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German Pages 744 Year 1996
ANDREAS KOLLMANN
Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 68
Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht
Von
Andreas Kollmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kollmann, Andreas: Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht / von Andreas Kollmann. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 68) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1993/94 ISBN 3-428-08977-4 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-08977-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Meinen Eltern
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1993/94 von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Zur Veröffentlichung wurde sie überarbeitet, wobei zum Teil auch noch Literatur bis zum Jahr 1995 berücksichtigt werden konnte. Herrn Professor Dr. Alexander Hollerbach, der die Arbeit angeregt hat, danke ich für seine Förderung; ihm und Herrn Professor Dr. Elmar Bund als Zweitgutachter verdanke ich zudem wertvolle Hinweise.
Heidelberg, im Juni 1996 Andreas Kollmann
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung
27
Α. Bedeutung des Themas
27
B. Ziel und Untersuchungsgegenstand der Arbeit
28
C. Begriffseingrenzung
30
D. Gang der Arbeit
31
I. Vorgehen
31
Π. Verwendung der Begriffe formelles und materielles Recht
32
7. Abschnitt: Das römische Recht von der Antike bis zur frühen Neuzeit § 2 Das antike römische Recht A. Die allgemeine Rechtsentwicklung und die Rechtspraxis I. Die römische Frühzeit
34 34 34
1. Die Anfänge der Frühzeit
34
2. Die weitere Entwicklung der Frühzeit
38
Π. Das Legisaktionen-Verfahren
40
1. Herausbildung materieller Rechte
40
2. Der Verfahrensgang
44
3. Die Bedeutung der Actio
46
DI. Das Formular-Verfahren
47
1. Entstehung prätorischen Rechts
47
2. Klagformeln und prätorisches Edikt
49
3. Entstehung und Ablauf des Formular-Verfahrens
51
4. Die Exceptio
53
5. Beginn des aktionenrechtlichen Denkens und die Bedeutung der Actio des Formular-Verfahrens 54 IV. Das klassische Kognitions-Verfahren
56
1. Besonderheiten des Verfahrens
57
10
Inhaltsverzeichnis 2. Die Praescriptio
58
3. Die Bedeutung der Actio
59
V. Die nachklassische Beamtenkognition
60
1. Besonderheiten des Verfahrens
61
2. Die Exceptio
63
3. Die Bedeutung der Actio
63
VI. Zusammenfassung
64
1. Die verschiedenen Stufen der Entwicklung
64
2. Die Bedeutung der Actio als Spiegel der Rechtsordnung
66
B. Literarische Werke
66
I. Das lus civile des Pontifex Q. Mucius Scaevola
69
Π. Die Institutionen des Gaius
70
1. Systematik
70
2. Inhaltlich
72
3. Zusammenfassung
75
C. Gesetzgebungswerke
75
I. Das Xn-Tafelgesetz
75
Π. Das Edictum Perpetuum
78
1. Bedeutung des Edictum Perpetuum
78
2. Leitgedanken der Rekonstruktion
79
3. Die Trennung von formellem und materiellem Recht
80
4. Zusammenfassung
82
ΙΠ. Der Codex Theodosianus
83
1. Zur Systematik
83
2. Inhaltlich
83
3. Zusammenfassung
84
IV. Das Corpus Iuris Civilis
84
1. Die Entstehung des Corpus Iuris Civilis
84
2. Der Bedeutungszusammenhang der Actio in den drei Teilen des Corpus Iuris Civilis 3. Einzeluntersuchung der drei Teile des Corpus Iuris a) Der Codex Justiniani (1) Systematik
88 90 90 91
Inhaltsverzeichnis (2) Inhaltlich
92
b) Die Digesten
94
(1) Systematik (2) Inhaltlich (3) Zusammenfassung c) Die Institutionen
95 96 100 100
(1) Systematik
101
(2) Inhaltlich
103
(3) Zusammenfassung 4. Gesamtwürdigung des Corpus Iuris Civilis
106 106
V. Die Basiliken
107
1. Systematik
108
2. Inhaltlich
108
a) Anlehnung an das Corpus Iuris
109
b) Das "ius petendi"
110
c) Das Mutter-Tochter-Bild
111
d) Zusammenfassung
112
3. Zusammenfassung VI. Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Gesetzgebungs-Werken D. Zusammenfassung der Ergebnisse
113 113 114
I. Allgemeine Ergebnisse
114
Π. Die Entwicklungsphasen im einzelnen
115
E. Das funktionale Verhältnis von formellem und materiellem Recht I. Die verschiedenen Stufen der Rechtsentwicklung
116 117
1. Das Legisaktionen-Verfahren
117
2. Das Formular-Verfahren
117
3. Das klassische Kognitions-Verfahren
118
Π. Exkurs: Philosophische Grundlegung des römischen Zivilprozesses 1. Im allgemeinen: Inhaltliche Beeinflussung des römischen Rechts durch rechtsphilosophische Ansätze
119 120
2. Im besonderen: Das Verhältnis von Form und Materie in der Philosophie und dessen Auswirkung auf die Lehren zur sachenrechtlichen Spezifikation 121 a) Form und Materie in der Philosophie
121
b) Anwendung auf das Spezifikations-Problem
123
12
Inhaltsverzeichnis c) Die prozessuale Situation der Spezifikation
124
3. Philosophische Grundlegung anderer prozessualer Erscheinungen?
126
4. Zusammenfassung
129
F. Exkurs: Das mittelalterliche englische Recht als Parallele zum klassischen römischen Recht
130
I. Die Entwicklung im mittelalterlichen England
130
1. Die Entwicklung in vor-wissenschafllicher Zeit
132
2. Nach der Berührung mit römisch-italienischem Recht
136
Π. Das englische Writsystem
138
ΙΠ. Die Wurzeln des Writsystems 140 IV. Vergleich des Writsystems mit dem Actionenrecht des klassischen römischen Rechts 143 § 3 Die wissenschaftliche Bearbeitung des römischen Rechts in Mittelalter und früher Neuzeit A. Rahmenbedingungen
146 146
I. Die Entwicklung des römischen Rechts vom Ausgang der Antike an
146
Π. Die Begründung der Rechtswissenschaft in Norditalien
148
1. Dasfrühe Mittelalter
148
2. Die Zeit des Hochmittelalters
149
3. Die Scholastik und die Anfange der Wissenschaft
150
a) Die Scholastik
150
b) Methode und Bedeutung der Scholastik
151
Β. Literarische und Gesetzgebungs-Werke
153
I. Die frühe Entwicklung in Italien
155
1. Die Lombarda
155
a) Systematik
157
b) Inhaltlich
157
c) Zusammenfassung
158
2. Die Excerpta legum (= Epistula de ordine iudiciorum et regulis iuris) des Bulgarus 159 a) Systematik
160
b) Inhaltlich
162
3. Die Summa Trecensis ("Cum inter ceteras partes iuris") a) Systematik
164 164
Inhaltsverzeichnis b) Inhaltlich
166
(1) Die theoretische Behandlung der Actio
166
(2) Die faktische Verwendung der Actio
170
(3) Die Bedeutung der Actio insgesamt c) Zusammenfassung 4. Summa pseudoirneriana ("Liber iste Institutionum")
171 172 173
a) Systematik
173
b) Inhaltlich
174
c) Zusammenfassung
176
5. Summa Codicis des Rogerius ("Cum multe essent partes iuris") a) Systematik
177 178
(1) Rechtfertigung des Codex-Systems
178
(2) Integration eines eigenen Systems
179
(3) Auswirkungen auf die Systematik
180
(4) Zusammenfassung
181
b) Inhaltlich
182
c) Zusammenfassung
184
6. Placentin: "Summa Codicis" und "Summa De actionum varietatibus"
184
a) Die Systematik (der Summa Codicis)
184
b) Inhaltlich (die Summa De actionum varietatibus)
186
( 1 ) Die Actio-Bedeutung im allgemeinen
187
(2) Zur Actio-Bedeutung im einzelnen
188
(3) Zusammenfassung der inhaltlichen Analyse
191
c) Zusammenfassung 7. Zusammenfassung
192 193
a) Die einzelnen Werke
193
b) Die Entwicklungslinien
194
(1) In der Systematik
194
(2) Inhaltlich
195
Π. Die Entwicklung in Frankreich (im 12. Jahrhundert) 1. Die "Exceptiones legum Romanorum" des Petrus
196 197
a) Systematik
198
b) Inhaltlich
200
c) Zusammenfassung 2. Lo Codi
201 202
14
Inhaltsverzeichnis a) Systematik
202
b) Inhaltlich
205
c) Zusammenfassung 3. Die "Epitome exactis regibus"
207 208
a) Systematik
209
b) Inhaltlich
212
c) Zusammenfassung 4. Der "Brachylogus iuris civilis" (oder "Corpus legum") a) Systematik
213 213 215
b) Inhaltlich
218
c) Zusammenfassung
220
5. Ordo iudiciarius "Tractaturi de iudiciis" und Tractatus De actionibus
220
a) Systematik (des Ordo iudiciarius)
221
b) Inhaltlich (der Tractatus De actionibus)
222
c) Zusammenfassung
224
6. Ordo iudiciarius "In Principio"
225
7. Das Florentiner Rechtsbuch
227
a) Systematik
228
b) Inhaltlich
230
c) Zusammenfassung
232
8. Zusammenfassung zu Π
233
a) Die einzelnen Werke
233
b) Die Entwicklungslinie
235
m. Die Glossatoren ab 1170
235
1. Legistische Werke
236
a)Azo (Fortius)'.
Summae Codicis und Institutionum
240
(1) Systematik
240
(2) Inhaltlich
242
(3) Zusammenfassung
245
b) Ordo "Invocato Christi nomine"
246
(1) Systematik
247
(2) Inhaltlich
248
(3) Zusammenfassung
251
o)Martinus de Fano: Ordo iudiciorum
251
Inhaltsverzeichnis d) Guilelmus Durantis: Speculum iudiciale
253
(1) Systematik
254
(2) Inhaltlich
256
(3) Zusammenfassung
258
2. Kanonistische Werke
259
a) Ricardus Anglicus: Summa de ordine iudiciario
260
(1) Systematik
260
(2) Inhaltlich
261
(3) Zusammenfassung
262
b) Damasus: Summa de ordine iudiciario ("Si quis vult")
263
(1) Systematik
263
(2) Inhaltlich
264
(3) Zusammenfassung
265
c) Tancredus (Bononiensis): Ordo iudiciarius
266
(1) Systematik
266
(2) Inhaltlich
267
(3) Zusammenfassung
269
d) Durantis: Speculum iudiciale 3. Zusammenfassung
270 270
a) Die Systematik der Werke
270
b) Zur inhaltlichen Seite
270
c) Vergleich mit denfrüheren Entwicklungen
271
C. Die Rechtspraxis
272
I. Der weltliche Prozeß
272
Π. Der kirchliche Prozeß
273
D. Zusammenfassung zu § 3
274 2. Abschnitt:
Vom germanischen Recht bis zur Rezeption des römischen Rechts § 4 Das germanische und fränkische Recht
275
A. Die allgemeine Rechtsentwicklung
275
I. Die germanische Frühzeit
275
1. Die germanische Urzeit
276
2. Der weiterer Verlauf der Frühzeit
277
16
Inhaltsverzeichnis Π. Die fränkische Zeit
280
B. Gesetzgebungswerke
281
I. Die Lex Salica
282
Π. Die Lex Visigothorum (Reccessvindiana)
284
C. Zusammenfassung
287
§ 5 Das deutsche Recht in spätem Mittelalter und früher Neuzeit
289
A. Die allgemeine Rechtsentwicklung
289
I. Die "praktische" Rezeption des römischen Rechts
291
Π. Die "theoretische" Rezeption
294
ΙΠ. Zusammenfassung
295
B. Literarische Werke
296
I. Weltliche Werke
296
1. Der Sachsenspiegel
296
2. Der Schwabenspiegel
299
3. Der Richtsteig Landrechts
299
a) Systematik
300
b) Inhaltlich
304
c) Zusammenfassung
304
4. Der Klagspiegel
305
a) Der zivilrechtliche Teil
305
b) Der strafrechtliche Teil
307
c) Zusammenfassung
308
5. Der Laienspiegel
309
a) Systematik
309
b) Inhaltlich
314
c) Zusammenfassung
315
6. Andreas Perneder: Gerichtlicher Proceß
315
a) Systematik
316
b) Inhaltlich
318
c) Zusammenfassung
320
Π. Kanonistische Werke
320
1. Der "Ordo Iudiciarius Antequam" und dessen deutsche Überarbeitungen ....320 a) Der Ordo Iudiciarius Antequam
321
Inhaltsverzeichnis (1) Systematik
321
(2) Inhaltlich
323
(3) Zusammenfassung
324
b) Die deutschen Bearbeitungen
324
2. Johannes von Stynna: Speculum abbreviatum
325
a) Systematik
326
b) Inhaltlich
327
c) Zusammenfassung
328
3. Johannes Urbach {von Auerbach): Processus iudicii
329
a) Systematik
329
b) Inhaltlich
330
c) Zusammenfassung
332
ΙΠ. Zusammenfassung 1. Weltliche Werke
333 333
a) Zur Systematik
333
b) Zur inhaltlichen Seite
334
2. Kanonistische Werke
335
3. Resümee
335
C. Gesetzeswerke
336
a) Stadtrechts-Kodifikationen
337
b) Landrechts-Kodifikationen
337
c) Die Reichsgesetzgebung
338
I. Stadtrechts-Reformationen 1. Die Nürnberger Reformation von 1479
339 339
a) Systematik
339
b) Inhaltlich
341
c) Zusammenfassung
343
2. Das Hamburger Stadtrecht von 1497
343
a) Systematik
344
b) Inhaltlich
347
c) Zusammenfassung
347
3. Die Wormser Reformation von 1498/99 a) Systematik 2 Kollmann
348 349
18
Inhaltsverzeichnis b) Inhaltlich
353
c) Zusammenfassung
353
4. Die Frankfurter Reformationen von 1509 und 1578
354
a) Die Erste Frankfurter Reformation von 1509
354
(1) Systematik
355
(2) Inhaltlich
356
(3) Zusammenfassung
357
b) Die Neue Frankfurter Reformation von 1578
357
(1) Systematik
358
(2) Inhaltlich
360
(3) Zusammenfassung
360
5. Die Freiburger Stadtrechts-Reformation von 1520
361
a) Systematik
362
b) Inhaltlich
265
c) Zusammenfassung
266
Π. Landrechts-Reformationen 1. Die Bayerische Landrechts-Reformation von 1518
367 367
a) Systematik
367
b) Inhaltlich
370
c) Zusammenfassung
370
2. Das Württembergische Neue Landrecht von 1555/67
371
a) Systematik
371
b) Inhaltlich
373
c) Zusammenfassung
373
3. Die Solmser Gerichts- und Landordnung von 1571
373
a) Systematik
374
b) Inhaltlich
376
c) Zusammenfassung
377
ΙΠ. Die Reichsgesetzgebung
377
1. Die Reichskammergerichtsordnungen
377
a) Die RKGO von 1495
378
b) Die RKGO von 1555
380
(1) Systematik
381
Inhaltsverzeichnis (2) Inhaltlich
384
(3) Zusammenfassung
385
2. Die "Constitutio Criminalis Carolina" von 1532
385
IV. Zusammenfassung
388
1. Zur Systematik
388
2. Inhaltlich
390
D. Die Rechtspraxis
392
I. Die Praxis der weltlichen Gerichte
392
Π. Die Praxis der kirchlichen Gerichte
395
ΙΠ. Zusammenfassung
396
E. Zusammenfassung
396 3. Abschnitt: Die Neuzeit
§ 6 Der Humanismus in Deutschland
399
A. Rahmenbedingungen
399
I. Die Bedeutung des Humanismus
399
Π. Der Humanismus in Deutschland
403
B. Literarische Werke I. Johannes Ape/: Dialogus Isagogicus und Methodica dialectices
404 404
Π. ConradLagus (Hasej: Iuris utriusque traditio methodica
408
DI. Sebastian Derrer. Jurisprudentiae liber primus
411
IV. Nicolaus Weigel (Vigelius) 1. Der "Methodus"
412 413
2. Die "Digestorum juris civilis libri quinquaginta in Septem partes distincti" .416 3. Zusammenfassung V. Hugo Doneau (Donellus)
417 418
1. Systematik
418
2. Inhaltlich
421
3. Zusammenfassung
421
VI. Johannes Althusius: Jurisprudentia und Dicaeologica
422
VE. Hugo Grotius: Inieidinge tot de Hollandsche Rechtsgeleertheydt
427
C. Zusammenfassung I. Trennung formellen und materiellen Rechts
430 430
20
Inhaltsverzeichnis Π. Unterordnung des Prozeßrechts - in Form der Actio - unter das materielle Recht
432
§ 7 Usus modernus
433
A. Rahmenbedingungen
433
I. Das römisch-italienische Recht und dessen Methode
433
Π. Das deutsche partikulare Recht
435
B. Literarische Werke I. Benedict Carpzov: "Processus juris in foro Saxonico"
437 437
1. Zur Systematik
438
2. Inhaltlich
440
3. Zusammenfassung
440
Π. Johannes Brunnemann: "Tractatus juridicus" und "De jure ecclesiastico tractatus"
441
1. Der "Tractatus juridicus"
441
2. "De jure ecclesiastico tractatus"
442
ΙΠ. David Mevius: "Commentarius in ius Lubecense" IV. Georg Adam Struve: "Jurisprudentia Romano-Germanica forensis"
444 445
1. Systematik
445
2. Inhaltlich
448
3. Zusammenfassung
448
V. Samuel Stryk: "Usus modernus Pandectarum"
449
VL Augustin (von) Leyser. "Meditationes ad Pandectas" VIL Samuel von Cocceji: "Novum Systema"
450 451
1. Die materiell-rechtlichen Abschnitte
452
2. Die prozessualen Abschnitte
453
3. Zusammenfassung
456
Vin. Zusammenfassung
456
C. Die Rechtspraxis
457
§8 Naturrecht
459
A. Rahmenbedingungen
459
B. Literarische Werke
463
I. Das frühe und mittlere Naturrecht
463
Π. Systembemühungen im Prozeßrecht
466
Inhaltsverzeichnis
1. Daniel Nettelbladt
467
a) Die "Iurisprudentia naturalis"
468
b) Die "Introductio in iurisprudentiam positivam Germanorum communem"
470
c) Die "Practische Rechtsgelahrtheit"
472
d) Zusammenfassung
475
2. Joachim Georg Darfes
476
a) "Institutiones iurisprudentia universalis"
476
b) "Institutiones iurisprudentiae privatae Romano-Germanicae"
477
c) Zusammenfassung
480
3. Zusammenfassung C. Gesetzgebungs-Werke I. Der Codex Juris Bavarici Judiciarii
480 481 483
1. Die Systematik
484
2. Inhaltlich
487
3. Zusammenfassung
488
Π. Das "Project des Codicis Fridericiani Marchici"
488
1. Zur Systematik
489
2. Inhaltlich
491
3. Zusammenfassung
491
ΙΠ. Die Prozeßordnung des Corpus Juris Fridericianum
492
IV. Zusammenfassung
496
D. Die Rechtspraxis
497
E. Zusammenfassung
497
§ 9 Die Historische Rechtsschule
500
A. Rahmenbedingungen
500
B. Literarische Werke
505
I. Justus Friedrich
Runde: "Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts" ...505
Π. Gustav Hugo: Lehrbuch des Naturrechts als einer Philosophie des positiven Rechts, besonders des Privatrechts 508 ΙΠ. Anton Friedrich
Justus Thibaut : System des Pandekten-Rechts
511
1. Systematik
512
2. Die Actionen-Behandlung
513
22
Inhaltsverzeichnis 3. Zusammenfassung
515
IV. Nicolaus Thaddäus von Gönner: Entwurf eines Gesetzbuches über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen
515
1. Zur Systematik
516
2. Das Actionenrecht
518
3. Zusammenfassung
519
V. Christoph Reinhard Dietrich Martin: Lehrbuch des Teutschen gemeinen bürgerlichen Processes 520 1. Zur Systematik
520
2. Die Actionenbehandlung
522
3. Zusammenfassung
523
VI. Friedrich
Carl von Savigny: System des heutigen römischen Rechts
524
1. Zur Systematik
526
2. Inhaltlich
528
a) Die Rechtsverletzung als Ausgangspunkt der Actio
528
b) Prozeßhandlungen als Teil der (materiellen) Actio
531
c) Die Actio des klassischen Formularverfahrens
532
d) Zusammenfassung
533
3. Zusammenfassung VE. Georg Friedrich
533
Puchta: "Lehrbuch der Pandekten" und "Cursus der
Institutionen"
534
Vin. Zusammenfassung
537
1. Das Actionenrecht
537
2. Die Systematik
539
C. Die Gesetzgebungs-Werke
541
I. Strafrechts- und Strafprozeß-Gesetzbücher 1. Baden
542 543
a) Die Badische StPO von 1845
543
b) Das Badische StGB von 1851
544
c) Zusammenfassung 2. Preußen
544 544
a) Die Preußischen Strafverfahrens-Gesetze von 1849/52
545
b) Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851
546
c) Zusammenfassung
547
Inhaltsverzeichnis 3. Das Deutsche Reich
547
a) Das Strafgesetzbuch von 1871
548
b) Strafprozeßordnung von 1877
549
c) Zusammenfassung
550
4. Zusammenfassung
550
Π. Zivilprozeß-Gesetzbücher
551
1. Die Badische Proceß-Ordnung von 1831
552
2. Die Hannoversche Proceßordnung von 1850 (HPO)
554
3. Der Entwurf einer Preußischen Prozeß-Ordnung von 1864
556
4. Die Entstehung der Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich von 1877 (CPO) 558 a) Entwurf einer Civilprozeßordnung fiir den Norddeutschen Bund von 1870
559
b) Justizministerial-Entwurf von 1871 (= Ε. I)
560
c) Der Entwurf der Bundesrats-Kommission von 1872 (= Ε. Π)
561
d) Die Reichs-Civilprozeßordnung von 1877 (CPO)
562
5. Zusammenfassung der Entwicklung der Prozeßordnungen hin zur ReichsCivilprozeßordnung 563 ΙΠ. Zivilgesetzbücher: Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863 D. Zusammenfassung
564 566
I. Die literarischen Werke
566
Π. Die Gesetzgebungs-Werke
567
§ 10 Begriffs- und Konstruktionsjurisprudenz
569
A. Rahmenbedingungen
569
B. Literarische Werke
573
I. Georg Wilhelm Wetzeil.
System des ordentlichen Civilprocesses
573
1. Zur Systematik
573
2. Das Actionenrecht
574
3. Zusammenfassung
576
Π. Bernhard Windscheid: Die Actio
576
1. Zum Actionenrecht: Die "Actio"
577
2. Zum System: Das "Lehrbuch des Pandektenrechts"
580
3. Das funktionale Verhältnis von formellem und materiellem Recht bei Windscheid
581
24
Inhaltsverzeichnis ΠΙ. Oskar Biilow: Der Prozeß als Rechtsverhältnis
582
IV. Heinrich Degenholb: Der abstrakt publizistische Klagrechtsbegriff
586
V. Adolf Wach: Der Rechtsschutzanspruch
589
1. Inhalt und Bedeutung des Rechtsschutzanspruchs
589
2. Das Verhältnis zur Actio
592
3. Zusammenfassung
593
VI. James (Paul) Goldschmidt: Das materielle Justizrecht und: Der Prozeß als Rechtslage 595 1. Das materielle (Zivil-)Justizrecht
595
2. Der Prozeß als Rechtslage
600
3. Zusammenfassung
604
VÏÏ. Zusammenfassung C. Gesetzgebungswerke: Die Entstehung des BGB
605 607
I. Entwurf eines fur die deutschen Bundesstaaten gemeinsamen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866 (= Dresdner Entwurf) 607 Π. Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich von 1896
609
1. Die Anspruchs-Veijährung
610
2. Vorschriften zu Beweis und Urteil
612
3. Zusammenfassung
614
ΠΙ. Zusammenfassung §11 Der Zweck im Recht (Interessenjurisprudenz) A. Rahmenbedingungen
615 616 616
I. Die Ursachen der Interessenjurisprudenz
616
Π. Der Zweck-Gedanke im Recht
619
B. Literarische Werke I. Julius Glaser. Der Zweck im Strafprozeß Π. Rudolf Stammler: Die formale Rechtsidee ÏÏI. August Hegler: Teleologisches System des (Zivil-)Prozeßrechts IV. Gustav Radbruch: Formelles und materielles Recht
620 620 621 629 633
1. Das teleologische System
634
2. Die kategorialen apriorischen Rechtsbegriffe
638
V. Zusammenfassung
641
Inhaltsverzeichnis § 12 Die Reine Rechtslehre
643
A. Hans Kelsen
643
B. Die Brünner rechtstheoretische Schule
650
C. Hans Nawiasky: Allgemeine Rechtslehre
652
D. Zusammenfassung
657
§ 13 Die weitere Entwicklung
658
A. Die Begriffe formelles und materielles Recht
658
I. Die Verwendung des Begriffspaares
658
Π. Ansätze einer Definition des Begriffspaares formelles und materielles Recht..663 B. Das Begriffspaar materielles und Prozeßrecht
666
I. Der Ansatz Henckels
667
Π. Überprüfung der Definitionen Henckels
667
ΠΙ. Zusammenfassung
670
IV. Modifikation bei Konzen C. Zusammenfassung
671 672
I. Begriffspaar formelles und materielles Recht
672
Π. Begriffspaar materielles und Prozeßrecht
673
§ 14 Ergebnisse und Kritik der Rechtsentwicklung; eigener Ansatz
674
A. Zusammenfassung der Rechtsentwicklung
674
I. Die systematische Entwicklung Π. Das Actionenrecht B. Kritische Würdigung der Ergebnisse der Rechtsentwicklung
674 675 677
I. Die systematische Trennung
677
Π. Die begriffliche Trennung
678
C. Eigener Ansatz fur eine Definition von formellem und materiellem Recht
679
I. Definition der Begriffe formelles und materielles Recht
680
Π. Überprüfung der Definitionen anhand konkreter Beispiele
682
ΙΠ. Begründung der Definitionen
689
D. Tauglichkeit der Begriffe formelles und materielles Recht als Unterscheidungskriterien des heutigen Rechts
690
Literatur- und Quellenverzeichnis
692
Abkürzungsverzeichnis
(Zu den Abkürzungen fur Schriftenreihen etc.: siehe am Ende des Literaturverzeichnisses)
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGH Ζ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
Cap. / Kap.
Capitel / Kapitel
CPO
Civilprozeßordnung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
RG RG St
Reichsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RG Ζ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RKGO
Reichskammergerichtsordnung
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozeßordnung
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
ZPO
Zivilprozeßordnung
§ 1 Einleitung Α. Bedeutung des Themas Die Begriffe formelles und materielles Recht sind heutzutage dem Rechtskundigen als ein Kriterium zur Gliederung der gesamten Rechtsordnung ohne weiteres geläufig, und ihm fällt es grundsätzlich nicht schwer, eine Norm in die eine oder andere Kategorie einzuordnen1. Angesichts dieses Umstandes wundert es, daß eine befriedigende Definition des Begriffspaares bis heute nicht gelungen ist 2 . Daher soll am Schluß dieser Arbeit der Versuch zu einer neuen Begriffsbestimmung unternommen werden3. Die Begriffe formelles und materielles Recht legen eine Parallele zu dem in der Philosophie4 seit alters empfundenen und behandelten Begriffspaar Form und Materie nahe. Ob eine Berufung auf diese Begriffe stattgefunden hat, wird an geeigneten Stellen zu untersuchen sein. Darüberhinaus lohnt an dieser Stelle auch ein Blick auf die entsprechenden Begriffe für formelles und materielles Recht in anderen Sprachen. Dieser Blick zeigt allerdings ein uneinheitliches Bild: einige Sprachen knüpfen nicht
1
Siehe Henckel, Prozeßrecht, S. 5, zu Prozeßrecht und materiellem Recht. Siehe nur die Diskussion bei Henckel, Prozeßrecht, S. 5 ff., insbesondere S. 24 26 (allerdings zu den Begriffen materielles und Prozeßrecht). Wo konkrete Definitionen des Begriffspaares formelles und materielles Recht angegeben werden (etwa: formelles Recht dient der Durchsetzung des materiellen Rechts oder regelt die Form der Rechtsverwirklichung; siehe Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort "Recht", S. 907 f.; Köhler, Wörterbuch, Stichwort "Recht", S. 265; Deutsches Rechts-Lexikon I, Stichwort "Formelles Recht", S. 1487 f.), werden sie sich nicht nur im Laufe dieser Arbeits als zu eng erweisen (siehe insbesondere unten § 12), sie sind auch nicht geeignet, eine eindeutige Zuordnung aller Nonnen zu gewährleisten (z.B. §§ 229 ff. BGB; dazu unten § 14 C. Π. (dd)). 3 Unten § 14 C. 4 Siehe unten § 2 Ε. Π. 2.a.; gerade auch in der Kunst wurde das Verhältnis von Form und Inhalt thematisiert (so Wassily Kandinskys Aufsatz "Über die Formfrage" in dem Almanach "Der Blaue Reiter", 1912 - siehe Moeller, Der Blaue Reiter, S. 15).
28
§ 1 Einleitung
an das erwähnte Gegensatzpaar Form/Materie 5 an, sondern geben dem formellen Recht die Bedeutung des dienenden und dem materiellen Recht die des wesentlichen, grundlegenden Rechts6. Trotz der anderen Begriffswahl in Deutschland hat auch dieses Verständnis in erheblichem Maße Bedeutung gewonnen7. Auf der anderen Seite hat die Unterscheidung von materiellem und Prozeßrecht in der Praxis etwa der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit oder der internationalen Zivilprozesse eine ganz wesentliche Bedeutung bei der Beurteilung, nach welchem Recht bestimmte Sachverhalte zu beurteilen sind8. Im nationalen Recht von Bundesstaaten wie z.B. der Schweiz oder der USA entscheidet die Zuordnung zum einen oder zum anderen Rechtsbereich darüber, ob die kantonale oder die Gesetzgebungshoheit des Bundes gegeben ist9 bzw. ob einzelstaatliches oder Bundesrecht anzuwenden ist 10 . Zwar sind die Begriffspaare materielles und formelles Recht sowie materielles und Prozeßrecht nicht deckungsgleich. Sie haben aber wesentliche Berührungspunkte und decken sich im Bereich des prozeßbezogenen Rechts weitestgehend11 , so daß diese Untersuchung zum (auch zum begrifflichen) Verhältnis von formellem und materiellem Recht ebenfalls für diese aus der Praxis stammenden Probleme fruchtbar gemacht werden kann.
B. Ziel und Untersuchungsgegenstand der Arbeit In der vorliegenden Arbeit soll die Entwicklung des sachlichen und begrifflichen Verhältnisses von formellem und materiellem Recht untersucht werden, 5 So im Französischen: "droit formel" - "droit matériel" (Wörterbuch Französisch, Stichwort "Recht", S. 324) und im Italienischen: "diritto formale" - "diritto materiale" (Handwörterbuch Italienisch, Stichwort "Recht", S. 447). 6 So im Spanischen: "derecho adjectivo" - "derecho material/ sustancial/ sustantivo" (Wörterbuch Spanisch, Stichwort "Recht", S. 524 f.) und im Englischen: "adjective law" - "substantive law" (Wörterbuch Englisch, Stichworte "formell" und "materiell", S. 291 und 477). 7 Siehe nur unten § 6 und §11. 8 Zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit: Coing , Materielles Recht, insbesondere S. 11, 14 if. Zu internationalen Zivilprozessen: Basedow, Internat. Zivilverfahrensrecht, S. 136. 9 Meier, Prozeßrecht, S. 13, zur Schweiz. 10 Gerber , Substance-Procedure Distinction, S. 122, zu den USA. 11 Siehe insbesondere unten §§ 11 - 14. Dies trifft vor allem auf die unten § 14 C. darzulegende Neu-Definition des formellen Rechts zu.
Β. Ziel und Untersuchungsgegenstand der Arbeit
29
soweit sie für unseren Rechtskreis relevant geworden ist. Berücksichtigt werden also die römisch/romanistische und die germanisch/deutsche Rechtsentwicklung. Neben dieser Beschränkung auf die Entstehung des heutigen, deutschen Rechts sind noch weitere Einschränkungen zu machen. Es kann nicht sämtlichen, irgendwie mit dem Thema zusammenhängenden Fragestellungen nachgegangen werden. Vielmehr soll lediglich das abstrakte, von den einzelnen, konkreten Rechtsnormen unabhängige Verhältnis des formellen und des materiellen Rechts - aber in der jeweiligen Rechtsordnung - untersucht werden. Daher ist zunächst zu klären, welche Fragen sich im Zusammenhang mit dem hier zu behandelnden Thema überhaupt stellen können: a) Zunächst - wenn auch historisch erst sehr spät aktuell geworden - ist die Frage nach der Geschichte der Begriffe "formelles und materielles Recht" zu nennen. b) Das im Titel der Arbeit angesprochene "Problem" des Verhältnisses der infrage stehenden Begriffe spaltet sich wiederum in verschiedene Problemstellungen auf: - Eng mit der Begriffsgeschichte verwoben ist die Frage, wie formelles und materielles Recht "der Sache nach" in der jeweiligen Rechtsordnung getrennt werden (dieser Aspekt kann - zusammen mit der Begriffsgeschichte als das "definitorische Verhältnis" des formellem und materiellen Rechts bezeichnet werden); - Ebenfalls von der genauen Ausgestaltung einer Rechtsordnung losgelöst stellt sich das hier sogenannte (abstrakt-)"funktionale" Verhältnis der Materien formelles und materielles Recht dar; hierbei ist zu untersuchen, wie beide Materien einander (theoretisch bzw. abstrakt) zu- bzw. untergeordnet sind; - Schließlich stellt sich auch die Frage nach dem "konkreten" Verhältnis von formellem und materiellem Recht: ist das Verfahrensrecht in concreto so ausgestaltet, daß es wirklich dem materiellen Recht dient (etwa durch: Untersuchungsgrundsatz; freie Beweiswürdigung; Klagbarkeit des materiellen Rechts etc.)? Diesen Aspekt könnte man als das konkret-funktionale Verhältnis von formellem und materiellem Recht bezeichnen. Im Rahmen dieser Arbeit sollen die angesprochenen Aspekte mit Ausnahme des letzten Unterpunktes untersucht werden. Diese Einschränkung hat mehrer Gründe. Zum ersten will sich diese Arbeit - wie schon erwähnt lediglich mit dem abstrakten/theoretischen Verhältnis des Begriffspaares befassen; die konkrete Ausgestaltung einer Rechtsordnung ist daher nur insoweit von Interesse, als aus dieser auf das abstrakte Verhältnis geschlossen werden kann. Zum zweiten ist die Entwicklung des konkreten Verhältnisses von formellem und materiellem Recht als solchem ohne Bedeutung geblieben für die sachliche (systematische) und begriffliche Scheidung zwischen den beiden Materien. Letzteres schließt natürlich - wie schon angedeutet - nicht aus, daß
30
§ 1 Einleitung
die konkrete Rechtsordnung zur Klärung der Frage des abstrakten Verhältnisses von formellem und materiellem Recht in dieser Rechtsordnung heranzuziehen ist; doch hierbei geht es immer nur um einzelne, spezielle Aspekte der Rechtsordnung, und eben nur soweit sie für das abstrakte Verhältnis interessant sind. Und schließlich würde die Einbeziehung auch des konkret-funktionalen Verhältnisses in die Untersuchung den Rahmen (d.h. den Umfang) dieser Arbeit sprengen. Die also verbleibenden Aspekte sollen grundsätzlich über den Verlauf der gesamten Rechtsentwicklung untersucht werden; doch ergeben sich hierbei sachbedingt einige Einschränkungen. Das Begriffspaar "formelles und materielles Recht" ist - wie sich unten zeigen wird - eine "Erfindung" erst des 19. Jahrhunderts. Und das abstrakt-funktionale Verhältnis von formellem und materiellem Recht weist nur in der antik-römischen Rechtsentwicklung einige Besonderheiten gegenüber der heutigen Auffassung auf, so daß es nur dort gesondert angesprochen und behandelt wird, wo eine solche abweichende Haltung gegeben ist oder doch naheliegt.
C. Begriffseingrenzung An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, eine genaue Definition der zu behandelnden Begriffe zu liefern; eine solche, auf allgemeine Zustimmung treffende Definition ist auch bis heute nicht gelungen. Dennoch müssen die Begriffe formelles und materielles Recht eingegrenzt werden, um den Untersuchungsgegenstand identifizieren zu können. Dabei muß es genügen, die allgemeine Charakterisierung der beiden Begriffe zugrunde zu legen. Danach ist das materielle Recht dasjenige Recht, das den Inhalt der Rechtsordnung darstellt, während das formelle Recht die Form der Verwirklichung der Rechtsordnung regelt (also vor allem das Verfahrensrecht) 12.
12 So ausdrücklich Köhler, Wörterbuch, Stichwort "Recht", S. 265; ähnlich das Deutsche Rechts-Lexikon I, Stichwort "Formelles Recht", S. 1487 f.; Avenarius, Rechtswörterbuch, Stichwort "Recht", S. 288 f.; Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort "Recht", S. 907 f.
D. Gang der Arbeit
31
D. Gang der Arbeit I. Vorgehen Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt eindeutig bei der Untersuchung der sachlichen/systematischen Trennung von formellem und materiellem Recht; die Begriffsgeschichte und das abstrakt-funktionale Verhältnis nehmen aus den oben genannten Gründen nur einen kleinen Teil der Untersuchung in Anspruch. Der Untersuchung der sachlichen Trennung der beiden Materien liegen vor allem zwei Kriterien zugrunde. Beide Kriterien ergeben sich aus der Fragestellung, die dem hier zu behandelnden Aspekt entspricht: sind in der jeweiligen Rechtsordnung formelle und materielle Normen der Sache nach (also nicht: begrifflich) geschieden? Ein wichtiges Kriterium hierfür ist die Systematik: ist die konkrete Rechtsordnung nach einem "System" aufgebaut, als dessen höchster Einteilungs-Grundsatz die Scheidung von formellem und materiellem Recht (nicht notwendig mit diesen Begriffen) steht? Oder ist zumindest teilweise eine Systematik verwirklicht, in der formelles und materielles Recht geschieden sind (was vor allem bei der Begründung eines ProzeßrechtsSystems der Fall ist)? Neben der Systematik gibt es ein - sozusagen negatives - Kriterium, das eine vollständige Trennung von formellem und materiellem Recht ausschließt: es handelt sich hierbei um das sog. aktionen-rechtliche Denken, von dem gesprochen wird, wenn die "Actio" zu einem der Zentralbegriffe der Rechtsordnung erhoben wird. Von aktionen-rechtlichem Denken kann aber nur gesprochen werden, wenn in der Actio sowohl das (in der heutigen Terminologie gesprochen) materielle Recht als auch die entsprechende Möglichkeit der Rechtsverwirklichung (also die Klagbarkeit des speziellen materiellen Rechts) zu einer ungeschiedenen und untrennbaren Rechtseinheit verbunden ist. In diesem Fall ist eine (vollständige) sachliche (oder gar begriffliche) Scheidung von formellem und materiellem Recht natürlich nicht möglich. Wie sich unten zeigen wird, ist dieses Kriterium häufig das einzige oder doch das zuverlässigste Merkmal zur Untersuchung der hier zu behandelnden Frage; es wird bis in das 19. Jahrhundert anzutreffen sein. Mit Hilfe dieser Kriterien sollen die verschiedenen Rechtsordnungen im Verlauf der Entwicklung zum heutigen, deutschen Recht auf die Trennung von formellem und materiellem Recht untersucht werden. Erkenntnisquellen dafür sind die Rechtspraxis, die Gesetzgebungs- sowie die literarischen (monographischen) Werke. Dabei ist es notwendig, innerhalb der jeweiligen Phase mehrere Beispiele der Gesetzgebungs- bzw. literarischen Werke zu untersuchen, um ein taugliches und verläßliches Bild der Entwicklung zu
32
§ 1 Einleitung
erreichen. Da es kaum Vorarbeiten für dieses Vorhaben gibt, ist es unumgänglich, bei jedem der Werke die Systematik wie auch die inhaltliche Frage des aktionen-rechtlichen Denkens eingehend zu prüfen; dabei ist jedes Werk gesondert zu behandeln, da Systematik und Bedeutung des Begriffs MactioM immer nur innerhalb des bestimmten Werkes erfaßt werden können. Der dadurch bedingte Umfang der Arbeit geht zwar zulasten von Übersichtlichkeit und Lesbarkeit, ist aufgrund der genannten Umstände aber unvermeidbar.
II. Verwendung der Begriffe formelles und materielles Recht Wie unten13 zu zeigen sein wird, spiegeln die Begriffe formelles und materielles Recht aus Sicht der meisten Autoren bereits eine spezifische Auffassung von dem Verhältnis dieser beiden Rechtsmaterien zueinander wider: nämlich die Annahme, daß das formelle dem materiellen Recht zu dienen bestimmt sei. Das bedeutet, daß bei der Verwendung dieses Begriffspaares grundsätzlich die entsprechende Zweck-Beziehung der beiden Materien anklingt 14 . Dennoch soll im Laufe der Arbeit vor allem bei der Beurteilung solcher Werke, die noch vor der begrifflichen Trennung des formellen vom materiellen Rechts entstanden sind, das Maß der systematischen Trennung von formellem und materiellem Recht als Kriterium für die (systematische) MReife M des Werkes vor dem hier interessierenden Aspekt bezeichnet und sollen diese Begriffe verwendet werden. Dies geschieht ungeachtet der - zum Teil auch heute noch bestehenden - (Definitions-) Probleme, die auch das Begriffspaar formelles und materielles Recht mit sich bringt (siehe oben A). Die durch die Verwendung der Begriffe formelles und materielles Recht bei der Untersuchung der Rechtsentwicklung entstehende Gefahr, daß nur die genannte Zweck-Verbindung zwischen formellem und materiellem Recht als zutreffend angesehen werde und die entsprechenden Werke nur unter diesem Gesichtpunkt betrachtet und bewertet werden, wird vom Verfasser gesehen. Trotzdem erscheint ein solchcs Vorgehen angemessen, da es in den ersten Phasen der Rechtsentwicklung 1 5 nur um die bloße Trennung der Normen des formellen (oder Prozeß-) vom materiellen Recht zu tun ist und da eine solche grundsätzliche Trennung unabhängig von der Frage bejaht wird, ob das der Unterscheidung von formellem und materiellem Recht zugrunde liegende
13
Siehe unten vor allem §11. Wie unten § 14 zu zeigen sein wird, ist die Verengung des Blickwinkels auf diese Zweck-Beziehung bei dem Begriff formelles Recht nicht zutreffend. 15 Siehe insbesondere unten die §§ 2 - 5. 14
D. Gang der Arbeit
33
Kriterium (die Zweck-orientierte Ausrichtung des formellen auf das materielle Recht16) wirklich zutreffend und angemessen ist 17 . Auch in der weiteren Entwicklung muß sich diese Arbeit in weiten Teilen18 darauf beschränken, eine bloße Ordnung des Stoffs seitens des Autors des jeweiligen Werkes aufzuzeigen, da Anhaltspunkte für eine weitergehende systematische oder auch nur bewußte Durchdringung des Rechtsstoffes (vor allem für eine Auseinandersetzung mit dem Unterscheidungskriterium zwischen formellem und materiellem Recht) nur selten gegeben sind. Insoweit könnte anstelle des Begriffs formelles Recht gleichbedeutend auch der Begriff Prozeßrecht verwendet werden. Ein Unterschied zwischen dem Begriff formelles Recht und dem Begriff Prozeßrecht könnte also (nur) dort relevant werden, wo in einem Werk die systematische oder begriffliche Beziehung zwischen formellem (bzw. Prozeß-) und materiellem Recht zu Tage tritt 19 . Doch auch hier soll in der Untersuchung an dem Begriff "formelles Recht" festgehalten werden: dieser Ausdruck ist ein heute üblicher Begriff zur Charakterisierung verfahrensrechtlicher Normen 20. Zum anderen hätte der Alternativbegriff den Nachteil der Beschränkung der Betrachtung lediglich auf den Prozeß, während auch andere, außerprozessuale Verfahren "formellrechtliche" Normen kennen21. Allerdings muß bei Verwendung des Begriffs "formelles Recht" der geschilderte Hintergrund beachtet werden. Dies gilt insbesondere für die Werke, in denen auch die funktionale Zu- (bzw. Unter-) Ordnung des formellen und materiellen Rechts eine Rolle spielt.
16
Siehe vor allem unten §11. Siehe unten §§13 und 14. 18 Das trifft auf verschiedene Werke unten in den §§ 7 bis 10 zu. 19 So z.B. bei Werken des Humanismus (unten § 6), wo zum Teil die Zweck-Gerichtetheit von Erscheinungen des formellen Rechts auf Erscheinungen des materiellen Rechts thematisiert wird. 20 Siehe z.B. Palandt-Bassenge, BGB § 885, Rdnr. 8, zur Bewilligung des Betroffenen einer Vormerkung: "Materiellrechtlich formfrei , formellrechtlich gilt GBO 29." 21 Siehe das Beispiel in der vorhergehenden Fußnote und unten § 12. 17
3 Kollmann
7. Abschnitt:
Das römische Recht von der Antike bis zur frühen Neuzeit § 2 Das antike römische Recht A. Die allgemeine Rcchtsentwicklung und die Rechtspraxis Im antiken römischen Recht ist die Trennung von formellem und materiellem Recht in der Rechtspraxis nur aus dem Gesichtspunkt des aktionenrechtlichen Denkens herzuleiten: denn systematische Einteilungen spielen in der Rechtwirklichkeit keine eigenständige Rolle. Im folgenden sollen die verschiedenen Entwicklungsstufen des antiken römischen Rechts zugrundegelegt werden und auf Art und Maß der sachlichen Trennung der beiden Bereiche hin untersucht werden.
/. Die römische Frühzeit Diese Phase der römischen Geschichte reicht von den ersten dunklen Anfängen Roms (spätestens ab dem 9. Jahrhundert vor Christus) bis zum Erlaß des XII-Tafclgesetzes 1. Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Frühzeit sollen an dieser Stelle dargestellt und im Hinblick auf die hier interessierende Fragestellung untersucht werden.
1. Die Anfänge der Frühzeit Die Untersuchung dieser Phase ist für das hier in Frage stehende Thema trotz fehlender unmittelbarer Zeugnisse des Rechts durchaus interessant: zum einen für die Frage, in welcher Phase erstmals von formellem oder materiel-
1
Wieacker
y
Rechtsaustrag, S. 584 f.; ders. t Rom. RG I, § 2 Π 1, S. 21 f.
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
35
lern Recht gesprochen werden kann; zum anderen, ob am Anfang der Rechtsentwicklung das Recht nur aus prozessualen Normen bestanden hat oder ob das Recht zumindest vom prozeßrechtlichen Denken - der Prozeßgerichtetheit der rechtlichen Beziehungen - beherrscht gewesen ist 2 . Auf das erste Problem kann hier nur kurz eingegangen werden. Die Frage, ab welchem Entwicklungsstand der menschlichen Gemeinschaft von Recht überhaupt gesprochen werden könne - und das heißt, bis zu welchem Punkt die Existenz von Recht verneint werden müsse -, ist immer wieder Gegenstand von Erörterungen gewesen. Jedenfalls ist die Existenz eines Staates oder staatsähnlichen Gebildes keine Voraussetzung für das Auffinden von "Recht"3 ; dieses ist vielmehr auch schon in primitiven Gesellschaften vorhanden4. Daher wurde die These Jherings, am Anfang der "Rechts"-Entwicklung habe die von keiner rechtlichen Kategorie beschränkte Selbsthilfe, also die reine rechtlose Gewalt, gestanden5, als Erscheinungsform des Sozialdarwinismus und mit den wirklichen Urzuständen nicht übereinstimmend zurückgewiesen6. Statt dessen wurde versucht, die Anfange des Rechts im einzelnen zurück zu verfolgen. Dabei zeigte sich, daß es auch in frühester präurbaner Zeit kleinste Einheiten menschlicher Gemeinschaft gegeben hat 7 , innerhalb deren oder zwischen denen Beziehungen bestanden, die als Recht zu qualifizieren sind8,
2
Dieses rein prozeßrechtliche Denken betonen u.a. HJ. Wolff, \ Materiell-rechtliches Denken, S. 408 ff., vor allem S. 411, 416 f., und Käser, Altröm. lus, S. 174 ff. ("§ 19. Die Prozeßbestimmtheit des ius"); siehe auch dens., Zivilprozeß, § 1 Π, S. 2. 3 Siehe vor allem Henkel, Rechtsphilosophie, S. 161; E.F. Sauer, Staatsphilosophie, S. 167 ff ; Wieacker, Rom. RG I, S. 253; HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 407. Davon geht auch Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 104 f., aus. 4 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 288 ff, vor allem S. 289; siehe auch HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 406 f. Vgl. auch Wesel, Frühformen des Rechts, S. 52 ff, 334 ff; Herzog, Staaten der Frühzeit, S. 285 ff 5 Jhering, Geist des römischen Rechts, S. 107 ff, vor allem S. 114; in diese Richtung geht auch noch Juncker, Altröm. Rechtsgang, S. 196 und Fußnote 1 (zurückhaltender S. 213, Fußnote 1); so auch noch Käser, Altröm. lus, S. 18 f., 191 (anders ders., Zivilprozeß, § 3 Π 3, S. 20); wohl auch HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 407,409; Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 9 f. 6 Wieacker, Archaische Rechtsordnung, S. 42 - 45; ders., Rechtsaustrag, S. 596 598; ders., Röm. RG I, § 12 m 1,2, S. 251 - 253; Broggini, SZ (Rom) 76, S. 113 - 117, 119, 121; Käser, Zivilprozeß, § 3 Π 3, S. 20; vgl. auch J.G. Wolf, Legis actio, S. 13, Fußnote 69. 7 Siehe vor allem zu den gentes: Wieacker, Röm. RG I, § 9 ΠΙ, S. 195 - 200; siehe auch Käser, Zivilprozeß, § 3 Π 1, S. 17 f. m.w.N.; dens., Privatrecht I, § 3 IV 2, S. 22; für die Hausgemeinschaft: Broggini, SZ (Rom) 76, S. 123 ff 8 Siehe vor allem Broggini, SZ (Rom) 76, S. 121 - 131; siehe auch HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 406 f.; Käser, Zivilprozeß, § 3 Π 1, S. 17 f.; Wieacker,
36
§ 2 Das antike römische Recht
auch wenn es sich dabei natürlich nicht um "staatliches" Recht gehandelt hat 9 . Ein Zustand regel- und damit rechtloser Gewalt als Mittel der Streitaustragung (auf Gebieten, die später dem gerichtlichen Verfahren unterstehen sollten) ist fiir keine Phase der Frühzeit anzunehmen10. Einfachste Formen des Rechts entstehen also schon in der frühesten Zeit des Zusammenlebens der Menschen; eine Datierung dieser Phase ist natürlich nicht möglich. Die zweite Frage nach dem Charakter der frühesten Rechtsstufe macht es erforderlich, einen kurzen Blick auf den "Rechtsaustrag" in der Frühzeit zu werfen. Wenn oben gesagt wurde, daß schon mit den ersten menschlichen Gemeinschaften "Recht" existent wurde, so darf dies natürlich nicht als umfassende rechtliche Normierung und Kontrolle verstanden werden. Es heißt vielmehr, daß die Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft und zwischen den verschiedenen Gruppierungen im Regelfall nicht einer zügellosen Gewalt unterlagen, sondern daß die Gewaltausübung an bestimmte Formen und Verfahren gebunden war 11 (mögen diese auch auf religiösen oder rituellen Vorstellungen beruhen 12). Wurden diese Formen (etwa das endoplorare nach der Tötung des Diebes13) nicht erfüllt, so handelte es sich um reine Gewalt (vis) und nicht um erlaubte Machtbetätigung (ius) u. Damit ist aber schon ein wesentlicher Aspekt angedeutet: die eigentliche "Rechts"-Verwirklichung erfolgte in der (archaischen) Frühzeit durch (gewaltsamen) Zugriff des Berech-
Archaische Rechtsordnung, S. 38 f.; dens., Röm. RG I, § 12 ΠΙ 2, S. 252 f.; vgl. auch dens., Rechtsaustrag, S. 586, 589, 600 f.; Luzzatto, SZ (Rom) 73, S. 40 - 45. 9 Den Begriff "Recht" auf - irgendwie - staatliches Recht zu beschränken, hieße zumindest für die Frühzeit - das Recht als soziale Erscheinung unberücksichtigt zu lassen, womit man aber der frühesten Zeit nicht gerecht werden kann (siehe auch Broggini, SZ 76, S. 121 f.; Wieacker, Rechtsaustrag, S. 596 f.; dens., Archaische Rechtsordnung, S. 42 f.; Wesel, Frühformen des Rechts, S. 52 ff, vor allem S. 67 f., S. 343 f.; vgl. auch H.J. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 406 f.; Thurnwald, Recht, S. 51. Noch ganz der monistischen Auffassung verhaftet: Schultze, Privatrecht und Prozeß, S. 56). 10 Broggini, SZ (Rom) 76, S. 119, 121; Wieacker, Arch. Rechtsordnung, S. 43 f. 11 Broggini SZ (Rom) 76, S. 130 - 132; Wieacker, Archaische Rechtsordnung, S. 37 - 40,42 f.; ders., Röm. RG I, § 12 ΠΙ 2, S. 253. 12 Siehe etwa H.J. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 407 f.; Broggini, SZ (Rom) 76, S. 118. 13 Dazu eingehend Wieacker, Endoplorare, vor allem S. 143 ff; siehe auch dens., Rechtsaustrag, S. 591, 597. 14 Zum Verhältnis von vis und ius: Wieacker, Rechtsaustrag, S. 596 ff; ders., Röm. RG I, § 13 m 2, S. 252; D.V. Simon, SZ (Rom) 82, S. 143 - 147; zur Etymologie von vindex = vim dicere: Broggini, SZ (Rom) 76, S. 133 ff ; Käser, Altröm. lus, S. 194 f.
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
37
tigten auf die Sache oder Person; erlaubte Rechtsausübung setzte aber einen formalisierten, ritualisierten Zugriff voraus 15. Trifft die schon angesprochene Annahme HJ. Wolffs 16 also zu, daß in dieser Phase das Recht nur in seiner prozessualen Dimension erfaßt worden sei, oder hat es gar nur aus prozessualen Normen bestanden17 ? Nun erscheint die Möglichkeit, daß prozessuale Normen ohne materiell-rechtliche bestehen könnten, auf den ersten Blick als ausgeschlossen. Doch werden wir unten sehen, daß im Formularverfahren die Rechtsordnung eine Ordnung der Klagen gewesen ist und daß diese prozessualen Institute durch ihre materiellen (nicht materiell-rechtlichen) Voraussetzungen ihren Inhalt erfahren haben18. Zuerst ist schon einmal fraglich, ob die erlaubte Selbsthilfe selbst ein Institut des Prozeßrechts (im weitesten Sinne) war. Wollte man sie als prozessualen Vollstreckungsakt19 ansehen, so würde dies in der Tat nur einen Sinn machen, wenn es ein zu vollstreckendes materielles Recht gäbe. Daß es eine materielle Normenordnung - oder auch nur irgendwelche materiell-rechtliche Normen gegeben habe, wird aber von niemandem behauptet20. Wollte man die erlaubte Selbsthilfe als materiell-rechtliche Erscheinung ansehen21, so führte sie die eigene Vollstreckung gleich in sich. Diese Probleme zeigen: die Anwendung der Kategorien prozessuales / materielles Recht auf diese Phase der Rechtsentwicklung ist überhaupt untauglich22, da fur eine solche Aufspaltung die institutionellen Voraussetzungen fehlten 23. Bei der ritualisierten Machtbe-
15
Wieacker,
Rechtsaustrag, S. 596 f.; siehe auch Juncker, Altröm. Rechtsgang, S.
200 f. 16
Siehe oben Fußnote 2 und Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 21. Für den Übergang von der Selbsthilfe zum gerichtlichen Urteils verfahren im Rahmen der mittelalterlichen Landfrieden ausdrücklich: Vogt, SZ (Germ) 68, S. 251 f. 17 In diese Richtung geht die Aussage von H.J. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 411, daß das frühe Recht sich als System von Zugriffsbefugnissen dargestellt habe; siehe auch Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 21. 18 Siehe unten HL; siehe auch Käser, Altröm. lus, S. 174 f. 19 Etwas mißverständlich insoweit Broggini, SZ (Rom) 76, S. 130, der meint, die ursprüngliche Auseinandersetzung um das Recht habe "sich im Vollstreckungsverfahren erschöpft" (richtigstellend aaO.,S. 131 f.). 20 Siehe nur HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 409, 411; D. V. Simon, SZ (Rom) 82, S. 145; Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2,3, S. 243 f.; siehe auch Käser, Altröm. lus, S. 96 if. 21 Etwa als Zugriffsbefugnis in den Rechtskreis eines anderen; dementsprechend ist die Selbsthilfe heute - als materielles Recht - im BGB geregelt (§§ 229 - 232 BGB). 22 So auch Käser, Altröm. lus, S. 176. 23 Vgl. Weiß (Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 28), der "das Auseinanderfallen des subjektiven Rechts einerseits, der Befugnis zur Rechtsverwirklichung andererseits" mit dem "Eintritt des Staates in diesen Vorgang" in Beziehung setzt, also die mögliche
38
§ 2 Das antike römische Recht
tätigung waren Form und Inhalt nicht zu scheiden; dementsprechend waren diese (erlaubten) Zugriffsakte selbst - untrennbar - Verwirklichung und Darstellung der ältesten Rechtsordnung24. Das Erlaubtsein des Zugriffs ist letztlich - in heutigen Kategorien gesprochen - Ausdruck sowohl der materiellen Berechtigung als auch deren Verwirklichung 25 ; doch sind beide Teile nicht zu trennen, wenn man nicht dieses Stadium der Rechtsentwicklung künstlich aufspalten will 2 6 . Dennoch ist nicht zu leugnen, daß für die Frage der "Befiignisse" der Prozeß im Vordergrund stand, da erstere nur ein Reflex der Möglichkeit waren, im Prozeß die Selbsthilfe-Handlung bewilligt zu bekommen27 . Daher ist Käsers Begriff der "Prozeßbestimmtheit des ius n präziser 28 als die Aussage HJ. Wolffs . Es bleibt also festzuhalten: auch in der archaischen Frühzeit hat es Recht (im weitesten Sinne) gegeben; doch dieses - im wesentlichen die Erlaubtheit des Zugriffes regelnde - Recht entzieht sich einer Einordnung in die DenkKategorien formelles und materielles Recht.
2. Die weitere Entwicklung der Frühzeit Wir hatten gesehen, daß es in den Anfängen der Frühzeit keine materielle Normenordnung gegeben hatte, sondern nur materielle Voraussetzungen der erlaubten - Selbsthilfe. Doch offenbart sich das Recht nicht nur in dem formalisierten Zugriffsakt. Wohl mit der Herausbildung des jungen Stadtstaates wurde das streitig gemachte Zugriffsrecht (auf eine Sache oder unfreie Person) von einer vorhergehenden Feststellung durch ein öffentliches Urteilsgericht
Trennung von materiellem und Prozeßrecht auf eine spätere Stufe verweist (siehe aber ebenda, S. 22, wo Weiß hinsichtlich der Kontrolle der Selbsthilfe durch ein Gericht "eine Änderung des materiellen Rechts" sieht ). Ähnlich Käser (Altröm. lus, S. 189), der einen Raum zur Herausbildung (materieller) Pflichten erst dort sieht, wo der "Verpflichtete" nicht mehr dem unmittelbaren Zugriff des Verletzten ausgesetzt ist. Siehe auch Broggini, SZ (Rom) 76, S. 131. 24 Wieacker, Röm. RG I, § 12 m 2, S. 253; ders., Archaische Rechtsordnung, S. 47; ders., Rechtsaustrag, S. 602. 25 So auch HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 411. 26 Siehe Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2,3, S. 243 f.; Käser, Altröm. lus, S. 176, 177; siehe aber auch H.J. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 410. Wieacker hat deshalb Recht, wenn er sagt, daß HJ. Wolff zu selir das prozeßrechtliche Denken im Bereich der Selbsthilfe betont habe (Röm. RG I, § 12 Π 3, S. 244, Fußnote 37). 27 Vgl. Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2, S. 243. 28 Altröm. lus, S. 174 ff.
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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abhängig gemacht (und auch der Vollstreckungs-Zugriff auf eine Person selbst setzte eine gerichtliche Kontrolle voraus) 29. Doch diese Veränderung beseitigte die - erlaubte - Selbsthilfe nicht, sondern schob den "Prozeß" nur zwischen deren Anfang und Fortgang; demgemäß war Inhalt und Gegenstand der Gerichtsentscheidung (noch) nicht die Verurteilung zu einer Leistung oder die Feststellung eines Rechtsverhältnisses (also eine auf ein materielles Recht bezogene Entscheidung), sondern einzig die Feststellung der Zulässigkeit des privaten Zugriffsaktes . Auch jetzt noch bedeutet "ius" die - durch Urteil festgestellte - Rechtmäßigkeit einer Handlung (nämlich des beabsichtigten Zugriffs) 31 . Käser vermutet in dieser "Prozeßbestimmtheit des ius", in der Ausrichtung (nur) auf das Urteil den Grund für die auch später fortwirkende Indifferenz der Römer gegenüber der Trennung von materiellem und Verfahrensrecht 32. Also ist auch in dieser Phase noch nicht von einer materiellen Normenordnung zu sprechen33. Im Unterschied zur archaischen Zeit gewinnt aber neben dem (privaten) formalisierten Zugriffsakt auch die gerichtliche Entscheidung an Bedeutung, d.h. das "Verfahren" wird verstaatlicht 34. Der Eintritt des Staates in die Rechtsverwirklichung ist - wie unten zu zeigen sein wird - ein Umstand, der zur Herausbildung materieller Normen fuhren sollte; doch ist es in der Frühzeit selbst noch nicht zu einer solchen materiellen Normenordnung gekommen.
29 Wieacker, Arch. Rechtsordnung, S. 39 f.; ders., Röm. RG I, § 12 Π 1,4, S. 241 f., 247; Käser, Altröm. lus, S. 16, 200, 201 f. Zur Entstehung der Gerichtsbarkeit aus iudex oder arbiter siehe Wieacker, SZ (Rom) 76, vor allem S. 583 ff, 590; siehe auch J.G. Wolf Legis actio, S. 27, 37. 30 HJ. Wolff ; Materiell-rechtliches Denken, S. 409 f.; D. V. Simon, SZ (Rom) 82, S. 145 f.; Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2, S. 242 f. 31 Wieacker, Rechtsaustrag, S. 600; siehe auch Kaser y Altröm. lus, S. 22 ff. (vor allem S. 24, 28 f.), S. 35 ff. (vor allem S. 37, 39). 32 Käser, Altröm. lus, S. 174 - 177 (siehe auch ebenda, S. 38 f.). 33 Siehe Käser (Altröm. lus, S. 176), der hinsichtlich der gemilderten und formalisierten Selbsthilfe noch im ΧΠ-Tafelgesetz eine Scheidung zwischen materiellem und Verfahrensrecht ablehnt (siehe auch ebenda, S. 96 ff. zum "lus als subjektives Recht"; Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2,3, S. 243 f.). Nach Käser (aaO., S. 188 f.) hat sich das materielle Recht erst im Gefolge des Streitverfahrens zur Feststellung der deliktischen Zugriffsgewalt herausgebildet. 34 Siehe auch Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2, S. 243; Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 10 f., 22. - Zur parallelen Entwicklung im griechischen Recht: Weiß, aaO., S. 12 - 18; Luzzatto, SZ (Rom) 73, S. 47 ff.
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§ 2 Das antike römische Recht
IL Das Legisaktionen-Verfahren 1. Herausbildung materieller Rechte Dieses Verfahren fallt in seinen Anfangen ebenfalls in die altrömische Zeit 35 ; doch das Legisaktionen-Verfahren dient bereits der Feststellung und Verwirklichung privater Rechte 36. Denn das Recht hat sich von der gerade besprochenen Frühzeit aus weiterentwickelt, indem aus der bloßen gerichtlichen Kontrolle der Selbsthilfe ein zunehmend verstaatlichtes Verfahren entstanden ist. Die Gerichtstätigkeit stand nicht mehr neben der Selbsthilfe des Verletzten, sondern drängte sich davor. Das heißt, daß nicht mehr die Erlaubtheit des Zugriffsaktes Gegenstand der Gerichtsentscheidung war, sondern daß das Verfahren nunmehr in der selbständigen Prüfung der Voraussetzungen bestand, die vormals die erlaubte Selbsthilfe bedingt hatten. Doch anstatt nur (materielle, nicht materiell-rechtliche) Voraussetzungen der Selbsthilfe zu sein, nahmen diese Anforderungen den Charakter von eigenständigen (materiellen) Befugnissen und damit von materiellen Rechten an. Die Selbsthilfe war jetzt nicht mehr nur gerichtlich kontrolliert, sondern das Gemeinwesen bediente sich sozusagen des Verletzten zur Durchsetzung und Vollstreckung des Rechts (in der Form des Urteils). Mit anderen Worten: der Vollstreckungs-Zugriff war kein privater Akt mehr, sondern dem "Staat" zurechenbar. Daraus ergibt sich eine Wechselbeziehung zwischen staatsähnlichen Strukturen, der Entstehung von Gerichten und der Herausbildung von materiellem Recht37 : solange Recht nur in dem formalisierten (oder später: in dem gerichtlich kontrollierten) und damit erlaubten Zugriffsakt bestand, konnte von materiellem Recht nicht gesprochen werden 38. Erst als der entstehende Staat Gerichte bereitstellte, die über das Recht (anfänglich noch im obigen Sinne) zu urteilen hatten und auch die Vollstreckung - zwar qua Zugriff des Verletzten, aber ebenfalls unter gerichtlicher Kontrolle stehend39 - in eigene "Hände" nahm, waren die institutionellen Voraussetzungen für eine
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Käser, Zivilprozeß, § 1 Π 1, S. 3, § 4 I, S. 24. Käser, Zivilprozeß, § 4 I, S. 24; siehe aber für eine Frühform (die legis actio sacramento in rem): J.G. Wolf,\ Legis actio, S. 27 f., 30 ff. 37 Siehe vor allem Weiß, Vergl. Zivilprozeß Wissenschaft, S. 27 f. (nicht auf die römische Entwicklung beschränkt); Käser, Altröm. lus, S. 189; vgl. auch Luzzatto, SZ (Rom) 73, S. 51; H.J. Woljf, Materiell-rechtliches Denken, S. 408; Juncker, Altröm. Rechtsgang, S. 196; Wieacker, Röm. RG I, § 12 ΠΙ 3, S. 253 f. 38 Siehe vor allem Käser, Altröm. lus, S. 176. 39 Siehe schon oben und etwa Wieacker, Arch. Rechtsordnung, S. 39 f.; dens., Rechtsaustrag, S. 593. 36
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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Trennung von materiellem und Prozeßrecht gegeben. Das hat mehrere Aspekte: a) Die Übernahme der "Vollstreckung" durch den Staat40 bewirkte, daß nicht mehr das Zugriffsrecht des Verletzten im Mittelpunkt des gerichtlichen Verfahrens stand, sondern dessen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen41 . Und die erstarkende - kontrollierende - staatliche Gewalt bewirkte, daß es nicht mehr (bloß) Macht-Befugnis des Verletzten einzuschränken galt, sondern daß der Verletzte nunmehr das Gericht bewegen mußte, ihm das Recht zuzusprechen42. b) Erst die Beseitigung der - rechtlichen - Möglichkeit des Verletzten, auf den Haftenden unmittelbaren Zugriff zu nehmen, läßt überhaupt Raum für die Entstehung von - materiellen - Pflichten (und dann auch Rechten)43 ; erst durch das Einschalten des kontrollierenden Staates besteht ein Bedürfnis, ein von den rein prozessualen Voraussetzungen getrenntes "System" von Rechten und Pflichten, also von materiell-rechtlichen Regelungen, zu entwickeln44. Beim Übergang vom Haften zum Schulden spielte aber auch die Lösung der Haftungs-Verstrickung der Person durch eine Bußzahlung45 eine bedeutende Rolle: anfänglich Sühneersatz; dann Zwang, die - staatlich geregelte - Buße anzunehmen; schließlich richtete sich das Interesse der Beteiligten immer
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Zu diesem Aspekt im Rahmen der Entwicklung einer allgemein verbindlichen Rechtsordnung siehe Wieacker, Arch. Rechtsordnung, S. 45; vgl. auch Luzzatto, SZ (Rom) 73, S. 50; Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 27 f. 41 Siehe auch Luzzatto, SZ (Rom) 73, S. 50 f., 62; Juncker, Altröm. Rechtsgang, S. 232. 42 So auch Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 27 (an Stelle des Rechts zum Zwang das Recht auf den Zwang, wozu der Verletzte eine staatliche Entscheidung herbeiführen müsse); siehe auch die Bezeichnung "addictio" für die Freigabe des Zugriffs auf die Person (siehe Wieacker, Arch. Rechtsordnung, S. 40; dens., Röm. RG I, § 12 ΠΙ 4, S. 255, § 1315, S. 111). 43 Siehe Käser, Altröm. lus, S. 189; vgl. auch Juncker, Altröm. Rechtsgang, S. 212 f. 44 Siehe auch Käser, Altröm. lus, S. 189, der die Ursache genauer im Streitverfahren zur Feststellung der deliktischen Zugriffsgewalt sieht (dazu näher ebenda, S. 199 203); vgl. auch Weiß, Vergl. Zivilprozeßwissenschaft, S. 28. 45 Zum Folgenden: Käser, Privatrecht I, § 7 I 2, S. 37 f., § 39 I 2, Π, S. 146 - 148; Wieacker, Röm. RG I, § 12 m 5, S. 255 - 258; § 13 I 5, S. 277; Juncker, Altröm. Rechtsgang, S. 216 f., 223; siehe auch Liefer, Schuld und Haftung, S. 362 f. - Zu einem weiteren Umstand, der das Entstehen von Obligationen begünstigte: Wieacker, aaO., § 12 ΠΙ 5, S. 259 f.
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§ 2 Das antike römische Recht
mehr auf die wirtschaftliche Seite, so daß später der Urteilsausspruch statt des Haftens das Leisten-Sollen enthielt46. c) Da das Gericht bei allen nicht-offenkundigen (bestrittenen) Taten eingeschaltet werden mußte und es in diesen Fällen zu einem "Erkenntnisverfahren" kam 47 , bestand ein Bedürfnis, die entscheidenden Kriterien als Tatbestands-Merkmale festzuhalten; war bisher von Fall zu Fall über die Erlaubtheit des Zugriffs entschieden worden, so war es jetzt - allein schon aus Gründen der Praktikabilität - erforderlich, sachliche Voraussetzungen für die Gerichtsentscheidung zu fixieren (und damit die Entscheidung vorhersehbar und nachvollziehbar zu machen). Für die Herausbildung der sachlichen Merkmale als Voraussetzungen der gerichtlichen Entscheidung griff man selbstverständlich auf die Erfahrungssätze über erlaubte oder verbotene prozessuale Zugriffe zurück 48. Dadurch entstand eine Normenordnung, die in erster Linie die sachlichen Voraussetzungen eines positiven Urteilsspruchs enthielt. Alle genannten Aspekte zusammen bewirkten die Entstehung einer materiellen Normenordnung (neben einer prozessualen): die Möglichkeit der Entstehung echter Rechte und Pflichten, das Eintreten des Staates in den Prozeß der Rechtsverwirklichung mit der Folge, daß nicht der Zugriff, sondern das Recht in den Vordergrund der gerichtlichen Entscheidung und überhaupt der Rechtsverwirklichung trat, und schließlich die Herausbildung einer rationaleren Entscheidungs-Grundlage mit ihren sachlich-rechtlichen Kriterien mußten dazu führen, daß das "Recht" (auch) sachlich-rechtlich und nicht allein auf den Prozeß bezogen gefaßt und formuliert wurde. Aus dem allein auf den Prozeß bezogenen, als Entscheidungs-Regel formulierten lus (siehe oben) wurden allmählich materielle (und ohne unmittelbaren Bezug zum Prozeß formulierte 49) Rechtssätze herausgetrennt. Das bisher nur prozeßbestimmte lus wurde so in zwei Rechtsbereiche aufgetrennt: in eine materiell-rechtliche und in eine prozessuale Normen- (vor allem Gebots-) Ordnung. Dieses Ergebnis steht aber erst ganz am Ende einer langen Entwick-
46
Siehe auch Wieacker, Röm. RG I, § 12 ΠΙ 5, S. 257. Siehe nur Käser, Altröm. lus, S. 199 f.; Wieacker, Rechtsaustrag, S. 593; dens., Röm. RG I, § 12 ΠΙ5, S. 255. 48 Siehe H.J. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 409, und die vorhergehende Fußnote sowie Wieacker, Arch. Rechtsordnung, S. 51 f.; Käser, Altröm. lus, S. 38 f., 40. 49 Dem steht nicht entgegen, daß auch noch auf der Stufe des ΧΠ-Tafelgesetzes immer noch in erster Linie an das Urteil gedacht wurde (Käser, Altröm. lus, S. 39, 101 ff, 176 f.); das hinderte nicht die Zusammenfassung der materiellen Voraussetzungen eines positiven Urteils in Rechtssätzen. 47
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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lung, welches jedenfalls zur Zeit des XII-Tafelgesetzes weitgehend erreicht war 50 . Auch wenn der Mensch der altrömischen Phase immer noch vorwiegend die Frage nach dem Prozeß(-erfolg) stellte51, so war es ihm doch gelungen, vermittels der institutionellen Grundlagen und durch eine gewisse Abstrahierung des Fallrechts eine Ordnung der sachlichen Voraussetzungen eines positiven Urteils, also letztlich eine materielle Teil-Ordnung, aufzustellen. Zu einer bewußten (sachlichen) Trennung von materiellem und Prozeßrecht ist es aber auch nach dem XII-Tafelgesetz nicht gekommen52. Dennoch kann man auf dieser Stufe auch von echten Rechten und Pflichten sprechen, die es zu verwirklichen galt. Das XII-Tafelgesetz bildet insofern einen wesentlichen Fixpunkt auf dem Weg zu einer echten Normenordnung. Die bisher in Gewohnheit stehenden MRechtssätzeM (deren letzter Ursprung - weit vor der Übung als Entscheidungs-Regel - nicht geklärt ist 53 ) werden in der Mitte des 5. Jahrhunderts durch eine allgemeine gesetzliche Gebots-Ordnung ersetzt bzw. auf eine neue Grundlage gestellt54.
50
Vgl. Wieacker, Rechtsaustrag, S. 606; dens., Röm. RG I, § 13 I 5, S. 277; siehe aber Käser (Altröm. lus, S. 176), der meint, es habe kein Bedürfnis bestanden, innerhalb der Normen sachliches und Verfahrensrecht als wesensmäßig verschieden aufzuteilen; doch dies spricht gerade nicht gegen das Vorhandensein der verschiedenen Materien. 51 Siehe oben und Käser, Altröm. lus, S. 39,102. 52 Siehe Käser, Altröm. lus, S. 176. Demgegenüber meint//. Kaufmann (JZ 1964, S. 483 l.Sp.; ähnlich Seidl, Röm. Zivilprozeßrecht, Rdnr. 116, der die angeblich bewußte Trennung von Prozeß- und materiellem Recht - ohne nähere Begründung - auf rhetorischen Einfluß zurückführt), daß "die Römer sich des Unterschiedes zwischen materiellem und Prozeßrecht stets bewußt gewesen sind"; zur Begründung verweist er darauf, daß schon die ΧΠ-Tafeln "materiell-rechtlich gedachte Bestandteile" aufgewiesen hätten. Letzteres ist - wie gesehen - gewiß richtig; doch hat das mit einer bewußten Unterscheidung von formellem und materiellem Recht nichts zu tun. Es gibt in der Tat keine Hinweise darauf, daß die Römer eine solche bewußte Differenzierung - zumindest in vorklassischer Zeit - vorgenommen hätten (siehe auch Käser, Zivilprozeß, § 1 V, S. 9 f.). Im XII-Tafelgesetz zeigt sich dementsprechend ein unbefangenes Nebenund Durcheinander von materiell-rechtlichen und prozessualen Normen (siehe unten B. I. und Käser, aaO., S. 101 ff., 176; Kunkel/Selb, Röm. Recht, § 4 Π, S. 5 f.). 53 Siehe nur Wieacker, Rechtsaustrag, S. 602 ff.; dens., Arch. Rechtsordnung, S. 48 fT. 54 Wieacker, Rechtsaustrag, S. 606; ders., Röm. RG I, § 13 m 2,3, S. 283 f.
44
§2 Das antike römische Recht
2. Der Verfahrensgang An dieser Stelle soll auch noch das Verfahren des Legisaktionen dargestellt werden, soweit es für den hier zum ersten Male verwandten, später so schillernden Begriff der actio wichtig ist. Das Legisaktionen-Verfahren stellt bereits ein "echtes" (wenn auch unvollkommenes) Gerichtsverfahren dar. Die Frage vor Gericht ist also nicht mehr, ob die Eigenmacht zulässig ist, sondern ob der Antragsteller ein Recht gegen den Gegner hat, das er im Wege des Zugriffs realisieren möchte. Jedoch ist dieses "Recht" nicht in jedem Fall als subjektives Recht im heutigen Sinne zu verstehen55 ; noch bis in die Zeit des XII-Tafelgesetzes war dieses "Recht" zum Teil mehr ein (materielles) Zugriffsrecht auf den Gegner als ein (Forderungs-) Recht, dem ein Sollen des Gegners entspricht (d.h. etwa im Rahmen eines Delikts: Haften statt Schulden56 ). Im "Normal"-Fall konnte aber schon von einem zivilrechtlichen Schulden 57 gesprochen werden. Das Verfahren wurde durch die sog. legis actiones eingesetzt; dazu war die Vollziehung altertümlicher Formalakte erforderlich (technische Bezeichnung dafür ist actio von agere), die im feierlichen Sprechen genau bestimmter Wortformeln durch die Parteien bestanden. (Die Bezeichnung leges wird von der gesetzlichen Grundlage hergeleitet, eben dem XII-Tafelgesetz oder späteren Volksgesetzen.) Durch diese Spruchformeln tragen die Parteien vor dem Gerichtsherrn ihre Behauptungen und ihr Begehren vor 58 . Zur Erfassung der genauen Bedeutung des Wortes actio im Rahmen des Legisaktionen-Verfahrens müssen wir dessen Ablauf genauer kennen. Auch diesem Verfahren ist die Verfahrens-Zweiteilung eigentümlich, wie sie durch die klassische Zeit hindurch den römischen Zivilprozeß prägen sollte59. Im ersten Teil (dem Verfahren in iure) wurde die Vor-Frage entschieden, ob für den Rechtstreit ein eigenes Urteilsgericht eingesetzt werden solle (und gegebenenfalls: wer die Richter sein sollen und worüber im einzelnen zu entscheiden sein würde). Dieser Teil fand vor dem Gerichtsherrn statt (ab 367 v. Chr. war dies der Prätor, vorher wohl 2 Konsuln 60 ) 61 . In dem zweiten Verfahrens-
55
Vgl. Käser, Altröm. lus, S. 96 f. Wieacker, Röm. RG I, § 12 Π 2, S. 242 f.; vgl. auch Käser, Altröm. lus, S. 97, 179, 188 f.; Watson , Substantive Law, S. 388. 57 Wieacker, Röm. RG I, § 12 m 5, S. 256; siehe auch Käser, Altröm. lus, S. 188 ff. 58 Käser, Zivilprozeß, § 4 I, S. 24 f.; ders., Lehrbuch, S. 352; Wieacker, Röm. RG I, § 22 Π, S. 435 ff. 59 J.G. Wolf, Litis contestatio, S. 4. 60 Käser, Zivilprozeß, § 5 I, S. 26. 56
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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teil vor den Urteilsrichtern wurden - entsprechend dem festgelegten Streitprogramm - grundsätzlich nur noch Beweise entgegengenommen und dann das Urteil gefällt 62. In diesem Zusammenhang interessiert vor allem das Verfahren in iure: war der Gegner durch den Kläger vor das Gericht geladen worden63 und auch erschienen, dann trug der Kläger vor dem Prätor vor, was er von dem Beklagten begehrte, und beantragte beim Prätor die Einsetzung eines Streitverfahrens 64. Auf diesen (formlosen) Vortrag hin prüfte der Prätor, ob die Voraussetzungen für die Einsetzung eines Streitverfahrens erfüllt waren. Unter diesen Erfordernissen ist eines hier von besonderem Interesse: da die actio bei den Legisaktionen zu ihrer Wirksamkeit der Gewährung durch den Prätor bedurfte 65, war zu fragen, ob für das Begehren des Klägers eine actio offenstand, mit anderen Worten, ob für den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch ein prozessualer Rechtsschutz gesetzlich anerkannt war 66 . Dabei kam es grundsätzlich nur auf die klägerische Behauptung an, nicht auf den wahren Sachverhalt67. Das ist auch der Grund, warum die Actio im Verfahren in iure als (bloße) Rechtsbchauptung verstanden werden kann 68 . Verneinte der Prätor die actio, war das Verfahren in iure beendet, zum eigentlichen Streitverfahren kam es dann gar nicht mehr 69. Im Verfahren der Legisaktionen stand einem Kläger genau dann eine actio offen, wenn diese "Klage" im Gesetz anerkannt war . Später konnte von diesem Erfordernis abgesehen werden, wenn sich die Klage auf die ftdes stützen konnte, die neben dem Gesetz eine ähnliche Bindungsgrundlage darstellte71 . Eine solche Durchbrechung der Grenzen des Rechtsschutzes durch den Prätor hat aber erst eingesetzt, als sich die Gesetze als teilweise überlebt
61
Käser, Zivilprozeß, § 6 I, S. 31. Käser, Zivilprozeß, § 6 Π, S. 34. 63 Käser, Zivilprozeß, § 10 I, S. 47. 64 Käser, Zivilprozeß, § 11 I, S. 52. 65 Käser, Privatrecht I, § 55 I 1, S. 223 f.; dens., Zivilprozeß, § 11 m, S. 57. 66 Käser, Zivilprozeß, § 11 I, S. 52; ders, Röm. RG, S. 141. 67 Vgl. Käser, Zivilprozeß, § 11 I, S. 52 f. 68 Siehe R. Schmidt (Klagänderung, S. 6, Fußnote 1 ), der sich allerdings nur auf das Formularverfahren bezieht. 69 Käser, Zivilprozeß, § 11 I, S. 53. 70 Käser, Altröm. lus, S. 91; ders., Zivilprozeß, § 11 I, S. 53. 71 Dies gilt für den Prozeß unter römischen Bürgern; im Fremdenprozeß herrschte nur diey/i/ej-Bindung {Käser, Altröm. lus, S. 91 f.). 62
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§ 2 Das antike römische Recht
erwiesen hatten, was frühestens ab der Mitte der Republik der Fall war 72 . Dabei handelte es sich jedoch schon um eine wesentliche Entwicklung in Richtung Formularverfahren 73, das unten zu behandeln sein wird. Für die Haupt-Phase der Legisaktionen bleibt also festzuhalten: wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben waren, gewährte der Prätor genau in den Fällen eine actio, die in den Gesetzen aufgeführt waren; er hatte keinen eigenen Ermessensspielraum. So ist nach dem XII-Tafelgesetz eine Klage mit Legisaktionen gegeben, wenn ein Gesetz (oder das XII-Tafelgesetz selber) anordnet, daß derart geklagt werden solle74.
3. Die Bedeutung der Actio Aus diesem Zusammenhang ergibt sich nun die Bedeutung der actio im Legisaktionenverfahren: sie ist jetzt nicht mehr nur gleichbedeutend mit Klage im Sinne von Klaghandlung, sondern mit der Klagbarkeit eines Rechtes: ein Weg zur Durchsetzung des Rechts, ein Rechtsschutzmittel75. Mit anderen Worten: wer für sein Begehren eine actio hat, kann das behauptete Recht im "ordentlichen" Verfahren einklagen (ob er dies mit Aussicht auf Erfolg kann, ist eine Frage der Begründetheit und im Verfahren in iure grundsätzlich noch nicht zu klären 76). Diese Anschauung als Klagbarkeit gilt ungeachtet der Tatsache, daß der römischen Anschauung ein Anspruch des Einzelnen gegen den Staat auf Gewährung von Rechtsschutz fremd war 77 .
72
Käser, Zivilprozeß, § 11 I, S. 53. Siehe Käser, Röm. RG, S. 140. 74 Tafel Π, l.b. Die actio wird jeweils im Zusammenhang des materiell-rechtlichen Teiles angeordnet (etwa Tafel V.10. hinsichtlich der Miterben-auseinandersetzung); diese Anordnung kann in Form des Wortes actio, aber auch in einer Form von agere geschehen. Doch sind solche Anordnungen nicht für alle Fälle überliefert, in denen materiell-rechtlich ein "Recht" besteht; daher könnte es sein, daß nicht jedes Recht auch im Wege der Legisaktionen einklagbar gewesen ist. Dieser Eindruck kann aber auch auf der nur bruchstückhaften Überlieferung des XII-Tafelgesetzes beruhen (siehe Düll, 12-Tafelgesetze, S. 10 f.; Wieacker, Röm. RG I, § 14 Π 1, S. 289), ist aber letztlich nicht zu klären. 75 Siehe Käser, Privatrecht I, § 55 12, S. 233 f. 76 Käser, Zivilprozeß, § 111, S. 52 f. 77 Schulz, Prinzipien, S. 121 f.; Käser, Zivilprozeß, § 32 I, S. 171. 73
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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Diese Bedeutung der actio kann auch als Actio im formellen oder prozessualen Sinne bezeichnet werden (da nur von formell-rechtlicher Bedeutung)78. Für die sachliche Trennung von formellem und materiellem Recht war nun der Weg geebnet, da es keine Begriffe oder Institute gab, die beide Bereiche umfaßten und damit einer solchen Differenzierung im Weg stehen würden.
III. Das Formular-Verfahren Eine wesentliche Veränderung gegenüber dem - ursprünglichen - Legisaktionenverfahren stellt die schon oben angedeutete Freiheit des Prätors bei der Prüfung des actfo-Erfordernisses dar. Gerade dieser Ermessensspielraum war es, der die Entstehung des sog. aktionenrechtlichen Denkens letztlich erst ermöglichte oder doch stark begünstigte, ein Denken, das zeitweise das römische Recht, aber auch die mittelalterliche Auseinandersetzung mit dem römischen Recht sowie die entsprechende Diskussion im 19. Jahrhundert beherrschte und damit einer frühen, bewußten Trennung von formellem und materiellem Recht den Weg versperrte. Daneben gab es aber auch noch andere, ganz wesentliche Faktoren, die diese Entwicklung begünstigten. Wie es im einzelnen dazu kam, soll im folgenden aufgezeigt werden.
1. Entstehung prätorischen Rechts Als sich die Gesetze, auf die sich die legis actiones gestützt hatten, aufgrund des Wandels der Verhältnisse zunehmend als überlebt erwiesen und auch deren sachgerechte Auslegung nicht mehr genügen konnte79, haben die Prätoren von Fall zu Fall - unter Beratung von Juristen - ihre Befugnis, eine actio zu gewähren oder zu denegieren, auch ohne strenge Befolgung der Gesetze genutzt, um so der Billigkeit zum Erfolg zu verhelfen. Dazu wurden nicht nur die - schon im späteren Legisaktionen-Verfahren bekannten - Klagen ex bonafide zugelassen, die für den Römer den Klagen ex lege noch sehr verwandt waren; Geltungsgrundlage war hier aber bereits die Jurisdiktionsge-
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Die Terminologie ist uneinheitlich: siehe Käser (Zivilprozeß, § 32 Π 2, S. 172), der mit Actio im prozeßrechtlichen Sinne die Klage = Klaghandlung meint (siehe auch dens., Privatrecht I, § 55 I 1, S. 223 f.). Eine ähnlich schillernde Bedeutung hat der entsprechende Begriff "Klagerecht" im 19. Jahrhundert (siehe unten §§ 9 f.). 79 Käser, Privatrecht I, § 5111, S. 205.
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§ 2 Das antike römische Recht
wait des Prätors 80. Zusätzlich wurde nach und nach zugelassen, daß der Gerichtsmagistrat (vor allem also der Prätor) eine actio ohne gesetzliche Grundlage gewährte wie umgekehrt eine gesetzlich anerkannte actio denegierte, wenn er nur dies für sachgerecht (der aequitas entsprechend) hielt 81 . Man hat es also letztlich zugelassen (und zur Wandlung einer bäuerlichen Gesellschaft in eine Verkehrsgesellschaft war eine Anpassung der Gesetze erforderlich 82 ), daß der Prätor das Recht fortbildete 83 und dabei das "gesetzliche" Recht ergänzte, modifizierte und sogar durch Exceptionen entkräftete; förmlich außer Kraft setzen konnte der Prätor die Gesetze allerdings nicht 84 . Diese Entwicklung führte dazu, daß sich künftig zwei selbständige Rechtsschichten gegenüber- bzw. nebeneinander standen: nämlich das sog. ius civile , das alles gesetzliche Recht (d.h. das traditionelle, vor allem das gesetzte Recht) umfaßte, und das ius honorarium , das alles Recht erfaßte, das aufgrund der Jurisdiktionsgewalt der Gerichtsmagistrate (insbesondere des Prätors: dann ius praetorium) entstanden war 85 . Jedoch stellten beide Rechtsschichten nicht jeweils abgeschlossene Rechtsordnungen dar; so sollte ja das Honorarrecht das civile Recht modifizieren und ergänzen 86. Auch hatte das Honorarrecht grundsätzlich keine geringere Geltungskraft als das ius civile : auch wenn der Prätor dieses nicht förmlich außer Kraft setzen konnte, so konnte er es aber doch sachlich verändern 87. Beide Rechtsschichten waren vielmehr auf eine eigentümliche Weise verzahnt, die den Römern offensichtlich keine Schwierigkeiten bereitete 88.
80
Sohm, Institutionen, S. 73; Käser, Altröm. lus, S. 91 f.; ders., Zivilprozeß,
§22 II 1,S. 109 f. 81 Bekker, Aktionen Π, S. 5 f., 7 f., 13, 17; Käser, Zivilprozeß, § 11 I, S. 53, § 32 DI 2, IV 1,3, S. 176 f.; ders., Privatrecht I, § 51 I 2,3, S. 206 f.; Windscheid, Die Actio, S. 4. 82 Wieacker, Röm. RG I, § 26 m 1, S. 474; Kunkel/Selb, Röm. Recht, § 6, S. 11. 83 Käser, Zivilprozeß, § 32 IV 3, S. 177; ders., Privatrecht I, § 51 I 1, S. 205; Wieacker, Röm. RG I, § 22 11, S. 430. 84 Kunkel/Selb, Röm. Recht, § 8 I, S. 14; Käser, Privatrecht I, § 5114, S. 207. 85 Käser, Lehbuch, S. 18. 86 Wieacker, Röm. RG I, § 26 Π 1,2, S. 471 if. 87 Käser, Privatrecht I, § 51 14, S. 207. 88 Kunkel/Selb, Röm. Recht, § 8 I, S. 14; Käser, Lehrbuch, S. 18. Zu einer entsprechenden begrifflichen Gliederung des ius ist es erst sehr spät gekommen: Käser, Altröm. lus, S. 93.
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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2. Klagformeln und prätorisches Edikt Die im Laufe der Zeit sich verfestigende Praxis der Prätoren führte nun dazu, daß für bestimmte, im ius civile nicht anerkannte Fälle dennoch regelmäßig Rechtsschutz gewährt wurde, wie umgekehrt nach ius civile anerkannte actiones für unbillig gehalten wurden und deshalb ihre Anwendung beständig versagt wurde 89. Im Formularverfahren waren die Spruchformeln des Legisaktionen-Verfahrens durch Prozeßformeln ersetzt worden90 ; deshalb mußte es jetzt für alle anerkannten privatrechtlichen Begehren typisierte Klagformeln (formulae ) geben, die jeweils auf ein als klagbar anerkanntes Recht zugeschnitten waren (und die später der jeweiligen honorarrechtlichen actio den Namen gaben)91. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Inhalt der Klagformeln: da sie auch materielle Elemente umfaßten und der Prätor mit der "Erfindung" neuer Actionen (und der Versagung des Rechtsschutzes bei eigentlich anerkannten Actionen) auch neue Formeln konzipieren mußte (und andere nicht mehr zum Zuge kamen), wirkte er so auch auf die materielle Rechtsordnung ein 92 . Die Klagformeln 93 bestanden regelmäßig (neben den einzusetzenden Namen der Urteilsrichter) - Aus der intentio: diese beinhaltete die (in den ediktalen Musterformeln 94 als Blankette formulierten) Verurteilungs-Voraussetzungen nach Art des gesetzlichen Tatbestandes einer (materiellen) Rechtsnorm . Mit Ausfüllung des Blankettes im Einzelfall war dann auch der konkret begehrte Klaggegenstand erkennbar. War ausnahmsweise ein incertum eingeklagt, so wurde eine demonstratio vorangestellt, die den Sachverhalt näher schilderte;
89
Siehe nur Söhnt, Institutionen, S. 74. Käser, Zivilprozeß, § 22 I, S. 107. Käser, Zivilprozeß, § 32 Π 2, S. 173. 92 Siehe Käser, Zivilprozeß, § 32 Π 2, S. 173. Sohm, Institutionen, S. 79: das Edikt als Sammlung von Klagformeln war " eine Art Gesetzbuch des Privatrechts in der Gestalt von Bestimmungen über die Gewährung von Klagen ". Dazu Näheres: unten 5. 93 Zum ganzen: Käser, Zivilprozeß, § 22 I, S. 108; § 44 I, S. 235 f.; § 45, S. 238 ff.; ders., Lehrbuch, S. 370 ff., mit Beispielen. 90
91
94
Tx
Dazu weiter unten. So ausdrücklich: Käser, Privatrecht I, § 114 I 1, S. 483; ähnlich: H.J. Wolff, teriell-rechtliches Denken, S. 419. 95
4 Kollmann
Ma-
§ 2 Das antike römische Recht
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- Aus der condemnatio: sie gab dem Richter auf, je nach Ergebnis des Streitverfahrens zu verurteilen oder freizusprechen; - Erforderlichenfalls aus der exceptio oder praescriptio 96. Hatte die betreffende Actio eine civile Grundlage, so wurde die entsprechende Klagformel nach dieser (und wohl auch in Anlehnung an die Legisaktionen) gebildet97. War die begehrte Actio nicht auf das ius civile zurückzufuhren, so konnte der Kläger - wie oben gesehen - den Prätor bewegen, aus Billigkeit ihm dennoch Rechtsschutz zu gewähren, also eine Actio zu geben; deren Formel wurde dann von Juristen als Berater des Prätors entworfen. Dazu lehnte man sich, soweit möglich, an schon gegebene (Muster-)Formeln an, etwa in Form einer Fiktion (sog. actio utilis)\ war dies nicht möglich, so wurde auch eine Formel, die genau und nur auf diesen Sachverhalt zugeschnitten war (also insoweit kein Blankett darstellte), konzipiert (actio in factum ) 9S. Mit der oben erwähnten Verfestigung des Bestandes an anerkannten (civilen oder honorarrechtlichen) Actionen hat sich also auch ein fester Bestand an entsprechenden Klagformeln herausgebildet. Diese nahm der Prätor nun in Form von (Blankett-/) Muster-Formeln in sein Edikt 99 auf, wodurch er in den abstrakt genannten Fällen Rechtsschutz verhieß. Zu Beginn eines jeden Amtsjahres überprüfte er den Bestand darauf, ob bisher anerkannte Formeln (= Actionen) sich nicht bewährt hätten oder umgekehrt neue Formeln in das Edikt aufzunehmen seien100. Dabei war er weder an vorhergehende Edikte gebunden noch anfangs gehindert, im Laufe des Amtsjahres eine actio trotz Aufnahme der entsprechenden Musterformel in das Edikt zu denegieren oder umgekehrt trotz fehlender Formel Rechtsschutz zu geben; erst ab dem Jahr 67 v. Chr. trat eine Bindung des Prätors an sein eigenes Jahres-Edikt ein 1 0 1 . Dennoch ist auch dieser Zeit ein Anspruch des Einzelnen gegen den Staat auf Rechtsschutz fremd 102 .
96 97 98
Dazu unten 4. Wieacker, Röm. RG I, § 24 Π 1, S. 453; Käser, Zivilprozeß, § 32 ΙΠ 1, S. 175 f. Käser, Zivilprozeß, § 32 m 2, S. 176; Wieacker, Röm. RG I, § 24 m 1, 2, S.
454 f. 99 Eine vom Prätor öffentlich bekanntgemachte Verfügung; siehe Sohm, Institutionen, S. 73. 100 Siehe Wenger, Quellen, S. 410. 101 Wieacker, Röm. RG I, § 25 11,2, S. 462 f. 102 Käser, Zivilprozeß, § 32 I, S. 171; siehe auch Wieacker, Röm. RG I, § 24 ΙΠ 1, S. 455.
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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3. Entstehung und Ablauf des Formular-Verfahrens Die Herkunft dieses Verfahrens ist umstritten. Es dürfte in seinem Ursprung aber wohl eine Schöpfung des Jurisdiktionsgewalt des Prätors sein. Dort, wo das Legisaktionen-Verfahren verschlossen war, wurde nach und nach ein anderes -flexibleres - Verfahren eingerichtet 103. Das galt für Klagen unter Nichtbürgern generell wie für Klagen unter römischen Bürgern, für die keine gesetzliche Grundlage bestand104. Aufgrund dieser Umstände konnte sich das neue Verfahren von vornherein freier und ohne den Formalismus des Legisaktionen»Verfahrens entwickeln105. Auch hier soll der Verfahrensablauf, nur soweit erheblich, dargestellt werden. Auch im Formular-Prozeß ist das Verfahren zweigeteilt; wie bei den Legisaktionen entscheidet der Gerichtsmagistrat über die Einsetzung des Streitverfahrens, das Urteilsgericht ist auch hier grundsätzlich auf BeweisEntgegennahme und Urteilsfällung beschränkt 106. Zwar ist - wie angedeutet das Formular-Verfahren in vieler Hinsicht weniger förmlich als das der Legisaktionen; es ist aber von vornherein deutlich auf die Findung der richtigen actio ausgerichtet, von der letztlich das Schicksal des ganzen Prozesses (und damit der Erfolg des Begehrens) abhängt107 : so hatte der Kläger bereits bei der Ladung dem Gegner die angestrebte (also seinem Begehren entsprechende) Actio - allerdings noch unverbindlich - zu nennen (erste editio actionis) 108. Standen die Parteien vor dem Prätor, so trug der Kläger sein Begehren (an den Gegner) vor und nannte letzterem dabei erneut die erstrebte Actio, und zwar verbindlich. Diese zweite editio actionis ist nämlich von wesentlicher Bedeutung: denn der Kläger muß zugleich die Erteilung eben dieser Actio beim Prätor beantragen. Und wird ihm die beantragte actio auch wirklich erteilt, so ist damit eine ganz gravierende Konsequenz verbunden: nach der Actionen-Gewährung durch den Prätor müssen sich nämlich die Parteien dem Streitgericht und -programm in der sog. Streitbefestigung (litis contestatio) unterwerfen 109. Ab diesem Augenblick steht dem Kläger aber nur noch die
103
Siehe Käser, Röm. RG, S. 140.
104
Käser, Zivilprozeß, § 1 Π 2, S. 3 f.; § 22 Π 1, S. 109 ff. Letzteres war auch bei den Klagen ex bonafide der Fall. 105
Käser, Zivilprozeß, § 1 Π 2, S. 4. Käser, Zivilprozeß, § 24 I, S. 124; siehe auch J.G. Wolf, Litis contestatio, S. 4 f.; zur beginnenden eigenen Sachprüfung des Prätors: Käser, aaO., § 25 Π 1, S. 136 f. 107 H. Kaufmann, JZ 1964, S. 484; vgl. auch Käser, Zivilprozeß, § 32 Π 2, S. 172. 108 Käser, Zivilprozeß, § 30 I, S. 162; ähnlich v.Keller/ Wach, Röm. Civilprocess, S. 219. 109 Dazu J.G. Wolf Litis contestatio, S. 7 ff., vor allem S. 9 f., 35 ff. 106
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§ 2 Das antike römische Recht
beantragte und gewährte Actio zur Durchsetzung seines Begehrens zur Verfügung; andere, aufgrund desselben Sachverhaltes an sich gegebene Actionen werden mit der Litiskontestation "konsumiert", wenn sie de eadem re handeln (sog. Konsumtionswirkung des Litiskontestation). Diese Wirkung beurteilt sich danach, ob bei den verschiedenen Actionen Klagegrund und -ziel identisch sind 110 , was in solchen Fällen regelmäßig der Fall ist. Folglich hängt die Durchsetzung des materiellen Begehrens ausschließlich vom sachlichen Erfolg dieser Klage und damit vom Erfolg der ausgewählten Actio ab 111 ; eine erneute Klage aufgrund desselben Sachverhaltes kann es nicht geben. Das erklärt, warum editio und postulatio actionis schon auf eine bestimmte Actio gerichtet sein müssen112, und warum die Parteien soviel Sorgfalt auf die Wahl der richtigen Actio verwendeten. Steht aber nicht von vornherein fest, welche actio in Betracht kommt, dann findet eine vorbereitende Verhandlung statt, in der aufgrund des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts die passende Actio aus dem Edikt ausgewählt wird 1 1 3 . Natürlich kann der Kläger auch hier den Prätor veranlassen, über die Musterformeln des Edikts hinaus (in Anlehnung an dieses) doch eine Formel zu konzipieren 114. Ist die erstrebte Actio nicht anerkannt und will der Prätor sie auch nicht gewähren, so weist er den Antrag zurück 115 . Dann ist das Verfahren beendet; jedoch ist diese Versagung nicht bindend, vor allem ist die oben angesprochene Konsumtions-Wirkung an die Litiskontestation gebunden, so daß der Magistrat nach Denegierung seine eigene Entscheidung abändern kann oder der Kläger erneut aufgrund desselben Sachverhaltes - auch mit einer anderen Actio - Rechtsschutz beantragen kann 116 . Gewährt der Prätor aber mit einer bestimmten Formel (= actio) Rechtsschutz, so geht das Verfahren weiter: nach der Litiskontestation (mit den oben angesprochenen Konsequenzen) wird das Urteilsgericht tätig. Auch dabei gibt es eine Besonderheit, die hier von besonderem Interesse ist: das FormularVerfahren ist von dem Prinzip der Geldkondemnation beherrscht, d.h. daß bei allen Leistungsklagen das Urteil immer auf eine bestimmte Geldsumme lauten 110
Zum Ganzen: H. Kaufmann, JZ 1964, S. 483 unten und f.; Käser, Zivilprozeß, § 43 Π, S. 231 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, S. 19; siehe auch dens., SZ (Rom) 86, S. 190. 111 //. Kaufmann, JZ 1964, S. 484. 112 Käser, Zivilprozeß, § 32 m 1, S. 175. 113 Käser, Lehrbuch, S. 362. 114 Käser, Zivilprozeß, § 32 ΠΙ 1,2, S. 175 f. 115
Käser, Zivilprozeß, § 32 III 2, IV, V, S. 176 - 178.
116
Käser, Zivilprozeß, § 32 V, S. 178.
Α. Die allgemeine Rechtsentwicklung und Rechtspraxis
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muß (selbst dann, wenn es sich um eine Klage auf Herausgabe der Sache des Klägers handelt!)117.
4. Die Exceptio Eine für die (fehlende) Trennung von formellem und materiellem Recht im Formularverfahren ebenso charakteristische Erscheinung wie die actio stellt die exceptio dar. Hat der Prätor den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Actio nicht denegiert, so kann der Beklagte - außer, das Begehren an sich als unbegründet zu bestreiten - einen Einwand erheben, der das Begehren des Klägers zu Fall bringen kann, den das Urteilsgericht aber aufgrund der einfachen Formel nicht berücksichtigen könnte 118 . In älterer Zeit erfolgte diese Geltendmachung durch das Einfügen einer praescriptio: diese wurde der Formel vorangestellt und war demgemäß vor der intentio (also den positiven, eigentlichen Verurteilungsvoraussetzungen) zu prüfen; später übernahm die exceptio diese Funktion, die allerdings nach der intentio - als negative Verurteilungsvoraussetzung - aufgenommen wurde (was Folgen für die Konsumtion der Actio im Sinne von Klagrecht hatte) 119 . Die Exceptio diente nicht nur der Durchsetzung eines materiellen Gegenrechts: denn zum einen konnten auch prozessuale Einwendungen geltend gemachte werden (etwa Mängel der Prozeßvoraussetzungen); zum anderen verhielt es sich wie bei der Actio: die Klage- wie hier die Einwendungs-Möglichkeit war keine "sichere" Folge des (materiellen) Rechts, sondern der Prätor konnte nach seinem Ermessen Gegenrechte nach ius civile durch entsprechende Exceptio anerkennen, neue Exceptionen (als ius honorarium) schaffen oder Exceptionen trotz civiler Grundlage verweigern 120. Dementsprechend wurden - wenn sich Exceptionen in ständiger Übung verfestigt hatten, - die passenden Musterformeln (für den einzuschaltenden Formelteil) in das prätorische Edikt aufgenommen. Daneben wurden natürlich auch fallweise nichtediktale exceptiones utiles bzw. in factum gewährt. Hierdurch verhieß der Prätor den jeweiligen Beklagten "passiven Rechtsschutz", d.h. die Möglich-
117
Blank, SZ (Rom) 99, S. 303 ff., vor allem 316; HJ. Wolff, Materiell-rechtliches Denken, S. 418 f.; Käser, Zivilprozeß, § 54 IV 1, S. 286. 118 Vgl. die Bestandteile der Klagformel. Siehe auch Käser, Zivilprozeß, § 35 ΠΙ, S. 191. 119 Kunkel/Selb, Röm. Recht, Anhang § 22, S. 553; Käser, Zivilprozeß, § 35 ΠΙ, IV, V 1, S. 191 -193; ders., Privatrecht I, § 55 Π, S. 226. 120 Sohm, Institutionen, S. 702, 703 f.; Wieacker, Röm. RG I, § 24 m 4, S. 458 f.; Käser, Zivilprozeß, § 35 12 S. 193 f.; ders., Privatrecht I, § 55 Π, S. 226 f.
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§ 2 Das antike römische Recht
keit, sich gegen Klagebegehren durch Einschalten eines entsprechenden Formelteils zu wehren12 . War die Exceptio begründet, so wurde der Beklagte grundsätzlich freigesprochen 122.
5. Beginn des aktionenrechtlichen Denkens und die Bedeutung der Actio des Formular-Verfahrens Oben wurden die wesentlichen Faktoren dargestellt, die im Rahmen des Formular-Prozesses auf die Bedeutung der Actio Einfluß genommen und so zu seiner Denkweise geführt haben, die die Rechtswissenschaft über 2 Jahrtausende hinweg immer wieder beherrscht hat. Die Entstehung von Honorarrecht (insbesondere von prätorischem Recht) führte dazu, daß sich eine formelle Rechtsordnung entwickelte, die sich weitgehend von den civilen (vor allem den dortigen materiell-rechtlichen) Grundlagen gelöst hat. Für die Durchsetzung eines Rechts war also nicht mehr entscheidend, ob es materiell-rechtlich verankert war, sondern allein, ob das Recht (oder gar nur ein Faktum