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German Pages 339 [344] Year 1994
Linguistische Arbeiten
312
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Satz - Text - Diskurs Akten des 27. Linguistischen Kolloquiums, Münster 1992
Band l
Herausgegeben von Susanne Beckmann und Sabine Frilling
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1994
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Satz, Text, Diskurs : Akten des 27. Linguistischen Kolloquiums, Münster 1992. -Tübingen : Niemeyer. NE: Linguistisches Kolloquium Bd. 1. Hrsg. von Susanne Beckmann und Sabine Frilling. - 1994 (Linguistische Arbeiten ; 312) NE: Beckmann, Susanne; GT ISBN 3-484-30312-3
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
Band l VORWORT
XIII
GRAMMATIK Peter Canisius Logophorische Pronomina im Deutschen
3
Bram ten Gate Handlungsaktionsart, Perfektivität und Zustandspassiv
9
Elke Hentschel Entwickeln sich im Deutschen Possessi v-Adjektive? Der -s-Genetiv bei Eigennamen . . 17 Julia Philippi Possessiva als Pronomina. Evidenzen aus diachroner Sicht
27
Jürgen Erich Schmidt Die Serialisierung attributiver Rechtserweiterungen in der deutschen Gegenwartssprache
35
Wolfgang Sucharowski Kasuswandel
43
Birgit Vonhoegen Probleme der Wortarteneinteilung am Beispiel der Unterscheidung Adjektiv und Adverb im Deutschen und Französischen. Eine Forschungsdarstellung
51
Hengxiang Zhou Diathetisch oder nichtdiathetisch. Zum Status der bekommen+Pait. II-Konstruktion . . 57
SYNTAX Monika Budde Zur Zuordnung von Wortstellungsmustern aus Stellungsfeldern zu syntaktischen Einheiten
67
Catrin van Lengen Probleme der Reanalyse
77
Klaus Robering Der unbestimmte Artikel in einer Kategorialgrammatik des Deutschen
87
VI
Elisabeth Rudolph Anteposition versus Postposition. Zur Stellung im Satzgefüge Heinrich Weber Komplexe Sätze in neueren deutschen Grammatiken
95
103
SEMANTIK Susanne Beckmann "Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt" Wittgenstein und die Gebrauchstheorie der Bedeutung
115
John D. Gallagher Inkompatibilitäten als Übersetzungsproblem
123
Eckard Rolf Zur Metaphorik und Metonymik der Gefühlszuschreibungen
.131
Gerhard Tschauder Ist die Metapher ein 'kürzeres Gleichnis' oder das Gleichnis eine 'erweiterte Metapher'? Tertium datur
139
Grazyna Vetulani Les differents niveaux d'ambiguite" linguistique
147
Zygmunt Vetulani Semantic analysis of polish questions in the dialogue system EXP/ERT
153
Ulrich Hermann Waßner Sprachliche Propositionalitätstests
161
LEXIKOLOGIE/LEXIKOGRAPHIE Arne Dittmer Kritisches zu Kluge-Seebold: Einführung in die Terminologie
171
Stefan Engelberg Morphologie in lexikalischen Datenbanken. Ein Standardformat zur Repräsentation von morphologischen Eigenschaften lexikalischer Einheiten
179
Gereon Franken 'Ety-Morphologie'. Zwei alte Disziplinen und ein neues Verhältnis
189
VII
Enno Leopold Anpassungsdynamik sprachlicher Systeme
197
Reinhard Rapp Die maschinelle Generierung von Wörterbüchern aus zweisprachigen Texten
203
HISTORISCHE PERSPEKTIVEN Jörn Albrecht Sprachnormen aus linguistischer Sicht. Eine historisch-vergleichende Untersuchung zum Deutschen und Französischen
213
Bernadette Anne Desbordes De activa propositione: Die Auseinandersetzung der grammaire generate mit J. C. Scaliger und Aristoteles
223
Ulrich Hoinkes Regnier-Desmarais und das lateinische Deskriptionsmodell: Zur französischen Grammatikographie des frühen 18. Jahrhunderts
231
Daina Nitina Der Einfluß der deutschen Sprachwissenschaft auf die Erforschung der lettischen Sprache im 19. Jahrhundert
239
Oliver Pfefferkorn Zur Spezifik religiös-erbaulicher Textsorten im Protestantismus des 17. Jahrhunderts . . 247 Udo Sachse Zur Tradition des Selbstgesprächs in der deutschen protestantischen Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts
255
Freyr Roland Varwig Barocker Wissenschaftsdiskurs zwischen formalisierter Sinnkonstitution und negativer Hermeneutik. Zur Aktualität von Samuel Werenfels' de logomachiis eruditorum (1692) 261
FACH- UND SONDERSPRACHEN Jana Klinckovä Kommunikation in einer Fachsphäre. Fachsprache der Medizin
275
Vladimir PaträS Germanismenspuren in der gesprochenen Urbanform des Slowakischen
283
Klaus Siewert Boofkenrackewehle. Prolegomena zu einem sondersprachlichen Wörterbuch
291
VIII ZWEITSPRACHENERWERB UND SPRACHDIDAKTIK
Karin Birkner Konnektoren und Diskurskohärenz Eine empirische Studie zum Erwerb des adversativen Konnektors aber
303
Michaela Greisbach/Reinhold Greisbach Die Phonem-Graphem-Beziehung als Rechtschreibproblem
311
Marian Szczodrowski Intraindividuelle Ebene der fremdsprachlichen Kommunikation
317
ANSCHRIFTEN DER VERFASSER UND HERAUSGEBER
321
Band 2
VORWORT
XIII
METHODOLOGIE Jerrgen D00r/J0rgen Chr. Bang Ecolinguistics & logical deixis
3
Klaus Lintemeier Handlungskompetenz versus Handlungsrationalität. Eine Kritik der Grundannahmen spieltheoretischer Analysen am Beispiel des Prisoner's Dilemma
9
Wolf Paprotte Theorie und Empirie in der Sprachwissenschaft am Beispiel neuerer korpuslinguistischer Forschung
19
Agustin F. Segui Zur Verwechselung der Begriffspaare 'deskriptiv/normativ' und 'synchronisch/diachronisch'
27
Hans G. Still Sprache, Prozessualität und linguistisches Erfassen
35
PRAGMATIK Dieter W. Hai wach s Zur Funktion und Notation nonverbaler Zeichen
45
Jianming He Die Prolokution und ihre Rolle im Sprechakt
55
Peter-Paul König "Lügt man im Deutschen, wenn man höflich ist?"
61
Cornelia Müller ^Como se llama ...? Kommunikative Funktionen des Gestikulierens in Wortsuchen
. . 71
Wolfgang Niehüser Skandalbewältigung - Kommunikation in kritischen Situationen
81
Stephan Oberhauser/Anette Stürmer/Albert Herbig Spannung bis zum Schluß. Syntaktische Muster von Bewertungshandlungen
93
Jolanta Rokoszowa Schweigen - ein Problem der Sprache
101
Rüdiger Vogt Über die Bewertung von Räumlichkeit - und die Defizite des Interesses der Repräsentations-Linguistik an Wegbeschreibungen
107
Andreas Wagner Bekennen. Zur Analyse eines religiösen Sprechakts
117
Edda Weigand Satztypen, Satzarten, Satzmodi und ihre Relevanz in einer kommunikativen Grammatik 125
DIALOG ANALYSE Ursula Frei-Borer Frau oder Alibifrau. Beobachtungen zu einer Gesprächsrolle
139
Götz Hindelang Dialogmuster und Dialogverlauf. Verlaufsanalyse eines gestalttherapeutischen Gesprächs 147 Knud Anker Jensen Initiative und Respons. Eine Analyse der Entwicklung der Gesprächsstrukturen in deutschen Interlanguage-Interviews
155
Werner Zillig "Basic Instinct soll ja sehr gut sein ..." Zur Frage der Deutbarkeit initialer dialogischer Äußerungen
163
TEXTLINGUISTIK Kirsten Adamzik Zum Textsortenbegriff am Beispiel von Werbeanzeigen
173
Jacques Frangois Eine fortgeschrittene Semantiksprache für die Psycholinguistik der Textverarbeitung . .181 Menno D. T. de Jong/Peter J. Schellens Effects of pre-testing and revising brochures
189
Volker Novak Textfunktionen von Nomen-Nomen-Kombinationen
197
Florian Panitz Temporale Anaphora in fiktionalen narrativen Texten?
207
XI
ANALYSE LITERARISCHER TEXTE Thomas Diße-Runte Prosodische und musikalische Aspekte der "Ursonate" von Kurt Schwitters
219
Holger Gemba Intertextualität des Sprechens Linguistische Untersuchungen zur Lyrik der russischen 'Post-Avantgarde'
227
Klaus-Dieter Gottschalk Idioms in drama. T. Stoppard: Artist descending a staircase
235
Eberhard Müske Analysepraktische Ableitungen zu einem Modell des literarisch-künstlerischen Diskurses Am Beispiel der Erzählung "Im Himmel und auf Erden" von Ingeborg Bachmann . . . 243 Luzian Okon Register der mündlichen Sprache in den Traktaten zweier französischer zeitgenössischer Autorinnen. Michele Perrein: Entre chienne et louve, Benoite Groult: Ainsi soit-elle . . 251
SOZIOLINGUISTIK/SPRACHE UND GESELLSCHAFT Zrinka Babio Otherlect and motherlect usage at international conferences
259
Gabriele Birken-Silverman Die Rolle der Kirche in Bilingualismussituationen
265
Claudia Happe Von "Aufgabenblatt" bis "Zentrale Fachkommission". Zur Organisation germanistischer sprachwissenschaftlicher Lehre und Forschung in der DDR
277
Melita Kovaöevio Specific language impairment. A new phenomenon in Croatian
283
Peter Rosenberg Sprachgebrauchsstrukturen und Heterogenität der Kommunikationsgemeinschaft bei den Deutschen in der GUS. Eine empirische Studie
287
Harald Weydt Welche Sprache für Europa?
299
Lew Zybatow Sprachstereotyp, Denkstereotyp und interkulturelle Kommunikation
307
XII
UNTERNEHMENSKOMMUNIKATION Lisette van Gemert/Egbert Woudstra Evaluation of a communication problem solving method for organizations
315
Heike Hülzer-Vogt Sprachregelungen in Unternehmens- und Verbandskommunikation
323
Kirsten Plog Akquisegespräche
333
ANSCHRIFTEN DER VERFASSER UND HERAUSGEBER
339
VORWORT Vom 9. bis 11. September 1992 fand an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster das 27. Linguistische Kolloquium statt, an dem sich 147 Sprachwissenschaftler aus ganz Europa beteiligten. Im Zuge der Öffnung der osteuropäischen Staaten hat das Linguistische Kolloquium in den vergangenen Jahren gerade für Wissenschaftler aus Polen, der ehemaligen CSFR, den baltischen Staaten, Bulgarien und der GUS an Anziehungskraft gewonnen. Erfreulicherweise hat sich diese Entwicklung in Münster fortgesetzt. Die vorliegenden zwei Bände enthalten 77 Beiträge, die von den Tagungsteilnehmern für die Veröffentlichung überarbeitet wurden. Das Linguistische Kolloquium versteht sich traditionell als offenes Forum für den interdisziplinären Austausch sprachwissenschaftlicher Positionen. Entsprechend haben auch wir bei der Ausschreibung des Kongresses auf thematische Beschränkungen verzichtet. Wie die Sektionseinteilung und die Vortragsthemen dokumentieren, sind in den vorgelegten Bänden sowohl klassische Disziplinen wie Grammatik, Syntax und Semantik als auch neuere Forschungsrichtungen vertreten. Einen besonderen Schwerpunkt bilden Fragestellungen der pragmatischen Linguistik. Ein Kongreß ist vor allem das, was seine Teilnehmer aus ihm machen. Wir möchten daher an dieser Stelle noch einmal allen danken, die sich mit einem Vortrag oder Diskussionsbeiträgen am Kolloquium beteiligt haben. Unser Dank gilt auch allen, die uns bei der Organisation und Durchführung der Tagung hilfreich zur Seite standen. Von den Veranstaltern der Linguistischen Kolloquien in Paderborn und Poznan* haben wir zahlreiche wichtige Anregungen erhalten. Für logistische Hinweise und Hilfe bei der Lösung verwaltungstechnischer Probleme sind wir dem ehemaligen Dekan des Fachbereichs Germanistik Prof. Dr. J. Splett zu Dank verpflichtet. Besonders danken möchten wir Prof. Dr. F. Hundsnurscher, der uns stets großzügig unterstützte und die Kongreßvorbereitung in jeder Phase mit sachkundigem Rat begleitete. Die erfolgreiche Durchführung des Linguistischen Kolloquiums wäre ohne das tatkräftige Engagement zahlreicher Helfer und Mitarbeiter nicht möglich gewesen. Für ihren Einsatz im Tagungsbüro, die Betreuung der Kongreßteilnehmer, Übersetzungsdienste und Hilfe bei der Vorbereitung der Publikation der Akten danken wir Garsten Albers, Kerstin Dunczyk, Michael Florin, Eckhard Hauenherm, Vladimir Karabalid, Miriam Lambertz, Catrin van Lengen, Mechtild Schieß und Mariethres Schulze-Eckel. Nicht zuletzt möchten wir uns bei der Stadt Münster und bei der Westfälischen WilhelmsUniversität für ihre finanzielle Unterstützung bedanken. Münster, im November 1993
Susanne Beckmann, Sabine Frilling, Peter-Paul König, Helmut Wiegers
GRAMMATIK
LOGOPHORISCHE PRONOMINA IM DEUTSCHEN
Peter Canisius
l. Le terme 'logophorique' est ici propose1 pour designer une categorie particuliere de substitute, personnels et possessifs, qui roferent ä l'auteur d'un discours ou ä un participant dont sont rapportees les pensees. Ces substitute distinguent celui auquel ils referent du locuteur lui-meme, lequel les emploie dans ce qu'pn est convenu d'appeler 'discours indirect'.
Dies ist der Anfang jenes Aufsatzes, in dem Claude Hagege 1974 den Begriff des logophorischen Pronomens geprägt hat.1 Aus Platzgründen kann ich hier nur eines der von Hagege angeführten Beispiele zitieren; es stammt aus dem Ewe und damit aus dem klassischen, westund zentralafrikanischen, Verbreitungsgebiet der Logophorik2 und zeigt in dem ersten der zwei Sätze das "normale", nichtlogophorische, und in dem zweiten das logophorische Pronomen: (1) Kofi be edzo. Kofi a dit qu'il (un autre que lui) est parti. (2) Kofi be yedzo. Kofi a dit qu'il (lui-meme) partait.
Hagege stützt sich u. a. auf einen "The 'self-reporting' pronoun /ye/ in Ewe" überschriebenen Artikel von George N. Clements (vgl. Clements 1973), der seinerseits 1975 den Terminus "logophoric pronoun" übernimmt und auf eine zitierte Person bezieht, "whose speech, thoughts, feelings, or general state of consciousness are reported" (Clements 1975: 141). Ich werde mich im folgenden auf diese Konzeption von Logophorik beziehen und neuere Differenzierungen3 im Augenblick außer acht lassen, genauer: Ich folge jenem Konzept, das - innerhalb seines umfassenderen Buches zu verschiedenen Formen und Aspekten von Redewiedergabe - Manfred v. Roncador (1988) folgendermaßen bestimmt: Logophorische Pronomina sind Pronomina, die innerhalb zitierter4 Rede die zitierte Person oder - wie ich hinzufüge - deren Adressaten eindeutig als solche(n) kennzeichnen und sich dergestalt von den regulären, den nichtlogophorischen, den nicht "markierten" Pronomina unterscheiden. Die "Minimalbedingungen für logophorische Formen" können - so v. Roncador (1988: 243f.) "folgendermaßen zusammengefaßt- werden": 1. Die logophorische Form drückt die Referenzidentität mit dem zitierten Sprecher aus, während die "normale" (pronominale) Form (der 3.Person) Referenzverschiedenheit ausdrückt. 2. Als Antezedens für die logophorische Form kommt immer eine dritte Person in Frage; daneben können in einigen Sprachen auch zweite und erste Personen logophorische Markierung auslösen [...]. Die Markierung erfolgt meist durch eine Pronominal form, gelegentlich auch durch ein Verbalaffix [...]. 3. Die logophorische Form im Komplementsatz eines Redeverbs drückt die Referenzidentität mit dem Subjekt des Redeverbs aus; unter Umständen können auch andere syntaktische Positionen das Antezedens für logophorische Markierung enthalten. 4. Logophorische Markierung ist immer beim Subjekt des Komplementsatzes möglich; meist kann sie jedoch auch in anderen syntaktischen Positionen des Komplementsatzes erfolgen.
4
Peter Canisius 5. Das Verb des Matrixsatzes gehört typischerweise zur Klasse der Redeverben; daneben können aber häufig auch andere Verben, die Komplemente einführen, im Matrixsatz auftreten.
Meine These ist nun denkbar einfach: Pronomina, auf die diese Bedingungen zutreffen, gibt es auch im Deutschen, und es gibt sie sogar dann im Deutschen, wenn man ein solch restriktives Kriterium zugrunde legt wie v. Roncador, für den mögliche Kandidaten nur dann logophorische Ausdrücke sind, wenn es "ausschließlich oder zumindest vorwiegende Funktion der betreffenden sprachlichen Mittel [ist], die Referenzidentität mit dem zitierten Sprecher im Kontext einer Redewiedergabe zu markieren" (v. Roncador 1988: 246).5
2. Ich konzentriere mich im folgenden auf die Personalpronomina er und sie. Abgesehen von ihrer deiktischen Verwendung, genauer: ihrer Verwendung innerhalb einer demonstratio ad oculos6, treten diese Pronomina in zwei ganz unterschiedlichen Funktionen auf: In der einen dieser beiden Funktionen sind sie - im Prinzip - durch andere drittpersonige Ausdrücke ersetzbar, in der anderen Funktion sind sie das nicht oder nur unter sehr speziellen Bedingungen.7 Diese Beobachtung ist keineswegs neu. So unterscheidet z. B. Peter Bosch (1983: Kap.2) zwischen dem Pronomen he oder sie in Beispielen wie (3) Fred thinks he is sick. (4) Anna behauptet, sie habe keine Zeit.
mit Fred bzw. Anna als dem Antezedens von he bzw. sie und dem Pronomen he bzw. sie in Beispielen wie (5) John looks pale, and Fred thinks he is sick. (6) Petra kommt nicht. Anna behauptet, sie habe keine Zeit.
mit John bzw. Petra als dem Antezedens von he bzw. sie. Das erstere he bzw. sie interpretiert Bosch als "non-referentially functioning", das letztere als "referentially functioning pronoun", und eines der Unterscheidungskriterien ist auch für Bosch, daß das erstere he bzw. sie nicht durch z. B. den Eigennamen Fred bzw. Anna ersetzbar ist, während das letztere he bzw. sie sehr wohl durch John bzw. Petra ersetzbar ist. Aus Raumgründen kann ich hier auf Boschs Argumentation nicht im einzelnen eingehen, und ebenfalls nur kurz erwähnen kann ich Hector-Neri Castaüeda (1982), für den jene Nichtsubstituierbarkeit der drittpersonigen Personalpronomina des ersteren Typs ein wesentliches Charakteristikum der von ihm so genannten Quasi-Indikatoren ist: Das he bzw. sie des ersteren Typs ist insofern ein Quasi-Indikator oder quasi-indexikalischer Ausdruck, als es für ein originales Ich und damit für einen der beiden personalen Indikatoren, eines der beiden Personaldeiktika Ich und Du, steht.8 Ich habe nun nicht die Absicht, den von Bosch und Castaneda vorgeschlagenen Interpretationen meinerseits lediglich eine weitere hinzuzufügen, nämlich eben die, daß die nichtersetzbaren Personalpronomina logophorische und die ersetzbaren nichtlogophorische seien. Zwar betrifft meine These, daß es im Deutschen logophorische Pronomina gibt, eben jene nichtersetzbaren drittpersonigen Personalpronomina, aber diese ihre auch von mir für charakteristisch gehaltene Nichtersetzbarkeit allein macht diese Ausdrücke noch nicht zu logo-
Logophorische Pronomina im Deutschen
5
phorischen in dem hier zugrunde gelegten strengen Sinne, wonach sich logophorische Pronomina morphologisch von nichtlogophorischen unterscheiden müssen und die logophorische Funktion ihre ausschließliche oder doch zumindest vorwiegende Funktion sein muß. Logophorisch wären diese Pronomina bisher lediglich in einem weiteren, funktionalen, Sinne, d. h. insofern, als sie das tun, was die in jenem strengen Sinne logophorischen Pronomina - z. B. des Ewe - tun. Daß ich meine These, auch im Deutschen gebe es morphologisch als solche markierte und ausschließlich oder doch primär als solche fungierende Logophorika, nicht allein von jenen nichtsubstituierbaren Personalpronomina ableite, ja, gar nicht ableiten kann, geht auch schon daraus hervor, daß es letztere bzw. genauer: den Unterschied zwischen - paradigmatisch - substituierbaren und nichtsubstituierbaren Personalpronomina eben nicht nur im Deutschen, sondern auch im Englischen und den meisten anderen Sprachen gibt. Wenn ich meine These aber bewußt nur auf das Deutsche beziehe, dann müssen diese Pronomina im Deutschen noch eine ganz spezifische Eigenschaft haben. Welches ist diese Besonderheit? 3. Ein Pronomen wie das er in einer Redewiedergabe wie z. B. (7) Hans hat zu Otto gesagt, er sei völlig unschuldig.
ist dreifach beziehbar: Es kann erstens Hans, zweitens Otto und drittens eine innerhalb dieses Satzes ansonsten nicht bezeichnete dritte (männliche) Person, sagen wir: Georg, meinen. Das heißt nichts anderes, als daß dieses er für drei unterschiedliche Ausdrücke der originalen bzw. der direkten Rede stehen kann: "Ich bin völlig unschuldig." (8) Hans hat zu Otto gesagt: "Du bist völlig unschuldig." "Er ist völlig unschuldig."
Das er der indirekten Rede kann also für einen erst-, es kann für einen zweit-, und es kann für einen drittpersonigen Ausdruck des Originals bzw. der direkten Rede stehen. Ich nenne jenes er der indirekten Rede, das für ein Ich steht, er,, jenes er, das für ein Du steht, er2 und jenes er, das für ein Er bzw. einen anderen drittpersonigen Ausdruck steht, er3. Das Deutsche weist nun eine Besonderheit auf, die unser er, und unser er2 - und entsprechendes gilt natürlich für siei und sie2 - morphologisch eindeutig und im Sinne des zitierten restriktiven Kriteriums v. Roncadors als logophorische Pronomina ausweist und von er3 - bzw. sie3 - als nichtlogophorischem Pronomen unterscheidet. Allerdings ist dieser Ausweis ein indirekter, ein vermittelter, und zwar insofern, als j[ene Besonderheit nicht an den er,- und er2-Formen selber in Erscheinung tritt, sondern an Ausdrücken, die mit er, und er2 zusammen auftreten bzw. verbunden werden können. Ich meine die Relativpronomina, die an er, und er2 anschließen bzw. angeschlossen werden können. Diese Relativpronomina lauten - wenn sie im Nominativ stehen - anders als die, die ein er3 als Bezugsausdruck haben. Im letzteren Fall, in dem Fall also, in dem sich unser er, auf Georg bezieht, lauten sie - ganz normal - der bzw. - bei sie$ als Bezugsausdruck - die: (9) Hans hat zu Otto gesagt, er3, der ja von all dem nichts gewußt habe, sei völlig unschuldig. (10) Hans hat zu Otto gesagt, sie,, die ja von all dem nichts gewußt habe, sei völlig unschuldig.
6
Peter Canisius
Im ersteren Fall, in dem Fall also, in dem die Relativpronomina an ein er\ oder er2 anschließen bzw. angeschlossen werden können, lauten sie der er bzw. - bei siet und sie2 als Bezugsausdruck - die sie: (11) Hans hat zu Otto gesagt, er1/2, der er ja von all dem nichts gewußt habe, sei völlig unschuldig. (12) Dorothee hat zu Helena gesagt, sie1/2, die sie ja von all dem nichts gewußt habe, sei völlig unschuldig.
Die sich auf ein er, und er2 bzw. sie^ und sie2 beziehenden Relativpronomina übernehmen damit jene Wiederholung des Bezugsausdrucks, die wir aus der entsprechenden originalen bzw. direkten Rede kennen, d. h. die Wiederholung des Ich und Du wie z. B. in: (13) Hans hat zu Otto gesagt: "Ich, der ich ja von all dem nichts gewußt habe, bin völlig unschuldig." (14) Dorothee hat zu Helena gesagt: "Du, die du ja von all dem nichts gewußt hast, bist völlig unschuldig."9
Diese Wiederholung des drittpersonigen Bezugspronomens zeigt eindeutig an, daß es sich bei dem Original um eine erst- oder zweitpersonige Äußerung gehandelt hat. Ist die Originaläußerung selbst bereits drittpersonig gewesen, wird in der indirekten Rede der Bezugsausdruck nicht wiederholt. Damit erfüllt der Unterschied zwischen unserem der er/die sie und dem "normalen" der/die die Bedingungen, um als Unterschied zwischen logophorischer und nichtlogophorischer Form gelten zu können: Die logophorische Form ist morphologisch von der nichtlogophorischen unterschieden, und sie erfüllt ausschließlich logophorische Funktion. Es gibt nun abschließend zwei Möglichkeiten: Einmal können wir uns darauf beschränken, daß wir Logophorik ausschließlich durch jenes markierte drittpersonige Relativpronomen realisiert sehen. Es fragt sich indes, ob wir nicht einen kleinen Schritt weiter gehen und sagen sollten: Dieser eindeutige Unterschied zwischen logophorischem und nichtlogophorischem Relativpronomen zeigt, daß ein entsprechender Unterschied auch oder bereits zwischen den jeweiligen Bezugswörtern besteht; schon jenes Personalpronomen, das im logophorischen Falle im Relativpronomen noch einmal genannt wird, schon jenes pronominale Bezugswort hat einen anderen Status als das Bezugswort des nichtlogophorischen Relativums. Wenn das aber akzeptiert wird, dann wird man wohl auch sagen müssen, daß der Unterschied zwischen diesen beiden - gleichlautenden - Bezugspronomina nicht davon abhängig sein kann, ob ein Relativsatz folgt, dessen Pronomen jenen Unterschied morphologisch eindeutig ausdrückt. Jener Unterschied muß vielmehr auch ohne diese morphologische Markierung im Relativpronomen existieren. Das aber bedeutet: Bereits die Personalpronomina er, und er2 selber sind logophorisch. Als Kriterium dient nun aber nicht mehr nur das der paradigmatischen Nichtsubstituierbarkeit durch andere drittpersonige Ausdrücke; neben diesem Kriterium haben wir nun als weitere Möglichkeit auch ein, wenn auch indirektes, so doch eindeutig morphologisches: Schließen wir, was ja immer möglich ist, an ein logophorisches Personalpronomen einen - freien - Relativsatz an, so wird das logophorische Personalpronomen im Relativsatz wiederholt.
Logophotische Pronomina im Deutschen
7
Anmerkungen 1 2 3
4
5
6 7
8
9
Genauer ist es der Anfang des dem Text vorgeschalteten sommaire. Zu Arbeiten, die sich vor Hagege mit logophorischen Formen beschäftigt haben, vgl. auch v. Roncador (1988: 247f.). Zur Verbreitung von Logophorik vgl. v. Roncador (1988: 246f.). Im Augenblick unberücksichtigt lasse ich insbesondere die Arbeiten zum Zusammenhang von Logophorik und point of view, zur Rolle der Logophorik im Zusammenhang mit Phänomenen des sogenannten long-distance binding sowie speziell die Differenzierungen, die Peter Seils (1987) vorschlägt, der das übliche Logophorikkonzept durch drei "more primitive notions", nämlich "source/self/pivot", ersetzt und glaubt, daß Logophorik durch die Interaktion dieser drei entsteht; zum Zusammenhang von Logophorik und point of view vgl. die in Carl Pollard/Ivan A. Sag (1992: 274) angegebene Literatur; zum Problemfeld 'long-distance binding und Logophorik' vgl. ebenfalls Seils (1987) sowie Anne Zribi-Hertz (1989). Während in unserem Hagege-Zitat noch "discours indirect" steht, weist v. Roncador (1988: 3) daraufhin, daß logophorische Konstruktionen sprachspezifisch zwischen solch eher indirekter und eher direkter Rede variieren. Wieder erweitere ich dieses Kriterium dergestalt, daß es bei der Logophorik nicht nur um den zitierten Sprecher, sondern auch um den Adressaten der zitierten Äußerung geht. Schließlich übersetzt Hagege seinen Begriff 'logophorique' auch ganz bewußt mit 'renvoyant au discours' und nicht mit 'renvoyant ä un locuteur' (vgl. dazu Hagege 1974: 290, 297, 302). Zum Verhältnis von Logophora zu verwandten Phänomenen wie dem japanischen zibun in nicht (direkt) reflexiver Funktion, dem indirekten Reflexivum des lateinischen A.c.I. oder der von Hagege noch als logophorisch gewerteten Nullanapher des Koreanischen vgl. v. Roncador (1988: 264-274) und die dort angegebene Literatur; zu zibun vgl. auch Seils (1987) und zum indirekten Reflexivum des Lateinischen Hagege (1974: 289f.), der seinen Begriff 'logophorique', grob gesagt, als eindeutigeren Ersatz des traditionellen Begriffs 'indirekt reflexiv' entwickelt. Vgl. dazu Canisius/Sitta (1991) und die da genannte Literatur. Zu diesen Bedingungen und zu den Gründen dieser Nichtersetzbarkeit vgl. Canisius (1986); ich habe jenen Aufsatz, in dem es im wesentlichen um die - nichtersetzbaren - drittpersonigen Personalpronomina der erlebten Rede ging, damals vage "Eine bestimmte Art von Pronominalisierung [...]" betitelt, da mir zu jener Zeit der Terminus 'logophorisch' unbekannt war. In der Sache aber ging es um nichts anderes als um die Spielart von er,-Pronomina, wie sie in erlebter Rede auftritt, und damit meines Erachtens um logophorische Pronomina. Zur Nichtersetzbarkeit von Quasi-Indikatoren vgl. speziell Castaneda (1982: 182): "Quasi-Indikatoren haben notwendigerweise ein Antezedenz (sie!), auf das sie sich zurückbeziehen, doch sind sie nicht durch ihr Antezedenz (sie!) ersetzbar." Im Falle von (3) und (4) sind Fred und Anna diese Antezedentia. Mit dem Rekurs auf Bosch und Castaneda übernehme ich nicht die Interpretationen der beiden Autoren. Ich weise lediglich darauf hin, daß die von mir angesprochene Unterscheidung zwischen - paradigmatisch substituierbaren und nichtsubstituierbaren Personalpronomina nicht neu ist. Einen in der Sache vergleichbaren Unterschied zwischen den für ein Ich/Du stehenden drittpersonigen Personalpronomina der indirekten Rede und den "normalen" drittpersonigen Personalpronomina in nichtzitierenden Äußerungen sieht - ohne allerdings auf unser Kriterium der (Nicht-)Ersetzbarkeit zu rekurrieren - auch Gerhard Tschauder (1990), der die Personalpronomina des ersteren Typs, weil sie, grob gesprochen: innerhalb zitierender - und das heißt für Tschauder: innerhalb metasprachlicher - Rede für Deiktika stehen, Metadeiktika nennt. Aus der Beobachtung, daß das Relativpronomen des Deutschen dergestalt hinsichtlich der Kategorie der grammatischen Person differenziert ist, zieht Roland Harweg (1984) die Konsequenz, es als Personalpronomen zu interpretieren. Diese Interpretation impliziert indes, daß die Komplexe der ich/die ich, der du/die du, der er/die sie, die wir, die ihr und die sie in ihrer jeweiligen Gänze als Relativpronomina verstanden werden und man nicht, wie z. B. Johannes Erben (1972: 23S), davon ausgeht, daß in jedem dieser Fälle "die Personalia dem Relativum zugefügt werden". Was die Funktion dieser Wiederholung des Personalpronomens nach dem bzw. als Teil des Relativpronomens angeht, so formuliert Heinz Griesbach (1986: 141) wohl die übliche Auffassung, wenn er schreibt, das Personalpronomen werde im Relativsatz wiederholt, "um Übereinstimmung mit der Personalform herzustellen"; ähnlich auch Christian Lehmann (1984: 236f.). Die Vertreter
Peter Canisius dieser Auffassung müssen sich allerdings fragen lassen, warum das Personalpronomen auch dort wiederholt wird, wo, wie z. B. in unseren obigen Beispielen (11) und (12), auch ohne die Wiederholung des Personalpronomens im Relativsatz bereits Kongruenz zwischen Relativpronomen und Verb bestehen würde.
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HANDLUNGSAKTIONSART, PERFEKTIVITÄT UND ZUSTANDSPASSIV Bram ten Gate
Der Begriff 'Handlungsverb' gehört in ein Paradigma 'Zustands-, Vorgangs-, Ereignisverb' usw., das in der traditionellen Grammatik seinen Platz hat, wenn auch einen bescheidenen. Es betrifft semantisch orientierte Kategorien, die eine eher schwache Verbindung zu syntaktischen Eigenschaften von Verben aufweisen: Um diese Verbindung wird es hier hauptsächlich gehen.
1. Handlungsaktionsart Es läßt sich relativ einfach feststellen, ob eine Äußerung der Handlungsaktionsart zugerechnet werden kann. Ich gehe dabei aus von einem Aktionsartenmodell mit vier Subkategorien, nämlich der Zustands-, Aktivitäts-, Handlungs- und der Ereignisaktionsart. Aspektuale Kategorien werden in diesem Modell nicht als feste semantische Eigenschaften von Verben, sondern als Eigenschaften von Propositionen beschrieben (vgl. ten Gate 1985), wodurch die sog. Vendlerkategorien (Vendler 1957) als Typen von Sachverhaltsbeschreibungen aufgefaßt werden. Handlungen und Ereignisse sind gegenüber Zuständen und Aktivitäten dadurch gekennzeichnet, daß sie Veränderungsbeschreibungen betreffen, d. h. einen Vor- und einen Nachzustand präsupponieren. Im Unterschied zu Ereignissen sind Handlungen Beschreibungen kausal bewirkter Veränderungen.1 Aktivitäten sind durch einen Komplex von Eigenschaften gegenüber Zuständen abzugrenzen, die sich für Sachverhaltsbeschreibungen mit einem belebten Subjekt auf den Nenner 'volitiv' bringen lassen. Typische Vertreter für die vier Aktionsarttypen sind die Sätze (la-d): (la) Jan (Ib) Jan (Ic) Jan (Id) Jan
schläft. (Zustand) schreibt (Bücher). (Aktivität) schreibt den Brief. (Handlung) findet eine Briefmarke. (Ereignis)
Die Sätze (la-d) illustrieren, daß die Aktionsaitzuordnung verbunabhängig erfolgt: das Verb schreiben kommt sowohl in Aktivitäts- wie in Handlungsbeschreibungen vor. Satz (Ic) kann allerdings sowohl mit dem perfektiven Verb napisatj wie mit dem imperfektiven pisatj ins Russische übersetzt werden, wobei ich von Tempusfaktoren absehe. Mit der imperfektiven Verbform pisatj hat (Ic) die Lesart einer Aktivitätsbeschreibung ('Jan schreibt an einem Brief); das perfektive Verb napisatj erlaubt nur eine (limitative) Handlungslesart. Satz (Ic) kann somit auch eine imperfektive2 Lesart haben und ist dann der Aktionsartkategorie der Aktivitäten zuzuordnen.
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Daueradverbien konstituieren einen Rahmen, in dem eine Aktionsartzuordnung eindeutig erfolgt, ja in dem sogar über eine Frequenzlesart oder eine habituelle Lesart eine an sich weniger plausible imperfektive Aktionsartzuordnung 'erzwungen' werden kann. So können die Nichtveränderungssachverhalte der Zustände und Aktivitäten frei mit Daueradverbien wie drei Stunden lang verbunden werden, während dies bei Veränderungsaktionsarten zu einer habituellen oder iterativen Lesart führt, wodurch die Aktionsartzugehörigkeit 'wechselt'. Einige Beispiele für aktionsartempfindliche Adverbien sind unter (2) aufgeführt: (2) Aspektuale Adverbien: in (zwei Stunden): perfektive Aktionsart (zwei Stunden) lang: imperfektive Aktionsart seit: imperfektive Aktionsart von (zwei) bis (vier Uhr): imperfektive Aktionsart zwischen (zwei) und (vier Uhr): perfektive Aktionsart (Die Situation bei den Adverbien von ... bis und zwischen ... und ist in Wirklichkeit etwas komplizierter: vgl. ten Cate (1985: 53ff.).)
Die Aktionsartzuordnung kann auch durch die Definitheit pluralischer Nominalkonstituenten bedingt sein: Satz (Ib) bleibt imperfektiv, wenn die indefinite Objekts-NP Bücher hinzugefügt wird. Der Satz würde aber zu einer perfektiven Handlungsbeschreibung bei Hinzufügung des defmiten Objekts drei Bücher. Obwohl die aspektualen Kategorien Eigenschaften von Propositionen sind, kann man zu jeder einzelnen Aktionsartkategorie Verben nennen, die typischerweise in Sachverhaltsbeschreibungen dieser Aktionsart vorkommen. Es gibt auch Verben, die absolut nie in einem Handlungskontext vorkommen. Die Frage ist nun, welche syntaktischen oder semantischen Eigenschaften Verben haben, die im Handlungskontext erscheinen, m.a.W., was sind Handlungsverben? 2. Verbimmanente Eigenschaften perfektiver Verben Einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage geben Hentschel/Weydt (1990: 32f.): (3) Zu den Tätigkeitsverben, auch "Handlungsverben" genannt, gehören Verben wie gehen, spielen, kämpfen, laufen, schreiben, lesen. Tätigkeitsverben dienen dazu, eine (intentionale) Handlung des Subjekts zu bezeichnen. Das Subjekt tut etwas, indem es geht, spielt, kämpft usw. Handlungsverben implizieren stets ein [...] Agens. Oft sind die Tätigkeiten auf ein Ziel gerichtet; diese Ziele einer Handlung können als vom Verb abhängige Objekte in den Satz aufgenommen werden. So wird beispielsweise die Tätigkeit des Schreibens, die einen Roman zum Ziel bzw. Ergebnis hat, mit dem Satz Ich schreibe einen Roman ausgedrückt.
Durch ihre Einteilung unterscheiden Hentschel/Weydt sich in zweierlei Hinsicht von den hier beschriebenen Auffassungen: (1) werden die Eigenschaften, die in der konfigurationalen Aspektbehandlung Propositionen zukommen, den Verben zugeordnet; und (2) enthält ihr System drei statt vier Kategorien, nämlich außer den Handlungsverben noch Zustands(wie stehen, wohnen, leben, bleiben) und Vorgangsverben (wie fallen, wachsen, sterben,
Handlungsaktionsart, Perfektivität und Zustandspassiv
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verfaulen). Auf das konfigurationale System übertragen hieße das, in der Kategorie Handlungsverb die Aktivitäts- und die Handlungsaktionsart zusammenzufassen, was wegen der starken Ungleichartigkeit dieser beiden Aktionsarten zu einer recht verschwommenen Kategorie führen muß, da nämlich die konstituierende Grenze zwischen Veränderungsund Nichtveränderungsaktionsarten, bzw. zwischen perfektiven und imperfektiven Sachverhaltsbeschreibungen, verwischt wird. Obwohl Hentschel/Weydt bei den Handlungsverben zwischen zielgerichteten und nicht-zielgerichteten Tätigkeiten unterscheiden, dient es der Klarheit der Einteilung mehr, wenn man eine generelle Regel formuliert, nach der Handlungsverben immer auch in Sachverhaltsbeschreibungen mit der Aktivitätsaktionsart vorkommen können (das Umgekehrte dürfte nicht immer möglich sein). Als Perfektivitätsindikatoren kommen eine Reihe von Eigenschaften in Betracht: Perfektive Verben sind transitiv und passivierbar und bilden, wie alle transitiven, passivierbaren Verben, ihr Perfekt mit haben; das 2. Partizip perfektiver Verben ist attributfähig (der geschriebene Brief); sie erlauben nicht die 'progressive'-Konstruktion am + Infinitiv; präfigierte Verben sind oft perfektiv, auch wenn das zugehörige Simplex imperfektiv ist, usw. Leider reicht keines der genannten Kriterien aus, die Kategorie Handlungsverb allein festzulegen, insbesondere wird die Abtrennung von der vierten Aktionsartkategorie, jener der Ereignisse, durch sie nicht geleistet.
3. Das Zustandspassiv Das Zustandspassiv, d. h. das mit dem Hilfsverb sein statt werden gebildete Passiv, ist eine Konstruktion, deren Vorkommen m. W. auf das Deutsche beschränkt ist. Als erster hat Glinz (1952) das Zustandspassiv als eine eigenständige verbale Genuskategorie beschrieben: Der Status dieser Kategorie ist allerdings bis heute nicht unumstritten geblieben (siehe Hermanns 1987). Vgl. als Einstieg die Sätze (4a-c): (4a) Das Zimmer wird vermietet. (4b) Das Zimmer ist vermietet worden. (4c) Das Zimmer ist vermietet.
Satz (4c) soll nicht als Kopula-Adjektiv-Verbindung betrachtet werden und ist auch nicht als Kurzform zum Vorgangspassiv in (4b) zu verstehen, obwohl diese Deutungen strukturell möglich wären3. Das Zustandspassiv kann nicht zu allen passivierbaren Verben gebildet werden, während umgekehrt Verben, die ein Zustandspassiv zulassen, durchweg auch im Vorgangspassiv erscheinen: Sätze wie (4c) sind immer als Zustandspassive zu betrachten, wenn sie durch Hinzufügung von worden in die entsprechenden Vorgangspassive umgewandelt werden könnten. Heibig (1987: 217f.) beschränkt das Zustandspassiv auf transitive Verben "[...] mit Agens (das ist schon die Voraussetzung für das Vorgangspassiv), deren Bedeutung eine resultative bzw. transformative Komponente hat, d. h. eine Effizierung oder so starke
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Affizierung des Objekts hervorruft, daß ein (qualitativ) neuer Zustand überhaupt entstehen, eine Veränderung von einem in einen anderen Zustand überhaupt erfolgen kann." Als Beispiele für solche Verben nennen Helbig/Buscha (1986: 182) die Reihe unter (5): (5) abschneiden, bauen, brechen, belichten, durchstreichen, einladen, einreihen, ernten, kämmen, öffnen, pflastern, schließen, schreiben, verbinden, verdrängen, verletzen, vollenden, zerstören u. a.
Übereinstimmend mit Heibig schränken Hentschel/Weydt (1990: 121) das Zustandspassiv auf transitive, nicht-durative Verben ein und greifen Rothacker/Saile (1986: 146) den Punkt auf, nach dem im Sein-Passiv die Handlung zu einer Veränderung des Objekts führen soll, das Objekt also affiziert oder effiziert ist. Nach Rothacker/Saile wäre somit Satz (6) unmöglich: (6) '''Der Mast ist gestreichelt. (7) Die Katze ist gestreichelt.
Satz (7) suggeriert, daß die Katze durch das Streicheln verändert wird. So was ist durchaus vorstellbar und im Einklang mit den soeben genannten Eigenschaften des Zustandspassivs. Auch Satz (6) dürfte demnach nicht ganz so unmöglich sein. Überhaupt gibt es oft divergierende Akzeptabilitätsurteile bei Sätzen mit einem Zustandspassiv (vgl. Litvinov/Nedjalkow 1988). So ist das Zustandspassiv in (8) wenig akzeptabel, in bestimmten Kontexten aber nicht unmöglich: (8) Das Zimmer ist gemietet.
Abschließend zitiere ich Eisenberg (1986), der die hier erörterte Argumentation vorbildlich vorführt: (9) Der Zusammenhang zwischen beiden Formen des Passivs ist über das Perfekt des Vorgangspassivs vermittelt. Der perfektive Aspekt dieses Tempus besagt, daß der vom Verb bezeichnete Vorgang abgeschlossen ist. Das bedeutet für die meisten Verben, daß ein Zustand eingetreten ist, in dem sich das vom Subjekt bezeichnete Objekt befindet. Deshalb kann zum Beispiel aus dem Perfekt Dos Fenster ist gestrichen worden gefolgert werden, daß das Fenster gestrichen ist. Formaler Ausdruck dieser Tatsache ist die Weglaßbarkeit von worden, die zu einer verkürzten Perfektversion des werden-Passivs führt. Die Weglaßbarkeit von worden ist logischerweise ausgeschlossen, wenn das Verb Vorgänge bezeichnet, die das Subjekt nicht in einen neuen Zustand versetzen, die es nicht affizieren. Das gilt etwa für die verba sentiendi [...] und eine Reihe anderer an sich passivfähiger Verben wie [loben, finden, verehren, zeigen}. Hier ist aus semantischen Gründen nur das Perfekt mit worden möglich, und es gibt auch kein Zustandspassiv. (Eisenberg 1986: 138f.)
Vergleichbare Argumente haben auch andere Linguisten dazu gebracht, das Zustandspassiv als Ausdruck eines resultativen Aspekts (Beedham 1982: 124), ja als Resultativkonstruktion überhaupt zu beschreiben (Litvinov/Nedjalkov 1988). Anders als im Deutschen kommt im Niederländischen im Perfekt des Passivs gewöhnlich nicht eine Form des Verbs worden vor (lOb): (10a) Het huis wordt verkocht. Das-Haus-wird-verkauft. (lOb) Het huis is verkocht. (l la) Das Haus ist verkauft. (lib) Das Haus ist verkauft worden.
Satz (lOb) ist zwar formal identisch mit einem Zustandspassiv im Deutschen, wie in (lla), aber solche Sätze werden in der niederländischen Grammatik als eine verkürzte Form des
Handlung saktionsart, Perfekti vität und Zustandspassiv
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Vorgangspassivs beschrieben: Zijn wird als temporales Hilfsverb zu einem nicht zum Ausdruck gebrachten Perfektpartizip geworden betrachtet (Geerts et al. 1984: 526). Es ist zwar möglich, die Form geworden zu ergänzen, aber dies führt so gut wie immer zu einem stilistisch unschönen Satz. Geerts et al. (1984: 526) sprechen in diesem Zusammenhang mißbilligend von regionalem Sprachgebrauch, wohl unter Einfluß des Deutschen. Eine Abgrenzung gegenüber Kopula-Adjektiv-Verbindungen ist notwendig, da die beiden oberflächlich vergleichbaren Sätze (12) und (13) unterschiedliche Strukturen aufweisen: (12) De winke! is gesloten. Der-Laden-ist-geschlossen. (13) Johannes is gesloten. Johannes-ist-geschlossen ('verschlossen').
In ähnlicher Weise wie (12) und (13) unterscheiden sich die deutschen Sätze (14) und (15): (14) Das Bild Saskias ist von Rembrandt selbst gezeichnet. (15) Der Papst ist von der Operation gezeichnet.
Ein Unterschied wie der zwischen den deutschen Sätzen (l la) und (l Ib) ist also im Niederländischen nicht da; Satz (lOb) ist ein Vorgangspassiv im Perfekt. (Das sog. verkürzte Vorgangspassiv scheint auch im Norddeutschen die Regel zu sein: zu erwarten ist demnach, daß Akzeptabilitätsurteile bei Nord- und Süddeutschen auseinandergehen.) Dies verursacht für den Deutschunterricht in niederländischen Schulen ein didaktisches Problem, das gewöhnlich so gelöst wird, daß die Schüler gelehrt werden, in die Perfektformen des deutschen Passivs immer worden einzusetzen, wenn der entsprechende niederländische Satz mit geworden ergänzt werden kann: Das re/n-Passiv wird somit einfach eliminiert. Dies wird nur in den seltenen Fällen problematisch, wo im Deutschen nur ein sein-P&ssiv möglich ist. Ich zitiere hier einige Beispiele nach Eisenberg (1986: 139; 16ab), der Dudengrammatik (1984: 186; 17-18) und Hentschel/Weydt (1990: 121; 19-21): (16a) (16b) (17) (18) (19) (20) (21)
Im Augenblick ist die Straße blockiert (*worden). Im Moment ist Karl entlassen (*worden). Dieses Gebiet ist von Turkmenen bewohnt. Die Straße ist mit Flüchtlingen verstopft. Das Anwesen ist von Feldern umgeben (*worden). - Das Anwesen wird von Feldern umgeben. Die Kneipe war von finsteren Gestalten bevölkert (""worden). - Die Kneipe wurde von finsteren Gestalten bevölkert. Die Straße war von Akazien gesäumt (""worden). - Die Straße wurde von Akazien gesäumt.
Diese Sätze sind nach Hentschel/Weydt vor allem deshalb außerordentlich, da sie das Agens (im von-Ausdruck) zulassen, was beim Zustandspassiv sonst nicht möglich ist, vgl. (lOcund llc): (10c) Het huis is door de makelaar verkocht, (llc) Das Haus ist (""vom Makler) verkauft.
Satz (lOc) ist natürlich wohl akzeptabel, anders als (llc), da in (lOc) ein verkürztes Vorgangspassiv, in (llc) ein Zustandspassiv vorliegt. Um auf die Lernsituation niederländischer Schüler zurückzukommen: Diese sind ohne weiteres bereit, in Sätzen wie (16-21) ein Vorgangspassiv zu verwenden. Nach der ihnen beigebrachten Regel ist ja ein Vor-
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gangspassiv dann angebracht, wenn im Niederländischen geworden ergänzt werden kann. Dies führt in diesen Fällen auch im Niederländischen zu kaum akzeptablen Sätzen, aber da das ja eigentlich immer so ist, stört das die Schüler nicht. Auch nach Heibig (1987: 219) sind Sätze wie (16-21) als Zustandspassiv-Konstruktionen etwas ungewöhnlich, denn sie enthalten kursive Verben, mit denen "lediglich ein Zustand bezeichnet wird, [...] [der] nicht als Folge-Zustand, d. h. als Folge eines vorausgegangenen Prozesses verstanden" wird: Heibig versteht die verbalen Komponenten dieser Sätze deshalb nicht als Zustandspassive. Im folgenden wird der Überschneidungsbereich der Kategorien 'Handlungsverb' und 'Zustandspassiv' an Hand einer Reihe von Satzbeispielen durchdiskutiert. Für unsere Zwecke sind die Sätze (22-26) wichtig, alle mit stark affiziertem Objekt: (22a) (22b) (22c) (22d)
Peter raucht die Zigarre. Die Zigarre wird von Peter geraucht. *Die Zigarre ist geraucht. *die gerauchte Zigarre
Vgl. auch: (23a) (23b) (23b) (23b)
Maria ißt den Pumpernickel. Der Pumpernickel wird von Maria gegessen. *Der Pumpernickel ist gegessen. '''der gegessene Pumpernickel
Mit trinken kann man vergleichbare Sätze konstruieren: (24a) (24b) (24c) (24d)
Peter trinkt das Glas Wein. Das Glas Wein wird getrunken. *Das Glas Wein ist getrunken. '•'das getrunkene Glas Wein
Die geringe Akzeptabilität der c- und rf-Sätze von (22-24) hat nichts damit zu tun, daß durch das Rauchen/Essen/Trinken das Objekt nicht mehr existiert, also auch keine Eigenschaften mehr besitzen kann: Vgl. (25a-d), wo einem Objekt, das durch eine vom Verb beschriebene Handlung nicht mehr existiert, diese Nicht-Existenz als Eigenschaft zugeordnet wird. Anders als in (22-24c) kann in (25c) statt des bestimmten Artikels auch ein Demonstrativpronomen eingesetzt werden: (2Sa) (25b) (25c) (25d)
Der Geheimdienst vernichtet das Dokument. Das Dokument wird vernichtet. Das (Dieses) Dokument ist vernichtet. das vernichtete Dokument
Vgl. noch (26): (26a) (26b) (26c) (26d)
Der Koch räuchert den Lachs. Der Lachs wird geräuchert. Der Lachs ist geräuchert. der geräucherte Lachs
Nicht zufällig enthalten die Sätze (22-26) eine definite Objekts-NP: mit einer indefiniten NP bekämen die Sätze eine imperfektive Lesart, wodurch schon das wenfen-Passiv der bSätze als ziemlich ausgefallen betrachtet werden müßte. Die Sätze (22-24) halten einer Kausalanalyse nicht stand: vgl. (22e) und (26e):
Handlungsaktionsart, Perfekrivität und Zustandspassiv
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(22e) Peter tut etwas, wodurch er einen Zustand herbeiführt, in dem die Zigarre die Eigenschaft bekommt, geraucht zu sein. (26e) CAUSiHxXRJ Der Koch tut etwas, wodurch er einen Zustand herbeifährt, in dem der Lachs die Eigenschaft bekommt, geräuchert zu sein.
Linguisten, denen der Begriffsapparat der Generativen Semantik noch vertraut ist, werden diese Themen bekannt vorkommen: die semantischen Repräsentationen der Verben in den Sätzen (22-24) enthalten das Prädikat BECOME, diejenigen der Verben in (25) und (26) außerdem noch das Prädikat CAUSE. Die Sätze (22-24) beschreiben zwar den Übergang von einem Vorzustand in einen Nachzustand, eine starke Affizierung des Objekts läßt sich auch nicht abstreiten, die Sache scheint allerdings schief zu gehen bei der Zustandsbeschreibung. 'Konsumptionsverben' zeigen das für Ereignisverben (finden, verlieren, sterben, fallen) typische Verhalten.
4. Schluß Zum Komplex Handlungsverben und Zustandspassiv läßt sich folgendes sagen: Für beide trifft zu, daß sie eine Veränderung betreffen, also im Prinzip perfektiv sind. Die Eigenschaft, 'Handlungsverb' zu sein, ist auf jeden Fall eine hinreichende Bedingung für das Zustandspassiv, während die Sätze (22-26) suggerieren, daß diese Eigenschaft dafür auch eine notwenige Bedingung ist. Hier ist allerdings Vorsicht angebracht, denn es gibt Gegenbeispiele. Diese Gegenbeispiele könnte man als Nicht-Zustandspassive, also als Kopula-Adjektiv-Konstruktionen beschreiben, was allerdings die Fairneß verbietet, da das Problem dann bloß terminologisch überdeckt wird, oder aber es sind beim Zustandspassiv noch andere Faktoren zu beachten. Beedham (1982: 24) gibt hier einen wichtigen Hinweis: wenn ein Zustandspassiv nicht akzeptabel ist, so liegt das nach ihm weniger an der Semantik des Verbs, als an dem Aspekt des Satzes. Er gibt Beispiele dafür, daß ein an sich wenig akzeptables Zustandspassiv in einem erweiterten Kontext mit perfektivem Aspekt akzeptabel werden kann, vgl. Beedhams Sätze (27ab): (27a) *Ihre Hand war gestreichelt. (27b) Sobald ihre Hand gestreichelt war, wurde sie fröhlicher. In (27b) ist, anders als in (27a), die Rede von einem kausal auf einen Vorzustand bezogenen Nachzustand. Diese Sachlage liegt auch vor in Satz (28), mit dem Unterschied, daß hier das Bestehen eines Nachzustands verneint wird: (28) Der Energieaustausch zwischen Lufthülle und Wassermassen durch Verdunstung, Niederschläge und Wellen ist noch längst nicht vollständig verstanden. (Die Zeit, 10.4.1992)
Die Tatsache, daß ein Veränderungssachverhalt beschrieben wird, ist wichtiger als die Frage, ob das Objekt affiziert ist. Es sieht so aus, als sei eine kompositionale, bzw. konfigurationale Aspektbehandlung auch für die Beschreibung semantischer Eigenschaften des Zustandspassivs zu favorisieren.
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Anmerkungen 1 Kausativität ist allerdings eine notwendige, aber nicht eine hinreichende Bedingung für die Handlungsaktionsart, denn Kausativität kann auch in 'imperfektiven' Sachverhaltsbeschreibungen festgestellt werden, etwa im Satz "Die Pumpe hält das Wasser unter konstantem Druck." 2 Die traditionellen Aspektkategorien 'perfektiv* und 'imperfektiv' betreffen an erster Stelle die morphologisch-semantische Zweiteilung der Verben in den slawischen Sprachen: ich verwende diese Begriffe abkürzend für die imperfektiven Nichtveränderungsaktionsarten und für die perfektiven Veränderungsaktionsarten. 3 Eisenberg hebt diesen Übergangsstatus des Zustandspassivs hervor: "Das Zustandspassiv kann als Konstruktion verstanden werden, die den Übergang zwischen dem Perfekt des Vorgangspassivs und den Kopulasätzen mit adjektivischem Prädikatsnomen markiert. Ebenso wie die Abgrenzung vom 'verkürzten Perfekt' des Vorgangspassivs teilweise willkürlich ist, so gibt es auch fließende Übergänge zum Kopulasatz." (Eisenberg 1986: 159)
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ENTWICKELN SICH IM DEUTSCHEN POSSESSIV-ADJEKTIVE? Der -s-Genetiv bei Eigennamen Elke Hentschel
1. Das Problem Der deutsche Genetiv verdient nicht nur deshalb Interesse, weil er trotz seines seit langem prophezeiten Untergangs noch immer weit davon entfernt ist, tatsächlich auszustehen, sondern auch, weil sich an ihm der Sprachwandel exemplarisch beobachten läßt. Ob der Genetiv gebraucht oder durch eine andere Form ersetzt wird, hängt in den meisten Fällen nicht nur von der Stilebene, sondern auch von der jeweiligen syntaktischen und semantischen Funktion des Kasus ab. Chancenlos sind Genetive insbesondere in Objektfunktion, ob als Objekt ersten Grades beim Verb wie in deiner will ich harren oder als Objekt zweiten Grades bei Adjektiven wie in er ist deiner nicht -würdig; und auch nach Präpositionen werden Genetive zunehmend seltener und nur auf einer relativ hohen Stilebene verwendet (vgl. wegen des Regens/ ugs. wegen dem Regen; eingedenk der Tatsache, trotz aller Einwände etc.). Bei den attributiven Genetiven stellt sich die Lage um einiges uneinheitlicher dar. Schriftsprachlich durchweg gebräuchlich und in bestimmten Textsorten wie z. B. Zeitungstexten, offiziellen Verlautbarungen, Nachrichten u. ä. sogar relativ häufig anzutreffen sind beispielsweise objektive und subjektive Genetivattribute, die sogar gehäuft auftreten können (z. B. die Recherchen der Steuerfahnderführten zur Festnahme mehrerer Verdächtiger). Demgegenüber ist beispielsweise der genelivus negationis schon vor langer Zeit ausgestorben und durch die Verbindung mit von (z. B. nichts von alledem statt ^nichts alledessen) ersetzt worden. Auch die Verdrängung des partitiven Genetivs scheint früh eingesetzt zu haben. So wird schon bei Jacob Grimm (1837: 862) anhand zahlreicher Beispiele wie etwa ein Glas Wasser oder ein Becher Wein die Frage 'scheinbarer nominativ statt gen.?' diskutiert: "der gen. ist hier seiner flexion beraubt, daß es kein nothwendiger nom. ist, folgt aus constructionen, die den acc. verlangen: ein glas wasser trinken." Allerdings ist der Verdrängungsprozeß auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts noch nicht vollständig abgeschlossen, und die Ersetzung dieser Genetiv-Funktion durch präpositionale Wendungen oder durch andere Kasus ist bis heute noch nicht einheitlich geregelt. Sagt man Ich hätte gerne eine Tasse heißen Tee oder doch lieber Ich hätte gerne eine Tasse heißen Tees oder vielleicht Ich hätte gerne eine Tasse mit heißem Tee! Es hat sich ergeben, daß statt einer einzigen, festen Regel mehrere unterschiedliche Tendenzen vorliegen, die bei der Wahl der entsprechenden Kasusmarkierung ausschlaggebend sind.1 Auch hinter oberflächlich ge-
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Elke Hentschel
sehen recht einfachen Fragestellungen wie der, wodurch der Genetiv im modernen Deutsch ersetzt wird, können sich also äußerst komplexe Zusammenhänge verbergen. Die Frage, um die es im folgenden geht, scheint auf den ersten Blick rein morphologischer Art zu sein. Bekanntlich gibt es im modernen Deutsch drei morphologische Möglichkeiten der Genetiv-Bildung: endungslos, auf -en oder auf -(e)s. Welche Form gewählt wird, hängt vom vorliegenden Deklinationstyp ab: - der endungslose Genetiv erscheint bei der (durchgehend endungslosen) Deklination der Feminina, z. B. die Frau - der Frau; - der -en-Genetiv charakterisiert schwache Maskulina, z. B. der Bär - des Bären; - der Genetiv auf -5 tritt bei starken Maskulina und Neutra auf, z. B. der Mann - des Mannes, das Kind - des Kindes, Dieses regelmäßige Schema hat allerdings nur dann Gültigkeit, wenn es sich bei dem Wort, zu dem der Genetiv gebildet werden soll, nicht um einen Eigennamen handelt. Über die eigenwillige Entwicklung, die die Deklination von Eigennamen im Laufe der Sprachgeschichte genommen hat, berichtet auch schon Jacob Grimm, wenn er in seiner Deutschen Grammatik die "Declination der eigennamen" vom Gotischen bis hin zu seiner Zeit darstellt. Im Gotischen war die durchgehende Markierung des Genetivs durch -5 sowohl bei der starken als auch bei der schwachen Deklination von Maskulina wie Feminina obligatorisch (vgl. z. B. Marjins, Ksusis); bei althochdeutschen Formen wie Prünin (von Prünö) oder Prunhiltd (von Prunhilta) war sie jedoch nicht mehr unbedingt nötig; und auch das Mittelhochdeutsche kommt bei schwachen Genetiv-Formen wie Hagenen oder Georgen ohne ein -s aus.2 Über die Lage im Neuhochdeutschen seufzt schon Jacob Grimm (1837: 695): "Die neuhochd. biegung der eigennamen ist sehr verworren" und erläutert: 1.) 2.) 3.) 4.)
starken masc. gibt man noch das gen. -s [...] starke fern, bleiben unverändert [...] schwache masc. pflegen stark zu declinieren. [..] Der noch zuweilen gehörte gen. Göthen [...] veraltet. [...] die schw. weibl. form hat sich bei den eigennamen etwas länger gehalten, als beim subst.; während schon lange der sg von zunge unverändert blieb, duldete man, wenn kein art vorsteht, den gen. marien oder mariens [...] diese flexion -ens ahmt fehlerhaft das männl. -ens nach, vergleicht sich aber dem -s, das in der zus.setztung weiblichen subst. beigelegt wird, z. b. hoffnungslos. (Grimm 1837: 695)
Auf den ersten Blick scheint es, als habe sich die letztgenannte Entwicklung zum Standard-J für die Bildung des Genetivs von Eigennamen aller drei Genera mittlerweile völlig durchgesetzt. Unabhängig davon, ob bei dem betreffenden Eigennamen ein Maskulinum, Femininum oder Neutrum vorliegt, wird bei seinem artikellosen Gebrauch ein -i-Genetiv gebildet: masculinum: Patricks Zimmer femininum: Ullas Brief neutrum: Berlins Straßen Gelegentlich finden sich auch Bildungen auf -(e)ns, so etwa: GallwitzensNiederlage3
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Allerdings gilt diese Regel nur dann, wenn die Eigennamen nicht mit Artikel gebraucht werden. Bei Artikelgebrauch wird der Genetiv endungslos gebildet: die Straßen des alten Berlin, das Zimmer des abwesenden Patrick, der Brief der guten alten Ulla. Dies ist insofern ungewöhnlich, als eine Abhängigkeit einer Endung vom vorangehenden Artikel im Deutschen normalerweise nur bei Adjektiven gegeben ist, die Deklination der Substantiva hingegen unabhängig davon erfolgt, welcher Artikel gebraucht wird. Anstelle der attributiven Genetive können fast immer Ersatzformen mit von und nachfolgendem Dativ gebildet werden. Im Unterschied zu diesen Wendungen können - -Genetive vor das Beziehungswort gestellt werden; dies ist zugleich die Stellung, in der sie bevorzugt gebraucht werden. Eine Voranstellung des mit von gebildeten Attributs ist hingegen nur in einigen umgangssprachlichen Varianten des Deutschen möglich: Kohls Rede l die Rede Kohls; die Rede von Kohl / ugs. von Kohl die Rede. 2. Eine Befragung Im Rahmen der Untersuchung verschiedener Phänomene, die mit dem Gebrauch des Genetivs oder seiner Ersatzformen in Zusammenhang stehen, sollte auch die Akzeptanz der -i-Formen von Eigennamen in verschiedenen Gebrauchsweisen erfaßt werden. Zu diesem Zweck wurden eine Reihe von Beispielsätzen gebildet, die 90 Personen mit deutscher Muttersprache zur Beurteilung vorgelegt wurden. Die Befragten sollten dabei angeben, ob sie die entsprechende Form, also den jeweiligen Eigennamen im -s-Genetiv, als "ganz normal", als "merkwürdig" oder als "indiskutabel" empfänden. Bei dieser Formulierung der Frage wurde bewußt auf Begriffe wie "falsch" oder "richtig" verzichtet. Außerdem wurden die Probandinnen und Probanden gebeten, möglichst spontan und ohne langes Überlegen zu antworten. Da die Gefahr, daß man spätestens nach der vierten Form die für eine spontane Beurteilung nötige Intuition verliert, nicht auszuschließen war, wurde die Reihenfolge, in der die Sätze vorgelegt wurden, zwischen den einzelnen Fragebögen variiert. Der Fragebogen hatte die folgende Form: Bitte beurteilen Sie die im folgenden unterstrichenen Formen nach Ihrem Sprachgefühl. Wie empfinden Sie sie? (Bitte überlegen Sie nicht allzu lange, sondern versuchen Sie, sich spontan zu entscheiden.) Die unterstrichene Form ist nach meinem Gefühl:
merkwürdig indiskutabel ganz normal
Michaels Anteil a n d e r Beute fiel ziemlich mager aus.
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Die Szene sah aus, als habe sie jemand arrangiert: unweit des Familienoberhauptes konnte man im Hintergrund eine alte Eiche erkennen, u n d unweit Friedrichs l a g e i n e i n alter Autoreifen i m Gras.
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D a s i s t Ullas Arbeitszimmer.
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Wegen deines Freundes und auch wegen Petras war mir das alles sehr unangenehm Ich entsinne mich meines Vaters nur noch sehr ungenau, u n d Peters, meines Onkels, eigentlich noch weniger I c h t u e d a s u m deinetwillen, nicht u m Gustavs willen!
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Elke Hentschei
Die Ergebnisse der Befragung sehen folgendermaßen aus:.4
ganz normal
merkwürdig
indiskutabel
unweit Friedrichs
27%
57%
17%
Ullas Arbeitszimmer
100%
0%
0%
wegen Petras
16%
57%
28%
Peters
20%
43%
39%
Michaels Anteil
100%
0%
0%
um Gustavs -willen
72%
26%
2%
Form
Noch aussagestärker wird dieses Ergebnis, wenn man die Zahlen aus den Spalten "merkwürdig" und "indiskutabel" in einer Rubrik "Bedenken" zusammenfaßt und sie der Rubrik "akzeptabel" gegenüberstellt:
Form
akzeptiert
Bedenken
unweit Friedrichs
27%
73%
Ullas Arbeitszimmer
100%
0%
wegen Petras
16%
84%
Peters
20%
80%
Michaels Anteil
100%
0%
um Gustavs willen
72%
28%
Offenbar ist mit dieser Befragung ein prinzipielles Problem erfaßt worden. Bei den beiden possessiven Genetiven, die im Sample enthalten waren, hatte niemand auch nur den geringsten Zweifel daran, daß es sich um ganz normale und völlig akzeptable Formen handelt. Alle Befragten haben dieselbe Antwort gegeben: sie waren der Meinung, daß Ullas Arbeitszimmer und Michaels Anteil "ganz normal" sind und klingen. Ganz anders hingegen das Ergebnis bei unweit Friedrichs, wegen Petras und dem Objekt Peters. Hier zeigt sich deutlich, daß die Befragten in ihrem Urteil unsicher sind. Insgesamt hat sich jedoch mit 84% (wegen Petras), 80% (Peters) und 73% (unweit Friedrichs) jeweils eine deutliche Mehrheit dagegen ausgesprochen, daß es sich bei diesen Formen um normale, akzeptable Bildungen handelt. Wie läßt sich das erklären? Syntaktisch gesehen besteht zwischen den vollständig akzeptierten und den mehr oder weniger stark abgelehnten Formen zunächst der Unterschied, daß es sich in einem Fall um At-
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tribute, im anderen um ein Genetiv-Objekt sowie um Teile von Adverbialbestimmungen handelt, bei denen der Genetiv jeweils von einer Präposition abhängig ist. 3. Beobachtungen in verwandten Sprachen Die offenbar akzeptablere attributive Funktion soll nun Anlaß zu zwei kleinen Exkursen sein. Der possessive Genetiv ist - zumindest historisch - eine allen indoeuropäischen Sprachen gemeinsame Genetiv-Funktion. Als solche erhalten ist sie nicht nur - wie die folgenden Beispiele zeigen - im Deutschen, sondern auch in anderen Sprachen, beispielsweise im Englischen. Bekanntlich läßt sich das possessive5 nominale Attribut im Englischen wahlweise durch die Endung -s (What is the ship's name) oder durch eine präpositionale Wendung mit of (What is the name of the ship)6 bilden. Dies entspricht auf den ersten Blick vollständig der im Deutschen im Falle der Eigennamen vorliegenden Situation (Ullas Brief/ der Brief von Ulla). Nun ist es aber so, daß die beiden morphologischen Ausdrucksweisen (die im folgenden entsprechend der in englischen Grammatiken üblichen Begriffe als 's-Genetiv' und Of-Genetiv' bezeichnet werden sollen) keineswegs beliebig austauschbar sind. So weisen etwa Quirk und Greenbaum (1973) ausdrücklich darauf hin, daß Formen wie *the doors'knob oder *the hat of John nicht möglich sind; diese Feststellung führt natürlich zu der Frage, nach welchen Kriterien sich die Wahl der entsprechenden Form richtet. Leech/Svartvik (1975: 60) geben hierfür folgende Regel an: "In general, the genetive is preferred for human nouns [...] and to a lesser extent for animal nouns [...] and human group nouns", und Quirk/ Greenbaum (1973: 96) erläutern: "Generally speaking, the -s-genitive is favoured by the classes that are highest on the gender scale, i. e. animate nouns, in particular persons and animals with personal gender characteristics." Damit rückt der englische -s-Genetiv in der Tat in große Nähe zum deutschen -s-Genetiv bei Eigennamen. Aber für die Lösung der Frage, warum der -j-Genetiv der Eigennamen nach Präpositionen für eine Mehrheit der Befragten nicht akzeptabel war, scheint das Englische zunächst keinen Hinweis zu geben, da Genetive in dieser Sprache bekanntlich überhaupt nur als AttributsCasus erhalten sind. In manchen indoeuropäischen Sprachen gibt es außer der präpositionalen Wendung noch eine andere Alternative zum Genetiv, und zwar eine Form, die man gewöhnlich als "Possessivadjektiv" bezeichnet.7 Bei diesen Possessivadjaktiven handelt es sich um Adjektive, die mittels spezifischer Wortbildungsverfahren aus einer bestimmten Klasse von Substantiven gebildet werden können. Eine Sprache, in der solche Possessivadjektive noch produktiv und auch relativ häufig anzutreffen sind,* ist das Serbokroatische. Um das Phänomen an einem Beispiel zu verdeutlichen: beispielsweise wird der Name des Belgrader Lenin-Boulevards auf den Straßenschildern entlang dieser Straße auf zwei verschiedene Weisen angegeben, nämlich als: bulevar Lenjina und alsLenjinov bulevar. Während im ersten Fall ein Genetiv (Lenjinä) vorliegt, handelt es sich im zweiten (Lenjinov) um das Possessivadjektiv.9 Possessivadjektiva
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Elite Hentschei
sind in ihren syntaktischen Verwendungsmöglichkeiten eingeschränkt: Im Gegensatz zu anderen Adjektiven können sie nur in attributiver und (seltener) prädikativer Funktion auftreten. Ein Gebrauch als Adverbialbestimmung, wie er bei normalen Adjektiven vorkommt (brz brzo), ist bei Possessivadjektiven nicht möglich. Die syntaktische Distribution entspricht damit der von Possessivpronomina und nicht der von Adjektiven: Lenjinove ideje l njegove ideje ('Lenins Ideen' / 'seine Ideen') Ova idejaje Lenjinova / Ova idejaje njegova (etwa: 'Diese Idee ist Leninsch' / 'Diese Idee ist die seine') *Lenjinovo misliti l *njegovo misliti /aber: drugate misliti ('Leninsch denken '/ 'auf seine Weise denken'/ 'anders denken')
Produktiv gebildet werden Possessivadjektive im Serbokroatischen von Eigennamen (Petar
- Petrov, Dragana - Draganin etc.), Verwandtschaftsbezeichnungen (tata - tatin 'Papa', kum - laanov 'Pate' etc.) sowie Berufs- und Rollenbezeichnungen (student - studentov, putnik putnikov 'Reisender' etc.).10 Alte, nach einem nicht mehr produktiven Muster gebildete Formen gibt es ferner für Tiere (vuk - vuöji 'Wolf, zmija - ztnijinji 'Schlange' etc.) und Pflanzen (Sljiva - iljivov 'Pflaume', jabuka -jabukov 'Apfel' etc.). Die Gruppe von Substantiven, aus denen Possessivadjektive gebildet werden können, hat somit eine verblüffende Ähnlichkeit mit der für das Englische festgestellten Beschränkung des -j-Genetivs auf belebte Substantive. Tatsächlich ist im Serbokroatischen die Bildung von Possessivadjektiven beispielsweise für Wörter wie 'Tisch' (sto - *stolov) oder 'Stuhl' (stolica - *stolitiri) normalerweise ausgeschlossen.11 Bevor wir uns nun wieder der Interpretation der Befragungsergebnisse für das Deutsche zuwenden, soll noch geklärt werden, welche syntaktisch-semantischen Funktionen der -^-Genetiv des Englischen und das serbokroatische Possessivadjektiv erfüllen. Syntaktisch steht offenbar in beiden Fällen die - für das Serbokroatische schon durch den Namen suggerierte - Funktion des possessiven Attributs im Vordergrund.12 Daß die Besitzanzeige im Serbokroatischen auch genauso wie im Englischen durch einen Genetiv statt durch ein Possessivadjektiv erfolgen kann, hat das Beispiel des Lenin-Boulevards verdeutlicht. Diese Feststellung führt naturgemäß zu der Frage, ob es einen semantischen Unterschied zwischen dem Genetiv und dem Possessivadjektiv im Serbokroatischen bzw. zwischen dem s-Genetiv und dem of-Genetiv im Englischen gibt - und wenn ja - worin er jeweils besteht. Stevanovid (1989: 540) weist darauf hin, daß durch die Possessiva nicht nur die Besitzanzeige im engeren Sinne geleistet werden kann.13 Als weitere Bedeutung nennt Stevanovid (1989: 541) "osobina" (etwa: 'Eigenschaft', 'Wesenszug') und belegt dies am Beispiel von bivolja kola ('Büffelhaut', 'Büffelleder'). Auch Milka Ivid (1989: 95) beschäftigt sich mit der Frage nach der Bedeutung der Possessivadjektive. Im Unterschied zu Stevanovid bildet sie Minimalpaare aus Possessivadjektiven und Genetiv-Konstruktionen und versucht anhand der Gegenüberstellung von Beispielen wie OduSevljen sam metodom Jakobsona (etwa: 'Ich bin von der Methode Jakobsons begeistert') und OduSevljen sam Jakobsonovim metodom (etwa: 'Ich bin von Jakobsons Methode begeistert') den Unterschied zwischen den beiden Ausdrucksweisen zu erfassen. Sie kommt zu dem Schluß, daß "by genitivizing the noun [...] the
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speaker is weakening its identificatory force; adjectivization is, on the other hand, a grammatical device serving to make it stronger" (Ivie* 1989: 96). Ivic" erläutert dies sinnfällig mit dem Hinweis, daß die Begeisterung für die Methode eines persönlichen Freundes nicht mit dem Genetiv, sondern nur mit dem Possessivadjektiv ausgedrückt werden kann (OduSevljen sam Romkinin metodom (vgl. Ivic" 1989: 96)). Ganz parallel verläuft im Englischen der Unterschied zwischen dem o/-Genetiv und dem -s-Genetiv. Mit den Worten von Quirk/Greenbaum (1973: 96): "A further factor influencing the choice of genitive is information focus, the -s-genitive enabling us to give end-focus to one noun, the of-genitive to another." Mit anderen Worten: der -j-Genetiv ist eher thematisch, der of-Genetiv eher rhematisch, so wie das Possessivadjektiv des Serbokroatischen einen höheren Bekanntheitsgrad voraussetzt, wo der Genetiv mit den Worten Mila Ivids eine gewisse Distanz schafft. Damit läßt sich in zwei verschiedenen, nur sehr weitläufig miteinander verwandten indoeuropäischen Sprachen eine morphologische Markierung auszumachen, deren syntaktische Funktion primär attributiv ist, während der semantische Gehalt sich als Possessivität im weitesten Sinne sowie darüber hinaus als Zuordnung zum thematischen Bereich des Satzes beschreiben läßt.
4. Interpretation der Ergebnisse Kann man diese Erkenntnisse in irgendeiner Weise mit dem Deutschen und den obigen Befunden bei der Untersuchung der Akzeptabilität von -j-Genetiven bei Eigennamen in Verbindung bringen? Eines läßt sich mit Sicherheit feststellen: nur in denjenigen Fällen, in denen der deutsche -j-Genetiv in den Beispielsätzen genau dem entsprach, was hier für den englischen -i-Genetiv resp. für das serbokroatische Possessivadjektiv festgestellt werden konnte, waren sich alle Befragten darüber einig, daß die betreffende Form (Ullas Arbeitszimmer, Michaels Anteil) vorbehaltslos zu akzeptieren sei. Und umgekehrt riefen die Formen unweit Friedrichs, wegen Petras und (ich entsinne mich) Peters überwiegend Bedenken bezüglich ihrer Akzeptabilität hervor. In diesen Fällen ist die syntaktische Funktion eine andere, und im Falle von wegen Petras und noch stärker im Falle des Objektes Peters - das interessanterweise mit 39% "indiskutabel" auch die höchste absolute Ablehnungsrate erfahren hat - kann man zusätzlich annehmen, daß die Genetive nicht dem thematischen, sondern eher dem rhematischen Bereich zuzuordnen ist. Damit erklärt sich zugleich, warum sie nicht mit dem bestimmten Artikel zusammen auftreten können (vgl. *der Ullas Brief): der Gebrauch des bestimmten Artikels kommt einer Zuordnung zum thematischen Bereich des Satzes gleich; die Markierung als Thema ist somit schon erfolgt und kann nicht noch einmal durch eine Endung beim Substantiv ausgedrückt werden. Dasselbe Verbot bezüglich des doppelten Ausdruckes der thematischen Markierung wird im Deutschen beispielsweise auch bei Possessivpronomina wirksam;
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aus diesem Grund ist eine Bildung wie *das mein Haus ungrammatisch - im Gegensatz etwa zum italienischen la mia casa. Wie läßt sich aber nun die Tatsache erklären, daß um Gustavs willen zwar nicht auf 100%ige Akzeptanz gestoßen ist, aber doch immerhin von 72% "als ganz normal" (und nur von 2% als "indiskutabel") bewertet wurde? Eine mögliche Erklärung besteht natürlich darin, einfach eine Analogiebildung zu den häufigsten Äußerungen mit um ... willen anzunehmen; die Befragten hätten also die Form parallel zu um Gottes willen, um Himmels willen oder um des lieben Friedens willen eingeordnet und entsprechend die Bildung mit -s als richtig beurteilt. Wenn man aber voraussetzt, daß die oben vorgeschlagene syntaktische Erklärung für die Funktion der -5-Genetive bei Eigennamen richtig ist, dann bietet sich zusätzlich noch eine zweite Erklärung an. Bei der Zirkumposition um ... willen handelt es sich nicht nur etymologisch, sondern auch synchronise!! noch voll und ganz nachvollziehbar um eine Kombination aus Präposition und Substantiv. Die Genetivrektion dieser Konstruktion ist auch nicht der Präposition um geschuldet, die ausschließlich Akkusativrektion zuläßt. Insofern liegt auch und gerade für synchrones Denken die Interpretation des Genetivs als ein Attribut zu Wille durchaus nahe, also eine Auslösung der Konstruktion in Gustavs Wille einerseits und die Präposition um mit Akkusativ andererseits. Wenn die Phrase so intertpretiert wird, ist die -s-Form die richtige Wahl - ganz parallel zu Michaels Anteil und Ullas Arbeitszimmer. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Empirische Befunde legen den Schluß nahe, daß es im Deutschen im Bereich der Eigennamen eine besondere Form, den j-Genetiv, gibt, die - syntaktisch auf attributive Funktionen festgelegt ist14 und - semantisch eine Bezugname auf Bekanntes, Vorerwähntes etc. voraussetzt. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Form, deren wesentliche syntaktische wie semantische Eigenschaften denen des Possessivpronomens entsprechen. Eine solche Form wird in anderen Sprachen normalerweise als "Possessivadjektiv" bezeichnet. Somit liegen im Deutschen Ansätze zur Herausbildung eines Possessivadjektivs vor.
Anmerkungen 1
Vgl. Hentschel (1992). Die Tendenzen, die dabei festgestellt werden konnten, waren die folgenden: im Plural wurde generell der Genetiv bevorzugt, im Singular hingegen gab es einerseits eine Tendenz zum Gebrauch des Parallelkasus und andererseits zur Verwendung der statistisch häufigeren Endung; gleichzeitig konnte eine Bevorzugung des Akkusativs festgestellt werden, wenn dieser direkt von einem Verb regiert wurde. 2 Vgl. z. B. Braune/Ebbinghaus (1973: 78), Paul/Moser/Schröbler (1969: 153). 3 Der Spiegel 36/46 vom 31.08.92, S. 200; die Rede ist von Herrn Gallwitz, dem ehemaligen Chef des Städte- Museums in Frankfurt a. M. 4 Die Werte sind gerundet. 5 Im Prinzip können auch subjektive, objektive und - wenngleich eher selten- auch partitive Genetive im Englischen in dieser Weise angeschlossen werden; vgl. Quirk/Greenbaum (1984: 95).
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Beispiele nach Quirk/Greenbaum (1973: 95). Brugmann (1911: 579) vermutet sogar, daß die Form des possessiven Genetivs in den indoeuropäischen Sprachen etymologisch auf ein substantiviertes Adjektiv zurückzuführen ist; demzufolge wären possessive Adjektive die ursprüngliche Form des Ausdrucks einer Zugehörigkeit. Auch im Russischen gibt es Possessivadjektive (auf -ov, -ev und - 'in gebildet), die aber - vor allem im Vergleich zum Serbokroatischen - "verhältnismäßig selten gebraucht" werden (Tauscher/Kirschbaum 1973: 175). Zu den morphologischen Besonderheiten der Bildung von Possessivadjektiven (prisvojni pridevi) im Serbokroatischen, die auf -je, -ji, -in, -ov oder -ev erfolgen kann, vgl. Stefanovio (1989: 540-546). Diese Possessivadjektive werden auf -ev, -ov und -in gebildet. In der von Engel und Mrazovi£ (1986) herausgegebenen kontrastiven Grammatik werden nur diese Formen als Possessivadjektive aufgeführt; die übrigen Bildungsweisen bleiben unberücksichtigt. Die wenigen Ausnahmen von dieser Regel, Bildungen wie sobnji (zu soba 'Zimmer'), ofinji (zu oka 'Auge1) oderjajnji (zujaje 'Ei') sind z. T. - so etwa im letzteren Fall - veraltet; produktive Bildungen dieser Art sind ausgeschlossen. Zur Beschränkung der Bildungsmöglichkeit auf Menschen, Tiere und bestimmte Pflanzen - vorzugsweise Bäume - vgl. auch MrazovicVVukadinovio (1990: 261). "[...] we may infer that the possessive use is especially associated with the -s-genetive [...]" (Quirk/Greenbaum 1973: 96). "AH, da odmah istaknemo, svi pridevi s ovim nastalcima nisu prisvojni, neoznaiavaju, naime, svakad pripadanje, nego neki öd njih mogu imati i druga znaöenja." Etwa: 'Es sei aber gleich darauf hingewiesen, daß nicht alle Adjektive mit diesen Endungen immer possessiv sind; sie zeigen nämlich nicht in jedem Fall ein Besitzverhältnis an, sondern einige von ihnen können auch andere Bedeutungen haben.' Diese Feststellung ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, daß possessive Konstruktionen in sehr vielen Sprachen Funktionen wahrnehmen, die über die reine Besitzanzeige hinausgehen (vgl. z. B. türkische Possessivkonstruktionen wie fehir plant 'Stadtplan' etc.). Es ist anzunehmen, daß die Form darüber hinaus auch prädikativ gebraucht werden kann (dieses Zimmer ist Ullas), wenngleich eine solche Verwendung eher selten sein dürfte.
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POSSESSIVA ALS PRONOMINA Evidenzen aus diachroner Sicht
Julia Philippi
Im folgenden wird die Struktur von Possessiva innerhalb der DP diskutiert. Es werden zunächst zwei neuere Analysevorschläge vorgestellt und Gegenargumente gegen diese Ansätze aufgeführt. Anschließend wird eine alternative Analyse skizziert, die die Probleme der vorgestellten Ansätze zu lösen vermag und für die im 2. Abschnitt anhand diachroner Daten Evidenz geliefert wird.
l. Der kategoriale Status des Possessivums Der kategoriale Status des Possessivums ist in der neueren Literatur umstritten. Für die 'Nominalphrase' in (1) gibt es verschiedene Analysevorschläge: (1) (2i)
eure Katze [w [D- [D eure] [NP [ N . [N Katze]]]]]
(2Ü) [DP [D- [D e] [NP [ N - U eure] [N. [ N Katze]]]]]]
Haider analysiert Possessiva als Determinantien (2i). Stünden Possessiva - wie vielfach vorgeschlagen - in Spec-D, müßten sie Argumentstatus haben und daher kasusmarkiert sein. Trügen sie den für Elemente in Spec-D zu erwartenden Genitiv, müßten sie dasselbe morphologische Verhalten zeigen wie genitivische Pronominalargumente nicht-nominaler Köpfe. Dies ist aber nicht der Fall. (3i) (3ii)
*ihrer Überprüfung der Hypothesen ist unzureichend weil sie ihrer überdrüssig waren
Possessiva müßten dieselbe Distribution zeigen wie pränominale Genitive. Die distributioneilen Eigenschaften entsprechen jedoch eher denen von Artikeln. (4i) mit all seinen dummen Gedanken (4ii) '"mit all Willys dummen Gedanken (4üi) mit all den dummen Gedanken
Für Löbel sind Possessiva Adjektive (2ii). Die D-Position kann wegen des Emondschen Prinzips der unsichtbaren Kategorie (5) leer bleiben, denn die in D als Kongruenzmerkmale realisierten phi-Features werden auch am Possessiv sichtbar. (5)
Prinzip der unsichtbaren Kategorie: Eine Kategorie B mit dem Merkmal C kann durch eine Ableitung hindurch leer bleiben, wenn C an einem Schwesterknoten morphologisch transparent ist.
Possessiva sind Träger inferierter Theta-Rollen; sie werden mit Argumenten des Nomens assoziiert. Auch für Adjektive lassen sich ggf. Theta-Rollen inferieren.
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Julia Philippi (6i) die amerikanische Invasion (6ii) Amerikas Invasion
Konflikte bezüglich der grammatischen Merkmale des Possessivs entstehen nach Löbel (1991) nicht. Die Features des Possessors sind semantische Merkmale, denn sie sind für die Kongruenz mit dem Nomen irrelevant; die Kongruenz-Features sind syntaktische Merkmale. Gegen Haiders Vorschlag läßt sich folgendes einwenden: Possessiva sind entgegen Haiders Meinung sehr wohl genitivisch spezifiziert; sie realisieren dieses Feature nicht suffixal, sondern inhärent am Stamm. Dies spricht dafür, daß Possessiva Argumente des Nomens sind und in einer Argumentposition realisiert werden müssen. Da hier aus konzeptuellen Gründen von der DP-Hypothese im Sinne von Abney (1987) ausgegangen wird, kommt D - als eine Kategorie, die die NP als Komplement nimmt - als Basisposition für Argumente des Nomens nicht in Frage. Gegen Löbels Analyse lassen sich folgende Einwände geltend machen: Die Instantiierung der grammatischen Merkmale des Possessors erfolgt nach syntaktischen Prinzipien: Diese müssen mit den Features eines explizit gegebenen oder kontextuell erschließbaren Antezedenten übereinstimmen. Ich werde unten zeigen, daß sich die in manchen Sprachen mögliche Realisierung der Merkmale [+/-Anapher], [-l·/-Pronomen], die das morphologische Verhalten von Possessiva bestimmt, aus der Bindungstheorie erklärt. Dies ist ein Indiz gegen die semantische Interpretation der Possessor-Features. Zudem wird klar, daß Possessiva keine Adjektive sind, denn die Bindungstheorie erfaßt nur nominale Ausdrücke. Ich möchte Possessiva mit Olsen (1992) als Pronomina ansehen, die in Spec-N basisgeneriert werden und ihre Flexionssuffixe in Kongruenz mit N erwerben (7). N weist nach links keinen Kasus zu; dennoch ist Spec-N eine Argumentposition des Nomens. Die Relation zwischen N und pränominalen DPen ist eine Form von Kasuschecking. Ein Element ist in Spec-N lizensiert, wenn es eine bestimmte Kasusspezifikation aufweist. Possessiva können aufgrund inhärenter Kasuseigenschaften in Spec-N stehen. (7)
[„P [D. [D e] [ NP [DP eure] [N. [ N Katze]]]]]
Nicht-pronominale Argumente von N werden postnominal in N basisgeneriert und fakultativ in eine pränominale Position bewegt. Ein dem Nomen vorangestelltes Argument erbt Kasus und Theta-Rolle von der Spur in N und ist deshalb in Spec-N lizensiert. Im Deutschen sind Possessiva die einzigen Argumente, die mit dem Nomen kongruieren können. Possessiva enthalten im Stamm ein D, das seine phi-Features selbständig realisiert, so daß bereits hier eine vollständige grammatische Spezifikation erfolgt. Nicht-pronominale Argumente von N realisieren ihre phi-Features suffixal. Die zusätzliche Instantiierung eines Kongruenzmorphems ist nicht möglich. Ich nehme an, daß nominale Flexionssuffixe im Deutschen nur Stämme, nicht aber komplexe morphologische Strukturen selegieren. Dies ist nicht universal bedingt. In der äthiopischen Sprache Bilin werden genitivische Morpheme an den Stamm suffigiert; aus dem Genitiv läßt sich eine Possessiv-Form ableiten, die mit dem Nomen kongruiert (Seppänen 1980).
Possessiva als Pronomina (8)
gerwixwed [ Mann-Gen.Sg [
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Poss-Nom]]
Zwischen Possessor-Features und Kongruenz-Merkmalen entstehen keine Inkonsistenzen, denn die Feature-Instantiierung erfolgt in einer morphologischen X-BAR-Hierarchie auf unterschiedlichen Projektionsebenen. Die grammatischen Merkmale des Possessors werden durch alternierende Stämme im Lexikon fixiert. Sie sind unabhängig von den Kongruenzfeatures, die an den Stamm suffigiert und an die nächsthöhere morphologische Projektionsebene perkoliert werden. Für die syntaktische Struktur der DP sind Kongruenz-Features bedeutsam.
2. Historische Evidenzen Ich möchte im folgenden das in l. über Possessiva Gesagte anhand von diachronen Daten belegen. In Abschnitt 2.1. wird zunächst die Ableitung des Possessivs aus Genitivargumenten des Nomens skizziert, in 2.2. wird anhand der Bindungstheorie Evidenz für den pronominalen Status der Possessiva geliefert. 2.1. Die Entstehung flektierender Pronomina Daß sich Possessiva aus genitivischen Pronomina ableiten, ist in der Literatur unumstritten. Der wesentliche historische Schritt vom pränominalen Genitiv zum Possessiv beinhaltet keine Veränderung der syntaktischen Struktur: Diese entspricht den Prinzipien des X-BAR-Schemas, die universal - und folglich panchron - gültig sind. Es handelt sich vielmehr um kasusselektionale Veränderungen. Danach wird dem Pronominalargument nicht mehr der Genitiv zugewiesen; es wird nur überprüft, ob die Form bestimmte Kasuseigenschaften aufweist. Eine Bedingung hierfür ist die Möglichkeit, Genitivargumente dem Nomen voranzustellen. Dies ist bereits im Sanskrit gegeben, wo pränominale Genitive gegenüber postnominalen der unmarkierte Fall sind. (9i) (9ii)
phadidam mulani Pflanze-Gen.Pl. Wurzel devonam hota Gott-Gen.Pl. Priester
Man mag sich fragen, ob nicht Genitivargumente - wenn ihre Positionierung in Spec-N unmarkiert ist - pränominal basiszugenerieren sind. Gegen diese Analyse spricht, daß auch postnominale Genitive in den frühesten idg. Dialekten auftreten. (10i) ai: data rayimm der Geber Reichtum-Gen.Pl. (lOii) griech: ho phobos ton polemion die Furcht der Feinde
Eine Analyse, derzufolge in (10) das in Spec-N basisgenerierte Element in eine postnominale Argumentposition bewegt wird, ist nicht akzeptabel, denn die Spur würde die dem Nomen
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Julia Philipp!
nachgestellte DP c-kommandieren. Dies wäre eine Verletzung bindungstheoretischer Prinzipien. Die Basisposition genitivischer Argumente des Nomens muß also die postnominale gewesen sein. Die Entstehung flektierender Possessiva wird durch einen morphologischen Wandlungsprozeß ausgelöst, nach dem das Suffix, an dem die phi-Features des Pronomens ausgedrückt werden, als zum Stamm gehörig interpretiert wird und das Pronomen folglich eine inhärente Kasusspezifikation aufweist. Die Form kann damit in Spec-N basisgeneriert werden und dort Kongruenz-Features erwerben. Der Übergang von Genitivformen zu Possessiva vollzieht sich nicht abrupt, sondern separat an einzelnen lexikalischen Einheiten. Noch heute lassen sich im Deutschen nicht aus allen Pronomina flektierende Formen ableiten. Das demonstrative dessen beispielsweise ist ein rein genitivisches Pronomen. Ich möchte den Prozeß am Beispiel des femininen und pluralischen Possessivs Ir demonstrieren: Die Veränderung fand erst im Mhd statt und ist damit direkter Beobachtung zugänglich. Im Ahd. gibt es im Fern. Sg. und im Pl. keine flektierenden Possessiva; stattdessen wird der Genitiv des Personalpronomens iro (Pl.) bzw. ira (Sg. Fern.) gebraucht. Der Stamm des Pronomens /i-/ bestimmt nur seinen kategorialen Status: für grammatische Merkmale ist er unspezifiziert. Die phi-Features werden durch die Morpheme /-ra/ und /- / realisiert, die an den Stamm suffigiert und an die Wortebene perkoliert werden. (lli) iro wisduam ihr-Gen.Pl Weisheit (llii) ira sun guater ihr-Gen.Sg. Fern. Sohn guter
Im Mhd. schwächen die Genitivendungen ab: plurale Formen sind von femininen Singularformen nicht mehr zu unterscheiden. Das genitivische Pronomen heißt einheitlich ire, später ir. (12i) ir beder triuwe ihrer beider Treue (12ii) uz ir bade aus ihrem Bade
In dieser Situation findet ein morphologischer Wandel statt, nach dem das /r/-Suffix als zum Stamm gehörig interpretiert wird. Dies mag dadurch motiviert sein, daß maskuline Possessiva verstärkt unflektiert gebraucht werden, deren Stamm /sin-/ der Genitivform des Reflexivpronomens entspricht. Die Veränderung wird zunächst phonetisch nicht sichtbar. Das genitivische Pronomen realisiert neben Stamm keine weiteren Suffixe. Der Stamm ist synonym zu allen morphologisch höheren Projektionsebenen. Das Pronomen ist folglich am Stamm, aber auch insgesamt genitivisch spezifiziert. Die DPen in (12) sind ambig: ir kann als ein auf Wortebene genitivisch spezifiziertes Pronomen interpretiert werden. Als solches muß es in N' basisgeneriert und nach Spec-N bewegt werden. Andererseits kann das Pronomen als eine am Stamm genitivisch markierte Form in Spec-N basisgeneriert sein. Diese Ambiguität ist Voraussetzung für einen sprachlichen Wandel. Ein Kind, das zu diesem Zeitpunkt das Deutsche erwirbt, kann ir als in Spec-N basisgene-
Possessiva als Pronomina
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riert annehmen und dem Pronomen folglich eine andere morphologische Struktur zugrunde legen als die Sprecher seiner Umgebung, die l-r l als ein Kasussuffix und ir als in N l basisgeneriert annehmen. Als eine am Stamm genitivisch markierte Form kann das Pronomen AGR- Features erwerben. Flektierende Possessiva im Feminin und Plural finden sich erstmals im 11. Jahrhundert. (13i) hiran herzan ihren Herzen (13ii) im lip ihren Körper
2.2. Possessiva in bindungstheoretischen Prozessen Ein deutliches Indiz für den pronominalen Status von Possessiva ist, daß sich ihr syntakisches und morphologisches Verhalten aus der Bindungstheorie erklären läßt. Im Gotischen kongruieren nur reflexive Pronominalargumente mit dem Possessivum. Der Stamm dieser Formen leitet sich aus den Genitivformen der ungeschlechtigen Pronomina ab: Reflexive Possessiva sind bezüglich der grammatischen Merkmale des Possessors unspezifiziert: Der Stamm bleibt für alle phi-Features des Possessors gleich. (14i) gabar sunu seinana sie gebar ihren Sohn (14ii) let thans dauthans filhan seinans dauthans Laß die Toten begraben ihre Toten
Nicht reflexive Pronominalargumente verhalten sich umgekehrt zum reflexiven Possessiv: Die genitivischen Pronomina sind für die phi-Features des Possessors voll spezifiziert und kongruieren nicht mit dem Possessivum. (15i) laisareis is (U.) (der) Lehrer Pron.Gen. Sg.Mask (15ii) luston izos (U.) (die) Begierde Pron.Gen.Sg.Fem (ISiii) missadenins ize (U.) (die) Missetaten Pron.Gen.PI.Mask (15iv) brother izo (U.) (der) Bruder Pron.Gen.Pl.Fern
Die syntaktische Verteilung reflexiver und nicht-reflexiver Possessiva wird durch die Prinzipien A und B der Bindungstheorie erfaßt. Reflexive Possessiva verhalten sich wie Anaphern; nicht-reflexive wie Pronomina. Für beide kann die dominierende DP nicht die regierende Kategorie sein, denn diese enthält für die Possessiva kein zugängliches SUBJEKT. Der nächsthöhere Knoten, der als regierende Kategorie in Frage kommt, ist die CP. Das Gotische kennt nur subjekt-orientierte Anaphora. Das Antezedens reflexiver Possessiva muß, das nicht-reflexiver Pronominalargumente darf nicht das Subjekt der nächsthöheren CP sein. Daraus resultiert eine komplementäre Verteilung reflexiver und nicht-reflexiver Pronominalargumente. (16i) Marja, bisvarb fotuns i^ skufta seinamma, Maria trocknete seine (-refl. Gen.Mask.Sg.) Fuße mit ihren (+refl) Haaren (16ii) *Marja, bisvarb fotuns seinana-, ( + refl) skufta seinamma, 16iii) *Maija, bisvarb fotuns isj skufta is, (-refl,Gen.Fem.Sg.)
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Julia Philippi
Reflexive Possessiva sind nicht akzeptabel, wenn die übergeordnete DP das Satzsubjekt bildet. Die Possessiva finden weder in der dominierenden DP noch in der diese als Subjekt enthaltenden CP ein c-kommandierendes Antezedens; die Koindizierung mit der übergeordneten DP ist wegen des i/i-Filters (Chomsky 1981) ausgeschlossen. Auch für das morphologische Verhalten reflexiver und nicht-reflexiver Pronominalargumente findet sich die Erklärung in der Bindungstheorie: Nach Burzio (1991) sind Anaphern charakteristischerweise morphologisch unspezifiziert. Reflexive Possessiva sind im Gotischen für die phi-Features des Possessors unspezifiziert; sie erwerben diese Merkmale über ihren Antezedenten. Anaphernbindung ist für Burzio ein durch Prinzipien gesteuertes Kongruenzverhältnis. Kongruenz zwischen zwei Formen ist möglich, wenn beide die gleichen phiFeatures aufweisen oder eine morphologisch unspezifiziert ist. Merkmalsübertragung durch Kongruenz ist strikt lokal begrenzt: Nicht-reflexive Pronominalargumente sind im Gotischen nicht lokal gebunden; sie können ihre phi-Features nicht durch Kongruenz erwerben und müssen morphologisch voll spezifiziert sein. Das Altsächsische gebraucht für Possessiva der 3. Person das Genitivpronomen is und die flektierende Form sin', sin steht vorwiegend in anaphorischen, is in nicht anaphorischen Kontexten. Anders als das Gotische kennt das Altsächsische für reflexive Possessiva Genus- und Numerusunterscheidung: sin steht für Mask, und Neutr. Sg.; im Fern. Sg. und PL steht das Genitivpronomen ira/iro. (17i) that all thia elilendun man, iro vothil, suohtin daß all die fremden Männer ihre Heimat suchten
Im Altsächsischen realisiert die Form sin ihre phi-Features selbständig und muß sie nicht durch Kongruenz mit einem Antezedens erhalten, sin ist demnach keine Anapher und kann ungebunden realisiert werden. Andererseits kann das Pronomen is gebunden auftreten. (18i) (18ii) (ISiii) (18iv)
the gumo an sinera godi der Mensch in seiner Güte thes mohtun sie niotan thes sines rikies das konnten sie rauben (def.) sein-Gen. Reich-Gen the sprac im mid is uuordun der sprach mit seinen Worten ik is engil bin ich sein Engel bin
Dies läßt sich aus Burzios Prinzip der morphologischen Ökonomie (19) ableiten, demzufolge Pronomina gebunden realisiert werden können, wenn eine Sprache keine anaphorischen Formen aufweist: Nach Burzios Referentalitätshierarchie (20) sind dann Pronomina maximal unterspezifiziert. (19) (20)
Prinzip der morpholgischen Ökonomie: Eine gebundene DP muß maximal unterspezifiziert sein. Anapher < Pronomen < R-Ausdruck
In vielen altdeutschen Dialekten geht das genitivische is als redundantes Element verloren; es wird verdrängt durch das ursprünlich reflexive sin. Burzio zeigt, daß die Bindungstheorie auch in den Sprachen Gültigkeit hat, in denen zwi-
Possessiva als Pronomina
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sehen Anaphern und Pronomina morphologisch nicht unterschieden wird. Das heißt, daß sich das Verhalten von Possessiva auch in den Sprachen bindungstheoretisch erklären läßt, die nicht zwischen reflexiven und nicht-reflexiven Possessiva unterscheiden, und daß Possessiva auch in diesen Sprachen als Pronomina zu interpretieren sind.
Literatur Abney, S. (1987): The English noun phrase in its sentential aspect. - Cambridge, Massachusetts: MIT-Diss. Burzio, L. (1991): "The morphological basis of anaphora". - In: Journal of Linguistics 27, 81-105. Chomsky, N. (1981): Lectures on government and binding. The Pisa lectures. - Dordrecht: Foris. Grimm, J. (1837): Deutsche Grammatik. IV. - Göttingen. Haider, H. (1991): "Die Struktur der Nominalphrase. Lexikalische und funktionale Strukturen". - In: Jahrbuch 1991 des IDS Mannheim. Löbel, E. (1991): Zur kategorialen Bestimmung der Possessiva in der NP/DP. Possessiva als Adjektive. - Ms. Universität Köln. Olsen, S. (1992): Dem Possessivum seine Eigentümlichkeit. - Ms. Universität Stuttgart. Seppänen, A. (1980): "Possessive pronouns in English?" - In: Studia Linguistica 34, 7-22.
DIE SERIALISIERUNG ATTRIBUTIVER RECHTSERWEITERUNGEN IN DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE Jürgen Erich Schmidt
Die Serialisierungsregeln, d. h. die Regeln der Wort- bzw. Satzgliedabfolge, sind bei Grammatikern ein eher ungeliebtes Thema. So spricht Ulrich Wandruszka (1986: 9) etwa von der "wegen ihrer etwas undurchsichtigen Regeln gefürchteten Wortstellungsgrammatik"; Hans-Peder Kromann (1975: 99) sieht sich gar einem "faktoren-dschungel" gegenüber. In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, hier für einen Teilbereich Klarheit zu schaffen. Behandelt werden die attributiven Rechtserweiterungen, also die Attribute rechts vom Kern einer Substantivgruppe (attributives Nachfeld). Die Untersuchung beschränkt sich dabei auf die Regeln der unmarkierten (neutralen) Serialisierung. Wie die erwähnten Beschreibungsprobleme in diesem konkreten Fall aussehen, wie wenig gesichertes Wissen hier vorliegt, läßt sich am leichtesten verdeutlichen, indem man die Übersichten zur Serialisierung attributiver Rechtserweiterungen in wichtigen einschlägigen Werken vergleicht. Als Vergleichsgrundlage wurden Übersichten aus drei Arbeiten mit unterschiedlichem theoretischen Zugang gewählt. Übersicht l entspricht am ehesten der traditionellen Sichtweise. Sie ist aus Karl-Ernst Sommerfeldts und Günter Starkes "Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache" (1992) entnommen und stellt eine Zusammenfassung von Sommerfeldts Habilitationsschrift "Zur Struktur und Leistung der Substantivgruppe in der deutschen Sprache der Gegenwart" (1968) dar. Übersicht 2 bietet die Sicht einer modernen Valenzgrammatik. Sie entstammt Ulrich Engels "Deutsche[r] Grammatik" (1991, 2. A.). Übersicht 3 faßt die Ergebnisse eines Aufsatzes mit dem Titel "Zur NP-Struktur im Deutschen" (1986) zusammen, in dem Heinz Vater eine erste Beschreibung der deutschen Substantivgruppe im Rahmen der X'-Syntax vorgelegt hat. Dieser Aufsatz kann als Ausgangspunkt für die meisten aktuellen Arbeiten zur Syntax der deutschen Substantivgruppe angesehen werden. Der Vergleich dieser drei Übersichtsdarstellungen läßt erhebliche Divergenzen erkennen, die sich nur z. T. auf terminologische Unterschiede oder auf Unterschiede im theoretischen Zugang reduzieren lassen . So setzt Vater drei, Engel fünf, Sommerfeldt sechs Positionsklassen an. Übersicht l (Sommerfeldt/Starke 1992: 195)
Nachfeld: Numerale - enge Apposition - Substantiv im Genitiv - Substantiv mit Präposition - Adverb - isolierte Attribute [...]"
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Jürgen Erich Schmidt
Übersicht 2 (Engel 1991: 636f.) Gen. expl. Gen. poss.
Atr.dir
Gen. subj.
Atr.eip
QUA
NOMEN
Gen. obj.
Atr.„
Nom. inv.
Atr- ,
Atr.u
NS
Gen. expl. Gen. obj. Gen. poss. Gen. subj. NS Nom. inv. Nom. var. QuA KoA Atr.m
Nom. var. Atr,it
Genitivus explicativus Genitivus objectivus Genitivus possessivus Genitivus subjectivus Nebensatz Nomen invarians Nomen varians Qualitativangabe Komitativangabe direktives Attribut expansives Attribut nominales Attribut präpositives Attribut situatives Attribut
Übersicht 3 (Vater 1986)
N' l Kera-N
Valenzkomplemente
Restriktive Komplemente: - Relativsätze - Präp.-Phrasen - Adverbien
Appositive Komplemente: - Relativsätze - Appositionen - Parenthesen
Es werden unterschiedliche grammatische Kategorien für serialisierungsrelevant gehalten. Sommerfeldt geht von traditionellen Formklassen und Wortarten aus. Engel greift z. T. auf traditionelle Klassen wie die Subklassen des Genitivattributs zurück. Er arbeitet aber auch mit neuen, durch Anaphorisierungstests gewonnene Klassen wie z. B. direktives, expansives Attribut, Qualitativ- und Komitativangabe. Bei Vater konstituieren die Valenzbindung (Valenzkomplemente) und der Beitrag zur Referenz (restriktive, appositive Komplemente) Projektionsstufen im Sinne des X'-Schemas, die gleichzeitig als Positionsklassen zu verstehen sind. Auffallen muß auch, daß traditionelle Attributklassen bei den Autoren in sehr unterschiedlicher Weise auf die Positionsklassen verteilt werden. So bilden alle Attributsätze bei Engel, der insgesamt fünf Positionsklassen ansetzt, nur eine einzige Positionsklasse. Bei Vater hingegen, der insgesamt nur drei Positionsklassen annimmt, verteilen sich allein die Relativsätze auf zwei Positionsklassen. Die Präpositionalattribute werden bei Sommerfeldt einer Positionsklasse, bei Engel drei (die Klassen 2-4 rechts vom Nomen), bei Vater zwei (valenzgebundene und restriktive Komplemente) Positionsklassen zugeordnet.
Die Serialisiening attributiver Rechtserweiterungen
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Um angesichts solcher Divergenzen ein sicheres Fundament für die Beschreibung der Serialisierungsregeln zu gewinnen, habe ich sie zum Gegenstand einer größeren empirischen Untersuchung gemacht. Diese Untersuchung war Teil einer umfassenderen Arbeit mit dem Titel "Die deutsche Substantivgruppe und die Attribuierungskomplikation" (Schmidt i. E.). Im Rahmen der Untersuchung waren 90 Belege, Sätze mit komplexen Substantivgruppen, anhand standardisierter Beurteilungsbögen auf Korrektheit, Verständlichkeit und stilistische Angemessenheit hin zu bewerten. An der Untersuchung waren 324 Personen beteiligt. Beurteiler waren Studenten aus verschiedenen Regionen (Kiel, Mainz, München), Lektoren eines literarischen Verlages, Mitarbeiter der Korrekturabteilung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mitarbeiter der Abteilung Grammatik des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim und Sprachwissenschaftler verschiedener Universitäten. Insgesamt wurden 34.293 Einzelurteile ausgewertet. Wie die Ergebnisse aussehen und welche Konsequenzen sich hieraus für die Beschreibung der Serialisierungsregeln ergeben, soll zunächst an drei Beispielen vorgeführt werden. Anschließend wird dann das Gesamtergebnis zusammengefaßt. Bei den Beispielen handelt es sich um konstruierte Substantivgruppen, die der grammatischen Literatur entnommen sind. Die Substantivgruppen wurden zu einfachen Sätzen ergänzt. Diese Beispiele haben den Nachteil, daß sie nicht repräsentativ für das untersuchte Gesamtmaterial sind, das überwiegend aus echten Belegen zu den verschiedensten nichtliterarischen Textsorten (Zeitungsberichte, Verwaltungsschreiben, wissenschaftliche Abhandlungen etc.) bestand. Sie haben aber den Vorteil, daß sich die entsprechenden Leserbeurteilungen unmittelbar auf die eingangs skizzierte Forschungssituation beziehen lassen. Beispiel l (Löbel 1990: 786; Bhatt 1990: 158-166) Leserbeurteilungen:
Die Tochter
korrekt: mittlerer Wert: nicht korrekt:
Kristina
33 % 13 % 54 %
unserer Nachbarin ist erkrankt.
r
Mit Beispiel l wurde die Serialisiening Kern - enge Apposition - Genitivattribut (= ) untersucht. Eine solche Serialisiening wird von Sommerfeldt als regulär beschrieben. Sein Beispiel lautet: das Hotel Goldener Löwe der Stadt Dresden (Sommerfeldt 1968: 261). Nach Engel
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hingegen entspricht eine solche Serialisierung nicht den Regeln der deutschen Standardsprache. Wie aus Übersicht 2 zu entnehmen ist, bilden nach Engel die verschiedenen Subklassen des Genitivattributs und die enge Apposition (= Nomen varians und Nomen invarians) eine gemeinsame Positionsklasse, d. h.: als Attribute der gleichen Abhängigkeitsstufe schließen sich Genitivattribut und enge Apposition aus. Daß die Diskussion auf der Stelle tritt, zeigt sich an den jüngsten einschlägigen Veröffentlichungen im Rahmen der X'-Syntax. Elisabeth Löbel und Christa Bhatt beschreiben die Serialisierung Kern - enge Apposition - Genitivattribut wieder als regulär. Sie führen hierfür Beispiel l an (die Tochter Kristina unserer Nachbarin) bzw. das leicht abgewandelte Beispiel der Sohn Jens unseres Nachbarn (Löbel 1990 u. 1991, Bhatt 1990: 158-166). Dies hat im Rahmen der X'-Syntax erhebliche Konsequenzen, weil die sogenannte Adjazenzregel für Genitivattribute in diesen Konstruktionen verletzt wird. Die Adjazenzregel besagt, daß sich ein Genitivattribut syntaktisch immer auf das unmittelbar benachbarte Glied der Substantivgruppe bezieht. Eine enge Apposition zwischen Kern und Genitivattribut verletzt diese Regel, was Modifikationen der entsprechenden theoretischen Annahmen erforderlich macht. So schlägt etwa Christa Bhatt (1990: 163f.) vor, Kern und enge Apposition als komplexes Nomen, als Nomen mit zwei "Köpfen" zu analysieren. Wie stellen sich demgegenüber die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dar? Im Gegensatz zu anderen Beispielen, die von den Lesern entweder einhellig als korrekt oder als nicht korrekt beurteilt werden, lassen sich bei Konstruktionen wie in Beispiel l drei Gruppen von Lesern mit unterschiedlichem Beurteilungsverhalten feststellen: 33% der Leser beurteilen das Beispiel als korrekt, 13% ordnen ihm auf der fünfstufigen Korrektheitsskala einen mittleren Wert zu, und 54% beurteilen es als nicht korrekt. Der Einfachheit halber wird im folgenden nur das Beurteilungsverhalten der beiden Extremgruppen analysiert. Die 33 %, die das Beispiel als korrekt beurteilen, ordnen ihm die Struktur l" zu, also die Struktur, von der auch die Grammatikerinnen ausgehen, die das Beispiel als regulär bewerten. Die 54% der Leser, die das Beispiel als nicht korrekt beurteilen, geben auf Zusatzfragen an, daß sie unserer Nachbarin beim ersten Lesen auf Kristina beziehen, diese Interpretation aber sofort als unsinnig erkennen. Syntaktisch ergibt dies die Struktur ", d. h., das Genitivattribut wird der engen Apposition untergeordnet. Das Genitivattribut ist für diese Leser Dependens der engen Apposition. Wie ist dieses Ergebnis zu erklären? Hinweise ergeben sich zum einen aus der Zusammensetzung der Beurteilergruppen, zum ändern aus bestimmten Besonderheiten der Forschungsiiteratur. Zunächst zu den Beurteilergruppen: Die Probanden wurden gebeten, ihr Leseverhaiten und ihre Vertrautheit mit kondensierten sprachlichen Konstruktionen einzuschätzen. Dabei gaben diejenigen, die die fragliche Konstruktion als korrekt einschätzten, an, über eine relativ geringe Leseerfahrung zu verfügen. Diese Probanden orientierten sich bei der intuitiven syntaktischen Analyse offensichtlich an der Plausibilität der semantischen Beziehungen, also der Kompatibilität der verschiedenen Glieder der Substantivgruppe. Die Probanden der zweiten Extremgruppe, die 54%, die die Konstruktion als nicht korrekt beurteilten, gaben an, über
Die Serialisierung attributiver Rechtserweiterungen
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eine hohe Leseerfahrung zu verfügen. Zu dieser Gruppe gehörten sämtliche professionell mit der deutschen Sprache befaßten Probanden. Damit stellen sich die weitergehenden Fragen, wie diese Beurteilergruppe dazu kommt, die Struktur " anzusetzen, und wie es kommt, daß diese Leser anders urteilen als ein Teil der Grammatiker. Bei der Beantwortung dieser Fragen sind folgende Besonderheiten der Forschungsliteratur zu berücksichtigen: 1. In der grammatischen Literatur werden überwiegend isolierte Substantivgruppen behandelt, also Substantivgruppen ohne Satzkontext. Die empirische Untersuchung zeigt aber, daß für isolierte Substantivgruppen nach dem Urteil der Probanden Sonderregeln gelten. Isolierte Substantivgruppen, z. B. Schlagzeilen und Werbeslogans, erlauben grundsätzlich eine freiere Serialisierung. 2. In der Forschungsliteratur zur Substantivgruppe wird nicht zwischen den Serialisierungsregeln für die geschriebene Sprache und den Serialisierungsregeln für die gesprochene Sprache unterschieden. Die gesprochene Sprache verfügt jedoch im Vergleich zur geschriebenen Sprache über zusätzliche syntaktische Mittel. In der gesprochenen Sprache können syntaktische Gliederungseinheiten als Intonationseinheiten zusammengefaßt werden. Die Zuordnungsverhältnisse und damit die Dependenzstruktur werden innerhalb dieser Gliederungseinheiten durch akzentuelle Abstufungen kodiert. (Schmidt 1986: 29-36) Es ist für die Serialisierung von entscheidender Bedeutung, daß diese syntaktischen Mittel in der geschriebenen Sprache grundsätzlich nicht zur Verfügung stehen und innerhalb der Substantivgruppe auch nicht durch graphische Gliederungssignale ersetzt werden können. Auf diesem Hintergrund können nun die Differenzen im Beurteilungsverhalten der verschiedenen Probandengruppen erklärt werden. Für die Gruppe mit relativ hoher Leseerfahrung übernimmt die Serialisierung in der geschriebenen Sprache die Funktion, die in der gesprochenen Sprache den Suprasegmentalia zukommt. Entscheidend ist, daß diese Gruppe von Lesern die syntaktische Struktur nicht aufgrund semantischer Plausibilität (Kompatibilität der Glieder der Substantivgruppe), sondern allein aufgrund der Serialisierung ansetzt. Das Genitivattribut wird syntaktisch ausschließlich deshalb der engen Apposition untergeordnet, weil es unmittelbar rechts von ihr steht. Für diese Gruppe von Lesern gilt die Adjazenzregel bei Genitivattributen strikt. Angesichts dieses Ergebnisses stellt sich die Frage, ob die syntaktische Funktion der Serialisierung innerhalb der Substantivgruppe und damit der Geltungsbereich der Adjazenzregel von der Forschungsliteratur nicht generell unterschätzt worden ist. Daß dies tatsächlich so ist, soll an den Beispielen 2a und 2b gezeigt werden. Beispiel 2a (Engel 1991: 636) Leserbeuiteilungen:
korrekt: 37 % mittlerer Wert: 14 % nicht korrekt: 49 % Die Kämpferin för Gleichberechtigung in dem hellen Mantel betrat den Raum.
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Jürgen Erich Schmidt Beispiel 2b (Droop 1972: 130) Leserbeurteilungen:
korrekt: 34 % mittlerer Wert: 24 % nicht korrekt: 42 % Die Kritik an der Auffährung in der Samstagszeitung war ungewöhnlich scharf.
Mit diesen Beispielen wurde die Serialisierung Kem - valenzgebundenes Attribut - freies Attribut (= nicht-valenzgebundenes Attribut) untersucht. Diese Serialisierung wird in der Forschungsliteratur als regulär beurteilt: Nach Vater stehen die nicht-valenzgebundenen Präpositionalattribute rechts von den valenzgebundenen. Nach Engel, von dem die Substantivgruppe in Beispiel 2a stammt, finden sich die valenzgebundenen Attribute in Positionsklasse 2 rechts vom Nomen, die nicht-valenzgebundenen in den Positionsklassen 3 und 4. Beispiel 2b ist Helmut Günter Droops Monographie "Das präpositionale Attribut" (1977) entnommen. Aus den Leserbeurteilungen ist zu entnehmen, daß diese Konstruktion im Gegensatz zu den in der Forschungsliteratur vertretenen Annahmen wie Adjazenzverletzungen bei Genitivattributen bewertet werden. Zwei Drittel der Leser beurteilen die Konstruktion entweder als nicht korrekt oder ordnen ihr einen mittleren Korrektheitswert zu. Nach dem Urteil der Mehrheit der Leser gilt die Adjazenzregel auch für freie Präpositionalattribute. In diesem Beitrag kann nun nicht im einzelnen gezeigt werden, in welchem Umfang das, was an ausgewählten Beispielen vorgeführt wurde, für attributive Rechtserweiterungen generell gilt. Das Ergebnis der empirischen Untersuchung besagt, daß der Adjazenzregel mit zwei wichtigen Ausnahmen für attributive Rechtserweiterungen umfassende Gültigkeit zukommt. Sie gilt in modifizierter Form auch für attributive Relativsätze. Ausnahmen sind erstens Verbalabstrakta als Kern einer Substantivgruppe, die sog. Nominalisierungen. Wenn ein Verbalabstraktum im Satzkontext wie eine Primärprädikation rezipiert werden kann, so teilt es die Erweiterungsmöglichkeiten des entsprechenden Verbs (Argumentstellenvererbung). Ausnahmen bilden zweitens die valenzgebundenen Attribute. Sie erlauben grundsätzlich eine Distanzstellung von Regens und Dependens. Diese Serialisierungsmöglichkeit unterliegt allerdings engen Restriktionen: - Das adjazente Attribut darf kein freies Präpositionalattribut sein. (Bitte beantworten Sie die Fragen auf der Rückseite zum bisher versicherten KFZ. Leserbeurteilungen: korrekt 35%, mittlerer Wert 20%, nicht korrekt 45%) - Im attributiven Nachfeld können nicht drei gleichstufige substantivische Attribute kombiniert werden. (Frau Z. erfahr inzwischen, daß ein Kredit ihrer Tochter in Höhe von 80.000 DM zugunsten Schotts nicht zurückgezahlt werden kann. Leserbeurteilungen: korrekt 50%, mittlerer Wert 21%, nicht korrekt 29%) - Es können nur Präpositionalattribute kombiniert werden, die in identischer Prädikat/ Argument-Relation zu ihrem Regens stehen. (Der Glückwunsch zum Gebunstag an Petra traf verspätet ein. Leserbeurteilungen: korrekt 31%, mittlerer Wert 20%, nicht korrekt 49%)
Die Serialisierung attributiver Rechtserweiteningen
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- Verschiedene semantische Rollen dürfen keine unterschiedliche Perspektivierung der Prädikation bewirken. (Der Kampf der Völker gegen ihre Unterdrücker ßir ihre Freiheit wird zum Erfolg führen. (Sommerfeldt/Schreiber 1983: 220) Leserbeurteilungen: korrekt 33%, mittlerer Wert 15%, nicht korrekt 52%) Abschließend soll das Gesamtergebnis in drei Punkten zusammengefaßt werden: 1. Die Relevanz, die der Serialisierung für die syntaktische Struktur der Substantivgruppe zugebilligt wird, hängt von der Leseerfahrung der Sprachteilhaber ab, von ihrer Vertrautheit mit kondensierten schriftlichen Texten. In dem Maß, in dem die individuelle Kompetenz für die geschriebene deutsche Standardsprache entwickelt ist, ist die Serialisierung syntaktifiziert. 2. Für die Mehrheit der Sprachteilhaber übernimmt die Serialisierung in Substantivgruppen der geschriebenen deutschen Standardsprache die Funktion, die in der gesprochenen Sprache den Suprasegmentalia (Wortgruppenakzenten, Intonationseinheiten) zukommt. 3. Diese Syntaktifizierung der Serialisierung läßt sich als Serialisierungstheorem für die geschriebene deutsche Standardsprache formulieren: Die Serialisierung ist in der Substantivgruppe das komplementäre syntaktische Mittel. Für das attributive Nachfeld von Substantivgruppen ohne Argumentstellenvererbung gilt, daß überall dort, wo die Dependenzbeziehung durch andere formalsyntaktische Mittel nicht oder nicht eindeutig kodiert ist, die Serialisierung eine Dependenzbeziehung konstituiert. Regens eines Attributs ist in diesem Fall immer das adjazente Substantiv, also das nächste linksstehende Substantiv, im Falle von Mehrfachkongruenz bei Relativsätzen immer das nächste links vom Relativpronomen stehende und mit ihm kongruierende Substantiv.
Literatur Bhatt, Chr. (1990): Die syntaktische Struktur der Nominalphrase im Deutschen. - Tübingen: Narr. (Studien zur deutschen Grammatik 38) Droop, H. G. (1977): Das präpositionale Attribut. Grammatische Darstellung und Korpusanalyse. - Tübingen: Narr. (Forschungsberichte des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim 34) Engel, U. (1991): Deutsche Grammatik. - Heidelberg: Groos, 2. A. Löbel, E. (1990): "Apposition und Attribut". - In: Bahner, W. et al. (ed.): Proceedings of the fourteenth international congress of linguists. Berlin/GDR, August 10- August IS, 1987. I (Berlin: Akademie) 782-786 - (1991): "Apposition und das Problem der Kasuszuweisung und Adjazenzbedingung in der Nominalphrase des Deutschen". - In: Fanselow, G. / Felix, S. (eds.): Strukturen und Merkmale syntaktischer Kategorien. (Tübingen: Narr) 1-32. (Studien zur deutschen Grammatik 39) Schmidt,!. E. (1986): Die mittelfränkischen Tonakzente (Rheinische Akzentuierung). -Stuttgart: Steiner. (Mainzer Studien zur Sprach- und Volksforschung 8) Schmidt, J. E. (i. E.): Die deutsche Substantivgruppe und die Attribuierungskomplikation. - Tübingen: Niemeyer. (Reihe Germanistische Linguistik) Sommerfeldt, K.-E. (1968): Struktur und Leistung der Substantivgruppe in der deutschen Sprache der Gegenwart. Habilitationsschrift - Erfurt. Sommerfeldt, K.-E. / Schreiber, H. (1983): Wörterbuch zur Valenz und Distribution der Substantive. - Leipzig: Bibliographisches Institut, 2. A.
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Jürgen Erich Schmidt
Sommerfeldt, K.-E. / Starke, G. (1992): Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. - Tübingen: Niemeyer, 2. A. Vater, H. (1986): "Zur NP-Struktur im Deutschen". - In: Vater, H. (ed.): Zur Syntax der Determinantien (Tübingen: Narr) 123-145. (Studien zur deutschen Grammatik 31) Wandruszka, U. (1986): "Einige Gedanken zum Verhältnis von Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik". - In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 58, 1-10.
KASUSWANDEL
Wolfgang Sucharowski
1. Defizite bei den frühen Kasusabhandlungen Dem Schwund der Genitiv-Konstruktion wurde schon sehr früh nachgegangen, Baldes (1882) versuchte dieses Phänomen im Althochdeutschen aufzuklären, Schrader (1874) untersuchte den Genitiv-Gebrauch im Gotischen, Shipley (1903) im Angelsächsischen, Pratje (1896) im Heliand, Siecke (1866) für das Sanskrit, Sütterlin (1894) in den Heidelberger Mundarten, und Rausch (1897) widmete dem Wandel von der Genitiv- zur Akkusativ- bzw. Präpositional-Konstruktion eine systematische Studie. Das Thema des Kasuswandels regte Winkler (1896) zu einer umfassenden Arbeit über die Rolle des Dativs für das Germanische und die Folgen bis zum Mittelhochdeutschen an. Ähnliches taten Hofer (1884) und Rost (1878) für die althochdeutsche Zeit, und mit Delbrück (1907) wird eine Monographie vorgelegt, die systematische Veränderungen im Kasussystem vom Germanischen zur neueren Zeit durchschaubarer machen sollte.
Winkler nannte seine Monographie "Germanische Casussyntax". Thematisch orientierte er sich am Gebrauch des Dativs. Ohne nähere begriffliche Klärung dessen, was Kasus bedeutet, was Syntax beinhaltet und welche Funktion ihr für die Beschreibungen zukommt, beginnt sein Buch: Kein casus spielt im haushält der germanischen sprachen eine ähnliche rolle wie der dativ, denn einerseits zeigt der ganze germanische zweig eine hervorragende neigung, Beziehungen des interesses dort zu sehen, wo nach der gewöhnlichen auffassung rein örtliche oder object-beziehungen vorliegen, andererseits oder besser infolge dieser neigung ist der dativ wirklich oder scheinbar direct zum Vertreter des comitativ-inst rumental, des locativ, ablativ geworden; er versieht überhaupt so eigentümliche und weitgehende funktionen, daß er die eingehenste prüfung erheischt. (Winkler 1896: 1)
Die Abhandlung wird von der Vorstellung getragen, im Kasussystem des Gotischen - dieses dient als Bezugsquelle - sei es zu einem Zusammenfall eines umfassenderen Systems gekommen. Der Dativ habe Funktionen übernommen, die ursprünglich durch eigenständige Kasus wie die genannten getragen worden seien. Ohne Erklärungen wird ein System von Kasus zugrunde gelegt, das sich im Verlauf der Sprachgeschichte auf einige Kasus reduziert. Ein Jahr später erscheint die "Geschichte des deutschen Genitivs" von Rausch. Sie unterscheidet sich nicht in der Grundannahme eines idealtypischen Ursprungssystems von Kasus. Die Darstellung selbst aber orientiert sich am Formenbestand und versucht, diesen zu sichten, indem von syntaktischen Konstruktionen ausgegangen wird. Es wird unzweideutig belegt, daß und wie sich der Formenbestand verändert. Auf der Basis der zuvorgenannten Arbeiten gibt Behaghel (1932: Deutsche Syntax, IV: 477) die folgende Beschreibung zum Kasussystem:
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Wolfgang Suchaiowski Das Germanische hat vor seiner Spaltung in Unterabteilungen folgende Kasus besessen: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Vokativ, Instrumentalis, daneben auch Reste des Lokativs. Der im Indogermanischen vorhandene Ablativ ist verloren; seine Aufgaben sind größtenteils vom Dativ übernommen worden. [...] Im Deutschen ist der Lokativ im lebendigen Gebrauch völlig verschwunden. [...] Im Laufe des Altsächsischen und Althochdeutschen geht der Instrumentalis unter. [...] In den heutigen Mundarten ist der Genitiv bis auf erstarrte Reste durchweg untergegangen; in geringerem Umfang ist in den Mundarten auch der Dativ zurückgedrängt.
Der Text liest sich wie eine 'Vermißtenliste', und es wird der Eindruck vermittelt, als habe sich das Kasussystem seit indogermanischer Zeit so gut wie vollständig aufgelöst. Zurückhaltender näherte sich Paul (1919: 215f.) dem Gegenstand. Er geht von der formellen Faßbarkeit aus. Doch diese Erkenntnis wird nicht genutzt, um sprachinterne Begründungszusammenhänge zu suchen, sondern es werden psychologische Erklärungen aufgegriffen. Das Dilemma des Forschungsansatzes wird erkennbar. Lenerz (1984: 12) sieht im Fehlen eines syntaktischen Strukturbegriffs die Ursache für das Scheitern. Es gibt keinen linguistisch begründeten bzw. begründbaren Bezugsrahmen. Mit der 'Formenlehre' der historischen Sprachwissenschaft läßt sich die Existenz oder Nicht-Existenz einer Form feststellen, und Beobachtungen zum Lautwandel helfen, in vorhandenen Formen den Zusammenfall ehemals unterschiedlicher Ausdrucksformen zu erkennen. Über den funktionalen Zusammenhang im System Sprache können auf diese Weise keine Aussagen gemacht werden.
2. Beobachtungen zum Kasussystem im Deutschen 2.1. Herkömmliche Erklärungen am Beispiel des Genitivs Die markanteste Erscheinung im Kasuswandel des Deutschen war für Behaghel (1923, I: 479) der Schwund des adverbalen Genitivs. Er führt dies auf die Abschwächung der Flexionsendungen zurück, und Starke (1969: 187) argumentiert ähnlich, wenn er betont, daß Präpositionalphrasen überall dort nötig wurden, wo die Mittel der Flexion nicht mehr deutlich genug waren. Das Argument der Formabschwächung gewinnt an Bedeutung, wenn es in den größeren Zusammenhang der Schwächung einer Konstruktion eingebettet wird. Behaghel sprach von der Undeutlichkeit der Formen und meinte die Aufgabe der Opposition zwischen zwei Sibilanten, welche in der normalisierten Orthographie mittelhochdeutscher Editionen als Genitiv es und et für Akkusativ und Nominativ geschrieben worden sind und Rückwirkungen auf die Konstruktion mit Genitiv zeigen. Durch den Zusammenfall entsteht eine Inferenzform, und Adjektive wie beispielsweise (1) gewahr, müde, gewärtig, geständig
werden als erste spätmittelhochdeutsch mit es gebraucht. Die Ausweitung vom personalpronominalen Gebrauch auf andere Pronomen zeigt, daß der alte Genitiv als Akkusativ gedeutet wurde: (2) das bin ich zufrieden
Diese Gebrauchsweise dehnt sich auf die Substantive aus, wobei das alles nicht schlagartig geschieht. Erst im Zusammenspiel mit einer größeren Gruppe von Adjektiven weitet sich der
Kasuswandel
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Gebrauch auf Substantive in frühneuhochdeutscher Zeit aus. Betroffen sind dort die Bereiche: (3)
Besitz und Entbehren von Besitz, Gewahr werden, Gedenken, Wissen, Stärke, Fähigkeit, Schuld, Pflicht, Gemütsbewegung, Müdigkeit und Überdruß.
Eine weitere Schwächung der Genitivkonstruktion erfolgt bei Verben, die ohne Subjekt gebraucht worden sind. Die Sache stand dort im Genitiv bzw. wurde mit einer Präpositionalphrase realisiert. Hier rückt der Genitiv in die Position des Subjekts: (4)
es (=Genitiv) verdriuzet mich es (=Nominativ) verdrießt mich (5) des wundert si in irem hertzen (AL 56,18) das wundert sie
Die Entwicklung bei den subjektlosen Verben, die natürlich auch im Zusammenhang mit dem unpersönlichen Personalpronomen steht, muß mit einem weiteren Aspekt, auf den Ebert (1978: 60) aufmerksam machte, verbunden werden. Es sind Verben, die einen Infinitiv (6) oder einen Nebensatz zulassen (7): (6) (7)
mein herr, es vertreust mich zu leben (Sachs l ,22) solle nicht ein christenmensch verdriezen, das man mit leiblichem fewr und tod [...] für nimpt die leut zu schrecken ? (Luther 1,51)
Solche Konstruktionen sind hinsichtlich des Kasus merkmalslos. Sie basieren in der Mehrzahl der Fälle, wie Ebert (1978: 51) beobachtet hat, auf Akkusativobjektsätzen, so daß eine Deutung solcher Konstruktionen als Akkusativkonstruktion ganz selbstverständlich erscheint. Vergleichbar ist die Situation in den Fällen, wo durch eine Infinitivergänzung zwei Objektkonstruktionen aufeinanderfolgen: (8)
er schämt sich des zu tun
Auch hier erfolgt in der Mehrzahl der Fälle eine Umdeutung des alten Genitivs in eine akkusativische Lesart. Die Konstruktion wird immer dort geschwächt, wo die Flexionsmittel nicht mehr ausreichen. Das gilt beim Indefinitpronomen, wo ein Kasus nicht mehr erkennbar ist (9), bei der Adjektivflexion (10), beim Demonstrativpronomen (l 1) oder in den Fällen des artikellos gebrauchten Substantivs im Plural (12): (9) (10) (11) (12)
könnt ihr euch (an) nichts Besseres erinnern hundert richer magede (Parzival 18, 26) sie erinnern sich (an) dieses und jenes er nimmt sich Brötchen
Die Entwicklung setzt mit dem Zusammenfall des s/z beim Personalpronomen es ein. Eine bestimmte Adjektivgruppe - Adjektive des mit etwas in Einklang Stehens - verbinden sich mit dem es, indem aus dem des das Objekt das gebildet wird und damit Konstruktionsmöglichkeiten eines Akkusativobjekts eröffnen. Dieser Effekt weitet sich auf bestimmte epistemische Verben aus und dringt über die Verben ohne Subjekt durch eine Umdeutung des 'es-Genitiv' zum Vj-Nominativ/Akkusativ' ins System ein. An die Stelle der undeutlichen Formen treten Präpositionalkonstruktionen als Alternativen.
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2.2. Andere Sichtweise von Kasus 2.2.1. Umformungen und ihre Abhängigkeit von bestimmten Kasus Spekulationen über die Motive sind, wie eingangs erwähnt, reichlich in der Literatur zu finden und entbehren nicht selten einer gewissen Komik. Der Lautabbau wurde mit untauglichen Parametern in Verbindung gebracht und konnte daher zu keinen emst zu nehmenden Erklärungen führen. Der Wandel der Endungen ist zuallererst als natürliches phonologisches Phänomen zu akzeptieren. An diesem Vorgang ist nichts Ungewöhnliches festzustellen, und es läßt sich auch 'keine Metaphysik in diesen hineindeuten'. Für den Linguisten interessant ist daran die Systematik, mit der sich dieser Prozeß ausbreiten konnte und noch dort ausbreitet, wo er Endungen vorfindet. Das System - bildhaft gesprochen - erhofft sich anscheinend Vorteile. Was mit dieser Metapher gemeint ist, soll im folgenden durch ein Gedankenspiel verdeutlicht werden. Die Kasus dienen zur Kennzeichnung von Beziehungen einzelner Teile in einer syntaktischen Abfolge (Haider 1984). Für ein linguistisches System ist daher das Problem zu lösen, wie in einer Abfolge von Segmenten Beziehungen derselben identifiziert werden können. Im Deutschen lassen sich dafür unterschiedliche Lösungsansätze erkennen: die Valenz des Verbs bindet Konstituenten auf eine sehr spezielle Weise, Umschreibungen mit Präpositionen setzen bestimmte Beziehungsverhältnisse, die Satzgliedfolgen legen Deutungen von Abhängigkeiten nahe, und die noch existierenden Kasusendungen bewirken entsprechende Zuordnungen. Damit wird eine Vielfalt möglicher Markierungen der speziellen Beziehungen sichtbar. Es gibt darüber hinaus etwas, was allgemein vertraut, aber nicht als Merkmal von Kasus erkannt worden ist. Denn daß Nominativ und Akkusativ in der Funktion von Subjekt und Objekt über das Passiv die syntaktischen Positionen wechseln können, scheint keiner Diskussion wert: (13) Carola liebt Ingo Ingo wird von Claudia geliebt
Das Dativobjekt hingegen kann nur mit Hilfe besonderer Konstruktionen zu einem Subjekt umgewandelt werden: (14) Carola gibt Ingo einen Kuß
Ingo kriegt einen Kuß von Claudia Auf ein Subjekt kann sich ein Reflexivpronomen beziehen: (15) Carola liebt nur sich
Akkusativ, Dativ oder Genitiv können auf diese Weise nicht erweitert werden: (16) *Carola gibt Ingo sich den Anlaß, sich zu verlieben.
2.2.2. Kasus und Konstruktionen Kasus sind nicht nur mehr oder weniger deutliche morphologische Formen eines Deklinationsparadigmas, sie sind nicht nur semantische Rollen (Fillmore 1971; 1976), sondern erweisen sich als 'Platzhalter' für mögliche Konstruktionen wie Umformungen, Umstellungen und Erweiterungen. Systematisieren wir diesen Denkansatz in einem ersten Schritt und veran-
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schaulichen ihn uns in einer Übersicht. Mögliche Kandidaten solcher Umformungen können (P) = Passivkonstruktion, (R) = Reflexivierung, (E) = Erststellenfähigkeit, (A) = Ausklammerbarkeit sein. (Abb. 1) R P A E Nominativ Akkusativ Dativ Genitiv
+ + + + + + + + + +
Die Skizze läßt Effekte erkennen: Adverbale Kasus scheinen bestimmte Präferenzen gegenüber speziellen Konstruktionen zu besitzen bzw. erlauben einzelne syntaktische Konstruktionen gar nicht. Die genannten adverbalen Kasus lassen sich mit Hilfe ihrer 'Matrixwerte' und der Differenz untereinander definieren. Der Akkusativ eröffnet die größte Konstruktionsvarianz, während der Genitiv die geringste enthält. Dabei ist es nicht uninteressant, auf die Ersatzformen zu achten, die bei den anderen Objekten auftreten können, weil sie eine Richtung der Entwicklung anzeigen können. Die Tendenz zur Passivumformung bei Dativobjekten läßt die Bewegungsrichtung auf den Akkusativ hin erkennen. Das bekannteste Beispiel ist der Dativ, der mit Formen wie dem sog. 'kriegen-Pzssiv' die Möglichkeit einer passivischen Konstruktion eröffnet und sich somit dem Akkusativobjekt annähert (Eroms 1974). Zu der Entwicklung paßt ferner das Phänomen der Valenzminderung. In einer Reihe von Verben wie den Kausativa kommt es schon im Mittelalter zu intransitiven Verwendungsweisen. Aus ich renne etwas wird ich renne, d. h, 'laufe schnell' (Ebert 1986: 77). Das Akkusativobjekt wird aufgegeben. Der Wandel vom Dativ zum Akkusativ und zum Nominativ wird bei Verben wie verlangen, gelüsten, träumen offenkundig. Aus dem mir dürstet nach etwas wird ein mich dürstet und daneben entsteht ich dürste nach etwas. 2.2.3. 'Kasus-Polysemie' Wenn diese Betrachtungsweise systematisch ausgeweitet wird, dann zeigt sich, daß die genannten Kasus keineswegs jeweils homogene Gruppen bilden. Bereits der Akkusativ offenbart zumindest zwei unterschiedliche Verwendungsweisen. (17) Ingo besuchte Carola den ganzen Nachmittag, während Ingo von Carola nur wenige Minuten aufgesucht worden war.
Während das Akkusativobjekt ins Passiv umgeformt werden kann, gibt es für den Akkusativ der Zeitdauer diese Möglichkeit nicht. Er ist aber erststellenfähig. (18) Den ganzen Nachmittag besuchte Ingo Carola, während nur wenige Minuten Ingo von Carola aufgesucht worden war.
Er ist ferner ausklammerbar und ähnelt damit in der bisher entwickelten Matrix dem Dativ. Eine offene Frage ist, inwieweit dieser Akkusativ durch Relativsätze beliebig erweitert
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werden kann. Ein Vergleich mit dem Akkusativ des Objektes stimmt nachdenklich. (19) *Ingo hatte Carola den ganzen Sommer, den er sehr liebte, in Norwegen besucht. (20) Ingo hatte Carola, die er sehr liebte, in N. besucht.
(Abb. 2) Akkusativ1 Akkusativ2
Rs P A E + + + + + +
P = Passivkonstruktion, R = Reflexivierung, E = Erststellenfähigkeit, A = Ausklammerbarkeit, Rs = Relativsatz
Die Betrachtungsweise steht in den Resultaten nicht im Gegensatz zu den bisher erkannten Unterschieden. Das zeigt auch ein kurzer Blick auf den Dativ. (21) (22) (23) (24) (25)
Carola begegnete einem Traummann. Ingo schenkte Carola einen riesigen Rosenstrauß. Die Rosen gehören ihr. Carola verband dem kleinen Ingo den Arm. Er lebt nur seiner Arbeit.
Ein Relativsatzanschluß ist für die Dativphrase bei allen Sätzen möglich. Das Ausklammern des ihr im Satz Die Rosen haben gehört ihr ist nicht möglich, so daß ein Dativ2 von einem Dativ1 unterschieden werden kann. Dasselbe gilt für den Satz Er lebt nur seiner Arbeit. Hier ist auch die Erststellung fraglich, die möglich ist, wenn der Dativ als ywr-Phrase' realisiert wird, so daß die Möglichkeit zur Unterscheidung eines Dativ3 vorstellbar ist.
(Abb. 3) Dativ1 Dativ2 Dativ3
P A E Rs + + + + + +
P = Passivkonstruktion, R = Reflexivierung, E = Erststellenfähigkeit, A = Ausklammerbarkeit, Rs = Relativsatz
Ein Zusammenhang zwischen einzelnen Kasusfunktionen und bestimmten Variationsklassen von Konstruktionen deutet sich an. Einzelne Kasusformen nehmen unterschiedliche 'Funktionen' wahr. Die dargelegte Betrachtungsweise verdeckt die bestehenden Unterschiede identischer Kasusformen nicht, sondern eröffnet einen Weg, Differenzen mit einem formalen Instrument offenzulegen.
3. Der textgrammatische Aspekt der Kasus Am Anfang stand die Frage nach dem Wandel der Kasus, so daß abschließend zu zeigen ist, inwieweit sich jetzt die Sichtweise verändert hat. Wenn die geänderte Perspektive respektiert wird, dann läßt sich der Wandel als ein textgrammatisches Problem erkennen. Die Verände-
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rungen sind nicht dadurch zu erklären, daß sich ein bestimmtes Lautsystem oder morphologisches Paradigma vereinfacht. Gerade die zuletzt angesprochenen Überschneidungen lassen an der Vorstellung einer Vereinfachung Zweifel aufkommen. Die bisher erörterten Veränderungen bedeuten stets eine Ausweitung der Konstruktionsvarianz. Mit dem Wandel des Kasus wurde nicht eine Form aufgegeben, sondern es wurden neue Konstruktionsmöglichkeiten in Texten eröffnet, was mit einer Erhöhung der Ausdrucksflexibilität gleichzusetzen ist. Das erklärt dann auch, warum im Deutschen die Bewegungen im allgemeinen vom Genitiv weg zum Akkusativ hin erfolgt sind und wieder allgemein gesehen keine umgekehrten 'Wanderungen' stattgefunden haben, sogar Entwicklungen des Akkusativs zum Dativ wurden im Verlauf der Sprachentwicklung rückgängig gemacht und endeten erneut bei der Akkusativform. Zu einer solchen Tendenz der Flexibilisierung von Konstruktionen würde dann auch die Entwicklung der '«-Formen1 gehören, die sich von der anaphorischen Funktion zu referenzlosen 'Platzhaltern' entwickeln konnten und damit die völlige Freiheit für die Erstposition schafften. Daß textgrammatisch Probleme entstehen, soll mit einem kurzen Blick auf das Genitivobjekt veranschaulicht werden. Starke (1969: 188) verweist auf den Umstand, daß ein Genitivobjekt nicht ausklammerbar ist. Es ist insofern der Präpositionalphrase unterlegen. (26) Die Majestät des Kaisers werde sich eines Tages erinnern an den tapferen Helden Sebastian
Ein weiteres Problem für Genitivobjekte ist das weitgehende Fehlen des Passivs. Um Passiv bilden zu können, ist eigentlich ein Abrücken von der ursprünglichen Genitivkonstruktion notwendig. Genitive sind schwer mit Relativsatzkonstruktionen zu erreichen. Huber (1989) zeigte, daß im Mittelhochdeutschen nur temporale Genitive durch eine Relativsatz-Konstruktion erreicht werden konnten, was nur mit einem besonderen Konstruktionstyp möglich war: (27) des tages do sie sich geverwet hete, do nam sie ein lesterlichez ende. (Berthold von Regensburg, Von den drei Mauern, 168)
Die Genitivkonstruktion zwingt zum Aufsuchen von Alternativen. Naheliegend und ganz im System bietet sich die Wortbildung an. Eine besondere Rolle kommt den Wortbildungen durch die be-Verben zu: (28) darben - bedarben, denken - bedenken, folgen - befolgen, fragen - befragen, hauen - bebauen, hüten - behüten, lehren - belehren, lohnen - belohnen, schwören - beschwören, sich schämen - beschämen, sich wundern - bewundern etc.
Sie eröffnen textgrammatisch dem Sprachbenutzer neue Konstruktionsmöglichkeiten, um Sachverhalte syntaktisch unterschiedlich - Objekt als Subjekt -, diskursgrammatisch flexibel - Besetzung der ersten Stelle - und semantisch differenziert in Beziehung setzen zu können. Um eine Genitivkonstruktion konventionell in die Subjektposition zu bringen, bieten erst die be-Verben ein einfaches Verfahren. (Abb. 4) Ich schäme mich des Vorfalls l Positionen l 2
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Ein Passiv ist gar nicht möglich *Der Vorfall wird von mir geschämt. Um dennoch die 'Position 3' als Subjekt realisieren zu können, bietet das Verb beschämen einen Ausweg: (Abb. 5) Der Vorfall beschämt mich | | Positionen l 2
Die Ausführungen sollten zeigen, daß der Kasuswandel nicht durch die Beschreibung des Formenschwunds erklärt werden kann. Er erscheint in einem anderen Licht, wenn textgrammatische Umstände einbezogen werden und offenbart sich dann als ein Vorgang, der dem Sprachbenutzer neue Ausdrucksmöglichkeiten schafft. Er erweist sich als ein syntaktisches und nicht als ein morphologisches Phänomen. Er muß in einem weiteren Schritt als Ausdruck eines textgrammatischen Bedürfnisses gesehen werden.
Literatur Baldes, D. (1882): Der Genitiv vei Verbis im Althochdeutschen. - Straßburg. Behaghel, O. (1923-1932): Deutsche Syntax. I-IV. - Heidelberg: Winter. Delbrück, B. (1907): Synkretismus. Ein Beitrag zur germanischen Kasuslehre. - Straßburg: Trübner. Ebert, R. P. (1978): Historische Syntax des Deutschen. - Stuttgart: Metzler. - (1986): Historische Syntax des Deutschen II: 1300-1750. - Bern: Lang. Eroms, H.-W. (1974): "Beobachtungen zur textuellen Funktion des Passivs". - In: Kritische Bewahrung. Festschrift für Werner Schröder (Berlin: Schmidt). Fillmore, Ch. (1971): "The case for case". - In: Abraham, W. (ed.): Kasustheorie (Frankfurt a. M.: Athenäum) 1-117. - (1976): "The case for case reopened". - In: Cole, P. / Sadock, J. (eds.): Syntax and semantics (Oxford Academic Press). Haider, H. (1984): The case of German. - In: Toman (ed.), 65-102. Huber, W. (1989): Kasusdarstellung im Rahmen der Relationalen Grammatik. - Ms. Eichstätt. Lenerz, J. (1984): Syntaktischer Wandel und Grammatiktheorie: eine Untersuchung an Beispielen aus der Sprachgeschichte. - Tübingen: Niemeyer. Paul, H. (1916-1920) : Deutsche Grammatik. I-V. Halle. Rausch, G. (1897): Zur Geschichte des deutschen Genitivs seit der mittelhochdeutschen Zeit. - Darmstadt: Otto. Schrader, O. (1874): Über den syntaktischen Gebrauch des Genitivs in der Gotischen Sprache. - Göttingen. Siecke, E. (1866): Der syntaktische Gebrauch des Genitivs im Sanskrit. - Berlin. Starke, G. (1969): "Konkurrierende syntaktische Konstruktionen in der deutschen Sprache der Gegenwart". In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 22, 154-195. Sütterlin, L. (1894): Der Genitiv im Heidelberger Volksmund. - Heidelberg. Toman, J. (ed.) (1984): Studies in German grammar. - Dordrecht: Foris. Winkler, H. (1896): Germanische Casussyntax. - Berlin: Dümmler.
PROBLEME DER WORT ARTENEINTEILUNG AM BEISPIEL DER UNTERSCHEIDUNG ADJEKTIV UND ADVERB IM DEUTSCHEN UND FRANZÖSISCHEN Eine Forschungsdarstellung Birgit Vonhoegen
Die Einteilung der Wörter einer Sprache in Wortarten fallt je nach Ansatz sehr unterschiedlich aus. Dies betrifft sowohl die Anzahl der angesetzten Wortarten als auch die Zugehörigkeit bestimmter Wörter zu einer bestimmten Wortart. Die Uneinheitlichkeit der Forschungsliteratur in Hinsicht auf Wortartensysteme ist laut Ivo/Schlieben-Lange (1989: 10) auf folgende Mängel zurückzuführen: Heterogenität der Kriterien bei der Einteilung der Wortarten (semantisch/morphologisch/funktionell/ logisch usw.); Vagheit der Definitionen und Abgrenzungen und - komplementär dazu - Nichtklassifizierbarkeit bestimmter Elemente (z. B. Partikeln im Deutschen); Wechselnde Zahl der angenommenen Wortarten und Fehlen einer systematischen Begründung; Schwierigkeiten der Zuordnung von Wortarten zur Einheit "Wort"; Nichtübertragbarkeit des in einer Sprache vorgefundenen Wortartsystems auf andere, besonders typologisch weit entfernte Sprachen.
Auf die Frage, wie im Deutschen die Wortarten Adjektiv und Adverb abgegrenzt sind, lassen sich in der Literatur mindestens sechs Antworten belegen: 1) Adjektive und Adverbien werden nicht unterschieden. Sie gehören einer Wortart an. (Vgl. z. B. Erben 1958) 2) Es werden drei Wortarten angesetzt, die den syntaktischen Funktionen der Adjektive und Adverbien im Deutschen entsprechen: attributive, prädikative, adverbiale Funktion. (Schon Adelung 1782) 3) Zur Adjektivklasse gehören nur diejenigen Wörter, die in attributiver Funktion stehen können. Zu den Adverbien zählen neben den 'Adjektivadverbien' (z. B. schnell in Karl läuft schnell) auch sogenannte Prädikatsadjektive. (Vgl. z. B. Weinrich 1967) 4) Es gibt Übergangsklassen zwischen Adjektiven und Adverbien im Deutschen, so z. B. die 'Adjektivadverbien'. (Vgl. z. B. Hard 1976) 5) Nur 'echte' Adverbien gehören zur Adverbklasse. Adjektive können in attributiver, prädikativer und adverbialer Funktion vorkommen. (Vgl. z. B. Eisenberg 1989; Hentschel/Weydt 1990; Flämig 1991) 6) Die Klasse der Adjektive umfaßt die Wörter, die in attributiver und prädikativer Funktion stehen können; zu den Adverbien gehören 'echte' Adverbien und 'Adjektivadverbien'. (Vgl. z. B. Heibig 1974; Antonsen 1991)
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Birgit Vonhoegen
Die folgende Darstellung verdeutlicht, wie sich die unterschiedlichen Positionen (l)-(6) zu typischen Beispielsätzen hinsichtlich der Unterscheidung von Adjektiv und Adverb im Deutschen verhalten: (1) (2) (3) (4) (5) (6)
Der schöne Stuhl steht im Garten. Der Stuhl ist schön. Karl läuft schnell. Die Mutter macht die Suppe heiß. Mona Lisa lächelt s t u m m . Oft läuft Karl schnell.
schöne in (1): Adjektiv: Adverb: Eigenschaftswort: charakterisierendes Beiwort:
Position 3, 4, 5, 6 / Position 2 Position l
schön in (2): Adjektiv: Adverb: Beschaffenheitswort: charakterisierendes Beiwort:
Position 4, 5, 6 Position 3 Position 2 Position l
schnell in (3): Adjektiv: Adverb: Umstandswort: charakterisierendes Beiwort: Element einer Übergangsklasse zwischen Adjektiv und Adverb:
Position 5 Position 3, 6 Position 2 Position l Position 4
heiß in (4): Adjektiv: Adverb: Eigenschaftswort: charakterisierendes Beiwort:
Position Position Position Position
3, 6, 4 5 2 l
(5) gilt wegen seiner doppelten Lesart allgemein als Problemfall. Es gibt keine eindeutigen Aussagen in der Forschungsliteratur, ob stumm in Satz 5 ein Adjektiv oder ein Adverb ist.
oft in (6): Adjektiv: Adverb: Umstandswort: charakterisierendes Beiwort:
Position 3, 4, 5, 6 Position 2 Position l
Aktuelle Grammatiken des Deutschen (Eisenberg 1989; Hentschel/Weydt 1990; Flämig 1991; Helbig/Buscha 1991 usw.) identifizieren die hervorgehobenen Formen in (1) und (2) übereinstimmend als Formen von Adjektiven; oft in (6) wird übereinstimmend als die Form eines Adverbs bezeichnet. In Sätzen des Typs (3), (4) und (5) hingegen gehen die Angaben darüber, ob es sich bei den hervorgehobenen Wortformen um Adjektivformen oder Adverbformen handelt, auseinander. Um eine Entscheidung fällen zu können, muß folgende Frage be-
Probleme der Wortarteneinteilung
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antwortet werden: "Handelt es sich bei den verbbezogenen Adverbialen [schnell in (3);B.V.] um Adjektive oder Adverbien?" (Eisenberg 1989: 219) Liegt bei schnell in Karl läuft schnell die Form eines Wortes einer anderen grammatischen Kategorie (nämlich der Wortart Adverb) vor als bei schöne (Adjektivform) in der schöne Stuhl? Oder liegt ein funktionaler Unterschied vor: d. h. die Adjektivform schöne kommt in der schöne Stuhl in attributiver Funktion vor, und die unflektierte Adjektivform schnell kommt in Karl läuft schnell in adverbialer Funktion vor? Die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage beruhen unter anderem auf einer unterschiedlichen Gewichtung der semantischen, morphologischen und syntaktischen Kriterien zur Unterscheidung von Wortarten. Heibig (1974), der vorwiegend syntaktisch-distributionelle Argumente anführt, zählt die sogenannten 'Adjektivadverbien' im Deutschen (Entitäten des Typs schnell in Beispielsatz 3) zu den Adverbien. Härd (1976), der vorwiegend semantische Gründe angibt, siedelt 'Adjektivadverbien' in einer Zone zwischen Adjektiven und Adverbien an. Eisenberg (1989) zählt die 'Adjektivadverbien' aufgrund ihrer formalen Übereinstimmung mit den unflektierten Adjektivformen zu den Adjektiven. Eine befriedigende Lösung des Abgrenzungsproblems der Wortarten Adjektiv und Adverb im Deutschen steht noch aus. Sie müßte verschiedene Ebenen des Sprachsystems - die morphologische, die syntaktische, die semantische - einbeziehen. Die Frage nach der Unterscheidung von Adjektiven und Adverbien im Deutschen wirft neben der Abgrenzungsproblematik noch weitere Fragen auf, die den Zusammenhang zwischen Morphologie und Semantik betreffen. In älteren Sprachstufen des Deutschen existierte eine morphologische Unterscheidung zwischen Adjektiven und heutigen 'Adjektivadverbien'. Die heutigen 'Adjektivadverbien' wurden im Mittelhochdeutschen als Adverbien markiert, indem ein Suffix -e an die Adjektivwurzel gefügt wurde (vgl. Härd 1976: 12ff.). Mit der morphologischen Unterscheidung der Adjektive und Adverbien war auch eine klare semantische Unterscheidung verbunden. In einer Analyse des Nibelungenliedes zeigt Marache (1969: 196), daß als Adverbformen markierte Wörter im Gegensatz zu Adjektiven dann benutzt wurden, wenn die bezeichnete Eigenschaft einen Vorgang näher bestimmen sollte. Adjektive hingegen dienten zur Charakterisierung der Eigenschaften von Gegenständen. Die mittelhochdeutsche Abschwächung der auslautenden Vokale hat zur Folge, daß Adjektivformen auf -e, die keinen Umlaut bilden können, lautlich mit den entsprechenden Adverbformen zusammenfallen. Diese Entwicklung leitete eine allgemeine Angleichung ein. Seit dem 15. Jahrhundert sind die unflektierten Adjektivformen und die "Adjektivadverbformen" formal identisch (Härd 1976: 13f.). Ob mit dieser lautlichen Angleichung zugleich eine semantische Identität der Formen vorliegt, ist eine der zentralen Fragestellungen, die in der Forschung zu diesem Thema noch offen ist. Sollte sich belegen lassen, daß 'Adjektivadverbien' und Adjektive zu unterschiedlichen Wortarten gehören, so müßten folgende Fragen beantwortet werden: (1) Gibt es eine semantische Ableitungsbeziehung zwischen Adjektiven und 'Adjektivadverbien'? (2) Wenn ja, was entspricht einer solchen semantischen Ableitung auf der Formseite? Handelt es sich um Konversion?
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Birgit Vonhoegen (3) In welcher Richtung erfolgt jeweils die Ableitung? (4) In welchem Verhältnis stehen morphologische und semantische Ableitung zueinander? (5) Wenn es Ableitungsbeziehungen zwischen Adjektiven und 'Adjektivadverbien' im Deutschen gibt, in welcher Richtung erfolgt diese jeweils?
Doch nicht nur in älteren Sprachstufen des Deutschen waren 'Adjektivadverbien' morphologisch markiert, sondern auch in modernen Nachbarsprachen werden diese als Adverbien markiert. Im Französischen z. B. werden Adverbien typischerweise durch das Suffix -ment markiert. Dieser Typ der Wortbildung ist im Französischen sehr produktiv: 604. Un suffixe vivant, -ment. C'est une formation qui remonte au bas latin. Ce suffixe reprasente un mot latin feminin: mens - mentis, qui signifie : "esprit", "disposition", " ". Employ6 au cas ablatif: mente, il s'est acco!6 ä des adjectifs de forme fdminine pour former un mot compose1 : NAIVE + ment(e) = narvement = d'une fac.on naive. Le second -ment s'est figo et est devenu un SUFFIXE. La formation en -ment est tres vivante : on peut fabriquer presque l ihre ment des adverbes en -ment sur le feminin des adjectifs [...]. (Larousse 1984: 414f.)
Zu der ment-Abltiiung im Französischen gibt es eine analoge Bildung im Deutschen bei Wörtern des Typs glücklicherweise: II convient de s'interroger, dans les langues ä variations formelles, sur la persistence ä distinguer morphologiquement l'adjectif et l'adverbe: l'anglais oppose slow & slowly, le franc,ais lent ä lentement, et si l'allemand ne les distingue pas il connait ntSanmois des formations en -weise qui ne sont qu'adverbiales. (Feuilletl991: 53)
Auffällig ist, daß Adverbien dieses Typs im Deutschen nur als Satzadverbiale fungieren, während sie im Französischen alle Funktionen ihrer Wortart übernehmen können, so, auch die, die die 'Adjektivadverbien' im Deutschen einnehmen. Im Französischen tauchen Abgrenzungsprobleme zwischen Adjektiv und Adverb nicht bei den 'Adjektivadverbien', sondern an anderer Stelle auf. Bei den französischen Adjektiven gibt es 'Lücken', die durch Adverbien aufgefüllt werden müssen: Cependant si regarde les choses de pres, on s'apercoit que, s'il n'y a correspondence sur le principe, il n'y a pas toujours correspondence terme ä terme: si le couple rapide/rapidement existe, vite est isole (d'oü son emploi comme adjectif dans le jargon des cyclistes), bien, par absence de correspondante adjectival, s'emploie maintenant comme adjectif [...]. (Feuillet 1991: 52)
Im Französischen verschiebt sich die Abgrenzungsproblematik, da Adjektive und Adverbien morphologisch klar getrennt sind. Die Unterscheidung wird hier problematisch, wenn eine Form der einen Kategorie die Funktion einer Form der anderen Kategorie übernimmt. Neben der Verwendung von Adverbien als Adjektive existiert auch das entgegengesetzte Phänomen: 290. Le cas particulier des adjectifs employes comme adverbes. [...] Le sens de l'adjectif en fonction d'adverbe porte sur un verbe : accord ne se fait pas. Ex. : Us crient fort. Elles chantent faux. (Larousse 1984: 192)
In der Literatur zur Unterscheidung der Wortarten Adjektiv und Adverb im Französischen ist die Funktion dieser Kategorien Wechsel nicht eindeutig geklärt. Während die morphologische Zugehörigkeit zu den Wortarten Adjektiv und Adverb im allgemeinen im Französischen sehr deutlich ist, ist ebenso wie für das Deutsche die Frage nach der morphologischen Ableitungsrichtung zu klären (besonders in den erwähnten kritischen Fällen: ist vite als Adjektivform durch Konversion von der Adverbform vite abgeleitet?).
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Für das Französische muß auch die Frage beantwortet werden, welche semantischen Unterschiede zwischen Adjektiven und Adverbien bestehen. Wie ist das genaue Verhältnis von morphologischer Ableitung und dem daraus resultierenden semantischen Effekt? Ist diese Beziehung zwischen morphologischer Ableitung und semantischem Effekt im Französischen mit der entsprechenden Beziehung im Deutschen vergleichbar? Betrachtet man den semantischen Bestimmungsversuch der Adverbien bei Confais, so zeigt sich eine starke Übereinstimmung mit der Einschätzung der semantischen Bestimmung der 'Adjektivadverbien' bei Marache (1969: 196): Diese Adverbien sind die echten Adverbien, weil sie tatsächlich das Verb ergänzen, indem sie seine Bedeutung einschränken und mit ihm eine Sinneinheit bilden, vgl.: conduire correctement, conduire prudemment [...]. (Confais 1985: 222)
Renate Bartschs Analyse der 'modalen Adverbien', welche der Analyse von Confais für das Französische sehr nahe kommt, läßt die Frage zu, ob hier eine allgemeine semantische Eigenschaft der Wortart Adverb für Sprachen wie das Deutsche und Französische anzusetzen ist: Die ersten werden in der traditionellen Grammatik 'modale* Adverbien genannt, weil sie die Art und Weise (den Modus) des (Handlungs)-Vorgangs oder eines Zustande« charakterisieren, den das Verb des Satzes bezeichnet. (Bartsch 1972: 16f.)
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Birgit Vonhoegen
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DIATHETISCH ODER NICHTDIATHETISCH Zum Status der bekommen+Part. II-Konstruktion
Hengxiang Zhou
Die bekommen+Part. II-Konstruktion (der Terminus steht hier auch stellvertretend für die kriegen/erhalten+Part. II-Konstruktion) wird in der neueren deutschen Grammatikforschung oft als bekommen-Passiv (auch: Dativpassiv) apostrophiert und damit als eine Passivform, die parallel zum Werden-Passiv (auch: Akkusativpassiv) steht, interpretiert.1 Sie gilt damit als eine in Opposition zum Aktiv stehende Diathese. Da die Interpretation dieser Konstruktion als Passiv nicht nur morphologisch-syntaktisch (etwa mit der Auxiliarisiertheit von bekommen), sondern auch - und zwar zu Recht - semantisch-funktional (etwa mit dem Wechsel der Betrachterperspektive) begründet wird,2 wird unter dieser Diathese nicht einfach eine inhaltlich-semantische oder eine morphologisch-syntaktische,3 sondern eine syntaktisch-semantische Kategorie verstanden. Als solche soll sie in diesem Beitrag genauer untersucht werden. Meiner Meinung nach läßt sich die Bestimmung dieser Konstruktion als Passiv bzw. ihre Parallelisierung mit dem Werden-Passiv, sobald semantisch-funktionale Kriterien ins Blickfeld gerückt werden, nur dann aufrechterhalten, wenn nachgewiesen werden kann, daß die bekommen+Part. II-Konstruktion denselben Sachverhalt wie das werden-Passiv bzw. das aktivische Basisverb des Part. II bezeichnet. Die gemeinte Identität ist für die Befürworter der PassivInterpretation dieser Konstruktion eine Selbstverständlichkeit. So werden jene drei Konstruktionen vorbehaltlos für Synonyme erklärt, und der Unterschied zwischen dem bekommen- und dem Werden-Passiv wird lediglich darin gesehen, daß das erstere zur Dativkonversion und das andere zur Akkusativkonversion fähig ist. Im Gegensatz dazu vertrete ich, wobei ich in Anlehnung an eine Terminologie Harwegs die Ebenen des Sachverhaltsbezugs und der Perspektivierung der Sachverhaltsbezeichnung jeweils als "sachverhaltstheoretisch" bzw. "sachverhaltsbezeichnungstheoretisch" bezeichne," die Meinung, daß die bekommen+Part. II-Konstruktion sachverhaltstheoretisch nicht mit dem werden-Passiv bzw. dem aktivischen Basisverb des Part. II identisch ist und daher sachverhaltsbezeichnungstheoretisch nicht als parallel zum werffe/t-Passiv zu interpretieren ist. Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich zeigen, daß - selbst wenn man zunächst einmal von der These der Sachverhaltsidentität mit bzw. der Parallelität zu dem werden-Passiv absieht - bereits die Behauptung, bekommen in der bekommen+Part, II -Konstruktion sei auxiliarisiert, problematisch ist. Die Auxiliarisiertheit eines Verbs impliziert bekanntlich, daß dieses Verb semantisch (genauer: lexikalisch-semantisch) entleert ist. Dies soll nach allgemeiner Behauptung auch für bekommen gelten (dazu z. B. Reis 1976: 73 und Eroms 1978: 372f.). Da das Hilfs- und
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Hengxiang Zhou
Vollverb in einer Konstruktion zwei komplementäre Elemente sind, kann das Hilfsverb vom Vollverb her begründet werden. So wird die semantische Notwendigkeit des Part. II in Sätzen wie (1) (2)
Er bekam den Führerschein entzogen. Er bekam die Haare geßrbt.
immer als ein sicheres Anzeichen dafür angesehen, daß bekommen semantisch neutralisiert bzw. entleert ist.5 Ohne das Part. II haben diese Sätze nämlich entweder eine andere Bedeutung oder sind gar nicht möglich, es sei denn, daß das Akkusativobjekt indefinit ist: (la) Er bekam den Führerschein. (2a) *Er bekam die Haare. (2b) Er bekam Haare.
Demgegenüber kann bei bekommen in Sätzen wie (3) (4)
Er bekam ein Buch geschenkt. Er bekam einen Brief geschickt.
von Hilfsverb keine Rede sein, denn die Part. II geschenkt und geschickt sind, ohne daß die Sätze jeweils eine Bedeutungsveränderung erführen, weglaßbar: (3a) Er bekam ein Buch. (4a) Er bekam einen Brief.
Daß die Bestimmung der bekommen+P&rt. II-Konstruktionen in (3) und (4) als Passivformen nicht mit einer Auxiliarisiertheit von bekommen bzw. der Funktion des Part. II als Vollverb zu begründen ist und somit ihre Glaubwürdigkeit ins Wanken gerät, ist ersichtlich. Diesbezüglich gibt Wegener (1985: 135) bei ihrer Verteidigung des bekommen-Passivs zu: "kriegen/ bekommend-Partizip II stellen nicht immer eine Dativ-Passivkonstruktion dar, sondern treten [...] auch noch in einer anderen Funktion auf. Angesichts der Feststellung, daß die bekommen+Pait. II-Konstruktion zwei Arten, die form-, jedoch nicht funktionsgleich sind, kennt, schlägt sie dann vor, diese zwei Arten auseinanderzuhalten. Um keinen Zweifel an der Grammatisierung bzw. Passivierung der bekommen+Part. II-Konstruktion aufkommen zu lassen, hält es Askedal (1984: 8) "im Hinblick auf das Verhältnis zu anderen Infinitfügungen oder aber je nach der verschiedenen morphosyntaktischen Ausgestaltung der bekommen/kriegen/erhalten-Fügung selbst" für sinnvoll, die Auxiliarität von bekommen zu skalieren. Daraus schließt er am Ende seiner Untersuchung, "daß das gegenwärtige bekommen/ kriegen/erhalte/i-Passiv sich in einem Ubergangszustand befindet". (Askedal 1984: 41) Dadurch aber wird die These, die bekommen+Parl. II-Konstruktion sei voll grammatisiert (vgl. z. B. Eroms 1978: 388), in Frage gestellt. Auch die Konstruktionen der Typen (1) und (2), die wegen der semantischen Notwendigkeit des Part. II der These von einer Existenz eines i>eto/n/ne«-(Übergangs-)Passivs rechtzugeben scheinen, erscheinen mir nicht unbestreitbar. Als Einwände dagegen sind die folgenden Beobachtungen anzumelden: a) bekommen in (1) und (2) kann mit bekommen in (3) und (4) zu einer Kategorie, nämlich zu der Kategorie 'Empfangen' zusammengefaßt werden; b) die Part. II in allen genannten Sätzen können funktional auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Sie dienen nämlich allgemein dazu, anzuzeigen, wodurch das Empfangen ausgelöst
Diathetisch oder nichtdiathetisch
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wird. Das Empfangen kann entweder positiver oder negativer Art oder auf die Beschaffenheit eines (Besitz-)Objekts bezogen sein.6 Aus der Tatsache, daß die Bedeutung von bekommen in (la) und (2a), nämlich jene Bedeutung, die bekommen nach dem Fortfall des Part. II zukommt, mit der von bekommen in (3) und (4) sowie mit der des allein vorkommenden bekommen zusammenfallt, ist zu schließen, daß 'positives Empfangen' die eigentliche bzw. die Kernbedeutung von bekommen ist. Je nach ihrem Verhältnis zu dieser Bedeutung lassen sich die oben genannten Part. II in drei Gruppen unterteilen. Die Gruppe, zu der das Part. II in den Sätzen (3) und (4) gehört, drückt eine positive Auslösung des Empfangens aus. Da diese Bedeutung mit der Kernbedeutung von bekommen übereinstimmt, sind die Part. II dieser Gruppe fakultativ. Die Gruppe, zu der das Part. II in Satz (1) gehört, drückt hingegen eine negative Auslösung aus, eine Auslösung, die also zum Verlust des betreffenden Besitzobjekts führt. Die Gruppe, zu der das Part. II in Satz (2) gehört, drückt eine Auslösung aus, die nicht die Existenz, sondern die Beschaffenheit des betreffenden (Besitz-)Objekts betrifft, bei diesem nämlich einen neuen Zustand auf Kosten eines alten herbeiführt. Daß bekommen und das Part. II in den Sätzen (1) bis (4) semantisch und funktional jeweils zusammengefaßt werden können, legt nahe, daß auch in den Sätzen (1) und (2), wo das Part. II semantisch notwendig ist, bekommen lexikalisch-semantisch nicht entleert ist und das Part. II nicht als Vollverb, sondern als eine verbale Bestimmung fungiert. (Dazu vgl. Zhou 1993) Daß die bekommen+Pail. II-Konstruktion kein Passiv und keine Parallele zum werdenPassiv ist, ist letzten Endes darin begründet, daß die erstgenannte Konstruktion auf der Sachverhaltsebene nicht den gleichen Prozeß bezeichnet wie das Basisverb des Part. II. Wie oben bereits angedeutet, bezeichnet die bekommen+Part. II-Konstruktion genauso wie bekommen ein Empfangen und das Basisverb des Part. II ein Auslösen bzw. ein Geben. Als etwas Ausgelöstes ist das Empfangen immer etwas Sekundäres. Dementsprechend lassen sich die Verben, die diese zwei Prozesse ausdrücken und deren Status als Vollverben allgemein anerkannt ist, jeweils als geben- bzw. empfangen-aiuge Verben bezeichnen.7 Daß das Geben und das Empfangen nacheinander erfolgen und somit keine zeitliche Koinzidenz aufweisen, wird sprachlich besonders daran deutlich, daß sie in einem Text als aufeinanderfolgend geschildert werden können: (5) (6)
Man hat mir einen Brief geschickt / Mir wurde ein Brief geschickt, aber ich habe ihn nicht bekommen.' Man hat mir aus Polen eine Karte geschickt. Die Karte habe ich aber erst einen Monat später bekommen.
Trotz ihres zeitlichen Aufeinanderfolgens ist eine Hintereinanderschilderung der Prozesse des Gebens und des Empfangens nicht immer möglich. Möglich ist sie nur dann, wenn sich die beiden Prozesse in einem zeitlich und/oder örtlich losen Verhältnis befinden. Sind sie zeitlich eng miteinander verbunden (z. B. in einer face-to-face-Situation) oder ist das Geben so beschaffen, daß das Empfangen unausweichlich ist (z. B. im Fall des Die-Haare-Gefärbtbekommens), dann ist die sprachliche Hintereinanderschilderung des Gebens und des Empfangens m. E. nicht möglich. Aber selbst wenn eine solche Hintereinanderschilderung möglich wäre,
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so wäre sie, da Geben und Empfangen - abgesehen von Fällen wie Er bekam Haare/Zähne - logisch einander implizieren, nicht nötig, es sei denn, daß das Empfangen aus bestimmten Gründen nicht sicher ist (siehe Beispiel (5)) oder daß man die zeitliche Distanz zwischen den beiden Prozessen hervorheben will (siehe Beispiel (6)). Angesichts des Implikationsverhältnisses zwischen Geben und Empfangen erscheint es mir zweckmäßig, den Begriff 'Prozeßfolge' einzuführen und die beiden in Rede stehenden Prozesse als zwei Pole einer Prozeßfolge zu bezeichnen. Mit Ausnahme der Fälle (5) und (6) läßt sich die Geben-Empfangen-Folge entweder vom Geben- oder vom Empfangen-Pol her schildern. Was die empfangen-arugen Verben betrifft, so reflektieren sie, abgesehen z. B. von bekommen in Er bekam Haare, den Geben-Prozeß logischerweise zwar immer, sind aber nicht in der Lage, genauer auszusagen, welcher Art der Geben-Prozeß gewesen ist, es sei denn, daß der Geben-Prozeß selber das Akkusativobjekt von bekommen ist (wie z. B. Hilfe in Er bekam Hilfe). Diesem 'Nachteil' der empfange/i-artigen Verben wird im Deutschen dadurch abgeholfen, daß die bekommen-Konstruküon mit einem Part. II, das den das Empfangen auslösenden Prozeß angibt, erweitert wird. Daher kommt die bekommen+Pait. II-Konstruktion. Diese Erweiterung ist sogar notwendig, wenn es gilt, ein negatives oder ein auf die Beschaffenheit des betreffenden (Besitz-)Objekts bezogenes Empfangen zu beschreiben. Gemäß dieser Erkenntnis hat das Part. II in der bekommen+Paii. II-Konstruktion mit dem Passiv nichts zu tun. Diese Form rührt vielmehr daher, daß der Geben-Prozeß aus dem Blickwinkel des Empfangene stets ein vollendeter ist. Unter dem Gesichtspunkt der Erweiterung kann man die bekommen- und die bekommen+Part. IIKonstruktion jeweils als eine einfache bzw. erweiterte Konstruktion zum Ausdruck der Empfangen-Perspektive bei der Schilderung der Geben-Empfangen-Prozeßfolge charakterisieren. Die These, daß die bekommen+Part. II-Konstruktion keine Passivform und auch keine Parallele zum werden-Passiv ist, kann auch von der Seite des werden-Passivs her bestätigt werden, und zwar dadurch, daß diese Form im Gegensatz zu der bekommen+Pait. II-Konstruktion sachverhaltstheoretisch identisch mit dem Aktiv ist und das Part. II, das in der Verbindung mit werden steht, nicht über die Bedeutung der Vollendung verfügt. Die Erweiterung der bekommen-Konstnikuon durch ein Part. II ist allerdings nur bedingt möglich. Die allgemeine Bedingung für diese Erweiterung besteht darin, daß bekommen und das aktivische Basisverb des Part. II ein gemeinsames Akkusativobjekt haben müssen.9 So bezeichnen beschenken und schenken zwar den gleichen Geben-Prozeß. Da das Akkusativobjekt von beschenken aber, anders als das von schenken, nicht identisch mit dem von bekommen ist, kann beschenken im Gegensatz zu schenken nicht in die bekommen-Konstruktion eingehen. Was nun das Subjekt der bekommen+Part. II-Konstruktion betrifft, so sind bei diesem zwei Fälle zu unterscheiden. In dem einen ist es zugleich das Dativobjekt des aktivischen Basisverbs des Part. II. Dieser Fall ist der bisher behandelte Fall, Beispiele dafür sind die Sätze (1) bis (4). In dem anderen Fall ist das Subjekt von bekommen, wie die folgenden Beispiele (7)
Endlich bekamen wir unsere Glückwünsche dem Geburtstagskind übermittelt.
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tisch
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(8) Obwohl es Sonntag und bereits längst nach Mittemacht war, bekamen wir sein Pferd doch noch dem Tierarzt vorgeführt.10
zeigen, zugleich das Subjekt des aktivischen Basisverbs des Part. II. Der Fall, in dem das Subjekt der bekommen+Pari. II-Konstruktion zugleich das Dativobjekt des aktivischen Basisverbs des Part. II ist, deutet daraufhin, daß zwischen diesen beiden Konstruktionen eine Konversenbeziehung besteht. Die Interpretation dieser Beziehung als Dativ-Konversion (auch: Dativ-Alternation) bzw. der bekommen+Pait. II-Konstruktion als Mittel der Dativ-Konversion ist das Ergebnis eines Part.II-zentrierten Ansatzes. Dieser Ansatz aber ist, weil die bekommen+Part. II-Konstruktion sachverhaltstheoretisch nicht identisch mit dem aktivischen Basisverb des Part. II und bekommen in dieser Konstruktion lexikalisch-semantisch nicht entleert ist, nicht korrekt. Abgesehen davon, ist die Auffassung dieser Konstruktion als Passiv keineswegs allgemeingültig; denn sie kann jene bekommen+Pait. II-Konstruktion, die in den Beispielen (7) und (8) vorliegt und die ebenfalls eine Empfangen-Perspektive ausdrückt, nicht erklären.11 Diese Konstruktion drückt übrigens im Gegensatz zu jener bekommen+Pait. II-Konstruktion, deren Subjekt zugleich das Dativobjekt des aktivischen Basisverbs des Part. II ist, ein zweifaches Empfangen aus. Zum einen wird ausgedrückt, daß der Empfänger des Geben-Prozesses etwas bekommen hat. Dies zeigen die Sätze: (7a) Das Geburtstagskind bekam unsere Glückwünsche übermittelt. (Sa) Der Tierarzt bekam das Pferd vorgeführt.
Zum anderen wird zum Ausdruck gebracht, daß dieses Empfangen als das Ergebnis zu verstehen ist, das der Agens des Geben-Prozesses nach dessen Vollendung bekommen hat. Demnach kann man die bekommen+Pait. II-Konstruktion in den Sätzen (1) bis (4) als eine eindimensionale und die in den Sätzen (7) und (8) als eine zweidimensionale erweiterte bekom/wen-Konstruktion charakterisieren. Im Rahmen meines bekommen-zentnerten Ansatzes erweist sich die Beziehung zwischen der bekommen+Pait. II-Konstruktion und dem aktivischen Basisverb des Part. II als eine Konversenbeziehung zwischen der Gegen- und der Empfangen-Perspektive bei der Schilderung der Geben-Empfangen-Folge. Das Phänomen, daß das Subjekt der bekommen+Pait. IIKonstruktion zugleich das Dativobjekt des aktivischen Basisverbs des Part. II ist, ist in diesem Zusammenhang als ein grammatisches Begleitphänomen der Konversion zwischen der Geben- und der Empfangen-Perspektive, genauer: zwischen dem eindimensionalen bekommen und dem den Geben-Prozeß anzeigenden Part. II zu interpretieren. Die Konversenbeziehung zwischen der bekommen+Pait. II-Konstruktion und dem aktivischen Basisverb des Part. II stellt, da sie sachverhaltstheoretisch eine andere Grundlage als die Konversenbeziehung zwischen dem werden-Passiv und Aktiv hat, auf der Sachverhaltsbezeichnungsebene eine andere Dimension dar als die letztgenannte Beziehung. Da jedoch, wie (5) deutlich zeigt, das Aktiv und manchmal auch das werden-Passiv den Geben-Prozeß bezeichnet, stehen beide Konversenbeziehungen durchaus in Berührung. Die Diskrepanz und die Berührung zwischen ihnen können folgendermaßen veranschaulicht werden, wobei die
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Vertikale die zeitliche Koinzidenz und die Horizontale das zeitliche Nacheinander indiziert: (Abb. 1) Werden-Passiv Aktiv
—=»
bekommen(+P&rt. II)-Konstruktion
Will man die Konversenbeziehung zwischen der Geben- und der Empfangen-Perspektive, wie Eroms (1987: 92) es gefordert hat, auch noch ins Diathesenparadigma integrieren, so muß man diese beiden Perspektiven als zwei separate Diathesen interpretieren.12 Zu ihrer Bezeichnung schlage ich in diesem Falle die Termini 'Geben-Diathese' und 'Empfangen-Diathese' vor. Die bekommen+Part. II-Konstruktion wäre dann einer der Ausdrücke der Empfangen-Diathese. Wird das Diathesenparadigma jedoch, wie es bisher bei der Behandlung des te/twnmen-Passivs geschehen ist, ausschließlich auf dem Prinzip der Sachverhaltsidentität zwischen den Diathesen bzw. auf der Opposition 'Aktiv vs. Passiv' aufgebaut, so ist die bekommen+Paii. II-Konstruktion - da sie, wie oben erläutert, keine Passivform ist - eher als eine nichtdiathetische Form zu bestimmen.
Anmerkungen 1 Vgl. Blinker (1971), Reis (1976), Eroms (1978), Askedal (1984) und Leirbukt (1987). 2 Dazu vgl. insbesondere Reis (1976), Eroms (1978) und Askedal (1984). Außerdem wird das bekommen-Passiv noch dadurch gerechtfertigt, daß a) in dieser Konstruktion die Agens-NP - wie im werden-Passiv - weglaßbar ist und b) die Bildung der beiden Konstruktionen "gewissen gemeinsamen Restriktionen" (Askedal 1984: 22) unterliegt. 3 Zum ersteren Verständnis vgl. Harweg (1973) und Schmidt (1987); zum letzteren vgl. z. B. Wagner (1977). 4 Vgl. Harweg (1973). Anders als ich, bezieht Harweg die genannten Termini auf die gleiche Ebene, nämlich auf die Ebene der Perspektivierung der Sachverhaltsbezeichnung. Den Unterschied zwischen ihnen sieht Harweg lediglich darin, daß "sachverhaltsbezeichnungstheoretisch" genauer als "sachverhaltstheoretisch" ist. 5 Dabei werden auch Sätze wie Er bekam geholfen/widersprochen/geschimpß angeführt. Da solche Sätze nicht allgemein akzeptabel sind, werden sie bei der Diskussion nicht weiter berücksichtigt. Ungeachtet der Akzeptabilität weisen diese Part. m. E. einen anderen Status als die Part. II des Typus 'entzogen' auf. Sie sind im Gegensatz zu dem Typ 'entzogen' auch syntaktisch notwendig und können durch Substantive wie Hilfe, Widerspruch und Schimpf ersetzt werden. Das legt nahe, daß diese Part. II analog zum Akkusativobjekt sind. 6 Insofern ist Wegener zuzustimmen, wenn sie außer von positivem Besitzwechsel noch von der "Besitzveränderung im negativen Sinn" und der "ZustandeVeränderung" spricht. (Vgl. Wegener 1985: 128ff.) 7 Eroms (1978: 375) versteht geben und empfangen als "lexikalische Konversen zur Bezeichnung der polaren Sehweise (Geber-Empfänger) bei trivalenten Verben". Dieses Verständnis, das dem Dativpassivkonzept zugrunde liegt, ist m. E. falsch, denn geben ist auch ein trivalentes Verb, und die trivalenten Verben, die nach Eroms geben und empfangen übergeordnet sein sollen, gehören ebenfalls zur Geber-Seite. Was geben und bekommen verbindet, ist das Implikationsverhältnis, auf das ich noch zu sprechen kommen werde. 8 Das Beispiel stammt aus Wegener (1985: 133). Sie stellt dieses Beispiel dem ungrammatischen Beispiel *Ich bekam ein Paket geschickt, aber ich habe es nicht bekommen gegenüber, um zu zeigen, daß das Hilfsverb bekommen, das in Verbindung mit geschickt steht, "noch nicht völlig semantisch entleert" ist. Wenn dieses
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bekommen semantisch nicht entleert ist und deswegen die beiden Sätze der zitierten Satzfolge semantisch einander widersprechen, so spricht dies eindeutig dafür, daß bekommen kein Hilfsverb ist. 9 Die Bedingung für die Verbindung von bekommen und dem Part. II bezeichnet Haider als "Kongruenzrestriktion*. Näheres dazu siehe Haider (1986: 21 ff.) 10 Das erste Beispiel stammt von Reis (1985: 145) und das zweite von Haider (1984: 37). Bei Haider steht kriegen an Stelle von bekommen. 11 Wie Wegener andere nicht zum bekommen-Passiv passende Konstruktionen aus dem Passivparadigma ausschließt, schließt nun Reis (1985: 145) zur Rettung des bekommen-Passi\s die bekommen+P*tt. II-Konstruktion in (7) und (8) aus diesem Paradigma aus: Sie bestimmt solche Konstruktionen als "syntaktisch aktiv", d. h. als "Vollverbstrukturen mit ursprünglichem Nominativ und passivischem Partizip II-Komplement". 12 In diesem Zusammenhang ist auch auf die - in seinem noch unveröffentlichten Aufsatz "Arten und Formen von Aktiv und Passiv oder wie dehnbar sind die beiden Konzepte?" (Manuskript 1991) -jüngst von Roland Herweg entwickelten Diathesenkonzepte hinzuweisen. Herweg unterscheidet in jenem Aufsatz außer den traditionellen Diathesen Aktiv und werden-¥»s&\\, die er als aktionale Diathesen bezeichnet, noch possessionale und obtentionale Diathesen. Eine possessionale Diathesenbeziehung besteht z. B. zwischen dem einen Zustand bezeichnenden Satz Karl hat das Haus vermietet als possessionalem Aktiv und dem Satz Das Haus ist vermietet als possessionalem Passiv und die obtentionale Diathesenbeziehung zwischen dem Satz Karl hat alle Backenzähne gezogen bekommen als obtentionalem Aktiv und dem Satz Bei Karl sind alle Bakkenzähne gezogen worden als obtentionalem Passiv. Auch bei Harweg ist hier (übrigens anders als noch in Harweg 1973) die bekommen+Psat. II-Konstruktion keine Passivform.
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SYNTAX
ZUR ZUORDNUNG VON WORTSTELLUNGSMUSTERN AUS STELLUNGSFELDERN ZU SYNTAKTISCHEN EINHEITEN Monika Budde
Nachdem Feldanalysen von anderen Typen von Stellungsanalysen unterschieden worden sind (L), werden Charakteristika ihrer Zuordnung zu Sätzen von denen ihrer Zuordnung zu Satztypen abgegrenzt (2.) und zueinander in Beziehung gesetzt (3.)· 1. Bei der Analyse von Sätzen, Nominalgruppen usw. - allgemein: von syntaktischen Einheiten (SE) - sind unter systematischen Gesichtspunkten zwei Schritte zu unterscheiden: erstens die Einteilung einer Einheit in Teile und zweitens die begriffliche Erfassung dieser Teile. Dabei spiegelt sich in den zugeordneten Begriffen der Einteilungsgesichtspunkt wider. Die Schemata als Ganze repräsentieren bestimmte Aspekte der analysierten Einheit. Im folgenden geht es um solche Schemata, in denen Wortstellungsaspekte oberflächensyntaktisch repräsentiert werden, z. B. also Feldanalysen wie in (1) (nach Eisenberg 1989: 411). (1)
Konj l Vorfeld l Denn! Irene l
Finitum hat
l Mittelfeld l Infiniter Verbalkomplex l ihm den Stem l gezeigt
l l
Nachfeld heute morgen
Zu einer vollständigen Beschreibung der Einheit und ihrer Teile gehören neben den Analysen nach einzelnen Gesichtspunkten in der Regel weitere Charakterisierungen der Teile. Hier kann weder das Problem komplexer Analysegesichtspunkte noch das Verhältnis von Analysen derselben SE nach verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert werden (vgl. hierzu jetzt Thümmel 1992). Mit einem erheblichen Teil der Forschungstradition wird angenommen, daß der Aspekt Wortstellung in einem bestimmten Sinne unabhängig von anderen Aspekten betrachtet werden kann. Damit lassen sich im wesentlichen drei Typen von Stellungsanalysen mit je unterschiedlichen Begriffsinventaren unterscheiden. Erstens können Stellungsanalysen von SE sich wie in (1) auf Felder beziehen. Diese spielen v. a. in Grammatiken des Deutschen eine zentrale Rolle. Zweitens gibt es Stellungsanalysen, die nicht bei Feldern, sondern wie in (2) (nach Engel 1988: 321) bei den syntaktischen Funktionen oder Satzgliedern ansetzen, im folgenden Funktionenanalysen genannt. (2)
Danach hatte l der Aufseher dem Gärtner ein Messer
l gegeben.
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Bei dem dritten Analysetyp schließlich kommen Begriffe (Kategorien und Relationen) beliebiger sprachlicher Ebenen ins Spiel: Dabei nimmt man an, daß u. a. die Thema-RhemaGliederung, Definitheit und Pronominalität - als Wortstellungsfaktoren auf komplexe Weise zusammenwirkend - sowohl die Abfolge der Teilstrukturen in (sprachspezifischen) Strukturen als auch die Abfolge der Teile in einzelnen SE bestimmen (vgl. Reis 1987: 154, 169). Jeder Faktor führt zu einer Analyse einer SE: In dem zugeordneten Schema werden Stellungsaspekte der Einheit repräsentiert, z. B. (Engel 1988: 340): (3)
Sie hatte die Kinder während des Gewitters (nicht) ins Haus geholt. Thema Rhema
Feld- und Funktionenanalysen können als (eindimensionale) Grenzfälle einer komplexen Faktorenanalyse aufgefaßt werden. Einfachheit der Analysen i. S. v. Eindimensionalität ist (weitgehend implizit) ein wichtiges Kriterium bei der Abgrenzung von Wortstellungsbereichen: Eine mehrdimensionale Faktorenanalyse wird nur dann erwogen, wenn Reihenfolgevariation in einem Bereich erfaßt werden muß, der aus anderen Gründen als geschlossen beurteilt wird - wie der der Abfolge der Ergänzungen im Mittelfeld (Lenerz 1977; Zubin/Köpcke 1985; Reis 1987; zur Diskussion vgl. Eisenberg 1989: 417-425). Während bei Funktionenund bei Faktorenanalysen die Schemata zur Repräsentation von Stellungsaspekten von SE aus auch sonst in Grammatik und Pragmatik relevanten Kategorien und Relationen bestehen, sind Feldbegriffe auf die Topologie beschränkt. Vor diesem hier nur skizzierbaren Hintergrund stellt sich die Frage nach den Charakteristika der Zuordnungsbeziehung zwischen Stellungsanalysen und SE als Frage nach den jeweils leitenden Analysegrundsätzen. Die topologiespezifischen Feldanalysen sind auf der als Bereich unstrittigen Satzebene ein geeigneter Ansatzpunkt, um zentrale Analysegrundsätze zu diskutieren.
2. Aus Standardargumentationen zur Rechtfertigung von Feldanalysen können zunächst vier leitende Grundsätze für ihre Zuordnung zu SE abgeleitet werden: Erstens soll die Anzahl der Schemata für eine Sprache möglichst gering sein. Dabei soll zweitens möglichst jeder Satz einem Schema zugeordnet werden können, durch das dieser Satz drittens vollständig analysiert wird. Die Zuordnung selbst soll dabei viertens nicht zu diskontinuierlichen Teilen der Einheit führen: Bei einer Baumdiagramm-Darstellung müssen die Äste überschneidungsfrei sein. Während diese Grundsätze in der Regel ohne Diskussion angewendet werden, ist nach wie vor umstritten, welche Schemata für das Deutsche anzunehmen sind. Insbesondere ist offen, aus welchen Feldern die Schemata bestehen sollen und wie diese Felder zu bestimmen sind (zuletzt Patocka 1991). Statt direkt in diese Diskussion einzusteigen, möchte ich zunächst einen Schritt zurückgehen zu den Motivationen für die vier leitenden Gedanken: Von hier aus wird die Frage nach den Feldern in einem anderen Licht erscheinen.
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2.1. Zunächst zur Anzahl der Schemata: Als eine wesentliche Motivation für ihre Begrenzung muß erstens eine weitgehend implizit bleibende Forderung gelten: daß die Satztypen, die nach der Stellung der Prädikatsteile unterschieden werden können und die auf letztlich semantisch und pragmatisch relevante Klassen von SE bezogen werden, nicht unmotiviert vermehrt werden sollen. Und zweitens soll jeder Satztyp durch ein Feldschema gekennzeichnet werden (so z. B. Eisenberg 1989: 411; Patocka 1991: 124f.). Das heißt: Es geht gleichzeitig darum, daß Sätze dem dritten Grundsatz gemäß nach einem Feldschema analysiert werden, und darum, daß einem Satztyp - einer Menge von Sätzen - ein Feldschema zugeordnet wird. (Dabei soll jeder Satz zu einem Satztyp gehören und so - dem zweiten Grundsatz gemäß - auch dem Schema zuzuordnen sein, das den Satztyp kennzeichnet; s. u., 2.3.) Damit geht es aber um zwei Relationen der Zuordnung: Muster für einen Satz und Kennzeichnung einer Menge von Sätzen. Sätze und Mengen von Sätzen sind ontologisch zu unterscheidende Entitäten, damit sind auch Relationen, in denen sie als Relata vorkommen, wenigstens ontologisch zu unterscheiden - unabhängig von ihren weiteren Charakteristika, insbesondere möglichen struktureilen Parallelen: (4)
" f" stehe für Entitäten vom ontologischen Typ der syntaktischen Einheiten, insbesondere also für Sätze; "K" stehe für Mengen von f, insbesondere also für Satztypen; "G" stehe für Entitäten vom Typ der Feldschemata, insbesondere also für Folgen von Feldern. (a) (ein Feldschema) G ist ein Muster für (einen Satz) f (b) (ein Feldschema) G kennzeichnet (eine Menge) K (von Sätzen)
Die entscheidende Frage ist nun, welche Forderungen an jede der beiden Zuordnungsrelationen zu stellen sind und wie sich diese zueinander verhalten. Einige Aspekte dieser Frage möchte ich im folgenden beleuchten, ausgehend von den noch übrigen drei leitenden Prinzipien für Feldanalysen. In der Forderung nach Überschneidungsfreiheit spiegelt sich wider, daß eine Analyse nach Stellungsgesichtspunkten angestrebt wird. Als Teile der Einheit sollen sich die Stellungsglieder (Heidolph/Fläming/Motsch (eds.) 1984: 702) oder Folgeelemente (Engel 1988: 303) ergeben. Unberücksichtigt bleiben sollen solche Teile, die nur nach anderen Gesichtspunkten zusammenzufassen und hierarchisch anzuordnen sind. So soll es keine Rolle spielen, daß ein Relativsatz als Attribut Teil einer Nominalgruppe ist. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nur, daß er von dem Rest der Nominalgruppe trennbar ist. Daher hat z. B. die Nominalgruppe (5a), die in (5b) vorkommt, zwei Stellungsglieder: den Relativsatz und 'den Rest'. (Der Relativsatz ist Attribut zu (das) Auto, ebenso wie neue.) (Sa) das neue Auto, das von der Fahrt nach München ziemlich dreckig zurückgekommen ist (Sb) Gestern hat Karl das neue Auto gewaschen, das von der Fahrt nach München ziemlich dreckig zurückgekommen ist
Dieser Rest selbst jedoch kann hier, bzgl. (5b), weder einer Kategorie zugeordnet werden, noch hat er eine eigene syntaktische Funktion in (5b) - und dies gilt erst recht, wenn man eine DP-Analyse für Nominalgruppen vorsieht (vgl. als Überblick Olsen/Fanselow 1991). Nach der dritten Forderung (Vollständigkeit der Analyse) bleibt kein Teil eines Satzes außerhalb eines ihm zugeordneten Schemas. Dies ist die systematisch einfachste Umsetzung
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für die allgemeine Bedingung, daß für jeden Teil eines Satzes im Rahmen seiner Beschreibung auch dessen Position erfaßbar sein muß. Während diese jedoch für Feldschemata als Muster für Sätze gerechtfertigt werden kann, bleibt eine entsprechende Forderung für sie als Kennzeichnungen von Satztypen unbegründet. Dabei gilt es zu beachten, daß Feldschemata entgegen z. B. Askedal (1986a: 273, passim) zur Abgrenzung der Satztypen ungeeignet sind: Die Feldanalyse eines Satzes setzt seine Zuordnung zu einem der Satztypen bereits voraus. So ist z. B. deren Freundin Vorfeld von f, = deren Freundin kommt als Verb-Zweit-Satz, aber Einleiteausdruck von f, als Verb-Letzt-Satz. Zugleich genügt eine Analyse nach den syntaktischen Funktionen bereits als Bezugspunkt für eine Abgrenzung der Satztypen (Budde-Burmann 1993). In diesem Sinne sind Feldanalysen von Sätzen sekundär. Die Unbegründetheit einer Vollständigkeitsforderung für Feldschemata als Kennzeichnungen von Satztypen zeigt sich bei genauerer Betrachtung des intendierten Anwendungsbereichs von Feldanalysen. 2.2. Die sinnvolle Forderung, daß jedem Satz eine Stellungsanalyse zugeordnet werden kann, führt zusammen mit den Forderungen nach Vollständigkeit der Analyse und nach möglichst wenigen Schemata zu einem maximal integrierenden Gesamtschema. Den (vorläufigen?) Schlußpunkt dieser Entwicklung bildet Patocka (1991), wo für den traditionellen Stellungstyp 'Verb-Zweit' vorgeschlagen wird (vgl. Patocka, 1991: 129): (6)
l v koord. Linksheraus- Vorfeld Partikel Stellung
f finites Verb
m k n r Mittelfeld Klammerschluß- Nachfeld Rechtsherausfeld Stellung
Gleichwohl bleiben v. a. drei Konstruktionen noch immer unanalysierbar: Einheiten mit Parenthesen, bestimmte Formen von koordinierten Sätzen und 'prädikatslose Sätze'. Wenn Links- und Rechtsherausstellungen nach dem Maximalitätsprinzip integriert werden, dann ist die Nichtberücksichtigung von Einheiten mit Parenthesen wie in (7) wenig plausibel: (7) Aber natürlich, Sie haben völlig recht, hat das seine Auswirkungen. (Duden 1984: 746; dort mit Kennzeichnung der Intonation)
Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß für Herausstellungen Korreferenz und integrierende Intonation gefordert wird. So führt Patocka (1991: 130) schließlich selbst ein Beispiel an, bei dem auch das maximale Schema (6) noch scheitert: Nach dem Kriterium der Korreferenz muß de Kinda in (8) als Herausstellung aufgefaßt werden. (8)
Friara häbm s ja gspattlt, de Kinda, mit de Kugln. (Früher haben sie ja geschoben, die Kinder, mit den Kugeln.)
Patocka schlägt als Lösung vor, Umstellungsmöglichkeiten zwischen Feldern zuzulassen, notiert durch Pfeile zwischen Positionen in dem Schema ("x I v f m k n r"). Dieses entspricht einer Erhöhung der Schematazahl oder einer Preisgabe des gewählten Formats (Folgen von Positionen als Muster von Sätzen und als Kennzeichnungen von Satztypen). Die Einführung der Felder war aber u. a. dadurch motiviert, von Umstellungen abzusehen, die im be-
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trachteten Zusammenhang irrelevant sind! Zudem bleibt der für die Unterscheidung von Herausstellung und Nachfeld entscheidende Begriff der Korreferenz bei Patocka (1991: 128) weitgehend ungeklärt, wie er selbst anmerkt. Als Rechtsherausstellungen aufgefaßt werden u. a. daß-SälK in Korrelatstrukturen wie rechnet... damit, daß (Patocka 1991: 130). Ein m. E. wesentlicher Unterschied zwischen diesem Konstruktionstyp und Fällen wie (8) ist, daß in (8) jeder der beiden 'korreferenten' Ausdrücke für den anderen eingesetzt werden kann, in Korrelatstrukturen nicht - einmal vorausgesetzt, daß das Referenzkonzept so geklärt werden kann, daß Sätze im selben Sinne auf etwas referieren wie Nominale. Ein weiteres Problem läßt sich an (5) demonstrieren: Je nach Kontext - beruflicher oder privater Bereich - ist für den Relativsatz eine restriktive ('einer der Firmenwagen') bzw. eine nicht-restriktive Lesart ('Karls neues Auto') prominent. Im zweiten Fall 'korreferieren' Relativsatz und das neue Auto. Meines Wissens ist in der Literatur bisher noch nicht erwogen worden, den Unterschied zwischen den beiden Lesarten von Relativsätzen in der Syntax mit verschiedenen Arten der Ausklammerung (Nachfeld vs. Herausstellungsfeld) zu korrelieren - und m. E. ist eine solche Korrelation auch wenig plausibel. Traditionell läßt sich de Kinda in (8) als Parenthese analysieren - die untypischerweise nicht 'im' Mittelfeld, sondern 'im' Nachfeld vorkommt. Konsequenter sind daher z. B. Heidolph/Fläming/Motsch (eds.) (1984: 705), die die drei Fälle, in denen es keinen Obersten Knoten' gibt, gleich behandeln - statt auf semantische Beziehungen, die zudem nur ansatzweise geklärt sind, wird auf die Konstituentenstruktur Bezug genommen. Der Preis ist dort eine stärkere Hierarchisierung in der Topologie (und die Einführung zusätzlicher Feldbegriffe). Für Einheiten mit (asyndetischer) Koordination wie in (9a) kommt im Rahmen einer maximalistischen Feldanalyse nur eine Analyse von Lutz eine Zeitung als Nachfeld in Frage. Dies ist aber in Anbetracht von (9b) vor dem Hintergrund von (9c) unbefriedigend. (Sowohl (9a) und (9b) als auch (9b) und (9c) sind strukturell aufeinander zu beziehen.) (9a) Klaus liest ein Buch, Lutz eine Zeitung (Duden 1984: 637) (9b) Klaus liest ein Buch und Lutz eine Zeitung (9c) Klaus liest ein Buch und Lutz liest eine Zeitung
Auch (10) spricht gegen eine Analyse des Konjunkts (ggfs. zusammen mit (einem Teil) der Konjunktion) als Nachfeld: (10) Sie hat es weder gewußt noch geahnt (Duden 1984: 637)
Wenn aber bei diesem zweiten Problemkreis eine Feldanalyse u. a. an koordinierenden Konjunktionen scheitert, dann ist die entsprechende Position am Anfang der Feldschemata ebenfalls nur schwer motivierbar. Die Alternative - eine koordinierende Partikel als Verknüpfer zwischen nach Feldern analysierten Sätzen (und Kern der Gesamtkonstruktion) aufzufassen -hat im Rahmen des Feldansatzes bereits Drach (1940: 35) favorisiert, ohne daß sich diese Analyse bisher in der Literatur durchsetzen konnte. Als Anwendungsbereich von Feldanalysen ergeben sich dann nicht Sätze in einem umfassend vagen und vortheoretischen Sinn, sondern Prädikationen: Verbgruppen, deren Kern ("Kopf) eine (finite) Verbform ist. In diese Richtung weist auch der dritte Problemfall für einen maximalistischen Ansatz, die Unanalysierbarkeit von Beispielen wie:
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Monika Budde (11) [Fetzen rotbrauner Tünche rotten an den Ziegelhäusern, Rost zerfrißt die Feuerleitern, ausgebrannte Ruinen wechseln mit stillgelegten Manufakturen ab.] Am Rinnstein ausgeweidete Kühlschränke, Autowracks und knietiefer Müll, in dem Obdachlose herumstöbern, um ihren Besitzstand im Einkaufswagen zu mehren, (aus: Die Zeit v. 10.1.92, S. 9)
In diesen Fällen zuzulassen, daß beide Klammerfelder leer bleiben, ist m. E. eine wenig attraktive Lösung. Vor dem Hintergrund von Patockas Anspruch, alle in Äußerungen festzustellenden Typen von Sätzen in Felder analysieren zu können, einen Hauptstrang der Tradition konsequent weiterzuentwickeln, werden solche Beispiele zum Problem. Zusammenfassend haben sich damit als problematisch v. a. drei Felder erwiesen: koordinierende Partikel, Links- und Rechtsherausstellung. 2.3. Um die Charakteristika der beiden Zuordnungsbeziehungen sowie die spezifische Leistung der Feldanalysen deutlicher hervortreten zu lassen, sollen zunächst nur der unproblematische Teil von (6) - von Vorfeld bis Nachfeld - und die entsprechenden SE betrachtet werden. Dazu ist ein hier bisher nur angedeuteter Aspekt der Forderung nach vollständiger Analyse einer SE durch ein Feldschema im Zusammenhang mit der Forderung möglichst weniger Schemata zu berücksichtigen: Jede Einheit, die zu einem Stellungstyp gehört, soll auch vollständig analysierbar sein durch dasjenige Schema, das den Stellungstyp als Ganzen kennzeichnet. Um diese Forderung zu erfüllen, müssen für Sätze (im erläuterten Sinn) die Begriffe "Vorfeld", "Mittelfeld" und "Nachfeld" zur Verfügung stehen: Ausgehend von einem zweiteiligen Prädikat (Weinrich 1986: 120) können weitere Stellungsglieder (Satzgliederbzw, deren Teile) vor dem ersten, nach dem zweiten und in der Mitte zwischen beiden Prädikatsteilen stehen. (Die Beschränkung auf zweiteilige Prädikate ist wegen der Stellungsmöglichkeiten von sog. Ersatzinfinitiven schließlich ebenfalls noch aufzuheben.) Prädikationsbezug - allgemein: Kernbezug - ist einer der klassischen Grundgedanken bei der Feldanalyse (vgl. schon Drach 1940: 16). Das heißt: Die Prädikatsteile teilen diese Folge von Stellungsgliedern in Abhängigkeit von dem jeweiligen Stellungstyp auf eine bestimmte Weise ein. Erfaßt wird daher mit den Feldschemata die relative Stellung der Prädikatsteile zur Folge der übrigen Stellungsglieder - unabhängig von deren syntaktischer Funktion. Daß dieses einer der übereinzelsprachlich und nicht nur für den Bereich des Satzes relevanten Aspekte bei der Unterscheidung von Stellungstypen sein kann, ist unumstritten. Damit ist jedoch der Ausgangspunkt, ein Prinzip der vollständigen Analysierbarkeit aller Elemente eines Stellungstyps durch ein einziges Schema, kaum begründbar. Es kann ein solches Schema als Kennzeichnung von einigen Stellungstypen einer Sprache geben, aber eine notwendige Bedingung für Kennzeichnungen von Stellungstypen oder gar für deren Abgrenzung läßt sich daraus nicht ableiten. Andererseits kann Vollständigkeit der Analyse als eine notwendige Bedingung für das Bestehen der Muster-Relation zwischen Stellungsschemata und SE motiviert werden. Diesen Unterschied zwischen den beiden Zuordnungsbeziehungen gilt es festzuhalten.
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Zugleich ergibt sich eine Lösung für die Problemfälle. Sowohl die Einbeziehung von koordinierten Einheiten als auch die von Herausstellungen in einen Stellungstyp muß nicht mehr mit der Postulierung eines Gesamtschemas verbunden sein, sondern kann nun auch durch Rekursion erfolgen. Ist eine SE selbst keine Verbgruppe, kann sie die Stellungstypeigenschaften aus nächsttieferen Verbgruppen 'erben'. (Damit muß zugleich eine Gleichbehandlung von unterordnenden, Verbgruppen bestimmter Art regierenden Konjunktionen einerseits und Relativ- und Fragepronomen andererseits nicht mehr postuliert werden - das Gemeinsame beider Konstruktionstypen läßt sich erfassen, ohne die Unterschiede zu nivellieren.) Keinem Stellungstyp von Prädikationen zuordenbar sind nunmehr nur noch Fälle wie (11) - ein m. E. plausibler Ausschluß. Ein zweiter Unterschied zwischen den Zuordnungsbeziehungen ergibt sich bei der umgekehrten Blickrichtung. Bei einigen Feldern ist zugelassen, daß sie leer bleiben. Dies gilt z. B. für das Nachfeld, für das Mittelfeld (bei einer traditionellen Analyse: unabhängig vom Stellungstyp) und für das zweite Klammerfeld im Verb-Erst- und im Verb-Zweit-Satz. Nicht zuletzt auch für detailliertere empirische Fragestellungen sollten Sätze so in Teile zerlegbar sein, daß jeder Position in einem als Muster zugeordneten Schema auch ein nicht-leerer Teil des Satzes entspricht; d. h. von Mustern G für einen Satz f sollte gefordert werden, daß keine Position in dem Muster leer bleibt, f also G vollständig realisiert. Eine Zuordnung, die diese Bedingung weitgehend erfüllt, hat im Rahmen des Feldansatzes meines Wissens zum erstenmal Patocka (1991) für die Analyse von Korpussätzen zugrunde gelegt. Eine entsprechende Forderung ist andererseits offensichtlich zu stark für Schemata, die im Rahmen des Feldansatzes Satztypen kennzeichnen sollen. Fassen wir also zunächst die bisher ermittelten Charakteristika der Muster-Relation (im Feldansatz) zusammen: (12) Wenn G ein (Wortstellungs-)Muster für f ist, dann gilt: (a) f ist ein Satz im erläuterten Sinn. (b) G ist eine Folge von Feldern. (c) G teilt f erschöpfend ein. (d) f realisiert G vollständig.
3. In einer anderen Hinsicht bleiben Feldanalysen nun als Stellungsanalysen von SE wesentlich unvollständig: Mit Feldern allein kommt man nicht bis zu einer Analyse in Stellungsglieder (s. ., 2. .). Zunächst gibt es im Deutschen wenigstens eine Position, die regelmäßig von mehr als einem Stellungsglied besetzt wird: das sog. Mittelfeld. Während die anderen Felder im Regelfall nur von Teilen genau eines Satzgliedes und z. T. sogar nur von bestimmten Teilen besetzt werden können, gibt es keinerlei Beschränkungen für die Form von Mittelfeldern: Das einzige den Mittelfeldern beliebiger Sätze gemeinsame Charakteristikum ist die Begrenzung nach rechts und links durch die beiden Nachbarfelder. Die relative Abfolge innerhalb des Mittelfeldes kann mittels der Feldbegriffe bekanntlich nicht mehr erfaßt werden. Es gibt also Stellungsglieder - Teile der Einheit -, die sich bei
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einer Analyse nach Stellungsgesichtspunkten ergeben sollten, die aber mit einer Feldanalyse nicht erfaßt werden können. Üblicherweise wird dies dadurch gelöst, daß wieder eine hierarchische Struktur - ein zwei oder mehrstufiges Schema - zugelassen wird. Dabei wird faktisch und auf z. T. inkonsequente Weise auf die satzgliedbezogene Tradition der Wortstellungsanalysen zurückgegriffen (Stellungsglieder zum selben Satzglied können auf verschiedene Felder verteilt vorkommen, vgl. (5) = (14).) In dieser Tradition ergibt sich nun ((12c) und (12d) sind in (13c) zusammengefaßt: (13) Wenn G ein Muster für f ist, dann gilt: (a) = (12a) (b) G ist eine Folge von syntaktischen Funktionen. (c) Jedem Stellungsglied von f entspricht genau eine Position in G und umgekehrt.
Für das Beispiel (5) könnte etwa als Analyse erwogen werden: (14) Gestern hat Karl das ... Auto gewaschen das von ... ist adv,l präd.l subj.l dirobj.l präd,2 dirobj,2 ("adv.l" usw.: "erster Teil des Adverbiale" usw.; vgl. Lieb 1993)
Dabei zeigt sich: In dieser Tradition läßt sich eine von dem Feldansatz her bekannte Forderung - Stellungsanalysen mit möglichst wenig Hierarchie (so z. B. Patocka 1991: 127f.) noch konsequenter umsetzen. Stellungstypen einer Sprache können auch anknüpfend an diese Muster gekennzeichnet werden. Dabei ergibt sich eine ganz analoge Argumentation für die Beziehungen zwischen denjenigen Schemata, die den Elementen eines Stellungstyps als Muster zugeordnet werden, und demjenigen Schema, das den Stellungstyp als Ganzen kennzeichnet - etwa im Bereich der relativen Abfolge der Ergänzungen. Für den Fall, daß es eine Folge G von Positionen gibt, so daß G einen Stellungstyp K als Ganzen kennzeichnet, können nun abschließend notwendige und nicht-notwendige Bedingungen für die Beziehungen zwischen diesem Schema G und den Mustern für die Elemente aus dem Stellungstyp unterschieden werden. Notwendig sollte sein: (15) G kennzeichne einen Stellungstyp K. (a) Für jede Position aus G gibt es wenigstens ein Element aus K, bei dessen Analyse diese Position besetzt ist. (b) Für jedes f aus K und jedes G,, das ein Muster für f ist, gilt: Beide Positionen, die sowohl in G als auch in G, vorkommen, kommen in G und in G, in derselben Reihenfolge vor.
(15a) verhindert eine Inflation von Positionen (vgl. z. B. Askedal 1986b: 199); und in (15b) wird gerade der Stellungsaspekt ausgedrückt. (Angesichts von Problemen mit Stellungsvariation (u. a. bei Ersatzinfinitiven), die hier nicht diskutiert worden sind, ist (b) aber eventuell abzuschwächen auf 'relevante' Teilmengen eines Stellungstyps.) Demgegenüber sollte eine nicht-notwendige Bedingung sein: (ISc) Für jedes f aus K gilt: G teilt f erschöpfend ein.
Diese Bedingung hatte bei der Etablierung des Feldansatzes eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, läßt sich aber für die Kennzeichnungsbeziehung kaum rechtfertigen. Was ergibt sich daraus für die Suche nach 'dem' Schema? Vorausgesetzt ist bei dieser Suche, daß man eine Vorstellung von charakteristischen Eigenschaften des zu suchenden Sehe-
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mas hat, die das Schema an sich sowie seine Beziehungen zu anderen Entitäten betreffen können. Die Unterscheidung von zwei Zuordnungsbeziehungen eröffnet nun eine Reihe von Forschungsperspektiven, die bisher kaum ansatzweise erschlossen worden sind. Insbesondere können Stellungstypen von syntaktischen Einheiten - zu denen auch 'Markiertheitstypen' zählen - nicht mehr nur durch Schemata charakterisiert werden, die vom Typ her auch Sätzen als Muster zugeordnet werden könnten. Neben solchen Folgen von Feldern oder Positionen sind jetzt auch Kennzeichnungen von Stellungstypen zu erwarten, die wesentlich komplexer aufgebaut sind. Vielleicht könnte auf diesem Wege auch der "Kriterienwirrwarr" (Eisenberg 1989: 419) bei den Wortstellungsfaktoren etwas weiter entknotet werden.
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PROBLEME DER REANALYSE
Catrin van Lengen
Einführung in das Problem Im Deutschen gibt es komplexe Satzkonstruktionen, die aus einem finiten Matrixsatz und einem oder mehreren infiniten Komplementen bzw. Komplementsätzen bestehen. Sie weisen außer dem finiten Verb des Matrixsatzes eine oder mehrere infinite Verbformen auf. (l a) (Ib) (Ic) (Id)
Der Kanzler Der Kanzler Der Kanzler Der Kanzler
will das Parlamentsgebäude verlassen. wird sitzen zu bleiben versuchen. wird den politischen Gegner gewinnen lassen wollen. wird die Wahl gewonnen haben.
Transformiert man die unter (1) angeführten Beispielsätze jeweils in die sich durch VerbEnd-Stellung auszeichnende Nebensatz-Konstruktion1 (2), so läßt sich konstatieren, daß in diesen Fällen am Ende des Satzes eine 'Verbakkumulation' stattfindet. Als sehr interessant, aber auch schwierig gestaltet sich die Frage, wie man diese Häufung finiter und infiniter Verbformen syntaktisch adäquat repräsentieren kann, so daß den topologischen Eigenschaften der Satzkonstruktionen Rechnung getragen wird. (2a) (2b) (2c) (2d)
weil der Kanzler das Parlamentsgebäude verlassen will. weil der Kanzler sitzen zu bleiben versuchen wird. weil der Kanzler den politischen Gegner gewinnen lassen wollen wird. weil der Kanzler die Wahl gewonnen haben w i r d .
Einfache Konstituententests wie z. B. die Topikalisierung einer Konstituente in die VorfeldPosition (CP-Spec-Position) legen die Vermutung nahe, daß es komplexe Verbkategorien geben muß, die aus zwei oder mehreren Verben bestehen können und bereits vor der Anwendung der Topikalisierungstransformation gebildet werden müssen.2 (3a) [Sitzen zu bleiben versuchen] wird der Kanzler. (3b) [Gewinnen lassen wollen] wird der Kanzler den politischen Gegner. (3c) [Gewonnen haben] wird der Kanzler die Wahl.
l. Verb-Anhebung - ein traditionelles Beschreibungsverfahren für die Bildung von Verbalkomplexen Die Frage, wie sich die Veränderung einer Verbreihenfolge und die Bildung eines Verbalkomplexes - bei beiden handelt es sich um Erscheinungen, die im Zusammenhang mit kohärenten Infinitivkonstruktionen auftreten, also um Kohärenzeigenschaften - analysieren lassen, hat in der generativen Syntax eine lange Tradition. Der zentrale Aspekt ist also: Komplexe Sätze, die ein Infinitivkomplement aufweisen und in der D-Struktur bisentential generiert
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werden, können (falls das infinite Verb im 2. Status steht) bzw. müssen (falls das infinite Verb im 1. Status steht) in der S-Struktur kohärent konstruiert sein. Falls diese Satzkonstruktionen kohärent sind, bedeutet das letztlich, daß sie in der S-Struktur monosentential konstruiert sein müssen, da die Erfüllung der Kohärenzkriterien keine intervenierende Satzgrenze erlaubt. Bierwisch (1963) hat als erster die deutschen Verbkomplement-Konstruktionen im Rahmen des transformationellen Paradigmas beschrieben. Evers (1975: 44) nimmt für sich in Anspruch, daß sein Analysevorschlag über Bierwisch hinausgeht, da mit Hilfe der Hypothese der Verb-Anhebung präzisere Prognosen gestellt werden könnten. Er begreift seinen Ansatz als eine der Terminologie und Methodologie der GTG verpflichtete Reformulierung des Bechschen Gedankengutes. Auf der Basis holländischer Sprachdaten postuliert Evers die Regel der Verb-Anhebung. Auf holländische Daten angewandt, ist diese Annahme sinnvoll, denn basisgenerierte intraponierte Infinitivkomplemente können in der S-Struktur nicht in dieser Position stehen. Es ist daher notwendig, entweder die gesamte Komplementkonstruktion zu extraponieren oder das infinite Verb aus dem Komplement zu extrahieren und es rechts an das Matrixverb zu adjungieren (vgl. (4) und (4)') (Evers 1975: 6). (4a)
D-Struktur: omdat Cecilia de kraanvogels te filmen beweerde. (weil Cecilia die Kraniche zu filmen behauptete.) (4b) S-Struktur: omdat Cecilia de kraanvogels beweerde te filmen. (4a)' D-struktur: omdat Cecilia [CT PRO de kraanvogels te filmen] beweerde. (4b)' S-Struktur: omdat Cecilia [CT PRO de kraanvogels tj [v [v beweerde] [v te filmen]].
Finites und infinites Verb bilden in (4b)' gemeinsam eine syntaktische Kategorie 'V. Im Anschluß an die durch Adjunktion motivierte Verbalkomplex-Bildung findet die Tilgung des eingebetteten CP-Knotens statt. Die Regel der Verb-Anhebung läßt sich für das Holländische folgendermaßen formulieren (Haegeman/Riemsdijk 1986: 418): (5) [...VJCT v, -> [...tj [v. v, vj Eingangs ist bereits erwähnt worden, daß auch im Deutschen das Phänomen beobachtbar ist, daß eine lineare Abfolge von Verben eine komplexe Verbalkategorie bildet: (6a) (6b)
[Verklagen können] wird sie ihren Vater. [Zu verklagen versuchen] wird sie ihren Vater.
Die mit eckigen Klammern gekennzeichneten Verben befinden sich in der SpecC-Position (= CP-Spec-Position; Vorfeldposition) und bilden eine komplexe syntaktische Kategorie. Dieser Verbalkomplex muß vor der Topikalisierung generiert werden. Die Oberflächenstruktur in (6b) läßt sich folgendermaßen herleiten: (6b)' D-Struktur sie [yp [yp [CP PRO ihren Vater zu verklagen^ versuchen,] wird,].
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S-Struktur (i) V e r b - A n h e b u n g : sie [yp [ , [CP PRO ihren Vater t,] [v- [ V j zu verklagen] [ V2 versuchen]]] wird,]. (ü) Topikalisierung: [c? tv tv3 zu verklagen] [ V 2 versuchen]] [ c , [ C o wird,] [n. [NP sie] [vp [„ [cri PRO ihren Vater tj [v. t', + tj] t, ]]]].
Es ergeben sich im Zusammenhang mit der Analyse (6b)' folgende Probleme: Zum einen wird in die SpecC-Position eine phrasale Kategorie, d. h. eine nicht-maximale Projektion bewegt. Zum anderen weist die VP, die den untergeordneten Satz einbettet, zwei lexikalische Köpfe auf (V3, V2). Dies verstößt gegen das 'Kopfprinzip', welches besagt, daß jede Phrase genau einen Kopf haben muß. Die Regel der Verb-Anhebung läßt sich im Deutschen folgendermaßen darstellen (Haegeman/Riemsdijk 1986: 418):
(7) [...vjcp v,-> [...yiv- , ,]. Während im Holländischen das infinite Verb rechts an das Matrixsubjekt adjungiert wird, gilt für die Adjunktion im Deutschen also, daß links an das übergeordnete Verb adjungiert wird. Die Reihenfolge der Verben bleibt erhalten. Unter spezifischen Bedingungen ist allerdings auch im Deutschen eine Rechts-Adjunktion zulässig: Nicht ein singuläres Verb, sondern eine komplexe Verbkategorie kann rechts adjungiert werden; d. h. bereits vor Anwendung der Regel (5) muß mittels Regel (7) ein komplexes V2 gebildet werden. (Sa) weil sie ihren Freund [v. [unterstützen] [können]] wird. (8b) weil sie ihren Freund wird [v· [unterstützen] [können]].
Die Anwendung der Regel (5) auf (8a) ist optional. Es gibt im Deutschen auch Konstruktionen, in denen sie obligatorisch ist. (9a) weil sie ihn hat verklagen wollen. (9b) 'weil sie ihn verklagen wollen hat.
Die Anwendbarkeit der Adjunktionsregeln (5) und (7) hängt von sprachspezifischen Bedingungen ab, die im folgenden nicht näher erläutert werden können: (10a) lexikalische Eigenschaften von V, (lOb) Projektionsstufe von V2 (lOc) Lexikalische Eigenschaften von V2 (falls V2 = komplex)
2. Das Konzept der Reanalyse Auf der Grundlage von Daten aus dem West-Flämischen und dem Schweizerdeutschen erbringen Haegeman/Riemsdijk (1986) den Nachweis, daß die Regel der Verb-Anhebung, so wie sie von Evers formuliert worden ist, nicht ausreicht, die qualitativ verschiedenen Verbalkomplexe, die generierbar sind, zu analysieren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, daß im Falle der zwei diskutierten Verb-Anhebungsregeln lediglich eine lexikalische Kategorie (V°) oder ein komplexes Verb (V) angehoben werden können. Haegeman/Riemsdijk (1986) untersuchen äußerst komplexe Satzstrukturen, in denen das
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semantisch am tiefsten eingebettete Verb zwei Komplemente - DO und - aufweist. Ohne auf ihr zürichdeutsches Beispiel näher einzugehen, sei nur folgendes angemerkt: Von den sechs möglichen Oberflächenstrukturen kann eine nicht mit Hilfe der Adjunktionsanalyse erzeugt werden. Sie weist eine Struktur auf, die sich abstrakt wie folgt darstellen läßt (Haegeman/Riemsdijk 1986: 435): (11) NP, NP2 V, [NP3 V2 V3]; (NP2, NP3 = Komplemente von V3)
Haegeman/Riemsdijk entwickeln vor dem Hintergrund dieser Daten eine neue Analysemethode, die die Generierung solch komplexer Verbalkategorien ermöglicht. Bei dieser Methode handelt es sich um das sogenannte 'Verb Projection Raising' (VPR). Sie wird aber auch als Reanalyse (RA) oder Restrukturierung bezeichnet. Dem neuen Verfahren liegt die Annahme zugrunde, daß nicht nur ein singuläres Verb, sondern auch eine nichtmaximale (vgl. (11)) oder maximale Projektion von V bewegt werden kann. Eine Konsequenz, die daraus resultiert, besteht darin, daß die Argumente des eingebetteten Verbs teilweise oder auch in ihrer Gesamtheit in das Verbcluster inkorporiert werden können. Obwohl es im Standarddeutschen keine Verbkomplexe gibt, die ihrer Struktur nach analog zu (11) aufgebaut wären, wenden Stechow/Sternefeld (1988) den äußerst komplizierten Reanalysemechanismus im Zusammenhang mit der Herleitung kohärenter Infinitivkonstruktionen auch auf deutsche Daten an. Das von Haegeman/Riemsdijk (1986: 421) vorgeschlagene Verfahren besteht aus zwei Teilprozessen: (12a) Bildung einer komplexen Verbkategorie (= Reanalyse) (12b) Vertauschung der beiden Komponenten der Verbkategorie (= Inversion)
Die Regel der Verbkomplex-Bildung (Reanalyseregel) wird wie folgt formuliert: (13) If the representation of a sentence contains the line X V,' Vr Y, where 0 £ i obligatorische Inversion (a) (b) weil der Patient hätte können trinken wollen. — > obligatorische Inversion (a) — > optionale Inversion (b)
Um das Reanalyseverfahren in seiner Gesamtheit darzustellen und transparenter zu machen, wird (15) detailliert analysiert: (15) weil sie ihn wird heiraten wollen. (15a) D-Struktur: weil sie [yp [CP [v PRO [yp ihn heiraten]]] wollen] wird.
Damit heiraten und wollen zu einer komplexen Verbkategorie zusammengeklammert werden können, muß zunächst - quasi als Voraussetzungsbedingung - die CP-Grenze getilgt werden. Mit dem Wegfall dieser Barriere ist jedoch PRO durch das finite Verb regiert. Das verstößt gegen das PRO-Theorem. Aus diesem Grund muß auch PRO entfernt werden, was wiederum dazu führt, daß der eingebettete IP-Knoten, der jetzt keine Subjektposition mehr regiert, getilgt werden muß. Nur so kann ein Verstoß gegen das Erweiterte Projektionsprinzip vermieden werden. Reanalyse impliziert also die Tilgung von syntaktischen Kategorien. (15b) weil sie [yp ihn [v heiraten wollen]] wird.
Die Struktur (15a) wird nach Beseitigung der o. g. syntaktischen Kategorien reanalysiert. In der reanalysierten Struktur existiert nur noch eine von V ausgehende Verbprojektionslinie. Die zwei semantisch am tiefsten eingebetteten Verben bilden eine gemeinsame komplexe Verbkategorie. (15c) weil sie [yp ihn [v [v heiraten wollen] [v wird]]].
Die Struktur (15b) wird einem zweiten Reanalyseprozeß unterzogen. Das Resultat ist eine noch komplexere Verbkategorie, die aus allen drei Verbformen besteht. Die Struktur (15c) ist der notwendige Input für die Inversionsregel, die - in diesem Fall optional angewandt die beiden Konstituenten der komplexen Kategorie V vertauscht (vgl. (15d)). (15d) weil sie [yp ihn [v [v wird] [v heiraten wollen]]].
Eine wichtige Frage, deren Beantwortung bisher noch aussteht, betrifft die syntaktische Repräsentationsebene, auf der das Verfahren der RA zur Anwendung gelangt: Der RA-Prozeß, der die Tilgung der intervenierenden CP-Grenze impliziert, kann erst im Anschluß an die SStruktur - also nach der Überprüfung der Kasusrektion und der Bindungsprinzipien - stattfinden.
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3. Probleme des Konzepts der Reanalyse Obwohl mit Hilfe des Verfahrens der Reanalyse die syntaktischen Eigenschaften der kohärenten Infinitivkonstruktionen erklärt werden können, sind mit dieser Methode doch durchaus ernsthafte Probleme verbunden, die ihren Wert zumindest in Frage zu stellen vermögen. Legt man einen Reanalyseprozeß, der im Vorfeld Kohärenzbildung erfordert, zugrunde, so folgt daraus im Falle der Derivation kohärenter Konstruktionen aus zugrundeliegenden inkohärenten Konstruktionen eine generelle Verflachung bzw. Nivellierung der Satzstruktur. Die Tilgung eingebetteter CP-, IP-, VP-Knoten und eventuell vorhandener Spuren verstößt gegen das Projektionsprinzip, das die Erhaltung der thematischen Strukturen und Relationen auf allen syntaktischen Ebenen bzw. Projektionsstufen einklagt. Die im Rahmen der GTG erhobene zentrale Forderung, daß auf der Ebene der Oberflächenstruktur die spezifischen Ausgangsstrukturen rekonstruierbar sein müssen, kann nach Abschluß der Tilgungsprozesse nicht mehr erfüllt werden. Die Reanalyse ist für den Verlust basisgenerierter syntaktischer Informationen verantwortlich. Insofern auf der reanalysierten Strukturebene eine lückenlose Herleitung der Oberflächenstrukturen aus den zugrundeliegenden Strukturen nicht mehr möglich ist, stellt das Verfahren der Reanalyse einen Rückschritt gegenüber der Spurentheorie (REST) dar: Die Entwicklung der Spurentheorie basierte ja gerade auf der Annahme, daß auf allen syntaktischen Repräsentationsebenen die basisgenerierten syntaktischen Informationen in ihrer Gesamtheit erhalten bleiben. Die Reanalyse ist allerdings nicht nur mit dem Projektionsprinzip, sondern auch mit dem Erweiterten Projektionsprinzip, das die Erhaltung der Subjektpositionen auf allen syntaktischen Ebenen fordert, unvereinbar. Da nach der Tilgung eines eingebetteten CP-Knotens PRO aufgrund der Rektionsdurchlässigkeit der eingebetteten IP-Grenze durch das Matrixverb regiert wäre, muß in kohärenten Kontrollkonstruktionen, wie bereits erwähnt, auch das ungeschützte PRO entfernt werden. Der strukturell notwendige Wegfall dieser syntaktischen Kategorie impliziert jedoch, daß die syntaktische Repräsentation des logischen Subjekts von Infinitivkonstruktionen nicht mehr gewährleistet ist. Eine Kollision mit Grundannahmen, die im Rahmen der Kontrolltheorie formuliert worden sind, ist unvermeidlich. Ein weiteres Problem, das mit der Tilgung von PRO verbunden ist, betrifft das ThetaKriterium: Da PRO eine selegierte Position besetzt bzw. eine -Rolle trägt, muß seine grammatische Funktion (GF) auf die entsprechende kontrollierende Phrase (Matrix-NP) übertragen werden können. Die Folge wäre, daß der Matrix-NP zwei Theta-Rollen zuzuweisen wären. Dies verstößt gegen das Theta-Kriterium. Stechow/Sternefeld (1988: 422ff.) sind sich dieses Problems durchaus bewußt. Die Frage, der sie sich ausgesetzt sehen, besteht darin, welche Revisionen im theoretischen Modell vorgenommen werden können. Zum einen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, das Projektionsprinzip so abzuschwächen, daß die von der Reanalyse betroffenen Elemente nicht unter dieses Prinzip fallen. Das impliziert jedoch, daß die reanalysierte Strukturebene (Or) keine syntaktische Repräsentationsebene sein könnte. Da sie allerdings den Input für die LF darstellt, muß sie in den Bereich der Syntax fallen.
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Eine weitere theoretische Möglichkeit könnte darin bestehen, die Rektion von PRO zuzulassen. Stechow/Sternefeld halten letztlich an dem Projektionsprinzip fest. Sie versuchen, den Widerspruch, der sich aus der Reanalyse ergibt, zu lösen, indem sie den Begriff der GF revidieren (Stechow/Sternefeld 1988: 269): Eine Kette von GFs fungiert als Träger einer Theta-Rolle. Waren bislang die GFs mit bestimmten Positionen im Phrasenstrukturbaum (PSB) identisch, so gehen Stechow/Sternefeld jetzt davon aus, daß eine Position im PSB mehrere grammatische Funktionen aufweisen kann. Sie lösen also den Begriff der GF von den positionellen Kriterien im PSB. Vor diesem Hintergrund kann im Falle einer infiniten Kontrollkonstruktion eine Matrix-NP verschiedene GFs in bezug auf zwei verschiedene Verben haben. Jede der beiden Funktionen stellt eine eingliedrige Kette dar, der jeweils eine -Rolle zugewiesen wird. Das führt dazu, daß ein Argument zwei thematische Rollen aufweisen kann, ohne daß das Theta-Kriterium dadurch verletzt wird. Die Bemühungen von Stechow/Sternefeld, den mit dem Verfahren der Reanalyse verbundenen Verstoß gegen das (Erweiterte) Projektionsprinzip auf die oben geschilderte Art zu umgehen, sind durchaus kritisch zu betrachten: Es findet im Grunde eine Verlagerung des Problems in den semantischen Bereich statt. Stechow/Sternefeld verlassen den syntaktischen Bereich. Wo bleibt aber die syntaktische Verankerung der mit der Theta-Theorie verbundenen Annahmen, wenn die -Zuweisung nicht mehr an syntaktischen Positionen im PSB repräsentiert wird? Ein konfigurationelles Argumentieren wäre im Bereich der thematischen Strukturen nicht mehr möglich. Im Gegensatz zu Stechow/Sternefeld sind Haegeman/Riemsdijk nicht gezwungen, Revisionen im theoretischen Modell vorzunehmen. Sie gehen vielmehr davon aus, daß der Output der Reanalyse nicht in Form eines Phrasenstrukturbaumes repräsentiert werden kann, und favorisieren eine sogenannte 'multidimensionale' Darstellung, d. h. die Struktur des reanalysierten Satzes wird mit zwei (oder ggfs. auch mehreren) PSBs verknüpft (Haegeman/Riemsdijk 1986: 42If.). Der Standardfall der zweidimensionalen Repräsentation wird in achsensymmetrischer Form dargestellt, wobei die terminale Kette die Achse bildet. Oberhalb dieser Achse wird die basisgenerierte Struktur abgebildet, während unterhalb derselben der reanalysierte PSB entfaltet wird. Bei Haegeman/Riemsdijk werden die syntaktischen Kategorien, die der Kohärenzbildung zum Opfer fallen, nicht im eigentlichen Sinn getilgt, sondern lediglich im reanalysierten PSB aus syntaktischen Notwendigkeiten heraus nicht repräsentiert. Stechow/Sternefeld erheben hier zu Recht den Vorwurf der Inkonsequenz. Man kann nicht zugleich behaupten, PRO existiere, sei aber aus theorieinternen Gründen auf der Ebene der reanalysierten Struktur nicht repräsentiert. Sowohl die Haegeman/Riemsdijksche simultane Darstellung der PSBs, die nicht nur als ein formales, sondern auch als ein inhaltliches Ausdrucksmittel verstanden werden muß, als auch die von Stechow/Sternefeld vorgeschlagenen Modifizierungen im Rahmen des Grammatikmodells weisen darauf hin, daß eine Lösung der mit dem Verfahren der Reanalyse verbundenen Probleme noch aussteht.
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Der Vollständigkeit halber muß noch erwähnt werden, daß die reanalysierte Struktur auch gegen ein Prinzip der X-bar-Theorie verstößt: Es handelt sich um das Kopfprinzip, denn nach erfolgter Reanalyse liegt eine VP vor, die einen komplexen Verbalknoten beinhaltet, der aus zwei Verben besteht.
4. Fazit Nachdem einige Probleme, die mit der Annahme eines Reanalyse-/Restrukturierungsprozesses verbunden sind, aufgezeigt sind, komme ich zu einer vorläufigen Bewertung dieses Analyseverfahren s. Der Versuch, die Eigenschaften kohärenter Infinitivkonstruktionen (Restfeldverflechtung, Statusrektion, Bildung komplexer Verben, Verbpermutation etc.) auf einen syntaktischen Prozeß - den Restrukturierungsprozeß mit vorgelagerter CP-Tilgung - zurückzuführen und auf diese Weise einheitlich zu erklären, d. h. der Versuch, syntaktische Kohärenzeigenschaften strukturell zu erklären, ist durchaus positiv zu bewerten, setzt man voraus, daß es im Hinblick auf die Möglichkeit von Generalisierungen sinnvoll ist, sprachliche Phänomene konfigurationell zu erklären und auf lexikalisch orientierte Begründungen zu verzichten. Auf der anderen Seite gibt es jedoch gewichtige Argumente, die den Wert des Reanalyseverfahrens erheblich einzuschränken vermögen: (i) Die aus den mit der Reanalyse verbundenen Tilgungsoperationen resultierende Strukturverflachung führt im Bereich der X-bar-Theorie, der Theta- und Kontrolltheorie sowie des Erweiterten Projektionsprinzips zu Problemen, die eine zumindest partielle Neuformulierung dieser grammatischen Module notwendig machen. Hier stellt sich die Frage, ob die Vorteile, die mit dem Analyseverfahren verbunden sind, diese Nachteile aufwiegen, (ii) Was deutsche Sprachdaten anbelangt, so kommen wir bei der Analyse kohärenter Infinitivkonstruktionen mit einem modifizierten Verb-Anhebungsverfahren aus: Die Verb-Anhebungsregel (7) sorgt dafür, daß ein infinites Verb links an das Matrixverb adjungiert wird und mit diesem eine komplexe Verbalkategorie bildet. Die Anhebungsregel (5) gewährleistet die Rechts-Adjunktion einer komplexen Verbalkategorie. Voraussetzung dafür ist lediglich, daß die Regel (5) für deutsche Sprachdaten so generalisiert wird, daß V2 eine komplexe Verbkategorie darstellt. Die vom V-Raising ausgelöste CP-Tilgung schafft durch den Wegfall der intervenierenden Rektionsbarriere die strukturellen Rahmenbedingungen für die Erfüllung der Kohärenzkriterien: Statusrektion, Restfeldverflechtung etc. sind nach dem CP-Pruning zulässig. Die Derivation monosententialer (kohärenter) Infinitivkonstruktionen aus basisgenerierten bisententialen Strukturen ist also mit Hilfe des Raising-Verfahrens im Standarddeutschen möglich. Die aus dem CP-Pruning resultierende Strukturnivellierung und die damit verbundenen Probleme stellen allerdings die Anhebungsanalyse ebenso in Frage wie das Verfahren der Restrukturierung/Reanalyse.
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Die Analyse kohärenter Konstruktionen, die auf der Ebene der D-Struktur eine eingebettete CP enthalten, bleibt trotz vielfältiger Lösungsvorschläge weiterhin problematisch: Auf der einen Seite soll die Satzwertigkeit eines Infinitivs aus Gründen der Strukturerhaltung auch an der Oberfläche erkennbar sein. Auf der anderen Seite erfordert eine einheitliche Erklärung der syntaktischen Kohärenzeigenschaften eine monosententiale Struktur. Dieser Widerspruch stellt ein bisher noch nicht eindeutig geklärtes Problem dar. Ein Lösungsansatz könnte darin bestehen, an der Basis zu beginnen und den Status der einzelnen Kohärenzkriterien zu überprüfen: Wieviele Kohärenzeigenschaften müssen notwendigerweise vorliegen, um von Kohärenz sprechen zu können? Offenbar kann nicht allen Eigenschaften das gleiche Maß an Relevanz zugebilligt werden, denn es gibt Konstruktionen, die gewisse Kohärenzkriterien erfüllen und dennoch inkohärent sind. Gibt es qualitative Unterschiede zwischen den verschiedenen kohärenten Eigenschaften im Hinblick auf die Notwendigkeit der Erfüllung? Erst wenn diese grundsätzlichen Fragen eindeutig geklärt sind, kann man versuchen, den Widerspruch, daß sich satzwertige Infinitive monosentential verhalten, aufzulösen.
Anmerkungen 1
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In Übereinstimmung mit einer weithin üblichen Praxis wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit von der Endstellung des Verbs als der grundlegenden Wortstellung im Deutschen ausgegangen. Die Nebensatzstellung wird aus diesem Grund zur Basis der Beschreibung der deutschen Satzstruktur erhoben. (Vgl. Bierwisch 1963: 34f.; vgl. auch Haegeman 1986: 513ff.) Mit der Topikalisierung einer komplexen Verbalkategorie, die aus zwei oder mehreren Verben besteht, ist ein Problem verbunden, das in den weiteren Ausführungen nochmals aufgegriffen wird: In den unter (3) angeführten Beispielsätzen, die grammatisch durchaus wohlgeformt sind, werden nicht-maximale Projektionen (VPs) in die CP-Spec-Position (XP) bewegt, die eigentlich lediglich phrasale Kategorien -d.h. maximale Projektionen - beherbergen kann. Bei der Topikalisierung von VPs, die z. B. auch aus zwei verschiedenen Verben und dem Komplement des infiniten Verbs bestehen können, gibt es dieses Problem nicht, denn diese VPs stellen ja maximale Projektionen dar.
Literatur Bech, G. (1983): Studien über das deutsche Verbum infinitum. - Tübingen: Narr, 2. Auflage. Bierwisch, M. (1963): Grammatik des deutschen Verbs. - Berlin: Akademie-Verlag. Evers, A. (1975): The Transformational Cycle in Dutch and German. - Utrecht (Diss.). Grewendorf, G. (1987): "Kohärenz und Restrukturierung. Zu verbalen Komplexen im Deutschen". In: AsbachSchnitker, B. / Roggenhofer, J. (eds.): Neuere Forschungen zur Wortbildung und Historiographie der Linguistik. Festgabe für Herbert E. Brekle zum SO. Geburtstag (Tübingen: Narr) 123-144. Haegeman, L. / Riemsdijk, H. van (1986): "Verb projection raising, scope, and the typology of verb movement rules". - In: Linguistic Inquiry 17/3, 417-466. Stechow, A. von / Sternefeld, W. (1988): Bausteine syntaktischen Wissens. Ein Lehrbuch der generativen Grammatik. - Opladen: Westdeutscher Verlag.
DER UNBESTIMMTE ARTIKEL IN EINER KATEGORIALGRAMMATIK DES DEUTSCHEN Klaus Robering
Die Formen des unbestimmten Artikels ein (neutrale, nominativische Formen des Singulars dienen hier und im folgenden als Zitierformen gesamter Paradigmen) übernehmen im Deutschen mehrere semantisch-syntaktische Aufgaben. So kann man zumindest den indefiniten Artikel der Prädikation (1), den generischen indefiniten Artikel (2) und den indefiniten Artikel im Zusammenhang der Quantifikation (3) unterscheiden. (1) Pedro ist ein Bauer (2) Ein Säugetier bringt lebende Junge zur Welt (3) Jeder Student liest ein Buch
Verwendungsweisen, wie sie (3) veranschaulicht, sind der Gegenstand folgender Überlegungen. Mit ihnen knüpfe ich an meinen Aufsatz Robering (1990) an, dessen Positionen ich aber in einigen wesentlichen Punkte modifiziere. Die Kenntnis dieses Aufsatzes ist für das Verständnis des folgenden jedoch nicht notwendig. Die Kernfrage, die bei einer Analyse der Verwendungsweise (3) im Rahmen einer Kategorialgrammatik zu beantworten ist, zielt auf die Kategorienzugehörigkeit von ein. Mit der Zuweisung einer syntaktischen Einheit zu einer bestimmten Kategorie verfolgt man dabei zwei Ziele: 1.) Das syntaktisch-kombinatorische Verhalten der kategorisierten Einheit soll erfaßt werden, und es soll 2.) der logische Typ ihrer Bedeutung festgelegt werden. Probleme der Serialisierung sprachlicher Einheiten, ihrer morphosyntaktischen Markierung und der Konstituentenbildung klammere ich hingegen aus dem Gegenstandsbereich der Kategorialgrammatik aus. Das Kategoriensystem, das zur Klassifikation syntaktischer Einheiten unter den beiden genannten Leitprinzipien zur Verfügung steht, wird bestimmt durch die Gesamtheiten der Basiskategorien und der kategorienbildenden Operationen. Für die hier verfolgten Zwecke nehme ich folgende Basiskategorien an: die Kategorie n der Nominatoren, die Kategorie a der Appellatoren und die Kategorie s der Sätze. Nominatoren wie Pedro designieren Gegenstände, Appellatoren wie Student Arten, Sätze Wahrheitswerte. Probleme der intensionalen Semantik spielen im folgenden keine Rolle und werden dementsprechend einfach ignoriert. Kategorienbildende Operationen sind (zunächst) die zweistellige Division (... / ...) und die ebenfalls zweistellige Multiplikation (...·...). (Später tritt zu ihnen noch die einstellige Folgenbildung hinzu.) Sind also , und k2 Kategorien, so sind dies auch /t, / k2 und k\ · k2. Kategorien der ersten Art heißen Funktorkategorien, solche der zweiten Art Produktkategorien. Zur Klammerersparnis setze ich fest, daß der Schrägstrich starker bindet als der Punkt. Gehören etwa zwei Einheiten zu den respektiven Kategorien Jt, und k2, so gehört das Paar dieser Einheiten
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(in der durch die Kategorienangabe bestimmten Reihenfolge) zur Kategorie fc, · k2. Designieren Einheiten der Kategorien /t, und k2 respektive semantische Einheiten der Typen , und r2 (im einfachsten Falle der Basiskategorien also Gegenstände, Arten oder Wahrheitswerte), dann designieren die Ausdrücke der Funkorkategorie ^ / k2 Funktionen, die Einheiten des Typs TI als ihren Argumenten solche des Typs 2 als zugehörige Werte zuordnen; und Einheiten der Produktkategorie fc, · Jfc2 designieren Paare, deren erstes Glied jeweils eine semantische Einheit des Typs r, und deren zweites Glied eine solche des Typs 2 ist. Funktor-Argumentor-Strukturen beschreibe ich mit Regelschemata wie etwa s"/(n"-n")n"n'^s s1 . Dabei sei eine bestimmte Numerierung der Einheiten der analysierten Sprache zugrunde gelegt, so daß eine Regelinstanz die Funktor-Argumentor-Struktur einer ganz bestimmten Einheit beschreibt. Die Einzelheiten dieser Numerierung sind aber völlig unerheblich, solange nur ihre Eindeutigkeit gewährleistet ist. Unter diesem Vorbehalt darf man also bei der Analyse einzelner Beispiele die Ziffern völlig frei wählen. Einen mit Ziffern superskribierten Kategorienindex nenne ich eine Kategorienformel. Um die angestrebte Eindeutigkeit zu erreichen, bestimme ich, daß die Ziffern in einer Kategorienformel streng monoton steigen müssen, wenn nicht eine benutzte kategorialgrammatische Regel Gegenteiliges erlaubt. (Zur letzteren Möglichkeit komme ich weiter unten, vgl. (9) und die Erklärung nach (12).) Eine dem Monotoniegebot gehorchende Formel nenne ich normal. Man kann nun etwa den angegebenen Regeleinzelfall als Analyse des Satzes Pedro besitzt Conchita ansehen. Da aber durch die eingeräumte freie Wählbarkeit der Kennziffern die Wiederauffindbarkeit der von ihnen numerierten Einheiten verlorengeht, schreibt man diese am besten unter die indizierten Kategoriensymbole. Ich verwende zweidimensionale Diagramme wie (4), die aus mehreren Zeilen bestehen, in denen Kategoriensymbole, sprachliche Einheiten und ggf. die zugehörigen Bedeutungsrepräsentationen jeweils übereinander notiert werden.
(4)
s° / (n1 · n2) n1 n2 besitzt Pedro Conchita ( , ) p c Pedro besitzt Conchita B(p,c)
In den Bedeutungsrepräsentationen markieren griechische Buchstaben Argumentorstellen. Komplexe Einheiten erhält man aus Funktoren durch Substitutionen für diese Markierungen. Eine Kategorialgrammatik muß nun die zum Aufbau von Funktor-Argumentor-Strukturen zulässigen Regeln charakterisieren. Eine Möglichkeit hierzu besteht darin, in einem Kalkül
Der unbestimmte Artikel in einer Kategorialgrammatik des Deutschen
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bestimmte Regeln axiomatisch als zulässig auszuzeichnen und Schlußverfahren anzugeben, mit denen man aus zulässigen Regeln wiederum solche gewinnen kann. Sicherlich wird man dafür sorgen, daß man alle Ajdukiewicz-Regeln - das sind Regeln der Gestalt (5) - zur Verfügung hat, die es erlauben, in der bekannten Weise kategorialgrammatisch zu kürzen. Die in (4) benutzte Regel ist keine Ajdukiewicz-Regel! Dort wird ja ein einstelliger Funktor, der als Argumentor ein Paar verlangt, mit zwei Nominatoren kombiniert! Um hier mit den Ajdukiewicz-Regeln auszukommen, benötigt man eine Schlußregel, die es erlaubt, ein Paar in seine Bestandteile aufzulösen. Umgekehrt soll es auch erlaubt sein, aufeinanderfolgende Einheiten zu einem Paar zusammenzufassen. Damit erhält man die Doppelregel (6), die man von oben nach unten und von unten nach oben benutzen darf, worauf der Doppelstrich hinweist. Regeln mit einfachem Strich dürfen nur von oben (Prämissen) nach unten (Konklusion) benutzt werden. (6)
W
*/*]=> V"
Griechische Großbuchstaben in Regelschemata stehen für ggf. leere Folgen von Kategorienformeln. Die Notation [ ,'" kf*} soll andeuten, daß in der Folge an einer bestimmten Stelle Jfc," k2"2 vorkommt. Dann ist *,"1 · kf2} die Folge, die man aus *,*1 k2"2] erhält, wenn man an dieser Stelle k^ k·?1 durch £,*" · k-f1 ersetzt. Ein wichtiges Schlußverfahren ist der Schnitt (7), der es erlaubt, Regelinstanzen miteinander zu kombinieren. (7)
=» V* [ [ ] =* ki"1
Moderne Versionen der Kategorialgrammatik besitzen neben den Ajdukiewicz-Regeln und dem Schnitt (7) zumeist noch ein Lückenbildungsprinzip wie (8), mit dem man zusätzliche Funktoren bilden kann.
(8)
rrv1] =» *o*°
Welche Regeln man nun für natürliche Sprachen genau benötigt, ist ein offenes Problem, auf das ich hier nicht eingehen will. Nur soviel: Ich meine mit nicht viel mehr auskommen zu können, als man auch für die üblichen Logiksprachen benötigt, aber auf eine Regel wie die Anhebungsregel n"=» s"/(s" / n") verzichten zu können, zu deren Formulierung auch bereits eine nicht-einfache Formel notwendig ist. Besonders hervorzuheben ist aber die Regel (9), die es erlaubt, Argumentorstellen eines Funktors miteinander zu identifizieren.
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IWWl "» V
*/1] =* V
[
Die Regel (9) erlaubt es, von zwei Vorkommnissen derselben Kategorienformel das erste zu streichen. Die Wirkungsweise von (9) verdeutliche ich an einem Beispiel: Mit den Regeln (5), (6) und (7) leitet man ohne Schwierigkeiten die Regelinstanz (10) ab. Nun erlaubt es (9), das erste Vorkommnis von n3 zu streichen, und mit (8) erhält man dann weiter (11).
(10) (11)
s° / (s1 · s2) s1 / n3 n3 s2 / n3 n3 =» s° s 0 /(s 1 -s 2 ) s 1 / n3 s 2 / n 3 = > s° / n3
Die Regelinstanz (11) beschreibt einen komplexen Funktor, der zwar nur eine einzige Argumentorstelle hat, welche aber aus zwei Lücken besteht, die ein einziges Argumentorvorkommnis gleichermaßen zu füllen hat. Koordinationsreduktionen kann man sich als Beispiele für solche Funktoren vorstellen, vgl. (12). (Ich will offen lassen, ob (12) die beste Analyse des in der letzten Doppelzeile erscheinenden Satzes ist; aber das Schlußverfahren (9) wird auf jeden Fall für die Analyse des Personalpronomens es benötigt, die ich weiter unten vorschlage.)
(12)
s° / (s1 · s2) und
n3
s1 / n 3
s2 / n3
ist ein Bauer besitzt einen Esel
s° / n3
Pedro ist ein Bauer und besitzt einen Esel
S° Pedro ist Bauer und besitzt einen Esel
Läßt man erst einmal (9) zu, so erscheint es als völlig willkürlich, W-Formeln (vgl. Robering 1990: 62) wie etwa s° /(n3 · n3) zu verbieten. Die angeführte Formel beschreibt ja z. B. genau das kategorialgrammatische Verhalten des komplexen Funktors in (12). Mit Hilfe der angeführten Schlußverfahren kann man auch s° /(n3 · n3) => s° / n3 herleiten, was die W-Formel auf eine einfache Formel zurückführt. Wenn für eine nicht-einfache Formel so etwas möglich ist, so will ich sie in kategorialgrammatischen Analysen auch zulassen. In einem logikorientierten Vorgehen wird man ein im abgesteckten Rahmen wie einen quantifizierenden Determinator (z. E. jedes) der Kategorie s / (a· (s / n)) zuweisen: Er designiert diejenige Funktion, die einem Paar, dessen erstes Glied eine Art und dessen zweites Glied ein einstelliges Prädikat ist, den Wert W genau dann zuordnet, wenn dieses Prädikat auf zumindest ein Individuum der Art zutrifft. Das Designat des Funktors jedes weist einem Art-Prädikat-Paar genau dann W zu, wenn jedes Individuum der Art unter das Prädikat fällt. Der einzige Unterschied zu den in der Logik üblichen Quantoren besteht in der Beschränkung des Quantifikationsbereichs auf eine Art. Bei dieser Kategorisierung und der von ihr induzier-
Der unbestimmte Artikel in einer Kategorialgrammatik des Deutschen
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ten Semantik ergeben sich bekanntlich Schwierigkeiten bei den sog. Eselssätzen wie (13). Dafür läßt sich aber mit der angegebenen Kategorisierung die bekannte Ambiguität von (3) zwischen einer V - und einer V -Lesart als Skopusphänomen leicht erklären. Woran scheitert diese Kategorisierung also genau? (13)
Jeder Bauer, der einen Esel besitzt, schlägt ihn.
Der Eselssatz enthält eine Relativkonstruktion. Das Relativpronomen das habe ich in Robering (1990: 82) der Kategorie s / (n · s / n · s / (s · s) · s / n) zugewiesen. Es verbindet durch einen Junktor zwei einstellige Prädikatoren zu einem wiederum einstelligen, indem es die beiden Argumentorstellen identifizierend zusammenfaßt. Es liegen in (13) also durchaus zu (12) vergleichbare Verhältnisse vor. Der in Relativkonstruktionen benutzte Junktor ist kontextuell zu erschließen, wobei die Nominalgruppe, an die die Relativkonstruktion angeschlossen wird, Hinweise bei der Auswahl liefert: Bei mit jedes eingeleiteten Nominalgruppen ist etwa der Subjunktor, bei mit ein eingeleiteten der Konjunktur naheliegend, aber durchaus nicht zwingend. Für das Personalpronomen es ist ebenfalls die Annahme einer stellenidentifizierenden Funktionsweise plausibel: Es könnte etwa die Anwendung einer grammatischen Schlußweise wie (9) signalisieren, oder man könnte als Designat für es den durch Iry [f ( , y)]& (ff) definierten I-Operator (vgl. Robering 1990: 60) annehmen; für das hier eingeschlagene Vorgehen vgl. die Erklärung zu (28). Damit ergeben sich (14), (15) und (16) als mögliche Lesarten für (13), während (17), die (allerdings nicht unumstrittene) präferierte Lesart für (13), nicht zu gewinnen ist.
(14)
D
[ e?[
( »]-8( , )]
(15) A x Vy [ B (r,y) -* S(*,y)]
(16) Vy A*[B(xoO-S(*oO] (17)
b
AxAy[B(x,y)^S(xty)} e
Davon sind (15) und (16) alles andere als plausibel, und (14) gehört gar nicht zur Kategorie s, sondern ist ein einstelliger Prädikator. Anderereits ist aber (14) angesichts solcher Texte wie (18) plausibel, in denen das ihn von (13) gerade nicht von einen Esel gebunden werden darf. (18)
In dem Dorf, in dem sonst nur Eselzüchter leben und als dessen Lieblingstier der Esel wohl gelten darf, lebt Pedro als der einzige, der die Grautiere aus tiefstem Herzen verabscheut. Dementsprechend hart ist sein Dasein. Jeder Bauer, der einen Esel besitzt, verprügelt ihn.
Angesichts von (14) einerseits und (15) - (17) andererseits sind zwei Fragen zu beantworten: 1.) Wie gelangt das ihn von (13) in den Skopus von einen Esefl 2.) Wie ist für einen Esel das Umschalten von der Existenz- zur Allquantifikation zu erklären? Um aber (19) überhaupt erst zu bekommen, bleibt nichts anderes übrig, als nach einer anderen Kategorisierung für ein zu suchen. Ich knüpfe dabei an die bekannte Idee an, daß indefinite Nominalgruppen in der hier interessierenden Funktion nicht direkt quantifizierend wir-
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Klaus Robering
ken, sondern zunächst einmal dazu dienen, im Textverlauf die Rede auf bestimmte Gegenstände zu bringen. Diese Gegenstände füllen dann die Argumentstelle des Prädikats, das derjenige Prädikator designiert, von dessen Argumentorstelle auch die indefinite Nominalgruppe eine beseitigt. Man könnte also ein der Kategorie s / (n · s / n) zuweisen und sein Designat durch (19) definieren: f markiert die Stelle für das neu eingebrachte Individuum und die für das Prädikat, dessen Argumentstelle es einnimmt.
(19) Ex [f, T
( )] ** V
S(x, z "x)] z
In (29) hat der vom Quantifikationsadverbial designierte zweistellige Operator Skopus über den Partikularisator. Das Quantifikationsadverbial und nicht der sortenbeschränkte Partikularisator ist für das generalisierende Moment von (13) verantwortlich. Allerdings ermöglicht erst der vom Indefinitum designierte J-Operator den anaphori sehen Bezug zwischen dem Antezedens und dem Sukzedens des Adverbials (des Pfeils in (29)).
Literatur Robering, K. (1990): "Einige Bindungstypen im Deutschen". - In: Kohrt, M. / Robering, K. (eds.): Arbeiten zur deskriptiven und theoretischen Linguistik. Arbeitspapiere zur Linguistik - Working Papers in Linguistics 25 (Berlin: Technische Universität) 51-103
ANTEPOSmON VERSUS POSTPOSITION Zur Stellung im Satzgefüge Elisabeth Rudolph
1. Einleitendes Durch das in den letzten Jahrzehnten größere Interesse an textlinguistischen Fragestellungen sind Sätze und die Kombination mehrerer Sätze zu einer neuen Einheit etwas mehr ins Blickfeld linguistischer Forschungstätigkeit geruckt. Meist wird traditionell zwischen Satzverbindung (zwei selbständige Hauptsätze) und Satzgefüge (mindestens ein Haupt- und ein Nebensatz) unterschieden. Auch in Grammatiken finden sich wieder ausführlichere Beschreibungen unter syntaktischen und semantischen Gesichtpunkten. Wer sich aber über die Stellung der verbundenen Sätze zueinander informieren will, findet höchstens knappe Hinweise wie in Helbig/Buscha (1981: 567), wo die drei Möglichkeiten Vordersatz, Nachsatz, Zwischensatz erwähnt und an einem variierten Beispiel demonstriert werden. In einem Satzgefüge kann man zwischen fester und freier Stellung der Sätze unterscheiden. Dies soll an Beispielen des Satzverknüpfungstyps Kausalität deutlich werden. In (1) haben die Satzvarianten die häufigere Postposition, in (2) sollen dieselben Varianten in Anteposition erscheinen. (la) (Ib) (Ic) (Id) (le) (2a) (2b) (2c) (2d) (2e)
Er erreicht den Zug, weil er schnell läuft. Er erreicht den Zug, denn er ist schnell gelaufen. Er erreicht den Zug, wenn er schnell läuft. Er läuft so schnell, daß er den Zug erreicht. Er läuft schnell, damit er den Zug erreicht. Weil er schnell läuft, erreicht er den Zug. * Denn er ist schnell gelaufen, er erreicht den Zug. Wenn er schnell läuft, erreicht er den Zug * Daß er den Zug erreicht, läuft er so schnell. Damit er den Zug erreicht, läuft er schnell.
Wie die Varianten in (2) zeigen, ist die Anteposition nicht überall möglich: kausale Hauptsätze und Konsekutivsätze gibt es nur in Postposition. Die im Hintergrund dieses Beispielkomplexes stehende Kausalkonstante, die oft als Implikation 'p -» q' dargestellt wird, bedeutet: Ursache oder Grund hat Wirkung oder Folge. Das erste Faktum (Ursache/Grund) zieht das zweite Faktum (Wirkung/Folge) nach sich, auch zeitlich gesehen. In der sprachlichen Darstellung der Satzverknüpfungen ist aber weder die Reihenfolge des Nennens der Kausalglieder noch die Verteilung auf Haupt- und Nebensatz gleich. Im folgenden soll an Beispielen von Konzessivsätzen, die mit Adversativsätzen zusammen
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Elisabeth Rudolph
den Satzgefügetyp Kontrast bilden, die Frage gestellt werden, ob semantische und/oder syntaktische Gründe die Stellung des Nebensatzes bestimmen. 2. StellungsVarianten im Satzgefügetyp Kontrast In theoretischen Erörterungen wird auch für den Satzgefügetyp Kontrast oft eine im Hintergrund stehende Kausalkonstante präsupponiert. Tatsächlich gestattet das Laborbeispiel vom Erreichen des Zuges auch adversative und konzessive Varianten, allerdings in negativer Abwandlung. (3a) (3b) (3c) (3d) (3e) (3f)
Er läuft schnell, aber er erreicht den Zug nicht. Obwohl er schnell läuft, erreicht er den Zug nicht. Er erreicht den Zug nicht, obwohl er schnell läuft. Er läuft nicht schnell, aber er erreicht den Zug. Obwohl er nicht schnell läuft, erreicht er den Zug. Er erreicht den Zug, obwohl er nicht schnell läuft.
Die Kausalkonstante 'schnell laufen -» Zug erreichen' begegnet nicht direkt, sondern sie steht nur im Hintergrund als der normale Fall, der in dieser Abwandlung gerade nicht gegeben ist. Die Ursache hat nicht die übliche Wirkung, wie man erwarten möchte, sondern sie hat überhaupt keine Wirkung. Ohne Wirkung ist die Ursache keine Ursache mehr, sie verpufft ins Leere. Die Wirkungslosigkeit einer auch als Ursache möglichen Tatsache ist ein Charakteristikum von Konzessivsätzen, mit dem ihre gelegentliche Zuordnung zum Verknüpfungstyp Kausalität zusammenhängt. Die Besonderheit ist die Negation. Nicht daß in jedem Kontrast-Gefüge eine Negation vorkäme, aber wenn man die im Hintergrund denkbare Kausalkonstante formulieren will, taucht an einer Stelle unweigerlich die Negation auf, im ersten (3d-f) oder im zweiten Glied (3a-c). Eigentlich stehen in diesem Fall zwei Kausalkonstanten im Hintergrund, eine positive und eine negative, nämlich (i) Ursache: schnell laufen - Wirkung: Zug erreichen, und (ii) Ursache: nicht schnell laufen - Wirkung: Zug nicht erreichen. Für ein Kontrast-Gefüge wird aus der positiven und der negativen Kausalkonstante je ein Teil genommen und zusammengesetzt. In (3a-c) ist die Ursache aus (i) mit der Wirkung aus (ii) verknüpft, in (3d-f) die Ursache aus (ii) mit der Wirkung aus (i). Die komplexe Semantik des Kontraste wird besonders in Beschreibungen des Konzessivsatzes deutlich. Zwei Sachverhalte der Wirklichkeit werden in einem Kontrast gesehen und so kombiniert, daß der im Nebensatz geäußerte Sachverhalt normalerweise einen anderen Sachverhalt implizieren würde als den im Hauptsatz geäußerten Sachverhalt. Das kann dann als negierte Implikation (Pötters 1992) beschrieben werden oder als unzureichender Gegengrund (Duden 1984), oder der Nebensatz-Sachverhalt wird als hinreichende Bedingung für die Negation des Hauptsatz-Sachverhalts angesehen (Pasch 1992) oder als irrelevant für die Realisierung des Hauptsatz-Sachverhalts (Baschewa 1980).
Anteposition versus Postposition
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Von der Stellung der Sätze her haben nur die Konzessivsätze die Möglichkeit einer Variation, wie (3b-c) und (3e-f) zeigen, die Adversativsätze (3a) und (3d) müssen wie alle koordinierten Hauptsätze immer in Postposition erscheinen. Es ist nun zu fragen, ob es kommunikationsrelevante Gründe für die Wahl der einen oder anderen Stellung gibt. Die Frage der Häufigkeit des Vorkommens wird oft nicht gestellt, weil sie im Grunde auf das Abzählen in einem größeren Korpus hinausläuft, das nicht immer gegeben ist. Aus den zahlreichen Tabellen, mit denen Baschewa (1980) ihr Korpus von 3000 Beispielen dargestellt hat, läßt sich ablesen, daß über die Hälfte der Konzessivsätze in Postposition erscheinen. In manchen Darstellungen von Konzessivsätzen wird bei der Postposition zwischen konzessiver Subordination und eher adversativer Koordination unterschieden (Rivarola 1976), wobei die Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten von der jeweiligen Interpretation abhängt und deshalb etwas willkürlich erscheinen kann. Während bei Anteposition des Konzessivsatzes im an 2. Stelle stehenden Hauptsatz eine unerwartete Folge behauptet wird, nennt der Konzessivsatz in Postposition oft eine vorher nicht bedachte Voraussetzung, die restriktiv wirken kann (Pötters 1992).
3. Beispielanalysen Während Laborbeispiele exemplarisch und kontextfrei verständlich gebildet werden, sind authentische Beispiele Unikate und innerhalb eines Textes eingebettet. Darin liegt Vorteil und Nachteil zugleich. Um für die Analyse nicht die Umgebung im Text erzählen zu müssen, wird sich die Wahl von Beispielen aus einem größeren Korpus nach ihrer Verständlichkeit richten. Aus einem nicht abgeschlossenen umfangreichen Korpus von Beispielen aus mehreren Sprachen habe ich eine Auswahl aus drei Textsorten getroffen, dabei aber nur je eine Quelle berücksichtigt. Dies sind für 'Presse' Beispiele aus der ZEIT, Jahrgang 1992, für 'Wissenschaft' aus Beaugrande/Dressler (1981) und für 'Literatur' aus Thomas Mann (1971). In jeder Gruppe stehen zuerst die Beispiele mit Anteposition des Konzessivsatzes, gefolgt von solchen mit Postposition. Die Einzelanalyse ist durch folgende Fragen bestimmt: Ist die jeweils andere Stellung des Konzessivsatzes auch möglich? - Liegt eine syntaktische Besonderheit vor? - Läßt sich das Konzessivsatzgefüge in ein Adversativgefüge umwandeln? - Welche semantische Beschreibung sollte dem Beispiel zugeordnet werden? Presse: (4) (5)
(6)
Obwohl immer mehr Frauen von Männern finanziell unabhängig werden, scheinen sie in ihren Schönheitsvorstellungen an alten Klischees zu kleben. Ein Beispiel dafür ist der DIT-Fonds für Vermögensbildung, ein Fonds der Dresdner-Bank-Gruppe. Obwohl er von seinem Mutterhaus keinesfalls als Flaggschiff vorgesehen war, hängt er die großen Milliardenfonds in den Leistungsvergleichen immer wieder ab. Die Verantwortung dafür trägt Bundesjustizminister Klaus Kinkel. Er war es, der das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung, das alles blockiert, im Einigungsvertrag durchgedrückt hat, weil dies das Grundgesetz angeblich so verlange, obwohl viele Verfassungsexperten dies anders sehen.
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Fehleinschätzungen gab es aber auch im Positiven. So ist ausgerechnet der Airbus das einzige wirklich gewinnträchtige Geschäft im Dasa-Bereich. Und das, obwohl Konzernchef Reuter den Europa-Flieger ursprünglich sehr skeptisch betrachtete.
In (4) und (5) ist Postposition syntaktisch möglich, semantisch geht dabei aber der Überraschungseffekt des Hauptsatzes verloren. Beidesmal ist eine Umwandlung in ein Adversativgefüge möglich, die Reihenfolge der Aussagen brauchte dabei nicht geändert zu werden. Als semantische Beschreibung ist der unzureichende Gegengrund ebenso möglich wie die negierte Implikation. In (6) und (7) halte ich eine Anteposition nicht für möglich. Die syntaktischen Besonderheiten sind in (6) die Anbindung des weil-Satzes an die Vorgängersätze, die nicht unterbrochen werden darf, und in (7) bezieht sich der Konzessivsatz auf eine anaphorische Zusammenfassung. Wegen der Unmöglichkeit der Anteposition ist auch eine Umwandlung in ein Adversativgefüge nicht möglich. Semantisch gesehen ist (6) eine Einschränkung: 'angeblich x, obwohl y'. In (7) handelt es sich im Konzessivsatz um die Information, daß die Tatsache des Hauptsatzes für den Entscheidungsträger, der sich offenbar selten irrt, überraschend gewesen sein dürfte. Wissenschaft: (8)
Dabei ist zu beachten, daß die Textwelt mehr als den Sinn der Ausdrücke des Oberflächentextes enthält, denn kognitive Prozesse steuern ein gewisses Maß an Alltagswissen bei, das von Erwartungen und Erfahrungen der Kommunikationsteilnehmerbezüglich der Organisation von Ereignissen und Situationen abgeleitet wird. Obwohl daher der Sinn der gebrauchten sprachlichen Ausdrücke den offenkundigsten und mittelbarsten Beitrag zur Textwelt leistet, ist er nicht alles. (9) Erstens könnte man einwenden, daß unsere Inferenzen willkürlich gewählt seien. Aber obwohl natürlich bei der Wahl der Inferenzen Intuition eine Rolle spielte, wurden diese Inferenzen durch empirische Versuche stark bekräftigt. (10) Die Alltagssprache benötigt nur selten diesen Grad von Genauigkeit. Viel öfter werden kohäsive Mittel gebraucht, die den Oberflächentext verkürzen oder vereinfachen, obwohl dabei ein bestimmter Verlust an Determiniertheit zu verzeichnen ist. (11) Wenn eine Wissenschaft aktiviert wird, so werden offenbar andere im Speicher eng verbundene Einheiten ebenfalls aktiv (obgleich vielleicht weniger aktiv als die ursprüngliche Einheit).
Eine Postposition halte ich in (8) nicht für möglich: der Konzessivsatz ist anaphorisch als Begründung an die Vorgängersätze angebunden, der kurze Hauptsatz am Ende bietet den Gegensatz und stellt die Geltung der Vorangehenden in Frage. Eine Umwandlung in ein Adversativgefüge ist deshalb durchaus möglich. In (9) liegt der interessante Fall eines Doppelkontrastes vor, d . h . innerhalb des Adversativsatzes, der den Einwand des Vorgängersatzes zurückweist, markiert der Konzessivsatz eine Art Anerkennung der Möglichkeit des Einwandes. Ich halte eine Postposition für fragwürdig, der Doppelkontrast würde auseinandergezogen, der Adversativsatz aus der Position des Rhemas verdrängt, der thematische Konzessivsatz würde hinterherhinken. Da der Konzessivsatz bereits Teil eines Adversativsatzgefüges ist, entfällt eine Umwandlung. In semantischer Sicht lassen sich (8) und (9) als negierte Implikationen, unwirksame Gegengründe, oder als nicht ausreichende Hinderungsgründe beschreiben.
Anteposition versus Postposition
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Bei der Postposition in (10) ist der direkte Anschluß des Hauptsatzes an das Vorangehende wichtig, trotzdem ist eine Anteposition ohne große Änderungen im Satzbau möglich. Eine Umwandlung in ein Adversativgefüge erscheint mir nicht akzeptabel, dagegen ist die direkte Ersetzung der Konjunktionen möglich, d. h. aber steht statt obgleich. Der Konzessivsatz nennt einen negativ bewerteten Begleitumstand und kann als leichte Einschränkung aufgefaßt werden. In (11) erscheint eine Anteposition nicht möglich, weil sich der Konzessivsatz einschränkend auf den vorangehenden Satz bezieht. Auch eine Umwandlung in ein Adversativgefüge ist ausgeschlossen. Die Ersetzung von obgleich direkt durch aber würde der absichtlich in Klammern gesetzten Einschränkung ein zu großes Gewicht verleihen. Literatur: (12) Der Alte schwieg. Obgleich nicht mehr als ein Respektsraum war zwischen ihnen, gewahrten sie einander doch nur noch wie Schatten. (13) Auch zwei Kleinwüchsige fanden sich ein, Zwergmänner: gleich ein Paar solcher schloß der Hausstand des Wedelträgers ein; aber wiewohl beide nicht mehr als drei Schuh hoch waren, wiesen sie große Unterschiede des Betragens auf, denn der eine war ein Matz, der andere würdigen Wesens. (14) Die Stadt, deren Namen später die Griechen, um ihn sich bequem und heimatlich zu machen, >Thebai< sprachen, befand sich, als Joseph dort landete und lebte, noch keineswegs auf der Höhe ihres Ruhmes, obgleich sie bereits so berühmt war, wie es aus der Art des Ismaeliters, von ihr zu reden, und aus den Empfindungen hervorging, die Joseph überkamen, als er erfuhr, daß sie sein Ziel sei. (15) Das liegt in der Zukunft, und diese Feststunde der Erzählung ist noch nicht gekommen, obgleich sie an ihrem Ort schon vorhanden und jedem bekannt ist.
Gesprächsende und eintretende Dunkelheit sind der Kontext von (12). Einer Postposition des Konzessivsatzes steht keine syntaktische Schwierigkeit entgegen, stilistisch ist sie allerdings weniger einleuchtend. Eine Umwandlung in ein Adversativgefüge ist syntaktisch möglich, semantisch aber bedenklich, denn es handelt sich nicht nur um einen Gegensatz zwischen den beiden Aussagen, sondern um die typisch konzessive Komplexität: S l ist irrelevant für S2, zugleich aber unter normalen Bedingungen hinreichend für das Gegenteil von S2, eine präsupponierte Kausalkonstante ist also als negierte Implikation aufzufassen, die konzessive Konjunktion an der Spitze des Gefüges signalisiert schon gleich den unzureichenden Gegengrund oder den nicht ausreichenden Hinderungsgrund. In (13) liegt ein längeres geliedertes Satzgefüge vor. Der Konzessivsatz informiert über Merkmale der Ähnlichkeit auf einem Gebiet, aus denen man auf Ähnlichkeiten in einem anderem schließen könnte, der Hauptsatz nennt einen Fall, in dem eine solche Folgerung falsch wäre. Der Grund für die Zurückweisung wird kausal angeschlossen. Das aber am Anfang markiert nicht einen Gegensatz zu den Aussagen davor wie (9), es hat kohärenzstiftende Funktion, indem es anzeigt, daß noch etwas Neues, nicht unbedingt Erwartetes gesagt wird. Eine Postposition des Konzessivsatzes ist möglich, ein Austausch mit einem Adversativsatz wegen des bereits vorhandenen aber dagegen nicht. Von den semantischen Beschreibungen paßt, daß S l für S2 irrelevant ist, eine Kausalkonstante kann nicht eigentlich präsupponiert werden, die negierte Implikation bezieht sich nur auf eine indirekte semantische Opposition.
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Auch (14) ist ein vielgliedriges Satzgefüge, in dessen Mitte sich das krönende obgleich findet. Es handelt sich hier um eine Einschränkung: 'noch nicht Superlativ x, obgleich bereits komparativ x'. Eine Anteposition ist syntaktisch zwar möglich, begegnet aber der Schwierigkeit, daß etliches umgestellt werden müßte. Dagegen wäre ein Austausch von Haupt- und Konzessivsatz möglich in der Art, daß das gesamte Gefüge mit obgleich anfinge, dann stünde allerdings in der Mitte keine Krönungs-Partikel. Eine Umwandlung in ein Adversativgefüge ist möglich, auf der Grundlage der etwas problematischen Anteposition. Möglich ist aber auch eine einfache Substitution der Konjunktionen wie in (10), d. h. statt obgleich ist auch aber möglich, wobei nur die Inversion rückgängig zu machen wäre. Schließlich ist (15) ein kürzeres Gefüge, in dem der Konzessivsatz in Rhema-Bedeutung steht, bezogen auf den voranstehenden thematischen Hauptsatz. Eine Anteposition ist syntaktisch möglich, semantisch und stilistisch würde sie die Aussage des Gefüges stark verändern. Es handelt sich um eine Einschränkung der Hauptsatz-Aussage, die an zweiter Stelle wirkungsvoller ist. Daher ist eine Umwandlung in ein Adversativgefüge problematisch.
4. Ergebnisse und weitere Fragen Die Analyse weniger Beispiele kann allenfalls die Vielfalt zeigen, die intensive Untersuchung eines größeren Korpus kann sie nicht ersetzen. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß Konzessivsätze gleichermaßen in Anteposition und in Postposition vorkommen und sehr oft die vorliegende Position durch die andere ersetzt werden kann. Gegen eine Positionsänderung sprechen gelegentlich syntaktische Gründe, öfter stehen semantische und/oder stilistische Gründe dagegen. Wenn der Konzessivsatz als eine Einschränkung der ganzen Hauptsatz-Aussage oder eines Teiles davon aufzufassen ist, scheint die Postposition erforderlich zu sein, zumindest wird meist nachträglich eine Aussage relativiert, nicht schon im vorhinein. Auch bei den Beispielen in Anteposition gibt es solche, bei denen eine Postposition ausgeschlossen erscheint wie in (8) oder stilistisch fragwürdig wie in (12). Aus diesen Befunden läßt sich der Schluß ziehen, daß die Stellung der Sätze im Gefüge nicht gleichgültig ist, sondern kommunikationsrelevant gesteuert wird. Für die Anteposition spricht: (a) der Sprecher konzipiert das Gefüge als Ganzes und sieht die präsupponierte Kausalkonstante als negierte Implikation; (b) der Konzessivsatz schließt sich syntaktisch und semantisch eng an die Vorgängersätze an, (c) der Konzessivsatz soll signalisieren, daß der Hauptsatz eine als Folge nicht erwartbare Tatsache nennt. Für die Postposition spricht: (a) der Sprecher schränkt Teile einer Aussage oder die ganze Aussage nachträglich ein, (b) der Konzessivsatz ist Rhema und bringt eine neue und wichtige Information, (c) der Konzessivsatz soll das Überraschungsmoment bieten. Die Möglichkeit einer direkten Ersetzung der konzessiven durch eine adversative Konjunktion, die als Zeichen für den Hauptsatzstatus des Konzessivsatzes gelten kann, erfordert weitere Untersuchungen.
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Literatur Baschewa, E. (1980): Der Konzessivsatz im Neuhochdeutschen - synchronische und diachronische Untersuchungen zu seiner Syntax, Semantik und Stilistik. - Leipzig: Diss. (vervielf.)· Beaugrande, R. de / Dressler, W. (1981): Einführung in die Textlinguistik. - Tübingen: Niemeyer. Duden (1984). Duden, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Herausgegeben von G. Drosdowski et al. - Mannheim: Bibliographisches Institut. Heibig, G. / Buscha, J. (1981): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. - Leipzig: Enzyklopädie. Mann, Th. (1971): Joseph und seine Brüder. - Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch. Pasch, R. (1992): "Kausale, konzessive und adversative Konnektive: Konnektive als Mittel des Ausdrucks von Diskurspräsuppositionen". - In: Münstersches Logbuch zur Linguistik l, 33-48. Pötters, W. (1992): Negierte Implikation im Italienischen - Theorie und Beschreibung des sprachlichen Ausdrucks der Konzessivität auf der Grundlage der Prosasprache des Decameron. - Tübingen: Niemeyer. Rivarola, J. L. (1976): Las conjunciones concesivas en espanol medieval y cläsico - Contribution a la sintaxis historica espanola. - Tübingen: Niemeyer.
KOMPLEXE SÄTZE IN NEUEREN DEUTSCHEN GRAMMATIKEN
Heinrich Weber
1. Einleitung Im Jahr 1894 hat John Ries versucht, die Frage "Was ist Syntax?" anhand einer kritischen Analyse der grammatischen Literatur seiner Zeit zu beantworten. Er beklagt das "Durcheinander von widerstreitenden Systemen und systemloser Eklektik" (1894/1967: 9). Ein "sehr großer, wenn nicht der überwiegende Teil aller syntaktischen Schriften" sei "wegen der prinziplosen Nebeneinanderstellung oder Durcheinanderwürflung ihres verschieden gearteten Stoffes" der sog. "Mischsyntax" zuzurechnen (1894/1967: 10f.). Nach hundert Jahren Syntaxforschung ist die Lage auf höherem Niveau immer noch dieselbe: Es gibt konkurrierende Systeme, und es gibt unklare Vermischungen verschiedener Systeme. Grammatische Einheiten können nach drei Kriterien definiert und klassifiziert werden: nach ihrer internen Form, nach ihrem strukturellen Zusammenhang und nach ihrem Inhalt. Dies gilt für die kleinsten wie für die größten Einheiten, d. h. für Morpheme, Wörter, Wortgruppen und Sätze. Ein Satz, der Teil eines komplexen Satzes ist, kann dreifach klassifiziert werden: 1. In bezug auf die interne Form ist anzugeben, wo das finite Verb steht und ob nebenordnende oder unterordnende Konjunktionen oder Demonstrativ-, Relativ- oder sonstige Pronomina und Pronominaladverbien auftreten. 2. Beim strukturellen Zusammenhang ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis die Teilsätze eines komplexen Satzes zueinander stehen. Es ist zwischen Neben- und Unterordnung zu unterscheiden und bei Unterordnung festzustellen, welche Stelle in der Satzhierarchie ein Teilsatz einnimmt. 3. Beim Inhalt ist zu fragen, welche logisch-semantische Relation zwischen Sätzen besteht. Diese Relation kann sehr allgemein oder inhaltlich spezifiziert sein, sie kann der Relation eines Arguments zu seinem Prädikat entsprechen oder einen Gegenstand durch einen Sachverhalt determinieren. Man kann von jedem der drei Kriterien ausgehen, um eine konsistente Beschreibung der komplexen Sätze zu erreichen. Im folgenden soll verdeutlicht werden, daß traditionelle Grammatiken das Formkriterium, strukturelle Grammatiken das Strukturkriterium und generativ begründete Grammatiken das Inhaltskriterium bevorzugen, während die Duden-Grammatik von 1984 ein Mischsystem im Sinne von John Ries verwendet.
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Heinrich Weber
2. Formklassifikation Die Wörter, eingeteilt nach Wortarten und Wortformen und angeordnet nach Wortstellungsmustem, sind das Material des Satzes. Dieser Gesichtspunkt bildet den ältesten grammatischen Zugang zum komplexen Satz. Dionysios Thrax, der Verfasser der ältesten europäischen Grammatik (um 100 v. Chr.), erfaßt ihn nur über die Wortart "Konjunktion". Der Satz teile einen "abgeschlossenen Gedanken" mit (§11), und die Konjunktion verknüpfe u. a. "den Gedanken in einer bestimmten Anordnung", z. B. kopulativ, disjunktiv, kausal (§20). Dieser Ansatz ist auch für die ältere deutsche Grammatik noch verbindlich. Johannes Claius schreibt in der "Grammatica Germanicae linguae" (1578), der ersten einflußreicheren deutschen, aber noch lateinisch geschriebenen Grammatik, zu den Konjunktionen: COniunctiones aut orationem ordiuntur aut nouam orationem superior! annectunt, aut similia coniugunt, vt [Konjunktionen eröffnen entweder die Rede oder knüpfen eine neue Rede an eine vorausgehende Rede an oder verbinden Ähnliches, z. B.:] Wiewol ich mich zu dir vnd den deinen alles gutes vnd aller freundschafft versehe / Jedoch feilt jtzt eine solche gelegenheit für / darbey ichs prüfen kan und erkennen. (Claius 1578/1894: 159)
Die Formklassifikation ist vor allem in der historischen Syntax perfektioniert worden. Die "Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage" von Ingerid Dal (1952/2. A. 1962) behandelt im letzten Kapitel die "Verbindung von Sätzen" (1952/2. A. 1962: 181-217). Sie gliedert zunächst zwischen Beiordnung und Unterordnung, wobei allerdings schon strukturellfunktionelle Aspekte mitspielen. Innerhalb der Beiordnung unterscheidet sie - hier konsequent nach der Form - zwischen Asyndese, demonstrativen Bindewörtern und beiordnenden Konjunktionen. Bei der Unterordnung werden die Nebensätze ohne Bindewort, die daß-Sätze, die abhängigen Fragesätze, die Relativsätze und die Bindewörter der Adverbialsätze abgehandelt. Es gelingt der Autorin, relativ einheitlich formal zu klassifizieren, die beiden anderen Aspekte aber bei der Angabe der Funktionen und Inhalte der jeweiligen Formen zur Geltung zu bringen.
3. Strukturklassifikation Für die strukturell-funktionelle Klassifikation gibt es mindestens drei Verfahren: die Satzgliederlehre, die Dependenzsyntax und die Konstituentenstruktur-Syntax. Die Satzgliedklassifikation ist die herrschende Lehre bei der Nebensatzeinteilung. Sie ist mit den Prinzipien des Strukturalismus kompatibel und kann leicht in Dependenz- und Konstituentenstrukturen repräsentiert werden. Der Satzgliedbegriff ist ein Strukturbegriff, auch wenn er älter ist als der Strukturalismus (vgl. Glinz 1947). Er bündelt verschiedene Formen und verschiedene Inhaltsrelationen zu einer Form-Inhalts-Einheit, die durch ihre Oppositionen im Sprachsystem definiert ist. So können z. B. Pronomina, Substantive bzw. Substantivgruppen, Infinitive bzw. Infinitivgruppen oder Sätze als Formen und die thematischen Rollen "Agens", "Betroffenes" (Patiens) oder "Träger" (vgl. z. B. Heringer 1988: 130) als Inhalte strukturell in dem Satz-
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glied "Subjekt" zu funktioneilen Einheiten zusammengefaßt und den Objekten und Adverbialien gegenübergestellt werden. Wir finden die Klassifikation der Nebensätze nach ihrer Satzgliedfunktion beispielsweise in der Duden-Grammatik bis zur 3. Auflage (1973) und in den neuen Grammatiken von Eisenberg (1986/2. A. 1989), Engel (1988) und Heringer (1988 und 1989). Nach den Satzgliedtypen Subjekt, Objekt und Adverbiale werden Subjekt-, Objekt- und Adverbialsätze (teilweise mit anderen Termini) unterschieden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß nicht alle Teilsätze komplexer Sätze Satzgliedfunktion haben: Ohne Satzgliedfunktion sind koordinierte Hauptsätze und weiterführende Nebensätze; die Attributsätze sind nur Teile von Satzgliedern. L. Tesniere (1959) nimmt an, daß im Satz drei syntaktische Relationen auftreten: die Konnexion als grundlegende Dependenzbeziehung, die den einfachen Satz konstituiert (z. B. die Beziehung zwischen Hans und kommt in Hans kommt), die Junktion als Verbindung gleichartiger Satzteile, die u. a. die Satzreihe ermöglicht (z. B. in Hans kommt, aber Karl geht), und die Translation als Funktionswechsel syntaktischer Einheiten, die u. a. den Satzgefügen zugrunde liegt. Außerdem gibt es die Anapher als semantische Verbindung zwischen Proform und Bezugsausdruck (z. B. zwischen Hans und er in Hans kommt; er ist angeheitert). Das Verb mit seiner Valenz konstituiert den Satz. Konnexionen bestehen im wesentlichen nur zwischen dem Verb einerseits und Substantiven und Adverbien andererseits sowie zwischen Substantiven und Adjektiven. Geht nun ein Wort einer bestimmten Wortart eine Konnexion ein, die dafür nicht vorgesehen ist, so muß es durch Translation in eine für die Konnexion zugelassene Wortart überführt werden. In den Beispielen Hans, der hungrig ist, kommt l Karl sieht, daß Hans kommt l Hans kommt, weil er hungrig ist steht das Verb kommt und damit der ganze Nebensatz in der Funktion eines Adjektivs, eines Substantivs oder eines Adverbs. Der Funktionswandel des Verbs zum Adjektiv, Substantiv oder Adverb wird durch sog. Translative bezeichnet, etwa durch Relativpronomina, unterordnende Konjunktionen, Verbendstellung u. a. Da die Nebensätze nach den Konnexionsmöglichkeiten der Hauptwortarten, d. h. nach syntaktischen Relationen, klassifiziert werden, liegt ebenfalls ein strukturelles Klassifikationsprinzip zugrunde. Zu ähnlichen Einteilungen kommt auch die weitverbreitete Konstituentenstruktur-Syntax, die auf Teil-Ganzes-Beziehungen beruht. Nebenordnung besteht zwischen Konstituenten, die zur gleichen Klasse gehören wie die ganze Konstruktion, Unterordnung beruht auf der Einbettung eines Konstituentensatzes in einen Matrixsatz, und die Art des Konstituentensatzes wird durch die Stelle definiert, an der er in die Konstituentenstruktur eingebettet ist.
4. Inhaltsklassifikation Die Inhaltsklassifikation, d. h. die Klassifikation nach der logisch-semantischen Beziehung der verbundenen Sätze, hat eine lange Tradition, aber keine grammatische, sondern eine
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logisch-rhetorische. A. Scaglione weist darauf hin, "daß sich die Hauptteile sowohl der Periodensyntax wie auch der Wortstellung [...] im Lauf der Jahrhunderte eindeutig im Rahmen der rhetorischen Theorie entwickelt haben", und daß "der Satz faktisch als gegliedertes Ganzes nur in der Rhetorik untersucht wurde" (1981, I: 13). Noch Gottsched hat die Periode nicht in der Grammatik, sondern in der Rhetorik behandelt (vgl. Hundsnurscher 1990). Erst die generativ-tranformationelle Grammatik hat die theoretischen Voraussetzungen entwickelt, um die logisch-semantischen Beziehungen zwischen Sätzen explizit auf verschiedene Formen ihrer grammatischen Realisierung zu beziehen. In den folgenden Beispielen (modifiziert nach Duden 1984: 669) sind die bezeichneten Sachverhalte und die Grund-Folge-Beziehung zwischen ihnen jeweils dieselben: Er war völlig entkräftet. Er war völlig entkräftet. Er war völlig entkräftet. Weil er völlig entkräftet
Er gab das Rennen auf. Das bewirkte folgendes: Er gab das Rennen auf. Deshalb gab er das Rennen auf. war, (deshalb) gab er das Rennen auf.
In der Transformationsgrammatik erkärt man nun die Bezeichnungsgleichheit von strukturverwandten Sätzen, indem man sie auf dieselbe syntaktische Struktur zurückführt, die sog. Tiefenstruktur. Sie besteht in unserem Beispiel aus der Struktur der beiden Einzelsätze und einer Gesamtstruktur, die zwischen ihnen eine Kausalrelation etabliert. Die realisierten Strukturen unseres Beispiels, die sog. Oberflächenstrukturen, werden mittels grammatischer Regeln, der sog. Transformationen, aus einer Tiefenstruktur abgeleitet, die aus einer Kausalrelation mit zwei Sachverhaltsargumenten besteht. Dieses Konzept liefert eine Rechtfertigung dafür, in der Grammatik (und nicht bloß in der Logik oder Rhetorik) von Inhaltsrelationen auszugehen und aus ihnen die verschiedenen grammatischen Formen abzuleiten. Zwei Grammatiken haben erfolgreich diesen Weg beschritten: die "Grundzüge der deutschen Grammatik" (1981) und die auf ihr aufbauende stärker praxisorientierte "Grammatik des Deutschen" (Flämig 1991). Die "Grundzüge" behandeln die komplexen Sätze im Kapitel "Abwandlungen". Gemeint sind damit Transformationen, der Begriff wird aber aus verschiedenen Gründen vermieden (vgl. Heidolph 1990: 187). Es gibt eine syntaktische "Grundstruktur", die der "Tiefenstruktur" entspricht. Die Abwandlungen ermöglichen es, "Äußerungen unterschiedlicher syntaktischer Struktur in regulärer Weise nach einheitlichen Gesichtspunkten aufeinander zu beziehen." (Grundzüge 1981: 765) Zwischen Sätzen werden vier Arten semantischer Verknüpfung angenommen; ihnen werden typische und weniger typische Realisierungsformen zugeordnet: 1. Die Verknüpfung kann sehr allgemein auf Konjunktion oder Disjunktion (besser: Kontravalenz) beruhen (Grundzüge 1981: 780-785). Typische Realisierungsform ist die syndetische oder asyndetische Verknüpfung (Hans gab das Rennen auf, (und/aber) Peter fuhr weiter). 2. Die Verknüpfung drückt eine "ausgezeichnete Relation zwischen Sachverhalten" aus (Grundzüge 1981: 785-818). Ausgezeichnete Relationen sind z. B. Temporal-, Konditional-, Kausal- und Modalbeziehungen, die kommunikativ so wichtig sind, daß es für
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sie besondere Verknüpfungsmittel gibt. Typische Realisierungsform ist der Adverbialsatz (Hans gab das Rennen auf, weil er völlig erschöpft war). Andere Realisierungsformen sind die koordinative Verknüpfung (Hans gab das Rennen auf, denn er war völlig erschöpft), die quasi-koordinative Verknüpfung mittels einer Proform (Hans war völlig erschöpft, daher gab er das Rennen auf), die Partizipialgruppe (Hans gab das Rennen völlig erschöpft auf) und die Substantivgruppe (Hans gab das Rennen wegen völliger Erschöpfung auf). Die Kausalrelation kann zu einer Konsekutivrelation mit Konjunktionalsatz oder weiterführendem relativem Nebensatz umgekehrt werden (Hans war völlig erschöpft, so daß l weshalb er das Rennen aufgab). 3. Die Verknüpfung besteht darin, daß "Sachverhalte als Bestandteile von Sachverhalten" auftreten (Grundzüge 1981: 818-825). Die typische Realisierungsform sind Subjekt- und Objektsätze. Wird in unserem Beispiel die Kausalrelation durch ein Verb ausgedrückt, erscheinen die Argumente dieser Relation als Subjekt- und Objektsatz (Daß Hans völlig erschöpft war, bewirkte, daß er das Rennen aufgab). Andere Realisierungsformen sind die Quasi-Nominalisierung (Hans war völlig erschöpft. Dies bewirkte folgendes: Hans gab das Rennen auf), die Infinitivgruppe und die Substantivgruppe (Die völlige Erschöpfung veranlaßte Hans, das Rennen aufzugeben l zur Aufgabe des Rennens). 4. Die vierte Verknüpfungsform besteht darin, daß "Individuen durch einen Sachverhalt" gekennzeichnet werden (Grundzüge 1981: 826-838). Die typische Realisierungsform ist der Relativsatz (Hans, der völlig erschöpft war, gab das Rennen auf). Hier wird nicht die Kausalrelation zur Grundlage der Verknüpfung gemacht, sondern die Referenzidentität zweier Satzglieder. Alternativen sind die asyndetische Satzreihe mit pronominaler Verknüpfung (Hans gab das Rennen auf, er war völlig erschöpft) sowie die Reduktion sformen mit appositiven oder attributiven Partizipialgruppen (Hans, völlig erschöpft, l Der völlig erschöpfte Hans gab das Rennen auf). Die "Grundzüge" gehen also von logisch-semantischen Relationen aus und fragen, wie sie realisiert werden. Das Verfahren entspricht nicht nur dem Tiefenstrukturkonzept der generativ-transformationellen Grammatik, sondern auch dem traditionellen onomasiologischen Verfahren in der Wortforschung, das von den Gegenständen ausgeht und fragt, wie sie benannt werden. Dem strukturellen Gesichtspunkt wird durch die Annahme typischer Realisierungsformen Rechnung getragen: Die allgemeinen Beziehungen entsprechen den Koordinationen, die ausgezeichneten Beziehungen den Adverbialsätzen, die Sachverhalte als Teile von Sachverhalten den Subjekt- und Objektsätzen und die Kennzeichnung von Individuen durch Sachverhalte den Attributsätzen. Dem Formaspekt wird durch die Aufzählung der verschiedenen Realisierungsformen Rechnung getragen. Das Ergebnis ist eine in sich kohärente Beschreibung der zusammengesetzten Sätze auf logisch-semantischer bzw. onomasiologischer Grundlage.
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5. Mischklassifikation Die Duden-Grammatik von 1984 versteht sich als "mustergültige Verbindung zwischen wissenschaftlicher Forschung und schulischer Vermittlung" (Duden 1984: Vorwort) und wird auch von Rezensenten so gesehen (vgl. Burckhardt 1986, Baudusch 1987). In den älteren Auflagen seit 1959 orientierte sie sich methodisch an der inhaltsbezogenen Grammatik, die als besondere deutsche Variante des europäischen Strukturalismus aufgefaßt werden kann, wie sich vor allem an den Begriffen "Satzglied" und "Satzbauplan" zeigt. Auch im Duden (1984) bildet der Satzgliedbegriff die Grundlage der Syntax des einfachen Satzes, allerdings mit stärkerer Betonung des Formaspekts. Die Darstellung des zusammengesetzten Satzes im Duden (1984: 365-715) gibt diese strukturelle Orientierung jedoch auf. Sie geht in ihrer Konzeption auf den 3. Band einer von H. Glinz begonnenen "Deutschen Grammatik" (1972) zurück, die den Untertitel "Zusammengesetzter Satz und äquivalente Strukturen" trägt und von W. Boettcher und H. Sitta verfaßt wurde; letzterer ist auch der Autor der Duden-Syntax. Dieses Buch verdankt der Transformationsgrammatik die Idee, von zugrundeliegenden inhaltlichen Relationen auszugehen und erst sekundär nach der Realisierung durch sprachliche Formen zu fragen; in dieser Hinsicht stimmt es mit den "Grundzügen" überein. Mit den didaktischen Interessen von H. Glinz korrespondiert die Perspektive, Wahlmöglichkeiten zwischen form verschiedenen, aber äquivalenten sprachlichen Mitteln zu eröffnen. Das Ergebnis ist ein eigenwilliger Versuch, die Beziehungen zwischen Sätzen neu zu beschreiben. Die Verfasser sind sich des experimentellen Charakters ihrer Arbeit durchaus bewußt, wenn sie im Vorwort um "kritische Hinweise sowohl zur Gesamtkonzeption als auch zur Durchführung im Detail" bitten (Boettcher/Sitta 1972: 7). Die Duden-Syntax von 1984 übernimmt den Ansatz von 1972, ohne seine Tragfähigkeit im Rahmen einer eher strukturalistisch orientieren Volksgrammatik neu zu reflektieren. Dies führt zu konzeptionellen Mängeln, deren wichtigste im folgenden benannt seien: 1. Die Syntax des zusammengesetzten Satzes paßt nicht zur Syntax des einfachen Satzes: Der Duden will nach dem "Wert der Beziehung zwischen Hauptsatz und Nebensatz" klassifizieren, weil dieser Gesichtspunkt "von der Sache her der zentrale und zugleich der umfassendste" sei. Dabei könnten "Unterschiede der äußeren Form von Nebensätzen [...] mit beachtet werden", der "Gesichtspunkt des Satzgliedwerts" werde "dagegen eher in den Hintergrund treten" (Duden 1984: 669). Er verkennt dabei, daß es gar nicht auf die "Sache" ankommt (wenn damit die abgebildete Wirklichkeit gemeint ist), sondern auf deren Gestaltung in der Grammatik. Außerdem werden nicht die Inhaltsbeziehungen als solche beschrieben, sondern die Formen, an denen sie angeblich zu erkennen sind. Das strukturelle Kriterium wird ausgeblendet: Die koordinierten Strukturen und die Satzgliedrollen der Nebensätze werden nur in der Einleitung mehr schlecht als recht behandelt. Die Darstellung leidet also daran, daß der beim einfachen Satz dominierende strukturelle Aspekt hier zugunsten des Inhaltsaspekts aufgegeben, dieser aber mit dem Formaspekt vermischt wird.
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2. Die Relativ-, Inhalts- und Verhältnisbeziehungen werden inkonsistent definiert: Die Duden-Grammatik nimmt eine Relativbeziehung dort an, "wo der Nebensatz durch ein Relativpronomen oder eine Relativpartikel eingeleitet ist und die beiden Teilsätze durch eine gemeinsame Stelle miteinander verbunden sind" (Duden 1984: 671). Die Inhaltsbeziehungen werden definiert durch eine Liste von Anschlußmerkmalen, die fast das ganze Spektrum möglicher Satzarten umfaßt. Ein gemeinsames Inhaltsmerkmal taucht erst bei der Abgrenzung der Inhaltssätze von den Verhältnissätzen auf: Inhaltssätze seien nicht "unabhängig von der jeweiligen inhaltlichen Füllung des dominanten Satzes" (Duden 1984: 691). Nur die Verhältnissätze werden - aus Mangel an geeigneten Formkriterien - primär inhaltlich definiert: Sie würden "ihren Inhalt gewissermaßen in einem freieren Verhältnis auf den Hauptsatz beziehen" (Duden 1984: 691). Das Inhaltskriterium für die Relativbeziehungen, die "gemeinsame Stelle" zweier Sätze, besteht nicht nur zwischen Haupt- und Relativsatz, sondern grundsätzlich zwischen allen Sätzen, bei denen Satzteile referenzidentisch sind. Liegt diese Voraussetzung vor, kann unter bestimmten Bedingungen anaphorisiert, relativiert oder gar adjektiviert werden: Hans gab das Rennen auf. Hans war völlig erschöpft l Hans gab das Rennen auf, er war völlig erschöpft l Hans, der völlig erschöpft war, gab das Rennen auf l Hans, völlig erschöpft, gab das Rennen auf l Der völlig erschöpfte Hans gab das Rennen auf. Das zuerst genannte Formmerkmal "Relativpronomen oder Relativpartikel" hindert jedoch daran, diese inhaltlichen Zusammenhänge vollständig zu erfassen. Der Unterschied zwischen Inhalts- und Verhältnissätzen wird allenfalls vage angedeutet. Tatsächlich ist die Stelle, in die ein Satz eintritt, bei Inhaltssätzen valenzbedingt, d. h. ihrem inhaltlichen Charakter nach von der Bedeutung des regierenden Verbs, Adjektivs oder abstrakten Substantivs abhängig, bei den Verhältnissätzen aber nicht valenzbedingt, sondern wie bei den autosemantischen Adverbialien frei wählbar. Die mangelnde Unterscheidung zwischen valenzbedingten und freien Nebensätzen macht es unmöglich, Satzgefüge zu erfassen, in denen sich mehrere Beziehungen überlagern. Bei Relativsätzen ohne Bezugswort im Hauptsatz wird nur die Relativbeziehung gesehen, aber nicht die Beziehung des ganzen Satzes zum übergeordneten Hauptsatz. So wird der Nebensatz in Wer diese Auffassung vertritt, ist ein Verbrecher als "uncharakterisierter" und "notwendiger" "Relativsatz" beschrieben (Duden 1984: 673), aber nicht in seiner Rolle als Subjektsatz erfaßt. Unerklärt bleibt auch der Fall, in dem eine valenzbedingte Inhaltsbeziehung von einer freien Verhältnisbeziehung überlagert ist, z. B. in Es würde mich freuen, wenn ich ihn sehen würde. Der Duden nimmt eine Inhaltsbeziehung an und warnt davor, diese "zu verwechseln mit konditionalem Anschluß bei den Verhältnissätzen" (Duden 1984: 685), unterliegt aber selbst dieser Verwechslung. Daß es sich um einen echten Konditionalsatz als Verhältnissatz handelt, zeigen die folgenden Umformungen: *Wenn ich ihn sehe, würde mich freuen II Daß ich ihn sehe l Ihn zu sehen, l Sein Anblick würde mich freuen II Ihn zu sehen l Daß ich ihn sehe, l sein Anblick würde mich freuen, wenn ich ihm begegnen würde. Der wenn-Satz ist nicht Subjekt und damit auch nicht Inhalts-
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satz, weil er im Gegensatz zum daß-Satz nicht ohne Subjekt-Pronomen (es, das) stehen, aber - mindestens bei stilistischer Variation - mit einem daß-Satz kombiniert werden kann. Zum Subjekt besteht keine grammatische, sondern nur eine anaphorische Beziehung. 3. Sekundäre und irrelevante Unterscheidungen verwirren den Benutzer: Bei der Unterscheidung von notwendigen und nichtnotwendigen Relativsätzen werden z. B. syntaktische Notwendigkeit, logisch-semantische Notwendigkeit und kommunikative Notwendigkeit vermengt. In Wer diese Auffassung vertritt, ist ein Verbrecher ist der Relativsatz als Subjekt grammatisch notwendig. In Ein Mensch, der diese Auffassung vertritt ist der Relativsatz als Attribut zu Mensch zwar grammatisch frei, aber referentiell notwendig, da er den Begriff 'Mensch' restriktiv determiniert (vgl. Duden 1984: 673). In Wodurch sie Bewunderung erregt, dadurch hatte schon ihre Mutter gewirkt ist der Relativsatz weder grammatisch noch semantisch notwendig, hat aber insofern kommunikative Notwendigkeit, als er den Bezug für eine Proform bildet (vgl. Duden 1984: 675). Ebenso ist die Unterscheidung zwischen faktischen, referierenden, modalen und die Offenheit des Sachverhalts darstellenden Inhaltsbeziehungen sekundär und weitgehend grammatisch irrelevant, weil sie aus der Semantik des Prädikats folgt, das die Valenzstellen eröffnet. Der Subjektsatz in Es ist wichtig, daß sie einmal kommt ist nicht schon deswegen modal (Duden 1984: 690), weil das Adjektiv wichtig aufgrund seiner lexikalischen Bedeutung den im Subjekt bezeichneten Sachverhalt bewertet. Mehr noch als die Forschung lebt die Lehre von der Klarheit ihrer Begriffe. Wenn die Duden-Grammatik ihren eigenen Ansprüchen tatsächlich genügen will, bedarf das Kapitel über den zusammengesetzten Satz einer grundlegenden Revision.
Literatur Baudusch, R. (1987): "Rez. von Duden (1984)". - In: ZPSK 40/4, 557-560. Boettcher, W. / Sitte, H. (1972): Deutsche Grammatik. III: Zusammengesetzter Satz und äquivalente Strukturen. - Frankfurt a. M.: Athenäum. Burckhardt, A. (1986): "Die Neuauflage der Duden-Grammatik". - Der Deutschunterricht 2, 51-63. Claius, J. (1578): Gramtnatica Germanicae linguae. - Neuausgabe: Deutsche Grammatik. Hrsg. von F. Weidling. - Straßburg: Trübner, 1894. Dal, I. (1952): Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage. - Tübingen: Niemeyer, 2. A. 1962. Dionysios Thrax (1987): "Das Lehrbuch des Grammatikers Dionysios". Übers, von W. Kürschner nach der von G. Uhlig herausgegebenen Ausgabe, Leipzig 1883. - In: Weber, H. (ed.): Formen der Grammatik. Grammatische Texte aus zwei Jahrtausenden. Tübingen [vervielf.], 1-18. Duden (1959). Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Bearb. von P. Grebe u. a. - Mannheim: Bibliographisches Institut, 3. A. 1973. Duden (1984). Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg. und bearb. von G. Drosdowski u. a. - 4. völlig neu bearb. und erw. A. Mannheim: Bibliographisches Institut. Eisenberg, P. (1986): Grundriß der deutschen Grammatik. - Stuttgart: Metzler, 2. A. 1989. Engel, U. (1988): Deutsche Grammatik. - Heidelberg: Groos.
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Flämig, W. (1991): Grammatik des Deutschen. Einführung in Struktur- und Wirkungsnisammenhänge. Erarbeitet auf der theoretischen Grundlage der "Grundzüge". - Berlin: Akademie Verlag. Glinz, H. (1947): Geschichte und Kritik der Lehre von den Satzgliedern in der deutschen Grammatik. - Diss. Bern: Buchdruckerei Büchler. Grundzüge der deutschen Grammatik (1981). Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von K. E. Heidolph u. a. - Berlin: Akademie Verlag. Heidolph, K. E. (1990): "Grundzüge einer deutschen Grammatik. 2. A. Berlin 1984 (1981)'. - In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 16 (München: iudicium) 182-190. Heringer, H. J. (1988): Lesen lehren lernen. Eine rezeptive Grammatik des Deutschen. - Tübingen: Niemeyer. - (1989): Grammatik und Stil. Praktische Grammatik des Deutschen. - Frankfurt a. M.: Cornelsen Hirschgraben. Hundsnurscher, F. (1990): "Syntaxwandel zur Gottsched-Zeit". - In: Betten, A. (ed.): Neuere Forschungen zur historischen Syntax des Deutschen. Referate Eichstätt 1989 (Tübingen: Niemeyer) 422-38. Ries, J. (1894): Was ist Syntax?. - Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 3. A. 1967. Scaglione, A. (1981): Komponierte Prosa von der Antike bis zur Gegenwart. I: Klassische und westeuropäische Sprachen. II: Die Theorie der Wortstellung im Deutschen. - Stuttgart: Klett-Cotta. Tesniere, L. (1959): Etements de syntaxe structurale. - Paris: Klincksieck, 2. A. 1966. Übers.: Grundzüge der strukturalen Syntax. Übers, von U. Engel. - Stuttgart: Klett-Cotta, 1980.
SEMANTIK
"DIE BEDEUTUNG EINES WORTES IST DAS, WAS DIE ERKLÄRUNG DER BEDEUTUNG ERKLÄRT"* Wittgenstein und die Gebrauchstheorie der Bedeutung Susanne Beckmann
1. "Die These, daß Gebrauch gleich Bedeutung sei", konstatiert von Savigny in der Neubearbeitung seines Buches "Die Philosophie der normalen Sprache", sage "über die Ablehnung der Gegenstandstheorie hinaus gar nichts". Sie sei "so hoffnungslos unbestimmt, daß man zur Charakterisierung von Wittgensteins Sprachphilosophie am besten auf sie verzichtet ]". (Vgl. von Savigny 1993: 74) Diese Auffassung, die durchaus repräsentativ für die Einschätzung der Tragfähigkeit von Wittgensteins Bedeutungstheorie ist, soll im folgenden widerlegt werden. Es soll dargestellt werden, daß die Äußerungen Wittgensteins zur Gebrauchstheorie der Bedeutung auf dem Hintergrund seiner Spätphilosophie durchaus sinnvoll und stringent interpretiert werden können. Wenn der Name Wittgenstein im Zusammenhang mit Bedeutungstheorie oder Semantik fällt, so beziehen sich die Autoren in der Regel auf den §43 der "Philosophischen Untersuchungen", in dem es bekanntlich heißt: 43. Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes »Bedeutung« - wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch, daß man auf seinen Träger zeigt.
(PU: 262f.)
Wie diese Sätze im Rahmen der Wittgensteinschen Philosophie zu verstehen sind und welcher Stellenwert ihnen in einer Gebrauchstheorie der Bedeutung zukommen könnte, das scheint trotz zahlreicher Klärungsversuche noch nicht gelöst zu sein. Von Savigny, der in seinem Kommentar zu Wittgensteins "Philosophischen Untersuchungen" eine ganze Reihe von Lesarten dieses Paragraphen anführt, formuliert drei Hauptfragen, anhand derer sich die wesentlichen Positionen voneinander unterscheiden lassen (von Savigny 1988: 85f.): (1) Geht es nur um Wortbedeutung, pder ist die Bemerkung generalisierbar gemeint? (2) Wie wird die Theorie durch [...] Satz l eingeschränkt? (3) Geht es um die Bedeutung oder um das Wort "Bedeutung"?
Liest man den Paragraphen zunächst bis zum Doppelpunkt, ist man erstaunt, wieviel verschiedene Lesarten dieser Satz herausgefordert hat: Wörtlich genommen ist es wenig fragwürdig, daß hier etwas über das Wort "Bedeutung", genauer über die "Benützung des Wortes »Bedeutung«" gesagt wird, dafür spricht nicht zuletzt auch die Markierung von Bedeutung durch Anführungszeichen und das Demonstrativpronomen "dieses". Der Folgesatz ist durch einen Doppelpunkt angeschlossen, er wird als Erklärung bzw. als Erklärung des Wortes
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'Bedeutung' eingeführt. Hier wird weder eine allgemeine Theorie der Bedeutung noch eine Theorie der Wortbedeutung gegeben: das Explicandum ist das W o r t 'Bedeutung'. Die Tendenz der Rezipienten, diesen Satz als Definition des Begriffs 'Bedeutung' zu lesen,1 könnte u. a. auch damit zusammenhängen, daß in der englischen Ausgabe das Wort 'erklären' mit 'define' wiedergegeben ist,2 allerdings finden sich solche Verallgemeinerungen nicht nur bei angelsächsischen Autoren. Eine Definition zu geben - Definition im klassischen Sinn als geordnete und vollständige Einführung eines Begriffs - entspricht aber in keiner Weise Wittgensteins Intention, basiert eine Definition doch auf der begrifflichen Struktur von Sprache, gegen die sich Wittgenstein verschiedentlich gewandt hat: Die Vorstellung von einem Allgeroeinbegriff als einer gemeinsamen Eigenschaft seiner einzelnen Beispiele ist mit anderen primitiven, allzu einfachen Vorstellungen von der Struktur der Sprache verbunden. Sie ist mit der Vorstellung vergleichbar, daß Eigenschaften Bestandteile von den Dingen sind, die die Eigenschaften haben; z. B. daß Schönheit ein Bestandteil aller schönen Dinge ist [...]. (BB: 37f.)
Fragen wie 'Was ist eigentlich ein Wort?' oder 'Was ist Bedeutung?' zielen letztlich auf eine Wesensdefinition, sie sind für Wittgenstein Beispiele für die "Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache" (PU §109: 298f.). In §116 der "Philosophischen Untersuchungen" heißt es: 116. Wenn die Philosophen ein Wort gebrauchen - »Wissen«, »Sein«, »Gegenstand«, »Ich«, »Satz«, »Name« und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muß man sich immer fragen: Wird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück. (PU: 300)
Dieses Zurückführen auf die alltägliche Sprache ist zunächst genau das, was Wittgenstein in §43 tut, wenn er nicht nach dem Wesen von 'Bedeutung' fragt, sondern mögliche Erklärungen für die Verwendung des Wortes 'Bedeutung' anbietet. Im "Blauen Buch" heißt es: "Wenn du zuerst fragst »Was ist eine Erklärung der Bedeutung?«, so hat das zwei Vorteile. Du holst die Frage »Was ist eine Bedeutung?« gewissermaßen auf die Erde herunter." (BB: 15) »Laßt uns fragen, was die Erklärung der Bedeutung ist, denn was immer dadurch erklärt wird, wird die Bedeutung sein.« Das Studium der Grammatik des Ausdruckes »Erklärung der Bedeutung« wird dich über die Grammatik des Wortes »Bedeutung« aufklären und dich von der Versuchung heilen, dich nach einem Gegenstand umzusehen, den du »Bedeutung« nennen kannst. (BB: 15)
Wittgenstein geht es nicht vordringlich darum, eine Theorie der Bedeutung zu entwerfen, seine Bemerkungen sind vielmehr heuristischer Art. Als eine wesentliche Pointe des Wittgensteinschen Philosophierens kann der Versuch angesehen werden, die philosophischen Probleme selbst zu reduzieren, Fragen anders zu stellen: "Die Betrachtung muß gedreht werden", heißt es in den "Philosophischen Untersuchungen", "aber um unser eigentliches Bedürfnis als Angelpunkt" (PU §108: 298). Noch einmal zurück zu §43: Welche Einschränkungen nimmt Wittgenstein in seiner Aussage vor, wenn er von einer "großen Klasse von Fällen" spricht und hinzufügt: "wenn auch nicht für alle Fälle" der Benützung des Wortes 'Bedeutung'. Während eine Frage wie
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'Welche Bedeutung hat dieses Wort?' paraphrasiert werden könnte mit 'Welchen Gebrauch hat dieses Wort?', lassen sich andere Fälle der Verwendung des Wortes 'Bedeutung' denken, die nicht mit dem von Wittgenstein gegebenen Beispiel illustriert werden könnten: Das Wort 'Bedeutung' in einer Äußerung wie 'Das ist für mich ohne Bedeutung' könnte z. B. nicht entsprechend erklärt werden. Der durch das "Und" angeschlossene Satz wird in den Interpretationen dieses Paragraphen in der Regel ausgelassen, selbst in dem Kommentar der "Philosophischen Untersuchungen" von Hallett (1977) fehlt eine entsprechende Erläuterung. Meines Erachtens stellt dieser Satz einen Erklärungsvorschlag eines Falles dar, der durch die zuvor gegebene Erklärung nicht erfaßt wird; die Bedeutung eines Namens kann dadurch erklärt werden, "daß man auf seinen Träger zeigt", aber der Name wird - wie Wittgenstein in §45 ausführt - "nicht mit der hinweisenden Geste verwendet, sondern nur durch sie erklärt" (PU §45: 263). Wenn man davon ausgeht, daß Wittgenstein ja auch mit dem ersten Satz nur eine mögliche Erklärung des W o r t e s 'Bedeutung' anbietet, ergeben sich auch keine weiteren Kohärenzprobleme. Auffallend bleibt dennoch der einschränkende Gestus dieses Paragraphen: Es wird nicht gesagt, was 'Bedeutung' ist, sondern wie man das W o r t 'Bedeutung' erklären kann, und dann werden zwei Erklärungen angeführt, die lediglich den Status möglicher Erklärungen haben. Diese Vorgehensweise mag zunächst befremden, befriedigt sie doch in keiner Weise das Bedürfnis nach Systematik und Vollständigkeit. Das ist aber auch nicht Wittgensteins Intention. Wittgenstein hat sein Vorgehen an verschiedenen Stellen seines Werkes gerechtfertigt: So wirft er Sokrates vor, sich mit der Antwort seines Schülers nicht zufriedengegeben zu haben, der auf die Frage nach dem Wesen der Erkenntnis lediglich einige Beispiele vorzubringen wußte.3 (Vgl. BB: 41f.) Noch deutlicher wird der Status von Beispielen in §69 der "Philosophischen Grammatik": 69 [...] Wenn ich frage: »wie ist der allgemeine Begriff des Satzes begrenzt«, so muß dagegen gefragt werden: »ja, haben wir denn einen allgemeinen Begriff von Satz?« »Aber ich habe doch einen bestimmten Begriff von dem, was ich 'Satz' nenne.« - Nun, wie würde ich ihn denn einem Ändern, oder mir selbst, erklären? Denn in dieser Erklärung wird sich ja zeigen, was mein Begriff ist (ein das Wort 'Satz' begleitendes Gefühl geht mich ja nichts an). Ich würde den Begriff durch Beispiele erklären. [...] (PG: 112)
Indem der Begriff nur als Erklärung Realität hat, verliert er gerade das, was ihn traditionell bestimmte, nämlich etwas der Anschauung Entgegengesetztes zu sein, im Sinne Kants eine Vorstellung dessen, was mehreren .Objekten gemein ist. Traditionell wird der Begriff auf der Ebene des Geistes angesiedelt, er repräsentiert etwas Allgemeines, Abstraktes. Für Wittgenstein hingegen existiert der Begriff nur im Besonderen, im Konkreten, im einzelnen Beispiel, das der Erklärende gibt. Es ist also wenig ratsam, in Wittgensteins Werk nach einer Definition des Begriffs 'Bedeutung' zu suchen, denn was er allgemein über den Status von Begriffen sagt, gilt in besonderer Weise für sein eigenes Verfahren im Umgang mit philosophischen Begriffen. Und so darf man sich nicht wundem, daß man sehr häufig auf ein Beispiel stößt, wo man allgemeine und umfassende Aussagen erwartet. Auch für die Bedeutungsexplikation spielt - wie
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später noch zu zeigen sein wird - Wittgensteins Auffassung vom Begriff und die Ablehnung von abstrakten Konzepten eine wichtige Rolle. Von Savigny (1988: 85) kritisiert daher zu Recht, daß die Gebrauchstheorie, wenn sie sich auf Wittgenstein bezieht, den Satz "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch" zu sehr exponiere. Doch die Tatsache, daß dieser Satz zum Slogan avancierte, bedeutete nicht, daß geklärt worden war, was man unter 'Gebrauch' zu verstehen habe: Im Zusammenhang mit dem Sprachspielbegriff hat man sich die Frage gestellt, wie man denn Regeln des Gebrauchs formulieren könne. Ein naheliegender Weg war, Gebrauch mit Handlung zu identifizieren, wie Heringer dies in seiner Auslegung Wittgensteins tut. In seinem 1974 erschienenen Buch "Praktische Semantik" heißt es: In ihr [gemeint ist die Gebrauchstheorie Wittgensteins, S. B.] wird die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens als die Regel seines Gebrauchs angesehen. Damit ist [...] die Sprache in den Zusammenhang des gesamten menschlichen Handelns gestellt, weil der Gebrauch eben dieses menschliche Handeln ist [...]. (Heringer 1974: 18f.)
Damit ist ein enger Zusammenhang zwischen Regel, Gebrauch und Handlung hergestellt, ein Zusammenhang, der bis heute für viele Untersuchungen bestimmend bleibt. (Vgl. z. B. Weigand 1993) Das Bedeutungsproblem über den Handlungsbegriff zu lösen, hat aber einige Tücken: Ist die Kopplung zwischen Wort und Handlung eng, wie in frühen sprachanalytischen Arbeiten von Ryle4 (1949/1975: 69) oder Hare (1952: 79ff.), so ergibt sich das, was Searle den Spechakt- und Behauptungsfehlschluß nennt, das heißt die falsche Annahme, man könne über den Gebrauch eines Wortes auf die Handlung schließen. (Vgl. Searle 1969/1988: 207ff.; vgl. auch Rolf 1992: 54ff.) Searle ist in seiner Kritik Recht zu geben, daß die frühen sprachanalytischen Philosophen noch über keinen hinreichenden Satzbegriff verfügten. Solche gravierenden Fehler wurden in späteren Untersuchungen nicht mehr gemacht, allerdings ist der Erklärungswert auch geringer. Heringer (1974) weist in seinem Buch "Praktische Semantik" zwar überzeugend nach, daß der Handlungszusammenhang ein wesentliches Kriterium für die Bedeutungskonstituierung ist, aber der spezifische Zusammenhang zwischen Handlung und Äußerungsform bleibt offen. Für die semantische Analyse sprachlicher Ausdrücke ist damit noch wenig geleistet. Der Zusammenhang kann auch nur in der Weise hergestellt werden, daß den Sprechhandlungen mögliche Äußerungsformen zugeordnet werden. Die Fragestellung, die einer solchen Form der Untersuchung zugrunde liegt, ist: 'Mit welchen Äußerungen läßt sich eine Handlung vollziehen?' 2. Ohne diese Methode des Vorgehens generell in Zweifel ziehen zu wollen, möchte ich noch einmal auf Wittgenstein zurückkommen und fragen, ob eine Bedeutungsbeschreibung im Sinne Wittgensteins notwendigerweise eine Regelbeschreibung sein muß und welche Form eine solche Regelbeschreibung annehmen kann.
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§23 der "Philosophischen Grammatik" liefert hier einige Hinweise: 23 Ich will erklären: der Ort eines Wortes in der Grammatik ist seine Bedeutung. Ich kann aber auch sagen: Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt. [...] Die Erklärung der Bedeutung erklärt den Gebrauch des Wortes. Der Gebrauch des Wortes in der Sprache ist seine Bedeutung. (PG: 59f.)
Wittgenstein geht hier von einem engen Zusammenhang zwischen der Bedeutung eines Wortes, seinem Gebrauch und der Erklärung aus. In der Fortsetzung des Paragraphen wird dann über den Status der Grammatik gesprochen und eine Beziehung zur Regel hergestellt: Die Grammatik beschreibt den Gebrauch der Wörter in der Sprache. Sie verhält sich also zur Sprache ähnlich wie die Beschreibung eines Spiels, wie die Spielregeln, zum Spiel. (PG §23: 60) Diese Analogie zum Spiel kann leicht verwirren, denn nicht alles, was in einem Spiel als Regelvermittlung vorkommt, kann ohne weiteres auf die Sprache übertragen werden.5 Waismann analysiert dieses Verhältnis, indem er zunächst das Vorkommen von Regeln am Beispiel des Schachspiels erläutert. Er unterscheidet im wesentlichen zwischen drei Fällen: 1) 2)
Die Regem finden sich irgendwo aufgezeichnet (Schachbuch). Wo ein Regel Verzeichnis fehlt, da können wir den Spider fragen, an welche Regel er sich in einem bestimmten Fall hält. Die Regel ist dann das, was er, nach der Regel gefragt, zur Antwort gibt. [...]
3) Die Regeln eines Spiels kann man aus der Praxis ablesen. (Waismann 1976: 217ff.) Übertragen auf die Sprache, entspricht der erste Punkt dem, was man mit einer traditionellen normativen Grammatik verbindet, nämlich die Anweisung zum richtigen Gebrauch der Sprache. Das ist aber nicht das, was Wittgenstein meint, wenn er von Grammatik und Regel spricht. Der späte Wittgenstein polemisiert gegen die Vorstellung, daß die Grammatik den Gebrauch vorschreibe, genauso wie gegen die Vorstellung, daß man ein exaktes Regelverzeichnis für den Gebrauch angeben könne. Die weiteren von Waismann angeführten Punkte erlauben jedoch eine Analogie zur Sprache: Das Lernen von Regeln durch die Praxis ist der typische Fall des natürlichen Spracherwerbs, und die Frage an den Spieler, welchen Regeln er gefolgt sei, hat ihre Analogie in der Bedeutungserklärung. Die Bedeutungserklärung hat bei Wittgenstein den Status einer Regelbeschreibung, deshalb hat sie ihren Ort nicht nur im natürlichen Gespräch, sondern auch in der Grammatik, Grammatik allerdings nicht verstanden als normative Grammatik, sondern im Sinne Wittgensteins als Beschreibung des Gebrauchs. So kommt der Erklärung bei der Bedeutungsbeschreibung eine zentrale Funktion zu, Wittgenstein kann deshalb prononciert sagen: "»Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt«" (PU §560: 449). Dieser Satz mag jenen zirkulär erscheinen, die das Bedeutungsproblem jenseits der alltäglichen Sprache zu situieren gewohnt sind, wie den Vertretern der Vorstellungstheorie oder bestimmter Richtungen der Referenztheorie. Für Wittgenstein kann die Philosophie aber nicht eine größere Allgemeinheit, ein höheres Abstraktionsniveau erreichen als die Alltagssprache. (Vgl. PG §77: 121; PU §124: 302) Daher kann jemand, der nach der Bedeutung fragt, nur wieder auf etwas Sprachliches
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verwiesen werden, auf das, was man 'Erklärung der Bedeutung' nennt. "Kümmern wir uns nur um das, was die Erklärung der Bedeutung heißt, und um die Bedeutung sonst in keinem Sinne." (PG §32: 69) Indem Wittgenstein die Frage nach der Bedeutung als eine Frage nach der Erklärung ausweist, situiert er das Bedeutungsproblem in einen lebensweltlichen Kontext. Die Frage lautet nicht mehr 'Was sind Bedeutungen', sondern 'Wie begegnet uns das Bedeutungsproblem in alltäglichen Verständigungssituationen'. Damit stellen sich einige Aspekten völlig anders dar, so z. B. Ziel und Reichweite der Bedeutungserklärung: Bedeutungserklärungen dienen dazu, Mißverständnisse auszuräumen. Die natürlichsprachliche Erklärung ermöglicht Verstehen, und nur in diesem Zusammenhang ist sie für Wittgenstein von Interesse. (Vgl. hierzu auch Baker/Hacker 1980: 82) In §39 der "Philosophischen Grammatik" bemerkt Wittgenstein, daß die Erklärung der Bedeutung eines Wortes einen "Effekt" habe, "ähnlich dem »Weiterwissen«, wenn man jemandem den Anfang eines Gedichtes sagt" (PG: 80). Die Erklärung setzt also nicht bei der absoluten Unkenntnis einer Sprache an, derjenige, der nach der Bedeutung fragt, weiß in der Regel schon etwas, er ist imstande, seine Frage zu formulieren. (Vgl. PU §120: 301) Probleme beim Spracherwerb hingegen sind nicht der typische Fall einer natürlichsprachlichen Bedeutungserklärung. Die Weise, wie wir die Sprache erlernten, ist in ihrem Gebrauch nicht enthalten. (Wie die Ursache eben nicht in ihrer Wirkung.) (PG §39: 80)
Nach Wittgenstein lernt man Sprache hauptsächlich durch 'Ablichtung': Bedeutungserklärungen spielen dort eine nur untergeordnete Rolle. Indem das Bedeutungsproblem in natürlichen sprachlichen Kontexten angesiedelt wird, ist gleichzeitig auch ein anderes fundamentales Prinzip berührt, nämlich das der Vollständigkeit der Bedeutungsexplikation. Für Wittgenstein ergibt sich dies schon allein aus der Tatsache, daß Bedeutungen nicht in Form von Konzepten vorliegen: 75 Man denkt sich die Bedeutung als etwas, was uns bei dem Wort vorschwebt. Was uns bei dem Wort vorschwebt charakterisiert jedenfalls die Bedeutung. Was mir aber vorschwebt ist ein Beispiel, ein Fall der Anwendung des Worts. Und das Vorschweben besteht nicht eigentlich darin, daß, wenn immer ich das Wort ausspreche oder höre eine bestimmte Vorstellung gegenwärtig ist, sondern daß mir, wenn ich nach der Bedeutung des Wortes gefragt werde, Anwendungen des Wortes einfallen. [...] (PG: 118f.)
Wir erklären Wörter, indem wir Beispiele geben, indem wir Anwendungen nennen. Es kann im Sinne Wittgensteins keine metasprachliche Explikation von Bedeutungen geben, und es können auch keine Regeln des Regelgebrauchs formuliert werden. (Vgl. PG §72: 115) "Gesprochenes kann man durch die Sprache erklären, drum kann man die Sprache selbst, in diesem Sinn, nicht erklären". (PG §2: 40) 3. Es sollte gezeigt werden, daß zwischen den Aussagen Wittgensteins zur Bedeutung und ihrer Interpretation durch die traditionelle Gebrauchstheorie Differenzen bestehen, die vor
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allem dadurch zustande kommen, daß der Satz "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache" zur alleinigen Grundlage einer Bedeutungstheorie gemacht wurde, ohne daß der Stellenwert, den dieser Satz im Werk Wittgensteins einnimmt, hinreichend berücksichtigt wurde. Während in den vorliegenden Arbeiten zur Gebrauchstheorie die Semantik eher aus dem Blickwinkel der Pragmatik beschrieben wird, sollte hier der Schwerpunkt auf dem liegen, was Wittgenstein "Erklärung der Bedeutung" nennt. Damit ergibt sich - vor allem bei der Interpretation des Regelbegriffs - eine inhaltliche Verschiebung, die nicht nur Auswirkungen auf die theoretische Konzeption hat, sondern auch Veränderungen bei der praktischen Arbeit am Material mit sich bringt. Eine so verstandene gebrauchstheoretische Semantik hätte vorrangig Formen der natürlichsprachlichen Erklärung zu analysieren und ihre Übertragbarkeit auf die Analyse des sprachlichen Materials zu überprüfen.6
Anmerkungen * 1 2 3 4
5
6
PG §23: 59 Vgl. Pitcher (1964: 249); Stegmüller (1989: 577). Vgl. hierzu die Übersetzungskritik von Hallett (1977: 122). Wittgenstein bezieht sich hier auf "Theaitetos" 146 D-7C. "In their most ordinary employment 'voluntary' and 'involuntary' are used, with a few minor elasticities, as adjectives applying to actions which ought not to be done." (Ryle 1949/1975: 69) Thiele (1990: 140ff.) hat in ihrem Aufsatz zu Wittgensteins Gebrauchstheorie sehr überzeugend dargelegt, daß es Wittgenstein in seiner Spätphilosophie eher darum ging, die Grenzen der Analogie zwischen Sprache und Spiel aufzuzeigen. Einen ähnlichen Ausgangspunkt hat auch die Untersuchung zur Adjektivsemantik von Hundsnurscher/Splett (1982), jedoch wird dort vor allem eine der möglichen Erklärungsformen, die Paraphrase, in den Mittelpunkt gerückt. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Aufsatz von Hindelang (1980), der die verschiedenen Gebrauchsweisen von das heißt untersucht.
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INKOMPATIBILITÄTEN ALS ÜBERSETZUNGSPROBLEM
John D. Gallagher
Vorbemerkungen Ziel dieser Untersuchung ist es, ein wenig Licht in das Halbdunkel zu bringen, in dem der Übersetzer sprachliche Einheiten verschiedener Art und Größe einander zuzuordnen trachtet. Im Vordergrund des Interesses stehen drei Fragen: (1) Inwieweit sind Inkompatibilitäten ein Übersetzungsproblem? (2) In welchen Bereichen sind ernstliche Schwierigkeiten zu erwarten? (3) Wie können solche Schwierigkeiten behoben werden? Inkompatibilitäten sind vor allem deswegen ein Übersetzungsproblem, weil der Übersetzer stets damit rechnen muß, daß verschieden sprachliche Einheiten, die auf den ersten Blick vergleichbarerscheinen, unterschiedlichen Verträglichkeitsbeschränkungen unterliegen. Erschwerend kommt hinzu, daß solche interlingualen Divergenzen in aller Regel nicht voraussehbar und nicht hinreichend erforscht sind. Übersetzungsschwierigkeiten, die auf Inkompatibilitäten zurückzuführen sind, können sowohl auf der Wortebene als auch auf der Satz- und Textebene auftreten und lassen sich meist nur mit Hilfe zeitaufwendiger synchronisch-vergleichender Untersuchungen überwinden. Um diese Schwierigkeiten möglichst anschaulich darzustellen, möchte ich im folgenden vier Problemkomplexe in gebotener Kürze erörtern: (1) Wortbildungskonventionen, (2) Kollokationen, (3) die Fügungswerte der Wörter, (4) den Aktivitätsgrad der Geschehensträger. Meine Argumentation wird sich auf Demonstrationsbeispiele aus englischen, französischen und deutschen Originaltexten stützen. 1. Wortbildungskonventionen Im Bereich der Wortbildung gibt es eine Grauzone, in der Wortbildungskonventionen nur in beschränktem Maße Voraussagen über die Erwartbarkeit bestimmter Wortbildungserscheinungen erlauben. Diese Übergangszone ist für den Übersetzer eine Quelle ständiger Gefahr. Nehmen wir zum Beispiel das deutsche Substantiv Mauerschützenprozeß. Diese Augenblicksbildung, die im Jahre 1991 aus einem momentanen Bedarf heraus nach produktiven Wortbildungsregeln geprägt wurde, ist inzwischen zu einem festen inhaltlich-begrifflichen Bestandteil der deutschen Gegenwartssprache geworden. Es handelt sich um ein ganz normales mehrgliedriges Determinativkompositum, dessen Erstglied (Mauerschützen-) die Angeklagten bezeichnet.
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Mauerschützenprozeß läßt sich im Englischen nicht wörtlich wiedergeben, obwohl endozentrische Komposita in der englischen Gegenwartssprache zuhauf vorkommen und englische Journalisten vor absonderlichen Ad-hoc-Bildungen wie acid-bath wife nicht zurückschrecken: (1) Man 'found in bed with acid-bath wife' (The Independent, 1.2.1992: 3)
Bisher hat man weder für Mauerschütze noch für Mauerschützenprozeß ein Direktäquivalent geprägt, weil die Lexeme wall, marksman und trial zueinander inkompatibel sind. Zum Ausgleich solcher Bezeichnungslücken verwendet man daher variable Wortverbindungen, die sich dem Überschneidungsbereich zwischen Lexik und Syntax zuordnen lassen. (2) Five months after it began, the trial of former East German border guards from the Berlin Wall wound up with the sentencing of two of the accused. (The European, 24-30.1.1992: 7)
Beim Übersetzen aus dem Deutschen ins Französische stößt man auf ähnliche Schwierigkeiten, weil das Französische im Gegensatz zum Deutschen nur eine begrenzte Anzahl von Komposita durch Lexemreihung zustandezubringen vermag. Das Wort Mauerschütze wird gelegentlich mit tireur du mur übersetzt. Der Bezug zwischen den Substantiven tireur und mur wird also durch die Präposition de verdeutlicht. (3) Honecker et les tireurs du mur etaient-ils done dans leur "bon droit"? (Liberation, 31.7.1992: 11) Die Wiedergabe des Kompositums Mauerschützenprozeß erweist sich jedoch als ungleich schwieriger. In diesem Fall greift der Sprachbenutzer auf präfabriziertes Ausdrucksmaterial zurück und verwendet variable syntaktische Gruppen, in denen die Bedeutungsbeziehungen zwischen den Entsprechungen von Mauerschützen- und -prozeß durch Präpositionen, Adjektive, Partizipialkonstruktionen u. dgl. verdeutlicht werden. (4) Le parquet de Berlin a annonce*, mardi 21 Janvier, qu'il interjetaitappel du jugement prononco la veilie ä Tissue du premier proces centre quatre anciens gardes-frontieres est-allemands responsables de tirs effectuis contre une personne qui avait tente1 de franchir le Mur de Berlin. (Le Monde, 23.1.1992: 6) (5) Mais le 20 Janvier 1992, dans le premier proces intentd a d'anciens gardes-frontieres pour avoir tue" des fugitifs, le tribunal de Berlin decide d'infliger des peines exemplaires de trois ans et demi de prison ferme et de deux ans avec sursis ä deux Allemands de l'Est qui n'avaient a l'opoque fait qu'obelr aux ordres. (Le Monde, 31.7.1992: 3)
Es liegt auf der Hand, daß das gehäufte Vorkommen von Mehrwortlexemen, die mit syntaktischen Fügungen wiedergegeben werden, erhebliche Übersetzungsschwierigkeiten auf der Textebene verursachen kann, vor allem wenn zahlreiche Satzglieder umgestellt werden müssen, um Kohäsion und Kohärenz aufrechtzuerhalten. Der Mangel an Raum verbietet es mir jedoch, hierauf mit gebührender Ausführlichkeit einzugehen. 2. Kollokationen Wir kommen nun zu unserem zweiten Problemkomplex: Kollokationen. Die einwandfreie translatorische Wiedergabe von Kollokationen wird oft dadurch erschwert, daß zahlreiche Kollokationsbereiche bisher nur unzulänglich erforscht wurden. Zu diesem Umstand kommt noch hinzu, daß die Autoren von Kollokationswörterbüchern darauf verzichten, den Benutzer auf Inkompatabilitäten aufmerksam zu machen.
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Um diese Problematik stärker ins Bewußtsein zu heben, möchte ich ein paar Beispiele anführen: (6) Ceux [sc.les textes techniques] qui sont isoles ici dans la rubrique 'Technique' n'intoressent guere que les sciences humaines et la frange qui les sopare des textes litteraires est particulierement floue [...]. (Martin 1983: 207) (7) Parallelement la sequence moderne est largement attestee des le delmt de la Periode: [...]. (Guiraud 1963, 4. A. 1980: 98) (8) Mais de telles constructions, purement littiraires, archalques et stylis^es, sont 6troitement tributaires du contexte. (Guiraud 1962 / 5. A. 1974: 423) (9) knew he was a learned something-or-other,' I said. (Murdoch 1961 / 2. A. 1963: 7) (10) All three corporate defendants in the Blue Arrow fraud trial [...] were acquitted yesterday of joining the alleged conspiracy to mislead the markets about the result of the employment agency's 1987 rights issue. (Financial Times, 31.1.1992: 5)
Um Beispiel (6) ins Deutsche übersetzen zu können, muß man sich darüber im klaren sein, daß fließend im Sinne von unscharf nicht mit Gradadverbien kollokiert, so daß man hier auf Lösungen wie besonders unscharf ausweichen muß (vgl. Gallagher 1991: 99, 101, 104). Will man Beispiel (7) ins Englische übertragen, so muß darauf geachtet werden, daß die lexikalische Direktentsprechung von älteste (attested) nicht etwa mit greatly, sondern mit well kollokiert. Beispiel: (11) [...] thus it is not surprising that many words, well attested in contemporary texts, are missing. (Rickard 1974 / 2. A. 1989: 94)
In der Wortverbindung etroitement tributaire du contexte (Beispiel (8)) läßt sich das Adverb atroitement weder mit closely noch mit eng, sondern nur mit heavily oder mit stark übersetzen. (12) The vast majority of the utterances that actually occur in the everyday use of language are very heavily context-dependent!...] (Lyons 1977: 625) (13) Erst im fünften Anlauf ist die Versuchsperson mit der stark kontextdeterminierten Reverbalisierung das Ansehen der Bahn blieb angeknabbert -> das Ansehen der Bahn blieb verbogen subjektiv erfolgreich [...]. Krings 1986: 345-346)
Die Wortverbindung a learned something-or-other (Beispiel (9)) hat im Deutschen keine Direktentsprechung, da die zwischen der Ausgangssprache und der Zielsprache feststellbaren Äquivalenzen nicht derselben Wortart angehören: (Abb. 1) a learned something-or-other
so eine Art Gelehrter (Vgl. Wahrig/Krämer/Zimmermann 1983, s.v. so1 5.2.)
Ähnliches gilt für die Wortverbindung corporate defendants (Beispiel (10)). Da Unternehmens- und Angeklagte(r) inkompatibel zueinander sind, müssen wir uns auch hier für eine chass6-crois£ Lösung entscheiden:
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(Abb. 2) corporate defendants
angeklagte Unternehmen
Vgl. Beispiel (14): (14) In London hat das zuständige Gericht alle drei angeklagten Unternehmen [...] freigesprochen. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.2.1992: 18)
3. Die Fügungswerte der Wörter Gehen wir nun zum dritten Problemkomplex über. Die meisten Wörterbücher enthalten zwar Angaben zu den Fügungswerten von Verben, Substantiven und Adjektiven, aber diese Angaben sind für den Übersetzer oft völlig unzureichend. Zur Illustration möge hier ein Zitat aus einem Zeitungsartikel dienen: (15) In seiner Ansprache zur Eröffnung der Koordinierungskonferenz der westlichen Hilfe für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Washington sagte Bush vor den 54 Delegationen, die 'beispiellose Konferenz' sei ein eindrucksvolles Zeugnis für die Bereitschaft der Staatengemeinschaft, gemeinsam für den Sieg der Demokratie und der Freiheit zu arbeiten. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 1. 1992: 1)
In den deutsch-französischen Wörterbüchern findet man lediglich punktuelle Wortgleichungen wie Ansprache: allocution, discours, Eröffnung: Ouvertüre und Eröffnungsansprache: discours d'ouverture. Vergebens sucht man einen Hinweis auf die unterschiedlichen Fügungswerte von Ansprache und discours. Ein solcher Hinweis wäre für den Übersetzer außerordentlich nützlich, weil er einen Satz wie (15) erst dann richtig übersetzen kann, wenn er weiß, daß die Leerstelle, die discours in seinem Nachfeld eröffnet, nicht durch eine Präpositionalphrase belegt werden kann, die den Zweck der Ansprache angibt. Eine idiomatisch einwandfreie Übersetzung von (15) müßte daher wie der folgende Satz aus einem französischen Parallelartikel strukturiert werden: (16) "Notre mission est de ropondre ensemble a la revolution qui a balaye' le communisme sovie'tique et laisso place ä 12 nations nouvelles qui s'efforcent de trouver leur place au sein de la communauto internationale", a lanco hier George Bush, en ouvrant la conference sur la coordination de l'aide internationale aux nouveaux £tats independents. (Le Fig-Eco, 23.1.1992: I)
Im vorliegenden Fall entspricht en ouvrant der Wortgruppe in seiner Ansprache zur Eröffnung + Genitiv. Beim Übersetzen aus dem Englischen ins Deutsche stößt man häufig auf ähnlich gelagerte Fälle. Ein Beispiel aus einer englischen Wirtschaftszeitung möge diesen Sachverhalt verdeutlichen: (17) Mr Ferdinand Piech, 54, an Austrian with a reputation for toughness who runs VW's successful Audi subsidiary, has been chosen to take over from Mr Carl Hahn next January. (Financial Times, 30.3.1992: 1)
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Die Leerstellen, die das Substantiv reputation um sich eröffnet, werden folgendermaßen besetzt: (Abb. 3) Vorfeld
Nachfeld
1
2
3
Nominalphrase mit Artikel
with
a
reputation
4
5
for
artikellose Nominalphrase
Die Nominalphrase, die die erste Leerstelle ausfüllt, bezeichnet ein Lebewesen oder eine Organisation, während die Nominalphrase, die die fünfte Stelle belegt, die Eigenschaft(en) des betreffenden Lebewesens bzw. der betreffenden Organisation benennt. Solche Syntagmen lassen sich niemals wortwörtlich ins Deutsche übersetzen, weil das englische Substantiv reputation und seine vermeintliche Direktentsprechung Ruf unterschiedliche Fügungswerte haben. Eine idiomatisch einwandfreie deutsche Übersetzung des Syntagmas an Austrian with a reputation for toughness könnte folgendermaßen lauten: ein als kantig und schwierig geltender Österreicher. Hier entspricht das Partizip geltend dem Substantiv reputation, während die Adjektive kantig und schwierig den Sinn des Substantivs toughness wiedergeben. Vgl. Beispiel (18): (18) Der geschmeidige und redegewandte Goeudevert muß mit dem als kantig und schwierig geltenden Techniker aus Ingolstadt harmonieren. (Süddeutsche Zeitung, 30.3.1992: 26)
4. Der Aktivitätsgrad der Geschehensträger Wenden wir uns nun dem vierten von uns ausgewählten Problemkomplex zu. In zahlreichen typischen Konstruktionen drückt der englische Satz einen höheren Aktivitätsgrad aus als der deutsche. Dafür einige Beispiele: (19) Trippstadt, Germany: Fire swept through a flat in this southwestern German town, killing eight children, their mother and another relative. (The European Times, 10.2.1992: 9) (20) The company said the cuts of 2,500 a year in its 130,000-strong workforce would occur through natural wastage and would not involve redundancies. (Financial Times, 30.3.1992: 1) (21) The newspaper said that people wounded in the explosion had been treated at Cairo's main military hospital at Maadi, just south of the city on the river Nile. (International Herald Tribune, 7.9.1989: 4)
In (19) erscheint das Feuer (fire) als Geschehensträger in Subjektposition und besitzt somit einen wesentlich höheren Aktivitätsgrad als die zehn Brandopfer. Dieser Formulierungstyp, der im Englischen als vollkommen normal gilt, wäre im Deutschen äußerst ungewöhnlich, da die deutschen Direktentsprechungen von fire (Feuer) und to kill (töten) in einem solchen Kontext inkompatibel zueinander sind. In der F. A.Z. wurde der in Rede stehende Hausbrand folgendermaßen geschildert: (22) TRIPPSTADT, 9. Februar (dpa). Bei einem Feuer in der Dachwohnung eines ehemaligen Herrenhauses sind am Sonntag zehn von elf Mitgliedern einer Familie ums Leben gekommen. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.1992: 11)
Der zwischensprachliche Unterschied der Aktivitätsgrade fällt gleich ins Auge. Das Wort Feu-
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er ist in eine Umstandsbestimmung eingebettet (Bei einem Feuer [...] Herrenhauses), die passiven Opfer der Brandkatastrophe (zehn von elf Mitgliedern einer Familie) erscheinen nunmehr in Subjektposition, und an die Stelle des zweiwertigen Verbes to kill ist eine einwertige Verbalphrase (ums Leben kommen) getreten. In (20) haben wir es mit einer typischen Inquit-Formel zu tun: The company said [...]. Der Geschehensträger (the company) erscheint in Subjektposition und steht in syntagmatischer Beziehung zu einem zweiwertigen Verb (to say), das normalerweise an einen personalen Vorgangsträger gebunden ist und eine Handlung mit hohem Aktivitätsgrad bezeichnet. Da semantisch-syntaktische Verträglichkeitsbeschränkungen die Ableitung von Fügungen wie£>/i Firma sagte + Ergänzungssatz blockieren, muß man bei der Übersetzung dieses Satzes ins Deutsche andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen: (a) eine Präpositionalphrase (z. B. den Unternehmensangaben zufolge); (b) einen wie-Satz mit einer Wortverbindung wie Firma l Unternehmen + mitteilen (z. B. wie das Unternehmen mitteilte). In beiden Fällen wird der Aktivitätsgrad des Geschehensträgers durch eine radikale syntaktische Umstrukturierung reduziert: Informationen, die im Englischen innerhalb des Satzbauplans aufgeführt werden, erscheinen im Deutschen außerhalb des Satzbauplans. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: (23) Das Geschäft mit rostfreiem Stahl und flachen Spezialstahlen verbesserte sich den Unternehmensangaben zufolge stark um 15,6 Prozent auf 16,1 Milliarden Franc. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.1992: 14) (24) Wie das Unternehmen mitteilt, betreffen diese Rückstellungen Umstrukturierungen, davon l ,6 Milliarden Franc Sozialpläne, und gestiegene Finanzkosten. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.1992: 14)
Innerhalb des Ergänzungssatzes in Beispiel (20) erscheint ein zweiter Geschehensträger in Subjektposition: the cuts of 2,500 a year in its 130,000-strong workforce. Diese Nominalphrase steht in syntagmatischer Beziehung zu zwei Verben: occur und involve. Das einwertige Verb occur läßt sich mit geschehen wiedergeben, aber das zweiwertige Verb involve entspricht im Deutschen dem Konjunktionaladverb deswegen: Entlassungen werde es deswegen nicht geben (vgl. Gallagher (erscheint)). Dieses Beispiel zeigt, daß zwischensprachliche Unterschiede der Aktivitätsgrade nicht nur auf der Satzebene, sondern auch auf der Textebene Übersetzungsschwierigkeiten verursachen können. Beispielsatz (21) weist eine ähnliche Struktur auf wie Satz (20). Auch hier haben wir es mit einer Inquit-Formel zu tun. Da das Substantiv Zeitung und das Verb sagen im Deutschen inkompatibel zueinander sind, muß der englische Vordersatz im Deutschen mit einer Umstandsbestimmung (dem Zeitungsbericht zufolge) wiedergegeben werden. Vgl. Beispiel (25): (25) Dem Zeitungsbericht zufolge hat die Bekämpfung des Großbrandes mehr als zwei Tage gedauert. (Süddeutsche Zeitung, 7.9.1989: 8)
5. Schlußbemerkungen Aus dem Vorangehenden ergibt sich, daß wir es hier mit einer Reihe von Problemkomplexen zu tun haben, die einer systematischen Behandlung sehr große Schwierigkeiten entgegenset-
Inkompatibilitäten ak Übersetzungsproblem
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zen. Das hat seinen Grund darin, daß semantisch-syntaktische Verträglichkeitsbeschränkungen zwischen lexikalischen Elementen nur in begrenztem Umfang aus allgemeinen Regularitäten des Sprachsystems ableitbar sind, so daß der Sprachforscher in mühevoller Kleinarbeit unzählige Wortschatzelemente auf ihre Kombinationsmöglichkeiten hin untersuchen muß, um die kontrastlinguistischen Erkenntnisse zu gewinnen, die zum Rüstzeug des Übersetzers gehören.
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ZUR METAPHORIK UND METONYMIK DER GEFÜHLSZUSCHREIBUNGEN
Eckard Rolf
Träger einer der wirkungsmächtigsten Emotionen, scheut der Liebende bewußt vor der Phrase zurück - jedenfalls dann, wenn er gebildet ist. Ob männlich oder weiblich: meint er dem Drang, seine Gefühle zu verbalisieren, nicht mehr widerstehen zu können, beginnt er oftmals, nach Möglichkeiten eines ganz besonderen A u s d r u c k s zu suchen für das, was ihm für sich zu behalten nun nicht mehr gelingen will. Es ist nicht der (oftmals falsche, weil die Gefühlsverbalisierung noch nicht oder nicht mehr erlaubende) Zeitpunkt, der für die Zögerlichkeit des Liebenden verantwortlich wäre, es ist die vermeintliche Einmaligkeit, die angenommene Individualität der an ihrem Ausdruck kaum mehr zu hindernden Gefühle, die nach einem ganz speziellen Ausdrucksinventar verlangt. Die Erfahrung, die beim Versuch der Beschreibung der eigenen Gefühle jedoch zumeist gemacht wird, ist die der - aktuell manifest werdenden - Sprachlosigkeit: Um ihr zu entgehen - und um der Dramatik des jeweiligen Involviertseins, worin das Fühlen nach Agnes Heller (1980: 19) generell besteht, dennoch gerecht zu werden, greift der um Ausdruck Bemühte in der Regel auf B i l d e r zurück - auf Bilder, die zumeist vorfabriziert sind, deren Anschaulichkeit und Einprägsamkeit aber dazu in der Lage ist, vom Offenbarwerden der Verlegenheit abzulenken, in der sich der Sprecher befindet. Auf Bilder greift auch der gebildete Liebende zurück. Das jedenfalls lehrt das folgende Fallbeispiel. Der nicht so sehr als Schriftsteller, um so mehr aber als Religionshistoriker weltweit bekannt gewordene Mircea Eliade berichtet in seinen auf die Zeit von 1907 bis 1937 bezogenen E r i n n e r u n g e n von einem Verhältnis, das er in jungen Jahren zu der Bukarester Schauspielerin Sorana Topa hatte. Nach Eliades Schilderung muß Sorana eine sehr bewußt lebende, anspruchsvolle, interessante, anregende, jedoch auch etwas anstrengende Frau gewesen sein. "Sie konnte", sagt Eliade, sehr bezaubernd sein und einen gleichzeitig zur Verzweiflung bringen. Sie war eine sehr gute Kameradin, ihren Kollegen vom Theater gegenüber großzügig, liebte es aber, ständig über tiefgründige Dinge zu sprechen und sich sowie ihre Gesprächspartner stundenlang zu analysieren. [...] Sie sprach von nichts anderem als dem Wunder des Lebens und von den Verbrechen, die jeder täglich an sich und am Leben begeht, indem er sich weigert, einfach und spontan zu leben, und sich durch Klischees, Regeln und Systeme beschneidet. (Eliade 1987: 304)
Selbst für Eliade ist die insbesondere in intellektueller Hinsicht vergleichsweise anspruchsvolle, weil Erwartungshaltungen ausdrückende Art Soranas, wie er selbst andeutet, oft genug ziemlich aufreibend gewesen, und zwar deshalb, "weil man andauernd intelligent, tiefsinnig, originell und vor allem 'spontan' sein mußte" (Eliade 1987: 313) und "jedes längere Schweigen, jede aus Müdigkeit oder Unachtsamkeit geäußerte Banalität [als] ein Zeichen der
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Gleichgültigkeit und Abwesenheit [gedeutet wurde] und daher ausführlich interpretiert werden mußte, um es zu begreifen, sich einzuprägen und es zu guter Letzt zu korrigieren." (Eliade 1987: 314) Obwohl schon damals Intellektueller und Gelehrter in einer Person, fanden derartige Ansprüche nicht den ungeteilten Beifall Eliades. Er reagierte darauf mit einer ausgeprägten Gefühlsambivalenz: "Ich fühlte, ich mußte sie jeden Tag sehen, und oft bedauerte ich schon nach ihren ersten Worten, gekommen zu sein." (Eliade 1987: 306) Doch diese Gefühlsambivalenz ist vielleicht schon von sich aus hinreichend, um zu erklären, warum er an solchen Tagen nicht einfach wieder gegangen ist. Zu den bleibenden Eindrücken Eliades scheint gehört zu haben, was Sorana sagte, wenn sie direkt über die Liebe sprach. Aufgrund der erwähnten Klischee-, Regel- und SystemFeindlichkeit Soranas und aufgrund ihrer die Intellektualität ihrer Gesprächspartner so sehr beanspruchenden Art wäre nun zu erwarten, daß von ausgeprägter Originalität war, was Eliade in solchen Situationen zu hören bekam. Doch selbst einer Frau wie Sorana scheint dabei nichts allzu Außergewöhnliches eingefallen zu sein: "Für sie war die Liebe", wie Eliade (1987: 313f.) erinnert, "beständige Glut, ein 'Verbrennen bei Weißglut', wie sie gerne sagte." Liebe als G l u t bzw., in ihrer Steigerungsform, als Weißglut drückt ein Phantasma aus, das mit der Vorkommensweise einer verbreiteten Metapher einhergeht: der Metapher, der zufolge Liebe F e u e r ist. Es gibt eine ganze Reihe von Standardausdrücken, von (eigentlich längst verblaßten) Metaphern, Metonymien, Sprichwörtern, Redensarten, denen zu entnehmen ist, daß diejenigen, die sie verwenden, die Liebe als Feuer konzeptualisieren bzw. an einer solchen Konzeptualisierung zumindest keinen Anstoß nehmen. Wenn beispielsweise von einer feurigen Liebeserklärung, von einer heißen Liebesnacht oder vom Feuer im Herzen die Rede ist; wenn hinsichtlich zweier Leute gesagt wird, der Funke sei übergesprungen; wenn angesichts einer bestimmten Frau und in bezug auf einen bestimmten Mann gefragt wird: Ist das seine neue Flamme!; oder wenn eine Erklärung wie Alte Scheunen brennen leicht abgegeben wird - in all diesen Fällen manifestiert sich die Konzeptualisierung der Liebe als Feuer. Ausdrücken dieser Art liegen spezielle Modellvorstellungen über den jeweils von ihnen erfaßten Bereich zugrunde. Diesen Modellvorstellungen ist zu entnehmen, was über die Liebe zumindest implizit denkt, wer zwecks ihrer Zuschreibung die obigen Ausdrücke gebraucht. Darauf - zunächst einmal anhand des Englischen - aufmerksam gemacht zu haben, ist insbesondere das Verdienst des ungarischen Semantikers Zoltän Kövecses, der sich - unter Bezugnahme auf die Metaphemtheorie von Lakoff/Johnson (1980) - in einer Reihe von Arbeiten, 1986, 1988 sowie in seinem 1990 erschienenen Buch "Emotion Concepts", milder S p r a c h e befaßt hat, die wir verwenden, wenn wir über unsere Emotionen, also beispielsweise über die Liebe, sprechen. Kövecses hat sich, genauer gesagt, mit der k o n v e n t i o n a l i s i e r t e n Sprache beschäftigt, und zwar in der - durchaus berechtigten - Annahme, gerade in Gestalt der konventionalisierten Sprache, der Sprache, die wir normalerweise
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sprechen, wenn wir entweder über unsere eigenen Gefühle oder diejenigen anderer reden, eine reichhaltige Quelle zu erschließen sowohl hinsichtlich der Struktur und der Inhalte unserer Emotionsbegriffe als auch hinsichtlich der Art, in der wir unsere Gefühle e r l e b e n . Was die 'Liebe ist Feuer'-Metapher anbelangt, so legt Kövecses (1988: 44f. und 1990: 47f.) dar, daß wir uns eine Person, die der Liebe verfallen ist, bei der Verwendung dieser Metapher nach dem Modell eines in Brand gesetzten oder geratenen Gegenstandes vorstellen. Diese Vorstellungen erstrecken sich auf die Aspekte des B e g i n n s , der E x i s t e n z und der I n t e n s i t ä t der Liebe ebenso wie auf die Momente der durch sie in der Regel herbeigeführten F u n k t i o n s b e e i n t r ä c h t i g u n g , des S c h m e r z e s sowie ihres E n d e s . Es ist mit der Liebe demzufolge wie mit einem Feuer, das angezündet wird, brennt, dabei eine bestimmte Intensität erlangt, ihren Gegenstand zunächst funktionsuntüchtig macht, dann aufzehrt - und schließlich wieder ausgeht. Daß es so sein könnte, legt der konventionalisierte Sprachgebrauch nahe. Das Feuer ist jedoch nicht das einzige Modell für die Liebe. Sie wird beispielsweise auch als ein N ä h r s t o f f konzeptualisiert: Man kann, eine Zeitlang jedenfalls, von ihr leben (von Liebenden wird zuweilen gesagt: Sie leben von Luft und Liebe). Im Einklang damit wird das Objekt der Liebe oftmals als ein appetitanregendes Stück N a h r u n g angesehen, als etwas, das zum Anbeißen bzw. süß, das ein Objekt verzehrender Blicke ist, das, wenn nicht sogleich - zumindest mit Blicken - verschlungen, dann vielleicht - etwas später und etwas genüßlicher - vernascht wird. Liebe wird aber zum Beispiel auch als eine w e r t v o l l e H a n d e l s w a r e konzeptualisiert, als etwas, das gegeben, empfangen, belohnt werden und auch verloren gehen kann. Es heißt: Liebe wird mit Liebe bezahlt und Liebe ist der Liebe Lohn. Die Liebe wird jedoch durchaus nicht immer als etwas vergleichsweise Unproblematisches erfahren, sondern z. B. auch als K r i e g (vgl. Lakoff/John son 1980: 49), als G e g n e r (Kövecses 1988: 61), als eine N a t u r g e w a l t , als eine p h y s i s c h e K r a f t , als Magie und - last not least -als W a h n s i n n . Auf das Objekt der Liebe wird ein Anschlag verübt, es wird umlagert und oftmals auch erobert. Der Liebende, nicht immer im Einklang mit dem Zustand, in dem er sich befindet, kämpft gegen diesen oftmals an. Die Liebe erscheint als eine Naturgewalt, wenn z. B. gesagt wird, daß er sie stürmisch in seine Arme schloß; daß sie eine sehr stürmische Beziehung haben; daß sie oder er aufgewühlt war; daß es in ihrem Innern tobte. Als eine Naturgewali erscheint die Liebe auch dann, wenn von ihr das gleiche gesagt wird wie vom G l a u b e n , wenn es nämlich heißt, sie könne Berge versetzen. Von der Liebe als einer physischen Kraft ist beispielsweise dann die Rede, wenn davon gesprochen wird, daß es zwischen ihnen auf Anhieb gewaltig knisterte, oder wenn ein Liebesobjekt als sehr attraktiv bzw. - was auf dasselbe hinauslaufen dürfte - als ein sehr anziehendes Wesen bezeichnet wird. Aussagen wie Emma/ in ihren Bann geschlagen, kam er nicht mehr von ihr los, Am meisten fesselte sie sein ausdrucksvolles Mienenspiel und Der Zauber dieser Stunde nahm ihn gefangen sind Beispiele für Liebe als
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M a g i e , und wenn es heißt, daß er verrückt nach ihr ist; daß ihre Gefühle verrückt spielten; daß er wahnsinnig in sie verschossen ist; dann werden Beispiele für die Ansicht gegeben, daß Liebe närrisch machen kann, Beispiele also für Liebe als W a h n s i n n . Die Liebe allerdings ist nicht die einzige Emotion, über die unter Verwendung von Metaphern und Metonymien gesprochen wird. Das Feuer, der Wahnsinn und die Gegnerschaft (in einem Kampf) beispielsweise werden auch als Modelle herangezogen, wenn über Wut bzw. Ärger gesprochen wird (vgl. Kövecses 1990: 58ff.). Und Metonymien liegen nicht nur in Gestalt einer Aussage wie Ihr wurde ganz warm ums Herz vor, sondern z. B. auch dann, wenn gesagt wird: Er wurde rot, Sie wurde ganz blaß, Er wurde rot vor Wut, Sie wurde rot vor Scham (oder vor Verlegenheit), Sie wurde blaß (oder gelb) vor Neid, Er war blind vor Eifersucht, Er ärgerte sich schwarz. Als Metonymien für eine emotionale Erregung anzusehen ist auch das H e r z k l o p f e n , sind Fälle, in denen die Rede davon ist, daß das Herz schneller zu schlagen beginnt (oder begann) bzw. in denen es einem still stand. Neben einer Veränderung der Herzfrequenz und der Verfärbung des Gesichts ist zuweilen auch von einer Veränderung der Atmungsfrequenz die Rede: Man muß gelegentlich nach Luft schnappen oder etwas kann einem den Atem verschlagen. Auch das Metonymien, d. h. Ausdrücke, die etwas benennen, das für eine emotionale Erregung steht (vgl. Kövecses 1990: 173). Die wohl aussagekräftigste Metapher für Gefühle schlechthin scheint die sogenannte B eh a l t er-Metapher zu sein (vgl. Kövecses 1990: 144ff.). Der Körper beispielsweise wird im allgemeinen als ein Behälter angesehen, ebenso der Geist. Ob nun im Körper (bzw. im Rumpf) oder im Geist (bzw. im Kopf) lokalisiert, Emotionen werden zumeist als etwas konzeptualisiert, das i n einem Behälter ist. Zuweilen ist in solch einem Behälter nichts drin: Man fühlt sich leer oder emotional ausgetrocknet. In der Regel aber ist es anders: in dem Behälter ist doch etwas enthalten, und zwar eine Flüssigkeit. Man selbst ist z. B. haßerfüllt, so wie ein Behälter mit einer Flüssigkeit g e f ü l l t ist. Wenn der Pegelstand der Flüssigkeit ansteigt, sieht man sich oftmals gezwungen, die Flüssigkeit, d. h. die Gefühle, langsam oder einfach herauszulassen. Der Inhalt des Behälters kann zumindest partiell in einen anderen Aggregatzustand überführt sein; er kann partiell gasförmig sein, so daß es vorkommen kann, daß von jemandem gesagt wird, er habe erst einmal Dampf ablassen müssen. Als Behälterinhalt kann die Flüssigkeit mithin eine höhere Temperatur aufweisen, die Flüssigkeit kann heiß werden. Und wer nicht gerade gefühlskalt ist, bzw. wem es nicht gelingt, cool zu bleiben, der sieht sich - zunächst einmal - einem gewaltigen inneren Druck ausgesetzt. In bestimmten Fällen, in denen die Temperatur der Flüssigkeit weiter angestiegen ist, sagen wir z. B. Er kochte (vor Wut), und gelegentlich besteht sogar die Gefahr, daß die emotionale Erregung so stark ist, daß der von ihr Betroffene explodiert: "if the emotion gets too intense, the container may explode and the fluid may come out of the container." (Kövecses 1990: 149) Emotionen wie Ärger/Wut, Liebe, Haß, Eifersucht (vgl. Kövecses 1990: 148), die wir
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typischerweise als 'Passionen' bzw. als W i d e r f a h r n i s s e ansehen, werden mithin als die H i t z e e i n e r F l ü s s i g k e i t in e i n e m B e h ä l t e r aufgefaßt. "Due to the heat, the fluid is in constant motion. Corresponding to this is the emotional agitation of the self." (Kövecses 1990: 148) Die Behälter-Metapher wird z. B. auch dann ins Spiel gebracht, wenn von jemandem gesagt wird, er oder sie sei tief bewegt, tief verletzt oder tief verzweifelt (vgl. Kövecses 1990: 152). Daß die Feuer-Metapher nicht nur für die Liebe in Anschlag gebracht wird, sondern z . B . auch für den Ärger, ist bereits angedeutet worden. Wie von einem Feuer oder einer Flamme, so kann man auch von seinen Gefühlen aufgezehrt werden, man kann ausgebrannt sein. Bestimmte Metaphern haben hinsichtlich der Emotionen ohnehin eine vergleichsweise breite Anwendung (vgl. Kövecses 1990: 161ff.). Das gilt beispielsweise für diejenigen Metaphern, denen zufolge Gefühle n a t ü r l i c h e K r ä f t e (Stürme, Wellen, Fluten) sind. Man kann von einer einzelnen Gtfühlswelle, einer Gefühls/7«/ oder einer ganzen Welle von Gefühlen überwältigt und - fortgerissen werden. Die Emotionen können, wie Wellen, aufgepeischt sein. Emotionen können generell auch als G e g n e r konzeptualisiert werden; als etwas, das man nicht unter Kontrolle bekommen kann; als etwas, wogegen man beständig zu kämpfen hat; als etwas, das sich nicht befrieden läßt; als etwas, das einem das Beste abverlangt; als etwas, dem man zumeist einfach nachgeben muß. Einer anderen Sichtweise zufolge sind Emotionen so etwas wie V o r g e s e t z t e , etwas, das einen regiert, das diktiert, wie man reagiert, etwas, dem man gehorcht, das einen treibt, dessen Sklave man sein kann (vgl. Kövecses 1990: 171). Emotionen werden aber z. B. auch als vom Selbst unabhängige l e b e n d e Wesen angesehen, als Wesen, die geweckt werden können, die wachsen, die kommen und gehen, die zurückkehren, die genährt, die verletzt oder auch abgetötet werden oder die von sich aus sterben können. Als Agathe, die Schwester Ulrichs, der männlichen Hauptfigur aus Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften", das von Ulrich heimlich geführte Tagebuch findet, stößt sie beim Lesen unter anderem auf die folgende Stelle: 'Die deutsche Sprache sagt: Zorn ist in mir, und sagt: Ich bin in Zorn. Sie sagt: Ich bin zornig, ich fühle mich zornig, ich fühle Zorn. Sie sagt: Ich bin verliebt, und: Ich habe mich verliebt. Die Namen, die sie den Gefühlen gegeben hat, weisen sprachgeschichtlich wohl oft darauf zurück, daß sie vom Eindruck der Handlungen und durch das gefährliche oder in die Augen springende Verhalten zu ihnen bewegen worden ist; trotzdem spricht sie vom Gefühl bald als von einem Zustand, der verschiedene Vorgänge umschließt, bald als von einem Vorgang, der aus einer Reihe von Zuständen besteht; auch bezieht sie, wie die Beispiele zeigen, ohneweiters und bald so, bald anders die Vorstellungsbilder der Person und des Außen und Innen in ihre Ausdrucksweise ein; und im ganzen verfährt sie so launisch und unberechenbar, als hätte sie von Anfang an die deutsche Gefühlsverwirrung begründen wollen. (Musil 1978: 1160)
Und nicht nur die deutsche Gefühlsverwirrung, sondern auch die Ideenbildung der Wissenschaft. Denn, so heißt es in Ulrichs Tagebuch weiter: "Diese Verschiedenartigkeit des sprachlichen Bildes unserer Gefühle, das aus eindringlichen, aber unvollkommenen Erfahrun-
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gen entstanden ist, spiegelt sich noch heute in der Ideenbildung der Wissenschaft wieder" (Musil 1978: 1160). Wie aber steht es generell um das Verhältnis der Bilder, die eine natürliche Sprache wie das Deutsche im Unterschied zu einer Wissenschaft wie der Psychologie von den Gefühlen vermittelt? Ulrich, zunächst einmal wissenschaftsgläubiger als Musil selbst, mutmaßt, daß insbesondere die an die Frage nach dem ontologischen Status der Gefühle herangetragene "Unterscheidung zwischen Zuständen und Vorgängen mehr der sprachlichen Denkweise angehört als dem wissenschaftlichen Tatsachenbild, das sie vielleicht neu ausbilden, vielleicht aber auch hinter anderem verschwinden lassen wird." (Musil 1978: 1160) Wie sieht es mit dieser sprachlichen Denkweise aus? Ist sie durch die Wissenschaft überwunden - oder ist eher davon auszugehen, daß die jeweilige konventionalisierte Sprache, die wir benutzen, um über unsere Gefühle zu sprechen, das, was wir hinsichtlich derselben annehmen, genau wiedergibt? Glauben wir, daß es sich mit unseren Gefühlen so verhält, wie wir zum Ausdruck bringen, daß es sich verhält, wenn wir über sie sprechen? Wenn wir von der Sonne sagen, sie gehe auf bzw. unter, glauben wir n i c h t , was wir sagen. Daß unser diesbezügliches, auf der natürlichen Sprache beruhendes Volks-Modell die wahren Verhältnisse gerade n i c h t wiedergibt, ist uns bekannt. Hat, was unsere Gefühle betrifft, auch schon so etwas wie eine kopernikanische Wende stattgefunden - oder leben wir hinsichtlich unserer Gefühle noch in einer Art geozentrischem Universum? Im Falle der Sonne sagen wir zwar, sie drehe sich um die Erde, wir wissen aber, daß es sich in Wirklichkeit gerade umgekehrt verhält. Kövecses zufolge hat die diesbezügliche Zurückweisung des geozentrischen Weltbildes im Bereich der Emotionen nun allerdings k e i n e Parallele. Er sagt: Nothing like this has been the case with the emotions. No such large-scale attempts have been made to change our thinking about them [...]. As a result, we pretty much believe what we say about them. [...] It seems then that, as far as the emotions go, we still live by and think in terms of a geocentric emotional universe. (Kövecses 1990: 45f.)
Und es ist nicht nur so, daß wir vergleichsweise viel von dem, was wir über unsere Gefühle sagen, auch g l a u b e n ; es ist sogar so, daß das meiste von dem, was wir über unsere Gefühle w i s s e n oder zu wissen glauben, der Art und Weise, in der wir über unsere Gefühle reden und zu reden gewöhnt sind, entnehmen. Die konventionalisierte Sprache ist in der Tat die reichhaltigste Quelle im Hinblick auf das, was wir über unsere Gefühle wissen - und wir selbst als normale Sprecher sind, wenn wir - unter Rückgriff auf unsere Alltagssprache über unsere Gefühle oder diejenigen anderer sprechen, zugleich die wirkungsmächtigsten Theoretiker dessen, worüber wir dann Aussagen machen. Dieser Umstand läßt Untersuchungen des Sprachgebrauchs auch und gerade im Hinblick auf die Emotionen zu einem wichtigen Unterfangen werden - dem bei weitem wichtigsten, wenn es um die Aufdeckung dessen geht, was unsere Gefühle s i n d .
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Literatur Eliade, M. (1987): Erinnerungen 1907-1937. - Frankfurt: Insel. Heller, A. (1980): Theorie der Gefühle. - Hamburg: VSA-Verlag. Kövecses, Z. (1986): Metaphors of anger, pride and love. A lexical approach to the structure of concepts. - Amsterdam: John Benjamins. - (1988): The language of love. The semantics of passion in conversational English. - Lewisburg, PA: Bucknell University Press. - (1990): Emotion concepts. - New York: Springer. Lakoff, G. / Johnson, M. (1980): Metaphors we live by. - Chicago: The University of Chicago Press. Musil, R. (1978): Der Mann ohne Eigenschaften. - Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
IST DIE METAPHER EIN 'KÜRZERES GLEICHNIS' ODER DAS GLEICHNIS EINE 'ERWEITERTE METAPHER'? Tertium datur Gerhard Tschauder
l. Die beiden im Thema genannten Alternativen gehen zurück auf zwei Positionen in der Metaphernforschung, deren erstere sogar als eine 'Initialzündung' verstanden werden kann. Gemeint ist Quintilians bekannte, an Aristoteles (vgl. 1980/3. A. 1989: 176) orientierte Formulierung: "Metaphora brevior est similitude" (1972/2. A. 1988: 220); dieser These widersprechend hat Harald Weinrich (1976a: 308) die Umkehrung formuliert, daß ein "Gleichnis [...] allenfalls eine erweiterte Metapher" sei. Als eher störend an beiden Formulierungen fällt zunächst der Begriff Gleichnis auf, handelt es sich bei einem Gleichnis doch wohl um eine T e x t s o r t e ; die Beispiele, jedenfalls diejenigen, welche traditionell im Kontext der Metapher genannt werden, bewegen sich jedoch eindeutig u n t e r h a l b der Textebene. Es ist deshalb bereits vorab sinnvoller, von der Metapher als einem kürzeren, einem verkürzten Vergleich oder entsprechend vom Vergleich als einer erweiterten Metapher zu sprechen. Weiterhin muß man sich darüber im klaren sein, daß in dem als Metapher bezeichneten Typus die beiden Vergleichsgrößen - wie wir sie hier noch vereinfachend nennen wollen trotz der Verkürzung explizit im Satz genannt sein können - so etwa in Quintilians einschlägigem Beispiel Er ist ein Löwe (1972/2. A. 1988: 221) -, nicht aber genannt sein müssen; so enthält das aristotelische Metaphern-Beispiel Ein Löwe stürzte auf ihn (1980/1989: 176) lediglich den metaphorischen Ausdruck, nicht aber die bei jedem Vergleich per se notwendige zweite Instanz. Diese ist, so scheint es, außersprachlich, ist eben das Referenzobjekt des hier metaphorisch verwendeten Begriffs Löwe. Um uns über die linguistische Qualität der beiden Vergleichspole ein wenig mehr Klarheit zu verschaffen, wollen wir uns der hier relevanten terminologischen Differenzierung zuwenden, welche Weinrich in die Metapherndiskussion eingeführt hat. Weinrich unterscheidet bekanntlich zwischen einem "Bildspender" und einem "Bildempfänger" (1976a: 297) und gibt damit, wie es scheint, zwei erklärungsstarke Begriffe als Grundpfeiler seiner Metapherntheorie, zwei Termini, die sich allerdings durch eine eigene, gleich dreifache Metaphorizität (Bild, Spender, Empfänger) auszeichnen. Worauf aber referiert die Dichotomie 'Bildspender - Bildempfänger' genau? Lassen wir Weinrich mit zwei Textpassagen zu Wort kommen, in denen er anhand von Beispielen seine Dichotomie illustriert: Wir sprechen [...] geläufig vom "Zeitenfluß" oder "ZeitenlauF. In diesen Metaphern ist [...] die Zeit Bildempfänger, Fluß oder Lauf sind Bildspender. (Weinrich 1976a: 316)
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[...] die Metapher Möwenvölker [...] ist eine Kompositions-Metapher, für die nach der MetaphernGrammatik der deutschen Sprache gilt, daß in der Regel das erste Element (hier: Möwen) Bildempfänger und das zweite Element (hier: Völker) Bildspender ist (Weinrich 1976b: 334).
Es hat für unsere Betrachtung keinerlei Relevanz, daß Weinrich die Interpretation der Metapher bei letzterem Beispiel im weiteren Verlauf seiner Untersuchung noch modifiziert. Davon völlig unberührt ist anzumerken, daß die Verwendungen der Begriffe "Bildspender" und "Bildempfänger" in den beiden soeben zitierten Textstellen inhomogen, ja inkompatibel ist. Diese Unvereinbarkeit besteht darin, daß die Termini in ersterem Kontext auf Objekte der Welt (Zeit, Fluß bzw. Lauf) bezogen, also objektsprachlich verwendet werden, in letzterem Kontext aber auf sprachliche Größen referieren (auf die Ausdrücke Möwen und Völker), also metasprachlicher Natur sind.1 Wenn wir davon ausgehen, daß die Begriffe "Bildspender" und "Bildempfänger" nicht sowohl metasprachliche als auch objektsprachliche Termini sein können, dann stellt sich automatisch die Frage, welche der beiden obigen Explikationen Weinrichs für eine Metapherntheorie die angemessene ist. Diese Fragestellung wirft, wie nun gezeigt werden soll, mehrere Probleme auf. Applizieren wir Weinrichs Termini auf das Beispiel Quintilians bzw. Aristoteles', dann könnte man spontan den Löwen als Bildspender bezeichnen und als Bildempfänger bei Quintilian die durch erbezeichnete Person, bei Aristoteles das Referenzobjekt von Löwe, also etwa Achill. Für die Kategorie des Bildempfängers hat eine solche Klassifizierung sicherlich ihre Berechtigung, d. h. letzterer Terminus ist objektsprachlich. Insofern ist Weinrichs Charakterisierung im zweiten Zitatausschnitt, daß "das erste Element (hier: Möwen) Bildempfänger" sei, zurückzuweisen; denn abgesehen davon, daß - wie bereits gesagt - in dem aristotelischen Beispiel Ein Löwe stürzte auf ihn gar kein Zeichen existiert, welches als Bildempfänger in Frage kommt, macht es auch dann keinen Sinn, von einem metasprachlichen Bildempfänger zu sprechen, wenn im entsprechenden metaphorischen Kontext der Bildempfänger neben der Metapher sprachlich repräsentiert ist. Dies wird, wie im folgenden Beispiel, besonders deutlich bei der Verbindung von Deixis und Metapher: Der (da vorne), das ist ein ganz großer Esel. Offensichtlich ist es unsinnig, das Deiktikon der (da vorne) als Bildempfänger zu bezeichnen; das Bild empfängt, wie Weinrich an anderer Stelle einfließen läßt, die "Sache" selbst (1976a: 297), also hier die Person, auf die deiktisch verwiesen wird. Doch selbst wenn an die Stelle des Deiktikons eine anaphorische NP mit einem Gattungsnamen tritt, kann nicht von einem Zeichen als Bildempfänger die Rede sein; denn das hieße ja, etwa in dem Beispiel Dieser Politiker [anaphorisch] ist ein ganz großer Esel sei das Lexem Politiker Empfänger eines Bildes - eine offensichtlich absurde These, wird doch mit letzterer Feststellung die aus dem Bild großer EseP abgeleitete Eigenschaft der Dummheit dem Referenzobjekt von dieser Politiker zugesprochen und geht natürlich nicht in den Merkmalkatalog des Lexems Politiker ein. Ist somit einerseits die objektsprachliche Referenzrelation des Terminus 'Bildempfäng e r ' unbestreitbar, so läßt andererseits der Terminus 'Bild s p e n d e r ' keine solch eindeutige Antwort zu. Denn was heißt, in den klassischen Beispielen etwa werde das Bild durch den
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Löwen gespendet? Wenn es unsinnig ist, weiter zu fragen, um welchen Löwen es sich handelt, so deshalb, weil durch die Verwendung des metaphorischen Prädikats eine Eigenschaft zum Ausdruck gebracht werden soll, nämlich etwa die, kraftvoll zu kämpfen, die prototypisch für den Löwen ist. Je nach Ontologie kann man nun feststellen: Der Löwe generell existiert nur als Name einer Gattung, 'kraftvoll zu kämpfen' ist somit ein semantisches Merkmal des Gattungsnamens Löwe; diese Konzeption entspricht einer nominalistischen Position. Bei realistischer, platonischer Betrachtungsweise dagegen läßt sich die Eigenschaft, kraftvoll zu kämpfen, als objektsprachliche Eigenschaft der Gattung 'Löwe' interpretieren, deren - gattungsmäßige - Existenz damit unabhängig von der Sprache vorausgesetzt würde. Die Entscheidung zwischen diesen beiden 'Lesarten' ist ein metaphysisches Problem, welches aus linguistischer Sicht letztlich nur von der Feststellung begleitet werden kann, daß unsere Sprache eine platonische Lösung suggeriert, präsupponiert doch nicht nur die Aussage Der Löwe ist ausgebrochen dessen (partikuläre) Existenz, sondern auch die Feststellung Der Löwe ist der König der Wüste die Existenz der Gattung 'Löwe' als (generelles) Referenzobjekt.3 Wenn also die Termini B i l d s p e n d e r und B i l d e m p f ä n g e r (sprach-)ebenenmäßig vergleichbar sein sollen, so setzt dies, was ja keineswegs selbstverständlich ist, eine realistische Position, nämlich die stillschweigende Annahme der Existenz von Universalien voraus. Die Vergleichbarkeit ist jedoch auch in diesem Fall nur halbwegs gewährleistet, weil der Bildspender eben eine Klasse, der Bildempfänger jedoch, jedenfalls in aller Regel,4 eine partikuläre, individuelle Größe (im Ausgangsbeispiel Achilles) ist. Bei einer nominalistischen Ontologie dagegen sind die beiden hier in Rede stehenden Begriffe wegen der durch sie suggerierten Parallelität irreführend: Während bei dieser ontologischen Prämisse nämlich der Terminus B i l d e m p f ä n g e r ein objektsprachliches Referenzobjekt bezeichnet, bezieht sich der des Bildempfängers auf eine metasprachliche Größe, auf ein Lexem. Dabei liegt die Annahme des zuletzt genannten 'Ebenensprungs' gerade im Hinblick auf Beispiele wie das aristotelische Ein Löwe stürzte auf ihn durchaus nahe: Dem Referenzobjekt der Metapher ein Löwe (also Achill) wird ja hier, via translationem, ein bestimmtes semantisches Merkmal des Gattungsnamens Löwe, nämlich 'kraftvoll im Kampf, zugesprochen. Grenzen wir die nicht-metaphorische Referenzrelation von der metaphorischen ab, so ergibt sich folgendes Bild: In einer nicht-metaphorischen Aussage, etwa in dem Beispiel Ein Löwe näherte sich der Wasserstelle, wird der Gattungsname Löwe mit all seinen gattungsspezifischen Merkmalen partikulär verwendet, d. h. auf ein ganz bestimmtes, individuelles Denotat bezogen; involviert sind bei diesem Vorgang somit der Gattungsname im Lexikon (als Name einer Gattung), der Gattungsname im Text (als Bezeichnung eines bestimmten Vertreters dieser Gattung) und das Referenzobjekt selbst, der gemeinte Löwe. Hierzu gibt es in metaphorischen Kontexten - bleiben wir bei dem Beispiel Ein Löwe stürzte auf ihn - einen zeichentheoretischen und einen referenztheoretischen Unterschied: letzterer ist offensichtlich, wird doch gar kein Löwe, sondern eben ein Mensch bezeichnet. Wenn diese
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Referenzrelation dennoch funktioniert, so liegt dies, zeichentheoretisch gesehen, darin begründet, daß auch hier der Gattungsname Löwe als Lexikoneintrag im Hintergrund steht, daß aber eben das mit diesem Eintrag verbundene Bündel semantischer Merkmale nicht in toto auf die - partikuläre - Verwendung desselben Gattungsnamens im (metaphorischen Kon-)Text übernommen, sondern seine ursprüngliche Inhaltsebene im wesentlichen auf ein einziges Merkmal reduziert wird, hier eben das des kraftvollen Kampfeinsatzes. Allerdings ist diese These dahingehend einzuschränken, daß bei der Verwendung von Metaphern, also auch bei der Verwendung des Gattungsnamens Löwe als Metapher, weitere Merkmale des 'Bildspenders' mit transferiert werden. Dies wird offensichtlich, wenn wir metaphorische Minimalpaare vergleichen, etwa die Metaphern-Prädikate ist ein Löwe und ist ein Tiger. Beide Metaphern sprechen dem Bildempfänger eine kraftvolle Kampfweise zu, daneben aber evozieren die unterschiedlichen Bildspenderbezeichnungen auch unterschiedliche Sekundärassoziationen, Assoziationen z. B., die durch die verschiedenen geografischen Lebensräume dieser Raubtiere und, damit verbunden, durch die dort jeweils beheimateten divergierenden Kulturen evoziert werden. Diese 'Randunschärfen' sind einerseits die Ursache für den Reichtum metaphorischen Sprechens, andererseits aber natürlich auch für die Schwierigkeit bei der Abgrenzung der Metaphernsemantik. - Da wir es hier jedoch mit anders ausgerichteten Erwägungen zu tun haben, wollen wir diese Problematik außer acht lassen und uns auf das jeweilige metaphorisch vermittelte Primärprädikat beschränken. Zu ergänzen ist noch, daß in Metaphern-Beispielen des Typs Ein Löwe stürzte auf ihn nur bei satzisolierter Perspektive die Bezeichnung des Bildempfängers völlig fehlt. Bei textorientiertem Fokus läßt sich nämlich ergänzen, daß der Bildempfänger bereits im Vorgängertext genannt worden sein muß; der metaphern-syntaktische Unterschied zu unserem Ausgangsbeispiel Achill ist ein Löwe besteht also lediglich darin, daß die textologische Distanz zwischen Bildempfängerbezeichnung und Bildspender hier kleiner und dort größer ist. 2. Wenden wir uns nun - da dies, wie soeben angemerkt, ohnehin keinen prinzipiellen Sonderfall darstellt - wieder denjenigen Beispielen zu, welche sowohl den Bildspender als auch die Bildempfängerbezeichnung im Satzrahmen enthalten, genauer: wenden wir uns Aussagen zu, deren Subjekt Bildempfängerbezeichnung ist und deren Prädikat (eine nominalistische Position vorausgesetzt) den Bildspender enthält. Dieser Perspektive gilt speziell im Hinblick auf die Themafrage unser Interesse, weil sich bei einer solchen Struktur die Aussagetypen Metapher und Vergleich am einfachsten gegenüberstellen lassen. Egal nun, ob man die Metapher als verkürzten Vergleich oder den Vergleich als eine erweiterte Metapher versteht, der augenfälligste Unterschied zwischen Metapher und Vergleich liegt im größeren morphologischen Umfang von letzterem; so fehlt etwa in der Metapher die Vergleichspartikel wie. Die Metapher ist aber in Abgrenzung vom Vergleich allgemein keineswegs ausschließlich durch ihren geringeren syntaktischen Komplexheitsgrad definiert,
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vielmehr gibt es, ebenfalls unabhängig davon, ob die Metapher genetisch auf den Vergleich oder aber der Vergleich genetisch auf die Metapher zurückgeführt wird, noch ein weiteres, semantisches Indiz, um die beiden in Rede stehenden Größen zu trennen. Letzteres, der Hinweis auf ein solches semantisches Kriterium, ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil mir aufgrund dessen s o w o h l die Gleichung 'Metapher = verkürzter Vergleich' als a u c h die Gleichung 'Vergleich = erweiterte Metapher' schlicht falsch zu sein scheinen. Mit anderen Worten: Ein Vergleich ist niemals eine erweiterte Metapher und diese niemals ein verkürzter Vergleich. Um diese auf den ersten Blick vielleicht überraschende Hypothese zu begründen, wollen wir uns zunächst den Spezifikades Vergleichs zuwenden. Zu Recht sagt der Volksmund, man dürfe nicht Äpfel mit Birnen vergleichen; was dagegen sehr wohl vergleichbar ist, ist z. B. der Preis von Äpfeln und Birnen, ist somit der Vergleich auf der Basis eines Prädikats, welches (jedenfalls in unserer Gesellschaft) beiden gemeinsam zukommt. Bei diesem gemeinsamen Prädikat handelt es sich nun keinesfalls notwendigerweise um ein Prädikat in ein und derselben quantitativen (oder auch qualitativen) Ausprägung, hier also nicht um ein und denselben Preis, sondern lediglich um das Prädikat einen Preis haben. Somit beinhaltet die Feststellung Birnen sind preiswerter/teurer als Äpfel selbstverständlich ebenfalls einen Vergleich. Das Zusprechen desselben Prädikats ergibt lediglich einen Spezialfall des Vergleichs, eine Gleichung oder Gleichsetzung, so z. B., wenn jemand feststellt: Birnen sind [ebenjso preiswert/teuer wie Äpfel. Auch wenn es heißt Clara ist [ebenjso groß wie Inge, dann werden Clara und Inge in bezug auf ein bestimmtes Prädikat, nämlich ihre Größe, verglichen und gleichgesetzt. Die hier skizzierte Vergleichsstruktur, sei es die allgemeine, sei es der Spezialfall der prädikatsbezogenen Gleichung, kommt jedoch weder als Ausgangsbasis für eine Metapher noch als Produkt derselben in Betracht. So mag man sich zwar Kontexte vorstellen können, in denen die 'verkürzten Vergleiche' Birnen sind Äpfel oder Clara ist Inge sinnvoll sind, es handelt sich aber wohl in keinem Fall um metaphorische Aussagen, bei denen das Tertium ein bestimmter Preis bzw. eine bestimmte Größenangabe ist. Vor diesem Hintergrund wird hier die These vertreten, daß sich Metaphern niemals auf Vergleiche zurückführen lassen, bzw. daß Metaphern nur zu Vergleichen führen, die lediglich Pseudovergleiche sind. Gehen wir aus von einem Beispiel wie Otto läuft [ebenjso schnell wie Heinz, also von einem echten Vergleich. Mit dieser Behauptung wird ausgesagt, daß die beiden Personen eine bestimmte Strecke im selben Zeitraum durchmessen, daß es, wenn sie gegeneinander laufen, zu einem 'toten Rennen* kommt bzw. mal der eine ganz knapp gewinnt und mal der andere. Ein solcher Vergleich aber führt niemals zu einer Metapher - Otto ist Heinz läßt sich eben nicht als solche interpretieren.5 Anders verhält es sich bei einer Gegenüberstellung wie Otto ist flink wie ein Wiesel. Sicherlich sind die Biologen in der Lage, die (durchschnittliche) Laufgeschwindigkeit der Wiesel zu messen, das Resultat aber ist für den zuletztgenannten 'Vergleich' ziemlich unbedeutend, genauer: Es ist unwichtig, ob Otto diese Geschwindigkeit
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erreicht oder als Mensch überhaupt erreichen kann. Mit anderen Worten: Der Vergleich, wäre es denn einer, stimmt nicht. Dasselbe gilt für Otto ist groß wie ein Riese; selbst einmal angenommen, die Größe eines Riesen ließe sich quantifizieren, spielte auch hier das Ergebnis für letztere Äußerung gar keine Rolle: Otto ist vielmehr de facto n i c h t so groß wie ein Riese. Und schließlich gilt dieser Befund auch für Quintilians Er kämpft wie ein Löwe: Die Kampfart des Löwen ist etwas, was spezifisch dem Löwen (und vielleicht noch anderen Raubkatzen) zukommt und bestenfalls vom Menschen nachgeahmt werden kann. Eine solche Imitation aber kommt als Gegenstand dieses 'Vergleichs' gar nicht in Betracht; vielmehr soll eben lediglich die kraftvolle Kampfesweise des Achill im Vergleichsprädikat zum Ausdruck gebracht werden. Um zwischen Vergleich und Pseudovergleich zu trennen, bietet sich im übrigen ein morpho-syntaktisches Kriterium an: Nur bei echten Vergleichen ist es nämlich möglich (und vielleicht sogar üblich), statt einer io-wie-Struktur eine ebenso-wie- bzw. genauso-wieStruktur zu verwenden: Birnen sind ebenso [genauso] teuer wie Äpfel, Clara ist ebenso [genauso] groß wie Inge, Otto läuft ebenso [genauso] schnell wie Heinz. Bei Pseudovergleichen führte die Verwendung dieser Vergleichspartikeln jedoch in die Irre: Mit den Aussagen lOtto ist ebenso [genauso] flink wie ein Wiesel, lOtto ist ebenso [genauso] groß wie ein Riese oder auch lAchill kämpft ebenso [genauso] wie ein Löwe wird der Vergleich jeweils - unsinnigerweise - 'wörtlich' genommen - und damit seine Verwandtschaft zur Metapher aufgehoben. Demgegenüber verzichtet der Pseudovergleich vielfach sogar ganz auf die erste Hälfte der Vergleichspartikel: Otto ist groß wie ein Riese (nicht jedoch *Otto ist groß wie Peter), Otto ist flink wie ein Wiesel oder eben auch Achill kämpft wie ein Löwe. Aus unseren Ausführungen ergibt sich somit das folgende Fazit: Die Metapher läßt sich weder aus einem Vergleich via Kondensation ableiten, noch läßt sie sich zu einem Vergleich erweitern. Die beiden hier in Beziehung gesetzten Aussagetypen, derjenige mit einer Metapher als Prädikat und der oben näher diskutierte Pseudovergleich, sind vielmehr beide metaphorisch;6 m. a. W.: einem syntaktisch relativ knappen Metapherntypus steht ein syntaktisch relativ umfassender gegenüber. Zu ergänzen ist dabei noch, daß Beispiele wie Sie ist wie ein Vulkan oder Du bist wie eine Dampfwalze in ihrem Komplexheitsgrad eine Zwischenposition einnehmen: Sie nennen zwar die Vergleichspartikel wie, nicht aber, ebensowenig wie in der stärker kondensierten Form (Sie ist ein Vulkan, Du bist eine Dampfwalze), das Tertium des metaphorischen Vergleichs; dieses wird vielmehr hier wie dort - explizit oder implizit - in den Kontext verlagert.7 Schließlich sei noch einmal an eine Formulierung wie Ein Löwe stürzte auf ihn erinnert, weil hiermit eine weitestgehende, letzte Kondensationsstufe erreicht ist; benennt doch die Aussage den Bildempfänger, jedenfalls im Satzrahmen, überhaupt nicht. Die Metapher ist somit eine syntaktisch sehr variable Prädikation, die sich auf verschiedene Weisen, relativ entfaltet oder relativ kondensiert, präsentieren kann. Somit erweist sich der Vergleich als Explikans zum Explikandum Metapher als untauglich;
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und auch umgekehrt läßt sich die Metapher zwar vergleichsartig erweitern, aber eben nur zu einem - die Metaphorizität 'übernehmenden' - Pseudovergleich.
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Letzterer Alternative schließen sich etwa Kalimeyer et al. (1974: 165) an, wenn sie feststellen: "Diejenigen Lexeme [...], die sich referentiell auf projizierte (d. h. auf veranschaulichte Geschichten) beziehen, wollen wir als Bildempfänger bezeichnen. Demgegenüber bezeichnen wir solche Lexeme [...], die sich auf Geschichten beziehen, aufweiche erstere projiziert werden, als Bildspender." Wir lassen unberücksichtigt, daß auch das Attribut groß hier als Metapher - genauer: als (Sekundär-) Metapher - verwendet wird. Genaueres hierzu, d. h. eine textlinguistische Begründung dieser These, findet sich in Tschauder (1991: 70). Daß die Gattungsbezeichnung der Löwe (generell) nicht mit der Bezeichnung der Gattungsexemplare alle Löwen gleichgesetzt werden darf, wird ja schon deutlich, wenn man die unterschiedlichen Wahrheitswerte von Aussagen wie Der Löwe lebt im Rudel und Alle Löwen leben int Rudel berücksichtigt; denn schließlich leben zahlreiche Löwen weltweit in Zoologischen Gärten (vgl. Herbermann 1981: 235ff.). In aller Regel deshalb, weil prinzipiell natürlich auch ein generell verwendeter Gattungsname (als Bildempfängerbezeichnung) mit einem metaphorischen Prädikat verbunden werden kann, so etwa in der Behauptung: Homo hotnini lupus. Damit wird nicht behauptet, Eigennamen könnten niemals metaphorisch verwendet werden. Zu Beispielen wie Er ist ein (kleiner) Einstein vgl. Tschauder (1991: 72f.). Kallmeyer et al. (1974: 162f.) nahem sich dieser Argumentation, indem sie ganz in unserem Sinne feststellen, daß Äußerungen wie Der Kerl hat Bärenkräfte und Der Kerl hat Kräfte wie ein Bär die gleiche Metapher konstituieren; sie übersehen dabei aber, daß diese metapherntheoretische Gleichsetzung nur deshalb korrekt ist, weil letztere Äußerung gar keinen - echten - Vergleich darstellt. Explizit etwa in dem Beispiel: Du bist wie eine Blume, l So hold und schön und rein (H. Heine. - Ich verdanke die Erinnerung an dieses Beispiel der an meinen Vertrag anschließenden Diskussion). Fehlt eine solche explizite Nennung, dann muß - vorausgesetzt, es handelt sich nicht um eine konventionelle Metapher, deren Semantik in einer Sprachgemeinschaft aus zahlreichen Texten hinreichend bekannt ist - das Tertium mit mehr oder weniger Lektüreaufwand im Kontext gesucht werden. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß diese Suche, abhängig vom Kühnheitsgrad der Metapher, bei verschiedenen Rezipienten zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen fuhren kann.
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LES DIFFERENTS NIVEAUX D'AMBIGUITE LINGUISTIQUE
Grazyna Vetulani
1. Introduction Dans beaucoup de travaux, unite fundamentale de la description linguistique est la phrase independante ou bien, dans les analyses conversationnelles, la phrase concatonee ä une autre, c'est-a-dire un contexte d'enunciation. Les deux approches mettent en evidence un probleme de premiere importance dans etude du langage naturel, notamment celui de l'ambiguüte. Si les linguistes s'arretent le plus souvent au niveau de la phrase, c'est dans le but de determiner en premier lieu si eile est ambigue ou non et, au cas oü eile offre plusieurs interpretations, Us cherchent ä trouver leur nombre exact. Du fait que tous les hommes n'ont pas la meme experience socio-culturelle, le nombre des interpretations peut varier d'un lecteur ä l'autre. Par ailleurs, sail bien que toute phrase peut etre dosambiguisee par la situation d'apparition. On pourrait done se demander quel interöt presente de 1'analyse de la distribution ä 1'interieur d'une phrase isolee. La reponse la plus naturelle est qu'elle y est le mieux observable. Aujourd'hui, on considere que les mots n'ont pas d'autonomie syntactico-semantique et que les phrases complexes posent trop de problemes d'interpretation. Ainsi, c'est la phrase simple qui devrait etre considered comme unite de base. M. Gross (1981: 48) considere que: Les entries du lexique ne sont pas des mots, mais des phrases simples. Ce principe n'est en contradiction avec les notions traditionnelles de lexique que de fagon apparente. En effet, dans un dictionnaire, il n'est pas possible de donner le sens d'un mot sans utiliser une phrase; ni de contraster des emplois difforents d'un meme mot sans le placer dans des phrases.
Notons que si la desambigu'isation des phrases est souhaitable, ou meme necessaire pour la comprehension d'un texte donne, eile ne Test, pourtant pas, universelle. II est facile d'imaginer des circonstances ou I'ambigui'te serait effet recherche par 1'auteur. C'est le cas, par exemple, dans le langage de la presse oü, l'ambiguüte d'un litre ou d'un passage peut etre recherchee par 1'auteur pour eveiller la curiosite du lecteur. Dans la traduction, on est oblige de preserver le nombre des interpretations possibles. La linguistique se pose comme but 1'analyse des phrases ä plusieurs sens afin de pouvoir reduire I'ambiguite dans les situations oü eile n'est pas souhaitee. (Voir les situations oü l'ambigu'ite pourrait etre dangereuse: interpretation des textes juridiques ou la traduction des instructions concernant le fonctionnement de certaines machines susceptibles de provoquer des accidents.)
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2. Sources de l'ambigu'ita II va de soi que la possibilite" d'attribuer ä une phrase ambigue des reprosentations correspondantes ä chaque lecture peut acce!6rer de maniere considorable les travaux lios ä la traduction et au traitement automatique du langage. Actuellement, il est encore difficile de rägler le probleme complexe de telles phrases, surtout ä cause du fait que les sources de rambigu'ite1 sont multiples. Parmi les facteurs citons: les facteurs lexicaux les facteurs syntaxiques -les facteurs logico-se'mantiques les facteurs pragmatiques 2.1. L'ambiguute'lexicale I/ambiguite" lexicale rosulte du sens inhorent des mots. Comme "le sens ou la signification d'un mot n'est pas la realiti qu'il d6signe, mais la reprosentation mentale que se fait de cette realito" (Grevisse 1988: 283), la plupart des mots sont pourvus de plusieurs acceptions. En realit6, peu de mots sont monosomiques. L'ambigu'it6 lexicale qui est principalement due ä la polysomie est tres fr6quente dans le langage. Laissons de cöte les phe"nomenes lios ä l'homophonie ou il est question de Fambiguüte' orale (par exemple: saint, sain, sein), et prenons comme exemple de l'ambiguütö lexicale le verbe voir qui, dans certaines situations, peut apparaitre avec une signification nettement sensorielle (1) De ma fenetre, je vois arriver la voiture de Pierre
et qui, dans d'autres, vihicule plusieurs sens, plus ou moins figure's, ce qui rend la phrase ambigue. Par exemple: (2) Je vois que ma Mile est malade
que peut interproter comme: 1) je la considere malade parce qu'elle est pale ou 2) je constate la maladie en consultant les rosultats d'analyses medicates. Dans ce deuxieme cas, l'emploi du mot voir peut etre figuro (=je constate) ou ovoquer la lecture d'une flehe de risultats modicaux (done, If encore, il peut avoir un caractere sensoriel). L'exemple de (3) Les jumelles grossissent
(Arrivo/Gadet/Galmiche 1986: 60) illustre le cas diff6rent de l'ambiguitf lexicale. Cette construction montre notamment Tambiguitö du mot jumelle: soeur ou appareil optique, de meme que celle de grossir: prendre du poids ou amiliorer la vision. Si les lectures de la phrase (2) se rapprochent, la phrase (3) aboutit ä des lectures tres differentes. En meme temps, la dosambigu'isation des phrases comme (3), toute banale qu'elle soit, est essentielle pour la coh6rence du discours, tandis que la dosambigu'isation "profonde" des phrases comme (2) peut paraitre marginale. 2.2. L'ambigu'ito syntaxique Du fait meme de l'homonymie (ou substantifs, adjectifs ou verbes se prosentent dans la langue par!6e ou 6crite comme formellement identiques), il peut se präsenter en francos un
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conflit de rattachement de Constituante. Evidemment, comme l'homonymie de deux termes est une simple ressemblance formelle, eile ne provoque aucune ambigu'it6 parce que le contenu (voir le sens) des termes est different; dans le traitement automatique, on rencontre pourtant des constructions equivoques dues au probleme ginoral 1) de reconnaissance des lexemes, 2) d'incidence des comploments prepositionnels dans une phrase. Citons d'apres Arrivo/Gadet/Galmiche (1986: 60) l'exemple de (4) La belle porte le voile
Ainsi, la construction (4) peut etre analysee en: 1) determinant, nom, verbe, diterminant, nom ou 2) doterminant, adjectif, nom, pronom, verbe. De meme dans: (5) Je reajois un vase de Chine
on peut rattacher de Chine au verbe recevoir (compliment de provenance) ou au nom vase (compliment du nom). 2.3. L'ambiguM logico-simantique Le facteur logico-somantique peut etre aussi une source importante d'ambigu'ito. Par exemple, I'ambigu'iti peut risulter de la coexistence des syntagmes quantifids dans une ιτιέιηβ phrase. On pourrait dire qu'une phrase donnoe offre plusieurs lectures parce qu'elle comporte deux (ou plusieurs) quantificateurs et qu'elle informe sur les relations entre les arguments (arguments dont les quantificateurs font partie). L'otude des phrases de ce type occupe une place importante dans la se*mantique d'aujourd'hui et ses risultats, aussi partiels soient-ils, contribuent une meilleure comprohension du probleme. II s'avere que les difficultos d'interpretation sont Hoes la coexistence des quantificateurs dans une m£me phrase et non pas leur nombre. L'une des mithodes adaptee ce type de problemes vient de la logique mathomatique, et, plus pr6cisoment, du calcul des prodicats, dont le formalisme peut parfois rendre compte de diffirentes interpolations. Comparons: (20) Chaque gallon choisit la plus belle fille que Γόη peut rendre en: a) (3y)F (VxXJ C(x,y) b) (Vx)G (3y)F C(x,y)
Les deux schomas different par l'ordre des symboles reprosentant les quantifieurs (3 et V). Deux transformations de la phrase (20) en termes de logique symbolique nous montrent deux manieres d'interpriter de cette phrase: a) il n'y a qu'une fille que tous les garcons trouvent la plus belle et b) il y en a plus, chacun choisit une certaine fille qu'il considere la plus belle, parfois c'est la meme, parfois non. Comme nous venons de le voir, les phrases de ce type se laissent interproter l'aide du formalisme 6voque\ II s'avere pourtant que les moyens du calcul des pridicats ne suffisent pas toujours pour expliciter le sens d'un 6nonc6 sous la forme d'un schema reprosentant en mime temps sa structure. Dans beaucoup de phrases, I'ambiguM est due Γ interpolation du prodicat meme et non pas celle des arguments. La phrase contient notamment une information implicite sur les ovonements, c'est-a-dire sur le fait que le prodicat exprime une idoe, une proprioto, une
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relation ayant le caractere d'un ένέηειηεηΐ individuel ou bien ayant une nature r£pe"titive, lorsqu'elle reprosente une idee ou une proprioto gonorale. Les linguistes distinguent deux types de phrases: 6v6nementielles et gin6riques. R&emment, nous avons largement otudie" les manifestations quantificationnelles en fran9ais de meme que les tentatives de remddier aux ambigu'it6s qui en rosultent; ceci dans les syntagmes nominal et verbal et aussi dans le groupe adjectival. Ici, nous nous contentons de souligner que c'est la coexistence de plusieurs quantifieurs qui pose un probleme de description et que l'objectif viso est Γ interpretation globale de la configuration des quantifieurs dans la phrase (Vetulani 1991). 2.4. L'ambigu'ito pragmatique Le dernier type d'ambigu to 6tudi6 dans ce travail est connu dans la littorature sous le nom de I'ambigu'it6 pragmatique. Depuis J. L. Austin (1962) et J. R. Searle (1969) qui ont 6\abor6 une throne des actes de discours, les pragmaticiens otudient intensivement les phrases en tant qu'actes sociaux, en analysant ce qu'elles 'font'. Autrement dit, on 6tudie le langage par l'usage qu'en f nt les interlocuteurs en interaction de communication. Parmi difforentes approches et perspectives discursives pour le fransais, on peut signaler surtout les travaux de O. Ducrot, G. Fauconnier, C. Kerbrat-Orecchioni, F. Recanati, et E. Roulet. Parmi les actes que Γόη appelle illocutionnaires, on distingue, entre autres, ceux qui consistent a: con seiller ordonner interroger accuser informer supplier remercier
avertir et ainsi de suite. Les exemples les plus froquents dans la Htt6rature sont du type: (25) II est interdit de fumer (26) Defense d'entrer
qui sont ambigus parce que, dans difforentes situations d'ononciation, ils peuvent dtre ίηΙβφΓέΙέβ comme de simples constatations ou comme des interdictions. En gέnέral, il s'agit de phrases qui ont en commun d'etre formulee de la meme maniere (par exemple de maniere declarative) et qui peuvent avoir, chacune, une autre force illocutoire. Comparons: (27) Je ne peux pas vous aider (28) J'aimerais que vous m'aidiez (29) Vous devriez vous reposer
Les phrases expriment respectivement: refus, sollicitation, et conseil. Comment d6finir le sens d'une phrase? Pour les somanticiens cela veut dire etre capable
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d'identifier l'e*tat de choses qu'elle reprosente. La phrase affirmative, selon diffirents contextes d'ononciation, peut reprosenter un i t de choses ou un autre. J. R. Searle (1979) r6pond: Les phrases ont un sens littoral. Le sens littoral d'une phrase est entierement d&ermino par la signification des mots (des morphemes) qui la composent et par les regies syntaxiques selon lesquelles ces elements sont combines. II peut arriver qu'une phrase ait plus d'un sens littoral (ce sont des cas d'ambiguite) ou que son sens littoral fasse defaut ou soil ininterprdtable (non-sens). 11 faut otablir une distinction nette entre le sens littiral d'une phrase et ce que le locuteur veut dire lorsqu'il inonce lors d'un acte de langage, car la signification de I'ononciation peut s'eloigner du sens Ιίΐΐέηΐ de diffeVentes manieres.
Jusqu' pr sent nous avons par!6 de phrases inde*pendantes, on peut dire, d'actes de langage isolos ou de discours finis. Aujourd'hui, certains linguistes s'efforcent de resituer l'6tude des actes de langage dans le domaine de l'interaction. Ils considerent que le langage, par sa nature somiotique, est fait pour etre communiqu6. Ceci semble etre vrai, surtout quand on constate que le locuteur se met produire un discours au moment o il a un probleme en tete. II le formule, c'est- -dire le prononce ou Fecrit, pour un destinataire (connu, anonyme ou pour lui-m£me). C. Kerbrat-Orecchioni (1986) dit: "[...] tout nonc , mfime monologal, est done virtuellement dialogal". D'apres l Opinion devenue courante, une £nonciation est signifiante uniquement dans le cas o eile s'effectue entre des ononciateurs qui sont en relation interactive. II est vrai que certains emplois de certains mots ne peuvent etre compris en dehors d'un usage (avec le sens que Γόη leur attribue). Par exemple: (30) Qu'est-ce qu'on fait? (31) Allons toujours au cafe"
o toujours n'a pas de sens temporel, mais il vohicule le sens suivant "je sais que ma proposition n'est pas enthousiasmante, mais eile ne prosente pas non plus d'inconvdnients, c'est une derniere solution, on verra apres". Si Γόη accepte que c'est Γ usage interactif du langage qui est signifiant et qui attribue la phrase le sens voulu par le locuteur, il faut admettre ensuite que l'interlocuteur est oblig6 de reconnaitre l'intention de l'auteur du message. Pourtant, tous les jours, nous sommes confrontos aux malentendus issus de la communication. Il nous arrive d'etre mis dans des situations ou nous crayons comprendre Γέηοηΰέ qui nous est adresse" parce que nous comprenons parfaitement tous les mots. Inflexion faite, il s'avere que nous nous posons la question sur ce que l'auteur du message voulait vraiment nous dire. Comme nous 1'avons dej dit plus haut, on peut chercher la source de ces malentendus dans difforentes expe"riences (cultures, images ou prejug s) des locuteurs. A cela Γόη pourrait ajouter les problemes psychologiques des utilisateurs du langage. Probablement, aussi, la nature de momorisation des mots n'est pas la meme chez tous les sujets parlants.
3. Conclusion Dans ce travail nous avons voulu montrer que I'ambiguuto est due aussi bien des problemes d'otablissement du sens ou de la r£f6rence qu'aux ΐηΐεφΓέΙαΙΐοηβ pragmatiques effectuees par
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les interlocuteurs. L'ambigu'ito est, peut-£tre, un cas limite de l'oquivoque de la langue, si teile est sa nature. On pourrait soutenir 1'idee que la langue est autre chose qu'un moyen de communication parfait et univoque: c'est aussi un lieu de plaisanterie, de jeux de mots, de calembours, de poosie, de malentendu et d'inconscient. "Etre ambig , c'est laisser l'autre le choix de Γ interpolation qui lui convient le mieux, mais c'est evidemment aussi courir le risque d'6tre mal compris" (Roulet 1981). Bien que, actuellement, il existe beaucoup de mothodes qui tentent de rogler le probleme des phrases ambigues, notre connaissance, on n'a pas encore re*ussi rosoudre le probleme de maniere satisfaisante. Les exemples que nous avons prosentds montrent qu'il n'est pas possible, par les moyens dont on dispose (inadaptation des dictionnaires linguistiques) de reconnaitre mecaniquement certaines constructions.
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SEMANTIC ANALYSIS OF POLISH QUESTIONS IN THE DIALOGUE SYSTEM EXP/ERT
Zygmunt Vetulani
The project EXP/ERT is the continuation of a project which was realized at the UAM during 1986-1990 and was partially sponsored by the Polish Government Grant CPBP 08.05 (contract 3 05 01 09). It was realized by Zygmunt Vetulani (project manager - Dept. of Math. UAM) together with Jacek Martinek (Technical University Poznan), Katarzyna ZawiasaStaniszewska (Art History Dept. UAM) and (since 1989) Jerzy Bartoszek and Pawel Tronowski (both from the TU Poznan). The linguistic and knowledge-representation-relevant aspects of the system were partly presented to the participants of the last three Linguistic Colloquia (Bremen 1989, Paderborn 1990, Poznan 1991; cf. Bibliography). The natural language interface to the system EXPERT (Vetulani) is now being developed as an autonomous module.
1. General description of EXPERT The goal of the project EXPERT was to supply an 'intelligent' tool for converting a traditional data base of source texts (short documents such as articles, announcements, posters, etc.) into a computer-controlled one and for maintaining such a data base. The main parts of the architecture of EXPERT are: the 'formatting subsystem' organizing the informal data base into the low-level data base of formatted documents and the 'querying subsystem' - a natural language interface to the system. The two main high level tools used for realizing the prototype of EXPERT are the kernel of dialogue systems (Martinek 1988) and the DCG-based parser of Polish (BPII-parser by Vetulani, cf. the Bibliography below). For each single document the formatting subsystem produces a corresponding set of frames (feature structures). This data base of formatted documents is then compiled into PROLOG. Only this compiled form is directly accessible to the answering system. The answering sub-system of EXPERT is a powerful interface based on the syntactic/semantic analysis of Polish questions. The key ideas underlying the implementation of the natural language module are: a) predicate-argument syntax, b) dictionary of (inflected) word forms (compatible with the lexicon-grammar approach), c) set-theoretical compositional semantics, d) Definite Clause Grammar as linguistic formalism, e) pre-analysis as search-space-limiting device, f) separation of semantic analysis from the parsing at the run time (2-runs execution), g) PROLOG as implementation environment.
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2. Set-theoretic semantics 2.1. The semantic approach underlying this implementation is derived from the logical tradition (Ajdukiewicz; Belnap and Steel). The affirmative sentence is regarded as a predicateargument structure and is assumed to contain relational (set-theoretical) information (Vetulani 1989b). The predicate (at the surface - verb or other predicative element) refers to some relation from the data-base (or derivable from the data base). Its arguments are sets (implemented as lists). It is assumed that the predicate opens obligatory argument positions for: a modal argument (affirmation, doubt, interrogation, ...), referential arguments (representing entities or sets of entities), temporal and locational arguments, and possibly some non-obligatory positions, e. g. modifiers of the predicate (adverbials). Within this approach questions are considered to be relational patterns with undetermined elements ('question variables'). Question variables are typically represented at the surface by interrogative pronouns. Answering a question will essentially mean to find structures matching the corresponding question pattern and to output values corresponding to question variables. The essential feature of our approach consists in using sets to be associated with arguments as representing meaning. Sets are represented extensionally (which is acceptable in the applications involving small domains, but may be expensive in some cases). Except trivial cases of sentences with one-element arguments, it is generally not enough to identify the relation as corresponding to the predicate and to calculate sets which correspond to arguments in order to understand the sentence. We also have to know the distribution of the relation with respect to these sets (i. e. we have to know exactly how the graph of the relation looks like). This information may usually be correctly inferred from the analysis of the quantifier structure associated with arguments. This is a difficult problem of natural language processing because of the ambiguous character of NL quantifiers. Many languages, and among them Polish, pose problems to identify the quantifier structure because of the systematic use of implicit quantifiers (no quantifier marks appearing at the surface). At the present stage there is not any explicit analysis of the quantifier structure implemented in the system. Instead, some default distribution type is associated with particular combinations of noun phrases of various types. Within this approach a great amount of set processing is necessary to calculate the value of the sentence. Union, intersection, cartesian products, projection are typical operations executed by the semantic evaluator. 2.2. Organization of semantic processing: 2-run analysis We have chosen the solution where the grammar rules contain a part of syntactic information (the rest being encoded in the lexicon) as well as (calls for the) procedures of compositional semantics. As we use a backtracking parsing algorithm proper to PROLOG (made reasonably effective by combining it with various kinds of pre-analysis) we decided to separate, at the
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execution stage, the semantic and syntactic calculation, without however changing the philosophy which consists in specifying jointly syntactic and semantic aspects of the analysis in one and the same rule. The desired solution is achieved by using the '2-run analysis' method (Vetulani 199Ic). It consists of adding two-argument positions to the rules: the run_index_position (taking as arguments 0 or 1) and the parse_tree_position. The rules have the following form: component(Run_ind,comp_parse_tree(Tl ,T2),Sem,XO,X2) :sub_componentl(Run_ind,Tl ,Seml ,ΧΟ,ΧΙ), sub_component2(Run_ind,T2,Sem2,Xl,X2), semantics(Run_ind,Seml ,Sem2,Sem).
Semi and Sem2 are semantic values of sub components and the procedure 'semantics' calculates the semantic value Sem of the whole component. The first run of the analysis corresponding to the evaluation of the sub-goal ':-sentence(0,T,_,Ws,rj)' will result in the evaluation of the syntactic parameter T (syntactic tree of the sentence encoding the minimal, i. e. backtracking free, way /path/ through the search tree), and the semantic procedures will not be active in this run (Run_ind=0). The second run corresponding to the sub-goal' :-sentence(l ,T,Q,S,Q)' is controlled (deterministically) by the syntactic tree substituted for T and it results in the value S which is in this implementation a query to the PROLOG data base. Thus the functional schema of the ML interface to the system would be reflected by the following rule: nlp:read_in_the_question(S), sentence(0,T,_,S,[]), sentence(l,T,Q,S,[]), answer(Q).
Making systematic use of the compositionality principle, we do not ignore the existence of non compositional (but complex) units in the language. Such constructions must be detected at the segmentation stage during the syntactic analysis or pre-analysis. Non compositional elements such as idioms, complex nouns etc. are thus considered to be atoms of the compositional analysis.
3. PROLOG data base of EXP/ERT The PROLOG data base of the system has a clausal character. Sets and relations are represented by PROLOG clauses (rules and facts) and individuals by PROLOG atoms. Correspondingly proper names are associated with individuals. The relations are typified, i. e. types (defined by unary relations) are associated with each argument position. Proper names are assigned to the individuals by a binary data base relation. This assignment is then combined with the lexical information from the external dictionary and a virtual dictionary of proper names is produced at the loading time of the data-base. Relations may be defined extentionally (using simple facts only), using conditions (clauses), procedurally or by using hybrid definitions (clauses and/or facts and/or procedures). Some of the relations in the system hold between the elements of our subject domain (UNIVERSE) and the elements or relations of the
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language and therefore may be considered to be of higher order (or meta-relations). The arity and types of arguments are explicitly associated with all relations (predicates). The set of all individuals constitutes a hierarchy which is partially ordered by inclusion. This hierarchy forms a typology of objects and is useful when answering questions about the nature/type of an entity (who is Peter?). This hierarchy is derivable from the definitions of domains, but it is useful to have it explicitly specified in the data base. 4. Selected examples The examples listed below are selected recordings of question-answer pairs as they appear on the screen (except comments in /*...*/). This selection reflects (although not exhaustively) the variety of syntactic and semantic problems solved within this system. This variety includes: existential questions (requests for confirmation or Wh-questions) (1, 10) confirmation/refutation questions of the form "Czy (whether)+affirmative_sentence" (2, 3, 5, ...) - Wh-questions about arguments (4, 9, 21) confirmation questions or wh-questions about location (11, 12, 13, 14) questions about time (18) typological questions (classification of an individual) (22, 23) - descriptive questions (17) free order of arguments and predicate (5a, 5b) Semantic analysis of questions is based on the compositionality principle and the essential part of the task consists in the evaluation of arguments. Various kinds of arguments are taken in consideration: simple proper noun (11, 14) complex proper noun (3) conjunction and inside the argument (2, 19, 20) common noun (implicit existential quantification) (6) - common noun (implicit universal quantification) (15) complex common noun (18) pronominal argument (implicit existential quantification) (5, 7) complement of the noun (16, 17) relative clause (7, 8) Predicates may also be of various kinds: one argument referential predicates (1) two argument referential predicates (2, 3) three argument referential predicates (21) locational predicates (11, 12, 13)
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The format of the examples is as follows: a. Question b. Answer(s) (+ information necessary for producing the full answer) c. Comments (separated with /*...*/) Mb. The letter χ is systematically used in the input string to encode Polish diacritics (actually not accessible from the keyboard). 1. Que. Co istnieje? /* What exists (in the data base)? */ Ans. Lelum_Polelum. Ans. Bitwa pod Grunwaldem. Ans. Poznan. Ans. Piotr. Ans. Marysia. Brak dalszych odpowiedzi! /* No more Answers! */
2. Que.: Czy Marysia i Piotr zorganizowali wystawex Lelum_Polelum? /* Did Mary and Peter organize the exposition Lelum_Polelum? */ Ans.: Tak! /* Yes! */ /* the relation is distributed on both entities of the complex subject (Mary and Peter) */ 3. Que.: Czy osoby zorganizowalxy wystawex Lelum_Polelum? /* Did (some) persons organize the exposition? */ Ans.: Tak, na przyklad Piotr ! /* Yes, for example Peter! */ /* The undetermined subject "osoby" (persons) is interpreted as being existentially quantified, thus the semantic processing here consists of calculating the set of (positive) examples, among which only the first one is used in the answering procedure */ 4. Que.: Kto zorganizowalx wernisazx? /* Who organized the varnishing- day? - wh-question about the subject */ Ans.: Piotr. /byc_org (Piotr|mian,nazwa_nieznana|bier) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ /* here and in several examples bellow the 'minimal' answer ("Piotr") is completed with more detailed information in the form of an elementary predicate-argument structure which corresponds to a simple sentence (the case-information necessary for generating the surface form is included there as well; if the answer is composed of individuals whose name is not known to the system, then the label "nazwa_nieznana" (name_unknown) is used */ 5a. Que.: Czy ktosx cosx zorganizowalx? /* Did somebody organize something? */ Ans.: Tak, na przyklad Piotr ! /* Yes, for example Peter! */
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5b. Que.: Czy ktosx zorganizowalx cosx? /* Did somebody organize something? */ Ans.: Tak, na przyklad Piotr ! /* Yes, for example Peter! */ /* if more than one undetermined argument appears in the question, the leftmost undetermined argument of the question is considered to be implicitely determined by the existential quantifier (cf. the next example) */ 6. Que.: Czy Piotr zorganizowalx wystawex? /* Did Peter organize an exposition? */ Ans.: Tak, na przyklad [bier,Lelum_Polelum] ! /* Yes, for example [bier,Lelum_Polelum]! - "bier" is the case index for accusative */ 7.
Que.: Czy ktosx, kto zorganizowalx wystawex, zorganizowalx wernisazx? /* Did someone who organized the exposition, organize the varnishing-day? */ Ans.: Tak, na przyklad Piotr ! /* Yes, for example Peter! */
8. Que.: Czy organizator, ktoxry zorganizowalx wystawex, zorganizowalx wernisazx? /* Did the organizer who organized the exposition, organize the vernissage? */ Ans.: Tak, na przyklad Piotr ! /* Yes, for example Peter! */ 9. Que.: Kto zorganizowalx cosx? /* Who has organized something? */ Ans.: Piotr. /byc_org(Piotrjmian,Lelum_Polelum|bier) Ans.: Piotr. /byc_org(Piotrjmian,nazwa_nieznanajbier) Ans.: Marysia. /byc_org(Marysia|niian,Lelum_Polelumjbier) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 10. Que.: Czy istnieje ktosx, kto zorganizowalx cosx? /* Is there anybody who organized something? */ Ans.: Tak, kilka, w szczegolnosci istnieje: Piotr ! 11. Que.: Gdzie jest Marysia? /* Where is Mary? - In Krakow. */ Ans.: [Krakow,[miejsc.w]]. /znajduje_sie(Marysia,Krakow,w) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 12. Que.: Gdzie znajduje siex Marysia? /* Where is Mary? - In Krakow. */ Ans.: [Krakow,[miejsc,w]]. /znajduje_sie(Marysia,Krakow,w) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */
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13. Que.: Czy Marysia mieszka w Poznaniu? /* Does Mary live in Poznan? - I cannot confirm it. */ Ans.: Nie potrafie tego potwierdzic! 14. Que.: Gdzie mieszka Marysia? /* Where does Mary live? - In Krakow. */ Ans.: [Krakow,[miejsc.w]]. /znajduje_sie(Marysia,Krakow,w) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 15. Que.: Gdzie znajduje siex obraz? /* Where is the painting?; several answers were found in the data base */ Ans.: [Krakow,[miejsc,w]]. /znajduje_sie(Bitwa pod Grunwaldem, Krakow,w) Ans.: [wawel,[miejsc,na]]. /znajduje_sie(Bitwa pod Grunwaldem, wawel, na) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 16. Que.: Gdzie znajduje siex organizator wystawy? /* Where is the organizer of the exposition? */ Ans.: [Poznan,[miejsc.w]]. /znajduje_sie(Piotr,Poznan,w) Ans.: [Krakow,[miejsc.w]]. /znajduje_sie(Marysia,Krakow,w) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 17. Que.: Jaki jest adres wystawy? /* What is the address of the exposition? */ Ans.: ul. Engestroma 16/83. Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 18. Que.: Jaka jest data otwarcia wystawy? /* What is the opening date of the exposition? */ Ans.: l styczen 1990. /* The first of January 1990. */ Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 19. Que. Gdzie znajduje siex cosx? /* Where is something? */ Ans. [Krakow,[miejsc,w]]. /znajduje_sie(Bitwa pod Grunwaldem, Krakow, w) Ans. [wawel,[miejsc.na]]. /znajduje_sie(Bitwa pod Grunwaldem, wawel, na) Ans. [Poznan, [dop,kolxo]]. /znajduje_sie(Slupca,Poznan,kolxo) Ans. [Poznan,[miejsc.w]]. /znajduje_sie(Piotr,Poznan,w) Ans. [Krakow, [miej sc,w]]. /znajduje_sie(Marysia, Krakow,w) Ans. [Poznan, [miej sc,w]]. /znajduje_sie(nazwa_nieznana,Poznan,w) Ans. [Krakow,[miejsc.w]]. /znajduje_sie(nazwa_nieznana,Krakow,w) Ans. [Warszawa,[miejsc,w]]. /znajduje_sie(nazwa_nieznana,Warszawa,w) Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */
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20. Que.: Czy Piotr i Marysia sax organizatorami? /* Are Peter and Mary organizers? */ Ans.: Tak! /* Yes! */ 21. Que.: Czy Piotr i Marysia zorganizowali cosx? /* Did Peter and Mary organize something? */ Ans.: Tak, na przyklad [bier,Lelum_Polelum] ! 22. Que.: Co Piotr dalx Marysi? /* What did Peter give to Mary? */ Ans.: [Bitwa pod Grunwaldem,bier]. /* painting "Bitwa pod Grunwaldem" */ Ans.: [nazwa_nieznana,bier]. /* name unknown */ Brak dalszych odpowiedzi! /* No more answers! */ 23. Que.: Kim jest Piotr? /* Who is Peter? - A person. */ Ans.:[osoba,narz] /* A person */ 24. Que.: Czym jest cosx, co Piotr dalx Marysi? /* What is that thing that Peter gave Mary? */ Ans.: [obraz.narz] /* A painting */
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SPRACHLICHE PROPOSITIONALITÄTSTESTS
Ulrich Hermann Waßner
Der Begriff der Proposition hat in den letzten fünfundzwanzig Jahren weite Verbreitung gefunden und nimmt heute eine zentrale Stelle im Begriffsgebäude der Sprechakttheorie und vieler anderer Teildisziplinen der Linguistik ein. Zumeist wird er in der betreffenden Literatur einfach als bekannt vorausgesetzt; nur selten unterzieht man sich der Mühe eines Definitionsversuches. Dabei gibt es für ihn sehr viele unterschiedliche Bestimmungen. Daraus resultieren vielfach widersprüchliche Aussagen.1 Für die Linguistik ist deswegen ein sprachlicher Propositionalitätstest oder eine Gruppe solcher Tests ein Desiderat. Solche Tests sollen eine Möglichkeit liefern, auf der Basis sprachlicher Gegebenheiten zu entscheiden, was eine Proposition ist oder zur Proposition gehört, was nicht. Das Resultat soll - aufgrund der sprachlichen Kompetenz der Testbenutzer - intersubjektiv überprüft werden können, und so soll es möglich sein, über das bloße Behaupten der Propositionshaftigkeit eines sprachlichen Phänomens hinauszugelangen. Bei der Begutachtung von Propositionalitätstests ist eine wesentliche Unterscheidung zwischen zwei Grundtypen vorzunehmen: (1) auf der einen Seite Tests zur Überprüfung und Entscheidung, ob bei einem gegebenen sprachlichen Phänomen eine (vollständige) Proposition vorliegt, ob es eine enthält, einer entspricht, mit einer verbunden ist oder wie immer man dieses Verhältnis nennen will; die alternativ möglichen Testergebnisse sind hier zum einen, daß mehrere Propositionen vorliegen (wie es bei bestimmten komplexen Sätzen, die in ihrer Gesamtheit einen Sprechakt bilden, sein mag), zum anderen, daß keine vorhanden ist - dies ist nach allgemeiner Übereinkunft z. B. bei Äußerungen wie Guten Tag der Fall; (2) auf der anderen Seite Tests, die innerhalb eines Satzes propositionale von anderen Teilen zu unterscheiden erlauben, mit denen man also entscheiden kann, ob die Bedeutung bestimmter Wörter oder Satzteile zu der Proposition gehören, die mit dem komplexen (Satz-)Zeichen, dessen Teil sie sind, insgesamt ausgedrückt wird, noch anders gesagt: ob bestimmte Wörter im Satz Indikatoren des propositionalen Gehalts (und nicht etwa solche ausschließlich der illokutionären Kraft, der ausgedrückten Sprechereinstellung o. a.) sind. (Im übrigen kann ja daraus, daß ein Teil eines Satzes nicht propositional ist, nicht auf die Nichtpropositionalität des ganzen Satzes geschlossen werden. Auch ist die Annahme, die Proposition insgesamt sei die Summe der propositionalen Teile, kein Gegenargument gegen die hier vollzogene Unterscheidung zwischen den Typen (1) und (2): wenn man weiß, daß bei einer bestimmten Äußerung eine Proposition vorliegt, ist damit diese Proposition noch nicht
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genau bestimmt, weswegen es bei der Formulierung von (1) oben auch nicht heißen darf, "ob die betreffende Äußerung eine Proposition ist".) Eine solche zweifache Unterscheidung des Zielbereichs von Propositionalitätstests wurde, soweit ich sehe, bisher in der Literatur nicht durchgeführt, ist aber dringend erforderlich, da sonst eine nicht unerhebliche Verwirrung über die tatsächliche Leistungsfähigkeit vieler Tests entsteht. Ebenfalls in diesem Zusammenhang bisher kaum reflektiert wurde eine andere Dimension der Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Propositionalitätstests. Es gibt zum einen Tests, die sich in der folgenden Form formulieren lassen: 'Wenn a das sprachliche Merkmal hat, dann gilt immer: a ist eine Proposition bzw. propositionaT. Ein solcher Test baut auf einem hinreichenden, aber nicht unbedingt notwendigen Zusammenhang auf, d. h.: er erfaßt nur, aber nicht unbedingt alle Propositionen bzw. propositionalen Elemente. Auch die umgekehrte Testform ist erkenntnisträchtig: 'Wann immer b die Eigenschaft y hat (oder z. B. nicht hat), dann ist b nichtpropositional'. (Das heißt nicht, daß alles, was die Eigenschaft y nicht hat, deswegen unbedingt schon propositional ist.) Die ideale Form eines Propositionalitätstests wäre die Vereinigung der beiden genannten Fälle, die auf Äquivalenz und nicht nur auf einer einseitigen Implikation beruht; sie wäre etwa so auszudrücken: 'Alles, was das Merkmal z hat, ist eine Proposition (oder propositional), und alles, was es nicht hat, ist keine (bzw. nichtpropositional)'. (Selbst ein solcher Zusammenhang müßte natürlich noch sachlogisch motiviert werden; zu erinnern ist in diesem Zusammenhang immer wieder an den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität.) Daneben gibt es schwächere Formen von Tests mit einseitiger Implikation, die wenigstens bestimmte, allerdings nicht mit Sicherheit alle nichtpropositionalen Elemente sicher ausscheiden oder umgekehrt zumindest einige - und wenn schon nicht alle, so doch möglichst viele - Propositionen oder propositionalen Teile ergeben. Selbst sie sind nicht völlig nutzlos; möglicherweise ergeben mehrere Tests solcher Art zusammengenommen doch ein eindeutiges Ergebnis. - Von welcher dieser Arten der Test ist, untersucht man am besten zunächst je an klaren Fällen, ehe man dann mit dem solcherart 'geeichten' Test zur Anwendung auf Problemfälle übergeht. Ich kann angesichts des geringen zur Verfügung stehenden Raumes bei weitem nicht auf alle in der linguistischen Literatur erwähnten Propositionalitätstests ausführlich eingehen, sondern muß mich auf eine knapp kommentierte Aufzählung beschränken. Zwei Kandidaten sollen aber trotzdem exemplarisch etwas ausführlicher vorgestellt werden. Ein sprachlicher Test für das Vorliegen oder Nichtvorliegen ganzer Propositionen (Typ (1)) läßt sich aus folgenden Beobachtungen ableiten: Harweg zeigt, daß in metakommunikativen Behauptungen verwendete Ausdrücke verschieden lauten, je nachdem, ob mit ihnen auf die Proposition (= das Behauptete) oder auf die Behauptung (= eine, nämlich die assertorische, Art von Illokution) der metaierten Äußerung oder auf einen Sachverhalt (die Ontologische' Ebene) Bezug genommen wird. So kann man auf eine Proposition (sozusagen auf das propositionale Moment einer Äußerung) und nur auf sie Bezug nehmen mit der Formulierung
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Das (= das, was du da soeben behauptet hast) ist nicht der Fall (diese enthält das eindeutigste meta-propositionale Prädikat, vgl. Harweg 1980: 298) oder Das stimmt nicht (vgl. Harweg 1983: 301f.), nicht aber mit *Diese Behauptung l Feststellung /Aussage l These /Antwort ist nicht der Fall (vgl. Harweg 1980: 298); auf Sachverhalte und auf Assertionen bezieht man sich je mit anderen Formulierungen. Harweg gibt noch weitere Ausdrücke an, die das Prädikat einer meta-propositionalen Behauptung ausmachen können. Sie sind aber nicht alle eindeutig der Proposition zuzuordnen. Man sollte deshalb den Test auf die Verwendung eines der oben genannten beschränken. Aber selbst in einem dieser Fälle hat Harweg Probleme mit seiner eigenen Intuition: während er (Harweg 1983: 302) nicht stimmen einfach zu den meta-propositionalen Prädikaten zählt, hatte er (Harweg 1980: 298) noch zwischen einer meta-propositionalen und einer meta-assertorischen (also auf die Illokution bezogenen) Lesart dieses und anderer Ausdrücke geschwankt: diese seien "erheblich weniger deutlich einer der beiden [...] Kategorien [...] zuordenbar". Deutlicher, weil eindeutig n u r mit der Proposition korrelierend, sind die Unterschiede in der Form des Subjektes metakommunikativer Behauptungen. Mit dem Ausdruck das und nur mit ihm wird in solchen Äußerungen auf eine Proposition und nur auf eine solche, nicht aber auf eine Behauptungs-Illokution oder einen Sachverhalt verwiesen (vgl. Harweg 1980: 297; 1983: 295, 301). Die Akzeptanz der Stichhaltigkeit des Tests hängt aber auch in den scheinbar klaren Fällen von der Übereinstimmung gewisser Intuitionen des Lesers mit denen Harwegs ab. Harwegs Erklärung (vgl. Harweg 1980: 299f.), daß und warum Prädikate, die das unbetonte Negationswort nicht enthalten, meta-propositional sind, während solche mit einem negativen Affix (unzutreffend) oder Lexemen wie falsch usw. meta-assertorisch sind, ist doch eher als bemüht zu bezeichnen. Eine wirkliche Erklärung für den Unterschied fehlt noch. Häufig wird (sprachliche oder semantische) Negierbarkeit als Testgrundlage vorgeschlagen, etwa in dem Sinne: was negiert werden kann, ist prepositional; oder auch umgekehrt: was nicht negierbar ist, ist nichtpropositional (also z. B. eine Illokution, eine sprachlich ausgedrückte Sprechereinstellung, eine Präsupposition) (vgl. z. B. Bartsch 1972: 36, 52ff.; Altmann 1976: 71ff.; Lang/Steinitz 1978: 51f., 55; Lang 1979: 206f.; Lötscher 1985: 236, 248). Der Streit allerdings, in welche Richtung diese Implikation geht, scheint mir dann um Kaisers Bart zu gehen, wenn es um 'prepositional' vs. 'nichtpropositional' geht: was das eine nicht ist, ist das andere; tertium non datur. Lang/Steinitz (1978: 78ff.) erklären das genannte Faktum - wenn ich sie richtig verstanden habe - mit zwei Sprechaktklassen (bzw. den damit verbundenen Sprechereinstellungen): negierbar sind demnach nur assertive Sprechakte, z. B. die Beschreibung Ich bedaure, daß Peter kommt; die Nichtnegierbarkeit von Sprechakten z. B. des Bedauerns (sprachlich soll der Unterschied zum eben angeführten Beispiel durch eine Formulierung wie Peter kommt leider sichtbar gemacht werden) liegt daran, daß sie zur expressiven Klasse gehören: diese Art von Sprechakten sei (aus sachlogischen Gründen) nicht negierbar. Demnach würde es sich bei dem
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Negierbarkeitstest nicht um einen Propositionalitätstest handeln, sondern um einen Test zur Unterscheidung zweier Sprechaktklassen. (Aber selbst daran kann gezweifelt werden; Lang/ Steinitz (1978: 72) vermerken, daß die Zusammenhänge zwischen verschiedenen sprachlichen Formen und damit zu realisierenden Sprechakttypen nicht so klar sind wie gewünscht. Nach einem anderen Ansatz - und die in diesem Feld herrschende Verwirrung belegt die Notwendigkeit, Typen von Propositionalitätstests zu unterscheiden - handelt es sich aber beim Negierbarkeitstest gar nicht um einen Test für ganze Propositionen, sondern um einen vom Typ (2), also um einen zur Feststellung, ob Teile von Sätzen oder deren Bedeutungen propositional sind. (Der Hintergrund für diese Unklarheiten scheint mir zu sein, daß das Verhältnis zwischen propositionalen/illokutionären Indikatoren einerseits und der tatsächlich gemeinten Proposition/der real auferlegten illokutionären Kraft andererseits bislang weder begrifflich noch gar empirisch geklärt ist.) In dem Satz Peter kommt leider nicht wird sprachlich negiert, daß Peter kommt - die klassische Form einer Proposition - und dazu ausgedrückt, daß dieser negative Sachverhalt bedauert wird; der Ausdruck des Bedauerns durch leider kann selbst nicht negiert werden, wie die Unmöglichkeit von *Peter kommt nicht leider zeigt.2 Leider ist ein illokutionärer oder Einstellungs-Indikator, das Wort bzw. seine Bedeutung gehört in Sätzen vom Typ Leider p auch nach Lang (1983: 332) nicht zur Proposition. Wenn überhaupt irgendwelche, sind aber bestenfalls 'performativ' (i. e. S.) verwendete illokutionäre Indikatoren nicht negierbar;3 'konstativ' - also beschreibend oder berichtend gebrauchte - können wohl negiert werden und gehören dann auch zum propositionalen Gehalt. Sprachlich können natürlich nur die Indikatoren negiert werden. Aber auch die real auferlegte Illokution ist ebenso wie die gemeinte Proposition in gewissem Sinn negierbar: die Sprechakttheorie hat schon lange (vgl. Searle 1971: 52f.) auf das von dem negativen propositionalen Gehalt eines Sprechakts unterschiedene Phänomen der 'Akte der illokutionären Denegation' aufmerksam gemacht; in neuerer Zeit z. B. Searle/Vanderveken (1985: 4). Das wiederum wirkt sich auch auf die sprachliche Seite aus: Selbst im engsten Sinn performativ verwendete performative Verben (also die reinsten denkbaren illokutionären Indikatoren) können durchaus negiert werden. Dabei wird die Illokution keineswegs propositionalisiert;4 vielmehr handelt es sich tatsächlich um eine Art 'negative Illokution'. Demnach gibt es (mindestens) zwei Arten von Negation, davon nur eine auf die Proposition gerichtet, die sich beide sprachlich nicht unterscheiden lassen, weil beide das Negationswort nicht gebrauchen; der Test erfüllt weder in Klasse (1) noch in Klasse (2) die Erwartungen. Aber sicherlich kann man mit diesem Test doch gewisse nichtpropositionale Teile, z. B. Modaladverbien (Einstellungsindikatoren) oder Modalpartikeln (illokutionäre Indikatoren) als nicht negierbar aus dem propositionalen Gehalt ausscheiden. In diesem allerdings eingeschränkten Sinn hat der Test doch einen gewissen Wert. Mir sind über die beiden genannten hinaus im einzelnen folgende potentielle Propositionalitätstests bekanntgeworden:5 Neben dem Negierbarkeitstest sicher die verbreitetste Gruppe von Tests ist die, die mit
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Fragen zu tun hat. Zu ihr gehört der Erfragungstest: Satzteile, die objektsprachlich mit einer W-Frage oder alternativ erfragt werden können, sind prepositional (vgl. z. B. Altmann 1976: 84ff.; Lang 1983: 332; Lötscher 1985: 237). Bestimmte nichtpropositionale Elemente können dagegen nicht erfragt werden, z. B. gewisse modale und illokutionäre Indikatoren (z. B. Modalpartikeln). Andererseits können z. B. appositive Sätze (Parenthesen usw.) nicht objektsprachlich erfragt werden, sind bzw. enthalten aber nach allgemeinem Verständnis auch Propositionen; ähnliches gilt für propositionale Satzglieder: wenn z. B. Fragepronomen nicht erfragbar sind, aber zur Proposition gehören, wird der Wert dieses Tests sehr gemindert. Eine zweite vorgeschlagene Testform, die Fragen nutzt, ist der Bezweifeltest: Was durch die Frage Wirklich? bezweifelt oder z. B. durch Ist das wahr/wirklich der Fall? in Frage gestellt werden kann, enthält eine oder entspricht als ganzes einer Proposition (vgl. Bartsch 1972: 52; Lang/Steinitz 1978: 52; Lötscher 1985: 237). Eine dritte derartige Möglichkeit ist der Test mittels U m s e t z u n g in eine Satzfrage: Was in eine Satzfrage umgewandelt werden kann, ist eine Proposition. Nichtpropositionale Teile wie leider fallen bei dieser Umsetzung weg, können nicht in einer Satzfrage vorkommen (vgl. z. B. Hooper 1975: 97; Lang 1983: 332). Daneben gibt es natürlich auch noch Nicht-Frage-Tests, z. B. den Kontrastierungstest: Nicht-Kontrastierbarkeit ist ein Indiz für Nicht-Propositionalität (vgl. Lang 1983: 332). Es ist allerdings fraglich, ob dieser Zusammenhang durch die sprachlichen Fakten gedeckt ist. Koordinationstest: Nichtpropositionale Teile können angeblich nicht koordiniert werden (vgl. Lang 1979: 207, 1983: 332; Lötscher 1985: 237, 248) oder sind zumindest in ihren Möglichkeiten, durch Koordination kombiniert zu werden, stark eingeschränkt. Anders gesagt: Was durch die Satzkonnektive und oder oder koordiniert werden kann, soll eine Proposition sein (vgl. Bartsch 1972: 227ff.; Lang 1979: 206f.). Es ist sehr fraglich, ob das stimmt und damit als Test geeignet ist (vgl. Altmann 1976: 82f.; Lang/Steinitz 1978: 68ff.). Es handelt sich hier wohl um ein Merkmal, das nicht trennscharf ist und daher als Testgrundlage ausscheidet. Satzart: Nur Aussagesätze, wenn auch nicht alle, drücken Propositionen aus (vgl. u.a. Lang 1979: 206f.).6 Obwohl das philosophische Tradition hat, ist es sprachlich sehr zweifelhaft. Man kann - im Sinne Searles - ganz im Gegenteil sogar annehmen: Das, was bei Veränderung der Illokution und/oder des 'Positionstyps' bzw. der Ausdrucksmittel für (mindestens) eines dieser beiden gleich bleibt, das ist die Proposition (vgl. z. B. Wunderlich 1976: 72). Quantifikation stest: (Gewisse) nichtpropositionale Elemente sind nicht quantifizierbar (vgl. Lang 1979: 206f.). Umsetzung in indirekte/berichtete Rede: Der Komplementsatz im Redebericht steht für die Proposition der berichteten Äußerung. Ein altehrwürdiger Test, zu dem Wunderlich (1976: 71) bemerkt: "Die Einbettung in eine indirekte Rede läßt sich [...] als Kriterium verwenden, um festzustelllen [sie], was innerhalb eines Satzes zum Ausdrücken der Proposition bzw. des propositionalen Gehalts dient und was nicht." Er ergibt aber zweideutige
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Ulrich Hermann Waßner
Ergebnisse, wenn nicht bestimmte Bedingungen hinsichtlich des im Bericht enthaltenen verbum dicendi formuliert werden, etwa: es muß möglichst spezifisch sein; man sollte nicht einfach sagte verwenden. (Zu verschiedenen Formen der Redewiedergabe in Abhängigkeit von dem Wiedergegebenen (Äußerungsform, Proposition, Illokution) vgl. z. B. Lang 1983: 329, 332). Bei diesem Test ist darauf zu achten, daß Redewiedergabe zur Propositionalisierung vordem nichtpropositionaler Teile neigt. K o m p l e m e n t v o r a n s t e l l u n g s - T e s t : Was dem "complement preposing" unterzogen werden kann, also die "complement clause", die nach vorne versetzt werden kann, bzw. deren Bedeutung, ist die (hauptsächliche) behauptete Proposition des Satzes (vgl. Hooper 1975: 94f.). Dieser Test ist evtl. zur Unterscheidung von behaupteter Proposition und Präsuppositionen geeignet. Thema-/Fokus-/Topictest: Die Thema-/Rhema-Gliederung eines Satzes erfaßt nur Bestandteile des propositionalen Gehaltes des Satzes, nicht z. B. Modalpartikeln, Modaladverbien oder Einstellungsbekundungen (vgl. Lötscher 1985: 237, 247f.).7 Was prinzipiell weder thematisch noch rhematisch sein kann, gehört nicht zur Proposition; es handelt sich vielmehr um "pragmatische Indikatoren wie Einstellungsbekundungen, Wahrheitseinstufungen der eigenen Aussage, Textverknüpfungen, Bewertungen des Gehalts von Aussagen usw." (Lötscher 1985: 236). Damit wären dann die Kriterien für Thema bzw. Rhema (insbes. Wortstellung und Akzent) auch auf die Propositionalität zu übertragen. Aber: Adverbien i. e. S. (prädikatsmodifizierende Angaben der Art und Weise, insbesondere Zeitadverbien) sind propositionsmodifizierende Satzangaben und gehören zum propositionalen Gehalt (sie bestehen die übrigen Propositionalitätstests), sind aber nicht thematisierbar (vgl. Lang 1979: 206f.). Modalisier- und Modifizierbarkeitstests: Worauf die Modalformel Es ist sicher l wahrscheinlich /..., daß, Modalverben (möchte, soll) oder Adverbien wie möglicherweise angewendet werden können, das ist eine Proposition. Nichtpropositionale Teile können nicht durch die Gradpartikeln nur, sogar, auch modifiziert werden (vgl. Altmann 1976: 241ff.; Lang/Steinitz 1978: 64; Lötscher 1985: 236f., 248). Auf weitere Tests soll nur noch hingewiesen werden: Suspensionstest: vgl. Altmann (1976: 80f.); Monologischer Widerspruchstest mit aber: vgl. Altmann (1976: 84); Test mit K a u s a l s a t z s t r u k t u r e n : vgl. Lang (1979: 210).
Anmerkungen 1 2 3
Ausführlicher habe ich mich mit diesem ganzen Themenkomplex in Waßner (1992) auseinandergesetzt. Kontrastierender Gebrauch zeitigt hier eine Ausnahme; durch ihn kann der Satz akzeptabel werden (Peter kommt nicht leider, sondern erfreulicherweise). Vgl. dazu Bartsch (1972: 56); Lang/Steinitz (1978: 51ff.). Dabei entsteht vor allem das Problem der tendenziellen Polyfunktionalität: dasselbe sprachliche Zeichen kann in einem bestimmten Satzkontext propositionaler und illokutionärer Indikator sein (vgl. z. B. Searle 1971:
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89). Allgemein, außerhalb des konkreten Verwendungskontextes, gilt das sowieso: selbst performative Verben, also die prototypischen Mittel zur Indikation der Illokution, können performativ (unmittelbar vollziehend, die wirkliche illokutionäre Kraft anzeigend), konstativ (simultan-beschreibend) oder deskriptiv (im Redebericht) verwendet werden. 4 Die These, daß bei Negation die Illokution stets 'propositionalisiert', also berichtet oder beschrieben statt vollzogen wird, vertreten Lang/Steinitz (1978: 64f.). 5 Ganze Listen solcher Tests z. B. zur Identifikation der Proposition eines Satzes oder die Nicht-Propositionalität bestimmter Wörter finden sich z. B. bei Bartsch (1972: 22ff.); Hooper (1975: 97); Altmann (1976: 70ff.); Lang/Steinitz 1978: 52); Lang (1979: 206f); Lang (1983: 332); Lötscher (1985: 236f., 248). (Diese Tests sind aber nur zum Teil für unsere Zwecke gedacht und geeignet.) Wegen der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes muß ich kritische Einschätzungen auf kurze Anmerkungen beschränken und kann die Tests im wesentlichen nur einfach auflisten. 6 Manche Richtungen der Linguistik vertreten Analoges für assertive Sprechakte. 7 Hier wird also implizit auf die Forderung verzichtet, daß der ganze Satz in je ein Thema und Rhema restlos zerlegbar ist.
Literatur Altmann, H. (1976): Die Gradpartikeln im Deutschen. Untersuchungen zu ihrer Syntax, Semantik und Pragmatik. - Tübingen: Niemeyer. Bartsch, R. (1972): Adverbialsemantik. Die Konstitution logisch-semantischer Repräsentationen von Adverbialkonstruktionen. - Frankfurt am Main: Athenäum. Harweg, R. (1980): "Meta-assertorische, meta-propositionale und meta-ontologische Aussagen. Ein Beitrag zur Typo- und Textologie Metakommunikativer Rede". - In: Folia Linguistica 14, 283-328. - (1983): "Semi-metakommunikativeÄußerungen". - In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 36, 287-302. Hooper, J. B. (1975): "On assertive predicates". - In: Kimball, J. P. (ed.): Syntax and semantics. IV (New York etc.: Academic Press) 91-124. Lang, E. (1979): "Zum Status der Satzadverbiale". - In: Slovo a slovesnost 50, 200-213. - (1983): " Einstellungsausdrücke und ausgedrückte Einstellungen". - In: Ruzicka, R. / Motsch, W. (eds.): Untersuchungen zur Semantik (Berlin: Akademie-Verlag) 305-341. - / Steinitz, R. (1978): "Können Satzadverbiale performativ gebraucht werden?". - In: Motsch, W. (ed.): Kontexte der Grammatiktheorie (Berlin: Akademie-Verlag) 51-80. Lötscher, A. (1985): "Akzentuierung und Thematisierbarkeit von Angaben". - In: Linguistische Berichte 97, 228-251. Searle, J. R. (1971): Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. - Frankfurt am Main: Suhrkamp, 3. A. 1988. - / Vanderveken, D. (1985): Foundations of illocutionary logic. - Cambridge etc.: Cambridge University Press. Waßner, U. H. (1992): "Proposition" als Grundbegriff der Linguistik oder Linguistische Apophantik. - Münster etc.: Lit Verlag. Wunderlich, D. (1976): Studien zur Sprechakttheorie. - Frankfurt am Main: Suhrkamp.
LEXIKOLOGIE LEXIKOGRAPHIE
KRITISCHES ZU KLUGE-SEEBOLD: EINFÜHRUNG IN DIE TERMINOLOGIE Arne Dittmer
Nach einer langen Pause ist 1989 ein neuer "Kluge" erschienen. Die 21. Auflage (1975) war ein Nachdruck der 20. Auflage (1967). Das Wörterbuch wird auf der Novitätenkarte des Verlags mit Recht "der erste Schritt" der sprachlich Interessierten "bei der Beurteilung von Geschichte und Herkunft eines deutschen Wortes" genannt. Als Zielgruppen bezeichnet der Verlag - auch mit Recht - "Studenten, Assistenten, Professoren, Institute, Bibliotheken, Journalisten, Publizisten, Lehrer sowie alle, die sich für Sprache interessieren". Im folgenden soll die Einführung des Werkes eingehender betrachtet werden; die Ziffern in Klammern verweisen auf die Numerierung der Einführung. Die Einführung ist "für diejenigen (geschrieben), die mit dieser Fachterminologie Mühe haben." (0) Es leuchtet ein, daß in einem etymologischen Wörterbuch wie Kluge-Seebold "ein gewisses Maß an Fachterminologie unvermeidlich ist." (0) Der Fachmann liest die vorliegende mit Interesse - und mitunter mit Protest. Der Nicht-Fachmann wird im großen und ganzen gründlich belehrt, muß sich aber manchmal im Stich gelassen und nicht eindeutig belehrt fühlen. Im Abschnitt zur A b g r e n z u n g (1) heißt es: "In diesem Wörterbuch geht es um Wörter, und Wörter müssen abgegrenzt werden von N a m e n " . Weiter unten heißt es: "(die) 'normalen' Wörter (oder genauer: Substantive) nennt man im Gegensatz zu den Namen Appellativa". Man fragt sich hier: Sind Namen keine Wörter? Sind normale Wörter identisch mit Substantiven? Sicher weiß der Leser eine Antwort auf diese Fragen und erwartet auch, daß im vorliegenden Wörterbuch andere Wortarten als Substantive behandelt werden. An Stelle dieses Abschnittes der Einführung wäre eine kurze Darstellung einer möglichen Wortarteneinteilung am Platze und darauf eine Subklassifizierung der Substantive in Appellativa und Propria erwünscht. Im Abschnitt A l l g e m e i n e s , U r s c h ö p f u n g (2) wird die Einteilung der Urschöpfungen in Lautnachahmung, Lautgebärde und Lautbedeutsamkeit mit aufschlußreichen Beispielen illustrativ dargeboten. Nur wäre eine Warnung hier wohl angebracht: wenn die richtigen Beispiele gewählt werden, stimmt die Aussage, daß i/e gegenüber u/a etwas Helles, Hohes, Kleines oder Schnelles ausdrücken. - Gegenbeispiele ließen sich aber unschwer finden. W o r t b i l d u n g (3): Es werden dargestellt: Komposition mit Beispielen, Suffigierung/ Präfigierung mit Beispielen und Infigierung - ohne Beispiele, obwohl es sich hier um einen Begriff handelt, der den Leser überraschen mag, weshalb er mit Recht ein Beispiel, z. B.
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lat. rumpo - rupi - ruptwn - rumpere mit dem infigierten m, hätte erwarten können. Weiter unten heißt es über F u g e n e l e m e n t e : "Diese Elemente sehen aus wie Kasusoder Numerussuffixe, sind aber ihrer Funktion und Herkunft nach anders zu erklären". Ratlos steht der Nicht-Fachmann vor dieser Information. Zwar darf von einer Einführung wie der vorliegenden keine Geschichte der Wortbildung, wohl aber mehr als nur eine derart geheimnisvolle Aussage wie "anders zu erklären" erwartet werden. - Dabei müßte meiner Meinung nach zwischen Synchronie (Standpunkt: Gegenwart) und Diachronie scharf getrennt werden. Synchron gesehen handelt es sich heute um die nach nur teilweise geltenden Gebrauchsregeln auftretenden Bindemittel zwischen zwei Konstituenten in Fällen wie Rind0-Fleisch, Rind-s-fllet, Rind-er-braten. Diachron gesehen muß angegeben werden, wie weit das Problem zurückverfolgt wird. "Diese Elemente", so hieß es oben, "sind aber [...] ihrer Herkunft nach anders zu erklären". Ist hier ihre ahd. oder germ, oder ie. Herkunft gemeint? Eine Einführung könnte jedenfalls andeuten, daß diachron orientierte Forschung zwischen eigentlichen Zusammensetzungen, z. B. ahd. taga-lioht, wo das -a- eigentlich Stamm-/ Themavokal ist, nhd. Tag-schicht, wo die erste Konstituente in der Wurzelform vorliegt, und uneigentlichen Zusammensetzungen, wo die erste Konstituente ein Genitiv ist, wo folglich aus einer syntaktischen Wortgruppe, z. B. Donners Tag, ein Kompositum Donnerstag geworden ist, unterscheidet. Auch sollte darauf hingewiesen werden, daß diachron gesehen wohlmotivierte Fugenelemente wie das -s- in Rind-s-filet durch Analogie auf andere Fälle, wo ein Genitiv- unmöglich ist, übertragen werden, z. B. Geschicht-s-forscher. Ein K o m p o s i t i o n s s u f f i x (3.2) ist ein besonderes Element, das "an den Schluß eines Kompositums" tritt, "das gewissermaßen die Komposition (oder einen besonderen Typ von Komposition)" markiert. Diese dem Nicht-Kenner wahrscheinlich unbekannte Erscheinung wird ohne Beispiel und ohne Verweis auf ein Beispiel im Wörterbuch gebracht. Unter dem Lexikoneintrag -mäßig kann der Benutzer ein Beispiel finden. Dort steht zu lesen: -mäßig Suffixoid. Mhd. -nuezec, erweitert aus ahd. Bildungen auf -mäzi, die auf Komposita mit mäz (s. Maß) + Kompositionssuffix -ja- zurückgehen (x-mazi 'das Maß, die Größe von habend')·
Unter (3.3) heißt es: "Bei der Ableitung kann es vorkommen, daß ein Wort einfach in eine andere Wortart überführt wird [...], ohne daß ein besonderes Suffix auftritt. In diesem Fall spricht man von der N u l l a b l e i t u n g (Arbeit - arbeiten)". Der interessierte Leser hätte gern gewußt, welches Wort - Arbeit oder arbeiten - die Basis sei und wie dies entschieden werden könne. Weiter werden hier Suffixoide/Halbsuffixe und Präfixoide/Halbpräfixe genannt. Suffixoide sind "bestimmte zweite Bestandteile von Zusammensetzungen", die "so häufig werden, daß sich ihre Bedeutung abschwächt und sie gewissermaßen zu Suffixen werden". Die Präfixoide werden mutatis mutandis entsprechend beschrieben. Als Beispiele für Präfixoide
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werden erz- und ur- genannt. Im Wörterbuch sind sie aber als Präfixe bezeichnet - meiner Meinung nach mit Recht, weil sie gebundene Morpheme mit sehr allgemeiner Bedeutung sind. Unter den Suffixoiden -mann, -zeug, -mäßig, die in der Einführung erwähnt werden, werden keine Beispiele gebracht. Illustrativ wären Fälle wie Werk-zeug und regel-mäßig. Besonders wird ein Beispiel mit -mann vermißt, auch weil -mann im Gegensatz zu -mäßig und -zeug im Wörterbuch nicht als Suffixoid vertreten ist. Vermutlich wird an Fälle wie Sport-s-mann, vgl. Sport-ler, gedacht. Fälle wie Dobermann, Hampelmann und Gundermann gehören nicht hierher, da sie keine Reihen oder Serien bilden, sondern lexikalisiert sind. Eine Einführung zu einem historisch orientierten Wörterbuch sollte m. E. auch die Entwicklung betonen, so z. B., daß zeug ein Halbsuffix g e w o r d e n ist, daß also synchron - aus gegenwärtiger Sicht - ein selbständiges Wort Zeug und ein suffixähnliches Element -zeug vorliegen. Auch könnte erwähnt werden, daß das heutige Suffix -heit ahd. auch als selbständiges Wort vorkam, also aus ahd. Sicht kein Suffix, sondern ein Suffixoid ist. Diese Information wird - natürlich - unter dem Eintrag -heit im Wörterbuch gebracht. Bisher hat sich Abschnitt (3) mit W o r t b i l d u n g beschäftigt; in (3.5) wird darauf aufmerksam gemacht, daß in einem etymologischen Wörterbuch f e r t i g e Wörter erscheinen, die a n a l y s i e r t werden, bis die Wurzel gefunden ist: "In der Sprachfamilie, zu der das Deutsche gehört, sind solche Wurzeln in den meisten Fällen Verbalwurzeln, d. h. das Wort, das diese Wurzel vertritt, ist ein Verb". - Darauf werden die sogenannten "Wurzelpräsentien" ohne Beispiele genannt; es wäre wahrscheinlich für den Benutzer eine große Hilfe gewesen, wenn die Auskunft gegeben würde, es handele sich hier um die starken/ ablautenden Verben. Unter (3.6) werden S t ä m m e behandelt: es gibt "z. B. -Stämme, r/n-Stämme und anderes", wobei keine Beispiele gebracht werden; besonders interessant wären Beispiele der r/n-Stämme gewesen. Ein diesbezügliches Wissen gehört kaum zur Allgemeinbildung des Benutzerkreises, an den sich das Wörterbuch wenden möchte. Der Eindruck wird eher bestärkt, es handele sich bei der Etymologie um eine geheime Wissenschaft, auf deren Vertreter sich der Normalverbraucher blind verlassen muß. Am Ende des Abschnitts (3.7) hat es sogar den Anschein, als ob die Einführung ihr Vorhaben aufgibt: "das ist nun allerdings dem Fachmann und dem SpezialStudium vorbehalten, so daß der Nicht-Fachmann sich mit einem entsprechend eingeschränkten Verständnis begnügen muß." Der interessierte Laie mit oder ohne Abitur sowie andere Nicht-Indogermanisten könnten mit Recht nützlichere Informationen von einer Einführung erwarten. Die unter (3.9) folgende Aussage wird vermutlich den Nicht-Kenner verwirren: "Zu den Verbalsubstantiven gehört der Infinitiv". Aus diachronischer Sicht ist diese Ausführung gewiß zutreffend, nicht aber aus nhd. Sicht. - Weiter unten heißt es: "Wird ein Infinitiv mit dem Artikel versehen und damit wie ein Substantiv gebraucht, so ist (er) s u b s t a n t i v i e r t
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und wir sprechen von einer S u b s t a n t i v i e r u n g " . Anscheinend ist hier von der Substantivierung eines Verbalsubstantivs die Rede. Hier müssen diachronische und synchronische Gesichtspunkte v e r m e n g t worden sein. In den folgenden Teilabschnitten (3.10-3.14) finden sich lehrreiche Ausführungen über die S e m a n t i k der abgeleiteten Substantive, Adjektive und Verben und darauf der Komposita. Eine Bemerkung möchte i c h a n d i e " P o s s e s s i v - K o m p o s i t a oder, wie man mit einem Ausdruck der indischen Grammatik häufig sagt, die B a h u v r i h i s " anknüpfen. Teils fehlt eine Übersetzung des für einen allgemeingebildeten (heutigen) Menschen unverständlichen Wortes, das - wie es bei Bußmann (1990) heißt - zugleich Terminus und Beispielwort (= 'viel Reis habend') darstellt, teils könnte die Bezeichnung P o s s e s s i v - K o m p o s i t u m unter die Lupe genommen werden. Es handelt sich in einem Beispiel wie Dickkopf jedenfalls i n t e r n um ein gewöhnliches Determinativ-Kompositum, e x t e r n darf aber von einem Possessiv-Kompositum gesprochen werden: Dickkopf wird eine Bezeichnung für eine Person, die im übertragenen Sinne einen dicken Kopf h a t . Am Ende von (3.14) wird die V r i d d h i , wiederum ein Ausdruck der alten indischen Grammatik, ohne erklärende Übersetzung erwähnt, und dieser Ausdruck findet sich nicht bei Bußmann (1990), deren Lexikon der Sprachwissenschaft in der Einführung als empfehlenswertes terminologisches Lexikon - mit Recht - verzeichnet ist. Bei den V r i d d h i s handelt es sich um Ableitung durch Vokaldehnung, z. B. *kano- versus kän-es-. Es fragt sich, ob der Nicht-Fachmann erkennt, daß hier lautgerechte Vorstufen der deutschen Wörter Hohn und huhn vorliegen? Eine - vereinfachte - Darstellung von Lautgesetzen wäre meiner Meinung nach ein höchst willkommenes Thema einer Einführung. S y n t a k t i s c h e F ü g u n g e n (4.1): Mit Recht wird hier die Frage gestellt, ob feste Wendungen/Phrasen/Idiome, die mehr als ein Wort umfassen, in ein Wörterbuch, das eben Wörter behandelt, aufgenommen werden sollten. Es heißt hier: "In diesem Wörterbuch haben wir in beschränktem Umfang und ohne Anspruch auf Systematik eine größere Anzahl solcher Wendungen behandelt, vor allem, wenn sie auf das Wort, unter dem sie aufgeführt sind, zusätzliches Licht werfen. Solche Wendungen sind teils festgewordenen Fügungen (wie grüner Saldi), teils Zitate (wie des Pudels Kern nach Goethes Faust)". Wer aber unter grün, unter Salat, unter Pudel, unter Kern nachschlägt, findet keine der oben genannten Wendungen behandelt. (6.8) behandelt die H o m o n y m i e und bringt gute Beispiele; der interessante Fall der s t ö r e n d e n Homonymie, die durch Differenzierung der beiden Wörter beseitigt wird, wird aber - wie leider mehrmals in dieser Einführung - durch kein einziges Beispiel belegt. Ein gutes Beispiel wäre liegen : liegen, vgl. im Wörterbuch unter lügen. (6.11) nennt den Terminus H a p a x l e g o m e n o n - wiederum ohne ein einziges Beispiel zu nennen. Ein Hapax legomenon, d. h. ein nur an einer einzigen Stelle belegtes, in seiner Bedeutung daher oft nicht genau bestimmbares Wort einer nicht mehr gesprochenen Sprache,
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ist außerdem in einem vom nhd. Wort ausgehenden Wörterbuch nicht sehr interessant. Auch unter (6.11) werden R e l i k t e berührt: "So ist etwa gülden neben Gold das Relikt eines Lautwechsels ü - o, (der darauf beruht, daß der Umlaut ü vor einem folgenden i/j aus u entstand, und ein solches u vor dunklen Vokalen zu o wurde)". Hier wundern sich beide, der Fachmann sowie der Nicht-Fachmann. Der Nicht-Fachmann fragt: "ü vor i/j in gülden! Ich sehe kein folgendes i/j\ Aus u wird o vor dunklen Vokalen. Dies leuchtet ein, aber - wo ist der dunkle Vokal? Und was ist überhaupt ein dunkler Vokal?" Der Fachmann fragt: "Was ist hier unter 'dunklen Vokalen' zu verstehen? Die Unterscheidung dunkel - hell kennzeichnet die Opposition zwischen hinteren und vorderen Vokalen (so Bußmann 1990). Die Regel "aus u wird o vor dunklen Vokalen" stimmt nicht. Das e h e m a l i g e ein Gold, germ. *gulpa-, vor dem u zu o wurde, ist kein dunkler Vokal im obigen Sinne, sondern ein zentraler oder neutraler tiefer Vokal. Ein u ist ein dunkler Vokal, aber gerade vor u wird ein u bewahrt, z. B. in der ahd. Tatianübersetzung wurdun, nhd. wurden". G r a m m a t i k (7): Kürze ist nicht immer zu empfehlen, Exhaustivität ist manchmal wichtiger, so z. B. in (7.1), wo es heißt: "Unter einem Nomen verstehen wir ein Substantiv oder ein Adjektiv (meist ein Substantiv); es flektiert nach Kasus und Numerus [...]". Erstens ist die Definition "meist ein Substantiv" unbefriedigend, zweitens ist es zwar richtig, daß das Substantiv nach Kasus und Numerus flektiert, aber beim Adjektiv ist es ungenügend, da das Adjektiv ja auch nach Genus flektiert und außerdem kompariert wird und noch dazu über mehr als eine Deklinationsart verfügt. Weiter heißt es in (7.1) über die o b l i q u e n K a s u s : "Darunter versteht man zunächst den Akkusativ". Es fragt sich, wer "man" ist. Unter obliquen Kasus sind aber die nichtnominativischen Kasus zu verstehen. - Als kryptisch muß auch folgende Bemerkung bezeichnet werden: "Es gibt auch lokativische Bildungen, die nicht speziell Kasusformen sind" - wiederum eine Aussage ohne Beispiele. Wenn die Behauptung in (7.2) "Bei den finiten Formen sind besonders die Diathesen zu erwähnen" auf die deutsche Sprache bezogen ist, ist sie falsch, denn es gibt im Deutschen - wie bekannt - keine finiten Passivformen. In (7.3) heißt es am Ende: "Über die A d v e r b i e n ist hier nichts besonderes zu sagen; dagegen seien die P a r t i k e l n (nicht-flektierende Wörter) besonders zu erwähnen". Abwegig ist es, Partikeln einfach als nicht-flektierende Wörter zu bestimmen, denn auch die Adverbien, die Präpositionen, die Konjunktionen und die Subjunktionen sind ohne Flexion. Wie schon einmal festgestellt, wäre dieser Einführung mit einer gründlicheren Wortarteneinteilung besser gedient. (7.4) erwähnt das affizierte und das effizierte Objekt - mit zutreffenden Beispielen. Problematisch mutet aber die folgende Formulierung an: "Was die syntaktische Konstruktion anbelangt, so sei hier auf die Unterscheidung zwischen a f f i z i e r t e m Objekt und
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e f f i z i e r t e m O b j e k t hingewiesen". Dies ist kein Problem der "syntaktischen Konstruktion", sondern der semantischen Kasusrollen. Es sollte in einer Einführung in die Terminologie schärfer unterschieden werden zwischen grammatischen Satzgliedern und semantischen Rollen. Effiziert kann auch ein Subjekt sein, z. B. das Haus entsteht, oder aber das Subjekt kann affiziert sein, z. B. der Hund wird geschlagen oder der Hund bekommt Schläge. Wer (7.6) liest: "Grammatische Wörter, die die Stelle der Nomina einnehmen oder diese begleiten können, sind die P r o n o m i n a " , muß folgende Fragen stellen: Was heißt nun g r a m m a t i s c h e W ö r t e r ? Was heißt S t e l l e ? Was heißt hier N o m i n a ? Substantiv und Adjektiv oder nur Substantiv? (Vgl. 7.1) Eine Antwort bekommen wir nicht. Ergiebiger wäre z. B. folgendes: Pronomina sind Substantivbegleiter, z. B. mein Vater, Substantiwertreter er = der Tisch oder Substantivwörter, die kein Wort des Textes vertreten, z. B. ich. In (8.2) - L a u t s t a n d - heißt es: "Einen gelängten (verdoppelten) Konsonanten nennt man eine G e m i n a t e (geminien 'verdoppelt')". Gefährlich scheint mir die Gleichsetzung geminiert = verdoppelt = gelängt, nicht zuletzt, weil nhd. ein verdoppelter Konsonant nicht die Länge des Konsonanten, sondern die Kürze des Vokals angibt. Nach dem viel zu kurzen und deshalb für den Nicht-Kenner wenig aufschlußreichen Abschnitt über A b l a u t (8.9) folgt der letzte Abschnitt, Z e i t l i c h e V e r h ä l t n i s s e betitelt. Hier heißt es unter (9.1): " N i e d e r d e u t s c h , das zwar auch deutsch ist, aber z. B. nicht die Lautverschiebung mitgemacht hat". Davon abgesehen, daß Niederdeutsch recht besehen mit zeitlichen Verhältnissen nichts zu tun hat, stellt sich die Frage, was der Nicht-Fachmann mit der oben zitierten Auskunft anfangen kann. Aber vielleicht gehört die Lautverschiebung (welche?) zum Allgemeinwissen? Weiter unten - unter (9.2) - bevorzugt die Einführung die Bezeichnung I n d o g e r m a n i s c h und wertet I n d o e u r o p ä i s c h als "in anderen, hauptsächlich englischen, Schriften" üblich. Laut Bußmann (1990) ist aber Indoeuropäisch "die international üblichere Bezeichnung". Und schließlich - in (9.3) - fehlt nun die Bezeichnung W e s t g e r m a n i s c h , auch im folgenden Register, aber nicht auf Seite XII "Aufbau der einzelnen Lemmata", wo es heißt: "westgermanisch, wenn mindestens eine altenglische Entsprechung vorhanden ist". S c h l u ß b e m e r k u n g : Es muß zuletzt ausdrücklich betont werden, daß sich der Benutzer in vielen hier nicht hervorgehobenen Abschnitten gut belehrt fühlt. Es darf aber nicht überraschen, daß vom Rezensenten so große Mühe auf eine Einführung verwendet worden ist. Es handelt sich eben um eine Einführung für den Nicht-Fachmann und nicht für den Fachmann, der eine solche Einleitung nicht nötig hat und durch die Einleitung nichts Wesentliches erfährt. Von einer Einführung für den Normalverbraucher darf zwar keine Vollständigkeit erwartet, wohl aber eine konsistente, widerspruchsfreie Darstellung verlangt werden, so daß
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der Leser nicht im Stich gelassen wird. Der Nicht-Kenner erwartet mit Recht, daß jedenfalls die Anfangsprobleme so einfach wie möglich dargestellt werden. Es wäre sehr wünschenswert, daß bei einer folgenden Auflage die Einführung neu bearbeitet wird, so daß Fehler, Ungenauigkeiten und Nicht-Übereinstimmungen mit dem Wörterbuch beseitigt werden.
Literatur Kluge, F. (1989): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Auflage unter Mithilfe von Max Bürgisser und Bernd Gregor völlig neu bearbeitet von Elmar Seebold. - Berlin/New York: de Gruyter. Büß mann, H. (1990): Lexikon der Sprachwissenschaft. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. - Stuttgart: Kröner.
MORPHOLOGIE IN LEXIKALISCHEN DATENBANKEN Ein Standardformat zur Repräsentation von morphologischen Eigenschaften lexikalischer Einheiten Stefan Engelberg
1. Große Lexika mit reichhaltig spezifizierten lexikalischen Einträgen erweisen sich mehr und mehr als Desiderat in der theoretischen wie angewandten Linguistik, insbesondere in fast allen Formen der maschinellen Sprach Verarbeitung. Der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand der Lexikonerstellung für eine bestimmte Anwendung läßt den Rückgriff auf bereits vorhandene lexikalische Ressourcen wünschenswert erscheinen. Obwohl solche Daten in Form traditioneller und maschinenlesbarer Wörterbücher und Datenbanken vorliegen, ist ihre Auswertung schwierig. Traditionelle Wörterbücher sind aufgrund inhaltlicher Mängel und formaler Inkonsistenzen maschinell nur unter großem Aufwand zu nutzen und in Datenbanken zu konvertieren; lexikalische Datenbanken werden oft auf spezielle Anwendungen zugeschnitten und sind stark vom verwendeten Grammatikformalismus abhängig.1 Um diese Schwierigkeiten zu überwinden und die Nutzbarkeit einmal erfaßter lexikalischer Datenbestände zu verbessern, sind in den letzten Jahren verschiedene Projekte ins Leben gerufen worden, die an standardisierten Repräsentationsformaten für lexikalische Daten oder multifunktionalen lexikalischen Datenbanken arbeiten, wie z. B. AQUILEX, GENELEX, LEXIC oder LOLA. Eines dieser Projekte ist MULTILEX, in dessen Rahmen die folgenden Vorschläge am Arbeitsbereich Linguistik in Münster entstanden sind.2 2. Der inhaltlichen und formalen Inkompatibilität verschiedener maschinell verfügbarer Lexika soll durch eine Standardisierung der Repräsentation lexikalischer Daten entgegengewirkt werden. Ein solches Standarddatenformat muß verschiedenen Anforderungen genügen: (a) M u l t i f u n k t i o n a l i t ä t : Die lexikalischen Informationen sollen für verschiedene Anwendungen im Bereich der maschinellen Sprachverarbeitung und der traditionellen Lexikographie nutzbar sein sowie die Validierung linguistischer Theorien unterstützen. (b) Wiederverwendbarkeit: Die Daten sollen in einer Weise formalisiert sein, daß sie in Lexika für verschiedene Anwender konvertierbar sind. (Austauschbarkeit: Die Daten sollen so repräsentiert sein, daß ein Austausch mit vorhandenen lexikalischen Datenbanken möglich ist.) (c) Sprachunabhängigkeit: Das Datenformat ist nicht auf eine bestimmte Sprache zugeschnitten; im Rahmen von MULTILEX sollen zunächst zumindest folgende Spra-
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Stefan Engelberg
chen repräsentierbar sein: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Neugriechisch, Niederländisch, Spanisch. (d) Empirische A d ä q u a t h e i t und lexikographische Handhabbarkeit: Das Datenformat soll sowohl die Daten in ihrer ganzen Komplexität empirisch adäquat erfaßbar machen als auch für Lexikographen und Lexikographinnen, die Daten innerhalb dieses Formats erfassen, übersichtlich und handhabbar bleiben. Als Konsequenz für die inhaltliche Gestaltung des Datenformats ergibt sich eine möglichst große Unabhängigkeit von bestimmten linguistischen Anwendungen und Theorien. Das heißt, daß theoriespezifische Notationen, Begriffe und Generalisierungen vermieden werden sollen. Informationen über sprachliche Phänomene werden unter Verzicht auf verallgemeinernde Klassifizierungen und die Darstellung von Abhängigkeiten zwischen bestimmten Erscheinungen möglichst separat gehalten. Innerhalb eines Lexikonartikels ist daher ein gewisses Maß an Redundanz nicht nur unvermeidbar, sondern auch wünschenswert. Als Repräsentationsformat dienen Typed Feature Structures, also Argument-Werte-Strukturen, über denen Typen formuliert werden, die in Vererbungshierarchien geordnet sind. In solchen Typen oder Klassen können all die Informationen zusammengefaßt werden, die mehreren lexikalischen Einträgen gemeinsam sind. Durch die Typisierung von Merkmalsstrukturen wird der Anteil vermeidbarer Redundanz gering gehalten und eine hohe Datenintegrität gewährleistet; der Formalismus ist ausreichend mächtig zur Beschreibung verschiedenster Phänomene; zudem sind Typed Feature Structures im Bereich maschineller Sprachverarbeitung und neuer Grammatiktheorien weit verbreitet.3 Ein monolingualer Lexikonartikel stellt sich in diesem Format als eine rekursive AttributWerte-Matrix dar, wie sie ausschnittsweise in Abb. l dargestellt ist.
Abb. l GRAPH ... PHON ... ENTRYJTYPE MORPH
M_CAT STEMS ... M_STRUCTURE INFL_CL... IRREGULÄR M SUBCAT ...
SYNSEM .. QUANT ...
Die Struktur ist rekursiv in dem Sinne, daß ein Attribut nicht nur zu einem Wert als terminalem Knoten, sondern auch zu einem weiteren Attribut expandieren kann. Solche Rekursionen erzeugen Pfade, an deren Ende ein atomarer Wert auftritt. So ist in Abb. 2 MORPH | STEMS l BASIC ein Pfad und 'befehl' als Wert zu BASIC atomar.4
Morphologie in lexikalischen Datenbanken
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Die Matrix erlaubt die Spezifizierung folgender Informationen: (a) graphemische Information (GRAPH) zu orthographischer Form und Varianz, zur Silbentrennung etc.; (b) phonologische Information (PHON) zu Phonemik, Silbenstruktur, Akzent etc.; (c) Informationen zum Typ des Eintrags (ENTRYJTYPE), also ob es sich um ein Lexem, ein phrasales Zeichen, eine Wortform, ein Morphem etc. handelt; (d) morphologische Information (MORPH), vgl. Abschnitt 3 und 4; (e) syntaktische und semantische Information (SYNSEM) über Wortart und -Subklasse, grammatische Kategorien, Valenz, Bedeutung etc.; (f) Frequenzinfomationen (QUANT) auf der Basis von Korpusauswertungen. 3. Ansätze zur Beschreibung morphologischer Phänomene unterscheiden sich sowohl in der linguistischen Theorie als auch in den Anwendungsbereichen der Lexikographie und der maschinellen Sprach Verarbeitung erheblich. In der theoretischen Linguistik konkurrieren etwa wortsyntaktische phrasenstrukturgrammatische Ansätze in der Tradition von Selkirk (1982) und Lieber (1980) mit syntaktisch-transformationellen Ansätzen oder der lexikalischen Phonologie als Interaktion von Phonologic und Morphologie. In der maschinellen Sprachverarbeitung wird lexikalische morphologische Information für verschiedene Analyse- und Syntheseprogramme benötigt.5 Hier finden sich vor allem zwei unterschiedliche Modelle, die twolevel-Morphologie Koskenniemis (1984) und Programme, die auf Unifikationsgrammatiken basieren, sowie Kombinationen daraus (Ritchie et al. 1992, Trost 1990). Zudem besteht auch in der traditionellen Lexikographie wenig Einigkeit über die Beschreibung morphologischer Phänomene, vor allem bei der Behandlung von Wortbildungsregularitäten. Ein gemeinsamer Nenner für die lexikalische Repräsentation der Morphologie, der allen verschiedenen Theorien und Anwendungen gleichermaßen gerecht wird, ist nur schwer zu finden; und das nicht nur aufgrund theoretischer Divergenzen, sondern auch weil eine Reihe von Phänomenen v. a. im Bereich der Allomorphie bei Wortbildungsprozessen von linguistischer Theorie und Computermorphologie noch nicht erschöpfend behandelt wurden. Der folgende Vorschlag für die Darstellung morphologischer Eigenschaften im Lexikon kommt den Merkmalskatalogen wortsyntaktischer und unifikationsgrammatischer Ansätze zur Morphologie am nächsten, da diese stark auf deklarativen, merkmalsbasierten Repräsentationen gründen. Im einzelnen liegen folgende Grundsätze der inhaltlichen Gestaltung der Artikelstruktur zugrunde: (a) Affixe und Flexive werden in eigenen lexikalischen Einträgen beschrieben; (b) lexikographisch kaum erfaßten Phänomenen wird breiter Raum eingeräumt (Stammvarianz in der Derivation, Fugenphänomene, Suffixerweiterungen, Stammerweiterungen); (c) konkatenative und nicht-konkatenative Phänomene werden gesondert behandelt; d. h. etwa, daß idiosynkratische Umlaut- und Ablauteigenschaften bei der Flexion getrennt
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Stefan Engelberg
von der Flexivselektion (Flexionsklasse) notiert werden, ebenso bei Derivationsprozessen die morphologische Subkategorisierung und die Umlautauslösung; (d) Allomorphe bzw. Stammvarianten werden explizit angegeben; auf Generalisierungen durch Regeln wird verzichtet.
4. Das Attribut MORPH in der Matrix (vgl. Abb. 1) erfaßt die morphologischen Eigenschaften von Wortlemmata und Morphemen. Die erforderlichen oder zulässigen untergeordneten Attribute sowie deren Wertebereiche hängen vom Typ des Lemmas, von seiner Wortart und der Einzelsprache ab. Entsprechende Restriktionen über das Kovorkommen eines Attributes mit anderen Attributen oder Werten sind gesondert zu formulieren. Für das erste Attribut M_CAT (Morphemkategorie) z. B. gilt als Restriktion, daß es immer und nur dann spezifiziert wird, wenn das Attribut ENTRY_TYPE den Wert 'morpheme' hat. Weiterhin muß für jedes Attribut dessen Wertebereich beschrieben werden. Der Wertebereich von M_CAT ist {DERIV_SUFFIX, INFL_SUFFIX, PREFIX, FUGE, ENCLITIC, PROCLITIC, SIMPLE_STEM, VERBAL_PARTICLE}, ein Morphem ist also entweder ein Derivations- oder Flexionssuffix, ein Präfix, eine Wortbildungsfuge, ein Enklitikon, Proklitikon, Stammorphem oder abtrennbares Verbalpräfix. Abb. 2 GRAPH
GR CANON
ENTRYJTYPE MORPH
wordjemma STEMS
M_STRUCTURE INFL CL
befehlen
befehl PRES PAST PART UMLAUT JUNCTURES {befehl} < befehlen > strong BASIC CHANGED
befiehl befahl befohl beföhl
SYNSEM
Das Attribut STEMS dient zur Notierung von Allomorphie und Stammvarianz, wie sie in Flexion und Wortbildung bei Wörtern und Affixen auftritt. Die atomaren Werte unter STEMS sind Zeichenketten, die den Alloformen des Lemmas entsprechen. BASIC gibt den zugrundeliegenden Stamm des Lemmas an, der in den meisten Fällen mit der kanonischen Zitierform des Lemmas identisch ist. Die Zitierform findet sich in den Beispielen als Wert zu GRAPH | GR_CANON. Im Deutschen unterscheiden sich Zitierform und zugrundeliegender Stamm bei Verben (z. B. Abb. 2: GR_CANON | befehlen, BASIC | befehl), nur attributiv verwendeten Adjektiven (z. B. GR_CANON | obige, BASIC | obig) und Substantiven mit Stammerweiterung (z. B. GR_CANON | Birne, BASIC | birn).
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Morphologie in lexikalischen Datenbanken Abb. 3
GRAPH ENTRY TYPE MORPH
1 GR_CANON word lemma STEMS
M STRUCTURE INFL_CL
| Mann
BASIC CHANGED JUNCTURES
mann UMLAUT {mann {mann.manns, manner, mann es}
SG PL
1 4 PL UMLAUT +
SYNSEM
Mit dem Attribut CHANGED werden Stammalternanzen in Flexions- und Derivationsprozessen erfaßt; seine untergeordneten Attribute hängen ab von der Einzelsprache, der Wortart und der Flexionsklasse des Lemmas. Bei deutschen Substantiven können hier die Attribute UMLAUT und EXTENDED auftreten. Wie alle nicht-konkatenativ erzeugten Formen wird auch die Umlautform explizit angegeben (z. B. Abb. 3). Mit dem Attribut EXTENDED wird das Phänomen der Stammerweiterung beschrieben (vgl. Abb. 4). Bei Substantiven wie Birne, Riemen, Epos, Liga treten einige Derivations- und Flexionssuffixe an einen um eine Stammerweiterung verkürzten Stamm: Birn-chen, Riem-chen, ep-isch, Ep-en, Lig-en. Das Attribut EXTENDED notiert das Wort mit Stammerweiterung, unter BASIC findet sich der Stamm ohne Stammerweiterung.6 Abb. 4 GRAPH
GR_CANON
ENTRYJTYPE MORPH
wordjemma DOC_FFORMS STEMS
M_STRUCTURE INFL CL
Epos
BASIC CHANGED JUNCTURES
ep EXTENDED (epos {epos.epen}
3 PL 2 PL UMLAUT SG
SYNSEM
Die anderen Attribute unter CHANGED spezifizieren v. a. die verschiedenen für die Konjugation erforderlichen Verbalstämme, in Abb. 2 etwa den Stamm für die zweite und dritte Person Präsens Singular (PRES), für das Präteritum (PAST), das Partizip II (PART) und den Konjunktiv Präteritum (KONJ). Bei spanischen Verben (vgl. Abb. 5) können zwei Alternanzstämme auftreten: PRES z. B. für den Singular und die dritte Person des Präsens Indikativ, PAST u. a. für die dritte Person Singular und Plural des unbestimmten Präteritums.
Stefan Engelberg
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Abb. 5 GRAPH
GR_CANON
ENTRYJTYPE MORPH
word_lemma STEMS
M_STRUCTURE INFL CL
consentir
BASIC CHANGED
(=zustimmen)
consent PRES PAST
consient cons int
regulär
SYNSEM
Unter JUNCTURES wird die Form eines Lemmas innerhalb eines Kompositums notiert. Die Form, die ein Wort als erstes Glied in einem binären Kompositum annimmt, ist im Deutschen eine weitgehend idiosynkratische Eigenschaft dieses Wortes. Das Substantiv Mann (vgl. Abb. 3) kann in Komposita in den Formen mann, manns, manner, mannes auftreten (Mannjahr, Mannsbild, Männerklo, Manneskrqft). Das Verb sehen findet sich in Komposita als seh (Sehkraß, Sehhilfe), lesen als lese (Lesebuch, Lesevergnügen).7 Das nächste Attribut M_STRUCTURE gibt die morphologische Struktur des Lemmas an als Liste der Einheiten, aus denen es besteht. Die Einheiten werden nicht als Allomorphe, sondern immer als Zitierformen notiert. Der Wert für Arbeitsamt wäre also nicht oder , sondern , der Wert für Lädchen und nicht . Der Zugriff auf die Artikel zu den Konstituenten komplexer Wörter wird so erleichtert; sowohl die Allomorphie der Konstituenten als auch die grammatischen Eigenschaften des komplexen Wortes lassen sich über einschlägige Head- und Perkolationsmechanismen aus den Informationen zu den Konstituenten vorhersagen. Verzichtet wird auf die Angabe der Konstituentenstruktur, die stark von bestimmten theoretischen Entscheidungen abhängig ist und besser über Regeln erfaßt wird.8 INFL_CL enthalt die Flexionsklasse des Lemmas je nach Sprache und Wortart mit entsprechenden weiteren Attributen, für deutsche Substantive etwa SG für die Flexionsklasse im Singular und PL für die Pluralflexionsklasse, sowie PL_UMLAUT als binäres Merkmal zur Kennzeichnung, ob das Substantiv im Plural in der umgelauteten Variante auftritt (vgl. Abb. 3, 4). Flexionsklasse wird hier verstanden als die Eigenschaft, bestimmte Flexive zu selegieren. Nicht-konkatenativ entstandene Flexionsformen werden in MORPH | STEMS | CHANGED bzw. IRREGULÄR erfaßt.9 Das Merkmal IRREGULÄR enthält als Wert die Menge der flexivischen Suppletivformen zu einem Lemma, also alle die Formen, die nicht über die regulären Flexionsmerkmale erzeugt werden können. Die Suppletivformen sind selbst lexikalische Einträge (ENTRY_ TYPE | inflected_form) und werden dort bezüglich ihrer grammatischen Kategorien spezifiziert.
Morphologie in lexikalischen Datenbanken
185
Abb. 6 GRAPH ENTRYJTYPE MORPH
| GR_CANON morpheme M_CAT STEMS M_STRUCTURE INFL_CL
M_SUBCAT
SYNSEM
HEAD
| -er
deriv suffix BASIC JUNCTURES
SG PL PLJJMLAUT BASE_CAT BASE_STEM ACCENT_TYPE PART OF SPEECH SUBCLASS GENDER
(z.B.BFrager, Jäger) (z.
-er {-er,-ers}
1 3 {v} {basic, umlaut} stem accent
n count tnasc
Das Merkmal M_SUBCAT (morphologische Subkategorisierung) kommt nur Affixen und Verbalpartikeln zu. Es beschreibt ihre Selektionseigenschaften als Klasse von Wörtern, an die sie affigieren können (vgl. Abb. 6). BASE_CAT gibt dabei die Wortart der Derivationsbasis an; das Suffix -er etwa affigiert nur an Verben. BASE_STEM spezifiziert die Stammvariante, an die das Affix tritt; Neubildungen mit -er treten entweder an den zugrundeliegenden oder den umgelauteten Stamm. Abhängig von dem Affix bleibt der Akzent einer Ableitung entweder auf dem Stamm, an den das Affix tritt, z. B. im Englischen conscious --> consciousness (ACCENT_TYPE | stem_accent), oder auf dem Affix selbst, z. B. Buchstabe --> buchstabieren (AFFIX_TYPE | affix_accent). Andere Affixe wiederum bewirken, daß der Akzent durch alle Flexionsformen hindurch auf der gleichen Silbenposition bleibt, bei -or etwa immer auf der vorletzten Silbe: Reflektor, Reflektoren.10 Andere Merkmale komplexer Wörter, die durch das Affix bestimmt werden, wie etwa Wortart oder Genus finden sich unter dem Attribut SYNSEM. Das Suffix -er z. B. bildet zählbare, maskuline Substantive."
Anmerkungen 1 2
3
Vgl. dazu etwa Calzolari (1989), Van der Eijk et al. (1992). MULTILEX ist ein Gemeinschaftsunternehmen verschiedener europäischer Universitäten, Forschungsinstitute und mit Softwareentwicklung befaßter Unternehmen. Im Rahmen von MULTILEX wird ein Standard für ein multifunktionales mehrsprachiges Lexikon entwickelt, zusammen mit Werkzeugen zur Verwaltung und Nutzung dieser Daten. Eine lexikale Datenbank für mehrere Sprachen entsteht in diesem Format und soll in verschiedenen Anwendungsbereichen getestet werden. Zu Typed Feature Structures und einigen Problemen mit multipler Vererbung und mit der Repräsentation
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4 5 6
7 8 9
10
11
Stefan Engelberg
bestimmter Informationstypen vgl. Fedder (1992). Die Pünktchen in der Matrix markieren ausgelassene Attributpfade. Einen Überblick über den Einsatz morphologischer Programme und Programmkomponenten geben Schaeder/Willee (1989). Ein ähnliches Phänomen findet sich im Neugriechischen, wo einige Substantive im Plural, z. T. auch im Genitiv Singular eine Stammerweiterung -d- oder -t- vor dem Flexiv zeigen, z. B. Nominativ Singular psoma-s (Bäcker), Nominativ Plural psoma-d-es. Über die Schwierigkeit der Analyse deutscher Komposita und den Mangel an Informationen in maschinenlesbaren Wörterbüchern zur Allomorphie von Substantiven in Komposita vgl. Dagan et al. (1992). Probleme ergeben sich hier bezüglich der Behandlung von Klammerparadoxien, der Annahme einer Binärstruktur komplexer Wörter oder der Auflösung von Zirkumfigierungen. Die Trennung konkatenativer von nicht-konkatenativen Flexionsphänomenen sowie Singular- von Pluralflexionsklassen entspricht unserem Prinzip, Information möglichst separat zu halten. Im Spanischen etwa ist für Verben zwar die Angabe ablautähnlicher Stammalteraanzen erforderlich, die Flexivselektion ist aber völlig regulär. Ebenso sollten Singular- und Pluralflexion bei deutschen Substantiven als unabhängige Phänomene notiert werden. Weder ist die Pluralflexionsklasse immer eindeutig aus der Singularflexionsklasse ableitbar noch umgekehrt. Zwei weitere Merkmale, wie sie etwa von Ritchie et al. (1992: 125, 215) für ihren morphologischen Parser verwendet werden, stehen zur Diskussion. Einige Suffixe im Englischen (-ion, -ive, -ory) haben eine Variante mit der Suffixerweiterung -at- (-ation, -ative, -atory). Stämme, die sich mit diesen Suffixen verbinden, wählen entweder immer die erste Variante oder die zweite und werden entsprechend als AT- oder AT + spezifiziert. Die Suffixe wiederum sind entsprechend dafür markiert, daß sie für Stämme des Typs AT- oder AT+ subkategorisieren. Des weiteren sollen Stämme gekennzeichnet werden, ob sie lateinischen Ursprungs sind oder nicht (LAT-, LAT+). Dem liegt die Beobachtung zugrunde, daß bestimmte Affixe für Stämme lateinischen Ursprungs subkategorisieren, andere für Stämme nichtlateinischen Ursprungs. Die Eigenschaften bestimmter Affixe, an Stämme des Typs LAT: + zu affigieren, den Akzent seiner Basis zu verändern, über phonetisch bedingte Allomorphie zu verfügen und näher am Wortstamm zu stehen als Affixe des gegenteiligen Typs, korrelieren in hohem Maße. Das führte zur Annahme bestimmter Affixklassen (vgl. fürs Englische Siegel (1974), fürs Deutsche Giegerich (1985)). Gemäß dem Grundsatz, auf theoriebedingte Klassifizierungen zu verzichten, werden diese Informationen separat in verschiedenen Merkmalen erfaßt: PREFERRED_STEM, ACCENTJTYPE, evtl. LAT. Hier sollen in Abstimmung mit der Bedeutungsrepräsentation von lexikalischen Einheiten auch die valenzverändernden Eigenschaften von Affixen beschrieben werden.
Literatur Baton, I. / Lenders, W. / Putschke. W. (eds.) (1989): Computational linguistics. Computerlinguistik. Ein internationales Handbuch zur computergesrützten Sprachforschung und ihrer Anwendungen. - Berlin etc.: de Gruyter. Calzolari, N. (1989): "Computer-aided lexicography: Dictionaries and word data bases". - In: Baton / Lenders / Putschke (eds.) 510-519. COLING-92 (1992). Proceedings of the fifteenth International Conference on Computational Linguistics. I-IV. - Nantes. Dagan, I. / Rackow, U. / Schwall, U. (1992): "Automatic translation of noun compounds". - In: COLING-92 (1992) 1249-1253. Eijk, P. van der / Bloksma, L. / Van der Kraan, M. (1992): "Towards developing reusable NLP dictionaries". - In: COLING-92 (1992) 53-59. Fedder, L. (1992): Formalism. MULTILEX internal format. - MULTILEX internal report (unveröffentl.). Giegerich, H. J. (1985): Metrical phonology and phonological structure. - Cambridge etc.: CUP.
Morphologie in lexikalischen Datenbanken
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Koskenniemi, K. (1984): "A general computational model for word-form recognition and production". - In: COLING-84 (1984). Proceedings of the tenth International Conference on Computational Linguistics. Lieber, R. (1980): The organization of the lexicon. - Cambridge, Mass.: MIT (vervielf.). Ritchie, G. D. / Russell, G. J. / Black, A. W. / Pulman, S. G. (1992): Computational morphology. Practical mechanisms for the English lexicon. - Cambridge, Mass, etc.: MIT. Schaeder, B./ Willee, G. (1989): "Computergestützte Verfahren morphologischer Beschreibung". - In: Bitori / Lenders / Putschke (eds.) 188-203. Selkirk, E. (1982): The Syntax of words. - Cambridge, Mass.: MIT. Siegel, D. (1974): Topics in English morphology. - New York etc.: MIT. Trost, H. (1990): Recognition and generation of word forms for natural language understanding systems: Integrating two-level-morphology and feature unification. - Saarbrücken: Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
-MORPHOLOGIE' Zwei alte Disziplinen und ein neues Verhältnis
Gereon Franken
Für den römischen Grammatiker Varro waren - neben der Syntax - die wichtigsten Teilgebiete der Sprachwissenschaft die Morphologie und die Etymologie. In seinem Werk "de lingua latina" handeln die ersten sechs Bücher von der Etymologie, die Bücher 7 bis 12 behandeln die Morphologie des Lateinischen. Seit jener Zeit haben diese beiden Disziplinen eine jeweils höchst wechselhafte, aber im wesentlichen voneinander unabhängige Geschichte hinter sich gebracht. Insbesondere die Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts war (von Ausnahmen abgesehen) auf eine säuberliche Trennung zwischen der diachron ausgerichteten Etymologie und der synchron operierenden Morphologie bedacht. Hier soll nun der Versuch unternommen werden, diese strikte Trennung zu lockern und einmal die Möglichkeiten auszuloten, die eine engere Kooperation als die bisher praktizierte bieten könnte. Zu diesem Zweck soll allerdings nicht eine theoretische Positionsbestimmung am Anfang stehen; vielmehr möchte ich von Fragen ausgehen, die ein sprachwissenschaftlich interessierter Mensch an eine Disziplin wie die Etymologie stellen könnte. Anhaltspunkte dafür können vielleicht einige Bemerkungen bieten, die sich auf dem Rückumschlag eines etymologischen Wörterbuches finden. Dort haben die Verleger Beispiele dafür gebracht, was ein etymologisches Wörterbuch leistet und was Benutzer und Benutzerinnen von diesem Buch erwarten dürfen. Auf dem Schutzumschlag des "Concise Oxford Dictionary of English Etymology" (Hoad (ed.) 1986) finden sich u. a. folgende Hinweise: sombrero gelangte im 16. Jahrhundert aus dem Spanischen ins Englische; cummerbund, pundit und bungalow stammen aus Indien, gehören aber schon seit dem 17. Jahrhundert der englischen Sprache an; assassin, cipher und admiral sind aus dem Arabischen übernommen; boycott, mackintosh und malapropism gehen alle auf (echte oder erfundene) Eigennamen zurück. Für den Leser stellen sich nun allerdings Fragen: Ist sombrero das einzige spanische Wort im Englischen? Oder ist es vielleicht das älteste? Welche Wörter kommen (außer den genannten) sonst noch aus Indien? Und wann sind diese aufgenommen worden? Sind die arabischen Wörter eigentlich direkt aus dem Arabischen entlehnt oder durch andere Sprachen vermittelt worden? Kann man die Wörter, die auf Eigennamen zurückgehen, auch einmal alle zusammen sehen? Vielleicht nach ihrem Alter sortiert? Das sind zum Teil Fragen, die ein wenig über das hinausgehen, was man üblicherweise einem etymologischen Wörterbuch glaubt, zumuten zu dürfen. Die Antworten
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Gereon Pranken
auf diese Fragen sind aber alle in einem solchen Wörterbuch enthalten. Das 'Problem' liegt nur in der ganz besonderen Art der Aufbereitung dieser Informationen - einer Art, die eben für ein alphabetisch angelegtes Wörterbuch typisch ist. Die alphabetische Reihenfolge der Einträge ist eine etablierte und altbewährte. Aber sie schließt z. B. eine chronologische Reihenfolge aus, ebenso eine Anordnung nach Wortklassen; vor allem aber - und das ist im Falle der Etymologie sicher besonders interessant - ist es nicht möglich, sich solche Wörter, die ein ähnliches 'Schicksal' hinter sich haben, die also (möglicherweise zur gleichen Zeit) derselben Sprache entlehnt worden sind, gemeinsam anzusehen. Es wäre doch u. U. interessant festzustellen, daß in der englischen Sprache im 16. Jahrhundert zwar so gut wie überhaupt keine direkten Entlehnungen aus dem Arabischen oder aus dem Griechischen auftauchen, daß aber gleichwohl zahlreiche, im Falle des Griechischen sogar viele hundert Wörter über das Lateinische und/oder das Altfranzösische ins Englische gelangt sind. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Kenntnisse solcher 'exotischen' Fremdsprachen wie Arabisch oder Griechisch waren im England der Renaissance noch viel zu gering bzw. erst im Aufkeimen begriffen, als daß eine direkte, unvermittelte Beeinflussung hätte stattfinden können. Wenn man sich nun im Vergleich zum "Concise Oxford Dictionary of English Etymology" ein etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache ansieht, so treten die am englischen Beispiel gezeigten Probleme bei dem deutschen Wörterbuch natürlich ganz genauso auf, da ja auch hier die Einträge in alphabetischer Reihenfolge dargestellt werden. Bei der Arbeit mit dem "Etymologischen Wörterbuch des Deutschen" (Pfeifer 1989) trifft man jedoch zusätzlich noch auf andere Schwierigkeiten und Besonderheiten. Beispielsweise sucht man Informationen zu dem Wort Gefühl und muß feststellen, daß man es zwischen Gefilde und Gehalt nirgends finden kann. Andere Lemmata aber - wie Geblüt, Gedanke, Gehäuse, Gelage usw. - stehen durchaus an der alphabetisch 'richtigen' Stelle. Das Wort Geschenk hingegen fehlt wieder zwischen Geschäft und Geschichte. In einem Anhang schließlich, in einem "Verzeichnis nicht an alphabetischer Stelle behandelter Wörter" (Pfeifer 1989: 2059), finden sich die gesuchten Begriffe Gefühl und Geschenk. Diese Wörter werden (ähnlich wie Gebüsch, Gedränge, Gefalle, Gehirn, Geleit, u. v. a.) nicht als Lemmata aufgeführt, sondern anläßlich der Verben fühlen bzw. schenken behandelt. Ein solcher Befund ist symptomatisch für etymologische Wörterbücher. Dahinter steckt eine gewisse traditionelle Vorliebe der Etymologen für 'interessante' Fälle (vgl. Malkiel 1976: 74). Daß und auf welche Weise z. B. aus dem mittellateinischen contrapunctus das deutsche Adjektiv kunterbunt geworden ist, beschäftigt die Fachleute sehr. Das Wort Kontoführungsgebühr dagegen vermag kaum einen Etymologen zu interessieren; ebensowenig das Wort Gemischtwarenhandlung. Das Verbum mischen jedoch, ein Lehnwort aus lateinisch miscere, wird selbstverständlich behandelt. Dessen Ableitungen wiederum, wie abmischen, aufmischen, beimischen, einmischen, mitmischen und vermischen werden von der Etymologie ignoriert. Diese Wörter gelten als 'klare' Fälle, die keinerlei Besonderheiten aufweisen und
'Ety-Morphologie'
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deshalb unbeachtet bleiben dürfen. In all diesen Fällen, sowohl bei den Komposita als auch bei den Ableitungen, reicht es also nicht aus, ein etymologisches Wörterbuch aufzuschlagen, um an der entsprechenden Stelle im Alphabet die gewünschten Informationen zu dem gesuchten Wort zu finden. Statt dessen müssen die Benutzerinnen und Benutzer eines solchen Wörterbuches zunächst das jeweilige Wort auseinandernehmen, in seine Bestandteile zerlegen, anders gesagt: morphologisch analysieren. Dabei leistet das Wörterbuch häufig keinerlei Hilfestellung. Es setzt voraus, daß wir imstande sind, die 'interessanten' von den 'uninteressanten' Wortelementen zu unterscheiden. Hier unterscheiden sich die einzelnen Wörterbücher allerdings erheblich voneinander. Im "Concise Oxford Dictionary of English Etymology" ist beispielsweise die Zahl der Stichwörter beträchtlich höher als im "Etymologischen Wörterbuch des Deutschen" (über 17.000 Einträge gegenüber 8.054). In dem englischen Wörterbuch stößt man entsprechend häufiger auf Querverweise, die den Benutzern die morphologische Analyse abnehmen oder diese zumindest erleichtern. Die meisten Leserinnen und Leser wären vermutlich doch stark gefordert, wenn sie betray unter dem Substantiv tradition, betroth unter dem Adjektiv true und between unter dem Zahlwort two suchen sollten. Statt dessen verfügen diese Wörter (betray, betroth und between) über separate Einträge, innerhalb derer auf weitere Wörterbuchartikel verwiesen wird. Das Grundprinzip gilt aber auch hier: Ableitungen und Komposita werden in der Regel als durchsichtig betrachtet; die morphologische Analyse in diesen Fällen bleibt Aufgabe der Benutzerinnen und Benutzer. Nun eröffnet sich jedoch ein anderes Problem, das unmittelbar mit der Art der Darstellung etymologischer Informationen im Rahmen eines Buches zusammenhängt. Ein eifriger Benutzer eines etymologischen Wörterbuches, der es im Bereich der morphologischen Analyse schon zu einer gewissen Routine gebracht hat, könnte sich dafür interessieren, einmal alle Vorkommen eines bestimmten Morphems im Zusammenhang sehen zu wollen. Wenn er anhand etwa des "Concise Oxford Dictionary of English Etymology" feststellt, daß eine ganze Menge Wörter sich auf unterschiedlichen Wegen mit dem lateinischen Stamm REG (wie in lat. regere) verbinden lassen, so mag der Wunsch entstehen, diese englischen Lemmata einmal zu einer Art Wortfamilie zusammenzutragen. Das ist auch bei einem Wörterbuch keineswegs unmöglich, aber doch relativ zeitaufwendig. Darüber hinaus sind die einzelnen Verweise untereinander nur unsystematisch verknüpft, derart, daß von dem Adjektiv dirigible kein direkter Hinweis auf lat. regere führt. Bei dirigible findet sich lediglich ein Querverweis auf direct, erst dort wird das lateinische Verbum regere erwähnt. Dasselbe Verbum regere wird auch an anderer Stelle genannt, etwa bei regent und bei rule, ebenso bei correct, erect, rector und bei surge. Diese Lemmata wiederum dienen über Querverweise als Vermittler zwischen lat. regere und solchen englischen Wörtern wie reign, corrigendum, regular und resurrection; d. h. von resurrection wird auf resurge, weiter auf surge und von dort schließlich auf regere verwiesen. So entsteht ein Geflecht von aufeinander Bezug nehmenden Wörterbucheinträgen, das jedoch einerseits mit morphologischen Beziehungen nichts zu tun
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Gereon Pranken
hat und andererseits nur mit Mühe in die Form einer Wortfamilie gebracht werden kann. Wäre denn in Anbetracht dessen eine Form der Darstellung, die alle Lemmata im Rahmen ihrer Wortfamilie behandelt, nicht doch einer alphabetischen Anordnung der Lemmata vorzuziehen? Und wäre die Mühe, solche Wortfamilien zusammenzustellen, nicht doch lohnend? Abgesehen davon, daß dann erst recht umfangreiche Indizes notwendig sind, die ein Auffinden der gesuchten Wörter überhaupt erst ermöglichen, ist noch ein anderer Nachteil zu bedenken: Wenn das Wort resurrection innerhalb der Wortfamilie von lat. regere behandelt wird, so wird man nur e i n e m Element des Wortes damit gerecht. Strenggenommen müßte dasselbe Lemma in gleichem Umfang im Rahmen derjenigen Wortfamilien dargestellt werden, die das Präfix RE- bzw. das Präfix SUB- und schließlich das Suffix -ION zum Gegenstand haben. Das aber würde noch zusätzlich zu den notwendigen Indizes eine erhebliche Vergrößerung des Wörterbuches bedeuten. Bevor ich auf eine Möglichkeit zu sprechen komme, wie sich die angedeuteten Probleme vielleicht lösen lassen, möchte ich noch einmal zusammenfassen, welche Ansprüche ich als Benutzer denn an ein Hilfsmittel wie ein etymologisches Wörterbuch gerne stellen würde. 1. Ein solches Wörterbuch sollte sich nicht auf die interessanten Fälle beschränken, sondern eine linguistisch begründete, z. B. eine repräsentative Auswahl an Wörtern behandeln. 2. Alle Wörter sollten gleich behandelt werden; insbesondere sollten auch Ableitungen und Komposita den Status eigener Lemmata erhalten (vgl. Untermann 1975: 111). 3. Es sollten verschiedene Möglichkeiten der Anordnung vorgesehen sein, z. B. nach Herkunftssprache, nach dem Alter bzw. dem Erstbelegsdatum oder nach Sachgebieten. 4. Es sollte neben der alphabetischen Anordnung eine Zusammenstellung von Wortfamilien möglich sein, und das nicht nur für die bedeutungstragenden Kernelemente der Lemmata, sondern auch für die weniger 'wichtigen' Affixe und sonstigen morphologischen Elemente. Um ein solches Wörterbuch zu realisieren, müssen zunächst einmal alle erwünschten Informationen zur Verfügung stehen, d. h. nach einer (linguistisch begründeten) Auswahl der zu behandelnden Lemmata müssen alle Informationen zusammengetragen werden, die zu diesen Lemmata gegeben werden sollen. Anschließend muß sortiert werden, und zwar immer wieder neu, damit auf jede Fragestellung die entsprechende Antwort gegeben werden kann. Man muß also, wenn man bei dem gedruckten Buch als Medium bleibt, den gesamten Lemmabestand einmal nach dem Alphabet sortieren und drucken, dann aufgeteilt nach den Herkunftssprachen ebenfalls sortieren und drucken, so daß die ererbten Wörter zusammenstehen, ebenso die aus dem Lateinischen entlehnten etc. Danach werden alle Lemmata nach Sachgruppen geordnet und gedruckt; schließlich werden die zusammengestellten, nach Morphemen geordneten Wortfamilien gedruckt, bis das Werk einen nicht unerheblichen Umfang erreicht hätte. Hier deutet sich ein weiteres Problem an: Ein etymologisches Wörterbuch wie das soeben entworfene kann prinzipiell nur diejenigen Fragen beantworten, die von den Verfassern zunächst überhaupt gestellt und daraufhin auch bearbeitet worden sind. Auch hier wird also
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wiederum eine Vorauswahl getroffen zwischen interessanten Fragen, die bearbeitet werden, und solchen, die ungestellt bleiben. Wenn ich beispielsweise wissen möchte, wie sich die Aufteilung des Wortschatzes auf die einzelnen Wortklassen vom 16. Jahrhundert bis heute verändert hat und ob die zahlreichen Entlehnungen im Bereich der Naturwissenschaften darauf einen Einfluß hatten, so stehe ich auch vor einem solchen, neu konzipierten Wörterbuch ziemlich hilflos da. Diese Frage ist von den Herausgebern nicht vorhergesehen worden und kann von dem Wörterbuch somit auch nicht beantwortet werden. Deshalb möchte ich gerne noch einen fünften Wunsch an ein ideales Wörterbuch richten: Neben der linguistisch begründeten Auswahl der Lemmata, der Gleichbehandlung aller Einträge, der Mehrfachsortierung und der Darstellung nach Wortfamilien sollte ein ideales Wörterbuch Offen' konzipiert sein und auch solche Fragestellungen zulassen, die von den Herausgebern nicht vorhergesehen worden sind. Das ist nun im Rahmen eines herkömmlichen, gedruckten Wörterbuches nicht mehr möglich. Ein anderes Medium ist aber durchaus imstande, diesem Anspruch gerecht zu werden: Eine Computer-Datenbank kann genau das leisten, nämlich einen gegebenen Datenbestand, also eine Anzahl von Lemmata oder Wörterbuchartikeln, immer wieder neu nach frei wählbaren Kriterien zusammenzustellen und zu sortieren. Eine solche Datenbank kann gleichermaßen schnell und zuverlässig beispielsweise alle aus dem Altfranzösischen entlehnten Verben des 13. Jahrhunderts oder aber den nautischen Wortschatz sortiert nach Herkunftssprachen zusammenstellen. Ebenso rasch ist es möglich, alle Vorkommen z. B. des Suffixes -ION zusammenzustellen oder alle Lemmata, die das Präfix BE- enthalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sämtliche Lemmata zuvor in ihre Bestandteile zerlegt worden sind. Das darf jedoch nicht rein mechanisch erfolgen: Während ich das englische Wort building in den Stamm BUILD und die Endung -ING zerlegen kann, ist dies bei ring nicht möglich. Ebenso läßt sich das Verbum belie zerlegen in die Vorsilbe BE- und den Stamm LIE, wohingegen das Wort belly sich nicht trennen läßt. Das Wort between ist ein besonderer Fall. Nach den Gepflogenheiten der synchronen Morphologie ist dieses Wort monomorphematisch, d. h. nicht analysierbar. Dahinter steht die Überzeugung, daß zeitgenössische Sprecher und Sprecherinnen des Englischen sich nicht dessen bewußt sind, daß das zweite Element TWEEN mit dem Wort two in irgendeiner Beziehung steht. Außerdem steht das BE- von between ziemlich isoliert da; es läßt sich nicht mit dem BE- von belie oder bemoan verbinden, ist also kein produktives Affix. Im Zusammenhang des hier vorgestellten Ansatzes jedoch sollen nicht ausschließlich die Grundsätze der synchronen Morphologie gelten. Es soll vielmehr gezeigt werden, welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn eine von der Etymologie her sich anbietende Analyse in morphologische Bestandteile versucht wird. Dabei steht nicht die Übereinstimmung mit der Kompetenz des native speaker im Vordergrund. Das Ziel ist es vielmehr, etymologisch zusammengehörige Wörter gemeinsam in einer Wortfamilie wiederfinden zu können. Wenn die etymologische Untersuchung demnach ergeben hat, daß das BE- von between zu der Präposition by gehört
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Gereon Pranken
und das Element TWEEN zu dem Zahlwort two, dann soll entsprechend das Wort between auch in diesen beiden Wortfamilien wiederzufinden sein. Eine solche Verquickung von Etymologie und Morphologie möchte ich (in lockerer Anlehnung an einen von Trubetzkoy geprägten Begriff) als 'Ety-Morphologie' bezeichnen. Dieses Prinzip, also eine auf der Etymologie aufbauende morphologische Analyse, wird nun seit einigen Jahren auch in der Praxis angewandt und erprobt. Am Englischen Seminar der Universität Münster entsteht z. Z. eine Shakespeare Datenbank, wobei ein wesentlicher Ausschnitt aus dieser Datenbank die morphologische Analyse des gesamten Wortschatzes von Shakespeare zum Gegenstand hat. Die etwa 17.000 englischen Lemmata in diesem Korpus sind in ihre morphologischen Bestandteile zerlegt und auf der Grundlage dieser Analyse zu 'ety-morphologischen' Wortfamilien zusammengefaßt worden. Das ganze Projekt ist im Rahmen einer Computer-Datenbank organisiert und soll auch in entsprechender Form veröffentlicht werden. Zum Abschluß möchte ich nun noch ein Beispiel für eine solche ety-morphologische Wortfamilie geben. Anhand eines Ausschnittes aus der Familie "Regere" können vielleicht einige der Vorteile einer solchen Vorgehensweise deutlich werden (vgl. Abb. 1). Im Gegensatz zu der völlig unsystematisch aufeinander Bezug nehmenden Darstellung im "Concise Oxford Dictionary of English Etymology" ist hier eine Aufteilung nach verschiedenen Morphemen erkennbar. Innerhalb der einzelnen Morpheme wird in diesem Beispiel zunächst nach Präfixen, dann nach Suffixen sortiert; ebensogut wäre aber eine Sortierung nach dem Erstbelegsdatum oder etwa nach dem Alphabet möglich. Bei dieser Familie "Regere" fällt auf, daß es Morpheme gibt, die der lateinischen Vorlage sehr ähnlich sind (wie REGT, REG und RIG), und solche, die sich von dieser Vorlage weit entfernt haben unter dem Einfluß des Altfranzösischen (z. B. REIGN und RULE). Zwischen diesen Gruppen von Morphemen sind deutliche Unterschiede hinsichtlich des Wortbildungsverhaltens erkennbar. Während innerhalb des Morphems RULE das Zahlen Verhältnis von Ableitungen zu Komposita in etwa ausgeglichen ist (mit einer starken Beteiligung germanischer Elemente), sind bei dem Morphem RECT doch erheblich mehr Affigierungen festzustellen. Die beiden einzigen Komposita (direction-giver und ill-erected) sind zudem noch Wortschöpfungen von Shakespeare selbst. Auch hinsichtlich der Beteiligung germanischer Elemente fällt auf, daß die wenigen germanischen Elemente sich nie allein mit dem Zentralmorphem RECT verbinden, sondern meist nur als zweites, und zwar als das weiter vom Stamm entfernt stehende Element auftauchen (etwa in rectorship und uncorrected). Dieses Morphem RECT, das wie viele andere lateinischstämmige Morpheme das Kernelement einer großen Zahl von teils entlehnten, teils im Englischen neu gebildeten Lemmata darstellt, kann jedoch nie allein stehen, ist also kein freies Morphem. Im Gegensatz dazu verhalten sich die vom Altfranzösischen geprägten Morpheme, z. B. REIGN und RULE, als freie Morpheme und ähneln in dieser Hinsicht den ererbten Wörtern mehr als den entlehnten. Dieser Umstand könnte auch erklären, warum die Kompositabildung (im Gegensatz zur Affigierung) bei RULE anders als bei RECT so relativ stark vertreten ist.
195
"Ety-Morphologie' morpheme
lemma
wcl.
RAIL RECT
cor cor cor cor incor uncor di di di di di di di indi indi indi e c ill-e in»ur raur
REG
reg ent reg entthip reg inient reg ion reg ular ir reg ular ir reg uloiu
REIGN
RGE
RIG
rcct ifier rectify rector rect orship rcct rect rect ioner rect or rect reeled rect rcct rect JOD rect ion-giver rect itude rect ive rect ly rect red ton rect ly reel rect ion reeled rect ion rect ion
reign reign
n. vb. n. n. vb. D.
n. n. •dj. adj. vb. •dj. D.
n. n. adj. adv. adj. D.
•dv. vb. n. adj. n. n.
hardnightover un
1320
OldFrench < Latin
1611 1400 1387 1600 1340 1340 1598 1353 1432 1387 1374 1391 1407 1594 1607 1594 1400 1393 1594 1474 1417 1503 1595 1459 1290
OUFrench < med. Latin < Latin OldFrench or Latin Latin OldFrench < Latin OldFrench < Latin OldFrench or Latin Latin Latin OldFrench or Latin
med.Latin < Latin OldFrench < med. Latin < Latin
French or Latin OldFrench < Latin OldFrench < Latin OUFrench or Latin
•dj.
vb.
1272 1297
OUFrench < Latin OUFrench < Latin
1225 1490
Latin French or Latin
1483
OUFrench < med. Latin < Latin
1225 1225 1375 1612 1595 1576 1400
OUFrench < Latin OUFrench < Latin
n. n. adj. adj.
cor rig ible rule rule rid er ml ed rule nik nil y
etymology
1414 1579 1390 1330 1387 1380 1609
di rge tu rge
RULE
date
vb. n.
•dj. n.
vb. •dj.
OUFrench OUFrench OUFrench OldFrench
< < <
ats de grammaire, eile n'eut jamais la cohesion, la netteli de doctrine, assurance de la m&hode, ni, il faut le dire, la hardiesse necessaire pour faire 'un ouvrage de Systeme'. (Brunot 1905-1953, IV, 1: 13)
Die extreme Form der Uneinigkeit unter den für die Grammatik zuständigen Akademiemitgliedern läßt sich aber nicht ausschließlich mit der inneren Verfassung der ansonsten gut funktionierenden Institution begründen. Vielmehr stellte das Fehlen einer geeigneten Grammatikkonzeption für das Französische die Beauftragten vor so grundlegende Probleme, daß eine systematische und synthetisierende Aufarbeitung des Stoffes nicht zustande kommen konnte.
232
Ulrich Hoinkes
Im Jahre 1700 übertrug die Akademie die Hauptverantwortung für das geplante Projekt ihrem "secretaire perpotuel" Francois-Se"raphin Regnier-Desmarais (1632-1713), der in Fragen der Grammatik besonders kompetent war und der Aufgabe gewachsen schien. Schon bald überwarf sich Rognier-Desmarais jedoch mit seinen Mitarbeitern, weil er allein über alle auftretenden Zweifelsfälle entscheiden wollte und sich als ausschlaggebende Bestimmungsinstanz verstand. Die Uneinigkeiten zwischen Rognier-Desmarais und der Akademie führten schließlich zu dem Mißerfolg des gesamten Projektes, aus dem R6gnier-Desmarais dann ausstieg und an dessen Stelle einige Jahre später nur die kommentierte Neuausgabe der berühmten "Remarques" von Claude Favre de Vaugelas trat. R£gnier-Desmarais verfolgte jedoch die Abfassung der von ihm vorbereiteten französischen Grammatik beharrlich weiter und veröffentlichte im Jahre 170S1 in Eigeninitiative einen ersten Teil des geplanten Werkes unter dem Titel "Traite" de la grammaire frangoise". In dem Vorwort zu dieser über 750 Seiten starken Grammatik gibt er zu erkennen, daß er mit seinem Werk die eigentlich geplante Akademie-Grammatik ersetzen will, und begründet dies wie folgt: [...] Car dans l'execution de toutes les choses, dont on peut faire divers projets reguliere, & qui peuvent recevoir diverses formes, on ne peut travailler que sur un dessein; & il faut que ce dessein soit conceu & conduit par un seul & mesme esprit. (Rdgnier-Desmarais 1706: Prdface, 1)
Es ist ein interessantes Faktum, daß Regnier-Desmarais die konzeptionelle Kohärenz seiner Grammatik betont, indem er auf den "seul & mesme esprit" verweist, der ihrer Darstellungsweise zugrunde liege. Diese Hervorhebung der Eigenleistung des Autors bildet nicht nur einen Kontrast zu dem geforderten Synthesecharakter einer Akademie-Grammatik,2 sie steht auch im Gegensatz zu dem Selbstverständnis der meisten späteren französischen Referenzgrammatiken, die sich in der Regel bewußt als eine synthetisierende Wiedergabe oder Zusammenfassung vorangegangener Grammatikreflexion verstehen.3 Dies darf jedoch nicht zu dem voreiligen Schluß führen, R6gnier-Desmarais lasse die vor ihm liegende Grammatiktradition in seinem "Trait6" unberücksichtigt oder ersetze sie durch eine eigene theoretische Grundlage. Als Verfasser der 'ersten g r o ß e n französischen Grammatik' (Chevalier 1968: 598) zeigt sich R6gnier-Desmarais vielmehr daran interessiert, den konzeptionellen Entwicklungsstand der lateinischen Grammatikographie auf die französische Sprache in einer möglichst umfassenden Art und Weise zu übertragen, und sucht daher auch immer wieder den Bezug zur lateinischen Tradition. Kritisch betrachtet läßt sich behaupten, daß bei R6gnier-Desmarais die relativ starre Ausrichtung auf das theoretische Modell der lateinischen Grammatikographie ein methodologisches Substitut für die Grundlegung einer dem Französischen angemessenen Grammatiktheorie darstellt. Bei der ambitionierten Zielsetzung eines ersten französischen Grammatikkompendiums war es dem Autor aber nicht auch noch möglich, das methodische Niveau seiner am Detail orientierten Darstellung aus den tradierten Normen der grammatischen Deskription herauszulösen. Die moderne historiographische Forschung vermittelt im allgemeinen ein recht negatives
Zur französischen Grammatikographie des frühen 18. Jahrhunderts
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Bild von der Grammatik Regnier-Desmarais'. Aufgrund ihrer Ausrichtung auf das lateinische Grammatikmodell wird sie als anachronistisches, 'fast vollständig der Vergangenheit zugewandtes' (Chevalier 1968: 590) Werk gedeutet, das im Prinzip abseits der geistigen Strömung der g r a m m a i r e g r a l e steht und nur hie und da durch eine spitzfindige Analyse ihres Autors an Wert gewinnt. Unter Berücksichtigung der zeit- und umständebezogenen Entstehungsgeschichte des Werkes erscheint es jedoch angebracht, diese Negativeinschätzung zu relativieren. Das soll im folgenden in bezug auf Rognier-Desmarais' konkrete eigene Ausführungen ein wenig näher erläutert werden. Im Vorwort des "Traito de la grammaire frangoise" gibt der Autor eindeutig zu erkennen, daß er die Theoretisierung der grammatischen Darstellung für grundlegend notwendig hält und im Prinzip sogar von denselben Prämissen ausgeht wie die Vertreter der Allgemeinen Grammatik: [...] II faut employer la Logique, & la M6taphysique ä d i scut er les principes de chaque partie du Discours: il faut penetrer dans les raisons qui ont rendu tous ces principes communs a toutes les societez des homines, & qui ont establi une si grande varieto dans I'application que chaque Peuple en fait: [...] (R6gnierDesmarais 1706: PreTace, 2)
Gegenüber der seinerzeit noch verbreiteten Meinung, die Grammatik sei eine für die Öffentlichkeit und den Staat eher nutzlose Disziplin,4 vertritt Rognier-Desmarais die Auffassung, die grammatiktheoretische Reflexion erweise sich grundsätzlich und gerade auch im Hinblick auf das Sprachenlernen als sinnvoll: Du reste, lors que la Theorie est jointe a la Pratique, on possede les choses tout autrement, que quand on ne les sgait que par une espece d'habitude & de routine. (Rognier-Desmarais 1706: Pr6face, 3)
In der allgemeinen Definition der Grammatik, die Re"gnier-Desmarais gibt, deutet sich schon ein wenig das Verständnis dieser theoretischen Disziplin als Wissenschaft und darüber hinaus sogar als Grundlage aller Wissenschaften an: Le propre de la Grammaire, en chaque Langue, est d'enseigner ä parier purement & correctement: & par cette raison, dans tous les Pays, oü on a fait quelque estime des Sciences, la Grammaire a tousjours esto regarded, comme celle qui sert d'introduction ä toutes les autres, & qui en est en quelque sorte la clef. (Rignier-Desmarais 1706: Preface, 3 sq.)
Rognier-Desmarais verweist ausführlich darauf, daß bei den Griechen und Römern die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache als etwas Ehrenvolles galt und von den angesehensten Persönlichkeiten betrieben wurde. Im Vergleich dazu sieht er die grammatische Erforschung des Französischen als zu sehr vernachlässigt an: La nostre [grammaire, Anmerk. d. Verf.] n'a pas eu tout a fait la mesme fortune; moins de grands hommes s'y sont appliquez; & parmi ceux qui ont bien voulu s'en dormer la peine, il n'y a guere qui ayent embrasse la Grammaire dans toute son estendue. (Rognier-Desmarais 1706: PreTace, 5)
Der "Traito" von Regnier-Desmarais repräsentiert einen bedeutungsvollen Moment in der Geschichte der französischen Grammatikographie. Mit dem von der Acadomie Franchise ausgehenden Auftrag, eine wissenschaftlich fundierte und zugleich alle Einzelaspekte einschließende Grammatik der französischen Sprache zu verfassen, sah sich R6gnier-Desmarais vor eine grundlegende Entscheidung gestellt. Er mußte sich entweder der dringend notwendig gewordenen Aufgabe einer methodischen Neubegründung der grammatischen Darstellung für
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Ulrich Hoinkes
das Französische widmen oder aber ganz bewußt die in der lateinischen und griechischen Tradition geschaffenen theoretisch-methodischen Voraussetzungen auf die Grammatik des Französischen zu übertragen versuchen. R6gnier-Desmarais entschied sich für die zweite, historiographisch betrachtet eher rückschrittliche Lösung. Ihre Berechtigung verteidigte er in einer durchaus reflektierten Art und Weise, und zwar unter Einbeziehung des Gedankengutes der Allgemeinen Grammatik. Zu Beginn seines "Traito" bemerkt er nach dem Hinweis darauf, daß jede Sprache ihre eigene "grammaire particuliere" habe, folgendes: Mais quoy que la pluspart des Grammaires soient differentes entre elles, pour ce qui regarde les materiaux de chaque Langue, elles s'accordent toutes en quelque sorte, en ce qui conceme certains rapports que ces mesmes materiaux doivent avoir les uns avec les autres; lore qu'on les veut assembler pour donner une idee claire & nette de ses pensees. Et c'est de la connoissance de ces rapports, fondee sur celle des diverses operations de esprit, que toutes les Langues tirent, comme d'une source commune, ce qu'il y a de principal dans art & dans la methode de leurs Grammaires. La Langue Franchise est en cela de mesme condition que toutes les autres: & comma eile est presque toute formee de la Langue Latine, eile a pris de la Grammaire Latine la pluspart des preceptes qui composent sa Grammaire, & la pluspart des termes qui servent ä les exprimer. On taschera dans la suite d'expliquer de teile sorte les uns & les autres, qu'on en puisse rendre intelligence aisee, aux personnes mesmes qui n'ont aucune teinture de la Langue Latine: [...] (R6gnier-Desmarais 1706: 1 sq.)
Die nähere Begründung des hier wiedergegebenen Gedankengangs von R6gnier-Desmarais ermöglicht die adäquate historiographische Einschätzung seiner Grammatik. Der erste Teil des Zitats macht deutlich, daß der Autor grundsätzlich an die Tradition der Allgemeinen Grammatik anknüpfen möchte und dabei erwartungsgemäß die Korrelation von gedanklicher und sprachlicher Strukturebene hervorhebt. Im zweiten Teil des Zitats jedoch zeigt sich, daß der Transfer von der Allgemeinen Grammatik zur einzelsprachlichen Grammatik im konkreten Fall nicht korrekt nachvollzogen wird. So versteht Rignier-Desmarais die lateinische und die französische Grammatik nicht als zwei unterschiedliche g r a m m a i r e s p a r t i c u l i e r e s , sondern versucht, aus der lateinischen Grammatik ein Deskriptionsmodell für die französische Sprache zu abstrahieren, dessen Modellfunktion für das Französische er zum einen aus den Prinzipien der Allgemeinen Grammatik, zum anderen aus der genealogischen Verwandtschaft von Latein und Französisch ableitet. Diese argumentative Zusammenführung von Aspekten der Allgemeinen Grammatik und der einzelsprachlichen Grammatik auf der Konstitutionsebene des grammatischen Beschreibungsmodells für eine Sprache (in diesem Fall des Französischen) macht klar, welchem methodischen Irrtum Rognier-Desmarais erlegen ist. Er verwechselt zum Teil die formale Struktur der grammatischen Deskription einer einzelnen Sprache mit der 'philosophisch' bzw. 'logisch' begründeten Erklärung morpho-syntaktisch ausgedrückter gedanklicher Beziehungen auf der Betrachtungsebene der sprachlichen Kommunikation. Das, woran Rognier-Desmarais methodisch anknüpft, ist im letzten nur ein formales Schema und Paradigmensystem, das den Spielraum für einen reflektierten Neuansatz der grammatischen Interpretation erheblich einschränkt. Dennoch fände der "Trait6" von 1705 keine angemessene Würdigung, sähe man in ihm
Zur französischen Grammarikographie des frühen 18. Jahrhunderts
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nur eine französische Grammatik nach veraltetem bzw. inadäquatem lateinischen Muster. Es ist nämlich offensichtlich, daß sein Autor an vielen Stellen Unterschiede und Konfrontationsmomente zwischen der lateinischen und der französischen Grammatik erkennt und zum Teil auch deutlich hervorhebt.5 Gerade diese Stellen, an denen der Autor in Konflikt mit seiner eigenen methodischen Konzeption gerät, zeigen das relativ hohe Reflexionsniveau seiner grammatischen Darstellung und entschärfen zugleich ihre methodische Intoleranz gegenüber den Besonderheiten der französischen Sprache. Einen Bereich der grammatischen Deskription, in dem die Berücksichtigung der Eigenheiten des Französischen gegenüber der lateinischen Sprache ganz offensichtlich gefordert ist, stellt die Behandlung des grammatischen Artikels dar. An einigen Details seiner Definition und Funktionsbestimmung sei daher verdeutlicht, in welcher Weise es Rognier-Desmarais immer wieder gelingt, die Nähe zur Realität des französischen Sprachgebrauchs in der grammatischen Beschreibung trotz der Übernahme des in vielerlei Hinsicht inadäquaten lateinischen Deskriptionsmodells zu wahren. Den grammatischen Artikel definiert Rognier-Desmarais allgemein wie folgt: On appelle commitment Articles, en termes de Grammaire, des particules declinables, qui precodant tousjours le nom auquel elles se joignent, servent ä en faire connoistre le genre & le nombre, & qui en d&erminent certains cas, par le moyen de quelques autres particules. Ainsi quand on dit le del, la terre, les cieux; le, la, les, ne sont autre chose que les Articles de ces mesmes noms. (Regnier-Desmarais 1706: 141)
Die Funktion des Artikels als 'Begleiter' des Nomens und die mit ihr verbundene Angabe von Genus und Numerus werden in dieser Definition eindeutig herausgestellt. Daneben verweist R6gnier-Desmarais darauf, daß dem Artikel (z. T. in Verbindung mit "particules", d. h. Präpositionen) im Französischen die Rolle zufällt, dem Nomen einen bestimmten grammatischen Kasus zuzuweisen. Diesen Beitrag zur Deklination muß der Artikel nach RögnierDesmarais deshalb liefern, weil das französische Nomen (Substantiv) selbst nur hinsichtlich des Numerus flektierbar ist. Aus diesem Grunde hält R£gnier-Desmarais aber auch die Vorstellung vom lateinischen " c a s u s " und diejenige vom französischen "cas" bewußt auseinander. Zum französischen "cas" bemerkt er: On entend seulement [par 'cas', Anmerk. d. Verf.], ä l'egard de Particle, chaque variation que article peut recevoir estant joint au nom; & ä l'egard du nom, chaque estat dans lequel le nom peut estre considered & les differents estats du nom, aussi-bien que les differentes variations de article, s'appellent declinaison. (Regnier-Desmarais 1706: 142)
Mit Hilfe des Artikels und der Präpositionen de und ä läßt sich in Rognier-Desmarais' Sichtweise jedes französische Nomen in alle sechs aus der lateinischen Grammatik bekannten Kasus bringen; diese sind der Nominativ (le del est serein), der Vokativ ([ö] del, souffrirezvous?), der Genitiv (les graces du del), der Dativ (graces au del), der Akkusativ (remerder le del) und der Ablativ (descendre du del).6 Der problematische Versuch Rdgnier-Desmarais', diesen einzelnen Kasus jeweils einen semantischen Gehalt zuzuschreiben, soll hier nicht weiter erörtert werden. Interessant ist aber die Tatsache, daß dem Artikel ein Eigenwert zuerkannt wird, der die Sprachen mit Artikelge-
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Ulrich Hoinkes
brauch in eine gewisse Überlegenheit gegenüber den artikellosen Sprachen bringe. So betont Rognier-Desmarais, daß die beiden französischen Interrogativsätze 'estes-vous Prince?' und 'estes-vous le Prince?' im Lateinischen nur durch 'es ne Princeps' wiedergegeben und somit in dieser Sprache nicht entsprechend semantisch differenziert werden können. Hieraus leitet er eine Eigenheit des Artikels ab, die darin besteht: [...] de restraindre ä une signification particuliere, un nom qui a de luy-mesme une signification vague, & qui peut s'appliquer ä plusieurs sujets. (Rognier-Desmarais 1706: 153)
Über die durch die lateinische Tradition begründete Funktionsbestimmung hinausgehend, erkennt R6gnier-Desmarais also die spezifische Rolle des Artikels auch in der Ausübung einer semantischen Determination des begleiteten Nomens und schafft damit letztlich die Möglichkeit einer nur auf das Französische bezogenen Interpretation dieser Wortart.7 Dies zeigt sich unter anderem darin, daß er nicht nur den Fall der Individualisierung einer lexikalischen Bedeutung durch den bestimmten Artikel (Bsp. etes-vous le prince), sondern auch den umgekehrten Fall einer semantischen Universalisierung (Bsp. l'komme est sujet a se tromper) betont. In den meisten Fällen aber - so Regnier-Desmarais' weitere Überlegung - dient der bestimmte Artikel im Französischen zur genaueren Bestimmung der Denotation eines appellativischen Substantivs (Bsp. lapomme est pourrie). Von dieser Grundannahme ausgehend (und auf der Basis der vorausgesetzten Determinationsfunktion), widmet sich der "Trait6" ausführlich den besonderen Fällen, in denen der bestimmte Artikel im Französischen vor Eigennamen gesetzt wird, sei es regelhaft (Bsp. le Dieufort, l'Alexandre dont vous parlez) oder einfach aus normativen Gründen (wie bei einigen geographischen Bezeichnungen, z. B. le Caire, le Japan). Dieser exemplarische Einblick in einige Aspekte der Behandlung des Artikels bei Rognier-Desmarais mag genügen, um erkennen zu lassen, daß seine grammatische Deskription sehr eng auf die Wirklichkeit und den tatsächlichen Gebrauch der französischen Sprache bezogen ist und dabei immer wieder die 'Fesseln' der lateinischen Tradition zu sprengen vermag. Rdgnier-Desmarais übernimmt zwar grundsätzlich das Interpretationsschema der lateinischen Grammatik; er füllt es aber mit so viel detailbezogener grammatischer Reflexion an, daß die konkrete Beschreibung der französischen Sprache darunter weniger stark leidet, als man es - in methodischer Hinsicht - erwarten könnte.
Anmerkungen 1 2
Zu den Unklarheiten um das Datum der Erstveröffentlichung siehe Swiggers' klärenden Beitrag: Swiggers (1985a). Immerhin stand Rognier-Desmarais bereits in einer Tradition französischer Grammatikographie des 16. und 17. Jahrhunderts; vgl. zu diesen Anfängen der französischen Grammatik: Chevalier (1968), Swiggers (6d.) (1984).
Zur französischen Grammatikographie des frühen 18. Jahrhunderts 3 4 5 6 7
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Ein Beispiel hierfür ist etwa das Selbstverständnis der erfolgreichen Grammatik von Pierre Restaut (1730); vgl. Chevalier (1968: 636). Re~gnier-Desmarais weist auf diese Meinung im Vorwort zu seiner Grammatik ausführlich hin. Re~gnier-Desmarais gibt sogar einen ganz allgemeinen Hinweis auf die Problematik der Deckungsungleichheit von lateinischer und französischer Grammatiktheorie; vgl. Regnier-Desmarais (1706: 138). Vgl. zu den Beispielen: R6gnier-Desmarais (1706: 147). R6gnier-Desmarais steht allerdings auch hier in einer Tradition der grammatischen Betrachtung des Artikels im Französischen; vgl. hierzu Swiggers (1985b).
Literatur Brunot, F. (1905-1953): Histoire de la langue francaise des origines a nos jours, 13 tomes. - Paris: A. Colin, 2. A. 1966-1972. Chevalier, J.-C1. (1968): Histoire de la syntaxe. Naissance de la notion de complement dans la grammaire francaise (1530-1750). - Geneve: Droz. Re'gnier-Desmarais, F. S. (1706): Traiti de la grammaire francoise. - Paris, Neudruck: Geneve 1973. Restaut, P. (1730): Principes geneYaux et raisonnes de la grammaire francoise. - Paris. Swiggers, P. (6d.) (1984): Grammaire et möthode au XVIP siecle. - Leuven: Peeters. - (1985a): "La grammaire francaise de R£gnier-Desmarais". - In: Historiographia Linguistica 12, 1/2, 261-266. - (1985b): "L'article francais: l'histoire d'un probleme grammatical". - In: Revue de Linguistique Romane 49, 379^09.
DER EINFLUSS DER DEUTSCHEN SPRACHWISSENSCHAFT AUF DIE ERFORSCHUNG DER LETTISCHEN SPRACHE IM 19. JAHRHUNDERT Daina Nitina
Die deutsche Sprachphilosophie und die Entstehung der historisch-vergleichenden Methode in der Sprachwissenschaft übten im 19. Jahrhundert einen starken Einfluß auf deutschbaltische Geisteswissenschaftler aus, die sich der Erforschung der lettischen Geschichte, Ethnographie, Folklore und Sprache widmeten. 1824 wurde die "lettisch-literarische Gesellschaft" gegründet,1 die ihre Hauptaufgabe darin sah, lettische Wörter zu sammeln und sie im Vergleich zur slawischen, gotischen, litauischen und altpreußischen Sprache zu erforschen. Die Publikation sprachwissenschaftlicher Werke erfolgte im Magazin der "lettisch-literarischen Gesellschaft".2 Dort erschien z. B. die Untersuchung von B. Bergmann (1838) "Über den Ursprung der lettischen Sprache", die sich auf die Werke F. Bopps stützt und umfassende Tabellen zur vergleichenden Lexik liefert. Die Arbeit von Bergmann enthält zahlreiche Irrtümer, kann jedoch im Rahmen der lettischen Sprachforschung als Pionierleistung gelten. 1848 erschien - ebenfalls im Magazin der "lettisch-literarischen Gesellschaft" - die "Formenlehre der lettischen Sprache in neuer Darstellung" von Otto Rosenberger. Rosenberger, der als Lektor der lettischen Sprache in Dorpat (Tartu) tätig war, wurde von der "Kritischein] Grammatik der Sanskrit-Sprache [...]" von Bopp (1834) beeinflußt (vgl. Rosenberger 1848: VI). Unter den deutschbaltischen Erforschern der lettischen Sprache nimmt August Johannes Gottfried Bielenstein, Pastor zu Döbele, eine herausragende Stellung ein. Seine Familie stammte aus Göttingen; er selbst wurde am 4.3.1826 in Mi tau (Jelgava) geboren. Nach einer Ausbildung im Schulpforta bei Naumburg (1840-1845) (vgl. Bielenstein 1895) studierte Bielenstein in Dorpat Theologie. Ab 1853 war er in der "lettisch-literarischen Gesellschaft" tätig. Nachdem er von 1864 bis 1895 als Vorsitzender der Gesellschaft gewirkt hatte, mußte er wegen einer Augenkrankheit zurücktreten. Er blieb der Gesellschaft jedoch bis zu seinem Tod am 23.6.1907 als Ehrenmitglied verbunden (vgl. Bielenstein 1913a). Unter Bielensteins Leitung entfaltete die "lettisch-literarische Gesellschaft" eine lebhafte wissenschaftliche Tätigkeit, die ihren Niederschlag in zahlreichen Forschungsunternehmen und Publikationen fand. Unter anderem war es Bielenstein zu verdanken, daß die Gesellschaft bedeutende Wissenschaftler wie z. B. A. Leskien, A. Bezzenberger und E. Kunik als korrespondierende Mitglieder bzw. als Ehrenmitglieder gewinnen konnte.3 Die Arbeit Bielensteins war im wesentlichen darauf ausgerichtet, die historisch-vergleichende Methode für eine umfassende Analyse und Erforschung der lettischen Sprache nutzbar zu machen. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, daß A. Pott mit seinen "2 lateini-
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sehen Programm-Abhandlungen von 1837 und 184 der erste Wissenschaftler war, der sich im Rahmen der vergleichenden Sprachwissenschaft mit dem Lettischen beschäftigte (vgl. Bielenstein 1887b: 251). Schon in seinen frühen Schriften war Bielenstein darum bemüht, Analogien zwischen der lettischen Sprache auf der einen und der lateinischen, griechischen, russischen und litauischen Sprache auf der anderen Seite zu ermitteln. (Vgl. Bielenstein 1856a) Die wichtigste Arbeit Bielensteins ist sein umfassendes Werk "Die lettische Sprache nach ihren Lauten und Formen erklärend und vergleichend dargestellt [...]", das in Berlin gedruckt wurde und "Der Alma Mater Porta in dankbarer Pietät" gewidmet ist (Bielenstein 1863a; 1864).4 Die Vorbereitung dieses Werks nahm insgesamt 7 Jahre in Anspruch: Bielenstein verglich die lettische Sprache nicht nur mit dem Litauischen, Altpreußischen, Lateinischen, Griechischen und dem Sanskrit, sondern auch mit den slawischen und germanischen Sprachen. Dabei berücksichtigte er verschiedene lettische Mundarten, lettische Volkslieder, alte lettische Grammatiken und die zeitgenössische Forschungsliteratur. Bielenstein betonte, daß sein Werk nicht als populäre, praktische Grammatik, sondern vielmehr als "Darlegung des Genius der lettischen Sprache" (Bielenstein 1863a: VIII) aufzufassen sei. Besondere Aufmerksamkeit schenkte Bielenstein der Erforschung des lettischen Sprachraums, der Untersuchung lettischer Dialekte und ihrer Verbreitung sowie der Sammlung mundartlicher bzw. regionaler Sprachdaten, Wörter und Ortsnamen. 1892 erschien sein Buch "Die Grenzen des lettischen Volksstammes und der lettischen Sprache in der Gegenwart und im 13. Jahrhundert", das einen "Atlas der ethnologischen Geographie des heutigen und des prähistorischen Lettenlandes" enthielt. Dieser aus 7 Blättern bestehende Atlas war der erste seiner Art in Lettland: Er zeigt sowohl das lettische Sprachgebiet um 1884 und die lettischen Dialekte (Isoglossenkarte)5 als auch die Grenzen der Letten (oder Lettgallen), Semgallen, Selen, Kuren und Liven um 1250. An seinem Buch "Die Grenzen des lettischen Volksstammes [...]" hat Bielenstein 30 Jahre gearbeitet: Er sammelte Material und unternahm in diesem Zusammenhang zahlreiche Forschungsreisen, die ihn durch ganz Lettland und in das Gouvernement von Witebsk führten. Insbesondere bei der Vorbereitung des ersten Teils seiner o. g. Arbeit erhielt Bielenstein Hilfe von vielen lettischen Pastoren und Volksschullehrern. Im Zusammenhang mit seinen Forschungen zu den Besonderheiten der lettischen Mundarten pflegte er einen lebhaften Briefwechsel mit fast allen Pastoren Lettlands. 1882 unternahm Bielenstein gemeinsam mit A. Bezzenberger und Prof. L. Stieda (Dorpat) eine Reise; danach erschienen die bekannten Werke von Bezzenberger (1885; 1887). Bielensteins 10 Jahre später publiziertes Werk "Die Grenzen des lettischen Volksstammes [...]" enthält die folgende Widmung: Meinem verehrten Freunde, Dr. Adalbert Bezzenberger, Professor an der Albertus-Universität zu Königsberg, in dankbarer Erinnerung langjähriger gemeinsamer Forschungen und schöner in Harmonie des Geistes verlebter Tage gewidmet. (Bielenstein 1892)
Die Tätigkeit Bielensteins war sehr vielseitig und vielfältig (vgl. Bielenstein 1913b). Sein Interesse galt nicht nur der lettischen Sprache, sondern auch der Volkspoesie (Bielenstein 1855; 1881), der Mythologie, dem alten Volksglauben, den Heidenburgen und Steinringen sowie
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der Ethnographie (Bielenstein 1866a; 1869; 1873; 1893; 1907a; 1918). Darüber hinaus befaßte er sich mit der Herausgabe der alten lettischen Texte des 16. und 17. Jahrhunderts (Bezzenberger 1886 und Rehehusen 1644), mit der Vorbereitung der praktischen Grammatiken, der Reform der lettischen Orthographie (Bielenstein 1856b; 1863b; 1866b) und mit der Revision der Bibel-, Gesangbuchs-, Katechismus- und Agenden-Texte.6 Einige der von Bielenstein geplanten Forschungsunternehmen wurden bereits in dem Artikel "An die Freunde des lettischen Volks und der lettischen Sprache" skizziert (Bielenstein 1863c). 1863 erschienen seine "Thesen in Betreff eines neu abzufassenden lettisch-deutschen Lexikons", in denen er bemerkt: "Ein neues lettisch-deutsches Lexikon müßte womöglich ein Thesaurus der lettischen Sprache sein" (Bielenstein 1863d: 75). Für die Erstellung eines neuen lettischen Lexikons waren die in Magazinen angesammelten Materialien verwendbar, die von zahlreichen Pastoren, Volksschullehrern und Zöglingen der Lehrerseminare Lettlands eingesandt worden waren. (Vgl. Ulmann 1872; Ulmann/Brasche 1880) Bielenstein stand im Briefwechsel mit vielen bedeutenden Sprachwissenschaftlern, Ethnographen und anderen Wissenschaftlern. Auf seine Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien, die er z. T. aus gesundheitlichen Gründen unternahm, nahm er stets seine gerade in Arbeit befindlichen Untersuchungen zur lettischen Sprache mit: Er suchte die Begegnung mit renommierten Sprachwissenschaftlern, um mit ihnen über die Probleme einer Erforschung des Lettischen und über die besonderen Möglichkeiten der historisch-vergleichenden Methode diskutieren zu können. So lernte Bielenstein in Königsberg Nesselmann kennen und traf sich in Berlin mit Kühn und Bopp. Einen Eindruck von der Atmosphäre dieser Begegnung vermittelt die folgende Aufzeichnung: Als ich später den großen Linguisten Bopp in Berlin besuchte, erlebte ich seine Freude darüber, daß er einmal aus meinem Mund lettisch sprechen hören konnte. (Bielenstein 1904: 131)
Darüber hinaus lernte Bielenstein Persönlichkeiten wie Jakob Grimm, Kurschat, Pott u. a. kennen. Besonders nachhaltig prägte ihn die Begegnung mit Prof. Dr. A.Schleicher in Jena, den er in einem Brief nach Hause wie folgt beschrieb: Das ist ein Original von Mann, ein Mann durch und durch, Charakter, Energie, Entschiedenheit und adler Richtung, ein Mann von Ehre, Patriotismus und Wahrheitsliebe. (Bielenstein 1904: 164)
Die Arbeiten, theoretischen Ansichten und brieflichen Ratschläge Schleichers übten einen maßgeblichen Einfluß auf Bielensteins Hauptwerk "Die lettische Sprache [...]" aus. Bei der vergleichenden Erforschung der lettischen Sprache stützte sich Bielenstein hauptsächlich auf die Werke von Schleicher (1852; 1856), Nesselmann (1845; 1851) und Bopp (1833). Ausgehend von den Erkenntnissen der zeitgenössischen deutschen Sprachwissenschaft orientierte sich Bielenstein im Rahmen seiner Untersuchung "Die lettische Sprache [...]" an drei verschiedenen Grundprinzipien: 1) Das philosophische Prinzip: Bielenstein zufolge gehörte die Suche nach den Zusammenhängen zwischen Form und Inhalt zu den zentralen Aufgaben der Sprachwissenschaft. Demgemäß mußte jeder Grammatiker auch ein Philosoph sein. In Anlehnung an W. v. Humboldt
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vertrat er die Auffassung, daß Sprache ein Ausdruck seelischer Vorgänge sei und mithin erkennen lasse, wie sich die Welt in der Seele des Menschen widerspiegelt. Auf dem Gebiet der Sprachphilosophie beeinflußten ihn "außer den epochemachenden Schriften W. v. Humboldts" (Bielenstein 1863a: 240) auch die aus neuerer Zeit stammenden Werke von Steinthal (1855) und Lazarus (1857). Bielenstein sah seine Aufgabe darin, unter den Mundarten des Lettischen den "echten Genius" der Sprache, d. h. eine als klassische Schriftsprache taugliche Variante, ausfindig zu machen (vgl. Bielenstein 1956c: 4). Die Ideen Humboldts und Steinthals beeinflußten Bielensteins Arbeiten auf dem Gebiet der Volkspsychologie. In seinen Vorträgen "Welchen Wert hat für uns die deutsche Muttersprache? Gedanken über das Danken" (Bielenstein 1907b) vertritt er die Auffassung, daß die Suche nach den Wurzeln der Sprache im Rahmen der Etymologie letztlich der Identitätsfindung diene, da sich in den ursprünglichen Bedeutungen der Wörter der Volksgeist manifestiere: Nach Bielenstein ist die Muttersprache Trägerin des ethischen und pädagogischen Erbes einer Nation und als solche von besonderem Wert. 2) Das naturwissenschaftliche Prinzip: Ähnlich wie Schleicher (1850) betrachtete Bielenstein die Sprache als Resultat eines natürlichen Wachstumsprozesses. Er vertrat deshalb die Ansicht, daß die Sprache keiner abstrakten Theorie untergeordnet werden dürfe, sondern in ihrer ganzen Vielfalt und Buntheit erfaßt und beschrieben werden müsse. In diesem Rahmen hielt Bielenstein die Orientierung an naturwissenschaftlichen Verfahren für notwendig: Der Sprachforscher müsse sich seinem Gegenstand - wie der Chemiker, der Anatom oder der Physiologe - auf empirischem Weg nahem. (Vgl. Bielenstein 1863a: V) Seine wichtigste Aufgabe bestehe darin, sprachliche Fakten zu beobachten und zu sammeln und - hiervon ausgehend - Vergleiche mit anderen Einzelsprachen durchzuführen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich Bielensteins Interesse an den Methoden der Linguistik, unter denen er den Verfahren der Beobachtung und des Vergleichs zentrale Bedeutung beimaß. 3) Das historische Prinzip: Bielenstein war der Auffassung, daß die historische Entwicklung einer Sprache auf der Grundlage von Vergleichen mit anderen, verwandten Sprachen erforscht werden könne. Er setzte sich daher u. a. mit der Frage nach dem spezifischen Stellenwert des Lettischen im Kontext der indogermanischen Sprachen auseinander. In diesem Rahmen führte er Untersuchungen zum lettischen Lautsystem durch: Er verglich die Laute mit den von Schleicher unterschiedenen Vokalen und Konsonanten einer idealen Ursprache und versuchte, das Verhältnis zwischen dem lettischen und dem indogermanischen Lautsystem genauer zu bestimmen (vgl. Bielenstein 1863a: l f., 29ff.). Bielenstein war der Ansicht, daß das Lettische ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verdiene, weil es - als besonders reiche, differenzierte Sprache - "so tiefsinnig und schön Ausdrucke geliefert hat für die höchsten und heiligsten Begiffe" (Bielenstein 1866c: 48). Er glaubte daher an eine zukünftige Renaissance des lettischen Schrifttums und war davon überzeugt, daß es ihm gelingen werde, "eine Wiedergeburt der lettischen Schrift-Sprache in den nächsten Jahrzehnten herbeizuführen" (Bielenstein 1863e: 63).
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Bielen stein war über die Abkehr der Jungletten von allem Deutschen und ihre Hinwendung zum Osten verbittert. Dem Jungletten Kaspars Biezbärdis warf er vor, die lettisch-russischen Sprachverbindungen zu übertreiben, und bezeichnete ihn in diesem Sinne als einen philoslawischen Politiker (vgl. Bielenstein 1866c: 33). Die zunehmende Russifizierung Lettlands in den 80er Jahren, die in der Einführung des Russischen als offizielle Schrift- und Unterrichtssprache kulminierte, betrachtete Bielenstein als Ironie des Schicksals: Eine Concurrenz mit der deutschen Sprache war möglich, mit der Reichssprache ist (sie?) unmöglich. [...] Das Jahr 1885 macht einen Schnitt durch die lettischen Wunsche und Hoffnungen. (Bielenstein 1887a: 193f.)
Der Einfluß der deutschen Sprachwissenschaft ist im 19. Jahrhundert auch in den Werken nationaler lettischer Sprachforscher spürbar. In den Schriften der Jungletten (besonders von Kronvalda Aus) und in den Werken lettischer Philologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts (vgl. Mühlenbachs 1891) finden sich sowohl W. v. Humboldts Ideen zur Sprache und zum Volksgeist als auch die Auffassungen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft zum Indogermanischen und zur Ursprache wieder. Von großer Bedeutung für die lettische Sprachkunde waren deutsche Junggrammatiker wie etwa K. Brugmann, H. Osthoff, A. Leskien, B. Delbrück, H. Paul u. a., deren Ansichten und Methoden den bedeutenden lettischen Sprachforscher J. Endzelin (Jänis Endzellns) schon in seinen Studienjahren (1893 -1900) beeinflußten. Aber dies wäre das Thema eines weiteren Aufsatzes.
Anmerkungen 1 2 3 4 5
6
Die "lettisch-literarischeGesellschaft" bestand bis 1919. Sie wurde im Jahr 1925 wiederbegründet (unter J. Sehwers Leitung) und 1940 aufgelöst. Die Magazine erschienen periodisch von 1828 bis 1913. Der 21. (und letzte) Band kam erst im Jahr 1936 heraus. Auf dem Gebiet der Ethnographie arbeitete Bielenstein mit dem Baron Gustav von Manteuffel zusammen (vgl. Bielenstein 1885: 292). Dieses Werk wurde "Von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg mit einem der Demidowischen Preise gekrönt" (Bielenstein 1863a). Bielenstein unterschied - zu Recht - drei lettische Hauptdialekte: den nordwestkurischen (oder "unreinen" niederlettischen) Dialekt, den hochlettischen (oder oberländischen) Dialekt und den mittleren (oder reinen niederlettischen) Schriftdialekt. (Bielenstein 1863a: 12; 1892: 391 ff.) Im Jahre 1865 wurde Bielenstein Präsident der von der Synode gebildeten Kommission für die Revision der lettischen Bibeltexte. 1871 erschien der Katechismus, 1877 die Bibel.
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ZUR SPEZIFIK RELIGIÖS ERBAULICHER TEXTSORTEN IM PROTESTANTISMUS DES 17. JAHRHUNDERTS
Oliver Pfefferkorn
Das 17. Jahrhundert kann in der Literaturgeschichte mit gutem Grund das Jahrhundert der deutschsprachigen Erbauungsliteratur genannt werden. Nie zuvor, auch nicht im Reformationsjahrhundert, erschienen derartige Schriften in so großer Anzahl und in solcher Vielgestaltigkeit; es gab kaum einen bedeutenden Geistlichen oder einen bekannten Dichter der Barockzeit, der nicht Erbauungstexte der unterschiedlichsten Art geschrieben hätte. Dieser große und letzte Aufschwung hat seine Wurzeln in der frömmigkeitsgeschichtlichen Situation im Protestantismus an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, die durch eine umfassende Frömmigkeitskrise, verbunden mit einer allgemein geistigen Krise, gekennzeichnet war (vgl. Zeller 1971: 87). Die Reformation mit ihrer Verkündigung galt zu dieser Zeit im Luthertum als eine abgeschlossene und selbstverständlich gewordene Erscheinung. Es setzte eine Phase des Innehaltens und der Standortbestimmung ein; die Notwendigkeit der Verteidigung der eigenen Lehre gegenüber den anderen Konfessionen führte dabei zu einer Rückbesinnung auf die Ergebnisse der Reformation, die als über jeden Zweifel erhaben dargestellt wurden und deshalb in unveränderter Gestalt weiterzugeben waren. Im Vordergrund stand so das Bestreben, ein stabiles theoretisches Lehrgebäude zu errichten; die Theologie entwickelte sich zur reinen Dogmatik, der Glaube trat in den Hintergrund (vgl. Kemper 1985: 153). Die Gestaltung des christlichen Alltagslebens wurde weitestgehend vernachlässigt, so daß Theologie und alltägliches Leben immer weiter auseinanderstrebten (vgl. Greschat 1982: 14). Die Masse der Christen lebte in oberflächlicher, äußerlicher Kirchlichkeit. Hinzu kam noch, daß die Krisenjahrzehnte des 16. und 17. Jahrhunderts zu einer tiefgreifenden Beunruhigung der Christen führten, da sich der eigentlich gütige Gott der lutherischen Lehre mehr als zorniger Gott zeigte, der eben mit den vielfältigen Katastrophen - der zeitgenössischen Auffassung zufolge - seinen Zorn über die Unbußfertigkeit und die Sünden der Gemeinde Christi zum Ausdruck brachte (vgl. Kemper 1985: 155). Durch Unbußfertigkeit und unrechten Glauben kann der Christ aber nach Luther sein Heil eben auch wieder verwirken. Der Bedarf an Rat und geistlichem Trost war ebenfalls von dieser Seite her im Volk ungeheuer groß. Auf der Tagesordnung mußte deshalb unbedingt nach der starken Besinnung auf die Lehre die Besinnung auf das alltägliche Leben der Christen stehen. Der Ruf nach einer inneren Erneuerung des Glaubenslebens durch Stimulierung und Entwicklung der Frömmigkeit wurde immer lauter. Dieser Aufgabe stellte sich die ab 1600 massenhaft erscheinende Erbauungsliteratur, indem sie ganz bestimmte religiöse Wertvorstellungen, Glaubens- und Moralgrundsätze sowohl im Leben des einzelnen Gläubigen als auch der Gemeinschaft durchzusetzen versuchte. Als entscheidend für das See-
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lenheil der einzelnen Christen erweist sich nicht mehr die bloße Mitgliedschaft in einer heilvermittelnden Institution und die äußerliche Zustimmung zu ihren Lehren, sondern die persönliche Aneignung des Glaubens, der Bezug der Lehren auf die eigene Person, der sich in der bewußten Entscheidung für ein christliches Leben in Abwendung von der Welt zeigt. Um eine solche Verinnerlichung zu erreichen, bezog sich diese neue protestantische Erbauungsliteratur sehr stark auf die mittelalterliche deutsche Mystik wie auch auf entsprechende puritanische Literatur. Philipp Nicolai mit dem "Freudenspiegel des ewigen Lebens" (1599) und Johann Arndt mit seinem "Wahren Christentum" (1605-1610) waren die Bahnbrecher dieser neuen Frömmigkeit in Deutschland. Diese hier kurz skizzierte Entwicklung ist allerdings keine Besonderheit des Protestantismus, es handelt sich vielmehr um einen kirchengeschichtlichen Grundzug der Zeit. Auch in den anderen Konfessionen geht - natürlich mit jeweiligen Besonderheiten - der Weg vom Ausbau und der Verteidigung eines strengen konfessionellen Lehrsystems zur stärker individuell gefärbten Frömmigkeit. Was ist nun unter Erbauungsliteratur überhaupt zu verstehen? Die bisherigen Definitionsversuche fassen diesen Begriff unterschiedlich weit und rücken jeweils andere Merkmale zu ihrer Bestimmung in den Vordergrund. Hier soll Erbauungsliteratur in einem umfassenden Sinn als Oberbegriff für alle Textsorten benutzt werden, die primär erbauliche Ziele verfolgen. Zu diesen einzelnen erbaulichen Texten gehören Andachts- und Erbauungsbücher, Predigten, Gebete und Gebetbücher, Kirchenlieder bzw. geistliche Lieder, illustrierte religiöse Flugblätter, erbauliche Exempelsammlungen, geistliche Allegorien und Embleme. Ziel der hier vorgestellten, noch nicht abgeschlossenen Untersuchung ist es, ausgehend von einem im weitesten Sinne textlinguistischen Standpunkt, die Besonderheiten dieser Textsorten im 17. Jahrhundert zu erhellen. Ihre Spezifik scheint auf den ersten Blick schon durch situative und formale Merkmale gegeben zu sein. So sind für die Predigt ihre mündliche Form und ein besonderer, von der Homiletik festgelegter Aufbau kennzeichnend. Sie tritt nur in der Situation des Gottesdienstes auf, ist damit öffentlich und auf eine Gruppe von Adressaten bezogen. Das Andachtsbuch existiert dagegen nur in schriftlicher Form und besitzt keine feste Gliederung, zudem ist es für die private Lektüre durch Einzelpersonen konzipiert. Das Kirchenlied gehört wiederum in die Situation des Gottesdienstes, ist primär mündlich, auf eine Rezipientengruppe bezogen und besitzt auch formale Charakteristika. Der Begriff des geistlichen Liedes ist dann auf alle Lieder mit religiösen Inhalten auszuweiten, die außerhalb des Gottesdienstes in Privatandachten gesungen werden können. Das Gebet zeichnet sich durch mündliche Darbietungsform und Gott als Adressaten aus. Das illustrierte erbauliche Flugblatt wird rein formal dadurch bestimmt, daß es auf einer Druckseite Platz findet und auch als einzelnes verbreitet wird. Die kommunikative Praxis des 17. Jahrhunderts zeigt jedoch, daß diese situativen und formalen Merkmale relativ unscharf bleiben und nur eine vage Abgrenzung der Textsorten ermöglichen, da diese aus ihrem primären Situationsbezug herausgelöst und in einen sekundären überführt werden können. Kirchenlieder und Predigten liegen eben auch in gedruckter Form
Zur Spezifik religiös-erbaulicher Textsorten
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vor, womit sie dann nicht mehr gruppenbezogen wären. Verändert hat sich damit zugleich ihre Gebrauchsspezifik, ihr 'Sitz im Leben'. Viele Andachtsbücher entstanden im 17. Jahrhundert auch direkt aus Predigten. Ebenso verändert das Gebet in den Gebetbüchern seinen Charakter. Diese richten sich nicht mehr an Gott, sondern an die einzelnen Gläubigen selbst und fordern sie zum Gebet auf, indem sie bestimmte Muster liefern. Es überlagern sich hier verschiedene Situationen. Oft kommt es überhaupt zur Vermischung dieser Textsorten. In Andachtsbüchern kann der Prosatext ohne weiteres in eine poetische, d. h. gereimte Form übergehen, die an das geistliche Lied erinnert, häufig sind Gebete in die Texte eingeflochten. Einzelne Andachtsbücher des 17. Jahrhunderts weisen durchgehend eine poetische Form auf. Predigten nehmen ebenfalls sehr oft andere Textsorten in sich auf, vor allem geistliche Lieder, Exempel, Gebete. Situative und formale Merkmale allein erlauben also keine gültige Textsortenabgrenzung, diese ist sinnvoller durch die Einbeziehung der Kategorie des Erbaulichen zu leisten, die sich in den einzelnen Textsorten in spezifischer Weise ausprägt. Es herrscht allerdings keine Einigkeit darüber, was man unter 'Erbauung' und 'erbaulich' im 17. Jahrhundert verstehen kann. Die verschiedenen Beschreibungsansätze bewegen sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Untersuchungsgegenstand zwischen einer extrem engen und einer sehr weiten Auffassung des Erbaulichen. Einerseits werden alle Texte als erbaulich bezeichnet, die irgendwie auf eine christliche Besserung zielen. Dagegen vertritt Bruckner (1985: 507) die Meinung, Erbauung realisiere sich allein in einer Art imaginativer Innenschau bei der Beschäftigung des Lesens bzw. Schauens über die Intentionen permovere (erregen), imitare (nachfolgen) und delectare (sich erfreuen) und führe zur Askese (Tugendübung), wobei er neben der Erbauung noch die von ihr zu trennenden Wirkungsabsichten Verkündigung und Belehrung unterscheidet. Doch auch damit ist das Problem des Erbaulichen nicht gelöst, da sich diese drei Grundfunktionen zwar theoretisch trennen lassen, sich aber nicht gegenseitig ausschließen; sie können in einem Text gleichzeitig auftreten. Vor allem Belehrung und Erbauung sind besonders eng miteinander verbunden, oft geht die Belehrung in Texten der Erbauung voran und zum Teil ohne deutliche Zäsur in sie über, sie ist letztlich der Erbauung untergeordnet. Es scheint nun sinnvoll, für die Bestimmung des Erbaulichen im 17. Jahrhundert noch vom neutestamentlichen aedificare auszugehen, das den Bau des geistlichen Hauses der Gemeinde bezeichnet, der nur durch die Erbauung christlicher Tugenden im einzelnen Menschen geschehen kann. Erbauen ist schon in der Bibel eine partenerbezogene Handlung und besitzt einen stark appellierenden Charakter. "Darumb ermanet euch vnternander / vnd bawet einer den ändern wiejr denn thut." (Luther-Bibel 1534: 1. Thess. 5,11) Wer sich durch ein helfendes Wort um die rechte geistliche Lebensführung des Nächsten bemüht, erbaut. (Vgl. Friedrich 1982: 18ff.) Oder ausführlicher mit Begriffen aus der Sprachhandlungstheorie: Ein Sender bemüht sich, indem er entsprechende Informationen gibt, bei einem Empfänger zunächst die Bereitschaft zum Ausführen einer Handlung hervorzurufen, um ihn danach direkt oder indirekt zu ihrer Realisierung aufzufordern. Diese Handlung 'Erbauen' zielt nun in erster Li-
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nie auf eine Stärkung der christlichen Tugenden, vor allem des Glaubens, die als Folge eine intensivere Orientierung des gesamten menschlichen Lebens auf die Grundsätze der christlichen Religion bezweckt. Dabei soll immer der Mensch in seiner Totalität - hinsichtlich seines Verstandes, seines Gefühls und seines Willens - angesprochen werden. Diese Leistung kommt der Erbauungsliteratur in ihrer Gesamtheit zu, die einzelnen erbaulichen Textsorten sind allerdings jeweils nur auf ganz spezifische Seiten des menschlichen Wesens ausgerichtet, auf bestimmte Geistesbeschäftigungen und geistige Aktionsräume der Rezipienten bezogen. Das Erbauen als Sprachhandlung realisiert sich in diesen Textsorten auch in unterschiedlichen Relationen seiner Teilhandlungen Informieren - Belehren - Auffordern. Insgesamt ist der Erbauungsliteratur das Prinzip der imitatio inhärent; die in ihr enthaltenen Anschauungen und Gedanken soll der Leser möglichst diskussionslos auf sein eigenes Leben übertragen. Rein formal verwirklicht sich die Erbauung in konkreten Texten durch dreierlei Strukturen: 1. Erbauung durch direktes Anleiten oder Auffordern in Form der Darstellung detaillierter Regeln für ein christliches Leben. Texte dieser Art tragen zumeist argumentativen Charakter. Beispiele finden sich schon in der Bibel, vor allem in den Briefen des Neuen Testaments. Es handelt sich hierbei wohl um die einfachste und verbreitetste Art der Erbauung. 2. Erbauung durch Bilder, Allegorien oder Gleichnisse, die vom Leser erst auf ihren christlichen Gehalt hin gedeutet werden müssen. Jeder beschriebene Gegenstand weist dabei über sich hinaus auf geistliche Dinge und ist Antrieb zur Gottseligkeit. Dahinter steht letztlich das Prinzip des vierfachen Schriftsinnes, konkret der tropologische Sinn. Obwohl Luther diese Auslegungsmethode ablehnte, war sie noch im 17. Jahrhundert im Protestantismus durchaus verbreitet. Diese Art der Erbauung kann als anspruchsvollste und schwierigste gelten, da sie vom Leser eine besondere geistige Aktivität und auch gewisse Vorkenntnisse verlangt. Vorrangig in deskriptiven Texten realisiert sich diese Form. 3. Erbauung durch Exempel positiver wie auch negativer Art, die in narratiyen Strukturen konkrete Möglichkeiten christlichen Handelns zur Nachahmung bzw. lasterhaften Handelns zur Abschreckung vorführen. Bei den Rezipienten ist diese Erbauungsform sicher die beliebteste, vor allem deshalb, weil hier neben dem erbaulichen Moment in starkem Maße noch das der Unterhaltung an Gewicht gewinnt. Die Verwendung der jeweiligen Struktur hängt wesentlich von der genauen Intention des Verfassers und dem von ihm ins Auge gefaßten Rezipientenkreis ab. Jedoch läßt sich hier keinesfalls eine l:l-Beziehung zwischen diesen Strukturen und den Textsorten konstatieren. Zwar sind gewisse Bevorzugungen zu beobachten, doch letztlich können in nahezu jeder der genannten Textsorten sämtliche Strukturen auftreten. Sie lassen sich damit nicht für eine Textsortendifferenzierung nutzen. Im folgenden soll auf einige ausgewählte Textsorten etwas ausführlicher eingegangen werden. Die Predigt kann im 17. Jahrhundert als die wichtigste Textsorte der Erbauungsliteratur gelten, weil sie den meisten Christen ohne weitere Voraussetzungen zugänglich war und so
Zur Spezifik religiös-erbaulicher Textsorten
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ein großes Publikum erreichte. Ihre Eigenart erklärt sich zumindest teilweise aus ihrem Eingebundensein in eine direkte, mündliche Kommunikationssituation. Die Predigten weisen dann auch von allen in diesem Zusammenhang betrachteten Textsorten die unmittelbarsten Bezüge zum Alltagsleben der Rezipienten auf; die situative Umgebung und die vom Prediger bei den Hörern vermuteten alltäglichen Erfahrungen werden mit in die Predigt hineingenommen und für ihre Zwecke genutzt. Sie greifen häufig Probleme des täglichen Lebens auf und wollen Hilfestellung bei ihrer Bewältigung geben. Die angestrebte Wirkung ist dann auch eine direktere als z. B. in den eng mit den Predigten verbundenen Andachtsbüchern. Es geht nicht um eine allmähliche Aneignung des Inhalts durch den Hörer bzw. Leser, sondern um seine Überzeugung, manchmal auch seine Überrumpelung durch rhetorische Argumente, die möglichst zu einer sofortigen katharsisähnlichen Reaktion führen soll. Die Predigt soll rühren, die Affekte erregen und muß dann im entsprechenden praktischen Handeln des Hörers nach der Predigt vollendet werden. Dazu nutzen die Prediger alle ihnen zur Verfügung stehenden rhetorischen Mittel, die hier in weitaus stärkerem Maße auftreten als in den Erbauungsbüchern. Im Vergleich zu katholischen Predigten der Zeit sind die protestantischen in dieser Beziehung aber noch durchaus zurückhaltend und eher sachorientiert (vgl. Herzog 1991), obwohl es hier wie da natürlich Ausnahmen gibt. Zudem tritt in den protestantischen Predigten das lehrhafte Moment deutlicher in den Vordergrund, auf den zumeist zu Beginn gegebenen Belehrungen beruht oft der weitere Argumentationsgang. Auf lehrhafte Momente trifft man in den Andachtsbüchern natürlich auch, doch nicht in dem Ausmaß, wie das in den Predigten der Fall ist. Die Belehrung rückt hier in die Nähe des Konstatierens. Es wird in diesen Schriften kaum Neues eingeführt, ein und dieselben Gedanken durchziehen in vielfältigen Variierungen die gesamten Texte. Auf stimmige Argumentationsketten wird nicht so großer Wert gelegt, da der Inhalt schon als bekannt und akzeptiert gelten kann. Im Zentrum steht vielmehr, neue Sichtweisen auf die bekannten Inhalte aufzuzeigen und daraus Schlußfolgerungen nun weniger für das praktische Handeln der Leser, sondern vielmehr für ihre geistige Lebensführung zu ziehen, die in direkten oder indirekten Aufforderungen - oft in Form von Gebeten - die einzelnen Kapitel abschließen. Die Andachtsbücher zielen wesentlich auf eine Verinnerlichung der Lehre durch Nachdenken und Besinnen, auf die Vertiefung des Glaubens, die die Verfasser jedoch von vornherein in eine bestimmte Richtung lenken. Vom Leser eines Erbauungsbuchs wird damit mehr geistige Anstrengung verlangt als vom Hörer einer Predigt. In dieser Beziehung stehen die Andachtsbücher den geistlichen Emblemen und Allegorien nahe; sie regen vor allem die Fähigkeit des Lesers zur Meditation an, der die beschriebenen Erscheinungen geistlich deuten und dann zum Teil selbständig auf sich beziehen muß. Diese selbständige Applikation unterscheidet diese Textsorte dann aber von allen anderen der Erbauungsliteratur. Die dafür vorausgesetzten Kenntnisse sind wohl am ehesten in gelehrten und gebildeten Kreisen des Barockzeitalters vorhanden, so daß die Rezeption dieser Texte sicher auf sie beschränkt blieb. Gelegentlich finden sich Embleme und Allegorien auch in Andachtsbüchern, wahrscheinlich aufgrund der intentionalen Ähnlichkeit.
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Das Exempel, das zumeist in größeren Exempelsammlungen publiziert wurde, orientiert nun wiederum über den Weg der Nachahmung der in ihm gegebenen Verhaltensmuster auf die Anregung eines praktischen Glaubens, auf die Beeinflussung des Verhaltens der Rezipienten in dieser Welt, mit dem sie - nach Luther - ihr ewiges Seelenheil zwar nicht erwerben oder verlieren, wohl aber den Grad ihrer ewigen Seligkeit beeinflussen können. Keine andere Textsorte ist so konsequent diesseitsorientiert. Diese Alltagsbezogenheit erklärt auch, warum Exempel besonders häufig in Predigten, aber kaum in Andachtsbüchern Anwendung finden. Eine Charakterisierung des Kirchenliedes des 17. Jahrhunderts in der hier gebotenen Kürze scheint aufgrund seiner Vielgestaltigkeit kaum machbar. Zudem lassen sich Kirchenlied und geistliches Lied kaum voneinander trennen. Die Definition des Kirchenliedes als das "in der gottesdienstlichen Feier von der christlichen Gemeinde gesungene, volkssprachige Lied", das "die objektive, für alle Gläubigen geltende Wahrheit hervortreten" läßt und "Aussagen subjektiver Frömmigkeit" (Geppert 1958: 819) meidet, muß für die Barockzeit doch etwas modifiziert werden, da es eben auch und vor allem den Tendenzen der Individualisierung unterworfen ist. Zudem sind Kirchenlieder ohnehin nicht auf die Verwendung in der Liturgie beschränkt, sondern können auch zu anderen, privaten Gelegenheiten gesungen werden. Die meisten, zum Teil noch heute im evangelischen Kirchengesangbuch vorhandenen Kirchenlieder des 17. Jahrhunderts entstanden zunächst eben als geistliche Lieder, die eine religiöse Thematik individuell und emotional aufarbeiteten. Zum Kirchenlied wurden dann ausschließlich die Lieder, mit deren Inhalt sich breite Kreise identifizieren konnten. Fruchtbar ist meines Erachtens der Vorschlag von Kemper (1986) anstatt der Unterscheidung von Kirchenlied und geistlichem Lied die Bezeichnungen kirchenbestimmtes und poesiebestimmtes geistliches Lied zu verwenden, weil diese die Zusammenhänge zwischen beiden besser zum Ausdruck bringen. Zu den kirchenorientierten Liedern gehören dann nicht mehr nur die Lieder für das Singen in der Kirche, sondern alle Gesänge, die von der Kirche für den gesamten Bereich der Seelsorge gebilligt werden und damit der Verbesserung des kirchlichen Lebens dienen. Entscheidend aber ist, daß diese Lieder doch im ganzen den auf das 'movere' bedachten 'einfachen Stil' theologischer Erbauung nicht verlassen, daß sie inhaltlich den dogmatischen Rahmen ihrer Konfession nicht überschreiten und auf tatsächliche religiöse Verrichtung [...] in der 'pragmatischen' Situation eines gottesdienst-analogen Umgangs mit dem Nunünosen 'als Sitz im Leben' zielen. (Kemper 1986: 91)
Charakteristisch für diese Art von Liedern im 17. Jahrhundert ist - und das hebt sie von den Kirchenliedern der vorangegangenen Periode ab -, daß in ihnen die objektiven dogmatischen Wahrheiten in ihrer Bedeutung für den einzelnen Menschen nicht einfach nur in lehr- und bekenntnishafter Form rational erfaßbar und für alle nachvollziehbar dargestellt werden, sondern daß sie versuchen, in die innere Situation des in dieser Zeit von vielem Leid angefochtenen Menschen zu treffen, seine persönlichen Ängste und Befürchtungen aufzugreifen und ihre Überwindung in Christus weniger verstandesmäßig, sondern mehr emotional erfahrbar zu machen. Sie drücken dann in erster Linie nicht nur Verkündigung, Lob und Dank aus; in ihnen vollzieht sich während des Gesangs durch ihren zumeist anbetenden Charakter die Begegnung mit Christus, dem die Nöte und Widrigkeiten dieser Welt entgegengehalten werden, um damit
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die eigenen Ängste und Zweifel abzubauen (vgl. Kemper 1986: 107). Erbauung ist hier wiederum stark affekthaltig - zugleich reflektierende Momente aufweisend - und auf das geistliche Leben der Menschen bezogen. In diesem Sinne stehen diese Lieder den Andachtsbüchem nahe, in denen viele auch erstmals erschienen. Das poesiebestimmte geistliche Lied steht dagegen nicht mehr in direktem Zusammenhang mit irgendeinem kirchlich bestimmten Anlaß, es handelt sich meist um inhaltlich und stilistisch anspruchsvolle Leselyrik in einem gehobenen Stil, der eine Ästhetisierung der erbaulichen Botschaft bewirkt (vgl. Kemper 1986: 107). Diese ist so nicht mehr jedem Leser ohne weiteres zugänglich; die Erbauungstendenz tritt hinter die Gelehrsamkeit und das Unterhaltungsmoment zurück. Ähnlich wie im kirchenorientierten geistlichen Lied vollzieht sich auch im Gebet die direkte Begegnung eines Christen mit Gott. Das Gebet ist dabei im Gegensatz zu den anderen Textsorten schon eine Frucht des Glaubens, die dem Christen gemäße Reaktion auf die Evangeliumsverkündigung, der Gläubige ist hier selbst aktiv. Indem er seine Wünsche, Gedanken, Ängste und Befürchtungen Gott anvertraut, erkennt er Gott als alles entscheidende Autorität an und kann daraus selbst Trost und Hilfe erlangen. Die Erbauung gewinnt hier ihre Spezifik eben aus der Verlagerung des Akzents auf den Menschen selbst, der nun der Sprechende ist und in dieser geistigen Aktivität zugleich seine eigene Situation vor dem Angesicht Gottes reflektierend bewältigt. Die Gebetbücher liefern mit ihren Mustergebeten die entsprechende Anleitung hierfür. Während die übrigen hier besprochenen Textsorten die soziale Situation ihrer Adressaten weitgehend vernachlässigen, geben die Gebetbücher Beispiele für alle denkbaren Gelegenheiten und für jeden Stand. Auch dies macht ihre Besonderheit im 17. Jahrhundert aus. Die hier vorgestellten Überlegungen basieren allerdings erst einmal auf der Analyse jeweils nur weniger typischer Vertreter der einzelnen Textsorten. Die Ausweitung der Materialgrundlage wird zeigen, ob die bisherigen Ergebnisse repräsentativ oder in einigen Fällen vielleicht doch noch zu überdenken sind.
Literatur Bruckner, W. (1985): "Thesen zur literarischen Struktur des sogenannt Erbaulichen". - In: Bruckner, W. / Breuer, D. / Blickle, P. (eds.): Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland (Wiesbaden: Harrassowitz) 449-507. Friedrich, G. (1982): (Artikel) "Erbauung". - In: Krause, G. / Müller, G. (eds.): Theologische Realenzyklopädie. X (Berlin etc.: De Gruyter) 18-27. Geppert, W.-I. (1958): (Artikel) "Kirchenlied". - In: Merker, P. / Stammler, W. (eds.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte (Berlin: De Gruyter) 819-852. Greschat, M. (1982): "Orthodoxie und Pietismus. Eine Einführung". - In: Greschat, M. (ed.): Orthodoxie und Pietismus (Stuttgart etc.: Kohlhammer) 7-35. Herzog, U. (1991): Geistliche Wohlredenheit. Die katholische Barockpredigt. - München: Beck. Kemper, H.-G. (1985): "Literarischer GlaubenskampF. -In: Steinhagen, H. (ed.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. III: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock (Reinbek b. Hamburg: Rowohlt) 138-171.
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- (1986): "Das lutherische Kirchenlied in der Krisen-Zeit des frühen 17. Jahrhunderts". - In: Dürr, A. / Killy, W. (eds.): Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17. Jahrhundert. Text-, musik- und theologiegeschichtliche Probleme (Wiesbaden: Harrassowitz) 138-171. Zeller, W. (1971): "ProtestantischeFrömmigkeit im 17. Jahrhundert". - In: Jaspert, B. (ed.): Winfried Zeller. Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze (Marburg: Elwert) 85-116.
ZUR TRADITION DES SELBSTGESPRÄCHS IN DER DEUTSCHEN PROTESTANTISCHEN ERBAUUNGSLITERATUR DES 17. JAHRHUNDERTS
Udo Sachse
Am Anfang der Entwicklung eines neuen bürgerlichen Gesprächsideals im 16. und 17. Jahrhundert in England steht das Sprechen mit sich selbst, und hier vor allem in der täglichen Glaubenspraxis.1 Das heißt: Für die Lösung vom gelehrten Diskurs und der höfischen Zeremonie und für die Entwicklung eines auf Aufrichtigkeit, Gutmütigkeit, eigenen Erkenntnissen und Überlegungen basierenden Kommunizierens spielt die individualistische Frömmigkeitspraxis eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die bisherigen Untersuchungen zur Entwicklung der Konversationstheorie im 17. und 18. Jahrhundert in Deutschland berücksichtigen diesen Bereich kaum, obwohl er sich gerade im Zusammenhang mit der absolutistischen Staatsreform voll entfaltet2 und es in Schriften der frühen Aufklärung nicht an Wertschätzungsbekundungen für solche Texte fehlt, die als Andacht bzw. Meditation charakterisiert werden können. Dies mag seine Ursache darin haben, daß die deutschsprachige Meditationsliteratur des 17. Jahrhunderts nicht einmal erfaßt, geschweige denn hinsichtlich ihrer Traditionen untersucht wurde. An einem Beispieltext soll deshalb im folgenden deutlich gemacht werden, in welchem Umfang eine Untersuchung der Meditationsliteratur zur Erforschung der frühneuzeitlichen Kommunikationspraxis beitragen kann. Es handelt sich dabei um Christian Scrivers "Gottholds Zufälliger Andachten Vier Hundert / Bey Betrachtung mancherley Dinge der Kunst und Natur in unterschiedenen Veranlassungen zur Ehre Gottes / Besserung des Gemüths und Übung der Gottseeligkeit" (Magdeburg 1663/Leipzig 1679), ein Text, der bis weit in das 18. Jahrhundert häufig aufgelegt wurde und als sprachlich beispielgebend gelten kann. In der "Ersten Vorrede" zu seinen Andachten betont er, daß er mit seiner Absicht, den Lesern die Sprache der Schöpfung verdolmetschen zu wollen, keine neuen Wege beschritten habe. Neben der Bibel, den Kirchenvätern und Luther benennt er die Texte, die die Produktion von "Gottholds Andachten" maßgeblich beeinflußt haben. Zu unser Zeit haben dergleichen gethan Joseph Hall in seiner Meditations occasinelles, die H. Harßdörffer sehl. im anderen Theil seines Nathans oder Geistlicher Lehrgedichte no. 60 anzeucht / und etliche unterschiedliche daraus übersetzet / die mir aber sonst nie zu Gesicht kommen: Imgleichen Jos. Henshau in den Sparstunden / welche der / in der Fruchtbringenden Gesellschafft genandte / gleichgefärbte ins Teutsche gebracht / wie auch H. Harßdörffer sehl. selbst / unter dem Namen Dorothei Eleutheri Meletephili, in der hohen Schuel Geist- und sinnreicher Gedancken [...]. (Scriver 1679: Erste Vorrede)
Das heißt, er kennt das Werk des englischen Bischofs Hall zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen nur aus den Texten Harsdörffers.3 Für die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang und in welcher Weise die Übernahme bzw. Veränderung von Textmustern aus Joseph Halls
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"Occasional Meditations" (1633) in Georg Philipp Harsdörffers "Nathan und Jotham: Das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte. Zweiter Teil" (Nürnberg 1651) und Christian Scrivers "Gottholds Zufälliger Andachten" (Leipzig 1679) erfolgt, beziehe ich mich auf einen Vorschlag G. Lerchners, den Begriff der Intertextualität für die Beschreibung solcher subjektiver Diskursaktivitäten zu nutzen. Danach stellt der Textproduzent über die Erzeugung seiner Äußerungen Bezüge her - auf ein adäquates Handlungsmuster bzw. eine entsprechende Textsorte, - auf einen exemplarischen Einzeltext im Rahmen nichtidentischer Handlungsmuster, - auf eine Summe von Einzeltexten ( z. B. das Gesamtwerk eines Autors), - auf von konkreten Texten relativ isolierte Textsequenzen, Strukturtypen oder stilistische Stereotype, - auf ein Muster der Sachverhaltsdarstellung (Lerchner 1988: 289). Die Frage, ob es sich bei den "Occasional Meditations" um einen exemplarischen Einzeltext innerhalb der Textsorte 'Meditation' handelt, ist in literatur- und theologiegeschichtlichen Untersuchungen schon weitgehend beantwortet worden.4 Ich möchte diesen Kenntnisstand hier in gebotener Kürze wiedergeben. Es wird davon ausgegangen, daß der Impuls für Hall, die "Occasional Meditations" und die umfänglichere "Arte of Divine Meditation" (1603) zu schreiben, von den "Exercitia Spiritualia" (1548) des Ignatius von Loyola ausging. Seine Societas Jesus bringt im Rahmen der Erneuerung der Andachtsformen und Betrachtungstechniken eine neue Spiritualität ein. In ihrer im Zusammenhang mit der Gegenreformation erneuerten theologischen Ethik hing zwar alles von der freien Entscheidung des Menschen für Gott ab, doch wo diese Entscheidung einmal gefallen sei, lasse Gott durch seine Gnade dem Willen des Menschen über dessen Wissen die zur Verwirklichung der getroffenen Entscheidung nötige Stärke zukommen (Briesemeister 1991: 210; Gumbrecht 1990: 304 ). Daß solche Gedanken anregend und provozierend auf die protestantische Theologie zurückwirkten, zeigt sich u. a. in der Entstehung von Halls "Arte of Divine Meditation". Neuere anglistische Untersuchungen (Huntley 1981; McCabe 1982 - zit. nach Sträter 1987: 86 f.) haben in diesem Zusammenhang hervorgehoben, daß Halls Schrift aus dem Bewußtsein heraus entstanden sei, den Jesuiten in politischer und religiöser Hinsicht entgegenzutreten, und deshalb eine weitgehend eigenständige Leistung sei. Dies zeigt sich im übrigen schon darin, daß das Ziel seiner "Meditation" nicht in der Findung grundsätzlicher Entscheidungen, sondern in der Erbauung besteht. Sie unterscheiden sich damit deutlich von den "Exercitia", in denen die Gewissenserforschung im Mittelpunkt steht. Sträter (1987: 87) hat auch auf die andere frömmigkeitssoziologische Situation aufmerksam gemacht, der eine aus der katholischen Tradition kontemplativen Lebens adaptierte ars meditandi im Protestantismus begegnet. Dies zeigt sich schon in der Veränderung möglicher Rezipienten. Wenn die Meditation in der alltäglichen protestantischen Glaubenspraxis eine Funktion erhalten sollte, mußte sie sich an den berufstätigen Laien orientieren. Für diese mußte deutlich werden, "[...] daß auch in eine vita activa meditative Phasen integrierbar sind und sich geradezu als 'profitabel' für die Lebensführung erweisen"
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(Sträter 1987: 87). Zeitaufwand, Intensität der Übungen und ihre Komplexität müssen mit dem beruflichen Alltag in Übereinstimmung gebracht werden. Hall gliedert die Anweisungen zur Meditation in zwei Teile, in den des intellectus und der voluntas bzw. der Affekte. Der gewählte Meditationsgegenstand aus dem Buch der Schrift wird formuliert und nach einem Schema der inventio (loci communes) abgehandelt, um im zweiten Teil dann Wirkung auf Willen und Affekt zu zeigen. Halls "Occasional Meditations" werden als weiterer Versuch einer Vereinfachung der Meditation und ihrer Anpassung an den protestantischen Alltag in England gewertet. Hall hatte sie, ohne sie näher zu erläutern, als weitere Gattung in seiner "Arte of Divine Meditation" genannt. Ihr Ausgangspunkt ist nicht das Buch der Schrift, sondern das Buch der Natur. Als literarische Kunstform verfügen sie über eine dreiteilige Gliederung: Erfassen des Meditationsobjektes, analytischer Teil, Gebet oder Exhortatio. Sie genügen damit der klassischen Meditationsform und orientieren auf die Kräfte der Seele.5 Das Ziel der "Occasional Meditations" besteht darin,"[...] d'enseigner les faibles ames, comment elles doivent employer leurs pensees sur toutes semblables ocasions [...] et d'apprendre par mon livre ä bien lire et entendre le grand Livre de Dieu" (Hall 1632/1669: 11). Georg Philipp Harsdörffer hat Halls "Occasionals Meditations" in der französischen Übersetzung von Thoodor Jaquemot zur Kenntnis genommen, die 1632 in Genf erschienen war. Im zweiten Teil des "Nathan und Jotham: Das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte / Zu sinnreicher Ausbildung der waaren Gottseeligkeit wie auch aller löblichen Sitten und Tugenden vorgestellet [...]" benennt er im 60. Stück die 12 Betrachtungen, "[...] die fast alle genommen aus Josephs Halls Meditations occasinelles oder zufälligen Andachten". (Harsdörffer 1651: Teil II, Nr. 60). Ihre Übernahme in die Textsorte 'Lehrgedicht' bleibt für ihre Struktur nicht ohne Folgen. Ziel der Textsorte 'Lehrgedicht' ist es, daß man [...] eine Sache I. wolvememlich begreifft / II. deutlich beybringet / III. merksam vorstellet/ und IV. von verdrüßlicher Bemühung entfernet / nutzlich belustiget: Dergestalt daß I. der Verstand / II: die Bildungskräfte / (facultas imaginative) III. die Gedächniß und IV. unsre bald = ecklende Sinne zu vorträglicher Belernung angehalten werden [...] Diese ist die Lehrart / welche nothwendige Sachen vernemlich fasset / verständig vorträgt / das Gedächtnis mit gleicher Bildniß versigelt / und mit Hertzbeweglichem Nachdruck beybringet. (Harsdörffer 1651: Teil I, Vorrede)
Das Ziel dieser Textsorte besteht damit vor allem in der Wissensvermittlung. Gegenstände für das "Lehrgedicht" werden im Gegensatz zu Hall aus den Büchern der Schrift, der Geschichte und der Natur geschöpft. Oft bilden aber nicht Gelegenheiten, sondern Begriffe den Ausgangspunkt der Abhandlung. Die von Hall übernommenen Meditationen werden der Zielstellung der Lehrgedichte angepaßt, indem an die Stelle des meditierenden Ich der gelehrte Pilger Gotthold tritt, der "[...] nach dem himmlischen Vatterland reisende / unterwegs / über alles / was ihm begegnet / ein sinnreiches und Gottseeliges Gespräch mit ihm selbsten führte" (Harsdörffer 1651: Teil II, Nr. 60). Harsdörffer folgt hier dem augustinischen Verständnis des peregrinus, der, um das Himmelreich zu finden, alle weltlichen Angelegenheiten hinter sich ließ. Gemeinsamkeiten in der rhetorischen Textherstellung und in Gleichnissen (Sinnbilder) erleichtem die Eingliederung der Meditationen in das Lehrgedicht. Als dessen Adressat
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Udo Sachse
kann der Gelehrte gelten, der dieses Wissen in einem geistreichen Gespräch verwenden will. Daß Christian Scriver aus Harsdörffers "Nathan und Jotham" ausgerechnet die dort enthaltenen Stücke Halls ausgewählt und als Textmuster für seine "Zufälligen Andachten" verwendet hat, kann zu einem großen Teil aus der theologiegeschichtlichen Entwicklung erklärt werden. Die im 17. Jahrhundert einsetzende Popularisierung des Kopernikanischen Weltbildes und die Anfänge der modernen Naturwissenschaften bewirkten eine Veränderung der Vorstellungen über Gott und die Stellung des Menschen in der Welt. Diese Neubestimmung der Rolle des Menschen in der Welt ist immer mit dem Versuch der Rettung der Allgegenwart Gottes verbunden. Vor allem bei Aussagen über nichtmechanische Erscheinungen - und hier vor allem bei den Lebewesen - spielt der Schöpfungsgedanke eine große Rolle. Deshalb will Scriver in seinen "Zufälligen Andachten" alle Kreaturen mit dem Leser 'reden machen', "[...] oder ich wollte dir gern aller Geschöpfe Gottes Rede außlegen und verdolmetschen und dir nach meiner Einfalt zeigen / wie du dir allerhand Fügniß und Begebenheit / zum Andenken deines Gottes zum Trost und Besserung deines Christentums zu nutze machen kannst". Er bezieht sich aus diesem Grund auch fast ausschließlich auf das Buch der Natur, dem die Gegenstände für die "Zufälligen Andachten" entnommen werden. "Das Buch der Natur hat viele 1000 Blätter / darauf der Finger Gottes seine Liebe beschrieben / die er durch mancherley Begebenheit hin wirfft und uns seine hohe / tiefe / breite Güte / zu betrachten aufgibt" (Scriver 1679: Erste Vorrede). Auch das rhetorische Textherstellen und die Gliederung der Andachten in die Darstellung der Gelegenheit, deren Deutung und Gebet bzw. Exhortatio erfolgen nach dem Muster von Halls "Occasional Meditations". Lediglich mit der Übernahme zahlreicher Exempel und Gleichnisse aus der Bibel (Psalter), aus Luthers Schriften (Postille, Tischreden, Briefe), aus Texten Johann Arndts und den Predigten Johann Taulers sowie einiger zeitgenössischer Schriften folgt er der Praxis seiner Zeit, um das Gesagte zu illustrieren. Die Figur des Pilgers Gotthold (aus Harsdörffers "Nathan und Jotham") behält er bei, kennzeichnet dessen Sprechen aber hinsichtlich der Situation deutlicher, als es bei Harsdörffer der Fall war (Gotthold ergötzt sich mit einem Freund im Garten an einem blühenden Baum; Gotthold s Sohn wird im Garten von einer Schlange erschreckt und vom Vater beruhigt usw.). Die Vorstellung von der Weitabgewandtheit des Pilgers Gotthold wird auf diese Weise zu einem großen Teil aufgegeben. Das damit verbundene teilweise sehr sinnhaft-realistische Sprechen Gottholds kommt dem bürgerlichen Gesprächsideal des beginnenden 18. Jahrhunderts sehr nahe. Dies hat die Verfasser bedeutender deutscher Moralischer Wochenschriften dazu bewogen, Gottholds "Zufällige Andachten" in ihre Frauenzimmerbibliotheken aufzunehmen, die Lesestoffe enthalten, die als vorbildlich gelten.6 Durch die Untersuchung weiterer Meditationstexte des 17. Jahrhunderts müßte gezeigt werden, ob sich die hier angedeutete Entwicklung von der Meditation bzw. Gelegenheitsmeditation zu Ansätzen eines weltlich-bürgerlichen Selbstgesprächs für das 17. Jahrhundert verallgemeinem läßt oder nicht.
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Anmerkungen 1 2 3 4 5 6
Ausführlich dazu Schlaeger (1984: 361ff.) Vgl. Breuer (1984: 5ff.) "Die Hohe Schul Geist = und Sinnreicher Gedancken [...]" kann nur bedingt als originales Werk Harsdörffers gelten, da er sich sehr stark an den Text Halls anlehnt. Einen Überblick bietet Sträter (1987). Vgl. Sträter (1987: 96ff.) Vgl. Martens (1975: 1143ff.)
Literatur Breuer, D. (1984): "Absolutistische Staatsreform und neue Frömmigkeitsfonnen. Vorüberlegungen zu einer Frömmigkeitsgeschichte der frühen Neuzeit aus literarhistorischer Sicht". - In: Breuer, D. (ed.): Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Studien zur religiösen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland. Chloe, Beihefte zum Daphnis. II (Amsterdam: Rodopi) 5-26. Briesemeister, D. (1991): "Religiöse Literatur". - In: Strosetzki, C. (ed.): Geschichte der spanischen Literatur (Tübingen: Niemeyer) 192-213. Gumbrecht, H. U. (1990): Eine Geschichte der spanischen Literatur. - Frankfurt/M.: Lang. Hall, J. (1661): Meditations Occasionelles [...] Mise en Francois par Theodor Jaquemot. Nouvellement revues et corrigees. - Geneve. Harsdörffer, G. P. (1651): Nathan und Jotham: Das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte. Zweiter Teil. - Nürnberg: Endter. Lerchner, G. (1988): "Der Diskurs im sprachgeschichtlichen Prozeß. Zur Rolle des Subjekts in einer pragmatischen Theorie des Sprachwandels". - In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 41/3 (Berlin: Akademie-Verlag) 281-292. Martens, W. (1975): "Leserezepte fürs Frauenzimmer. Die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen Wochenschriften". - In: Archiv für die Geschichte des Buchwesens Frankfurt/M. V, 1143-1199. Schlaeger, J. (1984): "Vom Selbstgespräch zum institutionalisiertenDialog. Zur Genese bürgerlicher Gesprächskultur in England". - In: Stierte, K. / Warning, R. (eds.): Das Gespräch (München: Fink) 361-376. Scriver, C. (1679): Gottholds Zufälliger Andachten Vier Hundert / Bey Betrachtung mancherley Dinge der Kunst und Natur in unterschiedenen Veranlassungen zur Ehre Gottes / Besserung des Gemüths und Übung der Gottseeligkeit. - Leipzig. Sträter, U. (1987): Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
BAROCKER WISSENSCHAFTSDISKURS ZWISCHEN FORMATIERTER SINNKONSTITUTION UND NEGATIVER HERMENEUTIK Zur Aktualität von Samuel Werenfels' de logomachiis eruditorum (1692) Freyr Roland Varwig
1. These Werenfels ist durch seine akademische vita (Lehrstuhl der Logik, Gräzistik, Rhetorik) epochengerecht vorgebildet für eine Beschreibung der Verständigungschancen und -grenzen innerhalb der Gesprächsrhetorik. Samuel Werenfels wurde in Basel als Sohn des Professors und Diakons am Basler Münster, Peter Werenfels, 1657 geboren. Er besuchte 1670 die Hochschule in der Erasmus-Stadt und studierte dort alte Sprachen und Theologie, wobei er sich besonders für die gerade aufkommenden Sprachforschungen im Griechischen und Hebräischen interessierte. Ferner hörte er in Zürich bei den durch die Barockliteraturgeschichte bekannten Heidegger, Suicer, Hottinger und Lavater sowie in Bern, Lausanne und Genf. (Chaufepi6 1756, IV: 682) Mit 27 Jahren wurde ihm an der Universität Basel (1684) die Vertretung einer vakanten "Professur für Logik" übertragen. Da die Konzepte und Bildungsinhalte, die dem Schüler und Studenten Werenfels durch seine Lehrer nahegebracht wurden, nicht in Kürze zu erörtern sind, möchte ich wenigstens Inhalt und Erfahrungen seines ersten eigenen akademischen Unterrichts skizzieren: Der Universitätshistoriker Staehelin (1957: 193) verzeichnet in der Rekonstruktion des damaligen "Lektionskataloges" der Universität Basel, daß der junge Werenfels kollegial verpflichtet war, "Logik nach Burgersdijk" (vgl. van der Aa 1855, II: 1583; Michaud 1854/1966, VI: 179; Hoefer 1853, VII: 828; Jöcher 1750/1960, I: 1494f.; Tonelli 1962: 128; Risse 1970: 549) zu lesen. Allein diese Angabe deutet daraufhin, daß in der geistesgeschichtlichen Epoche am Ende des 17. Jhdts. offensichtlich kein selbstverständlicher oder gar einheitlicher Begriff von "Logik" herrschte, sondern statt dessen ein "Logikautor" mit den von ihm edierten "Institutiones logicae" (Amsterdam 1626 u. ö.) an der Baseler Hochschule als k o n s e n s fähig eingeführt war. Burgersdijks lateinisches Lehrbuch seinerseits verdankte Konzeption und Methode einem für alle Hochschulen und Schulen der Niederlande autorisierten Fachkollegium (1656: praef. Bl. 13), das sich angesichts des europaweiten Dreißigjährigen Krieges die Aufgabe vorgenommen hatte, auf der Grundlage der diversen Lehren des Aristotelischen "Organen"
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Freyr Roland Varwig
eine methodisch neue und begrifflich geschlossene Unterweisung zu v e r e i n b a r e n . Diese "Logischen Unterweisungen" wurden 1646 ins Holländische übersetzt, wobei der durch die Lehnübersetzung neugewonnene Buchtitel zum Nachdenken über allzu Deutschsprachliches reizt: "Onderwijs of Oefening der R e d e k u n s t " - Basis dieses Lehrkonzepts ist also offensichtlich die ganze Breite des griechischen "logos".1 Nach einjähriger Vertretung des Logiklehrstuhls wurde Werenfels 1685 auf die Professur des Griechischen berufen. Der Universitätshistoriker Staehelin (1957: 197) hat als Vorlesungsangebot festgehalten: "Korintherbriefe und Homer". Aus gesundheitlichen Rücksichten trat er dann in Begleitung des späteren Bischofs von Salisbury, Burnet, eine Reise durch die Niederlande und Deutschland an. Nach seiner Rückkehr erhielt er 1687 den Ruf auf die "Professur der Beredsamkeit", die er nach Staehelins Auskunft (1957: 196) durch Lektüre der "Reden des Cicero. Exercitia oratoria und Collegia philosophica und philologica" ausfüllte. Wohl vertraut mit der damaligen R6publique des lettres, "in der Namen wie Descartes, Malbranche, Bayle, Leibniz, Locke, Pufendorf, [...] Le Clerc u. a. m. Glanz und Bedeutung" hatten (Geiger 1953: 119), übte er - entsprechend der u. a. durch Lessing berühmt gewordenen "Rede zur Verteidigung der Schauspiele" (Werenfels 1716, II: 343-370; dt. von I. F. Gregorius, Mitschüler Lessings; rez. von Lessing 1889/1968, IV: 175-179) - seine Studenten in der "akademischen Komödie", weil er der Überzeugung war, daß sie als Ganzkörperausdruck eines der wichtigsten Bildungsmittel des künftigen Redners sei: Sprechangst werde abgebaut, Stimmbildung betrieben und Rollensicherheit auch für den künftigen Regenten spielerisch erworben. Neben diesem redepädagogischen Engagement (ADB 1897/1968, XLII: 5; RTK 1908, XXI: 107; Barth 1936: 186) übte sich Werenfels mit seinen Studenten regelmäßig in "Disputationen". Die Erfahrung dieser gemeinsamen logischen Praxis faßte er erstmals 1688 in dem Werk zusammen, was hier Gegenstand meiner Betrachtung werden soll: der "Dissertatio de logomachiis eruditorum" [Über die totalen Sprachkonflikte der Wissenschaftler; EA 1692]. Ferner dürften im Zuge dieser Lehrtätigkeit zwei weitere Dissertationen entstanden sein, die erst nach 1700 in einem Sammelband erschienen: Erstens "De meteoris orationis" oder in der Übersetzung von Gottsched (1759: 349-416) "Abhandlung von der schwülstigen Schreibart" (vgl. Saintsbury 1961, III: 18) und zweitens "De loquela", zu deutsch "Über die gesprochene Sprache". Diese Schrift - bislang leider unübersetzt - stellt im Anschluß an Cordemoy (vgl. Behrens 1982: 132f. u. 197, Anm. 27) m. E. die erste "induktive" Sprachtheorie des abendländischen Redekulturkreises dar. Ihr Skopus ist eine "Hermeneutik geglückter menschlicher Sprechsituation". Insofern kann man sie der hier zu behandelnden "Logomachieschrift" als "Antistrophe" an die Seite stellen. Auch durch seine "Französischen Predigten" galt Werenfels bald als Musterautor, den Lorenz Mosheim von Göttingen aus seinen Theologiestudenten empfahl (Hirsching 1813:
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195). Nach neun Jahren rhetorischer Lehre und Forschung wurde Werenfels 1696 "Professor der polemischen und dogmatischen Theologie". Die Antrittsvorlesung handelte von dem damals im Rahmen der "vernünftigen Orthodoxie" (Wernle 1923,1: 522ff.; Barth 1936: 183; RGG 1962, VI: 1640) höchst aktuellen Thema: "Vom Ziel aller Bibelausleger" [De scopo quem S. Scripturae interpretes sibi proponere debent] (Hagenbach 1860: 39; Vischer 1910: 50; Barth 1936: 195). Die bald erworbene europaweite Anerkennung führte zu freundschaftlichem Umgang mit Crousaz, Malbranche, Montfaucon und Voltaire sowie zur Mitgliedschaft in der Londoner Sozietät der Wissenschaften (1709) und der Berliner Sozietät (1710). 1722 wurde Werenfels zum Rektor der Universität Basel gewählt. Nach undurchsichtigen theologischen Streitigkeiten (Vischer 1935: 56ff.), in die man ihn zu verwickeln suchte, trat er in den Ruhestand und starb hoch geehrt 1740 in seiner Heimatstadt. Diese Skizze einer akademischen vita soll genügen, um an das geistige Klima der Baseler Universität um die Wende vom 17. zum 18. Jhdt. zu erinnern. Werenfels als ihr Hauptvertreter in humanistischer Philologie und Theologie sowie einer ersten Sprachphilosophie ist wohl treffend durch Peter Ryhiner bei seiner Lehrtätigkeit ins Bild gefaßt: "Die neue Art der Werenfels'schen Vorlesungen war so, daß man sie richtiger 'familiäre Colloquia' mit seinen Studenten nennen müßte" (Ryhiner 1741: 30; Staehelin 1957: 270): Das Ausloten von Verständigungschancen und -grenzen innerhalb der Gesprächsrhetorik als Zentrum akademischer Lebenspraxis.
2. These Werenfels setzt für sein A r g u m e n t der "logomachia" die Erfahrungen und Chancen barocker "disputatio" als formalisierter S i n n k o n s t i t u t i o n voraus. Wilfried Barner (1970: 394) hat in seinem Standardwerk zur "Barockrhetorik" die universitäre Erscheinung der "disputatio" treffend als "Legitimation eines geistigen Turniersports" beschrieben. Er stützt sich für seine Skizze zum einen auf die epochemachende "Idea boni disputatoris" (1629) von Conrad Dannhauer und zum ändern auf die Summe historischer Quellen zur universitären Praxis von E. Hörn, Disputationen und Promotionen an den deutschen Universitäten (Leipzig 1893): Die Grundform der "disputatio" bestand darin, daß unter der Leitung eines Präsidenten eine bestimmte Anzahl von Thesen in l o g i s c h - s c h l ü s s i g e r Form diskutiert (besser: in ihrer Geltung verglichen!] wurde, wobei der einen Partei vornehmlich das "opponere", der anderen das "defendere" (oder "respondere") zukam. Auf diesem Schema hatte sich, abgestimmt nach Rang der jeweiligen Teilnehmer und nach Art des Anlasses, eine Fülle disputatorischer Variationsmöglichkeiten entwickelt, deren Ablauf bis ins einzelne geregelt war. (Barner 1970: 394)
Regelmäßig mußten die Thesen vorher publiziert werden. Oft genug wurde lediglich eine einstudierte Rolle hergesagt, schließlich war auch die Weise des Argumentierens häufig festgelegt.
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Vor· und Nachteile dieser disputatorischen Praxis liegen auf der Hand. Präsenz des Wissens, Schlagfertigkeit der Erwiderung, gegenseitiges Kennenlernen wurde zweifellos gefordert. Auf der anderen Seite drohte die Gefahr der unfruchtbaren Subtilität, der Streitsucht, der Langeweile. (Barner 1970: 395)
Manfred Beetz hat in seiner "Rhetorischen Logik" (1980) versucht, Barner zu überbieten. So konstruiert er einen "Umstrukturierungsprozeß" zur "galanten Disputatio". Dieser werde sichtbar an den Formen höfischer Galanterie, die sich in den Rollen bis hin zur Kleidermode wie in der Sprache dieser historischen Institution zeige. Doch da Beetz für seine Analyse fast nur Lehrbücher und poetische Reflexe der Epoche nutzt, bleibt dieses Bild unscharf. Wenn man nämlich über diese Quellen hinaus die Vormbaumschen Sammlungen repräsentativer Schulordnungen durchgeht, zeigt sich ein wesentlich bunteres Bild von verständiger Begründung und devoter Anpassung an institutionalisierte Praxis. Wesentlicher erscheint mir, daß die Renaissance-Definition der "disputatio" als "amica sententiarum collatio" [sympathisch-verständige Vergleichung von Sinn] unter dem Eindruck des französischen "Occasionalismus" (Malbranche; vgl. Gesner 1775, II: 219 u. 223 "causa loquelae") eine philosophische Neubewertung erfährt. Das geglückte Gespräch wird durch die Wendung "deus [Hermes] adfuit" (vgl. Quintilian inst. or. X, 7, 12; ed. Gedoyn 1718: 701 "en ces occasions les Anciens disoient"; ed. Gesner 1738: 529, Anm.) zum Ort göttlich inspirierter "Sinnkonstitution" (um den Oberbegriff für Gespräch von H. Geißners "Sprechwissenschaft" zu gebrauchen). Dabei führt die dem "Opponenten" auferlegte syllogistische Form der Bestreitung zur hermeneutischen Instanz "occasionalen" Verstehens: Mißverstehen erhält neben solcher Formalisierung der Sinnkonstitution den Status der unglücklichen Ausnahme. Die philosophischen Chancen der so verstandenen "disputatio" faßt Werenfels gegen Ende seiner "Logomachieschrift" so zusammen: Um so mehr müssen wir darauf achten, daß wir die Studenten in der Führung formalisierter Gespräche so üben, daß der erhoffte Nutzen nicht geringer ist, als die Fehler und Schäden, die aus dem Mißbrauch dieser Übungen entstehen. Die Studenten sollen nämlich dabei lernen, nicht nur die Meinungen anderer zu widerlegen, und die eigene recht entschieden zu verteidigen, sondern sie sollen lernen, sachgerecht zu urteilen, tolerant, maßvoll, aufmerksam und aufgeschlossen zu sein; sie sollen lernen, Wahrheiten zu akzeptieren, andere zur Meinungsbildung zu reizen, einen Vergleich zwischen der eigenen und der gewonnenen gegnerischen Meinung anzustellen und daraus die beste Lösung zu erschließen. (Werenfels 1716: 258)
Der mit Werenfels befreundete Jean Pierre de Crousaz hat in seiner "Logique" (1737) offensichtlich aus einer Vorliebe für Cartesianische "Axiomatik" die Verständigungsgrenzen der "disputatio" in recht kräftigen Farben ausgemalt: Es ist ein sehr natürlicher Gedanke, daß der "Geist des Disputierens" (Esprit de dispute), der sich der Akademien so sehr bemächtigt hat, und der von dort aus auf die Bücher übergegangen ist, [...] daß - wie gesagt - dieser Geist und die Übertreibungen in seinem Gefolge, zum großen Teil Schuld haben - wenn sie nicht gar ihre Ursache oder ihr Nährboden sind - an der Trunksucht, die früher unter den Studenten herrschte; seitdem herrscht sie auch unter den Professoren, die Mühe haben, von einem Laster abzulassen, an das sie sich tapfer seit ihrer Schulzeit gewöhnt haben. Auf den Universitäten sind die Disputationen und die Verleihungen des Doktors fast die einzigen Schauspiele, die einen [besonderen] Unterhaltungswerthaben. Man macht sich daher einen Spaß daraus, sie möglichst zahlreich zu veranstalten, sie abwechslungsreich zu machen und in die Länge zu ziehen, sowie sie möglichst zu würzen. Man hat seine Freude daran, wenn die Disputationen voller Verwirrungen sind, ohne die sie zu schnell beendet wären; und so wie in Theaterstücken
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will man Zwischenfalle, die alles durcheinanderbringen und durch die so verbreitete Undurchsichtigkeit die Zuhörer in Spannung halten. Man liebt dabei auch Ubertreibungen, üble Witze, fade Anspielungen und selbst Zornesausbrüche. All das amüsiert die jungen, dreisten Leute köstlich, die sich etwas aus Streitereien machen und die ein gepflegter Umgang noch nicht höflich oder galant hat werden lassen. (Crousaz 1737, II: 191f.)
Diese Spanne von sozial-psychologischen Chancen und mürrisch-überspitzten Erfahrungen des Mißbrauchs barocker "disputatio" bildet also den Hintergrund für Werenfels' Logomachieschrift.
3. These Den Skopus der Werenfelsschen Dissertation bildet die Beantwortung der Frage, unter welchen A u s n a h m e b e d i n g u n g e n ist Verstehen im Gespräch wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt (negative H e r m e n e u t i k ) . Eine kurze lateinische Inhaltsübersicht von "de logomachiis eruditorum" findet sich als frühestes Zeugnis der Rezeptionsgeschichte in den "Acta Eruditorum Lipsiensium" Febr. 1693 - also vor genau 300 Jahren; ich zitiere bzw. paraphrasiere auf deutsch: Da der hochgelehrte Verfasser sich vorgenommen hat, gegen eine höchst beschwerliche Krankheit, die die Gelehrtenrepublik schon lange heftig heimsucht, eine Medizin zu entwickeln, um sie nach Kräften zu bekämpfen, ahmt er, nachdem er sie zunächst "Logomachia" benannt hat, die Methode der Mediziner nach und untersucht (1), in welchen Bereichen sie vor allem auftritt, was man fachsprachlich das "subjectum" der Krankheit [KRANKHEITSBILD] nennt, beschreibt (2) gewisse wesentliche Arten ihres Vorkommens [nach Einzelworten, Wortverbindungen und Wort-Sachbezügen], zeigt (3) das Wesen und die Gefährlichkeit dieser Krankheit [wobei die von Crousaz beschworenen Unarten katalogisiert werden], klärt (4) ihre Ursachen [wie Mehrdeutigkeit eines Wortes; Mehrfachbezeichnung ein und derselben Sache; Homonymie/Synonymie; ferner Charakterschwächen wie: Streitsucht; Lust, Keile zu treiben; blinde Verehrung von Antike oder Moderne; Spottlust; Geldgier und falsche Scham, mal etwas Falsches zu sagen], weist (S) ihre Symptome auf [was den Hauptgesichtspunkt (Skopus) meiner Untersuchung einer "negativen Hermeneutik betrifft] und schreibt schließlich (6) Heilmittel für sie vor [wie z. B. ein "Universalwörterbuch"/die Wandlung eines Kampfes zwischen Menschen zur Streitkultur/die Übertragung von Disputionen über abstrakte Gattungsbegriffe zu solchen über konkrete Artbegriffe sowie von universellen Thesen auf partikulärere Thesen]. (Acta Erud. Lips. 1693: 53f.)
In diesem Sinne möchte ich für das "Krankheitsbild" der Logomachia nun einige konkretere historische Beispiele liefern, die Werenfels aus den vier Fakultäten, nämlich der Theologie, der Jurisprudenz, der Medizin und der Philosophie gesammelt hat: Die Kirchenväter haben darüber gestritten, ob man sagen müsse, Gott sei drei Personen oder nur eine; [...] Zur Zeit Karls des Großen stritt man sich über die Lehre eines Bischofs, der behauptete, daß Christus entsprechend seiner menschlichen Abkunft nicht leiblicher Sohn, sondern "Adoptivkind" Gottes sei. [...] Die Juristen streiten dann [nur] über Wörter miteinander, wenn sie disputieren, ob eine Rechtsordnung auch für Tiere zu gelten habe; [...] auch dann, wenn sie sich mit einer Partei in einen Prozeß einlassen, die z. B. von einem "Vertrag" (contractum) spricht, was ihre Partei als "schlichte Absprache" (nudum pactum) bezeichnet. [...] Die Mediziner streiten bisweilen darüber, ob eine Krankheit in den Säften oder in den Körperteilen sitzt, und wenn in beiden, ob in den Säften unmittelbar, oder durch die Säfte vermittelt in den Körperteilen. [...] Die Philosophie ist für totale Sprachkonflikte immer der fruchtbarste Nährboden gewesen. [...] Antike Philosophen stritten nur in Worten darüber, ob außer der Tugend irgendetwas, wie Gesundheit, Reichtum oder Ehre unter die "Güter" zu zählen sei; und ob "Stimme" einen dreidimensionalen Körper habe oder nicht. [...] Scholastische Streitfragen werden auch noch von zeitgenössischen Philosophen nur um Wörter
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Damit dürfte die ganze Logomachieschrift skizziert sein, wobei, wie ich hoffe, deutlich wurde, daß der Skopus gleichsam dramatisch gesteigert im fünften Kapitel enthalten ist, d. h. in der Beantwortung der Frage, unter welchen Ausnahmebedingungen Verstehen im Gespräch wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt ist.
4. These Im Sinne einer barocken "medicina mentis" zählt Werenfels als Symptome des "totalen Sprachkonflikts" zwölf Vorsichtsregeln auf. Die Rede von einer "medicina mentis" ist berühmt geworden durch die so betitelte Schrift eines barocken Zeitgenossen, Tschirnhausen (1687), die Wilhelm Risse neu ediert und gründlich auf ihre cartesianischen Grundlagen hin untersucht hat. (Risse 1970, II: 147) Auch der bereits genannte Schweizer Crousaz bedient sich (1712) dieses Konzeptes (vgl. Risse 1970, II: 546). Das Besondere einer "medicina mentis" bei Samuel Werenfels als Therapie des Verstehens im Gespräch oder als Sozialtherapie einer Streitkultur hat seine deutliche Ausrichtung auf die Geltung "wahrscheinlicher Sätze"; zum einen angelehnt an den Begriff der Dialektik bei Aristoteles. Diesen habe ich bereits eingangs am Rande von Burgersdijk entwickelt. Hier also nur zur Erinnerung der gedankliche Ort über die hörerschaftsbedingte Zustimmungsqualität "wahrscheinlicher" Sätze: Wahrscheinliche Sätze sind solche, denen entweder a l l e oder die m e i s t e n oder die F a c h l e u t e (s. eruditi!) zustimmen, und unter diesen entweder a l l e oder die m e i s t e n oder die N a m h a f t e s t e n . (Arist. Top. 104a; vgl. 105 a)
Die Geltung hörerschaftsbedingter Zustimmungsbereitschaft ist hier wohlgemerkt in doppelter Hierarchie gegliedert: sechsfach quantitativ und dreifach qualitativ. In diesem Sinne kann die Geltung von "wahrscheinlichen Sätzen" nach Chaim Perelmans "Nouvelle rhotorique. Trait6 de argumentation (Paris 1958,1: 26; über eine qualitative Zweiteilung Ciceros, part, or. 90, hinaus) durch eine quantitative Hierarchie von drei "Typen von Hörerschaften" expliziert und ausgelegt werden: " d i a l o g u e " , " a u d i t o i r e u n i v e r s e l l e " , " a u d i t o i r e particulier". Zum zweiten bietet Stephen Toulmin in seinen "Uses of argument" (1958) für die Geltung wahrscheinlicher Sätze ein "Phasen-Modell fünf typischer Fragen/Bestätigungen" an, durch das nach Art des angloamerikanischen Fallrechts typische Dialoginstanzen dafür verpflichtet werden, die Einlösung des Geltungsanspruchs einer Eingangsbehauptung zu explizieren oder auszulegen: K o n k l u s i o n (Klage mit Geltungsanspruch), D a t u m (angebotener Klagegrund), S c h l u ß r e g e l (so beanspruchte implizite Gültigkeit), S t ü t z u n g (explizite Zuordnung zu geltender Norm), A u s n a h m e b e d i n g u n g (Einrede und Ausnahme, die die Regel bestätigt) mit Modaloperator (nachträgliche Geltungsabschwächung, z. B. "immer
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-manchmal"). Diese Instanzen des "Phasen-Modells" lösen in ihrer "schlüssigen" Rekonstruktion den Geltungsanspruch eines "wahrscheinlichen Satzes" ein. Zum dritten kann die Geltung von "wahrscheinlichen Sätzen" durch die Perspektive der barocken " C h r i a o s t e n s i o n a l i s o c c a s i o n a l i s " , d. h. durch die Ubereinstimmung/Widerspruchsfreiheit von Leben bzw. Handlungsbild und Meinung einer Person in ihrer Gesprächs r olle bzw. - s i t u a t i o n evident sein. (Vgl. Henningius 1675/1696: 13) Alle diese gedanklichen Orte, von Aristoteles, Perelman, Toulmin und Henningius, erweisen sich nun bei der Durchsicht der Werenfelsschen Symptome für "Logomachia" als implizit beansprucht, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß Werenfels auf dem Hintergrund der barocken "disputatio" (des formalisierten Gesprächs) eine "medicina mentis" für rhetorisches Mißverstehen (negative Hermeneutik) von "wahrscheinlichen Sätzen" in Vorsichtsregeln zu beschreiben sucht: Sig. I. Wenn jemand, im übrigen seines Geistes mächtig, etwas zu bestreiten scheint, worüber das ganze menschliche Geschlecht einer Meinung ist, dann ist es wahrscheinlicher, daß er durch die Worte als durch die Gedanken mit seinen jeweiligen Gesprächspartnern verschiedener Meinung ist. (Si quis in caeteris mentis compos, ea oppugnare videtur, in quibus totum genus humanum convenit, verisimilius est, hunc verbis quam sententia ab iis, quibuscum disputat, dissidere)[...] Sig. . Wenn jemand einen ganz leicht zu erkennenden Sachverhalt scheinbar leugnet, der dir so evident wahr vorkommt, daß dir die Evidenz deine Zustimmung abdringt, und du bei bestem Willen nichts daran bezweifeln kannst, dann darfst du annehmen, daß er nicht wirklich verschiedener Meinung ist. (Si quis negare videtur rem cognitufacilimam, quae tibi adeo perspicue vera videtur, ut perspicuitas assensum tibi extorqueat, et tametsi velis, non possis in dubium vocare: hunc existimato a te non revera dissentire) [...] Wenn jemand, im Vergleich zu dir von nicht geringerer Geisteskraft und Erfahrung in der zur Verhandlung stehenden Kunst, eine Meinung bestreitet, die dir evident erscheint und die du im Sinne Descartes' klar und deutlich begreifst, dann mußt du nicht annehmen, daß er wirklich verschiedener Meinung ist, es sei denn, die offene Streitfrage wäre öfter mit eben so ruhiger wie aufmerksamer Seele untersucht worden. (Si quis non minus atque tu ingenio pollens, nee minus artis, de qua agitur, peritus, oppugnat sententiam, quae tibi evidens videtur, quamque, ut Cartesius loqui solet, clare et distincte percipis: hunc a te revera dissentire, nisi controversia saepius sedato pariter atque attento animo examinata, haud credito) [...] Sig. . Wenn du, sobald ein vernünftiger Mann in einem formalisierten Gespräch eine offensichtlich unsinnige und lächerliche Meinung zu vertreten scheint, unmittelbar vermutest, daß dem Gespräch ein totaler Sprachkonflikt zugrunde liegt, dann dürfte deine Vermutung in den meisten Fällen zutreffen. (Si, quamprimum vir sapiens in disputatione sententiam manifeste absurdam et ridiculam propugnare videtur, tu protinus conjectes, Logomachiam disputationisubesse, non vana plerumque erit conjectura) [...] Sig. IV. Wenn jemand, im übrigen von durchdringendem Geist, seinem Gesprächsgegner eine Meinung unterstellt und dann bestreitet, die zwar mit dessen Worten scheinbar übereinstimmt, aber anderen mit Bestimmtheit und Beharrlichkeit vertretenen Meinungen dieses Gegners offensichtlich widerspricht, dann ist sehr wahrscheinlich, daß er einen totalen Sprachkonflikt betreibt. (Si quis adversario, caetera perspicacis ingenü, tribuit sententiam, eamque oppugnat, quae verbis quidem ejus convenire videtur, sed aliis certis et consiantibus ejusdem adversarii opinionibus manifeste repugnat: eum "logomachein * valde veri est simile) [...] Sig. V. Wenn jemand in einem formalisierten Gespräch seinem Gegner eine absurde oder auch unmoralische Meinung unterstellt, die zwar mit dessen Worten hinreichend übereinstimmt, aber mit dessen Leben und Handeln gänzlich unvereinbar ist, dann ist er in den seltensten Fällen frei von totalem Sprachkonflikt. (Si quis in disputatione adversario suo tribuit sententiam absurdam, auf turpem, verbis quidem ejus sic satis convenientem, sed a qua vita et praxis abhorret, rarissime a Logomachia immunis est) [...] Sig. VI. Wenn in einem formalisierten Gespräch der Proponent zum Beweis seiner Meinung die gleichen Gründe anführt wie der Opponent, dann scheint selten zwischen den Gesprächsteilnehmern ein wahrer
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Dissens zu bestehen. (Si, duobus inter se disceptantibus, affirmans iisdem ad sententiam suam probandam utitur argument is, quibus utitur negans, raro verus inter disputantes dissensus esse videtur) [...] Sig. VII. Die meisten formalisierten Gespräche, die über Definitionen und logische Einteilungen geführt werden, sind totale Sprachkonflikte. (Pleraeque dispulationes de definitionibus et divisionibus Logomachiae sunt) [...] Sig. !. Wenn jemand allzu verbissen an sehr allgemeingültigen Wörtern festhält, die entweder keine trennscharfe Bedeutung haben oder beliebig viele Bedeutungen zulassen, und bei der Aufforderung zu definieren stockt und keine klarere Bedeutung findet, zugleich aber seine Äußerung als sonnenklar aufdrängt, dann wird meist ein formalisiertes Gespräch, das man mit ihm führt, ein totaler Sprachkonflikt. (Si quis nimium tenax vocabulorum valde generalium, quae out nihil distinct! significant, out nescio quof signißcationes admitfuntjussus illa explicare, haeret, clariora non invenit, sua tanquam clarissima identidem inculcat: cum eo si disputetur, disputatioplerunque Logomachia est) [...] Sig. DC. Wenn du zuhörst, wie zwei über einen Sachverhalt ein formalisiertes Gespräch führen, der dein Verständnis nicht übersteigt, und über eine Kunst, in der du nicht weniger Erfahrung besitzt als die Gesprächpartner, jedoch keinen von beiden verstehst, dann ist dies ein nicht unbedeutendes Anzeichen für einen totalen Sprachkonflikt. (Si duos inter se disputantes audis, de re, quae captum tuum non superat, deque arte, cujus non minus, atque disputantes, peritus es; neutrum tarnen disputant i um intelligis: non leve hoc Logomachiae indicium est) [...] Sig. X. Wenn du aufmerksam einem formalisierten Gespräch folgst, dabei die verhandelte These zwar gut verstanden hast, aber das Gegenargument des Opponenten nicht, dann kannst du auch dies für ein Zeichen totalen Sprachkonflikts ansehen. (Si attentus in disputatione, thesi, de qua disputatur, probe intellecta, Opponentis, quod in contrarium affert, argumentum non intelligis: Logomachiae et hoc signum esse putato) [.-] Sig. XI. Wenn du bei einem formalisierten Gespräch zwar die These und das Argument des Opponenten verstanden hast, aber die Replique des Defendenten auch bei größter Aufmerksamkeit nicht verstehen kannst, dann darfst du vermuten, daß der Rest des formalisierten Gesprächs totaler Sprachkonflikt ist. (Si in disputatione, intellecta thesi et Opponentis argumento responsionem defendentis, utcunque attentus, capere non potes, quod reliquum est disputationis, Logomachiam esse suspicator) [...] Sig. . Wenn bei einem formalisierten Gespräch nach Phasen, in denen du den Respondenten wie den Opponenten gut verstanden hast, plötzlich Unklarheiten auftreten und du trotz größter Aufmerksamkeit nichts mehr verstehen kannst, dann darfst du vermuten, daß das ganze formalisierte Gespräch schließlich zu totalem Sprachkonflikt abgesunken ist. (Si in disputatione postea aliquandiu et Respondentem et Opponentem probe intellexisti; subito oriuntur tenebrae, et quantacunque attentione adhibit a, nihil amplius capere potes, turn conjicito, disputationem omnem tandem in Logomachiam abivisse) (Werenfels 1716, I: 192-217)
Eine gründliche Interpretation dieser zwölf "Symptome der Logomachia" ist hier nicht möglich. Neben den in der Vorüberlegung bereits aufgezeigten gedanklichen Orten der Geltung "wahrscheinlicher Sätze" müßte gezeigt werden, wie Werenfels im Dienst barocker "medicina mentis" die ganze Spanne des griechischen "logos" (ratio) nutzt, um zwischen "wahren Sätzen" der Theologie und Cartesianischer Axiomatik (vgl. Brohier 1929, II: 125; Grimm 1983: 738) ein humanistisches Gespräch zu ermöglichen.
5. These Die Wirkungsgeschichte der Dissertationen von Samuel Werenfels markiert die Epochen einer "innerhalb von 'cautiones' definierten Sprachtheorie" (1735), einer "zeichentheoretisch gestützten Rhetorik" (1736), einer "wissen-
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schaftlichen Ästhetik" (1750) und einer "kritisch-philosophischen Gesprächsk u l t u r " (1795). Nicht immer erscheinen epochemachende Autoren im Rampenlicht der Literaturgeschichte. So lebt der Name von Samuel Werenfels trotz seines wirkungsvollen Arguments vorläufig meist in Fußnoten der Aufklärer. Einige Beispiele mögen genügen: Nachdem Fr. Ph. Schlosser "Über philosophische Vorsichtsmaßregeln beim Definieren" im Sinne der 'cautiones' von Werenfels (1725: 14; Risse 1970: 617; vgl. Klassen 1974: 36) in Wittenberg disputierte und der Wolff-Schüler Fr. Chr. Baumeister in seiner "Philosophia definitiva" (1735/1775: 63; Risse 1970: 638) sowie in seinen "Institutiones philosophiae rationalis methodo Wolfii conscriptae" (1735/1755: 72) Werenfels als Zeugen aufrief, baute der Wolffianer J. Carpov seine "Philosophisch-kritischen Gedanken über die Sprache und ihre Vervollkommnung nach wissenschaftlicher Methode" (1735/1743: 141ff.; Roeder 1927: 64; Haller 1959: 126) zeichentheoretisch und defmitorisch rigide im Rahmen des Werenfelsschen Logpmachiekonzepts aus. Ferner erwägt J. Chr. Gottsched zu Beginn seiner "Ausführlichen Redekunst" die Fähigkeit des Menschen zur Beredsamkeit am Rande einer Zeichensprache ohne Wörter, "wie Werenfels in einer Dissertation zu behaupten gesuchet" (1736/1759: 49); dabei nimmt Gottsched offensichtlich Bezug auf die oben in der vita kurz gewürdigte Abhandlung "de loquela". Erstaunlich ist, daß auch die Forschung zu A. Baumgarten (tacent: Prieger 1875; Bäumler 1923/1967; Riemann 1928) bislang übersehen hat, wem Baumgarten ausdrücklich für die Anregung zum Konzept seiner "wissenschaftlichen Ästhetik" dankt. Im Vorwort zur "Aesthetica" ist nachzulesen: "Jetzt nur soviel, daß meine Dankbarkeit mich gemahnt, öffentlich zu bekennen, daß, wie die Schriften von Werenfels und Vossius, so auch andere mir eine große Hilfe waren [...]". (Baumgarten 1750/1986: praef. Bl. 5) Ich vermute, ohne es hier beweisen zu können, daß Baumgarten sich damit auf beide Konzepte von Werenfels "de loquela" (vgl. Varwig 1992: 204ff.) und "de logomachiis" als Antistrophe einer "Zeichensituation" bezieht. Schließlich wirkt Werenfels mit seiner Logomachieschrift mitten im Jena des deutschen Idealismus neben Schiller und Fichte bei Fr. I. Niethammer nach. Dieser spricht im Vorbericht seines "Philosophischen Journals" "über die zerstrittenen Bekenner der kritischen Philosophie" (1795, I, H. I: B1.3); wenig später, im dritten Band seines Journals, liefert er dann unter dem Titel "Von den Wortstreitigkeiten der Gelehrten. Ein freier Auszug aus Werenfels" vor allem eine Übersetzung der "Symptome". In einer Fußnote begründet er die Wiederaufnahme der Logomachieschrift: "So bekannt und geschätzt sie sonst gewesen ist, so kömmt sie doch jetzt selten in die Hände derer, für die sie lesenswürdig wäre. Dies hat gegenwärtigen teutschen Auszug veranlaßt, wodurch man sie unserm Zeitalter wieder ins Andenken bringen wollte." (Niethammer 1795, III, H. III: 240-252) Daß Werenfels mit seiner Dissertation "de logomachiis emditorum" statt der traditionellen
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nonnativen Anweisung der Rhetorik, wie eine Rede oder ein Gespräch wirkungsvoll zu gestalten ist, und neben der traditionellen positiven Anweisung der Hermeneutik, wie ein "Sinn" von Text und "Kontext" auszulegen ist, einen unerhört neuen Weg beschreitet, wird durch diesen kurzen Blick auf die Wirkungsgeschichte bestätigt. Seine Leistung besteht darin, daß er auf dem Hintergrund der strengen "Formalisierung" des Gesprächs typische gedankliche Orte der "disputatio" aufzählt, unter denen wahrscheinlich Verständigung nicht gelingt. Wie ich zu erweisen suchte, sind diese Vorsichtsmaßregeln jedoch nicht willkürlich gewählt, sondern als Ausnahmebedingungen an die Struktur der "disputatio" - im Sinne eines sozialpsychologisch bedingten Erkenntnisprozesses - gebunden. Und darin liegt seine Aktualität: Er liefert eine gültige Summe von möglichen Instanzen für die Beschreibung und Bewertung von Streitkultur.
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Die einleitende Definition des von Burgersdijk entwickelten Logikkonzepts lautet: "Logik ist die K u n s t , Gerätschaft zu liefern und mit dieser den Verstand bei der Erkenntnis der Dinge zu leiten" [logica est ars conficiens instrumenta, iisque intellectum dirigens in cogitatione rerum; 1656: 1]. Wie immer steckt die Qualität solcher philosophischer Definition im anschließenden Kommentar. Dort wird mit dem Zeugnis des antiken Plutarch und des christlichen Joh. Damascenus die D o p p e l e r s c h e i n u n g des " l o g o s endiathetos" und des " l o g o s prophorikos" als "sermo intus et externus" eingeführt und in seinen Konsequenzen entfaltet. Das bedeutet für Burgersdijk, daß er mit dem Zeugnis des Aristoteles "Logik" und "Dialektik" im Tun des " d i a l e g e s t h a i " (disserere/Diskurs) untrennbar verknüpft. Dann folgert er aus der in seinem Gattungsbegriff" a r s" implizierten Lehr- u. Lernbarkeit eine untrennbare Verknüpfung von "Logik" und "Topik": Das Maß des Tuns ist mit dem Zeugnis des Aristoteles durch "praecepta disputandi" bedingt. Bereits aus dieser begründeten Verflechtung von Logik, Dialektik und Topik ergibt sich nicht nur für Burgersdijk, sondern auch für den ihn lesenden und lehrenden Samuel Werenfels schlüssig, daß Wissenschaftsdiskurs in Form von "disputationes" zwischen praktischer Logik, graezistischer Hermeneutik und Rhetorik zu absolvieren ist.
Literatur Aa, A. J. van der (1855): "F. Burgersdijk". - In: Biographisch Woodenboeck der Nederlanden. II. - Haarlem, 1583-1584. Acta Emditomm Lipsiensium (Feb. 1693) - Leipzig, 53-59. Allgemeine deutsche Bibliographie (l897): "Samuel Werenfels". XLII. - Berlin: Dümmler, Nachdruck 1968, 5ff. (= ADB) Barner, W. (1970): Barockrhetorik. - Tübingen: Niemeyer. Barth, K. (1936): "Samuel Werenfels (1657-1740) und die Theologie seiner Zeit*. - In: Evangelische Theologie 3, 180-203. Baumeister, F. C. (1755): Institution« philosophiae rationalis methodo Wolfii conscriptae. - Wittenberg: Ahlfeld. - (1775): Philosophie definitive. - Hildesheim: Olms, Nachdruck 1968. Baumgarten, A. G. (1750): Aesthetica. - Hildesheim: Olms, Nachdruck 1968.
Zur Aktualität von Samuel Werenfels' de logomachiis eruditonim
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FACH- UND SONDERSPRACHEN
KOMMUNIKATION IN EINER FACHSPHÄRE Fachsprache der Medizin
Jana Klinckovä
1. Einleitung Der Ausdruck 'Klinische Medizin' wird, wie allgemein bekannt, verwendet, um auf den Bereich der praktischen ärztlichen Tätigkeit zu referieren. Charakteristisch ist für den Handlungszusammenhang des Arztes, daß er im Rahmen seiner diagnostisch-therapeutischen Tätigkeit und in direkter Interaktion mit dem Patienten immer wieder in Entscheidungssituationen gerät, die er mit Hilfe logisch-assoziativer Methoden bewältigt: Entscheidungstheoretisch betrachtet stellt jede Diagnosebestimmung für den Arzt eine Arbeitshypothese dar, die den Ausgangspunkt für die Wahl einer optimalen Behandlung ist. Solche Entscheidungen werden insbesondere dann, wenn sie unter Zeitdruck gefällt werden müssen - nicht selten von Zufallsfaktoren beeinflußt. Gerade deshalb stellt die klinische Praxis hohe Anforderungen nicht nur an die spezifischen kognitiven, sondern auch an die kommunikativen Fähigkeiten des Arztes. Der folgende Beitrag befaßt sich mit den sprachlichen, insbesondere lexikalen Mitteln, die in der fachsprachlichen Kommunikation des Bereichs 'Klinische Medizin' verwendet werden. Er konzentriert sich auf das Spektrum lexikaler Mittel, das in der klinischen Fachkommunikation verwendet wird und vergleichsweise heterogen ist: Es reicht von schriftsprachlichen Begriffen (= Termini) über Ausdrücke, die an der Grenze zur Schriftsprachlichkeit stehen (= Professionalismen), bis hin zu Lexemen, die ausschließlich in der mündlichen Kommunikation gebräuchlich sind (= Slangwörter). In der deutschen Lexikologie wird ein entsprechend ausdifferenzierter, in sich begrenzter Spezialwortschatz als 'Fachsprache' (Hoffmann 1976; Wiese 1984) bzw. als Berufsjargon (Wilske 1978) bezeichnet. Im selben Zusammenhang verwendete man früher in der slowakischen und tschechischen Linguistik die Begriffe 'Fachsprache' und 'professionaler Slang', die z. T. auch heute noch gebräuchlich sind. In der medizinischen Literatur ist dagegen sowohl von einem ärztlichen oder medizinischen Sprachusus als auch von einer spezifisch klinischen Sprache die Rede (vgl. Wiese 1984). Die damit angesprochene Art professioneller Kommunikation wird nach linguistischer Auffassung am häufigsten im Rahmen informeller Arbeitsbeziehungen realisiert. Neben medizinischen Termini und schriftsprachlichen Ausdrücken finden spezifische lexikale Mittel Verwendung, von denen die meisten zur Gruppe der Professionalismen und die übrigen zu der der Slangwörter zählen. Das Ausmaß, in dem lexikale Mittel der jeweili-
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Jana Klinckovä
gen Schichten genutzt werden, ist im konkreten Sprachgebrauch variabel und hängt von der konkreten Kommunikationssituation ab. Im Hinblick auf die Beschreibung solcher Situationen ist die Orientierung an einem Modell hilfreich, das die horizontale und die vertikale Gliederung der Fachsphäre 'Klinische Medizin' wiedergibt und dadurch eine Untersuchung des differenzierten Sprachgebrauchs ermöglicht, so daß die Unterschiede, die in Abhängigkeit von den verschiedenen Kommunikationssituationen hinsichtlich der Verwendung von lexikalen Mitteln aus den verschiedenen Schichten bestehen, dargestellt werden können.
2. Kommunikation in der Fachsphäre 'Klinische Medizin' Die Kommunikation in der klinischen Medizin stellt - in sozialer Hinsicht - eine Fachkommunikation dar, die in ihrem Verhältnis zur Kommunikation zu betrachten ist, die in der Sphäre gesamtgesellschaftlicher Beziehungen realisiert wird. Aufgrund des Milieus, in dem sie jeweils stattfindet, spricht man entweder von einer öffentlichen (offiziellen) oder von einer nicht-öffentlichen (inoffiziellen bzw. halboffiziellen) Kommunikation (Bosäk 1990). Selbstverständlich ist es möglich, die verschiedenen Kommunikationssituationen näher zu bestimmen und zu spezifizieren, da weitere Faktoren "im Spiel" sind, die einen kommunikativen Prozeß in unterschiedlichem Maße beeinflussen - sogenannte "Kommunikationsvektoren" (Mistrik 1990), die eine präzisere Begriffsbestimmung erlauben. Doch kann eine Beschreibung, die sich allein auf den Ebenen der Informations- bzw. Sachbeschreibung und der Ebene semantischer Beschreibung bewegt, Kommunikation nicht erfassen; auch die Ebene der Nominationsstrukturen und Satzmodelle bietet - für sich betrachtet - keinen geeigneten Zugang, weil es neutrale Benennungsstrukturen und Satzmodelle, die als übergreifende Beschreibungskriterien nutzbar wären, nicht gibt: Die strukturellen Eigenschaften sprachlicher Mittel selbst sind Aspekte der sprachlichen Identität bzw. Konformität bestimmter Kommunikationsgemeinschaften, so daß ihnen jeweils spezifische soziale und sprachliche Signalfunktionen zukommen (vgl. Skäcel 1973). Was den Charakter eines Kommunikationsprozesses in erster Linie prägt, sind die kommunizierenden Sprecher selbst, die ihre Kommunikationsziele mittels ausgewählter Kommunikationsstrategien zu erreichen versuchen, wobei u. U. ihre soziale Stellung von entscheidender Bedeutung ist ('Interaktionskomponente' der Kommunikation; vgl. Barnet 1977). Die Wahl der Sprachmittel hängt auf allen Ebenen des Sprachsystems entscheidend von der Frage ab, wer mit wem und auf welchem Niveau kommuniziert. Auf diesem Hintergrund läßt sich die Kommunikation in der klinischen Medizin - in Abgrenzung von anderen Fachkommunikationssphären - wie folgt charakterisieren: 1) Außer Ärzten und Mitgliedern des Pflegepersonals nehmen an der Kommunikation auch theoretisch mehr oder weniger vorgebildete bzw. interessierte Patienten teil. Die Beteiligung der Patienten verlangt von den übrigen Teilnehmern der Kommunikation bestimmte Kommunikationsfähigkeiten bzw. - in der Terminologie Jedliökas - die Be-
Fachsprache der Medizin
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herrschung spezifischer 'Kommunikationsstrategien': Schlägt die Verständigung fehl, so kann eine ungünstige Atmosphäre (Mißtrauens dem Arzt gegenüber, Angst vor Nichtgenesung, Apathie) entstehen, die den Therapieprozeß erschweren oder sogar den Gesundheitszustand des Patienten verschlechtern kann. 2) In der Medizin wird durchgängig die lateinische bzw. griechische Terminologie verwendet. Aus (sprach-)ökonomischen und anderen Gründen werden entsprechende Termini von Ärzten in der mündlichen Kommunikation oft vereinfacht, manchmal deformiert oder durch andere lexikale Mittel ersetzt. 3) Die Gliederung der Medizin in verschiedene Fächer, Sparten und Abteilungen (z. B. theoretische und praktische Medizin, Operations- und Nichtoperationsabteilungen, Spezialabteilungen) bedingt die Entwicklung spezifischer Komplexe - insbesondere - lexikaler Mittel, die (nur) unter bestimmten Bedingungen und im Rahmen ganz spezifischer Tätigkeitszusammenhänge verwendet werden.
3. Kommunikationssituationen Wie bereits angedeutet, lassen sich die Unterschiede im Gebrauch lexikalischer Mittel unter Rückgriff auf eine Systematik grundlegender Kommunikationssituationen erfassen, die auf der Basis eines Überblicks über die Gliederung der Fachsphäre 'Klinische Medizin' gewonnen werden kann. Angesichts der Komplexität der Fachsphäre erscheint es als sinnvoll, von einer horizontalen und vertikalen Gliederung auszugehen. In horizontaler Hinsicht bietet sich eine Differenzierung nach einzelnen Abteilungen an. Mehr oder weniger regelmäßig treten in ihrem Rahmen spezifische Kommunikationssituationen auf, die sich - in einer vertikalen Gliederung - 5 Kommunikationssituationstypen (KSi) zuordnen lassen: W i s s e n s c h a f t l i c h e K o m m u n i k a t i o n ( K S i o : Die Teilnehmer des Kommunikationsaktes sind Ärzte. Auf der Informationsebene geht es um die Abdeckung wissenschaftlicher Kommunikationsbedürfnisse; Wissenschaftlichkeitsforderungen werden respektiert. Hinsichtlich der Realisierungsebene ist die Kommunikation als öffentlich bzw. offiziell einzustufen. Da die verhandelten Fakten und Probleme auch den Charakter der zu verwendenden Ausdrucksmittel determiniert, sind für Kommunikationen des Typs schriftsprachliche Ausdrücke und Termini charakteristisch. Nichtschriftsprachliche lexikale Mittel werden - selbst in der Funktion von Synonymen - vermieden. KSi, (1) Plasmozytom (2) Tuberkulose TERMINI (3) Kahlerische Krankheit (4) Morbus Koch SCHRIFTSPRACHLICHE BEZEICHNUNGEN
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N i c h t - f o r m e l l e a l l t ä g l i c h e A r b e i t s k o m m u n i k a t i o n ( K S i 2 ) : Gespräche dieses Typs dienen dem Erfahrungsaustausch unter Ärzten. Da die an der Kommunikation beteiligten Sprecher einander ebenbürtig sind und die Gespräche nur halboffiziellen oder nichtoffiziellen Charakter haben, werden auch nichschriftsprachliche Ausdrucksmittel verwendet, die - aufgrund ihrer spezifischen Anpassung an die Situation ihres Gebrauchs - als Professionalismen bezeichnet werden können.1 Nehmen Sprecher aus unterschiedlichen Generationen an der Kommunikation teil, eignen sich die jüngeren gewöhnlich den Sprachusus der älteren Kollegen an. In Gesprächen mit Kollegen der eigenen Altersgruppe bzw. des eigenen Dienstgrades oder -alters bevorzugen die (dienst-)] üngeren Ärzte eine stärker expressiv und gestisch orientierte Sprechweise und greifen dabei auch auf Slangausdrücke zurück.2 Das Ausmaß, in dem Äußerungen die Grenze des schriftsprachlichen Sprachgebrauchs überschreiten, hängt vom Lebensalter, dem Dienstalter bzw. der Praxiserfahrung, den Problemkenntnissen und schließlich auch von den sozialen bzw. persönlichen Beziehungen zwischen den Sprechern ab. KSi2 (5) Plastnozytom (6) Tuberkulose TERMINI (5) Kahlerische Krankheit (6) Morbus Koch (7) Morbus Hodgkin (8) Quick Wert SCHRIFTSPRACHLICHE BEZEICHNUNGEN (5) Kahler (Eponymum) (6) Koch (7) Hodgkin (8) Quick PROFESSIONELLE AUSDRÜCKE SLANG
SCHRIFTSPRACHLICHE BEZEICHNUNGEN
PROFESSIONEL AUSDRÜCKE
A r b e i t s k o m m u n i k a t i o n ( K S i 3 ) : An Kommunikationsakten des dritten Typs nehmen außer Ärzten auch Mitglieder des mittleren Pflegepersonals - z. B. Krankenschwestern, Pfleger und Laboranten - aktiv teil. Daraus ergibt sich eine sprachlich besonders interessante Kommunikationssituation: Die divergierenden sozialen, professionellen und intellektuellen Dispositionen der Kommunikationsteilnehmer korrelieren mit unterschiedlichen Graden kommunikativer Kompetenz, was dazu führt, daß der Sprachgebrauch - insbesondere in lexikalischer Hinsicht - äußerst vielfältig und heterogen ist: In den Äußerungen der Sprecher kommen neben schriftsprachlichen Bezeichnungen und Termini auch Professionalismen und Slangausdrücke vor.
Fachsprache der Medizin KSi,
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TERMINI (9) epileptischer Anfall (10) bei der Operation assistieren/ bei der Operation Assistenz leisten (9) Epianfall (10) haken PROFESSIONELLE AUSDRÜCKE SLANG (9) Epschen (10) an den Haken hängen PROFESSIONEL AUSDRÜCKE
K o m m u n i k a t i o n im O p e r a t i o n s s a a l ( K S i 4 ) : Die Spezifik von sprachlichen Interaktionen des vierten Typs resultieren aus ihrem handlungsbegleitenden Charakter, d. h. aus ihrem Bezug zu einem operativen Eingriff, an dem die Sprecher in unterschiedlichen Funktionen (operierender Arzt, Assistenten, Anästhesisten, Hilfspersonal) beteiligt sind. Zu ihren spezifischen Bedingungen zählt es, daß die Anwesenheit des Patienten den Kommunikationsprozeß nicht beeinflußt. Für den handlungsbegleitenden Sprachgebrauch im Operationssaal ist ein relativ stabiles Ausdrucksinventar charakteristisch, das durch Kürze, Eindeutigkeit, Verständlichkeit und minimale Expressivität gekennzeichnet ist. Diese Anforderungen werden in erster Linie von Professionalismen erfüllt, da sie als Synonyme für lexikalisch komplexe Fachtermini einsetzbar sind und dadurch eine sprachökonomische Verständigung erlauben. Expressive Slangwörter werden dagegen nur selten verwendet. Den Bedingungen der Kommunikation ssituation entsprechend spielt im Operationssaal u. U. auch die nonverbale Kommunikation, in der Symbolgesten Verwendung finden, eine Rolle (vgl. Niederle 1965). KSi4 TERMINI SCHRIFTSPRACHLICHE BEZEICHNUNGEN (11) Patient mit Magengeschwür (11) Geschwürer PROFESSIONELLE AUSDRÜCKE SLANG (11) Patient mit Diamantose PROFESSIONE AUSDRÜCKE
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A r z t - P a t i e n t - K o m m u n i k a t i o n ( K S i s ) : Kommunikationssituationen des fünften Typs - Gespräche des Arztes mit Patienten - sind der Prüfstein der kommunikativen Kompetenz eines Arztes. Die Kommunikationsfähigkeiten des Arztes - und auch des Pflegepersonals - sind in therapeutischen Zusammenhängen von größter Bedeutung. Fehler, die der Arzt im kommunikativen Umgang macht, können eine latrogenie, d. h. einen Vertrauensverlust auf Seiten des Patienten bewirken, der eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes mit sich bringen kann (Käbrt/Valach 1965). Die Vermeidung solcher Fehler setzt beim Arzt nicht nur Taktgefühl, sondern auch die Fähigkeit voraus, den Patienten so über seinen Zustand zu informieren, daß eine im Hinblick auf den Gesundungsprozeß möglichst günstige Atmosphäre entsteht. Um diese diffizile kommunikative Aufgabe zu lösen, verwendet der Arzt bei der Diagnosemitteilung gewöhnlich verallgemeinernde Bezeichnungen, die die spezifischen Einzelheiten des jeweiligen Krankheitsbildes nicht erfassen; auch werden expressive Slangausdrücke verwendet. Dabei werden metaphorische Bezeichnungen, die nach den Wortbildungsmustern des synonymischen Paares bzw. der synonymischen Reihe gebildet werden, besonders stark frequentiert. Ein wesentliches Charakteristikum dieses Kommunikationssituationstyps ist es, daß es sich um einen 'geregelten Dialog' (vgl. Müllerovä 1984) handelt, bei dem der Arzt die Gesprächsstrategie und Gesprächstaktik bestimmt. Sprachliche Mittel werden in diesem Rahmen geplant und mit größtmöglicher Sorgfalt ausgewählt, wobei allerdings die Erreichung des Kommunikationsziel, das der Arzt verfolgt - nämlich die Beeinflussung des Patienten - stets im Vordergrund steht.
(12) Diabetiker TERMINI SCHRIFTSPRACHLICHE BEZEICHNUNGEN (13) Urologische Abteilung (12) Zuckerkranke (13) Urologie (12) Diabet PROFESSIONELLE AUSDRÜCKE SLANG (13) Ornithologie (12) Zuckerbäcker
PROFESSIONEL AUSDRÜCKE
Fachsprache der Medizin
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4. Zusammenfassung Wie die Analyse eines umfassenden Untersuchungskorpus (über 700 lexikale Einheiten) gezeigt hat, werden lexikale Mittel in der mündlichen Kommunikation in der Fachsphäre 'Klinische Medizin' differenziert verwendet. Inwieweit sprachliche Äußerungen im Rahmen dieser Sphäre zu einer störungsfreien Verständigung beitragen, hängt ausschließlich vom jeweiligen Sprecher und seiner Kommunikationskompetenz ab. Die Koexistenz und Konkurrenz von schriftsprachlichen Ausdrücken, Termini, Professionalismen und Slangwörtern in der Fachsphäre kann als Beleg dafür gelten, daß in der gegenwärtigen Sprachpraxis die Adäquatheit eines sprachlichen Mittels stets von der Kommunikationsfunktion abhängt, zu deren Erfüllung es eingesetzt wird. Gleichzeitig spiegeln sich in der Interferenz sprachlicher Mittel dynamische Tendenzen in der Entwicklung der slowakischen Sprache wider.
Anmerkungen 1
Als Professionalismen werden hier lexikale Mittel verstanden, die durch Univerfoisiemng (Abkürzung) von Ausdrücken gebildet werden und aufgrund ihrer Eindeutigkeit, Bedeutungsstabilität und Knappheit in sprachökonomischer Funktion verwendet werden können, da sie dem Bestreben eines Sprechers um bündige Bezeichnungen, die - trotz ihrer Kürze - präzise und eindeutig sind, dienen. Grundsätzlich sind Professionalismen als Infonneme aufzufassen: Sie werden verwendet, um Konnotationen so weit wie möglich zu vermeiden. Professionalismen werden in der mündlichen Fachkommunikation aus komplexen schriftsprachlichen oder terminologischen Komposita entwickelt, mit denen sie als sprachökonomische Alternative konkurrieren. Aufgrund ihres Informationswerts, ihrer Sachlichkeit und aufgrund der Muster, nach denen sie gebildet werden, werden sie oft für schriftsprachliche Termini gehalten. In der slowakischen Linguistik schreibt man ihnen bisher den Status der Schriftsprachlichkeit nicht zu. Sie gelten als Äußerungsmittel der Standardsprache (Klinckovä 1988, 1990). 2 Als Slangwörter bezeichne ich lexikale Mittel, für die Expressivität, Unbeständigkeit (Variabilität) sowie Spontaneität ihrer Verwendung und gestischer Gebrauch charakteristisch sind. Unter dem Gesichtspunkt der Expressivität läßt sich der Gebrauch von Slangwörtern insofern als gestisch auffassen, als er dem Sprecher dazu dient, durch die Verwendung eines besonders attraktiven lexikalen Mittels - eines Slangausdrucks Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dem Sprecher geht es bei der Verwendung von Slangausdrücken primär nicht um die Übermittlung einer Information, sondern um Dekoration, d. h. um die gestische Dekoration seiner Äußerung: Slangwörter sind Pragmeine. In der medizinischen Kommunikation kommen sie ein Begleitmerkmal sprachlicher Äußerungen von Medizinstudenten und jungen Ärzten (Berufsantanger) vor (Klinckovä 1988, 1990). In der Lexikographie werden sie als Sprachmittel der Standardsprache eingestuft.
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3. Rechtschreibfehler und die Phonem-Graphem-Beziehung Zur Prüfung, ob ein vorliegender Rechtschreibfehler auf die Uneindeutigkeit der PGB zurückzuführen ist (im folgenden: PGB-Fehler), muß das fehlerhafte Wort (durch den Lehrer) von der Phonem- auf die Graphemebene (oder umgekehrt) abgebildet werden. Findet er dabei in einer Liste der PGB (z. B. Scheerer-Neumann 1984) eine multiple Beziehung zwischen einem Phonem (oder Graphem) und mehreren Graphemen (oder Phonemen) und läßt sich der Fehler
Die Phonem-Graphem-Beziehung ak Rechtschreibproblem
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auf eine falsche Zuordnung (durch den Schüler) zurückführen, dann handelt es sich offensichtlich um einen PGB-Fehler. So ist die (falsche) Schreibung < Gabel > für /ka:bl/ ein PGB-Fehler, da das Phonem /k/ u. a. durch wiedergegeben werden kann (z. B. in /ve:k/ für ). Jedoch ist die (falsche) Schreibung für /ga:bl/ kein PGB-Fehler, da das Phonem /g/ in keinem Fall durch < k > repräsentiert wird. Bereits dieses einfache Beispiel zeigt, daß eine Fehleranalyse anhand einer Inventarliste der PGB nicht sinnvoll ist. Sie würde außerdem auf Grund der Vielzahl der Beziehungen der einzelnen Laute untereinander kaum praktikabel sein. Notwendig ist also eine andere Art der Operationalisierung der PGB, etwa durch Rückführung auf die Ursachen der Uneindeutigkeit, die sich (bei Beschränkung auf die nativen Wörter des Deutschen) in 4 Gruppen einteilen lassen: 1) Nichtkonsistente Markierung der Vokallänge Die Vokallänge kann entweder markiert (Verdopplung des Vokals, Dehnungs- < h > u. ä.) oder nicht markiert werden. Bspl.: /va:l/-~
:
2) Nichtkonsistente Markierung der Vokalkürze Die Vokalkürze kann durch Verdopplung des folgenden Konsonanten oder gar nicht markiert werden. Bspl.: /man/ —
:
3) Auslautverhärtung Stimmhafte Obstruenten werden am Wort- oder Morphemende stimmlos und können damit dort nicht mehr von ursprünglich stimmlosen Obstruenten unterschieden werden. Bspl.: /ra:t/ — : 4) Phonem- und Graphemdoubletten (Diese Gruppe enthält alle PGB, die nicht unter 1-3 fallen.) Für ein Phonem (Graphem) stehen zwei oder mehr verschiedene graphische (lautliche) Kodierungsmöglichkeiten zur Verfügung (z. B. /E/ — < e > , < ä > ) . Bspl.: /ffilt/ —
:
Unter Benutzung dieser Ursachengruppen gelingt eine einfache Operationalisierung bzw. Präzisierung der Phonem-Graphem-Beziehung, die, falls sie für eine Fehlerklassifizierung verwendet wird, auch relativ unabhängig von der speziellen Phonem- und Graphemdefinition ist. Es kann recht einfach festgestellt werden, ob ein Rechtschreibfehler in diesem Sinne ein PGBFehler ist oder nicht. (Die obigen < Kabel > - < Gabel > -Vertauschungen sind damit beide keine PGB-Fehler mehr!) Der Status der PGB-Fehler in Relation zu anderen Fehlern bleibt jedoch auch nach dieser Präzisierung ungeklärt.
4. Ein neues Verfahren zur Rechtschreibfehlerdiagnose Das im folgenden beschriebene neue Fehleranalyseverfahren soll den Status der PGB-Fehler klären und gleichzeitig eine effektive Methode zur ordinalen Klassifizierung von Fehlern bie-
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Michaela Greisbach/Reinhold Greisbach
ten. Die Ordinalität beschränkt sich auf Fehler, die wir Transkriptionsfehler nennen wollen, Fehler also, die mit der Terminologie von Phonetik bzw. Phonologic beschrieben werden können. Fehler bei Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung, Trennung, Zeichensetzung sowie auf unterster Ebene die Symbollernfehler werden an dieser Stelle nicht weiter berücksichtigt. (Auf eine detaillierte Beschreibung dieses Fehleranalyseverfahrens muß hier aus Platzgründen verzichtet werden, vgl. dazu Greisbach/Greisbach (in Vorb.).) Zur Fehleranalyse müssen die fehlerhaften Wörter bzw. Symbolfolgen (vom Lehrer) auf die Lautebene abgebildet und dann mit der richtigen Lautfolge verglichen werden. (Für das Deutsche ist diese Abbildung von Graphemen in Phoneme zwar nicht eindeutig (injektiv), aber nicht so stark mehrdeutig wie in umgekehrter Richtung, so daß von einigen Ausnahmen abgesehen diese Transformation keine Probleme bereitet.) Wir ersetzen für die Analyse das Konzept des Phonems durch das des Allophons, genauer durch das (phonetische) Konzept der Lautklasse, das alle phonetisch ähnlichen Laute (also u. U. auch Allophone verschiedener Phoneme) zusammenfaßt, da es dadurch möglich wird, Aussagen über die perzeptive Ähnlichkeit (zwischen Lautklassen) in die Fehleranalyse einzubeziehen. Die Bewertung eines Fehlers erfolgt nach der Transformation von der Symbol- in die Lautebene dann gleichzeitig bzgl. zweier Kriterien oder Dimensionen. Syntagmatische Dimension hat ein Fehler, der die lautliche Abfolge (durch Vertauschung der Reihenfolge) bzw. Vollständigkeit (durch Auslassung oder Hinzufügung) im Wort verändert, während die paradigmatische Dimension die lautliche Ähnlichkeit eines einzelnen Lautes im Wort (bei Verwechslung des Lautes) berührt. Die Dimensionen werden durch eine Skala von 3 bzw. 5 Stufen dargestellt. Paradigmatisch ergeben sich folgende Stufen abnehmender lautlicher Ähnlichkeit: A) lautliche Identität Fehler durch Vertauschen zweier Symbole, die die gleiche Lautqualität repräsentieren (z.B. und ) B) lautliche Ähnlichkeit Fehler bei großer lautlicher Ähnlichkeit (z. B. Stimmhaftigkeit bei Plosiven: [p]-[b], [t]-[d], [k]-[g]; ein Grad der Öffnung oder Rundung bei Vokalen: [i:]-[y:], [o:]-[u:]; usw.) C) lautliche Verschiedenheit Fehler bei keiner oder schwacher phonetischer Ähnlichkeit Auf der syntagmatischen Skala sehen wir die folgenden Stufen vor: 1) Die Abfolge der Laute ist korrekt wiedergegeben. 2) Die Abfolge der Laute ist korrekt wiedergegeben; der vorhandene Fehler läßt sich durch eine Silben- oder Morphemanalyse beheben. 3) Fehlen, Hinzufügen, Verschieben eines einzigen Lautes im Wort. 4) Fehlen, Hinzufügen, Verschieben mehrerer Laute im Wort. 5) Nur noch Fragmente des Wortes sind vorhanden. Jeder Fehler wird somit in zweierlei Hinsicht bewertet, so daß sich ein 2-dimensionales Schema ergibt (Tab. 1).
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Die Phonem-Graphem-Beziehung ak Rechtschreibproblem
A lautliche Identität
B lautliche Ähnlichkeit
C lautliche Unähnlichkeit
Geschänk (Geschenk)
Worst (Wurst)
Geschörr (Geschirr)
frakt (fragt)
Roier (Roller)
Geschöhr (Geschirr)
1
richtige Morphem- und Silbengrenze gefunden
2
Morphem- und Silbengrenze nicht gefunden
3
Fehlen, Hinzufügen, Verschieben eines Lautes
Spung (Sprung)
Schbachbuch (Sprachbuch)
felden (fällt)
4
Fehlen, Hinzufügen, Verschieben mehrerer Laute
Schung (Sprung)
Kchir (Geschirr)
gost (Wurst)
S
nur noch Fragmente des Wortes vorhanden
zei (Zweig)
eben (Geschenk)
pen (Spruch)
Tab. 1: Analyseschema mit Testwörtem (in Klammern) und im Experiment gefundenen Fehlschreibungen
Für die praktische Fehleranalyse werden die fehlerhaften Wörter in die jeweilige Zelle des Schemas eingefügt. Eine erste Kennzeichnung der Rechtschreibleistung (neben der Gesamtfehleranzahl) ergibt sich durch Summation aller Fehler in den jeweiligen Matrixzellen des Schemas in Form einer geometrischen Darstellung der Fehlerschwerpunkte. Ein Fehlerschwerpunkt in der linken oberen Ecke des Schemas ist bei geringen Abweichungen von der richtigen Schreibung zu erwarten. Eine Ausbreitung der Fehlerverteilung nach unten und/oder rechts bedeutet (nach Konstruktion des Verfahrens) gleichzeitig eine Zunahme in der Schwere der Fehler. Erste experimentelle Anwendungen des Verfahrens auf die Testwörter des DRT2 (32 Wörter) (Müller 1983) und DRT4/5 (105 Wörter) (Meis 1970) zeigen, daß bei mittieren bis guten Rechtschreibern der entsprechenden Jahrgangsstufen die Fehler tatsächlich vorzugsweise in der linken oberen Ecke liegen. Die Gesamtzahl der Fehler hängt natürlich von der Schwierigkeit der Wörter ab (vgl. Tab. 2b und 2c für den gleichen Schüler). Im Gegensatz dazu haben schlechte Rechtschreiber eine breitere Streuung der Fehler im Schema (vgl. Tab. 2a und 2d). DRT2
A
1
B
C
DRT4
A
B
C
DRT2
A
B
C
1
1
23
6
2
1
-
5
-
2
3
2
22
8
-
2
4
1
-
-
3
.
3
1
-
3
5
3
1
1
-
4
-
4
-
-
4
4
5
-
-
-
5
-
5
-
-
5
1
3
-
DRT2
A
B
1
-
3
2
2
5
3
4
4 5
C
2
a) Rouven (16;4 J.)
^ -
b) Jonas (12;4 J.)
Tab. 2: Quantitative Fehleranalyse für 4 Tests mit 3 Schülern
c) Jonas (12;4 J.)
d) Sebastian (8;2J.)
316
Michaela Greisbach/Reinhold Greisbach
Ausgehend von dieser ersten Analyse muß jetzt als Basis für eine gezielte Förderung die Feinanalyse erfolgen. Dazu werden die fehlerhaften Wörter in den jeweiligen Zellen detailliert analysiert (vgl. dazu und für die didaktischen Implikationen: Greisbach/Greisbach (in Vorb.)). Die Fehler, die (nach der obigen Präzisierung) PGB-Fehler sind, finden sich in der linken oberen Ecke des Schemas wieder, genauer gesagt in den Zellen l-A, 2-A und 2-B. Die erwähnten < Gabel >-< Kabel >-Vertausch ungen fallen nun beide in Zelle l-B, liegen also in der Nähe der PGB-Fehler.
5. Zusammenfassung Die vorliegende theoretische und experimentelle Analyse von Rechtschreibfehlern zeigt, daß die Uneindeutigkeit der PGB nur für einen Teil der Transkriptionsfehler (d. h. der Fehler, die sich mit der Terminologie von Phonetik und Phonologie beschreiben lassen) verantwortlich gemacht werden kann. Die These, daß sie eine der Hauptursachen für Rechtschreibfehler ist, gilt erst ab einem bestimmtem Niveau der Rechtschreibfähigkeit. Dies wirft auch ein Licht auf den Fragenkomplex der Orthographiereform: Eine Begradigung oder Vereinfachung der PGB würde die Fehleranzahl sehr schlechter Schüler (z. B. Tab. 2a, 2d) nur unwesentlich reduzieren.
Literatur Autorenkollektiv (1987): Deutsche Orthographie. - Leipzig. Bierwisch, M. (1976): "Schriftstruktur und Phonologie". - In: Schülein, F. (ed.) 42-72. Greisbach, M. / Greisbach, R. (in Vorb.): Lautorientierte Analyse von Rechtschreibfehlern. Harweg, R. (1973): "Phonematik und Graphematik". - In: Koch, W. (ed.): Perspektiven der Linguistik l (Stuttgart: Kröner). Heller, K. (1980): "Zum Graphembegriff". - In: Nerius, D. / Scharnhorst, J. (ed.): Theoretische Probleme der deutschen Orthographie (Berlin) 74-108. Hofer, A. (1974): "linguistik und ortografieunterricht: Überlegungen zu den abbildungsbeziehungen zwischen fonem- und grafemebene". - In: Hiestand, W. W. (ed.): Rechtschreibung (Weinheim) 69-89. Meis, R. (1970): Diagnostischer Rechtschreibtest. DRT 4/5. - Weinheim. Müller, R. (1983): Diagnostischer Rechtschreibtest für 2. Klassen. DRT2. - Weinheim, 2. A. Scheerer-Neumann, G. (1984): Rechtschreibunterricht mit leistungsschwachen Schülern. - FU Hagen. Schülein, F. (ed.) (1976): Rechtschreibung. - Paderbom: Schönigh. Vellutino, F. R. (1987): "Legasthenie". - In: Spektrum der Wissenschaft 5, 74-83. Zingeler-Gundlach, U. / Langheinrich, D. / Kemmler, L. (1976): "Fehleranalyse von guten und schwachen Rechtschreibleistungen normalbegabter Grundschüler". - In: Schülein, F. (ed.) 131-139.
INTRAINDIVIDUELLE EBENE DER FREMDSPRACHLICHEN KOMMUNIKATION Marian Szczodrowski
Untemchtsrelevante Fragen, wie sie sich im Zusammenhang mit der Aneignung einer fremden Sprache stellen, versuchen wir in diesem Beitrag unter kodematischem Gesichtspunkt zu behandeln. Da die Aneignung einer Fremdsprache bekanntlich von verschiedenen, miteinander interagierenden Faktoren - sprachlicher und außersprachlicher Art - bestimmt wird, bedarf sie einer ebenso differenzierten wie eingehenden Untersuchung. Eine solche Untersuchung schließt Forschungen auf zahlreichen (wissenschaftlichen) Gebieten ein, die sich mit den verschiedenen Ebenen und Aspekten des Fremdsprachenlem- bzw Fremdsprachenerwerbsprozesses befassen. Unter den zahlreichen wissenschaftlichen Forschungsgebieten ist in diesem Bereich sicherlich die Kodematik zu nennen, die die Sprache, die einem Sprachbenutzer (= einem Hörer/Sprecher) verfügbar ist, als 'Kode1 begreift. Unter 'Kode' versteht man einerseits das Inventar der festgelegten Zeichen einer Sprache und andererseits die Gesetzmäßigkeiten, auf deren Grundlage Sprachbenutzer in der Lage sind, sprachliche Informationen zu dekodieren - d. h. sie aufzunehmen und zu verstehen, und zu kodieren, d. h. zu erzeugen. Kodematisch gesehen besteht jede Sprache aus einem Vorrat von Zeichen, die nach bestimmten Regeln geordnet sind. Diese Betrachtungsweise scheint auf der Annahme zu basieren, daß die Hörer/ Sprecher unter Benutzung des sprachlichen Kodes fähig sind, miteinander zu kommunizieren. Aber die Verständigung wird - in bezug auf das bereits Gesagte - als Dekodierungsund Kodierungsprozeß betrachtet. Unsere Aufmerksamkeit soll im folgenden allerdings weniger der inter- als der intraindividuellen Ebene fremdsprachlicher Kommunikation gelten. Vorab sind dazu noch drei wesentliche Bemerkungen nötig: 1. Der Fremdsprachenlernprozeß und der Fremdsprachenerwerbsprozeß unterscheiden sich zwar voneinander, weisen aber auch viele Gemeinsamkeiten auf. 2. Beide Prozesse bilden einen speziellen Fall von fremdsprachlicher Kommunikation. 3. Der Vollzug fremdsprachlicher Kommunikation findet sowohl auf der interindividuellen (interpersonalen) Ebene, die sich vom Sender bis zu den Empfangsorganen des Lemers/Erwerbers erstreckt, als auch auf der intraindividuellen (intrapersonalen) Ebene, d. h. im Sprachbenutzer selbst, statt. Die spezifischen Merkmale der hier angesprochenen intraindividuellen Ebene fremdsprachlicher Kommunikation korrelieren mit den drei Phasen, in die sich der Kommunikationsprozeß untergliedert:
318
Marian Szczodrowski
Die erste Phase beginnt mit der Aufnahme der lautlichen bzw. schriftlichen Sprachsubstanz durch die Rezeptionsorgane (Ohr/Auge) des Empfängers - des Hörenden bzw. Sehenden - und endet im menschlichen Gehirn. Dort erhält das Wahrgenommene seinen inhaltlichen Wert: Der lautlichen bzw. schriftlichen Sprachsubstanz wird ihre semantische Struktur zugeordnet. Bereits im Rahmen dieser ersten Phase des Dekodierungsprozesses vollzieht sich eine gründliche phonetisch-phonologische, semantische und grammatische Analyse der entschlüsselten Sprachstrukturen. Es ist in einem doppelten Sinne vom Grad der Analyse der empfangenen Informationen abhängig, wie die einzelnen fremdsprachlichen Sprach Strukturen in einer zweiten Phase verarbeitet und gespeichert werden: 1. In Hinblick auf den Aufbau ( = Konstituierung) des (fremd-)sprachlichen Speicher-Mechanismus: Die einzelnen fremdsprachlichen Strukturen werden im Gehirn in Form von Sprach-Sprech-Matrizen so abgespeichert, daß sie als Ressource für (spätere) rezeptive und (reproduktive Leistungen zur Verfügung stehen. 2. In Hinblick auf den Ausbau des fremdsprachlichen Speicher-Mechanismus: In diesem Zusammenhang geht es vor allem um die Festigung bestimmter Sprachstrukturen in ihren Matrizen, um ihre Leistungsfähigkeit auszubauen und zu erhöhen, d. h. auf möglichst sämtliche für eine Fremdsprache möglichen Konstruktionen auszudehnen. Die zweite Phase der intraindividuellen Ebene fremdsprachlicher Kommunikationsprozesse umfaßt den Verarbeitungs- und den Speicherungsprozeß. Die dritte Phase der intraindividuellen Ebene der fremdsprachlichen Kommunikation bildet bereits einen Bestandteil des Kodierungsprozesses: Sie beginnt mit der Generierung sprachlicher Information(en) und endet im Bereich der artikulatorischen Phonetik. Die skizzierten Zusammenhänge lassen sich schematisch folgendermaßen darstellen: (Abb. 1) Intraindividuelle Ebene fremdsprachlicher Kommunikation
l
l
1. Phase
2. Phase
i
t Tätigkeit
3. Phase l
4
Dekodierungsprozeß rezeptive
l
Verarbeitungs- und Speicherungsprozeß
t *-
Aufbau/Ausbau des fremdsprachlichen Speicher-Mechanismus
Kodierungsprozeß
t -*
(re)-produktive Tätigkeit
Der Abbildung entsprechend lassen sich auf der intraindividuellen Ebene fremdsprachlicher Kommunikation drei wesentliche Phasen unterscheiden. Die Eigenschaften, die für die konstitutiven Subprozesse der Phasen des intraindividuellen Aspekts fremdsprachlicher Kommunikation relevant sind, sollen im folgenden näher betrachtet werden.
Intraindividuelle Ebene der fremdsprachlichen Kommunikation
319
Als erstes Stadium des Dekodierungsprozesses bezeichnen wir die Umwandlung lautlicher bzw. schriftlicher Sprachsignale in elektrische Impulse, die - im zweiten Stadium der Dekodierung - an das Gehirn weitergeleitet werden. Der Vorgang dieser Weiterleitung besteht darin, eingehende Informationen in ein anderes Format zu übertragen, d. h. Informationen zu transformieren. Im Gehirn findet dann ein hochkomplizierter sprachlicher Verarbeitungsprozeß statt: Der Empfang der elektrischen Signale löst im Zentralnervensystem spontane kognitive Vorgänge aus, in denen dem gerade Wahrgenommenen sein Sinn zugeordnet wird. Wird die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken erörtert, dann ist gerade an dieser Stelle die enge Beziehung zwischen den sprachlichen und den kognitiven Prozessen ins Auge zu fassen, in denen sich die außersprachliche Wirklichkeit widerspiegelt. Diese sprachlichen und kognitiven Aktivitäten bestimmen sowohl die semantische als auch die grammatische Analyse der empfangenen Informationen; sie bilden das dritte Stadium des Dekodierungsprozesses. Unseres Erachtens ist die Verarbeitung sprachlicher Informationen als zweistufiger Prozeß aufzufassen: Die erste besteht in der Analyse wahrgenommener Sprachstrukturen, die - wie bereits ausgeführt - noch im Rahmen des Dekodierungsprozesses stattfindet. Man kann sie als Grundstufe der Verarbeitung des Dekodierungsstadiums betrachten. Für die zweite Stufe ist eine tiefere und gründlichere Verarbeitung charakteristisch. Sie stellt eine Interpretation der entschlüsselten Informationen dar. Diese Stufe des Verarbeitungsprozesses, von dem die eigentliche Speicherung der einzelnen semantischen, grammatischen und phonetisch-phonologischen Strukturen abhängig ist, wird erst in der zweiten Phase des intraindividuellen Aspekts fremdsprachlicher Kommunikation geleistet. Fassen wir kurz zusammen: Die Verarbeitung empfangener Informationen findet auf zwei Stufen statt. Auf der ersten Stufe, die sich mit dem dritten Stadium des Dekodierungsprozesses deckt und Bestandteil der ersten Phase des beschriebenen intraindividuellen Prozesses ist, verbindet sich die Form des Wahrgenommenen mit dem Inhalt. Auf der zweiten Stufe, die erst in der zweiten Phase des intraindividuellen Prozesses erreicht wird, vollzieht sich eine tiefere und genauere Verarbeitung der gleichen Informationen. Der Verarbeitungsprozeß als ganzer erfüllt zwei Aufgaben: eine sprachlich-kognitive und eine linguodidaktische. Im Zusammenhang der Diskussion der sprachlich-kognitiven Aufgabe ist vor allem an die semantische (und auch oft über die grammatische) Interpretation aufgenommener Wörter zu denken. Darüber hinaus werden in diesem Bereich auch die Erkenntnisprozesse in bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit vollzogen. Der linguodidaktische Bereich umfaßt die folgenden Funktionen: a) Die Aneignung von empfangenen Informationen, d. h. der einzelnen semantischen, grammatischen und phonetisch-phonologischen Sprachstrukturen, in Form von SprachSprech-Matrizen, die den fremdsprachlichen Speicher konstituieren, um - als Bestandteile dieses Speichers - als fremdsprachlicher Mechanismus zu fungieren, und zwar sowohl rezeptiv als auch (re)produktiv;
320
Marian Szczodrowski
b) der syntagmatische und/oder syntaktische Ausbau beherrschter Strukturen; c) die Anwendung der beherrschten Strukturen in anderen möglichen Konstruktionen; d) die Steigerung der Leistungsfähigkeit bereits angeeigneter Strukturmatrizen in rezeptiver und produktiver Hinsicht. Die intraindividuelle Ebene der fremdsprachlichen Kommunikation umfaßt auch die intraindividuelle Seite des Kodierungsprozesses (vgl. Phase 3). Daraus ergibt es sich, daß im Bereich dieses Prozesses der Informationsgenerierung und -produktion sowohl bestimmte semantische und grammatische Strukturen als auch Strukturen der artikulatorisehen Phonetik zu berücksichtigen sind. Die in diesem Beitrag skizzierten kodematischen Ansätzen des Fremdsprachenlern- bzw. Fremdsprachenerwerbsprozesses eröffnen die Möglichkeit, die Komplexität der intraindividuellen Ebene fremdsprachlicher Kommunikation präziser zu erfassen und besser kennenzulernen.
ANSCHRIFTEN DER VERFASSER UND HERAUSGEBER
323
Dr. Kirsten Adamzik, Departement de langue et litterature allemandes, Faculte des Lettres, Universite de Geneve, CH-1211 Geneve 4 Prof. Dr. Jörn Albrecht, Institut für Übersetzen und Dolmetschen, Ruprecht-KarlsUniversität, Plöck 57A, D-69117 Heidelberg Zrinka Babic M. A., Department of Croatian, University of Zagreb, Salajeva 3, CRCM1000 Zagreb Prof. Dr. Jörgen Chr. Bang, Odense University, Campusvej 55, DK-5230 Odense M Susanne Beckmann, Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Dr. Gabriele Birken-Silverman, Tattersallstr. 2, D-68161 Mannheim Karin Birkner M. A., FU Berlin, Reichenbergerstr. 73a, D-13055 Berlin Monika Budde M. A., Fehrbelliner Str. 49, D-10119 Berlin Dr. Peter Canisius, Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstr. 150, D^4801 Bochum Prof. Dr. Bram ten Gate, Vakgroep Duitse taal- en letterkunde RÜG, Faculteit der Letteren, Postbus 716, NL-9700 AS Groningen Priv.-Doz. Dr. Anne B. Desbordes, Romanisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Bispinghof 3a, D-48143 Münster Thomas Diße-Runte, Kaiserin-Augusta-Str. 69, D-12099 Berlin Prof. Dr. Arne Dittmer, Institut for Germansk Filologi, Kepenhavns Universitet, Njalsgade 80, DK-2300 K0penhagen Prof. Dr. J0rgen D00r, Department of Philosophy, Odense University, Campusvej 55, DK-5230 Odense M Stefan Fjigelberg, Sprach- und Literaturwissenschaften, Bergische Universität, Gesamthochschule Wuppertal, Postfach 100127, D-42001 Wuppertal Prof. Dr. Jacques Francois, l bis, villa du sentier, F-92270 Bois-Colombes Gereon Franken, Englisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 12-20, D-48143 Münster Dr. Ursula Frei-Borer, Via Maistra 15, CH-7500 St. Moritz
324
Sabine Frilling, Germanistisches Institut, Johannisstr. 1-4, Westfälische Wilhelms-Universität, D-48143 Münster John D. Gallagher, Erlenallee 3, D-48155 Münster Dr. Holger Gemba, Slavisch-Baltisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Bispinghof 3a, D-48143 Münster Dr. Lisette van Gemert, Vakgroep Toegepaste Taalkunde, University of Twente, Box 217, NL-7500 Enschede AE Klaus-Dieter Gottschalk, Seminar für Englische Philologie, Universität Tübingen, Wilhelmstr. 50, D-72074 Tübingen Michaela Greisbach, Seminar für Lernbehindertenpädagogik, Universität Köln, Frangenheimstr. 4, D-50931 Köln Dr. Reinhold Greisbach, Institut für Phonetik, Universität Köln, Greinstr. 2, D-50939 Köln Dieter Wolfgang Haiwachs M. A., Institut für Sprachwissenschaft, Universität Graz, Mozartgasse 8, A-8010 Graz Dr. Claudia Happe, Abt. Vechta der Universität Osnabrück, Driverstraße, D-49377 Vechta Jianming He, Horstmarer Landweg 101, D-48149 Münster Elke Hentschel, Fachbereich Germanistik, FU Berlin, Habelschwerdter Allee 45, D-14195 Berlin Dr. Götz Hindelang, Germanistisches Institut, Westfälische Wilhehns-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Dr. Ulrich Hoinkes, Romanisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Bispinghof 3a, D-48143 Münster Dr. Heike Hülzer-Vogt, Jülicher Str. 8, D-53919 Weilerswist Dr. Knud A. Jensen, Institut für Linguistik, Universität Aarhus, DK-8000 Aarhus C. Dr. Menno D. T. de Jong, Faculteit Wijsbegeerte en Maatschappijwetenschappen, University of Twente, NL-7500 AE Enschede Dr. Jana Klinckova, Lehrstuhl der slowakischen Sprache und Literatur, Pädagogische Fakultät, Komensky-Str. 20, SK-974O1 Banska Bystrica Peter-Paul König, Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster
325
Melita Kovacevic
.
., Palmoticeva 64 A, CRCM1000 Zagreb
Catrin van Lengen M. A., Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Dipl. Math. Enno Leopold M. A., FB Postfach 3825, D-54228 Trier
: Fach Computerlinguistik, Universität Trier,
Klaus Lintemeier, Koburger Weg 9a, D-48159 Münster Cornelia Müller M. A., Fachbereich Germanistik, FU Berlin, Habelschwerdter Allee 45, D-14195 Berlin Dr. habil. Eberhard Müske, Institut für Germanistik, MLU Halle-Wittenberg, Edvard-GriegWeg 6, D-06124 Halle Dr. Wolfgang Niehüser, Saarstraße 7, D-48145 Münster Prof. Dr. Daina Nitina, Philologische Fakultät, Universität Lettlands, Visvalza 4a, LR-1011 RigaLV Volker Novak M. A., Institut für Anglistik, RWTH Aachen, Kärmanstr. 17-19, D-52062 Aachen Dr. Stephan Oberhäuser, FB 8.1, Universität des Saarlandes, Florastr. l, D-66123 Saarbrücken Dr. Luzian Okon, Via Verbano 34, CH-6648 Minusio Florian Panitz, Katharinenstr. 6a, D-26121 Oldenburg Prof. Dr. Wolf Paprotte, Arbeitsbereich Linguistik, Westfälische Wilhelms-Universität, Hüfferstr. 27, D-48149 Münster Dr. Vladimir Patras, Pädagogische Fakultät, Komensky-Str. 20, SK-97401 Banskä Bystrica Dr. Oliver Pfefferkorn, Martin Luther Universität Leipzig, Eythraer Str. 60, D-04229 Leipzig Julia Philippi, Dörpfeldstr. 2a, D-22609 Hamburg Kirsten Plog M. A., Überwasserstr. 26, D-48143 Münster Reinhard Rapp, FB Psychologie, Universität Paderborn, Warburger Str. 100, D-33098 Paderborn Dr. Klaus Robering, TU Berlin, Emst-Reuter-Platz 7, D-10587 Berlin
326
Dr. habil. Jolanta Rokoszowa, Lehrstuhl für Allgemeine und Indoeuropäische Sprachwissenschaft, Jagiellonische Universität, Skladowa 12/19, PL-30-010 Krakow HDoz Dr. Eckard Rolf, Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Dr. Peter Rosenberg, Fachbereich Germanistik, FU Berlin, Habelschwerdter Allee 45, D-14195 Berlin Dr. Elisabeth Rudolph, Klaus-Groth-Str. 47, D-22926 Ahrensburg Dr. Udo Sachse, Martin Luther Universität Halle-Wittenberg, Universitätsring 4, D-06108 Halle HDoz. Dr. Jürgen Erich Schmidt, Deutsches Institut, Universität Mainz, Saarstr. 21, D-55122 Mainz Agustin F. Segui, FR 8.6, Universität des Saarlandes, Florastr. l, D-66123 Saarbrücken Dr. Klaus Siewert, Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Hans G. Still, Brotteroder Str. 38, D-12249 Berlin Prof. Dr. Wolfgang Sucharowski, Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Katholische Universität Eichstätt, Ostenstr. 26-28, D-85072 Eichstätt Prof. Dr. Marian Szczodrowski, Universität Szczecin, ul. Kaliny 15/21, PL-71-118 Szczecin Prof. Dr. Gerhard Tschauder, Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum, Postfach 1021148, D-44721 Bochum Dr. habil. Freyr Roland Varwig, Römerstr. 14, D-61352 Bad Homburg Dr. Grazyna Vetulani, Instytut Filologii Romanskiej, AI. Niepodleglosci 4, PL-61874 Poznan Dr. habil. Zygmunt Vetulani, Instytut Matematyki, ul. Mateiki 48/49, PL-60769 Poznan Dr. Rüdiger Vogt, Bahrenfelder Str. 119, D-22765 Hamburg Birgit Vonhoegen, Knobelsdorffstr. 27, D-14059 Berlin Andreas Wagner M. A., FB 02 Ev. Theologie, Johannes Gutenberg-Universität, Saarstr. 21, D-55122 Mainz
327 Dr. Ulrich H. Waßner, Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft, Westfälische WilhelmsUniversität, Bergstr. 29a, D-48143 Münster Dr. Heinrich Weber, Deutsches Seminar, Universität Tübingen, Wilhelmstr. 50, D-72074 Tübingen Prof. Dr. Edda Weigand, Zentrum für Sprachforschung und Sprachlehre, Westfälische Wilhelms-Universität, Bispinghof 3a, D-48143 Münster Prof. Dr. Harald Weydt, Fachbereich Germanistik, FU Berlin, Habelschwerdter Allee 45, D-14195 Berlin Helmut Wiegers, Germanistisches Institut, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Dr. Egbert Woudstra, Vakgroep Toegepaste Taalkunde, University of Twente, Box 217, NL-7500 Enschede AE Prof. Dr. Hengxiang Zhou, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstr. 150, D-44801 Bochum HDoz. Dr. Werner Zillig, Germanistisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität, Johannisstr. 1-4, D-48143 Münster Dr. Lew Zybatow, Stallbaumstr. 13, D-04155 Leipzig