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German Pages 289 Year 1982
JOACHIM STRÖFER
Schadensersatz und Kommerzialisierung
Schriften zum Bürgerlichen Recht
Band 70
Schadensersatz und Kommerzialisierung Grund probleme der Grenzbereiche von materiellem und immateriellem Schaden unter besonderer Berücksichtigung des Vertragsrechts
Von
Dr. Joachim Ströfer
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05103 3
Meinen Eltern
"Sobald wir eben den sicheren Boden des Vermögensschadens verlassen haben, tappen wir ins Ungewisse und wir müssen Schritt für Schritt feststellen, wo das Recht noch einen Schutz durch Schadensersatz gewährt." (Hans Albrecht Fischer, Der Schaden nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich, Jena 1903, S. 262)
"Nicht in der Aufstellung eines einheitlichen allein seligmachenden Prinzips, sondern in der Erkenntnis der Mannigfaltigkeit der abzuwägenden Interessen wird die Zukunft unseres Schadensersatzrechtes liegen." (Max RümeZin, Schadensersatz ohne Verschulden, Tübingen 1910, S. 74)
Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 1980/81 bei der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität in Bonn als Dissertation eingereicht. Literatur und Rechtsprechung sind bis November 1980 verarbeitet. Die Habilitationsschrift von Gottfried Schiemann "Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des Schadensrechts - dargestellt an der Rechtsprechung des BGH" (1981) konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden. Bei der Ausarbeitung des Themas erhielt ich wohlwollende Unterstützung von Frau Professor Dr. Knobbe-Keuk, Bonn, die die Arbeit angeregt hat und mich besonders an den "kritischen Stellen" der Arbeit zum ständigen Überdenken der von mir vertretenen Standpunkte veranlaßt hat. Dies gilt in besonderem Maße im Hinblick auf den Schluß des vertrags rechtlichen Teils, der sich mit der Höhe des Schadensersatzes befaßt. So überraschend das erzielte restriktive Ergebnis auch sein mag, so zwangsläufig ergibt es sich doch gerade bei einer vertragsspezifischen Lösung, zu der im Hauptteil der Arbeit der Weg geebnet wird. Danach soll dem Vertragsinhalt und dem Gegenstand des jeweiligen Vertrags maßgebliche Bedeutung beim vertraglichen Schadensersatzanspruch zukommen. Dies zu zeigen und zu einer restriktiv-orientierten Diskussion anzuregen, ist angesichts eines Schadensersatzrechts, das durch ein übersteigertes Anspruchsdenken und das Fehlen dogmatisch abgesicherter Leitlinien gekennzeichnet ist, das Hauptanliegen der Arbeit. Frau Professor Dr. Knobbe-Keuk sage ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank nicht nur für die erwiesene Toleranz, sondern auch für den Freiraum, der mir als Wissenschaftlichem Assistenten gewährt wurde. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Frhr. Marschall von Bieberstein für die Übernahme des Zweitreferats sowie der Fakultät für die Durchführung des Promotionsverfahrens. Besonders danken möchte ich für die technische Herstellung des Manuskripts der Sekretärin am Institut für Steuerrecht in Bonn, Frau Renate Salim, meiner Schwester, Frau Marita Krause, sowie Frau Oberregierungsrätin Marit Blattner, die mich zudem überaus aufopferungsvoll in der "End phase" der Arbeit unterstützt hat.
Vorwort
8
Herrn Professor Dr. J. Broermann danke ich schließlich herzlichst für die Aufnahme der Arbeit in sein Verlagsprogramm. Zu erwähnen ist auch die beispielhafte Abwicklung durch den Verlag Duncker & Humblot. Bonn, im März 1982 J oachim Ströfer
Inhaltsverzeichnis Einführung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
21
§ 1. Grundlagen des Schadensersatzes, § 253 BGB
und Schadensbegriff Abschnitt I
Eingrenzung der Problemstellung
24
1. Eigenleben der Qualifizierungsfrage und konkreter Rechtsgüterschutz des BGB ..........................................................
24
2. Restitution oder Kompensation? .............. ' . . . . . ... .. . ... . .... ..
26
a) Notwendigkeit der Differenzierung ..............................
26
b) Die unterschiedliche Zielrichtung ................................
27
c) Kompensation und transitorischer Charakter ....................
27
Abschnitt 11
Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation 1. Grundgedanken
a) Inhalte des § 253 BGB .......................................... aal Furcht vor einer zu freien Stellung des Richters und Weltbild des BGB .................................................... bb) Der Einfluß historischer Vorbilder .......................... cc) Der Gedanke der Irreparabilität und Ehrverletzungen . . . . . . .. dd) Abwehrfunktionen des § 253 BGB ..........................
30 30 30 30 31 32 33
b) Das Affektionsinteresse als Hauptanwendungsgebiet des § 253 BGB 35 aal Differenzierung zwischen Affektionsinteresse und ideellem Schaden .................................................... 35 bb) Bedeutung der Differenzierung bei der facultas alternativa .. 37 2. Keine Derogation des § 253 BGB ... .... . ... .. . . .. .. .. . . . . . . . . .. .. . ..
38
a) Gesetzliche Ausnahmen und Inkonsequenz am Beispiel des § 847 BGB .......................................................... 38
10
Inhal tsverzeichnis b) Die Aufhebung des § 231 StGB und ihre Auswirkungen..........
40
c) § 253 BGB als geltendes Recht ..................................
41
3. Postulate des § 253 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
42
a) Analogieverbot ..................................................
42
b) Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 43
Abschnitt 111
Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens und ihre Schwächen
47
1. Die Differenztheorie (herkömmliche Sicht, berechtigter Inhalt)
47
2. Der objektive Schadensbegriff und Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts ........................................................
50
3. Der normative Schadensbegriff ....................................
53
4. Die Bedarfslehre ..................................................
55
5. Die "Vermögensfunktionsstörung" ..................................
57
6. Der Frustrierungsgedanke (Schadensfiktion) ........................
58
7. Der wirtschaftliche Schadensbegriff (Kommerzialisierungsgedanke) ..
61
§ 2. Deliktische Ansprüche im Grenzbereich
Abschnitt IV
Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
65
1. Merkantiler Minderwert und Zweithandzuschlag ....................
65
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen ................
68
a) Die Gebrauchsmöglichkeit als selbständiger Vermögenswert? ....
68
b) Ungereimtheiten in der Objekt- und Subjektbezogenheit ........
72
c) Ungereimtheiten in der unterschiedlichen Behandlung von privatund gewerblichgenutzten Fahrzeugen ............................ 74 3. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Gebäuden ........................
76
Inhaltsverzeichnis
11
4. Sonstige Gebrauchsvorteile ........................................
78
5. Freizeit, Urlaub und Urlaubsgenuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
81
§ 3. Vernachlässigung der zivilrechtlichen Dogmatik-
Ursachen und Grenzen
Abschnitt V Hintergrunde der Kommerzialisierung immaterieller Werte
88
1. Billigkeitsgesichtspunkte
88
2. Einflüsse von Versicherungsrecht und -praxis ......................
91
3. Schadensfeststellung, Schadensberechnung und § 287 ZPO ..........
96
Abschnitt VI Rückbesinnung und Fortführung
101
1. Tatbestand und Folgeschaden ...................................... 102
2. Der Ersatz von Folgeschäden und der "Schutzzweck der Norm" als Ausdruck der Haftungsbegrenzung ................................ 104 3. Das Gebot der Zurückhaltung bei der Qualifizierung als Vermögensschaden ............................................................ 107 a) Irrwege und Verbot der Tatbestandsauflösung .................. 107 b) Der Gedanke der weitestgehenden Begründungskonformität ...... 110 c) § 847 BGB als se des materiae .................................... 113
§ 4. Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht
Abschnitt VII Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich 1. Irrelevanz und Fragwürdigkeit der Kommerzialisierung
115 115
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen ................ 116 3. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Gebäuden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117
12
Inhaltsverzeichnis
4. Sonstige Gebrauchsvorteile ........................................ 121 a) Gebrauchsvorteile eines Tonbandgeräts .......................... 121 b) Nutzungsmöglichkeit von Geld .................................. 121 c) Kein Ersatz für Gebrauchsvorteile eines Pelzmantels ............ 123 5. Urlaub und Urlaubsgenuß
125
a) Der Urlaub als solcher
125
b) Erhebliche Urlaubsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 c) Das Verhältnis zwischen Minderung und Schadensersatz .......... 128 d) Urlaubsgenuß und "teilweise" vertaner Urlaub .................. 130 e) Kritik und Bedeutung des Reisevertragsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132 f) Richtiger Ansatz in der Rechtsprechung .......................... 133
Abschnitt VIII
Die Ablehnung immateriellen Schadensersatzes im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts 1. Grundsatz der absoluten Sperrwirkung des § 253 BGB?
134 134
2. Kritik und Lösungsansätze in der Literatur ........................ 136 a) Untauglichkeit der Vertragsstrafe .............................. 136 b) § 847 BGB im Vertragsrecht? .................................... 139 3. Eingrenzung der Möglichkeiten für eine "neue" Lösung und der Wille des Gesetzgebers .................................................. 142 4. Das Gebot der Differenzierung zwischen vertraglichem und deliktischem Anspruch .................................................... 144 a) Die unterschiedliche Ausgangssituation .......................... 146 b) Die unterschiedlichen Interessen (Ablehnung der positiven Vertragsverletzung) ................................................ 150 c) Die Eigenständigkeit des Vertragsrechts .......................... 155 5. Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung" .................... 159 a) Inhalt .......................................................... 159 b) Das rechtsunverbindliche facere als Zielrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 159 c) Irrtümer des "Dogmas" und dessen legislative überwindung ...... 160 d) "Vermögensrecht" und Verhältnis zwischen Obligation und Vermögenswert .................................................... 163
Inhaltsverzeichnis
13
6. Auswirkungen auf den vertraglichen Schadensersatzanspruch . . . . . . .. 165 a) Der Standpunkt des Gesetzgebers ................................ 165 b) Die Nichtberücksichtigung des von Kübelschen Vorentwurfs von 1882 ............................................................ 165 c) Die Nichtberücksichtigung der auf einen Schadensersatzanspruch gerichteten Anträge durch die zweite Kommission. . . . . . . . . . . . . . .. 166 d) Kritik in der Literatur .......................................... 169 e) Zusammenhang zwischen Primär- und Sekundäranspruch ........ 170 7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung? .................... 171 a) Ausnahmsloser Ausschluß immaterieller Interessen im Vertragsrecht? .......................................................... 171 (1) Wortlaut und vertragliche Ausnahmen ........................ 171 (2) Die gesetzliche Haftung als Regelungsobjekt .................. 173 b) Abdingbarkeit des § 253 BGB? .................................. 176 c) § 253 BGB und die Reichweite der Privatautonomie .............. 177 d) Vertragsrecht und §§ 249 ff. BGB ................................ 179 e) Entstehungsgeschichte und gewordenes Gesetz .................. 183
Abschnitt IX Privatautonomie und Wandlungen des Vertragsrechts 1. Grundlagen der Privatautonomie
184 184
2. Einbettung der Privatautonomie in den Wandel der sozialen Verhältnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 185 3. Konsumtive Vertragsinteressen und Freizeitgesellschaft ............ 187 4. Konsequenzen
190
5. "Transformationswirkung" des Parteiwillens
191
Abschnitt X Die Bestimmung der Vertragsinteressen unter Einbeziehung "immaterieller" Interessen
193
1. Ausdrückliche Einbeziehung ........................................ 193
2. Maßgeblichkeit des Leistungsbegriffs für den Sekundäranspruch (sog. Fortsetzungswirkung der Privatautonomie) ........................ 194
Inhaltsverzeichnis
14
a) Inhalte des Leistungsbegriffs .................................... 195 b) Erfüllung über die Gegenständlichkeit hinaus
197
3. Auslegung nach dem Vertragszweck: ................................ 200 a) Die Lösungsansätze in Rechtsprechung und Literatur ............ 201 b) Die Entwick:lung der Vertragszweck:lehre ........................ 207 c) Unberechtigte Kritik an der Vertragszweck:lehre ................ 213 d) Die Bedeutung der Vertragszweck:lehre de lege lata .............. 216 e) Kriterien und typischer Vertragszweck: .......................... 222 aal Typisierung
...................................... . . . . . . . . .. 222
bb) Der typische Vertragszweck: beim Reisevertrag .............. 225 ce) Der typische Vertragszweck: beim sogenannten Gastaufnahmevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 dd) Typischer Vertragszweck: und entgangene Gebrauchsvorteile .. 229 ee) Der typische Vertragszweck: in sonstigen Fällen ............ 231 (1) Geld
.................................................... 231
(2) Sterilisationsvertrag
.................................... 232
(3) Filmentwick:lungsvertrag
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 234
(4) Merkantiler Minderwert
234
(5) Weitere Fälle ............................................ 234 f) Vertragszweck: und vertragliche Risikoordnung
235
4. "Immaterielle" Interessen und "non liquet" ........................ 237 a) Die Behandlung des "non liquet" ................................ 237 b) Der Vertrauensschutzgedanke
238
e) Verkehrssitten .................................................. 241 d) Die Leitbildfunktion vergleichbarer Fälle ........................ 243 aa) Das Reisevertragsgesetz .................................... 243 bb) Das Einheitliche Kaufgesetz ................................ 245 e) Vermutungen, Auslegungsregeln und Beweislast ................ 247 aal Bedeutung für die Rechtsanwendung ........................ 247 bb) Untauglichkeit schadensersatzrechtlicher Grundsätze ........ 248 ce) Rechtsgedanke der §§ 314, 926 BGB
249
dd) Unklarheitenregel und Beweislast
251
Inhaltsverzeichnis
15
Abschnitt XI
Die Höhe des Ersatzanspruchs bei Beeinträchtigung der Vertrags interessen 1. Grundsätzliches
253 253
2. Der Wert des Vertragsgegenstands als Ausgangsgröße für die Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 254 a) Subjektive Äquivalenz und Vertragspreis ........................ 255 b) Der Vertragspreis als "Mindestschaden" .......................... 257 c) Der Vertragspreis als Obergrenze in den Fällen immaterieller Beeinträchtigung (grundsätzliche Ablehnung einer Pönalisierung) .. 260 3. Kein Ersatz für Aufwendungen des Gläubigers .................... 264 4. Das Maß der Beeinträchtigung und § 287 ZPO ...................... 267
§ 5. Schlußbetrachtunr
269
Literaturverzeichnis
272
Stichwortverzeichnis
286
Abkürzungsverzeichnis anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeines Berggesetz für die Preuß. Staaten vom 24.6.1865 ABGB (Osterreichisches) Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch ablehnend abl. Abs. Absatz Abschn. Abschnitt AbzG Abzahlungsgesetz AcP Archiv für die civilistische Praxis ADHGB Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch a.E. am Ende AG Amtsgericht AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäfts bedingungen ALR Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Anm. Anmerkung arbeitsrechtl. arbeitsrechtlich Arch. f. Bürgerl. R Archiv für Bürgerliches Recht arg. argumentum Art. Artikel Allgemeiner Teil AT AtomG Atomgesetz Aufl. Auflage aA aaO ABG
BAG BauR BB Bd. betr. BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BSeuchG BStBl. BT BUrlG
Bundesarbeitsgericht Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Betriebs-Berater Band betreffend Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesseuchengesetz Bundessteuerblatt Bundestag Bundesurlaubsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
17
BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl. bzw.
Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise
CC eie
Code eivil eulpa in eontrahendo Zivilprozeßordnung
D
Digesten Deutsches Autorecht Der Betrieb derselbe das heißt Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Mark Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung
EGStGB Einf. Einl. EKG
Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. 3. 1974 Einführung Einleitung Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 17. 7. 1973 Entscheidung Entwurf Ergebnis Einkommensteuergesetz eteetera
CPO DAR DB ders. d.h. Diss. DJT DJZ DM DR DRiZ
Entsch. Entw. Erg. EStG ete. f., ff. f.
folgende
für
Fn. franz. FS
Fußnote französisch Festschrift
GEMA
GWB
Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte Grundgesetz Großer Senat Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HGB hM HRR
Handelsgesetzbuch vom 10. 5. 1897 herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung
GG GrS GruchB
2 Ströter
18
Abkürzungsverzeichnis
i. e. insbes. i. S.
im einzelnen insbesondere im Sinne
JA Jher. Jb.
Juristische Arbeitsblätter Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung
JR JurA Jura JuS JW JZ KFZ KG krit. Krit. VjSchr.
LS LuftVG
Kraftfahrzeug Kammergericht kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landesarbeitsgericht Landgericht Literatur Nachschlagewerk des· Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring Leitsatz Luftverkehrs gesetz
m. MDR m.E. Mio. Münch. Komm. m.w.N.
mit Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Millionen Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen
N
NJW Nr. n.rk.
Nachweis Neue Juristische Wochenschrift Nummer nicht rechtskräftig
o. o.a. OLG OLGZ OR
oben oben angegeben Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Schweizer Obligationenrecht
PKW Preuß. Prot. pVV
Personenkraftwagen Preußisch Protokolle positive Vertragsverletzung
Rdnr. RG
Randnummer Reichsgericht
LAG LG Lit. LM
Abkürzungsverzeichnis
19
RGRK RGZ r. Sp. RStGB RVO
Reichsgerichtsräte-Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen rechte Spalte Reichsstrafgesetzbuch Reichsversicherungsordnung
S.
StVG
Satz oder Seite siehe sächsisch Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schuldrecht Seemannsgesetz VQm 26. 7.1957 sogenannt sonstiges Recht Spalte Strafgesetzbuch Strafsache Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. 3. 1971 Straßenverkehrsgesetz
Tit. TüV
Titel Technischer überwachungs-Verein
u.
unten Urheberrechtsgesetz und so weiter unter Umständen
v.
Verf. VersR vgl. Vorbem.
vor Verfasser Versicherungsrecht vergleiche Vorbemerkung
Weim. Verf. wiedergegeb. WM
Weimarer Verfassung wiedergegeben W ertpapier-Mitteilungen
zahlr. z.B. ZHR
zahlreich zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für RechtspoIitik Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zustimmend
s. sächs. Sächs.Ann. SchlHAnz. SchuldR SeemannsG sog. sonst. R. Sp. StGB Strafs. StrEG
UrhG usw. u.U.
Ziff. ZMR ZPO ZRP ZStW zust.
Einführung Die Frage der Abgrenzung des materiellen vom immateriellen Schaden gehört zu einem der meist diskutierten Probleme des Schadens..; ersatzrechts. Sie spielt nicht nur in der Praxis in zahlreichen Schadensersatzprozessen, sondern seit je her auch in der Wissenschaft und juristischen Dogmatik eine Rolle. Widersprüchliche Entscheidungen und kontroverse Literaturmeinungen zeichnen ein buntes, aber auch schwer ergründbares Bild, das den Zugang zur Problematik und die wissenschaftliche Durchdringung der komplexen Materie nicht gerade leicht macht. Jedem sind Stichworte wie "Nutzungsausfall" , "merkantiler Minderwert" , "Zweithandzuschlag" , "Zeit ist Geld", "entgangene Urlaubsfreude" etc. ein Begriff. Die Vorstellungen über ihren Inhalt sind indessen nur vage. Dies ist nur zu verständlich. Denn die Problematik ihrer dogmatischen Einordnung kann auch heute noch nicht als völlig gelöst angesehen werden. Zu Recht wird die dogmatische Untermauerung für unerläßlich gehalten!. Der "desolate Zustand" des Schadensersatzrechts2 setzt nahezu unüberwindbare Schranken. In der zersplitterten, uneiriheitlichen Regelung des Schadensersatzrechts fällt es schwer, leitende Grundgedanken zu finden3 • Wollte man eine dogmatisch allseits befriedigende Lösung zu finden suchen, so liefe man in Gefahr, am Ende eingestehen zu müssen: "Keine der denkbaren Lösungen vermag in allen Fällen restlos zu befriedigen"4. Die folgende Darstellung kann und will daher zum einen nicht mehr sein als ein Versuch, etwas Licht in das Dunkel zu bringen und hier und da Gesichtspunkte hervorzuheben, die nach Meinung des Verfassers in der bisherigen Diskussion nicht immer hinreichend beachtet und deutlich gemacht wurden. Nicht erwartet werden kann die Entwicklung einer neuen Konzeption des Schadensbegriffs, dessen Bedeutung ohnehin überschätzt wird. Angesichts der verworrenen Systemlosigkeit des heutigen Schadensersatzrechts und der Unzulänglichkeiten der bis heute entwickelten Konzeptionen muß es als "Fortschritt" genügen, sich ihrer und der Hintergründe bewußt zu werden und einen Beitrag zur Löwe, NJW 1964, 705. Lieb, JZ 1971, 358; Grunsky, JZ 1973, 426 f.; einschränkend Baur, Festschrift Raiser, S. 120 u. 138. 3 So Nörr, AcP 158, 15; auch Keuk, S. 14,41. 4 Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 506. 1 !
22
Einführung
Rückbesinnung im Deliktsrecht auf das für die Beurteilung maßgebliche Gesetz im Zusammenhalt mit seinen zum Ausdruck gebrachten Grundentscheidungen zu leisten. Diesem Zweck dienen die §§ 1 bis 3 der Arbeit. Wesentliche Grundlage der Arbeit ist zum anderen die Differenzierung zwischen der deliktischen und der vertraglichen Haftung. Weder die Rechtsprechung noch die Literatur - sieht man von vereinzelten Ansätzen ab - sahen sich bisher in der Lage, eine an den spezifischen Wesensunterschieden beider Haftungsbereiche orientierte differenzierte Begründung für den Schadensersatzanspruch in den Grenzbereichen von materiellem und immateriellem Schaden zu geben. Der deliktische und vertragliche Bereich werden ohne Bedenken gleichgeschaltet, indem die fragwürdigen Versuche bei der deliktischen Haftung, aus einem Nichtvermögensschaden einen Vermögensschaden zu "machen", dem Denkmodell nach einfach auf das Vertragsrecht übertragen werden. Niemand ist dabei bisher auf den Gedanken gekommen, daß es gerade dort auf die Abgrenzung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden nicht ankommen kann. Die bisherige Vernachlässigung dieses Ansatzes ist um so erstaunlicher, als der hohe Rang der Privatautonomie im Zivilrecht allgemein bekannt und anerkannt ist. Man läßt den Parteien weitgehend freie Hand bei der Gestaltung der Vertragsinhalte und gibt ihnen die Möglichkeit, im Zeitalter der sogenannten Freizeitgesellschaft ihre konsumtiven Interessen zu befriedigen. Doch im Fall des Fehlgehens der Vertragsdurchführung soll der Vertragsinhalt keine Rolle mehr spielen und ein Schadensersatzanspruch aus Gründen der Nachwirkung des längst überwundenen "Dogmas" vom Vermögenswert der Leistung nicht in Betracht kommen. Das Hauptanliegen der Arbeit ist daher, die Behandlung des Grenzbereichs zwischen materiellem und immateriellem Schaden gerade bei vertraglichen Ansprüchen einer kritischen, deliktsrechtsunabhängigen Betrachtung zu unterziehen und eine den jeweiligen Eigenarten des Vertragsgegenstands gerecht werdende Lösung zu unterbreiten. Vordringliches Ziel ist es dabei,· dem Prinzip der Privatautonomie auch im vertraglichen Schadensersatzrecht die Geltung zu verschaffen, die seiner exponierten Stellung im gesamten Privatrecht entspricht. Das bedeutet für die Grenzbereiche, daß es dort für die Frage der Ersatzfähigkeit allein auf die vom Vertragsinhalt erfaßten Interessen ankommt, ohne daß von einer absoluten Sperrwirkung des § 253 BGB im Vertragsrecht die Rede sein kann. Die Problematik des Ersatzes immaterieller Schäden im Vertragsrecht wird losgelöst von der herkömmlichen Orientierung an § 253 BGB und allein als ein Problem der Vertragsauslegung gesehen. In Verfolgung dieses Ansatzes wird eine eigene
Einführung
23
Konzeption entwickelt, indem Argumentationsschemata des Vertragsrechts konsequent auf den immateriellen Bereich angewendet werden. Der Schwerpunkt liegt damit in § 4 der Arbeit.
§ 1. Grundlagen des Schadensersatzes, § 253 BGB und Schadenshegriff Abschnitt I
Eingrenzung der Problemstellung 1. Eigenleben der Qualüizierungsfrage und konkreter Remtsgütersmutz des BGB Die bisherige Diskussion um den Ersatz immaterieller Schäden ist in Wahrheit eine Diskussion um den Ersatz von Vermögensschäden. Im Hinblick auf die Grenzen, die § 253 BGB der Ersatzfähigkeit von Nichtvermögensschäden auferlegt, wird versucht, schadensrechtliche Erscheinungsformen in das Gewand von Vermögensschäden zu kleiden. Dabei ist man bestrebt, eine tragfähige dogmatische Begründung für die Qualifizierung als Vermögensschaden zu geben. Man bemüht den juristischen Erfindungsreichturn und verliert dabei ganz aus den Augen, daß es in Grenzfällen bei natürlicher Anschauung zumeist um typische immaterielle Schäden geht. Das Problem besteht nur darin, daß nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, daß es sich re vera - aufgrund zwingender juristischer Betrachtung - um einen Nichtvermögensschaden oder - was dasselbe besagt - einen immateriellen Schaden handelt. Denn der Nichtvermögensschaden ist nur definierbar als der Schaden, "der nicht Vermögensschaden ist"!. Streit um die Abgrenzung des Nichtvermögensschadens vom Vermögensschaden ist daher geradezu naturgegeben und geeignet, in einen circulus virtuosus zu münden. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verständlich, daß dem Gesetz und seinen Grundwertungen keine stärkere Beachtung geschenkt wird. Vielmehr hat die Frage, ob ein Vermögensschaden vorliegt, schnell ein Eigenleben gewonnen. Man ist froh, sich an einem "Vorbild" aus Rechtsprechung oder Lehre orientieren zu können, das eine eindeutige Aussage über die Qualifizierung als Vermögensschaden trifft. Diese Aussage - und nicht das Gesetz - ist es, die die Begründung in anderen Fällen ersetzen soll. Es geht nur noch darum, den vermeintlich "sicheren Boden" auf seine Tragfähigkeit auch in anderen Schadens1
Möller, S. 51.
1. Eigenleben und konkreter Rechtsgüterschutz des BGB
25
fällen zu überprüfen und zu begründen, warum eine übertragung in Betracht kommt oder auszuscheiden hat. Daher ist es - auch in einer Arbeit, deren Schwergewicht im Vertragsrecht liegt - erforderlich, zunächst die Aussagen und Grundwertungen des Gesetzes in Erinnerung zu rufen (Abschnitt I u. 11). Die Unzulänglichkeiten der vertretenen Theorien zum Schadensbegriff (Abschnitt III) und das Wirrwarr der sogenannten Kommerzialisierungsrechtsprechung (Abschnitt IV) verdeutlichen, daß es heute mehr denn je für die delikts rechtliche Beurteilung erforderlich ist, sich der Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Güter bewußt zu werden (Abschnitt V) und darüber hinaus mehr auf die Erfordernisse des Gesetzes abzustellen (Abschnitt VI). Dabei gilt es vor allem zu beachten, daß das BGB - im Gegensatz etwa zu den Generalklauseln des franz. Code Civil (Art. 1382) und des österreich. ABGB (§ 1295) - einen allgemeinen deliktischen Vermögensschutz nicht zuläßt. Vielmehr beschränkt § 823 Abs. 1 BGB den Schadensersatz auf den konkreten
Rechtsgüterschutz2 •
Dies ist bereits ausdrücklich in der Denkschrift zum "Recht der Schuldverhältnisse" festgestellt. Dort heißt es, der Entwurf begnüge sich "aber auch nicht nach dem Vorgange des franz. Rechtes mit der Aufstellung des unbestimmten Grundsatzes, daß, wer widerrechtlich aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit einem Anderen Schaden zufügt, diesem zum Ersatze des Schadens verpflichtet ist; vielmehr begrenzt er die Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht schärfer, um dadurch eine feste gesetzliche Grundlage für die richterliche Entscheidung zu schaffen ... Dementsprechend macht der § 807 die Schadensersatzpflicht davon abhängig, daß die schädigende Handlung entweder das Recht eines Anderen, insbes. dessen Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigenthum, verletzt oder gegen ein den Schutz des Anderen bezweckendes Gesetz verstößt"3. Das Vermögen als solches bleibt ohne Schutz in § 823 Abs. 1 BGB. Die aus der Versagung des Vermögensschutzes resultierenden Unzulänglichkeiten im Rechtsgüterschutz werden teilweise durch eine extensive Auslegung der anerkanntermaßen geschützten Rechtgüter - zum Beispiel des Eigentums, dazu unten Abschnitt IV 2 - kompensiert. Ferner wird der Schutz des Vermögens auch durch eine Erweiterung der vertraglichen Haftung durch vertragsähnliche Konstruktionen (zum Beispiel aus positiver Vertragsverletzung, culpa in contrahendo, außergesetzlichem Schutzpflichtverhältnis sowie Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte) erreicht. : Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 68, 84; i. e. von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 65; vgl. auch OLG Celle VersR 1974, 760; kritisch Herrmann, Zum Nachteil des Vermögens, 1978. 3 Mugdan 11, S. 1267; zur Entstehungsgeschichte vgl. den überblick bei Herrmann, S. 1 - 3.
26
I. Eingrenzung der Problemstellung
Im Deliktsrecht führt die Kommerzialisierung immaterieller Güter zu einem Schutz, der weit über den konkreten Rechtsgüterschutz des Gesetzes hinausgeht. Ihr Eigenleben und die Auswirkungen auf das Vertragsrecht machen es erforderlich, zunächst auf die Grundlagen des deliktsrechtlichen Schadensersatzes einzugehen.
2. Restitution oder Kompensation? a) Notwendigkeit der Differenzierung
Maßgebliche Bedeutung im Schadensersatzrecht kommt den §§ 249 ff. BGB zu, sie bestimmen Art, Inhalt und Umfang der Schadensersatzleistung 4 und haben insofern lediglich eine "Hilfsfunktion"5. Vor der Frage der Abgrenzung des Vermögensschadens vom Nichtvermögensschaden ist festzustellen, ob der Schadensersatzanspruch auf Restitution gemäß § 249 BGB, also Herstellung des hypothetisch-schadensfreien Zustands, oder auf Kompensation gemäß § 251 BGB, also Geldentschädigung für den erlittenen Schaden, gerichtet ist. Dies ist von Bedeutung, weil die Barriere des § 253 BGB nur bei § 251 BGB zu beachten ist. Im Rahmen des Geldherstellungsanspruchs nach § 249 S. 2 BGB kommt es nicht darauf an, ob ein Vermögens- oder ein Nichtvermögensschaden vorliegt6 • Denn Naturalrestitution ist grundsätzlich auch beim Nichtvermögensschaden zulässig (z. B. Widerruf einer ehrkränkenden Behauptung)1. Die MotiveS konstatieren hierzu: "... , daß der Entw. nur den Anspruch auf Entschädigung abspricht, nicht den auf Wiederherstellung des früheren Zustandes (§ 219), wann und soweit dieser in den in Betracht kommenden Fällen praktisch werden kann." Da § 249 S. 2 BGB als besondere Ausprägung des Herstellungsanspruchs akzessorisch zu § 249 S. 1 BGB ist 9 und den Geschädigten davor schützen soll, seine Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit des Schädigers zur Schadensbeseitigung zur Verfügung zu stellen, kann für den Geldherstellungsanspruch . nichts anderes gelten als für den Anspruch auf Naturalrestitution. DaZu ihrer Bedeutung im Vertragsrecht s. u. Abschnitt VIII 7 d). Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253, Anm. I. 1; Erman / Sirp, § 249 BGB, Rdnr. 5; insofern nicht deutlich BGHZ 40, 352; 45, 221. 8 h. M., vgl. Palandt / Heinrichs, § 253 BGB, Anm. 2; Grunsky, S. 9; von Beauvais, S. 95; Koller, DAR 1979,291; aA Askenasy, GruchB 70, 376 Anm. 8. 7 Vgl. i. e. Fischer, S. 315 ff., 319; Staudinger / Medicus, § 249 BGB, Rdnr.211. 8 Mugdan II, S. 12. 9 Vgl. RG HRR 1933, Nr. 1405; Bötticher, VersR 1966, 305 - 307; KnobbeKeuk, VersR 1976, 406; Mammey, NJW 1969, 1150; Neuwald, S. 111 f.; Schmidt-Salzer, BB 1970, 59. 4
5
2. Restitution oder Kompensation?
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für spricht auch der Wortlaut des Gesetzes ("den dazu erforderlichen Geldbetrag U
).
b) Die unterschiedlidle Zielridltung
Das Verhältnis zwischen § 249 S. 2 BGB und § 251 Abs. 1 BGB läßt sich durch ihre unterschiedliche Ziel richtung verdeutlichen: Restitution bedeutet Herstellung einer zwar nicht physisch gleichen, aber doch wirtschaftlich gleichartigen Lage. Geschützt wird das Interesse des Geschädigten an der Erhaltung seines Vermögens in seiner konkreten Zusammensetzung 10 , das Interesse an der Wahrung des bisherigen Bestandes". Demgegenüber soll die Kompensation das Wert- oder Summeninteresse des Geschädigten wahren, also das Interesse an der Erhaltung des Vermögens nur dem Werte nach l2 • c) Kompensation und transitorisdler Charakter
In den hier zu behandelnden Grenzbereichen ist allein die Anwendung des § 251 Abs. 1 BGB problematisch. Es geht gerade um die Fälle, in denen der Anspruch auf Naturalrestitution nicht geltend gemacht wurde, als dies noch möglich war. Der transitorische Charakter des jeweiligen Anspruchs schließt die Heranziehung des § 249 Satz 2 BGB im nachhinein aus l3 • Der Zeitablauf ist nicht restituierbar14 • Gegen die Koppelung des § 249 Satz 2 BGB an die fortbestehende Möglichkeit der Herstellung kann nicht eingewandt werden, daß auf diese Weise dem zahlungsunwilligen Schuldner eine Verzögerung zugute käme l5 • Denn eine Herstellung ist im nachhinein zu keiner Zeit mehr möglich, so daß der Anspruch gar nicht von der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners abhängen kann. Zudem besteht vorher unter Umständen die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Fremdmitteln zur Finanzierung der Herstellung18 • Zwar könnte man an die Herstellung einer wirtschaftlich gleichartigen Lage denken: Aber zum Beispiel durch Verschaffung eines neuen Urlaubs l7 kann die Beseitigungsfunktion der Herstellung wegen Zeit10 Medicus, Bürgerliches Recht, 8. AufI. 1978, § 33 II 2 ("Integritätsinteresse"); weitergehend Koller, DAR 1979, 289 ff., der zutreffend auch die immateriellen Interessen in die Naturalrestitution einbezieht. 11 Lange, Schadensersatz, S. 50. U Medicus aaO; ders., JuS 1973, 212; Tolk, S. 15; Palandt / Hein.richs, § 251 BGB, Anm. 3. 13 VgI. Bötticher, VersR 1966, 302, 305. U Küppers, S. 137; vgl. auch Lange, Schadensersatz, S. 31. 15 So aber Medicus, § 33 III 2 c aa; Grunsky, S. 31 ff.; BGHZ 45, 212 ff., 216. U Vgl. BGH NJW 1974, 34 ff. 17 So Ellrich, S. 65 ff.
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1. Eingrenzung der Problemstellüng
ablaufs gerade nicht erfüllt werden, da er Urlaub "unwiederbringlich verloren" ist1 8 • Ein erneuter Urlaub wäre ein Zweiturlaub, eine Ersatzfreude und damit Kompensation statt Wiederherstellung19. Auch der Gebrauch eines Kraftfahrzeugs ist nicht beliebig nachholbar20 , sondern ist "heute ein anderer als morgen"21. Wenn Larenz anführt, daß ein Kraftfahrzeug, das vor dem Unfall noch 50 000 km zu laufen imstande war, nach der Reparatur noch ebenso viele Kilometer zurücklegen könne, so muß er sich entgegen halten lassen, daß es auf diese Quantität nicht ankommen kann. Denn: Ist etwa die Fahrt in einem Cabrio, die ohne den Unfall im Sommer oder an einem sonnigen Tag stattgefunden hätte, im Winter oder an einem Regentag nachholbar 22 ? Die Argumentation findet eine Stütze zum Beispiel bei der Frage der Abgrenzung von Unmöglichkeit und Annahmeverzug, wenn es darum geht, ob der durch einen Unfall an der Inanspruchnahme des Mietobjekts Gehinderte für den vereinbarten Zeitraum gemäß §§ 324 Abs. 2, 535 BGB die vereinbarte Vergütung zahlen muß. Abgrenzungskriterium ist hier die Nachholbarkeit der Leistung, welche sich aus den Rechtsfolgeregelungen der §§ 300 - 304, 324 Abs. 2, 615, 642 BGB als Voraussetzung für den Annahmeverzug ergibt. Daher begründet bei einem Mietvertrag mit kalendermäßig bestimmter Dauer das Ausbleiben des Mieters die Unmöglichkeit der Vermieterleistung, weil eine Nachholung der Gebrauchsüberlassung. zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr Vertragserfüllung wäre 23 . Gemeinsamer Nenner in diesen Fällen ist - ohne daß es auf die unterschiedliche Ausgangssituation ankommt - die jeweilige Zeitbezogenheit. In den Grenzfällen ist damit im nachhinein allein die Möglichkeit der Kompensation gegeben. Der Schutz der Geldentschädigung zielt in die Vergangenheit. Auffällig ist die Parallele zum eindeutig immateriellen Bereich. Dort ist eine Naturalrestitution meist unmöglich und hat im wesentlichen nur als Widerruf ehrverletzender Äußerungen praktische Relevanz 2'. 18 Mammey, NJW 1969, 1150; auch Wiese, S. 23; BGHZ 63, 398; aA OLG Köln NJW 1973, 1083. 19 Stoll, Begriff und Grenzen, S. 8; auch Schmitz, S. 229. 20 aA Larenz, Festschrift Nipperdey, S; 501;vgl. auch BGHZ 63, 398. %1 Martens, NJW 1968, 1778 f. zr Kritisch gegen Larenz auch Grunsky, S. 38; ferner Hansen, VersR 1977, 511. 23 Vgl. Palandt / Heinrichs, § 293 BGB, Anm. 2 b. 24 Vgl. nur Palandt / Heinrichs, § 253 BGB, Anm. 2; weitere Beispiele bei Lange, Schadensersatz, S. 142 m. w. N.
2. Restitution oder Kompensation?
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Darüber hinaus sind Konsequenzen mit der Umschaltung von der grundsätzlich geschuldeten Naturalherstellung (einschließlich der Geldherstellung) auf die Geldentschädigung nach § 251 Abs. 1 BGB verbunden. Denn diese hat den Sinn, daß "nunmehr statt einer bestimmten tatsächlichen Lage mit ihren konkreten Möglichkeiten für das Vermögenssubjekt nur (!) noch ein bestimmter rechnerischer Vermögensstand herzustellen ist" 25. Für die Kompensation ist von Bedeutung, daß § 253 BGB dem Wertersatzanspruch des § 251 Abs. 1 BGB Schranken auferlegt, die dem primären Geldherstellungsanspruch nicht zu eigen sind. Dies wird gerade an der Nichtberücksichtigung des sog. Interimsinteresses deutlich26 • Zwar mag der Eigentümer einer Sache ein Interesse daran haben, die Sache nicht bis zur Beseitigung der Rechtsverletzung entbehren zu müssen. Dieses Interesse wird aber nur vermögensrechtlich relevant, wenn er sich für die Zwischenzeit eine Ersatzsache verschafft, nicht aber im nachhinein, wenn es allein um die Kompensation geht. Ersatzfähig ist dann nur der entgangene Gewinn27 • Der Anspruch aus § 251 Abs. 1 BGB kann somit ein "Minus" gegenüber dem Anspruch aus § 249 S. 2 BGB darstellen. Zu beachten ist stets, daß der subsidiäre Wertersatzanspruch dem Geschädigten nicht mehr verschafft, als er durch eine - als möglich gedachte - Restitution hätte erhalten können. Die Grenzen und funktionalen Unterschiede zwischen Kompensation und Restitution dürfen nicht beseitigt werden. Keine Rolle spielt in dem Zusammenhang die Vorschrift des § 250 BGB. Zwar wird § 250 BGB zuweilen in einem Atemzug mit § 251 BGB genannt28 • Es wird versucht, ihn mal als Herstellungs-, mal als Entschädigungsanspruch einzuordnen28 • Richtig wird es sein, dem § 250 BGB entsprechend seiner Stellung zwischen den §§ 249 und 251 BGB - materiell nur eine Mittlerrolle zuzusprechen und ihn nicht als Anspruchsgrundlage anzusehen. Insofern eröffnet er als Gläubigerschutzvorschrift den Weg zu dem Anspruch aus § 251 BGB, gibt also dem Gläubiger lediglich ein Mittel, Klarheit zu schaffen bzw. auch in zweifellosen Fällen von der Restitution zur Kompensation zu kommenso.
Larenz, Festgabe Oftinger, S. 160 f. (dazu Abschnitt 12 b). Vgl. i. e. Keuk, S. 203 ff.; auch Reinecke, S. 158. 27 Dazu unten, insbes. Abschnitt III 1 a. E. !8 z. B. BGHZ 45, 212 ff., 221; Stall, JuS 1968, 504 ff. 28 Vgl. Talk, S. 14/15 Anm. 11 m. w. N.; Schmitz, S. 192 Fn. 21; Staudinger / Medicus, § 250 BGB, Rdnr. 2 ff. m. w. N. so Insoweit Palandt / Heinrichs, § 250 BGB, Anm. 1; aA BGHZ 40, 345, 352. Z5
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30
11. Die zentrale Bedeutung des§ 253 BGB für die Kompensation
Abschnitt II
Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation 1. Grundgedanken a) Inhalte des § 253 BGB
aa) Furcht vor einer zu freien Stellung des Richters und Weltbild des BGB Das Abgrenzungsproblem hat seinen Grund in der Existenz des § 253 BGB. § 253 BGB setzt die Differenzierung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden voraus 1 • Der Ersatz immateriellen Schadens ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die Väter des BGB ließen sich dabei von der Scheu vor einer zu freien Stellung des Richters leiten2 • In den Motiven heißt es: "Durch allgemeine Anerkennung eines Entschädigungsanspruches wegen Verletzung eines nicht vermögensrechtlichen Interesses würde dem Richter jene dem deutschen Rechte fremde Souveränität seiner Stellung gegenüber dem Streitverhältnisse beigelegt, welche erst bei der Beratung der CPO nach reiflicher Prüfung als bedenklich erfunden und deshalb verworfen wurde: insbes. ließen sich Schranken für das Ermessen des Richters kaum aufstellen und wäre der Revisionsrichter im konkreten Falle häufig nicht in der Lage, eine unpassende Ausübung der diskretionären Gewalt des Richters zu korrigiren" 3. Man hielt es für zweckmäßig, im Gesetz ausdrücklich auszusprechen, daß für immaterielle Schäden eine Entschädigung grundsätzlich nicht gewährt werden sollte, um der vor Einführung des BGB bestehenden lebhaften "Strömung zugunsten einer solchen Entschädigung" entgegen zu wirken4 • Unter Zugrundelegung eines moralisch-idealisierenden Weltbildes hielt man demgegenüber immaterielle Güter und Geld für unvergleichbare Größen. "Ehre, Gefühl für Recht und Billigkeit usw. seien keine Handelsware, die für Geld feil sei und deren Verletzung durch Geldentschädigung wieder gut gemacht werden könne"5. Der Standpunkt 1 Kritisch Köndgen, AcP 177, 6 ff., seine Kritik steht de lege lata auf schwachen Füßen. 2 Kritisch dazu bereits Heck, § 18 Nr. 5; Seng, Arch. f. Bürgerl. R. 5, 374 f.; vgl. auch den früher geschaffenen § 287 ZPO, dazu unten Abschnitt V 3. a Mugdan II, S. 12; Hervorhebung vom Verf. 4 Mugdan II, S. 515. 5 Fischer, S. 267; zum Streit über den Schutz der Ehre in der Zivilrechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts vgl. Kaufmann, AcP 162,423 ff.; auch Mugdan II, S. 418 f. m; w. N.
1. Grundgedanken
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des BGB ist im Zusammenhang mit seinen historischen Vorläufern zu sehen.
bb) Der Einfluß historischer Vorbilder Im Preußischen Allgemeinen Landrecht ist der Ersatz immateriellen Schadens als eine Frage der Standesethik angesehen worden. Der Schmerzensgeldanspruch war auf Personen von Bauern- und gemeinem Bürgerstand beschränkt. "Bessere Leute" nahmen auch für ihre Schmerzen kein Geld 6 • In Art. 1382 f. des Badischen Landrechts von 1809 wurde der Ausschluß des Schmerzensgeldanspruchs mit ähnlicher Wertung begründet: "Man hat es bei der hiesigen Gesetzgebung immer eines freien Menschen unwürdig angesehen, seine Ehre durch ästimatorische Injurienklage oder seine. Empfindungen durch ein Schmerzensgeld taxieren und somit sich als Ware behandeln zu lassen"7. Daß dieses Weltbild im vorigen Jahrhundert keine reine Verwirklichung fand, zeigt die sog. Sachsenbuße, die im Fall der widerrechtlichen Freiheitsentziehung eine Vergütung für das geschaffene Unbehagen bildete8 ; eine entsprechende Bestimmung traf das ALR I, 6 § 112 f. D• Neben der Körperverletzung als klassischem Fall des im gemeinen Recht trotz allen Standesdenkens anerkannten Schmerzensgeldanspruchs blieb darüber hinaus nur noch die gemeinrechtliche Deflorationsklage übrig 1o . Die actio injuriarum aestimatoria, die jede eine fremde Persönlichkeit mißachtende Handlung erfaßte l l , war bereits in den meisten Partikularrechten abgeschafft 12 . In einem von Privatstrafen gesäuberten Privatrecht hatte sie nichts mehr zu suchen13 . Die unter ihrer Herrschaft bestehenden Mißstände zeitigten auch nach ihrem Ableben noch Auswirkungen auf die Diskussion bei Schaffung des BGB. Die Berücksichtigung der Ehre in § 847 BGB (§ 728 Entwurf) wurde abgelehnt, weil "im praktischen Erfolge alle Mißstände wieder aufleben würden, welche die Gesetzgebung zur Aufhebung der actio injuriarum gezwungen haben"14. 6 Vgl. ALR I 6 § 112; dazu Engelmann, Preuß. Privatrecht, S. 279, 372; von Beauvais, S. 108; Stoll, Gutachten, S. 56; Kaufmann, AcP 162,432 Fn. 51. 7 Badisches Regierungsblatt v. 29.4. 1806, S. 28, zitiert nach Stoll, Gutachten, S. 57; vgl. auch von Beauvais, S. 109. S Sächs. BGB § 1497; dazu Seng, Arch. f. Bürgerl. R. 5, 338; von Beauvais, S. 109; Stoll, Gutachten, S. 56. v Vgl. Fischer, S. 279. 10 Vgl. Stoll, Gutachten, S. 56; Braschos, S. 10. U Vgl. i. e. Kaufmann, AcP 162, 424; Stoll, Gutachten, S. 52; Braschos, S. 9. 12 Kaufmann, AcP 162, 425; vgl. Mugdan 11, S. 418 f. 13 Braschos, S. 10. 14 Vgl. Protokolle, Mugdan 11, S. 1119.
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II. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
Das Römische Recht hielt zwar den mit der Injurienklage Verurteilten für unehrlich, rechnete aber andererseits auch dem Kläger seine "schmutzige Klage" zur Unehre l5 . Diese Anschauungen fanden auch bei den Gesetzgebungsarbeiten zum BGB ihren Niederschlag. "Es widerstrebe der herrschenden Volksauffassung, die immateriellen Lebensgüter auf gleiche Linie mit den Vermögensgütern zu stellen und einen idealen Schaden mit Geld aufzuwiegen. Das BGB dürfe diesen zumal in den besseren Volkskreisen vertretenen Anschauungen sich nicht entgegenstellen und das gegentheilige Prinzip einführen"l6. Der Kläger wurde ebenso wie im römischen Recht mit moralischem Makel belegt. In den Protokollen heißt es ferner: "nach der allgemeinen Volks ansicht sei es nicht ehrenvoll, sich Beleidigungen durch Geld abkaufen zu lassen, und derjenige habe wenig Ehre zu verlieren, der die Verletzung derselben durch eine Klage auf Geld zu reparieren suche"l7. Der sichtbare Einfluß von Standesdenken mutet seltsam und antiquiert an angesichts der Entwicklung, in deren Verlauf die grundsätzliche standesbedingte Ungleichheit der grundsätzlichen Gleichheit des Rechts wich und die ständische Gliederung vor der freien Einzelpersönlichkeit zurücktrat l8 . Auch im Recht der Ehre drängte die Idee der Rechtsgleichheit zur Nivellierung der Unterschiedel'. Neumann 20 hält demgegenüber bei seiner Betrachtung des § 253 BGB nicht die Standesethik für entscheidend, sondern - unter Berufung auf das älteste deutsche Volksrecht, den Pactus Leges Salicae, der keine billige Geldentschädigung, sondern nur eine Strafe kannte, - die "allgemeine deutsche Auffassung", nach der "die Bezahlung verletzter rein immaterieller Güter mit Geld als materialistisch abzulehnen" sei. Der entsprechende empirische Nachweis fehlte freilich damals wie auch heute.
cc) Der Gedanke der Irreparabilität und Ehrverletzungen Gegen den idealisierenden Standpunkt des BGB hat bereits Kohler eingewandt: " ... es handelt sich ja nicht darum, Lebensgenuß, Ehre, Freiheit zu verkaufen, sie gegen pekuniäre Leistungen preis zu geben, sondern es handelt sich darum, daß sie eine frevlerische Verletzung 15 Vgl. i. e. Kaufmann AcP 162, 424 ff.; Stoll, Gutachten, S. 51 ff.; Lange, Schadensersatz, S. 257. 18 Mugdan II, S. 517. 17 Mugdan II, S. 1297. 18 Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 394. 19 Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 425. 20
Jher. Jb. 86, 326 f.
1. Grundgedanken
33
erfahren haben, daß in Folge dessen ein Gefühl des gestörten Wohlseins eingekehrt ist und daß man versuchen soll, in die verletzte Seele ein Gefühl des Wohlbefindens zu bringen, welches wenigstens teilweise die erlittene Störung wieder gut machen SOll"21. Zwar wird der Schadensersatz insofern schwer kalkulierbar. Auch heute wird die Versagung einer Geldentschädigung bei Ehrverletzungen letztlich durch die Erwägung gerechtfertigt: "Ramponierten Ruf repariert nicht, wer dem Betroffenen ein Bündel Banknoten zusteckt". Denn beeinträchtigte Ehre lasse sich allein in natura wieder herstellen22 . Kein "wirklicher Ersatz" sei die Geldentschädigung23 . Die Rechtsprechung geht daher von einer Subsidiarität des "Schmerzensgeldanspruchs" gegenüber dem Beseitigungsanspruch oder Widerrufs anspruch der Ehrverletzung als Akt der Naturalherstellung aus 24 • Das ändert aber letztlich nichts dar an, daß der idealistische Gedanke der Unmöglichkeit der vollen Ausgleichung nicht dazu führen darf, daß man schlechthin keinen Entschädigungsanspruch gibt25 . Hier wie sonst muß gelten, daß eine unvollkommene Lösung immer noch besser ist als gar keine 26 . Denn die vollkommene Lösung "Naturalherstellung" ist eben in den meisten Fällen nicht möglich. Der abweichende, gleichwohl zu beachtende Standpunkt des Gesetzes im Fall der Ehrverletzung wird daher nicht zu Unrecht kritisiert 27 • Die materiale, eine "Kommerzialisierung" der Ehre ablehnende Wertentscheidung des Gesetzes 28 kann jedoch nicht in das Gegenteil verkehrt werden. Nur in den Fällen des § 847 BGB soll nach dem Willen des Gesetzgebers "nach den Postulaten der Gerechtigkeit auch eine Schadloshaltung" gewährt werden29 •
dd) Abwehr/unktionen des § 253 BGB § 253 BGB soll Mißbräuche und Bemessungsschwierigkeiten verhindern. Aus dem Ersatz für immaterielle Lebensgüter "würden nur die schlechten Elemente Vortheil ziehen, Gewinnsucht, Eigennutz und BeU Arch. f. Bürger!. R. 5, 257 f.; vg!. auch Seng, Arch. f. Bürger!. R. 5, 373, 374/5; Baur, S. 29 ff. 22 So jüngst Pärn, NJW 1979, 2544. 23 So bereits Gierke, Entwurf, S. 197. 24 Vg!. nur BAG NJW 1979, 2532 m. w. N.; auch Protokolle, Mugdan 11, S. 1119; ferner Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivil rechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, BT-Drucksache III/1237, S. 29 r. Sp.; von Bar, NJW 1980, 1724 m. w. N.; siehe aber unten Abschnitt II 3 b. 25 So bereits Kohler, Arch. f. Bürger!. R. 5, 258. !8 von Beauvais, S. 111. 27 Vg!. unten Abschnitt 11 3 b). 28 Vg!. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 188. 28 Mugdan 11, S. 12.
3 Ströfer
11. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
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gehrlichkeit würden gesteigert und aus unlauteren Motiven zahlreiche chikanöse Prozesse angestrengt werden." Müsse ferner "die Entscheidung über die Höhe des Schadens in das billige Ermessen des erkennenden Richters gestellt werden, ohne daß man ihm einen geeigneten objektiven Anhalt geben könne, so entstehe, wie ebenfalls die Entwicklung der franz. Rechtsprechung zeige, die Gefahr, daß auch maßlos gesteigerte Ansprüche berücksichtigt werden könnten"3o. § 253 BGB kommt somit vor allem auch eine haftungsbegrenzende Funktion zu. Er kann insofern also eine durchaus "heilsame Schranke" gegenüber Auswüchsen bilden31 und trägt der Inkommensurabilität immaterieller Werte Rechnung 32 . Unsicherheitsfaktoren sollen ausgeschaltet werden 33 . Mit der Begrenzung auf den Ersatz materieller Schäden soll verhindert werden, daß der Geschädigte aus immateriellen Beeinträchtigungen wirtschaftliche Vorteile zieht und sich bereichert, sog. Bereicherungsverbot34 • Auf der anderen Seite soll auch der Schädiger nicht ohne wohlüberlegtes Gesetz in eine uferlose und existenzbedrohende Haftung gestürzt werden 35 . Seine Rechtfertigung findet § 253 BGB als Korrelat zum Prinzip der Totelreparation36 . § 253 BGB ist auch Schranke für das "Alles" im "Alles- oder Nichtsprinzip" des § 249 BGB37. Ausgeglichen werden soll grundsätzlich nur der materielle Schaden, nicht die allein oder in Verbindung mit der Vermögensbeschädigung eingetretene "Verletzung idealer Interessen"38. § 253 BGB enthält also außerdem ein Verbot der Berücksichtigung des Affektions-. interesses39 • Dies wird auch von Kritikern des § 253 BGB akzeptiert, die für eine Berücksichtigung immaterieller Werte eintreten und § 253 BGB weitgehend außer Kraft zu setzen suchen40 - 42.
Mugdan 11, S. 517. Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 506. 32 Stoll, Gutachten, S. 127; JuS 1968, 506; kritisch Fischer, S. 301. 33 Heldrich, NJW 1967, 1739. 34 Vgl. HonseIl, JuS 1976, 226; auch "Gewinnabwehrprinzip" , Lindacher, S. 58 f. im Anschluß an Mertens, S. 22; vgl. auch Baur, S. 11; Keuk, S. 213 ff. 35 Bötticher, MDR 1963, 360. 38 Heldrich, NJW 1967, 1739. 37 Lange, Schadensersatz, S. 38. 38 Mugdan 11, S. 515. 39 Mugdan 11, S. 12. 40 - 42 Vgl. Nörr, AcP 158, 2 - 4; Deutsch, Haftungsrecht, S. 451, 462 f.; siehe aber Köndgen, S. 76; ders., AcP 177, 12; schon Fischer, S. 301; zum Affektionsschaden als immateriellem Schaden Askenasy, GruchB 70, 383; Medicus, § 33 III 2 a; Neumann, Jher. Jb. 86, 324 sieht den Nichtvermögensschaden sowohl als das "bloße Affektionsinteresse" als auch als den "rein immateriellen Schaden". 30 31
1. Grundgedanken
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b) Das Affektionsinteresse als Hauptanwendungsgebiet des § 253 BGB
aa) Differenzierung zwischen Affektionsinteresse und ideellem Schaden Die Abgrenzung zwischen Affektionsschaden und immateriellem Schaden ist letztlich nicht völlig geklärt43 • Nach Lange ist das Affektionsinteresse lediglich betroffen, soweit sich die subjektive Vorstellung des Geschädigten nicht mit dem objektiven Werturteil deckt. Die mangelnde Praktikabilität dieses Abgrenzungsversuchs erkennt Lange selbst, wenn er einräumt, daß die Grenzen "freilich bei kleinen Märkten im Kunst- und Antiquitätenhandel flüssig werden" können44 • Auch wenn man das Affektionsinteresse als den persönlichen Erinnerungs- oder Gefühlswert beschreibt45 , so ist damit zwar eine im allgemeinen sicher zutreffende Erklärung gegeben; im einzelnen aber ist nichts gewonnen, da sich gerade fragt, wann der bloß persönliche Wert aufhört, ein persönlicher zu sein, und umschlägt in einen objektiven, abgrenzbaren Wert. Damit stellt sich ein wohl unlösbares Problem. Denn bei dem Wert eines Gutes handelt es sich um ein "ökonomisches Phänomen", er läßt sich nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten bestimmen46 • Auch der Versuch einer Unterscheidung zwischen einem sog. objektiven und einem sog. subjektiven Affektionswert 47 führt daher im Deliktsrecht nicht weiter. So ist das Affektionsinteresse letztlich nicht aus sich heraus einzugrenzen, und es muß genügen, den Unterschied zum ideellen Schaden festzustellen. Überzeugend ist der Vorschlag von Baur48 : Das Affektionsinteresse sei an die Verletzung eines realen Vermögensgegenstandes geknüpft, welcher nur infolge der Beziehung zu dem Geschädigten gerade für diesen einen besonderen Wert habe. Während sich also das Affektionsinteresse unter dem Eindruck der Verletzung eines Sachgutes bilde, wirke beim ideellen Schaden das Schadensereignis unmittelbar - ohne die Vermittlung eines Sachgutes - auf die Persönlichkeit des Betroffenen. Abzulehnen ist freilich die weitere Folgerung Baurs, das Affektionsinteresse sei "ein durch die Eigenart der Mentalität des Betroffenen gesteigerter Vermögensschaden". Denn durch die Vermittlung eines Sachguts kann das 43 Bezeichnend Soergel / Schmidt, §§ 249 - 253 BGB, Rdnr. 40: "Soweit das Affektionsinteresse materielles Interesse ist, fehlt die Bezifferbarkeit, soweit es immaterielles ist, die Anerkennung der Rechtsordnung" . 44 Schadensersatz, S. 35; siehe auch unten Abschnitt III 7. 45 Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249 BGB, Anm. 2 e; Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253, Anm. II 3; Selbach, S. 88. 46 Flume, Rechtsgeschäft, S. 11. 47 So Th. Raiser, S. 77, 79 Fn. 197; ähnlich die Abgrenzung bei Selbach, S. 88 ff. zwischen "individuellem Wert" und "Affektionswert"; vgl. auch Möller, S. 49 Fn. 267; Erman / Sirp, § 249 BGB, Rdnr. 75; § 253 BGB, Rdnr. 2. 48 aaO, S. 32; auch Fischer, S. 299; Oftinger, S. 194.
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11. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
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Affektionsinteresse im Deliktsrecht nicht zu einem Vermögensschaden werden49 • Es ist vielmehr stets ein Nichtvermögensschaden50 . Da bei der Beeinträchtigung von Persönlichkeitsgütern51 mit § 847 BGB eine gesetzliche Ausnahme von § 253 BGB getroffen ist, ergibt sich hiernach die Folgerung, daß § 253 BGB vor allem und seit je her beim Affektionsinteresse als Folgeschaden einer Sachgutsverletzung zum tragen kommt. Dem wird man nicht gerecht, wenn man auf gekränktes Rechtsgefühl, Unlust oder Erregung (Affekt) über den Primärschaden abstellt, ohne letzteren als Sachschaden zu konkretisieren52 • Natürlich könnte man auch das Schmerzensgeld als Affektionsschaden bezeichnen. Damit ginge aber die Prägnanz verloren, da § 253 BGB - wie § 847 BGB zeigt - diese Zielrichtung im Deliktsrecht53 nicht hat54 • Statt von einem im weiteren Sinne verstandenen immateriellen oder ideellen Schaden sollte man zur Kennzeichnung des Kernbereichs des § 253 BGB genauer vom Affektionsinteresse sprechen. In den Protokollen heißt es hierzu noch, daß § 253 BGB sich nicht bloß auf die Fälle beziehe, in welchen es sich lediglich um die Verletzung immaterieller Güter handele, sondern er habe "auch für die zahlreichen Fälle Bedeutung, in welchen sich mit der Vermögensbeschädigung eine Verletzung idealer Interessen verbinde: hier schließe sie den Ersatz des Affektionsinteresses aus"5S. Die gesetzlichen Fälle des Ersatzes ideeller Schäden haben die unmittelbare Verletzung von Nichtvermögensgütern, wie Körperintegrität, Gesundheit, Freiheit, zur Voraussetzung 56 • Durch § 847 BGB sind sie aus dem Geltungsbereich des § 253 BGB herausgenommen. Ein an § 847 BGB zu messendes Beispiel für ideellen Schadensersatz bei Ehrverletzungen bietet die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 57 • Die Versagung des Affektionswertersatzes rechtfertigt sich aus dem Bestreben, den Geschädigten nicht zum Richter in eigener Sache zu machen. Dies wäre mit einer "vollständigen Auslieferung des Ersatzpflichtigen an den Gläubiger gleichbedeutend", die "gröbsten Mißs. auch Fischer, S. 48: "der Affektionswert ist kein Vermögenswert." Hiervon geht im Ansatz auch Baur aus, wenn er aaO sagt, Affektionsinteresse und ideeller Schaden seien "im geltenden Recht beide unter § 253 BGB zu bringen"; vgl. auch Ehlers, S. 18. 51 Ausschließlich der Ehre, dazu oben Abschnitt 11 1 a) ce) und unten Abschnitt II 3 b). 52 So aber Ehlers, S. 18; auch Medicus, § 33 111 2 a. 53 Zum Vertragsrecht s. u. Abschnitte VIII 7, IX 5. 54 Zur notwendigen Unterscheidung zwischen Affektionsinteressen und Schmerzensgeld vgl. auch Kaufmann, AcP 162,437. 55 Mugdan 11, S. 515. 56 So schon Fischer, S. 299. 51 Dazu unten Abschnitt 11 3 b). 49
50
1.
Grundgedanken
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bräuche doloser überschätzung" ließen sich nicht eindämmen58 • Diese Gefahr besteht zwar auch beim ideellen Schadensersatz in den Fällen des § 847 BGB. Sie wird hier aber vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen.
bb) Bedeutung der Differenzierung bei der facultas alternativa Die unterschiedliche Haltung des Gesetzes gegenüber Affektionsinteressen und ideellen Schäden erlangt auch Bedeutung bei der facultas aIternativa des § 251 Abs. 2 BGB. Deren Anwendbarkeit auch auf immaterielle Beeinträchtigungen wird nicht einheitlich beantwortet. Zwar sei § 251 Abs. 2 BGB ein Ausfluß von Treu und Glauben, der auch in Schadensfällen gelte, in denen der Ausgleich immaterieller Nachteile im Vordergrund stehe. Gleichwohl setze er einen Eingriff in Vermögenswerte voraus und erfasse grundsätzlich nicht die immateriellen Nachteile 59 • Hier gelte er schon wegen der Unvergleichbarkeit einer Wiederherstellung mit dem "Wert" eines belassenen Verletzungszustandes nicht 60 • Nach anderer Ansicht ist § 251 Abs. 2 BGB bei immateriellen Schäden "zumindest entsprechend" anwendbar 61 • Der Meinungsstreit zeigt seine Auswirkungen bei der Frage der "unverhältnismäßigen Aufwendungen" für die Herstellung eines Tieres. Hier wird teils allein auf den Wert des Tieres abgestellt und gesagt, das Schadensersatzrecht nehme hier bewußt in Kauf, "den persönlichen und gefühlsmäßigen Bindungen zwischen Hund und Hundehalter nicht immer gerecht" zu werden 62 , teils wird der Anspruch auf Ersatz von Tierarztkosten grundsätzlich auch dann bejaht, wenn dieser größer ist als der Preis eines anderen Tieres 63 • Die Unklarheiten über die Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB bei immateriellen Schäden haben ihre Ursache in der fehlenden Differenzierung nach der Art der immateriellen Beeinträchtigung. Der AnwenFischer, S. 299. BGHZ 63, 297 f. 80 Jauernig / Teichmann, § 251 BGB, Anm. 3 b; vgl. auch Staudinger /Medicus, § 251 BGB, Rdnr. 18. 81 Münch. Komm. Grunsky, § 251 BGB, Rdnr. 13; Palandt / Heinrichs, § 251 BGB, Anm. 2; BGHZ 63, 295 ff. bejaht die Anwendbarkeit auf die Kosten einer kosmetischen Operation bei einer nicht bedeutenden Verletzung. Die Entscheidung dürfte über den entschiedenen Fall hinaus keine Bedeutung haben, da sie in einem Ausnahmefall, an den "sehr strenge Anforderungen" zu stellen seien (aaO, S. 301), wegen der Besonderheiten des Einzelfalls ergangen ist. Verhindert werden sollte eine Bereicherung des Geschädigten, da im Regelfall eine Verwendung der geforderten Mittel zu solchen (l) "Herstellungs"-Zwecken nicht zu erwarten sei (aaO, S. 302). 62 So LG Wuppertal NJW 1979, 2213 ff. 83 LG München I NJW 1978, 1862; Palandt / Heinrichs, § 252 BGB, Anm. 2 m.w.N. 5B
59
11. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
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dungsbereich der facultas alternativa erschließt sich nur bei einer der gesetzlichen Wertung entsprechenden Differenzierung zwischen Affektionsinteresse und ideellem Schaden. Das Verbot der Berücksichtigung des Affektionsinteresses wirkt sich dahin aus, daß bei der Verletzung eines Tieres § 251 Abs. 2 BGB zwar zur Anwendung gelangt, daß aber der Affektionswert nicht bei der facultas alternativa berücksichtigt werden kann 64 • Dies ist eine Folge der rechtlichen Qualifizierung der Tiere als Sachen, die nur rechtspolitisch und unter dem Aspekt des Tierschutzes anders entschieden werden kann. Nicht anwendbar ist die facultas alternativa bei ideellen Schäden, also bei der unmittelbaren Schädigung von Persönlichkeitsgütern des Menschen. Allein hier ist nach der Wertung des Gesetzes, wie sie in der unterschiedlichen Behandlung von Affektionsinteressen und ideellen Schäden zum Ausdruck kommt, vom Gedanken der Unvergleichbarkeit einer Wiederherstellung mit dem "Wert" des belassenen Verletzungszustandes auszugehen. Ausnahmen 65 stehen unter dem Gebot von Treu und Glauben.
2. Keine Derogation des § 253 BGB a) Gesetzlidle Ausnahmen und Inkonsequenz am Beispiel des § 847 BGB
§ 253 BGB bietet eine Angriffsfläche für Kritik, indem er "in den durch das Gesetz bestimmten Fällen" die Inkommensurabilität immaterieller Werte ausnahmsweise außer acht läßt. Gesetzliche Ausnahmen sind zum Beispiel die §§ 847, 1300 BGB, 53 Abs. 3 S. 1 LuftVG, 29 Abs. 2 AutomG, 35 Abs. 1 S. 2 GWB, 97 Abs . 2 UrhG, 40 Abs. 3 SeemannsG sowie der neue § 651 f. BGB66, 67. Wird für den Grundsatz des § 253 BGB noch die Inkommensurabilität herangezogen, so ist davon bei der Rechtfertigung der Ausnahmen, insbesondere § 847 BGB, keine Rede mehr. Es wird vielmehr von der 64 Vgl. aber KG JW 1935, 2982: Ein Förster hatte sich wegen eines Jagdvergehens zu verantworten, weil er einen seltenen, unter Schutz stehenden Seeadler getötet hatte, der seinen alten Jagdhund angegriffen hatte. Der Affektionswert des Jagdhundes wird bei der Prüfung des übergesetzlichen Notstandes berücksichtigt. Gesprochen wird vom "ideellen Wert" des Hundes. Dieser sei erheblich höher einzuschätzen als der des allerdings in Deutschland seltenen Raubvogels, so daß das Handeln des angeklagten Försters als berechtigt angesehen wurde (zustimmend Neumann, Jher. Jb. 86, 339 f.). 85 z. B. BGHZ 63, 295 ff. 66 Dazu aA Bart!, NJW 1979, 1388: "Es ist nicht davon auszugehen, daß der Gesetzgeber über § 253 hinausgehen wollte. Er will vielmehr lediglich Vermögensschäden ersetzen." Ders., Reiserecht, S. 55; vgl. auch Burger, NJW 1980, 1252; dazu i. e. unten Abschnitt VIII 7 a). 87 Keine gesetzliche Ausnahme ist § 242 BGB, so LG Wuppertal NJW 1979,
2214.
2. Keine Derogation des § 253 BGB
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Kommensurabilität ausgegangen, obwohl sich das Problem in beiden Fällen in gleicher Weise stellt6B • Der Ausnahme des § 847 BGB liegen Gesichtspunkte zugrunde, die "nicht eigentlich auf eigenen Überlegungen der Verfasser des BGB" beruhten 69 : "Ausschlaggebend für die Ausnahme des Abs. 1 sind die Bestimmungen des StGB. § 231 über die Buße bei Körperverletzungen. Sie enthalten die Anerkennung, daß besonders für diese Fälle ein Bedürfnis vorliegt,
von dem strengen Grundsatze, daß wegen eines anderen als eines Vermögensschadens Entschädigung nicht gefordert werden kann, abzuweichen und ausnahmsweise eine vom Gerichte nach den Umständen des Falles zu bestimmende Geldentschädigung zuzulassen. Wenn, wie nach der Fassung des § 231 StGB mit der herrschenden Meinung angenommen werden muß, der Strafrichter befugt ist, auch wegen eines anderen als eines Vermögensschadens dem Verletzten auf dessen Verlangen eine Buße zuzuerkennen (vgl. Entsch. in Strafs. 15 Nr. 108), so muß eine gleiche Befugnis auch dem Civilrichter zustehen. Nur dann, wenn auch dem Letzteren nach Maßgabe des Abs. 1 die Befugnis beigelegt wird, nach seinem Ermessen dem Verletzten wegen eines anderen als eines Vermögens schadens eine billige Geldentschädigung zuzusprechen, wird die erforderliche Harmonie in der Gesetzgebung gewonnen ...70." Kritik wird nicht nur an der Geldentschädigung für immaterielle Beeinträchtigungen in den Fällen des § 847 BGB geübt 71 , sondern in erster Linie an dem strengen Enumerationsprinzip des § 253 BGB ("nur"). § 253 BGB wird für rechtspolitisch verfehlt gehalten 72 • Ein Ersatz immateriellen Schadens wird auch in anderen als den gesetzlich geregelten Ausnahmen (Ehre, Persönlichkeitsrecht) für erforderlich gehalten, wobei die vorhandenen Ausnahmen (vor allem § 847 BGB) selbst nicht mehr in Frage gestellt werden. Gerade heute böte sich eine Argumentation in anderer Richtung an: Man könnte fragen, ob nicht der Grund, der zur Rechtfertigung der Ausnahmevorschrift des § 847 BGB herangezogen wurde (siehe oben), mit der Aufhebung des - gerade auch für den Ersatz des immateriellen Schadens vorgesehenen 73 - § 231 StGB durch das EGStGB vom 2. März Vgl. auch Fischer, S. 299 ff. SO Coing, JZ 1958, 559. 70 Mugdan 11, S. 447; Hervorhebungen vom Verf. 71 Vgl. dazu nur von Liszt, Grenzgebiete, S. 31 ff., S. 33: "Die willkürliche, prinziplose Zulassung einzelner Ausnahmen würde in der Rechtsprechung unerträglicher wirken, als die gänzliche Versagung des Anspruchs auf Entschädigung für anderen als vermögens rechtlichen Schaden"; auch Stall, Gutachten, S. 58 spricht von einer "prinzipienlosen Kompilation der bei der Ausarbeitung des Gesetzes bekannten Einzelfälle"; ferner Coing, JZ 1958, 559. 72 z. B. Nörr, AcP 158, 2. 73 Leipziger Kommentar Hirsch, § 231 StGB, Rdnr. 1. 88
B9
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11. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
197474 seine durch den Gesetzgeber gegebene Legitimität verloren und dem § 847 BGB die innere Grundlage entzogen hat. b) Die Aufhebung des § 231 StGB und ihre Auswirkungen
Ansatzpunkt für eine Kritik bliebe dann nicht mehr die strenge Enumeration, sondern der Grundsatz des Ausschlusses immateriellen Schadensersatzes an sich. Mit dieser Betrachtung würde jedoch die historische Entwicklung verkannt. § 231 StGB war ein historisches Relikt, daß der Sache nach nicht ins Strafgesetzbuch paßte. Der Bußanspruch nach § 231 StGB umfaßte "gerade auch" den Ersatz des immateriellen Schadens75 . Seine Existenz erklärt sich daraus, daß das Zivilrecht bei Schaffung des Strafgesetzbuches im Jahr 1871 dem Geldersatz für immateriellen Schaden noch zumeist ablehnend gegenüberstand 76 . Es entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der "Gedanke, daß der Persönlichkeitsschutz im wesentlichen vom Strafrecht übernommen werden müsse"77. Dies führte dazu, daß Zivilrechtler die weitgehende Nichtberücksichtigung nichtvermögensrechtlichen Schadens hinnahmen, da "dem Hauptbedürfnisse ... Genüge gethan (sei) durch die Vorschriften des Strafgesetzbuchs über die Buße ... "78. Die maßgebliche Geltung des Strafrechts wurde mit der späteren Schaffung des § 847 BGB und des Adhäsionsprozesses gemäß §§ 403 ff. StPO sowie der Entwicklung der Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Vor allem die Herausarbeitung der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes durch die Rechtsprechung 79 verwischte die Grenze zur strafrechtlichen Buße80 . Hinzu kam, daß § 231 StGB in der Praxis kaum eine Rolle spielte, da zum einen gegen eine zu niedrig bemessene Buße kein Rechtsmittel gegeben war (§ 406 a Abs. 1 StPO) und gleichzeitig die Geltendmachung einer weiteren Entschädigung vor dem Zivilgericht ausgeschlossen war (§ 231 Abs. 2 StGB), zum anderen das Verfahren 74 Vgl. auch die Aufhebung des § 188 StGB, der aber nur den Vermögensschaden umfaßte (vgl. Mugdan II, S. 419). 75 Leipziger Kommentar Hirsch, § 231 StGB, Rdnr. 1 m. w. N.; Seng, Arch. f. Bürgerl. R. 5, 339; Stoll, Gutachten, S. 27. 7. Leipziger Kommentar - Hirsch, § 231 StGB, Rdnr. 2. 77 Coing, JZ 1958, 558. 78 So Seng, Arch. f. Bürgerl. R. 5, 373 im Anschluß an die Motive II, S. 22/23 = Mugdan II, S. 12. 79 BGHZ GrS, 18, 149. 80 Bötticher, MDR 1963, 353; vgl. auch Köndgen, S. 150; Grossfeld, S. 17; Gottwald, S. 167 m. w. N.: " ... sollte man den Charakter des Schmerzensgeldes als Privatstrafe nicht leugnen" .
2. Keine Derogation des § 253 BGB
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nicht zur hinreichenden Klärung der Schadenshöhe geeignet sowie der Erhalt einer Rente nach § 231 StGB rechtlich unmöglich war8t . Festzuhalten ist, daß aus der Abschaffung einer der Sache nach zwar dem Zivilrecht angehörigen Bestimmung des Strafrechts nichts für eine Restriktion bei der Beurteilung einer zivilrechtlichen Frage herzuleiten ist. Historische Entwicklung und praktische Handhabung verbieten aber auch die umgekehrte Argumentation in Richtung auf eine extensive Beurteilung des zivilrechtlichen Schadensausgleichs aus diesem Grunde, Die unzureichende Abstimmung zwischen Zivil- und Strafrecht im geschichtlichen Ablauf führt zwar heute zu einem unvollständigen Schutz immaterieller Werte. Die Betrachtung hat sich aber allein am Schadensersatzrecht des BGB zu orientieren. Mit § 231 StGB wurde lediglich ein historisches, im Strafgesetzbuch deplaciertes Relikt beseitigt. Allein dieses Faktum kann hier festgestellt werden - nicht mehr und nicht weniger. Eine unmittelbare Schlußfolgerung für § 253 BGB ist nicht möglich. Immerhin kann aber heute nicht mehr die Rede davon sein, es sei durch die Buße dem Hauptbedürfnis für eine Entschädigung bei Nichtvermögensschäden genüge getan82 . Schließlich darf nicht übersehen werden, daß § 847 BGB von Anfang an dazu diente, den Schutz sog. idealer Rechte neben (!) der Buße zu sichern. Ihr Schutz sollte "nicht ausschließlich in das Strafrecht verlegt werden"83. c) § 253 BGB als geltendes Recht
Auch wenn "ein Teil der Gründe, die die Verfasser des BGB zu einer Ablehnung des Geldersatzes führten ... heute überholt" sein mag84, so ändert das aber nichts daran, daß § 253 BGB geltendes, verfassungsgemäßes Recht ist85 . Ein Grundsatz "cessante ratione cessat lex ipsa" ist dem deutschen Recht fremd 86 . Eine Rechtsfortbildung contra legem87 läßt sich nicht mit der Begründung rechtfertigen, § 253 BGB sei -"eine legislative Fehlleistung, deren ganze Schwäche sich bei einer historischen und rechtsvergleichenden Würdigung offenbart" und deren Respektierung "der Rechtsprechung nicht länger zugemutet werden" könne88 . Rechtspolitische Erwägungen können nur die Forderung zum Leipziger Kommentar - Hirsch, § 231 StGB, Rdnr. 2. Vgl. Mugdan H, S. 12. 83 Mugdan 11, S. 12. 84 So Nörr, AcP 158, 2; vgl. i. e. Kaufmann, AcP 162, 421 ff.; auch Köndgen, AcP 177, 13. 85 Vgl. BVerfG NJW 1973, 1221 ff. 88 Vgl. Honsell, JuS 1976, 226; auch Canaris, Feststellung von Lücken, S.189. 87 Dazu unten Abschnitt 11 3 b). 88 So aber Stoll, Gutachten, S. 125; ferner Schnorr von Carolsfeld, Fest81
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11. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
Handeln an den Gesetzgeber stützen89 • Ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers kann sich ein sozialer Veränderungsprozeß nicht "quasi auf der Tatbestandsseite des Schadensrechts" niederschlagen 90 • Auch der Hinweis auf ausländische Rechtsordnungen, die zumeist in der Zubilligung eines Geldersatzes für immaterielle Schäden sehr viel weiter gehen, vermag den deutschen Gesetzgeber nur in einen "rechtspolitischen Zugzwang" zu versetzen 9 !. Durch eine erweiterte Diskussion können nur de lege ferenda "bessere" Lösungen gefunden werden 92 •
3. Postulate des § 253 BGB a) Analogieverbot
Das strenge Enumerationsprinzip des § 253 BGB ("nur") fordert die Beachtung des Analogieverbotes93 , das heißt, daß eine Geldentschädigung wegen immaterieller Beeinträchtigung in anderen als den durch das Gesetz bestimmten Fällen zivilrechtlich nicht zulässig ist. Demgegenüber sieht Canaris94 in § 253 BGB lediglich ein Induktionsverbot. Der Gesetzgeber habe nur verhindern wollen, daß die Rechtsprechung aus den im Gesetz enthaltenen Fällen einen "allgemeinen" Grundsatz entnehme, nach dem stets Schadensersatz für immaterielle Schäden gewährt werde. Gegen ein zwingendes Analogieverbot führt er an, daß das Gesetz "nicht von den ausdrücklich bestimmten Fällen" spreche, und auch ein durch Analogie gleiChgestellter Fall jedenfalls mittelbar im Gesetz enthalten sei. Damit bleibt Canaris allein beim "buchstäblichen Ausdruck des fehlenden Wortes" stehen, Sinn und Zweck des § 253 BGB ("nur") werden nicht hinreichend beachtet, sein Inhalt wird über Gebühr entleert, solange nicht konkret die Reichweite festgestellt wird. schrift 25 Jahre BAG, S. 495: § 253 BGB könne "als der Verfassung widersprechend nicht mehr Gültigkeit besitzen." 89 Giesen, NJW 1971, 802; vgl. auch Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers, S. 56 ff.; vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivil rechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, BT-Drucksache 111/1237. 90 So aber Köndgen, AcP 177, 14. U Vgl. die Darstellung ausländischer Rechte bei Stoll, Gutachten, S. 62 ff.; Baur, S. 23 ff.; Braschos, S. 169 ff.; Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivil rechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, BT-Drucksache 111/1237 (besonders ausführlich zum englischen Recht, aaO, S. 98 ff.; Zusammenfassung, aaO, S. 160 ff.). 92 Weick, NJW 1978, 15. 93 Palandt / Heinrichs, § 253 BGB, Anm. 1; Münch. Komm.-Grunsky, § 253 BGB, Rdnr. 2; Soergel / Schmidt, §§ 249 - 253 BGB, Rdnr. 89; Giesen, NJW 1971, 802; Mammey, NJW 1969, 1150/51; Larenz, NJW 1958, 828; aA Coing, JZ 1958, 560. 94 Feststellung von Lücken, S. 187.
3. Postulate des § 253 BGB
43
Wenn auch über die Strenge des Analogieverbots keine Einigkeit besteht 95 , so ist damit jedenfalls klargestellt, daß § 253 BGB nicht durch extensive Auslegung der Ausnahmevorschriften bzw. deren analoge Erweiterung ausgehöhlt oder geradezu in sein Gegenteil verkehrt werden darf. Stets zu beachten ist die dem § 253 BGB bewußt zugedachte Aufgabe, eine Rechtsfortbildung zu verhindern, die zur Gleichstellung von Vermögens- und Nichtvermögensschäden führt 96 • § 253 BGB hindert auch bei der Kraftfahrzeuggefährdungshaftung den Ersatz von Nichtvermögensschäden97 • b) Grenzen richterlicher Rechtsfortbildunr und allgemeines Persönlichkeitsrecht
Jede Entscheidung unter Mißachtung des Analogieverbots ergeht contra legern und verstößt gegen § 253 BGB. Bedenklich ist insofern die Rechtsprechung zum Ersatz des immateriellen Schadens bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 98 • Eine Absegnung dieser richterlichen Rechtsjortbildung durch das Bundesverfassungsgericht ist nicht erfolgt99 • Das Bundesverfassungsgericht hat allein die Vereinbarkeit mit den Artt. 1 und 2 GG festgestellt und ausdrücklich betont, "daß es nicht zur Entscheidungskompetenz des BVerfG gehärt zu beurteilen, ob sich die vom BGH aus der angenommenen Verletzung des allgemeinen Persänlichkeitsrechts abgeleitete Rechtsfolge vom Boden der zivilrechtlichen Dogmatik aus begründen läßt"100. Weder aus Art. 1, noch aus Art. 2 GG folgt zwingend, daß ein schadensersatzrechtlicher Anspruch auf Geldersatz besteht 101 . Die Verfassung kann zwar den Befehl geben, ein bestimmtes Recht zu schützen, muß die Ausführung dieses Befehls im Zivilrecht aber dem geltenden Schadensersatzrecht überlassen102 . Zwar enthielt § 823 BGB noch in 95 Vgl. nur Stoll, Gutachten, S. 18 f.; von Beauvais, S. 94; extensiv z. B. Neumann, Jher. Jb. 86, 337 f.; gegen Neumann vgl. Grossfeld, S. 117 f. D8 SO zutreffend Stoll, Gutachten, S. 18. D7 Vgl. Böhmer, MDR 1979, 197; aber Wiese, S. 61; ferner Vorschlag des 45. DJT NJW 1964, 2098; zu Reformbestrebungen i. e. Sieg, VersR 1975, 869 ff. 98 Dazu ausführlich Brehmer / Vögeli, JA 1978, 374 ff. und 492 ff.; Schwerdtner, JuS 1978, 289 ff.; kritisch z. B. Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers, S. 56 ff. m. w. N.; Flume, Schlußvortrag 46. DJT, S. K 5 ff. DD Vgl. BVerfGE 34, 269 ff. = NJW 1973, 1221. 100 NJW 1973, 1224. 101 So zutreffend Giesen, NJW 1971, 802; Schwerdtner, JuS 1978, 291; Grunsky, Jura 1979, 68 Fn. 66; Münch. Komm.-Grunsky, § 253 BGB, Rdnr. 6; Lange, Schadensersatz, S. 273; differenzierend Ehlers, S. 94 (ebenso bezüglich Art. 2 GG, anders bezüglich Art. 1 GG, S. 98 ff.); vgl. auch BGHZ 20, 70; aA Coing, JZ 1958, 560; Nipperdey, S. 46; Maunz / Dürig, Art. 2 GG, Rdnr. 27; Grossfeld, S. 120. 102 Kaufmann, AcP 162,422.
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11. Die zentrale Bedeutung des §253 BGB für die Kompensation
der Fassung des Ersten Entwurfs die Ehre unter den aufgezählten Rechten, ohne aber damit bei Ehrverletzungen auch einen Ersatz immaterieller Schäden zu gewähren 103. Die Mehrheit der Kommission lehnte die Ausdehnung des § 847 BGB (§ 728 Entwurf) auf die Fälle derEhrverletzungen ausdrücklich ab, da "im praktischen Erfolge alle Mißstände wieder aufleben würden, welche die Gesetzgebung zur Aufhebung der actio injuriarum gezwungen haben"104. Das heutige BGB bietet für einen Ersatzanspruch nicht nur keinen Anhalt, sondern verbietet eine Geldentschädigung ausdrücklich. Aus dieser Erkenntnis heraus ist auch der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes 105 entstanden, der in seiner Begründung106 zur derzeitigen Rechtslage ausdrücklich feststellt: "Für andere als die (in § 847 BGB) genannten Fälle der Persönlichkeitsverletzung, insbesondere auch für Fälle der Ehrverletzung, ist nach dem Wortlaut des BGB der Ersatz immaterieller Schäden in Geld ... ausgeschlossen." Jeder Akt richterlicher Rechtsfortbildung - sei er vom jeweiligen Ergebnis her auch noch so wünschenswert - muß an der Fortbildung im Gesetz vorbezeichneter Linien orientiert sein107. Hiernach richtete sich anfänglich auch der BGH. Im HerrenreiterFall 108 sprach er mit gewagtem Konstruktionsmut von einer Freiheitsberaubung "im Geistigen"109. Die spätere Rechtsprechung gewann schnell ein Eigenleben und führte zu einer generalklauselartigen Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts l1O , die mit dem vom Gesetz geforderten konkreten Rechtsgüterschutz nicht mehr vereinbar ist. Eine Orientierung am Gesetz hielten schon die Väter des BGB für unerläßlich: "Es liege aber weder in der Tendenz des Entw. noch entspreche es der im deutschen Volke herrschenden Auffassung von· der Stellung des Richteramtes, die Lösung solcher Aufgaben, die durch das Gesetz erfolgen müsse, auf die Gerichte abzuwälzen. Es ließe sich auch nicht .absehen, zu welchen Konsequenzen die Einräumung einer autoritativen Stellung an den Richter führen und ob nicht die deutsche Rechtsprechung zu ähnlichen Auswüchsen gelangen werde, welche zahlreiche Urtheileder französischen Gerichte auswiesen. Diesen Bedenken gegenüber verdiene es den Vorzug,dem 103 Vgl. §§ 704 Abs. 2, 728 Abs. 1 des Entwurfs; dazu Kaufmann, AcP 162,
431/32.
104 Mugdan 11, S. 1119. 105 BT-Drucksache III/1237; die Zuständigkeit des Gesetzgebers betont zu Recht Flume, Schlußvortrag 46. DJT, S. K 9, 11. 108 aaO, S. 28. 107 Nörr, AcP 158, 11; Hagen, JuS 1969,64. 108 BGHZ 26, 349 ff., 356. lOt Dazu ablehnend Larenz, NJW 1958, 829; Stoll, Gutachten, S. 19; Fraenkel, S. 167 Fn. 20. 110 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 162 Fn. 66.
3. Postulate des § 253 BGB
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Richter zu seiner Entscheiqung schon im Gesetze einen gewissen objektiven Maßstab an die Hand zu geben1l1 ."
Die Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht muß sich im Hinblick auf § 253 BGB die Frage vorhalten lassen, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung gegeben sind112 • Mit Kaufmann 113 läßt sich . eher von einer Rechtsrückbildung in Richtung auf die im 19. Jahrhundert abgeschaffte Injurienklage sprechen. Unter dem Etikett des Schadensersatzes wird vom Richter die Privatstrafe wieder eingeführt 114 , welche seit Schaffung des BGB als überwunden galt 115 • Methodisch fehlt es an einer Gesetzeslücke 116 • Dieses Erfordernis kann man nicht dadurch ausmanövrieren, daß man eine Lücke im Gesetz auch dann bejaht, wenn eine gesetzliche Regelung ohne klaren gesetzgeberischen Grund wesentlichen Rechtsschutzbedürfnissen nicht gerecht wird 117 • Bedenken rechtsstaatlicher Art stehen einer derartigen Ermöglichung der Loslösung vom Gesetz entgegen. Die entscheidende Frage wäre, wer letztlich - entgegen dem Gesetzgeber - entscheiden sollte, um welche wesentlichen Rechtsschutzbedürfnisse es geht. Die Anwendung oder Nichtanwendung einer vorhandenen Norm hinge von Fall zu Fall davon ab, ob sie der Rechtsüberzeugung (wessen?) widerstreitet 118 • Darüber hinaus fehlt der rundum zwingende Nachweis, daß es sich bei § 253 BGB um eine "Zufallslösung ohne klaren gesetzgeberischen Grund" handelt 119 • Es ist daher nicht angängig, die fehlenden Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung letztlich durch die Erwägungen zu ersetzen, es werde die Rechtsstellung des Geschädigten verbessert und dem allgemeinen.Gerechtigkeitsempfinden entsprochen 120 • Zudem ist darauf hinzuweisen, daß dadurch vor allem Angehörige der "besseren Stände" begünstigt werden 121 , es in Wahrheit um "die unter Verletzung jeder dogmatischen Kunstregel erzielte Parteinahme für Privilegierte" geht 122 • Erreicht wird eine Umkehrung der in die Mugdan 11, S. 1075; Hervorhebungen vom Verf. Verneinend LG Freiburg, NJW 1972, 1720. 113 AcP 162, 423, 438. 114 So die Kritik bei Wollschläger, NJW 1976, 16. 115 Vgl. aber Grossfeld, S. 15 ff. m I. e. Larenz, Methodenlehre, S. 350 ff. 117 So aber Coing, JZ 1958, 560; auch Wendt (AcP 92, 64 f.) spricht von einer "nicht unwesentlichen Lücke"; vgl. auch Lindacher, S. 61 f. 118 So in der Tat Dälle, ZStW 103 (1943), 83. 119 Vgl. im einzelnen Kaufmann, AcP 162, 421 ff. m. w. N. 120 So aber BVerfG NJW 1979,306 und 307. 121 Vgl. zutreffend Dürr / Schubert, ZRP 1975, 227. 122 Vgl. Knieper, ZRP 1974, 139; gegen die Berücksichtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung des Opfers, von Bar, NJW 1980, 1724 ff. 111
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11. Die zentrale Bedeutung des § 253 BGB für die Kompensation
Motive des BGB eingeflossenen moralisch-idealisierenden Wertvorstellungen vor allem des Badischen und Preußischen Landrechts 123 • Trotz durchgreifender dogmatischer Bedenken gegen die Rechtsprechung zur Geldentschädigung bei Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird eine Aufgabe dieser Rechtsprechung wohl Wunschtraum der Zivilrechtsdogmatik bleiben. Im Hinblick auf die beständige Praxis der Rechtsprechung spricht selbst Larenz inzwischen resignierend davon, daß sie heute die Kraft eines Gewohnheitsrechts erlangt haben dürfte 124 • Insofern bleibt die Forderung, dem Analogieverbot des § 253 BGB wenigstens durch eine Beschränkung auf schwere, anders nicht auszugleichende Beeinträchtigungen Rechnung zu tragen125 • Auch wenn die Rechtsprechung kein "Sonderrecht gegen die Presse" setzen will 126 , so sollte doch das Anwendungsgebiet auf den Persänlichkeitsschutz gegenüber Eingriffen der Massenmedien beschränkt bleiben 127 • Denn das allgemeine Persönlichkeits recht verdankt seine Durchsetzung neben der technischen Entwicklung gerade den heutigen Möglichkeiten der Berichterstattung in Presse, Film, Rundfunk und Fernsehen, die mit einer bis dahin nicht gekannten Breitenwirkung die Auswirkungen etwaiger Persönlichkeitsverletzungen besonders schwerwiegend machen konnten128 • Eine derartige Restriktion bedeutet nichts anderes als eine Beschränkung auf die "Geburtszelle" . Das OLG Karlsruhe 129 formuliert recht drastisch: Die Verurteilung zu recht hohen Schmerzensgeldbeträgen bei immateriellen Schäden solle finanz starke Presseunternehmen davon abschrecken, die Ehre führender oder auch privater Persönlichkeiten in unzulässiger Form anzugreifen. Setzt man sich in den Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung offen über § 253 BGB hinweg, so geht es in den Grenzbereichen von materiellem und immateriellem Schaden darum, § 253 BGB durch die Behauptung auszuschalten, es liege ein Vermögensschaden vor. Es werden verschiedene Theorien zum Begriff des Vermögensschadens vertreten.
Siehe oben Abschnitt 11 1 a). Methodenlehre, S. 417; auch Bepler, NJW 1976, 1874. 125 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 469/70 zu dem Kuriosum, ob die Schwere der Verletzung "und" oder "oder" schweres Verschulden erforderlich ist; ebenso bereits Bötticher, MDR 1963, 355. 128 BVerfG NJW 1973, 1224. 127 Vgl. dazu von Gamm, NJW 1979,513. 128 Von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 105; vgl. auch Flume, Schlußvortrag 46. DJT, S. KlO. 129 NJW 1969, 1488 f.; 1973, 853. 123
124
1. Die Differenztheorie
47
Abschnitt III
Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens und ihre Schwächen Vor der Erörterung der Fallgruppen, in denen die Abgrenzung des materiellen vom immateriellen Schaden von besonderer Bedeutung ist, werden aus Gründen der Übersichtlichkeit zunächst die Grundzüge bisheriger Lösungsversuche und ihre Schwächen aufgezeigt. Wegen vorhandener Überlagerungen soll die folgende Unterteilung nicht scharfe Trennungslinien ausdrücken, sondern lediglich dem Umstand Rechnung tragen, daß die angeführten Positionen trotz ihrer teilweisen sachlichen Nähe nicht dasselbe aussagen. 1. Die Differenztheorie (herkömmliche Sicht, berechtigter Inhalt) Nach der Differenztheorie (auch Differenzhypothese) ist der Schaden rechnerischer Natur!. Abgestellt wird auf die Gesamtlage des Vermögens des Geschädigten im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung2 • Das Vermögen kann dadurch vermindert sein, daß entweder ein positiver Vermögenswert entzogen oder ein negativer hinzugekommen ist (damnum emergens) oder aber das erwartete Hinzukommen eines neuen Vermögenswertes ausbleibt (lucrum cessans)3. Der Schaden besteht in der Differenz zwischen dem tatsächlichen durch das Schadensereignis geschaffenen und dem unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachten Vermögensstand4 • Auf die hypothetische Vermögenslage kommt es jedoch keineswegs immer an 5 • Auch hat die Differenztheorie im Gesetz "keinen unzweideutigen Ausdruck" gefunden 6 • Bei den Gesetzgebungsarbeiten zum BGB ist vereinzelt klargestellt worden, daß der Schadensbegriff keine lückenlose Regelung aller Fragen des Schadensrechts enthalte und die Schließung vpn Lücken Wissenschaft und Praxis überlassen bleiben müsse 7 • Die Differenztheorie wird zurückgeführt auf den Begriff des Interesses 8 , der seine Ausprägung im Corpus Juris als ,id quod interest' für 1
Vgl. Larenz, Schuldrecht AT, § 29 I a; Winter, VersR 1967, 334; Keuk,
S. 20 ff.
Winter, VersR 1967,337. Vgl. Schulte, S. 25 m. w. N. 4 Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 2. 5 Vgl. i. e. Grunsky, Jura 1979,58. a Larenz, Festgabe Oftinger, S. 152. 7 Vgl. Mugdan 11, S.10. S Lange, Schadensersatz, S. 19 m. w. N.; vgl. Mugdan 11, S. 12: "das volle Interesse" . 2
3
48 111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögens schadens
,Schadensersatz' gefunden habe. Schaden und Interesse wurden gemeinhin gleichgesetzt. Einen Unterschied zwischen "Schaden und Interesse nachweisen zu wollen, wäre vergebliches Bemühen"9. Heute ist erkannt und nachgewiesen, daß der Begründer der Differenztheorie, Friedrich Mommsen10 , den Begriff des Interesses als Ergebnis einer hypothetischen Differenzberechnung mißverstanden hat l l • Das Verdienst von Mommsen besteht nur in der Zusammenfassung des damnum emergens und des lucrum cessans in einer deutschen Formulierung12 • Kritisiert wird, daß die Differenztheorie den Schaden zu einer anonymen, rechnerischen Größe macht, die den einzelnen realen Schadensposten nicht erkennen läßt 13 • Die Angabe der einzelnen Schadensposten ist aber vor allem für die Substantiierung der Klage unerläßlich14 • Die entscheidende Schwäche der DijjerenztheoTie ist, daß sie nichts darüber besagt, wann im konkreten Fall ein Vermögensschaden vorliegt ("ob"), sondern nur eine Aussage zum Schadensumjang macht ("wie")15. Die herkömmliche Differenztheorie kann daher für die Abgrenzung des materiellen vom immateriellen Schaden nicht herangezogen werden. Denn sie läßt offen, ob in dem Unterschied gegenüber dem tatsächlich eingetretenen Zustand (z. B. der Geschädigte hätte einen bestimmten Genuß gehabt) ein Vermögensschaden zu sehen ist. Es liegt in der Eigenart von Genüssen, daß sie auch bei deren Ausnutzung durch den Geschädigten nicht mehr existieren würden. Konsumtive Vermögensinteressen werden als solche monetär nicht spürbar, sondern rufen allenfalls immaterielle Genüsse hervor 16 • Da der Genuß selbst keinen Posten in der Vermögensbilanz des Geschädigten darstellt, ist dessen Vermögen nicht geringer, sondern er nur um eine Annehmlichkeit ärmer geworden17 • Ob darin nun das Eingeständnis begründet ist, daß 9 So Schlossmann (1876), S. 313; Oftinger, S. 31; siehe aber Keuk, S. 53; ebenso Gottwald, S. 43 ff. 10 Zur Lehre von dem Interesse, 1855. 11 Einzelheiten bei Keuk, S. 16 ff. und S. 52 ff.; Honsell, JuS 1973, 69 ff.; vgl. Tolk, JZ 1975, 531: "Interessetheorie" . 12 Keuk, S. 17. 13 Keuk, S. 20 ff. und zu den Konsequenzen S. 31 ff.; Knobbe-Keuk, VersR 1976, 402; Honsell, JuS 1973, 70 f.; schon Möller, Summen- und Einzelschaden, 1937; ders., Festschrift Prölss, S. 242 im Hinblick auf Erfordernisse des Versicherungsrechts; ferner Oftinger, S. 29 Fn. 4. 14 Gottwald, S. 47. 15 Vgl. Nörr, AcP 158, 5 Fn. 22; Wiese, S. 21; Löwe, NJW 1964, 701; Hagen, JuS 1969, 65; Hansen, S. 20 f.; Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 2; Soergel/ Schmidt, §§ 249 - 253 BGB, Rdnr. 86. tS Vgl. Neuwald, S. 96; aber auch Fischer, S. 19 f. 17 Askenasy, GruchB 70, 376 f.; Larenz, Festgabe Oftinger, S. 151; Löwe, VersR 1963, 309; vgl. auch Reinecke, S. 158; irrig Schmitz, S. 234, nach dem die nach § 249 BGB anzustellende Differenzhypothese auch die ideelle
1. Die Differenztheorie
49
ein Vermögensschaden nicht vorliegt, entzieht sich der unmittelbaren Aussagekraft der herkömmlichen Differenztheorie. Sie wird "allenfalls als grobe Faustregel" herangezogen, die im Einzelfall der Ergänzung bedarf l8 • Für die Schadensfeststellung ("ob") hat sie damit nicht die ihr herkömmlich zugedachte sachliche Berechtigung. Dies ist nicht verwunderlich, wurde sie doch zu einer Zeit entwickelt, als ausschließlich der Vermögensschaden als rechtlich relevanter Schaden anerkannt war 19 • Nicht zu Unrecht wird gesagt, die Differenztheorie sei operational nicht brauchbar und habe auch nicht die ihr beigelegte heuristische Funktion20 . Es ist wenig sinnvoll, sie nur als "Test" dafür anzusehen, welche Folgeschäden in Geld zu ersetzen sind 21 . Nach allgemeiner Meinung darf bei der Schadensfeststellung jedenfalls nicht bei der Differenztheorie stehen geblieben werden22 . Die Differenzhypothese wird als unverzichtbarer Ansatzpunkt gesehen 23 , ohne aber nachzuweisen, warum diesen "erst die Differenzhypothese liefert" . Ihrer Schwäche ist sich auch der BGH bewußt, wenn er sagt, sie habe "vorzugsweise die Funktion, ... allgemeine Vermögensschäden zu erfassen und ihre geldmäßige Höhe mittels der Differenzrechnung zu bestimmen. Bei der konkreten Beeinträchtigung einzelner Vermögensgüter sind einer solchen rechnerischen Differenzbetrachtung Grenzen gesetzt"24. Unbeantwortet bleibt aber, wie die "allgemeinen Vermögensschäden" im einzelnen von den "konkreten Vermögensschäden" abzugrenzen sind 25 • Die Differenztheorie erlebt daher nur eine scheinbare Renaissance, wenn in der neue ren Rechtsprechung des BGH von ihrer "strengen Anwendung" die Rede ist26 . Zwar sagt der BGH jetzt, daß das Abgehen von der Differenztheorie auch bei der konkreten Beeinträchtigung einzelner Vermögensgüter einer "besonderen Begründung" beGüterlage erfasse, so daß an der Existenz eines Schadens nicht zu zweifeln sei. 18 Grunsky, Jura 1979, 59. 18 So der Hinweis bei Köndgen, AcP 177, 6; vgl. auch Art. 1382 sowie Art. 1146 ff. Code Civil, wo das Reichsgericht unter "dommage" nur den materiellen Schaden verstanden hat, RGZ 7, 295 f.; dagegen Stoll, Gutachten, S. 57; Kohler, Arch. f. Bürgerl. R. 5, 261 ff.; für das schweiz. Recht vgl. Oftinger, S. 219 Fn. 9: "Schaden ist eben schlechthin Vermögensschaden" . 20 Honsell, JuS 1973, 71. !1 So aber Stoll, S. 18. II Knobbe-Keuk, VersR 1976, 402; Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 2, 2 b; Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253, Anm. 11 3. 23 So Staudinger / Medicus, § 249 BGB, Rdnr. 5. u BGHZ 45, 218; BGH NJW 1978,262,264; so schon Nörr, AcP 158, 7. 15 Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 500. ze BGH NJW 1978,264; 1807. 4 ströfer
50 111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens
darf 27 , bzw. läßt dies bei einem "allgemeinen Vermögensschaden" ausdrücklich nicht entschieden28 • Diese Aussagen tragen aber in beiden Fällen nicht zur Entscheidung bei, da der BGH aus anderen Erwägungen einen Vermögensschaden ablehnt. Bloße Lippenbekenntnisse zur Differenztheorie vermögen nicht ihren sachlichen Geltungsanspruch bei der Schadensfeststellung zu begründen. Die Lösung von der Differenztheorie im Grenzbereich wird deutlich, wenn der BGH davon spricht, daß nach gefestigter Rechtsprechung "zur Ergebniskontrolle eine ergänzende wertende (normative) Betrachtungsweise unter dem Gesichtspunkt geboten (sei), ob nicht aus gewichtigen (?) Gründen ein Vermögensschaden auch ohne Vermögensdifferenz anzunehmen sei"29. Im Grunde kommt der Differenztheorie keine andere Bedeutung zu, als die Veränderung an einem Vermögensgut vor und nach dem Schadensereignis zu beschreiben. Man sieht zunächst, ob es sich um ein Gut handelt, welches vor dem Schadensereignis in eine Vermögensbilanz eingestellt ist. Dann betrachtet man die Veränderung, die das Vermögensgut durch das Schadensereignis erfahren hat. Die Differenz ist der Vermögensschaden (damnum emergens). Darüber hinaus ist nur das lucrum cessans zu ersetzen.
2. Der objektive Schadensbegriff und Ausgleichsfunktion des Schadensersatzrechts Nach der Lehre vom objektiven Schaden, die insbesondere mit dem Namen Neuner verbunden ist, wird der Vermögensschaden definiert als "Verletzung eines vermögenswerten Interesses, d. h. eines Gutes, das im Verkehr gegen Geld erworben und veräußert wird." Dieses Interesse wird objektiv bewertepo. Der objektive Wert ist ohne Nachweis einer Vermögensdijjerenz als Mindestschaden zu ersetzen 31 • Zeuner 32 spricht von einem "objektiv geprägten Schadenskern" . Gegenüber der Differenztheorie besteht ein dreifacher Unterschied 33 : -
Es wird nicht das Gesamtvermögen, sondern lediglich das isolierte Rechtsgut betrachtet.
NJW 1978, 264. NJW 1978, 1807. 29 BGH NJW 1980, 776; vgl. auch BGH NJW 1979, 1494; 1978, 264; 1980, 1387. 30 Neuner, AcP 133, 290, 306; ebenso Neumann, Jher. Jb. 86, 277, 278 ff. 3! Neuner, AcP 133, 295; Steindorff, JZ 1967, 361; dazu auch Stall, JuS 1968,509. 32 AcP 163, 387. 33 Vgl. Schulte, S. 29; Lieb, JZ 1971,359. 27
28
2. Der objektive Schadensbegriff und Ausgleichsfunktion
51
Die objektive Bewertung läßt Raum für ein möglicherweise geringeres Interesse und damit eine Besserstellung des Geschädigten. Der Schaden wird im frühestmöglichen Zeitpunkt seines Eintritts - abschließend erfaßt ("eingefroren").
im Moment
Der Ersatz des objektiven Wertes nimmt seine Rechtfertigung aus der Rechtsverfolgung, der Sanktion des geschützten Rechts 34 . Damit ist zugleich ein entscheidender Kritikpunkt vorgezeichnet: Nach ganz herrschender Meinung ist nicht der Sanktionsgedanke, sondern das Ausgleichsprinzip der Leitgedanke des Schadensersatzrechts 35 • Eine gewisse Aufweichung bringt die seit der Entscheidung des Großen Senats36 anerkannte Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes 37 • Hinzuweisen ist aber darauf, daß der Große Senat38 noch die Präponderanz der Ausgleichsfunktion betont. Erst später39 wird die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in den Vordergrund gerückt. Ausgehend von berechtigter Kritik daran fehlt es in neuerer Zeit nicht an Versuchen in der Literatur, auch den immateriellen Schaden wieder unter dem Aspekt des Ausgleichs zu sehen 40 . Auch in den Motiven zum BGB ist ausdrücklich festgestellt: "Die Heranziehung moralisierender oder strafrechtlicher Gesichtspunkte ... muß bei der Bestimmung der civilrechtlichen Folgen unerlaubten, widerrechtlichen Verhaltens durchaus ferngehalten werden"41. Aus dem Bericht der Reichstagskommission 42 ergibt sich, daß man eine weitergehende Ausdehnung der Geldentschädigung bei Verletzung immaterieller Rechtsgüter auch deswegen ablehnte, weil man nicht wollte, "daß ... unter dem Schein einer Schadensersatzleistung auf eine an den Beleidigten zu leistende Geldstrafe erkannt" werde. Die Nichtberücksichtigung einer Straf- und Genugtuungsfunk34 Neuner, AcP 133, 291; vgl. auch Degenkolb, AcP 76, 1 ff.; dazu Löwe, NJW 1964, 702; Schulte, S. 99 f.; zustimmend insoweit auch Keuk, S. 46 f.: "geeigneter Oberbegriff". 35 Vgl. Mertens, S. 98 f. im Anschluß an Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 83 m. w. N.; Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 78; Keuk, S. 49, 107; Lange, Schadensersatz, S. 6 ff.; vgl. aber auch Grossfeid, S. 12 ff., 125. 38 BGHZ GrS 18, 149. 37 Kritisch dazu Köndgen, S. 150; Pecher, AcP 171, 44, 70 ff.; Schwerdtner, JuS 1978, 297; Gottwald, S. 168. 38 aaO, S. 154, 157. aa BGHZ 35, 369. 40 Vgl. Mincke, JZ 1980, 87 ff.; m. E. ist aber fraglich, ob es sachlich weiterführt, den Schaden statt in der Persönlichkeit selbst "im Bereich des sozialen Kontakts des einzelnen" zu suchen (S. 91). 41 Motive !I, S. 17 f. 42 aaO (1896), S. 98.
4'
52 111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens tion folgt auch aus der dem BGB zugrundeliegenden allgemeinen Ablehnung der Privatstrafe43 • Schadensersatz und Strafe wurden begrifflich scharf getrennt4 4 • Wegen ihres pönalen Charakters hatte dann auch die Injurienklage, die bereits in den Partikularrechten weitgehend abgeschafft worden war 45 , in einem von Privatstrafen gesäuberten Privatrecht nichts zu suchen46 • Die Präponderanz des Ausgleichsgedankens kann im übrigen selbst durch eine Anerkennung der Genugtuungsfunktion nicht in Frage gestellt werden. Die Genugtuung ist nämlich ihrem Ursprung nach eine auf den Bereich der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschränkte Erfindung. Ihr Durchbruch seit der Entscheidung des Großen Senats47 ist zu verstehen als nachträgliche Rechtfertigung für die Zuerkennung einer Geldentschädigung bei Verletzung des - seit dem sog. Schacht-Brief-Urteil vom 25.5. 195448 anerkannten - allgemeinen Persönlichkeitsrechts49 , dem allein nach dem Ausgleichsgedanken die Berechtigung völlig abzusprechen gewesen wäre. Die Genugtuungsfunktion hat daher von Anfang an allenfalls eine begrenzte spezifische, keineswegs aber eine allgemeine Berechtigung, die mit der (Nicht-)Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeits rechts steht und fällt 5o • Grundsätzlich sind daher Genugtuung und Schadensersatz scharf auseinanderzuhal ten51 • Die Grundidee des Ausgleichsprinzips steht einer Bereicherung und Besserstellung des Geschädigten entgegen; anders der Sanktionsgedanke. Er verwischt die Grenzen zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden52 • Ein Schaden ist danach allein deshalb anzuBraschos, S. 26; vgl. aber Grossfeld, S. 15 ff.; auch Gottwald, S. 167. Stoll, Gutachten, S. 54. 45 Vgl. Kaufmann, AcP 162,425. 48 Braschos, S. 10; Mugdan 11, S. 1119; siehe auch oben Abschnitt 11 1 a). 47 BGHZ GrS 18, 149. 48 BGHZ 13, 334. 49 Dazu oben Abschnitt 11 3 b). 50 Vgl. aber den Vorschlag für die Neufassung des § 847 BGB im Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, BT-Drucksache 111/1237, S. 4: "... einschließlich einer Genugtuung ...". 51 Vgl. Oftinger, S. 218 für das schweiz. Haftpflichtrecht. Oftinger führt die Trennung konsequent durch und sieht eine contradictio in adiecto im "Schaden der nicht Vermögensschaden" ist, von dem in § 253 BGB "paradoxerweise" die Rede sei (S. 219 Fn. 9). Denn Schaden sei schlechthin Vermögensschaden. 52 Die Grenzen werden auch verwischt, wenn man die Aufgabe des Schmerzensgeldes außerdem darin sieht, "zugleich als Pauschale für schwer nachweisbaren Aufwand im Gefolge des Schadensfalles" zu dienen, so Sieg, VersR 1975, 870; auch Schwerdtner, JuS 1978, 297 unter Hinweis auf die 48 44
3. Der normative Schadensbegriff
53
nehmen, weil die Beeinträchtigung eines Rechts nicht ohne Sanktion bleiben soll. Der Sanktionsgedanke ist insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Schadensersatzverpflichtung auch bei rechtmäßigem Verhalten (arg. § 904 S 2 BGB, § 717 Abs. 2 ZPO) nicht als Primärzweck mit dem geltenden Recht vereinbar 53 • Auch wäre sonst das zusätzliche Erfordernis des Verschuldens bei zahlreichen Haftungstatbeständen nicht erklärlich54 • Darüber hinaus ergibt sich allein aus der "Beschreibung des Schadensersatzanspruches als eines rechtsverfolgenden Anspruches" nicht zwingend, daß der Mindestschaden zu ersetzen ist 55 • Denn es wird eingeräumt, daß es selbstverständlich dem Gläubiger freistehen müsse nachzuweisen, daß sein Schaden größer sei als der objektive Wert der Leistung, weil z. B. ein "mittelbarer" Schaden eingetreten sei, und da müsse dann der Schaden nach der Differenztheorie berechnet werdenS6 • Es liegt - wie auch Neuner nicht verkennt 57 - auf der Hand, daß zum einen die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringt58 • Zum anderen zeigt schon die Zweiteilung des Schadensbegriffs, daß der objektive Schadensbegriff unzulänglich ist 59 • Die Hinzuziehung der als nur beschränkt tauglich erkannten60 Differenztheorie ist inkonsequent, auch wenn sie hier nicht - wie nach der Rechtsprechung6 ! - Ausgangspunkt der Schadensfeststellung ist.
3. Der normative Schadensbegriff Der normative Schadensbegriff ist in Abkehr von der Differenztheorie entwickelt worden62 • In Übereinstimmung mit der Lehre vom objektiven Schaden geht es darum, die konkrete Verletzung eines einGesetzesmaterialien, Mugdan 11, S. 447. Für die Einbeziehung potentiellen materiellen Schadens in den Nichtvermögensschaden besteht. angesichts des § 287 ZPO kein Bedürfnis; auch Stoll, Gutachten, S. 130 f. warnt vor einer Verwechselung des immateriellen Schadens mit dem "nicht-bezifferbaren Vermögensschaden"; ferner von Bar, NJW 1980, 1728. 53 Schulte, S. 29. 54 Schulte, S. 100. 55 Vgl. Keuk, S. 47. 51 Neuner, AcP 133, 296, vgl. auch Larenz, VersR 1963, 1 ff.; kritisch Venzmer, NJW 1963,749 f. 57 AcP 133, 314. 68 Auch Stoll, JuS 1968, 510. 6. i. e. Keuk, S. 47. 80 Siehe oben Abschnitt 111l. 81 BGHZ 45, 218; BGH NJW 1978, 264; 1807; siehe oben Abschnitt 111 1 a.E. 8Z Vgl. BGHZ 54, 49; 50, 306; 43, 381; auch Medicus, JuS 1979, 233, 235, 237.
54
111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens
zeInen Vermögensguts festzustellen. Dessen Beeinträchtigung muß nach objektiven im Verkehr anerkannten Maßstäben in Geld bewertbar sein63 . Der Schaden ist nicht mehr an die Feststellung einer Differenz im Güterbestand des Geschädigten gebunden, sondern Resultat einer normativen Wertung. Der normative Schadensbegriff hatte anfangs vornehmlich die Aufgabe, die aus der "Beteiligung eines Dritten am Schadensverlauf" auftretenden Probleme zu lösen; Vorteile für den Schädiger sollten vermieden werden 64 . Er ist aber ohne eigenen rechtlichen Gehalt. Für die Abgrenzung zwischen materiellem und immateriellem Schaden kann er nicht nutzbar gemacht werden. Der normative Schadensbegriff ist nicht definierbar. Denn Begriffe, deren Inhalt Gegenstand "wertender Betrachtung", also von Fall zu Fall änderbar ist, kann es logisch nicht geben 6s . Daher ist es müßig zu versuchen, den normativen Schadensbegriff zu präzisieren, ihm schärfere Konturen zu geben66 . Es ist nur konsequent, wenn er als "leere Begriffshülle"67, als "beliebig ausfüllbare Leerformel" bezeichnet wird 68 . Allein die Absage an ein natürliches Schadensverständnis schafft noch nichts Positives 69 . Wer sich mit dem schlagwortartigen Gebrauch einer "normativen" Schadensfeststellung begnügt, "gleicht dem Münchhausen, der sich selbst mit dem Schopfe aus dem Sumpf zieht"70. Allenfalls als "Arbeitstitel für das differenzierte Denkverfahren" mag man den normativen Schadensbegriff bezeichnen 7l • Gewonnen ist damit nichts, es geht gerade um die Offenlegung des Denkverfahrens selbst. Zu Recht wird bezweifelt, ob er eine "tragfähige Grundlage für Schadensprozesse" hergibt 72 . Zugegeben wird auch von Selb, daß mit dem Schlagwort "normativer Schaden" allein "im Grunde noch nichts gesagt" isF3. Davon unbeeindruckt wird seine Anwendbarkeit sogar außerhalb des Zivilrechts in Erwägung gezogen74 . Auch Zivilrechtler urteilen, der BGH sei auf dem Weg zum normativen 83 BGHZ 54,49. 84 Vgl. BGHZ 54, 51; auch BGH NJW 1970, 1122; Medicus, JuS 1979, 237, 239; RGRK - Alff, Vor § 249 BGB, Rdnr. 2; kritisch Baur, Festschrift Raiser, S. 129, 133 f.; Schulte, S. 34 f. 65 Wolf, Festschrift Schiedermair, S. 548. 88 Wolf, Festschrift Schiedermair, S. 550; siehe aber Medicus, JuS 1979, 237. 67 Mertens, S. 89. 418 Keuk, S. 42; auch Schulte, S. 35; Wolf, Festschrift Schiedermair, S. 549; Hagen, JuS 1969, 64. 89 So Lange, Schadensersatz, S. 26/27. 70 Treffend Lange, Schadensersatz, S. 28. 71 So Hagen, Festschrift HauB, S. 100. 72 So RGRK Alff, Vor § 249 BGB, Rdnr. 2 a. E. 73 So Selb, Karlsruher Forum 1964, S. 39. 74 So im öffentlichen Recht, BVerwG NJW 1979, 885 f.
4. Die Bedarfslehre
55
Schadensbegriff "ein gutes Stück vorangekommen"75. Jedoch ist ein Schadensbegriff ohne eigenständigen Aussagegehalt als Tatbestandsmerkmal funktionsuntüchtig und begründet die Gefahr, zur Rechtfertigung unkontrollierter Entscheidungen in Anspruch genommen zu werden. Die wahren Kriterien werden nur verdeckt7 6 • Das Fehlen eines einheitlichen theoretischen Ansatzes birgt die Gefahr einer Vermengung immaterieller mit Vermögensschäden 77 •
4. Die Bedarfslehre Nach Zeuner liegt ein Vermögensschaden schon in dem durch das Schadensereignis ausgelösten Wertbedarf. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Bedarf tatsächlich befriedigt wird oder nicht7 8 . Die Besonderheit in Grenzfällen besteht darin, daß dem Geschädigten durch den Genußentzug ein Passivum aufgedrängt wird 79 . Ausgangspunkt ist die Vorschrift des § 249 S. 2 BGB. Da dieser Anspruch nach herrschender Meinung nicht davon abhängt, daß der Geschädigte den Geldbetrag für die Herstellung verwendet 80 , spart der Geschädigte "für die eigene Tasche und nicht für die des Schädigers", wenn er etwa den eingebeulten Kotflügel nicht ausbessern läßt oder von der Miete eines Ersatzfahrzeugs absieht 81 • Der Bedarf wird in den gedanklich vorverlegten Aufwendungen zur Behebung des Schadens gesehen82 • Die Gleichsetzung von Vermögensschaden und Bedarf stützt Zeuner auf § 843 BGB83, der dem Geschädigten wegen "Vermehrung seiner Bedürfnisse" einen Schadensersatzanspruch gibt, also auf den schadensbedingten vermehrten Bedarf für die persönliche Lebensführung abstellt 84 • Abgesehen von der Ausuferungsgefahr des Schadensersatzes% ist der Bedarf in hohem Maße subjektiv. Auch Zeuner verkennt daher nicht, daß - trotz des Hinzutretens einer objektiv-generalisierenden Vernunft 86 - "mit alledem neben einer in vieler Hinsicht wünschenswerten Elastizität auch ein spürbares Maß an Unbestimmtheit verbunden 75 Deutsch, Haftungsrecht, S. 423. 76
Baur, Festschrift Raiser, S. 132.
78
AcP 163, 396; zustimmend Deutsch, Haftungsrecht, S. 437 und 441.
77 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 31 11 3. 79 Bötticher, VersR 1966, 303.
80 81 82 83 84
85
86
Vgl. nur Palandt / Heinrichs, § 249 BGB, Anm. 2 a). Zeuner, AcP 163, 395. Bötticher, VersR 1966,303; Werber, AcP 173, 168. AcP 163, 395 ff. BGH NJW 1974, 42. Dazu Schulte, S. 46 f. Vgl. AcP 163,398.
56 IH. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens
ist"87. Er möchte seine Auffassung nur als Entwurf, nicht als fertige Lösung verstanden wissen 88 . Dies mit Recht, begegnet die Bedarfslehre doch grundsätzlichen Bedenken. Die zeitliche Vorverlegung der Bedarfsentscheidung nimmt dem Anspruch aus § 249 S. 2 BGB seine Natur als eines Anspruchs auf Naturalherstellung80 und verwandelt ihn in einen Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden0o . Das System der §§ 249 ff. BGB würde aus den Angeln gehoben, wenn der Geschädigte die freie Wahl zwischen Kompensation und Geldrestitution hätte 01 . Gerade etwa bei Nichtanmietung eines Ersatzfahrzeugs für die Reparaturdauer kann sich zeigen, daß ein Bedarf nicht bestand bzw. zumindest, daß er entfallen ist 02 . Ein Vermögensschaden entsteht auch bei Herbeiführung eines Wertbedarfs grundsätzlich erst dann, wenn zur Befriedigung des Bedarfs tatsächlich Geld aufgewendet wird 93 . Unbefriedigend ist, daß ein Bedarf gerade dann nicht bestehen kann, wenn z. B. nicht nur das Kraftfahrzeug beschädigt, sondern auch der Geschädigte durch eine gleichzeitig zugefügte Körperverletzung am Gebrauch des Fahrzeugs gehindert wird". Im übrigen ist zu betonen, daß die Bedarfslehre für die Abgrenzung zwischen materiellen und immateriellen Schäden nicht brauchbar ist. Durch die Abstraktion von der konkreten Erscheinung des Schadens verlagert die Bedarfslehre das Problem "nur auf ein anderes Feld"95. Baur spricht von abstrakter Schadensberechnung96 . § 843 BGB als "Grundpfeiler" für den Zeuner'schen Schadensbegriff ist schließlich wegen grundlegender Unterschiede der angesprochenen Schadensarten untauglich97 . Denn § 843 BGB ist ein "klar begrenzter Sondertatbestand"98, der auf Besonderheiten der "Verrentung", nicht aber auf einmalige, isoliert auftretende Bedürfnisse zugeschnitten ist 99 . aaO, S. 398. Gedächtnisschrift Dietz, S. 123. 89 Siehe oben Abschnitt I 2 . • 0 Keuk, S. 218 ff., 220; Bötticher, VersR 1966,306/307. 91 Stall, JuS 1968, 506. t! Vgl. Werber, AcP 173, 169 Fn. 31, 170 f. 93 Stall, JZ 1976, 282; Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 506. 94 Dazu i. e. unten Abschnitt IV 2 b. 95 Werber, AcP 173, 174. 9S Festschrift Raiser, S. 130 f . • 7 Werber, AcP 173, 168 im Anschluß an Bötticher, VersR 1966,303 ff . • 8 Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 504; vgI. auch Dietz, S. 135; Zeitz, S. 6; ebenso § 842 BGB, den Stall (Begriff und Grenzen, S. 36 ff.; JZ 1975, 254) für seine Lösung heranziehen will; dagegen Zeitz, S. 44 ff.; vgI. schon Ebbecke, Jher. Jb. 71, 350. 87
88
5. Die "Vermögensfunktionsstörung"
57
5. Die" Vermögensfunktionsstörung" Mertens sieht den Vermögensschaden nicht nur in der Verletzung eines bestimmten Vermögensguts, sondern auch in einer "Vermögensfunktionsstörung". Diese Schadensform gründet er auf die "Störung der Hinordnung der Vermögensgüter auf das Vermögenssubjekt" 100. Eine "Vermögensfunktionsstörung" soll sich daraus ergeben, "daß die Aktivierung der Vermögensmittel in Richtung auf einen bestimmten subjektiven Zweck mißlingt" 101. Dabei ist etwa an die Nichterreichung von Zielen gedacht, für die anderweitig nicht mehr einsetzbare Vermögensaufwendungen erbracht worden sind. Welcher Art diese Ziele sind, ist gleichgültig, da das Vermögen die Lebensentfaltung des Subjekts insgesamt gewährleistet l02 • Der Gefahr einer unübersehbaren Ausdehnung der Ersatzpflicht - im Falle der Verletzung wären sämtliche Aufwendungen zu ersetzen - sucht Mertens zu begegnen, indem er eine Vermögensfunktionsstörung nur dann bejaht, "wenn das Subjekt ein Lebensziel konkret ergriffen" hat. Es darf sich nicht nur um bloße "Möglichkeiten der Daseinsgestaltung" handeln103 • Der Vermögensfunktionsstörungsgedanke hat zu Recht keine große Resonanz gefunden. Zum einen begründet er einen "Schaden vor dem Schadensereignis"104, wenn er auf die Aufwendungen vor dem Schadensereignis abstellt. Ein Schaden besteht allgemein nicht in dem Aufgewendeten, sondern in dem Entgangenen105 • Da die Aufwendungen freiwillig vor dem Schadensereignis erbracht wurden, fehlt es am Kausalzusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und der Einbuße 106 • Zum anderen ist die vorgeschlagene Abgrenzung nicht praktikabel, da jede Aufwendung ihrer Natur nach für andere Zwecke nicht mehr verfügbar ist l07 • Stoll spricht daher von einem "juristischen Impressionismus" 108. Mertens selbst erkennt schließlich, daß sein weiter Begriff des Vermögensschadens im Einzelfall einer Begrenzung bedarf. Er meint, dies mittels einer - den schillernsten Wertungen zugänglichen - dem Schadensbegriff immanenten "Sozia98 Bötticher, VersR 1966, 304; zustimmend Lange, Schadensersatz, S. 186; auch Reinecke, S. 166. 100 Mertens, S. 158; vgl. auch Becker, MDR 1976, 623. 101 Mertens, S. 159. lOt Mertens, S. 228. 103 Mertens, S. 160. 104 Vgl. Baur, Festschrift Raiser, S. 132. 105 So schon Askenasy, GruchB 70, 377. 10e Zeuner, AcP 163, 394; Wiese, S. 28; Neuwald, S. 31; Schulte, S. 42; Stoll, JuS 1968,507; vgl. auch BGH NJW 1979, 2035 m. w. N. 107 Keuk, S. 248 Fn. 78 a. 108 JZ 1971,595; ferner Werber, AcP 173, 179 f.; Zeitz, S. 38 ff.
58 111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens
bilitätsschranke" aus § 254 Abs. 2 BGB erreichen zu können 109. Es spricht für sich, daß § 254 Abs. 2 BGB als Ausdruck dessen gewertet wird, "daß der in § 249 zugrunde gelegte Schadensbegriff in gewisser Hinsicht durch § 242 zu konkretisieren (!) ist"110. Der Vermögensschadensbegriff von Mertens zielt darüber hinaus darauf ab, entgegen der Konzeption des BGB das Prinzip einer möglichst umfassenden Naturalherstellung auch dann noch festzuhalten, wenn statt der Naturalherstellung Geldersatz geschuldet wird ll1 . - Ein immaterielles Gut erlangt nicht dadurch Vermögenswert, daß es durch frühere Vermögensaufwendungen erkauft wurde 112 •
6. Der Frustrierungsgedanke (Schadensfiktion) Wie bei der Vermögensfunktionsstörung ist die Zweckverfehlung von Aufwendungen der Ausgangspunkt. Die rechtsdogmatische Grundlage ist eine andere und soll einen Hauptkritikpunkt von vornherein ausschalten: Es geht nicht darum, die freiwilligen, zwecklos gewordenen Aufwendungen als Schaden, sondern gleich einem Schaden zu behandeln, mithin einen Schaden zu fingieren 113 • Es ist gerade das bewußte Anliegen des Frustrierungsgedankens, sich über das Fehlen der Kausalität hinwegzusetzen 114 . Die "Kausalität" besteht nur darin, daß die Zweckvereitelung der Aufwendungen durch das Schadensereignis hervorgerufen wird 115 • Im Anschluß an von Tuhr116 werden die Aufwendungen gleich einem Schaden behandelt, weil sie als zwecklose nicht gewollt waren und nicht gemacht worden wären 117 • Das wirklich Unfreiwillige ist jedoch nicht die Aufwendung, sondern die Unerreichbarkeit des mit der Aufwendung erstrebten Ziels 118. Zur Rechtfertigung des Ersatzes frustrierter Aufwendungen wird auf das gesetzliche Beispiel in § 1298 Abs. 1 BGB hingewiesen119 • Der all109 Mertes, S. 170 ff.; vgl. auch Reinecke, S. 217 ff., der ein soziales Gebot "Rücksichtnahme auf die Belange des Mitmenschen" postuliert (S. 218); zu § 254 Abs. 2 vgl. i. e. Zeitz, S. 144 ff. 110 Mertens, S. 179; kritisch auch Larenz, Schuldrecht AT, § 29 I c) a. E. im Anschluß an Keuk, S. 217 f. 111 Larenz, Festgabe Oftinger, S. 161. 112 Landwehrmann, NJW 1972, 1204; OLG Düsseldarf JuS 1973, 513. 113 Larenz, VersR 1963, 313. 1U Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 446 im Anschluß an Werber, AcP 173,
177.
Löwe, VersR 1963, 310/311. Allg. Teil, 1. Bd., 1910, S. 320 Fn. 33 a; Krit, VJSchr. 47, 63, 65. 117 Talk, S. 49 ff. m. w. N.; Larenz, VersR 1963, 312 f.; Festgabe Oftinger, S. 152; Löwe, VersR 1963,311; Esser / Schmidt, Schuldtecht AT, § 31 111. 118 Keuk, S. 247; Zeuner, AcP 163, 384; dagegen Küppers, S. 72 f. 115 116
6. Der Frustrierungsgedanke (Schadensfiktion)
59
gemeine Frustrierungsgedanke läßt sich daraus jedoch nicht herleiten. § 1298 Abs. 1 BGB beinhaltet letztlich eine "doch atypische Regelung"120 und ist nur ein Beispiel für die besonders gelagerten, nicht verallgemeinerungsfähigen Fälle der Vertrauenshaftung l21 . In den vertraglichen enumerierten Fällen sind fehl geschlagene Aufwendungen ersatzfähig, weil der Schuldner von ihm selbst geweckte Leistungs- oder Schutzerwartungen des Gläubigers enttäuscht hat. Im Deliktsrecht werden aber nicht Leistungserwartungen, sondern enumerierte absolute Rechte und diesen gleichgestellte Rechtsgüter geschützt1 22 . Schwer verständlich ist zudem, weshalb ein Geschädigter nur dann Ersatz verlangen können soll, wenn er für die Sache Aufwendungen gemacht hat, nicht aber, wenn er sie geschenkt erhalten hat123 • Auch ist die Gefahr einer unübersehbaren Ausuferung der Ersatzpflicht nicht zu bannen, da die Einführung objektiv verallgemeinernder Kriterien mit der Grundkonzeption nicht zu vereinbaren ist l24 . Die Unterscheidung zwischen dem Aufwand für die "normale" Lebensgestaltung und dem "besonderen" Aufwand für einen einzelnen bestimmten Zweck125 vermag nicht zu klären, wo im einzelnen die Grenze liegt1 26 . So wird gesagt, es werde in nicht gerechtfertigter Weise der Luxusaufwand begünstigt 127 • Ihr Versagen wird besonders in dem Fall des OLG Köln 128 deutlich: Der Kläger stellt dem Schädiger bei Beschädigung einer Jagdtrophäe (Hirschgeweih) die Kosten (5470,- DM) in Rechnung, die ihm entstünden, wenn er selbst wieder einen Hirsch erlegen wollte, dessen Geweih für ihn als Jagdtrophäe den gleichen Wert wie das beschädigte hätte. Dem Senat gelingt die Ablehnung des Anspruchs letztlich nur mit einem Appell an die Zurückhaltung gegenüber Ersatzpflichten unüberLöwe, NJW 1964, 704. So auch Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 31 111 3. 121 z. B. §§ 122, 179 Abs. 2, 307, 309 BGB; ferner § 611 a Abs. 2 BGB eingeführt durch das Gesetz über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz vom 13.8. 1980; vgl. Keuk, S. 248 f.; Stall, JZ 1971, 594; Küppers, VersR 1976, 604, 606; Zeitz, S. 23; jetzt auch BGH NJW 1978, 119
120
1806.
122 Zutreffend Köndgen, AcP 177, 28, vgl. aber auch S. 29; zum Wesensunterschied zwischen Delikts- und Vertragsrecht siehe unten Abschnitt VIII 4. 123 Wiese, S. 28. 124 Küppers, S. 92 f.; VersR 1976, 606. 125 Larenz, Festgabe Oftinger, S. 163. 128 Stall, JZ 1971, 594 f.; 1976, 282; Zeitz, S. 34; jetzt auch Larenz, Schuldrecht AT, § 29 11 c) a. E. 127 Köndgen, AcP 177, 29 Fn. 149. 128 OLGZ 1973, 7 ff.
60 111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens
sehbaren Umfangs 129 • Der Frustrierungsgedanke führt dazu, daß letztlich das, was bisher als unbeachtliches Affektionsinteresse 13o galt, über die Berechtigung des Schadensersatzanspruchs entscheiden würde131 . Grundsätzliche Bedenken rechtsstaatlicher Art sind schließlich gegenüber der Fiktion eines Schadens angebracht. Die juristische Fiktion beinhaltet die gewollte Gleichsetzung eines als ungleich Erkannten 132 • Eine Schadensfiktion mag man zwar für eine ehrliche, (scheinbar) dogmatisch saubere Lösung halten. Auf ihrer Grundlage verbietet sich aber die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG. Danach ist der Richter legitimiert, das Recht zu finden, es anzuwenden, nicht aber, es zu schaffen. Er hat den wirklichen, nicht durch Fiktionen veränderten Sachverhalt zugrunde zu legen und das Ergebnis des Rechtsfindungsakts rational zu begründen 133 . Die Rechtsfolge wird aber an einen irrealen, fingierten Sachverhalt geknüpft, wenn der Richter zu der Rechtsanwendung einen Geschehensablauf, der gesetzliche Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt, der Wirklichkeit zuwider in einen Sachverhalt umdenkt, der diese Merkmale erfüllt. In solchen Fällen verdeckt die Fiktion die maßgeblichen Entscheidungsgründe und setzt die Begründung zu einer Scheinbegründung herab 13'. Der BGH hat daher endlich den richtigen Weg eingeschlagen, wenn er nunmehr erkennt: "Es besteht im Schadensersatzrecht kein Rechtssatz des Inhalts, daß grundsätzlich die Aufwendungen erstattet werden müssen, die infolge eines zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignisses nutzlos geworden sind"135. Aufwendungen können daher im Deliktsrecht nur als Bemessungsmaßstab dienen, wenn materiellrechtlich bereits feststeht, daß die Schadensersatzverpflichtung besteht 136.
aaO, S. 10. Dazu oben Abschnitt lIla. E. 131 Lange, Schadensersatz, S. 171. m Larenz, Methodenlehre, S. 245; allgemein vgl. Esser, Rechtsfiktionen, 2. Aufl., 1969. 133 Vgl. Mertens, JuS 1967, 100. lU Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 248. 135 NJW 1975, 2342; vgl. auch BGH NJW 1979, 2034 ff. (ohne abschließende Entscheidung); BGH NJW 1978, 1805. 138 Vgl. Werber, AcP 173, 184; StolI, JZ 1976, 282; Larenz, Schuldrecht AT, § 29 II c) a. E. 129
130
7. Der wirtschaftliche Schadensbegriff (Konunerzialisierungsgedanke)
61
7. Der wirtschaftliche Schadensbegriff (Kommerzialisierungsgedanke)
Dem Frustrierungsgedanken nahe steht der Kommerzialisierungsgedanke. Beide sind nicht immer leicht auseinander zu halten 137 . Bötticher verdeutlicht den Unterschied wie folgt: "Im einen Fall schmerzt mich bei der Einbuße der immateriellen Genüsse die nutzlose Ausgabe, im anderen Fall der Entgang des erkauften Äquivalents"138. Dieser Satz ist ungenau: Nach überwiegender Meinung kommt es für die Kommerzialisierung nur auf die Verkehrsfähigkeit im Sinne der üblichkeit entgeltmäßigen Erlangens an. Das Gut muß "erkaufbar" sein; unerheblich ist, ob in concreto Geld gezahlt wurde 13U . Die Rechtsprechung ist insofern nicht konsequent 140 • Vor allem die Rechtsprechung des BGH zieht den Kommerzialisierungsgedanken zur Bejahung eines Vermögensschadens heran141 . Danach ist der Begriff des Schadens "kein reiner Rechtsbegriff, sondern ein auf die Rechtsordnung bezogener wirtschaftlicher Begriff" 142. Mit dieser Umschreibung läßt sich nun alles und jedes zu einem Vermögensschaden machen, ohne daß ein tatsächlicher Bezug zur Rechtsordnung besteht. Ein "echter ideeller Schaden" ist kaum mehr vorstellbar 143. Es gilt das zum normativen Schadensbegriff Gesagte 144. Der wirtschaftliche Schadensbegriff hat schon seiner Bezeichnung nach einen sogar noch schwächeren rechtlichen Gehalt. Die Ursache liegt in einer weitgehenden Gleichsetzung des faktischen "Schadens" mit dem Rechtsbegriff des" Vermögensschadens". Während der "Schaden" real ist 145 , also jegliche Einbuße (auch immaterieller Art!) erfaßt, die jemand infolge eines bestimmten Ereignisses an einem seiner Güter erleidet 146 , ist der Begriff des "Vermögensschadens" vor allem im Hinblick auf § 253 BGB ein Rechtsbegriff147. Für den Scha137 Köndgen (AcP 177,30 Fn. 154) bezeichnet sie als "durchaus komplementäre Schadenskonzepte" . 138 VersR 1966,310; zustimmend Werber, AcP 173, 175. 138 Schulte, S. 49 f.; Küppers, VersR 1976, 606. 140 Siehe unten Abschnitt IV. U1 Seit BGH NJW 1956, 1234 Seereise-Fall; dazu unten Abschnitt IV 5. 142 BGHZ 40, 347. 143 Löwe, NJW 1964, 702. 144 Siehe oben Abschnitt 111 3. 145 Keuk, S. 21; Knobbe-Keuk, VersR 1976, 401; Wolf, Festschrift Schiedermair, S. 573; auch Gottwald, S. 44; aA Zeuner, AcP 163, 281 f. 148 Wolf, Festschrift Schiedermair, S. 574; Hagen, JuS 1969, 64; Hansen, S. 15; Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 2 a; Fischer, Der Schaden, S. 315. 147 Löwe, NJW 1964, 701.
62 111. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens
densersatzanspruch ist die Frage des Schadens nur eine Vorfrage 148 • Es ist daher ungenau, wenn etwa das Kammergericht unter Berufung auf den Bundesgerichtshof allein auf den Begriff des Schadens abstellt und ausführt, er sei "eben kein reiner Rechtsbegriff, sondern ein auf die Rechtsordnung bezogener wirtschaftlicher Begriff" 149. Entscheidend ist, ob ein ersatzfähiger Vermögensschaden vorliegt. Dies soll bereits dann der Fall sein, wenn ein Gut nach der Verkehrsauffassung "kommerzialisiert" ist, also im Verkehr allgemein mit Geld bewertet, "erkauft" werden kann 150 • Ein objektiver Maßstab soll die Meßbarkeit des Schadens gewährleisten 151 • Mit einer empirisch nicht belegten Verkehrsauffassung m hat man das Zaubermittel in der Hand, mit dem sich auch immaterielle Güter kommerzialisieren lassen. In einer Zeit, in der nahezu jeder Genuß erkaufbar ist, läßt der Kommerzialisierungsgedanke eine Abgrenzung zwischen immateriellen und Vermögensschäden nicht mehr ZU 153 • SO hinge beispielsweise der Vermögenswert eines Wochenend aus fluges im übrigen auch davon ab, ob ein Kraftfahrzeug oder ein anderes Verkehrsmittel benutzt bzw. auch nicht benutzt wird; bei einer Bergtour käme es darauf an, ob man den Berg zu Fuß erstiegen hat, oder mit der Seilbahn gefahren ist, schließlich sogar darauf, ob eine Bergausrüstung angeschafft wurde 154 • Die Einschränkung, daß das fragliche Gut auf dem Markt zu einem Marktpreis gehandelt werden muß, bringt kein taugliches Kriterium155 • Es würde 148 Das gemeine Recht verstand unter Schaden prinzipiell nur den Vermögensschaden, vgL Fischer, S. 3 Fn. 5; ebenso das schweiz. ObLrecht, vgL Oftinger, S. 219 Fn. 9. Ug OLGZ 1969, 19. 150 VgL nur Mertens, S. 121 ff.; Wiese, S. 22; Grunsky, S. 36, 58; z. B. BGH NJW 1975,41; NJW 1979, 1494. 151 VgL BGHZ 45, 217; Mertens, S. 151, 153 f.; Küppers, VersR 1976, 606; eine ähnliche Regelung trifft das Bilanzrecht: Die Aktivierung von immateriellen Anlagewerten ist nur zulässig, wenn der immaterielle Anlagewert entgeltlich erworben ist, wenn er also den Markt passiert hat und man in einem ausgehandelten Kaufpreis einen objektiven Wertmaßstab hat (vgL § 5 Abs. 2 EStG). Der schadens rechtliche Kommerzialisierungsgedanke stellt demgegenüber nicht auf einen konkret gezahlten Kaufpreis ab (siehe oben). Soweit es um Bewertungsfragen geht, ist darauf hinzuweisen, daß die dem Prinzip der nominellen Kapitalerhaltung folgenden handels- und steuerrechtlichen Bewertungsregeln dem Ausgleichszweck des Schadensersatzes nicht kompatibel sind (so Köndgen, AcP 177, 25); differenzierter zur handelsund steuerrechtlichen Bewertung, Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 79 ff. 152 Tolk, JZ 1975, 531. 153 VgL Baur, Festschrift Raiser, S. 126; Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 73; Löwe, VersR 1963, 307; Böhmer, MDR 1964, 453 ff.; Schulte, S. 52; Lange, Schadensersatz, S. 39, 167 f. 154 Honsell, JuS 1976,227. 155 VgL bejahend Küppers, S. 95 ff. und S. 135; Zeitz, S. 76, 168; verneinend Grunsky, S. 36.
7. Der wirtschaftliche Schadensbegriff (Kommerzialisierungsgedanke)
63
sich nur die Frage stellen, wann man überhaupt von einem "Markt" sprechen kann. So verkennt beispielsweise Grunsk y 156, daß es auch für Spezialmaschinen einen - wenn auch kleineren - Markt gibt. Ideelle Affektionsinteressen werden unbeschränkt ersatzfähig, wenn sie, wie etwa im Kunsthandel, auf einem noch so kleinen Markt getauscht werden157 • Nicht selten sind es erst die Interessen weniger Liebhaber, die den Preis eines Guts auf ein Vielfaches seines Gebrauchswerts treiben i58 • Die Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden kann dann nicht mehr danach getroffen werden, ob ein materielles Gut oder ein immaterieller Genuß beeinträchtigt ist. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, daß jeder Schaden, auch der Vermögensschaden, in einer Genußbeeinträchtigung oder -vereitelung besteht 159 • Ungeachtet mancher Vorteile eines geschmeidigen, flexiblen Schadensbegriffs l60 , ist eine Lösung, die die Grenze zwischen Vermögensschäden und immateriellen Nachteilen beseitigt, nicht mit dem Gesetz vereinbar l61 • Auch der BGH orientiert sich inzwischen in diese Richtung, wenn er in einem ersten Ansatz formuliert: "Nicht allgemein tragfähig ist auch der Kommerzialisierungsgedanke ... "162. Selbst wenn man einräumt, daß "ohne eine gewisse (?) Kommerzialisierung ein Vermögens gut nicht denkbar ist", so kommt man doch nicht umhin festzustellen, daß die Kommerzialisierung "für sich allein noch keine Entscheidung" bringtl 63 • Es kann also keine Rede davon sein, daß dadurch "immerhin relative (!?) Rechtssicherheit" verbürgt seP64. Man muß sich vergegenwärtigen, daß hinter dem Kommerzialisierungsgedanken nichts anderes als die sog. "wirtschaftliche Betrachtungsweise" steckt. Gegen deren floskelhafte Verwendung hat sich zu aaO, Fn. 93; auch in Münch. Komm., Vor § 249 BGB, Rdnr. 13. So Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 17. 158 Köndgen, S. 76; ders., AcP 177, 11; siehe auch oben Abschnitt II 1 b; das LG Berlin, VersR 1969, 431 bejaht eine Verpflichtung zum Geldersatz auch bei Sachen mit Sammler- oder Liebhaberwert, sofern sich ein Marktpreis gebildet hat (Oldtimer); vgl. auch Selbach, S. 89. 158 LG Freiburg, NJW 1972, 1720. 180 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 427; JZ 1978, 533 zur Frage, ob die Unterhaltspflicht für ein ungewolltes Kind ein Schaden ist; dazu i. e. auch Schiemann, JuS 1980, 709 ff.; Michalski, JA 1979, 186 ff.; BGH NJW 1980, 1452 ff.; OLG Karlsruhe, NJW 1979, 599 ff. m. w. N.; Braschos, S. 154 Fn. 261; vgl. auch Oftinger, S. 34. 181 Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 73/74; Zeitz, S.88; aA Köndgen, AcP 177, 14. 182 NJW 1976, 1630 = BGHZ 66, 277 ff.; dazu Hansen, VersR 1977, 510 f.; ferner BGHZ 63, 397 = NJW 1975, 733 ff. 163 So Lange, Schadensersatz, S. 168. 184 So aber Köndgen, AcP 177, 16. 158
157
64 III. Die bisherigen Versuche zur Begründung eines Vermögensschadens Recht bereits eindringlich Rittner165 gewandt. Da sie inhaltlich überhaupt nicht fixiert sei, verdecke oder verkürze sie die wirklichen Gründe der Entscheidung und gefährde damit die Rationalität der Rechtsfindung. Darüber hinaus öffne sie das Tor zur (verdeckten) Willkür 166 • Es verwundert, daß der Kommerzialisierungsgedanke gleichwohl immer wieder zur Begründung eines Schadensersatz anspruchs herangezogen wird.
185 Die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, 1975; vgl. auch Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 188: "wirtschaftliche Betrachtung heißt häufig der Verlegenheitsausdruck für ein Denkverfahren, das typologische Ähnlichkeiten unter dem jeweils typenbildenden Wertungsgesichtspunkt über begrifflich aufgefaßte Definitionsmerkmale hinaus verfolgt." 188 Rittner, S. 54. Bemerkt sei aber, daß Rittner der Entscheidung BGHZ 40, 345 zustimmt (aaO, S. 30).
§ 2. Deliktische Ansprüche im Grenzbereich Abschnitt IV
Die Kommerzialisierungsrechtsprech ung Auffällig ist, daß in den Grenzbereichen von materiellem und immateriellem Schaden eine einheitliche Rechtsprechung kaum festzustellen ist. Der Kommerzialisierungsgedanke treibt sein Unwesen und die unter Abschnitt III skizzierten weiteren Lösungsversuche treten in den Hintergrund. Ihnen kommt in der Rechtsprechung im wesentlichen nur die Rolle einer Hilfsbegründung zur Unterstützung des mittels des Kommerzialisierungsgedankens gefundenen Ergebnisses zu. Ihre Heranziehung ist nie entscheidungserheblich und vermittelt nur den Eindruck, daß die Rechtsprechung letztlich selbst nicht von der Tragfähigkeit des Kommerzialisierungsgedankens überzeugt ist. Angesichts des bunten Bildes widersprüchlicher, einer rationalen Begründung nicht mehr zugänglicher Entscheidungen, das bei den Richtern des Reichsgerichts "womöglich schallendes Gelächter ausgelöst" hätte 1, steht die Kommerzialisierungsrechtsprechung heute vor dem Problem, "die Geister los zu werden, die sie gerufen hat"2. Zur Verdeutlichung des Dilemmas sollen die wichtigsten Fallgruppen der Rechtsprechung aufgezeigt werden.
1. Merkantiler Minderwert und Zweithandzuscblag In der maßgeblichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Ersatz des merkantilen Minderwerts 3 verlangt der Kläger trotz ordnungsmäßig ausgeführter Reparatur des erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs einen Minderwert von 300,- DM. Ein solcher Wagen werde im Handel unbeschadet der Reparatur erheblich niedriger bewertet als ein unfallfrei gefahrener Wagen. Die Beklagte meint, der Anspruch sei allenfalls im Falle des Verkaufs des Wagens berechtigt. Unter einem merkantilen Minderwert versteht man die Wertminderung, die z. B. ein Kraftfahrzeug dadurch erleidet, daß es nach einer erheblichen Unfallbeschädigung trotz seiner optisch und technisch voll1
! 3
Küppers, VersR 1976, 604. Tolk, JZ 1975, 530. BGHZ 35, 396 ff.
5 Ströfer
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
wertigen Wiederherstellung im Verkehr allgemein geringer bewertet wird als ein unfallfreies Fahrzeug 4 • Im Anschluß an den BGH geht die überwiegende Meinung seit 1961 dahin, den merkantilen Minderwert als Vermögensschaden unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte das Fahrzeug verkauft oder weiterbenutzt5 • Das zivil rechtliche Schadensrecht hat hierin einen Vorläufer im historisch älteren Bergschadensrecht6• Schon seit Jahrzehnten gewährt die höchstrichterliche Rechtsprechung dem Grundeigentümer nach § 148 ABG einen Anspruch auf Ersatz der Verkehrsminderung von Bauland wegen künftiger Bergschäden, obwohl er zu diesem Zeitpunkt weder eine Bebauungs- noch eine Veräußerungsabsicht hat7. - Wenn in der zivilrechtlichen Rechtsprechung zum merkantilen Minderwert ein Anwendungsfall des objektiven Schadensbegriffs gesehen wird8 , so wird nicht deutlich, daß nicht nur die abschließende Erfassung des Schadens im Zeitpunkt seines Eintritts, sondern insbesondere der Kommerzialisierungsgedanke die tragfähige Grundlage dieses Anspruchs abgeben soll. Der BGH geht vom wirtschaftlichen Schadensbegriff aus, indem er auf die Verkehrsanschauung abstellt und die Verwertungsfähigkeit zu einem bestimmten Preis als verletzten Vermögensgegenstand ansieht 9 • Den Nachweis, daß die Verkehrsauffassung auch dann besteht, wenn es nicht zu einer Realisierung des merkantilen Minderwerts beim Verkauf des Fahrzeugs kommt, ist der BGH schuldig geblieben. Vielmehr wirkt sich oft genug nur eine gefühlsmäßige Abneigung gegen ein mit dem Odium des "Unfallwagens" behaftetes Kraftfahrzeug aus10 , wenn eine Verkaufsabsicht nicht besteht. Die Argumentation erweist sich auch im übrigen als nicht tragfähige Scheinbegründung. So ist von einem "echten (?) Schaden"ll und davon die Rede, daß die Einschränkung der Erstattungsfähigkeit des merkantilen Minderwerts "im Rahmen des all4 Vgl. Palandt / Heinrichs, § 251 BGB, Anm. 4 b aa mit zahlreichen Nachweisen auch auf den Minderwert anderer Sachen; Grunsky, S. 50 ff.; Neuwald, S. 50 ff.; Lange, Schadensersatz, S. 174 ff. 5 BGHZ 35, 396 ff. unter Aufgabe von BGHZ 27, 181 ff.; im Erg. zustimmend Fabricius, JuS 1962, 224 ff. m. w. N. auf den Meinungsstand; Zeuner, AcP 163, 387; Mertens, S. 212; Oftinger, S. 193; kritisch Grunsky, S. 58 ff.; ablehnend Baur, Festschrift Raiser, S. 125. 8 Vgl. § 148 des Preußischen Allgemeinen Berggesetzes (ABG) vom 24. Juni 1865. 7 Dazu Kühne, Mitteilungsblatt der TU Clausthal 1979/Heft 46, S. 23 f.; Selbach, S. 15 f.; Michaelis, S. 115 spricht davon, daß auf dem Gebiet des Bergrechts "übersetzte Ansprüche ... fast sprichwörtlich" seien. 8 Deutsch, Haftungsrecht, S. 440; Stall, JuS 1968, 510; BGH JZ 1967, 360 ff. m. Anm. Steindorff; siehe oben Abschnitt III 2. v So Fabricius, JuS 1962, 225 f. 10 So auch Kötz, Deliktsrecht, S. 218. 11 BGHZ 35, 397.
1. Merkantiler Minderwert und Zweithandzuschlag
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gemeinen Schadensrechts eine Anomalie darstellen" würde 12 • Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß der Ersatz des merkantilen Minderwerts nur dann nicht zu einer Bereicherung des Geschädigten führen würde, wenn mit seiner Zuerkennung gleichzeitig der Ersatz später auftretender, adäquat kausaler Neuschäden ausgeschlossen wäre 13 • Das ist aber nicht der Fall. Der merkantile Minderwert soll zwar gerade auch den Beweisschwierigkeiten bezüglich der späteren Neuschäden Rechnung tragen 14 • Dies ändert aber nichts an dem möglichen materiellen Anspruch auf Ersatz der späteren Schäden. Weiterhin zeigt der Zeitablauf des späteren Gebrauchs des Fahrzeugs durch den Geschädigten, daß sich der etwaige merkantile Minderwert immer mehr in Richtung auf Null reduziert15 • Ein merkantiler Minderwert bei Spezialfahrzeugen, für die es einen Gebrauchtwagenmarkt nicht gibt 16 , wird schließlich jedenfalls mangels ausreichender Berechnungsgrundlage versagt17 • Wiederum anders soll die Beurteilung bei gewerblichen Nutzfahrzeugen mit einern Gebrauchtwagenmarkt sein. Bei einern Lastkraftwagen wird grundsätzlich kein Unterschied gegenüber einern privaten Personenwagen gesehen 18 • Der BGH schränkt den Grundsatz im folgenden aber stark ein: "Gerade bei Lastwagen" könne es "durchaus" auch einmal so liegen, "daß nachweislich mit der Benutzung des reparierten Wagens kein größeres Risiko verbunden ist als mit einern unfallfrei gefahrenen und daß daher einer etwaigen Minderbewertung bei einern Verkauf nur ein gefühlmäßig (l) zu erklärendes und im Grunde unberechtigtes Vorurteil (!) zugrunde liegen würde. Bei einer derartigen Gestaltung bestände zumindest kein sofort liquidierbarer Schaden ..."19. Abzuwarten sein wird, inwieweit sich eine "derartige Gestaltung" in der künftigen Rechtsprechung als Regelfall herauskristallisieren und zum Abschied von der Rechtsprechung zum zuerkannten Anspruch auf Ersatz des merkantilen Minderwerts führen wird. Eine zu begrüßende Kehrtwendung hat der BGH bereits mit der
Versagung des Zweithandzuschlags vollzogen2o • Verliert ein GeschädigBGHZ 35, 398. Zutreffend Grunsky, S. 60 ff. 14 BGHZ 35, 398 f. 16 Vgl. nur Hagen, Festschrift Hauß, S. 89; dagegen beachtenswert Lange, Schadensersatz, S. 175 f.; ferner Erman / Sirp, § 249 BGB, Rdnr. 16. IS Zur Untauglichkeit des Marktkriteriums siehe oben Abschnitt III 7. 17 Vgl. OLG Köln VersR 1974, 761 (Straßenbahn). 18 BGH NJW 1980, 281; anders beim Nutzungsausfall, vgl. unten Abschnitt IV2c. 19 BGH NJW 1980, 282. 20 BGH NJW 1978, 1373 f. m. w. N.; ebenso OLG Düsseldorf NJW 1977, 719 im Anschluß an Klimke, NJW 1974, 2128 ff.; zustimmend Giesen, NJW 1979, 12
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ter durch einen Totalschaden die Ersthandeigenschaft seines Gebrauchtwagens, so hat er bei Kauf eines gebrauchten Ersatzwagens zum Wiederbeschaffungspreis durch seine Eintragung im Kraftfahrzeugbrief statt vorher ein Ersthandfahrzeug - jetzt nur einen Zweithandwagen, was sich bei einem etwaigen späteren Verkauf wertmindernd auswirken kann. Hier kommt ein Ersatz als Vermögensschaden nur dann in Betracht, wenn der Schaden sich bei einem späteren Wiederverkauf des Ersatzwagens tatsächlich vermögensrechtlich auswirkt21 . Die Gewährung eines Zweithandzuschlags würde den Geschädigten andernfalls ohne sachliche Rechtfertigung bereichern22 . Den Widerspruch zur Rechtsprechung beim merkantilen Minderwert hat der BGH gesehen. Freilich hatte er in dem entschiedenen Fall (noch) keine Veranlassung zu deren Aufgabe. Fest steht: Die für die unterschiedliche Behandlung gegebene Begründung, daß nur der merkantile Minderwert dem Fahrzeug "notwendig" (?) als Mangel anhafte, vermag eine unterschiedliche Behandlung allein nicht zu rechtfertigen.
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen a) Die Gebraucltsmöglicltkeit als selbständiger Vermögenswert?
Als Ausgangsbeispiel mag die folgende, vom BGH23 entschiedene FallgestaItung dienen: Das Kraftfahrzeug des Klägers wird bei einem Unfall beschädigt. Während der Reparaturdauer mietet er keinen Ersatzwagen. Da er den Wagen ohne den Unfall täglich benutzt hätte, verlangt er eine Entschädigung für die entgangene Nutzungsmöglichkeit, ohne konkret einen Schaden (z. B. Verdienstausfall, Taxikosten etc.) nachzuweisen. Der Beklagte meint, dem Kläger sei insoweit kein Vermögensschaden entstanden. Der BGH bejaht in ständiger Rechtsprechung einen Vermögensschaden, weil die Möglichkeit, jederzeit und sofort ein Kraftfahrzeug benutzen zu können, "heute allgemein als wirtschaftlicher Vorteil angesehen" werde, gleichgültig, ob und wie oft man von dem Wagen Gebrauch mache. Die Benutzungsmöglichkeit sei "erkauft"24. Er sieht also die bloße Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs "in übereinstimmung mit der Verkehrsauffassung als einen nach objektiven Maß2069; aA AG Köln NJW 1977, 109; OLG Köln NJW 1974, 2128 f.; jetzt auch Klimke, VersR 1979, 1078 ff., der eine Neudefinition des Wiederbeschaffungs-
werts vorschlägt. 21 BGH NJW 1978, 1373. 22 Vgl. auch Giesen NJW 1979, 2069. %3 BGHZ 40, 345 ff.; 45, 212 ff. u BGHZ 40, 349.
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen
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stäben feststellbaren Vermögenswert an"25. Das erklärte Ziel ist es, der "gesteigerten Bedeutung der Kraftfahrzeughaltung" Rechnung zu tragen26 . Nur vereinzelt wird von einer "überbewertung der Bedeutung des Automobils" gesprochen 27 . Auf das Maß der sozialen Bedeutung kann es jedoch bei der Begründung eines Schadensersatzanspruchs nicht ankommen. Ersatz für die entzogenen Gebrauchsvorteile eines Luxuspferdes sprach schon das OLG Dresden in seiner berühmten Entscheidung ZU28 . Den Nachweis, daß es sich bei den Gebrauchsvorteilen eines Kraftfahrzeugs um einen selbständigen Vermögenswert und nicht nur um ein immaterielles Gut handelt, hat die Rechtsprechung nicht geführt. Auch der BGH muß einräumen, daß der Nutzungsausfall eines Kraftfahrzeugs immaterielle Nachteile auslöst: Der Geschädigte werde in vielen Fällen "etwas vermissen, ärgerlich sein oder Unlustgefühle haben, wenn ihm sein Wagen während der Ausbesserungszeit nicht mehr wie vorher nach seinem Belieben zur Verfügung steht"29. Es wird festgestellt, daß sich die Wertschätzung eines Kraftfahrzeugs "wenigstens mitunter und teilweise auch auf Gesichtspunkte zu stützen pflegt, die ... sich daher einer vermögensrechtlichen Bewertung entziehen" 30. Dies soll aber das gleichzeitige Vorhandensein eines materiellen Schadens nicht ausschließen, denn die Vorteile des jederzeit zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeugs bestehen "nicht so sehr (?!) in der Bequemlichkeit, sondern vor allem in dem ermöglichten Zeitgewinn und in der für viele Lebensbereiche wichtigen Vermittlung rascher Beweglichkeit"31. Um derartige Schäden - etwa in Form entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) - geht es der Rechtsprechung indessen gar nicht. Vielmehr wird aus der Substanz der beschädigten Sache die Gebrauchsmäglichkeit herausgelöst und verselbständigt 32 . Es wird zwischen dem Habenswert und dem Gebrauchswert einer Sache differenziert 33 . Die Selbständigkeit des Gebrauchswerts zeige sich in § 346 S. 2 BGB, § 2 Abs. 1 S. 2 AbzG34. Eine rationale Begründung ist damit freilich nicht gefunden. Die Verselbständigungen erscheinen als "akrobatische übungen im BegriffsBGHZ 45, 217. BGHZ 45, 215. 27 OLG Düsseldorf NJW 1973, 659 = JuS 1973, 512 f. 28 Sächs. Ann. 24, 527; zustimmend Wiese, S. 29; ablehnend Askenasy, GruchB 70, 380 f.; ablehnend jetzt LG München NJW 1979, 1210. 28 BGHZ 40, 350. 30 BGHZ 56, 221. 31 BGHZ 45, 215. 32 Vgl. Werber, AcP 173, 182 ff.; Wiese, S. 22 ff.; Nörr, S. 6. 33 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 442; Werber, AcP 173, 182 f. 34 BGHZ 45, 215. 25
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
raum", wobei das Ziel, die Nutzungsbehinderung in Geld zu vergüten, vorweg feststeht 35 . Die angeführten gesetzlichen Beispiele betreffen die Rückabwicklung von Leistungen. Im Bereich der Schadensersatzpflichten besagen sie "zunächst einmal gar nichts"36. Daß die Gebrauchsmöglichkeit ein Wertfaktor sein kann, soll zwar nicht bestritten werden. Die Vorschriften über Miete, Pacht und Nießbrauch sowie § 100 BGB belegen dies 37 . Nur bei isolierten, zum Vertrags gegenstand erhobenen Gebrauchs- und Genußvorteilen kann aber ein Vermögenswert bejaht werden s8 • Im Deliktsrecht ist der Entzug der Gebrauchsmöglichkeit "nur denkbare Schadensquelle, nicht aber schon Schaden selbst"39. Ein inzwischen entstandener Gebrauchsverlust führt für sich zu keiner Herabminderung des Vermögens 40 • Die Gebrauchsvorteile können also nur dann ersetzt werden, wenn Gewinn entgangen ist. Das bedeutet aber nicht, daß der Geschädigte auch ohne Gewinnentgang ähnlich zu behandeln ist, als hätte er etwa das Fahrzeug vermietet. Der Preis für das mietbare Ersatzfahrzeug als objektiver Maßstab bietet zwar einen Anhaltspunkt für die Schadensberechnung41 • Daraus folgt aber nichts für die Feststellung, daß ein Schaden entstanden ist. Die Art der Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung ist vom Standpunkt der Verselbständigung des Gebrauchswerts inkonsequent. Es wird auf die Vorhaltekosten abgestellt42 und ein nach einem "maßvollen Zuschlag" sich ergebender Betrag zugesprochen 43 • Dieses Resultat paßt mehr zu dem Gedanken einer Entschädigung für nutzlos gewordene Aufwendungen 44 • Eine klare Konzeption ist nicht erkennbar. Der Nutzungsverlust eines bei einer Kollision beschädigten Binnenschiffs errechnet sich demgegenüber einmal nach dem Gewinnentgang, den ein Fahrzeug der betreffenden Art und Güte normalerweise gehabt haben würde45 , ein anderes Mal nach den Liegegeldsätzen46 . So treffend Küppers, S. 110. SO zutreffend Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 70; Keuk, S. 211 Fn. 63; auch Stoll, JuS 1968, 506; Zeitz, S. 59. 37 Vgl. z. B. BGH WM 1963, 1252. 38 So Küppers, S. 102 f.; siehe im einzelnen auch unten Abschnitt x. 39 Zutreffend Lange, Schadensersatz, S. 187. 40 Reinecke, S. 158. 41 Vgl. BGH NJW 1969, 1477; ferner BGHZ 56, 214 ff. = NJW 1971, 1692 = JuS 1972, 155 m. w. N. auf die Berechnungsmöglichkeiten; vor allem Sanden / Danner, NJW 1980, 433 ff.; aA jetzt AG Köln DAR 1979, 280. 42 Dazu unten Abschnitt IV 2 c. 43 BGH NJW 1971, 1692; in der Literatur wird darauf hingewiesen, daß eine Beschränkung des Ersatzanspruchs auf die Vorhaltekosten die Aufgabe des Kommerzialisierungsgedankens ermöglicht, so Hesse, BauR 1974, 305. 44 Zutreffend Lange, Schadensersatz, S. 191. 45 BGH VersR 1965, 373; damit wird nichts anderes als ein abstrakter entgangener Gewinn zugesprochen. 35
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2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen
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Auch beim Kauf einer Sache kommt niemand auf die Idee, je einen Preis für den Substanzwert und den Gebrauchswert zu bezahlen. Wird eine Sache ihrer Substanz nach veräußert, dann erhält man dafür den Wert, den andere wegen ihrer Gebrauchstauglichkeit zu zahlen bereit sind 47 • Nur bei einer Beschädigung der Sache - nicht aber bei unbeschädigtem Zustand - ist von einer vorübergehenden Abspaltung der Gebrauchsmöglichkeit die Rede 48 • Das ist schon mit dem Ausgangspunkt des Kommerzialisierungsgedankens nicht vereinbar. Kommerzialisiert ist nur das entsprechende Gebrauchsgut als solches49 • Substanzwert und Gebrauchswert sind vermägensrechtlich identisch. Der Gebrauchswert ist ein Faktor des SubstanzwertsSO, eine Erscheinungsform des Eigentums 51 und damit Inhalt der Befugnis nach § 903 BGB. Er ist nur ein unselbständiges Gut, dem kein rechtlicher Abwehrzweck zugeordnet istS2 . Dies zeigt sich auch in dem umfassenden Eigentumsschutz wie er zum Teil bejaht wird. Nicht eine Verletzung der Gebrauchsmöglichkeit, sondern eine Eigentumsverletzung soll vorliegen, wenn eine Sache nicht in ihrer Sachsubstanz beeinträchtigt ist, sondern die Eigentümerbefugnisse durch eine sonstige tatsächliche Einwirkung auf die Sache getroffen werden 53 • Erkennt man an, daß eine Eigentumsverletzung auch dort vorliegt, wo in die Substanz der Sache nicht eingegriffen wird und ein anderer den Eigentümer in der Verwertung seiner Sachen behindert oder belästigt54 , so ist nicht klar, aus welchen Gründen die Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeit den Charakter als Eigentumsverletzung verlieren soll, wenn außerdem noch eine Substanzbeeinträchtigung vorliegt. Betroffen sind nur verschiedene Aspekte des Eigentums. Eine Beeinträchtigung, die sich ohne Substanzeingriff als Eigentumsverletzung darstellt, verliert diese Qualifizierung konsequenterweise nicht dadurch, daß auch noch eine Substanzverletzung gegeben ist. Die eigentliche Frage, die sich hier stellt, ist die nach Tatbestand und Zurechnung55 • Daraus folgt indessen nichts für die Qualifizierung als selbOLG Hamburg VersR 1974, 1216; KG VersR 1976, 463. So auch Küppers, S. 108; vgl. i. e. unten Abschnitt X 3 d, e dd). 48 Werber, AcP 173, 183. 4D Vgl. Küppers, S. 109. 50 Löwe, VersR 1963, 309; Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 499. 51 Tolk, S. 95; vgl. auch Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 85. 52 Reinecke, S. 155. 53 Vgl. BGHZ 55, 159 Einsperren eines Schiffs durch umgestürzte Ufermauer; aA noch RG Gruch 68, 76; kritisch Möschel, JuS 1977, 1 ff. m. w. N.; für eine extensive Auslegung des Begriffs der Eigentumsverletzung Freund / Barthelmess, NJW 1975, 283. 54 Vgl. auch Kötz, Deliktsrecht, S. 41. 55 Dazu Fraenkel, Tatbestand und Zurechnung bei § 823 Abs. 1 BGB, 1979. 48
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
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ständiger Vermögenswert. Richtiger Ansicht nach fordert die Idee der Haftungsbegrenzung schon auf der Tatbestandsebene eine Umschreibung des Eigentums, die nicht jede Grenze zu sonstigen Vermögensinteressen verwischt 56 . Sie erlaubt im Grundsatz nur ein Abstellen auf die Substanz. Die Gebrauchsmöglichkeit des Eigentümers an seiner Sache erscheint in keiner Vermögens aufstellung als selbständiger Posten neben der Sache selbst57 . Das damnum emergens umfaßt hier nur den Vermögenswert, der bereits vor dem Schadensereignis vorhanden ist. Darüber hinaus ist nur das lucrum cessans ersatzfähig. Bei eigengenutzten Sachen ist der Gebrauch nicht Vermögensgut, sondern im Gegenteil Vermögensverzehr58 . Damit ist festzuhalten: Die Rechtsprechung billigt in der Form Ersatz für entgangenen Gewinn zu, den der Geschädigte nicht gemacht hätte und nicht einmal zu erwerben beabsichtigte, in der Sache Ersatz für die Entziehung von Annehmlichkeiten, welche der Gebrauch der Sache mit sich bringt59 • Ersetzt werden die Affektionsinteressen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe8o • Der Verlust der Gebrauchsvorteile ist damit "ein typischer immaterieller Schaden"61. Um einer Ausuferung der Schadensersatzpflicht entgegenzuwirken, ist die Rechtsprechung gezwungen, Ungereimtheiten in Kauf zu nehmen: b) Ungereimtheiten In der Objekt- und Subjektbezogenhelt
Zwar soll ein Anspruch nur bestehen, wenn ein Eingriff in das Gebrauchsobjekt vorliegt 62 • Eine Einschränkung erfolgt aber durch die Subjektbezogenheit des Schadens. Voraussetzung ist eine "fühlbare" Nutzungsbeeinträchtigung, der Geschädigte muß den Nutzungswillen und die Nutzungsmöglichkeit haben 63 • Infolgedessen wird eine Nutzungsausfallentschädigung nicht nur versagt, wenn der Geschädigte seinen Wagen in der Reparaturzeit aus unfallunabhängigen Gründen nicht hätte nutzen können, sondern auch bei unfallabhängigen GrünSo Möschel, JuS 1977,4. Vgl. nur Keuk, S. 214; VersR 1976, 403; Löwe, VersR 1963, 309; Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 498; VersR 1963, 312; auch Bötticher, VersR 1966, 311. 58 So Köndgen, AcP 177,30; gegen Köndgen im übrigen Zeitz, S. 67 f. 59 Keuk, S. 214/215. 80 Soergel / Schmidt, §§ 249 - 253 BGB, Rdnr. 87. 81 Böhmer, MDR 1964, 454. S! Objektbezogenheit des Eingriffs, seit BGH NJW 1971, 796 = JZ 1971, 591 m. zustimmender Anm. Stoll; vgl. BGH NJW 1975, 2341 = JZ 1976, 278 m. kritischer Anm. Stoll; BGH NJW 1975, 347, 349; anders noch BGHZ 40, 351. 83 Ständ. Rspr. seit BGHZ 45, 219; z. B. BGH NJW 1974, 33; 1975, 922. 58 a7
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen
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den 64 • Der Schädiger wird also gewissermaßen dafür "belohnt", daß er nicht nur das Fahrzeug beschädigt, sondern auch noch den Fahrer verletzt hat 8s • Der Inhalt der Subjektbezogenheit wird denaturiert, wenn es um die Frage geht, ob dem Geschädigten eine Nutzungsausfallentschädigung zusteht, wenn er während der Reparaturzeit ein leistungsschwächeres oder weniger komfortables Fahrzeug benutztSs: Während die Benutzung eines Ford 17 m und eines VW an Stelle eines Citroen-DS-19 keine fühlbare Beeinträchtigung darstellt s7 , ist die Benutzung eines Opel-Rekord an Stelle eines Mercedes 600 eine fühlbare vermögenswerte Beeinträchtigung. Denn hier verzichte der Geschädigte bei seinen Fahrten mit dem Ersatz-Opel "nicht nur auf Bequemlichkeiten, sondern auf Vorteile, die für ihn wirtschaftlichen Wert hatten und durchaus fühlbar waren"68. In dem Zusammenhang ist auch die Versagung einer Nutzungsentschädigung bei Beschädigung eines Motorrollers zu erwähnens9 : "Soweit der Kläger öffentliche Verkehrsmittel benutzte, ist die Bequemlichkeitseinbuße denkbar gering und besteht vorwiegend in kurzen Wartezeiten vor der Abfahrt, während die Fahrt selbst in witterungs geschützten Bussen oder Straßenbahnen gegenüber dem Fahren auf einem Motorroller wohl kaum als Nachteil angesehen werden kann." Anders beim PKW: "Ein PKW bietet ein witterungsgeschütztes bequemes Fortbewegungsmittel, das häufig auch der ganzen Familie zugute kommt." Von der Subjektbezogenheit wird wieder abgegangen, wenn dem Eigentümer eines beschädigten Kraftfahrzeugs eine Nutzungsausfallentschädigung auch in dem Fall zugesprochen wird, daß der PKW ohne den Unfall zwar nicht von ihm, wohl aber von Familienangehörigen oder anderen Personen benutzt worden wäre7o . Damit wird von der Person des Geschädigten selbst abgerückt. Gleichwohl soll nicht nur ein Fall der Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit gegeben sein, bei dem ein Anspruch nicht gegeben ist, wenn die Gebrauchsmöglichkeit M Vgl. BGHZ 45, 219; BGH NJW 1968, 1778 m. zustimmender Anm. Martens; sowie Herkner, VersR 1968, 1057; vgl. auch Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 158. 85 Zu Recht ablehnend daher Werber, AcP 1973, 173; Wiese, S. 25; Grunsky, S. 44; Keuk, S. 210 f.; Frössler, NJW 1972, 1795 f.; Hamann, NJW 1970, 889. 85 Zum Problem vgl. Grunsky, S. 17,45 f. 17 BGH JZ 1967, 361. 8S BGH NJW 1970, 1121. 89 LG Bremen, VersR 1968,907; siehe aber auch AG Kiel VersR 1975, 387. 70 BGH NJW 1974, 33; 1975, 922 (Verlobte);. ebenso Mertens, S. 215 Fn. 37; Schmidt-Salzer, BB 1970, 63.
74
IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
selbst nicht ausgeschlossen ist 71 • Die Abgrenzung zwischen noch fühlbarer Nutzungsbeeinträchtigung und bloßer Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit ist dem BGH nicht gelungen. Es leuchtet nicht ein, daß die nach dem Schadensereignis verbleibende Freiheit des Eigentümers, für den Fall der eigenen Verhinderung über den Sachgebrauch zu disponieren, weniger schutzwürdig ist7 2 • Da die vom BGH geforderte Disposition bereits vor dem Unfall auch in einer "unausgesprochenen" Vereinbarung liegen kann 73 , verleiht eine bloße Fiktion der Einbuße den Charakter eines materiellen Schadens. Die Subjektbezogenheit erweist sich damit als Irrweg, der entbehrlich ist, wenn man nur die Objektbezogenheit richtig versteht und die Gebrauchsmöglichkeit nicht als selbständiges Vermögensgut ansieht. Wenn man aber an der Subjektbezogenheit festhalten will, so sei exemplarisch darauf hingewiesen, daß sie eher im Bereich des Ersatzes immaterieller Schäden ihre Berechtigung hat. Das zeigt sich darin, daß das Prinzip der Totalreparation allgemein keine Abstufung des Haftungsumfangs nach den persönlichen Verhältnissen der Beteiligten kennt74 • Demgegenüber verdeutlicht gerade der Schmerzensgeld anspruch in der grundsätzlichen Nichtvererblichkeit nach § 847 Abs. 1 S. 2 BGB eine enge, aus der Höchstpersönlichkeit des Anspruchs resultierende Subjektbezogenheit75 • Einen vorläufigen - und hoffentlich letzten - Höhepunkt bedeutet der Fall, in dem der Geschädigte das Fahrzeug unrepariert bei Erwerb eines Neufahrzeugs in Zahlung gibt und Nutzungsausfall für die Zeit der nur gedachten (!) Reparatur beansprucht. Dem BGH gelingt es letztlich nur, durch eine Verneinung der Fühlbarkeit den Anspruch abzulehnen76 • c) Ungereimtheiten in der Behandlung von privatund gewerblich genutzten Fahrzeugen
Zu den sonderbaren Erscheinungsformen des Kommerzialisierungsgedankens gehört es, daß die Gebrauchsmöglichkeit als solche nur bei Privatjahrzeugen vermögensrechtIiche Relevanz erhalten soll77. 71 Vgl. den Jagdpacht-Fall, BGH JZ 1971, 591 ff. m. Anm. Stoll; siehe auch Zeuner, AcP 163, 392 f. 72 Stoll, JZ 1976, 283; auch Schulte, S. 54. 73 NJW 1975, 923 a. E. 74 Palandt / Heinrichs, V.orbem. § 249 BGB, Anm. 3. 75 Vgl. Z. B. BGH NJW 1978, 214 f. 78 BGH NJW 1976, 1398. 77 Vom Standpunkt des Kommerzialisierungsgedankens konsequent aA Klimke, VersR 1977, 788 ff. m. w. N.; anders beim merkantilen Minderwert, vgl. oben Abschnitt IV 1.
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen
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Zwar ist nach dem BGH78 eine Entschädigung bei gewerblich genutzten Fahrzeugen nicht "schlechthin ausgeschlossen". Der BGH sagt aber nicht, an welche Fälle er denkt. Nach zutreffender Ansicht ist auch bei gewerblichen Nutzfahrzeugen neben dem Ersatz entgangenen Gewinns für eine zusätzliche Nutzungsausfallentschädigung kein Raum79 . Der BGH hat nur in einer einzelnen Entscheidung auch für den Ausfall eines Linienomnibusses eine Entschädigung für die entgangenen Gebrauchsvorteile zugesprochen, sofern der Fahrzeugpark nicht "so groß" (?) sei, daß der Ausfall nicht mehr fühlbar sei 8o • Daran hält er jetzt wegen der Besonderheiten jenes Falles - der Busunternehmer war schon vermöge der an ihn gestellten besonderen Anforderungen zur Erhaltung einer belastbaren Betriebskapazität gehalten8! - ausdrücklich nicht mehr fest. Ersatzfähig seien nur die Vorhaltekosten, also die Kosten, die dem Geschädigten durch die Bereitstellung von Reservefahrzeugen zur überbrückung der Ausfälle bei anderen Fahrzeugen entstehen. Nutzungsausfall könne weder daneben noch anstelle der Vorhaltekosten verlangt werden 82 • Zur Begründung muß der BGH auf die beim Privatfahrzeug entwickelten Grundsätze zurückgreifen: Eine Nutzungsausfallentschädigung könne bei einem gewerblichen Nutzfahrzeug dann nicht zugebilligt werden, wenn sie schon dem Eigentümer eines privaten PKW versagt werden müsse. Das sei der Fall, wenn die Entbehrung nicht fühlbar werde, weil mindestens ein zweites, ansonsten brachliegendes Fahrzeug zur Verfügung stehe83 • Der Umkehrschluß und die Zubilligung einer Nutzungsausfallentschädigung bei gewerblichen Nutzfahrzeugen wäre dann bei festgestellter Fühlbarkeit nur konsequent. Da mit den Vorhaltekosten ein "Schaden vor dem Schadensereignis"84 ersetzt wird, kann auf die oben85 angeführten Ablehnungsgründe verwiesen werden86 . Darüber hinaus ist der Meinung zuzustimmen, die NJW 1978, 813. Vgl. Keuk, S. 215; Löwe, VersR 1973, 308 f.; auch BGH NJW 1978, 812 f. = JA 1978, 332 = JuS 1978,564. 80 BGH NJW 1966, 590. 81 So BGH NJW 1976, 286; vgl. auch Littbarski, BB 1980, 1451; siehe aber den Fall der nächsten Anm. 82 BGH NJW 1978, 812 f.; dazu Littbarski, BB 1980, 1450. 83 BGH aaO im Anschluß an BGH NJW 1976, 286; vgl. schon OLG Bremen DAR 1965, 299. 84 Baur, Festschrift Raiser, S. 132 ff.; Littbarski, BB 1980, 1449, 1451; aA Erman / Sirp, § 249 BGB, Rdnr. 8 a. 85 Abschnitt 111 5 und 6. 86 Das Problem stellt sich in ähnlicher Form bei den Vorsorgemaßnahmen einschließlich der sogenannten Fangprämie zur Verhinderung von Ladendiebstählen, deren Ersatz zu Recht überwiegend abgelehnt wird (Vgl. Woll78
7D
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
den Einsatz des Reservefahrzeugs als Akt der Naturalherstellung sieht86 &. In der Tat geht es bei den Vorhaltekosten für gewerbliche Nutzfahrzeuge gerade nicht um den Fall, daß - wie bei Privatfahrzeugen - ein Mietwagen nicht genommen wurde und erst im nachhinein eine Nutzungsausfallentschädigung zu einem Zeitpunkt verlangt wird, als eine Naturalrestitution nicht mehr möglich ist 87 - 90.
3. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Gebäuden Bei der Frage einer Nutzungsausfallentschädigung für unbewegliche Sachen ist zwischen zwei verschiedenen Sachverhalten zu unterscheiden: Einmal geht es um die Fälle, in denen der Geschädigte bereits Eigentümer des Gebäudes ist, zum anderen. um die, in denen ein Eigentumsübergang nicht stattgefunden hat. Nur im ersten Fall kommt unter dem Gesichtspunkt der Verletzung eines Ausschließlichkeitsrechts91 überhaupt ein deliktischer Anspruch in Betracht 92 • Soweit ersichtlich, hat bisher niemand behauptet, daß der Gebrauchsvorteil selbst als AusschließIichkeitsrecht anzusehen ist. In zwei Fällen ist bisher ein Anspruch bejaht worden. Die erste noch vor der Rechtsprechung zum Nutzungsausfall bei Kraftfahrzeugen liegende - Entscheidung ist der sog. Clubhaus-FaIl93 : Die durch Einwirkungen eines Clubbetriebs der Stationierungsstreitkräfte beeinträchtigte Nutzung des Nachbargrundstücks wurde ohne konkrete wirtschläger, NJW 1976, 12 ff. m. w. N.; Grunsky, Jura 1979, 62; auch Arzt, JuS 1974, 693 ff.; aA Deutsch, Haftungsrecht, S. 449). Es liegt hier kein Akt der Naturalherstellung vor. Auch der BGH hat jetzt der "Bearbeitungsgebühr", die für den Einsatz des Personals zur Feststellung des Diebstahls und die dabei aufgewandte Mühe vom Ladeninhaber gefordert wurde, und den anteiligen Kosten für allgemeine Diebstahlsvorsorgemaßnahmen (Spiegel, Kameras etc.) die Berechtigung abgesprochen (BGH NJW 1980, 119 ff. = JZ 1980, 99 ff. m. zustimmender Anm. Deutsch JZ 1980, 102 f.). Begründet sei im Regelfall lediglich eine pauschale Fangprämie bis 50,- DM. Der BGH zieht bezüglich der Fangprämie die Parallele zu seiner Rechtsprechung, die dem bestohlenen Eigentümer gegen den Dieb einen Anspruch auf die zu seiner Ergreifung oder zur Rückerstattung der gestohlenen Güter ausgesetzte "Belohnung" zusprach (siehe BGH VersR 1967, 1169). Vernachlässigt wird, daß im letzteren Fall die Tatbestandsverwirklichung durch den Dieb zeitlich vorangeht und damit die Kausalität gegeben ist. Im übrigen ist die Begrenzung der Fangprämie auf 50,- DM willkürlich und nicht aus dem herangezogenen Parallelfall abzuleiten. 8'a Keuk, S. 205 m. w. N.; vgl. auch v. MarshalI, FS Rheinstein, S. 625 ff. 87 - 90 Siehe oben Abschnitt I 2 c. U Eigentum; siehe aber BGH LM· § 830 BGB Nr. 4: der Kläger war noch nicht Eigentümer aber schon Besitzer. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wurde wegen Besitzverletzung bejaht. 9! Das verkennt Hansen, VersR 1977, 5U. 93 BGH NJW 1963,2020; dazu kritischStolI, JuS 1968,511; Löwe, NJW 1964, 703 f.
3. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Gebäuden
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schaftliche Einbuße so bemessen, als sei der Eingriff gegen ein vereinbartes Entgelt gestattet worden. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist beschränkt, weil es sich dabei nur um einen "angemessenen Ausgleich in Geld" nach § 906 Abs. 2 BGB handelt, der als zivilrechtlicher Aufopferungsanspruch und nicht als Schadensersatzanspruch angesehen wird 94 . Im Jahr 1967 hat der BGH95 "aus denselben Erwägungen", aus denen bei Kraftfahrzeugen eine Nutzungsausfallentschädigung gegeben werde, einen Schadensersatzanspruch ohne konkrete Vermögensminderung bejaht, weil das Haus beschädigt und zeitweise unbenutzbar geworden sei. - Da die Begründung nicht "auf eigenen Füßen" steht, kann ihr bereits der Boden entzogen werden, wenn eine Nutzungsausfallentschädigung auch bei Kraftfahrzeugen keine Berechtigung hat 96 . Es fragt sich hier, ob die Rechtsprechung zum Schadensersatz für entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen überhaupt verallgemeinerungsfähig und nicht vielmehr "auf einen fest umrissenen Regelungsbereich typischer Massenrisiken beschränkt" ist 97 . Um einer Ausdehnung vorzubeugen, wird auch in der Literatur einem "Sonderrecht für Kraftfahrzeuge" das Wort geredet 9s • Dies ist aber nur eine Behauptung, keine. am Gesetz orientierte Begründung. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich, wenn man den verfehlten Kommerzialisierungsgedanken akzeptiert hat. Insoweit konsequent verneint das OLG Köln eine Ausnahmestellung der Kraftfahrzeuge 99 . Es sieht die Parallele darin, daß "nicht nur die Gebrauchsüberlassung von einem Entgelt abhängig gemacht zu werden pflegt, sondern es für die Höhe des Entgelts Marktpreise in Form der ortsüblichen Miete für vergleichbare Räume gibt". Der BGH kann diese Konsequenz nur dadurch vermeiden, daß er einfach die Verkehrsanschauung leugnet, nach der die Gebrauchsmöglichkeit auf dem Bausektor einen selbständigen Vermögenswert verkörpere 100 • Vgl. jetzt auch BGH NJW 1980, 777. NJW 1967, 1804. 98 Dazu oben, Abschnitt IV 2. 97 So BGH NJW 1976, 1630 = BGHZ 66, 277 ff.; auch BGH NJW 1980, 777; OLG Hamburg 1973, 848; vgl. auch OLG Karlsruhe MDR 1969, 219. 98 Küppers, S. 104 in Anschluß an Schmidt-Salzer, BB 1970, 63; kritisch Lange, Schadensersatz, S. 10 ff., 189. 99 NJW 1974, 560 betreffend die entgangenen Gebrauchsvorteile eines privaten Schwimmbads; insoweit zustimmend Hesse, BauR 1974, 305. 100 BGH NJW 1976, 1630; auch BGH NJW 1978, 1806; hingewiesen sei in dem Zusammenhang auf die Regelung im Steuerrecht, nach der die durch Bauten auf fremdem Grund und Boden geschaffenen Nutzungsmöglichkeiten wie materielle Wirtschaftsgüter mit den Herstellungskosten zu aktivieren 114
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
Dem Vorwurf der Inkonsequenz entgeht der BGH durch die Preisgabe des Kommerzialisierungsgedankens, indem er ausführt: "Nicht allgemein tragfähig ist auch der Kommerzialisierungsgedanke ... "101. Die Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit eines Wohnhauses ist daher mit dem OLG Düsseldorf als Nichtvermögensschaden anzusehen, da sie in erster Linie die Bewegungsfreiheit, die Bequemlichkeit und das Wohlbefinden des Eigentümers betrifft102 • Dem stimmt jetzt auch der V. Zivilsenat des BGH zu. In dem jüngst entschiedenen Fall 103 ordnete das Landratsamt wegen Einsturzgefahr des Hauses, die auf entstandene Risse infolge von Sprengungen in einem benachbarten Steinbruch zurückzuführen war, die sofortige Räumung an. Die Klägerin richtete sich im Kellergeschoß einen Schlafraum ein und blieb dort sowie in einer Hälfte des Erdgeschosses wohnen. Den geltend gemach':' ten Nutzungsausfallschaden aus unerlaubter Handlung lehnte der BGH jedenfalls für den Fall ab, daß eine bloße Beeinträchtigung des Gebrauchs eines Hausgrundstücks vorliege, die nicht bis zum völligen Verlust der Nutzungsmöglichkeit gesteigert seP04. Von Bedeutung ist, daß sich der BGH ausdrücklich von den Urteilen BGH NJW 1963, 2020 und NJW 1967, 1803 distanziert und bewußt Zurückhaltung geübt hat. Auch bei völligem Verlust der Nutzungsmöglichkeit ist eine andere Entscheidung nicht gerechtfertigt. Anderenfalls würde man den Geschädigten bei bloßer Beeinträchtigung dafür bestrafen, daß er Einschränkungen auf sich nimmt, die sich nicht aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB ergeben. Ein Grundsatz, daß nur im Falle einer Total-Beeinträchtigung ein Schadensersatzanspruch bestehe, ist dem deutschen Recht im übrigen fremd. Dadurch würde nur die Frage nach der Höhe des Schadens über das "Ob" des Schadens entscheiden.
4. Sonstige Gebrauchsvorteile Da der Kommerzialisierungsgedanke die Gefahr eines Dammbruchs in sich trägt, fehlt es nicht an Versuchen, auch wegen anderer Gebrauchsgegenstände eine Nutzungsausfallentschädigung zu erhalten. Dieser - bei Akzeptierung des Kommerzialisierungsgedankens - an sich logischen Konsequenz hat die Rechtsprechung im wesentlichen sind (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH vom 31. 10. 1978 VI R 146/75 BStBl. 11 1979, 507; vgl. i. e. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 2. Aufl., § 4 IV 1 cl. Das Steuerrecht ist ebenso wie der Kommerzialisierungsgedanke auf die Erfassung wirtschaftlicher Sachverhalte ausgerichtet. 101 NJW 1976, 1630. 102 JuS 1973, 512 f. = NJW 1973, 660; vgl. schon RG SeuffA 63, 53. 103 BGH NJW 1980, 775. 104 BGH NJW 1980, 776; in dieser Richtung vgl. schon Grunsky, NJW 1975, 611 bzgl. Freizeitbeeinträchtigungen.
4. Sonstige Gebrauchsvorteile
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widerstanden, ohne sich aber zu einer völligen Preisgabe des Kommerzialisierungsgedankens veranlaßt zu sehen. Um einen deliktischen Anspruch geht es in dem Fall der Entwendung und Beschädigung eines Segelboots 105 • Obwohl es sich dabei "um ein der Freizeitgestaltung dienendes Objekt handelt" (so das LG), wird die Parallele zu den Kraftfahrzeug-Fällen gezogen. Kurioserweise wird als Vergleichsmaßstab für die Berechnung des Nutzungsausfalls der "Mietwert einer Ferienwohnung mit vier Zimmern" herangezogen, da das Segelboot im Urlaub sogar "als Ersatzwohnung" diene. Damit wird der Kommerzialisierungsgedanke vollends ad absurdum geführt. Den Gebrauchsvorteilen eines Motorboots soll hingegen nach der Verkehrsauffassung kein Vermögenswert zukommen, da ein Motorboot kein Kraftfahrzeug sei und "eher als Luxusgegenstand" gebraucht werde 106 • Es diene nur der Freizeitgestaltung. - Das aber ist doch ebenso bei einem Segelboot der Fall 107 • Wenn man schon einen Vergleich zum Kraftfahrzeug ziehen will, dann steht ein Motorboot dem Kraftfahrzeug bei natürlicher Betrachtung und Berücksichtigung der technischen Beschaffenheit sicher näher als ein Segelboot. Die Versagung des Anspruchs dürfte letztlich von der Erwägung bestimmt sein, daß dem begüterten Motorbooteigner der Verzicht auf den Ersatz des Nutzungsausfalls, der sehr treffend ja als "Schmerzensgeld des kleinen Mannes" apostrophiert wird, relativ guten Gewissens zuzumuten seP08. Abgelehnt wird ferner der Ersatz von Gebrauchsvorteilen eines Autotelefons und einer Funksprechanlage für die Dauer der Reparatur eines unfallbeschädigten Fahrzeugs 109 • Im Fall der Verletzung eines Jagdpachtberechtigten hat es der BGH dahinstehen lassen, ob die zur Kommerzialisierung der Gebrauchsmögmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs führende Verkehrsauffassung auch auf die Gebrauchsmöglichkeit eines Jagdpachtrechts übertragbar ist, und den Anspruch wegen der fehlenden Objektbezogenheit abgelehnt llO • Eine besondere, von den Kraftfahrzeugfällen unabhängige Betrachtung ist bei Gegenständen angebracht, in denen der Substanzwert selbst LG Kiel SchlHAnz. 1973, 33 f. KG NJW 1972, 1427. 107 Kritisch zu beiden Entscheidungen Schulte, S. 56 ff.; zum Binnenschiff siehe oben Abschnitt IV 2 a. 108 So Köndgen, AcP 177,4. lOg LG Hamburg DAR 1978, 323. 110 BGH JZ 1971, 592 m. Anm. Stoll; siehe aber OLG Oldenburg VersR 1969, 527; oben Abschnitt IV 2 b. 105 108
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
kaum eine Rolle spielt. Das ist vor allem bei Geld der Fall. Die Nutzungsmöglichkeit wird als Vehikel benutzt, um überhaupt zur Begründung eines Schadensersatz anspruchs gelangen zu können. So wird der Kassierer einer Spielbank für schadensersatzpflichtig gehalten, der Geld aus der Kasse in der Absicht entnimmt, dieses nach Benutzung zum Spiel wieder zurückzulegen ll1 • Der durch strafbare Handlung erfolgte vorübergehende Entzug von Geld, welches dem Eigentümer wieder zurückgeführt werden soll, könne zwar "für sich allein gesehen" nicht zu einer Vermögenseinbuße beim Eigentümer führen. Denn Geld verkörpere lediglich "die Möglichkeit, Sachgüter, Dienstleistungen usw. zu erwerben" und habe darüber hinaus "keinen eigentlichen ins Gewicht fallenden Substanzwert"112. Da aber die "bloße Rückführung der Scheine" in das Vermögen des Eigentümers nach Benutzung des Geldes zum Spiel, den Schaden nicht mehr habe beseitigen können, müsse der Fall "schadensrechtlich so angesehen werden, als ob der unredliche Entwender mit den Geldscheinen vom Geschädigten eine körperliche Sache erworben hätte" 113. Die Nutzungsmöglichkeit des Geldes ersetzt also den schadensersatzrechtlich irrelevanten Substanzwert. Sie kommt nur zum tragen, weil das Geld - entgegen der ursprünglichen Absicht des Entwenders - tatsächlich gerade nicht dem Eigentümer zurückgegeben wurde (es gelangte in dem entschiedenen Fall nur als Entgelt für die Gewinnchance beim Spiel zum Eigentümer). Die Kommerzialisierung der Nutzungsmöglichkeit von Geld ist damit von den Besonderheiten des Falls getragen. Denn sicher würde der BGH nicht außerdem einen Schadensanspruch wegen der entzogenen und nicht nachweislich anderweitig eingesetzten Nutzungsmöglichkeit des Geldes zuerkennen, wenn der Eigentümer das Geld zurückerhalten hätte. Der Schaden besteht nicht eigentlich in der Nutzungsmöglichkeit des Geldes, sondern in dem Wert der Gewinnchance beim Spiel, für die das Geld Mittel, nicht aber Objekt der Kommerzialisierung ist. Diese Beispiele mögen genügen, die Unkontrollierbarkeit des Kommerzialisierungsgedankens zu verdeutlichen. Die einzelnen Begründungen und Differenzierungen sind rational kaum nachvollziehbar. Die Geister der Kommerzialisierungsrechtsprechung werfen ihre Schatten und es fällt schwer, sie wieder los zu werden. Die einzelnen Begründungsversuche genügen - vor allem bei einer Gesamtschau - kaum den Anforderungen an eine wissenscho.ftliche Disziplin, der zudem noch eine besondere Verpflichtung im Hinblick auf die Rechtssicherheit obliegen sollte. 111
112 113
BGH NJW 1980, 2183 f. BGH NJW 1980, 2184. BGH NJW 1980, 2184; Hervorhebungen vom Verf.
5. Freizeit, Urlaub und Urlaubsgenuß
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5. Freizeit, Urlaub und Urlaubsgenuß Als Exempel angeführt sei ein Fall des LG Hamburg 114 • Ihm liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der PKW der Kläger wird zwei Tage vor Urlaubsantritt beschädigt. Wegen der Reparatur verzögert sich die Reise zum festgemieteten Bungalow am Urlaubsort um fünf Tage. Entsprechend dem Verdienstausfall für die vergeudete Zeit erhalten die Kläger 300,- DM als Schadensersatz zugesprochen. Der Urlaub als solcher, d. h. die einzelnen Urlaubstage bzw. die Urlaubszeit, wird hier ebenso wie die Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs als kommerzialisiert angesehen115 • Er sei ein nach objektiven Maßstäben feststellbarer Vermögenswert, der durch die Arbeitsleistung erkauft sei. Diese Argumentation ist nur durch Heranziehung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und unter gleichzeitiger Aufgabe arbeitsrechtlicher Vorstellungen haltbar. Denn nach ganz einhelliger Meinung wird der Urlaub nicht als Entgelt für die in der Vergangenheit geleistete Arbeit angesehen, sondern aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als eine - nicht als Gegenleistung für die Arbeit anzusehende Art Unterhaltsgewährung hergeleitet, um die Gesundheit und Arbeitskraft des Arbeitnehmers zu erhalten 116 • Mit der Arbeitsleistung erkauft wird lediglich das Gehalt während der Freistellung von der Arbeit 117 • Wirtschaftliche Betrachtungsweise und objektiver Maßstab nehmen gleichwohl Bezug auf das Bundesurlaubsgesetz, wonach ein Arbeit· nehmer den Urlaubsanspruch durch seine Arbeitsleistung auf Grund eines Arbeitsverhältnisses erwirbt 118• Nach § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihm zustehenden Urlaub nicht mehr nehmen kann. Ergänzend kann auch auf § 11 BUrlG hingewiesen werden, wonach der durchschnittliche Arbeitsverdienst für die Bemessung des Urlaubsgeldes maßgebend ist. In einzelnen Fällen ist auch die Möglichkeit gegeben, daß der Arbeitnehmer zusätzlichen VersR 1968, 1197. z. B. BGH NJW 1975, 40; Anm. Stall, JZ 1975, 252; dahingestellt noch in BGH JZ 1973,424 m. Anm. Grunsky. 118 LG Hamburg VersR 1968, 1197; OLG Frankfurt NJW 1967, 1373 m. w. N. auf die arbeitsrecht!. Lit. 117 Zutreffend Schmitz, S. 227. 118 Vgl. §§ 1 - 5 BUrIG; anders der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 44 SchwerbehindertenG. Der BGH hat entschieden (MDR 1980, 219 = NJW 1980, 285), daß diese Vergünstigung für Schwerbehinderte außerhalb schadensrechtlicher Betrachtung zu bleiben habe, weil sie als soziale Leistung in Anknüpfung allein an den objektiven Zustand stets zu Lasten der Allgemeinheit gehe. Entscheidend sind also nicht rechtliche, sondern vielmehr sozialpolitische Gesichtspunkte. 114 115
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
unbezahlten - Urlaub erhält. Der Vermögenswert des Urlaubs folge schließlich aus seiner Zweckbestimmung, die Arbeitskraft zu erhalten oder wieder herzustellen, um weiteren Arbeitsverdienst zu erzielen, also wiederum ein vermögenswertes Gut erwerben zu können119 • Darauf gründet sich letztlich auch die Kommerzialisierung des Kuraufenthalts, dessen Zweckvereitelung ebenso wie nutzlos aufgewendete Urlaubstage behandelt wird 120 • Die Bezugnahme auf die Arbeitskraft ist nicht zwingend, da sie selbst als solche nach überwiegender Meinung kein Vermögensgut ist. Ihre Beeinträchtigung kann lediglich Vermögensnachteile im Sinne des § 252 BGB nachsichziehen l2l • Anerkannt wird zwar, daß die Arbeitskraft das hauptsächliche wirtschaftliche Potential des Einzelnen ist. Gleichwohl ist sie als Eigenschaft des Rechtssubjekts von diesem unlösbar und daher dem personalen, nicht aber dem gegenständlichen Bereich zuzuordnen. Die Arbeitskraft ist "streng an die Person gebunden" 122. Der Mensch selbst, sein Körper und seine Eigenschaften sind nicht Bestandteile seines Vermögens 123 • Dies zeigt sich auch im Steuerrecht - welches ja auf die Erfassung wirtschaftlicher Sachverhalte ausgerichtet ist bei der Frage der Abzugsfähigkeit von Spenden an begünstigte gemeinnützige Einrichtungen gemäß § 10 b EStG. Hier sind Geldleistungen und sonstige geldwerte Vorteile als "Ausgaben" anerkannt, nicht aber die Zurverfügungstellung von Zeit und Arbeitskraft des Steuerpflichtigen 124 • Auch bei der Auseinandersetzung der BGB-Gesellschaft kann nach § 733 Abs. 2 Satz 3 BGB kein Ersatz für Einlagen verlangt werden, die in der Leistung von Diensten bestanden haben. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, daß sich der Einsatz der physischen und geistigen Arbeitskraft des Gesellschafters regelmäßig im Gesellschaftsvermögen nicht als ein fest umrissener und meßbarer Vermögenswert niederschlägt 125 • Den Charakter der Arbeitskraft verkennt die Mindermeinung. Zum Teil wird die Arbeitskraft direkt als "sonstiges Recht" i. S. des § 823 So BGH NJW 1975, 42. KG NJW 1970, 474 = JuS 1970, 299 f. - Hundebiß während Kuraufenthalt; vgl. auch BGH NJW 1980, 286. 121 Knobbe-Keuk, VersR 1976, 406; Honsell, JuS 1976, 227; Stoll, JZ 1975, 253; JuS 1968, 511 Fn. 64; Mertens, S. 152 f.; BGH NJW 1970, 1411 = JuS 1970, 586 m. Anm. Lieb, JZ 1971,358 ff.; vgl. auch BGH VersR 1978, 1170. 122 Larenz, Schuldrecht AT, § 29 I ca. E. 123 Knobbe-Keuk, VersR 1976, 406; vgl. schon Kohler, Arch. f. Bürgerl. R. 119 120
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124 BFH vom 28.4. 1978 VI R 147/75 BStBl. II 1979, 297; auch BFH vom 24.2. 1972 IV R 2/68 BStBl. II 1972, 613. 125 Vgl. BGH DB 1980, 731, 732.
5. Freizeit, Urlaub und Urlaubsgenuß
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Abs. 1 BGB angesehen 126 , zum Teil wird sie vor allem in Hinblick auf die §§ 842, 843 BGB als Vermögenswert angesehen 127 , obwohl in § 842 BGB ausdrücklich nur auf die konkret herbeigeführten "Nachteile" Bezug genommen wird. Damit stellt die Mindermeinung den entgangenen Gewinn (lucrum cessans) mit dem positiven Schaden (damnum emergens) gleich128 • Demgegenüber hat der BGH zutreffend entschieden, daß es nur auf den konkreten Verdienstausfall, nicht aber auf die abstrakte Erwerbsminderung ankomme 129 • Daraus folgt, daß, wenn nicht einmal der Wegfall der Arbeitskraft als solcher einem Vermögensschaden gleichsteht, die Beeinträchtigung gesundheitserhaltender oder -wiederherstellender Maßnahmen in Form des Urlaubs erst recht nicht in dieser Weise qualifiziert werden kann 130 • Für den Urlaub fehlt ein objektiver Maßstab. Er ist insoweit kein fungibles Handelsgut 131 • Die Kommerzialisierung des Urlaubs scheitert auch daran, daß lediglich der spezielle Freizeitbereich "Urlaub" betroffen ist. Der Freizeit kommt nach herrschender Meinung ein Vermögenswert nicht zu 132 • Abzulehnen ist die Mindermeinung, die die Freizeit als "Chance, Geld zu verdienen" ansieht133 • Sie verkennt, daß Freizeit und Arbeitszeit zwei zu trennende, selbständige Bereiche sind. Die Freizeit ist nicht eine nur abhängige Größe der Arbeit bzw. des Geldverdienens. Denn die Freizeit steht selbständig neben Arbeit und Beruf. Immer mehr verlagert sich der zentrale Bezugspunkt der Existenz vom Beruf in die Privatsphäre, mit der Freizeit als zunehmend wichtigem Teil. Damit fehlt es an einem meßbaren Vermögenswert. Der Satz "Zeit ist Geld" gewinnt nur im Rahmen des § 252 BGB Bedeutung 134 • Gleiches gilt für So Schnorr von Carolsfeld, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 496. Grunsky, S. 76 ff.; Münch. Komm. - Grunsky, Vor § 249 BGB, Rdnr. 23, 24 m. w. N.; Hagen, JuS 1969, 67 ff.; Köndgen, S. 76; Neuner, AcP 133, 313; vgl. auch Becker, MDR 1976, 623 f., der zwar personales Moment und wirtschaftliche Bedeutung unterscheidet, aber die Gegenständlichkeit der Arbeitskraft in den Vordergrund rückt; einschränkend Baur, Festschrift Raiser, S. 127 f. 128 Auch Honsell, JuS 1976,227. 129 VersR 1978, 1170; weitere Nachweise bei Lange, Schadensersatz, S. 37 Fn.20. 130 VgI. auch Stoll, JZ 1975,253. 131 VgI. auch Schulte, S. 81; Küppers, VersR 1976, 608; Stoll, JZ 1975,253. 132 BAG NJW 1968, 221; OLG Celle DAR 1964, 190; LG München 1961, 195 f.; auch LG Hamburg, VersR 1968, 1197 im Anschluß an OLG Frankfurt, NJW 1967, 1372; wohl auch BGH NJW 1975, 41; Larenz, Festgabe Oftinger, S. 159 f.; Schmidt, Anm. zu BGH LM Nr. 37 zu § 249 (A) BGB, BI. 123; Braschos, S. 52 f. 133 Grunsky, S. 77; JZ 1973,426. 13' Honsell, JuS 1976, 227; siehe aber BGHZ 56, 216. 128
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
den speziellen Freizeitbereich "Urlaub", da die Abgrenzung zur allgemeinen Freizeitbeeinträchtigung nicht durchführbar ist. Konsequenterweise wäre sonst auch das "vertane" Wochenende oder gar der Feierabend als kommerzialisiert anzusehen 135 . Darüber hinaus bestehen in aller Regel arbeitsrechtliche Hemmnisse, die Urlaubszeit zu anderweitiger Erwerbstätigkeit zu nutzen und damit zu Geld zu machen136 . Auch wegen des Zeitaufwandes bei der außergerichtlichen Abwicklung eines Schadensersatzanspruchs erkennt der BGH dem Geschädigten grundsätzlich keinen Ersatz ZU137 . "Aus Gründen der Interessenbewertung, aber auch der Praktikabilität" wird dieser Aufwand von anderen erstattungsfähigen Kosten der Rechtsverfolgung abgegrenzt und einem Zuständigkeitsund Verantwortungsbereich des Geschädigten zugewiesen, der "außerhalb des Schutzzwecks der Haftung des Schädigers" liegtt 38 . Für Ausnahmen sollte kein Raum auf der Grundlage "Zeit ist Geld" sein. Lediglich bei der prozessualen Kostenerstattung wird der obsiegenden Partei in engem Rahmen ein Anspruch auf Entschädigung für "entstandene Zeitversäumnis" nach § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO gewährt 13e• Nicht einzusehen ist schließlich, warum der nicht im Erwerbsleben Stehende nach dem Kommerzialisierungsgedanken keine Entschädigung erhalten soll, nur, weil sein Urlaub nicht durch Arbeitsleistung erkauft ist140 . Müßte nicht auch bei Hausfrauen eine Kommerzialisierung im Hinblick auf die Hausarbeit angenommen werden?141 Durch die Führung des Haushalts (§ 1360 S. 2 BGB) leistet die Hausfrau einen der Erwerbstätigkeit des Mannes gleichwertigen Beitrag zur Existenzsicherung der Familie 142 • Bemerkenswert ist insoweit der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts143 , wonach es nicht gegen den Gleichheitssatz verstoße, daß Zeugen ohne Verdienstausfall in der Regel nur eine nach dem geringsten Satz i. S. von § 2 Abs. 3 ZuSEG bemessene Entschädigung von zur Zeit 2,- DM je Stunde, 135 Honsell aaO; insoweit auch Grunsky, NJW 1975, 610; Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253, Anm. III 7. 13G Vgl. Schmitz, S. 227 f. 137 NJW 1976, 1256 f. m. w. N.; im Erg. zustimmende Anm. J. Schmidt, NJW 1976, 1932 f.; vgl. auch BGH NJW 1977, 35; NJW 1980, 119; Lange, Schadensersatz, S. 231 ff. m. w. N. 138 So jetzt BGH NJW 1980, 119. 138 Dazu Stoll, JZ 1977, 97 f.; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, § 91 ZPO, Anm. 5. 140 Honsell, JuS 1976, 226; Lange, Schadensersatz, S. 238; siehe aber BartI, NJW 1979, 1388; jetzt auch BGH NJW 1980, 1948. 141 So auch Bartl, NJW 1979, 1388; jetzt auch BGH NJW 1980, 1948, der einen vertraglichen Anspruch "zumindest aus dem Gesichtspunkt der Schutzwirkung des Vertrages für Dritte" bejaht und dabei die Gleichwertigkeit von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit betont. Eigentümlicherweise zieht der BGH (aaO, S. 1949) als Bezugsgröße das Einkommen des Ehemanns heran (kritisch insoweit auch Blaurock, NJW 1980, 1949 f.). 142 Vgl. ausdrücklich Art. 5 Abs. 2 Verfassung NRW. 143 NJW 1979, 32; vgl. auch AG Würzburg, NJW 1978, 2320.
5. Freizeit, Urlaub und Urlaubsgenuß
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Hausfrauen dagegen einen solchen von 6,- DM je Stunde erhalten. Denn die Hausfrau, die ihrer - nur beschränkt nachholbaren - häuslichen Tätigkeit entzogen werde, stehe "dem Erwerbstätigen, der einen Verdienstausfall erleidet, näher, als dem Zeugen, der einen sonstigen - meist in der Einbuße von Freizeit sich erschöpfenden - Nachteil hinnehmen muß"144. Der Beschluß läßt offen, ob nicht auch andere Personen auf Grund ihrer (Freizeit-) Tätigkeit wie ein Erwerbstätiger zu behandeln sein können. Die Ausuferungsgefahr bei der Kommerzialisierung des Urlaubs zeigt sich, wenn es um die Beeinträchtigung einzelner, mit dem Urlaub verbundener Genüsse geht, die den Urlaub als solchen nicht hindert. Die Beeinträchtigung der Urlaubsfreude und -genüsse beurteilt sich unabhängig von der Frage "Zeit ist Geld". Die Dimension "Zeit" ist nicht berührt. Die Rechtsprechung hat einen deliktischen Anspruch wegen entgangener Urlaubsgenüsse überwiegend verneint und damit einen Dammbruch verhindert 145 • Eine Ausnahme macht die Entscheidung des BGH im SeereisefalP46: Infolge des Verschuldens eines Zollbeamten war das Gepäck des Klägers und seiner Ehefrau nicht an Bord gelangt. Sie konnten daher während der von ihnen gebuchten Kreuzfahrt nicht in gewohntem Umfang Kleider und Wäsche wechseln. Der dadurch beeinträchtigte Reisegenuß wurde für die Ehefrau mit 200,- DM, der für den Mann mit 100,- DM veranschlagt. Zur Begründung hat der BGH ausgeführt (S. 1235): "Bei dem mit der Seereise erstrebten und normalerweise (!?) erzielten Genuß handelt es sich nicht um einen rein immateriellen, ideellen Wert, vielmehr ist ein solcher ,Genuß' angesichts dessen, daß er in aller Regel nur durch entspr. Vermögensaufwendungen ,erkauft' werden kann und auch hier tatsächlich erkauft worden ist, in gewissem (?) Umfang kommerzialisiert, so daß eine Beeinträchtigung dieses Genusses auch eine Beeinträchtigung des mit den gemachten Vermögensaufwendungen erstrebten - vermögenswerten - Äquivalentes darstellt." Bedenken bestehen zunächst insofern, als die Reisekosten im Deliktsrecht nur für den Gesamtgenuß der Seereise ein objektiver Maßstab sein können 147 • Zwar verkörpert der Urlaub als solcher ein "Erholungspotential" 148, eine Zusammenfassung mehrerer Reisegenüsse. Da schon der Urlaub als solcher nicht kommerzialisiert ist, muß dies aber erst recht für die einzelnen Genüsse gelten, die der Urlaub vermittelt. Zum Arbeitszeitbedarf einer Hausfrau vgl. BGH NJW 1979, 1501. Vgl. z. B. OLG München VersR 1975, 62; OLG Düsseldorf NJW 1974, 150; ferner OLG Köln NJW 1974, 561 für Nicht-Berufstätige. m BGH NJW 1956, 1234 m. zustimmender Anm. Neumann-Duesberg, DB 1956, 887; im Erg. zustimmend auch Schulte, S. 114 f., der aber auf die entzogenen Gebrauchsvorteile der Kleidungsstücke abstellt. 147 Medicus, § 33 III 2 b. 148 KG OLGZ 1969, 18. tU
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IV. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung
Selbst wenn man den Urlaub als solchen als kommerzialisiert ansehen will, so hängt es allein von individuell-verschiedenen Unwägbarkeiten ab, wann die Genußbeeinträchtigung auf den Urlaub als solchen durchschlägt 149 • Auch die Differenzierung zwischen der Freiheit als solcher und dem sog. Freizeitwert150 ist daher nicht durchführbar. Die Genußbeeinträchtigung selbst ist überhaupt nicht objektivierbar. Sie stellt einen "qualitativen Teilschaden" dar 151 , bei dem sich nicht feststellen läßt, wieviel der Urlaub ohne den Genuß weniger wert ist. Dies zeigt sich im Seereisefall schon darin, daß der Anspruch für die Frau doppelt so hoch wie der für den Mann bemessen wird, obwohl doch die Reisekosten nicht nach dem Geschlecht unterschiedlich bemessen sind. Müßte nicht die Bewertung im Seereisefall noch unterschiedlicher ausfallen, wenn einerseits eine Filmdiva und andererseits ein Priester, der dem Tragen von Gesellschaftskleidung nur geringen Wert beimißt, betroffen wären152 ? Es würde eine übersteigerung in einen rein "subjektiven Schadensbegriff" erfolgen, bei dem die Bewertungskriterien weitgehend von den individuellen Motiven, Wünschen und dem Geschmack des Betroffenen abhingen i53 . Nicht verkannt werden soll zwar, daß der Schaden stets "ein durchaus subjektiver Begriff" ist. Ohne ein interessiertes Subjekt liegt ein Schaden nicht vor und das Maß des Vermögensschadens" kann eben nur im Hinblick auf diese Einzelperson festgestellt werden"154. Aber der begrenzte Rechtsgüterschutz und der absolute Charakter des Deliktsrechts lassen einen Verzicht auf objektive Kriterien nicht zu. Zu beachten ist ein weiteres: Auf den Reisepreis kommt es nicht mehr an, wenn man den Urlaub schon deshalb als kommerzialisiert ansieht, weil er durch die Arbeitsleistung verdient ist1 55 . Auf die Verwirklichung des Urlaubs in einer bestimmten Form erwirbt der Arbeitnehmer durch die Arbeit keinen Anspruch i56 . Eine spezielle arbeitsrechtliche Bedeutung kann dem Urlaubsgenuß außerhalb des Deliktsrechts zukommen: Eine Anrechnung von Krankheitstagen auf den Urlaub nach § 9 BUrlG darf dann nicht erfolgen, wenn "durch die Krankheit der Erholungszweck des konkreten Urlaubs beeinträchtigt" wird. Das sei der Fall, wenn - wie in der Entscheidung des LAG Hamm - die Klägerin infolge der Fingerverletzung "weder Vgl. auch Stoll, JZ 1975,254; Lange, Schadensersatz, S. 237. So Grunsky, NJW 1975, 609. 151 LG Freiburg, NJW 1972, 1720. 152 Beispiel bei Ellrich, S. 11. 153 Heldrich, NJW 1967, 1739. 154 Fischer, S. 14 im Anschluß an Degenkolb, AcP 76, 57. 155 Honsell, JuS 1976, 227; vgl. aber OLG Bremen, VersR 1969, 929. 1SS KG NJW 1972, 769. 149
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5. Freizeit, Urlaub und Urlaubsgenuß
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schwimmen - bei einem Sommeraufenthalt in einer Hütte in Norwegen die Hauptfreizeitbeschäftigung - noch mit ihren beiden Kindern Spiele durchführen, bei denen sie die linke Hand gebrauchen mußte, noch, wie geplant, die Hütte bewirtschaften" könne 157 • Nicht einzusehen ist schließlich das unterschiedliche Ergebnis, je nachdem ob der Geschädigte so schwer verletzt ist, daß er im Krankenhaus liegen muß, oder ob er zum Beispiel durch eine Beinverletzung lediglich in seiner Bewegungsfreiheit beeinträchtigt ist, ohne das Krankenhaus aufsuchen zu müssen. Im ersten Fall wäre die Urlaubszeit beeinträchtigt und nach der Rechtsprechung ein Schadensersatzanspruch zu bejahen, im zweiten Fall läge nur eine Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses vor und ein Anspruch wäre zu versagen158 • Dem im zweiten Fall Geschädigten könnte nur geraten werden, sich ebenfalls umgehend in das Krankenhaus zu legen - was gesundheitspolitisch ebenfalls sicher zu unerwünschten Weiterungen führen könnte und den Kostendämpfungsgesetzen Hohn sprechen würde. - Die Rechtsprechung lehnt zwar heute zu Recht einen deliktischen Anspruch ab, wenn lediglich eine Genußbeeinträchtigung vorliegt, und der Urlaub nur anders gestaltet werden muß als - ohne das schädigende Ereignis - geplant 159 • Auch bei einer Unfallverletzung nach Beendigung des Urlaubs ist kein Anspruch wegen "Zerstörung des Urlaubserfolges" gegeben160 • Konsequent ist das Ergebnis aber erst bei völliger Aufgabe der Auffassung vom Urlaub als kommerzialisiertem Vermögensgut. Das neue Reisevertragsrecht vom 1. 10. 1979 (§§ 651 a ff. BGB) führt für das Deliktsrecht zu keinem anderen Ergebnis, da es allein auf den vertraglichen Bereich zugeschnitten ist1 61 •
LAG Hamm BB 1979, 889 m. w. N. Diese Konsequenz zieht aber Grunsky, NJW 1975, 609 ff. 159 BGH JZ 1973, 424; LG Freiburg NJW 1972, 1719; NJW 1972, 769; LG Konstanz VersR 1972, 182. leO OLG Celle VersR 1974,760; ebenso LG Kassel VersR 1979, 1131. 1&1 aA offenbar Leonardy, DRiZ 1978, 269 (ohne Begründung). 157
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§ 3. Vernachlässigung der zivilrechtlichen DogmatikUrsachen und Grenzen Abschnitt V
Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Werte Die verfehlte Qualifizierung immaterieller Beeinträchtigungen als Vermögensschäden wird nur unvollständig gewürdigt, wenn man nicht auch die Gründe in die Betrachtung einbezieht, welche nicht eigentlich der Unterscheidung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden inhärent sind.
1. Billigkeitsgesiclltspunkte Die Zubilligung von deliktischen Schadensersatzansprüchen entgegen § 253 BGB läßt sich letztlich auf dahinterstehende Billigkeitserwägungen zurückführen, die nicht immer ausgesprochen werdeni. Ziel ist es zum einen, den Schädiger nicht dafür zu entlasten, "daß der Geschädigte durch den Verzicht auf eine vom Schädiger zu finanzierende Restitutionsmaßnahme Entbehrungen auf sich nimmt"2. Die Rechtsprechung zum merkantilen Minderwert 3 wird beeinflußt von der Erwägung, es sei "nicht einzusehen, daß der Entschluß des Eigentümers, den weniger wertvollen Wagen weiter zu benutzen, zu einer Entlastung des Schädigers führen soll"4. Für die Zubilligung einer Nutzungsausfallentschädigung ist "ein gewichtiger Grund", daß der Geschädigte "von dem Schädiger die Stellung eines Ersatzfahrzeugs oder die Vorlage der Kosten für die Anmietung eines solchen hätte verlangen können"5. Der Schädiger soll durch den Verzicht des Geschädigten nicht entlastet und der Geschädigte nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der sich einen Mietwagen genommen hat 8 • Das Billigkeitsargument stimmt indes kaum, wenn die 1 Vgl. Keuk, S. 14; Schulte, S. 97; Neuner, AcP 133, 290; Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 506; auch BVerfG NJW 1979, 306, 307. t Stoll, JZ 1976,282 - kritisch Fn. 11: "eher rhetorisches Argument". 3 Siehe oben Abschnitt IV 1. 4 BGHZ 35, 398/399. 5 BGH NJW 1975, 349; 1974, 34; BGHZ 45, 216. 8 BGH NJW 1976, 1630; 1974, 33; Nüssgens, Festschrift 25 Jahre BGH,
1. Billigkeitsgesichtspunkte
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Nutzungsentschädigung weit unter den ersatzfähigen Mietwagenkosten bleibt, von denen effektiv nur ca. 30 Ofo zu zahlen sind7 • Ein Anspruch wegen Freizeiteinbuße wird bejaht, weil es "in hohem Maße unbillig" wäre, "wenn sich die Beklagte darauf berufen könnte, in folge der besonderen Anstrengungen des Klägers sei ja die drohende wirtschaftliche Einbuße vermieden bzw. wettgemacht worden"8. Ein Anspruch wegen Urlaubsbeeinträchtigung wird - auch wenn der Urlaub bis zum Ende durchgestanden wird - dann zugebilligt, wenn die Leistung des Reiseunternehmens "so schwerwiegende Mängel" hat, "daß der dadurch entstandene Schaden mit einer Herabsetzung des Reisepreises nicht ausgeglichen wird"9. Bei der Kommerzialisierung immaterieller Werte geht es nicht darum, "z. B. empirisch eine entsprechende Verkehrs auffassung festzustellen, sondern darum, das als "billig" empfundene Ergebnis irgendwie dogmatisch abzusichern"lo. Eine solche Vorgehensweise muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß "alle herangezogenen juristischen Konstruktionen nur Tünche waren und sind" 11. Das Wirrwarr der Kommerzialisierungsrechtsprechung 12 zeigt, daß die auf Billigkeitserwägungen gestützten Einzelfallentscheidungen insgesamt gesehen zu einer Pervertierung in unkontrollierte Willkürentscheidungen führen. Gerade wegen der erforderlichen Klarheit des Schadensersatzrechts soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Möglichkeit von Billigkeitsentscheidungen verhindert werden13 • Dem kann man nicht dadurch ausweichen, daß man "einen echten Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und nicht nur einer vagen Billigkeit" sieht 14 • Auch eine konkrete Billigkeit wird "brüchig" und verkennt den Rahmen, in dem das Schadensersatzrecht für Gerechtigkeit sorgen kann, wenn die Ersatzleistung zu einer dem Schadensersatzrecht fremden Bereicherung des Geschädigten S. 104; hier könnte man argumentieren, daß sich in dem Verzicht auf die Inanspruchnahme eines Mietwagens gerade zeige, daß ein solcher gar nicht benötigt werde. Zu beachten ist insoweit § 254 Abs. 2 BGB. 7 Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 33. 8 BAG NJW 1968, 222. g BGH NJW 1975,42. 10 So Tolk, JZ 1975, 531; ähnlich Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S.78.
So Baur, Festschrift Raiser, S. 129. Oben Abschnitt IV. 13 Vgl. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 1967, S. 30. 14 So aber Wieacker, Karlsruher Forum 1964, S. 43; aber derselbe, Privatrechtsgeschichte (1967): " ... Versachlichung des Schadensrechts, die für die Berücksichtigung moralisierender und individueller Billigkeitsgesichtspunkte wenig Raum läßt." 11
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V. Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Werte
führen kann, soweit der Vermögensschaden ganz fehJt15. Generell kann § 242 BGB nur unter ganz besonderen Umständen, in keinem Fall aber entgegen ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§ 253 BGB) zur Bejahung eines Schadensersatzanspruchs führen. § 242 BGB ist daher auch keine gesetzliche Ausnahme von § 253 BGB16. Es geht nicht an, "ohne eine tragfähige dogmatische Grundlage Schadensersatz lediglich nach von Fall zu Fall variierenden Billigkeitsgesichtspunkten zu gewähren 17 ". Die Grundlage zu schaffen, ist Sache des Gesetzgebers 18 . Mit Vorsicht zu begegnen ist daher der Feststellung, die Rechtsprechung sei "immer schon aufgerufen gewesen, den Haftungsumfang billigkeits rechtlich zu gestalten19". Die Berufung auf das Billigkeitsprinzip bedeutet für die Rechtswissenschaft zumeist nur den Ausdruck eines ungelösten Restes von Problemen, die noch der Klärung bedürfen. Es stellt nur eine Sammelbezeichnung dar für Fragen, für die ein einleuchtender Haftungsgrund - um diesen geht es! - noch nicht gefunden ist 20 • Zum anderen geht es "letztlich darum, finanziell schwächere ... Unfallopfer mit vermögenden gleichzustellen" 21. Die Wurzel dieser Rechtsprechung ist das soziale Verantwortungsgefühl der Gerichte für den wirtschaftlich Schwächeren, für den man Verständnis hat, wenn er den regulären Urlaub nicht auf eigenes Risiko verlängern oder bei Zweifeln über die Schuldfrage einen Ersatzwagen nicht mieten Will 22 • Im Gesetz finden diese sozialen Überlegungen keine Grundlage. Auch dem finanziell Schwachen kann contra legern (§ 253 BGB) kein Anspruch zugebilligt werden. Die Kommerzialisierung immaterieller Werte begünstigt im Endeffekt gerade den vermögenden Geschädigten23 • So ist die Nutzungsentschädigung für ein Luxusfahrzeug um ein vielfaches höher als für ein "Fahrzeug des kleinen Mannes". Nicht zu Unrecht wird eine Überprüfung der Differenzierung der Nutzungsentschädigung nach Wagenklassen gefordert, wenn man mit sozialen Überlegungen Ernst machen wollte 24 • Das Schadensereignis muß gerade für den Eigentümer eines Luxusfahrzeugs sowie für den LuxusurlauVgl. Medicus, JuS 1979, 239. So LG Wuppertal NJW 1979, 2214; siehe oben Abschnitt 11 2 a. 17 So Lieb, JZ 1971, 358/359. 18 Zutreffend LG Freiburg NJW 1972, 1720. 19 So aber Deutsch, JZ 1980, 103. zo So zutreffend Grossfeld, S. 18. ZI BGH NJW 1976, 1631. 22 Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 80; vgl. auch Köndgen, AcP 177,4. 23 Vgl. Werber, AcP 173, 160. %( Hansen, VersR 1977, 511. 15
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2. Einflüsse von Versicherungsrecht und '-praxis
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ber, der in Wahrheit über seine Verhältnisse lebt und sich die Luxusausgabe eigentlich gar nicht leisten könnte, als unverhoffter oder - im Extremfall- sogar einkalkulierter Glücksfall erscheinen. Schließlich wird nicht genügend beachtet, daß das Argument der Schutzbedürftigkeit finanziell Schwacher insofern an überzeugungskraft verliert, als insbesondere diesen ein Anspruch auf Inanspruchnahme von Fremdmitteln zustehen kann 25 • Damit entfällt die Rechtfertigung für die analoge Behandlung der Fälle der Anmietung und Nichtanmietung eines Ersatzwagens. Der Schädiger hat es nicht mehr in der Hand, durch Zahlungsverweigerung den Anspruch überhaupt zu torpedieren26 • Das Risiko, letztlich auf den Finanzierungs- und Mietwagenkosten sitzen zu bleiben, weil eine Haftung nicht bzw. nicht in vollem Umfang gegeben ist, ist ein allgemeines und nicht eins der eigentlichen Schadensersatzproblematik27 • Es gehört ebenso zu den schicksalhaften Risiken des Lebens wie das Risiko, daß der Geschädigte gewisse, sich im persönlichen Schadensfall auswirkende Nachteile selbst zu tragen hat 2B • Einer Korrektur durch den Richter sind hier Grenzen gesetzt 29 • Das Risiko darf dem finanziell Schwachen nicht dadurch abgenommen werden, daß die Grenzen zwischen der Kompensation und der Naturalrestitution beseitigt werden. Wer das Risiko zur Inanspruchnahme der Restitutionsmaßnahme nicht glaubt tragen zu können, der muß später die Nachteile der Kompensation in Kauf nehmen.
2. Einflüsse von Versicherungsrecht und -praxis Rückwirkungen auf das zivil rechtliche Schadensersatzrecht ergeben sich aus dem Faktum, daß Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen die eigentlichen Kontrahenten des Schadensfalls sind. Der Idealfall, daß sich der Schädiger und der Geschädigte als zwei Individuen gegenüberstehen, entspricht längst nicht mehr der Realität. Daraus resultiert eine Kollektivierung der Individualhaftung30 • Der individuelle Schadensausgleich wird zum Sozialausgleich31 • Das Zivilrecht gibt nur noch den "Indikator für den Versicherungsfall" ab, es "degeneriert hier zum Maßstab einer Vorfrageentscheidung im Bereich des VersicherungsVgl. BGH NJW 1974,34 ff. Siehe oben Abschnitt 12 c. 27 aA Reinhardt, Karlsruher Forum 1964, S. 42. 28 Vgl. Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 80; Baur, Festschrift Raiser, S. 138. 21 Vgl. oben Abschnitt 11 3 a. 30 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 495. 31 Hansen, S. 28. 25
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V. Hintergrunde der Kommerzialisierung immaterieller Werte
rechts" 32. In weiten Bereichen ist das Haftungsrecht heute zunehmend ein "Recht der Regreßvoraussetzungen" geworden33 . Der Inhalt des auf den kollektiven Versorgungsträger übergegangenen Anspruchs richtet sich dabei grundsätzlich nach bürgerlichem Recht 34 • Die Kollektivierung leistet den "modernen Entwicklungen" des Schadensersatzrechts Vorschub 35 und bewirkt damit eine "Haftungserweiterung wegen der Möglichkeit der Beschaffung von Versicherungsschutz"36. Der Richter wird den Schadensfall mit anderen Augen betrachten, wenn er weiß, daß "hinter dem Schädiger eine Haftpflichtversicherung steht" 37. Er bleibt "gleichsam außerhalb der Verantwortung für das, was er tut" und kann den Geschädigten zufriedenstelIen, ohne den Schädiger direkt zu belasten38 . Der Versicherung kann es letztlich gleichgültig sein, ob sie z. B. eine Nutzungsausfallentschädigung zahlt. Sie wird die dadurch entstehende Mehrbelastung - bereits 1967 ca. 30 Mio. DM39 - über Prämienerhöhungen an die Gesamtheit der Versicherten weitergeben 40 . Auf lange Sicht bezahlt dadurch letztlich auch der Geschädigte für die - ihn zunächst einmal begünstigende - Haftungserweiterung. Leidtragender ist jeder ordentliche und besonnene Kraftfahrer 41 • Nicht zu verkennen ist aber der psychologisch richtige Ansatzpunkt der Nutzungsausfallentschädigung: Wahrscheinlich geht "die Zahl der hysterischen und rechthaberischen Anmietungen von Mietwagen zurück"42 und führt im Einzelfall zu einer Kostenersparnis. Interessant wäre es, einen Gesamtvergleich zwischen ersparten Mietwagenkosten und gezahltem Nutzungsausfall anzustellen. Psychologischer Ansatz32 Baur, Festschrift Raiser, S. 122. 33 Kötz, S. 27 m. w. N. 34 Vgl. i. e. Lange, Schadensersatz, S. 2 ff. m. w. N. 35 Vgl. Baur, Festschrift Raiser, S. 122. 38 R. Schmidt, Karlsruher Forum 1964, S. 42. 37 Baur, Festschrift Raiser, S. 122; Tolk, S. 76 m. w. N.; vgl. ferner den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, 1967, S. 45; Deutsch, Haftungsrecht, S. 496; Lange, Schadensersatz, S. 5. 38 Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 78. 3D Vgl. von Hippel, S. 77; auch Zeitz, S. 111. 40 Larenz, Festschrift Nipperdey, S. 506; Baur, Festschrift Raiser, S. 123; Schulte, S. 94; Tolk, JZ 1975, 532 Fn. 36; Heldrich, NJW 1967, 1740; OLG Düsseldorf NJW 1973, 660 = JuS 1973, 513. 41 Lange, Schadensersatz, S. 258. 42 Wie acker, Karlsruher Forum 1964, S. 43; auch Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 36: "Funktion einer Sparsamkeitsprämie"; Hesse, BauR 1974, 305 weist darauf hin, daß auch eine Beschränkung des Ersatzanspruchs auf die Vorhaltekosten den Anreiz, auf einen Mietwagen zu verzichten, zwar verringern, aber in geringerem Umfang immer noch erhalten würde.
2. Einflüsse von Versicherungsrecht und -praxis
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punkt und rechtliche Begründetheit sind jedoch zweierlei. Zwar kann das Recht einen erzieherischen psychologischen Effekt haben und auch selbst bei seiner Bildung von psychologisch bestimmten Momenten beeinflußt werden. Aber diese Relationen können nicht eine Anspruchsvoraussetzung ersetzen. Eine Reduzierung der Inanspruchnahmen von Mietwagen läßt sich auch dadurch erreichen, daß die Versicherer von vornherein durch Erklärung ad incertas personas oder auch durch Einzelvereinbarung den Verzicht auf die Anmietung eines Mietwagens herbeiführen, indem sie den Verzicht durch Zahlung eines Betrages in Höhe der Nutzungsausfallentschädigung "abkaufen". Damit würde die Nutzungsausfallentschädigung auf eine freiwillige und dogmatisch unproblematische Basis gestellt. Grundlage der Nutzungsausfallentschädigung ist nicht mehr die deliktische Haftung, sondern die im Rahmen der Privatautonomie getroffene Vereinbarung 43 • Die Zahl der Mietwageninanspruchnahmen wird im übrigen bei nicht eindeutiger Rechtslage sowie im nicht seltenen Fall der Haftungsteilung (hierzu reicht schon die Anrechnung der Betriebsgefahr) durch die Scheu niedrig gehalten, einen Teil der Kosten selbst tragen zu müssen. Vom Ansatzpunkt her interessant ist die Spalttarif-Lösung in Österreich, das keine Nutzungsausfallentschädigung kennt: Um der hohen Kostenlast Herr zu werden, kann der Versicherungsnehmer selbst entscheiden, ob er auf die Miete eines Ersatzwagens mit der Folge eines niedrigeren Versicherungstarifs verzichten will. Nur 7 0J0 der Versicherungsnehmer sollen sich für den höheren Tarif entschieden haben44 • Das für Einzelfälle konzipierte Ergebnis der Rechtsprechung führt zu einer Änderung der Regulierungspraxis und kommt als Faktor bei der versicherungsmathematischen Berechnung der Versicherungsprämien zum tragen. Dadurch entwickelt die Rechtsprechung ein Eigenleben. Ihr kommt in gewissem Sinne "Normqualität" ZU 45 • Die dogmatischen Grundlagen treten in den Hintergrund. Es entwickelt sich ein Kreislauf von der Rechtsprechung zur Regulierungspraxis und wieder zurück zur Rechtsprechung. Dies läßt sich an der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zur Nutzungsausfallentschädigung exemplifizieren: Der Senat hält die "Angriffe gegen das Urteil des IH. Zivilsenats 46 nicht für so durchschlagend, daß sie Anlaß geben, die Grenzen der Schadensersatzpflicht anders zu ziehen und damit die in der Abwicklung von 43 44
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Dazu unten Abschnitt IX 4,5. Vgl. Mayer-Maly, VersR 1974,208 ff. m. w. N. Baur, Festschrift Raiser, S. 123. BGHZ 40, 345 ff.
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V. Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Werte
Haftungsfällen bereits weithin üblich gewordene Regulierungspraxis zur Vergütung des Nutzungsentgangs in Frage zu stellen"47. Dementsprechend verfährt die Praxis der Gerichte wie die der Versicherungen nach der gleichen Tabelle zur Berechnung des Nutzungsentgangs 48 • Ihr Sinn und Zweck wird zutreffend im Vorwort zur Nutzungsausfalltabelle 1980 von Sanden / Danner49 umschrieben: "Die Tabellen zur Nutzungsentschädigung mit den aufgezeigten Durchschnittswerten vermeiden eine ungerechtfertigte Aufblähung des Schadensbearbeitungsaufwandes und bringen der Rechtsprechung eine Entscheidungshilfe ohne die sie bei der schon ein Politikum darstellenden Zahl der Rechtsauseinandersetzungen durch Einzelprüfungen überfordert wäre". Die Assekuranz zieht es vor, den Nutzungsausfall einfach zu pauschalieren, anstatt sich mit dem Geschädigten, der einen Ersatzwagen gemietet hat, über die Frage herumzustreiten, ob die Miete nötig war oder nicht50 , den merkantilen Minderwert zu ersetzen und damit die Regulierung endgültig abzuschließen, ohne abwarten zu müssen, ob der Minderwert sich bei einem späteren Verkauf des Fahrzeugs realisiert. Die Typisierung der Schadensausgleichsleistungen und damit der Verzicht auf die konkrete Schadensfeststellung ist auch im Zusammenhang mit dem Schadensteilungsabkommen zu sehen, mit deren Hilfe 50 - 80 % aller Regreßfälle zwischen den beteiligten, an die Stelle von Schädiger und Geschädigtem getretenen Versicherungsträgern nach prozentualen Erfahrungswerten und ohne Ermittlung der konkreten Rechtslage abgewickelt werden. Die Vereinheitlichungstendenzen laufen auf eine "Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz" hinaus 51 • Aus Gründen größerer Praktikabilität und Kostenersparnis bei der Regulierung tritt der konkrete Schaden in den Hintergrund 52 • Das herkömmliche Haftungsrecht wird zum "kostspieligen LUXUS"53. BGHZ 45, 215. Vgl. auf dem neuesten Stand jetzt Sanden / Danner, NJW 1980, 433 ff.; weitere Nachweise bei Lange, Schadensersatz, S. 11. 49 NJW 1980, 433. 50 Merz, Karlsruher Forum 1964, S. 40; vgl. auch Hansen, S. 27. 51 Dazu von Hippel, S. 42 ff.; ders., ZRP 1976, 252 ff.; einschränkend Weyers, ZRP 1977, 294; Baur, Festschrift Raiser, S. 124 Fn. 22 m. w. N.; auch L. Raiser, S. 33; Kötz, S. 28 ff.; Grossfeld, S. 86; vgl. auch den Vorschlag einer "besonderen Kraftverkehrsversicherung" von Güllemann (ZRP 1974, 42 f.), der im übrigen aus Kostengründen eine Streichung der Ersatzansprüche wegen entgangener Gebrauchsvorteile und merkantilen Minderwerts vorsieht. 52 Vgl. auch Grunsky, Jura 1979,66. 53 Kötz, S. 30. 41
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2. Einflüsse von Versicherungsrecht und -praxis
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De lege ferenda mag eine Festschreibung dieser Erscheinungsform für das Schadensersatzrecht erwägenswert sein5 4, de lege lata stehen ihr einschlägige Prinzipien des Haftungsrechts, wie das Schuldprinzip und der Grundsatz der konkreten Schadensberechnung, entgegen. Zu beachten ist das Wesen der Haftpflichtversicherung, die grundsätzlich "nur das Ziel einer akzessorischen Schadloshaltung" verfolgt 55 • Gemäß § 149 VVG wird auf die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers abgestellt. Der Abbau jeder zivilrechtlichen Verantwortlichkeit verträgt sich schließlich nicht mit dem Postulat einer Stärkung des Verantwortungsgedankens 56 • Die derzeitige Entwicklung des Haftungsrechts läuft daher auch allgemeinen Interessen zuwider. Utopie ist es freilich, an ein völliges Zurückschrauben der heutigen Praxis zu glauben. Für die Unfallopfer wird das Haftungsrecht in seiner praktischen Bedeutung künftig um so stärker abnehmen, je umfassender der Schutz ist, der durch Vorsorgeeinrichtungen aller Art gewährt wird 57 • Davon ausgenommen ist aber weithin der Bereich des immateriellen Schadensausgleichs. Der entstehende Schaden wird durch Vorsorge systeme oft nur zu einem Teil gedeckt, so daß der Verletzte hinsichtlich des ungedeckten Rests - insbesondere in Bezug auf die Ausgleichung immaterieller Schäden - auf das Haftungsrecht angewiesen bleibt58 • Das Haftungsrecht behält auch für das bonus-malus-System in der Kraftfahrzeugversicherung seine Bedeutung, wenn es um die Frage geht, ob der Versicherungsnehmer anläßlich des Schadensfalls in der Prämienskala zurückzustufen ist. Eine weitere wichtige Funktion des Haftungsrechts besteht in der Umschreibung der Risiken, die von den beteiligten Versicherungskollektiven zu tragen sind59 • Die Zunahme der kollektiven Schadenstragung ändert nichts daran, daß eine unbegrenzte Zulassung des Geldersatzes für immaterielle Schäden auch künftig das Anwendungsfeld des schwer Kontrollierbaren und Kalkulierbaren erweitern würde 60 • Wenn man dem Haftungsrecht auch diese Funktionen nimmt, eröffnet man nur die Gefahr einer in ihren Dimensionen nicht kalkulierbaren Umverteilungsmasse des Schadensausgleichs, die lich doch von allen zu tragen ist; an die Stelle des individuellen
dann mehr letztScha-
54 So in der Tat Deutsch, Haftungsrecht, S. 496; in JZ 1980, 103 spricht Deutsch bereits vom "Zeitalter des Sozialschadens" . 55 RGZ 63, 104; 136, 60; anders RG DR 1944, 290. 56 Güllemann, ZRP 1974, 41. 57 So auch Kötz, S. 35. 58 Kötz, S. 26; vgl. auch Weyers, ZRP 1977,294 f. 59 Kötz, S. 30. 80 So auch Lange, Schadensersatz, S. 258.
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V. Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Werte
densausgleichs tritt der verwaltungsmäßig aufgeblähte Sozialschaden. Die Aufbringung etwa entstehender Mehrkosten ist bereits heute angesichts der wirtschaftlichen Lage in Frage gestellt61 • Letztlich hindert die Existenz eines Nebeneinanders von verschiedenen Versicherungsträgern 62 und deren faktischer Anspruch auf Existenzberechtigung die praktische Durchsetzbarkeit und garantiert dadurch, daß das Haftpflichtrecht auch künftig seinen Platz haben wird. Durchgreifende Neuerungen werden daher nur einen begrenzten Erfolg haben. Eine "Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz" wird somit zu Recht überwiegend abgelehnt 63 • Es besteht inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, daß eine Reform des geltenden Haftungsrechts und ein Ausbau der Sozialversicherung der bessere und politisch auch durchsetzbare Weg sei64 • In jedem Fall ist es erforderlich, ein geschlossenes Ordnungssystem anzustreben, das in sich frei von Widersprüchen und Ungereimtheiten ist, und in dem dem Haftungsrecht zumindest die Aufgabe einer Haftungsbegrenzung zukommt. Gelingt dies nicht, so wird man auch künftig sagen müssen: "Dieses moderne Haftungsrecht ist kein Ordnungssystem aus einem Guß, sondern mehr ein Flickenteppich aus teilweise sich überschneidenden Regelungsfragmenten, der aber seine Entstehung offensichtlich dem Umstand verdankt, daß hier nicht Individualkonflikte zu lösen, sondern typische öffentlich gewordene Gruppenbedürfnisse zu befriedigen sind" 65. In keiner Phase der überlegungen sollte man die vorrangige Fragestellung aus den Augen verlieren: Ob nicht das geltende Recht und eine sinnvolle Handhabung der geltenden Gesetze bereits den Zielen einer Reform gerecht werden können.
3. Schadensfeststellung, Schadensberechnung und § 287 ZPO Die Methode der Schadensberechnung wird vielfach mißbraucht, einen Schadensersatzanspruch zu bejahen, wo es in Wirklichkeit um einen nicht ersatzfähigen Nichtvermögensschaden geht. Die herangezogene abstrakte Schadensberechnung66 trägt in Wahrheit nur den Be81 So Hepp, ZRP 1978, 96 in seiner kritischen Stellungnahme zu Weyers, ZRP 1977, 292 ff.; aA von Hippel auf der Sitzung der Fachgruppe für Zivilrechtsvergleichung, vgl. den Bericht von Buchmüller, JZ 1980, 245. 8! Dazu Güllemann, ZRP 1974, 39 f. 83 Vgl. den Bericht von Buchmüller, JZ 1980, 244 ff. über die Arbeitssitzung der Fachgruppe für Zivilrechtsvergleichung mit dem Thema "Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz?" . Gegenstand der Erörterung war nur der Ausgleich unfallbedingter Körperschäden. Die Diskussionsteilnehmer schlossen sich der Versicherungslösung nicht an. 64 Vgl. Buchmüller, JZ 1980,245. 85 L. Raiser, S. 33. 18 Dazu Hansen, S. 22 ff.; Larenz, Schuldrecht AT, § 29 III a.
3. Schadensfeststellung, Schadensberechnung und § 287 ZPO
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dürfnissen der Regulierungspraxis nach Vereinfachung Rechnung 67 • Es ist nahezu ihr Kennzeichen, daß ein Vermögensschaden nicht entstanden ist 68 • Insbesondere die Lehren vom objektiven Schaden69 , vom normativen Schaden70 und vom nicht befriedigten Bedürfnis71 laufen praktisch auf eine abstrakte Schadensberechnung hinaus 72 • Als Anwendungsfall der abstrakten Schadensberechnung wird auch der Anspruch auf den Verlust von Gebrauchsvorteilen bezeichnet73 • Die abstrakte Schadensberechnung hat über die gesetzlich geregelten Fälle der §§ 376 Abs. 2 HGB, 288 BGB und die anerkannten Fälle der Verletzung von Immaterialgüterrechten (Urheber- und Patentrechte) hinaus keine Berechtigung74 • Sie führt entgegen der Grundidee des Schadensausgleichs zu einer Besserstellung des Geschädigten 75 • Die Rechtsprechung hält daher zu Recht im Grundsatz an der konkreten Schadensberechnung fest7 6• Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens ohne jede Grundlage in den konkreten Verhältnissen des Geschädigten ist ohnehin nicht statthaft77 • Ist damit noch nicht viel gesagt, so ist jedenfalls das Rangverhältnis klargestellt: Die Möglichkeit einer abstrakten Berechnung des Entbehrungsschadens "bedeutet insoweit keine Wahlmöglichkeit, sondern tritt allenfalls (1) hilfsweise da ein", wo konkret eine vermögensmäßige Auswirkung nicht festzustellen ist78 • Der BGH gibt zu erkennen ("allenfalls hilfsweise"), daß auch er dazu neigt - und das mit vollem Recht -, ausschließlich - bis auf o. a. Ausnahmen - die konkrete Schadensberechnung für zulässig zu halten79 • Die besondere Problematik der abstrakten Schadens berechnung ist vor allem in ihren Auswirkungen auf die Schadensfeststellung begründet. Die Ursache dafür ist die Schwierigkeit, eine klare Trennung zwischen Schadensfeststellung und Schadensberechnung durchzuführen, e7 Ähnlich Schmidt-Salzer, BB 1970, 60, 63. es Vgl. Keuk, S. 75. 89 Siehe oben Abschnitt 111 2. 70 Siehe oben Abschnitt 111 3. 7t Siehe oben Abschnitt 111 4. 72 Vgl. Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 4. 73 BGH NJW 1975, 34. 74 Knobbe-Keuk, VersR 1976, 405; vgl. Baur, Festschrift Raiser, S. 131; Schulte, S. 37 ff., 104 ff. m. w. N.; Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253, Anm. VII 1; siehe aber den Versuch Steindorffs, AcP 158, 431 ff.; Anerkennung hat sie auch im EKG gefunden, vgl. von Caemmerer, AcP 178, 145. 75 Stoll, JuS 1968, 509. 78 Siehe aber oben Abschnitt IV. 77 BGH NJW 1970, 1411 = JuS 1970, 586; vgl. auch Hagen, JuS 1969, 69. 78 BGH NJW 1978, 813; Hansen, S. 23 Fn. 47 m. w. N.; anders noch z. B. BGH NJW 1970, 1121. 79 Vgl. auch BGH VersR 1978, 1170; ferner BGH NJW 1980, 1742 f.
7 Ströfer
V. Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Werte
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zwischen den Fragen, ob überhaupt ein Schaden entstanden (quaestio an) und wie hoch (quaestio quanti) der Schaden ist80 . Diese Schwierigkeit tritt gerade in Grenzfällen deutlich zu Tage, wo eines der entscheidenden Probleme des Schadensersatzes in der Kommensurabilität bzw. Inkommensurabilität gesehen wird. Gleichwohl gebieten Wortlaut des § 249 S. 1 BGB und Logik, die Prüfungs folge grundsätzlich in zwei gedanklich sorgfältig getrennten Vorgängen einzuhalten, d. h. eine Schadensberechnung kann erst erfolgen, wenn zuvor festgestellt ist, daß überhaupt ein Schaden vorliegt 81 . Ein solches Vorgehen schließt nicht aus, daß - in Grenzfällen - mit der Schadens feststellung zugleich auch die Schadenshöhe bestimmt wird 82 , wohl aber, daß erst mit der Berechnung zugleich der Schaden festgestellt wird. Eine Erleichterung und Hilfestellung bei der Schadensberechnung gibt - abgesehen von den o. a. Ausnahmen - nicht die abstrakte Schadensberechnung, sondern allein § 287 Abs. 1 ZP083, der sein Anwen dungs gebiet bei der Schätzung der Höhe des Schadens findet 84 . Erleichtert wird die Beweisführung bei der haftungs ausfüllenden Kausalität zwischen Haftungsgrund und Schadensfolge85 . Voraussetzung der Schätzung soll als vorgeordnete Frage sein, ob überhaupt ein Schaden vorliegt86 . Diese Forderung überrascht. Denn dem Wortlaut nach bezieht sich § 287 Abs. 1 ZPO auch darauf, "ob ein Schaden entstanden sei". Aus den Motiven zur ZPO ergibt sich, daß § 287 ZPO gerade bewußt über einzelne landes rechtliche Prozeßordnungen, die nur eine Beweiserleichterung bezüglich der quaestio quanti vorsahen, hinausging und auch die quaestio an einbezog. Nur so glaubte man, nach den bis dahin gemachten praktischen Erfahrungen das Ziel erreichen zu können, die Anforderungen an den Beweis eines Schadens zu erleichtern. Denn diese "machen Schädensprozesse zu den langwierigsten und Hahn, S. 277; vgl. Wolf, Festschrift Schiedermair, S. 570; Hansen, S. 40. Vgl. Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 74; Neuner, AcP 133, 287 Fn. 39; auch Mugdan 11, S. 1077; BAG NJW 1972, 1437; LG Kiel SchlHAnz. 80
81
1973,34.
82 Vgl. Grunsky, Jura 1979, 57; von einer "Schadens feststellung" im Sinne von "Berechnung" spricht Lange, Schadensersatz, S. 234. 83 Dazu Deutsch, Haftungsrecht, S. 457 f.; ausführlich die Protokolle, Mugdan 11, S. 1077: "Die Voraussetzungen für die Existenz eines Schadens müßten gesetzlich geregelt sein: für eine sachgemäße Berechnung der Größe des Schadens biete § 260 CPO (= § 287 ZPO) dem Richter eine genügende Handhabe". 84 Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 8 b; vgl. i. e. Heller, "Die gerichtliche Schadensermittlung nach § 287 ZPO, Diss. Erlangen 1977. 85 BGH JZ 1973, 427; Gottwald, S. 168, 214 ff. sieht in § 287 ZPO eine Sonderregel für die Beweiserhebung und die Beweiswürdigung. 8e BGH NJW 1970, 1141 = JuS 1970, 586; abweichend bezüglich der Zurechnung von Folgeverletzungen Stoll, AcP 176, 193 ff.
3. Schadensfeststellung, Schadensberechnung und § 287 ZPO
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verwickeltsten Rechtsstreitigkeiten und führen in zahlreichen Fällen zu dem Ergebnisse, daß Ansprüche auf Schadensersatz aus der Reihe der realisirbaren Ansprüche zu streichen sind." Ohne die Einbeziehung der quaestio an könnte die dem Gericht eingeräumte freie Stellung nur in seltenen Fällen zur Geltung gelangen, weil "die Frage nach der Erhöhung des Schadens ... von der Frage nach der Existenz desselben vielfach nicht zu trennen" sei s7 • Diese Gründe beanspruchen grundsätzlich auch heute Geltung. Die Verknüpfung von Existenz und Höhe des Schadens ist gerade in Grenzfällen nach wie vor die gleiche. Auch § 253 des zeitlich später in Kraft getretenen BGB vermag daran letztlich nichts zu ändern. Er hat aber zur Folge, daß es nicht zulässig ist, über § 287 Abs. 1 ZPO aus einem Nichtvermögensschaden einen Vermögensschaden zu machen ss • Die Schätzung darf nicht zu einem "verkappten Ausgleich immateriellen Schadens" führen s9 • Daraus folgt nun aber nicht, daß § 287 Abs. 1 ZPO nicht auch bereits bei der vorgeordneten Frage, der quaestio an, herangezogen werden kann. Vielmehr müßte § 287 Abs. 1 ZPO gerade im Grenzbereich von Vermögens- und Nichtvermögensschaden Anwendung finden, da hier die Verknüpfung von Existenz und Höhe des Schadens besonders deutlich wird. Problematisch ist dies nur, weil § 287 ZPO dem Richter eine freie Stellung einräumen will 90 , während § 253 BGB der Freiheit des Richters gerade Schranken setzen S01l91. § 287 ZPO ermächtigt den Richter, bei feststehendem Haftungsgrund den Schaden notfalls ex aequo et bono zu bemessen, das heißt, es braucht nicht einmal wahrscheinlich zu sein, daß der zuerkannte Betrag gen au dem Schaden entspricht92 • Zu Recht wird die rhetorische Frage gestellt, ob sich "die Redaktoren des BGB der Tragweite dieser Neuerung des § 287 ZPO und der durch sie geschaffenen Möglichkeiten nicht bewußt" gewesen seien93 • Nur so ist es zu erklären, daß der Frage bei den tief einschneidenden - aber wenig beachteten - Reformarbeiten der älteren ZPO zur Anpassung an das BGB im Jahre 1898 keine Beachtung geschenkt wurde. Den Konflikt könnte man nach dem Grundsatz ,lex posterior derogat legi priori' zugunsten der jüngeren Gesetzesbestimmung lösen. Wegen Hahn, S. 276 f. Vgl. Talk, S. 101 Fn. 42; siehe aber BGHZ 56, 218; KG OLGZ 1969, 17: bedenklich Lange, Schadensersatz, S. 190. 88 BGHZ 56, 218. 90 Hahn, S. 277. 81 Mugdan 11, S. 12. 9% Stall, AcP 176, 184. Ga StoU, Gutachten, S. 60. 87
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7"
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V. Hintergründe der Kommerzialisierung immaterieller Werte
der fehlenden Abstimmung der Vorschriften durch den Gesetzgeber erscheint es angebrachter, eine Lösung zu suchen, die dem § 287 ZPO einen GeItungsbereich unter Berücksichtigung des § 253 BGB läßt. Gerade die heute anerkannte Zulässigkeit des unbezifferten Schmerzensgeldanspruchs D4 - jedenfalls soweit der Kläger auch die tatsächlichen Grundlagen für die Bemessung vorträgt (vgl. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO) - zeigt doch, daß auch heute eine freie Stellung des Richters besteht. Zur Konfliktlösung böte sich an, bei § 287 ZPO allein auf den verfahrensrechtIichen Ds , bei § 253 BGB hingegen auf den materiell rechtlichen Charakter abzustellen. Eine solche Betrachtung wäre dem Vorwurf des Formalismus ausgesetzt. Nicht hinreichend beachtet würde die Verknüpfung zwischen dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht 96 • Die Verknüpfung wurde vor Schaffung des BGB noch nicht hinreichend beachtet. Die Einführung einer Vorschrift über die freie Schadensschätzung durch den Richter in die Zivilprozeßordnung von 1877 kam bereits zu spät, um die Entwicklung des materiellen Schadensersatzrechts noch beeinflussen zu können D7 . Gerade der Zweck des § 287 ZPO, durch die Möglichkeit der Schätzung unbillige Ergebnisse zu vermeidenDe, wäre bei formalistischer Betrachtung nicht erreichbar. Dieser Zweck kann insoweit zum tragen kommen, als die materielle Norm des § 253 BGB nicht beeinträchtigt wird. Das bedeutet, daß § 287 ZPO auch die Feststellung erleichtert, ob überhaupt ein Schaden eingetreten ist, der sowohl ein Vermögens- als auch ein Nichtvermögensschaden sein kann. § 253 BGB dagegen beeinflußt die Frage, ob dieser Schaden auch ersatzfähig ist. Aus § 287 ZPO läßt sich ein Kriterium für die Unterscheidung von materiellem und immateriellem Schaden nicht gewinnen DD . Denn § 287 ZPO berührt nicht "die Entscheidung über die Frage, ob der Gegner zur Leistung des Schadensersatzes oder des Interesse verpflichtet sei"100. 94 BGH NJW 1974, 1551 m. w. N.; Palandt / Thomas, § 847 BGB Anm. 5 i m. w. N.; vgl. schon Fischer, S. 152 ff. 95 Vgl. BGH NJW 1970, 1412. 88 Vgl. dazu Gottwald, der die Wechselwirkung von Prozeßrecht und materiellem Recht im Bereich des Schadensersatzrechts untersucht (S. 3, 241).
97 So Stoll, Gutachten, S. 55. 98 BGH LM Nr. 31 ZPO § 287. 99 Stoll, JuS 1968, 506. 100 Hahn, S. 277; vgl. auch Gottwald, S. 170: § 287 ZPO gebe dem Richter nicht das Recht, billigen Ersatz ohne materiellrechtliche Grundlage zuzusprechen.
3. Schadensfeststellung, Schadensberechnung und § 287 ZPO
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Allerdings soll § 253 BGB ebenfalls Bemessungsschwierigkeiten verhindern101 . Diese verfahrensrechtliche Komponente beschränkt sich aber auf den grundsätzlichen Ausschluß des immateriellen Schadensersatzes. Die Möglichkeit der Schätzung zeigt, daß Bemessungsschwierigkeiten den Schadensersatz nicht schlechthin hindern können. Bemessungsschwierigkeiten gibt es sowohl bei Vermögensschäden als auch bei Nichtvermögensschäden102 . Im Laufe ständiger Übung bilden sich Tarife heraus, Schmerzensgeldtabellen und etwa der "Marktpreis einer Person"103 entwickeln sich und dienen als Anhaltspunkt der Schätzung, ja sogar gesellschaftlich anerkannte Affektionsinteressen ließen sich letztlich taxieren104. Wenn sich erst einmal eine feste Praxis herausgebildet hat, so kann darauf vertraut werden, daß die anfänglichen Schwierigkeiten verschwinden105 . Jedoch können Schadenstabellen nie mehr als eine Orientierungshilfe für den zu beurteilenden, selten konkret gleichliegenden Einzelfall sein 108 . In keinem Fall ändern sie etwas an der Einordnung als Nichtvermögensschaden.
Abschnitt VI
Rückbesinnung und Fortführung Die Abgrenzung von Vermögens- und Nichtvermögensschäden hat sich an den vom Gesetz vorgegebenen Grundlagen zu orientieren. Wenn man sich dabei von Billigkeitserwägungenl, Einflüssen des Versicherungsrechts2 sowie der abstrakten Schadensberechnung3 frei macht, ist eine dem Gesetz entsprechende Abgrenzung durchaus durchzuführen, die deutlich macht, daß es in den Grenzfällen um Nichtvermögensschäden geht. Leitidee der Abgrenzung sollten möglichst einfache und leicht durchschaubare Regeln für die Schadensfeststellung sein, die 101 Siehe oben Abschnitt 111. 102 Askenasy, GruchB 70, 379, 383.
lOS Brehmer / Voegeli, JA 1978, 384 m. w. N.; Knieper, ZRP 1974, 139; sog. Gliedertaxen sind z. B. in der privaten Unfallversicherung üblich; vgl. auch die Untersuchungen des Internationalen Arbeitsamtes in Genf: Die Bemessung der dauernden Erwerbsunfähigkeit in der Sozialversicherung (1938), dazu Oftinger, S. 146 Fn. 89, S. 151 ff. 104 So Köndgen, AcP 177, 13 f. 105 Vgl. schon Mugdan 11, S. 1075. 108 Vgl. dazu Bartl, Reiserecht, S. 60 zu seiner Zusammenstellung von Urlaubsschäden-Urteilen auf S. 62 - 84; dazu unten Abschnitt XI 4 a. E. : Siehe oben Abschnitt V 1. 2 Siehe oben Abschnitt V 2. 3 Siehe oben Abschnitt V 3.
102
VI. Rückbesinnung und Fortführung
letztlich auch die Schadensabwicklung erleichtern4 • Ein erster Schritt in diese Richtung kann die Beachtung des unterschiedlichen Rechtsgüterschutzes sein.
1. Tatbestand und Folgeschaden Es ist eine selbstverständliche Voraussetzung des deliktischen Schadensersatzanspruchs, daß eines der geschützten Rechtsgüter verletzt sein muß. Das Eigenleben der Qualifizierungsfrage in den Grenzbereichen lenkt von dieser Tatbestandsvoraussetzung nur ab und verstellt den Blick für die Unterschiede, die sich für die als untauglich erkannten Versuche der Qualifizierung als Vermögensschaden daraus ergeben, daß das Vermögen sowohl als geschütztes Rechtsgut als auch als Folgeschaden betroffen sein kann. Zwar schützt § 823 Abs. 1 BGB - dem Wortlaut nach generalklauselartig - auch "ein sonstiges Recht" und man könnte daran denken, auch kommerzialisierte Güter wie Gebrauchsvorteile, Urlaub etc. darunter zu fassen. Aber dem steht entgegen, daß nur ausschließliche, d. h. von jedermann zu beachtende Rechte unter die sonstigen Rechte fallen, die denselben rechtlichen Charakter wie das Eigentum haben. Weder der merkantile Minderwert noch die Gebrauchsvorteile, Freizeit, Urlaub etc. werden von Literatur und Rechtsprechung als sonstiges Recht angesehen6 ; dies zu Recht, obwohl dem vom Kommerzialisierungsstandpunkt sicher nichts im Wege stände. Bei der Frage des Ersatzes von Vermögensschäden bzw. von kommerzialisierten Gütern geht es daher vor allem um die Frage des Ersatzes von Folgeschäden, wenn zuvor festgestellt ist, daß beispielsweise eine Eigentums- oder eine Körperverletzung vorliegt. Das Vennögen als solches, d. h. die Gesamtheit der einer Person zustehenden vermögenswerten Rechte (= Vermögen als Sammelbegriff), ist nicht in § 823 Abs. 1 BGB geschützt. Es ist kein "sonstiges Recht"8. Das Vermögen als solches wird nach dem BGB nur geschützt in den Fällen des § 823 Abs. 2 BGB (bei schuldhaftem Verstoß gegen ein Schutzgesetz mit dem Vermögen als Schutzobjekt, z. B. § 263 StGB) sowie der §§ 824, 826 und 839 Abs. 1 S. 1 BGB7. Das BGB kennt somit keine allgemeine Haftung aus schuldhaft fahrlässiger Vermögensbeschädigung außerhalb des Vertrages8 • Da § 823 Abs. 1 BGB nUT bestimmte Rechtsgüter schützt, kann ein Vermögensschaden hiernach lediglich als Folgeschaden ersetzt werdenD. Es ist der "daraus" ent4 Vgl. Baur, Festschrift Raiser, S. 139. 5 Vgl. aber zur Arbeitskraft Schnorr von Carolsfeld, Festschrift 25 Jahre BAG, S. 496. - Zur Nichtberücksichtigung vgl. Bericht der Reichstags-Kommission (1896), S. 97 f. 8 Palandt I Thomas, § 823 BGB, Anm. 1, 6 k; Larenz, Schuldrecht BT, 11. Aufl. 1977, § 71 I b; Weimar, MDR 1978, 728 f.; Herrmann, S. 4. 7 Dazu Weimar, MDR 1978, 728; RG Warn 08 Nr. 214; RGZ 62, 315 ff., 317. 8 So schon RGZ 62,317; 51,92,93. B Vgl. BGHZ 41, 123 ff., 126 f. Stromkabelfall.
1. Tatbestand und Folgeschaden
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stehende Schaden zu ersetzen. Das bedeutet, daß die Ersatzfähigkeit von Vermögensschäden zum einen von der Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechtsgüter und zum anderen - nach noch überwiegender Meinung - von der Frage der adäquaten Kausalität und des Schutzzwecks der Norm abhängt10 . Wie wichtig die Unterscheidung zwischen Rechtsgutsverletzung und Folgeschaden ist, zeigt zum Beispiel eine Entscheidung des AG Ingolstadtll • Das Amtsgericht verkennt, daß es sich um einen Folgeschaden handelt und lehnt den Schadensersatz anspruch wegen entgangener Gebrauchsvorteile eines Kraftfahrzeugs nur deshalb ab, weil § 823 Abs. 1 BGB nicht das Vermögen schütze. Den gleichen Fehler begeht selbst der BGH12, wenn er ausführt, ein durch die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft entstandener steuerlicher Nachteil des hinterbliebenen Ehegatten sei schon deshalb nicht zu ersetzen, weil ein allgemeiner Vermögensschaden schadensersatzrechtlich nicht ersetzt werde. Es ist bemerkenswert, daß die Kommerzialisierungsrechtsprechung des BGH ihre Entwicklung von einem anderen Ausgangspunkt genommen hat: Sowohl im Seereisefall13 als auch im ersten Fall der entgangenen Gebrauchsvorteile eines Kraftfahrzeugs 14 geht es um Ansprüche aus Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG), um Fälle also, in denen das Vermögen als solches geschützt ist. Gleiches gilt für die einzige höchstrichterliche Entscheidung, die auch bei einem gewerblichen Nutzfahrzeug eine Nutzungsausfallentschädigung zugesprochen hat1 5 • Die Kommerzialisierung und Qualifizierung als Vermögensschaden hat hier nicht den Zweck, den Haftungsumfang zu erweitern, sondern - noch auf der vorherigen Stufe - dem Erfordernis der Tatbestandsmäßigkeit zu genügen. Auf der Stufe aber ist die mit der Kommerzialisierung verbundene Haftungserweiterung unbedenklicher, weil bereits der Tatbestand selbst durch die Einbeziehung des Vermögens als geschütztes Rechtsgut darauf ausgerichtet ist. Die Schranke des § 253 BGB, die ja vor allem auf die Ausschaltung von Affektionsinteressen als Folgeschaden einer Sachgutsverletzung ausgerichtet ist 16 , ist nicht so hoch angesetzt wie bei der Frage der Ersatzfähigkeit von Folgeschäden. Der nach dem gesetzlichen Tatbestand vorgesehene, auf den Schutz des Vermögens erweiterte Rechtsgüterschutz ist einer definitorischen und subsumtionsmäßigen Erweiterung eher zugänglich als wenn man die Beschränkung des Rechtsgüterschutzes über die Erweiterung der Folgeschäden aufhebt. Auf der Tatbestandsseite geht es um eine Frage der Gesetzesauslegung, die ihre entscheidende Grenze im 10 Zu letzterem vgl. BGHZ 46, 23; BGH NJW 1968, 2287; kritisch Keuk, S. 235, 260 ff.; siehe unten Abschnitt VI 2. 11 BB 1964, 1062. 1: DB 1979, 2320. 13 BGH NJW 1956, 1234; dazu oben Abschnitt IV 5. 14 BGHZ 40, 345; dazu oben Abschnitt IV 2 a. 15 BGH NJW 1966, 589; dazu oben Abschnitt IV 2 c. 16 Oben Abschnitt 11 1 b.
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VI. Rückbesinnung und Fortführung
möglichen Wortsinn findet1 7 • Auf der Rechtsfolgeseite stehen demgegenüber Sinn und Zweck der Haftungsnorm sowie das Wertungssystem des BGB unter Einschluß des § 253 BGB im Vordergrund. Weder die spätere Rechtsprechung noch die Literatur haben diesem unterschiedlichen Ansatz hinreichend Beachtung geschenkt. Die Nichtbeachtung wird besonders in den Fällen deutlich, in denen es an einer Eigentums- oder Körperverletzung fehlt. So soll der Strafhaftentschädigungsanspruch wegen vorübergehender Entziehung des Führerscheins (§§ 2 Abs. 1, 2 Nr. 5, 7 Abs. 1 StrEG) nicht den Ersatz für die entgangenen Gebrauchsvorteile des PKW umfassen, weil es an einer Eigentumsverletzung oder sonstigen Einwirkung auf das Fahrzeug fehle l8 • Die allein entscheidende Frage ist aber die nach dem Vermögen als geschütztem Rechtsgut. Ob darüber hinaus eine Einwirkung auf das Fahrzeug selbst vorliegt, spielte nur eine Rolle, wenn es um den Ersatz des Vermögensschadens als Folgeschaden ginge.
2. Der Ersatz von Folgeschäden und der "Schutzzweck der Norm" als Ausdruck der Haftungsbegrenzung Selbst wenn man in den Grenzbereichen - entgegen dem hier vertretenen Standpunkt - einen Vermögensschaden bejaht, so sind an die Frage des Haftungsumfangs die gleichen Anforderungen zu stellen wie in anderen Fällen. Der Ersatz von Folgeschäden bei deliktischen Ansprüchen orientiert sich im Normalfall allein an der haftungsausfüllenden Kausalität. überwiegend wird heute zu § 823 Abs. 2 und Abs. 1 BGB vertreten, der Folgeschaden müsse adäquat kausal sein und innerhalb des Schutzzwecks der Norm liegen l9 • Die Tauglichkeit der Schutzzwecklehre begegnet Bedenken. Selbst der BGH zögerte anfänglich und stellte fest, daß mit einer so allgemein gehaltenen Forderung wie der, daß "der verlangte Schadensersatz sich im Rahmen des Schutzzwecks der jeweiligen Schutznorm hält, läßt sich ein Umfang der Schadensersatzpflicht nicht eindeutig bestimmen"2o. Niemandem ist es bislang gelungen zu sagen, was man sich konkret unter dem "Schutzzweck" vorzustellen habe. Er wird daher nicht zu Unrecht für konkretisierungsbedürftig und nur dazu für geeignet geLarenz, Methodenlehre, S. 309. Objektbezogenheit; BGH NJW 1975, 347 u. 2341; siehe oben Abschnitt IV2b. 19 BGH NJW 1968, 2287 f.; Palandt / Heinrichs, Vorbem. § 249 BGB, Anm. 5 c m. w. N.; bahnbrechend von Caemmerer, Problem des Kausalzusammenhangs (Rektoratsrede 1956); i. e. Friese, S. 18 ff., 34 ff.; auch Gottwald, S. 104 ff. 20 BGHZ 26, 224; vgl. auch Friese, S. 62 ff. 17
18
2. Ersatz von Folgeschäden und "Schutzzweck der Norm"
105
halten, Verwirrung zu stiften 21 . Er könne nicht als Begründung, sondern nur als Korrektur des mittels anderer Begründung gefundenen und für falsch befundenen Ergebnisses dienen 22 . Die Unzulänglichkeit der Schutzzwecklehre im Deliktsrecht bedeutet nun aber nicht, daß sie keinen berechtigten Kern hätte. Man muß sich nur vor "der namentlich in den Anfängen zuweilen etwas überschwenglichen Handhabung" hüten23 . Denn die Normzwecklehre "kann und will keine Zauberformel aufstellen, sondern ein Arbeitsprogramm"24. Zunächst darf nicht übersehen werden, daß ein gewisser Unsicherheitsfaktor der Beurteilung einer nicht ausdrücklich geregelten rechtlichen Frage nicht fremd, sondern eher immanent ist. Das bringt es mit sich, daß bei der Auslegung der Reichweite des Normzwecks eine gewisse "Grauzone" unvermeidbar ist, innerhalb derer sich eine Haftung sowohl bejahen als auch verneinen läßt25 . Eine andere Frage ist es, ob man die Lehre vorn "Schutzzweck der Norm" schon deshalb ablehnt, weil ihre Bezeichnung und Anwendung bei Manchen Hoffnungen auf einen konkreten Inhalt weckt, die diese Lehre nicht halten kann. Von Bedeutung ist hier aber allein das ungeschmälerte Verdienst der Normzwecklehre, das darin besteht, daß sie der Beschränkung der Haftung dient 26 . Damit verdeutlicht die Normzwecklehre die grundsätzliche Beschränkung des Schadensersatzes auf den konkreten Rechtsgüterschutz. Der Schadensersatz ist durch das verletzte Rechtsgut vorgezeichnet 27 . Verhindert wird ein "Weiterfressen" des Schadens infolge des Schadensereignisses auf andere Gütersphären des Betroffenen28 . Dem entspricht die Forderung nach einer "Rückbesinnung auf das zum Gebrauch bestimmte Objekt"29. Die haftungsbegrenzende Funktion der Normzwecklehre kommt auch in Grenzfällen zum tragen, in denen es um mögliche immaterielle Schäden geht30 . Hier erfährt sie sogar eine Steigerung. Wenn sie nämlich schon im Normalfall bei an sich ersatzfähigen Vermögensschäden haftungsbegrenzend wirkt, dann muß dies erst recht gelten, wenn es um Grenzfälle geht, die an sich eher ein nicht ersatzfähiger Nichtvermön Keuk, S. 235. Vgl. Keuk, S. 260. 23 So Lange, Schadensersatz, S. 90. !4 Lange, Gutachten, S. 45. !5 Grunsky, Jura 1979, 61. 28 Baur, Festschrift Raiser, S. 122; Marnmey, NJW 1969, 1151. 27 Vgl. aber H. Lange, Gutachten, S. 49. 28 Vgl. Schulte, S. 95. 29 Werber, AcP 173, 181. 30 Gerade diesen Bereich spart Friese in seiner Dissertation als der Frage der Schadensberechnung zugehörig (dazu oben Abschnitt V 3) - aus, vgl. Friese, S. 3. 2!
106
VI. Rückbesinnung und Fortführung
gensschaden sind. Denn der "Schutzzweck der Norm" kann nur soweit gehen, wie andere Gesetzesnormen nicht entgegenstehen. Daraus folgt, daß § 253 BGB zu beachten ist. Die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität stellt sich nur bei einem als ersatzfähig erkannten Schaden. Es ist erstaunlich, daß keine der Entscheidungen, die einen Ersatzanspruch wegen Nutzungsausfall, entgangener Urlaubsfreude etc. zuerkannt haben, im Anschluß an die Qualifizierung als Vermögensschaden geprüft hat, ob der Schaden in den Schutzbereich der Norm fällt. Das Problem der Abgrenzung stellt sich also nach wie vor. Der Kreis öffnet sich jedoch an den Berührungspunkten von Normzwecklehre und § 253 BGB: Beide dienen der Beschränkung der Haftung, § 253 BGB bei der Frage der Ersatzfähigkeit, die Normzwecklehre bei der Frage des Umfangs. In der Gesamtbetrachtung dienen sie gewissermaßen als doppelte Schranke gegenüber dem Ersatz immaterieller Schäden31 • Wegen der Verknüpfung von Existenz und Umfang des Schadens gerade in Grenzfällen tritt das Bedürfnis nach einer logisch streng getrennten Prüfung zurück. So kann es in Grenzfällen gerechtfertigt sein, die Frage nach dem Schutzzweck vorab zu stellen. Langwierige überlegungen, ob ein Vermögensschaden vorliegt, können so entbehrlich sein, wenn der Schaden - seine Qualifizierung als Vermögensschaden unterstellt - ohnehin nicht in den Schutzbereich der Norm fiele. Die Schutzzwecklehre wirkt als Indikator für die Haftungsbegrenzung in Grenzfällen. Zwar ergibt sie im Regelfall nicht eindeutig, daß die Grenzfälle aus der haftungsausfüllenden Kausalität herausfallen32 • Ihre haftungsbeschränkende Zielrichtung begründet aber die entsprechende Tendenz. Jene ist je nach Art des verletzten Rechtsguts in ihrer Intensität verschieden 33 • So liegt der Ersatz immaterieller Schäden bei der Verletzung von Persönlichkeitsgütern eher im Schutzbereich als bei der Verletzung von Sachgütern. Dies folgt aus § 847 BGB. Nicht ersichtlich ist, wieso bei nur persönlicher Gebrauchsverhinderung in Form einer Körperverletzung - anders als bei einer Eigentumsverletzung 34 - apriori von der Tatbestandsseite her auf einen nicht ersatzfähigen Nachteil geschlossen wird, dessen Ersatz im Normalfall der Frage der haftungsausfüllenden Kausalität unterworfen ist 35 • Gerade die Beschränkung in § 847 BG B auf Persönlichkeitsgüter zeigt, daß im Fall ihrer Verletzung immaterielle Folgeschäden eher in die haftungsausfüllende Kausalität fallen als bei Objektbeeinträchtigungen. 31 32 33
34 35
Sinngemäß auch Tolk, S. 74. aA offenbar Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 83, 84 f. Vgl. auch Wilburg, S. 252. zur Objektbezogenheit siehe oben Abschnitt IV 2 b. Vgl. ferner die Bedenken bei Stoll, JZ 1976, 282.
3. Das Gebot der Zurückhaltung
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Im Ergebnis ermöglicht die Schutzzwecklehre in den Grenzbereichen eine Argumentation wie sie - trotz kritischer Stimmen - al1gemein im Schadensersatzrecht anerkannt ist. Die Frage des Ersatzes in den Grenzbereichen wird aus ihrem Eigenleben herausgeführt und es wird entbehrlich, zur Ablehnung eines Anspruchs auf Konstruktionen zurückzugreifen, die - wie etwa die Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit im Jagdpachtfa11 35a das Schadensersatzrecht sonst nicht kennt. Aus der haftungsbegrenzenden Tendenz der Schutzzwecklehre folgt für die über das verletzte Rechtsgut hinausgehenden Nachteile, deren vermögensrechtIiche Relevanz zweifelhaft ist, daß sie eher zu dem allgemeinen Lebensrisiko38 gehören, welches jeder Mensch in schicksalhafter Weise selbst zu tragen hat, der auch die Vorteile des technisierten Zusammenlebens in einer Massengesel1schaft beansprucht37 • Es ist dem Geschädigten zumutbar, "diesen letzten Erdenrest als einer Art sozialen Schadenselbstbehalts" selbst zu tragen 38 • Es verbleibt ein "rechtsfreier" Raum, der einer Durchdringung durch zu ersetzende Folgeschäden nicht ohne weiteres zugänglich ist. Insofern findet die rechtstheoretische Erkenntnis ihren Ausdruck, daß das Recht nicht zur Regelung jedes Lebensverhältnisses berufen ist 39 •
3. Das Gebot der Zurückhaltung bei der Qualifizierung als Vermögensschaden a) Irrwege und Verbot der Tatbestandsauflösung Die haftungsbegrenzende Funktion des geltenden § 253 BGB sowie die entsprechende, in der Lehre vom Schutzzweck der Norm zum AusBGH JZ 1971, 591 ff.; siehe oben Abschnitt IV 2 b, 4. Zu diesem Kriterium vgI. Lange, Schadensersatz, S. 100 f.; Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253 BGB, Anm. V 4 a bb; Friese, S. 164 ff.; Lange, Gutachten, S. 51 ff.; Kötz, Deliktsrecht, S. 82 f.; ferner die jüngst erschienene Monographie von Mädrich, Das allgemeine LebensrisikQ, 1979: trotz des Versuchs, die Vorstellung vom allgemeinen Lebensrisiko abstrakt zu umschreiben und seine Bedeutung für die praktische Rechtsanwendung anhand von Fallgruppen aufzuzeigen (S. 35 ff.) ist das allgemeine Lebensrisiko als eigenständiges Abgrenzungskriterium nicht tauglich. "Denn was ist nicht ein Geschick, das dem Menschen jederzeit - d. h. auch ohne Verletzung des Körpers - widerfahren kann" (so Keuk, S. 232; zustimmend Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 3 a. E.). 37 VgI. Baur, Festschrift Raiser, S. 138; Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 80. 38 Prölss, Karlsruher Forum 1964, S. 42. 39 VgI. dazu i. e. Comes, Der rechtsfreie Raum, 1976; Larenz, Methodenlehre, S. 505. Nicht verkannt werden soll freilich die Unschärfe des Begriffs "rechtsfreier Raum"; dazu Canaris, Feststellung von Lücken, S. 40 ff. m. w. N.; sein Vorschlag, den "rechtsfreien Raum" zur Grundlage einer 3Sa
38
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VI. Rückbesinnung und Fortführung
druck kommende Tendenz stehen einer Einordnung der Grenzfälle in den Bereich der Vermögensschäden entgegen 40 • Daraus folgt, daß die Begründung der Qualität als Vermögensschaden gewichtiger und sich widerspruchsfrei in ein System einfügender Gründe bedarf. Dies gelang weder durch die Versuche zur Begründung eines einheitlichen Vermögensschadensbegriffs noch durch die Kasuistik der Rechtsprechung 41 • Einen entscheidenden Schritt hin zur Vereinfachung bedeutet es, wenn man das entscheidende Problem nicht so sehr auf der Begriffsebene in der Begründung eines Vermögensschadensbegriffs sieht 42 • Die Abgrenzung muß vielmehr die vom Gesetz nach Wortlaut und Zweck geforderte Haftungsbegrenzung beachten. Jeder Schritt ab von diesem Pfad führt auf einen Irrweg, der eine Umkehr wegen der einzelfallbezogenen "Herumschusterei" am verfehlten theoretischen Ansatz sowie im Hinblick auf die zwischenzeitlich eingespielte Praxis nahezu unmöglich macht. Ungeachtet dessen ist eine Umkehr dringend erforderlich. Es kann wohl gesagt werden, daß der BGH sich heute nicht mehr auf den einmal eingeschlagenen Irrweg begeben würde. Er würde am liebsten auf den richtigen Weg zurückkehren, sieht sich aber an einer abrupten Umkehr durch die "Normqualität" seiner Rechtsprechung gehindert. So bleibt zu hoffen, daß der BGH die Ansätze zur Zurückhaltung bei der Qualifizierung immaterieller Nachteile als Vermögensschaden, die sich in seiner neuen Rechtsprechung abzeichnen, allmählich - aber konsequent - zu Ende führt4 3 • Sieht man den Schaden real, als beliebigen faktischen Nachteil4 4, dann fällt unter den Rechtsbegriff des Vermögensschadens vor allem nur der Nachteil an einem Gut, welches auch vor dem Schadensereignis in eine "Vermögensbilanz" aufgenommen war. Außer dem damnum emergens ist nur das lucrum cessans zu ersetzen 45 • Die Beschränkung auf den Ausgleich dieser Nachteile gewährleistet die Haftungsbegrenzung und verhindert die Bereicherung des Geschädigten46 • Sie leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Rechtssicherheit. Für den Geschädigten ist damit kein Nachteil verbunden, der nicht auch vom Gesetz gewollt ist. Anderenfalls würde man die Grenzen zwischen Restitution und (negativen) Prozeßvoraussetzung zu machen (aaO, S. 41 f.), überzeugt nicht. Dagegen spricht die nicht seltene Fallgestaltung, daß nur der überschießende Teil eines im übrigen zulässigen und begründeten Anspruchs in den "rechtsfreien Raum" fallen kann. 40 i. e. oben Abschnitt II 1 und Abschnitt VI 2. U Siehe oben Abschnitt III und IV. 4! Keuk, S. 20 ff.; Knobbe-Leuk, VersR 1976, 401; aA Oftinger, S. 32, 35 f. 43 Vgl. vor allem BGH NJW 1980, 776; 1978, 1805; 812; 264; 1976, 1630; 1975, 2341; 733. 44 Siehe oben Abschnitt 111 7. 45 Siehe oben Abschnitt 111 1; vgl. auch Oftinger, S. 29 f., 128. 48 Siehe oben Abschnitt 11 2.
3. Das Gebot der Zurückhaltung
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Kompensation verwischen und außer acht lassen, daß die Kompensation nur das Wertinteresse des Geschädigten wahren so1l47. Nicht die Begrifflichkeit des Vermögensschadens oder die "Krücke einer allgemeinen Schadensformel" , sondern vielmehr der auf einen Ausgleich gerichtete Sinn und Zweck entscheiden über den Schadensersatz4B . Im deliktischen Bereich ist das Schutzinteresse des Geschädigten durch die einzelnen Tatbestände vorgezeichnet. Das Gebot der Orientierung am Gesetz ist gleichbedeutend mit dem Verbot der Tatbestandsauflösung. Damit schwerlich vereinbar ist die Forderung nach einer Erweiterung des Persönlichkeitsschutzes49 . Der Persönlichkeitsschutz erfährt bereits in § 847 BGB eine Regelung. Eine Erweiterung liefe im Ergebnis auf nichts anderes als eine Ausuferung der Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeits recht hinaus. Schon der dort zugebilligte Anspruch ist aber auch bei beschränktem Anwendungsgebiet kaum tolerierbar 50 • Verfehlt ist daher der Versuch Landwehrmanns, ein besonderes Persönlichkeitsrecht auf ungestörte Freizeitgestaltung zu begründen51 • Hierzu fehlt es an der gesetzlichen Grundlage52 • Dies wird auch in der Begründung Landwehrmanns deutlich, wenn der "Vorteil" darin gesehen wird, "daß Urlaubs- und Freizeitbeeinträchtigungen in Geld vergütet werden können, ohne den immateriellen Charakter dieser Schäden leugnen zu müssen53 • Nach dem Gesetz macht es sehr wohl einen Unterschied, ob die Beeinträchtigung durch einen unmittelbar "personenbezogenen" Angriff oder mittelbar durch Einwirken auf Gegenstände zustande kommt 54 • Unzulässig ist es sowohl, eine "Körperverletzung zum Ansatzpunkt für den Ersatz von Sachnutzungsfrustrationen zu machen"55 als auch ein "Schmerzensgeld bei Sachbeschädigung" 56 begründen zu wollen. In diese "Tabuzone" gerät man aber unweigerlich, wenn man die Zurückhaltung bei der Qualifizierung von Grenzfällen als Vermögensschäden aufgibt und versucht, einen Vermögensschaden zu begründen, wo ein vermögensmäßiger Nachteil nicht feststellbar ist. Jedes abweichende Ergebnis gerät in Gefahr, zu einem immateriellen Schadensersatz contra legern zu führen. Siehe oben Abschnitt I 2. Vgl. Keuk, S. 41, 236; Baur, S. 11. 49 So aber Stall, S. 36; JZ 1976, 283 unter Hinweis auf den Spezialfall des § 842 BGB. 50 Siehe oben Abschnitt II 3 b. 61 Vgl. Landwehrmann, NJW 1970, 1867 ff.; 1972, 1204; ders., Zeit ist Geld? Diss. Münster 1970. 52 aA auch mit anderen Begründungen - Bartl, NJW 1972, 511 Fn. 89; KG NJW 1972, 770. 53 NJW 1970, 1869. 54 aA Stall, S. 37; Mammey, NJW 1969, 1153. 55 Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 84; zustimmend Köndgen AcP 47
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177,29. 5&
Böhmer, MDR 1964, 454 m. W .N.
110
VI. Rückbesinnung und Fortführung
b) Der Gedanke der weitestgehenden Begründungskonformität Zurückhaltung gegenüber den Grenzbereichen des Immateriellen zeigt sich auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen. Sie erlangt Bedeutung bei der Frage der immateriellen Immissionen im zivilrechtlichen Nachbarrecht, beim "etwas" im Bereicherungsrecht und schließlich auch im öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht. Gegen ästhetische Störungen (Bordell, Nacktbadeklub, "trostloser Anblick" von Autowracks u. a.) versagt die wohl herrschende Meinung dem Nachbarn den Abwehranspruch nach §§ 1004, 906 BGB57. Allenfalls komme ein Schadensersatzanspruch wegen immissionsbedingter Minderung des Grundstücksverkehrswerts in Betracht, bei dem der Vermögensschaden "endet ..., sobald die Einwirkungen endgültig aufhören"s8. Der Abwehranspruch wird verneint, weil das Sachenrecht "nicht die geeignete Grundlage für die Lösung solcher ideeller Konflikte" sei58 • Ausschlaggebend ist die überlegung, daß ein Abwehranspruch bei Beeinträchtigung des ästhetischen Empfindens zu einer "uferlosen und damit unvertretbaren Ausweitung führen würde"80. Die Gegenmeinung 61 , die sich vor allem auf den erweiterten Schutz durch die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeits recht beruft, der hier seine Entsprechung finden müsse 62 , übersieht, daß nicht nur eine Persönlichkeitsverletzung nicht vorliegt 63 , sondern auch die Beschränkung des § 906 Abs. 1 BGB auf "ähnliche" Einwirkungen immaterielle Beeinträchtigungen ausschließt. Die Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB), die - wie das Deliktsrecht - dem Güterschutz dientM, ist auf die Rückabwicklung ungerechtfertigt erlangter Vermögensvorteile gerichtet. Indem für jeden Vermögensvorteil, gleich welcher Art 65, eine Herausgabe- oder Wertersatzpflicht besteht, erlangt der Vermögensbegriff funktional die Bedeutung eines Bindeglieds zwischen Schadens- und Bereicherungsrecht - nur mit umgekehrten, gleichsam spiegelsymmetrisch strukturierten Vorzeichen: Im Schadensrecht soll eine für den Geschädigten (Gläubiger) nachteilige, im Bereicherungsrecht eine für den Bereicherten (Schuldner) vorteilhafte Vermögensänderung ausgeglichen werden88. Beide setzen gleichermaßen das 57 BGH NJW 1975, 170 (unter Offenlassung "besonders krasser Fälle"); NJW 1970, 1541; Staudinger / Seufert, § 906 BGB, Rdnr. 12 m. w. N.; Braschos, S. 148 Fn. 236; aA Palandt / Bassenge, § 1004 BGB, Anm. 2 d m. w. N.; Loewenheim, NJW 1975, 826 f. 58 Vgl. BGH NJW 1978,262 f. 58 So Staudinger / Seufert, § 906 BGB, Rdnr. 12 a. E. 60 BGH NJW 1975, 170; Loewenheim, NJW 1975, 827 will eine Ausuferung über den Begriff der Unwesentlichkeit verhindern. Er verkennt dabei, daß immaterielle Einwirkungen durchaus eine größere Einwirkungsintensität als materielle haben können. Die Abgrenzungsschwierigkeiten würden wesentlich erhöht. 81 Vgl. nur Loewenheim, NJW 1975,827 m. w. N. 82 Zum Persönlichkeitsrecht siehe die Kritik oben Abschnitt 11 3 a, b, Abschnitt VI 3 a. 83 Vgl. BGH NJW 1970, 1541. 84 von Caemmerer, Festschrift Rabel, S. 353. 65 Palandt / Thomas, § 812 BGB, Anm. 4. 86 Zutreffend Hagen, Festschrift Larenz, S. 868, 869.
3. Das Gebot der Zurückhaltung
111
Vorhandensein einer Vermögensdifferenz voraus 87 . Daher wird zu Recht auf die Verwandtschaft der Probleme im Delikts- und Bereicherungsrecht hingewiesen, die eingehend zu erörtern hier nicht der Raum ist68 . Es genügt im Rahmen dieser Arbeit festzustellen, daß die sprachliche Fassung des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ("etwas") ein mehr gegenständliches Verständnis der "Bereicherung" nahelegt 89 • So wird Gebrauchsvorteilen im Bereicherungsrecht kein Vermögenswert zuerkannpo. Nur eine "echte Vermögensvermehrung" des Bereicherten ist im Regelfall relevant71 • Das Gesetz schweigt in den §§ 812 ff. BGB "beredt" zu den nichtvermögensrechtlichen Vorteilen, so daß die dem Schadensrecht entsprechenden Streitfragen negativ entschieden sind72 bzw. nicht ohne weiteres als positiv entschieden angesehen werden können. Im öfjentlichrechtlichen Entschädigungsrecht ist konsequent der Grundsatz durchgeführt, daß nur für Vermögensschaden gehaftet wird73 . Lediglich im Fall der Freiheitsentziehung auf Grund richterlicher Entscheidung ist nach § 7 Abs. 1 StrEG eine Entschädigung auch für immaterielle Schäden vorgesehen74 . In den wichtigen Fällen der Entschädigung für Enteignung und enteignungsgleichen Eingriff, des Ausgleichsanspruchs wegen Aufopferung 76 und bei sonstigen Ansprüchen wegen schuldhafter Verstöße gegen öffentlichrechtliche Verpflichtungen78 besteht ein Entschädigungsanspruch für Nichtvermögensschaden nichp7. Allerdings wird es im Einzelfall für zulässig gehalten, erlittene immaterielle Schäden bei der Bemessung der "angemessenen" Entschädigung zu berücksichtigen78 . Sieht man von der Verletzung öffentlichrechtlicher Verpflichtungen ab, so ist der tragende 87 Fischer, Festschrift Zitelmann, S. 12, 37 ff.; Hagen, Festschrift Larenz, S. 871; Ostendorf, BB 1973,822. 68 Vgl. i. e. die Vorzit.; ferner von Caemmerer, Festschrift Rabel, S. 333 ff.; Wilburg, Elemente des Schadensrechts, S. IX, 1; auch die Ansätze bei Schulte, S. 107 ff. 89 So auch Hagen, Festschrift Larenz, S. 877 Fn. 41 a. 70 Hagen, Festschrift Larenz, S.877; Palandt / Thomas, § 812 BGB, Anm. 4 d mit Nachweisen auf den Meinungsstand. 71 Vgl. BGH NJW 1971, 610 (Flugreisefall); der BGH lehnt einen Anspruch aus Delikt ab und bejaht einen Bereicherungsanspruch mit der nicht unbedenklichen Erwägung, der bösgläubige Empfänger, dem die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung versagt sei, müsse sich so behandeln lassen, "als ob er etwas erspart und sein Vermögen dadurch vermehrt hätte" (S. 611). Letztlich ermöglicht hier die Spiegelsymmetrie von Schadens- und Bereicherungsrecht, doch noch zu einem Anspruch zu kommen. 72 So Hagen, Festschrift Larenz, S. 869 Fn. 5; Fischer, Festschrift Zitelmann, S. 13 Fn. 17 sieht vom Nichtvermögensschaden ausdrücklich ab. 73 Bei Amtspflichtverletzungen (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG) gilt § 253 BGB. § 847 BGB findet bei Erfüllung seiner Voraussetzungen Anwendung. Eine dem § 847 BGB entsprechende Regelung trifft § 34 Abs. 1 Ziff. 2 BundesgrenzschutzG. 74 § 7 Abs. 3 StrEG: 10 DM/Tag. 76 Insbes. Impfschäden, vgl. BGHZ 20, 61 ff., 68 ff.; 22, 43 ff., 47 ff.; vgl. jetzt §§ 49 - 61 BSeuchenG. 78 Etwa bei vertrags ähnlichem Fürsorgeverhältnis, vgl. RGZ 112, 290 ff., 294. 77 Vgl. nur Lange, Schadensersatz, S. 262; Stall, Gutachten, S. 37. 78 Banner Komm. - Dagtoglou, Art. 34 GG, Rdnr. 229.
VI. Rückbesinnung und Fortführung
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Grund für den Ausschluß im Entschädigungsrecht der Verursachungsgedanke, der - anders als der Verschuldensgedanke - für eine Genugtuung keinen. Raum lassen sol17 l1 • Die vom Verschulden abhängige unterschiedliche Befriedigung wird zwar kritisiert, da es nicht einleuchte, wieso das dem Verhältnis Staat-Bürger fremde Moment des Beamtenverschuldens die Wiedergutmachung des Staatsunrechts beeinflussen solle80 • Da die Statuierung einer Entschädigung für Nichtvermögensschäden aber als Sache des Gesetzgebers angesehen wird 81, kommt der Kritik82 nur rechtspolitische Bedeutung zu. Für das Deliktsrecht sind Schlußfolgerungen aus der Beschränkung anderer Rechtsgebiete auf materielle Beeinträchtigungen nur mit Vorsicht möglich. Zwar könnte man eine "Vermutung für die Konformität der rechtlichen Wertungen für die dogmatische Lösung einander entsprechender Sachprobleme" aufstellen 83 • Eine Parallele findet sich in dem anerkannten Grundsatz der Methodenlehre, daß die Verwendung gleicher Rechtsbegriffe im Gesetz grundsätzlich zu einer einander entsprechenden, in sich widerspruchsfreien Auslegung führen muß, soll nicht das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert werden. Selbst dieser Grundsatz ist inzwischen letztlich eine Frage der Qualität des Gesetzgebers. Der Nutzen einer Konformitätsvermutung hängt aber gerade von dem konkreten Vergleich ab, wann und worin die Sachprobleme ihre Entsprechung finden 84 • Eine Antwort darauf läßt sich nur auf Grund einer detaillierten Untersuchung der Struktur- und Wesensübereinstimmungen der verschiedenen Rechtsgebiete geben. Im Rahmen dieser Arbeit muß es genügen festzustellen, daß die Problematik im Deliktsrecht durch die §§ 253, 847 BGB eine besondere ist. Entsprechende Regelungen fehlen in den obigen Rechtsgebieten. Aus § 253 BGB folgt, daß, wenn in den obigen Fällen schon ohne eine dem § 253 BGB entsprechende Vorschrift Zurückhaltung gegenüber immateriellen Beeinträchtigungen geübt wird, dies erst recht im Deliktsrecht gelten muß. Auch eine vorsichtige Handhabung der Konformitätsvermutung führt immerhin zumindest zu einer Obereinstimmung in den Grundwertentscheidungen und unterstützt damit die Forderung nach Zurückhaltung des Deliktsrechts gegenüber Grenzfällen. 711
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81 82
BGHZ 20,68. So Bonner Komm. - Dagtoglou, Art. 34 GG, Rdnr. 231. BGHZ 20, 70. - Beachte das neue Staatshaftungsrecht. Auch Maunz / Dürig, Art. 2 GG, Rdnr. 27; Deutsch, Haftungsrecht,
§ 23 V2.
So Hagen, Festschrift Larenz, S. 868, 884. Bei geringeren Abweichungen zweier verwandter Rechtsgebiete ist zudem zu klären, wessen Abweichung (nicht) ins Gewicht fällt, und damit letztlich zu fragen, wer wen beeinflußt. 83
84
3. Das Gebot der Zurückhaltung
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c) § 847 BGB als sedes materiae
Einen Weg zur Vermeidung vermeintlicher Unbilligkeiten auf gesetzlicher Grundlage eröffnet im Schadensersatz recht de lege lata allein der auf die deliktsrechtliche Haftung beschränkte § 847 BGB. Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 847 BGB können die Grenzfälle Berücksichtigung finden. Der Schmerzensgeldanspruch nach § 847 BGB eröffnet den Weg zu einer Geldentschädigung auch dann, wenn ein vermögensmäßiger Nachteil nicht vorliegt. Im Fall der Körperverletzung kann über eine Erhöhung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden, daß der Geschädigte durch die Verletzung z. B. Einbußen an Erholungsmöglichkeiten und den Entgang von Lebensfreuden in Freizeit oder Urlaub erlitten hat 85 . Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in Ansatz zu bringen, daß der Geschädigte seine Ferienpläne nicht verwirklichen konnte und den Urlaub anders verbringen mußte als er es geplant hatte 86 . Gleiches gilt für den leidenschaftlichen Kraftfahrer, der durch eine Körperverletzung in einer seine Lebensfreude beeinträchtigenden Weise nicht unerheblich am Autofahren gehindert wird. - Bei einem Nur-Sachschaden versagt § 847 BGB87. Das "Versagen" beruht auf einer bewußten Entscheidung des Gesetzes. Dieses läßt ein Schmerzensgeld bei Sachbeschädigung nur in äußerst krassen und kaum praktisch werdenden Fällen zu, nämlich etwa dann, wenn der Kummer über die Beschädigung des lieb gewonnenen Kraftfahrzeugs oder über die bloße Beeinträchtigung von Urlaub und Urlaubsgenuß in seiner Intensität einer Gesundheitsverletzung gleichkommt88 . Erforderlich ist damit eine - mit Hilfe medizinischer Erkenntnisse vorzunehmende Relativierung des Begriffs "Gesundheitsverletzung" . Die Auffassung, "seelische Störungen" könnten schlechterdings keine Gesundheitsverletzung sein89 ist angesichts moderner medizinischer Erkenntnisse abzulehnen. Sie beruht auf der in der Schulmedizin des 19. Jahrhunderts vorherrschenden strengen Trennung von Körper und Seele, einem Dualismus, der nur die irrige Ansicht von der besseren Bemeßbarkeit "bloß" körperlicher Schmerzen begünstigte9o . Festzuhalten ist aber, daß in dem seltenen Ausnahmefall der Anknüpfungspunkt 85 Mammey, NJW 1969, 1150; vgl. auch Larenz, Festgabe Oftinger, S. 163; Lange, Schadensersatz, S. 38 und 345 m. w. N.; Schulte, S. 115. 86 Vgl. KG NJW 1972, 769. 87 Zweifelnd daher Mammey, NJW 1969, 1150, ob § 847 BGB "ein wirkliches Äquivalent" darstellt. 88 Für eine extensive Auslegung des Begriffs der Gesundheitsverletzung Nörr, AcP 158, 12; einschränkend Stall, Gutachten, S. 19 - 24; nur funktionale Störungen erfassen will Lange, Schadensersatz, S. 264. 8~ So MünzeI, NJW 1960, 2025 ff. ~o Vgl. dazu Fromm, NJW 1965, 1202; zum Schmerzensgeld für seelische Leiden Fröchte, S. 11 m. w. N. 8 strö!er
VI. Rückbesinnung und Fortführung
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für das Schmerzensgeld nicht die Sachbeschädigung, sondern vielmehr die einhergehende Gesundheitsverletzung ist. Es kann "was recht wohl möglich ist, dasselbe Vorgehen zugleich eine unerlaubte Handlung gegen die Gesundheit" darstellen 9!. Erforderlich ist jedoch ein "pathologischer Zustand von gewisser Schwere und nicht ganz vorübergehender Dauer"92. In keinem Fall können allein soziale Überlegungen und ein etwaiger Wandel gesellschaftlicher Anschauungen ein Abgehen von der geforderten Zurückhaltung bei der Qualifizierung als Vermögensschaden rechtfertigen. Es geht zu weit, jedem Geschädigten einen Ersatzanspruch ohne Rücksicht darauf zu gewähren, ob das verletzte Gesetz zum Schutz der geschädigten Interessen bestimmt ist 93 • Soziale Überlegungen vermögen allein den Gesetzgeber auf den Plan zu rufen. Dieser sollte aber bei tunlichster Zurückhaltung darauf bedacht sein, daß persönliche Lebensrisiken auch künftig vom Geschädigten selbst zu tragen sind. Es ist nicht Aufgabe des bürgerlichen Schadensersatzrechts, überall dort, wo sich jemand im weitesten Sinne benachteiligt glaubt, ihm sogleich einen Schuldner an die Hand zu geben 94 • Der Rechtsstaat ist keine Versicherung gegen Schicksalsschläge aller Art9s • Der Gesetzgeber sollte daher auch delö Versuchung widerstehen, jede Streitfrage gesetzlich regeln zu wollenD6 •
91 So schon RGZ 140, 392, 395, das in der Entscheidung einen Schmerzensgeldanspruch wegen Ehrverletzung ablehnt. 92 OLG Celle VersR 1953, 210. 93 Vgl. so schon Protokolle, Mugdan 11, S. 1076. 84 So Hagen, Anm. zu BGH LM Nr. 25 BGB § 251. 95 So Bundesjustizminister Vogel in einem Interview des Deutschlandfunks vom 4. Januar 1980; vgl. Bonner General-Anzeiger vom 5./6. Januar
1980, S. 3. 96
Vgl. z. B. BT-Drucksache 8/2343, S. 7 zum Reisevertragsrecht.
§ 4. Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht Abschnitt VII
Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich 1. Irrelevanz und Fragwürdigkeit der Kommerzialisierung Obwohl die Kommerzialisierung immaterieller Werte schon im deliktischen Bereich abzulehnen ist und keinesfalls auf einer dogmatisch befriedigenden Lösung beruht, ist - unter Nichtbeachtung aller Wesensunterschiede zwischen Vertrags- und Deliktsrecht 1 auch das Vertragsrecht von dem "Virus Kommerzialisierung" befallen worden. Die Literatur - soweit sie sich überhaupt mit der Problematik befaßt spricht bereits teilweise von einer "Kommerzialisierung inter partes"2. Dabei wird verkannt, daß hier schon die Bezeichnung an sich einen Widersinn in sich trägt: Indem der Kommerzialisierungsgedanke auf die Erkaufbarkeit eines Gutes abstellt, nicht aber darauf, ob in concreto Geld gezahlt wurde, ist er allein auf den Markt, losgelöst von der individuellen Vertragssituation und ihrer individualisierten Vertragspartner, ausgerichtet 3 • Unter Vertragspartnern bedarf es keiner Kommerzialisierung und keiner Begründung eines Vermögenswertes, allein der Vertrag entscheidet. Nicht der vermeintlich "objektive" Maßstab der Verkehrsauffassung, sondern der intersubjektive Maßstab der vertraglichen Regelung steht im Vordergrund 4 • Zu Recht wird daher der Kommerzialisierungsgedanke in neuerer Zeit von einem Teil der Literatur für die Fälle des Schadensausgleichs nach Vertragsverstoß für überflüssig gehalten5 • Er verstelle nur den Blick auf die verschiedene Interessenlage bei vertraglicher und deliktischer Schädigung. Wenn man gleichwohl von einer Kommerzialisierung spricht, so zeigt dies nur, daß man sich - ohne die Dinge beim Namen zu nennen - über Dazu unten Abschnitt VIII 4. So ausdrücklich Batsch, NJW 1975, 1163; vgl. auch Talk, S. 89, 110; Grunsky, NJW 1975,610; anders Schulte, S. 117 ff. a Siehe oben Abschnitt 111 7. 4 Siehe aber Art. 1128 Code Civil: "Nur Sachen, welche im Verkehr sind, können Gegenstand eines Vertrages sein", 5 Talk, S. 120; auch Küppers, S. 103, 154 ff. 1
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116 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich vertragsspezifische Erfordernisse und Besonderheiten nicht im klaren ist oder aber sich darüber hinwegsetzen will. Eine vorsichtige Besinnung auf den wahren Kern scheint sich erst in neuester Zeit in Teilen der Literatur und Rechtsprechung anzudeuten. Dabei fehlt aber sowohl eine überzeugende vertragspezifische Konzeption als auch eine völlige Lossagung vom Kommerzialisierungsgedanken. Dies soll im folgenden anhand der Rechtsprechung verdeutlicht werden.
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen Eine Entschädigung für entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugenwird von der Rechtsprechung zuerkannt, ohne zu einer eigenständigen, vom verfehlten deliktsrechtlichen Ansatz losgelösten Begründung zu finden. In dem Fall des OLG Stuttgart6 kaufte der an beiden Beinen gelähmte Kläger einen PKW. Entgegen der Zusicherung des Beklagten war der Einbau des vorgesehenen Zusatzgeräts für beinlose Bedienung nicht möglich. Erst nach Einbau eines neuen Geräts in einer anderen Werkstatt konnte der Kläger den Wagen in Betrieb nehmen. Für die Verspätung von 46 Tagen hat das OLG dem Kläger eine Nutzungsausfallentschädigung "sowohl nach § 463 BGB als auch unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung" zugesprochen. Befremdet zunächst die undifferenzierte Kumulierung der beiden Anspruchsgrundlagen7 , so vermag auch die Begründung im weiteren nicht zu überzeugen. Das OLG führt aus, der Kläger habe "nicht nur den Wert der entgangenen Nutzungen zu beanspruchen, sondern den Betrag, den er hätte aufwenden müssen, um ein fahrbereites Fahrzeug zur Verfügung zu haben". Da aber ein Mietwagen mit beinloser Bedienung nicht zu erhalten gewesen sei, hätte der Kläger sich sogar einen Wagen mit Fahrer nehmen können, was um ein Vielfaches teuerer gewesen wäre. Mit keinem Satz geht das OLG auf den Inhalt des Vertrages und - wie die Anspruchskumulierung zeigt - auf das geschützte Interesse ein. Die Entscheidung ist allein von Gesichtspunkten der Billigkeit getragen8 • Kann man noch Gesichtspunkte der Billigkeit als dem Vertragsrecht nicht fremd - wenn auch allein nicht als tragfähig - bezeichnen, so fehlt in der Entscheidung des OLG Nürnberg 9 eine dem Vertragsrecht VersR 1967, 1207. Zu dem Verhältnis vgl. nur Palandt / Putzo, § 463 BGB, Anm. 5 d; Vorbem. 2 b vor § 459 BGB. 8 Dazu oben Abschnitt V 1. 9 DAR 1969, 300. a 7
2. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen
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irgend wie zuzuordnende, eigenständige Begründung völlig. In dem Fall geht es um die nicht fristgerechte Durchführung der Reparatur eines Kraftfahrzeuges. Entgegen der ausdrücklichen Zusicherung des beklagten Werkstattinhabers stand der Wagen n:icht für die geplante Fahrt nach München zur Verfügung; Das OLG hat dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens (§ 286 BGB) eine Nutzungsausfallentschädigung zugesprochen, da ihm während der Verzögerung der Re..; paratur die Gebrauchsvorteile seines Fahrzeugs entzogen gewesen seien. In der Begründung wird dann zwar zutreffend festgestellt, die Rechtsprechung habe die Zubilligung einer Nutzungsentschädigung im Rahmen der Entscheidungen zu § 823 und zum StVG herausgearbeitet. Damit ist dann aber auch bereits der Endpunkt der "Begründung" erreicht. Denn - so das OLG - dies rechtfertige es nicht, die Entschädigung für den Fall der Haftung aus Vertrag zu versagen. "Denn das BGB macht für die Frage, welcher Schaden nach §§ 249 ff. zu ersetzen ist, keinen Unterschied, ob der Schadensersatzanspruch aus Vertrag, aus unerlaubter Handlung oder aus einem sonstigen Rechtsverhältnis hergeleitet wird"lO. Aus dieser schlichten Behauptung, die sich über alle zwischen deliktischem und vertraglichem Anspruch bestehenden Unter~ schiede ohne irgendwelche Bedenken einfach hinwegsetzt l l , wird sodann gefolgert, es sei "kein Grund ersichtlich, warum im Falle der Vertragsverletzung der Gläubiger schlechter gestellt sein soll als ein durch eine unerlaubte Handlung Geschädigter". Zu dieser Begründung soll an dieser Stelle 12 nur angemerkt werden, daß ihr bereits jegliche Tragfähigkeit fehlt, wenn man mit der hier vertretenen Meinung bei deliktischer Anspruchsgrundlage eine Nutzungsausfallentschädigung ablehnt1 3• 3. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Gebäuden Bei der Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeiten einer unbeweglichen Sache resultiert der vertragliche Anspruch vor allem aus mangelhafter Bauleistung oder verspäteter übergabe. In den Entscheidungen, die einen Anspruch bejahen, geht es um den Einbau einer mangelhaften Zentralheizung14 , um Baumängel einer privaten Schwimmhalle15 sowie um Verzug mit der übergabe eines Grundstücks 16 • 10 Ebenso jetzt BGH NJW 1980, 119 betr. die I:Iaftung des Ladendiebs, dazu oben Abschnitt IV 2 c) a. E.; ferner unten Abschnitt VIII 7 d). 11 Dazu i. e. unten Abschnitt VIII 4. 12 Näheres i. e. unten Abschnitt VIII 4 a), b), cl. 13 Siehe oben Abschnitt IV 2. 14 So schon OLG Colmar Recht 1907 Nr. 3058.
1 I 8 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich
Unter Berufung auf die Rechtsprechung zur Nutzungsausfallentschädigung bei Kraftfahrzeugen wird auch bei Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit einer unbeweglichen Sache ein Schadensersatzanspruch gewährt. Eine Beschränkung der Rechtsprechung auf Kraftfahrzeuge wird als nicht gerechtfertigt angesehen!7. Noch frei von einer Präjudizierung durch die Kraftfahrzeug-Nutzungsausfallentschädigungen hat schon das OLG Colmar im Jahre 1907 festgestellt: "... der Begriff des Vermögensschadens umfaßt alle Entziehungen von Genüssen, welche, wie die mehrmonatliche Entbehrung der Benutzung einer Villa wegen Unbrauchbarkeit der vom Eigentümer bei einer Fabrik für Zentralheizungsanlagen bestellten Zentralheizung, ohne Verstoß gegen Gesetz und gute Sitte im Verkehr nur gegen Entgelt erlangt zu werden pflegen ....". Unerheblich für den vertraglichen Anspruch ist es, ob der Betroffene in der Nutzung des Grundstücks als Grundeigentümer nach bereits vollzogener übereignung betroffen und mithin in dem Ausschließlichkeitsrecht "Eigentum" beeinträchtigt wird, oder ob sich der Vorgang noch vor der übereignung abspielt1 8 • Die Beeinträchtigung des Ausschließlichkeitsrechtes spielt nur insofern eine Rolle, als es dann nicht mehr allein um einen vertraglichen, sondern auch um einen deliktischen Anspruch geht. Das wird verkannt, wenn ausgeführt wird, es scheine vom Ergebnis nicht gerechtfertigt, "den Käufer eines Hauses anders zu behandeln, als denjenigen, der auf seinem eigenen Grund und Boden baut"!9. Im Ergebnis zutreffend lehnt der V. Zivilsenat des BGH in neuerer Zeit einen entsprechenden Anspruch wegen verspäteter Fertigstellung eines Hauses 20 oder einer Eigentumswohnung2 ! ab. In der Begründung fehlt freilich eine dogmatische, vertragsspezifische Leitlinie. Nichtssagend ist die Feststellung, daß die Verletzung schuldrechtlicher Ansprüche nicht allgemein Vermögensschäden zur Folge habe. Wer eine vertragsspezifische Begründung erwartet, wird enttäuscht. Der BGH zieht sich auf die Besonderheit des zur Nutzung berechtigenden Besitzes als einer einem absolut geschützten Recht angenäherten RechtsOLG Köln NJW 1974, 560; dazu kritisch Hesse, BauR 1974, 300 ff. KG NJW 1967, 1233 ff. 17 Vgl. dazu oben Abschnitt IV 3. 18 Siehe aber BGH NJW 1976, 1631. 19 Hansen, VersR 1977, 511. zo NJW 1976, 1630; zustimmend Jagenburg, NJW 1977, 2150. n NJW 1978, 1805; zustimmend Anm. Stall, JZ 1978, 797; vgl. Säcker, NJW 1967, 1404: Selbst ein Anspruch auf entgangenen Gewinn ist bei Geltung der VOB zu verneinen; anders bei der Mängelhaftung. 15
IS
3. Entgangene Gebrauchsvorteile bei Gebäuden
119
position zurück22 • Ferner argumentiert er vom Ergebnis her, wenn er die übertragung der Rechtsprechung zu den Kraftfahrzeugfällen auf die Gebäudefälle nicht für geboten erachtet, weil es im Fall der verspäteten Erstellung und übergabe eines Wohnhauses nicht - wie bei der Abwicklung von Kraftfahrzeugschäden - darum gehe, finanziell schwächere Unfallopfer mit vermögenden gleichzustellen23 • Da der Gläubiger sein Wohnproblem während des Schuldnerverzugs anderweitig lösen müsse, habe er praktisch keine Wahl und könne in jedem Fall die Aufwendungen für die von ihm tatsächlich benutzte Wohnung als Verzugsschaden verlangen24 • Dabei übersieht der BGH, daß es sich um zwei verschiedene Fälle handelt, nämlich um einen deliktischen und einen vertraglichen. Der angeführte Schutzgedanke ist ein spezifisch delikts rechtlicher. Andererseits kann auch bei einem auf ein Kraftfahrzeug bezogenen vertraglichen Anspruch dem Gläubiger keine Wahl bleiben. Die übrigen Ansätze weisen jedenfalls in die richtige Richtung. So stellt der BGH darauf ab, daß bei Zuerkennung eines Anspruchs die Grenzen zwischen Vermögensschäden einerseits und Nichtvermögensschäden andererseits verwischt würden. Die zeitweilig vorenthaltene Nutzungsmöglichkeit habe daher keinen selbständigen Vermögenswert, die mit der Vorenthaltung verbundene Einbuße sei demzufolge eine bloß immaterielle25 • Die Erforderlichkeit der Abgrenzung zwischen materiellem und immateriellem Schaden wird für das Vertragsrecht gar nicht erst in Frage gestellt 26 • Die Ablehnung des Anspruchs wird ferner damit begründet, es ergäbe sich sonst zwischen dem delikts rechtlichen Schutz des Erhaltungsinteresses und dem schuldrechtlichen Schutz des Erfüllungsinteresses kein wesentlicher Unterschied mehr. Die unterschiedliche Ausgestaltung dieses Schutzes27 wird keiner näheren Ausführungen für würdig befunden. Den zu begrüßenden Meilenstein der Rückbesinnung bedeutet die Feststellung: "Nicht allgemein tragfähig ist auch der Kommerzialisierungsgedanke ... ". Freilich muß festgestellt werden, daß damit für den vertraglichen Anspruch nur eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck gebracht wird. Im Bereich des vertraglichen Erfüllungs22 NJW 1976, 1631; zur Unbeachtlichkeit der Verletzung eines Ausschließlichkeitsrechts für den vertraglichen Anspruch siehe vorstehend. 23 Zur Brauchbarkeit dieses Kriteriums vgl. oben Abschnitt 12 c) und Abschnitt V 1. 24 BGH NJW 1976, 1631; vgl. aber auch Hesse, BauR 1974,303 ff. 25 BGH NJW 1978, 1807 im Anschluß an BGH NJW 1976, 1630, wo aber diese Frage noch offen gelassen wird (aaO, S. 1631: "... kann dahin stehen ..."). U Siehe dazu unten Abschnitt IX 5. 27 Dazu unten Abschnitt VIII 4 b).
120 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich
interesses ist für den Kommerzialisierungsgedanken ohnehin kein Raum 28 . Anderenfalls könnte auch der Kunstliebhaber, dessen wertvolles Gemälde beim Umzug beschädigt wird, für die Zeit der Restaurierung eine Nutzungsausfallentschädigung verlangen 29 . Angesichts des bisherigen Wirrwarrs der Kommerzialisierungsrechtsprechung ist die Aussage des BGH jedoch für die künftig zu erwartende Rechtsprechung von großer Bedeutung. Zu Recht keine Erwähung findet der Kommerzialisierungsgedanke in der Bowling-Bahn-Entscheidung: Bei Nichtbenutzbarkeit der BowlingBahn während der Nachbesserungsarbeiten besteht (nur!?) wegen des entgangenen Gewinns ein Schadensersatzanspruch aus § 635 BGB3o. Auf welch unsicherem Boden sich die Rechtsprechung immer noch bewegt, zeigt eine jüngste Entscheidung des VII. Zivilsenats des BGH31. Im Fall einer achtmonatigen Nutzungsbeeinträchtigung eines privaten Schwimmbads während der infolge eines Planungsfehlers erforderlich gewordenen Reparaturarbeiten wird ein Anspruch aus § 635 BGB auf Ersatz der entgangenen Gebrauchsvorteile abgelehnt, da sich eine den Kraftfahrzeugfällen entsprechende Verkehrsauffassung, derzufolge die Benutzbarkeit eines Schwimmbads einen von dessen Substanzwert abspaltbaren Gebrauchswert darstelle, "zumindest bisher" nicht entwikkelt habe 32 . Bezeichnend ist, daß der BGH das Schwimmbad entsprechend der "gegenwärtigen Verkehrsauffassung noch weithin als ,Liebhaberei'" ansieht 33 und damit einem Begriff Eintritt in das zivilrechtliche Schadensersatzrecht, das bislang nur das Liebhaberinteresse zur Bezeichnung des Affektionsinteresses kannte 3" gewährt, der sein Unwesen bereits im Steuerrecht treibt und hier wie dort nur geeignet ist, den Blick auf die wahre Problemstellung zu verdecken. Die behauptete Verkehrsauffassung ist das Vehikel für den VII. Zivilsenat, sich einer sachlichen Argumentation zu entziehen. Mit fatalen Folgen für die vertragsrechtliche Dogmatik deutet er seine Neigung an, dem restriktiven Kurs des V. Zivilsenats35 nicht folgen zu wollen: Es sei "zweifelhaft, ob dem V. Zivilsenat allgemein darin gefolgt werden könnte, daß ein Vermögensschaden nicht entstanden sei, wenn nur die Gebrauchsmöglichkeit eines Hauses oder einer Wohnung vorübergehend beeinträchtigt worden ist"36. 28
2'
30 31
32
33
Vgl. oben Abschnitt VII 1. Beispiel bei Hesse, BauR 1974, 304. BGH NJW 1978, 1626. NJW 1980, 1386. BGH NJW 1980, 1388.
BGH aaO; Hervorhebung vom Verfasser.
3' Dazu oben Abschnitt 11 1 b). 35
38
Vgl. BGH NJW 1976, 1630; NJW 1978, 1805 sowie NJW 1980, 775. BGH NJW 1980, 1387.
4. Sonstige Gebrauchsvorteile
121
4. Sonstige Gebrauchsvorteile Auch wegen anderer Gebrauchsgegenstände fehlt es im Vertragsrecht nicht an Versuchen, eine Nutzungsausfallentschädigung zu beanspruchen. Diese Konsequenz ist bei Billigung des Kommerzialisierungs': gedankens als theoretischem Ansatz und dessen Geltung auch im Vertragsrecht folgerichtig. Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist es zu begrüßen, daß die Rechtsprechung der Gefahr - jedenfalls im Ergebnis - im wesentlichen widerstanden hat, ohne sich aber zu einer völligen Preisgabe des Kommerzialisierungsgedankens veranlaßt zu sehen. Für die entgangenen Gebrauchsvorteile wird - soweit ersichtlich - nur in zwei Fällen ein vertraglicher Ersatzanspruch zugebilligt. a) Gebraumsvorteile eines Tonbandgeräts
Einen Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens nach § 286 BGB bejaht das Amtsgericht Iserlohn 37 • Wegen verspäteter Rückgabe des wiederholt unzulänglich reparierten Tonbandgeräts verlangt der Kläger 60 DM Verzugsschaden unter dem Gesichtspunkt des Verlustes der Gebrauchsvorteile. Das Amtsgericht beruft sich auf die Rechtsprechung zu den Gebrauchsvorteilen von Kraftfahrzeugen und bejaht den Anspruch "selbst dann, wenn er (der Kläger) nur die Annehmlichkeiten privater Art eines Tonbandgerätes ausnutzen wollte, nämlich damit, ihm liebe Musik zu speichern und sie bei passender Gelegenheit sich reproduzieren zu lassen". Im übrigen sei der Anspruch bereits deshalb zu bejahen, weil der Kläger das Tonbandgerät zu seiner beruflichen Fortbildung mit dem Ziel der Ausbildung zum Ingenieur habe einsetzen wollen. Das Amtsgericht hat also eine mögliche Differenzierung zwischen der Nutzung eines Gebrauchsgutes zu privaten und beruflichen Zwecken vor Augen. Worin diese unterschiedliche Behandlung ihre Rechtfertigung finden soll, wird nicht gesagt. Von einem entgangenen Gewinn ist nicht die Rede. Desgleichen fehlen Ausführungen zum Vertragsinhalt und -zweck. b) Nutzungsmöglichkeit von Geld
Ein Kuriosum ist die Entscheidung des BGH zur Kommerzialisierung von Geld 38 • Sie verdeutlicht besonders anschaulich, zu welchen Verirrungen der Kommerzialisierungsgedanke im Vertragsrecht führt. Die Begründung des Anspruchs aus § 288 BGB analog zeigt die "Blindheit" des Gerichts beim Finden der richtigen Anspruchsgrundlage, welche sich - ohne die Betonung einer Selbstverständlichkeit, nämlich der 37
VersR 1965, 1212; ablehnend Böhmer, MDR 1966, 295 f.; .kritisch Schulte,
38
BGH BB 1979, 909 f. = NJW 1979, 1494.
S. 55 f.
122 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich
Kommerzialisierung von Geld - ohne weiteres aus der Nichterfüllung des Vertrages ergibt. In einem "Bauherrn-Betreuer-Vertrag" hatte sich die Beklagte verpflichtet, die erforderlichen Finanzierungsmittel für den Kläger zu beschaffen. In Verletzung dieser Pflicht unterließ sie es, einen Antrag auf Gewährung eines Aufwendungsdarlehns aus öffentlichen Mitteln zu stellen und den Kläger über die Möglichkeit einer solchen Finanzierungshilfe zu informieren. In entsprechender Anwendung des § 288 BGB wird dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Schadens aus schuldhafter Nichtbeschaffung zinslosen Darlehns in Höhe von mindestens 4 Ofo zugebilligt. Die Analogie wird getragen von der nach allgemeiner Lebensauffassung vorgenommenen Beurteilung der Nutzungsmöglichkeit von Geld als geldwertem Vorteil. Von daher begründe es keinen Unterschied, "ob dem Gläubiger geschuldetes Geld vorenthalten wird oder ob er um ein zinsloses Darlehn, auf das er an sich einen Anspruch hätte, gebracht wird ... "39. Ist die Analogie bereits methodisch äußerst fragwürdig begründet, so sind die Bedenken um so mehr bei der Begründung des Anspruchs mit der Kommerzialisierung von Geld angebracht. Zwar stellen Zinsen an sich den Gegenwert für den Gebrauch von Geld, berechnet nach der Gebrauchsdauer, dar, der sich in einem Prozentsatz des Kapitals ausdrückt40 • Schadensersatzrechtlich ist aber der Verlust einer Summe Geldes Verlust an abstrakter Verfügungsrnacht, nicht aber Verlust eines konkreten Vermögensgutes 41 • Nur bei einem verzinslichen Darlehn führt der Vermögenswert des Geldes im Vertragsrecht zu einem (Zins-)Anspruch. § 288 BGB statuiert lediglich bei Verzug den gesetzlichen Mindestschaden unabhängig davon, ob der Gläubiger überhaupt Zinsen aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis fordern kann 42 • Über die angeführten Fälle hinaus mittels der Kommerzialisierung von Geld einen Anspruch bejahen zu wollen, würde nur zu einer Perversion des Kommerzialisierungsgedankens führen. Dieser beruht gerade darauf, daß ein Gut mit Geld erkaufbar ist. Geld ist mithin das Mittel, nicht aber das Objekt der Kommerzialisierung 43 ; seine Materialisierung versteht sich apriori von selbst. Da Geld bei allen sozialen BGH BB 1979, 910. Palandt / Heinrichs, § 246 BGB, Anm. 1; Lepke, DB 1978, 842. - Für die Frage der Erbschaftsteuer hat der BFH bei der überlassung einer Kapitalsumme auf Zeit ohne Entgelt eine Schenkung der Nutzungsmöglichkeit bejaht (BFH vom 12. 7. 1979 11 R 26/78 BStBI. 11 1979, 631). 41 So zutreffend Lange, Schadensersatz, S. 25, vgI. aber auch S. 30. 42 Palandt / Heinrichs, § 288 BGB, Anm. 1; Lepke, DB 1978, 842; vgI. ferner BGH NJW 1953, 337; RGZ 92, 283, 284. 43 Siehe auch oben Abschnitt IV 4. 39
40
4. Sonstige Gebrauchsvorteile
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Kontakten eine Rolle spielt, wäre kaum ein Fall denkbar, in dem nicht auch die Kommerzialisierung von Geld eine Rolle spielen könnte und demzufolge eine unkontrollierte Aufblähung des Schadens erfolgte. Letztlich aus diesem Grund ist ein Zinsverlust im Regelfall konkret darzulegen und zu beweisen 44 • Abgesehen von den begrenzten Ausnahmefällen45 verbietet es sich, mit der Kommerzialisierung von Geld einen Anspruch zu begründen. Nicht die Verkehrs auffassung, sondern allein der Vertrag entscheidet, ob der Verlust von Geld ein zu ersetzender Schaden ist. c) Kein Ersatz für Gebraucllsvorteile eines Pelzmantels
Um die entgangenen Gebrauchsvorteile eines Pelzmantels ging es in einem vom BGH ablehnend entschiedenen Fa1l 46 • Der gekaufte Mantel konnte von 1971 bis 1973 nicht getragen werden, weil die erforderlichen Änderungsarbeiten, den Mantel passend zu machen, wiederholt nicht zur Zufriedenheit des Klägers geführt hatten. Der Kläger beanspruchte im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung in Höhe von 3500 DM Ersatz für die entgangenen Gebrauchsvorteile in Höhe von 1700 DM. Der BGH hat den Anspruch nach § 463 BGB abgelehnt, da er § 253 BGB "nicht völlig (I) aushöhlen" wolle 47 • Der Käufer könne gemäß § 463 S. 1 BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur wegen solcher Einbußen verlangen, die ihm in seinem Vermögen entstanden seien. "Ein Geldersatz für die sogenannten immateriellen Schäden - insbesondere also für Annehmlichkeiten und sonstige mit der Schlechterfüllung verbundene persönliche Beeinträchtigungen - ist, sofern diese Beeinträchtigungen nicht in einer Verminderung des Vermögens des Käufers einen finanziellen Niederschlag gefunden haben, gemäß § 253 BGB ausgeschlossen"48. Sodann stellt sich für den BGH die Frage nach der Kommerzialisierung der Gebrauchsvorteile des Pelzmantels. Dabei werden Ansätze einer Neubesinnung erkennbar, die ein vorsichtiges Abrücken von der Rechtsprechung bei Kraftfahrzeugen und Grundstücken erkennen lassen. Diese Rechtsprechung lasse sich "nicht ohne weiteres dahin verallgemeinern, daß stets oder doch regelmäßig bei zeitweiliger Gebrauchsentziehung der Berechtigte von dem Ersatzpflichtigen eine Entschädigung verlangen" könne 49 . Palandt / Heinrichs, § 288 BGB, Anm. 2. Siehe oben zum verzinslichen Darlehn und zu § 288 BGB. 48 BGHZ 63, 393 = NJW 1975, 733; im Ergebnis zustimmend Köndgen, AcP 177, 31 ff.; Batsch, NJW 1975, 1163; Schmitz, S. 253; kritisch Tolk, JZ 1975, 44 45
130 ff. 47 48
49
BGHZ 63, 397. BGHZ 63, 395. BGHZ 63, 397.
124 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich
Es ist jedoch nicht überzeugend, die Kommerzialisierung dann von einer stets erforderlichen "Abwägung im Einzelfall" abhängig zu machen. Dadurch bleibt nur der Weg zu Willkürentscheidungen solange frei, als nicht der Kommerzialisierungsgedanke im Ansatz aufgegeben wird. Bei seiner Anwendung ist es vom Standpunkt rationaler Logik aus nicht nachvollziehbar, daß von einer Kommerzialisierung keine Rede sein könne, da - anders als bei einem Luxusfahrzeug - "neben der Kapitalanlage die Freude an dem Tragen eines derartig wertvollen und schönen Stückes und das Bedürfnis, es in der Öffentlichkeit und ... bei besonderen Anlässen im Familienkreis zu zeigen" im Vordergrund stehe, und "ein Mieten von Pelzmänteln zumindest ungebräuchlich" sei50 • In die gleiche Richtung gehen die Ausführungen der vorinstanzlichen Entscheidung des OLG Hamburg 51 . Das Gericht stellt fest, bei Pelzmänteln bestehe keine den Kraftfahrzeugfällen entsprechende Verkehrsauffassung. Der Wert eines Pelzmantels liege "ähnlich wie bei Schmuckgegenständen, vor allem in der Hebung des Lebensgefühls des Trägers". Als "nebensächlich" erscheine demgegenüber, "das ein derartiger Mantel seinen Träger auch gegen Kälte zu schützen vermag"52. Im Dunkeln bleiben die Gründe aus denen die Vergleichbarkeit mit anderen Fällen "nach der Interessenlage schlechthin nicht" gegeben sein soll 53. Auf diese Art und Weise kann die Verkehrsauffassung zur "Begründung" jedes Ergebnisses mißbraucht werden54 • Der BGH sieht sich schließlich noch veranlaßt, den Unterschied zur Auffassung zum Vermögenswert des Urlaubs als solchem55 herauszustellen. Sei der Urlaub "u. U. endgültig und unwiderbringlich vertan", so könne dagegen die Benutzung des Mantels nachgeholt werden56 . Wandlungen der Mode, denen auch derartige luxuriöse Repräsentationsstücke unterliegen, hält der BGH für unbeachtlich57 • Im übrigen handelt es sich um eine besondere Fallgestaltung, von der sich der BGH möglicherweise hat beeinflussen lassen, da der Anspruch einer mit zwei Pelzmänteln versehenen Dame versagt wird. Dies entspricht zwar der Versagung eines deliktischen Anspruchs auf KFZNutzungsausfallentschädigung, wenn noch ein zweites, sonst brach liegendes Fahrzeug zur Verfügung steht58 • Hier geht es aber um einen 50 51 52
53 54 55 56 57
BGHZ 63, 398. MDR 1973, 847 f. aaO, S. 848. Vgl. BGHZ 63, 398. kritisch bereits oben Abschnitt III 7. Dazu oben Abschnitt IV 5; ferner unten Abschnitt VII 5. Kritisch zur Nachholbarkeit bereits oben Abschnitt 12 c). Ausdrücklich auch OLG Hamburg MDR 1973, 848; vgl. auch Köndgen,
AcP 177,31. 58 Oben Abschnitt IV 2 c).
5. Urlaub und Urlaubsgenuß
125
vertraglichen Anspruch. Es liegt auf der Hand, daß der Schutz des Vertragspartners nicht von seinem bereits vorhandenen Güterbestand abhängen kann, der in keiner Weise mit dem Vertrag in Berührung steht. Die Versagung der deliktischen Nutzungsausfallentschädigung läßt sich etwa über die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB begründen. Diese besteht zwar bei allen Schadensersatzansprüchen5u , führt aber nicht zur Verpflichtung, vorhandene Kleidungsstücke zu tragen. Ein neues Kleidungsstück wird im Regelfall gerade gekauft, um den vorhandenen Kleidungsbestand zu erweitern. Bei dem auf Ersatz des positiven Interesses gerichteten Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, um den es bei § 463 BGB geht, ist gerade der schon vorhandene Vermögensbestand außer Betracht zu lassen 6o • Die - zu inkonsequenten Begründungen führende - Beibehaltung des verfehlten Kommerzialisierungsansatzes ist um so mehr zu bedauern, als der BGH selbst den zutreffenden Ansatz zwar anspricht, aber nicht weiter verfolgt. Gemeint ist der Gesichtspunkt, daß der Kläger mit der zeitweisen Vorenthaltung des ungestörten Genusses der Kaufsache einen Schaden erlitten habe, vor dem die Eigenschaftszusicherung (§ 459 Abs. 2, 463 BGB) den Käufer typischerweise absichern solleSi. Indem der BGH die Frage keiner Vertiefung für würdig erachtet, hat er - vorerst - die Chance vertan, eine dogmatische Lösung auf dem Boden des Vertragsrechts zu entwickeln, bei der es auf die Abgrenzung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden nicht ankommt.
5. Urlaub und Urlaubsgenuß a) Der Urlaub als solclter
Der Urlaub als solcher wird von der Rechtsprechung auch bei vertraglichen Ansprüchen als kommerzialisiert angesehen. Der BGH läßt sich dabei von der Erwägung leiten, daß die zu den Kraftfahrzeuggebrauchsvorteilen entwickelten Rechtsgedanken sich "ihrem Wesensgehalt nach" auch auf die Frage übertragen lassen, ob für nutzlos aufPalandt / Heinrichs, § 254 BGB, Anm. 2 a. Keuk, S. 164. 61 BGHZ 63, 395; dazu unten Abschnitt X 3 d; diesen Ansatz verkennt auch Köndgen, wenn er darauf abhebt, daß noch keinerlei Vermögensverzehr bzw. gebrauchsabhängiger Aufwand angefallen sei, so lange das Gebrauchsgut dem Vermögen des Käufers noch nicht einverleibt sei (AcP 177,32). Seine Prämisse, es handele sich bilanztechnisch um ein "schwebendes Geschäft", ist fragwürdig, da der Sachverhalt offen läßt, ob im vorliegenden Fall der Vertrag nicht bereits erfüllt wurde. Berührt ist letztlich das Verhältnis zwischen Gewährleistung und Erfüllung nach dem BGB, das unabhängig von Fragen der Bilanztechnik zu klären ist. 59 60
126 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich
gewendete Urlaubszeit eine Entschädigung unter dem Gesichtspunkt materiellen Schadensersatzes zugesprochen werden kann62 : Die Kommerzialisierung des Urlaubs entspreche der Interessenlage zumindest in nicht geringerem Maße als die Anerkennung des in der ungestörten Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs liegenden Vermögenswertes 63 • Bereits das OLG Frankfurt stellte 1967 fest, der Urlaub sei "in höherem Maße" kommerzialisiert64 • Es sei die wachsende Bedeutung, die der durch Arbeitsleistung verdiente oder auf sonstige Weise "erkaufte"65 Erholungsurlaub für die Mehrzahl der Bevölkerung gewinne, und die es erforderlich mache, den Urlaub als solchen "schon" (!) als ein vermögenswertes Gut anzusehen, dessen Verletzung einen Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens soll auslösen können 66 • Aus der Kommerzialisierung des Urlaubs als solchem wird vereinzelt auch gefolgert, daß die Freizeit 57 Vermögenswert habe, da beide den gleichen Erholungswert hätten68 . So wird ein Anspruch aus § 286 BGB bejaht in einem Fall, in dem durch ständige Reklamationen wegen nicht rechtzeitiger Nachbesserung gelieferter Möbel ein erheblicher Freizeitverlust entstanden ist 69 . Ohne sich um eine vertrags spezifische Begründung zu bemühen, wird das Problem in der Grenzziehung gesehen und ein Anspruch nur bei erheblicher, durch ein grobes Verschulden des Schädigers veranlaßter Freizeiteinbuße bejaht. Damit wird die Problematik auf eine andere Ebene verlagerpo. Die Argumentation erinnert an die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrechp1. Mit dem Vertrag hat sie nichts zu tun. Auch im Fall der Freizeiteinbuße eines Arztes durch überobligationsmäßige Leistungen infolge der Nichterfüllung des Arbeitsvertrages durch eine Arzthelferin wird - wohl aus Gründen der Sanktion und Prävention72 - ein Schadensersatzanspruch bejaht7 3 • Nicht eingegangen wird bei der Kommerzialisierung des Urlaubs auf die Differenzierung zwischen vertraglichem und deliktischem Anspruch sowie auf den jeweiligen Vertragsinhalt. 82 BGHZ 63, 98 = JZ 1975, 250 = NJW 1975, 40 ff.; im Ergebnis ebenso, aber in der Begründung zurückhaltender jetzt BGH NJW 1980, 1947 ff. 63 BGH JZ 1975, 252. G4 NJW 1967, 1373; vgl. auch OLG Nürnberg MDR 1973, 582. 65 Dazu schon oben Abschnitt IV 5. 88 BGH JZ 1975, 251. 87 Dazu auch oben Abschnitt IV 5. 88 Dies zeigt sich zwar heute immer wieder in den Tarifverhandlungen, wenn es darum geht, ob die Arbeitnehmer mehr Freizeit oder mehr Urlaub erhalten sollen, trägt aber für sich keine Begründung des Vermögenswerts. 69 OLG Frankfurt NJW 1976, 1320; siehe aber OLG Köln VersR 1979, 965: Da die Aufwendung eines Teils des Urlaubs zum Zwecke der Schadensregulierung "zumutbar" sei, wird ein Anspruch abgelehnt, vgI. auch oben Abschnitt IV 5. 70 VgI. abI. auch Schulte, S. 97 Fn. 22. 71 Vgl. auch Stoll, JZ 1977,98; siehe ferner oben Abschnitt 113 b. 72 So auch Braschos, S. 54; ähnlich Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S.8I.
73 BAG NJW 1968, 221.
5. Urlaub und Urlaubsgenuß
127
Adressat der vertraglichen Ansprüche sind vor allem Reiseunternehmen, mit denen der Reisende in aller Regel in unmittelbare Rechtsbeziehungen tritt7 4 • Bei Mängeln des Werkvertrages75 besteht hauptsächlich die Möglichkeit einer Minderung des Reisepreises (§ 633, 634 BGB), oder eines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung (§ 635 BGB)16, der auf den Wertunterschied zwischen der versprochenen und der erbrachten Leistung gerichtet ist 77 • Darüber hinaus billigt die Rechtsprechung auch wegen der ohne Erholungswert vertanen Urlaubstage einen Schadensersatzanspruch ZU 78 • In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall war der an den Kläger vermietete Ferienbungalow in Spanien bereits anderweitig belegt. Infolge dessen wandte der Kläger 5 Urlaubstage für die Hin- und Rückfahrt mit dem PKW auf. Das OLG hielt eine Entschädigung in Höhe dessen für angemessen, was der Kläger aufwenden müßte, um zusätzliche 5 Urlaubstage zu erhalten. b) Erhebliche Urlaubsbeeintridltigung
Liegt es in der Entscheidung des OLG Frankfurt noch auf der Hand, daß der Urlaub als solcher, die Urlaubszeit selbst, beeinträchtigt ist, so geht es in dem 1974 vom BGH entschiedenen Fall lediglich um Mängel der erbrachten Reiseleistungen, die wegen ihrer Erheblichkeit auf den Urlaub als solchen durchschlagen sollen. Der Kläger erhob über die Unterbringung in dem vorgesehenen Hotel, die Verpflegung und die Badegelegenheit am Strand umfangreiche Beanstandungen. Vom Pauschalreiseveranstalter verlangte er Schadensersatz in Höhe von 60 Ofo des Reisepreises sowie von weiteren 1500 DM als Entschädigung für nutzlos aufgewandte Urlaubszeit. Der BGH hält das Verlangen für gerechtfertigt79 • BGH NJW 1980,2192 m. w. N. Zur Rechtsnatur des Vertrages mit einem Reiseunternehmen vgl. nur BGH NJW 1974, 37; gegen das neue Reiseveranstaltungsvertragsrecht, das den Reisevertrag als aliud gegenüber dem Werkvertrag ansehe, wendet sich der Deutsche Richterbund in seiner Stellungnahme zum Entwurf, vgl. Leonardy, DRiZ 1978, 268. Angesichts der Einordnung unter den siebenten Titel "Werkvertrag und ähnlicher (I) Vertrag" kann von einem aliud nicht mehr die Rede sein. 78 Die Abgrenzung der mangelhaften Erfüllung zur Nichterfüllung, welche zur Anwendung der §§ 323 ff. BGB führt, ist nach der Literatur im Einzelfall schwierig; vgl. Eberle, DB 1979, 341 f., auch Tonner, S. 69 f.; ferner unten Abschnitt VII 5 c. 77 Vgl. i. e. Bartl, NJW 1972, 505 ff.; NJW 1978, 729 ff.; Palandt / Thomas, §635 BGB, Anm. 3 b. 78 BGH NJW 1975, 40; OLG Köln NJW 1973, 1083; KG MDR 1971, 1007; OLG Frankfurt NJW 1973,473 und NJW 1967, 1372. 78 BGH JZ 1975, 249 = NJW 1975, 40 Rumänienreise; mit kritischer Anm. Stoll, JZ 1975, 252 ff.; Schmidt, LM Nr. 37 zu § 249 (A) BGB; auch Grunsky, NJW 1975, 609 ff. 74
75
128 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich
. Es werden also die Fälle gleichbehandelt, in denen die Leistung nicht mangelhaft ist, sondern überhaupt unterbleibt, und jene, in denen die Leistung mangelhaft ist, und der Mangel so schwerwiegend ist, "daß der dadurch entstandene Schaden mit einer Herabsetzung des Reisepreises nicht ausgeglichen wird, weil der mit dem Urlaub verfolgte Zweck in erheblichem (?) Umfang verfehlt worden ist"80. c) Das Verhältnis zwischen Minderung und Schadensersatz
Beide Alternativen fanden bislang keine Grundlage im BGB. In der ersten Alternative stellt das Gesetz die Möglichkeit des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung, in der zweiten Alternative die Möglichkeit vor allem der Minderung zur Verfügung. Die Zubilligung einer darüber hinausgehenden Entschädigung beruht lediglich auf dem "Empfinden dafür, daß die vertragliche Sanktionsordnung ohne eine solche Entschädigung höchst unvollkommen wäre"Bl. Dem "Empfinden" ist für den Bereich der PauschalreisenB2 im Anschluß an die Rechtsprechung eine gesetzliche Grundlage in § 651 f Abs. 2 BGB auf Grund des seit 1. 10. 1979 in Kraft befindlichen Reisevertragsgesetzes vom 4.5.1979 geschaffen worden B3 . Danach besteht für einen begrenzten Bereich bei Vereitelung oder erheblicher Beeinträchtigung des Urlaubs ein Entschädigungsanspruch. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung von mangelhafter Erfüllung und Nichterfüllung soll § 651 f Abs. 2 BGB ungeachtet der systematischen Einordnung in das Gewährleistungsrecht grundsätzlich für alle Arten von Schadensersatzansprüchen des Reisenden aus dem Reisevertrag geltenB4 . Jedoch wird gesagt, die gesetzgeberische Intention sei im Gesetz nicht verwirklicht worden, so daß auch für den Reisevertrag die allgemeinen Grundsätze geltenB5 und die Schwierigkeit der Abgrenzung 80 BGH JZ 1975, 252; OLG Frankfurt NJW 1973, 473; OLG Köln NJW 1973, 1083; ebenso jetzt BGH NJW 1980, 1947 ff. für den Fall der Vorenthaltung
eines zu Urlaubszwecken gemieteten Ferienhauses; kritische Anm. Blaurock, NJW 1980, 1949 f. 81 Stoll, JZ 1975,252. 82 § 651 aI 1 BGB: "Gesamtheit von Reiseleistungen". 83 BGBL I. 509; BT-Drucksache 8/2343 und 786; vgl. dazu Teichmann, JZ 1979, 737 ff.; Bendref, JR 1980, 359 ff.; Eberle, DB 1979, 345; Löwe, BB 1979, 1357 ff.; Bartl, NJW 1979, 1384 ff.; ders., Reiserecht, 1979; Tonner, Der Reisevertrag, 1979. 84 Vgl. BT-Drucksache 8/2343, S. 11; Eberle, DB 1979, 341, 347 bemängelt die fehlende Gesamtregelung, da die völlige oder teilweise Nichterfüllung des Reisevertrages vom Gesetz nicht erfaßt werde, sondern nur die mangelhafte Erfüllung. An der Anwendbarkeit der §§ 320 ff. BGB als allgemeine Vorschriften bei Nichtvorliegen eines Mangels besteht jedoch kein Zweifel, vgl. auch Tonner, S. 69; ferner umfassend Teichmann, JZ 1979,737 ff. 8S Vgl. nur Münch. Komm. Löwe, Vor § 651 c BGB, Rdnr. 4.
5. Urlaub und Urlaubsgenuß
129
zwischen Fehlerhaftigkeit und (Teil-)Unmöglichkeit bestehe. Die neue gesetzliche Regelung schaffe hier große Probleme86 , die eine Entscheidung nur im jeweiligen Einzelfall zulasse. Aus der neuen Regelung resultieren bei den Anspruchsvoraussetzungen Unstimmigkeiten innerhalb des BGB auch insofern, als der Anspruch bei Pauschalreisen neben der Minderung (§ 651 f BGB: "unbeschadet"), bei sonstigen Reisen aber nur im Rahmen des § 635 BGB ("statt"), nicht jedoch bei §§ 633, 634 BGB in Betracht kommt 87 . Letzteres wurde vor Schaffung des Reisevertragsgesetzes auch von der Rechtsprechung negligiert. Wenn im Rumänienreise-Fall 60 % der für die Pauschalreise gezahlten Vergütung sowie weitere 1500 DM für vertane Urlaubszeit verlangt werden, so geht es bei den 60 % in Wahrheit um eine schlichte Minderung, die an sich den Weg zu einem weiteren Schadensersatzanspruch nach dem BGB versperrt. In den Materialien zum Reisevertragsgesetz heißt es bezeichnenderweise: "Für eine kumulative Geltendmachung der Minderung neben einem Schadensersatzanspruch wird allerdings in der Regel kein Bedürfnis bestehen, da ein Minderwert der Reise gegebenenfalls über den Schadensersatzanspruch liquidiert werden kann"88. Diese Möglichkeit kann aber nur im Verschuldensfall praktisch werden. Liegt ein Verschulden vor, so stellt sich nicht jedes Verlangen des Minderwerts bereits per se als Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs dar. Der Wortlaut des § 651 f BGB läßt der Minderung eindeutig ihren Platz neben dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Dieser kann nach Absatz 1 zwar "unbeschadet" der Minderung, also neben ihr und darüber hinausgehend verlangt werden, eine Identität mit dem eigentlichen Minderungsanspruch ist damit aber ausgeschlossen. Der darüber hinausgehende Schadensersatzanspruch erfaßt dann nach Absatz 2 "auch" die Urlaubsbeeinträchtigung. Der Gesetzgeber hat hier nach seinem erklärten Willen eine Anpassung an § 538 Abs. 1 BGB vorgenommen, um gerade auch Begleitschäden sowie Mangelfolgeschäden zu erfassen89 . 88 Vgl. dazu i. e. Teichmann, JZ 1979, 737 ff.; Larenz, VersR 1980, 689; Münch. Komm. - Löwe, Vor § 651 c BGB, Rdnr. 10. 87 Der Deutsche Richtertag hatte in seiner Stellungnahme vorgeschlagen, Schadensersatz wegen Nichterfüllung wie bei allen anderen Verträgen nur "statt" der Wandlung oder Minderung zuzubilligen und § 651 f. Abs. 1 BGB deshalb zu streichen, vgl. Leonardy, DRiZ 1978, 269. 88 BT-Drucksache 8/2343, S. 10. 8i BT-Drucksache 8/2343, S. 10; dazu Bart!, Reiserecht, S. 54; kritisch Teichmann, JZ 1979, 742; überflüssig und verfehlt ist die Feststellung, die Minderung behaupte ihren Platz als "unmittelbare gesetzliche Folge des Mangels", indem sie eine vertragliche Vereinbarung der Parteien nicht voraussetze (vgl. aber BT-Drucksache 8/2343, S. 9).
9 Ströfer
130 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich d) Urlaubsgenuß und "teilweise" vertaner Urlaub
Sowohl das Reisevertragsgesetz für Pauschalreisen als auch die Rechtsprechung für sonstige Reisen lassen mit der Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs bei "erheblicher" Beeinträchtigung eine klare Abgrenzung zu dem bloßen Genußschmälerungen, bei denen seit der Rumänienreise-Entscheidung ein Anspruch abgelehnt wird, weil sie nicht den Urlaub als solchen als "vertan" erscheinen lassen 9o , nicht mehr zu. Der Anspruch unterliegt letztlich allein subjektiv-individuellen Unwägbarkeiten. Was bei jüngeren Menschen bloße Genußbeeinträchtigung ist, kann bei älteren Menschen bereits "vertane" Urlaubszeit, also erhebliche Beeinträchtigung sein91 • Selbst der Aufenthalt einer Gruppe Behinderter im gleichen Hotel kann dann unter besonderen Umständen für einen empfindsamen Menschen eine erhebliche Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses und damit des Urlaubs selbst darstellen 92 • Auch die individuelle Entschlossenheit des Reisenden entscheidet über den Anspruch. Er darf nicht etwa versuchen, aus den schlechtesten Umständen am Urlaubsort noch "das Beste" zu machen. So meint Bartl, es spreche gegen eine "erhebliche Beeinträchtigung", wenn der Reisende weiterhin am Urlaubsort verbleibe, obwohl ihm der Reiseveranstalter eine Rückreise angeboten habe. Um nicht gar zu rigoros zu erscheinen, schränkt er ein, daß es jedoch Ausnahmen geben könne 93 • Dem gegenüber stellte schon das Kammergericht fest, es entspreche der Lebenserfahrung, daß die meisten Reisenden letztlich bereit seien, auch erhebliche Beeinträchtigungen ihrer Urlaubsfreude in Kauf zu nehmen, nur um nicht noch mehr Aufregungen zu haben und dadurch den Urlaub noch weiter zu belasten94 • Anders aber z. B. LG München MDR 1970,925; KG OLGZ 1969, 17. VgI. den Fall KG OLGZ 1969, 19; Stoll, JZ 1975, 254; vgI. krit. Scholler, JZ 1980, 674: Weder die Sachmängelhaftung im Rahmen der §§ 633, 635 noch die im Haftungsrahmen der positiven Vertragsverletzung lasse es zu, auf den empfindsamen Menschen abzustellen. 92 So das in der Öffentlichkeit zu Recht starke Reaktionen hervorrufende Urteil des LG Frankfurt NJW 1980, 1169. Das LG hielt einen Minderungsbetrag in Höhe von nahezu der Hälfte des Reisepreises für berechtigt. Es hätte gut daran getan, die mit dem Vertragsgegenstand im Zusammenhang stehenden gerügten Mängel (stundenweiser Wasserausfall; Schmutz im Hotel und am Strand; kein Sandstrand; mangelhafter Service) in den Vordergrund zu stellen (vgI. insoweit auch die Klarstellung zum Sachverhalt und die Kritik bei Brox, NJW 1980, 1939); ferner AG Frankfurt NJW 1980, 1965); abI. Scholler, JZ 1980, 677 (Negierung der Einwirkungen des öffentI. (Sozial-) Rechts). 93 Bart!, NJW 1979, 1388. 94 MDR 1971, 1008. 90
91
5. Urlaub und Urlaubsgenuß
131
Vollends undurchschaubar wird die Abgrenzung, wenn man noch den "teilweise" vertanen Urlaub einbezieht 95 • Hingewiesen sei hier auf die Regelung der Teilunmöglichkeit in §§ 280 Abs. 2, 325 Abs. 1 S. 2 und 307 Abs. 2 BGB, an deren Anwendung man denken könnte. Müßte dann aber nicht die bloße Genußbeeinträchtigung als teilweise vertaner Urlaub angesehen werden bzw. wann liegt eine bloß mangelhafte Erfüllung vor?96. Die Konsequenzen erscheinen allenfalls als erträglich, wenn man den folgenden Satz des BGH beachtet und ernst nimmt: "In aller Regel werden die Reiseleistungen, auch wenn sie mit Mängeln behaftet sind, den Urlaub als solchen nicht - auch nicht teilweise - als "vertan" erscheinen lassen 97 . Auch in der Literatur wird betont, den Interessen der Reisenden werde meist schon mit einer Minderung des Reisepreises gedient sein98 . Mit solchen Beruhigungserklärungen und Lippenbekenntnissen sollte man sich indessen nicht von der grundsätzlichen Fragwürdigkeit der Begründung des Schadensersatzanspruchs für Urlaubsbeeinträchtigungen ablenken lassen. Schließlich ist es der BGH selbst, der in der leitenden Entscheidung den Anspruch im Ergebnis rechtfertigt. Er hält daran auch in neuester Zeit fest 99 . Eine Begründung, die nicht am jeweiligen Vertragsinhalt orientiert ist, läuft Gefahr, entgegen dem gesetzlichen Leitgedanken des Ausgleichs auf Gesichtspunkte der Genugtuung und Prävention abzustellen 100 . Das wahre Anliegen der Lösung des BGH wird angesprochen von Tolk 101 : Vor allem sollen die Reiseveranstalter zur korrekten Erfüllung ihrer Vertragspflichten angehalten werden. Der in § 651 f Abs. 2 BGB vorgesehene Schadensersatzanspruch wird "lediglich als eine Sanktion zur Abwendung von Mißständen im Massentourismus" angesehen 102 . Dem entspricht die Intention des neuen Reisevertragsrechts auch insofern, als die Rechtsstellung des Verbrauchers verbessert werden SOll103. Dieses legitime Anliegen des Reisevertragsrechts steht außerhalb jeder Kritik, wenngleich auch gesagt werden muß, daß es diesem Ziel nicht in allen Belangen dientl° 4 • Vgl. im Ansatz BGH JZ 1975,251. Vgl. zu dem Problem der Abgrenzung auch Eberle, DB 1979, 341 ff.; ferner oben Abschnitt VII 5 c. 87 BGH JZ 1975, 251. 98 Grunsky, NJW 1975, 610. 99 Vgl. BGH NJW 1980, 1947 ff. 100 Vgl. oben Abschnitt III 2. 101 aaO, S. 80. 102 So Braschos, S. 168 Fn. 322. 103 Vgl. Begründung BT-Drucksache 8/786, S. 10 und BT-Drucksache 85
88
8/2343, S. 6.
104 Vgl. dazu Bartl, NJW 1979, 1390.
S·
132 VII. Die Kommerzialisierungsrechtsprechung im vertraglichen Bereich e) Kritik und Bedeutung des Reisevertragsgesetzes Bemängelt wird nicht zu Unrecht, daß das neue Recht zu einem Ansteigen der Gesetzesflut und lediglich zu einer Rechtszersplitterung führe statt zu einer ausgewogenen Gesamtregelung; das Reisevertragsrecht stelle einen Fremdkörper im System des BGB dar 105 • Das Reisevertragsrecht wird für "teils rückschrittlich und darüber hinaus nicht klärend, sondern sogar streitbegründend" gehalten106 • Da zudem schon das ursprünglich als großes eigenständiges Werk zum Schutz des "Massentouristen" gedachte Ausgangsgesetz gegenüber der Rechtsprechung wenig Neues gebracht habe, wird das gewordene Gesetz als "Torso" und als "überflüssig" bezeichnett 07 • Die Kritik entbehrt angesichts der Konformität der nunmehr nur für die sonstigen Urlaubsreisen Geltung beanspruchenden Rechtsprechung nicht einer gewissen Berechtigung108 • Fest steht, daß das Gesetz in jenen Fällen nicht anwendbar ist, mag auch die unterschiedliche Behandlung als ungerecht erscheinen109 • Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs würde den seinem Kern nach gültigen Satz "singularia non sunt extenda" tangieren llO • Im Umkehrschluß könnte man jetzt sogar zu dem Ergebnis kommen, daß in den Nicht-Pauschalreisen eine Entschädigung abzulehnen ist. Indem nämlich der Gesetzgeber den Anspruch in Festschreibung der bisherigen Rechtsprechung auf die Fälle der Pauschalreisen beschränkt, könnte sich für die übrigen, nicht im Reisevertragsrecht geregelten Fälle ergeben, daß bei ihnen ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung wie zu Zeiten der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Reisevertragsrechts nicht mehr besteht. Eine derartige Exklusivwirkung entspräche zwar dem Geltungsbereich des Gesetzes, nicht aber den Intentionen des Gesetzgebers, der nicht gehindert ist, nur einen Teilbereich gesetzlich zu regeln. Im Ergebnis ist ein Unterschied zwischen den nach dem Gesetz und den nach der Rechtsprechung zu entscheidenden Fällen nicht zwangsläufig. Nicht eine Frage der Anwendung des Reisevertragsgesetzes, sondern eine Frage der Privatautonomie ist es, ob die Vertragsparteien 105 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucksache 8/786, S. 35; Bartl, NJW 1978, 736; Eberle, DB 1979, 347; Rebmann, DRiZ 1978, 269; die Unübersichtlichkeit des Verbraucherrechts beklagt Gilles, ZRP 1979,265. 106 Bartl, Reiserecht, S. 19. 107 Zuck NJW 1979, 1685; vgl. auch Bartl, Reiserecht, S. 19; Eberle, DB 1979, 341; kritisch ferner Burger, NJW 1980, 1254. 108 So auch Schmitz, S. 223. 108 Kritisch daher schon Medicus, Anm. zu BGH JZ 1974, 338; aA Blaurock, NJW 1980, 1949, der in der "unmittelbaren (7) Analogie zu § 651 f. II BGB" die Möglichkeit zur Aufgabe der Kommerzialisierungsthese sieht; weitergehend jetzt Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 48. 110 Vgl. Braschos, S. 103.
5. Urlaub und Urlaubsgenuß
133
in den nicht gesetzlich geregelten Fällen auf den Boden des Vertragsrechts zu einer entsprechenden Lösung kommen können. Nur für Pauschalreisen schränkt das Reisevertragsgesetz die Vertragsfreiheit insofern ein, als ein Anspruch wegen Urlaubsbeeinträchtigung nur unter den dort fixierten Voraussetzungen besteht. In den anderen Fällen ist freilich eine etwaige Ausstrahlungswirkung des Reisevertragsgesetzes zu beachten. Bei ausfüllungsbedürftiger vertraglicher Regelung kommt dem Gesetz die begrenzte Bedeutung eines Leitmodells zu 111 • Das ändert aber nichts daran, daß der Vertrag die Grundlage für die Lösung bietet 112 • f) Richtiger Ansatz in der Rechtsprechung
Erste Ansätze für eine vertragsspezifische Lösung finden sich in einer Entscheidung des OLG Saarbrücken aus dem Jahre 1965 113 • Der Senat sprach dem Kläger für die Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses infolge verspäteter Lieferung des für die Urlaubsreise bestellten Kraftfahrzeuges einen Schadensersatzanspruch aus § 286 BGB letztlich deshalb zu, weil die erstrebten immateriellen Vorteile (Bequemlichkeit, Genuß, Erleichterungen für den Urlaub) "der dem Verkäufer bekannte Hauptzweck des Vertrages" waren 114 • Ähnliche Ansätze finden sich in einer Entscheidung des KG Berlin, das einen Anspruch wegen Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses zuerkannte, weil der Kläger mit seiner vierköpfigen Familie entgegen der Buchung für mehrere Tage in einem Einzelzimmer untergebracht worden war115 • Das Kammergericht stellte entscheidend auf den Inhalt und Gegenstand des Vertrages ab und führte aus: " ... die Reise hatte nicht bloß die Beförderung, die Hotelunterbringung und die Verpflegung der Reiseteilnehmer zum Gegenstand, mit ihr sollte vielmehr auch Gelegenheit zur Erholung gegeben werden". Diesen Reisegenuß - das in der Reise mitenthaltene "Erholungspotential" - habe sich der Kläger durch die Buchung mit Geld erkauft l16 • Auch das OLG Frankfurt sprach 1973 einen Schadensersatzanspruch in Höhe des gesamten Reisepreises abzüglich ersparter Eigenaufwendungen zu, weil das beklagte Reiseunternehmen nicht einen Urlaubsaufenthalt schlechthin versprochen habe, sondern eine Reise, die Gelegenheit zur Ruhe und Entspannung biete 117 • Trotz der Ankündigung in Dazu unten Abschnitt X 4 d aa. m aA Leonardy, DRiZ 1978, 269; Rebmann, DRiZ 1978, 271. 113 DAR 1965, 299 ff. 114 aaO, S. 301. 115 OLGZ 1969, 17 ff. u, aaO, S. 18. 117 NJW 1973, 470 ff. 111
134 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts einem Prospekt der Beklagten, der Ferienort liege weit ab vom großen Touristenstrom und sei ideal für Ruhe- und Erholungssuchende, wurde die Ruhe des Klägers allabendlich durch laute Musik und ein nahegelegenes Freilichtkino empfindlich gestört. Das OLG Oldenburg 118 legte eine von den Parteien vereinbarte Vertragsbedingung, wonach der Gastwirt bei Nichtbereitstellung des Zimmers dem Kläger zur Schadensersatzleistung verpflichtet sei, unter billiger Berücksichtigung der Belange beider Parteien dahin aus, daß der Beklagte zum Schadensersatz ohne Beschränkung auf materielle Schäden, also auch für immaterielle Schäden, verpflichtet sei. Da der Vertrag gerade auf die Vermittlung immaterieller Werte gerichtet gewesen sei, habe sich die Nichtbereitstellung der Ferienwohnung nach der dem Beklagten bekannten Interessenlage des Klägers erheblich im immateriellen Bereich auswirken müssen. Dieser Argumentation verschließt sich auch der BGH in seiner aufhebenden Revisionsentscheidung nicht. Er stützt sie zwar im Ergebnis weiterhin auf den Kommerzialisierungsgedanken, lehnt aber die vorinstanzliche Entscheidung nur im Hinblick darauf ab, daß sie auf der Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung beruht. Maßgebend sei, ob die Geschäftsbedingung "allgemein dahin zu verstehen ist, daß bei Gastaufnahmeverträgen immer auch der immaterielle Schaden zu ersetzen ist, wenn das gebuchte Zimmer nicht bereitgestellt wird". Der Gastaufnahmevertrag sei aber insgesamt gesehen nicht typischerweise auf die Verschaffung "immaterieller Werte" gerichtet 119 •
Abschnitt VIII
Die Ablehnung immateriellen Schadensersatzes im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts 1. Grundsatz der absoluten Sperrwirkung des § 253 BGB?
Trotz der Kommerzialisierungsbestrebungen im vertraglichen Bereich! geht die bisher überwiegende Meinung geradezu von einem Grundsatz der absoluten Sperrwirkung des § 253 BGB bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen aus. Von dem nur vertraglich haftenden 1108 Vorinstanzliche Entscheidung zu BGH NJW 1980, 1947. m BGH NJW 1980, 1947. ! Siehe oben Abschnitt VII.
1. Grundsatz der absoluten Sperrwirkung des § 253 BGB?
135
Schädiger soll ein Schmerzensgeld nicht verlangt werden können2 • Das Affektionsinteresse wird nicht einmal erwähnt. Sein Ausschluß versteht sich offenbar von selbst. Der Nichtvermögensschaden soll schlechthin aus dem Vertragsrecht ferngehalten werden. Die Motive zum BGB stellen fest, daß § 253 BGB "ausnahmslos für alle Fälle, in welchen Schadensersatz wegen Nichterfüllung bestehender obligatorischer Verpflichtungen in Frage steht", gelte 3 • Darauf deuten auch die §§ 618 Abs. 3 BGB4, 62 Abs. 3 HGB hin, wo zwar die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 842 - 846 BGB, nicht aber die des § 847 BGB erklärt wird 5 • Als Ausnahmebestimmung wird § 847 BGB einer analogen Anwendung - jedenfalls für den vertraglichen Bereich - als nicht zugänglich erachtet6 • Die strikte ablehnende Haltung im Vertragsrecht muß in ihrer (scheinbar) konsequenten Durchführung überraschen, da die Rechtsprechung im Bereich deliktischer Ansprüche angesichts der als unbillig empfundenen Vorschrift des § 253 BGB mehr und mehr dahin tendiert, in Zweifelsfällen das Vorliegen eines Vermögensschadens zu bejahen7 • Ein System ist nicht erkennbar. In den Urlaubsfällen B wird wiederum bei Vertragsbrüchen ein Ersatzanspruch eher zugebilligt als bei deliktisch bedingten Urlaubsschäden 9 • So postuliert etwa StolI, daß bei der gesetzlichen Haftung "größere Zurückhaltung" geboten sepo. 2 Palandt / Thomas, § 847 BGB, Anm. 1 a; Soergel / Schmidt, §§ 249 - 253 BGB, Rdnr. 88; Erman / Sirp, § 253 BGB, Rdnr. 3; Kötz, Deliktsrecht, S. 231; von Beauvais, S. 123 m. w. N.; Fischer, S. 298; Baur, S. 21; Böhmer, MDR 1966,296; Fromherz, AcP 108,455; Dietz, S. 71, 135; RGZ 65, 21; 112,294. 3 Mugdan II, S. 12. 4 Vgl. dazu RGZ 113, 287; Ebbecke, Jher. Jb. 71, 348. 5 Braschos (S. 12 ff.) sieht den Grund für die Nichterwähnung des ~ 847 BGB lediglich in einem "sozialpolitischen Komprorniß zwischen den Arheitgeber- und Arbeitnehmerinteressen" (S. 13); dafür spricht auch die Nirhtberücksichtigung des Schmerzensgeldes in den § 636, 637 RVO - das Risiko von Arbeitsunfällen soll für den Arbeitgeber kalkulierbar sein (vgl. BVerfG NJW 1973, 502); der Gesichtspunkt ändert aber nichts am gewollten Unterschied zwischen deliktischer und vertraglicher Haftung; vgl. zutreffend Dietz, S. 108: "Gerade aus § 618 III folgt, daß der Anspruch auf Schmerzensgeld ein ausgesprochen deliktsrechtlicher Anspruch ist, ein vertraglicher sich nie darauf erstrecken kann"; vgl. auch Wiese DB 1975, 2311; von Beauvais,
S. 126 f.
8 RGZ 112, 294; anders beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dazu kritisch oben Abschnitt II 3 b; zur Anwendung im Vertragsrecht vgl. Nipperdey, S. 46; Bruns, JuS 1971, 226; Knetsch, S. 191 ff. (de lege lata); ferner schon Fröchte, S. 35 ff.; Braschos, S. 69 ff. (de lege ferenda). 7 So auch Lange, Schadensersatz, S. 36; ferner Heldrich, NJW 1967, 1738; siehe auch oben Abschnitt IV. 8 Siehe oben Abschnitt VII 5. I So auch Lange, Schadensersatz, S. 238. 10 JZ 1975, 254.
136 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
Der Gesetzgeber nahm Unbilligkeiten und an einem gerechten Interessenausgleich vorbeigehende Ergebnisse offenbar bewußt in Kauf. Mit wenig Sinn für die praktische Realität l l wird die Vereinbarung einer Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB) als ausreichende Schutzmöglichkeit angesehen: "Wo die Verletzung einer obligatorischen Verpflichtung in Frage steht, ist das Interesse des Gläubigers im Wesentlichen dadurch gedeckt, daß er die Erfüllung der Verbindlichkeit, soweit sie auf Vertrag beruht, sich durch Ausbedingung einer Strafe zu sichern vermag"12. Gerade bei dem nicht ersatzfähigen Schaden soll die Vertragsstrafe von besonderer Bedeutung sein13 . Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der Vertragsstrafe (§ 343 Abs. 1 S. 2 BGB) ist jedes berechtigte Interesse des Gläubigers, nicht bloß das Vermögens interesse in Betracht zu ziehen14. Eine Sperre des § 253 BGB besteht insoweit nicht. Dies zeigt, daß die Sperrwirkung nie eine absolute war15 .
2. Kritik und Lösungsansätze in der Literatur Die Versagung immateriellen Schadensersatzes bei vertraglicher Anspruchsgrundlage ist seit Schaffung des BGB Gegenstand kritischer Stellungnahmen gewesen. Da die Kritik überwiegend rechtspolitisch orientiert war, ist sie über Ansätze zu einer dogmatischen Neubesinnung nicht hinaus gekommen. Ihre Berechtigung kann heute angesichts der erkannten Bedeutung des Grundsatzes der Privatautonomie keine Frage mehr sein. Erforderlich ist nur, der Kritik eine tragfähige Grundlage zu geben, die ihrerseits Beschränkungen des Vertragsrechts unterliegen mag. a) Untauglidlkeit der Vertragsstrafe
Die Entwicklung ist über die vom Gesetzgeber des BGB zur Legitimation seines Standpunktes herangezogene Möglichkeit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe hinweggegangen16 . Die Vertragsstrafe hat bezogen auf immaterielle Interessen - nie die Stellung eingenommen, die ihr vom Gesetzgeber zugedacht war. 11 Lange, Schadensersatz, S. 257: "naiv"; nur Braschos, S. 39, auch S. 109 ff., sieht die Vertragsstrafe als "akzeptables Ersatzinstrument" ; siehe aber seine Bedenken aaO, S. 249. 12 Mugdan 11, S. 12. 13 Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 339 BGB, Anm. 1 a; vgl. aber auch Lindacher, S. 60, 210. 14 Vgl. Stoll, Gutachten, S. 33 im Anschluß an Bötticher, MDR 1963, 356; Horschitz, NJW 1973, 1958; Wiese, DB 1975, 2312. 15 Dazu ferner unten Abschnitt VIII 7 a (1). 18 Allgemein zur Vertragsstrafe vgl. Lindacher, Phänomenologie der Vertragsstrafe, 1972; Horschitz, NJW 1973, 1958; zur gesetzlichen Privatstrafe vgl. Grossfeld, Die Privatstrafe, 1961; zur Unterscheidung bereits Cosack, § 93, insbes. S. 323; gegen die Einordnung der Vertragsstrafe als Privatstrafe siehe Lindacher, S. 63.
2. Kritik und Lösungsansätze in der Literatur
137
Sie hatte auch nie eine Berechtigung. Gegen die Ausbedingung einer Vertragsstrafe kann apriori eingewandt werden, daß die Annahme "dieses Mißtrauensvotums" vom Gläubiger beim Vertragsabschluß nicht erzwungen werden kann und seine allgemeine Verbreitung darüber hinaus auch kaum wünschenswert sein sollte 17 • Gerade bei Verträgen mit persönlichkeitsbezogenem Einschlag werden den Vertragspartner oft verständliche Gründe davon abhalten, von vornherein sein Mißtrauen zu dokumentieren. Im Hinblick auf die Preisgabe von Immaterialgütern wird er sich gerade eine Person seines Vertrauens als Vertragspartner aussuchen, von dem er eine reibungslose Vertragsdurchführung erwartet. überhaupt führt eine derartige Erwartungshaltung allgemein dazu, daß die Parteien das Ausbleiben der Leistung nicht in Bedacht nehmen und deshalb für diesen Fall auch keine Vorsorge treffen wollen 18 • Dies hat der Gesetzgeber an anderer Stelle 19 selbst erkannt, als es darum ging, einen Antrag abzulehnen, nach dem der Schuldner bei einer Leistung ohne Vermögenswert als Schadensersatz wegen Nichterfüllung den Geldbetrag leisten sollte, "auf welchen eine den Umständen angemessene Konventionalstrafe zu bestimmen gewesen wäre"2o. Jedenfalls wird der Normalbürger nicht gerade auf die Idee einer Vertragsstrafevereinbarung verfallen, welche ihm in den wenigsten Fällen bekannt sein dürfte. Er wird davon ausgehen, daß gerade für die Fälle der Nichterfüllung der vertraglich vereinbarten Pflichten das Gesetz schon eine entsprechende Sanktion in Form eines Ersatzanspruchs bereithä1t2 1 • Die Möglichkeit einer Vertragsstrafvereinbarung beruht ferner auf der Vorstellung von dem individuellen Vertragsschluß zweier gleichgestellter Partner. In den heutigen Massenverkehr, der maßgeblich bestimmt wird durch konzentrierte Wirtschaftsrnächte auf der Anbieterseite, paßt dieses Bild nicht. Der heutige Verbraucher kann sich glücklich schätzen, wenn er etwa durch das AGB-Gesetz einen Mindestschutz erhält. Eine aktive Machtposition, die ihm ermöglicht, eine Vertragsstrafevereinbarung durchzusetzen, dürfte dem Verbraucher im Regelfall fehlen; sie ist zudem von der marktspezifischen Konjunkturlage abhängig. Heute ist festzustellen, daß ein Rollentausch die Bedeutung der Vertragsstrafe verschiebt. In ständig wachsendem Maße be17 Vgl. Stoll, Gutachten, S. 35; für den Bausektor geht der BGH davon aus, daß die Möglichkeit einer Vertragsstrafevereinbarung "keineswegs von vornherein von der Hand zu weisen" sei (NJW 1978, 1807); auch Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 41: "real gegeben". 18 aA offenbar Stoll, JZ 1975, 255 Fn. 30. 111 Mugdan 11, S. 517. 10 Mugdan 11, S. 515. f1 So Braschos, S. 249, vgl. aber S. 39, 109 ff.
138 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
dient sich die Wirtschaft dieses Druckmittels im Rahmen ihrer AGB und Formularverträge22 . Der Wirtschaft dürfte es kaum um die Berücksichtigung des sonst nicht als ersatzfähig erachteten immateriellen Schadens gehen. Betroffen von einem immateriellen Schaden ist vor allem die Einzelperson23 . Es ist nur folgerichtig, sich des Satzes von atto Gierke zu erinnern, daß, je mehr die Privatstrafe aus dem geltenden Recht verschwinde, desto unentbehrlicher die Berücksichtigung des immateriellen Schadens sei 24 . Erinnert sei hier nur dar an, daß die Befriedigung immateriellen Schadens im römischen Recht weitgehend durch die im 19. Jahrhundert abgeschaffte Privatstrafe erfolgte 25 . Der Gesetzgeber des BGB blieb also - ungeachtet der Entwicklung - dem Vorbild des römischen Rechts insofern verhaftet, als er den immateriellen Schadensersatz im Vertragsrecht der Vertragsstrafe vorbehalten wollte, die man als überbleibsel der Privatstrafe bezeichnen könnte. Auch wenn man den theoretischen Geltungsanspruch der Konventionalstrafe beachtet, steht die Argumentation des Gesetzgebers unter der Voraussetzung, "daß das bürgerliche Recht für lauter geriebene Geschäftsleute bestimmt ist"26. Stoll bemerkt darüber hinaus zutreffend, daß vor allem die Heranziehung der in den wettbewerbsrechtlichen Gesetzen 27 enthaltenen Bußvorschriften zu dem befremdlichen Ergebnis führe, daß in einem weiten Bereich typisch geschäftlicher Auseinandersetzungen ideelle "Wunden" schadensrechtlich erheblich seien, die von einem Nichtgeschäftsmann hingenommen werden müßten 28 . Damit ergibt sich, daß gerade der normale Durchschnittsbürger eines vertragsstrafeunabhängigen Schutzes bedarf. Auch aus dem Verständnis der Vertragsstrafe ergibt sich eine Lücke im Schutz des Durchschnittsbürgers. Zwar ging der Gesetzgeber davon aus, daß das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung "im wesentlichen" durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe gesichert werden könne29 . Es zeigt sich aber, daß der Schutz höchst unvollkommen ist, 22 So Horschitz, NJW 1973, 1958; vgl. jetzt § 11 Ziff. 6 AGBG; auch BGH NJW 1976, 1886 f. 23 Zu beachten sind allerdings Bestrebungen, auch nicht-natürlichen Personen eine Persönlichkeitssphäre zuzusprechen, vgl. Palandt / Thomas, § 823 BGB, Anm. 15 B; ferner jetzt BGH BB 1980, 1548 für die Personengesellschaft: Bejaht wird ein eigener Unterlassungsanspruch, soweit die Gesellschaft selbst unmittelbar betroffen ist. Eine Geldentschädigung zum Ausgleich immaterieller Nachteile wird allerdings verneint, da ein Genugtuungsbedürfnis nur der in ihr verbundenen Gesellschafter bestehe. 24 Entwurf (1889), S. 197; auch Baur, S. 30. 25 von Beauvais, S. 18; zur Injurienklage als Privatstrafklage vgl. Kaufmann, AcP 162, 423. 26 So Gierke, Entwurf, S. 198. 27 Vgl. §§ 35 Abs. 1 Satz 2, 27 GWB; ferner §§ 97 Abs. 2 UrhG. 28 Gutachten, S. 41. 29 Mugdan 11, S. 12.
2. Kritik und Lösungsansätze in der Literatur
139
wenn ein nichtvermögensrechtliches Interesse Vertragsgegenstand ist. Die Vertragsstrafe setzt voraus, daß außerdem noch eine Hauptverbindlichkeit besteht. Sie ersetzt nicht die Hauptverbindlichkeit, sondern tritt neben diese, "steht erst in zweiter Reihe"30. Ihrer Abhängigkeit von der Hauptleistung liefe es zuwider, wenn die Vertragsstrafe nun "in die erste Reihe" gerückt würde und sie die Funktion des immateriellen Schadensersatzes übernähme. Lediglich als "Druckmittel" soll sie die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit sichern31 . Damit liegt ihr eigentliches Anwendungsgebiet in der Sicherung der über den Vertragsgegenstand hinausgehenden Folgeschäden. Zutreffend geht die überwiegende Meinung zwar von der doppelten Zweckrichtung der Vertragsstrafe aus. Sie sei nicht nur primär ein Zwangsmittel, sondern solle auch eine erleichterte Schadloshaltung bei nichtnachweisbarem oder nichtersatzfähigem Schaden ermöglichen32 . Allein die Sicherungsfunktion ist aber angesprochen, wenn es um ein nichtvermögensrechtliches Interesse als Vertragsgegenstand geht. In diesem Bereich kann die akzessorische Vertragsstrafe ihre zweite Funktion in Form der Ersatz-Schutzfunktion für den Gläubiger nicht entfalten. b) § 847 BGB im Vertragsrecht?
Als Befriedigung des Gerechtigkeitsempfindens zu verstehen ist die Forderung, jedenfalls bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln des Schädigers einen vertraglichen Entschädigungsanspruch bei immateriellen Schäden zu bejahen33 . Dem geltenden Recht, das eine Bemessung des Schadensersatzes nach dem Grad des Verschuldens nicht kennt 34 , entspricht der Vorschlag nicht. Gleichwohl ist sein Anliegen im Kern nicht unberechtigt. Gesagt wird, es sei "schlechthin nicht einzusehen, weshalb diejenige Vergütung, die bei einer leichten außerkontraktlichen Verletzung sittlich zulässig ist, auch bei dem schwersten Vertragsbruche unzulässig sein sollte"35. Es sei ein Irrglaube, daß jede außervertragliche Schädigung 30 Cosack, § 93, 4 a; vgl. Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 339 BGB, Anm. 1 b; aA Lindacher, S. 66 ff. 31 BGH NJW 1976, 1887; Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 339 BGB, Anm. l. 3Z Motive 11, S. 275; Horschitz, NJW 1973, 1958; Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 339 BGB, Anm. 1; BGHZ 63, 259; BGH NJW 1976, 1887; aA Lindacher, S. 58 ff., 210. 33 Gierke, Entwurf, S. 197 f.; Wiese, S. 60; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1976, 1320 (dazu oben Abschnitt IV 5); entsprechend bereits das Preuß. ALR 15, §§ 285 ff. 34 Vgl. aber die Reduktionsklausel bei leichter Fahrlässigkeit in § 255 ades Referentenentwurfs 1967; auch ALR I 7, § 14; die Schwere des Verschuldens
spielt nur bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine Rolle. 35 So Heck, S. 57; er übersieht, daß es nicht eigentlich um die Frage der (Un-)Zulässigkeit geht, sondern vielmehr um das Verhältnis von Deliktsund Vertragsrecht, dazu unten Abschnitt VIII 4.
140 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts schwerer zu beurteilen sei als ein Vertragsbruch. Die Versagung des Ersatzes von Nichtvermögensschäden bei vertraglicher Haftung wird daher als "innerlich ... schlechthin sinnlos" bezeichnet36 . Auch das Reichsgericht sah sich zu dem Eingeständnis veranlaßt, daß "ein innerer Grund für diese Verschiedenheit der Haftung aus Verträgen und aus unerlaubten Handlungen vielleicht nicht aufzufinden ist"37. Der 45. Deutsche Juristentag 1964 hat daher eine gesetzliche Neuregelung der Verpflichtung zum Geldersatz bei immateriellen Schäden für erforderlich gehalten und u. a. vorgeschlagen, in den Fällen des § 847 BGB einen Schmerzensgeldanspruch auch bei schuldhafter Vertragsverletzung zuzuerkennen38 . Durchgesetzt hat sich der Vorschlag nicht, er wird nicht einmal im Referentenentwurf 1967 berücksichtigt. Auch in der Literatur wurden Gesetzesvorschläge unterbreitet39 , denen keine große Beachtung zuteil wurde. Dabei bestehen im Hinblick auf eine unkontrollierbare Ausweitung des richterlichen Ermessens durchgreifende Bedenken nicht. Die richterliche Freiheit wird - wie auch die Erfahrung lehrt40 - im allgemeinen mit Augenmaß und großer Vorsicht unter Ausnutzung des kasuistischen Erfahrungswissens in einer Weise ausgeübt, die eines Rechtsstaates würdig ist. Sie ist in den Fällen des § 847 BGB nicht geringer als sie es beim immateriellen Schadensersatz im Vertragsbereich sein müßte 41 • Die bedenklichen Extensionen des § 847 BGB durch die Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht 42 sollten nicht als ein Argument gegen den Ersatz immaterieller Vertragsschäden angeführt werden. Eine andere Frage ist es, ob der richtige Weg im Vertragsrecht über § 847 BGB führt 43 . In der Literatur wird ferner darauf hingewiesen, daß doch gerade der Vertragspartner zu besonderer Sorgfalt verpflichtet sei 44 . Nicht einzusehen sei, warum die bewußt vertragsbrüchige Partei, die doch ein Treueverhältnis mit der Gegenpartei verbinde, besser gestellt sein solle als der deliktische Rechtsbrecher 45 . Das Unverständliche trete insbesondere bei schuldhaft fehlerhafter Behandlung des Arztes zutage. 38 Fuchs, JW 1929, 554. 37 RGZ 65, 21; ebenso Neumann Jher. Jb. 86, 339. 38 NJW 1964, 2098; im Ergebnis ebenso Bmns, JuS 1971, 226; Knetsch, S. 191 ff.; Braschos, S. 69 ff.; von Beauvais, S. 274; vgI. schon Leonard, Besonderes Schuldrecht, § 353; Fröchte, S. 35 ff. 39 von Beauvais, S. 275; Braschos, S. 256; dazu unten Abschnitt VIII 3. 40 So bereits die zweite Kommission, Mugdan 11, S. 517. 41 So bereits Heck:, S. 57. 4! Siehe oben Abschnitt 11 3 b. 43 Dazu i. e. unten Abschnitt VIII 4 d; 7 a (2); X. 44 Stoll, Gutachten, S. 38; Münzel, NJW 1963, 1579; m. abI. Erwiderung Hohenester, NJW 1964, 84. 45 Baur, S. 21.
2. Kritik und Lösungsansätze in der Literatur
141
Der Arzt hafte dem Patienten hier nicht, weil er sich zu sorgfältiger Behandlung verpflichtet habe, sondern, weil er ihn wie jeden anderen Menschen nicht schädigen dürfe 46 • Wenn sich der Vertragspartner nicht zugleich auch in der "glücklichen Lage des außenstehenden Dritten" befindet47 und zugleich einen Anspruch aus unerlaubter Handlung geltend machen kann4B , so besteht nach bisher herrschender Meinung ein Schmerzensgeldanspruch nicht. Der Schmerzensgeldanspruch bleibt damit auch den Schwächen unterworfen, die dem deliktischen Anspruch zu eigen sind49 • Er entfällt apriori völlig, wenn man von der Spezialität des Vertragsrechts ausgeht 50 • Hier wird dann aber die analoge Anwendung des § 847 BGB bejaht51 • Es wird für möglich gehalten, Lücken des Vertragsrechts durch Anspruchgrundlagen des Deliktsrechts zu ergänzen52 , ohne daß aber die Lücken nachgewiesen werden. Vernachlässigt wird auch die - allerdings nicht zu überschätzende - Systematik des Gesetzes. Aus der Einordnung des § 847 BGB in den Abschnitt über die "unerlaubten Handlungen" kann geschlossen werden, daß er nur gerade für solche Schadensersatzpflichten gilt, die auf einer "unerlaubten Handlung" im Sinne dieses Abschnitts beruhen, nicht aber für Ersatzpflichten aus einer Vertragsverletzung. Andernfalls hätte die Einordnung in den Vorschriften des allgemeinen Teils des Schuldrechts über den Inhalt einer Schadensersatzpflicht nach §§ 249 ff. BGB nahegelegen 53 • Bei einem Nebeneinander von Vertrag und Delikt wird festgestellt, der Anspruch auf Schmerzensgeld sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil mit dem Anspruch aus § 847 BGB ein Anspruch aus Vertragspflichtverletzung konkurriere 54 • Zum Teil wird der Anspruch aus § 847 48 So das Beispiel bei MünzeI, NJW 1963, 157; vgl. auch RGZ BB, 433 ff.; ferner Fromherz, AcP lOB, 435 ff. 47 Treffende Formulierung bei Schlechtriem, VersR 1973, 592. 48 RGZ 112,294; auch BGH ZMR 1966, 77. 48 Dazu unten Abschnitt VIII 4 c. 50 So Knetsch, S. IB2 ff. 51 Knetsch, S. 192; Bruns, JuS 1971, 226; vgl. auch Schwark, AcP 179, B3; ebenso schon Hellwig, System, S. 325; - kritisch zu § 847 BGB als "allgemeinen Grundsatz des Schadensrechts" (so Knetsch, S. 191 ff., 194) zu Recht Braschos, S. 65: Es fehle nach der Spezialitätsthese an einer "eigenständigen Begründung" für die Rechtsfolge eines Ersatzes immaterieller Schäden im Vertragsrecht. überrascht wird der unbefangene Leser durch die spätere Feststellung: "Bei näherer Untersuchung erkennen wir, daß es sich bei den Fällen der traditionell ,deliktischen' Schmerzensgeldansprüche um allgemeine Grundsätze (sic!) des Ersatzes immaterieller Schäden handelt ... " (Braschos, S. 103; vgl. ferner S. 232 ff.). 5! So Schwark, AcP 179,83. U Larenz, Methodenlehre, S. 313; vgl. auch Knetsch, S. 194; Braschos, S. 86. 54 BAG NJW 1979,2532 m. w. N.; siehe aber BAG NJW1972, 2016; DB 1973,
l42 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts BGB bei einem Nebeneinander von vertraglichem und deliktischem Anspruch selbst dann bejaht, wenn nur der Anspruch aus der Vertragsverletzung geltend gemacht wird 55 • Nicht in allen Fällen einer Verletzung der vertragsmäßigen Fürsorgepflicht in Ansehung des Körpers oder der Gesundheit eines anderen besteht aber auch ein deliktischer Anspruch auf Schmerzensgeld56 •
Hieraus wird deutlich, daß die Frage des Ersatzes immaterieller Schäden im vertraglichen Bereich nicht isoliert, sondern nur unter Einbeziehung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Vertrags- und Deliktsrecht beantwortet werden kann. Unabhängig von dem Ergebnis, daß der deliktische Schädiger nicht selten in weiterem Umfang als ein dem Geschädigten näherstehender Vertragspartner haftet, sowie von der fehlenden Eigenständigkeit der Begründung vertraglicher Haftung, wird in letzter Zeit von einem Teil der Literatur erkannt, daß in den. Grenzbereichen von materiellem und immateriellem Schaden zwischen Ansprüchen aus Delikt und Vertrag zu differenzieren ist 57 • Ergibt eine konsequente Durchführung der Differenzierungsthese die Eigenständigkeit des vertraglichen Anspruchs, dann eröffnen sich Möglichkeiten für eine vertragsspezifische Lösung im Fall immaterieller Beeinträchtigung.
3. Eingrenzung der Möglichkeiten für eine "neue" Lösung und der Wille des Gesetzgebers Eine überzeugende Konzeption für den Ersatz immaterieller Schäden im vertraglichen Bereich fehlt bis heute. Dies ist an sich ein erstaunliches Phänomen, wenn man bedenkt, daß die Wesensunterschiede zwischen Delikt und Vertrag sowie der vertragsspezifische Boden seit langem erkannt und Gegenstand gründlicher Untersuchungen gewesen sind. Es bleibt unerfindlich, warum gerade in den Grenzbereichen von materiellem und immateriellem Schaden auf eine vertragsrechtliche Begründung soll verzichtet werden können. Es wird im weiteren Verlauf der Arbeit zu zeigen sein, daß es die Privatautonomie ist, die dem Vertragsinhalt maßgebliche Geltung bei der Bestimmung von Anspruchsinhalt und -umfang im vertraglichen Bereich verschafft. Abweichend von der bisher überwiegenden Meinung steht § 253 BGB insoweit 622; BFH NJW 1964, 744; dazu kritisch Bepler, NJW 1976, 1874 ("AusreißerEntscheidungen"); auch Wiese, DB 1975,2309 ff.; Braschos, S. 42. 55 So Baur, S. 22. 56 Ebbecke, Jher. Jb. 71, 349/50. 57 Stall, JuS 1968, 510; JZ 1974, 595; Baur, Festschrift Raiser, S. 125 f., 136 f.; Grunsky, NJW 1975, 610; Honsell, JuS 1976, 224 f.; Batsch, NJW 1975, 1163; Jauernig / Teichmann, Vor §§ 249 - 253 BGB, Anm. III6; Küppers, S. 102; Talk, S. 85 ff.; Schulte, S. 116 ff.; vgl. bereits die Protokolle, Mugdan 11, S. 1077 f.; aA wohl BGH NJW 1980, 119 ff.; 1975, 2341 = JZ 1976, 279; Hansen, VersR 1977, 511.
3. Eingrenzung der Möglichkeiten für eine "neue" Lösung
143
nicht entgegen. Wurde ein weitergehender Ersatz immaterieller Beeinträchtigungen bislang überwiegend im Rahmen einer Konzeption de lege ferenda in Betracht gezogen5B , so wurde verkannt, daß bereits delege lata eine Lösung auf dem Boden des Vertragsrechts möglich ist, die mit dem geltenden Recht in Einklang steht und eine Änderung des § 253 BGB nicht erfordert59 • Voraussetzung dafür ist allerdings, daß es gelingt, den Willen "des Gesetzgebers"60 zu überwinden, der im vertraglichen Bereich "ausnahmslos" auf eine Nichtberücksichtigung immaterieller Schäden zielte 61 und damit konstruktive Lösungen verhinderte. 58 Vgl. Wiese, S. 58 ff.; 45. DJT NJW 1964, 2098; Deutsch, Haftungsrecht, S. 465 m. w. N.; Schwerdtner, JuS 1978,298 Fn. 158; Braschos, S. 125 ff. 59 Vgl. aber den Vorschlag, die generellen Ausnahmen des VertragsDeliktsrechts als allgemeine Schadensersatzprinzipien im Rahmen der §§ 249 ff. BGB zu regeln (so Braschos, S. 255 f.): ,,§ 253 (Immaterieller Schaden) (1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen verlangt werden. (2) Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. (3) 1 Dies gilt auch bei einer sonstigen erheblichen Verletzung der Persönlichkeit, es sei denn, eine Herstellung im Sinne des § 249 ist möglich und genügend, oder dem Verletzten ist Genugtuung in anderer Weise als in Geld geleistet. 2 Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach den Umständen, insbesondere nach der Schwere der Verletzung und des Verschuldens. 3 Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt oder daß er rechtshängig geworden ist. (4) Darüber hinaus kann mangels einer gesetzlichen Bestimmung eine billige Entschädigung in Geld nur verlangt werden, wenn der Schutz oder die Förderung der immateriellen Interessen Gegenstand einer besonderen Vereinbarung oder Pflichtenstellung des Schädigers war.", ferner den Vorschlag, die §§ 847 und 1300 zu streichen und § 253 zu ändern (so von Beauvais, S.275): "Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, ist in den Fällen der §§ 250 und 251 eine der Höhe des Schadens angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über, es sei denn, daß er durch Vertrag anerkannt, oder daß er rechtshängig geworden ist, oder daß ein naher Angehöriger Erbe ist. Eine Entschädigung in Geld kann nicht gefordert werden, wenn der Schaden nur auf besonderer persönlicher Wertschätzung beruht." 80 Zu dem Inhalt des Begriffs vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 316 f.; seine genaue inhaltliche Fixierung ist hier entbehrlich, da es bei der in Frage stehenden Problematik sicher um Grundgedanken geht. Es ist die Annahme gerechtfertigt, daß der Gesetzgebungskörper, der bei der Beratung und Beschluß fassung keine abweichende Ansicht äußert, auf alle Fälle die von den eigentlichen Gesetzesverfassern (den vorbereitenden Kommissionen) der Regelung zugrunde gelegten Grundgedanken akzeptiert, so zutreffend Lindacher, S. 56. 81 Mugdan 11, S. 12.
144 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
Die überwindung erscheint zwar vom Standpunkt der juristischen Methodenlehre zunächst als äußerst problematisch. Anerkannt ist nämlich, daß sich die zu einer "neuen" Lösung führende Auslegung nicht über die erkennbare Regelungsabsicht und die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Wertentscheidungen hinwegsetzen darf 62 . Damit kann es aber für die vorliegende Frage sein Bewenden nicht haben. In gleichem Maße ist in der Methodenlehre anerkannt, daß die Gesetzesmaterialien selbst wiederum zu interpretieren sind auf dem Hintergrund des damaligen Sprachverständnisses sowie der damaligen Lehre und Rechtsprechung, soweit die Verfasser des Gesetzes sie ausdrücklich übernehmen wollten oder ersichtlich von ihnen beeinflußt waren 63 . Schließlich ist vor allem von Bedeutung, daß die historische Auslegung keinen isolierten Ausschließlichkeitsanspruch erheben kann, und daß von daher eine überschätzung des gesetzgeberischen Willens in der. bisherigen Diskussion resultiert. Die historische Auslegung ist nur ein Auslegungskriterium unter und im Zusammenhalt mit anderen. Zudem ist der Wille des Gesetzgebers vorrangig nach den im Gesetz tatsächlich zum Ausdruck gelangten Wert- und Zielvorstellungen unter Einbeziehung auch der an anderen Stellen verwirklichten Vorstellungen zu berücksichtigen. Denn die Motive des Gesetzgebers sind nicht Gesetz 64 . Kahler stellte bereits. 1897 fest: "Sehr viele Kritiker haben dadurch gefehlt, daß sie sich bei Prüfung des Gesetzes nicht auf den Standpunkt des gewordenen Gesetzes begeben haben: diesem gegenüber fallen viele Einwände und Ausstellungen von selbst zusammen."65 § 253 BGB läßt Ausnahmen zu. Vom vertraglichen Schadensersatzanspruch ist dem Gesetzeswortlaut nach nicht die Rede. Damit sind weitere überlegungen im Hinblick auf einen vertraglichen Ersatz immaterieller Schäden nicht von vornherein versperrt.
4. Das Gebot der Dilferenzierung zwischen vertraglichem und deliktischem Anspruch Die Problematik des vertraglichen Ersatzes immaterieller Schäden ist zum einen dadurch gekennzeichnet, daß die Rechtsprechung bei der Larenz, Methodenlehre, S. 305. Larenz, Methodenlehre, S. 319. 84 So auch Seuffert, S. 4; vgl. Kahler, Arch. f. Bürger!. R. 12, 1 Fn. 1: "Auf die Motive lasse ich mich prinzipiell nicht ein."; ferner Protokolle Mugdan II, S. 1075: "Das Gesetz habe eine selbständige, über die Absichten seines Urhebers hinausreichende Bedeutung ..."; sehr kritisch auch Helm (aaO, S. 298), nach dem die Lösung von der Vorstellung des Gesetzeswillens als eines verläßlichen Ausgangspunkts "ganz den Forderungen modernen Rechtsdenkens" entspreche. 85 Arch. f. Bürger!. R. 12, 26; vgl. auch Grossfeld, S. 84, 118. 82
83
4. Das Gebot der Differenzierung
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Kommerzialisierung immaterieller Werte 66 im wesentlichen undifferenziert die Behandlung nach dem Deliktsrecht übernimmt. Zum anderen orientieren sich die Kritiker der Versagung eines Vertragsanspruchs wegen immaterieller Schäden ausschließlich an dem deliktischen § 847 BGB67. Die Preisgabe der dogmatischen Unterscheidung von vertraglicher und deliktischer Haftung ist nicht mit dem Gesetz vereinbar. Noch 1943 verstand es sich von selbst, daß diese Unterscheidung das BGB beherrscht68 • Zwar wurde die Überwindung der "Antithese Rechtsgeschäft oder Delikt" für eine Neuordnung des Schadensrechts als unerläßlich erachtet69 • Der entsprechende Vorschlag verstand sich aber nur de lege ferenda. Er hat sich nicht durchsetzen können. Sein Anknüpfungspunkt war vor allem der Gegensatz der §§ 278 und 831 BGB als der "praktisch wichtigste Punkt"70. Erfolglos war auch der Vorschlag, eine "Haftung kraft besonderer Rechtsstellung" unabhängig von Vertrags- und Deliktsrecht einzuführen71 • Er wollte die Eigenständigkeit des Vertragsrechts, etwa durch Aufgabe des Vertragsbegriffs nicht antasten 72 und erklärte ausdrücklich, daß für die "eigentlichen Erfüllungsansprüche" grundsätzlich das Vertragsprinzip maßgebend sein sollte73 . Im übrigen sollte die besondere Pflicht aus der Berufsstellung nur für die Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt, nicht für den Haftungsumfang erheblich sein74 . Jeder Reformgedanke findet heute seine Grenze am Prinzip der Privatautonomie. Dieses Kardinalprinzip des Zivilrechts antasten zu wollen, hieße, dem Weg zurück zu längst überwunden geglaubten historischen Vorschlägen das Wort zu reden. Nicht ohne Grund fand Schlossmann mit seiner Lehre vom Vertragsbegriff als "ein juristisches Nichts" bei seinen Zeitgenossen keinen Beifall 75 . Zu undifferenziert war sein System von einem allgemeinen Rechtsschutz für VermögensverletSiehe oben Abschnitt VII. Siehe oben Abschnitt VIII 2 b. es Vgl. Michaelis, S. 7. 68 Michaelis, S. 13, 14; auch Wilburg, S. 281 bezweifelt die "innere Notwendigkeit" der Trennung. Er räumt aber ein, daß für eine besondere Behandlung der Schuldverhältnisse praktische Erwägungen im Hinblick auf ihre individuelle Gestaltung sprechen (S. 282/283). 70 Michaelis, S. 8; dazu der Vorschlag einer Angleichung im Referentenentwurf 1967, Begründung, S. 77 ff.; der Begriff des Verrichtungsgehilfen bleibt danach enger als der des Erfüllungsgehilfen (S. 106). 71 Michaelis, S. 33 ff.; dazu Schlechtriem, Vertragsordnung, S. 59, vgl. jetzt auch Braschos, S. 149 ff.; eine Pflicht kraft Gewerbebetriebs bejaht BGHZ 9, 301 ff., m. w. N. auf S. 307 für den Fall der Lagerung und Beförderung von Sachen. 72 Michaelis, S. 44. 73 Michaelis, S. 42. 7t Michaelis, S. 119. 75 Der Vertrag, 1876; vgl. dazu auch Raiser, Festschrift 100 Jahre DJT, S. 114 Fn. 35. n
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10 Ströfer
146 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
zungen, das nicht klar zwischen Vertrags- und Deliktsrecht unterschied und auch die Nichterfüllung eines Versprechens als Vermögensbeschädigung ansah76 . Das BGB hat dann auch klar zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen unterschieden. Daher verbietet sich als anderes Extrem auch eine Lösung nach Art des vom Entstehungsgrund abstrahierenden sog. Haftungsvertrages77 , für den im Falle der Vertragsverletzung nicht mehr das Leistungsversprechen78 und im Falle der unerlaubten Handlung eine "Einrenkungshaftung als ein vertragliches Band"79 maßgeblich sein soll. De lege lata ist die dogmatische Unterscheidung von vertraglicher und deliktischer Haftung nach wie vor zu beachten80 . Dies geschieht im folgenden freilich nicht aus der Neigung heraus, "dogmatische Kategorien so ernst zu nehmen, daß sie sachgemäßen Ergebnissen im Wege stehen"81, sondern im Gegenteil aus dem Bestreben, den jeweiligen Unterschieden und Eigenarten in der Begründung Rechnung tragen zu können. Es ist eine Besonderheit gerade der vertraglichen Haftung, daß sie in besonderem Maße auf die Eigenart der einzelnen verletzten Verpflichtung Rücksicht nimmt und dabei dem Willen der Beteiligten Rechnung trägt. Der daraus entstehenden Vielgestaltigkeit des Bildes steht eine feste, gleichförmige Grundlage durch die deliktisch verletzten Interessen gegenüber82 . Nur begründungsehrliche Ergebnisse, die die Unterschiede beachten, können de lege lata auch als sachgemäß bezeichnet werden. Wenn vom hier vertretenen Standpunkt bislang auf die Vertragsspezifika und den jeweiligen Vertragsinhalt abgestellt wurde, so ist es nun vor deren Konkretisierung erforderlich, die Eigenständigkeit des Vertragsrechts in seinem Verhältnis zum Deliktsrecht klarzustellen und die Wesensunterschiede aufzuzeigen. a) Die untersclüedlidle Ausgangssltuation
Die vertragliche Haftung hebt sich von der deliktischen zunächst durch die Art ihres Entstehens, das Zustandekommen des sozialen Kontakts ab. Dem Vertragspartner geht es um die Erweiterung eines vorhandenen Rechtsgüterbestandes sowie um den Einsatz seiner Mittel 76 Schlossmann, S. 289 ff., 306. 77 So Müllereisert, Vertragslehre (1947), S. 157, 160 ff., 176 ff. 78 Müllereisert, S. 157, 177. 79 Müllereisert, S. 179. 80 Anders im österreich. Recht: Die Generalklausel des § 1295 ABGB enthält eine allgemeine Formel für die deliktische und vertragliche Haftung, vgl. dazu Wilburg, S. 281. 81 So Michaelis, S. 7, der sich aber im übrigen auch für eine Gliederung der Tatbestände innerhalb des Schadensrechts ausspricht (S. 172 ff.). 82 So schon Wilburg, S. 282.
4. Das Gebot der Differenzierung
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zur Erreichung bestimmter (Genuß-)Zwecke, die ihm ein Anderer vermitteln soll. In Verfolgung dieser Zielsetzungen tritt er in den Markt ein und sucht bewußt den Kontakt mit einem Vertragspartner. Es kommt zur Begründung eines Vertragsverhältnisses, wenn ein - je nach Art des Vertragsgegenstandes unterschiedlich intensives - Vertrauen in die Leistungsfähigkeit und Anständigkeit des Vertragspartners vorhanden ist. Eine Relativierung erfolgt durch die Preis gest altung. Je nach Art des Vertragsgegenstandes und der individuellen Bedürfnisse wird der Vertragsinteressent geneigt sein (oder auch nicht), in Anbetracht eines niedrigen Preises Abstriche zu machen bzw. gerade einen hohen Preis zu zahlen, wenn er auf umfassende Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und ordnungsgemäße Vertragsdurchführung besonderen Wert legt. Gleiche Überlegungen werden sich vice versa auf der Anbieterseite finden. Zu berücksichtigen ist stets der Unsicherheitsfaktor, daß die Vertragspartner bestrebt sein können, die für sie jeweils günstigste Relation zwischen Leistung und Preis "herauszuholen"s3. Wird bei dieser Ausgangssituation bewußt ein Vertragsverhältnis ins Leben gerufen, so kann man grundsätzlich von einem "gegenseitigen Vertrauensverhältnis" sprechens4 . Die deliktische Haftung ist geprägt von der "zufälligen Begegnung" zwischen Geschädigtem und Schädiger85 • Zwar mag man auch hier von einem "allgemeinen Vertrauensverhältnis" im Sinne eines "neminem laedere" sprechen86 • Das ändert aber nichts an grundlegenden Unterschieden gegenüber dem Vertragsrecht. Das deliktische Rechtsverhältnis wird überhaupt erst durch die Schädigung als ersten Kontakt begründetS7 • Demgegenüber ist die "Wurzel" des vertraglichen Schadensersatzanspruchs bereits vor dem Verstoß in dem von beiden Seiten bewußt herbeigeführten Vertrag vorhandenss. Die Haftung für Erfüllungsschäden ist Haftung aus dem Wort, nicht aus der Tat S9 • Der verZum iustum pretium siehe unten Abschnitt XI 2 a. Vgl. Heinrich Stoll, AcP 136, 288: "Jedes Schuldverhältnis ist heute ein bonae fidei judicium."; vgl. auch Eichler, Rechtslehre vom Vertrauen, S. 9 m. w. N.; ferner unten Abschnitt X 4 b. 85 Knetsch, S. 189 im Anschluß an Bruns, JuS 1971, 225. 86 Vgl. Knetsch, S. 189; siehe auch Mugdan 11, S. 405. 87 Kritisch angesichts der vorbeugenden Unterlassungsklage, Helm, S. 297 Fn. 425. Helm übersieht, daß es sich nicht um einen eigentlich deliktischen Anspruch, sondern um eine Fortbildung des in den §§ 12, 862, 1004 BGB enthaltenen allgemeinen Rechtsgedanken handelt, die eine Tatbestandserweiterung ermöglichen soll; der Sache nach handelt es sich um eine "Erweiterung der prozessualen Behelfe", so von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 53. Der materielle Charakter soll gleichwohl nicht angetastet werden, h. M., vgl. nur Palandt / Bassenge, § 1004 BGB Anm. 6 a. 88 Eichler, AcP 162,417. 8a Vgl. Braschos, S. 60. 83
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VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
tragliche Schadensersatzanspruch ist lediglich der veränderte Anspruch auf Leistung9o . Dem entspricht die These, daß der ursprüngliche Vertragsgegenstand auf die Struktur der Obligation dauernden Einfluß habe 91 . Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung wird zum "Surrogat des Leistungsgegenstandes" 92. In der sekundären Ersatzforderung des Gläubigers wirkt gleichsam das primäre Leistungsrecht nach 93 . Daher muß in erster Linie der Vertragsinhalt für die Entschädigungspflicht entscheidend sein94 . Für die Nichterfüllung des Deliktsanspruchs wäre ein SekundärSchadensersatzanspruch ohne Sinn95 . Im Deliktsrecht verwandelt sich der unentwickelte absolute Schutzanspruch in ein relatives, gesetzliches Schuldverhältnis mit einer primären Schadensersatzpflicht96 . Der deliktisch Geschädigte hat es nicht in der Hand, seinem Schutzbedürfnis durch individuelle Vereinbarung Ausdruck zu verleihen. Er ist auf den Schutz bestimmter absoluter Rechtsgüter beschränkt, den ihm das Deliktsrecht "ohne Ansehen der Person" gewährt 97 . Es besteht nicht die Möglichkeit der "Feineinstellung" durch individuelle Vereinbarung. Der Schutz des Deliktsbereichs gibt dem Einzelnen lediglich einen Anspruch darauf, daß die Integrität seines Bereichs gewahrt wird, nicht aber auf eine bestimmte Leistung, der die Vertragsparteien einen bestimmten Wert beigelegt haben 98 . Auch in den Protokollen wird insofern schon auf einen wesentlichen Unterschied zwischen den obligatorischen Verhältnissen und den Delikten hingewiesen: "bei ersteren sei durch den Zweck der Obligation ein gewisser Anhaltspunkt für einen möglichen Schaden gegeben, bei letzterem dagegen sei ein Zusammenhang zwischen dem Thäter und dem Beschädigten nicht vorhanden. Ein etwaiger Schaden lasse sich vorher gar nicht übersehen"9'. Der Einzelne ist auf den jedermann gewährten Schutz durch die "gröber konturierten Regeln des Deliktsrechts"loo angewiesen. Es gilt nicht der Grundsatz des "Einstehenmüssens für Versprechen"lol. Der beschränkte Rechts90 Dietz, S. 74, 102 f., 136; auch Keuk, S. 111/112, 149, 152, 154; kritisch Jakobs, S. 164 ff.; Knetsch, S. 173 ff.; die Richtigkeit des Satzes hängt letztlich von der Definition der "Leistung" ab, dazu unten Abschnitt X 2; vgl. etwa Evans-von Krbek, AcP 179, 102 ff. 91 So Rabel, Warenkauf, S. 453. 92 Rabel aaO. 93 StQU, JuS 1968, 510. 84 So auch schon Lindenmaier, ZHR 113, 247, auch 239, 243. 95 So pointiert Bruns, JuS 1971,225. 96 So Evans-von Krbek, AcP 179, 107. 97 Vgl. Schwark, AcP 179, 73. 98 Vgl. Baur, Festschrift Raiser, S. 137; Tolk, S. 90. 99 Mugdan U, S. 1077/1978. 100 Schwark, AcP 179,84. 101 Vgl. Braschos, S. 60.
4. Das Gebot der Differenzierung
149
güterschutz weist dem Deliktsrecht eine statische, d. h. auf die Bewahrung bestehender Zustände gerichtete Funktion zu, während das Vertragsrecht dynamisch ist l02 . Dem Vertragsrecht geht es um "Güterbewegung" 103, dem Deliktsrecht um "Gütererhaltung"104. Seinem Wesen nach kann es dem Deliktsrecht nur um die Abwehr von Eingriffen in einen Mindestbestand l05 von geschützten Rechtsgütern gehen, die das Gesetz allgemein als schutzwürdig ansieht. Dem Vertragsrecht geht es um den Schutz individueller besonderer Leistungs- und Schutzerwartungen, die nur den Schranken der Privat autonomie unterworfen sind l06 . Die delikts rechtlichen Tatbestände haben es also mit Verstößen gegen allgemeine Pflichten zu tun, die ipso iure gegenüber jedem Rechtsgenossen, gegenüber der Allgemeinheit binden, während es im Vertragsrecht um relative im Vertrag selbst begründete besondere Pflichten gegenüber dem Vertragspartner geht l07 . Gegenstand des Deliktsrechts ist nicht der Eingriff gegen das zwischen zwei Personen bestehende und nur für diese rechtlich relevante Band durch einen der Beteiligten, sondern der Eingriff gegen die Person selbst oder auf die absolut geschützte Beziehung dieser Personen zu einer Sache oder zu einem Recht l08 . Hat der Einzelne im Deliktsrecht nur eine passive Rolle, so ist sie im Vertragsrecht vor allem durch die Vertragsgestaltung eine aktive. Insofern kann man zusammenfassend auch vom "Status negativus" des Deliktsrechts gegenüber dem "Status positivus" des Vertragsrechts sprechen lOU . Es zeigt sich also, daß Vertrags- und Deliktsrecht die in Betracht kommenden Vorgänge von einer verschiedenen Ausgangssituation und nicht unter einem grundsätzlich gleichen Gesichtspunkt betrachten 110. 102 StolI, Gutachten, S. 45. 103 Der Begriff soll hier im umfassenden Sinne gebraucht werden und auch unkörperliche Vertrags gegenstände erfassen. 104 Der Begriff ist in seiner Beschränkung auf die deliktisch geschützten Rechtsgüter zu verstehen (vgl. Stoll, JuS 1968, 510). 105 Einen Mindestschutz wegen der Möglichkeit vertraglicher Freizeichnung ablehnend Helm, S. 308. Helm übersieht, daß ein Mindestschutz seiner Zielrichtung nach vor allem dort greift, wo eine Individualvereinbarung fehlt; vgl. auch Schlechtriem, ZHR 133, 122 f. 108 Vgl. Dietz, S. 73; Eichler, AcP 162, 410; aA Emmerich, JuS 1967, 347: beide bezwecken den allgemeinen Rechtsgüterschutz. 107 Vgl. Dietz, S. 101, dessen Beschränkung auf Verstöße gegen Leistungspflichten nur bei extensiver Auslegung gefolgt werden kann; vgl. auch Helm, S. 303 Fn. 443; kritisch Michaelis, S. 10, 31. 108 Dietz, S. 103. lOg So Braschos, S. 125 f.; er weist zutreffend darauf hin, daß dem Deliktsrecht eine positive Handlungspflicht, insbesondere als Verpflichtung zur aktiven Förderung der immateriellen Sphäre eines Anderen grundsätzlich fremd ist (S. 127). 110 Vgl. auch Dietz, S. 101.
150 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts b) Die untersdliedlichen Interessen (Ablehnung der positiven Vertragsverletzung)
Es ist eine - leider oft vernachlässigte - Selbstverständlichkeit, daß sich die beiden Haftungsbereichen zugrundeliegenden unterschiedlichen Ausgangslagen auch auf den Schadensersatzanspruch auswirken. Die verschiedenen Zielrichtungen der Ansprüche, ihre Differenziertheit in Umfang und Begrenzung finden ihren Ausdruck in zahlreichen, in letzter Konsequenz nur Verwirrung stiftenden Bezeichnungen für das jeweils geschützte Interesse 111 • Das Gebot der Differenzierung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung ist vor allem in Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der geschützten Interessen erforderlich. Jede Differenzierungsthese im Schadensrecht kommt nicht umhin, sich über die einzelnen Interessearten Klarheit zu verschaffen. Unklarheiten über die Begriffsinhalte im einzelnen stehen freilich einem zu großen Optimismus entgegen. Selbst wenn wenigstens eine einheitliche Begriffsbildung erreicht wird, so ist Streit über den Inhalt des jeweiligen Interesses zumeist unvermeidlich. Die Problemlösung liegt daher nicht bereits in der Erkenntnis, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deliktsrechtlichen Schutz des Erhaltungsinteresses ll2 und dem schuldvertraglichen Schutz des Erfüllungsinteresses besteht113 , sondern in der Feststellung, worin in concreto der Unterschied besteht 114 • Die Lebenssachverhalte sind allzu vielgestaltig, als daß sich stets eine eindeutige Einordnung unter ein bestimmtes Interesse vornehmen ließe. Klarheit über die Inhalte kann daher nur im Grundsätzlichen angestrebt werden. Damit darf die Bedeutung der unterschiedlichen Begriffsverwendungen für das geschützte Interesse im Hinblick auf das Gebot der Differenzierung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung nicht überschätzt werden. Zudem ist die Gefahr einer petitio principii zu bedenken, die in dem Rückschluß von den jeweils geschützten Interessen auf die Verschiedenartigkeit der Anspruchsgrundlagen steckt115 • Es ist vielmehr auch umgekehrt die Verschiedenartigkeit der Anspruchsgrundlagen, die zur Bestimmung des jeweiligen Interesses beiträgt. 111 z. B. Erfüllungsinteresse, positives Interesse, Erhaltungsinteresse, Integritätsinteresse, Schutzinteresse, Ausgleichsinteresse, negatives Interesse, Aquivalenzinteresse, Leistungsinteresse, Erwartungsinteresse, Interimsinteresse, Zeitinteresse ete. 112 Zum Begriff siehe im folgenden. lU So aber BGH NJW 1976, 1630, in der einen Anspruch wegen entgangener Gebrauchsvorteile eines Hauses ablehnenden Entscheidung. 114 Ausführungen dazu fehlen in BGH NJW 1976, 1630. 115 So Ballerstedt, Festschrift Larenz, S. 737.
4. Das Gebot der Differenzierung
151
Die Unterscheidung der verschiedenen Arten des Interesses ist deshalb sinnvoll und erforderlich, weil das bestimmte Interesse nur verfolgt werden kann, wenn der entsprechende Haftungstatbestand verwirklicht ist 116 • Das bestimmte Interesse ist daher zunächst dem vertraglichen oder dem deliktischen Bereich zuzuordnen. Die Haftung nach Deliktsrecht führt grundsätzlich zum Ersatz nur des negativen Interesses 117 • Es bezieht sich darauf, daß eine Beeinträchtigung der vorhandenen Rechtsgüter unterbleibt 118 und wird deshalb auch als Erhaltungsinteresse oder Integritätsinteresse bezeichnet 119 • Deren Schutz wird auch im Vertragsrecht durch die Anerkennung der "Institute" der positiven Vertragsverletzung und der culpa in contrahendo aktuell 120. Der Begriff des Integritätsinteresses wird auch dort nicht als "griffiges Abgrenzungsmerkmal" angesehen!2!. Gleichen Einwänden ist der Begriff des Erhaltungsinteresses ausgesetzt. Es bleibe unklar, nach welchen Wertungsgesichtspunkten das Erhaltungsinteresse gegenüber dem Erfüllungsinteresse abgegrenzt werden solle!22. Da es zudem nicht nach der Qualität des verletzten Rechtsguts unterscheide!23, könne es nicht mit dem deliktischen Schutz des negativen Interesses gleichgesetzt werden 124 • Damit ist der Begriff des Erhaltungs- oder Integritätsinteresses nicht geeignet, die verschiedenen Interessen bei vertraglicher und deliktischer Haftung deutlich zu machen!25. Die möglichen überschneidungen, deren Umfang im Hinbli& auf den Streit um die Reichweite der vertraglich konstruierten Haftungsge118 Vgl. i. e. Keuk, S. 163; aA die Lehre von der Anspruchsnormenkonkurrenz, vgl. Georgiades, S. 174, 176; dazu unten Abschnitt VIII 4 d. 117 Vgl. nur Palandt / Heinrichs, Vor § 249 BGB, Anm. 2 g; Eichler, AcP 162, 403; Dietz, S. 100. 118 Vgl. nur Keuk, S. 162; Jakobs, S. 33; auch Dellmans. VersR 1974, 840 Fn. 12; kritisch Evans-von Krbek, AcP 179, 132; Küppers, S. 61 ff., sieht die Vertrauensverletzung als entscheidend an. 119 Keuk aaO m. w. N.; abweichende Einteilung bei Rengier, S. 53 Fn. 68; ders. JZ 1977, 347: Differenzierung zwischen negativem Interesse und Integritätsinteresse als Teile des umfassenderen Erhaltungsinteresses. uo Ferner in den Sonderfällen der §§ 122 Abs. 1, 179, 307, 309 BGB sowie der §§ 523 Abs. 1, 524 Abs. 1, 600 BGB, die zum Ersatz des Vertrauensschadens (nach Jakobs, S. 34 Fn. 53 = Interesse an der Erhaltung des Vermögens) führen; Keuk, S. 163, weist auf die Besonderheit des negativen Vertragsinteresses hin, daß Ersatz für Nachteile zu leisten ist, die auf Vermögensdispositionen oder unterlassenen Vermögensdispositionen des Geschädigten selbst beruhen. In der Eigenart des negativen Vertragsinteresses, für nutzlose Aufwendungen als solche Ersatz zu leisten, liegt die Parallele zu dem zu Unrecht verallgemeinerten Frustrierungsgedanken, dazu oben Abschnitt 111 6. 121 Peters, NJW 1978, 669. lZ2 Medicus, Festschrift Kern, S. 330. 123 Medicus aaO. 124 Medicus aaO im Anschluß an Diederichsen, AcP 165, 155. m aA Braschos, S. 231, nach dem das vertragliche Integritätsinteresse eine "selbständige, vom Deliktsrecht losgelöste Bedeutung" erlangt habe.
152 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts bilde 126 nicht eindeutig fixiert werden kann, läßt eine eindeutige Begriffsbildung angezeigt erscheinen, die dem Wesen des jeweiligen Haftungsbereichs und der unterschiedlichen Ausgangslage Ausdruck verleiht. Dem trägt die Unterscheidung nach Vertragsinteressen und Deliktsinteressen Rechnung. Die Anforderungen an das Vorverständnis sind jedoch hoch. Immerhin wird ein Begriffswirrwarr vermieden und ein Warnsignal gesetzt, das es erschwert, genuin deliktische Interessen gedankenlos dem Vertragsrecht zu unterstellen. Deutliche Akzente setzt auch die Gegenüberstellung von Leistungs- bzw. Erfüllungsinteressen einerseits und Rechtsgutsinteressen andererseits. Primäre Aufgabe des Vertragsrechts ist nun einmal die Hilfestellung bei der Realisierung von Leistungserwartungen des Gläubigers. Das Interesse ist insofern ein positives. Der vorhandene Güterbestand und damit zusammenhängende Schutzerwartungen fallen originär nur dann in den Aufgabenbereich des Vertragsrechts, wenn dem auch kraft der Privatautonomie Geltung verschafft wurde. Nur so kann eine Begründungs- und Methodenehrlichkeit 127 erreicht werden, die durch die von dem Bestreben, Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts (vor allem § 831 BGB) zu überwinden, getragene - Entwicklung genuin deliktischer Vertragskonstruktionen (pVV, cic) allzu sehr in den Hintergrund getreten ist 128 • Nicht ausgeschlossen ist aber in den Fällen der Nichterfüllung, daß im Einzelfall Interessen, die man bislang unter dem Erhaltungsinteresse zusammenfaßte, gleichsam auf die Leistungsebene "emporgezogen" werden129 • Die Frage ist allein, in welchen Fällen dies der Fall ist, und wieweit der Leistungsbegriff zulässigerweise gedehnt werden kann, ohne zu einer Denaturierung des Vertragsbegriffs zu führen 130 • Daraus wird zugleich deutlich, daß das eigentliche Problem nicht in der Bestimmung des Interesses nach dem "Schadensereignis" , sondern in der Bestimmung des vertraglichen Leistungsgegenstandes vor dem "Schadensereignis" liegt131 • Vor dem Schadensereignis steht aber die konkrete 128 Vgl. nur Medicus, Festschrift Kern, S. 327 ff.; Huber, AcP 177, 316 ff.; Stoll, AcP 176, 150 f.; Schwark, AcP 179, 78 ff.; Schlechtriem, Festschrift Rheinstein, S. 683 ff.; ders., VersR 1973, 588 ff.; ders., Vertragsordnung, S. 289 ff.; Lieb, JZ 1977,346. 127 Medicus, Festschrift Kern, S. 328; Kreuzer, JZ 1976, 780. 128 Die Einbeziehung von Dritten in den Haftungsbereich der culpa in contrahendo (vgl. BGH JZ 1976, 776) wurde bereits zum Anlaß genommen, eine "Hypertrophie des Vertragsrechts" zu beklagen, die zu einer "Deliktshaftung nach vertraglichen Grundsätzen" führe (Kreuzer, JZ 1976, 778; vgl. auch Hohloch, JuS 1977,302 ff., insbesondere 304 ff.). 129 Vgl. Schmidt, Nachwort, S. 157. 130 Dazu unten Abschnitt X 2. 131 Vgl. ähnlich Schlechtriem, VersR 1973, 590; Keuk, S. 54.
4. Das Gebot der Differenzierung
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Erscheinungsform der Schadenszufügung (etwa: hat ein Verrichtungsgehilfe gehandelt?) noch nicht fest und kann daher auch nicht das am Vertragsgegenstand orientierte Interesse in dem Bestreben beeinflussen, Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts zu überwinden. Es ist der Vertragsinhalt, der den Inhalt des zu ersetzenden Leistungsinteresses bestimmt1 32 . Davon ging auch der Gesetzgeber aus. Zur Frage der Beschränkung des Umfangs des zu ersetzenden Schadens im Fall der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit hielt man die Aufnahme einer auf das Verschuldensmaß abstellenden Vorschrift für nicht angebracht, da "die Beschränkung der Haftung sich vielmehr aus der richtigen Bestimmung des Inhalts der Obligation ergebe und dieser nicht ein anderer werde, je nachdem der Schuldner ein schweres oder ein minder schweres Verschulden begehe"133. Eine extensive Fassung des Leistungsbegriffs führt dazu, die Berechtigung und den Geltungsbereich der positiven Vertragsverletzung in Frage zu stellen134. Für weitere Ausführungen zur Berechtigung der positiven Vertragsverletzung ist hier nicht der Raum. Nur soviel soll gesagt werden: Solange nicht ihre Reichweite eindeutig bestimmt ist135 , kann von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Instituts der positiven Vertragsverletzung nicht gesprochen werden136. Zwar ist bei bestehenden Verträgen das Deliktsrecht durch die Anspruchsgrundlage der positiven Vertragsverletzung "faktisch ersetzt"137. Es ist aber eine Verdrehung, die Besetzung eines wesentlichen Teils des durch die positive Vertragsverletzung abgedeckten Raums durch das Deliktsrecht für 131 Zutreffend Keuk, S. 149, 154; Rengier, S. 57; Esser / Schmidt, § 6 I 1; Stoll, Festschrift Hippel, S. 525; vgl. auch Lange, Schadensersatz, S. 46; dazu auch oben Abschnitt VIII 4 a und unten Abschnitt X 2. 133 Protokolle I, S. 293. 134 So schon Himmelschein, AcP 135, 255 ff.; 158, 273 ff.; Wicher, AcP 158, 279 ff.; vgl. auch die Anerkennung von "Leistungspflichten mit Schutzzweck" bei Hans Stoll, Festschrift Hippel, S. 524 f.; ders., AcP 176, 150 f.; kritisch dazu Huber, AcP 177, 319 Fn. 148; gegen die positive Vertragsverletzung siehe ferner Peters, NJW 1978, 667: Es sei nur zu begrüßen, wenn die gesetzlich normierte Anspruchsgrundlage in ihrem Anwendungsbereich ausgeweitet, die außergesetzlich entwickelte - deren grundsätzliche Subsidiarität allgemein anerkannt sei - dagegen zurückgedrängt werde; vgI. auch Münch. Komm. - Emmerich, Vor § 275 BGB, Rdnr. 68, 186 ff.; § 275 BGB Rdnr. 56 ff.; ebenso Münch. Komm. - Kramer, § 241 BGB, Rdnr. 16 Fn. 26; Jakobs, S. 31; Michaelis, S. 18; Evans-von Krbek, AcP 179, 126 f., 138; OLG Düsseldorf OLGZ 1978, 204; kritisch Heinrich Stoll, AcP 136, 268 ff., insbesondere S. 274; abI. Palandt / Heinrichs, § 276 BGB, Anm. 7 a bb m. w. N.; Soergel / Schmidt, Vor § 275 BGB, Rdnr. 34 ("scharfsinnig, aber unzutreffend"); Schwerdtner, Jura 1980, 214 f.; Köpcke, S. 10 f.; gegen die Notwendigkeit, den Leistungsbegriff zu erweitern, auch Köhler, S. 101. 135 So auch Medicus, § 14 IV 1 a. E. 138 Gegen die gewohnheits rechtliche Anerkennung Jakobs, S. 58 ff.; vgI. auch Evans-von Krbek, AcP 179, 87; auch Wassermeyer, S. 88. 137 Hohloch, JuS 1977, 304.
154 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
bedenklich zu halten138. Das Deliktsrecht hat eine vorrangige Legitimation gegenüber der positiven Vertragsverletzung. Die von der Privatautonomie getragene Parteivereinbarung geht ihr ebenfalls vor. Da der Parteiwille den Vertragsinhalt und damit auch den Begriff der Leistung bestimmt, erscheint es bei einer am Vertragsinhalt orientierten Auslegung gerade nicht als "artifiziell von einern so weit gefaßten Begriff der Leistung auszugehen"139. Fest steht, daß die positive Vertragsverletzung ihre Legitimation nicht aus der Fragestellung beziehen kann, es erscheine "mehr als zweifelhaft", "ob es ... wissenschaftsökonomisch (1) sinnvoll ist, eine derart etablierte Rechtsfigur wie die positive Vertragsverletzung aus rein (?) klassifikatorischen Gründen aufzugeben 140. Derartige Gründe dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Gleiches gilt für eine "sinnvolle Gliederung der Pflichten". Sie - und auch die Fälle des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte - sind vorrangig über die Vertragsauslegung zu lösen141 . Auch der Hinweis auf die fehlende Vereinbarkeit mit § 812 BGB142 greift nicht. Das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung steht nach dem Gesetz in bewußter Abhängigkeit zur vertraglichen Leistung, nicht umgekehrt. Der Bereicherungsgläubiger wird bewußt nur gegen ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen geschützt. Hinzuweisen bleibt schließlich, daß auch das EKG mit seinem einheitlichen Begriff der Vertragsverletzung die Kategorie der positiven Vertragsverletzung nicht mehr benötigt 143 . Bei der inhaltlichen Bestimmung eines extensiven Leistungsbegriffs wird man nur Sorge zu tragen haben, daß die deliktische Haftung nicht obsolet wird. Das bedeutet, daß man nicht so weit gehen darf, eine mit der deliktischen deckungsgleiche - allgemeine vertragliche Pflicht, den Vertragspartner nicht zu schädigen, anzunehmen. Denn damit würde der Schutzbereich des Vertragsverhältnisses über die Leistungserwartung und die leistungstangierte Vermögenssphäre auf alle rechtlich geschützten Interessen des Vertragspartners erstreckt 144 . Kein Vertrag will aber einen Totalschutz gewähren, sondern nur Schutz für einen bestimmten Interessenbereich145 . Die Bezeichnung "Rechtsgutsinteresse" trägt der Konkretisierung des Deliktsinteresses durch die Beschränkung des Schadensersatzes auf den So aber Schwark, AcP 179, 81. m So aber Schwerdtner, Jura 1980, 214; vgl. auch Wassermeyer, S. 90. 140 So aber Schwerdtner, Jura 1980, 214. 141 Das verkennt Schwerdtner, Jura 1980, 214. 142 Schwerdtner, Jura 1980, 214. 143 v.on Caemmerer, AcP 178, 128. 144 Kreuzer, JZ 1976, 779. 145 Zutreffend Lange, Gutachten, S. 45.
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4. Das Gebot der Differenzierung
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konkreten Rechtsgüterschutz 146 Rechnung. Die Art des verletzten Rechtsguts begrenzt das geschützte Interesse insofern, als beispielsweise eine Körperverletzung nicht zum Ansatzpunkt für den Ersatz von Sachnutzungsfrustrationen gemacht werden darf1 47 • Da das Deliktsrecht auf Genußbeeinträchtigungen und Gebrauchsentbehrungen keine dem von der Privatautonomie beherrschten Vertragsrecht vergleichbaren Reaktionen kennt, wie sie etwa Wandlung, Minderung, Rücktritt sowie Schadensersatz wegen Nichterfüllung bei einem weit ge faßten Leistungsbegriff ermöglichen, kann nur versucht werden, die Genuß- und Gebrauchsinteressen als Vertragsinteresse bzw. Leistungs- oder Erfüllungsinteresse zu erfassen 148 • Eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Interessenlage zeigt in dem Zusammenhang, daß es auch die angemessene Berücksichtigung der Interessen des Schädigers ist, die die Unterscheidung nach vertraglichem und deliktischem Haftungsgrund fordert. Denn Jener hat es als Vertragspartner in der Hand, inwieweit er Verpflichtungen übernimmt l49 • c) Die Eigenstlndigkeit des Vertragsrechts
Die unreflektierte Übertragung von Begründungen und Ergebnissen, welche man bei den deliktischen Ansprüchen entwickelt hat, auf das Vertragsrecht sowie die auch beim vertraglichen Anspruch auf § 847 BGB beschränkte Sicht lassen Zweifel an der Eigenständigkeit des Vertragsrechts aufkommen. Man fragt sich unwillkürlich, welchen Nutzwert die eben festgestellten Unterschiede in der Ausgangs- und Interessenlage haben, wenn davon beim immateriellen Schaden auf einmal keine Rede mehr ist, geschweige denn irgend welche Konsequenzen daraus gezogen werden. Die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen vertraglichem und deliktischem Anspruch scheint durch Überschneidungen beider Haftungsbereiche in Frage gestellt zu sein. Man ist in Überwindung der vom Gesetz festgelegten Unterschiede bemüht, die Vorzüge des Vertrags- und Deliktsrechts in optimalem Sinn für den Geschädigten zu kombinieren und macht sich durch Ausdehnung in beide Richtungen Dazu oben Abschnitt I 1; vgl. auch Abschnitt VI 3. Diederichsen, Festschrift Klingmüller, S. 84; vgl. auch Rengier, S. 53 ff.; Keuk, S. 250 stellt auf den Inhalt des in casu verletzten Rechts ab; nach Evans-von Krbek, AcP 179, 107, 141 bestimmt sich der "Deliktskreis" nach dem verletzten Rechtsgut; ferner Oftinger, S. 128; vgl. schon oben Abschnitt VI3. 148 Dazu i. e. unten Abschnitt X. 149 Vgl. Tolk, S. 89 f. 148
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156 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts zunutze, daß sich einerseits der Vertragsanspruch zumeist in seinen Voraussetzungen als günstiger erweist 150 , während andererseits der Vorzug des deliktischen Anspruchs des Geschädigten in dessen Umfang liegt 151 • Vor allem geht es darum, Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts 152 zu überwinden153 • über die Entwicklung etwa von Schutzpflichten sowie des Instituts der positiven Vertragsverletzung versuchte man, den rechtspolitisch erwünschten Schutz des Geschädigten zu erreichen. Die Eigenständigkeit des Vertragsrechts wird dadurch nicht angetastet. Sie wird sogar noch betont, wenn zur Begründung der Anwendung vertraglicher Normen im Deliktsrecht zumeist angeführt wird, daß die betreffende Vertragsnorm sonst im "wesentlichen bedeutungslos" wäre u4 . 150 Vor allem in der unterschiedlichen Gehilfenhaftung der §§ 278 und 831 BGB (zur Reform des § 831 BGB vgl. den Referentenentwurf 1967; krit. Schmidt, Nachwort, S. 153); der unterschiedlichen Verjährungsfrist (zur Anwendung des § 558 BGB im Deliktsrecht vgl. Palandt / Putzo, § 558 BGB, Anm. 2 b; Georgiades, S. 88 m. w. N.; Arens, AcP 170, 401 f.; BGHZ 66, 315 = NJW 1976, 1505; BGHZ 47, 53; auch BGHZ 9, 303 ff.; anders bei § 477 BGB, BGHZ 66, 315 ff.; BGH NJW 1978, 2242; Palandt / Putzo, § 477 BGB, Anm. 1 d m. w. N.; aA OLG Düsseldorf NJW 1975, 453; Schlechtriem, Festschrift Rheinstein, S. 693 (§ 852 BGB bei Schlechterfüllung); sowie bei § 638 BGB, vgl. nur Freund / Barthelmess, NJW 1975,287 f. m. zahlr. N.); der Beweislastverteilung (zur Anwendung des § 282 BGB bei der Produzentenhaftung Palandt / Heinrichs, § 282 BGB, Anm. 2; Palandt / Thomas, § 823 BGB, Anm. 16 D c ff. jeweils m. w. N.; auch Evans-von Krbek, AcP 179, 141; BGHZ 51, 91, 104; der prima facie-Beweis verhindert gerade die Beweislosigkeit und hebt daher den Unterschied in der Beweislastverteilung nicht auf, so auch Knetsch, S. 163; Braschos, S. 244; ferner Dietz, Landesreferate, S. 194; vgl. aber Hohloch, JuS 1977, 306; Schlechtriem, ZHR 133, 132; Eichler, AcP 162, 413; Dietz, S. 137 Fn. 175). 151 Georgiades, S. 83 m. w. N.; Eichler, AcP 162,411; zu den §§ 842, 843 BGB, deren Nichtanwendung im Vertragsrecht - ebenso wie bei § 847 BGB (s. o. Abschnitt VIII 2 b), ohne daß aber § 253 BGB zu überwinden ist - für "sehr unbefriedigend" gehalten wird, Leonhard, S. 636 f.; von Tuhr, AT I, S. 279; Hellwig, DJZ 1906, Sp. 1290; Ebbecke, Jher. Jb. 71, 350; Larenz, Schuldrecht I, § 29 II e; Dietz, Landesreferate, S. 196; Bruns, JuS 1971, 226; Braschos, S. 87; auch Schmitz, S. 205; aA zu Recht Dietz, Anspruchskonkurrenz (934), S. 135 f.; wohl auch Georgiades, S. 83 f.; Knetsch, S. 164; Jauernig / Teichmann, § 842 BGB, Anm. 2; Palandt / Thomas, § 842 BGB, Anm. 1. - Die Protokolle bezeichnen die §§ 842, 843 ausdrücklich als eine Spezialität der deliktischen Haftung (Mugdan II, S. 638; zu § 843 BGB als "klar begrenzten Sondertatbestand" s. o. Abschnitt III.4 a. E.). Selbst wenn man sie als Ergänzungsvorschriften zu den §§ 249 ff. BGB ansieht, folgt daraus noch nicht ihre Anwendung im Vertragsrecht, wenn man den §§ 249 ff. BGB im Vertragsrecht wegen der Maßgeblichkeit des Parteiwillens nur eine begrenzte Bedeutung zuspricht, dazu u. Abschnitt VIII 7 d. 15! Insbes. im Hinblick auf § 831 BGB; dazu Referentenentwurf 1967, Begründung, S. 98, 101. 153 Vgl. von Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 56 ff.; Schlechtriem, Festschrift Rheinstein, S. 685; Stoll, Festschrift Hippel, S. 527; krit. Kreuzer, JZ 1976,778 ff.; Hohloch, JuS 1977,302 ff. 154 Vgl. nur RGZ 66, 363; Larenz, Vertrag und Unrecht, S. 76/77; weitere Nachweise bei Helm, S. 286, 299; Georgiades, S. 87.
4. Das Gebot der Differenzierung
157
Im Fall des Zusammentreffens von vertraglicher und deliktischer Haftung erweist sich die Eigenständigkeit des Vertragsrechts in besonderem Maße. Zwar fehlt es in den hier zu beurteilenden Fällen des vertraglichen Schadensersatzes wegen immaterieller Beeinträchtigung in der Regel an der zugleich gegebenen Verletzung eines deliktisch geschützten absoluten Rechtsguts. Zudem kann von einer Vergrößerung der überschneidungsflächen durch die Anerkennung der deliktsähnlichen positiven Vertragsverletzung, derzufolge die Bedeutung der Frage nach dem Verhältnis beider Schadensersatzansprüche für die Konkurrenzlehre anwachse 155 , dann keine Rede sein, wenn man die positive Vertragsverletzung ablehnt 156 • Auf das tatsächliche Bestehen einer Konkurrenz kommt es aber für den Nachweis der Eigenständigkeit des Vertragsrechts nicht an. Denn nirgends kann sich die Eigenständigkeit stärker beweisen als gerade in einer - hypothetisch unterstellten - Konkurrenzsituation. Hier geht die herrschende Meinung von der Anspruchskonkurrenz157 aus, die zur völligen Unabhängigkeit von vertraglichem und deliktischem Anspruch führt 158 • Beide Ansprüche laufen nebeneinander her und sind nicht von dem gleichzeitigen Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des anderen Anspruchs abhängig l59 • Da sie grundverschiedene Sachverhalte regeln wollen, stehen sie ohne Rangverhältnis gleichberechtigt nebeneinander und kommen zur Anwendung, wenn beide Tatbestände erfüllt sind 160 • Notwendige Konsequenz der Selbständigkeit ist, daß jeder 155 Georgiades, S. 83/84; vgl. den Optimismus bei Hohloch, JuS 1977, 304, daß die vertraglichen Hilfskonstruktionen nur "solange praktiziert werden ... , als eine Reform des Deliktsrechts nicht durchgeführt wird"; auch Braschos, S. 230 f. 158 Vgl. oben Abschnitt VIII 4 b. 157 Grundlegend Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt (1934), mit umfassenden Nachweisen auf die ältere Literatur, insbes. S. 70; ders., Landesreferate, S. 190; ferner Ebbecke, Jher. Jb. 71, 346 ff.; Fromherz, AcP 108, 435 ff.; Lent, Bd. I, S. 275 ff.; Heck, § 147, 10; Palandt / Thomas, Einf. vor § 823 BGB, Anm. 2; vgl. auch Arens, AcP 170, 392 ff.; RGZ 88, 433 ff.; BGHZ 9, 301 ff.; 32, 203; 302; 66, 315 ff. = NJW 1976, 1505; BGH NJW 1978, 2242; OLG Braunschweig NJW 1979, 1553; anders die Theorie der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität des Vertragsrechts), vgl. von Tuhr, AT I, S. 279; 11 2, S. 464 (aber Anspruchskonkurrenz im Fall des Schmerzensgeldes); Hellwig, Anspruch und Klagrecht, S. 97 ff.; ders., System, S. 123 ff.; ders., DJT 1906, 111, S. 648; ders., DJZ 1906, Sp. 1290; weitere Nachweise auf die ältere Literatur bei Dietz, S. 70 ff.; Knetsch, Das Verhältnis von Vertrags- und Deliktsrecht (1975), im Anschluß an Bruns, JuS 1971, 221 ff.; Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung (1972), S. 46, 63 ff.; ders., Festschrift Rheinstein, S. 686; Helm, Haftung für Schäden an Frachtgütern (1966), S. 311 ff. (beschränkt auf das Frachtrecht); vgl. auch Schwark, AcP 179, 66 f., 84; ferner o. Abschnitt VIII 2 b. 158 Z. B. Fromherz, AcP 108, 454; Dietz, S. 136; vgl. bei Schlechtriem, Festschrift Rheinstein, S. 689. 159 Dietz, S. 71, 102. 110 Dietz, S. 106, 125.
158 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
der Ansprüche allein durch die für ihn zuständigen Vorschriften bezüglich Entstehung, Inhalt und Abwicklung bestimmt wird, ohne Rücksicht darauf, wie der andere Anspruch im einzelnen umschrieben ist 161 • Das Wesen der Anspruchskonkurrenz wird verkannt, wenn die Frage aufgeworfen wird, wie weit die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Vertragsrecht "schon im Rahmen des geltenden Rechts durch richterliche Rechtsschöpfung mit Hilfe des Begriffs der Anspruchskonkurrenz möglich" sei 162 • Dadurch würde gerade die klare differenzierte Konzeption außer acht gelassen. Damit erweist sich bereits in der - hypothetisch unterstellten Konkurrenzsituation, daß das Vertragsrecht eigenen vom Deliktsrecht unabhängigen Regeln folgt. Dies muß erst recht dann gelten, wenn von einem Einfluß des Deliktsrechts auf das Vertragsrecht deshalb keine Rede sein kann, weil ein deliktischer Tatbestand nicht erfüllt ist. Nicht in Frage gestellt werden kann, ob eine Differenzierung zwischen vertraglichem und deliktischem Anspruch überhaupt noch geboten ist 163 • Das der Partei disposition unterworfene Vertragsrecht bewahrt seine Eigenständigkeit und erfordert in jedem Fall eine an der unterschiedlichen Interessenlage und am individuellen Parteiwillen ausgerichtete Begründung der Schadensersatzpflicht l64 • Versuche, den deliktischen Haftungsumfang auf den vertraglichen Ersatzanspruch zu übertragen und § 847 BGB im Vertragsrecht anzuwenden 165 , finden im Gesetz keine Stütze. Die übertragung des Kommerzialisierungsgedankens aus dem Deliktsrecht in das Vertragsrecht verletzt die Eigenständigkeit des Vertragsrechts. Für den Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht stellt sich daher nur die Frage, ob das Vertragsrecht selbst einen solchen Ersatz zuläßt. Dietz, S. 130, 136; BGHZ 9, 302; 32, 204; 302. So Michaelis, S. 43; Hervorhebung vom Verf. 163 Vgl. aber etwa Loewenheim, AcP 179, 175; anders auch nach der Anspruchsnormenkonkurrenz im Sinne von nur einem einheitlichen, mehrfach begründeten Anspruch, die zu einem neuen, deliktischen und vertraglichen Anspruch führt (Georgiades, S. 176; Jauernig / Teichmann, Vor § 823 BGB, Anm. 2 a; Larenz, Vertrag und Unrecht, S. 76; ders., SchuldR II, § 75 VI; Eichler, AcP 162, 417; Michaelis, S. 167; ablehnend zu Recht Schlechtriern, Vertragsordnung, S. 59 f.; ders., Festschrift Rheinstein, S. 688; Arens, AcP 170,322 ff., 401, 413; auch Henckel, Parteilehre, S. 281); danach geht es nur um Ersatz "desselben Schadens" (Georgiades, S. 174, 176), ohne die Unterschiede und Grenzen nach Art des geschützten Interesses zu beachten. 154 aA Braschos, S. 70 f., 78, der einen "Gleichheitssatz" behauptet und demzufolge auch den immateriellen Bereich an § 847 orientiert; vgl. S. 39, 64 f., 161
152
90, 122 ff. 165
Dazu oben Abschnitt VIII 2 b.
5. Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung"
159
5. Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung" a) Inhalt
Wesentliche Ursache für die Versagung immateriellen Schadensersatzes im Vertragsrecht ist bis heute das sog. "Dogma vom Vermögenswert der Leistung". Dieses "Dogma" beherrschte bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Jurisprudenz und beeinflußte im Ergebnis auch die Gesetzgebungsarbeiten zum BGB. Dem Ersatz des Nichtvermögensschadens im Vertragsrecht konnte es nur entgegenarbeiten166 • Grundlage des "Dogmas" ist die Auffassung, daß die Obligation ein vermögenswertes Interesse des Gläubigers zur Voraussetzung habe 167 • Diese Auffassung geht zurück auf die durch Gaius überlieferte Notiz, daß der römische Richter sein Urteil habe auf Geld richten müssen 168 , sowie auf eine Stelle der Pandekten: "ea in obligatione consistere, quae pecunia lui praestarique possunt" 169. Gegenstand einer Obligation konnte nach dem "Dogma" nur sein, was sich in letzter Instanz in Sachgüterleistungen auflösen ließ, Ansprüche auf ein bloßes "facere" des Schuldners waren ausgeklammert 17O • b) Das rechtsunverbindlid:J.e faeere als Zielrid:J.tung
Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung" war damit vor allem auf die letztgenannten Forderungen, die obligationes faciendi, ausgerichtet. Insbesondere bei den obligationes faciendi wurde gefordert, das face re müsse einen pekuniären Wert für den Gläubiger haben l7l • Das Versprechen eines facere, das für den Gläubiger ohne Vermögenswert sei, sei kein rechtsverbindliches. Bereits hieraus wird deutlich, daß es dem "Dogma" in seiner Zielrichtung gar nicht so sehr um die Ausscheidung immaterieller Vertragsinteressen ging, als vielmehr um So auch Fischer, S. 277; von Beauvais, S. 272. Dernburg, Pandekten, S. 2, 50; ders., System, S. 37; Hellwig, AcP 86, 224, 245; aA Windscheid, Pandekten, S. 3; ders., Lehrbuch, S. 55 Fn. 3; v. Jhering, Jher. Jb. 18, 41 ff.; Baron, Pandekten, S. 342 f.; Kohler, Arch. f. Bürgerl. R. 5, 253; 12, 1 ff.; von Beauvais, S. 22; Stoll, Gutachten, S. 35, 54; Flurne, Rechtsgeschäft, S. 83. 188 Gaius IV 48: "omnium autem formularern, quae condemnationem habent, ad pecuniariam aestimationem condemnatio concepta est: itaque et si corpus aliquod petamus, velut fundum, hominem bestem, aurum, argentum, judex non ipsam rem condemnat eum, cum quo actum est, sicut olim fieri solebat, (sed) aestimata re pecuniam eum condemnat". 189 1. 9 § 2 D. de statuliberis 40.7 (Ulpian); vgl. dazu die Interpretation bei Dernburg, Pandekten, S. 50 Fn. 4; anders Windscheid, Pandekten, S. 3 Fn. 3; ferner Sohm, S. 447; v. Jhering, Jher. Jb. 18,42,80 f. 170 Vgl. nur Dernburg, Pandekten, S. 50 f.; ferner Kohler, Arch. f. Bürgerl. R. 12, 14 f. 171 So Renaud in seinem Gutachten betr. die Gäubahn, wiedergegeben bei v. Jhering, Jher. Jb. 18, 37 f. le6
167
160 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
die Freihaltung des Vertragsrechts vom rechtsunverbindlichen Versprechen eines facere. Schon Kohler hatte dies zutreffend erkannt: "Die langjährige Geltung einer solchen Ansicht läßt sich erklären aus dem Bestreben, einen Halt zu finden, wo man die rechtsverbindlichen Obligationen von den vielen unverbindlichen Versprechungen des Lebens abscheiden kann"172. Der Vermögenswert der Leistung entfaltet also seine Bedeutung bei der Abgrenzung des rechtlichen vom außerrechtlichen Bereich, der vertraglichen Bindung von der im gesellschaftlichen Verkehr wurzelnden Gefälligkeit173. Maßgeblich für die Abgrenzung ist heute die allein entscheidende Frage nach dem Vorliegen eines Rechtsbindungswillens 174 • Es ist zwar bei der Feststellung des Rechtsbindungswillens inzwischen erkannt, daß der Vermögenswert nicht unerläßliche Voraussetzung ist 175 , ihm kommt aber doch eine symptomatische Bedeutung zu 178 • Wenn auch die Frage der rechtlichen Bindung "natürlich eine Frage der menschlichen Ordnung sei" und "daher nicht dem Belieben der Parteivereinbarung" unterliege 177 , so wird doch ein Rechtsbindungswille in der Regel zu bejahen sein, wenn ein Entgelt vereinbart ist1 78 . Damit resultiert die symptomatische Bedeutung des Vermögenswerts maßgeblich aus der vereinbarten Gegenleistung. Die Frage der Einbeziehung immaterieller Interessen in den vertraglichen Ersatzanspruch ist jedoch eine andere als die nach der Rechtsbindung. Das Vorliegen einer vertraglichen Bindung in den unter Abschnitt VII aufgeführten Fällen steht außer Streit. Insofern kann also festgestellt werden, daß der Unterschied des Gefälligkeitslebens vom (rechtlichen) Verkehrsleben durchaus nicht mit dem Unterschied zwischen Vermögens- und Nichtvermögensinteresse zusammenhängt 17U • c) Irrtümer des "Dogmas" und dessen legislative Vberwlndung
Der Hinweis der Gaius-Notiz auf die richterliche Durchsetzbarkeit kann heute nur noch Wirkung in Bezug auf rechtlich nicht bindende Zusagen entfalten. Im Falle ihrer Verletzung besteht in der Tat keine Verurteilungs- und damit auch keine Haftungsmöglichkeit im Wege der Arch. f. Bürger!. R. 5, 253. Vg!. die Beispiele bei v. Jhering, Jher. Jb. 18, 92 ff.; Hellwig, AcP 86, 233 f.; Kohler, Arch. f. Bürger!. R. 12, 18 ff. 174 Vg!. nur Palandt / Heinrichs, Ein!. vor § 241 BGB, Anm. 2; Cosack, S. 283; Comes, S. 46 m. w. N., 56. 175 Vgl. RGZ 87,293; 102,222. 17S Kohler, Arch. f. Bürger!. R. 12,21; vg!. auch Cosack, S. 283. 177 So Kohler, Arch. f. Bürger!. R. 12, 25; Flume, Rechtsgeschäft, § 72. (S. 82 f.); Comes, S. 48 f. m. kritischen N. 178 Palandt / Heinrichs, Ein!. vor § 241 BGB, Anm. 2. 178 So auch Kohler, Arch. f. Bürger!. R. 5, 253. 172
173
5. Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung"
161
condemnatio pecuniaria. In ihrer Allgemeinheit ist die Gaius-Notiz im übrigen aus anderen Gründen heute überholt. Sie beruht auf einer Besonderheit des römischen Prozesses der klassischen Zeit, der nur die Verurteilung auf Geld kannte, weil die Zwangsvollstreckung nur auf Geldleistungen ausgerichtet war. Eine condemnatio in ipsam rem, wie sie das heutige Recht kennt (vgl. §§ 883 ff. ZPO), war nicht bekannt18o • Bereits der Dresdner Entwurf von 1866, der erste überregionale Entwurf eines deutschen Obligationenrechts, sah deshalb in den Artikeln 2, 3 unter Hinweis auf die gegenüber dem römischen Prozeßrecht mögliche Erfüllungsklage vom Erfordernis eines Vermögenswertes ab 181 • Von Jhering hat darüber hinaus in seinem Gäubahn-Gutachten überzeugend nachgewiesen, daß auch das römisch-rechtliche Gebot der condemnatio pecuniaria, das er als "Sitz des ganzen Irrtums" ansah182 , mißverstanden worden sei und auch vom Recht als schutzwürdig anerkannte Interessen umfaßte, wie z. B. die Minderung des Wohlseins, des Behagens sowie Unannehmlichkeiten, Gemütsaufregungen, Kränkungen etc. 183 • Dies gelte auch bei Verträgen184 • Weiterhin wird auf die römisch-rechtliche Differenzierung bei den Klagen aus Verträgen nach der bonae fidei actio und der stricti juris actio hingewiesen 185 • Bei den obligationes bonae fidei habe auch das Affektionsinteresse genügt. Lediglich bei den obligationes stricti juris mußte das Interesse ein Vermögensinteresse sein, da dem Richter die Befugnis zu seiner Festsetzung nach freiem Ermessen fehlte. Die römischen stricti juris obligationes seien jedoch "heutzutage" untergegangen, allgemein sei nur noch der Grundsatz der bonae fidei obligationes anzuwenden 186. In bezug auf immaterielle Vertragsinteressen besagt die Gaius-Notiz daher zunächst einmal gar nichts mehr. Falsch ist heute der Satz, immaterielle Interessen könnten deshalb nicht Gegenstand einer gültigen Obligation sein, weil im Falle ihrer Verletzung keine Verurteilungs180
14.
von Tuhr, Jher. Jb. 46, S. 39; vg!. auch Kahler, Arch. f. Bürger!. R. 12,
181 Der im übrigen nach den Leitbildern der Pandekten-Wissenschaft abgefaßte Entwurf wurde aber nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 und der ihm folgenden Auflösung des Deutschen Bundes den Gesetzgebungskörperschaften der deutschen Staaten nicht mehr zugeleitet; vg!. hierzu nur Gmür, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 104. 182 Jher. Jb. 18, 1 ff., 50. 183 Jher. Jb. 18, 77; ebenso Seng, Arch. f. Bürger!. R. 5, 337; aA Dernburg, Pandekten, S. 51 Fn. 6. 184 Jher. Jb. 18, 79, 90. 185 Baron, Pandekten, S. 156. 188 Baron, Pandekten, S. 342.
11 ströfer
162 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
und damit auch keine Haftungsmöglichkeit bestände 187 • Das "Dogma vom Vermögensinteresse bei der Obligation" ist heute durch das Bürgerliche Gesetzbuch legislativ überwunden 188 • Aus § 241 BGB ergibt sich, daß Inhalt des Schuldverhältnisses auch ein Tun oder Unterlassen sein kann. § 241 BGB und die in § 305 BGB verankerte Vertragsfreiheit korrespondieren. Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit eröffnet die Möglichkeit umfassender Verpflichtungen des Einzelnen 189 • Einbezogen ist damit das Versprechen eines facere; es geht diesbezüglich nur noch darum, das rechtsunverbindliche facere aus der Obligation auszuscheiden. Ein vermögensrechtliches Interesse wollte der Gesetzgeber - beeinflußt von Windscheid als Mitglied der ersten Kommission - als nicht zum Wesen der Obligation gehörig ansehen 190 • Dieser Standpunkt erhelle zu Genüge aus dem Mangel einer entgegengesetzten Bestimmung 191 • Dabei wurde auf die Bestimmung des § 221 (= § 253 BGB) hingewiesen. § 221 wäre bei gegenteiliger Auffassung überflüssig 192 • Während der Vorarbeiten zum BGB lehnte die 2. Kommission ausdrücklich den Antrag ab: "Gegenstand eines Schuldverhältnisses kann nur eine Leistung (Thun oder Unterlassen) von Vermögensinteresse" sein 193 • Die Kommission ließ sich dabei von der Erwägung leiten, die Obligation "habe bei einem hoch kultivirten Volke nicht bl os die Aufgabe, dem Gläubiger materielle Güter zu verschaffen, sondern soll auch ideelle ihm vermitteln, deren Bedeutung und Werthschätzung mit der Kultur steige". Zudem würde das Erfordernis eines Vermögensinteresses "unpraktikables Recht schaffen, denn dieser Begriff sei viel zu unbestimmt und würde im einzelnen Falle nur zu oft zu Zweifeln Anlaß geben und dem Schuldner die Handhabe zu chikanösen Einwendungen bieten" 194.
Vgl. Braschos, S. 113. Kohler, Arch. f. Bürgerl. R. 12, 41. IB9 Siehe dazu unten Abschnitt IX. 190 Motive II, S. 3, 5; Kohler, Arch. f. Bürgerl. R. 12, 26; ebenso Protokolle der ersten Kommission, S. 466 (abgedruckt bei Jakobs / Schubert, Recht der Schuldverhältnisse I, S. 40). 191 Motive 11, S. 5. 192 So die Protokolle der Vor kommission des Reichsjustizamtes, S. 201 (wiedergegeben bei Jakobs / Schubert, Recht der Schuldverhältnisse I, S. 44). 193 Mugdan 11, Protokolle, S. 501; das Bestreben dieses Antrags, die Unterschiede zwischen Forderungsrechten und Familienrechten nicht zu vermischen (aaO) erledigt ihn von selbst angesichts der spezifischen Regelungen, die das Familienrecht in den §§ 1297 ff. BGB erfahren hat; Baron, Pandekten, S. 33 weist zutreffend darauf hin, daß auch mit den Familienrechten vielfach Vermögensrechte verbunden sein können (vgl. das Familiengüterrecht). 194 Mugdan 11, Protokolle, S. 502. IB7
IBB
5. Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung"
163
d) "Vermögensrecht" und Verhiltnis zwischen Obligation und Vermögenswert
Damit ist jedoch nur gesagt, daß eine Obligation auch ohne vermögensrechtliches Interesse im Sinne eines pekuniären Interesses vorliegen kann. Nicht gesagt ist, daß, wenn einmal eine Obligation und nicht nur ein rechtsunverbindliches Versprechen vorliegt, diese Obligation nicht auch in der Regel einen Leistungsinhalt von Vermögenswert enthält. Denn nach wie vor gilt, daß die Obligation eine Spezies der Gattung "Vermögensrecht" ist 195 . Eine Obligation ohne vermögensrechtliches Interesse ist insofern undenkbar 196 . Dernburg 197 , stets als einer der Vertreter des "Dogmas vom Vermögenswert der Leistung" angeführt, leugnet das Bestehen von Obligationen ohne Vermögensinteresse und führt aus: "Daß nach der heutigen Ordnung der Zwangsvollstreckung auch Versprechen nicht pekuniärer Art vollstreckt werden können, beweist nichts dafür, daß sich der Obligationsbegriff verändert hat". Die von ihm angeführten Beispiele (der Bräutigam verspricht seiner Braut ernstlich, den gewohnten Klub nicht mehr zu besuchen; der Bruder dem Bruder feierlichst, keine Zigarren mehr zu rauchen) belegen aber, daß es auch ihm nur um die Abgrenzung des rechtlichen vom außerrechtlichen Bereich ging. Nicht anders ist auch von Jhering zu verstehen, wenn er formuliert: "ohne Interesse kein bindender Vertrag"19S. - Die Frage ist dann nur, was bei einem geschlossenen Vertrag unter einem vermögensrechtlichen Interesse zu verstehen ist. Diese Frage kann nur unter Einbeziehung der Frage nach dem Gegenstand der Obligation beantwortet werden 199 . § 241 BGB bezieht hier auch das rechtsverbindliche facere ein. Ergibt sich der zulässige Gegenstand aus dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen, so folgt bereits aus der zulässigen Einbeziehung des Gegenstandes in den Vertrag auch sein Vermögenswert. Der Stempel eines konkret vermögensrechtlichen Interesses wird durch die Vereinbarung, d. h. vielfach schon durch das Versprechen der Gegenleistung, aufgeprägt 20o . Das Interesse ist dann gar nicht mehr zu bezweifeln, denn: warum schließt der Gläubiger sonst den Vertrag ab?201 Es braucht nur nicht notwendig ein Geldinteresse zu sein 202 , ist aber stets ein Vermögens195 Gierke, Entwurf, S. 195; auch Hellwig, AcP 86, 235; von Liszt, Grenzgebiete, S. 30; Esser / Schmidt, § 1 IV. 198 So auch Gierke, Entwurf, S. 194. 191 Pandekten, S. 51 Fn. 6. 198 Jher. Jb. 18, 83. 199 Vgl. Seuffert, S. 3. 200 So bereits Gierke, Entwurf, S. 195. 201 v. Jhering, Jher. Jb. 18, 84. 202 v. Jhering, Jher. Jb. 18, 78, 87.
11"
164
VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
interesse, weil eine Obligation als Spezies der Gattung "Vermögensrecht" vorliegt. Auch bei den Gesetzgebungsarbeiten wurde zugunsten eines - von der Kommission abgelehnten - Antrags, der auch bei Verträgen ohne Vermögenswert einen Schadensersatzanspruch vorsah, geltend gemacht, "es liege in der Natur der Sache (!), dem Affektionswerthe derartiger idealer Leistungen auch eine vermögensrechtliche Bedeutung beizulegen, zum al bei gegenseitigen Verträgen, bei welchen der andere Theil als Äquivalent eine Geldleistung zu versprechen pflege"203. Insofern ist auch das subjektiv als "Gefühl der Lebensbedingtheit" bezeichnete Interesse 204 ein vermögensrechtliches. Der bloße Abschluß des Vertrages gilt als Beweis des Interesses 2os . Der Vertrag als solcher trägt seine "geschäftliche Legitimation an der Stirn". Das Interesse des Schuldners ist bewiesen durch den Umstand, daß er seinerseits sich zu einer Gegenleistung verpflichtet hat206 . Es kann auch bei einem ohne Entgelt gegebenen Versprechen ein Rechtsbindungswille festgestellt werden207 • Das BGB selbst kennt im rechtsgeschäftlichen Bereich unentgeltliche Verträge (vgl. §§ 516, 598, 662, 688, 690 BGB). Daher läßt sich aus der Unentgeltlichkeit einer Leistung allein weder ein zwingendes Argument für noch gegen ein rechts geschäftliches Gefälligkeitsverhältnis herleiten208 . Entscheidend ist nur, daß die Vereinbarung einen "vermögensrechtlichen Kern" hat, der nicht notwendig von Geldwert sein muß. In diesem Sinne kann es sich auch um eine Leistung "ohne ersichtliches wirtschaftliches Interesse" handeln209 . Die Vereinbarung eines Entgelts ist sekundär, da dessen Vereinbarung im Belieben der Vertragsparteien steht. Insofern bedingt im Ergebnis nicht der Vermögenswert die Obligation, sondern die Obligation den Vermögenswert. Damit hat das "Dogma" nach heutigem Recht Inhalt und Bedeutung verloren. Bei einer als rechtsverbindlich festgestellten Vereinbarung geht es in den unter Abschnitt VII aufgeführten Fällen vor allem um die Reichweite der Obligation. Das nichtvermögensrechtliche Interesse im Sinne eines nicht pekuniären Interesses steht hier nicht als alleiniger Vertragsinhalt, sondern nur neben einem Vertragsgegenstand bzw. als ein Teil desselben in Frage, dessen Geldwert schlechterdings von keinem bezweifelt wird 210 . 203 204 205 206 207 208 209 210
IX3.
Mugdan II, S. 516. v. Jhering, Jher. Jb. 18, 96. v. Jhering, Jher. Jb. 18, 110. v. Jhering, Jher. Jb. 18, 111. Insofern kritisch Hellwig, AcP 86, 232. RGZ 145,394; BGHZ 21, 106.
Vgl. Gierke, Entwurf, S. 195. Zu den sog. konsumptiven Vertragsinteressen siehe unten Abschnitt
6. Auswirkungen auf den vertraglichen Schadensersatzanspruch
165
6. Auswirkungen auf den vertraglichen Schadensersatzanspruch a) Der Standpunkt des Gesetzgebers
Das "Dogma vom Vermögenswert der Leistung" im herkömmlich verstandenen Sinn zeitigt seine Auswirkungen auf das Schadensersatzrecht, wenn es um die Frage einer Entschädigung wegen eines anderen als eines Vermögensschadens geht. Hier wird in "Halbheit"211 auch von einem Teil derjenigen, die ein Vermögensinteresse (im Sinne von pekuniär) nicht als Voraussetzung für die Existenz einer Obligation ansahen, ein Entschädigungsanspruch bei Verletzung eines nicht vermögensrechtlichen Interesses durch Zuwiderhandlung gegen eine obligatorische Verpflichtung versagt. Die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch erklären ausdrücklich: "Jedoch ist der Entwurf nicht so weit gegangen, allgemein (!?) auch die Forderung einer Entschädigung wegen eines anderen als eines Vermögensschadens zuzulassen (vgl. §§ 221, 728, 734, 735, 736). Bei rechtsgeschäftlichen Obligationen ist der Gläubiger zur Sicherung seines nicht vermögensrechtlichen Interesses auf die Sicherung durch Konventionalstrafe verwiesen"212. Einen Entschädigungsanspruch bei Verletzung eines nicht vermögensrechtlichen Interesses lehne § 253 BGB "ausdrücklich ab"213. b) Die
Nichtberü~sichtigung
des von Kübelschen Vorentwurfs von 1882
Völlig unberücksichtigt blieb dabei der entgegengesetzte weitergehende Standpunkt des von Kübelschen Vorentwurfs von 1882. In § 2 des Abschnitts I, Tit. 3, IU, bestimmte der Vorentwurf, daß als Folge der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit wegen eines anderen als eines Vermögensschadens eine durch das freie Ermessen des Richters zu bestimmende Entschädigung in Geld gefordert werden könne. Andernfalls sei der Gläubiger - so die Begründung - in vielen Fällen schutzlos gestellt, wenn man ihn im Falle der Nichterfüllung lediglich auf den Weg der Zwangsvollstreckung verweisen würde. Da Vermögensschaden und Schadensersatz oder Ersatz des Interesses keine korrelaten Begriffe seien 21 4, seien die Begriffe der Ausgleichung und Entschädigung nicht auf den Vermögensschaden zu beschränken 215 . In dieser Hinsicht bestehe kein innerer Unterschied zwischen der deliktischen und der vertraglichen Verletzung 216 . Der Grund für die Nichtberücksichtigung und feh2t1 Seuffert, S. 5. 212 Motive II, S. 3. 213 Mugdan II, S. 12. 214 Für das Deliktsrecht siehe aber oben Abschnitt III 1 und 7. 215 Vgl. auch Braschos, S. 24. m Vgl. Vorentwurf Abschnitt I, Tit. 1, 1., S. 17; auch § 14 Abs. 2 des Teilentwurfs über das Recht der unerlaubten Handlungen des Dresdener Ent-
166 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
lende Erwähnung des Vorentwurfs dürfte personell bedingt sein217 • Als Ende 1887 der gesamte Entwurf des BGB von der Kommission nochmals zum endgültigen Abschluß der ersten Lesung einer allgemeinen Revision unterzogen wurde 218 , fand sich keine Autorität, die sich mit der Berücksichtigung des weitergehenden Standpunkts des von Kübelschen Vorentwurfs durchsetzen konnte. c) Die Nichtberücksichtigung der auf einen Schadensersatzanspruch gerichteten Anträge durch die zweite Kommission
Gleichwohl hatte die zweite Kommission Gelegenheit, sich mit mehreren auf die Zubilligung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs für immaterielle Beeinträchtigungen gerichteten Anträgen auseinanderzusetzen, die ersichtlich die Grundkonzeption des Vorentwurfs von 1889 erkennen ließen219 • Der Hauptantrag und der Unterantrag 1 wollten einen solchen Anspruch nur zubilligen, wenn die Verbindlichkeit von vornherein erkennbar auf eine Leistung ohne Vermögenswert gerichtet und es deshalb als der Absicht der Parteien entsprechend anzusehen sei, daß das durch die Nichterfüllung des Schuldners dem Gläubiger erwachsene Affektionsinteresse 22o einem Vermögensinteresse gleichgestellt sein solle 221 • Folgende Regelung sollte nach dem Hauptantrag in den Abschnitt über die Schuldverhältnisse aufgenommen werden: "Ist der Schuldner durch einen Vertrag zu einer Leistung verpflichtet, welche keinen Vermögenswerth hat, so ist der Gläubiger wegen Nichterfüllung der Verbindlichkeit Schadensersatz in Geld nach billigem Ermessen, jedoch nicht über den Betrag von 6000 M. zu fordern berechtigt222 ." Der Unterantrag sah anstelle der Höchstgrenze von 6000 Mark einen Geldbetrag vor, "auf welchen eine den Umständen angemessene Konwurfs von 1866 (dazu oben Abschnitt VIII 5 e» bestimmte: "Wegen eines anderen als eines Vermögensschadens kann eine durch das freie Ermessen des Richters zu bestimmende Entschädigung in Geld gefordert werden"; ferner oben Abschnitt VIII 2 b). 217 Die auf Feststellung des Entwurfs selbst gerichteten Beratungen der Gesamtkommission begannen im Oktober 1881 zu einer Zeit, als der das Obligationenrecht betreffende Vorentwurf wegen der tödlichen Krankheit seines Redaktors von Kübel noch nicht beendet war (Vorwort zum Entwurf, S. V; vgl. i. e. Jakobs / Schubert, Materialien, Einführung, S. 303). Von Kübel, verstarb am 5. Januar 1884. Schon vorher, im Oktober 1883, schied Windscheid, der den Entwurf mitbeeinflußt hatte (vgl. Jakobs / Schubert, Materialien, Einführung, S. 87), aus der Kommission aus (Vorwort zum Entwurf, S. VI). 218 219 220
Vorwort zum Entwurf, S. VI. Vgl. Mugdan 11, S. 515 - 517 = Protokolle I, S. 620 - 623. Zu dem Begriff siehe oben Abschnitt 11 1 b); ferner unten Abschnitt
VIII 7 b). 221
Z22
Mugdan 11, S. 516. Mugdan 11, S. 515.
6. Auswirkungen auf den vertraglichen Schadensersatz anspruch
167
ventionalstrafe zu bestimmen gewesen wäre (oder: so ist der Gläubiger als Schadensersatz wegen Nichterfüllung einen nach billigem Ermessen zu bestimmenden Geldbetrag zu verlangen berechtigt)"223. Zugunsten beider Anträge wurde geltend gemacht, daß zwar im allgemeinen am Grundsatz der Nichtersetzbarkeit immaterieller Schäden festgehalten werden müsse, daß aber doch bezüglich solcher Fälle eine Ausnahme geboten sei, in denen sich jemand zu einer Leistung von nicht vermögenswerter Art verpflichte, der Verpflichtung aber nicht nachkomme. Es liege in der Natur der Sache, dem Affektionswert 224 derartiger idealer Leistungen auch eine vermögensrechtliche Bedeutung beizumessen, zumal bei gegenseitigen Verträgen, bei welchen der andere Teil als Äquivalent eine Geldleistung zu versprechen pflege. Sei unter diesen Umständen die Erzwingung der Naturalerfüllung unmöglich, so bleibe der Gläubiger rechtlos, wenn man nicht einen Schadensersatz in Geld eintreten lasse. Die Folge werde sein, daß dadurch das Vertrauen auf die Festigkeit der Verträge erschüttert werde. Der Übelstand, daß ideale Schäden durch Geld vergolten würden, müsse hingenommen werden, da sich ein anderes geeignetes Ersatzmittel nicht biete. Bezüglich der Höhe hielt es der Antragsteller des Hauptantrages für zweckmäßig, sich den Vorschriften des RStGB anzuschließen und dessen Grenzen für die Zubilligung einer Buße einzuhalten225 . Der Antragsteller zum Unterantrag 1 bemerkte, daß bei Verträgen der angegebenen Art, die Parteien erfahrungsgemäß häufig eine Konventionalstrafe vereinbarten 226 . Es liege deshalb nahe, daß in den Fällen, in welchen eine solche Vereinbarung unterblieben sei, die Verkehrs sitte ergänzend eintrete und diese Lücke durch die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung einer Vertragsstrafe nach der vorausgesetzten Absicht der Parteien ausfülle 227 . Damit werde gleichzeitig der Vorteil erreicht, daß der Rechtsprechung für die Bemessung der Strafe228 ein gewisser Anhalt gewährt sei und daß diese Frage nicht, Mugdan 11, S. 515/516. Zum Begriff siehe oben Abschnitt 11 1 b); ferner unten Abschnitt VIII 7 b). 225 Das Argument ist heute mit Abschaffung der strafrechtlichen Buße hinfällig, dazu oben Abschnitt 11 2 b). 228 Zu Recht ablehnend die Mehrheit der Kommission, da es vielmehr die Regel sei, "daß die Parteien bei derartigen Verträgen das Ausbleiben der Leistung nicht in Bedacht nähmen und deshalb für diesen Fall auch keine Versorge treffen wollten", Mugdan II, S. 517; dazu schon oben Abschnitt VIII 2 a). 227 Interessanterweise hat Stoll, JZ 1975, 255 den Vorschlag erneut aufgegriffen und sich über das oben angeführte Argument der Mehrheit der Kommission (Mugdan II, S. 517) hinweggesetzt. 228 Dieser Ausdruck sollte jedenfalls heute in einem vom Ausgleichsgedanken bestimmten Schadensersatzrecht vermieden werden. 223
2!4
168 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
wie nach den Vorschlägen der anderen Anträge, bloß von der subjektiven überzeugung des einzelnen Richters abhängig gemacht werde. Eine Gegenposition nahmen zwei Eventualanträge ein 229 . Sie wollten dem Gläubiger in allen Fällen einer Vertragsverletzung des Schuldners das Recht zuerkennen, Geldersatz zu beanspruchen ohne Unterschied, ob der Gläubiger lediglich eine Verletzung idealer Güter oder neben dieser auch noch eine Vermögensbeschädigung erlitten habe. Der Eventualantrag zu 2 sah - im Unterschied zum Eventualunterantrag 3 eine Verpflichtung des Schuldners zur Geldentschädigung nur vor, wenn er dem Gläubiger den Schaden durch vorsätzliche Nichterfüllung zugefügt habe und enthielt ferner eine Obergrenze von 6000,- Mark, innerhalb derer die Höhe "nach billigem Ermessen" zu bestimmen sei. Nach dem Unterantrag zu 3 sollte das billige Ermessen ohne Bindung an eine Maximalgrenze entscheiden. Beide Eventualanträge vertraten gegenüber den erstgenannten Anträgen den Standpunkt230 , daß, wenn überhaupt eine Vorschrift im Sinne der Anträge aufgenommen werden sollte, die Beschränkung auf solche Leistungen, die von vornherein einen Vermögenswert nicht haben, unhaltbar sei und in der Praxis nur Anlaß zu Zweifeln und Schwierigkeiten geben würde. Beschließe man, eine Bestimmung aufzunehmen, so lasse sich nicht absehen, weshalb ein Ersatz für das Affektionsinteresse 231 nicht auch geleistet werden solle, wenn infolge der Nichterfüllung des Verpflichteten auf Seiten des Berechtigten neben dem Affektionsinteresse 232 ein Anspruch auf Ersatz der Vermögensbeschädigung bestehe. Der richtige Gesichtspunkt, wenn man es als ein Postulat der Gerechtigkeit ansehe, hier eine Entschädigung zu gewähren, sei derjenige, daß man - gleichzeitig in Fortentwicklung des in § 775 CPO enthaltenen Rechtsgedankens dem Verletzten eine Genugtuung233 zubillige. Die Mehrheit der Kommission hat die skizzierten Anträge abgelehnt. Sie habe sich nicht davon zu überzeugen vermocht, "daß es dem modernen deutschen Rechts- und Sittlichkeitsbewußtsein entspreche, eine Bestimmung im Sinne der gestellten Anträge in das Gesetz aufzunehmen"234. Eine sachliche Auseinandersetzung im einzelnen mit den unterschiedlichen Konzeptionen der Anträge ist nicht überliefert. Man begnügte sich mit allgemeinen, hinlänglich bekannten235 Argumenten, 229 230
231
7b).
232
233 234 235
Mugdan 11, S. 516. Mugdan 11, S. 517. Zum Begriff siehe oben Abschnitt II 1 b); ferner unten Abschnitt VIII Dazu oben Abschnitt II 1 b); ferner unten Abschnitt VIII 7 b). Zur Präponderanz des Ausgleichsgedankens vgl. oben Abschnitt III 2. Mugdan II, S. 517. Siehe oben Abschnitt lIla).
6. Auswirkungen auf den vertraglichen Schadensersatzanspruch
169
die aus damaliger Sicht den grundsätzlichen Ausschluß des Ersatzes immaterieller Schäden rechtfertigen sollten: Die Gleichstellung immaterieller Güter mit Vermögensgütern widerstrebe der deutschen Volksauffassung; nur die schlechten Elemente würden daraus in schikanösen Prozessen Vorteil zu ziehen suchen; das nicht nachahmenswerte Vorbild der uferlosen französischen Rechtsprechung; in Ermangelung eines geeigneten objektiven Anhalts entstehe die Gefahr, daß auch maßlos ge-'steigerte Ansprüche berücksichtigt werden könnten 236 . Es lasse sich schließlich nicht absehen, wohin die Praxis gelangen werde, wenn im Gesetz das Rechtsprinzip anerkannt werde, das den Anträgen zugrunde liege. Der Analogie zur Konventionalstrafe (Unterantrag 1), die dem Richter für die Bemessung des Schadens eine Handhabe verschaffen wolle, liege ein unrichtiger Ausgangspunkt zu Grunde 237 . Es könne nicht anerkannt werden, daß eine ergänzende Verkehrssitte bestehe, wonach die Vertragsschließenden den immateriellen Schaden so abschätzen wollten, als ob sich der Empfänger eine den Umständen angemessene Konventionalstrafe ausbedungen hätte238 . Es wird zu zeigen sein, daß den Grundkonzeptionen des Vorentwurfs und den abgelehnten Anträgen ungeachtet der Nachwirkungen des "Dogmas vom Vermögenswert der Leistung" de lege lata ein richtiger Ansatz zu Grunde liegt, den es lohnt, konsequent weiterzuverfolgen. d) Kritik in der Literatur
Die Versagung eines Ersatzanspruchs wegen immateriellen Schadens im Entwurf wurde schon früh in der Literatur zu Recht als "Abschwächung des falschen Satzes" vom Vermögenswert der Leistung kritisiert239 . Sein Ausschluß wäre nur bei Versagung auch des Erfüllungsanspruchs, ohne den aber die Obligation "ohne Schneide"240 bliebe, konsequent. Würde man mit der klagbaren Obligation auf nicht geldwertige Leistung ernst machen, so dürfe man nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern müsse wohl oder übel auch die Entschädigungsforderung wegen Nichterfüllung zulassen241 . Es wird die Frage gestellt, was eine Schuldverbindlichkeit bedeute, deren Nichterfüllung keine Rechtsfolgen nach sich ziehe 242 . Auch Hellwig, ein Vertreter des "Dogmas vom Vermögenswert der Leistung"243, bejaht einen Schutz im Fall Mugdan 11, S. 517. Dazu bereits oben Fn. 226. 238 Mugdan 11, S. 517; aA jetzt Stoll, JZ 1975,255. 230 Gierke, Entwurf, S. 196. 240 Seuffert, S. 5. m Seuffert, S. 5. m von Liszt, Grenzgebiete, S. 30. 243 Siehe oben Abschnitt VIII 5 a. 238
~31
170 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
der rechtwidrigen Verletzung immaterieller Rechtsgüter. Hier gehe es um die Sühnung des geschehenen Vertragsbruchs im Unterschied zu dem Fall, daß eine Klage auf Vertragserjüllung nicht in Frage kommen könne. Mit der Berücksichtigung nur des Vermögensschadens nehme der Entwurf "in merkwürdiger Halbheit der Gabe, die er mit der einen Hand giebt, dem ,großen Grundsatz des Schutzes jeden Interesses', ihm nimmt er mit der anderen Hand für die praktisch wichtigsten Fälle jede rechtliche Bedeutung und kehrt reumütig wieder zu dem vorher angeblich im Interesse einer höheren Kultur bekämpften Interesse zurück, daß das Privatrecht nur die vermögensrechtlichen Interessen zu schützen hat"244. Dem ist nichts hinzuzufügen. Zu bemerken ist nur, daß Hellwigs Versagung des Erfüllungsanspruchs inkonsequent ist und die Schlüssigkeit seiner Ansicht im übrigen an der Verkennung des Zusammenhangs zwischen Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch leidet 245 . e) Zusammenhang zwisclten Primir- und Sekundiranspruclt
Eingeräumt wird aber von den Befürwortern eines Ersatzanspruchs, daß mit der Ablehnung des "Dogmas" "in keiner Weise" darüber entschieden sei, ob und inwieweit ein Ersatzanspruch wegen eines anderen als eines Vermögensschadens tatsächlich zu gewähren ist. Bei der Frage des Ersatzanspruchs handele es sich um eine "vollkommen selbständige Frage"246. Selbst Kohler konzediert: "Beides hängt nicht unmittelbar zusammen"247. Der fehlende (pekuniäre) Vermögenswert einer Leistung kann allenfalls ein grober Filter zur Ausschaltung eines Entschädigungsanspruchs sein und nicht per se einen solchen Anspruch rechtfertigen. Der Anspruch kann nur bejaht werden, wenn die Voraussetzungen der vertraglichen Anspruchsgrundlage erfüllt sind. Die Versagung eines Schadensersatzanspruches würde grundlegend das Verständnis vom Verhältnis zwischen den sog. Primär- und Sekundäransprüchen berühren248 . Sekundäransprüche folgen grundsätzlich erst aus der Störung von Primärpflichten. Sie treten dann an die Stelle oder neben die gestörten Primärpflichten und erfordern regelmäßig ein Verschulden 249 . Haftungsgrund ist damit die Störung und das Vertretenmüssen; Bedeutung behält der Inhalt des Primäranspruchs für den Haftungsumfang. Es ist AcP 86, 247. 245 Vgl. dazu oben Abschnitt VIII 4 a) und b), sowie im folgenden. 248 Gierke, Entwurf, S. 196. 247 Arch. f. BürgerI. R. 12, 41. 248 Vgl. nur Medicus, § 11 I; oben Abschnitt VIII 4 a) und b). 24V Zur Unterscheidung von Primär- und Sekundärpflichten vgI. nur Medicus, § 11 1. 244
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
171
kein Grund ersichtlich, warum ein Gleiches nicht auch bei einem Primäranspruch mit nicht pekuniärem Interesse gelten soll. Gegen die Versagung eines Ersatzanspruches bei Verletzung eines nicht vermögensrechtlichen Interesses spricht vor allem auch das Prinzip der Privatautonomie. Es ermöglicht auf der einen Seite letztlich die völlige Aufgabe des "Dogmas vom Vermögenswert der Leistung" und den Abschluß von Verträgen ohne pekuniäres Interesse. Auf der anderen Seite weist es weitgehend auch dem Staat die Pflicht zu, um der guten Ordnung willen auch private Rechte zu schützen 25o • Zwar ist die Art des Schutzes freigestellt. So ist ein Schutz auch ohne Zubilligung eines Geldanspruchs denkbar. Einen wirksamen Schutz gewährt aber im Ergebnis nur der Schadensersatzanspruch. Nach dem hier vertretenen Standpunkt wird zu zeigen sein, daß letztlich der auf dem Prinzip der Privatautonomie fußende Vertrag selbst über die Entschädigung immaterieller Vertragsinteressen entscheidet 251 • Vertrags freiheit bedeutet nämlich, daß jedes wirksam vereinbarte Leistungsversprechen gerichtlich durchsetzbar und bei Nichterfüllung abgesichert ist 252 •
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung? Der Gesetzgeber ging davon aus, mit § 253 BGB eine Norm geschaffen zu haben, die einer Einbeziehung immaterieller Interessen in den vertraglichen Anspruch ausnahmslos entgegensteht. Diese "Bastion" hat bis heute standgehalten. Eine kritische Betrachtung kann auf dieser Position nicht unreflektiert stehen bleiben. Sie hat vor allem dem gewordenen Gesetz und den Besonderheiten des Vertragsrechts sowie Wandlungen der Zeit Rechnung zu tragen. a) Ausnahmsloser Ausschluß immaterieller Interessen im Vertragsrecht?
(1) Wortlaut und vertragliche Ausnahmen Der Wortlaut des § 253 BGB ist nicht eindeutig. Man kann ihm nicht entnehmen, daß § 253 BGB auch im Vertragsrecht Anwendung findet. Aus der Zulassung immateriellen Schadensersatzes "nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen" könnte aber für das Vertragsrecht zum einen folgen, daß auch bei vertraglichen Ansprüchen eine gesetzliche Ausnahme möglich und erforderlich ist. Die Anwendbarkeit wird dann als selbstverständlich vorausgesetzt. Beispiel für eine gesetzliche Aus250 L. Raiser, Festschrift 100 Jahre DJT, S. 115; zum Schutzrecht aus Verfassungsgarantie siehe unten Abschnitt IX 1 a. E. 251 Dazu i. e. unten Abschnitt X. 252 Esser, Schuldrecht AT, 4. Auf!., § 11 I.
172 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
nahme im Vertragsrecht ist etwa § 651
vertragsrechts253 •
f Abs. 2 BGB des neuen Reise-
Einen Sonderfall stellt das "soziale Schmerzensgeld" gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz dar. Der sozialwidrig gekündigte Arbeitneh-
mer hat hiernach in dem Fall, daß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist, Anspruch auf eine "angemessene Abfindung". Diese umfaßt anerkanntermaßen auch eine Entschädigung für die immateriellen Beeinträchtigungen, die sich für den Arbeitnehmer aus dem erzwungenen Arbeitsplatzwechsel bzw. aus der Arbeitslosigkeit in Form von Unannehmlichkeiten und persönlichen Problemen ergeben254 • Die Abfindung kann dem Arbeitnehmer daher selbst dann gewährt werden, wenn der Arbeitnehmer auf der neuen Arbeitsstelle den gleichen Verdienst erhält 255 • Ein auf die Besonderheiten der Seefahrt zugeschnittener, heute antiquiert anmutender Sonderfall ist das sog. Hungergeld gemäß § 40 SeemannsG vom 26.7.1957 256 • Das Besatzungsmitglied hat danach im Fall erforderlich werdender Verpflegungskürzungen aus dem Heuervertrag einen Anspruch auf Hungergeld, das gerade auch einen Ausgleich für die erlittenen Entbehrungen bieten soll257. Die Ausnahmeregelungen haben die Konsequenz, daß von einem "ausnahmslosen" Ausschluß immateriellen Schadensersatzes im Ver253 Ebenso Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 9; Münch. Kom. Löwe, § 651 BGB, Rdnr. 20; Löwe, BB 1979, 1364; Blaurock, NJW 1980, 1949 weist zutreffend darauf hin, daß auch nichterwerbstätige Personen wie Hausfrauen, Studenten und Rentner anspruchsberechtigt sind. (Nicht gefolgt werden kann Blaurock, soweit er meint, der Anspruch sei in Ermangelung eines Einkommensausfalls zu verneinen, wenn man in § 651 f. Abs. 2 BGB lediglich eine Qualifizierung der Urlaubszeit als ersatzfähigen Vermögensschaden sehe. Entscheidend ist allein das Entgelt für die Reise); vgl. auch undifferenziert Bendref, JR 1980, 359 ff.; aA Burger, NJW 1980, 1252, nach dem § 651 f Abs. 2 BGB nur den Begriff des Vermögensschadens auf alle Fälle nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit erweitern soll. Seine auf den Wortlaut im Vergleich zu den anerkannten Ausnahmevorschriften von § 253 BGB gestützte Auslegung führt zu einer überbewertung der Wortwahl ("angemessene Entschädigung in Geld") und bleibt in einer Begrifflichkeit stecken, auf die es im Vertragsrecht gerade nicht ankommt (siehe oben Abschnitt VIII 5 d und unten Abschnitt IX 5). Im übrigen erkennt er selbst, daß für Vermögens schäden "dem Grunde nach schon gemäß § 651 f I BGB gehaftet wird" und übersieht, daß § 651 f Abs. 2 BGB nicht Qualifikationsnorm, sondern echte Anspruchsgrundlage ist. Durch die Einführung einer neuen Kategorie (7) des "unechten Vermögens schadens" (aaO, S. 1253) wird die bisherige Verwirrung nur unnötig vergrößert. Ihr kann Burger nur durch den Vorschlag der Novellierung des § 651 f Abs. 2 BGB ausweichen (aaO, S. 1254). Dazu besteht keine Notwendigkeit. - aA auch Bartl, NJW 1979, 1388; ders., Reiserecht, S. 56, 59; vgl. ferner zweifelnd Schmitz, S. 224. 254 Vgl. StolI, Gutachten, S. 34; Schmitz, S. 205 f.; Braschos, S. 101 f. 255 StolI, Gutachten, S. 34. 258 BGBl. 11, S. 713. 257 Lange, Schadensersatz, S. 261; Braschos, S. 101.
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
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tragsrecht - wie er dem Gesetzgeber vorschwebte - keine Rede mehr sein kann 258 . Da sich gezeigt hat, daß der Ersatz immateriellen Schadens dem Vertragsrecht nicht fremd ist, bietet die durchbrochene Exklusivität ggf. die Gelegenheit für konstruktive neue Wege. Dabei darf nicht übersehen werden, daß das Dogma vom "ausnahmslosen" Ausschluß von Anfang an eine widersprüchliche Haltung des Gesetzgebers beinhaltete und nie eine Berechtigung hatte. Beredtes Beispiel ist seit jeher § 1300 BGB259, der einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Eheversprechens ge-
währt und den immateriellen Schaden infolge der grundlosen Auflösung des Verlöbnisses ausgleichen so1l260. Das Prinzip des § 253 BGB wird daher bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen - ebenso wie bei deliktischen Ersatzansprüchen - seit jeher durch eine Sonderregelung durchbrochen261 • (2) Die gesetzliche Haftung als Regelungsobjekt
Die Möglichkeit einer von § 253 BGB losgelösten Betrachtung besteht darin, das in § 253 BGB aufgestellte Erfordernis der gesetzlichen Ausnahme auch nur bei gesetzlicher Haftung als einschlägig anzusehen. Bei vertraglicher Schadensersatzpflicht findet § 253 BGB dann insoweit keine Anwendung. Ausgangspunkt ist ein unterschiedliches Verständnis von deliktischer und vertraglicher Haftung262 . Es entspricht eher dem Prinzip der Privatautonomie, zwar eine gesetzliche Ausnahme von gesetzlicher Haftung, nicht aber eine solche von vertraglicher Haftung anzunehmen. Das Gesetz als abstrakt-generelle Norm kann weniger die Ausnahme einer konkret-privatautonomen Regelung sein als umgekehrt. In dem von der Rechtsordnung vorgegebenen Rahmen wirkt die privatautonome Regelung rechtsgestaltend. Es besteht - bildlich dargestellt - gewissermaßen ein eigener Siehe auch oben Abschnitt VIII 1. Zu den Aufhebungsbestrebungen vgl. den Vorschlag des 45. DJT NJW 1964, 2098; de lege lata wird die Verfassungsmäßigkeit bejaht, BGH NJW 258
259
1974, 1506.
280 Palandt / Diederichsen, § 1300 BGB, Anm. 1 b; vgl. z. B. die 9. Aufl. RGRK - Hallamik, § 1300, Anm. 4; auch Braschos, S. 101; Schmitz, S. 197. ·261 Das verkennt Heldrich, NJW 1967, 1737/1738; auch Stoll, Gutachten, S. 32 ff.; Wiese, S. 10; zwar mag die Annahme naheliegen, daß sich die Ansichten über den Charakter des Anspruchs aus § 1300 BGB seit Inkrafttreten des BGB gewandelt haben. So hat noch Stoll auf seine Herkunft aus der gemeinrechtlichen Deflorationsklage hingewiesen (Gutachten, S. 58, im übrigen S. 29 f.). Aber bereits das Reichsgericht (RGZ 49, 204) hat festgestellt, daß der Anspruch aus dem Verlöbnisbruch ein anderer sei als der sog. Deflorationsanspruch. %62 Dazu i. e. oben Abschnitt VIII 4.
174 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts Rechtskreis neben dem Rechtskreis der Gesetze. Jeder Rechtskreis hat grundsätzlich 263 seinen eigenen Regel-Ausnahme-Mechanismus. Lediglich der privatautonome Rechtskreis vermag in den dispositiven Teil des gesetzlichen Rechtskreises hineinzuwirken und einer Ausnahmeregelung zur Geltung zu verhelfen. Im umgekehrten Verhältnis können zwar auch die Gesetze in den Teil des anderen Rechtskreises hineinwirken, für den die privatautonome Regelung nicht oder nur lückenhaft existiert. Eine gesetzliche Ausnahme - wie sie § 253 BGB erfordert kann aber auf diese Weise nicht in den privatautonomen Rechtskreis "eindringen", da sie denknotwendig nicht bei einer fehlenden oder lückenhaften Regelung, sondern nur bei einer positiven Regelung vorliegen kann. Versuche, § 847 BGB analog im Vertragsrecht zur Anwendung zu bringen 26 4, sind daher auch insoweit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das in § 253 BGB aufgestellte Erfordernis der gesetzlichen Ausnahme ist andererseits für das Vertragsrecht ohne Sinn, wenn eine vertragliche Regelung vorliegt. Indem § 253 BGB "nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen" eine Entschädigung für Nichtvermögensschäden zuläßt, ist im übrigen nichts anderes ausgedrückt, als daß es für einen solchen Anspruch einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage bedarf. An die vertragliche Anspruchsgrundlage war gar nicht gedacht. Noch der Antrag unter 2. zu § 221 des Entwurfs war auf die ersatzlose Streichung des § 221 mit der Begründung gerichtet: "denn er ist entbehrlich, da kein Richter ohne gesetzliche Grundlage eine Entschädigung zuerkennen kann"265. Der Antrag wurde lediglich abgelehnt, weil man eine Klarstellung im Gesetz gegenüber der damaligen lebhaften Strömung zugunsten einer solchen Entschädigung für erforderlich hielt 266 . Gerade die Gründe, welche den Gesetzgeber zur Aufnahme des § 253 BGB in das Gesetz veranlaßt haben, werden wegen der Selbstbestimmung der Parteien im Vertragsrecht nicht aktuell. Dort kommt es nämlich nicht vorrangig auf das "moderne deutsche Rechts- und Sittlichkeitsbewußtsein" , die "herrschende Volksauffassung" oder die "in den besseren Volkskreisen vertretenen Anschauungen" an, sondern lediglich darauf, welche immateriellen Interessen die Vertragsparteien in ihrer Selbstbestimmung in den Vertrag einbeziehen wollen. Wenn die Parteien von vornherein eine Einbeziehung immaterieller Interessen in den Vertrag vorgenommen haben, so ist ferner nicht ein213 Eine die Privatautonomie einschränkende gesetzliche Ausnahme enthält z. B. das neue Reisevertragsrecht der §§ 651 a ff. BGB. 264 Oben Abschnitt VIII 2 b) und 4 c). 285 Mugdan 11, S. 515. 26& Mugdan 11, S. 515.
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
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zusehen, inwieweit dadurch bei Gewährung eines Geldanspruchs "Gewinnsucht, Eigennutz und Begehrlichkeit ... gesteigert und aus unlauteren Motiven zahlreiche chikanöse Prozesse angestrengt werden" könnten. Denn wenn man die Zulässigkeit einmal bejaht hat, dann handelt es sich um einen schlichten vertraglichen Sekundäranspruch wie in jedem anderen Fall auch. Das Problem liegt allein bei der Frage der Einbeziehung. Diese vorzunehmen ist Sache der Vertragspartner. Sie allein bestimmen und geben den "geeigneten objektiven Anhalt". Von einem zu freien Ermessen des Richters bei der Entscheidung über die Höhe des Schadens kann daher insoweit gar keine Rede sein. Der Richter hat nur - wie sonst auch - sich dem Problem der Vertragsauslegung zu stellen. Wollte man erwägen, daß die privatautonome Gestaltung einen "durch das Gesetz bestimmten" Fall im Sinne des § 253 BGB ersetzt, so wäre wiederum die Anwendbarkeit des § 253 BGB im Vertragsrecht vorausgesetzt. Zwar sind die Termini "leges contractus" oder "leges privatae" durchaus gebräuchlich und legen eine solche Gleichschaltung von der Bezeichnung her nahe267 . Verkannt würden aber wesentliche, sich aus Inhalt und Wesen der Privatautonomie ergebende Unterschiede. Ihr richtiges Verständnis ergibt die Irrelevanz der Frage, ob die privatautonome Gestaltung des Einzelnen oder das Gesetz der "eigentliche" Grund für die Geltung des privatautonomen Akts ist 268 . "Beides, die privat autonome Gestaltung und die Rechtsordnung gehören vielmehr als Rechtsgrund der Geltung des privatautonomen Akts untrennbar zusammen"269. Kraft der Privat autonomie gilt das Vereinbarte gerade, weil es vereinbart ist 270 . Man kann mit Recht von "Rechtsfolgen kraft privatautonomer Gestaltung" sprechen 271 . Nicht erst aus dem Gesetz, sondern aus dem Tatbestand "rechtsgültiger Schuldvertrag" selbst ergibt sich die Verpflichtung der Vertragspartei272 . Die von den Parteien ins Leben gerufenen Vertragspflichten setzen sich in den 287 Vgl. Bötticher, MDR 1963, 355; er bringt zudem die Erwägung ins Spiel, die "Vertragsgesetze" , die leges contractus, müßten doch mindestens den Schutzgesetzen des § 823 Abs. 2 BGB gleichstehen. Hiergegen hat sich bereits Dietz, S. 87 zutreffend unter Hinweis auf die Protokolle II, S. 566, 572 gewandt; ebenso Georgiades, S. 82. 288 Zutreffend Flume, Rechtsgeschäft, S. 2. 289 Flume, Festschrift 100 Jahre DJT, S. 137; auch Larenz, Methodenlehre, S. 284; Comes, S. 46; Hellwig, AcP 86, 226, 228. 270 Flume, Rechtsgeschäft, S. 5. 271 Flume, Rechtsgeschäft, S. 3. 272 Zutreffend Larenz, Methodenlehre, S. 284; aA Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130 ff., 147; Locher, AcP 121, 29, 31 f.; Knetsch, S. 169; vgl. auch Dietz, S. 13, 14: "Sekundär (!) beruhen natürlich auch die Vertragspflichten auf dem Gesetz ..."; Bruns, JuS 1971,225 Fn. 44.
176 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
Schadensersatzpflichten fort 273 . Der vom Gesetz in den §§ 280, 286 und 325, 326 BGB gewährte Schadensersatzanspruch wird im Hinblick auf die Vereinbarung einer bestimmten Leistung gewährt. "Der durch das Gesetz bestimmte ,vertragliche' Schadensersatzanspruch auf das Erfüllungsinteresse z. B. erhält seinen Inhalt durch die privatautonome Regelung des Vertrages, indem der zum Schadensersatz Verpflichtete seinen Vertragspartner durch Geldleistung vermögensmäßig so stellen muß, wie wenn der Vertrag erfüllt worden wäre"274. Dennoch ist die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen selbst keine Rechtssetzung275 . b) Abdingbarkeit des § 253 BGB?
Auf der gleichen Ebene liegen erste Versuche eines Teils der Literatur in neuerer Zeit, zwar die Anwendbarkeit des § 253 BGB im Vertragsrecht mit der herkömmlichen Meinung zu bejahen, aber seine Abdingbarkeit durch vertragliche Vereinbarung annehmen zu wollen276 • Es wird hier der zweite Schritt vor dem ersten gemacht: Abdingbar ist eine Norm - ihren dispositiven Charakter vorausgesetzt - nur, wenn sie überhaupt zur Anwendung gelangt. Es ist allerdings zuzugeben, daß der in § 253 BGB enthaltene Regel-Ausnahme-Mechanismus auf den ersten Blick für die Abdingbarkeit spricht. Denn eine abdingbare Norm enthält ihrem Wesen nach stets einen Grundsatz, von dem unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden darf. Gegen die Anwendbarkeit des § 253 BGB läßt sich aber weiter anführen, daß § 253 BGB gerade die Differenzierung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden voraussetzt277 . Im vertraglichen Bereich kommt es aber auf deren Abgrenzung gerade nicht an. Es entscheidet allein der Vertrag über den zu ersetzenden Schaden278 . Zu diesem Ergebnis führt auch die heute vorrangige Ziel richtung des § 253 BGB, die neben der Verhinderung einer Kommerzialisierung der Ehre in dem Verbot der Berücksichtigung des Affektionsinteresses gesehen wurde 279 • Sieht man das Affektionsinteresse als Folge eines Sachschao. Abschnitt VIII 4 a und b sowie 6 c und d. Flurne, Rechtsgeschäft, S. 5. 275 So ausdrücklich Flurne, Rechtsgeschäft, S. 5; ders., Festschrift 100 Jahre DJT, S. 141; vgl. Raiser, Festschrift 100 Jahre DJT, S. 115 f. m Lange, Schadensersatz, S. 238, 260; Staudinger / Medicus, § 253 BGB, Rdnr. 12; Münch. Kom. - Grunsky, § 253 BGB, Rdnr. 3; Schmitz, S. 230; auch Lindacher, S. 146; Honsell, JuS 1976, 225 Fn. 27; unklar bleibt, woraus sich die Beschränkung auf eine Vertragsstrafevereinbarung rechtfertigt, wenn man einmal die Dispositivität bejaht hat. %77 Siehe oben Abschnitt 11 1 a. 278 So zutreffend auch Batsch, NJW 1975, 1163; i. e. unten Abschnitte IX 5, X2. m Siehe oben Abschnitt 11 1 a, b. 273 S. 274
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
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dens 280 , so kann im Vertragsrecht nur dann von einem Affektionsschaden gesprochen werden, wenn durch die Verletzung einer vertraglichen Pflicht ein Sachgut verletzt wird. Die Definition des Affektionsinteresses legt es nahe, von einem Affektionsschaden (in Anknüpfung an eine Sachgutsverletzung) eher bei einer - dem Deliktsrecht zuzuordnenden - Rechtsgutsverletzung zu sprechen. Im Vertragsrecht kommt es nur in den Fällen der Verletzung von sog. Nebenleistungspflichten281 oder bei Verträgen, die gerade die Erhaltung von Sachgütern zum Inhalt haben, zur Verletzung eines Sachguts. Diese Fälle sind hingegen nicht Gegenstand der Kommerzialisierungsrechtsprechung, die es vor allem mit den Fällen des Ausbleibens, der Verzögerung oder der mangelhaften Erbringung der Leistung zu tun hat. Bei den zur Entscheidung anstehenden Vertragsfällen im "Grenzbereich" hat daher das Affektionsinteresse - soweit der Terminus im Vertragsrecht überhaupt angebracht ist 282 - nicht die Bedeutung, welche ihm im Deliktsrecht zukommt. Als rein subjektiv gekennzeichnetes Interesse fehlt ihm zudem generell der konkrete Bezug auf den jeweiligen Vertrag. c) § 253 BGB und die Reichweite der Privatautonomie
Gegen die Anwendbarkeit im Vertragsrecht spricht auch die Auffassung, daß § 253 BGB kein gesetzliches Verbot der freiwilligen Schmerzensgeldgewährung enthalte283 . In einem vom BGH284 entschiedenen Fall verpflichtete sich der Ehemann wegen der von seinem Vertragspartner begangenen ehewidrigen Handlung, keine Scheidungsklage zu erheben und Diskretion zu wahren. Dafür wurde ihm die Zahlung von lOOO,-DM zum Ausgleich des entstandenen und noch entstehenden immateriellen Schadens versprochen. Der BGH erblickte in § 253 BGB kein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB und führte aus, die freiwillige Schmerzensgeldgewährung könne allerdings im Einzelfall gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen. Es bedeute noch keine Ablehnung freiwilliger Schmerzensgeldgewährung und vertraglicher Regelungen darüber bei der grundsätzlich bestehenden Vertrags freiheit, daß bei Schaffung des BGB ein auf Gewährung eines Schmerzensgeldanspruchs für Ehrverletzung gerichteter Antrag in der gesetzgebenden Versammlung abgelehnt worden ist285 . 280 Siehe oben Abschnitt 11 1 b. 281 Zur Ablehnung der positiven Vertragsverletzung vgl. Abschnitt VIII. 4 b; ferner unten Abschnitt X 2 a. 282 Vgl. unten Abschnitt IX 5. 283 § 134 BGB; vgl. BGH LM § 134 BGB Nr. 18; zustimmend Flume, Rechtsgeschäft, S. 342 Fn. 8: " ... was aber auch gar nicht fraglich sein könnte"; vgl. auch Wiese, S. 12. 284 LM § 134 BGB Nr. 18. 285 Vgl. dazu Mugdan 11, S. 1119 12 Ströfer
178 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts Auch ein Teil der Literatur vertritt in neuerer Zeit die Auffassung, daß es die Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit in der Hand haben, von vornherein selbst bestimmen zu können, was sie als Vermögenswert ansehen und wie hoch sie den Vermögenswert ansetzen wollen 286 • § 253 BGB sei auch kein Hindernis dafür, daß Schädiger und Geschädigter sich nach Zufügung eines ideellen Schadens in den durch § 138 BGB gezogenen Grenzen auf eine Geldentschädigung einigten 287 • Die Beurteilung hängt also nicht davon ab, ob die Vereinbarung vor oder nach der Schadenszufügung erfolgt. Dieser zutreffende Ansatz führt jedoch nicht zu einer von § 253 BGB losgelösten Konzeption des Ersatzes immaterieller Vertragsinteressen. Aus der angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs folgt der Rahmen, innerhalb dessen die Privatautonomie wirkt. Der von den Parteien intendierte Rechtserfolg tritt nur soweit nicht ein, als ihn die Rechtsordnung mißbilligt. § 253 BGB - weder sein Regel-AusnahmeMechanismus noch der enthaltene Grundsatz - enthält aber keine Mißbilligung einer privat autonomen Einzelfallgestaltung. Bei Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung findet für die rechtliche Beurteilung allein diese, nicht aber § 253 BGB Anwendung. Eine andere Frage ist, inwieweit § 253 BGB bei unvollständiger oder nicht eindeutiger Parteiregelung Bedeutung erlangen kann. Hier könnte ihre Gültigkeit im Vertragsrecht unterstellt die Kernaussage "Grundsatz des Ausschlusses immateriellen Schadensersatzes" zu beachten sein 288 • Die einzige Frage, die sich stellen kann, ist die nach dem Verhältnis zwischen dem Grundsatz des § 253 BGB und der Privatautonomie. Der negative Grundsatz des § 253 BGB läßt seinem Wesen nach Ausnahmen für Sondertatbestände zu und verbietet zumindest 289 die Durchbrechung durch eine Generalklausel 290 • Eine vertragliche Regelung ist aber ihrem Wesen nach immer ein auf den Einzelfall bezogener "Sonder"-Tatbestand. § 253 BGB enthält insoweit keine Beschränkung der Privatautonomie, die eine Abbedingung erforderlich machen könnte. Denn, soweit die Privatautonomie wirkt, gibt es gerade keine rechtliche Norm, an welcher die privatautonome Gestaltung der Rechtsverhältnisse gemessen werden könnte 291 • Vgl. Grunsky, NJW 1975, 610; Tolk, S. 89; Batsch, NJW 1975, 1163. So Grunsky - Münch. Kom., § 253 BGB Rdnr. 3. 288 Dazu unten Abschnitt X 4 e) bb. 289 Vgl. oben Abschnitt 11 3 a. 290 Insoweit schadet für das Vertragsrecht - die Ansicht von Canaris, Feststellung von Lücken, S. 188 (§ 253 BGB als Induktionsverbot) nicht. 291 Vgl. nur Flurne, Rechtsgeschäft, S. 8. 28G
287
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
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d) Vertragsrecht und §§ 249 ff. BGB
Die systematische Stellung des § 253 BGB steht der Auffassung von der Nichtanwendbarkeit im Vertragsrecht nicht entgegen. Zwar ist § 253 BGB den §§ 249 ff. BGB zugeordnet, die als allgemeiner Teil des Schadensersatzrechts die speziellen Anspruchsgrundlagen ergänzen 2u2 . Nach bisher allgemeiner Ansicht legen die §§ 249 ff. BGB den Ausgleich des Schadens nicht nur nach Delikt, sondern auch nach Vertrag näher fest 2U3 . Zu Abweichungen im Einzelfall zwingen aber Besonderheiten des Vertragsrechts. Es ist z. B. anerkannt, daß der an erster Stelle stehende Grundsatz der Naturalrestitution beim vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung dann nicht zur Anwendung gelangt, wenn er im Ergebnis zu einem Erfüllungsanspruch führen würde 2u4 . Der Anspruch ist hier von vornherein auf das Geldinteresse gerichtet, da er andernfalls mit dem Erfüllungsanspruch, an dessen Stelle er doch treten soll, identisch sei2us . Auch für den Schadensersatzanspruch aus § 635 BGB hat der BGH nunmehr entschieden, daß dieser grundsätzlich auf eine Geldleistung gerichtet ist2uo . Das Gesetz selbst unterscheidet etwa in § 179 BGB scharf zwischen Schadensersatz und Erfüllung und schließt den Erfüllungsanspruch in den §§ 283 Abs. 1 S. 2, 326 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich aus. In weiteren Fällen, wo es nicht um die Verletzung von "eigentlichen Leistungspflichten" gehe, wird das Primat der Naturalerfüllung für sinnlos gehaIten2u7 . Ob Naturalerfüllung beim Schadensersatz wegen Verspätung oder wegen einer Beschädigung, den der Gläubiger neben der Erfüllung verlangt, ähnlich wie bei Deliktsansprüchen "am Platze ist"2US, erscheint fraglich. Denn bei der Verspätung greift der Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerade ein, wenn die Leistung für den Gläubiger kein Interesse mehr hat2 uu bzw. wenn die Fristsetzung mit AblehnungsanSiehe oben Abschnitt I 2 a. BGH NJW 1980, 119; OLG Nürnberg DAR 1969, 300; Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249 BGB, Anm. l. 294 Vgl. schon v. Tuhr, Jher. Jb. 46, 49; Rabel, Warenkauf, S. 446 f.; Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249 BGB, Anm. 2 g m. w. N.; LG Bochum, NJW 1980,789; differenzierend Pieper, JuS 1962,41l. 295 So Oertmann, §§ 249 BGB, Anm. 3 d; vgl. auch Heinrich Stoll, AcP 136, 292; s. aber Fischer, Der Schaden, S. 190 - 200; ders., Festschrift Zitelmann, 292
293
S.31. 295 297
33.
298 299
12·
BGH JZ 1978,644; zweifelnd noch BGH NJW 1973, 1457. Münch. Kom. - Emmerich, Vor § 275 BGB, Rdnr. 189; Jakobs, S. 27 ff., So Rabel, Warenkauf, 447. §§ 286 Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB.
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drohung verstrichen ist 30o . Im Fall der Beschädigung zeigt sich gerade, daß es in Wahrheit nur um einen deliktischen Anspruch geht, bei dem natürlich der Grundsatz der Naturalrestitution eingreift. Selbst wenn man einen Anspruch aus positiver Vertragsverletzung bejahen wollte 301 , so folgt die Naturalerfüllung nicht aus der vertraglichen Natur des Anspruchs, sondern allein aus dem genuin deliktischen Charakter. Wegen seiner Undifferenziertheit wurde der Grundsatz der Naturalrestitution bereits von Degenkolb dahingehend kritisiert, er bringe unter den Ersatz "innere Zwiespältigkeit" in den Schadensersatzbegriff 302 . In dem Zusammenhang darf nicht verkannt werden, daß die Frage nach dem Primat von Naturalherstellung oder Geldersatz bei Schaffung des BGB Gegenstand eingehender Erörterung gewesen ist 303 . Lediglich wegen der deliktischen Interessenlage entschied man sich dafür, der Naturalrestitution den Vorrang einzuräumen. "Insbesondere ... bei den durch Delikt veranlaßten Rechtsänderungen sei die Herstellung des früheren Zustandes das dem Interesse des Verletzten am besten entsprechende Mittel des Ersatzes"304. Allein hieraus folgt nun zwar noch nicht, daß § 253 BGB ebenfalls zwingend nur für den deliktischen Bereich gilt. Es besteht aber insofern ein Zusammenhang, als § 253 BGB Korrelat zum Prinzip der Totalreparation ispo5, welches gerade in der Naturalrestitution seine ideale Verwirklichung findet. Gerade bei immateriellen Vertragsinteressen kommt das Prinzip der Naturalherstellung nicht voll zur Geltung. Für das Vertragsrecht gilt nicht der apodiktische Satz, das die Verpflichtung zur Naturalrestitution in erster Linie in sich schließende Prinzip der Wiederherstellungspflicht habe die Natur der Sache für sich und entspreche der Rechtslogik 306 . Für das Vertragsrecht kann sich der Gesetzgeber daher zur Rechtfertigung des Ausschlusses immaterieller Vertragsinteressen nicht darauf berufen, § 253 BGB gelte ja nicht für den Anspruch auf Naturalrestitution307 . Die durchbrochene Geltung der §§ 249 ff. - keine Naturalrestitution in bestimmten Fällen und wie300 § 326 Abs. 1 Satz 2; der Anspruch auf Erfüllung ist ausdrücklich ausgeschlossen. 301 Zur Fragwürdigkeit s. o. Abschnitt VIII 4 b. 302 AcP 76, 80; krit. auch Baur, S. 35. 303 Vgl. Protokolle I, S. 293 ff. 304 Protokolle I, S. 296. 305 s. o. Abschnitt lIla. 305 Vgl. aber undifferenziert Motive 11, S. 20. 307 Motive II, S. 23: "Zu bemerken ist überdies, daß der Entwurf nur den Anspruch auf Entschädigung abspricht, nicht den Anspruch auf Wiederher-. stellung des früheren Zustandes (§ 219), wann und soweit (I) dieser in den in Betracht kommenden Fällen praktisch werden kann" .
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
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derum keine Anwendung des § 253 BGB bei der Naturalrestitution zeigt, daß die uneingeschränkte Anwendbarkeit der §§ 249 ff. BGB einschließlich des § 253 BGB auf das Vertragsrecht kein schlechthin unverrückbares Dogma sein muß308. Gerade wenn man die Aufgabe der §§ 249 ff. BGB auch darin sieht, eine außergerichtliche Schadensliquidierung, eine Versöhnung der Parteien ohne richterliches Urteil, zu fördern 309 , so wird klar, daß der Schadensausgleich selbst in besonderem Maße der Parteidisposition unterliegt. Dies muß um so mehr gelten, wenn der Parteiwille das Rechtsverhältnis überhaupt erst begründet hat, und wenn man der Meinung folgt, daß der Schadensersatzanspruch eine Fortsetzung des Erfüllungsanspruchs ist 310 . Es besteht keine Veranlassung, § 253 BGB nur für die Einigung von Schädiger und Geschädigtem auf eine Geldentschädigung nach Zufügung eines ideellen Schadens nicht als Hindernis anzusehen 311 . Es kann keinen Unterschied machen, ob die Einigung vor oder nach der Schadenszufügung erfolgt312 . § 847 BGB zeigt für den Inhalt der Schadensersatzpflicht, daß jener bei unerlaubten Handlungen und bei Vertragsverletzungen nur "im wesentlichen gleichartig" ist 313 • Beim Zusammentreffen von Ansprüchen aus Vertrag und Delikt wird gesagt, es handele sich bei der deliktischen Ersatzpflicht um eine "nach Voraussetzungen, Inhalt und Umfang völlig andere, neben die Ersatzpflicht aufgrund Vertrages tretende, die sich auf deren Voraussetzungen und Inhalt nicht auswirkt"314. Wenn es sich aber um "völlig andere" Ersatzpflichten handelt, dann kann die undifferenzierte Anwendung der §§ 249 ff. nur als eine Gedankenlosigkeit bezeichnet werden, die in keiner Weise der Privatautonomie Rechnung trägt. Erforderlich ist eine neue Standortbestimmung der §§ 249 ff. BGB im Vertragsrecht. In ihrer Bedeutung für den vertraglichen Ersatzanspruch treten die auf den Inhalt und Umfang des deliktischen Schadensersatzanspruchs zugeschnittenen §§ 249 ff. BGB hinter den jeweiligen Vertragsinhalt zurück. Im Vertragsrecht geben die §§ 249 ff. BGB nur den Rahmen. Es gelten zwar etwa das Prinzip der Totalreparation 308 Nicht angängig ist etwa die Argumentation, daß § 253 BGB jedenfalls deshalb im Vertragsrecht gelten müsse, weil er ja schQn nicht auf den deliktsspezifischen NaturalherstelIungsanspruch anwendbar sei. Denn. im Rahmen des § 251 BGB bleibt dem § 253 BGB durchaus ein weites Anwendungsgebiet auch im Deliktsrecht. 30g So Baur, S. 18 f. 310 s. o. Abschnitt VIII 4 a und b; 6 c und d; 7a (2). 311 Vgl. Münch. Kom. Grunsky, § 253 BGB,Rdnr.3. 312 s. schon oben Abschnitt VIII 7 c. 313 Vgl. Ebbecke, Jher. Jb. 71, 350; auch Lieb, JZ 1977,346. m z. B. BGHZ 32, 302; 204; dazu i. e. oben Abschnitt VIII 4 c.
182 VIII. Ablehnung im Vertragsrecht und Spezifika des Vertragsrechts
sowie die gesetzlichen Konkretisierungen von Treu und Glauben (z. B. §§ 251 Abs. 2, 254 BGB). Sie allein besagen aber für den vertraglichen Schadensersatzanspruch gar nichts. Der Anspruch hängt stets von dem kraft der Privatautonomie Vereinbarten ab. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung bliebe ohne Inhalt, wenn man auf den vollen Ersatz des Erfüllungsinteresses abstellte, ohne zu sagen, was die Parteien als Erfüllungsinteresse verstanden wissen wollten 315 • Insofern besagt auch die Formulierung des § 249 Satz 1 BGB316 für sich genommen nicht viel für den vertraglichen Ersatzanspruch. Es spricht im Gegenteil einiges für die Beschreibung einer gegenstandsbezogenen Zustandsveränderung 317 , die eher in das Deliktsrecht mit seiner Rechtsgutsbezogenheit paßt. Für das Vertragsrecht wird daher zu Recht allein auf die Parteivereinbarung abgestellt und gesagt, der durch das Gesetz bestimmte "vertragliche" Schadensersatzanspruch auf das Erfüllungsinteresse erhalte seinen Inhalt durch die privatautonome Regelung des Vertrages, indem der zum Schadensersatz Verpflichtete seinen Vertragspartner durch Geldleistung vermögensmäßig so stellen müsse, wie wenn der Vertrag erfüllt worden wäre 318 • Im vertraglichen Bereich entscheiden daher grundsätzlich nicht die §§ 249 ff. BGB über Art, Inhalt und Umfang des Anspruchs, sondern allein die Privatautonomie319 • Eine Beschränkung dieser Sicht nur auf bestimmte Verträge, wie etwa Garantie-, Gewährleistungs- und Versicherungsverträge, bei denen z. T. anerkannt wird, daß die Schadensersatzpflicht einen wesentlich von den §§ 249 ff. BGB abweichenden Inhalt haben kann 320, verkennt, daß die Privatautonomie bei allen Verträgen wirkt. Die Bestimmung des Leistungsinhalts und das nach dem Vertrag verfolgte Interesse korrespondieren im gesamten Vertragsrecht. Nur soweit die Parteien keine bzw. nur eine unvollständige, durch Auslegung nicht zu vervollständigende Vereinbarung getroffen haben, finden die §§ 249 ff. BGB im Vertragsrecht gegebenenfalls ergänzende Anwendung 321 . 315 So auch Ganten, S. 183: "Ein ,Alles- oder Nichts-Prinzip' beruht auf dem Zirkelschluß, daß der (nach dem Vertrag) zurechenbare, vom Schuldner zu tragende Schaden in vollem (sie!) Umfange ersetzt werden muß" . 311 " ••• hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre". 317 Vgl. schon oben Abschnitt 111 1 a. E. 318 Flurne, Rechtsgeschäft, S. 5; vgl. schon oben Abschnitt VIII 7 a (2) a. E. 818 aA Braschos, S. 48, wenn er wegen des "derzeit noch geltenden" Allesoder-Nichts-Prinzips eine Abwägung nach dem Vertragszweck oder der vertraglichen Risikoverteilung nicht für möglich hält. 320 Erman / Sirp, § 249 BGB, Rdnr. 4. 321 Damit ist auch ihre systematische Stellung im Allgemeinen Schuldrecht, Abschnitt "Inhalt der Schuldverhältnisse" gerechtfertigt. Andernfalls wäre ihre Einordnung im Abschnitt der unerlaubten Handlungen naheliegend.
7. Findet § 253 BGB im Vertragsrecht Anwendung?
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e) Entstehungsgeschichte und gewordenes Gesetz
Die Argumentation gegen eine Anwendbarkeit des § 253 BGB im Vertragsrecht wird unterstützt durch die Entstehungsgeschichte. Der Entwurf (§ 221) und die entsprechenden Anträge stimmten sachlich bereits mit dem heutigen § 253 BGB überein. Gleichwohl war die Entscheidung nicht stets eindeutig gegen die Berücksichtigung immaterieller Vertragsinteressen gerichtet. Vielmehr beschloß die Kommission die Annahme des sachlich mit dem Entwurf übereinstimmenden An'trags zu 1 und ließ die "Frage. ob wegen Nichterfüllung der auf eine Leistung ohne Vermögenswerth gerichteten Verbindlichkeit eine etwa der Konventionalstrafe an die Seite zu stellende Geldentschädigung soll gefordert werden können". ausdrücklich späterer Entscheidung vorbehalten 322 • Eine ablehnende Entscheidung fand jedoch im weiteren Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten keinen Eingang in das BGB. Der Gesetzgeber hatte bei der Annahme des § 253 BGB nur die gesetzliche Haftung im Auge. Hier ging es ihm darum. die Entschädigung wegen immaterieller Schäden auf gesetzliche Anspruchsgrundlagen zu restringieren. um der damaligen lebhaften Strömung zugunsten einer solchen Entschädigung entgegenzuwirken323 • Lediglich mit den Anträgen auf Aufnahme einer Vorschrift in den Abschnitt über die Schuldverhältnisse, die einen Schadensersatzanspruch auch bei einer Obligation ohne Vermögenswert vorsah. hat sich der Gesetzgeber unmittelbar im Anschluß an die Annahme des & 253 BGB in seiner heutigen Fassung befaßt und diese Vorschrift mit pauschalen GrÜnden324 • d. h. ohne Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Konzeptionen. abgelehnt 325 • Die Nichtaufnahme einer solchen Vorschrift heißt aber nicht. daß das Gesetz einer entsprechenden Vertragsvereinbarung entgegensteht. Eine auf den vertraglichen Anspruch bezogene Klarstellung in § 253 BGB erfolgte nicht3 26 • Daraus erhellt zur Genüge. daß § 253 BGB seine herkömmliche Anwendung im Vertragsrecht nicht dem gewordenen Gesetz. sondern nur dem "Willen des Gesetzgebers" verdankt. Eine gesetzliche Grundlage für den Ausschluß immaterieller Vertragsinteressen besteht nicht. Vielmehr ergibt sich deren Zulassung aus der Privatautonomie. Bei Betrachtung des gewordenen Gesetzes muß festgestellt werden. daß dem Wortlaut des § 253 BGB nicht zu entnehmen ist, daß er die Vertragsfreiheit einschränkt327 • Der bloße, nicht einmal widerspruchs322 323 324 325 328
327
Protokolle I, S. 298; Mugdan 11, 515. Vgl. Mugdan 11, S. 515; dazu schon oben Abschnitt VIII 7 a (2). Vgl. Mugdan 11, S. 517. Dazu auch oben Abschnitt VIII 6 C. Das übersieht Braschos, S. 28 ff. Vgl. auch Stoll, JZ 1975, 255; ebenso Schmitz, S. 232.
184
IX. Privatautonomie und Wandlungen des Privatrechts
freie Wille des Gesetzgebers schafft keine zu beachtende gesetzliche Restriktion des Vertragsrechts. Es ist ein Mißverständnis, wenn die herkömmliche Meinung glaubte, sich bei Anwendung des Gesetzes allein auf den an einer Stelle der Gesetzesmaterialien eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers berufen zu können, um immaterielle Vertragsinteressen "ausnahmslos"328, unberücksichtigt zu lassen. Sie setzte sich damit zugleich in Widerspruch zu der im BGB vorausgesetzten Privat autonomie.
Abschnitt IX
Privatautonomie und Wandlungen des Privatrechts 1. Grundlagen der Privatautonomie Das BGB geht vom Prinzip der Privatautonomie als der Anerkennung der "Selbstherrlichkeit" des Einzelnen in der Gestaltung der Rechtsverhältnisse aus 1 • Die Selbstbestimmung des Einzelnen ist das bestimmende Element der Privatautonomie2 • Ihre Entwicklung beginnt in der vom rationalen Naturrecht be einflußten Gesellschaftsordnung des 17./18. Jahrhunderts 3 • Indem die Einzelpersönlichkeit immer mehr in den Vordergrund gerückt wird, trägt die kantische Ethik auf der Basis des kategorischen Imperativs dazu bei, daß auch die Rechtslehre sich aus der Idee der sittlichen Autonomie der Persönlichkeit heraus entwickelt'. Unter dem Einfluß des Wirtschaftsliberalismus5 findet dann die Privatautonomie als Vertragsfreiheit geradezu zwangsläufig Eingang in das BGB von 19008 • Ihr Rang im 20. Jahrhundert wird durch die nachfolgende verfassungsmäßige Gewährleistung sowohl in Art. 152 Mugdan 11, S. 12. Vgl. nur Flume, Rechtsgeschäft, S. 6 f., 609; M. Wolf, S. 19; s. auch oben Abschnitt VIII 7 a (2). ! M. Wolf, S. 19. a L. Raiser, JZ 1958,2; i. e. Wieacker, Privatrechtsgeschichte (1952), S. 148 ff.; 183 ff.; 219 ff.; 290 f. , L. Raiser, JZ 1958, 2; auch Festschrift 100 Jahre DJT, S. 102; Wieacker, Privatrechtsgeschichte (1952), 229; ders., Industriegesellschaft, S. 44. 5 L. Raiser, JZ 1958, 2; Wieacker, Privatrechtsgeschichte (1952), S. 290; ders., Industriegesellschaft, S. 15; Münch. Komm.-Kramer, Vor § 145 BGB, Rdnr. 2; aA Flume, Rechtsgeschäft, S. 15, nach dem das Prinzip der Privatautonomie nichts mit dem Liberalismus des 18. oder 19. Jahrhunderts zu tun habe; ders., Festschrift 100 Jahre DJT, S. 145. e Vgl. § 305 BGB. 318 1
2. Wandel der sozialen Verhältnisse
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Weim. Verf. als auch durch Art. 2 Abs. 1 GG dokumentierF. Zu dem Ausmaß der Gewährleistung und den verfassungsrechtlichen Grenzen der Vertragsfreiheit kann hier keine Stellung bezogen werdenS. Es genügt zu erkennen, daß das Verfassungsrecht einer sach- und problemgerechten Lösung privatrechtlicher Interessenkonflikte nicht im Wege steht9 • Es muß aber festgestellt werden, daß das Grundgesetz eine Grundentscheidung 10 für eine Privatrechtsordnung getroffen hat, in der die "Präponderenz der Freiheit" erhalten bleiben mußll. Allein daraus ergeben sich indessen noch keine konkreten Folgerungen für den Inhalt von Privatrechtsordnung und Privatautonomie l2 • Müßig ist daher die Fragestellung, ob der Privat autonomie seit der Weimarer Reichsverfassung ein höherer Rang als bei Schaffung des BGB zukommt. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß die verfassungsrechtliche Anerkennung der Vertragsfreiheit auch ihre Wertschätzung im Zivilrecht beeinflussen kann 1s . Es kann daher die Vermutung gewagt werden, daß der Inhalt der Vertragsfreiheit heute ein anderer bzw. modifizierterer ist als bei Schaffung des BGB und Raum auch für die Berücksichtigung immaterieller Vertragsinteressen eröffnet. Die Vermutung läßt sich bei Betrachtung des Wandels der Privatautonomie im einzelnen in der Zeit ab 1900 erhärten.
2. Einbettung der Privatautonomie in den Wandel der sozialen Verhältnisse Die Privatautonomie steht in Abhängigkeit zu den jeweiligen sozialen Verhältnissen ihrer Zeit 14 • Ein Wandel der sozialen Erscheinungsformen 7 Vgl. L. Raiser, JZ 1958, 1, 5; Dilcher, NJW 1960, 1041; Flume, Rechtsgeschäft, S. 19; ders., Festschrift 100 Jahre DJT, S. 139 weist zutreffend daraufhin, daß weder eine mindere noch eine stärkere Gewährleistung darin gesehen werden könne, daß das Grundgesetz die Vertragsfreiheit - im Gegensatz zur Weimarer Verfassung - nicht besonders in den Grundrechtskatalog aufgenommen habe. 8 Dazu i. e. Flume, Rechtsgeschäft, S. 17 ff. m. w. N.; L. Raiser, JZ 1958,
4f.
M. Wolf, S. 22. So Flume, Rechtsgeschäft, S. 18; ders., Festschrift 100 Jahre DJT, S. 138. 11 L. Raiser, JZ 1958, S. 5. I! Vgl. Flume, Rechtsgeschäft, S. 18; ders., Festschrift 100 Jahre DJT, S. 138; L. Raiser, JZ 1958, 5; ebenso zu Art. 152 Weim. Verf. Siber, Jher. Jb. 70, 225. 13 M. Wolf, S. 21; dahingestellt bleiben kann, ob hinsichtlich immaterieller Vertragsinteressen ein besonderes Schutzrecht aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie abgeleitet werden kann. Zum Schutzrecht aus Verfassungsgarantie vgl. BGH NJW 1980, 1453. - Dies ist m. E. nur zu bejahen, wenn andernfalls die Verfassungsgarantie ihren Inhalt verlöre. Davon kann solange keine Rede sein, als das Zivilrecht selbst einen Schutz ermöglicht. 14 Zur Abhängigkeit der Berufsbilder des BGB von gewandelten Verkehrsanschauungen vgI. OLG FrankfurtNJW 1980, 2316 (n. rk.) m. Anm. Taesler. o
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IX. Privatautonomie und Wandlungen des Privatrechts
ist zugleich ein Wandel der Privatautonomie, ohne daß freilich ihr grundsätzlicher Gehalt einer Veränderung unterworfen ist15. Trotz einer Überlagerung des individuellen Gestaltungswillen durch das Einwirken objektiv-überindividueller Ordnungskräfte in Teilbereichen des Privatrechts 16 bleibt der Vertrag als Gestaltungsmittel zum Ausgleich privater Interessen im übrigen voll erhalten17 . Die Typenfreiheit des BGB18 hat sich nicht nur "bis heute praktisch unverändert erhalten"19, sondern sie erlebt im Hinblick auf die Hervorbildung immer neuer Vertragstypen 20 , für die die Regelung des BGB nicht oder nur mit Mühe paßt, geradezu eine Blütezeit im Gefolge der sozialen Wandlungen. Der durch die soziale Entwicklung geforderte juristische "Erfindungs"reichtum und ein gewachsenes demokratisches Freiheitsbewußtsein eröffnen dem Einzelnen hier größere Möglichkeiten als bei Schaffung des BGB. Grundlage des Privatrechtsverkehrs ist heute nicht mehr in erster Linie der zu eng gewordene Typenrahmen des BGB, sondern die flexible, sich den Erfordernissen des Einzelfalls anpassende Individualvereinbarung, deren Einordnung unter den nahestliegenden gesetzlichen Vertragstyp oft nur mit Gewalt möglich ist. Man denke etwa an die mannigfaltigen "Werkverträge"21, bei denen der Gesetz'geber am Sachwerk orientiert war 22 . Die Rechtswissenschaft trägt dem durch "neue" Typisierungen Rechnung, welche die traditionellen Vertragsmuster überlagern23 . Der privatautonome, neben der gesetzlichen Regelung stehende Rechtskreis erweist damit in weiten Bereichen die besondere Stärke und Größe der heutigen Privatautonomie. Darüber In dem Sinne auch L. Raiser, JZ 1958, 5. Vgl. i. e. Reinhardt, Festschrift Schmidt-Rimpler, S. 119 ff.; ferner Ganten, S. 24 ff.; L. Raiser, Festschrift 100 Jahre DJT, S. 120; auch Flurne, Festschrift 100 Jahre DJT, S. 143 (ungleiche Machtverteilung als ewiges "Dilemma der Privatautonomie"); zur Ablösung der Willenstheorie durch die Erklärungstheorie vgl. Flurne, AcP 161, 52 ff.; auch Sonnenberger, S.132 ff. 17 Zutreffend L. Raiser, JZ 1958, 3. 18 Dazu Münch. Kom. Kramer, Vor § 145 BGB, Rdnr. 15; zur Unterscheidung v. Typenfreiheit und inhaltl. Gestaltungsfreiheit Dilcher, NJW 1960, 1041. 19 So Dilcher, NJW 1960, 1041. 20 Vgl. z. B. Palandt / Heinrichs, § 305 BGB, Anm. 5 a m. w. N.; RGRK Ballhaus, Vor § 305 BGB, Rdnr. 25 m. w. N. 21 Vgl. nur die Nachweise in der Einführung bei Palandt / Thomas zu § 631 BGB, Anm. 1, 5. 2! Schlechtriern, VersR 1973, 599; Leenen, S. 164: "Die formal als Grundtypus herausgestellte blasse Einheitsfigur des BGB-Werkvertrages faßt so Verschiedenes zusammen, daß die Regeln, die auf eine Gruppe (z. B. Handwerkerverträge) passen, für eine andere (z. B. Bühnenverträge) unbrauchbar sind"; Weick, NJW 1978, 14: "eher eine dogmatische Abstraktion". 23 Weick, NJW 1978, 15; ferner Wolf, ZRP 1978, 252; zur Typologie des Reisevertrages vgl. Larenz, VersR 1980,689 ff. 15
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3. Konsumtive Vertragsinteressen und Freizeitgesellsclulft
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hinaus geht eine Verschiebung der möglichen Vertrags inhalte mit der Entwicklung zur sog. Konsum- und Freizeitgesellschaft einher, die im Gefolge zunehmender Industrialisierung, Technisierung und Automatisierung heranwächst. Der Konsum und die Freiheit des Einzelrien erlangen größere Bedeutung für das Individuum und die Gesellschaft und werden immer mehr zum Gegenstand der sog. Freizeitindustrie.
3. Konsumtive Vertragsinteressen und Freizeitgesellschaft Das BGB hat eine Entwicklung, in der der materialistische Güteraustausch nicht mehr allein dominiert, nicht in ihrem Ausmaß vorausgesehen. Dies ist angesichts der Wurzeln des Obligationenrechts im ADHGB von 186124 auch nicht verwunderlich. Denn die auf die kaufmännische Betätigung zugeschnittenen Normen des ADHGB waren naturgemäß auf die Abwicklung profitorientierter Wirtschaftsvorgänge zugeschnitten. Leitbild des damaligen Vertragsmodells war der "Tauschvorgang frei konkurrierender Warenbesitzer"25. Der Vertrag wurde gesehen als das "Mittel, dessen man sich beim übergang von einer primitiven und statischen zu einer entwickelten und dynamischen Wirtschaft zum Kanalisieren des Umsatzlebens bedient"26. Die obligatorischen Rechtsverhältnisse dienten allein dem Austausch der wirtschaftlichen Güter, dem wirtschaftlichen Verkehr 27 . Für immaterielle Interessen war kein Raum. Das Privatrecht wurde als ein Vermögensrecht begriffen, das es lediglich mit den "harten Thatsachen des Mein und Dein", mit der Verteilung der materiellen Güter und Lasten und sonach "nur mit den nüchternsten Interessen und Bedürfnissen" zu tun hatte 28 . Erst ganz allmählich - als sich der anwendungsbezogene Wandel vom kaufmännischen zu dem auf die Bedürfnisse des Normalbürgers zugeschnittenen Obligationenrecht vollzog - wurde das Augenmerk auch auf den nichtmateriellen Bereich gerichtet. Begleitend vollzieht sich ein Wandel auch der Vermögensfunktion29 • In der Klassengesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts war Vermögen im allgemeinen nur vorstellbar als Produktivvermögen in Unternehmerhand oder als Arbeitslohn, der in den meisten Fällen, allenfalls gerade zur Deckung des Familienunterhalts ausreichte. Steigende Masseneinkommen im Zusammenwirken mit einer stetigen Verkürzung der Arbeitszeit sowie einem Anwachsen der Freizeit machten gerade auch den 24
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Wieacker, Industriegesellschaft, S. 15. Braschos, S. 36 m. w. N. Jl