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German Pages 420 [392] Year 2023
Fritz/Schmittmann (Hrsg.) SanInsKG
SanInsKG Kommentar zum sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetz und den Maßnahmen im Insolvenz-, Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie der Energiekrise, Krisen- und Insolvenzstrafrecht und Krisensteuerrecht 3., neu bearb. Auflage
Herausgegeben von Daniel F. Fritz, Frankfurt am Main Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Essen
Bearbeitet von Hasan Canpolat, Dr. Claudia Cymutta, Daniel F. Fritz, Manon Heindorf, Martin Horstkotte, Daniel Leipe, Prof. Dr. Jens M. Schmittmann
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln
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Vorwort Als im Sommer 2020 die Kommentierung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 erschien, war weder für Herausgeber noch für Autoren absehbar, in welchem zeitlichen und tatsächlichen Umfang die Pandemie sowie die staatlicherseits ergriffenen Maßnahmen das wirtschaftliche und persönliche Leben beeinflussen werden. Seinerzeit war aber bereits klar, dass die Pandemie sowie die damit einhergehenden Maßnahmen massiven Einfluss auf die Beratungspraxis haben werden, wobei nicht nur die insolvenz-, gesellschafts- und mietrechtlichen Aspekte eine Rolle spielen, sondern auch steuer- und bilanzrechtliche Bereiche betroffen sind. Als im Herbst 2021 die zweite Auflage unseres Kommentars erschien, standen das COVInsAG sowie die Corona-Steuerhilfegesetze I, II und III im Fokus, da die durch den SARS-CoV-2-Virus ausgelöste Pandemie nach wie vor nicht vorüber war. Die vielerorts befürchtete Insolvenzwelle war allerdings ausgeblieben, gleichwohl sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie vielerorts deutlich spürbar und werden dies auch voraussichtlich noch lange sein. Das Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG) vom 31. Oktober 2022, das Teil des Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters ist, hat die insolvenzrechtlichen Sonderregelungen von der Corona-Pandemie abstrahiert. Im Gesetzgebungsverfahren standen die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und die damit einhergehenden steigenden Energiepreise sowie die hohe Inflation im Vordergrund. Obgleich die Weltgesundheitsorganisation am 5. Mai 2023, die internationale Gesundheitsnotlage aufhob, wird die Pandemie auch in Zukunft noch erheblichen Einfluss auf das Wirtschaftsleben haben. Die dritte Auflage des Kommentars nimmt das Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz als Nachfolgeregelung des COVInsAG in den Fokus. Zudem werden die Maßnahmen im Insolvenz-, Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie der Energiekriese behandelt. Im Bereich des Steuerrechts war nicht nur das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (IV. Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19. Juni 2022 zu berücksichtigen, sondern insbesondere auch die umfassenden Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2022 und die Gesetzgebung zur Stromund Gaspreisbremse. Weiterhin enthält der Kommentar nun eine vollständige Kommentierung des Gesetzes zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrages nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG) vom 16. Dezember 2022. Neu in dieser Auflage ist ferner das von Rechtsanwältin Manon Heindorf, Fachanwältin für Strafrecht, verfasste Kapitel zum Krisenstrafrecht, das nicht nur auf die Besonderheiten nach dem SanInsKG eingeht, sondern umfassend die Risiken der Geschäftsführung in Krise und Insolvenz behandelt.
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Das versierte Autorenteam, das im Wesentlichen aus erfahrenen Praktikern besteht, hat mit großem Engagement und unter Auswertung von Rechtsprechung und Literatur keine Mühen bei der Bearbeitung und Erstellung der Texte gescheut. Wir danken den Bearbeitern für den unermüdlichen Einsatz ebenso wie dem Verlag und Lektorat für die Umsetzung. Allen Rezensenten gilt unser Dank für die umfangreichen und aussagekräftigen Buchbesprechungen. Wir freuen uns auf weitere Rückmeldungen aus dem Kreis unserer Leser. Frankfurt am Main/Essen, Juli 2023
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Daniel F. Fritz Jens M. Schmittman
Inhaltsübersicht Seite Vorwort ....................................................................................................................... V Bearbeiterverzeichnis ............................................................................................... XI Literaturverzeichnis .............................................................................................. XIII
Teil I
Gesetzestexte ............................................................................................. 1
Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG) ...................... 3 Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht .......................................................................... 8 Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 (SRHWInsAG) ............. 10 Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG) ........ 11
Teil II
Kommentierung der zivil-, insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungsund insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG) ....................................................................................................... 15
§ 1
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ................................................ 17
§ 2
Folgen der Aussetzung ............................................................................ 43
§ 3
Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen ................................ 71
§ 4
Prognose- und Planungszeiträume ......................................................... 79
§ 4a
Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung ...................... 109
§5
Anwendung bisherigen Rechts ............................................................. 117
§ 6
Erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren .............................. 133
§ 7
Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung bei Stützungsmaßnahmen anlässlich der COVID-19-Pandemie .............................. 137
VII
Inhaltsübersicht Teil III
Kommentierung sonstiger Krisengesetze .......................................... 141
Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie ............................................................................... 143 § 1
Aktiengesellschaften; Kommanditgesellschaften auf Aktien; Europäische Gesellschaften (SE); Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit ...................................................................................... 143
§ 2
Gesellschaften mit beschränkter Haftung ........................................... 147
§ 3
Genossenschaften .................................................................................. 149
§ 4
Umwandlungsrecht ............................................................................... 175
§ 5
Vereine, Parteien und Stiftungen .......................................................... 177
§ 6
Wohnungseigentümergemeinschaften ................................................. 213
Teil IV
Kommentierung des Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 (SRHWInsAG) .................... 215
§ 1
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht .............................................. 217
§ 2
Verordnungsermächtigung .................................................................... 223
Teil V
Kommentierung des Gesetzes zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG) ................................................................................. 225
§ 1
Regelungsgegenstand ............................................................................. 235
§ 2
Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags ............................................. 239
§ 3
Entstehung des EU-Energiekrisenbeitrags, Besteuerungszeitraum .................................................................................................. 243
§ 4
Bemessungsgrundlage und Steuersatz .................................................. 245
§ 5
Umwandlungsfälle ................................................................................. 251
§ 6
Zuständigkeit ......................................................................................... 253
§ 7
Festsetzung ............................................................................................ 255
Teil VI
Steuerliche Auswirkungen .................................................................. 259
Hilfsmaßnahmen aufgrund der COVID-19-Pandemie sowie der Ukraine- und Energiekrise ............................................................................... 261
VIII
Inhaltsübersicht Teil VII Strafrecht ............................................................................................... 339 Krisen- und Insolvenzstrafrecht – § 283 StGB ...................................................... 341
Stichwortverzeichnis ............................................................................................. 367
IX
Bearbeiterverzeichnis Hasan Canpolat ....................................................................... SanInsKG § 4a, §§ 5 – 7 Rechtsreferendar SRHWInsAG, § 1, § 2 Allen & Overy LLP, Frankfurt a. M. Dr. Claudia R. Cymutta ............................................................. COVGesMG § 3, § 5 Rechtsanwältin Mannheim Daniel F. Fritz ................................................................................. SanInsKG §§ 1 – 7 Rechtsanwalt, Partner Dentons Europe (Germany) GmbH & Co. KG, Frankfurt a. M. Manon Heindorf ....................................................... Krisen- und Insolvenzstrafrecht Rechtsanwältin FAStR Essen Martin Horstkotte .................................................................................... SanInsKG § 3 RiAG a. D., Rechtsanwalt, Of Counsel Dentons Europe (Germany) GmbH & Co. KG, Berlin Daniel Leipe ............................................................................................ SanInsKG § 4 Rechtsanwalt Dentons Europe (Germany) GmbH & Co. KG, Frankfurt a. M. Prof. Dr. Jens M. Schmittmann Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre,
EU-EnergieKBG, §§ 1 – 7 Steuerrecht
Wirtschafts- und Steuerrecht, FOM Hochschule, Essen Rechtsanwalt, Steuerberater, FAStR, FAIns-/SanR, FAHaGesR Mitglied des Senats für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs
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Literaturverzeichnis Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 11. Aufl., 2023 Armbrüster/Preuß/Renner, Beurkundungsgesetz, Kommentar, 9. Aufl., 2022 Bachmann, Private Ordnung, Grundlagen ziviler Regelsetzung, 2006 Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, Kommentar, Bd. 1: 5. Aufl., 2023 Bärmann, WEG, Kommentar, 15. Aufl., 2023 Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 22. Aufl., 2019 Beck’scher Online-Großkommentar Umwandlungsgesetz, hrsg. v. Henssler, Stand: 2023 (zit.: Bearbeiter in: BeckOGK-UmwG) Beck’scher Online-Großkommentar Zivilrecht, Kommentierung zum BGB, hrsg. v. Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Stand: 2023 (zit.: Bearbeiter in: BeckOGK-BGB) Beck’scher Online-Kommentar BGB, hrsg. v. Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 57. Ed. Stand: 1.2.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-BGB) Beck’scher Online-Kommentar GmbHG, hrsg. Ziemons/Jaeger/Pöschke, 43. Ed. Stand: 1.4.2020 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-GmbHG) Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, hrsg. v. Epping/Hillgruber, 42. Ed. Stand: 1.12.2019 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-GG) Beck’scher Online Kommentar HGB, hrsg. v. Häublein/Hoffmann-Theinert, 28. Ed. Stand: 15.4.2020 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-HGB) Beck'scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. v. Fridgen/Geiwitz/ Göpfert, Stand: 15.4.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOGK-InsO) Beck’scher Online-Kommentar Umwandlungssteuergesetz Stand: 1.4.2021 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-UmwStG) Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, hrsg. v. Giesberts/Reinhardt, 54. Ed. Stand: 1.4.2020 (zit.: Bearbeiter in: BeckOK-UmweltR) Bernhardt/Buchholz/Deubert u. a. Rechnungslegung in der Corona-Krise, 2020 Beuthien, Genossenschaftsgesetz, Kommentar, 16. Aufl., 2018 Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, Kommentar, 5. Aufl., 2016 Böttcher/Habighorst/Schulte, Umwandlungsrecht, Kommentar, 2. Aufl., 2019 Braun, InsO, Kommentar, 9. Aufl., 2022 Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 38. Aufl., 2014 (zit.: BGB AT) Creifelds kompakt, Rechtswörterbuch, hrsg. v. Weber, 1. Ed. 2019 (zit.: Rechtswörterbuch Kompakt) Danner/Theobald, Energierecht, Kommentar, 103. EL 2020 Deubert/Förschle/Störk, Sonderbilanzen, Handbuch, 6. Aufl., 2021 XIII
Literaturverzeichnis Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, Kommentar, Bd. 1: 4. Aufl., 2020 Eberspächer, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 241 Nr. 3 AktG, 2009 Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, Kommentar, 2. Aufl., 2019 Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, 2021 Gramlich, Mietrecht, Kommentar, 15. Aufl., 2019 Grigoleit, AktG, Kommentar, 2. Aufl., 2020 Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 82. Aufl., 2023 Habersack/Drinhausen, SE-Recht mit grenzüberschreitender Verschmelzung, Kommentar, 3. Aufl., 2022 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., 2019 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, hrsg. v. A. Schmidt, 9. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: HambKomm-InsO) Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG, Kommentar, 5. Aufl., 2019 Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Kommentar, 5. Aufl., 2019 Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Kommentar, 4. Aufl., 2019 (zit.: Henssler/Strohn-Bearbeiter, GesR) Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, 2020 Hirte/Mülbert/Roth, AktG, Großkommentar, 5. Aufl., 2019 (zit.: Großkomm-AktG) Hölters, AktG, Kommentar, 4. Aufl., 2022 Hüffer/Koch, Aktiengesetz, Kommentar, 14. Aufl., 2020 Hügel/Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 2018 Jauernig, BGB, Kommentar, hrsg. v. Stürner, 18. Aufl., 2021 juris Praxiskommentar BGB, Bd. 2, hrsg. v. Junker/Beckmann/Rüßmann, 9. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: jurisPK-BGB) Kayser/Thole, InsO, Kommentar, 11. Aufl., 2023 Koch, Aktiengesetz, Kommentar, 17. Aufl., 2023 Kölner Handbuch Handels- und Gesellschaftsrecht, hrsg. v. Rechenberg/Ludwig, 4. Aufl., 2017 (zit.: Bearbeiter in: Kölner Hdb. Handels-und Gesellschaftsrecht) Kraemer/Vallender/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Stand 4/2023 Krafka, Registerrecht, Handbuch, 11. Aufl., 2019 Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, Kommentar, Loseblatt, Stand 03/2023 Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Handbuch, 8. Aufl., 2020 Laars/Both, Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), Kommentar, 4. Online-Aufl., 2017 Lackner/Kühl, StGB, Kommentar, 30. Aufl., 2023
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Literaturverzeichnis Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl., 2015 (zit.: SE) Maulbetsch/Klumpp/Rose, Umwandlungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 2017 Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, hrsg. v. Herzog/Scholz/Herdegen/Klein, 100. EL 2023 Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, Kommentar, Bd. 2: 4. Aufl., 2023 Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, Handbuch, 3. Aufl., 2014 (zit.: Bearbeiter in: Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz) Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl., 2013 Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, hrsg. v. Römermann, 4. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter in: MünchAHB GmbHR) Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, hrsg. v. Nerlich/Kreplin, 3. Aufl., 2019 (zit.: Bearbeiter in: MünchAHB Insolvenz und Sanierung) Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, hrsg. v. Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar, Bd. 8: 5. Aufl., 2018 (zit.: Bearbeiter in: MünchHdb. GesR) Münchener Kommentar zum AktG, hrsg. v. Goette/Habersack, Bd. 3, 7: 5. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-AktG) Münchener Kommentar zum BGB, hrsg. v. Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, 9. Aufl., Bd. 1: 2021; Bd. 2: 2022; Bd. 3: 2022; Bd. 8: 2023; Bd. 10: 2023 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-BGB) Münchener Kommentar zum GmbHG, hrsg. v. Fleischer/Goette, 4. Aufl., Bd. 2: 2022; Bd. 3: 2022 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-GmbHG) Münchener Kommentar zur InsO, hrsg. v. Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, Bd. 1, 2: 4. Aufl., 2019 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-InsO) Münchener Kommentar zur ZPO, hrsg. v. Krüger/Rauscher, Bd. 1: 6. Aufl., 2020 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-ZPO) Musielak/Voit, ZPO, Kommentar, 20. Aufl., 2023 Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Kommentar, 47. EL 3/2023 Nolte/Cremer/Kanzler, Homeoffice und das häusliche Arbeitszimmer, 2021 Neuhaus, Handbuch der Geschäftsraummiete, 8. Aufl., 2022 Pannen/Riedemann/Smid, StaRUG – Kommentar, 2021 Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, Kommentar, 4. Aufl., 2012 Prölss/Dreher, Versicherungsaufsichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl., 2018 Reichert/Schimke/Dauernheim, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl., 2018 Römermann, COVID-19 Abmilderungsgesetze, 2020 Römermann, Leitfaden für Unternehmen in der COVID-19 Pandemie, 2020 Roth/Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 9. Aufl., 2019
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Literaturverzeichnis Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen, Handbuch, 5. Aufl., 2017 (zit.: Bearbeiter in: Sagasser/Bula/Brünger, Umwandlungen) Scheurle/Mayen, TKG, Kommentar, 3. Aufl., 2018 Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., 2022 (zit.: Bearbeiter in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb.) Schindler/Schaffner, Virtuelle Beschlussfassungen in Kapitalgesellschaften und Vereinen, 2021 Schmidt, A., COVInsAG, Kommentar, 2. Aufl., 2022 Schmidt, H., COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: H. Schmidt, COVID-19) Schmidt, K., Insolvenzordnung, Kommentar, 20. Aufl., 2023 Schmidt, K./Lutter, AktG, Kommentar, 3. Aufl., 2015 Schmidt-Futterer, Mietrecht, Kommentar, hrsg. v. Blank, 15. Aufl., 2022 Schmitt/Hörtnagl, UmwG, UmwStG, Kommentar, 9. Aufl., 2020 Schmittmann, Haftung von Organen in Krise, Restrukturierung und Insolvenz, 4. Aufl., 2022 (zit.: Haftung der Organe) Scholz, GmbHG, Kommentar, 12. Aufl., 2018 Semler/Stengel/Leonard, Umwandlungsgesetz, Kommentar, 5. Aufl., 2021 Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Kommentar, 53. EL 2019 Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, Kommentar, 4. Aufl., 2019 Spindler/Stilz, AktG, Kommentar, 5. Aufl., 2022 Staudinger, BGB, begr. v. Staudinger, Kommentar, Buch 1 (§§ 90 – 124; §§ 130 – 133): 2017; (§§ 164 – 240): 2019; Buch 2 (§§ 255 – 304): 2019; (§§ 488 – 490; 607 – 610): 2015; (§§ 651a – m): 2015 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl., 2023 Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 12. Aufl., 2021 Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, 174. EL 2023 Tipke/Lang, Steuerrecht, Lehrbuch, 24. Aufl., 2021 Uhlenbruck, InsO, Kommentar, 15. Aufl., Bd. 1: 2019; 16. Aufl., Bd. 2: 2023 Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Großkommentar, 3. Aufl., 2019 Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Handbuch, 13. Aufl., 2021 (zit.: Bearbeiter in: Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern) Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Kommentar, 205. EL 2023 (zit.: UmwR) Zöller, ZPO, Kommentar, 34. Aufl., 2022
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Teil I Gesetzestexte
Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz
Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG) vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 569), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 31. Oktober 2022 (BGBl. I S. 1966) geändert worden ist §1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Fritz
(1) 1Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. 2Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 3War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 4Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. 5 Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. (2) Vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. Dezember 2020 ist allein die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung nach Maßgabe des Absatzes 1 ausgesetzt. (3) 1Vom 1. Januar 2021 bis zum 30. April 2021 ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach Maßgabe des Absatzes 1 für die Geschäftsleiter solcher Schuldner ausgesetzt, die im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 28. Februar 2021 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt haben. 2War eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des Zeitraums nicht möglich, gilt Satz 1 auch für Schuldner, die nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten fallen. 3Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist. §2 Folgen der Aussetzung Fritz
(1) Soweit nach § 1 Abs. 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, 1.
gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Ge3
Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz schäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, des § 92 Absatz 2 Satz 2 des Aktiengesetzes, des § 130a Absatz 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1, des Handelsgesetzbuchs und des § 99 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes vereinbar; 2.
gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend; dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht aber deren Besicherung; § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a der Insolvenzordnung finden insoweit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, keine Anwendung;
3.
sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen;
4.
sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Entsprechendes gilt für a) Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber; b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners; c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist; d) die Verkürzung von Zahlungszielen;
5.
gelten die bis zum 31. März 2022 erfolgten Zahlungen auf Forderungen aufgrund von bis zum 28. Februar 2021 gewährten Stundungen als nicht gläubigerbenachteiligend, sofern über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren bis zum Ablauf des 18. Februar 2021 noch nicht eröffnet worden ist.
(2) Absatz 1 Nummer 2 bis 5 gilt auch für Unternehmen, die keiner Antragspflicht unterliegen, sowie für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind. (3) Absatz 1 Nummer 2 und 3 gilt im Fall von Krediten, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der COVID-19-Pandemie gewährt werden, auch dann, wenn der Kredit nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird, und unbefristet für deren Rückgewähr. (4) 1Soweit nach § 1 Absatz 2 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist und keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist Absatz 1 anwendbar. 2Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. 3Absatz 3 bleibt unberührt. 4
Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (5) Ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 1 Absatz 3 ausgesetzt, gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend, jedoch Absatz 1 Nummer 1 nur mit der Maßgabe, dass an die Stelle der darin genannten Vorschriften § 15b Absatz 1 bis 3 der Insolvenzordnung tritt. §3 Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen Horstkotte
Bei zwischen dem 28. März 2020 und dem 28. Juni 2020 gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. §4 Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung Fritz/Leipe
Abweichend von § 19 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung ist zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 anstelle des Zeitraums von zwölf Monaten ein Zeitraum von vier Monaten zugrunde zu legen, wenn die Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Dies wird vermutet, wenn 1.
der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war,
2.
der Schuldner in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist. § 4a Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung Canpolat
In dem Zeitraum vom 9. November 2022 bis einschließlich 31. Dezember 2023 tritt an die Stelle des in § 15a Absatz 1 Satz 2 der Insolvenzordnung genannten Zeitraums von sechs Wochen ein Zeitraum von acht Wochen. §5 Anwendung bisherigen Rechts Fritz/Canpolat
(1) Auf Eigenverwaltungsverfahren, die zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 beantragt werden, sind, soweit in den folgenden Absätzen und § 6 nichts anderes bestimmt ist, die §§ 270 bis 285 der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. (2) Die Insolvenzreife gilt als auf die COVID-19-Pandemie zurückführbar, wenn der Schuldner eine von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellte Bescheinigung vorlegt, aus der sich ergibt, dass 1.
der Schuldner am 31. Dezember 2019 weder zahlungsunfähig noch überschuldet war, 5
Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz 2.
der Schuldner in dem letzten vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn die nach Satz 1 Nummer 2 und 3 zu bescheinigenden Voraussetzungen zwar nicht oder nicht vollständig vorliegen, aus der Bescheinigung jedoch hervorgeht, dass aufgrund von Besonderheiten, die im Schuldner oder in der Branche, der er angehört, begründet sind oder aufgrund sonstiger Umstände oder Verhältnisse, dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Insolvenzreife auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. (3) Die Insolvenzreife gilt auch als auf die COVID-19-Pandemie zurückführbar, wenn der Schuldner im Eröffnungsantrag darlegt, dass keine Verbindlichkeiten bestehen, die am 31. Dezember 2019 bereits fällig und zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestritten waren. Die Erklärung zur Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben nach § 13 Absatz 1 Satz 7 der Insolvenzordnung muss sich auch auf die Angaben nach Satz 1 beziehen. (4) Erlangt das Gericht Kenntnis davon, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners nicht auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, kann es auch aus diesem Grund 1.
anstelle des vorläufigen Sachwalters einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen,
2.
die Anordnung nach § 270b Absatz 1 der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung vor Ablauf der Frist aufheben, oder
3.
die Anordnung der Eigenverwaltung aufheben.
(5) Ordnet das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung oder Eigenverwaltung an, kann es zugleich anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter oder den Sachwalter bedürfen. (6) Die Annahme von Nachteilen für die Gläubiger kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner keine Vorkehrungen zur Sicherstellung seiner Fähigkeit zur Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten getroffen hat. (7) Ordnet das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung oder Eigenverwaltung an, so ist die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung anzuwenden. Dies gilt auch, wenn die vorläufige Eigenverwaltung oder Eigenverwaltung aufgehoben wird. §6 Erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren Fritz/Canpolat
Die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners steht der Anwendung des § 270b der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung bei einem zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 gestellten Insolvenzantrag nicht entgegen, wenn in der Bescheinigung nach § 270b Absatz 1 Satz 3 der Insol-
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Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz venzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung auch bestätigt wird, dass 1.
der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war,
2.
der Schuldner in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn die nach Satz 1 Nummer 2 und 3 zu bescheinigenden Voraussetzungen zwar nicht oder nicht vollständig vorliegen, aus der Bescheinigung jedoch hervorgeht, dass aufgrund von Besonderheiten, die im Schuldner oder in der Branche, der er angehört, begründet sind oder aufgrund sonstiger Umstände oder Verhältnisse, dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Zahlungsunfähigkeit auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. § 5 Absatz 7 gilt entsprechend. §7 Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung bei Stützungsmaßnahmen anlässlich der COVID-19-Pandemie Fritz/Canpolat
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Der Umstand, dass Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen stehen, die im Rahmen von staatlichen Programmen zur Bewältigung der COVID19-Pandemie gewährt wurden, ist für sich allein kein geeignetes Kriterium für die Einbeziehung in den Restrukturierungsplan nach § 8 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes oder die Abgrenzung der Gruppen nach § 9 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes oder § 222 der Insolvenzordnung. 2Staatliche Leistungen im Sinne von Satz 1 sind sämtliche Finanzhilfen einschließlich der Gewährung von Darlehen und die Übernahme einer Bürgschaft, einer Garantie oder eine sonstige Übernahme des Ausfallrisikos bezüglich von Forderungen Dritter, die durch öffentliche Anstalten, Körperschaften oder Rechtsträgern öffentlicher Sondervermögen sowie im Mehrheitsbesitz des Bundes, der Länder oder der Kommunen stehenden Rechtsträger gewährt werden. 3Soweit im Rahmen einer staatlichen Leistung das Ausfallrisiko übernommen worden ist, ist die besicherte Forderung als eine Forderung anzusehen, die nach Satz 1 im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen steht.
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Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie
Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht Vom 27. März 2020 BGBl. I S. 569 vom 27. März 2020 Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 2 Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie §3 Genossenschaften (1) 1Abweichend von § 43 Absatz 7 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes können Beschlüsse der Mitglieder auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist. 2Der Vorstand hat in diesem Fall dafür zu sorgen, dass der Niederschrift gemäß § 47 des Genossenschaftsgesetzes ein Verzeichnis der Mitglieder, die an der Beschlussfassung mitgewirkt haben, beigefügt ist. 3Bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, ist die Art der Stimmabgabe zu vermerken. 4Die Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung kann unbeschadet der Regelungen in § 51 Absatz 1 und 2 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf technische Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung nach Satz 1 zurückzuführen sind, es sei denn, der Genossenschaft ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. (2) Abweichend von § 46 Absatz 1 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes kann die Einberufung im Internet auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform erfolgen. (3) Abweichend von § 48 Absatz 1 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes kann die Feststellung des Jahresabschlusses auch durch den Aufsichtsrat erfolgen. (4) Der Vorstand einer Genossenschaft kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats nach pflichtgemäßem Ermessen eine Abschlagszahlung auf eine zu erwartende Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens eines ausgeschiedenen Mitgliedes oder eine an ein Mitglied zu erwartende Dividendenzahlung leisten; § 59 Absatz 2 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. (5) 1Ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt. 2Die Anzahl der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft darf weniger als die durch Gesetz oder Satzung bestimmte Mindestzahl betragen.
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Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (6) Sitzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft sowie gemeinsame Sitzungen des Vorstands und des Aufsichtsrats können auch ohne Grundlage in der Satzung oder in der Geschäftsordnung im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden. §5 Vereine, Parteien und Stiftungen Cymutta Cymutta
(1) Ein Vorstandsmitglied eines Vereins oder einer Stiftung bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt. (2) Abweichend von § 32 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung vorsehen, dass Vereinsmitglieder 1.
an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können oder müssen,
2.
ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abgeben können.
(2a) Abweichend von § 36 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist der Vorstand nicht verpflichtet, die in der Satzung vorgesehene ordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen und die Durchführung der Mitgliederversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder nicht zumutbar ist. (3) Abweichend von § 32 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder gültig, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde. (3a) Die Absätze 2 und 3 gelten auch für den Vorstand von Vereinen und Stiftungen sowie für andere Vereins- und Stiftungsorgane. (4) Absatz 1 gilt für Vorstandsmitglieder und Vertreter in den sonstigen Organen und Gliederungen der Parteien entsprechend. Absatz 2 Nummer 1 gilt für Mitglieder- und Vertreterversammlungen der Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonstigen Organe entsprechend. Dies gilt nicht für die Beschlussfassung über die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Absatz 4 des Parteiengesetzes. Die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung im Wege der Briefwahl oder auch zeitlich versetzt als Urnenwahl an verschiedenen Orten zulassen. § 17 Satz 2 des Parteiengesetzes bleibt unberührt.
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Gesetz Aussetzung Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen/Hochwassern
Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 (SRHWInsAG) Vom 10. September 2021 BGBl. I, S. 4147 §1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung und § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und solange dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ist längstens bis zum 31. Januar 2022 ausgesetzt. §2 Verordnungsermächtigung Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht längstens bis zum 30. April 2022 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, aufgrund andauernder Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen oder aufgrund sonstiger Umstände geboten erscheint.
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EU-Energiekrisenbeitragsgesetz
Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG) vom 16. Dezember 2022 BGBl. I S. 2294, 2325 §1 Regelungsgegenstand (1) Nach Kapitel III der Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6. Oktober 2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise (ABl. L 261I vom 7.10.2022, S. 1) unterliegen Gewinne nach § 4 Absatz 1 Satz 1 von im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen und Betriebsstätten der Union ungeachtet der Besteuerung nach dem Einkommen- oder dem Körperschaftsteuergesetz einem befristeten obligatorischen EU-Energiekrisenbeitrag. (2) Dieses Gesetz regelt die Einführung des EU-Energiekrisenbeitrags in Deutschland. (3) Das Aufkommen steht dem Bund zu und ist entsprechend den Vorgaben gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) 2022/1854 zu verwenden. Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine Steuer im Sinne der Abgabenordnung. §2 Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags (1) Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags ist jedes Unternehmen, das im Besteuerungszeitraum nach § 3 Absatz 2 mindestens 75 Prozent seines Umsatzes durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielt. Die Prüfung ist wirtschaftsjahrbezogen vorzunehmen. Ein Rumpfwirtschaftsjahr ist zu berücksichtigen, wenn diesem kein weiteres Wirtschaftsjahr folgt. (2) Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ist unabhängig von seiner Rechtsform jedes gewerbliche Unternehmen, soweit es im Inland betrieben wird. Im Inland betrieben wird ein Unternehmen, soweit im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. § 1 Absatz 3 des Körperschaftsteuergesetzes gilt entsprechend. Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 ist die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik (ABl. L 393 vom 30.12.2006, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/ 1243 (ABl. L 198 vom 25.7.2019, S. 241) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. §3 Entstehung des EU-Energiekrisenbeitrags, Besteuerungszeitraum (1) Der EU-Energiekrisenbeitrag entsteht mit Ablauf des Besteuerungszeitraums.
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EU-Energiekrisenbeitragsgesetz (2) Besteuerungszeitraum ist das erste nach dem 31. Dezember 2021 beginnende volle Wirtschaftsjahr (Besteuerungszeitraum 1) sowie das darauffolgende volle Wirtschaftsjahr (Besteuerungszeitraum 2). Ein volles Wirtschaftsjahr im Sinne des Satzes 1 umfasst einen Zeitraum von zwölf Monaten. §4 Bemessungsgrundlage und Steuersatz (1) Bemessungsgrundlage für den EU-Energiekrisenbeitrag ist der Betrag in Höhe der positiven Differenz, um den der nach einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Vorschriften ermittelte steuerliche Gewinn für den Besteuerungszeitraum nach § 3 den um 20 Prozent erhöhten Durchschnitt des steuerlichen Gewinns in den nach dem 31. Dezember 2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wirtschaftsjahren, die zwölf Monate umfassen, übersteigt. Ist der Durchschnitt der steuerlichen Gewinne in den nach dem 31. Dezember 2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wirtschaftsjahren, die zwölf Monate umfassen, negativ, so beträgt der durchschnittliche steuerliche Gewinn null. Entsprechendes gilt für Unternehmen, deren Gewinn nach dem 31. Dezember 2021 erstmals der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer unterliegt. Ist im steuerlichen Gewinn ein Gewinnanteil einer ausländischen Betriebsstätte oder ein Hinzurechnungsbetrag im Sinne des § 10 Absatz 2 des Außensteuergesetzes enthalten und wurde auf diesen Gewinnanteil oder auf die dem Hinzurechnungsbetrag zugrundeliegenden passiven Einkünfte ein Solidaritätsbeitrag oder eine Abgabe aufgrund einer gleichwertigen nationalen Maßnahme im Sinne des Artikels 14 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/1854 erhoben, mindert sich insoweit der steuerliche Gewinn im Sinne dieses Absatzes. (2) Die nach Absatz 1 Satz 1 maßgebenden Gewinne mindern sich um darin enthaltene Anteile am Gewinn einer in- oder ausländischen offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind, wenn diese Gesellschaften selbst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 erfüllen. Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine sonstige Personensteuer im Sinne des § 10 Nummer 2 des Körperschaftsteuergesetzes und des § 12 Nummer 3 des Einkommensteuergesetzes. (3) Der EU-Energiekrisenbeitrag beträgt 33 Prozent der Bemessungsgrundlage nach Absatz 1 Satz 1. §5 Umwandlungsfälle Weist das Unternehmen nach, dass der Betrag nach § 4 Absatz 1 Satz 1 ganz oder zum Teil Folge einer Umwandlung ist, ist die Bemessungsgrundlage entsprechend zu korrigieren. Fällt ein Unternehmen infolge einer Umwandlung aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes heraus oder ist die Bemessungsgrundlage des übertragenden und übernehmenden Rechtsträgers zusammen niedriger als ohne die Umwandlung, ist die Besteuerung so vorzunehmen, als wäre die Umwandlung nicht erfolgt.
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EU-Energiekrisenbeitragsgesetz §6 Zuständigkeit Für die Verwaltung des EU-Energiekrisenbeitrags ist das Bundeszentralamt für Steuern zuständig. §7 Festsetzung (1) Das Unternehmen hat für das betroffene Wirtschaftsjahr des Besteuerungszeitraums nach § 3 eine Steuererklärung nach amtlichem Vordruck zu übermitteln, in der der EU-Energiekrisenbeitrag selbst zu berechnen ist (Steueranmeldung). Die Steuer ist bis zum Ablauf der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für die Einkommen- oder Körperschaftsteuer oder der Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung des betroffenen Kalenderjahres anzumelden. Ändert sich die Bemessungsgrundlage nach § 4 Absatz 1, ist unverzüglich eine geänderte Steueranmeldung abzugeben. (2) Der EU-Energiekrisenbeitrag ist am zehnten Tag nach Abgabe der Anmeldung fällig und bis dahin zu entrichten. Wird der EU-Energiekrisenbeitrag abweichend von der Steueranmeldung nach § 155 der Abgabenordnung höher festgesetzt, ist der Unterschiedsbetrag einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig und bis dahin zu entrichten. Wird der EU-Energiekrisenbeitrag auf Grund unterbliebener Abgabe einer Anmeldung nach § 155 in Verbindung mit § 167 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung festgesetzt, so ist der EU-Energiekrisenbeitrag einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig und bis dahin zu entrichten. (3) Bei der Anmeldung oder Festsetzung des EU-Energiekrisenbeitrags sind die nach § 4 maßgeblichen Gewinne so zu berücksichtigen, wie sie bei der Festsetzung der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer oder der gesonderten Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung der Jahre 2018 bis 2024 zu Grunde gelegt worden sind; § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 der Abgabenordnung sowie § 42 der Finanzgerichtsordnung gelten entsprechend. Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Festsetzung nur insoweit abweichend von Satz 1 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung eines maßgeblichen Steuer- oder Feststellungsbescheids ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer oder des festzustellenden Betrags unterbleibt. (4) Auf Anforderung des Bundeszentralamtes für Steuern teilen die jeweils zuständigen Landesfinanzbehörden Daten zur Prüfung der Steuerpflicht und die für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitrags maßgeblichen Daten mit. Wird eine für die Bestimmung des EU-Energiekrisenbeitrags maßgebliche Festsetzung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer oder eine gesonderte Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung nach der Datenübermittlung nach Satz 1 aufgehoben oder geändert, sind dem Bundeszentralamt für Steuern die nunmehr maßgeblichen Daten unaufgefordert mitzuteilen.
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Teil II Kommentierung der zivil-, insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG) § 1 Abs. 2 angef. mWv. 1. Oktober 2020 durch Gesetz v. 25. September 2020, BGBl. I S. 2016; Abs. 3 angef. mWv. 1. Januar 2021 durch Gesetz v. 22. Dezember 2020, BGBl. I S. 3256; Abs. 3 S. 1 geänd. mWv. 1. Februar 2021 durch Gesetz v. 15. Februar 2021, BGBl. I S. 237; zul. geänd. mWv. 8. November 2022 durch Gesetz v. 31. Oktober 2022, BGB. I S. 1966.
§1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Fritz
(1) 1Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a der Insolvenzordnung und nach § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. 2Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 3War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. 4Ist der Schuldner eine natürliche Person, so ist § 290 Absatz 1 Nummer 4 der Insolvenzordnung mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf die Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. September 2020 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden kann. 5Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. (2) Vom 1. Oktober 2020 bis zum 31. Dezember 2020 ist allein die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung nach Maßgabe des Absatzes 1 ausgesetzt. (3) 1Vom 1. Januar 2021 bis zum 30. April 2021 ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach Maßgabe des Absatzes 1 für die Geschäftsleiter solcher Schuldner ausgesetzt, die im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 28. Februar 2021 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID19-Pandemie gestellt haben. 2War eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des Zeitraums nicht möglich, gilt Satz 1 auch für Schuldner, die nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten fallen. 3Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist. Literatur: Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Stand 9.11.2022; Bitter, Corona und die Folgen nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), ZIP 2020, 685; Bork, Pflichten der Geschäftsführung in Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Bornemann, Insolvenzrechtliche Aspekte des Maßnahmenpakets zur Stabilisierung der Wirtschaft, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1; Brünkmans, Anforderungen an eine Sanierung nach dem COVInsAG, ZInsO 2020, 797; Drukarczyk/Schüler, Eröffnungsgründe: drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, ZInsO 2017, 61; Ehlers, Der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit, ZInsO 2005, 169; Fleischer, Vertrauen von Geschäftsleitern und Aufsichtsratsmitgliedern auf Informationen Dritter, ZIP 2009, 1397; Fritz, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVInsAG und ihre Folgen in der Praxis, ZRI 2020, 217; Gehrlein, Rechtliche Stabilisierung von Unternehmen durch Anpassung insolvenzrechtlicher Vorschriften in Zeiten der Corona-Pandemie, DB 2020, 713; Gessner, Insolvenzanträge des GmbH-Geschäftsführers bei drohender Zahlungsunfähigkeit entgegen dem Gesellschafterwillen?, NZI 2018, 185; Heinrich, Quo Vadis? – Die Insolvenzantragspflicht in Zeiten der COVID19-Pandemie, NZI 2021, 71; Hölzle/Schulenberg, Das „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer
Fritz
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§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)“ – Kommentar, ZIP 2020, 633; Jahn, Verzögerte Corona-Finanzhilfen und die Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht, NZI 2021, 75; Jarchow/ Hölken, Das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz sowie weitere Maßnahmen des Gesetzgebers und der Bundesregierung zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, ZInsO 2020, 730; Jungmann, Die Business Judgment Rule im Gesellschaftsinsolvenzrecht – Wider eine Haftungsprivilegierung im Regelinsolvenzverfahren und in der Eigenverwaltung, NZI 2009, 80; Korch, Sanierungsverantwortung von Geschäftsleitern, ZGR 2019, 1050; Leinekugel/Skauradszun, Geschäftsführerhaftung bei eigenmächtig gestelltem Insolvenzantrag wegen bloß drohender Zahlungsunfähigkeit, GmbHR 2011, 1121; Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Stand: 45. EL April 2022; Paulus/Undritz/Schulte-Kaubrügger, Corona, das Insolvenzrecht, und was man daraus lernen sollte, ZIP 2020, 699; Poertzgen, Der Zweck heiligt die Mittel – Ein Zwischenruf zum COVInsAG, ZInsO 2020, 825; Rath, Das COVID-19Insolvenz-Aussetzungsgesetz – wichtige Erleichterungen in der coronabedingten Krise, aber kein Allheilmittel, BB Heft 17/2020, S. I; Römermann, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im COVInsAG und ihre Folgen, NJW 2020, 1108; Schluck-Amend, Änderungen im Insolvenzrecht durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz, NZI 2020, 289; Schülke, Corona-Virus – Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, Absicherung von Kreditgebern, DStR-Beih. 14/2020, S. 3; Theiselmann, Insolvenz- und gesellschaftsrechtliche Aspekte der GF-Haftung in der Unternehmenskrise, GmbH-StB 2020, 122. Übersicht I.
Rechtslage vor dem SanInsKG und Intention des Gesetzgebers ......... 1 II. Entwicklung der Vorschrift .............. 12 III. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.9.2020 (Abs. 1) .... 16 1. Persönlicher, zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich .......... 16 2. Gesetzestechnik (Grundsatz – Ausnahme – Vermutung) ................... 23 3. Aussetzung der Antragspflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 SanInsKG) ..... 25 4. Vermutung in § 1 Abs. 1 Satz SanInsKG ..................................... 34 5. Restschuldbefreiung ............................ 40 6. Widerlegung der Vermutung und Beweislastverteilung ............................ 41 7. Unmittelbare Folgen einer Aussetzung der Antragspflicht .......... 47 a) Fortbestand von Antragsrechten .... 47 b) Auswirkungen auf die Eigenverwaltung und die Sanierung mittels Insolvenz bzw. auf freiwillige Insolvenzanträge ........ 49
I. 1
c) Fortbestand von Anzeigepflichten ........................................ 57 d) Entfallen der deliktischen Verschleppungshaftung ............... 58 e) Weitgehender Fortbestand des Insolvenzstrafrechts .............. 59 f) Praxishinweis ................................ 61 IV. Rechtslage vom 1.10.2020 bis 31.12.2020 (Abs. 2) ....................... 64 V. Rechtslage vom 1.1.2021 bis 31.1.2021 (Abs. 3 a. F.) ................. 67 1. Allgemeines ......................................... 67 2. Aussetzung bei Antragstellung (Satz 1) ................................................. 68 3. Aussetzung bei Unmöglichkeit der Antragstellung (Satz 2) ................ 72 4. Insolvenzantragspflicht bei fehlender Antragsberechtigung (Satz 3) ................................................. 74 VI. Rechtslage vom 1.2.2021 bis 30.4.2021 (Abs. 3 n. F.) ................. 78
Rechtslage vor dem SanInsKG und Intention des Gesetzgebers
Das als spezielles Kriseninsolvenzrecht zunächst im Zuge der COVID-19 Pandemie in Kraft getretene COVInsAG scheint auf dem ersten Blick kein großer Wurf gewesen zu sein. Vielmals wurde es als kurzsichtiges Schlechtwettergesetz abgetan, das den Wirtschaftsmarkt verzerren würde, indem es sog. „Zombieunternehmen“ begünstigen würde. Dabei stand der Gesetzgeber insbesondere zu Beginn der Corona18
Fritz
§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Pandemie vor erheblichen Unwägbarkeiten hinsichtlich der Dauer der Pandemie. Die Hoffnung, die Corona-Pandemie sei nur eine kurze, wenngleich harte Epsiode und wirtschaftliche Interruption von kurzer Dauer, war groß. Aus diesem Grund entschied man sich dazu, neben den drastischen Maßnahmen, etwa zur Schließung von nicht lebensnotwendigen Einrichtungen, ebenso drastische Gesetzesänderungen in Angriff zu nehmen, um die wirtschaftlichen Folgen abzumildern.1) Auch im Zuge der Starkregenfälle und des Hochwassers im Juli 2021 entschloss sich der Gesetzgeber mit dem SRHWInsAG2) dazu, die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen auszusetzen, wenn der Eintritt des Insolvenzgrundes auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 beruhte (zur Kommentierung siehe die Kommentierung zu § 1 sowie § 2 SRHWInsAG [Canpolat]).
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Mit Beginn des Ukraine-Krieges durch Russland am 24.2.2022 zeichnete sich allerdings schon die nächste Krise ab. Diesmal betraf es v. a. den Energiemarkt, konkret: die Gaslieferungen aus Russland. Geringere Liefermengen und die Unsicherheit auf dem Energiemarkt, ob Russland weiterhin sein Gas an EU-Staaten liefern würde, ließen Energiepreise in die Höhe schießen. Hiervon betroffen waren nicht nur große Konzerne, sondern auch die Bäckerei, das Krankenhaus, das Bistro von nebenan. Eine ernstzunehmende Hoffnung, dass sich die Krise schnell lösen ließe, bestand bereits zu Beginn des Krieges nicht, sodass auch die Dauer des Konflikts nicht abzusehen war. Anstatt wie beim COVAbmildG und SRHWInsAG mit einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu reagieren, entschied sich der Gesetzgeber dazu, der schwierigeren Planbarkeit von Einnahmen und Ausgaben mit einer Verkürzung der Planungs- und Prognosezeiträume durch das „Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes“ vom 31.10.2022 bzw. dessen Art. 9 zu begegnen (siehe dazudie Kommentierungen zu § 4 SanInsKG [Fritz/Leipe] sowie § 4a SanInsKG [Canpolat]). Das SanInsKG soll damit nunmehr vom speziellen zum allgemeinen Kriseninsolvenzrecht mutieren.
3
Die eigentliche Wirkung des SanInsKG und seiner pandemiebezogenen Regelungen zeigen sich nun erst einige Zeit nach Inkrafttreten des COVInsAG in der gerichtlichen Praxis: Immer mehr Urteile ergehen mit Bezug zu den Privilegierungen durch das COVInsAG, die dem Schuldner, dessen Krise im Wesentlichen auf den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie beruht, bei der Fortführung durch die Pandemie unterstützen sollten. Wenngleich die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ für beendet erklärt worden ist, wirken die Privilegierungen des SanInsKG teilweise bis zum heutigen Tage nach bzw. werden diese weiterhin Gegenstand der Rechtssprechung sein.
4
_____________ 1)
2)
Dies wird durch den Titel des Gesetzes unterstrichen: „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 27.3.2020 (BGBl. I, 569 vom 27.3.2020; auch „COVAbmildG“). Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 vom 10.9.2021 (BGBl. I, 4147 vom 10.9.2021; hier abgekürzt als SRHWInsAG).
Fritz
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§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
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Um die Folgen der in § 1 SanInsKG geregelten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu verstehen, ist demnach zunächst zu rekapitulieren, welche Konsequenzen vor Inkrafttreten des SanInsKG an den Eintritt einer materiellen Insolvenz i. S. der InsO, also an Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung geknüpft wurden: Im Falle der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) einer juristischen Person (insbesondere AG, GmbH, SE, SCE, eG und KGaA) haben die Mitglieder des Verwaltungsorgans (z. B. Vorstand, GmbH-Geschäftsführer) unverzüglich, spätestens jedoch drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO).3) Gleiches gilt für die organschaftlichen Vertreter von Personengesellschaften (insbesondere GbR, OHG, KG), für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter – unmittelbar oder mittelbar – unbeschränkt haftet, z. B. für die GmbH & Co. KG (§ 15a Abs. 1 Satz 2 InsO).
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Eine Verletzung dieser Antragspflicht ist im Regelfall strafbar (§ 15a Abs. 4 – 6 InsO) und zieht obendrein eine persönliche Haftung des Antragspflichtigen nach sich (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO). Hinzu treten bereits bei Insolvenzreife einsetzende erhebliche persönliche Ersatzpflichten (z. B. gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a. F. bzw. § 15b InsO). Teilnehmern an einer Insolvenzverschleppung (z. B. Sanierungsberatern, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern oder Rechtsanwälten) droht ebenfalls die Haftung (§§ 830 Abs. 2, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO). Ob sich das Haftungsrisiko verwirklicht, hängt oftmals von – in der jetzigen Situation besonders schwierigen – Prognose- und Planungsfragen ab. Insbesondere bei der Prüfung, ob die Fortführung des Unternehmens (noch) überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO) lassen sich in Folge der Pandemie nur schwer belastbare Aussagen treffen. Auf den Schutz einer D&O-Versicherung ist in solchen Fällen auch nicht immer Verlass.4) Darüber hinaus wären jedenfalls nach bisherigem Recht auch die Gläubiger berechtigt, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 14 InsO).
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In der Unternehmenskrise gestaltet sich die Zuführung neuer liquider Mittel oft schwierig: Banken sollten bislang Neukredite nur gewähren, wenn die für einen Überbrückungskredit (nur zeitlich befristete Kreditvergabe zwecks Prüfung der Sanierungsfähigkeit)5) bzw. einen Sanierungskredit (insbesondere Kreditvergabe nur auf Grundlage eines Sanierungskonzepts)6) bestehenden Voraussetzungen vorliegen, anderenfalls droht auch ihnen Haftung (z. B. gemäß § 826 BGB) sowie die Kondiktion bzw. Anfechtung gestellter Sicherheiten oder die Anfechtung der Darlehensrückzahlung.7) Auch insoweit spielen Prognose- und Planungsfragen eine wesentliche Rolle. Gesellschafterdarlehen sind – krisenunabhängig – grundsätzlich _____________ 3) 4) 5) 6) 7)
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Zu Vereinen, Stiftungen und insolvenzfähigen Personen öffentlichen Rechts vgl. die entsprechenden Regelungen in § 42 Abs. 2, §§ 86 und 89 BGB. Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2018 – I-4 U 93/16, NZG 2018, 1310. Vgl. z. B. Bornheimer/Westkamp in: MünchAHB Insolvenz und Sanierung, § 29 Rz. 41 ff. Vgl. z. B. Bornheimer/Westkamp in: MünchAHB Insolvenz und Sanierung, § 29 Rz. 27 ff. Vgl. für den Sanierungskredit z. B. Bornheimer/Westkamp in: MünchAHB Insolvenz und Sanierung, § 29 Rz. 37 ff., sowie Häuser in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHdb., § 85 Rz. 87 ff., 109 ff.
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§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
nachrangig (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), ihre Besicherung oder Rückführung erleichtert anfechtbar (§ 135 InsO). Wirtschaftlich werden sie damit Eigenkapital weitgehend gleichgestellt. Auch Geschäftspartner des Krisenunternehmens stehen vor Herausforderungen: Um nicht im Falle einer Insolvenz auszufallen, sind ungesicherte Vorleistungen zu vermeiden. Lieferanten stellen oft auf Vorkasse um. Indes: Im Insolvenzfall besteht dennoch die Gefahr, die bereits erhaltenen Leistungen infolge einer Insolvenzanfechtung zurückgewähren zu müssen (§ 143 Abs. 1 InsO). Die wiederauflebende Forderung (§ 144 Abs. 1 InsO) ist in der Regel Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und wirtschaftlich weitgehend wertlos.
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Um den aufgrund der COVID-19-Pandemie in Bedrängnis geratenen Unternehmen zu helfen, haben der Bund und die Länder beträchtliche Mittel bereitgestellt.8) Die Verfahren zum Abruf dieser Mittel mussten sich jedoch erst einspielen und griffen und greifen nicht immer. Überdies ist mit zahlreicher Inanspruchnahme und damit einhergehenden Verfahrensverzögerungen zu rechnen. Angesichts der starren dreiwöchigen Antragshöchstfrist (§ 15a Abs. 1 Satz 2 InsO) steht daher zu befürchten, dass die staatliche Hilfe zu spät kommt und zahlreiche Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen müssen.
9
Ziel des SanInsKG ist es, die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben.9) Darüber hinaus erkennt der Gesetzgeber, dass es schwierig ist, verlässliche Prognosen und Planungen zu erstellen, was – aufgrund der damit verbundenen Haftungs- und Anfechtungsrisiken – die Bereitschaft, Kredite zu gewähren, zusätzlich hemmt.10) Den betroffenen Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertretern soll Zeit gegeben werden, die notwendigen Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu treffen, insbesondere staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen oder Finanzierungs- oder Sanierungsarrangements mit Gläubigern und Kapitalgebern zu treffen.11)
10
Durch eine Einschränkung von Haftungs- und Anfechtungsrisiken sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass den Unternehmen Sanierungskredite gewährt werden können und die Geschäftsverbindungen zu ihnen nicht abgebrochen werden.12) Dabei sollen auch die Geschäftsleiter, die nur schwer oder gar nicht mehr belastbare Prognoseentscheidungen treffen können, sie aber zu treffen
11
_____________ 8) Sog. Corona-Schutzschild; dazu BMF, https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/ Themen/Schlaglichter/Corona/corona.html; vgl. NZZ, Deutschland bringt die wirtschaftspolitische Bazooka gegen Corona in Stellung, v. 13.3.2020, https://www.nzz.ch/wirtschaft/ corona-deutschland-faehrt-wirtschaftspolitische-bazooka-auf-ld.1546295 (Abrufdatum jew. 18.5.2020); im Detail Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, II., aber auch Jarchow/ Hölken, ZInsO 2020, 730. 9) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 3, 17; Bornemann, jurisPR-InsR 9/ 2020 Anm. 1, III. 10) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 17. 11) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 17. 12) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 17.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
haben, geschützt werden.13) Der Gesetzgeber verfolgt dieses Ziel durch eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB (§ 1 SanInsKG), an die weitere – haftungs- und anfechtungsrechtliche – Privilegien anknüpfen (§ 2 SanInsKG), die aber teilweise auch unabhängig von den Voraussetzungen für die Aussetzung der Antragspflicht gelten (vgl. § 2 Abs. 2 SanInsKG). Die Aussetzung nach § 1 SanInsKG ist gleichwohl Kern- und Angelpunkt des SanInsKG, denn sie bildet auch den Anknüpfungspunkt der weiteren anfechtungs- und haftungsrechtlichen Folgen des § 2 SanInsKG, aber auch dessen § 3. II. Entwicklung der Vorschrift 12
In der Urfassung des SanInsKG bestand § 1 SanInsKG – zu jener Zeit noch als COVInsAG – lediglich aus dem heutigen Absatz 1. Der zeitliche Rahmen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht reichte demnach lediglich bis zum 30.9.2020.
13
Angesichts der im Zeitpunkt des Erlasses des COVAbmildG unvorhersehbaren Entwicklung des Pandemiegeschehens, hat der Gesetzgeber seinerzeit die Möglichkeit der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht mittels einer durch das BMJV zu erlassenden Verordnung angelegt, vgl. § 4 SanInsKG a. F. Vor dem Hintergrund dessen, dass die Voraussetzungen und die Reichweite der Verordnungsermächtigung durchaus kritisch gesehen wurde14) und ferner, weil die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht lediglich für überschuldete, nicht aber zur zahlungsunfähige Schuldner gelten sollte, entschied man sich dazu, die Verlängerung im Gesetzeswege vorzunehmen.15) Mit Gesetz vom 25.9.2020 wurde mithin § 1 Abs. 2 SanInsKG angefügt, wonach die Insolvenzantragspflicht zwischen dem 1.10.2020 und dem 31.12.2020 nach Maßgabe des Absatz 1 lediglich noch für überschuldete, nicht aber zahlungsunfähige Schuldner ausgesetzt blieb.16)
14
Durch Art. 10 SanInsFoG17) wurde schließlich mit Wirkung zum 1.1.2021 der § 1 Abs. 3 SanInsKG angefügt. Hierbei wird bei der Frage nach der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Zeitraum vom 1.1.2021 bis zum 31.1.2021 nicht mehr nach den jeweiligen Insolvenzantragsgründen differenziert, sondern an die Stellung von Anträgen auf staatliche Hilfsleistungen angeknüpft. Die Regelung beruht auf der Erwägung, dass es viele Unternehmen aufgrund der zum Teil erheblichen Verzögerungen bei der Bearbeitung der Anträge und Auszahlung der Hilfsmittel (Überbrückungshilfen) insolvenzantragspflichtig werden könnten.18)
_____________ 13) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 1.; kurz, knapp und instruktiv zu den Risiken: Theiselmann, GmbH-StB 2020, 112 f. 14) Vgl. Fritz/Scholtis, 1. Aufl. 1, § 4 Rz. 5 ff. 15) Römermann, in: Nerlich/Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 63 ff. 16) Gesetz zur Verlängerung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 25.9.2020, BGBl. I., 2016. 17) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 18) Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25353, S. 15.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Mit Gesetz vom 15.2.2021 wurde alsdann der zeitliche Anwendungsbereich des neu eingefügten Absatz 3 bis zum 30.4.2021 verlängert.19) Schließlich wurde das „COVInsAG“ mit Gesetz vom 31.10.202220) umbenannt in „SanInsKG“, wobei die materiellen Regelungen des § 1 SanInsKG unberührt blieben. Gleichwohl bleibt § 1 SanInsKG relevant für die gerichtliche Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzantragspflicht für den Schuldner ausgesetzt war und infolgedessen auch die Privilegierungen des § 2 SanInsKG zugunsten des Schuldners oder seiner Gläubiger greifen.
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III. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.9.2020 (Abs. 1) 1.
Persönlicher, zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO und nach § 42 Abs. 2 BGB galt uneingeschränkt für alle von diesen Normen erfassten Schuldner21) und die für diese antragspflichtigen Personen (in der Regel die Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter).22)
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Im Rahmen des Absatz 1 wurde die Antragspflicht rückwirkend ab dem 1.3.2020 ausgesetzt. Die Aussetzung währte solange ihre Voraussetzungen im Einzelfall gegeben waren bis zum 30.9.2020 (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG). War bereits vor Inkrafttreten des SanInsKG ein Insolvenzantrag gestellt worden, griff die Aussetzung nicht rückwirkend.23)
17
Daraus folgt: Lagen im konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Antragspflicht vor oder ließ sich die entsprechende Vermutung nicht widerlegen (siehe dazu unten Rz. 34 ff.), konnte bei einer ab dem 1.3.2020 eintretenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung keine Insolvenz mehr verschleppt werden (siehe Rz. 19). Insolvenzanträge, die vom Schuldner wegen einer ab dem 1.3.2020 eingetretenen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung bereits vor Inkrafttreten des SanInsKG als Pflichtanträge gestellt wurden, konnten bis zur Verfah_____________
18
19) Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 v. 15.2.2021, BGBl. I, 237. 20) Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 31.10.2022, BGBl. I, 1966. 21) Dies sind gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO: AG, GmbH, eG, KGaA, SE, SCE, entsprechende Vorgesellschaften (str., vgl. K. Schmidt-K. Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 9), ausländische Körperschaften sowie gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO rechtsfähige Personengesellschaften (OHG, KG, PartG, GbR), bei denen keine natürliche Person persönlich haftet. Im Falle von § 42 Abs. 2 BGB sind dies rechtsfähige und (in entsprechender Anwendung – vgl. K. Schmidt-K. Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 8) nichtrechtsfähige Vereine, Stiftungen (i. V. m. § 86 BGB) sowie insolvenzfähige Personen öffentlichen Rechts (i. V. m. § 89 BGB) und – wegen des Verweises in § 11 Satz 2 EWIVAG – nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch die EWIV (vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22). Letzteres ist allerdings nicht zweifelsfrei, da die Antragspflicht der Geschäftsführer der EWIV unmittelbar aus § 11 Satz 2 EWIVAG und nicht aus § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO folgen dürfte (vgl. K. Schmidt-K. Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 12). 22) Zum erfassten Personenkreis s. z. B. Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 64 ff. 23) FG Hessen, Beschl. v. 8.6.2020 – 12 V 643/20, NZI 2020, 862 (m. Anm. Wilke).
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
renseröffnung oder einer rechtskräftigen Antragsabweisung (§ 13 Abs. 2 InsO) nach den allgemeinen Regeln24) haftungsfrei zurückgenommen werden, wenn die Antragspflicht im konkreten Fall ausgesetzt war. Denn mit (rückwirkendem) Wegfall der Antragspflicht wurden diese vormals pflichtigen Insolvenzanträge zu freiwilligen. Richtigerweise wird man sogar annehmen müssen, dass die antragstellenden Geschäftsleiter den Antrag zurückzunehmen hatten, wenn sich die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für einen freiwilligen Antrag (bei der GmbH z. B. grundsätzlich ein Gesellschafterbeschluss)25) nicht kurzfristig herbeiführen ließen.26) In der Praxis war zu einer solchen Vorgehensweise jedenfalls zu raten. 19
Gleiches galt im Falle einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Anträgen des Schuldners, die bis einschließlich 29.2.2020 gestellt wurden. Verschleppungsfälle, bei denen pandemiebedingt ein Insolvenzantrag vor dem 1.3.2020 hätte gestellt werden mussten, die Antragspflicht jedoch ab diesem Tag ausgesetzt war (praktisch wird dies der Ausnahmefall sein), wurden teilweise – mit Rückwirkung auf den Aussetzungszeitpunkt – geheilt.27) Beispiel: Wurde ein Unternehmen aufgrund pandemiebedingten Wegfalls des ChinaGeschäfts bereits Anfang Februar 2020 insolvent, ohne dass rechtzeitig ein Insolvenzantrag gestellt wurde, lagen jedoch ab dem 1.3.2020 die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Antragspflicht vor, entfiel ab dem 1.3.2020 eine Insolvenzverschleppung.
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Eine vollständige Heilung der Verschleppung mit Rückwirkung über den 1.3.2020 hinaus, schied jedoch angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts aus. Eine Haftung gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a. F.28) blieb also für Zahlungen bis zur Aussetzung der Antragspflicht bestehen.29) Erst ab dem 1.3.2020 wurden weitere Zahlungen privilegiert (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG).
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In der Praxis dürften in solchen Fällen die Organe der Schuldner geneigt gewesen sein, den Eintritt der Insolvenzreife auf die Zeit ab dem 1.3.2020 zu „schieben“, um einer bereits eingetretenen Verschleppungshaftung zu entgehen. In zweifelhaften Fällen war eine kritische Prüfung also durchaus angebracht. Auch ein Gläubigerantrag (§ 14 InsO) konnte in solchen Fällen dann ggf. zur Eröffnung führen (vgl. § 3 SanInsKG).
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Sachlich handelt § 1 Abs. 1 SanInsKG von der Aussetzung der Antragspflicht. Ein Antragsrecht des Schuldners – sei es wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), dro_____________ 24) Vgl. dazu z. B. Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 13 Rz. 159 ff.; Uhlenbruck-Hirte, InsO, § 15 Rz. 6. 25) Vgl. dazu K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 18 Rz. 31. 26) Vgl. zum erforderlichen Konsens der Gesellschafter bei einem fakultativen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, ZIP 2013, 1121. 27) So auch Gehrlein, DB 2020, 713, 716. 28) Art. 103m EGInsO: 1Auf Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt worden sind, sind die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. 2§ 15b InsO ist erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2020 vorgenommen worden sind. 3Auf Zahlungen, die vor dem 1.1.2021 vorgenommen worden sind, sind die bis zum 31.12.2020 geltenden gesetzlichen Vorschriften weiterhin anzuwenden. 29) Vgl. auch den Eingangswortlaut von § 2 Abs. 1 SanInsKG: „Soweit nach § 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, […]“ (Hervorh. durch d. Verfasser).
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
hender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) – blieb unberührt. Im Innenverhältnis waren dabei die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben30) einzuhalten (siehe dazu Rz. 55). 2.
Gesetzestechnik (Grundsatz – Ausnahme – Vermutung)
In der Vergangenheit waren temporäre Aussetzungen der Insolvenzantragspflicht an den Nachweis geknüpft, dass das jeweilige Katastrophenereignis für den Eintritt der Insolvenz kausal war und dass begründete Aussichten auf eine Beseitigung der Insolvenz im Zuge von Sanierungsbemühungen, Verhandlungen und Hilfsprogrammen bestanden.31) Aufgrund der Dynamik der weltumfassenden Pandemie hat sich indes der Gesetzgeber bewusst von dieser Systematik abgewandt. Denn er folgerte zu Recht, dass sich der Nachweis der Kausalität der Pandemie sowie verlässliche Prognosen für den Fortbestand des Unternehmens im Einzelfall nur schwer erbringen ließen.32) Damit rechtfertigte er diese Umkehr von Ausnahme und Grundsatz, d. h. das Grundkonzept des SanInsKG, wonach nicht im Grundsatz die Antragspflicht fortbesteht und diese ausnahmsweise ausgesetzt wird, sondern umgekehrt vorzugehen ist.
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Gesetzestechnisch wurde die Aussetzung der Antragspflicht daher mittels Formulierung eines Grundsatzes, einer Ausnahme sowie einer Vermutung umgesetzt:
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Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a Abs. 1 InsO sowie nach § 42 Abs. 2 BGB wurde gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG ausgesetzt – Grundsatz.
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Die Aussetzung griff gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG nicht ein, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhte oder wenn keine Aussichten darauf bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen – Ausnahme.
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Dabei wurde vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhte und Aussichten darauf bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (die Ausnahme zum Grundsatz also nicht eingreift), wenn der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig (§ 17 InsO) war (§ 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG) – Vermutung.
3.
Aussetzung der Antragspflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 SanInsKG)
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG „ist“ die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und nach § 42 Abs. 2 BGB also grundsätzlich ausgesetzt.33) Nur ausnahmsweise galt dies nicht, wenn einer der beiden in § 1 Satz 2 SanInsKG genannten Fälle vorlagen. Damit fungieren die Kausalität der Pandemie und die Aussicht auf Beseitigung einer bereits eigetretenen Zahlungsunfähigkeit als mittelbare Voraussetzungen.34) _____________ 30) 31) 32) 33) 34)
Vgl. dazu z. B. K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 18 Rz. 31. Vgl. zu den „Hochwassergesetzen“ etwa Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 1. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Die Antragspflicht bestand also fort, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhte (§ 1 Satz 2 Alt. 1 SanInsKG). Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesmaterialien zum SanInsKG führen jedoch näher aus, was unter „beruht“ zu verstehen ist. Welche Folgen hätte es mithin, wenn auch andere Ursachen erst im Zusammenwirken mit den Folgen der Pandemie die Insolvenz auslösten? In Übereinstimmung mit der Intention des Gesetzgebers, die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, ist daher eine weite Auslegung geboten: Es muss schon jede Mitursächlichkeit (i. S. der Äquivalenztheorie)35) der Folgen der COVID-19-Pandemie genügen, um anzunehmen, dass die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung auf der Pandemie „beruht“,36) denn der Gesetzgeber war sich den Schwierigkeiten, dies zweifelsfrei festzustellen, bewusst und dies sollte nicht zulasten der Geschäftsleiter gehen.37) Unschädlich ist es auch, wenn der Schuldner schon vorher in einer Krise war, die Pandemiefolgen jedoch erst die Insolvenz herbeigeführt haben.38) Es reicht aus, dass die Pandemie mitursächlich oder mittelbar ursächlich war und ebenfalls können hypothetische Kausalverläufe außer Acht bleiben.39) Nur in Fällen, in denen der Schuldner ohnehin schon insolvent war oder später zweifelsfrei unabhängig von der Pandemie insol-
_____________ 35) Schluck-Amend, NZI 2020, 289; vgl. dazu z. B. Palandt-Grüneberg, BGB, Vor § 249 Rz. 25. 36) Dementsprechend führte noch die Formulierungshilfe der BReg zum COVInsAG (Formulierungshilfe der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Hemmung der Unterbrechungsfristen bei strafgerichtlichen Hauptverhandlungen aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 in ihrem Bearbeitungsstand v. 18.3.2020, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/ Dokumente/Corona-Pandemie.pdf;jsessionid=D250718C7CB0487FBF3E29BDC61A607F.2_ cid289?__blob=publicationFile&v=3 [Abrufdatum: 27.12.2022]) – dem Vorgängerentwurf zum COVInsAG – in ihrer Begründung (S. 5 f.) zur Aussetzung der Antragspflicht zunächst (die entsprechenden Passagen sind später entfallen) aus, es seien umfangreiche Betriebsunterbrechungen bei Zulieferfirmen eingetreten, die bei den deutschen Kunden dieser Zulieferfirmen die Versorgung mit Rohstoffen und Vorprodukten unterbrächen und so eine Drosselung oder sogar einen Stopp der Produktion verursachten; durch die Epidemie bedingte Schäden entstünden Unternehmen auch, wenn Kunden aus Angst vor Ansteckung oder aufgrund von behördlichen Anordnungen die Leistungen des Unternehmens nicht mehr in Anspruch nehmen könnten oder wollten; außerdem werde die Leistungserstellung deutscher Unternehmen beeinträchtigt, wenn Mitarbeiter wegen eigener Krankheitssymptome arbeitsunfähig seien oder aufgrund behördlicher Sicherheitsmaßnahmen nicht im Betrieb erscheinen dürften. Schäden entstünden einem Unternehmen auch dann, wenn Arbeitnehmer von der Geschäftsleitung zu ihrem eigenen Schutz oder zur Unterstützung der Seuchenbekämpfungsmaßnahmen der staatlichen Stellen freiwillig von der Arbeit freigestellt würden oder wenn die Geschäftsleitung Leistungsangebote wegen der Ansteckungsgefahr für die Kunden freiwillig absage. Auch in solchen Fällen beruhe der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus, denn die ohne rechtlichen oder tatsächlichen Zwang, aber verantwortungsbewusst im Interesse der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit handelnden Geschäftsleiter seien denjenigen gleichzustellen, deren Unternehmen unmittelbar durch äußere Umstände geschädigt werde. 37) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. 38) Vgl. Formulierungshilfe zum CorInsAG, v. 18.3.2020, S. 8. 39) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
vent geworden wäre,40) ist ein „Beruhen“ zu verneinen und die Antragspflicht besteht fort. Indes verdient der Geschäftsleiter, der sich der Erkenntnis einer unabwendbaren Insolvenz verschließt, diesen Schutz nicht. Die Antragspflicht bestand als Ausnahme somit auch dann, wenn keine Aussichten bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Das setzt voraus, dass der Schuldner überhaupt zahlungsunfähig war. Für allein überschuldete Unternehmen spielte die Ausnahme daher keine Rolle. Das Gesetz sagt nicht ausdrücklich, bis zu welchem Zeitpunkt die etwaige Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden musste. Jedoch liegt auf der Hand: Dies musste das Ende des Aussetzungszeitraums sein.41) Durch die Aussetzung der Antragspflicht will das Gesetz den Unternehmen Gelegenheit geben, die Insolvenz abzuwenden.42) Diese Gelegenheit besteht nicht, wenn ein Unternehmen nach Ende des Aussetzungszeitraums weiterhin zahlungsunfähig ist und daher gemäß § 15a InsO Insolvenz beantragen muss. Zu prüfen ist daher, ob eine Beseitigungsaussicht bis zum bzw. spätestens ab 30.9.2020 (oder ggf. dem durch Verlängerung der Aussetzung noch definierten Stichtag) bestand.
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Fraglich ist insoweit noch, ab welchem Zeitpunkt sich die Antragspflichtigen auf eine etwaige Fristverlängerung (vgl. § 4 a. F. SanInsKG) verlassen durften. Bloße Aussichten (als allgemeiner Maßstab für die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit) auf eine solche Fristverlängerung konnten hierfür nicht genügen. Es sollte erforderlich aber auch ausreichend sein, dass – z. B. aufgrund konkreter Erwägungen des BMJV – eine Fristverlängerung überwiegend wahrscheinlich wurde.
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Im Übrigen sollten die Voraussetzungen für die Annahme, dass Aussichten auf eine Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit bestehen, nicht überspannt werden. Das Gesetz verlangt – anders als bei § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO – weder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit noch in jedem Falle und zu jedem Zeitpunkt eine vorausschauende Finanzplanung auf Seiten des Schuldners.43) Auch hat der Gesetzgeber die Anforderungen sicherlich bewusst niedriger geschraubt als bei der Hochwassergesetzgebung. Denn damals erforderte die Aussetzung der Antragspflicht noch das ernsthafte Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen geführt werden mussten und dadurch begründete Aussichten auf eine Sanierung bestanden.44)
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Der Gesetzgeber erkennt damit an, dass sich angesichts der pandemiebedingten Unsicherheiten verlässliche Prognosen und Planungen nur schwer erstellen lassen.45) Dies wird auch durch die jüngste Verkürzung der Prognose- und Planungszeiträu-
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_____________ 40) Ein nur „vorhersehbar[er]“ Insolvenzeintritt unabhängig von der Pandemie genügt hingegen nicht, a. A. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 637. 41) So auch Römermann, NJW 2020, 1108 f. 42) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 19, 22. 43) So aber offenbar Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 637, mit der Begründung dieses „zwingende Ergebnis“ folge aus den anerkannten Anforderungen an die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 InsO. 44) Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 291, unter Hinweis auf das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasser- und starkregenfallbedingter Insolvenz, BGBl. I 2016, 1824, 1838. 45) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 19, 22.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
me in § 4 SanInsKG n. F. und die Verlängung der Insolvenzantragsfrist durch § 4a SanInsKG unterstrichen. Die Unternehmen sollen Gelegenheit erhalten, die Insolvenz, insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden staatlichen Hilfen, aber auch durch Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen abzuwenden.46) Solange eine ernsthafte Möglichkeit bestand, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, und dies nicht offensichtlich aussichtslos erschien,47) muss dies genügen. 31
Geboten war dennoch eine fortwährende Überwachung dieser Aussicht,48) verbunden mit einer dynamischen Betrachtungsweise: Je näher das Ende des Aussetzungszeitraums rückte, desto konkreter und wahrscheinlicher mussten die Beseitigungsaussichten sein. So genügte es bspw. zu Beginn des Aussetzungszeitraums, dass der Gesetzgeber Hilfe ankündigt, ohne dass Hilfspakete schon beschlossen oder konkret ausgestaltet sein müssten, um den Umstand einer solchen Hilfsankündigung berücksichtigen zu können. Umgekehrt genügte es bei isolierter Betrachtung des Absatz 1 bspw. nicht, Ende September 2020 einen Hilfskredit zu beantragen, wenn kaum noch Chancen bestanden, dass dieser rechtzeitig bewilligt werden wird. Anders lag es nur, wenn zusätzlich – je nach Betrachtungszeitpunkt – auch die Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 vorlagen.
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Dass eine Finanzplanung zu erstellen war, ordnet das SanInsKG nicht an. Gesellschaftsrechtliche Pflichten zur Erstellung einer solchen Planung (z. B. aus § 43 GmbHG) bleiben freilich unberührt. Auch zu Nachweiszwecken sollte eine solche Planung soweit möglich aufgestellt werden. Auch wenn hier also weite Grenzen für die Aussicht zu gewähren sind, dürften diese überschritten sein, wenn – zumal nach weiterer Konkretisierung der Hilfsprogramme in der Praxis – keine realistischen Chancen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit mehr bestanden, etwa weil diese nicht (mehr) rechtzeitig oder in ausreichendem Maße erlangt werden können oder andere relevante Aussichten für den Bestand des Unternehmens sich zeitweilig zerschlagen haben.49)
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Man kann es insoweit auch anders formulieren: Was die Zukunftsperspektive als Grund einer Insolvenz betrifft, war für den Zeitraum der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Bedeutung der Fortbestehensprognose zurückgedrängt, denn auch bei Vorliegen einer Überschuldung war die Antragspflicht nach Absatz 1 ausgesetzt.50) Statt der Fortbestehensprognose kommt es – bei dem – nach dem Gesetzeswortlaut gebotenen – Abstellen auf die Aussichten auf eine Beseitigung einer Zahlungsunfähigkeit letztlich „nur“ auf die Frage an, ob auf Basis einer vernünftigen Liquiditätsplanung Aussichten für eine Überlebensfähigkeit bestand.51) Es ist damit auch nicht auf die Frage nach der Ertragskraft abzustellen. Je näher indes das Ende des Aussetzungszeitraums rückte, umso mehr erhält dann wieder die Frage der Durchfinanzierung Gewicht. Wurde etwa drei Wochen vor _____________ 46) 47) 48) 49) 50) 51)
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Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 19, 22. Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 291. Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 291. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 291. Ähnlich Römermann, NJW 2020, 1108 f., der von „wirtschaftlicher Lebensfähigkeit“ i. S. zukünftiger Zahlungsunfähigkeit spricht.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Ende der Aussetzung klar, dass nicht nur eine Zahlungsstockung vorliegt, konnte auch nicht von einer Überlebensfähigkeit ausgegangen werden. 4.
Vermutung in § 1 Abs. 1 Satz SanInsKG
Das Gesetz vermutet erstens, dass die Insolvenz auf den Folgen der COVID-19Pandemie beruht, und zweitens, dass Aussichten bestehen, eine etwaige Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, eine Antragspflicht also ausgesetzt ist (§ 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG). Für das Eingreifen der ersten Vermutung kommt es allein darauf an, dass der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig (§ 17 InsO) war.52) Das Abstellen auf diesen Stichtag ist nicht nur als Erleichterung für die betroffenen Unternehmen bzw. deren Geschäftsleitung gedacht, das Datum spielt auch bei den Hilfsprogrammen eine Rolle.53)
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Zahlungsfähigkeit zum Jahreswechsel trägt der Schuldner.54) In manchen Fällen, wird man insoweit auf die Dokumente für den Jahresabschluss 2019 abstellen können, der jedenfalls für Kapitalgesellschaften – sofern es sich nicht um kleine Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) handelt – in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahrs für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen ist (§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB). In Fällen, in denen diese Frist nicht gilt oder nicht eingehalten wurde, sollte auf die Finanzbuchhaltung und – soweit diese nicht die Finanzverbindlichkeiten erfasst – auf die sonstigen handelsrechtlichen Aufzeichnungen der Gesellschaft zurückgegriffen werden. Die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungsregelung sollten in jedem Fall sorgfältig dokumentiert werden, weil davon in einem späteren Haftungsprozess das Beweismaß abhängt (siehe unten Rz. 42).
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Liegt die Voraussetzung der Vermutung (keine Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019) vor, stellt sich die Frage nach der Reichweite der Vermutungswirkung. Bemerkenswert ist insoweit, dass für das Eingreifen der Vermutung allein auf die zum 31.12.2019 nicht bestehende Zahlungsunfähigkeit (nicht aber auf eine zum gleichen Zeitpunkt fehlende Überschuldung) abzustellen ist, während die Vermutungsfolgen darin zu bestehen scheinen, dass die Ausnahme gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG insgesamt nicht eingreift, eine Antragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 InsO also gänzlich nicht besteht – ganz gleich, ob diese Antragspflicht wegen einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bestünde. Man könnte meinen, dass die an eine fehlende Zahlungsunfähigkeit anknüpfende Vermutung einschränkend dahingehend zu verstehen sei, dass sie nur das Entfallen einer Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit erfasst. Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht jedoch dagegen. Die Vermutung geht dahin, dass die „Insolvenzreife“ auf den Auswirkungen der COVID-19Pandemie beruht. Die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG ist dabei spiegelbildlich zur Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG formuliert.
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_____________ 52) Zu den Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit i. E. vgl. z. B. Uhlenbruck-Mock, InsO, § 17 Rz. 20 ff. 53) Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 291, vgl. hier auch den wichtigen und weiterführenden Hinweise auf die besonderen Schwierigkeiten für Unternehmen, die zu dem Stichtag zwar nicht zahlungsunfähig, aber schon in der Krise waren, Fördermittel zu erhalten. 54) Vgl. Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 292 Rz. 4.
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Letztere umfasst jedoch – daran kann es wohl keinen Zweifel geben – sowohl den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) als auch den Tatbestand der Überschuldung (§ 19 InsO). Aufgrund der spiegelbildlichen Formulierung muss dies dann auch für die Reichweite der Vermutungsregelung gelten. Diese von Bitter kritisierte Unstimmigkeit55) hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, Bornemann weist aber zu Recht darauf hin, dass sich diese Unstimmigkeit dann wieder beheben lässt, wenn der originär Beweispflichtige darlegt, dass bereits vor der Aussetzung der Antragspflicht eine Überschuldung vorlag.56) 37
Die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG greift aber jedenfalls allein schon beim Feststehen der Zahlungsunfähigkeit ein. Wie Römermann zutreffend bemerkt setzt sich hier ein seit dem FMStG einsetzender Trend fort, die Überschuldung weiter zurückzudrängen bzw. weiter zu modifizieren,57) was auch im Hinblick auf die Umsetzung der europäischen Restrukturierungsrichtline angebracht ist. Insoweit wäre es wichtig und dürfte wohl auch durch das Justizministerium gesehen werden, bei der Frage, wann und wie der insolvenzrechtliche Lockdown zurückzufahren ist, die Einführung des Restrukturierungsrahmens im Auge zu haben.58)
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Letztlich knüpft die Vorschrift mit dem Abstellen auf das Fehlen einer Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019 an eine – im Regelfall – vergleichsweise einfach festzustellende Voraussetzung an und deckt in ihrer Wirkung sowohl den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), als auch den Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) ab. Ist die Voraussetzung für die Vermutung erfüllt, steht – allerdings nur widerleglich – fest, dass die Insolvenzantragspflicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG ausgesetzt war. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vermutungsregel entsprechend dafür Sorge tragen, keine schwer überwindbaren Beweisschwierigkeiten aufzubauen;59) letztlich bringt er zum Ausdruck, dass in erster Linie derjenige, der sich darauf beruft, dass die Insolvenzantragspflicht im konkreten Fall nicht ausgesetzt sei, dies auch beweisen muss.60)
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Die Geschäftsleiter waren gleichwohl gut beraten, eine sorgfältige Dokumentation der von ihnen zum Jahreswechsel 2019/20 vorgenommenen Liquiditätsplanung bzw. Überwachung nachzuhalten.61) 5.
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Restschuldbefreiung
Nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO wäre einer natürlichen Person als Schuldner die Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichtes zu versagen, wenn dies _____________ 55) Bitter, ZIP 2020, 685, 688. 56) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. c) bb); krit. zu der Frage, wie ein Dritter die Vermutung der Ursächlichkeit der Pandemie widerlegen soll aber Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730. 57) Römermann, NJW 2020, 1108; Poertzgen, ZinsO 2020, 825. 58) Dies auch im Hinblick auf die Insolvenzgründe und das künftig einzuführende Moratorium Poertzgen, ZInsO 2020, 825. 59) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, S. 11. 60) Schluck-Amend, NZI 2020, 289. 61) Schülke, DStR-Beih. 14/2020, S. 5.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
von einem Insolvenzgläubiger, der seine Forderung angemeldet hat, beantragt worden ist und wenn der Schuldner ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verzögert hat. Fand eine solche Verzögerung nun lediglich im Zeitraum der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht statt, kann auf eine solche Verzögerung die Versagung nicht gestützt werden. Auch natürliche Personen konnten somit von der Aussetzung der Antragspflicht Gebrauch machen, ohne befürchten zu müssen, allein deshalb eine Versagung der Restschuldbefreiung zu riskieren.62) 6.
Widerlegung der Vermutung und Beweislastverteilung
Die gesetzliche Vermutung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG ist widerleglich (vgl. für den zivilrechtlichen Haftungsprozess § 292 Satz 1 ZPO).63) Nach Vorstellung des Gesetzgebers kann „angesichts des Zwecks der Vermutung, den Antragspflichtigen von den Nachweis- und Prognoseschwierigkeiten effektiv zu entlasten, eine Widerlegung nur in solchen Fällen in Betracht kommen, in denen kein Zweifel daran bestehen kann, dass die COVID-19-Pandemie nicht ursächlich für die Insolvenzreife war und dass die Beseitigung einer eingetretenen Insolvenzreife nicht gelingen konnte.“64) Insoweit seien „höchste Anforderungen“65) zu stellen. Im Gesetzeswortlaut hat sich diese Vorstellung – anders als in anderen Fällen, in denen das Gesetz ein erhöhtes Beweismaß verlangt66) – jedoch nicht niedergeschlagen.
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Allerdings folgt aus dem Zusammenhang, dass ein solches erhöhtes Beweismaß erforderlich ist.67) Anderenfalls ergäbe die Vermutung des § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG keinen Sinn. Im Haftungsprozess muss der Kläger – z. B. der Insolvenzverwalter einer späteren Insolvenz, der die Geschäftsführer auf Ersatz von Zahlungen gemäß § 64 Satz 1 GmbHG a. F. oder gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO auf Schadensersatz in Anspruch nehmen will – ohne die Vermutung darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass der Schuldner insolvent war und eine Antragspflicht (§ 15a InsO) gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG bestand, dass also die Insolvenzreife nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhte oder dass keine Aussichten darauf bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG).
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Denn für die Darlegungs- und Beweislast als solche gilt: Betreffend die Insolvenzreife des Schuldners und die daraus resultierende grundsätzliche Antragspflicht trifft die diesbezügliche Beweislast – vorbehaltlich von § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO (siehe dazu sogleich Rz. 45) – den Insolvenzverwalter oder die Partei, die
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_____________ 62) Römermann, NJW 2020, 1108, 1108. 63) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22. 64) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22. Statt „Insolvenzreife“ ist tatsächlich eine Beseitigung der „Zahlungsunfähigkeit“ gemeint, wie sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 SanInsKG und dem unmittelbaren Textzusammenhang (Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22) ergibt. 65) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22. 66) Nach Prütting in: MünchKomm-ZPO, § 286 Rz. 43, z. B. in § 319 Abs. 1, § 660 Abs. 1 Satz 2 und § 2155 Abs. 3 BGB („offenbar“). 67) So auch Bitter, ZIP 2020, 685, 688.
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hierauf Ansprüche stützen will.68) Dies entspricht schon der Rechtslage vor dem SanInsKG.69) Nach dem SanInsKG muss der Insolvenzverwalter freilich zusätzlich darlegen und beweisen, dass im konkreten Fall die Antragspflicht nicht ausgesetzt ist. Dies folgt aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Sätze 1 und 2 des § 1 SanInsKG.70) 44
Soweit die Vermutung nicht greift, der Schuldner also nicht beweisen kann, dass er am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war, ändert dies an der übrigen Beweislastverteilung nichts.71) Jedoch gilt in diesem Fall das Regelbeweismaß. Danach ist es erforderlich aber auch ausreichend, dass der Richter vom Vorliegen einer Tatsache überzeugt ist.72) Eine absolute Gewissheit ist indes nicht gefordert.73)
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Die Beweislast des Verwalters erstreckt sich allerdings auch – in Abweichung zu § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO – auf das Fehlen einer positiven Fortbestehensprognose. Dies gilt bei Eingreifen der Vermutungsregelung, weil anderenfalls die Erleichterungsabsicht des Gesetzgebers konterkariert würde. Richtigerweise gilt dies aber auch, wenn die Vermutungsregelung nicht eingreift, da die Beweislastregelung von § 1 SanInsKG der Beweislastverteilung in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vorgeht.74) Will also der Insolvenzverwalter z. B. einen GmbH-Geschäftsführer wegen einer Verschleppung im Zeitraum vom 1.3.2020 bis zum 30.9.2020 in Anspruch nehmen, gilt insgesamt Folgendes: –
Der Geschäftsführer trägt die Beweislast dafür, dass die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG eingreift, dass die Gesellschaft also am 31.9.2019 nicht zahlungsunfähig war. Es gilt das Regelbeweismaß.
–
Der Insolvenzverwalter muss beweisen, dass die Gesellschaft zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder – einschließlich des Fehlens der positiven Fortbestehensprognose (abweichend von § 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO) – überschuldet (§ 19 InsO) war75) und dennoch nicht rechtzeitig ein Insolvenzantrag gestellt wurde (§ 15a InsO) sowie dass (i) diese Insolvenzreife nicht auf der COVID19-Pandemie beruhte oder (ii), sofern eine Zahlungsunfähigkeit bewiesen werden konnte, keine Aussichten darauf bestanden, diese zu beseitigen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG). Greift die Vermutungsregelung (§ 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG), gilt für den Nachweis der nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhenden Insolvenzreife und der Zahlungsunfähigkeit mit fehlenden Beseitigungsaussichten insgesamt das erhöhte Beweismaß. Dieser Beweis dürfte nur im seltenen Aus-
_____________ 68) Poertzgen, ZInsO 2020, 825. 69) Vgl. z. B. K. Schmidt-K. Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 43; K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 19 Rz. 55 – jeweils m. w. N. 70) Vgl. z. B. die Beweislastverteilung bei den entsprechend formulierten Vorschriften des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (dazu: Ernst in: MünchKomm-BGB, § 280 Rz. 34) und des § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB (dazu: Ernst in: MünchKomm-BGB, § 311a Rz. 107). 71) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22; soweit dort auf S. 19 Gegenteiliges gesagt wird, kann es sich nur um ein Redaktionsversehen handeln; Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. c). 72) Vgl. Zöller-Greger, ZPO, § 286 Rz. 18; Prütting in: MünchKomm-ZPO, § 292 Rz. 23. 73) Vgl. Zöller-Greger, ZPO, § 286 Rz. 19. 74) Zutreffend Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 637. 75) So auch Bitter, ZIP 2020, 685, 688.
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nahmefall zu führen sein. Greift die Vermutungsregelung nicht, ist nur der Regelbeweis zu erbringen. Die Beweislastverteilung nach dem SanInsKG ist damit für den potentiell Antragspflichtigen günstig. Allerdings: Im Rahmen der sog. sekundären Darlegungslast76) kann er gehalten sein, den klägerischen Vortrag substantiiert zu bestreiten, anderenfalls gilt die behauptete Tatsache als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).77) Auch aus diesem Grund sollte der potentiell Antragspflichtige insbesondere die finanziellen Verhältnisse und Planungen der Gesellschaft sorgfältig dokumentieren.78) 7.
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Unmittelbare Folgen einer Aussetzung der Antragspflicht
a) Fortbestand von Antragsrechten § 1 SanInsKG handelt ausschließlich von der Aussetzung der Antragspflicht gemäß § 15a InsO. Das Antragsrecht (§ 15 InsO) wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) bleibt unberührt. Gleiches gilt für – nunmehr freiwillige – Anträge wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO).
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Die Situation von Unternehmen, die bereits vor der COVID-19-Pandemie angeschlagen und ein Sanierungsfall waren, dürfte sich infolgedessen oftmals noch verschlechtert haben. Für solche Unternehmen stellten die staatlichen Hilfsprogramme nicht zwingend ein adäquates Mittel zur Krisenbewältigung dar, da sie die sich ohnehin ankündigende vertiefte Krise nur hinausschieben und in den meisten Fällen eine Insolvenz nur verzögern werden. Dasselbe gilt für Unternehmen, welche zwar einen Anspruch auf Mittel aus den staatlichen Hilfsprogrammen hatten, jedoch mit äußerst begrenzten Liquiditätsreserven arbeiteten und diese nicht einmal so lange ausreichten, bis entsprechendes frisches Geld von dritter Seite zur Verfügung steht.79) Insbesondere betrifft dies Klein- und Kleinstunternehmer im Einzelhandel oder Handwerk. Man kann die Staatshilfen so als die NPLs (Non-Performing Loans) von morgen bezeichnen.80)
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b) Auswirkungen auf die Eigenverwaltung und die Sanierung mittels Insolvenz bzw. auf freiwillige Insolvenzanträge Trotz Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch § 1 SanInsKG musste daher eine Sanierung des Unternehmens mit gerichtlicher Hilfe, insbesondere i. R. der Eigenverwaltung, möglich bleiben. Die Fälle Karstadt-Kaufhof und Lufthansa zeigen die Bedeutsamkeit dieser Frage auf.
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§ 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG setzte nun regelungstechnisch auf Ebene des § 15a InsO an, suspendierte also allein die Pflicht zur Antragstellung. Die §§ 16 – 19 InsO blieben dagegen in ihrer Anwendbarkeit ebenso uneingeschränkt, wie § 13 Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO, sodass die Eröffnung von Insolvenzverfahren bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes weiterhin möglich blieb. Die Antragsberechtigung des
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_____________ 76) 77) 78) 79) 80)
Dazu z. B. Zöller-Greger, ZPO, Vor § 284 Rz. 34. Prütting in: MünchKomm-ZPO, § 286 Rz. 103. Dazu i. E. Brünkmans, ZInsO 2020, 797, 800 f. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 649. Paulus/Undritz/Schulte-Kaubrügger, ZIP 2020, 699, 700.
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Schuldners entfällt nicht. § 3 SanInsKG stellt jedoch fest, dass der Antrag eines Gläubigers zwischen dem 28.3.2020 und dem 28.6.2020 unzulässig (str., siehe Kommentierung zu § 3 SanInsKG [Horstkotte]) war. Im Ergebnis blieb es daher unabhängig vom SanInsKG eine originär unternehmerische Entscheidung des Schuldners bzw. seiner Gesellschafter und Leitungsorgane, ob während der Aussetzungsphase auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hingewirkt wird. Die gewöhnlich durch § 15a InsO erheblich eingeschränkte unternehmerische Entscheidungsfreiheit kam nunmehr voll zum Tragen. Gegenüber einem fremdfinanzierten Aussitzen der Krise, konnte eine strukturierte und umfassende Sanierung, etwa mithilfe der §§ 270 ff. InsO, unter Umständen ein geeigneteres Mittel zur Überwindung einer durch die COVID-19-Pandemie vertieften Krisenlage sein. 51
In jedem Falle führte § 1 SanInsKG bzw. das Vorliegen seiner Voraussetzungen zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei ansonsten eingetretener Insolvenzreife dazu, dass ein bei dem dann bestehenden Antragsrecht gestellter Insolvenzantrag als ein freiwilliger Insolvenzantrag zu bewerten war.81) Auf Ebene der Geschäftsleitung hätte dann in Entsprechung zu § 18 InsO die Mitwirkung aller Organmitglieder gefordert werden sollen.82)
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Von gesteigerter Praxisrelevanz ist seit Einführung der InsO und damit seit Schaffung des Tatbestands der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Frage, wie sich das Insolvenzantragsrecht im Spannungsverhältnis zwischen den Sorgfaltspflichten des Geschäftsführers und den Eigentumsinteressen der Gesellschafter verhält. Mit der Schaffung des Antragsrechts bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) wollte der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnen, dass sich Unternehmen frühzeitig und vor Eintritt der materiellen Insolvenz i. R. eines Insolvenzverfahrens sanieren können und damit die Wahrscheinlichkeit eines Fortbestands des Unternehmens erhöhen.83) Regelmäßig befinden sich Geschäftsführer in einer Situation, in der sie sich in der Krise von den Gesellschaftern unter Druck gesetzt fühlen, da diese die Stellung eines Insolvenzantrags ohne materielle Insolvenz strikt ablehnen und mitunter sogar entsprechende Weisungen erteilen, die Stellung eines Insolvenzantrags ohne eingetretene Insolvenz zu unterlassen. Damit setzen sich Geschäftsführer, die entgegen solcher Weisungen oder ohne vorherigen Einbezug der Gesellschafter einen auf drohende Zahlungsfähigkeit gestützten Insolvenzantrag stellen, unter Umständen erheblichen Haftungsrisiken aus.84) Dieses Problem perpetuierte sich nunmehr insoweit, als dass aufgrund der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ein pflichtbewusster Geschäftsführer einem gesteigerten Rechtfertigungsdruck gegenüber den Gesellschaftern ausgesetzt war.
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Aufgrund der Vergleichbarkeit der Situationen drängt es sich auch hier auf, dass bei einem auf § 18 InsO gestützten Insolvenzantrag dieselben Grundsätze zum Tragen kommen, die außerhalb des Kontexts der COVID-19-Pandemie das Spannungsver_____________ 81) Römermann, NJW 2020, 1108 f. 82) Römermann, NJW 2020, 1108 f. 83) RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 114 f.; K. Schmidt-K. Schmidt, InsO, § 18 Rz. 5; Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, Rz. 206 ff.; Drukarczyk in: MünchKommInsO, § 18 Rz. 3; Drukarczyk/Schüler, ZInsO 2017, 61. 84) S. dazu ausführlich etwa: Gessner, NZI 2018, 185; Ehlers, ZInsO 2005, 169.
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§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
hältnis von Geschäftsleiterpflichten und Gesellschafterinteressen bei einem solchen bestimmen. Da gesetzliche Pflichten der Geschäftsleiter zur Beteiligung der Gesellschafter nicht vorgesehen sind, sind entsprechende satzungstechnische Regelungen stets vorrangig zu beachten. Gesellschaftsvertraglich eine Vorlagepflicht des Geschäftsleiters vor Antragstellung vorzusehen, ist dem Grunde nach zulässig.85) Ist keine solche Regelung getroffen, ist die Entscheidung über die Stellung eines Insolvenzantrages zunächst an der Business Judgement Rule, respektive dem an einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter zu stellenden Sorgfaltsmaßstab zu messen.86) Es war demnach im ersten Schritt mit Blick auf das originäre Gesellschaftsinteresse zu beurteilen, ob der wirtschaftlichen Krisensituation durch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in adäquater Weise begegnet werden konnte und ob andere Sanierungsansätze nicht ebenfalls gleichermaßen oder sogar besser geeignet waren, das erstrebte Sanierungsziel zu erreichen. Dies musste erst recht gelten, wenn man davon ausging, dass sich die grundsätzliche Rentabilitätssicherungspflicht eines Geschäftsleiters in der Krise zu einer Sanierungspflicht fortentwickelt.87)
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Kam der Verantwortliche – ggf. sogar nach Einholen fachkundigen Rates88) – zu dem Schluss, dass ein Insolvenzantrag vor dem Hintergrund der etwa zu § 43 Abs. 1 GmbHG oder des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG entwickelten Judikatur der richtige Schritt war, waren in einem zweiten Schritt gleichwohl die Gesellschafter hinreichend in die Entscheidung miteinzubeziehen. Vermehrt sprachen sich Stimmen in der Literatur dafür aus, dass was im Außenverhältnis als gewissenhafte und für die Gesellschaft interessengerechte Handlung einzuordnen ist, nicht im Innenverhältnis zu einer persönlichen Haftung führen kann und es daher bei einer konsequenten Anwendung der Business Judgement Rule bleiben muss.89) Auch wenn dieser Ansatz grundsätzlich begrüßenswert ist, geht die Rechtsprechung davon aus, dass auch die Gesellschafterinteressen ausreichend zu berücksichtigen sind und das überwiegende Interesse der Gesellschaft nicht zwingend Vorrang hat. Die Business Judgement Rule wird insoweit erheblich eingeschränkt und auch eine persönliche Haftung des Geschäftsführers bei Insolvenzanträgen ohne Zustimmung der Gesellschafter bejaht.90) Um Haftungsrisiken zu vermeiden, hatten Geschäftsleiter innerhalb wie außerhalb des Anwendungsbereiches des SanInsKG die Gesellschafter über die Notwendigkeit der Sanierung sowie die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zeitnah zu informieren und mit ihnen zu beraten, inwieweit die Insolvenz abgewendet werden konnte.
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_____________ 85) Leinekugel/Skauradszun, GmbHR 2011, 1121, 1123. 86) Eingehend zur Business Judgement Rule im Gesellschaftsinsolvenzrecht: Jungmann, NZI 2009, 80. 87) Fleischer in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rz. 64 m. w. N.; Bork, ZIP 2011, 101, 107; perspektivisch im Kontext des präventiven Restrukturierungsrahmens Korch, ZGR 2019, 1050. 88) Voraussetzungen des Vertrauendürfens auf fachkundigen Rechtsrat ausführlich bei Fleischer in: MünchKomm-GmbHG, § 43 Rz. 42 ff.; Fleischer, ZIP 2009, 1397 ff. 89) In diesem Sinne etwa: Gessner, NZI 2018, 185, 188. 90) OLG München, Urt. v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, MDR 2013, 621 – 622.
Fritz
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§ 1 SanInsKG 56
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Es bleibt, dass die Sanierungsinstrumente der InsO auch während der COVID19-Pandemie nutzbar waren und sie neben den neuen Maßnahmenpaketen der Bundesregierung unter Umständen sogar tauglicher waren, um vertiefte Krisen zu überwinden. Letzteres insbesondere deshalb, weil etablierte „Spielregeln“ galten und dadurch den Gläubigern auch in Zeiten der globalen Pandemie ein gewisses Maß an Planbarkeit angeboten werden konnte. Dies setzte aber stets voraus, dass auch die Sanierung in der Insolvenz bei realistischer Betrachtung eine Chance haben würde, ansonsten führte die Insolvenz trotz ihrer mächtigen Mittel auch nur zur Zerschlagung. c) Fortbestand von Anzeigepflichten
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Fraglich ist, ob in den Fällen, in denen das Gesetz Antragspflichten durch – strafund haftungsbewehrte – Anzeigepflichten ersetzt (z. B. bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten91), Kapitalverwaltungsgesellschaften92), Zahlungsdienstleistern93) oder Versicherungsunternehmen94)), unter den Voraussetzungen von § 1 SanInsKG auch diese Anzeigepflichten suspendiert wurden. Dies ist angesichts des klaren Wortlauts des SanInsKG nicht der Fall. War die nach § 15a InsO bestehende Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, gemäß § 1 SanInsKG ausgesetzt, waren die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bzw. die zuständigen Aufsichtsbehörden jedoch nicht verpflichtet, das ihnen nach § 46b Abs. 1 KWG, § 43 Abs. 1 KAGB i. V. m. § 46b Abs. 1 KWG, § 21 Abs. 4 und 5 ZAG und § 312 Abs. 1 VAG weiterhin zustehende Antragsrecht zu nutzen.95) Gleiches soll gelten, wenn der Schuldner zwar nicht der Antragspflicht gemäß § 15a InsO unterfiel, eine solche Pflicht aber – unterstellt sie würde bestehen – nach § 1 SanInsKG ausgesetzt wäre.96) d) Entfallen der deliktischen Verschleppungshaftung
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Mit der Antragspflicht entfiel unmittelbar auch die deliktische Verschleppungshaftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO. Es fehlte an der für eine solche Haftung erforderlichen Verletzung eines Schutzgesetzes.97) Der Vorwurf einer Rechtswidrigkeit konnte nicht mehr gemacht werden. Gleiches galt für eine Teilnehmerhaftung gemäß § 830 BGB. e) Weitgehender Fortbestand des Insolvenzstrafrechts
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Zwar entfiel mit der Antragspflicht eine mögliche Strafbarkeit gemäß § 15a Abs. 4 bis 6 InsO. Das übrige Insolvenzstrafrecht (§§ 283 ff. StGB) blieb jedoch – auch _____________ 91) § 46b Abs. 1 KWG (i. V. m. § 55 KWG), dazu z. B. Boos/Fischer/Schulte-MattlerLindemann, KWG/CRR-VO, § 46b KWG Rz. 20 ff. 92) § 43 Abs. 1 KAGB i. V. m. § 46b Abs. 1 KWG (i. V. m. § 339 Abs. 2 u. 3 KAGB), dazu z. B. Emde/Dornseifer/Dreibus-Distler/Emde, KAGB, § 43 Rz. 4 f. 93) § 21 Abs. 4 ZAG (i. V. m. § 63 Abs. 2 Nr. 1 ZAG). 94) § 311 VAG (i. V. m. § 331 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 VAG), dazu z. B. Prölss/Dreher-Lipowsky, VAG, § 311 Rz. 4 ff. 95) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 25. 96) Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. 97) Vgl. dazu z. B. Palandt-Sprau, BGB, § 823 Rz. 56 ff.
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Fritz
§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
im Zeitraum des Entfallens der Antragspflicht – anwendbar, weil es nicht an eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht anknüpfte, sondern die Strafbarkeit von einer Zahlungseinstellung, der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, oder der Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse als einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit98) abhing (§ 283 Abs. 6, § 283b Abs. 3, § 283c Abs. 3, § 283d Abs. 4 StGB) und es insoweit genügte, dass ein äußerer Zusammenhang vorlag, der darauf hinwies, dass die Krise, in welcher die tatbestandsmäßige Handlung vorgenommen wurde, nicht behoben werden konnte, sondern sich bis zur Verwirklichung auch der Strafbarkeitsbedingung fortentwickelt hat.99) Dies wird man annehmen müssen, wenn die Unternehmenskrise während des Aussetzungszeitraums nicht behoben werden konnte, und mit dem Ende der Aussetzung Insolvenzantrag gestellt wurde. Aus praktischer Sicht war daher insbesondere darauf zu achten, dass der Buchführungspflicht (vgl. § 283b StGB) ordnungsgemäß nachgekommen wird. Dass auch keine übrigen Insolvenzstraftatbestände verwirklicht werden sollten, versteht sich von selbst. Auch die sonstigen, oftmals in der Insolvenz verwirklichten Straftatbestände, z. B. § 263 StGB (Betrug), § 265b StGB (Kreditbetrug), § 266 StGB (Untreue), § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) und § 370 AO (Steuerhinterziehung), blieben anwendbar. f)
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Praxishinweis
Wie schon dargelegt, kann die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht als Freifahrtschein missverstanden werden,100) spätestens wenn der Aussetzungszeitraum endet, stellte sich für die Unternehmen die mittels des SanInsKG überwintern konnten, die Stunde der Wahrheit. Daher war generell nötig, die Handlungsoptionen kritisch zu bewerten und dringend zu empfehlen, die Liquidität fortwährend zu prüfen,101) insbesondere ob – i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG – Aussichten bestanden, eine (ansonsten) bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, nicht nur einmalig oder sporadisch, sondern laufend zu überwachen.
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Sinnvolle Nachweise, im Falle der dann doch unvermeidbaren Insolvenz waren insoweit
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–
ein Jahresabschluss für 2019 aus dem hervorgeht, dass zum Jahreswechsel keine Insolvenz vorlag,
–
eine Dokumentation des im jeweiligen Falle konkreten Zusammenhangs der Pandemie mit der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit,
–
dazu auch Planungsrechnungen, anhand derer der normale Verlauf der Geschäftstätigkeit im Zeitraum der Überschuldungsprüfung (aktuelles und Folgejahr) dem (laufend) anzupassenden Verlauf in Folge der Pandemie gegenübergestellt wird,
_____________ 98) 99) 100) 101)
Dazu z. B. Lackner/Kühl-Heger, StGB, § 283 Rz. 26 ff. Vgl. Lackner/Kühl-Heger, StGB, § 283 Rz. 29. So explizit auch Rath, BB Heft 17/2020, S. I. Rath, BB Heft 17/2020, S. I.
Fritz
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§ 1 SanInsKG –
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Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
eine Dokumentation der beantragten bzw. gewährten Hilfsmittel und deren Geeignetheit eine Insolvenz zu vermeiden.102) Ein ausgereiftes Sanierungskonzept sollte aber nicht verlangt werden.103)
Letztlich musste auch kritisch geprüft werden, ob und mit welchem Zeithorizont (gerade auch langfristige) Verbindlichkeiten eingegangen werden dürfen, denn vor einem Eingehungsbetrug will das SanInsKG nicht schützen (siehe dazu auch die Kommentierung zu § 2 SanInsKG Rz. 46 [Fritz]).104) IV. Rechtslage vom 1.10.2020 bis 31.12.2020 (Abs. 2)
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Im Zeitraum vom 1.10.2020 bis zum 31.12.2020 war ausweislich des Absatzes 2 die Insolvenzantragspflicht ausschließlich wegen Überschuldung ausgesetzt. Zahlungsunfähige Unternehmen waren nach allgemeinen Regeln uneingeschränkt insolvenzantragspflichtig. Der Grund für die Einführung dieser Differenzierung sieht der Gesetzgeber darin, dass die Krise bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit im Regelfall bereits derart vertieft sei, dass die Unternehmen nicht mehr in der Lage seien, ihre laufenden Kosten und Verbindlichkeiten zu decken, sodass die Fortführungswahrscheinlichkeit prinzipiell als gering anzusehen sei.105) Vor dem Hintergrund der von einem zahlungsunfähigen Unternehmen ausgehenden Belastungen des Wirtschafts- und Rechtsverkehrs sei eine weitere Verschonung zahlungsunfähiger Unternehmen nicht notwendig und verhältnismäßig.106) Demgegenüber beruhe die weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen darauf, dass eine zuverlässige Bewertung der Fortbestehensprognose (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 InsO) unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum möglich sei.107)
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Geschäftsleiter von zum 1.10.2020 zahlungsunfähigen Unternehmen hatten den Insolvenzantrag unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, zu stellen. Die im Übrigen anwendbare Höchstfrist von drei Wochen (vgl. § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a. F./§ 15a Abs. 1 Satz 2 InsO n. F.) durfte nur dann „ausgereizt“ werden, wenn die Zahlungsunfähigkeit erst nach dem 1.10.2020 eingetreten ist.108)
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Überschuldete Unternehmen waren jedoch auch während des zeitlichen Geltungsbereiches des § 1 Abs. 2 SanInsKG vollumfänglich insolvenzantragspflichtig, soweit die sonstigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 SanInsKG nicht vorgelegen haben („nach Maßgabe des Absatzes 1“). Entscheidend war insoweit auch weiterhin, dass die Überschuldung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhte. Nicht erforderlich war hingegen, dass im Zeitpunkt der jeweiligen Bewertung Aussichten darauf bestanden, die bestehende Überschuldung zu beseitigen, denn § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SanInsKG spricht lediglich von einer Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit. Die Regelung des Absatz 2 beruht gerade auf der Erwägung, dass die zuverlässige Bewertung einer Fortbestehensprognose sich im vierten Quartal _____________ 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108)
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So auch Theiselmann, GmbH-StB 2020, 122 f. So wohl auch Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730. Rath, BB Heft 17/2020, S. I. BT-Drucks. 19/22178, S. 4. BT-Drucks. 19/22178, S. 4. BT-Drucks. 19/22178, S. 4; dazu Wolfer in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 1 Rz. 10. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 77 f.
Fritz
§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
des Jahres 2020 für viele Unternehmen noch immer schwierig gestaltete, sodass es widersprüchlich wäre, entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SanInsKG von ihnen eine Beurteilung der Aussichten auf die Beseitigung der Überschuldung zu verlangen. V. Rechtslage vom 1.1.2021 bis 31.1.2021 (Abs. 3 a. F.) 1.
Allgemeines
§ 1 Abs. 3 SanInsKG wurde im Rahmen des SanInsFoG eingefügt und galt zunächst nur für einen Zeitraum von einem Monat, bevor dann zum 15.2.2021 die Geltung des Absatz 3 bis zum 30.4.2021 verlängert wurde (s. unter VI.). Das im vierten Quartal 2020 nach wie vor andauernde Infektionsgeschehen hatte zur Folge, dass viele Unternehmen noch immer in erheblichem Umfang auf staatliche Stützungsmaßnahmen angewiesen waren. Sowohl die Bearbeitung der regelrechten Antragsfluten als auch die Auszahlung der Hilfen109) durch die Träger von Wirtschaftsförderungsmaßnahmen, insbesondere die Förderbanken der Länder, verzögerte sich jedoch zum Teil um einige Monate. Die Ursachen hierfür lagen zum einen darin, dass die betroffenen Rechtsträger im Regelfall nicht über die Personalkapazität und Organisationsstruktur verfügten, um die Vielzahl an Anträgen umgehend zu bearbeiten. Zum anderen entstanden im Rahmen der Antragsbearbeitung vielfach Folgeproblematiken, welche einer zeitintensiven rechtlichen Prüfung bedurften – insbesondere im Bereich des Beihilferechts. Ferner führten technische Probleme zum Teil dazu, dass Anträge auf Hilfszahlungen von den an sich Empfangsberechtigten gar nicht erst gestellt werden konnten. Der § 1 Abs. 3 SanInsKG versucht zu vermeiden, dass Unternehmen allein aufgrund des Umstandes, dass die ihnen grundsätzlich zustehenden staatlichen Hilfen nicht rechtzeitig bewirkt wurden, in die Insolvenz rutschen. 2.
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Aussetzung bei Antragstellung (Satz 1)
Absatz 3 Satz 1 sah in seiner ursprünglichen Fassung vor, dass die Insolvenzantragspflicht vom 1.1.2021 bis zum 31.1.2021 für die Geschäftsleiter solcher Unternehmen ausgesetzt ist, die im Zeitraum vom 1.11.2020 bis zum 31.12.2020 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt haben. Damit betrifft die Regelung insbesondere – aber nicht ausschließlich – die sog. November- und Dezemberhilfen.110)
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Im Rahmen des § 1 Abs. 3 SanInsKG ist nicht mehr maßgeblich, ob der Schuldner überschuldet (§ 19 InsO) oder zahlungsunfähig (§ 17 InsO) war. Allerdings griff die Aussetzung der Antragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit nur dann, wenn diese im Laufe des Januar 2021 eintrat. Gemäß § 1 Abs. 2 SanInsKG waren zahlungsunfähige Schuldner zwischen dem 1.10.2020 und dem 31.12.2020 uneingeschränkt insolvenzantragspflichtig. Ob sich Schuldner, die Mitte Dezember 2020 zahlungsunfähig wurden, über die Antragshöchstfrist nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a. F. in den Januar „retten“ konnten, um von der sodann (wieder) geltenden Aussetzung
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_____________ 109) Insbesondere die sog. November- und Dezemberhilfen. 110) Jahn, NZI 2021, 75; Heinrich, NZI 2021, 71, 73.
Fritz
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§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
der Antragspflicht zu profitieren, ist zweifelhaft.111) Eine bereits bestehende Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags wurde nicht zum 1.1.2021 „geheilt“.112) 70
Die Aussetzung galt sodann für den gesamten Monat Januar 2021, soweit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 SanInsKG zu Beginn dieses Zeitraums vorlagen.113) Der Gesetzgeber beabsichtigt den Betroffenen mit der Regelung eine gewisse Schonfrist einzuräumen, innerhalb derer die Bearbeitung der Anträge vonstattengehen kann. Er erkennt an, dass eine mögliche Insolvenzreife aufgrund der besonderen Umstände und Widrigkeiten rund um die Bearbeitung und Auszahlung der Hilfsleistungen auf einer vollständig extrinsischen Ursache beruht, die außerhalb jeder Einflussmöglichkeit der betroffenen Schuldner steht. Auch die Aussetzung nach § 1 Abs. 3 SanInsKG griff allerdings nur dann, wenn im Übrigen auch die Voraussetzungen des Absatz 1 vorlagen, d. h., dass ein „Beruhen“ der Krise auf den Pandemiefolgen (siehe oben unter Rz. 25 ff.) angenommen werden konnte und hinreichende Aussicht auf die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit bestand.
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Der für die Aussetzung nach § 1 Abs. 3 SanInsKG erforderliche Antrag auf staatliche Hilfsleistungen musste zwingend zwischen dem 1.11.2020 und dem 31.12.2020 gestellt worden sein, wobei der Eingang bei der zuständigen Stelle maßgeblich ist.114) Der Antrag gilt nur dann als gestellt, wenn er in der hierfür erforderlichen Form durch die dazu berechtigte Person gestellt wurde.115) Ferner darf die Hilfe zum 31.12.2020 noch nicht ausbezahlt gewesen sein.116) 3.
Aussetzung bei Unmöglichkeit der Antragstellung (Satz 2)
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Nach Satz 2 gilt § 1 Abs. 3 Satz 1 SanInsKG auch für Schuldner, die nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten fallen, wenn die Stellung eines Antrags auf Hilfsleistungen innerhalb des Zeitraums vom 1.11.2020 bis zum 31.12.2020 aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich war. Hierdurch werden die vielfältigen Ursachen berücksichtigt, die neben der Arbeitsüberlastung der mit der Bearbeitung und Auszahlung betrauten Rechtsträger mitverantwortlich für die erheblichen Verzögerungen gewesen sein können. Beispielhaft werden insbesondere IT-technische Gründe und beihilferechtliche Gründe genannt.117)
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Der Nachweis darüber, ob und inwieweit eine Antragstellung aufgrund technischer Probleme tatsächlich nicht möglich war, ist im Nachhinein in aller Regel nicht mehr zuverlässig zu führen. Ein Insolvenzgericht wird kaum mit Sicherheit ermitteln können, ob und inwieweit zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Überlastung der IT-Systeme bei der jeweiligen Stelle vorlag. Obgleich den Beweis hierfür im Zweifel der Schuldner bzw. dessen Geschäftsleiter selbst zu führen hat, sind hieran keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Der Schutzzweck der Vorschrift _____________ 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117)
40
So aber Heinrich, NZI 2021, 71, 73. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 90. Zutreffend: Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 93. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 103. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 111 ff. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 120. BT-Drucks. 19/25353, S. 15.
Fritz
§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
gebietet eine eher großzügige Handhabung. In der Praxis kann dies zur Folge haben, dass die Frage danach, ob ein Antrag nach Absatz 3 Satz 1 gestellt wurde, bei der nachlaufenden Beurteilung, ob die Aussetzung im Einzelfall greift, oftmals keine übergeordnete Rolle mehr spielen wird. Mit ein wenig Begründungsaufwand werden die meisten Schuldner stets Gründe dafür anführen können wird, warum eine rechtzeitige Antragstellung letztlich nicht möglich gewesen sein soll. Im Ergebnis wird damit die Prüfung der Erfolgsaussichten eines (hypothetischen) Antrages (Satz 3) das zentralere Kriterium sein, anhand dessen ex post bestimmt werden kann, ob die Aussetzung zugunsten des betroffenen Schuldners galt oder nicht. 4.
Insolvenzantragspflicht bei fehlender Antragsberechtigung (Satz 3)
Die Sätze 1 und 2 galten gemäß Satz 3 nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung bestand oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend war. Schuldner bei denen dies zutrifft, waren nach dem Zweck der Regelung nicht schutzwürdig und daher uneingeschränkt insolvenzantragspflichtig.118)
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Bei der Frage nach den Erfolgsaussichten eines Antrags war der konkret gestellte Antrag zugrunde zu legen, soweit nicht im Rahmen des Satz 2 die Prüfung eines hypothetischen Antrags angezeigt war.119) Im Einzelnen waren die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der jeweiligen Hilfeleistung zu prüfen, wobei auf den Zeitpunkt der (hypothetischen) Antragstellung abzustellen war. Der Umfang des Anspruches auf die jeweilige Hilfsleistung war ebenfalls zu prüfen, denn es war erforderlich, dass die Hilfeleistung dazu geeignet war, die Insolvenzreife zu beseitigen.120) Zu beachten war, dass bei der Überschuldungsprüfung für die Zeit nach dem 1.1.2021 der verkürzte Prognosezeitraum von vier Monaten zugrunde zu legen war, soweit die besonderen Voraussetzungen des § 4 SanInsKG erfüllt waren (siehe Kommentierung zu § 4 SanInsKG [Fritz/Leipe]).121)
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Offensichtlich war die mangelnde Erfolgsaussicht eines Antrages auf eine Hilfsleistung, wenn der Antragstellende schlechterdings nicht ernsthaft vom Erhalt der Hilfsleistungen ausgehen durfte, weil – gemessen am Horizont eines durchschnittlichen, gewissenhaften Geschäftsleiters – bereits bei überschlägiger Prüfung auffallen musste, dass die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Am Beispiel der November- und Dezemberhilfen lag eine solche offensichtliche Aussichtlosigkeit der Erlangung der Leistungen etwa vor, wenn der antragstellende Schuldner nicht von den Schließungen ab dem 2.11.2020 betroffen war.
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Die Hilfen mussten geeignet sein, um die eingetretene Insolvenzreife zu beseitigen, d. h. die (tatsächlich erlangbare) Leistung musste unter Berücksichtigung aller sonstigen Leistungen und Umstände eine Zahlungsunfähigkeit oder rechnerische Überschuldung beseitigen.122)
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_____________ 118) 119) 120) 121) 122)
BT-Drucks. 19/25353, S. 15. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 140 f. Heinrich, NZI 2021, 71, 74. Wolfer in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 1 Rz. 10. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 1 Rz. 157.
Fritz
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§ 1 SanInsKG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
VI. Rechtslage vom 1.2.2021 bis 30.4.2021 (Abs. 3 n. F.) 78
Mit Gesetz vom 15.2.2021 wurde – rückwirkend zum 1.2.2021 der zeitliche Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 SanInsKG auch auf den Zeitraum vom 1.2.2021 bis zum 30.4.2021 erstreckt.123) Der Bezugsrahmen für die notwendigen Anträge auf staatliche Hilfsleistungen wurde bis zum 28.2.2021 erweitert.
_____________ 123) Art. 1 des Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 v. 15.2.2021, BGBl. I, 237.
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§2 Folgen der Aussetzung Fritz
(1) Soweit nach § 1 Abs. 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist, 1.
gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, des § 92 Absatz 2 Satz 2 des Aktiengesetzes, des § 130a Absatz 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1, des Handelsgesetzbuchs und des § 99 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes vereinbar;
2.
gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend; dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht aber deren Besicherung; § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a der Insolvenzordnung finden insoweit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, keine Anwendung;
3.
sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen;
4.
sind Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Entsprechendes gilt für a) Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber; b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners; c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;
5.
d) die Verkürzung von Zahlungszielen; gelten die bis zum 31. März 2022 erfolgten Zahlungen auf Forderungen aufgrund von bis zum 28. Februar 2021 gewährten Stundungen als nicht gläubigerbenachteiligend, sofern über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren bis zum Ablauf des 18. Februar 2021 noch nicht eröffnet worden ist.
(2) Absatz 1 Nummer 2 bis 5 gilt auch für Unternehmen, die keiner Antragspflicht unterliegen, sowie für Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind.
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§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
(3) Absatz 1 Nummer 2 und 3 gilt im Fall von Krediten, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der COVID-19-Pandemie gewährt werden, auch dann, wenn der Kredit nach dem Ende des Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird, und unbefristet für deren Rückgewähr. (4) 1Soweit nach § 1 Absatz 2 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist und keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist Absatz 1 anwendbar. 2Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. 3Absatz 3 bleibt unberührt. (5) Ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 1 Absatz 3 ausgesetzt, gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend, jedoch Absatz 1 Nummer 1 nur mit der Maßgabe, dass an die Stelle der darin genannten Vorschriften § 15b Absatz 1 bis 3 der Insolvenzordnung tritt. § 2 Abs. 1 einl. Satzteil geänd., Abs. 4 angef. mWv. 1. Oktober 2020 durch Gesetz v. 25. September 2020, BGBl. I S. 2016; Abs. 5 angef. mWv. 1. Januar 2021 durch Gesetz v. 22. Dezember 2020, BGBl. I S. 3256; Abs. 5 neu gef. mWv. 1. Januar 2021, Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d geänd., Buchst. e aufgeh., Nr. 5 angef., Abs. 2 geänd. mWv. 19. Februar 2021 durch Gesetz v. 15. Februar 2021, BGBl. I S. 237. Literatur: Altmeppen, Was bleibt von den masseschmälernden Zahlungen?, ZIP 2015, 949; Bitter, Corona und die Folgen nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), ZIP 2020, 685; Bornemann, Insolvenzrechtliche Aspekte des Maßnahmenpakets zur Stabilisierung der Wirtschaft, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1; Brünkmans, Anforderungen an eine Sanierung nach dem COVInsAG, ZInsO 2020, 797; Fritz, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVInsAG und ihre Folgen in der Praxis, ZRI 2020, 217; Ganter, Insolvenzrechtliche Probleme durch COVID-19 vor und nach dem Änderungsgesetz, NZI 2020, 1017; Gehrlein, Rechtliche Stabilisierung von Unternehmen durch Anpassung insolvenzrechtlicher Vorschriften in Zeiten der Corona-Pandemie, DB 2020, 713; Habersack/ Foerster, Debitorische Konten und Massezuflüsse im Recht der Zahlungsverbote, ZGR 2016, 153; Hölzle/Schulenberg, Das „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)“ – Kommentar, ZIP 2020, 633; Jarchow/Hölken, Das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz sowie weitere Maßnahmen des Gesetzgebers und der Bundesregierung zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, ZInsO 2020, 730; Klinck, Anfechtungsprivileg durch Stundung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 COVInsAG, ZIP 2021, 541; Morgen/Schinkel, Überbrückungskredite in Zeiten der COVID-19-Pandemie, ZIP 2020, 660; Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, 45. EL 04/2022; Poertzgen, Der Zweck heiligt die Mittel – ein Zwischenruf zum COVInsAG, ZInsO 2020, 825; Römermann, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im COVInsAG und ihre Folgen, NJW 2020, 1108; Strohn, Organhaftung im Vorfeld der Insolvenz, NZG 2011, 1161; Thole, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz und ihre weiteren Folgen, ZIP 2020, 655; Ziegenhagen, Auswirkungen der „Corona-Pandemie“ und erste Maßnahmen der Bundesregierung, ZInsO 2020, 689; Zuleger, Kreditsicherheiten nach dem StaRUG, NZI-Beilage 2021, 43. Übersicht I.
Allgemeines und Entwicklung der Vorschrift ....................................... 1 II. Rechtslage bis zum 30.9.2020 .............. 5
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1.
Fritz
Allgemeines ........................................... 5 a) Zeitlicher Anwendungsbereich der Privilegien ................................. 5
§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
2.
3.
I.
b) Adressatenkreis und Anwendbarkeit der Privilegien nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG ............ 8 c) Generelle Anwendbarkeitsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SanInsKG ....... 11 Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG) .............. 15 a) Nötiges Korrektiv zu restriktiver Rechtsprechung ........... 17 b) Regelungstechnik ......................... 18 c) Betroffene Zahlungsarten ............ 20 d) Folgen der Modifikation auf Ebene des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. für die Beweislast ................. 21 e) Begriff der Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang .... 22 f) Ausschluss des Privilegs und anderweitige Haftung .................. 27 Rückzahlung und Besicherung von Krediten Dritter (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SanInsKG) .................. 29 a) Weite Auslegung – Schutz „frischen Geldes“ ......................... 30 b) Umfassender Anfechtungsausschluss ..................................... 37 c) Umfang des Anfechtungsschutzes ........................................ 40 d) Besonderheiten bei KfWProgrammen ................................. 41
e) Rückzahlung und Besicherung von Gesellschafterdarlehen ......... 42 4. Keine Sittenwidrigkeit der Kreditgewährung und Besicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 SanInsKG) .............. 43 5. Einschränkung der Insolvenzanfechtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG) ........................................... 47 a) Anfechtungsschutz nur zugunsten von Vertragsgläubigern i. R. der Antragsaussetzung .................................... 49 b) Umfasste Rechtshandlungen ....... 52 c) Rückausnahme anhand subjektiver Voraussetzungen ............ 57 d) Teleologische Reduktion bei Eigenantrag des Schuldners? ....... 61 e) Auswirkungen auf § 133 InsO und andere Anfechtungstatbestände? ...................................... 64 f) Prüfung und Beweislast bei der Anfechtung erfasster Fälle .... 67 III. Auswirkungen der Verlängerung der Aussetzung ab 1.10.2020 (Abs. 4) ... 72 IV. Auswirkungen des SanInsFoG und der weiteren Verlängerung der Aussetzung ................................... 74 1. Einfügung des § 2 Abs. 5 SanInsKG ............................................. 74 2. Einfügung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SanInsKG ................................... 76
Allgemeines und Entwicklung der Vorschrift
Neben den unmittelbaren Folgen der Aussetzung der Antragspflicht nach § 1 SanInsKG1) sieht das Gesetz in § 2 SanInsKG weitere Privilegien für diejenigen Schuldner vor, für die die Aussetzung griff. Ohne die Gewährung dieser Privilegien sieht der Gesetzgeber das Risiko, dass bei einer im zeitlichen Anwendungsbereich der Aussetzung eingetretenen Insolvenzreife die Gläubiger und Vertragspartner des Schuldners erhaltene Zahlungen und Leistungen in einem späteren Insolvenzverfahren infolge einer Insolvenzanfechtung oder wegen einer unzulässigen Zahlung durch den verantwortlichen Geschäftsleiter wieder herausgeben müssten. Dies gefährdet die reibungslose Zusammenarbeit von Unternehmen, provoziert u. a. das Verlangen von Vorkasse und würde schließlich dem Grunde nach die Lieferketten gefährden. Insoweit soll nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich die Belieferung und Fortführung eines in der Krise befindlichen, ja sogar eines materiell insolventen Unternehmens ermöglicht werden.2) _____________ 1)
2)
Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVAbmildG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569. Mit dem Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 31.10.2022, BGBl. I, S. 1966 wurde aus dem COVInsAG das SanInsKG. Vgl. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 3.
Fritz
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1
§ 2 SanInsKG 2
3
Folgen der Aussetzung
Im Einzelnen sind dazu folgende Privilegien vorgesehen: –
Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, gelten als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters (z. B. i. S. von § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG a. F. oder von § 64 Satz 2 GmbHG a. F., jetzt § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO) vereinbar (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG).
–
Die bis zum 30.9.2023 erfolgende Rückzahlung von Krediten, die während der Aussetzung der Antragspflicht durch Dritte gewährt wurden, und die Besicherung solcher Kredite während des Aussetzungszeitraums gelten als nicht gläubigerbenachteiligend i. S. des § 129 InsO (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SanInsKG). Bei während des Aussetzungszeitraums gewährten Gesellschafterdarlehen (oder wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen) gilt Entsprechendes für deren Rückzahlung, nicht jedoch für deren Besicherung; in einer bis zum 30.9.2023 beantragten Insolvenz sind derartige Gesellschafterdarlehen überdies nicht nachrangig (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 und 3 SanInsKG).
–
Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum sind kein sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 SanInsKG). Eine Haftung gemäß § 826 BGB scheidet in solchen Fällen damit aus. Wegen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht scheidet auch eine Haftung von Kreditgebern oder Geschäftsleistern nach § 823 Abs. 2/§ 830 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO aus.
–
Kongruente Deckungen während des Aussetzungszeitraums (und bestimmte in § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 SanInsKG aufgeführte Rechtshandlungen) sind grundsätzlich einer Insolvenzanfechtung entzogen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 SanInsKG). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn dem Anfechtungsgegner bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ungeeignet gewesen sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 SanInsKG).
Da die Laufzeit der ursprünglichen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 SanInsKG a. F. bis zum 30.9.2021 beschränkt war (vgl. nunmehr § 1 Abs. 1 SanInsKG n. F.), die Pandemielage sich jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht merklich verbessert hatte, wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in mehreren Stufen verlängert (vgl. dazu die Darstellung unter § 1 Rz. 12 ff. [Fritz]). Im Zuge dessen wurde auch die Vorschrift des § 2 SanInsKG entsprechend angepasst. Mit der ersten Verlängerung der Aussetzung für überschuldete Unternehmen ab dem 1.10.20213) wurde infolge der Einfügung des § 1 Abs. 2 SanInsKG auch der § 2 Abs. 4 SanInsKG eingefügt und somit klargestellt, dass die Folgen der Aussetzung nach den § 2 Abs. 1 bis 3 SanInsKG auch für die von der weiteren Aussetzung der Antragspflicht betroffenen Unternehmen gelten. Im Rahmen des SanInsFoG4) wurde schließlich _____________ 3) 4)
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Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 25.9.2020, BGBl. I, 2016. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256.
Fritz
§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
zum 1.1.2021 der § 2 Abs. 5 SanInsKG eingefügt, um die notwendige Bezugnahme zu dem ebenfalls neu eingefügten § 1 Abs. 3 SanInsKG herzustellen. Mit Gesetz vom 15.2.2021 wurde rückwirkend zum 1.2.2021 der zeitliche Geltungsbereich des § 1 Abs. 3 SanInsKG bis zum 30.4.2021 verlängert.5) Im Zuge dessen wurde zunächst – bereits rückwirkend zum 1.1.2021 – die Bezugnahme auf den ebenfalls durch das SanInsFoG neu geschaffenen § 15b InsO in § 2 Abs. 5 SanInsKG angepasst. Im Übrigen wurde mit Wirkung zum 19.2.2021 der § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e) SanInsKG a. F. gestrichen und somit die anfechtungsrechtliche Privilegierung von Zahlungserleichterungen aufgehoben. Die Neueinfügung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SanInsKG regelt nunmehr die anfechtungsrechtliche Privilegierung von Stundungen und löst insoweit den § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e) SanInsKG a. F. ab.6) Mit Gesetz vom 31.10.20227) wurde das ehemalige COVInsAG in das heutige SanInsKG umbenannt, wobei § 2 SanInsKG inhaltlich nicht geändert wurde. Mithin können sich diejenigen, für die seinerzeit die Privilegien galten auch weiterhin auf die damalige Rechtslage berufen. Die nachfolgende Darstellung unter II. umfasst allein die unter der Urfassung des SanInsKG vom 27.3.2020 geltende Rechtslage. Die jeweiligen Änderungen und Konsequenzen, welche sich aus der stufenweisen Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über den 30.9.2020 hinaus ergeben, werden unter III. und IV. erläutert.
4
II. Rechtslage bis zum 30.9.2020 1.
Allgemeines
a) Zeitlicher Anwendungsbereich der Privilegien Zeitlich gelten auch die Privilegien des § 2 SanInsKG gemäß Art. 6 Abs. 1 COVAbmildG a. F. rückwirkend ab dem 1.3.2020.8) Da und soweit die Privilegien _____________ 5)
6) 7) 8)
Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 v. 15.2.2021, BGBl. I, 237. Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 2 Rz. 61a. Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 31.10.2022, BGBl. I, S. 1966. Vgl. Begr. RegE COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23; aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich die Frage, ob nicht insbesondere § 2 SanInsKG gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG verstößt. Dem Grunde nach handelt es sich bei der Regelung um eine sog. echte Rückwirkung, also eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Aus Schuldnersicht ergibt sich eine regulatorische Besserstellung, sodass sich verfassungsrechtliche Bedenken hier nicht aufdrängen. Aber auch aus Gläubigersicht ist zweifelhaft, inwieweit sich aus den Regelungen zur Insolvenzanfechtung bzw. aus den i. E. vom Insolvenzverwalter geltend zu machenden Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter eine originäre Schutzposition der Gläubiger eines Insolvenzverfahrens ableiten lässt. Zwar lässt sich argumentieren, dass hierdurch der Anspruch der Gläubiger der betroffenen Unternehmen auf gleichmäßige Befriedigung nach Eintritt des materiellen Mangelzustands der Insolvenz rückwirkend vereitelt wird. Allerdings dürfte sich ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsinteresse dieses Personenkreises an einem nahtlosen Fortbestand der par conditio creditorum und der zum Zwecke ihrer Förderung geschaffenen Rechtsinstrumente nur schwer begründen lassen. Unabhängig hiervor werden im Falle des SanInsKG zwingende Gründe des Allgemeinwohls vorliegen, die eine hinreichende Grundlage für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Rückwirkung bieten.
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auf die Aussetzung der Antragspflicht nach § 1 Abs. 1 SanInsKG abstellen, ist mit der Anknüpfung der Zeitraum der Aussetzung bis zum 30.9.2020 gemeint. Endet dieser, enden grundsätzlich auch diese zeitlich beschränkten9) Privilegien nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 SanInsKG, soweit sich nicht aus den Absätzen 4 und 5 etwas anderes ergibt. Entfällt die Aussetzung der Antragspflicht nach § 1 SanInsKG, bleibt für die Anwendung von § 2 SanInsKG insgesamt kein Raum mehr10), soweit die Privilegien nicht „nachwirken“. 6
Die Verweisung auf § 1 Abs. 1 SanInsKG durch ein „soweit“, mag man als sprachliche Ungenauigkeit ansehen,11) die der Schnelligkeit der Abfassung geschuldet war.12) Bei systematischer und teleologischer Auslegung des SanInsKG ist aber klar, dass dieses nur temporär wirkende Gesetz mit „soweit“ den zeitlich begrenzten, aber in Form einer etwaige Verlängerung flexiblen Zeitraum der Aussetzung der Antragspflicht meint. Der Anwendungsbereich des § 2 SanInsKG ist zeitlich daher grundsätzlich so lange eröffnet, solange bzw. „soweit“ § 1 SanInsKG greift.13) Bornemann stellt klar, dass es sich mithin allein um eine „binäre Differenzierung“ handeln kann: Entweder besteht die Aussetzung und öffnet den Weg zu § 2 SanInsKG oder eben nicht.14)
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Allerdings besteht eine wichtige Ausnahme von dieser zeitlichen Limitierung: Für Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und ihrer Finanzierungspartner oder von anderen Institutionen i. R. staatlicher COVID-19-Pandemie-Hilfsprogramme gelten diese zeitlichen Grenzen nicht. Die Privilegien für die Kreditvergabe dieser Institutionen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SanInsKG) sind mithin unabhängig davon, wann der jeweilige Kredit gewährt oder besichert wurde und unabhängig vom Zeitpunkt dessen Rückgewähr (§ 2 Abs. 3 SanInsKG). Maßgeblicher Anknüpfungsgegenstand ist in diesen Fällen demnach nicht der Aussetzungszeitraum, sondern vielmehr die Zweckbestimmung der Kreditvergabe und in diesem Zusammenhang gewährter Sicherungen („anlässlich dieser Hilfsprogramme“). Der persönliche Anwendungsbereich des Absatzes 3 ist damit äußerst eng gefasst und ist auf die gläubigerseitigen Teilnehmer der staatlichen Hilfsprogramme beschränkt. Damit soll gewährleistet werden, dass diese Programme im Einzelfall auch dann noch entsprechend privilegiert eingreifen können, wenn sich längerfristige Folgen der COVID-19-Pandemie bei einzelnen Schuldnern auch nach Ende der Aussetzungsfrist nicht anderweitig abfedern lassen. Absatz 3 ist mithin als eine Art zeitliche Öffnungsklausel zu verstehen. b) Adressatenkreis und Anwendbarkeit der Privilegien nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG
8
Adressaten der Privilegien sind zunächst die Organe, an die sich die in der Aufzählung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG in ihrer Anwendung temporär ausgesetzten _____________ 9) 10) 11) 12) 13)
Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 25. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 639. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 3. So auch Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 639. Zutreffend beurteilt durch das LG Krefeld (Urt. v. 6.10.2021 – 7 O 79/21, ZRI 2022, 910), als im zugrundeliegenden Sachverhalt die streitgegenständlichen Zahlungen auf den 26.2.2020 datieren – also vor Beginn des Aussetzungszeitraums am 1.3.2020 – und daher nicht durch § 2 SanInsKG privilegiert wurden. 14) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 2.
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§ 2 SanInsKG
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Vorschriften wenden. Anders ausgedrückt sind dies die durch die entsprechenden Normen des GmbHG, des AktG, des HGB und des GenG etc. anderenfalls von der Haftung nach diesen Normen betroffenen Geschäftsführer oder Vorstände. Bei Vorständen von Vereinen umfasst das Privileg, freilich bereits unmittelbar, dass bei Aussetzung der Antragspflicht auch die Haftung wegen verzögerter Antragstellung nach § 42 Abs. 2 BGB nicht greift.15) Tatbestandlich setzt die Anwendung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG nun immer voraus, dass –
die Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG ausgesetzt war,
–
die Voraussetzungen der Ausnahme nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG nicht vorlagen und
–
die fragliche Rechtshandlung in den (verlängerbaren) Aussetzungszeitraum fällt.16)
Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG siehe sodann unter Rz. 29 ff.
9
10
c) Generelle Anwendbarkeitsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SanInsKG Die als Folge der Aussetzung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 SanInsKG gewährten Privilegien setzen das Vorliegen einer materiellen Insolvenz nicht voraus. So werden diese Privilegien dem Dritten nach § 2 Abs. 1 SanInsKG gewährt, wenn – wie oben dargelegt – die Aussetzung der Antragspflicht allein rein zeitlich gesehen und generell eingriff. § 2 Abs. 2 SanInsKG17) stellt dies zugunsten der Dritten klar: Die Privilegien für die Kreditvergabe (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SanInsKG) und bei der Insolvenzanfechtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG) gelten zugunsten Dritter also auch bei Rechtsgeschäften mit Schuldnern, die per se oder mangels einer konkret bestehenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht antragspflichtig sind.18) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen eben auch schon Fälle umfasst
_____________ 15) Vgl. die explizite Nennung dieser Haftungsgefahr Begr. Entwurf COVAbmildG, BTDrucks. 19/18110, S. 17; Für Vereinsvorstände existiert allerdings kein dem § 64 Satz 1 GmbHG a. F. oder § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG a. F. unmittelbar entsprechender Haftungstatbestand. Eine analoge Anwendung hat der BGH in seinem Hinweisbeschluss v. 8.2.2010 abgelehnt (BGH, Beschl. v. 8.2.2010 – II ZR 156/09, NZG 2010, 711). Eine Haftung für Zahlungen entgegen dem Zahlungsverbot kommt daher allein aus § 823 Abs. 2 BGB in Betracht (dazu etwa Leuschner in: MünchKomm-BGB, § 42 Rz. 35, der richtigerweise zwischen grundsätzlichem Zahlungsverbot und hieran geknüpftem Haftungstatbestand differenziert). Für Vereinsvorstände wird die Haftungsfrage im Zusammenhang mit dem SanInsKG daher allein auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zu beantworten sein. Letztere kann freilich dann nicht mehr angenommen werden, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG vorliegen. 16) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4. 17) Eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG entfallende Ersatzpflicht besteht in derartigen Fällen ohnehin nicht. 18) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 24.
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werden, bei denen sich der jeweilige Schuldner in einer Krise bzw. in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet.19) 12
Mit anderen Worten: Solange und soweit gegenüber Schuldnern dem Grunde nach bzw. zeitlich (siehe Rz. 5 ff.) die Insolvenzantragsaussetzung griff, gilt zugunsten der Geschäftspartner der Katalog der Haftungsprivilegien des § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SanInsKG.
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Indes bringt § 2 Abs. 2 SanInsKG die Regelungen des § 2 Abs. 1 SanInsKG nur in den Fällen der Nr. 2 bis 5, also zum Schutz Dritter, zur Anwendung, wenn es sich auf Seiten des Schuldners um einen solchen handelt, der auch nach Maßgabe des SanInsKG nicht antragspflichtig war. Im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG bedurfte es keiner entsprechenden Erstreckung, da mangels Insolvenzreife die dort genannten Auszahlungsverbote noch nicht galten. Das heißt aber auch, dass § 2 Abs. 2 SanInsKG die Wirkung des Absatz 1 nur auf die Fälle erstreckt, bei denen der Schuldner selbst nicht auf die Aussetzung der Antragspflicht angewiesen gewesen wäre. Handelt es sich hingegen um ein Unternehmen, welches an sich antragspflichtig war, dem die grundsätzliche Aussetzung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG auch zugute kam, bei dem dann aber die Ausnahme des § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG (kein Beruhen der Insolvenzreife auf der Pandemie oder keine Aussicht die Zahlungsunfähigkeit zu überwinden, siehe unter Art. 1 SanInsKG Rz. 25 ff. [Fritz]) griff, kommt dann in diesem Falle dem Dritten die Aussetzung der Antragspflicht und in der Folge auch das darauf tatbestandlich aufbauende Privileg nicht zugute. Denn hier fehlt es bereits tatbestandlich an einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht als Grundvoraussetzung für die Privilegien nach § 2 SanInsKG.20)
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Hier muss freilich wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses des § 1 SanInsKG derjenige, der sich auf die Ausnahme, die Insolvenz beruhe nicht auf der Pandemie oder es bestehe keine Aussicht zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit, beruft, die entsprechende Beweislast tragen, mithin die Ausnahme des § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG beweisen, was nicht einfach sein dürfte. Die für die im Falle einer kontradiktorischen, rechtlichen Auseinandersetzung aufgestellten Beweislastregeln, darunter die gesetzliche Vermutung und die Anforderungen an die Widerlegung der Kausalität und die begründeten Aussichten auf (nachhaltige) Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG erläuterten Grundsätze, sind daher für die Frage, ob sich der Dritte auf das Privileg im Ergebnis berufen bzw. verlassen darf, entsprechend anzuwenden.21) _____________ 19) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 24. Dabei findet sich der vergleichbare Begriff der finanziellen Schwierigkeiten bereits in ErwG 1 der Restrukturierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 – Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019). Das deutet schon an, dass die durch die COVID-19-Pandemie geschaffenen Probleme durchaus durch die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland künftig beigelegt werden könnten. Denn die nicht in diesem Beitrag behandelten Regelungen zum Moratorium bei Verträgen der Daseinsvorsorge und der Stundung von Mieten in Art. 5 COVAbmildG sowie jetzt gewährte neue Kredite, lassen letztlich eine Bugwelle an Schulden entstehen, die künftig abgebaut werden müssen. 20) Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 639. 21) So auch Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 640.
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2.
Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG)
Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG gelten Zahlungen, die im sog. ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere der Aufrechterhaltung bzw. Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Dabei verweist § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG ausdrücklich auf § 64 Satz 2 GmbHG a. F., § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG a. F., § 130a Abs. 1 Satz 2 HGB a. F., auch i. V. m. § 177a HGB a. F. und § 99 Abs. 2 GenG a. F., und eine solche Haftung der Geschäftsleiter scheidet dann im Fall einer Anschlussinsolvenz aus.
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Der Geschäftsleitung soll es damit ermöglicht werden, erforderliche Maßnahmen zur Fortführung des Unternehmens zu ergreifen, ohne hierfür persönlich einstehen zu müssen. Dies gilt auch dann, wenn eine etwaige spätere Insolvenz auf vollkommen anderen Ursachen als die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Entscheidend ist, dass die die Haftung ausschließenden Tatsachen im Zeitpunkt der entsprechenden Rechtshandlung vorliegen.
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a) Nötiges Korrektiv zu restriktiver Rechtsprechung Diese Haftungserleichterungen sind mittlerweile auch nötig, da eine restriktive Tendenz in der Rechtsprechung in jüngster Zeit praktisch jede Leistungserbringung nach Insolvenzreife ausschloss22) und damit eine Fortführung zu Zwecken der Sanierung torpedierte. So wurden immer höhere Hürden für eine Haftungsbegrenzung bei Gegenleistungen zugunsten der Masse (auf Ebene des § 64 Satz 1 GmbHG) sowie für Zahlungen, welche gemäß dem Ausnahmetatbestand des § 64 Satz 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind, aufgestellt. Entgegen früherem und wohlbegründetem23) Verständnis sind nach der jüngeren Rechtsprechung des BGH etwa für die Gegenleistung die Regeln des Bargeschäfts nicht mehr entsprechend anwendbar.24) Demnach muss die in die Masse gelangende Gegenleistung für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein. Das seien Arbeits- oder Dienstleistungen in der Regel nicht. Wenn die Gesellschaft insolvenzreif und eine Liquidation zugrunde zu legen ist, sei die in die Masse gelangende Gegenleistung grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bemessen.25) Damit wurde völlig verkannt, dass gerade die Arbeits- und Dienstleistungen zu einer Wertschöpfung beitragen, die bei Eröffnung nicht körperlich vorhanden sein mag, indes hieraus zumeist Forderungen entstehen, die der Insolvenzverwalter dann zum vollen Wert einziehen kann. In der Praxis haben daher Insolvenzverwalter Geschäftsführer für solche Zahlungen auf Dienstleistung nach § 64 Satz 2 GmbHG a. F. in Anspruch genommen, obschon die Masse dank dieser Zahlungen das Doppelte aus so geschaffenen Forderungen schon vereinnahmt hatte. Von daher ergibt es Sinn, wenn in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erwähnt wird, dass die Geschäftsleiter in der aktuellen Lage, bei der Fortführung des Unternehmens nicht durch die – so _____________ 22) 23) 24) 25)
So auch Bitter, ZIP 2020, 685, 690; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 292. Etwa Strohn, NZG 2011, 1161, 1164 f.; Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153, 180. BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, NZG 2017, 1034. BGH, Urt. v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, NZG 2017, 1034; Altmeppen, ZIP 2015, 949, 950.
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wörtlich – „engen Grenzen“ dieser Vorschriften begrenzt werden sollen26) bzw. um mit Bornemann zu sprechen, diese Enge zu überwinden sei.27) b) Regelungstechnik 18
Die Norm des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG geht einen anderen Weg als § 1 SanInsKG. Während letzterer die Pflicht zur Insolvenzantragstellung in seinem Abs. 1 Satz 1 generell aussetzt, werden durch § 2 SanInsKG die gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestände nicht auf der ersten Subsumtionsebene – und damit nicht bei der Frage der Gegenleistung – ausgesetzt. So sind hier nur die Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, also der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes dienen, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Das SanInsKG knüpft also direkt an den Ausnahmetatbestand des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. an.28) Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegliche, gesetzliche Fiktion.29) Denn nach dem Wortlauft der Haftungsnormen (hier am Beispiel des § 64 GmbHG erläutert) wären die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht für Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Kraft der Fiktion gelten dann aber die Zahlungen welche im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erbracht wurden (dazu gleich) als solche, die mit der erforderlichen Sorgfalt erbracht wurden. Nach zutreffender h. M. wird damit dann auch der objektive Tatbestand der Haftungsnormen ausgeschlossen.30)
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Nun führte die Aussetzung der Antragspflicht nicht dazu, dass keiner der genannten Insolvenzgründe mehr vorliegen konnte, denn es wurde „nur“ die Antragspflicht ausgesetzt. Lagen diese Gründe vor, muss nach bisherigem Recht der Geschäftsleiter nachweisen, dass die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind oder eine kompensierende Gegenleistung vorlag.31) Hier hilft die gesetzliche Fiktion des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG, denn nunmehr gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Es handelt sich also um eine Fiktion, dass ein die Rückzahlungssanktion ausschließendes Tatbestandsmerkmal vorliegt. c) Betroffene Zahlungsarten
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So wie der Begriff der „Zahlungen“ i. R. des § 64 GmbHG a. F. weit auszulegen ist und jeden das Gesellschaftsvermögen schmälernden Transfer umfasst,32) hat dies _____________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)
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Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4. Vgl. dazu ausführlich Bitter, ZIP 2020, 685, 691. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4.; Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 641. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4. Vgl. statt aller Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 34. Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 10.
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§ 2 SanInsKG
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dann spiegelbildlich auch für den Begriff der „Zahlungen“ i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG zu gelten. d) Folgen der Modifikation auf Ebene des § 64 Satz 2 GmbHG a. F. für die Beweislast Nach bisheriger Rechtslage musste der Insolvenzverwalter, wollte er einen Geschäftsleiter in Anspruch nehmen, nachweisen, dass nach Eintritt der Insolvenzreife eine Zahlung bzw. ein das Gesellschaftsvermögen schmälernder Transfer vorlag. Der Geschäftsleiter musste hingegen auf der ersten Tatbestandsebene – jedenfalls nach der jüngsten BGH-Rechtsprechung – darlegen, dass die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Zahlung durch eine Gegenleistung ausgeglichen wurde, welche zudem für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein musste. Hieran ändert sich zunächst nichts. Unter dem SanInsKG greift indes die gesetzliche Fiktion des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG, nach welcher der Geschäftsleiter in einer künftigen Insolvenz, in deren Konsequenz ein Insolvenzverwalter im Aussetzungszeitraum geleistete Zahlungen angreift und die im Zeitpunkt der Zahlungen vorliegende materielle Insolvenz beweisen kann, wiederum den Gegenbeweis dafür erbringen muss, dass es sich bei den Zahlungen bzw. Transfers um solche handelt, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgten. Dazu werden nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG insbesondere aber nicht nur solche Zahlungen gerechnet, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung des Sanierungskonzeptes dienen.
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e) Begriff der Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang Nach der Gesetzesbegründung umfasst der ordnungsgemäße Geschäftsgang alle hierzu erforderlichen Maßnahmen, etwa wenn sie der Neuausrichtung des Geschäfts i. R. der Sanierung dienen sollen.33) Anhand dessen lässt sich gut erkennen, dass im weitesten Sinne alle Transfers, die der Fortführung dienen, von dem Privileg in § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG umfasst sein sollen. Referenzmaßstab wird damit die Fortführung.34)
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Was der Gesetzgeber sich unter dem „ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ vorgestellt hat, bleibt zunächst unklar, denn dieser unbestimmte Rechtsbegriff taucht ansonsten eher im Bilanzrecht auf und meint dort als „ordnungsmäßiger Geschäftsgang“ ein zeitlich von Verzögerung freies Vorgehen.35) Zur Deutung des Begriffs kann auch hinzugezogen werden, dass er keinesfalls ein Synonym zu der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes sein soll, denn dann wäre das vorgesehene Privileg wirkungslos.36) Somit ergibt es Sinn zu überlegen, welche Transfers nicht mehr als ordnungsgemäßer Geschäftsgang anzusehen sind. Hier kann man zum einen daran denken, dass außergewöhnliche Maßnahmen, welche ein Geschäftsführer etwa nach der Satzung nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung durchführen könnte, ausgeschlossen sein sollen. Die Gesetzesbegründung will aber z. B. auch ausdrücklich die Neuausrich_____________
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33) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. 34) Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 642. 35) Vgl. dazu Merk in: BeckOK-HGB, § 243 Rz. 35 ff.; Ebenroth/Boujong/Joost/StrohnBöcking/Gros, HGB, § 243 Rz. 17 ff. 36) In diesem Sinne wohl das Privileg zu stark einschränkend Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 641.
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tung erlauben.37) Daher kann man allenfalls solche außerordentlichen Transfers ausschließen, die über die normalen bzw. alltäglichen Geschäftsvorfälle hinausgehen und eben nicht den vorerwähnten Zwecken dienen. 24
Orientiert man sich aber zum anderen an der generellen Intention der Schutzgesetze, wie etwa § 64 GmbHG a. F., kann man auch folgern, dass übermäßige Transfers, die in keinem ausgeglichenem Verhältnis zur Gegenleistung stehen (etwa Zahlungen, die eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellen oder bei unpassender Relation schon einen Schenkungscharakter aufweisen) nicht mehr ordnungsgemäß sind38) und letztlich auch durch Vermögensminderung die Fortführung gefährden.39) Nicht ordnungsgemäß sind somit auch Zahlungen, die man als „Asset Protection“ erkennen kann, mittels derer Vermögen im Ergebnis etwa an nahe Familienangehörige oder andere nahestehende Personen oder Unternehmen fließt.40) Auch Ausschüttungen an Gesellschafter oder Selbstbegünstigung sind nicht geschützt.41) Setzt man diese Überlegungen ins Verhältnis zur jüngsten BGH-Rechtsprechung und den Vorstellungen des Gesetzgebers wird aber klar, dass es darauf ankommen muss, dass im Zeitpunkt des Transfers diesem ex tunc eine angemessene Gegenleistung gegenüberstand und er generell der Fortführung diente. Dazu sollten aber auch Investitionen und, wenn es sich um wichtige Lieferanten handelt, sogar die Bedienung von rückständigen Rechnungen gehören, wenn dies für die privilegierten Zwecke42) aber auch schon für die Stabilisierung der Lieferbeziehung nötig ist.43)
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Die geschützte Zweckverfolgung und Angemessenheit ex tunc wird der Geschäftsführer im gerichtlichen Streitfalle ggf. beweisen müssen, wenn er darzulegen hat, dass die Zahlung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgte, ohne dass man hier ex post allgemeine Nützlichkeitskontrollen einziehen sollte. Generell sinnvoll ist hier auch der Ansatz einer Insolvency Judgement Rule,44) soweit man diese weit und in dem Sinne versteht, dass bei den Transaktionen die Belange potenzieller Gläubiger zumindest auch bedacht wurden. Dies kann man indes nicht als Einzelabwägung in jedem Einzelfall erwarten, wohl aber in dem Sinne, dass den erwähnten Zwecken entsprechende Transaktionen geschützt sind, wenn der Geschäftsleiter aufgrund einer fundierten Bewertung der Gesamtlage davon ausgehen durfte, dass die Aufrechterhaltung, Fortführung oder Sanierung des Geschäftsbetriebes den generellen Interessen der Gläubiger nicht zuwiderläuft. Hier ist auch die Erhaltung des Fortführungswertes mit zu berücksichtigen; keinesfalls verlangt werden kann aber, dass der Gegenwert der Transaktion in einer nachfolgenden Insolvenz (noch) in der Masse verwertbar vorhanden ist.45) _____________ 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45)
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Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. So auch Thole, ZIP 2020, 655. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 641. Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730–740. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4. Schluck-Amend, NZI 2020, 289, S. 292. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 4., unter Verweis auf Bitter, ZIP 2020, 685, 691. So im Ergebnis auch Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 642.
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Folgen der Aussetzung
Für die Geschäftsführung in Zeiten der Pandemie hieß das, dass es bei jeder Transaktion darauf ankommt, im Zweifel die Angemessenheit der Höhe für die Fortführung des Unternehmens darlegen zu können und eine Dokumentation vorzuhalten, warum eine Aufrechterhaltung des Unternehmens (siehe oben bei § 1 SanInsKG Rz. 29 ff. [Fritz]) zumindest aussichtsreich war. Damit sind auch die befürchteten Aufzehrungen der Masse durch nicht ordnungsgemäße Transfers ausgeschlossen, ohne übermäßige Anforderung zu stellen. Einen Freibrief stellt § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG nicht aus.46) f)
26
Ausschluss des Privilegs und anderweitige Haftung
Trotz der eindeutigen Systematik des § 2 Abs. 1 SanInsKG fehlt in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG ein Hinweis, dass dieser an § 1 SanInsKG anknüpft. Dieser Hinweis findet sich aber in der Begründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG.47) Zudem wird dort darauf hingewiesen, dass dann auch die Beweislastregeln (siehe Rz. 67 ff.) zugunsten des Dritten (also des potentiellen Anfechtungsgegners) gelten und dieser sich wiederum auf die Vermutung berufen kann.48) Entsprechend muss dies nicht nur bei den Dritten des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG, sondern auch bei Geschäftsleitern bzw. gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG gelten. Das heißt, der Kläger (in der Regel der Insolvenzverwalter) müsste nachweisen, dass im konkreten Fall die Aussetzung nicht griff.
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Richtigerweise wäre es deshalb auch nicht angebracht, die Privilegierung i. R. des § 64 GmbHG durch eine verstärkte Heranziehung des § 43 GmbHG bzw. vergleichbarer Normen für andere Rechtsformen zu kompensieren,49) zumal indes etwa die Haftung nach §§ 30, 31 GmbH bleibt.50) Nicht umfasst sind vom Privileg des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG die etwa nach § 64 Satz 3 GmbHG a. F. erfassten Zahlungen an Gesellschafter; diesem Thema widmet sich aber § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG. Letzterer schützt aber nicht die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen, welche vor der Aussetzung der Antragspflicht gewährt wurden.51)
28
3.
Rückzahlung und Besicherung von Krediten Dritter (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SanInsKG)
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 SanInsKG gelten die bis zum 30.9.2023 erfolgten Rückzahlungen von Krediten, die während der Aussetzung der Antragspflicht durch Dritte gewährt werden, und die Besicherung solcher Kredite während des Aussetzungszeitraums, als nicht gläubigerbenachteiligend. Der Gesetzgeber möchte hier auch im Zusammenspiel mit wirtschaftlichen Fördermaßnahmen die Zurückhaltung, in einer Krise Kredit zu gewähren, aufbrechen. Als Anknüpfungspunkt für das Privileg müssen die objektiven Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 SanInsKG vorliegen, was auch die Regelungen zur Beweislast umfasst (siehe dazu § 1 [Fritz] sowie generell und zu § 2 SanInsKG oben unter Rz. 14). _____________ 46) 47) 48) 49) 50) 51)
Bitter, ZIP 2020, 685, 691. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. Vgl. Bitter, ZIP 2020, 685, 691. So auch Thole, ZIP 2020, 655. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 641.
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a) Weite Auslegung – Schutz „frischen Geldes“ 30
Der Begriff des Kredites ist zweckgemäß weit auszulegen und soll möglichst jede denkbare Finanzierungsform umfassen, die den Beteiligten nach den Umständen des Einzelfalls angemessen und gangbar erscheint. Nach der Gesetzesbegründung unterfallen dem etwa auch Warenkredite und alle Leistungserbringungen auf Ziel, d. h. also Leistung gegen spätere Bezahlung bzw. gegen Rechnung auf Zahlungsziel.52) Damit wird deutlich, dass für die Eigenschaft eines Kredites i. S. dieser Norm ein ausdrückliches Stehenlassen nicht erforderlich ist. Vielmehr unterfallen alle Zahlungen, die nicht schon als Zug-um-Zug-Geschäfte i. R. eines unmittelbaren Leistungsaustauschs stattfinden, der Vorschrift. Entscheidend ist jedoch auch, dass es sich um ein zusätzliches Risiko des Kreditgebers handelt, welches während der Aussetzung der Antragspflicht übernommen wurde, sodass die Novation oder Prolongation eines bestehendes Engagements nicht ausreicht (siehe Rz. 30 f.).53) Auch kann jeder Geschäftspartner davon profitieren, der in irgendeiner Form eine Lieferung oder Leistung erbracht hat und dabei vorgeleistet hat.54) Ein Kreditoder gar Bankgeschäft im engeren Sinne muss gerade nicht vorliegen.
31
Erneut geht es um die Ermöglichung der Fortführung von Unternehmen und insbesondere um den Schutz frischen Geldes.55) Das ist ein Paradigmenwechsel. So ist der besondere Schutz frischen Geldes vielen Rechtsordnungen bereits gemein, wenn es um die Restrukturierung einzelner Unternehmen in der Krise geht.56) Im deutschen Restrukturierungsrecht musste man sich bislang diesen Schutz durch Sanierungsgutachten mehr oder minder teuer erkaufen,57) was in der Praxis gerade für kleinere Unternehmen aufgrund der hierdurch entstehenden zusätzlichen Kostenbelastung eine zusätzliche Hürde darstellt. Nun wird jedenfalls in der kollektiven Krise auch hierzulande deutlich, dass der Schutz frischen Geldes durchaus Sanierungen und Fortführungen erleichtern kann. Dies hat der Gesetzgeber in Umsetzung der Artt. 17, 18 der Restrukturierungsrichtlinie eingeführten §§ 89, 90 StaRUG ebenfalls erkannt.58) _____________ 52) 53) 54) 55) 56)
Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. BT-Drucks. 19/18110, S. 23; Gehrlein, DB 2020, 713, 721; Ganter, NZI 2020, 1017, 1022. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 642. Thole, ZIP 2020, 655. Vgl. dazu auch die Regelungen in Artt. 17, 18 Restrukturierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019, ABl. (EU) L 172/18 v. 26.6.2019). 57) Aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen an das Risikomanagement der Banken haben sich Letztere vor der Begleitung einer Sanierung ein umfassendes Sanierungskonzept vorlegen zu lassen, anhand dessen die Entscheidung über die Kreditvergabe auszurichten ist. Die Bank muss sich auf dieser Grundlage stets ein eigenständiges Urteil darüber bilden, ob die Sanierung Aussicht auf Erfolg hat, vgl. BTO 1.2.5 Nr. 3 MaRisk (BaFin, Rundschreiben 9/2017 (BA), Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, v. 27.10.2017 [BA 54-FR 2210-2017/0002], https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/ Rundschreiben/2017/rs_1709_marisk_ba.html [Abrufdatum: 15.9.2021]). Im Zusammenhang mit der Vorsatzanfechtung lässt sich zudem ein Benachteiligungsvorsatz in der Regel nur dann zuverlässig ausschließen, wenn die umfassenden Anforderungen des BGH an ein schlüssiges Sanierungskonzept erfüllt sind (vgl. dazu ausführlich Kayser/Freudenberg in: MünchKommInsO, § 133 Rz. 37 f.). 58) Vgl. dazu: Zuleger, NZI-Beilage 2021, 43, 45.
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„Frisches Geld“ bedeutet dabei – wie sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt – dass es sich um ein Darlehen (im weitesten Sinne) handeln muss, welches erst nach dem Beginn des Aussetzungszeitraumes gewährt wurde. So kommt es nicht unbedingt auf den Zeitpunkt der Vereinbarung des Darlehens, sondern den Zeitpunkt der Auszahlung an.59) So kann auch der Neuabruf bereits bestehender Kreditlinien nach dem 1.3.2020 erfasst sein. Denn auch hier fand effektiv eine Liquiditätszufuhr erst statt, als das Darlehen valutiert wurde.60) Hat dann auch der Kreditgeber die Krise nicht genutzt, um sich seiner Pflicht zur Valutierung (etwa auf Basis von Covenants oder Kündigungsmöglichkeiten) zu entziehen, traf er hier folglich im Aussetzungszeitraum die Entscheidung, das Unternehmen trotz den Folgen der Pandemie entsprechend weiter zu unterstützen. Dann verdient er diesen Schutz auch wie bei der Vergabe eines neuen Kredites. Bei Leistungen auf Ziel kommt es dementsprechend darauf an, dass der Gläubiger seine Leistung erst ab diesem Zeitpunkt erbracht hat.
32
Kein „frisches Geld“ ist jedoch die weitergehende Kreditgewährung auf bestehende Darlehensverträge (ohne neue Valutierung) und deren Prolongation sowie Novationen, Umschuldungen oder Stundungen von bereits vor dem 1.3.2020 gewährten Krediten.61) Stundungen können indes von § 2 Abs. 1 Nr. 4 a. F. SanInsKG bzw. der jetzigen Nr. 5 erfasst sein. Nach Ende des Aussetzungszeitraum sind in diesem Sinne auch solche Darlehen (im weitesten Sinne) geschützt, bei denen eine verbindliche Zusage noch im Aussetzungszeitraum stattgefunden hat; dass die Valutierung erst danach erfolgt, ist unschädlich.62) Entscheidend ist also, dass der Kreditgeber im Aussetzungszeitraum eine bewusste Entscheidung zu treffen hatte, auf der dann eine konkrete Finanzierung folgte.
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Auch wenn die Gesetzesbegründung davon spricht, dass Banken motiviert werden sollen, „Krisenunternehmen“ zu unterstützen,63) mussten hier die Anforderungen an einen Sanierungskredit oder ein Überbrückungsdarlehen gerade – und temporär – nicht noch zusätzlich erfüllt sein.64) Sicherlich hätte man schon ohne diese Neuregelung die neu gewährten Kredite als Überbrückungskredite ansehen können und daher nicht den strengeren Regeln des Sanierungskredites unterworfen ansehen müssen. Wie Bornemann aber treffend schreibt, sind diese Abwägungen und die dahinterstehenden Risiken in der Praxis und der schwierigen Planungssituation kaum zu bewältigen. Daher ist es zu begrüßen, dass es hier allein auf die Frage des „neuen“ Geldes ankommt und dogmatische Differenzierung zwischen Überbrückungskredit, dessen maximaler Laufzeit sowie Sanierungskredit hier unterbleiben können.65)
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Denn der Gesetzgeber erkennt auch hier wieder ausdrücklich an, dass die bei Sanierungen ansonsten verlangten Konzepte und Prognosen in der Zeit der Pandemie nicht mit der üblichen Verlässlichkeit erstellt werden können.66) Auch die Anfor_____________
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59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66)
Brünkmans, ZInsO 2020, 797, 806. Thole, ZIP 2020, 655. Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 5. Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. Morgen/Schinkel, ZIP 2020, 660, 661. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 5. Vgl. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 2.
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derungen an die begründete Sanierungsaussicht – etwa mittels öffentlicher Hilfsmaßnahmen – dürfen nicht überspannt werden.67) Selbst wenn dabei die im Zusammenhang mit der Gewährung von Überbrückungskrediten entwickelten Prinzipien68) heranzuziehen wären, konnte in der frühen Phase der Pandemie und anhand ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen in dieser Phase nicht einmal die Dauer eines Überbrückungskredites prognostiziert werden. Dieser wäre zunächst nur für die Zeit, in der die Sanierungsaussichten eruiert werden, zur Verfügung zu stellen gewesen.69) All das ließ sich in der Pandemiesituation kaum und nur mit kostenträchtigem Aufwand leisten. Daher ist der hier eingeschlagene Weg zu begrüßen. 36
Dass der Schutz der Kreditgewährung somit umfassender sein soll, ergibt sich i. Ü. daraus, dass jede Zahlung auf Ziel umfasst ist, der generelle Normzweck die Fortführung ist und der Anwendungsbereich des § 1 SanInsKG als vorgeschalteter, immanenter Tatbestand auch schon dann eingreift, wenn noch keine materielle Insolvenz vorliegt. Es wäre auch nicht vermittelbar, wenn etwa jeder vorleistende Handwerker sich zuvor über die Anforderungen an regelkonforme Sanierungen schlau machen müsste. Die Norm soll vielmehr in generellen Krisenzeiten sehr umfassend und voraussetzungslos das Vertrauen bestärken, nicht später die erhaltene Zahlung im Wege der Insolvenzanfechtung wieder zurückerstatten zu müssen. b) Umfassender Anfechtungsausschluss
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In diesem Sinne ist auch die Folge des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG umfassend, denn demnach gilt die Rückgewähr als nicht gläubigerbenachteiligend. Das heißt, dass eine Gläubigerbenachteiligung nach § 129 InsO unwiderleglich70) ausscheidet, womit auch der Weg zu allen nachfolgenden Anfechtungstatbeständen ausgeschlossen wird.71) Soweit bereits vertreten wird, dass das Anfechtungsprivileg des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG bei frischem Geld über den generellen Anfechtungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG hinausgeht, ist dieser Befund richtig; deshalb den Schutz gemäß Nr. 2 auf das Niveau der Nr. 4 herabzusenken, ist aber nicht angebracht.72) Zum einen widerspricht es dem erklärten Willen des Gesetzgebers, der augenscheinlich die beiden Konstellationen unterschiedlich bewertet, zum anderen soll ja gerade das Vertrauen der Geschäftspartner gestärkt werden und Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten werden73) und derjenige, der in dieser Pandemie solidarisch vorleistet, soll später eben auch besonderen Schutz erhalten.
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Man könnte indes daran denken, dass derjenige, der bislang zu bestimmten fest vereinbarten Konditionen Leistungen erbracht hat und dann nach dem Aussetzungszeitraum in erheblicher Weise seine Vorleistung von bislang nicht (markt-)üb_____________ Ziegenhagen, ZInsO 2020, 689, 691. Überblick bei Bornheimer/Westkamp in: MünchAHB Insolvenz und Sanierung, § 29 Rz. 41 ff. Morgen/Schinkel, ZIP 2020, 660, 662. Thole, ZIP 2020, 655. Thole, ZIP 2020, 655, und auch die unmissverständliche Gesetzesbegründung (Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23), welche aus dem Ausschluss der Gläubigerbenachteiligung auch den Ausschluss der Anfechtung generell folgert; Gehrlein, DB 2020, 713, 723. 72) So etwa Thole, ZIP 2020, 655. 73) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 17. 67) 68) 69) 70) 71)
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lichen – sprich weiteren und im Vergleich zur bisherigen Leistungsbeziehungen mithin inkongruenten – Bedingungen abhängig machte, nicht in den Genuss des Anfechtungsprivilegs kommen sollte. Das sollte aber nur bei erheblichen Abweichungen der Fall sein. Denn grundsätzlich fällt das Entgelt für einen „Schönwetterkredit“ immer geringer aus als selbiges für ein Darlehen in der Krise. Ob die hier eingeführten Einschränkungen der Anfechtung die Geltungsdauer des SanInsKG überdauern,74) mag sehr fraglich sein. Zu wünschen ist aber für die Zeit nach der Pandemie oder die sich anschließende „neue Normalität“, noch einmal die vor der Pandemie doch sehr stark ausgeprägten Haftungsrisiken in der Krise und das durch die Rechtsprechung so stark geschärfte Mittel der Anfechtung selbstkritisch zu hinterfragen.75)
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c) Umfang des Anfechtungsschutzes Inhaltlich wird von der Anfechtung nur die Rückgewähr von Zahlungen nebst Zinsen,76) die bis 30.9.2023 erfolgen, geschützt. Geschützt werden ferner Bestellungen von Sicherheiten für diese neuen Kredite, wobei diese dann aber stets innerhalb des Aussetzungszeitraumes gewährt sein müssen. Soweit die Norm von „Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite“ spricht, sind dann auch nur Sicherheiten geschützt, die unmittelbar im Zuge der Kreditgewährung vereinbart werden, was mithin auch übliche Lieferantensicherheiten etc. umfasst. Eine nachträgliche Besicherung, etwa wegen der eingetretenen nochmaligen Verschlechterung der Verhältnisse, dürfte sich aber nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 SanInsKG privilegieren lassen; diese wäre dann inkongruent und sollte in der ggf. später doch folgenden Insolvenz nach den allgemeinen Regeln anfechtbar sein.77)
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d) Besonderheiten bei KfW-Programmen Bei Krediten, die von der KfW und ihren Finanzierungspartnern oder von anderen Institutionen i. R. staatlicher Hilfsprogramme anlässlich der COVID-19-Pandemie gewährt werden, ist nach § 2 Abs. 3 SanInsKG der geschützte Zeitraum sogar noch länger: So gilt hier § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG auch, wenn der Kredit erst nach dem Aussetzungszeitraums gewährt oder besichert wird, und sogar unbefristet für deren Rückgewähr. Bei lediglich damit zusammenhängenden sonstigen Finanzierungen gilt aber der reguläre zeitliche Rahmen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG.78)
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e) Rückzahlung und Besicherung von Gesellschafterdarlehen Für Gesellschafter ist die Kreditgewährung an die Gesellschaft bislang auch mit Risiken verbunden gewesen. Auch hier will der Gesetzgeber deren Bereitschaft zum Investment durch Abbau der für sie negativen gesetzlichen Folgen steigern.79) _____________ 74) So Poertzgen, ZInsO 2020, 825. 75) Auch der BGH tendiert jüngst etwa dazu, die Anforderungen an den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Rahmen des § 133 InsO strenger zu sehen, vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20, WM 2021, 1339. 76) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 23. 77) Zutreffend herausgearbeitet von Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 642. 78) Thole, ZIP 2020, 655, 656. 79) Vgl. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 2 f.
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Mancher spricht hier gar von einer Sensation.80) Das mag übertrieben klingen; ein Umdenken, das die Schwere der Krise zeigt, manifestiert sich hier aber in jedem Fall. Auch bei während des Aussetzungszeitraums gewährten Gesellschafterdarlehen (oder wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) gilt das soeben bei Krediten Dritter Gesagte für deren Rückzahlung bis zum 30.9.2023 entsprechend. Konsequenterweise finden soweit dann auch bei bis zum 30.9.2023 beantragter Insolvenz die §§ 39 Abs. 1 Nr. 5 und 44a InsO keine Anwendung, sodass bei Insolvenzeröffnung offene Darlehen nicht als nachrangig einzustufen sind, soweit sie nur im Aussetzungszeitraum gewährt wurden.81) Anders als bei Dritten gilt das Privileg nicht für eine Besicherung von Gesellschafterdarlehen. Hier sah man die Gefahr, dass Gesellschafter als Insider sonst zu ihren Gunsten dem Unternehmen besonders wichtige oder werthaltige Assets entziehen würden. Trotz eines in der Rangklasse gewährten Privilegs werden Gesellschafter daher weiterhin anders behandelt als Dritte, was auch angemessen ist. 4.
Keine Sittenwidrigkeit der Kreditgewährung und Besicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 SanInsKG)
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Der Schutz der Kreditgewährung und Besicherung umfasst aber nicht nur insolvenz- bzw. anfechtungsrechtliche Privilegien. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 wirkt er auch in das allgemeine Zivilrecht und führt dazu, dass solche in diesem Zeitrahmen nicht als sittenwidriger Beitrag zu Insolvenzverschleppung anzusehen sind. Regelungstechnisch handelt es sich erneut um eine unwiderlegliche, gesetzliche Fiktion,82) wonach das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit ausgeschlossen wird; für die generellen Anwendungsvoraussetzungen gilt das zuvor Gesagte ebenso wie für die Frage, was unter eine Kreditgewährung und Besicherung fällt.
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Die Gesetzesbegründung83) verweist hier ausdrücklich auf den BGH.84) Eine Insolvenzverschleppung liegt demnach bspw. vor, wenn ein Kreditgeber um eigener Vorteile willen die letztlich unvermeidliche Insolvenz eines Unternehmens nur hinausschiebt, indem er Kredite gewährt, die nicht zur Sanierung, sondern nur dazu ausreichen, den Zusammenbruch zu verzögern, wenn hierdurch andere Gläubiger über die Kreditfähigkeit des Unternehmens getäuscht und geschädigt werden, sowie der Kreditgeber sich dieser Erkenntnis mindestens leichtfertig verschließt.85) So kann man nun einer Bank, die aktuell nach bisheriger Übung einen Überbrückungskredit mit einer Befristung des Darlehens und etwaiger Verlängerungsoptionen bis zur abschließenden Klärung der Folgen der Pandemie gewährt, demnach keinen Vorwurf der Sittenwidrigkeit machen, denn sie folgt wohl nicht in verwerflicher Weise einem Eigeninteresse, sondern ermöglicht durch die Liquiditätssicherung vielmehr die Fortexistenz des Unternehmens – wie es jüngst auch von der Politik von ihr erwartet _____________ 80) 81) 82) 83) 84) 85)
Poertzgen, ZInsO 2020, 825. So auch Thole, ZIP 2020, 655, 656. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 642. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 24. BGH, Urt. v. 12.4.2016 – XI ZR 305/14, Rz. 39 f., BGHZ 210, 30 = NJW 2016, 2662. Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, WM 1995, 995, 997.
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wird. Daher wäre auch unter Billigkeitserwägungen die Annahme einer sittenwidrigen Darlehensgewährung verfehlt.86) Obschon diese zivilrechtliche Haftung schon bislang – da etwa subjektive Komponenten hinzutreten müssten – nach dem eben Gesagten eher fernliegend ist, ergibt es im Dienste der Motivation zur Hilfe bei der Fortführung durchaus Sinn, das Ausscheiden der Sittenwidrigkeit in diesem Kontext klarzustellen.87) Im Ergebnis kann damit dann zwar der Geschäftsleiter womöglich doch eine Insolvenzverschleppung begehen, etwa weil er die Voraussetzungen der Aussetzung schuldhaft falsch eingeschätzt hat, gleichwohl soll eine in dieser Zeit vorgenommene Kreditgewährung (zumindest für den Gläubiger) nicht bedenklich sein.88)
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Auch die Grenze zum Eingehungsbetrug und eine daraus folgende Haftung nach §§ 823 BGB i. V. m. §§ 263, 265b StGB sollte daher durch den Geschäftsleiter nicht überschritten werden; Unternehmer und Geschäftsleiter müssen schon davon überzeugt sein, mittels der darlehensweise zur Verfügung gestellten Mittel auch künftig leistungsfähig zu sein.89)
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5.
Einschränkung der Insolvenzanfechtung (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG)
Der Gesetzgeber wollte aber nicht nur zur Darlehensvergabe motivieren, er hat auch gesehen, dass in der Krisenphase ebenso ein Bedürfnis für einen generellen Anfechtungsschutz für Vertragspartner, wie z. B. Vermieter, Leasinggeber und Lieferanten, besteht.90) Insbesondere sollen Dauerschuldverhältnisse geschützt werden.91)
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Anders als bei § 2 Abs. 1 Nr. 2 SanInsKG wird hier aber nicht durch das Entfallen der Gläubigerbenachteiligung die Anwendbarkeit der §§ 129 ff. InsO generell ausgeschlossen. Vielmehr wird nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG dadurch umgesetzt, dass „nur“ Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt haben,92) die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar sind. Dies sind zunächst einmal nur kongruente Deckungen i. S. des § 130 InsO (siehe aber sogleich Rz. 52 ff.).93)
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a) Anfechtungsschutz nur zugunsten von Vertragsgläubigern i. R. der Antragsaussetzung Um Absatz 1 Nr. 4 anwenden zu können, müssen wieder die generellen Anwendungsvoraussetzungen des § 2 SanInsKG vorliegen; es darf sich mithin nicht um einen Schuldner handeln, bei dem die Aussetzung der Antragspflicht nicht griff. _____________ So Morgen/Schinkel, ZIP 2020, 660, 662. Thole, ZIP 2020, 655, 656. Römermann, NJW 2020, 1108 f. Ziegenhagen, ZInsO 2020, 689, 692. Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 24. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 7. Befriedigung ist „die (vollständige) Erfüllung des Geschuldeten“, s. Uhlenbruck-Borries/ Hirte, InsO, § 130 Rz. 9; Sicherung ist jede Gewährung einer „Rechtsposition, die geeignet ist, die Durchsetzung des Anspruchs, für den sie eingeräumt ist und der fortbesteht, zu erleichtern“, s. Kayser in: MünchKomm-InsO, § 130 Rz. 8 m. w. N. 93) Thole, ZIP 2020, 655, 656. 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92)
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Sollen mit Absatz 1 Nr. 2 neue Kredite geschützt werden, ist es angemessen, den Schutz nach Absatz 1 Nr. 4 auch nur auf neue Rechtshandlung, also ab dem 1.3.2020 getätigte Rechtshandlungen, anzuwenden.94) Zeitlich ist § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG ansonsten aber enger gefasst als Absatz 1 Nr. 2, der die Kredittilgung bis zum 30.9.2023 schützt. Schließlich greift die Regelung nur für den Aussetzungszeitraum (bis zum 30.9.2020). Deckungen für die Zeit danach sind – anders als Kredittilgungen nach Absatz 1 Nr. 2 – nicht mehr geschützt. Wann das Insolvenzverfahren eröffnet werden muss, sagt die Norm nicht. Insoweit kommt es darauf nicht an, sodass entscheidend bleibt, dass die Deckung oder Sicherung in diesem Zeitraum stattfand und nicht wann angefochten wird.
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Logischerweise kann nur ein Insolvenzgläubiger i. S. des § 130 InsO Adressat der privilegierenden Regelung sein.95) In der Rechtsprechung hat sich mehrfach die Frage gestellt, ob hierunter auch solche Gläubiger fallen, deren Forderung nicht auf einer vertraglichen („Vertragsgläubiger“), sondern einer gesetzlichen („Nicht-Vertragsgläubiger“, wie etwa das Finanzamt oder Sozialversicherungsträger) Grundlage beruhen. In seiner Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber klarstellend fest, das der „andere Teil“ i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG lediglich „Vertragspartner“ des Schuldner sein können. Insofern hat sich in der gerichtlichen Praxis richtigerweise gefestigt, dass in den privilegierten Adressatenkreis lediglich Vertragsgläubiger gehören.96) Schließlich wollte der Gesetzgeber mit dieser Privilegierung die Leistungsbereitschaft der Gläubiger aufrechterhalten und diese „an Bord“ halten, um damit Anreize zu setzen, die erwünschte Sanierung des Schuldners nicht aus Angst vor einer potenziellen Insolvenzanfechtung zu gefährden. Dies läuft allerdings im Falle der Nicht-Vertragsgläubiger ins Leere, da diese gar nicht die Möglichkeit haben, eine Vertragsbeziehung zum Schuldner zu beenden.97) b) Umfasste Rechtshandlungen
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Sachlich umfasst der Anfechtungsausschluss primär sämtliche Rechtshandlungen, die sich als kongruente Deckung oder Sicherung nach § 130 Abs. 1 InsO darstellen. Dies umfasst Leistungen an Vertragspartnern in Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter und Leasinggeber, aber auch an Lieferanten und Dienstleister.98) Das Privileg schützt mithin die Deckung von Forderungen, es schließt aber nach seinem Wortlaut nicht die Möglichkeit aus, Verträge anzufechten und so dürften – jedenfalls gezielt vereinbarte – Vermögensverschiebungen nicht anfechtungsfrei sein.99) Das ergibt sich letztlich aus dem Sinn des Gesetzes, welches die Fortführung insgesamt schützen will. Dabei dient § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 SanInsKG dazu, die Weiterbelieferung bzw. ganz allgemein Dauerschuldverhältnisse zu sichern. Was darüber hinausgeht _____________ 94) Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 647. 95) Thole, ZIP 2020, 655, 657. 96) OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.9.2022 – 12 U 7/22, NZI 2022, 937 Rz. 25; LG München I, Urt. v. 13.7.2021 – 6 O 17571/20, juris Rz. 21 ff.; Bork, NZI 2022, 28, 31; Dahl/Taras, NJW-Spezial 2021, 758, 759; Kruse/Hageböke, ZInsO 2021, 881, 884; Liepmann, ZInsO 2021, 1767, 1770. 97) Zutreffend auch Bork, NZI 2022, 28, 31 m. w. N. 98) Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 647. 99) Thole, ZIP 2020, 655, 657.
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und Gläubigern i. S. einer Inkongruenz weitergehende Sondervorteile bringt, verdient diesen Schutz nicht. Für diese Sichtweise spricht auch der Katalog der inkongruenten Deckungen, welche hier fiktiv zu kongruenten werden. Wertet man diesen aus, kommt man auch zu dem Ergebnis, dass zwar Deckungen, die „nicht in der Art“ beansprucht werden konnten, ebenfalls geschützt werden, es sind aber keine, die dem Gläubiger einen weitergehenden Vorteil erbringen. Nicht geschützt werden weiterhin inkongruente Rechtshandlungen, die einem Gläubiger etwas gewähren, worauf er keinen Anspruch hatte.100)
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Somit umfasst der Katalog des § 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. a bis lit. e SanInsKG101) die Leistung an Erfüllung statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners sowie die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist.
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Auch die Verkürzung von Zahlungszielen sowie die Gewährung von Zahlungserleichterungen fiel nach der Urfassung des § 2 SanInsKG unter diesen Katalog (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 lit. e SanInsKG a. F.). Hier handelt es sich dogmatisch nicht wirklich um inkongruente Deckungen, denn nicht der Gläubiger erhält etwas, auf das er originär keinen Anspruch hatte, sondern der Schuldner. Schon hier wird augenscheinlich der § 133 InsO durch den Gesetzgeber ins Visier genommen. Gewährt ein nachsichtiger Gläubiger Zahlungserleichterungen, wurde ihm mitunter schon der Vorwurf gemacht, eine Kenntnis von der Krise gehabt zu haben. In Zeiten der Pandemie wollte der Gesetzgeber aber solidarisches Handeln nicht pönalisieren, sondern privilegieren. Daher hat er diese Konstellation hier bewusst mit aufgenommen.102)
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Neben der wirtschaftlichen Begründung, die Lieferketten störungsfrei zu erhalten, kann man in diesem Katalog durchaus die Ratio erkennen, auf die mitunter schwierige Abgrenzung kongruenter von inkongruenten Deckungen verzichten zu wollen, was gerade bei Drittzahlungen problematisch sein könnte.103)
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c) Rückausnahme anhand subjektiver Voraussetzungen § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG enthält in Satz 1 eine Rückausnahme dahingehend, dass eine Anfechtung kongruenter Leistungen bzw. Sicherungen gleichwohl dann nicht ausgeschlossen ist, wenn dem Begünstigten bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Ähnlich wie auch § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, knüpft die Norm damit die Schutzwürdigkeit der erlangten Rechtsposition an das Vorliegen subjektiver Elemente in der Sphäre des Begünstigten. Ein die Gläubigergleichbehandlung überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der erlangten Rechtsposition entsteht i. R. des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur dann, wenn der betroffene Gläubiger keine positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hat.104) Eine solche ist anzunehmen, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen _____________ 100) 101) 102) 103) 104)
Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 7. Alte Fassung, soweit dies den nunmehr weggefallenen Buchst. e) betrifft. Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 7. Thole, ZIP 2020, 655, 657. Braun-de Bra, InsO, § 130 Rz. 31; Nerlich/Römermann-Nerlich, InsO, § 130 Rz. 68.
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und dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise den zutreffenden Schluss zieht, dass dieser wesentliche Teile seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum der nächsten drei Wochen nicht tilgen kann.105) 58
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Dieselben Anforderungen sind mithin auf das Erfordernis der Kenntnis i. R. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG zu übertragen. Die Anfechtung bleibt demzufolge möglich, solange und soweit der Anfechtungsgegner aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners den Schluss ziehen musste, dass die tatsächlich eingeleiteten Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet waren. Mithin wird tatbestandlich auch die positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorausgesetzt. Daneben stellt die Vorschrift zusätzlich auf ein prognostisches Element ab. Der bzgl. des Vorliegens der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen beweisbelastete106) Insolvenzverwalter muss demnach nicht nur – ggf. anhand von Indizien107) – darlegen und im Falle beachtlichen Bestreitens beweisen, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Deckung zahlungsunfähig war und der Gläubiger dies wusste. Auch muss er beweisen, dass dem Gläubiger die Sanierungsbemühungen des Schuldners bekannt waren und er aus den Umständen zutreffend den Schluss ziehen konnte, dass diese Bemühungen aller Voraussicht nach erfolglos verlaufen würden.108) Praktisch dürfte dieser Beweis in den seltensten Fällen gelingen, da dem außenstehenden Gläubiger somit dasselbe Niveau prognostischer Schlussfolgerung nachzuweisen ist, welches dem Schuldner aufgegeben wird, wenn er seinen Betrieb unter Berufung auf § 1 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG fortführt und trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit die Stellung eines Insolvenzantrags wegen hinreichender Sanierungsaussichten unterlässt. Der Wortlaut dieser subjektiven Ausnahme lässt auch erkennen, dass die Anforderungen, unter denen subjektiv noch gutgläubig gehandelt werden kann, viel geringer sind, also diese i. R. des § 133 InsO mit dem Vorliegen eines Sanierungskonzepts von der Rechtsprechung entwickelt wurden.109) Der effektive Anwendungsbereich der Rückausnahme in § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 SanInsKG wird sich damit auf Fälle beschränken, in denen ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf der Hand liegt.110) Denn eine belastbare Schlussfolgerung über die Erfolgsaussicht der Sanierungsbemühungen kann nur treffen, wer ohnehin umfassenden Einblick in die wirtschaftlichen Befindlichkeiten des Schuldners hat oder wer von letzterem positiv über diese aufgeklärt wurde. In diesen Fällen wird man dann wohl bereits von kollusivem Zusammenwirken ausgehen können und dem Insolvenzverwalter bleibt der Rückgriff auf die Vorsatzanfechtung. _____________ 105) BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 23/15, WM 2016, 1307. 106) Vgl. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 24. 107) Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 648. 108) Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 648, verweisen zur Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Sanierungsbemühungen und deren Geeignetheit zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit richtigerweise auf die Rspr. zur Beurteilung der Gläubigerbenachteiligung bei der Umsetzung von Sanierungskonzepten (BGH, Urt. v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, WM 2012, 146). 109) Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730 – 740. 110) Beachte auch hierbei die jüngst geschärften Anforderungen an den Nachweis der Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, BGH, Urt. v. 6.5.2021 – IX ZR 72/20, WM 2021, 1339.
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Wie i. R. des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, hindert auch bei § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG nur die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit und der zutreffende Schluss auf die fehlende Aussicht zur Beseitigung derselben das Entstehen eines schutzwürdigen Vertrauens auf die erlangte Rechtsposition. Nach dem Wortlaut ist damit die Kenntnis der Überschuldung unschädlich. Wenngleich die Gesetzesbegründung auf die Kenntnis des Gläubigers von den Umständen, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung der Insolvenzreife (und damit auch der Überschuldung) geeignet gewesen sind, abstellt, gebührt hier der Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift der Vorrang. Die Beurteilung der Überschuldung ist für Außenstehende faktisch nicht möglich, weshalb auch allein auf Überschuldung gestützte Gläubigeranträge „eher theoretischer Natur“ sind.111) Zudem wird bei angenommener Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit in der Regel auch das Vorliegen einer Überschuldung beseitigt,112) da es sich bei der Fortbestehensprognose um eine Zahlungsfähigkeitsprognose handelt. Fälle, in denen Überschuldung, jedoch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, haben bekanntermaßen Seltenheitswert.
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d) Teleologische Reduktion bei Eigenantrag des Schuldners? Bisweilen machte sich in Rechtsprechung113) und Literatur114) die Auffassung breit, dass der sachliche Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG teleologisch dahingehend zu reduzieren sei, dass dessen Anfechtungsprivileg bei einem Eigenantrag des Schuldners entfalle. Grund hierfür sei der enge Schutzbereich des SanInsKG, dessen Ziel es primär sei, die Fortführung von Unternehmen, die infolge der COVID19-Pandemie insolvent geworden sind, zu ermöglichen und zu erleichtern. Der Schutz des Anfechtungsgegners sei nicht primärer Zweck des Anfechtungsprivilegs aus § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG, sondern vielmehr nur Mittel oder „Reflex“115) zum übergeordneten Zweck, den Schuldner zu schützen. Dieser Zweck entfalle allerdings dadurch, dass sich der Schuldner freiwillig in das Insolvenzverfahren begebe, sodass auch die „korrespondierende Privilegierung für den Anfechtungsgegner entfallen“116) müsse.
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Dieser Auffassung ist allerdings nicht zu folgen.117) Sie weist schwerwiegende dogmatische Fehler auf und verkennt, dass gerade die Aufrechterhaltung der Privilegierung
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_____________ 111) K. Schmidt-Gundlach, InsO, § 14 Rz. 23. 112) So auch Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 648. 113) Vgl. etwa OLG München, Hinweisbeschl. v. 20.10.2021 – 5 U 4809/21 = BeckRS 2021, 34722 Rz. 3; LG München I, Urt. v. 13.7.2021 – 6 O 17571/20; OLG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 30.3.2022 – 11 U 169/21 sowie Beschl. v. 9.5.2022 – 11 U 26/22; LG Hamburg, Urt. v. 14.9.2021 – 303 O 218/20 = BeckRS 2021, 52108, Urt. v. 8.3.2022 – 303 O 53/21 = BeckRS 2022, 8251, Urt. v. 28.9.2021 – 303 O 64/21 = BeckRS 2021, 52056. 114) Vgl. etwa BeckOK InsR-Raupach, COVInsAG, § 2 Rz. 9a; Harig, ZInsO 2021, 1010, 1012; Kruse/Hageböke, NZI 2022, 56, 59; Liepmann, ZInsO 2021, 2450; ders., ZInsO 2021, 1767, 1768; Dahl/Taras, NJW-Spezial 2021, 758, 759; Baumert, FD-InsR 2022, 448959 sowie FDInsR 2021, 443798. Für den Fall, dass der Gläubiger Kenntnis von dem Eigenantrag des Schuldners hat: BK-InsO-Knof, COVInsAG, § 2 Rz. 55a; Ganter NZI 2020, 1017, 1025. 115) OLG Hamburg, Hinweisbeschl. v. 30.3.2022 – 11 U 169/21 = BeckRS 2022, 10028 Rz. 7. 116) Vgl. statt aller LG München I, Urt. v. 13.7.2021 – 6 O 17571/20 = BeckRS 2021, 24719 Rz. 16 f. 117) Jedenfalls im Ergebnis auch LG Hamburg, Urt. v. 8.9.2021 – 336 O 33/21 sowie Urt. v. 8.9.2021 – 336 O 65/21, NZI 2022, 28; Bork, NZI 2022, 28 (31); Krüger/Schmidt, EWiR 2022, 276; Schmidt-Rogge/Leptien, COVInsAG § 2 Rz. 375.
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des Anfechtungsgegners dem primären Normzweck, die Fortführung von Unternehmen, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind, zu ermöglichen und zu erleichtern, Geltung verschafft. Denn um diesen Zweck umzusetzen, wollte der Gesetzgeber die Motivation von Gläubigern, laufende Geschäftsbeziehungen nicht vorsichtshalber zu beenden und damit die Sanierung nicht zu erschweren, aufrechterhalten, indem er ein Vetrauen in die Anfechtungsprivilegierung schafft. Dieses Vertrauen in den Schutz der Vertragspartner wird nun von der fehlerhaften teleologischen Reduktion nachträglich missbraucht und damit der Gesetzeszweck konterkariert. Zudem lässt sich weder dem Wortlaut, noch der Gesetzessystematik oder dem Willen des Gesetzgebers entnehmen, dass die Sanierungsbemühungen des Schuldners außerhalb eines Insolvenzverfahrens vorgenommen sein müssen, um in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG zu fallen.118) 63
Äußerst problematisch ist die zu kritisierende Auffassung insbesondere mit Hinblick auf die Systematik der InsO. Dieser ist es immanent, die Sanierung eines Unternehmens nicht bereits mit Stellung eines Insolvenzantrags als gescheitert anzusehen, da eine Sanierung im Antrags- oder im späteren Insolvenzverfahren möglich bleibt.119) Die abzulehnende Ansicht zeigt dagegen ein veraltetes Verständnis, das noch aus dem letzten Jahrtausend vor Inkrafttreten der InsO stammt: Die Stellung eines Insolvenzantrags soll nicht zur bloßen Abwicklung des schuldnerischen Vermögens, also nicht gleich zur Liquidation führen. Da der Schuldner zur nachhaltigen Krisenbewältigung sowohl im Antragsverfahren als auch im Insolvenzverfahren regelmäßig weiterhin auf die in der Gesetzesbegründung genannten Lieferanten und Dauerschuldverhältnisse benötigt, muss die Privilegierung bis zur Entscheidung der Gläubiger über die Fortführung oder Liquidation des Unternehmens erhalten bleiben.120) e) Auswirkungen auf § 133 InsO und andere Anfechtungstatbestände?
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Die Grenzen zwischen dem effektiven Anwendungsbereich der Rückausnahme in § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 SanInsKG und der Vorsatzanfechtung sind fließend. Im Rahmen des § 133 InsO ist die Inkongruenz einer gewährten Befriedigung oder Sicherung regelmäßig ein starkes Beweisanzeichen für das Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners und für die korrespondierende Kenntnis des Anfechtungsgegners dieses Vorsatzes.121)
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Um das Schutzniveau des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG aufrechtzuerhalten und um folgerichtig zu verhindern, dass über die Vorsatzanfechtung der Anfechtungsausschluss entwertet wird, ist es zumindest angezeigt, dass bei solchen Rechtshandlungen im Aussetzungszeitraum, die dem Grunde nach der Vorsatzanfechtung unterfallen _____________ 118) Zutreffend LG Hamburg, Urt. v. 8.9.2021 – 336 O 65/21 Rz. 39 f. 119) LG Hamburg, Urt. v. 8.9.2021 – 336 O 65/21, NZI 2022, 28 Rz. 41. 120) Bork plädiert dafür, die Privilegierung (zumindest) über das gesamte Antragsverfahren aufrechtzuerhalten (Bork, NZI 2022, 28, 31). 121) BGH, Urt. v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, WM 2004, 299; BGH, Urt. v. 22.4.2004 – IX ZR 370/00, ZIP 2004, 1160; BGH, Urt. v. 11.5.1995 – IX ZR 170/94, ZIP 1995, 1078; Kayser/Freudenberg in: MünchKomm-InsO, § 133 Rz. 29 ff.; K. Schmidt-Ganter/Weinland, InsO, § 133 Rz. 45 ff.
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§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
könnten, ein für eine Vorsatzanfechtung streitendes Beweisanzeichen der Inkongruenz jedenfalls im Anwendungsbereich des Katalogs der in Absatz 1 Nr. 4 genannten inkongruenten Deckungen die Indizwirkung abzusprechen. Der Gesetzgeber beabsichtigt aber womöglich einen noch umfassenderen Schutz der betroffenen Leistungen: Nach Haas/Cymutta (siehe 1. Aufl., Art. 240 § 1 EGBGB Rz. 97 ff.), aber auch nach Bornemann geht diese Absicht dann auch soweit, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG auch Anfechtungen nach § 133 InsO ausschließt.122) Dafür spricht der Umstand, dass die Rückausnahme bzw. der subjektive Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG eben einen ganz eigenen Weg geht und im Ergebnis eine temporäre, modifizierte Sonderform des Anfechtungsvorsatzes vorsieht bzw. den Weg zur Anwendbarkeit der §§ 130 bis 133 InsO kontrolliert (siehe dazu gleich unten). Mit anderen Worten: Handelt es sich um Rechthandlungen i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG und liegen nicht dessen besondere Vorsatzelemente vor, ist eine Anfechtung nach §§ 130 bis 133 InsO ausgeschlossen. Allein eine Anfechtung nach § 134 InsO bleibt stets noch möglich;123) wie auch schon bei der Frage, welche Zahlungen einem Geschäftsleiter noch gestattet sind (siehe oben unter Rz. 16 ff.), kommt es hier bei gleicher Wertung darauf an, dass Leistungen aus dem Vermögen des Schuldners ohne gleichwertige Gegenleistung keinen Schutz verdienen. f)
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Prüfung und Beweislast bei der Anfechtung erfasster Fälle
Somit bietet sich für die Prüfung, ob nach §§ 130 bis 133 InsO angefochten werden kann, künftig folgende Vorgehensweise an:
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Liegt eine kongruente oder eine unter den Katalog in § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 SanInsKG fallende inkongruente Deckungshandlung während eines Zeitpunktes vor, in dem der Schuldner bereits zahlungsunfähig war, ist zunächst zu prüfen, ob der zeitliche Anwendungsbereich des SanInsKG eröffnet ist. Ist dies der Fall, sind die allgemeinen Voraussetzungen des § 1 SanInsKG zu prüfen, ob also im konkreten Fall die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht griff. In diesem Rahmen kommt bereits dem Regel-/Ausnahmeverhältnis zwischen § 1 Abs. 1 Satz 1 (Regel) und Abs. 1 Satz 2 (Ausnahme) SanInsKG und unterstützend der Vermutung des § 1 Abs. 1 Satz 3 besondere Bedeutung zu: Aus letzterer folgt im vermuteten Regelfall, also in dem Fall, in dem der Schuldner per 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig ist, dass hinreichend Aussichten darauf bestanden, dass eine bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden konnte. Dies ist methodisch zur Herstellung einer Konkordanz von § 1 Abs. 1 Satz 3 zu § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG und der Verneinung der Rückausnahme i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 SanInsKG geboten. Allerdings dürfte eine entsprechende Beweisführung für den hier beweisbelasteten Insolvenzverwalter (siehe § 1 SanInsKG Rz. 38 [Fritz]) angesichts der erörterten Beweislastverteilung außerordentlich schwierig sein.
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Greift die Aussetzung nach alldem ein, ist der Weg in die Anwendbarkeit des § 2 SanInsKG geöffnet und die Anfechtung wird (erst einmal) verwehrt.
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_____________ 122) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 7. 123) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 7.
Fritz
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§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
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Anschließend ist dann aber noch zu prüfen, ob der Anfechtungsgegner positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte, ihm ferner die Sanierungsbemühungen des Schuldners bekannt waren und er aus den Umständen bei objektiver Betrachtung zutreffend den Schluss ziehen konnte, dass diese Bemühungen erfolglos verlaufen werden. Liegt diese subjektive Voraussetzung vor, wird dann die Anwendung von § 2 SanInsKG gesperrt und es bleibt dann wieder eine Anfechtungsmöglichkeit nach den §§ 130 bis 133 InsO eröffnet.
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Vertritt man hingegen (und entgegen etwa Bornemann)124) die Auffassung, dass § 2 SanInsKG die Anwendbarkeit von § 133 InsO nicht sperrt, wäre bei der Anfechtung nach § 133 InsO, die auf einer in den Aussetzungszeitraum fallenden Rechtshandlung beruht, zumindest die etwaige Inkongruenz, soweit die Deckungshandlung unter den Katalog des § 2 Abs. 1 Nr. 4 SanInsKG fällt, kein taugliches Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners bzw. die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon. III. Auswirkungen der Verlängerung der Aussetzung ab 1.10.2020 (Abs. 4)
72
Mit Wirkung zum 1.10.2020 wurde im Gesetzeswege125) die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bestimmt. Der zu diesem Zweck eingefügte § 1 Abs. 2 SanInsKG bestimmt allerdings, dass die Aussetzung in der Zeit vom 1.10.2020 bis zum 31.12.2020 ausschließlich für überschuldete, nicht aber für zahlungsunfähige Unternehmen gilt. Im selben Atemzug hat der Gesetzgeber, um eine entsprechende Kongruenz der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und ihrer Folgen sicherzustellen, § 2 Abs. 4 SanInsKG angefügt. Dieser bestimmt, dass soweit die Antragspflicht nach § 1 Abs. 2 SanInsKG ausgesetzt ist und keine Zahlungsunfähigkeit besteht, die haftungs- und anfechtungsrechtlichen Privilegien nach § 2 Abs. 1 SanInsKG ebenfalls gelten.
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Darüber hinaus wird in § 2 Abs. 4 Satz 2 SanInsKG klargestellt, dass auch Absatz 2 entsprechende Anwendung findet, sodass auch überschuldete Unternehmen, die grundsätzlich keiner Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO unterliegen – sowie auch deren Vertragspartner – in den Genuss der Privilegien des § 2 SanInsKG kommen. Dies betrifft insbesondere Einzelkaufleute, Kommanditgesellschaften mit einer natürlichen Person als Komplementärin.126) Absatz 4 Satz 3 ordnet an, dass die die von § 1 Abs. 2 SanInsKG auch der § 2 Abs. 3 SanInsKG unverändert gilt. IV. Auswirkungen des SanInsFoG und der weiteren Verlängerung der Aussetzung 1.
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Einfügung des § 2 Abs. 5 SanInsKG
Infolge der umfassenden Erweiterung und Neugestaltung des Restrukturierungsund Insolvenzrechts im Zuge des SanInsFoG127) zum 1.1.2021 wurde die Insol_____________ 124) Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, III. 7. 125) Von der in § 4 SanInsKG a. F. vormals niedergelegten Verordnungsermächtigung wurde unter Anderem aufgrund der Modifikation der Aussetzung ausschließlich für überschuldete Unternehmen und aufgrund offensichtlicher Zweifel an den Voraussetzungen und der Reichweite der Verordnungsermächtigung (s. dazu Fritz/Scholtis in Aufl. 1, § 4 Rz. 5 ff.) kein Gebrauch gemacht. 126) Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 2 Rz. 63. 127) Fn. 4.
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Fritz
§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
venzantragspflicht zunächst bis zum 31.1.2021 und mit Gesetz vom 15.2.2021128) schließlich bis zum 30.4.2021 erneut verlängert, indem dem § 1 SanInsKG der Absatz 3 angefügt wurde. Dieser knüpft die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht wie bisher an die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung infolge der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, sondern daran, ob der betroffene Schuldner innerhalb eines bestimmten Bezugszeitraumes (erfolglos) einen Antrag auf staatliche Hilfen gestellt hat (siehe hierzu unter § 1 Rz. 68 ff. [Fritz]). Spiegelbildlich zur Einfügung des § 1 Abs. 3 SanInsKG wurde durch Art. 10 SanInsFoG dem § 2 um den Absatz. 5 ergänzt. Dieser bestimmt, dass soweit die Antragpflicht nach § 1 Abs. 3 SanInsKG ausgesetzt ist, die Absätze 1 bis 3 entsprechend gelten. Im Wege der weiteren Verlängerung wurde ferner die Klarstellung in Absatz 5 aufgenommen, dass Absatz 1 Nr. 1 mit der Maßgabe gilt, dass dieser nunmehr auf § 15b Abs. 1 – 3 InsO verweist.129) Letzterer wurde im Zuge des SanInsFoG als zentrale Kodifikation der Zahlungsverbote nach Eintritt der Insolvenzreife haftungsbeschränkter Rechtsträger in die Insolvenzordnung eingefügt und ersetzt damit die bisherigen Vorschriften in § 64 Abs. 1 GmbHG, § 130a Abs. 1 Satz 1 und § 177a HGB, § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG sowie § 34 Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 99 Abs. 2 GenG. 2.
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Einfügung des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SanInsKG
Im Rahmen der jüngsten Verlängerung vom 15.2.2021 wurde ferner die Nr. 5 in § 2 Abs. 1 SanInsKG eingefügt. Dieser ersetzt in Bezug auf Stundungen und vergleichbare Zahlungserleichterungen den bisherigen § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. e) SanInsKG. In Bezug auf diesen war unter der Vorfassung unklar, ob der Anfechtungsschutz auch Leistungen umfasst, welche nach Ende des Aussetzungszeitraums auf während dieses Zeitraumes gestundete Forderungen erfolgen.130) Nr. 5 bestimmt nunmehr, dass soweit die Antragspflicht ausgesetzt ist, bis zum 31.3.2022 erfolgte Zahlungen auf bis spätestens 28.2.2021 gewährte Stundungen als nicht gläubigerbenachteiligend gelten. Dies gilt jedoch nur dann, wenn über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren bis zum Ablauf des 18.2.2021 noch nicht eröffnet worden ist.
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Die Ausführungen zur Anfechtungsprivilegierung und der teleologischen Reduktion im Falle eines Eigenantrags durch den Schuldner (siehe oben Rz. 61 ff.) gelten hier entsprechend, sodass der Auffassung des LG Hamburg131), § 2 Abs. 1 Nr. 5 SanInsKG sei nicht auf die Anfechtung von nach Stellung des Insolvenzantrags geleisteten Zahlungen anwendbar, nicht zu folgen ist. Vielmehr sind die betroffenen Zahlungen nach dem Sinn und Zweck des § 2 SanInsKG privilegiert.
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Von der Privilegierung ausgenommen sind Zahlungen durch Dritte. In diesem Zusammenhang hat das LG Lüneburg132) zurecht entschieden, dass es sich bei der Aussetzung der Vollstreckung nicht um eine Stundung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 5 _____________
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128) Fn. 5. 129) Zum Hintergrund der nachträglichen Klarstellung: Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 2 Rz. 19a. 130) Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 2 Rz. 61a. 131) LG Hamburg, Urt. v. 13.6.2022 – 303 O 149/21, ZRI 2022, 909. 132) LG Lüneburg, Urt. v. 12.1.2022 – 3 O 137/21, NZI 2022, 480.
Fritz
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§ 2 SanInsKG
Folgen der Aussetzung
SanInsKG handelt. Dies findet seinen Grund in der gebotenen engen Auslegung der Ausnahmevorschrift, aufgrund derer nur einvernehmliche Zahlungserleichterungen auf Ebene des materiellen Rechts erfasst werden, nicht dagegen einseitige Erleichterungen auf Ebene des Vollstreckungsrechts.133) 79
Die Regelung hat Rückwirkungscharakter, da ihr Anfechtungsschutz auch für den Aussetzungszeitraum nach § 1 Abs. 1 SanInsKG greift und aufgrund der zeitlichen Begrenzung auf bis zum 28.2.2021 gewährte Stundungen nahezu ausschließlich an vergangene Tatsachen anknüpft.134) Aufgrund des Umstandes, dass der Anfechtungsschutz künftige, also nach Inkrafttreten des Gesetzes eröffnete Insolvenzverfahren betrifft und etwaige Anfechtungsansprüche erst mit Verfahrenseröffnung entstehen, handelt es sich um eine sogenannte „unechte“ Rückwirkung, bei der auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte bzw. Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt wird.135) Unechte Rückwirkungen sind grundsätzlich zulässig.136) Soweit ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet wurde, gilt die Regelung nicht, sodass zumindest in Bezug auf die Insolvenzanfechtung keine (unzulässige) „echte“ Rückwirkung – also ein nachträglicher Eingriff in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände – vorliegt.137) Zurecht wird jedoch angemerkt, dass die Regelung auch Ansprüche nach § 11 Anfechtungsgesetz (AnfG) umfasst, da sie tatbestandlich nicht nur die Insolvenzanfechtung ausschließt, sondern allgemein bestimmt, dass die betroffenen Zahlungen nicht gläubigerbenachteiligend sind.138) Soweit diese Ansprüche bereits entstanden sind, liegt mithin eine „echte“ Rückwirkung vor die in diesem Fall zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift führt. In der Praxis sind nach Klinck die betroffenen Ansprüche nach dem AnfG im Wege der teleologischen Reduktion vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 5 SanInsKG auszunehmen.139)
_____________ 133) LG Lüneburg, Urt. v. 12.1.2022 – 3 O 137/21, NZI 2022, 480 Rz. 31; zust. Bork, NZI 2022, 480, 483. 134) Klinck, ZIP 2021, 541, 546. 135) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 19/26245, S. 17. 136) Vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 9.12.2003 – 1 BvR 558/99, NVwZ 2004, 463. 137) BT-Drucks. 19/26245, S. 17. 138) Klinck, ZIP 2021, 541, 546. 139) Klinck, a. a. O.
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Fritz
§3 Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen Horstkotte
Bei zwischen dem 28. März 2020 und dem 28. Juni 2020 gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. Literatur: Bitter, Corona und die Folgen nach dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), ZIP 2020, 685; Bitter/Baschnagel, Haftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern in der Insolvenz ihrer GmbH (Teil 1), ZInsO 2018, 557; Bornemann, Insolvenzrechtliche Aspekte des Maßnahmepakets zur Stabilisierung der Wirtschaft, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1; Brünkmans, Anforderungen an eine Sanierung nach dem COVInsAG, ZInsO 2020, 797; Einhaus, Das Insolvenzanfechtungsrecht des CORInsAG, NZI 2020, 352; Fritz, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVInsAG und ihre Folgen in der Praxis, ZRI 2020, 217; Gehrlein, Rechtliche Stabilisierung von Unternehmen durch Anpassung insolvenzrechtlicher Vorschriften in Zeiten der CoronaPandemie, DB 2020, 713; Hölzle/Schulenberg, Das „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG)“ – Kommentar, ZIP 2020, 633; Laumen/Vallender, Beweisführung und Beweislast im Insolvenzverfahren, NZI 2016, 609; Lütcke/Holzmann/ Swierczok, Das COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG), BB 2020, 898; Obermüller, Martin, Die Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen angesichts des COVID19-Folgenabmilderungsgesetzes, ZInsO 2020, 1037; Schmidt, Andreas (Hrsg.), COVInsAG, Kommentar, 2020; Schmittmann, Die insolvenzrechtliche Komponente des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020, ZRI 2020, 234; Schmittmann, Einstweiliger Rechtsschutz gegen Insolvenzanträge der Finanzverwaltung unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsweges, in: Festschrift für Hans Haarmeyer, 2013, S. 289; Siebert, Anforderungen an Gläubigeranträge unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Finanzverwaltung, VIA 2015, 17; Thole, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVID-19Insolvenz-Aussetzungsgesetz und ihre weiteren Folgen, ZIP 2020, 650. Übersicht I. 1. 2. II. III. 1.
Bedeutung der Vorschrift ................... Systematisches ....................................... Rechtstatsächliches ............................... Zeitlicher Geltungsbereich ................. Sachlicher Geltungsbereich ................ Vorliegen eines Insolvenzgrundes am 1.3.2020 ............................................
I.
Bedeutung der Vorschrift
1.
Systematisches
1 1 4 6 9
2.
a) Allgemeine Anforderungen ........... 9 b) Besonderheiten bei Anträgen der Finanzämter ........................... 12 Zulässigkeits- oder Begründetheitsmerkmal ....................................... 13
9
Da auf Insolvenzfremdanträge, die zwischen dem 28.3.2020 und dem 28.6.2020 gestellt wurden, beschränkt, ist § 3 SanInsKG, der wörtlich der Vorgängervorschrift des § 3 COVInsAG entspricht, heute von keiner relevanten praktischen Bedeutung mehr. Allenfalls für Kostenentscheidungen, die Sachverhalte aus dem genanngen Zeitraum betreffen, bleibt eine minimale Relevanz erhalten. Dazu ist auf die Rz. 14 und 15 dieser Kommentierung zu verweisen.
Horstkotte
71
1
§ 3 SanInsKG
Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen
2
§ 3 COVInsAG1), jetzt § 3 SanInsKG, beschränkt die Möglichkeit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund eines Gläubigerantrags und flankiert damit die durch § 1 SanInsKG geschaffene Aussetzung der Verpflichtung, mittels eines schuldnerischen Eigenantrags eine Verfahrenseröffnung herbeizuführen. Zweck der Vorschrift ist im Gleichlauf mit den Motiven zu § 1 SanInsKG, dass mittels Hilfs- und Stabilisierungs- bzw. sonstiger Sanierungs- oder Finanzierungsmaßnahmen die Insolvenzreife wieder beseitigt werden kann.2) Diese Chance soll nicht in Folge eines Gläubigerantrags verloren gehen.
3
Es handelt sich um eine Norm, die verfahrensrechtlich beachtliche Rechtsfolgen auslöst und steht damit – ungeachtet der an dieser Stelle noch offen zu lassenden Frage, ob sie schon die Zulässigkeit oder erst die Begründetheit eines Gläubigerantrags beschränkt (siehe dazu unter Rz. 13 ff.) – im Regelungskontext von § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO, der sich auch der Statthaftigkeit eines Gläubigerantrags widmet, und § 14 InsO, der weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen enthält. 2.
4
5
Rechtstatsächliches
Im Vergleich mit § 1 SanInsKG, insbesondere in dessen Zusammenwirken mit den in § 2 SanInsKG definierten Rechtsfolgen, ist § 3 SanInsKG von weitaus geringerer praktischer Relevanz. Das folgt schon aus dem beschränkten Adressatenkreis der Norm. Zum einen richtet sie sich an die Gläubiger, die schon die allgemeinen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Gläubigerantrags gemäß § 14 InsO erfüllen und denen eine solche Antragstellung opportun erscheint. Das sind zum einen in der Praxis die folgenden Gläubigergruppen, hinsichtlich ihrer quantitativen Bedeutung absteigend sortiert: –
Jedenfalls in der Praxis der großen Insolvenzgerichte stehen die Krankenkassen und für den Bereich der Minijobs die Knappschaft-Bahn-See an erster Stelle. Sie fungieren als Einzugsstellen für die Gesamtsozialversicherungsabgaben und verfügen über eine eigene Aktivlegitimation zur Verfolgung dieser Ansprüche.3)
–
An zweiter Rangstelle stehen die Finanzämter als Inhaber von Steuer- bzw. Abgabenforderungen und diese betreffende Nebenleistungen.
–
Eine in der Praxis eher untergeordnete Rolle spielen Inhaber von zivilrechtlichen Ansprüchen, für deren Glaubhaftmachung in der Praxis unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt werden.
Zum anderen gehören die Insolvenzgerichte zum unmittelbaren Adressatenkreis, ist ihnen doch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verwehrt, wenn die Voraussetzungen gemäß § 3 SanInsKG erfüllt sind. II. Zeitlicher Geltungsbereich
6
Anders als § 1 SanInsKG sieht § 3 SanInsKG nicht eine Aussetzungsfrist von sieben Monaten (1.3. bis – initial – 30.9.2020) vor. § 3 SanInsKG bestimmt statt_____________ 1) 2) 3)
72
Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVAbmildG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 25. Vgl. § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV.
Horstkotte
Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen
§ 3 SanInsKG
dessen, dass bei zwischen dem 28.3.2020 und dem 28.6.2020, also innerhalb eines Drei-Monats-Zeitraums, gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1.3.2020 vorlag. Im Kontext von § 3 SanInsKG liegt es nahe, diese Zeitspanne als „Schutzzeitraum“ zu bezeichnen.4) Was der Grund für die Differenzierung der Zeiträume war, erschließt sich aus der Begründung des Gesetzgebers nicht. Es mag sein, dass der Gesetzgeber in dem Bemühen, den mit der Beschränkung eines erfolgreichen Antragsrechts einhergehenden Eingriff in die geschützte Gläubigerposition so gering wie möglich zu halten, sich für einen kürzeren Schutzzeitraum entschieden hat als für die siebenmonatige Aussetzungsfrist.5) Logisch will sich die Differenzierung gleichwohl nicht erschließen: Soll danach ein am 29.6.2020 gestellter Gläubigerantrag zu einer Verfahrenseröffnung führen können, obgleich im sachlichen Anwendungsbereich von § 1 SanInsKG die Verpflichtung zur Stellung eines Eigenantrags noch suspendiert ist? Denn für ein solches Verfahren würde zudem ein durch § 2 SanInsKG insbesondere hinsichtlich gesellschaftsrechtlicher und insolvenzspezifischer Anspruchsgrundlagen verändertes Sachrecht anzuwenden sein, knüpft diese Bestimmung doch in ihrem Satz 1 allein an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gemäß § 1 SanInsKG an, die auch noch nach dem 29.6.2020 gilt. Fraglich ist zudem, wie mit Gläubigeranträgen zu verfahren ist, die vor dem 28.3.2020 gestellt worden sind, über die jedoch noch nicht entschieden ist. Der Wortlaut des § 3 SanInsKG ist insoweit eindeutig, als der Schutzzeitraum beschränkt ist auf Antragstellungen zwischen dem 28.3. und dem 28.6.2020.6) Dies könnte aber auch bedeuten, dass alle Verfahren, die auf vor dem 28.3.2020 anhängig gemachten Gläubigeranträgen beruhen, auch nach nicht durch das SanInsKG modifiziertem Sachrecht zu behandeln wären. Allerdings würde das der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, wonach die Regelung verhindern soll, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden.7) Jedenfalls für im Zeitraum zwischen dem 1.3.2020 und dem 27.3.2020 gestellte Gläubigeranträge wird man daher zur Herstellung einer Konkordanz mit §§ 1, 2 SanInsKG bereits das hierdurch geänderte Sachrecht anzuwenden haben, d. h., dass i. R. dieser Verfahren die Berücksichtigung von in § 2 SanInsKG aufgeführten Ansprüchen gesellschafts- bzw. insolvenzanfechtungsrechtlicher Art ausgeschlossen ist (siehe hierzu § 2 SanInsKG [Fritz]).8)
7
Bemerkenswert ist schließlich, dass durch § 4 SanInsKG das BMJV ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 SanInsKG und die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen nach § 3 SanInsKG bis höchstens zum 31.3.2021 zu verlängern. Hierdurch würde in Abkehr von dem zunächst geltenden
8
_____________ 4) 5) 6) 7) 8)
Ebenso Fritz, ZRI 2020, 217 [unter V.]; Gehrlein, DB 2020, 713, 717, nennt sie „Schonfrist“. So jetzt Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, S. 17. In diesem Sinne Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 25. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 25. Ausführlich zu den Einzelfragen des i. R. eines Insolvenzgutachtens anzuwendenden Rechts Martin Obermüller, ZInsO 2020, 1037.
Horstkotte
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§ 3 SanInsKG
Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen
Schutzzeitraum dessen Endtermin mit dem Ende der Aussetzungsfrist zusammengeführt werden können. Zu den sich hier stellenden Abwägungsfragen, gerade auch im Hinblick auf die Frage der Verhältnismäßigkeit und die Interessenlage der Betroffenen siehe bei § 4 SanInsKG Rz. 46 [Fritz/Leipe]. III. Sachlicher Geltungsbereich 1.
Vorliegen eines Insolvenzgrundes am 1.3.2020
a) Allgemeine Anforderungen 9
10
Nach dem Wortlaut von § 3 SanInsKG ist Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund eines Gläubigerantrags, „[…] dass der Eröffnungsgrund bereits am 1.3.2020 vorlag“. Umgekehrt ausgedrückt bedeutet dies, dass eine Verfahrenseröffnung ausgeschlossen ist, wenn nicht ein Insolvenzgrund bereits am 1.3.2020 gegeben war. Die retrograde Ermittlung eines Insolvenzgrundes ist dem Insolvenzrecht nicht fremd.9) Sie hat ihren Platz insbesondere im Kontext der Geltendmachung gesellschaftsrechtlicher10) oder insolvenzrechtlicher Anfechtungsansprüche (wegen deren Einordnung siehe i. Ü. § 1 SanInsKG Rz. 11 Fritz]).11) Ohne an dieser Stelle bereits die Frage zu beantworten, ob es Aufgabe des antragstellenden Gläubigers ist, das Vorliegen eines auf den 1.3.2020 bezogenen Insolvenzgrunds glaubhaft zu machen (siehe dazu Rz. 13 ff.), dürfte dies jedenfalls für die Mehrzahl der Fälle in der Praxis (siehe hierzu Rz. 4 f.) keine allzu großen, neu hinzutretenden Schwierigkeiten bereiten: –
Im Rahmen von Fremdantragsverfahren spielt der Insolvenzgrund der Überschuldung praktisch keine Rolle, da es dem in aller Regel außenstehenden Dritten ohne „Sonderwissen“ nicht ohne weiteres möglich ist, eine negative Fortbestehensprognose und eine zu Zerschlagungswerten vorzunehmende Vermögensunterdeckung glaubhaft zu machen.
–
Bei den beiden wichtigsten Gläubigergruppen helfen Erleichterungen hinsichtlich der Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes.
Mit Rücksicht auf die Strafandrohung gemäß § 266a StGB reicht bei den Krankenkassen eine vom 1.3.2020 über sechs Monate rückbezogene Aufstellung von aufgelaufenen Rückständen abzuführender Sozialversicherungsbeiträge, die in Folge übermittelter Beitragsnachweise oder Schätzungsbescheide tituliert sind.12) _____________ 9) Vgl. z. B. IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11), Stand: 22.8.2016, Rz. 49, 50, IDW Life 3/2017, S. 332 ff. 10) Hier ist entsprechend der praktischen Bedeutung insbesondere § 64 Satz 1 GmbHG zu erwähnen. Hierzu grundlegend Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 573. 11) Vgl. allgemein: Nerlich/Römermann-Römermann, InsO, § 2 COVInsAG Rz. 39 ff., 51 ff.; Einhaus, NZI 2020, 352. 12) BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457; BGH, Beschl. v. 28.4.2008 – II ZR 51/07, BeckRS 2008, 11162; Linker in: HambKomm-InsR, § 14 InsO Rz. 39 f.; Uhlenbruck-Wegener, InsO, § 14 Rz. 66; Vallender, NZI 2016, 609, 613; einschränkend: AG Charlottenburg, Beschl. v. 9.8.2000 – 105 IN 2356/00, ZInsO 2000, 520; eine Aufschlüsselung der Aufstellung nach Arbeitnehmern ist indes nicht mehr erforderlich, vgl. BGH, Beschl. v. 11.6.2015 – IX ZB 76/13, WM 2015, 1428.
74
Horstkotte
Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen
§ 3 SanInsKG
Im Ergebnis gilt für vollziehbare Forderungen des Fiskus und für titulierte zivilrechtliche Ansprüche Folgendes: –
Bei den zivilrechtlichen Forderungen hilft hier jedenfalls die Bescheinigung eines mit der Mobiliarzwangsvollstreckung beauftragten Gerichtsvollziehers, die nicht älter als sechs Monate sein sollte, dass der Vollstreckungsversuch fruchtlos verlaufen ist.13)
–
Gleiches sollte für den Nachweis der fruchtlosen Mobiliarvollstreckung durch einen Vollziehungsbeamten des Gläubigerfinanzamts hinsichtlich der am 1. März vollstreckbaren Forderungen gelten.
11
b) Besonderheiten bei Anträgen der Finanzämter In diesem Zusammenhang besteht Anlass, aus Praktikersicht auf Folgendes hinzuweisen: Der Insolvenzantrag des Finanzamtes ist kein Verwaltungsakt i. S. des § 118 AO, sondern ein sog. „schlichtes Verwaltungshandeln“. Nach der Rechtsprechung steht die Entscheidung darüber, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird, im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde.14) Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wird das Finanzamt bei der Insolvenzantragstellung in sein Ermessen auch den Willen des Gesetzgebers einbeziehen müssen, dass die Unternehmen Gelegenheit erhalten sollen, die Insolvenz, insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden staatlichen Hilfen, ggf. aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen, zu beseitigen. Folgerichtig hat das BMF ein als Verwaltungsvorschrift zu qualifizierendes Schreiben herausgegeben, nach dem von der Vollstreckung, wozu auch das Insolvenzverfahren als – einem nach tradiertem Verständnis – Gesamtvollstreckungsverfahren zu zählen ist, bei allen rückständigen oder bis zum 31.12.2020 fällig werdenden Steuern abgesehen werden soll.15) Wegen der Einzelheiten der steuer- und steuerverfahrensrechtlichen Aspekte ist auf den Beitrag von Schmittmann verwiesen (siehe unten Teil III, S. 307). 2.
12
Zulässigkeits- oder Begründetheitsmerkmal
Fraglich bleibt, ob die Formulierung des Gesetzes „[…] setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus […]“ (Hervorhebung durch d. Verf.) sich auf die Zulässigkeit oder die Begründetheit eines Gläubigerantrags bezieht.
13
Die Gesetzesbegründung in ihrer Einführung zur vorgeschlagenen Lösung führt aus, das Recht der Gläubiger, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu beantragen, sei für einen dreimonatigen Übergangszeitraum „suspendiert“.16) Letzteres hat im
14
_____________ 13) Linker in: HambKomm-InsR, § 14 InsO Rz. 27; Siebert, VIA 2015, 17, 18; BGH, Beschl. v. 12.7.2012 – IX ZB 264/11, BeckRS 2012, 15958. 14) Schmittmann in: FS Haarmeyer, S. 289, 293 ff.; Tipke/Kruse-Loose, AO/FGO, § 251 AO Rz. 19. 15) Vgl. BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/19997:002, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Weitere_Steuerthemen/ Abgabenordnung/2020-03-19-steuerliche-massnahmen-zur-beruecksichtigung-der-auswirkungen-des-coronavirus.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Abrufdatum: 22.5.2020). 16) Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 4; dem folgen Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 650, ohne weitere methodische Vertiefung; ähnlich Lütcke/Holzmann/Swierczok, BB 2020, 898, (unscharf) 903.
Horstkotte
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§ 3 SanInsKG
Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen
Wortlaut des Gesetzes indes keinen Ausdruck gefunden. Dafür hätte es erkennbar eines Bezugs zu § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO als einer Norm, die die Statthaftigkeit des Verfahrens betrifft, bedurft.17) Der Gesetzeswortlaut knüpft aber lediglich „die Eröffnung“ des Insolvenzverfahrens an die Voraussetzung, dass ein Insolvenzgrund bereits am 1.3.2020 vorlag. Nun ist die Verfahrenseröffnung aber ihrerseits nur eines der denkbaren Ergebnisse einer abgeschlossenen Prüfung, ob ein Insolvenzgrund (im Kontext von § 3 SanInsKG: bereits vor Beginn des Schutzzeitraums) vorlag. Die dem Insolvenzgericht von Amts wegen obliegende Prüfung,18) ob ein Insolvenzgrund gegeben ist, ist Voraussetzung für eine Sachentscheidung über jedwede Art eines Insolvenzantrags und setzt begrifflich die Zulässigkeit eines auf die Verfahrenseröffnung gerichteten Antrags voraus. Auch i. Ü. verhält sich die Begründung zum Verständnis der Norm unklar: Nach den Aussagen im besonderen Teil soll verhindert werden, dass „[…] von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1.3.2020 noch nicht insolvent waren, durch Gläubigerinsolvenzanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können […]“.19) Nach einer am Wortlaut orientierten Auslegung wäre ein Gläubigerantrag – die Voraussetzungen von § 14 InsO als erfüllt unterstellt – daher nur unbegründet.20) 15
Das vermag nicht vollständig zu überzeugen: Würde man es für die Zulässigkeit eines Gläubigerantrags dabei belassen, dass nur die Voraussetzungen des § 14 InsO zu erfüllen sind, würde es auch genügen, wenn die materielle Insolvenz als Insolvenzgrund innerhalb des Schutzzeitraums eintritt. Um eine Konkordanz mit dem Grundtatbestand der temporären Aussetzung der Insolvenzantragspflicht des Schuldners gemäß § 1 SanInsKG herzustellen, erscheint es daher angezeigt, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Fremdanträgen dahingehend zu erweitern, dass auch das Vorliegen eines Insolvenzgrundes vor dem 1.3.2020 durch den antragstellenden Gläubiger glaubhaft zu machen ist. Ob man dies methodisch im Wege einer teleologisch gebotenen Erweiterung der Zulässigkeitsgründe „sub specie“ davon abhängig macht, dass der Gläubiger auch einen bereits am 1.3.2020 vorliegenden Insolvenzgrund glaubhaft zu machen hat, ist vielleicht nicht entscheidend.21) Denn: Zwar wird unter Regelbedingungen indiziell anzunehmen sein, dass ein Gläubiger, dessen Forderung durch den Schuldner nicht befriedigt wurde, bei Erfüllung der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen i. S. von § 14 InsO auch ein anzuerkennendes Rechtsschutzinteresse an der Durchführung eines Insolvenzver_____________ Ebenso Martin Obermüller, ZInsO 2020, 1037, 1038 li. Sp. Dazu im Kontext von § 3 COVInsAG ausdrücklich Gehrlein, DB 2020, 713, 717. Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 25. So Brünkmans, ZInsO 2020, 797, 802; Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, S. 17; A. Schmidt-Linker, COVinsAG, § 3 Rz. 9; wohl auch Gehrlein, DB 2020, 713, 717; inzident für Begründetheitsvoraussetzung jetz auch AG Ludwigshafen, Beschl. v. 10.5.2021 – 3b IN 72/21 LU, ZIP 2021, 1236. 21) So Thole, ZIP 2020, 650, 654; Schmittmann, ZRI 2020, 234 [bei V. 3.]; Fritz, ZRI 2020, 217 [bei V.]; Martin Obermüller, ZInsO 2020, 1037; inzident für Zulässigkeitsvoraussetzung jetzt auch AG Darmstadt, Beschl. v. 27.11.2020 – 9 IN 411/20, ZIP 2021, 307; unscharf Bitter, ZIP 2020, 685, 696, der in Bezug auf § 3 COVInsAG davon spricht, es werde „[…] die Möglichkeit von Gläubigern beschränkt, gegen insolvenzreife Unternehmen Insolvenzantrag zu stellen.“
17) 18) 19) 20)
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Eröffnungsgrund bei Gläubigerinsolvenzanträgen
§ 3 SanInsKG
fahrens hat.22) Aber dies kann unter den Bedingungen des SanInsKG keine Geltung beanspruchen, wenn der Insolvenzgrund nicht bereits am 1.3.2020 vorlag, sondern erst innerhalb des Schutzzeitraums entsteht. Ein solcher Antrag kann nicht zur Verfahrenseröffnung führen. Im Anwendungsbereich des § 3 SanInsKG bedarf es daher zur Annahme eines anerkennenswerten Rechtsschutzinteresses der Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes bereits am 1.3.2020.23) Die Richtigkeit dieses Ergebnisses mag auch ein Blick auf die Konsequenzen im folgenden Fallbeispiel erhellen: Beispiel: Ein Gläubiger beantragt Anfang Mai 2020 aufgrund einer rechtskräftig titulierten Forderung und unter Beifügung einer auf den 15.4.2020 lautenden Fruchtlosigkeitsbescheinigung im Mobiliarzwangsvollstreckungsverfahren die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer laufend produzierenden Schuldnerin. Damit wären – wenn man denn ein Rechtsschutzinteresse als indiziert gegeben ansieht – die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen i. S. von § 14 InsO erfüllt. Wenn es nun infolge der Anordnung einer vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwaltung24) zur faktischen Einstellung der laufenden Produktion kommt25) und der vorläufige Insolvenzverwalter schließlich als Sachverständiger zu dem Ergebnis gelangt, dass am 1.3.2020 kein Insolvenzgrund vorlag, wäre die wirtschaftliche Existenz des schuldnerischen Unternehmens zu Unrecht vernichtet worden.
_____________ 22) Grundlegend BGH, Beschl. v. 29.6.2006 – IX ZB 245/05, ZIP 2006, 1452. 23) Angedeutet auch von Fritz, ZRI 2020, 217 [bei V.]. 24) Auf Grund des laufenden Betriebs des schuldnerischen Unternehmens wird ein Sicherungsbedarf durch das Insolvenzgericht bejaht und die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. Für die Zulässigkeit von Sicherungsmaßnahmen spricht sich ausdrücklich Bornemann, jurisPR-InsR 9/2020 Anm. 1, S. 17, aus. 25) Etwa weil das Insolvenzgericht mangels valider Liquiditätsvorschau keine Einzelermächtigung erlässt und infolgedessen die Belieferung mit Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen durch Zulieferanten abgebrochen wird.
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§4 Prognose- und Planungszeiträume Fritz/Leipe
(1) Abweichend von § 19 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung ist zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 anstelle des Zeitraums von zwölf Monaten ein Zeitraum von vier Monaten zugrunde zu legen, wenn die Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Dies wird vermutet, wenn 1.
der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war,
2.
der Schuldner in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.
(2) In dem Zeitraum vom 9. November 2022 bis einschließlich 31. Dezember 2023 tritt an die Stelle des in 1.
§ 19 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung genannten Zeitraums von zwölf Monaten,
2.
§ 270a Absatz 1 Nummer 1 der Insolvenzordnung genannten Zeitraums von sechs Monaten und
3.
§ 50 Absatz 2 Nummer 2 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes genannten Zeitraums von sechs Monaten
ein Zeitraum von vier Monaten. Satz 1 gilt auch, wenn vor dem 9. November 2022 eine Überschuldung nach § 19 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung vorlag, es sei denn, dass der für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt nach § 15a Absatz 1 Satz 1 und 2 der Insolvenzordnung bereits verstrichen ist. Literatur: Ballmann, Das Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz, DB 2022, M12-M14; Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand 15.1.2020 und Stand 9.11.2022; Beissenhirtz, Aus CoVInsAG wird SanInsKG –sonst ändert sich nix?, ZInsO 2022, 2225; Bork, Zum Stand der Diskussion um den Überschuldungstatbestand und zum Vorschlag einer Rückkehr zum Überschuldungstatbestand von 1999, Beilage ZIP 43/2019, 1; Brinkmann, Die Antragspflicht bei Überschuldung – ein notwendiges Korrelat der beschränkten Haftung, NZI 2019, 921; Ellers, Entlastung der Unternehmen bald auch im Insolvenzrecht, DB 2022, M4-M5; Fritz/Scholtis, Anregungen für eine mutige und praxistaugliche Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, BB 2019, 2051; Gehrlein, Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) – ein Überblick, BB 2021, 66; Gehrlein, Der Überschuldungsbegriff – Irrungen und Wirrungen, GmbHR 2021, 183; Grünen/Döbertin, Aus CoVInsAG wird SanInsKG, SanB 2022, 65; Gutmann/Michels, Insolvenzeröffnungsgründe, Rechtsprechung und SanInsKG – Hohes Haftungsrisiko für alle Beteiligten, NZI 2023, 7; Hölzle, Der perfekte Sturm – Wäre eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Mittel der Wahl zur Bewältigung der Energiekrise? Zugleich Anmerkung zu dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zur Änderung des CoVInsAG und Umbenennung in ein Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG), ZIP 2022, 1945; Hölzle/Schulenberg, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
und ihre weiteren Folgen, ZIP 2020, 650; Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, Insolvenzordnung, Loseblatt, Stand 03/2023; Morgen/Arends, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und das Eigenverwaltungsverfahren nach SanInsFoG und COVInsAG – Was gilt wann?, ZIP 2021, 447; Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Loseblatt, Stand 2/2021; Römermann, Krisen-Placebo SanInsKG, GmbHR R340, R342; Schluck-Amend, Änderungen im Insolvenzrecht durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz, NZI 2020, 289; Schmitz/Büneman, Die Auswirkungen des SanInsKG auf die Fortbestehensprognose. Zum Sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG, NZI 2022, 969; Swierczok, Dreifach „Wumms“ – das SanInsKG ist da!, BB 2022, I; Thole, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz und ihre weiteren Folgen, ZIP 2020, 650. Übersicht I. II. 1. 2. III.
Überblick ............................................. 1 Entstehungsgeschichte ........................ 3 § 4 COVInsAG .................................... 3 Erweiterung zu § 4 SanInsKG ............. 8 Zusammenhang mit dem Begriff der Überschuldung ........................... 13 IV. Normzweck ......................................... 17 1. Verkürzung der Fortführungsprognose nach § 4 Abs. 1 SanInsKG ......... 17 2. Verkürzung der Fortführungsprognose nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG ............................................ 18 3. Verkürzung der Planungszeiträume nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG .................. 27 4. Einführung eines allgemeinen Krisen-Insolvenzrechts Verkürzung der Planungszeiträume nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG ...................................... 32 V. Verkürzung des Prognosezeitraums nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgrund der COVID-19Pandemie (Abs. 1) .............................. 35 1. Zeitlicher Anwendungsbereich .......... 36 2. Voraussetzungen ................................. 41 a) Vorliegen einer Überschuldung ..................................... 42 b) Kausalität der COVID-19Pandemie für die Überschuldung ..................................... 43 aa) Vermutungsregelung ................... 47 (1) Keine Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019 ............................... 49 (2) Positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ......................................... 52
I. 1
(3) Umsatzeinbruch um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr .......................................... 57 (4) Widerlegbarkeit der Vermutung .......................................... 60 bb) Beweisführung abseits der Vermutung ................................... 62 3. Rechtsfolgen ........................................ 66 VI. Verkürzung von Prognose- und Planungszeiträumen aufgrund des Ukrainekonflikts (Abs. 2) .......... 68 1. Zeitlicher Anwendungsbereich ......... 70 a) Zeitliche Anwendungsfragen bezüglich des Prognosezeitraumes im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG ................ 71 b) Zeitliche Anwendungsfragen bezüglich der Finanzplanungszeiträume nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG ................. 78 2. Keine sachlichen Anwendungsvoraussetzungen ................................. 79 3. Anwendung bei bereits bestehender Überschuldung .................................... 86 4. Rechtsfolgen ........................................ 88 a) § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG ..................................... 88 aa) Verkürzung des Prognosezeitraums nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ................................... 88 bb) Ausschluss der Insolvenzantragspflicht ................................ 95 cc) Reduzierung von Haftungsrisiken ......................................... 101 dd) Zugang zum StaRUG ............... 105 b) § 4 Abs. 2 Nr. 2 SanInsKG ........ 110 c) § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG ....... 116
Überblick
Die weltweit auch 2022 und 2023 weiterhin anhaltende COVID-19-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 haben erhebliche 80
Fritz/Leipe
§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft, insbesondere durch behördliche Einschränkungen, Beeinträchtigung von Lieferketten, Preisschwankungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten, Inflation und steigende Zinsen. Die damit einhergehenden Unwägbarkeiten führen für viele Unternehmen seither zu Schwierigkeiten, belastbare Prognosen für die mittel- oder langfristige Zukunft zu erstellen. Zur Abmilderung dieser Krisenfolgen enthält § 4 SanInsKG die Voraussetzungen, unter denen der Prognosezeitraum im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung aufgrund der COVID-19-Pandemie vorübergehend verkürzt war bzw. infolge der Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine nun erneut verkürzt sein kann. Insoweit wurde die vormals in § 4 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG) geregelte Reduzierung des Prognosezeitraumes während des Jahres 2021 auf lediglich vier statt zwölf Monate unverändert in § 4 Abs. 1 SanInsKG überführt. Diese pandemiebedingte Regelung bleibt nach wie vor auf das Jahr 2021 begrenzt, hat in der Rückschau aber noch Relevanz für die gerichtliche Praxis. Da diese Regelung bis 2021 befristet war, kam zwischenzeitlich wieder der ursprüngliche Prognosezeitraum nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO von zwölf Monaten zur Anwendung. Vor dem Hintergrund der nun hinzugetretenen wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine, enthält § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG nun eine erneute vorübergehende Verkürzung dieses Prognosezeitraumes auf vier Monate für den Zeitraum zwischen dem 9.11.2022 und dem 31.12.2023. Für diesen Zeitraum ist nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG darüber hinaus auch die Beantragung einer Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO oder einer Stabilisierungsanordnung nach den §§ 49 ff. StaRUG vorübergehend unter erleichterten Bedingungen möglich. Für die Inanspruchnahme dieser Restrukturierungsinstrumente muss der Schuldner seit dem SanInsFoG nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG u. a. eine Finanzplanung vorlegen, aus der sich ergibt, dass die Unternehmensfortführung auch unter Berücksichtigung von Verfahrenskosten für zumindest sechs Monate gesichert ist. Durch § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG wird der hiernach regulär erforderliche Planungszeitraum von sechs Monaten vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine vorübergehend ebenfalls auf lediglich vier Monate reduziert.
2
II. Entstehungsgeschichte 1.
§ 4 COVInsAG
In § 4 Abs. 1 SanInsKG wurde die vormalige Regelung des § 4 COVInsAG überführt und unverändert beibehalten.
3
Das vormalige COVInsAG hat der Bundestag ursprünglich am 23.3.2020 beschlossen, um die Folgen der COVID-19-Pandemie in den Bereichen des Insolvenz-, Gesellschafts- und allgemeinen Zivilrechts abzufedern. Im Mittelpunkt stand dabei unter § 1 COVInsAG eine zeitlich befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht unter bestimmten Umständen, welche nach mehreren Verlängerungen und Modifikationen zum 30.4.2021 auslief (§ 1 Abs. 2 und 3 COVInsAG).
4
Im Zuge des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wurde das COVInsAG zum 1.1.2021 durch § 4 COVInsAG ergänzt. Hiernach wurde aufgrund der weiter anhaltenden Folgen COVID-19-Pandemie
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Fritz/Leipe
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
unter bestimmten Voraussetzungen und beschränkt auf das Jahr 2021 der Prognosezeitraum im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vorübergehend von zwölf auf lediglich vier Monate reduziert. 6
Eine solche pandemiebedingte, vorübergehende Verkürzung des Prognosezeitraumes für die Überschuldungsprüfung enthielten insoweit bereits der Referenten-1) und Regierungsentwurf2) zum SanInsFoG. Die Formulierung des § 4 COVInsAGRegE lautete ursprünglich: § 4 COVInsAG-RegE Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung Abweichend von § 19 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung ist zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 anstelle des Zeitraums von zwölf Monaten ein Zeitraum von vier Monaten zugrunde zu legen, wenn
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1.
der Schuldner zum 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war,
2.
der Schuldner in dem letzten, vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 Prozent eingebrochen ist.
Auf Initiative des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz3) im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens für das SanInsFoG wurde die Kausalität der Pandemie für die Überschuldung zum Tatbestandsmerkmal für den verkürzten Prognosezeitraum nach § 4 COVInsAG. Die vorherigen unter Nummer 1 bis 3 enthaltenen Tatbestandsmerkmale wurden zu den Voraussetzungen der Vermutungsregelung in § 4 Satz 2 COVInsAG herabgestuft. Zudem wurde der in Nr. 3 der Norm genannte Schwellenwert von 40 Prozent angesichts der in vielen Branchen niedrigeren Relationen zwischen Fixkosten und Umsatzerlösen als zu hoch angesehen und daher auf 30 Prozent reduziert.4) 2.
Erweiterung zu § 4 SanInsKG
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Die Regelung unter § 4 COVInsAG galt nur befristet bis zum 31.12.2021. Nach diesem Zeitpunkt kam daher wieder der reguläre Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung von zwölf Monaten nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO zur Anwendung.
9
Auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses5) hat der Bundestag am 20.10.2022 vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf die deutsche Wirtschaft dem Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes zugestimmt. Das COVInsAG wurde hierdurch in das Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur _____________ 1) 2) 3) 4) 5)
82
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_ SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6, S. 82. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 75. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 15; sowie die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25303, S. 137. Bericht des Rechtsausschusses, BT Drucks. 19/25353, S. 15. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087.
Fritz/Leipe
§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
Abmilderung von Krisenfolgen (SanInsKG) umbenannt. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber das vormalige COVInsAG, das bislang ausschließlich Bestimmungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie beinhaltete, um weitere ebenfalls zeitlich befristete Regelungen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen des Kriegs gegen die Ukraine erweitert.6) Die Erweiterung des COVInsAG zum SanInsKG dient dabei der Umsetzung des Maßnahmenpaketes des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen als Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 3.9.2022.7) Darin ist u. a. vorgesehen, dass Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, ihre Geschäftsmodelle anpassen können sollen und dass deshalb für Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht gesorgt werden soll.
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Im Rahmen der Einführung des SanInsKG wurde § 4 COVInsAG unverändert in § 4 Abs. 1 SanInsKG überführt. Diese Regelung bleibt nach wie vor auf das Jahr 2021 begrenzt, hat in der Rückschau aber noch Relevanz für die gerichtliche Praxis. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in dem neu eingeführten § 4 Abs. 2 SanInsKG erneut den Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung vorübergehend auf vier Monate reduziert und zudem die zeitlichen Anforderungen an die zur Beantragung einer Eigenverwaltung nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO oder einer Stabilisierungsanordnung nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG erforderlichen Finanzplanungen gesenkt.
11
Der Bundesrat hat dem SanInsKG am 28.10.2022 zugestimmt. Das Gesetz ist sodann am 9.11.2022 in Kraft getreten.
12
III. Zusammenhang mit dem Begriff der Überschuldung Die § 4 SanInsKG steht im engen Zusammenhang mit dem Begriff der Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO. Hiernach liegt eine insolvenzantragspflichtige Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (rechnerische Überschuldung), es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (positive Fortführungsprogose). Im Zentrum der Fortführungsprognose steht dabei die Frage, ob das Unternehmen im Rahmen des Prognosezeitraumes in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten im Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeit zu erfüllen (Durchfinanzierung).
13
Vor dem Hintergrund der vor allem durch die Restrukturierungsrichtlinie8) neu entfachten Diskussion um die konzeptionelle Eignung des Überschuldungstatbe-
14
_____________ 6) 7)
8)
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 7. Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Downloads/Schlaglichter/Entlastungen/ergebnispapier-des-koalitionsausschusses.html (Stand 9.1.2023), S. 10 f. Richtlinie 2019/1023 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.6.2019.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
standes9) hat der Gesetzgeber sich im Zuge des SanInsFoG grundsätzlich für die Beibehaltung der Überschuldung als zwingenden Insolvenzantragsgrund entschieden. Nach der Gesetzesbegründung zum SanInsFoG soll die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung weiterhin eine Steuerungsfunktion erfüllen und die Geschäftsleiter zu einer vorausschauenden Finanzplanung und frühzeitigen Krisenerkennung anhalten.10) 15
Inhaltlich wurde der Begriff der Überschuldung durch das SanInsFoG zudem dadurch konkretisiert, dass ab dem 1.1.2021 der Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose einheitlich auf zwölf Monate festgelegt wurde, § 19 Abs. 2 InsO n. F. Nach der vorherigen Rechtslage hatte die Rechtsprechung für die Fortführungsprognose einen mittelfristigen Prognosehorizont gefordert,11) dessen konkrete Dauer vom Einzelfall abhing und bis zu vierundzwanzig Monate betragen konnte.12) Um die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit und die Prognoseschwierigkeiten bei längeren Zeiträumen zu beseitigen,13) hat der Gesetzgeber mit der jetzigen Fassung des § 19 Abs. 2 InsO den Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose verbindlich geregelt.
16
In diesem Kontext sieht § 4 Abs. 1 SanInsKG für das Jahr 2021 bei pandemiebedingt überschuldeten Unternehmen und § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG zwischen dem 9.11.2022 und dem 31.12.2023 aufgrund der Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine einen jeweils weiter verkürzten Prognosezeitraum von nur vier Monaten vor. IV. Normzweck 1.
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Verkürzung der Fortführungsprognose nach § 4 Abs. 1 SanInsKG
Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs zum SanInsFoG14) war Hintergrund der Verkürzung des Prognosezeitraumes für die insolvenzrechtliche Überschuldung nach § 4 COVInsAG bzw. nun § 4 Abs. 1 SanInsKG, dass viele Unternehmen infolge der Pandemie und der behördlichen und gesetzlichen Einschränkungen starke Umsatzeinbrüche zu verzeichnen hatten. Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung resultierten daraus erhebliche Prognoseunsicherheiten. Schwierigkeiten, belastbare Prognosen für die mittelfristige Zukunft zu erstellen, ergaben sich vor allem daraus, dass politische Entscheidungen und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nur schwer vorhersehbar waren und von vielen Variablen wie der Ausbreitung der Pandemie oder der Entwicklung von Impfstoffen abhingen. Aufgrund der dynamischen Situation in der Pandemie war einer validen Fortführungsprognose über einen längeren Zeitraum oftmals die Grundlage entzogen. Durch die in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO zum Ausdruck kommende gesetzliche Vermutung einer negativen _____________ 9) Zum Stand der Diskussion vgl. Bork, ZIP 43/2019, Beilage, S. 1; Brinkmann, NZI 2019, 921; Fritz/Scholtis, BB 2019, 2051, 2055. 10) Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 196. 11) BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, NJW 1992, 2891; OLG Köln, Urt. v. 23.2.2000 – 11 U 155/99, ZInsO 2001, 48. 12) AG Hamburg, Beschl. v. 2.12.2011 – 67 c IN 421/11, NZI 2012, 85. 13) Vgl. dazu Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 197. 14) Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 217.
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Fortführungsprognose und die gleichzeitigen Prognoseschwierigkeiten konnte daher auch bei vor der Pandemie gesunden Unternehmen zwischenzeitlich in Frage stehen, ob die Fortführung noch als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden kann. Dass solche Unternehmen allein aufgrund der Prognoseunsicherheiten einen Insolvenzantrag stellen müssen, sollte durch die Verkürzung des Prognosezeitraumes verhindert werden. Schwierigkeiten, die mit einem Prognosezeitraum von zwölf Monaten zu dieser Zeit verbunden waren, sollen verringert und eine handhabbarere Prognose ermöglicht werden. 2.
Verkürzung der Fortführungsprognose nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG
Eine vergleichbare Begründung wie für die Verkürzung des Prognosezeitraumes nach § 4 Abs. 1 SanInsKG zur Abmilderung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie steht auch hinter der nun erneuten Verkürzung dieses Prognosezeitraumes nach § 4 Abs. 2 SanInsKG vor dem Hintergrund des Ukrainekonflikts.
18
Nach der Begründung des Rechtsausschusses belasten die Entwicklungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten infolge des Kriegs gegen die Ukraine die finanzielle Situation der Unternehmen erheblich und erschweren deren vorausschauende Planung.15) Die Fortführungsprognose im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung kann daher oft nur auf unsichere Annahmen gestützt werden. Ein vorsichtigter Geschäftsleiter könnte sich aufgrund dieser Unsicherheiten im Falle einer rechnerischen Überschuldung gezwungen sehen, einen Insolvenzantrag zu stellen, auch wenn das Unternehmen bei Hinwegdenken der aktuellen Unsicherheiten im Kern gesund ist.
19
Insoweit sollen durch die Reduzierung des Prognosezeitraumes insbesondere solche Unternehmen, deren Bestandsfähigkeit unter normalen Umständen außer Zweifel stünde, nicht ausschließlich aufgrund dieser Unsicherheiten in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden. Ausdrücklich betont die Gesetzesbegründung allerdings, dass von der Neuregelung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG nicht nur nachweislich betroffene Unternehmen, sondern alle Unternehmen profitieren sollen und dass deshalb gerade keine Ursächlichkeit der Entwicklungen auf den Energiemärkten Voraussetzung für die Anwendbarkeit des kurzen Prognosezeitraums nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG ist.16) Hintergrund dessen ist nach der Begründung des Rechtsausschusses, dass von den derzeitigen Verhältnissen mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar betroffen seien. Solange ein Unternehmen in der Lage sei, seinen Zahlungsverpflichtungen zumindest für die nächsten vier Monate zu erfüllen, liege es nach der Begründung des Rechtsausschusses auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse, dieses Unternehmen am Markt zu halten. Zudem sollen auch durch die Prognoseunsicherheiten bedingte haftungsund strafrechtliche Risiken für die Geschäftsleiter reduziert werden.17)
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_____________ 15) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 7 f. 16) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 7 f. 17) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 7.
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Die Verkürzung des Prognosezeitraumes nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG wird überwiegend als angemessene Maßnahme begrüßt.18)
22
Kritische Stimmen richtet sich zum einen eher gegen die Eignung des Überschuldungstatbestands als Insolvenzantragsgrund an sich19) und ordnen die Regelungen unter § 4 Abs. 2 SanInsKG als Symbolpolitik ohne messbare praktische Auswirkungen ein.20) Befürworter des Überschuldungsbegriffs als Insolvenzgrund sehen in § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG dagegen zum Teil eine Gefährdung von Gläubigerinteressen, insbesondere zulasten der der langfristigen Gläubiger, da die rechnerische Überschuldung als Frühwarnzeichen unterlaufen werde.21) Insoweit wird vor allem vorbracht, dass die Regelung geeignet sei, sog. Zombieunternehmen, bei denen ein Insolvenzverfahren langfristig ohnehin nicht verhindert werden kann, Vorschub zu leisten. Das diesen Unternehmen durch die Regelung ermöglichte Weiterwirtschaften könne möglicherweise zu einer Gefahr für deren gutgläubige Geschäftspartner werden.22)
23
Die vorgenannten Kritikpunkte sind zwar nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass in der Praxis nur selten Insolvenzanträge auf eine alleinige Überschuldung zurückgehen, sondern zumeist zugleich auch eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Eine erhebliche Gefährdung von Gläubigerinteressen durch die Verkürzung des Prognosezeitraumes ist daher wohl eher ein theoretisches Szenario. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die allgemeinen Pflichten der Geschäftsleiter zur Krisenfrüherkennung nach § 1 StaRUG von der Neuregelung unberührt bleiben, sodass die Haftung der Geschäftsleiter durch die Neuregelung zwar reduziert wird, den Geschäftsleitern die Verantwortung aber nicht vollkommen abgenommen wird. Langfristige Fehlentwicklungen dürften auch durch die Befristung der Regelung nicht zu erwarten sein. Dementsprechend war auch nach Ablauf der Regelung unter § 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG kein schlagartiger Anstieg aufgeschobener Insolvenzverfahren zu beobachten.
24
Angesichts dessen stellt sich umgekehrt eher die Frage, ob die Verkürzung des Prognosezeitraumes im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldung in der Praxis überhaupt zu einem messbaren Rückgang an Insolvenzverfahren führen wird.23) Durch die Verkürzung des Prognosezeitraumes soll verhindert werden, dass Unternehmen vorschnell aufgrund der aktuellen Unwägbarkeiten in ein Insolvenzverfahren gedrängt werden. Ob die Regelung in der Praxis allerdings tatsächlich zu einer merkbaren Vermeidung von Insolvenzverfahren führen wird, kann allerdings _____________ 18) Zum Beispiel Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises, ZRI 2022, 923, 924; Ellers, DB 2022, M4-M5. 19) Zum Beispiel Ballmann, DB, M12-M14, M14. 20) Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2226 f.; Römermann, GmbHR R340, R342. 21) Wolfer in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 4 Rz. 6; Stellungnahme BRAK Nr. 36, S. 3, abrufbar unter https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/ stellungnahmen-deutschland/2022/stellungnahme-der-brak-2022-36.pdf (Stand 9.1.2023). 22) Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2227; Grünen/Döbertin, SanB 2022, 65, 66. 23) Kritisch Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2226 f.; kritisch auch die Stellungnahme IDW vom 21.9.2022, abrufbar unter https://www.idw.de/IDW/Medien/IDW-Schreiben/2022/ Down-BMJ-Entlastungspaket.pdf (Stand 9.1.2023)
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bezweifelt werden. Die bisherigen statistischen Zahlen zeigen, dass die meisten Insolvenzanträge zumindest auch auf dem Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit beruhen, sodass allein die Verkürzung des Prognosezeitraumes im Rahmen der Überschuldung voraussichtlich keinen großen Einfluss auf die Anzahl der Insolvenzverfahren haben wird. Denkbar scheint aber ein gewisser Einfluss auf die Volumina der Verfahren, da eine isolierte Überschuldung der Erfahrung nach meist bei größeren Unternehmen relevant ist. Trotz der voraussichtlich geringen Auswirkung auf die Anzahl der Insolvenzverfahren, ist die Regelung in § 4 Abs. 2 SanInsKG gleichwohl zu befürworten, da hiermit zumindest eine Reduzierung der Haftungsgefahren für die Geschäftsleiter verbunden ist. Es ist zu begrüßen, dass sich die aktuellen Unwägbarkeiten damit nicht ausschließlich bei den Geschäftsleitern in Haftungsrisiken entladen.
25
Ob das im Rahmen des Maßnahmenpaketes des Bundes darüber hinaus erklärte Ziel, dass die Unternehmen Gelegenheit haben sollen, ihre Geschäftsmodelle an die Gegebenheiten anzupassen,24) durch § 4 Abs. 2 SanInsKG erreicht werden kann, dürfte allerdings fraglich sein. Dieser Grundgedanke findet sich zum einen weder in dem Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung des Rechtsausschusses wieder. Hinzu kommt, dass die Unternehmen, die so stark von den derzeitigen Unwägbarkeiten betroffen sind, dass sie auf die Verkürzung des Prognosezeitraumes im Rahmen der Überschuldung angewiesen sind, zumeist vor erheblichen Anpassungsprozessen stehen. Jedenfalls solche grundlegenden Transformationen dürften während des derzeitigen Geltungszeitraumes des § 4 Abs. 2 SanInsKG bis zum 31.12.2023 wohl kaum abgeschlossen werden können.
26
3.
Verkürzung der Planungszeiträume nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG
Soll ein Unternehmen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nach den §§ 270 ff. InsO saniert werden, muss der Schuldner hierfür eine Finanzplanung vorlegen, aus der sich ergibt, dass die Betriebsfortführung aufgrund einer Prognose und unter Berücksichtigung von Sanierungs- und Verfahrenskosten für die nächsten sechs Monate durchfinanziert ist, § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO. Eine vergleichbare Planung muss auch für die Anordnung einer Stabilisierungsanordnung nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG vorgelegt werden. Ohne eine solche Finanzplanung kann eine vorläufige Eigenverwaltung nur unter erschwerten Bedingungen, d. h. nur wenn trotz dieser Umstände zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten (§ 270b Abs. 1 InsO) und eine Stabilisierungsanordnung nach § 50 Abs. 1 StaRUG überhaupt nicht angeordnet werden.
27
In § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG ist vorgesehen, dass zwischen dem 9.11.2022 und dem 31.12.2023 auch diese Finanzplanungen nur noch einen Zeitraum von vier, statt sechs Monaten umfassen müssen. Die Planungszeiträume werden mithin _____________
28
24) Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Downloads/Schlaglichter/Entlastungen/ergebnispapier-des-koalitionsausschusses.html (Stand 9.1.2023), S. 10 f.
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im Gleichlauf zur Anpassung des Prognosezeitraumes im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldung nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG reduziert. 29
Auch wenn diese Finanzplanungen einen anderen Zweck als der Überschuldungstatbestand erfüllen, basieren auch diese Planungen auf Prognosen für einen festgelegten Zeitraum. Insoweit will der Gesetzgeber konsequenterweise den derzeitigen Unwägbarkeiten infolge des Kriegs in der Ukraine auch im Kontext solcher Vorhaben Rechnung tragen. Durch die Regelung wird im Ergebnis der Zugang zu diesen Restrukturierungsoptionen vorübergehend zumindest etwas erleichtert.
30
Dieser erleichterte Zugang zur Eigenverwaltung bzw. einer Stabilisierungsanordnung wird zum Teil kritisiert, da die regulären Planungszeiträume von sechs Monaten an eine typische Verfahrensdauer angelehnt sind und eine kostenoptimierte Verfahrensdurchführung gewährleisten sollen.25) Die Verkürzung dieser Planungszeiträume, könne daher das Vertrauen in die Eigenverwaltung oder den Restrukturierungsrahmen stören, wenn sich im Nachhinein zulasten der Gläubiger herausstellt, dass das Verfahren möglicherweise von Anfang an nicht durchfinanziert war.26) Insoweit ist allerdings zu berücksichtigten, dass der Zeitraum von pauschal sechs Monaten sowohl bei der Eigenverwaltung als auch bei dem Restrukturierungsrahmen ohnehin lediglich eine typische Verfahrensdauer darstellt. Die tatsächliche Verfahrensdauer hängt in der Praxis maßgeblich von der Art und Größe des Unternehmens und den individuellen Gegebenheiten ab. Vielfach werden sich die individuellen Schwierigkeiten auch erst im Laufe des Verfahrens herausstellen und die Länge des Verfahrens dann erst später maßgeblich mitbestimmen. Im Zeitpunkt der Beantragung der Eigenverwaltung bzw. einer Stabilisierungsanordnung ist die konkrete Verfahrensdauer dagegen meist noch nicht vorhersehbar. Insoweit sind die von § 270b Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG geforderten Finanzplanungen ohnehin keine Garantie, dass das Verfahren bis zum Schluss durchfinanziert ist. Das Erfordernis einer Finanzplanung kann insoweit allenfalls als eine gewisse planerische Einstiegshürde solche Fälle aussortieren, in denen es erhebliche Schwierigkeiten mit der Durchfinanzierung gibt. Diesen Zweck kann auch der nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 SanInsKG verkürzte Planungszeitraum noch angemessen erfüllen. Darüber hinaus wird die Verkürzung voraussichtlich auch deshalb nicht zu langfristigen Fehlentwicklungen führen, da auch während des Verfahrens haftungsbewährte Früherkennungs-, Planungs- und Anzeigepflichten des Schuldners bestehen, die von der Neuregelung unberührt bleiben. Auch der gerichtlich bestellte vorläufige Sachwalter gewährleistet mit seinen Schutz- und Kontrollpflichten, dass Gläubigerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Gleiches gilt für den Restrukturierungsbeauftragten bei einem Restrukturierungsvorhaben.
31
Der erleichterte Zugang zu den Sanierungsoptionen der Eigenverwaltung und dem Restrukturierungsrahmen durch § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG ist daher an sich zu befürworten, um den Unternehmen vorübergehend zusätzliche Sanierungschancen zu eröffnen. Gleichwohl dürften auch hier die praktischen Auswirkungen _____________ 25) Hölzle, ZIP 2022, 1945, 1949; Stellungnahme VID, ZRI 2022, 880, 882. 26) Stellungnahme VID, ZRI 2022, 880, 882.
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Prognose- und Planungszeiträume
voraussichtlich eher gering sein. Ob allein die Verkürzung des Finanzplanungszeitraums auf vier Monate ein ausschlaggebender Aspekt für die Beantragung eines Eigenverwaltungsverfahrens oder einer Stabilisierungsanordnung sein wird, kann bezweifelt werden. Insoweit sind Geschäftsleiter natürlich weiterhin nach § 1 StaRUG verpflichtet, die verschiedenen Sanierungsoptionen anhand der jeweiligen Vor- und Nachteile für das schuldnerische Unternehmen gegeneinander abzuwägen. Die Verkürzung des Planungszeitraums für die Finanzplanung nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG ist insoweit nur ein kleinerer Aspekt im Rahmen dieser Abwägung. 4.
Einführung eines allgemeinen Krisen-Insolvenzrechts Verkürzung der Planungszeiträume nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG
Aus der Erweiterung des COVInsAG, das bislang ausschließlich Bestimmungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie beinhaltete, um Regelungen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Konflikts und der Umbenennung zum SanInsKG kann der Schluss gezogen werden, dass das SanInsKG künftig als allgemeines Krisen-Insolvenzrecht fungieren könnte.27) Eine Bündelung solcher Spezialregelungen in einem Gesetz erscheint sinnvoll.
32
Eine allgemeingültige Definition der Krise enthält das Gesetz allerdings nicht. Historie und Systematik des § 4 SanInsKG machen insoweit deutlich, dass der Gesetzgeber auch künftig nur durch gesonderte Erweiterungen des SanInsKG im Einzelfall auf besonders schwerwiegende Krisenereignisse reagieren dürfte.
33
Die hieraus zum Teil abgeleitete Befürchtung, der Gesetzgeber werde künftig bei jeder als krisenhaft empfundenen Wirtschaftlage Anpassungen im Insolvenzrecht vornehmen,28) ist nicht berechtigt. Insoweit ist gerade anhand des SanInsKG zu erkennen, dass der Gesetzgeber auf die Ukrainekrise im Vergleich zur COVID-19Pandemie nun deutlich zurückhaltender mit Eingriffen in das Insolvenzrecht reagiert. Insbesondere wird nun ausdrücklich auf eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verzichtet und auch der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit bleibt vollständig unangetastet.29) Solche tiefgehenden Eingriffe wären auch im Hinblick auf den Schutz der Gläubiger nicht angemessen und könnten gesamtwirtschaftlich sogar negative Nebeneffekte haben, etwa wenn Gläubiger in Reaktion auf eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Leistungen vermehrt nur noch gegen Vorkasse erbringen.30) Zudem ist auch im Allgemeinen ein möglichst zurückhaltender Eingriff in das insolvenzrechtliche Gefüge deshalb zu begrüßen, als dass die Bestandskraft insolvenzrechtlicher Regelungen eine hohe gesamtwirtschaftliche Bedeutung für Deutschland als Wirtschafts- und Investitionstandort hat. Das Vertrauen von Gläubigern und Investoren in die Bestandskraft des Insolvenzrechts darf nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass der Eindruck entsteht, das Insol-
34
_____________ 27) 28) 29) 30)
Ellers, DB 2022, M4-M5; vgl. dazu auch die Ausführungen zu § 1 SanInsKG Rz. 3 [Fritz]. So Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2227. Hölzle, ZIP 2022, 1945, 1949. So Ellers, DB 2022, M4-M5.
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Prognose- und Planungszeiträume
venzrecht könne in Krisensituationen wieder außer Kraft gesetzt werden.31) So ist das SanInsKG auch nicht zu verstehen. V. Verkürzung des Prognosezeitraums nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgrund der COVID-19-Pandemie (Abs. 1) 35
Aufgrund der COVID-19-Pandemie war nach § 4 Abs. 1 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG unter bestimmten Voraussetzungen der Prognosezeitraum im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vorübergehend im Jahr 2021 von zwölf auf lediglich vier Monate reduziert. 1.
Zeitlicher Anwendungsbereich
36
Der verkürzte Prognosezeitraum nach § 4 Abs. 1 SanInsKG sollte nur vorübergehend bis zu einer Normalisierung der wirtschaftlichen Lage zur Anwendung kommen.32) Nur insoweit war auch die mit der Verkürzung einhergehende potentielle Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen gerechtfertigt. Die Regelung ist daher nur im Zeitraum zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 anwendbar.
37
Da ab dem 1.1.2022 sodann wieder ein Prognosezeitraum von zwölf Monaten zugrunde zu legen war und im Gesetz keine übergangsweise Annäherung an den regulären Prognosezeitraum vorgeschrieben ist, lag es in der Verantwortung der Unternehmen, die Prognose bereits frühzeitig wieder an den Zeitraum von zwölf Monaten heranzuführen. Anderenfalls bestand die Gefahr, dass durch den am 1.1.2022 wieder längerfristigen Prognosezeitraum schlagartig eine Überschuldung eintritt.
38
Zu dem zeitlichen Anwendungsbereich der später eingeführten Verkürzung des Prognosezeitraumes aufgrund des Ukrainekonflikts in § 4 Abs. 2 SanInsKG hat der Rechtsausschuss wie folgt einschränkend Stellung genommen:33) „Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können. Denn wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststeht, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird, kann dieser Befund auch für die unter § 4 Abs. 2 zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein.“
39
Diese Einschränkung kann nur so verstanden werden, dass das Ende des auf vier Monate verkürzten Prognosezeitraumes maximal bis zum letzten Tag des zeitlichen Geltungsbereichs des § 4 Abs. 2 SanInsKG (31.12.2023) reichen darf. Unklar ist, ob diese aus der Gesetzesbegründung hervorgehende Einschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 4 Abs. 2 SanInsKG nun rückwirkend auch auf § 4 Abs. 1 SanInsKG durchschlägt. In entsprechender Anwendung auf § 4 Abs. 1 SanInsKG hätte dann bereits ab dem 1.9.2021 wieder der reguläre Prognosezeitraum von zwölf Monaten angewendet werden müssen. _____________ 31) Hölzle, ZIP 2022, 1945, 19451. 32) Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 217. 33) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8.
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Angesichts des vergleichbaren Wortlautes von § 4 Abs. 1 und 2 SanInsKG wäre eine einheitliche Handhabung beider Regelung zwar einleuchtend. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die einschränkenden Ausführungen des Rechtsausschusses sich dem reinen Wortlaut nach weder aus § 4 Abs. 1 noch Abs. 2 SanInsKG ohne Zweifel herleiten lassen und dass sich in der damaligen Gesetzesbegründung zu § 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG ebenfalls kein Hinweis auf diese erst zu § 4 Abs. 2 SanInsKG geäußerte einschränkende Sichtweise des Gesetzgebers ergibt. Da § 4 COVInsAG bzw. § 4 Abs. 1 SanInsKG zum damaligen Zeitpunkt ohne Weiteres durchaus so verstanden werden konnte, dass auch am 31.12.2021 noch der verkürzte Prognosezeitraum von vier Monaten ab diesem Zeitpunkt angewendet werden kann, kommt eine nun rückwirkende Einschränkung aufgrund der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 2 SanInsKG nicht in Betracht. In einem Haftungsprozess können sich Geschäftsleiter daher nach § 4 Abs. 1 SanInsKG weiterhin bis zum 31.12.2021 auf den verkürzten Prognosezeitraum von vier Monaten berufen. 2.
40
Voraussetzungen
Voraussetzung für den kurzen Prognosezeitraum nach § 4 Abs. 1 SanInsKG ist, dass die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist.
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a) Vorliegen einer Überschuldung § 4 Abs. 1 SanInsKG verlangt das Vorliegen einer Überschuldung nach den regulären Maßstäben des § 19 Abs. 2 InsO. Dies ist dann der Fall, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (rechnerische Überschuldung), es sei denn in den nächsten zwölf Monaten kann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Fortführung des Unternehmens erwartet werden (positive Fortführungsprognose).
42
b) Kausalität der COVID-19-Pandemie für die Überschuldung Die Überschuldung muss auf die COVID-19-Pandemie „zurückzuführen“ sein. Die Formulierung „auf die die COVID-19-Pandemie zurückzuführen“ in § 4 Abs. 1 SanInsKG kann mit der Formulierung „beruhen auf den Folgen“ der COVID-19Pandemie in § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG gleichgesetzt werden.34) Es gibt weder in der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte noch sonst einen Grund, dass der Gesetzgeber infolge des geringfügigen sprachlichen Unterschiedes einen anderen inhaltlichen Maßstab zugrunde legen wollte.
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Entsprechend genügt es daher für § 4 Abs. 1 SanInsKG, wenn die Überschuldung (unmittelbar oder mittelbar) im Sinne einer conditio sine qua non auf die Pandemie zurückzuführen ist.35) Ausreichend ist daher, dass die Pandemie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Überschuldung (d. h. eine negative Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO bei unterstellter rechnerischer Überschuldung) entfiele.
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_____________ 34) So auch zu der parallelen Regelung in § 5 Abs. 2 COVInsAG Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 453; Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 4 Rz. 14. 35) Vgl. dazu die Ausführungen zu § 1 SanInsKG Rz. 26 [Fritz]; Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290; Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 636 f.
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Die COVID-19-Pandemie muss dabei eine wesentliche, aber nicht die einzige Ursache für die Überschuldung sein.36) Anderenfalls wären die Voraussetzungen so hoch, dass § 4 Abs. 1 SanInsKG praktisch keinen Anwendungsbereich hätte. Managementfehler oder sonstige Umstände, die zu der Überschuldung ebenfalls beigetragen haben, ließen sich in vielen Fällen wohl ohne Weiteres gegenbeweislich darstellen. Wenn hierdurch bereits die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 SanInsKG ausgeschlossen wäre, wäre die Regelung für die Antragspflichtigen nutzlos.
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Mitursächlichkeit der COVID-19-Pandemie im oben genannten Sinne trägt derjenige, der sich auf den verkürzten Prognosezeitraum nach § 4 Abs. 1 SanInsKG beruft. Anders als bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 Abs. 1 SanInsKG hat der Gesetzgeber nicht von der negativ formulierten Regel-Ausnahmesystematik des § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG Gebrauch gemacht. Im Rahmen des § 4 Abs. 1 SanInsKG wurde vielmehr eine positive Formulierung gewählt und damit die reguläre Beweislastverteilung zugrundegelegt. aa) Vermutungsregelung
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Da die Frage, ob die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückgeführt werden kann, in vielen Fällen allerdings nicht eindeutig feststellbar sein wird, sollen die Antragspflichtigen durch die Vermutungsregelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG entlastet werden. Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutung ist, dass der Schuldner (i) am 31.12.2021 nicht zahlungsunfähig war, (ii) in dem letzten vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis erwirtschaftet hat und (iii) der Umsatz im Kalenderjahr 2020 um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass insbesondere in der Vergangenheit gesunde, aber durch die COVID19-Pandemie besonders betroffene Unternehmen, von der Regelung profitieren.
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen nach Nummer 1 bis 3 (d. h. für die Vermutungsbasis) trägt der Antragspflichtige nach den allgemeinen Regeln.37) Liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG vor, muss die vermutete Tatsache selbst, also die Mitursächlichkeit der Pandemie für die Überschuldung, nicht mehr bewiesen werden.38) (1) Keine Zahlungsunfähigkeit am 31.12.2019
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Die erste Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutungswirkung ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SanInsKG, dass der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war.
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Durch den Rückgriff auf diesen weit vor der COVID-19-Pandemie liegenden Stichtag soll zum einen sichergestellt werden, dass Unternehmen, die bereits vor der Krise nicht überlebensfähig waren, nicht von den Privilegierungen des § 4 Abs. _____________ 36) Vgl. zu § 1 COVInsAG Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290; Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633, 637. 37) Prütting in: MünchKomm-ZPO, § 292 Rz. 22. 38) Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 292 Rz. 4.
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1 SanInsKG profitieren. Zum anderen ermöglicht das Abstellen auf den 31.12.2019 eine unkomplizierte praktische Handhabung. In den meisten Fällen wird ohne Weiteres überprüfbar sein, ob am Bilanzstichtag eine Zahlungsunfähigkeit vorlag oder nicht. Dass der Gesetzgeber wie bei § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG auch hier ausschließlich an die fehlende Zahlungsunfähigkeit und nicht auch an die fehlende Überschuldung zum Stichtag anknüpft, ist ebenfalls auf das Bestreben zurückzuführen, die Voraussetzungen der Vermutungsregelung möglichst einfach prüfen zu können.39) Die oftmals schwierige Prüfung der Überschuldung müsste andernfalls rückschauend gegebenenfalls unter Beteiligung von Sachverständigen erfolgen und würde zu zusätzlichen Unsicherheiten führen. Das gesetzgeberische Ziel, die Antragspflichtigen durch die Vermutungswirkung zu entlasten, würde hierdurch verfehlt werden.40)
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(2) Positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Weiterhin muss der Schuldner nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SanInsKG in dem letzten, vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet haben.
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Der maßgebliche Zeitraum ist das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr, nicht dagegen das Kalenderjahr, das erst bei § 4 Satz 2 Nr. 3 SanInsKG in den Blick zu nehmen ist.
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In diesem Zeitraum dürfen aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit keine Verluste entstanden sein. Der Begriff „Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“ ist im Sinne des ordentlichen Betriebsergebnisses zu verstehen und beinhaltet regelmäßig Umsatzerlöse, Aufwendungen der Leistungserstellung und -erbringung sowie sonstige betriebliche Erträge und Aufwendungen. Außer Betracht bleiben damit betriebsfremde Komponenten wie Beteiligungserträge, Zinserträge-bzw. aufwendungen sowie Erträge und Abschreibungen auf Wertpapiere. Ebenfalls bleiben außerordentliche Erträge und Aufwendungen, welche in dem maßgeblichen Geschäftsjahr realisiert bzw. getätigt worden sind und welche nicht mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit verbunden sind, außer Betracht (z. B. Erträge aus dem Verkauf einer relevanten Beteiligung oder eines betrieblichen Grundstücks, Aufwendungen aufgrund von Naturkatastrophen oder Restrukturierungskosten).
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Inwieweit bestimmte ergebniswirksame Effekte mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit verbunden sind, ist im Einzelfall anhand des konkreten Geschäftsmodells des Schuldners zu eruieren.
55
Dass der Jahresabschluss für das letzte Geschäftsjahr bereits vorliegt, wird von § 4 Abs. 1 SanInsKG nicht vorausgesetzt. Insoweit kommt es maßgeblich nur auf das tatsächlich positive Ergebnis an.41)
56
_____________ 39) Vgl. zu § 1 COVInsAG Thole, ZIP 2020, 650, 653. 40) Gehrlein, BB 2021, 66, 81 befürwortet dagegen eine tatbestandliche Erweiterung des § 4 Satz 2 Nr. 1 COVInsAG um die fehlende Überschuldung. 41) Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 4 Rz. 13.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
(3) Umsatzeinbruch um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 57
Im Kalenderjahr 2020 muss der Umsatz des Schuldners aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Vergleich zum Jahr 2019 um mehr als 30 Prozent eingebrochen sein.
58
Im Rahmen des Umsatzvergleichs kommt es nicht auf das Geschäftsjahr, sondern auf die Kalenderjahre 2019 und 2020 an. Das Abstellen auf das Kalenderjahr gegenüber dem Geschäftsjahr soll die notwendige Rückbindung des Umsatzeinbruchs an das akute Pandemiegeschehen sicherstellen und eventuelle Negativeffekte neutralisieren, welche – je nach Ausgestaltung – zwar noch im gleichen Geschäftsjahr, jedoch im vorangegangenen Kalenderjahr 2019 liegen, da diese evident nicht auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind.
59
Im Referenten- und Regierungsentwurf des SanInsFoG lag der für die Vermutung erforderliche Umsatzeinbruch noch bei „mehr als 40 Prozent“. Die Herabsetzung auf „mehr als 30 Prozent“ fand erst auf Initiative des Rechtsausschusses Eingang in das Gesetz, da der Schwellenwert von 40 Prozent angesichts der in vielen Branchen niedrigeren Relationen zwischen Fixkosten und Umsatzerlösen als zu hoch angesehen wurde.42) (4) Widerlegbarkeit der Vermutung
60
Bei § 4 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG handelt es sich um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung im Sinne des § 292 ZPO. Anders als die parallele Regelung in § 5 Abs. 2 SanInsKG, die als Fiktion ausgestaltet ist, ist die Vermutung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG dem Gegenbeweis zugänglich.43)
61
Für eine Widerlegung der Vermutung muss nach den allgemeinen Beweisregeln nachgewiesen werden, dass die COVID-19-Pandemie nicht mitursächlich für die Überschuldung des Schuldners war. Dies kommt etwa in Betracht, wenn das das Geschäftsmodell bereits vor der Pandemie nicht tragfähig und die Insolvenz schon damals unvermeidbar war. bb) Beweisführung abseits der Vermutung
62
Bei § 4 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG handelt es sich um eine Vermutungsregelung zugunsten der Antragspflichtigen. Liegen die Voraussetzungen für die Vermutung im Einzelfall nicht vor, bedeutet dies nur, dass der Antragspflichtige sich nicht auf die Vermutung berufen kann.
63
Beträgt etwa der Umsatzeinbruch im Kalenderjahr 2020 nur 25 Prozent oder wurden im letzten Geschäftsjahr einmalig Verluste erwirtschaftet, ist eine Berufung auf § 4 Abs. 1 Satz 1 SanInsKG für den Antragspflichtigen weiterhin möglich. Es muss dann allerdings der volle Beweis erbracht werden, dass die Pandemie für die Überschuldung zumindest mitursächlich ist.
64
Diese Möglichkeit hat erst durch den Rechtsausschuss Eingang in das Gesetz gefunden. In der im Referenten- und im Regierungsentwurf enthaltenen Fassung des _____________ 42) Bericht des Rechtsausschusses, BT Drucks. 19/25353, S. 15. 43) Kübler/Prütting/Bork-Prütting, COVInsAG, § 4 Rz. 3.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
§ 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG waren die in Nummer 1 bis 3 enthaltenen Voraussetzungen unmittelbare Tatbestandsmerkmale für den kurzen Prognosezeitraum. Danach wäre eine Berufung auf den kurzen Prognosezeitraum in jedem Fall ausgeschlossen gewesen, wenn eines dieser Merkmale nicht erfüllt ist. Durch den Rechtsausschuss wurde die Rückführbarkeit der Überschuldung auf die Pandemie zum Tatbestandsmerkmal für den verkürzten Prognosezeitraum. Die in Nummer 1 bis 3 enthaltenen Tatbestandsmerkmale wurden zu den Voraussetzungen der jetzigen Vermutungsregelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG herabgestuft. Dadurch wurde der kurze Prognosezeitraum auch für solche Fälle eröffnet, in denen sich anhand der konkreten oder branchenspezifischen Relationen zeigen lässt, dass bereits geringere Umsatzeinbrüche zu pandemiebedingten Schieflagen führen können.44) Aufgrund des Ausnahmecharakters des § 4 Abs. 1 SanInsKG sollte die Mitursächlichkeit der Pandemie für die Überschuldung gerade dann, wenn die Voraussetzungen für die Vermutung nicht vorliegen, allerdings sorgfältig geprüft und dokumentiert werden. 3.
65
Rechtsfolgen
Nach § 4 Abs. 1 SanInsKG reduziert sich der im Rahmen der Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO regulär anzusetzende Prognosezeitraum von zwölf Monaten im Zeitraum zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 vorübergehend auf lediglich vier Monate.
66
Hinsichtlich der weitergehenden Rechtsfolgen wird auf die untenstehenden und entsprechend geltenden Ausführungen zu der parallelen Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG verwiesen.
67
VI. Verkürzung von Prognose- und Planungszeiträumen aufgrund des Ukrainekonflikts (Abs. 2) Da die Regelung unter § 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG bis 2021 befristet war, kam zwischenzeitlich wieder der ursprüngliche Prognosezeitraum von zwölf Monaten im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO zur Anwendung.
68
Vor dem Hintergrund der sodann seit Februar 2022 durch den Konflikt in der Ukraine hervorgebrachten wirtschaftlichen Auswirkungen und Prognoseunsicherheiten, enthält die seit dem 9.11.2022 in Kraft getretene Regelung unter § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG nun eine erneute vorübergehende Verkürzung des Prognosezeitraumes nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO auf vier Monate. Zudem ist in § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG vorgesehen, dass vorübergehend auch die für einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. eine Stabilisierungsanordnung nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG erforderlichen Finanzplanungen des Schuldners ebenfalls nur noch einen Zeitraum von vier, statt sechs Monaten umfassen müssen.
69
_____________ 44) Bericht des Rechtsausschusses, BT Drucks. 19/25353, S. 15.
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§ 4 SanInsKG 1. 70
Prognose- und Planungszeiträume
Zeitlicher Anwendungsbereich
Die nach § 4 Abs. 2 SanInsKG verkürzten Prognose- und Planungszeiträume sollen nur vorübergehend bis zu einer Normalisierung der wirtschaftlichen Lage zur Anwendung kommen. Die Regelung ist daher vorläufig nur im Zeitraum zwischen dem 9.11.2022 und dem 31.12.2023 anwendbar. Der Gesetzgeber hat diesen Zeitraum gewählt, da sich einerseits nicht absehen lasse, wie lange die derzeitigen Unsicherheiten andauern werden und da andererseits vermieden werden soll, dass der Geltungszeitraum zu kurz bemessen ist.45) a) Zeitliche Anwendungsfragen bezüglich des Prognosezeitraumes im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG
71
Unklar ist das Verhältnis zwischen dem nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG bis zum 31.12.2023 auf vier Monate reduzierten und dem jedenfalls ab dem 1.1.2024 dann wieder geltenden regulären Prognosezeitraum von zwölf Monaten im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO.
72
Dem reinen Wortlaut von § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG nach könnte angenommen werden, dass der viermonatige Prognosezeitraum bis zum Ende der Geltungsdauer am 31.12.2023 angewendet werden kann, sodass noch am 31.12.2023 die Planung bis zum 30.4.2024 beschränkt werden dürfte.
73
Der Rechtsausschuss hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens dazu allerdings wie folgt einschränkend Stellung genommen:46) „Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können. Denn wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststeht, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird, kann dieser Befund auch für die unter § 4 Abs. 2 zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein.“
74
Unklar ist, was diese Einschränkungen in der Gesetzesbegründung nun für Geschäftsleiter in der Praxis bei der Anwendung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG konkret bedeuten.
75
Zunächst ist danach nicht geklärt, in welchen Fällen nach den Ausführungen des Rechtsausschusses eine erst nach dem 31.12.2023 unter dem regulären Überschuldungsbegriff eintretende Überschuldung auch die Fortführungsprognose noch während der Geltungsdauer des § 4 Abs. 2 SanInsKG negativ werden lässt und in welchen Fällen nicht. Die Formulierung „kann dieser Befund auch für die unter § 4 Abs. 2 zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein“ lässt dies offen und suggeriert einen gewissen Ermessensspielraum der Geschäftsleiter. Dies wäre vor dem Hintergrund, dass § 4 SanInsKG gerade Unsicherheiten beseitigen will und straf- und zivilrechtliche Risiken reduzieren soll, widersprüchlich. Auch angesichts der hohen haftungsrechtlichen Relevanz von § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG und der von dem Gesetzgeber beabsichtigten Schutzfunktion der Überschuldung zugunsten _____________ 45) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8. 46) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
der Gläubiger, kann diese Unschärfe in der Gesetzesbegründung nur so aufgelöst werden, dass eine (künftige) Überschuldung unter dem regulären Überschuldungsbegriff, die weniger als vier Monate vor Ablauf der Geltungsdauer des § 4 Abs. 2 SanInsKG bereits erkannt wird, die Fortführungsprognose auch unter Geltung des § 4 Abs. 2 SanInsKG nicht nur negativ werden lassen kann, sondern immer negativ werden lässt. Dass trotz einer solchen bereits erkannten (künftigen) Überschuldung die aktuelle Fortführungsprognose im Einzelfall gleichwohl positiv bleiben kann, ist nicht denkbar und wäre dem insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriff auch fremd. Insoweit haben die Geschäftsleiter im Rahmen der Fortführungsprognose zwar einen gewissen Spielraum. In dem hier in der Gesetzesbegründung skizzierten Szenario steht jedoch bereits eine (künftige) Überschuldung nach Ablauf des Geltungszeitraumes des § 4 Abs. 2 SanInsKG fest. Dass es unter diesen Umständen die aktuelle Fortführungsprognose noch positiv sein kann, ist dann nicht mehr möglich. Bei weniger als vier Monate vor Ablauf des § 4 Abs. 2 SanInsKG bereits festgestellter (künftiger) Überschuldung unter dem nach Ablauf der Regelung dann wieder anwendbaren regulären Überschuldungsbegriff besteht daher auch vor Ablauf der Geltungsdauer des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG bereits eine insolvenzantragspflichtige Überschuldung, ohne dass die Geschäftsleiter insoweit noch einen Ermessenspielraum im Rahmen der aktuellen Fortführungsprognose haben. Darüber hinaus lässt die Formulierung des Rechtsausschusses nicht klar erkennen, welcher Prognosezeitraum nun zu welchem Zeitpunkt zugrunde zu legen ist. Wortwörtlich könnte die oben zitierte Formulierung des Rechtsausschusses auch so (miss-)verstanden werden, dass Geschäftsleiter am 1.9.2023 eine Prognose von sechzehn Monaten machen müssten, um sicherzustellen, dass am 1.1.2024 keine Überschuldung mit einem Prognosezeitraum von zwölf Monaten vorliegt. Das kann selbstverständlich nicht gemein sein, denn dann wäre das SanInsKG ab dem 1.9.2023 eine Verschärfung des Überschuldungstatbestandes, was vom Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigt war. Andererseits dürfen sich Geschäftsleiter aufgrund dieser zwar unklaren, aber doch ersichtlich einschränkenden Formulierung in der Gesetzesbegründung nicht darauf verlassen, sich bis zum letzten Tag der Geltungsdauer des § 4 Abs. 2 SanInsKG auf den Prognosezeitraum von vier Monaten berufen zu können, obgleich schon absehbar ist, dass nach Ablauf der Geltungsdauer bei einem Prognosezeitraum von dann wieder zwölf Monaten eine Überschuldung eintreten wird.47) Richtigerweise können der Gesetzeswortlaut und die Ausführungen des Rechtsausschusses nur so in Einklang gebracht werden, dass der letzte Tag der Geltungsdauer des § 4 Abs. 2 SanInsKG zugleich das Ende des anzusetzenden verkürzten Prognosezeitraumes von vier Monaten sein muss, d. h., dass der verkürzte Prognosezeitraum nur soweit zur Anwendung kommt, wie das Ende des Prognosezeitraumes bis einschließlich dem 31.12.2023 geht. In dieses Verständnis des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG fügt sich die einschränkende Formulierung des Rechtsausschusses ein und bedeutet dann konkret, dass ab dem 1.9.2023 wieder der ursprüngliche Prognosezeitraum von zwölf Monaten angewendet werden muss.48) Geschäftsleiter dürfen sich also sich _____________ 47) So allerdings wohl das Verständnis des VID in der Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, ZRI 2022, 880, 882. 48) So auch Wolfer in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 4 Rz. 8 f; Gutmann/Michels, NZI 2023, 7, 12.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
im Rahmen der Überschuldungsprüfung tatsächlich nicht bis zum 31.12.2023 auf den verkürzten Prognosezeitraum beschränken, soweit dieser über den 31.12.2023 hinausgehen würde. Es kann insoweit auch vor Ablauf des Geltungszeitraumes des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG bereits ab dem 1.9.2023 eine Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung eintreten, obwohl das Unternehmen noch für vier Monate durchfinanziert ist. Auch wenn dieses mit dem Wortlaut von § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG vereinbare, diesem aber nicht automatisch und zweifelsfrei zu entnehmende Verständnis des Gesetzgebers inzwischen bekannt sein dürfte, ist jedoch zu kritisieren, warum dies nicht klarer unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut hervorgeht. Gerade für nicht beratene Geschäftsleiter, die die Gesetzesmaterialien meist nicht im Detail analysieren, kann die in dem Gesetzeswortlaut angelegte Mehrdeutigkeit zu einer Haftungsgefahr führen. 77
Da ab dem 1.9.2023 wieder ein Prognosezeitraum vom zwölf Monaten zugrunde zu legen ist und im Gesetz keine übergangsweise Annäherung an den regulären Prognosezeitraum vorgeschrieben ist, ist es darüber hinaus die Verantwortung der Unternehmen, die Prognose bereits frühzeitig wieder an den Zeitraum von zwölf Monaten heranzuführen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass durch den ab dem 1.9.2024 wieder längerfristigen Prognosezeitraum schlagartig eine Überschuldung eintritt.49) b) Zeitliche Anwendungsfragen bezüglich der Finanzplanungszeiträume nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG
78
Die Anwendungsfragen in zeitlicher Hinsicht stellen sich dagegen nicht bezüglich der in § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SanInsKG vorgesehenen Verkürzung der Finanzplanungszeiträume für die Beantragung einer Eigenverwaltung oder einer Stabilisierungsanordnung. Die Ausführungen des Rechtsausschusses zum zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung50) beziehen sich ausschließlich auf den Prognosezeitraum im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung und können auch nicht auf die verkürzten Finanzplanungszeiträume übertragen werden. Für die Frage, ob die Finanzplanungen für die Eigenverwaltung bzw. die Anordnung einer Stabilisierungsanordnung einen Zeitraum von vier oder sechs Monaten umfassen müssen, kommt es daher auf die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltende Gesetzeslage an.51) 2.
Keine sachlichen Anwendungsvoraussetzungen
79
Anders als § 4 Abs. 1 SanInsKG sieht § 4 Abs. 2 SanInsKG neben dem zeitlichen Anwendungsbereich keine weiteren sachlichen Anwendungsvoraussetzungen vor.
80
Insbesondere verzichtet § 4 Abs. 2 SanInsKG auf das Erfordernis einer bestimmten Kausalität der Ukrainekrise und der derzeitigen Verhältnisse an den Energiemärkten. Die Geschäftsleiter müssen daher nicht nachweisen, dass die finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens auf die Ukrainekrise zurückgehen. _____________ 49) Wolfer in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 4 Rz. 9. 50) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8. 51) Ballmann, DB 2022, M12-M14.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
Diese sachlich uneingeschränkte Anwendbarkeit wird zum Teil kritisiert, da hierdurch der Wettbewerb zwischen Unternehmen, die Vorsorge betrieben und ihr Geschäftsmodell bereits angepasst haben und schwächeren Konkurrenten, die durch die Neuregelung unter Umständen ohne solche Anpassungen am Markt vorübergehend bestehen bleiben können, beeinträchtigt wird.52)
81
Die generelle Anwendbarkeit beruht nach der Begründung des Rechtsausschusses auf der Annahme, dass von den derzeitigen Verhältnissen „mehr oder weniger alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar betroffen“ seien.53) Ein Kausalitätserfordernis müsste darüber hinaus einen gewissen Betroffenheitsgrad definieren. Das ist zum einen nur schwer möglich und würde zudem Unsicherheiten erzeugen, die mit der Verkürzung der Prognose- und Planungszeiträume gerade verringert werden sollen.54)
82
Diese Begründung für den Verzicht auf einen Kausalitätsnachweis ist nachvollziehbar. Gleichwohl führt der uneingeschränkte Anwendungsbereich letztlich dazu, dass zwangsläufig auch Unternehmen von der Regelung profitieren können, deren finanzielle Situation und Prognoseunsicherheiten auf anderen Umständen beruhen als auf den derzeitigen Preisvolatilitäten auf den Energiemärkten, etwa einem generell nicht profitablen Geschäftsmodell. Diese Nebenwirkungen werden seitens des Gesetzgebers in Kauf genommen. Der Verzicht auf weitergehende Voraussetzungen sei nach den Ausführungen des Rechtsausschusses ordnungspolitisch vertretbar, da die Regelung nun mal keine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht beinhaltet, sondern lediglich den Begriff der Überschuldung an die tatsächlichen Verhältnisse anpasst, die längerfristige Prognosen derzeit ohnehin nicht zulassen.55) Dieser Kompromiss ist vertretbar. Die aktuellen Unwägbarkeiten werfen tatsächlich Zweifel auf, ob eine sinnvolle und belastbare Planung über einen Zeitraum von zwölf Monaten derzeit überhaupt möglich ist. Eine solche Planung stellt viele Unternehmen bereits unter normalen Umständen vor Schwierigkeiten. Dies gilt erst recht unter den aktuellen Gegebenheiten. Insoweit bildet die Regelung lediglich die derzeitigen Verhältnisse in der Praxis ab.
83
Weiterhin ist im Zusammenhang mit dem Verzicht des Gesetzgebers auf ein Kausalitätserfordernis in § 4 Abs. 2 SanInsKG (im Unterschied zu der Regelung in § 4 Abs. 1 SanInsKG) zu berücksichtigen, dass sich die aktuelle Situation im Vergleich zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie während des Jahres 2021 deutlich vielschichtiger darstellt. Zu den wesentlichen Aspekten gehören neben den Preisvolatilitäten auf den Energie- und Rohstoffmärkten zudem auch die steigende Inflation, steigende Zinsen, der Wegfall des russischen Marktes aufgrund sanktionsrechtlicher Vorschriften und weiterhin gestörte Lieferketten. Hinzu kommen erneute Unsicherheiten aufgrund des drastischen Pandemiegeschehens Ende 2022 in Fernost. In dieser Gemengelage eine bestimmte Kausalität zu definieren, erscheint weder
84
_____________ 52) Kritisch gegenüber dem fehlenden Kausalitätserfordernis: Stellungnahme Gravenbrucher Kreis, ZRI 2022, 923, 924; Stellungnahme VID, ZRI 2022, 880, 881. 53) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8. 54) Befürwortend insoweit die Stellungnahme des DAV, ZRI 2022, 880, 883. 55) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8.
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Prognose- und Planungszeiträume
geeignet noch sinnvoll, jedenfalls aber deutlich komplexer als im Geltungszeitraum des § 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG. 85
Hinzu kommt, dass das Erfordernis einer bestimmten Kausalität allenfalls wie unter § 4 Abs. 1 SanInsKG als Mitursächlichkeit denkbar gewesen wäre, um den Anwendungsbereich anderseits nicht zu sehr einzuschränken. Die Erfahrung während der COVID-19-Pandemie hat allerdings gezeigt, dass die niedrigschwellige Hürde der Mitursächlichkeit sich in der Praxis oftmals ohne Weiteres begründen ließ und damit faktisch wirkungslos war. Hinzu kommt, dass das Erfordernis einer Mitursächlichkeit unter § 4 Abs. 1 SanInsKG zumindest in Einzelfällen zu Abgrenzungsschwierigkeiten geführt hat und dem konkreten Fall nicht immer gerecht wurde. Insoweit ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber bei § 4 Abs. 2 SanInsKG im Sinne der Rechtsklarheit auf einen bestimmten Kausalitäts- oder Betroffenheitsnachweis als Anwendungsvoraussetzung vollständig verzichtet hat. 3.
Anwendung bei bereits bestehender Überschuldung
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§ 4 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG klar, dass die Verkürzung des Prognosezeitraumes im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung und der Finanzplanungszeiträume für die Eigenverwaltung oder eine Stabilisierungsanordnung auch dann zur Anwendung kommen, wenn bereits vor dem 9.11.2022 eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vorlag. Auch in diesen Fällen geht der Gesetzgeber nach der Begründung des Rechtsausschusses davon aus, dass die Vermeidung eines Insolvenzverfahrens im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegt, solange das Unternehmen in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten für zumindest vier Monate zu erfüllen.56) Eine bereits bestehende Überschuldung unter einem Prognosezeitraum von zwölf Monaten kann damit nachträglich wieder geheilt werden, soweit zumindest für vier Monate eine positive Fortführungsprognose dargelegt werden kann.
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Eine Rückausnahme sieht § 4 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG allerdings dann vor, wenn zum 9.11.2022 der für eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung maßgebliche Zeitpunkt nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO bereits verstrichen ist, d. h. im Zeitraum der Insolvenzverschleppung. Insoweit bedient sich der Gesetzgeber einer ähnlichen Regelungssystematik wie in § 15b Abs. 3 InsO, indem nur solche Geschäftsleiter von einer Haftungsreduzierung privilegiert werden, die zuvor ihre insolvenzrechtlichen Pflichten eingehalten haben.57) Eine bereits bestehende Insolvenzverschleppung kann durch § 4 Abs. 2 SanInsKG daher nicht rückwirkend wieder geheilt werden. Konkret bedeutet dies, dass für die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 2 SanInsKG frühestens am 28.9.2022 (d. h. maximal sechs Wochen vor Inkrafttreten des SanInsKG) eine Überschuldung eingetreten sein darf. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch eine erst später also zwischen dem 28.9.2022 und dem 9.11.2022 eingetretene Überschuldung die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 2 SanInsKG ausschließen kann, wenn zum 9.11.2022 schon vor Ablauf von sechs Wochen bereits die Frist zur Insolvenzantragsstellung abgelaufen ist. Dies ist deshalb möglich, da die Antragsfrist von sechs Wochen nach § 15a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO lediglich eine Höchstfrist _____________ 56) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8. 57) Hölzle, ZIP 2022, 1945, 1949.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
darstellt, die nur dann ausgenutzt werden darf, solange eine Sanierung des Unternehmens noch aussichtsreich ist. Ist dies nicht mehr der Fall, ist unverzüglich auch vor Ablauf der Sechswochenfrist ein Insolvenzantrag zu stellen. Hat die Geschäftsleitung diese Pflicht bereits vor dem 9.11.2022 verletzt, kann sie sich nicht mehr auf die Privilegierungen des § 4 Abs. 2 SanInsKG berufen. 4.
Rechtsfolgen
a) § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG aa) Verkürzung des Prognosezeitraums nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG reduziert sich der im Rahmen der Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO regulär anzusetzende Prognosezeitraum von zwölf Monaten während des Geltungszeitraumes des § 4 Abs. 2 SanInsKG vorübergehend auf lediglich vier Monate.
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Geschäftsleitern wird es somit in diesem Zeitraum erleichtert, eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung darzulegen. Zum Ausschluss einer insolvenzantragspflichtigen Überschuldung genügt es, dass die Fortführung des Unternehmens für vier Monate überwiegend wahrscheinlich ist. Maßgeblich kommt es insoweit darauf an, ob der Schuldner in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten für die nächsten vier Monate im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Prognoseunsicherheiten jenseits dieses Zeitraumes von vier Monaten müssen dagegen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden und können daher nicht zu einer Überschuldung führen.
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Dies gilt nach § 4 Abs. 2 SanInsKG auch dann, wenn die Fortführungsprognose erst nach Ablauf der nächsten vier Monate negativ wird. Der Prognosezeitraum von vier Monaten nach § 4 Abs. 2 SanInsKG ist im Unterschied zu dem Prognosezeitraum im Rahmen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht als Regelfall ausgestaltet, sondern abschließend. Die Prognose muss sich daher ausschließlich auf den Zeitraum von vier Monaten erstrecken, ohne dass im Einzelfall auch ein längerer Zeitraum maßgeblich sein kann. Eine solche Rechtsunsicherheit hat der Gesetzgeber mit der Konkretisierung des Prognosezeitraumes im Rahmen des § 19 InsO auf zwölf Monate gerade beseitigen wollen.58) Erst recht muss dies auch für den Prognosezeitraum von vier Monaten nach § 4 Abs. 2 SanInsKG gelten. Entwicklungen jenseits des Zeitraumes von vier Monaten sind damit in jedem Fall außer Betracht zu lassen.59)
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Die Verkürzung des Prognosezeitraumes bedeutet nicht auch eine Absenkung des Prüfungsmaßstabes. Die Antragspflichtigen sind weiterhin verpflichtet, eine belastbare Finanzplanung vorzunehmen, aus der sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung ergibt. Da der Prognosezeitraum aufgrund des § 4 Abs. 2 SanInsKG besonders kurz ist, muss die Finanzplanung faktisch zumindest monatlich fortgeschrieben werden und sollte sorgfältig dokumentiert werden, da es zum
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_____________ 58) Vgl. dazu Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 197. 59) So auch Gehrlein, GmbHR 2021, 183, 189 zu § 4 CovInsAG.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
Beispiel für spätere Haftungsfragen auf diese vorübergehende Regelung ankommen kann. 92
Unberührt bleibt durch § 4 Abs. 2 SanInsKG der Prognosezeitraum im Rahmen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 Abs. 2 Satz 1 InsO und die generellen inzwischen unter § 1 StaRUG normierten Pflichten von Geschäftsleitern zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmangement.60) Hiernach sind Geschäftsleiter weiterhin fortlaufend verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass bestandsgefährdende Entwicklungen so frühzeitig erkannt werden, dass rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Insoweit müssen die Geschäftsleiter jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt weiterhin langfristig planen, was angesichts der aktuellen Unwägbarkeiten vielfach eine Planung in Szenarien oder Planungsbandbreiten erforderlich macht. Deshalb vermag § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG zwar eine gewisse Erleichterung im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung zu bewirken, die Geschäftsleiter sind aber weiterhin zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement verpflichtet, auch soweit wirtschaftliche Fehlentwicklungen erst in weiterer Zukunft als binnen der nächsten vier Monate abzusehen sind.61)
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Auch im Rahmen der handelsrechtlichen Fortführungsprognose ist weiterhin eine Prognose über einen Zeitraum von zwölf Monaten für die Erstellung des Jahresabschlusses erforderlich. Eine Arbeitserleichterung beinhaltet § 4 Abs. 2 SanInsKG für die Geschäftsleiter daher nicht.62)
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Dass der Gesetzgeber auf einen Zeitraum von vier Monaten abstellt, beruht wohl auf der Fortschreibung von § 4 Abs. 1 SanInsKG und der Annahme, dass die seitens des Gesetzgebers bezweckte Schutzwirkung des Überschuldungstatbestandes zugunsten der Gläubiger bei einem noch geringerem Prognosezeitraum überhaupt nicht mehr zum Tragen käme.63) Gleichwohl wäre es zu erwägen gewesen, den Zeitraum auf 13 Wochen zu reduzieren. Dies wäre deshalb vorzugswürdig gewesen, da sich in der Praxis ohnehin bereits ein 13-Wochen-Liquiditätsforecast als Standard in vielen Unternehmen etabliert hat. Ein Rückgriff auf diese ohnehin vorhandene Planung, hätte daher eine gewisse Vereinfachung bedeutet. bb) Ausschluss der Insolvenzantragspflicht
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Die Verkürzung des Prognosezeitraumes im Rahmen der Überschuldung nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG kann dazu führen, dass eine zuvor bestandene Insolvenzantragspflicht wieder entfällt oder gar nicht erst entsteht, wenn das Unternehmen für zumindest vier Monate durchfinanziert ist.
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Nach dem ausdrücklichen Hinweis in der Gesetzesbegründung kann aufgrund § 4 Abs. 2 SanInsKG auch ein bereits gestellter Insolvenzantrag nachträglich wieder zurückgenommen werden.64) Die Rücknahme eines Insolvenzantrages dürfte aller_____________ 60) 61) 62) 63) 64)
Hölzle, ZIP 2022, 1945, 1949. So auch Schmitz/Büneman, NZI 2022, 969, 970. Kritisch deshalb Grünen/Döbertin, SanB 2022, 65, 66. So auch Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises, ZRI 2022, 923, 924. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 9.
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Prognose- und Planungszeiträume
dings in der Praxis nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. In aller Regel dürften durch die Insolvenzantragstellung bereits unumkehrbare Fakten geschaffen worden sein, die eine Rücknahme des Insolvenzantrags dann ausschließen.65) Vielfach wird zum Beispiel durch die Kündigung von Krediten und die Umstellung von Lieferantenbeziehungen auf Vorkasse dann auch eine Zahlungsunfähigkeit eintreten.66) Selbst wenn keine Zahlungsunfähigkeit eintritt und die Überschuldung durch § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG wieder entfällt, dürfte es in dieser Konstellation gegenüber den Lieferanten, Kunden und Finanzierern kaum zu vermitteln sein, dass eine ursprüngliche Insolvenz nun aufgrund des SanInsKG nicht mehr besteht. Das Vertrauen dieser Stakeholder ist dann meistens bereits durch die Antragstellung zerstört. Dass das Unternehmen nach Rücknahme eines Insolvenzantrages dann ohne erhebliche Reibungsverluste wieder so weiter machen kann wie zuvor, scheint in der Praxis nur schwer vorstellbar, was im Einzelfall dann wiederum zu einer negativen Fortführungsprognose führen kann. Die im Rahmen des SanInsFOG vom Gesetzgeber betonte Steuerungsfunktion der Überschuldung, die Geschäftsleiter zu einer vorausschauenden Finanzplanung und frühzeitigen Krisenerkennung anzuhalten,67) dürfte durch § 4 Abs. 2 SanInsKG nicht erheblich beeinträchtigt werden.68) Die Gefahr, dass Geschäftsleiter aufgrund von § 4 Abs. 2 SanInsKG in der Hoffnung, dass alles gut gehen werde, unreflektiert weiterwirtschaften können und sich dadurch die Stellung eines Insolvenzantrages zulasten der Gläubiger nur in die Zukunft verschiebt, hat der Gesetzgeber legitimerweise in Kauf genommen. Aus diesem Grund handelt es sich bei § 4 Abs. 2 SanInsKG um eine zeitlich zunächst bis zum 31.12.2023 begrenzte Regelung. Langfristige Fehlsteuerungen sind daher nicht zu erwarten und sind auch aufgrund der vergleichbaren Regelung unter § 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG nicht eingetreten.
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Allein durch § 4 Abs. 2 SanInsKG dürften auch Sanierungschancen nicht erheblich beeinträchtigt werden. Im Gegenteil könnte durch § 4 Abs. 2 SanInsKG vielen Unternehmen Zeit verschafft werden, sich auf die aktuelle Situation einzustellen. Dadurch dass unter Umständen eine insolvenzantragspflichtige Überschuldung nachträglich entfallen kann oder gar nicht erst entsteht, können den Unternehmen darüber hinaus unter bestimmten Umständen auch die Instrumente des StaRUG zur Verfügung stehen, was zumindest die Chancen für eine Sanierung außerhalb der Insolvenz erhöht. Insoweit hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG parallel auch die Zugangsvoraussetzungen für eine Stabilisierungsanordnung vorübergehend gesenkt. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch darauf hinzuweisen, dass im Geltungszeitraum der vergleichbaren Regelung des § 4 COVInsAG bzw. jetzt § 4 Abs. 1 SanInsKG in der Praxis tatsächlich kein erheblicher Anstieg von Restrutkturierungsvorhaben zu verzeichnen war.
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_____________ 65) 66) 67) 68)
So auch Schmitz/Büneman, NZI 2022, 969, 970. Kritisch deshalb auch Hölzle, ZIP 2022, 1945, 1949. Vgl. Begr. RegE SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 196. Kritisch zu § 4 CovInsAG: Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) v. 24.11.2020, S. 24.
Fritz/Leipe
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Prognose- und Planungszeiträume
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Eine generelle Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sieht § 4 Abs. 2 SanInsKG gerade nicht vor. Dies wurde zum Teil im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens gefordert, jedenfalls solange bis staatliche Hilfszahlungen tatsächlich ausgezahlt werden.69) Der Begründung des Rechtsausschusses auf ein Kausalitätserfordernis verzichten zu können, da § 4 Abs. 2 SanInsKG keine Aussetzung der Antragspflicht, sondern lediglich eine Anpassung des Überschuldungstatbestandes beinhaltet, lässt sich im Umkehrschluss auch entnehmen, dass der Gesetzgeber wohl eine gesetzliche Aussetzung der Insolvenzantragspflicht allenfalls dann in Betracht zieht, wenn Voraussetzung hierfür eine nachgewiesene Kausalität ist, was richtig ist und sich mit der Systematik des § 1 SanInsKG deckt.
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Eine etwaige Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO bleibt von § 4 Abs. 2 SanInsKG unberührt, da die Regelung lediglich den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung betrifft. Bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bleibt es daher dabei, dass unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Wochen ein Insolvenzantrag gestellt werden muss, § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO. Dies ist zu begrüßen, denn allein die Möglichkeit, dass Unternehmen, die zahlungsunfähig sind, ohne weitere Voraussetzungen oder Konsequenzen weiter am Markt agieren können, würde das Vertrauen der Marktteilnehmer erheblich beeinträchtigen.70) cc) Reduzierung von Haftungsrisiken
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Durch § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG werden Haftungsgefahren für Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung reduziert.
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Führt die Regelung zu einem Entfallen der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung kann eine zuvor praktizierte Notgeschäftsführung daher auch wieder aufgehoben werden.
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Darüber hinaus hat die Regelung auch Auswirkungen auf die Haftung von Finanzierern, insbesondere Banken, etwa wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung oder des Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung. Auch diese im Zusammenhang mit Finanzierungen in der Krise bestehenden Haftungsrisiken für Finanzierer werden durch § 4 Abs. 2 SanInsKG mittelbar reduziert. Ob es den Unternehmen durch die Neuregelung anderseits erleichtet wird, sich vor allem in Sanierungssituationen neue finanzielle Mittel zu beschaffen, dürfte allerdings fraglich sein. Zum einen sind viele Finanzierer aufgrund der Unwägbarkeiten durch die Ukrainekrise deutlich zurückhaltender insbesondere bei neuen Finanzierungen. Darüber hinaus ist in Sanierungssituationen in aller Regel ein Sanierungsgutachten erforderlich, das den von der Rechtsprechung geprägten Anforderungen entsprechen und eine dauerhafte Sanierung des Unternehmens gewährleisten soll. Jedenfalls insoweit sind in Sanierungssituationen trotz der Reduzierung des Prognosezeitraumes im Rahmen der Überschuldung längerfristige Prognosen weiterhin erforderlich.
_____________ 69) Der Spiegel, SPD fordert Aussetzen der Insolvenzantragspflicht, abrufbar unter https:// www.spiegel.de/wirtschaft/energiekrise-spd-fordert-aussetzen-der-insolvenzantragspflicht-ab7f8f665-c983-4bf6-9fd8-b9b74bee93a2 (Stand: 9.1.2023). 70) Swierczok, BB 2022, I.
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Wenngleich durch § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG Haftungsrisiken von Geschäftsleitern im Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht reduziert werden, ist allerdings zu berücksichtigen, dass krisenbezogene Haftungsrisiken auch bereits im Vorfeld einer Insolvenzantragspflicht bestehen können. Das betrifft etwa eine Haftung von Geschäftsleitern wegen Verletzung ihrer Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nach § 1 StaRUG oder zivil- und strafrechtliche Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Eingehung von Verbindlichkeiten, etwa aufgrund der Bestellung von Waren oder Aufnahme von Krediten, wenn diese bei Fälligkeit aufgrund einer Insolvenz später nicht mehr beglichen werden können.71) Diese von einer Insolvenzantragspflicht unabhängigen Haftungsrisiken werden durch § 4 Abs. 2 SanInsKG gerade nicht beseitigt und sind daher weiterhin von den Geschäftsleitern zu berücksichtigen.
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dd) Zugang zum StaRUG Unter Umständen kann § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG auch dazu führen, dass Schuldner Zugang zu einer Restrutkurierung nach dem StaRUG haben.
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Mit der Einschränkung des Insolvenzgrundes der Überschuldung durch § 4 Abs. 2 SanInsKG geht zugleich eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des StaRUG einher. Die Sanierungsmöglichkeiten des StaRUG stehen Schuldnern bei drohender Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung, solange weder Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung eingetreten sind.72) Durch § 4 Abs. 2 SanInsKG können daher unter Umständen also kurzfristig die Instrumente des StaRUG in Anspruch genommen werden, wenn hierdurch der alleinige Insolvenzgrund der Überschuldung entfällt und lediglich eine drohende Zahlungsunfähigkeit verbleibt. Faktisch setzt dies allerdings voraus, dass ein solches Restrukturierungsvorhaben so schnell vorangetrieben werden kann, dass spätestens mit dem Ablauf der Regelung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG wieder eine positive Fortführungsprognose über einen Zeitraum von zwölf Monaten besteht. Insoweit darf allerdings auch berücksichtigt werden, dass eine die Überschuldung ausschließende positive Fortführungsprognose auch aus der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Umsetzung eines Sanierungs- oder Restrukturierungsvorhabens resultieren kann.73)
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Parallel hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG vorübergehend auch die Voraussetzungen für die Beantragung einer Stabilisierungsanordnung gesenkt, indem dem Antrag statt einer Finanzplanung über die nächsten sechs Monate lediglich eine viermonatige Finanzplanung beizufügen ist.
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Darüber hinaus kann die Verkürzung der Fortführungsprognose und das Entfallen einer Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO auch Auswirkungen auf die Frage der Aufhebung einer bereits anhängigen Restrukturierungssache nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG haben.74)
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_____________ 71) Schmitz/Büneman, NZI 2022, 969, 970. 72) Vgl. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG zur Aufhebung der Restrukturierungssache bei Insolvenzreife. 73) Vgl. dazu Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 197. 74) Schmitz/Büneman, NZI 2022, 969, 970.
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Prognose- und Planungszeiträume
Angesichts der generell geringen Anzahl bekannter Restrukturierungsvorhaben seit Inkrafttreten des StaRUG dürfte in der Praxis allerdings nicht zu erwarten sein, dass die Reduzierung des Prognosezeitraumes im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldung nach § 4 Abs. 2 SanInsKG zu einem erheblichen Anstieg von Restrukturierungsvorhaben führen wird. b) § 4 Abs. 2 Nr. 2 SanInsKG
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§ 4 Abs. 2 Nr. 2 SanInsKG sieht darüber hinaus eine vorübergehende Verkürzung des Planungszeitraums der nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO für die Beantragung einer Eigenverwaltung vorzulegenden Finanzplanung von sechs auf vier Monate vor.
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Bei der Eigenverwaltung handelt es sich um ein Insolvenzverfahren bei dem anders als bei einem Regelinsolvenzverfahren kein Insolvenzverwalter die Geschäftsführung und Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners übernimmt, sondern die bisherige Geschäftsleitung im Amt bleibt und diese Aufgaben unter Aufsicht eines Sachwalters übernimmt. Obgleich auch eine Eigenverwaltung zur Liquidation des schuldnerischen Unternehmens möglich ist, fungiert die Eigenverwaltung in der Praxis zumeist als Sanierungsoption unter Beibehaltung der bisherigen Geschäftsleitung.
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Durch das SanInsFoG wurden mit Wirkung zum 1.1.2021 die Voraussetzungen für einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung erheblich verschärft. Insbesondere muss der Schuldner seither eine umfassende und detaillierte Eigenverwaltungsplanung vorlegen, § 270a Abs. 1 InsO. Diese beinhaltet nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO u. a. eine Finanzplanung. Darin muss der Schuldner darlegen, dass das Verfahren für die nächsten sechs Monate unter Berücksichtigung von Verfahrenskosten und sonstigen Insolvenzeffekten durchfinanziert ist. Die Finanzplanung muss dabei eine fundierte Darstellung der Finanzierungsquellen beinhalten, durch die die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes und die Deckung der Kosten des Verfahrens in diesem Zeitraum sichergestellt werden soll.
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Da auch eine solche Finanzplanung mithin auf einer Prognose beruht, die wie die Fortführungsprognose bei der Überschuldungsprüfung aufgrund der derzeitigen Unwägbarkeiten über einen längeren Zeitraum kaum verlässlich möglich ist, wird ebenfalls der für die Finanzplanung geforderte Zeitraum durch § 4 Abs. 2 Nr. 2 SanInsKG vorübergehend von sechs auf vier Monate verkürzt.
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Durch diese Verkürzung des vorgegebenen Planungszeitraumes wird den Schuldnern der Zugang zur Eigenverwaltung zumindest etwas erleichtert und den Unternehmen damit auch Sanierungschancen eröffnet. Ob allein die Verkürzung des Finanzplanungszeitraums auf vier Monate allerdings ein ausschlaggebender Aspekt für die Beantragung eines Eigenverwaltungsverfahrens sein wird, dürfte bezweifelt werden. Insoweit sind Geschäftsleiter natürlich weiterhin nach § 1 StaRUG verpflichtet, die verschiedenen Sanierungsoptionen anhand der jeweiligen Vor- und Nachteile für das schuldnerische Unternehmen gegeneinander abzuwägen. Die Verkürzung des Planungszeitraums für die Finanzplanung nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO ist insoweit nur ein kleinerer Aspekt im Rahmen dieser Abwägung.
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Prognose- und Planungszeiträume
Entsprechend einem Vorschlag des Gravenbrucher Kreises75) wäre eine Verkürzung des Planungszeitraumes sogar auf drei Monate durchaus sinnvoll gewesen, da der Prognosezeitraum dann mit dem Insolvenzgeldzeitraum und der regelmäßigen Dauer des vorläufigen Insolvenverfahrens im Gleichlauf wäre. Bis zur Eröffnung des Verfahrens kristallisiert sich dann (nach gegebenenfalls bis dahin bereits abgeschlossenem Investorenprozess) die weitere Ausrichtung des Insolvenzverfahren heraus, sodass bis zu diesem Zeitpunkt die laufend aktualisierte Planung ohnehin nochmals erheblich konkretisiert werden muss.
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c) § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG sieht darüber hinaus auch eine vorübergehende Verkürzung des Planungszeitraums der nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG für die Beantragung einer Stabilisierungsanordnung vorzulegenden Finanzplanung von sechs auf vier Monate vor.
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Die Stabilisierungsanordnung nach den §§ 49 ff. StaRUG ist eines der wesentlichen Instrumente, die dem Schuldner im Rahmen eines Restrukturierungsvorhabens nach dem StaRUG zur Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. des § 18 Abs. 2 InsO zur Verfügung stehen. Hiermit kann der Schuldner eine Vollstreckungs- oder Verwertungssperre bewirken und dadurch sicherstellen, dass bestimmte Gläubiger während des Restrukturierungsvorhabens nicht in das Vermögen des Schuldners vollstrecken oder Vermögensgegenstände des Schuldners verwerten können, was den Erfolg des Restrukturierungsvorhabens unter Umständen gefährden kann. Zudem sind im Anordnungszeitraum nach § 55 Abs. 1 StaRUG Leistungsverweigerungsrechte, Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechte des betroffenen Gläubigers wegen rückständiger Leistungen gesperrt.
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Aufgrund dieser einschneidenden Wirkung einer Stabilisierungsanordnung für die betroffenen Gläubiger, enthält § 50 StaRUG bestimmte Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um den Erlass einer Stabilisierungsanordnung bei dem Restrukturierungsgericht beantragen zu können. Insbesondere muss der Schuldner nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG eine Finanzplanung für die nächsten sechs Monate vorlegen können. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Unternehmensfortführung in diesem Zeitraum tatsächlich durchfinanziert ist, um zu gewährleisten, dass nicht aufgrund einer Überschuldung oder später eintretenden Zahlungsunfähigkeit doch ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss.
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Die demgegenüber nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG auf vier Monate verkürzte Planung erleichtert vorübergehend die Beantragung einer Stabilisierungsanordnung zugunsten des Schuldners. Die Verkürzung auf vier Monate ist insoweit durchaus nachvollziehbar, als dass vier Monate zugleich die gesetzliche Anordnungshöchstdauer für eine Stabilisierungsdauer darstellen, § 53 Abs. 1 und 2 StaRUG. Der in § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG vorgesehene reguläre Planungszeitraum von sechs Monaten beruht auf der Überlegung des Gesetzgebers, dass die Unternehmensfortführung auch über die Höchstdauer einer Stabilisierungsanordnung von vier
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_____________ 75) Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises, ZRI 2022, 923, 924.
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§ 4 SanInsKG
Prognose- und Planungszeiträume
Monaten hinaus durchfinanziert sein soll.76) Auf diese zusätzliche Sicherheit zum Schutz der betroffenen Gläubiger auch nach Ablauf der Stabilisierungsanordnung hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 Nr. 3 SanInsKG im Sinne eines erleichterten Zugangs zu dem Restrukturierungsinstrument der Stabilisierungsanordnung vorübergehend verzichtet. Dies ist vertretbar, denn die weiteren Antragsvoraussetzungen der §§ 49 ff. StaRUG bleiben zum Schutz der Gläubiger unberührt, insbesondere muss der Schuldner weiterhin einen aktuellen Entwurf des Restrukturierungsplans oder zumindest ein aktualisiertes und schlüssiges Restrukturierungskonzept vorlegen. Darüber hinaus bleiben auch die erhöhten Sorgfaltspflichten während der Anordnungsdauer einer Stabilisierungsanordnung nach § 32 Abs. 2 Satz 2 StaRUG, die strafbewährte Pflicht zur Anzeige einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nach § 42 StaRUG und die verschärfte Haftung der Geschäftsleiter bei einer Stabilisierungsanordnung nach § 57 StaRUG zum Schutz der Gläubiger weiterhin in Kraft.
_____________ 76) RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 155.
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Fritz/Leipe
§ 4a Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung Canpolat
In dem Zeitraum vom 9. November 2022 bis einschließlich 31. Dezember 2023 tritt an die Stelle des in § 15a Absatz 1 Satz 2 der Insolvenzordnung genannten Zeitraums von sechs Wochen ein Zeitraum von acht Wochen. Literatur: Ballmann, Das Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz, DB 2022, M12; Beck’sche Kurz-Kommentare Insolvenzordnung, Karsten Schmidt, 20. Aufl., 2023; Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Fridgen/Geiwitz/ Göpfert, Stand 15.4.2023; Beissenhirtz, Aus COVInsAG wird SanInsKG – sonst ändert sich nix?, ZInsO 2022, 2225; Ellers, Entlastung der Unternehmen bald auch im Insolvenzrecht – Mehr Zeit für Restrukturierung, Haftungsrisiken werden abgemildert, DB 2022, M4; Grünen/Döbertin, Aus COVInsAG wird SanInsKG, SanB 2022, 65; Hölzle, Der perfekte Sturm – Wäre eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Mittel der Wahl zur Bewältigung der Energiekrise? Zugleich Anmerkung zu dem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen zur Änderung des CoVInsAG und Umbenennung in ein Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG), ZIP 2022, 1945; Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, Loseblatt, 95. EL 03/2023; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, 4. Aufl., 2019; Römermann, Krisen-Placebo SanInsKG, GmbHR 2022, R340; Schmitz/Bünemann, Die Auswirkungen des SanInsKG auf die Fortbestehensprognose, NZI 2022, 969; Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises zum Entwurf einer Formulierungshilfe der Bundesregierung zur Ergänzung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters (BT-Drucks. 20/2730) um sanierungs- und insolvenzrechtliche Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen, ZRI 2022, 923; Swierczok, Dreifach „Wumms“ – das SanInsKG ist da!, BB 2022, Heft 45 Umschlagteil I. Übersicht I. II. III. 1.
Überblick .............................................. 1 Normzweck und Hintergründe ......... 5 Kritik ................................................... 10 Schaffung von Zombieunternehmen? ............................................... 10 2. Bedeutungslosigkeit der Verlängerung auf acht Wochen ................ 13 IV. Adressaten ........................................... 16
I.
V. Zeitliche Anwendungsfragen ........... 19 1. Allgemeines ......................................... 19 2. Beginn der Antragsfrist vor dem Verlängerungszeitraum ....................... 21 3. Beginn der Antragsfrist zum Ende des Verlängerungszeitraums ............... 24 VI. Folgen einer verspäteten Antragstellung ................................... 28
Überblick
Mit § 4a SanInsKG wird die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags bei eingetretener Überschuldung temporär modifiziert. Die in § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO vorgesehene Antragsfrist bei Überschuldung von maximal sechs Wochen wird vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 auf acht Wochen verlängert. Die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit bleibt dagegen unverändert bei drei Wochen.
1
Die Überschuldung (§ 19 InsO) ist ein zwingender Eröffnungsgrund für juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. Sie liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt,
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§ 4a SanInsKG
Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf1) Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich, § 19 Abs. 2 InsO. Im Falle einer Überschuldung sind die Geschäftsleiter des Rechtsträgers2) dazu verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern – spätestens aber sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung – für den Rechtsträger Insolvenzantrag zu stellen, § 15a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 InsO. An die Stelle der sechs Wochen treten bis zum 31.12.2023 nunmehr acht Wochen. 3
Zu beachten gilt, dass die Insolvenzantragsfrist nicht in jedem Fall, sondern nur, soweit berechtigte und objektiv überprüfbare Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung bestehen, ausgeschöpft werden darf. Anderenfalls bleibt es bei der grundsätzlichen Pflicht, ohne schuldhaftes Zögern – also unverzüglich – Insolvenzantrag zu stellen.3)
4
Die praktische Relevanz der Überschuldung als Eröffnungsgrund drückt sich in Zahlen wie folgt aus: Von 13.993 Insolvenzanträgen durch Unternehmen im Jahre 2021 wurden lediglich 162 Insolvenzanträge (1,15 %) isoliert auf eine Überschuldung gestützt.4) Mit 6.588 Insolvenzanträgen (47 %) sind dagegen solche Insolvenzanträge üblicher gewesen, die – wohl sicherheitshalber – gleichzeitig auf eine Zahlungsunfähigkeit und eine Überschuldung gestützt worden sind.5) II. Normzweck und Hintergründe
5
Sinn und Zweck der Verlängerung der Höchstfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags bei Überschuldung ist, dem überschuldeten Schuldner mehr Zeit für die Vorbereitung einer Sanierung im Rahmen des präventiven Restrukturierungsrahmens (StaRUG6)) oder des Eigenverwaltungsverfahrens (§§ 270 ff. InsO) einzuräumen.7) Das gilt allerdings nur ausnahmsweise, sofern berechtigte Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung und Fortführung des Unternehmens innerhalb der laufenden Antragsfrist bestehen. Fehlt es daran von Beginn an oder entfallen diese innerhalb der Antragsfrist, bleibt es bei dem Grundsatz, dass ohne schuldhaftes Zögern Insolvenzantrag zu stellen ist.8)
_____________ 1)
2) 3) 4)
5) 6) 7) 8)
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Vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 gilt anstelle von zwölf Monaten ein Prognosezeitraum von vier Monaten, § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG. Siehe hierzu die Kommentierung zu § 4 SanInsKG Rz. 68 ff. [Fritz/Leipe]. Zu den Adressaten der Antragspflicht nach § 15a InsO, siehe Rz. 16 ff. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, 12/2021, S. 20 (abrufbar unter: https:// www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/DEHeft_derivate_000 65355/2020410211124.pdf; zuletzt abgerufen am 1.6.2023). Siehe Fn. 4. Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – „StaRUG“). RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 193; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823, 1828; Ellers, DB 2022, M4-M5; Schmitz/Bünemann, NZI 2022, 969, 970; Römermann, GmbHR 2022, R340, R342; Grünen/Döbertin, SanB 2022, 65, 66; Swierczok, BB 2022, Heft 45, Umschlagteil I.
Canpolat
Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
§ 4a SanInsKG
An dieser Stelle zeigt sich das Spannungsverhältnis zum gläubigerschützenden Telos des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO. Denn nach diesem soll durch die Insolvenzantragspflicht einerseits zugunsten bestehender Gläubiger Haftungsmasse erhalten und andererseits zukünftige Gläubiger vor dem risikoverbundenen Geschäftsverkehr mit einem unerkannt insolventen Vertragspartner geschützt werden.9)
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Der Blick auf die rechtshistorische Entwicklung der Antragsfrist bei Überschuldung zeigt, dass der Gesetzgeber mit der Verlängerung der Höchstfrist den Unwägbarkeiten begegnen möchte, welche die Krisen der letzten Jahre (COVID-19 Pandemie, Energiekrise) mit sich brachten. Betrug die Antragsfrist für die beiden zwingenden Eröffnungsgründe – Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO und Überschuldung nach § 19 InsO – bis zum 31.12.2020 noch einheitlich drei Wochen, wurde lediglich die Antragsfrist bei Überschuldung durch das am 1.1.2021 in Kraft getretene SanInsFoG10) auf sechs Wochen verlängert. Laut dem Regierungsentwurf erfolgte dieser Schritt, um:
7
„[es] dem Schuldner [zu] ermöglichen, laufende Sanierungsbemühungen außergerichtlich noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen oder gegebenenfalls eine Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens ordentlich und gewissenhaft vorzubereiten.“11)
Kaum schien die COVID-19 Pandemie überstanden, brach in der Ukraine infolge des russischen Überfalls vom 24.2.2022 ein Krieg aus, der wirtschaftliche Sanktionen unter anderem gegen russische Gas- und Energielieferanten zur Folge hatte. Die damit verbundenen Unwägbarkeiten hinsichtlich der künftigen Gasvorräte ließen die Energiepreise rasant steigen. Das traf nicht nur russische, sondern vor allem auch deutsche Unternehmen, die mit wesentlich höheren und immer weiter steigenden Energiekosten zu kämpfen hatten. Seither führt dies zu Schwierigkeiten, belastbare mittel-und langfristige Prognosen zu erstellen.
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Vor diesem Hintergrund soll die temporäre Verlängerung der Antragsfrist auf acht Wochen dem Umstand Rechnung tragen,
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„[…] dass die aktuelle Situation und die mit ihr einhergehenden Planungsunsicherheiten dazu führen können, dass für Sanierungsbemühungen sowie die Vorbereitung einer Sanierung im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens mehr Zeit erforderlich sein kann.“12)
III. Kritik 1.
Schaffung von Zombieunternehmen?
Ein mehrfach geäußerter Kritikpunkt ist die Gefahr, dass durch die Verlängerung von Antragsfristen sog. „Zombieunternehmen“ geschaffen bzw. begünstigt werden würden.13) Nach der Definition der OECD sind Zombieunternehmen solche Unternehmen, die seit mehr als zehn Jahren am Markt bestehen, allerdings in drei aufeinan_____________ 9) Kübler/Prüttung/Bork/Jacoby-Steffek, InsO, § 15a Rz. 3. 10) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – „SanInsFoG“). 11) RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 193. 12) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 9. 13) Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2227; Grünen/Döbertin, SanB 2022, 65, 66.
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Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
derfolgenden Jahren nicht in der Lage gewesen sind, ihre Zinslast aus dem operativen Ergebnis zu decken.14) Es würden nicht nur Unternehmen am Markt bleiben, die über einen gesunden Kern verfügen, sondern auch solche, denen es an einem gesunden Kern fehlt und daher unweigerlich im Insolvenzverfahren enden. Im Zweifel würden so auch gutgläubige Geschäftspartner in die Krise gezogen und damit das Vertrauen in den Kapitalmarkt gefährdet werden.15) Bereits zu Zeiten der Corona-Pandemie sei der Anteil der Zombieunternehmen unter den deutschen Unternehmen stark gestiegen.16) 11
Dem ist allerdings die geringe Reichweite der temporären Entlastung bei der Antragspflicht wegen Überschuldung entgegenzuhalten. Denn im Jahre 2021 wurden nur knapp 1 % der Insolvenzanträge von Unternehmen isoliert auf Überschuldung gestützt.17) Ferner hat sich der Gesetzgeber anstelle einer umfassenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem Vorbild des COVInsAG (heute: § 1 SanInsKG) für das mildere Mittel der Verkürzung von Prognose- und Planungszeiträumen sowie die Verlängerung der Höchstfrist für den Insolvenzantrag wegen Überschuldung entschieden.18) Im Vergleich zu einer erneuten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem Vorbild des § 1 SanInsKG stellt die Regelung des § 4a SanInsKG ein minimalinvasiver Eingriff dar, dessen praktische Wirkung wohl entsprechend gering ausfallen wird.19)
12
Die geringe Intensität des Eingriffs ist seither Gegenstand von Diskussionen und wird vielerseits als angemessene Maßnahme begrüßt,20) vereinzelnd aber auch als bloße Symbolpolitik kritisiert, mit der man die Wurzeln des Problems nicht anpacken würde.21) 2.
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Bedeutungslosigkeit der Verlängerung auf acht Wochen
Kritisiert wurde § 4a SanInsKG zudem mit dem Argument, dass derjenige Schuldner, der seine Überschuldung innerhalb von sechs Wochen nicht beseitigen kann, diese häufig auch nicht in acht Wochen beseitigen könne.22) Dem Argument ist zuzugestehen, dass bereits sechs Wochen ein beachtlicher Zeitraum ist, in dem sich _____________ 14) https://www.oecd.org/economy/growth/exit-policies-and-productivity-growth.htm; zuletzt abgerufen am 1.6.2023. 15) Grünen/Döbertin, SanB 2022, 65, 66. 16) Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2227 mit Verweis auf die Studie von Kearney, September 2022, Grafik S. 8, abrufbar unter https://www.de.kearney.com/pressecenter/article/-/insights/ zombiestudie-2022; zuletzt abgerufen am 1.6.2023. 17) Zu den konkreten Zahlen, siehe oben Rz. 4. 18) Aus den Reihen der SPD wurde während des – stark verkürzten – Gesetzgebungsverfahrens (krit. hierzu Römermann, GmbHR 2022, R340, R341) noch die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowohl bei Überschuldung als auch bei Zahlungsunfähigkeit gefordert: https://www.spiegel.de/wirtschaft/energiekrise-spd-fordert-aussetzen-der-insolvenzantragspflicht-a-b7f8f665-c983-4bf6-9fd8-b9b74bee93a2; zuletzt abgerufen am 1.6.2023. 19) So auch Römermann, GmbHR 2022, R340, R342. 20) So etwa Ballmann, DB 2022, M12, M14; Hölzle, ZIP 2022, 1945, 1949; Stellungnahme des Gravenbrucher Kreises, ZRI 2022, 923, 924; Ellers, DB 2022, M4-M5. 21) Vgl. Beissenhirtz, ZInsO 2022, 2225, 2227; Römermann, GmbHR 2022, R340, R342. 22) Swierczok, BB 2022, Heft 45, Umschlagteil I.
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Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
§ 4a SanInsKG
herausstellen kann, ob Gläubiger bereit sind, mithilfe von Stundungen, Rangrücktrittserklärungen oder neuen Krediten einen hinreichenden Sanierungsbeitrag zu leisten, um damit eine Überschuldung zu beseitigen. Andererseits sind die Preisentwicklungen auf dem Energiemarkt so volatil, dass die Preise für Strom, Gas und Erdöl auch während der Energiekrise selbst innerhalb von wenigen Tagen im Rekordtempo sanken.23) Die zusätzlichen zwei Wochen eröffnen jedenfalls die (theoretische) Möglichkeit, dass zähe und zeitkritische Verhandlungen zeitlich in eine für den Schuldner günstigere Preisphase fallen, die Bereitschaft zur Erbringung von Sanierungsbeiträgen höher ist und damit die Verhandlungen bestenfalls doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss führen.
14
Das stärkste Argument für die acht Wochen ist die Ausgestaltung der Antragsfrist als Höchstfrist, die ohnehin nur ausgeschöpft werden darf, sofern berechtigte Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung und Fortführung des Unternehmens innerhalb der laufenden Antragsfrist bestehen. Denn solange eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Turnaround besteht, kann dieser auf langfristiger Sicht eine potenziell bessere Gläubigerbefriedigung versprechen, als eine Sanierung im Insolvenzverfahren. Dies hängt damit zusammen, dass, wenngleich ein Insolvenzverfahren nicht in jedem Fall die Liquidation des schuldnerischen Unternehmens bedeutet, auf die Insolvenzmasse zusätzliche Kosten für das Insolvenzverfahren zukommen, die durch eine Beseitigung der Überschuldung in der Antragsfrist und der Verhinderung des Insolvenzverfahrens vermieden werden können. Kann die Überschuldung dagegen nicht innerhalb der Antragsfrist beseitigt werden, muss ohnehin ohne schuldhaftes Zögern – also unverzüglich – Insolvenzantrag gestellt werden. Den Gläubigern entstehen durch die Verlängerung der Antragsfrist von sechs auf acht Wochen insofern keine unvertretbaren Nachteile, die nicht mit dem gläubigerschützenden Telos24) des § 15a InsO vereinbar wären.
15
IV. Adressaten Der persönliche Anwendungsbereich des § 4a SanInsKG umfasst alle Adressaten der Antragspflicht nach § 15a InsO, also die Vertretungsorgane der Gesellschaften einschließlich derer Liquidatoren bzw. Abwickler.
16
Im Einzelnen sind dies:
17
–
bei einer AG (§ 1 Abs. 1 AktG): die Vorstandsmitglieder,
–
bei einer KGaA (§ 278 Abs. 1 AktG): die Komplementäre,
–
bei einer GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG): die Geschäftsführer,
–
bei einer GmbH & Co. KG: die Geschäftsführer der GmbH,
–
bei einer UG (§ 5a GmbHG): die Geschäftsführer,
–
bei einer eingetragenen Genossenschaft (§ 17 Abs. 1 GenG): die Vorstandsmitglieder,
_____________ 23) https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/energiepreise-sinken-deutlich-hochpunkt-derinflation-ueberwunden-18577615.html; zuletzt abgerufen am 1.6.2023. 24) Siehe hierzu Rz. 6.
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§ 4a SanInsKG – 18
Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
bei einer SE (Art. 1 Abs. 3 sowie Art. 63 VO (EG) Nr. 2167/2001): die Mitglieder des Leitungsorgans/geschäftsführende Direktoren.
Ebenfalls umfasst sind die Vertretungsorgane von Vor-Kapitalgesellschaften.25) Vertretungsorgane von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (ab 2024: rechtsfähige Personengesellschaften)26) sind nur umfasst, wenn keine natürliche Person (mittelbar) aufgrund etwaiger gesetzlicher Haftung gegenüber den Gläubigern des insolventen Schuldners persönlich haftet. Ausgeschlossen ist die Antragspflicht zudem bei reinen Innen-Gesellschaften, wie die GbR, die OHG sowie die PartG.27) V. Zeitliche Anwendungsfragen 1.
Allgemeines
19
Die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung bei Überschuldung wird vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 auf acht Wochen verlängert. Sie beginnt mit Eintritt der Überschuldung, nicht hingegen erst mit Kenntnis des jeweiligen Vertretungsorgans von der Überschuldung.28) Letztere wirkt sich allerdings auf die Beurteilung des Verschuldens eines Vertretungsorgans im Falle der Verletzung der Antragspflicht aus. Die Fristberechnung richtet sich nach den §§ 187, 188 BGB.29) Da die Antragsfrist mit Eintritt der Überschuldung beginnt, handelt es sich um eine Ereignisfrist im Sinne des § 187 Abs. 1 Var. 1 BGB.
20
Der Regelfall, den der Gesetzgeber wohl vor Augen hatte, muss derjenige sein, in dem sowohl der Beginn als auch das Ende der Antragsfrist in den Verlängerungszeitraum vom 9.11.2022 bis 31.12.2023 fällt. Auch wenn diese Regelung auf den ersten Blick simpel und einleuchtend erscheinen mag, stößt man bei genauerer Betrachtung bei den nachfolgend erläuterten Grenzfällen auf die Frage, welche Höchstfrist denn nun zugrunde zu legen ist: sechs oder acht Wochen? 2.
21
Beginn der Antragsfrist vor dem Verlängerungszeitraum
Ist die Überschuldung vor dem Beginn des Verlängerungszeitraums am 9.11.2022 eingetreten, gilt grundsätzlich die sechswöchige Antragsfrist des § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO. Allerdings sind die Fälle, in denen die sechswöchige Frist vor dem 9.11.2022 nicht nur zu laufen begonnen hat, sondern auch abgelaufen ist (Fall 1), von denjenigen abzugrenzen, bei denen das Ende der sechswöchigen Frist in den Verlängerungszeitraum fallen würde (Fall 2). Fall 1: Vor dem Verlängerungszeitraum abgelaufene Antragsfrist Die A-GmbH ist seit dem 27.9.2022 überschuldet. Nach § 187 Abs. 1 BGB beginnt die sechswöchige Antragsfrist am 28.9.2022 zu laufen und würde gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 8.11.2022 enden. _____________ 25) Kübler/Prüttung/Bork/Jacoby-Steffek, InsO § 15a Rz. 18 m. w. N. 26) Ab dem 1. Januar 2024 wird die in § 15a InsO als „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ benannte Gesellschaft durch Art. 35 Nr. 2 des Personengesellschaftsmodernisierungsgesetzes (MoPeG) umbenannt in „rechtsfähige Personengesellschaft“. 27) BeckOK InsR/Wolfer, InsO § 15a Rz. 5 f. 28) Vgl. die Darstellung bei MünchKomm-InsO/Klöhn, § 15a Rz. 118 f. 29) BeckOK InsR/Wolfer, InsO § 15a Rz. 21.
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Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
§ 4a SanInsKG
Dieser Fall ist der Regelfall des § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO. Es greifen keine Besonderheiten hinsichtlich der Sechs-Wochen-Frist, da die Antragsfrist weder mit Fristbeginn noch mit Fristende in den Verlängerungszeitraum fällt. Mit Ablauf des 8.11.2022 liegt daher ein Fall der Insolvenzverschleppung vor. Ein bereits eingetretener Fristablauf wird durch § 4a SanInsKG nicht geheilt.
22
Fall 2: In dem Verlängerungszeitraum ablaufende Antragsfrist Die A-GmbH ist seit dem 28.9.2022 überschuldet. Nach § 187 Abs. 1 BGB beginnt die sechswöchige Antragsfrist am 29.9.2022 zu laufen und sie würde gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 9.11.2022 enden. In diesem Fall ist die sechswöchige Antragsfrist zum Beginn des Verlängerungszeitraums am 9.11.2022 noch nicht abgelaufen, sodass die Modifikation des § 4a SanInsKG greift: Die Antragsfrist wird auf acht Wochen verlängert und sie läuft erst mit Ablauf des 23.11.2022 ab. Zudem greift hinsichtlich der Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung ein Betrachtungszeitraum von vier statt zwölf Monaten, § 4 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Nr. 1 SanInsKG.30) 3.
23
Beginn der Antragsfrist zum Ende des Verlängerungszeitraums
Von der Literatur weitgehend unbeachtet blieb der Fall, in dem zwar die Antragsfrist innerhalb Verlängerungszeitraums bis zum 31.12.2023 zu laufen beginnt, das Fristende allerdings in das Jahr 2024 – also in einen Zeitraum außerhalb des Verlängerungszeitraums – fällt (Fall 3). Diese zeitliche Anwendungsfrage stellt sich ebenfalls hinsichtlich der durch § 4 SanInsKG verkürzten Planungs- und Prognosezeiträume.31)
24
Fall 3: Nach dem Verlängerungszeitraum ablaufende Antragsfrist Die A-GmbH ist seit dem 6.11.2022 überschuldet. Nach § 187 Abs. 1 BGB beginnt die achtwöchige Antragsfrist am 7.11.2022 zu laufen und sie endet gemäß §§ 188 Abs. 2, 193 BGB mit Ablauf des 2.1.2024. Unter Zugrundelegung einer sechswöchigen Antragsfrist würde die Antragsfrist dagegen gemäß § 188 Abs. 2 BGB bereits mit Ablauf des 18.12.2023 enden. Der Wortlaut des § 4a SanInsKG geht lediglich dahin, dass in dem Zeitraum „bis zum 31. Dezember 2023“ ein Acht-Wochen-Zeitraum gilt. Es wird nicht zwischen Beginn und Ende der Antragsfrist differenziert, sodass rein anhand des Wortlauts gleichermaßen die Zugrundelegung eines Acht- oder Sechs-Wochen-Zeitraumes vertretbar ist. Auch fehlt es an einer klaren Regelung zum Übergangszeitraum.
25
Die Gesetzesmaterialien zu § 4 SanInsKG lassen zumindest eine Tendenz erkennen und können in diesem Fall für § 4a SanInsKG herangezogen werden, da § 4 SanInsKG ebenfalls temporäre Modifikationen vornimmt, die zum Ende des Modifikationszeitraumes Anwendungsfragen zum Übergang zum alten Recht aufwerfen. Der Rechtsausschuss hat zur zeitlichen Anwendung des von zwölf auf vier Monate verkürzten Prognosezeitraums in der Überschuldungsprüfung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG wie folgt Stellung genommen:
26
_____________ 30) Siehe die ausführliche Kommentierung zu § 4 SanInsKG Rz. 68 ff. [Fritz/Leipe]. 31) Diskutiert in der Kommentierung zu § 4 SanInsKG Rz. 71 ff. [Fritz/Leipe].
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§ 4a SanInsKG
Höchstfrist für die Antragstellung bei Überschuldung
„Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können. Denn wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststeht, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird, kann dieser Befund auch für die unter § 4 Abs. 2 zu erstellende Fortführungsprognose relevant sein.“32)
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Der Rechtsausschuss hat mithin bereits im Gesetzgebungsverfahren erkannt, dass es zum Ende der Geltungsdauer zu Anwendungsschwierigkeiten kommen kann. Dass die Regelungen zum Ende der Geltungsdauer einen „Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können“ lässt sich im Lichte des § 4a SanInsKG nur so verstehen, dass bei einer ab dem 6.11.2023 eintretenden Überschuldung vorzeitig eine Höchstantragsfrist von sechs Wochen zugrunde zu legen ist, auch wenn dies den Ablauf der Antragsfrist innerhalb des Verlängerungszeitraums bedeuten würde.33) Für Fall 3) bedeutet dies konkret, dass eine Antragsfrist von sechs Wochen gilt und diese bereits mit Ablauf des 18.12.2023 endet. VI. Folgen einer verspäteten Antragstellung
28
Die straf- und zivilrechtlichen Sanktionen eines verspäteten oder gänzlich unterlassenen Insolvenzantrags regelt § 4a SanInsKG nicht und werden durch diesen auch nicht modifiziert. Es finden die allgemeinen Haftungsregelungen Anwendung.34)
_____________ 32) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 20/4087, S. 8. 33) So im Ergebnis auch Ballmann, DB 2022, M12-M14. Bezüglich § 4 SanInsKG siehe die Kommentierung Fritz/Leipe, § 4 Rz. 76 samt ausführlicher Darstellung des Problems im Rahmen des § 4 SanInsKG; BeckOK InsR/Wolfer, SanInsKG § 4 Rz. 8 ff. 34) Siehe dazu K. Schmidt/Herchen in: K. Schmidt InsO, § 15a Rz. 33 – 52.
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§5 Anwendung bisherigen Rechts Fritz/Canpolat
(1) Auf Eigenverwaltungsverfahren, die zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 beantragt werden, sind, soweit in den folgenden Absätzen und § 6 nichts anderes bestimmt ist, die §§ 270 bis 285 der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19Pandemie zurückzuführen ist. (2) Die Insolvenzreife gilt als auf die COVID-19-Pandemie zurückführbar, wenn der Schuldner eine von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellte Bescheinigung vorlegt, aus der sich ergibt, dass 1.
der Schuldner am 31. Dezember 2019 weder zahlungsunfähig noch überschuldet war,
2.
der Schuldner in dem letzten vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn die nach Satz 1 Nummer 2 und 3 zu bescheinigenden Voraussetzungen zwar nicht oder nicht vollständig vorliegen, aus der Bescheinigung jedoch hervorgeht, dass aufgrund von Besonderheiten, die im Schuldner oder in der Branche, der er angehört, begründet sind oder aufgrund sonstiger Umstände oder Verhältnisse, dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Insolvenzreife auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. (3) Die Insolvenzreife gilt auch als auf die COVID-19-Pandemie zurückführbar, wenn der Schuldner im Eröffnungsantrag darlegt, dass keine Verbindlichkeiten bestehen, die am 31. Dezember 2019 bereits fällig und zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestritten waren. Die Erklärung zur Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben nach § 13 Absatz 1 Satz 7 der Insolvenzordnung muss sich auch auf die Angaben nach Satz 1 beziehen. (4) Erlangt das Gericht Kenntnis davon, dass die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners nicht auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, kann es auch aus diesem Grund 1.
anstelle des vorläufigen Sachwalters einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen,
2.
die Anordnung nach § 270b Absatz 1 der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung vor Ablauf der Frist aufheben, oder
3.
die Anordnung der Eigenverwaltung aufheben.
(5) Ordnet das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung oder Eigenverwaltung an, kann es zugleich anordnen, dass Verfügungen des Schuldners der Zustimmung durch den vorläufigen Sachwalter oder den Sachwalter bedürfen. Fritz/Canpolat
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§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
(6) Die Annahme von Nachteilen für die Gläubiger kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner keine Vorkehrungen zur Sicherstellung seiner Fähigkeit zur Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten getroffen hat. (7) Ordnet das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung oder Eigenverwaltung an, so ist die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung anzuwenden. Dies gilt auch, wenn die vorläufige Eigenverwaltung oder Eigenverwaltung aufgehoben wird. Literatur: Albrecht, Fiktionen im Recht (Diss., 2020); Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand 15.4.2023; Buchalik, Handlungsbedarf nach der ESUG Evaluation?, ZInsO 2019, 1576; Frind, Gefahrzone Eigenverwaltung – Eine Zwischenbilanz über das Instrument Eigenverwaltung nach „ESUG“ aus gerichtlicher Sicht, WM 2014, 590; Gehrlein, Der Überschuldungsbegriff – Irrungen und Wirrungen, GmbHR 2021, 183; Jung/Meißner/Ruch, Der Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), KSI 2020, 253; Kübler/Prütting/Bork/ Jacoby, InsO, Loseblatt, Stand 03/2023; Madaus, Einstieg in die ESUG-Evaluation – Für einen konstruktiven Umgang mit den europäischen Ideen für einen präventiven Restrukturierungsrahmen, NZI 2017, 329; Morgen/Arends, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und das Eigenverwaltungsverfahren nach SanInsFoG und COVInsAG, ZIP 2021, 447; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., 2019; Nerlich/ Römermann, Insolvenzordnung, Loseblatt, Stand 4/2022; Pape, Erste Überlegungen zu den möglichen Konsequenzen aus der ESUG-Evaluation, ZInsO 2018, 2725; Reinhardt/ Lambrecht, Die Bescheinigung nach § 270b InsO als Schlüssel für das Schutzschirmverfahren, Stbg 2014, 71; Römermann, Fortentwicklung des Insolvenz- und Sanierungsrechts 2020/2021, Stbg 2020, 463; Seagon, Coronabedingtes Sonderinsolvenzrecht als Brücke zum StaRUG?, NZI-Beilage 2021, 12; Thole, Lehren aus der ESUG-Evaluation für die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, NZI-Beilage 2019, 61; Thole, Die Reform der Eigenverwaltung: Eine Umsetzung der ESUG-Evaluation?, NZI-Beilage 2021, 90; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl., 2019; Zipperer/Vallender, Die Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 729. Übersicht I.
Entstehungsgeschichte, Entwicklung und Normzweck ........... 1 II. Anwendung der §§ 270 – 285 InsO a. F. (Abs. 1) .......................................... 7 1. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich .............................. 9 2. Pandemiebedingte Insolvenzreife ...... 12 III. Vermutung der Pandemiebedingtheit der Insolvenzreife ......... 16 1. Vorlage einer Expertenbescheinigung (Abs. 2) ........................... 18 a) Ausstellung durch eine in Insolvenzsachen erfahrene Person ........ 20 b) Inhalt der Bescheinigung ............. 23 aa) Keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zum 31. Dezember 2020 (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) ................................. 24
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bb) Positives Ergebnis im letztenGeschäftsjahr (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) .... 25 cc) Umsatzrückgang um mindestens 30% (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) .............. 28 dd) Berücksichtigung sonstiger Umstände oder Verhältnisse (Abs. 2 Satz 2) .............................. 29 2. Ergänzende Erklärung zu fälligen Verbindlichkeiten (Abs. 3) ................. 32 IV. Handlungsmöglichkeiten der Gerichte; Ermessensspielraum (Abs. 4) ................................................ 36 V. Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (Abs. 5) ............................. 39 VI. Maßstab für die Bewertung möglicher Nachteile für die Gläubiger (Abs. 6) ................................................. 40 VII. Anwendbarkeit der bisherigen Vergütungsvorschriften (Abs. 7) ..... 41
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§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
I.
Entstehungsgeschichte, Entwicklung und Normzweck1)
§ 5 SanInsKG soll den von der COVID-19-Pandemie besonders betroffenen Schuldnern unter bestimmten Voraussetzungen erleichterten Zugang zur Eigenverwaltung ermöglichen.
1
Die Vorschrift ist durch Art. 10 Nr. 3 SanInsFoG2) gänzlich neu eingefügt worden. Die Norm war in ihrer geltenden Fassung weder in dem Referentenentwurf des BMJV,3) noch in dem Regierungsentwurf zum SanInsFOG4) enthalten, sondern fand erst auf Initiative des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag Eingang in das Gesetz.5) Der Regierungsentwurf sah für § 5 SanInsKG ursprünglich ebenfalls eine Regelung vor, die pandemiebetroffenen Schuldnern den Zugang zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren auch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit ermöglichen sollte.6) Gegenüber der nunmehr geltenden Fassungen der §§ 5 und 6 SanInsKG war diese Vorschrift indes erheblich knapper gefasst und ist vermehrt auf Kritik gestoßen.7)
2
Die Regelung steht im Lichte der durch das SanInsFoG eingeführten umfangreichen Änderungen der Insolvenzordnung. Diese betreffen insbesondere auch den achten Teil (§§ 270 – 285 InsO) und sind mitunter eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Ergebnisse der im Oktober 2018 vorgelegten ESUG-Evaluation.8) Ziel der Regelung soll es sein, die jüngsten, mitunter substantiellen Änderungen der §§ 270 – 285 InsO für die von der COVID-19-Pandemie besonders betroffenen Unternehmen nicht zu einem zusätzlichen Hindernis bei dem Zugang zu den ESUG-Verfahren zu machen.9) Eine allein oder überwiegend auf dem Pandemiegeschehen beruhende Insolvenzreife soll nach dem Geist des SanInsKG nicht zu einer Insolvenzantragspflicht führen. Dementsprechend soll aber auch der Zugang zur Eigenverwaltung nicht verwehrt sein.10)
3
Ganz besonders die Neufassungen der §§ 270a und 270b InsO bringen den Umstand zum Ausdruck, dass die Anordnung einer (vorläufigen) Eigenverwaltung
4
_____________ 1) Der Autor Canpolat dankt Herrn RA Lorenz Scholtis für die Übergabe seiner Kommentierung zu den Paragraphen §§ 5 – 7 COVInsAG in der Vorauflage. 2) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. 3) https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_SanInsFoG.pdf?__blob=publicationFile&v=6. 4) RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181. 5) Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/25353; sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses in BT-Drucks. 19/25030. 6) RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 76, 218. 7) Stellungnahme des IDW zum SanInsFoG-E v. 2.10.2020, S. 9; Jung/Meißner/Ruch, KSI 2020, 253, 260. 8) Volltext der Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.12.2011, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Downloads/DE/News/Artikel/101018_Gesamtbericht_Evaluierung_ESUG.pdf?__blob= publicationFile&v=2; Zusammenfassend hierzu etwa: Thole, NZI-Beilage 2019, 61; Buchalik, ZInsO 2019, 1676; Pape, ZInsO 2018, 2725. 9) Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25253, S. 15. 10) Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 455.
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§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
nunmehr strengeren Anforderungen unterliegt. Nach § 270a Abs. 1 InsO n. F. setzt ein erfolgreicher Antrag nunmehr die Vorlage einer ausführlichen und belastbaren Eigenverwaltungsplanung voraus. Neben einem Finanzplan, der einen Zeitraum von sechs Monaten umfassen muss, ist unter anderem ein schlüssiges11) Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens, eine Darstellung über den Stand der Verhandlungen mit den Gläubigern, sowie eine Vergleichsrechnung zum Regelverfahren vorzulegen. Die Eigenverwaltungsplanung wird in § 270a Abs. 2 InsO n. F. flankiert durch das Erfordernis umfassender Erklärungen der Geschäftsleitung, etwa zu rückständigen Verbindlichkeiten aus besonders bedeutsamen Rechtsverhältnissen12) oder zu etwaigen Verstößen gegen die handelsrechtlichen Offenlegungspflichten. Dabei ist in etwa auch Stellung dazu zu nehmen, inwieweit trotz ggf. höherer Kosten der Eigenverwaltung, vorangegangener StaRUG-Maßnahmen oder bestehender Rückstände die Wahrung der Gläubigerinteressen gewährleistet ist. Die normative Niederlegung der Anforderungen an einen Antrag auf Eigenverwaltung in dieser Ausführlichkeit ist zum einen eine Reaktion des Gesetzgebers auf die bundesweit überaus uneinheitliche Handhabung der Frage nach den Voraussetzungen des Zugangs zu den ESUG-Verfahren,13) insbesondere im Hinblick auf das Verständnis des Nachteilsbegriffes in § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.14) und die diesbezügliche Prognoseentscheidung der Insolvenzgerichte.15) Zum anderen liegt darin eine Reaktion auf den Umstand, dass die tatsächliche Eigenverwaltungswürdigkeit der Schuldner zukünftig weiter im Vordergrund stehen soll.16) Insoweit sollen durch eine rechtzeitige und gewissenhafte Vorbereitung sowie eine konsequente Rückbindung an die Gläubigerinteressen die Erfolgsaussichten einer Eigenverwaltung als Insolvenzverfahren mit dem Ziel der nachhaltigen Unternehmenssanierung erhört werden.17) Die Änderungen dürften künftig für mehr Konsistenz, eine Steigerung der Chancen eines erfolgreichen Turnarounds und allen voran für Rechtsund Planungssicherheit beim Zugang zu den ESUG-Verfahren sorgen. 5
Zunächst war jedoch zu erwarten, dass die anfängliche Unsicherheit im Umgang mit den Neuerungen, welche bereits bei Fachleuten zu beobachten war, sich erst recht bei den betroffenen Schuldnern zeigen würde. Die strengeren Anforderungen an den Zugang zur Eigenverwaltung stehen zudem in einem gewissen Gegensatz zur ursprünglichen Zielsetzung des COVInsAG (nunmehr geändert in „SanInsKG“; zur Entwicklung des Gesetzes von der speziell pandemiebasierten Kriseninsolvenzrecht zum allgemeinen Kriseninsolvenzrecht siehe Kommentierung zu § 1 SanInsKG Rz. 1 ff. [Fritz]), welches gerade auf die Privilegierung pandemiebetroffener Unter_____________ 11) Das Kriterium der Schlüssigkeit ergibt sich in Zusammenschau mit § 270b Abs. 1 Nr. 1 InsO n. F. 12) Thole, NZI-Beilage 2021, 91, 92. 13) Ausführlich zur Problemstellung: ESUG-Evaluation (Fn. 5), S. 55 ff. 14) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270 Rz. 46; Madaus, NZI 2019, 329, 332. 15) Dazu etwa Frind, WM 2014, 590, 596; Ellers in: BeckOK-InsO, Stand 10/2020, § 270 Rz. 26 ff.; Nerlich/Römermann-Riggert, InsO, Stand 6/2018, § 270 Rz. 20; AG Hamburg, Beschl. v. 18.12.2013 – 67 c IN 410/13, NZI 2014, 269 (Anm. Hoffmann). 16) Thole, NZI-Beilage 2021, 91, 92. 17) RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 1 f.
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§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
nehmen abzielte.18) Bei diesen Unternehmen konnte nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass sich die Geschäftsleitung schlicht als unfähig erwiesen hat und ein Zugang zur Eigenverwaltung damit zu versagen war.19) Für solche Unternehmen, deren Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht, sollten daher für den begrenzten Zeitraum bis zum 31.12.2021 die früheren Fassungen der §§ 270–285 InsO (Abs. 1) gelten, um zusätzliche Erschwerungen beim Zugang zur Eigenverwaltung zu vermeiden20) und damit den ursprünglichen Zweck des COVInsAG nicht weiter zu konterkarieren. Neben der allgemeinen Unsicherheit im Umgang mit den neuen Vorschriften konnten sich unter der Geltung der neuen Vorschriften zur Eigenverwaltung zusätzliche Erschwerungen daraus ergeben, dass etwa bereits eine Sanierung auf Basis der alten Gesetzesfassung in Vorbereitung war oder schlicht daraus, dass die nunmehr strengeren Voraussetzungen an den Zugang zur Eigenverwaltung dem Schuldner einen merklich größeren Planungseinsatz abverlangten. § 5 bot damit als Übergangsregelung in gewissem Umfang Vertrauensschutz für die ohnehin pandemiebedingt außerordentlich stark belasteten Unternehmen. Zwar wurde jüngst21) in § 4 SanInsKG ein neuer Absatz 2 eingefügt, nach dessen Nr. 2 für einen Finanzplan nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 ein verkürzter Planungszeitraum von 4 Monaten anstelle von 6 Monaten gilt (siehe Kommentierung zu § 4 SanInsKG Rz. 32 ff. [Fritz/Leipe]). Dies berührt die Regelungen des § 5 SanInsKG allerdings nicht, denn einerseits umfasst der sachliche Anwendungsbereich des § 5 SanInsKG nur Eigenverwaltungsverfahren, die im bereits abgelaufenen Zeitraum vom 1.1.2021 bis zum 31.12.2021 beantragt wurden. Andererseits war unter der Anwendung des alten Rechts nach Abs. 1 ohnehin keine Eigenverwaltungsplanung nach § 270a InsO vorzulegen.
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II. Anwendung der §§ 270 – 285 InsO a. F. (Abs. 1) Nach Abs. 1 gelten die §§ 270 – 285 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung, wenn der Schuldner einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung stellt und die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners auf die COVID19-Pandemie zurückzuführen ist.
7
Das alte Recht ist im Grundsatz umfassend anzuwenden, soweit nicht durch die §§ 5 und 6 SanInsKG etwas Abweichendes bestimmt wird. Insbesondere bedarf es aber gerade keiner Vorlage einer Eigenverwaltungsplanung nach Maßgabe des § 270a InsO n. F.22) Die Anwendung der alten Fassungen der Vorschriften zur Eigenverwaltung ist zwingend und steht nicht im Ermessen der Insolvenzgerichte oder zur Disposition des Schuldners.
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_____________ 18) 19) 20) 21)
Kübler/Prütting/Bork/Jacoby-Prütting, COVInsAG, § 5 Rz. 2. Römermann, Stbg 2020, 463, 472. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 15. Durch das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes v. 31.10.2022, BGBl. I, 1966. 22) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 4.
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§ 5 SanInsKG 1.
Anwendung bisherigen Rechts
Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich
9
Die Vorschrift gilt für Eigenverwaltungsverfahren, einschließlich Schutzschirmverfahren (siehe aber unter § 6), die zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2020 beantragt wurden.
10
Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Eingang des Antrags bei dem zuständigen Gericht. Ein Insolvenzantrag bei einem sachlich oder örtlich unzuständigen Gericht genügt jedenfalls dann, wenn er spätestens am 31.12.2021 dort einging und später nach Abgabe an das tatsächlich zuständige Gericht gerade auf diesen Antrag das Insolvenzverfahren eröffnete und die Eigenverwaltung anordnete.23)
11
In ähnlicher Weise könnten Fälle zu bewerten sein, in denen ein „allgemeiner“ Insolvenzantrag noch im Jahr 2021 gestellt wurde, dieser aber erst nach dem 31.12.2021 durch einen nachträglichen Eigenverwaltungsantrag ergänzt wurde. Insoweit wäre es denkbar gewesen, in einer einheitlichen Betrachtungsweise auf die Stellung des früheren Antrags abzustellen. Vorzugswürdig erscheint jedoch die Auffassung, dass es in diesen Fällen allein auf den Zeitpunkt des konkreten Antrages auf Anordnung der Eigenverwaltung ankommt.24) Dafür spricht neben dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 SanInsKG („Eigenverwaltungsverfahren […] beantragt“) zuvorderst, dass ein solcher nachträglicher Eigenverwaltungsantrag noch bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses und damit viele Wochen nach dem ursprünglichen Insolvenzantrag möglich war.25) Dass der Gesetzgeber eine derartige Ausdehnung der Fortgeltung des alten Rechts weit in das Jahr 2022 hinein gewollt hat, dürfte nicht anzunehmen sein. Bei teleologischer Betrachtung (Rz. 2 ff.) ist vielmehr zu erkennen, dass auch hochgradig pandemiebetroffene Unternehmen sich im Laufe des Jahres unweigerlich auf die Neufassung der §§ 270 – 285 ff. InsO einzustellen hatten und das Niveau ihrer Schutzbedürftigkeit insoweit sank, je näher das Jahr 2022 rückte. Ergänzte der Schuldner seinen Insolvenzantrag erst im Jahr 2022 um einen Eigenverwaltungsantrag, hatte dieser den Erfordernissen des § 270a InsO n. F. zu genügen.26) 2.
Pandemiebedingte Insolvenzreife
12
In materieller Hinsicht setzt die Anwendung des § 5 SanInsKG voraus, dass das Unternehmen insolvenzreif, also zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO) ist. Lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) reicht nicht aus, sodass in diesem Fall das neue Recht auch dann Anwendung findet, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit auf den Pandemiefolgen beruht.
13
Für die Beurteilung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens ist nach § 19 InsO n. F. grundsätzlich ein fixer Prognosezeitraum
_____________ 23) So im Zusammenhang mit § 139 InsO: LG Bonn, Urt. v. 30.11.2005 – 1 O 324/05, NZI 2006, 110; ähnl. auch Kirchhof/Piekenbrock in: MünchKomm-InsO, § 139 Rz. 15 m. w. N. 24) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 5. 25) Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO; vgl. auch Kern in: MünchKomm-InsO, § 270 Rz. 25. 26) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 5.
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§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
von 12 Monaten, statt des bisher als „mittelfristig“27) eingeordneten Zeitraums von ein bis zwei Jahren zugrunde zu legen.28) Der Prognosezeitraum wurde infolge der langjährigen Diskussion um die Abgrenzung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung im Wege des SanInsFoG angepasst und im gleichen Atemzug derjenige für die drohende Zahlungsunfähigkeit auf 24 Monate festgelegt.29) Bei der Prüfung des Vorliegens einer Überschuldung im zeitlichen Anwendungsbereich des § 5 SanInsKG ist anstatt des Prognosezeitraums nach der Neufassung des § 19 InsO von 12 Wochen der durch § 4 SanInsKG n. F. abweichende angeordnete Prognosezeitraum von 4 Monaten zugrunde zu legen. Die verbleibenden Überschneidungen zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung führen vor dem Hintergrund, dass die Anwendung von § 5 SanInsKG bei Vorliegen von „nur“ drohender Zahlungsunfähigkeit nicht in Betracht kommt dazu, dass der Eigenverwaltungsantrag zwingend detaillierte Ausführungen zum Vorliegen einer Überschuldung enthalten musste.30)
14
Die eingetretene Insolvenzreife muss nach § 5 Abs. 1 SanInsKG auf die COVID19-Pandemie zurückzuführen sein. Im Wesentlichen dürften hierbei dieselben Grundsätze gelten, wie im Rahmen des § 1 Abs. 1 Satz 2 SanInsKG.31) Bei den in Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 aufgeführten und zugunsten der betroffenen Schuldner wirkenden Umständen handelt es sich um – insoweit abschließende – Definitionen.32) Das Vorliegen der die jeweilige Vermutungswirkung auslösenden Umstände führt dazu, dass das Tatbestandsmerkmal der Pandemiebedingtheit aus § 5 Abs. 1 SanInsKG a. E. ex lege als erfüllt gilt. Aufgrund der mannigfaltigen mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen des Pandemiegeschehens und der entsprechenden regulatorischen Reaktionen auf sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, erscheint die Definition bestimmter Kausalitätserfordernisse allein auf einer abstrakten Ebene wenig zweckmäßig. Daher hat der Gesetzgeber außerhalb der o. g. Tatbestände in Absatz 2 Satz 2 eine Öffnungsklausel vorgesehen. Auf deren Grundlage blieb es bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen aus Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 letztlich einer Einzelfallbeurteilung des mit einem Eigenverwaltungsantrag befassten Gerichts benommen, die im Rahmen des Eigenverwaltungsantrags vorgebrachten Kausalzusammenhänge zwischen dem Pandemiegeschehen und der Insolvenzreife auf ihre Schlüssigkeit hin zu bewerten und auf dieser Grundlage eine Entscheidung zu treffen. Den Insolvenzgerichten wurde
15
_____________ 27) BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382; OLG Köln, Urt. v. 16.3.2017 – 18 U 226/13, MDR 2019, 111. 28) AG Hamburg, Beschl. v. 2.12.2011 – 67 c IN 421/11, NZI 2012, 85; Uhlenbruck-Mock, InsO, § 19 Rz. 224; allgemein stets „das laufende und das kommende Geschäftsjahr“. 29) Dazu Piekenbrock, NZI-Beilage 2021, 82, 83; Gehrlein, GmbHR 2021, 183, 186 ff. 30) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 7. 31) Trotz des dort geringfügig abweichenden Wortlauts „Beruhen der Insolvenzreife auf den Folgen…“), vgl. dazu oben unter § 1 Rz. 25 ff. [Fritz]; Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 453. 32) A. A. Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 453 f.; Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 21 ff. Die Formulierung „gilt als“ stellt hier lediglich ein vom Gesetzgeber verwendetes Stilmittel im Rahmen einer Definition dar – das der Metanormativität. Die Formulierung ist, entgegen verbreiteter Auffassung, für sich noch kein hinreichendes Merkmal für Fiktionalität, vgl. Albrecht, S. 212 ff., 215.
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damit ein die normativen Definitionen ergänzender Beurteilungsspielraum eingeräumt und somit die im Kontext der komplexen Pandemiesituation notwendige Flexibilität bei der Rechtsanwendung gewährleistet. III. Vermutung der Pandemiebedingtheit der Insolvenzreife 16
Die Absätze 2 und 3 erläutern die verschiedenen Möglichkeiten eines Nachweises des Umstandes, dass die Insolvenzreife des antragstellenden Schuldners auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht. Gelingt der Nachweis, wird zugunsten des Schuldners unwiderleglich vermutet, dass die Insolvenzreife auf die COVID19-Pandemie zurückzuführen ist.33) Die eine Möglichkeit des Nachweises liegt dabei in der Vorlage einer von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellten Bescheinigung, die das kumulative Vorliegen der in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 vorgeschriebenen Sachverhalte attestiert (Absatz 2). Die andere Möglichkeit liegt in der Abgabe einer Erklärung zu fälligen und unbestrittenen Verbindlichkeiten durch den Schuldner (Absatz 3).
17
Die in Absatz 2 Satz 1 definierten Sachverhalte geben einerseits dem Schuldner und dessen Beratern gewisse Themenkomplexe vor, entlang derer der Eigenverwaltungsantrag ausgearbeitet werden konnte und zu denen sich entsprechend deutliche Ausführungen empfahlen, wenn sich auf die Regelung des § 5 SanInsKG gestützt werden sollte. Andererseits entlasteten sie auch die Insolvenzgerichte, da die Richter eine dezidierte Einzelfallbeurteilung bei der Frage nach der Kausalität der COVID-19-Pandemie für die Insolvenzreife des Schuldners nicht vornehmen mussten, wenn die Voraussetzungen des Eingreifens der Vermutung der Pandemiebedingtheit nach Maßgabe der Definitionen schlüssig und substantiiert vorgebracht wurde. Auch im Geltungsbereich des § 5 SanInsKG erforderte ein aussichtsreicher Eigenverwaltungsantrag daher ein gewisses Maß an Vorbereitung. Je strukturierter und aussagekräftiger die Voraussetzungen den Abs. 2 und 3 im Rahmen des Antrags dargestellt wurden, desto eher hat das Gericht im Ergebnis die Ausarbeitung einer Eigenverwaltungsplanung nach § 270a InsO n. F. auf Grundlage von § 5 SanInsKG als entbehrlich erachten können. 1.
18
Vorlage einer Expertenbescheinigung (Abs. 2)
Nach Absatz 2 Satz 1 gilt die Insolvenzreife als auf die COVID-19-Pandemie zurückführbar, wenn der Schuldner eine von einem in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellte Bescheinigung vorlegt, aus der sich ergibt, dass der Schuldner am 31.12.2019 weder zahlungsunfähig noch überschuldet war (Nr. 1), er in dem letzten vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat (Nr. 2) und der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30% eingebrochen ist.
_____________ 33) Seagon, NZI-Beilage 2021, 12, 13.
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Daneben eröffnet Absatz 2 Satz 2 die Möglichkeit weitere Besonderheiten und Umstände in die Bescheinigung nach Absatz 2 Satz 1 einzubeziehen, welche gleichsam darauf schließen lassen, dass die Insolvenzreife auf die COVID-19-Pandemie zurückführbar ist auch wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 nicht oder nicht vollständig vorliegen.
19
a) Ausstellung durch eine in Insolvenzsachen erfahrene Person Die Bescheinigung nach Absatz 2 musste durch einen in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation ausgestellt werden. Diese Aufzählung entspricht der des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO n. F.34) Der Gesetzgeber knüpft in Ergänzung zu der Zugehörigkeit zu einem der einschlägigen Kammerberufe vor allem an die Erfahrung des Ausstellers in Insolvenzsachen an. Das folgt daraus, dass eine einschlägige Erfahrung in Restrukturierungsprozessen sogar von solchem Gewicht sein kann, dass sie zur Annahme einer „vergleichbaren Qualifikation“ führt und damit losgelöst von der Berufsträgereigenschaft zu einer Ausstellungsberechtigung im Rahmen des § 5 SanInsKG führen konnte. Daraus folgt, dass auch für die einschlägigen Berufsträger das Hauptaugenmerk auf die entsprechende Erfahrung zu legen war,35) welche u. U. auch nachzuweisen war. Die Forderung, dass Rechtsanwälte Fachanwalt für Insolvenzrecht sein müssen oder zumindest in einem Verfahren als Verwalter bestellt worden sind, scheint überzogen und nicht sachgerecht.36)
20
Dass im Rahmen der Bescheinigung nach § 5 Abs. 2 SanInsKG von der Bescheinigung im Rahmen des § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO n. F. abweichende, niedrigere Anforderungen an die Person des Ausstellers zu fordern seien, wird – insoweit nachvollziehbar – damit begründet, dass bei § 5 SanInsKG eine Beurteilung der Sanierungsaussichten gerade nicht erforderlich sei und die im Hinblick auf Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 und Satz 2 zu beantwortenden Fragen kein spezifischer Insolvenzbezug gegeben sei.37) Gleichwohl erscheint eine weitere Differenzierung in diesem Sinne vor dem Hintergrund, dass § 5 SanInsKG lediglich eine Übergangsregelung mit einem überschaubaren zeitlichen Geltungsbereich darstellt nicht zwingend. Ohnehin bedarf es für die erfolgreiche Durchführung einer Sanierung in Eigenverwaltung in aller Regel sachkundige Unterstützung durch eine auch in insolvenzspezifischen Fragen erfahrene Person. Bereits aus Praktikabilitätsgründen dürfte es sich daher anbieten, dass die Bescheinigung nach § 5 Abs. 2 und 3 SanInsKG
21
_____________ 34) Auf die hierzu und zu § 270b InsO a. F. entwickelten Grundsätze wird verwiesen; ausführliche Darstellungen etwa bei: Ellers/Martini in: BeckOK-InsO, § 270d Rz. 35 ff.; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 18 ff. 35) Ellers/Martini in: BeckOK-InsO, § 270d Rz. 38 („mehrjährige praktische Tätigkeit in Unternehmenssanierungen“); Jeweils zum insoweit vergleichbaren § 270b InsO a. F.: Zipperer/ Vallender, NZI 2012, 729, 730; Reinhardt/Lambrecht, Stbg 2014, 71, 73 f. 36) So aber Küber/Prütting/Bork-Prütting, COVInsAG, § 5 Rz. 4. Diese überaus formalistische Auffassung würde dazu führen, dass ein erheblicher Teil der anerkannten Restrukturierungs- und Sanierungsexperten als Aussteller nicht in Frage kommen, allein weil sie aufgrund der Nichterfüllung der (tradierten) Anforderungen aus § 5 Satz 1 g) FAO keinen Fachanwaltstitel besitzen. 37) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 17.
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durch diejenige Person ausgestellt wird, welche den Insolvenzantrag auch im Übrigen vorbereitet und die Sanierung letztlich auch beratend begleitet. 22
Die Unabhängigkeit des Ausstellers von dem schuldnerischen Unternehmen ist nicht erforderlich, wohl aber seine Unvoreingenommenheit – wobei es hier auf eine Einzelfallbetrachtung ankam.38) b) Inhalt der Bescheinigung
23
Um die Vermutungswirkung der Pandemiebedingtheit der Insolvenzreife auszulösen, musste die Expertenbescheinigung grundsätzlich das kumulative Vorliegen der folgenden Umstände attestieren. aa) Keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zum 31. Dezember 2020 (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1)
24
Das antragstellende Unternehmen darf zum Stichtag des 31.12.2020 nicht insolvenzreif, d. h. nicht zahlungsunfähig oder überschuldet gewesen sein. Der Aussteller der Bescheinigung hatte ex post eine ordnungsgemäße und vollständige Prüfung des Vorliegens der Insolvenzgründe zu erstellen. Dabei konnte u. U. auf den Jahresabschluss nebst Prüfungsbericht zurückgegriffen werden.39) Für die Beurteilung der Insolvenzreife sind die Insolvenzgründe in ihrer vor dem 1.1.2021 geltenden Fassung maßgeblich – § 19 InsO n. F. und § 4 SanInsKG n. F. greifen in diesem Zusammenhang nicht. Bei der Prüfung der Fortbestehensprognose zu dem in der Vergangenheit liegenden Stichtag des 31.12.2020 hatte der Aussteller der Bescheinigung zu beachten, dass der integrierten Finanzplanung die zwischen Stichtag und Prüfungszeitpunkt tatsächlich erstellte Finanzbuchhaltung zugrunde zu legen war. Eine fiktive Finanzplanung aus ex ante Sicht verbot sich, denn stellt sich bei der Prüfung heraus, dass aufgrund der tatsächlichen Zahlen eine fehlende Fortbestehensprognose zum Stichtag zu attestieren war, konnte diese nicht gleichwohl mit dem Argument als gegeben attestiert werden, die Geschäftsleitung habe seinerzeit andere Zahlen prognostiziert. Prognostische Elemente sind bei der Finanzplanung nur insoweit zulässig, wie sie sich auf den Zeitraum nach dem Prüfungszeitpunkt beziehen. bb) Positives Ergebnis im letztenGeschäftsjahr (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2)
25
Ferner hatte der Aussteller der Bescheinigung zu attestieren, dass der Schuldner im letzten vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat.
26
Kam es in der vorangegangenen Bilanzperiode zu einem Wechsel des Geschäftsjahres war das entsprechende Rumpfgeschäftsjahr und vor allem, wenn dieses kürzer als sechs Monate ist, ergänzend das Ergebnis aus dem diesem vorangegangenen Geschäftsjahr zu berücksichtigen.
_____________ 38) Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 20; Reinhardt/Lambrecht, Stbg 2014, 71, 74 m. w. N. zum Streitstand. 39) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 11.1.
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Das „positive Ergebnis“ ist im Sinne des ordentlichen Betriebsergebnisses zu verstehen und beinhaltet regelmäßig Umsatzerlöse, Aufwendungen der Leistungserstellung- und Erbringung sowie sonstige betriebliche Erträge und Aufwendungen. Außer Betracht bleiben damit betriebsfremde Komponenten wie Beteiligungserträge, Zinserträge-/aufwand sowie Erträge und Abschreibungen auf Wertpapiere. Ebenfalls bleiben außerordentliche Erträge und Aufwendungen, welche in dem maßgeblichen Geschäftsjahr realisiert bzw. getätigt worden sind und welche nicht mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit verbunden sind außer Betracht (Bspw.: Verkauf einer relevanten Beteiligung an einem anderen Unternehmen, Aufwendungen aufgrund von Naturkatastrophen, Restrukturierungskosten). Inwieweit bestimmte ergebniswirksame Effekte mit der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit verbunden sind, war im Einzelfall anhand des konkreten Geschäftsmodells des Schuldners zu eruieren.
27
cc) Umsatzrückgang um mindestens 30% (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) Zusätzlich hatte der Aussteller der Bescheinigung zu attestieren, dass der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 % eingebrochen ist. Maßgeblich sind die Umsatzerlöse. Das Abstellen auf das Kalenderjahr gegenüber dem Geschäftsjahr soll die notwendige Rückbindung des Umsatzeinbruchs an das akute Pandemiegeschehen sicherstellen und eventuelle Negativeffekte neutralisieren, welche – je nach Ausgestaltung – zwar noch im gleichen Geschäftsjahr, jedoch im vorangegangenen Kalenderjahr 2019 liegen, da diese evidenterweise nicht auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind.
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dd) Berücksichtigung sonstiger Umstände oder Verhältnisse (Abs. 2 Satz 2) Vielfach sind Konstellationen denkbar, in denen die Voraussetzungen von Satz 1 Nr. 2 und 3 nicht oder nicht vollständig vorliegen. Etwa kann es sein, dass Unternehmen ihre Umsatzerlöse im Kalenderjahr 2020 stabil halten oder sogar steigern konnten, gleichwohl aber etwa aufgrund gestörter Lieferketten mit drastisch steigenden Kosten zu rechnen hatten, welche zu einem negativen Ergebnis geführt haben. Für derartige Fälle hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG eine Auffangregelung vorgesehen. In Ergänzung zu den in Absatz 1 Satz 2 definierten Sachverhalten kann das im einem Eigenverwaltungsantrag befasste Gericht im Rahmen einer Einzelfallentscheidung Besonderheiten berücksichtigen, die im Schuldner oder dessen Branche begründet sind oder sonstige Umstände oder Verhältnisse, aufgrund derer dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Insolvenzreife auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist.
29
Im Gegensatz zu den in Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 definierten Voraussetzungen für die unwiderlegliche Vermutung, dass die Insolvenzreife auf die COVID-19Pandemie zurückzuführen ist, enthält Absatz 2 Satz 2 keine Tatbestandsmerkmale, deren Vorliegen schlicht bejaht oder verneint werden könnten, sondern vielmehr „weiche“ Kriterien, entlang derer eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall zu treffen ist. Die Kriterien aus Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 entfallen mithin faktisch
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als zwingende Voraussetzungen für das Auslösen der Vermutungswirkung.40) Denn solange das mit dem Antrag befasste Gericht zu dem Schluss kommt, dass Aufgrund der in Absatz 2 Satz 2 erwähnten – und vom Schuldner schlüssig vorgetragenen – sonstigen Kriterien eine Pandemiebedingtheit der Insolvenzreife anzunehmen ist, bleibt daneben nur noch nach das Nichtvorliegen der Insolvenzreife zum 31.12.2019 als zwingender Inhalt der Bescheinigung (Teilbescheinigung).41) 31
Der Anwendungsbereich des § 5 SanInsKG wird durch diese Regelung ganz erheblich erweitert und seine Anwendung zu weiten Teilen in das Ermessen der Insolvenzgerichte gestellt. Die sich richtigerweise stellende Frage nach dem Grad des zu fordernden Verursachungsbeitrags42) des jeweiligen mittelbaren und unmittelbaren Pandemieeffekts auf den Eintritt der Insolvenzreife wird auf abstrakter Ebene kaum zufriedenstellend zu beantworten sein. Insoweit ist darauf zu vertrauen, dass die Insolvenzgerichte in denjenigen Einzelfällen, in denen der Eigenverwaltungsantrag lediglich auf eine Teilbescheinigung nach Absatz 2 Satz 2 gestützt wird, eine wohlbegründete und sachgerechte Beurteilung treffen werden. Nicht zu verkennen ist schließlich, dass die Anordnung der Eigenverwaltung auch bei Anwendung der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassungen der §§ 270 – 285 InsO nicht lediglich die Vorlage einer hinreichenden (Teil-)Bescheinigung nach § 5 Abs. 2 SanInsKG voraussetzt, sondern auch im Übrigen die Voraussetzungen an die Anordnung der Eigenverwaltung, insbesondere die Abwesenheit von Nachteilen für die Gläubiger (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.), erfüllt sein müssen. Die Praxis zeigt, dass die Insolvenzgerichte in den letzten Jahren durchaus in der Lage waren, potentielle Nachteile für die Gläubigerschaft zuverlässig zu erkennen und im Zweifel die Anordnung der Eigenverwaltung zu versagen oder diese wieder aufzuheben.43) 2.
Ergänzende Erklärung zu fälligen Verbindlichkeiten (Abs. 3)
32
Nach Absatz 3 gilt die Vermutung der Pandemiebedingtheit der Insolvenzreife zugunsten des Schuldners auch dann, wenn dieser zwar keine Expertenbescheinigung nach Absatz 2 vorgelegt hat oder diese unzureichend ist, er allerdings eine ergänzende Erklärung darüber abgibt, dass im Zeitpunkt des Antrags keine Verbindlichkeiten bestehen, die am 31.12.2019 bereits fällig und noch nicht bestritten waren (Satz 1). Die grundsätzlich mit jedem Insolvenzantrag abzugebenden Erklärung zur Vollständigkeit und Richtigkeit der in diesem gemachten Angaben (§ 13 Abs. 1 Satz 7 InsO) muss sich auch auf diese Angaben zu den fälligen und unbestrittenen Verbindlichkeiten beziehen (Satz 2).
33
Absatz 3 enthält eine selbständig definierte unwiderlegliche Vermutung, die nicht kumulativ das Vorliegen einer Bescheinigung nach Absatz 2 voraussetzt. Das bedeutet auch, dass aufgrund dessen die Anordnung der Eigenverwaltung unter Geltung des alten Rechts selbst dann zulässig ist, wenn der Schuldner entgegen Absatz 2 Satz 1 _____________ 40) 41) 42) 43)
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„Erlaubte Abweichungen vom Regelinhalt“, Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 15.1. Nach Küber/Prütting/Bork-Prütting, COVInsAG, § 5 Rz. 5. Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 15.1. AG Köln, Beschl. v. 9.2.2017 – 72 IN 496/16, ZInsO 2017, 510 = ZVI 2017, 157; AG Köln, Beschl. v. 15.12.2014 – 74 IN 152/12, NZI 2015, 282; AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566; AG Essen, Beschl. v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, NZI 2015, 931.
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Nr. 1 zum 31.12.2019 zahlungsunfähig oder überschuldet war. Wurde diese Insolvenzreife zwischenzeitlich beseitigt, ist sie sodann aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erneut eingetreten und bestehen im Zeitpunkt des nunmehr gestellten Eigenverwaltungsantrages keine Verbindlichkeiten, die am 31.12.2019 bereits fällig und unbestritten waren, so kann die Eigenverwaltung dennoch nach Maßgabe des alten Rechts angeordnet werden.44) Die formellen und genauen inhaltlichen Anforderungen an die Darlegung nach Absatz 3 regelt dieser nicht. Erklärt der Schuldner den Umstand, dass keine Verbindlichkeiten bestehen, die zum Stichtag bereits fällig und unbestritten waren und substantiiert diese Erklärung mit einer Darstellung aller zum Stichtag fälligen Verbindlichkeiten und mit Belegen zur Begleichung dieser Verbindlichkeiten im Zeitraum bis zur Antragstellung, sollte dies den Anforderungen des Absatz 3 genügen.45) Bei noch offenen fälligen Verbindlichkeiten ist der Grund des Bestreitens kurz auszuführen und der Zeitpunkt des Bestreitens zu belegen (etwa durch Kopien entsprechender E-Mails).
34
Die Erklärung nach § 13 Abs. 1 Nr. 7 InsO muss sich auf die Angaben nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SanInsKG beziehen. Der Schuldner hat zu erklären, dass die gemachten Angaben richtig und vollständig sind.
35
IV. Handlungsmöglichkeiten der Gerichte; Ermessensspielraum (Abs. 4) Für den Fall, dass das Gericht nachträglich Kenntnis davon erlangt, dass die Insolvenzreife des Unternehmens nicht auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, deutet dies nach der Wertung des Gesetzgebers auf ein erhörtes Risiko des Scheiterns der Eigenverwaltung hin. Das Gericht kann daher von Amts wegen nach Maßgabe des Absatzes 4 anstelle des vorläufigen Sachwalters einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen (Nr. 1) und damit die Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens einleiten. Ferner kann das Gericht ein bereits nach § 270b Abs. 1 InsO a. F. angeordnetes Schutzschirmverfahren wieder aufheben (Nr. 2) oder die Anordnung der Eigenverwaltung als solche aufheben (Nr. 3) mit der Folge, dass das Verfahren als Regelinsolvenzverfahren fortgesetzt wird. Das Risiko einer Aufhebung sollte daher von Beratern zum Anlass genommen werden, dass die Prüfung der Krisenursachen und des Vorliegens der Insolvenzreife mit gesteigerter Sorgfalt zu prüfen ist.
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Die (positive) Kenntnis des Gerichts von dem fehlenden Pandemiebezug der Insolvenzreife führt zu einem nachträglichen Wegfall der Vermutungswirkung nach Absatz 2 oder 3.46) Die Kenntnis kann sich insbesondere aus entsprechenden Mitteilungen des Sachwalters ergeben. Dieser hat nach § 274 Abs. 2 InsO a. F. die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und ist gegenüber dem Gericht zur Anzeige solcher Umstände verpflichtet, die bei einer Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen können (§ 274 Abs. 3 Satz 1 InsO a. F.). Ein solcher Umstand kann auch die fehlende Rückführbarkeit der Insolvenz-
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_____________ 44) Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 453. 45) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 26. 46) Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 454.
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§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
reife auf das Pandemiegeschehen sein, denn erschleicht sich der Schuldner aufgrund unzutreffender Angaben zum Pandemiebezug den vereinfachten Zugang zur Eigenverwaltung nach § 5 SanInsKG, erlaubt dies den Schluss auf berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Schuldners.47) Erlangt das Gericht keine positive Kenntnis von einem fehlenden Pandemiebezug, sondern erfährt es von Umständen die bloß ein dahingehendes Verdachtsmoment begründen, hat das Gericht dem von Amts wegen nachzugehen.48) Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass bereits von Anfang an der Amtsermittlungsgrundsatz dahingehend gilt, dass das Gericht proaktiv Umstände zu ermitteln hat, welche den fehlenden Pandemiebezug begründen könnten. 38
Die Befugnisse des Absatz 4 treten neben die regulären Aufhebungsgründe nach § 272 InsO49) („auch aus diesem Grund“) und räumen dem Insolvenzgericht einen Ermessensspielraum ein („kann“).50) Ergeben sich im Einzelfall Umstände, die insbesondere mit Blick auf das Gläubigerinteresse ein Aufrechterhalten der Anordnung der Eigenverwaltung rechtfertigen, steht es dem Gericht frei von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.51) Daraus folgt auch, dass das Gericht dem Schuldner grundsätzlich auch den Zugang nach den Vorschriften der §§ 270 – 285 InsO n. F. ermöglichen kann, etwa wenn dieser binnen einer angemessenen Frist von nicht mehr als 20 Tagen eine den Anforderungen des § 270a InsO n. F. entsprechende Eigenverwaltungsplanung nachreicht.52) V. Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (Abs. 5)
39
Nach Absatz 5 kann das Gericht nach seinem Ermessen einen Zustimmungsvorbehalt anordnen. Verfügungen des Schuldners über seine Vermögenswerte bedürfen sodann der Zustimmung des vorläufigen Sachwalters oder des vorläufigen Gläubigerausschusses. Eine Ermessensreduktion auf Null ist anzunehmen, wenn die Eigenverwaltung schuldnerseitig nicht durch sachkundige Berater begleitet wird, die für
_____________ 47) Im Gegensatz zu den Fällen von § 272 InsO a. F. kann eine Aufhebung hier von Amts wegen nur nicht bloß auf Antrag erfolgen. Das nachträgliche Bekanntwerden von Gründen, welche die anfängliche Nichtanordnung der Eigenverwaltung unter Berufung auf mögliche Nachteile für die Gläubiger gerechtfertigt hätten, können ebenso die Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 5 Abs. 4 SanInsKG begründen. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO n. F. 48) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 32. Das Gericht kann dabei auf Wissen zurückgreifen, was es etwa auf anderen Verfahren des Schuldners, im Zusammenhang mit Vollstreckungsmaßnahmen, aus der Tagespresse oder aus Schutzschriften erlangt hat, vgl. Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270 Rz. 52. 49) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 31. 50) Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 16. 51) Ders., a. a. O, Rz. 34. 52) So Morgen/Arends, ZIP 2021, 447, 454, die diese Möglichkeit auf eine analoge Anwendung des § 270b Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 InsO n. F. stützen. Für diese Möglichkeit spricht vor allem, dass es im Ergebnis nicht zulasten der Gläubiger gehen darf, dass der Schuldner sich den vereinfachten Zugang zur Eigenverwaltung erschleichen wollte, soweit das Unternehmen dem Grunde nach sanierungsfähig ist und eine Sanierung mittels der ESUGVerfahren günstigere Befriedigungsaussichten für die Gläubiger verspricht.
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Fritz/Canpolat
§ 5 SanInsKG
Anwendung bisherigen Rechts
die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Pflichten durch den Schuldner Sorge tragen.53) Der Vorschrift kommt im Wesentlichen deklaratorische Natur zu, denn die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts ist ohnehin grundsätzlich möglich, wie sich auch aus § 270 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 InsO a. F. ergibt. VI. Maßstab für die Bewertung möglicher Nachteile für die Gläubiger (Abs. 6) Die Anordnung der Eigenverwaltung setzt nach § 270 Abs. 1 Nr. 2 InsO a. F. eine negative Nachteilsprognose voraus.54) Absatz 6 bestimmt, dass die Annahme von Nachteilen für die Gläubiger bei Anordnung der Eigenverwaltung nicht ausschließlich darauf gestützt werden kann, dass der Schuldner keine Vorkehrungen zur Sicherstellung seiner Fähigkeit zur Erfüllung insolvenzrechtlicher Pflichten getroffen hat. Den aus einem solchen Umstand folgenden Risiken für die Gläubiger soll vorrangig mit der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach Absatz 5 begegnet werden, statt die Eigenverwaltung vollständig zu versagen.55) Dies spricht ebenfalls für die durchaus großzügige Gewährung des Zugangs zur Eigenverwaltung für pandemiebetroffene Unternehmen, welche in der gesamten Vorschrift des § 5 SanInsKG zu erkennen ist.
40
VII. Anwendbarkeit der bisherigen Vergütungsvorschriften (Abs. 7) Durch Art. 6 SanInsFoG wurde die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) angepasst. Nach § 19 Abs. 5 InsVV gelten für Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt wurden, die bis zum 31.12.2020 geltenden Vorschriften der InsVV. § 5 Abs. 7 SanInsKG bestimmt als logische Konsequenz der Anwendbarkeit der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassungen der §§ 270 – 285 InsO, dass soweit die Eigenverwaltung auf Grundlage des § 5 SanInsKG angeordnet (Satz 1) oder später wieder aufgehoben (Satz 2) wird, die InsVV in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung Anwendung findet.
_____________ 53) Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 16; Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 5 Rz. 37. 54) Vgl. Fn. 13 und 14. 55) Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 16.
Fritz/Canpolat
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41
§6 Erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren Fritz/Canpolat
Die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners steht der Anwendung des § 270b der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung bei einem zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 gestellten Insolvenzantrag nicht entgegen, wenn in der Bescheinigung nach § 270b Absatz 1 Satz 3 der Insolvenzordnung in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung auch bestätigt wird, dass 1.
der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war,
2.
der Schuldner in dem letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und
3.
der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn die nach Satz 1 Nummer 2 und 3 zu bescheinigenden Voraussetzungen zwar nicht oder nicht vollständig vorliegen, aus der Bescheinigung jedoch hervorgeht, dass aufgrund von Besonderheiten, die im Schuldner oder in der Branche, der er angehört, begründet sind oder aufgrund sonstiger Umstände oder Verhältnisse, dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Zahlungsunfähigkeit auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. § 5 Absatz 7 gilt entsprechend. Literatur: Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand 15.4.2023; Hölzle, Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren nach ESUG – Herausforderungen für die Praxis, ZIP 2012, 158; Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, Loseblatt, Stand 03/2023; von Loeffelholz/Sanne, Die Bescheinigung nach § 270b InsO, NZI 2015, 583; Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., 2019; Reinhardt/Lambrecht, Die Bescheinigung nach § 270b InsO als Schlüssel für das Schutzschirmverfahren, Stbg 2014, 71; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl., 2019; Zipperer/Vallender, Die Anforderungen an die Bescheinigung für das Schutzschirmverfahren, NZI 2012, 729. Übersicht I. Allgemeines und Normzweck ............ 1 II. Zugang zum Schutzschirmverfahren (Satz 1) ................................. 4
I.
III. Berücksichtigung sonstiger Umstände oder Verhältnisse (Satz 2) ................................................. 10 IV. Vergütung der Verfahrensbeteiligten ........................................... 11
Allgemeines und Normzweck1)
§ 6 SanInsKG regelt ergänzend zu § 5 SanInsKG den erleichterten Zugang zum Schutzschirmverfahren für solche Unternehmen, die besonders von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffen waren. § 5 SanInsKG regelt dabei allgemeiner den Zugang zur Eigenverwaltung und ist damit stets in Zusammenschau _____________ 1)
Der Autor Canpolat dankt Herrn RA Lorenz Scholtis für die Übergabe seiner Kommentierung zu den Paragraphen §§ 5 – 7 COVInsAG in der Vorauflage.
Fritz/Canpolat
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1
§ 6 SanInsKG
Erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren
mit § 6 SanInsKG zu lesen (auf die obige Kommentierung zu § 5 SanInsKG [Fritz/ Canpolat] wird umfassend verwiesen). § 6 SanInsKG bestimmt, dass soweit nach Maßgabe des § 5 SanInsKG die §§ 270 – 285 InsO bis ihrer bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung Anwendung finden, die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO a. F. unter bestimmten Voraussetzungen auch dann möglich ist, wenn der Schuldner zahlungsunfähig (§ 17 InsO) ist. § 6 Satz 1 SanInsKG normiert damit eine durch § 5 Abs. 1 SanInsKG zugelassene2) Abweichung von der dortigen umfassenden Verweisung auf die alten Fassungen der §§ 270 – 285 InsO. Denn nach § 270b Abs. 1 InsO a. F. ist die Anordnung des Schutzschirmverfahrens gerade nur dann zulässig, wenn der Schuldner drohend zahlungsunfähig (§ 18 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO), nicht aber wenn er zahlungsunfähig ist. 2
Die Regelungen in §§ 5 und 6 SanInsKG sind erst auf Initiative des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag3) kurzfristig in das SanInsFoG4) aufgenommen worden. Der Gesetzesentwurf5) enthielt bereits eine Regelung, die den vereinfachten Zugang zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren für pandemiebetroffene Unternehmen ermöglichen sollte. Dabei sollte nach § 5 Satz 1 RegE jedoch die Neufassung des § 270b InsO, nunmehr § 270d InsO n. F., mit der Maßgabe auf das Schutzschirmverfahren Anwendung finden, dass der Zugang auch zahlungsunfähigen Schuldnern eröffnet ist. Letztlich wurde jedoch die Entscheidung getroffen, den Zugang zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren mittels einer umfassenden Fortgeltung der §§ 270 – 285 InsO a. F. umzusetzen. § 6 SanInsKG basiert insoweit jedoch auf § 5 Satz 1 RegE.6)
3
Wie bei § 5 SanInsKG, ist die Intention des § 6 SanInsKG die Privilegierung derjenigen Schuldner, die aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie unverschuldet insolvenzreif – insbesondere zahlungsunfähig – geworden sind. Besonders in Bezug auf die von den Infektionsschutzmaßnahmen unmittelbar am gewichtigsten getroffenen Branchen (Veranstaltungsbranche und Messebau, Gastronomie, Reiseveranstalter, Hotelgewerbe, Einzelhandel) wird angenommen, dass diese ohne die Maßnahmen nicht zahlungsunfähig geworden wären.7) Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Umstand der Zahlungsunfähigkeit jedenfalls nicht zwingend auf ein unsachgemäßes Krisenmanagement schließen lässt, welches die Annahme rechtfertigen würde, der Schuldner sei nicht willens oder in der Lage seine Geschäftsführung an den Gläubigerinteressen auszurichten.8) Durch den erleichterten Zugang zu Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren soll auch verhin_____________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
134
„soweit in den folgenden Absätzen und § 6 nichts anderes bestimmt ist“ (§ 5 Abs. 1 SanInsKG), siehe auch § 5 Rz. 5 [Fritz/Canpolat]. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 19/25353; sowie die Beschlussempfehlung des Ausschusses in BT-Drucks. 19/25030. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I, 3256. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 76, 218; Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 19/25353, S. 16. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/25353, S. 16; Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 6 Rz. 1. Küber/Prütting/Bork-Prütting, COVInsAG, § 5 Rz. 2. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, S. 218.
Fritz/Canpolat
Erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren
§ 6 SanInsKG
dert werden, dass den betroffenen Schuldnern ohne ihr Zutun der Weg in die Sanierung in einem Eigenverwaltungsverfahren nach dem ESUG versperrt wird und sie damit – letztlich zulasten der Gläubiger – in die Regelinsolvenz gezwungen werden. II. Zugang zum Schutzschirmverfahren (Satz 1) Die Voraussetzungen des Zugangs zum Schutzschirmverfahren bei eingetretener Zahlungsfähigkeit orientieren sich an §§ 4 und 5 SanInsKG. Der Schuldner muss im Zeitpunkt der Antragstellung zahlungsunfähig sein. Die Vorschrift ist auf Anträge auf Anordnung eines Schutzschirmverfahrens anwendbar, die zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 gestellt wurden.9)
4
Dem Antrag war – wie üblich – eine Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. beizufügen (sog. „Sanierungsbescheinigung“ oder „§ 270b-Bescheinigung“).10) Der Aussteller11) der Bescheinigung musste über deren üblichen Umfang und den Umstand des Vorliegens der Zahlungsunfähigkeit12) hinaus das Vorliegen der in § 6 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SanInsKG enthaltenen Voraussetzungen attestieren:
5
Der Schuldner darf zum Stichtag 31.12.2020 nicht zahlungsunfähig gewesen sein (Satz 1 Nr. 1). Insoweit unterscheidet sich die Vorschrift von den Regelungen in § 5 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG. Das Vorliegen einer Überschuldung ist bereits nach der Grundkonzeption des § 270b Abs. 1 InsO a. F. unschädlich für die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens.
6
Daneben setzt § 6 Satz 1 SanInsKG voraus, dass der Schuldner in dem letzten vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat (Satz 1 Nr. 2). Dabei ist das ordentliche Betriebsergebnis aus Umsatzerlösen, Aufwendungen der Leistungserstellung- und Erbringung sowie sonstigen betrieblichen Erträgen und Aufwendungen maßgeblich.13)
7
Ferner ist erforderlich, dass der Umsatz des Schuldners aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.14)
8
_____________ 9) Im Einzelnen dazu siehe § 5 Rz. 9 ff. [Fritz/Canpolat]. 10) Siehe dazu ausführlich etwa: Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270b Rz. 17 ff.; Kern in: MünchKomm-InsO, § 270b Rz. 44 ff.; Reinhardt/Lambrecht, Stbg 2014, 71 ff.; Zipperer/ Vallender, NZI 2012, 729 ff.; von Loeffelholz/Sanne, NZI 2015, 583 ff. jeweils m. w. N; Die Bescheinigung nach § 6 Satz 1 SanInsKG beinhaltet eine vollständige und ordnungsgemäße „§ 270b-Bescheinigung“ und muss damit sämtliche an diese gestellten Anforderungen erfüllen. Dazu gehört auch, dass die Bescheinigung eine umfassende Begründung enthält. 11) Soweit überhaupt davon auszugehen ist, dass an die Person des Ausstellers der Bescheinigung nach § 5 Abs. 2 SanInsKG niedrigere Anforderungen zu stellen sind, als an den Aussteller der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO a. F. (siehe dazu bei § 5 Rz. 21 [Fritz/Canpolat]), ist jedenfalls im Kontext des § 6 Satz 1 SanInsKG vollumfänglich auf die zu § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO entwickelten Anforderungen an den Aussteller zurückzugreifen. Siehe dazu insbesondere die entsprechenden Ausführungen bei Kern (Fn. 9). 12) Ellers in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 6 Rz. 7. 13) § 5 Rz. 25 ff. [Fritz/Canpolat]. 14) § 5 Rz. 28 [Fritz/Canpolat].
Fritz/Canpolat
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§ 6 SanInsKG 9
Erleichterter Zugang zum Schutzschirmverfahren
Legte der Schuldner mit seinem Antrag eine vollständige und von einem geeigneten Aussteller stammende Bescheinigung vor, die diese Kriterien erfüllt, folgt hieraus noch nicht zwangsläufig die Anordnung des Schutzschirmverfahrens. Vielmehr mussten daneben auch die allgemeinen Voraussetzungen nach § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO a. F. vorliegen. Zum einen ist dies der Antrag auf Eigenverwaltung, welcher in aller Regel implizit mit der Beantragung des Schutzschirmverfahrens gestellt wird. Gleichwohl prüft das Gericht im Rahmen der Prüfung des Antrages auf Anordnung des Schutzschirmverfahrens insbesondere auch, ob sich aus der Anordnung der Eigenverwaltung nicht etwaige Nachteile für die Gläubiger ergeben könnten (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a. F.). Zum anderen hat das Gericht zusätzlich eine positive Prognose über die Erfolgsaussichten der angestrebten Sanierung („nicht offensichtlich aussichtslos“) zu treffen.15) III. Berücksichtigung sonstiger Umstände oder Verhältnisse (Satz 2)
10
Der Zugang zum Schutzschirmverfahren kann nach Satz 2 auch dann gewährt werden, wenn die nach Satz 1 Nr. 2 und 3 erforderlichen Voraussetzungen zwar nicht oder nicht vollständig vorliegen, sich aus der Bescheinigung jedoch ergibt, dass aufgrund von Besonderheiten, die im Schuldner oder in der Branche, der er angehört, begründet sind oder aufgrund sonstiger Umstände oder Verhältnisse, dennoch davon ausgegangen werden kann, dass die Zahlungsunfähigkeit auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Dadurch wird den mit dem Antrag befassten Gerichten ein Ermessensspielraum eingeräumt, die Anordnung eines Schutzschirmverfahrens auch dann vorzunehmen, wenn der Aussteller der Bescheinigung nach § 6 Satz 1 SanInsKG die in Nr. 2 und 3 genannten Voraussetzungen nicht oder nicht vollständig attestieren konnte. Die Konzeption des Satz 2 entspricht derjenigen des § 5 Abs. 2 Satz 2 SanInsKG, sodass auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.16) IV. Vergütung der Verfahrensbeteiligten
11
Nach § 6 Satz 3 SanInsKG findet § 5 Abs. 7 SanInsKG entsprechende Anwendung. Daher ist auch auf Schutzschirmverfahren, die zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 beantragt und auf Grundlage der §§ 5, 6 SanInsKG angeordnet wurden die Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung (InsVV) in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung anwendbar. Dies gilt nach § 5 Abs. 7 Satz 2 auch dann, wenn das Verfahren später aufgehoben wird.
_____________ 15) Hölzle, ZIP 2012, 158 ff.; Uhlenbruck-Zipperer, InsO, § 270 Rz. 46; Kern in: MünchKommInsO, § 270 Rz. 43 ff. 16) § 5 Rz. 29, 31 [Fritz/Canpolat].
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Fritz/Canpolat
§7 Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung bei Stützungsmaßnahmen anlässlich der COVID-19-Pandemie Fritz/Canpolat
1
Der Umstand, dass Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen stehen, die im Rahmen von staatlichen Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gewährt wurden, ist für sich allein kein geeignetes Kriterium für die Einbeziehung in den Restrukturierungsplan nach § 8 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes oder die Abgrenzung der Gruppen nach § 9 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes oder § 222 der Insolvenzordnung. 2Staatliche Leistungen im Sinne von Satz 1 sind sämtliche Finanzhilfen einschließlich der Gewährung von Darlehen und die Übernahme einer Bürgschaft, einer Garantie oder eine sonstige Übernahme des Ausfallrisikos bezüglich von Forderungen Dritter, die durch öffentliche Anstalten, Körperschaften oder Rechtsträgern öffentlicher Sondervermögen sowie im Mehrheitsbesitz des Bundes, der Länder oder der Kommunen stehenden Rechtsträger gewährt werden. 3Soweit im Rahmen einer staatlichen Leistung das Ausfallrisiko übernommen worden ist, ist die besicherte Forderung als eine Forderung anzusehen, die nach Satz 1 im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen steht. Literatur: Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Stand 15.4.2023; de Bruyn/Ehmke: „StaRUG & InsO: Sanierungswerkzeuge des Restrukturierungs- und Insolvenzverfahrens“, NZG 2021, 661; Ellers: „COVInsAG 3.0 – Neues zum COVID-Insolvenzrecht“, DB 2021, M20-M21; Kraemer/Vallender/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Stand 8/2021; Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, Loseblatt, Stand 03/2023; Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, Stand 4/2022; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl., 2019. Übersicht I. Hintergrund & Normzweck ............... II. Behandlung staatlicher Leistungen (Satz 1) .............................. 1. Sonderbehandlungsverbot .................... 2. Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung ...................................
I.
1 2 2 3
3.
Differenzierung anhand ergänzender Kriterien .......................................... 4 III. Betroffene Rechtsverhältnisse (Satz 2) ................................................... 6 IV. Übernahme von Ausfallrisiken (Satz 3) ................................................... 8
1)
Hintergrund & Normzweck
§ 7 SanInsKG wurde durch Art. 10 Nr. 3 SanInsFoG zum 1.1.2021 eingefügt.2) Die Aufnahme der neuen Vorschrift erfolgte jedoch nicht bereits mit dem Regierungsentwurf,3) sondern erst auf Initiative des Ausschusses für Recht und Verbraucher-
_____________ 1) 2) 3)
Der Autor Canpolat dankt Herrn RA Lorenz Scholtis für die Übergabe seiner Kommentierung zu den Paragraphen §§ 5 – 7 COVInsAG in der Vorauflage. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BGBl. I 2020, 3256. RegE v. 9.11.2020, BT-Drucks. 19/24181.
Fritz/Canpolat
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1
§ 7 SanInsKG
Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung bei Stützungsmaßnahmen
schutz.4) Der Bericht des Ausschusses führt aus, dass der Umstand, dass im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie viele Unternehmen staatliche Hilfen erhalten haben, die Annahme rechtfertigt, dass in zukünftigen Restrukturierungssachen oder Insolvenzplanverfahren ein erheblicher Teil der Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Stützungsmaßnehmen stehen könnte.5) Die mit den Stützungsmaßnahmen in Verbindung stehenden Gläubiger der öffentlichen Hand sollen in diesen Verfahren jedoch nicht gegenüber anderen Gläubigern sachgrundlos benachteiligt werden. Daher soll durch die Vorschrift die Behandlung solcher Forderungen im Rahmen von künftigen Restrukturierungs- und Insolvenzplänen eingeschränkt werden.6) Insoweit soll die Verstrickung von Forderungen als staatliche Stützungsmaßnahmen als alleiniges Kriterium zur Auswahl der Planbetroffenen nach § 8 StaRUG bzw. zur Gruppenbildung nach § 9 StaRUG bzw. § 222 InsO nicht herangezogen werden können. Private Gläubiger sollen nicht willkürlich auf Kosten öffentlicher Haushalte begünstigt werden, indem für die Forderungen i. S. des § 7 SanInsKG in höherem Maße gekürzt werden.7) II. Behandlung staatlicher Leistungen (Satz 1) 1. 2
2. 3
Sonderbehandlungsverbot
Nach Satz 1 ist der Umstand, dass Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen stehen, die im Rahmen von staatlichen Programmen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie gewährt wurden, ist für sich allein kein geeignetes Kriterium für die Einbeziehung in den Restrukturierungsplan nach § 8 StaRUG oder die Abgrenzung der Gruppen nach § 9 StaRUG oder § 222 InsO. Alle drei in Bezug genommenen Vorschriften sehen vor, dass die Auswahl der Planbetroffenen bzw. die Einteilung der Gruppen anhand sachgerechter Kriterien zu erfolgen hat.8) Die Regelung des § 7 Satz 1 SanInsKG hat Klarstellungsfunktion.9) Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung
Wie sich aus der amtlichen Überschrift ergibt, soll das Verbot der Differenzierung allein auf Grundlage des Zusammenhangs der Forderungen mit staatlichen Leistungen im Ergebnis der Gläubigergleichbehandlung dienen. Im Rahmen eines Restrukturierungsplans erlaubt § 28 Abs. 1 StaRUG grundsätzlich Abweichungen vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung: Die Ungleichbehandlung gleichrangiger Gläubiger unterschiedlicher Klassen ist zulässig, soweit sie das Restrukturierungsziel adäquat fördert und dadurch die Befriedigungsaussichten der Gläubiger verbessert.10) Ferner kann im Wege der Auswahl der Planbetroffenen nach § 8 _____________ 4) Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz v. 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25303, S. 126 f. 5) Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/ 25353, S. 16 f. 6) Fridgen in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 7 Rz. 1; Zipperer in: Kraemer/Vallender/Vogelsang, Rz. 571.16. 7) BT-Drucks. 19/25353, S. 17; Ellers, DB 2021, M20-M21. 8) Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 7 Rz. 5 ff. 9) BT-Drucks. 19/25353, S. 17; Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 7 Rz. 9. 10) de Bruyn/Ehmke, NZG 2021, 661, 670.
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Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung bei Stützungsmaßnahmen
§ 7 SanInsKG
StaRUG und der Gruppenbildung nach § 9 StaRUG selektiv und strategisch vorgegangen werden. Dies gilt auch im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens, wobei die par conditio creditorum nur innerhalb der jeweiligen Gruppe zu gewährleisten ist (§ 226 Abs. 1 InsO).11) 3.
Differenzierung anhand ergänzender Kriterien
Das Sonderbehandlungsverbot des § 7 Satz 1 SanInsKG gilt nicht ausnahmslos, sondern findet vielmehr dort seine Grenzen, wo die Planbetroffenenauswahl und Gruppenbildung in Bezug auf die mit Stützungsmaßnahmen in Zusammenhang stehenden Forderungen anhand sonstiger sachgerechter Kriterien erfolgt.12) Dafür spricht bereits der klare Wortlaut der Vorschrift, wonach lediglich eine Differenzierung allein auf Grundlage des Zusammenhangs der Forderungen mit staatlichen Leistungen unzulässig sein soll. Ferner geht auch die Begründung des Rechtsausschusses insoweit unzweideutig davon aus, dass das die Möglichkeit, sachlich begründet im Einzelfall gesonderte Gruppe für Forderungen im Zusammenhang mit Stützungsmaßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19Pandemie zu bilden und diese anderes zu behandeln als andere Gläubiger, gerade nicht gänzlich ausgeschlossen sein soll.13)
4
Die Begründung des Rechtsausschusses stellt klar, dass es bei der Bestimmung der Planbetroffenen bzw. bei der Gruppenbildung erforderlich ist, etwaige Differenzierungen anhand anerkannter, sachlicher und marktadäquater Kriterien, die an die Besonderheiten der Risikostruktur und der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung anknüpfen, vorzunehmen.14) Die im Zusammenhang mit § 222 InsO entwickelten Grundsätze zu der notwendigen Erläuterung der sachgerechten und unter konkreter Bezugnahme auf den Schuldner und seine Gläubiger darzulegenden Abgrenzungskriterien gelten im Wesentlichen auch für die Gruppenbildung nach § 9 StaRUG. Insbesondere ist zu beachten, dass es regelmäßig gegen eine weitere Differenzierung spricht, wenn die wichtigsten wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Gläubiger gleichartig sind.15) Jedenfalls dann, wenn ausschließlich die von § 7 geschützten Gläubiger der öffentlichen Hand als Planbetroffene ausgewählt werden und diese mithin – ggf. trotz Aufspaltung in mehrere Gruppen – faktisch die einzige Gruppe16) darstellen, wird regelmäßig von einem Verstoß gegen das Verbot der Sonderbehandlung aus § 7 Satz 1 SanInsKG auszugehen sein.17) Einem Restrukturierungsplan auf dieser Grundlage wird – von der geringen Wahrscheinlichkeit einer Annahme des Planes durch die Gläubiger einmal abgesehen – regelmäßig zu attestieren sein, dass dieser als gezielte Entschuldungskampagne18) zulasten der öffentlichen Hand miss-
5
_____________ 11) Uhlenbruck-Luer/Streit, InsO, § 222 Rz. 3 f. 12) Kübler/Prütting/Bork/Jacoby-Spahlinger, InsO, § 222 Rz. 42c; Ellers, DB 2021, M20-M21. 13) BT-Drucks. 19/25353, S. 17; so auch: Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 7 Rz. 12. 14) BT-Drucks. 19/25353, S. 17. 15) Eidenmüller in: MünchKomm-InsO, § 222 Rz. 100 f. 16) Zur Möglichkeit des „faktischen Ein-Gruppen-Plans“: AG Köln, Beschl. v. 3.3.2021 – 83 RES 1/21, NZI 2021, 433 Rz. 23. 17) So wohl auch: Fridgen in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 7 Rz. 8. 18) Fridgen in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 7 Rz. 3.
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§ 7 SanInsKG
Sicherstellung der Gläubigergleichbehandlung bei Stützungsmaßnahmen
braucht werden soll. Im Rahmen von Insolvenzplänen ist dieses Szenario bereits aufgrund der mit dem Insolvenzplanverfahren verbundenen Kosten nur schwer denkbar. III. Betroffene Rechtsverhältnisse (Satz 2) 6
Forderungen im Zusammenhang mit staatlichen Leistungen i. S. des Satz 1 sind ausweislich des Satz 2 sämtliche Finanzhilfen, die durch öffentliche Anstalten, Körperschaften oder Rechtsträger öffentlicher Sondervermögen sowie durch im Mehrheitsbesitz des Bundes, der Länder oder der Kommunen stehende Rechtsträger gewährt wurden. Hierzu gehören insbesondere die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) sowie die Förderbanken der Länder und darüber hinaus auch alle anderen Träger von Wirtschaftsförderungsmaßnahmen.19)
7
In sachlicher Hinsicht erfassen staatlichen Leistungen im Sinne der Vorschrift Darlehen, Bürgschaften, Garantien sowie Forderungen für welche durch die betroffenen Rechtsträger Ausfallrisiken übernommen wurden. Ferner sind Rückforderungen umfasst, soweit diese sich auf zu Unrecht gezahlte Finanzhilfen beziehen oder aus zu Unrecht erhaltenen Vergünstigungen die im Zusammenhang mit Förderprogrammen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie gewährt wurden, herrühren (z. B. Stundung von Steuern und Abgaben sowie von Sozialversicherungsleistungen).20) Vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Norm ist der Anwendungsbereich im Zweifel weit zu verstehen. IV. Übernahme von Ausfallrisiken (Satz 3)
8
Satz 3 hat ebenfalls eine Klarstellungsfunktion.21) Danach erstreckt sich das Verbot der Sonderbehandlung nach Satz 1 auch auf die Forderungen Dritter – wie etwa Banken – wenn und soweit einer der geschützten Rechtsträger für diese Forderungen ein Ausfallrisiko übernommen hat. Dabei ist unerheblich, in welcher rechtlichen Gestaltung die Übernahme des Ausfallrisikos erfolgt ist, sodass Bürgschaften, Garantien, Schuldbeitritte und -übernahmen oder anderweitige Sicherheiten eigener Art umfasst sind.
_____________ 19) BT-Drucks. 19/25353, S. 17. 20) BT-Drucks. 19/25353, S. 17; Nerlich/Römermann-Römermann, COVInsAG, § 7 Rz. 14. 21) BT-Drucks. 19/25353, S. 17; Fridgen in: BeckOK-InsO, SanInsKG, § 7 Rz. 6.
140
Fritz/Canpolat
Teil III Kommentierung sonstiger Krisengesetze
Artikel 2 Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie §1 Aktiengesellschaften; Kommanditgesellschaften auf Aktien; Europäische Gesellschaften (SE); Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit Weber/Sieber
(1) Die Entscheidungen über die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation nach § 118 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes (elektronische Teilnahme), die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation nach § 118 Absatz 2 des Aktiengesetzes (Briefwahl), die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 118 Absatz 3 Satz 2 des Aktiengesetzes und die Zulassung der Bild- und Tonübertragung nach § 118 Absatz 4 des Aktiengesetzes kann der Vorstand der Gesellschaft auch ohne Ermächtigung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung treffen. (2) 1Der Vorstand kann entscheiden, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, sofern 1.
die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt,
2.
die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
3.
den Aktionären ein Fragerecht im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird,
4.
den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach Nummer 2 ausgeübt haben, in Abweichung von § 245 Nummer 1 des Aktiengesetzes unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.
2
Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, wie er Fragen beantwortet; er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. 3 Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären, die nach § 126 oder § 127 des Aktiengesetzes zugänglich zu machen sind, gelten als in der Versammlung gestellt, wenn der den Antrag stellende oder den Wahlvorschlag unterbreitende Aktionär ordnungsgemäß legitimiert und zur Hauptversammlung angemeldet ist. (3) 1Abweichend von § 123 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 5 des Aktiengesetzes kann der Vorstand entscheiden, die Hauptversammlung spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. 2Abweichend von § 123 Absatz 4 Satz 2 des Aktiengesetzes hat sich der Nachweis des Anteilsbesitzes bei börsen-
Weber/Sieber
143
Art. 2 COVAbmildG/§ 1 GesRuaCOVBekG
AG/KGaA/SE/VVaG
notierten Gesellschaften auf den Beginn des zwölften Tages vor der Versammlung zu beziehen und muss bei Inhaberaktien der Gesellschaft an die in der Einberufung hierfür mitgeteilte Adresse bis spätestens am vierten Tag vor der Hauptversammlung zugehen, soweit der Vorstand in der Einberufung der Hauptversammlung keine kürzere Frist für den Zugang des Nachweises bei der Gesellschaft vorsieht; abweichende Satzungsbestimmungen sind unbeachtlich. 3Im Fall der Einberufung mit verkürzter Frist nach Satz 1 hat die Mitteilung nach § 125 Absatz 1 Satz 1 des Aktiengesetzes spätestens zwölf Tage vor der Versammlung und die Mitteilung nach § 125 Absatz 2 des Aktiengesetzes hat an die zu Beginn des zwölften Tages vor der Hauptversammlung im Aktienregister Eingetragenen zu erfolgen. 4Abweichend von § 122 Absatz 2 des Aktiengesetzes müssen Ergänzungsverlangen im vorgenannten Fall mindestens 14 Tage vor der Versammlung der Gesellschaft zugehen. (4) 1Abweichend von § 59 Absatz 1 des Aktiengesetzes kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung durch die Satzung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe von § 59 Absatz 2 des Aktiengesetzes an die Aktionäre zu zahlen. 2Satz 1 gilt entsprechend für eine Abschlagszahlung auf die Ausgleichszahlung (§ 304 des Aktiengesetzes) an außenstehende Aktionäre im Rahmen eines Unternehmensvertrags. (5) Der Vorstand kann entscheiden, dass die Hauptversammlung abweichend von § 175 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes innerhalb des Geschäftsjahres stattfindet. (6) 1Die Entscheidungen des Vorstands nach den Absätzen 1 bis 5 bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. 2Abweichend von § 108 Absatz 4 des Aktiengesetzes kann der Aufsichtsrat den Beschluss über die Zustimmung ungeachtet der Regelungen in der Satzung oder der Geschäftsordnung ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise vornehmen. (7) Die Anfechtung eines Beschlusses der Hauptversammlung kann unbeschadet der Regelung in § 243 Absatz 3 Nummer 1 des Aktiengesetzes auch nicht auf Verletzungen von § 118 Absatz 1 Satz 3 bis 5, Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 4 des Aktiengesetzes, die Verletzung von Formerfordernissen für Mitteilungen nach § 125 des Aktiengesetzes sowie nicht auf eine Verletzung von Absatz 2 gestützt werden, es sei denn, der Gesellschaft ist Vorsatz nachzuweisen. (8) 1Für Unternehmen, die in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien verfasst sind, gelten die vorstehenden Absätze entsprechend. 2Für eine Europäische Gesellschaft nach der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 517/2013 (ABl. L 158 vom 10.6.2013, S. 1) geändert worden ist, gelten die Absätze 1 bis 7 mit Ausnahme des Absatzes 5 entsprechend. 3In einer Gesellschaft nach § 20 des SE-Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3675), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2637) geändert worden ist, (Gesellschaft mit monistischem System) trifft die Entscheidungen
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Weber/Sieber
AG/KGaA/SE/VVaG
Art. 2 COVAbmildG/§ 1 GesRuaCOVBekG
nach den Absätzen 1 bis 4 der Verwaltungsrat; Absatz 6 findet auf eine solche Gesellschaft keine Anwendung. (9) Die Absätze 1 und 2, Absatz 3 Satz 1 und 3 sowie die Absätze 4 bis 7 sind entsprechend auf Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit im Sinne des § 171 des Versicherungsaufsichtsgesetzes anzuwenden. Kommentierung dazu siehe Weber/Sieber, in: Fritz, COVInsAG, 2. Auflage
Weber/Sieber
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§2 Gesellschaften mit beschränkter Haftung Eberspächer
Abweichend von § 48 Absatz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung können Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden. Kommentierung dazu siehe Eberspächer, in: Fritz, COVInsAG, 2. Auflage
Eberspächer
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§3 Genossenschaften Cymutta
(1) 1Abweichend von § 43 Absatz 7 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes können Beschlüsse der Mitglieder auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist oder die Satzung keine Regelungen zu schriftlichen oder elektronischen Beschlussfassungen einschließlich zu virtuellen Versammlungen enthält; die elektronische Beschlussfassung schließt Beschlussfassungen in Gestalt von virtuellen Generalversammlungen ohne physische Präsenz der Mitglieder ein. 2Der Vorstand hat in diesem Fall dafür zu sorgen, dass der Niederschrift gemäß § 47 des Genossenschaftsgesetzes ein Verzeichnis der Mitglieder, die an der Beschlussfassung, auch in Gestalt einer virtuellen Versammlung, mitgewirkt haben, beigefügt ist. 3Bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, ist die Art der Stimmabgabe zu vermerken. 4Die Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung kann unbeschadet der Regelungen in § 51 Absatz 1 und 2 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf technische Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung nach Satz 1 zurückzuführen sind, es sei denn, der Genossenschaft ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. 5Für Vertreterversammlungen im Sinne des § 43a des Genossenschaftsgesetzes gelten die Sätze 1 bis 4 entsprechend; insbesondere sind auch virtuelle Vertreterversammlungen ohne physische Präsenz der Vertreter ohne entsprechende Regelungen in der Satzung zulässig. (2) Abweichend von § 46 Absatz 1 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes kann die Einberufung im Internet auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform erfolgen. (3) Abweichend von § 48 Absatz 1 Satz 1 des Genossenschaftsgesetzes kann die Feststellung des Jahresabschlusses auch durch den Aufsichtsrat erfolgen. (4) Der Vorstand einer Genossenschaft kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats nach pflichtgemäßem Ermessen eine Abschlagszahlung auf eine zu erwartende Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens eines ausgeschiedenen Mitgliedes oder eine an ein Mitglied zu erwartende Dividendenzahlung leisten; § 59 Absatz 2 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. (5) 1Ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt. 2 Die Anzahl der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft darf weniger als die durch Gesetz oder Satzung bestimmte Mindestzahl betragen. (6) Sitzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats einer Genossenschaft sowie gemeinsame Sitzungen des Vorstands und des Aufsichtsrats können auch ohne Grundlage in der Satzung oder in der Geschäftsordnung im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Genossenschaften
Literatur: Beck, Aktuelles zur elektronischen Hauptversammlung, RNotZ 2014, 160; Danwerth, Das Teilnehmerverzeichnis der virtuellen Hauptversammlung, NZG 2020, 586; Dehesselles/Richter, Die virtuelle Mitgliederversammlung in Verbänden, npoR 2016, 246; Engel, Mitgliederversammlungen in Zeiten des Corona-Virus, ZStV 2020, 110; Geschwandtner/Helios, Neues Recht für die eingetragene Genossenschaft, NZG 2006, 691; Gottschalk/Ulmer, Das Gesellschaftsrecht im Bann des Corona-Virus, GWR 2020, 133; Herb/Merkelbach, Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Vorbereitung, Durchführung und rechtliche Gestaltungsoptionen, DStR 2020, 811; Herrler, Praxisfragen rund um die virtuelle Hauptversammlung iSv Art. 2 § 1 II COVID-19-Gesetz, GWR 2020, 191; Hirte, Das neue Genossenschaftsrecht (Teil I), DStR 2007, 2166; Holthaus/Zabel, Neue Formen der General- und Vertreterversammlung einer Genossenschaft, NZG 2022, 1378; Jarchow/Hölken, Das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID19-Pandemie bedingten Insolvenz sowie weitere Maßnahmen des Gesetzgebers und der Bundesregierung zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, ZInsO 2020, 730; Jaspers/Pehrsson, Die virtuelle Haupt- und Mitgliederversammlung im Praxistest, Rechtsprechung zu virtuellen Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen auf Grundlage des COVMG, NZG 2021, 1244; Klein, Statutarische Gestaltungsvarianten zur Form der Beschlussfassung einer Vertreter- bzw. Generalversammlung einer Genossenschaft, ZIP 2016, 1155; Kopp, Der Verein in der „COVID-19-Not“, GWR 2021, 158; Krüger, Fernabstimmung bei Vereinen – Zulässigkeit und Wege der Beteiligung ohne persönliche Anwesenheit, MMR 2012, 85; Leuering/Rubner, Virtueller Verschmelzungsbeschluss, NJW-Spezial 2021, 751; Leuschner, Anforderungen an die Bestimmtheit einer die virtuelle Mitgliederversammlung ermöglichenden Satzungsbestimmung beim Verein, RiD 2023, 206; Lieder, Unternehmensrechtliche Implikationen der Corona-Gesetzgebung, ZIP 2020, 887; Lieder, Die Bedeutung des Vertrauensschutzes für die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts, NZG 2020, 81; Mayer/Jenne, Hauptversammlung in Zeiten von Epidemien und sonstigen Gefahrenlagen – zugleich Besprechung des COVID-19Pandemie-Gesetzes, BB 2020, 835; Mecking, Mitgliederversammlung 2.0: Zur Zulässigkeit der Willensbildung im Verein über elektronische Medien, ZStV 2011, 161; Noack, Mitgliederversammlung bei Großvereinen und digitale Teilhabe, NJW 2018, 1345; Noack, ARUG: Das nächste Stück der Aktienrechtsreform in Permanenz, NZG 2008, 441; OtteGräbener, Ein Verschmelzungsbeschluss in rein virtueller Versammlung ist unzulässig, GWR 2021, 278; Rapp, Implikationen der COVID-19-Pandemie für Dividende, Besteuerung und Abschlussprüferbestellungen: Ist die digitale Hauptversammlung unausweichlich?, DStR 2020, 806; Römermann, COVID-19 Abmilderungsgesetze, 2. Aufl., 2022; Römermann, Leitfaden für Unternehmen in der COVID-19 Pandemie, 2020; Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., 2021; Schulteis, Gesellschaftsrecht in Zeiten des „Coronavirus“: Änderungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19Pandemie im GmbH-Recht, Genossenschaftsrecht, Umwandlungsrecht, Vereins- und Stiftungsrecht sowie WEG-Recht, GWR 2020, 169; Schulteis, Die Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, GWR 2020, 465; Schulteis, Das Aufbauhilfegesetz 2021 und seine wirtschaftsrechtlichen Auswirkungen insbesondere auf das Insolvenzrecht und auf das Gesellschaftsrecht, GWR 2021, 395; Schulteis, Elektronische Beschlussfassungen und virtuelle Versammlungen bei Genossenschaften in Zeiten der COVID-19-Pandemie – zugleich eine Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, GWR 2022, 89; Schulteis, Das „Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften“ mit seinen Auswirkungen auf das Genossenschaftsrecht, GWR 2022, 327; Siemons/Hauser, Zu Form und Ausgestaltung der Hauptversammlung in der HV-Saison 2022, NZG 2021, 1340; Unmuth, Anwesenheitspflicht der Organmitglieder in der Hauptversammlung, NZG 2020, 448; Vetter/ Tielmann, Unternehmensrechtliche Gesetzesänderungen in Zeiten von Corona, NJW 2020,
150
Cymutta
Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
1175; Wälzholz/Bayer, Auswirkungen des „Corona-Gesetzes“ auf die notarielle Praxis, DNotZ 2020, 285; Wicke, BGH-Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21 und die große verbandsrechtliche Frage der Stunde, DStR 2022, 498; Zabel, Zulässigkeit virtueller Generalversammlungen, NZG 2021, 1544; Zetzsche, Die neue Aktionärsrechte-Richtlinie: Auf dem Weg zur Virtuellen Hauptversammlung, NZG 2007, 686. Übersicht I. 1. 2. 3.
Einleitung ............................................. 1 Die Regelungen im Überblick .............. 1 Anwendungsbereich .............................. 6 Entstehungsgeschichte und Normzweck ......................................... 14 II. General- oder Vertreterversammlung (Abs. 1) ............................. 16 1. Anwendungsbereich ............................ 17 2. Zulässige Formen der Mitgliederbeteiligung ........................................... 20 a) Fernkommunikative Abstimmung in der Präsenzversammlung ................... 24 b) Rein virtuelle Versammlung ........ 30 c) Beschlussfassung im Umlaufverfahren .......................... 34 3. Versammlungsleitung ......................... 36 4. Teilnahme von Vorstand und Aufsichtsrat ......................................... 41
I.
Einleitung
1.
Die Regelungen im Überblick
5. 6. 7. 8. 9. III.
Form der Stimmabgabe ....................... 45 Mehrfache Stimmabgabe ..................... 50 Beschlussfeststellung .......................... 53 Niederschrift ....................................... 56 Beschlussanfechtung ........................... 60 Einberufung der Generalversammlung (Abs. 2) ............................. 66 IV. Feststellung des Jahresabschlusses ... 71 V. Abschlagszahlung .............................. 78 1. Auseinandersetzungsguthaben ........... 79 2. Dividende ............................................. 83 3. Abschlagszahlung nach § 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG .............................. 86 VI. Amtszeit Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ..................... 93 VII. Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse .................................... 101
Mit § 3 GesRuaCOVBekG1) sollten Genossenschaften während der COVID-19Pandemie handlungsfähig gehalten werden. Das GesRuaCOVBekG ist als Art. 2 des COVAbmildG2) verabschiedet worden. Die jetzige Fassung gilt rückwirkend seit 28.3.2020.3) Zum 31.8.2022 ist die Regelung außer Kraft getreten; die Nachfolgevorschrift ist § 43b GenG.4)
1
§ 3 GesRuaCOVBekG sieht Erleichterungen für Genossenschaften vor, die wegen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch Verordnungen und/oder Allgemeinverfügungen der Kommunen, Bundesländer und des Bundes – insbesondere im Hinblick auf Abstandsgebote, Kontaktsperren, Ausgangsbeschränkungen, Versammlungsverbote etc. – Schwierigkeiten hatten, General- oder Vertreterversammlungen abzuhalten. Auch nach dem Ende der Kontaktbeschränkungen wurde _____________
2
1)
2) 3)
4)
Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569, 570. Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVAbmildG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569, 570. Art. 32 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe v. 7.7.2021, BGBl. I 2021, 2363, 2437. Art. 6 des Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften v. 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166, 1170.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Genossenschaften
aus Sorge vor Ansteckungen vielfach bevorzugt, keine größeren Versammlungen abzuhalten. 3
Genossenschaften wird dazu insbesondere erlaubt, General- oder Vertreterversammlungen virtuell durchzuführen und Mitglieder an der Abstimmung zu beteiligen, die nicht an der Versammlung teilnehmen (Abs. 1). Zur Einberufung der General- oder Vertreterversammlung sind Erleichterungen vorgesehen (Abs. 2).
4
In finanzieller Hinsicht kann der Jahresabschluss ausnahmsweise vom Aufsichtsrat festgestellt werden, wenn die Generalversammlung nicht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GenG in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres stattfinden kann (Abs. 3). Außerdem kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausnahmsweise Abschlagszahlungen auf Dividendenzahlungen oder Auszahlungen von Auseinandersetzungsguthaben vornehmen (Abs. 4).
5
Um die Handlungsfähigkeit der Genossenschaft zu wahren, soll § 3 Abs. 5 GesRuaCOVBekG ihre ordnungsgemäße Vertretung sichern, indem Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder auch nach dem Ende ihrer Amtszeit bis zur Bestellung eines Nachfolgers im Amt bleiben (Abs. 5). Zudem wird dem Vorstand und dem Aufsichtsrat erlaubt, Sitzungen als Telefon- oder Videokonferenz abzuhalten und Beschlüsse im Umlaufverfahren zu treffen (Abs. 6). 2.
Anwendungsbereich
6
Zeitlich ist das GesRuaCOVBekG (in der 1. Auflage noch bezeichnet als COVGesMG) am Tag nach der Verkündung im BGBl. vom 27.3.2020, also am 28.3.2020, in Kraft getreten. Die Anwendung des § 3 GesRuaCOVBekG war zeitlich zunächst auf im Jahr 2020 stattfindende Ereignisse begrenzt (§ 7 Abs. 3 GesRuaCOVBekG).
7
Mit Verordnung vom 20.10.20205) hat das BMJV auf der Grundlage der Ermächtigung in § 8 GesRuaCOVBekG die Geltung des § 3 GesRuaCOVBekG mit Wirkung zum 29.10.2020 bis zum 31.12.2021 verlängert.
8
Im Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.20206) wurde § 7 Abs. 3 GesRuaCOVBekG mit Wirkung zum 28.2.2021 dahingehend geändert, dass die Regelungen des § 3 GesRuaCOVBekG im Jahr 2020 und 2021 gelten. Die Verordnung vom 20.10.20207) lief daher insoweit ab dem 28.2.2021 ins Leere.8)
9
Als Reaktion auf einen Beschluss des OLG Karlsruhe9) wurde der Wortlaut des § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG in den Sätzen 1 und 2 geändert und ein neuer Satz 5
_____________ 5) 6) 7) 8) 9)
152
BGBl. I, 2258; Schulteis, GWR 2020, 465. BGBl. I, 3328. BGBl. I, 2258. BT-Drucks. 19/25322, S. 23. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.3.2021 – 1 W 4/21 (Wx), NZG 2021, 696.
Cymutta
Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
angefügt,10) um die Zulässigkeit von rein virtuellen General- und Vertreterversammlungen festzuschreiben. Diese Änderungen traten rückwirkend zum 28.3.2020 in Kraft.11) Die zeitliche Geltung der Vorschriften wurde sodann im sog. „Aufbauhilfegesetz 2021“12) erneut erweitert.13) Gemäß § 7 Abs. 3 GesRuaCOVBekG ist § 3 GesRuaCOVBekG nun anzuwenden auf bis zum Ablauf des 31.8.2022 stattfindende Versammlungen und Ereignisse.14)
10
Auf Versammlungen oder Sitzungen, die zwar vor dem 31.8.2022 einberufen werden, aber erst danach stattfinden oder andere Ereignisse nach dem 31.8.2022, ist § 3 GesRuaCOVBekG nicht anwendbar.15) Allerdings ist zum 27.7.2022 mit § 43b GenG16) eine Nachfolgeregelung in Kraft getreten, die die Generalversammlung als Präsenzversammlung, virtuelle oder hybride Versammlung sowie als Versammlung im gestreckten Verfahren erlaubt (§ 43 Abs. 1 GenG).
11
Soweit die Regelungen des § 3 GesRuaCOVBekG während ihrer Geltung bestehenden gesetzlichen und satzungsmäßigen Regelungen widersprachen, ging § 3 GesRuaCOVBekG vor. Im Übrigen traten die Regelungen des § 3 GesRuaCOVBekG neben die geltenden gesetzlichen oder satzungsmäßigen Bestimmungen.
12
Sachlich findet § 3 GesRuaCOVBekG auf Europäische Genossenschaften (SCE) nach der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.200317) mit Sitz im Inland entsprechende Anwendung, soweit diese Verordnung auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verweist.18) Eine entsprechende Anwendung scheidet jedoch aus, soweit Regelungen in § 3 GesRuaCOVBekG Vorschriften der Verordnung widersprechen, von denen die Mitgliedstaaten nicht abweichen dürfen.19)
13
_____________ 10) Art. 32 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe v. 7.7.2021, BGBl. I 2021, 2363, 2437. 11) Art. 36 Abs. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe v. 7.7.2021, BGBl. I 2021, 2363, 2438. 12) Art. 15 des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze (AufbhG 2021) v. 10.9.2021, BGBl. I, 4147; BT-Drucks. 19/32275, S. 13. 13) Vgl. auch Noack, NZG 2021, 1233. 14) Simons/Hauser, NZG 2021, 1340, 1343; Schulteis, GWR 2021, 395, 399. 15) BT-Drucks. 19/25322, S. 23; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 7 COVMG Rz. 404; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 46. 16) Art. 6 des Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften v. 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166, 1170. 17) Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE), ABl. (EU) L 207/1 v. 18.8.2003. 18) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 216; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 29. 19) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 28.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG 3.
Genossenschaften
Entstehungsgeschichte und Normzweck
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Nachdem die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie deutlich wurden und viele Kommunen, Bundesländer und der Bund im März 2020 durch Verordnungen und Allgemeinverfügungen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Kontaktsperren, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften, Ausgangssperren, Abstandsgebote und andere Maßnahmen verhängt hatten, die das öffentliche Leben weitgehend einschränkten, drohten vor allem die Kontaktsperren und Versammlungsverbote, bei vielen Gesellschaften die Eigentümer- und Mitgliederversammlungen zu verhindern. Daraufhin wurde bereits am 25.3.2020 das COVAbmildG, dessen Art. 2 das GesRuaCOVBekG beinhaltet, im Deutschen Bundestag verabschiedet. Es trat zum 28.3.2020 in Kraft.20)
15
In den Jahren 2020 und 2021 wurden die Kontaktbeschränkungen je nach Infektionslage mehrfach verschärft und gelockert. Auch nach Ende der Beschränkungen war bis in den Sommer 2022 politisch erwünscht, dass größere Versammlungen vermieden werden konnten, weshalb die Geltungsdauer des GesRuaCOVBekG mehrfach verlängert wurde. Seit Herbst 2022 gibt es keine Rechtsgrundlage mehr für weitgehende Einschränkungen. § 3 GesRuaCOVBekG ist daher zum 31.8.2022 außer Kraft getreten. II. General- oder Vertreterversammlung (Abs. 1)
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§ 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG erlaubt abweichend von § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. eine Beschlussfassung auch dann im schriftlichen oder elektronischen Wege, wenn dies in der Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist. Mit Wirkung zum 27.7.2022 ist § 43 Abs. 7 GenG ersatzlos weggefallen; virtuelle Versammlungen sind nun ausführlich im neuen § 43b GenG geregelt.21) 1.
17
Anwendungsbereich
Obwohl § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG sich ursprünglich nur auf § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. bezog, der die Ausübung der Mitgliedsrechte in der Generalversammlung regelt, war anerkannt, dass § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG entsprechend für eine aus Vertretern der Mitglieder bestehenden Vertreterversammlung i. S. des § 43a GenG galt, die bei großen Genossenschaften neben die Generalversammlung treten kann.22) Mittlerweile wurde in § 3 Abs. 1 Satz 5 GesRuaCOVBekG ausdrücklich klargestellt, dass die Sätze 1 bis 4 auch für Vertreterversammlungen gelten und insbesondere virtuelle Vertreterversammlungen ohne entsprechende Satzungsregelungen zulässig sind. Die aktuelle Fassung gilt rückwirkend zum 28.3.2020, also auch für frühere Versammlungen. Gerichte haben im Falle von Rechtsmitteln
_____________ 20) Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569, 570; BT-Drucks. 19/18110. 21) Art. 6 des Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften v. 20.7.2022, BGBl. I 2022, 1166, 1170. 22) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 221; Schulteis, GWR 2020, 169, 170.
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das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht anzuwenden, auch wenn das Gericht der Vorinstanz dieses Recht noch nicht berücksichtigen konnte.23) Die entsprechende Anwendung des § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG auf die Vertreterversammlung ergab sich vor der Neuregelung bereits aus der Aufgabenteilung zwischen General- und Vertreterversammlung, sofern letztere eingesetzt wurde, denn die Vertreterversammlung übernimmt wesentliche Aufgaben der Generalversammlung, weswegen § 43 Abs. 7 GenG a. F. entsprechend für die Vertreterversammlung galt.24)
18
Da eine Zusammenkunft der Vertreterversammlung ebenso wie die der Generalversammlung während der Kontaktsperren nicht möglich war, musste § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG für die Vertreterversammlung ebenfalls analog gelten. Von einer Anwendung auch auf die Vertreterversammlung ging i. Ü. auch der Gesetzgeber aus, der in seiner Gesetzesbegründung ausdrücklich § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG auf die „Durchführung einer ‚virtuellen‘ General- oder Vertreterversammlung“ bezieht.25) Die Neuregelung beinhaltet daher unabhängig von der Rückwirkung lediglich eine Klarstellung, keine Änderung der Rechtslage.
19
2.
Zulässige Formen der Mitgliederbeteiligung
Der Gesetzgeber stellt in der Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG fest, es handele sich um eine Sonderregelung zu § 43 Abs. 7 GenG a. F., die die Durchführung einer „virtuellen“ General- oder Verteterversammlung vorübergehend auch dann erlaube, wenn die Satzung diesbezüglich keine entsprechenden Regelungen enthalte.
20
Entscheidend für den Regelungsgehalt des § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG ist daher der Wortlaut des § 43 Abs. 7 GenG a. F.,26) der wie folgt lautet:
21
„Die Satzung kann zulassen, dass Beschlüsse der Mitglieder schriftlich oder in elektronischer Form gefasst werden; das Nähere hat die Satzung zu regeln. Ferner kann die Satzung vorsehen, dass in bestimmten Fällen Mitglieder des Aufsichtsrats im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Generalversammlung teilnehmen können und dass die Generalversammlung in Bild und Ton übertragen werden darf.“
§ 43 Abs. 7 GenG a. F. ist dabei im Zusammenspiel mit § 43 Abs. 1 GenG zu sehen, der anordnet, dass die Mitglieder ihre Rechte in den Angelegenheiten der Genossenschaft in der Generalversammlung ausüben; § 43a GenG erlaubt bei großen Genossenschaften zusätzlich die Vertreterversammlung.
22
Schon bei der Einführung des § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. war seine Reichweite umstritten (siehe im Folgenden Rz. 30).27) § 3 Abs. 1 Satz 1 GesRuaCOVBekG setzt die Zulässigkeit eines Beschlusses nach § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. voraus
23
_____________ 23) BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 8 f.; Schulteis, GWR 2022, 89, 93; Zabel, NZG 2021, 1544. 24) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43a Rz. 19; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Fandrich, GenG, § 43a Rz. 5. 25) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 28. 26) § 47 Abs. 7 GenG wurde m. W. zum 28.7.2021 ersatzlos gestrichen; die Nachfolgeregelung ist § 43b GenG. 27) Zu den Gründen für die geringe Nutzung der Möglichkeiten vor der Pandemie Schulteis, GWR 2020, 169, 170.
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und erweitert den Anwendungsbereich des § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. auf Genossenschaften, deren Satzung diese Beschlüsse bisher nicht zulässt. Beschlussfassungen, die nach § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. unzulässig waren, konnten daher auch durch § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nicht zulässig werden. a) Fernkommunikative Abstimmung in der Präsenzversammlung 24
§ 43 Abs. 1 GenG sieht vor, dass die Mitglieder ihre Mitgliedsrechte in der Generalversammlung ausüben. In Anpassung an europäische Vorgaben wurde 2006 die Vorschrift des § 43 Abs. 7 GenG a. F. geschaffen, der in Satz 1 zulässt, dass Beschlüsse der Mitglieder schriftlich oder in elektronischer Form gefasst werden. Bereits dem Wortlaut nach umfasst § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. also Beschlussfassungen, bei denen nicht anwesende Mitglieder vorab schriftlich oder in elektronischer Form abstimmen, während i. Ü. die Generalversammlung als Präsenzveranstaltung abgehalten wird (sog. gemischte oder Hybridversammlung).28)
25
Die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe bereits vor der Versammlung kann für die Mitglieder den Vorteil bieten, dass sie das Risiko von technischen Störungen verringert.29)
26
§ 43 Abs. 7 Satz 2 Alt. 2 GenG a. F. erlaubt zudem, dass die Generalversammlung in Bild und Ton übertragen wird. Möglich ist also, dass Mitglieder der als Präsenzveranstaltung stattfindenden Generalversammlung passiv folgen. Da § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. keine zeitliche Begrenzung der Stimmabgabe vorsieht, kann durch die Kombination der Ermächtigungen ermöglicht werden, dass die Mitglieder der Versammlung in Echtzeit folgen und direkt mit abstimmen.30) Die zugeschalteten Online-Mitglieder zählen gemäß § 43 Abs. 7 GenG a. F. als auf der Versammlung erschienene Mitglieder, solange die Online-Verbindung besteht.31)
27
Ist bei großen Genossenschaften eine Vertreterversammlung eingesetzt, so ist die Bild- und Tonübertragung der Versammlung nicht nur für die Vertreter, sondern für alle Mitglieder (passiv) zu öffnen, da die Vertreterversammlung die Generalversammlung nur versammlungstechnisch verdrängt. Sie genießt keine besondere Vertraulichkeit.32)
28
Auch in Genossenschaften, deren Satzung keine Ermächtigung zur schriftlichen oder elektronischen Beschlussfassung ohne Teilnahme an der General- oder Vertreterversammlung in Präsenz enthielt, war die Stimmabgabe gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 und 5 GesRuaCOVBekG zulässig.33)
29
Im neuen § 43b Abs. 2 Satz 1 GenG, der am 27.7.2022 in Kraft getreten ist, ist vorgesehen, dass Beschlüsse auch im Falle einer Präsenzversammlung schriftlich oder _____________ 28) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 53; Klein, ZIP 2016, 1155, 1156; Vosberg/Klawa in: Kölner Hdb. Handels- und Gesellschaftsrecht, Kap. 15 D. Rz. 102. 29) Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 812. 30) Klein, ZIP 2016, 1155, 1156; Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 53; Geschwandtner/ Helios, NZG 2006, 691, 693. 31) Zu den faktischen Einschränkungen der AG Danwerth, NZG 2020, 586. 32) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 45a. 33) Schulteis, GWR 2020, 169, 170; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 220; Schulteis, GWR 2020, 465, 467.
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im Wege der elektronischen Kommunikation gefasst werden können, wenn die Satzung dies vorsieht. b) Rein virtuelle Versammlung Umstritten war bei Inkrafttreten des GesRuaCOVBekG, ob eine rein virtuelle General- oder Vertreterversammlung von § 43 Abs. 7 GenG a. F. gedeckt war.34)
30
Allerdings ging der Gesetzgeber bereits bei der Einführung des § 43 Abs. 7 GenG davon aus, dass hiermit die rein virtuelle Generalversammlung denkbar würde.35) Ebenso nahm der Gesetzgeber des GesRuaCOVBekG an, dass mit der Sonderregelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 GesRuaCOVBekG die Durchführung von rein virtuellen General- und Vertreterversammlungen auch dann ermöglicht wird, wenn die Satzung diesbezüglich keine Regelungen enthält.36) Dies stellte er ausdrücklich klar, als er § 3 Abs. 1 Satz 1 GesRuaCOVBekG im Juli 2021 mit Rückwirkung zum 28.3.202037) um den Halbsatz erweiterte, dass „die elektronische Beschlussfassung […] Beschlussfassungen in Gestalt von virtuellen Generalversammlungen ohne physische Präsenz der Mitglieder“ einschließe.38) Zulässig sind in virtuellen Versammlungen nicht nur Standardbeschlüsse, sondern auch Strukturmaßnahmen,39) selbst wenn sie spezialgesetzlich geregelt sind.40) Voraussetzung ist allerdings, dass in der virtuellen Versammlung die Mitgliederrechte gewahrt bleiben, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der Mitglieder zum gegenseitigen Austausch.41)
31
Die Genossenschaften sind und waren jedoch nicht verpflichtet, virtuelle Generaloder Vertreterversammlung durchzuführen.42) Der Gesetzgeber wies ausdrücklich
32
_____________ 34) Zum Streitstand vgl. Vorauflage. 35) Begr. RegE z. § 43 GenG, BT-Drucks. 16/1025, S. 87. 36) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 28; RömermannRömermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 220; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 33; Schulteis, GWR 2022, 89, 91. 37) Art. 32, Art. 36 Abs. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe v. 7.7.2021, BGBl. I 2021, 2363, 2438; Gesetzesbegründung BT-Drucks. 19/30516, S. 73. 38) Schulteis, GWR 2021, 395, 399; Schulteis, GWR 2022, 89, 91; ebenso bereits Schulteis, GWR 2020, 465, 467; Klein, ZIP 2016, 1155; Geschwandtner/Helios, NZG 2006, 691, 692; Hirte, DStR 2007, 2166, 2171; Jarchow/Hölken, ZInsO 2020, 730, 736; Gottschalk/Ulmer, GWR 2020, 133, 134; Lieder, NZG 2020, 81, 89; Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1178; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 33. 39) Beschlossen wurde bspw. auch Satzungsänderungen nach § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG zur Abhaltung virtueller Versammlungen, vgl. Schulteis, GWR 2022, 89, 92. 40) BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 12; Leuering/Rubner, NJWSpezial 2021, 751; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166; a. A. Vorinstanz: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.3.2021 – 1 W 4/21 (Wx), NZG 2021, 696; Otte-Gräbener, GWR 2021, 278. 41) BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 16; Wicke, DStR 2022, 498, 499, 502; Schulteis, GWR 2022, 89, 90. 42) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 220; Römermann/ Grupe, in: Römermann, Leitfaden, § 3 COVMG Rz. 119; Schulteis, GWR 2020, 465, 467. Zur Ermessensentscheidung der Inanspruchnahme des virtuellen Formats Simons/Hauser, NZG 2021, 1340, 1341.
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Genossenschaften
darauf hin, dass die Versäumung der Sechs-Monats-Frist des § 48 Abs. 1 Satz 3 GenG nicht sanktionsbewehrt sei und nicht durch Zwangsgeld nach § 160 GenG erzwungen werden könne,43) auch wenn die zeitliche Vorgabe zur Durchführung der Versammlung durch das GesRuaCOVBekG nicht geändert wurde.44) Zudem liege wegen der Kontaktsperren kein Verschulden des Vorstands vor,45) so dass die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung i. R. der genossenschaftlichen Pflichtprüfung nicht in Zweifel gezogen werden könne. Es bedürfe daher anders als bei § 175 Abs. 1 Satz 2 AktG keiner Fristverlängerung.46) 33
Seit 27.7.2022 erlaubt der neue § 43b Abs. 1 GenG die General- bzw. Vertreterversammlung47) auch als virtuelle Versammlung ohne gemeinsame physische Anwesenheit der Mitglieder an einem Ort (Nr. 2) oder als hybride Versammlung, an der die Mitglieder wahlweise am Ort der Versammlung physisch anwesend sind oder ohne physische Anwesenheit an diesem Ort teilnehmen können (Nr. 3). In beiden Fällen muss sichergestellt sein, dass alle virtuell teilnehmenden Mitglieder ihre Rede-, Antrags-, Auskunfts- und Stimmrechte schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können und allen Mitgliedern der Versammlungsverlauf zugänglich ist;48) hierzu kann die Satzung Einzelheiten regeln (§ 43b Abs. 3, 4 GenG). Eine spezielle Satzungsvorschrift, die virtuelle oder hybride Versammlungen erlaubt, ist dagegen nicht erforderlich.49) c) Beschlussfassung im Umlaufverfahren
34
Ein schriftliches Beschlussverfahren, in dem auf eine physische oder virtuelle Versammlung verzichtet wird (Umlaufverfahren), ist bei der Genossenschaft nach der h. M. nicht zulässig.50) § 3 GesRuaCOVBekG trifft auch keine dem § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG vergleichbare Regelung, mit der das Umlaufverfahren während der COVID-19-Pandemie eingeführt wird.51) Mit § 43b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 GenG ist nun allerdings eine Versammlung im gestreckten Verfahren eingeführt worden, bei der in einer Erörterungsphase eine virtuelle oder hybride Versammlung abgehalten wird und danach in der Abstimmungsphase die Mitglieder ihre Stimmrechte schriftlich oder im Weg der elektronischen Kommunikation ausüben können. _____________ 43) Schulteis, GWR 2020, 465, 467. Anders bei der AG, in der die Nichteinhaltung der Frist gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AktG in § 407 Abs. 1 AktG bußgeldbewehrt ist. In § 1 Abs. 5 GesRuaCOVBekG wird allerdings erlaubt, dass die Hauptversammlung ausnahmsweise innerhalb des Geschäftsjahrs stattfindet; auch hier besteht keine Verpflichtung, eine virtuelle Hauptversammlung durchzuführen. 44) Schulteis, GWR 2020, 169, 173. 45) Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 836, 839; Wälzholz/Bayer, DNotZ 2020, 285, 300; Schulteis, GWR 2020, 465, 467; Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden, § 3 COVMG Rz. 119. 46) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 28. 47) BT-Drucks. 20/2653, S. 34. 48) Leuschner, RiD 2023, 206, 207. 49) BT-Drucks. 20/2653, S. 34; Schulteis, GWR 2022, 327, 329. 50) OLG Jena, Beschl. v. 27.5.2021 – 2 W 172/21, NZG 2021, 1167 Rz. 26; Klein, ZIP 2016, 1155, 1157; in Abgrenzung zum Verein auch Gottschalk/Ulmer, GWR 2020, 133, 134; a. A. wohl Geschwandtner/Helios, NZG 2006, 691, 693. 51) Wälzholz/Bayer, DNotZ 2020, 285, 299. Differenzierend Zabel, NZG 2021, 1544, 1545.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
§ 43b GenG sieht zudem bei allen vier Versammlungstypen des Abs. 1 (Präsenz-, virtuelle, hybride und gestreckte Versammlung) vor, dass Beschlüsse auch schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation gefasst werden. Der Gesetzgeber wollte als „schriftliche“ Beschlussfassung den Papierversand bzw. ein entsprechendes Umlaufverfahren erlauben.52) Ein rein schriftliches Umlaufverfahren, ohne vorherige Versammlung i. S. des § 43b Abs. 1 GenG, ist jedoch weiterhin nicht vorgesehen.53) 3.
35
Versammlungsleitung
Die Aussprache in der Generaldebatte der General- oder Vertreterversammlung bildet einen wesentlichen Bestandteil des Teilnahmerechts der Mitglieder, da in der Aussprache insbesondere die Auskunfts- und Rederechte der Mitglieder ausgeübt werden.54) Der Versammlungsleiter muss sicherstellen, dass Rede- und Fragerechte in der General- oder Vertreterversammlung gewährleistet sind, auch wenn diese vollständig virtuell oder unter Beteiligung von online zugeschalteten Mitgliedern durchgeführt wird.55) Der Versammlungsleiter muss die eingehenden Wortmeldungen und Anträge ordnen und darauf achten, dass sie vollständig berücksichtigt werden (siehe auch Rz. 60 ff.).
36
Sollte eine virtuelle Diskussion nicht vorgesehen sein, muss ein Weg sichergestellt werden, auf dem Anregungen, Anträge und Fragen in die Generalversammlung eingebracht werden können.56) Der neue § 43b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GenG fordert dementsprechend auch, dass sichergestellt sein muss, dass alle virtuell teilnehmenden Mitglieder ihre Rede-, Antrags-, Auskunfts- und Stimmrechte können (§ 43b Abs. 3, 4 GenG). Das kann eine große technische Herausforderung darstellen, für die im Zweifel externe Dienstleister herangezogen werden müssen.57)
37
Nicht vorgesehen ist in § 3 GesRuaCOVBekG, die Rede- und Fragerechte der Mitglieder in der General- oder Vertreterversammlung zu beschränken, wie dies § 1 Abs. 2 Satz 2 GesRuaCOVBekG für die AG erlaubte.58)
38
Die Anwesenheit der Mitglieder bei der Online-Versammlung lässt sich feststellen, indem das Ein- und Ausloggen der Mitglieder in und aus dem geschützten Bereich registriert wird. Sofern dies technisch nicht machbar ist, muss die Anwesenheit zu Beginn der Versammlung und vor jeder Beschlussfassung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GesRuaCOVBekG) festgestellt werden.
39
_____________ 52) BT-Drucks. 20/2653, S. 34; Schulteis, GWR 2022, 327, 330. 53) Holthaus/Zabel, NZG 2022, 1378. 54) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 17. I.E. auch BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 16, 19; Schulteis, GWR 2022, 89, 90. 55) Der BGH hat im Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 16, 19 leider keine Mindestanforderungen definiert; Schulteis, GWR 2022, 89, 94. 56) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250. 57) Rapp, DStR 2020, 806, 810; Schulteis, GWR 2020, 169, 171; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 226. 58) Walch/Häuslmaier, DNotZ 2023, 106, 113; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 812 f.; Herrler, GWR 2020, 191, 193 f.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG 40
Genossenschaften
Technische Störungen sind soweit möglich auszuschalten, es muss aber nicht garantiert werden, dass die Übertragung der Versammlung technisch ungestört abläuft und insbesondere bei jedem Mitglied ankommt. Die Genossenschaft soll nicht nur wegen technischer Unsicherheiten von den virtuellen Möglichkeiten absehen (siehe auch zur Einschränkung der Beschlussanfechtung Rz. 60).59) Die Datensicherheit muss jedoch gewährleistet werden.60) Das betrifft auch die Abwehr möglicher Eingriffe Dritter („Hacker“) in die Beschlussfassung.61) 4.
Teilnahme von Vorstand und Aufsichtsrat
41
Sonderregeln für die Anwesenheit von Organen trifft § 3 GesRuaCOVBekG nicht. Die Anwesenheitspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat in der General- oder Vertreterversammlung besteht daher grundsätzlich unabhängig davon, ob die Versammlung ganz oder teilweise virtuell durchgeführt wird.62)
42
Wird die General- oder Vertreterversammlung als (kleine) Präsenzversammlung mit Online-Teilnahme der Mitglieder durchgeführt, so ist die körperliche Präsenz der Vorstände zwingend, die des Aufsichtsrats ratsam.63) Aufsichtsratsmitgliedern kann nach § 43 Abs. 7 Satz 2 Alt. 1 GenG aber die Teilnahme im Wege der Bildund Tonübertragung gestattet werden. Bei der rein virtuellen General- oder Vertreterversammlung entfällt die Präsenzpflicht,64) die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder müssen jedoch virtuell an der Versammlung teilnehmen.
43
Ist eine Beurkundung der Beschlüsse der General- oder Vertreterversammlung erforderlich, wie z. B. bei einem Verschmelzungsbeschluss gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 UmwG, so muss der Notar bei einer rein virtuellen Versammlung am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters präsent sein, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens überzeugen und dann die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Gesellschaftsorgan beurkunden.65)
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§ 43b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 GenG sieht bei einer hybriden Versammlung vor, dass Vorstand und Aufsichtsrat durch physisch am Versammlungsort anwesende Mitglieder vertreten sind. Dies gilt auch in der Erörterungsphase einer gestreckten Versammlung (§ 43b Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GenG). 5.
45
Form der Stimmabgabe
§ 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. erlaubt die Stimmabgabe schriftlich oder in elektronischer Form. Teilweise wird für die schriftliche Stimmabgabe die Schriftform _____________ 59) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 28. Zur AG Begr. Entwurf z. Art. 2 § 1 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 26. 60) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250. 61) Rapp, DStR 2020, 806, 810. 62) Unmuth, NZG 2020, 448; Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 44. 63) Begr. RegE z. § 118 Abs. 2 AktG, BR-Drucks. 109/02, S. 44 f.; Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 45. Zweckmäßig kann die Anwesenheit von IT-Fachleuten sein, Lieder, ZIP 2020, 837. 64) Anders für die AG Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1177; Herrler, GWR 2020, 191, 193. S. zum Vereinsvorstand § 5 GesRuaCOVBekG Rz. 62 ff. [Cymutta]. 65) BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 20; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166; Wicke, DStR 2022, 498, 502.
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Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
i. S. des § 126 BGB gefordert, die eine eigenhändige Unterschrift voraussetzt.66) Andere Literaturmeinungen lassen als „schriftliche“ Stimmabgabe auch Textform i. S. des § 126b BGB genügen.67) Der Wortlaut des § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. entspricht mit der Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe dem Wortlaut des § 118 Abs. 2 AktG, nach dem nicht anwesende Aktionäre vor oder in der Hauptversammlung schriftlich oder im Wege elektronischer Kommunikation abstimmen können. Zu § 118 Abs. 2 AktG ist anerkannt, dass Schriftform mit eigenhändiger Unterschrift nicht erforderlich ist, sondern dass bloße Schriftlichkeit ausreicht.68) Für § 43b GenG ging der Gesetzgeber ebenfalls von der Schriftlichkeit mit papiergebundenem Versand aus; die Schriftform des § 126b BGB wird darüber hinaus nicht gefordert.69)
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Als elektronische Kommunikation soll in § 118 Abs. 2 AktG neben der elektronischen Form (§ 126a BGB) und der Textform (§ 126b BGB) jede Form der einseitigen elektronischen Willenserklärung ausreichen, insbesondere durch von der Gesellschaft vorgehaltene Online-Formulare.70) Der Gesetzgeber des § 43b GenG will die elektronische Kommunikation weit verstehen, sodass neben audiovisueller Übertragung auch Chats oder Internetforen erfasst sind.71)
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Da die Abstimmung im Wege der Fernkommunikationsmittel die Beteiligung der Mitglieder an der Willensbildung der Gesellschaft erleichtern soll, ist auch in § 43 Abs. 7 Satz 1 GenG a. F. wie im Aktienrecht die Stimmabgabe per E-Mail, OnlineFormular der Genossenschaft oder auf andere Weise erlaubt.
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Eine Vertretung ist auch in hybriden oder virtuellen General- und Vertreterversammlung nur nach den allgemeinen Regeln zulässig. In der Generalversammlung kann daher ein Bevollmächtigter nur maximal zwei Mitglieder vertreten (§ 43 Abs. 5 Satz 3 GenG), wobei die Satzung weitergehende Voraussetzungen festlegen kann. Vertreter in der Vertreterversammmlung können nicht durch Bevollmächtigte vertreten werden (§ 43a Abs. 3 Satz 2 GenG). Diese Vorgaben werden durch § 3 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nicht berührt.72)
49
6.
Mehrfache Stimmabgabe
Die schriftlich oder elektronisch abgegebenen Stimmen sind als Willenserklärungen unter Abwesenden zu werten, die nicht mehr widerrufen werden können, sobald sie der Genossenschaft zugegangen sind.73) Da dem Mitglied, das vorab seine Stimme abgegeben hat, grundsätzlich offensteht, zusätzlich an der virtuellen oder gemisch_____________ 66) Klein, ZIP 2016, 1155, 1156. 67) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 53; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 33. 68) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 17; Heidel-Krenek/Pluta, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 118 Rz. 60; Zetzsche, NZG 2007, 686, 689; Noack, NZG 2008, 441, 445. 69) BT-Drucks. 20/2653, S. 34; Schulteis, GWR 2022, 327, 330. 70) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 17; Heidel-Krenek/Pluta, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 118 Rz. 60; Noack, NJW 2018, 1345, 1348. 71) BT-Drucks. 20/2653, S. 34. Schulteis, GWR 2022, 327, 331 zieht den Anwendungsbereich der „elektronischen Kommunikation“ im § 43b GenG weiter als bei § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG. 72) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 33. 73) Krüger, MMR 2012, 85, 88.
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Genossenschaften
ten Mitgliederversammlung teilzunehmen und die Satzungen in den GesRuaCOVBekG-Fällen gerade keine Regelungen treffen, muss der Vorstand vor der Einberufung zur Versammlung festlegen, wie in diesem Falle mit dem Stimmrecht umzugehen ist, damit es nicht zu einer doppelten Stimmabgabe kommt.74) 51
Denkbar ist, dass das Mitglied hinsichtlich der vorab abgegebenen Stimmentscheidung sein Stimmrecht verbraucht hat oder dass im Falle der persönlichen Teilnahme die abgegebene Stimme automatisch als nicht abgegeben gewertet wird (siehe auch zum Verein § 5 GesRuaCOVBekG Rz. 103 [Cymutta]).75) Falls das Stimmrecht als verbraucht angesehen wird, sollte festgelegt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung – ggf. unter dem Eindruck einer Aussprache in der General- oder Vertreterversammlung – widerrufen werden kann.
52
Die Regelungen zur mehrfachen Stimmabgabe und dem Widerruf einer Entscheidung sollten in der Einberufung kommuniziert werden, da die Satzung keine Regelungen trifft. 7.
Beschlussfeststellung
53
Eine kombinierte Abstimmung, bei der ein Teil der Mitglieder per Brief, ein anderer Teil elektronisch (per E-Mail oder virtuell) abstimmt, ist zulässig.76) Die abgegebenen Stimmen sind zusammenzuführen, bevor das Ergebnis der Abstimmung festgestellt wird.
54
Wurden die Stimmen bereits vor der Versammlung abgegeben, so hat der Vorstand bei ihm eingegangene Stimmen dem Versammlungsleiter so rechtzeitig vorzulegen, dass sie bei der Ermittlung des Beschlussergebnisses berücksichtigt werden können.77)
55
Verlangt die Satzung für die Beschlussfähigkeit der Versammlung oder bestimmte Beschlüsse eine Mindestanwesenheit,78) so sind die in der virtuellen General- oder Vertreterversammlung anwesenden sowie online abstimmenden Mitglieder zusammenzuzählen (vgl. § 43b Abs. 7 GenG). Die satzungsmäßigen oder gesetzlichen Mehrheitserfordernisse gelten auch im Rahmen einer hybriden oder virtuellen Versammlung.79) 8.
56
Niederschrift
§ 3 Abs. 1 Satz 2 GesRuaCOVBekG legt fest, dass der Vorstand für den Fall, dass Beschlüsse der Mitglieder ohne satzungsmäßige Bestimmung schriftlich oder elektronisch gefasst werden, dafür zu sorgen hat, dass der Niederschrift gemäß § 47 Abs. 1 GenG ein Verzeichnis der Mitglieder beigefügt ist, die an der Beschlussfassung mitgewirkt haben. In dem Verzeichnis ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 GesRuaCOVBekG bei jedem Mitglied, das an der Beschlussfassung mitgewirkt hat, die Art der Stimmab_____________ 74) 75) 76) 77) 78) 79)
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Vgl. zum Verein Kopp, GWR 2021, 158. Krüger, MMR 2012, 85, 88. H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 34. Beuthien-Schöpflin, GenG, § 43 Rz. 53. Gesetzlich ist dies nicht vorgesehen, Schulteis, GWR 2020, 169, 171. H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 33.
Cymutta
Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
gabe zu vermerken.80) Dies umfasst zum einen den Gegenstand der Abstimmung und das Votum (ja/nein), aber auch den Modus (offen/geheim bzw. in Präsenz/ elektronisch/schriftlich).81) Ferner sind die Gesamtzahl der Stimmen, die Gegenstimmen und die Mehrheitserfordernisse zu erfassen.82) Das Verzeichnis ist für jeden einzelnen gefassten Beschluss gesondert anzulegen, da sich die teilnehmenden Personen unterscheiden können.
57
Eine notarielle Beurkundung ist grundsätzlich nicht erforderlich. Sofern eine Beurkundung wegen des Beschlussgegenstands erforderlich ist, wie z. B. bei einem Verschmelzungsbeschluss gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 UmwG, hat der Notar bei einer rein virtuellen Versammlung am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters präsent zu sein, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens zu überzeugen und dann die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Gesellschaftsorgan zu beurkunden.83)
58
In die Niederschrift kann jedes Mitglied jederzeit Einsicht nehmen oder eine Abschrift verlangen (§ 47 Abs. 4 Satz 1 GenG); sie ist von der Genossenschaft aufzubewahren (§ 47 Abs. 4 Satz 2 GenG).
59
9.
Beschlussanfechtung
Eine Anfechtung der Beschlüsse, die in der Form des § 3 Abs. 1 Satz 1 GesRuaCOVBekG gefasst wurden, kann unbeschadet der Regelungen des § 51 Abs. 1 und 2 GenG nicht auf Verletzungen des Gesetzes oder der Mitgliederrechte gestützt werden, die auf technische Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung zurückzuführen sind, es sei denn, der Genossenschaft ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen (§ 3 Abs. 1 Satz 4 GesRuaCOVBekG).84) Eine entsprechende Regelung wurde mit Wirkung zum 27.7.2022 in § 51 Abs. 2a GenG eingefügt.
60
Besondere Bedeutung wird dieser Anfechtungsausschluss bei der Durchführung von virtuellen General- oder Vertreterversammlungen erlangen, da hier die technischen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Durchführung, die eine Generaldebatte ermöglicht und die Mitgliederrechte wahrt, hoch sind.
61
Die Versammlungsleitung muss insbesondere sicherstellen, dass Rede- und Fragerechte in der virtuellen Versammlung gewährleistet sind (siehe auch Rz. 36 ff.).85) Der Versammlungsleiter ordnet die eingehenden Wortmeldungen und Anträge und
62
_____________ 80) Schulteis, GWR 2020, 169, 170; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 222; Schulteis, GWR 2020, 465, 467. 81) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 34; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 222. 82) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 222. 83) BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 20; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166. 84) Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1179; Schulteis, GWR 2020, 169, 170; RömermannRömermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 225; Schulteis, GWR 2020, 465, 467. Bei der virtuellen Hauptversammlung der AG soll sogar nur Vorsatz ausreichen, § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811; Lieder, ZIP 2020, 837, 844. 85) Mecking, ZStV 2011, 161, 164.
Cymutta
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Genossenschaften
achtet darauf, dass sie vollständig berücksichtigt werden. Die Beteiligung der Mitglieder ist jedenfalls gewährleistet bei einer interaktiven Zwei-Wege-Verbindung in Echtzeit.86) Allerdings ist nicht vorausgesetzt, dass die Übertragung der Versammlung technisch ungestört abläuft und insbesondere bei jedem Mitglied ankommt.87) Der BGH hat die Mindestanforderungen für die Beteiligung der Mitglieder noch offen gelassen.88) 63
Da die Norm des § 3 Abs. 1 Satz 4 GesRuaCOVBekG recht weit gefasst ist, indem sie Fehler „im Zusammenhang mit der Beschlussfassung“ als Grund für eine Beschlussanfechtung ausschließt, sollen nicht nur die Abstimmung unmittelbar erfassende Fehler, sondern auch solche der Einberufung von der Freistellung umfasst sein.89)
64
Um im Falle einer Beschlussanfechtung dem Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit begegnen zu können, sollten der Versammlungsleiter und der Vorstand die maßgeblichen Überlegungen zur Festlegung der Versammlungsart und der Beschlussmodalitäten sowie die Vorkehrungen, die hinsichtlich der technischen Voraussetzungen, Sicherheitstechnik sowie Legitimationsprüfung getroffen wurden, dokumentieren. Auch die Beauftragung von Dienstleistern kann den Vorwurf des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit ausschließen.90) Lag kein technischer Mangel vor, greift § 3 Abs. 1 Satz 4 GesRuaCOVBekG nicht.91) Auch Genossenschaften, deren Satzungen virtuelle Versammlungen vorsehen und die diese bereits mehrfach praktiziert haben, sollen sich auf die Privilegierung nicht berufen können.92)
65
Die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens liegt angesichts der Formulierung „es sei denn“ beim Anfechtungsberechtigten.93) III. Einberufung der Generalversammlung (Abs. 2)
66
Die Generalversammlung muss gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 GenG mit einer Frist von mindestens zwei Wochen einberufen werden. Einzuladen sind alle Mitglieder, bei der Vertreterversammlung die Vertreter. Die Einberufung hat grundsätzlich in der in der Satzung vorgesehenen Weise zu erfolgen, also durch unmittelbare Benachrichtigung aller Mitglieder zumindest in Textform oder die Bekanntmachung in einem öffentlichen Blatt.94) Einzuberufen ist die Versammlung durch den Vorstand,95) soweit die Satzung oder das Gesetz96) nicht anderes vorsieht. _____________ 86) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 113; Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 247. 87) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 1 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 26. 88) BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2022, 1562 Rz. 16, 19; Schulteis, GWR 2022, 89, 94. 89) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 35. 90) Schulteis, GWR 2020, 169, 170; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 226. 91) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 36. 92) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 35. 93) Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden, § 3 COVMG Rz. 121. 94) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 30. Seit 27.7.2022 ist dabei zusätzlich die Versammlungsform gemäß § 43b Abs. 1 GenG bekanntzumachen. 95) OLG Jena, Beschl. v. 27.5.2021 – 2 W 172/21, NZG 2021, 1167 Rz. 30. 96) § 38 Abs. 2 Satz 1 Gen: Aufsichtsrat; § 60 Abs. 1 GenG: Prüfungsverband; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 30.
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Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Gemäß § 3 Abs. 2 GesRuaCOVBekG reicht es aus, zu einer im Anwendungszeitraum abzuhaltenden General- oder Vertreterversammlung davon abweichend nur im Internet auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform einzuladen.97) Damit soll eine Einberufung auch dann ermöglicht werden, wenn die Satzung die Einberufung in einem Genossenschaftsblatt vorsieht (§ 6 Nr. 4 GenG), das wegen der Beschränkungen der COVID19-Pandemie nicht gedruckt wird.98) Die Erleichterung betrifft nur die Form der Einberufung, nicht die Einberufungsfrist.99)
67
Soll der Zugang zur General- oder Vertreterversammlung (nur) virtuell möglich sein, kann die Einberufung neben den nach Gesetz und Satzung vorgesehenen Inhalten die für den Zugang zur virtuellen Versammlung relevanten Informationen enthalten:
68
–
Tag und Uhrzeit der Versammlung;
–
Internetadresse mit der Angabe der Seite, auf der die Maske zum Einloggen installiert ist;
–
allgemeine Zugangs- oder Einwahldaten;
–
persönliche Zugangsdaten (Nutzername, persönliches Passwort, Zugangs-PIN);
–
ggf. Internetseite bzw. Link, Zugangsdaten und Benutzeranleitung für das Herunterladen und Nutzen spezieller Teilnahme- und/oder Abstimmungssoftware.
Die verwendete Legitimation muss sicherstellen, dass nur Mitglieder an der Versammlung teilnehmen.100) Sofern die Einberufung nur über die Internetseite der Genossenschaft erfolgt, wie dies nach § 3 Abs. 2 Alt. 1 GesRuaCOVBekG möglich ist, müssen die persönlichen Zugangsdaten den Mitgliedern rechtzeitig vor der General- oder Vertreterversammlung übermittelt werden.
69
Die Absage der General- oder Vertreterversammlung, etwa wegen behördlicher Kontaktsperren, hat grundsätzlich als actus contrarius in der gleichen Form zu erfolgen, in der auch die Einladung ausgesprochen wurde.101) Ist dies allerdings wegen der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie nicht möglich, so ist analog § 3 Abs. 2 GesRuaCOVBekG eine Absage im Internet oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform zulässig. Die Absage hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass die Mitglieder sich darauf einrichten können und die Anreise nicht antreten.102)
70
_____________ 97) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 31. 98) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 28; Schulteis, GWR 2020, 169, 171; Schulteis, GWR 2020, 465, 468. Keine Wahlmöglichkeit des zu nutzenden Mediums aus Zweckmäßigkeitsgründen sieht H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 31. 99) Schulteis, GWR 2020, 169, 171; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 224. 100) Vgl. zum Verein OLG Hamm, Beschl. v. 27.9.2011 – 27 W 106/11, NZG 2012, 189; Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 297; Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250; Mecking, ZStV 2011, 161, 164; Wagner in: Reichert/Schimke/Dauernheim, Hdb. Vereins- und Verbandsrecht, Rz. 1907. 101) Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 838; Engel, ZStV 2020, 110. 102) Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 839.
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Genossenschaften
IV. Feststellung des Jahresabschlusses 71
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GenG stellt die Generalversammlung den Jahresabschluss fest. Ihre Zuständigkeit ist ausschließlich und unabdingbar,103) wird aber bei Bestehen einer Vertreterversammlung durch diese ausgeübt. Die Generalversammlung hat in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres stattzufinden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 GenG).
72
§ 3 Abs. 3 GesRuaCOVBekG sieht in Abweichung zu § 48 Abs. 1 Satz 1 GenG vor, dass der Jahresabschluss durch den Aufsichtsrat festgestellt werden kann. Diese Einschränkung der Mitgliedsrechte ist erheblich. Sie kann durch die Einberufung einer rein virtuellen General- oder Vertreterversammlung vermieden werden. Angesichts des erheblichen technischen und finanziellen Aufwands für eine virtuelle Versammlung und des zeitlichen Aufkommens der COVID-19-Pandemie zum Ende des ersten Quartals 2020, war diese Ausnahmeermächtigung jedoch gerechtfertigt, weil ein Hinausschieben der Feststellung ebenfalls nachteilige Folgen für die Mitglieder haben konnte.
73
Da auch in 2021 und 2022 nicht sicher war, ob die durch die COVID-19-Pandemie bedingten Beschränkungen innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres aufgehoben bzw. ob selbst bei einer Aufhebung innerhalb dieser Frist noch eine General- oder Vertreterversammlung einberufen werden könnte, hat der Gesetzgeber diese abweichende Zuständigkeit verlängert. Priorität hatte nach dem Willen des Gesetzgebers, dass der Jahresabschluss festgestellt werden konnte, denn eine fehlende Feststellung könne erhebliche Auswirkungen haben, etwa für die Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben nach § 73 GenG.104) Die Feststellung durch den Aufsichtsrat bietet aber auch Erleichterungen bei prospektiven Verschmelzungen einen zeitlichen Vorteil, da die Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers zum 31.12. schon Anfang des Folgejahres festgestellt und die Verschmelzung beim Registergericht angemeldet werden kann, ohne dass die Generaloder Vertreterversammlung abgewartet werden muss.105)
74
Die Erleichterung des § 3 Abs. 3 GesRuaCOVBekG betrifft jedoch nur die personelle Zuständigkeit zur Feststellung des Jahresabschlusses. Die Vorgaben der Satzung zur Verwendung eines Jahresüberschusses oder der Deckung eines Jahresfehlbetrags sowie die Verfahrensvorschriften der § 48 Abs. 2 und 3 GenG gelten fort.106)
75
So sind der Jahresabschluss, der Lagebericht sowie der Bericht des Aufsichtsrats nach § 48 Abs. 3 GenG mindestens eine Woche vor der Aufsichtsratssitzung, in der der Jahresabschluss festgestellt werden soll, in den Geschäftsräumen der Genossenschaft oder einer anderen geeigneten Stelle zur Einsichtnahme der Mitglieder auszulegen oder den Mitgliedern auf der Internetseite der Genossenschaft zugänglich _____________ 103) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 48 Rz. 1; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Fandrich/Bloehs, GenG, § 48 Rz. 1. 104) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 3 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29. 105) Schulteis, GWR 2021, 395, 401. 106) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 3 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 42.
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Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
zu machen.107) Die Mitglieder können auf eigene Kosten auch eine Abschrift verlangen (§ 48 Abs. 3 Satz 2 GenG). Sind die Geschäftsräume wegen der COVID-19Pandemie geschlossen, so sind die Unterlagen im Internet in einem geschützten Mitgliederbereich zugänglich zu machen. Alternativ können sie den Mitgliedern kostenfrei zugesandt werden. Die Genossenschaft hat die Mitglieder von der Auslegung oder Zugänglichmachung des Jahresabschlusses gesondert zu informieren. Würde die Feststellung des Jahresabschlusses durch die General- oder Vertreterversammlung erfolgen, so wären Auslegungsort und Zeitraum in der Einberufung mitzuteilen, die jedoch entsprechend der Zielsetzung der Regelung vor der Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat entfällt. Entscheiden die Mitglieder aber nicht über den Jahresabschluss, was eine Schwächung ihrer Mitgliedsrechte bedeutet, so müssen die Kontrollmöglichkeiten der Mitglieder umso mehr gewahrt werden. Es ist jedoch ausreichend, wenn die Mitteilung von der Auslegung oder Zugänglichmachung des Jahresabschlusses analog § 3 Abs. 3 GesRuaCOVBekG auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in Textform erfolgt.
76
Der Aufsichtsrat stellt den Jahresabschluss mit der ihm in der Satzung für Beschlüsse auferlegten Mehrheit fest; wenn nichts anderes geregelt ist, genügt die Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen.108) War das Beschlussverfahren mangelhaft oder verstößt der Beschluss seinem Inhalt nach gegen Gesetz oder Satzung, ist der Beschluss fehlerhaft und damit nichtig.109) Die Mitglieder üben nachträglich in der General- oder Vertreterversammlung im Zusammenhang mit der Entlastung des Aufsichtsrats eine Kontrolle aus.110) Es hat sich gezeigt, dass bei einer späteren Durchführung einer General- bzw. Vertreterversammlung im Rahmen der Einberufung sinnvollerweise darauf hingewiesen wurde, dass die Feststellung des Jahresabschlusses gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GenG nicht mehr anstand.111)
77
V. Abschlagszahlung § 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG trifft eine Sonderregel zur Auszahlung von Auseinandersetzungsguthaben und Dividenden für den Fall, dass sich die Feststellung des Jahresabschlusses aufgrund der COVID-19-Pandemie verzögert. Ausnahmsweise werden Abschlagszahlungen erlaubt, um Liquiditätsengpässe bei den Mitgliedern bzw. ausgeschiedenen Mitgliedern zu vermeiden.112) 1.
78
Auseinandersetzungsguthaben
Scheidet ein Mitglied aus der Genossenschaft aus, so erfolgt gemäß § 73 Abs. 1 GenG die Auseinandersetzung zwischen Genossenschaft und dem ausgeschiedenen _____________ 107) Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Fandrich/Bloehs, GenG, § 48 Rz. 18. 108) Beuthien-Beuthien, GenG, § 36 Rz. 14; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 235. 109) Beuthien-Schöpflin, GenG, § 48 Rz. 20a. 110) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 239. 111) Schulteis, GWR 2020, 465, 468. 112) Schulteis, GWR 2020, 169, 172; Schulteis, GWR 2020, 465, 468.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Genossenschaften
Mitglied. Die Auseinandersetzung erfolgt auf Grund der ordentlichen Jahresbilanz,113) die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GenG innerhalb der ersten sechs Monate des Geschäftsjahres festzustellen ist. 80
Das Auseinandersetzungsguthaben richtet sich nach der Vermögenslage der Gesellschaft und der Zahl ihrer Mitglieder zur Zeit des Ausscheidens (§ 73 Abs. 1 Satz 2 GenG). Weist die Bilanz einen Gewinn aus oder ist sie ausgeglichen, so ist das Geschäftsguthaben des Mitglieds auszuzahlen. Einen Anspruch auf einen Anteil an den Rücklagen und dem sonstigen Vermögen hat der Ausscheidende nur, soweit dies in der Satzung vorgesehen ist (§ 73 Abs. 3 Satz 1 GenG). Ist die Genossenschaft ausweislich der Bilanz überschuldet, so hat sich der Ausscheidende an diesem Verlust im Verhältnis der Mitglieder und Geschäftsguthaben zu beteiligen (§ 73 Abs. 2 Satz 4).
81
Der Anspruch auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens entsteht dem Grunde nach mit der Einzahlung des Geschäftsanteils, ist aber aufschiebend bedingt durch das Ausscheiden und einen positiven Auseinandersetzungssaldo.114) Endgültig entsteht der Auszahlungsanspruch im Zeitpunkt des Ausscheidens und wird mit der Genehmigung der Bilanz gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GenG, spätestens mit Ablauf der Auszahlungsfrist von sechs Monaten nach dem Ausscheiden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 GenG), fällig.115) Die Fälligkeit ist allerdings ausgesetzt, soweit und solange durch die Auszahlung das in der Satzung festgelegte Mindestkapital unterschritten würde (§ 73 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 8a GenG).
82
Die Satzung kann längere Auszahlungsfristen und Auszahlungsbedingungen (z. B. Ratenzahlung) vorsehen (§ 73 Abs. 4 Halbs. 1 GenG). Legt die Genossenschaft die Bilanz nicht spätestens zum Ablauf der Halbjahres-Frist des § 73 Abs. 2 Satz 2 GenG vor, obwohl es ihr möglich gewesen wäre, so fallen ab diesem Tag Verzugszinsen gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB an.116) 2.
Dividende
83
Bei der Feststellung des Jahresabschlusses gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 GenG entscheidet die Generalversammlung unter Berücksichtigung der Vorgaben in der Satzung über die Verwendung des Jahresüberschusses oder die Deckung eines Jahresfehlbetrags. Daraus ergibt sich der Teil des Jahresüberschusses, der zur Verteilung an die Mitglieder freigegeben wird, also der zu verteilende Gewinn i. S. des § 19 Abs. 1 Satz GenG.
84
Die Mitglieder erlangen den Gewinnauszahlungsanspruch erst durch den Gewinnverteilungsbeschluss der Generalversammlung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 GenG), soweit nicht der Gewinn dem Geschäftsguthaben zuzuschreiben ist (§ 19 Abs. 1 Satz 3 GenG).117) _____________ 113) Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Fandrich, GenG, § 73 Rz. 4; Beuthien-Beuthien, GenG, § 73 Rz. 5. 114) Beuthien-Beuthien, GenG, § 73 Rz. 6. 115) Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Fandrich, GenG, § 73 Rz. 5; Beuthien-Beuthien, GenG, § 73 Rz. 6; a. A. Henssler/Strohn-Geibel, GesR, § 73 Rz. 5, der die Fälligkeit immer erst sechs Monate nach dem Ende des Geschäftsjahrs des Ausscheidens annimmt. 116) Beuthien-Beuthien, GenG, § 73 Rz. 6. 117) Beuthien-Beuthien, GenG, § 19 Rz. 3.
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Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Abschlagszahlungen auf den noch nicht förmlich festgestellten Jahresgewinn sind grundsätzlich unzulässig und können auch nicht von der Generalversammlung beschlossen werden.118) 3.
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Abschlagszahlung nach § 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG
§ 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG erlaubt dem Vorstand, mit Zustimmung des Aufsichtsrats auf eine zu erwartende Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens oder eine zu erwartende Dividende Abschlagszahlungen zu leisten.
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Nach dem GenG sind Abschlagszahlungen auf Dividenden und Auszahlungen von Auseinandersetzungsguthaben vor der Feststellung des Jahresabschlusses unzulässig (§ 48 Abs. 1 Satz 2 GenG). § 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG ist daher lex specialis, der diese Zahlungen ausnahmsweise zulässt (§ 7 Abs. 3 Alt. 3 GesRuaCOVBekG). Der Gesetzgeber strebt mit dieser Regelung an, dass mögliche Liquiditätsengpässe bei den Mitgliedern bzw. den ausgeschiedenen Mitgliedern abgemildert werden.119) Zumindest die Möglichkeit, Abschläge auf Dividenden zu zahlen, wurde jedoch kaum genutzt.120)
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Um sicherzustellen, dass kein höherer Betrag ausgekehrt wird als das (ausgeschiedene) Mitglied letztlich erhalten darf, gilt § 59 Abs. 2 AktG analog.121) Der Vorstand hat über die Auszahlung eines Abschlags nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Im Rahmen der Ermessensausübung muss der Vorstand einerseits das Interesse der Mitglieder an einer Zuführung von Liquidität in seine Überlegung einbeziehen. Andererseits hat der Vorstand auch das (Selbst-)Finanzierungsinteresse der Genossenschaft zu berücksichtigen, das besonders in den unsicheren Zeiten der COVID-19-Pandemie sichergestellt werden muss.122)
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Ein weiterer Gesichtspunkt in der Ermessensanwendung kann sein, dass gemäß § 3 Abs. 3 GesRuaCOVBekG die Feststellung des Jahresabschlusses gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GenG ausnahmsweise durch den Aufsichtsrat erfolgen kann. Es muss daher geprüft werden, ob eine derartige Feststellung des Jahresabschlusses, die die Ansprüche auf Auszahlung der Dividenden und Auseinandersetzungsguthaben entstehen lässt, nicht zeitlich und/oder organisatorisch günstiger ist. Die Auszahlung von Abschlägen sollte angesichts der grundsätzlichen Ablehnung durch das GenG der Ausnahmefall bleiben. Der Vorstand sollte die der Ermessensausübung zugrunde liegenden Überlegungen schriftlich dokumentieren.
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Entscheidet sich der Vorstand nach Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens für eine Abschlagszahlung, so müssen diese Voraussetzung vorliegen:123)
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–
Der Vorstand schlägt nach pflichtgemäßem Ermessen die Abschlagszahlung vor;
_____________ 118) Beuthien-Beuthien, GenG, § 19 Rz. 3; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Pöhlmann, GenG, § 19 Rz. 8; BGH, Urt. v. 9.6.1960 – II ZR 164/58, NJW 1960, 1858, 1859. 119) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 4 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29. 120) Schulteis, GWR 2020, 465, 468. 121) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 248. 122) Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1178. 123) § 3 Abs. 4 Halbs. 2 GesRuaCOVBekG i. V. m. § 59 Abs. 2 AktG analog; Schulteis, GWR 2020, 169, 172.
Cymutta
169
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Genossenschaften
–
ein vorläufiger Abschluss für das vergangene Geschäftsjahr weist einen Jahresüberschuss aus;
–
es wird höchstens die Hälfte des Betrags als Abschlag ausgezahlt, der vom Jahresüberschuss nach Abzug der Beträge verbleibt, die nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellen sind;
–
der Abschlag darf insgesamt die Hälfte des vorjährigen Bilanzgewinns nicht übersteigen;
–
das Mindestkapital gemäß § 8a GenG wird durch die Auszahlung nicht unterschritten;
–
der Aufsichtsrat stimmt der Abschlagszahlung zu.
91
Abschlagszahlungen, die zu Unrecht bezogen wurden, sind nach § 812 Abs. 1 BGB zurückzuerstatten.124) Die Empfänger können sich nach § 820 BGB nicht auf eine Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen, wenn die Abschlagszahlungen ausdrücklich und unwidersprochen unter dem Vorbehalt der späteren Rückforderung gezahlt wurden.125)
92
Bei unberechtigten Abschlagszahlungen haften der Vorstand und der Aufsichtsrat der Genossenschaft gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz, sofern die Voraussetzungen der §§ 34, 41 GenG vorliegen.126) Bei der Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung ist ergänzend zu § 34 Abs. 3 GenG der speziellere § 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG zu berücksichtigen. VI. Amtszeit Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder
93
Der Vorstand der Genossenschaft muss aus mindestens zwei Personen bestehen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 GenG);127) die Satzung kann eine andere Zahl vorschreiben (§ 24 Abs. 2 Satz 2 GenG). Die Amtsdauer des Vorstands kann enden durch: –
Ablauf der vorgesehenen Amtszeit,
–
Widerruf der Bestellung (§ 24 Abs. 2 Satz 1 GenG, Abberufung),
–
einvernehmliche Aufhebung,
–
einseitige Amtsniederlegung,
–
Tod,
–
Ausscheiden aus der Genossenschaft (§ 9 Abs. 2 Satz 1 GenG) oder der Mitgliedsgenossenschaft (§ 9 Abs. 2 Satz 2 GenG),
–
eine Kündigung der Mitgliedschaft (§§ 65 ff. GenG),
–
Ausschließung aus der Genossenschaft (§ 68 GenG),
_____________ 124) Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden, § 3 COVMG Rz. 123 nimmt eine Rückzahlungspflicht auf der Grundlage von § 62 Abs. 1 AktG analog an. 125) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 45. 126) Beuthien-Beuthien, GenG, § 34 Rz. 21; Vosberg/Klawa in: Kölner Hdb. Handels- und Gesellschaftsrecht, Kap. 15 D. Rz. 71 f. 127) Bei weniger als 20 Mitgliedern kann die Satzung bestimmen, dass der Vorstand nur aus einer Person besteht (§ 24 Abs. 2 Satz 3 GenG).
170
Cymutta
Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
–
auflösende Bedingung oder
–
Amtsenthebung durch den Aufsichtsrat (§ 40 GenG).128)
Der Aufsichtsrat der Genossenschaft besteht grundsätzlich aus drei von der Generalversammlung zu wählenden Personen; die Satzung kann eine höhere Anzahl festsetzen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GenG). Das Amt des Aufsichtsrats endet: –
mit Ablauf der durch die Satzung oder die Generalversammlung bei der Wahl festgelegten Amtszeit,
–
durch Amtsniederlegung,
–
Widerruf der Bestellung (§ 36 Abs. 3 GenG),
–
Tod,
–
Ausscheiden aus der Genossenschaft (§ 9 Abs. 2 Satz 1 GenG) oder der Mitgliedsgenossenschaft (§ 9 Abs. 2 Satz 2 GenG),129)
–
infolge einer Kündigung der Mitgliedschaft (§§ 65 ff GenG) oder
–
durch Ausschließung (§ 68 GenG).
94
Eine gerichtliche Abberufung entsprechend § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG ist nicht möglich.130)
95
Da der Vorstand und der Aufsichtsrat von der General- oder Vertreterversammlung gewählt werden (§§ 24 Abs. 2 Satz 1, 36 Abs. 1 Satz 1 GenG), bestand die Gefahr, dass die Genossenschaft handlungsunfähig wird, weil die Amtszeit der Vorstände und Aufsichtsräte – etwa durch Zeitablauf – endet, aber General- oder Vertreterversammlungen wegen der Kontaktsperren nicht einberufen werden dürfen. Dem begegnet § 3 Abs. 5 GesRuaCOVBekG,131) nach dem Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats132) auch nach Ablauf der Amtszeit bis zur Bestellung der Nachfolger im Amt bleiben.133) So sollen gerichtliche Notbestellungen vermieden werden, die die Gerichte in der COVID-19-Pandemie unnötig belasten würden.134)
96
Die Amtszeit der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder endet bei Anwendung des § 3 Abs. 5 GesRuaCOVBekG nicht mit der Wahl des Nachfolgers, sondern erst mit dessen Annahme der Wahl.135) Wurde jedoch bereits ein Ersatzmitglied gewählt, so rückt dieses in die Organstellung nach, so dass kein Bedürfnis für die Anwendung des § 3 Abs. 5 GesRuaCOVBekG besteht.136)
97
_____________ 128) Beuthien-Beuthien, GenG, § 24 Rz. 19. 129) Prinzip der Selbstorganschaft, Vosberg/Klawa in: Kölner Hdb. Handels- und Gesellschaftsrecht, Kap. 15 D. Rz. 64. 130) Beuthien-Beuthien, GenG, § 36 Rz. 21. 131) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 5 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29. 132) Bei der AG wurde keine entsprechende Regelung getroffen, Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 843. 133) Gottschalk/Ulmer, GWR 2020, 133, 134; Schulteis, GWR 2020, 465, 469. 134) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 5 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29; Schulteis, GWR 2020, 169, 172. 135) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 39. 136) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 262; Römermann/ Grupe, in: Römermann, Leitfaden, § 3 COVMG Rz. 127.
Cymutta
171
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Genossenschaften
98
Der Vorstand und der Aufsichtsrat sind während der Fortsetzung ihres Amtes voll handlungsfähig. Zulässig ist daher, dass auch ein (nur) im Amt gebliebener Aufsichtsrat den Jahresabschluss gemäß § 3 Abs. 3 GesRuaCOVBekG feststellt bzw. ein (nur) im Amt gebliebener Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen über Abschlagszahlungen im Verfahren gemäß § 3 Abs. 4 GesRuaCOVBekG entscheidet. Der Gesetzgeber hat keine Einschränkung der Funktionalität der Organe etwa nur auf unaufschiebbare Geschäfte vorgesehen. Vielmehr dient die Fortdauer der Amtszeit dazu, die Genossenschaft handlungsfähig zu halten,137) was insbesondere die Sondermaßnahmen in Zeiten der COVID-19-Pandemie umfasst.
99
Die Regelung des § 3 Abs. 5 GesRuaCOVBekG schließt eine Abberufung oder Amtsniederlegung von Vorstandsmitgliedern nicht aus.138)
100
Ist einzelnen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern eine Fortsetzung ihres Amtes bis zur Bestellung des Nachfolgers nicht möglich, so ist nach § 3 Abs. 5 Satz 2 GesRuaCOVBekG unschädlich, wenn die Zahl der Organmitglieder unter die gesetzliche oder satzungsmäßige Mindestzahl sinkt.139) Diese Erleichterung greift jedoch nicht, wenn in Genossenschaften mit weniger als 20 Mitgliedern der Vorstand nur aus einer Person besteht (§ 24 Abs. 2 Satz 3. GenG) oder wenn in einer Kreditgenossenschaft entgegen § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KWG der Vorstand aus weniger als zwei Mitgliedern besteht.140) In diesen Ausnahmefällen muss eine Genossenschaft weiterhin eine gerichtliche Notbestellung veranlassen.141) VII.
101
Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse
§ 3 Abs. 6 GesRuaCOVBekG erlaubt die Durchführung von Sitzungen des Vorstands oder des Aufsichtsrats sowie gemeinsamer Sitzungen der beiden Gremien im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz, wenn dazu keine Regelungen in der Satzung oder der Geschäftsordnung der Gremien getroffen wurden.142) Da die Regelungen des GesRuaCOVBekG die Handlungsfähigkeit der Genossenschaft gewährleisten sollen, sind die Erleichterungen des § 3 Abs. 6 GesRuaCOVBekG, also die Beschlussfassung im Umlaufverfahren in Textform oder als Telefon- oder Videokonferenz, auch für nachgeordnete Gremien, wie z. B. einen Wahlausschuss, anzuwenden.143)
_____________ 137) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 5 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29. 138) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 39; Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden, § 3 COVMG Rz. 126. 139) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 5 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29; Schulteis, GWR 2020, 169, 172; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 9 Rz. 39. 140) Gleiches soll laut OLG Naumburg, Beschl. v. 6.11.2020, NZG 2021, 77, 78 Rz. 7 gelten, wenn die zur Vertretung der Genossenschaft erforderliche Anzahl an Vorstandsmitgliedern unterschritten ist. A. A. Jasper/Pehrsson, NZG 2021, 1244, 1251. 141) Schulteis, GWR 2020, 169, 173; Schulteis, GWR 2020, 465, 468; Römermann-Römermann/ Grupe, COVID-19 AbmG, § 3 COVMG Rz. 268. 142) AG Nürnberg, Urt. v. 24.9.2021 – 35 C 1932/21 Rz. 33; Schulteis, GWR 2020, 169, 173; Schulteis, GWR 2020, 465, 469. 143) Schulteis, GWR 2020, 465, 469.
172
Cymutta
Genossenschaften
Art. 2 COVAbmildG/§ 3 GesRuaCOVBekG
Die Beschlussfassung im Umlaufverfahren oder als Telefon- oder Videokonferenz ist selbst dann zulässig, wenn die Satzung und/oder die Geschäftsordnung diese Verfahren ausdrücklich ausgeschlossen haben.144)
102
Die Regelung des § 3 Abs. 6 GesRuaCOVBekG ermöglicht neben der Durchführung von Sitzungen des Vorstands und/oder des Aufsichtsrates auch, dass die Prüfungsabschlusssitzung des Prüfers mit dem Vorstand und dem Aufsichtsrat gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 GenG als Videokonferenz erfolgen kann.145)
103
_____________ 144) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 3 Abs. 6 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 29. 145) Schulteis, GWR 2020, 169, 173.
Cymutta
173
§4 Umwandlungsrecht Eberspächer
Abweichend von § 17 Absatz 2 Satz 4 des Umwandlungsgesetzes genügt es für die Zulässigkeit der Eintragung, wenn die Bilanz auf einen höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist. Kommentierung dazu siehe Eberspächer, in: Fritz, COVInsAG, 2. Auflage
Eberspächer
175
§5 Vereine, Parteien und Stiftungen Cymutta
(1) Ein Vorstandsmitglied eines Vereins oder einer Stiftung bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt. (2) Abweichend von § 32 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung vorsehen, dass Vereinsmitglieder 1.
an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können oder müssen,
2.
ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abgeben können.
(2a) Abweichend von § 36 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist der Vorstand nicht verpflichtet, die in der Satzung vorgesehene ordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen und die Durchführung der Mitgliederversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder nicht zumutbar ist. (3) Abweichend von § 32 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder gültig, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde. (3a) Die Absätze 2 und 3 gelten auch für den Vorstand von Vereinen und Stiftungen sowie für andere Vereins- und Stiftungsorgane. (4) Absatz 1 gilt für Vorstandsmitglieder und Vertreter in den sonstigen Organen und Gliederungen der Parteien entsprechend. Absatz 2 Nummer 1 gilt für Mitglieder- und Vertreterversammlungen der Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonstigen Organe entsprechend. Dies gilt nicht für die Beschlussfassung über die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Absatz 4 des Parteiengesetzes. Die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung im Wege der Briefwahl oder auch zeitlich versetzt als Urnenwahl an verschiedenen Orten zulassen. § 17 Satz 2 des Parteiengesetzes bleibt unberührt.
Cymutta
177
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
Gesetzestext bis 28.02.2021:
§ 5*) Vereine und Stiftungen Cymutta
(1) Ein Vorstandsmitglied eines Vereins oder einer Stiftung bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt. (2) Abweichend von § 32 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung Vereinsmitgliedern ermöglichen, 1.
an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben oder
2.
ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abzugeben.
(3) Abweichend von § 32 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder gültig, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde. (4) Absatz 1 gilt für Vorstandsmitglieder und Vertreter in den sonstigen Organen und Gliederungen der Parteien entsprechend. Absatz 2 Nummer 1 gilt für Mitglieder- und Vertreterversammlungen der Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonstigen Organe entsprechend. Dies gilt nicht für die Beschlussfassung über die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Absatz 4 des Parteiengesetzes. Die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung im Wege der Briefwahl oder auch zeitlich versetzt als Urnenwahl an verschiedenen Orten zulassen. § 17 Satz 2 des Parteiengesetzes bleibt unberührt. Literatur: Beck, Aktuelles zur elektronischen Hauptversammlung, RNotZ 2014, 160; Dehesselles/Richter, Die virtuelle Mitgliederversammlung in Verbänden, npoR 2016, 246; DNotI, „Umwandlung“ einer Präsenzversammlung in eine virtuelle Mitgliederversammlung nach Einberufung der Präsenzversammlung; Absage und Neueinberufung, DNotI-Report 2021, 25; Engel, Mitgliederversammlungen in Zeiten des Corona-Virus, ZStV 2020, 110; Fisch, Gesetzliche Erleichterungen für die Arbeitsweise von Vereinen und Stiftungen in der Corona-Krise – Arbeitsweise mit eingeschränkter und ohne physische Präsenz, NZG 2020, 512; Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, 2021; Fleck, Die virtuelle Mitgliederversammlung im eingetragenen Verein, DNotZ 2008, 245; Gottschalk/Ulmer, Das Gesellschaftsrecht im Bann des Corona-Virus, GWR 2020, 133; Gsell/Krüger/Lorenz/ Reymann, beck-online.GROSSKOMMENTAR, BGB, 1.12.2022; Habighorst, Das Gesetz zur Ermöglichung virtueller und hybrider Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht, NZG 2023, 356; Herb/Merkelbach, Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Vorberei-
_____________ *)
178
Absätze 1, 2 und 3 sind am 27.3.2020 in Kraft getreten, Absatz 4 mit Wirkung vom 6.11.2020. Mit Wirkung zum 28.2.2021 wurden Absatz 2 neu gefasst sowie Absätze 2a und 3a eingefügt.
Cymutta
Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
tung, Durchführung und rechtliche Gestaltungsoptionen, DStR 2020, 811; Herrler, Praxisfragen rund um die virtuelle Hauptversammlung iSv Art. 2 § 1 II COVID-19-Gesetz, GWR 2020, 191; Herrler, Die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Gesetz, DNotZ 2020, 468; Jaspers/Pehrsson, Die virtuelle Haupt- und Mitgliederversammlung im Praxistest, Rechtsprechung zu virtuellen Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen auf Grundlage des COVMG, NZG 2021, 1244; Kopp, Der Verein in der „COVID19-Not“, GWR 2021, 158; Krüger, Fernabstimmung bei Vereinen – Zulässigkeit und Wege der Beteiligung ohne persönliche Anwesenheit, MMR 2012, 85; Leinenbach/ Alvermann, Umlaufbeschlüsse und virtuelle Mitgliederversammlung in Vereinen während Corona, NJW 2020, 2319; Leuschner, Anforderungen an die Bestimmtheit einer die virtuelle Mitgliederversammlung ermöglichenden Satzungsbestimmung beim Verein, RiD 2023, 206; Lieder, Unternehmensrechtliche Implikationen der Corona-Gesetzgebung, ZIP 2020, 837; Lieder, Die Bedeutung des Vertrauensschutzes für die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts, NZG 2020, 81; Mayer/Jenne, Hauptversammlungen in Zeiten von Epidemien und sonstigen Gefahrenlagen – zugleich Besprechung des COVID-19Pandemie-Gesetzes, BB 2020, 835; Mecking, Mitgliederversammlung 2.0: Zur Zulässigkeit der Willensbildung im Verein über elektronische Medien, ZStV 2011, 161; Morlok, Parteiengesetz, 2. Aufl., 2013; Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., 2021; Nessler, Die (neue) Beschlussfassung „der Mitglieder“ außerhalb von Mitgliederversammlungen, ZStV 2020, 168; Noack, Mitgliederversammlung bei Großvereinen und digitale Teilhabe, NJW 2018, 1345; Noack, ARUG: das nächste Stück der Aktienrechtsreform in Permanenz, NZG 2008, 441; Noack, Virtuelle Hauptversammlungen auch im Jahr 2022 – und was danach?, NZG 2021, 1233; Piper, Virtuelle Mitgliederversammlungen bei Vereinen, NZG 2012, 735; Otto, Aus der Rechtsprechung zum Vereinsrecht im Jahr 2021, npoR 2022, 168; Otto, Vereine ohne Vorstand? _Die zeitlichen Grenzen des Fortbestands nach § 5 Abs. 1 COVMG, MDR 2023, 7; Rapp, Implikationen der COVID-19-Pandemie für Dividende, Besteuerung und Abschlussprüferbestellung: Ist die digitale Hauptversammlung unausweichlich?, DStR 2020, 806; Reffken, Die Rechts-, Partei- und Grundbuchfähigkeit politischer Parteien, NVwZ 2009, 1131; Reichert/Schimke/Dauernheim, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl., 2018; Römermann, COVID-19 Abmildungsgesetze, 2. Aufl., 2022; Römermann, Leitfaden für Unternehmen in der Covid-19 Pandemie, 2020; Scheibner, Virtuelle General- bzw. Vertreterversammlung einer Genossenschaft zur Verschmelzung, DZWIR 2022, 89; Scheuch, Mitgliederversammlung 2.0, ZStV 2012, 141; Schindler/Schaffner, Virtuelle Beschlussfassung in Kapitalgesellschaften und Vereinen, 2021; H. Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., 2021; Schmaus, Die virtuelle Durchführung von und die virtuelle Teilnahme an Mitgliederversammlungen in Vereinen, npoR 2022, 131; Schneider/Bischoff, Virtuelle Mitgliederversammlungen in Zeiten der Corona-Pandemie, ZStV 2020, 153; Schöneborn, Waren rein virtuelle Mitgliederversammlungen nach dem COVMG bis zum 27.02.2021 wirklich zulässig?, COVuR 2021, 205; Schulteis, Gesellschaftsrecht in Zeiten des „Coronavirus“: Änderungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im GmbH-Recht, Genossenschaftsrecht, Umwandlungsrecht, Vereins- und Stiftungsrecht sowie WEG-Recht, GWR 2020, 169; Schulteis, Die Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, GWR 2020, 465; Schulteis, Für Körperschaften öffentlichen Rechts gelten die gesellschaftsrechtlichen Erleichterungen aus §§ 1 ff. COVMG weder unmittelbar noch analog, GWR 2021, 351; Schulteis, Umwandlungsrechtliche Beschlüsse im Rahmen einer virtuellen Mitgliederversammlung – Urteilsanmerkung zu OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166; Schulteis, Das Aufbauhilfegesetz 2021 und seine wirtschaftsrechtlichen Auswirkungen insb. auf das Insolvenzrecht und auf das Gesellschaftsrecht, GWR 2021, 395; Schulteis, Elektronische Beschlussfassung und virtuelle Versammlungen bei Genossenschaften in Zeiten der COVID-19Pandemie – zugleich eine Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, GWR 2022, 89; Schwenn/Blacher, Virtuelle Mitgliederversammlungen und Gremiensitzungen
Cymutta
179
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
von Vereinen und Stiftungen – ein Praxisleitfaden, nopR 2020, 154; Segna, Neuerungen für Vereine und Stiftungen durch das COVID-19-Pandemie-Gesetz 2020, nopR 2020, 148; Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 12. Aufl., 2021; Thölke, Ende der pandemiebezogenen Erleichterungen im Vereins- und Stiftungsrecht zum 31.08.2022, jurisPRHaGesR 10/2022 Anm. 1; Vetter/Tielmann, Unternehmensrechtliche Gesetzesänderungen in Zeiten von Corona, NJW 2020, 1175; Wälzholz/Bayer, Auswirkungen des „CoronaGesetzes“ auf die notarielle Praxis, DNotZ 2020, 285; Weber, Die Mitgliederversammlung des Vereins in Zeiten der Pandemie – Vereinsrechtliche Änderungen ab dem 28.2.2021, nopR 2021, 99: Weitemeyer/Hepperle, Rechte der Mitglieder bei gesetzlicher Verankerung virtueller Mitgliederversammmlungen und Organversammlungen in Vereinen und Stiftungen, npoR 2022, 290; Wicke, BGH-Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21 und die große verbandsrechtliche Frage der Stunde, DStR 2022, 498. Übersicht I. 1. 2. 3. 4.
Einleitung ............................................. 1 Die Regelungen im Überblick .............. 1 Zeitlicher Anwendungsbereich ............ 5 Sachlicher Anwendungsbereich ............ 9 Entstehungsgeschichte und Normzweck ......................................... 13 II. Amtszeit Vorstandsmitglieder ......... 17 1. Vereinsvorstand ................................... 17 2. Weitere Vereinsorgane ........................ 23 3. Abberufung, Amtsniederlegung von Vorständen ................................... 28 4. Rechtsfolgen des Außerkrafttretens .................................................. 30 5. Stiftungsvorstand ................................ 35 III. Mitgliederversammlung .................... 36 1. Allgemeines ......................................... 36 2. Virtuelle Mitgliederversammlung ...... 43 a) Zulässigkeit .................................. 44 b) Einberufungsermächtigung gemäß GesRuaCOVBekG .......... 47 c) Einberufung .................................. 57 d) Teilnahme des Vorstands ............ 62 e) Versammlungsleitung .................. 68 f) Beschlussfassung .......................... 72 3. Gemischte Mitgliederversammlung ...... 82
1
I.
Einleitung
1.
Die Regelungen im Überblick
a) Einberufung .................................. 86 b) Versammlungsleitung .................. 87 c) Beschlussfassung .......................... 89 4. Schriftliche Stimmabgabe vor der Versammlung .......................... 92 a) Form der Stimmabgabe ............... 94 b) Frist zur Stimmabgabe ................. 99 c) Mehrfache Stimmabgabe ........... 102 d) Stichwahlen ................................. 104 5. Nicht-Einberufung der Mitgliederversammlung .......................... 105 a) Versammlungsverbot ................. 107 b) Unzumutbarkeit ......................... 111 IV. Mitgliederbeschlüsse ohne Versammlung (Umlaufverfahren) ....... 115 1. Beteiligung aller Mitglieder ............... 119 2. Beteiligungsfrist ................................. 124 3. Form ................................................... 125 4. Mehrheitserfordernis ........................ 128 V. Vorstandsbeschlüsse ........................ 132 VI. Parteien ............................................. 136 1. Parteivorstand .................................... 136 2. Mitglieder- und Vertreterversammlungen von Parteien ................. 142
Mit § 5 des GesRuaCOVBekG1) sollten Vereine und Stiftungen während der COVID19-Pandemie handlungsfähig gehalten werden. Das GesRuaCOVBekG ist ursprünglich als Art. 2 COVAbmildG2) verabschiedet worden. _____________ 1)
2)
180
Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569; Überschrift geändert, Abs. 4 angefügt durch Gesetz vom 28.10.2020 (BGBl. I, 2264) mWv 6.11.2020; Abs. 2 neu gefasst, Abs. 2a und 3a angefügt durch Gesetz vom 22.12.2020 (BGBl. I, 3328) mWv 28.2.2021. Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVAbmildG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569.
Cymutta
Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
§ 5 GesRuaCOVBekG sieht Erleichterungen für Vereine und Stiftungen vor, die wegen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch Verordnungen und/oder Allgemeinverfügungen der Kommunen, Bundesländer und des Bundes – insbesondere im Hinblick auf Abstandsgebote, Kontaktsperren, Ausgangsbeschränkungen, Versammlungsverbote etc. – Schwierigkeiten haben, die satzungsgemäß vorgesehenen Mitgliederversammlungen abzuhalten.
2
Um die Handlungsfähigkeit von Vereinen und Stiftungen zu erhalten, sollten Vorstände auch nach Ablauf der Amtszeit bis zur Abberufung oder Bestellung eines Nachfolgers im Amt bleiben (Abs. 1).
3
Vereinen wurde außerdem erlaubt, Online-Mitgliederversammlungen durchzuführen und Vereinsmitglieder an Abstimmungen zu beteiligen, die nicht an der Mitgliederversammlung teilnahmen, selbst wenn dies in der Satzung nicht vorgesehen ist (Abs. 2).3) Wenn eine Versammlung nicht zulässig und die virtuelle Mitgliederversammlung für Verein und/oder Mitglieder unzumutbar war, wurde dem Vereinsvorstand seit 28.2.2021 aber auch erlaubt, die Mitgliederversammlung zu verschieben (Abs. 2a). Schließlich sollten Vereine Beschlüsse auch im Wege des Umlaufverfahrens fassen können (Abs. 3). Die Regelungen galten für Beschlüsse und Versammlungen des Vorstands oder anderer Organe von Vereinen und Stiftungen entsprechend (Abs. 3a). Grundsätzlich sind die Regelungen des § 5 GesRuaCOVBekG auch auf Parteien anwendbar, wobei hinsichtlich der Durchführung von Wahlen wegen der besonderen Stellung der Parteien nach Art. 21 GG Sonderregeln galten (Abs. 4).
4
2.
Zeitlicher Anwendungsbereich
Das GesRuaCOVBekG ist in seiner ursprünglichen Fassung (in der 1. Auflage noch bezeichnet als COVGesMG) am 28.3.2020 in Kraft getreten und sollte mit Ablauf des 31.12.2021 außer Kraft treten (Art. 6 Abs. 2 COVAbmildG). Die Geltung des § 5 GesRuaCOVBekG umfasste zunächst im Jahr 2020 ablaufende Bestellungen von Vereins- oder Stiftungsvorständen sowie im Jahr 2020 stattfindende Mitgliederversammlungen von Vereinen (§ 7 Abs. 5 GesRuaCOVBekG).
5
Mit Verordnung vom 20.10.20204) hat das BMJV auf der Grundlage von § 8 GesRuaCOVBekG die Geltung des § 5 GesRuaCOVBekG mit Wirkung zum 29.10.2020 bis zum 31.12.2021 verlängert.
6
Am 28.10.2020 wurde im Zuge einer Änderung des Bundeswahlgesetzes an § 5 GesRuaCOVBekG der neue Absatz 4 angefügt, der mit Wirkung vom 6.11.2020 in Kraft getreten ist und am 31.12.2021 außer Kraft treten sollte.
7
Die Neufassung des Absatzes 2 sowie die mit Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.20205) eingefügten Absätze 2a und 3a traten gemäß
8
_____________ 3)
4) 5)
Dies wurde in 2020 bei Großvereinen aber nur wenig genutzt. Beispielhaft seien genannt Hertha BSC am 24.5.2020, der Karlsruher SC am 15.5.2020, der VfL Bochum am 20.10.2020 und verschiedene Regionalvereine des ADAC. BGBl. I, 2258; Schulteis, GWR 2020, 465. BGBl. I, 3328.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes mit Wirkung vom 28.2.2021 in Kraft. Gleichzeitig wurde § 7 Abs. 5 GesRuaCOVBekG ebenfalls mit Wirkung zum 28.2.2021 dahingehend geändert, dass die Regelungen des § 5 GesRuaCOVBekG im Jahr 2020 und 2021 galten. Die Verordnung vom 20.10.20206) lief daher insoweit ab dem 28.2.2021 ins Leere.7) Die zeitliche Geltung der Vorschriften wurde im sog. „Aufbauhilfegesetz 2021“8) erneut erweitert.9) Nach § 7 Abs. 5 GesRuaCOVBekG ist § 5 GesRuaCOVBekG nun anzuwenden auf bis zum Ablauf des 31.8.2022 ablaufende Bestellungen von Vorständen von Vereinen, Parteien und Stiftungen und sonstigen Vertretern in Organen und Gliederungen von Parteien sowie auf Versammlungen und Beschlussfassungen, die bis zum Ablauf des 31.8.2022 stattfanden. In § 7 Abs. 5 GesRuaCOVBekG war die Ausweitung des § 5 Abs. 4 GesRuaCOVBekG auf Parteien zuvor nicht abgebildet worden.10) Seit 12.3.2023 ermöglicht ein neuer § 32 Abs. 2 BGB unter bestimmten Voraussetzungen virtuelle und hybride Versammlungen in Vereinen auch ohne Satzungsgrundlage.11) 3.
Sachlicher Anwendungsbereich
9
Sachlich erweitert § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG die Amtszeit der Vorstände von Vereinen und Stiftungen. Die Regelung wurde in § 5 Abs. 4 Satz 1 GesRuaCOVBekG auf Vorstandsmitglieder und Vertreter in Organen und Gliederungen von Parteien ausgeweitet. Auf Körperschaften des öffentlichen Rechts ist § 5 GesRuaCOVBekG nicht anwendbar.12)
10
Die Vorschriften zu den Möglichkeiten der Beschlussfassung und der Abhaltung von Mitgliederversammlungen in § 5 Abs. 2 und 3 GesRuaCOVBekG galten ab Inkrafttreten zunächst nur für Vereine. Ausdrücklich wurden darin nur Erleichterungen für die Durchführung von Mitgliederversammlungen und Fassung von Beschlüssen der Vereinsmitglieder geregelt; die Regelungen waren aber auf Vorstandsbeschlüsse analog anzuwenden. In § 5 Abs. 3a GesRuaCOVBekG wurde dann klargestellt, dass die Absätze 2 und 3 ab 28.2.2021 auch auf Versammlungen und Beschlüsse der Vorstände oder anderen Organe von Vereinen und Stiftungen anzuwenden sind. Die Regelung des neuen § 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG bleibt dagegen auf Vereine beschränkt.
_____________ 6) BGBl. I, 2258. 7) BT-Drucks. 19/25322, S. 23. 8) Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze (AufbhG 2021), v. 10.9.2021, BGBl. I, 4147; BT-Drucks. 19/32275, S. 13. 9) Vgl. auch Noack, NZG 2021, 1233; Schulteis, GWR 2021, 395, 399; Weitemeyer/Hepperle, npoR 2022, 290. 10) Schulteis, GWR 2021, 395, 399. 11) Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht vom 14.3.2023 mWv 15.3.2023, BGBl. I Nr. 72; Beschlussempfehlung und Bericht Rechtsausschuss, BT-Drucks. 22/5585, 1 f.; Habighort, NZG 2023, 356. 12) Schulteis, GWR 2021, 351; OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.3.2021 – 12 W 488/21, BeckRS 2021, 23154 Rz. 47.
182
Cymutta
Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
§ 5 Abs. 4 GesRuaCOVBekG trifft ausschließlich Sonderregeln für Versammlungen von politischen Parteien und ihren Gliederungen. Während Satz 1 für die Amtsdauer von Vorstandsmitgliedern und Vertretern in den sonstigen Organen und Gliederungen der Parteien eine entsprechende Anwendung des Absatz 1 vorsieht, gelten die Sätze 2 bis 5 für Mitglieder- und Vertreterversammlungen der Parteien und ihrer Gliederungen sowie ihrer sonstigen Organe.
11
Die Regelungen des § 5 GesRuaCOVBekG treten neben die bestehenden gesetzlichen und satzungsmäßigen Regelungen.
12
4.
Entstehungsgeschichte und Normzweck
Nachdem die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im März 2020 deutlich geworden waren und viele Kommunen, Bundesländer und der Bund durch Verordnungen und/oder Allgemeinverfügungen auf der Grundlage der Infektionsschutzgesetze Kontaktsperren, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften, Ausgangssperren, Abstandsgebote und andere Maßnahmen verhängt hatten, die das öffentliche Leben weitgehend einschränkten, wurde am 25.3.2020 das COVAbmildG, dessen Art. 2 das GesRuaCOVBekG beinhaltet, im Deutschen Bundestag verabschiedet,13), mit dem die Auswirkungen der Pandemie im Zivil-, Insolvenz-, Gesellschafts- und Strafverfahrensrecht abgemildert werden sollen. Vor allem die Kontaktsperren und Versammlungsverbote drohten, bei vielen Gesellschaften und Vereinen die Eigentümer- und Mitgliederversammlungen zu verhindern, was weitreichende finanzielle Folgen hätte haben können.
13
In den Jahren 2020 und 2021 kam es zu mehreren „Krankheitswellen“, die zu zeitweisen Verschärfungen und nachfolgenden Lockerungen der Beschränkungen im öffentlichen Leben führten. Die Geltungsdauer des GesRuaCOVBekG wurde deshalb mehrfach verlängert.
14
Es zeigte sich außerdem, dass angesichts der großen Geschwindigkeit der parlamentarischen Prozesse bei Verabschiedung des COVAbmildG nicht alle Abläufe bedacht worden waren, so dass mehrfach nachgebessert werden musste. So erlaubte § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG zwar beispielsweise eine virtuelle Mitgliederversammlung in Vereinen, dem Wortlaut nach aber keine virtuellen Vorstandssitzungen zur Vorbereitung der Mitgliederversammlung. Auch zeigte sich, dass Online-Mitgliederversammlungen gerade für Vereine, deren Mitgliedern z. B. aufgrund der Altersstruktur zur Risikogruppe gehören, nicht praktikabel sind, da so nicht die Mitglieder erreicht werden können, die üblicherweise die Mitgliederversammlung besuchen. Diese Mängel wurden durch die Neuregelungen der Absätze 2, 2a und 3a behoben.
15
Im Juni 2020 wurde außerdem ein Gesetzentwurf zur Anpassung des Bundeswahlgesetzes auf den Weg gebracht, um die Aufstellung der Kandidaten für die Bundestagswahl 2021 zu ermöglichen.14) Im Zuge der Beratungen im zuständigen Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages wurde beschlossen, in
16
_____________ 13) Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVAbmildG), v. 27.3.2020, BGBl. I 2020, 569; Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110. 14) BT-Drucks. 19/20596.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
einem neuen Abs. 4 des § 5 GesRuaCOVBekG klarzustellen, dass die Erleichterungen des § 5 GesRuaCOVBekG auch für politische Parteien gelten, um grundsätzlich die Durchführung von Online-Parteitagen zu ermöglichen.15) II. Amtszeit Vorstandsmitglieder 1. 17
Vereinsvorstand
Vereine müssen gemäß § 26 Abs. 1 BGB einen Vorstand haben, der den Verein gerichtlich und außergerichtlich vertritt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BGB).16) Die Amtsdauer des Vereinsvorstands richtet sich grundsätzlich nach der Satzung. Trifft die Satzung keine Regelung, gilt die Bestellung bis auf Widerruf (§ 27 Abs. 2 BGB). Die Satzung kann die Amtszeit begrenzen –
nach Jahren,
–
nach Geschäftsjahren,
–
bis zur nächsten Mitgliederversammlung,
–
auf Lebenszeit des Berufenen,
–
für die Dauer der Inhaberschaft eines bestimmten Amtes oder
–
bis zu einem konkreten Endtermin.17)
18
Mit Ablauf der in der Satzung festgesetzten Amtszeit erlischt das Amt des Vorstands, auch wenn noch kein neuer Vorstand berufen wurde.18) Die Amtszeit des Vorstands verlängert sich nicht automatisch.
19
Um eine Handlungsunfähigkeit des Vorstands zu vermeiden, kann in der Satzung bestimmt werden, dass der Vorstand über seine Amtszeit hinaus bis zur satzungsgemäßen Bestellung des nächsten Vorstands im Amt bleibt.
20
Da die Bestellung des Vorstands grundsätzlich durch Beschluss der Mitgliederversammlung erfolgt (§ 37 Abs. 1 BGB), bestand die Gefahr, dass Vereine und Stiftungen handlungsunfähig werden, wenn die Amtszeit der Vorstände – etwa durch Zeitablauf – endet, Mitgliederversammlungen wegen der Kontaktsperren und Versammlungsverbote aber nicht einberufen werden dürfen und keine satzungsmäßige Regelung über die Fortdauer der Amtszeit bis zur Neubestellung eines Nachfolgers besteht. Dem begegnete § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG, der als Ergänzung zu § 27 BGB zu lesen ist,19) in dem die Fortsetzung des Vorstandsamts auch dann angeordnet wird, wenn die Satzung keine entsprechende Regelung trifft.20) Vereine sollten so handlungsfähig bleiben.21) Soweit die Satzung anordnet, dass „automatisch“ Er_____________ 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21)
184
BT-Drucks. 19/23197, S. 15 f. Zu den Besonderheiten bei Vorständen politischer Parteien vgl. unten Ziff. VI. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 496; Segna in: BeckOGK-BGB, § 27 Rz. 22. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 498. Segna in: BeckOGK-BGB, § 27 Rz. 25. Gottschalk/Ulmer, GWR 2020, 133, 134. Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30; Schultheis, GWR 2020, 169, 174. Zur Anwendung nur auf den Vorstand i. S. des § 26 Abs. 1 BGB, nicht auf einen „erweiterten“ Vorstand Segna, nopR 2020, 148, 149.
Cymutta
Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
satzvorstandsmitglieder in das Amt nachrücken, bedarf es des Rückgriffs auf § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nicht.22) Vorstände, deren Amtszeit in den Jahren 2020, 2021 oder bis zum 31.8.2022 abliefen, blieben daher zunächst im Amt.23) Die Amtsdauer des alten Vorstands endet nach einer Verlängerung gemäß § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG, wenn der neue Vorstand gewählt ist und er die Wahl angenommen hat.24) Die Eintragung im Handelsregister hat lediglich deklaratorischen Charakter (§§ 64, 67 BGB).
21
Ein etwaiger Anstellungsvertrag muss nach Sinn und Zweck der Regelung des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG dahingehend ergänzend ausgelegt werden, dass bei automatischer Verlängerung des Amtes auch das Anstellungsverhältnis automatisch verlängert wird, selbst wenn es befristet ausgestaltet war.25)
22
2.
Weitere Vereinsorgane
Neben dem Vorstand gemäß § 26 BGB und der Mitgliederversammlung können Vereinssatzungen weitere Organe vorsehen, wie etwa nicht im Handelsregister eingetragene Vorstandsmitglieder, besondere Vertreter (§ 30 BGB)26), Beiräte, Ausschüsse, „Gesamtvorstände“, „erweiterte Vorstände“ oder Kassenprüfer.
23
Die Norm des § 5 GesRuaCOVBekG gilt entsprechend ihrer Zweckrichtung primär für die Mitglieder des vertretungsberechtigten Vorstands i. S. des § 26 Abs. 1 BGB.27) Auf Mitglieder eines in der Satzung bestimmten „Gesamtvorstands“ oder „erweiterten Vorstands“ soll § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nach Literaturstimmen nicht anwendbar sein.28) Gleichermaßen wird teilweise eine analoge Anwendung auf besondere Vertreter i. S. des § 30 BGB verneint.29) Begründet wird die Ablehnung der analogen Anwendung zum Teil damit, dass der Gesetzgeber nur beabsichtigt habe, eine Überlastung der Amtsgerichte zu verhindern, die bei automatischem Ausscheiden der gesetzlichen Vorstandsmitglieder Notvertreter hätten bestellen müssen.30) Da die weiteren Vereinsorgane nicht ins Handelsregister eingetragen würden und somit keine Notvertreter bestellt werden müssten, solle § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nicht für sie gelten.
24
Diese enge Beschränkung des Anwendungsbereichs ergibt sich jedoch aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nicht. Die Handlungsfähigkeit eines Vereins hängt zudem nicht nur von seiner gesetzlichen Vertretung ab, sondern auch
25
_____________ 22) Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 5 COVMG Rz. 299. 23) Zu Vorstandsmitgliedern, deren Amtszeit bereits vor Inkrafttreten des GesRuaCOVBekG endete Otto, MDR 2023, 7 Rz. 18 ff. 24) H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 19; Schöpflin in: BeckOK-BGB, § 27 Rz. 6. 25) H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 19. 26) Hierbei kann es sich auch um ein Kollegialorgan handeln, Leuschner in: MünchKommBGB, § 30 Rz. 8; H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 7. 27) Leuschner, in: MünchKomm-BGB, § 5 COVMG Rz. 4. 28) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 663; Segna, nopR 2020, 148, 149; Leuschner, in: MünchKomm-BGB, § 5 COVMG Rz. 4. 29) Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden für Unternehmen, Rz. 156; H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 24. 30) Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden für Unternehmen, Rz. 156.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
der Erfüllung der im Verein anfallenden satzungsmäßigen Aufgaben, mit denen regelmäßig die weiteren Vorstandsmitglieder betraut sind. Würde die Satzung eine einheitliche Regelung hinsichtlich der Amtsdauer von gesetzlichem und „erweitertem“ bzw. „Gesamt“-Vorstand enthalten und wäre § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nur auf ersteren anwendbar, so wäre die Handlungsfähigkeit des Vereins in tatsächlicher Hinsicht erheblich eingeschränkt, da der gesetzliche „Rumpfvorstand“ sämtliche Aufgaben auch der übrigen, satzungsmäßig vorgesehenen Vorstandsmitglieder übernehmen müsste. In der Pandemie war zudem der Tätigkeitsbedarf der Vorstandsmitglieder eher gestiegen als gesunken. 26
Die Gesetzesbegründung zu § 5 GesRuaCOVBekG macht wiederholt deutlich, dass die Regelung insbesondere dann gelten soll, wenn eine Vereinssatzung keine entsprechende Erleichterung vorsieht. Zielrichtung war also nicht nur, die rudimentären gesetzlichen Regelungen zu ergänzen, sondern ausdrücklich auch die satzungsgemäßen Vorgaben der Vereine zu modifizieren. Wenn die Satzung besondere Vertreter bzw. einen „erweiterten“ oder „Gesamtvorstand“ vorsieht, so muss § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG erst recht für diese in der Satzung vorgesehenen Organe gelten, um das Ziel der Handlungsfähigkeit des Vorstands zu erreichen.31)
27
In der Praxis ist diese Diskussion jedoch nicht sehr relevant, da auch Vereinsmitglieder, die nicht im Vorstand sind, in Abstimmung mit dem Vorstand Aufgaben für den Verein übernehmen können und dabei beispielsweise haftungstechnisch nach § 31b BGB privilegiert sind. Handlungen, die von Mitgliedern eines „erweiterten“ oder „Gesamt“-Vorstands in Abstimmung mit dem Vorstand gemäß § 26 BGB ausgeführt werden, sind daher auch dann wirksam, wenn ihre Amtszeit nicht i. S. des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG verlängert wäre. Soweit sich die Mitgliedschaft im „erweiterten“ Vorstand aus einem Amt ergibt (z. B. der Ehrenvorsitzende, der Sprecher der Jugend- oder Seniorenabteilung), bleiben diese „geborenen Mitglieder“ zudem ohnehin bis zur Neubesetzung des Amtes Vorstandsmitglied.32) 3.
28
Abberufung, Amtsniederlegung von Vorständen
Klargestellt wird in § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG, dass das Recht zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern (§ 27 Abs. 2 BGB) erhalten bleibt.33) Ist die Widerruflichkeit der Bestellung durch die Satzung beschränkt, müssen die satzungsmäßigen Voraussetzungen für den Widerruf vorliegen. Ist laut Satzung ein anderes Organ als die Mitgliederversammlung für die Abberufung zuständig und ist dieses nicht handlungsfähig, tritt die Mitgliederversammlung ein.34) _____________ 31) So auch H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 24 für Organe, bei deren Ausfall die Handlungs- oder Vertretungsfähigkeit des Vereins nicht gewährleistet ist; Otto in: Stöber/ Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 633; Otto, MDR 2023, 7 Rz. 13. A. A. Segna, nopR 2020, 148, 149; Leuschner, in: MünchKomm-BGB, § 5 COVMG Rz. 4; RömermannRömermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 5 COVMG Rz. 299; Römermann/Grupe, in: Römermann, Leitfaden für Unternehmen, Rz. 156. 32) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 663. 33) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 1 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 499; Segna in: BeckOGK-BGB, § 27 Rz. 24; Römermann-Römermann/Grupe, COVID-19 AbmG, § 5 COVMG Rz. 303. 34) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 499.
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Cymutta
Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Auch die Niederlegung des Amts durch einen Vorstand, der nicht im Amt bleiben will (etwa aus gesundheitlichen Gründen) ist weiter zulässig, sofern sie nicht zur Unzeit erfolgt.35) Gleichermaßen kann das Amt aus anderen Gründen als Zeitablauf enden, z. B. bei Wegfall der Wählbarkeitsvoraussetzungen oder einem Austritt aus dem Verein.36) In diesen Fällen gilt § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nicht.37) 4.
29
Rechtsfolgen des Außerkrafttretens
§ 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG war in seiner letzten Fassung gültig bis zum 31.8.2022. Vorstandsmitglieder oder andere Organe, deren Amtszeit während der Geltungsdauer des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG ausliefen, blieben zumindest bis zum 31.8.2022 im Amt, auch wenn dies in der Satzung nicht festgelegt war. Fraglich ist aber, ob die Vorstandsämter mit Ablauf des 31.8.2022 automatisch erloschen sind, wenn vor diesem Datum keine Neuwahl erfolgt ist.38)
30
Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG sieht als zeitliche Begrenzung für die Amtszeit der verbliebenen Vorstände nicht das Außerkrafttreten des Gesetzes, sondern die Abberufung oder die Bestellung eines Nachfolgers vor, was für eine Fortdauer auch über den 31.8.2022 hinaus spricht. Das Außerkrafttreten des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG hätte dann nur die Rechtsfolge, dass ab dem 1.9.2022 auslaufende Amtszeiten nicht verlängert werden.
31
Bedeutsam für die Betrachtung ist zudem, dass die Verpflichtung zur Durchführung von Mitgliederversammlungen bis zum 31.8.2022 unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 und 2a GesRuaCOVBekG herabgesetzt oder gar ausgesetzt war. Hätte die nach § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG verlängerte Amtszeit automatisch am 31.8.2022 geendet, so wäre am 1.9.2022 genau die Notlage eingetreten, die das GesRuaCOVBekG seit Beginn der Pandemie verhindern wollte: Die Vereine hätten wegen der Pandemie keine Mitgliederversammlung mit Neuwahlen durchführen können und wären zum Stichtag 1.9.2022 ohne Vorstand handlungsunfähig gewesen. Das war vom Gesetzgeber sicher nicht gewollt.
32
Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach dem Gesetzeszweck endet die Amtszeit der Vorstandsmitglieder und Organe daher erst mit der Bestellung der Nachfolger oder aus anderem Grund, nicht aber wegen des Außerkrafttretens von § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG nach Zeitablauf zum 1.9.2022.39)
33
Zu beachten ist durch den Vorstand allerdings, dass die demokratische Legitimation des Vorstands eine zügige Neuwahl innerhalb angemessener Zeit erfordert.40) Bei der Frage der Angemessenheit bis zur Neuwahl ist zu berücksichtigen, dass die Einschränkungen aufgrund der Pandemie bereits in den letzten Monaten vor dem Aus-
34
_____________ Leuschner in: MünchKomm-BGB, § 5 COVMG Rz. 5. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 499. Otto, MDR 2023, 7 Rz. 12. So Thölke, jurisPR-HaGesR 10/2022 Anm. 1 Ziff. III. 1; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 638, der hieran in Otto, MDR 2023, 7 Rz. 31 aber nicht mehr festhält. 39) Otto, MDR 2023, 7 Rz. 31. So auch zu § 6 GesRuaCOVBekG Scheller in: MünchKommBGB, 8. Aufl., 2021, COVMG § 6 Rz. 3; Zschieschack in: MünchKomm-BGB, 9. Aufl., 2023, WEG § 26 Rz. 121. 40) Otto, MDR 2023, 7 Rz. 32.
35) 36) 37) 38)
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
laufen des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG deutlich reduziert waren. Je eher eine Mitgliederversammlung bereits vor dem 31.8.2022 zumutbarerweise hätte durchgeführt werden können, desto kürzer ist die Frist bis zur Neuwahl zu bemessen. 5. 35
Stiftungsvorstand
Die Regelungen zu Vereinsvorständen in §§ 26 ff. BGB gelten für den Stiftungsvorstand gemäß § 86 BGB entsprechend. Es ist daher sachdienlich, dass die Regelung des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG auch auf den Stiftungsvorstand ausgedehnt wurde. III. Mitgliederversammlung 1.
Allgemeines
36
Die in § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB für Vereine vorgesehene „Versammlung der Mitglieder“ erfordert grundsätzlich eine räumliche, reale Zusammenkunft der Mitglieder. Bei Verwertungsgesellschaften, die regelmäßig als wirtschaftlicher Verein organisiert sind, ist ausnahmsweise gemäß § 19 Abs. 3 VGG in der Satzung vorzusehen, dass Mitglieder an der Mitgliederhauptversammlung ohne Anwesenheit teilnehmen und ihr Stimmrecht im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können.
37
Im allgemeinen Vereinsrecht gibt es erst seit 15.3.2023 mit Wirkung zum 21.3.2023 Vorschriften zu hybriden und virtuellen Mitgliederversammlungen.41) Eine solche war aber bereits zuvor jedenfalls dann zulässig, wenn sie in der Satzung vorgesehen war42) oder alle Mitglieder zustimmten.43)
38
Während der COVID-19-Pandemie war § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG eine Sonderregelung zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie enthielt zwei Möglichkeiten, die Durchführung der Mitgliederversammlung in den Fällen zu erleichterten, in denen der Vorstand in der Satzung dazu nicht ausdrücklich ermächtigt wurde.44) Die Erleichterungen konnten alternativ oder kumulativ zum Einsatz kommen.
39
In Nr. 1 sah § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG a. F. vor, dass der Vorstand den Vereinsmitgliedern ermöglichen kann, an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben, auch wenn der Vorstand in der Satzung nicht dazu ermächtigt wurde. § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG n. F. geht noch einen Schritt _____________ 41) Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht vom 14.3.2023 mWv 15.3.2023, BGBl. I Nr. 72. 42) Weitemeyer/Hepperle, npoR 2022, 290, 291; Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 636; OLG Hamm, Beschl. v. 27.9.2011 – I-27 W 106/11, NZG 2012, 189; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 788; Fleck, DNotZ 2008, 245, 246; Scheuch, ZStV 2012, 141; Mecking, ZStV 2011, 161, 163; Krüger, MMR 2012, 85, 87; Piper, NZG 2012, 735, 737; Lieder, NZG 2020, 81, 89; Beck, RNotZ 2014, 160, 167; weitergehend H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 4. Schmaus, npoR 2022, 131, 133 erlaubt die Regelung nur in der Gründungssatzung oder wenn alle Mitglieder der Satzungsänderung zustimmen. 43) Wagner in: Reichert/Schimke/Dauernheim, Hdb. Vereins- und Verbandsrecht, Rz. 1907; H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 4; Fisch, NZG 2020, 512; Otto in: Stöber/ Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 786. 44) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
weiter und gibt dem Vorstand die Befugnis, auch ohne Satzungsermächtigung vorzusehen, dass Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen und Mitgliederrechte mittels elektronischer Kommunikation ausüben können oder müssen.45) Der Gesetzgeber wollte damit nicht nur rein „virtuelle“ oder „Online-Mitgliederversammlungen“, sondern auch sog. „Hybridversammlungen“ oder „gemischte“ Mitgliederversammlungen ermöglichen, bei denen ein Teil der Mitglieder am Versammlungsort präsent ist und andere Mitglieder im Wege elektronischer Kommunikation teilnehmen.46) Nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG kann der Vorstand die Möglichkeit zulassen, dass Mitglieder über Beschlussvorschläge vorab gegenüber dem Verein abstimmen und diese Stimmen in der Mitgliederversammlung berücksichtigt werden, ohne dass die Mitglieder selbst bei der virtuellen, gemischten oder regulären Versammlung anwesend sind.
40
Beide Erleichterungen des § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG setzen die Abhaltung einer Mitgliederversammlung – in welcher Form auch immer – voraus. Davon zu unterscheiden ist die Regelung des § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG, mit der Beschlüsse auch ohne Mitgliederversammlung im Umlaufverfahren gefasst werden können.47)
41
Die Entscheidung über einen Einsatz der Möglichkeiten des § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG bei der Mitgliederversammlung hat nach dem Wortlaut des Gesetzes der Vorstand nach seinem Ermessen zu treffen, nicht ein ggf. abweichendes Einberufungsorgan.48) Die Neuregelung des § 32 Abs. 2 BGB geht einen anderen Weg als § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG, denn in Satz 1 erhält der Vorstand zunächst die Befugnis, auch ohne entsprechende Satzungsgrundlage eine hybride Versammlung durchzuführen, bei der Mitgliedern die Teilnahme in elektronischer Form ermöglicht wird. Eine rein virtuelle Versammlung darf der Vorstand nur dann einberufen, wenn die Mitglieder ihn dazu zuvor mit einfacher Mehrheit ermächtigt haben; eine Satzungsänderung ist dagegen nicht erforderlich.49) Die Ermächtigung ist nur für einzelne oder alle zukünftigen Versammlungen möglich, nicht für bereits laufende.50) Beschlussempfehlung und Bericht RA, BT-Drucks. 20/5585, 12.
42
2.
Virtuelle Mitgliederversammlung
Unter einer virtuellen Mitgliederversammlung wird eine Versammlung verstanden, die mithilfe moderner Kommunikationsmittel, also etwa im Wege der Telefon- oder Videokonferenz, in Chat-Rooms, mit Bildschirmübertragung, Skype, FaceTime, _____________ 45) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 717 geht davon aus, dass es sich bei Abs. 2 n. F. lediglich um eine Klarstellung handelt und er daher bereits vor dem 28.2.2021 gilt. 46) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30; Segna in: BeckOGK-BGB, § 28 Rz. 16; Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 1 Rz. 7. 47) Vgl. Ziff. IV. BeckOK BGB/Schöpflin, § 32 Rz. 46. 48) OLG München, Beschl. v. 23.11.2020 – 31 Wx 405/20, NZG 2021, 79 Rz. 31; Jaspers/ Pehrsson, NZG 2021, 1244, 1252; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. 49) BeckOK BGB/Schöpflin, § 32 Rz. 46. 50) Beschlussempfehlung und Bericht Rechtsausschuss, BT-Drucks. 20/5585, 12; Habighorst, NZG 2023, 356, 358.
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WhatsApp, WeChat, E-Mail etc. stattfindet.51) Bei der Online-Teilnahme an der Versammlung wird die physische Anwesenheit regelmäßig durch eine elektronische wechselseitige Kommunikation in Echtzeit ersetzt.52) a) Zulässigkeit 44
Während die Mitgliederversammlung vor der Neuregelung des § 32 Abs. 2 BGB ohne anderweitige Regelung in der Satzung an einem bestimmten Versammlungsort durchzuführen war,53) wobei die persönlich anwesenden Mitglieder durch Abstimmung die Beschlüsse fassten, ermöglichte § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG, dass Mitglieder ohne Anwesenheit an einem bestimmten Versammlungsort an der Versammlung teilnehmen und ihre Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben konnten. Damit sollten ausdrücklich und abweichend vom Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB auch „virtuelle Mitgliederversammlungen“ erlaubt sein,54) wobei die Online-Plattform letztlich den physischen Versammlungsort ersetzte.55) Die neue Formulierung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG, dass der Vorstand vorsehen kann, dass Mitgliedsrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausgeübt werden „können oder müssen“, drückt dies noch klarer aus als die Ursprungsfassung des Gesetzes. Der Regelungsgehalt ändert sich dadurch aber nicht, es handelt sich lediglich um eine Klarstellung.56) Weitere Regelungen zur Einberufung, Durchführung und Abwicklung der Mitgliederversammlung trifft das Gesetz nicht.57) Insoweit bleiben die Satzungsbestimmungen maßgeblich.58)
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Da die „virtuelle Mitgliederversammlung“ die Mitgliederversammlung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB ersetzen soll, wird teilweise gefordert, dass eine zeitgleiche Bildund Tonübertragung der gesamten Veranstaltung gewährleistet sowie eine Stimmabgabe und Bevollmächtigung über elektronische Kommunikationsmittel möglich sein und eine Kommunikation zwischen Vorstand und Mitgliedern in Echtzeit erfolgen muss.59) Im Gegensatz zu den Regelungen bei Aktiengesellschaften gibt § 5 GesRuaCOVBekG aber keine konkreten Vorgaben für die Durchführung der Versammlung.60) Vielmehr soll Vereinen die Durchführung der Mitgliederversammlungen während der Pandemie erleichtert werden. Es ist daher davon auszugehen, _____________ 51) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 788; Lieder, NZG 2020, 81, 89; Schwenn/Blacher, nopR 2020, 154, 157. 52) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246; Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 52. Leuschner in: MünchKomm-BGB, § 5 COVMG Rz. 6. Die technischen Voraussetzungen der virtuellen Hauptversammlung einer AG nach § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG können einen Anhaltspunkt für die Erfordernisse geben; dazu Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 843. 53) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 632. 54) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30; Gottschalk/ Ulmer, GWR 2020, 133, 134; Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 633, 649. A. A. für die Rechtslage bis 28.2.2021 Schöneborn, COVuR 2021, 205, 206. 55) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 719. 56) A. A. Schöneborn, COVuR 2021, 205, 206. 57) Segna, nopR 2020, 148, 149. 58) Vgl. LG Köln, Urt. v. 4.3.2021 – 91 O 12/20, BeckRS 2021, 4091 Rz. 20. 59) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 1 Rz. 2. 60) Gleichermaßen ist eine Satzungsregelung zulässig, die die Durchführung virtueller Versammlungen erlaubt, ohne dabei sämtliche Einzelheiten der Durchführung zu konkretisieren, OLG Hamm, Beschl. v. 4.8.2022 – 27 W 58/22 Rz. 4.
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dass für die technische Umsetzung der Mitgliederversammlung alle Medien zur Verfügung stehen, bei denen eine unmittelbare Kommunikation in Echtzeit erfolgen kann. Neben Telefon- oder Videokonferenzen sind daher insbesondere ChatRooms ausreichend, wenn durch das Ermöglichen von „Rede und Gegenrede“ eine Form gewählt wird, die einer Präsenzveranstaltung gleichkommt.61) Da die Durchführung virtueller Mitgliederversammlungen schon bisher zulässig war, wenn der Vorstand in der Satzung zur Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung ermächtigt wird, kann auf die diesbezügliche Literatur und Rechtsprechung zurückgegriffen werden.62)
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b) Einberufungsermächtigung gemäß GesRuaCOVBekG Virtuelle Mitgliederversammlungen können als Internet-Chat, Video- oder Telefonkonferenz, eine Kombination derselben sowie unter Einsatz weiterer Kommunikationsmittel (z. B. E-Mail, Apps, Konferenzsysteme) stattfinden.63) Sie können allen Mitgliedern offenstehen oder nur Delegierten.64) Satzungen, die virtuelle Mitgliederversammlungen vorsehen, legen in der Regel fest, in welcher Form die virtuelle Mitgliederversammlung stattfinden soll. Bei der aufgrund der COVID-19Pandemie getroffenen Regelung fehlen diese Festlegungen, der Gesetzgeber lässt dem Vorstand weitgehend freie Hand, was durch die neue Formulierung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG klargestellt wird.65)
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Allerdings muss der Vorstand bei der Entscheidung darüber, wie die Versammlung durchgeführt werden kann und soll, grundsätzlich berücksichtigen, dass sämtliche Teilnehmer in gleicher Weise einfach gangbar, praktikabel, diskriminierungsfrei, sicher und zumutbar Zugang zur virtuellen Versammlung haben müssen.66) Das erfordert das Gleichbehandlungsgebot,67) da das Teilnahmerecht zum unverzichtbaren Kern der Mitgliedschaft gehört.68)
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Bei der Frage, ob die Mitgliederversammlung virtuell durchgeführt werden soll, muss daher bedacht werden, ob die Mitglieder über die nötigen technischen Medien und einen hinreichenden Internetzugang verfügen oder sich dies zumutbar beschaffen können.69) Als zumutbar wurde in der Literatur vor der Pandemie für die
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_____________ 61) H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 13. 62) OLG Hamm, Beschl. v. 27.9.2011 – I-27 W 106/11, NZG 2012, 189; Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 251; Fleck, DNotZ 2008, 245, 252; Noack, NJW 2018, 1345. S. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21, FGPrax 2022, 166; Engel, DStV 2022, 32; Wicke, DStR 2022, 498, 499; Vgl. zum Diskussionsstand nach Auslaufen des § 5 GesRuaCOVBekG Weitemeyer/Hepperle, npoR 2022, 290, 293; Schmaus, npoR 2022, 131. 63) Mecking, ZStV 2011, 161, 164. 64) Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 51; Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 737; Kopp, GWR 2021, 158, 160. Implizit ebenso OLG München, Beschl. v. 23.11.2020 – 31 Wx 405/20, NZG 2021, 79 Rz. 31. 65) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. 66) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 292; so auch Segna, nopR 2020, 148, 150. 67) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 292; Fleck, DNotZ 2008, 245, 251. 68) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 293; Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 632; Weitemeyer/Hepperle, npoR 2022, 290, 291. 69) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 293; einschränkend dazu H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 13.
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satzungsmäßig vorgesehenen virtuellen Mitgliederversammlungen etwa angesehen, wenn sich Mitglieder in einem unter vertretbarem Aufwand zugänglichen öffentlichen Internet-Hotspot, Internetcafé oder bei Bekannten einloggen können.70) Diese Möglichkeiten fallen jedoch während der nach den Infektionsschutzgesetzen angeordneten Kontaktsperren oder regionalen Ausgangsverbote in der Coronakrise weg bzw. sind wegen der geltenden Regeln nur eingeschränkt nutzbar, so dass vom Vorstand bei Nutzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG genauer geprüft und sichergestellt werden muss, dass eine virtuelle Mitgliederversammlung nicht die Mitglieder zwar formal gleich, aber materiell ungleich behandelt.71) Nicht nötig ist jedoch, dass ausnahmslos alle Mitglieder über die nötige technische Ausstattung verfügen, da der Vorstand auch bei einer physischen Versammlung nicht aktiv für die Anwesenheit aller Mitglieder sorgen muss.72) 50
Problematisch kann zudem sein, wenn – etwa bei Breitensport- oder Musikvereinen – mehrere Familienmitglieder Vereinsmitglieder sind, die im Falle einer virtuellen Mitgliederversammlung ggf. an mehreren technisch ausreichend ausgestatteten Endgeräten vom gleichen Haushalt-Internetanschluss teilnehmen müssten, damit ihre Stimmen jeweils einzeln gewertet würden. Falls in Vereinen mit einer derartigen Mitgliederstruktur eine virtuelle Mitgliederversammlung abgehalten werden soll, sollten die Abstimmungsmodalitäten so gestaltet werden, dass parallel durch mehrere Vereinsmitglieder abgestimmt werden kann, z. B. per E-Mail von verschiedenen E-MailAdressen oder per Online-Formular, in das jeweils Name und Mitgliedsnummer oder sonstige Identifikationskennzahlen einzutragen sind.
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Sind die Zugangsmöglichkeiten nicht für alle Mitglieder gleichwertig gegeben, so kann das grundsätzlich als Fall der fehlerhaften Einberufung gewertet werden, der zu einem formellen Mangel der gefassten Beschlüsse führen kann.73) Die Neufassung der Nr. 2 soll jedoch nach der Begründung des Gesetzgebers klarstellen, „dass der Vorstand vorsehen kann, dass alle Mitglieder nur im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und kein Mitglied verlangen kann, dass ihm die Teilnahme am Versammlungsort, an dem der Vorstand die Mitgliederversammlung leitet, ermöglicht wird“.74) Eine Anfechtung der auf der Mitgliederversammlung gefassten Beschlüsse allein wegen der Abhaltung als virtuelle Mitgliederversammlung soll damit ausgeschlossen sein.
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Grundsätzlich können in der virtuellen Mitgliederversammlung alle Beschlüsse gefasst werden, die der Mitgliederversammlung obliegen, auch Grundlagengeschäfte. Allerdings kann eine fehlerhafte, pflichtwidrige Einberufung auch dann vorliegen, wenn bei einzelnen Tagungsordnungspunkten im Interesse des Vereins ein Meinungsbildungsprozess (z. B. durch eine Aussprache) in der Versammlung unver-
_____________ 70) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 295; Scheuch, ZStV 2012, 141, 142. 71) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 295. 72) H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 13; Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2321. 73) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 299. 74) Begr. Entwurf z. § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG, BT-Drucks. 19/25322 S. 22.
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zichtbar scheint, dies aber i. R. der Online-Versammlung nicht gewährleistet werden kann.75) Zwar soll eine Satzungsregelung, die eine abgestufte Teilnahmemöglichkeit vorsieht, zulässig sein, wobei die virtuell anwesenden Mitglieder zwar der Versammlung folgen und an der Abstimmung beteiligt werden, jedoch kein Frage- und Rederecht haben.76) Dies wird damit begründet, dass ein Online-Teilnehmer nicht benachteiligt, sondern durch die Möglichkeit der ortsabwesenden Teilnahme privilegiert werde.77)
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Im Falle des § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG wurde von der Satzung jedoch gerade keine Regelung zu einer Online-Teilnahme getroffen, die eine etwaige Ungleichbehandlung der Mitglieder rechtfertigen könnte. Jedem Mitglied sind daher grundsätzlich die gleichen Teilnahmerechte zu gewähren, die allerdings nicht zwingend einen mündlichen Austausch erfordern, sondern auch in einem Chat oder sonstigen moderierten Kommunikationsprozess ausgeübt werden können,78) wobei entsprechend einer Redezeitbeschränkung der zulässige Zeichenumfang im Chat begrenzt werden darf.79)
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Obwohl die Neuregelung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG die Gefahr einer fehlerhaften Einberufung deutlich gemildert hat, sollte der Vorstand dennoch die relevanten Aspekte, insbesondere das Gleichbehandlungsgebot und das Teilnahmerecht der Mitglieder an der Versammlung, abwägen und den Abwägungsprozess dokumentieren. Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass unter den Voraussetzungen des neuen § 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG sogar eine vollständige Verschiebung der Mitgliederversammlung zulässig ist,80) sodass im Vergleich zu dieser die Abhaltung einer virtuellen Mitgliederversammlung eine geringere Einschränkung der Mitgliedsrechte darstellen kann.
55
Sofern trotz allem eine möglicherweise fehlerhafte Einberufung im Raume steht, sollte der Vorstand in Betracht ziehen, wichtige Themen – soweit zeitlich möglich – für die nächste Präsenzversammlung aufzusparen oder Beschlüsse unter Einbeziehung der Beteiligungsmöglichkeiten der § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG oder § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG zu fassen.
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c) Einberufung Für die ordnungsgemäße Einberufung einer virtuellen Mitgliederversammlung gelten zunächst die regulären satzungsmäßigen Voraussetzungen.81) Zuständig für die Ein_____________ 75) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 300. Problematisch können etwa reine E-Mail-Verfahren sein, Scheuch, ZStV 2012, 141, 142. Vgl. zu Bedenken bei der virtuellen Hauptversammlung Rapp, DStR 2020, 806, 810. 76) Noack, NJW 2018, 1345, 1349. 77) Noack, NJW 2018, 1345, 1349. 78) So auch Schwenn/Blacher, nopR 2020, 154, 158. Einschränkungen der Rede- und Fragerechte, wie der Gesetzgeber sie für die AG eingeräumt hat, sind im Verein nicht vorgesehen. Vgl. zur AG Begr. Entwurf z. Art. 2 § 1 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 26; vgl. Segna, nopR 2020, 148, 150 f. 79) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. 80) Vgl. hierzu unten Rz. 101 ff. 81) H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 12; Fisch, NZG 2020, 512, 513.
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berufung ist der Vereinsvorstand.82) Gesetzlich ist die Form der Einberufung der Mitgliederversammlung nicht vorgegeben, vielmehr soll dies in der Satzung geregelt werden (§ 58 Nr. 4 BGB).83) Regelmäßig gibt die Satzung vor, dass die Einladung schriftlich, in Textform oder durch Veröffentlichung in Vereinszeitschriften oder im Internet unter Einhaltung bestimmter Fristen und Mitteilung der Tagesordnung einzuberufen ist. 58
Die Einberufung der Versammlung per E-Mail ist unproblematisch, wenn die Satzung diesen Kommunikationsweg – zur Einberufung von Präsenzversammlungen – ohnehin vorsieht. Ansonsten ist eine Einladung per E-Mail grundsätzlich zulässig, wenn alle Mitglieder über die technischen Möglichkeiten zum Empfang der Einladungs-E-Mail verfügen, vorher dem Verfahren zugestimmt bzw. nicht schriftlich widersprochen und dem Verein ihre E-Mail-Adressen mitgeteilt haben.84) Da § 5 GesRuaCOVBekG nur die Notwendigkeit der physischen Präsenz bei der Versammlung und Abstimmung modifiziert, aber die übrigen Satzungsbestimmungen unberührt lässt, wird eine Einberufung per E-Mail nicht zulässig sein, wenn dies in der Satzung nicht gestattet wird und keine Zustimmung aller Mitglieder vorliegt.85) Gegebenenfalls können die Einladungen aber auf unterschiedliche Weise versandt werden, so beispielsweise per E-Mail an die dem Verein bekannten E-Mail-Adressen, per Post an die übrigen Mitglieder.86)
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Den Mitgliedern müssen alle für den Zugang zur virtuellen Mitgliederversammlung relevanten Informationen rechtzeitig und verlässlich übermittelt werden:87) – – –
Tag und Uhrzeit der Versammlung; Internetadresse mit der Angabe der Seite, auf der die Maske zum Einloggen installiert ist; allgemeine Zugangs- oder Einwahldaten;
–
persönliche Zugangsdaten (Nutzername, persönliches Passwort, Zugangs-PIN);
–
ggf. Internetseite bzw. Link, Zugangsdaten und Benutzeranleitung für das Herunterladen und Nutzen spezieller Teilnahme- und/oder Abstimmungssoftware.
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Die verwendete Legitimation muss sicherstellen, dass nur Mitglieder an der Versammlung teilnehmen.88) Die Informationen müssen nicht zwingend bereits in der Einberufung selbst enthalten sein.89)
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Wurde bereits eine Präsenzversammlung einberufen, so kann während der laufenden Einberufungsfrist nicht ohne weiteres auf ein digitales Format gewechselt _____________ 82) Jaspers/Pehrsson, NZG 2021, 1244, 1252. 83) Zum Widerruf bereits terminierter Mitgliederversammlungen Engel, ZStV 2020, 110 f. 84) Mecking, ZStV 2011, 161, 163; Noack, NJW 2018, 1345, 1347; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 12. 85) A. A. Schwenn/Blacher, nopR 2020, 154, 155. 86) H. Schmidt in: Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 12. 87) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 297; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 12; Schwenn/Blacher, nopR 2020, 154, 156. 88) OLG Hamm, Beschl. v. 27.9.2011 – I-27 W 106/11, NZG 2012, 189; Notz in: BeckOGKBGB, § 32 Rz. 297; Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250; Mecking, ZStV 2011, 161, 164; Wagner in: Reichert/Schimke/Dauernheim, Hdb. Vereins- und Verbandsrecht, Rz. 1907; Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2321. 89) Herrler, DNotZ 2020, 468, 476.
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werden, auch wenn Präsenzveranstaltungen z. B. wegen steigender Infektionszahlen nicht mehr zulässig sind. Präsenz- und digitale Versammlungen unterscheiden sich im Hinblick auf Zugang und Teilhabe signifikant. Zu beachten ist zudem, dass den Mitgliedern die für den Zugang zur virtuellen Mitgliederversammlung relevanten Informationen rechtzeitig, also möglichst zu Beginn der Einberufungsfrist, mitgeteilt werden müssen.90) Schließlich muss auch bei der virtuellen Mitgliederversammlung die Einberufungsfrist eingehalten werden. Die bereits einberufene Versammlung ist daher abzusagen und die virtuelle Mitgliederversammlung neu einzuberufen.91) d) Teilnahme des Vorstands § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG erlaubt die Durchführung rein virtueller Versammlungen. Dabei muss auch der Vorstand nicht an einem Versammlungsort präsent sein.
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Zwar spricht der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG nur davon, dass den Mitgliedern erlaubt werden kann, ohne Anwesenheit am Veranstaltungsort ihre Rechte auszuüben; der Vorstand wird nicht erwähnt. Zu § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG, der die physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten für entbehrlich erklärt, wird vertreten, dass der Vorstand und der die Niederschrift führende Notar auch in der virtuellen Hauptversammlung vor Ort sein müssen.92) Das könnte für eine analoge Präsenzpflicht des Vereinsvorstands sprechen.93) Die Gesetzesbegründung zum geänderten § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG, die ausschließt, dass Mitglieder verlangen können, am „Versammlungsort, an dem der Vorstand die Versammlung leitet“, anwesend zu sein, wird von einigen Stimmen so ausgelegt, dass eine Präsenzpflicht des gesamten Vorstands an einem physischen Ort bestehe.94)
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Andererseits geht der Gesetzgeber in der Begründung zu § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG a. F. davon aus, dass die Versammlung entweder virtuell durchgeführt wird oder dass „ein Teil der Mitglieder oder Vorstandsmitglieder an einem bestimmten Ort zusammenkommt“.95) Müsste der Vorstand in jedem Falle an einem Versammlungsort präsent sein, so hätte der Gesetzgeber nicht betont, dass „ein Teil der […] Vorstandsmitglieder“ an einem Ort zusammenkommen kann, denn dann wären bereits alle Vorstandsmitglieder zwingend am Versammlungsort präsent. Dass eine Verschärfung dieser Regelungen durch die Neufassung des § 5
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_____________ DNotI, DNotI-Report 2021, 25, 26. DNotI, DNotI-Report 2021, 25, 27; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175; Herrler, GWR 2020, 191, 193; Lieder, ZIP 2020, 837, 840. Zumindest die Präsenz des Versammlungsleiters fordert Segna, nopR 2020, 148, 150. Zur Angabe eines Versammlungsorts ohne Präsenz Schwenn/Blacher, nopR 2020, 154, 156. 94) Begr. Entwurf z. § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG, BT-Drucks. 19/25322, S. 22; Weber, nopR 2021, 99, 100. A. A. Schöneborn, COVuR 2021, 205, 206, der erst nach der Neufassung rein virtuelle Versammlungen für zulässig hält. 95) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30. Noch weitergehend hält Schöneborn, COVuR 2021, 205, 206 rein virtuelle Versammlungen vor dem 28.2.2021 wegen der fehlenden physischen Anwesenheit von Mitgliedern für unzulässig.
90) 91) 92) 93)
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Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG beabsichtigt war, ist aus der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich.96) 65
Stattdessen soll durch die Regelungen des GesRuaCOVBekG die Durchführung der Mitgliederversammlung im Verein erleichtert werden. Viele Mitgliederversammlungen von Vereinen werden entweder in einem Vereinsheim oder in Gaststätten abgehalten. Diese Räumlichkeiten sind aber auch nach den Lockerungen des Lockdown bzw. nach den „Notbremsen“ nicht überall geöffnet, so dass eine Präsenz dort gar nicht oder nur eingeschränkt erlaubt oder möglich ist. Zudem kann es sein, dass die technische Ausstattung in den Vereins- oder Gasträumen nicht ausreicht, um eine virtuelle Versammlung zu leiten. Kontakte im privaten Bereich werden je nach regionaler Situation immer wieder auf maximal zwei Haushalte beschränkt, so dass das Zusammenkommen von mehr als zwei Vorstandsmitgliedern in einem Privathaushalt regelmäßig gegen die Kontaktbeschränkungen verstoßen dürfte. Würde daher auf einer Präsenzpflicht des Vorstands bestanden, so wäre die Durchführung virtueller Mitgliederversammlungen praktisch für einen Großteil der Vereine unmöglich.
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Dass für AGs, deren Aktionäre finanziell an der Gesellschaft beteiligt sind und deren Hauptversammlung von einem Notar protokolliert wird, formalere Regeln in der Hauptversammlung gelten, ist dem Schutz der Anleger geschuldet, der jedoch nicht deckungsgleich auf Vereine übertragen werden kann.
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Es ist daher ausreichend, wenn alle Vereinsmitglieder ebenso wie der Vorstand rein virtuell der Mitgliederversammlung zugeschaltet sind. Als Versammlungsort ist dann die virtuelle Plattform ins Protokoll aufzunehmen.97) Soweit die notarielle Beurkundung eines Beschlusses erforderlich ist (z. B. bei Umwandlungsbeschlüssen), reicht es allerdings nicht aus, wenn der Vorstand und der Notar nur virtuell zugeschaltet sind. In diesem Ausnahmefall muss sich der Notar am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters, also regelmäßig des Vorstandsvorsitzenden, aufzuhalten und sich von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens zu überzeugen.98) e) Versammlungsleitung
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Die Versammlungsleitung muss insbesondere sicherstellen, dass Rede- und Fragerechte in der virtuellen Versammlung gewährleistet sind. Das wird regelmäßig eine Moderation der Diskussion erfordern, vor allem, wenn die Rede- und Fragerechte ausschließlich oder auch in einem Chat gewährt werden.99) Der Moderator oder Versammlungsleiter ordnet die eingehenden Wortmeldungen und Anträge und achtet darauf, dass sie vollständig berücksichtigt werden.
_____________ 96) Begr. Entwurf z. § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG, BT-Drucks. 19/25322, S. 22. 97) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 719. 98) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166, 167; Schulteis, FGPrax 2022, 167, 168; Wicke, DStR 2022, 498, 504. Zur Genossenschaft BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2021, 1562. 99) Mecking, ZStV 2011, 161, 164.
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Sollte eine virtuelle Diskussion nicht vorgesehen sein, muss ein Weg sichergestellt werden, auf dem Anregungen, Anträge und Fragen in die Mitgliederversammlung eingebracht werden können.100)
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Die Anwesenheit der Mitglieder bei der Online-Versammlung lässt sich feststellen, indem das Ein- und Ausloggen der Mitglieder in und aus dem Chat-Room bzw. dem geschützten Bereich registriert wird. Sofern dies bei einer Video- oder Telefonkonferenz technisch nicht machbar ist, muss die Anwesenheit zu Beginn der Versammlung und vor jeder Beschlussfassung festgestellt werden.
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Außerdem muss die Datensicherheit vom Verein gewährleistet werden.101) Das betrifft auch die Abwehr möglicher Eingriffe Dritter („Hacker“) in die Beschlussfassung.102)
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f)
Beschlussfassung
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG erlaubt die Abstimmung in der virtuellen Mitgliederversammlung auch dann, wenn die Vereinssatzung dies nicht vorsieht. Die allgemeinen gesetzlichen und satzungsmäßigen Regelungen wie etwa zur Beschlussfähigkeit der Versammlung, Zulässigkeit einer Vertretung, zu Stimmverboten und Mehrheitserfordernissen gelten auch in der virtuellen Versammlung. Es gibt keine Einschränkungen hinsichtlich der zu fassenden Beschlüsse, so dass auch Umwandlungsbeschlüsse in einer virtuellen Versammlung zulässig sind.103)
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Während grundsätzlich die Satzung, ein Beschluss der Mehrheit oder der Versammlungsleiter die Abstimmungsform bestimmt, muss der Vorstand bei der virtuellen Versammlung bereits vorab über die angebotenen Möglichkeiten der Stimmabgabe entscheiden, da die entsprechenden technischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Dabei spielen die technischen Möglichkeiten und die Anzahl der erwarteten teilnehmenden Mitglieder eine wichtige Rolle. Während in kleineren Versammlungen noch mündlich in der Telefon- oder Videokonferenz abgestimmt werden kann,104) ist dieses Verfahren für größere Gruppen nicht geeignet.
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Möglich ist dann insbesondere die Stimmabgabe durch105)
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–
Internetformular,
–
E-Mail,
–
Äußerung im allgemeinen Chat-Room,
–
gesonderten Internetdialog im Chat-Room,
_____________ 100) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. 101) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250. 102) Rapp, DStR 2020, 806, 810. 103) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166, 167; Schulteis, FGPrax 2022, 167; Wicke, DStR 2022, 498, 502; Otto, npoR 2022, 168, 173. Zur Genossenschaft BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2021, 1562; Schulteis, GWR 2021, 395, 399; Schulteis, GWR 2022, 89. A. A. Scheibner, DZWIR 2022, 89. 104) Fleck, DNotZ 2008, 245, 253. 105) Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 248 f.; Noack, NJW 2018, 1345, 1347; Schwenn/ Blacher, nopR 2020, 154, 159.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG –
besondere Software-Tools für Wahlen oder
–
App.
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In den meisten Fällen nicht umsetzbar ist wegen des technischen Aufwands eine geheime Abstimmung. In einer Telefon- und Videokonferenz ist klar, wer gesprochen hat. Bei Abstimmung mit Internetformular oder mit anderen technischen Mitteln muss immer eine Legitimation erfolgen, um die Beteiligung nur von Mitgliedern sicherzustellen; eine Nachverfolgung des Abstimmenden wäre daher grundsätzlich technisch in der Regel möglich. Die mittlerweile geschaffene Software, die geheime Abstimmungen ermöglicht, wird für die meisten Vereine zu teuer sein. Alternativ wird vorgeschlagen, dass per E-Mail abgestimmt wird, wobei ein nicht persönlich gekennzeichneter Stimmzettel als Dateianhang beigefügt wird. Dieser kann von einem Wahlvorstand ungeöffnet ausgedruckt werden. Zu Registrierungszwecken sollten die E-Mails nach dem Drucken gespeichert werden, wobei die Anhänge vorher zu löschen wären.106) Da das BGB dem Verein jedoch überlässt, ob er ein geheimes Abstimmungsverfahren einrichten will, ist dies mehr ein praktisches als ein rechtliches Problem.107)
76
Wichtig ist die Legitimation bei einzelnen Beschlüssen jedoch, wenn die Möglichkeit eines Stimmrechtsausschlusses („Befangenheit“) besteht und sichergestellt werden muss, dass die betreffenden Mitglieder nicht an der Abstimmung teilnehmen.
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Ebenfalls technisch gelöst werden muss die Vorgehensweise, wenn die Satzung eine Bevollmächtigung anderer Mitglieder zur Abstimmung in der Versammlung zulässt. Bei kleineren Video- oder Telefonkonferenzen kann bspw. gefordert werden, dass die Vollmacht dem Versammlungsleiter vor Versammlungsbeginn zugehen muss. Möglich ist auch, dass sich die Mitglieder im Vorfeld auf einer Internetseite mit ihren Zugangsdaten einloggen und Vollmachten erteilen können.108)
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Festzulegen sind daher Form, Inhalt, Frist und Übertragungsweg der Vollmacht in der Einberufung der Versammlung. § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG sieht jedoch im Gegensatz zu § 1 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG für die virtuelle Hauptversammlung bei der AG109) nicht ausdrücklich vor, dass eine Vollmachtserteilung für die virtuelle Mitgliederversammlung möglich sein muss, daher hat sich der Vorstand insoweit nach der Satzung zu richten.
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Sofern nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG die Abstimmung vor der Versammlung zugelassen wurde, sind die im Briefwahlverfahren abgegebenen Stimmen mit in die Auszählung einzubeziehen. Verlangt die Satzung für die Beschlussfähigkeit der Versammlung oder bestimmte Beschlüsse eine Mindestanwesenheit, so sind die in der virtuellen Mitgliederversammlung anwesenden sowie die nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG abstimmenden Mitglieder zusammenzuzählen, _____________ 106) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 14. 107) Fleck, DNotZ 2008, 245, 253; Mecking, ZStV 2011, 161, 164. H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 14, hält Satzungsregelungen, die eine geheime Abstimmung vorsehen, durch die Notregelung in § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG für ausgesetzt. 108) Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2321. 109) Vgl. Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 843.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
nicht jedoch Mitglieder, die die Versammlung nur passiv verfolgen und keine Beteiligungsmöglichkeit (z. B. im Chat, per E-Mail) haben.110) Das Ergebnis der Abstimmung ist durch den Versammlungsleiter festzustellen. Erfordert der Beschluss eine notarielle Beurkundung, so hat sich der Notar am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens zu überzeugen und kann dann die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Vereinsorgan beurkunden.111)
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Sicherheits- und Geheimhaltungsstandards müssen bei der Abstimmung beachtet werden. Beschlussmängel, die auf technischen Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung beruhen, führen aber analog § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG und § 3 Abs. 1 Satz 4 GesRuaCOVBekG nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses, es sei denn, dem Verein ist Vorsatz vorzuwerfen.112) Das Protokoll sollte technische Störungen jedoch dokumentieren.113)
81
3.
Gemischte Mitgliederversammlung
Gemischte Mitgliederversammlungen, bei denen ein Teil der Mitglieder an einem Versammlungsort präsent ist, während weitere Mitglieder virtuell „zugeschaltet“ sind, sieht der Gesetzgeber des GesRuaCOVBekG ausdrücklich als zulässig an.114) Diese Variante kann sich anbieten, wenn etwa Mitglieder wegen der Reisebeschränkungen nicht anreisen dürfen, wenn behördlich für die Versammlung eine Personenobergrenze festgelegt wurde oder wenn Mitglieder zu den Risikogruppen der COVID-19-Pandemie gehören und die Versammlung nicht rein virtuell stattfinden soll. § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG erlaubt sowohl rein virtuelle als auch gemischte Mitgliederversammlungen.115)
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Die Durchführung einer gemischten Mitgliederversammlung (auch teilvirtuelle, kombinierte oder Hybridversammlung genannt)116) stellt allerdings technisch eine Herausforderung dar.117) Es muss auch hier sichergestellt werden, dass sich alle Mitglieder gleichermaßen an den Aussprachen und den Abstimmungen beteiligen können (Gleichbehandlungsgebot). Dies erfordert in der Regel interaktive ZweiWege-Verbindungen in Echtzeit.118) Die zugeschalteten Online-Mitglieder zählen analog § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 43 Abs. 7 GenG (siehe § 3 GesRuaCOVBekG
83
_____________ 110) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. 111) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166, 167; Schulteis, FGPrax 2022, 167, 168; Wicke, DStR 2022, 498, 504. Zur Genossenschaft BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2021, 1562, 112) Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811; Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2321; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. Einschränkend dagegen Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 711 f., 726. 113) Weber, nopR 2021, 99, 102. 114) Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 2 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30. 115) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 4 Rz. 649. 116) Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 1 Rz. 7. 117) Rapp, DStR 2020, 806, 810. 118) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 113; Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 247; Schindler/ Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung, § 1 Rz. 2.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
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Rz. 26 [Cymutta]) als auf der Versammlung erschienene Mitglieder, solange die Online-Verbindung besteht.119) 84
Es handelt sich um eine Präsenzveranstaltung, die Teilnahme muss aber nicht körperlich sein, selbst wenn außer dem Versammlungsleiter kein Mitglied am Versammlungsort körperlich anwesend ist, sondern alle Mitglieder online zugeschaltet sind.120)
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Wird bei der gemischten Mitgliederversammlung die Zahl der zur Präsenzversammlung zugelassenen Mitglieder zahlenmäßig beschränkt, so ist der Grundsatz der Mitgliedergleichbehandlung besonders zu beachten. Alle Mitglieder müssen die gleiche Chance physischer Teilnahme haben. Dies kann durch ein Losverfahren gewährleistet werden oder nach Eingang der Anmeldungen, die jedoch erst ab einem Zeitpunkt beginnen soll, der allen Mitgliedern mitgeteilt wurde.121) § 5 GesRuaCOVBekG erlaubt – anders als eine Satzungsregelung – nicht, dass bestimmte Mitgliedergruppen bei der Vergabe von Präsenzplätzen bevorzugt werden. Bevorrechtigt sind jedoch Funktionsträger, die Aufgaben in der Versammlung wahrzunehmen haben oder einer Berichtspflicht genügen müssen.122) a) Einberufung
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Hier gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei der virtuellen Mitgliederversammlung. Die Mitglieder sind zusätzlich auf die Präsenzmöglichkeit hinzuweisen. Eine Anmeldepflicht kann vorgesehen werden. b) Versammlungsleitung
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Für die Versammlungsleitung ist noch wichtiger als bei der rein virtuellen Mitgliederversammlung ein Moderator, der einen Überblick über alle Standorte und virtuellen Beteiligungsmöglichkeiten hat, um den Austausch zwischen körperlich und virtuell anwesenden Mitgliedern zu gewährleisten. Die technischen Anforderungen sind nicht zu unterschätzen.123) Relevant kann dabei auch die Versorgung mit einer schnellen und leistungsfähigen Internetverbindung sein.124)
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Es kann mit einem Online-Chat,125) aber auch mit Live-Übertragung gearbeitet werden. Im letzteren Fall müssen an allen Orten, an denen sich die Teilnehmer befinden, mindestens eine Kamera und ein Mikrofon als Eingabegeräte sowie ein Bildschirm und ein Lautsprecher als Ausgabegeräte vorhanden sein.126) c) Beschlussfassung
89
Für die Beschlussfassung durch die virtuell anwesenden Mitglieder gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei der virtuellen Mitgliederversammlung. Die am Versammlungsort präsenten Mitglieder können an Computern, mobilen Stimmgeräten _____________ 119) 120) 121) 122) 123) 124) 125) 126)
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Noack, NJW 2018, 1345, 1348; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 813. Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 113; Leuschner, RiD 2023, 206. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. Dehesselles/Richter, npoR 2016, 246, 249. Weber, nopR 2021, 99, 102. Zur Möglichkeit der Redezeit- oder Zeichenzahlbeschränkung im Chat s. oben Rz. 43. Deshesselles/Richter, npoR 2016, 246, 250; Mecking, ZStV 2011, 161, 165.
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Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
oder auf andere, in der Satzung festgelegte Weise abstimmen. Die Ergebnisse der Abstimmungen sind zusammenzuführen und bekannt zu machen. Sofern nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG die Abstimmung vor der Versammlung zugelassen wurde, sind die im Briefwahlverfahren abgegebenen Stimmen mit einzubeziehen. Ein in der Satzung vorgeschriebenes Quorum muss übergreifend über die verschiedenen Abstimmungsarten erreicht werden. Erfordert der Beschluss eine notarielle Beurkundung, so hat sich der Notar am Versammlungsort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens zu überzeugen und kann dann die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das zuständige Vereinsorgan beurkunden.127)
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Beschlussmängel, die auf technischen Störungen im Zusammenhang mit der Beschlussfassung beruhen, führen auch hier analog § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG und § 3 Abs. 1 Satz 4 GesRuaCOVBekG nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses, es sei denn, dem Verein ist Vorsatz vorzuwerfen (siehe Rz. 81).
91
4.
Schriftliche Stimmabgabe vor der Versammlung
§ 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG erlaubt dem Vorstand, auch ohne satzungsmäßige Ermächtigung eine schriftliche Abgabe der Stimmen bereits vor der Durchführung der Mitgliederversammlung (Briefwahl) vorzusehen. Diese Möglichkeit gilt unabhängig davon, ob die Mitgliederversammlung klassisch an einem Versammlungsort, virtuell oder als Hybridversammlung durchgeführt wird.128)
92
Wird die Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe vor der Versammlung vom Vorstand angeboten, kann dies für die Mitglieder von Vorteil sein, wenn sie das Risiko von technischen Störungen verringern wollen.129)
93
a) Form der Stimmabgabe Nach dem Gesetzeswortlaut müssen die Stimmen „schriftlich“ abgegeben werden. Da nicht wie in § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG die Textform vorgesehen oder wie in § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG die Stimmabgabe „im Wege der elektronischen Kommunikation“ erlaubt ist, stellt sich die Frage, ob eine Stimmabgabe per E-Mail oder Online-Formular nur i. R. einer virtuellen oder gemischten Mitgliederversammlung i. S. der Nummer 1 oder auch ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung i. S. der Nummer 2 möglich ist.
94
In der Gesetzesbegründung wird zur Form der Stimmabgabe nichts ausgeführt. Allerdings handelt es sich bei § 5 GesRuaCOVBekG um erleichternde Regelungen zu § 32 BGB. Die Briefwahlvorschrift des § 32 Abs. 2 BGB sieht ebenfalls vor, dass die Stimmen „schriftlich“ abzugeben sind. Dabei ist anerkannt, dass die Briefwahl trotz des Wortlauts in § 32 Abs. 2 BGB nicht in der Schriftform des § 126 BGB zu
95
_____________ 127) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx), FGPrax 2022, 166, 167; Schulteis, FGPrax 2022, 167, 168; Wicke, DStR 2022, 498, 504. Zur Genossenschaft BGH, Beschl. v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, NZG 2021, 1562. 128) Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 53. 129) Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811, 812.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
erfolgen hat, sondern eine Abstimmung in elektronischer Form oder Textform ausreicht.130) 96
Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich bei § 5 Abs. 2 Nr. 2 GesRuaCOVBekG an der zu § 32 BGB gültigen Auslegungspraxis orientiert hat, so dass trotz der sprachlichen Unterschiede zu § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG und § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG keine Schriftform i. S. des § 126 BGB erforderlich ist.131)
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Um die Stimmabgabe zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass die Mitglieder über die richtigen Beschlussvorschläge abstimmen, kann der Vorstand Abstimmungsformulare bei der Einberufung versenden.
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Sofern die Einberufung nach der Satzung per E-Mail oder Bekanntgabe auf der Homepage des Vereins erfolgen kann, sollte in Betracht gezogen werden, ob die Mitglieder tatsächlich die technischen Möglichkeiten zum Ausdruck der Stimmzettel haben, damit allen Mitgliedern die Abstimmung ermöglicht und eine faktische Ungleichbehandlung ausgeschlossen ist. Sind die technischen Möglichkeiten nicht klar, sollte der Vorstand prüfen, ob die Einberufung schriftlich unter Beifügung des Stimmzettels erfolgen kann. b) Frist zur Stimmabgabe
99
Will der Vereinsvorstand von der Ermächtigung der Vorab-Abstimmung Gebrauch machen, so hat er bei Einberufung der Mitgliederversammlung mitzuteilen, –
bis zu welchem Zeitpunkt und
–
auf welchem Wege (schriftlich)
–
über welche Beschlussvorschläge
abgestimmt werden kann.132) 100
Die Abstimmungsfrist muss sicherstellen, dass die schriftlich abgegebenen Stimmen bei der Versammlung berücksichtigt werden. Es sollte wegen der verlängerten Postlaufzeiten in der Krisensituation ein Zeitpuffer eingeplant werden. Die Stimmabgabe muss jedenfalls vor Beginn der Mitgliederversammlung erfolgen, also vor dem Zeitpunkt, in dem der Versammlungsleiter die Mitgliederversammlung förmlich als eröffnet erklärt.133)
101
Das Ergebnis der Briefwahl sollte bis zur Bekanntgabe der in der Mitgliederversammlung abgegebenen Stimmen geheim bleiben, da ansonsten das Wahlergebnis in der Mitgliederversammlung beeinflusst werden kann.134) Eine vorzeitige Kennt-
_____________ 130) Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 197. 131) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 15; Segna, nopR 2020, 148, 151; Schneider/ Bischoff, ZStV 2020, 153, 155; a. A. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792. 132) Noack, NJW 2018, 1345, 1348; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 16. 133) H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 15. 134) Vgl. Noack, NZG 2008, 441, 445.
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Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
niserlangung kann verhindert werden, wenn die Stimmen gleichzeitig mit den in der Versammlung abgegebenen Stimmen ausgezählt werden.135) c) Mehrfache Stimmabgabe Die im Wege der Briefwahl abgegebenen Stimmen sind als Willenserklärungen unter Abwesenden zu werten, die nicht mehr widerrufen werden können, sobald sie dem Verein zugegangen ist.136) Da dem Briefwähler grundsätzlich offensteht, auch an der virtuellen oder gemischten Mitgliederversammlung teilzunehmen und die Satzungen in den GesRuaCOVBekG-Fällen gerade keine Regelungen treffen, muss der Vorstand vor der Einberufung zur Versammlung festlegen, wie in diesem Falle mit dem Stimmrecht umzugehen ist, damit es nicht zu einer doppelten Stimmabgabe kommt.137)
102
Denkbar ist, dass das Mitglied hinsichtlich der per Briefwahl abgegebenen Stimmentscheidung sein Stimmrecht verbraucht hat138) oder dass im Falle der persönlichen Teilnahme die abgegebene Briefwahlstimme automatisch als nicht abgegeben gewertet wird.139)
103
d) Stichwahlen Insbesondere bei Personenwahlen sehen Vereinssatzungen nicht selten einen zweiten Wahlgang vor für den Fall, dass die Bewerber nicht die nach der Satzung erforderliche Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen. Auch für diesen Fall sollte der Vorstand eine Verfahrensweise vorab festlegen. Möglich ist etwa, dass der zweite Wahlgang ohne Einbeziehung der Briefwähler stattfindet oder dass angesichts der breiteren Beteiligung am Wahlverfahren auf den zweiten Wahlgang verzichtet wird.140) 5.
104
Nicht-Einberufung der Mitgliederversammlung
Unsicherheiten ergaben sich im Jahr 2020 für Vereine, wenn die Abwägung des Vorstands ergab, dass auf der einen Seite die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung entweder eine zu große finanzielle Belastung für den Verein darstellen würde (z. B. wegen benötigter Software) oder wenn wegen der Mitgliederstruktur damit zu rechnen war, dass eine virtuelle Mitgliederversammlung keine gleiche Beteiligungsmöglichkeiten für alle Mitglieder bieten würde, aber auf der anderen Seite auch keine Präsenzveranstaltung durchgeführt werden konnte. Denn selbst wenn es die Kontaktbeschränkungen zuließen, konnte sich aus der Mitgliederstruktur ergeben, dass die Teilnahme an einer Präsenzveranstaltung für besonders gefährdete Mitglieder unzumutbar gewesen wäre. Mangels gesetzlicher Regelung konnte eine solche Verschiebung aber nur ultima ratio sein.141) _____________ Krüger, MMR 2012, 85, 88. Krüger, MMR 2012, 85, 88. Kopp, GWR 2021, 158. So wohl Vetter/Tielmann, NJW 2020, 1175, 1179, die nur die Stimmabgabe vor der Versammlung zulassen wollen. 139) Krüger, MMR 2012, 85, 88. 140) Krüger, MMR 2012, 85, 88. 141) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792, 852 hält die Verschiebung auch vor der Gesetzesänderung nach dem Ermessen des Vorstands für zulässig.
135) 136) 137) 138)
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG 106
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Dieses Dilemma hat der Gesetzgeber im neuen § 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG aufgegriffen, der am 28.2.2021 in Kraft getreten ist.142) Danach ist der Vorstand abweichend von § 36 BGB nicht verpflichtet, die satzungsmäßig vorgesehene ordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen und die Durchführung der Mitgliederversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder nicht zumutbar ist.143) Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.144) a) Versammlungsverbot
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Ein Ausfall der Mitgliederversammlung bzw. eine Verschiebung ist nach der ersten Voraussetzung des § 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG zulässig, wenn und solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen. Entscheidend sind dabei die angesichts der COVID-19-Pandemie ergangenen Bundes-, Landes- und kommunalen Regelungen.
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Im Jahr 2021 wurden die behördlichen Maßnahmen und Einschränkungen mehrfach (und teilweise regional beschränkt) verschärft und gelockert. Im September 2022 sind wesentliche Beschränkungen des Infektionsschutzgesetzes ausgelaufen. Solange jedoch die Pandemie nicht vollständig beendet ist – wovon der Gesetzgeber zumindest während der Geltungsdauer des GesRuaCOVBekG überzeugt war – mussten und müssen Vereinsvorstände vor der Einberufung einer Mitgliederversammlung, auch einer hybriden Versammlung, prüfen, wie viele Menschen sich aktuell an einem bestimmten Ort versammeln dürfen. Wichtig ist, dass unmittelbar vor Beginn der Versammlung selbst nochmals sichergestellt werden muss, dass der Versammlung keine Bundes-, Landes- oder kommunalen Regelungen entgegenstehen. Wenn aufgrund der allgemeinen Infektionslage zu erwarten ist, dass eine Versammlung nicht zulässig sein wird, ist eine Verschiebung möglich.
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§ 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG sieht das Absehen von der Einberufung nur dann vor, wenn und solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln „dürfen“. Umfasst sein muss jedoch auch die Situation, in der sich die Mitglieder nicht an einem Ort versammeln „können“. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass es die teilweise verfügten Schließungen von Gaststätten und Veranstaltungsräumen unmöglich machen konnten, einen Versammlungsort von hinreichender Größe zu finden, der die Versammlung unter Einhaltung der Abstands- und Hygienevoraus_____________ 142) Weber, nopR 2021, 99, 101; Kopp, GWR 2021, 158. 143) Praktikabilitätsgründe, Vereinstraditionen oder der Wunsch, die Emotionalität des Miteinanders zu erleben, waren und sind dagegen keine hinreichenden Gründe für eine Verschiebung – so aber der FC Bayern München e. V., der seine Jahreshauptversammlung 2020 zunächst auf April 2021 verschoben hatte. Im März 2021 verschob der FC Bayern München e. V. die Jahreshauptversammlungen für 2020 und 2021 erneut auf Ende 2021. Da jedoch bis zur Versammlung digitale Formate mit Fans geplant sind, kann die Verschiebung nicht mit einer Unzumutbarkeit aus finanzieller oder technischer Sicht für Verein oder Mitglieder begründet werden. Dass virtuelle Versammlungen in Fußballvereinen möglich sind, haben in 2020 schon u. a. Hertha BSC, der Karlsruher SC, der Nürnberger FC und der VfL Bochum bewiesen. 144) Kopp, GWR 2021, 158, 159.
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Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
setzungen ermöglichte. Dies gilt insbesondere in den Wintermonaten, in denen kein Ausweichen auf Vereinsgelände im Freien möglich ist. Da nicht alle Vereine eigene Räumlichkeiten haben oder diese jedenfalls nicht immer die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln erlauben, konnte einem Verein auch trotz rechtlicher Zulässigkeit die Durchführung einer Mitgliederversammlung in Präsenz tatsächlich unmöglich sein. Auch in diesem Falle muss es dem Vorstand gestattet sein, von einer virtuellen Mitgliederversammlung abzusehen, wenn diese für den Verein oder die Mitglieder unzumutbar wäre.
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b) Unzumutbarkeit Bei der Frage, ob die virtuelle Mitgliederversammlung wegen Unzumutbarkeit verschoben werden soll, hat der Vorstand ein Ermessen. Die Unzumutbarkeit kann sich entweder auf den Verein oder auf die Vereinsmitglieder oder gar auf beide beziehen.
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Für den Verein kann die virtuelle Mitgliederversammlung unzumutbar sein, wenn es keine technische Infrastruktur gibt, um eine virtuelle Mitgliederversammlung mit den nötigen Elementen abzuwickeln. Stehen beispielsweise Vorstandswahlen bei der Mitgliederversammlung an und sind diese nach der Satzung geheim durchzuführen, so kann eine spezielle Software erforderlich sein, um den Satzungsbedingungen zu entsprechen. Hat der Verein viele Mitglieder, die erfahrungsgemäß zu den Mitgliederversammlungen kommen, und sind umfangreiche Wortmeldungen zu erwarten, so müssen technische Möglichkeiten vorgehalten werden, um sicherzustellen, dass alle Mitglieder in Echtzeit am Diskussions- und Entscheidungsprozess beteiligt werden können. Die dabei entstehenden Kosten können für den Verein unzumutbar sein; dies ist im Einzelfall vom Vorstand zu begründen. Dabei können als Vergleichsmaßstab die Kosten herangezogen werden, die in den vorausgegangenen fünf Jahren für die Durchführung der Mitgliederversammlungen aufgewendet wurden.145)
112
Eine Verschiebung bzw. das Absehen von einer Einberufung zur Mitgliederversammlung ist außerdem zulässig, wenn die Durchführung der virtuellen Mitgliederversammlung für die Vereinsmitglieder unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit kann beispielsweise vorliegen, wenn aufgrund der Mitgliederstruktur davon auszugehen ist, dass ein Großteil der Mitglieder keine technischen Geräte hat, mit denen die Teilnahme an der Mitgliederversammlung möglich ist. Rein emotionale Gründe reichen für eine Unzumutbarkeit nicht aus.
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War die Durchführung der Mitgliederversammlung für den Verein oder die Mitglieder unzumutbar, so soll auch schon vor Inkrafttreten der Regelung des § 5 Abs. 2a GesRuaCOVBekG zulässig gewesen sein, auf die Einberufung der Mitgliederversammlung zu verzichten.146)
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_____________ 145) Weber, nopR 2021, 99, 103. 146) Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 48.
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
IV. Mitgliederbeschlüsse ohne Versammlung (Umlaufverfahren) 115
§ 32 Abs. 2 BGB erlaubt es, dass Beschlüsse im Umlaufverfahren, also ohne Mitgliederversammlung, gefasst werden, wenn alle Mitglieder, die in der Mitgliederversammlung nach dem Gesetz oder der Satzung stimmberechtigt wären,147) dem Beschluss schriftlich zustimmen. Enthält sich auch nur ein Mitglied oder beteiligt sich nicht, so ist der Beschluss nicht wirksam, sofern in der Satzung keine andere Regelung getroffen wird. Das Umlaufverfahren ermöglicht dabei zwar die Beschlussfassung, ersetzt aber keine satzungsmäßig vorgeschriebene Mitgliederversammlung.148)
116
Die Anforderungen des § 32 Abs. 2 BGB setzt § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG herab. Danach ist ein Beschluss ohne Mitgliederversammlung gültig, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zum dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben hat und der Beschluss mit der nach der Satzung oder nach dem Gesetz erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.149)
117
Da § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG die Regelung in § 32 Abs. 2 BGB modifiziert,150) gelten dessen Voraussetzungen subsidiär, sofern in § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG nichts anderes geregelt ist.
118
Sind in der Satzung andere alternative Beschlussverfahren geregelt, so kann der Vorstand nach seinem Ermessen entscheiden, ob er die bestehenden Verfahren oder die in § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG vorgesehene Ausnahmeregelung nutzt. 1.
Beteiligung aller Mitglieder
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§ 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG fordert eine Beteiligung aller Mitglieder. Da auch Mitglieder, die nach der Satzung nicht in einer Mitgliederversammlung stimmberechtigt sind, berechtigt sind, an der Mitgliederversammlung teilzunehmen, auf den Willensbildungsprozess Einfluss zu nehmen und daher einzuladen sind, müssen auch im Rahmen des § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG tatsächlich alle Mitglieder beteiligt und informiert werden, selbst wenn sie nicht stimmberechtigt sind;151) allerdings führt die fehlende Beteiligung nicht Stimmberechtigter wie in § 32 Abs. 2 BGB nicht zur Unwirksamkeit von Beschlüssen.152)
120
Was genau mit „Beteiligung“ der Mitglieder gemeint ist, ist in der Gesetzesbegründung nicht näher beschrieben. Da jedoch eine Erleichterung der Beschlussfassung in der Krisensituation der COVID-19-Pandemie bezweckt ist, sollten die Anforderungen an eine Beteiligung nicht zu hoch gesetzt werden. Ausreichend ist daher, dass alle Mitglieder über die Beschlussfassung informiert werden und die Möglichkeit haben, an einer Willensbildung und der Beschlussfassung mitzuwirken. Dabei muss die Information über die Beschlussfassung aktiv durch den Verein gegenüber den Mitgliedern erfolgen; nicht ausreichend ist, wenn sich die Mitglieder _____________ 147) 148) 149) 150) 151) 152)
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Nessler, ZStV 2020, 168, 170. Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319. Segna in: BeckOGK-BGB, § 28 Rz. 16. Wälzholz/Bayer, DNotZ 2020, 285, 301. Nessler, ZStV 2020, 168, 171; Schindler/Schaffner, in: Virtuelle Beschlussfassung. § 4 Rz. 669. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 792.
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Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
selbst – etwa durch regelmäßigen Besuch der Vereinshomepage – die Information verschaffen müssen. In welcher Form die Information zu erfolgen hat, richtet sich nach der konkreten Situation und der Mitgliederstruktur des Vereins. Da die Stimmabgabe selbst in Textform erfolgen darf, muss auch die Beteiligung der Mitglieder in dieser Form zulässig sein.153) Schriftform i. S. des § 126 BGB ist somit nicht erforderlich. Ein Anschreiben per Post ist aber angezeigt, sofern nicht von allen Mitgliedern E-MailAdressen vorliegen.
121
Eine Ankündigung auf der Homepage oder in der Vereinszeitschrift ist nicht ausreichend, da nicht sichergestellt ist, dass diese von allen Vereinsmitgliedern wahrgenommen wird. Möglich ist aber, den Beschlussvorschlag neben einer Information per E-Mail oder Post zusätzlich auf der Homepage des Vereins zu begründen sowie ggf. ergänzende Unterlagen zur Einsicht auszulegen. Dabei ist aber zu beachten, dass vereinsinterne Informationen nur in geschützten Mitgliederbereichen veröffentlicht werden.
122
Im Rahmen der Information der Mitglieder sollte der Beschluss begründet werden. Der Umfang der Begründung und der vorzulegenden Informationen richtet sich nach den im Einzelfall zu treffenden Beschlüssen. Soll die Entlastung von Vorstandsmitgliedern im Umlaufverfahren erfolgen, so sind den Mitgliedern beispielsweise vorab die Jahresberichte des Vorstands, der Kassenbericht und der Bericht der Kassenprüfer zur Kenntnis zu geben. Bei Beschlüssen mit wirtschaftlichen Auswirkungen müssen diese hinreichend konkret dargelegt werden.154)
123
2.
Beteiligungsfrist
Der Vereinsvorstand muss einen Termin bestimmen, bis zu dem die Mitglieder ihre Stimmen abgeben können. Die Frist muss angemessen sein. Es sollte mindestens die Ladungsfrist der Satzung eingehalten werden.155) Maßgeblich zur Fristwahrung ist der Zugang der Stimmabgabe beim Vorstand.156) 3.
124
Form
In § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG ist die Stimmabgabe in Textform (§ 126b BGB) vorgesehen. Dies entspricht der Auslegung des § 32 Abs. 2 BGB.157) Schriftform i. S. des § 126 BGB ist nicht erforderlich. Die Mitglieder können ihre Stimmen also insbesondere per E-Mail abgeben.158) Die E-Mail-Adresse, an die die Stimmabgabe zu senden ist, muss in der Mitgliederinformation angegeben werden.
125
Werden Stimmabgaben an andere E-Mail-Adressen des Vereins gesandt, so sollten E-Mails an allgemeine, offizielle Adressen (Sekretariat, allgemeine Kontaktadresse,
126
_____________ 153) 154) 155) 156) 157) 158)
Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 54. Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2320. Wälzholz/Bayer, DNotZ 2020, 285, 301. Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2320. Notz in: BeckOGK-BGB, § 32 Rz. 197. Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 785. Fisch, NZG 2020, 512, 513 hält auch WhatsApp- und SMS-Nachrichten für zulässig.
Cymutta
207
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
ggf. zuständiger Vorstand) – soweit organisatorisch möglich – bei der Stimmauswertung berücksichtigt werden, um eine möglichst breite Basis für die Beschlussfassung zu schaffen. 127
Eine telefonische oder sonstige mündliche Stimmabgabe ist nach § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG nicht zulässig, da dieser ausdrücklich die Textform fordert und das Umlaufverfahren nicht die Mitgliederversammlung ersetzt.159) Möglich sind aber andere Dienste, in denen Nachrichten gelesen und aufbewahrt werden können, wie z. B. Messaging-Dienste, SMS oder Abstimmungswebsites, sofern die Abstimmung so eingestellt wird, dass die Eingabe nicht nachträglich verändert werden kann.160) 4.
Mehrheitserfordernis
128
Während Beschlüsse nach § 32 Abs. 2 BGB nur angenommen sind, wenn alle Mitglieder zustimmen, reicht nach § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG, dass mindestens die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder bis zum dem vom Verein festgesetzten Termin ihre Stimmen im Umlaufverfahren abgegeben haben und der Beschluss mit der nach der Satzung oder dem Gesetz erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.161) In der Praxis sollten die Mitglieder rechtzeitig vor Ablauf der Abstimmungsfrist nochmals an die Stimmabgabe und das Quorum erinnert werden, um die Wirksamkeit des Beschlusses sicherzustellen.
129
Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG enthält zwei Quoren, die beide erfüllt sein müssen. Auf der ersten Stufe muss die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder ihre Stimme abgegeben haben. Dabei kommt es nicht auf die Zahl der von den stimmberechtigten Mitgliedern vertretenen Stimmen an.162) Da die h. M. eine Enthaltung nicht als Stimmabgabe wertet, sind Enthaltungen und ungültige Stimmen nicht als abgegeben zu werten.163)
130
Im zweiten Schritt ist die für die Beschlussfassung nötige Mehrheit zu erreichen. Die Gesetzesbegründung führt aus, dass die Mehrheitserfordernisse durch § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG nicht geändert wurden. Es richtet sich daher nach den jeweiligen Regelungen im Gesetz oder in der Satzung, ob der Beschluss mit
131
–
der Mehrheit der Stimmen sämtlicher Mitglieder,
–
der Mehrheit der Mitglieder, die sich beteiligt haben
–
oder der Mehrheit der gültigen Stimmen geschlossen werden muss.164)
Die Gesetzesbegründung nimmt ausdrücklich auf die Drei-Viertel-Mehrheit der anwesenden Stimmen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BGB und das Erfordernis der Zustimmung sämtlicher Mitglieder für Zweckänderungen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 _____________ 159) Leinenbach/Alvermann, NJW 2020, 2319, 2320; Weber, nopR 2021, 99, 101; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 785. 160) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 785; Fisch, NZG 2020, 512, 513. 161) Segna in: BeckOGK-BGB, § 28 Rz. 16; Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 54; Fisch, NZG 2020, 512, 513. 162) Nessler, ZStV 2020, 168, 171; Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 785. 163) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 785, 983; BGH, 25.1.1982 – II ZR 164/81, NJW 1982, 1585; KG, Beschl. v. 23.5.2020 – 22 W 61/21, RNotZ 2020, 475. 164) Otto in: Stöber/Otto, Hdb. zum Vereinsrecht, Rz. 785.
208
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
BGB (vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmungen) Bezug, die auch in der Beschlussfassung nach § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG weiter gelten.165) Sieht die Satzung Mehrfachstimmrechte vor, so gelten diese ebenfalls im Verfahren nach § 5 Abs. 3 GesRuaCOVBekG.166) V. Vorstandsbeschlüsse In der bis 28.2.2021 geltenden Fassung sind § 5 Abs. 2 und 3 GesRuaCOVBekG, die § 32 BGB modifizieren, dem Wortlaut nach nur auf Mitgliederversammlungen von Vereinen und Beschlüsse der Vereinsmitglieder im Umlaufverfahren anwendbar. Ab 28.2.2021 stellt § 5 Abs. 3a GesRuaCOVBekG klar, dass die Absätze 2 und 3 auch für den Vorstand von Vereinen und Stiftungen sowie für andere Vereinsund Stiftungsorgane gelten.167) Die Frage der Anwendbarkeit von § 5 Abs. 2 und 3 GesRuaCOVBekG auf Vorstandssitzungen und Beschlüsse des Vorstands stellt sich ohnehin nur, wenn in der Satzung virtuelle Vorstandssitzungen oder Beschlüsse im Umlaufverfahren nicht oder nur bei einstimmiger Zustimmung (entsprechend § 32 Abs. 2 BGB) vorgesehen sind.
132
Auch wenn § 5 GesRuaCOVBekG in seiner ersten Fassung keine Regelungen zu Sitzungen und Beschlüssen des Vereinsvorstands getroffen hat, war in der Literatur nach dem Sinn und Zweck der Regelung anerkannt, dass die Regelungen der § 5 Abs. 2 und 3 GesRuaCOVBekG auf Vereinsvorstände analog anzuwenden sind.168) Angesichts der knappen Zeit bis zur Verabschiedung des Gesetzes sprach viel dafür, dass die Frage der Willensbildung im Vereinsvorstand einfach nicht bedacht wurde. Gleichzeitig war Ziel des Gesetzgebers, dass der Vorstand handlungsfähig bleiben musste und sollte, denn er soll insbesondere die Mitgliederversammlung vorbereiten und muss grundsätzlich auch die (laufenden) Geschäfte führen.
133
Die Regelungen der § 5 Abs. 2 und 3 GesRuaCOVBekG waren daher von Beginn an weit auszulegen und auch auf Beschlüsse und Versammlungen von Vereinsvorständen anzuwenden,169) soweit die Satzung entsprechende Regelungen nicht getroffen hat. Dennoch ist die Klarstellung im neuen § 5 Abs. 3a GesRuaCOVBekG aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen.170)
134
Nach Auslaufen des § 5 GesRuaCOVBekG zum 31.8.2022 sollen virtuelle oder hybride Vorstandssitzungen nur zulässig sein, wenn alle Vorstandsmitglieder zustimmen.171) Entsprechend der virtuellen Mitgliederversammlung können virtuelle Vorstandssitzungen aber auch in der Satzung erlaubt werden. Das bis zum 30.6.2023 geltende Stiftungsrecht verweist in § 86 BGB auf die Vorschriften zum Vereinsrecht.
135
_____________ 165) 166) 167) 168)
Begr. Entwurf z. Art. 2 § 5 Abs. 3 COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 30. Nessler, ZStV 2020, 168, 172. Weber, nopR 2021, 99, 101. Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 51; ausführlich dazu 1. Auflage, § 5 Rz. 98 ff. und 2. Auflage, § 5 Rz. 129 ff. 169) So auch Segna in: BeckOGK-BGB, § 28 Rz. 19; H. Schmidt in: H. Schmidt, COVID-19, § 8 Rz. 21; Segna, nopR 2020, 148, 152; Schwenn/Blacher, nopR 2020, 154, 160. 170) Weber, nopR 2021, 99, 101. 171) Weitemeyer/Hepperle, npoR 2022, 290.
Cymutta
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Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
Vereine und Stiftungen
VI. Parteien 1.
Parteivorstand
136
Politische Parteien sind in Deutschland aus historischen Gründen häufig in der Rechtsform eines eingetragenen oder eines nicht eingetragenen Vereins organisiert.172)
137
Aufgrund ihrer besonderen Aufgabe, nach Art. 21 Abs. 1 GG bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, wurden im Parteiengesetz zusätzliche Regelungen zur Struktur und den Organen politischer Parteien getroffen. So gliedern sich Parteien gemäß § 7 Abs. 1 ParteiG in Gebietsverbände, deren Größe und Umfang durch die Satzung geregelt werden. Die Gebietsverbände haben eigene Satzungsregelungen, soweit die Satzung des jeweils nächsthöheren Gebietsverbands keine Regelung enthält (§ 6 Abs. 1 ParteiG). Notwendige Organe der Parteien und Gebietsverbände sind Vorstand und Mitgliederversammlung (§ 8 Abs. 1 ParteiG), die Satzungen können aber weitere Organe vorsehen, wie z. B. Fachausschüsse, Schiedsgerichte, Versammlungen zur Aufstellung von Wahlbewerbern oder Verwaltungsorgane (§ 8 Abs. 2 ParteiG).
138
Der Vorstand ist wie in anderen Vereinen das Organ, das für die Partei handelt und an das die der Partei auferlegten Pflichten gerichtet sind (§ 11 Abs. 3 ParteiG), obwohl er nicht in jedem Fall mit dem zivilrechtlichen Vereinsvorstand identisch ist.173) Die Wahl des Vorstands erfolgt durch die Mitgliederversammlung (den Parteitag) in geheimer Wahl (§§ 9 Abs. 4, 15 Abs. 2 ParteiG). Um den Grundsatz der innerparteilichen Demokratie zu wahren, gilt für die Vorstandswahl das Versammlungsprinzip, d. h. die Vorstandswahl obliegt grundsätzlich dem Parteitag.174)
139
Um die Arbeitsfähigkeit der Parteien und ihrer Gebietsverbände zu gewährleisten, bestimmt § 5 Abs. 4 Satz 1 GesRuaCOVBekG, dass § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG auf Vorstandsmitglieder und Vertreter in den sonstigen Organen und Gliederungen der Parteien entsprechend gilt. Der Vorrang von § 5 GesRuaCOVBekG gilt laut der Gesetzesbegründung ausdrücklich auch dann, wenn von Regelungen des § 9 ParteiG abgewichen wird.175)
140
Durch die Erstreckung des § 5 Abs. 1 GesRuaCOVBekG auf Vorstandsmitglieder und Vertreter sonstiger Organe und Gliederungen der Parteien soll gewährleistet werden, dass die Parteien handlungsfähig bleiben und ihre Aufgaben nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG erfüllen können, auch wenn eine rechtzeitige Neuwahl nicht möglich ist. Da die Regelung ausdrücklich auf alle „Vertreter in sonstigen Organen und Gliederungen“ verweist, ist klargestellt, dass nicht nur die Amtszeit des nach _____________ 172) Reffken, NVwZ 2009, 1131. 173) Morlok, Parteiengesetz, § 8 Rz. 3. Dem Parteivorstand können nach § 11 Abs. 2 ParteiG Personen kraft Satzung angehören, die nicht nach § 11 Abs. 3 ParteiG vertretungsberechtigt sind; vgl. Morlok, Parteiengesetz, § 11 Rz. 1. 174) Morlok, Parteiengesetz, § 9 Rz. 11. 175) Begr. Entwurf z. § 5 Abs. 4 GesRuaCOVBekG, BT-Drucks. 19/23197, S. 15. Aus der allein auf Parteien beschränkten Ausdehnung des § 5 GesRuaCOVBekG lässt sich ersehen, dass andere Rechtsformen, wie etwa Körperschaften des öffentlichen Rechts, von den Regelungen des GesRuaCOVBekG nicht profitieren sollen; Schulteis, GWR 2021, 351; OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.3.2021 – 12 W 488/21, BeckRS 2021, 23154 Rz. 47.
210
Cymutta
Vereine und Stiftungen
Art. 2 COVAbmildG/§ 5 GesRuaCOVBekG
§ 11 Abs. 3 ParteiG vertretungsberechtigten Vorstands verlängert wird, sondern auch die Amtszeit der Mitglieder von sonstigen, in den Parteisatzungen vorgesehenen sonstigen Gremien und Gliederungen. Wie in anderen Vereinen bleiben die Abberufung der Organmitglieder oder Vertreter oder die sonstige Beendigung der Amtszeit unberührt.176) 2.
141
Mitglieder- und Vertreterversammlungen von Parteien
Vorstände von Parteien können für Parteien und ihre Gliederungen auch ohne Ermächtigung in der Satzung virtuelle oder gemischte Mitglieder- und Vertreterversammlungen i. S. des § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG vorsehen (§ 5 Abs. 4 Satz 2 GesRuaCOVBekG). Das bedeutet, dass der Vorstand auch ohne Satzungsermächtigung vorsehen kann, dass Parteimitglieder oder Delegierte177) an Parteitagen ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können oder müssen oder dass Mitglieder ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abgeben können. Mittlerweile haben fast alle im Bundestag und in den Landtagen vertretenen Parteien von der Möglichkeit der Abhaltung virtueller Parteitage Gebrauch gemacht.
142
Eine wichtige Ausnahme von der analogen Anwendung des Absatzes 2 bildet jedoch die Beschlussfassung über die Satzung sowie die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Abs. 4 ParteiG (§ 5 Abs. 4 Satz 3 GesRuaCOVBekG). Dementsprechend wurden Wahlen bei den virtuellen Parteitagen entweder vollständig schriftlich durchgeführt oder im Nachgang durch eine schriftliche Abstimmung bestätigt.178)
143
Der Parteivorstand kann zudem auch ohne Satzungsermächtigung zulassen, dass die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten im Wege der Briefwahl oder zeitlich versetzt als Urnenwahl an verschiedenen Orten erfolgt. Schließlich stellt § 5 Abs. 4 Satz 5 GesRuaCOVBekG klar, dass die Regeln zur Aufstellung von Bewerbern zu Wahlen gemäß § 17 Satz 2 ParteiG unberührt bleiben.
144
_____________ 176) Begr. Entwurf z. § 5 Abs. 4 GesRuaCOVBekG, BT-Drucks. 19/23197, S. 16; vgl. oben Rz. 28. 177) Vgl. Thumm in: Fischinger/Orth, COVID-19 und Sport, Teil 1 Rz. 51. 178) So z. B. bei den Wahlen der Bundesvorstände der CDU am 16./22.1.2021 und der Partei Die LINKE am 28.2./5.3.2021.
Cymutta
211
§6 Wohnungseigentümergemeinschaften Schaefer
(1) Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt. (2) Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort. Kommentierung dazu siehe Schaefer, in: Fritz, COVInsAG, 2. Auflage
Schaefer
213
Teil IV Kommentierung des Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 (SRHWInsAG) Vom 10. September 2021 (BGBl. I, S. 4147)
§1 Aussetzung der Insolvenzantragspflicht Canpolat
Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung und § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und solange dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ist längstens bis zum 31. Januar 2022 ausgesetzt. Literatur: Beck’scher Online-Kommentar zur Insolvenzordnung, Fridgen/Geiwitz/Göpfert, Stand 15.4.2023; Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl., 2023; Kübler/Prütting/ Bork/Jacoby, InsO, Loseblatt, 95. EL 03/2023; A. Schmidt, COVInsAG – SRHWInsAG – Kommentar, 2. Aufl., 2022; Schmittmann, Starkregen und Hochwasser: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht 2021, BB 2021, Heft 35 Umschlagteil I. Übersicht I. Historischer Kontext ........................... 1 II. Normzweck ........................................... 5 III. Persönlicher und zeitlicher Anwendungsbereich ............................ 6 IV. Tatbestandsvoraussetzungen .............. 9 1. Kausalität der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 .............. 9 2. Führen von ernsthaften Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen ..................................... 11
I.
3.
Begründete Aussichten auf Sanierung ............................................. 12 4. Darlegungs- und Beweislast ................ 13 V. Rechtsfolgen ....................................... 14 1. Aussetzung der Antragspflicht .......... 14 2. Antragsrecht des Schuldners sowie seiner Gläubiger ................................... 15 3. Geschäftsleiterhaftung ........................ 16 4. Insolvenzanfechtung ........................... 18
Historischer Kontext
Im Zuge des AufbhG 20211) wurde das SRHWInsAG2) eingeführt. Beide Gesetze gehen auf die Starkregen- und Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 zurück, die 180 Menschen das Leben kostete und Sachschäden in Milliardenhöhe verursachte. Vielerorts wurden neben der Gas-, Strom- und Wasserversorgung auch Bahnstrecken, Brücken und Straßen zerstört. Nach Schätzungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft sei alleine für versichertes Eigentum ein Schaden in Höhe von 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro entstanden.3)
1
Als Reaktion wurde das AufbhG 2021 beschlossen, durch das ein Staatsfonds als Sondervermögen des Bundes errichtet wurde, um in den betroffenen Bundesländern
2
_____________ 1)
2)
3)
Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Aufbauhilfegesetz 2021 – „AufbhG 2021“) vom 10.9.2021, BGBl. I 2021, 4147. Nichtamtliche Abkürzung für Art. 7 des AufbhG 2021: „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021“. Teilweise wurde dieses Gesetz auch als „InsAAusG“ abgekürzt. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/337277/jahrhunderthochwasser2021-in-deutschland/ m. w. N.; zuletzt abgerufen am 7.2.2023.
Canpolat
217
§ 1 SRHWInsAG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Hilfe zur Beseitigung der Starkregen- und Hochwasserschäden und zum Wiederaufbau der dadurch zerstörten Infrastruktur zu leisten. Bereits aus dem Bundeshaushalt 2021 erhielt der Fonds 16 Milliarden Euro zur Finanzierung der notwendigen Maßnahmen. An der Finanzierung beteiligten sich die Bundesländer in ihrer Gesamtheit mit knapp 233 Millionen Euro jährlich. 3
Teil des Maßnahmenpakets war auch das SRHWInsAG, mit dem die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO sowie nach § 42 Abs. 2 BGB temporär ausgesetzt wurde. Es trat rückwirkend zum 10.7.2021 in Kraft, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass in vielen Fällen die Frist des § 15a Abs. 1 InsO bereits lief oder abgelaufen war.4) Es wurde der 10.7.2021 gewählt, da an diesem Tag erstmals in einigen Städten und Landkreisen der Katastrophenfall ausgerufen wurde.5) Schließlich trat es zum 1.5.2022 außer Kraft.
4
In der Vergangenheit wurde die Insolvenzantragspflicht bei Naturkatastrophen bereits mehrfach ausgesetzt.6) II. Normzweck
5
Die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sollte den geschädigten Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertretern Zeit verschaffen, um notwendige Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen zu führen, wenn die Insolvenz durch potenzielle öffentliche Hilfen, Entschädigungs- oder Versicherungsleistungen, Zins- und Tilgungsmoratorien oder auf andere Weise abgewendet werden konnte.7) Insofern sollte durch § 1 SRHWInsAG die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB zur Klarstellung und Erleichterung der Verhandlungen und Schadensabwicklung in klar umrissenen Fällen temporär ausgesetzt werden.8) III. Persönlicher und zeitlicher Anwendungsbereich
6
Durch § 1 SRHWInsAG wurde die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB ausgesetzt. Innerhalb des Geltungsbereichs dieser Normen liegen wiederum juristische Personen, Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit9) sowie Vereine. Für diese sind im Einzelnen antragspflichtig: –
bei einer AG (§ 1 Abs. 1 AktG): die Vorstandsmitglieder,
–
bei einer KGaA (§ 278 Abs. 1 AktG): die Komplementäre,
–
bei einer GmbH (§ 13 Abs. 1 GmbHG): die Geschäftsführer,
–
bei einer GmbH & Co. KG: die Geschäftsführer der GmbH
_____________ 4) 5) 6)
7) 8) 9)
218
RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 32. RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 33. So etwa durch das Flutopfersolidaritätsgesetz vom 19.9.2002 (BGBl. I 2002, 3651), durch das Aufbauhilfegesetz vom 15.7.2013 (BGBl. I 2013, 2401) sowie mit Gesetz vom 26.7.2016 (BGBl. I 2016, 1824). RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 2. RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 27. Ab dem 1.1.2024 wird „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vom 10.8.2021 (BGBl. I 2021, 3436) umbenannt in „rechtsfähige Personengesellschaft“.
Canpolat
§ 1 SRHWInsAG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
–
bei einer UG (§ 5a GmbHG): die Geschäftsführer,
–
bei einer eingetragenen Genossenschaft (§ 17 Abs. 1 GenG): die Vorstandsmitglieder,
–
bei einer Stiftung (§ 80 BGB): die Vorstandsmitglieder,
–
bei einer SE (Art. 1 Abs. 3 sowie Art. 63 VO (EG) Nr. 2167/2001): die Mitglieder des Leitungsorgans/geschäftsführende Direktoren,
–
bei einem rechtsfähigen Verein (§§ 21, 22 BGB): die Vorstandsmitglieder.
Ebenfalls umfasst sind die Vertretungsorgane von Vor-Kapitalgesellschaften.10) Vertretungsorgane von Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit sind nur umfasst, wenn keine natürliche Person (mittelbar) aufgrund etwaiger gesetzlicher Haftung gegenüber den Gläubigern des insolventen Schuldners persönlich haftet. Ausgeschlossen ist die Antragspflicht zudem bei reinen Innen-Gesellschaften, wie die GbR, die OHG sowie die PartG.11)
7
In zeitlicher Hinsicht war die Insolvenzantragspflicht rückwirkend vom 10.7.2021 bis zum 31.1.2022 ausgesetzt. Der Gesetzgeber eröffnete mit § 2 SRHWInsAG die Möglichkeit der Verlängerung des Aussetzungszeitraumes, wovon allerdings kein Gebrauch gemacht wurde.
8
IV. Tatbestandsvoraussetzungen 1.
Kausalität der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021
Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) musste auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 beruhen. Mit anderen Worten mussten die Starkregenfälle oder das Hochwasser im Juli 2021 mittelbar kausal für den Eintritt des Eröffnungsgrundes sein.12) Es liegt an der Rechtsprechung und Literatur, diesen unscharfen Inhalt der Regelung mit konkreteren Kriterien zu füllen. Gleichwohl lassen sich nur grobe Maßstäbe aufstellen, da das „Beruhen“ letztlich nur im Einzelfall anhand der jeweils gegebenen Umstände beurteilt werden kann.
9
Damit die betroffenen Schuldner von der temporären Aussetzung auch tatsächlich profitieren können, sollte für die Beurteilung des „Beruhens“ keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es muss bereits jede Mitursächlichkeit im Sinne der Äquivalenztheorie13) genügen. Im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung muss daher ermittelt werden, ob die Starkregenfälle oder das Hochwasser im Juli 2021 hinweggedacht werden können, ohne dass der Eintritt des Eröffnungsgrundes entfiele. Sollte dieser Katastrophenfall zweifelsfrei ein lediglicher Begleitumstand gewesen sein, ohne den der Eröffnungsgrund ebenfalls eingetreten wäre, reicht dies nicht für eine Kausalität i. S. des § 1 SRHWInsAG. Zudem ist es unschädlich, wenn das
10
_____________ 10) Kübler/Prütting/Bork/Jacoby-Steffek, InsO, § 15a Rz. 18 m. w. N. 11) BeckOK InsR/Wolfer, InsO § 15a Rz. 5 f. 12) Zum Begriff des „Beruhens“ bezüglich der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Rahmen der Corona-Pandemie, siehe § 1 SanInsKG Rz. 26 [Fritz]. 13) Vgl. zur Äquivalenztheorie Grüneberg-Grüneberg, BGB, Vor § 249 Rz. 25.
Canpolat
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§ 1 SRHWInsAG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
betreffende Unternehmen schon vorher in finanziellen Schwierigkeiten war, welche die Antragspflicht aber noch nicht begründeten.14) 2. 11
Die Antragspflicht war auch bei einer Kausalität der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 nur ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen führten. Im Blick hatte der Gesetzgeber insbesondere Verhandlungen mit Banken, Entschädigungsfonds, Versicherungen sowie der öffentlichen Hand.15) Die Aufzählung ist allerdings nicht abschließend. Zudem durften die Verhandlungen nicht endgültig gescheitert sein. Waren sie vor dem 31.1.2022 endgültig gescheitert oder wurden sie anderweitig beendet, so endete damit auch die Aussetzung der Antragspflicht. 3.
12
Begründete Aussichten auf Sanierung
Schließlich mussten die Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen auch begründete Aussichten auf Sanierung bieten. Dies setzte voraus, dass der Schuldner nach Erreichen eines Entschuldungskonzepts, nach Feststellung und Gewährung von Versicherungsleistungen oder nach der Zusage von staatlichen oder karitativen Entschädigungsleistungen überlebensfähig war.16) Beurteilungsmaßstab war die Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Organs. 4.
13
Führen von ernsthaften Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen
Darlegungs- und Beweislast
Der Schuldner, der von den für ihn günstigen Wirkungen des § 1 SRHWInsAG profitiert, trägt in einem späteren Haftungsprozess die Darlegungs- und Beweislast. Eine Beweislastumkehr wie im Rahmen des § 1 SanInsKG fand nicht statt. Insofern hat es sich empfohlen, alle für die jeweiligen Tatbestandsmerkmale erheblichen Umstände akribisch zu dokumentieren. V. Rechtsfolgen 1.
14
In dem Zeitraum vom 10.7.2021 bis einschließlich zum 31.1.2022 war die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Dies galt gleichermaßen sowohl im Falle der Zahlungsunfähigkeit als auch im Falle der Überschuldung. Mit Ablauf des 31.1.2022 lebte die Insolvenzantragspflicht wieder auf. 2.
15
Aussetzung der Antragspflicht
Antragsrecht des Schuldners sowie seiner Gläubiger
Wenngleich die Antragspflicht ausgesetzt war, berührte dies nicht das Antragsrecht des Schuldners sowie seiner Gläubiger. Es sollte weiterhin allen Beteiligten möglich bleiben, einen freiwilligen Insolvenzantrag zu stellen. Insofern wurde nicht das gesamte Insolvenzrecht, sondern allein die straf- und haftungsbewehrte Antrags-
_____________ 14) RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 28. 15) RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 28. 16) RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039 S. 28. Kritisch zu diesem Tatbestandsmerkmal: Schmittmann, BB 2021, Heft 35 Umschlagteil I.
220
Canpolat
§ 1 SRHWInsAG
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
pflicht des § 15a InsO sowie die haftungsbewehrte Antragspflicht nach § 42 Abs. 2 BGB ausgesetzt. 3.
Geschäftsleiterhaftung
Im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG knüpft das SRHWInsAG an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht keine ausdrückliche Privilegierung für im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgte Zahlungen. So gelten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, soweit nach § 1 Abs. 1 SanInsKG die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist. Da das Zahlungsverbot des § 15b InsO (§ 64 GmbHG a. F.) an die Antragspflicht aus § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO anknüpft und diese vom 10.7.2021 bis zum 31.1.2022 ausgesetzt war, entfällt eine Haftung nach § 15b InsO für Zahlungen, die in diesem Zeitraum vorgenommen wurden, auch ohne eine dem § 2 Abs. 1 Nr. 1 SanInsKG vergleichbare Norm.17)
16
Für den Aussetzungszeitraum entfiel darüber hinaus die Insolvenzverschleppungshaftung, d. h. eine zivilrechtliche Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO sowie eine strafrechtliche Haftung nach § 15a Abs. 4 InsO. Weitere Haftungsnormen blieben dagegen unberührt.
17
4.
Insolvenzanfechtung
Das Insolvenzanfechtungsrecht wurde durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Rahmen des § 1 SRHWInsAG nicht berührt, sodass eine Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO möglich bleibt. Im SanInsKG hat der Gesetzgeber dagegen noch Anfechtungsprivilegierungen in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 SanInsKG vorgesehen.18)
_____________ 17) Schmidt nimmt dagegen eine Haftungsprivilegierung nur unter den Voraussetzungen des § 15b Abs. 2 InsO an (A. Schmidt/A. Schmidt, SRHWInsAG § 1 Rz. 14 – 16). 18) Ausführlich zu den Anfechtungsprivilegierungen in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 SanInsKG: § 2 Rz. 29 ff. [Fritz].
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18
§2 Verordnungsermächtigung Canpolat
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht längstens bis zum 30. April 2022 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, aufgrund andauernder Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen oder aufgrund sonstiger Umstände geboten erscheint. Als Teil des AufbhG 20211) wurde auch § 2 SRHWInsAG2) eingeführt. § 2 SRHWInsAG enthielt eine Verordnungsermächtigung, welche das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (heute: Bundesministerium der Justiz – „BMJ“) dazu ermächtigte, den in § 1 SRHWInsAG normierten Aussetzungszeitraum vom 10.6.2021 bis 31.1.2022 auch ohne Zustimmung des Bundesrates bis zum 30.4.2022 zu verlängern. Die Norm war insofern vergleichbar mit der Regelung des § 4 SanInsKG a. F., die eine ähnliche Verordnungsermächtigung enthielt.
1
Mit dieser Vorschrift traf der Gesetzgeber eine Regelung für den Fall, dass
2
„[…] sich die Schadensschätzungen, die individuellen Entschuldungskonzepte und Sanierungsverhandlungen, die Bearbeitung von Anträgen auf Bewilligung öffentlicher Hilfen oder die Auszahlung von Leistungen in vielen Fällen über den 31. Januar 2022 hinaus hinziehen“.3)
Voraussetzung für die Verlängerung war daher eine forbestehende Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernde Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen oder gar „sonstige Umstände“. Beachtlich ist hierbei der sehr weite Ermessensspielraum, welcher dem BMJ eingeräumt wurde. Dieses hat allerdings von der Möglichkeit, den Aussetzungszeitraum bis zum 30.4.2022 zu verlängern, keinen Gebrauch gemacht. Der Aussetzungszeitraum endete damit mit Ablauf des 31.1.2022.
3
§ 2 SRHWInsAG trat zum 1.5.2022 außer Kraft.4)
4
_____________ 1)
2)
3) 4)
Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Aufbauhilfegesetz 2021 – „AufbhG 2021“) vom 10.9.2021, BGBl. I 2021, 4147. Nichtamtliche Abkürzung für Art. 7 des AufbhG 2021: „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021“. Teilweise wurde dieses Gesetz auch als „InsAAusG“ abgekürzt. RegE-AufbhG 2021, BT-Drucks. 19/32039, S. 28. Art. 17 Abs. 3 AufbhG 2021.
Canpolat
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Teil V Kommentierung des Gesetzes zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG) Vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2294, 2325)
Einführung Schmittmann
Literatur: Anzinger, Steuergerechtigkeit in der Zeit, StuW 2022, 300; Bolik/Nonnenmacher/ Peterich, Das Jahressteuergesetz 2022, StuB 2023, 12; Brinkmeier, Aktuelles: JStG 2022, GmbH-StB 2023, 1; Ekardt/Rath, Gaskrise: Rechtsentwicklungen auf EU- und Bundesebene – Unter Berücksichtigung der Digitalisierung, NVwZ 2022, 1665; Ellerbusch/ Nonnenmacher/Thoß, Besteuerung nach dem Zufallsprinzip, DB 2023, 344; Eversloh, Einführung einer Übergewinnsteuer?, RdW 2022, 728; Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, 103. Lieferung, 2022; Hackemann/Weiler, Vereinbarkeit der EUNotfallVO mit Art. 122 Abs. 1 AEUV und mögliche Auswirkungen auf das EUKrisenKGB, ISR 2023, 70; Kowallik, Könnte auch Deutschland eine Übergewinnsteuer oder -abgabe einführen?, DB 2022, 2058; Kraft, Ein warnender Zwischenruf zur Einführung einer Übergewinnsteuer, NWB 2022, 2448; Lüdicke, Die sogenannte „Übergewinnsteuer“ – Ein neuer Fall für die Aufhebung des Steuergesetzes ?, DB 51-52/2022, M4-M5; Möller-Klapperich/Rasquin, Ökonomische und rechtliche Grundlagen einer Übergewinnsteuer, NJW 2022, 433; Neumann/Lißek, Rechtliche Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise, N&R 2022, 258; Schmittmann, Kapitel 4, Förderung der Nachhaltigkeit durch das Steuerrecht in: Fischer/Amort, Nachhaltigkeit und Recht, 2023; Schmittmann, Steuerrechtliche Ermittlungen im deutschen Recht, Cahiers de ficalité luxembourgoise und européenne 2/2022, 91; Schumann, Beiträge für die Beratungspraxis: Das Jahressteuergesetz 2022, EStB 2023, 23; Stahlschmidt, Die Übergewinnsteuer – Ein Modell für Deutschland, StB 7-8/2022, S. 1.; Stahlschmidt, Zufallsgewinnsteuer – Übergewinnsteuer?, BB 41/2022, S. I; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., 2021; Valta, Die Einführung einer Übergewinnsteuer: Unions- und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für eine Übergewinnsteuer am Beispiel des Energiekrisenbeitragsgesetzes, StuW 2023, 72; Wünnemann, Rechtsentwicklung: Aktuelle Steuerpolitik, Ubg 2022, 619. Übersicht I.
Recht der Europäischen Union .......... 1
I.
Recht der Europäischen Union
II. Deutsches Recht ................................. 14
Am 8.3.2022 hat die Europäische Kommission den Entwurf eines Planes vorgestellt, mit dem Europa deutlich vor 2030 von fossilen Brennstoffen aus Russland, zunächst von Gas, unabhängig gemacht werden soll. Der Plan enthält auch eine Reihe von Maßnahmen als Reaktion auf die steigenden Energiepreise in Europa und zur Wiederauffüllung der Gasvorräte für den nächsten Winter.1) In der Pressemitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen heißt es dazu:
1
„Zur Finanzierung derartiger Sofortmaßnahmen könnten die Mitgliedstaaten die vorübergehende Besteuerung von Zufallsgewinnen in Betracht ziehen.“2)
In der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 18.5.2022 („REPower EU-Plan“) heißt es dazu: _____________ 1)
2)
So Europäische Kommission, Pressemitteilung „REPower EU: Gemeinsames europäisches Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie“, https://ec.europa.eu/ commission/presscorner/detail/de/ip_22_1511 [zuletzt abgerufen am 1.6.2023]. S. Europäische Kommission, COM (2022) 108 final, S. 3. https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/EN/TXT/?uri=COM%3A2022%3A108%3AFIN [zuletzt abgerufen am 1.6.2023].
Schmittmann
227
2
EU-EnergieKBG
Einführung
„Um Finanzmittel zur Deckung des kurzfristigen REPower EU-Investitionsbedarfs zu mobilisieren, schlägt die Kommission eine rasche gezielte Änderung der ARFVerordnung vor.“3)
3
Die Begriffe „Gewinn“, „Zufallsgewinn“ oder „Übergewinn“ tauchen in diesem Papier nicht auf.
4
Der Gesetzgeber, sei es national oder europäisch, muss sich eindeutig positionieren, ob er Umsätze oder Gewinne einer besonderen Belastung unterziehen will. Wer Umsätze einer besonderen Belastung unterwerfen will, muss sich darüber im Klaren sein, dass er damit ggfs. auch Unternehmen trifft, die keine Gewinne erzielen.
5
Nach der Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6.10.2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise4) kommt angesichts des extremen Anstiegs der Endkundenpreise „staatlichen und öffentlichen Interventionen zum Schutz der Verbraucher besondere Bedeutung“ zu.5) Die Europäische Union will auf Gewinne zugreifen, die sie als „Überschusserlöse“ bezeichnet: „Durch eine einheitliche Verpflichtung zur Weitergabe von Überschusserlösen an die Verbraucher würden alle Mitgliedstaaten ihre Verbraucher schützen können. Die positiven Auswirkungen auf die Energiepreise würden auch für den vernetzten Energiemarkt der Union förderlich sein und würden zu einer Dämpfung der Inflationsrate beitragen.6)“
6
Es soll ein „Solidaritätsbeitrag“ für im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätige Unternehmen und Betriebsstätten der Union eingeführt werden, der „außergewöhnlich und streng befristet sein“ soll.7) Sodann wird der Begriff des „Überschussgewinns“ eingeführt: „Der Solidaritätsbeitrag ist ein geeignetes Mittel, um Überschussgewinne im Falle unvorhergesehener Umstände anzugehen. Bei diesen Gewinnen handelt es sich nicht um gewöhnliche Gewinne, die von den Unternehmen oder Betriebsstätten der Union, die Tätigkeiten im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich ausüben, unter normalen Umständen hätten erzielt oder erwartet werden können, wenn die unvorhersehbaren Ereignisse auf den Energiemärkten nicht stattgefunden hätten. Daher stellt die Einführung eines Solidaritätsbeitrags eine gemeinsame und koordinierte Maßnahme dar, mit der im Geiste der Solidarität die Schaffung zusätzlicher Einnahmen für die nationalen Behörden möglich gemacht werden, um die von den rasant ansteigenden Energiepreisen stark betroffenen Haushalte und Unternehmen finanziell zu unterstützen und gleichzeitig in der gesamten Union gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Der Solidaritätsbeitrag sollte parallel zu den regulären Unternehmenssteuern angewandt werden, die im jeweiligen Mitgliedstaat von den betreffenden Unternehmen erhoben werden.“8)
7
Nach dem Willen der Europäischen Kommission sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die „Überschusserlöse aus der Anwendung der Obergrenze für Markterlöse _____________ 3) 4) 5) 6) 7) 8)
228
S. Europäische Kommission, COM (2022) 230 final, S. 20 https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/EN/TXT/?uri=COM%3A2022%3A230%3AFIN [zuletzt abgerufen am 1.6.2023]. ABl. EU 2022, L 261, S. 1 ff. Vgl. Neumann/Lißek, N&R 2022, 258, 273. Erwägungsgrund 12. Erwägungsgrund 12. Erwägungsgrund 13. Erwägungsgrund 14.
Schmittmann
EU-EnergieKBG
Einführung
im Bereich der Stromerzeugung an die Stromendkunden weitergegeben werden, um die Auswirkungen außergewöhnlich hoher Strompreise abzufedern“.9) Zur Befristung heißt es:
8
„Der befristete Solidaritätsbeitrag soll als Umverteilungsmaßnahme dienen, um sicherzustellen, dass die betreffenden Unternehmen, die in Folge der unerwarteten Umstände Überschussgewinne erzielt haben, proportional zur Bewältigung der Energiekrise auf dem Binnenmarkt beitragen.“10)
Zudem führt die EU aus:
9
„Der Solidaritätsbeitrag und der dafür geltende Rechtsrahmen der Union sollten befristet sein, um der dringenden Ausnahmesituation zu begegnen, die in der Union im Zusammenhang mit den rasant ansteigenden Energiepreisen entstanden ist. Der Solidaritätsbeitrag sollte auf Überschussgewinne aus dem Jahr 2022 und/oder 2023 angewandt werden, um die negativen Auswirkungen der derzeitigen Energiekrise auf Haushalte und Unternehmen zu bewältigen und abzufedern. Die Anwendung des Solidaritätsbeitrags auf das gesamte Haushaltsjahr dürfte es ermöglichen, Überschussgewinne des betreffenden Zeitraums im öffentlichen Interesse zur Abfederung der Folgen der Energiekrise zu nutzen; gleichzeitig bleibt den betreffenden Unternehmen ein angemessenes Maß an Gewinnen erhalten.“11)
Die Erwägungsgründe führen weiter aus:
10
„Um für Kohärenz zwischen den einzelnen energiepolitischen Bereichen zu sorgen, sollten die in der vorliegenden Verordnung vorgesehenen Maßnahmen ein zusammenhängendes Paket bilden und sich gegenseitig verstärken. Alle Mitgliedstaaten sollten die Verbraucher durch Überschusserlöse aus der Obergrenze für Markterlöse, durch eine geringere Stromnachfrage und dadurch niedrigere Energiepreise sowie durch zusätzliche Einnahmen aus einem Solidaritätsbeitrag für im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätige Unternehmen und Betriebsstätten der Union gezielt unterstützen können. Gleichzeitig sollte eine Nachfragesenkung im Einklang mit den Zielen der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates zu geringeren Risiken für die Versorgungssicherheit beitragen.“12)
Zur Befristung und zur Berichterstattung wird ausgeführt:
11
„Der Solidaritätsbeitrag sollte nur für das Haushaltsjahr 2022 und/oder das Haushaltsjahr 2023 gelten. Die Kommission sollte bis zum 15. Oktober 2023 und bis zum 15. Oktober 2024 die Lage überprüfen und dem Rat einen Bericht übermitteln, da die Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt einen Überblick über die Erhebung des Solidaritätsbeitrags haben werden.“13)
Unter den Begriffsbestimmungen finden sich auch die „Übererlöse“ und „Überschussgewinne“ wieder: Gemäß Art. 2 Nr. 9 VO (EU) 2022/1854 bezeichnet der Begriff „Überschusserlöse“ eine positive Differenz zwischen den Markterlösen der Erzeuger je MWh Strom und der Obergrenze für Markterlöse von 180 EUR je MWh Strom gemäß Artikel 6 Absatz 1 VO (EU) 2022/1854.
_____________ 9) 10) 11) 12) 13)
Erwägungsgrund 46. Vgl. Neumann/Lißek, N&R 2022, 258, 273. Erwägungsgrund 51. Erwägungsgrund 64. Erwägungsgrund 15. Erwägungsgrund 65.
Schmittmann
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12
EU-EnergieKBG
Einführung
In Art. 2 Nr. 18 VO (EU) 2022/1854 werden „Überschussgewinne“ dahin definiert, dass der Begriff „die nach den nationalen Steuervorschriften im Haushaltsjahr 2022 und/oder im Haushaltsjahr 2023 und während der gesamten Dauer des betreffenden Haushaltsjahres ermittelten steuerpflichtigen Gewinne aus Tätigkeiten von im Erdöl-, Erdgas-, Kohl- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen oder Betriebsstätten der Union, die in den vier am oder nach dem 1. Januar 2018 beginnenden Haushaltsjahren mehr als 20% über dem Durchschnitt der steuerpflichtigen Gewinne liegen“ bezeichnet. „Solidaritätsbeitrag“ bezeichnet gemäß Art. 2 Nr. 19 VO (EU) 2022/1854 eine befristete Maßnahme in Bezug auf Überschussgewinne von im Erdöl-, Erdgas-, Kohleund Raffineriebereich tätigen Unternehmen und Betriebsstätten der Union, mit dem Ziel, außergewöhnliche Preisentwicklungen auf den Energiemärkten für Mitgliedstaaten, Verbraucher und Unternehmen abzumildern. „Engpasserlösüberschüsse“ bezeichnet gemäß Art. 2 Nr. 20 VO (EU) 2022/1854 die übrigen Einnahmen, die nach Zuteilung der Engpasserlöse im Einklang mit den in Artikel 19 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2019/943 festgelegten vorrangigen Zielen nicht verwendet werden.
13
Europarechtlicher Hintergrund für die Verordnung (EU) 2022/1854 ist Art. 122 Abs. 1 AEUV, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen kann, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten. Ob diese Ermächtigungsgrundlage greift, ist fraglich und führt zu einem hohen Klagerisiko.14) II. Deutsches Recht
14
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Jahressteuergesetzes 2022 (JStG 2022) vom 16.9.2022 ist weder von einer „Übergewinnsteuer“ noch von einem „EUEnergiekrisenbeitrag“ die Rede.15) Auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Jahressteuergesetzes 2022 vom 10.11.2022 schweigt sich zu dieser Frage aus.16)
15
Der unabhängige Wissenschaftliche Beirat bei dem Bundesministerium der Finanzen hatte im Sommer 2022 dringend von der Einführung einer Übergewinnsteuer abgeraten. Dabei hat er insbesondere die Möglichkeit einer willkürlichen Belastung und Verzerrung in der Produktionsstruktur sowie die Nichtberücksichtigung von „Untergewinnen“ hervorgehoben.17) Zudem kritisiert der unabhängige Wissenschaftliche Beirat, dass das Vertrauen in das Steuersystem durch die Einführung der Übergewinnsteuer, die an Vergleichszahlen aus der Vergangenheit anknüpft, beeinträchtigt wird. Die Regelungen des Steuersystems basierten darauf, dass positives Einkommen bzw. Gewinne besteuert werden, aber nicht berücksichtigt werde, in welchen
_____________ 14) Fraktion der CDU/CSU, BT-Drucks. 20/4729, S. 134; Ellerbusch/Nonnenmacher/Thoß, DB 2023, 344; Hackemann/Weiler, ISR 2023, 70; Lüdicke, DB 51-52/2022, M4-M5; Stahlschmidt, BB 41/2022, S. I. 15) BR-Drucks. 457/22. 16) BT-Drucks. 20/3879. 17) BMF, Pressemitteilung Nr. 20 vom 5.8.2022, BB 2022, 1878.
230
Schmittmann
EU-EnergieKBG
Einführung
Sektoren, mit welchen Produkten und in welchen Phasen des Weltgeschehens Gewinne erzielt werden.18) Erst in der Beschlussempfehlung und im Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2022 wird die Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrages nach der Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise vom 6.10.2022 genannt. Damit wurde Art. 40 des JStG 2022 in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt.19) Im Gesetzgebungsverfahren ist gefordert worden, an Stelle des Gewinns die in Deutschland getätigten Umsätze zur Bemessungsgrundlage einer Übergewinnsteuer zu machen20) und daher nicht in das ertragsteuerliche System, sondern in das umsatzsteuerliche System einzugreifen.
16
Das Gesetz wurde als Teil des Jahressteuergesetzes 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022 vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen und bekannt gemacht.21) Es ist gemäß Art. 43 Abs. 1 JStG 2022 am 21.12.2022 in Kraft getreten.
17
Das EU-EnergiekrisenKBG ist im Zusammenhang mit der Einführung der Strompreisbremse zu sehen.22) Durch das Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen vom 20.12.202223) werden die „Abschöpfung von Überschusserlösen“ (§§ 13 bis 19 Strompreisbremsegesetz [StromPBG] sowie der „Ausgleich durch Abschöpfung von Überrenditen und weiterer Ausgleichsmechanismus“ (§§ 20 bis 25 StromPBG) geregelt. Es handelt sich um eine Sonderregelung, die auf Strommengen, die nach dem 30.11.2022 und vor dem 1.7.2023 im Bundesgebiet erzeugt wurden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 StromPBG) und Absicherungsgeschäfte, die nach dem 30. November 2022 und vor dem 1.7.2023 im Bundesgebiet ganz oder teilweise erfüllt werden mussten (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 StromPBG) anzuwenden ist. Die Bundesregierung überprüft gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 StromPBG bis zum 31.5.2023 die Notwendigkeit einer Verlängerung. Die Regelungen werden hier nicht im Einzelnen kommentiert. Ein Überblick ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien:
18
„Die für diese Entlastungsmaßnahmen erforderlichen Finanzmittel werden in besonderem Umfang aus der Stromwirtschaft generiert. Denn so sehr die Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher unter den hohen Strompreisen leiden, so sehr profitieren viele Stromerzeuger von eben diesen hohen Strompreisen: Die hohen Strompreise resultieren aus dem europäischen Strommarktdesign. Nach diesem Design bestimmt sich für alle Stromerzeugungsarten der Preis nach dem für die aktuelle Stromerzeugung benötigten Kraftwerk mit den höchsten Grenzkosten („merit-order“); dies sind zu den meisten Zeiten am Markt Gaskraftwerke, deren Grenzkosten von den stark gestiegenen Gaspreisen abhängen. Für die meisten anderen Stromerzeuger haben sich hingegen die Stromgestehungskosten nicht erhöht. Deren kurzfristige Produktionskosten liegen daher derzeit weit unterhalb des sich ergebenden Marktpreises. Viele Stromerzeuger erzielen daher gegenwärtig erhebliche Mehreinnahmen, die zum ganz überwiegenden Teil unerwartet waren („Überschusserlöse“).
_____________ 18) 19) 20) 21) 22) 23)
BMF, Pressemitteilung Nr. 20 vom 5.8.2022, BB 2022, 1878. BT-Drucks. 20/4729, S. 122 ff. So Fraktion Die Linke, BT-Drucks. 20/4729, S. 135. BGBl. I 2022, 2294, 2325. Vgl. Schmittmann, Anhang Steuerrecht, Rz. 261. BGBl. I 2022, 2512.
Schmittmann
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EU-EnergieKBG
Einführung
Diese Überschusserlöse werden mit diesem Gesetz in angemessenem Umfang abgeschöpft und über einen Wälzungsmechanismus zur Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen verwendet. Im Einzelnen ist die Abschöpfung der Überschusserlöse wie folgt ausgestaltet: Abgeschöpft wird grundsätzlich bei allen Technologien, bei denen Überschusserlöse anfallen. Dabei entspricht die Auswahl der abzuschöpfenden Technologien den EUVorgaben: Erfasst wird die Stromerzeugung aus Braunkohle, Kernenergie, Abfall, Mineralöl und erneuerbaren Energien. Ausgenommen sind Speicher, Steinkohle, Erdgas, Biomethan und weitere Gase. Eine Bagatellgrenze von 1 Megawatt (MW) vermeidet unnötige Bürokratie bei kleinen Anlagen. Die Überschusserlöse in der Stromerzeugung werden über eine technologiespezifische Erlösobergrenze (sog. „Treppenansatz“) abgeschöpft. Sicherheitszuschläge schützen Anlagenbetreiber vor unbilliger Härte. Bei Erneuerbare-Energien-Anlagen bedeutet dies, dass die Überschusserlöse jenseits der technologiespezifischen EEG-Förderhöhe zuzüglich eines Sicherheitszuschlags abgeschöpft werden. Von den berechneten Abschöpfungsbeträgen werden 90 Prozent der Gewinne abgeschöpft. Die übrigen 10 Prozent verbleiben beim Erzeuger, um Anreize für effizientes Verhalten am Markt zu erhalten. Die Überschusserlöse werden grundsätzlich anhand der Preise am Spotmarkt bzw. der energieträgerspezifischen Monatsmarktwerte für Windenergie- und Solaranlagen berechnet. Darüber hinaus können die Ergebnisse aus Absicherungsgeschäften (am Terminmarkt) sowie eine anlagenbezogene Vermarktung (insbesondere durch PowerPurchase-Agreements) berücksichtig werden. Die Abschöpfung erfolgt ab dem 1. Dezember 2022. Zu diesem Zeitpunkt haben die Mitgliedstaaten nach Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2022/1854 eine Erlösobergrenze am Strommarkt zur Umsetzung der Artikel 6 bis 11 der Verordnung (EU) 2022/1854 vorzusehen. Die Laufzeit der Abschöpfung ist zunächst bis zum 30. Juni 2023 befristet. Eine Verlängerung ist höchstens bis zum 30. April 2024 möglich. Die Umsetzung erfolgt durch Selbstveranlagung der Anlagenbetreiber mit nachgelagerter Kontrolle durch die BNetzA, flankiert durch Straf- und Bußgeldbestimmungen.“24)
19
Weiter heißt es: „In § 13 Absatz 1 StromPBG wird der zeitliche Rahmen für die Abschöpfung vorgegeben. Abgeschöpft werden nur die Einnahmen, die mittels Strommengen erzielt wurden, die nach dem 30. November 2022 und vor dem 1. Juli 2023 im Bundesgebiet erzeugt wurden. Erfasst werden außerdem Absicherungsgeschäfte, die in demselben Zeitraum im Bundesgebiet erfüllt werden mussten oder müssen. Der Begriff „Bundesgebiet“, der auch die Ausschließliche Wirtschaftszone umfasst, ist in § 2 StromPBG legaldefiniert. Mit Absicherungsgeschäften sind einerseits nach § 18 StromPBG unter dem Begriff des „anlagenbezogenen Vermarktungsvertrags“ sog. Power-PurchaseAgreements (PPAs) erfasst, mit denen der Strom einer oder mehrere Stromerzeugungsanlagen über einen bestimmten Zeitraum an einen Abnehmer verkauft wird. Erfasst sind andererseits Absicherungsgeschäfte nach § 17 Nummer 1 und 2 StromPBG Der zeitliche Anwendungsbereich kann verlängert werden; das Verfahren für eine solche Verlängerung legt Absatz 2 fest. Soweit sich der Abschöpfungszeitraum auch auf den kurzen Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes bezieht, ist diese Rückwirkung verfassungsrechtlich zulässig. Zwar wird der Abrechnungszeitraum des Gesetzes auf
_____________ 24) S. BT-Drucks. 20/4685, S. 69.
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Schmittmann
EU-EnergieKBG
Einführung
eine Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes erweitert. Dennoch verstößt dies nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Die betroffenen Anlagenbetreiber konnten kein schützenswertes Vertrauen dahingehend bilden, von den Überschusserlösen vollständig zu profitieren. Das Vertrauen in das unveränderte Fortbestehen einer Rechtslage kann durch unvorhersehbare tatsächliche Ereignisse oder Entwicklungen erschüttert werden. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Strompreise stellen derartige Ereignisse dar. Entsprechend begann unmittelbar nach dem sprunghaften Anstieg der Strompreise im März 2022 eine in der breiten Öffentlichkeit geführte Debatte darüber, ob und wie Letztverbraucher entlastet werden können. Dabei war eine wie auch immer geartete finanzielle Inanspruchnahme der Anlagenbetreiber von Beginn an Teil der öffentlichen Debatte. Zunächst wurde eine Übergewinnsteuer diskutiert. Beispielsweise veröffentlichte die Europäische Kommission bereits am 8. März 2022 „Leitlinien für die Anwendung steuerlicher Maßnahmen auf übermäßige Gewinne“, denen zufolge aufgrund der „derzeitigen Krisensituation“ die steuerliche Abschöpfung übermäßiger Gewinne zur Entlastung von Stromverbrauchern zulässig sein sollte. Allerspätestens mit den Presseberichten vom 1. September 2022 über Pläne der Europäischen Kommission, eine „Strompreisbremse“ auf europäischer Ebene vorzugeben, konkretisierte sich der Regulierungsansatz und musste mit einer Änderung der Rechtslage gerechnet werden. Am 4. September 2022 veröffentlichte zudem der Koalitionsausschuss sein Beschlusspapier zur Reaktion auf die gestiegenen Strompreise, das die Möglichkeit der Abschöpfung von Übererlösen konkret benennt. Am 14. September 2022 beschloss die Europäische Kommission den Vorschlag für die EU-Notfall-Verordnung. Bereits dieser Vorschlag sah eine Umverteilung von Überschusserlösen vor. Aufgrund der seit März 2022 geführten öffentlichen Debatte über das Erfordernis eines regulatorischen Eingriffs muss den Anlagenbetreibern daher bereits im Laufe des Jahres 2022 bekannt geworden sein, dass sie außergewöhnliche, letztlich durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine als exogenen Schock verursachte Überschusserlöse nicht würden behalten können. Die Verbändeanhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde am 22. November 2022 eingeleitet. Die gebotene Abwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die getroffenen Regelungen die Verhältnismäßigkeit wahren. Auf der einen Seite stehen die Interessen der Anlagenbetreiber. Die von ihnen getroffenen Investitionsentscheidungen werden nicht entwertet, weil die Überschusserlöse vor Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine gerade nicht von ihnen betriebswirtschaftlich eingeplant werden konnten. Errichtete Anlagen können weiterhin profitabel betrieben werden. Auf der anderen Seite steht die zeitlich sehr begrenzte, rückwirkende Abschöpfung der Überschusserlöse mit dem Ziel der Entlastung der Letztverbraucherinnen und Letztverbraucher. Dieses Ziel dient einem überragenden öffentlichen Interesse, welches das Interesse der Anlagenbetreiber an einem Bestand der Rechtslage deutlich überwiegt. Der kriegsbedingt sprunghaft angestiegene Strompreis führte zu einer starken Belastung der Letztverbraucherinnen und Letztverbraucher und zu unerwarteten Überschusserlösen bei den Anlagenbetreibern. Dieses Marktungleichgewicht ließ das geltende Recht, welches eine Abschöpfung von Überschusserlösen nicht vorsah, anpassungsbedürftig erscheinen und musste das Vertrauen in den Bestand des geltenden Rechts erschüttern.“25)
_____________ 25) S. BT-Drucks. 20/4685, S. 91.
Schmittmann
233
§1 Regelungsgegenstand (1) Nach Kapitel III der Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 6. Oktober 2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise (ABl. L 261I vom 7.10.2022, S. 1) unterliegen Gewinne nach § 4 Absatz 1 Satz 1 von im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen und Betriebsstätten der Union ungeachtet der Besteuerung nach dem Einkommen- oder dem Körperschaftsteuergesetz einem befristeten obligatorischen EU-Energiekrisenbeitrag. (2) Dieses Gesetz regelt die Einführung des EU-Energiekrisenbeitrags in Deutschland. (3) Das Aufkommen steht dem Bund zu und ist entsprechend den Vorgaben gemäß Artikel 17 der Verordnung (EU) 2022/1854 zu verwenden. Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine Steuer im Sinne der Abgabenordnung. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30.11.2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EUEnergieKBG). Übersicht I. 1. 2.
Zu § 1 ..................................................... 1 Absatz 1 ................................................. 1 Absatz 2 ................................................. 2
I.
Zu § 1
1.
Absatz 1
3. Absatz 3 ................................................. 3 II. Kommentierung ................................... 6
Die Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates über „Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise“ vom 6. Oktober 2022 (Verordnung (EU) 2022/1854) enthält in Kapitel III als Maßnahme in Bezug auf den Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich Vorgaben zu einem befristeten obligatorischen EU-Energiekrisenbeitrag auf bestimmte Gewinne aus Tätigkeiten in diesen Bereichen (Art. 14 bis 18 Verordnung (EU) 2022/1854). 2.
Absatz 2
Eine EU-Verordnung hat allgemeine und unmittelbare Geltung. Die Verordnung (EU) 2022/1854 lässt den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des EU-Energiekrisenbeitrags jedoch Spielräume. Dieses Gesetz regelt die Einführung des EUEnergiekrisenbeitrags in Deutschland. 3.
1
2
Absatz 3
Die detaillierten, verbindlichen Vorgaben der Verordnung (EU) 2022/1854 über die Ausgestaltung des EU-Energiekrisenbeitrags, insbesondere bezüglich der Abgabepflichtigen, der Bemessungsgrundlage, der Höhe der Abgabe und der Verwendung der Einnahmen, sowie die Einbindung in das auf Artikel 122 Absatz 1 AEUV gestützte, Schmittmann
235
3
§ 1 EU-EnergieKBG
Regelungsgegenstand
marktbezogene europäische Notfallkonzept zur Bewältigung der Energiekrise führen zur Einordnung als Abgabe im Rahmen der europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 106 Absatz 1 Nummer 7 des Grundgesetzes. Diese Regelung wurde mit der Finanzreform 1969 mit Blick auf sogenannte Marktordnungsabgaben geschaffen, bekam aber ausdrücklich einen zukunftsoffenen Wortlaut, wonach die Regelung in allen Fällen gilt, in denen die Europäischen Gemeinschaften Abgaben neu einführen können, die innerstaatlich zu erheben sind (siehe zu BT-Drucks. V/3605, S. 7). 4
Das Aufkommen der Abgaben im Rahmen der europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 106 Absatz 1 Nummer 7 GG steht dem Bund zu. Dies gilt folglich auch für den EU-Energiekrisenbeitrag. Die Einnahmen sind für die in Artikel 17 der Verordnung (EU) 2022/1854 aufgelisteten Maßnahmen zu verwenden.
5
Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine Steuer im Anwendungsbereich der Abgabenordnung (§ 1 Absatz 1, § 3 Absatz 1 AO). II. Kommentierung
6
Im Hinblick darauf, dass die Verordnung allgemeine und unmittelbare Geltung hat, war der deutsche Gesetzgeber gebunden. Ihm standen lediglich geringfügige Spielräume zur Verfügung. Nach der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) steht dem Bund gemäß Art. 105 Abs. 1 GG die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und die Finanzmonopole zu. Aus Art. 106 Abs. 1 GG ergibt sich die Ertragshoheit des Bundes und aus Art. 106 Abs. 2 GG die Ertragshoheit der Länder. Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, den EU-Energiekrisenbeitrag als „Abgabe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften“ auszugestalten, so dass dem Bund gemäß Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG die Ertragshoheit zusteht. Schon früh ist bezweifelt worden, ob eine Übergewinnsteuer geschaffen werden kann, die den verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt.1) In der Sache selbst ist der EU-Energiekostenbeitrag bei zutreffender Betrachtung weder eine Steuer, da er keine Gemeinlast ist und nicht dem allgemeinen staatlichen Haushalt zugutekommt, noch eine Abgabe im Rahmen der Europäischen Union, da er dieser nicht zufließt.2)
7
Gemäß § 3 Abs. 1 AO sind Steuern Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein. Der Gesetzgeber hat den in EU-Energiekostenbeitrag den Steuern im Sinne der Abgabenordnung zugeordnet und damit auch den Anwendungsbereich des Steuerstrafrechts eröffnet.
8
Der Begriff des Energiekostenbeitrags war in der Vergangenheit bislang lediglich im Zusammenhang mit dem von Justizvollzugsanstalten erhobenen Kostenbeitrag für die Betriebs- und Stromkostenbeteiligung in Verwendung.3) _____________ 1) 2) 3)
236
Vgl. schon sehr früh zur Übergewinnsteuer als „Ergänzungsabgabe“: Stahlschmidt, StB 78/2022, S. I. S. Lüdicke, DB 51-52/2022, M4-M5. Vgl. Ellerbusch/Nonnenmacher/Thoß, DB 2023, 344. Vgl. BayVerfGH, Entsch. v. 20.8.2019 – Vf. 2-VII-18, BayVBl. 2020, 306 ff.; OLG Nürnberg, Beschl. v. 1.3.2007 – 2 Ws 73/07, StRR 2007, 123; LG Regensburg, Beschl. v. 9.2.2022 – SR StVK 768/16, Rz. 48.
Schmittmann
§ 1 EU-EnergieKBG
Regelungsgegenstand
Nach der derzeitigen Regelung ist der EU-Energiekostenbeitrag zeitlich limitiert. Der Solidaritätszuschlag als „Ergänzungsabgabe“4) wurde 1991 befristet bis zum 30.6.1992 eingeführt.5) Zunächst diente der Solidaritätszuschlag mit einer Befristung auf ein Jahr um die „Mehrbelastungen aus dem Golfkrieg“ und die „Kosten der Deutschen Einheit“ zu finanzieren.
9
Durch das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms (KFPG) vom 23.6.19936) wurde der Solidaritätszuschlag verstetigt, um „den neuen Ländern und ihren Gemeinden dauerhaft eine angemessene Finanzausstattung zu sichern und in vertretbarer Zeit zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse im Osten Deutschlands an die im Westen zu gelangen“.7)
10
Aufgrund des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 vom 10.12.20198) wird der Solidaritätszuschlag nur noch bei bestimmten Einkommen erhoben. Ab 1.1.2021 wird der Solidaritätszuschlag erst erhoben, wenn die Einkommensteuer bei Einzelveranlagung mehr als € 16.956,00 im Jahr oder bei Zusammenveranlagung mehr als € 33.912,00 im Jahr beträgt. Dem BFH liegt derzeit die Frage vor, ob die trotz des in 2019 ausgelaufenen Solidarpakts II und der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020 fortgeltende Erhebung des Solidaritätszuschlags für den Zeitraum ab dem Jahr 2020 verfassungswidrig ist.9) Zu Recht wird in Zweifel gezogen, ob es bei dem Versprechen auf einmalige Einführung bleibt oder aber ob es sich um eine Weiterentwicklung der Unternehmensbesteuerung handelt.10)
11
Eine Steuer kann verfassungswidrig sein, wenn ein Vollzugsdefizit besteht.11) Aus dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch das Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichbehandelt werden.12) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip. Wirkt sich die Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und liegen die Voraussetzungen dafür vor, dass dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Steuernorm.13) Bei dem EU-Energiekostenbeitrag droht ein Vollzugsdefizit nicht, da die Anzahl der potentiell betroffenen Unternehmen überschaubar ist und daher eine effiziente
12
_____________ 4) Vgl. zur Übergewinnsteuer als „Ergänzungsabgabe“: Stahlschmidt, StB 7-8/2022, S. I. 5) S. Gesetz zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen vom 24.6.1991, BGBl. I 1991, 1318. 6) BGBl. I 1993, 944, 975. 7) So BT-Drucks. 12/4401, S. 45. 8) BGBl. I 2019, 2115. 9) BFH, Urt. v. 17.1.2023 – IX R 15/20, BStBl. II 2023, 351 ff. = BB 2023, 348 ff. 10) So Stahlschmidt, BB 41/2022, S. I. 11) Vgl. Schmittmann, Cahiers de fiscalité luxembougoise et européenne 2/2022, 91, 121. 12) So Hey in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 3.113; Schmittmann in: Fischer/Amort, Nachhaltigkeit und Recht, Kapitel 4 Rz. 99. 13) So BVerfG, Urt. v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 ff. = BStBl. II 1991, 654 ff.
Schmittmann
237
§ 1 EU-EnergieKBG
Regelungsgegenstand
Kontrolle möglich und wahrscheinlich ist. Somit ist eine gleichmäßige Erhebung der Steuer zu erwarten ist. 13
Dem Steuerrecht liegt weiterhin der aus der Verfassung folgende Grundsatz des Übermaßverbotes zu Grunde.14) Zugleich schützt das Übermaßverbot auch vor einer willkürlichen Besteuerung.15) Zu Recht weist Stahlschmidt darauf hin, dass der Auslöser für die derzeitige Regelung eine „nicht-antizipierbare Krise“ sei. Es sei daher zu fragen, ob und unter welchen Umständen erneut eine „nicht-antizipierbare Krise“ vorliege und damit die Übergewinnsteuer erhalten bleibe.16)
_____________ 14) So Hey in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Rz. 3.13. 15) Vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Übergewinnsteuer – Historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen, BD 4 – 3000 – 023/21, S. 4; Schmittmann, Cahiers de fiscalité luxembougoise et européenne 2022, 91, 121. 16) So Stahlschmidt, BB 41/2022, S. I.
238
Schmittmann
§2 Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags (1) Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags ist jedes Unternehmen, das im Besteuerungszeitraum nach § 3 Absatz 2 mindestens 75 Prozent seines Umsatzes durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielt. Die Prüfung ist wirtschaftsjahrbezogen vorzunehmen. Ein Rumpfwirtschaftsjahr ist zu berücksichtigen, wenn diesem kein weiteres Wirtschaftsjahr folgt. (2) Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ist unabhängig von seiner Rechtsform jedes gewerbliche Unternehmen, soweit es im Inland betrieben wird. Im Inland betrieben wird ein Unternehmen, soweit im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. § 1 Absatz 3 des Körperschaftsteuergesetzes gilt entsprechend. Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 ist die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik (ABl. L 393 vom 30.12.2006, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/1243 (ABl. L 198 vom 25.7.2019, S. 241) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30.11.2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG)). Übersicht I. 1.
Zu § 2 ..................................................... 1 Absatz 1 ................................................. 1
I.
Zu § 2
1.
Absatz 1
2. Absatz 2 ................................................. 3 II. Kommentierung ................................... 6
Von der Regelung werden im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich tätige Unternehmen und Betriebsstätten der Union erfasst, die im maßgebenden Besteuerungszeitraum nach § 3 mindestens 75 Prozent ihres Umsatzes durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielen (vgl. auch Artikel 2 Nummer 17 Verordnung (EU) 2022/1854). Die Auswahl der zur Zahlung des Energiekrisenbeitrags verpflichteten Unternehmen entspricht somit exakt der Vorgabe der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006. Die getroffene Auswahl beruht auf sachlichen Gründen. Diese liegen in dem mit der Abschöpfung und anschließenden Umverteilung verfolgten Ziel der Versorgungssicherheit im Energiesektor, das durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 vorgesehenen Maßnahmen verfolgt wird (vgl. auch Art. 122 AEUV). Die infolge des Krieges eingetretene beispiellose Energiekrise, Schmittmann
239
1
§ 2 EU-EnergieKBG
Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags
mit Verknappung des Energieangebots und damit verbundenen Preisanstiegen, hat zu deutlich angestiegenen Gewinnen gerade dieses Sektors geführt, ohne dass sich dessen Kostenstruktur wesentlich verändert oder Investitionen erhöht hätten (vgl. Erwägungsgrund 50 (EG) Nr. 1893/2006). Demgegenüber sind Energiekunden auf staatliche Schutzmaßnahmen angewiesen, was einen zeitlich befristeten Zugriff auf gewisse Gewinnspitzen als Krisenbewältigung verhältnismäßig erscheinen lässt. 2
Für den Besteuerungszeitraum sind grundsätzlich nur Wirtschaftsjahre zu berücksichtigen, wenn diese zwölf Monate umfassen. Rumpfwirtschaftsjahre werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Damit wird gewährleistet, dass die Zeitspanne, in der ein für den EU-Energiekrisenbeitrag maßgebender Gewinn anfallen kann, grundsätzlich gleich lang ist. Sollte im Einzelfall ein Rumpfwirtschaftsjahr vorliegen, ist dieses zu berücksichtigen, wenn diesem Rumpfwirtschaftsjahr kein weiteres Wirtschaftsjahr folgt (z. B. Fälle der Betriebseinstellung). 2.
Absatz 2
3
Von den Regelungen dieses Gesetzes ist jedes gewerbliche Unternehmen unabhängig von seiner Rechtsform um- fasst, soweit es im Inland betrieben wird. Damit sind Einzelunternehmen und Personen- und Kapitalgesellschaften sowie Betriebsstätten von dem Gesetz erfasst. Der Inlandsbegriff umfasst auch die ausschließliche Wirtschaftszone sowie den Festlandssockel im Sinne des § 1 Absatz 3 KStG.
4
Nach Artikel 15 der Verordnung (EU) 2022/1854 sind auch Unternehmen und Betriebsstätten der Union umfasst, die Teil einer lediglich zu Steuerzwecken konsolidierten Gruppe sind. Hierunter sind nach deutschem Steuerrecht Organschaftsverhältnisse zu verstehen. Im Rahmen einer Organschaft wird für ertragsteuerliche Zwecke der Unternehmensgewinn der Organgesellschaft eigenständig ermittelt, dann das sich hieraus ergebende Einkommen dem Organträger zugerechnet und dort mit dessen Ergebnis verrechnet.
5
Im Sinne des Artikels 15 der Verordnung (EU) 2022/1854 unterliegen Unternehmen und Betriebsstätten jedoch eigenständig dem EU-Energiekrisenbeitrag. Die Konsolidierung von Gewinnen im Rahmen einer Unternehmensgruppe zu Steuerzwecken hat daher keine Bedeutung für den EU-Energiekrisenbeitrag. Organträger und Organgesellschaft unterliegen mit ihrem jeweiligen Gewinn eigenständig dem EUEnergiekrisenbeitrag. Die gesellschaftsrechtliche Gewinnabführung an den Organträger beeinflusst dessen eigenen Gewinn, der dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt, nicht. II. Kommentierung
6
Steuerschuldner sind – der Vorgabe der Verordnung folgend – Unternehmen, die im Besteuerungszeitrum mindestens 75% ihres Umsatzes durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielt.
7
Gemäß § 43 AO bestimmen die Steuergesetze, wer Steuerschuldner oder Gläubiger einer Steuervergütung ist (§ 43 Satz 1 AO). Die Steuergesetze bestimmen auch, ob ein Dritter die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat
240
Schmittmann
Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags
§ 2 EU-EnergieKBG
(§ 43 Satz 2 AO). Der Gesetzgeber hat den Steuerschuldner, hier „Beitragsschuldner“, in § 2 Abs. 1 EU-EnergieKBG definiert. Der Gesetzgeber hat nicht definiert, was unter dem maßgeblichen Umsatz zu verstehen sein soll. Es liegt nahe, in Anlehnung an § 277 Abs. 1 HGB davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die „Umsatzerlöse“ meint, also die Erlöse aus dem Verkauf und der Vermietung oder Verpachtung von Produkten sowie aus der Erbringung von Dienstleistungen der Kapitalgesellschaft nach Abzug von Erlösschmälerungen und der Umsatzsteuer sowie sonstiger direkt mit dem Umsatz verbundener Steuern. Fraglich ist, ob es sich bei dem EU-Energiekrisenbeitrag um eine sonstige direkt mit dem Umsatz verbundene Steuer handelt, die demgemäß abzuziehen wäre. Dies dürfte nicht der Fall sein, da der EU-Energiekrisenbeitrag nicht an den Umsatz, sondern gemäß § 4 Abs. 1 an den Gewinn anknüpft.
8
Für den EU-Energiekrisenbeitrag kommt es ausschließlich darauf an, ob das Unternehmen gewerblich ist und im Inland betrieben wird. Die Rechtsform ist nicht relevant.
9
Schmittmann
241
§3 Entstehung des EU-Energiekrisenbeitrags, Besteuerungszeitraum (1) Der EU-Energiekrisebeitrag entsteht mit Ablauf des Besteuerungszeitraums. (2) Besteuerungszeitraum ist das erste nach dem 31. Dezember 2021 beginnende volle Wirtschaftsjahr (Besteuerungszeitraum 1) sowie das darauffolgende volle Wirtschaftsjahr (Besteuerungszeitraum 2). Ein volles Wirtschaftsjahr im Sinne des Satzes 1 umfasst einen Zeitraum von zwölf Monaten. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30.11.2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG). Literatur: Bolik/Nonnenmacher/Peterich, Das Jahressteuergesetz 2022, StuB 2023, 12. Übersicht I. 1.
Zu § 3 ..................................................... 1 Absatz 1 ................................................. 1
I.
Zu § 3
1.
Absatz 1
2. Absatz 2 ................................................. 2 II. Kommentierung ................................... 3
Absatz 1 bestimmt im Hinblick auf § 38 AO den Zeitpunkt der Entstehung des EU-Energiekrisenbeitrags. 2.
1
Absatz 2
Nach dem Gesetz wird der EU-Energiekrisenbeitrag für das erste nach dem 31. Dezember 2021 beginnende Wirtschaftsjahr, das als Besteuerungszeitraum 1 definiert wird, sowie für das darauffolgende Wirtschaftsjahr, das als Besteuerungszeitraum 2 definiert wird, erhoben. Das maßgebende Wirtschaftsjahr umfasst dabei stets einen Zeitraum von zwölf Monaten.
2
II. Kommentierung Gemäß § 38 AO entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Gemäß § 3 Abs. 1 EU-KrisenKBG entsteht der EU-Energiekrisenbeitrag mit Ablauf des Besteuerungszeitraumes.
3
Hinsichtlich des Besteuerungszeitraumes ist zwischen Steuerpflichtigen, bei denen das Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht und Steuerpflichtigen mit abweichendem Wirtschaftsjahr zu unterscheiden.
4
Entspricht das Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr ist der Besteuerungszeitraum 1 das Kalenderjahr 2022 und der Besteuerungszeitraum 2 das Kalenderjahr 2023.
5
Hat der Steuerpflichtige ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr, z. B. vom 1. Juli bis zum 30. Juni des Folgejahres, so ist Besteuerungszeitraum 1 das
6
Schmittmann
243
§ 3 EU-EnergieKBG
Entstehung des EU-Energiekrisenbeitrags, Besteuerungszeitraum
Wirtschaftsjahr vom 1.7.2022 bis zum 30.6.2023 und der Besteuerungszeitraum 2 das Wirtschaftsjahr vom 1.7.2023 bis zum 30.6.2024. 7
Der EU-Energiekrisenbeitrag wird im Wege der unechten Rückwirkung für 2022 erhoben.1)
_____________ 1)
244
So Bolik/Nonnenmacher/Peterich, StuB 2023, 12, 18.
Schmittmann
§4 Bemessungsgrundlage und Steuersatz (1) Bemessungsgrundlage für den EU-Energiekrisenbeitrag ist der Betrag in Höhe der positiven Differenz, um den der nach einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Vorschriften ermittelte steuerliche Gewinn für den Besteuerungszeitraum nach § 3 den um 20 Prozent erhöhten Durchschnitt des steuerlichen Gewinns in den nach dem 31. Dezember 2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wirtschaftsjahren, die zwölf Monate umfassen, übersteigt. Ist der Durchschnitt der steuerlichen Gewinne in den nach dem 31. Dezember 2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wirtschaftsjahren, die zwölf Monate umfassen, negativ, so beträgt der durchschnittliche steuerliche Gewinn null. Entsprechendes gilt für Unternehmen, deren Gewinn nach dem 31. Dezember 2021 erstmals der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer unterliegt. Ist im steuerlichen Gewinn ein Gewinnanteil einer ausländischen Betriebsstätte oder ein Hinzurechnungsbetrag im Sinne des § 10 Absatz 2 des Außensteuergesetzes enthalten und wurde auf diesen Gewinnanteil oder auf die dem Hinzurechnungsbetrag zugrundeliegenden passiven Einkünfte ein Solidaritätsbeitrag oder eine Abgabe aufgrund einer gleichwertigen nationalen Maßnahme im Sinne des Artikels 14 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/1854 erhoben, mindert sich insoweit der steuerliche Gewinn im Sinne dieses Absatzes. (2) Die nach Absatz 1 Satz 1 maßgebenden Gewinne mindern sich um darin enthaltene Anteile am Gewinn einer in- oder ausländischen offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind, wenn diese Gesellschaften selbst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 erfüllen. Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine sonstige Personensteuer im Sinne des § 10 Nummer 2 des Körperschaftsteuergesetzes und des § 12 Nummer 3 des Einkommensteuergesetzes. (3) Der EU-Energiekrisenbeitrag beträgt 33 Prozent der Bemessungsgrundlage nach Absatz 1 Satz 1. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30.11.2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG)). Literatur: Bolik/Nonnenmacher/Peterich, Das Jahressteuergesetz 2022, StuB 2023, 12; Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, 103. Lieferung, 2022; Schmittmann, Kommunale Besteuerung des Glücksspiels zwischen Lenkung und Erdrosselung, ZfWG 2022, 11; Schmittmann, Kapitel 4, Förderung der Nachhaltigkeit durch das Steuerrecht in: Fischer/Amort, Nachhaltigkeit und Recht, 2023; Stahlschmidt, Die Übergewinnsteuer – Ein Modell für Deutschland, StB 7-8/2022, S. 1.; Stahlschmidt, Zufallsgewinnsteuer – Übergewinnsteuer?, BB 41/2022, S. I; Valta, Die Einführung einer Übergewinnsteuer: Unions- und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für eine Übergewinnsteuer am Beispiel des Energiekrisenbeitragsgesetzes, StuW 2023, 72.
Schmittmann
245
§ 4 EU-EnergieKBG
Bemessungsgrundlage und Steuersatz Übersicht
I. 1.
Zu § 4 ..................................................... Absatz 1 ................................................. a) Satz 1 ............................................... b) Satz 2 ............................................... c) Satz 3 ............................................... d) Satz 4 ...............................................
I.
Zu § 4
1.
Absatz 1
1 1 1 3 4 5
2.
Absatz 2 ................................................. 6 a) Satz 1 ............................................... 6 b) Satz 2 ............................................... 7 3. Absatz 3 ................................................. 8 II. Kommentierung ................................... 9
a) Satz 1 1
Der EU-Energiekrisenbeitrag ist auf den Teil des Gewinns des im Besteuerungszeitraum 1 bzw. 2 endenden Wirtschaftsjahres zu entrichten, der mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der steuerlichen Gewinne aus den nach dem 31. Dezember 2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wirtschaftsjahren liegt, wenn diese Wirtschaftsjahre zwölf Monate umfassen. Bei Kapitalgesellschaften ist als Gewinn der steuerliche Gewinn maßgebend (siehe auch R 7.1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 31 KStR 2022), bei Steuerpflichtigen in anderer Rechtsform die entsprechende Größe.
2
In den Vergleichszeitraum sind keine Rumpfwirtschaftsjahre einzubeziehen, da der in diesen Zeiträumen erzielte Gewinn aufgrund des kürzeren Zeitraums nicht vergleichbar ist, den Durchschnitt verfälscht und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens nicht zutreffend widerspiegelt. Ebenso wird klargestellt, dass der Besteuerungszeitraum 1 nicht in den Vergleichszeitraum einzubeziehen ist. b) Satz 2
3
Satz 2 bezieht sich auf Artikel 15 Satz 2 der Verordnung (EU) 2022/1854. Danach beträgt der durchschnittliche steuerliche Gewinn als Vergleichsgröße bei der Berechnung des EU-Energiekrisenbeitrags null, wenn der Durchschnitt der steuerlichen Gewinne aus den nach dem 31. Dezember 2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wirtschaftsjahren, die zwölf Monate umfassen, negativ ist. Da sich der Betrag nach § 4 Absatz 1 Satz 1 aus der Differenz zwischen dem steuerlichen Gewinn des Besteuerungszeitraums und der Vergleichsgröße errechnet, führt in Fällen, in denen diese Vergleichsgröße Null ist, die positive Differenz zu einem Betrag nach § 4 Absatz 1 Satz 1. c) Satz 3
4
Nach Satz 3 ist auch von einem Vergleichsgewinn der Vorjahre von Null auszugehen, wenn der Gewinn eines Unternehmens nach dem 31. Dezember 2021 erstmals der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegt. Das betrifft insbesondere Fälle der Neugründung von Unternehmen. d) Satz 4
5
Satz 4 enthält eine Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. In den Fällen, in denen im steuerlichen Gewinn ein Gewinnanteil einer ausländischen Betriebsstätte oder ein Hinzurechnungsbetrag im Sinne des § 10 Absatz 2 des Außensteuergeset246
Schmittmann
§ 4 EU-EnergieKBG
Bemessungsgrundlage und Steuersatz
zes enthalten ist und auf diesen Gewinnanteil oder auf die dem Hinzurechnungsbetrag zugrundeliegenden passiven Einkünfte ein Solidaritätsbeitrag oder eine Abgabe aufgrund einer gleichwertigen nationalen Maßnahme im Sinne des Art. 14 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/1854 erhoben wurde, mindert sich insoweit der steuerliche Gewinn für Zwecke des EU-Energiekrisenbeitrags. 2.
Absatz 2
a) Satz 1 Ist im Gewinn einer Gesellschaft, die dem Grunde nach dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt, ein Gewinn einer anderen Personengesellschaft enthalten, die ebenfalls selbst dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt, ist dieser Gewinnanteil herauszurechnen. Diese Regelung korrespondiert mit § 3 Absatz 1 Satz 4. Danach ist jedes Unternehmen, das dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt, selbst abgabepflichtig.
6
b) Satz 2 Das Gesetz ordnet den EU-Energiekrisenbeitrag den sonstigen Personensteuern zu. Dies hat zur Folge, dass der Beitrag zu den nicht abzugsfähigen Ausgaben nach § 12 Nummer 3 EStG oder nicht abziehbaren Aufwendungen nach § 10 Nummer 2 KStG gehört. 3.
7
Absatz 3
Der EU-Energiekrisenbeitrag beträgt 33 Prozent der Bemessungsgrundlage. Dies entspricht dem Mindestsatz gemäß Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2022/1854.
8
II. Kommentierung Hinter der Definition der Bemessungsgrundlage in § 4 Abs. 1 EU-EnergieKBG verbirgt sich die sog. „Übergewinnsteuer“.1) Die Übergewinnsteuer ist in Deutschland im Sommer 2022 in die Diskussion gekommen, zum einen im Hinblick auf die Finanzierung der staatlichen Maßnahmen im Zuge der Energiekrise und zum anderen im Hinblick auf die „Abschöpfung“ der Gewinne von Energieunternehmen. Verbraucherschützer fordern inzwischen eine „Übergewinnsteuer“ für die Nahrungsmittelbranche, da in diesem Bereich „im Windschatten der allgemeinen Teuerung […] fette Profite“ erzielt werden.2) Während der Gesetzgeber mit dem EU-Energiekostenbeitrag eine „Übergewinnsteuer“ einführt, lässt er offen, wie mit „Untergewinnen“ umgegangen werden soll.3) Zudem hat der deutsche Gesetzgeber offenbar bereits vergessen, dass er mit der Kennbrennstoffsteuer eine erwartbare, aber gleichwohl sehr deutliche Niederlage erlitten hat. Das BVerfG hat die _____________ 1) 2)
3)
Vgl. zu den unions- und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen umfassend: Valta, StuB 2023, 72 ff. Vgl. Der Spiegel vom 15.1.2022, Teure Lebensmittel – oberste Verbraucherschützerin bringt Übergewinnsteuer ins Spiel, https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/ramonapop-teuere-lebensmittel-oberste-verbraucherschuetzerin-bringt-uebergewinnsteuer-insspiel-a-a51d1d37-98d4-46b9-8ea7-708787cfc3a8 [zuletzt abgerufen am 1.6.2023]. So Stahlschmidt, BB 41/2022, S. I.
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247
9
§ 4 EU-EnergieKBG
Bemessungsgrundlage und Steuersatz
Kernbrennstoffsteuer mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes als mit Art. 105 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG unvereinbar und nichtig erklärt.4) 10
Eine sog. „Übergewinnsteuer“ ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich als eine Steuer auf den Mehrbetrag gegenüber dem Gewinn einer vorangegangenen Basisperiode handelt. Die Übergewinnsteuer belastet den über einen „Normalgewinn“ hinausgehenden „Übergewinn“.5) Bei der Übergewinnsteuer ist im Kern die Frage zu klären, welche Methode zur Berechnung und Ermittlung des Übergewinns angewendet werden soll. Es ist zwei Referenzeinkommen denkbar: Zum einen kann auf das Nettoeinkommen abgestellt werden, das sich bei einer vorgegebenen (fiktiven) Rendite auf das im Erhebungsjahr investierte Kapital ergibt. Zum anderen kann das tatsächliche Nettoeinkommen desselben Unternehmens, das sich als Durchschnitt aus einem definierten Zeitraum vor dem Erhebungsjahr ergibt, herangezogen werden.6)
11
Der Gesetzgeber hat sich bei der Ermittlung eines „Übergewinns“ entschlossen, auf das tatsächliche Einkommen des steuerpflichtigen Unternehmens abzustellen. Zu diesem Zweck wird der „Normalgewinn“ dadurch ermittelt, dass der durchschnittliche Gewinn in den nach dem 31.12.2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraumes 1 endenden Wirtschaftsjahre, die 12 Monate umfassen, herangezogen und um 20% erhöht werden. Hierbei bezieht der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich die Corona-Jahre ein, in denen bei vielen Unternehmen ein geringerer Gewinn erzielt worden ist und daher schon aufgrund des Wegfalls der staatlichen Eingriffsmaßnahmen ein höher Gewinn zu erwarten ist. Beispiel: Bei einem Steuerpflichtigen, bei dem das Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, ist auf die Jahre 2018 bis 2021 abzustellen.
12
Handelt es sich um einen Steuerpflichtigen, der ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Juli bis zum 30. Juni des Folgejahres hat, so ist auf die Wirtschaftsjahre vom 1.7.2018 bis zum 30.6.2022 abzustellen. Steuerpflichtige, die ein abweichendes Wirtschaftsjahr haben und bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 hohe Gewinne erzielt haben, profitieren vom abweichenden Wirtschaftsjahr, in dem die Referenzgröße bereits einen Teil des Zeitraumes der Energiekrise beinhaltet.
13
Verlustabzüge nach § 10d EStG bleiben bei der Ermittlung des durchschnittlichen steuerlichen Gewinns unberücksichtigt.7)
14
Eine Sonderregelung ist für Unternehmen vorgesehen, die im Durchschnitt Verlust erzielt haben, so beträgt der durchschnittliche steuerliche Gewinn Null. Bei _____________ 4)
5) 6) 7)
248
S. BVerfG, Beschl. v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171 ff. = BB 2017, 1827 ff. Eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs hat das BVerfG (Beschl. v. 30.6.2022 – 2 BvR 737/20, ZfZ 2022, 265 ff. = NVwZ 2022, 1722 ff.) allerdings abgelehnt (zuvor bereits BFH, 23.10.2019 – VII B 40/19, BFH/NV 2020, 81 ff. = HFR 2020, 208 ff.). So Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Übergewinnsteuer – Historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen, BD 4 – 3000 – 023/21, S. 4. So Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Übergewinnsteuer – Historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen, BD 4 – 3000 – 023/21, S. 12. So Bolik/Nonnenmacher/Peterich, StuB 2023, 12, 18.
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§ 4 EU-EnergieKBG
Bemessungsgrundlage und Steuersatz
Neugründungen, also Unternehmen, deren Gewinn nach dem 31.12.2021 erstmals der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer unterliegt, beträgt der durchschnittliche steuerliche Gewinn ebenfalls Null. Die in § 4 Abs. 1 Satz 4 EU-EnergieKBG vorgesehene Regelung soll eine Doppelbesteuerung vermeiden. In den Fällen, in denen bereits durch einen anderen Mitgliedstaat der EU auf den Übergewinn eine Abgabe i. S. des Art. 14 Abs. 1 Verordnung (EU) 2022/1854 erhoben wurde, wird der steuerliche Gewinn in Deutschland für Zwecke des EU-Krisenbeitrags gemindert. Dies gilt ebenfalls für den Hinzurechnungsbetrag i. S. des § 10 Abs. 2 AStG.
15
Die Anwendung der Bestimmung des § 10 Abs. 2 AStG setzt voraus, dass ein unbeschränkt Steuerpflichtiger eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des KStG, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Inland hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG beherrscht. In der Folge sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen entsprechend seiner unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung am Nennkapital steuerpflichtig.
16
Diese Einkünfte sind bei dem Steuerpflichtigen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG als Hinzurechnungsbetrag anzusetzen. Der Hinzurechnungsbetrag gehört gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG zu den Einkünften i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und gilt in dem Veranlagungszeitraum als zugeflossen, in dem das maßgebende Wirtschaftsjahr der ausländischen Gesellschaft endet. Der Hinzurechnungsbetrag i. S. von § 10 Abs. 1 AStG ist von dem Begriff des Hinzurechnungsbetrages in § 10 Abs. 2 AStG zu unterscheiden, der den für die Besteuerung im Inland maßgebenden Betrag meint. Dieser ist der nach Maßgabe des § 12 AStG berichtigte Hinzurechnungsbetrag.8) Nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 Satz 1 AStG werden auf die Einkommenoder Körperschaftsteuer des Steuerpflichtigen, die auf den Hinzurechnungsbetrag entfällt, die Steuern vom Einkommen angerechnet, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft auf die dem Hinzurechnungsbetrag unterliegenden Einkünfte tatsächlich erhoben worden sind.
17
Die Anwendung von § 12 Abs. 1 AStG setzt einen, nicht an besondere Formerfordernisse geknüpften, Antrag des Steuerpflichtigen voraus.9) Der Antrag ist nicht einheitlich für die ausländische Zwischengesellschaft zu stellen, sondern das Antragsrecht steht jedem einzelnen Anteilseigner zu.10)
18
Besonderheiten der Personengesellschaften sind in § 4 Abs. 2 EU-EnergieKBG geregelt. Der maßgebende Gewinn mindern sich um darin enthaltene Anteile am Gewinn einer in- oder ausländischen Personengesellschaft, namentlich einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft, bei der die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind, wenn diese Gesellschaft ebenfalls dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt. Soweit die _____________
19
8) So Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 10 AStG Rz. 141. 9) So Fu/Wassermeyer in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 12 AStG Rz. 25. 10) So Fu/Wassermeyer in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 12 AStG Rz. 31.
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§ 4 EU-EnergieKBG
Bemessungsgrundlage und Steuersatz
Gesetzmaterialien darauf verweisen, dass diese Regelung mit § 3 Abs. 1 Satz 4 EUEnergieKBG korrespondiert, ist offensichtlich gemeint: § 4 Abs. 1 Satz 4 EUEnergieKBG, wonach jedes Unternehmen, dass dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt, selbst abgabepflichtig ist. 20
Der Gesetzgeber ordnet den EU-Energiekrisenbeitrag als sonstige Personensteuer i. S. des § 10 Nr. 2 KStG und des § 12 Nr. 3 EStG ein. Daraus ergibt sich, dass es sich bei einer Körperschaft gemäß § 10 Nr. 2 KStG um nicht abziehbare Aufwendungen handelt bzw. gemäß § 12 Nr. 3 EStG um nicht abzugsfähige Aufwendungen. Damit wird der EU-Energiekrisenbeitrag den Steuern vom Einkommen und sonstigen Personensteuern sowie der Umsatzsteuer für Umsätze, die Entnahmen sind, gleichgestellt.
21
Der Steuersatz beträgt gemäß § 4 Abs. 3 EU-EnergieKBG 33% der Bemessungsgrundlage. Damit hat der Gesetzgeber den Mindestsatz gemäß Art. 16 Abs. 1 Verordnung (EU) 2022/1854 zur Anwendung gebracht. Die Höhe des EU-Energiekrisenbeitrages i. H. v. 33 % der Bemessungsgrundlage unterliegt verfassungsrechtlichen Bedenken. Der EU-Energiekrisenbeitrag wird zusätzlich zu der Körperschaft- oder Einkommensteuer sowie der Gewerbesteuer erhoben11) und belastet Unternehmen daher erheblich.
22
Der EU-Energiekrisenbeitrag könnte daher unter dem Gesichtspunkt des Verbotes der „erdrosselnden Wirkung“ einer Steuer rechtswidrig sein. Das „Erdrosselungsverbot“ ist Ausfluss des Übermaßverbotes und der Berufsfreiheit.12) Der Einwand der erdrosselnden Steuer kommt insbesondere in Betracht, wenn bestimmte Wirtschaftsbereiche aufgrund dieser Steuer absterben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer „erdrosselnden Steuer“ sind u. a. dann gegeben, wenn die schwächsten Anbieter aus dem Markt ausscheiden, ohne dass neue ihren Platz einnehmen.13) Daran wird es allerdings bei dem EU -Krisenbeitrag fehlen, da – zumindest derzeit – Anhaltspunkte für Marktaustritte der Unternehmen nicht erkennbar sind.
23
Soweit zusätzlich auch die Umsatzsteuerbelastung aufgrund der höheren Umsätze in Folge der angestiegenen Preise ansteigt,14) so führt dies nicht zu verfassungsrechtlichen Bedenken, da die Umsatzsteuer darauf angelegt ist, auf den Letztverbraucher abgewälzt zu werden.
24
Italien hat im Zuge der Auswirkung des Ukraine-Krieges eine „außerordentliche Solidaritätsabgabe“ eingeführt, die technisch als „Über-Umsatzsteuer“ ausgestaltet ist,15) allerdings erst ab einem Mehrgewinn von 5 Mio. EUR anfällt.16) Die Einführung einer Über-Umsatzsteuer begegnet europarechtlichen Bedenken, da die Leitlinie der EU COM (2022) 108 final gerade an übermäßige „Gewinne“ anknüpft.17) _____________ So Stahlschmidt, BB 41/2022, S. I. Vgl. Schmittmann, ZfWG 2022, 11, 15. So OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.9.2016 – 14 A 1501/15, KStZ 2016, 215 ff. So Stahlschmidt, BB 41/2022, S. I. So Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Neue Übergewinnsteuer in Italien – Außerordentliche Solidaritätsabgabe der Energieunternehmen, WD 4 – 3000 – 049/22, S. 4. 16) So Stahlschmidt, StB 7-8/2022, S. I. 17) So Schmittmann in: Fischer/Amort, Nachhaltigkeit und Recht, Kapitel 4 Rz. 49. 11) 12) 13) 14) 15)
250
Schmittmann
§5 Umwandlungsfälle Weist das Unternehmen nach, dass der Betrag nach § 4 Absatz 1 Satz 1 ganz oder zum Teil Folge einer Umwandlung ist, ist die Bemessungsgrundlage entsprechend zu korrigieren. Fällt ein Unternehmen infolge einer Umwandlung aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes heraus oder ist die Bemessungsgrundlage des übertragenden und übernehmenden Rechtsträgers zusammen niedriger als ohne die Umwandlung, ist die Besteuerung so vorzunehmen, als wäre die Umwandlung nicht erfolgt. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30.11.2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EUEnergieKBG)). Übersicht I. 1.
Zu § 5 ..................................................... 1 Satz 1 ...................................................... 1
I.
Zu § 5
1.
Satz 1
2. Satz 2 ...................................................... 2 II. Kommentierung ................................... 3
Der Gewinn eines Unternehmens kann durch gesellschaftsrechtliche Umorganisationsmaßnahmen beeinflusst werden. Die Verordnung (EU) 2022/1854 hält Regelungen für den Grundfall bereit, Sonderkonstellationen wie Umwandlungsvorgänge werden aber nicht geregelt. Um solche Vorgänge angemessen zu berücksichtigen, ist die Bemessungsgrundlage für den EU-Energiekrisenbeitrag zu korrigieren, wenn das Unternehmen nachweist, dass der Betrag nach § 4 Absatz 1 Satz 1 Folge einer Umwandlung ist. Maßgebend sind die Verhältnisse im Einzelfall. 2.
1
Satz 2
Satz 1 ermöglicht Korrekturen der Bemessungsgrundlage zu Gunsten des Unternehmens, wenn sich die Bemessungsgrundlage aufgrund von Umwandlungsmaßnahmen erhöht. Diese Korrekturmöglichkeit wird durch Satz 2 ergänzt. Fällt ein Unternehmen infolge einer Umwandlung aus dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes heraus oder ist die Bemessungsgrundlage des übertragenden und übernehmenden Rechtsträgers zusammen niedriger als ohne die Umwandlung, ist die Besteuerung so vorzunehmen, als wäre die Umwandlung nicht erfolgt. Damit werden insbesondere Umwandlungen, die letztlich allein mit dem Ziel der Vermeidung oder Reduzierung des EU- Energiekrisenbeitrags realisiert werden, einer sachgerechten Besteuerung zugeführt.
2
II. Kommentierung Die Vorschrift betrifft sog. „Umwandlungsfälle“. Ist der Übergewinn i. S. von § 4 Abs. 1 Satz 1 EU-EnergieKBG Folge einer Umwandlung, so ist dies zu berichtigen. Für die Kausalität der Umwandlung für den Übergewinn trägt der Steuerpflichtige Schmittmann
251
3
§ 5 EU-EnergieKBG
Umwandlungsfälle
die Beweislast, da § 5 EU-EnergieKBG eine Ausnahme zu § 4 Abs. 1 Satz 1 EUEnergieKBG darstellt. 4
Im umgekehrten Fall, also wenn die Umwandlung dazu führt, dass der Anwendungsbereich des EU-EnergieKBG nicht mehr eröffnet ist oder die Bemessungsgrundlage in Folge der Umwandlung niedriger ist, wird die Besteuerung dergestalt durchgeführt, als wäre die Umwandlung nicht erfolgt.
5
Mit der Sonderregelung sollen Umwandlungen vermieden werden, die letztlich allein mit dem Ziel der Vermeidung oder Reduzierung des EU-Energiekrisenbeitrags durchgeführt werden. Ohne die Regelung in § 5 EU-EnergieKBG wären Gestaltungen denkbar gewesen, die sich die Regelung von § 17 Abs. 2 Satz 3 UmwG zu Nutze machen, wonach eine Umwandlung auch rückwirkend auf einen Stichtag erfolgen kann, der höchstens acht Monate vor der Anmeldung liegt. Durch § 4 COVGesMG wurde dieser Zeitraum im Gesellschaftsrecht auf 12 Monate erweitert. Durch das Corona-Steuerhilfegesetz vom 19. Juni 20201) wurde die Regelung auf das Steuerrecht erstreckt. Nunmehr regelt § 27 Abs. 15 UmwStG das § 9 Satz 3 sowie § 20 Abs. 6 Satz 1 und 3 UmwStG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass an die Stelle des Zeitraumes von acht Monaten ein Zeitraum von 12 Monaten tritt, wenn die Anmeldung zur Eintragung oder der Abschluss des Einbringungsvertrages im Jahr 2020 erfolgt. Erlässt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine Rechtsverordnung auf Grundlage des § 8 i. V. m. § 4 des COVGesMG, wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Geltung für Anmeldungen zur Eintragung und Einbringungsvertragsabschlüsse zu verlängern, die bis zu diesem Tag erfolgen, der in der Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz festgelegt wurde.2) Von der Ermächtigung wurde bislang kein Gebrauch gemacht.
_____________ 1) 2)
252
BGBl. I 2020, 1385. Vgl. zu den Einzelheiten Schmittmann, Anhang Steuerrecht, Rz. 259.
Schmittmann
§6 Zuständigkeit Für die Verwaltung des EU-Energiekrisenbeitrags ist das Bundeszentralamt für Steuern zuständig. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30. November 2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EUEnergiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG)). Übersicht I.
Zu § 6 ..................................................... 1
I.
Zu § 6
II. Kommentierung ................................... 4
Die Zuständigkeit für die Verwaltung des EU-Energiekrisenbeitrags wird dem Bundeszentralamt für Steuern übertragen. § 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 45a – neu – FVG (vgl. Artikel 21a – neu –) regelt daneben die Aufgabenübertragung, die sich aus der Zuständigkeitsbestimmung in § 6 ergibt.
1
Durch die Zuständigkeitsbestimmung wird zugleich die Befugnis zur Verarbeitung der für die Verwaltung des EU-Energiekrisenbeitrags relevanten Daten im Sinne von § 29b Absatz 1 AO, ggf. in Verbindung mit § 2a Absatz 5 AO, klargestellt.
2
Bei den Unternehmen, die dem Anwendungsbereich des EU-Energiekrisenbeitrags unterliegen, dürfte es sich regelmäßig um Unternehmen handeln, die der Anschlussbetriebsprüfung unterliegen. Im Rahmen der Betriebsprüfung wird auch geprüft, ob der steuerliche Gewinn, der die Bemessungsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitrags darstellt, zutreffend ermittelt wurde. Das Bundeszentralamt für Steuern ist berechtigt, an diesen Außenprüfungen mitzuwirken (§ 19 FVG).
3
II. Kommentierung Der Gesetzgeber weist die Zuständigkeit für die Verwaltung des EU-Energiekrisenbeitrags dem Bundeszentralamt für Steuern zu. Die Zuständigkeit der Bundesfinanzverwaltung ergibt sich aus Art. 108 Abs. 1 GG, wonach Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften durch Bundesfinanzbehörden verwaltet werden. Daher ist es konsequent, dass § 5 Abs. 1 Nr. 45a Finanzverwaltungsgesetz (FVG) nunmehr regelt, dass das Bundeszentralamt für Steuern für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens nach dem Gesetz zur Einführung des EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 zuständig ist.
4
Die Regelung in § 19 Abs. 1 FVG berechtigt das Bundeszentralamt für Steuern zur Mitwirkung an Außenprüfungen, die durch Landesfinanzbehörden durchgeführt werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll im Rahmen von Betriebsprüfungen auch geprüft werden, ob der steuerliche Gewinn, der die Bemessungsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitrags darstellt, zutreffend ermittelt wurde. Es ist unter diesem Gesichtspunkt zweckmäßig, dass das Bundeszentralamt für Steuern für sämtliche
5
Schmittmann
253
§ 6 EU-EnergieKBG
Zuständigkeit
Steuerpflichtige zuständig ist, die dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegen, da dadurch eine einheitliche Rechtsanwendung gewährleistet ist und zugleich auch der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewahrt wird.
254
Schmittmann
§7 Festsetzung (1) Das Unternehmen hat für das betroffene Wirtschaftsjahr des Besteuerungszeitraums nach § 3 eine Steuererklärung nach amtlichem Vordruck zu übermitteln, in der der EU-Energiekrisenbeitrag selbst zu berechnen ist (Steueranmeldung). Die Steuer ist bis zum Ablauf der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für die Einkommen- oder Körperschaftsteuer oder der Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung des betroffenen Kalenderjahres anzumelden. Ändert sich die Bemessungsgrundlage nach § 4 Absatz 1, ist unverzüglich eine geänderte Steueranmeldung abzugeben. (2) Der EU-Energiekrisenbeitrag ist am zehnten Tag nach Abgabe der Anmeldung fällig und bis dahin zu entrichten. Wird der EU-Energiekrisenbeitrag abweichend von der Steueranmeldung nach § 155 der Abgabenordnung höher festgesetzt, ist der Unterschiedsbetrag einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig und bis dahin zu entrichten. Wird der EU-Energiekrisenbeitrag auf Grund unterbliebener Abgabe einer Anmeldung nach § 155 in Verbindung mit § 167 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung festgesetzt, so ist der EU-Energiekrisenbeitrag einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig und bis dahin zu entrichten. (3) Bei der Anmeldung oder Festsetzung des EU-Energiekrisenbeitrags sind die nach § 4 maßgeblichen Gewinne so zu berücksichtigen, wie sie bei der Festsetzung der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer oder der gesonderten Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung der Jahre 2018 bis 2024 zu Grunde gelegt worden sind; § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 der Abgabenordnung sowie § 42 der Finanzgerichtsordnung gelten entsprechend. Die Besteuerungsgrundlagen dürfen bei der Festsetzung nur insoweit abweichend von Satz 1 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung eines maßgeblichen Steuer- oder Feststellungsbescheids ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer oder des festzustellenden Betrags unterbleibt. (4) Auf Anforderung des Bundeszentralamtes für Steuern teilen die jeweils zuständigen Landesfinanzbehörden Daten zur Prüfung der Steuerpflicht und die für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage des EU- Energiekrisenbeitrags maßgeblichen Daten mit. Wird eine für die Bestimmung des EU-Energiekrisenbeitrags maßgebliche Festsetzung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer oder eine gesonderte Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Abgabenordnung nach der Datenübermittlung nach Satz 1 aufgehoben oder geändert, sind dem Bundeszentralamt für Steuern die nunmehr maßgeblichen Daten unaufgefordert mitzuteilen. Schmittmann
Materialien: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 20/3879, 20/4229), BT-Drucks. 20/4729 vom 30.11.2022; Zu Artikel 40 – neu – (Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG)).
Schmittmann
255
§ 7 EU-EnergieKBG
Festsetzung
Literatur: Duda/Schmittmann, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, 2. Aufl., 2021. Übersicht I. 1. 2.
Zu § 7 ..................................................... 1 Absatz 1 ................................................. 1 Absatz 2 ................................................. 4
I.
Zu § 7
1.
Absatz 1
3. Absatz 3 ................................................. 8 4. Absatz 4 ............................................... 11 II. Kommentierung ................................. 13
1
Das Unternehmen hat den EU-Energiekrisenbeitrag selbst zu errechnen, in einer Steueranmeldung gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern zu erklären und die Zahllast fristgerecht zu entrichten. Zur Abgabe einer Steueranmeldung verpflichtet ist jedes Unternehmen im Sinne des § 2. Die Steueranmeldung ist spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung für die Einkommen- oder Körperschaftsteuer bzw. der Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 AO vorzunehmen, in der der erzielte Gewinn des Besteuerungszeitraums 1 und 2 deklariert wird.
2
Damit soll sowohl für die Unternehmen als auch für die Verwaltung ein möglichst schlankes und einfaches Verfahren zur Erhebung des EU-Energiekrisenbeitrags angewendet werden. Durch die zeitliche Anknüpfung an die Einkommen- oder Körperschaftsteuererklärung bzw. die Erklärung über die gesonderte Feststellung der Einkünfte kann das Unternehmen den für diesen Zweck ermittelten steuerlichen Gewinn auch für die Anmeldung des EU- Energiekrisenbeitrags verwenden, ohne dass eine zusätzliche, zeitversetzte Ermittlung des steuerlichen Gewinns erforderlich ist. Die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO).
3
Ändert sich später eine Bemessungsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitrags, ist ohne schuldhaftes Zögern eine geänderte Steueranmeldung abzugeben. 2.
Absatz 2
4
Der EU-Energiekrisenbeitrag ist am zehnten Tag nach Abgabe der Steueranmeldung fällig und bis dahin zu entrichten.
5
Ergibt die Überprüfung des Bundeszentralamtes für Steuern einen von der Anmeldung abweichenden EU-Energiekrisenbeitrag, setzt es diesen durch Steuerbescheid fest. In diesem Fall ist der Mehrbetrag gegenüber der Steueranmeldung einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig und bis dahin zu entrichten. Ergibt die Festsetzung eine Reduzierung des EU-Energiekrisenbeitrags, d. h. eine Überzahlung, wird die Differenz zugunsten des Unternehmens erstattet.
6
Eine Festsetzung durch das Bundeszentralamt für Steuern erfolgt ebenfalls, wenn für ein abgabepflichtiges Unternehmen kein EU-Energiekrisenbeitrag angemeldet wurde. In diesem Fall ist die festgesetzte Steuer einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig und bis dahin zu entrichten.
7
Die Straf- und Bußgeldvorschriften der Abgabenordnung sind anzuwenden (vgl. § 1 Absatz 3). 256
Schmittmann
§ 7 EU-EnergieKBG
Festsetzung
3.
Absatz 3
Absatz 3 ist an die bewährte Regelung in § 10d Absatz 4 Satz 4 und 5 EStG angelehnt (siehe BT-Drs. 17/2249, S. 51, 52). Die für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitrags maßgeblichen Steuer- oder Feststellungsbescheide haben damit insoweit im Ergebnis dieselbe bindende Wirkung wie ein Grundlagenbescheid, ohne dass die maßgebenden Beträge im Tenor des Bescheids jeweils ausdrücklich als gesondert festgestellt genannt werden müssen.
8
Der Bescheid über den EU-Energiekrisenbeitrag ist in entsprechender Anwendung des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein für ihn maßgeblicher Steuer- oder Feststellungsbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
9
Der Ablauf der Festsetzungsfrist des EU-Energiekrisenbeitrags wird in entsprechender Anwendung des § 171 Absatz 10 AO gehemmt. Die Festsetzungsfrist endet daher nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des maßgeblichen Steuer- oder Feststellungsbescheids. Entscheidungen in einem für den EU-Energiekrisenbeitrag maßgeblichen Steuer- oder Feststellungsbescheid können in entsprechender Anwendung des § 351 Absatz 2 AO und des § 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur durch Anfechtung dieses Steuer- oder Feststellungsbescheids angegriffen werden, nicht auch durch Anfechtung des EU-Energiekrisenbeitragsbescheids.
10
4.
Absatz 4
Die zuständigen Landesfinanzbehörden haben nach Satz 1 dem Bundeszentralamt für Steuern Daten zur Prüfung der Steuerpflicht und die für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitrags maßgeblichen Daten auf Anforderung mitzuteilen.
11
Wird eine relevante Einkommen- oder Körperschaftsteuerfestsetzung oder gesonderte Feststellung nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO nach der Datenübermittlung (auf Anforderung) nach Satz 1 aufgehoben oder geändert, haben die Landesfinanzbehörden dem Bundeszentralamt für Steuern die nunmehr maßgeblichen Daten nach Satz 2 unaufgefordert mitzuteilen. Damit kann die Einhaltung der Pflicht nach Absatz 1 Satz 3 überwacht werden.
12
II. Kommentierung Der EU-Energiekrisenbeitrag wird vom Gesetzgeber durch diese Vorschrift den sog. „Anmeldesteuern“ zugeordnet, so dass der Steuerpflichtige die Steuer gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern zu erklären und fristgerecht zu entrichten hat.
13
Der Zeitpunkt zur Abgabe der Steuererklärung entspricht dem Zeitpunkt zur Abgabe der Einkommen- oder Körperschaftsteuer bzw. der Erklärung zur gesonderten Feststellung nach § 180 AO. Die Fristen zur Abgabe der Einkommen- und Körperschaftsteuererklärung sind derzeit modifiziert.1)
14
_____________ 1)
Vgl. im Einzelnen Schmittmann, Anhang Steuerrecht, Rz. 22.
Schmittmann
257
§ 7 EU-EnergieKBG
Festsetzung
15
Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wird bestraft, wer den Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Der Steuerpflichtige, der dem EU-Energiekrisenbeitrag unterliegt, hat also zunächst seine eigene Steuerpflicht zu ermitteln, um eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung zu vermeiden.2) Strafbar gemäß § 370 AO ist lediglich vorsätzliches Handeln.3)
16
Die Verwirklichung des Steuerstraftatbestandes ist bereits bei bedingtem Vorsatz gegeben.4) Es reicht aus, dass der Täter einen möglicherweise rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat.5) Bei Unternehmen i. S. des § 2 Abs. 1 EU-EnergieKBG ist davon auszugehen, dass sie über eine der Unternehmensgröße angemessene Rechts- und Steuerabteilung verfügen, die in der Lage ist, die Erklärungs- und Steuerpflicht zuverlässig zu ermitteln und zu erfüllen. Sofern dies nicht der Fall ist, so ist durch das Unternehmen rechtskundiger Rat einzuholen. Jeder Steuerpflichtige muss sich nach der Rechtsprechung des BGH über die steuerlichen Pflichten informieren, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen, insbesondere auch in Bezug auf steuerlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Unternehmens resultieren.6) Der Steuerpflichtige hat insbesondere dann Erkundigungspflichten, wenn er im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit handelt.7) Einem Steuerpflichtigem ist es regelmäßig möglich und zumutbar, eventuelle offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des wahren Sachverhalts in Besteuerungsverfahren zu klären.8)
17
Die Verpflichtung zur Abgabe einer geänderten Steueranmeldung im Fall der Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 1 EU-EnergieKBG ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 3 EU-EnergieKBG. Zudem wäre der Steuerpflichtige ohnehin gemäß § 153 Abs. 1 AO zur Berichtigung verpflichtet.
18
Die Fälligkeits- und Entrichtungsfrist von zehn Tagen nach Abgabe der Anmeldung entspricht auch den übrigen Selbstberechnungssteuern, z. B. § 18 Abs. 1 UStG. Wird ein höherer EU-Energiekrisenbeitrag als angemeldet festgesetzt, so ist der Unterschiedsbetrag einen Monat nach der Bekanntgabe des Steuerbescheides fällig und bis dahin zu entrichten.
19
Das Bundeszentralamt für Steuern als zuständige Finanzbehörde ist auf die Angaben der Landesfinanzbehörden angewiesen, so dass diese gemäß § 4 EU-EnergieKBG zur Datenübermittlung verpflichtet sind. Im Fall der Aufhebung oder Änderung von Feststellungen besteht eine Verpflichtung der Landesfinanzbehörden zur unaufgeforderten Mitteilung an das Bundeszentralamt für Steuern.
_____________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
258
Vgl. Duda/Schmittmann, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, Rz. 578. So Duda/Schmittmann, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, Rz. 895. So BGH, Urt. v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, BFH/NV 2010, 1071. So OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.3.2015 – 1 (4) Ss 560/14 – AK 206/14, wistra 2015, 325 ff. So BGH, Urt. v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465 ff. Rz. 18. So BFH, Urt. v. 19.2.2009 – II R 49/07, BFHE 225, 1 ff. = BStBl. II 2009, 932 ff. Rz. 12. So BVerfG, Beschl. v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BVerfGK 18, 482 ff. = wistra 2011, 458 ff. Rz. 68; BVerfG, Beschl. v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684 ff. Rz. 25.
Schmittmann
Teil VI Steuerliche Auswirkungen
Steuerrecht Hilfsmaßnahmen aufgrund der COVID-19-Pandemie sowie der Ukraine- und Energiekrise Schmittmann
Literatur: Ahrens, Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale I – Jetzt doch !, NZI 2023, 57; Alberti/Schreiber, Beispielhafte Darstellung von Angaben zur COVID-19-Pandemie im IFRS-Geschäftsbericht eines fiktiven Industrieunternehmens, BB 2020, 2475; Atilgan, Drohverlust- und Ansammlungsrückstellungen bei vorzeitiger Filialschließung bedingt durch die Corona-Pandemie, DB 2021, 693; Behnke, Haftungsrisiken im Zuge der Erstellung des Jahresabschlusses bei Krisenmandaten in Zeiten der COVID-19-Pandemie, DB 2020, 1890; Berger, Auswirkungen des neuen Coronavirus auf die Rechnungslegung, BB 2020, 876; Berger/Fink, Impairmenttest nach IAS 36 in Zeiten der COVID-19Pandemie, BB 2021, 171; Bernhardt/Buchholz/Deubert/Flick/Heinz/Kliem/Koch/Lewe/ Meyding-Metzger/Meyer/Müller/Reppel/Rimmelpacher/Roland/Schäfer, Rechnungslegung in der Corona-Krise, München, 2020; Bitter, Corona und die Folgen nach dem COVID19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG), ZIP 2020, 685; Böcking/Todesco, Steuerliche Konsequenzen bei Heimarbeit/Remote-Work, Beck Digitax 2020, 71; Bolik/Gauß, Liquiditätsschonender Covid-19-Steuervollzug – Teil I: Steuerstundungen, DB 2020, 687; Bolik/Käshammer, Liquiditätsschonender Covid-19-Steuervollzug – Teil II: Vollstreckungsaufschub, DB 2020, 802; Bolik/Kindler/Bossmann, Das Jahressteuergesetz 2020: Großer Umfang, wenig drin ?, StuB 2021, 102; Bolik/Reifarth-Belli/Mayer, Das BMF-Schreiben vom 26. Februar 2021 zur sog. Digitalen AfA, StuB 2021, 266; Bonneke, Corona-induzierte Bestandsgefährdung, StuB 2020, 947; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, 6. Aufl., 2023; Dahlke/Ellerbusch, Auswirkungen der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen in der COVID-19-Pandemie auf den IFRS-Abschluss, BB 2021, 363; Dellner, Heimarbeit/ Homeoffice während der Corona-Krise, NWB 2020, 3060; Demuth, Steuerliche Leitlinien für Krisenmaßnahmen des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers, kösdi 2020, 21771; Dorn, Zu den Maßnahmen und zur Steuerpflicht der Soforthilfen aus dem Sofortprogramm für Selbständige und kleine Unternehmen anlässlich der Corona-Krise, DB 2020, 759; Dorn, „Zweites Corona-Steuerhilfegesetz“ umgesetzt: Überblick zu den Kernpunkten, DB 2020, 1476; Dorn, Bundestag beschließt Viertes Corona-Steuerhilfegesetz mit einigen Änderungen, DB 2022, 1357; Dorn/Becker, Verlustrücktrag nach § 10d EStG unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzesänderungen, DB 2022, 1538; Duda/Schmittmann, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, 2. Aufl., 2021; Eggert/Philipps/ Rinker, Corona und die Auswirkungen auf die Rechnungslegung, 2021; Eichfelder, Betriebliche Bürokratiekosten der befristeten Mehrwertsteuersenkung des Corona-Konjunkturpakets, DB 2020, 1649; Eichholz, Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) – Überblick und erste Einschätzung, StB 2020, 489; Eichholz, Das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) – Ein erster Überblick, StuB 2020, 533; Esakova/Reichart, OECD veröffentlicht Leitlinien zu den Verrechnungspreisfolgen der COVID-19-Pandemie – Kernelemente und praktische Anwendung, IStR 2021, 653 ff.; Flintrup, Die (uneffektive) Mehrwertsteuererhebung in der materiellen Insolvenz, ZIP 2020, 801; Förster/Förster, Mittelbare Steuerfolgen der Coronakrise, DB 2021, 697; Frank/Heine, „Corona und die Detektive“? Corona und Keylogger !? – Kontrollmöglichkeiten in Zeiten von Home-Office, BB 2021, 248; Fritz, Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach dem COVInsAG und ihre Folgen in der Praxis, ZRI 2020, 217; Gallus/Hannig, Haftungsfalle Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld unter dem Corona-Schutzschirm – Jahresbilanz und Ausblick, kösdi 2021, 22157; Geberth/Bartelt, BMF und Länder: Steuerliche Maßnahmen zur Abfederung der Auswirkungen des Coronavirus, DB 2020, 649; Gehrlein, Exkulpation des Geschäftsführers für nach Insolvenzreife erfolgte Zahlungen, ZRI 2020, 183; von Glasenapp, Bilanzsteuerliche Änderungen durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz, BB 2020, 1899; Giese/
Schmittmann
261
Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
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Schmittmann
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
Steuerrecht
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Schmittmann
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Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
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264
Einführung ........................................... 1 Verfahrensrecht .................................. 10 Haftung der Geschäftsleiter ............... 11 Abgabe von Steuererklärungen .......... 17 Verspätungszuschlag ........................... 29 Stundung und Stundungszinsen ......... 31 Säumniszuschläge und Erlass ............. 43
6. 7. 8.
Erstattungszinsen ................................ 47 Vollstreckung ...................................... 49 Insolvenzantragstellung durch die Finanzverwaltung ................................ 56 9. Verjährung ........................................... 59 10. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ..................................................... 61
Schmittmann
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise 11. 12. III. 1. 2.
Verordnungsermächtigung ................. 63 Gemeinnützigkeitsrecht ..................... 64 Einkommen- und Lohnsteuer .......... 67 Einkunftsarten ..................................... 68 Steuerbefreiungen gemäß § 3 EStG ... 69 a) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 11 und Nr. 11a EStG ............. 69 b) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 11b EStG ............................... 75 c) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 11c EStG ................................ 76 d) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26 EStG .................................. 77 e) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 28a EStG ................................ 81 f) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 34a EStG ................................ 84 g) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 72 EStG .................................. 85 3. Energiepreispauschale ......................... 91 4. Sanierungserträge ................................ 98 5. Gewinnermittlung ............................. 100 a) Behandlung von CoronaZuschüssen bzw. CoronaBeihilfen ...................................... 101 b) Betriebsausgaben ........................ 103 c) Werbungskosten ........................ 113 d) Bewertung .................................. 116 e) Abschreibung ............................. 118 f) Verlustabzug .............................. 125 g) Veräußerungsverluste ................ 131 h) Ausfall von Miet- und Pachteinnahmen .................................. 133 6. Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, § 24b EStG ............................. 136 7. Inflationsausgleich ............................ 137 8. Anrechnung der Gewerbesteuer ...... 138 9. Freibetrag bei Arbeitnehmern .......... 139 10. Behandlung von Kurzarbeitergeld ... 140 11. Lohnsteuerabzug und Aufzeichnungspflichten ................................... 144
I.
Steuerrecht
12. 13. 14. 15. 16.
Anwendungsvorschriften ................. 147 Kinderbetreuung und Kindergeld .... 157 Anpassung von Vorauszahlungen .... 164 Grenzgänger ...................................... 173 Übergewinnsteuer (EUEnergiekrisenbeitrag) ........................ 181 IV. Körperschaftsteuer ........................... 188 V. Gewerbesteuer .................................. 197 VI. Umsatzsteuer .................................... 201 1. Steuerbefreiungen .............................. 201 2. Steuersatz ........................................... 207 3. Umkehr der Steuerschuldnerschaft .... 228 4. Unternehmerische Tätigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts ................................................. 229 5. Berichtigung ...................................... 231 6. Ausgabe von Gutscheinen und Umsatzsteuer ..................................... 238 7. Einfuhrumsatzsteuer ......................... 242 VII. Sonstige Steuerarten ........................ 243 1. Erbschaft- und Schenkungsteuer ..... 243 2. Energiesteuer ..................................... 249 3. Tabaksteuer ........................................ 253 4. Forschungszulagengesetz ................. 254 5. Investmentsteuer ............................... 255 VIII. Umwandlungen und Umwandlungssteuerrecht ............................... 256 IX. Besonderheiten bei Erneuerbaren Energien ............................................ 260 1. Erneuerbare-Energien-Gesetz .......... 260 3. Gaspreisbremse ................................. 263 X. Bilanzierung und Rechnungslegung nach HGB ............................ 266 XI. Bilanzierung und Rechnungslegung nach IFRS ............................. 287 XII. Offenlegung ..................................... 289 XIII. Schlussabrechnung der CoronaÜberbrückungshilfen ...................... 291 XIV. Unternehmensbewertung ............. 295 XV. Finanzausgleich ............................... 297
Einführung
Die deutsche Legislative, aber insbesondere auch die Exekutive haben im Zuge der Corona-Krise eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, die zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen geführt haben, z. B. zeitweise Schließungen von Betrieben, Geschäften und Schulen sowie Einstellung von Betreuungsangeboten und Einschränkung der Freizügigkeit. Diese Maßnahmen und nicht die unmittelbaren Folgen des COVID-19-Virus wie z. B. Produktionsausfall aufgrund von Krankheit nicht zur Arbeit erschienener Arbeitnehmer oder pandemiebedingt ausbleibender Lieferungen von Vorprodukten aus anderen Unternehmen haben die wirtschaftlichen Folgen
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verursacht.1) Der Gesetzgeber ist tätig geworden, um die wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen und Bevölkerung abzumildern.2) 2
Nachdem in steuerrechtlicher Hinsicht zunächst das BMF durch Verwaltungsanweisungen tätig geworden war, folgten im Jahre 2020 das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.20203) und das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020.4)
3
Das Dritte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Drittes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 10.3.20215) sieht im Wesentlichen Änderungen im Einkommensteuer- und Umsatzsteuerrecht sowie dem Kindergeldrecht vor.
4
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.20226) hat der Gesetzgeber weitere Maßnahmen getroffen, in den nachstehenden Kommentierungen berücksichtigt sind und erläutert werden.
5
Aus der Begründung zum Corona-Steuerhilfegesetz ergibt sich, dass die Bundesregierung das Ziel der nachhaltigen Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung und die Sicherung von Beschäftigung anstrebt: „Die Steuerpolitik wird sich konsequent an diesen Zielen orientieren. Besonders betroffene Akteure müssen deshalb unterstützt werden. Dazu tragen die Maßnahmen des vorliegenden Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD sowie des gleichlautenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung in einem ersten Schritt bei. Die Liquidität wird verbessert und steuerliche Entlastungen können in Anspruch genommen werden.“7)
6
Eine Vielzahl der vom Staat ergriffenen Maßnahmen hat steuerliche Konsequenzen, sowohl im steuerlichen Verfahrensrecht als auch im materiellen Steuerrecht. Das BMF informiert, auch nach Ende der Pandemie durch eine sog. FAQ-Liste regelmäßig über verschiedene steuerliche Erleichterungen sowie Möglichkeiten, die Liquiditätslage von Unternehmen zu verbessern, die durch die Corona-Krise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind.8)
7
Steuerberater gehören auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie als Organ der Steuerrechtpflege, aber nicht der Rechtspflege insgesamt, nicht zur kritischen In_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
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Vgl. Bitter, ZIP 2020, 685, 686; Schmittmann, ZRI 2020, 234, 235. Vgl. dazu: Fritz, ZRI 2020, 217 ff.; Schmittmann, ZRI 2020, 234 ff.; Thole, ZIP 2020, 650 ff. BGBl. I 2020, 1385. BGBl. I 2020, 1512. BGBl. I 2021, 330. BGBl. I 2022, 911. Vgl. Bolik/Nonnenmacher, StuB 2022, 481; Dorn, DB 2022, 1357. Beschlussempfehlung und Bericht d. FA z. RegE Corona-Steuerhilfegesetz, v. 27.5.2020, BT-Drucks. 19/19601, S. 1. Vgl. BMF, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/2020-04-01-FAQ_Corona_Steuern_Anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=59 (Stand: 21.3.2023; abgerufen am 1.6.2023).
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frastruktur, da der Tätigkeitsbereich der Rechtsanwälte auch den Aufgabenbereich der Steuerberater umfasst.9) Noch während der laufenden COVID-19-Pandemie sind durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine weitere, teils einschneidende Veränderungen im täglichen Leben erfolgt, insbesondere durch die steigenden Energiekrise und Unterbrechung der Lieferketten. Das BMF hat daher mit Schreiben vom 17.11.202210) verfügt, den zeitlichen Anwendungsbereich der Verwaltungs- und Vollzugserleichterungen bis auf Weiteres auf das Jahr 2023 zu erstrecken. Der zeitliche Anwendungsbereich der Schreiben vom 17.3.202211) und 7.6.202212) wurde verlängert.
8
Die nachstehenden Ausführungen greifen die wichtigsten steuerlichen Änderungen im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie, des Ukraine-Krieges und der Energiekrise auf, erläutern sie und stellen sie in den Gesamtzusammenhang des Steuerrechts.
9
II. Verfahrensrecht Die Abgabenordnung (AO) regelt das steuerliche Verfahrensrecht. Der nachfolgende Abschnitt folgt dem Aufbau der AO. 1.
10
Haftung der Geschäftsleiter
Gemäß § 69 AO haften die in §§ 34 und 35 AO genannten Geschäftsführer, Vorstände, Verwalter und sonstige Vertreter gegenüber der Finanzverwaltung, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. von § 37 AO infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder insoweit infolge dessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die in Folge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.13)
11
In der Krise kommt es regelmäßig zur Kollision der steuerlichen Zahlungspflichten mit der Massesicherungspflicht des Geschäftsleiters, die früher in § 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, §§ 130a Abs. 1 Satz 2, 177a Satz 1 HGB und § 99 Satz 2 GenG geregelt war und durch das SanInsFoG rechtsformübergreifend in § 15b InsO geregelt ist. Dem Geschäftsführer ist es nach der Rechtsprechung zu den Altregelungen nicht zuzumuten, dem Grundsatz der Massesicherung Folge zu leisten, wenn er sich durch das Unterlassen der Zahlung einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzt.14) Dies gilt nicht nur für den Fall einer Strafbarkeit wegen Unterlassung der Zahlung, sondern auch bei einer Konsequenz in Form einer Ordnungs-
12
_____________ 9) So VG Frankfurt/O., Urt. v. 13.5.2020 – 6 L 227/20, StB 2021, 64 ff. 10) S. BMF-Schreiben v. 17.11.2022 – IV C – S 2223/19/10003:018 (DOK 2022/1135980), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/We itere_Steuerthemen/Abgabenordnung/2022-11-17-stl-massnahmen-unterstuetzungukraine-geschaedigte-verlaengerung-zeitlicher-anwendungsbereich.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 11) S. BMF-Schreiben v. 17.3.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:103, BStBl. I 2022, 330. 12) S. BMF-Schreiben v. 7.6.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:017, BStBl. I 2022, 923. 13) Vgl. dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 860, 864. 14) So Schmittmann, Haftung der Organe, Rz. 346.
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widrigkeit. Die Nichtabführung fälliger Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen wird als Ordnungswidrigkeit gemäß § 26b UStG geahndet. Bei einbehaltener Lohnsteuer ergibt sich die Tatbestandlichkeit hinsichtlich einer Ordnungswidrigkeit aus § 380 AO i. V. m. § 41a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG.15) Der Geschäftsführer ist zudem berechtigt, Rückstände zu zahlen, da auch hier eine straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortlichkeit besteht.16) 13
Die Neuregelung in § 15b InsO sieht eine Sonderregelungen zu Steuerzahlungen vor: Eine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten liegt nach § 15b Abs. 8 InsO nicht vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO oder der Überschuldung nach § 19 InsO und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO nachkommen, also rechtzeitig Insolvenzantrag stellen. Wird entgegen der Verpflichtung nach § 15a InsO ein Insolvenzantrag verspätet gestellt, gilt dies nur für die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder der Anordnung einer vorläufigen Eigenverwaltung fällig werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet und ist dies auf eine Pflichtverletzung des Antragspflichtigen zurückzuführen, gelten die Sätze 1 und 2 nicht.17)
14
Die Kollision der steuerlichen Pflichten mit der Massesicherungspflicht wird in den Fällen, in denen die Insolvenzantragspflicht gemäß § 1 COVInsAG/SanInsKG ausgesetzt ist, ebenfalls suspendiert. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG/SanInsKG gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzeptes dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar (siehe § 2 SanInsKG Rz. 22 ff. [Fritz]). Der Verweis auf die Normen der § 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, §§ 130a Abs. 1 Satz 2, 177a Satz 1 HGB und § 99 Satz 2 GenG geht aufgrund deren Aufhebung durch das SanInsFoG mit Ablauf des 31.12.2020 ins Leere, so dass diese Vorschriften ggfs. Entsprechend weiter anzuwenden sind. Für die Insolvenzantragsverfahren, die nach dem 31.12.2020 beantragt worden sind, verweist § 2 Abs. 5 COVInsAG i. d. F. des Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 vom 15.2.202118) (vgl. § 2 SanInsKG Rz. 74 [Fritz]) auf § 15b Abs. 1 _____________ 15) So BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 = NZI 2011, 196; vgl. Gehrlein, ZRI 2020, 183, 189 ff. 16) So Schmittmann, Haftung der Organe, Rz. 351; BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 = NZI 2011, 196. 17) Vgl. Schmittmann, ZRI 2020, 649, 655. 18) BGBl. I 2020, 237. Vgl. dazu: BMF, Anwendungsfragen zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist und der zinsfreien Karenzzeit durch das Gesetz vom 15.2.2021, Schreiben v. 15.4.2021 – IV A 3 – S 0261/20/10001:010 (DOK 2021/0408155).
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bis Abs. 3 InsO n. F., so dass gerade die Sonderregelung zu steuerlichen Pflichten in § 15b Abs. 8 InsO n. F. nicht anwendbar ist. Gleichwohl ist Vorsicht geboten: Die Pflicht eines Geschäftsleiters, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuer bereitzuhalten, besteht auch dann, wenn das Finanzamt Aussetzung der Vollziehung gewährt hat.19) Ist durch das Finanzamt ein laufender Zahlungsaufschub gewährt worden, sind die Steuern am Fälligkeitstag vorrangig ohne Rücksicht auf das Bestehen etwaiger anderweitiger Zahlungsverpflichtungen zu entrichten. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt insoweit nicht.20) Die Mittelvorsorgepflicht nach Eintritt einer Liquiditätskrise kann es auch gebieten, sofern die Steuerzahlung nicht auf andere Weise gesichert wird, den Geschäftsbetrieb nur unter Insolvenzbedingungen aufrechtzuerhalten, also Insolvenzantrag zu stellen.21) Dies kann m. E. allerdings nur dann gelten, wenn Insolvenzantragspflicht vorliegt. Ist diese gemäß § 1 COVInsAG ausgesetzt, kann über die steuerlichen Haftungspflichten nicht indirekt eine Insolvenzantragspflicht für den Geschäftsführer begründet werden. Dies gilt allerdings nur unter der Prämisse, dass die Liquiditätskrise Folge der COVID-19-Pandemie ist und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (§ 1 SanInsKG Rz. 27 [Fritz]).
15
Stellt der Geschäftsleiter Insolvenzantrag, was durchaus geboten sein kann, auch wenn die Insolvenzantragspflicht gemäß § 1 COVInsAG ausgesetzt ist, und bestellt das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes, verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim gesetzlichen Vertreter, also bei einer GmbH beim Geschäftsführer. Er haftet daher zunächst gemäß § 34 Abs. 1 i. V. m. § 69 AO weiter. Er hat nach der Rechtslage bis zum Inkrafttreten des SanInsFoG also die Zahlung der Steuer zu veranlassen und dazu beim vorläufigen Insolvenzverwalter vorstellig zu werden, um eine Zahlung der Steuer zu erreichen. Nur bei konkreten und eindeutigen objektiven Anhaltspunkten für die Sinnlosigkeit dieser Anfrage kann auf diese verzichtet werden.22) Diese Konstellation ist nun durch § 15b Abs. 8 InsO für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2021 beantragt worden sind, korrigiert worden, um Geschäftsführer, die rechtzeitig Insolvenzantrag stellen, vom Haftungsrisiko freizustellen.
16
2.
Abgabe von Steuererklärungen
Die Abgabe von Steuererklärungen ist in § 149 Abs. 1 AO dahin geregelt, dass die Steuergesetze bestimmen, wer zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist. Soweit die Steuergesetze nichts anderes bestimmen, sind Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, _____________ 19) So BFH, Beschl. v. 29.8.2018 – XI R 57/17, BFH/NV 2019, 7 ff. = NZI 2019, 89 ff. m. Anm. Engels. 20) So BFH, Urt. v. 26.9.2017 – VII R 40/16, BStBl. II 2018, 772 = ZIP 2018, 22 = NZI 2018, 1117 ff. m. Anm. Hermes. 21) So OVG NRW, Beschl. v. 15.11.2019 – 14 B 1443/19, BB 2020, 39 = ZIP 2020, 818 = ZfWG 2020, 123 ff. m. Anm. Schmittmann. 22) So BFH, Urt. v. 22.10.2019 – VII R 30/18, BFH/NV 2020, 711 = ZIP 2020, 911 = NZI 2020, 588 mit Anm. Schmittmann; BFH, Urt. v. 26.9.2017 – VII R 40/16, BStBl. II 2018, 772 = ZIP 2018, 22 = NZI 2018, 1117 ff. m. Anm. Hermes.
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spätestens sieben Monate nach Ablauf des Kalenderjahres oder sieben Monate nach dem gesetzlich bestimmten Zeitpunkt abzugeben. Die Verlängerung von Fristen ist in § 109 AO geregelt. 18
Gemäß § 41a Abs. 1 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums die Lohnsteueranmeldung abzugeben. Arbeitgebern können die Fristen zur Abgabe monatlicher oder vierteljährlicher Lohnsteuer-Anmeldungen während der Corona-Krise im Einzelfall auf Antrag nach § 109 Abs. 1 AO verlängert werden, soweit sie selbst oder der mit der Lohnbuchhaltung und Lohnsteuer-Anmeldung Beauftragte nachweislich und unverschuldet daran gehindert sind, die Lohnsteuer-Anmeldungen pünktlich zu übermitteln. Die Fristverlängerung darf maximal zwei Monate betragen.23)
19
Bei der Umsatzsteuer hat der Unternehmer gemäß § 18 Abs. 1 UStG bis zum zehnten Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz durch Datenübertragung zu übermitteln, in der er die Steuer für den Voranmeldungszeitraum (Vorauszahlung) selbst zu berechnen hat. Hinsichtlich der Umsatzsteuer liegt eine vergleichbare Regelung durch das BMF nicht vor, was allerdings auch nachvollziehbar ist, da bei der Umsatzsteuer der Unternehmer „Steuereinnehmer“ für den Staat ist.24) Dies bedeutet freilich nicht, dass der Unternehmer nicht einen individuell begründeten Fristverlängerungsantrag beim zuständigen Finanzamt stellen kann.
20
Durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 vom 15.2.202125) wurde mit Art. 97 § 36 EGAO die Frist für die Abgabe von Steuererklärungen in beratenen Fällen i. S. des § 149 Abs. 3 AO für den Besteuerungszeitraum 2019 dahin geändert, dass die Frist nicht am 28.2.2021 sondern erst am 31.8.2021 ausläuft. Unterliegt der Steuerpflichtige aufgrund von Einkünften aus Land- und Fortwirtschaft einem abweichenden Wirtschaftsjahr, so verlängert sich die Frist vom 31.7.2021 bis zum 31.12.2021.
21
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.202226) hat der Gesetzgeber die Frist für die Abgabe der Einkommensteuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2021 um drei Monate, für 2022 um zwei Monate und für 2023 um einen Monat für steuerlich nicht beratene Steuerpflichtige verlän-
_____________ 23) So BMF-Schreiben v. 23.4.2020 – IV A 3 – S 0261/20/10001:005 (DOK 2020/0397950), BStBl. I 2020, 474. 24) So BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682; EuGH, Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-271/06, DStR 2008, 450 = DB 2008, 563. 25) BGBl. I 2020, 237. Vgl. dazu: BMF, Anwendungsfragen zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist und der zinsfreien Karenzzeit durch das Gesetz vom 15.2.2021, Schreiben vom 15.4.2021 – IV A 3 – S 0261/20/10001:010 (DOK 2021/0408155). 26) BGBl. I 2022, 911.
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gert. Für den Veranlagungszeitraum 2024 ist die Frist nicht verlängert worden und endet daher regulär am 31.7.2025.27) Gemäß Schreiben des BMF vom 26.6.2022 gilt folgende Regelung:28)
22
„Anwendungsfragen zur (erneuten) Verlängerung der Steuererklärungsfristen und weiterer damit zusammenhängender Fristen und Termine für die Besteuerungszeiträume 2020 bis 2024 durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz“ BMF-Schreiben vom 20.7.2021 (BStBl. I, 984), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 1.4.2022 (BStBl I, 319) Bezug: BMF, Schreiben v. 20.7.2021 – IV A 3 – S 0261/20/10001:014 BStBl. I2021, 984 Bezug: BMF, Schreiben v. 1.4.2022 – IV A 3 – S 0261/20/10001:016 BStBl I 2022, 319 Die Steuerpflichtigen und die sie beratenden Angehörigen der steuerberatenden Berufe sind durch die andauernde Corona-Pandemie und die Auswirkungen der Ukraine-Krise weiterhin stark belastet. Des Weiteren ist im Kalenderjahr 2022 mit erheblichen Zusatzarbeiten im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform sowohl auf Seiten der Steuerpflichtigen als auch der Finanzverwaltung zu rechnen. Aus diesem Grund wurden die Erklärungsfristen des § 149 der Abgabenordnung (AO) und die damit zusammenhängenden Fristen und Termine (§ 109 Absatz 2, § 149 Absatz 4, § 152 Absatz 2 und § 233a Absatz 2 AO) durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 22. Juni 2022, BGBl 2022 I S. 911 [1], für den Besteuerungszeitraum 2020 erneut verlängert. Ferner wurden auch für die Besteuerungszeiträume 2021 bis 2024 vergleichbare Regelungen getroffen, durch die die gesetzlichen Fristverlängerungen (spätestens) bis zum Besteuerungszeitraum 2025 wieder abgebaut werden. Nach Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes: I. Anwendungsregelung 1.
Dieses BMF-Schreiben tritt mit sofortiger Wirkung an die Stelle der BMFSchreiben vom 20. Juli 2021 (BStBl 2021 I S. 984) und vom 1 April 2022 (BStBl 2022 I S. 319). Es ist für die Besteuerungszeiträume 2020 bis 2024 in allen offenen Fällen anzuwenden.
II. Verlängerung der Fristen zur Abgabe der Steuer- und Feststellungserklärungen Nicht beratene Fälle (§ 149 Absatz 2 AO) 2.
Steuer- und Feststellungserklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen und nicht von einer Person, einer Gesellschaft, einem Verband, einer Vereinigung, einer Behörde oder einer Körperschaft im Sinne der §§ 3 und 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) erstellt werden (nicht beratene Fälle), sind grundsätzlich spätestens sieben Monate nach Ablauf des Kalenderjahres oder sieben Monate nach dem gesetzlich bestimmten Zeitpunkt abzugeben (§ 149 Absatz 2 Satz 1 AO).
3.
Bei nicht beratenen Steuerpflichtigen, die den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ermitteln, endet die Erklärungsfrist für Steuer- und Feststellungserklärungen, in denen der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft selbst ermittelt wird, grundsätzlich nicht vor Ablauf des siebten Monats, der auf den Schluss des in dem Kalenderjahr begonnenen Wirtschaftsjahres folgt (§ 149 Absatz 2 Satz 2 AO).
_____________ 27) Vgl. auch die umfassende Übersicht bei Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 109 AO Rz. 1. 28) BMF v. 23.06.2022 – IV A 3 – S 0261/20/10001:018, BStBl 2022 I, 938.
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Diese Fristen werden
für die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021 jeweils um drei Monate, für den Besteuerungszeitraum 2022 um zwei Monate und für den Besteuerungszeitraum 2023 um einen Monat verlängert (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 3 und 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – EGAO -). Ab dem Besteuerungszeitraum 2024 gelten wieder die regulären siebenmonatigen Erklärungsfristen (vgl. Rn. 2 und 3). 5.
In den Fällen des § 149 Absatz 2 Satz 1 AO (vgl. Rn. 2) tritt an die Stelle des 31. Juli des jeweiligen Folgejahres
für den Besteuerungszeitraum 2020: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 1. November 2021 (soweit dieser Tag in dem Land, zu dem das Finanzamt gehört, ein gesetzlicher Feiertag ist: der 2. November 2021), für den Besteuerungszeitraum 2021: der 31. Oktober 2022 (soweit dieser Tag in dem Land, zu dem das Finanzamt gehört, ein gesetzlicher Feiertag ist: der 1. November 2022), für den Besteuerungszeitraum 2022: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 2. Oktober 2023 und für den Besteuerungszeitraum 2023: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 2. September 2024 (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 3 EGAO). 6.
In den Fällen des § 149 Absatz 2 Satz 2 AO (vgl. Rn. 3) tritt an die Stelle der Angabe „des siebten Monats“
für die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021 die Angabe „des zehnten Monats“, für den Besteuerungszeitraum 2022 die Angabe „des neunten Monats“ und für den Besteuerungszeitraum 2023 die Angabe „des achten Monats“ (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 4 EGAO). Beispiel: Endet das Wirtschaftsjahr mit Ablauf des 30. Juni (vgl. § 4a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 EStG), tritt demzufolge an die Stelle des 31. Januar des jeweiligen Kalenderjahres, das auf den Schluss des in dem Kalenderjahr begonnenen Wirtschaftsjahres folgt für den Besteuerungszeitraum 2020: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 2. Mai 2022, für den Besteuerungszeitraum 2021: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 2. Mai 2023,
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für den Besteuerungszeitraum 2022: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 2. April 2024 und für den Besteuerungszeitraum 2023: der 28. Februar 2025. 7.
Die gesetzlichen Fristverlängerungen nach Rn. 5 und 6 sind von Amts wegen zu beachten, ein Antrag des Steuerpflichtigen ist dazu nicht erforderlich.
8.
Die Möglichkeit, im Einzelfall eine weitergehende Fristverlängerung zu beantragen bzw. zu gewähren (vgl. § 109 Absatz 1 AO), bleibt hiervon unberührt.
2. Beratene Fälle (§ 149 Absatz 3 AO) 9.
Sofern Personen, Gesellschaften, Verbände, Vereinigungen, Behörden oder Körperschaften i. S. d. §§ 3 und 4 StBerG mit der Erstellung der in § 149 Absatz 3 AO genannten Erklärungen beauftragt sind (beratene Fälle), sind diese Steuerund Feststellungserklärungen – vorbehaltlich einer Vorabanforderung nach § 149 Absatz 4 AO; vgl. hierzu Abschnitt III – grundsätzlich spätestens bis zum letzten Tag des Monats Februar des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres abzugeben.
10. Für beratene Steuerpflichtige, die den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ermitteln, endet die Erklärungsfrist für Steuer- und Feststellungserklärungen, in denen der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft selbst ermittelt wird, grundsätzlich mit Ablauf des 31. Juli des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres (§ 149 Absatz 3 i. V. m. § 149 Absatz 2 Satz 2 AO). 11. Diese Fristen werden für die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021 jeweils um sechs Monate, für den Besteuerungszeitraum 2022 um fünf Monate, für den Besteuerungszeitraum 2023 um drei Monate und für den Besteuerungszeitraum 2024 um zwei Monate verlängert (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 1 und 2 EGAO). Ab dem Besteuerungszeitraum 2025 gelten wieder die regulären Erklärungsfristen (vgl. Rn. 9 und 10). 12. In den Fällen der Rn. 9 tritt an die Stelle des letzten Tages des Monats Februar des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres für den Besteuerungszeitraum 2020: der 31. August 2022, für den Besteuerungszeitraum 2021: der 31. August 2023, für den Besteuerungszeitraum 2022: der 31. Juli 2024, für den Besteuerungszeitraum 2023: unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 2. Juni 2025 und
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für den Besteuerungszeitraum 2024: der 30. April 2026 (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 1 EGAO). 13. In den Fällen der Rn. 10 tritt an die Stelle des 31. Juli des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres für den Besteuerungszeitraum 2020: der 31. Januar 2023, für den Besteuerungszeitraum 2021: der 31. Januar 2024, für den Besteuerungszeitraum 2022: der 31. Dezember 2024, für den Besteuerungszeitraum 2023: der 31. Oktober 2025 (soweit dieser Tag in dem Land, zu dem das Finanzamt gehört, ein gesetzlicher Feiertag ist, unter Berücksichtigung des § 108 Absatz 3 AO der 3. November 2025) und für den Besteuerungszeitraum 2024: der 30. September 2026 (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 2 EGAO). 14. Die gesetzlichen Fristverlängerungen (vgl. Rn. 12 und 13) sind von Amts wegen zu beachten, ein Antrag des Steuerpflichtigen oder des mit der Erstellung der Erklärung Beauftragten i. S. d. §§ 3 und 4 StBerG ist dazu nicht erforderlich. 15. Vorzeitige Anforderungen von Steuer- und Feststellungserklärungen nach § 149 Absatz 4 AO bleiben von dieser Fristverlängerung unberührt (vgl. hierzu auch Abschnitt III). 16. Eine Verlängerung der (gesetzlich verlängerten) Erklärungsfristen durch das Finanzamt über die in den Rn. 12 und 13 genannten Fristenden hinaus ist nur unter den Voraussetzungen des § 109 Absatz 2 AO i. V. m. Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 1 und 2 EGAO möglich. 17. Die Fristen zur Einreichung von Steuer- und Feststellungserklärungen in beratenen Fällen können daher nur dann über die in den Rn. 12 und 13 genannten Fristenden hinaus verlängert werden, wenn der oder die Steuerpflichtige und die von ihm oder ihr beauftragte Person (z. B. ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe als Vertreter oder Erfüllungsgehilfe) nachweislich ohne Verschulden verhindert sind oder waren, die Erklärungsfrist einzuhalten. Bei der Entscheidung über einen diesbezüglichen Antrag auf Fristverlängerung sind die von der Rechtsprechung zum Vorliegen einer „unverschuldeten Verhinderung“ entwickelten Grundsätze zu beachten. Die Arbeitsüberlastung von Angehörigen der steuerberatenden Berufe kann daher für sich allein nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen eine Fristverlängerung durch das Finanzamt über die in den Rn. 12 und 13 genannten Fristen hinaus rechtfertigen. III. Vorzeitige Anforderung von Erklärungen (§ 149 Absatz 4 AO) 18. Das Finanzamt kann in Fällen, in denen Steuer- und Feststellungserklärungen i. S. d. § 149 Absatz 3 AO durch Angehörige der steuerberatenden Berufe er-
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stellt werden, unter den Voraussetzungen des § 149 Absatz 4 AO eine vorzeitige Abgabe der Steuer- und Feststellungserklärung grundsätzlich vor dem letzten Tag des Monats Februar, in den Fällen des § 149 Absatz 2 Satz 2 AO (Land- und Forstwirte mit abweichendem Wirtschaftsjahr) vor dem 31. Juli des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres anordnen (sog. Vorabanforderung). Eine Vorabanforderung darf nicht auf einen Zeitpunkt erfolgen, der innerhalb der in § 149 Absatz 2 AO bestimmten Fristen liegt (§ 149 Absatz 4 Satz 6 AO). 19. Steuer- und Feststellungserklärungen i. S. d. § 149 Absatz 3 AO für die Besteuerungszeiträume 2020 bis 2024 können abweichend hiervon auch zu einem Termin vorzeitig angefordert werden, der nach dem letzten Tag des Monats Februar des zweiten auf den jeweiligen Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres und vor den in Rn. 12 genannten Zeitpunkten liegt (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 1 EGAO). Eine Vorabanforderung darf in diesen Fällen keine kürzere Frist als die in Rn. 5 genannte Frist setzen. Beispiel: Die Frist zur Abgabe einer durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe zu erstellenden Einkommensteuererklärung für den Besteuerungszeitraum 2022 (ohne Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft) endet nach § 149 Absatz 3 AO grundsätzlich mit Ablauf des 29. Februar 2024. Für den Besteuerungszeitraum 2022 wurde die Abgabefrist gesetzlich um fünf Monate verlängert und endet daher erst mit Ablauf des 31. Juli 2024 (vgl. Rn. 12). Nach § 149 Absatz 4 Satz 1 (oder Satz 3) AO i. V. m. Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 1 EGAO darf das Finanzamt die Einkommensteuererklärung 2022 noch für nach dem 29. Februar 2024, aber vor dem 31. Juli 2024 liegende Zeitpunkte vorzeitig anfordern. 20. Entsprechendes gilt für Steuer- und Feststellungserklärungen i. S. d. § 149 Absatz 3 i. V. m. § 149 Absatz 2 Satz 2 AO von beratenen Land- und Forstwirten mit abweichendem Wirtschaftsjahr (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 2 EGAO). Eine Vorabanforderung darf in diesen Fällen keine kürzere Frist als die in Rn. 6 genannte Frist setzen. Beispiel: Die Frist zur Abgabe einer durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe zu erstellenden Einkommensteuererklärung eines Land- und Forstwirtes mit abweichendem Wirtschaftsjahr für den Besteuerungszeitraum 2022 endet nach § 149 Absatz 3 AO grundsätzlich mit Ablauf des 31. Juli 2024. Für den Besteuerungszeitraum 2022 wurde die Abgabefrist gesetzlich um fünf Monate verlängert und endet daher erst mit Ablauf des 31. Dezember 2024 (vgl. Rn. 13). Nach § 149 Absatz 4 Satz 1 (oder Satz 3) AO i. V. m. Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 2 EGAO darf das Finanzamt die Einkommensteuererklärung 2022 noch für nach dem 31. Juli 2024, aber vor dem 2. Januar 2025 liegende Zeitpunkte vorzeitig anfordern. IV. Festsetzung von Verspätungszuschlägen (§ 152 AO) 21. Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuer- oder Feststellungserklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (§ 152 Absatz 1 AO). Unter den Voraussetzungen des § 152 Absatz 2 AO steht die Festsetzung des Verspätungszuschlags nicht mehr im Ermessen des Finanzamts, sondern ist gesetzlich vorgeschrieben. Dies gilt gleichermaßen für beratene wie für nicht beratene Fälle.
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22. Wurde eine Steuer- oder Feststellungserklärung zwar nach Ablauf der (gesetzlich und ggf. auch durch das Finanzamt nach § 109 AO verlängerten) Erklärungsfrist und damit verspätet, aber noch innerhalb von 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres oder innerhalb von 14 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt (§ 152 Absatz 2 Nummer 1 AO) oder innerhalb von 19 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres oder innerhalb von 19 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt (§ 152 Absatz 2 Nummer 2 AO) in den Fällen des § 149 Absatz 2 Satz 2 AO übermittelt, kann das Finanzamt nach § 152 Absatz 1 AO einen Verspätungszuschlag fest-setzen (Ermessensentscheidung). 23. Diese Zeitspanne, innerhalb derer die Entscheidung über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags im Ermessen des Finanzamts liegt, wird für die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021 um sechs Monate, für den Besteuerungszeitraum 2022 um fünf Monate, für den Besteuerungszeitraum 2023 um drei Monate und für den Besteuerungszeitraum 2024 um zwei Monate verlängert (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 5 und 6 EGAO). 24. Das Finanzamt ist hingegen gesetzlich dazu verpflichtet einen Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn die Steuer- oder Feststellungserklärung für die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021: nicht innerhalb von 20 Monaten, für den Besteuerungszeitraum 2022: nicht innerhalb von 19 Monaten, für den Besteuerungszeitraum 2023: nicht innerhalb von 17 Monaten und für den Besteuerungszeitraum 2024: nicht innerhalb von 16 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres oder nach dem Besteuerungszeitpunkt abgegeben wird (gebundene Entscheidung nach § 152 Absatz 2 Nummer 1 AO i. V. m. Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 5 EGAO). 25. Gleiches gilt, wenn die Steuer- oder Feststellungserklärung in den Fällen des § 149 Absatz 2 Satz 2 AO für die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021: nicht innerhalb von 25 Monaten, für den Besteuerungszeitraum 2022: nicht innerhalb von 24 Monaten, für den Besteuerungszeitraum 2023: nicht innerhalb von 22 Monaten und für den Besteuerungszeitraum 2024: nicht innerhalb von 21 Monaten
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nach Ablauf des Kalenderjahres oder nach dem Besteuerungszeitpunkt abgegeben wird (§ 152 Absatz 2 Nummer 2 AO i. V. m. Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 6 EGAO). 26. Die Entscheidung über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags steht in den in Rn. 24 und 25 genannten Fällen gemäß § 152 Absatz 3 AO nur in folgenden Fällen im Ermessen des Finanzamts: die Finanzbehörde hat die Frist für die Abgabe der Steuererklärung nach § 109 AO (ggf. rückwirkend) verlängert, die Erklärung wurde aber nach Ablauf der hiernach verlängerten Frist abgegeben, die Steuer wurde auf null Euro oder auf einen negativen Betrag festgesetzt oder die festgesetzte Steuer übersteigt nicht die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge. V. Verlängerung der zinsfreien Karenzzeiten (§ 233a Absatz 2 Satz 1 und 2 AO) 27. Der Zinslauf der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen nach § 233a AO („Vollverzinsung“) beginnt nach § 233a Absatz 2 Satz 1 AO allgemein 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (allgemeiner Zinslauf). 28. Für die Einkommen- und Körperschaftsteuer beginnt der Zinslauf nach § 233a Absatz 2 Satz 2 AO regulär erst 23 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte überwiegen (besonderer Zinslauf). 29. Der allgemeine Zinslauf (vgl. Rn. 27) beginnt für den Besteuerungszeitraum 2020: am 1. Oktober 2022, für den Besteuerungszeitraum 2021: am 1. Oktober 2023, für den Besteuerungszeitraum 2022: am 1. September 2024, für den Besteuerungszeitraum 2023: am 1. Juli 2025 und für den Besteuerungszeitraum 2024: am 1. Juni 2026 (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 7 EGAO). 30. Der besondere Zinslauf (vgl. Rn. 28) beginnt für den Besteuerungszeitraum 2020: am 1. Juni 2023, für den Besteuerungszeitraum 2021: am 1. Juni 2024, für den Besteuerungszeitraum 2022:
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am 1. Mai 2025, für den Besteuerungszeitraum 2023: am 1. März 2026 und für den Besteuerungszeitraum 2024: am 1. Februar 2027 (Artikel 97 § 36 Absatz 3 Nummer 8 EGAO). 31. Diese gesetzliche Verlängerung der Karenzzeiten (vgl. Rn. 29 und 30) gilt gleichermaßen für Nachzahlungs- wie für Erstattungszinsen. Sie gilt auch unabhängig davon, ob eine Steuererklärungspflicht besteht und ob es sich um einen beratenen oder nicht beratenen Fall handelt. Anlage Ablauf der Steuererklärungsfristen 2020 bis 2025 gemäß § 149 AO i. V. m. Artikel 97 § 36 Absatz 3 EGAO. Besteuerungszeitraum
2020
Nicht beratene Steuerpflichtige (§ 149 Absatz 2
Nicht beratene Landund Forstwirte (§ 149 Absatz 2
Satz 1 AO)
Satz 2 AO) [2]
1. November 2021 [4]
2. Mai 2022
Beratene Steuerpflichtige (§ 149 Absatz 3 AO)
Beratene Landund Forstwirte (§ 149 Absatz 3 i. V. m. Absatz 2 Satz 2 AO) [3]
31. August 2022
31. Januar 2023
2021
31. Oktober 2022 [5]
2. Mai 2023
31. August 2023
31. Januar 2024
2022
2. Oktober 2023
2. April 2024
31. Juli 2024
31. Dezember 2024
2023
2. September 2024
28. Februar 2025
2. Juni 2025
31. Oktober 2025 [6]
2024
31. Juli 2025
2. Februar 2026
30. April 2026
30. September 2026
2025
31. Juli 2026
1. Februar 2027
1. März 2027
2. August 2027
Ergänzende Hinweise: 23
Fällt das Ende einer Erklärungsfrist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet diese Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags (§ 108 Abs. 3 AO). Dies ist in der Übersicht bereits berücksichtigt (Ausnahme: gesetzliche Feiertage, die nicht bundesweit gelten).
24
In den grau unterlegten Fällen gelten wieder die regulären Fristen nach § 149 Abs. 2 und 3 AO (d. h. keine gesetzliche Fristverlängerung nach Art. 97 § 36 EGAO).
25
Bei Vorabforderungen in beratenen Fällen gemäß § 149 Abs. 4 AO gelten individuelle Erklärungsfristen.“
26
Die vorgenannten Fristen gelten aber nur für Steuerpflichtige, die zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind. Dazu gehören Arbeitnehmer –
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auf deren elektronischer Lohnsteuerkarte ein individueller Freibetrag eingetragen ist (Ausnahme: Behinderten-Pauschbetrag),
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–
die verheiratet sind oder in einer eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft leben, sich zusammenveranlagen lassen und die Steuerklassenkombination 3 und 5 oder die Steuerklasse 4 mit Faktor gewählt haben oder wenn einer der Partner die Steuerklasse 6 hat,
–
die im Jahr mehr als 410 € an Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosen-, Kranken-, Eltern- oder Kurzarbeitergeld erhalten haben oder
–
die neben dem Arbeitslohn weitere Einkünfte von mehr als 410 € haben, zum Beispiel Vermietungseinkünfte.
Die Pflicht, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, gilt aber beispielsweise auch für Rentner, wenn deren steuerpflichtige Einkünfte den Grundfreibetrag übersteigen. Der Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 EStG betrug im Veranlagungszeitraum 2020 9.408 € und im Veranlagungszeitraum 2021 9.744 € übersteigen. Der Grundfreibetrag wurde durch das Zweite Familienentlastungsgesetz vom 1.12.202029) auf 9.984 € festgesetzt und durch das Steuerentlastungsgesetz 2022 vom 23.5.202230) rückwirkend zum 1.1.2022 auf 10.347 €.
27
Wer nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet ist, hat bis zum Ablauf des vierten auf den Veranlagungszeitraum folgenden Jahres Zeit, den Antrag durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen (sog. „Antragsveranlagung“).
28
3.
Verspätungszuschlag
Wird eine Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß abgegeben, so kann gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 AO ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist gemäß § 152 Abs. 1 Satz 2 AO abzusehen, wenn der Erklärungspflichtige glaubhaft macht, dass die Verspätung entschuldbar ist. Ausnahmen regelt § 152 Abs. 2 AO. In diesen Fällen ist ein Verspätungszuschlag festzusetzen.
29
Ist der Steuerpflichtige aufgrund der COVID-19-Pandemie gehindert, die Steuererklärung abzugeben, so ist auch kein Verspätungszuschlag festzusetzen.
30
4.
Stundung und Stundungszinsen
Gemäß § 222 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Steuerschuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.
31
Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Soweit Stundung gemäß § 222 AO gewährt wird, soll grundsätzlich eine Sicherheitsleistung gewährt werden. Dies ist im Hinblick auf Steuerpflichtige, die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich von der COVID-19-Pandemie betroffen sind, allerdings in der Praxis nicht zu fordern.
32
_____________ 29) BGBl. I 2020, 2616. 30) BGBl. I 2022, 749.
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33
Steueransprüche gegen den Steuerschuldner können nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat.
34
Das BMF hat dazu geregelt: „Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 31. Dezember 2020 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Stundung der bis zu diesem Zeitpunkt bereits fälligen oder fällig werdenden Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden, sowie Anträge auf Anpassung der Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer stellen. Diese Anträge sind nicht deshalb abzulehnen, weil die Steuerpflichtigen die entstandenen Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können. Bei der Nachprüfung der Voraussetzung für Stundungen sind keine strengen Anforderungen zu stellen.“31)
35
Das BMF hat mit Schreiben vom 18.3.2021 eine Verlängerung verfügt.32)
36
Das BMF hat mit Schreiben vom 7.12.2021 eine weitere Verlängerung der verfahrensrechtlichen Steuererleichterungen angeordnet33) und im Übrigen mit Schreiben vom 31.1.2022 folgende Regelung getroffen:34) 1. Stundung im vereinfachten Verfahren 1.1 Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 31. März 2022 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Stundung der bis zum 31. März 2022 fälligen Steuern stellen. Die Stundungen sind längstens bis zum 30. Juni 2022 zu gewähren. § 222 Satz 3 und 4 AO bleibt unberührt. 1.2 In den Fällen der Ziffer 1.1 können über den 30. Juni 2022 hinaus Anschlussstundungen für die bis zum 31. März 2022 fälligen Steuern im Zusammenhang mit einer angemessenen, längstens bis zum 30. September 2022 dauernden Ratenzahlungsvereinbarung gewährt werden. 1.3 Bei der Nachprüfung der Voraussetzungen für (Anschluss-)Stundungen nach den Ziffern 1.1 und 1.2 sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Die Anträge sind nicht deshalb abzulehnen, weil die Steuerpflichtigen die entstandenen Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können. 1.4 Auf die Erhebung von Stundungszinsen kann in den vorgenannten Fällen verzichtet werden. […].“
37
Die gestiegenen Energiekosten als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine werden von der Finanzverwaltung in verschiedener Weise berücksichtigt. Nach einem Schreiben des BMF vom 5. Oktober 202235) werden die Finanzämter die besondere Situation bei nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen Steuerpflichtigen angemessen berücksichtigen. Nach Auffassung des BMF stehen _____________ 31) So BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262; vgl. dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 860 ff. 32) So BMF-Schreiben v. 18.3.2021 – IV A 3 – S 0336/20/10001:037 (DOK 2021/0319380), BStBl. I 2021, 337. 33) So BMF-Schreiben v. 7.12.2021 – IV A 3 – S 0336/20/10001:045 (DOK 2021/1267982), BStBl. I 2022, 2228 ff. 34) So BMF-Schreiben v. 31.1.2022 – IV A 3 – S-0336/20/10001:047, BStBl. I 2022, 132. 35) So BMF-Schreiben v. 5.10.2022 – IV A 3 – S 0336/22/10004:001.
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Steuerrecht
den Finanzämtern im Rahmen der allgemeinen rechtlichen Vorgaben neben der Herabsetzung von Vorauszahlungen zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer eine Reihe von Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung, um sachgerechte Entscheidungen treffen zu können. Genannt werden insbesondere die Stundung oder die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (Vollstreckungsaufschub). Das BMF weist darauf hin, dass in jedem Einzelfall unter Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist, inwieweit ggf. die Voraussetzungen für eine steuerliche Billigkeitsmaßnahme vorliegen. Explizit erklärt das BMF, dass bei der Nachprüfung der Voraussetzungen bei bis zum 31.3.2023 eingehenden Anträgen keine strengen Anforderungen zu stellen seien und über Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen oder Anpassung der Vorauszahlungen unter Einbeziehung der aktuellen Situation zeitnah entschieden werden soll.
38
Im Einzelfall kann aus Billigkeitsgründen auf die Erhebung von Stundungszinsen verzichtet werden, insbesondere wenn der Steuerpflichtige seinen steuerlichen Pflichten, insbesondere seinen Zahlungspflichten, bisher pünktlich nachgekommen ist und er in der Vergangenheit nicht wiederholt Stundungen oder Vollstreckungsaufschübe in Anspruch genommen hat, wobei Billigkeitsmaßnahmen auf Grund der Corona-Krise nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. In diesen Fällen kommt ein Verzicht auf die Stundungszinsen in der Regel in Betracht, wenn die Billigkeitsmaßnahme für einen Zeitraum von nicht mehr als drei Monaten gewährt wird.
39
Bei der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer der Steuerpflichtige und der Arbeitgeber hat die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, so dass hier eine Stundung grundsätzlich ausscheidet. Dem Arbeitgeber wird allerdings insoweit geholfen, dass die Frist zu Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldungen auf Antrag verlängert werden kann.36) Dies führt zu einer faktischen Stundung.
40
Gemäß § 234 Abs. 1 AO werden Stundungszinsen erhoben. Auf die Zinsen kann gemäß § 234 Abs. 2 AO ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Gemäß der Verwaltungsanweisung des BMF kann auf die Erhebung von Stundungszinsen in der Regel verzichtet werden, wenn der Steuerpflichtige nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich von der COVID-19-Pandemie betroffen ist.37)
41
Die vorgenannte Stundungsregelung galt bis Ende des Jahres 2020 und ist aufgrund der Neuregelungen zu den Vorauszahlungen und dem vorläufigen Verlustrücktrag in §§ 110 und 111 EStG überholt:
42
„Anträge auf Stundung der nach dem 31. Dezember 2020 fälligen Steuern sowie Anträge auf Anpassung der Vorauszahlungen, die nur Zeiträume nach dem 31. Dezember 2020 betreffen, sind besonders zu begründen.“38)
_____________ 36) So BMF-Schreiben v. 23.4.2020 – IV A 3 – S 0261/20/10001:005 (DOK 2020/0397950), BStBl. I 2020, 474. 37) So BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262. 38) So BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262.
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Säumniszuschläge und Erlass
43
Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist gemäß § 240 Abs. 1 AO für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrages zu entrichten (Säumniszuschlag).
44
Wird dem Finanzamt auf Mitteilung des Vollstreckungsschuldners oder auf andere Weise bekannt, dass er unmittelbar und nicht unerheblich von der COVID-19Pandemie betroffen ist, so sind die im Zeitraum ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des BMF Schreibens bis zum 31.12.2020 verwirkten Säumniszuschläge für die betroffenen Steuerarten, also die von den Landesbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern, zum 31.12.2020 zu erlassen. Die Finanzämter können den Erlass durch Allgemeinverfügung (§ 118 Abs. 2 AO) regeln.39)
45
Darüber hinaus kommt noch ein Erlass gemäß § 227 AO in Betracht. Die Finanzbehörden können den Säumniszuschlag40) erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Einziehung ist sachlich stets unbillig, wenn Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit und den nachfolgenden Zeiträumen erfolgloser Beitreibung bestehen.41) Im Hinblick darauf, dass Säumniszuschläge auch Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit sind und säumige Steuerpflichtige nicht bessergestellt werden sollen als solche Steuerpflichtigen, denen Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt worden ist, wird nur die Hälfte der Säumniszuschläge erlassen.42) Zu Recht weist Loose darauf hin, dass bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Säumniszuschlag seinen Sinn verloren hat, weil der Steuerpflichtige nicht zu einer pünktlichen Zahlung bewegt werden kann.43)
46
Neben den vom BMF mit Schreiben vom 19.3.2020 geregelten Fällen44) ist daher stets auch ein individueller Antrag gemäß §§ 227, 240 AO zu prüfen. 6.
47
Erstattungszinsen
Durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 vom 15.2.202145) wurde durch Art. 97 § 36 Abs. 2 EGAO geregelt, dass abweichend von § 233a Abs. 2 Satz 1 AO der _____________ 39) So BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262. 40) Vgl. Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Kap. 21 Rz. 363 ff. 41) So Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 240 AO Rz. 56; BFH, Urt. v. 8.3.1984 – I R 44/80, BStBl. II 1984, 415. 42) So BFH, Urt. v. 16.11.2004 – VII R 8/04, BFH/NV 2005, 494; BFH, Urt. v. 19.12.2000 – VII R 63/99, BStBl. II 2001, 217; BFH, Urt. v. 18.4.1996 – V R 55/95, BStBl. II 1996, 561. 43) So Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 240 AO Rz. 56. 44) Vgl. BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262; vgl. dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 860 ff. 45) BGBl. I 2020, 237.
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Steuerrecht
Zinslauf, der 15 Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums beginnt, für den Besteuerungszeitraum 2019 erst am 1.10.2021 beginnt. Der Zinslauf bei überwiegenden Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, der 23 Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums beginnt, beginnt für den Besteuerungszeitraum 2019 am 1.5.2022. 7.
48
Vollstreckung
Leistet der Steuerpflichtige nicht freiwillig, so beginnt die Vollstreckung46). Sie darf gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 AO erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder zur Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung mindestens eine Woche verstrichen ist. Das BMF hatte dazu zunächst geregelt:
49
„Wird dem Finanzamt auf Mitteilung des Vollstreckungsschuldners oder auf andere Weise bekannt, dass der Vollstreckungsschuldner unmittelbar und nicht unerheblich betroffen ist, soll bis zum 31. Dezember 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen bei allen rückständigen und bis zu diesem Zeitpunkt fällig werdenden Steuer […] abgesehen werden.“47)
Der Vollstreckungsaufschub ist auch für Steuerrückstände aus der Zeit vor der Pandemie zu gewähren.48)
50
Das BMF hat mit Schreiben vom 7.12.2021 eine weitere Verlängerung der verfahrensrechtlichen Steuererleichterungen angeordnet49) und im Übrigen mit Schreiben vom 31.1.2022 folgende Regelung getroffen50):
51
„Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher im Hinblick auf Steuern, die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwaltet werden, ergänzend zum BMF-Schreiben vom 19. März 2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (BStBl 2020 I S. 262) Folgendes: 14. Stundung im vereinfachten Verfahren […] 2. Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen (Vollstreckungsaufschub) im vereinfachten Verfahren 2.1 Wird dem Finanzamt bis zum 31. März 2022 aufgrund einer Mitteilung des Vollstreckungsschuldners bekannt, dass der Vollstreckungsschuldner nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffen ist, soll bis zum 30. Juni 2022 von Vollstreckungsmaßnahmen bei bis zum 31. März 2022 fällig gewordenen Steuern abgesehen werden.
_____________ 46) Vgl. Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Kap. 21 Rz. 371 ff. 47) So BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262. 48) So FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.11.2020 – 10 V 10146/20, EFG 2021, 172 ff. mit Anm. Weinschütz = ZKF 2021, 42 ff. Der BFH (Beschl. v. 11.2.2021 – VII B 178/20 (AdV)) hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen. 49) So BMF-Schreiben v. 7.12.2021 – IV A 3 – S 0336/20/10001:045 (DOK 2021/1267982), BStBl. I 2022, 2228 ff. 50) So BMF-Schreiben v. 31.1.2022 – IV A 3 – S-0336/20/10001:047, BStBl. I 2022, 132.
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In diesen Fällen sind die im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2022 entstandenen Säumniszuschläge grundsätzlich zu erlassen. 2.2 Bei Vereinbarung einer angemessenen Ratenzahlung ist in den Fällen der Ziffer 2.1 eine Verlängerung des Vollstreckungsaufschubs für die bis zum 31. März 2022 fälligen Steuern längstens bis zum 30. September 2022 einschließlich des Erlasses der bis dahin insoweit entstandenen Säumniszuschläge möglich. 2.3 Die Finanzämter können den Erlass der Säumniszuschläge durch Allgemeinverfügung (§ 118 Satz 2 AO) regeln. 3. Anpassung von Vorauszahlungen im vereinfachten Verfahren Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 30. Juni 2022 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Anpassung der Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer 2021 und 2022 stellen. Bei der Nachprüfung der Voraussetzungen sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Diese Anträge sind nicht deshalb abzulehnen, weil die Steuerpflichtigen die entstandenen Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können. 4. Stundung, Vollstreckungsaufschub und Anpassung von Vorauszahlungen in anderen Fällen Für Anträge auf (Anschluss-)Stundung oder Vollstreckungsaufschub außerhalb der Ziffern 1.1 und 1.2 bzw. 2.1. und 2.2 sowie auf Anpassung von Vorauszahlungen außerhalb der Ziffer 3 gelten die allgemeinen Grundsätze und Nachweispflichten. Dies gilt auch für Ratenzahlungsvereinbarungen über den 30. September 2022 hinaus. Dieses Schreiben ergänzt das BMF-Schreiben vom 19. März 2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 – (BStBl 2020 I S. 262) und tritt an die Stelle des BMF-Schreibens vom 7. Dezember 2021 – IV A 3 – S 0336/20/10001:045 – (BStBl 2021 I S. 2228).“
52
Die gestiegenen Energiekosten als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine werden von der Finanzverwaltung in verschiedener Weise berücksichtigt. Nach einem Schreiben des BMF vom 5.10.202251) werden die Finanzämter die besondere Situation berücksichtigen und u. a. die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (Vollstreckungsaufschub) bewilligen (Einzelheiten: Rz. 50).
53
Da die Corona-Soforthilfe ausschließlich der Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgt, dient sie nicht zur Befriedigung von Altgläubigern, so dass eine Pfändung wegen Gläubigeransprüchen, die vor dem 1.3.2020 entstanden sind, nicht zulässig ist.52) Eine Pfändung kommt gleichwohl für Gläubiger in Betracht, deren Forde-
_____________ 51) So BMF-Schreiben v. 5.10.2022 – IV A 3 – S 0336/22/10004:001, BStBl. II 2022, 1402. 52) So BFH, Beschl. v. 9.7.2020 – VII S 23/20 (AdV), BFH/NV 2020, 1104 = DStR 2020, 1734 = NZI 2020, 801 ff. mit Anm. Schmittmann (Vorinstanz: FG Münster, Beschl. v. 13.5.2020 – 1 V 1286/20 AO, EFG 2020, 1045 ff. mit Anm. Brosda); LG Köln, Beschl. v. 23.4.2020 – 39 T 57/20, ZIP 2020, 987; AG Hagen, Beschl. v. 7.4.2020 – 109 IN 13/20, InsbürO 2020, 260; vgl. Grote, InsbürO 2020, 246 ff.; Wipperfürth, ZInsO 2020, 1224 ff. Vgl. auch FG Münster, Beschl. v. 29.6.2020 – 8 V 1791/20, EFG 2020, 1194 ff. mit Anm. Anders; FG Münster, Beschl. v. 16.6.2020 – 4 V 1584/20, EFG 2020, 1254.
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Steuerrecht
rungen erst nach Eintritt der Pandemie fällig geworden sind und die fortlaufend Leistungen an den Schuldner erbringen (sog. „Anlassgläubiger“)53) Das Schreiben des BMF vom 19.3.202054) muss von den Finanzbehörden nicht auf Vollstreckungsmaßnahmen angewendet werden, die bereits vor Bekanntgabe des Schreibens durchgeführt worden sind. Sofern in einer Norm, in einer eine Norm ersetzende Verwaltungsvorschrift oder in einem Erlass kein Zeitpunkt angegeben ist, ab dem die Regelung gelten soll, und lässt sich ein derartiger Zeitpunkt auch nicht durch Auslegung ermitteln, tritt die Regelung nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig mit ihrer Bekanntgabe in Kraft. Das BMF hat im Schreiben vom 19.3.2020 keinen Zeitpunkt des Inkrafttretens bekanntgegeben. Auch die Formulierung des „Absehens“ i. S. des Nr. 2 Satz 1 des Schreibens deutet darauf hin, dass Maßnahmen gemeint sind, die noch nicht durchgeführt worden sind.55) Steuerschuldner, gegen die bereits vor Bekanntgabe des Schreibens des BMF vom 19.3.2020 vollstreckt worden ist, können um Rechtsschutz nach allgemeinen Regeln, z. B. § 258 AO, nachsuchen. Ihnen obliegt es dann darzulegen, weshalb die Aufrechterhaltung der Vollstreckungsmaßnahme wegen der Corona-Pandemie oder aus anderen Gründen unbillig ist bzw. weshalb ihm einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist.56)
54
In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der BFH im Zusammenhang mit der CoronaHilfe entschieden, dass ein beim BFH gestellter Eilrechtsantrag in die Zulässigkeit hineinwachsen kann. Der Antragsteller hatte mit Bescheid vom 12.5.2020 Soforthilfe i. H. v. 9.000 € bewilligt und auf sein P-Konto überwiesen, das jedoch von der Finanzverwaltung gepfändet war.57)
55
8.
Insolvenzantragstellung durch die Finanzverwaltung
Beabsichtigt die Finanzverwaltung, einen Insolvenzantrag gegen den Steuerpflichtigen zu stellen, sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen regelt § 3 COVInsAG, dass bei zwischen dem 28.3.2020 und dem 28.6.2020 gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, dass der Eröffnungsgrund bereits am 1.3.2020 vorlag (siehe dazu i. E. § 3 SanInsKG Rz. 9 [Horstkotte]). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Insolvenzantrag des Finanzamtes kein Verwaltungsakt i. S. des § 118 AO ist, sondern ein sog. „schlichtes Verwaltungshandeln“, so dass dagegen lediglich die allgemeine Leistungsklage gemäß § 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO in Betracht kommt, um das Finanzamt zu verpflichten, den Insolvenzantrag zurückzunehmen.58)
_____________ 53) 54) 55) 56) 57) 58)
S. Wipperfürth, ZInsO 2020, 1224 ff. BStBl. I 2020, 262. So BFH, Beschl. v. 30.7.2020 – VII B 73/20, BFH/NV 2020, 1299 ff. = NZG 2020, 1316 ff. So BFH, Beschl. v. 30.7.2020 – VII B 73/20, BFH/NV 2020, 1299 ff. = NZG 2020, 1316 ff. So BFH, Beschl. v. 6.8.2020 – VII S 27/20 (AdV), BFH/NV 2020, 1294 ff. Vgl. BFH, Urt. v. 12.12.2005 – VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900 ff. = ZInsO 2006, 603 ff. m. Anm. Schmittmann; BFH, Beschl. v. 26.4.1988 – VII B 1766/87, BFH/NV 1988, 672; Schmittmann in: Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 194 ff.
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57
Nach der Rechtsprechung steht die Entscheidung darüber, ob ein Insolvenzantrag gestellt wird, im Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde.59) Bei der Ausübung des Ermessens hat die Finanzbehörde zu berücksichtigen, dass der Insolvenzantrag nicht nur für den Vollstreckungsschuldner selbst, sondern auch für dessen Arbeitnehmer, Lieferanten und Abnehmer ggf. existenzvernichtende Wirkung hat. Der Insolvenzantrag darf daher nur nach gründlicher Würdigung der maßgeblichen Umstände, insbesondere der Höhe der Steuerforderung gestellt werden. Die Vollstreckungsbehörde handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat oder Anlass zu der Befürchtung besteht, dass der Steuerpflichtige bei seinen Zahlungen die Finanzbehörde zugunsten anderer Gläubiger benachteiligt.60) Die Stellung eines Insolvenzantrages ist auch dann verhältnismäßig und ermessensgerecht, wenn er als sog. Rückstandsunterbindungsmaßnahme zur Vermeidung weiterer Steuerrückstände dient, weil die Einleitung eines Insolvenzverfahrens auch dazu dient, den Schuldner vor einer weiteren Verschuldung zu bewahren und bei einem für ihn günstigen Verlauf die Existenz zu sichern.61)
58
Das Finanzamt wird bei Insolvenzantragstellung i. R. der COVID-19-Pandemie in sein Ermessen auch den Willen des Gesetzgebers einzubeziehen haben, dass die Unternehmen „Gelegenheiten erhalten sollen, die Insolvenz, insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden staatlichen Hilfen, ggf. aber auch im Zuge von Sanierungs- und Finanzierungsvereinbarungen, zu beseitigen“.62) Da das BMF jedenfalls bei Steuerpflichtigen, die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich von der COVID-19-Pandemie betroffen sind, von der Vollstreckung bei allen rückständigen oder bis zum 31.12.2020 fällig werdenden Steuern absieht,63) dürfte auch der Insolvenzantrag in solchen Fällen ermessensfehlerhaft sein. Im Zuge der Billigkeitsmaßnahmen im Rahmen des Ukraine-Krieges (siehe Rz. 37) steht zu erwarten, dass die Finanzverwaltung bei Insolvenzanträgen eine gewisse Zurückhaltung üben wird. 9.
59
Verjährung
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.202064) wurde die relative Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung verlängert.65) Ein Bezug zur Corona-Krise besteht nicht. Die Regelung dient vielmehr der Aufarbeitung der Cum-Ex-Gestaltungen.66) _____________ 59) So Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Rz. 19; Schmittmann in: FS Haarmeyer, S. 289, 293 ff. 60) So BFH, Beschl. v. 23.7.1985 – VII B 29/85, BFH/NV 1986, 41. 61) So FG München, Beschl. v. 24.7.2018 – 7 V 1728/18, ZInsO 2019, 1272 f. 62) So Begr. Entwurf COVAbmildG, BT-Drucks. 19/18110, S. 22. 63) So BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262. 64) BGBl. I 2020, 1512. 65) Vgl. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, Rz. 1 ff.; Duda/Schmittmann, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, Rz. 635 ff. 66) Vgl. Lenk, NZWiSt 2021, 7 ff.; Reichling/Lange/Borgel, PStR 2021, 31 ff.
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Steuerrecht
Nach § 375a AO steht das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung nach § 47 AO steht einer Einziehung rechtswidrig erlangter Taterträge nach den §§ 73 bis 73c StGB nicht entgegen. Die Neufassung gilt gemäß Art. 97 § 34 EGAO für alle am 1.7.2020 noch nicht verjährten Steueransprüche.
60
10. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen Gemäß § 162 Abs. 1 Satz AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Gerade im Zusammenhang mit Betriebsprüfungen greift die Finanzverwaltung auf die sog. „Richtsatzsammlung“ zurück, die vom BMF als Hilfsmittel für die Finanzverwaltung ermittelt worden ist, um Umsätze und Gewinne der Gewerbetreibenden zu verproben und ggf. bei Fehlen anderer Unterlagen zu schätzen.67)
61
Das BMF hat mit Schreiben vom 28.11.2022 konstatiert, dass in wirtschaftlichen Krisenzeiten, z. B. aufgrund einer Pandemie oder eines Krieges, welche sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von vielen oder einzelnen Betrieben haben können, unabdingbar sei, den Grundsatz der individuellen Betrachtung der Steuerpflichtigen in besonderen Maße zu beachten. Eine Abbildung aller denkbaren Auswirkungen sei naturgemäß bei einer pauschalisierten Betrachtungsweise nicht darstellbar. Somit sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang bei der Anwendung der Richtsätze Anpassungen vorzunehmen seien. Zur Umsetzung diene hierbei unter anderem bereits die Darstellung von Bandbreiten im Rahmen der Richtsatzsammlung. Vor diesem Hintergrund gelte es aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung (z. B. Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine) wie bisher auf einen sensiblen Umgang mit der Richtsatzsammlung gegenüber Steuerpflichtigen zu achten.68)
62
11. Verordnungsermächtigung Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.202069) wurde das Bundesministerium der Finanzen durch Art. 97 § 33 Abs. 5 EGAO ermächtigt, zur zeitnahen Umsetzung unionsrechtlicher Bestimmungen hinsichtlich der Fristen zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen durch ein im Bundessteuerblatt zu veröffentlichendes Schreiben Bestimmungen zu treffen. Ein unmittelbarer Bezug zur Corona-Pandemie besteht nicht.
63
12. Gemeinnützigkeitsrecht Durch Schreiben vom 17.3.202270) hat das BMF das umfassend zu steuerlichen Maßnahmen zur Unterstützung der vom Krieg in der Ukraine Geschädigten Stellung genommen. Dies betrifft Erleichterungen bei dem Nachweis steuerbegünstiger Zuwendungen, Maßnahmen steuerbegünstiger Körperschaften zur Unterstützung _____________ 67) 68) 69) 70)
Vgl. Duda/Schmittmann, Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz, Rz. 1151 ff. S. BMF-Schreiben v. 28.11.2022 – IV A 8 – S 1544/19/10001:006 DOK 2022/1178831. BGBl. I 2020, 1512. S. BMF-Schreiben v. 17.3.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:103, BStBl. I 2022, 330.
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der vom Krieg in der Ukraine Geschädigten, die vorübergehende Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine, die steuerliche Behandlung von Zuwendungen aus dem Betriebsvermögen, die lohnsteuerlichen Konsequenzen einer Arbeitslohnspende, den Verzicht auf Aufsichtsratsvergütungen sowie umsatz- und schenkungsteuerrechtliche Fragen. 65
Das BMF hat das Schreiben vom 17.3.2022 durch ein Schreiben vom 7.6.202271) insbesondere im Bereich der Lohnsteuer ergänzt.
66
Mit Schreiben vom 17.11.202272) hat das BMF verfügt, den zeitlichen Anwendungsbereich der Verwaltungs- und Vollzugserleichterungen aus den genannten Schreiben bis auf Weiteres auf das Jahr 2023 zu erstrecken. III. Einkommen- und Lohnsteuer
67
Bei der Einkommen- und Lohnsteuer stellen sich verschiedene Fragen, die nachstehend der Systematik des EStG folgend dargestellt werden. 1.
68
Einkunftsarten
Personen, die in regionalen oder mobilen Impfteams beschäftigt sind, üben regelmäßig eine nichtselbständige Tätigkeit aus und erzielen daher Einkünfte i. S. des § 19 EStG.73) Auch die Vergütung für das Ausstellen von digitalen Impfzertifikaten durch Ärzte führt nicht zu gewerblichen Einkünften, sondern stellt eine originär ärztliche Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar.74) 2.
Steuerbefreiungen gemäß § 3 EStG
a) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 11 und Nr. 11a EStG 69
Steuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 11 EStG Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung, die wegen Hilfsbedürftigkeit oder als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung oder Ausbildung, die Wissenschaft oder Kunst unmittelbar zu fördern. Unter bestimmten Bedingungen werden Bezüge aus öffentlichen Mitteln auch andere Zahlungen gleichgestellt.
70
Zur Abmilderung der zusätzlichen Belastungen durch die Corona-Krise für Arbeitnehmer hat das BMF angeordnet:75) „Arbeitgeber können ihren Arbeitnehmern in der Zeit vom 1. März bis 31. Dezember 2020 aufgrund der Corona-Krise Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 Euro nach § 3 Nummer 11 EStG steuerfrei in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewähren. Voraussetzung ist, dass diese zusätzlich zum ohnehin ge-
_____________ 71) S. BMF-Schreiben v. 7.6.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:017, BStBl. I 2022, 923. 72) S. BMF-Schreiben v. 17.11.2022 – IV C – S 2223/19/10003:018 (DOK 2022/1135980), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/We itere_Steuerthemen/Abgabenordnung/2022-11-17-stl-massnahmen-unterstuetzungukraine-geschaedigte-verlaengerung-zeitlicher-anwendungsbereich.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 73) S. OFD Frankfurt/M., Rdvfg. v. 15.3.2021 – S 2331 A – 49 – St 210, DStR 2021, 870. 74) So OFD Frankfurt/M., Verfügung v. 26.10.2021 – S 2245 A-018-St 214, DB 2021, 2867 (2868). 75) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 5 – S 2342/20/10009:001 (DOK 2020/0337215), BStBl. I 2020, 503.
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schuldeten Arbeitslohn geleistet werden. Die in R 3.11 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 bis 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) genannten Voraussetzungen brauchen nicht vorzuliegen. Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Betroffenheit durch die Corona-Krise kann allgemein unterstellt werden, dass ein die Beihilfe und Unterstützung rechtfertigender Anlass im Sinne des R 3.11 Absatz 2 Satz 1 LStR vorliegt. Arbeitgeberseitig geleistete Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld fallen nicht unter diese Steuerbefreiung. Auch Zuschüsse, die der Arbeitgeber als Ausgleich zu Kurzarbeitergeld wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze leistet, fallen weder unter die vorstehende Steuerbefreiung noch unter § 3 Nummer 2 Buchstabe a EStG.“
Durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.202076) wurde in § 3 Nr. 11a EStG geregelt, dass zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 aufgrund der Corona-Krise an seine Arbeitnehmer in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 € steuerfrei sind. Nicht steuerfrei sind Stipendien aus einem Sonderprogramm zur Abfederung der durch die Corona-Pandemie bedingten Einnahmeausfälle. Sie unterfallen insbesondere nicht § 3 Nr. 44 EStG (Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung).77)
71
Diese Regelung wurde durch zunächst durch das Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) vom 21.12.202078) bis zum 30.6.2021 verlängert. Durch Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertagsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) vom 2.6.202179) wurde die Regelung letztmalig bis zum 31.3.2022 verlängert.
72
Voraussetzung ist, dass diese Beihilfen und Unterstützungen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden. Weiterhin kann aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Betroffenheit durch die Corona-Krise allgemein unterstellt werden, dass ein die Beihilfe und Unterstützung rechtfertigender Anlass vorliegt. Arbeitgeberseitig geleistete Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld fallen nicht unter diese Steuerbefreiung. Die steuerfreien Leistungen sind – so das BMF – im Lohnkonto aufzuzeichnen.80)
73
Andere Steuerbefreiungen, Bewertungsvergünstigungen oder Pauschalbesteuerungsmöglichkeiten (wie z. B. §§ 3 Nr. 34 a, 8 Abs. 2 Satz 11, § 3 Abs. 2 Satz 2 EStG) bleiben hiervon unberührt und können neben der hier aufgeführten Steuerfreiheiten nach § 3 Nr. 11 EStG in Anspruch genommen werden.81)
74
_____________ 76) BGBl. I 2020, 1385. 77) So FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.11.2022 – 10 K 10005/22, https://www.finanzgericht.berlin.brandenburg.de/fg/de/pressemitteilungen/ansicht/~03-01-2023stipendium-waehrend-der-corona-pandemie. 78) BGBl. I 2020, 3096 ff. Vgl. Bolik/Kindler/Bossmann, StuB 2021, 102 ff.; Pelke, BB 2021, 343 ff. 79) BGBl. I 2021, 1259. 80) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 5 – S 2342/20/10009:001 (DOK 2020/0337215), BStBl. I 2020, 503. 81) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 5 – S 2342/20/10009:001 (DOK 2020/0337215), BStBl. I 2020, 503.
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
b) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 11b EStG 75
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.202282) wurde erstmals für den Veranlagungszeitraum 2021 (§ 52 Abs. 4 Satz 4 EStG) eine Steuerbefreiung für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 18.11.2021 bis zum 31.12.2022 an seine Arbeitnehmer zur Anerkennung besonderer Leistungen während der Corona-Krise gewährte Leistungen bis zu einem Betrag von 4.500 € eingeführt (sog. „Corona-Prämie“). Durch das Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.202283) wurde die Regelung modifiziert: Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass die Arbeitnehmer in Einrichtungen im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 8, 11 oder Nr. 12 IfSG oder § 36 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 7 IfSG tätig sind; maßgeblich ist jeweils die am 22. Juni 2022 gültige Fassung des Infektionsschutzgesetzes. Die Steuerbefreiung gilt entsprechend für Personen, die in den in Satz 2 genannten Einrichtungen im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung oder im Rahmen eines Werk- oder Dienstleistungsvertrags eingesetzt werden. Nummer 11a findet auf die Leistungen im Sinne der Sätze 1 bis 3 keine Anwendung. Abweichend von Satz 1 gilt die Steuerbefreiung für Leistungen nach § 150c SGB XI in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 vom 16. September 2022 (BGBl. I S. 1454) auch dann, wenn sie in der Zeit bis zum 31. Mai 2023 gewährt werden.
c) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 11c EStG 76
Steuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 11c EStG in der Fassung durch das Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz vom 19.10.202284) zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26.10.2022 bis zum 31.12.2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3.000 € (sog. „Inflationsprämie“).85) Eine gesetzliche Unpfändbarkeit des Betrages ist nicht vorgesehen, so dass der Betrag im Rahmen der Pfändungsschutzvorschriften nach § 850c ZPO pfändbar ist;86) allerdings besteht die Möglichkeit, individuell Pfändungsschutz gemäß § 850f Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. § 765a ZPO zu beantragen.87) d) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26 EStG
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Weiterhin kommt eine Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26 EStG (sog. „Übungsleiterpauschale“) in Betracht. Gemäß § 3 Nr. 26 EStG sind Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder vergleichbaren nebenberuflichen Tätigkeiten, aus nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeiten _____________ 82) 83) 84) 85)
BGBl. I 2022, 911. BGBl. I 2022, 2294. BGBl. I 2022, 1743. Vgl. dazu FM Sachsen-Anhalt, Erlass v. 16.12.2022 – 45-S 2342-203/1/84508/2022; Roters, StuB 2023, 125 ff. 86) So AG Köln, Beschl. v. 4.1.2023 – 70k IK 226/20, NZI 2023, 222 f. = Verbraucherinsolvenz aktuell 2023, 22 mit Anm. Cymutta. 87) So Wipperfürth, InsbürO 2023, 15, 16.
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Steuerrecht
oder der nebenberuflichen Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst oder im Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke bis zur Höhe von insgesamt 2.400 € im Jahr steuerfrei. Durch das Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) vom 21.12.202088) wurde die Übungsleiterpauschale von 2.400 € auf 3.000 € im Jahr angehoben sowie die Ehrenamtspauschale von 720 € auf 840 €. Diese Beträge gelten ab 2021.
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Das BMF hat angeordnet, dass es gemeinnützigkeitsrechtlich nicht beanstandet wird, wenn die Übungsleiterpauschale weiterhin geleistet wird, obwohl eine Ausübung der Tätigkeit aufgrund der Corona-Krise (zumindest zeitweise) nicht mehr möglich ist.89) Das BMF-Schreiben vom 9.4.202090) wurde zunächst bis zum 31.12.2021 bzw. 31.12.2022 verlängert.91) Derzeit gilt es für alle Maßnahmen, die bis zum 31.12.2023 durchgeführt werden.92)
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Darüber hinaus sollte erwogen werden, die Übungsleiterpauschale auch in den Fällen zur Anwendung zu bringen, in denen Personen, die nicht mehr im aktiven Berufsleben stehen oder einer anderen Tätigkeit nachgehen, aufgrund ihrer Qualifikation im Umfang bis zu 2.400 € im Jahr Einnahmen aus nebenberuflichen Pflegetätigkeiten erzielen.
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e) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 28a EStG Gemäß § 3 Nr. 28a EStG werden durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.202093) Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld und SaisonKurzarbeitergeld, soweit sie mit dem Kurzarbeitergeld 80 % des Unterschiedsbetrags zwischen dem Soll-Entgelt und dem Ist-Entgelt nach § 106 SGB III nicht übersteigen und sie für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 29.2.2020 beginnen und vor dem 1.1.2022 enden, geleistet werden, steuerfrei (verlängert durch das Jahressteuergesetz 2020 (JStG) vom 21.12.202094).
_____________ 88) BGBl. I 2020, 3096 ff. Vgl. Bolik/Kindler/Bossmann, StuB 2021, 102 ff.; Pelke, BB 2021, 343 ff. 89) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 4 – S 2223/19/10003:003 (DOK 2020/0308754), BStBl. I 2020, 498. Der zeitliche Anwendungsbereich wurde mit BMF-Schreiben v. 15.12.2021 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2021/1258425), BStBl. I 2021, 2476, für alle Maßnahmen verlängert, die bis zum 31.12.2022 durchgeführt werden. 90) BStBl. I 2020, 498. Der zeitliche Anwendungsbereich wurde mit BMF-Schreiben v. 15.12.2021 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2021/1258425), BStBl. I 2021, 2476, für alle Maßnahmen verlängert, die bis zum 31.12.2022 durchgeführt werden. 91) BMF-Schreiben v. 18.12.2020 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006, BStBl. I 2021, 57. Der zeitliche Anwendungsbereich wurde mit BMF-Schreiben v. 15.12.2021 – IV C 4 – S 2223/ 19/10003:006 (DOK 2021/1258425), BStBl. I 2021, 2476, für alle Maßnahmen verlängert, die bis zum 31.12.2022 durchgeführt werden. 92) BMF-Schreiben v.12.12.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2022/1220871), BStBl. I 2022, 1677. 93) BGBl. I 2020, 1385. 94) BGBl. I 2020, 3096 ff. Vgl. Bolik/Kindler/Bossmann, StuB 2021, 102 ff.; Pelke, BB 2021, 343 ff.
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Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.202295) wurde der Zeitraum für die Gewährung steuerfreier „Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld und Saison-Kurzarbeitergeld, soweit sie zusammen mit dem Kurzarbeitergeld 80 % des Unterschiedsbetrags zwischen dem Soll-Entgelt und dem Ist-Entgelt nach § 106 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch nicht übersteigen und sie für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 29.2.2020 beginnen und vor dem 1.7.2022 enden, geleistet werden“ verlängert.
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Diese Zuschüsse unterliegen gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. g EStG dem Progressionsvorbehalt. f)
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Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 34a EStG
Schließlich kommt noch die Steuerbefreiung aus § 3 Nr. 34a EStG in Betracht. Sie gilt zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn für erbrachte Leistungen des Arbeitgebers an ein Dienstleistungsunternehmen, das den Arbeitnehmer hinsichtlich der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen berät oder hierfür Betreuungspersonal vermittelt. Dies kann einschlägig sein, wenn der Arbeitgeber solche Zahlungen erbringt und damit erreicht, dass der Arbeitnehmer trotz familiärer Betreuungsverpflichtungen seine Arbeitsleistung ganz oder zumindest teilweise wieder erbringen kann. g) Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 72 EStG
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Durch das Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.202296) folgende Regelung im Zusammenhang mit der Photovoltaik eingeführt:
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Steuerfrei sind: „72. Die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb von auf, an oder in Einfamilienhäusern (einschließlich Nebengebäuden) oder nicht Wohnzwecken dienenden Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 30 kW (peak) und von auf, an oder in sonstigen Gebäuden vorhandenen Photovoltaikanlagen mit einer installierten Bruttoleistung laut Marktstammdatenregister von bis zu 15 kW (peak) je Wohn- oder Gewerbeeinheit,
insgesamt höchstens 100 kW (peak) pro Steuerpflichtigen oder Mitunternehmerschaft. Werden Einkünfte nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist kein Gewinn zu ermitteln. In den Fällen des Satzes 2 ist § 15 Absatz 3 Nummer 1 nicht anzuwenden.“ 87
Damit entfällt ab 2022 (§ 52 Abs. 4 EStG) die Notwendigkeit einer Gewinnermittlung sowie die gewerbliche Infektion nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG.97) _____________ 95) BGBl. I 2022, 911. 96) Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294. Vgl. Perschon, Stbg 2023, 47, 49; Schulze zur Wiesche, StBp 2023, 59 ff. 97) Vgl. zur Einkunftserzielungsabsicht: BMF-Schreiben vom 2.6.2021 – IV C 6 – S 2240/19/ 10006:006, BStBl. I 2021, 722; BMF-Schreiben vom 29.10.2021 – IV C 6 – S 2240/19/ 10006:006, BStBl. I 2021, 2202.
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Steuerrecht
Investitionsabzugsbeträge, die nach § 7g Abs. 1 EStG in Vorjahren gebildet worden sind, können für Photovoltaikanlagen, die ab 2023 in Anspruch genommen werden, daher nicht mehr in Anspruch genommen werden. Sie sind nach § 7g Abs. 3 EStG im Jahr der Bildung rückgängig zu machen.98)
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Nach der bisherigen Rechtslage waren Verluste aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage lediglich bei Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht steuerlich zu berücksichtigen. Besonderheiten bei dem Betrieb einer Photovoltaikanlage gelten insoweit nicht, so dass zunächst in objektiver Hinsicht eine Prognose darüber anzustellen ist, ob der Betrieb nach seinem Wesen und der Art seiner Bewirtschaftung auf Dauer geeignet ist, einen Gewinn zu erwirtschaften. Ist diese Prognose negativ, so ist weiter zu prüfen, ob die verlustbringende Tätigkeit typischer Weise dazu bestimmt und geeignet ist, der Befriedigung persönlicher Neigungen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkünftesphäre zu dienen (sog. „Hobbybereich“). Ist der „Hobbybereich“ nicht berührt, so müssen zusätzliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Verluste aus persönlichen Gründen oder Neigungen hingenommen werden.99) Weiterhin konstatiert der BFH, dass eine verlustbehaftete Betätigung, die vordergründig nicht von einem erwerbswirtschaftlichen, sondern einem – wenn auch äußerst gewichtigen – idealistischen Motiv des Steuerpflichtigen getragen wird, ist dies mit der Gewinnerzielungsabsicht nicht in Einklang zu bringen.100) Im Ergebnis schließt daher der dauerdefizitäre Betrieb einer Photovoltaikanlage die bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG erforderliche Gewinnerzielungsabsicht aus, wenn die Hinnahme der Verluste auf dem Motiv des Steuerpflichtigen beruht, durch die emissionsfreie Erzeugung von Strom für das öffentliche Netz einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
89
Die ertragsteuerliche und gewerbesteuerliche Behandlung von Photovoltaikanlagen nach dem Rechtsstand vor Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2022 behandelt das Landesamt für Steuern Niedersachsen.101)
90
3.
Energiepreispauschale
Durch das Steuerentlastungsgesetz 2022 vom 23.5.2022102) wurde u. a. die Energiepreispauschale (EPP) eingeführt. Der Anspruch auf Energiepreispauschale entsteht gemäß § 114 EStG am 1.9.2022 und beträgt gemäß § 112 Abs. 2 EStG 300 €. Die Energiepreispauschale ist gemäß § 112 Abs. 1 EStG steuerpflichtig. Sie setzt gemäß § 117 Abs. 1 EStG voraus, dass ein Arbeitnehmer am 1.9.2022 in einem gegenwärtigen ersten Dienstverhältnis steht und entweder in die Steuerklasse eingereiht ist oder pauschal besteuerten Arbeitslohn bezieht. _____________ 98) Vgl. Perschon, Stbg 2023, 47, 51. 99) So BFH, Beschl. v. 16.11.2022 – X B 46/22, DStRE 2022, 17 mit Anm. Gehm = BFH/NV 2023, 118 = AgrB 2023, 26 mit Anm. Spils ad Wilken = EnWG 2023, 44 Rz. 14. Vgl. dazu Schulze zur Wiesche, StBp 2023, 59, 61. 100) So BFH, Beschl. v. 16.11.2022 – X B 46/22, Rz. 17. 101) S. LfSt Niedersachsen, Verfügung v. 7.11.2022 – S 2240-St- 222/St 221/2473/2022, BeckVerw 576941. 102) BGBl. I 2022, 749.
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Steuerrecht
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Zunächst unterlag die EPP der Pfändung103) und konnte daher von der Finanzverwaltung auch aufgerechnet werden. Zum Teil wurde die EPP von den Insolvenzgerichten wegen unbilliger Härte gemäß § 765a ZPO aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben.104) Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern fallen in die Zuständigkeit der Finanzgerichte und nicht der Arbeitsgerichte.105) Durch das Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022106) wurde geregelt, dass die EPP in Höhe des in § 112 Abs. 2 EStG genannten Betrages unpfändbar ist.107) Vor Inkrafttreten des § 112 Abs. 2 EStG unanfechtbar gewordene Pfändungen werden durch die Neuregelung nicht berührt.108) Die EPP ist auch von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO erfasst.109)
93
Die durch das Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale an Renten- und Versorgungsbeziehende und zur Erweiterung des Übergangsbereichs vom 7.11.2022110) eingeführte Energiepreispauschale ist gemäß § 4 Abs. 2 RentEPPG111) unpfändbar.112) Dies gilt gemäß § 3 Abs. 2 VEPPGewG113) auch bei Versorgungsempfängern. Die EPP wird sozialrechtlich nicht als Einkommen berücksichtigt (§ 4 Abs. 1 RentEPPG, § 3 Abs. 1 VEPPGewG) und unterliegt nicht der Pfändung (§ 4 Abs. 2 RentEPPG, § 3 Abs. 2 VEPPGewG).
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Zudem wurde die EPP auch auf Studenten erstreckt. Gemäß § 4 Abs. 2 EPPSG (Studierenden-Energiepreispauschalengesetz)114) ist die EPP bei Studenten nicht pfändbar.
_____________ 103) S. LG Wuppertal, Beschl. v. 26.10.2022 – 16 T 148/22, JurBüro 2022, 608; AG Aschaffenburg, Beschl. v. 7.11.2022 – 654 IK 298/21, ZRI 2022, 981 = NZI 2022, 944; AG Osnabrück, Beschl. v. 10.10.2022 – 27 IK 6/22, ZVI 2022, 480 ff.; AG Wolfratshausen, Beschl. v. 20.10.2022 – IK 130/21, NZI 2023, 137 = InsbürO 2023, 47; AG Lübeck, Beschl. v. 15.9.2022 – 46 IK 75/18, ZInsO 2022, 2494, AG Norderstedt, Beschl. v. 15.9.2022 – 66 IN 90/19, ZRI 2022, 872 = NZI 2022, 869 mit Anm. Ahrens; Wipperfürth, ZInsO 2022, 1665 ff. 104) So AG Köln, Beschl. v. 2.11.2022 – 70h IK 181/22, NZI 2023, 28 f. = Verbraucherinsolvenz aktuell 2023, 13 f. mit Anm. Riefling; AG Lüneburg, Beschl. v. 15.9.2022 – 46 IK 75/18, NZI 2023, 29 f. = Verbraucherinsolvenz aktuell 2023, 14 f. mit Anm. Ahrens. 105) So ArbG Lübeck, Beschl. v. 1.12.2022 – 1 Ca 1849/22, BB 2023, 115 [LS]. 106) Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294 ff. 107) Vgl. LG Hildesheim, Beschl. v. 30.12.2022 – 6 T 63/22, NZI 2023, 83 f. = Verbraucherinsolvenz aktuell 2023, 20 ff. mit Anm. Büttner. 108) Differenzierend: Ahrens, NZI 2023, 57, 61; Wipperfürth, ZInsO 2023, 73 ff. 109) S. LG Deggendorf, Beschl. v. 12.10.2022 – 12 T 129/22, ZVI 2023, 80 ff. = NZI 2023, 269 ff. 110) BGBl. I 2022, 1985. 111) Gesetz zur Zahlung einer Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner. 112) Vgl. LG Hildesheim, Beschl. v. 30.12.2022 – 6 T 63/22, NZI 2023, 83 f. = Verbraucherinsolvenz aktuell 2023, 20 ff. mit Anm. Büttner. 113) Gesetz über die Gewährung einer einmaligen Energiepreispauschale an Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger des Bundes. 114) Gesetz zur Zahlung einer einmaligen Energiepreispauschale für Studierenden, Fachschülerinnen und Fachschüler sowie Berufsfachschülerinnen und Berufsfachschüler in Bildungsgängen mit dem Ziel eines mindestens zweijährigen berufsqualifizierenden Abschlusses v. 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2357 ff.
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Steuerrecht
Um unnötigen Bürokratieaufwand infolge einer verpflichtenden nachträglichen Korrektur des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG) zu vermeiden, bestehen nach Auffassung des BMF mit Schreiben vom 16.11.2022 im Hinblick auf die kurz vor der endgültigen Verabschiedung stehende gesetzliche Regelung keine Bedenken, „wenn Arbeitgeber die Energiepreispauschale für Versorgungsbeziehende bereits bei Auszahlung dem Lohnsteuerabzug unterwerfen. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Energiepreispauschale für Versorgungsbeziehende als Einnahme nach § 19 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen ist, –
nicht als Sonderzahlung im Sinne von § 19 Absatz 2 Satz 4 EStG gilt, jedoch als regelmäßige Anpassung des Versorgungsbezugs im Sinne von § 19 Absatz 2 Satz 9 EStG,
–
bei der Berechnung einer Vorsorgepauschale nach § 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe b und c EStG nicht zu berücksichtigen ist
–
und die §§ 3 und 24a EStG bei der Lohnbesteuerung nicht anzuwenden sind.“
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Die Ausführungen des BMF-Schreibens vom 16.11.2022 galten entsprechend für vergleichbare Leistungen zum Ausgleich gestiegener Energiepreise nach Landesrecht. Das BMF-Schreiben galt ab dem 16.11.2022 bis zum 31.12.2022.115)
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Ebenfalls der Entlastung der Letztverbraucher dient das als Art. 3 des Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2023 und über eine Softhilfe für Letztverbraucher von leitungsgebundenem Erdgas und Kunden von Wärme vom 15.11.2023116) verkündete Gesetz über eine Soforthilfe für Letztverbraucher von leitungsgebundenem Erdgas und Kunden von Wärme.117)
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4.
Sanierungserträge
Gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG sind Sanierungserträge steuerfrei. Ein Sanierungsertrag setzt eine unternehmensbezogene Sanierung i. S. von § 3a Abs. 2 EStG voraus. Diese liegt vor, wenn der Steuerpflichtige für den Zeitpunkt des Schuldenerlasses die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger nachweist. Im Zuge der COVID-19-Pandemie wird eine Vielzahl von Sanierungsfällen auftreten, in denen jeweils die Anwendbarkeit von § 3a EStG zu prüfen sein wird.118)
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Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022119) wurde § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 12 EStG dahin neugefasst, dass der nichtabziehbare
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_____________ 115) S. BMF-Schreiben v. 16.11.2022 – IV C 5 – S 1901/22/10009:003, DOK 2022/1136627, BStBl. I 2022, 1530. 116) BGBl. I 2023, 2035. 117) Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz (EWSG) vom 15.11.2022, BGBl. I 2022, 2051. Vgl. dazu Horstmann, DStR 2023, 481 ff. 118) Vgl. zu den Einzelheiten: Uhländer, DB 2020, 17 ff.; Uhländer in: Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 1379 ff.; Schmittmann in: K. Schmidt, InsO, Anh. Steuerrecht, Rz. 157; Schmittmann, Der Gemeindehaushalt 2019, 36 ff. 119) BGBl. I 2022, 911. Vgl. Dorn/Becker, DB 2022, 1538; Patek, BB 2022, 2668 ff.
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Steuerrecht
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Betrag nach § 3a Abs. 3 Satz 1 EStG ungeachtet der Beträge des § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG die negativen Einkünfte nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG des Folgejahrs und die negativen Einkünfte nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG des zweiten Folgejahrs mindert. Ein Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG ist nur möglich, soweit die Beträge nach § 10d Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG durch den verbleibenden Sanierungsertrag im Sinne des Satzes 4 nicht überschritten werden. 5. 100
Gewinnermittlung
Im Rahmen des Gewinnbegriffs gemäß § 4 EStG ist zwischen dem sog. „Betriebsvermögensvergleich“ gemäß § 4 Abs. 1 EStG und der sog. „Einnahme-ÜberschussRechnung“ gemäß § 4 Abs. 3 EStG zu unterscheiden.120) a) Behandlung von Corona-Zuschüssen bzw. Corona-Beihilfen
101
Unabhängig von der Art der Gewinnermittlung stellt sich die Frage der Behandlung der Zuschüssen und Beihilfen aus öffentlichen Kassen. Diese sind als Betriebseinnahmen zu erfassen und wirken sich daher auf den Gewinn aus. Die CoronaZuschüsse sind bei Ermittlung des Gewinns nach § 4 Abs. 1 EStG ggf. i. V. m. § 5 EStG (E-Bilanz) oder nach § 4 Abs. 3 EStG (Anlage EÜR) als steuerpflichtige Betriebseinnahmen zu erfassen. Bei der Gewinnermittlung nach § 13a EStG sind die Corona-Zuschüsse mit dem Grundbetrag abgegolten.121)
102
Eine Auswirkung auf die Einkommensteuer ergibt sich allerdings nur, wenn ein Gewinn erzielt wird. Lediglich Steuerpflichtige, die im Veranlagungszeitraum 2020 einen Gewinn erwirtschaften, werden auf die Zuschüsse und Beihilfen Einkommensteuer zahlen müssen. b) Betriebsausgaben
103
Hinsichtlich des „Homeoffice“122) ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung die Betriebsausgaben nicht mindern dürfen. Dies gilt freilich nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt. Die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
104
Es wird also danach zu differenzieren sein, ob der Arbeitgeber es dem Arbeitnehmer lediglich freistellt, während der COVID-19-Pandemie zu Hause zu arbeiten oder er den Arbeitgeber ausdrücklich – arbeitsrechtliche Aspekte bleiben hier außer Betracht123) – anweist, in den nächsten Wochen zu Hause zu arbeiten.124) _____________ 120) S. Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, S. 15. 121) S. BMF, https://www.elster.de/eportal/helpGlobal?themaGlobal=help%5Fest%5Fufa%5F1 0%5F2020#c0615 (abgerufen am 1.6.2023). 122) Vgl. umfassend: Nolte/Cremer/Kanzler, Homeoffice und das häusliche Arbeitszimmer, 2021; Haupt, DStR 2023, 601 ff. 123) Vgl. dazu: Dellner, NWB 2020, 3060 ff.; Frank/Heine, BB 2021, 248 ff.; Löwisch/Kurz, BB 2020, 2804 ff.; Müller, BB 2021, 372 ff.; Suwelack, ZD 2021, 171 ff. 124) Vgl. Köstler, AStW 2020, 318 ff.; Schäfer, StuB 2020, 417 ff.
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Steuerrecht
Der Arbeitnehmer sollte sich zweckmäßiger Weise vom Arbeitgeber schriftlich anweisen lassen, zu Hause zu arbeiten, damit er gegenüber der Finanzverwaltung nachweisen kann, dass ihm ein Arbeitsplatz außerhalb der Wohnung nicht zur Verfügung gestanden hat.
105
Eine Vereinfachung ist durch das Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) vom 21.12.2020125) erfolgt. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 4 EStG gilt:
106
„Liegt kein häusliches Arbeitszimmer vor oder wird auf einen Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach den Sätzen 2 und 3 verzichtet, kann der Steuerpflichtige für jeden Kalendertag, an dem er seine betriebliche oder berufliche Tätigkeit ausschließlich in der häuslichen Wohnung ausübt und keine außerhalb der häuslichen Wohnung belegene Betätigungsstätte aufsucht, für seine gesamte betriebliche und berufliche Betätigung einen Betrag von 5 Euro abziehen, höchstens 600 Euro im Wirtschafts- oder Kalenderjahr.“
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022126) wurde für die Regelung bis zum 31.12.2022 verlängert. Durch das Jahressteuergesetz 2022127) in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG und Nr. 6c eine Neuregelung eingeführt:
107
Folgende Betriebsausgaben dürfen den Gewinn nicht mindern:
108
„6b. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung. 2Dies gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. 3Anstelle der Aufwendungen kann pauschal ein Betrag von 1 260 Euro (Jahrespauschale) für das Wirtschafts- oder Kalenderjahr abgezogen werden. 4Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 2 nicht vorliegen, ermäßigt sich der Betrag von 1 260 Euro um ein Zwölftel;“ und „6c. für jeden Kalendertag, an dem die betriebliche oder berufliche Tätigkeit überwiegend in der häuslichen Wohnung ausgeübt und keine außerhalb der häuslichen Wohnung belegene erste Tätigkeitsstätte aufgesucht wird, kann für die gesamte betriebliche und berufliche Betätigung ein Betrag von 6 Euro (Tagespauschale), höchstens 1 260 Euro im Wirtschafts- oder Kalenderjahr, abgezogen werden. 2Steht für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, ist ein Abzug der Tagespauschale zulässig, auch wenn die Tätigkeit am selben Kalendertag auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt wird. 3Der Abzug der Tagespauschale ist nicht zulässig, soweit für die Wohnung Unterkunftskosten im Rahmen der Nummer 6a oder des § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 5 abgezogen werden können oder soweit ein Abzug nach Nummer 6b vorgenommen wird.“
Der Steuerpflichtige sollte im Einzelfall prüfen, ob die auf 600 € begrenzte Pauschale oder die konkrete Ermittlung, die auf 1.250 € begrenzt ist, günstiger ist.
_____________ 125) BGBl. I 2020, 3096 ff. Vgl. Bolik/Kindler/Bossmann, StuB 2021, 102 ff.; Pelke, BB 2021, 343 ff. 126) BGBl. I 2022, 911. 127) Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294 ff.; Haupt, DStR 2023, 601 ff.
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Steuerrecht
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110
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022128) wurde das Abzinsungsverbot für Verbindlichkeiten aufgehoben (§§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG i. V. m. § 52 Abs. 12 Satz 2 und 3 EStG). Die Regelung gilt auf Antrag für alle Wirtschaftsjahre, soweit die betroffenen Veranlagungen nicht bestandskräftig sind. Die Regelung soll auf die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in 2020 und 2021 gewährten zinslosen Anleihen und unverzinslichen Überbrückungshilfen anwendbar sein. Bilanzänderungen sollen ungeachtet des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG in allen nicht bestandskräftig veranlagten Jahren zulässig sein.129)
111
Zu den Aufwendungen für Klimaschutzmaßnahmen hat das LfSt Niedersachsen Stellung genommen: Ob Aufwendungen für Klimaschutzmaßnahmen als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG berücksichtigt werden können, bedarf einer differenzierten Betrachtung. Aufwendungen zur CO²-Kompensation, z. B. Aufwendungen für die Wiederaufforstung von Wäldern durch die Stilllegung von Emissionsminderungsgutschriften, können betrieblich veranlasst sein und somit zu einem Betriebsausgabenabzug führen. Nach Auffassung des Landesamtes für Steuern Niedersachsen ist über die betriebliche Veranlassung unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles zu entscheiden, wobei folgende wesentliche Prüfkriterien zu berücksichtigen sind,
112
–
ob die Aufwendungen betrieblich veranlasst sind,
–
ob den Aufwendungen Verträge zwischen fremden Dritten oder nahestehenden Personen zu Grunde liegen,
–
wem die Aufwendungen zufließen (Vorteilseignung) und
–
ob die Aufwendungen nach den betrieblichen Verhältnissen und in Relation zu dem zu erwartenden betrieblichen Nutzen angemessen oder unverhältnismäßig hoch sind.
Für eine betriebliche Veranlassung spricht, wenn die Aufwendungen mit der betrieblichen Zielsetzung getragen werden, den eigenen unternehmerischen CO²Fußabdruck zu legalisieren, und dies auch werbewirksam so in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Dem steht nicht entgegen, dass das Engagement aus privater Motivation des Steuerpflichtigen resultiert. In diesen Fällen soll die private (Mit)Veranlassung durch den betrieblichen Kontext überlagert und verdrängt werden, es sei denn, dass die Aufwendungen nicht an die betrieblichen Emissionen geknüpft waren, sondern beispielsweise an den privaten Energieverbrauch der steuerpflichtigen Person. Die Abzugsbeschränkungen gemäß § 4 Abs. 5 EStG sind zu beachten. Geschenke i. S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG können z. B. vorliegen, wenn eine unentgeltliche Zuwendung an einen Dritten erfolgt, was allerdings nicht gegeben ist, wenn die steuerpflichtige Person belegen kann, dass eine konkrete Gegenleistung, z. B. eine Aufforstung, durchgeführt worden ist. Ein Fall des unangemessenen Repräsentationsaufwandes gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG kann vorliegen, _____________ 128) BGBl. I 2022, 911. 129) So Landesamt für Steuern Sachsen, Schreiben vom 22.6.2022 – 211 – S 2175/15/1-2022/ 36534, DStR 2022, 1869.
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wenn eine ordentliche und gewissenhafte steuerpflichtige Person angesichts der erwarteten Vorteile und Kosten die Aufwendungen nicht auf sich genommen hätte, wobei die Größe des Unternehmens, die Höhe des längerfristigen Umsatzes und des Gewinns zu berücksichtigen sind.130) c) Werbungskosten Bei Arbeitnehmern sind Besonderheiten i. R. der Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, also der Aufwendungen die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen, zu berücksichtigen sind.
113
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Der Arbeitnehmer, der seine Arbeitsleistung vorübergehend von seiner Wohnung aus erbringt (sog. „Homeoffice“) hat bei der Anfertigung seiner Steuererklärung darauf zu achten, dass er diese Tage nicht versehentlich bei der Ermittlung der Fahrtkosten berücksichtigt.
114
Ob die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für die Anschaffung von FFP2-Masken oder sog. Medizinischen Masken als Werbungskosten anerkannt werden können, ist streitig. Nach Auffassung des Bayerischen Landesamtes sind Aufwendungen für den Erwerb von Schutzmasken durch Privatpersonen in der Regel zu den Kosten der privaten Lebensführung i. S. des Einkommensteuerrechts zu zählen und daher grundsätzlich durch den Grundfreibetrag131) abgegolten. Von der gegenwärtigen Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes seien in der Regel alle Menschen in gleicher Weise betroffen. Ein Abzug als „außergewöhnliche Belastung“, unter die sonst ggf. auch durch einen Arzt verordnete medizinische Hilfsmittel für Einzelne, wie Hörgeräte, fallen können, sei deshalb nicht möglich. Ein MundNasen-Schutz könne sowohl im beruflichen Alltag als auch privat, zum Beispiel beim Einkaufen getragen werden, erklärt das Landesamt für Steuern. „Eine Trennung zwischen beruflicher und privater Sphäre ist daher im Allgemeinen nicht zweifelsfrei möglich, sodass auch ein Abzug als Werbungskosten ausscheidet.“132) Andere Stimmen befürworten eine steuerliche Anerkennung;133) insbesondere wenn der Arbeitgeber das Tragen der Maske verlangt.134)
115
d) Bewertung Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020135) _____________ 130) So Landesamt für Steuern Niedersachsen, Vfg. v. 3.2.2022 – S 2144 – 310 – St 226, DStR 2022, 839. 131) Der Grundfreibetrag wurde durch das Zweite Familienentlastungsgesetz vom 1.12.2020, BGBl. I 2020, 2616, auf 9.984 € festgesetzt und durch das Steuerentlastunsgesetz 2022 v. 23.5.2022, BGBl. I 2022, 749, rückwirkend zum 1.1.2022 auf 10.347 € erhöht. 132) Vgl. Bayerischer Rundfunk, https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/ffp2-pflicht-koennenmasken-steuerlich-abgesetzt-werden,SMQtKtU. Ebenso OFD Frankfurt am Main, Verfügung vom 23.6.2021 – S 2500 A – 213 – St 214. 133) S. Moser, FR 2021, 97 ff. 134) S. Strecker, kösdi 2021, 22367, 22375. 135) BGBl. I 2020, 1512.
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Steuerrecht
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wurde für Kraftfahrzeuge eine Sonderregelung geschaffen. Gemäß § 6 Abs. 1 EStG sind für die Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter, die nach § 4 Abs. 1 EStG oder nach § 5 EStG als Betriebsvermögen anzusetzen sind, gesetzliche Bewertungsregeln. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG sind Entnahmen des Steuerpflichtigen für sich, für seinen Haushalt oder für andere betriebsfremde Zwecke mit dem Teilwert anzusetzen. Sonderregelungen gelten für Kraftfahrzeuge. Grundsätzlich ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs, das zu mehr 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises zum Zeitpunkt der Erstzulassung zzgl. der Kosten für Sonderausstattungen einschl. Umsatzsteuer anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG; sog. „Ein-Prozent-Regelung“). 117
Zur Förderung der Elektromobilität gelten für Fahrzeuge mit Antrieb ausschließlich durch Elektromotoren, die ganz oder überwiegend aus mechanischen oder elektrochemischen Energiespeichern oder aus emissionsfrei betriebenen Energiewandlern gespeist werden (Elektrofahrzeuge), oder von extern aufladbaren HybridElektrofahrzeugen, Sonderregelungen. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Nr. 3 EStG sind bei Anschaffung nach dem 31.12.2018 und vor dem 1.1.2031 die Listenpreise dieser Kraftfahrzeuge nur zu einem Viertel anzusetzen, wenn das Kraftfahrzeug keine Kohlendioxidemissionen je gefahrenen Kilometer hat und ein bestimmter Brutto-Listenpreis des Fahrzeuges nicht überschritten wird. Dieser Betrag wurde im Rahmen der Corona-Gesetzgebung von 40.000 € auf 60.000 € erhöht. Dies gilt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG auch für die Ermittlung der auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen, wenn die durch das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden. e) Abschreibung
118
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020136) wurden auch Regelungen zur Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung (§ 7 EStG; „Abschreibung“) geändert. Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- und Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt, § 7 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Bei beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nach dem 31.12.2019 und vor dem 1.1.2022 angeschafft oder hergestellt worden sind, kann der Steuerpflichtige gemäß § 7 Abs. 2 EStG statt der Absetzung für Abnutzung in gleichen Jahresbeträgen („lineare Afa“) die Absetzung für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen („degressive Afa“) bemessen. Die Absetzung für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen kann nach einem unveränderlichen Prozentsatz vom jeweiligen Buchwert (Restwert) vorgenommen werden; der dabei anzuwendende Prozentsatz darf höchstens das Zweieinhalbfache des bei der Absetzung oder Abnutzung in gleichen Jahresbeträgen in Betracht kommenden Prozentsatzes betragen und 25 % nicht übersteigen. _____________ 136) BGBl. I 2020, 1512.
300
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Bei Wirtschaftsgütern, bei denen die Abschreibung für Abnutzung in fallenden Jahresbeträgen (sog. „degressive AfA“) bemessen wird, sind gemäß § 7 Abs. 2 Satz 4 EStG Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzungen nicht zulässig.
119
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022137) wurde die degressive AfA für die Anschaffung oder Herstellung von beweglichen Wirtschaftsgütern bis zum 31.12.2022 verlängert.
120
Im Jahr der Anschaffung oder Herstellung des Wirtschaftsguter ist jeweils ein Zwölftel für jeden Monat anzusetzen, der dem Monat der Anschaffung oder Herstellung vorangeht, § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG i. V. m. § 7 Abs. 2 Satz 3 EStG.
121
Unter Hinweis auf die Digitalisierung hat das Bundesministerium der Finanzen138) konstatiert, dass Computerhardware sowie die für die Dateneingabe und Datenverarbeitung erforderliche Betriebs- und Anwendersoftware auf Grund des raschen technischen Fortschritts einen immer schnelleren Wandel unterliege. Daher werde für Wirtschaftsgüter, die als „Computerhardware“ anzusehen sind, in Zukunft eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer i. S. des § 7 Abs. 1 EStG von einem Jahr zu Grunde gelegt. Die Wirtschaftsgüter, die als „Computerhardware“ gelten, sind im Einzelnen definiert.
122
Weiterhin wird auch für die immateriellen Wirtschaftsgüter „Betriebs- und Anwendersoftware“ eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr zu Grunde gelegt, wobei unter den Begriff „Software“ die Betriebs- und Anwendersoftware zur Dateneingabe und Datenverarbeitung verstanden werden. Ebenfalls unter diesen Begriff fallen die nichttechnisch physikalischen Anwendungsprogramme eines Systems zur Datenverarbeitung sowie neben Standardanwendungen auch auf die individuelle Nutzung abgestimmte Anwendungen wie ERP-Software, Software für Warenwirtschaftssysteme oder sonstige Anwendungssoftware zur Unternehmensverwaltung oder Prozessteuerung.
123
Die Neuregelung findet erstmals Anwendung in Gewinnermittlungen für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2020 enden. Handelt es sich um Wirtschaftsgüter des Privatvermögens, die zur Einkünfteerzielung verwendet werden, gilt die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 2021 entsprechend.
124
f)
Verlustabzug
Besonderheiten ergeben sich beim Verlustabzug gemäß § 10d EStG. Gemäß § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG konnten bislang negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des gesamten Betrages der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, nur bis zu einem Betrag von 1 Mio. € vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums abgezogen werden (Verlustrücktrag)139). Im Hinblick darauf, _____________ 137) BGBl. I 2022, 911. 138) S. BMF-Schreiben v. 26.2.2021 – IV C 3 – S 2190/21/10002:013 (DOK2021/0231247), BStBl. I 2021, 298 ff. mit Anm. Kubik, BB 2021, 753. Vgl. Bolik/Reifarth-Belli/Mayer, StuB 2021, 266 ff. 139) Vgl. Morawitz, DStR 2020, 914, 915 ff.
Schmittmann
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Steuerrecht
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dass zu erwarten ist, dass zahlreiche Steuerpflichtige Verluste erleiden werden, die diese Größenordnung übersteigen, hat das BMF angeordnet, dass die Vorauszahlungen für 2019 unter Berücksichtigung des pauschal ermittelten Verlustrücktrag aus 2020 neu zu berechnen und festzusetzen sind: „Ergibt sich im Rahmen der Einkommen- oder Körperschaftsteuerveranlagung für 2020 ein Verlustrücktrag gemäß § 10d Absatz 1 Satz 1 EStG, entfällt insoweit die bisher festgesetzte und gestundete Nachzahlung für 2019. Ergibt sich bei der Veranlagung für 2020 kein Verlustrücktrag nach 2019, ist die bislang geschuldete Nachzahlung für 2019 innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides für 2020 zu entrichten. Entsprechendes gilt, wenn auf einen Verlustrücktrag nach 2019 gemäß § 10d Absatz 1 Satz 5 EStG ganz verzichtet wurde.“140)
126
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020141) wurde in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG die Angabe „1 000 000 Euro“ durch die Angabe „5 000 000 Euro“ und die Angabe „2 000 000 Euro“ durch die Angabe „10 000 000 Euro“ ersetzt.
127
Durch das Dritte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 10.3.2021142) (Drittes Corona-Steuerhilfegesetz) wurde der steuerliche Verlustrücktrag für die Jahre 2020 und 2021 nochmals erweitert und auf 10 Mio. € (bei Einzelveranlagung) bzw. 20 Mio. € (bei Zusammenveranlagung) angehoben (§ 10d Abs. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 18b EStG).
128
Das BMF hat mit Schreiben vom 7.12.2021 eine weitere Verlängerung der verfahrensrechtlichen Steuererleichterungen angeordnet:143) „3. Anpassung von Vorauszahlungen im vereinfachten Verfahren Die nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen Steuerpflichtigen können bis zum 30. Juni 2022 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Anpassung der Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer 2021 und 2022 stellen. Bei der Nachprüfung der Voraussetzungen sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Diese Anträge sind nicht deshalb abzulehnen, weil die Steuerpflichtigen die entstandenen Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können.“
129
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022144) wurde die Bestimmung des § 10d Abs. 1 EStG neugefasst: „1Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind bis zu einem Betrag von 10 000 000 Euro, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 20 000 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag). 2Soweit ein Aus-
_____________ 140) So BMF-Schreiben v. 24.4.2020 – IV C 8 – S 2225/20/10003:010 (DOK 2020/0414862), BStBl. 2020, 496. 141) BGBl. I 2020, 1512. 142) BGBl. I 2021, 330 f. 143) So BMF-Schreiben v. 7.12.2021 – IV A 3 – S 0336/20/10001:045 (DOK 2021/1267982). 144) BGBl. I 2022, 911.
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gleich der negativen Einkünfte nach Satz 1 nicht möglich ist, sind diese vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen. 3Dabei wird der Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums und des zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraums um die Begünstigungsbeträge nach § 34a Absatz 3 Satz 1 gemindert. 4Ist für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder den zweiten dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, so ist er insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist. 5 Das gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist; die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, in dem die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden. 6Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist von der Anwendung des Verlustrücktrags nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt abzusehen.“
Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022145) wurde Art. 97 § 36 Abs. 3 EGAO dahin geändert, dass für die Besteuerungszeiträume 2020 bis 2024 abweichende Abgabefristen für die Steuererklärungen gelten. Weiterhin wurde der Zeitraum zur Anpassung der Vorauszahlungen verlängert.
130
g) Veräußerungsverluste Besonderheiten sind auch i. R. von Veräußerungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften gemäß § 17 EStG zu erwarten. Nach der Neuregelung in § 17 Abs. 2a Satz 3 EStG gehören zu den nachträglichen Anschaffungskosten auch offene oder verdeckte Einlagen, Darlehensverluste, soweit die Gewährung des Darlehens oder das Stehenlassen des Darlehens in der Krise gesellschaftsrechtlich veranlasst war, und Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen, soweit die Hingabe oder das Stehenlassen der betreffenden Sicherheit gesellschaftsrechtlich veranlasst war.146)
131
Im Hinblick darauf, dass gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 COVInsAG die bis zum 30.9.2020 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraums gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraums erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend angesehen wird sowie weitere Erleichterungen für Gesellschafterdarlehen geschaffen worden sind und die Regelungen des § 44a InsO in Insolvenzverfahren, die bis zum 30.9.2023 beantragt werden, keine Anwendung finden (siehe § 2 SanInsKG Rz. 42 [Fritz]), stellt sich die Frage, ob eine Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen i. R. von § 17 Abs. 2a EStG weiterhin gerechtfertigt ist.147)
132
h) Ausfall von Miet- und Pachteinnahmen Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist nach § 21 Abs. 2 EStG zu beachten, dass wenn das Entgelt für die Überlassung einer Wohnung zu Wohnzwe_____________ 145) BGBl. I 2022, 911. 146) Vgl. dazu: Jachmann-Michel, BB 2020, 727 ff.; Ott, DStR 2020, 313 ff.; Schmittmann, DZWiR 2020, 101 ff. 147) Vgl. Wübbelsmann, DStR 2020, 696, 698.
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cken weniger als 50 % der ortsüblichen Marktmiete beträgt, die Nutzungsüberlassung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen ist. Beträgt das Entgelt bei auf Dauer angelegter Wohnungsvermietung mindestens 66 % der ortsüblichen Miete, gilt die Wohnungsvermietung als entgeltlich. 134
Bleiben die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus, was in der COVID19-Pandemie in einer Vielzahl von Fällen gegeben ist, liegen keine Einkünfte vor. Liegt die Ursache dafür in einer finanziellen Notlage des Mieters führt dies nicht zu einer Veränderung bei der Miete.148)
135
Der pandemiebedingte Erlass der Miete oder Pacht führt nicht zum Wegfall der Einkünfteerzielungsabsicht des Vermieters oder Verpächters.149) 6.
136
7. 137
Inflationsausgleich
Durch das Gesetz zum Ausgleich der Inflation durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen (Inflationsausgleichsgesetz – InflAusG) vom 6.12.2022151) hat der Gesetzgeber – ohne konkreten Bezug zur COVID-19-Pandemie oder zum Ukraine-Krieg, aber in engem zeitlichen Zusammenhang – Maßnahmen gegen die Effekte der Inflation, insbesondere die sog. „kalte Progression“ getroffen. Diese setzen bei einer Erhöhung des Grundfreibetrags sowie Anpassungen des Einkommensteuertarifs an. Im Hinblick auf die aktuelle Höhe der Inflation, die vom Statistischen Bundesamt mit 7,2 vom Hundert angegeben wird, aber z. B. bei Nahrungsmitteln 17,2 vom Hundert beträgt,152) sind die entlastenden Wirkungen voraussichtlich nur von kurzer Dauer. 8.
138
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, § 24b EStG
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020150) wurde der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG erhöht. Er beträgt grundsätzlich gemäß § 24b Abs. 2 Satz 1 EStG 1.908 €, wenn ein Kind zum Haushalt gehört. Dieser Betrag erhöht sich für die Kalenderjahre 2020 und 2021 jeweils um 2.100 €.
Anrechnung der Gewerbesteuer
Durch Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020153) wurde die Gewerbesteueranrechnung erhöht. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 EStG wurde bislang das 3,8-fache des Gewerbesteuer-Messetags berücksichtigt. Nunmehr wird das Vierfache des Gewerbesteuer-Messetags angerechnet. _____________ 148) S. OFD Nordrhein-Westfalen, Kurzinformation v. 2.12.2020 – S 2253 – 2020/0025 – St 23, https://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/848269/; vgl. dazu Weiss, EStB 2021, 30 ff. 149) S. OFD Nordrhein-Westfalen, Kurzinformation v. 2.12.2020 – S 2253 – 2020/0025 – St 23, https://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/848269/; vgl. dazu Weiss, EStB 2021, 30 ff. 150) BGBl. I 2020, 1512. 151) BGBl. I 2022, 2230. 152) Statistisches Bundesamt, Preisemitteilung vom 10.5.2023, https://www.destatis.de/DE/ Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/_inhalt.html. 153) BGBl. I 2020, 1512.
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9.
Steuerrecht
Freibetrag bei Arbeitnehmern
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020154) wird die Ermittlung des Freibetrags und des Hinzurechnungsbetrags nach § 39a EStG modifiziert. In den Freibetrag werden nunmehr gemäß § 39a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4a EStG in den Kalenderjahren 2020 und 2021 der Erhöhungsbetrag nach § 24b Abs. 2 Satz 3 EStG einbezogen; für den Erhöhungsbetrag nach § 24b Abs. 2 Satz 3EStG kann auch ohne Antrag des Arbeitnehmers ein Freibetrag ermittelt werden.
139
10. Behandlung von Kurzarbeitergeld Im Rahmen des Kurzarbeitergeldes sind Besonderheiten zu berücksichtigen.
140
„Stocken Organisationen, die nach § 5 Absatz 1 Nummer 9 KStG steuerbegünstigt sind, ihren eigenen Beschäftigten, die sich in Kurzarbeit befinden, das Kurzarbeitergeld aus eigenen Mitteln bis zu einer Höhe von insgesamt 80 % des bisherigen Entgelts auf, werden weder die Mittelverwendung für satzungsmäßige Zwecke noch die Marktüblichkeit und die Angemessenheit der Aufstockung geprüft, wenn die Aufstockung einheitlich für alle Arbeitnehmer erfolgt. […] Das „bisherige Entgelt“ ist dabei das in den drei Monaten vor Einführung der Kurzarbeit durchschnittlich ausgezahlte Nettomonatsgehalt. Bei einer Aufstockung auf über 80 % des bisherigen Entgelts bedarf es einer entsprechenden Begründung, insbesondere zur Marktüblichkeit und Angemessenheit der Aufstockung. Sehen kollektivrechtliche Vereinbarungen des Arbeitsrechts, wie zum Beispiel Tarifverträge, eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vor, reicht für den Nachweis der „Marktüblichkeit und Angemessenheit“ die Vorlage dieser Vereinbarung. Übernehmen kollektivrechtlich nicht gebundene Unternehmen in individuellen Verträgen mit allen Mitarbeitern einheitlich die kollektivrechtlichen Vereinbarungen der Branche zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, dient ein Mustervertrag dem Nachweis der Marktüblichkeit und Angemessenheit. Zudem wird es gemeinnützlichkeitsrechtlich nicht beanstandet, wenn die Ehrenamtsoder Übungsleiterpauschalen weiterhin geleistet werden, obwohl die Ausübung der Tätigkeit aufgrund der Corona-Krise (zumindest zeitweise) nicht mehr möglich ist.“155)
Derzeit gilt es für alle Maßnahmen, die bis zum 31.12.2023 durchgeführt werden.156)
141
Das Kurzarbeitergeld unterliegt gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG dem Progressionsvorbehalt, so dass auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden ist.157) Das Kurzarbeitergeld erhöht den Tarif für das übrige zu versteuernde Einkommen.158) Der Arbeitnehmer
142
_____________ 154) BGBl. I 2020, 1512. 155) So BMF-Schreiben v. 26.5.2020 – IV C 4 – S 0174/19/10002:0083 (DOK 2020/0464239), BStBl. I 2020, 543. Der zeitliche Anwendungsbereich wurde mit BMF-Schreiben v. 15.12.2021 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2021/1258425) für alle Maßnahmen verlängert, die bis zum 31.12.2022 durchgeführt werden. 156) BMF-Schreiben v. 12.12.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2022/1220871), BStBl. I 2022, 1677. 157) S. Jarass, BB 2020, 1111 ff.; Jarass, BB 2020, 1374 ff. 158) Vgl. Köstler, AStW 2020, 318 ff.
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hat ggf. mit einer Nachforderung des Finanzamtes zu rechnen.159) Es sind aber auch geläufige Effekte möglich, insbesondere bei Arbeitnehmern ohne Kinder.160) 143
Das Kinderkrankengeld, das während der Pandemie häufiger als üblich in Anspruch genommen worden ist, ist eine steuerfreie Lohnersatzleistung gemäß § 3 Nr. 1a EStG, die dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b EStG unterliegt. 11. Lohnsteuerabzug und Aufzeichnungspflichten
144
Die Einkommensteuer wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 38 Abs. 1 EStG durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer). Der Arbeitgeber ist gemäß § 41a EStG zur Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer verpflichtet (siehe Rz. 17).
145
Durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2020161) wurden die Aufzeichnungspflichten beim Lohnsteuerabzug nach § 41 EStG modifiziert. Nunmehr sind auch die nach § 3 Nr. 28 EStG steuerfreien Aufstockungsbeträge oder Zuschläge und die nach § 3 Nr. 28a EStG steuerfreien Zuschüsse aufzuzeichnen. Bei Beendigung des Dienstverhältnisses oder am Ende eines Kalenderjahres hat der Arbeitgeber gemäß § 41b Abs. 1 Satz 1 EStG das Lohnkonto abzuschließen. Im Rahmen des Abschlusses des Lohnsteuerabzugs sind nunmehr auch die nach § 3 Nr. 28a EStG steuerfreien Zuschüsse zu übermitteln. Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022162) wurde die Aufzeichnungspflicht auf Zeiträume bis zum 30.6.2022 erstreckt.
146
Führt der Arbeitgeber gemäß § 42b EStG den Lohnsteuer-Jahresausgleich durch, sind nach § 42b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch die nach § 3 Nr. 28a EStG steuerfreien Zuschüsse zu berücksichtigen. 12. Anwendungsvorschriften
147
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020163) wurden auch Anwendungsvorschriften geändert.
148
In § 52 Abs. 12 Satz 2 EStG ist nunmehr geregelt, dass § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 Nr. 3 EStG (Förderung der Elektromobilität) bereits ab dem 1.1.2020 anzuwenden sind.
149
Gemäß § 52 Abs. 14 EStG verlängern sich bei der Übertragung stiller Reserven bei der Veräußerung bestimmter Anlagegüter die Fristen des § 6b Abs. 3 Satz 2, 3 und 5 EStG, § 6b Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG sowie § 6b Abs. 10 Satz 1 und 8 EStG jeweils um ein Jahr, wenn die Rücklage wegen § 6b Abs. 3 Satz 5, § 6b Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 6b Abs. 3 Satz 5 oder § 6b Abs. 10 Satz 8 EStG am Schluss des nach _____________ 159) 160) 161) 162) 163)
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Vgl. Gallus/Hannig, kösdi 2021, 22157 ff.; Jarass, BB 2020, 1111 ff.; Jarass, BB 2020, 1374 ff. S. Jarass, BB 2020, 1111 ff.; Jarass, BB 2020, 1374 ff. BGBl. I 2020, 1385. BGBl. I 2022, 911. BGBl. I 2020, 1512.
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Steuerrecht
dem 29.2.2020 und vor dem 1.1.2021 endenden Wirtschaftsjahres aufzulösen wäre. Das Bundesministerium der Finanzen wurde zunächst ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates in den Fällen, in denen die Rücklage wegen § 6b Abs. 3 Satz 5, § 6b Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 6b Abs. 3 Satz 5 oder § 6b Abs. 10 Satz 8 EStG am Schluss des nach dem 29.2.2020 und vor dem 1.1.2021 endenden Wirtschaftsjahres aufzulösen wäre, die Fristen um ein weiteres Jahr zu verlängern, wenn dies auf Grund fortbestehender Auswirkungen der COVID-19Pandemie geboten erscheint. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrecht vom 25.6.2021164) wurde die Frist von einem Jahr auf zwei Jahre verlängert. Zudem verlängern sich die Fristen um ein Jahr, wenn die Rücklage wegen § 6b Abs. 3 Satz 5, § 6b Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 6b Abs. 3 Satz 5 oder § 6b Abs. 10 Satz 8 EStG am Schluss des nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2022 endenden Wirtschaftsjahres aufzulösen wäre. Satz 6, also die Verordnungsermächtigung für das BMF wurde aufgehoben.
150
Die Regelung des § 52 Abs. 16 EStG wird hinsichtlich der Investitionsabzugsbeträge und Sonderabschreibungen zur Förderung kleiner und mittlerer Betriebe gemäß § 7g EStG dahin gefasst, dass bei in nach dem 31.12.2016 und vor dem 1.1.2018 endenden Wirtschaftsjahren beanspruchten Investitionsabzugsbeträgen die Investitionsfrist abweichend von § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG erst zum Ende des vierten auf das Wirtschaftsjahr des Abzugs folgenden Wirtschaftsjahres endet.
151
Die Neufassung des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 1 EStG wird in § 52 Abs. 18a EStG auf die Veranlagungszeiträume 2020 und 2021 beschränkt.
152
Die Anrechnung des vierfachen Gewerbesteuer-Messetags nach § 35 EStG ist gemäß § 52 Abs. 35a EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 2020 anzuwenden.
153
Die Sonderregelungen zu den Anpassungen von Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 2019 (§ 110 EStG) sind gemäß § 52 Abs. 52 EStG für den Veranlagungszeitraum 2019 anzuwenden.
154
Die Sonderregelungen zum vorläufigen Verlustrücktrag für 2020 (§ 111 EStG) sind gemäß § 52 Abs. 53 EStG für die Veranlagungszeiträume 2019 und 2020 anzuwenden.
155
Durch das Dritte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 10.3.2021165) (Drittes Corona-Steuerhilfegesetz) wurde der steuerliche Verlustrücktrag für die Jahre 2020 und 2021 nochmals erweitert und auf 10 Mio. € (bei Einzelveranlagung) bzw. 20 Mio. € (bei Zusammenveranlagung) angehoben (§ 10d Abs. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 18b EStG). Durch das Vierte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Viertes Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2022166) wurde die Regelung neu gefasst, die erstmals für den Veranlagungszeitraum 2022
156
_____________ 164) BGBl. I 2021, 2050. 165) BGBl. I 2021, 330. 166) BGBl. I 2022, 911.
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anzuwenden ist (§ 52 Abs. 18b EStG). Weiterhin gelten ab dem Veranlagungszeitrum 2024 die Beschränkungen auf 1.000.000 € und 2.000.000 € (§ 52 Abs. 18b EStG). 13. Kinderbetreuung und Kindergeld 157
Durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2020167) wurde § 56 IfSG168) dahin geändert, dass eine erwerbstätige Person eine Entschädigung in Geld erhält wenn x
Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen von der zuständigen Behörde vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten untersagt wird (§ 56 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 IfSG),
x
die erwerbstätige Person ihr Kind, dass das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder betritt oder auf Hilfe angewiesen ist, in diesem Zeitraum selbst beaufsichtigt, betreut oder pflegt, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen kann (§ 56 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 IfSG) und
x
die erwerbstätige Person dadurch einen Verdienstausfall erleidet (§ 56 Abs. 1a Nr. 3 IfSG).
158
Zudem wird der Begriff „Schulferien“ durch die Wörter „Schul- oder Betriebsferien“ in § 56 Abs. 1a IfSG ersetzt.
159
Die Entschädigung wird gemäß § 56 Abs. 2 Satz 4 IfSG i. H. v. 67 % des der erwerbstätigen Person entstandenen Verlustausfalles für jede erwerbstätige Person für längstens zehn Wochen gewährt, für die er eine erwerbstätige Person, die ihr Kind allein beaufsichtigt, betreut oder pflegt, längstens für 20 Wochen; für einen vollen Monat wird höchstens ein Betrag von 2.016 € gewährt.
160
Weiterhin wird gemäß § 66 Abs. 1 IfSG für jedes Kind, für das für den Monat September 2020 ein Anspruch auf Kindergeld besteht, für den Monat September 2020 ein Einmalbetrag von 200 € und für den Monat Oktober 2020 ein Einmalbetrag von 100 € gezahlt. Ein Anspruch i. H. der Einmalbeträge i. H. v. insgesamt 300 € für das Kalenderjahr 2020 besteht auch für ein Kind, für das nicht für den Monat September 2020, jedoch für mindestens einen anderen Kalendermonat im Kalenderjahr 2020 ein Anspruch auf Kindergeld besteht. Diese Einmalbeträge werden als Kindergeld im Rahmen der Vergleichsberechnung nach § 31 Abs. 4 IfSG berücksichtigt.
161
Durch das Dritte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 10.3.2021169) (Drittes Corona-Steuerhilfegesetz) wird für jedes im Jahre 2021 kindergeldberechtigte Kind ein Kindergeldbonus von 150 € gewährt (§ 6 Abs. 3 BKGG).
_____________ 167) BGBl. I 2020, 1385. 168) Infektionsschutzgesetz v. 20.7.2000, BGBl. I 2002, 1045, zuletzt geändert durch Art. 8 Abs. 8 des Gesetzes vom 27.9.2021 (BGBl. I, 4530) 169) BGBl. I 2021, 330.
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Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020170) wurde das Gesetz zur Nichtanrechnung des Kinderbonus vom 2.3.2009171) geändert. Das Gesetz heißt nunmehr „Gesetz zur Nichtanrechnung und Nichtberücksichtigung des Kinderbonus“. Die nach § 66 Abs. 1 und 3 EStG und § 6 Abs. 3 BKGG zu zahlenden Einmalbeträge sind bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, nicht als Einkommen zu berücksichtigen.
162
Durch das Gesetz zum Ausgleich der Inflation durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen (Inflationsausgleichsgesetz – InflAusG) vom 6.12.2022172) wurde das Kindergeld gemäß § 6 Abs. 1 BKGG ab 1.1.2023 auf 250 € festgesetzt.
163
14. Anpassung von Vorauszahlungen Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020173) wurden Sondervorschriften zu Bewältigung der Corona-Pandemie als Abschnitt XIV in das EStG eingefügt.
164
Gemäß § 110 Abs. 1 EStG wird der für die Bemessung der Vorauszahlungen der für die Veranlagungszeitraum 2019 zu Grunde gelegte Gesamtbetrag der Einkünfte auf Antrag pauschal um 30 % gemindert. Dies gilt nicht, soweit in dem Gesamtbetrag der Einkünfte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) enthalten sind. Weiterhin ist Voraussetzung, dass die Vorauszahlungen für 2020 auf € 0,00 herabgesetzt worden sind.
165
Gemäß § 110 Abs. 2 EStG wird der für die Bemessung der Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 2019 zu Grunde gelegte Gesamtbetrag der Einkünfte um einen höheren Betrag als 30 % gemindert, wenn der Steuerpflichtige einen voraussichtlichen Verlustvortrag i. S. des § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG für 2020 in dieser Höhe nachweisen kann.
166
Gemäß § 110 Abs. 3 EStG sind die Minderungen auf 5 Mio. € und bei zusammenveranlagten Ehegatten auf 10 Mio. € beschränkt. Hinsichtlich des vorläufigen Verlustrücktrags für 2020 regelt § 111 Abs. 1 EStG, dass bei der Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2019 pauschal ein Betrag i. H. v. 30 % des Gesamtbetrags der Einkünfte des Veranlagungszeitraums 2019 auf Antrag als Verlustrücktrag aus 2020 abgezogen wird (vorläufiger Verlustrücktrag für 2020). Bei der Berechnung des vorläufigen Verlustrücktrags für 2020 sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) nicht zu berücksichtigen, die im Gesamtbetrag der Einkünfte enthalten sind. Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelung ist, dass die Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 2020 auf € 0,00 herabgesetzt worden sind.
167
Ein höherer Betrag als 30 % kann abgezogen werden, wenn der Steuerpflichtige gemäß § 111 Abs. 2 EStG einen voraussichtlichen Verlustrücktrag in dieser Höhe _____________
168
170) 171) 172) 173)
BGBl. I 2020, 1512. BGBl. I 2009, 416. BGBl. I 2022, 2230. BGBl. I 2020, 1512.
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nachweisen kann. Der vorläufige Verlustrücktrag für 2020 ist gemäß § 111 Abs. 3 EStG auf 5 Mio. €, bei zusammenveranlagten Ehegatten auf 10 Mio. € begrenzt. 169
Führt die Herabsetzung von Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 2019 auf Grund eines voraussichtlich erwarteten Verlustvortrags für 2020 zu einer Nachzahlung bei der Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2019, so wird dieser auf Antrag des Steuerpflichtigen bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2020 gestundet, ohne das Stundungszinsen erhoben werden.
170
Nach § 111 Abs. 5 EStG ist bei Anwendung dieser Regelungen für den Veranlagungszeitraum 2020 eine Einkommensteuererklärung abzugeben.
171
Mit der Veranlagung für 2020 ist die Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2019 gemäß § 111 Abs. 6 EStG zu ändern.
172
Ist die Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 2020 vor der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 2019 durchgeführt worden, finden diese Regelungen gemäß § 111 Abs. 7 EStG keine Anwendung. 15. Grenzgänger
173
Für Grenzgänger hat das BMF zunächst formlos mitgeteilt, dass sich bei einer vermehrten Tätigkeit im Homeoffice steuerliche Folgen ergeben können, etwa dann, wenn nach den zugrunde liegenden Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) der beiden betroffenen Staaten das Überschreiten einer bestimmten Anzahl an Tagen, an denen der eigentliche Tätigkeitsstaat nicht aufgesucht wird, zu einem teilweisen Wechsel des Besteuerungsrechts führt.174)
174
Mit der Französischen Republik wurde am 13.5.2020 eine Konsultationsvereinbarung175) geschlossen, die sich zunächst automatisch verlängerte.176) Die zuständigen Behörden haben sich am 6.12.2021/7.12.2021 verständigt, dass die Konsultationsvereinbarung zumindest bis zum 31.3.2022 Bestand haben wird.177) Im Hinblick auf die weitgehende Aufhebung der Maßnahmen haben Frankreich und Deutschand in _____________ 174) So BMF, Covid-19: Sonderregelungen für Grenzpendler*innen, PM v. 3.4.2020, https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Intern ationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2020-04-03-Covid-19-SonderregelungenGrenzpendler-innen.html (abgerufen am 1.6.2023). 175) So BMF-Schreiben v. 25.5.2020 – IV B 3 – S 1301-FRA/19/10018:007 (DOK 2020/ 0503105), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Frankreich/2020-05-25-Konsultationsvereinbarung-DE-FR-Covid-19-Besteuerung-Grenzpendler. html (abgerufen am 1.6.2023). 176) So BMF-Schreiben v. 30.9.2021 – IV B 3 – S 1301-FRA/19/10018:007 (DOK 2021/ 1044667), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Frankreich/2021-09-30-fuenfte-Verlaengerung-Konsultationsvereinbarung-DE-FR-Covid-19Besteuerung-Grenzpendler.html (abgerufen am 1.6.2023). 177) So BMF-Schreiben v. 9.12.2021 – IV B 3 – S 1301-FRA/19/10018:007 (DOK 2021/ 1279126), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Frankreich/2021-12-09-sechste-Verlaengerung-Konsultationsvereinbarung-DE-FRCovid-19-Besteuerung-Grenzpendler.html (abgerufen am 1.6.2023).
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gegenseitigem Einvernehmen vereinbart, die Konsultationsvereinbarung vom 13.5.2020 zum 30.6.2022 zu kündigen.178) Nach den Doppelbesteuerungsabkommen, z. B. mit Frankreich, ändern die zusätzlichen Homeoffice-Tage nichts an der vorgesehenen Aufteilung der Besteuerungsrechte.179) Die am 6.4.2020 mit den Niederlanden180) abgeschlossene Konsultationsvereinbarung verlängerte sich zunächst automatisch.181) Im Hinblick auf die weitgehende Aufhebung der Maßnahmen haben die Niederlande und Deutschland in gegenseitigem Einvernehmen vereinbart, die Konsultationsvereinbarung vom 6.4.2020 zum 30.6.2022 zu kündigen.182)
175
Die am 29.9.2021 mit Österreich geschlossene Konsultationsvereinbarung verlängerte sich zunächst automatisch183) und wurde durch die Konsultationsvereinbarung vom 14.12.2021 ersetzt, die bis mindestens 31.3.2022 galt und sich automatisch verlängerte, sofern sie nicht gekündigt wird.184) Im Hinblick auf die weitgehende Aufhebung der Maßnahmen haben Österreich und Deutschland vereinbart, dass die Konsulatations-
176
_____________ 178) So BMF-Schreiben v. 5.4.2022 – IV B 3 – S 1301-FRA/19/10018:007 (DOK 2022/0364889), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Frankreich/ 2022-04-05-einverfnehmliche-kuendigung-Konsultationsvereinbarung-DE-FR-Covid-19Besteuerung-Grenzpendler.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 1.6.2023). 179) So BMF, Covid-19: Sonderregelungen für Grenzpendler*innen, PM v. 3.4.2020, https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Intern ationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2020-04-03-Covid-19-SonderregelungenGrenzpendler-innen.html (abgerufen am 1.6.2023). 180) S. BMF-Schreiben v. 8.4.2020 – IV B 3 – S 1301 – NDL/20/10004:001 (DOK 2020/ 0348934) – Niederlande, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/ Laender_A_Z/Niederlande/2020-04-08-DBA-Niederlande-Konsultationsvereinbarung.pdf;jsessionid=5BF71693574B106F63CDE5BF9014C745.delivery2-replication?__ blob=publicationFile&v=1. Die Regelung wurde mehrfach verlängert, vgl. BMF-Schreiben v. 23.3.2021 – IV B 3 – S 1301 – NDL/20/10004:001 (DOK 2021/0289645) (abgerufen am 1.6.2023). 181) S. BMF-Schreiben v. 15.9.2021 – IV B 3 – S 1301-NDL/20/10004:001 (DOK 2021/ 0995287), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Niederlande/2021-09-15-DBA-Niederlande-fuenfte-Verlaengerung-Konsultationsvereinbarung.html (abgerufen am 1.6.2023). 182) So BMF-Schreiben v. 4.4.2022 – IV B 3 – S 1301-NDL/20/10004:001 (DOK 2022/0342123) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Niederlande/2022-04-04-DBA-Niederlande-Kuendigung-Konsultationsvereinbarung.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 1.6.2023). 183) S. BMF-Schreiben v. 7.10.2021 – IV B 3 – S 1301-AUT/20/10001:002 (DOK 2021/ 1062064), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Oesterreich/2021-10-07-konsultationsvereinbarung-zwischen-der-bundesrepublikdeutschland-und-der-republik-oesterreich-vom-29-09-2021.html (abgerufen am 1.6.2023). 184) S. BMF-Schreiben v. 20.12.2021 – IV B 3 – S 1301-AUT/20/10001:002 (DOK 2021/ 1304734), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Oesterreich/2021-12-20-konsultationsvereinbarung-zwischen-der-bundesrepublikdeutschland-und-der-republik-oesterreich-vom-14-12-2021.html (abgerufen am 1.6.2023).
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Steuerrecht
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vereinbarung auf die Arbeitstage vom 11.3.2020 bis zum 30.6.2022 Anwendung findet und nicht weiter verlängert wird.185) 177
Das am 7.10.2020 mit dem Großherzogtum Luxemburg abgeschlossene Verständigungsabkommen verlängert sich automatisch, sofern es nicht gekündigt wird, und soll bis mindestens 31.3.2021 Bestand haben.186) Im Hinblick auf die weitgehende Aufhebung der Maßnahmen haben Luxemburg und Deutschland in gegenseitigem Einvernehmen vereinbart, die Verständigungsvereinbarung vom 7.10.2020 zum 30.6.2022 zu kündigen.187)
178
Mit Belgien wurde am 6.5.2020 eine Konsultationsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 3 DBA über die Behandlung von Homeoffice-Tagen geschlossen,188) die mehrfach verlängert worden ist.189) Im Hinblick auf die weitgehende Aufhebung der Maßnahmen haben Belgien und Deutschland in gegenseitigem Einvernehmen vereinbart, die Konsultationsvereinbarung vom 6.5.2020 zum 30.6.2022 auslaufen zu lassen.190)
_____________ 185) So BMF-Schreiben v. 4.4.2022 – IV B 3 – S 1301-AUT/19/10006:005 (DOK 2022/ 0358740) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Oesterreich/2022-04-04-konsultationsvereinbarung-zwischen-der-bundesrepublikdeutschland-und-der-republik-oesterreich-vom-28-29-03-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 1.6.2023). 186) S. BMF-Schreiben v. 6.12.2021 – IV B 3 – S 1301-LUX/19/10007:003 (DOK 2021/ 1260413), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Luxemburg/2021-12-06-besteuerung-von-grenzpendlern-nach-luxemburg-fortgeltung.html (abgerufen am 1.6.2023). 187) So BMF-Schreiben v. 4.4.2022 – IV B 3 – S 1301-LUX/19/10007:004 (DOK 2022/0318404) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Luxemburg/ 2022-03-25-besteuerung-von-grenzpendlern-nach-luxemburg-kuendigung.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 1.6.2023). 188) S. BMF-Schreiben v. 7.5.2020 – IV B 3 – S 1301-BEL/20/10002:001 (DOK 2020/0458382), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Belgien/ 2020-05-07-Belgien-Abkommen-DBA-Konsultationsvereinbarung-BesteuerungGrenzpendler.pdf?__blob=publicationFile&v=2. Aktuell gilt die fünfte Verlängerung, vgl. BMF-Schreiben v. 23.3.2021 – IV B 3 – S-1301-BEL/20/10002:001 [DOK 2021/0317385], https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Belgien/ 2021-03-23-Belgien-Abkommen-DBA-Verlaengerung-KonsultationsvereinbarungBesteuerung-Grenzpendler.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 1.6.2023). 189) S. BMF-Schreiben v. 29.9.2021 – IV B 3 – S 1301-BEL/20/10002:001 (DOK 2021/ 1033252), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Belgien/2021-09-29-Belgien-Abkommen-DBA-Verlaengerung-Konsultationsvereinbarung-Besteuerung-Grenzpendler.html (abgerufen am 1.6.2023). 190) So BMF-Schreiben v. 25.4.2022 – IV B 3 – S 1301-BEL/20/10002:001 (DOK 2022/0316262) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern /Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Belgien/202 2-03-25-Belgien-Abkommen-DBA-Verlaengerung-KonsultationsvereinbarungBesteuerung-Grenzpendler.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 1.6.2023).
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
Steuerrecht
Hinsichtlich der Schweiz sind die Konsultationsvereinbarungen vom 11.6.2020,191) 30.11.2020192) und 27.4.2021193) zu beachten, die nicht vor dem 31.3.2022 gekündigt werden sollen.194) Im Hinblick auf die weitgehende Aufhebung der Maßnahmen haben die Schweiz und Deutschland in gegenseitigem Einvernehmen vereinbart, die vorgenannten Konsultationsvereinbarungen zum 1.7.2022 zu kündigen.195)
179
Die Regelungen mit weiteren Staaten sowie der aktuelle Stand der Verlängerungen sind über die Homepage des Bundesministerium der Finanzen abrufbar.
180
16. Übergewinnsteuer (EU-Energiekrisenbeitrag) In der politischen Diskussion wurde 2022 der Ruf einer sog. „Übergewinnsteuer“ laut.196) Durch das Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022197) wurde in Deutschland durch Art. 40 JStG 2022 das Gesetz zur Einführung eines EUKrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbeitragsgesetz – EU-EnergieKBG)198) geschaffen und damit eine Übergewinnsteuer im Deckmantel eines „Beitrag“ eingeführt.
181
Der Gesetzgeber regelt, dass Gewinne nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EU-EnergieKBG von im Erdöl-, Ergas-, Kohle- und Raffineriebereich tätigen Unternehmen und Betriebsstätten der Union ungeachtet der Besteuerung nach dem Einkommen- oder dem Körperschaftsteuergesetz einem befristeten obligatorischen EU-Energiekrisenbeitrag gemäß § 1 Abs. 1 EU-EnergieKBG unterliegen.
182
_____________ 191) So BMF-Schreiben vom 12.6.2020 – IV B 2 – S 1301-CHE/07/10015-01 (DOK 2020/ 0485608), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Schweiz/2020-06-12-DBA-Schweiz-COVID-19-Konsultationsvereinbarung-11-Juni2020.html (abgerufen am 1.6.2023). 192) So BMF-Schreiben vom 3.12.2020 – IV B 2 – S 1301-CHE/07/10019-05 (DOK 2020/ 1242422), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Schweiz/2020-12-03-DBA-Schweiz-COVID-19-Konsultationsvereinbarung-30-November-2020.html (abgerufen am 1.6.2023). 193) So BMF-Schreiben vom 7.5.2021 – IV B 2 – S 1301-CHE/07/10019-05 (DOK 2021/ 0521374), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Schweiz/2021-05-07-DBA-Schweiz-COVID-19-Konsultationsvereinbarung-27-April2021.html (abgerufen am 1.6.2023). 194) So BMF-Schreiben v. 8.9.2021 – IV B 2 – S 1301-CHE/07/10015-16 (DOK 2021/ 0970548), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Schweiz/2021-09-08-DBA-Schweiz-COVID-19-information-ueber-die-konsultationsvereinbarung.html (abgerufen am 1.6.202321). 195) So BMF-Schreiben v. 13.4.2022 – IV B 3 – S 1301-CHE/21/10018:009 (DOK 2022/0399812) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/ Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/Schweiz/ 2022-04-13-DBA-Schweiz-COVID-19-ausserkrafttreten-ueber-die-konsultationsvereinbarung.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 1.6.2023). 196) Vgl. Kowallik, DB 2022, 2058 ff.; Kraft, NWB 2022, 2448 ff.; Möller-Klapperich/Rasquin, NJ 2022, 433 ff. 197) BGBl. I 2022, 2294. 198) BGBl. I 2022, 2325. Vgl. dazu die umfassende Kommentierung in Teil V.
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Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
183
Gemäß § 1 Abs. 3 EU-EnergieKBG steht das Aufkommen dem Bund zu und der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine Steuer i. S. der AO. Schuldner des EU-Energiekrisenbeitrags ist gemäß § 2 Abs. 1 EU-EnergieKBG jedes Unternehmen, dass im Besteuerungszeitraum min. 75 % seines Umsatzes durch die in der Verordnung (EG Nr. 1893/2006) genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielt.
184
Der EU-Krisenbeitrag entsteht gemäß § 3 Abs. 1 EU-EnergieKBG mit Ablauf des Besteuerungszeitraums. Besteuerungszeitraum ist gemäß § 3 Abs. 2 EU-EnergieKBG das erste, nach dem 31.12.2021 beginnende volle Wirtschaftsjahr sowie das darauffolgende volle Wirtschaftsjahr.
185
Bemessungsgrundlage für den EU-Krisenbeitrag ist gemäß § 4 Abs. 1 EU-EnergieKBG der Betrag i. H. der positiven Differenz, um den der nach einkommen- oder körperschaftsteuerrechtlichen ermittelte steuerliche Gewinn für den Besteuerungszeitraum nach § 3 EU-EnergieKBG den um 20 % erhöhten Durchschnitt des steuerlichen Gewinns in den nach dem 31.12.2017 beginnenden und vor dem Beginn des ersten nach dem 31.12.2021 beginnenden vollen Wirtschaftsjahres übersteigt. Der Steuersatz beträgt gemäß § 4 Abs. 3 EU-EnergieKBG 33 % der Bemessungsgrundlage. Sonderregelungen sind für Umwandlungsfälle in § 5 EU-EnergieKBG vorgesehen.
186
Für die Verwaltung des EU-EnergieKBG ist das Bundeszentralamt für Steuern gemäß § 6 EU-EnergieKBG zuständig.
187
Die Unternehmen sind gemäß § 7 Abs. 1 EU-EnergieKBG zur Steuerberechnung und Steueranmeldung verpflichtet. Der Anmeldungszeitraum entspricht der Frist zur Abgabe der Einkommen- oder Körperschaftsteuererklärung. Der EU-Energiekrisenbeitrag ist gemäß § 7 Abs. 2 EU-EnergieKBG am zehnten Tag nach Abgabe der Anmeldung fällig und bis dahin zu entrichten. IV. Körperschaftsteuer
188
Die Körperschaftsteuer ist die Einkommensteuer der in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen (§ 1 Abs. 1 KStG).
189
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG bestimmt sich, was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, nach den Vorschriften des EStG und des KStG. Für die Ermittlung des Einkommens ist es gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Bedeutung, ob das Einkommen verteilt wird. Auch verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Ausschüttungen jeder Art auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Kapitalgesellschaft verbunden ist, mindern gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Einkommen nicht.
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
Steuerrecht
Das BMF-Schreiben vom 19.3.2020 gilt für die von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern, also auch für die Körperschaftsteuer.199)
190
Aufgrund der Verweisung in § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG auf das EStG ist auch die Norm des § 5 Abs. 2a EStG anwendbar, nach der für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen sind, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Da eine Verbindlichkeit, die nur aus künftigen Gewinnen oder einen etwaigen Liquidationsüberschuss erfüllt zu werden braucht, mangels gegenwärtiger wirtschaftlicher Belastung nicht ausgewiesen werden kann200) ist besondere Sorgfalt auf die Prüfung von Rangrücktrittserklärungen zu legen. Eine Verbindlichkeit unter Vereinbarung eines Rangrücktritts der Gestalt, dass die Forderung des Gläubigers hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zurücktritt und nur aus künftigen Jahresabschlüssen zu erfüllen ist, ist nicht auszuweisen.201)
191
Besondere Aufmerksamkeit sollte auch den nichtabziehbaren Aufwendungen gemäß § 10 KStG gelten. Nichtabziehbar sind gemäß § 10 Nr. 4 KStG die Hälfte der Vergütungen jeder Art, die an Mitglieder des Aufsichtsrates, des Verwaltungsrats oder andere mit der Überwachung der Geschäftsführung beauftragte Personen gewährt werden. Verzichtet während der COVID-Pandemie ein Aufsichtsratsmitglied auf seine Aufsichtsratsvergütung, so tritt beim Aufsichtsrat Ertragsteuerfreiheit ein. Auf der Seite der Gesellschaft bleibt gleichwohl § 10 Nr. 4 KStG unberührt, da es sich um eine Aufsichtsratsvergütung und nicht um eine Spende handelt.202)
192
In Konzernkonstellationen wird es i. Ü. vorkommen, dass Tochtergesellschaft die an sie ausgegebenen, unbesicherten Darlehen wegen der COVID-19-Krise nicht an die Muttergesellschaft zurückzahlen können und die Muttergesellschaft daher eine Teilwertabschreibung vornehmen möchte. Dies ist grundsätzlich zwar handelsund steuerrechtlich möglich, allerdings ist § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG zu berücksichtigen.203) Gemäß § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG gehören zu den Gewinnminderungen, die nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen sind, Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für eine Darlehen hingegeben wurden, wenn das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter
193
_____________ 199) So BMF-Schreiben v. 1.12.2021 – IV B 2 – S 1301-CHE/21/100818:002 (DOK 2021/ 1241578), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/ Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/Laender_A_Z/ Schweiz/2021-12-01-DBA-Schweiz-COVID-19-information-ueber-die-konsultationsvereinbarung.html (abgerufen am 1.6.2023) das die zunächst gemäß BMF-Schreiben v. 19.3.2020 – IV A 3 – S 0336/19/10007:002 (DOK 2020/0265898), BStBl. I 2020, 262, bis zum 31.12.2021 befristete Kündigungssperre verlängert hat. 200) So BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BFHE 235, 436 = BStBl. II 2012, 332. 201) So BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, Rz. 17, BFHE 235, 436 = BStBl. II 2012, 332. 202) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 4 – S 2223/19/10003:003 (DOK 2020/0308754), BStBl. I 2020, 498. Der zeitliche Anwendungsbereich wurde mit BMF-Schreiben v. 15.12.2021 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2021/1258425) für alle Maßnahmen, außer die unter VII. Abs. 2 bis Abs. 4 genannten, verlängert, die bis zum 31.12.2022 durchgeführt werden. 203) So Köstler, AStW 2020, 329 f.
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Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
gewährt wird, der zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist oder war. 194
Ebenso wie bei der Einkommensteuer ist auch bei der Körperschaftsteuer ein Antrag auf pauschalierte Herabsetzung bereits geleisteter Vorauszahlungen für 2019 möglich.204)
195
Das BMF hat mit Schreiben vom 17.3.2022205) Sonderregelungen für steuerbegünstigte Körperschaften angeordnet und dabei u. a. geregelt, dass bei der entgeltlichen Zurverfügungstellung von Personal, Räumlichkeiten, Sachmitteln oder anderen Leistungen, die für die Bewältigung der Auswirkungen und Folgen des Krieges in der Ukraine notwendig sind, nicht beanstandet wird, wenn diese Betätigungen sowohl ertrag- als auch umsatzsteuerlich dem Zweckbetrieb zugeordnet werden.
196
Bei Vermietungsgenossenschaften und Vermietungsvereinen bleiben gemäß Schreiben des BMF vom 31.3.2022 aus Billigkeitsgründen bis zum 31.12.2022 Einnahmen aus der Wohnraumüberlassung an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die keine Mitglieder der Vermietungsgenossenschaft bzw. des Vermietungsvereins sind, bei der Berechnung der 10-Prozent-Grenze i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 2 KStG unberücksichtigt. Diese Einnahmen sind dabei weder bei der Bestimmung der gesamten Einnahmen der Vermietungsgenossenschaft bzw. des Vermietungsvereins, noch der Ermittlung der Einnahmen aus nicht in § 5 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KStG bezeichneten Tätigkeiten zu berücksichtigen.206) Diese Regelung wurde mit Schreiben vom 11.11.2022 bis zum 31.12.2023 verlängert.207) V. Gewerbesteuer
197
Die Gewerbesteuer gehört gemäß § 1 GewStG zu den Gemeindesteuern. Der Gewerbesteuer unterliegt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird.
198
Eine unmittelbare Regelung durch das BMF scheidet wegen der mangelnden Bundeszuständigkeit aus. Das Schreiben des BMF vom 19.3.2020 gilt daher nicht für die Gewerbesteuer.208) Es wurde aber eine einheitliche Regelung in Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder erlassen: „Nach § 19 Abs. 3 Satz 3 GewStG kann auch das Finanzamt bei Kenntnis veränderter Verhältnisse hinsichtlich des Gewerbeertrags für den laufenden Erhebungszeitraum
_____________ 204) So BMF-Schreiben v. 24.4.2020 – IV C 8 – S 2225/20/10003:010 (DOK 2020/0414862), BStBl. I 2020, 496. 205) S. BMF-Schreiben v. 17.3.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:103, BStBl. I 2022, 330. 206) S. BMF-Schreiben v. 31.3.2022 – IV C 2 – S 1900/22/10045:001 DOK 2022/0355628, BStBl. I 2022, 345 = DStR 2022, 722. 207) S. BMF-Schreiben v. 11.11.2022 – IV C 2 – S 1900/22/10045:001 DOK 2022/1139587, DStR 2022, 2375 [https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/ BMF_Schreiben/Steuerarten/Koerperschaftsteuer_Umwandlungsteuer/2022-11-11verlaengerung-anwendungszeitraum-unterbringung-von-kriegsfluechtlingen-aus-derukraine-durch-vermietungsgenossenschaften-und-vermietungsvereine.pdf?__blob= publicationFile&v=2]. 208) So FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.11.2020 – 10 V 10146/20, EFG 2021, 172 ff. mit Anm. Weinschütz = ZKF 2021, 42 ff. Der BFH (Beschl. v. 11.2.2021 – VII B 178/20 (AdV)) hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
Steuerrecht
die Anpassung der Gewerbesteuer-Vorauszahlungen veranlassen. Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen das Finanzamt Einkommensteuer- und Körperschaftsteuervorauszahlungen anpasst (R 19.2 Abs. 1 Satz 5 GewStR). Vor diesem Hintergrund können nachweislich unmittelbar und nicht unerheblich betroffene Steuerpflichtige bis zum 31. Dezember 2020 unter Darlegung ihrer Verhältnisse Anträge auf Herabsetzung des Gewerbesteuermessbetrages für Zwecke der Vorauszahlung stellen. Diese Anträge sind nicht deshalb abzulehnen, weil die Steuerpflichtigen die entstandenen Schäden wertmäßig nicht im Einzelnen nachweisen können. Nimmt das Finanzamt eine Feststellung des Gewerbesteuermessbetrages für Zwecke der Vorauszahlung vor, ist die betreffende Gemeinde hieran bei der Festsetzung ihrer Gewerbesteuer-Vorauszahlung gebunden (§ 19 Abs. 3 Satz 4 GewStG). Für etwaige Stundungs- und Erlassanträge gilt auch im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang mit Auswirkungen des Corona-Virus, dass diese an die Gemeinden und nur dann an das zuständige Finanzamt zu richten sind, wenn die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer nicht den Gemeinden übertragen worden ist (§ 1 GewStG und R 1.6 Abs. 1 GewStR).“209)
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020210) wurden auch die Hinzurechnungsbestimmungen gemäß § 8 GewStG angepasst. Gemäß § 8 Nr. 1 GewStG ist ein Viertel der Summe aus Entgelten für Schulden, Renten und dauernde Lasten sowie Miet- und Pachtzinsen hinzuzurechnen. Bislang ist eine Hinzurechnung erfolgt, wenn die Summe dieser Beträge 100.000 €nicht übersteigt, dies wurde nunmehr auf 200.000 € angehoben.211)
199
Besonderheiten ergeben sich bei der Überlassung von möblierten Wohnungen, aber auch durch sonstige Unterstützungsleistungen seitens von Wohnungsunternehmen im Zusammenhang mit Flüchtlingen aus der Ukraine. Nach einem Gemeinsamen Erlass der Länder soll aus Gründen der Billigkeit für Einnahmen, die bis zum 31.12.2023 erzielt werden, nicht geprüft werden, ob die entgeltliche Überlassung von möbliertem Wohnraum an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine den Tatbestand der Gewerblichkeit erfüllt.212)
200
VI. Umsatzsteuer 1.
Steuerbefreiungen
Die Umsatzsteuerbefreiungen sind Gegenstand von § 4 UStG, der einen umfassenden Katalog entfällt. _____________ 209) Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zu gewerbesteuerlichen Maßnahmen zur Berücksichtigung der Auswirkungen des Corona-Virus (COVID-19/ SARS-COV-2) v. 19.3.2020, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerarten/Gewerbesteuer/2020-03-19-gewerbesteuerliche-massnahmen-zur-beruecksichtigung-der-auswirkungen-des-coronavirus-anlage.pdf?__ blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 1.6.2023); vgl. dazu Stadler/Sotta, BB 2020, 860 ff. 210) BGBl. I 2020, 1512. 211) Vgl. Oberste Finanzbehörden der Länder, Gleichlautender Ländererlass v. 25.1.2021, DStR 2021, 226 (ersetzt die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 19.3.2021, BStBl. I 2020, 281). 212) S. Oberste Finanzbehörden der Länder, GLE v. 11.11.2022, DStR 2022, 2375 f.; ersetzt die GLE v. 31.3.2022, BStBl. I 2022, 335 = DStR 2022, 723.
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201
Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
202
Die Durchführung von Corona-Schnelltests (sog. „Point-of-Care (PoC)-AntigenSchnelltests“) durch Ärzte oder Angehörigen ähnlicher Heilberufe ist unabhängig von der persönlichen Veranlassung der getesteten Person nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit. Die Erbringung der Corona-Schnelltests ist zudem aus Billigkeitsgründen ebenfalls nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit, wenn diese von nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Coronavirus-Testverordnung beauftragten Leistungserbringern, wie zum Beispiel Apotheken, durchgeführt werden, soweit die Leistungserbringer an der in § 12 Abs. 4 Coronavirus-Testverordnung genannten Schulung teilgenommen haben. Dies schließt auch Corona-Schnelltests in privat betriebenen Testzentren mit ein, soweit die Durchführung der in dem Testzentrum durchgeführten Schnelltests durch eigenes bzw. angestelltes medizinisches Fachpersonal bzw. geschulte Mitarbeiter erfolgt.213)
203
Leistungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Eindämmung und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben, erbracht werden, können aus Billigkeitsgründen als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen angesehen und nach § 4 Nr. 18 UStG als umsatzsteuerfrei behandelt werden.214)
204
Diese Steuerbefreiungen wurden zunächst vom BMF im Wege der Billigkeit bis 31.12.2022 verlängert.215) Derzeit gelten sie für alle Maßnahmen, die bis zum 31.12.2023 durchgeführt werden.216)
205
Bei unentgeltlichen Wertabgaben hinsichtlich medizinischem Material oder Personal sind im Wege der Billigkeit bis 31.12.2022 von einer Besteuerung abgesehen.217)
206
Das BMF hat mit Schreiben vom 17.3.2022218) angeordnet, dass die umsatzsteuerbaren Überlassungen von Sachmitteln und Räumen sowie von Personal unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 14, 16, 18, 23 und 25 UStG als eng verbundene Umsätze steuerfrei sind, soweit diese zwischen steuerbegünstigten Einrichtungen erfolgen, deren Umsätze nach derselben Vorschrift befreit ist. Weiterhin wird nach dem Schreiben des BMF nicht beanstandet, dass umsatzsteuerliche Vorschriften, die auf vergleichbare Leistungen der jeweiligen Einrichtung an andere Leistungsempfänger (z. B. Obdachlose) bereits Anwendung finden, auch auf Leistungen dieser Einrichtung, die der Betreuung und Versorgung von Kriegsflüchtlingen dienen, angewendet werden, wenn Entgelte dafür aus öffentlichen Kassen oder von anderen steuerbegünstigten Körperschaften gezahlt werden. _____________ 213) Vgl. BMF, Ziffer XI. 20.: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Standardartikel/Themen/Steuern/2020-04-01-FAQ_Corona_Steuern_Anlage.pdf?__blob= publicationFile&v=2 (abgerufen am 1.6.2023). 214) Vgl. BMF-Schreiben v. 15.6.2021 – III C 3 – S 7130/20/10005:015, UR 2021, 570 = StuB 2021, 553. Vgl. Strecker, kösdi 2021, 22367, 22377. 215) BMF-Schreiben v. 14.12.2021 – III C 2 – S 7030/20/10004:004 (DOK 2021/1290403), BStBl. I 2021, 2500 f. 216) BMF-Schreiben v. 12.12.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:006 (DOK 2022/1220871). 217) BMF-Schreiben v. 14.12.2021 – III C 2 – S 7030/20/10004:004 (DOK 2021/1290403), BStBl. I 2021, 2500 f. 218) S. BMF-Schreiben v. 17.3.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:103, BStBl. I 2022, 330.
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
2.
Steuerrecht
Steuersatz
Bei der Umsatzsteuer stellt sich zunächst die Frage des anwendbaren Steuersatzes. Gemäß § 12 Abs. 1 UStG beträgt der Regelsteuersatz 19 % der Bemessungsgrundlage. Der ermäßigte Steuersatz beträgt gemäß § 12 Abs. 2 UStG 7 % der Bemessungsgrundlage.
207
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020219) wurde der Steuersatz durch § 28 Abs. 1 UStG dahin geregelt, dass § 12 Abs. 1 UStG vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 Prozent der Bemessungsgrundlage (§§ 10, 11, 25 Abs. 3 und § 25a Abs. 3 und 4 UStG) beträgt.220)
208
Die Bestimmung des § 12 Abs. 2 UStG ist vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich die Steuer für die in den Nrn. 1 bis 15 genannten Umsätze auf 5 Prozent ermäßigt (§ 28 Abs. 2 UStG).
209
In § 28 Abs. 3 UStG wurden Sonderregelungen für Sägewerkserzeugnisse und Getränke sowie von alkoholischen Flüssigkeiten getroffen.
210
Für die Vergütung des Insolvenzverwalters gilt folgende Besonderheit: „Leistungszeitpunkt bei Leistungen eines Insolvenzverwalters: Die Leistung eines Insolvenzverwalters ist dann ausgeführt, wenn der seiner Leistung zugrundeliegende Auftrag (letzte Vollzugshandlung) erledigt ist. Die Leistung eines Insolvenzverwalters ist nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 2.12.2015, V R 15/15, BStBl. II 2016, 486) erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 Abs. 1 InsO erbracht, soweit keine anderen Beendigungsgründe vorliegen. Aus Vereinfachungsgründen wird es nicht beanstandet, wenn für die Bestimmung des Leistungszeitpunkts auf den Vollzug der Schlussverteilung abgestellt wird. Im Restschuldbefreiungsverfahren bestimmt sich der Leistungszeitpunkt nach dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 300 InsO.“221)
211
Der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 UStG findet u. a. Anwendung auf die Lieferung von Lebensmitteln, jedenfalls soweit sie in der Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz bezeichnet sind. Dazu zählen Fleisch und Fisch sowie Krebstiere, jedenfalls solange es sich nicht um Langusten, Hummern, Austern und Schnecken handelt. Dies bedeutet, dass die Lieferungen von Fleisch, Fisch, Gemüse, Pflanzen, Wurzeln und Knollen zu Ernährungszwecken dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegt, während für die Leistungen von gastronomischen Betrieben der Regelsteuersatz von 19 % gemäß § 12 Abs. 1 UStG anwendbar ist.
212
_____________ 219) BGBl. I 2020, 1512. Vgl. dazu BMF-Schreiben v. 30.6.2020 – III C 2 – S 7030/20/ 10009:004 (DOK 2020/0610691), BStBl. I 2020, 584; BMF-Schreiben v. 4.11.2020 – III C 2 – S 7030/20/10009:016 (DOK 2020/1074476). 220) Vgl. Waza, BB 2020, 2007 ff. 221) So BMF-Schreiben v. 4.11.2020 – III C 2 – S 7030/20/10009:016 (DOK 2020/1074476), Rz. 19.
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Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
213
Im Hinblick darauf, dass im Zuge der COVID-19-Pandemie gastronomische Betriebe zeitweise nur noch liefern durften und zum Teil auch immer nur noch liefern dürfen, wobei auch die Abholung durch den Leistungsempfänger als Lieferung anzusehen ist, ist in diesen Fällen – mit Ausnahme von Langusten, Hummern, Austern und Schnecken – der ermäßigte Steuersatz anwendbar.
214
Das BMF hat mitgeteilt, dass die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie ab 1.7.2020 befristet bis zum 30.6.2021 auf den ermäßigten Steuersatz von 7 % gesenkt wird. Damit will die Koalition erreichen, dass Gastronomiebetriebe, die derzeit von hohen Umsatzeinbußen durch die Corona-Krise betroffen sind, gut aus der Krise kommen. Das BMF meint, dass es sich hierbei um eine „weitere gezielte steuerliche Entlastung für die Zeit nach der Krise“ handelt.222)
215
Durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2020223) Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise wurde in § 12 Abs. 2 Satz 3 Nr. 15 UStG geregelt, dass der ermäßigte Steuersatz auch für die nach dem 30.6.2020 und vor dem 1.7.2021 Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen, mit Ausnahme der Abgabe von Getränken, gilt.224) Durch das Dritte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 10.3.2021225) (Drittes Corona-Steuerhilfegesetz) wurde die Gewährung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes i. H. v. 7 % für erbrachte Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken über den 30.6.2021 hinaus bis zum 31.12.2022 verlängert (§ 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG). Durch das Achte Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 24.10.2022226) (8. VStÄndG) wurde die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes über den 31.12.2022 hinaus befristet bis zum 31.12.2023 verlängert. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben mit Schreiben vom 21.11.2022227) die Verwaltungsregelungen aus dem Schreiben vom 2.7.2020228) verlängert. Es handelt sich dabei um eine Regelung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE): „Abschnitt 10.1 Abs. 12 UStAE: Für die befristete Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Restaurations- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken ist es nicht zu beanstanden, wenn zur Aufteilung des Gesamtkaufpreises von sogenannten Kombiangeboten aus Speisen inklusive Getränken
_____________ 222) So BMF, Scholz: „Schnelle und unbürokratische Liquiditätshilfe für Unternehmen“, PM v. 23.4.2020, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/ Finanzpolitik/2020/04/2020-04-23-PM08-Liquiditaetshilfe.html (abgerufen am 1.6.2023). 223) BGBl. I 2020, 1385. 224) Vgl. Liebgott, UR 2020, 405 ff. 225) BGBl. I 2021, 330 f. 226) BGBl. I 2022, 1838 ff. 227) BMF-Schreiben v. 21.11.2022 – III C 2 – S 7030/20/10006:006 (DOK 2022/1169183), DStR 2022, 2441 f. [https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/ BMF_Schreiben/Steuerarten/Umsatzsteuer/Umsatzsteuer-Anwendungserlass/2022-1121-ermaessigter-umsatzsteuersatz-fuer-restaurations-und-verpflegungsdienstleistungenverlaengerung-des-zeitlichen-anwendungsbereichs-bis-zum-31-12-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=2]. 228) BMF-Schreiben v. 2.7.2020 – III C 3 – S 7134/19/10003:001, BStBl. I 2020, 610 ff.
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Steuerrecht
(z. B. Buffet, All-Inclusive-Angeboten) der auf die Getränke entfallende Entgeltanteil mit 30 % des Pauschalpreises angesetzt wird.“
Abschnitt 12.16 Abs. 12 Satz 2 UStAE wird wie folgt gefasst:
216
„2Es wird ebenfalls nicht beanstandet, wenn der auf diese Leistungen entfallende Entgeltanteil mit 15 % des Pauschalpreises angesetzt wird.“
Das Bundesministerium der Finanzen hat im Zuge der befristeten Anwendung des ermäßigten Steuersatzes der Umsatzsteuer auf Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen die Pauschbeträge für Sachentnahmen mit Schreiben vom 21.12.2022 für 2023 angepasst und nach den Steuersätzen differenziert.229)
217
Bei Lichte betrachtet handelt es sich keineswegs um eine Liquiditätshilfe des Staates für die Unternehmen der Gastronomie, sondern um eine Hilfe durch die Leistungsempfänger. Für den Unternehmer ist die Umsatzsteuer durchlaufender Posten, da er insoweit „Steuereinnehmer“ für den Staat ist.230) Der Unternehmer bezieht die Umsatzsteuer in seine Kalkulation und letztlich trägt der Leistungsempfänger die Steuer wirtschaftlich. Wird nunmehr der Steuersatz i. S. von § 12 UStG geändert, bleibt aber der zu zahlende Preis für den Leistungsempfänger gleich, trägt dieser – und nicht der Staat als Steuergläubiger – wirtschaftlich die Differenz. In der Praxis wird dies allerdings in den wenigsten Fällen auffallen, da es in der deutschen Gastronomie – anders als bspw. in sonstigen Staaten – unüblich ist, unterschiedliche Preise für den Verzehr im Restaurant und für die Mitnahme zu verlangen.
218
Durch das Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz vom 19.10.2022231) wurde in § 28 Abs. 5 UStG geregelt, dass § 12 Abs. 2 UStG vom 1.10.2022 bis 31.3.2024 mit der Maßgabe anwendbar ist, dass der ermäßigte Steuersatz von 7 % auch für die Lieferung von Gas über das Erdgasnetz gilt. Zudem regelt § 28 Abs. 6 UStG, dass § 12 Abs. 2 UStG vom 1.10.2022 bis 31.3.2024 mit der Maßgabe anwendbar ist, dass der ermäßigte Steuersatz von 7 % auch für die Lieferung von Wärme über ein Wärmenetz gilt.
219
Das BMF hat mit Schreiben vom 25.10.2022 Einzelheiten geregelt.232) Zudem hat das Landesamt für Steuern Bayern die befristete Senkung des Umsatzsteuersatzes für Lieferungen von Gas über das Erdgasnetz und Wärme über ein Wärmenetz kommentiert.233)
220
Im Zusammenhang mit der mehrfachen Änderung der Umsatzsteuersätze drohen auch strafrechtliche Risiken.234) Rechnet der Leistungserbringer gegenüber dem Leistungsempfänger einen höheren Steuersatz ab, als nach materiellem Steuerrecht geschuldet, stellt sich die Frage, ob darin ein Betrug i. S. des § 263 StGB zu erblicken ist. Das bloße Einfordern einer Leistung beinhaltet ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht die schlüssige Behauptung eines entsprechenden An_____________
221
229) BMF-Schreiben v. 21.12.2022 – IV A 8 – S 1547/19/10001:004 (DOK 2022/1135871). 230) So BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, Rz. 19, BFHE 224, 24 = BStBl. II 2009, 682; vgl. Flintrup, ZIP 2020, 801 ff. 231) S. BGBl. I 2022, 1743. 232) S. BMF-Schreiben v. 25.10.2022 – III C 2 – S 7030/22/10016:005, BStBl I 2022, 1455. 233) S. LfSt Bayern, Verfügung v. 3.3.2023 – S 7220.1.1-11/8 St 33, DStR 2023, 526 f. 234) Vgl. Henseler, DStR 2021, 206 ff.
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spruchs.235) Im Zusammenhang „mit betrügerischen Inseraten“ hat der BGH entschieden, dass eine (versuchte) Täuschung i. S. von § 263 Abs. 1 StGB begeht, wer Angebotsschreiben planmäßig durch Verwendung falscher Rechnungsmerkmale (insbesondere durch die hervorgehobene Angabe einer Zahlungsfrist) so abfasst, dass der Eindruck einer Zahlungspflicht besteht, dem gegenüber die – kleingedruckten – Hinweise auf den Angebotscharakter völlig in den Hintergrund treten.236) Selbst wenn man die (versuchte) Täuschung durch die Angabe eines zu hohen Umsatzsteuersatzes annehmen wollte, so muss der Täter in der Absicht handeln, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen und das Vermögen des Anderen beschädigen. Die Vermögensschädigung liegt beim Rechnungsempfänger, der den überhöhten Betrag bezahlt, vor, da es zu einem unmittelbaren Liquiditätsabfluss kommt. Selbst wenn es sich bei dem Empfänger um einen seinerseits vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer handelt, so steht ihm der Vorsteuerabzug nur i. H. d. zutreffenden Steuersatzes zu. 222
Eine strafrechtliche Verfolgung scheitert jedoch regelmäßig an dem Nachweis der Absicht des Täters, sich oder einem anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Komplexität des Umsatzsteuerrechts und insbesondere die unterschiedlichen Steuersätze, die in unterschiedlichen Zeiträumen für unterschiedliche Arten von Lieferungen und sonstigen Leistungen gesetzlich vorgesehen waren, lassen die Absicht des Rechnungsausstellers kaum nachweisen. Anders liegt dies freilich, wenn ein höherer Steuersatz abgerechnet ist, als gesetzlich überhaupt vorgesehen ist.
223
Es schließt sich allerdings die umsatzsteuerliche Haftung an. Hat ein Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstigen Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach dem Umsatzsteuergesetz schuldet, gesondert ausgewiesen, (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er gemäß § 14c UStG auch den Mehrbetrag. Gleichwohl kann der Leistungsempfänger lediglich nur den zutreffenden Vorsteuerbetrag geltend machen.
224
Im Fall des unberechtigten Steuerausweises gemäß § 14c Abs. 2 UStG schuldet der Rechnungsaussteller den ausgewiesenen Betrag. Eine Berichtigung kommt in Betracht, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist, wozu es – selbst in der Insolvenz des Leistungserbringers – auch der Rückzahlung des überzahlten Betrags an den Leistungsempfänger bedarf.237)
225
Im Zuge der Energiekrise wurde durch § 12 Abs. 3 UStG für bestimmte Photovoltaik-Anlagen der sog. „Nullsteuersatz“238) eingeführt.239) § 12 wird folgender Absatz 3 angefügt: „(3) Die Steuer ermäßigt sich auf 0 Prozent für die folgenden Umsätze: 1.
die Lieferungen von Solarmodulen an den Betreiber einer Photovoltaikanlage, einschließlich der für den Betrieb einer Photovoltaikanlage wesentlichen Kom-
_____________ 235) 236) 237) 238) 239)
322
Vgl. BGH, Beschl. v. 8.11.2000 – 5 StR 433/00, BGHSt 46, 196 ff. = WM 2001, 18 ff. Rz. 8. So BGH, Urt. v. 26.4.2001 – 4 StR 439/00, BGHSt 47, 1 ff. = NStZ 2001, 430 ff. Rz. 14. So BFH, Beschl. v. 5.1.2021 – XI S 20/20 (PKH), BFH/NV 2021, 665 ff. = ZRI 2021, 541 ff. Vgl. Prätzler, StuB 2023, 119 ff. Vgl. Zugmaier/Mateev, DStR 2022, 2337 ff.; Perschon, Stbg 2023, 47, 52 ff.; BMF-Schreiben v. 27.2.2023 – III C 2 – S 7220/22/10002:010 DOK 2023/0197236, DStR 2023, 455 f.
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Steuerrecht
ponenten und der Speicher, die dazu dienen, den mit Solarmodulen erzeugten Strom zu speichern, wenn die Photovoltaikanlage auf oder in der Nähe von Privatwohnungen, Wohnungen sowie öffentlichen und anderen Gebäuden, die für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten genutzt werden, installiert wird. Die Voraussetzungen des Satzes 1 gelten als erfüllt, wenn die installierte Bruttoleistung der Photovoltaikanlage laut Marktstammdatenregister nicht mehr als 30 Kilowatt (peak) beträgt oder betragen wird; 2.
den innergemeinschaftlichen Erwerb der in Nummer 1 bezeichneten Gegenstände, die die Voraussetzungen der Nummer 1 erfüllen;
3.
die Einfuhr der in Nummer 1 bezeichneten Gegenstände, die die Voraussetzungen der Nummer 1 erfüllen;
4.
die Installation von Photovoltaikanlagen sowie der Speicher, die dazu dienen, den mit Solarmodulen erzeugten Strom zu speichern, wenn die Lieferung der installierten Komponenten die Voraussetzungen der Nummer 1 erfüllt.“
Einzelheiten regelt das Schreiben des BMF vom 27.2.2023, mit dem u. a. der UStAE zum Nullsteuersatz bei bestimmten Photovoltaikanlagen geändert und erläutert worden ist.240)
226
Gemäß § 15a Abs. 7 UStG ist eine Änderungen der Verhältnisse und damit auch eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gegeben beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Nichterhebung der Umsatzsteuer bei Kleinunternehmern (§ 19 Abs. 1 UStG) und umgekehrt und beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung (§§ 23a oder 24 UStG) und umgekehrt.
227
3.
Umkehr der Steuerschuldnerschaft
Grundsätzlich ist der leistende Unternehmer nach § 13a Abs. 1 UStG zugleich Steuerschuldner der Umsatzsteuer. Sonderfälle regelt § 13b UStG, der die Umkehr der Steuerschuldnerschaft betrifft. Der Anwendungsbereich des § 13b Abs. 2 Nr. 6 UStG wurde durch das Achte Gesetz zur Änderung von Verbrauchersteuergesetzen vom 24.10.2022241) im Zuge der weiteren Förderung der Energiewende neu gefasst. Der Umkehr der Steuerschuldnerschaft unterliegt die Übertragung von –
Berechtigungen nach § 3 Nr. 3 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes,
–
Emissionsreduktionseinheiten nach § 2 Nr. 20 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes,
–
zertifizierten Emissionsreduktionen nach § 2 Nr. 21 des Projekt-MechanismenGesetzes sowie
–
Gas- und Elektrizitätszertifikaten.
4.
Unternehmerische Tätigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts
Darüber hinaus wurde durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2020242) _____________ 240) S. BMF-Schreiben v. 27.2.2023 – III C 2 – S 7220/22/10002:010 DOK 2023/0197236, DStR 2023, 455 f. Vgl. Mateev, DStR 2023, 975 ff. 241) BGBl. I 2022, 1838. 242) BGBl. I 2020, 1385.
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in § 27 Abs. 22a UStG geregelt, dass die bisherige Übergangsregelung zu § 2b UStG bis zum 31.12.2022 verlängert wird. Die Regelung in § 2b UStG betrifft die Tätigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts i. R. der Ausübung von Tätigkeiten, die ihnen i. R. der öffentlichen Gewalt obliegen. Gemäß § 27 Abs. 22 UStG hatten die juristischen Personen des öffentlichen Rechts Wahlmöglichkeiten. 230
Diese werden nunmehr bis zum 31.12.2022 verlängert. In der Begründung heißt es: „Der seit dem Jahr 2016 laufende Übergangszeitraum war aus Sicht des Gesetzgebers grundsätzlich ausreichend bemessen und oft sind die erforderlichen Anpassungen bereits vorgenommen worden oder stehen vor dem Abschluss. In einer namenhaften Zahl von Fällen konnte aber noch nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, wie aus entsprechenden Eingaben von Betroffenen, Schreiben von Verbänden und aus den politischen Raum an die Bundesregierung deutlich geworden ist. Die Beibehaltung des bisherigen Endes der Übergangsfrist würde hier nachhaltige Folgen für die interkommunale Zusammenarbeit, die Daseinsvorsorge sowie die Leistungsfähigkeit insbesondere der Kommunen, aber auch anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts haben. Diese Situation hat sich durch die aktuelle COVID-19-Pandemie deutlich verschärft. Die Kommunen, aber auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, sind mit der aktuellen Krisenbewältigung stark belastet und werden es mit der Bewältigung der Krisenfolgen auch auf absehbare Zeit bleiben. Die begrenzten personellen Ressourcen und Sachmittel müssen hier konzentriert werden und stehen für andere Aufgaben nur noch sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Arbeiten zur Umsetzung der Neuregelung des § 2b UStG sind dadurch weitgehend zum Erliegen gekommen und es ist unklar, wie lange die Verzögerungen anhalten werden. Auch aus diesen Gründen ist eine Verlängerung der Übergangsfrist dringend geboten.“243)
5.
Berichtigung
231
Berichtigung gemäß § 15a UStG: Nutzungsänderungen führen nach § 15a UStG zu einer Verpflichtung zur Vorsteuerberichtigung. Aus Billigkeitsgründen wird bis zum 31.12.2021 von einer Vorsteuerkorrektur bei Nutzungsänderungen von Unternehmen der öffentlichen Hand abgesehen, wenn und soweit der Sachverhalt in einer Nutzung zur Bewältigung der Corona-Krise begründet ist. Sofern die Nutzung unentgeltlich erfolgt ist, wird die Billigkeitsregelung auf in privater Rechtsform betriebene Unternehmen der öffentlichen Hand erstreckt.244)
232
Gemäß dem Schreiben des BMF vom 17.3.2022245) wird bei der Nutzungsänderungen von Räumlichkeiten von Unternehmen der öffentlichen Hand gemäß § 163 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen von einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG abgesehen, wenn und soweit der Sachverhalt in einer unentgeltlichen Nutzung zur Bewältigung der Auswirkungen und Folgen des Kriegs in der Ukraine _____________ 243) Begr. RegE Corona-Steuerhilfegesetz, S. 9 f., https://www.bundesfinanzministerium.de/ Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_ Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2020-04-30-Corona-Steuerhilfegesetz/2Regierungsentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 1.6.2023). 244) S. BMF-Schreiben v. 14.12.2021 – III C 2 – S 7030/20/10004:004 (DOK 2021/1290403). 245) S. BMF-Schreiben v. 17.3.2022 – IV C 4 – S 2223/19/10003:103, BStBl. I 2022, 330; ergänzt durch BMF, Schreiben v. 13.3.2023 – III C 2 – S 7500/22/10005:005 DOK 2023/0256994, DStR 2023, 579 f.
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begründet ist. Dies ist auch auf Vorsteuern aus laufenden Kosten anzuwenden. Die Billigkeitsregelung ist auf in privater Rechtsform betriebene Unternehmen der öffentlicher Hand entsprechend anzuwenden. Zudem wird von der Vorsteuerkorrektur abgesehen, wenn private Unternehmen Unterkünfte, die für eine umsatzsteuerliche Verwendung vorgesehen waren (Hotelzimmer, Ferienwohnungen o. ä.) unentgeltlich Personen zur Verfügung stellen, die aufgrund des Kriegs in der Ukraine geflüchtet sind. Beabsichtigen diese Unternehmer bereits bei Bezug von Nebenleistungen wie Strom, Wasser o. ä. eine entsprechende unentgeltliche Beherbergung, wird ausnahmsweise unten den vorgenannten Bedingungen und den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG zusätzlich im Wege der Billigkeit ein entsprechender Vorsteuerabzug gewährt. Berichtigung gemäß § 17 UStG: Im Übrigen ist im Umsatzsteuerrecht die Berichtigung gemäß § 17 UStG zu berücksichtigen. Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist eine Forderung nicht nur dann uneinbringlich, wenn sie schlechthin keinen Wert mehr hat, sondern auch dann, wenn sie für geraume Zeit nicht durchsetzbar ist.246) Der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, hat daher im Falle der Uneinbringlichkeit gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG i. V. m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG den geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen.
233
Gemäß Art. 240 § 1 EGBGB stand Verbrauchern und Kleinstunternehmern ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht zu. Fraglich ist, ob dies bereits ausreicht, eine Berichtigung gemäß § 17 UStG vorzunehmen. Uneinbringlich ist nach der Rechtsprechung des BFH ein Entgelt i. S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann. Kann der Unternehmer das Entgelt für seine bereits erbrachte Leistung aus Gründen, die bereits bei Leistungserbringung vorliegen, für einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahre nicht vereinnahmen, ist erst Recht von einer Uneinbringlichkeit auszugehen.247)
234
Unterliegt der Leistungserbringer der Ist-Besteuerung gemäß § 16 UStG ist er mit der Steuerzahllast belastet, bis er eine Berichtigung gemäß § 17 UStG vornehmen kann. Im Hinblick darauf, dass der BFH bei einem Zeitraum von zwei bis fünf Jahren „erst recht von Uneinbringlichkeit“ ausgeht, ist es m. E. gerade im Hinblick auf das temporäre Leistungsverweigerungsrecht gemäß Art. 240 § 1 EGBGB zwingend, dem leistenden Unternehmer bereits in dem Zeitpunkt, in dem der Leistungsempfänger sich auf die Einrede aus Art. 240 § 1 EGBGB beruft, die Möglichkeit der Berichtigung zu geben, da anderen Falles eine zusätzliche Belastung des Leistungserbringers erfolgt.248)
235
Für Unternehmer, bei denen gemäß § 20 UStG die Berechnung der Steuern nach vereinnahmten Entgelten erfolgt, spielen die vorstehenden Überlegungen keine
236
_____________ 246) So Waza in: Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 2120. 247) So BFH, Urt. v. 24.10.2013 – V R 31/12, Rz. 19, BFHE 243, 451 = BStBl. II 2015, 634; BFH, Urt. v. 22.7.2010 – V R 4/09, BFHE 231, 260 = BStBl. II 2013, 590. 248) Ebenso Wübbelsmann, DStR 2020, 696, 697.
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Rolle, da es dann nicht auf die vereinbarten Entgelte (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG), sondern auf die vereinnahmten Entgelte ankommt. 237
Für die Frage des Vorsteuerabzugs sind die vorstehenden Überlegungen nicht relevant, da es sowohl bei der Ist- als auch bei der Soll-Besteuerung gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausschließlich darauf ankommt, ob die Lieferung oder sonstige Leistung von dem anderen Unternehmer für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt worden ist und eine Rechnung gemäß § 14 Abs. 4 UStG vorliegt. 6.
Ausgabe von Gutscheinen und Umsatzsteuer
238
Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltung auf Grund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter gemäß Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8.3.2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung an Stelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. Soweit eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeiteinrichtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, ist der Betreiber gemäß Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB berechtigt, dem Inhaber eine vor dem 8.3.2020 erworbenen Nutzungsberechtigung an Stelle einer Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben. Der Gutschein muss gemäß Art. 240 § 5 Abs. 3 EGBGB den gesamten Eintrittspreis oder das gesamte sonstige Entgelt umfassen. Für die Ausstellung oder Übersendung des Gutscheins dürfen keine Kosten in Rechnung gestellt werden.
239
Weiterhin muss sich aus dem Gutschein gemäß Art. 240 § 5 Abs. 4 EGBGB ergeben, dass der Gutschein wegen der COVID-19-Pandemie ausgestellt wurde und dass der Inhaber des Gutscheins die Auszahlung des Wertes des Gutscheins unter den in Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB genannten Voraussetzungen verlangen kann. Der Inhaber eines Gutscheins kann gemäß Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB von dem Veranstalter oder Betreiber die Auszahlung des Wertes des Gutscheins verlangen, wenn der Verweis auf einen Gutschein für ihn angesichts seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist oder er den Gutschein bis zum 31.12.2021 nicht eingelöst hat.
240
In diesen Fällen ist zwischen Einzweck- und Mehrzweck-Gutscheinen zu differenzieren, da sich der Zeitpunkt der Besteuerung ändern kann; es kommt auch das Entstehen einer Steuerschuld nach § 14c UStG in Betracht.249)
241
Weiterhin sind die Fälle zu unterscheiden, in denen z. B. ein Fitnessstudiobetreiber seinen Kunden zu Beginn der Corona bedingten Schließzeiten eine taggenaue Zeitgutschrift bei Weiterzahlung zusagt (umsatzsteuerpflichtige Anzahlung) oder er bei Beitragsfortzahlung einen Gutschein ausstellt (Änderung der Bemessungsgrundlage und Anzahlung auf einen Einzweck-Gutschein).250)
_____________ 249) Vgl. Vobbe/Stelzer, DB 2020, 1086 ff. 250) S. FinMin Schleswig-Holstein, Kurzinfo v. 3.2.2021 – S 7100 – 759, StuB 2021, 135.
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7.
Steuerrecht
Einfuhrumsatzsteuer
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020251) wurde die Fälligkeit der Einfuhrumsatzsteuer i. S. von § 21 UStG verschoben. Nunmehr wird die Einfuhrumsatzsteuer, für die ein Zahlungsaufschub bewilligt ist, abweichend von den zollrechtlichen Vorschriften am 26. des zweiten auf den betreffenden Monat folgenden Kalendermonats fällig (§ 21 Abs. 3a UStG). Gemäß § 27 Abs. 31 UStG ist die Regelung erstmals zu dem ab 1.12.2020 beginnenden Aufschubzeitraumes umzusetzen. Nach Mitteilung des BMF bedeutet dies, dass der Fälligkeitstermin für Einfuhren des Aufschubzeitraumes Dezember einheitlich vom 16.1.2021 auf den 26.2.2021 verschoben wurde. Die Fälligkeitstermine für anschließende Aufschubzeiträume verschieben sich entsprechend.252) VII. 1.
242
Sonstige Steuerarten
Erbschaft- und Schenkungsteuer
Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 ErbStG u. a. der Erwerb von Todes wegen und die Schenkungen unter Lebenden.253) Die Bewertung richtet sich gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG nach dem BewG.
243
Beabsichtigt ein Schenker, bspw. durch die Corona-Pandemie im Wert gesunkene Aktien zu verschenken, damit der Beschenkte an einer möglichen späteren Wertsteigerung partizipieren kann, so dann dies Berücksichtigung finden. Anteile an Kapitalgesellschaften sind gemäß § 12 Abs. 2 ErbStG mit dem auf den Bewertungsstichtag gemäß § 11 BewG anzusetzen, also mit dem niedrigsten am Stichtag für sie am regulierten Markt notierten Kurs.254)
244
Bei Betriebsvermögen, Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und Anteilen an Kapitalgesellschaften gelten besondere Verschonungsregelungen gemäß § 13a ErbStG. Voraussetzung für die Gewährung des Verschonungsabschlags gemäß § 13a Abs. 1 ErbStG ist, dass die Summe der maßgeblichen jährlichen Lohnsummen des Betriebs, bei Beteiligungen an Personengesellschaften oder Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft gemäß § 13a Abs. 3 Satz 1 ErbStG innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb (Lohnsummenfrist) insgesamt 400 % der Ausgangslohnsumme nicht unterschreitet (Mindestlohnsumme)255).
245
Entscheidet sich der Unternehmer i. R. der COVID-19-Pandemie dazu, Arbeitsplätze abzubauen, besteht die Gefahr, dass er die Mindestlohnsumme nicht einhalten kann. Dies hat zur Folge, dass die Vergünstigungen für Betriebsvermögen nicht mehr in Anspruch genommen werden können.256)
246
_____________ 251) BGBl. I 2020, 1512. 252) So BMF-Schreiben v. 6.10.2020 – III B 1 – Z 8201/19/10001:005 (DOK 202070982865), BGBl. I 2020, 984. 253) Vgl. Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Kap. 15 Rz. 7 ff. 254) So Köstler, AStW 2020, 327 f. 255) Vgl. Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, Kap. 15 Rz. 113. 256) So auch Köstler, AStW 2020, 327 f.
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247
In diesen Fällen dürfte in vielen Konstellationen die Insolvenz des Betriebes drohen. Der Erwerber ist nämlich gemäß § 13a Abs. 7 ErbStG verpflichtet, dem für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Ablauf der Lohnsummenfrist das Unterschreiten der Mindestlohnsumme anzuzeigen. Bislang sind Billigkeitsregelungen nicht ersichtlich, es dürfte aber zweckmäßig sein – so lange keine allgemeine Billigkeitsregelung getroffen ist, einen individuellen Antrag auf Stundung, abweichende Steuerfestsetzung oder Erlass der Steuer gemäß § 227 AO zu stellen.257)
248
Anders liegt es, wenn der Erwerber des Betriebes für den Betrieb Kurzarbeitergeld in Anspruch nimmt. Der Bezug von Kurzarbeitergeld durch die Bundesagentur für Arbeit führt nicht zu Auswirkungen auf die Lohnsumme gemäß Abschnitt 13 a.5 AEErbSt 2017 ist das von der Bundesagentur für Arbeit ausgezahlte Kurzarbeitergeld vom Aufwand nicht abzuziehen, da hierfür das Saldierungsverbot des § 246 Abs. 2 HGB greift. 2.
Energiesteuer
249
Bei der Energiesteuer ergeben sich Besonderheiten nach § 60 EnergieStG. Eine Steuerentlastung wird auf Antrag dem Verkäufer gemäß § 60 Abs. 1 EnergieStG unter bestimmten Umständen gewährt, wenn er für die im Verkaufspreis enthaltene Steuer beim Warenempfänger wegen Zahlungsunfähigkeit ausfällt. Zu den Voraussetzungen dieser Norm gehört u. a. gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 3 EnergieStG, dass der Zahlungsausfall trotz vereinbarten Eigentumsvorbehalts, laufender Überwachung der Außenstände, rechtzeitige Mahnung bei Zahlungsverzug unter Fristsetzung und gerichtlicher Verfolgung des Anspruchs nicht zu vermeiden war. Im Hinblick auf das gesetzliche Moratorium gemäß Art. 240 § 1 EGBGB und dem sich daraus ergebenden Leistungsverweigerungsrecht des Warenempfängers wird es in vielen Fällen nicht möglich sein, den Anspruch gerichtlich mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen. Daher sollte hier eine Regelung durch den Gesetzgeber erfolgen.
250
Im Zuge des Anstiegs der Energiepreise nach Ausbruch des Ukraine-Krieges wurde durch das Gesetz zur Änderung des Energiesteuerrechts zur temporären Absenkung der Energiesteuer für Kraftstoffe (Energiesteuersenkungsgesetz – EnergieStSenkG) vom 24.5.2022258) eine zeitlich befristete Sonderregelung geschaffen. Die temporäre Absenkung der Energiesteuer betraf gemäß § 68 EnergieStG den Zeitraum vom 1.6.2022 bis zum 31.8.2022. Die Steuer für 1.000 Liter Benzin betrug gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG lediglich noch 359,00 € statt 654,50 € (§ 2 Abs. 1 Nr. 1b EnergieStG). Die Steuer für Gasöle betrug für 1.000 Liter Gasöle gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG 330,00 € statt 470,40 €.
251
Durch das Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes zur Verlängerung des sogenannten Spitzenausgleichs vom 19.12.2022259) wurde das Energiesteuergesetz dahin geändert, dass die Steuerentlastung für Unternehmen in Sonderfällen gemäß § 55 EnergieStG erweitert wird. Die Steuerentlastung betrifft Unternehmen des produzierenden Gewerbes i. S. des § 2 Nr. 3 StromStG zu betrieb_____________ 257) Vgl. Förster/Förster, DB 2021, 697, 701; Kamps/Leinenbach, Stbg 2020, 263 ff. 258) BGBl. I 2022, 810. 259) BGBl. I 2022, 2483.
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Steuerrecht
lichen Zwecken. Die Regelung wird gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EnergieStG für das Antragsjahr 2023 geändert. Die Steuerentlastung wird abweichend von § 55 Abs. 4 EnergieStG gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EnergieStG für das Antragsjahr 2023 gewährt, wenn das Unternehmen nachweist, dass es im Antragsjahr die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG erfüllt und mit dem Antrag die Bereitschaft erklärt, alle in dem jeweiligen System des § 55 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG als wirtschaftlich vorteilhaft identifizierten Endenergieeinsparmaßnahmen umzusetzen. Zudem wird für Unternehmen, die nach dem 31.12.2013 gegründet worden sind, für das Antragsjahr 2023 eine Erleichterung eingeführt. Gemäß § 55 Abs. 6 Satz 4 EnergieStG entfällt das Erfordernis der Voraussetzungen gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EnergieStG. 3.
Tabaksteuer
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020260) wurde geregelt, das die Herabsetzung des Steuersatzes nicht für die Tabaksteuer gilt. Gemäß § 2 Abs. 3 TabakStG gilt für den Zeitraum vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 für die Zwecke der Berechnung des Mindeststeuersatzes weiterhin der zum 1.1.2020 gültige Umsatzsteuersatz nach § 12 UStG. 4.
253
Forschungszulagengesetz
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020261) wurde auch das Forschungszulagengesetz,262) mit dem Forschungs- und Entwicklungsvorhaben begünstigt werden, soweit sie einer oder mehreren der Kategorien Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zuzuordnen sind, § 2 Abs. 1 FZulG, gefördert. Die förderfähigen Aufwendungen sowie die Bemessungsgrundlage sind in § 3 FZulG geregelt. Während für die Zeit bis zum 30.6.2020 die Bemessungsgrundlage für die förderfähigen Aufwendungen auf 2 Mio. € gemäß § 3 Abs. 5 Satz 1 FZulG beschränkt war, gilt für nach dem 30.6.2020 und vor dem 1.7.2026 entstandene förderfähige Aufwendungen eine Bemessungsgrundlage von max. 4 Mio. €. 5.
252
254
Investmentsteuer
Das BMF hat sich mit einem weiteren Schreiben vom 9.4.2020 zu investmentsteuerlichen Maßnahmen zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID19-Pandemie geäußert.263) Ein Investmentfonds hat grundsätzlich wesentliche Verstöße gegen die Anlagebedingungen zu vermeiden. Zur Verfahrensvereinfachung ist _____________ 260) BGBl. I 2020, 1512. 261) BGBl. I 2020, 1512. 262) FZulG v. 14.12.2019, BGBl. I 2019, 2763, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes v. 16.7.2021, BGBl. I 2021, 2931. 263) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 1 – S 1910/19/10079:002 (DOK 2020/0340848), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Ste uerarten/Investmentsteuer/2020-04-09-invstementsteuerliche-massnahmen-zur-beruecksichtigung-der-wirtschaftlichen-folgen-der-COVID-19-pandemie.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 1.6.2023).
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grundsätzlich nicht von einem wesentlichen Verstoß auszugehen, wenn ein Aktienoder Mischfonds in einem Geschäftsjahr an bis zum 20 einzelnen oder zusammenhängenden Geschäftstagen die Vermögensgrenzen des § 2 Abs. 6 oder Abs. 7 InvStG unterschreitet. Nunmehr regelt das BMF, dass eine passive Grenzverletzung zwischen dem 1.3.2020 und dem 30.4.2020 bei Investmentfonds grundsätzlich keinen wesentlichen Verstoß gegen diese Regel darstellt und nicht auf die Zwanzig-GeschäftstageGrenze i. S. des BMF-Schreibens vom 21.5.2019264) angerechnet wird. Eine passive Grenzverletzung zwischen dem 1.3.2020 und dem 30.4.2020 gilt bei Spezial-Investmentfonds grundsätzlich nicht als wesentlichen Verstoß gegen die Anlagebestimmungen des § 26 InvStG.265) VIII. Umwandlungen und Umwandlungssteuerrecht 256
Gemäß § 17 Abs. 1 UmwG sind der Anmeldung zum Handelsregister bestimmte Unterlagen beizufügen. Der Anmeldung zum Register des Sitzes jedes der übertragenden Rechtsträger ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 UmwG ferner eine Bilanz dieses Rechtsträgers beizufügen. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 UmwG darf das Registergericht die Verschmelzung nur eintragen, wenn die Bilanz auf einen höchstens acht Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist. Durch § 4 COVGesMG wurde geregelt, dass es genügt, wenn die Bilanz auf einen höchsten zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.
257
Eine parallele Regelung im UmwStG fehlte zunächst. Auch das BMF hat sich zu dieser Frage nicht geäußert. In der Literatur wurde danach differenziert, ob es sich um einen Fall der Verschmelzung gemäß § 3 UmwStG handelt, bei dem das Umwandlungssteuerrecht keinen gesonderten Rückwirkungstatbestand enthält, oder ob es sich um einen Formwechsel i. S. von § 9 UmwStG oder um eine Einbringung gemäß § 20 UmwStG handelt, da in diesen Fällen das Umwandlungssteuerrecht eigene Rückbeziehungsvorschriften vorsieht.266)
258
Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.6.2020267) nunmehr reagiert und in § 27 Abs. 15 UmwStG geregelt, dass § 9 Satz 3 sowie § 20 Abs. 6 Satz 1 und Satz 3 UmwStG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass an die Stelle des Zeitraums von acht Monaten ein Zeitraum von zwölf Monate tritt, wenn die Anmeldung zur Eintragung oder der Abschluss des Vertrags im Jahre 2020 erfolgt.
259
Da die Ausgangsregelung im UmwStG durch Rechtsverordnung gemäß § 8 i. V. m. § 4 GesRuaCOVBekGverlängert werden kann, wird das BMF ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine parallele Verlängerung anzuordnen. _____________ 264) BMF-Schreiben v. 21.5.2019 – IV C 1 – S 1980-1/16/10010:001 (DOK 2019/0415199), BStBl. I 2019, 527. 265) So BMF-Schreiben v. 9.4.2020 – IV C 1 – S 1910/19/10079:002 (DOK 2020/0340848), https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Ste uerarten/Investmentsteuer/2020-04-09-invstementsteuerliche-massnahmen-zur-beruecksichtigung-der-wirtschaftlichen-folgen-der-COVID-19-pandemie.pdf?__blob=publication File&v=1 (Abrufdatum: 1.6.2023); vgl. dazu: Schmittmann, ZRI 2020, 234, 243. 266) So Wübbelsmann, DStR 2020, 696, 697. 267) BGBl. I 2020, 1385.
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IX. Besonderheiten bei Erneuerbaren Energien 1.
Erneuerbare-Energien-Gesetz
Produzierenden Gewerbes die Möglichkeit, nach Maßgabe der Vorschriften den Erlass, die Erstattung oder die Vergütung von Stromsteuer zu beantragen. Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 StromStG wird abweichend von § 10 Abs. 3 StromStG für das Antragsjahr 2023 die Steuer erlassen, erstattet oder vergütet, wenn das Unternehmen nachweist, dass es im Antragsjahr die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StromStG erfüllt und mit dem Antrag die Bereitschaft erklärt hat, alle in dem jeweiligen System des § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StromStG als wirtschaftlich vorteilhaft identifizierten Endenergieeinsparmaßnahmen umzusetzen. Die Bundesregierung rechnet mit Entlastungen in einer Größenordnung von rund 1,7 Milliarden € bei etwa 9.000 Unternehmen.268)
260
Durch das Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen vom 20.12.2022269) wurde in Art. 1 das Strompreisbremsegesetz (StromPBG) eingeführt sowie weitere Gesetze geändert, insbesondere das EnWG, das Erneuerbare-Energien-Gesetz sowie das Energiefinanzierungsgesetz. Dabei handelt es sich um Regelungen die in mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit der Energiekrise stehen.
261
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat die Anwendbarkeit der Strompreisbremse am 28.12.2022 bekanntgemacht.270)
262
3.
Gaspreisbremse
Durch das Gesetz zur Einführung von Preisbremsen für leistungsgebundenes Erdgas und Wärme und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 20.12.2022271) wurden das Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) geschaffen und weitere Gesetze geändert.
263
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat das Inkrafttreten des Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetzes am 28.12.2022 bekanntgemacht.272) Der Querverbund von Blockheizkraftwerken und Bäder wird durch eine temporäre Abschaltung des BHKW und einer Stilllegung des Bades nicht zwingend beendet.273)
264
Durch das Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) vom 16.12.2022274) wurden in §§ 123 ff. EStG besondere steuerliche Regelungen bei der Besteuerung der Gas-/ Wärmepreisbremse geschaffen. Die Entlastung ist gemäß § 123 Abs. 1 EStG grundsätzlich den Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG zuzuordnen, sofern sie nicht zu einer
265
_____________ 268) So BMF, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_III/20_Legislaturperiode/2022-12-23-SpAverlG/ 0-Gesetz.html [Abrufdatum 1.6.2023]. 269) BGBl. I 2022, 2512. 270) BGBl. I 2022, 2894. 271) BGBl. I 2022, 2560. 272) BGBl. I 2022, 2894. 273) S. BMF-Schreiben v. 27.9.2023 – IV C 2 – S 2706/19/10007:001 DOK 2022/0926644, DStR 2023, 520 f. 274) Jahressteuergesetz 2022 (JStG 2022) v. 16.12.2022, BGBl. I 2022, 2294 ff.
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anderen Einkunftsart gehört. Die Entlastung ist gemäß § 124 Abs. 1 EStG dem zu versteuernden Einkommen zuzurechnen. Die Milderungszone beginnt gemäß § 124 Abs. 2 EStG bei einem zu versteuernden Einkommen vom 66.915 € und endet bei einem zu versteuernden Einkommen von 104.009 €. Bei Zusammenveranlagung verdoppeln sich diese Beträge. Zufluss und Besteuerung sind in § 125 EStG geregelt: Maßgebend ist die Erteilung der Rechnung bzw. im Vermietungs- und Verpachtungsfällen die Abrechnung durch den Vermieter oder Verpächter. Gemäß § 126 EStG geltend die Straf- und Bußgeldvorschriften der Abgabenordnung entsprechend. X. Bilanzierung und Rechnungslegung nach HGB 266
Gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB sind der Jahresabschluss und der Lagebericht von den gesetzlichen Vertretern einer Kapitalgesellschaft in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen. Bei kleinen Kapitalgesellschaften verlängert sich diese Frist, wenn dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht, gemäß § 264 Abs. 2 Satz 4 HGB auf sechs Monate.
267
Die gesetzliche Aufstellungsfrist ist nicht verlängerbar.275) Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass seitens der Finanzverwaltung die Frist für die Einreichung von Steuererklärungen verlängert worden ist. Zudem ist für die gesetzliche Frist des § 264 Abs. 1 und Abs. 2 HGB unbeachtlich, dass das Bundesamt für Justiz in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Justiz gegen Unternehmen, deren gesetzliche Frist zur Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen für das Geschäftsjahr mit dem Bilanzstichtag 31.12.2021 am 31.12.2022 endet, vor dem 11.4.2023 kein Ordnungsgeldverfahren nach § 335 HGB276) einleiten wird und damit den anhaltenden Nachwirkungen der Ausnahmesituation der COVID-19Pandemie Rechnung getragen wird.277)
268
In Zeiten der Corona-Pandemie können Konstellationen auftreten, in denen die rechtzeitige Aufstellung des Jahresabschlusses nicht möglich ist, z. B. weil das dafür zuständige Personal erkrankt ist oder aber aufgrund von Zugangsbeschränkungen nicht mehr seinen Arbeitsplatz erreichen und eine Arbeit vom Homeoffice nicht möglich ist. In diesen Fällen trifft die organschaftlichen Vertreter gleichwohl die Frist zur rechtzeitigen Aufstellung, allerdings ist diese primär nicht sanktioniert. Allerdings wird gemäß § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB bestraft, wer entgegen dem Handelsrecht es unterlässt, die Bilanz seines Vermögens oder das Inventar in der vorgeschriebenen Zeit aufzustellen. Eine strafrechtliche Verfolgung kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Täter zumindest fahrlässig handelt. Der organschaftliche Vertreter kann sich ggf. mit einer faktischen Unmöglichkeit der Aufstellung exkulpieren. Zu diesem Zweck dürfte es zweckmäßig sein, rechtzeitig zu dokumentieren, aus welchen Gründen i. E. eine rechtzeitige Aufstellung nicht möglich war. _____________ 275) Vgl. Hopt/Merkt, HGB, § 264 Rz. 9. 276) Vgl. zur verjährungsbedingten Einnahmeausfällen des Bundesamtes für Justiz bei Forderungen aus Ordnungsgeldverfahren nach § 335 HGB: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Brandner und der Franktion der AfD vom 1.12.2021, BT-Drucks. 20/164. 277) Bundesamt für Justiz, https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/OrdnungsgeldVollstreckung/Jahresabschluesse/Jahresabschluesse_node.html.
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Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB ist vorsichtig zu bewerten, namentlich sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind.278) Es stellt sich die Frage, ob etwaige bilanzielle Konsequenzen, die aus der COVID-19Pandemie resultieren, bereits in den zum 31.12.2019 aufzustellenden handelsrechtlichen Jahresabschlüssen zu berücksichtigen sind oder erst in den Folgeperioden.279)
269
Eine Aufstellung des Jahresabschlusses zu Fortführungswerten darf gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB nur erfolgen, sofern der Fortführung der Unternehmenstätigkeit nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Das Gesetz vermutet die Überlebensfähigkeit solange, wie nicht Umstände sichtbar werden, die die Fortführung unwahrscheinlich erscheinen lassen oder zweifelsfrei die Unmöglichkeit der Fortführung bekannt ist.280) Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung des bilanzierenden Unternehmens, die sich auf den handelsrechtlich gebotenen Zeitraum zu erstrecken hat. Dabei handelt es sich regelmäßig jedenfalls um das auf den Abschlussstichtag folgende Geschäftsjahr.281)
270
Dies gilt unabhängig davon, dass nach § 4 COVInsAG zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 für die Überschuldungsprüfung i. S. von § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ein Prognosezeitraum von lediglich vier Monaten galt.282)
271
Auch die durch das SanInsFoG eingeführte gesetzliche Regelung in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO, wonach im Hinblick auf die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung auf die Fortführung des Unternehmens ins den nächsten zwölf Monaten abzustellen ist, ist für die Frage der handelsrechtlichen Fortführungsprognose ebenso unbeachtlich wie die Sonderregelung in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG, wonach in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 an die Stelle des Zeitraums von zwölf Monaten ein Zeitraum von vier Monaten tritt.
272
Praktisch dürfte der Anwendungsbereich der temporären Regelung bereits im September 2023 enden, da ab Januar 2024 wieder der Fortführungszeitraum 12 Monate beträgt.283)
273
In der Zeit vom 9.11.2022 bis zum 31.12.2023 der gemäß § 4 Abs. 2 SanInsKG verkürzte Prognosezeitraum nur für die Überschuldungsprüfung, nicht aber für die Aufstellung des Jahresabschlusses gelten.
274
In der Praxis bietet es sich an, die Grundsätze aus der Rechtsprechung des BGH zur Fortführungsprognose zu berücksichtigen:284)
275
„[…] 68 a) Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO aF in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabi-
_____________ 278) 279) 280) 281) 282) 283) 284)
S. Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, S. 102. Vgl. Berger, BB 2020, 876 ff. Vgl. Hopt/Merkt, HGB, § 252 Rz. 7. So BGH, Urt. v. 26.1.2017 – IX ZR 285/14, BGHZ 213, 374 ff. = NZI 2017, 312 ff. Rz. 24. Vgl. IDW PS 270 (29.10.2021), IDW-Fachnachrichten in IDWLife 2021, 1264 Rz. 18. Vgl. Schmitz/Bünemann, NZI 2022, 960, 971. S. BGH, 13.7.2021 – II ZR 84/20, BGHZ 230, 255 ff. = BB 2021, 2188 ff. = NJW 2021, 3046 mit Anm. Nickert/Wieczorek, DStR 2022, 791 ff.
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Steuerrecht
Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
lisierungsgesetz – FMStG) vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I S. 1982), der auf den vorliegenden Sachverhalt gemäß Art. 103m EGInsO anwendbar ist, liegt trotz rechnerischer eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vor, wenn die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine positive Fortführungsprognose in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept herzuleitende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus. Dem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept muss grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, der für einen angemessenen Prognosezeitraum aufzustellen ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 13 – Fleischgroßhandel; Beschluss vom 23. Januar 2018 – II ZR 246/15, ZIP 2018, 576 Rn. 23) und aus dem sich ergibt, dass die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199; Urteil vom 18. Oktober 2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 13 – Fleischgroßhandel). 69 Dem Geschäftsleiter ist bei der Beantwortung der Frage, ob eine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann, ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Bei der Prüfung, ob der Geschäftsleiter seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat, darf die Vermögenssituation der Gesellschaft nicht aus der Rückschau beurteilt werden, sondern es ist auf die Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlichen Geschäftsleiters in der konkreten Situation abzustellen (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199; Urteil vom 12. Februar 2007 – II ZR 309/05, juris Rn. 16).“
276
Nach Auffassung des IDW ist die sprunghafte Ausweitung der Infektionen erst ab Januar 2020 aufgetreten, so dass das Auftreten des Corona-Virus als weltweite Gefahr nicht wertaufhellend, sondern wertbegründend einzustufen ist und die bilanziellen Konsequenzen erst in Abschlüssen mit Stichtag nach dem 31.12.2019 zu berücksichtigen sind.285)
277
Das IDW hat sich i. Ü. in zwei weiteren Fachlichen Hinweisen mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie befasst. Der Fachliche Hinweis vom 25.3.2020 umfasst die handelsrechtliche Rechnungslegung, ausgewählte Hinweise zur IFRSRechnungslegung sowie Auswirkungen zum Prüfungsprozess.286) Am 6.4.2021 wurde das fünfte Update des Teils 3 „Zweifelsfragen zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung“ veröffentlicht.287) Unter dem 20.3.2022 wurde ein Fachlicher Hinweis des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) zu Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine auf Unternehmensbewertungen veröffentlicht.288) _____________
278
279
285) So IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung zum Stichtag 31.12.2019 und deren Prüfung (Teil 1), Fachlicher Hinweis v. 4.3.2020, https:// www.idw.de/blob/122498/31bce74e5b1413b91f74c9de1ea64383/down-corona-idwfachlhinw-teil1-dok1-data.pdf (abgerufen am 1.6.2023). 286) So IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung (Teil 2), Fachlicher Hinweis v. 25.3.2020, https://www.idw.de/blob/122878/ ac5e8bd6bfd88081cfdd9398ceb04032/down-corona-idw-fachlhinw-teil2-data.pdf (abgerufen am 1.6.2023). 287) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 6.4.2021, https://www.idw.de/blob/124230/4d0cde 868d61cb6ab0bead999861372e/down-corona-idw-fachlhinw-relepruefung-teil3-update5data.pdf (abgerufen am 1.6.2023). 288) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 20.3.2022, https://www.idw.de/idw/idw-aktuell/russlandsangriff-auf-die-ukraine-fachlicher-hinweis-zu-den-auswirkungen-auf-die-unternehmensbewertung.html (abgerufen am 1.6.2023).
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
Steuerrecht
Das IDW hat am 8.3.2022 einen umfassenden Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf Rechnungslegung und Prüfung veröffentlicht.289)
280
Am 8.4.2022 hat das IDW das 1. Update des Fachlichen Hinweises „Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung und deren Prüfung“ veröffentlicht, das sich schwerpunktmäßig mit den Fragen der handelsrechtlichen Rechnungslegung für Stichtage nach Kriegsausbruch, der IFRS-Rechnungslegung für Stichtage nach Kriegsausbruch und Auswirkungen auf die Abschlussprüfung befasst.290)
281
Am 14.4.2022 hat das IDW das 2. Update des Fachlichen Hinweises „Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung und deren Prüfung“ veröffentlicht, das sich schwerpunktmäßig mit Finanzinstrumenten und Auswirkungen der Sanktionen auf Vertragsbeziehungen befasst.291)
282
Am 9.8.2022 hat das IDW das 3. Update des Fachlichen Hinweises „Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung und deren Prüfung“ veröffentlicht, das sich neuerlich mit den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf Rechnungslegung und Prüfung befasst. Das IDW weist insbesondere darauf hin, dass die Realwirtschaft wesentliche Risiken, z. B. aus ihren Lieferketten (insbesondere hinsichtlich des Energiebedarfs), auf ihren Absatzmärkten, hinsichtlich der Kreditversorgung durch Banken oder aus Cyberangriffen treffen. Schwerpunkte des 3. Updates sind Ausführungen zum Verhältnis sanktionsrechtlicher Meldepflichten zur berufsrechtlichen Verschwiegenheit sowie des Verbots der Erbringung bestimmter Dienstleistungen.292)
283
Am 22.12.2022 wurde das 4. Update des Fachlichen Hinweises zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine veröffentlicht. Die neuen Fragen betreffen zum einen die handelsbilanziellen Auswirkungen der gestiegenen Kosten für Wärme bei Unternehmen der Immobilienwirtschaft; zum anderen werden Themen angesprochen, die für die Bilanzierung nach dem IFRS von Bedeutung sein können, nämlich die Umklassifizierung von finanziellen Vermögenswerten, die Anwendung der sog. One Use Exemption bei Energiebeschaffungsverträgen sowie Szenariobetrachtung im Rahmen der Ermittlung von Wertermittlungen nach IFRS 9 im Verhältnis zu Sensivitätsangaben nach IAS 1.293)
284
_____________ 289) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 8.3.2022, https://www.idw.de/idw/idw-aktuell/fachlicher-hinweis-zu-den-auswirkungen-des-ukraine-krieges-auf-rechnungslegung-undpruefung.html (abgerufen am 1.6.2023). 290) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 8.4.2022, 1. Update, https://www.idw.de/IDW/Medien/ Arbeitshilfen-oeffentlich/Fachliche-Hinweise-oeffentlich/Downloads-Ukraine/IDWFH-Ukraine-IDW-FachlHinw-ReLe-Pruefung-Update1.pdf (abgerufen am 1.6.2023). 291) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 8.4.2022, 2. Update, https://www.idw.de/idw/idwaktuell/fachlicher-hinweis-zu-den-auswirkungen-des-ukraine-krieges-2-update.html (abgerufen am 1.6.2023). 292) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 8.4.2022, 3. Update, https://www.idw.de/idw/idwaktuell/3-update-des-fachlichen-hinweises-zu-den-auswirkungen-des-ukrainekrieges.html (abgerufen am 1.6.2023). 293) S. IDW, Fachlicher Hinweis vom 8.4.2022, 4. Update, https://www.idw.de/idw/idwaktuell/4-update-des-fachlichen-hinweises-zu-den-auswirkungen-des-krieges-in-derukraine.html (abgerufen am 1.6.2023).
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
285
Für Banken ist die Stellungnahme vom 18.12.2020 mit dem Titel „Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wertminderungen von Finanzinstrumenten im Jahresund Konzernabschluss von Kreditinstituten zum 31.12.2020“ relevant.294)
286
Rechnet der bilanzierende Unternehmer mit der Gewährung einer Corona-Beihilfe und darf er bei gehöriger Sorgfalt auch damit rechnen, so hat er diese als Forderung zu aktivieren.295) Die Rückzahlungsverpflichtung ist zu passivieren, sofern nicht eine Einnahme-Überschussrechnung gefertigt wird. Hier gilt das Abflussprinzip nach § 11 EStG.296) XI. Bilanzierung und Rechnungslegung nach IFRS
287
Das IDW hat zu ausgewählten Themen der IFRS-Rechnungslegung in der COVID19-Pandemie Stellung genommen,297) z. B. zur Umsatzrealisierung nach IFRS 15, der Wertminderung von Vermögenswerten nach IAS 36, der Frage der Fair-ValueBewertungen, der Finanzinstrumente, der Rückstellungen, der Vorräte sowie der Ertragsteuern.298)
288
Es ist zweckmäßig, die regelmäßigen Veröffentlichungen des International Accounting Standards Board (IASB) zu verfolgen,299) in denen Fragen zur Anwendung der IFRS aufgrund der von COVID-19 verursachten wirtschaftlichen Unsicherheiten beantwortet werden. Dort finden sich die aktuellen Aussagen zur Bilanzierung nach IFRS. XII. Offenlegung
289
Gemäß § 325 Abs. 1 HGB haben die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs von Kapitalgesellschaften sowie bestimmten Personenhandelsgesellschaften des festgestellten Jahresabschluss elektronisch beim Bundesanzeiger enzureichen und damit offenzulegen.300) Im Zuge der COVID-19-Pandemie hat das Bundesamt für Justiz umfassende Erleichterungen für Unternehmen wegen der Corona-Krise verfügt, die sowohl das Ordnungsgeldverfahren als auch das Vollstreckungsverfahren erfassen.301)
290
Das Bundesamt für Justiz leitetete zunächst bis 7.3.2022 keine Verfahren wegen Nichtoffenlegung der Jahresabschlüsse 2020 ein.302) Weiterhin werden in Abstim_____________ 294) S. IDW 18.12.2020 Bankenfachausschuss des IDW Risikovorsorge von Kreditinstituten nach HGB und IFRS zum Abschlussstichtag 31.12.2020. 295) So Lüdenbach, StuB 4/2021, 137, 142. 296) So FinMin Schleswig-Holstein, Verfügung v. 18.10.2021 – VI 304 – S 2137 – 347, StuB 2021, 907 f. 297) Vgl. Berger, BB 2020, 876 ff. 298) Vgl. IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung (Teil 2), Fachlicher Hinweis v. 25.3.2020, S. 13, https://www.idw.de/blob/ 122878/ac5e8bd6bfd88081cfdd9398ceb04032/down-corona-idw-fachlhinw-teil2-data.pdf (abgerufen am 1.6.2023). 299) S. IASB, https://www.ifrs.org/ (abgerufen am 1.6.2023). 300) Vgl. zu den Rechtsfolgen einer unterlassenen Offenlegung: Hopt/Merkt, § 325 HGB Rz. 14. 301) Vgl. Rinker, StuB 7/2020, 256. 302) Bundesamt für Justiz, https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Ordnungs_Bussgeld_Vollstreckung/Jahresabschluesse/Jahresabschluesse_node.html.
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
Steuerrecht
mung mit dem Bundesministerium der Justiz gegen Unternehmen, deren gesetzliche Frist zur Offenlegung von Rechnungslegungsunterlagen für das Geschäftsjahr mit dem Bilanzstichtag 31.12.2021 am 31.12.2022 endet, vor dem 11.4.2023 kein Ordnungsgeldverfahren nach § 335 des Handelsgesetzbuchs einleiten. Damit sollen angesichts der anhaltenden Nachwirkungen der Ausnahmesituation der COVID19-Pandemie die Belange der Beteiligten angemessen berücksichtigt werden.303) XIII. Schlussabrechnung der Corona-Überbrückungshilfen Die COVID-19-Pandemie hat zu einer Reihe von staatlichen Stützungsmaßnahmen für Selbständige und Unternehmen geführt. Die Maßnahmen umfassen die Überbrückungshilfen I bis IV, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, Härtefallbeihilfen, das KFW-Sonderprogramm sowie besondere Unterstützung für die Veranstaltungsbranche, Messen, Ausstellungen und Kulturveranstaltungen sowie den Profisport.304) Im Rahmen der staatlichen Maßnahmen sind Schlussabrechnungen zu fertigen.
291
Alle Unternehmen, die eine der Corona-Wirtschaftshilfen Überbrückungshilfe I – IV sowie November- und Dezemberhilfe durch prüfende Dritte beantragt haben, sind verpflichtet, bis zum 30.6.2023 eine Schlussabrechnung einzureichen. Die Abrechnung der ersten Programme (Überbrückungshilfe I-III, November- und Dezemberhilfe) ist am 5.5.2022 gestartet.
292
Mit dem Fachlichen Hinweis möchte das IDW die Wirtschaftsprüfer bei der Abgabe der Erklärungen des prüfenden Dritten im Antragsportal „Schlussabrechnung Paket 1“ unterstützen. Die Zielsetzung besteht darin, die Vorgaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie des Bundesministeriums der Finanzen zu erfüllen und gleichzeitig die für Wirtschaftsprüfer geltenden beruflichen und fachlichen Grundsätze zu beachten. Bei dem Auftrag des Wirtschaftsprüfers zur Einreichung der Schlussabrechnung handelt es sich – ebenso wie bei dem Auftrag des Wirtschaftsprüfers zur Beantragung der Coronahilfen – um einen Erstellungsauftrag mit bestimmten vorzunehmenden Würdigungen.
293
Das im Fachlichen Hinweis gegebene Formulierungsbeispiel für die Bescheinigung soll dem Wirtschaftsprüfer ermöglichen, gegenüber dem Auftraggeber eine Bescheinigung nach berufsüblichen Grundsätzen zu erteilen.305)
294
XIV. Unternehmensbewertung Die COVID-19-Pandemie wird sich massiv auf die Bewertung von Unternehmen auswirken. Nach Auffassung des IDW kommt es auf Ausmaß und Dauer der
_____________ 303) Bundesamt für Justiz, https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/OrdnungsgeldVollstreckung/Jahresabschluesse/Jahresabschluesse_node.html. 304) Bundesregierung, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/info-unternehmen-selbstaendige-1735010. 305) S. IDW, Pflichten des Wirtschaftsprüfers als „prüfender Dritter“ bei der Einrechung der Schlussabrechnung zur Überbrückungshilfe I – III sowie zur November- und Dezemberhilfe (Paket 1), https://www.idw.de/idw/idw-aktuell/fachlicher-hinweis-des-idw-zur-schlussabrechnung-fuer-die-corona-ueberbrueckungshilfen.html (abgerufen am 1.6.2023).
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Hilfsmaßnahmen COVID-19-Pandemie, Ukraine-/Energiekrise
negativen Effekte und die Kapitalkosten an.306) Wegen der Einzelheiten kann nur auf die Literatur verwiesen werden.307) 296
Im Rahmen der Energiekrise sind besondere Anforderungen an das Riskmanagement zu stellen.308) XV. Finanzausgleich
297
Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020309) wurde auch das Finanzausgleichsgesetz vom 20.12.2001310) geändert. Die Korrekturbeträge zulasten des Bundes wurden durch dieses Gesetz von minus 11.761.856.907 € auf minus 20.380.856.907 € erhöht, die Länder erhalten statt 7.998.074.350 € nunmehr 15.706.074.350 €. Auf die Gemeinden entfällt statt eines Erhöhungsbetrages in Höhe von 3.763.782.557 € ein Betrag in Höhe von 4.674.782.557 €. Eine weitere Korrektur erfolgte durch das Gesetz vom 2.10.2021.
298
Das Finanzausgleichsgesetz ist mehrfach, zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 4.12.2022311) und Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung312) geändert worden. Die Regelungen betreffen die Aufteilung des Aufkommens der Umsatzsteuer auf Bund, Länder und Gemeinden (§ 1 Abs. 1 FAG) und berücksichtigen zudem die finanzielle Beteiligung der Länder an der Bekämpfung der durch die Starkregenfälle und das Hochwasser im Juli 2021 verursachten Schäden (§ 1 Abs. 2a FAG), den Ausgleich für Belastungen der Länder aus dem KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz vom 19.12.2018313) sowie die finanziellen Lasten der Länder, die ihnen aus der Umsetzung des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche für die Jahre 2021 und 2022“ im eigenen Zuständigkeitsbereich entstehen (§ 1 Abs. 6 FAG).
_____________ 306) So IDW, Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf Unternehmensbewertungen, Fachlicher Hinweis des Fachausschusses für Unternehmensbewertungen und Betriebswirtschaft (FAUB) v. 25.3.2020, https://www.idw.de/blob/122884/2316fb82457e82143445b8d0740a3e89/down-corona-faub-fachlhinw-data.pdf (abgerufen am 1.6.2023). 307) Vgl. Kihm/Junker/Wegener, DB 2021, 517 ff. Thees/Grimmer, BB 2020, 1259 ff.; Zwirner/ Vodermeier, DStR 2021, 2097 ff.; Zwirner/Zimny, DB 2020, 852 ff. 308) Vgl. Schülke/Reinke, RFamU 2022, 505 ff. 309) BGBl. I 2020, 1512. 310) BGBl. I, 3955, 3956, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 2.10.2021. BGBl. I 2021, 4602. 311) BGBl. I 2022, 2142. 312) KiTa-Qualitätsgesetz v. 20.12.2022, BGBl. I 2022, 2791. 313) BGBl. I 2018, 2696.
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Teil VII Strafrecht
Krisen- und Insolvenzstrafrecht § 283 StGB Heindorf
Literatur: Achenbach/Ransiek/Rönnau-Wegner, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 2019; Bergmann, Die Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO durch einen nur faktischen Geschäftsführer, NZWiSt 2014, 81; Bittmann, Anmerkung zu OLG München, Beschluss vom 14.6.2012 – 3 Ws 493/12, NZWiSt 2013, 270; Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl., 2017; Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl., 2022; Braun, Insolvenzordnung, 9. Aufl., 2022; Büttner, Der neue Überschuldungsbegriff und die Änderung des Insolvenzstrafrechts, ZInsO 2009, 841; Cirener/Radtke/Rissing-van Saan/ Rönnau/Schluckebier, Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch: StGB, Band 9/1: §§ 263 bis 266b, 12. Aufl., 2012; Dierlamm, Der faktische Geschäftsführer im Strafrecht – ein Phantom?, NStZ 1996, 153; Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl., 2022; Erb/Schäfer, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch: StGB, Band 5: §§ 263 – 297, 4. Aufl., 2022; Fischer, Strafgesetzbuch, 70. Aufl., 2023; Fleischer/Goette, Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Band 3, 4. Aufl., 2022; Graf/Jäger/Wittig/Reinhart, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2017; Habetha, § 283 Abs. 6 StGB und der „tatsächliche Zusammenhang“, wistra 2007, 365; Hess, Kölner Kommentar zu Insolvenzordnung, Band 1: Vor § 1, §§ 1 – 55 InsO, 2016; Himmelskamp/Schmittmann, Strafrechtliche Risiken im Restrukturierungsverfahren, StuB 2006, 326; Kayser/Thole, Insolvenzordnung; 11. Aufl., 2023; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, Band 3: §§ 232 – 358, 5. Aufl., 2017; Lackner/Kühl/Heger, Strafgesetzbuch, 30. Aufl., 2023; Leitner/Rosenau, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2022; Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 2. Aufl., 2020; Nehrlich/Römermann, Insolvenzordnung, 46. Aufl., 2023; Pannen/Riedmann/Smid, Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG), 1. Aufl., 2021; Pelz/ Grotebrune, Strafrecht in der Krise und Insolvenz, 3. Aufl., 2022; Satzger, Die objektive Bedingung der Strafbarkeit, JURA 2006, 108; Schmidt, Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 9. Aufl., 2021; Schmidt, Insolvenzordnung, 20. Aufl., 2023; Schmittmann, Strafrechtliche Risiken im Restrukturierungsverfahren – Der neue Straftatbestand des § 42 StaRUG und die bisherigen Krisenstraftatbestände im Lichte des SanInsFoG, NWB Sanieren + Restrukturieren, 2021, 45; Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl., 2019; Skauradszun/Fridgen, StaRUG, 1. Aufl., 2022; Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung: InsO, Band 1, 4. Aufl., 2019; Uhlebruck, Insolvenzordnung, Band 1, 16. Aufl., 2023; von Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, 56. Aufl., 2023; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 5. Aufl., 2020; Weiß, Der unzureichend begründete Insolvenzantrag einer GmbH aus strafrechtlicher Sicht, ZInsO 2009, 1520; Weyand, Strafbarkeit wegen „nicht richtiger“ Insolvenzantragsstellung – strafrechtlicher Flankenschutz für Insolvenzgerichte und …, ZInsO 2010, 359; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 2020; Wolter, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 5: §§ 242 – 302 StGB, 9. Aufl., 2019. Übersicht I. II. 1. 2.
Einführung ........................................... 1 § 15a Abs. 4 – 6 InsO ............................ 3 Allgemeines ........................................... 3 Tatbestand ........................................... 14 a) Krisenmerkmale ........................... 14 b) Täter .............................................. 22 c) Tathandlungen ............................. 28 d) Exkurs: Strafrechtliche Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das SanInsAG .......... 31 e) Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum ...... 32
III. IV. 1. 2.
3. 4.
Heindorf
f) Vollendung und Verjährung ........ 36 § 42 Abs. 3 StaRUG ........................... 38 § 263 StGB .......................................... 44 Allgemeines ......................................... 44 Objektiver Tatbestand ........................ 47 a) Eingehungsbetrug ........................ 47 b) Abrechnungsbetrug ..................... 54 c) Beitragsbetrug .............................. 56 Subjektiver Tatbestand ....................... 58 Versuch, Regelbeispiele, Verjährung ........................................... 60
341
§ 283 StGB V. § 266a StGB – Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt ...... 1. Allgemeines ......................................... 2. Tatbestandsvoraussetzungen .............. a) Tauglicher Täter ........................... b) Tathandlung ................................. 3. Subjektiver Tatbestand ....................... 4. Besonders schwere Fälle Absatz 4 ..... 5. Strafbefreiende Selbstanzeige Absatz 6 ...............................................
I.
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
66 66 69 69 72 81 82 83
6. Verjährung ........................................... 84 VI. § 283 StGB – Insolvenzverschleppung als objektive Strafbarkeitsbedingung ..................... 85 1. Allgemeines ......................................... 85 2. Tatbestand ........................................... 89 3. Objektive Strafbarkeitsbedingung ..... 94 4. Subjektiver Tatbestand ..................... 100 5. Versuch, Fahrlässigkeit, Verjährung ......................................... 101
Einführung
1
Der Fokus des Kapitels „Krisenstrafrecht“ soll auf den strafrechtlichen Vorschriften liegen, die in der Praxis im Zusammenhang mit dem Insolvenzrecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVInsAG), das durch das Gesetz zur Abschaffung des Güterrechtsregisters und zur Änderung des COVID-19Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 31.10.2022 (BGBl. I 2022, 1966 ff.) zum Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG (BGBl. I 2022, 1968 ff.)) geworden ist, stehen. Besonders praxisrelevant sind in diesem Zusammenhang die Insolvenzverschleppung, § 15a Abs. 4 bis 6 InsO, die nicht rechtzeitige Anzeige von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, § 42 Abs. 3 StaRUG, der Eingehungsbetrug, § 263 StGB, das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a StGB, und der Bankrott im Hinblick auf die Insolvenzverschleppung als objektive Strafbarkeitsbedingung, § 283 StGB.
2
Dieses Kapitel soll ausschließlich die Problematiken in Verbindung mit dem Insolvenzstrafrecht und dem SanInsKG behandeln. Zu allgemeinen Fragestellungen wird auf die entsprechenden Kommentierungen von InsO und StGB verwiesen. II. § 15a Abs. 4 – 6 InsO 1.
3
Allgemeines
Der Straftatbestand der Insolvenzverschleppung ist im Rahmen der Insolvenzstraftaten der praxisrelevanteste;1) da er als Auffangtatbestand gegenüber den Insolvenzstraftatbeständen des Kernstrafrechts fungiert. Ein Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung wird in den meisten Fällen auf Grund einer Anzeige von Gläubigern, vornehmlich Krankenkassen (siehe hierzu auch § 266a Rz. 66 ff.) und Finanzämtern eingeleitet. Zudem wird die Staatsanwaltschaft von Amts wegen über jedes eröffnete und mangels Masse abgewiesene Insolvenzverfahren durch das zuständige Insolvenzgericht informiert, selbst wenn kein Anfangsverdacht einer Insolvenzstraftat besteht. Geregelt ist dies in den bundeseinheitlichen Justizverwaltungsanordnungen unter der Überschrift „Mitteilungen in Zivilsachen“ (MiZi).2) _____________ 1) 2)
342
Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 15a InsO Rz. 5. MiZi, 2. Teil, 3. Abschnitt VIII.
Heindorf
§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Grundsätzlich erwächst aus bloßen Vermutungen, die nicht durch konkrete Hinweise untermauert werden können, kein Anfangsverdacht. Allerdings reicht es nach § 163 StPO aus, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen sich nach kriminalistischer Erfahrung konkrete Hinweise für ein strafbares Verhalten ergeben. Auf Grund der extremen Praxisrelevanz von Insolvenzverschleppung wird die Weitergabe an die Staatsanwaltschaft nach Nr. 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 MiZi ohne konkreten Anfangsverdacht als verhältnismäßig angesehen. Die Bestimmungen der § 15a Abs. 4 und 5 InsO dienen als Präventionsvorschriften gegen Insolvenzverschleppung sowie dem Gläubigerschutz.3) Dem Unternehmer soll verdeutlicht werden, dass die rechtzeitige Stellung eines Insolvenzantrages nicht nur im Interesse der Gläubiger, sondern auch in seinem Interesse steht, da die Sanierung des Unternehmens deutlich realistischer ist.4) Zudem sollen die Gefahren, die durch die Weiterführung der Geschäfte drohen, eingedämmt werden.5) Die Absätze 4 und 5 sind auf Grund dessen für die Gläubiger Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB.6) Neben einigen weiteren Maßnahmen, die der Gesetzgeber geschaffen hat, um die Geschäftsleiter von Unternehmen zur rechtzeitigen Stellung von Insolvenzanträgen zu bewegen (wie z. B. die Stärkung der Gläubigerrechte und der Eigenverwaltung sowie die Einführung eines neuen Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO a. F., seit Inkrafttreten des SanInsFoG § 270d InsO) haben Geschäftsleiter in den Fällen, in denen entgegen den Vorschriften des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts pflichtwidrig und schuldhaft kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzantrages gestellt wird, gemäß § 26 Abs. 4 InsO einen Vorschuss auf die Verfahrenskosten zu zahlen.
4
Stellt der Unternehmer keinen rechtzeitigen Insolvenzantrag und führt die Geschäfte vorsätzlich trotz Krise weiter, ist § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB einschlägig.7)
5
Die Bestimmungen in Absatz 4 und 5 sind auch auf juristische Personen ausländischen Rechts anwendbar, sofern sie im Geltungsbereich der InsO liegen.8) Das KG9) hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass § 15a Abs. 3 InsO eine englische Limited nicht anwendbar ist, sondern nur für eine GmbH nach deutschem Recht. Es besteht mithin auch kein Strafbarkeitsrisiko wegen Insolvenzverschleppung für den Direktor einer englischen Limited.
6
Absatz 3 weitet die Strafbarkeit der Antragspflichtigen weiter aus: Ist eine GmbH, AG oder Genossenschaft führungslos, sind die Gesellschafter der GmbH und alle
7
_____________ 3) 4) 5) 6)
7) 8)
9)
Schmidt-Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 1; Linker in: HK InsO, § 15a Rz. 1. Verjans/Rixe in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 C. Rz. 133 f. Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 41; Hess in: KK InsO, § 15a Rz. 1. BGH, Urt. v. 19.11.2019 – II ZR 53/18, BGH NZI 2020, 167, Rz. 15; BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, NZG 2015, 227, NJW-Spezial 2015, 112; Reinhart in: Graf/ Jäger/Wittig/Reinhart, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 4. OLG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 3 Ws 493/12; Bittmann, NZWiSt 2013, 271 m. w. N.; Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 41. BT-Drucks. 16/6140, S. 55; Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 41; Braun-Sorg, InsO, § 15a Rz. 4; Linker in: HK InsO, § 15a Rz. 9; a. A. Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 50 ff., 53. KG, Urt. v. 10.8.2022 – 4 Ss 115/22, ZRI 2022, 781.
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Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Mitglieder des Aufsichtsrats einer AG oder Genossenschaft verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. 8
Die Strafbarkeit gilt zudem auch für die GmbH & Co. KG und vergleichbare Rechtsformen, Absatz 1 Satz 2, Absatz 2. Stiftungen und Vereine fallen nach § 42 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 7 InsO nicht unter die Strafvorschriften. Keine Strafbarkeit besteht ebenfalls wegen des Analogieverbots des Art. 103 Abs. 2 GG für die VorGesellschaft.10)
9
Absatz 4 und 5 sind Vergehen, § 12 Abs. 2 StGB. Der Versuch ist gemäß § 23 Abs. 1 StGB nicht strafbar. Die Insolvenzverschleppung ist ein Dauerdelikt. Absatz 4 stellt ein echtes Unterlassungsdelikt dar.11) Eine neue Verletzung der Insolvenzantragspflicht für das gleiche Unternehmen ist also nur möglich, wenn zuvor eine Zäsur eingetreten ist, beispielsweise durch vorherige Beseitigung der Krise.12) Hierbei ist streitig, ob eine Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung eine solche Zäsur darstellt. Verneint man dies, wird die erneute Strafverfolgung durch Art. 103 Abs. 3 GG („Ne bis in idem.“) gehindert.
10
Die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung führt neben der Gefahr eines Eintrags im Führungszeugnis zu weiteren Konsequenzen:
11
Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG darf ein wegen Insolvenzverschleppung verurteilter Geschäftsführer für die Dauer von 5 Jahren nicht als Geschäftsführer einer GmbH berufen werden. Auf Grund der weit gefassten Insolvenzantragspflicht ist der Personenkreis des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 GmbHG allerdings weit zu fassen, sodass auch Gesellschafter und Aufsichtsräte dem Ausschlussgrund unterliegen können.13)
12
Die Ausschlusstatbestände für die Berufung in das Amt des Geschäftsführers greifen gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG allerdings nur in den Fällen vorsätzlichen Handelns. Entsprechendes gilt für Vorstände einer Aktiengesellschaft gemäß § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3a AktG.
13
Neben § 15a Abs. 4 und 5 InsO droht dem Geschäftsführer bei der Verletzung der Verlustanzeigepflicht gemäß § 84 GmbHG eine Strafe, wenn er es vorsätzlich oder fahrlässig unterlässt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen. Dies gilt bei der Aktiengesellschaft nach § 401 AktG und der Genossenschaft nach § 148 GenG sinngemäß. 2.
Tatbestand
a) Krisenmerkmale 14
Die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrages besteht ausschließlich beim Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO). Dies in der Praxis mit derartiger Sicherheit festzustellen, dass ein Gericht hierauf _____________ 10) Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 328; Uhlenbruck-Hirte, InsO § 15a Rz. 64. 11) OLG Hamm, Beschl. v. 4.12.2012 – III-5 RVs 88/12, ZInsO 2014, 897; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 15a InsO Rz. 3. 12) Vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2019 – II ZR 53/18, NZI 2020, 167. 13) Hess in: KK InsO, § 15a Rz. 167.
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ein Urteil stützen kann, bereitet oft große Schwierigkeiten. Insbesondere die an die Krisenmerkmale anzulegenden Bewertungsmaßstäbe, die zumeist schwierige Beweislage, sowie die Menge an auszuwertenden Urkunden stellen die Ermittlungsbehörden häufig vor große Probleme. Äußerst umstritten ist, ob die Legaldefinitionen der §§ 17, 19 InsO unmodifiziert im Strafrecht gelten. Hierbei werden von zivilrechtsakzessorischen über zivilrechtsorientierte bis zu strafrechtsautonome Begriffsbestimmungen vertreten.14)
15
Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten 12 Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Liegt eine positive Fortführungsprognose vor, ist das Tatbestandsmerkmal der Überschuldung zu verneinen. Voraussetzung hierfür ist zum einen die Absicht des Unternehmensträgers zur Fortführung des Unternehmens und die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens.15)
16
Gemäß dem seinerzeitigen § 4 COVInsAG, der heute in § 4 Abs. 1 SanInsKG16) enthalten ist, war in dem Zeitraum zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.12.2021 anstelle der 12 Monate aus § 19 Abs. 2 Satz 1 ein Zeitraum von vier Monaten zu Grunde zu legen, wenn die Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19 Pandemie zurückzuführen war. Absatz 1 Satz 2 enthält dabei eine widerlegbare Vermutung: Die Zurückführung auf die COVID-19 Pandemie wurde vermutet, wenn der Schuldner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig war (Nr. 1), oder der Schuldner in dem letzten, vor dem 1.1.2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat (Nr. 2), oder der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen war (Nr. 3). In dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12. 2023 tritt an die Stelle des in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO genannten Zeitraums von zwölf Monaten ein Zeitraum von ebenfalls vier Monaten, § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG.
17
Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Nach Absatz 2 Satz 2 ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Hiervon abzugrenzen ist die bloße Zahlungsstockung oder die kurzfristige Zahlungseinstellung, die nicht unter die Krisenmerkmale zu subsumieren sind. Eine bloße Zahlungsstockung ist nach dem Wortlaut des BGH anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend.17)
18
_____________ 14) S. hierzu vertieft Hohmann in: MünchKomm-StGB, § 15a InsO Rz. 26; Radtke/Petermann in: MünchKomm-StGB, vor §§ 283 ff. Rz. 74 f.; Wißmann in: MünchKomm-GmbHG, § 84 Rz. 121 ff.; Büttner, ZInsO 2009, 841, 855 f. 15) BT-Drucks. 12/2443, S. 115; Reinhart in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 74. 16) Zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 31.10.2022, BGBl. I, 1966. 17) BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547.
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Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners allerdings weniger als zehn Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits abzusehen, dass die Lücke demnächst mehr als zehn Prozent erreichen wird.18) Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners zehn Prozent oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist.19)
20
Eine geringfügige Unterdeckung, reicht nach Ansicht des BGH also nicht aus. Der zu weit geratene Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist in strafrechtlicher Hinsicht zu konkretisieren:
21
Zahlungsunfähigkeit i. S. von § 17 Abs. 2 InsO bedeutet das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Unternehmens, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu begleichen.20) b) Täter
22
Der Straftatbestand der Insolvenzverschleppung ist ein Sonderdelikt.21) Insoweit verweist § 15a Abs. 4 InsO auf § 15a Abs. 1 – 3 InsO. Gemäß § 15a Abs. 1 – 3 InsO macht sich nur strafbar, wer verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen, mithin die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler im Rahmen der Liquidation der Gesellschaft. Andere Personen kommen lediglich als Anstifter, § 26 StGB, oder Gehilfen, § 27 StGB, in Betracht. Gemäß Absatz 3 kommen jedoch auch die Gesellschafter, als auch der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft als taugliche Täter in Betracht, wenn die Gesellschaft führungslos und damit die Antragspflicht übergegangen ist. Für die Haftung bei Führungslosigkeit muss die entscheidende Kenntnis positiv festgestellt sein.22)
23
Handelt es sich um mehrköpfige Vertretungsorgane, ist jeweils das einzelne Mitglied nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen.23) Die Erfüllung der Antragspflicht durch ein Mitglied des Vertretungsorgans wirkt zu Gunsten aller Antragspflichtigen.24) Bei ausländischen Gesell-
_____________ 18) 19) 20) 21) 22) 23)
BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, NZI 2005, 547. BGH, Urt. v. 19.4.2007 – 5 StR 505/06, NStZ 2008, 415. Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 15a Rz. 6; Schmidt-Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 49. Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 46; Schmidt-Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 49. Vgl. BGH, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, NZG 2019, 225; Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 43. 24) Vgl. Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 65; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 15a InsO Rz. 25.
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schaften ist nach dem jeweiligen ausländischen Recht zu prüfen, wer Mitglied des Vertretungsorgans ist.25) Die Schuldnereigenschaft ist persönliches Merkmal i. S. des § 28 Abs. 1 StGB.
24
Es ist höchstrichterlich anerkannt, dass die Pflicht zur Insolvenzantragstellung auch den faktischen Geschäftsführer trifft.26) Dies sind namentlich Fälle, in denen die Bestellung des Geschäftsführers unwirksam ist, oder dieser gar nicht bestellt wurde. Die Klassische Fallkonstellation ist das Tätigwerden als Geschäftsführer trotz gesetzlichen Verbotes neben einem förmlich bestellten und im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers. Dem BGH27) zur Folge ist eine tatsächliche Aufnahme und Ausübung der Geschäftsführerstellung anzunehmen, wenn der faktische Geschäftsführer sowohl betriebsintern als auch nach außen auf alle wichtigen Entscheidungen und Geschäftsvorgänge bestimmendem Einfluss ausübt. Zudem muss die Unternehmensführung mit dem Einverständnis der Gesellschafter erfolgt sein. Faktischer Geschäftsführer ist, wer gegenüber dem formellen Geschäftsführer die überragende Stellung in der Gesellschaft einnimmt oder zumindest das deutliche Übergewicht hat. Das BayObLG hat hierzu die sog. Sechs-von-acht-Theorie28) entwickelt. Hiernach ist von einem solchen Übergewicht in der Geschäftsführung oder einer überragenden Stellung des faktisch Tätigen jedenfalls dann auszugehen, wenn zumindest 6 der 8 klassischen, den Kernbereich der Geschäftsführung beschreibenden Merkmale vorliegen: (1) Bestimmung der Unternehmenspolitik, (2) Unternehmensorganisation, (3) Einstellung von Mitarbeitern, (4) Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern, (5) Verhandlung mit Kreditgebern, (6) höchste Gehaltsstufe in der GmbH, (7) Entscheidung von Steuerangelegenheiten und (8) Kontrolle der Buchhaltung.
25
Auch der sog. Strohmann ist antragspflichtig. Der Strohmann ist, im Gegensatz zum faktischen Geschäftsführer der tatsächlich bestellte und in das Handelsregister eingetragene Geschäftsführer, der die tatsächliche Geschäftsführungsgewalt allerdings nicht oder nicht allein besitzt.29)
26
Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, Absatz 1 Satz 2, ist tauglicher Täter der Insolvenzverschleppung der organschaftliche Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter. Bei der GmbH & Co KG also der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, die ihrerseits die Geschäfte der KG führt.30)
27
_____________ 25) Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 43; Reinhart in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 16, 17; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO, § 15a Rz. 20; a. A. Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 327 zu § 266 StGB. 26) BGH, Urt. v. 25.7.1984 – 3 StR 192/84. 27) BGH, Urt. v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BeckRS 2000, 30110806; BGH, Beschl. v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34 f.; BGH, Urt. v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, NJW 1983, 240; so auch Braun-Sorg, InsO, § 15a Rz. 39; Hess in: KK InsO § 15a Rz. 18 ff.; Himmelskamp/Schmittmann, StuB 2006, 326 ff.; a. A: Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 44; Klöhn in: MünchKomm-InsO § 15a Rz. 328; Bergmann, NZWiSt 2014, 81; s. zu der Streitigkeit auch Schmidt-Schmidt/Herchen, InsO, § 15a Rz. 49. 28) BayObLG, Urt. v. 20.2.1997 – 5 St RR 159/96; NJW 1997, 1936; Dierlamm, NStZ 1996, 156; vgl. BGH, Urt. v. 10.7.1996 - 3 StR 50/96, NJW 1997, 66 f. 29) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 15a InsO Rz. 36 m. w. N. 30) Reinhart in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 31.
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c) Tathandlungen 28
Nach Absatz 4 wird bestraft, wer seiner Antragspflicht „nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig“ nachkommt.
29
Der Insolvenzantragspflichtige muss den Antrag gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1, 2 InsO ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung stellen.31) Die Frist von drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen bei Überschuldung ist jeweils eine Höchstfrist. Sie ist nicht verlängerbar und darf auch nur in engen Grenzen ausgenutzt werden. Eine Ausnahme besteht nach § 4a SanInsKG. Hiernach tritt in dem Zeitraum vom 9.11.2022 bis einschließlich 31.12.2023 an Stelle der in § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO genannten sechs-Wochenfrist eine Acht-Wochen-Frist.
30
Vor der Einführung von § 15a Abs. 6 InsO war sehr umstritten, unter welchen Voraussetzungen der Antrag „nicht richtig“ gestellt wurde.32) Die Strafbarkeit ist nunmehr an die objektive Strafbarkeitsbedingung geknüpft, dass das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist. Auf Grund der Ausgestaltung als objektive Strafbarkeitsbedingung muss sich der Vorsatz des Täters also gerade nicht auf dieses Merkmal beziehen.33) Die Gefahr der Strafbarkeit besteht also nur, wenn der Antragsteller es trotz gerichtlichem Hinweis versäumt, den gestellten Antrag im Rahmen der durch das Gericht gesetzten Frist nachzubessern. Zu beachten ist, dass Absatz 6 die Ablehnung wegen Unzulässigkeit fordert. Die Strafbarkeit nach Absatz 4 Nr. 2 ist also weiterhin eingeschränkt auf einen Antragsmangel im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzungen. Hierdurch wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Abgabe eines unzulässigen Eröffnungsantrag unter Strafe stellen wollte, da gerade nicht die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorlagen und der Antragsteller dies nicht sorgsam im Rahmen seiner Prüfpflicht überprüft hat.34) d) Exkurs: Strafrechtliche Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das SanInsAG
31
Das Entfallen der Insolvenzantragspflicht durch das SanInsKG schlägt automatisch auf die Strafbarkeit nach Absatz 4 und 5 durch – die Strafbarkeit entfällt unter den Voraussetzungen des § 1 SanInsKG (vgl. die Kommentierung zu § 1 SanInsKG Rz. 1 ff. [Fritz]). Im Hinblick auf das Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB gilt dies auch in den Fällen, in denen der Insolvenzgrund bereits vor dem Inkrafttreten des COVInsAG eintrat und die nach dem COVInsAG straffrei wären. Strafbar ist das Unterlassen der Insolvenzantragstellung nur dann, wenn der eingetretene Insolvenzgrund nicht auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht oder keine Aussicht auf die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht oder die _____________ 31) Nach der Neufassung von § 15a Abs. 1 S. 2 InsO zum 1.1.2021. 32) S. hierzu ausführlich Hess in: KK InsO § 15a Rz. 175; Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 48; Reinhart in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO, Rz. 124; Nerlich/Römermann-Mönning, InsO § 15a Rz. 38; Weiß, ZInsO 2009, 1520; Weyand, ZInsO 2010, 359. 33) BT-Drucks. 18/12154, S. 30; Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 336a. 34) Uhlenbruck-Hirte, InsO § 15a Rz. 64.
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Aussicht entfällt, § 1 Satz 2 SanInsKG (vgl. die Kommentierung zu § 1 SanInsKG Rz. 1 ff. [Fritz]). Am 30.4.2021 endete für insolvenzantragspflichtige Unternehmen die letztmalige Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Nicht rechtzeitig oder nicht richtig gestellte Anträge waren ab dem 1.5.2021 – mit Ausnahme der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Hochwasser und Starkregen35) – regelmäßig strafbewährt. e) Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum Unter Strafe gestellt wird die vorsätzliche (§ 15 StGB) und die fahrlässige (§ 15a Abs. 5 InsO) Verletzung der Antragspflicht. Bedingter Vorsatz (dolus eventualis) reicht aus. Der Vorsatz muss sich auf sämtliche Tatbestandsmerkmale des objektiven Tatbestands beziehen, jedoch nicht auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit aus Absatz 6. Der Antragspflichtige muss die Umstände kennen, aus denen sich die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages ergibt. Er muss insbesondere Kenntnis vom Vorliegen des Insolvenzgrundes haben. Die Frist des § 15a Abs. 1 InsO beginnt zu laufen, sobald der Antragsverpflichtete vom Eintritt des Insolvenzgrundes Kenntnis erlangt hat.36) Dolus Eventualis liegt nach der Rechtsprechung regelmäßig dann vor, wenn sich der Antragspflichtige „trotz Anzeichen einer Krise keine Informationen über die wirtschaftliche Lage verschafft und deshalb nichts von der Überschuldung gewusst hat.“37)
32
Fahrlässigkeit ist i. d. R. gegeben, wenn der Antragspflichtige zwar den Eröffnungsgrund nicht kennt, sich aber nicht ausreichend über die finanzielle Lage der Gesellschaft informiert hat.38) Er hat die Pflicht, sich durch die Aufstellung eines Vermögensplans einen Überblick über das bestehende Vermögen zu verschaffen, und zu entscheiden, ob eine positive Fortführungsprognose besteht.39)
33
Irrt der Antragspflichtige über das Vorliegen der Krisenmerkmale, liegt i. d. R. ein Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB vor. Sodann ist die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 5 InsO zu prüfen.40) Kennt der Täter hingegen zwar die tatsächlichen Voraussetzungen seiner Insolvenzantragspflicht, oder hat er sie fahrlässig nicht erkannt, und irrt er sich lediglich über die rechtliche Verpflichtung, den Antrag zu stellen, so liegt ein Verbotsirrtum vor. Dies ist beispielweise der Fall bei allgemeiner Unkenntnis der Antragspflicht41) oder der fehlerhaften Vorstellung über die rechtlichen Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Ebenso liegt ein Verbotsirrtum vor, wenn der Antragspflichtige annimmt, seine Antragspflicht sei wegen eines bereits gestellten Fremdantrages
34
_____________ 35) Schmittmann, BB 35/2021, S. I. 36) BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, NJW 2003, 3787 f. 37) BGH, Urt. v. 23.8.2017 – 2 StR 456/16, NJW 2018, 566 Rz. 35; Pfordte/Sering in: Leitner/ Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 45. 38) OLG Hamm, Urt. v. 2.12.2009 – 11 U 151/08, ZInsO 2010, 527 ff.; Ransiek in: HK InsO, § 15a Rz. 51; Braun-Sorg, InsO § 15a Rz. 37. 39) BGH, Urt. v. 23.8.2017 • 2 StR 456/16; ZInsO 2018, 709. 40) Reinhart in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 142. 41) BGH, Urt. v. 5.5.1964 – 1 StR 26/64, LMRR 1964, 6.
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entfallen42), oder er dürfe die Drei-Wochen-Frist des § 15a InsO wegen laufender Kredit- oder Vergleichsverhandlungen überschreiten.43) 35
Der Verbotsirrtum führt nur zum Ausschluss der Schuld, wenn dieser für den Antragspflichtigen unvermeidbar war, § 17 Satz 1 StGB. Nach der Rechtsprechung des BGH ist hier ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.44) f)
Vollendung und Verjährung
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Für vorsätzliche Insolvenzverschleppung beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, bei fahrlässiger Begehung drei Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB. Die Frist beginnt mit der Beendigung der Tat anzulaufen. Nach h. M. liegt Beendigung vor, wenn die Pflicht zur Antragstellung entfällt,45) also dann, wenn das Verfahren auf Antrag eines Gläubiger eröffnet,46) oder die Krise bewältigt wurde.47) Dies führt insbesondere bei letzter Variante zu dem obskuren Ergebnis, dass der Beginn der Verjährung auf unbestimmte Zeit nach hinten geschoben wird. Auf Grund dessen muss nach hiesiger Ansicht anstatt auf den Zeitpunkt der Beendigung, auf den Zeitpunkt der Vollendung der Tat abgestellt werden.48)
37
Allein der Insolvenzantrag eines Gläubigers lässt die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsleiter nicht entfallen. III. § 42 Abs. 3 StaRUG
38
Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) ist am 1.1.2021 in Kraft treten. Der Normzweck des StaRUG besteht darin, die bislang bestehende Lücke zwischen der außergerichtlichen Sanierung und einem Insolvenzverfahren zu schließen. Hierdurch sollen zukünftig Sanierungsmaßnahmen auch außerhalb einer Insolvenz gegen den Willen einzelner Gläubiger umgesetzt werden können.
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Auch in strafrechtlicher Hinsicht schafft das StaRUG Neuheiten:49)
40
Gemäß § 42 Abs. 3 StaRUG ist zu bestrafen, wer entgegen Abs. 1 Satz 2 den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht oder nicht rechtzeitig anzeigt. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 StaRUG ruht zwar während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 bis Abs. 3 InsO und § 42 Abs. 2 BGB. Es besteht jedoch gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG die Pflicht, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit _____________ 42) Hohmann in: MünchKomm-StGB, § 15a InsO Rz. 104, 120. 43) Hohmann in: MünchKomm-StGB, § 15a InsO Rz. 104; s. auch Reinhart in: Graf/Jäger/ Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 15a InsO Rz. 144. 44) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, NJW 1994, 2220. 45) BGH, Beschl. v. 16.5.2017 – 2 StR 169/15, Rz. 39; Hohmann in: MünchKomm-StGB, § 15a InsO Rz. 109 m. w. N. 46) BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, NJW 2009, 157 Rz. 22. 47) BGH, Urt. v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, NJW 1980, 406; Klöhn in: MünchKomm-InsO, § 15a Rz. 323. 48) So auch Kayser/Thole-Ransiek, InsO, § 15a Rz. 41; für § 266a StGB so auch BGH, Beschl. v. 13.11.2019 • 1 StR 58/19, NStZ 2020, 159 Rz. 13, 20. 49) Zur Vertiefung: Schmittmann, NWB Sanieren + Restrukturieren, 2021, 45 ff.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
i. S. des § 17 Abs. 2 InsO oder einer Überschuldung i. S. des § 19 Abs. 2 InsO ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. Der Strafrahmen entspricht dem des § 15a Abs. 4 und 5 InsO. Keine Strafbarkeit besteht hier ebenso wie nach § 15a Abs. 7 InsO für Vereine und Stiftungen gemäß Abs. 3 Satz 2. Gegenüber § 15a Abs. 4-6 InsO enthält § 42 Abs. 3 StaRUG eine erhebliche Haftungsverschärfung. Denn die Norm enthält gerade nicht die in § 15a Abs. 1 InsO genannte Drei-Wochen-Frist. Die Anzeige ist vielmehr gemäß Absatz 1 Satz 2 ohne schuldhaftes Zögern (ohne Höchstfrist) zu erstatten. Auf Grund dessen steigt das Haftungsrisiko des Geschäftsleiters mit Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache nicht unerheblich.50) Insbesondere die Abgrenzung zwischen drohender Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO, und Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO, birgt erhebliche Schwierigkeiten und ist für den Geschäftsleiters mitunter nicht ohne Weiteres unmittelbar trennscharf zu ziehen.51)
41
Die Stellung eines den Anforderungen des § 15a InsO genügenden Insolvenzantrages gilt gemäß § 42 Abs. 2 StaRUG als rechtzeitige Erfüllung der Anzeigepflicht.
42
Strafbewährt ist vorsätzliches (§ 15 StGB) und fahrlässiges (§ 42 Abs. 3 Satz 2 StaRUG) Handeln. Fahrlässigkeit kommt vor allem in Betracht, wenn die Liquiditätsprüfung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, und bei ordnungsgemäßer Ausführung der Eintritt der Insolvenzreife festgestellt worden wäre.52)
43
IV. § 263 StGB 1.
Allgemeines
Der Betrugstatbestand gehört zum Kernstrafrecht und zum Insolvenzstrafrecht im weiteren Sinne. Schutzgut des § 263 StGB ist ausschließlich das wirtschaftliche Vermögen des Opfers vor Täuschungen. Erfolgt eine Verurteilung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe, ergibt sich hieraus automatisch die Amtsunfähigkeit für Geschäftsleiter und Vorstände für fünf Jahre ab Rechtskraft des Urteils, § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3e AktG, § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3e GmbHG.
44
Die Strafvorschrift des § 263 StGB kommt im Rahmen des Insolvenzstrafrechts vor allem dann in Betracht, wenn trotz Überschuldung oder drohender bzw. bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit Verträge mit Geschäftspartnern geschlossen werden, obwohl bereits offensichtlich ist, dass diese auf Seiten des Schuldners nicht erfüllt werden können (sog. „Eingehungsbetrug“).53)
45
Es wird im Rahmen dieser Kommentierung darauf verzichtet, auf alle einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB im Detail einzugehen. Es wird diesbezüglich auf die einschlägige Kommentarliteratur des StGB verwiesen. Folgend sollen lediglich die für das Insolvenzstrafrecht relevanten Problemschwerpunkte herausgearbeitet werden.
46
_____________ 50) 51) 52) 53)
S. hierzu Mock in: Skauradszun/Fridgen, StaRUG, § 42 Rz. 19. So auch Schmittmann, NWB Sanieren Sanieren + Restrukturieren, 2021, 47. S. hierzu auch Pannen/Riedmann/Smid-Riedmann, StaRUG, § 42 Rz. 27. Verjans/Rixe in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 C. Rz. 211.
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§ 283 StGB 2.
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Objektiver Tatbestand
a) Eingehungsbetrug 47
Große Praxisrelevanz hat im Hinblick auf das Insolvenzstrafrecht der Eingehungsbetrug in Gestalt des Lieferantenbetruges. Im Rahmen dieser Betrugsalternative erklärt der Schuldner gegenüber dem Lieferanten beim Vertragsabschluss ausdrücklich oder konkludent, dass er bei Fälligkeit des zu zahlenden Betrages zahlungswillig und zahlungsfähig ist. Ist er dies nicht, täuscht er hierbei über seine Kreditwürdigkeit.54) Es kommt hierbei auf die prognostizierte zukünftige wirtschaftliche Lage des Unternehmens an.55) Liegt allerdings bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Zahlungsunfähigkeit vor, liegt mit Vertragsabschluss in der Regel auch eine Täuschungshandlung gegenüber dem Lieferanten vor.56) Dies ist in ganz wenigen Ausnahmefällen nur nicht anzunehmen, wenn der Schuldner davon ausgegangen ist, dass er zum Fälligkeitszeitpunkt wieder liquide ist.57) Hierbei reicht es allerdings nicht aus, wenn der Schuldner dies nur an vage Hoffnungen knüpft.58) Die Überschuldung sowohl nach dem Wortlaut des § 19 InsO, als auch nach Auslegung im Hinblick auf § 15a InsO reicht hingegen nicht per se für die Annahme aus, dass der Schuldner seinen Verbindlichkeiten zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht nachkommen kann.59)
48
Durch §§ 4, 4a SanInsKG wurde der Prognosezeitraum verkürzt, sowie die Antragsfrist verlängert. Dies führt zu dem Ergebnis, dass das Risiko für den Geschäftsführer sich nach § 15a InsO strafbar zu machen, zunächst verringert wird. Dies jedoch nur, wenn der Geschäftsführer den Antrag in der durch § 4a SanInsKG vorgeschriebenen Acht-Wochen-Frist stellt.
49
Auch im Rahmen des Eingehungsbetruges ist eine Täuschung durch Unterlassen möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass den Schuldner eine Aufklärungspflicht trifft.60) Eine solche Aufklärungspflicht ist allerdings nur in engen Ausnahmefällen anzunehmen, beispielsweise wenn zwischen den Vertragsparteien über das Vertragsverhältnis hinaus ein besonders enges Vertrauensverhältnis besteht.61)
50
Durch die Täuschung muss beim Geschäftspartner ein Irrtum hervorgerufen werden. Das ist der Fall, wenn er davon ausgeht, dass der Vertragspartner bei Fälligkeit, die Gegenleistung erbringen wird, oder das Risiko der Nichtleistung als gering einschätzt.62) Kein Irrtum kann – muss aber nicht – vorliegen, wenn der Geschäfts_____________ 54) Tiedemann in: LK StGB, § 263 Rz. 38; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 4. 55) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 259. 56) LG Stuttgart, Beschl. v. 26.1.2015 – 6 KLs 34 Js 2588/10, ZInsO 2015, 2286; Heger/ Petzsche in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 263 Rz. 105. 57) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 4. 58) Pelz/Grotebrune, Strafrecht in der Krise und Insolvenz, Rz. 551. 59) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 4. 60) S. detailliert hierzu Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 5. 61) BGH, Beschl. v. 22.3.1988 – 1 StR 106/88, StV 1988, 386. 62) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 262; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 7.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
partner dem Schuldner trotz erheblicher Zahlungsrückstände weiter beliefert.63) Ausgeschlossen ist ein Irrtum, wenn der Lieferant bewusst weitere Lieferungen vornimmt, um entweder die drohende Insolvenz des Schuldners abzuwenden, oder ihm die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gleichgültig ist.64) Auf Grund des Irrtums muss der Gläubiger eine zu einem Vermögensschaden führende Vermögensverfügung vornehmen.65)
51
Ein Vermögensschaden ist regelmäßig in der offenen Forderung zu sehen, wenn bereits bei der Bestellung Zahlungsunfähigkeit oder kurz danach eintritt (Ausnahmen s. oben Rz. 19 ff.). Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn der Schuldner gerade durch die Bestellung und Lieferung der Ware eine Zahlungsunfähigkeit verhindert. Der BGH sieht einen Vermögensschaden hier nur dann, wenn zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung bei lebensnaher wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Vermögensverfügung einer Wertminderung gleichkommt (schadensgleiche Vermögensgefährdung).66) Das BVerfG fordert hierfür eine konkrete Feststellung zur bilanziellen Wertminderung.67)
52
Der BGH hatte sich in diesem Zusammenhang wiederholt mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen bereits durch den Abschluss eines Vertrages ein Vermögensschaden zu bejahen ist. Dabei ist zu beachten, dass bei einem durch Täuschung zustande gekommenen Vertrag, der nur zur Zug-um-Zug-Leistung verpflichtet, im Vertragsschluss regelmäßig weder ein Schaden noch eine schadensgleiche Vermögensgefährdung gegeben ist, da das Leistungsverweigerungsrecht den in seiner Bonität beeinträchtigten Gegenanspruch sichert.68) Ein Vermögensschaden liegt ebenso wenig vor, wenn der Vertragspartner über eine wirtschaftlich gleichwertige Sache verfügt.69)
53
b) Abrechnungsbetrug Der Abrechnungsbetrug gehört als Betrugstatbestand ebenso zum Kernstrafrecht, auf Grund des wirtschaftlichen Einschlages soll er ebenfalls kurz beleuchtet werden. Täter des Abrechnungsbetruges sind in der Regel Ärzte, Psychotherapeuten, Zahnärzte, Krankenhäuser oder sonstige Leistungserbringer wie Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder ambulante Pflegedienste. Tathandlung ist das Erschleichen von Vergütungen für nicht erbrachte Leistungen oder das Kassieren von Vergütungen aus Hilfsmittelverordnungen mittels einer Täuschung für nicht erbrachte Lieferungen. Wird zwar eine Leistung erbracht, jedoch eine höherwertige Leistung abgerechnet, liegt ebenfalls ein Abrechnungsbetrug vor. _____________ Fischer, StGB, § 263 Rz. 56. Fischer, StGB, § 263 Rz. 56. Fischer, StGB, § 263 Rz. 88. BGH, Beschl. v. 16.7.1970 – 4 StR 505/69, NJW 1970, 1932. Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 9 f. BGH, Beschl. v. 12.6.2001 – 4 StR 402/00, NStZ-RR, 2001, 328; BGH, Beschl. v. 9.2.2005 – 4 StR 539/04, NStZ-RR 2005, 180; BGH, Beschl. v. 9.2.2005 – 4 StR 539/0, NStZ-RR 2005, 180, m. w. N. 69) BGH, Urt. v. 5.11.1985 – 2 StR 279/85, NJW 1986, 1183. 63) 64) 65) 66) 67) 68)
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§ 283 StGB 55
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Der Vermögensschaden ist auf Grund des objektiven wirtschaftlichen Wertes der in Frage stehenden, in die Gesamtsaldierung einzustellenden Vermögensgegenstände zu berechnen. Entscheidend für den Vergleich von Leistung und Gegenleistung ist regelmäßig der Verkehrs- bzw. Marktwert.70) In der Praxis ist hierbei regelmäßig problematisch, dass die auf dem jeweiligen Markt angebotenen Waren und Leistungen zumeist keinem festgeschriebenen Wert unterliegen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist deshalb auf den sich über Angebot und Nachfrage bildende Marktpreis, den sog. Wettbewerbspreis abzustellen.71) c) Beitragsbetrug
56
Auch der Beitragsbetrug ist eine Ausformung des Betrugstatbestandes nach § 263 StGB und ist im weiten Sinne den Insolvenzstraftaten zuzuordnen.
57
Jeder Arbeitgeber hat nach § 28a SGB IV eine Meldepflicht gegenüber der Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge. Auf Grund dessen ist er verpflichtet für jeden in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten bei Beginn der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IV), bei Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB IV) oder bei Änderungen in der Beitragspflicht (§ 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB IV) eine Meldung abzugeben. Der Arbeitgeber hat auf Grund dessen eine Garantenstellung.72) Eine Täuschung durch Unterlassen ist in der Regel zu bejahen, wenn der Arbeitgeber Mitarbeiter beschäftigt, ohne diese Beschäftigungsverhältnisse dem Sozialversicherungsträger mitzuteilen.73) 3.
Subjektiver Tatbestand
58
Der Täter muss im Hinblick auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale zumindest bedingten Vorsatz (dolus eventualis) haben. Im Rahmen des Eingehungsbetruges ist der subjektive Tatbestand ein praxisrelevantes Problem. Da es sich bei dem Vorspiegeln der Zahlungsfähigkeit um eine rein innere Tatsache handelt, muss die Staatsanwaltschaft dem Täter nachweisen, dass die Behauptung seiner Zahlungsfähigkeit auf der einen Seite objektiv falsch war, und der Täter auf der anderen Seite zumindest mit bedingtem Vorsatz von seiner tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit ausgegangen ist.74) Nach der Rechtsprechung sind für einen solchen Nachweis auch äußere Beweiszeichen, wie regelmäßige Mahnbescheide, fruchtlose Pfändungsversuche und Steuer- und Sozialversicherungsrückstände ausreichend.75)
59
Zusätzlich zum bedingten Vorsatz fordert der subjektive Tatbestand des § 263 StGB die Absicht zur rechtswidrigen Bereicherung. Der Täter muss sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil verschaffen wollen. Hierbei reicht Eventualvorsatz _____________ 70) 71) 72) 73) 74)
BGH, Beschl. v. 25.1.2012 • 1 StR 45/11, NJW 2012, 1377. BGH, Urt. v. 8.1.1992 – 2 StR 102/91, NStZ, 1993, 40. Zur Garantenstellung s. § 13 StGB der einschlägigen Kommentarliteratur. Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 14 Rz. 40. Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 259; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 263 StGB Rz. 11. 75) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 8 Rz. 114.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
nicht aus, der Täter muss vielmehr mit dolus directus handeln. Der rechtswidrige Vermögensvorteil ist dabei die Kehrseite des Vermögensschadens. Es muss sog. „Stoffgleichheit“ vorliegen.76) 4.
Versuch, Regelbeispiele, Verjährung
Der Versuch ist gemäß Absatz 2 strafbar. Im Hinblick auf den Eingehungsbetrug ist zu beachten, dass ein Versuch bereits dann vorliegen kann, wenn ein Vertragsangebot mit Täuschungsvorsatz gemacht wird, und dies auf eine täuschungsbedingte Vermögensverschiebung abzielt.77)
60
In Absatz 3 ist der Betrug in einem besonders schweren Fall normiert. Die besonders schweren Fälle sind in den Nummern 1 – 5 als Regelbeispiele ausgestaltet.
61
In Nummer 1 sind die Gewerbsmäßigkeit sowie die bandenmäßige Begehungsweise geregelt. Gewerbsmäßig handelt, wer die Tat in der Absicht begeht, sich aus wiederholter Begehung eine fortlaufende Einnahmequelle von nicht unerheblicher Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.78) Im Gegensatz zu Absatz 1 reicht für die Gewerbsmäßigkeit die reine Drittbereicherungsabsicht nicht aus.79) Der Täter muss zumindest mittelbar Vorteile aus der Tat erlangen. So reicht beispielsweise aus, wenn die Vermögenswerte an eine von ihm beherrschte Gesellschaft fließen, solange er ohne Weiteres darauf Zugriff hat.80) Auch die Absicht lediglich Altverbindlichkeiten mit dem erlangten Vermögensvorteil zu begleichen, spricht nicht gegen die Anwendung von Absatz 3 Nr. 1.81) Liegen die Voraussetzungen der Gewerbsmäßigkeit vor, so reicht bereits die erste geplante Tat für die Erfüllung des Regelbeispiels aus, selbst, wenn keine weiteren Taten folgen.82)
62
Die gewerbsmäßige Begehung des § 263 StGB ist täterbezogenes Merkmal i. S. des § 28 Abs. 2 StGB.83)
63
Besonders die Gewerbsmäßigkeit spielt für die Praxis des Insolvenzstrafrechts eine große Rolle, weshalb in Bezug auf die anderen Regelbeispiele auf die einschlägige Kommentarliteratur des StGB verwiesen wird.
64
Die Verjährung beginnt mit der Beendigung der Tat, mithin mit Eintritt des vollständigen Vermögensschadens.84)
65
_____________ 76) S. hierzu im Detail Fischer, StGB, § 263 Rz. 186. 77) Fischer, StGB, § 263 Rz. 197. 78) BGH, Beschl. v. 21.12.1993 – 1 StR 782/93, BeckRS 1993, 31091356; BGH, Urt. v. 9.7.2013 – 5 StR 181/13, NStZ 2014, 85; Hefendehl in: MünchKomm-StGB, § 263 Rz. 1212. 79) BGH, Beschl. v. 29.10.2020 • 1 StR 344/20, NStZ 2021, 235, 236; BGH, Beschl. v. 19.12.2007 – 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282 f. 80) BGH, Beschl. v. 7.9.2011 – 1 StR 343/11, NStZ-RR 2011, 373. 81) BGH, Urt. v. 11.9.2003 – 4 StR 193/03, NStZ 2004, 265, 266; BGH, Urt. v. 25.6.2003 – 1 StR 469/02, NStZ-RR 2003, 297. 82) BGH, Urt. v. 17.6.2004 – 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840 (2841); BGH, Urt. v. 9.3.2011 – 2 StR 609/10, BeckRS 2011, 07824; BGH, Beschl. v. 7.9.2011 – 1 StR 343/11, NStZ-RR 2011, 373; Fischer, StGB, vor § 52 Rz. 61a. 83) BGH, Beschl. v. 11.1.2005 – 1 StR 547/04, wistra 2005, 177; BGH, Urt. v. 15.12.2006 – 5 StR 182/06, wistra 2007, 183; BGH, Beschl. v. 5.2.2019 • 5 StR 413/18, NStZ 2019, 277. 84) Schönke/Schröder-Perron, StGB, § 263 Rz. 193.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
V. § 266a StGB – Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt 1.
Allgemeines
66
Die Bestimmung des § 266a StGB ist ein Tatbestand, der typischerweise von Unternehmen in der Krise verwirklicht wird. Um einem Insolvenzantrag zu vermeiden, wird durch das Vorenthalten der Beiträge der Sozialversicherungsträger auf dessen Kosten (kurzfristig) Liquidität eingespart, um das Unternehmen „über Wasser“ zu halten.85) Die Norm des § 266a StGB ist im Hinblick auf die Praxis insbesondere in Bezug auf § 823 Abs. 2 BGB relevant, da er Schutzgesetz im Sinne dieser Norm ist.86) Auf Grund dessen stammt die Mehrzahl der Rechtsprechung auch von Zivilgerichten.87) Insbesondere Schadensersatzklagen gegen Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften haben hohe praktische Relevanz.88) Die Staatsanwaltschaft erhält zumeist erst Kenntnis hiervon, wenn der Sachverhalt im Rahmen der Krise entweder durch die Sozialversicherungsträger angezeigt werden, oder durch die Mitteilungen in Zivilsachen, aufgrund derer die Insolvenzakten an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden, ans Licht kommen.89) Ungefähr ein Drittel aller verfolgten Wirtschaftsstraftaten haben das Vorenthalten oder das Veruntreuen von Arbeitsendgelt zum Gegenstand.90) Auf Grund dessen soll auf die wichtigsten Problematiken im Zusammenhang mit dem Insolvenzstrafrecht eingegangen werden.
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§ 266a stellt insgesamt ein echtes Unterlassungsdelikt dar, bzgl. Absatz 2 Nr. 1 und Absatz 3 ist dies allerdings streitig.91) Durch den klar abgrenzbaren Personenkreis, der lediglich als Täter des § 266a in Betracht kommt, ist die Norm zudem als Sonderdelikt einzuordnen, mit den sich daraus für Täterschaft und Teilnahme ergebenden Konsequenzen.92) Insbesondere ist § 28 Abs. 1 StGB anwendbar.93)
68
Nebenfolge einer Verurteilung nach § 266a StGB ist zum einen der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, falls eine Verurteilung von über drei Monaten Freiheitsstrafe oder 90 Tagessätzen Geldstrafe vorliegt, § 21 Abs. 1 Nr. 4 SchwarzArbG. Zum anderen kann der Arbeitgeber nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3e GmbHG für die Dauer von fünf Jahren nicht mehr zum Geschäftsführer bestellt werden, wenn er mindestens zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Eine entspre_____________ 85) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 292. 86) BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, NStZ 1997, 125; BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZInsO 2005, 650; Fischer, StGB, §266a Rz. 2; Beukelmann in: Dölling/Duttge/ Rössner, Gesamtes Strafrecht, StGB § 266a Rz. 5. 87) Fischer, StGB, §266a Rz. 2. 88) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 2. 89) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 3. 90) Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, § 12 Rz. 11. 91) Siehe bzgl. Abs. 1 nur BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, NStZ 2002, 547 m. Anm. Radtke, NStZ 2003, 154; zu Abs. 2 Nr. 1 BGH, Beschl. v. 11.8.2011 – 1 StR 295/11, NJW 2012, 3047; BGH, Beschl. v. 15.3.2012 – 5 StR 288/11, NJW 2012, 2051 (2053); Radtke in: MünchKomm-StGB, § 266a Rz. 7; Fischer, StGB, § 266a Rz. 20 f.; Hoyer in: SK-StGB, § 266a Rz. 15, 17. 92) Radtke in: MünchKomm-StGB, § 266a Rz. 8; Fischer, StGB, § 266a Rz. 3. 93) Beukelmann in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StGB § 266a Rz. 6.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
chende Regelung ist enthalten in § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3e AktG für Vorstände einer Aktiengesellschaft. 2.
Tatbestandsvoraussetzungen
a) Tauglicher Täter Als Sonderdelikt ausgestaltet, kommt bei § 266a StGB nur ein abgrenzbarer Personenkreis als tauglicher Täter in Betracht: der Arbeitgeber. Arbeitgeber i. S. des § 266a StGB können natürliche, aber auch juristische Personen sein. Auch der faktische Geschäftsführer94) und der „Strohmann-Geschäftsführer“95) kommen als taugliche Täter ebenso wie der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter und der Insolvenzverwalter (dazu unten Rz. 71) in Betracht. Daneben kommen gemäß Absatz 5 auch solche Personen als Täter in Betracht, die dem Arbeitgeber gleichgestellt sind, sowie deren Vertretungsberechtigte nach § 14 StGB. Auch wer Scheinselbständige in seinem Unternehmen als Arbeitgeber beschäftigt, kann tauglicher Täter sein.96)
69
Durch das Anknüpfen an sozialversicherungsrechtliche Pflichten ist der Arbeitgeberbegriff sozialrechtsakzessorisch auszulegen.97) Erforderlich ist ein sozialrechtliches Beschäftigungsverhältnis i. S. von § 7 SGB IV. Der BGH nimmt hierbei eine Gesamtbetrachtung der tatsächlich vorliegenden Gegebenheiten vor. Insbesondere folgende Kriterien sind relevant: das Vorliegen eines umfassenden arbeitsrechtlichen Weisungsrechts, die Gestaltung des Entgelts und seine Berechnung, Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebs, die Festlegung des täglichen Beginns und Endes der konkreten Tätigkeit.98)
70
Der in der Krise hinzugezogene Berater kann nur tauglicher Täter des § 266a StGB sein, wenn er nach § 14 Abs. 2 mit gesondertem Auftrag zur Unternehmensleitung bestellt wurde.99) Der Insolvenzverwalter ist Arbeitgeber i. S. des § 266a StGB auf Grund des Übergangs des Verfügungsrechts nach § 80 InsO.100) Umstritten ist, ob auch der vorläufige Insolvenzverwalter Arbeitgeber im Sinne der Norm ist. Die h. M. schreibt zumindest dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter die Arbeitgeberstellung zu, da gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf ihn übergeht.101)
71
_____________ 94) BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, NJW 2013, 3303. 95) BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, NStZ 2017, 149; OLG Celle, Urt. v. 10.5.2017 – 9 U 3/17, BeckRS 2017, 110011. 96) BGH, Beschl. v. 7.10.2009 – 1 StR 478/09, NStZ 2010, 337. 97) BGH, Beschl. v. 16.4.2014 – 1 StR 68/13; BGH, Beschl. v. 5.6.2013 – 1 StR 626/12; Fuchs in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266a Rz. 17; Leimenstoll in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 12 B. Rz. 32. 98) BGH, Beschl. v. 4.9.2013 • 1 StR 94/13, NStZ 2014, 321, 323. 99) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 6. 100) Fischer, StGB, § 266a Rz. 6. 101) Radtke in: MünchKomm-StGB, § 266a Rz. 37; Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 296; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 7.
Heindorf
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Krisen- und Insolvenzstrafrecht
b) Tathandlung 72
Tatobjekt i. S. des § 266a Abs. 1 StGB sind die Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, also Kranken- und Rentenversicherung sowie die Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit. Die Summe der Beiträge wird als Gesamtsozialversicherungsbeitrag bezeichnet.
73
Tathandlung ist das Vorenthalten fälliger Sozialversicherungsbeiträge gegenüber der Einzugsstelle. Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist gemäß § 28h SGB IV die Krankenkasse.
74
Die Beitragsfälligkeit bestimmt sich gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG IV. Hiernach tritt die Fälligkeit am drittletzten Bankarbeitstag vor Ablauf des entgeltauslösenden Beschäftigungsmonats ein. Die Fälligkeit kann durch eine Stundung nach § 76 SGB IV hinausgezögert werden.
75
Eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB ist zu bejahen, wenn der Arbeitgeber, der zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig war,102) die Anzeichen von Liquiditätsproblemen hätte erkennen können, und es trotzdem unterlassen hat, Sicherungsvorkehrungen für die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zu treffen.103) Durch diese Ansicht wird die Strafbarkeit des Arbeitgebers dadurch vorverlagert, dass er als Garant seine Handlungsunfähigkeit selbst durch sein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt hat (sog. omissio libera in causa).104) Diese Auffassung hat der BGH in einer späteren Entscheidung nochmals konkretisiert: § 266a Abs. 1 StGB verlange sogar dann die vorrangige Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen, wenn die Zahlung möglicherweise im Insolvenzverfahren später angefochten werden könne.105) Eine Ausnahme soll nur dann bestehen, wenn der Arbeitgeber während des Laufs der Insolvenzantragspflicht nach § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. (heute § 15a Abs. 1 InsO) die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen an die Sozialversicherung unterlässt, hier soll § 266a Abs. 1 StGB nicht zur Anwendung kommen.106)
76
Der Anspruch auf Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SBG IV unabhängig von der tatsächlichen Zahlung von Arbeitslohn fällig.
77
Die Tat ist vollendet, wenn die Beiträge am Fälligkeitszeitpunkt nicht abgeführt sind. Auch die verspätete Zahlung erfüllt bereits den Tatbestand des § 266a StGB. Nach § 266a Abs. 6 Satz 2 StGB bleibt der Arbeitgeber nur straffrei, wenn er den Anforderungen des Satz 1 genügt und ferner innerhalb der sodann von der Einzugsstelle festgesetzten Frist die Beiträge entrichtet. § 266a Abs. 6 StGB ermöglicht also in bestimmten wirtschaftlichen Engpasssituationen ein Absehen von Strafe.
78
Problematisch ist der Fall, in dem der Arbeitgeber bei Fälligkeit weniger als die geschuldete Summe von Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen zahlt. In diesem _____________ 102) Tag in: NK-StGB § 266a Rz. 67. 103) Lackner/Kühl/Heger Heger, StGB, § 266a Rz. 10. 104) Matt/Renzikowski-Haas, StGB, § 13 Rz. 28; Beukelmann in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StGB § 266a Rz. 29. 105) BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, DStR 2004, 283. 106) BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, DStR 2004, 283.
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Heindorf
§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Fall gilt die Beitragsverfahrensordnung.107) Hiernach werden die teilweise gezahlten Beträge gleichmäßig auf die noch fälligen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile angerechnet. Will der Arbeitgeber in diesem Fall eine Strafbarkeit nach § 266a StGB vermeiden, muss er nach der umstrittenen Rechtsprechung des BGH eine abweichende Tilgungsbestimmung dahingehend treffen, dass die geleisteten Teilzahlungen vollständig auf den Arbeitnehmerbeitrag anzurechnen sind.108) Die Vorschrift des § 266a Abs. 2 StGB lehnt sich weniger an Absatz 1 an, sondern mehr an den Straftatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO, da nicht an das bloße Vorenthalten von Arbeitsentgelt, sondern an eine bestimmte Verhaltensweise gegenüber der Einzugsstelle (unrichtige oder unvollständige Angaben bzw. in Unkenntnis lassen), angeknüpft wird. § 266a Abs. 2 StGB (unrichtige oder unvollständige Angaben) wird in der Regel bereits durch den Beitragsbetrug erfasst sein, allerdings verdrängt § 266a Abs. 2 StGB § 263 StGB als lex specialis.
79
Auf Grund der Ausgestaltung als echtes Unterlassungsdelikt, setzt der Tatbestand neben der Nichtzahlung im Fälligkeitszeitpunkt zusätzlich voraus, dass dem Täter die Vornahme der Handlung möglich und zumutbar gewesen ist.109) Unmöglich ist die Handlung insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig ist,110) bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Anordnung der starken vorläufigen Verwaltung.111) Im Hinblick auf die Variante der Unmöglichkeit auf Grund von Zahlungsunfähigkeit stellt der BGH allerdings hohe Anforderungen.112)
80
3.
Subjektiver Tatbestand
Bei allen Tatbestandsvarianten des § 266a ist Vorsatz in Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist.113) Der BGH fordert hierfür Bewusstsein und Wille, die Beiträge bei Fälligkeit nicht abzuführen.114) Die Hoffnung auf eine Stundung schließt den Vorsatz nicht aus.115) Es ist nicht erforderlich, dass der Täter mit überschießender Innentendenz, wie z. B. eine Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht des Arbeitgebers, handelt.116) Entsprechende Absichten können aber für das Regelbeispiel aus Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 eine Rolle spielen. Im Hinblick auf eine etwaige Unmöglichkeit der Zahlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit setzt die Zurechnung des Vorsatzverschuldens voraus, _____________ 107) BGBl. I 2006, 1138. 108) BGH, Urt. v. 26.6.2001 – VI ZR 111/00, NZI 2001, 546; es fehlt bis dato allerdings an einer höchstrichterlichen strafrechtlichen Entscheidung; s. hierzu auch Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 14. 109) BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, NJW 2005, 3650 f.; OLG Celle, Beschl. v. 22.2.2001 – 32 Ss 9/01, NJW 2001, 2985, 2986. 110) BGH, Besch. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, JuS 2002, 1028. 111) Vgl. OLG Dresden, Urt. v. 18.1.2010 – 3 Ss 603/09, wistra 2010, 196; Radtke in: MünchKomm-StGB, § 266a Rz. 72. 112) S. hierzu ausführlich Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 17 ff. 113) BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, JuS 2002, 1028; Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 266a Rz. 16. 114) BGH, Beschl. v. 25.9.1991 – XII ZB 68/90, NJW 1992, 177, 178. 115) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 21. 116) Tag in: NK-StGB, § 266a Rz. 121; Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 266a Rz. 16.
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81
§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
dass der Arbeitgeber die Möglichkeit der Zahlungsschwierigkeiten, welche Veranlassung zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit gegeben hätten, kannte.117) 4. 82
5. 83
Strafbefreiende Selbstanzeige Absatz 6
In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat. Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. Im Hinblick auf Unternehmen in der Krise scheitert die Straffreiheit zumeist an der schlechten wirtschaftlichen Situation.118) Straffreiheit tritt hingegen zwingend ein, wenn die vorenthaltenden Beiträge innerhalb der von der Einzugsstelle gesetzten Frist nachgezahlt werden.119) 6.
84
Besonders schwere Fälle Absatz 4
Die besonders schweren Fälle sind in Absatz 4 aufgelistet. Nummer 1 regelt das Vorenthalten von Beträgen in großem Ausmaß aus grobem Eigennutz. Nummer 2 kommt in Betracht, wenn der Arbeitgeber unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält. Nummer 3 ist bejahen, wenn der Arbeitgeber fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet. Nummer 4 regelt das bandenmäßige Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und nach Nr. 5 macht sich strafbar, wer die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht. Zur detaillierten Kommentierung der einzelnen Fälle, wird auf die einschlägige Kommentarliteratur zum StGB verwiesen.
Verjährung
Die Verjährung beginnt nach § 78a StGB mit der Beendigung der Tat, also sobald die Pflicht zur Handlung entfallen ist.120) Problematisch ist hier, dass Beendigung in der Praxis in der Regel erst vorliegt, wenn die schuldnerische Gesellschaft aufgelöst ist oder die ausstehenden Beiträge gezahlt werden.121) Beides tritt in der Praxis nicht zwingend ein, was zu dem diffusen Ergebnis führt, dass § 266a StGB quasi zu einem unverjährbarem Delikt wird. Zwar entfällt die Zahlungspflicht mit Verjährung der ihr zugrunde liegenden Forderung. Die Ansprüche verjähren nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV aber erst nach dreißig Jahren nach Ablauf des Kalender_____________ 117) Fischer, StGB, § 266a Rz. 18; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 22. 118) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap.12 Rz. 63. 119) BT-Drucks. 10/318, 30; Leimenstoll in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 C. Rz. 103. 120) Schönke/Schröder-Perron, StGB, § 266a Rz. 31. 121) Schönke/Schröder-Perron, StGB, § 266a Rz. 31 m. w. N.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
jahrs, indem sie fällig geworden sind. Hinzuzurechnen ist die fünfjährige strafrechtliche Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Auf Grund dessen beabsichtigt der BGH für den Verjährungsbeginn auf das Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes abzustellen.122) VI. § 283 StGB – Insolvenzverschleppung als objektive Strafbarkeitsbedingung 1.
Allgemeines
Eine ebenso praxisrelevante Norm des im Kernstrafrecht geregelten Insolvenzstrafrechts ist der Bankrott gemäß § 283 StGB. Diese Vorschrift enthält in den Absätzen 1 und 2 die Grundtatbestände des Insolvenzstrafrechts im engeren Sinn.123) Geschütztes Rechtsgut ist die Sicherung der Insolvenzmasse im Interesse der gesamten Gläubigerschaft.124)
85
Die Norm des § 283 StGB ist Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB.125) § 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1, Nr. 7b StGB sind echte Unterlassungsdelikte.126) Alle übrigen Tatbestandsalternativen gehören den Tätigkeitsdelikten an.127) Zudem ist § 283 ein Sonderdelikt, da Täter nur der Schuldner in der Krise sein kann.128) Absatz 1 Nr. 5 und Nr. 7 setzen dabei zudem Handlungspflichten voraus, die nur bei Kaufleuten bestehen. § 28 Abs. 1 StGB findet Anwendung.
86
Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3b GmbHG kann ein wegen §§ 283 ff. StGB verurteilter Geschäftsführer für die Dauer von 5 Jahren nicht in das Amt des Geschäftsführers einer GmbH berufen werden. Zu beachten ist aber in diesem Zusammenhang, dass diese Ausschlusstatbestände für die Berufung in das Amt des Geschäftsführers nur in den Fällen vorsätzlichen Handelns eingreifen, § 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG. Eine entsprechende Regelung ist enthalten in § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3b AktG für Vorstände einer Aktiengesellschaft.
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Im Folgenden soll lediglich kurz auf die Tatbestandvoraussetzungen eingegangen werden. Im Hinblick auf die Vielzahl der unterschiedlichen Tathandlungsalternativen wird auf die einschlägige Kommentarliteratur des StGB verwiesen. Der Fokus soll hier auf der Insolvenzverschleppung als objektive Strafbarkeitsbedingung der Norm liegen.
88
_____________ 122) BGH, Beschl. v. 13.11.2019 • 1 StR 58/19, NStZ 2020, 159; s. hierzu auch Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 266a StGB Rz. 25. 123) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 3. 124) BGH, Urt. v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, NJW 1980, 406. 125) BGH, Urt. v. 25.9.2014 – IX ZR 156/12, ZInsO 2014, 2323; a. A. für § 283 Abs. 1 Nr. 5 – 7 OLG Hamm, Beschl. v. 7.2. 2014 – 9 U 224/13, ZInsO 2014, 840. 126) Tiedemann in: LK StGB, § 283 Rz. 84. 127) Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 9 Rz. 106; a. A. Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 3. 128) Tiedemann in: LK StGB, Vor § 283 Rz. 59.
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§ 283 StGB 2.
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Tatbestand
89
Täter kann nur der Schuldner in der Krise sein.129) Nicht zur Anwendung kommt § 283 StGB allerdings, wenn der Schuldenbereinigungsplan durch die Gläubiger eines Verbraucherinsolvenzverfahrens angenommen wurde.130) Nachdem der BGH seine Rechtsprechung zur Interessenformel aufgegeben hat, ist § 283 StGB auch für Kapitalgesellschaften bzw. deren organschaftlichen Vertreter einschlägig.131)
90
Erforderlich für die einzelnen Tathandlungen ist, dass der Täter diese während einer Krise vorgenommen hat (Abs. 1), oder durch die Handlung eine noch nicht bestehende Krise verursacht (Abs. 2). Die wirtschaftliche Krise besteht bei Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung oder drohender Zahlungsunfähigkeit.132)
91
Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen, § 18 Abs. 2 InsO. Bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird von einem Prognosezeitraum bis zur Fälligkeit der am längsten laufend bestehende Verbindlichkeit, aber nicht mehr als fünf Jahre ausgegangen.133) Nach dem Wortlaut der Norm („bestehend“) werden erst zu erwartende Zahlungspflichten nicht berücksichtigt.
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Voraussichtlich ist der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit dann, wenn er wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung.134) In Bezug auf diese Anknüpfungstatsache ist in strafrechtlicher Hinsicht der Zweifelssatz anzuwenden.135) Eine Einschränkung wird zusätzlich dahingehend vorgenommen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit einen nicht unerheblichen Teil der Zahlungspflichten betreffen muss.136) Die Gefahrenprognose muss zudem objektiv festgestellt werden. Befürchtungen des Schuldners, alsbald zahlungsunfähig zu werden, reichen nicht aus.
93
Problematisch bei der Feststellung des Tatbestandsmerkmals der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist der Beginn des festzustellenden Zeitraums. Hierfür können zunächst betriebswirtschaftliche Kriterien der Finanzplanung oder Insolvenzindikatoren, wie etwa Bilanzkennzahlen, herangezogen werden. Erforderlich ist in der Regel die Aufstellung eines Finanzplans, den das Gericht gemäß § 20 InsO vom Schuldner verlangen kann.137)
_____________ 129) 130) 131) 132) 133)
134) 135) 136) 137)
362
Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 18. Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 283 StGB Rz. 5. Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 283 StGB Rz. 43. Zur Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit s. § 15a InsO Rz. 14 ff. BGH, Urt. v. 5.12.2013 – IX ZR 93/11, NZI 2014, 259 Rz. 10; Beukelmann in: BeckOK StGB, § 283 Rz. 26; Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 283 Rz. 8; andere Stimmen plädieren für starre Fristen von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren, s. hierzu Beukelmann in: BeckOK StGB, § 283 Rz. 14 f. BT-Drucks. 12/2443, S. 115. Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 283 Rz. 8. Tiedemann in: LK StGB, Vor § 283 Rz. 139. BT-Drucks. 12/2443, S. 115; Schröder in: HK InsO, § 18 Rz. 15.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
3.
Objektive Strafbarkeitsbedingung
Die Erfüllung des Tatbestandes führt nur zur Strafbarkeit, wenn die in Absatz 6 geregelte Bedingung während der wirtschaftlichen Krise eintritt. Der Schuldner muss also seine Zahlungen eingestellt haben, oder über sein Vermögen muss das Insolvenzverfahren eröffnet worden sein, oder der Eröffnungsantrag muss mangels Masse abgelehnt worden sein. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, auf die sich das Verschulden des Täters nicht beziehen muss.138) Es ist irrelevant, ob der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingungen der Bankrotthandlung vorausgeht oder ihr nachfolgt.139) Auch muss zwischen Bankrotthandlungen und objektiver Strafbarkeitsbedingung kein Kausalzusammenhang bestehen (Ausnahme Absatz 2). Erforderlich ist jedoch ein irgendwie gearteter zeitlicher oder tatsächlicher Zusammenhang.140) Dieser muss besonders kritisch geprüft werden, wenn zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung (eingestellte Zahlung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse) ein größerer Zeitraum liegt.141) Ein solcher Zusammenhang ist zu verneinen, wenn noch bis zum Eingang des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Bilanzerstellung nachgeholt,142) oder die Krise überwunden wird.143)
94
Zahlungseinstellung ist abzugrenzen von der Zahlungsunfähigkeit. Die Zahlungsunfähigkeit stellt die wirtschaftliche Lage des Täters da, die Zahlungseinstellung ist hingegen ein (aktives) Verhalten, nämlich die Einstellung der Zahlung von offenen und fälligen Forderungen der Gläubiger.144) Die Zahlungsunfähigkeit resultiert also aus der Zahlungseinstellung, ist allerdings nicht zwingende Folge dieser, da der Täter beispielsweise irrig von der Zahlungsunfähigkeit ausgeht, oder er die offenen Forderungen willentlich nicht begleicht.145) Das Nichtbegleichen einzelner Forderungen begründet allerdings noch keine Zahlungseinstellung, ebenso wenig wie vorübergehende Zahlungsstockung.146) Hingegen schließt das vereinzelte Leisten von Zahlungen die Zahlungseinstellung nicht per se aus.147) Erforderlich ist nämlich, dass mehr als 50% und damit der überwiegende Teil der Forderungen nicht mehr beglichen werden.148) Hingegen sieht der IX. Zivilsenat bereits Indizien für eine Zahlungseinstellung, wenn der Schuldner selbst erteilte Zahlungszusagen nicht
95
_____________ 138) Beukelmann in: BeckOK StGB, § 283 Rz. 31; Satzger, JURA 2006, 108. 139) BGH, Urt. v. 8.5.1951 – 1 StR 171/51; Lackner/Kühl/Heger-Heger, StGB, § 283 Rz. 29. 140) BGH, Urt. v. 30.8.2007 – 3 StR 170/07, NStZ 2008, 401; Pfordte/Sering in: Leitner/ Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 283 Rz. 68. 141) Habetha, wistra 2007, 365; Pfordte/Sering in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 283 Rz. 68. 142) BayObLG, Urt. v. 8.8.2002 – 5 St RR 202/2002a, b, NStZ 2003, 214; Pfordte/Sering in: Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 283 Rz. 68. 143) Tiedemann in: LK StGB, Vor § 283 Rz. 90. 144) Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 13. 145) Vgl. Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 13. 146) Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 114; Tiedemann in: LK StGB, Vor § 283 Rz. 134; Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen- Kindhäuser, StGB, Vor § 283 Rz. 104. 147) Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 13. 148) Verjans/Rixe in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 4 C. Rz. 103.
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§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
einhält oder verspätete Zahlungen nur unter dem Druck einer angedrohten Liefersperre vornimmt.149) Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung auch dann aus, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist.150) Ob Zahlungseinstellung vorliegt, hat das erkennende Gericht selbständig zu prüfen.151) 96
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Beschluss, § 27 InsO. Die objektive Strafbarkeitsbedingung tritt nicht ein, wenn auf die sofortige Beschwerde nach § 34 Abs. 2 InsO hin der Eröffnungsbeschluss aufgehoben wird.152) Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird in der Regel zugleich Zahlungseinstellung gegeben sein.
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Sofern eine Abweisung mangels Masse erfolgt, § 26 InsO, ergeht die Entscheidung ebenfalls im Beschlusswege. An den rechtskräftigen Beschluss ist das erkennende Strafgericht gebunden.153) Eine spätere Einstellung des Insolvenzverfahrens nach §§ 207 ff. InsO spielt für die Strafbarkeit keine Rolle.154)
98
Die Tat ist mit Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung beendet. Mit der Beendigung beginnt zugleich die Verjährungsfrist gemäß § 78a Satz 1 StGB zu laufen. Die Bankrotthandlung kann dem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung auch zeitlich nachfolgen.155) In diesem Fall fallen Verjährungsbeginn und Vollendung zusammen.
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Umstritten ist, ob die Strafbarkeit entfällt, wenn das Insolvenzverfahren durch einen Insolvenzplan aufgehoben wird, § 258 InsO. Ein großer Teil der Literatur bejaht weiterhin das Strafbedürfnis, da sowohl der Tatbestand weiterhin erfüllt bleibe und auch die objektive Bedingung der Strafbarkeit weiterhin vorläge.156) Zudem habe auch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Bestätigung eines Insolvenzplans zumeist nur die quotale Befriedigung der Gläubiger zur Folge. Der Schutzzweck der Norm sei auf Grund dessen weiterhin tangiert.157) In der Praxis kann eine solche Fallgestaltung allerdings über die prozessualen Regeln der §§ 153 ff. StPO gelöst werden.158) Die Strafbarkeit entfällt auch nicht dann, wenn der Schuldner einen Eigenantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO stellt. In dieser _____________ 149) 150) 151) 152) 153) 154) 155) 156)
BGH, Urt. v. 9.6.2016 – IX ZR 174/15, NZI 2016, 736 ff., ZInsO 2016, 1357 ff. BGH, Beschl. v. 5.3.2020 – IX ZR 171/18, ZRI 2020, 265 ff. Vgl. Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 13. Beukelmann in: BeckOK StGB, § 283 Rz. 33. Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 15. Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 15. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen-Kindhäuser, StGB, Vor § 283 Rz. 103. Vgl. hierzu Tiedemann in: LK StGB, Vor § 283 Rz. 90; Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 283 StGB Rz. 35; a. A. Wabnitz/Janovsky/Schmitt-Pelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 8 Rz. 90; Beukelmann in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StGB § 283 Rz. 44. 157) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 283 StGB Rz. 35. 158) So auch Achenbach/Ransiek/Rönnau-Wegner, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Teil 1 Rz. 106.
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Heindorf
§ 283 StGB
Krisen- und Insolvenzstrafrecht
Konstellation reicht die Krise, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens notwendigerweise vorliegt, aus, um in den Schutzzweck der Norm zu fallen und eine Strafbarkeit auszulösen.159) In der Praxis stehen aber auch in diesen Fällen die strafprozessualen Möglichkeiten der §§ 153 ff. StPO in der Regel offen. 4.
Subjektiver Tatbestand
Der Täter muss zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) handeln.160) Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen, jedoch nicht auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit. Im Hinblick auf die Tatbestandsalternativen, die als echte Unterlassungsdelikte ausgestaltet sind (Absatz 1 Nr. 5 und 7b), sieht die Rechtsprechung die Unkenntnis der Handlungspflicht als einen den Vorsatz nicht ausschließenden Gebotsirrtum an, § 17 StGB.161) 5.
100
Versuch, Fahrlässigkeit, Verjährung
Der Versuch der Absätze 1 und 2 ist gemäß Absatz 3 strafbar. Vollendung liegt bei Absatz 1 bereits bei der Vornahme der Bankrotthandlung vor, bei Absatz 2 bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.162) Der Rücktritt ist nach Vollendung der Tat ausgeschlossen, § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB.
101
Nach Absatz 4 wird bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1 die Überschuldung oder die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit fahrlässig nicht kennt oder in den Fällen des Absatzes 2 die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit leichtfertig verursacht. Nach Absatz 5 wird ebenfalls bestraft, wer in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2, 5 oder 7 fahrlässig handelt und die Überschuldung oder die drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit wenigstens fahrlässig nicht kennt oder in den Fällen des Absatzes 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 2, 5 oder 7 fahrlässig handelt und die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wenigstens leichtfertig verursacht. Leichtfertigkeit liegt vor, wenn der Täter durch grobe Achtlosigkeit verkennt, dass er mit seiner Handlung die Krise herbeiführen wird.163)
102
Die Tat ist mit Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung beendet. Mit der Beendigung beginnt zugleich die Verjährungsfrist gemäß § 78a Satz 1 StGB zu laufen. Die Verjährungsfrist beträgt nach § 78 Abs. 3 StGB fünf Jahre.
103
_____________ 159) Schönke/Schröder-Schuster/Heine, StGB, § 283 Rz. 59; a. A. Wabnitz/Janovsky/SchmittPelz, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 8 Rz. 95 f. 160) Tiedemann in: LK StGB, Vor § 283 Rz. 188. 161) BGH, Urt. v. 25.11.1980 – 5 StR 356/80, NJW 1981, 354. 162) Borchardt in: HK InsO, Anh. VI § 283 StGB Rz. 40. 163) Schönke/Schröder-Schuster/Heine, StGB, § 283 Rz. 57.
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365
Stichwortverzeichnis Abgabenordnung
– verfahrensrechtliche Regelungen SteuerR, 11 ff. AG – Insolvenzantragspflicht SanInsKG § 1, 5 Anfechtungsschutz – Rückwirkung SanInsKG § 2, 79 Antragsfrist – Adressaten SanInsKG § 4a, 16 ff. – Anstragstellung SanInsKG § 4a, 28 – Ausgestaltung SanInsKG § 4a, 15 – Fristablauf SanInsKG § 4a, 22 – Verlängerung SanInsKG § 4a, 10, 21 ff., 24 ff. Antragsrecht SRHWInsAG § 1, 15 Antragspflicht SRHWInsAG § 1, 14 Anzeigepflichten – Insolvenz, Fortbestehen SanInsKG § 1, 57 Arbeitgeber – Kinderbetreuung/Pflegeleistungen, Steuerfreiheit SteuerR, 84 Arbeitszimmer – Einkommensteuer SteuerR, 102 Aufsichtsrat – Genossenschaft – Amtszeit GesRuaCOVBekG § 3, 6, 93 ff. – Beschlüsse GesRuaCOVBekG § 3, 101 f. – Jahresabschluss, Feststellung GesRuaCOVBekG § 3, 72 ff., 77 – Versammlung, Anwesenheitspflicht GesRuaCOVBekG § 3, 41 f.
Beihilfen
– Einkommensteuer SteuerR, 113 f. Beweislast – Insolvenzanfechtung SanInsKG § 2, 67 ff.
– Zahlungen im ordentlichen Geschäftsgang SanInsKG § 2, 21 – Zahlungsunfähigkeit SanInsKG § 1, 38, 41 ff. Bewertung – Anteilsbewertung SteuerR, 243 f. – handelsrechtl. Bilanz SteuerR, 269 f. Bilanz – Aufstellung, Frist SteuerR, 266 f. – Bewertungsansatz SteuerR, 269 f. – IFRS SteuerR, 287 f. – Offenlegung SteuerR, 289
Corona-Steuerhilfegesetz
SteuerR, 1 ff. – Steuerfreiheit v. Arbeitnehmerbeihilfen SteuerR, 71 f. COVGesMG – Anwendungsbereich, zeitlicher GesRuaCOVBekG § 3, 8 ff.; GesRuaCOVBekG § 5, 5 ff. – Genossenschaft, Erleichterungen GesRuaCOVBekG § 3, 1 ff.; s. a. dort – Gesetzeshistorie GesRuaCOVBekG § 3, 14 f.; GesRuaCOVBekG § 5, 13 f. – Vereine/Stiftungen, Erleichterungen GesRuaCOVBekG § 5, 1 ff. COVID-19-Pandemie – SanInsKG, Verordnungsermächtigung SanInsKG § 4, 6 ff. – Gesetz über Maßnahmen im Gesellschaftsrecht s. COVGesMG
Darlegungslast
– Sanierungsfähigkeit SRHWInsAG § 1, 13
367
Stichwortverzeichnis – Zahlungen im ordentlichen Geschäftsgang SanInsKG § 2, 21 – Zahlungsunfähigkeit SanInsKG § 1, 38, 41 ff. Datenschutz – Verein, Mitgliederversammlung GesRuaCOVBekG § 5, 71 Dokumentation – Zahlungsunfähigkeit SanInsKG § 1, 35, 61 f. Drittzahlungen SanInsKG § 2, 54
Eigenverwaltung
– Anforderungen SanInsKG § 5, 4 – Auswirkungen SanInsKG § 1, 49 ff. – Planung SanInsKG § 5, 4 – nachträglicher Antrag SanInsKG § 5, 11 – Zugang SanInsKG § 5, 1 ff. Einkommensteue – Arbeitszimmer SteuerR, 103 ff. – Beihilfen SteuerR, 101 f. – Corona Zuschüsse/Beihilfen SteuerR, 101 – Entlastung Alleinerziehende SteuerR, 136 – Freibetrag SteuerR, 139 – Gewinnermittlung SteuerR, 100 ff. – Grenzgänger SteuerR, 173 ff. – Kinderbetreuung/Pflegeleistungen SteuerR, 84, 142, 157 – Kurzarbeitergeld SteuerR, 140 ff. – Sanierungserträge SteuerR, 98 – Steuerbefreiung, Bezüge aus öffentl. Mitteln SteuerR, 69 f. – Steuerbefreiung, Corona-Steuerhilfegesetz SteuerR, 71 f. – Übungsleiterpauschale SteuerR, 77 ff. – Veräußerungsverluste SteuerR, 131 f. – Verlustabzug SteuerR, 125 – Vorauszahlungen SteuerR, 34, 42, 125 – Werbungskosten SteuerR, 113 f.
368
Energiesteuer SteuerR, 249 Erbschaft-/Schenkungsteuer – Anteilsbewertung SteuerR, 243 f. – Betriebsvermögensbegünstigung, Lohnsumme SteuerR, 245 ff. – Kurzarbeitergeld SteuerR, 248 EU-Energiebeitragsgesetz EU-EnergieKBG Einf., 1 ff. – Abgabe im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft EU-EnergieKBG § 1, 6 – Bemessungsgrundlage EU-EnergieKBG § 4, 1 ff.; EU-EnergieKBG § 6, 5; EU-EnergieKBG § 7, 17 – Besteuerungszeitraum EU-EnergieKBG § 3, 3 ff. – Doppelbesteuerung EU-EnergieKBG § 4, 15 – Engpasserlösüberschuss EU-EnergieKBG Einf., 12 – Entstehung EU-EnergieKBG § 3, 1 ff. – Erdrosselungsverbot EU-EnergieKBG § 4, 22 – Festsetzung EU-EnergieKBG § 7, 1 ff. – Notfallmaßnahmen EU-EnergieKBG Einf., 5 – Regelungsgegenstand EU-EnergieKBG § 1, 1 ff. – REPower EU-Plan EU-EnergieKBG Einf., 2 – Schuldner EU-EnergieKBG § 2, 1 ff. – Solidaritätsbeitrag EU-EnergieKBG Einf., 6 ff., 12 – Solidaritätszuschlag EU-EnergieKBG § 1, 11 – Steuer/-satz EU-EnergieKBG § 1, 6; EU-EnergieKBG § 4, 1 ff., 21 – Strompreisbreme EU-EnergieKBG Einf., 18 – Überschusserlöse/-gewinne EU-EnergieKBG Einf., 12 – Übergewinnsteuer EU-EnergieKBG § 4, 9 – Umverteilungsmaßnahme EU-EnergieKBG Einf., 8
Stichwortverzeichnis – Umwandlung EU-EnergieKBG § 5, 1 ff. – Untergewinn EU-EnergieKBG § 4, 9 – Zuständigkeit EU-EnergieKBG § 6, 1 ff.
Finanzamt
– Insolvenzantrag, Beschränkung SanInsKG § 3, 4, 11 f. Finanzplanung SanInsKG § 1, 31 ff., 61 f.; SRHWInsAG § 1, 11 Fortbestehensprognose SanInsKG § 1, 33, 45, 61 f.
Genossenschaft
– Abschlagszahlung GesRuaCOVBekG § 3, 78 ff. – Abschlagszahlung, Voraussetzungen GesRuaCOVBekG § 3, 86 ff. – Aufsichtsratsmitglieder, Amtszeit GesRuaCOVBekG § 3, 6, 93 ff. – Auseinandersetzungsguthaben GesRuaCOVBekG § 3, 73, 79 ff., 86 ff. – Beschlussanfechtung GesRuaCOVBekG § 3, 60 ff. – Beschlussfassung, Niederschrift GesRuaCOVBekG § 3, 56 ff. – Beschlussfassung, Zulässigkeit GesRuaCOVBekG § 3, 20 ff. – Beschlussfeststellung GesRuaCOVBekG § 3, 53 ff. – Bild-/Tonübertragung GesRuaCOVBekG § 3, 26 f. – Dividende GesRuaCOVBekG § 3, 83 ff. – Erleichterungen, Überblick GesRuaCOVBekG § 3, 1 ff. – Hybridversammlung GesRuaCOVBekG § 3, 24 – Insolvenzantragspflicht SanInsKG § 1, 5 – Jahresabschluss GesRuaCOVBekG § 3, 4 – Jahresabschluss, Feststellung GesRuaCOVBekG § 3, 71 ff.
– Jahresabschluss, Satzungsregelungen GesRuaCOVBekG § 3, 74 – Jahresabschluss, Zugänglichmachung GesRuaCOVBekG § 3, 75 f. – Mitglieder, Feststellung d. Anwesenheit GesRuaCOVBekG § 3, 39 – Präsenzversammlung GesRuaCOVBekG § 3, 29 – Rede-/Fragerecht GesRuaCOVBekG § 3, 36 ff. – Stimmabgabe, Form GesRuaCOVBekG § 3, 45 ff. – Stimmabgabe, mehrfache GesRuaCOVBekG § 3, 50 ff. – Umlaufverfahren, Unzulässigkeit GesRuaCOVBekG § 3, 34 – Versammlung, Absage/Verschiebung GesRuaCOVBekG § 3, 67 f. – Versammlung, Durchführungsfrist GesRuaCOVBekG § 3, 32 – Versammlung, Einberufung GesRuaCOVBekG § 3, 66 ff. – Versammlung, schriftliches Verfahren GesRuaCOVBekG § 3, 16 ff. – Versammlung, technische Umsetzung GesRuaCOVBekG § 3, 40 – Versammlung, virtuelle GesRuaCOVBekG § 3, 3, 16 ff., 30 ff., 68 f., 72 – Versammlungsleitung GesRuaCOVBekG § 3, 36 ff. – Vertreterversammlung GesRuaCOVBekG § 3, 17 ff. – Vorstand/Aufsichtsrat, Beschlüsse GesRuaCOVBekG § 3, 101 f. – Vorstandsmitglieder, Amtszeit GesRuaCOVBekG § 3, 5, 93 ff. Geschäftsbetrieb – Ermöglichung der Fortführung SanInsKG § 2, 1 ff., 31 – Zahlungen im ordentlichen Geschäftsgang SanInsKG § 2, 1 ff., 15 ff.
369
Stichwortverzeichnis Geschäftsführung – Insolvenzantragspflicht, Aussetzung SanInsKG § 2, 8 ff. – Steuerhaftung SteuerR, 10 ff. Gesellschafterdarlehen – Rückzahlung/Besicherung SanInsKG § 2, 42 – Sittenwidrigkeit, Ausschluss SanInsKG § 2, 43 ff. Gesetz über Maßnahmen im Gesellschaftsrecht s. COVGesMG Gewerbesteuer – Stundung/Erlass SteuerR, 198 – Vorauszahlungen SteuerR, 198 – Zuständigkeit SteuerR, 197 Gläubiger – Gleichbehandlung SanInsKG § 7, 3 – Insolvenzantrag, Beschränkung SanInsKG § 3, 1 ff.; SanInsKG § 4, 6 ff. – Kenntnis von d. Zahlungsunfähigkeit SanInsKG § 2, 56 ff. – Sicherstellung bei Stützungsmaßnahmen SanInsKG § 7, 1 ff. – Sonderbehandlungsverbot SanInsKG § 7, 2 Gläubigerbenachteiligungsvorsatz SanInsKG § 2, 59, 64 ff. GmbH – Insolvenzantragspflicht SanInsKG § 1, 5 Grenzgänger – Einkommensteuer SteuerR, 173 ff. Gutschein – Umsatzsteuer SteuerR, 238 ff.
Haftung
– Einschränkung SanInsKG § 1, 11 – Insolvenz, Darlegungs-/ Beweislast SanInsKG § 1, 41 ff.; SanInsKG § 2, 21 – Insolvenzantragspflicht, Aussetzung SanInsKG § 2, 11 ff. – Insolvenzverschleppung SanInsKG § 2, 2
370
Hilfsprogramme s. a. Kredite – KfW – Verordnungsermächtigung SanInsKG § 4, 6 ff. – zeitliche Öffnungsklausel SanInsKG § 2, 7 Höchstfrist SanInsKG § 4a, 1 ff. – Ausgestaltung der Antragsfrist SanInsKG § 4a, 15 – Ausnahmen SanInsKG § 4a, 5 ff. – Entlastung SanInsKG § 4a, 1, 11 – Fristberechnung SanInsKG § 4a, 19 – Zombieunternehmen SanInsKG § 4a, 10 ff. – Zweck der Verlängerung SanInsKG § 4a, 5 ff.
IFRS
– Rechnungslegung SteuerR, 287 f. Insolvenz – Massesicherungspflicht und Steuern SteuerR, 12 ff. Insolvenzanfechtung – Besicherung SanInsKG § 2, 48 ff. – Drittzahlungen SanInsKG § 2, 54 – Einschränkung SanInsKG § 1, 11; SanInsKG § 2, 47 ff. – Gläubigerbenachteiligungsvorsatz SanInsKG § 2, 59, 64 ff. – inkongruente Deckung SanInsKG § 2, 52 f. – Kenntnis von d. Überschuldung SanInsKG § 2, 60 – Kenntnis von d. Zahlungsunfähigkeit SanInsKG § 2, 56 ff. – kongruente Deckung SanInsKG § 2, 2, 48 ff. – Kredite, Rückzahlung SanInsKG § 2, 37 ff. – Leistung an Erfüllung statt/ erfüllungshalber SanInsKG § 2, 54 – Prüfungshinweise SanInsKG § 2, 67 ff. – Starkregenfälle, Hochwasser SRHWInsAG § 1, 18 – Zahlungserleichterungen SanInsKG § 2, 55
Stichwortverzeichnis Insolvenzantrag – Antragsfrist SanInsKG § 4a, 1 ff. – Drei-Monats-Zeitraum SanInsKG § 3, 6 ff. – Glaubhaftmachung SanInsKG § 3, 15 f. – Gläubigeranträge SanInsKG § 3, 1 ff.; SanInsKG § 4, 6 ff. – Höchstfrist SanInsKG § 4a, 1 ff., 5 – Insolvenzgrund SanInsKG § 3, 9 ff. – Stellung durch Finanzbehörde SteuerR, 56 ff. – Strafrecht StrafR, 14 ff. Insolvenzantragspflicht – Antragsrecht SanInsKG § 1, 22, 47 ff. – Darlegungs-/Beweislast SanInsKG § 1, 41 ff.; SanInsKG § 2, 21 – Krisensituation SanInsKG § 1, 5 ff. Insolvenzantragspflicht – Aussetzung SanInsKG § 1, 36; s. a. Überschuldung; Zahlungsunfähigkeit – Adressatenkreis SanInsKG § 2, 8 ff. – Anwendungsbereich SanInsKG § 1, 16 ff. – Anwendungsbereich, persönlicher SanInsKG § 1, 5; SRHWInsAG § 1, 6 ff. – Anwendungsbereich, zeitlicher SanInsKG § 1, 16 ff.; SanInsKG § 2, 1 ff.; SRHWInsAG § 1, 6 ff. – Eigenverwaltung SanInsKG § 1, 49 ff. – Folgen SanInsKG § 1, 47 ff.; SanInsKG § 2, 1 ff. – Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen SRHWInsAG § 1, 11 – Fortbestehensprognose SanInsKG § 1, 33 – Fristverlängerung SanInsKG § 1, 28
– Geschäftsleiterhaftung SRHWInsAG § 1, 16 f. – Gesetzesintention SanInsKG § 1, 5 ff. – Gesetzestechnik SanInsKG § 1, 23 ff. – Restschuldbefreiung SanInsKG § 1, 40 – Tatbestandsvoraussetzung SRHWInsAG § 1, 9 ff. – temporäre SRHWInsAG § 1, 5 – Überlebensfähigkeit SanInsKG § 1, 33 – Vermutung hinsichtlich der Ursache SanInsKG § 1, 24 ff. – Verordnungsermächtigung SanInsKG § 4, 6 ff. – Verschleppungsfälle SanInsKG § 1, 19 ff., 58 – Voraussetzungen SanInsKG § 1, 23 ff. Insolvenzantragspflicht – Aussetzungszeitraum – Privilegien, Dauer SanInsKG § 2, 5 ff. – SanInsFoG SanInsKG § 2, 74 ff. – Verlängerung SanInsKG § 2, 72 f. Insolvenzgericht – Insolvenzantrag, Beschränkung SanInsKG § 3, 5 Insolvenzmasse – Massesicherungspflicht und Steuern SteuerR, 12 ff. Insolvenzreife – Darlegungs-/Beweislast SanInsKG § 1, 38, 41 ff.; SanInsKG § 2, 21 – Gerichte, Handlungsmöglichkeiten SanInsKG § 5, 39 ff. – Pandemiebedingte SanInsKG § 5, 12 ff. Insolvenzstraftaten SanInsKG § 1, 59 f. – Insolvenzverschleppung SanInsKG § 2, 2 Insolvenzverschleppung SanInsKG § 2, 2; StrafR, 3 ff.
371
Stichwortverzeichnis Insolvenzverwalter – Beweislast SanInsKG § 2, 67 ff. – Darlegungs-/Beweislast SanInsKG § 1, 41 ff.; SanInsKG § 2, 21 – Steuerhaftung SteuerR, 16 Investmentsteuer SteuerR, 255
Jahresabschluss
– Abschlagszahlung GesRuaCOVBekG § 3, 78 ff. – Abschlagszahlung, Voraussetzungen GesRuaCOVBekG § 3, 86 ff. – Auseinandersetzungsguthaben GesRuaCOVBekG § 3, 79 ff., 86 ff. – Dividende GesRuaCOVBekG § 3, 83 ff. – Genossenschaft GesRuaCOVBekG § 3, 4 – Offenlegung SteuerR, 289 – Satzungsregelungen GesRuaCOVBekG § 3, 74 – Zugänglichmachung GesRuaCOVBekG § 3, 75 f. Jahressteuergesetz 2022 EU-EnergieKBG Einf., 14, 17 – EU-Energiekrisenbeitrag EU-EnergieKBG Einf., 14, 16 – Übergewinnsteuer EU-EnergieKBG Einf., 14 – Untergewinne EU-EnergieKBG Einf., 15
Körperschaftsteuer
SteuerR, 188 ff. – Ansatz v. Verbindlichkeiten/ Rückstellungen SteuerR, 191 – konzerninterne Darlehen SteuerR, 193 – Rangrücktrittserklärung SteuerR, 191 – Vergütung d. Geschäftsleitung SteuerR, 192 – Vorauszahlungen SteuerR, 194 Krankenkasse – Insolvenzantrag, Beschränkung SanInsKG § 3, 4, 10 Kredit – Verbraucherdarlehen s. dort 372
Kredite – Begriff SanInsKG § 2, 30 – Gesellschafterdarlehen SanInsKG § 2, 42 – Neukredite/Besicherung SanInsKG § 2, 1 ff. – Privilegierung SanInsKG § 2, 29 ff. – Rückzahlung SanInsKG § 2, 37 ff. – Sittenwidrigkeit, Ausschluss SanInsKG § 2, 43 ff. – Zahlungen, Ermöglichung SanInsKG § 2, 1 ff. Kredite – KfW – Privilegierung SanInsKG § 2, 7, 41 Krisen- und Insolvenzstrafrecht s. Strafrecht Kurzarbeitergeld – Besteuerung SteuerR, 84, 140 f. – Betriebsvermögensbegünstigung, Lohnsumme SteuerR, 248
Leistung an Erfüllung statt
SanInsKG § 2, 54 Leistung erfüllungshalber SanInsKG § 2, 54 Leistungsverweigerungsrecht – Umsatzsteuer d. Leistungserbringers SteuerR, 234 Lohnsteuer – Haftung, Geschäftsleiter SteuerR, 12 – Lohnsteueranmeldung SteuerR, 18, 144 – Lohnsteueranmeldung, Fristverlängerung SteuerR, 36
Organe
– Insolvenzantragspflicht, Haftungsprivilegien SanInsKG § 2, 8 ff.
Personengesellschaft
– Insolvenzantragspflicht SanInsKG § 1, 5 Prognosezeitraum, Verkürzung SanInsKG § 4, 6 f.
Stichwortverzeichnis
Rechnungslegung
– Aufstellung, Frist SteuerR, 122 f. – Bewertungsansatz SteuerR, 269 f. – IFRS SteuerR, 287 f. Restrukturierungsrichtlinie SanInsKG § 1, 37 Restschuldbefreiung SanInsKG § 1, 40
Sanierung
– Auswirkungen SanInsKG § 1, 49 ff. Sanierungsaussichten SRHWInsAG § 1, 12 Sanierungserträge SteuerR, 98 SanInsKG – Ermöglichung der Fortführung SanInsKG § 2, 1 ff. – Gesetzesintention SanInsKG § 1, 5 ff. – Insolvenzantragspflicht, Aussetzung SanInsKG § 1, 5 ff.; s. a. dort – Verordnungsermächtigung SanInsKG § 4, 6 ff. – Zahlungen im ordentlichen Geschäftsgang SanInsKG § 2, 1 ff., 15 ff. Schlussbilanz – Umwandlungssteuer SteuerR, 256 ff. Schutzschirmverfahren – Betriebsergebnis, ordentliches SanInsKG § 6, 7 – Ermessenspielraum SanInsKG § 6, 10 – Sanierungsbescheinigung SanInsKG § 6, 6 ff. – Vergütung Verfahrensbeteiligte SanInsKG § 6, 11 – Zugang SanInsKG § 6, 1 ff. SE (Societas Europaea) – Insolvenzantragspflicht SanInsKG § 1, 5 Sicherheiten – Privilegierung SanInsKG § 2, 29 ff.
Sittenwidrigkeit – Ausschluss SanInsKG § 2, 43 ff. Steuern s. a. Einkommensteuer; Gewerbesteuer; Körperschaftsteuer; Lohnsteuer; Umsatzsteuer – Corona-Steuerhilfegesetz SteuerR, 1 ff. – Deklarationsprinzip EU-EnergieKBG § 1, 12 – Einkommensteuer SteuerR, 67 ff. – Energiesteuer SteuerR, 249 – Erbschaft-/Schenkungsteuer SteuerR, 243 ff. – Gewerbesteuer SteuerR, 197 ff. – Gewinnermittlung SteuerR, 100 ff. – Grundsatz des Übermaßverbotes EU-EnergieKBG § 1, 13 – Haftung, Geschäftsleiter SteuerR, 11 ff. – Insolvenzantragstellung durch Finanzbehörde SteuerR, 56 ff. – Körperschaftsteuer SteuerR, 188 ff. – Massesicherungspflicht SteuerR, 12 ff. – Sanierungserträge SteuerR, 98 – Säumniszuschlag, Erlass SteuerR, 43 ff. – Steuererklärung, Abgabepflicht SteuerR, 17 ff. – Steuererklärung, Verspätungszuschlag SteuerR, 29 f. – Stundung SteuerR, 31 ff. – Stundungszinsen SteuerR, 41 – Umwandlungssteuer SteuerR, 256 ff. – verfahrensrechtliche Regelungen SteuerR, 11 ff. – Verifikationsprinzip EU-EnergieKBG § 1, 12 – Vollzugsdefizit EU-EnergieKBG § 1, 12 – Vollstreckung, Aussetzung SteuerR, 49 f. Steuerrecht – Corona-Steuerhilfegesetz SteuerR, 1 ff. – verfahrensrechtliche Regelungen SteuerR, 11 ff. 373
Stichwortverzeichnis Steuerstrafrecht EU-EnergieKBG § 1, 7 Stiftung – COVGesMG, Anwendungszeitraum GesRuaCOVBekG § 5, 5 ff. – COVGesMG, Erleichterungen GesRuaCOVBekG § 5, 1 ff. Strafrecht – Betrug StrafR, 44 ff., 54 f., 56 f., – Drittbereicherungsabsicht StrafR, 62 – Eingehungsbetrug StrafR, 47 ff., 58 – Fahrlässigkeit StrafR, 33, 102 – Insolvenzantragspflicht StrafR, 28 ff., 31 – Insolvenzverschleppung StrafR, 3 ff., 22 ff., 85 ff. – Selbstanzeige StrafR, 83 – Sozialversicherung StrafR, 66, 72 – StaRUG StrafR, 38 ff. – Steuerhinterziehung StrafR, 79 – Strohmann StrafR, 26 – Täter StrafR, 22 ff., 67 f. – Täter, tauglicher StrafR, 69 ff. – Täuschung StrafR, 47 ff., 60 – Überschuldung StrafR, 16 ff. – Verbotsirrtum StrafR, 34 f. – Verjährung StrafR, 36, 84 – Versuch StrafR, 101 – Veruntreuung Arbeitsentgelt StrafR, 66 – Vollendung StrafR, 36 – Vorsatz StrafR, 32, 36, 58, 81 – Zahlungsstockung StrafR, 18 – Zahlungsunfähigkeit StrafR, 14, 18 ff., 29, 90 ff. Strompreisbremsengesetz – Abschöpfung von Überschusserlösen EU-EnergieKBG Einf., 18 – Ausgleich durch Abschöpfung von Überrenditen EU-EnergieKBG Einf., 18 – Ausgleichsmechanismen EU-EnergieKBG Einf., 18
Überlebensfähigkeit 33
374
SanInsKG § 1,
Überschuldung – Fortbestehensprognose SanInsKG § 1, 33 – Höchstfrist SanInsKG § 4a, 1 ff. – Prognose SanInsKG § 4, 6 ff., 66, 107 – Prüfung SanInsKG § 4, 6 ff. – Rückführbarkeit SanInsKG § 4, 43 ff. – Überlebensfähigkeit SanInsKG § 1, 33 – Vermutung d. Beseitigung SanInsKG § 1, 27 ff. – Vermutung d. Beseitigung, Reichweite SanInsKG § 1, 36 Übungsleiterpauschale – Besteuerung SteuerR, 77 ff. Ukraine-Krieg SanInsKG § 1, 3; SanInsKG § 4, 1 ff.; SanInsKG § 4a, 8; EU-EnergieKBG Einf., 19; SteuerR, 1 ff. Umsatzsteuer – Berichtigung SteuerR, 231 ff. – Gutscheine, Ausgabe SteuerR, 238 ff. – Haftung, Geschäftsleiter SteuerR, 12 – jur. Personen d. öffentl. Rechts SteuerR, 229 – Sägewerkerzeugnisse SteuerR, 210 – Steuersatz, Gastronomie SteuerR, 212 ff. – Steuerbefreiuungen SteuerR, 201 ff. – Vergütung Insolvenzverwalter SteuerR,211 – Voranmeldung SteuerR, 19 – Vorsteuerabzug SteuerR, 237 Umwandlung – Umwandlungssteuer SteuerR, 145 ff. Umwandlungssteuer SteuerR, 256 ff.
Verein
– COVGesMG, Anwendungszeitraum GesRuaCOVBekG § 5, 5 ff.
Stichwortverzeichnis – COVGesMG, Erleichterungen GesRuaCOVBekG § 5, 1 ff. – Umlaufverfahren GesRuaCOVBekG § 5, 115 ff. Verein – Mitgliederversammlung – Beschlussfassung GesRuaCOVBekG § 5, 72 ff. – Beschlussfeststellung GesRuaCOVBekG § 5, 80 – Beschlussmängel GesRuaCOVBekG § 5, 81 – Beschlussvorschläge GesRuaCOVBekG § 5, 40 – Datenschutz GesRuaCOVBekG § 5, 71 – Delegierte GesRuaCOVBekG § 5, 47 – Einberufung GesRuaCOVBekG § 5, 57 ff. – Einberufung, Fehler GesRuaCOVBekG § 5, 51, 56 – elektronische Komunikationsmittel GesRuaCOVBekG § 5, 39 – Hybridversammlung GesRuaCOVBekG § 5, 82 ff. – Hybridversammlung, Beschlussfassung GesRuaCOVBekG § 5, 89 ff. – Hybridversammlung, Einberufung GesRuaCOVBekG § 5, 86 – Hybridversammlung, Leitung GesRuaCOVBekG § 5, 87 f. – Rede-/Fragerecht GesRuaCOVBekG § 5, 53 – Stichwahlen GesRuaCOVBekG § 5, 104 – Stimmabgabe GesRuaCOVBekG § 5, 73 ff. – Stimmabgabe, mehrfache GesRuaCOVBekG § 5, 102 ff. – Stimmabgabe, schriftliche GesRuaCOVBekG § 5, 92 ff. – Tagesordnung GesRuaCOVBekG § 5, 52 – Teilnahmerecht GesRuaCOVBekG § 5, 48, 54 – Umlaufverfahren GesRuaCOVBekG § 5, 115 ff. – Versammlungsleitung GesRuaCOVBekG § 5, 68 ff.
– virtuelle GesRuaCOVBekG § 5, 37, 43 ff. – Vollmachtserteilung GesRuaCOVBekG § 5, 77 Verordnungsermächtigung – Insolvenzantragspflicht, Aussetzung SanInsKG § 4, 6 ff. Verwertungsgesellschaften GesRuaCOVBekG § 5, 36 Vorstand – Insolvenzantragspflicht, Aussetzung SanInsKG § 2, 8 ff. – Steuerhaftung SteuerR, 11 ff. Vorstand – Genossenschaft – Amtszeit GesRuaCOVBekG § 3, 6, 93 ff. – Beschlüsse GesRuaCOVBekG § 3, 101 f. – Versammlung, Anwesenheitspflicht GesRuaCOVBekG § 3, 41 f. Vorstand – Stiftung – Amtszeit GesRuaCOVBekG § 5, 35 Vorstand – Verein – Amtszeit GesRuaCOVBekG § 5, 17 ff. – Beschlussfassung GesRuaCOVBekG § 5, 132 ff. – Mitgliederversammlung, Form GesRuaCOVBekG § 5, 42, 46, 48 ff. – Mitgliederversammlung, Teilnahme GesRuaCOVBekG § 5, 62 ff. – Sitzung GesRuaCOVBekG § 5, 132 ff.
Werbungskosten
– Einkommensteuer SteuerR, 103 ff.
Zahlungen im ordentlichen
Geschäftsgang – Begriff SanInsKG § 2, 20, 22 ff. – Darlegungs-/Beweislast SanInsKG § 2, 21 – Privilegierung SanInsKG § 2, 15 ff.
375
Stichwortverzeichnis Zahlungsaufschub s. Moratorium Zahlungserleichterungen SanInsKG § 2, 55 Zahlungsfähigkeit – Darlegungs-/Beweislast SanInsKG § 1, 35, 38 Zahlungsunfähigkeit – Darlegungs-/Beweislast SanInsKG § 1, 41 ff. – Finanzplanung SanInsKG § 1, 31 ff.
376
– Fortbestehensprognose SanInsKG § 1, 33 – Insolvenzreife SanInsKG § 1, 35, 38, 41 ff. – Kenntnis SanInsKG § 2, 56 ff. – Überlebensfähigkeit SanInsKG § 1, 33 – Vermutung d. Beseitigung SanInsKG § 1, 27 ff. – Vermutung d. Beseitigung, Reichweite SanInsKG § 1, 36 – Zeitpunkt SanInsKG § 1, 34