher „Schopenhauers Auseinandersetzung mit Augustinus“ in SchopenhauerJahrbuch 78, 1997, S. 87 – 114. 62 NB 30:12 (SKS 25, 389; zit. nach Garff Sçren Kierkegaard, S. 809).

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ausschließlich vom Willen und seiner Dynamik her verstanden werden. Der Glaube antizipiert nicht die Aufhebung unseres Wollens, sondern seine Vollendung in der Harmonie mit sich und Gott. Im Blick auf Art und Ort des wesentlichen Leidens besteht zwischen beiden (Schopenhauer – SK) eine fundamentale Differenz: Für SK stehen seelisch-geistige Qualen (Angst, Verzweiflung) im Vordergrund; rein physische treten demgegenüber zurück. Auch das kollektive Todesschicksal gewinnt seinen Schrecken nicht durch das unabwendbare Leiden des Sterbens, den Jammer des Daseins, sondern die Endgültigkeit („Es ist vorüber“) und die Totalenteignung, die im Tod stattfindet.63 Die Pointe des Leidens ist also nicht durch die physischen Schmerzen markiert, sondern durch die seelischen. Und der Ort des Leidens ist für SK nicht die äußere Folterkammer, sondern die innere Entstellung, Entfremdung und Verzweiflung – wobei die Entstellung des Menschen im „Ecce homo“ (Joh 19,5) des dornengekrönten Jesus von Nazareth sein Vorbild, aber auch seinen einzigartigen Kulminationspunkt hat. Diese christologische Zuspitzung der Leidensgeschichte der Menschheit (wie wir sie bei Luther, SK und z. B. auch D. Bonhoeffer finden) ist Schopenhauer von Grund auf fremd. Die Entgrenzung der Leidensperspektive schließt für ihn eine christologische Zuspitzung aus. Zugleich wird der spezifische Charakter des menschlichen Leidenkönnens und -müssens aus der Sicht SKs bei Schopenhauer depraviert. Diese Depravierung und Entgrenzung der Dimension menschlichen Leidens führt aus der Sicht SKs bei Schopenhauer zu einer Entprofilierung der spezifisch humanen Qualität von Leiden in seiner Besonderheit (und auch qualitativen Unterschiedenheit von tierischem Leiden). Freilich sollen die hier spitz markierten Differenzen beider Denker nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen beiden Denkern große Einigkeit darin herrscht, die Leidensthematik im Kern eng mit der Willensproblematik verbunden zu sehen.

63 Vgl. DRG, 173 – 205 / SKS 5, 442 – 469 (An einem Grabe, 1845).

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Anhang: Thesen zur Willens(un)freiheit bei Kierkegaard und Schopenhauer (1) Der Begriff der Willensfreiheit darf nicht vom liberum arbitrium indifferentiae her begriffen werden (der Begriff bezeichne ein Phantom – so SK im Anschluss an Leibniz).64 (2) Für SK ist wesentlich, dass er das dialektische Spiel von Intellekt und Wille65 so versteht, dass nicht der Intellekt hierbei die Oberhand hat bzw. behält. (3) Der Wille ist mächtig und trägt eine Eigendynamik66 in sich, die einer Vorherrschaft des vernünftigen Kalküls zuwiderläuft. (4) Die Macht des Willens zeigt sich in seiner Durchsetzungskraft und seiner Permanenz gegenüber dem Intellekt.67 (5) Der List des Willens ist der Intellekt nicht gewachsen, so dass er mitunter klein beigibt; die Lösung trägt seine Handschrift, die sich der Intellekt hinterher zurechtlegt.68

64 Die Leere und Unbrauchbarkeit dieses Begriffs liegt in der abstrakten Verortung des Subjekts begründet; es wird gleichsam als unbestimmt gedacht, während der wirkliche Wille stets konkret bestimmt ist und niemals unbefangen von sich selbst aus entscheidet. 65 Vgl. dazu KT, 93f. / SKS 11, 206f.; vgl. Dietz „Servum arbitrium“, S. 192f. 66 So dass SK sagen kann, dass der Wille die Erkenntnis soweit verdunkeln kann, bis sie „auf die Seite des Willens übergegangen ist“ (KT, 94 / SKS 11, 207), vgl. Dietz „Servum arbitrium“, S. 192. 67 Im Blick auf Schopenhauer spricht R. Malter hier von einer „Knechtschaft“ des Intellekts durch den Willen, die er als „essentielle“ Knechtschaft versteht; vgl. Malter Arthur Schopenhauer, S. 272. Das Erkennen ist „faktisch an das Wollen gebunden“ (vgl. Malter „,Eine wahrhaft ruchlose Denkungsart‘“, S. 175). – Grundsätzlich gilt der Primat des Willens: „Der Wille ist das Primäre, der Intellekt das Sekundäre.“ (Hübscher Schopenhauer. Biographie eines Weltbildes, S. 67; vgl. Hans M. Wolff Arthur Schopenhauer. 100 Jahre spter, Bern / München 1960, S. 69). 68 Nach SK (KT) ist der Wille „dialektischer Art und hat wiederum die gesamte niedere Natur im Menschen unter sich“, wobei er die Erkenntnis dazu bringen kann, auf seine Seite ,überzugehen‘, d. h. Gründe zu (er)finden, die einem bereits sich formierenden – prärationalen – Willensentschluss ex post unterlegt werden (KT, 93 / SKS 11, 206f.); vgl. Dietz „Servum arbitrium“, S. 192. Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 19, 244f.; Schopenhauer stellt hier heraus, dass wir uns über die eigentlichen Motive unseres Verhaltens, d. h. das was uns eigentlich bewegt, oft im Unklaren sind, auch „weil uns der Muth fehlt, es uns zum klaren Bewußtsein zu bringen“ (Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 19, 244).

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(6) Das real wirksame Moment der Reflexion und Deliberation (reflexive Abwägung von Motiven) bedeutet nicht, dass sich der Wille faktisch nicht durchsetzen könnte. (7) Vielmehr setzt sich der Wille so durch, dass er die Reflexion nachträglich „zurechtbiegt“, d. h. die Reflexion nicht ausgesetzt, sondern uminterpretiert wird. (8) SK geht nicht – wie Schopenhauer – von einer durchgängig determinierenden Macht der Motive69 aus; denn im Sich-zu-sichselbst-Verhalten des Menschen liegt auch die Freiheit, sich von den Motiven zu distanzieren. (9) Darin liegt auch das Potential des Willens, von sich selbst Abstand zu nehmen. Diese Form der Selbstdistanzierung soll nach SK jedoch nicht zur Selbstaufhebung und Abtötung des Willens führen. (10) Der Lebenswille des Individuums ist nach SK nicht grund- und ziellos, sondern spiegelt die Entäußerung des Absoluten (d. h. Gottes) zur Freiheit hin. (11) Die menschliche Freiheit realisiert sich selbst in angemessener Weise, indem sie die individuelle Konstellation von Wille, Erkenntnis und Leibhaftigkeit nicht negiert, sondern zur harmonischen Einheit ihrer selbst zusammenführt.70

69 Das Zusammenspiel von Motiv und Charakter lässt keinen Raum für eine Freiheit gegenüber dem Motiv oder gegenüber dem eigenen Charakter. Schopenhauers These einer Unveränderlichkeit des Charakters entspricht SKs Version einer „Verzweiflung der Notwendigkeit“. Auch Schopenhauer bestreitet nicht die Option einer reflexiven Deliberation, aber solange der Wille wirkt (d. h. nicht resignativ aufgehoben ist), ist der Mensch nicht frei gegenüber den Motiven, die zwar nicht unmittelbar, aber doch vermittelt durch die Reflexion ein notwendiges Verhaltensresultat mit sich bringen. SK stellt demgegenüber (ausgehend von Fichte, nicht von Kant) den Möglichkeitshorizont, den die Phantasie ergreift, als das Potential dar, das das Individuum von seiner Fixierung auf einen vermeintlich unveränderlichen Charakter befreit. Die Differenz beider liegt dabei in ihrer unterschiedlichen Sicht des (empirischen) Charakters und einer unterschiedlichen Einschätzung des Zukunfts- und Möglichkeitshorizonts, während im Blick auf die Wirkmächtigkeit der Motive (an sich) keine fundamentale Differenz besteht. 70 Dabei ist festzuhalten, dass nach SK die Individualität des Einzelnen von unaufgebbarem Wert ist, so dass die Überwindung des selbstbezogenen Unbedingtman-selbst-sein-Wollens (Verzweiflung des Trotzes) freilich nicht mit der Aufhebung der Individualität einhergehen darf. Daher könnte man auch im Blick auf SK behaupten, was R. Malter im Blick auf Luther sagt, dass nämlich „Erlösung als Aufhebung der Selbstbezogenheit des Individuums“ (als incurvatus in se

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(12) Diese Harmonie ist möglich, obwohl beide – SK und Schopenhauer – davon ausgehen, dass die natürliche Konstellation von Leib, Wille und Erkenntnis „prekär“ ist, d. h. zur Disharmonie neigt. (13) Dabei geht SK von einer positiven Lösung der existentiellen Antithetik (von Freiheit und Notwendigkeit) aus, einer Lösung, die ihren positiven Grund „extra se“ im Absoluten hat. (14) Das Absolute (und die Option eines durchsichtig, willentlich mit sich konsistenten Gründens in ihm) verbürgt für SK, dass der Wille weder asketisch negiert (Schopenhauer) noch verzweifelt behauptet und überhöht (Nietzsche) werden muss. (15) Die wahre Freiheit in der wirklichen Einheit des Wollens mit sich selbst realisiert sich darin, dass das Selbst des Einzelnen die individuelle Gestalt seines Lebens (als konkrete leib-seelische Einheit) positiv ergreift und nicht an ihr verzweifelt.

ipsum) zu denken ist, „nicht aber als Aufhebung der Individualität“ (Malter „Schopenhauers Verständnis der Theologie Martin Luthers“, S. 39).

Die Herausforderung der Entscheidungsfreiheit. Lebensgeschichte als Leidensweg der Selbstverwirklichung bei Schopenhauer und Kierkegaard Von Eva Birkenstock Abstract Departing from the thesis, central to both Kierkegaard and Schopenhauer’s thought, of the individual „condemned to freedom“, the paper analyzes the similarities and differences between these two post-idealists. In so doing, the emphasis is placed on the contribution both philosophers make towards the emancipation of an irreducible existence, which is characterized by an intense sensitivity towards suffering as a negative phenomenon of existence.

1. Einleitung Kierkegaard wie Schopenhauer sind beide als entschiedene Kritiker klassisch systematischen Denkens hervorgetreten, dessen Erben sie andererseits jedoch auch blieben. Sie setzten als Vordenker der Individualpsychologie und der Existenzphilosophie Meilensteine eines zweiten modernen Individualismus. Im Mittelpunkt stehen bei ihnen konkrete Menschen mit Gefühlen und Impulsen, die sich nicht ohne weiteres der Herrschaft einer universalen Vernunft unterordnen lassen. Damit wird die Emanzipation der Vernunft durch die Aufklärung erweitert durch die Emanzipation einer unreduzierten Existenz. Beide hatten eine hohe Sensibilität gegenüber dem Leiden und versuchten dieses weder zu marginalisieren, noch in einer höheren Dimension aufzuheben, sondern durch ein Eindringen in seine Gründe zu erforschen. Linderung erhoffte der Fürsprecher einer Mitleidsethik, in Anlehnung an den Buddhismus, im Bestreben, den Willen zum Schweigen zu bringen; der Vordenker der Tiefenpsychologie und Erbe hegelscher Dialektik setzte auf die positive

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Dynamik, die ein Durchgang durch die Verzweiflung freisetzen kann.1 Zeitgleich wurden dem Rationalismus antiker und moderner Prägung zwei große Theorien der Gefühle (Angst, Verzweiflung, Melancholie, Langeweile) und des Willens beiseite gestellt, die diese beiden Aspekte des Menschseins nicht von höherer Warte interpretieren, um sie besser beherrschen zu können, sondern die sich der Verstörung stellen, die das Nichtrationale – sowohl im Bereich des Psychischen als auch des Physischen2 – bedeutet. Als Kritiker eines akademischen Betriebs, zu dem sie sich distanziert verhalten konnten – im Falle Kierkegaards fiel dies eher mit einer bewussten Entscheidung zusammen, im Falle Schopenhauers spielten Enttäuschungen und Zerwürfnisse mit hinein –, waren sie weitgehend frei von dessen Denkgewohnheiten. Von heute aus betrachtet, nehmen sie eine Übergangsstellung zur Postmoderne ein, die ohne ihre philosophische Aufwertung der Individuen als denkende, empfindende und wollende Personen kaum denkbar gewesen wäre. Dennoch wäre es falsch, sie trotz ihrer Abkehr von idealistischer Systematik der Gegenaufklärung zuzuschreiben, da sie das Emanzipationsprojekt der Aufklärung auf je unterschiedliche Weise vorangetrieben und geerdet haben.3 In einem ersten Schritt wird Schopenhauers fundamentale Kritik an der Entscheidungsfreiheit und seine Frage untersucht, ob es überhaupt 1 2

3

Zum Gang durch die Verzweiflung bei Kierkegaard vgl. Michael Theunissen Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung.Kierkegaards negativistische Methode, Frankfurt a.M. 1991. Für Kierkegaard war der Tod als Verfall des Körpers ein Grund zur Angst, vgl. Eva Birkenstock Heißt philosophieren sterben lernen? Antworten der Existenzphilosophie: Kierkegaard, Heidegger, Sartre, Rosenzweig (Alber-Reihe Philosophie), Freiburg i.B. / München 1997, S. 61f.; für Schopenhauer war der Körper ein Grund des Leidens, vgl. Harald Schöndorf Der Leib im Denken Schopenhauers und Fichtes (Mnchner Philosophische Studien, Bd. 15), München 1982. Zu den Gemeinsamkeiten bei Schopenhauer und Kierkegaard und zu Kierkegaards Kritik an Schopenhauer vgl. Philipp Schwab „Der Asket im System. Zu Kierkegaards Kritik an der Kontemplation als Fundament der Ethik Schopenhauers“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 321 – 345. Zu der im Unterschied zu Kierkegaard schwerer zu vertretenden These, Schopenhauer sei noch der Aufklärung und nicht der Gegenaufklärung zuzurechnen vgl. Alfred Schmidt „Schopenhauer als Aufklärer“ in Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart, hrsg. v. Dieter Birnbacher, Würzburg 1996, S. 18 – 44 und Dieter Birnbacher „Schopenhauer als Ideologiekritiker“ in Schopenhauer in der Philosophie der Gegenwart, hrsg. v. Dieter Birnbacher, S. 45 – 57.

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möglich sei, das wollen zu kçnnen, was man will. In einem zweiten Schritt wird die Auseinandersetzung über Werte und Motive ihrer Lebensverläufe zwischen dem „Künstler“ und dem „Bürger“ in Kierkegaards Entweder/Oder verfolgt und die Frage nach der Ethik gestellt, die im Hintergrund dieser Konfrontation aufscheint. In einem dritten Schritt werden die Errungenschaften beider Entwürfe zusammengefasst.

2. Staunen über sich selbst und Leiden am Leben bei Schopenhauer „Den Menschen ausgenommen, wundert sich kein Wesen über sein eigenes Daseyn“,4 stellt Schopenhauer fest und knüpft in seinem frühen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung an die Tradition von Thales, Platon und Aristoteles an, die das Staunen als eine der bedeutendsten Eigenschaften des Menschen hervorgehoben hatten. Mit dem Staunen fängt das philosophische Denken an, das Grenzen des Gewöhnlichen, Vertrauten und auch die Dogmen gewohnter Lehrmeinungen in Frage stellt. Die eigene Situation wird aus einer distanzierten, aber nicht zugleich desinteressierten oder desinvolvierten Perspektive wahrgenommen. Durch das Rütteln an der Selbstverständlichkeit eigener Existenz tun sich jedoch nicht nur neue Horizonte auf. Die Schattenseite der intellektuellen Beweglichkeit, die das Staunen möglich macht, ist eine besondere Form existentieller Angst vor den inneren Abgründen, die Heidegger ein Jahrhundert später in Sein und Zeit und Was ist Metaphysik? thematisiert und die laut Schopenhauer zum metaphysischen Bedrfnis des Menschen führt.5 Das Staunen nicht als unmittelbarer Reflex auf ein überraschendes Erlebnis, sondern als komplexe emotionale Reaktion auf eine rationale Erkenntnis zieht sich durch die abendländische Philosophie von der aristotelischen Metaphysik über Descartes’ Les passions de l’ me bis zu Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen und Tugendhats Egozentrizitt und Mystik. Vom naiven Staunen unterscheidet sich das philosophische Staunen dadurch, dass es sich nicht über die Welt, sondern über das eigene Weltverstndnis wundert. Beides, das Staunen über das, was geschieht, und über das, wie ich es verstehe, schlägt Tugendhat vor, durch folgenden Satz zu verbinden: „,wie erstaunlich, dass wir darüber staunen 4 5

W II, 175. Vgl. W II, 175 – 209.

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können, dass es etwas (oder: die Welt) gibt.‘“6 Für Schopenhauer ist das Staunen ein Indiz existentieller Sensibilität und intellektueller Reife einer Person: „Je niedriger ein Mensch in intellektueller Hinsicht steht, desto weniger Räthselhaftes hat für ihn das Daseyn selbst“, heißt es in der Welt als Wille und Vorstellung. 7 Für Kierkegaard ist die reflektierte Angst vor der Freiheit ein Gradmesser für die Fähigkeit, sich vom Gegebenen zu lösen und über die Endlichkeit hinaus denken zu können. Wer bereit ist, in den Schwindel der Angst einzutauchen, in dem Gewissheiten fortgerissen werden und eine verwirrende Vielfalt an Möglichkeiten keinen unmittelbaren Halt mehr bietet,8 dem wird sie schließlich „ein dienender Geist, der wider Willen ihn führt, wohin er, der Geängstigte, will“.9 Hier haben wir es mit einem verwandten Paradox zu tun. Kierkegaard spricht von einer in der Angst verborgenen mephistophelischen Kraft, die dialektisch in den eigentlichen Willen des Subjekts umschlägt, dessen Motivation im Verborgenen bleibt. Schopenhauer wirft in der Preisschrift die beunruhigende Frage nach der Reichweite unmittelbarer Willens- bzw. Entscheidungsfreiheit auf: Dem Empiriker, der sagt, „Frei bin ich, wenn ich thun kann, was ich will“ hält er in erster Potenz entgegen „Kannst du auch wollen, was du willst!“ und in zweiter Potenz „Kannst du auch wollen, was du wollen willst?“10 Beide Nachidealisten richten ihr Interesse mit Nachdruck auf die unergründlichen Seiten der Motivation, auf den Machtverlust eines souveränen Selbstbewusstseins und auf die Grenzen der Selbsterkenntnis. Diese Suche nach den verborgenen Seiten der Existenz bringt Leiden mit sich, aber sie kann auch helfen, Leiden durch besseres Verstehen zu überwinden. Nicht zufälligerweise griff Sigmund Freud beim Versuch, die psychischen Erkrankungen, die er heilen wollte, in ihrer Tiefenstruktur zu analysieren, auf Kierkegaard wie Schopenhauer11 zurück. Wenn nach Schopenhauer die Urkraft eines mit den Möglichkeiten der Vernunft nicht zu durchdringenden Willens am Werk ist, muss das Individuum an dieser ständigen Bedrohung leiden. Das Leiden ist ein Grundprinzip der gesamten lebendigen Natur, die er mit einem gna6 Ernst Tugendhat Egozentrizitt und Mystik. Eine anthropologische Studie, München 2003, S. 162. 7 W II, 176. 8 Vgl. BA, 60f. / SKS 4, 365. 9 BA, 165 / SKS 4, 457. 10 E, 6. 11 Vgl. Bryan Magee The Philosophy of Schopenhauer, Oxford / New York 1983, S. 133.

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denlosen Konkurrenzkampf um Ressourcen identifiziert: Jedes Lebewesen besitzt nur, „was es dem Anderen entrissen hat, wodurch ein steter Kampf um Leben und Tod unterhalten wird“, und alle quälen sich durch ihre Existenz, bis „andere ihren Platz und ihre Materie gierig ergreifen.“12 Der Mensch, den Schopenhauer als ein „vernünftiges Tier mit individuellem Charakter“ definiert, bildet eine Ausnahme, weil er diesen Mechanismus bewusst durchschauen und reflektieren kann. Er erlebt Leiden nicht nur unmittelbar, sondern kognitiv vermittelt „im Medium des Sinns“.13 Aber auch da, wo er nicht nur Natürliches erleidet, sondern scheinbar mitgestaltet und Geschichte hervorbringt, wirkt er lediglich am Bau einer Welt mit, die nicht die beste, sondern die schlechteste aller denkbaren ist – eine diesseitige Hölle, die Dante den Stoff für die erste Hälfte der Gçttlichen Komçdie lieferte.14 In dieser von „Gefängnisse[n], Folterkammern, Sklavenställe[n], Schlachtfelder[n], […] Behausungen des Elends“15 verwüsteten Welt ist der Mensch immer „auf sich selbst zurückgewiesen, wie in jeder, so in der Hauptsache.“16 Allen wesentlichen Lebensentscheidungen ist er einsam ausgeliefert, bei seiner Lebensführung helfen weder verbindliche ethische Normen noch eine natürliche vernünftige Ordnung der Dinge. Worauf kann man sich also noch verlassen? Auf das Cogito nicht, denn es wird vom Willen durchherrscht. Auf den Willen auch nicht, denn er bleibt unverfügbar und unheimlich. Was bleibt, wenn am Anfang Unrecht, Ungerechtigkeit und Verletzung stehen,17 ist die Askese als negative Freiheit, die auf das Schweigen des Willens zielt. Wolfgang Schirmacher betont die revolutionäre Kraft, die in der Aufhebung des Kreislaufs von ewig neuem Leiden liegt und weist auf die implizite Aufwertung individuellen Lebens hin: „,Stirb, damit wir anderen leben können!‘ Schopenhauer wagte es, diesen jahrtausendealten Konsens der

12 W I, 365. 13 Emil Angehrn „Das Leiden und die Philosophie“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 119 – 131, hier S. 123. 14 Zur Auseinandersetzung mit Leibniz’ Theorie von der besten aller möglichen Welten vgl. W I, 381 – 385. 15 W I, 383. 16 W I, 384. 17 Vgl. hierzu Thomas Kesselring „Schopenhauers Aktualität für die Angewandte Ethik der Gegenwart: Die Lehre vom Handeln aus Menschenliebe im Lichte der Debatte über enge und weite Pflichten“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 77 – 99, hier S. 81.

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Ethiker zu durchbrechen“.18 Aber unterhalb dieser höchsten Stufe asketischer Existenz gibt es noch eine andere Stufe, nämlich den selbstbewussten Umgang mit den Kräften des Willens als Akt bewussten Selbstseins, der dem Verfall in fatalistischen Pessimismus abgerungen wird. Die „Selbsterkenntnis des Willens“19 kann den voluntativen Egoismus überwinden und durch das Mitleid ein soziales Bezugssystem schaffen. 2.1. Die Essentialisierung der Freiheit Die viel diskutierte erkenntnistheoretische Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Willensfreiheit überhaupt bzw. nach dem Verhältnis von Freiheit und Determination wird mit Rückgriff auf Kant zurück gestellt. Gegenüber der Determinismusthese lässt sich das Argument der verschiedenen Ebenen geltend machen. Es ist weniger entscheidend, ob die Willensfreiheit positiv zu beweisen ist, als dass sie, um der moralischen Verantwortlichkeit und der Wahrheit willen, zumindest – bis auf Gegenbeweise pathologischer Natur – hypothetisch unterstellt werden muss: Auch der „entschlossenste Fatalist“ müsse nämlich, „so bald es ihm um Weisheit und Pflicht zu thun ist, jederzeit so handeln, als ob er frei wre“. 20 In seiner Dankesrede zur Verleihung des Kyoto-Preises schloss sich Habermas dieser Auffassung vor dem Hintergrund des Streits über die Willensfreiheit zwischen Geistes- und Neurowissenschaftlern an.21 Von Freiheit kann nur auf der Ebene komplexer, moralisch und kontextuell relevanter Überlegungen gesprochen werden, die sich einer rein deskriptiven Sprache entziehen, weil sich transzendentale Argumente nicht

18 Wolfgang Schirmacher „Schopenhauers Ethik im 21. Jahrhundert“ in Schopenhauer im Denken der Gegenwart, hrsg. v. Volker Spierling, München / Zürich 1987, S. 261 – 274, hier S. 265f. 19 Annette Hilt „Erfahrungsdimensionen des Leidens – Zum Grund ethischer Intersubjektivität“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 523 – 546, hier S. 524. 20 Kant AA VIII, 13 („Recension von Schulz’s Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre“). 21 Zu dieser Diskussion vgl. Wolf Singer Ein neues Menschenbild? Gesprche ber Hirnforschung, Frankfurt a.M. 2003 und die Kritik von Michael Pauen Illusion Freiheit? Mçgliche und unmçgliche Konsequenzen der Hirnforschung, Frankfurt a.M. 2004 bzw. Gerhard Roth „Das Problem der Willensfreiheit. Die empirischen Befunde“ in Information Philosophie 5, 2004, S. 14 – 21.

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durch empirische Befunde widerlegen lassen.22 Frei ist daher nicht der unmittelbare, sondern der „überlegte Wille“23 eines selbstbewussten Subjekts. Wenn jeder Denkende, wie selbst der philosophische Detektiv analytischer Fehlschlüsse Gottlob Frege sagte, „sich selbst in einer besonderen und ursprünglichen Weise gegeben“24 ist, dann ist von großem Interesse, wie diese Gegebenheit individuell ausgestaltet wird. Nachdem Schopenhauer im ersten Teil seines frühen Werks sich zunächst kritisch mit dem Satz vom Grunde als einem Hauptprinzip der Rationalität auseinandergesetzt und den Primat der Vorstellung – ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor George Berkeley den der Wahrnehmung – betont hatte, ersetzte er im zweiten Teil das transzendente „Ding an sich“ Kants durch den Willen: „Was nun also Kant von der Erscheinung des Menschen und seines Thuns lehrt, das dehnt meine Lehre auf alle Erscheinungen der Natur aus, indem sie ihnen den Willen als Ding an sich zu Grunde legt.“25 Dieser nicht zu vergegenständlichende Wille ist die Instanz, mit der sich die metaphysisch bedürftigen Menschen legitimer Weise befassen sollten, statt sich von den unmittelbar zuvor hart angefochtenen religiösen Angeboten beruhigen zu lassen. Im 22. Kapitel des 2. Bandes über die „objektive Ansicht des Intellekts“ führt er Willen, Affekte und Selbstbewusstsein zusammen.26 Während das Selbstbewusstsein das Paradigma der Aufklärung war und die Vernunft eine zivilisierende, erhellende Bastion gegenüber dunklen Trieben und Leidenschaften bildete,27 kehrt Schopenhauer die Hierarchie zwischen 22 Vgl. Jürgen Habermas „Dankesrede zur Verleihung des Kyoto-Preises“ in FAZ, Nr. 267, 15. November 2004. 23 Jürgen Habermas „Freiheit und Determinismus“ in ders. Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt a.M. 2005, S. 160. 24 Gottlob Frege „Der Gedanke“ in ders. Logische Untersuchungen, hrsg. v. Günther Patzig, Göttingen 21976 [1966], S. 30 – 54, hier S. 39. 25 W II, 192. In Bezug auf Schopenhauers strategische Missverständnisse und Fehlinterpretationen der kantischen Ethik, die hier nicht Gegenstand sind, vgl. Birgit Recki „Mitleid ohne Freiheit? Überlegungen zu Schopenhauer und Kant“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 23 – 39 und Oliver Hallich „Mitleidsethik oder praktische Vernunft? Schopenhauers Kritik der normativen Ethik“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 59 – 76. 26 W II, 307 – 331. 27 Z.B. Baruch de Spinoza „Ethica Ordine Geometrico Demonstrata / Die Ethik mit geometrischer Methode begründet“ in Opera. Werke. Lateinisch und deutsch, 2 Bde., hrsg. v. Konrad Blumenstock, Darmstadt 41989, Bd. 2, S. 84 – 557, hier S. 512f. (Pars Quinta, Propositio III): „Affectus, qui passio est, desinit esse passio, simulatque ejus claram, et distinctam formamus ideam. / Ein Affect, der eine

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Wille, Affekten und Intellekt zugunsten des ersten um. „Intellekt ist […] die Deutlichkeit, mit welcher der Wille sich seiner selbst bewußt wird […]. Dadurch aber, wie auch durch die als Träger eines so erhöhten Intellekts notwendig vorausgesetzte Vehemenz des Willens, ist eine Erhöhung aller Affekte eingetreten“.28 Gegenstand der Selbsterkenntnis ist nicht ein substantielles Ich, sondern der das Subjekt durchherrschende Wille. Es kann sich, wie Schopenhauer bereits in seiner Dissertation festgestellt hatte, „nur als ein Wollendes“ erkennen, „nicht aber als ein Erkennendes. Denn das vorstellende Ich, das Subjekt des Erkennens, kann, da es, als nothwendiges Korrelat aller Vorstellungen, Bedingung derselben ist, nie selbst Vorstellung oder Objekt werden“.29 Das Ich ist nichts Vorhandenes, sondern es bildet sich – um den Bogen zu den späten Aphorismen zur Lebensweisheit zu schlagen – „erst durch den Verein von Wille und Erkenntniß“, den Schopenhauer als das „Centrum“ des Egoismus ausmacht.30 Dabei kürzt er die Komponente des den Egoismus überschreitenden Bandes einer universalen Liebe aus der Willenstheorie heraus, die bei seinem Vorgänger Schelling eine Gegenbalance zum chaotischen voluntativen Grund bildete.31 Auch in der Preisschrift ber die Freiheit des Willens bleibt der Wille zwar dem Bewusstsein zugänglich, dem freien Handeln jedoch entzogen. Es existiert keine positive Willensfreiheit denkender und handelnder Subjekte, sondern die negative Freiheit eines sich unmittelbarem Zugang verweigernden Willens von der Vorherrschaft der Vernunft. Den Grundstein hierzu legt Schopenhauer mit der Bemerkung, der Satz vom Grunde solle in allen seinen Bedeutungen als die wesentlichste Form des gesamten Erkenntnisvermögens aufgegeben werden, um erkenntnismäßig zu einem tatsächlichen liberum arbitrium indifferentiae vordringen zu können.32 Wir müssen ihm zufolge hinnehmen, dass wir über die eigentlichen Motive unserer Wünsche und unseres Handelns nicht zuverlässig Bescheid wissen können. Angesichts der Frage, ob wir unter denselben Bedingungen auch hätten anders entscheiden können – was im

28 29 30 31 32

Leidenschaft ist, hört auf, Leidenschaft zu seyn, sobald wir uns eine klare und bestimmte Vorstellung desselben bilden.“ W II, 317. G, 141. HN III, 167. Vgl. Annemarie Pieper „Selbst-bestimmung? Zur Frage der Autonomie des Willens in Schellings Freiheitsschrift“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 427 – 439, hier S. 438f. Vgl. E, 9.

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Falle der Willensfreiheit der Fall sein müsste – bleibt „das Selbstbewußtseyn völlig stumm“,33 weil es nicht Herr aller Kausalverhältnisse zwischen sich selbst und seiner Umwelt ist. Der logische Beweis der Entscheidungsfreiheit muss ausbleiben, weil sich dieselbe Situation aufgrund der räumlich-zeitlichen Verfasstheit von Welt und menschlichem Dasein nicht reproduzieren lässt. Jede Entscheidung ist charakterisiert durch einen Konflikt an Motiven und durch die „geheime Springfeder“34 unbewusster Motive. Diese lassen den eigenen Willen „wie eine Wetterfahne“ flattern, d. h. Naturgesetzen und nicht souveräner Entscheidung folgen. Die Aufgabe des Selbstbewusstseins kann daher nicht darin bestehen, Handlungen zu steuern, sondern nur darin, sich von diesem Kontrollanspruch zu befreien. Freiheit zeigt sich nicht durch spezifisches Handeln, sondern „im ganzen Seyn und Wesen (existentia et essentia) des Menschen selbst“.35 Vor dem Hintergrund einer solchen Essentialisierung und Transzendentalisierung der Freiheit ist verständlich, dass Schopenhauer trotz seiner Sensibilität gegenüber existentiellen Themen keine Entwicklungstheorie hervorgebracht hat. Die Essentialisierung führt nämlich in letzter Konsequenz zu einer Aufgabe des Freiheitsbegriffs, denn die Prinzipien der Mitleidsethik sind nicht freiwillige Einsicht, Verstehen und Argumentieren, sondern ein gefühlsbegleiteter Willensimpuls, der nicht gewählt werden muss oder kann.36 Wille und Freiheit sind Antonyme. Es gibt kein falsches Wollen, keine Fehlentscheidung, sondern „der Wille selbst ist der Fehler“ und „die Behebung dieses Fehlers ist die Selbstpreisgabe als Aufgabe des egoistischen Willenszwangs.“37 Wie Schopenhauer das Problem löst, dass das Selbstbewusstsein an ein konkretes Subjekt mit Selbstverwirklichungsinteressen gebunden ist, wird im nächsten Abschnitt erörtert.

E, 23. E, 33. E, 97. Zur Unfreiheit des Mitleids vgl. Recki „Mitleid ohne Freiheit?“, S. 39. Zur „volitiven Dimension“ des Mitleids vgl. Dieter Birnbacher „Nahmoral und Fernmoral. Ein Dilemma für die Mitleidsethik“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 41 – 58, hier S. 43. 37 Christian Iber „Freiheit und Determination. Überlegungen zum Begriff des Willens bei Kant, Hegel und Schopenhauer“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers, hrsg. v. Lore Hühn, S. 101 – 117, hier S. 113. 33 34 35 36

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2.2. Die Konstanz des Charakters Schopenhauer bleibt, was die Dimension des Transzendentalen betrifft, dem Idealismus verbunden. Er hat jedoch keinen Begriff historischer Entwicklung oder prozessualen Selbstwerdens wie Hegel,38 an dessen Tradition Kierkegaard alias Victor Eremita durchaus wieder anknüpft. Der Reflexion über die individualisierenden Prinzipien von Endlichkeit und Tod räumt er erkenntnistheoretisch und taxonomisch einen herausragenden Platz ein: Mit dem in Platons Phaidon beschriebenen Tod des Sokrates beginnt die abendländische Philosophie,39 und das Wissen um die eigene Sterblichkeit ist ein Spezifikum der Menschen.40 Die existentielle Bedeutung von Endlichkeit und Sterblichkeit hingegen interessiert ihn nicht. Die Idee, nach dem Tod nicht mehr zu sein, meint er, dürfe ebenso wenig erschrecken wie die, vor der Geburt noch nicht da gewesen zu sein.41 Der physische Tod als Verfall des Organismus stellt kein Problem dar, weil dieser nicht mehr wahrgenommen wird, so dass nur das Erlöschen des Selbstbewusstseins bleibt, das jedoch nicht mehr erschrecken dürfe als das Einschlafen oder eine Ohnmacht.42 Der Wille, der alle durchherrscht, verliert seine Lebenskraft genauso wenig durch den Tod eines Individuums, wie er seine Macht durch dessen Entscheidungen einbüßt. Beeindruckt von der indischen Philosophie, sieht Schopenhauer in Geburt und Tod wechselnde Zustände der „bleibenden Ideen der Wesen“, die sich im oder über dem Strom von Vergehen und Entstehen erhalten „wie der Regenbogen auf dem Wasserfall“.43 Folgt man zum einen der Idee, dass das Selbstbewusstsein identisch damit ist, einen Willen zu erkennen, der sich der Herrschaft des Individuums entzieht, und zum andern der Überzeugung von der Unendlichkeit dieses Willens, drängt sich die Frage auf, ob überhaupt noch in einem engeren Sinne von Individualität und Subjektivität bzw. vom Selbstsein gesprochen werden kann. Schopenhauer hat für diese Frage 38 Vgl. Eva Birkenstock Angst vor dem Altern? Zwischen Schicksal und Verantwortung, Freiburg i.B. / München 2008, S. 56ff. 39 Vgl. W II, 528 – 583. 40 Schopenhauer war wie Bentham seiner Zeit voraus im Abbau metaphysisch orthodoxer Schranken zwischen Menschen und Tieren, weshalb das reflexive Todesbewusstsein zu einem der wenigen wesentlichen Unterscheidungskriterien wird. 41 Vgl. W II, 528 – 583. 42 Vgl. W II, 528 – 583. 43 W II, 548.

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eine naturalistische Antwort bereit: Individualität zeigt sich im Charakter, dem Vorläuferbegriff für Persönlichkeit, und dieser bleibt durch alle Lebensalter hindurch unverändert „wie ein Krebs in seiner Schaale“.44 In der kategorischen Aussage „der Mensch ndert sich nie“45 enthüllt sich die eigentliche deterministische Dimension seines Denkens.46 In diesem angeborenen und unveränderlichen Charakter schmelzen alle ethischrechtlichen Begriffe von Handlungsfreiheit, Verantwortung, Zurechnungsfähigkeit und Schuld zusammen – so gewaltig, dass in einer Art Kernschmelze das ganze Gebäude der Moralphilosophie einstürzt, auf dessen Trümmern Schopenhauer dann seine Mitleidsethik errichten kann. Dies bedeutet nicht, dass eine Unterscheidung von Gut und Böse hinfällig würde, denn Schopenhauer spricht in seiner Grundlage der Moral durchaus von gütigen, mitleidigen Menschen,47 aber man kann gut oder schlecht nur sein, nicht werden. Der aus der Schule C. G. Jungs kommende Psychoanalytiker James Hillman, der sich der Persönlichkeitsforschung gewidmet hat, hat hierzu heute eine wesentlich differenziertere Meinung entwickelt, weil er von einer zwar nicht absolut freien, aber formbaren, plastischen Persönlichkeit ausgeht, an die durchaus moralische Ansprüche im Sinne einer konstanten Auseinandersetzung über Werte gestellt werden können: „Ethics emerges from character not as a virtue or vice, but as each character’s particularity, and peculiarity. Each character brings along its bundle of values and traits“.48 Selbstsein wird prozedural verstanden, insofern es sich im Laufe des Lebens auf eine einmalige Weise im Kontext mit der natürlichen und sozialen Umwelt realisiert.

44 E, 50. 45 E, 50. 46 Zur These vom unveränderlichen Charakter und ihren ethischen Implikationen vgl. David Cartwright „Seeing Through the principium individuationis. Metaphysics and Morality“ in Schopenhauer-Studien 1/2, 1988, S. 41 – 48, hier S. 44 – 48. 47 Vgl. E, 231 – 249. 48 James Hillman The Force of Character and the Lasting Life, New York 2000, S. 180f.

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3. Selbstwerdung im Spannungsfeld zwischen Aktivität und Passivität bei Kierkegaard Im Unterschied zu Schopenhauer teilt Kierkegaard die Auffassung vom unveränderlichen Charakter nicht, worauf schon seine Praxis der Pseudonyme hindeutet, die bei keinem Philosophen vor oder nach ihm so systematisch ausgeprägt ist. Selbstsein ist nichts Vorgegebenes, sondern eine anstrengende, ängstigende und gefährdete Entwicklung, eine Synthese aus Möglichkeit und Wirklichkeit, ein komplexes Zusammenspiel von Voraussetzungen und Kontexten, in dem sich der Prozess des Selbstwerdens zwischen aktiver Gestaltung, passiver Hinnahme und der Suche nach einer Vermittlung von beidem abspielt. Dabei entsteht eine „unverwechselbare Authentizität des individuell Einzelnen“.49 Kierkegaard thematisiert die existentielle Einsamkeit sowie die Gefühle von Angst, Verzweiflung, aber auch melancholischer Apathie (tiefe Langweile) wie noch niemand zuvor. „Mir ist zumute“, schreibt er in den aphoristisch-poetischen „Diapsalmata“ am Anfang von Entweder/Oder, „wie es einer Figur im Schachspiel sein muß, wenn der Gegenspieler von ihr sagt: diese Figur darf nicht bewegt werden.“50 Wird der Gegenspieler, wie in dem stark von Kierkegaard inspirierten Film Das siebte Siegel von Ingmar Bergman, mit dem Tod identifiziert, fühlt sich der Protagonist in einer Zwangslage: Das Spiel ist aus, schachmatt, egal welche Bewegung er macht, welche Entscheidung er trifft, denn er ist letztlich zum Verlieren verurteilt. Angst, Schwermut, Langeweile sind die dunklen Gefühle, die diese Erkenntnis begleiten. Aber gerade weil der Ausgang klar ist, kommt es auf den Versuch an, dem Spiel einen Sinn abzugewinnen. Konsequenter Weise finden sich in den lakonischen Zitaten, in denen die Essenz der ästhetischen Lebensauffassung geronnen ist, Überlegungen zu einer Antizipation des Lebensendes. Die Ohnmachtserfahrung, nicht Herr des eigenen Schicksals zu sein, wird zur größten Herausforderung an die Frage nach dem Sinn des Lebens und dem Wert von Entscheidungen und führt zu der Überlegung, ob nicht der Suizid als einzig verbleibende freie Willensentscheidung ein Akt der Konversion dieser Ohnmacht in Macht sein könnte: Ich bin es […] nicht, der da Herr meines Lebens ist, ich bin nur ein Faden mehr, der in des Lebens Kattun hineingesponnen werden soll! Nun wohl, 49 Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs (Philosophische Untersuchungen, Bd. 22), Tübingen 2009, S. 231f. 50 EO1, 22 / SKS 2, 30.

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vermag ich gleich nicht zu spinnen, so vermag ich doch den Faden abzuschneiden.51

Aktives Handeln soll der Verurteilung zur Passivität und zur Marginalität entgegenwirken: Die Schachfigur bewegt sich und provoziert das Ende des Spiels. Der Faden leistet Widerstand dagegen, als austauschbares Element einer Struktur verfügbar zu sein. Ein Leben, das nur im engen Rahmen erzwungener Konstellationen möglich ist, verweigert sich. Kierkegaard alias der Ästhetiker „A“ verfolgt die Idee des Suizids als Ausweg am Leiden an der existentiellen Belanglosigkeit nicht ausführlich weiter. Er schrickt vor der darin liegenden Gewalt zurück und projiziert den Wunsch nach dem Ende eines sinnlosen Lebens auf den Zufall eines Unfalls: Wunderlich! mit welch einer zweideutigen Angst vor dem Verlieren und Behalten hängt und haftet doch der Mensch an diesem Leben. Unterweilen habe ich daran gedacht, einen entscheidenden Schritt zu tun, gegen den alle meine früheren nur Kinderstreiche wären – die große Entdeckungsfahrt anzutreten. Gleich wie ein Schiff, das vom Stapel läuft, mit einem Kanonenschusse gegrüßt wird, so wollte ich mich selber grüßen. Dennoch. Fehlt es mir an Mut? Falls ein Stein herabkäme und mich zu Tode schlüge, das wäre doch ein Ausweg.52

Besser noch als ein Unfalltod wäre der frühe Kindstod gewesen,53 doch wenn sich das Leben hartnäckig behauptet hat und auch kein tragisches Ereignis es vorzeitig beendet, nötigt es aufgrund seiner zeitlichen Verfasstheit zu Entscheidungen, zu einem Entweder-Oder. In der Auseinandersetzung der Figuren des Ästheten (A) und des Bürgers (B), seines alter Ego, geht es um die zentrale Frage, ob die Potentialität des jeweiligen Selbst sich besser erhält, wenn es versucht „immerfort auf der Spitze des Augenblicks der Wahl“54 zu balancieren, d. h. Entscheidungen immer offen zu lassen, oder ob es sich nicht gerade durch eine Kette an Entscheidungen individueller Prägung realisiert. Der Ästhet ist dabei von dem Wunsch beseelt, weder sich noch jemand anderem Leid durch die Schattenseite eines konkreten Entschlusses, nämlich die zurückgewiesene Alternative, zuzufügen. Der Bürger setzt dem eine ethische Notwendigkeit entgegen, vor dem Hintergrund eines Wertesystems die jeweils beste Entscheidung treffen und auch verantworten zu müssen. Im ersten 51 52 53 54

EO1, 33 / SKS 2, 40. EO1, 40f. / SKS 2, 46. Vgl. EO1, 43 / SKS 2, 49. EO2, 173 / SKS 3, 160.

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Fall versucht das Individuum sich über die vergehende Zeit zu erheben und sich nicht von ihr zu einer Handlung nötigen zu lassen, die es bereuen könnte. Im zweiten Fall siegt der Realismus der Unterwerfung unter das Gesetz der Zeit, aber auch der Idealismus, die bestmögliche Wahl zu treffen. Aus dem Dialog der beiden Figuren bildet sich schließlich etwas heraus, was man als eine Selbstwerdung in der Retrospektive nennen könnte. In den „Diapsalmata“ heißt es: „Was wird geschehen? Was wird die Zukunft bringen? Ich weiß es nicht, ich ahne nichts.“ Dem „leeren Raum“ der Zukunft steht die determinierende Vergangenheit gegenüber: „was mich vorwärts treibt, ist eine Folgerichtigkeit, die hinter mir liegt. Dies Leben ist nach rückwärts gekehrt und grauenhaft, nicht auszuhalten.“55 Dennoch gibt es eine Alternative zur Fixierung auf die Vergangenheit. Unter dem Pseudonym Constantin Constantius, unter dem Kierkegaard Die Wiederholung verfasste, formulierte er die Methode, mit der der leere Raum der Zukunft erschlossen werden könne, nämlich durch ein „Umschiffen“ des Daseins.56 Darunter versteht er den immer wieder neu zu adaptierenden Versuch, das Ganze des Lebens durch eine gedankliche Antizipierung seines Endes, des Todes, zu entwerfen. Bevor dieses Konzept der Selbstdurchsichtigkeit durch verantwortlich getroffene Entscheidungen wieder aufgegriffen wird, sollen jedoch zunächst die beiden Kontrapositionen aus Entweder/Oder ausführlicher zu Wort kommen.

3.1. Im glsernen Sarg der Einsamkeit – Die Strategie der Leidensvermeidung und Flucht vor Verantwortung Der Ästhet aus Entweder/Oder verachtet alle traditionellen Modelle von Reifung, Lebensstufen und Entwicklung, wie sie z. B. in Hegels Geschichtsphilosophie noch selbstverständlich zugrunde gelegt werden.57 Er ist die Antithese des unabänderlichen Charakters von Schopenhauer,58 und er erfährt die Zeit in keiner Weise als eine Dimension der Bewegung, 55 56 57 58

EO1, 25 / SKS 2, 32f. Vgl. W, 4f. / SKS 4, 10. Vgl. Birkenstock Angst vor dem Altern?, S. 55ff. Zu einer Interpretation der Ästhetik von Entweder/Oder I am Beispiel der Don Giovanni-Interpretation, die den Charakter von A herausarbeitet, vgl. George Pattison „Art in an Age of Reflection“ in The Cambridge Companion to Kierkegaard, hrsg. v. Alastair Hannay / Gordon D. Marino, Cambridge 1998, S. 76 – 100, hier S. 84ff.

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die Entwicklung, Fortschritt und Hoffnung bedeuten kann, sondern als einen Wirbelsturm, in dessen stillem Auge er zum Verharren verurteilt ist: Die Zeit vergeht, das Leben ist ein Strom, sprechen die Menschen usw. Ich kann davon nichts merken, die Zeit steht still, ich mit. Alle Pläne, die ich entwerfe, fliegen geradenwegs zu mir zurück, wenn ich speien will, spei ich mir selbst ins Angesicht.59

Er nimmt die Zeit einerseits als Stillstand war, weil er in seinem Handlungsimpuls gelähmt ist, andererseits aber auch als einen Sturm, gegen den er nicht ankommt. Beides schließt eine reale Gestaltungsmöglichkeit des eigenen Lebens aus. Während die Welt und die Dinge an einem vorbeiziehen, steht man selbst still, unfähig am Fortgang teilzunehmen. Gegen diesen lähmenden Stillstand der Zeit strebt der Dichter von Entweder/Oder I nach Erfüllung im Augenblick. Im erfüllten Augenblick verräumlicht sich die Zeit für einen Moment, und es eröffnet sich eine zwar nicht endgültige, aber im Momentanen uneingeschränkte Möglichkeit authentischen Selbstseins.60 Im gesamten Diskurs von A und B über Liebe und Ehe, über die Sehnsucht nach einem vollkommenen Ineinanderaufgehen und der Angst vor der Banalisierung des Eros durch Gewohnheit und alltägliche Belastungen lässt sich in den Aussagen von A, in seiner Angst vor dem Verlust der Leidenschaft eine Verweigerung der realistischen Bewältigung, des „coping“ erkennen: Er will sich nicht mit einer Situation arrangieren, wie es von ihm erwartet wird. Ein leidenschaftsloser Realismus gilt ihm als die Zeitkrankheit einer alt gewordenen Moderne. Lieber greift er auf das Alte Testament und auf Shakespeares Tragödien zurück, die ihn bewegen, denn: „Da fühlt man doch, daß es Menschen sind, die da sprechen; da haßt man, da liebt man, mordet seinen Feind, verflucht seine Nachkommenschaft durch alle Geschlechter, da sündigt man.“61 Dabei ist das ästhetische Stadium alles andere als eine Antizipation spätmodernen Ästhetizismus’. Eine Diagnose der Stimmungslage von A weist nicht auf exaltierte Verspanntheit hin, sondern auf verzweifelte Depression und Schwermut: „Meine Seele ist so schwer, daß kein Gedanke mehr sie zu tragen vermag, […]. Über meinem inneren Wesen 59 EO1, 27 / SKS 2, 34. 60 Zum Thema der Befreiung von der Zeit in der ästhetischen Anschauung vgl. Michael Theunissen „Freiheit von der Zeit“ in ders. Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a.M. 1991, S. 285 – 298. 61 EO1, 29 / SKS 2, 36.

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brütet eine Beklommenheit, eine Angst, welche ein Erdbeben ahnt.“62 Eine solche Ahnung drohenden Unheils, wie sie für depressive Verstimmungen in Verbindung mit einer Angststörung typisch ist, geht einher mit der Erfahrung von Sinnlosigkeit und der Negation des Lebenswillens: Wie ist das Leben so bedeutungslos und leer. – Man begräbt einen Menschen; man gibt ihm das Grabgeleite; man wirft drei Spaten Erde auf ihn; man fährt hinaus im Wagen, man fährt heim im Wagen; man tröstet sich damit, daß ein langes Leben vor einem liege. Wie lange währen wohl sieben mal zehn Jahre? Warum macht man es nicht auf einmal ab, warum bleibt man nicht gleich draußen und steigt mit hinab ins Grab und zieht das Los, wen das Unglück treffen solle, der letzte Lebende zu sein, welcher die letzten drei Spaten Erde auf den letzten Toten wirft?63

Diesen psychischen Zustand erleidet A jedoch nicht nur, sondern er analysiert ihn auch als Reaktion auf eine objektive Sinnlosigkeit von Entscheidungen. Weil die Freiheit, eine Wahl zu treffen, endlich ist, weil sich zur gleichen Zeit nicht unendliche Handlungsvarianten realisieren lassen, bedeutet jede Handlung auch einen Verzicht auf andere Möglichkeiten. Das hierdurch entstehende Gefühl ist Reue: „Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es gleichfalls bereuen […]. Lach über die Narrheit der Welt, du wirst es bereuen; wein’ über sie, du wirst es gleichfalls bereuen“.64 Aktives Handeln, Entscheiden, wird so nicht mit der freien Realisierung von Möglichkeiten identifiziert, sondern mit deren Vernichtung. Die eigentliche Freiheit, die – vom Standpunkt A aus gesehen – in der sthetischen Ewigkeit des Verharrens im Augenblick liegt, bedeutet die Verweigerung von Entscheidungen, zu denen die vergehende Zeit einen wider den eignen Willen nötigen möchte. Er teilt nicht die Hoffnung derjenigen, die traditionell und rechtschaffen leben, auf den Eingang in eine ethisch-religiçse Ewigkeit der guten Werke. Während sie nämlich einen „schmerzlichen Ablauf in der Zeit“ in Kauf nehmen, erleiden sie die doppelte Reue über die Schattenseite des Handelns und über das enttäuschte Versprechen, da Erlösung und Ewigkeit nicht Teil eines Geschäfts mit dem Jenseits sein können. Die „wahre Ewigkeit liegt nicht hinter dem Entweder-Oder, sondern vor ihm“65 lautet eine fundamentale Erkenntnis des 1. Teils. Die Freiheit, man selbst sein zu 62 63 64 65

EO1, 31 / SKS 2, 38. EO1, 31 / SKS 2, 38. EO1, 41 / SKS 2, 47. EO1, 42 / SKS 2, 48.

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können, wird durch Entscheidungen nicht realisiert, sondern reduziert. So wird die Vergangenheit nicht beschwert durch den Ballast verworfener Lebensalternativen, und der Zukunftshorizont nicht determiniert durch Implikationen, die aus dem eingeschlagenen Weg folgen. Michael Theunissen, der die Identifizierung von Freiheit und Möglichkeit in der Krankheit zum Tode analysierte, kam zu dem Schluss: „Auf seine Schranke stößt der Mensch insbesondere dadurch, dass sein vorgegebenes Dasein und seine Lebensgeschichte ihn festlegen, und als schrankenlos erlebt er sich vornehmlich vor seiner offenen Zukunft.“66 Indem eine freie Entscheidung aufgrund der determinierenden Vergangenheit und der zeitlichen Verfasstheit der Existenz unmöglich ist, bleibt nur die Befreiung vom Zwang zur Entscheidung, d. h. eine negative Freiheit. Die ästhetische Position stellt dabei eine Art und Weise dar, auf die Endlichkeit zu reagieren, nicht aber sie zu verdrängen. Dass die Anstrengung des Selbstseins nicht mit einem Reifungs- und Entwicklungsprozess, sondern mit Widerstand gegen die Zeit identifiziert wird, bedeutet keineswegs eine Leugnung der konstitutiven Endlichkeit und Sterblichkeit. Auch nachdem die Möglichkeiten des frühen Kindstodes als Lebens- und Leidensvermeidung sowie des Suizids ausgeschieden sind, bleibt der Tod ein Freund des Lebens. Am Ende des ersten Teils von Entweder/Oder I wird die Idee ausgeführt, dass sterben zu müssen und damit auch ein Ende eigener Freiheit und Möglichkeit zu erfahren besser sei als nicht sterben zu können. Die Sterblichkeit ist die bessere Alternative gegenüber einem schlechten unendlichen Leben, das schlimmer wäre als der Tod, weil die Zeit nicht nur Endlichkeit, sondern auch die Bedingung für Liebe und Glück, für kognitiv-emotionale Fülle und die von A geschätzten Leidenschaften bedeutet. Dieses Argument klingt in einer Zeit, in der das Nicht-sterben-Müssen von Vertretern futuristischer Biotechnologie für wünschenswert gehalten wird,67 besonders relevant. Auch wenn in Zukunft eine genetische Manipulation gelänge, die eine Stagnation oder gar Revision des Alterungsprozesses möglich machte, wäre damit nicht gleichzeitig die Zeit überwunden, und Kierkegaards Beschreibung des Unglcklichsten würde universal: Er kann nicht alt werden, denn er ist nie jung gewesen; er kann nicht jung bleiben, denn er ist schon alt geworden; er kann gewissermaßen nicht sterben, denn er hat ja nicht gelebt; er kann gewissermaßen nicht leben, denn 66 Vgl. Theunissen Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung, S. 45. 67 Vgl. z. B. Projekte zu genetic engineering, bio engineering, regenerative medicine, life extension research, neuro-enhancement.

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er ist schon gestorben; er kann nicht lieben, denn die Liebe ist allezeit gegenwartsbestimmt, und er hat keine Gegenwart, keine Zukunft, keine Vergangenheit.68

Der Unglücklichste ist ruhelos, doch in seiner Unruhe zugleich gelähmt, er lebt nicht wirklich, ist abwesend und hat keine Gegenwart.

3.2. Selbstwerdung zwischen Akzeptanz von Verlust und verantwortlicher Gestaltung Die Position von A macht vor allem negativistisch und ironisch deutlich, dass es zur Endlichkeit keine wünschenswerte Alternative gibt. Mit der ethischen Perspektive von B aus Entweder/Oder II unternimmt Kierkegaard den Versuch, das endliche Leben aus einer anderen Perspektive positiv als einen Selbstwerdungsprozess darzustellen. Während die Position von A, kohärent zu den Thesen, stilistisch fragmentarisch bleibt, wird die ethische Position explizit ausgearbeitet, womit allerdings keine Aussage über eine eventuelle Hierarchie getroffen wird. Im Konkreten klaffen beide Standpunkte weit auseinander, existenzphilosophisch stellen sie jedoch zwei Varianten derselben Erkenntnis dar, dass die Endlichkeit für das individuelle Leben konstitutiv ist. Der Dichter antwortet auf sie introspektiv und melancholisch, solipsistisch, ironisch, mitunter auch sarkastisch, der Bürger verantwortungsethisch. Kierkegaard baut die ethische Position als Antwort auf die ästhetische auf, indem Victor Eremita den Dialog zwischen A und B dokumentiert. Der Schlüsselbergriff, mit dem der Bürger auf des Dichters Heiratsdialektik antwortet, ist die verantwortliche, ethisch zu rechtfertigende, nicht die absolut richtige Entscheidung. Der Entscheidungsfrage des EntwederOder, die sich aufgrund der zeitlichen Unwiederholbarkeit und der individuellen Unvertretbarkeit in allen existentiell relevanten Situationen stellt, darf eine verantwortlich handelnde Person sich nicht entziehen. Vielmehr muss sie aufgrund vernünftiger, begründeter Überlegungen eine Entscheidung, eine Wahl treffen. Dies bedeutet nicht nur, dass etwas gewählt wird, ein Beruf, ein Partner, sondern dass sich das Individuum dadurch auch immer selbst in seinem konkreten Sein in der Welt und mit anderen wählt. Indem Entscheidungen getroffen werden, wird ein unverwechselbarer Weg eingeschlagen, auf dem man sich nicht selbst 68 EO1, 241 / SKS 2, 219f.

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verliert, sondern gewinnt. Während der Dichter dazu neigt, ein möglichst weites Tableau von Möglichkeiten immer vor sich offen halten zu wollen, und konkreten Entscheidungen daher um jeden Preis aus dem Weg zu gehen versucht, orientiert sich der Bürger am Spruch Salomons „für den Unentschiedenen ist jeder Weg mit Dornen versperrt“,69 manövriert zwischen den verschiedenen Entscheidungsklippen und geht verbindliche Beziehungen ein. Dabei muss er einige Optionen hinter sich lassen und sich an diesen nicht gewählten Möglichkeiten, wie Heidegger von Sein und Zeit sagen würde, schuldig machen.70 Er verliert dadurch gegenüber dem Dichter an Potentialitäten, doch er eignet sich Realität an. Bei näherer Betrachtung dessen, was Selbstwahl bedeutet, fällt auf, dass ihr von Anfang an ein Wahrheitsanspruch zukommt, der bei Kierkegaard kein anderer als ein dialektischer sein kann. B schreibt in seinem ersten Brief an A: [Es] gibt […] nur ein einziges Verhältnis, in welchem dies Wort [die Wahl] seine absolute Bedeutung hat, jedes Mal nämlich, wenn auf der einen Seite Wahrheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit sich zeigen, auf der andern Seite Lust und Neigungen, und dunkle Leidenschaften und Verderben.71

Was sich liest wie eine Predigt gegen ungläubige Libertinage, enthält einen Hinweis auf den Maßstab der Wahrheit auch in Bezug zur Selbsterkenntnis. Nachdem B seinen Dialogpartner darauf hingewiesen hat, wie sehr meist der Blick auf das eigene Selbst verstellt ist, entwirft er seine eigene Theorie des „Unglücklichsten“, die sich in der Aussage, er könne nicht lieben, sogar mit der von A trifft. Hatte A betont, die Endlichkeit sei eine konstitutive Bedingung der Liebe, die deren Dauer unmöglich mache, betont B jedoch die Notwendigkeit, Liebe als Form der Selbstoffenbarung zu verstehen. Die Selbstoffenbarung, die zu einem ethischen Schlüsselbegriff wird, heißt, sich nicht nur spielerisch im Meer potentieller Möglichkeiten zu verlieren und zu verbergen, sondern vor dem Hintergrund der eigenen Idee des Guten eine Wahl zu treffen und sich durch diese zu entäußern. Er wirft A vor, er habe nicht die richtige Konsequenz aus seiner Einsicht in die Endlichkeit gezogen. Hinter der Weigerung, Freiheit durch Entscheidungen zu realisieren, vermutet er 69 Spr 15,19. 70 Martin Heidegger Sein und Zeit, Tübingen 161986 [1927], § 58, S. 285 (Anrufverstehen und Schuld): „Die Freiheit aber ist nur in der Wahl des einen, das heißt im Tragen des Nichtgewählthabens und Nichtauchwählenkönnens des anderen.“ 71 EO2, 167f. / SKS 3, 155.

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eine Unfähigkeit zu wahrhaftiger Selbsterkenntnis. Gegen die These vom Selbsterhalt durch Widerstand gegen das Entweder-Oder führt er an, dass die konkrete Wahl „für den Gehalt der Persönlichkeit“ entscheidend sei, denn: „[M]it der Wahl sinkt sie nieder in das Erwählte, und wenn sie nicht wählt, so welkt sie hin in Auszehrung.“72 Er zieht also eine ethische Konsequenz aus der Erkenntnis der Zeitlichkeit des menschlichen Daseins: Da es nicht möglich ist, anzuhalten und Entscheidungen zu suspendieren, ist es unerlässlich, sie den inneren Überzeugungen folgend zu treffen, wodurch man sich als Persönlichkeit offenbart und gleichzeitig gewinnt. Zur überlegten, bewussten Wahl kann es aufgrund des Fortlaufs der Zeit keine Alternative geben, da sonst „dunkle[n] Gewalten“73 stellvertretend entscheiden und die Persönlichkeit so ihres eigentlichen Potentials berauben. Diese Art der passiven Wahl nennt er die ästhetische oder uneigentliche Wahl im Gegensatz zur bewussten, vermittelten, ethischen Wahl.74 In vielen Entgegnungen von B an A schwingt immer der Vorwurf mit, nicht reifen zu wollen, Verantwortung zu scheuen und damit die eigene Persönlichkeit im unernsten Stadium der Unreife verkümmern zu lassen. Das Gegenteil davon wäre, die Tatsache, „dass kein Mensch sich selbst durchsichtig zu werden vermag“,75 zu überwinden zu versuchen. Während der Ästhet seine Lebenszeit „immer von dem einen Kündigungstermin zu dem anderen“76 berechnet, übernimmt der Ethiker eine bindende Verantwortung für sein eigenes Leben und sein Verhältnis zu den Anderen. Dem Freund A empfiehlt er, sich der Verzweiflung, die seiner ästhetischen Lebenshaltung zugrunde liegt, zu stellen, indem er ihr auf den Grund geht, da nur im Durchgang durch die Verzweiflung die neue Lebensgestalt des Ernstes geboren werden könne.77 Auf dieser Erfahrung ließe sich sodann aufbauen, wobei die Selbstwerdung bei Kierkegaard immer als eine ungesicherte, stets neu zu leistende dialek72 EO2, 173f. / SKS 3, 160. 73 EO2, 175 / SKS 3, 161. 74 Vgl. EO2, 177 / SKS 3, 163. Zur ethischen Wahl sowie zu Kierkegaards Unterscheidung der ersten von der zweiten Ethik vgl. Arne Grøn Angst bei Søren Kierkegaard. Eine Einfhrung in sein Denken, aus d. Dän. v. Ulrich Lincoln, Stuttgart 1999, S. 155ff. 75 EO2, 202 / SKS 3, 184. 76 EO2, 208 / SKS 3, 189. 77 Vgl. EO2, 221ff. / SKS 3, 200ff. Zum Begriff des Ernstes bei Kierkegaard, zu dessen Verständnis immer auch die sokratische Ironie gehört, vgl. Michael Theunissen Der Begriff Ernst bei Søren Kierkegaard, Freiburg 31982 [1955].

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tische Anstrengung gedacht werden muss, die Elemente der Notwendigkeit und der Möglichkeit zu synthetisieren versucht. Da der Mensch eine Synthesis aus Freiheit und Notwendigkeit, Unendlichkeit und Endlichkeit ist,78 ist er gezwungen, immer zwischen diesen beiden Polen zu manövrieren, sich immer neu zu wählen, und kann sich nicht darauf verlassen, einen jeweils erreichten Status endgültig zu besitzen. Das Selbstsein ist somit das Gegenteil von Gelassenheit, nämlich ein „ruheloser Prozess“,79 der durchaus ängstigt.80 Das Selbst ist so „das Abstrakteste von allem, welches doch in sich zugleich das Konkreteste von allem ist – es ist die Freiheit.“81 In dem Maße, in dem der Kontext sich verändert, in dem entscheidende Schritte zu vollziehen sind, wie Berufs- oder Partnerwahl, bürgerliches Engagement, heute auch Elternschaft, müssen Entscheidungen gefällt, begründet, gerechtfertigt und gegebenenfalls revidiert werden. Sich nicht zu entscheiden stellt demgegenüber – worauf B immer wieder zurückkommt – keine eigentliche, sondern nur eine schlechte Alternative dar. Das unendliche Zögern ist auch eine Wahl, allerdings eine uneigentliche, allein durch den Verlauf der Zeit verfügte bzw. zugefügte. Daher gibt es für B keine Alternative zur Wahl. Auch wenn Entscheidungen Wendepunkte herbeiführen, wenn eine Person sich erheblich verändert, wird doch ihre Biographie faktisch durch den Faden der aneinander gereihten Entscheidungen zusammengehalten, selbst wenn diese nicht immer autonom getroffen worden sein sollten. Diese faktische Einheit ist nicht dadurch verbürgt, dass das Selbst als eine menschliche Existenz sich nicht grundsätzlich neu erfinden kann, sondern ein „Geschöpf“, ein Geschaffenes, ein faktisch, körperlich Vorhandenes ist: „ich erschaffe mich nicht, ich wähle mich“82 stellt B hierzu fest. Das bedeutet, dass eine Person die von A tiefer als von B ergründete Faktizität

78 Vgl. KT, 8 / SKS 11, 129. 79 Theunissen Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung, S. 55. 80 Im Begriff Angst wird als Grund für die Angst die Entwurzelung des Selbst genannt, das sich in jedem Augenblick neu konstituieren muss. Der Geist hat Angst vor sich selber, konstatiert Walter Schulz in Johann Gottlieb Fichte: Vernunft und Freiheit. Sçren Kierkegaard: Existenz und System, Pfullingen 21977 [1962/1967], S. 51: „das heißt vor der ihm durch den Sprung [in die Freiheit seiner Selbstwahl] aufklaffenden Wirklichkeit seiner selbst, die darin besteht, sich selbst synthetisieren zu müssen.“ 81 EO2, 227f. / SKS 3, 205. 82 EO2, 229 / SKS 3, 207.

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ihrer konkreten Existenz wählen und in dieser faktischen Existenz dann freie Entscheidungen treffen kann. Der Maßstab für die Verantwortlichkeit der Wahl ist dabei jedoch kein normativer. Kein kategorischer Imperativ fordert dazu auf, die ethische Qualität der Wahl an einer universalisierbaren Handlungsmaxime zu messen. Das einzelne Selbst ist vielmehr nur vor sich selbst und vor Gott, der es gesetzt hat, verantwortlich.83 Der Bezug auf ein Anderes als sich selbst, der den ethischen Universalismus Kants auf einen Dialog des Individuums mit Gott zurückführt, macht den entscheidenden Unterschied sowohl zur idealistischen Philosophie als auch zur modernen Existenzphilosophie aus.

3.3. Das Selbst als Redakteur seiner Lebensgeschichte Kierkegaard ist das Kunststück gelungen, die Vernachlässigung des konkreten Individuums durch die idealistische Moderne zu korrigieren und die Emanzipation des Individuums auf eine zuvor unbekannte Weise weiter voranzubringen, ohne dabei jedoch eine antimoderne Wende zu vollziehen. Das Individuum wird weder zum selbstherrlichen, willkürlichen Autor der eigenen Geschichte erklärt noch in die Fesseln eines unabänderlichen Charakters gelegt. Vielmehr ist es im besten Falle ein „verantwortlicher Redakteur“, der das ihm zur Verfügung stehende Material de lege artis verarbeitet. Die dritte Instanz, gegenüber der es sich verantworten muss, ist die „Ordnung der Dinge“,84 d. h. die gesamte es umgebende Welt. Dabei ist es nicht vorkritisch in eine Sinnganzheit eingebettet, sondern muss die historischen und biographischen Bedingungen der eigenen Existenz in einem mühsamen Prozess mit den jeweiligen Zukunftsentwürfen vermitteln. Die Geschichte, die hinter ihm liegt und es prägt, muss es umwandeln, aus sich selbst heraus neu hervorbringen und sie sich so zugleich aneignen. Dem normativen Begriff der Menschenwürde von Kant wird so ein prozeduraler Begriff von Menschenwürde beiseite gestellt: Darin nämlich liegt eines jeden Menschen ewige Würde, dass er eine Geschichte bekommen kann, darin liegt das Göttliche an ihm, daß er selbst, so er will, dieser Geschichte Zusammenhang verleihen kann; denn diesen gewinnt sie erst, wenn sie nicht bloß der Inbegriff des mir Geschehenen oder Wi83 Vgl. EO2, 230 / SKS 3, 207f. 84 EO2, 270 / SKS 3, 242.

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derfahrenen ist, sondern meine eigene Tat, dergestalt, daß sogar das mir Widerfahrene durch mich von Notwendigkeit in Freiheit gewandelt und überführt worden ist. Das ist das Beneidenswerte an einem Menschenleben, daß man der Gottheit zu Hilfe kommen kann, Gott verstehen kann; und das wiederum ist die einzige eines Menschen würdige Weise, Gott zu verstehen, daß man sich in Freiheit alles aneignet, was einem begegnet, sowohl das Frohe wie das Traurige.85

Untergliedert man diese zentrale Aussage von B in drei Hauptthesen, so lassen sich folgende unterteilen: 1. Die menschliche Würde liegt in der Besonderheit der bewusst gestalteten Geschichte des einzelnen Individuums. 2. Es liegt in eigener Verantwortung, der jeweiligen Biographie eine Gestalt zu geben. Wird diese nicht übernommen, verläuft die Lebensgeschichte nach fremdbestimmten statt nach eigenen, autonomen Gesetzen. Eine Flucht vor Entscheidungen ist ohne Aufgabe der Selbstbestimmung unmöglich, da das Vergehen der Zeit immanente Entscheidungen mit sich bringt, die wirksam werden, wenn der Wille zur Wahl nicht aufgebracht wird. 3. Zeitlichkeit und Sterblichkeit sind nicht nur Grund für Verlustängste und Melancholie, sondern auch ein menschliches Privileg. Der Mensch kann und soll – hier bleibt Kierkegaard aus der hypothetischen Perspektive des Bürgers ein Erbe Hegels86 – in Freiheit das Notwendige akzeptieren, allerdings nicht weil ein Gott der Vernunft alles nach den objektiv besten Kriterien geordnet hat, sondern weil ein Deus absconditus, der sich in die Welt entäußert hat, auf die Hilfe des Menschen in Form einer Annahme seiner Gesetze angewiesen ist. Der Gedanke der Autonomie, der dahinter steht, ist ein folgendermaßen differenzierter: Das Individuum vermag den eigenen Lebenslauf nicht objektivierend zu planen, weil es zu stark involviert ist, um den ausreichenden Abstand zu nehmen, und weil es zu tief in die Geschichte der Welt und die des eigenen Lebens verstrickt ist, über die es ohnehin nur begrenzt Herr werden kann. B setzt das „Wollenkönnen“, das Schopenhauer in Frage stellt und das von A als unattraktiv empfunden wird, hypothetisch voraus. Dadurch, dass er die Bedingungen der Entscheidungsfreiheit nicht weiter problematisiert, gilt sie ihm als das Signum 85 EO2, 267 / SKS 3, 239 [Herv. v. Verf.]. 86 Vgl. Adornos These, Hegel sei bei Kierkegaard „nach innen geschlagen“ (Theodor W. Adorno Kierkegaard. Konstruktion des sthetischen in Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann, 20 Bde., Frankfurt a.M. 2003, hier Bd. 2, S. 49).

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der Autonomie. Dabei kann er sich auf die empirische Tatsache berufen, dass sich das Material der jeweiligen Lebensbedingungen auf unverwechselbare Weise gestalten lässt. Indem ein Individuum dem, was ihm begegnet, eine Struktur gibt und einen Zusammenhang verleiht, gestaltet es seine Welt mit und vermag sie sich anzueignen. Es lebt mit einer determinierenden Vergangenheit im Hintergrund, aber diese verschließt den Raum der Zukunft nicht gänzlich, und in diesem kleinen Spielraum des „nicht gänzlich“ eröffnet sich das Ganze der Freiheit – nicht als ein beliebiges „Entweder-oder“, sondern als zentraler und unverzichtbarer Moment der Autonomie. Alle Menschen leben, wie Dworkin feststellt, nicht nur im Schatten des Todes als eines verschlossenen Zukunftshorizonts, sondern vor allem auch im Schatten der Vergangenheit des gelebten Lebens.87 Der nächste Argumentationsschritt des Ethikers in Entweder/Oder II nach der Theorie der Bewährung menschlicher Würde in der Bewältigung und Ausformung individueller Geschichte ist die Konfrontation mit den Schwierigkeiten konkreter Entscheidungen. Wer […] sich ethisch wählt, der wählt sich konkret als dies bestimmte Individuum, und diese Konkretheit erreicht er dadurch, daß diese seine Wahl eines und das Gleiche ist mit jener Reue, welche die Wahl bestätigt.88

Mit dem Begriff der Reue greift B den impliziten Gedanken von A auf, dass jede Entscheidung nicht nur die Wahl einer Möglichkeit bedeutet, sondern gleichzeitig immer auch den Abschied von allen anderen potentiellen Möglichkeiten, die auch hätten realisiert werden können. Jede Biographie wird so unweigerlich von genau dem Schatten unverwirklichter Möglichkeiten begleitet, den die Unentschlossenen um jeden Preis vermeiden wollen. Die Freiheit der Selbstentfaltung bewegt sich daher in einem Spannungsfeld von Verantwortung für die einzelnen Entscheidungen und dem bewussten Verzicht auf die jeweils anderen Optionen. Indem eine Möglichkeit realisiert und somit in Wirklichkeit überführt wird, wird sie in doppelter Hinsicht zur Aufgabe: Das nicht Realisierte wird aufgegeben, das Gewählte als Aufgabe akzeptiert.89 87 Vgl. Ronald Dworkin Life’s Dominion. An Argument about Abortion, Euthanasia, and Individual Freedom, London 1995, S. 199: „It is a platitude that we live our whole lives in the shadow of death; it is also true that we die in the shadow of our whole lives“. 88 EO2, 267 / SKS 3, 239. 89 Zur Kritik des ästhetischen Begriffs der Möglichkeit durch den ethischen Begriff der Aufgabe vgl. EO2, 268f. / SKS 3, 240f.

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Ein Schlüsselbegriff gelingender Selbstverwirklichung ist nach der impliziten Ethik von Entweder/Oder II die Selbsterkenntnis, die Kierkegaard als Fähigkeit beschreibt, sich selbst durchsichtig zu werden. Dabei knüpft er metaphorisch an das Ideal der Aufklärung an. Sich selbst durchsichtig zu werden ist das Gegenteil davon, „dunkle und unklare“ Vorstellungen zu haben. Diese Identifikation des Ethischen mit dem Durchsichtigen findet sich nicht zufälligerweise an der Stelle, an der B auf die Furcht vor dem Tod zu sprechen kommt, die er als Paradebeispiel für Selbstverdunklung anführt. Todesfurcht, die zur Flucht vor der gedanklichen Antizipation des Todes und der Akzeptanz der Endlichkeit wird, erwächst aus einer Abneigung davor, sich selbst durchsichtig zu werden.90 Da Durchsichtigkeit mit dem Ethischen gleichgesetzt wird,91 wird also von einem ethischen Leben erwartet, dass es sich seiner Endlichkeit bewusst ist. Später betont B dies noch einmal, indem er das ethische Individuum dem ästhetischen gegenüberstellt und meint, der Hauptunterschied zwischen beiden sei der, dass „das ethische Individuum sich selbst durchsichtig ist und nicht ,ins Blaue hinein‘ lebt“92 wie das ästhetische. Zum Ernst des Konkreten,93 dem sich das ethische Individuum durch die Selbstwahl stellt, gehört also auch die Realisierung der Wirklichkeit eigenen Alterns und Sterbens. Eine ethisch verantwortliche Redaktion des eigenen Lebens setzt also voraus, dass dieses als eine Ganzheit betrachtet wird, die auch wenn sie nicht von Anfang bis Ende planbar, dennoch zu projektieren und nachträglich zu bewerten ist. Der Ethiker nennt die Fragmentierung einer Biographie in vielfältige, unverbundene Einzelerlebnisse kleinmütig und unethisch, weil nur der Versuch, einzelne Entscheidungen in einem Kontext zu verankern, bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Als für einen solchen ganzheitlichen Lebensentwurf unabdingbare Eigenschaft werden Engagement und Entschlusskraft hervorgehoben, also das Gegenteil der depressiven Unentschlossenheit, die A zum Prinzip erhebt. Hier steht B in der von Luther übernommenen pragmatisch-reformatorischen Tradition der Identifikation von Depression mit moralischer Verfehlung und Gottesferne. Die Hoffnung zu verlieren und dem Leben 90 91 92 93

Vgl. EO2, 270 / SKS 3, 242. Vgl. EO2, 270f. / SKS 3, 242. EO2, 275 / SKS 3, 246. Vgl. Theunissen Der Begriff Ernst bei S. Kierkegaard, S. 95: „Sofern der Ernst sich wesentlich auf Wirklichkeit bezieht, sind die Stadien menschlicher Verwirklichung, Beschränkung und Dialektisierung die Stufen des Ernstseins. Erst im entschiedenen Selbstsein erringt der Mensch seine eigentliche Wirklichkeit.“

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keinen Sinn mehr geben zu wollen oder zu können bedeutet Sünde, weil am Versprechen der Erlösung gezweifelt wird.94 Daher stellt er sich folgende Lebensaufgabe: [I]ch habe kein höheres Verlangen, als daß ich in jedem Lebensalter meine Arbeit mit der gleichen Energie, dem gleichen ethischen Ernst anpacken möge wie damals. […] Gib einem Menschen Energie, Leidenschaft, und er ist alles.95

Eine Zusammenfassung der Idee von der Redaktion der eigenen Biographie muss folgende Elemente festhalten: Das eigene Leben ist endlich und zugleich in einen sozialen Kontext verwoben. Sowohl den getroffenen als auch den verworfenen Entscheidungen gegenüber trägt man Verantwortung, ebenso wie gegenüber sich selbst und den bzw. dem Anderen in Gestalt der Mitmenschen und gegebenenfalls auch gegenüber einer transzendenten Instanz. Individuelles Leben gestaltet sich als eine geformte, nicht beliebige, aber dennoch offene Ganzheit aus, insofern es zwar in ein bestimmtes Koordinatensystem eingebunden, aber nicht gänzlich determiniert ist. Den inneren Zusammenhalt eines Lebensentwurfs, der nicht in steriler, zwanghafter und aufgrund der unverfügbaren Zukunft ohnehin unmöglicher abstrakter Planung bestehen kann und der dennoch nicht kontingent ist, hat Dworkin in Life’s Dominion als „sense of the general style of life“ bezeichnet.96 Auch in scheinbar chaotischen Lebensverläufen bleibt eine Linie zu erkennen, aus deren Existenz er auf den intuitiven Sinn für das Ganze des Lebens schließt. Dieser Gedanke einer immanenten Sinnhaftigkeit der Lebensführung wird durch soziologische Untersuchungen bestätigt, die aus Interviews über Lebensläufe gewonnene Ergebnisse mit mathematischen Modellen aus der Chaosforschung kombinieren. Sie zeigen, dass auch bei notwendigerweise vorhandenen Brüchen und Diskontinuitäten doch immer eine integrierte Struktur vorliegt. Es bilden sich Muster heraus, die nur dadurch zu erklären sind, dass Menschen im Lebensverlauf immer wieder Entscheidungen treffen, die ihrem spezifischen Profil entsprechen und die jedes Individuum auf

94 Vgl. Raymond Klibansky / Erwin Panofsky / Fritz Saxl Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt a.M. 1992, S. 12 u. S. 563. 95 EO2, 285 / SKS 3, 254. 96 Dworkin Life’s Dominion, S. 202.

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eine unverwechselbare Weise „sich selbst ähnlich“ machen.97 Solche Muster lassen sich vor allem in Längsschnittstudien feststellen, also, mit Kierkegaard gesprochen, vom Ende des Lebens her gesehen. Dies bedeutet, auf Entweder/Oder übertragen, dass auch die Weigerung von A, sich zu einer Lebensentscheidung wie der Heirat durchzuringen, zu einem integrierten Persönlichkeitsmuster gehört. B könnte also nach neuesten Erkenntnissen mit seinem Plädoyer für die Ganzheit des Ethischen gegenüber der Gebrochenheit der ästhetischen Lebensführung nicht gänzlich Recht behalten. Beide gehen vielmehr anders mit der Grenzerfahrung des Bewusstseins von der eigenen Endlichkeit um – A, indem er die Fülle vor der Grenze auskosten möchte, B, indem er ihr den Rücken kehrt und eine Wahl trifft, die zugleich einengt und befreit. Für Karl Jaspers, einem geistigen Erben Kierkegaards, führt eine solche Konfrontation mit den eigenen Grenzen ohnehin notwendigerweise zu einem Scheitern, das er jedoch zu den existentiellen Grundgesetzen zählt und das wiederum in den Prozess des Lebens integriert werden muss. Er erkennt in der Grenzsituation, d. h. in einer Situation, über die das Individuum nicht hinauskann, die strukturelle „Grundsituation“ des Menschen schlechthin: „[I]ch muss sterben, ich muss leiden, ich muss kämpfen, ich bin dem Zufall unterworfen, ich verstricke mich unausweichlich in Schuld.“98

4. Schlussbemerkung – Wege zur Erweiterung der Subjektivität Schopenhauer und Kierkegaard haben einen entscheidenden Beitrag zu einer Erweiterung des modernen Begriffs von Subjektivität geleistet. Beide haben die hierarchische Zweiweltenlehre von einer souveränen, desinvolvierten Rationalität einerseits und dunklen Trieben und Affekten andererseits aufgegeben. Damit gelang es ihnen zugleich, den Leib-SeeleDualismus zugunsten eines komplexen Wechselspiels zwischen kontrollierbaren und unverfügbaren Aspekten individuellen Lebens zu überwinden.

97 Vgl. hierzu Johannes J. F. Schroots „Muster, die verbinden – Fraktale Formen von Biographien im Alter“ in Altwerden in einer alternden Gesellschaft. Kontinuitt und Krisen in biographischen Verlufen, hrsg. v. Wilhelm Mader, Opladen 1995, S. 37 – 52. 98 Karl Jaspers Einfhrung in die Philosophie. 12 Radiovortrge, München 2005, S. 18.

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Ihre jeweilige Antwort auf die Frage nach der Freiheit ist dennoch eine andere. Während für Schopenhauer die Entscheidungsfreiheit nur eine Illusion darstellt und die absolute Freiheit mit dem Schweigen des Willens zusammenfällt, bleibt Kierkegaard der Dialektik von Freiheit als einer Fähigkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit miteinander zu versöhnen, treu. Was ihren Beitrag zu einer modernen Theorie des Selbstseins betrifft, haben beide entscheidende Fundamente für einen erweiterten Begriff von Subjektivität gelegt, was sich in der Wirkungsmacht ihrer Gedanken vor allem im Bereich moderner Existenzphilosophie und Tiefenpsychologie zeigt. Eine andere Gemeinsamkeit liegt in ihrer dezidiert anti-normativistischen Haltung. In der Abkehr von einer Ethik des Sollens und der Sanktionen als einem Regelwerk der Vernunft lassen sie nicht los vom Anspruch einer existentiellen Ethik, einer Ethik der Selbsterkenntnis, des sich selbst durchsichtig Werdens (Kierkegaard) bzw. einer Ethik der Empathie (Schopenhauer). Während Schopenhauer als Autor der Preisschrift ber die Willensfreiheit und der Welt als Wille und Vorstellung den systematischen Grundstein für eine nachidealistische Theorie des Umgangs mit irrationalen Impulsen gelegt hat, die nicht mehr auf den absoluten Primat der Vernunft bauen kann, hat der später geborene Kierkegaard im zweiten Band von Entweder/Oder entscheidende Meilensteine für eine Rückübersetzung absoluter Freiheit (liberum arbitrium) in die relative Freiheit der Wahl, der Entscheidung, der Möglichkeit vor dem Hintergrund der konkreten Lebensrealität gesetzt. Die dialogische Struktur von Entweder/ Oder lässt sogar Raum für eine sich dem Lebensentwicklungsmodell entziehende konstruktive Theorie der Selbstverwirklichung, die aber auch der Schattenseite der Entscheidungen gerecht wird. Beide haben das Andere der Vernunft thematisiert und die Selbstaufklärung des modernen Menschen vorangebracht, indem sie ihm zunächst die Illusion einer souveränen Rationalität nahmen. Schopenhauer war der erste abendländische Denker, der die Askese als Freiheit von den destruktiven Kräften egoistischer Triebe aus der fernöstlichen Philosophie übernahm. Kierkegaard ebnete den Weg für ein philosophisches Interesse an den inneren wie äußeren Zweifeln und Konflikten konkreter Personen.

Mensch und Tier – eine ethische Beziehung? Kant, Schopenhauer und Kierkegaard im programmatischen Vergleich Von Joachim Boldt Abstract This paper outlines Kant’s, Schopenhauer’s, and Kierkegaard’s position on animal ethics. Following on from Kant, I argue that Schopenhauer and Kierkegaard take different paths in overcoming the Kantian dichotomy between the ability of human beings to act morally and the law-governed behaviour of animals. While Schopenhauer’s ethics addresses this topic explicitly, Kierkegaard’s writings require a more subtle reading, leading ultimately to a reconstruction of his perspective on the moral status of animals. I focus on the “Edifying Discourses” as a vital source for this interpretation. As a result of these analyses, it transpires that Schopenhauer’s position is to be described as “naturalized ethics”, while Kierkegaard’s point of view amounts to “ethicizing nature”, with both treatises lending weight to the moral status of animals.

Einführende Bemerkungen Die Frage nach dem ethischen Status von Tieren scheint auf den ersten Blick eine etwas abseitige philosophische Sonderfrage zu sein. Viel zu konkret und viel zu emotional aufgeladen scheint dieses Thema zu sein, um Objekt einer an allgemeiner Erkenntnis ausgerichteten philosophisch-abgeklärten Reflexion sein zu können. Nicht nur die neuere Debatte um utilitaristische Begründungsansätze für die ethische Relevanz der Handlungen Tieren gegenüber zeigt jedoch, dass diese erste Einschätzung nicht zutrifft. Man kann vielmehr konstatieren, dass die Frage nach der normativen Struktur der Beziehung von Mensch zu Tier einige der Grundfragen der Philosophie der Neuzeit und Moderne aufwirft. Es geht in der Tierethik letztlich um den normativen Kern menschlicher Identität und darum, wie wir nichtmenschliches Leben verstehen: als einen Bereich der Natur, der wie das Unbelebte ganz den Wert- und Zielsetzungen des Menschen unter-

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worfen ist, oder als einen Bereich, in dem sich Ansätze von eigenständiger Werthaftigkeit formieren können. Damit ist schließlich auch die Frage gestellt, in welcher Form der Mensch mit seiner Fähigkeit zur Normsetzung als Teil der belebten Natur verstanden werden kann. Virulent werden diese Problemstellungen mit dem Aufkommen der naturwissenschaftlichen Deutung der Natur als eines Ganzen, das wirkkausalen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und mit Hilfe solcher Gesetzmäßigkeiten vollständig beschreibbar ist. Mit diesem Anspruch gerät zum einen die Überzeugung unter Rechtfertigungsdruck, dass menschliches Handeln Einsichten in das Gute folgen kann, d. h. Einsichten in Handlungsnormen, die nicht schon im Vorhinein vom Handelnden akzeptiert und als Bestandteil seiner Motivationen und Interessen vorhanden sind. Zum anderen wird auch dann, wenn man diese Fähigkeit meint rekonstruieren zu können, fraglich, wie der solcherart zum ethischen Handeln befähigte Mensch ein Gegenüber für dieses Handeln in der Natur finden kann, da diese nun als vollständig analysierbares und manipulierbares Objekt erscheint und nicht als etwas, das mit seinem Verhalten zur Beantwortung der Frage beitragen kann, was es heißt, gut zu handeln. Es ist Immanuel Kant, der die Dichotomie von gesetzmäßig bestimmter Natur und zum Guten befähigtem Menschen mit bis heute breiter Resonanz entfaltet und der den – marginalen – Platz des Tieres in der Ethik auf dieser Basis skizziert. Die von Kant beschriebene Dichotomie lebt in vielem als Bestandteil unseres heutigen Alltagsverständnisses von Ethik und ihren Grundlagen fort, weshalb die Argumente und Gedanken Kants auch für aktuellste tierethische Positionsbestimmungen weiterhin kritischer Prüfstein sind und weshalb ein Verständnis für die Theorie Kants unerlässlich ist, wenn man spätere tierethische Entwürfe verstehen und beurteilen will. Einer dieser späteren Entwürfe ist die Theorie Schopenhauers, die die Ursache der Marginalisierung des Tieres bei Kant in einer fehlgeleiteten Bestimmung des Verhältnisses des Verhaltens von Tieren und des Handelns von Menschen verortet. Menschliches Handeln soll bei Schopenhauer strukturell identisch sein mit dem Verhalten von Tieren. Diese ontologische Annäherung von Mensch und Tier ist die Basis, auf der Schopenhauer dann seine Tierethik entfaltet. Man kann Kierkegaards philosophischen Ansatz als einen parallelen Versuch mit umgekehrten Vorzeichen verstehen. Nicht die kausale und gesetzesförmige Struktur tierischen Verhaltens soll Ausgangspunkt für die Beschreibung menschlichen Handelns sein, sondern es soll umgekehrt die

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Suche nach dem Guten, die menschliches Handeln auszeichnet, Modell für das Verständnis von Wirklichkeit sein. Das Ergebnis auch dieses Weges ist dann eine Annäherung von Mensch und Tier, die sich tierethisch ausdeuten lässt („ausdeuten“ ist hier mit Betonung versehen: Kierkegaard ist, das kann kaum überraschen, im Wesentlichen an menschlicher Existenz interessiert und liefert keine Naturphilosophie oder Naturtheologie. Einige Ansätze dazu lassen sich jedoch, wie zu sehen sein wird, ausfindig machen). Um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Ansätze in ethischer und tierethischer Hinsicht im Detail greifbarer zu machen, kann man vor diesem historisch-systematischen Hintergrund drei Fragen formulieren, mit deren Hilfe die Theorien und Theorieansätze in Abgrenzung voneinander genauer charakterisiert werden können: 1. Ist ethisches Handeln an Erkennen gebunden? In unserem alltäglichen Umgang miteinander gehen wir mehr oder weniger selbstverständlich davon aus, dass ethische Normen etwas sind, das jeder verständige Mensch verstehen und befolgen kann und soll, auch wenn dies seinen eigenen Interessen widerspricht. In einem schwer genau zu erfassenden Sinn meinen wir, dass wir nicht nur – hoffentlich zumindest hin und wieder – so sein wollen wie dieser gute Mensch, sondern auch, dass wir so sein sollen wie er. Ethisches Handeln ist, diesem Verständnis zufolge, nicht einfach eine Form des Handelns neben anderen, sondern es ist dasjenige Handeln, dem wir als dem in Wahrheit richtigen und guten Handeln folgen sollen. Ob diese Verbindung von Erkenntnis und Handeln und Sollen und Wollen wirklich besteht und wie sie genauer beschrieben werden kann, ist jedoch wiederum philosophisch umstritten. 2. Worin besteht das Ethische an einer ethischen Handlung? Ethisches Handeln ist Handeln anderen gegenüber und, genauer gesagt, ein solches Handeln anderen gegenüber, das diesen anderen nutzt und hilft und die eigenen Interessen, die anderen schaden würden, zurückstellt. Wer hilft, wer teilt, wer seine eigenen Sorgen gegenüber den Sorgen anderer hintanstellt, der handelt gut. Wer Tiere nicht ihren natürlichen Bedürfnissen widersprechend behandelt, wer ihnen gibt, was sie zum Leben brauchen, wer sie füttert und pflegt, der zeigt ebenfalls, dass er in der Lage ist, Gutes zu tun. Wie jedoch Hilfe und Selbstlosigkeit des ethischen Handelns genauer zu verstehen sind, wird von unterschiedlichen ethischen und tierethischen Theorien ganz unterschiedlich ausgeführt. 3. Wem gegenber kann man „gut“ handeln? Wenn wir von ethischem Handeln und Verhalten sprechen, dann sprechen wir von einem Handeln in Beziehung zu anderen. Wir nennen jemanden einen guten Menschen,

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wenn wir sehen, wie er sich zu anderen Menschen verhält, zu seinen Freunden und Verwandten, zu seinen Bekannten, zu Fremden. Diese Form der Beziehung muss aber nicht auf Personen und auch nicht auf Menschen generell beschränkt sein. Für Positionen, deren Ziel es ist, eine genuine Tierethik zu entwickeln und zu entfalten, ist es von zentraler Bedeutung, dass ethisches Handeln auch in der Beziehung zu Tieren vorkommen kann. Das kann die Beziehung zum Haustier sein, zum Nutztier, oder vielleicht gar die zum störenden Insekt. Von diesen drei Fragen ist es offensichtlich die letzte, die für das Thema der Rolle des Tieres in der Ethik einschlägig ist. Wie sich zeigen wird, hängen die jeweiligen Antworten auf diese Frage jedoch untrennbar zusammen mit den Positionierungen der jeweiligen ethischen Theoriebildung zu den zwei weiteren Fragen. Tierethik ist nicht denkbar ohne Epistemologie und „ethische Ontologie“.

1. Kant Die kantische Ethik spielt in der Diskussion um Tierethik eine doppelte Rolle. Zum einen dient sie häufig als Beispiel für die Schwierigkeiten, die man mit – aus Sicht der Kritiker – ungenügenden ethischen Grundprämissen bekommt, wenn man tierethische Perspektiven entwickeln und fruchtbar machen will. „Anthropozentrik“ wird dann zum schlagworthaften Einwand gegen diese Theorie. Zum anderen aber gibt es auch immer wieder Rückbezüge auf Kant, die seine Grundannahmen stärken und die honorieren, wie Kant im Rahmen dieser Annahmen dennoch einen Platz findet, an dem die Rolle von Tieren als Gegenüber in ethischen Reflexionen berücksichtigt werden kann.1 Die Aufgabe, die sich für Kant stellt, wenn er seine Ethik entwirft, lässt sich folgendermaßen beschreiben: Voraussetzung dafür, dass eine Entität zum Gegenstand für ethisches Verhalten werden kann, ist, dass sie über eine Eigenschaft verfügt, die sie mit dem Handelnden in ethisch relevanter Hinsicht vergleichbar macht. Nur so kann demjenigen, der auf der Grundlage seiner eigenen Zielsetzungen handelt, einsichtig gemacht werden, dass der andere nicht nur als Objekt der eigenen Überlegungen vorkommen sollte, sondern auch als eine Instanz, die Zielsetzungen verfolgt und deren Zielsetzungen selbst in der eigenen ethischen Re1

So zum Beispiel Heike Baranzke Wrde der Kreatur? Die Idee der Wrde im Horizont der Bioethik, Würzburg 2002, insbes. S. 199 – 222.

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flexion mit zu berücksichtigen sind. Anders und einfacher gesagt: Damit der Handelnde in der Lage ist, in seinen Handlungen andere so zu berücksichtigen wie sich selbst, müssen sich der andere und er in irgendeinem relevanten Sinn gleichen. Diese Gleichheit nun darf nicht nur irgendeine zufällige Gleichheit nebensächlicher Merkmale sein, sondern muss Bestimmungen betreffen, die als wesentlich für einen selbst und den anderen gelten können. Ob ein anderer dieselbe Schuhgröße hat wie man selbst, macht noch nicht einsichtig, wieso man ihn ebenso behandelt und behandeln sollte wie sich selbst. Das gelingt erst dann, wenn diese Eigenschaft etwas ist, das für das Dasein, Handeln und Erkennen der Betroffenen konstitutiv und nicht aufzugeben ist. Bei Kant ist diese gesuchte Eigenschaft die Fähigkeit zur praktischen Vernunft, d. h. die Fähigkeit, unter Absehung von allen individuellen Interessen und Motivationen das eigene Handeln an den überindividuellen Normen des kategorischen Imperativs ausrichten zu können: „Dieses Princip der Sittlichkeit nun, eben um der Allgemeinheit der Gesetzgebung willen, […] erklärt die Vernunft zugleich zu einem Gesetze für alle vernünftige Wesen, so fern sie überhaupt einen Willen, d. i. ein Vermögen haben, ihre Causalität durch die Vorstellung von Regeln zu bestimmen“.2 Begründet ist diese hohe Hürde darin, dass Kant alle Handlungen und alle sie hervorbringenden Größen wie Motivationen, Bedürfnisse, basale Interessen, Empfindungen den Gesetzen von notwendigen UrsacheWirkungs-Ketten unterworfen sieht. Damit ist jede mögliche Verbindung dieser handlungsleitenden Phänomene zum Bereich der Erkenntnis unterbunden. Für denjenigen, der sich seinen Handlungen erkennend zuwendet, werden die Handlungen und die sie leitenden Größen so zu letztlich kontingenten, für die eigene Identität nicht wesentlichen Faktoren. Da Kant aber auch davon ausgeht, dass ethisches Handeln erkenntnisgeleitetes Handeln ist, bleibt allein die Fähigkeit zum Erkennen des Guten, die Fähigkeit zur praktischen Vernunft selbst, bestehen, um in Fragen der Ethik als Verbindungsglied zwischen Handelndem und Gegenüber zu fungieren. Mit Hilfe der praktischen Vernunft können bestimmte Handlungsmaximen als gute Maximen erkannt werden, und diese Leitsätze können dann im Handeln verfolgt werden, so die Annahme Kants. 2

Kant KpV, A 56f.

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Bei Kant ist damit für den ethisch Handelnden die Identität als jemand, der das Gute erkennen kann, wesentlich. Wer ebenfalls über diese Fähigkeit verfügt, der kann vom Handelnden als jemand wahrgenommen werden, der sich, wie der Handelnde selbst, Ziele nach Maßgabe des Guten setzen kann. Ein solches Gegenüber kann vom Handelnden als gleichberechtigt anerkannt und berücksichtigt werden.

1.1. Erkenntnis und Ethik bei Kant Im Hinblick auf die Frage nach der Rolle des Erkennens in der Ethik ist Kants Position damit eindeutig als eine Theorie zu verstehen, die eine untrennbare Verbindung zwischen ethischer Maximenbildung und Handlungsausrichtung einerseits und der Erkenntnis des Guten andererseits postuliert. Zwar ist es ein großes und vermutlich innertheoretisch kaum zu lösendes Problem des kantischen Ansatzes, wie die Einsicht in das Gute zu einer motivierenden, handlungsleitenden Kraft werden kann.3 Dieses Problem resultiert aber gerade aus dem Beharren darauf, dass die auf Maximenbildung und damit Handlungsleitung abzielende Tätigkeit der ethischen Reflexion eine Tätigkeit der erkennenden, praktischen Vernunft sein soll.

1.2. Selbstlosigkeit bei Kant In Bezug auf den Charakter des ethischen Handelns als selbstloses Handeln lässt sich darüber hinaus sagen, dass bei Kant die geteilte Fähigkeit zum Erkennen des Guten die Selbstlosigkeit des Handelns möglich macht. Hier treffen sich die verschiedenen Individuen und hier sind sie gemeinsam einem einheitlichen Bestimmungsgrund ihres Erkennens und Handelns unterworfen, der ihre je individuellen Prägungen und Neigungen übersteigt. In diesem Sinn richtet dieser Bestimmungsgrund das Handeln des Einzelnen auf Selbstlosigkeit und Hilfe aus: Es soll von eigenen Interessen und Neigungen abgesehen werden und dem Gebot der Verallgemeinerbarkeit der Handlungsmaximen gefolgt werden. Damit nun wird die Selbstlosigkeit allerdings, auch das lässt sich an dieser Stelle bemerken, in einem weiteren Sinn gleichzeitig auch zu einer 3

Kant bietet dazu bekanntermaßen die Achtung vor dem Gesetz als „moralisches Gefhl“ an, vgl. Kant KpV, A 133.

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Form der Selbstbezogenheit. Die eigentliche Identität des ethisch ausgerichteten Handelnden ist eben nicht seine Identität als Einzelner, sondern seine Identität als Erkennender. Als solcher unterscheidet er sich aber gerade nicht von denjenigen, die er in seinem Überlegen und Handeln berücksichtigen soll. So kann man mit Blick auf Kant sagen, dass der Handelnde im ethischen Handeln für sich selbst als Vernunftwesen handelt. Es ist dies ein in vielen Theoriebildungen zur Ethik anzutreffendes Phänomen: Die konkret erfahrene Selbstlosigkeit des ethischen Handelns lässt sich auf einer abstrakteren Ebene als eine Form der Selbstbezogenheit beschreiben.

1.3. Das ethische Gegenber bei Kant In Bezug auf die Frage, wer als ethisch relevantes Gegenüber zählen kann, ist Kants Theorie, wie unschwer zu sehen ist, sehr restriktiv. Nur mit praktischer Vernunft begabte Wesen können diesen Platz einnehmen. Das nun sind nicht nur nicht alle Menschen, sondern noch viel weniger die Tiere. Aus diesem Grund gilt Kants Ethik als das Paradebeispiel einer „anthropozentrischen“ Ethik, die den Bereich derjenigen, deren Wohl und Wehe ethisch unmittelbar relevant ist, auf den Menschen beschränkt. Treffender wäre jedoch letztlich die Bezeichnung „nousozentrisch“, womit auch deutlicher würde, dass die Beschränkung kein Resultat einer willkürlichen Bevorzugung des Menschen vor anderen Lebewesen ist, sondern auf den Begründungsanspruch der Theorie zurückgeht. Kant rekurriert auf die praktische Vernunft, um ein Fundament zu haben, das Ethik an Einsicht und Erkennen anbindet. Durch die Trennung dieser Form der vernunftgeleiteten, freien Maximenbildung und Handlungsanleitung von allen anderen Handlungsabläufen, die in Ursache-Wirkungs-Schemata beschrieben werden können, bleibt als ethisch einigendes Band zwischen den Individuen nur diese Fähigkeit zur praktischen Vernunft selbst. Anders gesagt: Weil ethisches Handeln Ergebnis eines Erkenntnisaktes sein soll, müssen alle diejenigen, die in der ethischen Entscheidungsfindung als gleichwertiges Gegenüber gelten können sollen, selbst teilhaben können an solchen Erkenntnisakten. Wenn das ethische Erkennen dann getrennt gedacht wird von allem Handeln, das im Rückgriff auf Bedürfnisse und Interessen in Form gesetzesförmiger Ursache-Wirkungs-Schemata erklärt werden kann, können alle diejenigen, deren Verhalten auf eben diese Weise erklärbar ist, keine gleichwertigen Gegenüber im ethischen Handeln sein: „Nach der

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bloßen Vernunft zu urtheilen, hat der Mensch sonst keine Pflicht, als blos gegen den Menschen […]; denn seine Pflicht gegen irgend ein Subject ist die moralische Nöthigung durch dieses seinen Willen. Das nöthigende (verpflichtende) Subject muß also erstlich eine Person sein“.4 Um dennoch gegen die rücksichtslose Behandlung von Tieren argumentieren zu können, verwendet Kant deshalb eine indirekte Strategie. Wer Tiere so behandle, so das Argument, verrohe und laufe damit auch Gefahr, gegenüber anderen – vernunftbegabten – Menschen den Prinzipien der Ethik zum Trotz rücksichtslos zu werden: In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Theils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Thiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst […] entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird […].5

Kant legt diese indirekten Pflichten weit aus, bis hin zu Anthropomorphisierungen des Tieres, hält aber immer daran fest, dass dies nur deshalb Pflichten sind, weil das entsprechende Tun ethisch hilfreiche Anlagen in Bezug auf das Verhalten zu anderen Menschen befördert: „Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären) gehört indirect zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Thiere, direct aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst.“6 Innerhalb seiner Theorie kann Kant so die kontraintuitive Konsequenz vermeiden, dass die Behandlung von Tieren ethisch gesehen der Behandlung der unbelebten Natur gleichzustellen ist. Dennoch bleibt auch so noch die ebenfalls ungewöhnliche Konsequenz bestehen, dass man die Bedürfnisse von Tieren nicht deshalb achten sollte, weil deren Missachtung für die Tiere von Schaden wäre, sondern allein deshalb, weil die Missachtung möglicherweise dazu führt, dass in Zukunft ein vernunftbegabtes Wesen Schaden erleidet.7

4 5 6 7

Kant MS, A 106 (AA VI, 442). Kant MS, A 108 (AA VI, 443). Kant MS, A 108 (AA VI, 443). Eine detaillierte Kritik an Kants Konzeption findet sich bei Ursula Wolf Das Tier in der Moral, Frankfurt a.M. 1990, S. 33 – 38.

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2. Schopenhauer Diese und andere kontraintuitive Konsequenzen für den Bereich des ethisch relevanten Verhaltens Tieren gegenüber kann Schopenhauers Ethik vermeiden. Spätestens seit Ursula Wolf Teile des ethischen Ansatzes Schopenhauers in der aktuellen Debatte um den Tierschutz als Grundlage für einen ethisch verantwortbaren Umgang mit Lebewesen verwendet hat,8 gilt Schopenhauers Ethik neben utilitaristischen Ansätzen als eine weitere Theorie, die gute Argumente für den Tierschutz zu liefern vermag. Nun ist es sicherlich so, dass Schopenhauer dieser Aspekt seiner Ethik sehr am Herzen liegt. Seine ausführlichen Schilderungen zu diesem Thema und sein Lob der englischen Bemühungen in diesem Feld, das allen zu seiner Zeit üblichen nationalistischen Chauvinismen entgegenläuft, legen davon ein deutliches Zeugnis ab.9 Es ist aber ebenso deutlich, dass sich seine Ethik in diesem Aspekt und in diesem Zweck nicht erschöpft. Schopenhauers Ethik ist ein eindrucksvoller Versuch, auf Basis weniger Prämissen ein stringentes und in sich schlüssiges Bild davon zu zeichnen, was Ethik überhaupt sein kann. Sein vorrangiges Ziel ist es, eine Ethik zu entwerfen, die Unstimmigkeiten, wie er sie am Beispiel Kants diagnostiziert, vermeidet. Er tut das, indem er menschliches Handeln radikal als natürliches Phänomen beschreibt, das wie alle anderen Ereignisse in der Natur auch eingebunden ist in ein Netz aus Notwendigkeiten. Eine Handlung erfolgt immer dann, wenn die hinreichenden Ursachen für ihr Eintreten vorliegen. Liegen diese Ursachen nicht vor, dann findet auch die Handlung nicht statt. In diese Bedingungsverhältnisse nun sollen bei Schopenhauer auch die ethischen Handlungen einbezogen sein. Anders als bei Kant, dessen Problem der Vermittlung von ethischer Einsicht und Handlungsverursachung Schopenhauer so vermeiden kann, folgen auch ethische Handlungen bei Schopenhauer bestimmten, gegebenen Motivationen und nicht etwa Einsichten in das Gute. So formuliert Schopenhauer gegen Kant gewendet: Ich setze hingegen der Ethik den Zweck, die in moralischer Hinsicht höchst verschiedene Handlungsweise der Menschen zu deuten, zu erklären und auf 8 9

Vgl. ebd., S. 48 – 53. Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), E, 282f. (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke. Zrcher Ausgabe, hrsg. v. Angelika Hübscher, 10 Bde., Zürich 1977).

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ihren letzten Grund zurückzuführen. Daher bleibt zur Auffindung des Fundaments der Ethik kein anderer Weg, als der empirische, nämlich zu untersuchen, ob es überhaupt Handlungen giebt, denen wir chten moralischen Werth zuerkennen müssen […]. Diese sind sodann als ein gegebenes Phänomen zu betrachten, welches wir richtig zu erklären, d. h. auf seine wahren Gründe zurückzuführen, mithin die jedenfalls eigenthümliche Triebfeder nachzuweisen haben, welche den Menschen zu Handlungen dieser, von jeder andern specifisch verschiedenen Art bewegt.10

Dieses Vorgehen verbietet es Schopenhauer, das Merkmal, das dem ethisch Handelnden und seinem Gegenüber gemein sein soll, in der Vernunft- und Erkenntnisfähigkeit zu suchen. Er versucht stattdessen einen allgemeinen Grundzug der Erklärung von Handeln herauszudestillieren, der dann als Basis für Gemeinsamkeit dienen kann. Dieser Grundzug besteht in dem ursprünglichen Mangel, den ein Handelnder nach Schopenhauer immer hat. Der Handelnde ist jemand, der ein Ziel noch nicht erreicht hat, dorthin aber strebt und will. Im Handeln ist er auf etwas bezogen, das ihm noch fehlt und das er noch nicht besitzt. Insofern ist jeder, der handelt, jemand, der leidet.11 Weil diese Struktur der Erklärung von Handlungen nicht Handlungen vorbehalten ist, sondern ebenso für Verhalten und sogar für einfache Bewegung gelten soll, ist Leiden nichts, was allein dem menschlichen Handeln vorbehalten ist, sondern es betrifft ebenso das Verhalten von Tieren. Menschliches Handeln unterscheidet sich nicht dadurch vom Verhalten der Tiere, dass es frei von kausalen Bedingungen wäre, sondern, so Schopenhauer, dadurch, dass es durch abstrakte Begriffe informiert ist. Während die Tiere ihre Ziele nur situativ befriedigen können, weil ihnen nur die reine Wahrnehmung zur Verfügung steht, um Situationen zu erfassen, kann der Mensch diese Situation begrifflich fassen und sich so aus unmittelbaren situativen Kontexten lösen. Aus Verursachungsverhältnissen löst er sich damit jedoch nicht, denn anders als bei Kant bleibt bei Schopenhauer die menschliche Erkenntnisfähigkeit auf die Rolle der Informantin des Willens beschränkt und soll nicht zu dessen Lenkerin erhoben werden, die den Inhalt des Willens vorgeben kann: „Motiv wird der Gedanke, wie die Anschauung Motiv wird, sobald sie auf den vorliegenden Willen zu wirken vermag. Alle Motive aber sind Ursachen, und alle Kausalität führt Nothwendigkeit mit sich.“12 10 Schopenhauer Werke (ZA), E, § 13, 234f. 11 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 56, 387 – 389. 12 Schopenhauer Werke (ZA), E, III, 74.

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Das verbindende Element, das dem Handelnden und seinem Gegenüber gleichermaßen wesentlich zu eigen ist und das Grundlage ethischen Handelns sein soll, ist also bei Schopenhauer das Leiden. Mit der Art und Weise, wie Schopenhauer diesen Begriff einführt, nämlich als Strukturmerkmal der Erklärung von Bewegung, Verhalten und Handeln, ist damit im Grunde der gesamte Bereich der Wirklichkeit ein potentielles Gegenüber für ethisches Handeln. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit in ethischer Hinsicht sind bei ihm gradueller Natur. Am wichtigsten sind bei diesen graduellen Unterschieden sicherlich die Schritte von der unbelebten zur belebten und dann zur empfindungsfähigen Natur, wo Leiden als Schmerzwahrnehmung auftritt. Der weitere Schritt vom situativ gebundenen Schmerzempfinden des Tieres zum abstrakt informierten Schmerz des Menschen in Bezug auf zum Beispiel auch überzeitliche Ziele könnte dagegen fast als eine Verflüchtigung des intensiven körperlichen Schmerzes des Tieres erscheinen, auch wenn Schopenhauer betont, dass diese Form des menschlichen Schmerzes im Gegenteil als nochmalige Verstärkung des tierischen Leidens zu verstehen ist, da generell „in der Natur die Fähigkeit zum Leiden gleichen Schritt hält mit der Intelligenz“.13

2.1. Das ethische Gegenber Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass auf dieser Grundlage das Tier als ethisches Gegenüber eine zentrale Rolle zugewiesen bekommt. Und nicht nur das. Weil ethisches Handeln bei Schopenhauer vollständig gelöst ist von der Fähigkeit zur Erkenntnis des Guten und letztlich verstanden wird als auf bestimmte Weise inhaltlich gefüllte Form von Verhalten, können Tiere auch selbst zu ethischen Akteuren werden, zumindest dann, wenn sie das Leiden anderer wahrnehmen können. Ganz konsequent in der Durchführung seines Gedankens spricht Schopenhauer diesen höheren Tieren deshalb in der Tat bis zu einem gewissen Grad die Fähigkeit zum ethischen Verhalten zu. Zwar zeigten sie keine bewusste Moralität, seien aber doch als Spezies oder, bei höher entwickelten Tieren, auch als Individuen zu unmittelbarer Bosheit und Güte fähig.14 13 Schopenhauer Werke (ZA), E, § 19, 284. 14 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), E, § 17, 255.

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2.2. Selbstlosigkeit Bestimmt sind diese tierischen Akteure wie alle anderen ethisch Handelnden nicht durch ethische Einsichten, nicht durch praktische Vernunft, sondern durch eine ethische Form der Motivation, durch ein ethisches Gefühl: das Mitleid. Inhaltliches Kennzeichen dieses Verhaltens aus Mitleid ist die Selbstlosigkeit und Bereitschaft zur Hilfe. Aus einer Empfindung heraus selbstlos sein zu können, diese Beschreibung des Inhalts des ethischen Tuns trifft wohl noch genauer als Kants Auffassung von Selbstlosigkeit aus Vernunfterwägungen heraus unsere alltäglichen Überzeugungen zu dieser Frage. Schopenhauer jedenfalls vertraut zum Beweis der Überlegenheit seiner Theorie an dieser Stelle auch auf vergleichende Beispiele, deren intuitive Beurteilung durch den Leser aus seiner Sicht eindeutig sein muss.15 Wie bei Kant lässt sich auch bei Schopenhauer an diesem Punkt darauf aufmerksam machen, dass die Selbstlosigkeit des ethisch Handelnden in einem tieferen Sinn als durchaus selbstbezogenes Handeln gelten muss. Das, was Mensch und Tier in ihrem Kern nach Schopenhauer sind, ist ihr Leid und Mitleid. Dieses Leiden des Willens kennt im Grunde keine Individuen, weil alle weiteren Qualifikationen des Leidens nach Ort, Zeit, Gestalt und ähnlichem für das Leiden lediglich akzidentelle Bestimmungen sind. Mitleid ist in diesem Sinn bei Schopenhauer nicht Mitleid mit dem Leid eines anderen, sondern Mitleid mit dem Leid des einen Willens, der die wahre, gemeinsame Identität aller äußerlich individuell Leidenden ist.16 Der wichtigste Punkt aber, an dem Schopenhauers Theorie ernsthaft in Bedrängnis gerät, ist die Frage nach dem Charakter des Sollens von ethischen Inhalten. Schopenhauer begreift seine Abkehr von einer von ihm so genannten Sollensethik vor allem als Gewinn. Worin dieser Gewinn besteht, hat sich im Vorangegangenen gezeigt: Ethisches Handeln kann mit Gefühlen verbunden gedacht werden, es kann verstanden werden, wie ethische Gründe zum Handeln motivieren können, und es ist möglich, Tiere als Gegenüber ethischen Verhaltens zu begreifen.

15 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), E, § 19, 270 – 272. 16 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), E, § 22, 310f.

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2.3. Erkenntnis und Ethik Eine Frage, der sich Schopenhauer mit dieser Konzeption jedoch nicht entziehen kann, ist, inwiefern ethisches Handeln eigentlich noch als gutes Handeln gelten kann, in dem Sinn, der uns dazu veranlasst, das Ethische deshalb zu tun, weil wir der Überzeugung sind, dass es das Gute und Richtige ist. Die Qualifikation „gut“ kann in Schopenhauers Konzept nur als Äquivalent einer inhaltlichen Beschreibung des Verhaltens verstanden werden, nicht mehr als Qualifikation, die dieses Verhalten anderen Verhaltensformen gegenüber auszeichnet als eines, das verfolgt werden sollte, unabhängig von anderen möglicherweise bestehenden Inklinationen. Wenn die Qualifikation in dieser Hinsicht erfolgreich zu sein scheint, dann muss dieser Erfolg nach Schopenhauer als Sieg einer bereits im Voraus bestehenden stärkeren Motivation zum Ethischen über das Unethische verstanden werden. Es ist nicht gut, mitleidig zu sein, es ist auch nicht gefordert, Mitleid zu zeigen, Mitleid ist lediglich etwas, das sich manchmal de facto unter den gegebenen Motivationen von Handelnden findet. Schopenhauer durchbricht diese Begrenzung der Rolle des Erkennens allerdings an einem Punkt. In Bezug auf das Sein des Willens als Ganzem sei es möglich, aus Einsicht heraus zu handeln und diesen Willen als Ganzen zu verneinen oder zu bejahen. Man könnte so sagen, dass nach Schopenhauer die Erkenntnis dort, wo sie ihren höchsten Grad an Abstraktion erreicht, von der informierenden Rolle doch in die Rolle der Lenkerin des Willens übergeht. Bejahung, die auf diese Weise informiert ist, ist nach Schopenhauer die selbstlose Güte, Verneinung ist das Leben in der Askese. Letzteres entspricht der eigentlich richtigen Haltung, wenn man das Räderwerk des immerwährenden Leidens im Leben durschaut hat.17 Die höchste Stufe der Ethik ist daher für Schopenhauer dort erreicht, wo die vollständige Einsicht in das Wirken des einen Willens zu einem Rückzug aus allem Handeln und allen weltlichen Abhängigkeiten führt. Dies wiederum ist allerdings kaum noch als von Mitleid geführtes, selbstloses Handeln zu beschreiben, sondern eher als eine Form von Fatalismus und Selbstauslöschung. Will man diese Kritik auf die Spitze treiben, dann könnte man deshalb sagen: Dort, wo Schopenhauers Ethik ethisch wird, nämlich im Sinne eines Ethischen, das als gut begriffen werden kann, dort wird sie unethisch, weil sie den Gehalt des Ethischen verliert. 17 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 68, 470.

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Damit zeigt die Position Schopenhauers ein grundsätzliches Dilemma in der ethischen Theoriebildung der Moderne an: Wenn man an einer einheitlichen Beschreibung der Natur festhält, deren Gang in gesetzesförmiger Weise beschrieben werden kann, dann kann einerseits Handeln als Teil dieses Prozesses nicht mehr aus Erkenntnis gespeist sein. Ethisches Handeln ist dann nur noch ausgezeichnet durch einen bestimmten Inhalt, dieser Inhalt aber lässt sich nicht mehr als richtig oder gut nach Maßgabe unabhängiger Kriterien verstehen. Wenn die Theorie dann doch mit Anspruch auf Wahrheit Aussagen über das richtige Handeln macht, wie dies bei Schopenhauer explizit und bei anderen Fällen dieses Theorietypus häufig implizit der Fall ist, dann ist dieses Handeln ein Handeln aus Einsicht in die Unabwendbarkeit des Gangs der Dinge, das wenig mit dem zu tun hat, was wir üblicherweise unter ethischem Handeln verstehen. Andererseits aber scheint die einheitliche Beschreibung der Natur unter Einschluss des Menschen gleichzeitig Voraussetzung dafür zu sein, dass es eine direkte ethische Beziehung zwischen den verschieden entwickelten Formen des Lebens geben kann. Die Tiere sind bei Schopenhauer nicht das, was durch seine Vernunftlosigkeit vom Menschen unüberbrückbar verschieden ist, sondern das, was durch sein Leiden mit dem Menschen wesentlich verbunden ist, so kann er gegen Kant hervorheben.

3. Kierkegaard Kierkegaards Philosophie in diesem thematischen Zusammenhang mit Schopenhauer und Kant zu vergleichen ist ein Wagnis. An keiner Stelle in seinem Werk gibt es bei Kierkegaard explizite tierethische Überlegungen, ganz abgesehen von dem Vorwurf, bei Kierkegaard sei gar ein subjektivistischer A-Kosmismus zu diagnostizieren. Dieser Vorwurf trifft sicherlich nicht zu und zwar deshalb, weil Kierkegaards „Subjektivismus“ die philosophische Unterfütterung einer Ethik ist, die sich am Modell des christlichen Gebotes zur Nächstenliebe orientiert. „A-kosmisch“ kann eine solche Ethik mit ihrer Ausrichtung auf den anderen Menschen kaum genannt werden. „A-zoonisch“ allerdings vielleicht schon, denn Aussagen zur Natur und zu Tieren sind rar. Dennoch lassen sich, wie im Folgenden gezeigt werden soll, Ansätze zu solchen Überlegungen finden. Dort, wo Kierkegaard affirmativ von Ethik spricht, meint er eine auf bestimmte Weise religiös inspirierte Ethik, die er von einer Ethik absetzt, der es vor allem auf die Erfassung, Einordnung und den Vergleich von

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einzelnen Handlungen ankommt. Diese negativ besetzte Ethik ist für Kierkegaard verbunden mit einem Konzept konstatierenden Erkennens. Wenn man es aus Sicht dieser Form des Erkennens überhaupt schafft, zu einer Ethik zu kommen, so Kierkegaard, dann muss diese Ethik sich darin erschöpfen, nach äußeren Maßstäben erfolg- und einflussreich zu werden oder, wie Kierkegaard gegen Hegel gewendet anmerkt, vermeintlich gerechtfertigten sittlichen Idealen der eigenen Zeit zu folgen.18 Die Ethik, die ihm als positives Ziel vorschwebt, ist dagegen eine Ethik, die aus der Perspektive eines stetig geforderten Erkennens heraus sichtbar wird. Man kann sich diese Perspektive als Erkennen ohne fixen Endpunkt vorstellen. Im geforderten Erkennen bleibt vor allem die Bezogenheit auf etwas bewahrt, das noch nicht erfasst und verstanden ist, das aber verstanden werden soll. Daraus folgt im Grunde genommen keine Ethik mehr, sondern das Konzept geforderten Erkennens ist diese Ethik. Alles Handeln kann als Versuch verstanden werden, dem Sollen des Erkennens zu folgen, ohne dass je ein Ende dieses Strebens erreicht werden könnte. Dieses strebende, fragende und suchende Handeln ist das ethische Handeln.19 Einerseits wiederholt Kierkegaard damit eine Strukturbeschreibung, die ähnlich bei Schopenhauer zu finden ist. Das geforderte Handeln bei Kierkegaard ist ein Leiden, das an kein Ende kommt, so wie bei Schopenhauer das Handeln ein Leiden ohne Ende ist. Bei Kierkegaard ist dieses Handeln jedoch als auf Wahrheit bezogenes und in seinem Voranschreiten möglicherweise auch Wahrheit verwirklichendes Handeln zu verstehen, während bei Schopenhauer das Handeln vom Erkennen in keiner Weise direkt angeleitet, sondern nur informiert werden kann. Bei Kierkegaard soll und kann deshalb, im Unterschied zu Schopenhauer, das Leid des Nichtfindens gleichzeitig die Freude des potentiellen Erfülltseins von Wahrheit sein. Der Preis, den Kierkegaard für diese Verbindung von Erkennen und Handeln zahlt, ist ein veränderter Begriff von Erkenntnis. Erkennen heißt nicht, etwas endgültig verstanden zu haben, sondern sich in einem dauerhaften Prozess des Suchens zu befinden. Für die Frage nach der Eigenschaft, die den ethisch Handelnden mit seinem Gegenüber verbinden kann, hat diese veränderte Konzeption von Erkennen recht gravierende Folgen: Es kann nämlich keine solche Eigenschaft mehr geben. Oder, ein wenig abgeschwächt ausgedrückt, es kann keine faktisch festzustellende Eigenschaft mehr geben, die als ei18 Vgl. AUN1, 123f., 133f. / SKS 7, 126f., 134. 19 Vgl. AUN1, 188, 194f. / SKS 7, 181, 186.

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nigendes Band fungiert. Stattdessen muss die gesuchte Gemeinsamkeit gewissermaßen in der Suche nach der Gemeinsamkeit liegen, und diese Suche darf keinen faktisch eindeutigen Gehalt haben. Folgt man auf diesem Weg den Gedanken Kierkegaards weiter, dann lässt sich dies auch so formulieren: Die Gemeinsamkeit ist die Gleichheit vor der zum Fragen fordernden Wahrheit. Und noch einen Schritt weiter mit der von Kierkegaard vorgenommenen Identifikation der zum Handeln fordernden und den Handelnden so umschaffenden Wahrheit mit dem Begriff Gottes: Die gesuchte Eigenschaft ist die Gleichheit vor Gott.20

3.1. Erkenntnis und Ethik Zunächst einmal ist damit deutlich, dass ethisches Handeln bei Kierkegaard von Erkenntnis geleitetes Handeln ist, das erfolgen soll, von dem man aber auch abkommen kann. Weil dieses Erkennen kein konstatierendes Erkennen ist, sondern eines, das wie die Spitze und Verstärkung des suchenden Handelns wirkt, kann es auch emotionalen Gehalt haben. Es gibt bei Kierkegaard geforderte Gefühle, dies sind die Gefühle, die mit der Hinwendung zum Anderen und der Bereitschaft, von ihm zu lernen, einhergehen. Für Kierkegaard ist es der Begriff der Nächstenliebe, der am treffendsten beschreibt, was diese ethischen Gefühle sind.21 Kierkegaards Nächstenliebe ist deshalb einerseits ganz ähnlich zu verstehen wie Schopenhauers Mitleid. Es ist die eine Basis für alles Ethische und es bewirkt und begleitet ethisches Handeln. Andererseits aber gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während Schopenhauers Mitleid vom Erkennen nur konstatiert, aber nicht verändert werden kann, soll die Nächstenliebe Kierkegaards gerade Ausdruck der Wirksamkeit des Erkennens sein. Während bei Schopenhauer also das Erkennen seinen Gegenstand unberührt lässt und erst in der Gesamtschau auf die Wirklichkeit einen handlungsleitenden Effekt zeitigt, nämlich den des Rückzugs aus der Welt, ist das Erkennen von etwas bei Kierkegaard in jedem Fall als Teil – und Bedingung – für Veränderungen gedacht, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Erkennenden, sondern auch im Hinblick auf den Er20 Als spezifisch christliche Formel wird dieser Gedanke von Kierkegaard dargestellt und in den ethischen Konsequenzen entwickelt in Kjerlighedens Gjerninger (LT, 51 – 69 / SKS 9, 51 – 67). 21 Auch dies ist Thema in LT, 28 – 50 / SKS 9, 31 – 50.

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kannten. Der grundlegend epistemologisch veränderte Blick sieht und erschafft etwas, das im konstatierenden Erkennen nicht wahrgenommen und dadurch im Objekt der Betrachtung auch nicht geweckt wird, so Kierkegaard. Wer seinem Gegenüber mit Nächstenliebe begegnet, der erkennt im Anderen das Streben nach Wahrheit und kann es so bestärken, während der konstatierende Blick auf den anderen diesem die Fähigkeit zur Veränderung abspricht und damit zu dessen Verhärtung beiträgt.22

3.2. Selbstlosigkeit Bei der Frage nach der Selbstlosigkeit des ethischen Handelns bei Kierkegaard fällt die Antwort weniger leicht. Es scheint in der konkreten fragenden Hinwendung zum anderen, die Kierkegaard als ethische Hinwendung postuliert und beschreibt, auch die Bereitschaft enthalten zu sein, zu helfen, die Offenheit des Fragenkönnens im anderen zu bestärken und zu erhalten und ihm also in diesem Sinn zu helfen, seine Not zu lindern. Es scheint außerdem so zu sein, dass diese Hilfe nicht auf einer grundlegenderen Identität des Handelnden mit seinem Gegenüber beruht, weil keine faktische Gemeinsamkeit und kein Unterschied vor dem Gerichtshof der Kierkegaardschen Wahrheit Bestand hat. Die Gemeinsamkeit des Ethischen soll im Gegenteil gerade in der Gewissheit liegen, als Einzelner von der Wahrheit angesprochen zu sein. Andererseits aber stellt sich dann die Frage, ob nicht letzten Endes das scheinbar selbstlose Handeln doch eigentlich Handeln für sich selbst als Einzelner ist. Schließlich ist es eben der Versuch, als ein Selbst die Wahrheit für sich zu erlangen, die zum scheinbar selbstlosen Handeln führt. Will man sich auf diesen Tanz der Begriffe einlassen, dann mag hier noch der Gedanke weiterführen, dass das Selbst bei Kierkegaard nicht als abgeschlossene Einheit, sondern als Bezogenheit definiert ist. Es lässt sich dann vielleicht sagen, dass bei Kierkegaard selbstbezogenes Handeln ein Handeln ist, das zwar für sich selbst ist, aber für sich selbst als jemand, der auf andere bezogen ist, womit das Handeln wiederum doch als ein Handeln für andere verstanden werden kann. Man sieht daran zweierlei: Erstens verschiebt sich mit der epistemologischen Grundannahme Kierkegaards die Aufmerksamkeit weg von feststehenden Dichotomien, die einen inhaltlich festschreibbaren Kern 22 Vgl. LT, 19 / SKS 9, 24.

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dessen angeben wollen, was zum Beispiel Selbst und Anderer sind. An die Stelle solcher Versuche tritt die Gewissheit eines jeden von sich selbst als Angesprochenem und Geforderten, eine Gewissheit, die nicht theoretischer Art, sondern vielmehr praktischer Art ist. Zweitens sieht man aber sicherlich auch, wie groß die Nähe des Ansatzes Kierkegaards zu Selbstwidersprüchen und inhaltlicher Leere sein kann, wenn man versucht, die Bedeutungen der Grundkonzepte Kierkegaards als Objekte theoretischer Erkenntnis zu rekonstruieren.

3.3. Das ethische Gegenber Zur Frage schließlich, wie nach Kierkegaard das Verhältnis des Menschen zum Tier zu denken ist, gibt es, wie gesagt, keine textlichen Grundlagen, die ähnlich ausführlich und direkt weiterhelfen wie die bei Schopenhauer. Kierkegaard ist, wie man auch an diesem Faktum sieht, vor allem ein Philosoph der spezifisch menschlichen Form der Existenz. Die Welt der Tiere wird von ihm an vielen Stellen kategorisch von der menschlichen Welt getrennt gedacht. Der Mensch ist durch Freiheit, Bewusstsein und Geist gekennzeichnet und steht in Verbindung mit der Ewigkeit, Tiere sind Teil einer Menge und unterliegen der Notwendigkeit.23 Dennoch ist für Kierkegaard die Natur kein Bereich, über den sich der Mensch als Herrscher rücksichtslos erheben darf. Das wird in vielen seiner Erbaulichen Reden deutlich. So soll beispielhaft das Betrachten der Lilie und des Vogels nicht darin kulminieren, sie als reine Objekte einer gesetzesförmigen Erklärung in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen zu sehen, sondern sich von ihnen daran erinnern zu lassen, dass es höchste Aufgabe des Menschen ist, die eigene Abhängigkeit von Gott zu erkennen. Die Natur ist bei Kierkegaard dadurch, dass sie einer gottgegebenen Notwendigkeit unterworfen ist, ein Lehrer des Menschen, der an ihr erkennen kann, dass er selbst in seiner Freiheit von Gott gesetzt und von ihm abhängig ist. Zwar kann der Mensch zum Herrscher der Natur werden, nicht die Übernahme dieser Herrschaft aber ist sein eigentliches Ziel, sondern Ziel ist, die eigene Abhängigkeit von Gott zu erkennen.24 Es ist nun nicht ganz leicht, diese gedankliche Wendung nachzuvollziehen. Wenn es so ist, dass der Mensch die Natur in all ihren kausalen Bezügen vollständig erklären kann, dann mag sie zwar darin von Gott 23 So z. B. in BA, 40f., 161 / SKS 4, 348, 454 u. ERG, 198, 203f. / SKS 8, 287, 292. 24 Vgl. ERG, 200f. / SKS 8, 290.

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konstruiert und gesetzt sein, sie wird doch aber letztlich in ihrem aktuellen Wirken zu einem von Gott verlassenen Instrument für menschliche Zwecke. Wie soll sie dann noch in ihren lebendigen Einzelheiten Objekt von lehrreicher Ehrfurcht und Bewunderung sein? Kierkegaard scheint, so könnte eine Schlussfolgerung aus dieser Problematik lauten, die Schärfe, mit der kausal-gesetzesförmige Erklärungen die Vorstellung von Zielhaftigkeit und Subjekthaftigkeit der Natur in Bedrängnis bringen, zu unterschätzen. Offensichtlich ist es jedenfalls so, dass Kierkegaard trotz der Zuordnung der Tiere zum Reich der Notwendigkeit daran festhält, dass sie als Subjekte wahrgenommen werden müssen, wenn man von ihnen lernen soll. Seine allegorisch-anthropomorph angelegten Imaginationen darüber, wie ein in Bedrängnis geratener Mensch von Lilie und Vogel beruhigt und auf den rechten Weg geleitet werden kann,25 hätten keinerlei festen Boden und Überzeugungskraft, wenn es in keinster Weise richtig sein könnte, von Tieren als subjekthaften Wesen zu sprechen. Kierkegaard selbst leitet eine dieser Lehrerzählungen in diesem Sinn folgendermaßen ein: Doch es sagt vielleicht jemand: „mag sein, dass ein Vogel hin und wieder etwas zu wenig bekommt, mag sein, dass einer an Hunger stirbt, die Sache ist wohl nicht so aufregend.“ Wie sollte ein Mensch sich dazu durchringen, so von den Vögeln zu reden! Ist und bleibt die Sorge um das Auskommen nicht wesentlich dieselbe, ob es nun ein Vogel ist, der sie hat, oder ein Mensch?26

Auch wenn Kierkegaard die folgende Lehrerzählung dann eher als Fabel mit sprechenden Vögeln denn als nüchternen Bericht aus dem Tierreich präsentiert, weist diese Einleitung doch auf einen wichtigen Punkt hin. Es geht Kierkegaard darum, dass die Natur als solche – nicht erst als in Fabeln phantasievoll anthropomorphisiertes Geschehen – dem Menschen für ihn selbst wiedererkennbar zeigt, was er soll und kann. Dazu muss diese Natur in ihren Grundzügen dem entsprechen, was der Mensch von sich kennt und an sich erfährt. Die „Sorge um das Auskommen“ ist bei den Tieren kein bewusst reflektierter, sich auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beziehender Zustand, sondern bleibt ganz in der unreflektierten Gegenwart, dennoch ist sie als ein angewiesenes Bestreben zu beschreiben und nicht als rein von inneren Ursachen mit Notwendigkeit vorangetriebenes Verhalten. Auch der Vogel, der nicht weiß, was bewusste Sorge 25 Z.B. ERG, 174 – 177, 182 – 184 / SKS 8, 266 – 268, 273 – 275. 26 ERG, 182 / SKS 8, 272f. [Übers. hier u. i. Folg. v. Verf.].

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um das Auskommen in der Zukunft ist, weiß, was es heißt, im Moment der Gegenwart Hunger zu verspüren und Futter zu finden.27 Damit einhergehend ist Gottes Rolle den Tieren gegenüber bei Kierkegaard beschrieben als die eines Schöpfers, der sich um seine Geschöpfe kümmert. Die Vögel erhalten ihre Nahrung nicht in einem in sich geschlossenen, einmal in Gang gesetzten Naturprozess, sondern von Gott, der keinen vergisst und keinen bevorzugt.28 Wiederum wird hier eine Parallele von Mensch und Tier aufgezeigt. Denn auch das Verhältnis des Menschen zu Gott ist bei Kierkegaard das Verhältnis zu einem Gott, der sich dem Menschen zuwendet. In dieser Begegnung wird der Mensch im Unterschied zum Tier zwar auf den begrenzten Wert der weltlichen Güter und Bestrebungen verwiesen, insofern ist diese Begegnung für den Menschen auch schmerzhaft. Als jemand aber, der nach Wahrheit fragt, kann der Mensch diese ihn umschaffende und zur Nächstenliebe anhaltende Mitteilung auch als Hoffnung spendend und befreiend erfahren.29 Liest man Kierkegaard auf diese Weise, dann relativiert sich die Vorstellung von Notwendigkeit, der das Tier im Unterschied zum Menschen unterworfen sein soll. Diese Notwendigkeit kann nicht die gänzlich ausnahmslos gültige Notwendigkeit kausaler Gesetzmäßigkeiten sein, sondern sie muss eine Notwendigkeit sein, in der das Tier als von Gott ansprechbares und damit als auf Wahrheit bezogenes Subjekt erhalten bleibt und in der das Verhalten von Tieren als strebendes Verhalten beschrieben werden kann. Tiere sind in ihrem Verhalten eng gebundene, durch unmittelbare, nicht reflektierte Instinkte auf die Welt ausgerichtete Wesen, die darin aber doch ein minimales Maß an Freiheit zeigen, so müsste man folgern, wenn sich die Subjekthaftigkeit der Tiere nicht völlig auflösen soll. Es wäre dies ein gedanklicher Weg, wie er zum Beispiel von Hans Jonas in seiner Philosophie der Biologie beschritten worden ist.30 Neben den genannten unmittelbar auf Natur und Tiere verweisenden Textbefunden spricht ein gewichtiger systematischer Punkt dafür, diesen Weg auch mit Hilfe von Kierkegaard zu gehen. Wenn die Wendung von einem konstatierenden Erkenntnisbegriff zu einem Begriff des Erkennens als angewiesenes Fragen, das sich in der Welt als Nächstenliebe zeigt, für 27 28 29 30

ERG, 184 / SKS 8, 277. Vgl. ERG, 181f. / SKS 8, 272. Z.B. 2R43, 409 / SKS 5, 47. Hans Jonas Das Prinzip Leben. Anstze zu einer philosophischen Biologie, Frankfurt a.M. 1997, insbes. S. 181 – 194.

Mensch und Tier – eine ethische Beziehung?

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Kierkegaards Philosophie und Theologie grundlegend ist, dann lassen sich kategoriale Unterschiede zwischen Mensch und Tier nur noch schwer verteidigen. Wenn vom Menschen mit der Autorität der Wahrheit gefordert ist, alles Unterscheiden und Konstatieren aufzugeben und sich fragend und sorgend an andere zu wenden, dann kann der Bereich derjenigen, denen man sich auf diese Art zuwenden soll, nicht in einem zweiten Schritt mit derselben Autorität nach konstatierbaren Kriterien begrenzt werden. Begrenzungen dieses Bereichs oder Unterschiede in der Art, wie eine solche Hinwendung zu bestimmten, äußerlich unterschiedenen Wesen gegenüber aussehen soll, können dann nur auf heuristischer Basis eingeführt werden; der Übergang vom Geistigen zum Nicht-Geistigen muss als asymptotische Kurve verstanden werden. Wenn Kierkegaard schreibt, dass die Art des Blicks – konstatierend oder von Nächstenliebe geleitet – umso wichtiger ist, „je mehr der Gegenstand der Betrachtung der Welt des Geistigen zugehört“,31 dann scheint ihm in der Tat zumindest die Idee eines allmählichen Übergangs vom Nicht-Geistigen zum Geistigen, wenn auch wohl nicht dessen asymptotischer Charakter, nicht fern zu liegen. Auch Kierkegaards Überlegungen zum Begriff der Wirklichkeit weisen in diese Richtung: „Die Veränderung des Werdens ist die Wirklichkeit, der Übergang geschieht durch Freiheit“,32 heißt es dort ohne Einschränkung, und das historische Werden in der Geschichte des Menschen wird als „Verdoppelung“33 des Werdens der Natur insgesamt beschrieben. Mit Kierkegaards Ausführungen zur ethischen Relevanz des „Nächsten“ ist eine solche Fortführung seiner Annahmen gut zu vereinen. Der Nächste soll ja gerade durch kein spezifisches Merkmal als ethisch relevantes Gegenüber ausgezeichnet sein, sondern allein dadurch, dass er einem als jemand begegnet, der nach dem Guten und Richtigen befragt werden kann. Das wiederum aber soll ja lediglich heißen, dass dieser Nächste jemand ist, dem man in der Perspektive der Nächstenliebe begegnet, zu der man in jeder Situation und jedem gegenüber gefordert ist.34 In einem solchen auf den Bereich der gesamten Natur erweiterten Konzept geforderten Erkennens teilen Mensch und Tier ähnlich wie bei 31 32 33 34

3R43, 107 / SKS 5, 69. PB, 71 / SKS 4, 275. PB, 72 / SKS 4, 276. Vgl. LT, 51 – 69 / SKS 9, 51 – 67.

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Schopenhauer eine wesentliche Grundbestimmung, nämlich das Leid und die Suche nach Erfüllung. Bei Schopenhauer bestehen diese graduellen Unterschiede zwischen Tier und Mensch jedoch in der Begrenztheit des Abstraktionsvermögens des Tieres, nicht im Grad der Freiheit des Verhaltens. Bei Kierkegaard müssen diese Aspekte dagegen, wenn man seine Position auf die dargelegte Weise versteht und erweitert, zusammengehören: Die Tiere sind graduell vom Menschen verschieden, weil sie in ihrem auf Erkennen abzielenden Verhalten begrenzter sind als der Mensch. Mit diesem Unterschied nun gewinnt der Grund für die Hinwendung zum Tier einen anderen Inhalt als bei Schopenhauer. Er liegt nicht in der Verwandtschaft der Leidenszustände, sondern darin, dass das Tier den ethisch Handelnden etwas lehren und umgekehrt auch etwas von ihm lernen kann, weil es wie der Mensch in seinem Verhalten auf die Wahrheit bezogen ist. In einer Hinsicht kann der Vogel unterm Himmel dann ein sehr sicherer Lehrer sein, in Hinsicht darauf nämlich, was die Grundbedingungen des Lebens als Fragender und Suchender betrifft. Zu begreifen, dass man in Abhängigkeit von einer nicht konstatierbaren Wahrheit steht, und in seinem Leben das Gute suchen und erkennen sind nach Kierkegaard zwei solch zentrale Bedingungen, die der Mensch verstehen und für sich mit Leben füllen soll.

Schluss Die Frage nach dem Status des Tieres in der Ethik ist auf das Engste verwoben mit der Frage, wie der Platz des ethischen Handelns des Menschen in der Natur und damit die Stellung des Menschen zur Natur beschrieben wird. Die Ethik Kants ist dafür ein zentrales Beispiel, an dem sich diese Verbindung – ex negativo, wie man aus tierethischer Sicht sagen muss – ablesen lässt. Wenn die Fähigkeit zur Erkenntnis und Umsetzung des Guten kategorial von allen Fähigkeiten getrennt wird, die die Natur und den Menschen als Teil der Natur auszeichnen, dann kann die Behandlung von Tieren nur insoweit ethisch relevant sein, als sie diese Fähigkeit des Menschen selbst zur Erkenntnis und Umsetzung des Guten unterstützt oder stabilisiert. Schopenhauer und Kierkegaard brechen beide mit dieser Form der Trennung von ethischem Vermögen und naturhaftem Geschehen, allerdings auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Zwar zeigen sich bemerkenswerte Parallelen in der Auffassung von der Grundstruktur des

Mensch und Tier – eine ethische Beziehung?

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Lebens als eines Strebensprozesses. Die Rolle des Erkennens in diesem Prozess wird aber ganz unterschiedlich konzipiert. Während Schopenhauer dem Erkennen die Aufgabe des Konstatierens zuweist, das das Streben abbildet und informiert, fungiert es bei Kierkegaard als Bedingung der Möglichkeit von Bewegung, Veränderung und Streben selbst. Erkennen ist bei Kierkegaard deshalb nicht mehr Konstatieren, sondern das Streben anleitendes Suchen und Fragen. In Bezug auf die Frage nach der Beziehung von Mensch und Tier ergeben sich so einerseits Gemeinsamkeiten. Mensch und Tier sind nicht kategorial voneinander getrennt, sie können zum ethischen Gegenüber des Menschen werden, und die ethische Beziehung ist immer auch eine emotionale Beziehung. Der wichtigste Unterschied liegt auch hier in der Rolle des Erkennens. Bei Schopenhauer schließt die Bestimmung der Beziehung zum Tier als emotionale Beziehung aus, dass sie einer Einsicht folgt, die ein Sollen begründet. Bei Kierkegaard ist die Beziehung dagegen Ergebnis einer geforderten und damit „gesollten“ Emotion. Schopenhauers Tierethik steht auf dem Boden einer naturalisierten Ethik, so könnte man sagen. Das ethische Handeln des Menschen ist Teil des gesetzesförmig beschreibbaren Strebens und Bewegens der Natur. Kierkegaards Position hingegen lässt sich als Transzendentalisierung der Natur verstehen: Alles Streben und Bewegen ist, wie das Leben und Handeln des erkennenden Menschen, ins Leben gerufen von und ausgerichtet auf Gott, der es erhält und versorgt. Letztlich stehen Schopenhauer und Kierkegaard damit modellhaft für zwei Richtungen, die man tierethisch einschlagen kann, wenn man die kategoriale Trennung von erkennendem und ethischem Vermögen des Menschen einerseits und den naturhaften Bewegungen und Verhaltensweisen der Natur andererseits überwinden will: Naturalisierung der Ethik oder Ethisierung der Natur.

Schopenhauer und Kierkegaard: Leidende Philosophen und Philosophien des Leidens Von Tobias Hçlterhof Abstract Kierkegaard only came across Schopenhauer a few short months before his death. There is interesting evidence of his late encounter with Schopenhauer’s writings in Kierkegaard’s journals: Kierkegaard recognizes strong affinities and yet profound discrepancies between them. Applying a structured approach, this essay compares the philosophy of suffering ingrained in both authors’ works. As a preliminary stage, life’s happiness is considered deceptive. This deception is then, as a second stage, overcome by recognizing suffering as a positive condition of human life. In the third and final instance, a position on suffering itself is taken. Through this methodical comparison, the essay endeavours to point out similarities between essential aspects of Kierkegaard’s and Schopenhauer’s philosophy of suffering. It transpires that the criticism Kierkegaard directs towards Schopenhauer relates more strongly to a discussion of his own philosophy, rather than to an exposition of the discrepancies between the two philosophers.

1. Einleitung Kierkegaard hat Schopenhauer – darin besteht ein Konsens1 in der Kierkegaard-Forschung – erst kurz vor seinem Tod aufmerksam gelesen, als er schriftstellerisch nicht mehr tätig wurde. Diese Begegnung liest sich in seinen Tagebüchern als Überraschung: Kierkegaard entdeckt einen Gleichgesinnten und kann seine Zitate von Schopenhauers Zitaten kaum noch unterscheiden.2 Doch Kierkegaard entdeckt auch viele Unstimmigkeiten in den Schriften seines deutschen Zeitgenossen und distanziert sich von Schopenhauers Thesen. Die Begegnung dauert in Kierkegaards Tagebüchern nur wenige Monate. Bisherige vergleichende Untersu1 2

Vgl. Patrick Stokes „Kierkegaard’s Uncanny Encounter with Schopenhauer, 1854“ in Kierkegaard and Great Philosophers (Acta Kierkegaardiana, Bd. 2), hrsg. v. Roman Kralik u. a., Mexiko / Barcelona / Sˇal’a 2007, S. 67 – 78, hier S. 69. Vgl. NB32:137.a (T 5, 307 / SKS 26, 233).

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chungen der Philosophien von Kierkegaard und Schopenhauer verhaften an den Tagebuchaufzeichnungen. Dieser Umstand mag im Zeitgeschehen begründet sein, denn es ist Kierkegaard, der Schopenhauer entdeckt und nicht andersherum. Somit bilden seine Tagebuchaufzeichnungen die einzigen Zeitzeugnisse für eine vergleichende Betrachtung beider Philosophen. Aber dieses Verhaften übersieht wesentliche Aspekte, die beide Philosophen vereinigen: Beides sind leidende Philosophen, die eine Philosophie des Leidens entwerfen. Offensichtlich gibt es mehr Ähnlichkeiten zwischen Schopenhauer und Kierkegaard, als diese Tagebuchaufzeichnungen vermuten lassen. Für die folgende, vergleichende Betrachtung zwischen den Philosophien des Leidens von Kierkegaard und Schopenhauer sollen Kierkegaards Aufzeichnungen dieser sonderbaren Begegnung philosophische Hinweise geben. Zugleich überschreitet der Vergleich diese Aufzeichnungen, indem er eine Struktur analysiert, in der beide Leidensphilosophien vergleichbar werden. Die Schriften beider Philosophen mögen bei einer Leserin oder einem Leser den Eindruck ausdrucksvoller und leidenschaftlicher Philosophie hinterlassen. Sicherlich wird ein solcher Eindruck durch die Tatsache gefestigt, dass beide Philosophen eigene Lebenserfahrung als Grundlage philosophischer Überlegungen heranziehen. Das eigene Leiden ist eine solche Lebenserfahrung. Nach seinem Selbstzeugnis erlebt Schopenhauer den Jammer des Leidens das erste Mal auf einer Europareise, die ihm sein Vater schenkt.3 Auch bei Kierkegaard finden sich Selbstzeugnisse seiner Leidenserfahrung. So schreibt er etwa in sein Tagebuch: „Jeder nimmt seine Rache an der Welt. Meine besteht darin, daß ich mein Leid und meinen Kummer tief in mir selbst verschlossen trage, während das Lachen alle unterhält“.4 Das Leiden ist dementsprechend ein zentraler Begriff beider Philosophien. Dabei ist es bemerkenswert, dass in beiden Philosophien der Leidensbegriff ähnlich strukturiert wird. Diese Leidensstruktur beider Autoren unterscheidet sich schließlich in der Haltung, die sie dem Leiden gegenüber empfehlen. Der Unterschied besteht in einer Gleichmütigkeit gegenüber der Individualität bei Schopenhauer und einer hoffnungsvollen Selbstaneignung bei Kierkegaard. 3

4

Vgl. Dieter Birnbacher / Oliver Hallich „Schopenhauer: Emotionen als Willensphänomene“ in Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, hrsg. v. Hilge Landweer / Ursula Renz, Berlin / New York 2008, S. 479 – 500, hier S. 481. Papir 290 (T 1, 86 / SKS 27, 282).

Leidende Philosophen und Philosophien des Leidens

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Um in diese vergleichende Thematik einzuführen, werden zunächst die Grundzüge beider Leidensphilosophien dargestellt. Dies geschieht anhand der Leidensformen, die Schopenhauer und Kierkegaard in ihren Philosophien beschreiben.

2. Leidensformen bei Schopenhauer und Kierkegaard Emil Angehrn unterscheidet in der Philosophie zwischen drei Leidensformen.5 Das Leiden als passives Erleben umfasst die Empfänglichkeit und Empathie zur Welt und zu anderen Menschen. Unter diese erste Leidensform fällt etwa Affektion und Ohnmacht. Das Leiden als schmerzhaftes Erleiden setzt ein eigenes Streben voraus, dem etwas zuwiderläuft. Unter diese zweite Leidensform fallen neben Schmerzen auch Unglück und Schaden. Schließlich tritt beim Leiden als reflexives Leiden der verstehende Umgang mit dem Erlittenen hinzu. In dieser dritten Form ist etwa das Leiden an der Sinnlosigkeit der Welt zu nennen. Sowohl bei Schopenhauer als auch bei Kierkegaard finden sich Variationen dieser Leidensform. In ihren Überlegungen zum Leiden gehen beide Autoren soweit, das Leiden als eine Grundbedingung menschlichen Daseins zu verstehen. In dieser Variante der dritten Leidensform wird das Leiden nicht weiter als zeitlich begrenzt gedacht, sondern als permanent vorliegender und zum Teil unbewusster Zustand. Arthur Schopenhauer sieht bereits in jungen Jahren eine erste Verbindung zwischen Leiden und philosophischer Erkenntnis. Er bezeichnet die Philosophie als Trost und im philosophischen Trost ist beides verbunden: Alle Philosophie und aller Trost, den sie gewährt, läuft darauf hinaus, daß eine Geisterwelt ist und daß wir in derselben, von allen Erscheinungen der Außenwelt getrennt, ihnen von einem erhabenen Sitz mit größter Ruhe ohne Teilnahme zusehen können, wenn unser der Körperwelt gehörender Theil auch noch so sehr darin herumgerissen wird.6

Schopenhauer versteht unter Leiden hier das körperliche, schmerzhafte Leiden. Diese Stelle kann als ein erster Hinweis für die Relevanz des 5

6

Vgl. Emil Angehrn „Leiden und Erkenntnis“ in Das Maß des Leidens: Klinische und theoretische Aspekte seelischen Krankseins (Beitrge der Gesellschaft fr Philosophie und Wissenschaften der Psyche, Bd. 3), hrsg. v. Martin Heinze u. a., Würzburg 2003, S. 25 – 44, hier S. 26 – 34. HN I, 7f.

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Leibes in der Philosophie Schopenhauers dienen.7 Der eigene Leib ist für Schopenhauer das unmittelbare Objekt und er wird dem Menschen sowohl als Vorstellung als auch als Wille bewusst.8 Darin sind zwei Wahrnehmungsweisen angesprochen, in denen wir unseren Leib erkennen. Die anschauende und sinnliche Wahrnehmung vermittelt den Leib als Vorstellung. In der Logik seiner Erkenntnistheorie ist diese unmittelbare und nicht begriffliche Wahrnehmungsweise die ursprüngliche Wahrnehmungsweise. Begriffe und Abstraktion versteht Schopenhauer als „Vorstellungen aus Vorstellungen“,9 indem von der Vorstellung etwas „weg gedacht“ wird. In Begriffen werden die Vorstellungen somit als weniger gedacht, denn angeschaut wurde. Schopenhauer beschreibt diesen Umstand als „Wenigerdenken“.10 Entsprechend ist die Abstraktion erkenntnislogisch später. Der Willensbegriff, der die zweite Wahrnehmungsweise des Leibes beschreibt, ist bei Schopenhauer anders zu verstehen als in unserer heutigen Alltagssprache. Als Wille bezeichnet Schopenhauer sowohl ein metaphysisches Streben, als dessen Objektivation die Erscheinungen der Welt zu deuten sind, als auch eine optativische Einstellung des Individuums.11 Eine derartige Zusammenfassung mannigfacher Phänomene unter dem Willensbegriff kann als der Aufweis eines Sinnzusammenhangs in der Welt verstanden werden.12 In Bezug auf Schopenhauers Leidensphilosophie wird am Willensbegriff ebenso wie in seiner Erkenntnistheorie deutlich, dass er Intuition als ursprünglicher ansieht als Abstraktion und Denken. Entsprechend bezeichnet er den Willen als das Substantielle, den Intellekt jedoch als das Akzidentielle.13 Das Wenigerdenken kann somit als Motiv der schopenhauerischen Leidensphilosophie verstanden werden. Mit einer derartigen Fokussierung der Anschauung und des Leibes beschreibt Scho7 Vgl. Harald Schöndorf Der Leib im Denken Schopenhauers und Fichtes (Mnchener philosophische Studien, Bd. 15), München 1982, S. 108. 8 Vgl. Schopenhauer Werke (L), W I, §§ 18 – 19, 150 – 158 (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke in fnf Bnden, hrsg. v. Ludger Lütkehaus, Frankfurt a.M. 2006). 9 Schopenhauer Werke (L), G, § 26, 107. 10 Schopenhauer Werke (L), G, § 26, 107. 11 Vgl. zu optativischen Einstellungen Gottfried Seebass Wollen (Philosophische Abhandlungen, Bd. 59), Frankfurt a.M. 1993, S. 86f. 12 Zum Verständnis von Schopenhauers Philosophie als expressiver Beschreibung von Sinnzusammenhängen vgl. Dieter Birnbacher „Induktion oder Expression? Zu Schopenhauers Metaphilosophie“ in Schopenhauer-Jahrbuch 69, 1988, S. 7 –19, hier S. 11 – 13. 13 Vgl. Schopenhauer Werke (L), W II, Kap. 30, 430.

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penhauer eine Fülle von Leidensformen, die von körperlichen Schmerzen bis zum unerfüllten Wollen und Mangel reichen. Dabei werden alle diese Leidensformen dem Willen subsumiert. Auch das reflexive Leiden ist bei Schopenhauer ein Leiden am Willen. Es besteht etwa in der Langeweile, die sich einstellt, wenn der Geist das Spiel des immer gleichen und ziellosen Übergangs versteht: vom Wunsch zur Befriedigung und wieder zum neuen Wunsch und zur neuer Befriedigung und so fort.14 Das Leiden ist für Schopenhauer der ursprüngliche und logisch positive Zustand. Das Glück ist die Abwesenheit des Leidens. Diese Positivität des Leidens kann als abstrakter Ausdruck einer intuitiven Erkenntnis verstanden werden. Schopenhauer wundert sich, warum die Deutlichkeit der intuitiven Erkenntnis in der Philosophiegeschichte übersehen wurde: „Es ist bemerkenswerth, daß da viele Philosophen, besonders aber Leibniz und seine Schule, die abstrakte Erkenntniß für die deutliche, die intuitive aber für die verworrne erklären“.15 Insbesondere Leibniz kommt in seiner Theodizee zur abstrakten Idee, die Welt sei die beste aller möglichen Welten. Es ist verständlich, dass diese These dem Motiv des Wenigerdenkens widerspricht. Schopenhauer ist demnach der Meinung, den Gegenbeweis antreten und zeigen zu können, dass die Welt die schlechteste aller Möglichen ist.16 Schopenhauer beschreibt eindringlich in zahlreichen Beispielen, dass die kleinste Veränderung dieser schlechten Welt sie so schlecht gemacht hätte, dass sie nicht möglich sein könnte. In diesen und anderen negativ expressiven Beschreibungen ist Schopenhauer in seinen Schriften bemüht, die Positivität des Leidens intuitiv zu vermitteln. Wenn nicht in dieser Intensität, so sind seine Beschreibungen nachvollziehbare Lebenserfahrungen. Entsprechend seinem Motiv relativiert Schopenhauer diese Lebenserfahrung nicht durch das Denken. Alle Befriedigung, oder was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv. Es ist nicht eine ursprünglich und von selbst auf uns kommende Beglückung, sondern muß immer die Befriedigung eines Wunsches seyn. Der Wunsch, d. h. Mangel, ist die vorhergehende Bedingung jedes Genusses.17

14 15 16 17

Vgl. Schopenhauer Werke (L), W I, § 29, 229f. HN I, 328. Vgl. Schopenhauer Werke (L), W II, Kap. 46, 678. Schopenhauer Werke (L), W I, § 58, 415.

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Die Leidensform, auf die die Positivität des Leidens hinweist, besteht im Leiden als einem Grundzustand, bei dem von jeglichem Gegenstand des Leidens abgesehen wird. Dieser Zustand des Leidens liegt auch dann vor, wenn er augenblicklich im Glück nicht bewusst ist. Sören Kierkegaard beschreibt sich selbst in seinen Tagebüchern als leidende Person und in dieser Selbstbeschreibung wird ein wesentliches Merkmal seiner Leidensphilosophie deutlich: der Selbstbezug. Die Philosophie Kierkegaards reflektiert demnach das Verhalten gegenüber sich selbst. Wenn Du mich also richtig verstehen willst, so kann ich gerne sagen, es komme beim Wählen nicht so sehr darauf an, das Rechte zu wählen, als vielmehr auf die Energie, den Ernst, das Pathos, mit denen man wählt.18

Kierkegaard arbeitet in dieser und ähnlichen Äußerungen den Unterschied heraus, den das Selbstverhalten im Bereich des Verhaltens ausmachen kann. Dabei ist es ein wichtiger Aspekt, dass Kierkegaard diesen Unterschied beschreibt. Er wirkt in eine Zeit hinein und schreibt mit einer wissenschaftlichen Sprache, in der diese subjektive Kategorie kaum beschreibbar war.19 Doch im Zitat deutet die Redewendung „Wenn Du mich also richtig verstehen willst“ darauf hin, dass dieser Umstand kaum sprachlich direkt erschöpfend zu fassen ist. Es ist demnach seinem philosophischen Anliegen dienlich, dass Kierkegaard viele seiner Werke unter Pseudonymen veröffentlicht. Die Pseudonymität Kierkegaards kann als eine indirekte Kommunikation und als ein Teil seiner philosophischen Argumentation verstanden werden.20 Das abgedruckte Zitat stammt aus dem zweiten Teil von Entweder – Oder. Kierkegaard lässt hier eine Person (B) um das Verständnis einer anderen Person (A) werben. Das Selbstverhalten findet sich hier im Spannungsfeld zwischen Rationalität und Handlung, indem es sprachlich nicht vollständig vermittelbar ist und die Bereitschaft voraussetzt, sich selbst aus einer bestimmten Perspektive zu sehen. Gewissermaßen praktiziert Kierkegaard somit, was er durch Johannes Climacus sagen lässt: Laß uns also, was die Unmöglichkeit eines Systems des Daseins anbetrifft, ganz einfältig fragen, so wie ein griechischer Jüngling seinen Lehrmeister fragen würde […]: Wer soll ein solches System schreiben oder fertigmachen? 18 EO2, 178 / SKS 3, 164. 19 Vgl. Jacob Golomb In Search of Authenticity (Problems of Modern European Thought Series), London 1995, S. 45. 20 Vgl. Paul Ricœur „Philosopher après Kierkegaard“ in Les Cahiers de Philosophie 8/9, 1989, S. 285 – 300, hier S. 291.

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Doch wohl ein Mensch, es sei denn, daß wir wieder mit der sonderbaren Rede begännen, daß der Mensch die Spekulation, das Subjekt-Objekt wird. […] Von dieser Seite aus muß vor allem anderen der Einwand gegen die moderne Spekulation erhoben werden, daß sie […] in einer Art welthistorischer Distraktion vergessen hat, was es heißt, Mensch zu sein, und zwar nicht, was es heißt, Mensch überhaupt zu sein – auf etwas Derartiges einzugehen, dazu würde man wohl sogar die Spekulation bekommen –, sondern was es heißt, daß du und ich und er, daß wir jeder für sich Menschen sind.21

Das Selbstverhalten ist in der Philosophie Kierkegaards nicht ausschließlich deskriptiv zu verstehen. Kierkegaard weist ebenso auf die ethische Relevanz des Selbstverhaltens hin und kann damit als ein Pionier in Bezug auf diese ethische Kategorie angesehen werden.22 Er konzipiert den subjektiven Denker als Leitfigur, die bestrebt ist, „sich selbst in Existenz zu verstehen“. 23 Der Existenzbegriff verbindet die Innerlichkeit und die Äußerlichkeit und umfasst damit das Spannungsfeld, in dem Kierkegaard dem Selbstverhalten nachforscht. Die Existenz ist die Gleichzeitigkeit dieser beiden Momente.24 Neben dem Begriffspaar Innerlichkeit und Äußerlichkeit verwendet er auch Subjekt und Objekt oder Sein und Denken zur Beschreibung der beiden Momente der Existenz.25 Am Existenzbegriff wird das Selbstverhalten als ethische Kategorie schließlich greifbar, denn diesen verwendet Kierkegaard ebenso appellativ.26 Die Grundlage für diese ethische Kategorie bilden Leidensformen, die das Leiden an sich selbst ausdrücken, wie etwa Verzweiflung, Unglück, Schwermut oder Schuld. So beschreibt Kierkegaard in der Krankheit zum Tode zwei Modi der Verzweiflung. Zum einen handelt es sich dabei um eine Schwäche im Umgang mit sich selbst: Diese Form der Verzweiflung ist: verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder noch niedriger: verzweifelt kein Selbst sein wollen, oder am allerniedrigsten: verzweifelt ein andrer sein wollen, als man selbst, ein neues Selbst sich wünschen.27 21 AUN1, 112f. / SKS 7, 115f. 22 Vgl. Ernst Tugendhat Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, Frankfurt a.M. 1989, S. 149. 23 AUN2, 55 / SKS 7, 321. 24 Vgl. AUN2, 52 / SKS 7, 318. 25 Vgl. AUN1, 116 / SKS 7, 118. 26 Vgl. Hiroshi Fujino „Kontemplativ-ästhetisch oder existenziell-ethisch. Zur Kritik der auf der Stadienlehre basierenden Kierkegaardinterpretation“ in Kierkegaardiana 17, 1994, S. 66 – 82, hier S. 77. 27 KT, 51 / SKS 11, 168.

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Zum anderen handelt es sich um Verzweiflung als Trotz. Kommt die zitierte Verzweiflung als Schwäche im Verhalten mit sich selbst zum Bewusstsein, so schlägt sie nach Kierkegaard in Trotz um.28 Gemäß seiner Pseudonymität und der indirekten Kommunikation beschreibt Kierkegaard diese Leidensformen nicht nur, in seinen Werken zeigt er auch, dass er eine Vorstellung von der Komplexität besitzt, die mit dem Leiden einhergeht. Kierkegaard demonstriert das Leiden dramaturgisch. Dabei sind sich die Menschen und Figuren ihres Leidens häufig nicht bewusst. Entsprechend wie das Selbstverhalten eine Bereitschaft voraussetzt, sich selbst aus einer solchen Perspektive zu sehen, so arbeitet Kierkegaard in seinen Schriften auch eine Bereitschaft heraus, die erforderlich ist, um sich selbst als leidend zu verstehen. Diese Form des reflexiven Leidens ähnelt dem Leiden als Grundzustand bei Schopenhauer.

3. Leidensstruktur Soweit besteht das Spektrum der Leidensformen, die Kierkegaard und Schopenhauer in ihren philosophischen Überlegungen heranziehen, aus körperlichen Schmerzen, unerfülltem Wollen, Mangel, Leiden an sich selbst als Verzweiflung, Schwermut und Schuld. Alle diese Leidensformen münden schließlich in eine Auffassung von Leiden als einem Grundzustand des Daseins. Es wird deutlich, dass diese Leidensformen im Kontext der jeweiligen Philosophie beschrieben werden. Dieser Kontext soll nun ausgeweitet werden. Die vergleichende Betrachtung des Leidens bei Schopenhauer und Kierkegaard zieht die Struktur des Leidens parallel nach, die beide Philosophen in ihren Schriften entwickeln. Hierdurch ist erkenntlich, wo sie einander ähneln und wo sie voneinander abweichen. Diese „Leidensstruktur“ systematisiert die philosophischen Überlegungen der beiden Autoren zum Begriff und Phänomen des Leidens über ihre Schaffensperioden hinweg derart, dass sie vergleichbar werden. Eine solche Leidensstruktur lässt sich für beiden Philosophen in drei Momente unterteilen: 1. einer Täuschung 2. einer Überwindung dieser Täuschung 3. einer Haltung gegenüber dem Leiden

28 Vgl. KT, 67 / SKS 11, 181.

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Die Täuschung beschreiben die Autoren unterschiedlich, aber in beiden Fällen ist es ein naives Konstrukt von Glück als augenblicklicher und durch sich selbst sich kundgebender Zustand der Indifferenz zwischen dem Subjekt und dem Objekt seiner optativischen Einstellung. Glückszustände dieser Art werden als stetiger, zumindest überwiegender Erlebenszustand erwartet. Darin besteht die Täuschung. Die Überwindung dieser Täuschung geschieht durch eine Dekonstruktion ihres Grundkonstrukts. Schließlich überwinden beide diese Täuschung. Diese Überwindung mündet jedoch noch nicht in der Empfehlung einer Haltung gegenüber dem Leiden, sondern sie legt zunächst das zweite Moment der Leidensstruktur frei. Wichtigstes Strukturmoment hierbei ist sowohl für Schopenhauer als auch für Kierkegaard das Leiden als ein Grundzustand menschlichen Daseins. Erst von diesem Ausgangspunkt entwickeln beide Philosophen unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Leiden. Das erste Moment der Leidensstruktur, die Täuschung, besteht sowohl für Schopenhauer als auch für Kierkegaard in der Annahme, der Mensch sei auf der Welt um glücklich zu werden. Wie kann der Mensch sich derart in seinem Lebensglück täuschen? Schopenhauer erklärt diesen Umstand mit seiner Willensmetaphysik: „Diese Frage beruht, wie so viele andere, auf der Verwechslung des Dinges an sich mit der Erscheinung“.29 Schopenhauer versteht Glück als die Erfüllung eines Wollens, im Idealfall als eiligen Übergang vom Wunsch zur Befriedigung.30 Die Befriedigung tritt ein, wenn das im Wollen intendierte Objekt erreicht ist. Zwecke und Motive finden sich als innere Verbindungsglieder im Ablauf von Wollen und Befriedigung. Diese Tätigkeit des Willens ist uns nach Schopenhauer derart unmittelbar, dass sie häufig nicht ins Bewusstsein kommt. Es handelt sich dabei um eine innere Form der Kausalität, denn Motive und Zwecke geben Begründungszusammenhänge für Handlungen an.31 Es gibt jedoch keinen „Grund schlechthin“ und keinen „Grund überhaupt“.32 In der Frage nach dem Grund des Handelns überhaupt liegt eine Verwechslung der Erscheinung mit dem „Ding an sich“ vor. Zwecke und Motive finden sich demnach immer nur für einzelne Willensakte. Das Wollen überhaupt ist zwecklos. Entsprechend beschreibt Schopenhauer das Wollen als ein „endloses Streben“. Es kommt so gesehen nie zur 29 30 31 32

Schopenhauer Werke (L), W I, § 29, 227. Vgl. Schopenhauer Werke (L), W I, § 52, 344. Vgl. Schopenhauer Werke (L), G, § 43, 152 – 154. Schopenhauer Werke (L), G, § 52, 167.

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Befriedigung. Für Schopenhauer ist demnach jedes Fortschreiten vom Wunsch zur Befriedigung in dieser Spanne als Leiden aufzufassen. Ebenso das langsame Fortschreiten und das Nichtfortschreiten, etwa wenn es keinen Wunsch gibt, was die Langeweile einschließt.33 Solange unser Horizont von der einen zur nächsten Handlung reicht und womöglich noch eine Handlung weiter, erfahren wir demnach Befriedigung und fahren eilig fort zur nächsten Befriedigung. Solange durchschauen wir nach Schopenhauer die Täuschung nicht. Der Wollensbegriff von Schopenhauer muss hier wiederum anders als in unserer Alltagssprache verstanden werden. Wie selbstverständlich fasst Schopenhauer Phänomene darunter, die Grenz- und Problemfälle des Wollens darstellen. Ein Beispiel hierfür ist das rein präskriptive Wollen. Schopenhauer bezeichnet es als „Affektionen des Willens“.34 Gemeint ist ein „augenblickliches Wollen oder Nichtwollen“.35 In der Handlungstheorie ist ein solches „bloßes“ Wollen insofern ein Grenzfall, als dass keine Motivation für eine Handlung vorliegt. Wenn eine solche ,Affektion des Willens‘ als Wollen zu verstehen ist, so ist es ein Fall von Willensschwäche.36 Schopenhauer kennt jedoch auch das motivational qualifizierte Wollen, bei dem sich das Wollen in einer Handlung manifestiert, die einen erscheinenden Akt des Leibes darstellt. Das erwähnte Fortschreiten des Wollens in der Täuschung umfasst somit ebenfalls passive Leidensformen, in denen eine ablehnende Einstellung gegenüber dem Leidensobjekt vorliegt. Die Bestimmung der Täuschung bei Kierkegaard umschließt ebenso aktive und passive Momente, während er jedoch die Täuschung nicht auf eine Verwechslung, sondern auf eine Reflexionslosigkeit zurückführt. Kierkegaard bezeichnet den Zustand innerhalb der Täuschung in der Unwissenschaftlichen Nachschrift als die „Lebensanschauung der Unmittelbarkeit“: Die Unmittelbarkeit ist Glck, denn in der Unmittelbarkeit ist kein Widerspruch; der Unmittelbare ist wesentlich gesehen glücklich, und die Lebensanschauung der Unmittelbarkeit ist das Glck. Würde man sie fragen, woher sie diese Lebensanschauung habe, dieses wesentliche Verhältnis zum Glück, dann müßte sie in jungfräulicher Weise antworten: ich verstehe es selbst nicht.37 33 34 35 36 37

Vgl. Schopenhauer Werke (L), W I, § 29, 228 – 230. Schopenhauer Werke (L), W I, § 18, 152. Schopenhauer Werke (L), W I, § 18, 152. Vgl. Seebass Wollen, S. 86f. AUN2, 141 / SKS 7, 394.

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Die Widerspruchslosigkeit kann darauf hinweisen, dass das intendierte Objekt des Wollens ohne Komplikationen erreicht wird. Insofern kann Kierkegaard hier im Sinne eines motivational qualifizierten Wollens verstanden werden. Doch eine Widerspruchslosigkeit kann auch ohne ein motivationales Moment vorliegen. Insofern spricht Kierkegaard ebenso wie Schopenhauer von aktiven und passiven Leidensformen. Des Weiteren reflektiert die Lebensanschauung der Unmittelbarkeit nicht, denn sie „versteht sich selbst nicht“. Das Unmittelbare bezeichnet Kierkegaard auch an anderer Stelle als etwas Reflexionsloses.38 Da ein Zustand völliger Reflexionslosigkeit für einen Menschen unmöglich ist, leben die meisten Menschen nach Kierkegaard in einer „gewissen Reflexion“ und sie „pfuschen im Unmittelbaren und der Reflexion“.39 Die Täuschung geht somit bei Kierkegaard einher mit einem Mangel an Einsicht, nicht explizit mit einer Verwechslung. Indes erklärt Kierkegaard den Umstand der Täuschung nicht so direkt wie Schopenhauer. Schopenhauers Willensmetaphysik schafft die Grundlage für eine differenzierte Erklärung. Schließlich kommt Schopenhauer somit zum Schluss: „Es gibt nur einen angeborenen Irrthum, und es ist der, daß wir dasind, um glücklich zu seyn“.40 Kierkegaard jedoch beschreibt diese Täuschung eindringlicher aus der Innenperspektive und insbesondere das entsprechende Selbstverhalten. Er stimmt Schopenhauer jedoch in seiner Erklärung zu: „Weshalb Schopenhauer Recht hat, wenn er sagt, dass es in jedem Menschen einen angeborenen Irrtum gibt, nämlich den, sich einzubilden, dass es die Bestimmung dieses Lebens ist, glücklich zu sein“.41 In dieser Zustimmung wird deutlich, dass Kierkegaard auch Schopenhauers These der Positivität des Leidens teilt. Auch für ihn ist das Leiden der der Lebensanschauung der Unmittelbarkeit unterliegende Grundzustand, den es zu erkennen gilt, um der Täuschung des Lebens zu entkommen. Das zweite Strukturmoment des Leidens besteht demnach in der Überwindung dieser Täuschung hin zum Leiden als einem solchen Grundzustand. Für diese Überwindung gibt es für Schopenhauer zwei Wege: Der erste Weg erkennt das Leiden, und der zweite Weg empfindet 38 39 40 41

Vgl. NB36:32 (T 5, 361f. / SKS 26, 429 – 432). JJ:221 (T 1, 328 / SKS 18, 211). Schopenhauer Werke (L), W II, Kap. 49, 737. „[H]vorfor Schopenhauer har Ret naar han siger, at der er en Vildfarelse medfødt ethvert [Menneske], den at indbilde sig at dette Livs Bestemmelse er at være lykkelig“ (NB35:14 (SKS 26, 376)) [Übers. v. Verf.].

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das Leiden.42 Kierkegaard fasst Schopenhauer diesbezüglich in der Tagebuchaufzeichnung „Über Arthur Schopenhauer“ folgendermaßen zusammen und formuliert seine Einwände gegen Schopenhauer: Gegen seine Ethik habe ich insbesondere zwei Einwendungen. Seine ethische Anschauung ist: entweder durch den Intellekt, also intellektuell, oder durch Leiden (das zweite mehr) gewinnt der Einzelne den Durchblick durch das ganze Elend dieses Daseins, und entschließt sich nun, die Lebensbegierde zu töten oder zu verneinen; hier die Askese; und es wird dann eine durch die vollkommene Askese erreichte Kontemplation, ein Quietismus gewonnen.43

Kierkegaard differenziert an dieser Stelle nicht zwischen dem Strukturmoment der Überwindung der Täuschung hin zum Leiden als Grundzustand und der daraus resultierenden Haltung gegenüber dem Leiden. Ersteres findet sich auch in seiner Leidensphilosophie, insofern sind seine Einwände vorsichtig zu lesen. Kommt es zu einem Widerspruch in der Lebensanschauung der Unmittelbarkeit, so wird dieser aus der Innenperspektive der Lebensanschauung als „Verengung auf dem Weg des Unmittelbaren“44 wahrgenommen. In dieser Situation ist die Täuschung jedoch noch nicht überwunden, denn das Unglück wird noch immer als von außen kommend angesehen. Hört das Unglück nicht auf, tritt nach Kierkegaard die Verzweiflung ein, und erst dann verwendet Kierkegaard den Begriff „Leiden“.45 Das Leiden wird fortan als wesentlich angesehen, was es als Grundzustand charakterisiert. Doch es ist nach Kierkegaard nicht ausschließlich ein Unterfangen der Reflexion, diesen Grundzustand zu erkennen. Es liegt ein Verhalten gegenüber sich selbst zugrunde: Während der Unmittelbare unwillkürlich vom Unglück wegsieht, nicht davon weiß, daß es da ist, sobald es äußerlich nicht da ist: hat der Religiöse das Leiden beständig bei sich, fordert in demselben Sinne Leiden, wie der Unmittelbare das Glück fordert, und fordert Leiden und hat Leiden, auch wenn das Unglück im Äußeren nicht da ist; denn es ist nicht Unglück, was er fordert, sonst wäre das Verhältnis doch ästhetisch und er wäre in sich selbst wesentlich undialektisch.46

Demnach verhalten sich Menschen in der Lebensanschauung der Unmittelbarkeit gegenüber sich selbst derart, dass sie über die Möglichkeit 42 43 44 45 46

Vgl. Schopenhauer Werke (L), W I, § 68, 511. NB29:95 (T 5, 195 / SKS 25, 352). AUN2, 141 / SKS 7, 394. AUN2, 141 / SKS 7, 394. AUN2, 142 / SKS 7, 395.

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des Unglücks nicht weiter reflektieren. Der Leidende schließlich kann von dieser Möglichkeit nicht mehr absehen, und das Leiden wird zu einem notwendigen Grundzustand. Kierkegaard ist somit noch zurückhaltender als Schopenhauer, der Reflexion die Fähigkeit der Überwindung dieser Täuschung zuzuschreiben, während das Erlebnis des Leidens für beide Philosophen diese Wirkung hervorrufen kann. Kierkegaard wendet sich in der Unwissenschaftlichen Nachschrift gegen Hegel, wenn er überlegt, was eine gewisse Reflexion zum Stehen bringt, damit ihr ihre Täuschung auffällt. Doch er kommt zum Schluss, dass es eine Leistung des Subjektes ist, welches reflektiert, seine Reflexion anzuhalten. Kierkegaard bezeichnet diesen Effekt dort als „Sprung[e]“.47 In diesem Begriff fasst Kierkegaard somit das Zusammenspiel zwischen Handlung und Reflexion zusammen. Auch Schopenhauer sieht in seiner Leidensphilosophie das Zusammenspiel zwischen Reflexion und subjektiver Bereitschaft, sich auf ein solches Denken einzulassen. Deutlich wird dies im Appell und im Elan, mit dem Schopenhauer die intuitive Wahrnehmung des Leidens immer wieder in Begriffe fasst, um seine Erkenntnis darzulegen. Das Leben, mit seinen stündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größern und großen Widerwärtigkeiten, und seinen getäuschten Hoffnungen und seinen alle Berechnung vereitelnden Unfällen, trägt so deutlich das Gepräge von etwas, das uns verleidet werden soll, daß es schwer zu begreifen ist, wie man dies hat verkennen können und sich überreden lassen, es sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch um glücklich zu seyn.48

Der Unterschied zwischen den beiden Denkern tritt schließlich im dritten Moment der Leidensstruktur hervor und kann als der eines christlichen und eines säkularisierten Denkers beschrieben werden. Somit könnte Kierkegaard dieses Moment der Leidensstruktur im Sinn haben, wenn er 1854 in seinem Tagebuch die Initialen von Arthur Schopenhauer mit folgender Anmerkung versieht: „Recht wunderlich, ich heiße S. A. Wir verhalten uns wohl auch umgekehrt zueinander“.49 Doch besteht zwischen den beiden Denkern in Bezug auf ihre Leidensphilosophie der von Kierkegaard hier suggerierte kontradiktorische Widerspruch? Dieser Kommentar Kierkegaards kann ebenso als Auseinander-

47 Vgl. AUN1, 108 / SKS 7, 111. 48 Schopenhauer Werke (L), W II, Kap. 46, 666f. 49 NB29:95 (T 5, 195 / SKS 25, 352).

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setzung mit seiner eigenen Philosophie verstanden werden wie auch als eine Kritik an Schopenhauer. Kierkegaard wehrt sich in seinen Tagebüchern gegen Schopenhauers Verneinung des Willens zum Leben – er nennt diese Verneinung eine „Tötung der Lebenslust“. Als Grund und Einwand gegen Schopenhauer führt er das Mitleid gegenüber den unzähligen Menschen auf, die in der Unmittelbarkeit leben und demnach das Leben wesentlich als Glück begreifen: [K]önnte nicht gerade die Sympathie ihn hindern, ihn davon abhalten, soweit zu gehen, die Sympathie mit diesen Tausenden und Abertausenden, die ihm unmöglich können folgen wollen, diesen Tausenden und Abertausenden, die in der frohen Einbildung leben, das Leben sei Freude – und die er deshalb bloß verwirren wird, unglücklich machen wird, ohne ihnen zu sich hinaushelfen zu können.50

Die Philosophie Schopenhauers ist in Bezug auf diese Vermutung empfänglich. Das Phänomen der Sympathie selbst besitzt in der schopenhauerischen Ethik eine herausragende Rolle, da er seine Ethik auf dem Mitleid begründet. Demnach sind Handlungen mit moralischem Wert ausschließlich durch Mitleid motiviert.51 Doch Kierkegaard adressiert diese Vermutung eher an den Menschen denn an die Philosophie Schopenhauers. Analog zur Unwissenschaftlichen Nachschrift kann dieses Zitat als eine Vermutung darüber gelesen werden, welche Faktoren Schopenhauers Reflexion über das Leiden zum Stehen bringen könnten, um eine Übertreibung der Leidensphilosophie zu verhindern. Diese Übertreibung besteht nicht im zweiten Moment der Leidensstruktur, dem Leiden als einem Grundzustand des menschlichen Daseins, sondern im ersten Moment, und hier besonders im Bestreben, die Menschen über ihre Täuschung in Bezug auf das Glück aufzuklären. Kierkegaards Vermutung zielt somit letztlich auf das Wahrheitsverständnis dieser Täuschung: Ist die Wahrheit, die durch die Aufdeckung der Täuschung enthüllt wird, für alle Menschen erstrebenswert? Schließlich kann diese Kritik auch invers gelesen und auf Kierkegaard selber angewendet werden: „Kierkegaard claims to discern what Schopenhauer cannot: that because of the disjunction between his writing and his life, he himself does not escape this critique“.52 50 NB29:95 (T 5, 196 / SKS 25, 354). 51 Vgl. Schopenhauer Werke (L), E II, § 16, 566. 52 Stokes „Kierkegaard’s Uncanny Encounter with Schopenhauer, 1854“, S. 73.

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Schopenhauer empfiehlt die Askese als Lebenshaltung gegenüber dem Leiden. Diese besteht in einer Verneinung des Willens zum Leben. Jede Form der Objektivation des metaphysischen Willens versteht Schopenhauer auch als „Wille zum Leben“. Das Leben ist demnach die Darstellung des metaphysischen Drangs in der Vorstellung.53 Entsprechend besteht die Verneinung des Willens zum Leben in einer vollständigen Askese. Die Täuschung als Moment der Leidensstruktur wird als Wahn begriffen, und durch die Enttäuschung tritt die „gänzliche Resignation“ ein.54 Da Schopenhauer den Willen mit dem eigenen Selbst identifiziert,55 impliziert seine Verneinung des Willens zum Leben ebenso eine Verneinung des Selbst. Das Selbst ist dabei auf das principium individuationis angewiesen, denn um ein Ich zu konstruieren ist wesentlich ein Nicht-Ich notwendig.56 Schopenhauers Leidensphilosophie läuft somit auf eine Selbstaufgabe hinaus. Doch gemessen an dieser Haltung, so lautet ein weiterer Kritikpunkt Kierkegaards gegen Schopenhauer, schneidet Schopenhauer schlecht ab. Nachdem Schopenhauers Philosophie lange Zeit in Deutschland kaum beachtet wurde, schreibt er schließlich in Parerga und Paralipomena: Ich habe viel Tadel darüber erfahren, daß ich, philosophirend, mithin theoretisch, das Leben als jammervoll und keineswegs wünschenswerth dargestellt habe: doch aber wird wer praktisch die entschiedenste Geringschätzung desselben an den Tag legt gelobt, ja bewundert; und wer um Erhaltung desselben sorgsam bemüht ist wird verachtet.57

In Kommentaren wie diesen sieht Kierkegaard jedoch einen Widerspruch zwischen Schopenhauers Leben und seiner Philosophie. Sie drücken dieselbe Abhängigkeit vom Willen zum Leben aus, wie sie Schopenhauer kritisiert. Kierkegaard kommentiert solche Äußerungen Schopenhauers daher folgendermaßen: „Ach, das ist ganz und gar Professoren-Rede, ich bin der Erste, welcher ihr den Platz im System angewiesen hat. Und nun weiter, daß die Askese jetzt ihren Platz im System findet, ist das nicht ein mittelbares Zeichen dafür, daß ihre Zeit vorbei ist?“58 Somit bemisst Kierkegaard Schopenhauer also in seiner Ethik des Sichverhaltens. Doch auch diese Kommentare Kierkegaards können invers gelesen werden. 53 54 55 56 57 58

Vgl. Schopenhauer Werke (L),W I, § 54, 361f. Schopenhauer Werke (L), W II, Kap. 48, 706. Vgl. Schopenhauer Werke (L), W II, Kap. 30, 427. Vgl. Schopenhauer Werke (L), E II, § 22, 622. Schopenhauer Werke (L), P I, § 14, 134. NB32:35 (T 5, 265 / SKS 26, 141).

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Schließlich ist Kierkegaard auch noch an etwas anderem interessiert: „Und da natürlich auch sein Schicksal in Deutschland“.59 Womöglich überlegt Kierkegaard, dass etwas Ähnliches wie Schopenhauer auch ihm bevorstehen kann. Eben weil die Kritik von Kierkegaard an Schopenhauer auch auf ihn selber angewendet werden kann, erscheint die bereits zitierte Aussage von ihm, Schopenhauer sei sein Gegenteil, mehr als eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Philosophie denn als eine Positionierung der beiden Leidensphilosophien. So ist es der Kierkegaard ein Jahr vor seinem Tod, der Schopenhauer liest. Dieser Kierkegaard erwähnt viele Ähnlichkeiten zwischen ihm und Schopenhauer gar nicht: etwa die vielen Übereinstimmungen in der ästhetischen Haltung.60 Kierkegaard ist somit an einer ganz bestimmten Rezeption von Schopenhauer interessiert, und diese ähnelt mehr einer Selbstauseinandersetzung denn einem sachlichen Vergleich. Wegen der Nähe in den Leidensphilosophien von Schopenhauer und Kierkegaard hat Kierkegaard hier einen Gleichgesinnten gefunden. Kierkegaards Leidensphilosophie mündet im Gegensatz zu Schopenhauer in einer Selbstaneignung. Das Leiden begleitet Prozesse hin zum Subjektiven und zur Innerlichkeit. Entsprechend versteht die Lebensanschauung der Unmittelbarkeit das Unglück in der Unwissenschaftlichen Nachschrift als äußerlich, der leidende Mensch jedoch das Leiden als innere Notwendigkeit. Worin diese Selbstaneignung besteht, beschreibt Kierkegaard in der Nachschrift im Bild des „subjektiven Denkers“. Kierkegaards Leidenshaltung lässt sich zusammenfassen als ein hoffendes Streben nach einem – jedoch letztlich unerreichbaren – Selbst.61

59 NB29:95 (T 5, 197 / SKS 25, 355). 60 Vgl. Simonella Davini „Schopenhauer: Kierkegaard’s Later Encounter with His Opposite“ in Kierkegaard and His German Contemporaries (Kierkegaard Research: Source, Reciption and Resources, Vol. 6, Tome I), hrsg. v. Jon Stewart, Aldershot 2007, S. 277 – 292, hier S. 279. 61 Diese Zusammenfassung basiert auf einem Verständnis von Kierkegaard, das seine philosophischen Schriften, insbesondere die Unwissenschaftliche Nachschrift, fokussiert und ihn an dieser Stelle nicht christlich interpretiert.

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4. Zusammenfassung und Ausblick Eine vergleichende Betrachtung der Leidensphilosophien von Arthur Schopenhauer und Sören Kierkegaard zeigt ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen den beiden Philosophen. Grundlage dieses Vergleichs ist eine Leidensstruktur, die das Leiden in eine Täuschung, eine Überwindung der Täuschung und eine Haltung gegenüber dem Leiden einteilt. An dieser Struktur wird deutlich, dass sowohl Kierkegaard als auch Schopenhauer der Annahme widersprechen, das Lebensglück sei für alle Menschen als stetiger und überwiegender Zustand erreichbar. Diese angeborene Annahme identifizieren beide als Täuschung. Während Schopenhauer diese Täuschung als kurzsichtige Verwechslung beschreibt, arbeitet Kierkegaard an ihr neben einer Reflexionslosigkeit ebenso die für seine Philosophie charakteristische Kategorie des Selbstverhaltens heraus, welche diese Täuschung aufrechterhält. Die Überwindung dieser Täuschung ist damit nicht ausschließlich durch Reflexion zu erreichen. Beide Autoren sehen im individuellen Leidenserlebnis hierfür ebenso einen klärenden Beitrag. Derart ergänzen sie sich schließlich in der Beschreibung des Leidens als positiven und grundlegenden Zustand des menschlichen Daseins in der Überwindung dieser Täuschung. Aus einer solchen Leidensphilosophie entwickelt Schopenhauer eine Lebenshaltung der Selbstaufgabe, die sich in Resignation und gleichmütiger Verneinung dem Streben der Welt gänzlich entzieht. Kierkegaard hingegen entwickelt auf der Grundlage seines Existenzbegriffs eine Haltung der hoffenden Selbstaneignung, die im Leiden naive Formen des Selbstverhaltens überwindet und die eigene Existenz begreift. Die Einwände und Kritikpunkte, die Kierkegaard in seinen Tagebuchaufzeichnungen über Schopenhauer formuliert, sind auf der Grundlage dieses Vergleichs vorsichtig zu lesen. Seine Einwände können als Auseinandersetzung mit seiner eigenen Philosophie verstanden werden. Auch wenn Kierkegaard und Schopenhauer in christlicher und säkularisierter Tradition philosophieren, stimmen sie in wesentlichen Eckpunkten ihrer Leidensphilosophie überein. Der Ausgangspunkt für diese vergleichende Betrachtung beider Philosophen ist die Enthüllung der menschlichen Glückserwartung als Täuschung. Insbesondere in einem Einwand gegen Schopenhauer hinterfragt Kierkegaard den ethischen Wert der Wahrheit, der dieser Täuschung zugrunde liegt. Kierkegaard spricht vom Mitleid gegenüber den unzähligen Menschen, die in der fröhlichen Einbildung leben, dass das Leben Glück sei. Friedrich Nietzsche entwickelt eben diesen Gedanken

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weiter zu einer ethischen Problematisierung des Wahrheitsbegriffs, der die Aufdeckung dieser Täuschung ermöglicht. Demnach muss das Gut, das in der Aufdeckung dieser Täuschung liegt, auch am Leiden gemessen werden, welches die Überwindung dieser Täuschung erzeugt: „wie haben wir es von Anfang an verstanden, uns unsre Unwissenheit zu erhalten, um eine kaum begreifliche Freiheit, Unbedenklichkeit, Unvorsichtigkeit, Herzhaftigkeit, Heiterkeit des Lebens, um das Leben zu geniessen!“62

62 Friedrich Nietzsche Jenseits von Gut und Bçse in Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari, Abt. I-IX, Berlin / New York 1967ff., hier Abt. VI.2, 1968, Aph. 24, S. 37.

Sektion III Kunst und Religion

Ästhetische Erfahrung und Selbstbewusstsein. Kant, Schopenhauer, Kierkegaard Von Ettore Rocca Abstract This paper focuses on the role of self-consciousness in aesthetic experience by drawing on Kant’s Critique of Judgment, Schopenhauer’s The World as Will and Representation and Kierkegaard’s “The Immediate Erotic Stages or The Musical-Erotic” in Either/Or. (1.) Even if, according to Kant, pure aesthetic judgment appeals neither to practical nor cognitive interest and is independent of need, I argue that aesthetic experience nevertheless expresses an interest in and a need for self-consciousness, i. e. it develops a consciousness of the human need to order and understand the world. (2.) Schopenhauer asserts that through aesthetic experience the human being can detach himself from will, becoming a pure subject without will and pain. However, aesthetic experience is the means by which the will can come to know itself by becoming self-conscious. Therefore, it might be inferred, indeed contrary to Schopenhauer’s intentions, that aesthetic experience cannot free a human being from will. In aesthetic experience, will expresses its need for self-consciousness, and even the need to become conscious of its own state of need. (3.) In Kierkegaard’s “The Immediate Erotic Stages or The Musical-Erotic” music is the artistic medium through which sensuality is expressed. However, music can properly express sensuality only by presenting it from the point of view of spirit. Thus, it is only spirit that can offer consciousness of sensuality. In this way, Kierkegaard probably succeeds where Schopenhauer did not, i. e. in showing the cathartic function of aesthetic experience.

Welche Art von Selbstbewusstsein ist mit der ästhetischen Erfahrung verbunden? Dies ist die Frage, die ich an Schopenhauer und Kierkegaard stellen möchte. Es wird keine Frage bezüglich des direkten Einflusses von Schopenhauers Ästhetik auf Kierkegaards Ästhetik sein. Denn einen solchen Einfluss gibt es kaum, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass wir eine Evidenz haben, dass Schopenhauers Ästhetik ein direktes Echo bei Kierkegaard gefunden hätte. Es ist auch fragwürdig, von einer Ästhetik Kierkegaards zu sprechen. Aufgrund der verschiedenen Pseudonyme existieren eigentlich verschiedene Ästhetiken Kierkegaards. Hier wird hauptsächlich nur ein Werk von ihm hervorgehoben.

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1. Bevor ich zu Schopenhauer komme, möchte ich meine Aufmerksamkeit auf Kants Kritik der Urteilskraft richten, um die Rolle zu betrachten, die das Selbstbewusstsein bei der ästhetischen Erfahrung spielt. Eigentlich ist die ästhetische Erfahrung bei Kant nichts Anderes als eine Form des Selbstbewusstseins, besser, des Sich-selbst-Fühlens. Das Subjekt fühlt die „Einhelligkeit im Spiele“ seiner „Gemüthskräfte“, d. h. der Einbildungskraft und des Verstandes.1 Die beste Beschreibung dieses Spieles finden wir, wenn Kant über die ästhetischen Ideen spricht: [U]nter einer ästhetischen Idee […] verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d.i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann.2

Im Spiele zwischen Einbildungskraft und Verstand werden viele Begriffe produziert, aber der Überfluss der Vorstellung der Einbildungskraft wird nie von Verstandesbegriffen erschöpft. Das Wohlgefallen bei der ästhetischen Erfahrung wird von dem Bewusstsein gebildet, dass die Gemütskräfte einen Einklang finden können. Dieser Einklang zielt nicht auf eine Erkenntnis, sondern ist ein Einklang um des Einklanges willen. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Einhelligkeit ist deshalb kein Begriff, sondern das Prinzip der Urteilskraft, das ein gemeinsames Gefühl ist. Die Einstimmung beim Geschmacksurteil ist „unabsichtlich“, d. h. ohne eine bestimmte kognitive oder ethische Absicht, und ist „ohne Interesse“. Da „[a]lles Interesse […] Bedürfnis voraus[setzt], oder […] eines hervor[bringt]“,3 ist das Bewusstsein der Einstimmung der Gemütszustände – d. h. das Selbstbewusstsein bei der ästhetischen Erfahrung – unabhängig von jedem menschlichen Interesse oder Bedürfnis. Dieses bekannte Bild ändert sich aber, wenn wir darüber nachdenken, dass der Bestimmungsgrund des reinen ästhetischen Urteils gleichzeitig das Prinzip der Urteilskraft ist. Das bedeutet, dass selbst die menschliche Erkenntnis ohne dieses Prinzip nicht entstehen könnte. Um eine Erkenntnis aufbauen zu können, sind die in der Kritik der reinen Vernunft beschriebenen Prinzipien nicht ausreichend. Diese Prinzipen, im Grunde genommen die Analogien der Erfahrung, die in der Kritik der Urteilskraft 1 2 3

Kant KU, A 47 / B 47. Kant KU, A 190 / B 192f. Kant KU, A 15 / B 15f.

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als „allgemeine[r] Gesetze der Natur“4 genannt werden, gewährleisten, dass wir uns Gegenstände vorstellen können.5 Aber sie garantieren nicht, dass wir empirische Gesetze bilden und einen roten Faden in einer sonst chaotischen Erfahrung finden können. Obwohl wir voraussetzen müssen, dass die Erscheinungen notwendig verknüpft sind, beweist das nicht, dass wir imstande sind, die empirischen Gesetze zu entdecken, nach denen jene notwendige Verknüpfung sich spezifiziert. Trotz der Analogien der Erfahrung könnte die Erfahrung als ein unentwirrbares Chaos auftreten. Wäre es so, dann könnten keine teilbare und mitteilbare wissenschaftliche Erkenntnis und nicht einmal intersubjektive Erfahrung entstehen.6 Wir brauchen etwas mehr, und zwar ein Prinzip, das nur die Urteilskraft generieren kann. Es gibt uns das Vertrauen, dass die Natur auch tatsächlich mit den von uns formulierten wissenschaftlichen Hypothesen vereinbar ist. Dieses Vertrauen antwortet einem Bedürfnis, dass unsere Erfahrung – obwohl nur teilweise und tendenziell – dennoch verständlich ist. Wir haben das Bedürfnis, dass die Welt zu ordnen ist und dass die Ereignisse mit unserem Bedürfnis nach Ordnung übereinstimmen. Diese Übereinstimmung der Natur mit unserem Bedürfnis – behauptet Kant – muss „als zufällig beurteilt werden“: Wir können nicht vertreten, dass die Welt absichtlich geschaffen worden ist, um mit unserem Bedürfnis nach Ordnung überein zu stimmen. Es ist doch für uns „unentbehrlich“, vorauszusetzen, dass die Welt unser Bedürfnis treffen soll: Die gedachte Übereinstimmung der Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer besonderen Gesetze zu unserem Bedürfnisse, Allgemeinheit der Principien für sie aufzufinden, muß nach aller unserer Einsicht als zufällig beurtheilt werden, gleichwohl aber doch für unser Verständnisbedürfniß als unent4 5 6

Kant KU, A XXXIII / B XXXV. „Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknpfung der Wahrnehmungen mçglich“ (Kant KrV, B 218). Vgl. Kants Erste Fassung der Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, § 4: „Wir haben in der Kritik der reinen Vernunft gesehen, daß die gesamte Natur als der Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung, ein System nach transscendentalen Gesetzen, nämlich solchen, die der Verstand selbst a priori gibt […], ausmache. […] Daraus folgt aber nicht, daß die Natur auch nach empirischen Gesetzen ein für das menschliche Erkenntnißvermögen faßliches System sey, und der durchgängige systematische Zusammenhang ihrer Erscheinungen in einer Erfahrung, mithin diese selber als System, den Menschen möglich sey“ (Kant AA XX, 208f.). Vgl. dazu einige italienische Studien: Luigi Scaravelli Scritti kantiani, Florenz 1973, S. 337 – 528 u. Emilio Garroni Estetica ed epistemologia. Riflessioni sulla „Critica del Giudizio“, Rom 1976.

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behrlich, mithin als Zweckmäßigkeit, wodurch die Natur mit unserer, aber nur auf Erkenntniß gerichteten Absicht übereinstimmt.7

Das Bedürfnis, Ordnungen in der Natur zu finden, bringt eine Absicht hervor, empirische Gesetze zu suchen und zu formulieren. Im Gegensatz dazu impliziert die Erzeugung der allgemeinen Gesetze des Verstandes „keine Absicht“ bei unseren Erkenntnisvermögen, „weil wir nur durch dieselben [Gesetze] von dem, was Erkenntniß der Dinge (der Natur) sei, zuerst einen Begriff erhalten, und sie der Natur, als Object unserer Erkenntniß überhaupt nothwendig zukommen“.8 Die Prinzipien der Kritik der reinen Vernunft stammen aus keiner Absicht der Erkenntnisvermögen und entstehen deshalb aus keinem Bedürfnis; sie sind einfach da. Sie sind die transzendentalen Gesetze der Natur, die die Weise bedingen, auf welche wir die Augen zur Welt öffnen. Sie gehen aus unserem Bedürfnis nach Ordnung nicht hervor; sie sind hingegen die Bedingung, auf welche unser Bedürfnis nach Ordnung sich stützen kann. Der Unterschied zwischen den transzendentalen Gesetzen der Natur, die kein menschliches Bedürfnis sind, und den empirischen Gesetzen, die einem Bedürfnis antworten, ist für Kant dadurch bestätigt, dass „wir von dem Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Kategorieen) nicht die mindeste Wirkung auf das Gefühl der Lust in uns antreffen“.9 Stattdessen fühlen wir eine „sehr merkliche[n] Lust, oft sogar eine[r] Bewunderung“,10 wenn wir die „Angemessenheit der Natur zu unserem Erkenntnißvermögen“11 erfahren, wenn wir nämlich die Erfahrung durch empirische Gesetze und ein System von Gesetzen ordnen können. Dieses Bedürfnis und das entsprechende Prinzip stellen das subjektiv Allgemeine im menschlichen Erkenntnisprozess dar. Wie verhält es sich in diesem Zusammenhang mit der ästhetischen Erfahrung? Wie gesagt ist das Prinzip, das die Spezifizierung der transzendentalen Gesetze der Natur in empirischen Gesetzen möglich macht, dasselbe Prinzip, das die Bedingung der Möglichkeit der ästhetischen Erfahrung ist. Im ersten Fall arbeitet es als „Heautonomie“12 zum Vorteil der Erkenntnis; im zweiten wirkt es in autonomer Weise auf das „Gefühl 7 8 9 10 11 12

Kant KU, A XXXVI / B XXXVIII. Kant KU, A XXXVf. / B XXXVIIf. Kant KU, A XXXVII / B XXXIX-XL. Kant KU, A XXXVIII / B XL. Kant KU, A XXXIX / B XLI. Kant KU, A XXXV / B XXXVII.

Ästhetische Erfahrung und Selbstbewusstsein

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der Lust“.13 Indem es kein intellektuelles Prinzip, sondern ein Gefühl ist, wird es bezeichnet als „eine allgemeine[n] Regel, die man nicht angeben kann“.14 Die ästhetische Erfahrung hat also nicht die Absicht, eine bestimmte Erkenntnis aufzubauen, oder das Bedürfnis, die Erfahrung zu ordnen, zu befriedigen. In der ästhetischen Erfahrung sind die Erkenntnisvermögen – Einbildungskraft und Verstand – nach einer vom Gefühl bestimmten Proportion belebt. Diese Belebung ist „unabsichtlich“,15 hat keinen Zweck außer derselben Belebung. Dann, wenn die ästhetische Erfahrung keine Erkenntnisabsicht hat und wenn jede Absicht von einem Bedürfnis in Bewegung gesetzt wird, kann man schließen, dass die ästhetische Erfahrung von keinem Bedürfnis bewegt wird: Sie ist bedürfnisfrei. Dieser ist der meistens nahe liegende Schluss der kantischen Argumentation, der zur Auffassung der ästhetischen Erfahrung als „uninteressirt“16 passt. Doch ist auch eine andere Interpretation möglich. Die Lust im ästhetischen Urteil „hat aber doch Causalität in sich, nämlich den Zustand der Vorstellung selbst und die Beschäftigung der Erkenntnißkräfte ohne weitere Absicht zu erhalten“. 17 Kausalität heißt hier Zweckmäßigkeit, Absicht. Die ästhetische Erfahrung enthält keine andere Absicht außer derjenigen, die Erkenntnisvermögen zu beleben und sie in dieser Belebung zu erhalten. Dann hat die ästhetische Erfahrung doch eine Absicht, nämlich das freie Spiel der Erkenntnisvermögen zu erhalten. Mit anderen Worten ist der Zweck der ästhetischen Erfahrung die Beseelung und Verstärkung des menschlichen Vermögens, Hypothesen zu produzieren, Relationen auszudenken, um der reinen Lust willen, das zu tun – ohne weiteren Zweck. Was für eine Lust ist dann die ästhetische? Was für eine Befriedigung gibt sie? Gibt es ein Bedürfnis, das sie befriedigt? Kant schreibt ausdrücklich, dass die ästhetische Lust einem „Bedürfnis der Urteilskraft“ entspricht: Die „subjective Zweckmäßigkeit“ wird angenommen „als eine, ohne Zweck, von selbst und zufälliger Weise sich hervorthuende zweckmäßige Übereinstimmung zu dem Bedürfniß der Urtheilskraft“.18 Wie ist das Bedürfnis der Urteilskraft zu

13 14 15 16 17 18

Kant KU, A 133 / B 135. Kant KU, A 62 / B 63. Kant KU, A XLII / B XLIV; vgl. auch Kant KU, A XLIII / B XLV. Kant KU, A 7 / B 7 Anm. Kant KU, A 37 / B 37. Kant KU, A 244 / B 247.

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verstehen; wie ist es verbunden mit der Absicht, die Erkenntniskräfte zu beleben? Die ästhetische Lust ist reflexiv, sie ist mit einem Selbstbewusstsein verbunden: Das Bewußtsein der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte des Subjects bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, ist die Lust selbst, weil es ein Bestimmungsgrund der Thätigkeit des Subjects in Ansehung der Belebung der Erkenntnißkräfte desselben, also eine innere Causalität (welche zweckmäßig ist) in Ansehung der Erkenntniß überhaupt, […] enthält.19

Die ästhetische Lust liegt in dem Bewusstsein der formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntniskräfte bei der Vorstellung eines Gegenstandes, den wir „schön“ nennen. Das Subjekt wird sich jener Aktivität bewusst, die normalerweise in einen Erkenntnisprozess führt. Bei der ästhetischen Erfahrung wird das Subjekt sich seines Bedrfnisses nach Ordnen, seines Bedrfnisses nach Verstehen bewusst, ohne etwas bestimmtes, was zu ordnen oder zu erkennen wäre, tatsächlich zu haben. Die Lust ist nicht von der Erreichung eines bestimmten Erkenntniszweckes und deshalb von der Befriedigung eines konkreten Bedürfnisses nach Ordnung gegeben, sondern sie ist nur vom Bewusstsein über das Bedürfnis nach Ordnung bei der Gelegenheit einer ästhetischen Erfahrung gegeben. Die Lust besteht nicht in der Befriedigung des Erkenntnisbedrfnisses, sondern im Bewusstsein des Erkenntnisbedrfnisses. Wenn das Bedürfnis nach Erkenntnis – als Bedürfnis, die Erfahrung zu verstehen – ein paradigmatisches Bedürfnis für den Menschen ist, dann stellt die ästhetische Erfahrung nicht nur das Bewusstsein des Erkenntnisbedürfnisses dar, sondern das Bewusstsein des Bedürfnisses überhaupt. Was heißt Bewusstsein des Bedürfnisses überhaupt? Es bedeutet Bewusstsein des Bedürfnisses als etwas, was nicht befriedigt werden kann; als ein Mangel, der nicht erfüllt werden kann. Die „ästhetische Form“20 ist das Bewusstsein des Mangels und deshalb des Bedürfnisses nach einer bestimmten Regel oder einer bestimmten Ordnung, ohne dass dieser

19 Kant KU, A 36f. / B 36f. 20 Vgl. Kant KU, B 135. „Ästhetische Form“ ist eine andere Bezeichnung des „Bewußtsein[s] der bloß formalen Zweckmäßigkeit im Spiele der Erkenntnißkräfte des Subjects“ (Kant KU, A 36 / B 36f.). Vgl. dazu Hansmichael Hohenegger Kant, filosofo dell’architettonica. Saggio sulla „Critica della facolt di giudizio“, Macerata 2004, S. 177 – 206.

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Mangel behoben werden kann. In diesem Sinne ist die ästhetische Form das Bewusstsein des Mangels oder des Bedürfnisses überhaupt. Ist das Bewusstsein des Bedürfnisses zu verstehen selbst ein Bedürfnis? Es wäre schwierig, das zu verneinen, denn das Bewusstsein des Bedürfnisses ist, wie gesagt, ein Zweck für das menschliche Subjekt: Das Bewusstsein der formalen Zweckmäßigkeit der Erkenntniskräfte ist selbst zweckmäßig. „Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil diese Betrachtung sich selbst stärkt und reproducirt“.21 Es zeigt sich ein Bedürfnis nach Selbstbewusstsein, denn dank seiner verstärken sich die Erkenntnisvermögen. Und diese Verstärkung geht zum Vorteil aller Aktivitäten der Vermögen. Ohne das Bewusstsein der spontanen Übereinstimmung der Erkenntnisvermögen und deren daraus hervorgehender Verstärkung würde die ganze menschliche Fähigkeit zum Verstehen geschwächt. Daraus stammt auch die eigentümliche Lust der ästhetischen Erfahrung: Sie besteht nicht in der Erreichung von praktischen oder kognitiven Zwecken, sondern im Verweilen beim Bewusstsein des Bedürfnisses zu verstehen, im Bleiben beim Verstehen des Mangels, den das Bedürfnis zu verstehen ausdrückt. Wenn dies aber so ist und wenn die Bedürfnisse Interessen erzeugen, weil „[a]lles Interesse […] Bedürfniß voraus[setzt]“,22 dann ist auch die ästhetische Erfahrung von einem Interesse bewegt. Die ästhetische Erfahrung entspricht einem reflexiven Interesse, nämlich dem Interesse, das menschliche Verstehensbedürfnis zu verstehen. Ferner entspricht sie dem Interesse, den Menschen als bedürftiges und deshalb interessiertes Wesen zu verstehen. Die Analyse der kantischen dritten Kritik spornt uns an, eines der Fundamente der kantischen Ästhetik anders zu interpretieren: des Geschmacksurteils als interesseloses Urteil. Das bedeutet aber nicht, die Unabhängigkeit des Bestimmungsgrundes des Geschmacksurteils von kognitiven oder praktischen Interessen in Frage zu stellen, sondern das Interesse auf einer anderen Ebene zu entdecken. Das Bedürfnis, das sich bei der ästhetischen Erfahrung ausdrückt, ist ein eigentümliches Bedürfnis, ein Bedürfnis, das auf sich selbst zurückkommt und sich selbst fragt; in derselben Weise liegt das im ästhetischen Urteil ausgedrückte Interesse auf einem Metaniveau; es ist ein „Interesse zweiten Grades“.23 Die Eigentümlichkeit des ästhetischen Bedürfnisses und Interesses spie21 Kant KU, A 37 / B 37. 22 Kant KU, A 15 / B 15f. 23 Emilio Garroni Immagine Linguaggio Figura. Osservazioni e ipotesi, Rom / Bari 2005, S. 96.

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gelt sich in der eigentümlichen ästhetischen Lust ab: Statt einer Lust, die der Befriedigung des Bedürfnisses entspringt, sehen wir eine schwer greifbare und quasi fliehende Lust, die vom Bewusstsein des Bedürfnisses und des Mangels herrührt. Wie der Architekt Peter Zumthor geschrieben hat: „Im Schönheitserlebnis wird mir ein Mangel bewusst“.24

2. Betrachten wir jetzt Schopenhauers Ästhetik. Wie bei Kant so ist auch bei Schopenhauer die ästhetische Erfahrung – sowohl die produktive als Aktivität des Genies als auch die rezeptive als Erlebnis der Kunst- und Naturschönheit – eine höchst interesselose Erfahrung. In ihr erhebt sich der Mensch über seine Individualität, reißt „sich vom Dienste des Willens los […]“, und erkennt sich selbst als „reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subjekt der Erkenntniß.“25 Gleichzeitig zielt ein Kunstwerk nach „keinen nützlichen Zwecken […] – ein Werk des Genies ist kein Ding zum Nutzen. Unnütz zu seyn, gehört zum Charakter der Werke des Genies: es ist ihr Adelsbrief.“26 Interessen und Zwecke sind der Bereich des Willens; Unabhängigkeit von beiden ist das Kennzeichen der ästhetischen Erfahrung, sowohl der produktiven als auch der rezeptiven. Zentral ist auch die Rolle, die das Selbstbewusstsein bei der ästhetischen Erfahrung spielt. „Wir haben in der ästhetischen Betrachtungsweise zwei unzertrennliche Bestandtheile gefunden: die Erkenntniß des Objekts, nicht als einzelnen Dinges, sondern als Platonischer Idee […]; sodann das Selbstbewußtseyn des Erkennenden, nicht als [eines] Individuums, sondern als reinen, willenlosen Subjekts der Erkenntniß.“27 Schopenhauer identifiziert zwei Elemente in der ästhetischen Erfahrung: einerseits die Erkenntnis der Idee, die sich als Objektivierung des Willens im Kunstwerk ausdrückt; andererseits das Selbstbewusstsein des Subjekts, das sich über sich selbst als Individuum erhebt und sich selbst als überindividuelles und willenloses Subjekt der Erkenntnis erkennt. Diese Elemente sind als umgekehrt proportional zu betrachten: 24 Peter Zumthor Architektur Denken, 2., erw. Aufl., Basel 2006 [1998], S. 80f. 25 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 34, 231f. (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke. Zrcher Ausgabe, hrsg. v. Angelika Hübscher, 10 Bde., Zürich 1977). 26 Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 31, 459f. 27 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 38, 251f.

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[D]ie Quelle des ästhetischen Genusses [wird] bald mehr in der Auffassung der erkannten Idee liegen, bald mehr in der Säligkeit und Geistesruhe des von allem Wollen und dadurch von aller Individualität und der aus ihr hervorgehenden Pein befreiten reinen Erkennens: und zwar wird dieses Vorherrschen des einen oder des andern Bestandtheils des ästhetischen Genusses davon abhängen, ob die intuitiv aufgefaßte Idee eine höhere oder niedere Stufe der Objektität des Willens ist.28

Wie bekannt, haben die durch Kunst ausgedrückten Ideen eine steigende Komplexität vom Anorganischen zum Organischen: Sie gehen von der Schwerkraft bis zu den menschlichen Leidenschaften und zur Rationalität. Je komplexer die durch Kunst ausgedrückte Idee ist, desto mehr wird der ästhetische Genuss von der Kontemplation der Idee, in die das Subjekt sich versenkt, gegeben. Je einfacher die ausgedrückte Idee ist, desto mehr wird der ästhetische Genuss vom Bewusstsein, sich vom Willen losgerissen zu wissen, gegeben. Es ist, als ob die Aufmerksamkeit entweder primär auf die ausgedrückte Idee oder auf das Bewusstsein, diese Erfahrung zu erleben, fallen kann. Damit aber kommt man zu der paradoxen Konsequenz, dass gerade diejenige Kunst, die laut Schopenhauer die einfachsten Ideen gestaltet – die Architektur mit ihrem Spiel zwischen Schwere, Starrheit und Reaktion auf das Licht –, also gerade diese Kunst den höchsten Genuss, sich vom Willen losgerissen zu wissen, erlaubt. Zugespitzt: Gerade bei der Architektur, nämlich der Kunst, die am meisten mit den menschlichen Bedürfnissen zu tun hat, findet sich das höchste Bewusstsein von der Unabhängigkeit des Subjekts vom Willen und deshalb von dem Bedürfniszustand, der immer mit dem Willen verbunden ist. Man kommt nicht umhin, über diese Konsequenz perplex zu sein. Gleich mehrere Paradoxe aber melden sich hier. Das Genie, jeder „große“ Mensch, sucht „nicht seine Sache“, sondern verfolgt „allein einen objektiven Zweck“;29 es ist „ein großes Kind, weil es in die Welt hineinschaut als in ein Fremdes, ein Schauspiel, daher mit rein objektivem Interesse.“30 Wie kann man die zahllosen Stellen, wo Schopenhauer die Unabhängigkeit der ästhetischen Erfahrung von Zwecken und Interessen vertritt, mit der zitierten und anderen ähnlichen,31 wo er ihr objektive Interessen und Zwecke zuschreibt, in Übereinstimmung bringen? Und wessen sind diese objektiven Interessen und Zwecke? 28 29 30 31

Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 42, 271. Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 31, 456. Schopenhauer Werke (ZA), W II, Kap. 31, 468. Vgl. z. B. Schopenhauer Werke (ZA), P II, § 50, 79 – 81 u. § 57, 93.

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Überdies geschieht in der ästhetischen Kontemplation der Idee eine vollkommene Verschmelzung zwischen dem betrachtenden Subjekt und dem betrachteten Objekt, der Idee, so stellt Schopenhauer fest. In der ästhetischen Erfahrung bleibt das Subjekt „nur noch als reines Subjekt, als klarer Spiegel des Objekts bestehend […]; so, daß es ist, als ob der Gegenstand allein dawäre, ohne Jemanden, der ihn wahrnimmt, und man also nicht mehr den Anschauenden von der Anschauung trennen kann, sondern Beide Eines geworden sind“.32 Wenn die Ideen „Stufen der Objektivation“33 des Willens, also Ausdrucksweisen des Willens sind, kann man behaupten, dass die produktive und rezeptive ästhetische Erfahrung eine vollkommene Fusion zwischen reinem Subjekt und Willen bewirkt. Und das ist noch zutreffender für die Musik, die „Abbild des Willens selbst“34 ist. Wenn das Subjekt in der ästhetischen Kontemplation zum perfekten Spiegel des Willens wird, dann ist das, was am Ende übrig bleibt, nur der Wille. Der Wille ist „Eines als das, was außer Zeit und Raum, dem principio individuationis, d.i. der Möglichkeit der Vielheit, liegt“.35 In derselben Weise ist das reine Subjekt der ästhetischen Erfahrung eines und außerhalb von Zeit und Raum.36 Es wäre widersprüchlich zu behaupten, dass sich zwei Arten von Außerzeitlichkeit finden. Die Außerzeitlichkeit des Willens und die Außerzeitlichkeit des Subjektes sind ein und dasselbe. In der ästhetischen Kontemplation wird der Wille sich dann in sich selbst spiegeln, er wird sich seiner selbst bewusst werden. Diese Konsequenz zu ziehen kann Schopenhauer nicht vermeiden. Als Wille […] ist er [der Wille] einer und der selbe im kontemplirten Objekt und im Individuo, welches sich an dieser Kontemplation emporschwingend als reines Subjekt seiner bewußt wird: jene Beiden sind daher an sich nicht unterschieden: denn an sich sind sie der Wille, der hier sich selbst erkennt.37

In der menschlichen Erfahrung der Kunst „kann der Wille zum völligen Selbstbewußtseyn, zum deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines eigenen Wesens, wie es sich in der ganzen Welt abspiegelt, gelangen“.38 Wenn es aber so ist, ist Schopenhauers ganze ästhetische Auffassung in 32 33 34 35 36 37 38

Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 34, 232. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 31, 222. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 52, 324. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 23, 158. Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 34, 231f. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 34, 234. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 362.

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Frage gestellt. Wenn die Kunsterfahrung derjenige Akt ist, durch welchen der Wille sich seiner selbst bewusst wird, wie kann Schopenhauer dann behaupten, dass diese Erfahrung vom Willen losgerissen und deshalb „willenlos“ ist? Gewiss fordert jede selbstreflexive Aktivität, dass man von sich selbst Abstand nimmt; sonst könnte man sich selbst nie im Spiegel betrachten. Doch wäre es täuschend zu glauben, dass diese reflexive Abstandnahme eine vollständige Loslösung von sich selbst wäre, als ob das reine Subjekt sich vom empirischen Individuum absolut trennen und sich selbst als Objekt betrachten könnte. Also: Die ästhetische Erfahrung kann nur als eine Aktivität – genauer: reflexive Aktivität – des Willens bestehen. Die Tatsache, dass dieser Akt reflexiv ist, ändert nichts daran, dass es sich um eine Aktivität des Willens handelt. Folglich kann die Kunsterfahrung nie willenlos sein. Schon 1996 hat Barbara Neymeyr in einer ausführlichen Analyse diese unmögliche Willenlosigkeit des Ästhetischen pointiert. Sie hat für einen „Metavoluntarismus des Ästhetischen“ bei Schopenhauer plädiert.39 Wir fragten vorher, wessen die objektiven Interessen und Zwecke sind, die in der ästhetischen Erfahrung zum Ausdruck kommen. Es ist jetzt klar geworden, dass Interessen und Zwecke fr den Willen objektiv sind. Bei der Kunst verfolgt der Wille – der das Objektive, das Ding an sich ist – den objektiven Zweck, sich selbst zu kennen, im Unterschied zu den unzählbaren subjektiven Zwecken der erscheinenden Individuen. Dieser objektive Zweck hängt vom objektiven Interesse des Willens ab, sich selbst zu erkennen, im Unterschied zu den subjektiven Interessen derjenigen Menschen, die in den Erscheinungen herumtappen.40 Schopenhauer betont, dass die Selbsterkenntnis des Willens eine Selbstbejahung oder eine Selbstverneinung desselben einführen kann.41 Aber Selbstbejahung und Selbstverneinung können nur Handlungen sein, die sich auf die Selbsterkenntnis stützen und deshalb nur nach der Selbsterkenntnis eintreten. Trotzdem setzt Schopenhauer fest, dass die Erkenntnis durch die Kunst „ein Quietiv“ wird, „welches alles Wollen beschwichtigt und aufhebt“.42 Also kann dasselbe Subjekt der Selbsterkenntnis laut Schopenhauer sich selbst beschwichtigen und aufheben. Im 39 Vgl. Barbara Neymeyr sthetische Autonomie als Abnormitt. Kritische Analysen zu Schopenhauers sthetik im Horizont seiner Willensmetaphysik, Berlin / New York 1996, S. 177 – 212. 40 Vgl. die überzeugenden Betrachtungen von Barbara Neymeyr, ebd., S. 19 – 31. 41 Vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 35, 238. 42 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 56, 386.

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Gegensatz dazu ist die phänomenale Erkenntnis, die dem Satze vom Grunde unterstellt ist, „eine bloße lgwam¶, ein Mittel zur Erhaltung des Individuums und der Art“.43 Aber warum könnte nicht auch die ästhetische Erfahrung ein Mittel zur Erhaltung des Willens sein? Ist das Selbstbewusstsein nicht ein wichtiges Mittel der Selbsterhaltung für denjenigen, der sich seiner selbst bewusst wird? Zweifellos kann das Selbstbewusstsein Ruhe und Erholung geben, aber können Ruhe und Erholung der Selbsterhaltung nicht dienen? Die Frage, inwiefern die ästhetische Erfahrung der Selbsterhaltung des Willens dient, kann unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt lenken. Wie bekannt ist der Wille das Ding an sich; er ist frei, ist von nichts Anderem bedingt und hat keinen letzten Zweck. Er „strebt [immer], weil Streben sein alleiniges Wesen ist, dem kein erreichtes Ziel ein Ende macht“.44 Wille und Streben stimmen überein. Aber „alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustande […]. Das Streben sehen wir überall vielfach gehemmt, überall kämpfend“.45 Einerseits hat das Streben, und damit der Wille, weder Ursache noch Endzweck; andererseits „entspringt“ er aus einem Zustand von Mangel und sein Endzweck ist gerade der Kampf gegen diesen Zustand des Mangels. Wie könnte er sich erweitern, wenn er nichts hätte, worauf und wogegen er reagieren könnte? Wenn der Wille außerdem Ding an sich ist, woher kommen dann Hemmung, Hindernis, Mangel? Es scheint, dass der Mangel mindestens genau so ursprünglich wie der Wille ist, vielleicht noch ursprünglicher, sodass der Kampf gegen den Mangel den Endzweck des Willens ausmacht. Man kann für den Willen überhaupt wiederholen, was Schopenhauer über das menschliche Wollen schreibt: „Die Basis alles Wollens aber ist Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz, dem er [der Mensch] folglich schon ursprünglich durch sein Wesen anheimfällt“.46 Bedürftigkeit und Mangel sind dann noch tiefer als der Wille. Die Bedürftigkeit ist sogar das, was den Willen immer wieder motiviert. In dem Sinne ist der Wille gar nicht unbedingt frei, sondern immer von der Bedürftigkeit bedingt. Die Bedürftigkeit ist das Ding an sich des Dinges an sich. Dann kann man auch schließen, dass dieselbe ästhetische Erfahrung von einem Bedürfnis bewegt wird, nämlich von dem Bedrfnis, das der 43 44 45 46

Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 27, 204. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 56, 386. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 56, 388. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 390.

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Wille besitzt, sich seiner selbst und seiner Stufen der Objektivierung bewusst zu werden. Dieses Bedürfnis wird ein Interesse des Willens für die menschliche Kunsterfahrung hervorbringen. Selbstbewusst zu werden bedeutet für den Willen, von seinem Wesen Bewusstsein zu bekommen, und deshalb von seinem Entstehen aus ein Bedürfnis. Der Wille „erhält durch die hingetretene, zu seinem Dienst entwickelte Welt der Vorstellung die Erkenntniß von seinem Wollen und von dem was es sei, das er will“.47 Der Mensch ist „die vollkommenste Erscheinung des Willens“, weil er „eine völlig adäquate Wiederholung des Wesens der Welt, unter der Form der Vorstellung, welches die Auffassung der Ideen, der reine Spiegel der Welt ist“,48 erzeugen kann. Seine Vollkommenheit besteht darin, dass er bei der Kunsterfahrung zum Instrument der Selbsterkenntnis des Willens wird. Wenn das Bewusstsein über sein Wollen die höchste Erkenntnis für den Willen darstellt, kann man schließen, dass das Bedürfnis, sich selbst zu kennen, sein höchstes Bedürfnis ist. Am Ende erweist sich die ästhetische Erfahrung als diejenige Aktivität, in welcher der Wille sich seiner Bedürftigkeit bewusst wird. Gegen Schopenhauers Intentionen sind wir zum folgenden Resultat gelangt: Anstatt ihn vom Willen loszureißen, erlaubt die ästhetische Erfahrung dem Willen und damit dem Menschen, sich der Bedürftigkeit, die dem Willen zugrunde liegt, bewusst zu werden. Dieses Resultat ist nicht so weit weg von demjenigen, das wir mit Kant erreicht hatten: die ästhetische Erfahrung als die Möglichkeit des menschlichen Bedürfnisses, eine sonst chaotische Erfahrung zu ordnen und sich damit der menschlichen Bedürftigkeit überhaupt bewusst zu werden.

3. Für einen Leser Kierkegaards ist eine der unmittelbarsten Versuchungen diejenige, einen Vergleich zwischen dem ersten Teil von Entweder – Oder und der Ästhetik Schopenhauers anzustellen. Ich möchte auf den Teil über „Die unmittelbaren erotischen Stadien oder das Musikalisch-Erotische“ fokussieren, der unter dem Pseudonym „A“, dem „Ästhetiker“, geschrieben ist. Hier versucht der Ästhetiker eine Theorie der sinnlichen Genialität als eigentlichen Gegenstand der Musik zu schildern. Da die sinnliche Genialität als „Kraft, Leben, Bewegung, stete Unruhe, stete 47 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 54, 347. 48 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 362.

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Aufeinanderfolge“49 charakterisiert wird, ist es unvermeidlich, an Schopenhauers Willen zu denken. Und diese Parallele ist verstärkt, weil nur die Musik eigentlich imstande ist, die sinnliche Kraft auszudrücken, so wie die Musik bei Schopenhauer den einzigen Spiegel des Willens darstellt. Aber hiermit hören die Ähnlichkeiten bereits auf. Als Spiegel der dämonischen Kraft der Sinnlichkeit wird die Musik in Entweder – Oder selbst dämonisch genannt.50 Man könnte deshalb die Musik als diejenige Kunst bezeichnen, die das Selbstbewusstsein der Sinnlichkeit oder des sinnlichen Dämonischen ausdrückt. Und diese Betrachtung ist dadurch verstärkt, dass das schreibende Pseudonym selbst eine dämonische Figur ist. In der Musik gibt es keine Möglichkeit, sich vom Dämonischen loszureißen. Es scheint, dass hier ein Gegensatz zu Schopenhauers Position vorliegt. Ich meine: Es geschieht keine Befreiung von der Sinnlichkeit, sondern es gibt nur das Dämonische, das sich ausdrückt und sich darin seiner selbst bewusst wird. Aber wenn es fragwürdig ist, dass die Kunst bei Schopenhauer die befreiende Rolle, die Schopenhauer wünscht, spielen kann, dann kann man schließen, dass beide Texte hinsichtlich der reflexiven Rolle der Kunst einig sind: Durch die Musik drückt sich das Selbstbewusstsein des Willens bzw. der Sinnlichkeit aus. Eine andere und adäquatere Auslegung des Kierkegaardschen Texts ist trotzdem m. E. zu versuchen. „Musik erweist sich in strengerem Sinne als eine christliche Kunst, oder richtiger als diejenige Kunst, welche das Christentum setzt, indem es sie von sich ausschließt, als Medium für dasjenige, welches das Christentum von sich ausschließt und dadurch setzt“.51 Dasjenige, das das Christentum von sich ausschließt und dadurch setzt, ist nämlich die Sinnlichkeit in ihrer Unmittelbarkeit. Diese ist die von der Musik ausgedrückte „Idee“. Deshalb ist es nicht die Musik als Medium, die das Christentum gleichzeitig setzt und von sich ausschließt, sondern die Idee. Das musikalische Medium ist nur die beste Vermittlungsform der Sinnlichkeit; d. h. sie ist die beste Vermittlung oder Mediation der Ummittelbarkeit der Sinnlichkeit. Der Ästhetiker stellt fest, dass die Sinnlichkeit erst im Christentum als Prinzip gesetzt wird. Da das Christentum mit dem Geist identifiziert ist,52 ist es der Geist, der sie als Prinzip setzt. Bei den Griechen war das Sinnliche 49 50 51 52

EO1, 75 / SKS 2, 77. Vgl. EO1, 68 / SKS 2, 71. EO1, 68 / SKS 2, 71. Vgl. EO1, 65 / SKS 2, 68.

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„überall als Moment und momentweis gegenwärtig in der schönen Individualität“.53 Die Sinnlichkeit löste sich in der schönen Individualität auf und verschwand damit in ihr. Deshalb war sie laut des Ästhetikers nicht als Prinzip vorhanden; und deshalb war sie nicht als solche ausgedrückt. Die Konsequenz ist, dass ein Bewusstsein der Sinnlichkeit immer den Geist voraussetzt und vom Standpunkt des Geistes ausgedrückt wird. Die Sinnlichkeit ist nicht imstande, sich selbst zu vermitteln; sie kann sich nicht ihrer selbst bewusst werden. Das Selbstbewusstsein ist nur dem Geiste vorbehalten, und das Bewusstsein von der Sinnlichkeit bildet immer einen Teil des Selbstbewusstseins des Geistes. Die Musik stellt ein solches geistiges Bewusstsein über die Sinnlichkeit dar, ein Bewusstsein, das sich ohne Worte ausdrückt, das aber immer schon als eine geistige Mediation des Unmittelbaren auftritt. Die paradoxe Schlussfolgerung davon ist, dass die Schrift über „Die unmittelbaren erotischen Stadien“ gar nicht einen ästhetisierenden oder dämonischen Standpunkt vertritt, sondern einen christlichen. In dem Sinne sollte es nach dem zweiten Teil von Entweder – Oder gelesen werden. „Die unmittelbaren erotischen Stadien“ sollen den Standpunkt eines dämonischen Schriftstellers hinsichtlich der dämonischen Kraft der Musik darstellen. Die Welt als Wille und Vorstellung soll die Auffassung verteidigen, dass ein überindividuelles Subjekt sich durch die Kunst von der dämonischen Kraft des Willens losreißen kann. Paradoxerweise gelingt der Kierkegaardschen Schrift das, woran die schopenhauerische gescheitert ist, und zwar der Nachweis der Möglichkeit einer befreiten künstlerischen Gesinnung über die dämonischen sinnlichen Leidenschaften, kurz: die Möglichkeit einer Katharsis durch die Kunst zu erweisen. Das gelingt Kierkegaard deshalb, weil er einen anderen Ort – den Geist – hat, an dem die Musik ihre vermittelnde Funktion durchführen kann. Schopenhauer erreicht das nicht, weil der Wille für ihn das Ding an sich ist. Deswegen kann ein anderer Ort außerhalb des Dinges an sich nicht existieren, ein Ort, wo ein befreites künstlerisches Bewusstsein des Willens stattfinden kann. Schopenhauer will mehr als Kant. Bei Kant haben wir gesehen, wie ein Bewusstsein über das menschliche Erkenntnisvermögen oder einfach über das menschliche In-der-Welt-Sein durch die ästhetische Erfahrung möglich ist. Für Schopenhauer reicht das nicht aus: Nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch Selbstbefreiung soll die ästhetische Erfahrung 53 EO1, 66 / SKS 2, 69.

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geben. „Die unmittelbaren erotischen Stadien“ zeigen, wie trügerisch diese ästhetische Selbstbefreiung ist, es sei denn, dass ein anderer Ort schon da ist – für Kierkegaard der Geist –, ein Ort, den die Kunst nicht schaffen kann, sondern voraussetzen muss. In der Nachschrift schreibt Climacus: „Man hat die Poesie und die Kunst eine Antizipation des Ewigen genannt. Will man sie so nennen, so muß man dabei doch bemerken, daß Kunst und Poesie sich nicht wesentlich zu einem Existierenden verhalten, da die Betrachtung von Poesie und Kunst, ,die Freude über das Schöne‘, interesselos ist, und der Betrachter kontemplativ als (qua) Existierender außer sich selbst ist“.54 Diese Worte können nicht nur Kant, sondern noch mehr Schopenhauer treffen, indem es gerade bei Schopenhauer so ist, dass das existierende Individuum in der ästhetischen Erfahrung außerhalb seiner selbst ist. Climacus sieht außerdem klar, dass ein Interesse immer ein Telos mit sich führt. Ohne Interesse kein Telos für den Existierenden. Was ich aber hier zu zeigen versucht habe, ist, dass Interesse in der ästhetischen Erfahrung als Selbstbewusstsein auch bei Kant und Schopenhauer zu finden ist – doch gegen die Intentionen von beiden. In dem Augenblick aber, wo Kunst als Selbstbewusstsein ein interessierter Teil einer Existenz wird, kann sie nur heteronom55 – z. B. als Instrument des Geistes – eine Antizipation des Ewigen sein.

54 AUN2, 13f. / SKS 7, 285. 55 Vgl. Ettore Rocca „Ästhetisches und religiöses Geheimnis. Kierkegaards heteronome Kunst“ in Kunst und Religion. Ein kontroverses Verhltnis, hrsg. v. Markus Kleinert, Mainz 2010, S. 57 – 77.

Nur das Schöne kann uns retten? Kunst in soteriologischer Perspektive bei Kierkegaard und Schopenhauer Von Hartmut Rosenau Abstract This paper deals with the soteriological power and limits of art in Kierkegaard and Schopenhauer’s world view. Due to a romantic take of art, Kierkegaard reveals antagonistic structures of aesthetic freedom that lead to despair and a longing for salvation. For Schopenhauer art is the solution, by virtue of its power to, at least temporarily, end metaphysical suffering. But this solution remains aporetic in consideration of its metaphysical precondition. Again, however, when art is considered from a religious point of view, it regains soteriological significance by becoming a medium of indirect communication, with indubitable consequences for the conditio humana and eschatic salvation.

I. Kierkegaards Kritik der ästhetischen Existenz im Kontext geistesgeschichtlicher Bezüge „[V]erzweifle“! So lautet der kategorische Imperativ des Ethikers B gegenüber dem Ästheten A in Kierkegaards Frühwerk Entweder – Oder (hrsg. unter dem Pseudonym Victor Eremita) von 1843.1 Ineins damit interpretiert der Ethiker B den Apollo-Spruch „gnothi sauton“ im Sinne von ,wähle dich selbst‘.2 In einer solchen das Ethische konstituierenden Selbstwahl werde mit der Verzweiflung ernst gemacht, indem sie gewusst und eigens gewollt bzw. als solche übernommen wird.3 Das sei die notwendige Voraussetzung für ihre Überwindung im moralisch durchsichtigen und in der Allgemeinheit gesicherten Leben etwa als verantwortungsbewusster Ehemann und Familienvater oder in der Ausübung

1 2 3

EO2, 221 / SKS 3, 200. Vgl. EO2, 275f. / SKS 3, 246. Vgl. EO2, 235 / SKS 3, 211.

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eines Berufs und der Bekleidung öffentlicher Ämter.4 Dem Ästheten wirft dagegen der Ethiker vor, er mache insofern nicht ernst mit der Verzweiflung, um die er gleichwohl weiß, als er sie nicht als solche übernehmen, sondern im Genuss entschärfen will.5 Denn indem der Ästhet gleich die entsprechende künstlerische Form für das Sujet der Verzweiflung z. B. in Gestalt der Tragödie oder der Oper zur Hand hat, macht er die Verzweiflung gleichsam ästhetisch genießbar. In der gelungenen künstlerischen Form und im treffenden ästhetischen Ausdruck findet sie ihre Versöhnung und ist als solche nicht mehr. Sie verliert ihr Wesen, das in der „Differenz“ besteht,6 also in der Entzweiung und im Zwiespalt eines schier dämonischen Hin und Her, in dem sie einer ästhetischen Form kommensurabel wird. Entsprechend heißt es im ersten Diapsalma programmatisch: „Was ist ein Dichter? Ein unglücklicher Mensch, der tiefe Qualen birgt in seinem Herzen, aber seine Lippen sind so gebildet, daß, derweile Seufzen und Schreien über sie hinströmt, es tönt gleich einer schönen Musik.“7 So aber wird mit der Verzweiflung und zugleich mit dem eigenen Selbst mehr romantisch gescherzt und unverbindlich gespielt, als dass sie zum Sprungbrett in die prosaische Wirklichkeit taugt. Denn dem Ethiker ist die Verzweiflung keine ästhetische, sondern eine ethische Kategorie, d. h. eine Bestimmung des Willens zur Erschließung von Wirklichkeit.8 Dabei versteht der Ethiker unter Wirklichkeit „realitas“, d. h. sachhaltige, klar und bestimmt definierte, als solche wohl gegründete und getragene, beständige und sichere Existenz.9 Stattdessen zieht es der Ästhet vor, im Angesicht der Verzweiflung „Fangball zu spielen mit dem ganzen Dasein“,10 also im unverbindlich Nichtssagenden, Kontur- und Gehaltlosen, ja Haltlosen bloßer Möglichkeiten zu „[s]chweben“.11 Der einzige ihm verbleibende Halt, der gewissermaßen als zumindest ästhetisch klare Linie bei allem Scherz und Spiel, Projektieren und Verwerfen, Beginnen und Abbrechen, Wünschen und Phantasieren bleibt, ist der Genuss12 – und dieser bietet eigentlich keinen Halt, wie der 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. EO2, 273 / SKS 3, 244. Vgl. EO2, 204f., 206f., 218f. / SKS 3, 185f., 187f., 197f. Vgl. EO2, 243 / SKS 3, 218f. EO1, 19 / SKS 2, 27. Vgl. EO2, 226 / SKS 3, 204. Vgl. EO2, 289f. / SKS 3, 257 – 259. EO1, 313 / SKS 2, 283. EO1, 315 / SKS 2, 284. Vgl. EO2, 191 / SKS 3, 174f.

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Ethiker dem Ästheten vorrechnet. Denn das haltlos Unsichere und darum Unwirkliche des Genusses resultiert aus seiner Unberechenbarkeit und Zufälligkeit in seinem Angewiesensein auf die äußeren Um- und Gegenstände,13 aus seiner Vergänglichkeit im Hinblick auf Dauer und Intensität14 wie aus der sich daraus ergebenden geschichts- und kontinuitätslosen permanenten Wiederholung im Ausgriff auf immer wieder Neues.15 Nun ist offensichtlich, dass Kierkegaard bei dieser Konzeption von kritisierter Ästhetik nur eine bestimmte (romantische) Ausprägung vor Augen hat, wie sie z. B. von Friedrich Schlegel und seinem damaligen Skandal-Roman Lucinde (1799) repräsentiert wird, die an der Leitkategorie des Schönen und dem stilistischen Wie der Darstellung in präziser Abhebung vom Wahren und Guten orientiert ist.16 Das Verhältnis von Ethik und Ästhetik, dem Guten und dem Schönen ist aber geistesgeschichtlich durchaus als komplexer und verwickelter zu sehen, was im Folgenden als Hintergrund für die soteriologische Fragestellung nach der Leistungsfähigkeit der Kunst zwischen den Extremen von Verführung und Versöhnung, trügerischem Schein und wahrhaftem Sein im Vergleich von Kierkegaard und Schopenhauer wenigstens kurz skizziert werden soll. „In allen unwichtigen Dingen ist Stil, nicht Aufrichtigkeit, das Wesentliche. In allen wichtigen Dingen ist Stil, nicht Aufrichtigkeit, das Wesentliche“ – schreibt Oscar Wilde in seinen „Sätze[n] und Lehren zum Gebrauch für die Jugend“ aus dem Jahre 1894.17 Mit dieser Ironisierung der Ethik ist ein Grundbekenntnis des Ästhetizismus ausgesprochen, das den auch moralisch relevanten Unterschied zwischen wichtig und unwichtig, wesentlich und unwesentlich, Substanz und Akzidenz (Aufrichtigkeit und Stil) nicht länger anerkennt. Diese Unterschiede werden 13 Vgl. EO2, 191, 203 / SKS 3, 174f., 184f. 14 Vgl. EO2, 204f. / SKS 3, 185f. 15 Vgl. EO1, 100f. / SKS 2, 98f. Vgl. auch die Zusammenstellung der Einwände bei Wilfried Greve „Das erste Stadium der Existenz und seine Kritik. Zur Analyse des Ästhetischen in Kierkegaards ,Entweder-Oder II‘“ in Materialien zur Philosophie Sçren Kierkegaards, hrsg. u. eingel. v. Michael Theunissen / Wilfried Greve, Frankfurt a.M. 1979, S. 177 – 215, hier S. 200ff. 16 Vgl. Willi Perpeet Kierkegaard und die Frage nach einer sthetik der Gegenwart, Halle 1940, S. 209f., S. 212, S. 222. 17 Der Originaltitel lautet: Phrases and Philosophies for the Use of the Young. Das Zitat findet sich in: Oscar Wilde Smtliche Werke, hrsg. v. Norbert Kohl, 10 Bde., Frankfurt a.M. 1982, hier Bd. 7, S. 253.

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vielmehr zugunsten des Wie der Präsentation und Erscheinung der Dinge, Verhaltensweisen und Handlungen nivelliert. Der dann auch von Kierkegaard kritisierte Ästhetizismus als Lebensform im 19. Jahrhundert zieht somit eine letzte Konsequenz aus dem neuzeitlichen Bestreben, aus Gründen der Präzision die Erfahrung des sinnlich Schönen aus dem Verbund mit dem Wahren und Guten herauszugliedern und als originären Zugang zur Welt sui generis zu etablieren. Ebenso versteht sich die neuzeitliche Ethik als autonom. Sie richtet sich (als Theorie menschlich guter Lebensführung) in Form und Inhalt nur nach sich selbst und nimmt für sich sogar in Anspruch, „Erste“ Philosophie zu sein (J. G. Fichte).18 Innerhalb des (neu-)platonischen Idealismus verwies noch der Versuch, das Wesen des Schönen zu bestimmen, auf die Notwendigkeit, das Gute in den Blick nehmen zu müssen – und umgekehrt. Bündig formuliert Platon daher in seinem Dialog Philebos das antike Ideal der Kalokagathie, der Einheit von schön (kalon) und (kai) gut (agathon): „[N]un entflieht uns die Übermacht des Guten in das Aufscheinen der Schönheit; denn als Maßhaftigkeit und Symmetrie werden doch Schönheit wie Tugend überall offenbar.“19 Die griechische Schönheitslehre (Kallistik) hatte diese Einsicht in handhabbare Regeln für Künstler umgesetzt und die Maßverhältnisse der Intervalle, Rhythmus und Melos, Harmonie und Proportion, die geometrischen Verhältnisse in Natur und Kosmos wie in der bildenden Kunst und Architektur bestimmt (Kanon des Polyklet; „goldener Schnitt“).20 Entsprechend findet nach Platons Philebos das gelungene Leben als das höchste Gut sein Maß in der vernunftbestimmten Ausgewogenheit von Denken und Sinnenlust, wie auch die wirkmächtige Nikomachische Ethik des Aristoteles das mittlere (optimale) Maß als den logos nimmt, nach dem sich die Tugend z. B. der Tapferkeit aus den gleichermaßen zu vermeidenden Extremen der Feigheit wie der Tollkühnheit herausheben lässt. Bis in die neutestamentliche Paränese hinein lässt sich dieses antike Ideal der Kalokagathie verfolgen (vgl. Gal 6,9 – 10). 18 Vgl. Hartmut Rosenau / Peter Steinacker „Die Ethik im deutschen Idealismus und in der Romantik“ in Ethik in der europischen Geschichte, hrsg. v. Stephan H. Pfürtner, 2 Bde., Stuttgart u. a. 1988, hier Bd. 2, S. 72 – 89. 19 Platon Philebos, 64e. 20 Vgl. Wolfgang Janke „Das Schöne“ in Handbuch philosophischer Grundbegriffe, hrsg. v. Hermann Krings u. a., 6 Bde., München 1973f., Bd. 5, 1974, S. 1260 – 1276, hier S. 1270; Götz Pochat Geschichte der sthetik und Kunsttheorie. Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Köln 1986, S. 26 – 37.

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Plotins metaphysische Einheitsschau des hierarchisch gegliederten Ideenhimmels hat zwar später einerseits zur Kritik an einer allzu mechanisch umgesetzten Maßästhetik geführt, die das Schöne zum Resultat einer Rechenaufgabe degradiert, anstatt es kraft vernünftiger Anschauung in der unzusammengesetzten Einfachheit und Lauterkeit etwa des Sonnenlichts oder des Glänzens von reinem Gold, im sinnlichen Scheinen des übersinnlichen Einen als Seins- und Erkenntnisgrund von allem, was ist, zu erblicken.21 Aber andererseits hat doch gerade Plotins Emanationsmetaphysik nicht nur die antiken Kriterien der Schönheit um claritas, transparentia, integritas und perfectio erweitert, sondern auch die Identität des Schönen mit dem Guten (wie auch mit dem Einen und Wahren) befestigt: Das Schöne ist das, worin etwas in dem, was es in Wahrheit ist und seine Tauglichkeit (arete) hat, offenbar ist. Die scholastische Transzendentalienlehre ist ihm vor allem über Augustinus und Dionysius (Pseudo-)Areopagita in einigen ihrer Ausprägungen hierin gefolgt22 und fand gerade auch vor dem Hintergrund christlicher Schöpfungstheologie (Gen 1,31; Koh 3,11) Anlass zu der Feststellung: „aliquid, unum, verum. bonum, pulchrum et ens convertuntur“. Das Hässliche (deformatio) wie das Üble (malum) ist dagegen nicht wahrhaft seiend; es „ist“ lediglich im Modus des Nichtseins und der „Beraubung“ (privatio boni / pulchri). Mit der neuzeitlichen Wende zum Subjekt als fundamentum inconcussum von Denken und Sein wird die antik-scholastische Kallistik zur modernen Ästhetik. Die Kriterien für Schönes sind nicht länger ontologisch den Dingen selbst im Einklang mit ihrem Wahr- und Gutsein zu entnehmen, sondern gründen in der subjektiven Weise ihrer Vorstellung und sinnlichen Wahrnehmung (aisthesis). So legt Alexander G. Baumgarten, der Begründer der neuzeitlichen Ästhetik, programmatisch fest: „Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae, qua talis, §1. Haec autem est pulchritudo“ („Anfang und Ende der Ästhetik ist die Vollkommenheit der sinnenhaften Weltvorstellung als einer solchen. Diese aber ist Schönheit“).23 Als sinnenhafte Weltvorstellung gehört die Ästhetik aber gegenüber einer geistigen Weltvorstellung nur zum „unteren“ Erkenntnisvermçgen, sodass sinnliche Schönheit und Vollkommenheit im 21 Vgl. Pochat Geschichte der sthetik und Kunsttheorie, S. 88. 22 Vgl. Willehad P. Eckert „Ästhetik I“ in Theologische Realenzyklopdie, hrsg. v. Gerhard Krause / Gerhard Müller, 36 Bde., Berlin / New York 1977 – 2007, Bd. 1, 1977, S. 544 – 553, hier S. 547f. 23 Alexander Gottlieb Baumgarten sthetik (Philosophische Bibliothek, Bd. 572), hrsg. v. Dagmar Mirbach, 2 Bde., Hamburg 2007, hier Bd. 1, § 14, S. 20 (Übersetzung nach Janke „Das Schöne“, S. 1261).

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Vergleich zu dem, was der Verstand als „oberes“ Erkenntnisvermögen an Wahrem und Guten clare et distincte erkennt, doch nur im Dunkeln (obscure) und Verschwommenen (confuse) tappt.24 Daher ist es ein durchaus konsequenter Schritt, wenn Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft (1790) das ästhetische Urteil über Schönes im transzendentalen Rückgang auf seine notwendigen Bedingungen der Möglichkeit endgültig vom Erkenntnisurteil über Wahres sowie vom moralischen Urteil über Gutes präzise abhebt und trennt. Das lediglich auf das subjektive Gefühl von Lust und Unlust reflektierende ästhetische Urteil „etwas ist schön“ ist nicht nur strikt zu unterscheiden von einem objektiven Erkenntnisurteil, sondern auch vom privaten Urteil über bloß Angenehmes wie auch vom moralischen Urteil „etwas ist gut“. Zwar liegt in den beiden Letzteren wie auch in der ästhetischen Erfahrung ein subjektives Wohlgefallen (das eine Mal eines der Sinne, das andere Mal eines der Vernunft). Aber im Unterschied zum ästhetischen Urteil ist deren Wohlgefallen „mit Interesse verbunden“, nämlich an der Existenz des Wohlgefallen auslösenden Gegenstandes. Das Schöne aber ist Gegenstand eines „interesselosen Wohlgefallens“ und kann daher ästhetisch rein nur in einer Zurückhaltung aller Begehrlichkeiten und Zwecksetzungen des Willens erfahren werden. Zusätzlich unterscheidet sich nach Kant das ästhetische Urteil vom moralischen noch durch seine Begriffslosigkeit. Denn: „Gut ist das, was vermittelst der Vernunft durch den bloßen Begriff, gefällt“,25 aber: „Schçn ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.“26 „Um etwas gut zu finden, muss ich jederzeit wissen, was der Gegenstand für ein Ding sein solle, d. i. einen Begriff von demselben haben. Um Schönheit woran zu finden, habe ich das nicht nöthig. Blumen, freie Zeichnungen, ohne Absicht in einander geschlungene Züge, unter dem Namen des Laubwerks, bedeuten nichts, hängen von keinem bestimmten Begriffe ab und gefallen doch.“27 So führt die Ablösung des Schönen vom Guten (wie auch vom Wahren) zum ästhetischen Ideal der pulchritudo vaga, der freien Schönheit, im Unterschied zur pulchritudo adhaerens, zur bloß mitgängigen Schönheit eines begrifflich bestimmten Dings oder Verhaltens. Autonomie der 24 Vgl. Joachim Ritter „Ästhetik, ästhetisch“ in Historisches Wçrterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter / Karlfried Gründer, 13 Bde., Darmstadt 1971 – 2007, Bd. 1, 1971, Sp. 555 – 580, hier Sp. 558 mit Bezug auf Baumgarten Aesthetica, § 429. 25 Kant KU, A 10 / B 10. 26 Kant KU, A 32 / B 32. 27 Kant KU, A 11f. / B 11f.

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Moral, aber auch Autonomie der Kunst und der Künstler (Gustave Flauberts „L’art pour l’art“) ist daher das neuzeitliche Ergebnis einer Kritik der (theoretischen, praktischen und ästhetischen) Urteilskraft. Dieses Resultat hat Kierkegaard mit seiner Unterscheidung dreier Existenzsphären (Ästhetik, Ethik, Religion) gerade auch im Namen des Christentums festgeschrieben. Zwischen diesen Lebensformen, die nicht miteinander vermengt oder verwechselt werden dürfen, gibt es keine vermittelnden Übergänge, sondern nur „Konfinien“ – so zwischen ästhetischer und ethischer Existenz die Ironie, und zwischen ethischer und religiöser Existenz den Humor.28 Aber gerade weil es keinerlei Mediation, sondern nur einen „Sprung“ zwischen den Existenzsphären gibt, kann der Ästhet die Verzweiflungsrechnung des Ethikers im Grunde gar nicht verstehen und dem Appell zu verzweifeln nicht folgen, um für das Ethische und damit für sich selbst gewonnen zu werden. Denn die Belehrung des Ethikers hat ihre Überzeugungskraft nur für diejenigen, die seine Kriterien teilen. Die aber teilt der Ästhet gerade nicht und kann folglich auch nicht überzeugt werden. Denn dem zuhöchst reflektierten Ästheten (Johannes der Verführer) kommt der Genuss gar nicht zufällig und daher unberechenbar von außen, sondern es handelt sich um einen absoluten Selbstgenuss,29 der nicht gegenständlich, sondern zuständlich als Genuss des Genusses ausgerichtet ist.30 Daher besteht kein Grund zu verzweifeln, wenn der Gegenstand des Genusses nicht verfügbar anwesend ist. Denn der Ästhet ist im Genuss seiner selbst versunken, der die möglicherweise ausbleibende Präsenz des Gegenstandes seiner Lust aus sich selbst heraus durch Erinnerung und Erwartung überbrücken kann.31 Dies umso mehr, als ja das Existenzmedium des Ästheten die Möglichkeit ist32 und daher das Zufällige als das möglicherweise Seiende, aber eben auch Nichtseiende umgreift. Auch die Vergänglichkeit im Hinblick auf Dauer und Intensität des Genusses kann den Ästheten nicht schrecken, denn er hat ja gar keinen Begriff von Zeit. Er lebt im Augenblick und im Moment,33 also in der Ewigkeit als Zeitlosigkeit.34 Daher trifft die äu28 29 30 31 32 33 34

Vgl. zu den drei Existenzsphären: AUN1, 211 – 235 / SKS 7, 455 – 477. Vgl. EO1, 327f., 350 / SKS 2, 295, 315. Vgl. EO1, 115f. / SKS 2, 110f. Vgl. EO1, 34f., 39, 313 / SKS 2, 41, 45, 282f. Vgl. EO1, 45, 401 / SKS 2, 50, 361. Vgl. EO1, 100 / SKS 2, 98f.; EO2, 245 / SKS 3, 220. Vgl. EO2, 23 / SKS 3, 30. Vgl. dazu auch Theodor W. Adorno Kierkegaard. Konstruktion des sthetischen in Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann u. a., 20 Bde., Frankfurt a.M. 1972 – 1990, hier Bd. 2, 1979, S. 146.

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ßerlich aus der Sicht des Ethikers konstatierte „schlechte Unendlichkeit“ (Hegel) einer nie zur letzten und bleibenden Erfüllung gelangenden Suche nach immer neuem Genuss auch nicht das geschichts- und kontinuitätslose Selbstverständnis des Ästheten.35 Ihm ist jeder Augenblick ästhetischen Genusses eine einmalige Neuschöpfung, die zu dem Früheren und Späteren des endlosen Nacheinanders einer sterilen Wiederholung kein Verhältnis hat. Wie also sollte ein Ästhet lernen zu verzweifeln? Überzeugender wäre es, den Ästheten mit seinen eigenen Prämissen und Kriterien zur Verzweiflung zu treiben. Das versucht der Ethiker, indem er dem Ästheten klarmachen will, dass erst in der ethischen Lebensweise das Ästhetische zu seiner Erfüllung komme, dass erst das Ethische wahrhaft schön sei.36 Daher müsse nicht das Schöne dem Guten, das Interessante dem Langweiligen, das Besondere dem Alltäglichen geopfert werden, wie der Ästhet befürchtet.37 Vielmehr sei jenes in diesem recht eigentlich aufgehoben.38 Als Prinzip einer Lebensführung wäre das Ästhetische dann zwar negiert, aber doch als Moment in einem Höheren aufbewahrt, um mit Hegel zu sprechen. Ob aber das Ästhetische dadurch erhalten bleibt, dass es nur noch als Moment, nicht aber mehr als Prinzip gelten soll, ist die Frage. Denn so würde gerade das Ästhetische nicht ernst genommen, sondern zum bloßen Schmuck und zur schlichten Zugabe des durchaus in sich selbst gegründeten ethischen Lebens degradiert werden.39 Um verzweifeln zu lernen, muss der Ästhet vielmehr auf seinen eigenen Grundsatz zurückgeführt werden: Möglichkeit ist höher als Wirklichkeit – das, was sein könnte, ist bedeutender (interessanter) als das, was nun einmal (langweiliger Weise) ist.40 So wird die ästhetische Freiheit von allen Verbindlichkeiten des Lebens im „interesselosen Wohlgefallen“ (Kant) des unbeteiligt neugierigen Beobachters eingerichtet.41 Dagegen setzt der Ethiker seinen Grundsatz: Wirklichkeit ist höher als Möglichkeit – das, was ist, ist wichtiger, bedeutender und bindender als das, was sein Vgl. EO2, 11 / SKS 3, 20. Vgl. EO2, 189 / SKS 3, 173. Vgl. EO1, 396 / SKS 2, 356. Vgl. EO2, 9f. / SKS 3, 18f. Vgl. EO2, 244f. / SKS 3, 219f. Vgl. dazu Perpeet Kierkegaard und die Frage nach einer sthetik der Gegenwart, S. 259, S. 266, S. 270. 40 Vgl. EO1, 45, 401 / SKS 2, 50, 361. 41 Vgl. EO2, 7ff. / SKS 3, 16ff.

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könnte.42 So sichert er die moralische Freiheit als Selbstbindung an die allgemeinen Werte wie z. B. Familie, Gesellschaft und Staat. Wie aber steht es mit der (nach Kant43) dritten Modalkategorie der Notwendigkeit? Sie könnte gleichsam der Anstoß für den Ästheten sein, die Verzweiflung zu lernen und als solche zu übernehmen, und zwar inner-ästhetisch und nicht durch einen Sprung. So, wie auch in der Fortführung der Stadienlehre Kierkegaards der Ethiker in seiner vermeintlich gesicherten Wirklichkeit an der Notwendigkeit in Gestalt des göttlichen Gebots ganz inner-ethisch das Verzweifeln lernt, um dem Religiösen Raum zu geben.44 Dass nämlich letztlich sowohl die ästhetische als auch die ethische Existenzweise eine Form von Verzweiflung ist (ästhetisch: verzweifelt nicht man selbst sein wollen – ethisch: verzweifelt man selbst sein wollen), wird erst aus der Perspektive der religiösen Existenz deutlich. Aus dieser Perspektive wird sich dann auch ein anders akzentuiertes Verhältnis Kierkegaards zum Schönen und zur Kunst zur Lösung derjenigen Aporien ergeben, in die Schopenhauers soteriologische Deutung der Kunst im Rahmen seiner Willensmetaphysik zwischen platonischer Kallistik und Kants Ästhetik geraten wird. Der vorläufig noch vage Hinweis auf die Modalkategorie der Notwendigkeit meint nicht, dass so der unvermittelbare Sprung von einem Existenzstadium in das andere vermittelbar wäre. Vielmehr soll er nur anzeigen, dass die im Hinblick auf die jeweils in sich geschlossene Existenzsphäre ihr eigenes Ungenügen an ihr selbst deutlich werden könnte und müsste, wenn Verzweiflung gelernt werden soll. Einen Hinweis in diese Richtung gibt Kierkegaard dort, wo er den Ästheten A den Clavigo von Goethe und das Scribe-Stück Erste Liebe interpretieren lässt. Denn hier fällt auf, dass die von ihm geschätzte ästhetische Freiheit „von“ den verpflichtenden Bindungen einer bürgerlichen Gesellschaft, ohne sich konkret in Freiheit „zu“ etwas zu entscheiden, gewissermaßen von inner-ästhetischen Gesetzen der Form – das ist die ästhetische Umsetzung der Modalkategorie der Notwendigkeit – erheblich eingeschränkt wird.45 Die ästhetische Freiheit als Bindungslosigkeit steht ihrerseits unter dem Zwang von äußerst bindenden Formgesetzen.46 Nicht 42 43 44 45 46

Vgl. EO2, 233 / SKS 3, 210. Vgl. Kant KrV, A 80 / B 106. So Kierkegaard in Furcht und Zittern. Vgl. EO1, 193 – 203, 291ff. / SKS 2, 176 – 186, 263ff.; EO2, 137 / SKS 3, 128f. Gegen Karin Pulmer Die dementierte Alternative. Gesellschaft und Geschichte in der sthetischen Konstruktion von Kierkegaards „Entweder-Oder“ (Europische Hoch-

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jedes ästhetisch gemeinte Verhalten ist auch ästhetisch erlaubt. Es gibt Gesetze der Form, die einzuhalten sind. Die ästhetische Person ist nicht um ihrer selbst willen da, wie sie es eigentlich libertin will, sondern sie unterliegt um einer höheren Wirkung willen bestimmten Formgesetzen und ästhetischen Notwendigkeiten. Das, was sie sein will, kann und darf sie unter bestimmten Umständen gerade aus ästhetischen Gründen nicht verwirklichen, auch wenn die Gesamtwirkung ironischer Weise ein „Nichts“ ist.47 Diese rein inner-ästhetische Diskrepanz von Wollen und Können im Hinblick auf die Freiheit als Keim der ästhetischen Verzweiflung leuchtet allerdings erst dann ein, wenn man zwei von drei verschiedenen Auffassungen von Ästhetik bei Kierkegaard zusammen nimmt. Ästhetik ist zunächst Kunsttheorie. Diese macht weite Passagen des ersten Teils von Entweder – Oder aus, und auch der Hinweis auf die ästhetischen Gesetzmäßigkeiten als einer der ästhetischen Freiheit zuwider laufenden Notwendigkeit gehört hierher. Zum anderen ist Ästhetik für Kierkegaard die Bezeichnung eines Lebensstils, nämlich des unverbindlichen Genießens von Schönem, wie es in vielerlei Gestalt erscheinen kann: als schönes Kunstwerk, als schöner Mensch, als schöner Gedanke, als schöne Predigt etc. Und schließlich ist für Kierkegaard das Ästhetische die allein angemessene Form einer „indirekten Mitteilung“ des christlichen Glaubens.48 Dieses letztgenannte Verständnis soll vorerst zurückgestellt, aber nach einer noch folgenden Skizze von Schopenhauers Verständnis von Kunst wieder aufgegriffen werden. Das erste und zweite Verständnis von Ästhetik, Kunsttheorie und Lebensstil, kann in der Weise zusammengenommen werden, dass der Ästhet sich selbst in seinem Lebensstil im Licht der Kunst versteht.49 So treffen die kunsttheoretischen Gesetze und Verbindlichkeiten als das Notwendige der Form einerseits und die Lebensführung im Genuss unverbindlicher Freiheit als Gehalt andererseits als inner-ästhetischer Antagonismus von Wollen und Können aufeinander. Eine solche Diskrepanz von Wollen und Können ist jedoch Ausdruck von Verzweiflung, wie sie paradigmatisch von Paulus, dem Apostel, als Signum einer unfreien und damit unerlösten, vielmehr erlösungsbedürftigen Existenz beschrieben worden ist (Röm 7,14ff.). schulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 527), Frankfurt a.M. u. a. 1982, S. 64. 47 Vgl. EO1, 293 / SKS 2, 265f. 48 Vgl. dazu insgesamt: Adorno Kierkegaard. Konstruktion des sthetischen, S. 24f. 49 Vgl. Greve Das erste Stadium der Existenz und seine Kritik, S. 178f.

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Kierkegaard selbst ist dieser inner-ästhetischen Verzweiflung angesichts der Diskrepanz von Wollen und Können, des Antagonismus von notwendig-gebundener Form und libertinistischem Lebensentwurf nicht weiter gefolgt. Denn ihm stand das klassisch-romantische Kunstideal der Versöhnung und Harmonie von Wollen und Können in der absoluten, harmonischen, bruchlosen Durchdringung von Form und Inhalt in wechselseitiger Kommensurabilität vor Augen,50 das gerade deswegen – nicht zuletzt im Namen des christlichen Glaubens – bekämpft werden muss. Denn gemessen an der christlichen Botschaft spiegelt es eine bloß trügerische Versöhnung im schönen Schein vor, wo es in Wahrheit nur die am Kreuz erlittene Versöhnung durch den Gottmenschen Jesus Christus zur Erlösung einer durch und durch erlösungsbedürftigen Welt geben darf. Damit unterstellt Kierkegaard, dass die Kunst und die Ästhetik als Existenzstadium wesentlich ein Verhältnis zum „Evangelium“, zur frohen Botschaft von Heil, Versöhnung und Erlösung habe und somit einen soteriologischen, quasi kunst-religiösen Anspruch erhebe, den sie als verführerisch-trügerischer Schein gar nicht einlösen könne. Die von Kierkegaard angedeutete Diskrepanz von Form und Inhalt, Wollen und Können der ästhetischen Existenz im Blick auf ihre vermeintliche Freiheit gibt seiner Kritik unter diesen Voraussetzungen Recht. Auch und gerade der Ästhet muss – gemessen an seinem eigenen Anspruch – verzweifeln.51 Die Kunst als Medium einer ästhetischen Existenz wird von Kierkegaard abgelehnt, weil sie die Welt und das menschliche Dasein in bloßer Konzentration auf das Wie der Präsentation anstatt auf das Was der Existenz unernst verklärt. Wird diese Diskrepanz zwischen Wie und Was, Form und Inhalt inner-ästhetisch offenbar, muss und kann der Ästhet lernen zu verzweifeln. In solcher Verzweiflung wird das wahre (Un-) Wesen des Daseins und der Welt deutlich, nämlich ihre radikale Erlösungsbedürftigkeit. Darin sind sich Kierkegaard und Schopenhauer, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, einig.

50 Vgl. EO1, 55 / SKS 2, 60. 51 Vgl. EO2, 226 / SKS 3, 204.

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II. Schopenhauers soteriologische Deutung der Kunst als erlösendes Quietiv Die soteriologische Bedeutung der Kunst als Vorlauf asketischer Erlösung ergibt sich aus Schopenhauers Willensmetaphysik, die platonische, transzendentalkritische und vedische Philosopheme transformierend zusammenschließt.52 Analog zur antiken Kalistik sowie zur scholastischen Transzendentalienlehre verbindet Schopenhauer in seinem vierteiligen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung von 1818 auf diese Weise Metaphysik, Ethik und Ästhetik, das Eine, Wahre, Gute und Schöne. Dabei ist nicht zuletzt die Heterogenität der aufgenommenen Traditionsbestände mit ein Grund für die inneren Aporien, in die Schopenhauers Kunstverständnis letztlich gerät.53 In polemischer Abgrenzung von Hegels spekulativem Idealismus und Schellings konstruierender Ontotheologie, die den Standpunkt des Absoluten von vornherein für sich in Anspruch nimmt, will Schopenhauer der kritischen Methode der Reflexion folgen.54 Daher geht er von der Erfahrung im Sinne von Tatsachen des Bewusstseins aus,55 insbesondere von der Selbsterfahrung des Menschen als ein geistig-leiblich bestimmtes Wesen in dieser Welt, um diese auf die metaphysischen notwendigen Bedingungen der Möglichkeit als Seins-, Erkenntnis- und Verstehensgründe zurückzuführen. Daraus ergibt sich in erkenntnistheoretischer Hinsicht die erste Gewissheit, dass die Welt (das Ensemble alles welthaft Seienden) als „Vorstellung“, als Objekt für ein Subjekt relational und relativ im wechselseitigen Verweisungszusammenhang zur Erscheinung kommt. Dabei kann weder das eine noch das andere Relat – weder im Sinne des Materialismus noch im Sinne des Idealismus – Prioritätsansprüche erheben, wie es Schopenhauer im ersten Buch seines Hauptwerks begründet und erläutert.56 Jedoch geht die Welt keineswegs darin auf, lediglich „Vorstellung“ zu sein. Vielmehr erschließt sich – vermittelt durch die Wahrnehmung unserer eigenen, individuellen Leiblichkeit,57 da wir eben nicht reine 52 Vgl. W I, XII. 53 Vgl. insgesamt Walter Schulz Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der sthetik, Pfullingen 1985, S. 36 – 43. 54 Vgl. W I, XX. 55 Vgl. W I, 40. 56 Vgl. W I, 15f. 57 Vgl. W I, 22, 118.

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erkennende Geister („geflügelter Engelskopf ohne Leib“) sind, und vermittelt durch die logische Überlegung, dass alles Relative (der Vorstellungen) ein Absolutes voraussetzt,58 das von anderer Seinsart als das Relative, aber auf dieses bezogen sein muss – via analogiae 59 die ontologische Überzeugung, dass diese Welt als „Vorstellung“, das Vorgestellte wie das Vorstellende, im Innersten durchgängig „Wille“ ist.60 Dieser Wille objektiviert sich graduell in der Erscheinungs- und Vorstellungswelt, wobei Schopenhauer die Stufen allgemeiner Objektivationen im Unterschied zu je einzelnen, individuellen Objektivationen auf einer bestimmten Stufe, mit Platons Ideen identifiziert.61 Somit präzisiert Schopenhauer kritisch die problematische kantische Dichotomie von „Ding an sich“ und „Erscheinung“, indem er zwischen „Wille“ und „Vorstellung“, „Wesen“ und „Wirken“ dihairetisch-synthetisch unterscheidet.62 Die willensmetaphysische Entfaltung der Bedeutung dieser Differenz ist das Hauptthema des zweiten Buches. Ist aber die Welt wesentlich und im Innersten Wille, dann ist ihr Grundzug unvorstellbares Leiden. Denn der an sich grundlose, nicht nach dem „Satz vom Grunde“ bestimmte Wille in all seinen Varianten von Kraft, Trieb, Drang, Wachstum, Instinkt, Sehnsucht, Intention etc.63 in der anorganischen wie organischen Natur64 ist immer auf Erfüllung aus. Und dieses Aussein auf etwas, das sich durch alle momentane Befriedigung wie durch alle konkreten Motivationen durchhält, setzt die grundlegende Erfahrung von Mangel, also von Schmerz, Leiden und Elend voraus.65 Von daher stellt sich im Kontext dieses metaphysischen Pessimismus die elementare Frage nach Erlösung und Rettung (soteria), die schließlich in der Kunst (drittes Buch) und endgültig in der Askese (viertes Buch) gefunden werden soll. Denn Schmerz und Leid ist „dem Willen zuwider“.66 Verwandt mit einer buddhistischen wie gnostischen

58 59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. W I, 41, 118. Vgl. W I, 125. Vgl. W I, 5. Vgl. W I, 154. Vgl. W I, 125. Vgl. W I, 132f. Vgl. W I, 178. Vgl. W I, 183. W I, 120.

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Weltsicht sucht Schopenhauer somit eine Erlösung von der Welt des Leidens,67 nicht aber eine Erlösung der Welt wie im Christentum. Auch für Schopenhauers soteriologisches Verständnis der Kunst ist es von entscheidender Bedeutung, dass nicht das Verhältnis von Objekt und Subjekt in der Vorstellung, sondern lediglich die vorgestellten Objekte, also die jeweiligen Vorstellungen mit- und untereinander nach dem „Satz vom Grunde“ kategorial und diskursiv strukturiert und gesetzmäßig determiniert sind.68 Bleibt man jedoch in einer einzelnen Vorstellung etwa im Modus reiner Anschauung zwischen Subjekt und Objekt, dann entsteht „Ruhe im Anschauen, Befriedigung in der Gegenwart“69 jenseits aller theoretischen Fragen und Zweifel oder praktischen Sorgen und Nöte. Aus einer solchen freien Anschauung entsteht die Kunst.70 Allerdings setzt das so hergeleitete Schaffen wie Rezipieren von Kunstwerken eine individuelle Freiheit zum Verweilen, zum Innehalten, zur Unterbrechung der nach dem Satz vom Grunde verketteten Vorstellungen und einzeln determinierten Objektivationen des metaphysischen Willens voraus. Eine solche Freiheit gesteht Schopenhauer zwar dem universalen metaphysischen Willen als solchem in seiner Grundlosigkeit zu, aber nicht dem individuellen, konkreten, nach dem Satz vom Grunde bestimmten Willen als dessen einzelne Objektivation.71 Wie aber kann es dann in Schopenhauers Voluntarismus zum Schaffen und Aufnehmen von Kunst kommen, das ja immer ein Innehalten, eine Unterbrechung, eine Kehrtwendung und einen den Willen resignativ aufhebenden Perspektivenwechsel (metanoia; periagoge) voraussetzt, der dem Individuum als solchem mangels Freiheit gar nicht zur Verfügung steht? Denn das in das metaphysische Leiden und Elend eingebundene Individuum kann, „aller Vorsätze und Reflexion ungeachtet, sein Thun nicht änder[n]“, sondern muss „vom Anfang seines Lebens bis zum Ende den selben von ihm selbst missbilligten Charakter durchführen und gleichsam die übernommene Rolle bis zu Ende spielen“.72 Wie also kann der Wille seine Richtung ändern und sich resignativ gegen sich selbst kehren, wenn 67 Vgl. W I, 323. Die motivische Nähe Schopenhauers zur Gnosis stellt auch Andreas Steffens „Lebensversicherungen. Von der Ästhetik der Weltlosigkeit zu einer Ästhetik der Lebendigkeit“ in Schopenhauer-Studien 3, 1989, S. 177 – 186, hier S. 181, S. 186, heraus. 68 Vgl. W I, 30, 114. 69 W I, 41. 70 Vgl. W I, 42, 181. 71 Vgl. W I, 135, 345. 72 W I, 135, 345.

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nichts anderes als er selbst in seinem stetigen, endlos Leiden schaffenden Hunger da ist?73 Woher kommt das Motiv und der Anstoß zur Resignation? Dies bleibt in Schopenhauers Willensmetaphysik bei allen erhellenden Interpretationen der Kunst(arten) und der künstlerischen Existenz, der Wirkungen des Schönen und Erhabenen in seiner entlastenden und tröstenden Kraft ebenso ungeklärt wie die Genese des lichten menschlichen Selbstbewusstseins aus dem Dunkel des triebhaften Willens.74 Und doch gibt es das Faktum des Selbstbewusstseins genauso wie das der Kunst, des künstlerischen Schaffens wie Rezipierens. Dies kann jedoch von Schopenhauer nicht weltimmanent im Horizont von Wille und Vorstellung gleichsam als Möglichkeit der Selbsterlösung erklärt werden, sondern es setzt vielmehr ein „extra nos“, eine religiöse Dimension voraus, die Schopenhauer jedoch dezidiert ablehnt. Insofern kann die Kunst nicht – im Sinne Schopenhauers – die (Er-)Lösung sein, sie macht vielmehr das Problem, die Erlösungsbedürftigkeit offenbar.75 Dieses Problem stellt sich insbesondere deswegen, weil Schopenhauer die Erkenntnis der „Ideen“, der unmittelbaren Objektivationen des metaphysischen Willens auf den jeweiligen Entwicklungsstufen bis hin zur selbstbewussten Vorstellung des Wesens dieses Willens selbst,76 nur dadurch für möglich hält, dass die Individualität im erkennenden Subjekt aufgehoben wird. Denn individuelle (alltägliche und gewöhnliche, aber auch wissenschaftliche) Erkenntnis ist in ihrer relativen Partikularität immer dem Satz vom Grunde unterworfen und kann – unter der Voraussetzung, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt werden kann – insofern das grundlose, universale Wesen, Wirken und Walten des Willens selbst und seiner unmittelbaren Objektivationen nicht adäquat im Blick auf Form und Inhalt erkennen.77

73 Vgl. W I, 183. 74 Vgl. die verräterisch metaphorischen Umschreibungen dieser Genese bei Schopenhauer W I, 179. Auf das ungelöste Problem der Konstitution ästhetischer Freiheit weist auch Barbara Neymeyr „Zur Problematik von Schönem und Erhabenem in Schopenhauers Ästhetik“ in Schopenhauer-Studien 4, 1991, S. 129 – 146, hier S. 137ff., hin. 75 Vgl. dazu die prägnante theologische Analyse von Peter Steinacker „Kritische Metaphysik und die Ethik des Mitleids und der Askese“ in Richard Wagner und die Religion, hrsg. v. Peter Steinacker, Darmstadt 2008, S. 99 – 112. 76 Vgl. W I, 199. 77 Vgl. W I, 200.

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Adäquate, und das heißt wahre Erkenntnis der Ideen (im Sinne einer adaequatio rei et intellectus) kann es nur dadurch geben, „dass wir uns von der Erkenntnis einzelner Dinge zu der der Ideen erheben“.78 Diese Erhebung führt zur Kunst: Welche Erkenntnißart nun aber betrachtet jenes außer und unabhängig von aller Relation bestehende, allein eigentlich Wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel Unterworfene und daher für alle Zeit mit gleicher Wahrheit Erkannte, mit einem Wort, die Ideen, welche die unmittelbare und adäquate Objektität des Dinges an sich, des Willens, sind? – Es ist die Kunst, das Werk des Genius. Sie wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefaßten ewigen Ideen, das Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt, und je nachdem der Stoff ist, in welchem sie wiederholt, ist sie bildende Kunst, Poesie oder Musik.79

Aber diese Erhebung zur Kunst kann nur so gelingen, „daß im Subjekt eine Veränderung vorgeht, welche jenem großen Wechsel der ganzen Art des Objekts entsprechend und analog ist, und vermöge welcher das Subjekt, sofern es eine Idee erkennt, nicht mehr Individuum ist.“80 Es ist also ein der mystischen Theologie verwandter raptus, eine ekstasis, eine periagoge oder eine metanoia nötig,81 die aber nicht aus dem nach dem Satz vom Grunde determinierten Individuum selbst kommen kann. Denn dieses ist als solches soteriologisch ohnmächtig und nicht frei, kann nicht als Künstler (oder Asket) wie Christus „Priester und Opfer zugleich“82 sein. Dass eine solche Erkenntnis dem künstlerisch selbstvergessenen „Genius“ als „klares Weltauge“83 möglich sein soll,84 und nach ihm all denjenigen, die für das Schöne und Erhabene in Natur, Kunst und Leben sensibel sind,85 ist nur eine genieästhetische Problemanzeige in Richtung auf eine religiöse (divinatorische) Lösung, die Schopenhauer jedoch ausschließt.86 Die Entstehung eines solchen Ausnahmezustands 78 79 80 81 82 83 84 85 86

W I, 207. W I, 217. W I, 207. Die Bezüge Schopenhauers zur Mystik beschreibt differenziert Elenor Jain „Ästhetische Erfahrung und Mystik bei Schopenhauer“ in Schopenhauer-Studien 3, 1989, S. 167 – 175. W I, 450. W I, 219. Vgl. W I, 218. Vgl. W I, 229. Vgl. dazu auch das kritische Referat von Cheryl Foster „Ideas and Imagination. Schopenhauer on the Proper Foundation of Art“ in The Cambridge Companion to Schopenhauer, hrsg. v. Christopher Janaway, Cambridge 1999, S. 213 – 251, hier

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beschreibt Schopenhauer in § 34 des dritten Buches wie eine Offenbarung, die den Menschen aus seiner Selbstverstrickung und Verblendung erlöst: „Der, wie gesagt, mögliche, aber nur als Ausnahme zu betrachtende Uebergang von der gemeinen Erkenntniß einzelner Dinge zur Erkenntniß der Idee geschieht plötzlich, indem die Erkenntniß sich vom Dienste des Willens losreißt, eben dadurch das Subjekt aufhört, ein bloß individuelles zu seyn und jetzt reines, willenloses Subjekt der Erkenntniß ist“.87 Eine solche soteriologische Änderung der Erkenntnis geschieht „Kraft des Geistes“.88 Allerdings lässt Schopenhauer es offen, welcher Geist dies vermag. Der des Menschen kann es nicht sein, denn er ist in seinen partikularen, individuellen, relativen Vorstellungen nach dem Satz vom Grunde gebunden. Und der Geist Gottes, ein Heiliger Geist, soll es nicht sein. Doch gerade das Wirken eines solchen würde theologisch beschreiben und erklären können, worum es Schopenhauer bei der kunstvermittelten Ideenerkenntnis soteriologisch geht: reine Anschauung des Wesentlichen, Verweilen beim „was“ der Dinge (und nicht beim relationalen „wie“ ihres Erscheinens) in ruhiger, alle individuellen Bestimmtheiten und Interessen hinter sich lassender Betrachtung. Denn pneumatologisch gesehen ist Geist die unverfügbare Kraft der Essentifikation, die den Menschen extra se aus dem Unwesen, aus der Entfremdung und dem Widerspruch, in sein Wesen bringt, indem sie ihn mit dem Grund des Seins, mit dem Göttlichen verbindet. In Aufnahme und Fortführung der kantischen Formel vom „interesselosen Wohlgefallen“ als notwendige Bedingung der Möglichkeit, Schönes als schön beurteilen zu können,89 beschreibt Schopenhauer den durch die Kunst vermittelten Zustand einer transindividuellen, von der Herrschaft des Satzes vom Grunde befreiten adäquaten Ideenerkenntnis entsprechend als willenlos, schmerz- und zeitlos,90 zusammengefasst als Erlösung vom „Sklavendienste des Willens“91 und somit vom meta-

87 88 89 90 91

S. 225ff.; Heinz Paetzold sthetik des deutschen Idealismus, Wiesbaden 1983, S. 419ff.; Brigitte Scheer Einfhrung in die philosophische sthetik, Darmstadt 1997, S. 152. W I, 209. W I, 210. Vgl. Kant KU, A 14ff. / B 14ff. Zum Einfluss der Ästhetik Kants auf Schopenhauer vgl. Scheer Einfhrung in die philosophische sthetik, S. 147. Vgl. W I, 210f., 231. W I, 232.

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physischen Leid. Denn: „Alles Wollen entspringt aus Bedürfniß, also aus Mangel, also aus Leiden.“92 Allerdings ist diese Erlösung durch Kunst als „Quietiv“93 des Willens nur fragmentarisch oder vorläufig, nur für Augenblicke wirklich.94 Denn es ist faktisch tatsächlich so, dass „die große, wiewohl spontane Anspannung, welche zur willensfreien Auffassung der Ideen erfordert wird, nothwendig wieder nachläßt und große Zwischenräume hat, in welchen Jene [Künstler], sowohl in Hinsicht auf Vorzüge als auf Mängel, den gewöhnlichen Menschen ziemlich gleich stehen.“95 Als eschatisch bleibende ist diese Erlösung nur durch asketische Resignation und heilige „Selbstverleugnung“96 möglich, die den leidschaffenden Willen endgültig ins Nichts (Nirwana) verlöschen lässt.97 Dagegen fällt die kunstvermittelte Ideenanschauung, wie die Erfahrung leider zeigt, wieder in die gewöhnliche, alltägliche, individuell bestimmte, dem Satz vom Grunde unterworfene Erkenntnisart und damit in Leid, Sorge und Jammer zurück.98 Zwar ist nach Schopenhauer „die Kunst überall am Ziel“,99 aber der subjektive Geist kann sich nicht dauerhaft bei der Kunst und in ihren reinen Gefilden aufhalten. Die Banalität des Gewöhnlichen holt ihn früher oder später wieder ein. Doch auch hier gibt es auf dem von Schopenhauer gewählten Standpunkt der Reflexion einen Bruch oder eine offene Stelle der Argumentation. Denn wenn das Subjekt einer transindividuellen, kunstvermittelten Ideenerkenntnis wirklich „zeitlos“ wäre, dann könnte ein Rückfall, ein Übergang in die alltägliche und gewöhnliche Erkenntnisart im Sinne einer Bewegung weder gedacht werden noch vorkommen. Denn Zeitlosigkeit ist Aufhebung von Bewegung, sofern (nach Aristoteles) Zeit die Zahl der Bewegung hinsichtlich des früher und später ist.100 Entweder ist die kunstvermittelte Ideenerkenntnis ganz und gar die Erlösung oder nur zum Schein, wie Kierkegaard es sieht. Tertium non datur. Doch weder das eine noch das andere kann oder soll nach Schopenhauer sein, und darin besteht die tiefere innere Aporie seiner 92 93 94 95 96 97 98 99 100

W I, 230f. W I, 275. Vgl. W I, 232. W I, 222. W I, 339. Vgl. W I, 438, 486. Vgl. W I, 233. W I, 218. Vgl. Aristoteles Phys. IV, 11 (219b).

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willensmetaphysischen Kunstauffassung im Blick auf das Verständnis von Zeit und Zeitlosigkeit.101 Nun wird Kierkegaard letztlich Recht haben. Denn wenn die Vorstellung bloß Erscheinung des in Wahrheit wesenden Willens als „Ding an sich“ ist, dann muss die Kunst als Quietiv des Willens contra intentionem wahrheitslos sein und kann insofern weder Erlösung noch Trost bieten,102 auch nicht die Musik, die für Schopenhauer darin ihre unter allen anderen Künsten herausragende Bedeutung hat, dass sie nicht das abständige Erkenntnismedium der Ideen als unmittelbare Objektivationen des metaphysischen Willens ist, sondern sogar diesen selbst in seinen Regungen und in seinem Wesen wahrnimmt.103

III. Fazit: Kunst als Medium einer „indirekten Mitteilung“ des Religiösen Erlösung für das soteriologisch ohnmächtige Subjekt wie der willensbestimmten Welt im Ganzen ihres Leidens kann es nur „extra nos“ geben. Dieses „extra nos“ erschließt sich im Glauben. Glaube aber ist nach Kierkegaard eine paradoxe Doppelbewegung, nämlich die der „unendlichen Resignation“ einerseits und die einer „Wiedergewinnung der 101 Mike Sandbothe „Schopenhauers Ästhetik. Traditionalität, Modernität, Postmodernität“ in Schopenhauer-Studien 3, 1989, S. 157 – 165, hier S. 163, spricht daher mit Recht von einem „zeittheoretische[n] Desiderat“. Dieses Desiderat ist noch nicht dadurch behoben, dass Schopenhauer in den Ergänzungen zu seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung das Ungenügen der Kunst hinsichtlich einer bloß temporären Erlösung durch den Unterschied zwischen der „naive[n] und kindliche[n] Sprache der Anschauung“, die die Kunst auszeichne, und der „abstrakte[n] und ernste[n] der Reflexion“ (W II, 463), die die Philosophie charakterisiere, erklären möchte. Die „Antwort der Kunst“ auf „das Problem des Daseyns“ sei „daher ein flüchtiges Bild; nicht eine bleibende allgemeine Erkenntniß“ (W II, 463). Denn dasselbe Problem des Übergangs in das alltägliche, gewöhnliche Vorstellen ergibt sich auch auf der Höhe philosophischer Erkenntnis. 102 Vgl. W I, 316. 103 Vgl. W I, 302, 304, 307. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum Schopenhauer den Stand der Erlösung nicht positiv, sondern nur negativ – als Nichts und Nirwana – beschreiben kann (vgl. John E. Atwell „Art as Liberation. A Central Theme of Schopenhauer’s Philosophy“ in Schopenhauer, Philosophy and the Arts, hrsg. v. Dale Jacquette, Cambridge 1996, S. 81 – 106, hier S. 102f.). Zum Einfluss des Musikverständnisses Schopenhauers insbesondere auf Richard Wagner („Der fliegende Holländer“) vgl. Norbert Schneider Geschichte der sthetik von der Aufklrung bis zur Postmoderne, Stuttgart 1996, S. 112ff.

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Endlichkeit“ andererseits.104 Zwar kann dieser ekstatische Glaube in seiner Genese weder ästhetisch noch ethisch vermittelt werden, denn er entsteht Kierkegaard zufolge „kraft des Absurden“.105 Aber wenn er unverfügbar da ist, dann kommt die in sich ambivalente und darum selbst erlösungsbedürftige Kunst in der Perspektive des paradox-religiösen Glaubens neu in den Blick. Sie verklärt nicht die Welt, sondern bietet einen heilsamen Perspektivenwechsel auf eben diese leidvolle Welt im Licht des im Glauben präsenten Eschaton an. Sie zeigt sich dann in ihren werk-, produktions- und vor allem rezeptionsästhetischen Aspekten als das angemessene Medium einer „indirekten Mitteilung“ der erlösten Existenz, die anders (direkt) gar nicht kommuniziert werden kann.106 Somit hat ästhetisch betrachtet weder die Resignation noch die Bewunderung das letzte Wort, sondern der Appell zur metanoietischen Nachfolge: „Du musst dein Leben ändern.“107

104 FZ, 33 – 36, / SKS 4, 130 – 133. Wolfgang Janke Existenzphilosophie, Berlin / New York 1982, S. 56, spricht in diesem Zusammenhang von einem „pistologischen Paradox“. 105 FZ, 47 / SKS 4, 139f. 106 Vgl. dazu Hermann Deuser Kierkegaard. Die Philosophie des religiçsen Schriftstellers (Ertrge der Forschung, Bd. 232), Darmstadt 1985, S. 77 – 83. 107 Rainer Maria Rilke „Archaischer Torso Apollos“ in Smtliche Werke, hrsg. v. Rilke-Archiv, 7 Bde., Frankfurt a.M. 1955 – 1997, hier Bd. 1, 1955, S. 557.

Glauben und Wissen. Versuch über den Wahrheitsbegriff der Religionsphilosophie im Anschluss an Kierkegaard und Schopenhauer Von Tilo Wesche Abstract Belief and Knowledge express a problematic constellation. By elaborating on the concept of truth it will be shown that there are common boundaries where philosophy and religion meet. The aim of this study is to reconstruct the question which ties both philosophy and religion together and for which they have alternative answers. This paradigm is to be elucidated by drawing on relevant theories of truth. In this context and in contrast with Schopenhauer, the special significance of Kierkegaard’s concept of truth becomes apparent. Of particular importance is Kierkegaard’s differentiation between subjective and objective truth and the interrelationship between truth and hope. The clarification of these terminological relationships is to contribute towards an understanding of what we call ethical truth.

In diesem Beitrag soll die Frage nach einem Verständnis dessen, was Wahrheit heißt, im Namen einer Philosophie behandelt werden, für die Religion kein Relikt aus unaufgeklärten Zeiten ist. Der religionsphilosophische Diskurs über Wahrheit von Augustinus bis Wittgenstein ist kein Erbe, das im Lichte einer sich richtig verstehenden Wissenschaftskultur unter den zeitgenössischen Wahrheitstheorien verteilt werden könnte – ohne dass ein Rest bliebe. Keineswegs aber soll im Folgenden Religion als erste Philosophie inthronisiert werden, als fänden Wahrheitstheorien ihr fundamentum inconcussum in dem, was der Religion vorbehalten bliebe: als wäre Religionsphilosophie für einen Wahrheitsbegriff unverzichtbar. Von der Herausforderung, philosophische Wahrheitstheorien in ein Verhältnis zum religionsphilosophischen Wahrheitsdiskurs zu setzen, versprechen wir uns eine Erweiterung des philosophischen Vokabulars. Es geht nicht um eine Angleichung an Religionsphilosophie, sondern um die Schärfung der Aufmerksamkeit für philosophische Grundoperationen, die unter der Selbstverständlichkeit

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der eigenen Methode und Begrifflichkeit verdeckt bleiben. Religionsphilosophische Gedankenfiguren wie die Verknüpfung von Wahrheit mit Hoffnung lösen in philosophischen Wahrheitstheorien Befremden aus. Ebendiese Fremdheit soll fruchtbar gemacht werden für eine Perspektivbrechung, indem ein anderes Vokabular ein neues Licht auf das eigene wirft und es damit erweitert. Die folgenden Überlegungen zum Wahrheitsbegriff in der Religionsphilosophie unternehmen nicht mehr als einen Versuch. Der Versuchscharakter erklärt sich aus dem Vorgehen einer Annäherung. Sie gehen von der Religionsphilosophie nicht aus, sondern bewegen sich auf sie zu. Ausgehend von der philosophischen Problemskizze, für die Wahrheitstheorien Antworten sind, avisieren sie einen Lösungsvorschlag, den die Religionsphilosophie unterbreitet. Daraus erklären sich die Einschränkungen, dass weder die Interpretation einschlägiger Bibelstellen im Fokus stehen1 noch die klassischen Lehren des Gottesbeweises2 noch die Frage nach der Vereinbarkeit von Wahrheitsanspruch und Pluralität der Religionen3 noch die Debatte um den Wahrheitsbegriff, die innerhalb der Religionsphilosophie, Religionswissenschaft und Theologie geführt wird (Rudolf Bultmann, Emil Brunner, Wolfhart Pannenberg).4 Für eine erfolgreiche Durchführung des genannten Projekts ist Kierkegaards Philosophie wie keine andere geeignet. Der Grenzgänger zwischen Philosophie, Religion und Kunst entwirft einen unverwechselbaren Wahrheitsbegriff und macht sich dabei das erhellende Wechselspiel zwischen den Disziplinen zunutze. Erfolgversprechend ist das Vorhaben allerdings unter zwei Bedingungen. Erstens sind Kierkegaards 1 2

3 4

Siehe: Thomas Böhm „Das Wahrheitsverständnis in Bibel und Früher Kirche“ in Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, hrsg. v. Markus Enders / Jan Szaif, Berlin / New York 2006, S. 49 – 64. Siehe u. a.: Roderich Barth Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhltnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege, Tübingen 2004; Robert Spaemann Der letzte Gottesbeweis, München 2007; Gunnar Hindrichs „Theologie als Provokation der Philosophie“ in Deutsche Zeitschrift fr Philosophie 57, 2009, S. 211 – 225. Siehe: Religious Pluralism and Truth. Essays on Cross-Cultural Philosophy of Religion, hrsg. v. Thomas Dean, Albany 1995; Nathan S. Hilberg Religious Truth and Religious Diversity, New York 2009. Einen Überblick über die Debatte geben: Wahrheit in Perspektiven. Probleme einer offenen Konstellation, hrsg. v. Ingolf U. Dalferth / Philipp Stoellger, Tübingen 2004; Heiko Schulz „Vom Daseinsverständnis zum Evidenzerleben. Exemplarische Standpunkte der wahrheitstheoretischen Debatte in der neueren deutschen evangelischen Theologie“ in Jahrbuch fr Religionsphilosophie 4, 2005, S. 99 – 125.

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implizite Grundoperationen und Prämissen freizulegen und in eine kontrollierbare Begrifflichkeit zu übersetzen. Dafür müssen wir uns theoretischer Reflexionen bedienen, die die Standards begrifflicher Differenzierung, die in heutigen Wahrheitstheorien gelten, nicht unterbieten. Zweitens ist die Reaktualisierung des Kierkegaardschen Wahrheitsbegriffs aussichtsreich nur dann, wenn wir nicht von Kierkegaards Ergebnis bereits ausgehen. Statt sich damit zu begnügen, Kierkegaards Religions- und Gottesbegriffe zu erklären, soll zunächst nicht mehr versucht werden, als die Frage zu verstehen, auf die Kierkegaards Begriffsvorschläge antworten. Im ersten Teil werden am Leitfaden von Kierkegaards Gedanke ,Die Subjektivität ist die Wahrheit‘ die wahrheitstheoretischen Überlegungen vorbereitet, die einen Zugriff auf Kierkegaards Wahrheitsbegriff erlauben (1.). Sodann werden zwei Zwischenschritte eingelegt. Der zweite Teil widmet sich einer recht verstandenen Korrespondenztheorie der Wahrheit und soll einen allgemeinen Wahrheitsbegriff nachzeichnen, der eine tragfähige Grundlage für die anschließenden Ausführungen bietet (2.). Der dritte Teil vertieft den skizzierten Wahrheitsbegriff im Hinblick auf eine metaphysikkritische Problemstellung, die im Mittelpunkt der Wahrheitstheorien von Hegel und Heidegger steht (3.). Im vierten Teil werden wir Kierkegaards indirekte Mitteilungsmethode als ein Lösungsvorschlag für ebendiese Problemstellung erörtern (4.). Auf Kierkegaards Grundgedanken einer Verknüpfung von Wahrheit mit Hoffnung wird im fünften Teil eingegangen (5.). Abschließend wird Kierkegaards Philosophie im sechsten Teil in ein Verhältnis zu einigen Überlegungen Schopenhauers gesetzt (6.). Von dem Vergleich der Theorievarianten versprechen wir uns einen Aufschluss über die Besonderheit des Kierkegaardschen Ansatzes. Beide Theorien sind durch zahlreiche Nahtstellen miteinander verbunden. Dennoch trennt Kierkegaard von Schopenhauer, dass er am Wahrheitsbegriff festhält. Statt wie Schopenhauer den metaphysikkritischen Ansatz dem Wahrheitsbegriff entgegenzusetzen, ist es Kierkegaard um eine Wiedergewinnung des Wahrheitsbegriffs zu tun. Schopenhauers Gegenentwurf zum philosophischen Wahrheitsbegriff zielt auf eine Trennung von Glauben und Wissen, Kierkegaards Idealismuskritik vielmehr auf deren Integration. Im Kontrast zu den Gemeinsamkeiten zeichnet sich Kierkegaards rettende Kritik am Wahrheitsbegriff umso deutlicher ab.

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1. Subjektive versus objektive Wahrheit Kierkegaards Begriff der Wahrheit besitzt zwei auffällige Seiten. Zum einen wird im Gegenzug zur herrschenden Meinung Wahrheit mit Subjektivität verknüpft. „Die Subjektivität ist die Wahrheit.“5 Unter subjektiver Wahrheit versteht Kierkegaard die verbindliche Geltung von Werturteilen und damit dasjenige, was ethische Wahrheit genannt wird. Werturteile betreffen Aussagen darüber, wie zu leben gut ist. Mit der Kontrastierung von subjektiver und objektiver Wahrheit betont Kierkegaard die unverwechselbare Besonderheit, hinsichtlich derer sich ethische Wahrheit vom Objektivitätsanspruch der Wissenschaft und Technik unterscheidet. Die Auseinandersetzung mit Kierkegaards Wahrheitsbegriff verspricht insofern einen Beitrag zu leisten für die metaethische Debatte um einen Begriff ethischer Wahrheit. Die zweite Auffälligkeit besteht darin, dass Kierkegaard Wahrheit im Schnittpunkt von Philosophie und Religion verortet. Kierkegaards religionsphilosophisch grundierter Wahrheitsbegriff kommt in der Krankheit zum Tode zum Vorschein, in der die Auffassung vertreten wird, dass ein Selbst durchsichtig ist allein unter der Bedingung eines Gründens in Gott. Indem das Selbst „sich zu sich selbst verhält und indem es es selbst sein will, gründet das Selbst durchsichtig in jener Macht, die es setzte.“6 Werturteile sind, anders gesagt, nur dann wahrheitsfähig, wenn zugleich eine epistemische Unverfügbarkeit anerkannt wird; keine epistemische Entzogenheit schlechthin, die den Grundsatz „die Subjektivität ist die Wahrheit“ unterliefe – aber doch der Rest einer kontingenten Macht, der 5

6

U.a. AUN1, 200 / SKS 7, 191. Siehe hierzu: George F. Sefler „Kierkegaard’s Religious Truth: The Three Dimensions of Subjectivity“ in International Journal for Philosophy of Religion 2/1, 1971, S. 43 – 52; Kurt Weisshaupt Die Zeitlichkeit der Wahrheit. Eine Untersuchung zum Wahrheitsbegriff Søren Kierkegaards, Freiburg / München 1973, S. 62 – 74; Richard Schacht „Kierkegaard on ,Truth is Subjectivity‘ and ,The Leap of Faith‘“ in Canadian Journal of Philosophy 2/3, 1973, S. 297 – 313; Matthew Gerhard Jacoby „Kierkegaard on Truth“ in Religious Studies 38/1, 2002, S. 27 – 44; Arne Grøn „Subjektivität und Un-Wahrheit“ in Schleiermacher und Kierkegaard. Subjektivitt und Wahrheit / Subjectivity and Truth (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 11; Schleiermacher Archiv, Bd. 21), hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn u. a., New York / Berlin 2006, S. 13 – 28. KT, 10 / SKS 11, 130 [Übers. hier u. i. F. v. Verf. modifiziert]. Siehe zu dieser Passage: Michael Theunissen Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung. Kierkegaards negativistische Methode, Frankfurt a.M. 1991; Lore Hühn Kierkegaard und der Deutsche Idealismus. Konstellationen des bergangs (Philosophische Untersuchungen, Bd. 22), Tübingen 2009.

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von keiner erkenntnistheoretischen Aufklärung wegargumentiert werden kann. Kierkegaards Verknüpfung von Wahrheit mit religionsphilosophischen Konnotationen stellt eine noch größere Herausforderung für philosophische Wahrheitstheorien dar als sein Begriff der subjektiven Wahrheit. Sie ist allerdings nichts Anderes als die Kehrseite der subjektiven Seite. „Die Subjektivität ist die Unwahrheit.“7 Subjektivität allein ist nicht die halbe Wahrheit, sondern die ganze Unwahrheit. Kierkegaards Verknüpfung von ethischer Wahrheit mit Religion steht im Kontrast zur philosophischen Ethik von Aristoteles und Kant, ohne auf einen vorkritischen Standpunkt zurückzufallen. Auf den Grundlagen epistemischer Wahrheitstheorien, die Wahrheit mit Begründung gleichsetzen, findet ethische Wahrheit ebenso wenig eine Erklärung wie auf den Grundlagen aristotelischer Metaphysik oder der Transzendentalphilosophie. Wenn wir uns ethische Wahrheit zu erklären suchen, dann kommen wir nicht umhin, Überlegungen – etwa einen Begriff der Hoffnung – einzuführen, die sich mit der Alternative Kognitivismus oder Nonkognitivismus, Realismus oder Antirealismus, Tugendethik oder Pflichtethik nicht verrechnen lassen. Religionsphilosophische Gedankenfiguren leisten demnach laut Kierkegaard einen Beitrag dazu, sich der Wahrheitsfähigkeit von Werturteilen zu vergewissern. Bis diese Zielvorgabe eingeholt sein wird, sind mehrere Schritte zu durchlaufen; zunächst die Bedeutungsklärung, was subjektive bzw. ethische Wahrheit bei Kierkegaard heißt. Werturteile fallen in den Bereich der Ethik und bestimmen im Leben das, „was Wert hat, bzw. […] was wirklich wichtig ist.“8 Mit dem Attribut des Subjektiven hebt Kierkegaard auf die Unvertretbarkeit des Werturteils ab, dem zufolge es auf ein Verständnis dessen ankommt, „was es heißt, Mensch zu sein, und zwar nicht, was es heißt, überhaupt Mensch zu sein […], sondern was es heißt, daß du und ich und er, daß wir jeder für sich Menschen sind.“9 Die Unvertretbarkeit setzt sich aus zwei Bedeutungskomponenten zusammen. Die epistemische Unvertretbarkeit besteht darin, dass Handlungen aus der Einstellung der Ersten Person beurteilt werden. Nicht aus einer unbeteiligten Wissenschaftsperspektive allein wird das, was zu tun gut ist, beurteilt. Was mehr und was weniger Gewicht im Leben haben soll, darüber verständigt sich (wenn auch gemeinsam) der jeweilige Akteur, 7 8 9

AUN1, 198 / SKS 7, 189. Ludwig Wittgenstein Vortrag ber Ethik und anderen kleine Schriften, hrsg. v. Joachim Schulte, Frankfurt a.M. 1989, S. 10. AUN1, 113 / SKS 7, 116.

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der sich selbst ein Bild macht und eine eigene Perspektive bezieht. Zudem kommt eine evaluative Unvertretbarkeit zum Zuge. Beurteilt wird nicht, was im Leben anderer von Gewicht sein soll, sondern was für das (wenn auch mit anderen geteilte) eigene Leben wichtig ist. Ethische Werturteile betreffen Aussagen über das, was im Leben Wert hat; was wichtig im Kontrast zum Unwichtigen ist. Die Unterscheidung zwischen Entbehrlichem und Bedeutungsvollem im Leben erschließt sich laut Kierkegaard zumal vor dem Hintergrund einer begrenzten Lebenszeit. In Werturteilen bestimmen wir, was für das eigene endliche Leben von Gewicht ist und was nicht. Der springende Punkt für Kierkegaard ist, dass dem unvertretbaren Werturteil zugleich Wahrheit zukommt. Das Urteil darüber, was im eigenen Leben hoch- oder geringgeschätzt wird, ist einerseits in einem radikalen Sinn subjektiv, weil es unübertragbar ist und Geltung allein für die eigene Lebensführung besitzt. Andererseits wird es mit der Gewissheit gefällt, dass das jeweilige Urteil wahr ist und nicht nur wahr zu sein scheint. Sein Wahrheitsanspruch betrifft die Unterscheidung zwischen dem Wahrsein und dem Fürwahrhalten, mit der das Wichtige im Leben von dem vermeintlich Wichtigen abgehoben wird. Personen bestimmen im Hinblick auf ihre eigene Lebenszeit, was wichtig ist, und zugleich besitzen solche Werturteile eine allgemeine Geltung, der zufolge jede andere Person in derselben Situation zu demselben Urteil kommen muss. Kierkegaard führt am Leitfaden der sogenannten Stadienlehre eine Konzeption des Werturteils aus. Die ästhetische, moralische und dogmatische Lebensanschauung verkörpern sozusagen drei Werturteile über das, was von Belang im Leben ist. Diese Werturteile unterscheiden sich strukturell und werden von Kierkegaard einer Kritik unterzogen. Als die wichtigsten Werte im Leben gelten dem Ästhetiker das, was man unmittelbar besitzt (Schönheit, Reichtum, Lust, Gefühle); dem Ethiker das, was man erwirbt (Erfolg in Beruf und Familie, Bewunderung, glatter Lebenslauf); und dem Dogmatiker das, was man erwartet (eine mit religiösen Regeln konforme Lebensführung). Solche Sinnangebote werden für gesicherte Werturteile gehalten, weil ihre Verwirklichung die Gewissheit eines erfüllten Lebens (vermeintlich) verspricht. Nicht dass es keinen Lebensmittelpunkt, keine Personen oder Tätigkeiten, die einem viel bedeuten, geben darf; nur folgt aus der Annahme über seine Verwirklichung keine Auskunft über ein erfülltes Leben und den Wahrheitsgehalt des Werturteils. Kierkegaard bedient sich hier eines zeittheoretischen Arguments. Handlungen erfüllen sich im Erreichen ihrer Ziele, die von beruflicher, familiärer, intellektueller, ökonomischer oder

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sonstiger Art sein können. Nun ist die lebenszeitliche Verwirklichung solcher Lebensinhalte nicht von derselben Natur wie die der Handlungen selbst. Eine die Lebenszeit im Ganzen umfassende Tätigkeit kann sich nicht wie jene Handlungen erfüllen, weil sie sich erst im Lebensende vollendet. Wäre die lebenszeitliche Tätigkeit selbst eine Handlung, würde sich das Leben erst im Tod erfüllen und damit die Frage unbeantwortet bleiben, ob wir in der Zeit glücklich sein können. Diese Frage bleibt solange unbeantwortet, wie man dem Glück als einem Besitz oder Erwerb oder einer Erwartung nachjagt. Um zu verstehen, was ethische Wahrheit stattdessen heißen kann, ist es sinnvoll, die aristotelische Unterscheidung zwischen drei Formen des Wissens in Erinnerung zu rufen. Zu unterscheiden sind Wissenschaft, Technik und Ethik, die trotz ihrer bereichsspezifischen Differenzen einen einheitlichen Wahrheitsbegriff teilen. Hier ist nicht der Ort, um auf die zahllosen Verästelungen der Debatte einzugehen, die in der Metaethik über einen Begriff der ethischen Wahrheit geführt wird.10 Für unsere Fragestellung ist allein wichtig, dass in Wissenschaft, Technik und Ethik auf unterschiedliche Weise ein Maßstab angewandt wird, an dem sich empirische Urteile hinsichtlich wahr oder falsch unterscheiden lassen. Die Überprüfung empirischer Urteile erfolgt in Form der Applikation allgemeiner Urteile: Wir wenden das allgemeine Urteil als einen Maßstab auf das empirische Urteil an. Allgemeine Urteile beziehen sich in den drei Wissensbereichen auf Unterschiedliches. Sie beziehen sich in der Wissenschaft auf natürliche Eigenschaften (bspw. die physikalischen Eigenschaften von Gold), in der Technik auf Funktionen (bspw. die Funktionen des Messers und des Schneidens) und in der Ethik auf Werte (Gerechtigkeit, Freiheit, Gesundheit und andere Grundwerte). So wird durch eine wissenschaftliche Analyse feststellbar, ob dieser Stein tatsächlich aus Gold ist, indem wir überprüfen, ob er die natürlichen Eigenschaften von Gold besitzt. Ein technisches Urteil überprüfen wir dagegen durch Beobachtung des Erfolgs eines Artefakts oder einer Fertigkeit. Wir überprüfen die Erfüllung der Funktionen des Messers und Schneidens, indem wir beobachten, ob das Schneiden mit einem Messer Erfolg hat oder nicht.

10 Siehe zu einem Überblick der Metaethik: Christoph Halbig Praktische Grnde und die Realitt der Moral, Frankfurt a.M. 2007; Gerhard Ernst Die Objektivitt der Moral, Paderborn 2008; Tatjana Tarkian Moral, Normativitt und Wahrheit. Zur neueren Debatte um Grundlagenfragen der Ethik, Paderborn 2009.

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In der Ethik dagegen liegen die Dinge anders. Der Wahrheitsgehalt von empirischen Werturteilen – beispielsweise: „wir führen einen gerechten Krieg“ oder „die Wertschätzung meiner Schönheit ist für mich Glück“ – lässt sich nicht dadurch beurteilen, dass wir allgemeine Begriffe der Gerechtigkeit und des Glücks applizieren. Allgemeine Wertbegriffe bleiben in konkreten Handlungskontexten merkwürdig abstrakt. Werte wie Gerechtigkeit und Glück kennzeichnet, wendet man sie auf konkrete Handlungssituationen an, eine eigentümliche Unbestimmtheit, die sie von der Genauigkeit der Wissenschaft und der Vertrautheit technischen Wissens unterscheidet. Diese Unbestimmtheit ist keine Unterbestimmtheit, die sich durch einen präzisieren Begriff korrigieren ließe. Ebenso wenig aber darf die Diagnose der Unbestimmtheit zu der Behauptung verleiten, dass den Werturteilen aufgrund ihrer Unbestimmtheit keine Wahrheit zukäme. Eine solche Behauptung ist nur dann zwingend, wenn die wissenschaftliche Genauigkeit und technische Vertrautheit zum Ideal für Werturteile erhoben werden. Kierkegaards Abgrenzung der subjektiven Wahrheit gegenüber der objektiven besagt, dass Werturteile wahrheitsfähig sind, obwohl ihnen jene methodische Sicherheit und pragmatische Vertrautheit fehlen, die Kennzeichen der Wissenschaft und Technik sind. Wer Ethik und Wahrheit für vereinbar hält, muss demnach folgende Fragen beantworten können. Welche Art der Gewissheit tritt in der Ethik an die Stelle der wissenschaftlichen Gesichertheit und der technischen Vertrautheit? Was ermöglicht in der Ethik die Unterscheidung zwischen wahren und falschen Überzeugungen? Wir nähern uns einer Antwort zunächst über eine allgemeine Betrachtung des Wahrheitsbegriffs an.

2. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit Die klassische Bezeichnung für Wahrheit entstammt der Korrespondenztheorie, der zufolge Wahrheit Übereinstimmung besagt. Die Auffassung einer Übereinstimmung von Gedanke und Welt – „veritas est adaequatio rei et intellectus“ – hat ihren Kern in dem Entsprechungsverhältnis, das sich umgangssprachlich durch die Wörter „so-wie“ ausdrückt, wenn wir sagen „es verhält sich so, wie behauptet“.11 Die Korrespondenz 11 Vgl. Ernst Tugendhat / Ursula Wolf Logisch-semantische Propdeutik, Stuttgart 1986, S. 221. Gegen die Korrespondenztheorie wird aus unterschiedlichen Richtungen Kritik geübt. Für Heidegger ist Korrespondenz gleichbedeutend mit

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zeigt die Stimmigkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit eines Wissens an und betrifft die Bedingungen, unter denen ein Wahrheitsanspruch zu Recht erhoben wird. Die korrespondenztheoretische Entsprechung besitzt zwei Seiten. Die realistische Seite der Korrespondenz – „adaequatio intellectus ad rem“ – bezeichnet die „Übereinstimmung einer Erkenntniß mit ihrem Gegenstande“.12 Wahrheit verweist hier auf die Welthaltigkeit oder Sachlichkeit eines Gedankens. Wahre Gedanken bilden die Welt ab, indem sie eine sprachliche oder symbolische Form demjenigen geben, das vage, verstellt, unbestimmt, verborgen oder unberücksichtigt war. Wahre Gedanken benennen also einen Teil unserer Welt. Ihre Wahrheit bemisst sich daran, ob sie Tatsachen betreffen und Welt – das, was der Fall ist – darstellen. Nur sind es eben nicht Tatsachen, woran sich dies messen ließe. Gedanken werden nicht durch Tatsachen wahr gemacht, indem man sie etwa miteinander vergleicht. Denn Gedanken sind nicht deshalb wahr, weil sie Tatsachen beschreiben. Vielmehr umgekehrt stellen sie Tatsachen dar, weil sie wahr sind. Demnach sind Tatsachen – Wirklichkeit, Realität, Welt – letztlich kein Maßstab, mit dessen Hilfe man sich der Geltung eines Gedankens vergewissern kann. Woher aber ansonsten wissen wir, dass ein Gedanke wahr ist und einen Teil der Welt benennt? Aufschluss gibt die andere, die inferentielle Seite der Korrespondenz. Die Entsprechung der Welt mit dem Gedanken – „adaequatio rei ad intellectum“ – bedeutet, dass das Wissen seine Welthaltigkeit dem Gedanken verdankt. Der Gedanke versorgt das Wissen mit der Bedingung, unter der Wissen wahr ist. Das, was einen Gedanken ausmacht, muss also untersucht werden, um mögliches Wissen zu erklären. Zwei Wahrheitsbedingungen, unter denen Wissen wahrheitsfähig ist, sind zu unterscheiden:

der Richtigkeit einer Erkenntnis, die die Dinge richtig wiedergibt. Die Dinge werden somit an der Erkenntnis gemessen, wobei die Selbstgegebenheit der Sache außer Betracht bleibe; vgl. u. a. Martin Heidegger „Vom Wesen der Wahrheit“ in ders. Wegmarken, 2., erw. u. durchges. Aufl., Frankfurt a.M. 1978 [1967], S. 178. Ganz ähnlich wird in den analytischen und pragmatistischen Wahrheitstheorien Korrespondenz als ein Passen (fitting) gedeutet, dem zufolge Erkenntnis und Gegenstand richtig zueinander passen; vgl. Donald Davidson „Struktur und Gehalt des Wahrheitsbegriffs“ in ders. / Richard Rorty Wozu Wahrheit? Eine Debatte, hrsg. v. Mike Sandbothe, Frankfurt a.M. 2005, S. 140 – 209. Die Deutung von Korrespondenz im Sinn von Richtigkeit ist meines Erachtens eine Fehldeutung, der man am besten begegnet durch ein besseres Verständnis, was Wahrheit als Korrespondenz heißt. 12 Kant KrV, A 58 / B 83; vgl. Kant Log., 50.

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die logische Form und die sprachliche Praxis.13 Letztere ist wiederum in Rechtfertigung, Evidenz und Legitimation unterteilt. Insgesamt bilden die logische Form und die drei sprachlichen Praxisformen die Bedingungen, unter denen die Korrespondenz möglich ist, mit anderen Worten: denen Wissen seine Wahrheitsfähigkeit verdankt. Wahrheitstheorien geben eine Erklärung für Wahrheitsbedingungen und sind unvermeidlich Korrespondenztheorien.14 Die Unterscheidung zwischen logischer Form und sprachlicher Praxis führt vor Augen, dass sich zwischen Korrespondenz- und Kohärenztheorie kein Keil treiben lässt.15 Die einzig denkbare Alternative zum metaphysischen Realismus – der Auffassung, dass Aussagen aufgrund ihrer Übereinstimmung mit einer nicht sprachlichen Entität wahr sind – kann klarerweise nur die Kohärenz zwischen Aussagen sein. Nur ist die logische Kohärenz eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Sie wird durch die sprachliche Praxis ergänzt, das heißt durch die Art und Weise, in der Aussagen gebildet, geäußert, kritisiert und revidiert werden. Wahrheit wird erstens von der logischen Form des Gedankens ermöglicht. Die logische Form ist die allgemeine Satzform, in der ein Satz über Junktoren mit anderen Sätzen verknüpft ist.16 Der Wahrheitswert eines komplexen Satzes wird wahrheitsfunktional durch die Wahrheitswerte seiner Teilsätze bestimmt. Gedanken sind demnach nicht deshalb wahr, weil sie eine individuell-allgemeine Eigenschaft in der Welt aufspüren oder mit einem Wesen in der Welt zur Deckung kommen. Wahr sind Gedanken vielmehr aufgrund der logischen Beziehung von Sätzen 13 Wahrheitsbedingungen werden in der Literatur von den Wahrheitsträgern, die zur inferentiellen Korrespondenzseite gehören, und den Wahrheitsmachern, die zur realistischen Seite gehören, unterschieden. Vor allem die Bezeichnung Wahrmacher ist eine unglückliche Begriffswahl, weil nicht Sachverhalte, sondern die Wahrheitsbedingungen, denen Aussagen ihre Wahrheitsfähigkeit verdanken, Aussagen wahr machen. 14 Siehe dagegen die herrschende Meinung, dass die Korrespondenztheorie der Wahrheit eine begrenzte und defizitäre Position darstellt: What is Truth? (Current Issues in Theoretical Philosophy, Bd. 1), hrsg. v. Richard Schantz, Berlin / New York 2002. 15 Siehe zum wahrheitstheoretischen Hintergrund der Religionsphilosophie: Ingolf U. Dalferth Die Wirklichkeit des Mçglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie, Tübingen 2003, bes. S. 153 – 206. 16 Vgl. Gottlob Frege „Der Gedanke“ in ders. Logische Untersuchungen, hrsg. v. Günter Patzig, Göttingen 21976 [1966], S. 30 – 53; Ludwig Wittgenstein Tractatus logico-philosophicus in Werkausgabe in acht Bnden, Frankfurt a.M. 1984, hier Bd. 1, Satz 4 und 5.

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zueinander. Keine Referenz auf eine nichtsprachliche Entität in der Welt ist für Wahrheit erforderlich, sondern der Inferentialismus, das heißt die logische Vernetzung von Sätzen. Wahrheit wird zweitens durch sprachliche Praktiken ermöglicht. Gedanken sind vom Beobachterstandpunkt der Logik aus betrachtet abstrakte Gegenstände. Sie sind aber nur dann wahr oder falsch, wenn sie von Personen gedacht werden. Wahre oder falsche Gedanken sind Gedanken von Personen, die sie anwenden: und das heißt von Personen, die urteilen. Im Hinblick auf das anwendungsbezogene Urteil ist die logische Form zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Wahrheit, weil sie nicht die anwendungsbedingte Täuschungsanfälligkeit auszuräumen vermag. Die Anwendung gehorcht zwar denselben logischen Regeln. Das Urteil folgt keinen anderen Gesetzen als denen der Satzform. Mit dem Urteil aber kommt die Erste-Person-Perspektive von Teilnehmern – die Akteursperspektive – ins Spiel und damit eine Täuschungsanfälligkeit, der nicht durch die logische Form ein Riegel vorgeschoben wird. Die Gefahr der Anfälligkeit für Täuschungen, die aufgrund der Urteile von Teilnehmern möglich werden, wird vielmehr durch die Art und Weise der Urteilsbildung, die sprachliche Praxis gebannt. Die zweite Wahrheitsbedingung ist demnach die sprachliche Praxis, mit deren Hilfe teilnehmerbedingte Täuschungen vermieden werden und damit täuschungsfreies, wahres Wissen garantiert wird. Die wahrheitsgarantierende Praxis beinhaltet drei Bedingungen, unter denen Wissen wahr ist: erstens die Rechtfertigung, zweitens die Evidenz und drittens die Legitimation.17 Wahres Wissen muss erstens gerechtfertigt sein. Rechtfertigung erfolgt in der Einstellung des Fürwahrhaltens.18 Personen vergewissern sich aus der Perspektive der Ersten Person, was der Fall ist. Die Gründe für eine Überzeugung müssen von deren Träger ohne Zwang anerkannt werden können. Die Autorität der 17 Diese Trias wurde am weitesten ausgearbeitet von Hegel, der die Rechtfertigung, Evidenz und Legitimation in der Phnomenologie des Geistes unter den Bezeichnungen Für-es-sein, An-sich-sein und An-und-für-sich-sein ausführt; vgl. Tilo Wesche „Hegel und die Wahrheitstheorien der Gegenwart. Ein Streit unter Nachbarn“ in Deutsche Zeitschrift fr Philosophie 57/3, 2009, S. 355 – 375. 18 Unter der Bezeichnung ,Perspektive‘ wird die Rechtfertigung in religionsphilosophischer Hinsicht erörtert in: Ingolf U. Dalferth / Philipp Stoellger „Perspektive und Wahrheit. Einleitende Hinweise auf eine klärungsbedürftige Problemgeschichte“ in Wahrheit in Perspektiven. Probleme einer offenen Konstellation (Religion in Philosophy and Theology, Bd. 14), hrsg. v. dens., Tübingen 2004, S. 1 – 28.

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Gewissheit ist die erste Person, an deren Stelle man auch vom ,Ich‘, dem ,Selbst‘, dem ,Für-sich-sein‘ (Hegel) oder wie Heidegger von der ,Jemeinigkeit‘ spricht. Wovon jemand überzeugt ist, das ist fr ihn auch wahr. Personen vergewissern sich je für sich eines Sachverhalts, ob er ist oder nicht ist. Rechtfertigungen sind jedoch anfällig für Täuschungen. Denn für die Prüfung, ob ein Gedanke gerechtfertigt ist, muss auf dieselbe Gesamtheit von Überzeugungen zurückgegriffen werden, der auch der zu prüfende Gedanke entstammt. Folge dieses Holismus ist die Blindheit für Inkonsistenzen in der Gesamtheit von Überzeugungen, auf deren Grundlage jede weitere Prüfung stattfindet. Täuschungen, die in der jeweiligen Rechtfertigung unterlaufen, bleiben deshalb innerhalb dieser Einstellung je unerkannt. Täuschung ist immer auch ein Sichtäuschen über sie, die nicht als Täuschung erkannt wird. Oder wie es Heidegger mit unnachahmlicher Übertreibung ausdrückt: „Das Verbergen verbirgt und verstellt sich selbst.“19 Die Evidenz überbrückt zweitens die Kluft, die zwischen dem Fürwahrhalten und dem Wahrsein klafft. Die Möglichkeit der Täuschung unterscheidet gerechtfertigte von wahren Überzeugungen. Wahrheit kommt einer Überzeugung erst zu, wenn als gewiss gelten kann, dass in ihr Täuschungen vermieden sind. Diese Gewissheit der Täuschungsvermeidung nennen wir Evidenz. Gedanken sind wahr, wenn in ihnen Täuschungen ausgeschlossen sind, die in der jeweiligen Rechtfertigungseinstellung für den Akteur unerkannt bleiben. Als der Gewissheit, frei von Täuschungen zu sein, wohnt der Evidenz eine Verneinung inne. Die negative Struktur wird laut Heidegger durch das Präfix im Ausdruck „Unverborgenheit“ und das a privativum der „aû-k¶heia“ hervorgehoben.20 Die Bezeichnungen „Unverborgenheit“ oder „Unverstelltheit“ verweisen auf die Bedeutung von Wahrheit als Verneinung von Verborgenheit bzw. Verstelltheit und sind ein anderer Name für Evidenz. Diese Verneinung bedeutet den Ausschluss von Täuschungen, die in der Einstellung desjenigen, für den etwas als gerechtfertigt gilt, „verstellt“ und „verborgen“ bleiben. Dementsprechend ist unter Wahrheit zu verstehen

19 Martin Heidegger „Der Ursprung des Kunstwerkes“ [1935/36] in Gesamtausgabe, Abt. 1 – 4, Frankfurt a.M. 1975ff., Abt. 1, Bd. 5: Holzwege, hrsg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 1977, S. 1 – 74, hier S. 41. 20 Martin Heidegger Sein und Zeit, Tübingen 91960 [1927], S. 222.

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die Erschlossenheit und „Lichtung der Verbergung“, das heißt das Sicherschließenlassen einer Täuschung als Täuschung.21 Die Legitimation drittens bezieht sich auf den kontrollierten Ausweis derjenigen Praktiken, die eine Erfahrung von Evidenz ermöglichen. Klarerweise sind nicht beliebige Praktiken imstande, Täuschungen auszuschließen. Die wahrheitsgarantierenden Praktiken müssen selbst als legitim gelten. Sie müssen sich als Praktiken ausweisen lassen, die tatsächlich bewerkstelligen, was sie zu leisten versprechen. Es bedarf mithin der Erklärung, weshalb sie in der Lage sind, teilnehmerbedingte Täuschungen zu vermeiden. Diese Erklärung wird nun nicht von einer Theorie über die Köpfe der Akteure hinweg gegeben. Berechtigt ist vielmehr nur diejenige Erklärung, die die Akteure selbst anerkennen können. Die Legitimation der Standards, von deren Erfüllung die Wahrheit einer Überzeugung abhängt, muss fr dessen Träger ersichtlich sein können. Ein gerechtfertigtes Wissen kann also als wahr nur dann gelten, wenn es bestimmte Standards erfüllt und wenn es zugleich möglich ist, die Legitimität dieser Standards gegebenenfalls aus derselben Rechtfertigungseinstellung zu erweisen. Rechtfertigung und Wahrheit verschränken sich somit wechselseitig. Das Kardinalproblem, vor das uns der Wahrheitsbegriff stellt, besteht nun darin, dass die Legitimation nicht für dieselben teilnehmerbedingten Täuschungen anfällig sein darf, die in der jeweiligen Rechtfertigungseinstellung unterlaufen können. Denn ansonsten träte das Problem, wie sich rechtfertigungsbedingte Täuschungen vermeiden lassen, durch die Hintertür wieder ein. Die wahrheitsgarantierenden Praktiken legitimieren sich vielmehr vermittels ihrer Bewährung. Sie bewähren sich in der Praxis hinsichtlich ihrer Effizienz, Täuschungen ausschließen zu können, die in den jeweiligen Akteurseinstellungen unerkannt bleiben. Wahrheitsverbürgende Praktiken müssen sich hinsichtlich zweier Aufgaben bewähren: hinsichtlich der Erkenntnis von Täuschungen und der Beständigkeit dieser Erkenntnis. Zum einen müssen sie imstande sein, Täuschungen aufzudecken. Täuschungen, die ansonsten verdeckt bleiben, sind als Täuschungen ausdrücklich zu machen. Zum anderen müssen die Praktiken eine dauerhafte Wirksamkeit besitzen. Täuschungsfreies, das heißt wahres Wissen setzt die wenn auch nicht endgültige, so doch beständige Eindämmung der Täuschung voraus. Wäre die Einsicht in eine Täuschung unvermindert anfällig für Täuschungen, dann wäre das 21 Martin Heidegger Beitrge zur Philosophie (Vom Ereignis) in Gesamtausgabe, Abt. 3, Bd. 65, 1989, S. 350ff.

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Aufdecken einer Täuschung nicht mehr als die punktuelle und verschwindende Unterbrechung im endlosen Strom sich wiederholender Täuschung. Sobald eine Täuschung aufgedeckt ist, droht gleichsam schicksalhaft die nächste. Wissen hat aber nur dann Bestand, wenn es davor geschützt ist, dass Täuschungen anhaltend aufs Neue unterlaufen. Die Praktiken schieben also dem Taumeln von der einen Täuschung zur nächsten einen Riegel vor. Die Bewährung wahrheitsgarantierender Praktiken zeigt sich im Medium eines Rückblicks. Wenn sich wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Aussagen und moralische Urteile im Nachhinein als richtig erweisen, dann bewähren sich damit auch die Standards, denen sie ihre Richtigkeit verdanken. Über diese Einzelbewährung hinaus haben sich die Standards hinsichtlich ihrer Beständigkeit zu behaupten. Die Standards müssen die Beständigkeit des Wissens garantieren und eine unverminderte Täuschungsanfälligkeit ausschließen. Hegel hat das Legitimationsprogramm auf der Grundlage einer Geschichtsphilosophie einzulösen versucht. Die Beständigkeit leistungsfähiger Standards bewährt sich, so Hegel, im geschichtlichen Verlauf. Ihre Effizienz wird vom historischen Erkenntnisfortschritt unter Beweis gestellt. Mit der Erfolgsgeschichte der Wissenschaft, Technik und Verrechtlichung erweist sich eine Leistungsfähigkeit wahrheitsgarantierender Standards, die eine verminderte Täuschungsanfälligkeit sicherstellen. An dieser Legitimation, die vollständig im Medium der Geschichtsphilosophie eingeholt sein soll, entzündet sich Kierkegaards Hegelkritik. Bevor wir auf Kierkegaards religionsphilosophische Alternative zurückkommen werden, ist ein weiterer Zwischenschritt erforderlich.

3. Wahrheitsvorrang Der nächste Schritt beginnt mit der Unterscheidung möglicher Formen der Täuschung. Denn es stellt sich zunächst folgendes Problem: Wahrheitsgarantierende Praktiken müssen in der Lage sein, welche Täuschungen auszuschließen? Drei Formen der Täuschung sind zu unterscheiden: Irrtümer, Zwangsvorstellungen und Selbsttäuschungen. Irrtümer widerfahren unverschuldet (sie sind Verfehlungen, die nicht beabsichtigt sind), sind Ausdruck eines Informationsmangels (der verkannte Sachverhalt ist komplexer als angenommen) und gehen aus Irregularitäten hervor (eine berechtigte Erwartungshaltung wird durch kontingente Umstände unterlaufen). In Zwangsvorstellungen dagegen

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werden Überzeugungen zum „Schutz des Ichs“ (Freud) fälschlich für begründet gehalten aufgrund eines inneren Zwangs, unter dem Vorstellungen abgewehrt werden, die ein verletztes Selbst bedrohen. Selbsttäuschungen wiederum gehen vom Betroffenen selbst aus, lassen sich aber nicht auf eine intentionale Absicht zurückführen. In Selbsttäuschungen gibt man sich ohne Not oder Zwang mit einfachen Antworten zufrieden. Wer sich selbst täuscht, versucht vermeintlich sichere Selbst- und Weltbilder für begründeter zu halten, als sie sind, und sich von einer näheren Erkenntnis zu entlasten. Diese kognitive Entlastung hat ihren Ort zwischen der Intentionalität absichtlichen Täuschens – etwa der Lüge oder Intrige – und dem unwillentlichen Unterlaufen von Irrtümern. Selbsttäuschungen kennzeichnet eine aktive Passivität, mit der wir sie geschehen machen.22 Als kognitive Entlastungen, die aus Freiheit hervorgehen, charakterisiert sie eine Urheberschaft vereinfachter Selbst- und Weltbilder, für die man verantwortlich zeichnet. Das Phänomen der Selbsttäuschung nimmt in den Wahrheitstheorien Hegels und Heideggers einen systematischen Stellenwert ein. Hegel stellt in der Phnomenologie des Geistes ein vorwissenschaftliches Bewusstsein dar, auf das die Wahrheitssuche nicht zutrifft, die in der Wissenschaft – dem Ziel der Schrift – methodisch gesichert ist. Er deutet das vorwissenschaftliche Bewusstsein als Form der Selbsttäuschung, Bekanntes für ein Erkanntes halten zu wollen. „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt voraus zu setzen, und es sich ebenso gefallen zu lassen“.23 Die Gestalten des Bewusstseins werden von Hegel als Formen einer kognitiven Entlastung ausgeführt, in denen freiwillig am Bekannten festgehalten und vor einer Erkenntnis zurückgewichen wird, in deren Licht sich die Dinge anders und komplexer zeigen könnten. Diese „Furcht“ oder „Angst vor der Wahrheit“ ist 22 Siehe zum Phänomen der Selbsttäuschung: Perspectives on Self-Deception (Topics in Philosophy, Bd. 6), hrsg. v. Brian P. McLaughlin / Amélie Oksenberg Rorty, Berkeley u. a. 1988; Annette Barnes Seeing through Self-Deception (Cambridge Studies in Philosophy), New York 1997; Alfred R. Mele Self-Deception Unmasked (Princeton Monographs in Philosophy), Princeton / Oxford 2001. Mele allerdings vernachlässigt die Aktivität, die der Selbsttäuschung zugrunde liegt. 23 Georg Wilhelm Friedrich Hegel Phnomenologie des Geistes (Philosophische Bibliothek, Bd. 414), hrsg. v. Hans-Friedrich Wessels, Hamburg 1988, S. 25; vgl. ders. Wissenschaft der Logik, 2 Bde., hrsg. v. Hans-Jürgen Gawoll, Hamburg 1990 – 1994, hier Bd. 1,1: Die Lehre vom Sein, 1990, S. 11.

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das Grundmerkmal des vorwissenschaftlichen Bewussteins.24 Verschiedenste Arten solcher Selbsttäuschung durchziehen die Phnomenologie des Geistes wie ein roter Faden. Als jene Angst vor der Wahrheit beschreibt Hegel im Herr-und-Knecht-Kapitel „die absolute Furcht“ des Selbstbewusstseins vor einem anderen Selbstbewusstsein, in dessen Licht das eigene Wissen sich für weniger begründet erweisen könnte, als es gehalten wird.25 Auch das tragische Bewusstsein reiht sich in die Galerie der Selbsttäuschungen ein. Die auffälligste und wohl auch umstrittenste Seite von Hegels Tragödientheorie ist die Verbindung, die er zwischen dem Tragischen und der kognitiven Entlastung herstellt: Das Nichtwissen des tragischen Helden ist selbstverschuldet, wird von ihm geschehen gemacht. „Durch die Tat [ist] das Nichtwissen sein Werk […], [und] setzt er sich in die Schuld, die ihn verzehrt.“26 Des Weiteren übt Hegel Kritik an einer Aufklärung, welche die „falsche Einsicht“ der allgemeinen Masse verkenne, die im „Gewebe von Aberglauben, Vorurteilen und Irrtümern“ nicht unschuldig verstrickt sei, sondern Angst habe, aus ihm befreit zu werden.27 Desgleichen nimmt Hegel unter dem Stichwort der Heuchelei die kollektive Selbsttäuschung einer Gesinnungsgemeinschaft aufs Korn, deren Mitglieder sich gegenseitig ihre Aufrichtigkeit versichern.28 Heidegger erörtert die Selbsttäuschung in Sein und Zeit unter dem Stichwort der „Seinsentlastung“29 und beschreibt sie als „Uneigentlichkeit“, das „Man“30 und ein „Verfallen“.31 In der Spätphilosophie spricht 24 Hegel Phnomenologie des Geistes, S. 58f. u. S. 63. In Hegels reduktiver Deutung der Selbsttäuschung als Angst und Furcht wird, so der berechtigte Einwand, das Phänomen „allerdings weitgehend mit einem psychologischen Vokabular“ beschrieben (Dina Emundts / Rolf-Peter Horstmann Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Einfhrung, Stuttgart 2002, S. 43). Hegel erkennt zwar die Herausforderung, die die Selbsttäuschung für eine Rationalitätstheorie darstellt, verfügt aber über keine Theorie der Selbsttäuschung. Eine epistemologische Erklärung des Phänomens wurde erstmals von Sartre ausgearbeitet; vgl. Jean-Paul Sartre Das Sein und das Nichts. Versuch einer phnomenologischen Ontologie, dt. v. Hans Schöneberg u. Traugott König, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 119 – 160. 25 Hegel Phnomenologie des Geistes, S. 136. 26 Ebd., S. 311. 27 Ebd., S. 357. Ihre Unmündigkeit hat „das Moment der Reflexion in sich selbst oder des Selbstbewusstseins, getrennt von der Unbefangenheit, auch an ihr […], als eine im Hintergrunde für sich bleibende Einsicht und böse Absicht“ (ebd., S. 357f.). 28 Vgl. ebd., S. 428 – 442. 29 Heidegger Sein und Zeit, S. 127f.; vgl. ebd., S. 268. 30 Vgl. ebd., S. 114, S. 126 – 130, S. 167. 31 Vgl. ebd., S. 139, S. 175 – 180, S. 254.

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Heidegger gelegentlich von „Selbsttäuschungen“,32 dem „Nichtwissenwollen“, dem „Ausweichen vor der Besinnung“ und „der Wahrheit des Seyns“, der „Flucht in die Begebenheiten und die Machenschaften“, dem „organisierte[n] Augenschließen“, der „Angst vor dem Denken, das bedenkt, was ist“, einer „Beruhigung“ und „Entlastung“, der „Blindheit des Nichtfragenwollens“.33 Das Motiv für die Selbsttäuschung besteht in der Präferenz von Sicherheiten. Was im Leben bedeutsam ist, darüber lassen sich keine letzten Gewissheiten gewinnen. Werturteilen kommt weder die Vertrautheit der Technik noch die Exaktheit der Wissenschaft zu. Wenn nun in Fragen der Lebensführung gleichermaßen dem (an sich nicht unberechtigten) Bedürfnis nach gesichertem Wissen entsprochen wird, obwohl Werturteilen eine vergleichbare Sicherheit versagt bleibt, dann kippt das Sicherheitsbedürfnis um in eine Entlastung von ebendiesen unvertretbaren Werturteilen. Statt die geringere Gewissheit des Werturteils auszuhalten, orientiert man sich an Normen, deren gültige Akzeptanz eine größere Sicherheit verspricht, als wenn ein Leben eigenständig und in Konfrontation mit seiner Endlichkeit zu deuten ist. Aus dem Selbsttäuschungsphänomen ergeben sich für die Wahrheitstheorie Folgen, die von konzeptueller Art sind. Die wahrheitsgarantierenden Standards müssen nämlich solche Praktiken beinhalten, die in der Lage sind, Selbsttäuschungen zu vermeiden. Wenn Wahrheit die Evidenz bedeutet, dass Täuschungen ausgeschlossen sind, und wenn Selbsttäuschung eine von drei Formen möglicher Täuschung ist, dann beinhaltet Wahrheit den Ausschluss von Selbsttäuschungen. Wahrheitstheorien schließen deshalb sowohl eine Theorie der Selbsttäuschung als auch die Erklärung ein, wie sich Selbsttäuschungen vermeiden lassen. Wahrheitstheorien solchen Zuschnitts werden von Hegel, Kierkegaard und Heidegger vertreten und stoßen sich von drei Alternativen ab. Erstens grenzen sie sich vom Naturalismus und der Transzendentalphilosophie ab, in denen die Auffassung eines ontologischen Wahrheitsvorranges verteidigt wird auf einer Grundlage, die es erlaubt, die Annahme einer kognitiven Entlastung, welche aus Freiheit hervorgeht, zu umgehen. Ihr Grundgedanke soll ermöglichen, der Annahme von Selbsttäuschungen zuvorzukommen: Unser Wissen sei aufgrund seiner Natur oder immer schon auf Wahrheit ausgerichtet. Das Abweichen von 32 Martin Heidegger „Wozu Dichter?“ [1946] in Gesamtausgabe, Abt. 1, Bd. 5: Holzwege, 1977, S. 269 – 320, hier S. 294. 33 Heidegger Beitrge zur Philosophie, S. 100, S. 24, S. 203, S. 118, S. 139, S. 62, S. 255, S. 266, S. 433.

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dieser inneren Ausrichtung lässt sich dementsprechend hinreichend als eine Dysfunktion oder ein Defekt der menschlichen Natur beschreiben, der von äußeren Faktoren verursacht wird.34 Täuschungen gehen hier hervor aus einer akzidentiell verursachten Verfehlung des inneren Ziels, nach der das Wissen strebt. Niemals aber ist die Abweichung ein selbständiges Prinzip und kann sie aus Freiheit hervorgehen. Als Natur oder Idee kommt die Vernunftfähigkeit mit Notwendigkeit zur Ausübung und zeichnet sich durch die Selbstbewegung (Aristoteles) oder Spontaneität (Kant) aus, aus sich selbst – oder: von sich aus – zur Ausübung zu gelangen. Ihre Ausübung – sowohl die lebenszeitliche Ausbildung als auch die handlungssituative Anwendung – ist den Fähigkeiten als ein inneres Ziel eingeschrieben und kann nur durch äußere Umstände verhindert werden. Der Wahrheitstheorie vom Zuschnitt Hegels, Kierkegaards und Heideggers stellt sich die Aufgabe zu zeigen, wie ein Wahrheitsvorrang, der nicht von Natur aus oder immer schon wirksam ist, überhaupt in Kraft tritt: wie ein Wahrheitsvorrang entsteht. Zugleich muss sie, zweitens, eine Alternative zu einem epistemischen Erklärungsmodell aufzeigen. Denn der Vorrang von Wahrheit lässt sich nicht epistemisch als eine Präferenz von Wahrheit erklären. Der epistemische Versuch, den Wahrheitsvorrang durch Gründe zu motivieren, ist durch eine Aporie gekennzeichnet. Die epistemische Aporie besteht darin, dass für die Rechtfertigung des Wahrheitsinteresses dasselbe Interesse in der IchPerspektive schon vorausgesetzt werden muss. Um für Gründe, die zu einem besseren Überlegen motivieren sollen, erreichbar zu sein, muss ein Interesse für ebendiese Gründe bestehen. Zu einem solchen Interesse an Gründen soll aber erst hingeführt werden. Entweder ist jemand zugänglich für Gründe, die zu einem bestmöglichen Urteil motivieren; dann aber liegt der Fall, sich von einer Wahrheitssuche zu entlasten, nicht vor und ist Rationalität kein Verhalten, das begründet und zu dem erst motiviert werden muss. Oder jemand neigt in der Tat dazu, vermeintliche Gründe für wirkliche Gründe zu halten; dann jedoch kann er selbstredend nicht über den Verweis auf Gründe von seinem Kurs abgebracht werden. Die Diagnose einer kognitiven Entlastung, die wir aus Freiheit tätigen, darf deshalb nicht die externalistische Annahme untergraben, dass die Wahrheitsorientierung vor allen absichtsvollen Einstellungen des Meinens, Wollens und Wünschens wirksam ist. Ausgangs34 Siehe zu neoaristotelischen Positionen: John McDowell Geist und Welt, Frankfurt a.M. 2001; Philippa Foot Die Natur des Guten, Frankfurt a.M. 2004.

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punkt ist hier der Gegensatz, dass eine Wahrheitsorientierung unseren Einstellungen zuvorkommt und dass zugleich der Mensch sich auf unverwechselbare Weise durch die Freiheit auszeichnet, sich von ebendieser Wahrheitsorientierung entlasten zu können. Hegel, Kierkegaard und Heidegger müssen also darlegen, warum dieser Gegensatz zwischen Wahrheitsvorrang und Selbsttäuschung kein Widerspruch ist. Drittens ist einem Dualismus zwischen Wahrheitsvorrang und Selbsttäuschung zu entkommen. Wären der Wahrheitsvorrang und die Entlastung zwei gleichberechtigte Prinzipien, stünden sie sich als ein Dualismus gegenüber, der Tür und Tor für einen Zufallsverdacht öffnet. Die Koexistenz zweier gleichwertiger Grundprinzipien hätte zur Folge, dass die Geltung des einen Prinzips gegenüber dem anderen nicht anders als durch Willkür und Zufall beschreibbar wäre. Solange keine Bedingung angegeben wird, unter der ein Wahrheitsvorrang möglich ist, bleibt unerklärlich, warum einmal die Wahrheit, einmal der Schein vorgezogen wird. Es wäre eine Laune des Schicksals, ob jemand mit einfachen Antworten vorlieb nimmt oder sich um Wahrheit müht. Die Präferenz von Täuschungen erschiene als Willkür ebenso wie es Zufall wäre, wenn die Wahrheitsorientierung sich gegenüber jener Präferenz durchsetzt und jemand dem Interesse an Wahrheit folgt. Die dualistische Aufspaltung des menschlichen Geistes in rationale Wahrheitsorientierung und kognitive Entlastung ist abwegig, weil erstere gleichsam von außen eingriffe und von Zufall nicht zu unterscheiden wäre. Vor allem aber gäbe es keine Möglichkeit, Selbsttäuschungen die Stirn zu bieten. Als gleichberechtigtes Prinzip bliebe sie Schicksal und entzöge sich einer Kritik und Revision. Hegel, Kierkegaard und Heidegger müssen deshalb erklären können, wie sich eine Wahrheitsorientierung überhaupt einstellt, indem sie an die Stelle von Selbsttäuschungen tritt. Ohne eine solche Erklärung, wie Selbsttäuschungen abgebaut werden, lässt sich der Zufallsverdacht nicht entkräften. Hier stößt die Wahrheitstheorie auf eine eigentümliche Schwierigkeit. Die Wahrheitsorientierung stellt das erste Grundprinzip dar, dem gegenüber das Unwahre kein gleichrangiges Prinzip, sondern dem Wahrheitsvorrang untergeordnet ist. Die kognitive Entlastung, die aus Freiheit hervorgeht, ist dennoch keine akzidentielle Verfehlung oder Dysfunktion, sondern ein selbständiges Prinzip. Wahrheitsorientierung und Selbsttäuschung stehen sich als selbständige Prinzipien gegenüber. Oder wie Heidegger sich ausdrückt: „Das Dasein ist gleichursprünglich in

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der Wahrheit und Unwahrheit.“35 Dennoch gebührt der Wahrheit ein Vorrang. Wahrheitsorientierung und Selbsttäuschung sind demnach selbständige, aber nicht gleichrangige Prinzipien. Negativitätstheorien haben hier ihren systematischen Ort und sind keinesfalls bloß Ausdruck einer Vorliebe für das Dunkle und Ungemütliche. Ihr sachliches Recht ergibt sich aus einer wahrheitstheoretischen Fragestellung: Wenn Wahrheitsorientierung und Selbsttäuschung selbständige Prinzipien sind, dann gelangt erstere zu einer Vorrangstellung nur im und durch den Konflikt mit dem anderen hindurch. Denn weder besitzt die Wahrheitsorientierung von vornherein einen Vorrang gegenüber der Selbsttäuschung; vielmehr gewinnt sie ihn erst im Widerstreit mit dieser. Noch wird der Wahrheitsvorrang durch ein Drittes ermöglicht, weil sich ansonsten die Frage nach dem Ermöglichungsgrund für dieses Dritte stellen und wir uns damit im Kreis bewegen würden. Hegels Lösungsvorschlag lautet Dialektik, deren Kerngedanke die doppelte Negation ist. Wahrheit tritt als erkenntnisleitendes Prinzip in Kraft nur in Form der Negation des selbständigen Gegenprinzips. Warum wir uns an Wahrheit orientieren, wird mit der Erklärung beantwortet, wie Selbsttäuschung, obwohl eine selbständige Realität, zu negieren gelingt. Ein Vorrang von Wahrheit besteht nicht vorab und an sich, sondern allein als das Bezwingen, Sichbemächtigen und Einverleiben des Negativen. Die „dialektische Bewegung“ verläuft als die konfliktuöse Entstehungsgeschichte der Vernunft, in der Wahrheit einen Vorrang erst im Durchgang durch den Konflikt mit einem Gegenprinzip gewinnt, das nicht minder von selbständiger Realität ist.36 Ihr Vorrang wird mit Hilfe der Erklärung begreifbar, weshalb das Positive sozusagen aus dem Konflikt als Sieger hervorgeht. Und der Dualismus wird umgangen, wenn gezeigt wird, weshalb der Konflikt kein unversöhnlicher Kampf ist. Der Wahrheitsvorrang kann sich als das, was er ist, allein im konfliktuösen Prozess des Übergreifens und Sichbemächtigens zeigen. Selbsttäuschungen werden von der „Kraft des Geistes“,37 der „Macht“38 des Geistes oder gar von der „Gewalt […] der Vernunft“39 erfasst und unaufhaltsam ihrer Überwindung zugetrieben. Selbsttäuschungen sind auf freie Entscheidungsdispositionen zurückzuführen und zugleich im historischen 35 36 37 38 39

Heidegger Sein und Zeit, S. 223. Hegel Phnomenologie des Geistes, S. 66. Ebd., S. 528. Ebd., S. 26. Ebd., S. 63.

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Erkenntnisfortschritt eingebettet, dem sie nicht zu widerstehen vermögen. Die Beständigkeit leistungsfähiger Standards wird, zumindest nach Hegel, von der Erfolgsgeschichte der Wissenschaft, Technik und Verrechtlichung unter Beweis gestellt. Heidegger entwirft zwei sich ergänzende Modelle für die Ermöglichung eines Wahrheitsvorranges. In Sein und Zeit erstens wird die Auffassung einer zeitlich entstehenden Wahrheitsorientierung unter der Leitfigur einer „Temporalitt des Seins“ und als das Programm avisiert, „Sein aus der Zeit“ zu begreifen.40 Der Wahrheitsvorrang ist ein Erstes (Sein) und zugleich selbst ein Gewordenes. Wahrheitsorientierungen sind somit keine Aktualisierungen einer bereits bestehenden Möglichkeit, deren Verwirklichung ein inneres Ziel ist und nur durch äußere Umstände akzidentiell verhindert wird. Die Möglichkeit des Wahrheitsvorranges ist nicht zeitlos, sondern entsteht selbst in der Zeit. Der Wahrheitsvorrang ist ein Sein, dessen Möglichkeit selbst erst wird. Heideggers Gedankenfigur der sogenannten Gleichursprünglichkeit beschreibt eine solche Möglichkeit, die ihrer Wirklichkeit weder logisch vorausgeht noch zeitlich folgt. Die Möglichkeit entspringt vielmehr mit der Wirklichkeit, ohne dass die Wirklichkeit – aristotelisch gedacht – einen Vorrang bereits besitzt. Dieser Gleichursprünglichkeit ist Heideggers Wahrheitsbegriff verpflichtet, der als das „ursprüngliche Phänomen der Wahrheit“ vom traditionellen Adäquationsbegriff abgegrenzt wird und dessen Ursprung das Kunstwerk ist.41 „Die Kunst läßt die Wahrheit entspringen.“42 Heidegger beschreibt die Ermöglichung eines Wahrheitsvorranges zweitens anhand des Bildes eines Streits. „Wahrheit west nur als der Streit zwischen Lichtung und Verbergung“.43 Er umschreibt den „Streit[es]“44 zudem als Gegenwendigkeit: Wahrheit ist „das Gegenwendige von Lichtung und Verbergung.“45 Das Recht der Annahme einer selbständigen Gegenkraft zu Wahrheitsorientierung beruht auf der Freiheit, mit der in Selbsttäuschungen ohne Not und Zwang einfachen Antworten ein Vorzug gegeben wird. Als zwei selbständige Kräfte stehen sich Wahrheitsorientierung und Selbsttäuschung im Streit miteinander gegenüber. Ein Wahrheitsvorrang wird demnach begreiflich 40 41 42 43 44 45

Heidegger Sein und Zeit, S. 18f. Vgl. ebd., S. 219ff. Heidegger „Der Ursprung des Kunstwerkes“, S. 65. Ebd., S. 50; vgl. ebd., S. 41f., S. 48. Heidegger Beitrge zur Philosophie, S. 413. Heidegger „Der Ursprung des Kunstwerkes“, S. 49.

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gemacht, indem erklärt wird, weshalb die Wahrheitsorientierung aus dem Streit als Sieger hervorgeht. Als Erklärungsmodell bietet Heidegger die kryptotheologische Umschlagsfigur der Kehre an, der zufolge die Geschichte im Höchstmaß einer verwissenschaftlichten und technisierten Welt umschlägt in die zuvor abgedrängte ethisch-unvertretbare Wahrheitsorientierung.

4. Indirekte Mitteilung Hier nun kommt Kierkegaard wieder ins Spiel und wird sich zeigen, dass der Marsch durch die Begriffswüste kein Umweg ist, sondern direkt ins Zentrum der Philosophie Kierkegaards vordringt. Unter Beleihung hegelscher Motive beschreibt Kierkegaard Selbsttäuschung als eine „Angst vor der Wahrheit“ folgendermaßen.46 Es sei bei weitem nicht so, dass die Menschen im Allgemeinen das Verhältnis zum Wahren, dies, dass man sich zum Wahren verhält, für das höchste Gut ansehen, gar bei weitem nicht so, dass sie nach Art des Sokrates Befangensein in einem Irrtum für das größte Unglück halten […]. Wenn z. B. ein Mensch vermeintlich glücklich ist, sich einbildet glücklich zu sein, während er im Lichte der Wahrheit betrachtet doch unglücklich ist, so ist es allermeist sehr weit davon entfernt, dass er aus diesem Irrtum herausgerissen zu werden begehrt. Im Gegenteil er wird erbittert, er sieht den, der dies tut, für seinen ärgsten Feind an, er betrachtet es als einen Überfall, etwas was fast einem Morde gleichkommt, auf diese Art, wie man sagt, sein Glück zu morden.47

Selbsttäuschung kennzeichnet eine Lebensform, in der man sich an Konzepten, wie zu leben gut ist, orientiert – ohne sie sich durch eigene Wertung anzueignen. Die Geltung einer Lebensform beruht hier allein auf ihrer allgemeinen Akzeptanz, nicht aber auf dem Urteil, ob und welche Bedeutsamkeit sie für das eigene endliche Leben hat. Kierkegaard beschreibt in der Krankheit zum Tode zwei Grundformen der Verzweiflung, die wechselseitig aufeinander zurückführbar sind: Die erste Verzweiflungsform „Man selbst sein wollen“ und die zweite Verzweiflungsform „Nicht man selbst sein wollen.“48 Letztere bezeichnet eine eigentümliche Art der kognitiven Entlastung. Personen entlasten 46 NB22:4 (T 4, 253 / SKS 24, S. 107). Siehe zur Selbsttäuschung bei Kierkegaard: Michael Theunissen Der Begriff Verzweiflung. Korrekturen an Kierkegaard, Frankfurt a.M. 1993, S. 22 – 55; Tilo Wesche Kierkegaard. Eine philosophische Einfhrung, Stuttgart 2003, S. 58 – 85. 47 KT, 40 / SKS 11, 157f. 48 Vgl. KT, 45 – 74 / SKS 11, 162 – 189.

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sich von einer unvertretbaren Verständigung darüber, was für sie selbst wichtig im Leben ist, und orientieren sich stattdessen an allgemeinen Sinnangeboten, die von anderen vorgelebt werden. Kurz gesagt, sie entlasten sich von Werturteilen, die unvertretbar von jedem selbst zu treffen sind. Diese kognitive Entlastung geht – gemäß Kierkegaards Auffassung der wechselseitigen Rückführbarkeit der Verzweiflungsformen – auf das Bestreben zurück, sich einer griffigen Lebensdeutung zu versichern. Als Verzweiflung beschreibt Kierkegaard diesen Versuch, weil das Bestreben ins Leere greift. Die Verzweiflungsform „Man selbst sein wollen“ bedeutet: eine epistemische Sicherheit über das, was Leben heißt, gewinnen zu wollen, aber nicht zu können und somit einer Erfahrung von Unbestimmtheit ausgesetzt zu sein. Statt beunruhigende Unübersichtlichkeiten auszutragen, werden sie mit einer – vermeintlich – sicheren Lebensführung überspielt, die eine Sicherheit und Vertrautheit suggeriert, welche es für Wissenschaft und Technik, nicht aber für Werturteile gibt. Kierkegaard beschreibt diese Flucht vor ungesicherten Lebensentwürfen und das Festhalten an einfachen Antworten als ein Phänomen der Angst. In Angst vor der Unbestimmtheit versuchen die Betreffenden, an (vermeintlich) sicheren Lebensanschauungen festzuhalten und diese für begründeter zu halten, als sie sind.49 Wahrheitsverbürgende Praktiken müssen in der Lage sein, eine Vermeidung von Täuschungen zu garantieren. Die Anerkennung von Selbsttäuschung hat zur Folge, dass sie ebenso zu einer Vermeidung von Selbsttäuschungen imstande sein müssen. Zu solchen Praktiken zählt Kierkegaard bestimmte Sprachpraktiken, kraft derer Selbsttäuschungen ausgehebelt und in eine Wahrheitsorientierung überführt werden. Zu diesen Sprachpraktiken gehört die indirekte Mitteilungsmethode. Kierkegaards indirekte Mitteilung stellt eine mögliche Variante der ästhetischen, kommunikativen und kulturellen Sprachpraktiken dar, denen ethische Urteile ihre Wahrheit verdanken. Sie vermag Befangenheiten zu lösen und für Empfänglichkeiten zu öffnen; wenngleich dies nicht erzwungen werden kann. Einen Menschen zwingen zu einer Meinung, einer Überzeugung, einem Glauben, dass kann ich in alle Ewigkeit nicht, aber […] ich kann ihn zwingen, aufmerksam zu werden. Dass dies eine Wohltat ist, darüber ist kein Zweifel; aber es darf auch nicht vergessen werden, dass es ein Wagestück ist. Indem ich ihn zwinge, aufmerksam zu werden, komme ich dazu, ihn zum 49 Siehe: Arne Grøn Angst bei Søren Kierkegaard. Eine Einfhrung in sein Denken, aus d. Dän. v. Ulrich Lincoln, Stuttgart 1999.

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Urteilen zu zwingen. Nun urteilt er. Aber wie er urteilt, steht nicht in meiner Macht. Vielleicht urteilt er gerade umgekehrt, als ich es wünsche.50

Mit Hilfe der indirekten Mitteilung soll der Adressat zu jenen unvertretbaren Werturteilen befähigt werden, von denen er sich zugunsten (vermeintlich) gesicherter Lebensentwürfe dispensiert. Indirekte Mitteilung zeichnet sich dadurch aus, dass eine Offenheit auf Seiten ihres Adressaten nicht bereits vorausgesetzt wird. Sie richtet sich an Rezipienten, die sich von jener Selbstverständigung entlasten, zu der sie kraft der Mitteilung bewegt werden sollen. „,Direkte Mitteilung‘ ist: direkt das Wahre mitteilen. ,Mitteilung in Reflexion‘ ist: Hineinbetrgen in das Wahre“. 51 Für die Mitteilung wird der Adressat vorab im Medium des Betrugs zugänglich. Damit wird betont, dass beim Adressaten gerade nicht mit einer Wahrheitsorientierung und Offenheit zu rechnen ist, sondern mit der Präferenz des Scheins. Die Empfänglichkeit für die Mitteilung wird weder (wie im Naturalismus oder der Transzendentalphilosophie) vorausgesetzt noch (wie im Dualismus) zu etwas mystifiziert, auf das der Autor – Kierkegaard – keinen Einfluss hätte, noch soll (wie im Intentionalismus) der Leser von ihrem Erfordernis mit Hilfe von Argumenten überzeugt werden. Die indirekte Mitteilung erzeugt vielmehr eine Empfänglichkeit für sie mit. Zentral für Kierkegaards indirekte Mitteilung ist der Verzicht auf kommunikative, normative oder kognitive Absichten, der von Tim Hagemann zutreffend als Kierkegaards antipersuasive Rhetorik charakterisiert wird.52 Ebendieser Verzicht auf Mitteilungsabsichten ist es, was – scheinbar paradox – die Mitteilung wirksam werden lässt. Die persuasive Zurückhaltung setzt einen Sinnüberschuss frei, der das Darstellen im Dargestellten nicht aufgehen lässt. In solchen Darstellungen wird nichts 50 GWS, 44 / SV2 XIII, 574. 51 WS, 6 / SKS 13, 13. Siehe u. a.: James Conant „Putting Two and Two Together: Kierkegaard, Wittgenstein and the Point of View for Their Work as Authors“ in Philosophy and the Grammar of Religious Belief, hrsg. v. Timothy Tessin / Mario von der Ruhr, New York 1995; George Pattison Kierkegaard: The Aesthetic and the Religious. From the Magic Theatre to the Crucifixion of the Image, London 21999 [1992]; Mariele Nientied Kierkegaard und Wittgenstein. „Hineintuschen in das Wahre“ (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 7), Berlin / New York 2003; Philipp Schwab „Direkte Mitteilung des Indirekten? Zum Begriff der Mitteilung in Kierkegaards Gesichtspunkt und ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller“ in Kierkegaard Studies. Yearbook 2010, S. 427 – 456. 52 Tim Hagemann Reden und Existieren. Kierkegaards antipersuasive Rhetorik, Berlin / Wien 2001.

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mitgeteilt, was sich unabhängig von der Art ihrer Mitteilung – wie es gesagt wird – sagen ließe. In Bezug auf die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Wahrheit heißt es: „Objektiv wird akzentuiert: was gesagt wird; subjektiv: wie es gesagt wird.“53 Kierkegaard verknüpft seinen Begriff der subjektiven Wahrheit mit der indirekten Mitteilungsmethode, weil sie die Bedingung darstellt, unter der Evidenz möglich ist, die eine Vermeidung von Selbsttäuschung einschließt. Der normative Überhang indirekter Mitteilung vermag es, Denkgewohnheiten zu unterlaufen und uns für das, was vor ihrer Schwelle verharrt, zu öffnen. Dies gelingt Kierkegaards Schriften jedoch nicht aufgrund irgendeines kritischen Anspruchs, den sie vor sich hertragen, sondern deshalb, weil sie Kritik in Deskription zurückübersetzen und die Zurückhaltung narrativer Beschreibung üben. Es ist der indirekte Verzicht auf Mitteilungsabsichten, der den Adressaten, eben nur scheinbar paradox, zugänglich macht für die Mitteilung. Kognitive Entlastung und Wahrheitsorientierung sind selbständige, aber keine gleichgewichtigen Prinzipien, sofern die indirekte Mitteilung ein bergewicht der Wahrheitsorientierung freizusetzen vermag. Wir sind damit in der Lage, die indirekte Mitteilung als eine sprachliche Praxisform zu begreifen, kraft derer sich eine Wahrheitsorientierung Bahn bricht und die Oberhand gegenüber der Entlastung gewinnt.

5. Wahrheit und Hoffnung „Am Ende ist Hoffnung“, schreibt Adorno, „die einzige Gestalt, in der Wahrheit erscheint. Ohne Hoffnung wäre die Idee der Wahrheit kaum nur zu denken.“54 Nichts ist bemerkenswerter, als dass Wahrheit Hoff53 AUN1, 193 / SKS 7, 185 [i. Orig. Herv.]. 54 Theodor W. Adorno Minima Moralia. Reflexionen aus einem beschdigten Leben in Gesammelte Schriften, 20 Bde., Frankfurt a.M. 1997, hier Bd. 4, S. 110. „Der Wahrheitsbegriff ist bei Kierkegaard eigentlich erstmals in einer wirklich radikalen Form der alten Definition von Wahrheit als einer adaequatio rei atque cogitationes, also einer Angemessenheit des Gedankens an seinen Gegenstand, entzogen“ (Theodor W. Adorno Nachgelassene Schriften, Abt. 1 – 4, hrsg. v. Theodoer-W.-Adorno-Archiv, Franfurt a.M. 1993ff., hier Abt. 4, Bd. 7: Ontologie und Dialektik, hrsg. v. Rolf Tiedemann, 2002, S. 179). Die Verknüpfung von Wahrheit mit Hoffnung stammt von Kierkegaard und stellt einen Neuansatz in der Philosophie dar, der allerdings nicht, wie oben dargelegt, in einem Gegensatz zur Korrespondenztheorie der Wahrheit steht.

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nung voraussetzt. Ohne den Begriff Hoffnung bliebe eine Wahrheitstheorie unvollständig. Denn er schließt eine Erklärungslücke im Hinblick auf eine Kontingenz, die sich in eine Wahrheitstheorie umstandslos nicht auflösen lässt. Mit dem Begriff der Hoffnung wird einer Kontingenz Rechnung getragen, mit der Wahrheit unvermeidbar verknüpft ist. Worauf beruht diese Verknüpfung von Wahrheit mit Kontingenz? Greifen wir zur Veranschaulichung das Bild des Streits wieder auf. Der Streit zwischen zwei selbständigen Kräften – zwischen Wahrheitsorientierung und Selbsttäuschung – wird als ein Konflikt ausgetragen, dessen Ausgang offen ist. Wenn der Vorrang des Seins gegenüber dem Schein nicht von vornherein feststeht, dann bleibt er ungewiss. Der Vorrang ereignet sich, wenn er denn eintritt, unberechenbar und unvorhergesehen. Sofern die Wahrheitsorientierung nicht von Natur aus wirksam ist, kann sie nicht gemäß einem Gesetz verursacht sein. Ebenso wenig wird sie durch Gründe motiviert, weil sich eine solche Begründung in einen epistemischen Zirkel verstrickt. Damit aber entzieht sie sich einer Kausalerklärung und Begründung. Sie ereignet sich vielmehr mit einem Rest von Kontingenz, der sich durch keine erkenntnistheoretische Aufklärung wegargumentieren lässt. Die Haltung gegenüber der Kontingenz ist die Hoffnung. Wer sich mit einfachen Selbst- und Weltbildern zufrieden gibt, der kann nicht zur Einsicht gezwungen werden, indem man ihn, in Kierkegaards bildhafter Sprache, an seinem Schopfe zur Einsicht schleift. Letzten Endes bleibt es ein Akt der Freiheit, eine Selbstverständigung anzufangen oder sich von ihr zu entlasten. Deshalb bleibt ein Rest von Kontingenz, ob jemand zugänglich für Argumente, Erfahrungen und Kritik ist – oder nicht. Hoffnung erst ist die angemessene Weise, in der sich Akteure zu diesem Rest von Kontingenz überhaupt verhalten können. Sie verhalten sich zu ihm in Form der Hoffnung, dass, wer sich mit einfachen Selbst- und Weltbildern begnügt, diese Vereinfachungen preisgibt. Und berechtigt ist diese Hoffnung dann, wenn die Bedingungen ausweisbar sind, unter denen grundsätzlich sich Befangenheiten auflösen und an ihre Stelle Wahrheitsorientierungen treten können. Mit der Verknüpfung von Wahrheit mit Hoffnung wird also nicht die Auffassung vertreten, man sollte, wenn es für ein Urteil keine hinreichende Argumente gibt, eben hoffen, dass das Urteil wahr sei. Hoffnung gerät vielmehr als eine Annahme in den Blick, die den Akteuren unterstellt werden muss, wenn die Bedingungen für ethische Wahrheit angegeben werden sollen. Der Begriff der Hoffnung vermag das Verhalten derjenigen zu erklären, die wahrheitsverbürgende Sprachpraktiken ausüben, obwohl sie wissen, dass

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sie einen Verzicht auf einfache Antworten nicht erzwingen können. Niemand würde solche Sprachpraktiken ausüben, wenn es nicht die Hoffnung gäbe, etwas bewegen und Selbsttäuschungen die Stirn bieten zu können. Ohne einen Begriff der Hoffnung bliebe die Motivation unerklärlich, Sprachpraktiken auszuüben, denen Werturteile ihre Wahrheit verdanken. Deshalb bildet die Hoffnung ein unentbehrliches Element des Wahrheitsbegriffs. Die Frage nach den Bedingungen ethischer Wahrheit findet also nur dann eine Antwort, wenn ein philosophisch gehaltvoller Begriff der Hoffnung eingeführt wird. Kierkegaards Gedanke einer Verknüpfung von Wahrheit mit Hoffnung hat seinen Ort in der Verzweiflungsanalyse der Krankheit zum Tode. Sie erlaubt es, den nachgezeichneten Gedankengang an Kierkegaard zurückzubinden und ihn als seinen eigenen Gedanken auszuweisen. Im Kontrast zur Verzweiflung entwirft Kierkegaard einen Begriff des Selbst, das heißt der gelingenden Selbstverständigung, die sich zur wahrheitsfähigen Geltung einer Lebensdeutung stabilisiert. Aufgehoben ist die Verzweiflung, wenn Lebensdeutungen eine Geltung gewinnen, deren Mangel als Verzweiflung widerfährt. Kierkegaards Begriff des Selbst besitzt zwei Merkmale. Zum einen bringt Kierkegaard die Aufhebung der Verzweiflung mit der Hoffnung in Verbindung. Michael Theunissen weist zu Recht darauf hin, dass in der Verzweiflung die Hoffnungslosigkeit steckt, auf die das Wort desperatio verweist.55 Deshalb kommt, wie Kierkegaard in Bezug auf die Verzweiflungsgestalten ausführt, der Hoffnung die Rolle zu, das Selbst von der Verzweiflung zu befreien.56 Hoffnung ist demnach die tragende Stütze, ohne die den Werturteilen keine wahrheitsfähige Geltung zukäme. Zum anderen stellt Kierkegaard das Selbst in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einer setzenden Macht. Mit dieser Gedankenfigur kehren wir zur kniffligen Eingangspassage der Krankheit zum Tode zurück, von der unsere Überlegungen ihren Ausgang genommen haben. Demzufolge gründet das Selbst durchsichtig in der Macht, die es gesetzt hat und für die Kierkegaard die Chiffre eines rettenden Gottes einsetzt.57 Die Macht steht für die Kontingenz ein, die sich einer epistemischen Verfügbarkeit entzieht und die zugleich das unvertretbare Selbstverständnis ermöglicht. Es verdient besondere Aufmerksamkeit, dass Kierkegaard sich eines Bildes der Macht bedient. Die machttheoretischen Konnotationen der Kon55 Vgl. Theunissen Der Begriff Verzweiflung, S. 67, S. 124 – 129, S. 132f. 56 Siehe: KT, 35 / SKS 11, 153; ZS, 115 / SKS 13, 103f. 57 Siehe: Theunissen Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung.

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tingenz, in deren Form sich ein Wahrheitsvorrang ereignet, beziehen sich darauf, dass sich der Wahrheitsvorrang als ein Übergreifen über das selbständige Prinzip der Selbsttäuschung Bahn bricht. Im Konflikt mit einem selbständigen Prinzip kann sich der Wahrheitsvorrang Geltung verschaffen nur in Form einer Macht oder Gewalt, die jenes selbständige Prinzip der Selbsttäuschung zu bezwingen vermag. Der Wahrheitsvorrang tritt in Kraft als das Sichbemächtigen eines selbständigen Antipoden, über den er die Oberhand gewinnt. Mit Hilfe bestimmter Sprachpraktiken wird zwar die Voraussetzung dafür geschaffen, dass ein Wahrheitsvorrang sich solcherart ereignen kann. Er kann aber weder mit Notwendigkeit verursacht noch durch Gründe motiviert werden. Diesen Zwischenraum können wir uns nicht anders als mit Hoffnung erklären. Jemand, der mit einfachen Antworten Vorlieb nimmt, wird weder durch Gründe noch durch moralische Gesetze zu einer Wahrheitsorientierung bewegt. Das Wirksamwerden einer Wahrheitsorientierung hängt von einer Kontingenz mit ab, über die der Akteur (etwa einer indirekten Mitteilung) nicht verfügt und zu der er sich in Form der Hoffnung verhält. Soll jedoch dem Zufallsverdacht nicht Tür und Tor geöffnet werden, muss die Kontingenz von Zufall und Willkür absetzbar sein. Die Wahrheitsausrichtung entspringt zwar einer kontingenten Erfahrung. Sie geschieht dennoch nicht zufällig oder willkürlich. Ihr kontingentes Inkrafttreten ist keine Laune des Schicksals. Für das Verhalten zu einer solchen Kontingenz, die von Zufall, Willkür und Schicksal verschieden ist, steht der Begriff Hoffnung ein. Er soll dem Kontingenzcharakter der Wahrheitsausrichtung auf eine Art gerecht werden, die ihn zugleich von Zufall und Willkür zu unterscheiden erlaubt. Der Wahrheitsvorrang geschieht nicht schicksalhaft, als stelle er sich auf unerklärliche Weise einmal ein und einmal nicht. Von solcher Zufälligkeit unterscheidet sich die Kontingenz dadurch, dass die Bedingungen für das Inkrafttreten eines Wahrheitsvorranges angegeben werden können. Mit einem Verständnis solcher Sprachpraktiken wie der indirekten Mitteilung sind wir in der Lage, Bedingungen anzugeben, unter denen der Wahrheitsvorrang sich Bahn brechen kann (wenn auch nicht muss). Die Hoffnung auf ein Inkrafttreten einer Wahrheitsorientierung ist mithin berechtigt, weil die Bedingungen bestimmbar sind, unter denen Befangenheiten aufgelöst werden und an ihre Stelle Wahrheitsorientierungen treten können. Der Zufallsverdacht wird ausgeräumt, wenn die wahrheitsverbürgenden Praktiken zwei Bedingungen erfüllen. Denn wahrheitsverbürgende Praktiken haben sich, heißt es oben, gegenüber zwei Aufgaben zu

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bewähren. Wahrheitsverbürgende Praktiken bewähren sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Effizienz, im Einzelfall Selbsttäuschung auszuhebeln und an ihre Stelle eine Wahrheitsorientierung treten zu lassen. Zudem hat sich die Beständigkeit solcher Praktiken zu bewähren. Der Wahrheitsvorrang besteht weder von Natur aus (Naturalismus) noch immer schon (Transzendentalphilosophie) und besitzt insoweit keine Notwendigkeit. Angesichts der fehlenden Notwendigkeit ist eine Erklärung der Beständigkeit erforderlich, mit der wahrheitsverbürgende Praktiken wirksam sind. Denn ohne Beständigkeit wäre die Kontingenz nicht vom Zufall abzugrenzen, dass ein Wahrheitsvorrang einmal geschähe und einmal nicht. Die wahrheitsverbürgenden Praktiken müssen eine dauerhafte Wirksamkeit besitzen, die das Taumeln von einer Täuschungsrevision zur nächsten Täuschung unterbindet. Die Kontingenz lässt sich von Schicksal abheben und der Zufallsverdacht nur dann ausräumen, wenn beide Bedingungen erfüllt sind. Die Einzelbewährung erweist sich an der Leistungsfähigkeit ästhetischer, kultureller und kommunikative Sprachpraktiken, für die Kierkegaards indirekte Mitteilung ein Beispiel ist. Die indirekte Mitteilung ist aufgrund der selbstzweckhaften Darstellung in der Lage, im Einzelfall zu einer Wahrheitsorientierung zu befähigen. Wie aber steht es um die Beständigkeit dieser Sprachpraktiken? Nach Hegel wird die Beständigkeit wahrheitsverbürgender Praktiken vom historischen Erkenntnisfortschritt verkörpert. Heidegger trägt ihr mit der kryptotheologischen Umschlagsfigur Rechnung, der zufolge im Höchstmaß der Domestizierung ethisch-unvertretbarer Urteile durch Wissenschaft und Technik sich eine dauerhafte Wahrheitsorientierung ereignet. Kierkegaard nun deutet die Beständigkeit wahrheitsverbürgender Praktiken als deren historische Kontinuität. Akteure sind in eine Kontinuität wahrheitsverbürgender Praktiken eingebettet. Diese Kontinuität wird von Kierkegaard christologisch gedeutet. Aktuale Ausübungen stiften eine Kontinuität, indem sie als die freie Wiederholung einer exemplarischen Lebensform vollzogen werden. Diese Lebensform wird nach Kierkegaard von Jesus historisch verkörpert. Geschichtliche Kontinuität wird im Medium der ,Wiederholung‘ oder auch ,Nachfolge‘ hergestellt. Auf Wiederholung und Nachfolge zielt Kierkegaards christliche Bedeutung der Rede, in der Wahrheit zu sein. „[I]n dem Sinne ist Christus die Wahrheit, daß die einzige wahre Erklärung dessen was Wahrheit ist, die ist, die Wahrheit zu sein.“58 Zwischen historischen Erscheinungen wird 58 EC, 195 / SKS 12, 201f.; vgl. Markus Enders „Das Verständnis von Wahrheit bei

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ein Zusammenhang dadurch gestiftet, dass sie als Wiederholung eines gemeinsamen Einzelfalls – Jesus Christus – gedeutet werden. Statt als beliebig auftretende Zufälle zeigen sie sich als Einzelfälle einer nachvollziehbaren Einheit. Solche historischen Einzelfälle sind weder Forderer noch Vorbild, sondern Beispiel. Das historische Symbol eines Exempels besitzt eine begründende Kraft. Soweit eine Wahrheitsorientierung nicht erzwungen wird, kann man sie allenfalls hervorzubringen versuchen in der Hoffnung auf ihr Inkrafttreten. Diese Hoffnung ist nur deshalb berechtigt, weil in der Geschichte wiederholt wahrheitsverbürgende Praktiken erfolgreich sind. Das Wissen um solche Beispiele – die Erinnerung an sie – sichert das Wissen um die Beständigkeit wahrheitsverbürgender Praktiken. Eine jeweilige wahrheitsverbürgende Praxis kann gleichwohl ineffizient sein, wenn der Adressat sich von ihr unbeeindruckt zeigt und an einfachen Antworten weiterhin festhält. Trotzdem ist die Ineffizienz einer wahrheitsverbürgenden Praxis in einer Situation noch kein Beweis für deren Zufälligkeit. Das Wissen um erfolgreiche Exempel aus der Vergangenheit überbrückt die Kluft zwischen einer erfolglosen Ausübung und der Gewissheit über ihre grundsätzliche Effizienz. Die Kontinuität wiederholter Beispiele erfolgreicher Praktiken sichert den wahrheitsverbürgenden Praktiken ihre strukturelle Beständigkeit. Mit dieser Beständigkeit ist die gesuchte Wahrheitsbedingung erfüllt. Wahrheitsverbürgende Praktiken werden als eine in der Geschichte beständige, wenn auch nicht notwendige Praxis ausgeübt. Nur weil es in der Geschichte durchgehend Beispiele für solche Praktiken gibt, kann der wahrheitsverbürgenden Praxis eine Beständigkeit unterstellt werden, die sie über zufällige Geschehnisse erhebt. Ohne einen gewissen Geschichtspositivismus – der Erinnerung exemplarischer Einzelfälle – lässt sich keine rationale Beständigkeit und damit keine Grundlage für einen Wahrheitsbegriff rekonstruieren. Die Beständigkeit wahrheitsverbürgender Praxis wird von der historischen Kontinuität wiederholter Exempel gesichert. Zwischen den historischen Beispielen besteht dennoch kein notwendiger Zusammenhang. Kierkegaards Verständnis geschichtlicher Kontinuität unterscheidet sich unter diesem Aspekt von Hegels Theorie der moralischen Fortschrittsgeschichte wie auch von einem Kontinuitätsbild, das Gadamer in Sören Kierkegaard, Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche“ in Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, hrsg. v. Markus Enders / Jan Szaif, S. 301 – 335.

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seiner philosophischen Hermeneutik vertritt. Gadamer stellt zwar mit dem Theorem des Überlieferungsgeschehens ebenfalls eine Kontinuität wahrheitsverbürgender Praktiken dar, die insbesondere von Traditionen, klassischen Kunstwerken und eminenten Texten verkörpert werden.59 In ihrer unverbrüchlichen Kontinuität greifen sie ineinander wie die Glieder einer untrennbaren Kette. Ihr unverfügbares Geschehen bildet das Fundament für die unerschütterliche Gewissheit, dass wahrheitsverbürgende Praktiken wirksam sind, Bestand haben und sich zu einer Kontinuität stabilisieren. Kierkegaards Kontinuitätsgedanke unterscheidet sich vom hermeneutischen Kontinuitätskonzept in zwei Hinsichten. Zum einen trägt Kierkegaard der Diagnose von Selbsttäuschungen und ihren systematischen Folgen für eine Wahrheitstheorie Rechnung. Historische Kontinuitäten schließen Bruchstellen mit ein, an denen wahrheitsverbürgende Praktiken nicht greifen, weil sie an der Resistenz von Selbsttäuschungen abprallen. Kierkegaards Konzept des symbolischen Exempels dient der Erklärung, weshalb trotz solcher Bruchstellen eine dauerhafte Wirksamkeit gewährleistet ist. Zum anderen trägt Kierkegaards Kontinuitätskonzept der Tätigkeit von Akteuren Rechnung. Die Kontinuität wird nicht, wie in der Hermeneutik Gadamers, von einem objektiven Geschehen angetrieben, das gänzlich unabhängig von absichtsvoller Einstellung eben: geschieht. Kierkegaards Begriff der Wiederholung berücksichtigt vielmehr auch einen Tätigkeitsaspekt. Als Wiederholung gedacht besteht die Kontinuität aus Praktiken, die die Kreativität, Anstrengung und Unbeirrtheit jeweiliger Akteure erfordert. Wahrheitsverbürgende Praktiken gehen aus freier Tätigkeit hervor und sind das Ergebnis eher von Freiheitsakten denn einer geschichtlich-objektiven Entwicklung. Im Exemplarischen und im Ganzen der historischen Kontinuität manifestiert sich Freiheit. Dass sie in einer an historischen Exempeln nachvollziehbaren Kontinuität stehen, ist eine Eigenschaft, die sie wiederum von Willkürakten zu unterscheiden erlaubt. Sie gehen weder mit Notwendigkeit noch aus Zufall, sondern aus Freiheitsakten hervor, die in der Geschichte und Gegenwart eine Kontinuität bilden. Wahrheitsorientierung ist kein Gegenstand einer Pflicht; nichts, zu dem jemand verpflichtet werden kann. Vielmehr befähigen zu ihr konkrete Sprachpraktiken, in denen (wie in der indirekten Mitteilung) auf 59 Vgl. Hans-Georg Gadamer Wahrheit und Methode. Grundzge einer philosophische Hermeneutik [1960] in Gesammelte Werke, 10 Bde., Tübingen 1990 – 1995, hier Bd. 1, 61990, S. 270ff.

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moralische oder kognitive Forderungen verzichtet wird. Noch sind die wahrheitsgarantierenden Praktiken disparate Erscheinungen, die zufällig in der Geschichte und Gegenwart geschehen. Ebenso wenig sind sie notwendige Momente eines Erkenntnisfortschrittes oder Traditionsgeschehens. Kierkegaard begreift sie stattdessen als Einzelfälle, deren freie Wiederholung eine Kontinuität stiftet. Mit dieser Kontinuität ist die Beständigkeit eingeholt und damit eine Wahrheitsbedingung, der Wissen seine Wahrheit verdankt.

6. Mystik oder Wahrheit Schopenhauer und Kierkegaard verhalten sich zueinander wie ungleiche Geschwister. Zwischen ihnen besteht eine geradezu greifbare Nähe und eine nicht minder spürbare Gegensätzlichkeit gleichermaßen. Der gemeinsame Hintergrund hebt die grundlegende Differenz umso schärfer hervor. Der Unterschied besteht darin, dass Kierkegaard den Wahrheitsbegriff unter religionsphilosophischen Bedingungen reformuliert, während Schopenhauer Wahrheit im Übergang zur Mystik verabschiedet. Kierkegaards Religionsphilosophie stößt sich von zwei Einseitigkeiten ab. Zum einen richtet sich seine Idealismuskritik gegen Hegels Überführung von Glauben in Wissen. Zum anderen wendet sich seine Religionskritik gegen die strikte Trennung von Glauben und Wissen. Dieser Antagonismus zwischen Glauben und Wissen wird von Schopenhauer verteidigt. Glauben und Wissen sind „von Grund aus verschiedene Dinge, die, zu ihrem beiderseitigen Wohl, streng geschieden bleiben müssen, so daß jedes seinen Weg gehe, ohne vom andern auch nur Notiz zu nehmen.“60 Schopenhauers Polemik gegen Religion, Glauben und Theologie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich sein Entwurf der Verneinung des Willens zum Leben selbst religiös grundierter Gedankenfiguren bedient.61 Davon zeugen nicht zuletzt seine Anleihen beim Buddhismus, vor allem aber die Lebensformen der 60 Schopenhauer Werke (ZA), P II, § 175, 398. (Die Werke Schopenhauers werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Arthur Schopenhauer Werke. Zrcher Ausgabe, hrsg. v. Angelika Hübscher, 10 Bde., Zürich 1977). 61 Schopenhauers ambivalente Stellung zur Religion erörtert: Lore Hühn „Die Wahrheit des Nihilismus. Schopenhauers Theorie der Willensverneinung im Lichte der Kritik Friedrich Nietzsches und Theodor W. Adornos“ in Interpretationen der Wahrheit (Tbinger phnomenologische Bibliothek), hrsg. v. Günter Figal, Tübingen 2002, S. 143 – 181.

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Mystik, mit denen die Verneinung des Willens zum Leben zusammenfällt. Der Willensverneinung entspricht eine mystische Lebensform, die Schopenhauer an Beispielen von Heiligen und Märtyrern exemplifiziert. Die mystische Lebensform besitzt bei Schopenhauer religiöse Implikationen und wird von ihm in einen Gegensatz zum Wahrheitsbegriff gestellt. Wahrheit und Mystik, Philosophie und Religion bilden für ihn einen unvermittelbaren Gegensatz. Schopenhauers und Kierkegaards Ansätze sind an vier Nahtstellen miteinander verbunden. Ihre augenfälligste Gemeinsamkeit besteht, erstens, in dem Negativismus, die Frage nach dem Gelingen menschlichen Lebens von einer Analyse des Misslingens aus zu beantworten.62 Der Negativismus unternimmt den Versuch, dem Leiden, Scheitern und der Sterblichkeit in jeder ihrer Fasern Rechnung zu tragen, um sie dann so weit wie nur möglich einzudämmen – ohne sie zum Verschwinden bringen zu können. Gelingendes Leben hängt nicht beiläufig, sondern wesentlich vom angemessenen Umgang mit Negativitäten ab. Schopenhauer und Kierkegaard nehmen zu den Erfahrungen des Misslingens eine zweifache Stellung ein: die der Anerkennung und der Überwindung. Weder also entwerfen sie eine Vorstellung vom menschlichen Gelingen auf Kosten einer verleugneten Negativität, die als verdrängte umso gewaltsamer wiederkehrt – noch geben sie den Entwurf eines gelingenden Lebens zugunsten des Trübsinns oder Fatalismus preis. Als Negativität, die einem gelingenden Leben am stärksten widerstrebt, beschreibt Schopenhauer das Leiden an einer Mangelstruktur des Lebens. Das Glückstreben im Leben schlägt je in einen unhintergehbaren Mangel um. „Alle Befriedigung, oder was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv.“63 Im Leben werden zwar einzelne Einsichten gewonnen, Wünsche erfüllt und Bedürfnisse befriedigt, aber nicht die Bedürftigkeit selbst gestillt. Der Lebensvollzug ist unauflösbar im Drang verstrickt, überhaupt Wünsche zu haben, nach gesicherter Erkenntnis zu streben und Grundbedürfnisse (Hunger, Sexualität, Sozialität, etc.) zu befriedigen. Diese Bedürftigkeit bleibt innerhalb der Lebenszeit unabgegolten und treibt zu einem endlosen Streben nach gesichertem Wissen, realisierten Absichten und erfüllten Wünschen. Das Bestreben des Wissens, Willens und Wünschens kommt punktuell, aber nur vorübergehend zum Still62 Siehe zum Negativismus: Theunissen Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung; ders. Der Begriff Verzweiflung. 63 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 58, 399.

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stand. Denn jede Erfüllung mündet zwangsläufig in Langeweile und Leere, die weniger eine durch äußere Umstände vorenthaltene Bedürfnisbefriedigung als eine interne Struktur darstellt, die den kognitiven, voluntativen und optativen Einstellungen innewohnt. Das Bewusstsein der Bedürftigkeit, deren Befriedigung unentwegt verfolgt werden muss, ohne sie erreichen zu können, wird von Schopenhauer als ein Leiden betrachtet, das dem Menschen vorbehalten ist. Im besten Fall verhängt das endlose Streben den Zwang, stets neue Ziele verwirklichen zu müssen. Im schlechtesten Fall entfesselt sie die Überbietungsdynamik, stets mehr zu wollen. In beiden Fällen jagen Menschen der Schimäre eines erfüllten Lebens nach. „Wir setzen indessen unser Leben mit großem Antheil und vieler Sorgfalt fort, so lange als möglich, wie man eine Seifenblase so lange und so groß als möglich aufbläst, wiewohl mit der festen Gewißheit, daß sie platzen wird.“64 Die anthropologische Bedürftigkeit, die zu je neuen Befriedigungen drängt, wird von Schopenhauer der Wille zum Leben genannt und die entsprechende Lebensführung des Glücksstrebens die Bejahung des Willens zum Leben. Die philosophische Anerkennung der Selbsttäuschung markiert die zweite Nahstelle. Schopenhauer beschreibt Selbsttäuschung, „die eigentlich heimlich überlegte Handlungen sind“, als das Vermögen, ohne Zwang und Not die Augen vor der Mangelstruktur des Lebens zu verschließen.65 Meistens […] verschließen wir uns der, einer bittern Arznei zu vergleichende Erkenntniß, daß das Leiden dem Leben wesentlich ist und daher nicht von außen auf uns einströmt, sondern Jeder die unversiegbare Quelle desselben in seinem eigenen Innern herumträgt. Wir suchen vielmehr zu dem nie von uns weichenden Schmerz stets eine äußere Ursache, gleichsam einen Vorwand; wie der Freie sich einen Götzen bildet, um einen Herrn zu haben. Denn unermüdlich streben wir von Wunsch zu Wunsch, und wenn gleich jede erlangte Befriedigung, soviel sie auch verhieß, uns doch nicht befriedigt, sondern meistens bald als beschämender Irrthum dasteht, sehn wir doch nicht ein, daß wir mit dem Faß der Danaiden schöpfen; sondern eilen zu immer neuen Wünschen […].66

64 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 390. 65 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 55, 372. 66 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 57, 398; vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, 17 und: „So ist das Leben fast aller Menschen: sie wollen, wissen was sie wollen, streben danach mit so vielem Gelingen, als sie vor Verzweiflung, und so vielem Mißlingen, als sie vor Langeweile und deren Folgen schützt“ (Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 60, 409). Schopenhauer verwendet den Begriff der Selbst-

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Die Täuschung darüber, dass die Lebensdeutungen nicht halten, was sie versprechen, ist kein unvermeidbarer Irrtum, sondern ein Trugbild, das billigend in Kauf genommen wird. Aus Freiheit weicht man der Einsicht in die Mangelstruktur aus und beruhigt man sich mit illusionären Lebensentwürfen, die in Wahrheit kein ganzheitliches Gelingen, sondern nur ein partikulares Glück zeitigen. Die dritte Nahtstelle besteht in der Übereinkunft über die selbstzweckhafte Darstellungsform, die imstande ist, Erkenntnis an die Stelle der Selbsttäuschung treten zu lassen. Nicht Absichten des Überzeugens, Kritisierens und Belehrens öffnen den Adressaten für die Einsicht in die Mangelstruktur, sondern im Gegenteil die selbstgenügsame Zurückhaltung einer Darstellung, die ohne Mitteilungsabsichten erfolgt: als ob der Autor etwas für sich auszusprechen versucht nur deshalb, weil es ausgesprochen zu werden verdient. Schopenhauer bringt diese Überzeugung in seiner Selbstbeschreibung zum Ausdruck. Er sei seinem Gedankenzuge nachgegangen, eben auch nur weil ich es mußte und nicht anders konnte, aus einem instinktartigen Triebe, der jedoch von der Zuversicht unterstützt wurde, daß was Einer Wahres gedacht und Verborgenes beleuchtet hat, doch auch irgendwann von einem anderen denkenden Geist gefaßt werden, ihn ansprechen, freuen und trösten wird: zu einem solchen redet man, wie die uns Aehnlichen zu uns geredet haben und dadurch unser Trost in dieser Lebensöde geworden sind. Seine Sache treibt man derweilen ihrer selbst wegen und für sich selbst. Nun aber steht es um philosophische Meditationen seltsamerweise so, daß gerade nur Das, was Einer für sich selbst durchdacht und erforscht hat, nachmals auch Andern zu Gute kommt; nicht aber Das, was schon ursprünglich für Andere bestimmt war. Kenntlich ist Jenes zunächst am Charakter durchgängiger Redlichkeit; weil man nicht sich selbst zu täuschen versucht, noch sich selbst hohle Nüsse darreicht.67

Viertens stimmen Schopenhauer und Kierkegaard im Hinblick auf eine Theorie des symbolischen Exempels überein. Schopenhauers Gegenentwurf einer Verneinung des Willens zum Leben soll vor allem durch die Darstellung historischer Beispiele eine Überzeugungskraft zuwachsen. Schopenhauer unterscheidet drei Lebensformen, in denen in Distanz zur Bedürftigkeit zu treten möglich ist. Die Kunsterfahrung erstens gewährt ein Verweilen in aesteticis, das den Betrachter für den ästhetischen Au-

täuschung an einer anderen Stelle auch in dem positiven Sinn eines Vergessenkönnens; vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 38, 255. 67 Schopenhauer Werke (ZA), W I, 17.

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genblick vom Strebenszwang entlastet.68 Im Mitleid zweitens dispensiert sich der Handelnde für die Dauer des moralischen Handelns von seinem egozentrischen Streben. Allerdings stabilisiert sich die Befreiung vom Strebenszwang vorab, drittens, in der Verneinung des Willens zum Leben, die sich in einer meditativen Lebensform der Gelassenheit und Resignation ausdrückt. In meditativer Weltabgewandtheit wird das Leiden ohne praktische Folgerungen betrachtet. Unter gelingendem Leben versteht Schopenhauer eine nicht willenlose, aber willensfreie Gelassenheit gegenüber dem Leiden, die in reiner Betrachtung seiner auf keine Bekämpfung drängt. Dass die Gelassenheit gegenüber dem Leiden keine negative Erfahrung ist, sondern in eine Erfahrung des Gelingens umschlägt, ist eine Einsicht, die sich nicht als allgemeine Maxime begründen, sondern allenfalls durch historische Beispiele belegen lässt. Aus diesem Geschichtspositivismus motivieren sich Schopenhauers zahllose Beschreibungen historischer Beispiele von Heiligen und Märtyrern. Wie die Erkenntniß, aus welcher die Verneinung des Willens hervorgeht, eine intuitive ist und keine abstrakte; so findet sie ihren vollkommenen Ausdruck auch nicht in abstrakten Begriffen, sondern allein in der That und dem Wandel. Daher um völliger zu verstehn, was wir philosophisch als Verneinung des Willens zum Leben ausdrücken, hat man die Beispiele aus der Erfahrung und Wirklichkeit kennen zu lernen.69

Mit seinem Geschichtspositivismus – der Erinnerung exemplarischer Einzelfälle – trägt Schopenhauer der paradoxen Struktur eines Gelingens Rechnung, das sich durch argumentative Erklärung nicht restlos auflösen lässt. Der Verzicht auf eine lebenszeitliche Verwirklichung von Erkenntnis- und Handlungszielen mündet in keine Leere, sondern ermöglicht – scheinbar paradox – eine erfüllte Lebenszeit. Diese erschließt sich nicht als gedachter Gedanke, sondern als Erfahrungsgehalt einer Lebensform. Berechtigt ist allerdings der Einwand, dass die Verständnisschwierigkeit dieses Erfahrungsgehalts nicht dadurch gelöst wird, dass argumentative Rede in Mystik überführt wird.70 Blanke Mystifikation etwa ist der Glaube an die Selbstüberwindung des Leidens, als müsste 68 Siehe: Michael Theunissen „Freiheit von der Zeit. Ästhetisches Anschauen als Verweilen“ in ders. Negative Theologie der Zeit, Frankfurt a.M. 1991, S. 285 – 298, hier S. 289. 69 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 68, 475. 70 Siehe zur folgenden Kritik genauer: Tilo Wesche „Leiden als Thema der Philosophie? Korrekturen an Schopenhauer“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang des Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 133 – 145.

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Leiden nur rückhaltlos vor Augen geführt werden, um in heilende Gelassenheit ihm gegenüber umzuschlagen. Anfechtbar ist bereits die Prämisse, jegliches Glück als ein vermeintliches zu entlarven und zu einem kreatürlichen Leiden zu naturalisieren; was schlicht eine Übertreibung ist. Kritikwürdig ist ebenfalls, dass die Einsicht über das Gelingen nur in meditativer Weltabgewandtheit zu erreichen sei und nicht vielmehr in einer mitunter sozialen Lebenspraxis. Der Einwand gegen Schopenhauers Auflösung von Philosophie in Mystik und Meditation berührt bereits den Kardinalunterschied zu Kierkegaard. Schopenhauer zieht eine strikte Trennung zwischen Lebensform und Wahrheit. Er unterscheidet zwei Begriffe der Wahrheit. Zum einen bezieht sich Wahrheit auf jede Verstandeserkenntnis, die dem Satz vom Grund verpflichtet ist. Unter einer genuin philosophischen Wahrheit zum anderen versteht er die unvertretbare Anschauung des Willens, dessen man sich je in einer „unmittelbare[n] Evidenz“ vergewissert, die der Verstandeswahrheit entgegengesetzt ist.71 Sie ist eine Erkenntniß ganz eigener Art, deren Wahrheit eben deshalb nicht ein Mal eigentlich unter eine der vier Rubriken gebracht werden kann, in welche ich in der Abhandlung über den Satz vom Grund, § 29ff., alle Wahrheit getheilt habe, nämlich in logische, empirische, transcendentale und metalogische: denn sie ist nicht, wie alle jene, die Beziehung einer abstrakten Vorstellung auf eine andere Vorstellung […]; sondern sie ist die Beziehung eines Urtheils auf das Verhältniß, welches eine anschauliche Vorstellung, der Leib, zu dem hat, was gar nicht Vorstellung ist, sondern ein von dieser toto genere Verschiedenes: Wille. Ich möchte darum diese Wahrheit vor allen andern auszeichnen und sie jat( enowgm philosophische Wahrheit nennen.72

Von diesem philosophischen Wahrheitsbegriff hebt Schopenhauer nun die mystische Lebensform ab. Wer, so Schopenhauer über Wahrheit, „bei ihr stehn“ bleibt, der gelangt nicht zu den „Heiligen“ der Resignation.73 Für Schopenhauer stellt der philosophische Wahrheitsbegriff nur eine Leiter dar, die am Ende weggestoßen wird. Seine Ethik gelangt erst mit dem Überschreiten des Wahrheitsbegriffs ins Ziel, der nur eine Durchgangsstation ist. Die mystische Lebensform lässt sich allenfalls an historischen Einzelfällen veranschaulichen, ohne dass sie mit einem Wahrheitsbegriff vereinbar wäre. Im Kontrast zu Schopenhauers Trennung 71 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 14, 108. 72 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 18, 146; vgl. Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 5, 43; § 6, 53f.; § 14, 108; § 51, 309. 73 Schopenhauer Werke (ZA), W I, § 52, 335.

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von Wahrheit und Lebensform, von Philosophie und Mystik steht Kierkegaards Religionsphilosophie, die einen Wahrheitsbegriff unter Bedingungen der Kritik wiedergewinnt.

Anhang Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854 1. Vorbemerkung des Übersetzers 331 2. Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer 335 3. Kommentar 353 4. Übersicht 381

Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer übersetzt von Philipp Schwab

Kommentar Niels Jørgen Cappelørn übersetzt und bearbeitet von Philipp Schwab

1. Vorbemerkung des Übersetzers In der hier vorgelegten Übersetzung1 werden erstmals alle expliziten Journalnotizen Kierkegaards zu Schopenhauer in deutscher Sprache zugänglich gemacht.2 Die im Folgenden übertragenen Notizen hat Kierkegaard zwischen Juni und Dezember in seinen Journalen NB29, NB30, NB32 und NB35 festgehalten; zur Chronologie von Kierkegaards Aufzeichnungen sowie zum historischen Hintergrund ist in diesem Band die „Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer?“ von Niels Jørgen Cappelørn zu vergleichen. a) Zu Auswahl und Darstellung der bersetzung In der folgenden bersetzung (2.) sind alle Journalnotizen, in denen Kierkegaard sich allein oder vornehmlich mit Schopenhauer auseinandersetzt oder ,Lesefrüchte‘ notiert, vollständig übertragen. Eher beiläufige Verweise auf Schopenhauer finden sich aber auch in längeren Journalnotizen, die im Ganzen andere Themen behandeln – so in NB29:92 im Rahmen einer Eintragung über „Das Christentum unserer Zeit“ oder in NB30:22 in Bezug auf Luther. In diesen Fällen wird allein diejenige Passage der Eintragung übersetzt, die sich direkt auf Schopenhauer bezieht; Auslassungen sind durch […] angezeigt. Eine vollständige Übersetzung auch dieser Journalaufzeichnungen sowie des Kontextes, in dem Kierkegaard sich mit Schopenhauer auseinandersetzt, bleibt den Bänden 9 und 10 der Deutschen Søren Kierkegaard Edition (DSKE) vorbehalten. Die Bezeichnungen und Datierungszeiträume der Journale (wie „NB29 (5.5.–27. 6. 1854)“) und die Aufzeichnungsnummern (wie 1

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Herzlich gedankt sei Prof. Dr. h.c. Niels Jørgen Cappelørn (Kopenhagen) für seine Expertise bei der Auswahl der übersetzten Textstellen und Kommentare; Prof. Dr. Søren R. Fauth (Aarhus) gilt ein herzlicher Dank für seine äußerst hilfreiche Gegenlesung der Übersetzung. Die Übersetzung in Hayo Gerdes’ Auswahl der von ihm so genannten Tagebcher ist – wie im Ganzen – auch bezüglich Kierkegaards Notizen zu Schopenhauer (in Band 5) unvollständig; vgl. die hier beigegebene „Übersicht“ (4.). Weniger als die Hälfte der Notizen zu Schopenhauer sind dort übertragen; ausgelassen hat Gerdes u. a. die lange und wichtige Eintragung NB30:12 über Schopenhauer und das Christentum.

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Anhang. Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854

„NB29:26“) sind Einfügungen der Übersetzung;3 alle weiteren Eingriffe in den Text sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Kierkegaard hat seine Journale in zwei Spalten beschrieben; die innere Spalte gibt den Haupttext, die äußere Spalte ist für (teilweise wohl auch später eingetragene) Marginalnotizen vorgesehen. Im Folgenden werden die Marginalzusätze in Form von Fußnoten wiedergegeben; einfache Verweiszeichen (a, b) geben an, dass sich auch im Original ein Verweiszeichen findet; Verweiszeichen in Kursive und eckigen Klammern ([a] , [b]) werden dort verwendet, wo Kierkegaard einen Zusatz ohne Verweiszeichen an den Rand geschrieben hat.4 Entsprechend dem Vorgehen in DSKE werden in der Übersetzung Passagen, die Kierkegaard nicht in ,gotischen‘ Buchstaben, sondern in lateinischer Schrift notiert, durch schmale Palatino wiedergegeben;5 von Kierkegaard selbst in deutscher Sprache aufgezeichnete Stellen sind durch Optima markiert;6 Kursive gibt einfache Hervorhebungen Kierkegaards wieder. Die von Kierkegaard häufig und teilweise beinahe regelhaft verwendeten Abkürzungen (z. B. „Xstt.“ für ,Christentum‘; „Msch“ / „Msch.“ für ,Mensch‘) werden hier ebenfalls entsprechend dem Vorgehen in DSKE als solche wiedergegeben.

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In SKS und DSKE, wo – im Unterschied zu der hier gegebenen Auswahl unter dem thematischen Gesichtspunkt der Auseinandersetzung mit Schopenhauer – die einzelnen Journale in ihrer Vollständigkeit wiedergegeben werden, sind die Aufzeichnungsnummern in einer gesonderten Marginalspalte notiert. Anders als diese Nummerierung (die sich aus der Abfolge der einzelnen Aufzeichnungen innerhalb eines Journals ergibt) stammt im Übrigen die Bezeichnung und Zählung der Journale von Kierkegaard selbst: Sie ist auf einem Etikett auf der Vorderseite des jeweiligen Journals festgehalten. Zur Datierung ist zu bemerken, dass Kierkegaard auf diesem Etikett auch das Datum eingetragen hat, an dem das Journal begonnen worden ist. Darüber hinaus hat Kierkegaard auch einzelne Aufzeichnungen datiert; keine der hier übersetzten Einträge allerdings weist eine Datumsangabe auf. In der Aufzeichnung NB30:12 hat Kierkegaard zu einer Marginalnote nochmals zwei Einfügungen am Rand gemacht; sie werden hier gemäß SKS nach dem größeren Marginalzusatz wiederum als a und b angegeben. Betrifft in Kierkegaards Notizen zu Schopenhauer lateinische Worte und Wendungen sowie die Überschriften der Aufzeichnungen NB29:95, NB29:114 und NB32:35. Betrifft hier vornehmlich Worte und Wendungen, die Kierkegaard aus Schopenhauer notiert.

1. Vorbemerkung des Übersetzers

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Zu beachten sind im Besonderen die folgenden Abkürzungen (Auswahl): allgem. gewöhnl. eigtl. L. Msch / Msch. / Mschen Schriftst. T. Xst Xstt. / Christent.

allgemeine gewöhnlichen eigentlich Luther Mensch / Menschen Schriftsteller Testament Christ Christentum b) Zum Kommentar

Der Kommentar (3.) ist gegenüber der in SKS gegebenen Fassung leicht gekürzt worden. Er beschränkt sich – neben für das Textverständnis unerlässlichen Erläuterungen – weitestgehend auf Nachweise derjenigen Stellen bei Schopenhauer, die Kierkegaard zitiert oder auf die er Bezug nimmt. Dabei wird auf die Ausgaben von Schopenhauers Werken, die Kierkegaard besessen hat, mit den folgenden Abkürzungen verwiesen: Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften. I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens, gekrçnt von der Kçnigl. Norwegischen Societt der Wissenschaften, zu Drontheim, am 26. Januar 1839. II. Ueber das Fundament der Moral, nicht gekrçnt von der K. Dnischen Societt der Wissenschaften, zu Kopenhagen, den 30. Januar 1840, Frankfurt am Main 1841, Ktl. 772 (abgekürzt als: Die beiden Grundprobleme der Ethik). Die Welt als Wille und Vorstellung. Zweite, durchgngig verbesserte und sehr vermehrte Auflage, Bd. 1 („Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält“) – Bd. 2 („welcher die Ergänzungen zu den vier Büchern des ersten Bandes enthält“), Leipzig 1844 [erste Auflage 1819], Ktl. 773 – 773a (abgekürzt als: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1 / Bd. 2). Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, Bd. 1 – 2, Berlin 1851, Ktl. 774 – 775 (abgekürzt als: Parerga und Paralipomena, Bd. 1 / Bd. 2).

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Anhang. Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854

Bei den Nachweisen der Werke Schopenhauers wird in dieser Übersetzung zusätzlich die entsprechende Seitenangabe der Werke von Hübscher mitgeteilt (vgl. hierzu das Siglenverzeichnis dieses Bandes). c) Zur bersicht Die bersicht zu Kierkegaards Journalnotizen zu Schopenhauer (4.) führt die entsprechenden Seitenangaben nach SKS, den deutschen Tagebchern (soweit dort übersetzt) und der englischen Ausgabe der Journals and Papers an. Aufgenommen sind dort auch diejenigen Eintragungen der Journale, in denen Kierkegaard ohne explizite Namensnennung aller Wahrscheinlichkeit nach auf Schopenhauer anspielt; Stellen, die solche impliziten Bezüge enthalten, sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht.7 Angaben in runden Klammern verweisen bei längeren Aufzeichnungen auf diejenige Seite, auf der sich Kierkegaards Bezugnahme auf Schopenhauer findet.

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Über die Journale hinaus sind noch drei weitere (eindeutige) implizite Bezugnahmen auf Schopenhauer zu nennen: Die einzige selbst von Kierkegaard publizierte Passage, die auf Schopenhauer verweist, findet sich in dem Zeitungsartikel „Ein Resultat“ vom 10. Mai 1855; dort nimmt Kierkegaard nochmals die Stelle auf, die er in NB29:91 zitiert (A, 66 / SKS 13, 201f.; vgl. den Kommentar zu NB29:91). – Noch im Druckmanuskript zu dem Zeitungsartikel „Eine Aufforderung an mich von Pastor Paludan-Müller“, erschienen am 12. 01. 1855 (vgl. A, 22 – 25 / SKS 14, 137f.), findet sich ein schließlich gestrichener Verweis auf Schopenhauer in Form eines einleitenden Absatzes. Dort heißt es: „Ein deutscher Schriftsteller hat ungefähr gesagt: überall, wo Frauenzimmer dabei sind, ist auch etwas List [korr. aus: Lüge] dabei“ (Pap. XI 3 B 215,1; die Stelle verweist auf Kapitel 27 „Ueber die Weiber“, §§ 362 – 371 von Parerga und Paralipomena, Bd. 2, S. 495 – 502 (P II, 650 – 663); vgl. hierzu SKS K14, 642f. sowie die thematisch nahe stehende, im Folgenden übersetzte Aufzeichnung NB29:92 und den Kommentar zu dieser Eintragung). Fast wörtlich nimmt Kierkegaard diesen Passus auch in einen Entwurf mit dem Titel „Über das Wiederholen“ vom April 1855 auf (vgl. Pap. XI 3 B 122).

2. Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer NB29 (5.5.–27.6.1854) NB29:26 #

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Menschlich – Gçttlich. Ein Vers von Goethe, den ich irgendwo bei Schopenhauer zitiert sehe, lautet folgendermaßen:

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„Und wenn der Mensch in seiner Quaal verstummt, Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide“ Dies ist doch eigtl. nicht richtig. Das Verhältnis ist doch viel eher so, dass es das Mschliche ist, die Leiden auszusprechen, das Göttliche, zu schweigen. Ästhetisch ist es vielleicht so, wie Goethe sagt, ethisch ist das Verhältnis das andere.

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NB29:29 # Heraklit: ty oum biy omola lem bior, eqcom de hamator. zitiert nach A. Schopenhauer: die Welt als Wille und Vorstellung 2. Band S. 584.

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Docendo discimus. 5

Vortrefflich sagt Schopenhauer, dass dies doch nicht unbedingt wahr ist, dass es viele Dozenten gibt, die durch das ständige Dozieren ex cathedra daran gehindert werden, selbst etwas zu lernen. NB29:63 #

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Ist nicht die Moral ebenso wie Astrologie, Alchemie eine Wissenschaft, die sich mit etwas beschftigt, was es nicht gibt? Schopenhauer eifert dagegen, die Moral so zu behandeln, wie Kant es getan hat: dieses ideale Du sollst, die idealen Tugenden und Pflichten vorzutragen, ohne Rücksicht darauf, ob jemand es tut. Nein, sagt S., die Moral hat sich wie jede andere Wissenschaft an das wirkliche Leben zu halten[,] das wirkliche Leben darzustellen. Aber – sagt er dann – dann könnte man einwenden, ob dann die Moral nicht zu einer Wissenschaft a` la Astrologie, Alchemie würde, eine Wissenschaft, die sich mit etwas beschäftigt, was es nicht gibt. S. scheint selbst nicht recht zu merken, wie unendlich witzig er hier ist; denn er wirft diesen Einwand ernsthaft auf[,] weist ihn ernsthaft zurück – und schreibt dann seine Moral. NB29:91 # Diese redliche Welt.

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Es ist im Grunde vortrefflich, was Schopenhauer ungefähr folgendermaßen sagt: die einzigen redlichen Mschen in dieser Welt sind die Kaufleute, denn sie sind doch redlich genug, offiziell einzugestehen – dass sie betrügen.

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NB29:92 # Das Christentum unserer Zeit.

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[…] Es ist so, wie etliche meiner Pseudonyme es dargestellt haben, und wogegen, wie ich jetzt auch sehe, Schopenhauer auf seine Weise wütet, die Frau kann nichts dafür, aber sie ist dazu bestimmt, den Mann zu demütigen und ihn unbedeutend zu machen. Das Dasein ist auch ein Souverän, und weiß wie jeder Souverän vortrefflich darüber Bescheid, wie man sich das Regiment am besten sichert, nämlich indem man diejenigen, über die man herrscht, demütigt und bricht. […] NB29:95 #

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A. S.a ist unbestreitbar ein bedeutender Schriftsteller, er hat mich sehr interessiert, und es hat mich erstaunt, einen Schriftst. zu finden, der mich, trotz einer totalen Uneinigkeit, so sehr berührt. Gegen seine Ethik habe ich im Besonderen zwei Einwände. Seine ethische Ansicht ist: entweder durch den Intellekt, also intellektuell, oder durch Leiden (deuteqor pkour), erreicht es das Individuum, das ganze Elend dieses Daseins zu durchschauen, und beschließt nun, die Lebens-Lust zu töten oder zu mortifizieren; hier die Askese; und dann wird eine durch die vollkommene Askese erreichte Kontemplation, ein Quietismus gewonnen. – Und dies tut das Individuum aus Sympathie (hier liegt A. Ss Moralprinzip), aus Sympathie, weil es mit dem ganzen Jammer, der das Dasein ist, sympathisiert, also mit dem Jammer der anderen sympathisiert, der darin besteht, da zu sein. Hiergegen müsste ich einwenden. Dass ich mich beinahe eher versucht fühlen könnte, die Sache umgekehrt zu wenden, und wohlgemerkt a

Anm. Erstaunlich genug, ich heiße: S. A. Wir verhalten uns wohl auch umgekehrt zueinander.

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gerade auch aus – Sympathie. Ob nämlich einer entweder durch ursprüngliche Intellektualität die Askese erreicht, weil er die Jämmerlichkeit von Allem durchschaut oder richtiger die Jämmerlichkeit des Daseins, oder er durch Leiden zu dem Punkt gebracht wird, dass es sich für ihn als eine Linderung erweist, es total zum Durchbruch kommen zu lassen, mit allem zu brechen, mit dem Dasein selbst, d. h. mit der Lust zum Dasein (die Askese, die Mortifikation), welches, im Verhältnis zu den mannigfachen kleinen Qualen und immer wiederkehrenden Qualen, lindernd sein kann, ebenso wie ein Schweißausbruch verglichen mit der peinigenden Hitze, wenn man nicht zum Schwitzen kommen kann: in beiden Fällen würde ich die Frage umdrehen, könnte nicht gerade Sympathie ihn daran hindern, ihn davon abhalten, so weit zu gehen, Sympathie mit diesen Tausenden und Abertausenden, die ihm unmöglich werden folgen können, diesen Tausenden und Abertausenden, die in der glücklichen Einbildung leben, dass das Leben Freude ist – und die er deshalb bloß verstören würde, unglücklich machen, ohne ihnen zu sich hinaus helfen zu können? Kann Sympathie die Sache nicht auch so stellen, wenn ich auch gerne einräume, dass sich hier sehr leicht das Gaunerhafte verbergen kann, das nicht selbst das Äußerste wagen will, und sich dann den Anschein der Sympathie gibt. Zum zweiten, und dies ist ein Haupteinwand. Wenn man dann A. Ss Ethik durchgelesen hat, so erfährt man nun – so ehrlich ist er natürlich – dass er nicht selbst ein solcher Asket ist. Er ist also nicht selbst die durch Askese erreichte Kontemplation, sondern eine Kontemplation, die sich kontemplierend zu jener Askese verhält. Das ist äußerst misslich, hier kann sich sogar das Allerentsetzlichste verbergen, eine verderbliche Art schwermütiger Wollust, item ein tiefer Mschenhaß usw. Auch insofern ist es misslich, als es immer misslich ist, eine Ethik vorzutragen, die nicht die Macht über den Lehrer ausübt, dass er es selbst ausdrückt. A. S. macht doch das Ethische zur Genialität – aber das ist eben eine unethische Betrachtung des Ethischen. Er macht das Ethische zur Genialität, und obgleich er sich selbst zur Genüge damit brüstet, im Übrigen Genie zu sein, so hat es ihm (oder der Natur) doch nicht beliebt, ihn ein Genie in Richtung auf Askese und Mortifikation werden zu lassen. Hier komme ich auf einen Punkt, den S. höhnisch abfertigt, nämlich diesen: Du sollst, item die Strafe der Ewigkeit usw. Die Frage ist, ob die Art von Askese und Mortifikation eigtl. einem Mschen möglich ist, wenn er nicht [ein]: Du sollst respektiert, und von einem Motiv der Ewigkeit

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bestimmt ist, aber nicht genial, sondern ethisch. S., der eigtl. das Christentum aufgibt, preist immer Indien[,] den Brahmanismus an. Aber jene Asketen, das muss er ja selbst eingestehen, sind ja von einer Ewigkeits-Rücksicht bestimmt, religiös, nicht genial, sondern es ist für sie religiöse Pflicht. *

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Wie gesagt, A. S. hat mich sehr interessiert. Und dann natürlich auch sein Schicksal in Deutschland. S. hat richtig erkennen gelernt, dass es (ebenso wie in der Religion die Pfarrer) dass es ebenso in der Philosophie eine Klasse Mschen gibt, die unter [dem] Schein, Philosophie zu lehren, von ihr leben, deren Berufsweg sie ist, die mit der ganzen Weltlichkeit konspirieren, welche sie für die wahren Philosophen hält, da sie ja vom Fach sind, d. h. es ist ihr Berufsweg. Dies ist vollkommen wahr, der Zustand ist überall in der Christenheit eine derartige Herabwürdigung und Demoralisation, dass das Heidentum im Vergleich hierzu göttliche Erhabenheit ist. S. sieht richtig, dass diese verehrten Herren: die Professoren sind. In dieser Hinsicht ist nun S. unvergleichlich grob. Aber hier kommt es wieder; S. ist kein Charakter[,] kein ethischer Charakter, nicht ein griechischer Philosoph im Charakter, noch weniger ein christlicher Polizeioffizier. Wenn ich mit ihm sprechen könnte, bin ich sicher, er würde schaudern oder lachen, wenn ich ihm den Maßstab anlegen würde. S. hat richtig gesehen, dass diese Professoren-Niedertracht sich insbesondere durch ein Mittel hält: zu ignorieren, was nicht vom Fach ist. S. ist charmant, vortrefflich[,] unvergleichlich an treffender Grobheit. Aber sieh nun! Wie lebt S. Er lebt zurückgezogen, und sendet ab und an ein Donnerwetter an Grobheiten aus – das ignoriert wird. Ja, sieh, da haben wir es. Nein, fass die Sache anders an. Geh nach Berlin, verlege diesen Schlingeln die Szene auf die Straße, halte es aus, der bekannteste Msch. von allen zu werden, von jedem gekannt. Halte dann persönlich eine Art einverständlichen Umgang mit diesen Schlingeln aufrecht, so dass man sie zusammen auf der Straße sieht, und womöglich jeder weiß, dass sie einander kennen. Sieh, das heißt die Niedertracht des Ignorierens zu unterminieren. Das habe ich, freilich auf einem kleineren Terrain, hier in Kopenhagen praktiziert: sie sind lächerlich [geworden] mit ihrem Ignorieren. Und dann habe ich noch einmal gewagt – weil ich nämlich

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religiös abkommandiert bin – ich habe es gewagt, mich freiwillig dem auszusetzen, Karikatur zu werden und ausgelacht von dem ganzen einfachen und vornehmen Pöbel: alles, um die Sinnentäuschungen zu sprengen, und alles, damit sie merken, dass hier nicht ein profaner Einspruch erhoben wird, der deshalb den Pöbel zur Hilfe nimmt, sondern göttlicher Einspruch, der es deshalb sogar wagt, ihn von sich zu weisen, als er einem Sieg zujubeln wollte. Aber so ist A. S. überhaupt nicht, in dieser Hinsicht gleicht er S. A. überhaupt nicht. Er ist doch ein deutscher Denker, versessen auf Anerkennung. Ja, das ist mir das Unbegreifliche, dass ein so bedeutender Kopf wie S., ein so vortrefflicher Schriftst., doch in Richtung auf Charakter (denn stilistisch hat er viel) so wenig Ironie hat, so wenig die Leichtigkeit der Überlegenheit wie er. Es kann kein Zweifel sein, dass die Dinge nun in Deutschland so stehen, dass – man erkennt es leicht daran, dass die literarischen Gelegenheitsarbeiter und Zuträger, Journalisten und Kleinschriftsteller sich mit S. zu schaffen machen – er nun auf die Szene geschleift und proklamiert werden soll. Und ich wette 100 zu 1, er – er wird herzensfroh; es kommt ihm überhaupt nicht in den Sinn, den Mist niederzusäbeln, nein, er wird glücklich. Ja, ist das denn nicht unerklärlich. Er, der eine mschenfeindliche Lebensanschauung vertritt, und mit so viel Talent wie er, er ist so außerordentlich froh darüber, wirklich im Ernst froh darüber, dass die Gesellschaft der Wissenschaften in Trondheim (Du guter Gott, in Trondheim) seine Preisschrift gekrönt hat – es fällt ihm gar nicht ein, ob nicht vielleicht jene Gesellschaft der Wissenschaften es als ein seltenes Glück geschätzt hat, dass ein Deutscher ihnen eine Abhandlung geschickt hat. Pro dii immortales ! Und als Kopenhagen eine andere Preisschrift von S. nicht krönt, so schlägt er darüber Lärm, ganz ernsthaft, in der Vorrede, die ihre Herausgabe begleitet. Das ist mir unerklärlich. Ich könnte verstehen, wenn Schopenhauer beschlossen hätte, mitzumachen, um seinen Spaß mit diesen Gesellschaften der Wissenschaften zu haben – Spaß daran gehabt hätte, in Trondheim gekrönt zu werden, nicht weniger daran, in Kopenhagen nicht gekrönt zu werden. Ach, aber doch nicht so, wie S. die Sache nimmt. So verhält es sich doch, und das ist traurig. S. verhält sich unmittelbar zur Anerkennung, das hat er gewünscht, danach hat er gestrebt – schnöde ist er behandelt worden, welches ihn nicht gebrochen hat, nein, es hat ihn zu einem sehr bedeutenden Schriftst. entwickelt. Aber ein ethischer, oder

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religiöser Charakter zu sein – das ist für ihn gar nicht da. Mit dem ethischen und religiösen Charakter verhält es sich nämlich anders. Es beginnt damit, dass die Anerkennung ihm nach dem höchst möglichen Maßstab geboten wird – aber er will sie nicht haben; und hier kommt dann die Kollision. Das zeigt allem voran „das Vorbild“, das einzige, der Erlöser der Welt. Er beginnt damit, dass sie ihn zum König machen wollen; aber das will er nicht, er will – gekreuzigt werden. Und doch muss er auch das erste haben, gerade um entscheidend das Religiöse aufzeigen zu können, und um die Mitwelt entscheidend in Richtung des Religiösen verwunden zu können. Hat er das Erste nicht in seiner Gewalt gehabt, so bleibt es doch immer zweifelhaft, ob er nicht doch ein Msch war, der doch am liebsten König gewesen wäre, vielleicht sogar einer, der in seinem Streben danach unglücklich genug war, um nicht König zu werden, sondern stattdessen gekreuzigt. Im Verhältnis zum ethischen oder religiösen Charakter ist der Vordergrund von ungeheurer Wichtigkeit. Aber das versteht sich, deshalb wirst Du auch, wenn Du die Geschichte durchgehst, so äußerst selten einen ethischen oder religiösen Charakter finden. Eins ist doch unbestreitbar: ein weltliches Streben, das einem übel gerät – etwas anderes, den weltlichen Triumph, der angeboten wird, zurückzuweisen, und dann geopfert zu werden. Nur das letzte heißt: geopfert werden. Von S. kann deshalb gewiss gesagt werden, er sei auf eine schändliche Weise ein Opfer dieser ganzen Professoren-Niederträchtigkeit, aber ethisch, religiös ist S. kein Opfer – denn er würde mehr als gerne proklamiert werden. Wie gesagt, der Vordergrund ist so ungeheuer wichtig, ist das Entscheidende für die Bestimmung eines ethischen, religiösen Charakters. Es geht darum, dass es deutlich wird, dass das Leiden das freiwillig Gewählte ist. Dies ist das wahre erhaben Tragische. Aber in Handel und Wandel hilft man sich mit diesem Tragischen: dass er etwas weltlich Großes will – und unglücklich davonkommt. Es ist hier mit dem Tragischen wie mit dem Komischen. Das rein Komische, das erhaben Komische oder das geläutert Komische ist immer derart, dass man nicht über etwas lacht, was im Grunde in anderem Sinne das Jämmerliche ist. Oh, aber in Handel und Wandel, und die meisten komischen Dichter helfen sich damit – über das Jämmerliche zu lachen. Und sie spekulieren richtig, indem sie nach

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Anhang. Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854

Verbreitung streben; denn nur allzu allgemein ist diese Verderbtheit, die Missgunst, die Schadenfreude u. dergl., die über das Jämmerliche lacht. NB29:114 #

Arthur Schopenhauer.

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Wie man bei Epidemien etwas in den Mund nimmt, um wenn möglich zu verhindern, dass man durch das Einatmen der verpesteten Luft infiziert wird: so könnte man den theologischen Studenten, die hier in Dänemark in diesem unsinnigen (christlichen) Optimismus leben müssen, empfehlen, jeden Tag eine kleine Dosis von Ss Ethik einzunehmen, um sich davor zu schützen, mit diesem Gefasel infiziert zu werden. Mit mir ist das etwas anderes, ich bin auf andere Weise gesichert. Aber so wie der natürliche Eudaimonismus das Xstt. für Gift halten muss, und Xst sein zu wollen ähnlich dem Einnehmen von Gift, so muss das Xstt. diesen eudaimonistischen protestantischen, besonders den dänischen Epikureismus für Gift halten; und deshalb wäre es ja zweckmäßig, ein Gegengift einzunehmen, um, wenn möglich, der Infizierung widerstehen zu können.

NB30 (28.6.–15.8.1854) 20

NB30:9 # Ein schçnes Bild, von Schopenhauer.

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Am Ende des 1. Buchs von: die Welt als Wille und Vorstellung sagt er, dass das Verhältnis von Kontemplation und Handlung dem Schauspieler gleicht,[a] der, wenn er seine Szene gespielt hat, hinunter ins Theater geht[,] ruhig zwischen den Zuschauern sitzt und die folgenden Szenen betrachtet, selbst wenn diese seinem Tod im letzten Akt Vorschub leisten. [a]

oder, wie er es selbst ausdrückt, dass der Msch neben seinem Leben in concreto beständig ein zweites Leben in abstracto führt. (1. Buch § 16).

2. Kierkegaards Aufzeichnungen zu Schopenhauer

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NB30:10 # Der Selbstmord bei den Stoikern.

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Darüber sagt Schopenhauer (die Welt als Wille und Vorstellung 1. B. §. 16) dass sie in ihre erhabene Moral eine Empfehlung des Selbstmords hineinmischen „wie sich unter dem pra¨chtigen Schmuck und Gera¨th orientalischer Despoten auch ein kostbares Fla¨schen mit Gift findet.

NB30:11 #

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Griechisch.

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Es haben ja vor Hegel Philosophen gelebt, die sich vorgenommen haben, das Dasein, die Geschichte zu erklären. Und in Bezug auf einen jeden solchen Versuch ist es wohl so, dass die Lenkung eigtl. darüber lächeln muss. Aber gerade über sie gelacht hat sie doch vielleicht nicht, denn es war ja doch ein mschlicher[,] redlicher Ernst. Aber Hegel – oh, lass mich griechisch denken! –: was haben die Götter gelacht! Ein solcher widerlicher Professor, der die Notwendigkeit von allem ganz durchschaut, und das Ganze auf [die] Leier gebracht hat: Ihr Götter! Es hat mich unsagbar vergnügt, Schopenhauer zu lesen. Es ist vollkommen wahr, was er sagt, und wiederum, was ich den Deutschen gönne, so grob wie nur ein Deutscher sein kann. NB30:12

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# Schopenhauer und das Xstt. S. schätzt das Xstt. gering, macht es lächerlich verglichen mit der Weisheit Indiens.

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Anhang. Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854

Das bleibt nun seine Sache. Ich betrachte S. als einen sehr bedeutenden Schrifst., der gerade auch für das Xstt. seine Bedeutung haben wird. In seiner indischen Schwermut: Leben ist Leiden liegt doch etwas Unwahres. Hingegen kann es sehr gut sein, wenn die Mitwelt eine solche Belehrung seitens der Melancholie erhält, um dann auf das Christliche aufmerksam zu werden, welches Joh. Climacus durch den Satz ausdrückt: das Christsein ist Leiden, was ja auch die Lehre des neuen Testaments ist. Ich habe nichts dagegen, dass S. mit großer Kraft gegen diesen „niederträchtigen Optimismus“ wütet, durch den besonders der Protestantismus sich auszeichnet, ich bin sehr froh darüber, dass er zeigt, dass das durchaus nicht das Xstt. ist: aber gegen den Satz, dass das Dasein Leiden ist, protestiere ich, denn dadurch geht das Xstt. verloren, [und zwar] auf eine Weise, an die S. vielleicht nicht denkt. Das Xstt. nämlich verkündet, dass es selbst Leiden ist, dass das Christsein das Leiden ist; aber wenn nun das Dasein überhaupt, das Mschsein, wenn das Leiden ist, dann ist ja das Xstt. seines Dialektischen beraubt, seines Vordergrundes, dessen beraubt, wodurch es sich negativ kenntlich macht, dann wird das Xstt. ein Pleonasmus, eine überflüssige Bemerkung, Galimathias, denn wenn das Mschsein das Leiden ist, dann ist es ja lächerlich, dass eine Lehre auftritt, die die Bestimmung geben will: das Xstsein ist Leiden. Nein[,] das Christent. sagt nicht, dass das Dasein Leiden ist. Im Gegenteil[,] deshalb bringt es sich gerade an dem jüdischen Optimismus zur Geltung, verwendet als Vordergrund die potenzierteste Lebenslust, die sich jemals an das Leben geklammert hat – um dann das Xstt. als Entsagung anzubringen, und um dann das Xstsein als das Leiden auszuweisen, worin auch enthalten ist, für die Lehre leiden zu müssen. Es liegt in dem Schopenhauerschen auch noch eine andere Schwierigkeit, die leicht eine Art Selbstwiderspruch sein könnte. Lass mich ein anderes Verhältnis nehmen. Verleumdung, üble Nachrede, niederträchtiger Angriff usw. wissen doch um die kluge Vorsicht, dass man ja einen Mann nicht sofort zu einer reinen Null macht und dann fortfährt, ihn jahraus und jahrein nach dem größtmöglichen Maßstab anzugreifen, dass hierin nämlich ein Selbstwiderspruch liegt, denn ist er eine Null, dann ist es ja lächerlich, diese enormen Maßnahmen [angewandt] zu sehen, um eine Null zu vernichten. Aber ebenso auch mit S.s ganzer Askese. Die christliche Askese ruht in dem Gedanken, dass das Dasein nicht ohne weiteres Leiden ist[a] – dann ist Sinn in der Askese. Ist aber das [a]

Die Askese beabsichtigt ja nach seiner Meinung, (durch die Mortifikation des Willens zum Leben) zu erreichen, dass es, obgleich man existiert, so ist, als

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Dasein das Leiden, dann wird die Askese leicht ein Eudaimonismus, was S. selbst gegen die Stoiker geltend macht. Nimm ein anderes Verhältnis. Das Xstt. ist nicht der Meinung, dass nicht Reichtum in einem gewissen Sinne ein Gut genannt werden kann, eben deshalb sagt es: gib alles den Armen. Wenn aber einer sagen würde: Reichtum ist ein Übel, beweise nun Deine Askese, indem Du Deinen Reichtum weggibst: dann liegt hierin ein Selbstwiderspruch, denn wenn es so ist, dann ist es nicht Askese, seinen Reichtum wegzugeben. Auf so vielen Gebieten, überall, wo es etwas Dialektisches gibt, gibt es einen Eifer, der so eifrig darum bemüht ist, das zweite einzuschärfen, dass er in seinem Eifer das erste wegnimmt und dadurch im Grunde das zweite unmöglich macht. # NB30:13 #

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„Windbeutel“

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Das ist ein ausgezeichnetes Wort; ich kann die Deutschen darum beneiden; besonders ist es auch deshalb vorzüglich, weil es als Adjektiv und Verbum verwendet werden kann. A. Schopenhauer macht einen vortrefflichen Gebrauch davon, ja ich müsste sagen, in welcher Verlegenheit wäre nicht S., wenn er das Wort nicht hätte, er, der über die Hegelsche Philosophie und die ganze Professoren-Philosophie sprechen soll. Sieh, deshalb haben die Deutschen das Wort, für welches dann fortwährend in Deutschland Verwendung sein muss. existierte man nicht, bis zu dem Grad ist der Asket für alles gestorben; aber wenn das Dasein das Leiden ist, dann ist ja offenbar das Dasein in der Art, als existierte man nicht, dass man kaum weiß, ob man existiert oder nicht, das ist dann offenbar Eudaimonismus – natürlich in aller Bescheidenheit, d. h., es ist der höchste Eudaimonismus, wenn man mit S. annimmt, dass das Dasein Leiden ist. Wenn Dasein Leiden ist, kann der Eudaimonismus selbstverständlich nicht in der Richtung von Dasein gesucht werdena, er muss in der Richtung von: NichtDasein gesucht werdenb, und der höchste Eudaimonismus ist die größtmögliche Annäherung daran, nicht zu sein. a

oder in Richtung von Potenzierung des „Daseins“

b

oder in Richtung von Depotenzierung des „Daseins“

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Wir Dänen haben dieses Wort nicht; aber das, was es bezeichnet, ist auch nicht charakteristisch für uns Dänen. Es liegt wirklich nicht im Charakter der dänischen Nation, Windbeutel zu sein. Hingegen haben wir Dänen einen anderen Fehler, ach, einen entsprechenden Fehler; und für den hat auch die dänische Sprache ein Wort, ein Wort, das die deutsche Sprache vielleicht nicht hat, das Wort: Windschlucker. Das sagt man am ehesten von Pferden, kann aber in den gewöhnl. Gebrauch aufgenommen werden. So ist auch ungefähr das Verhältnis: ein Deutscher, um Wind zu machen – und ein Däne, um ihn zu schlucken: so haben sich Deutsch und Dänisch schon seit langem zueinander verhalten. Es vergnügt mich unsagbar, dies mit Schopenhauer und Hegel, item was nun Deutschland bevorsteht, zum Resultat der hegelschen Philosophie zu kommen, dass Hegel – vermutlich mit Notwendigkeit – ein Windbeutel war, ein Produkt, das – mit Notwendigkeit – aus den 6000 Jahren Weltgeschichte hervorgegangen ist, oder doch aus dem Abschnitt, den S. so richtig als das Zeitalter der Lügen-Philosophie bezeichnet. Hat aber S. mit dem Windbeutel zu tun gehabt, so habe ich mit den Windschluckern zu tun gehabt. #

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NB30:22 # Das Christsein im neuen T. – Unruhe – Martyrium – Luther.

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[…] Ich habe häufiger bemerkt, dass L. das Xstt. verändert hat. Wie ich nun sehe, behauptet Schopenhauer, L. habe das Xstt. verändert, indem er die Jungfräulichkeit verändert habe. Diese Meinung habe ich auch insofern gehabt, als ich gemeint habe, L. hätte genau darauf achten müssen, dass kenntlich gemacht würde, dass seine Ehe eine Ausnahme war, ein Korrektiv. […]

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NB30:41 # Stilistisch

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Wie kindisch es auch ist, mit so etwas zu tändeln – ach, wie wahr, was Sokrates sagte: ich meine, dass ich nun, da ich 70 Jahre alt geworden bin, nicht mehr wie ein Junge den Stil putzen muss – und obgleich es mir doch nun auch höchst selten einfällt: kann sie plötzlich erwachen, wehmütig, meine alte Lust, mich an der Sprachform zu erfreuen. Ich meine nämlich, als Prosaiker dazu im Stande zu sein, Wirkungen bloß durch die Sprachform hervorzubringen, die der Dichter nicht schöner und wahrer erzielen kann. Lass mich als Beispiel[a] (und es ist eben dieses Beispiel, das sich mir heute aufgenötigt und so hübsch für sich gesprochen hat, dass es mich wirklich dazu gebracht hat, um einer solchen Kinderei willen den Stift in die Hand zu nehmen); lass mich einen an und für sich selbst recht prägnanten Gedanken nehmen: Alles täuscht, die Hoffnung oder – das Gehoffte. Schon hier ist nun Form, denn der Gedankenstrich ist Form. Aber vielleicht ist der Gedanke zu kurz ausgedrückt. Deshalb lässt sich der Gedanke auch so ausdrücken, dass es ein etwas längerer Satz wird,[b] und dann eine Sprachschlinge: Alles täuscht: Die Hoffnung, das Gehoffte kommt nicht, oder das Gehoffte kommt – und täuscht. […]

[a] [b]

Der Satz selbst: Die Hoffnung täuscht, oder das Gehoffte ist von Schopenhauer. Der Satz nämlich, dass die Hoffnung täuscht, ist eine ganz allgem. Bemerkung, was akzentuiert werden soll, ist der zweite Satz. Wenn ich mir deshalb jemand dächte, der dies leidenschaftlich erlebt hätte, dass das Gehoffte täuscht, würde eben diese Sprachform seiner Leidenschaft zusagen oder sie befriedigen. Er wird, wenn er den ersten Teil hört (die Hoffnung täuscht), ungeduldig werden und sich denken, sollen wir nun den Unsinn schon wieder hören; aber dann wird eben die Form des zweiten Satzes ihn ganz zufrieden stellen.

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NB32 (11.10.–8.11.1854) NB32:35 #

Arthur Schopenhauer. 5

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Dass er ein bedeutender Schriftsteller ist, sehr bedeutend, das ist unbestreitbar; dass sein ganzes Dasein und dessen Geschichte eine tiefe Wunde ist, die der Professoren-Philosophie beigebracht wird, wird mit Freude und Dankbarkeit eingeräumt. Aber doch ist er meiner Meinung nach ein bedenkliches Zeichen. Denn streng genommen ist er nicht, was er selbst meint zu sein, und was unbestreitbar äußerst glücksbringend wäre, wenn er es wäre: er ist weder wirklich Pessimist, noch ganz davon frei, selbst ein Sophist zu sein. Er ist nicht wirklich Pessimist. Gewiss[,] ein echter Pessimist dem ganzen Charakter nach wäre das, was unsere weichliche und charakterlose Zeit nötig hätte. Aber sieh näher hin. S. ist kein Msch., der es in seiner Macht gehabt hätte, sein Glück zu machen, Anerkennung zu erlangen – und es dann verworfen hätte. Nein, er ist vielleicht gegen seinen Willen gezwungen worden, das Zeitliche und Weltliche in Richtung auf Anerkennung fahren zu lassen. Aber dann ist die Wahl des Pessimismus leicht eine Art Optimismus – das zeitlich klügste, was man tun kann. – Er übernimmt es dann, der Askese usw. [einen] Platz im System anzuweisen. Hier zeigt es sich nun, dass er ein bedenkliches Zeichen der Zeit ist. Nicht ohne große Selbstzufriedenheit sagt er, dass er der erste ist, der der Askese [einen] Platz im System angewiesen hat. Ach, dies ist durchaus Professoren-Rede, ich bin der erste, der ihr [einen] Platz im System angewiesen hat. Und nun weiter, dass die Askese jetzt ihren Platz im System findet, ist das nicht ein indirektes Zeichen dafür, dass ihre Zeit vorbei ist. Es gab eine Zeit, in der war man Asket dem Charakter nach. Dann kam eine Zeit, in der man die ganze Sache mit der Askese der Vergessenheit übergab. Nun prahlt einer damit: der erste zu sein, der ihr [einen] Platz im System anweist. Aber eben das, sich mit der Askese auf die Weise zu beschäftigen, zeigt ja, dass sie nicht in einem wahreren Sinne für ihn da ist, ungefähr so wie das Judentum nicht mehr Religion für die vielen ist, die in unserer Zeit das altorthodoxe jüdische Hausleben ästhetisch in Novellen darstellen. – So weit ist S. eigtl. davon entfernt, Pessimist zu sein, dass er ho¨chstens: das Interessante repräsentiert, er macht auf eine Art die Askese

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interessant – das Allergefährlichste für eine genusssüchtige Mitwelt, die im Besonderen Schaden davon haben wird, sogar aus – der Askese Genuss herauszudestillieren, nämlich daraus, die Askese charakterlos zu betrachten, ihr [einen] Platz im System anzuweisen. Auch ist S. nicht ganz frei davon, ein Sophist zu sein. Mit aller wünschenswerten Grobheit schlägt er auf die Gewerbetreibenden, die Professoren und die lukrative Professorenphilosophie los. Sehr gut. Aber was ist nun S.s Unterschied vom „Professor“? Zu guter Letzt doch nur der, dass S. Vermögen hat. Aber frage einmal Sokrates, was er unter einem Sophisten versteht, und Du wirst sehen, er antwortet, es sei gewiss entscheidend dafür, einen Mann zum Sophisten zu stempeln, wenn er Profit aus der Philosophie ziehe, aber daraus folge nicht, dass es ausreiche, keinen Profit daraus zu ziehen, um zu entscheiden, dass man nicht Sophist sei. Nein, das Sophistische liegt in: dem Abstand zwischen dem, was man versteht und dem, was man ist, derjenige, der nicht in seinem Charakter seinem Verstehen entspricht, der ist Sophist. Aber dies ist der Fall bei Schopenhauer. Gewiss, er sagt es selbst, und das ist insoweit lobenswert, aber das reicht nicht aus. Und obwohl er das selbst sagt, scheint es doch wie vergessen, wenn er auf die Professoren-Philosophie losschlägt, obwohl er sich auch in diesem Verhältnis daran erinnern müsste, wenn er sich denn an das Zugeständnis über sich selbst, das er an anderer Stelle macht, halten wollte. # NB32:92

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# Das Gewissen der Welt.

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In Platons Staat (3. Buch) wird ein Wort von Phokylides angeführt: wenn man so weit gekommen ist, dass man genug zum Leben hat, sollte man die Tugend üben (dei fgteim biotgm, aqetgm d’ otam 0 bior gdg cfr. Heise in den Anmerkungen). Hierdurch werde ich wieder an ein Wort erinnert, das ich bei Schopenhauer gelesen habe, dass ein Engländer gesagt haben soll: sich ein Gewissen zu halten sei eine derart kostspielige Lebensweise, dass seine Umstände ihm das nicht erlaubten –

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– und die Engländer sind ja das anerkannte praktische Volk, ein Urteil eines Engländers darf wohl als entscheidend dafür angesehen werden, was praktische Menschen unter – Gewissen verstehen. […] 5

NB32:103 # Das Recht des Stärkeren gilt, heißt nun: das Recht des Klügeren gilt. (A. Schopenhauer).

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Dies ist sehr gut gesagt von S., und ich bin davon überzeugt, dass mehr darin liegt als er denkt. Genau das habe ich so oft hervorgehoben, dass das Xstt. gegen eine ganz andere Seite des Lebens zu kämpfen hat als früher, und dass die Verwirrung angerichtet wird, weil man noch in die alte Richtung predigt. Was früher wilde Sinnlichkeit, item Gewalt und Gewalttätigkeit usw. war – wogegen das Xstt. raste: dasselbe ist jetzt die Klugheit geworden. Damit das Xstt. wiederkommen kann oder dadurch, dass es wiederkommt, wird man lernen, die Klugheit zu verabscheuen, genauso wie man der Mschheit beigebracht hat, Gewalt zu verabscheuen. (In einem der älteren Manuskripte habe ich auch dies über die Klugheit als das spezifische Übel ausgeführt). NB32:137 # „Die Meinungs-Verleiher[:] die Journalisten.“ (A. Schopenhauer).

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Dieser Ausdruck von S. ist wirklich wertvoll,[a] und er selbst hat auch seinen Wert verstanden. Er zeigt, dass während die meisten sich schämen [a]

Anm. In einer Hinsicht ist es mir beinahe unbehaglich, dass ich dazu gekommen bin, S. zu lesen. Ich habe eine so unbeschreiblich skrupulöse Angst davor, Ausdrücke u. dergl. eines anderen zu benutzen, ohne das kenntlich zu machen. Aber seine Ausdrücke sind bisweilen meinen Ausdrücken so verwandt, dass ich vielleicht zum Schluss aus übertriebener Ängstlichkeit ihm zuschreibe, was doch meines ist.

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würden, in äußeren Verhältnissen mit einem Hut, Frack u. dergl. zu gehen, den ein anderer abgelegt hat: so ist dies keineswegs in Geistesverhältnissen der Fall. Hier gehen so gut wie alle in abgelegten Kleidern. Die Menge der Menschen hat natürlich keine Meinung, aber – nun kommt es! – dem Mangel helfen die Journalisten ab, die davon leben, Meinungen zu verleihen. Natürlich ist, wie er richtig hinzufügt, das, was sie bekommen, danach – von derselben Bonität wie die Kostüme häufig sind, die Masken-Verleiher verleihen. Die Sache ist im Übrigen ganz natürlich. Nachdem ständig immer mehr aus der Unschuld herausgerissen werden, dass sie durchaus nicht dazu verpflichtet sind, eine Meinung zu haben, und in die „Schuldigkeit“ hinein (es ist die Schuldigkeit eines jeden Mschen, sagt der Journalist), eine Meinung haben zu sollen: was sollen dann die armen Mschen tun! Eine Meinung wird zum notwendigen Artikel für das ganze große Publikum – und dann bietet der Journalist seinen Beistand an – Meinungen zu verleihen. Er wirkt auf eine doppelte Weise, erst schärft er mit aller Macht ein, dass es für jeden Mschen nötig ist, eine Meinung zu haben – und dann, dann bietet er sein Assortiment an. Der Journalist macht die Mschen auf doppelte Weise lächerlich. Zuerst, indem er ihnen einbildet, es sei notwendig, eine Meinung zu haben – und dies ist vielleicht die lächerlichste Seite der Sache, so ein unglücklicher harmloser Bürgersmann, der es so gut haben könnte, und dem dann der Journalist einbildet, es sei notwendig, eine Meinung zu haben. Und danach, indem er ihm dann eine Meinung leiht, die trotz ihrer luftigen Bonität doch angelegt und getragen wird als – ein notwendiger Artikel.

NB35 (3.–12.12.1854) NB35:14 # Die Fortpflanzung des Geschlechts 30

[…] Ja[,] hier [in der Frage nach der Fortpflanzung des Geschlechts] liegt die Lüge im Hauptquartier. Deshalb muss dann das Kind mit all diesem vollgestopft werden, dass es eine liebenswürdige Welt ist, dass das Leben dazu bestimmt ist, sich zu freuen, zu genießen usw. usw., welches an-

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zunehmen ja gewiss in der natürlichen Disposition des Kindes liegt (weshalb Schopenhauer recht hat, wenn er sagt, dass jedem Mschen ein Irrtum angeboren ist, die Einbildung, dass die Bestimmung dieses Lebens darin liegt, glücklich zu sein), was aber doch auch damit zusammenhängt, dass die Eltern ja, wenn sie erklären würden, es sei eine schlechte Welt, die Bestimmung des Lebens sei zu leiden, item die Entstehung des Kindes verdanke sich der Befriedigung einer Lust usw., dass die Eltern doch in Verlegenheit geraten würden, wenn es dem Kind einfiele zu fragen, warum bin ich denn entstanden. […]

3. Kommentar NB29 (5.5.–27.6.1854) NB29:26 335,7 Ein Vers von Goethe … bei Schopenhauer zitiert sehe … „Und wenn der Mensch … wie ich leide“] Zitat aus Kap. 44 „Metaphysik der Geschlechtsliebe“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 531 – 564, hier S. 559 (W II, 607 – 643, hier 638). SK lässt das Komma nach „Gott“ aus. – Das Zitat entstammt Goethes Torquato Tasso, 5. Akt, 5. Szene, vgl. Goethe’s Werke. Vollstndige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1 – 60, Stuttgart / Tübingen 1827 – 1842 (Ktl. 1641 – 1668, Bd. 1 – 55, 1827 – 1833), hier Bd. 9, 1827, S. 244. NB29:29 335,17 Heraklit: ty oum biy omola lem bior … hamator … die Welt als Wille und Vorstellung 2. Band S. 584] Zitat aus Kap. 46 „Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 584 (W II, 673). SK schreibt „ty“ für „t\“ und „biy“ für „bi\“. – ty oum biy omola lem bior, eqcom de hamator : gr., nach DielsKranz lautet das Fragment folgendermaßen: t_i owm t|nyi emola b_or, 5qcom d³ h\mator, „Des Bogens Name also ist Leben, sein Werk aber Tod“ (Die Fragmente der Vorsokratiker, griech. u. dt. v. Hermann Diels, hrsg. v. Walther Kranz, Bd. 1 – 3, Berlin-Charlottenburg 81956, hier Bd. 1, S. 161 (Heraklit 22 B 48)). NB29:62 336,3 Docendo discimus] lat., ,lehrend lernen wir‘. Diese häufig gebrauchte Wendung, deren Urheber unbekannt ist, verweist auf den folgenden Passus aus Seneca Ad Lucilium epistulae, 7, 8: „homines dum docent, discunt“ (,die Menschen lernen, während sie lehren‘). Vgl. L. Annaei Senecae philosophi opera omnia, Editio Stereotypa, Bd. 1 – 5, Leipzig 1832, Ktl. 1275 – 1279, hier Bd. 3, S. 13. 336,4 sagt Schopenhauer, dass dies doch nicht unbedingt wahr ist … daran gehindert werden, selbst etwas zu lernen] bezieht sich auf die folgende Passage aus § 6 „Vom Fundament der Kantischen Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 141 (E, 140): „Man muß bedenken, daß vielen Gelehrten das unablässige Lehren vom Katheder und in Schriften zum gründlichen Lernen nur wenig Zeit läßt. Das docendo disco ist nicht unbedingt wahr“. NB29:63 336,11 Schopenhauer eifert dagegen, die Moral so zu behandeln, wie Kant … dieses ideale Du sollst … ohne Rcksicht darauf, ob jemand es

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tut] verweist auf § 4 „Von der imperativen Form der Kantischen Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 119 – 126, bes. S. 119f. (E, 120 – 126, bes. 120f.), wo Schopenhauer das folgende Zitat von Kant anführt: „,In einer praktischen Philosophie ist es nicht darum zu thun, Gründe anzugeben von dem was geschieht, sondern Gesetze von dem was geschehen soll, ob es gleich niemals geschieht‘“, und hiergegen einwendet: „Wer sagt euch, daß es Gesetze giebt, denen unser Handeln sich unterwerfen soll? Wer sagt euch, daß geschehen soll, was nie geschieht? – Was berechtigt euch dies vorweg anzunehmen und demnächst eine Ethik in legislatorisch-imperativer Form, als die allein mögliche, uns sofort aufzudringen? Ich sage, im Gegensatz zu Kant, daß der Ethiker, wie der Philosoph überhaupt, sich begnügen muß mit der Erklärung und Deutung des Gegebenen, also des wirklich Seienden oder Geschehenden, um zu einem Verstndniß desselben zu gelangen, und daß er hieran vollauf zu thun hat, viel mehr als bis heute, nach abgelaufenen Jahrtausenden, gethan ist.“ Kurz darauf verweist Schopenhauer auf Kants Auffassung, „daß ein moralisches Gesetz ,absolute Nothwendigkeit‘ bei sich führen soll“, und nennt als Beispiel Kants für ein moralisches Gesetz „,du sollt [sic] nicht lügen‘“. Vgl. auch S. 124 – 126 (E, 124 – 126), wo Schopenhauer Kants ,Begriff der Pflicht‘ diskutiert; vgl. schließlich S. 125f. (E, 126), wo es heißt: „Allerdings war schon vor Kant die Fassung der Moral in der imperativen Form und als Pflichtenlehre auch in der Philosophie in häufigem Gebrauch: nur gründete man dann auch die Moral selbst auf den Willen eines schon anderweitig bewiesenen Gottes, und blieb konsequent. Sobald man aber, wie Kant, eine hievon unabhängige Begründung unternahm, und die Ethik ohne metaphysische Voraussetzungen feststellen wollte, war man auch nicht mehr berechtigt jene imperative Form, jenes ,du sollst‘ und ,es ist deine Pflicht‘ ohne anderweitige Ableitung zum Grunde zu legen.“ Vgl. auch § 6 „Vom Fundament der Kantischen Ethik“, S. 129 – 156, hier S. 134 – 139 (E, 129 – 154, hier 133 – 138). 336,14 sagt S., die Moral hat … an das wirkliche Leben zu halten … einwenden … Wissenschaft  la Astrologie … was es nicht gibt] bezieht sich zunächst auf § 13 „Skeptische Ansicht“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 189 – 199, bes. S. 198 (E, 186 – 195, bes. 195), wo Schopenhauer schreibt: „Man wird mir vielleicht entgegensetzen wollen, daß die Ethik es nicht damit zu thun habe, wie die Menschen wirklich handeln, sondern die Wissenschaft sei, welche angiebt, wie sie handeln sollen. Das ist aber gerade der Grundsatz, den ich leugne, nachdem ich im kritischen Theile dieser Abhandlung genugsam dargethan habe, daß der Begriff des Sollens, die imperative Form der Ethik, allein in der theologischen Moral gilt, außerhalb derselben aber allen Sinn und Bedeutung verliert. Ich setze hingegen der Ethik den Zweck, die in moralischer Hinsicht höchst verschiedene Handlungsweise der Menschen zu deuten, zu erklären und auf ihren letzten Grund zurückzuführen. Daher bleibt zur Auffindung des Fundaments der Ethik kein anderer Weg als der empirische, nämlich zu untersuchen, ob es überhaupt Handlungen giebt, denen wir chten moralischen Werth zuerkennen müssen“. Bezieht sich sodann auf § 15 „Kriterium der Handlungen von moralischem Werth“, S. 206 – 208, bes. S. 206 (E, 203 – 205, bes. 203), wo Schopenhauer schreibt: „[I]ch glaube, daß sehr Wenige seyn werden, die es bezweifeln und nicht aus eigener Erfahrung die

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Ueberzeugung haben, daß man oft gerecht handelt, einzig und allein damit dem Andern kein Unrecht geschehe, ja, daß es Leute giebt, denen gleichsam der Grundsatz, dem Andern sein Recht widerfahren zu lassen, angeboren ist, die daher Niemanden absichtlich zu nahe treten, die ihren Vortheil nicht unbedingt suchen, sondern dabei auch die Rechte Anderer berücksichtigen, die, bei gegenseitig übernommenen Verpflichtungen, nicht bloß darüber wachen, daß der Andere das Seinige leiste, sondern auch darüber, daß er das Seinige empfange, indem sie aufrichtig nicht wollen, daß wer mit ihnen handelt, zu kurz komme. Dies sind die wahrhaft ehrlichen Leute, die wenigen Aequi unter der Unzahl der Iniqui. Aber solche Leute giebt es.“ Weiter heißt es S. 207 (E, 204): „Sollte aber dennoch Jemand darauf bestehn, mir das Vorkommen aller solcher Handlungen abzuleugnen; dann würde, ihm zufolge, die Moral eine Wissenschaft ohne reales Objekt seyn, gleich der Astrologie und Alchimie, und es wäre verlorene Zeit, über ihre Grundlage noch ferner zu disputiren. Mit ihm wäre ich daher zu Ende und rede zu denen, welche die Realität der Sache einräumen.“ NB29:91 336,25 was Schopenhauer ungefhr folgendermaßen sagt … sind die Kaufleute … einzugestehen – dass sie betrgen] verweist auf Kap. VIII „Zur Ethik“, § 114 von Parerga und Paralipomena, Bd. 2, S. 176 – 184, bes. S. 178 (P II, 223 – 233, bes. 224f.), wo Schopenhauer – nachdem er die gesamte zivilisierte Welt als große Maskerade bestimmt hat – schreibt: „Meistens stecken, wie gesagt, lauter Industrielle, Handelsleute und Spekulanten unter diesen sämmtlichen Masken. In dieser Hinsicht machen den einzigen ehrlichen Stand die Kaufleute aus; da sie allein sich für Das geben, was sie sind: sie gehn also unmaskirt herum; stehn daher auch niedrig im Rang. […] Also werde schon der Jüngling belehrt, daß auf dieser Maskerade die Aepfel von Wachs, die Blumen von Seide, die Fische von Pappe sind, und Alles, Alles Tand und Spaaß; und daß von jenen Zweien, die er dort so ernstlich mit einander handeln sieht, der Eine lauter falsche Waare giebt und der Andre sie mit Rechenpfennigen bezahlt.“ – Dies ist die einzige Stelle aus Schopenhauers Werk, die in eine von SK publizierte Schrift Eingang gefunden hat; vgl. den Zeitungsartikel „Ein Resultat“ vom 10.05.1855 (A, 66 / SKS 14, 201f.), wo es heißt: „Ein deutscher Schriftsteller hat gesagt, dass die ehrlichste Klasse der Gesellschaft die Kaufleute sind, denn sie sagen geradeheraus, dass es um Profit geht“. NB29:92 337,5 etliche meiner Pseudonyme es dargestellt haben] SK denkt wohl an die Reden Victor Eremitas und des Verführers aus „In vino veritas“ in Stadien auf des Lebens Weg (1845), vgl. SLW, 58 – 68, bes. 60f. / SKS 6, 57 – 66, bes. 60f., und SLW, 75 – 84, bes. 79 / SKS 6, 71 – 79, bes. 74f. Vgl. auch Nicolaus Notabenes „Vorwort“ zu den Vorworten (1844), V, 173 – 184 / SKS 4, 467 – 476. 337,6 Schopenhauer auf seine Weise wtet] verweist vermutlich auf Kap. XXVII „Ueber die Weiber“, §§ 362 – 371 von Parerga und Paralipomena, Bd. 2, S. 495 – 502 (P II, 650 – 663).

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NB29:95 337,19 seine Ethik] bezieht sich wohl vornehmlich auf §§ 61 – 67 im vierten Buch „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 374 – 427, vgl. S. 427 Anm. (W I, 391 – 446, vgl. 446 Anm.): „Es ist wohl kaum nöthig zu erinnern, daß die ganze §§. 61 – 67 im Umriß aufgestellte Ethik ihre ausführlichere und vollendetere Darstellung erhalten hat in meiner Preisschrift über die Grundlage der Moral.“ 337,20 Seine ethische Ansicht … Kontemplation, ein Quietismus] Resumée aus § 68 des vierten Buchs „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 427 – 449, vgl. bes. S. 427 – 429 (W I, 446 – 471, vgl. bes. 447f.), wo es heißt: „Ist nun aber dieses Durchschauen des principii individuationis, diese unmittelbare Erkenntniß der Identität des Willens in allen seinen Erscheinungen, in hohem Grade der Deutlichkeit vorhanden; so wird sie sofort einen noch weiter gehenden Einfluß auf den Willen zeigen. Wenn nämlich vor den Augen eines Menschen jener Schleier der Maja, das principium individuationis, so sehr gelüftet ist, daß derselbe nicht mehr den egoistischen Unterschied zwischen seiner Person und der fremden macht, sondern an den Leiden der andern Individuen so viel Antheil nimmt, wie an seinen eigenen, und dadurch nicht nur im höchsten Grade hülfreich ist, sondern sogar bereit, sein eigenes Individuum zu opfern, sobald mehrere fremde dadurch zu retten sind; dann folgt von selbst, daß ein solcher Mensch, der in allen Wesen sich, sein innerstes und wahres Selbst erkennt, auch die endlosen Leiden alles Lebenden als die seinen betrachten und so den Schmerz der ganzen Welt sich zueignen muß. Ihm ist kein Leiden mehr fremd. Alle Quaalen Andrer, die er sieht und so selten zu lindern vermag, alle Quaalen, von denen er mittelbar Kunde hat, ja die er nur als möglich erkennt, wirken auf seinen Geist, wie seine eigenen. Es ist nicht mehr das wechselnde Wohl und Wehe seiner Person, was er im Auge hat, wie dies bei dem noch im Egoismus befangenen Menschen der Fall ist; sondern, da er das principium individuationis durchschaut, liegt ihm alles gleich nahe. Er erkennt das Ganze, faßt das Wesen desselben auf, und findet es in einem steten Vergehn, nichtigem Streben, innerm Widerstreit und beständigem Leiden begriffen, sieht, wohin er auch blickt, die leidende Menschheit und die leidende Thierheit, und eine hinschwindende Welt. […] Wie sollte er nun, bei solcher Erkenntniß der Welt, eben dieses Leben durch stete Willensakte bejahen und eben dadurch sich ihm immer fester verknüpfen, es immer fester an sich drücken? Wenn also Der, welcher noch im principio individuationis, im Egoismus, befangen ist, nur einzelne Dinge und ihr Verhältniß zu seiner Person erkennt, und jene dann zu immer erneuerten Motiven seines Wollens werden; so wird hingegen jene beschriebene Erkenntniß des Ganzen, des Wesens der Dinge an sich, zum Quietiv alles und jedes Wollens. Der Wille wendet sich nunmehr vom Leben ab: ihm schaudert jetzt vor dessen Genüssen, in denen er die Bejahung desselben erkennt. Der Mensch gelangt zum Zustande der freiwilligen Entsagung, der Resignation, der wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit.“ Vgl. auch S. 429 (W I, 449): „Sein Wille wendet sich, bejaht nicht mehr sein eigenes, sich in der Erscheinung spiegelndes Wesen, sondern verneint es. Das Phänomen wodurch

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dieses sich kund giebt, ist der Uebergang von der Tugend zur Askesis.“ Vgl. auch S. 442f. (W I, 463f.): „Unter dem schon öfter von mir gebrauchten Ausdruck Askesis verstehe ich, im engern Sinne, diese vorstzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens. / Wenn wir nun diese von den schon zur Verneinung des Willens Gelangten ausüben sehn, um sich dabei zu erhalten; so ist auch das Leiden überhaupt, wie es vom Schicksal verhängt wird, ein zweiter Weg (deuteqor pkour) um zu jener Verneinung zu gelangen: ja, wir können annehmen, daß die Meisten nur auf diesem dahin kommen, und daß es das selbst empfundene, nicht das bloß erkannte Leiden ist, was am häufigsten die völlige Resignation herbeiführt, oft erst bei der Nähe des Todes. Denn nur bei Wenigen reicht die bloße Erkenntniß, welche das principium individuationis durchschauend, erstlich die vollkommenste Güte der Gesinnung und allgemeine Menschenliebe hervorbringt, und endlich alle Leiden der Welt sie als ihre eigenen erkennen läßt, hin, um die Verneinung des Willens herbeizuführen.“ Vgl. schließlich auch S. 448 (W I, 470): „Allem Bisherigen zufolge geht die Verneinung des Willens zum Leben, welche Dasjenige ist, was man gänzliche Resignation oder Heiligkeit nennt, immer aus dem Quietiv des Willens hervor, welches die Erkenntniß seines innern Widerstreits und seiner wesentlichen Nichtigkeit ist, die sich im Leiden alles Lebenden aussprechen. Der Unterschied, den wir als zwei Wege dargestellt haben, ist, ob das bloß und rein erkannte Leiden, durch freie Aneignung desselben, mittelst Durchschauung des principii individuationis, oder ob das unmittelbar selbst empfundene Leiden jene Erkenntniß hervorruft. Wahres Heil, Erlösung vom Leben und Leiden, ist ohne gänzliche Verneinung des Willens nicht zu denken.“ – Kontemplation: vgl. S. 436 (W I, 457), wo Schopenhauer die Askese der christlichen Heiligen und Mystiker beschreibt als „Absterben dem eigenen Willen und Wiedergeburt in Gott, gänzliches Vergessen der eigenen Person und Versenken in die Anschauung Gottes“. Vgl. auch S. 437f. (W I, 459), wo Schopenhauer schreibt, die vollkommene Askese der hinduistischen Ethik führe in „tiefe gänzliche Einsamkeit, zugebracht in stillschweigender Betrachtung, mit freiwilliger Buße und schrecklicher, langsamer Selbstpeinigung, zur gänzlichen Mortifikation des Willens“. – Quietismus: vgl. z. B. S. 447 (W I, 469): „Nur indem das Leiden die Form bloßer reiner Erkenntniß annimmt und sodann diese als Quietiv des Willens wahre Resignation herbeiführt, ist es der Weg zur Erlösung und dadurch ehrwürdig.“ Vgl. auch Bd. 2, S. 610 (W II, 704): „Quietismus, d. i. Aufgeben alles Wollens, Askesis, d. i. absichtliche Ertödtung des Eigenwillens, und Mysticismus, d. i. Bewußtseyn der Identität seines eigenen Wesens mit dem aller Dinge, oder dem Kern der Welt, stehn in genauester Verbindung; so daß wer sich zu einem derselben bekennt allmälig auch zur Annahme der andern, selbst gegen seinen Vorsatz, geleitet wird.“ – deuteqor pkour : gr., eigtl. de}teqor pkoOr, ,zweiter Weg‘, ,zweitbeste Fahrt‘. 337,25 dies tut das Individuum aus Sympathie … A. Ss Moralprinzip … da zu sein] vgl. den „paradoxe[n] Satz“, den Schopenhauer am Ende von § 66 im vierten Buch von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 423 (W I, 443), anführt: „alle Liebe (acapg, caritas) ist Mitleid“. Vgl. auch § 67, S. 424f. (W I, 443f.), wo es heißt: „Nunmehr aber habe ich, in Hinsicht auf das oben ausge-

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sprochene Paradoxon, daran zu erinnern, daß wir früher dem Leben im Ganzen das Leiden wesentlich und von ihm unzertrennlich gefunden haben, und daß wir einsahen, wie jeder Wunsch aus einem Bedürfniß, einem Mangel, einem Leiden hervorgeht, daß daher jede Befriedigung nur ein hinweggenommener Schmerz, kein gebrachtes positives Glück ist, daß die Freuden zwar dem Wunsche lügen, sie wären ein positives Gut, in Wahrheit aber nur negativer Natur sind und nur das Ende eines Uebels. Was daher auch Güte, Liebe und Edelmuth für Andere thun, ist immer nur Linderung ihrer Leiden, und folglich ist was sie bewegen kann zu guten Thaten und Werken der Liebe, immer nur die Erkenntniß des fremden Leidens, aus dem eigenen unmittelbar verständlich und diesem gleichgesetzt. Hieraus aber ergiebt sich, daß die reine Liebe (acapg, caritas) ihrer Natur nach Mitleid ist, das Leiden, welches sie lindert, mag nun ein großes oder ein kleines, wohin jeder unbefriedigte Wunsch gehört, seyn. Wir werden daher keinen Anstand nehmen, im geraden Widerspruch mit Kant, der alles wahrhaft Gute und alle Tugend allein für solche anerkennen will, wenn sie aus der abstrakten Reflexion und zwar dem Begriff der Pflicht und des kategorischen Imperativs hervorgegangen ist, und der gefühltes Mitleid für Schwäche, keineswegs für Tugend erklärt, – im geraden Widerspruch mit Kant zu sagen: der bloße Begriff ist für die ächte Tugend so unfruchtbar, wie für die ächte Kunst: alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht Mitleid ist, ist Selbstsucht.“ 338,29 eine Ethik vorzutragen, die nicht … dass er es selbst ausdrckt] vgl. z. B. die folgende Passage aus § 68 des vierten Buches von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 432 (W I, 452), wo Schopenhauer über den Unterschied zwischen der intuitiven und der abstrakten Erkenntnis schreibt: „Zwischen beiden ist eine weite Kluft, über welche, in Hinsicht auf die Erkenntniß des Wesens der Welt, allein die Philosophie führt. Intuitiv nämlich, oder in concreto, ist sich eigentlich jeder Mensch aller philosophischen Wahrheiten bewußt: sie aber in sein abstraktes Wissen, in die Reflexion zu bringen, ist das Geschäft des Philosophen, der weiter nichts soll, noch kann.“ Vgl. auch S. 433 (W I, 453), wo es heißt: „Es ist […] sowenig nöthig, daß der Heilige ein Philosoph, als daß der Philosoph ein Heiliger sei: so wie es nicht nöthig ist, daß ein vollkommen schöner Mensch ein großer Bildhauer, oder daß ein großer Bildhauer auch selbst ein schöner Mensch sei. Das ganze Wesen der Welt abstrakt, allgemein und deutlich in Begriffen zu wiederholen, und es so als reflektirtes Abbild in bleibenden und stets bereit liegenden Begriffen der Vernunft niederzulegen: dieses und nichts anderes ist Philosophie. […] / Aber eben auch nur abstrakt und allgemein und daher kalt ist meine obige Schilderung der Verneinung des Willens zum Leben, oder des Wandels einer schönen Seele, eines resignirten, freiwillig büßenden Heiligen.“ 338,32 A. S. macht doch das Ethische zur Genialitt] vgl. z. B. die folgende Passage aus § 68 im vierten Buch von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 446 (W I, 468), wo Schopenhauer über den Leidenden schreibt: „[E]r steht erst dann wirklich ehrwürdig da, wann sein Blick sich vom Einzelnen zum Allgemeinen erhoben hat, wann er sein eignes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet und ihm, indem er in ethischer Hinsicht genial wird, Ein Fall für

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tausende gilt, daher dann das Ganze des Lebens, als wesentliches Leiden aufgefaßt, ihn zur Resignation bringt.“ 338,34 er sich selbst zur Genge damit brstet, im brigen Genie zu sein] vgl. z. B. die folgende Passage aus Kap. 22 in „Ergänzungen zum zweiten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 291 (W II, 328), wo Schopenhauer von „de[m] Weg“ spricht, „auf welchem ich über Kant und die von ihm gezogene Gränze hinausgegangen bin, jedoch stets auf dem Boden der Reflexion, mithin der Redlichkeit, mich haltend, daher ohne das windbeutelnde Vorgeben intellektualer Anschauung, oder absoluten Denkens, welches die Periode der Pseudophilosophie zwischen Kant und mir charakterisirt.“ 338,37 einen Punkt, den S. hçhnisch abfertigt … nmlich diesen: Du sollst, item die Strafe der Ewigkeit usw.] vgl. z. B. die folgende Passage aus dem „Anhang. / Kritik der Kantischen Philosophie“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 586 (W I, 620), wo Schopenhauer schreibt: „Uebrigens ist die Geburtsstätte dieses Kindes der praktischen Vernunft, des absoluten Solls oder kategorischen Imperativs, nicht in der Kritik der praktischen, sondern schon in der der reinen Vernunft […]. Die Geburt ist gewaltsam und gelingt nur mittelst der Geburtszange eines Daher, welches keck und kühn, ja man möchte sagen unverschämt, sich zwischen zwei einander wildfremde und keinen Zusammenhang habende Sätze stellt, um sie als Grund und Folge zu verbinden. Nämlich, daß nicht bloß anschauliche, sondern auch abstrakte Motive uns bestimmen, ist der Satz von dem Kant ausgeht, ihn folgendermaaßen ausdrückend: ,Nicht bloß was reizt, d. i. die Sinne unmittelbar affizirt, bestimmt die menschliche Willkühr; sondern wir haben ein Vermögen, durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist, die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden. Diese Ueberlegungen von dem, was in Hinsicht unsers ganzen Zustandes begehrungswerth, d. i. gut und nützlich ist, beruhen auf der Vernunft.‘ (Vollkommen richtig: spräche er nur immer so vernünftig von der Vernunft!) ,Diese giebt daher! auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. objektive Gesetze der Freiheit sind und sagen was geschehn soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht.‘ – ! So, ohne weitere Beglaubigung, springt der kategorische Imperativ in die Welt, um daselbst das Regiment zu führen mit seinem unbedingten Soll, – einem Scepter aus hölzernem Eisen. Denn im Begriff Sollen liegt durchaus und wesentlich die Rücksicht auf angedrohte Strafe oder versprochene Belohnung als nothwendige Bedingung und ist nicht von ihm zu trennen, ohne ihn selbst aufzuheben und ihm alle Bedeutung zu nehmen: daher ist ein unbedingtes Soll eine contradictio in adjecto.“ Vgl. auch § 4 „Von der imperativen Form der Kantischen Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 119 – 126, vgl. bes. S. 123 (E, 120 – 126, vgl. bes. 123f.): „[J]enes so unbedingte Soll postulirt sich hinterher doch eine Bedingung und sogar mehr als eine, nämlich eine Belohnung, dazu die Unsterblichkeit des zu Belohnenden und einen Belohner. Das ist freilich nothwendig, wenn man einmal Pflicht und Soll zum Grundbegriff der Ethik gemacht hat; da diese Begriffe wesentlich relativ sind und alle Bedeutung nur haben durch angedrohte Strafe oder verheißene Belohnung.“ Vgl. auch S. 124 (E, 124f.). 339,1 S., der eigtl. das Christentum aufgibt, preist immer Indien[,] den Brahmanismus an] vgl. z. B. die folgende Passage aus § 70 des vierten Buches

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von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 457 (W I, 480): „Wirklich ist die Lehre von der Erbsünde (Bejahung des Willens) und von der Erlösung (Verneinung des Willens) die große Wahrheit, welche den Kern des Christenthums ausmacht; während das Uebrige meistens nur Einkleidung und Hülle, oder Beiwerk ist. Allein in neuerer Zeit hat das Christenthum seine wahre Bedeutung vergessen und ist in platten Optimismus ausgeartet.“ Vgl. auch S. 459f. (W I, 483): „Ich habe diese Dogmen der Christlichen Glaubenslehre, welche an sich der Philosophie fremd sind, nur deshalb hier herbeigezogen, um zu zeigen, daß die aus unsrer ganzen Betrachtung hervorgehende und mit allen Theilen derselben genau übereinstimmende und zusammenhängende Ethik, wenn sie auch dem Ausdruck nach neu und unerhört wäre, dem Wesen nach es keineswegs ist, sondern völlig übereinstimmt mit den ganz eigentlich Christlichen Dogmen und sogar in diesen selbst, dem Wesentlichen nach, enthalten und vorhanden war; wie sie denn auch eben so genau übereinstimmt mit den wieder in ganz andern Formen vorgetragenen Lehren und ethischen Vorschriften der heiligen Bücher Indiens.“ Häufig hebt Schopenhauer, besonders in Bd. 2 von Die Welt als Wille und Vorstellung, die indischen Religionen hervor, vor allem den Brahmanismus und den Buddhismus, und stellt sie oft neben das Christentum. Vgl. z. B. Kap. 48 in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 600f. (W II, 693), wo von der „Erlçsung aus unserm jetzigen Zustande“ gesprochen wird, den „nicht nur das Christenthum, sondern auch Brahmanismus und Buddhaismus […] als das höchste Ziel darstellen“. Vgl. auch S. 605f., S. 608 u. S. 610 (W II, 698f., 701 u. 704), wo es heißt: „[D]ie Mohammedanische Mystik [hat] einen sehr heitern Charakter, die Christliche einen düstern und schmerzlichen, die der Hindu, über Beiden stehend, hält auch in dieser Hinsicht die Mitte.“ Vgl. auch S. 612 u. S. 617f. (W II, 707 u. 716): „Nicht das Judenthum, mit seinem pamta jaka kiam, sondern Brahmanismus und Buddhaismus sind, dem Geiste und der ethischen Tendenz nach, dem Christenthum verwandt. Der Geist und die ethische Tendenz sind aber das Wesentliche einer Religion, nicht die Mythen in welche sie solche kleidet. Ich gebe daher den Glauben nicht auf, daß die Lehren des Christenthums irgendwie aus jenen Urreligionen abzuleiten sind.“ Vgl. auch S. 619, S. 622 u. S. 623 (W II, 717f., 721 u. 722f.) sowie Kap. 50, Bd. 2, S. 637 u. S. 639 (W II, 739f. u. 741f.). 339,3 jene Asketen … von einer Ewigkeits-Rcksicht bestimmt, religiçs, nicht genial … religiçse Pflicht] vgl. z. B. die folgende Passage aus § 68 des vierten Buchs von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 436 (W I, 457): „Bei weiter gebildetem Christenthum sehn wir nun jenen asketischen Keim sich zur vollen Blüthe entfalten, in den Schriften der Christlichen Heiligen und Mystiker. Diese predigen neben der reinsten Liebe auch völlige Resignation, freiwillige gänzliche Armuth, wahre Gelassenheit, vollkommne Gleichgültigkeit gegen alle weltliche Dinge, Absterben dem eigenen Willen und Wiedergeburt in Gott, gänzliches Vergessen der eigenen Person und Versenken in die Anschauung Gottes.“ Vgl. auch S. 437f. (W I, 458f.): „In der Ethik der Hindus […] sehn wir vorgeschrieben: Liebe des Nächsten mit völliger Verleugnung aller Selbstliebe; die Liebe überhaupt nicht auf das Menschengeschlecht beschränkt, sondern alles Lebende umfassend; Wohlthätigkeit bis zum Weggeben des täglich sauer Erworbenen; gränzenlose Geduld gegen alle Beleidiger; Vergeltung alles Bösen, so

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arg es auch seyn mag, mit Gutem und Liebe; freiwillige und freudige Erduldung jeder Schmach; Enthaltung aller thierischen Nahrung; völlige Keuschheit und Entsagung aller Wollust für Den, welcher eigentliche Heiligkeit anstrebt; Wegwerfung alles Eigenthums, Verlassung jedes Wohnorts, aller Angehörigen, tiefe gänzliche Einsamkeit, zugebracht in stillschweigender Betrachtung, mit freiwilliger Buße und schrecklicher, langsamer Selbstpeinigung, zur gänzlichen Mortifikation des Willens, welche zuletzt bis zum freiwilligen Tode geht durch Hunger, auch durch Entgegengehn den Krokodilen, durch Herabstürzen vom geheiligten Felsengipfel im Himelaya, durch lebendig Begrabenwerden, auch durch Hinwerfung unter die Räder des unter Gesang, Jubel und Tanz der Bajaderen die Götterbilder umherfahrenden ungeheuren Wagens. Und diesen Vorschriften, deren Ursprung über vier Jahrtausende weit hinausreicht, wird auch noch jetzt, so entartet in vielen Stücken jenes Volk ist, noch immer nachgelebt, von Einzelnen selbst bis zu den äußersten Extremen.“ 339,8 sein Schicksal in Deutschland] vgl. hierzu und zu den Quellen für SKs Kenntnis von Schopenhauers ,Schicksal‘ in diesem Band die „Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer?“ von Niels Jørgen Cappelørn. 339,9 S. hat richtig erkennen gelernt … in der Philosophie eine Klasse Mschen gibt … deren Berufsweg sie ist … die Professoren … S. unvergleichlich grob] verweist z. B. auf die „Vorrede zur zweiten Auflage“ zu Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. XXVII (W I, XXVII), wo Schopenhauer über die Philosophieprofessoren schreibt: „Die Herren wollen leben und zwar von der Philosophie leben: an diese sind sie, mit Weib und Kind, gewiesen“. Vgl. auch „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 129 – 188, hier bes. S. 142 (P I, 143 – 210, hier bes. 161), wo es heißt, „daß von jeher sehr wenige Philosophen Professoren der Philosophie gewesen sind, und verhältnißmäßig noch wenigere Professoren der Philosophie Philosophen; daher man sagen könnte, daß, wie idioelektrischen Körper keine Leiter der Elektricität sind, so die Philosophen keine Professoren der Philosophie. In der That steht dem Selbstdenker diese Bestellung beinahe mehr im Wege, als jede andere.“ Vgl. auch S. 144 (P I, 163): „Ueberhaupt aber, wie sollte der, welcher für sich, nebst Weib und Kind, ein redliches Auskommen sucht, zugleich sich der Wahrheit weihen? der Wahrheit, die zu allen Zeiten ein gefährlicher Begleiter, ein überall unwillkommener Gast gewesen ist“. Vgl. auch S. 145 (P I, 164): „Daß die Philosophie sich nicht zum Brodgewerbe eigne, hat schon Plato in seinen Schilderungen der Sophisten, die er dem Sokrates gegenüberstellt, dargethan, am allerergötzlichsten aber im Eingang des Protagoras das Treiben und den Succeß dieser Leute mit unübertrefflicher Komik geschildert. Das Geldverdienen mit der Philosophie war und blieb, bei den Alten, das Merkmal, welches den Sophisten vom Philosophen unterschied.“ Vgl. auch S. 147 (P I, 167), wo Schopenhauer schreibt: „Ja, ich neige mich mehr und mehr zu der Meinung, daß es für die Philosophie heilsamer wäre, wenn sie aufhörte, ein Gewerbe zu seyn, und nicht mehr im bürgerlichen Leben, durch Professoren repräsentirt, aufträte. […] Jene Repräsentanten der Philosophie im bürgerlichen Leben repräsentiren sie meistens doch nur so, wie der Schauspieler den König. Waren etwan die Sophisten, welche Sokrates so unermüdlich befehdete und die Plato zum Thema seines

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Spottes macht, etwas Anderes, als Professoren der Philosophie und Rhetorik?“ Vgl. schließlich S. 137 (P I, 156f.), wo die beißende Kritik lautet: „Wer zu derselben Einsicht noch fernerer Belege bedarf, betrachte das Nachspiel zu der großen Hegel-Farce, nämlich die gleich darauf folgende, so überaus zeitgemäße Konversion des Herrn v. Schelling vom Spinozismus zum Bigotismus und seine darauf folgende Versetzung von München nach Berlin, unter Trompetenstößen aller Zeitungen, nach deren Andeutungen man hätte glauben können, er bringe dahin den persönlichen Gott, nach welchem so großes Begehr war, in der Tasche mit; worauf denn der Zudrang der Studenten so groß wurde, daß sie sogar durch die Fenster in den Hörsaal stiegen; dann, am Ende des Kursus, das GroßMannsdiplom, welches eine Anzahl Professoren der Universität, die seine Zuhörer gewesen, ihm unterthänigst überbrachten, und überhaupt die ganze, höchst glänzende und nicht weniger lukrative Rolle desselben in Berlin, die er ohne Erröthen durchgespielt hat; und das im hohen Alter, wo die Sorge um das Andenken, das man hinterläßt, in edleren Naturen jede andere überwiegt. Man könnte bei so etwas ordentlich wehmüthig werden; ja man könnte beinahe meynen, die Philosophieprofessoren selbst müßten dabei erröthen: doch das ist Schwärmerei. Wem nun aber nach Betrachtung einer solchen Konsummation nicht die Augen aufgehn über die Kathederphilosophie und ihre Helden, Dem ist nicht zu helfen.“ 339,24 S. hat richtig gesehen, dass diese Professoren-Niedertracht … zu ignorieren … S. ist charmant … an treffender Grobheit] vgl. z. B. die folgende Passage in der „Vorrede zur zweiten Auflage“ zu Die Welt als Wille und Vorstellung, S. XXVI (W I, XXVII), wo Schopenhauer von dem ,Verfahren der Philosophieprofessoren‘ schreibt, es bestehe „bekanntlich im gänzlichen Ignoriren und dadurch im Sekretiren“; vgl. auch S. XXIX (W I, XXIX), wo Schopenhauer von dem „Ignorir- und Schweigesystem“ spricht. Vgl. auch die folgende Passage aus Kap. 48 in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 612 (W II, 707), wo Schopenhauer schreibt: „[W]enn, im Urtheil der Zeitgenossen, die paradoxe und beispiellose Uebereinstimmung meiner Philosophie mit dem Quietismus und Asketismus als ein offenbarer Stein des Anstoßes erscheint; so sehe ich hingegen gerade darin einen Beweis ihrer alleinigen Richtigkeit und Wahrheit, wie auch einen Erklärungsgrund des klugen Ignorirens und Sekretirens derselben auf den protestantischen Universitäten.“ Vgl. zudem die folgende Passage am Schluss von § 14 „Einige Bemerkungen über meine eigene Philosophie“ in „Fragmente zur Geschichte der Philosophie“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 126f. (P I, 145), wo Schopenhauer über das traurige Los spricht, das seiner Philosophie im Gegensatz zur ,Kathederphilosophie‘ Hegels zuteil geworden sei und schreibt: „Da folgte es, wie Tag auf Nacht, daß die Hegelei die Fahne wurde, der Alles zulief, meine Philosophie hingegen weder Beifall, noch Anhänger fand, vielmehr mit übereinstimmender Absichtlichkeit, gänzlich ignorirt, vertuscht, wo möglich erstickt wurde“. Vgl. auch die folgende Passage in „Ueber die Universitäts-Philosophie“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 175 (P I, 196): „[W]eil nun […] die Lehre von der strengen Necessitation aller Willensakte nirgends so gründlich, klar, zusammenhängend und vollständig dargethan ist, als in meiner von der Norwegischen Societät der Wissenschaften redlich gekrönten Preisschrift; so findet

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man, ihrer alten Politik, mir überall mit dem passiven Widerstande zu begegnen, gemäß, diese Schrift weder in ihren Büchern, noch in ihren gelehrten Journalen und Litteraturzeitungen irgend erwähnt: sie ist aufs strengste sekretirt und wird comme non avenue angesehn, wie Alles, was nicht in ihren erbärmlichen Kram paßt, wie meine Ethik überhaupt, ja, wie alle meine Werke. Meine Philosophie interessirt eben die Herren nicht: das kommt aber daher, daß die Ergründung der Wahrheit sie nicht interessirt. Was sie hingegen interessirt, das sind ihre Gehalte, ihre Honorarlouisd’ors und ihre Hofrathstitel. Zwar interessirt sie auch die Philosophie: insofern nämlich, als sie ihr Brod von derselben haben: insofern interessirt sie die Philosophie.“ 340,1 ich habe es gewagt … Karikatur zu werden und ausgelacht von … Pçbel] bezieht sich auf SKs Angriff auf die satirische Wochenschrift Corsaren [Der Corsar]. Vgl. die beiden diesbezügliche Zeitungsartikel SKs in C, 30 – 44 / SKS 20, 79 – 89. Darin fordert SK u. a., selbst ,in den Corsaren zu kommen‘ und ,geschmäht‘ zu werden. Der Corsar antwortete mit einer Reihe von satirischen Artikeln, Anspielungen auf und Karikaturen von SK (vgl. C, 163 – 201 / SKS K20, 41 – 44). Dieser Angriff des Corsar hatte zur Folge, dass SK auf der Straße schikaniert und ausgelacht wurde. Vgl. zu SKs Einschätzung des Angriffs auf den Corsar auch WS, 7f. (mit Anm.) / SKS 13, 15f. (mit Anm.). 340,6 ihn von sich zu weisen, als er einem Sieg zujubeln wollte] vgl. den vorhergehenden Kommentar. Bezieht sich im Besonderen auf den ,Publikumserfolg‘ Entweder/Oder und die Wertschätzung dieses Werks seitens des Corsar, die SK mit den eben genannten Zeitungsartikeln zurückgewiesen hatte. Vgl. WS, 7f. / SKS 13, 15f., wo SK die Bewegung seines ganzen Werks – unter Bezugnahme auf die genannten Aspekte – als ,maieutische‘ Bewegung beschreibt, deren Zweck es gewesen sei, die Menge ,abzuschütteln‘, um den Einzelnen zu fassen zu bekommen. 340,14 die Dinge nun in Deutschland so stehen, dass … er nun auf die Szene geschleift und proklamiert werden soll] vgl. hierzu in diesem Band die „Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer?“ von Niels Jørgen Cappelørn. 340,22 so außerordentlich froh … dass die Gesellschaft der Wissenschaften in Trondheim … seine Preisschrift gekrçnt hat] vgl. die „Vorrede“ zu Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. VI (E, VI), wo Schopenhauer schreibt: „Noch habe ich zu bemerken, daß die erste dieser beiden Abhandlungen bereits im neuesten Bande der zu Drontheim erscheinenden Denkschriften der Königlich Norwegischen Societät der Wissenschaften ihre Stelle gefunden hat. Diese Akademie hat, in Betracht der weiten Entfernung Drontheims von Deutschland, mir die von ihr erbetene Erlaubniß, einen Abdruck dieser Preisschrift für Deutschland veranstalten zu dürfen, mit der größten Bereitwilligkeit und Liberalität gewährt: wofür ich derselben meinen aufrichtigen Dank hiemit öffentlich abstatte.“ Vgl. auch S. XVf. (E, XIVf.), wo Schopenhauer über die „Königlich Norwegische Societät“, deren Mitglied er geworden ist, schreibt: „Dieser Akademie anzugehören ist aber auch eine Ehre, deren Werth ich mit jedem Tage deutlicher einsehn und vollständiger ermessen lerne. Denn sie kennt, als Akademie, kein anderes Interesse, als das der Wahrheit, des Lichts, der Förderung menschlicher Einsicht und Erkenntnisse. Eine Akademie ist kein

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Glaubenstribunal.“ – Die Ausgabe der Preisschrift in Trondheim, auf die Schopenhauer verweist, ist 1839 auf Deutsch, aber mit dem norwegischen Titel „Kan Menneskets frie Villie bevises af dets Selvbevidsthed?“ En med det Kongelige Norske Videnskabers-Selskabs større Guldmedaille belønnet Priis-Afhandling af Dr. Arthur Schopenhauer [„Kann der freie Wille des Menschen aus seinem Selbstbewusstsein bewiesen werden?“ Eine mit der großen Goldmedaille der Königlichen Norwegischen Gesellschaft der Wissenschaften ausgezeichnete Preis-Abhandlung von Dr. Arthur Schopenhauer] in Det Kongelige Norske VidenskabersSelskabs Skrifter i det 19de Aarhundrede [Schriften der Königlichen Norwegischen Gesellschaft der Wissenschaften im 19. Jahrhundert], Bd. 3, Trondheim 1829 – 1843, H. 2., S. 1 – 100 erschienen. Laut Vorwort der Redaktion, S. 2f., datiert auf „August 1839“, wurden Schopenhauer einige Exemplare dieses Hefts übermittelt. Schopenhauers eigene Ausgabe ist Preisschrift ber die Freiheit des menschlichen Willens, gekrçnt von der Kçnigl. Norwegischen Societt der Wissenschaften, zu Drontheim, am 26. Januar 1839 als Nr. I. in Die beiden Grundprobleme der Ethik. 340,28 als Kopenhagen eine andere Preisschrift … schlgt er darber Lrm … in der Vorrede, die ihre Herausgabe begleitet] vgl. die „Vorrede“ zu Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. V-XXXX (E, V-XXXVIII). Die Seiten VI-XXXX (E, VI-XXXVIII) sind eine einzige lange Auseinandersetzung mit der negativen Beurteilung und Zurückweisung von Schopenhauers eingereichtem Beitrag durch die Königliche Dänische Gesellschaft der Wissenschaften. Die lateinische Beurteilung ist in Die beiden Grundprobleme der Ethik zum Schluss abgedruckt, vgl. S. 277 (E, 276). 341,6 der Erlçser der Welt] Die Bezeichnung wird in Joh 4,42 für Jesus verwendet; vgl. aber auch Joh 3,17. 341,7 Er beginnt damit, dass sie ihn zum Kçnig … aber das will er nicht] verweist auf Joh 6,15. 341,35 Das rein Komische … ber etwas lacht … das Jmmerliche ist] vgl. die ausführliche Theorie des Komischen im zweiten Teil der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846), AUN2, 222 – 234 / SKS 7, 464 – 477, wo u. a. im Ausgang von Aristoteles’ Definition zwischen dem Komischen und dem Jämmerlichen unterschieden wird, vgl. AUN2, 223 Anm. / SKS 7, 466 Anm. NB29:95.a 337,31

ich heiße: S. A.] Søren Aabye, SKs zwei Vornamen.

NB29:114 342,6 bei Epidemien etwas in den Mund nimmt, um … infiziert wird] worauf SK sich hier im Einzelnen bezieht ist nicht nachgewiesen. 342,10 Ss Ethik] vgl. den ersten Kommentar zu NB29:95.

3. Kommentar

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NB30 (28.6.–15.8.1854) NB30:9 342,23 Am Ende des 1. Buchs … die Welt als Wille und Vorstellung … seinem Tod im letzten Akt Vorschub leisten] bezieht sich auf die folgende Passage aus § 16 des ersten Buchs „Der Welt als Vorstellung erste Betrachtung: Die Vorstellung unterworfen dem Satze des Grundes: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 97 (W I, 101f.), wo es heißt: „Daher ist es betrachtungswerth, ja wunderbar, wie der Mensch neben seinem Leben in concreto, immer noch ein zweites in abstracto führt. Im ersten ist er allen Stürmen der Wirklichkeit und dem Einfluß der Gegenwart Preis gegeben, muß streben, leiden, sterben, wie das Thier. Sein Leben in abstracto aber, wie es vor seinem vernünftigen Besinnen steht, ist die stille Abspiegelung des ersten und der Welt worin er lebt […]. Hier im Gebiet der ruhigen Ueberlegung erscheint ihm kalt, farblos und für den Augenblick fremd, was ihn dort ganz besitzt und heftig bewegt: hier ist er bloßer Zuschauer und Beobachter. In diesem Zurückziehn in die Reflexion gleicht er einem Schauspieler, der seine Scene gespielt hat und bis er wieder auftreten muß, unter den Zuschauern seinen Platz nimmt, von wo aus er, was auch vorgeht, und wäre es die Vorbereitung zu seinem Tode (im Stück), gelassen ansieht, darauf aber wieder hingeht und thut und leidet wie er muß.“ NB30:9.a 342,28 dass der Msch neben seinem Leben in concreto … in abstracto fhrt. (1. Buch § 16)] vgl. den vorherigen Kommentar. NB30:10 343,3 Der Selbstmord bei den Stoikern. Darber sagt Schopenhauer … wie sich … Flschen mit Gift findet] bezieht sich auf die folgende Passage aus § 16 im ersten Buch „Der Welt als Vorstellung erste Betrachtung: Die Vorstellung unterworfen dem Satze des Grundes: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 103 (W I, 108), wo es heißt, der vollkommene Widerspruch, der darin liege, „leben zu wollen ohne zu leiden“, zeige sich auch darin, „daß der Stoiker genöthigt ist, seiner Anweisung zum glücksäligen Leben (denn das bleibt seine Ethik immer) eine Empfehlung des Selbstmordes einzuflechten (wie sich unter dem prächtigen Schmuck und Geräth orientalischer Despoten auch ein kostbares Fläschchen mit Gift findet), für den Fall nämlich, wo die Leiden des Körpers, die sich durch keine Sätze und Schlüsse wegphilosophiren lassen, überwiegend und unheilbar sind, sein alleiniger Zweck, Glücksäligkeit, also doch vereitelt ist, und nichts bleibt, um dem Leiden zu entgehn, als der Tod“. – Der Selbstmord bei den Stoikern: die moralische Anerkennung des Selbstmords bei den Stoikern – u. a. bei Seneca, Epiktet und Marc Aurel – war SK u. a. durch die von ihm häufig benutzte Darstellung der Philosophiegeschichte durch Tennemann bekannt, vgl. W. G. Tennemann Geschichte der Philosophie, Bd. 1 – 11, Leipzig 1798 – 1819, Ktl. 815 – 826; hier Bd. 5, 1805, S. 140 – 182; S. 157, S. 169 – 176 u. S. 181.

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NB30:11 343,14 die Lenkung] d. i. die Lenkung Gottes. Zu diesem von SK häufig verwendeten Ausdruck vgl. z. B. 2. Abschnitt, Kap. III „Der Anteil der Lenkung in meiner Schriftstellerei“ im Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller (GWS, 66 – 87 / SV2 XIII, 595 – 616). 343,17 griechisch denken! –: was haben die Gçtter gelacht!] verweist auf das Gelächter der olympischen Götter, vgl. den 1. Gesang, V. 599 in Homers Ilias und die gleichlautende Passage im 8. Gesang, V. 326 der Odyssee. 343,21 Schopenhauer … wahr, was er sagt … so grob wie nur ein Deutscher sein kann] vgl. z. B. die folgende Passage aus Kap. 38 „Ueber Geschichte“ in „Ergänzungen zum dritten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 442 (W II, 505): „Was endlich das, besonders durch die überall so geistesverderbliche und verdummende Hegel’sche Afterphilosophie aufgekommene Bestreben, die Weltgeschichte als ein planmäßiges Ganzes zu fassen, oder, wie sie es nennen, ,sie organisch zu konstruiren,‘ betrifft; so liegt demselben eigentlich ein roher und platter Realismus zum Grunde, der die Erscheinung für das Wesen an sich der Welt hält und vermeint, auf sie, auf ihre Gestalten und Vorgänge käme es an; wobei er noch im Stillen von gewissen mythologischen Grundansichten unterstützt wird, die er stillschweigend voraussetzt: sonst ließe sich fragen, für welchen Zuschauer denn eine dergleichen Komödie eigentlich aufgeführt würde?“ Vgl. auch „Anhang. / Kritik der Kantischen Philosophie“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 482 (W I, 508): „Jedoch die größte Frechheit im Auftischen baaren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte, trat endlich im Hegel auf und wurde das Werkzeug der plumpesten allgemeinen Mystifikation, die je gewesen, mit einem Erfolg, welcher der Nachwelt fabelhaft erscheinen und ein Denkmal Deutscher Niaiserie bleiben wird.“ Vgl. des Weiteren „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 153 (P I, 173), wo Schopenhauer in seiner Kritik Hegels von dem absurden „Grundgedanken seiner Afterphilosophie“ spricht; vgl. auch S. 159 (P I, 179): „Zu den Nachtheilen, welche die Universitätsphilosophie der wirklichen und ernstlich gemeinten gebracht hat, gehört ganz besonders das soeben berührte Verdrängtwerden der Kantischen Philosophie durch die Windbeuteleien der drei ausposaunten Sophisten. Nähmlich erst Fichte und dann Schelling, die Beide doch nicht ohne Talent waren, endlich aber gar der plumpe und ekelhafte Scharlatan Hegel, dieser perniciose Mensch, der einer ganzen Generation die Köpfe völlig desorganisirt und verdorben hat, wurden ausgeschrien als die Männer, welche Kants Philosophie weiter geführt hätten, darüber hinausgelangt wären und so, eigentlich auf seinen Nacken tretend, eine ungleich höhere Stufe der Erkenntniß und Einsicht erreicht hätten, von welcher aus sie nun fast mitleidig auf Kants mühsälige Vorarbeit zu ihrer Herrlichkeit herabsähen: sie also wären erst die eigentlich großen Philosophen.“ NB30:12 343,27 S. schtzt das Xstt. gering … verglichen mit der Weisheit Indiens] vgl. die ähnliche Wendung in NB29:95 und den dortigen Kommentar.

3. Kommentar

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344,3 In seiner indischen Schwermut: Leben ist Leiden] vgl. z. B. den Schluss aus § 56 im vierten Buch „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 350 (W I, 366), wo Schopenhauer die Einsicht ausführt, „wie wesentlich alles Leben Leiden ist“. Vgl. auch § 61, § 62 u. § 67, Bd. 1, S. 376, S. 387 u. S. 424 (W I, 393, 404 u. 443), wo es beinahe in wörtlicher Übereinstimmung heißt, „daß wir […] dem Leben im Ganzen das Leiden wesentlich und von ihm unzertrennlich gefunden haben“. Vgl. schließlich Kap. 46 „Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 582 (W II, 671), wo es heißt, dass „Arbeit, Entbehrung, Noth und Leiden, gekrönt durch den Tod, als Zweck unsers Lebens zu betrachten“ seien „(wie dies Brahmanismus und Buddhaismus, und auch das ächte Christenthum thun)“. 344,6 welches Joh. Climacus durch den Satz ausdrckt: das Christsein ist Leiden] verweist vermutlich auf die folgende Aussage von Johannes Climacus in der „Beilage zu B“ aus Sectio II von Kap. 4 im zweiten Abschnitt der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846): „Seine ewige Seligkeit auf ein Historisches begründet zu haben, macht das Glück des Christen am Leiden erkennbar“ (AUN2, 196 / SKS 7, 530). Vgl. auch „A. Das Pathetische“ aus Sectio II von Kap. 4, bes. § 2, AUN2, 92 – 266, bes. 138 – 235 / SKS 7, 352 – 504, bes. 392 – 477. – Joh. Climacus: Johannes Climacus, Pseudonym der Philosophischen Brocken (1844) und der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift. Der Name Climacus verweist vermutlich auf den gr. Theologen und Mönch Johannes Klimax oder lat. Climacus (ca. 579 – 649), der 40 Jahre als Einsiedler am Fuße des Berges Sinai gelebt und das Werk Jk?lan toO paqade?sou (lat. Scala paradisi, ,Paradies‘- oder ,Himmelsleiter‘ verfasst hat, dem er seinen Beinamen verdankt. Vgl. den ausführlicheren Kommentar hierzu in SKS K4, 197. 344,8 S. mit großer Kraft gegen diesen „niedertrchtigen Optimismus“ wtet … besonders der Protestantismus … zeigt, dass das durchaus nicht das Xstt. ist] verweist vermutlich auf die folgende Passage aus Kap. 17 „Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen“ in „Ergänzungen zum ersten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 167f. (W II, 184f.), wo es von den Rationalisten heißt, dass sie „suchen[,] alles eigenthümlich Christliche hinauszuexegesiren; wonach sie etwas übrig behalten, das weder sensu proprio noch sensu allegorico wahr ist, vielmehr eine bloße Plattitüde, beinahe nur Judenthum, oder höchstens seichter Pelagianismus, und, was das Schlimmste, niederträchtiger Optimismus, der dem eigentlichen Christenthum durchaus fremd ist“. Vgl. auch das Ende von § 59 im vierten Buch „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 368 (W I, 384f.): „Uebrigens kann ich hier die Erklärung nicht zurückhalten, das mir der Optimismus, wo er nicht etwan das gedankenlose Reden Solcher ist, unter deren platten Stirnen nichts als Worte herbergen, nicht bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Denkungsart erscheint, als ein bittrer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit. – Man denke nur ja nicht etwan, daß die christliche Glaubenslehre dem Optimismus günstig sei; da im Gegentheil in den Evangelien Welt und Uebel beinahe als synonyme Ausdrücke gebraucht wer-

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den.“ Vgl. weiterhin die folgende Passage aus § 70 von Bd. 1, S. 457 (W I, 480): „Allein in neuerer Zeit hat das Christenthum seine wahre Bedeutung vergessen und ist in platten Optimismus ausgeartet.“ Gegen den Protestantismus als Optimismus vgl. z. B. Kap 48 in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 619f. (W II, 718), wo es heißt: „Der Protestantismus hat, indem er die Askese und deren Centralpunkt, die Verdienstlichkeit des Cölibats, eliminirte, eigentlich schon den innersten Kern des Christenthums aufgegeben und ist insofern als ein Abfall von demselben anzusehn. Dies hat sich in unsern Tagen herausgestellt in dem allmäligen Uebergang desselben in den platten Rationalismus, […] der am Ende hinausläuft auf eine Lehre von einem liebenden Vater, der die Welt gemacht hat, damit es hübsch vergnügt darauf zugehe […], und der, wenn man nur in gewissen Stücken sich seinem Willen anbequemt, auch nachher für eine noch viel hübschere Welt sorgen wird […]. Das mag eine gute Religion für komfortable, verheirathete und aufgeklärte protestantische Pastoren seyn: aber das ist kein Christenthum.“ Im Anschluss macht Schopenhauer geltend, Luthers wohlgemeinter Kampf gegen den ,empörenden‘ Missbrauch seitens der Kirche, z. B. im Mönchswesen, sei zu weit gegangen, indem er das asketische Prinzip angegriffen habe, vgl. S. 620 (W II, 719): „Denn nach dem Austreten des asketischen Princips trat nothwendig bald das optimistische an seine Stelle. Aber Optimismus ist, in den Religionen, wie in der Philosophie, ein Grundirrthum, der aller Wahrheit den Weg vertritt. Nach dem Allen scheint mir der Katholicismus ein schmählich misbrauchtes, der Protestantismus aber ein ausgeartetes Christenthum zu seyn“. Im Übrigen argumentiert Schopenhauer oftmals und nachdrücklich gegen jede Form des Optimismus, vgl. z. B. Kap. 46 in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Bd. 2, S. 579 – 585 (W II, 667 – 675), wo es z. B. S. 582 (W II, 671) heißt: „Der Optimismus ist aber nicht nur eine falsche, sondern auch eine verderbliche Lehre.“ Vgl. auch Kap. 48 in Bd. 2, S. 617f. (W II, 712f.) und Kap. 49 in Bd. 2, S. 628 (W II, 729). 344,22 dem jdischen Optimismus] in Die Welt als Wille und Vorstellung fasst Schopenhauer das Judentum mehrfach als Optimismus und stellt es so in Gegensatz zum Christentum. Vgl. z. B. Kap. 48 in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Bd. 2, S. 617 (W II, 716): „Was dieser eigentlich Christlichen Grundansicht entgegengestellt wird, ist überall und immer nur das A. T. mit seinem pamta jaka kiam.“ Vgl. auch S. 618 (W II, 716), wo Schopenhauer schreibt, das Christentum gehöre zu dem „dem alten, wahren und erhabenen Glauben der Menschheit […], welcher im Gegensatz steht zu dem falschen, platten und verderblichen Optimismus, der sich im Griechischen Heidenthum, im Judenthum und im Islam darstellt.“ Vgl. auch S. 619 (W II, 717f.): „[D]em eigentlichen Christenthum ist jenes pamta jaka kiam des A. T. wirklich fremd: denn von der Welt wird im N. T. durchgängig geredet als von etwas, dem man nicht angehört, das man nicht liebt, ja dessen Beherrscher der Teufel ist. Dies stimmt zu dem asketischen Geiste der Verläugnung des eigenen Selbst und der Ueberwindung der Welt“. 344,24 das Xstt. als Entsagung] vermutlich Allusion an Lk 14,33. 345,1 was S. selbst gegen die Stoiker geltend macht] verweist auf die folgende Passage aus § 16 im ersten Buch „Der Welt als Vorstellung erste Be-

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trachtung: Die Vorstellung unterworfen dem Satze des Grundes: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 103 (W I, 108), wo Schopenhauer von der stoischen Lehre schreibt, dass sie „eigentlich doch nur ein besonderer Eudämonismus ist“. Vgl. auch die folgende Passage aus Kap. 16 „Ueber den praktischen Gebrauch der Vernunft und den Stoicismus“ in „Ergänzungen zum ersten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 157 (W II, 174): „Ein zusammenhängendes Studium der Stoiker wird Jeden überzeugen, daß der Zweck ihrer Ethik, eben wie der des Kynismus, aus welchem sie entsprungen, durchaus kein anderer ist, als ein möglichst schmerzloses und dadurch möglichst glückliches Leben: woraus folgt, daß die Stoische Moral nur eine besondere Art des Eudmonismus ist.“ Vgl. zum Stoizismus auch den Kommentar zu NB30:10. 345,4 gib alles den Armen] verweist auf Mt 19,21. NB30:12.a 344,38 Die Askese beabsichtigt … (durch die Mortifikation des Willens zum Leben) … der Asket fr alles gestorben] verweist z. B. auf die folgende Passage aus § 68 im vierten Buch „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 430f. (W I, 451): „Die Askesis zeigt sich sodann ferner in freiwilliger und absichtlicher Armuth, die nicht nur per accidens entsteht, indem das Eigenthum weggegeben wird, um fremde Leiden zu mildern, sondern hier schon Zweck an sich ist, dienen soll als stete Mortifikation des Willens, damit nicht die Befriedigung der Wünsche, die Süße des Lebens, den Willen wieder aufrege, gegen welchen die Selbsterkenntniß Abscheu gefaßt hat.“ Vgl. auch S. 442 (W I, 463): „Unter dem schon öfter von mir gebrauchten Ausdruck Askesis verstehe ich, im engern Sinne, diese vorstzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens.“ Vgl. hierzu auch die folgende Passage aus Kap. 48 in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 610 (W II, 704): „Quietismus, d. i. Aufgeben alles Wollens, Askesis, d. i. absichtliche Ertödtung des Eigenwillens, und Mysticismus, d. i. Bewußtseyn der Identität seines eigenen Wesens mit dem aller Dinge, oder dem Kern der Welt, stehn in genauester Verbindung; so daß wer sich zu einem derselben bekennt allmälig auch zur Annahme der andern, selbst gegen seinen Vorsatz, geleitet wird.“ NB30:13 345,16 „Windbeutel“ … als Adjektiv und Verbum verwendet werden kann] vgl. zum Ausdruck ,Windbeutel‘ den Artikel über Wortzusammensetzungen mit ,Wind‘ in Th. Heinsius Volksthmliches Wçrterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 1 – 4, Hannover 1818 – 1822, Ktl. U 64; hier Bd. 4, S. 1638: „der Wbeutel, ein leichtsinniger Mensch, welcher unzuverlässig ist (ein Windsack, Windmacher); uneigentl. Name des Ochsenfrosches; eine Art Backwerk von Mehl, Eiern und Butter, inwendig hohl; die W-beutelei, die Eigenschaft eines

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Windbeutels; eine leere ungegründete Äußerung eines Windbeutels; Windbeuteln, unth. Z. [unthätiges Zeitwort], mit haben, ein Windbeutel seyn, gleich einem Windbeutel leeres Geschwätz vorbringen, sich unzuverlässig zeigen“. 345,19 A. Schopenhauer macht einen vortrefflichen Gebrauch davon] vgl. z. B. § 6 „Vom Fundament der Kantischen Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 147 (E, 145), wo Schopenhauer in Bezug auf Fichte schreibt: „Hinter welche Floskeln doch so ein Windbeutel seine Rathlosigkeit versteckt!“ Vgl. auch S. 149 (E, 147): „Hier also liegt der Ursprung jener unmittelbar nach Kants Lehre auftretenden philosophischen Methode, die im Mystificiren, Imponiren, Täuschen, Sand in die Augen streuen und Windbeuteln besteht, deren Zeitraum die Geschichte der Philosophie einst unter dem Titel ,Periode der Unredlichkeit‘ anführen wird.“ Vgl. weiterhin die „Vorrede zur zweiten Auflage“ zu Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. XIX (W I, XX), wo Schopenhauer schreibt, man finde ihn selbst im Gegensatz zu den ,drei berühmten Sophisten‘, d. h. Fichte, Schelling und Hegel, stets „auf dem Standpunkt der Reflexion, d. i. der vernünftigen Besinnung und redlichen Mittheilung, niemals auf dem der Inspiration, genannt intellektuelle Anschauung, oder auch absolutes Denken, beim rechten Namen jedoch Windbeutelei und Scharlatanerei“; vgl. auch S. XXIV (W I, XXIVf.), wo von den ,windbeutelnden Sophisten‘ die Rede ist. Vgl. auch § 7 im ersten Buch von Bd. 1, S. 30 (W I, 31), wo Schopenhauer in der Identitätsphilosophie nichts als ,langweilige Windbeuteleien‘ vernimmt; vgl. § 24 im zweiten Buch von Bd. 1, S. 140 (W I, 147), wo davon die Rede ist, „was Fichte durch seine Windbeuteleien zu leisten scheinen wollte“; vgl. § 31 im dritten Buch von Bd. 1, S. 196 (W I, 204), wo Schopenhauer schreibt, dass man, wären in den letzten 40 Jahren Platon und Kant verstanden worden, „sich nicht heute von diesem, morgen von einem andern Windbeutel [hätte] naseführen lassen“; vgl. § 62 im vierten Buch von Bd. 1, S. 381 (W I, 398), wo Schopenhauer den Ausdruck ,die bloße Windbeutelei‘ verwendet; vgl. den „Anhang. / Kritik der Kantischen Philosophie“ von Bd. 1, S. 471 (W I, 495f.), wo von der ,Windbeutelei intellektualer Anschauung‘ die Rede ist. Vgl. weiterhin Kap. 22 in „Ergänzungen zum zweiten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 291 (W II, 328), wo Schopenhauer von dem „Weg“ spricht, „auf welchem ich über Kant und die von ihm gezogene Gränze hinausgegangen bin, jedoch stets auf dem Boden der Reflexion, mithin der Redlichkeit, mich haltend, daher ohne das windbeutelnde Vorgeben intellektualer Anschauung, oder absoluten Denkens, welches die Periode der Pseudophilosophie zwischen Kant und mir charakterisirt.“ Vgl. auch den „Anhang“ zur „Skitze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 23 (P I, 26), wo Schopenhauer von Schelling sagt, dieser sei ,mit Imponiren und Windbeuteln zu Werke gegangen‘; und § 14 „Einige Bemerkungen über meine eigene Philosophie“ in „Fragmente zur Geschichte der Philosophie“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 121 (P I, 139), wo mit Hinweis auf Fichte, Schelling und Hegel von den „Windbeuteleien der drei modernen Universitäts-Sophisten“ gesprochen wird. Vgl. schließlich „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 159f. (P I, 179f.), wo zweimal Fichte, Schelling und Hegel als ,jene drei Windbeutel‘ bezeichnet werden; auf S. 164 (P I, 184) schreibt Schopenhauer: „Daß nun aber das Ver-

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drängtwerden der ernsten, tiefsinnigen und redlichen Philosophie Kants, durch die Windbeuteleien bloßer, von persönlichen Zwecken geleiteter Sophisten, den nachtheiligsten Einfluß auf die Bildung des Zeitalters gehabt habe, ist nicht zu bezweifeln.“ Auf S. 170 (P I, 191) heißt es: „Die Universitäten nun aber sind offenbar der Heerd alles jenes Spiels, welches die Absicht mit der Philosophie treibt. Nur mittelst ihrer konnten Kants, eine Weltepoche in der Philosophie begründende Leistungen verdrängt werden durch die Windbeuteleien eines Fichte, die wieder bald darauf ihm ähnliche Gesellen verdrängten.“ 345,21 er, der ber die Hegelsche Philosophie … sprechen soll] verweist vermutlich im Besonderen auf Schopenhauers erzürnte Reaktion auf die negative Beurteilung seiner Preisschrift Ueber die Grundlage der Moral durch die Königliche Dänische Gesellschaft der Wissenschaften, die ihm u. a. vorgeworfen hatte, Fichte über Hegel gestellt zu haben, der in der Beurteilung ein ,summus philosophus‘ genannt wird (vgl. den Kommentar zu NB29:95); vgl. die „Vorrede“ zu Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. XIXf. (E, XVIIIf.), wo es heißt: „Wenn ein Bund zur Verherrlichung des Schlechten verschworener Journalschreiber, wenn besoldete Professoren der Hegelei, und schmachtende Privatdocenten, die es werden möchten, jenen sehr gewöhnlichen Kopf, aber ungewöhnlichen Scharlatan, als den größten Philosophen, den je die Welt besessen, unermüdlich und mit beispielloser Unverschämtheit, in alle vier Winde ausschreien; so ist das keiner ernstlichen Berücksichtigung werth, um so weniger, als die plumpe Absichtlichkeit dieses elenden Treibens nachgerade selbst dem wenig Geübten augenfällig werden muß. Wenn es aber so weit kommt, daß eine ausländische Akademie jenen Philosophaster als einen summus philosophus in Schutz nehmen will, ja sich erlaubt, den Mann zu schmähen, der, redlich und unerschrocken, dem falschen, erschlichenen, gekauften und zusammengelogenen Ruhm mit dem Nachdruck sich entgegenstellt, der allein jenem frechen Anpreisen und Aufdringen des Falschen, Schlechten und Kopfverderbenden angemessen ist; so wird die Sache ernsthaft: denn ein so beglaubigtes Urtheil könnte Unkundige zu großem und schädlichem Irrthum verleiten. Es muß daher neutralisirt werden: und dies muß, da ich nicht die Autorität einer Akademie habe, durch Gründe und Belege geschehen.“ Im Anschluss unterzieht Schopenhauer Hegels Philosophie einer scharfen Kritik, vgl. S. XX-XXXII (E, XIX-XXX). Vgl. auch § 6 „Vom Fundament der Kantischen Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 149 (E, 147), wo Schopenhauer über die „Periode der Unredlichkeit“ schreibt: „Als Heroen dieser Periode glänzen Fichte und Schelling, zuletzt aber auch der selbst ihrer ganz unwürdige und sehr viel tiefer als diese Talent-Männer stehende, plumpe, geistlose Scharlatan Hegel.“ Schopenhauer verweist auf seine Kritik an der Königlichen Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften in Kap. 6 „Zur Lehre von der abstrakten, oder Vernunft-Erkenntniß“ in „Ergänzungen zum ersten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 69 (W II, 75). – die ganze Professoren-Philosophie: verweist vermutlich insbesondere auf „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 129 – 188 (P I, 149 – 210); vgl. den Kommentar zu NB29:95. Vgl. auch die „Vorrede zur zweiten Auflage“ zu Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. XXVI (W I, XXVI); der Abschnitt beginnt mit: „Jetzt noch ein Wort für die Philosophieprofessoren“, und erstreckt sich bis S. XXX (W I, XXX).

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346,3 Windbeutel] SK schreibt hier dän. „vindbeutel‘, neuere Form: ,vindbøjtel‘. Das Wort ist nicht aufgenommen in das von SK verwendete Standardwerk C. Molbech Dansk Ordbog [Dänisches Wörterbuch], Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1833, Ktl. 1032; es findet sich auch nicht in der 2. Auflage, Kopenhagen 1859. 346,5 ein Wort, das die deutsche Sprache vielleicht nicht hat … Windschlucker] im Dt. wird der Ausdruck ,Windschlucker‘ (dän. ,vindsluger‘, nicht aufgenommen in die 1. und 2. Aufl. von Molbech, vgl. vorherigen Kommentar) gleichfalls, wenn auch seltener verwendet; etwas gebräuchlicher sind die Ausdrücke ,Windschnapper‘ bzw. ,Windschnappen‘ sowie ,Luftschnappen‘. Zumeist wird dafür das Wort ,Koppen‘ verwendet, welches bei Pferden die ,Verhaltensstörung‘ bezeichnet, Luft hinunterzuschlucken. Man unterscheidet das Koppen, das mit dem Aufsetzen der Zähne auf einen Gegenstand verbunden ist (,Aufsetzkoppen‘), wozu bes. die Krippe verwendet wird (deshalb auch ,Krippenkopper‘ und ,Krippensetzer‘); sowie das Koppen in der ,freien Luft‘ (,Luftkoppen‘, ,Freikoppen‘), bei dem das Pferd den Kopf nach hinten wirft und Luft einschnappt. 346,12 Es vergngt mich unsagbar, dies mit Schopenhauer und Hegel] vgl. z. B. die „Vorrede“ zu Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. XX (E, XIXf.), wo Schopenhauer in Fortsetzung der oben zitierten Passage schreibt: „Wenn ich nun zu diesem Zwecke sagte, die sogenannte Philosophie dieses Hegels sei eine kolossale Mystifikation, welche noch der Nachwelt das unerschöpfliche Thema des Spottes über unsre Zeit liefern wird, eine alle Geisteskräfte lähmende, alles wirkliche Denken erstickende und, mittelst des frevelhaftesten Mißbrauches der Sprache, an dessen Stelle den hohlsten, sinnleersten, gedankenlosesten, mithin, wie der Erfolg bestätigt, verdummendesten Wortkram setzende Pseudophilosophie, welche, mit einem aus der Luft gegriffenen und absurden Einfall zum Kern, sowohl der Gründe als der Folgen entbehrt, d. h. durch nichts bewiesen wird, noch selbst irgend etwas beweist oder erklärt, dabei noch, der Originalität ermangelnd, eine bloße Parodie des scholastischen Realismus und zugleich des Spinozismus, welches Monstrum auch noch von der Kehrseite das Christenthum vorstellen soll, […] so würde ich Recht haben.“ Ähnliche Angriffe auf Hegel finden sich häufig bei Schopenhauer, vgl. z. B. die „Vorrede zur zweiten Auflage“ und den „Anhang. / Kritik der Kantischen Philosophie“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. XX, S. 471 u. S. 482 (W I, XXI, 495 u. 508); Kap. 6 „Zur Lehre von der abstrakten, oder Vernunft-Erkenntniß“ und Kap. 7 „Vom Verhältniß der anschauenden zur abstrakten Erkenntniß“ in „Ergänzungen zum ersten Buch“ sowie Kap. 47 „Zur Ethik“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 69 und S. 85 sowie S. 587 (W II, 75 und 91f. sowie 678); „Anhang“ zur „Skitze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 19, S. 21f., S. 27f. (P I, 22, 24f., 30f.); § 13 „Noch einige Erläuterungen zur Kantischen Philosophie“ in „Fragmente zur Geschichte der Philosophie“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 91f. (P I, 102f.); und „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 134, S. 136, S. 147, S. 153, S. 156 – 159, S. 164 – 166 (P I, 152f., 154f., 166f., 173, 176 – 179, 184 – 186). 346,14 dass Hegel … mit Notwendigkeit … ein Windbeutel … aus den 6000 Jahren Weltgeschichte hervorgegangen ist] vgl. „Ueber die Univer-

3. Kommentar

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sitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 187 (P I, 208f.), wo Schopenhauer schreibt: „Daher […] möchte ich den Kathedervortrag beschränken auf den Zweck einer allgemeinen Orientirung auf dem Felde der bisherigen philosophischen Leistungen, mit Beseitigung aller Ausführungen, wie auch aller Pragmaticität der Darstellung, die weiter gehn wollte, als bis zur Nachweisung der unverkennbaren Anknüpfungspunkte der successiv auftretenden Systeme an früher dagewesene; also ganz im Gegensatz der Anmaaßung Hegelianischer Geschichtschreiber der Philosophie, welche jedes System als nothwendig eintretend darthun, und sonach, die Geschichte der Philosophie a priori konstruirend, uns beweisen, daß jeder Philosoph gerade Das, was er gedacht hat, und nichts Anderes, habe denken müssen“. 346,16 Abschnitt, den S. … Lgen-Philosophie bezeichnet] die Wendung ist bei Schopenhauer wörtlich nicht nachgewiesen. In § 6 „Vom Fundament der Kantischen Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 149 (E, 147), verwendet Schopenhauer hingegen die Bezeichnung „Periode der Unredlichkeit“; in Kap. 22 in „Ergänzungen zum zweiten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 291 (W II, 328), wird die Bezeichnung „die Periode der Pseudophilosophie“ verwendet. Vgl. auch den „Anhang“ zur „Skitze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 19 (P I, 22), wo Schopenhauer über den Zeitraum zwischen Kant und sich selbst schreibt, dass „meines Erachtens, Fichte, Schelling und Hegel keine Philosophen sind, indem ihnen das erste Erforderniß hiezu, Ernst und Redlichkeit des Forschens, abgeht. Sie sind bloße Sophisten“; vgl. auch S. 23 (P I, 26): „Demnach ist der wahre, unterscheidende Charakter der Philosophie dieser ganzen, sogenannten Nachkantischen Schule Unredlichkeit, ihr Element blauer Dunst und persönliche Zwecke ihr Ziel. Ihre Koryphäen waren bemüht, zu scheinen, nicht zu seyn: sie sind daher Sophisten, nicht Philosophen.“ Vgl. weiterhin „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 142 (P I, 162), wo Schopenhauer schreibt: „Sehe ich nun aber auf die, in dem halben Jahrhundert, welches seit Kants Wirksamkeit verstrichen ist, auftretenden, angeblichen Philosophen zurück; so erblicke ich leider keinen, dem ich nachrühmen könnte, sein wahrer und ganzer Ernst sei die Erforschung der Wahrheit gewesen: vielmehr finde ich sie alle, wenn auch nicht immer mit deutlichem Bewußtseyn, auf den bloßen Schein der Sache, auf Effektmachen, Imponiren, ja, Mystificiren bedacht und eifrig bemüht, den Beifall der Vorgesetzten und nächstdem der Studenten zu erlangen“. Vgl. auch S. 164 (P I, 184): „Daß nun aber das Verdrängtwerden der ernsten, tiefsinnigen und redlichen Philosophie Kants, durch die Windbeuteleien bloßer, von persönlichen Zwecken geleiteter Sophisten, den nachtheiligsten Einfluß auf die Bildung des Zeitalters gehabt habe, ist nicht zu bezweifeln. Zumal ist die Anpreisung eines so völlig werthlosen, ja, durchaus verderblichen Kopfes, wie Hegel, als des ersten Philosophen dieser und jeder Zeit, zuverlässig die Ursache der ganzen Degradation der Philosophie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt, während der letzten 30 Jahre gewesen. Wehe der Zeit, wo, in der Philosophie, Frechheit und Unsinn Einsicht und Verstand verdrängt haben!“

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NB30:22 346,25 Ich habe hufiger bemerkt, dass L. das Xstt. verndert hat] bezieht sich z. B. auf die Aufzeichnungen NB29:12 (T 5, 181f. / SKS 25, 303f.) und NB29:59 (T 5, 186 / SKS 25, 330). 346,26 behauptet Schopenhauer, L. habe das Xstt. verndert, indem er die Jungfrulichkeit verndert habe] verweist auf Kap. 48 „Zur Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 614 (W II, 709), wo es heißt: „[A]ls die höhere Weihe des Christenthums, durch welche man in die Reihe der Auserwählten tritt, wird das Cölibat und die Virginität aufgestellt: durch diese allein erlangt man die Siegerkrone, welche sogar noch heut zu Tage durch den Kranz auf dem Sarge der Unverehelichten angedeutet wird, wie eben auch durch den, welchen die Braut am Tage der Verehelichung ablegt.“ Vgl. auch S. 619 (W II, 718): „Der Protestantismus hat, indem er die Askese und deren Centralpunkt, die Verdienstlichkeit des Cölibats, eliminirte, eigentlich schon den innersten Kern des Christenthums aufgegeben und ist insofern als ein Abfall von demselben anzusehn.“ Und schließlich S. 620 (W II, 719): „Die empörenden Misbräuche der Kirche riefen im redlichen Geiste Luthers eine Hohe Indignation hervor. Aber in Folge derselben kam er dahin, vom Christenthum selbst möglichst viel abdingen zu wollen, zu welchem Zweck er zunächst es auf die Worte der Bibel beschränkte, dann aber auch im wohlgemeinten Eifer zu weit gieng, indem er, im asketischen Princip, das Herz desselben angriff. Denn nach dem Austreten des asketischen Princips trat nothwendig bald das optimistische an seine Stelle.“ 346,29 seine Ehe] in dem Jahr, nachdem Luther endgültig das Augustinerkloster 1524 verließ, heiratete er die Nonne Katharina von Bora, die zusammen mit acht weiteren Nonnen aus dem Kloster in Nimbschen nach Wittenberg geflüchtet war, wo sie mit Luthers Billigung Aufnahme fanden. NB30:41.a 347,23 Die Hoffnung tuscht, oder das Gehoffte ist von Schopenhauer] verweist auf die folgende Passage in Kap. 46 „Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 570 (W II, 657): „Das Leben stellt sich dar als ein fortgesetzter Betrug, im Kleinen, wie im Großen. Hat es versprochen, so hält es nicht; es sei denn, um zu zeigen, wie wenig wünschenswerth das Gewünschte war: so täuscht uns also bald die Hoffnung, bald das Gehoffte.“ – Das von SK für ,täuschen‘ verwendete dän. Wort ,at skuffe‘ kann auch ,enttäuschen‘ bedeuten; insofern ist SKs ,Sprachschlinge‘ mehrdeutiger als die Passage bei Schopenhauer selbst. NB32 (11.10.–8.11.1854) NB32:35 348,6 ganzes Dasein … eine tiefe Wunde … Professoren-Philosophie beigebracht wird] vgl. die Abhandlung „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 129 – 188 (P I, 149 – 210).

3. Kommentar

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348,20 Er bernimmt es dann, der Askese usw. [einen] Platz im System anzuweisen] vgl. § 68 im vierten Buch „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: Bei erreichter Selbsterkenntniß Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 427 – 449, bes. S. 429f. (W I, 446 – 471, bes. 448f.), wo Schopenhauer schreibt: „Vergleichen wir das Leben mit einer Kreisbahn aus glühenden Kohlen, mit einigen kühlen Stellen, welche Bahn wir unablässig zu durchlaufen hätten; so tröstet den im Wahn befangenen die kühle Stelle, auf der er jetzt eben steht, oder die er nahe vor sich sieht, und er fährt fort die Bahn zu durchlaufen. Jener aber, der, das principium individuationis durchschauend, das Wesen der Dinge an sich und dadurch das Ganze erkennt, ist solchen Trostes nicht mehr empfänglich: er sieht sich an allen Stellen zugleich, und tritt heraus. – Sein Wille wendet sich, bejaht nicht mehr sein eigenes, sich in der Erscheinung spiegelndes Wesen, sondern verneint es. Das Phänomen wodurch dieses sich kund giebt, ist der Uebergang von der Tugend zur Askesis. Nämlich es genügt ihm nicht mehr, Andere sich selbst gleich zu lieben und für sie soviel zu thun, als für sich; sondern es entsteht in ihm ein Abscheu vor dem Wesen, dessen Ausdruck seine eigene Erscheinung ist, dem Willen zum Leben, dem Kern und Wesen jener als jammervoll erkannten Welt. Er verleugnet daher eben dieses in ihm erscheinende und schon durch seinen Leib ausgedrückte Wesen, und sein Thun straft jetzt seine Erscheinung Lügen, tritt in offnen Widerspruch mit derselben. Wesentlich nichts Anderes, als Erscheinung des Willens, hört er auf, irgend etwas zu wollen, hütet sich seinen Willen an irgend etwas zu hängen, sucht die größte Gleichgültigkeit gegen alle Dinge in sich zu befestigen.“ Vgl. auch S. 432 (W I, 452f.): „Vielleicht ist also hier zum ersten Male, abstrakt und rein von allem Mythischen, das innere Wesen der Heiligkeit, Selbstverleugnung, Ertödtung des Eigenwillens, Askesis, ausgesprochen als Verneinung des Willens zum Leben, eintretend, nachdem ihm die vollendete Erkenntniß seines eigenen Wesens zum Quietiv alles Wollens geworden.“ Vgl. auch S. 442 (W I, 463): „Unter dem schon öfter von mir gebrauchten Ausdruck Askesis verstehe ich, im engern Sinne, diese vorstzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens.“ Vgl. schließlich die folgende Passage in Kap. 48 „Zur Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 610 (W II, 704): „Quietismus, d. i. Aufgeben alles Wollens, Askesis, d. i. absichtliche Ertödtung des Eigenwillens, und Mysticismus, d. i. Bewußtseyn der Identität seines eigenen Wesens mit dem aller Dinge, oder dem Kern der Welt, stehn in genauester Verbindung; so daß wer sich zu einem derselben bekennt allmälig auch zur Annahme der andern, selbst gegen seinen Vorsatz, geleitet wird.“ – System: vgl. z. B. die Einleitung zu § 14 „Einige Bemerkungen über meine eigene Philosophie“ in „Fragmente zur Geschichte der Philosophie“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 121 (P I, 138f.): „Wohl kaum ist irgend ein philosophisches System so einfach und aus so wenigen Elementen zusammengesetzt, wie das meinige; daher sich dasselbe mit Einem Blick leicht überschauen und zusammenfassen läßt. Dies beruht zuletzt auf der völligen Einheit und Ueberein-

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stimmung seiner Grundgedanken, und ist überhaupt ein günstiges Zeichen für seine Wahrheit, die ja der Einfachheit verwandt ist“. 348,22 Nicht ohne große Selbstzufriedenheit … der erste … der Askese [einen] Platz im System angewiesen hat] vgl. den vorhergehenden Kommentar. 348,33 das Judentum … das altorthodoxe jdische Hausleben sthetisch] vgl. die Aufzeichnung NB23:211 (T 4, 309f. / SKS 24, 309) unter dem Titel „Religion in das Interessante übersetzt“, wo SK die Darstellung des altorthodoxen jüdischen Hauslebens in Novellen als Beispiel für eine solche ,Übersetzung‘ anführt. SK bezieht sich hier auf Geschichten aus dem Ghetto, Leipzig 1848, und Bçhmische Juden. Geschichten, Wien 1851, beide vom dt.-jüd. Schriftsteller und Publizisten L. Kompert; sowie auf En Jøde. Novelle af Adolph Meyer. Udgiven og forlagt af M. Goldschmidt [Ein Jude. Novelle von Adolph Meyer. Herausgegeben und verlegt von M. Goldtschmidt], Kopenhagen 1845, Ktl. 1547. 349,5 Mit … Grobheit schlgt er auf die Gewerbetreibenden … die lukrative Professorenphilosophie los] verweist z. B. auf die „Vorrede zur zweiten Auflage“ zu Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. XXVII (W I, XXVII), wo Schopenhauer über die Philosophieprofessoren schreibt: „Die Herren wollen leben und zwar von der Philosophie leben: an diese sind sie, mit Weib und Kind, gewiesen“. Vgl. auch „Ueber die Universitäts-Philosophie“ in Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 142 (P I, 161), wo Schopenhauer schreibt, „daß von jeher sehr wenige Philosophen Professoren der Philosophie gewesen sind, und verhältnißmäßig noch wenigere Professoren der Philosophie Philosophen; daher man sagen könnte, daß, wie die idioelektrischen Körper keine Leiter der Elektricität sind, so die Philosophen keine Professoren der Philosophie. In der That steht dem Selbstdenker diese Bestellung beinahe mehr im Wege, als jede andere.“ Vgl. auch S. 144 (P I, 163): „Ueberhaupt aber, wie sollte der, welcher für sich, nebst Weib und Kind, ein redliches Auskommen sucht, zugleich sich der Wahrheit weihen? der Wahrheit, die zu allen Zeiten ein gefährlicher Begleiter, ein überall unwillkommener Gast gewesen ist“. Vgl. auch S. 137f. (P I, 156f.), wo die beißende Kritik lautet: „Wer zu derselben Einsicht noch fernerer Belege bedarf, betrachte das Nachspiel zu der großen Hegel-Farce, nämlich die gleich darauf folgende, so überaus zeitgemäße Konversion des Herrn v. Schelling vom Spinozismus zum Bigotismus und seine darauf folgende Versetzung von München nach Berlin, unter Trompetenstößen aller Zeitungen, nach deren Andeutungen man hätte glauben können, er bringe dahin den persönlichen Gott, nach welchem so großes Begehr war, in der Tasche mit; worauf denn der Zudrang der Studenten so groß wurde, daß sie sogar durch die Fenster in den Hörsaal stiegen; dann, am Ende des Kursus, das Groß-Mannsdiplom, welches eine Anzahl Professoren der Universität, die seine Zuhörer gewesen, ihm unterthänigst überbrachten, und überhaupt die ganze, höchst glänzende und nicht weniger lukrative Rolle desselben in Berlin, die er ohne Erröthen durchgespielt hat; und das im hohen Alter, wo die Sorge um das Andenken, das man hinterläßt, in edleren Naturen jede andere überwiegt. Man könnte bei so etwas ordentlich wehmüthig werden; ja man könnte beinahe meynen, die Philosophieprofessoren selbst müßten dabei erröthen: doch das ist Schwärmerei. Wem nun aber nach Betrachtung einer solchen Konsummation nicht die Augen aufgehn über die Kathederphilosophie und ihre Helden, Dem ist nicht zu helfen.“

3. Kommentar

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349,9 dass S. Vermçgen hat] vgl. z. B. hierzu „Kurzer Lebensabriß Schopenhauer’s“ in Julius Frauenstädt Briefe ber die Schopenhauer’sche Philosophie, Leipzig 1854, Ktl. 515, S. XXIX-XXXII, bes. S. XXXI, wo Frauenstädt über Schopenhauers Leben nach seinem Umzug nach Frankfurt schreibt: „Weder genöthigt, für Geld arbeiten, noch ein Amt suchen zu müssen, blieb er in ungestörtem Besitz seiner Kräfte und seiner Zeit und seine Werke entstanden nicht, weil äußere Rücksichten sie hervorriefen.“ 349,9 Sokrates … unter einem Sophisten versteht … einen Mann zum Sophisten zu stempeln … Profit aus der Philosophie ziehe … dass man nicht Sophist sei] verweist vermutlich auf die folgende Passage in „Ueber die Universitäts-Philosophie“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 144 (P I, 163f.), wo Schopenhauer schreibt: „Ueberhaupt aber, wie sollte der, welcher für sich, nebst Weib und Kind, ein redliches Auskommen sucht, zugleich sich der Wahrheit weihen? der Wahrheit, die zu allen Zeiten ein gefährlicher Begleiter, ein überall unwillkommener Gast gewesen ist, – die vermuthlich auch deshalb nackt dargestellt wird, weil sie nichts mitbringt, nichts auszutheilen hat, sondern nur ihrer selbst wegen gesucht seyn will. Zwei so verschiedenen Herren, wie der Welt und der Wahrheit, die nichts, als den Anfangsbuchstaben, gemein haben, läßt sich zugleich nicht dienen: das Unternehmen führt zur Heuchelei, zur Augendienerei, zur Achselträgerei. Da kann es geschehn, daß aus einem Priester der Wahrheit ein Verfechter des Truges wird, der eifrig lehrt was er selbst nicht glaubt, dabei der vertrauensvollen Jugend die Zeit und den Kopf verdirbt, auch wohl gar, mit Verleugnung alles litterarischen Gewissens, zum Präkonen einflußreicher Pfuscher, z. B. frömmelnder Strohköpfe, sich hergiebt“. Vgl. auch S. 145 (P I, 164): „Daß die Philosophie sich nicht zum Brodgewerbe eigne, hat schon Plato in seinen Schilderungen der Sophisten, die er dem Sokrates gegenüberstellt, dargethan, am allerergötzlichsten aber im Eingang des Protagoras das Treiben und den Succeß dieser Leute mit unübertrefflicher Komik geschildert. Das Geldverdienen mit der Philosophie war und blieb, bei den Alten, das Merkmal, welches den Sophisten vom Philosophen unterschied.“ Vgl. auch S. 147 (P I, 167): „Ja, ich neige mich mehr und mehr zu der Meinung, daß es für die Philosophie heilsamer wäre, wenn sie aufhörte, ein Gewerbe zu seyn, und nicht mehr im bürgerlichen Leben, durch Professoren repräsentirt, aufträte. […] Jene Repräsentanten der Philosophie im bürgerlichen Leben repräsentiren sie meistens doch nur so, wie der Schauspieler den König. Waren etwan die Sophisten, welche Sokrates so unermüdlich befehdete und die Plato zum Thema seines Spottes macht, etwas Anderes, als Professoren der Philosophie und Rhetorik?“ Vgl. weiterhin den „Anhang“ zur „Skitze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 19 – 28, bes. S. 19 (P I, 22 – 32, bes. 22), wo es einleitend heißt: „Leser, welche mit Dem, was im Laufe dieses Jahrhunderts in Deutschland für Philosophie gegolten hat, bekannt sind, könnten vielleicht sich wundern, in dem Zwischenraume zwischen Kant und mir, weder den Fichte’schen Idealismus noch das System der absoluten Identität des Realen und Idealen erwähnt zu sehn, als welche doch unserm Thema ganz eigentlich anzugehören scheinen. Ich habe sie aber deswegen nicht mit aufzählen können, weil, meines Erachtens, Fichte, Schelling und Hegel keine Philosophen sind, indem ihnen das erste Erforderniß hiezu, Ernst und Red-

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lichkeit des Forschens, abgeht. Sie sind bloße Sophisten: sie wollten scheinen, nicht seyn, und haben nicht die Wahrheit, sondern ihr eigenes Wohl und Fortkommen in der Welt gesucht. Anstellung von den Regierungen, Honorar von Studenten und Buchhändlern und, als Mittel zu diesem Zweck, möglichst viel Aufsehn und Spektakel mit ihrer Scheinphilosophie, – Das waren die Leitsterne und begeisternden Genien dieser Schüler der Weisheit. Daher bestehn sie nicht die Eintrittskontrole und können nicht eingelassen werden in die ehrwürdige Gesellschaft der Denker für das Menschengeschlecht. / Inzwischen haben sie in Einer Sache excellirt, nämlich in der Kunst, das Publikum zu berücken und sich für Das, was sie nicht waren, geltend zu machen; wozu unstreitig Talent gehört, nur nicht philosophisches.“ Vgl. weiterhin S. 20 (P I, 23): „Hingegen ist es, für diese, ein schlimmes Auspicium, wenn man, angeblich auf die Erforschung der Wahrheit ausgehend, damit anfängt, aller Aufrichtigkeit, Redlichkeit, Lauterkeit, Lebewohl zu sagen, und nur darauf bedacht ist, sich für Das geltend zu machen, was man nicht ist. Dann nimmt man, eben wie jene drei Sophisten, bald ein falsches Pathos, bald einen erkünstelten hohen Ernst, bald die Miene unendlicher Ueberlegenheit an, um zu imponiren, wo man überzeugen zu können verzweifelt, schreibt unüberlegt, weil man, nur um zu schreiben denkend, das Denken bis zum Schreiben aufgespart hatte“. Vgl. schließlich S. 23 (P I, 26): „Demnach ist der wahre, unterscheidende Charakter der Philosophie dieser ganzen, sogenannten Nachkantischen Schule Unredlichkeit, ihr Element blauer Dunst und persönliche Zwecke ihr Ziel. Ihre Koryphäen waren bemüht, zu scheinen, nicht zu seyn: sie sind daher Sophisten, nicht Philosophen.“ 349,17 er sagt es selbst … das Zugestndnis ber sich selbst, das er an anderer Stelle macht] vgl. z. B. die folgende Passage aus § 68 im vierten Buch von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, S. 432 (W I, 452), wo Schopenhauer über den Unterschied zwischen der intuitiven und der abstrakten Erkenntnis schreibt: „Zwischen beiden ist eine weite Kluft, über welche, in Hinsicht auf die Erkenntniß des Wesens der Welt, allein die Philosophie führt. Intuitiv nämlich, oder in concreto, ist sich eigentlich jeder Mensch aller philosophischen Wahrheiten bewußt: sie aber in sein abstraktes Wissen, in die Reflexion zu bringen, ist das Geschäft des Philosophen, der weiter nichts soll, noch kann.“ Vgl. auch S. 433 (W I, 453), wo es heißt: „Es ist […] sowenig nöthig, daß der Heilige ein Philosoph, als daß der Philosoph ein Heiliger sei: so wie es nicht nöthig ist, daß ein vollkommen schöner Mensch ein großer Bildhauer, oder daß ein großer Bildhauer auch selbst ein schöner Mensch sei. Das ganze Wesen der Welt abstrakt, allgemein und deutlich in Begriffen zu wiederholen, und es so als reflektirtes Abbild in bleibenden und stets bereit liegenden Begriffen der Vernunft niederzulegen: dieses und nichts anderes ist Philosophie. […] / Aber eben auch nur abstrakt und allgemein und daher kalt ist meine obige Schilderung der Verneinung des Willens zum Leben, oder des Wandels einer schönen Seele, eines resignirten, freiwillig büßenden Heiligen.“ NB32:92 349,27 In Platons Staat … Wort von Phokylides (dei fgteim biotgm, aqetgm d’ otam 0 bior gdg cfr. Heise in den Anmerkungen)] verweist auf die folgende Passage des dritten Buchs von Platons Staat, wo Sokrates Glaukon fragt: „Also auf

3. Kommentar

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den Phokylides, sprach ich, hörst du nicht, wie er sagt, es müsse, wer schon seinen Lebensunterhalt habe, die Tugend üben?“ (Platons Werke, übers. v. Friedrich Schleiermacher, Theil 1 – 3, Bd. 1 – 6, verb. Aufl., Berlin 1817 – 1828, Ktl. 1158 – 1163; hier Theil 3, Bd. 1 (Bd. 6), S. 200 (407a)). – dei fgteim biotgm, aqetgm d’ otam 0 bior gdg : gr., ,Man soll das Nötige zur Aufrechterhaltung des Lebens suchen und erst, wenn das gefunden ist, die Tugend‘. SK lässt wie häufig eine Reihe von Akzenten und Spiritus aus; vgl. für die korrekte Form das folgende Zitat aus Heise. – cfr. Heise in den Anmerkungen: SK verweist hier auf die von ihm verwendete dän. Übersetzung Platons: Platons Stat [Platons Staat], übers. von C. J. Heise, Bd. 1 – 3, Kopenhagen 1851 (Bd. 4 – 6 in Udvalgte Dialoger af Platon [Ausgewählte Dialoge Platons], übers. von C. J. Heise, Kopenhagen 1830 – 1851, Ktl. 1164 – 1167); hier Bd. 1 (Bd. 4), S. 180. Die Anmerkung S. 292 lautet: „Phokylides’ Wort. In den Scholien zu Aristoteles’ Topik (Brandis’ Ausg. S. 275) ist dieser Vers von Phokylides aufbewahrt und lautet folgendermaßen: / de? fgte?m biot^m, !qetµm d’ ftam × b_or Edg. / Aus der Stelle bei Aristoteles wird deutlich, dass die Bedeutung diese ist, dass ein geringeres Gut oftmals einem höheren vorgezogen werden muss, wenn jenes im Augenblick absolut notwendig ist. Das Philosophieren ist demnach wichtiger als der Gelderwerb, aber für denjenigen, dem das Notwendige fehlt, bleibt das letztere das wichtigste“. Der Verweis auf Brandis bezieht sich auf Scholia in Aristotelem, collegit Chr. Aug. Brandis, edidit Academia Regia Borussica, Berlin 1836, S. 275. SK verweist also auf die Stelle bei Platon, notiert das Zitat aber, vermittelt über Heises Anmerkung, nach Aristoteles. 349,31 Schopenhauer … dass ein Englnder … sich ein Gewissen zu halten sei eine derart kostspielige Lebensweise … ihm das nicht erlaubten] verweist auf die folgende Passage aus § 13 im Kap. III „Begründung der Ethik“ von Ueber die Grundlage der Moral in Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 196 (E, 192), wo Schopenhauer von einem „Engländer“ spricht, „der geradezu sagte: I cannot afford to keep a conscience (ein Gewissen zu halten ist für mich zu kostspielig)“. NB32:103 350,7 Das Recht des Strkeren gilt … das Recht des Klgeren gilt. (A. Schopenhauer)] verweist auf die folgende Passage aus Kap. IV „Von Dem, was Einer vorstellt“ in den „Aphorismen zur Lebensweisheit“ von Parerga und Paralipomena, Bd. 1, S. 368f. (P I, 413): „Die Rechtfertigung, die man im Bestehen des offenen Kampfes sucht, setzt […] voraus, daß das Recht des Strkeren wirklich ein Recht sei. In Wahrheit aber giebt der Umstand, daß der Andere sich schlecht zu wehren versteht, mir zwar die Möglichkeit, jedoch keineswegs das Recht, ihn umzubringen; sondern dieses letztere, also meine moralische Rechtfertigung, kann allein auf den Motiven, die ich, ihm das Leben zu nehmen, habe, beruhen. Nehmen wir nun an, diese wären wirklich vorhanden und zureichend; so ist durchaus kein Grund da, es jetzt noch davon abhängig zu machen, ob er, oder ich, besser schießen oder fechten könne, sondern dann ist es gleichviel, auf welche Art ich ihm das Leben nehme, ob von hinten oder von vorne. Denn moralisch hat das Recht des Stärkeren nicht mehr Gewicht, als das Recht Des Klügeren, welches beim hinterlistigen Morde angewandt wird: hier wiegt also dem Faustrecht das

380

Anhang. Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854

Kopfrecht gleich; wozu noch bemerkt sei, daß auch beim Duell das eine wie das andere geltend gemacht wird, indem schon jede Finte, beim Fechten, Hinterlist ist.“ 350,15 wogegen das Xstt. raste] verweist vermutlich auf Röm 1,24 – 32. 350,18 In einem der lteren Manuskripte … die Klugheit als das spezifische bel ausgefhrt] verweist auf die Aufzeichnung NB29:96 „Klugheit – und Klugheit“ vom Juni 1854 (SKS 25, 357 – 360; nicht in T übers.). NB32:137 350,25 Er zeigt … die Journalisten ab, die davon leben, Meinungen zu verleihen … wie die Kostme hufig sind, die Masken-Verleiher verleihen] Wiedergabe der folgenden Passage zum Schluss von Kap. 7 in „Ergänzungen zum ersten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 91 (W II, 98): „Während Jeder sich schämen würde, in einem geborgten Rock, Hut oder Mantel umherzugehn, haben sie Alle keine anderen, als geborgte Meinungen, die sie begierig aufraffen, wo sie ihrer habhaft werden, und dann, sie für eigen ausgebend, damit herumstolziren. Andere borgen sie wieder von ihnen und machen es damit eben so. Dies erklärt die schnelle und weite Verbreitung der Irrthümer, wie auch den Ruhm des Schlechten: denn die Meinungsverleiher von Profession, also Journalisten u. dgl., geben in der Regel nur falsche Waare aus, wie die Ausleiher der Maskenanzüge nur falsche Juwelen.“ NB35 (3.–12.12.1854) NB35:14 352,2 Schopenhauer … dass jedem Mschen ein Irrtum angeboren … glcklich zu sein] SK übersetzt die erste Zeile von Kap. 49 „Die Heilsordnung“ in „Ergänzungen zum vierten Buch“ von Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, S. 628 (W II, 729).

4. Übersicht Aufzeichnung SKS (dn.)

T (dt.)

JP (engl.)

T 5, 184 – – – – – – T 5, 195 – 200 T 5, 195 T 5, 205f.

JP 4:3872 JP 4:3873 JP 4:4229] JP 4:3874 JP 4:3875 JP 4:3876 JP 4:4998 (p. 575) JP 4:3877 JP 4:3877 JP 4:3878

– – – – T 5, 209 – – – – T 5, 209f. T 5, 210 – 212 (211) T 5, 218

JP 1:111] JP 4:3879 JP 4:3879 JP 4:3880 JP 2:1620 JP 4:3881 JP 4:3882 JP 4:3882 JP 4:3882 JP 2:1621 JP 3: 2550 (p. 100) JP 6:6883

T 5, 264 – 266 T 5, 281f. (281) – – – T 5, 306f. T 5, 307

JP 4:3883 JP 4:3362 JP 4:3836] JP 4:3884 JP 3:3099 (p. 413)] JP 4:3885 JP 4:3886

NB29 (5.5.–27.6.1854) NB29:26 NB29:29 [NB29:50 NB29:62 NB29:63 NB29:91 NB29:92 NB29:95 NB29:95.a NB29:114

SKS 25, 314f. SKS 25, 316 SKS 25, 325 SKS 25, 331 SKS 25, 331 SKS 25, 349 SKS 25, 349 – 351 (349) SKS 25, 352 – 357 SKS 25, 352 SKS 25, 376

NB30 (28.6.–15.8.1854) [NB30:4 NB30:9 NB30:9.a NB30:10 NB30:11 NB30:12 NB30:12.a NB30:12.a.a NB30:12.a.b NB30:13 NB30:22 NB30:41.a

SKS 25, 386 SKS 25, 388 SKS 25, 388 SKS 25, 388 SKS 25, 388 SKS 25, 389f. SKS 25, 390 SKS 25, 390 SKS 25, 390 SKS 25, 390f. SKS 25, 399 – 401 (400) SKS 25, 414

NB32 (11.10.–8.11.1854) NB32:35 NB32:92 [NB32:94 NB32:103 [NB32:132 NB32:137 NB32:137.a

SKS 26, 141f. SKS 26, 180f. (180) SKS 26, 183 SKS 26, 190 SKS 26, 221 – 226 (221) SKS 26, 233f. SKS 26, 233

382

Anhang. Kierkegaards Journalaufzeichnungen zu Schopenhauer 1854

Aufzeichnung SKS (dn.)

T (dt.)

JP (engl.)



JP 4:4728]

– –

JP 4:3970 (p. 94) JP 4:4917 (p. 527)]

NB33 (9.–23.11.1854) [NB33:58

SKS 26, 307

NB35 (3.–12.12.1854) NB35:14 [NB35:16

SKS 26, 375f. (376) SKS 26, 378f. (379)

Bibliographie Schopenhauer – Kierkegaard Adorno, Theodor W. Kierkegaard. Konstruktion des sthetischen [1933] in Gesammelte Schriften, Bd. 1 – 20, Frankfurt a.M. 1970 – 1986, hier Bd. 2, 1979, S. 16, S. 243f. – Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschdigten Leben [1951] in Gesammelte Schriften, Bd. 1 – 20, Frankfurt a.M. 1970 – 1986, hier Bd. 4, 1980, S. 172f. – Drei Studien zu Hegel [1963] in Gesammelte Schriften, Bd. 1 – 20, Frankfurt a.M. 1970 – 1986, hier Bd. 5, 1971, S. 292f. Braun, Peter Vernunft und Endlichkeit. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Problem der Endlichkeit des Daseins in der Philosophie Arthur Schopenhauers unter besonderer Bercksichtigung alternativer Reflexionsanstze (Philosophie in der Blauen Eule, Bd. 42), Essen 2000, S. 153 – 160. Chestov, Léon Kierkegaard et la Philosophie Existentielle (Vox clamantis in deserto), übers. a. d. Russ. v. T. Rageot / B. de Schloezer, Paris 1938, S. 276 – 278, 297 [Schestow, Leo Kierkegaard und die Existenzphilosophie. Die Stimme Eines Rufenden in der Wste, autorisierte Übers. a. d. Russ. v. Hans Ruoff, Graz 1949, S. 202f., 216; Shestov, Lev Kierkegaard and the Existential Philosophy, übers. v. Elinor Hewitt, Athens, Ohio 1969, S. 227f., 243]. Dachnij, Andrij „Schopenhauer und Kierkegaard. Parallelen im Lichte der Romantik und der heutigen geistigen Situation“ in Schopenhauer im Kontext. Deutsch-polnisches Schopenhauer-Symposion 2000 (Beitrge zur Philosophie Schopenhauers, Bd. 5), hrsg. v. Dieter Birnbacher / Andreas Lorenz / Leon Miodonski, Würzburg 2002, S. 133 – 139. Davini, Simonella „Schopenhauer. Kierkegaard’s Late Encounter with His Opposite“ in Kierkegaard and His German Contemporaries, Bd. 1: Philosophy (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, vol. 6, t. 1), hrsg. v. Jon Stewart, Aldershot / Burlington 2007, S. 277 – 292. Dietz, Walter „Servum arbitrium. Zur Konzeption der Willensfreiheit bei Luther, Schopenhauer und Kierkegaard“ in Neue Zeitschrift fr Systematische Theologie und Religionsphilosophie 42, H. 2, 2000, S. 181 – 194. Feger, Hans „Das Rad des Ixion. Schopenhauers Ästhetik als Problem“ in Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/ Schelling) (Studien zur Phnomenologie und praktischen Philosophie, Bd. 1), hrsg. v. Lore Hühn, Würzburg 2006, S. 297 – 319, hier S. 310 – 319 [auch in ders. Poetische Vernunft. Moral und sthetik im deutschen Idealismus, Stuttgart / Weimar 2007, S. 476 – 485]. Fujino, Hiroshi „Shopenhaua no bigaku to Kierukegoru no jitsuzon rini. hitotsu no areka / koreka“ in Tetsugaku (Nihon Tetsugakkai) 48, 1997, S. 247 – 256 [Schopenhauers Ästhetik und Kierkegaards Existenzethik – ein „Entweder/ Oder“; Abstract auf Deutsch ebd., S. 7]. Garff, Joakim „[Review of] Johannes Sløk. Livets Elendighed. Kierkegaard og Schopenhauer“ in Kierkegaardiana 20, 1999, S. 339 – 341.

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Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger Eva Birkenstock, Dr. Institut für Gerontologie Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Str. 20 D – 69115 Heidelberg [email protected] Joachim Boldt, Dr. Institut für Ethik und Geschichte der Medizin Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Stefan-Meier-Str. 26 D – 79104 Freiburg [email protected] Niels Jørgen Cappelørn, Prof. Dr. Dr. theol. h.c. Professor of Kierkegaard Studies at the University of Copenhagen Director of Søren Kierkegaard Research Centre Foundation Farvergade 27 D DK – 1463 København K [email protected] Walter Dietz, Prof. Dr. Evangelisch-Theologische Fakultät Seminar für Systematische Theologie und Sozialethik Johannes Gutenberg-Universität Mainz D – 55099 Mainz [email protected] Søren R. Fauth, Prof. Dr. Institut for Sprog, Litteratur og Kultur/Institut für Sprache, Literatur und Kultur Aarhus Universität/Universität Aarhus Jens Chr. Skous Vej 5 DK – 8000 Århus C [email protected] Jochem Hennigfeld, Prof. Dr. Mendelweg 38 D – 40491 Düsseldorf [email protected]

388

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Tobias Hölterhof, M.A. Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement Universität Duisburg-Essen Forsthausweg 2, Gebäude LC D – 47057 Duisburg [email protected] Lore Hühn, Prof. Dr. Philosophisches Seminar Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Platz der Universität 3 D – 79098 Freiburg [email protected] Matthias Koßler, Prof. Dr. Schopenhauer-Forschungsstelle Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Colonel-Kleinmann-Weg 2 D – 55128 Mainz [email protected] George Pattison, Prof. Dr. Christ Church UK – Oxford OX1 1DP [email protected] Ettore Rocca, Dr. University of Reggio Calabria / Søren Kierkegaard Research Centre Farvergade 27 D DK – 1463 København K [email protected] Hartmut Rosenau, Prof. Dr. Institut für Systematische Theologie Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Leibnizstraße 4 D – 24118 Kiel [email protected] Claus-Artur Scheier, Prof. Dr. Seminar für Philosophie Technische Universität Braunschweig Bienroder Weg 80/1301 D – 38106 Braunschweig [email protected]

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Philipp Schwab, M.A. Philosophisches Seminar Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Platz der Universität 3 D – 79098 Freiburg [email protected] Tilo Wesche, PD Dr. Philosophisches Seminar Universität Basel Nadelberg 6 – 8 Ch – 4051 Basel [email protected]

389

Siglen und Abkürzungen I. Zitierweise der Werke Schopenhauers 1. Die Normalzitierung der von Schopenhauer selbst veröffentlichten Werke erfolgt nach: Arthur Schopenhauer Smtliche Werke, hrsg. v. Arthur Hübscher, 7 Bände, Mannheim 41988 [1937 – 1941]. G Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (Werke I: Schriften zur Erkenntnislehre) F Ueber das Sehn und die Farben (Werke I: Schriften zur Erkenntnislehre) W I Die Welt als Wille und Vorstellung I (Werke II) W II Die Welt als Wille und Vorstellung II (Werke III) N Ueber den Willen in der Natur (Werke IV [I]) E Die Beiden Grundprobleme der Ethik I. Ueber die Freiheit des menschlichen Willens II. Ueber das Fundament der Moral (Werke IV [II]) P I Parerga und Paralipomena I (Werke V) P II Parerga und Paralipomena II (Werke VI) Wird nach einer anderen Ausgabe als der Hübschers zitiert, so ist diese Ausgabe in der ersten Fußnote vollständig ausgewiesen und im Folgenden durch ein eindeutiges Kürzel kenntlich gemacht: (Lç) für „Löhneysen“, (L) für „Lütkehaus“ und (ZA) für „Zürcher Ausgabe“; zudem sind neben der Seitenzahl die entsprechenden Kapitel bzw. Paragraphen angegeben. 2. Der Nachlass Schopenhauers wird zitiert nach: Arthur Schopenhauer Der Handschriftliche Nachlaß, hrsg. v. Arthur Hübscher, 5 Bände in 6, Frankfurt a.M. 1966 – 1975; Taschenausgabe (band- und seitengleich) München 1985. HN I Die frühen Manuskripte 1804 – 1808 HN II Kritische Auseinandersetzungen 1809 – 1818 HN III Berliner Manuskripte 1818 – 1830 HN IV (1) Die Manuskripte der Jahre 1830 – 1852

392

Siglen und Abkürzungen

HN IV (2) Letzte Manuskripte/Graciáns Handorakel HN V Arthur Schopenhauers Randschriften zu Büchern

II. Zitierweise der Werke Kierkegaards 1. Dnische Abkrzungen Ktl. B&A Pap.

SV2

SKS

Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards bogsamling, udg. af H. P. Rohde, Det Kongelige Bibliotek, København 1967. Breve og Aktstykker vedrørende Søren Kierkegaard, udg. af Niels Thulstrup, bd. I–II, Munksgaard, København 1953 – 1954. Søren Kierkegaards Papirer, bd. I–XI,3, udg. af P. A. Heiberg, V. Kuhr og E. Torsting, Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag, København 1909 – 1948; Anden forøgede Udgave, bd. I–XI,3, ved N. Thulstrup, bd. XII–XIII (suplementsbind), udg. af N. Thulstrup, bd. XIV–XVI Index af N. J. Cappelørn, København: Gyldendal 1968 – 1978. Samlede Værker, 2. udg. ved A. B. Drachmann, J. L. Heiberg og H. O. Lange, bd. I–XV, bd. XV „Sag- og Forfatterregister“ ved A. Ibsen og „Terminologisk Register“ ved J. Himmelstrup, Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag, København 1920 – 1936. Søren Kierkegaards Skrifter, udg. af Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Anne Mette Hansen og Johnny Kondrup, bd. 1 – 55, Søren Kierkegaard Forskningscenteret og G.E.C. Gads Forlag, København 1997–.

2. Englische Abkrzungen JP

KW

AN AR

Søren Kierkegaard’s Journals and Papers, ed. and trans. by Howard V. Hong and Edna H. Hong, assisted by Gregor Malantschuk, vol. 1 – 6, vol. 7 Index and Composite Collation, Bloomington / London: Indiana University Press 1967 – 1978. Kierkegaard’s Writings, trans. by Howard V. Hong and Edna H. Hong, vol. I-XXVI, Princeton: Princeton University Press 1978 – 1998. Armed Neutrality, KW XXII. On Authority and Revelation, The Book on Adler, trans. by Walter Lowrie. Princeton: Princeton University Press 1955.

Siglen und Abkürzungen

BA C CA CD CI COR CUP1 CUP2 EO1 EO2 EOP EPW

EUD FSE FT FTP JC JFY KAC LD P PC PF PLR

PLS PVW

PV R

393

The Book on Adler, KW XXIV. The Crisis and a Crisis in the Life of an Actress, KW XVII. The Concept of Anxiety, trans. by Reidar Thomte in collaboration with Albert B. Anderson, KW VIII. Christian Discourses, KW XVII. The Concept of Irony, KW II. The Corsair Affair; Articles Related to the Writings, KW XIII. Concluding Unscientific Postscript, KW XII,1. Concluding Unscientific Postscript, KWXII,2. Either/Or, Part I, KW III. Either/Or, Part II, KW IV. Either/Or, trans. by Alastair Hannay, Harmondsworth: Penguin Books 1992. Early Polemical Writings: From the Papers of One Still Living; Articles from Student Days; The Battle Between the Old and the New SoapCellars, trans. by Julia Watkin, KW I. Eighteen Upbuilding Discourses, KW V. For Self-Examination, KW XXI. Fear and Trembling, KW VI. Fear and Trembling, trans. with an introduction by Alastair Hannay, London / New York: Penguin Books 1985. Johannes Climacus, or De omnibus dubitandum est, KW VII. Judge for Yourselves, KW XXI. Kierkegaard’s Attack upon „Christendom,“ 1854 – 1855, trans. by Walter Lowrie, Princeton: Princeton University Press 1944. Letters and Documents, trans. by Hendrik Rosenmeier, KW XXV. Prefaces / Writing Sampler, trans. by Todd W. Nichol, KW IX. Practice in Christianity, KW XX. Philosophical Fragments, KW VII. Prefaces: Light Reading for Certain Classes as the Occasion May Require, trans. by William McDonald, Tallahassee: Florida State University Press 1989. Concluding Unscientific Postscript, trans. by David F. Swenson and Walter Lowrie, Princeton: Princeton University Press 1941. The Point of View for My Work as an Author including On My Work as an Author, trans. by Walter Lowrie, New York / London: Oxford University Press 1939. The Point of View including On My Work as an Author and The Point of View for My Work as an Author, KW XXII. Repetition, KW VI.

394 SBL SDP SL SUD TA TD UD WA

WL

Siglen und Abkürzungen

Notes of Schelling’s Berlin Lectures, KW II. The Sickness unto Death, trans. with an introduction and notes by Alastair Hannay, London / New York: Penguin Books 1989. Stages on Life’s Way, KW XI. The Sickness unto Death, KW XIX. Two Ages: The Age of Revolution and the Present Age. A Literary Review, KW XIV. Three Discourses on Imagined Occasions, KW X. Upbuilding Discourses in Various Spirits, KW XV. Without Authority including The Lily in the Field and the Bird of the Air, Two Ethical-Religious Essays, Three Discourses at the Communion on Fridays, An Upbuilding Discourse, Two Discourses at the Communion on Fridays, KW XVIII. Works of Love, KW XVI.

3. Deutsche Abkrzungen T 1 – 5 Die Tagebcher, übers. und hrsg. von Hayo Gerdes, Bd. 1 – 5, Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf / Köln 1962 – 1974. GW Gesammelte Werke, übers. und hrsg. von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans-Martin Junghans, 36 Abtlg. in 26 Bdn. und Registerbd., Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf / Köln 1950 – 1969 [Nachdruck: Grevenberg: Simmerath 2003f.]. DSKE Deutsche Søren Kierkegaard Edition, hrsg. v. Niels Jørgen Cappelørn, Hermann Deuser, Joachim Grage und Heiko Schulz in Zusammenarbeit mit dem Søren Kierkegaard Forskningscenter in Kopenhagen, Berlin / New York 2005–. A Der Augenblick, GW 24. AUN Abschließende Unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, GW 10 – 11. B Briefe, GW 25. BA Der Begriff Angst, GW 7. BI ber den Begriff der Ironie mit stndiger Rcksicht auf Sokrates, GW 21. BA Das Buch ber Adler, GW 26. CR Christlichen Reden 1848, GW 15. CS Der Corsarenstreit, GW 22. DRG Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten 1845, GW 8. EC Einbung im Christentum, GW 18.

Siglen und Abkürzungen

EER EO1 EO2 ERG ES FZ GU GWS JC KA KK KT LA LF LP LT PB 2R43 3R43 4R43 2R44 3R44 4R44 RAF SLW SS US V W WCC WS ZKA ZS

395

Eine erbauliche Rede 1850, GW 19. Entweder/Oder, 1. Teil, GW 1. Entweder/Oder, 2. Teil, GW 2. Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, GW 13. Erstlingsschriften, GW 20. Furcht und Zittern, GW 3. Gottes Unvernderlichkeit, GW 24. Der Gesichtspunkt fr meine Wirksamkeit als Schriftsteller, GW 23. Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est, GW 6. Kleine Aufstze 1842 – 51, GW 22. Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin, GW 16. Die Krankheit zum Tode, GW 17. Eine literarische Anzeige, GW 12. Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel, GW 16. Aus eines noch Lebenden Papieren, GW 20. Der Liebe Tun, GW 14. Philosophische Brocken, GW1 6. Zwei erbauliche Reden 1843, GW 2. Drei erbauliche Reden 1843, GW 4. Vier erbauliche Reden 1843, GW 5. Zwei erbauliche Reden 1844, GW 5. Drei erbauliche Reden 1844, GW 5. Vier erbauliche Reden 1844, GW 8. Zwei Reden beim Altargang am Freitag 1851, GW1 19. Stadien auf des Lebens Weg, GW 9. Die Schriften ber sich selbst, GW 23. Urteilt selbst, GW 19. Vorworte, GW 7. Die Wiederholung, GW 4. Wie Christus ber das amtliche Christentum urteilt, GW 24. ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller, GW 23. Zwo kleine ethisch-religiçse Abhandlungen, GW 16. Zur Selbstprfung der Gegenwart anbefohlen 1851, GW 19.

III. Zitierweise der Werke Kants AA

Kant’s gesammelte Schriften, I. Abteilung: Werke (Bd. I–IX); II. Abteilung: Briefwechsel (Bd.X–XIII); III. Abteilung: Nachlaß (Bd. XIV-XXIII); IV. Abteilung: Vorlesungen (Bd. XXIV–XXIX),

396

Siglen und Abkürzungen

hrsg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff. GMS KpV KrV KU Log. MAN MS Prol. Rel.

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV. Kritik der praktischen Vernunft, AA V. Kritik der reinen Vernunft, AA IV (1. Aufl.: A); AA III (2. Aufl.: B). Kritik der Urteilskraft, AA V. Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen, AA IX. Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft, AA IV. Metaphysik der Sitten, AA VI. Prolegomena zu einer jeden knftigen Metaphysik, AA IV. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI.

Namensregister Beitragsteil A (Ästhetiker) 56–62, 149, 161, 173f., 176, 195–203, 205–207, 209, 240, 267–269, 271f., 277–281, 296 Abel 57 Abraham 40 Adam 57, 78, 134–136 Adler, A. 160 Adorno, T. W. 3, 87, 102, 205, 277, 280, 315 Andersen, H. C. 70 Andromache 48 Angehrn, E. 187, 237 Anti-Climacus 93f., 97, 172 Antonius v. Padua 79 Apollon 271 Aristoteles 25, 185, 274, 288, 295, 297, 308, 311 Atwell, J. E. 289 Augustinus, A. 25, 133, 136f., 152, 154–157, 275, 291 Aurel, M. 25

Bongardt, M. 142 Bonhoeffer, D. 178 Born, J. 103f., 120, 123 Bösl, A. 134, 142 Brandes, G. 82 Burton, R. 48f. Byron, G. Lord 49, 58

B (Ethiker) siehe Wilhelm (Gerichtsrat) Baranzke, H. 214 Barnes, A. 305 Barth, K. 162, 176 Barth, R. 292 Baudelaire, C. 50 Baumgarten, A. G. 275f. Beau Brummel 49 Beckett, S. 106 Bentham, J. 192 Berkeley, G. 189 Bernhard v. Clairvaux 23 Biel, G. 154 Birkenstock, E. 184, 192, 196 Birnbacher, D. 184, 191, 236, 238 Böhm, T. 292 Böhringer, F. 24

Dalferth, I. U. 300f. Danaiden 12f., 106, 324 Dante Alighieri 187 David, C. 105 Davidson, D. 299 Davini, S. 250 Decher, F. 177 Deleuze, G. 84 Derrida, J. 71, 75f. Descartes, R. 25, 155, 170, 172, 185 Deuser, H. 85, 144, 290 Dietz, W. 133, 146, 151, 163, 179 Dionysius (Pseudo-)Areopagita 275 Don Juan 49, 60, 74, 196 Dostojewski, F. M. 50, 103 Drewermann, E. 166 Dworkin, R. 206, 208

Calderon de la Barca, P. 114 Calvin, J. 25, 165, 170 Camus, A. 76 Cappelørn, N. J. 1 Cartwright, D. 193 Christus 71, 97, 120, 135, 177, 281, 286, 319f. Chrysostomus, J. 23 Cicero, M. T. 114 Conant, J. 314 Constantin Constantius 196 Cordelia 60, 62, 74 Cyprian 25

398 Eckert, W. P. 275 Eilittä, L. 105 Emundts, D. 306 Enders, M. 319 Epiktet 25 Erasmus v. Rotterdam 153f. Erdmann, J. E. 30 Ernst, G. 297 Estragon 106 Eva 57, 78

Namensregister Beitragsteil

25, 150,

Feuerbach, L. 76 Fichte, I. H. 30f. Fichte, J. G. 4f., 10, 155, 162, 169, 180, 274 Flaubert, G. 79, 103, 277 Fleischer, M. 152 Foot, P. 308 Foster, C. 286 Fortlage, K. 29f., 32 Frauenstädt, J. 29–32 Frege, G. 74, 189, 300 Freud, S. 67, 74, 77f., 160, 173, 176, 186, 305 Fujino, H. 241 Gadamer, H.-G. 320f. Galle, F. 25 Garff, J. 1f., 59, 97, 165, 175, 177 Garroni, E. 257, 261 v. Goethe, J. W. 27, 85, 279 Goldsmith, O. 54 Golomb, J. 240 Greve, W. 4, 40, 273, 280 Grøn, A. 202, 294, 313 Grözinger, K. E. 113 Gyenge, Z. 144 Habermas, J. 14, 188f. Hagemann, T. 314 Halbig, C. 297 Hallich, O. 16, 189, 236 Hamsun, K. 103 Harrison, G. 47 Hedinger, U. 166 Hegel, G. W. F. 5, 21, 32, 67f., 71, 73, 98, 133, 144, 149, 159, 162,

165, 167–169, 173–175, 183, 192, 196, 205, 225, 247, 278, 282, 293, 301f., 304–312, 319f., 322 Heiberg, J. L. 59 Heidegger, M. 67–69, 72, 76, 162, 185, 201, 293, 298f., 302f., 305–312, 319 Hennigfeld, J. 147 Henry, P. 25 Heraklit 27, 85 Hermanni, F. 163 Hilberg, N. S. 292 Hillman, J. 193 Hilt, A. 188 Hindrichs, G. 22 Hiob 176 Hohenegger, H. 260 Holm, S. 97 Horaz 46 Horstmann, R.-P. 306 Hübscher, A. 151, 179 Hühn, L. 3, 16, 83, 101, 146, 149, 294, 322 Husserl, E. 68 Iber, C. 191 Indridason, A. 50 Ixion 12f., 106 Jacoby, M. G. 294 Jain, E. 286 Janke, W. 274f., 290 Jantzen, J. 11 Jaspers, K. 84, 162, 175, 209 Jeremia 176 Jesaja 177 Johannes Climacus 91–95, 240, 270 Johannes der Verfhrer 60, 62, 74, 161, 277 Johnson, S. 48 Jonas, H. 230 Joseph K. 109, 113 Jung, C. G. 160, 193 K. (Landvermesser) 119 Kafka, F. 103–105, 107–113, 115, 117–122, 124–129 Kafka, O. 104

Namensregister Beitragsteil

Kain 57 Kant, I. 5, 15, 20, 28, 30, 72, 76, 117, 139, 146, 152, 154f., 158, 168f., 180, 188f., 191, 204, 211f., 214–220, 222, 224, 232, 255–262, 267, 269f., 276, 278f., 283, 287, 296, 299 Kesselring, T. 187 Klibansky, R. 208 Koefoed-Hansen, H. P. 59 Köhler, W. 120, 123f. Kolderup-Rosenvinge, J. L. A. 70 Koßler, M. 8, 133 Krenzke, H. J. 73 Lange, W. 105 Leibniz, G. W. 15, 152, 159, 161f., 179, 187, 239 Leukipp 75 Liessmann, K. P. 174 Lindner, O. 31 Lowrie, W. 59 Luther, M. 35, 120, 133, 135–138, 141f., 149–157, 161, 164f., 167, 178, 180, 207 Magee, B. 186 Malebranche, N. 25 Malter, R. 136, 153, 157, 160, 162f., 176, 179–181 Martensen, H. L. 100 Marx, K. 72, 74–76, 79 McDowell, J. 308 Melanchthon, P. 25, 135, 151, 153, 156, 159 Mele, A. R. 305 Miles, T. P. 84 Moravia, A. 50, 58 Moser, T. 177 de la Mothe-Guyon, J. M. B. 39 Müller, A. 25 Müller, J. 154 Mynster, J. P. 100 Møller, P. M. 20f. Neander, A. 22f. Neymeyr, B. 265, 285 Nientied, M. 94, 314

399

Nietzsche, F. 3, 18, 60f., 68, 76, 79, 81–84, 160, 177, 181, 251f. Noack, L. 30 Olsen, R. 25, 105 Onegin, E. 50 Orpheus 123 Ozsvath, Z. 104 Paetzold, H. 287 Panofsky, E. 208 Parmenides 75 Pascal, B. 22f., 48, 50 Pattison, G. 196, 314 Pauen, M. 188 Paulus 120, 123, 157, 171, 176f., 280 Perpeet, W. 273, 278 Phaidon 192 Pieper, A. 190 Platon, Platoniker 25, 48, 98, 123, 168, 185, 192, 262, 274, 279, 282f. Plotin 275 Pochat, G. 274f. Polaschegg, A. 120 Poole, R. 29, 93 Praz, M. 77 Prometheus 9 Pulmer, K. 279 Puschkin, A. S. 50 Racine, J. 48 Reuchlin, H. 23 Recki, B. 189, 191 Reed, T. J. 104 Ricœur, P. 240 Rilke, R. M. 290 Rocca, E. 270 Rohde, P. P. 175 Rosenau, H. 274 Rosenzweig, F. 101 Rößler, C. F. 24f. Roth, G. 188 Rothe, R. 165 Rousseau, J.-J. 17, 73 Rudelbach, A. G. 204

400

Namensregister Beitragsteil

Salomo 201 Salvian v. Marseille 24 Sandbothe, M. 289 Sartre, J.-P. 64, 75f., 155, 162, 306 Satz, M. 104 Savonarola, G. H. 24 Saxl, F. 208 Scaravelli, L. 207 Schacht, R. 294 Schah v. Persien 57 Scheer, B. 287 Scheier, C.-A. 14, 70–74, 77, 85, 148 v. Schelling, F. W. J. 5, 10f., 69, 76, 79, 83, 144, 146, 155, 162, 167, 171, 174f., 282 Schirmacher, W. 187f. Schleiermacher, F. D. E. 154, 162, 165 Schmidt, A. 163, 184 Schmidt, J. 91 Schnädelbach, H. 177 Schneider, N. 289 Schöndorf, H. 184, 238 Schrempf, C. 59, 104 Schroots, J. J. F. 209 Schulz, H. 292 Schulz, W. 203, 282 Schwab, P. 2, 5, 16, 83–85, 87, 91f., 98, 134, 184, 314 Seebass, G. 238, 244 Sefler, G. F. 294 Seneca, L. A. 28 Shakespeare, W. 103, 197 Sheppard, R. 105 Sibbern, F. C. 21 Singer, W. 188 Sisyphos 37 Sokrates 98f., 192, 202, 312 Sooväli, J. 84 Sophokles 55 Sørensen, V. 87 Spaemann, R. 292 Spalatin, G. B. 156 de Spinoza, B. 163, 175, 189 Stavrogin, N. 50 Steffens, A. 284

Steinacker, P. 274, 285 Stoellger, P. 301 Stokes, P. 235, 248 Strindberg, J. A. 103 Suarez, F. 159 Svendsen, L. 50 Swidrigailow 50 Tantalos 11–13, 106 Tarkian, T. 297 Tertullian 24 Thales 185 Theunissen, M. 4f., 9, 13f., 184, 197, 199, 202f., 207, 294, 312, 317, 323, 326 Thomas v. Aquin 152 Tolstoi, L. N. 103 Troeltsch, E. 165 Tugendhat, E. 185f., 241, 298 Ullmann, C.

25

Viallaneix, N. 97 Victor Eremita 192, 200, 271 Vigilius Haufniensis 63–65, 174 Wagner, R. 76f., 79, 289 Weber, M. 165 Weisshaupt, K. 294 Wellbery, D. E. 106 Wesche, T. 41, 94, 301, 312, 326 Wilde, O. 273 Wilhelm (Gerichtsrat) 4, 59, 62, 65, 74, 173f., 176, 195, 197, 200–203, 205–207, 209, 271–273, 277–279, 296 Wilhelm, K. W. 8 Wischke, M. 17 Wittgenstein, L. 185, 291, 295, 300 Wolf, U. 218f., 298 Wolff, H. M. 179 Wüstehube, A. 11 Young, E. Zumthor, P.

173 262

Sachregister Beitragsteil Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift 91–96, 98, 225, 241, 244, 246–248, 250, 270, 277, 294f., 315 Absolutes, Absolutheit, absolut 4, 43, 69, 73, 156f., 161, 163f., 169, 180f., 193, 200f., 210, 265, 277, 281–283, 292, 306 Abstraktion, abstrakt 32, 36, 38, 41, 89f., 179, 208, 217, 220f., 223, 232, 238f., 289, 298, 301, 326f. – abstrakte Erkenntnis siehe Erkenntnis acedia 48 adaequatio intellectus ad rem, a. rei ad intellectum 286, 298f., 315 aesthetic siehe ästhetisch Affekt, Affektion, affektiv 119, 151, 153, 159, 173, 189f., 209, 237, 244 Allgemeines, Allgemeinheit 14, 42–44, 74, 90, 94, 215, 257f., 271 – allgemeines Urteil siehe Urteil Anderer, Anderes 58f., 61f., 202, 204, 208, 210, 226–228, 325 Anerkennung 45, 81, 87, 148, 313, 323f. Anschauung 119, 121, 220, 238, 246, 264, 275, 284, 289, 327 – ästhetische 197 – reine 284, 287 Aneignung 7, 93–95 Angst 35, 63, 68, 77f., 133, 141–143, 145–147, 149, 160, 164, 166–174, 178, 184–186, 194f., 197f., 203, 305–307, 312f. – Existenzial A. 68 – Gewissens- 146 Anxiety siehe Angst asceticism siehe Askese

Aseität 138, 148, 161 Askese, asketisch 5f., 16, 26, 32, 35, 38, 40, 43–46, 88f., 95f., 101, 123f., 134, 148, 152, 172f., 181, 187f., 210, 223, 246, 249, 282f., 285, 288 Asket 2f., 16, 38, 45, 85, 87–89, 95f., 134, 184, 286 Ästhetik, ästhetisch 15–17, 73f., 79, 85, 149, 161, 173f., 176, 194–196, 199f., 202, 206f., 209, 246, 250, 255f., 259–264, 267–270, 272f., 275–282, 284–287, 289f., 296, 313, 319, 325 – ästhetische Anschauung siehe Anschauung – ästhetische Erfahrung siehe Erfahrung – ästhetische Existenz siehe Existenz – ästhetisches Stadium siehe Stadium – ästhetisches Urteil siehe Urteil Aufforderung 39, 46 Augenblick 6, 9, 12, 38f., 41, 79, 82, 84, 142–144, 167, 195, 197f., 203, 277f., 288 Autonomie 10f., 74, 121, 155, 190, 205f., 265, 276f. Der Begriff Angst 18, 47, 63–65, 67, 77f., 104, 133f., 141–147, 149, 152, 155, 157, 165f., 170, 186, 203, 228 ber den Begriff der Ironie 56, 70, 98, 175 boredom siehe Langeweile Böses 11, 52, 57, 63, 76, 110, 115, 137, 145, 154, 168f., 193 Brahmanismus 114, 117 Buddhismus 114, 117, 165, 183, 322

402

Sachregister Beitragsteil

Bewusstsein 7, 41f., 44, 71–73, 75, 82, 84, 106f., 115–117, 120, 122f., 125, 133, 139–142, 152, 179, 190, 228, 242f., 256, 260f., 263, 267, 269, 282, 305f., 324 – B. des Bedürfnisses, B. des Mangels 260–262 – Selbst- 186, 188f., 191f., 256f., 260–262, 264, 266–270, 285, 306 captivitas 155, 157 Charakter 2, 45, 86, 88f., 99, 138–141, 143, 145–148, 152, 158f., 180, 187, 192–194, 196, 204, 216, 284, 325 – empirischer 139, 141, 158 – intelligibler 76, 139 Christenheit 98f. Christentum, christlich 8, 21, 26, 32, 69, 75, 79, 82, 86f., 93, 97–100, 110, 114, 120, 133f., 137, 142, 146, 148, 163–165, 176f., 224, 226, 247, 250f., 268f., 275, 277, 280f., 284, 319 The Concept of Anxiety siehe Der Begriff Angst contemplation siehe Kontemplation conversio siehe Umkehr Dämonisches, dämonisch 11, 47, 63–65, 168, 170, 268f., 272 Dialektik, dialektisch 9, 12, 42f., 55, 91, 93, 97, 135, 170, 179, 183, 186, 201, 210, 310 – Existenz- 159, 161f. Die beiden Grundprobleme der Ethik 16, 20, 27–29, 31, 138–141, 144–146, 186, 190f., 193, 219–222 diffrance 75 Differenz 10, 17, 51, 62, 71, 75, 81, 83f., 89, 101, 133, 145f., 152–154, 164, 171f., 174f., 178, 180, 183, 272, 283, 322 Ding an sich 40, 136, 139, 158, 161, 189, 243, 265f., 269, 283, 289 Distraktion, existenzielle 89, 98 Dogmatik 117, 134, 141

Doppelreflexion 91–95, 97 Du 67, 69, 73–75, 78 Egoismus 4, 18, 36f., 188, 190 Einzelner 3, 14, 44, 69, 75f., 92, 95f., 100, 102, 143, 157, 180f., 194, 216f., 227, 246 Einbung im Christentum 93, 97, 319 Either/Or siehe Entweder/Oder Endlichkeit, Endliches 42, 73, 142, 156, 162, 186, 192, 199–201, 203, 207, 209, 290, 307 ennui siehe Langeweile Entlastung 305–309, 312f., 315 Entscheidung 79, 128, 184, 191f., 194–196, 198–208, 210, 217, 310 – Entscheidungsfreiheit siehe Freiheit Entweder/Oder 4, 7, 9, 47, 56–61, 74, 104, 149, 173, 175, 185, 194–210, 240, 255, 268f., 271–273, 277–281 Erbsünde siehe Sünde Erfahrung 1, 4, 17, 36, 39, 43f., 103, 110, 114, 117–119, 139f., 143, 198, 202, 256–260, 262–265, 274, 282f., 288, 303, 313, 318, 323, 326 – ästhetische 38, 255f., 258–267, 269f., 276 Erkenntnis 37, 39, 46, 95, 107, 114f., 117f., 120, 123, 125, 138, 151, 179–181, 185, 211, 213, 215f., 221, 223–226, 228, 237, 256–260, 265–267, 285–287, 289, 299, 303–305, 323, 325 – abstrakte 37, 96, 117, 239, 326 – Ideen- siehe Idee – intuitive 96, 144, 239 – Selbst- 15, 37, 155, 186, 188, 190, 201f., 207, 210, 265, 267 – E. des Selbst 40, 43 Erlösung 13, 45, 63, 66, 76, 114, 120f., 123–126, 128f., 133, 135, 144, 146f., 153f., 160–162, 171, 177, 180, 198, 208, 281–284, 287–289 eternal siehe Ewiges

Sachregister Beitragsteil

Ethik 16f., 45, 86–90, 95, 114, 122, 124, 134, 138, 148, 185, 189, 207, 210, 212, 214–220, 223–226, 332f., 246, 248f., 273f., 295, 297f. – ethische Existenz siehe Existenz – ethisches Gefühl siehe Gefühl – ethisches Stadium siehe Stadium – konkret-maieutische 5 – Mitleids- 14, 16, 18, 164, 168, 183, 189, 191, 193 – performative 5 – Pflicht- 295 Eudämonismus 44 Evidenz 255, 292, 300–303, 307, 315, 327 evil siehe Böses Ewiges, Ewigkeit 7, 42f., 65, 143f., 173, 198, 228, 270, 277, 313 Existenz, Existierender 5, 8, 11, 36, 41, 44, 46, 75f., 79, 88, 92, 94f., 99f., 115, 129, 172, 183, 185–188, 199, 203f., 208, 213, 228, 241, 251, 270, 272, 276, 280, 290 – ästhetische 46, 271, 277, 279, 281, 285 – Existenzdialektik siehe Dialektik – Existenzstadium siehe Stadium – Existenzvollzug 3, 37, 90, 100f. – ethische 37, 277, 279 – religiöse 277, 279 fl neur 48, 50 Freiheit 3, 7–9, 42f., 45, 120, 133, 135, 138f., 141f., 144, 146f., 151–158, 160, 167, 169f., 173f., 180f., 186, 188, 191, 198f., 201, 203, 205f., 210, 228, 230–232, 252, 278–281, 284f., 305, 307–309, 311, 316, 321 – empirische 158 – Entscheidungs- 184, 186, 191, 210 – Handlungs- 150, 156, 158, 193 – liberum arbitrium (indifferentiae) 137, 144, 149, 152–154, 174, 179, 190, 210 – negative 8, 158, 187, 190, 199

403

– positive 158, 164 – transzendentale 158 – Willens- 146, 150, 161 Furcht und Zittern 36, 40–44, 46, 104, 279, 290 Gefühl 40f., 158, 167, 173, 183f., 194, 198, 256, 258f., 276, 296 – ethisches 222, 226 – G. des Mitleids siehe Mitleid Geist 14, 39, 123, 129, 142f., 159f., 166, 169, 172, 186, 203, 228, 239, 268–270, 287f., 310 Gerechtigkeit 37, 107–110, 112–114, 121, 138, 152, 201, 298 Gewissen 141, 155 – Gewissensangst siehe Angst 136 Gewissheit 186, 227f., 282, 296, 298, 302, 307, 320f. Glaube 40, 44, 75, 134, 138, 147, 154, 158, 162, 280f., 289f., 293, 313, 322 – Ritter des G. 43 Gnade 8f., 120, 135, 137f., 141, 154 Gnosis 113, 116, 120, 123, 125, 284 Gott 10f., 23f., 69–71, 75, 123, 137f., 142, 147f., 153, 155f., 159, 162f., 167, 169f., 176–178, 180, 204f., 226, 228–230, 233, 287, 294, 317 Gutes 114, 129, 154, 168, 201, 212f., 215f., 219, 221, 223, 231f., 273–276, 278, 282 Handlungsfreiheit siehe Freiheit Heiliger 7, 38f., 89, 323, 326f. – systemerzeugter 100–102 Hoffnung 197f., 207, 230, 247, 292f., 295, 315–318, 320 Ich

7, 9f., 41, 73f., 155, 190, 249, 302, 305, 308 – Nicht-Ich 110 – Über-Ich 74, 249 Idealismus 100, 102, 164, 174, 196, 274, 282

404

Sachregister Beitragsteil

– deutscher 14f., 36, 69, 79, 82, 144, 169, 173, 192, 282 Idee 114, 121, 135f., 155, 192, 201, 239, 256, 262–264, 267f., 283, 285–289, 308, 315 – Ideenerkenntnis 262, 285–288 incurvatio, incurvatus in se (ipsum) 154, 180f. Individualität 136, 139, 142f., 147, 157, 164, 180, 192f., 236, 262f., 269, 285 Individuum 36, 74, 77, 79, 107, 119, 128, 136f., 139f., 143, 167, 180, 186, 196, 200, 204–209, 262, 265, 270, 284, 286 Intellekt 107, 150, 160, 162, 170, 179, 189f., 238, 246 Interessantes 278 Interesse 23, 85, 96, 212f., 215–217, 256, 261–263, 265, 267, 270, 276, 287, 308 Ironie 98, 105, 277 – sokratische 202 Iteration siehe Unendlichkeit, schlechte

114–116, 118, 121, 125, 127, 136, 140, 148, 172f., 175–177, 185, 195–200, 202, 205–209, 223, 232f., 247–249, 251f., 271, 274, 278, 286, 290, 295–297, 312f., 323f., 326 – intellectual life 54, 62 – Lebensanschauung 244–246, 250, 296 – Lebensgeschichte 199, 204f. – Wille zum L. siehe Wille Leiden 15f., 26f., 32, 36f., 39, 44, 52f., 55, 72, 108, 110f., 114, 116f., 119f., 122, 125f., 138, 140, 145, 163, 165, 171, 176–178, 183, 185–187, 195, 218, 220–222, 224f., 236f., 239–252, 283–285, 288, 323f., 326f. liberum arbitrium (indifferentiae) siehe Freiheit Liebe 37, 40–42, 77, 164, 173, 175, 177, 190, 197, 199, 201 life, intellectual siehe Leben Logos 70

Kallistik 274f., 279 Kontemplation, kontemplativ 16f., 35, 38–40, 44–46, 54, 85, 89, 134, 148, 184, 246, 263f., 270, 286 Körper, Körperlichkeit 115, 123, 125, 129, 184, 237 Korrespondenztheorie siehe Wahrheit Die Krankheit zum Tode 5, 9–11, 13, 43, 104, 113, 147–149, 155, 172, 179, 199, 203, 241f., 294, 312, 317 Kunst 40, 71, 73, 93, 95, 262–265, 267–270, 273f., 277, 279–290, 292, 311, 325

Maieutik, Maieutiker, maieutisch 98f. Mangel 36, 44, 83, 148, 156, 161, 175, 220, 239, 242, 245, 260–262, 266, 283, 288, 317, 323–325 Melancholie 184, 205, 208 Metaphysik, metaphysisch 3, 13, 15, 36, 40, 43, 67f., 70–72, 75, 78, 83, 105, 107–110, 114f., 117f., 121–123, 127–129, 134f., 143–145, 163, 175, 185, 189, 192, 238, 249, 275, 282–285, 289, 295, 300 Mitleid 16–18, 37f., 145, 148, 157, 164, 188, 191, 223, 226, 248, 251, 326 – Gefühl des Mitleids 17, 222 – Mitleidsethik siehe Ethik Mitteilender 92f., 97 Mitteilung, indirekte 6, 83f., 90–93, 97–99, 280, 289f., 293, 313–315, 318f., 321

Langeweile 47–62, 65f., 84, 105, 173, 184, 194, 239, 244, 324 Leib 106f., 116–119, 123f., 126, 142, 144, 166, 181, 209, 238, 244, 282f., 327 Leben 4f., 7, 10, 36, 38f., 40–42, 44, 72, 106f., 109, 111f.,

Sachregister Beitragsteil

Moderne 1, 10, 11, 14, 68, 70, 75, 77, 79, 82, 100, 102f., 106, 109, 121, 165, 197, 204, 211, 224 – industrielle 69f., 72, 76 Möglichkeit 9, 63–65, 72, 74, 78, 96, 137, 141f., 146f., 154f., 162f., 170, 174, 194, 197, 199, 203, 206, 210, 264, 269, 277f., 285, 311 Moral, Moralität, moralisch 8, 17, 83, 126, 138, 145, 152f., 168, 188, 193, 207, 216, 218–221, 248, 271, 273, 276f., 279, 296, 304, 318, 320, 322, 326 Motiv, Motivation 12, 77, 107, 139, 158–160, 180, 185f., 190f., 212, 215, 219f., 222f., 243f., 283, 285, 307, 317 Mystik, Mystiker 35, 38, 104, 172, 286, 322f., 326–328 Mythos 7, 70, 110 Natur 69f., 77f., 106, 114, 117f., 129, 135–138, 140, 158, 166f., 170, 179, 186, 189, 211f., 218f., 221, 224, 228–233, 257f., 274, 276, 308, 316, 319 Negativismus 323 Negativität 4, 10, 163, 165, 310, 323 Nichts 7, 67, 72f., 75f., 78f., 124, 155, 161, 167, 280, 288f., 306, 315 Nihilismus, nihilistisch 1, 3f., 9f., 12 Notwendigkeit 128, 150, 154, 156, 158, 160, 170, 180, 195, 201, 203, 205, 210, 219, 228–230, 250, 279f., 308, 318f., 321 Objekt, Objektität, Objektivation 119, 140, 144, 157, 166, 190, 212, 214, 227–229, 238, 241, 243, 249, 262–265, 267, 282, 286, 289, 294 Objektivität, objektiv 92–95, 101, 140, 151, 166, 189, 198, 263, 265, 276, 294, 321 Offenbarung 69, 99, 123, 287

405

Ohnmacht 5, 105, 143, 192, 194, 237 Onto-Theo-Logik 69, 71f. Optimismus, optimistisch 15, 45, 86, 161, 163, 165, 174, 176 pain siehe Leiden Paradox, Paradoxie 43 Parerga und Paralipomena 20, 28, 31, 51–55, 76, 111, 134, 138, 143, 249, 263, 322 Pelagianismus 154 – antipelagianisch 155 Person, Persönlichkeit 7, 84, 87f., 110, 113, 139, 145, 147, 184, 186, 193, 200, 202f., 209f., 214, 218, 240, 295f., 301f., 312 Pessimismus, Pessimist 2, 45, 188, 283 Pflichtethik siehe Ethik Philister 55 Philosophische Brocken 69, 75f., 93, 231, 312 physis siehe Natur Plebejer 59, 62 Plötzliches siehe Augenblick possibility siehe Möglichkeit principium individuationis 6, 14, 37, 105, 108, 110, 143, 193 Prinzip 16, 109, 123, 191f., 207, 215, 218, 256–259, 268f., 278, 308–310, 315, 318 Produktion, Produktivität 69–78 – industrielle 72, 78 Professoren-Philosophie 86–88 Protestantismus 165, 176 Pseudonym, Pseudonymität 2, 90, 93, 95, 194, 196, 240, 242, 267f., 271 Quietiv, Quietismus 265, 282, 288f.

38, 122, 246,

Redakteur (d. eigenen Biographie) 204 redemption siehe Erlösung Reduplikation 84f., 90, 92, 97–100

406

Sachregister Beitragsteil

Reflexion, Reflexionsbewegung 43, 46, 75, 93–95, 97, 99, 153, 170, 180, 244–247, 251, 282, 288f., 306, 314, 322f. – Reflexionslosigkeit 244f., 251 Religion, religiös 45, 68f., 75, 79, 103f., 115, 127, 134, 148, 177, 189, 224, 277, 281, 285f., 290–292, 294–296, 322f. – religiöse Existenz siehe Existenz – religiöser Schriftsteller 68, 71 – religiöses Stadium siehe Stadium Reproduktion, reproduzieren 13, 72, 75, 77f., 191 Resignation 35–45, 84, 128, 148, 161, 173, 249, 251, 285, 288, 290, 326f. – Ritter der R. 40–42 – unendliche 41, 289 Reue 75, 133, 145–148, 159, 166f., 198, 206 Rhetorik, rhetorisch 13, 314 salvation siehe Erlösung Satz vom Grund 135, 158, 161, 189f., 283–288, 327 Schleier der Maja 12, 105 Schuld 10, 76, 108–116, 121, 129, 133, 135–138, 140f., 147, 193, 209, 241f., 306 Schwermut 105, 194, 197, 241f. Selbst 3–5, 10f., 13f., 16, 37, 39–44, 125, 141, 143, 147, 152, 155–157, 159–162, 167f., 171f., 181, 184, 190, 195, 199, 201, 203f., 218, 227f., 241, 249f., 272, 294, 302, 317 – -wahl 6f., 9, 201, 203, 207, 271 Selbstbewusstsein siehe Bewusstsein Selbsterkenntnis siehe Erkenntnis Selbstisches 143 Serialisierung 74f. sin siehe Sünde Sollen 148, 152, 210, 213, 222, 225, 233 Sophist, Sophistisches, Sophistik 2, 46, 89, 97, 158 Soteriologie 103, 123, 126, 164

spleen 32, 47–49 Sprung 5, 40f., 75f., 78, 84, 134, 141f., 162, 203, 247, 277, 279 Stadium, Exstenzstadium 202, 207, 267, 269, 279, 281 – ästhetisches 44, 73–75, 77, 197 – ethisches 74 – religiöses 69, 75f. Subjekt, Subjektivität 9, 11–14, 17, 94f., 99, 105f., 116, 119, 121, 127, 144, 155, 157, 161f., 164, 168–171, 173f., 179, 186, 189, 190–192, 209f., 224, 229f., 241, 247, 256, 260–265, 269, 275, 282, 284–289, 293–295 suffering siehe Leiden Sünde 9, 48, 63, 65, 76, 113, 134–138, 140–147, 152–154, 156f., 176, 208 – Erbsünde 76, 110, 133–138, 140f., 143, 146, 154, 157, 177 – Sündenfall 10, 77f., 110, 135–138, 153 Synthesis 142f., 162, 203 System 3, 14f., 30, 36, 45f., 69, 83f., 88, 95f., 100f., 111, 115, 123, 128f., 163, 184, 240, 249, 257f. Tabu 77 Tat, intelligible 146 Täuschung 110, 140, 242–249, 251f., 301–305, 307–309, 313, 319, 325 – Selbst- 172, 304–307, 309–313, 315–319, 321, 324f. Theodizee 137f., 163, 239 Theologie 67, 69, 73, 134, 137, 153, 231, 286, 292, 322 Tier 106, 136f., 140, 159, 166, 187, 192, 211–215, 217–225, 227–233 – -ethik 211f., 214, 233 Tragödie, tragisch 16, 39f., 43f., 195, 197, 272, 306 transzendental 142, 152, 155, 158, 169, 188, 258, 276, 282 – transzendentale Freiheit siehe Freiheit

Sachregister Beitragsteil

Trieb 3, 77, 107, 165f., 169, 173, 189, 209f., 220, 283, 325 Trotz 10, 13, 43, 121, 127, 156, 176, 180, 218, 242, 257, 265, 320 Tugend 7, 17f., 37, 56, 64f., 89, 96, 114, 161, 193, 271, 274, 295 – Chinese cardinal virtues 27 ber meine Wirksamkeit als Schriftsteller 92, 98, 314 Ueber den Willen in der Natur 19, 138, 140 Umkehr 7 Umkehrung 8, 73f. Unendlichkeit, Unendliches 42f., 73, 77, 156, 162, 192, 203 – schlechte 13, 278 Unfreiheit 133f., 141f., 151, 153f., 156, 159, 170, 174, 191 Unmittelbarkeit 43, 73f., 169, 172, 244–246, 248, 250, 268 Urteil 77, 109, 116f., 122, 276, 296, 301, 304, 308, 312f., 316, 319 – allgemeines 297 – ästhetisches 256, 259, 261, 276f. – empirisches 297 – Wert- 294–296, 298, 307, 313f., 317 Verfehlung 10, 14, 153, 207, 304, 308f. Verneinung des Willens siehe Wille Verzweiflung, verzweifelt 9–11, 13, 39, 43, 76, 147, 149, 152, 154, 156, 161f., 169, 171–174, 178, 180f., 184, 194, 197, 202, 241f., 246, 271f., 277–281, 312f., 317, 324 virtue siehe Tugend Vorstellung 12, 119, 139f., 151, 159, 189f., 207, 215, 238, 249, 259f., 267, 275, 282–285, 287, 289, 305, 327 – Vorstellungswelt 105, 107, 109, 119, 124, 267, 283 Wahl 4–6, 37, 45, 137, 139, 174, 195f., 198, 200–206, 209f.

407

– Selbst- siehe Selbst Wahrheit 27, 71, 99, 110, 114, 116, 134, 144, 156, 177, 188, 201, 224–227, 230–232, 248, 251f., 291–323, 325, 327f. – ,Hineinbetrügen in das Wahre‘ 98, 314 – Korrespondenztheorie (der W.) 293, 298, 300, 315 – objektive 294, 298, 315 – subjektive 295, 298, 315 Wahrnehmung 189, 220, 238, 247, 257f., 275, 282 Welt 4, 6f., 11f., 15, 24, 39, 72, 75, 77, 79, 86, 90, 101f., 107–111, 114, 116–119, 122–124, 129, 134, 138, 140, 148, 159–161, 165, 176f., 185–187, 191, 198, 204–206, 226, 237–239, 257, 267, 269, 281, 284, 286, 289f., 299–301 – -ordnung 122, 125f., 129 – Vorstellungswelt siehe Vorstellung Die Welt als Wille und Vorstellung 4, 6–8, 12–15, 20, 27, 29, 31, 36–39, 51f., 55, 72, 78, 82, 85, 89f., 96, 101, 106–108, 110f., 114, 117, 119f., 123f., 126, 134–142, 144–146, 149, 154, 157–161, 163, 165f., 174, 176, 179, 185–187, 189f., 192, 210, 220, 223, 238f., 243–247, 249, 255, 262–267, 269, 282–289, 323, 327 ,Wenigerdenken‘ 238f. Werturteil siehe Urteil Wiederholung 90, 92, 107, 267, 273, 278, 319–322 Wille 3–7, 12, 14f., 36–40, 72, 76f., 83f., 102, 106f., 110, 117, 119f., 124, 126, 133, 135–141, 143–146, 148, 150f., 153f., 157–170, 172–174, 176, 179–181, 186, 189–192, 220, 222f., 238, 243f., 249, 264–267, 269, 283–285, 289, 327 – Verneinung des Willens 3, 6, 8, 36–38, 76, 114, 122f., 126, 135,

408

Sachregister Beitragsteil

137f., 140, 146, 248f., 322f., 325f. – Willensfreiheit siehe Freiheit – Willensmetaphysik 1, 3, 107f., 149, 161f., 243, 245, 265, 279, 282, 285 – W. zum Leben 3, 36f., 39, 43, 72, 76f., 107f., 110, 112, 120, 123, 126, 135–137, 146, 166, 249, 322, 324, 326 Windbeutel, -schlucker 86, 159 Wirklichkeit 11, 15, 40, 42, 72, 78, 83f., 96, 134, 141, 158, 168, 170, 173, 194, 203, 206f., 213, 221, 226, 231, 272, 278f., 299, 311, 326

Wissen 123, 192f., 299–301, 303–308, 320, 322f., 325, 327 World as Will and Representation siehe Die Welt als Wille und Vorstellung Zeit

8, 10, 12, 43, 70, 81, 88, 97, 108, 135f., 141, 143f., 159, 196–199, 202f., 205, 240, 249, 264, 277, 288f., 297, 311 – -erfahrung 12 – Zeitlichkeit 12, 41, 43, 108, 110, 115, 142–144, 202, 205 Zeugung, Zeugungsakt 76, 107, 111, 135f., 142, 166 Zweck 1, 72, 101, 115, 140, 166, 229, 243, 258–263, 265f., 276

Namens- und Sachregister Anhang Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift 364, 367 !c²pg siehe Liebe Alchemie 336 Altes Testament 368 Anerkennung 340f., 348, 365 Anschauung 357, 360 – intellektuale 359, 370 Aristoteles 364, 379 Askese, Asket 337–339, 344f., 348f., 357, 360, 362, 368f., 374–376 – asketisches Prinzip 368, 374 Astrologie 336, 354f. Aurel, M. 365 Brahmanismus 339, 359f., 367 Brandis, C. A. 379 Buddhismus 360, 367 Cappelørn, N. J. 331, 361, 363 caritas siehe Liebe Charakter 339f., 346, 348f., 360, 373, 378 – ethischer 339 – religiöser 341 Christenheit 339 Christentum, christlich 331–333, 337, 339, 342–346, 350, 357, 359f., 366–368, 372, 374, 380 – christlicher Optimismus siehe Optimismus Christ 333, 342 Corsar 363 Dasein 337f., 343–345, 348, 374 Dialektisches 344f. Die beiden Grundprobleme der Ethik 333, 353f., 359, 363f., 370–373, 379

de¼teqor pkoOr (zweiter Weg)

337, 357 Docendo discimus 336, 353 Dogmen (d. christlichen Glaubenslehre) 360 Ehe 346, 374 Engländer 349f., 379 Entsagung 356, 361, 368 Entweder/Oder 363 Epiktet 365 Epikureismus 342 Erkenntnis 363 – abstrakte 358, 378 – intuitive 358, 378 Erlösung, Erlöser 341, 357, 360 Ethik, ethisch 335, 337–342, 354, 356–360, 363–365, 369 – ethischer Charakter siehe Charakter Eudaimonismus 342, 345, 369 Ewigkeit 338f., 359f. Fauth, S. R. 331 Fichte, J. G. 366, 370f., 373, 377 Fortpflanzung 351 Frau 334, 337 Frauenstädt, J. 377 Genie, Genialität 338, 359, 378 Gerdes, H. 331 Gesetz 354, 359 – moralisches 354 Gewissen 349f., 377, 379 Gift 342f., 365 Glaukon 378 v. Goethe, J. W. 335, 353 Goldschmidt, M. A. 376 Gott, Götter, göttlich 335, 339f., 343, 353f., 357, 360–362, 366, 376 Griechisch 339, 343, 366, 368

410

Namens- und Sachregister Anhang

Hegel, G. W. F. 343, 345f., 362, 366, 370–373, 376f. Heiliger 357f., 360, 378 Heinsius, T. 369 Heise, C. J. 349, 378f. Heraklit 335, 353 Hinduismus 165 Hoffnung 347, 374 Idealismus 377 Imperativ, kategorischer 358f. Indien 339, 343, 359f., 366 Ironie 340 Johannes Climacus 344, 367 Journalist 340, 350f., 380 Judentum, jüdisch, 348, 368, 376 – jüdisches Hausleben 348, 376 – jüdischer Optimismus siehe Optimismus Kant, I. 333, 336, 353f., 358f., 366, 370–373, 377 Katharina v. Bora 374 Kaufleute 336, 355 Kirche 368, 374 Klugheit 350, 380 Komisches 341, 364 Kompert, L. 376 Kontemplation 337f., 342, 356f. König 341, 361, 377 Kopenhagen 339f., 364 Körper 361, 365, 376 Leben 336–338, 342, 344, 349–354, 356–359, 365, 367, 369, 374f., 378f. – bürgerliches 361, 377 – menschenfeindliche Lebensanschauung 340 Leiden 335, 337f., 341, 344f., 356–359, 365, 367, 369 Lenkung 343, 366 Liebe 357f., 360f. Lügen-Philosophie siehe ProfessorenPhilosophie Luther, M. 331, 333, 346, 368, 374

Masken-Verleiher 351, 380 Melancholie 344 Mensch, menschlich 332f., 335f., 338f., 341–344, 348, 350–354, 356–361, 363–369, 378, 380 Meyer, A. 376 Mitleid 337f., 357f. Molbech, C. 372 Moral, moralisch 336, 343, 353–356, 369 – moralisches Gesetz siehe Gesetz – Moralprinzip 337, 357 Mortifikation 338, 344, 357, 361, 369, 375 Motiv 338, 356, 359, 379 Mystik, Mystiker 357, 360 – mohammedanische 360 Mythos 360 Neues Testament 344, 346, 368 Notwendigkeit 343, 346, 372 Objekt 355, 365, 368 Optimismus 344, 348, 360, 367f. – christlicher 342 – jüdischer 344, 368 Paludan-Müller, F. 334 Parerga und Paralipomena 333f., 355, 361f., 366, 370–379 Person 356f., 360 Pessimist, Pessimismus 348 Pelagianismus 367 Philosophie 339, 345f., 349, 354, 358, 360–363, 366, 368, 370f., 373, 376–379 Phokylides 349, 378f. Platon 349, 370, 378f. Polizeioffizier, christlicher 339 Preisschrift 340, 356, 362–364, 371 principium individuationis 356f., 375 Professoren-Philosophie 345f., 348f., 366, 371, 374, 376, 378 Protagoras 361, 377 Protestantismus 344, 367f., 374 Pseudonym, Pseudonymität 337, 355, 367

Namens- und Sachregister Anhang

Quietiv, Quietismus 362, 369, 375

337, 356f.,

Recht des Stärkeren 350, 379 Reflexion 358f., 365, 370, 378 Religion, religiös 339–341, 348, 360, 368, 376 – religiöser Charakter siehe Charakter Resignation 356f., 359f. Rhetorik 362, 377 Schauspieler 342, 361, 365, 377 Scheinphilosophie siehe ProfessorenPhilosophie v. Schelling, F. W. J. 362, 366, 370f., 373, 376f. Schleiermacher, F. D. E. 379 Schwermut, indische 344, 367 Selbstmord 343, 365 Seneca, L. A. 353, 365 Sokrates 347, 349, 361, 377f. Sollen 354, 359 Sophist, sophistisch 348f., 361, 366, 370f., 373, 377f. Spinozismus 362, 372, 376 Stadien auf des Lebens Weg 355 Stil, stilistisch 347 Stoiker, Stoizismus 343, 345, 365, 368f. Strafe 338, 359 Sympathie siehe Mitleid System 348f., 373, 375–377 Tennemann, W. G.

365

411

Tragisches 341 Trondheim 340, 363f. Tugend 336, 349, 357f., 375, 379 Universitätsphilosophie siehe Professoren-Philosophie Verneinung des Willens siehe Wille Vorsokratiker 353 Vorworte 355 Wahrheit 358, 360–363, 368, 373, 376–379 Welt 336, 341, 349, 351f., 355–359, 364–369, 371, 375, 377f. Weltgeschichte 346, 366, 372 Die Welt als Wille und Vorstellung 333, 343, 353, 356–362, 365–376, 378, 380 Wille 344, 348, 354, 356–358, 360–362, 364, 368f., 375 – Verneinung des Willens 356f., 360, 367, 369, 374f., 378 Windbeutel, -schlucker 345f., 366, 369–373 Wissenschaft 336, 354f. Zeit

337, 348, 353, 355, 360f., 368, 372f., 376f. – charakterlose 348 – -alter 346, 371, 373 Zweck 354, 363, 365, 367, 369, 371–374, 378