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German Pages 416 [418] Year 2014
Dirk Westerkamp
Sachen und Sätze Untersuchungen zur symbolischen Reflexion der Sprache
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2681-5 ISBN eBook: 978-3-7873-2682-2
Umschlagabbildung: Pavel Richtr, 687 Nr. (Ausschnitt), 2001.
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Inhalt Die symbolische Reflexion der Sprache
1. Sprache als Thema und Medium der Philosophie . . . . . . . . . 11 2. Mentalistische und instrumentalistische Sprachmodelle . . . . . 16 3. Symbolische Reflexion (1): Differentialität . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Symbolische Reflexion (2): Multiperspektivität . . . . . . . . . . . . 26 5. Sprache und kulturelle Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 ER STER TEIL Symbolische Ordnungen und kulturelle Tatsachen Die andere Sprache Positionen grammatischer Metaphysikkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1. Riss zwischen logischer und grammatischer Syntax der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Bann der grammatischen Funktionen: Nietzsche . . . . . . . . . . 42 3. Suspension der Urteilsstruktur: Frege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4. Eidetik idealer Bedeutungseinheiten: Husserl . . . . . . . . . . . . . . 55 5. Grammatische Metaphysikkritik und symbolische Reflexivität der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Anoetik und Hermeneutik Symbolische Formen des Verstehens und Nichtverstehens . . . . . 63
1. Radikales Nichtverstehen: Geltung ohne Bedeutung . . . . . . . 63 2. Radikale Übersetzung: Bedeutung als Satzwahrheit . . . . . . . . 65 3. Die symbolische Als-Struktur des Verstehens . . . . . . . . . . . . . . 68 4. Sich nicht verstehen auf etwas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5. Selbstunverständnis und Selbstmissverständnis . . . . . . . . . . . 75 6. Anoetik: Phänomenologische Analytik der Sprechakte und Kategorientafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
7. Erste Kategorie: Verständnishorizonte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 8. Zweite Kategorie: Nichtverstehensqualitäten . . . . . . . . . . . . . 87 9. Dritte Kategorie: Nichtverstehensdispositionen . . . . . . . . . . 90 1 0. Vierte Kategorie: Nichtverstehensmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Symbolische Differenz Wie intelligent ist die Buchstabenschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
1. Zwei Dogmen der Dekonstruktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Schrift und Schriftordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Aspekte eines allgemeinen Schriftbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 109 4. Die Mumie und die Hieroglyphe: Humboldts Bestimmung der Buchstabenschrift . . . . . . . . . . . 113 5. Der Schacht und die Pyramide: Hegels Bestimmung der Buchstabenschrift . . . . . . . . . . . . . . 122 6. Stoicheiographie und Akroamatik: Die symbolische Reflexivität der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Systematische Metaphern Figuratives Wissen zwischen kognitiver und historischer Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
1. Metaphern als philosophisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Probleme einer allgemeinen Metaphernbestimmung . . . . . . 141 3. Konzeptuelle Räume: Metaphern in der kognitiven Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4. Mentale Synthesis: Systematik und Produktivität der Metapher . . . . . . . . . . . . . . 147 5. Die kulturelle Signatur metaphorischer Felder . . . . . . . . . . . 152 6. Kontextabhängigkeit und Redekonsequenzen: Die Historizität metaphorischer Semantik . . . . . . . . . . . . . . . 154 7. Absolute Metaphern und historische Semantik . . . . . . . . . . . 157 8. Metaphern als indirekte Wahrheitsträger . . . . . . . . . . . . . . . . 159 9. Systematische Metaphern und die Frage: Was ist ein philosophischer Text? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
6 | Inhalt
Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
1. Das terminologische Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Gedächtnisfunktionen und Trägermedien . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Die materiellen Träger des objektiven Geistes . . . . . . . . . . . . 174 4. Hegels Erinnerungs- und Gedächtnistheorie . . . . . . . . . . . . . 181 5. Individuelle Erlebniserinnerung und symbolische Form . . . 184 6. Das produktive Gedächtnis und die symbolische Reflexion der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7. Das »individuelle Weltsystem« und die symbolischen Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 ZWEITER TEIL Sprachanalyse und alethischer Pragmatismus Sachen und Sätze Kulturphilosophische Prämissen einer sprachpragmatischen Alethiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
1. Intransigenz von Sprachanalyse und Kulturphilosophie? . . . 199 2. Perspektiven der Verschlingung von Sprachanalyse und Kulturphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Analytische und synthetische Aufgaben: Das Problem der »Denaturalisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4. Symbolische Reflexion: Der Gegenstand kulturphilosophischer Sprachanalyse . . . . 215 5. Kulturelle Tatsachen: Eine theoriehistorische Digression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6. Kulturelle Tatsachen: Werke und Wir-Intentionalität . . . . 223 7. Im Wahren sein: Alethische Evidenzhorizonte . . . . . . . . . . . 226 Evidenz und Geltung Varianten des alethischen Pragmatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
1. Wahr-Sagen und Wahr-Machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Bewahrheiten als regulative Idee unendlichen Forschens . . 233 3. Verifikation als Zur-Geltung-Bringen wahrer Auffassungen 238 I N H A LT
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4. Weltbilder: Wahrmachen als Anerkennung in Überzeugungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Vérité à faire als Eingriff in die Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 250 6. Verifikation: Diskursregulierung als Eindringen ins Wahre 256 7. Alethischer Realismus vs. alethischer Pragmatismus . . . . . 262 8. Die bestimmte Unbestimmtheit der Evidenzhorizonte und die Aufgaben eines alethischen Pragmatismus . . . . . . . . . . . . 267 Bewährte Überzeugungen Aufgaben einer sprachpragmatischen Alethiologie . . . . . . . . . . . 271
1. Explikation statt Theorie der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Überzeugung (1): Wahrheitsgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3. Überzeugung (2): Wahrhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Überzeugung (3): Fürwahrhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 5. Aussagen als Ort der Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 6. Tatsachen und Tatsachensphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 7. Konvergenz (1): Korrespondenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8. Konvergenz (2): Kohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 9. Konvergenz (3): Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1 0. Konvergenz (4): Respondenz Vorschlag eines pragmatischen Entsprechungsmodells . . . . 306 1 1. Verifikation als Bewährung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 12. Evidenzhorizonte: Im-Wahren-Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
1. Konkurrieren Wahrheitstheorien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 2. Typentheoretische Probleme des Wahrheitsprädikats . . . . 323 3. Die moderne Deflation des Wahrheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . 327 4. Haben Theorien assertorische Kraft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 5. Was sind Theorien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 6. Was Wahrheitstheorien leisten sollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 7. Die Kritisierbarkeit von Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
8 | Inhalt
Wahrheit und Kulturelle Tatsachen Thesen zur Logik der Kulturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
1. Das Wahrheitsproblem der Kulturwissenschaften . . . . . . . . . 345 2. Drei Positionen: Ernst Cassirer, Wiener Kreis, Kritische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 3. Die symbolische Form kultureller Faktizität: Znaniecki, Whitehead, Cassirer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 4. Die innere Pluralität des Tatsachenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . 363 5. Die symbolische Reflexivität der Sprache und das Verhältnis von Wahrheit und kulturellen Tatsachen . . . . . . . 367 6. Abschied von den facta bruta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
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Die symbolische Reflexion der Sprache 1. Sprache als Thema und Medium der Philosophie1 Philosophie ist die Kunst, sinnvolle Unterscheidungen zu treffen. Ihre Distinktionen sind begrifflicher Art. Sie werden im diskursiven Medium der Sprache geäußert und bestimmen unser Verhältnis zur Welt, zu Anderen, zu uns selbst. Im Alltag vermeinen wir auch sprachlos wahrnehmen, uns einer Sache vorsprachlich bewusst sein oder nonverbal kommunizieren zu können. Die Reflexion der Philosophie dagegen ist unhintergehbar begrifflich-symbolisch. Sie kann ihre Erkenntnisse nicht malen, singen oder tanzen.2 Philosophie denkt entlang einer Sprache, die für sie eine doppelte Funktion gewinnt: Sprache ist ihr Thema und ihr Medium zugleich.3 Nur in der Sprache kann die Philosophie über ihren Gegenstand und ihre Methode selbst sprechen. Insofern die Sprache nicht Welt abbildet, sondern ein Bild der Welt entwirft, reflektieren ihre Differenzierungen nicht notwendig reale Unterschiede. In einer vorsprachlichen und vorkulturellen Welt gibt es, so Lockes Beispiele (für »gemischte Modi«4), keinen Ehebruch, keine Prozession, kein Sakrileg. Begriffliche Unterscheidungen solcher Art kommen allererst durch kulturelle Sprachpraktiken in die Welt. Auch dürfte schwierig sein, vermutet bereits Moses Mendelssohn, ohne Sprache überhaupt Bestimmtes wahrnehmen zu können. Wie sollte möglich sein, »durch die bloße Anstrengung der Aufmerksamkeit, Merkmale herauszubringen, für die wir noch keine Worte wissen«5. Unser Wahrnehmen und Denken ist von vornherein zeichenhaft und symbolisch, »weil der Mensch, ohne Hülfe der Zeichen, sich kaum um einen Schritt vom Sinnlichen entfernen kann«6.. Nichts spricht dafür, dass Sprache wie in einem schlierenlosen Spiegel einfach die Unterschiede reflektierte, die wir in der Welt vorfinden und auch ohne Sprache für uns da wären. Demgegenüber ging das hochdifferenzierte mittelalterliche Sprachdenken | 11
noch von einer weitgehenden »Isomorphie zwischen Sein, Denken und sprachlichem Ausdruck«7 aus. Es fand eine wohlgeordnete, nach Ursachen, Gattungen und Arten unterteilte Welt in den begrifflichen Unterscheidungen und sprachlichen Ordnungen der Dinge selbst wieder. Unzulänglichkeiten sprachlicher Repräsentation wurden nicht auf eine vermeintlich weltfremde Natur der Sprache, sondern auf deren unvollkommenen Gebrauch zurückgeführt. Neuzeitlich bestimmend sind andere Auffassungen geworden: dass die Dinge an sich selbst betrachtet dem menschlichen Geist entweder auch sprachunabhängig zugänglich seien; oder dass sie überhaupt nicht, auch nicht sprachlich, erfasst werden können. Wilhelm von Humboldt und Karl Leonhard Reinhold haben an der Schwelle zur Moderne vehement sowohl der ersten als auch der zweiten Auffassung widersprochen, der noch ihr ›Lehrer‹ Kant anhing. Während Humboldt für unmöglich hält, »aus der Sprache herauszutreten und die Dinge unabhängig von ihr zu betrachten«8, kritisiert Reinhold die Sprachvergessenheit metaphysischen Denkens, welches dem »Wahn einer ohne […] Sprache möglichen, […] begriffslosen, innerlichen Wahrnehmung […] und [der] Einbildung unmittelbarer Vorstellungen«9 aufsitze. Humboldts und Reinholds Thesen von der Vergeblichkeit des Heraustretens aus der Sprache leugnen keineswegs die Möglichkeit auch sprachunabhängiger Erfahrungsgegenstände oder Sachverhalte (facta bruta). Fraglich aber ist, ob es sie, als sprachunabhängige, für uns geben kann. Denn mag Welt auch unabhängig von Sprache existieren, so ist doch unsere Erkenntnis von Wirklichkeit »unaufhebbar sprachbezogen«10. Vereinbar ist dies problemlos mit der Einsicht, dass aus der »Sprachgebundenheit« allen Erkennens gleichwohl nicht schon »die Sprachgeborenheit alles Erkannten«11 folge. Ihre Unumgänglichkeit im menschlichen Weltzugang hat zu der hermeneutischen Überzeugung geführt, Sprache sei das »universale Medium, in dem sich das Verstehen selber vollzieht«12. Zwar scheint sie nur eines unter vielen zur Verfügung stehenden Medien. Aber das Bild, die Brille, das Mikroskop, der Computer und diverse andere mediale Objekte sind Erkenntnismedien nur in Verbindung mit der »propositionalen Artikulation«13 der Sprache. Sie ist nicht das Medium, das jeweils besser erkennen, sondern welches überhaupt erst etwas als etwas verstehen lässt. Auch in der Laborsitua12 | Die symbolische Reflexion der Sprache
tion reicht der vielsagende Blick auf ein Präparat nicht aus, um einen Geltungsanspruch – z. B. »Dieses Enzym X könnte für eine Therapie der Krankheit Y nützlich sein« – zu äußern, sondern es bedarf der propositional-behauptenden Kraft der Sprache. Medien sind Erkenntnismedien stets nur im Verein mit der Artikulation von Sprache und Schrift. Humboldt hat für den Umstand, dass sich reale und ideale Gegenstände nicht einfach von selbst, sondern sprachlich vermittelt zeigen, den Begriff der »Weltansicht«14 geprägt. Von sprachlichen Weltansichten hängt ab, was wir als Gegenstände sollen wahrnehmen können. Daher wäre aus dem Umkreis unserer Sprache nur »insofern hinauszugehen möglich […], als man zugleich in den Kreis einer andren hinübertritt«15. Hermeneutischen Vollzug nennt Gadamer im Anschluss an Humboldt den sprachlichen Verstehensprozess zwischen Text und Interpret(inn)en. Einen ähnlichen, allerdings auf konkrete Situationen sprachlicher Praxis bezogenen Gedanken hat Donald Davidson unter dem Namen »Triangulation« formuliert; er meint die triviale, aber grundlegende »Dreiecksanordnung, die aus den zwei Akteuren und einem gemeinsam beobachteten Gegenstand besteht«16. Demnach vollzieht sich alles Erkennen in einer symbolischen Dreiecksbeziehung von subjektiver, intersubjektiver und objektiver Erkenntnis, welche den Akteuren durch das gemeinsame Primärmedium der Sprache zugänglich wird. Davidson führt dies zu dem evidenten, aber weitreichenden Schluss, dass die »Identifizierung der Gegenstände des Denkens […] auf einer sozialen Grundlage«17 beruhe. Dass sprachliches Verstehen – als Verständnis durch Sprache und Verstehen von Sprache – triangularisch strukturiert und damit stets an ein uns vorgängiges Du gerichtet ist, wie erstmals Humboldt erkannt hat,18 impliziert nicht notwendig das Gelingen von Verstehen. Wenn Sprache das Primärmedium unseres Selbst-, Fremdund Weltverständnisses sein sollte, dann markieren ihre Grenzen auch die des Verstehens: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.«19 Deshalb ist auch der Versuch des Begreifens von allem, was anders als Sprache ist, selbst sprachlich vermittelt. Wenngleich die Philosophie an die Grenzen der Sprache und des Verstehens geht, um sich mit Mitteln des Begriffs auch des Nichtbegrifflichen anzunehmen,20 bleibt sie doch in erster Linie Sprache als Thema und Medium der Philosophie | 13
eine »Anstrengung des Begriffs«21. Kritisch hat Adorno an diesen Hegelschen Gedanken angeknüpft und bemerkt, der Weg der Philosophie führe zur »Anstrengung des Begriffs, das nichtbegriffliche Moment zu vertreten und es durch den Inbegriff selber zur Geltung kommen zu lassen«22. Vollends verlassen könnte Philosophie die Sphäre des Begriffs nur um den Preis der Selbstaufgabe. Ihre Sprache ist die Sprache des Begriffs, der Begründung und der Argumentation. Das allerdings schließt das Vermögen, auch die Sprache der Metapher, des Beispiels und der Darlegung zu sprechen, notwendig ein. Denn nur dem Ensemble ihrer Vermögen, der kognitiven so gut wie der kommunikativen und imaginativen, verdankt die Philosophie ihre Kunst, sinnvolle begriffliche Unterscheidungen, epistemische Aussagen und normative Geltungsansprüche zu begründen. Der begrifflich-argumentative wie zugleich verallgemeinernde Charakter philosophischer Sprache markiert freilich die äußerste Konsequenz jener synthetischen Funktion, die in der symbolischen Reflexion der Sprache selbst angelegt scheint. Cassirer hat sie als »Synthesis des Verschiedenen«23 bezeichnet, in welcher Heterogenes, Getrenntes, Verschiedenes eine begriffliche Einheit eingehen. Jeder Begriff, erinnert Nietzsche, »entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen«24: Begriffliche Synthesis sieht ab von den Qualitäten des Synthetisierten, zehrt vom »Fallenlassen dieser individuellen Verschiedenheiten«25. Daher hat die Sprachphilosophie von Humboldt über Nietzsche bis zu Cassirer und Goodman stets die Erinnerung an den abstrahierend-fixierenden wie zugleich produktiven und welterschließenden Charakter der Begriffsbildung wachgehalten. Auch im Sprechen und Schreiben sollten wir uns »als Subjekt und zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt«26 nicht vergessen. Begriffliche Synthesis hat freilich nicht nur objektiv-weltordnende Funktion, sie ist auch immer schon auf Intersubjektivität gerichtet. Nur wenn der Begriff, den alle verwenden, von den Vorstellungen, die jeder Einzelne konkret mit ihm verbindet, absieht, wird sprachliche Verständigung möglich. Nur weil das Konkrete in allgemeinen Termini bezeichnet wird, lässt es sich anderen verständlich machen. Das Konkrete bedarf des begrifflich Allgemeinen, um für uns Konkretes sein zu können. Verstehen ereignet sich in einem Raum von Objekt- und Metasprachen, welche zu14 | Die symbolische Reflexion der Sprache
letzt aber in keine andere als die Umgangs- oder Verkehrssprache selbst (rück-)übersetzt werden. Das liegt bereits an der Eigenart ihres Erwerbs. Denn als allgemeine Gestalt einer überindividuellen Erst- und Umgangssprache kann sie nur individuell erworben werden. Sprache hat ihren »ontologischen« Sitz nirgendwo anders als im sprechenden Individuum; und doch sind die Äußerungen dieses Individuums fast allesamt »normierte, nach Regeln erlernte Sprechgewohnheiten«27. Saussures Unterscheidung von langue und parole suchte dieser symbolischen Doppelnatur Rechnung zu tragen. Langue meint die Sprache als System normierter Sprechgewohnheiten, parole die Form, in der sich diese allgemeine Sprache als besonderes Sprechen konkretisiert.28 Im Anschluss an Saussure hat Maurice Merleau-Ponty daran erinnert, dass die Sprache nie nur aktualer Vollzug, sondern »Sedimentierung«29 ist, eine Ablagerung der Gedanken vergangener Generationen, die die Sprache erst »zu dem gemacht haben, was sie heute ist«30. Eine zweite Dialektik liegt in der Selbsttransparenz der Sprache. Wie man oft einer Sache erst dann gewahr wird, wenn sie auffällt, Probleme bereitet, nicht mehr funktioniert, so zeigt sich die Sprache selbst erst dort, wo sie ihre Durchsichtigkeit aufhebt: wenn Dinge ausgedrückt werden sollen, zu der die Sprache nicht in der Lage scheint; wenn eine andere oder unverständliche Sprache gebraucht wird. Die Frage nach der Sprache zu beantworten, fällt der Philosophie folglich auch deshalb so schwer, weil sie ihr so nahe liegt: »wir benutzen sie schon, indem wir nach ihr fragen«31. Diese Selbsttransparenz und »Fraglosigkeit«: dass sie schon im Vernehmen in der Regel auch verstanden wird, kennzeichnet die »Verbindlichkeit«32 normaler Sprachen, während die Einschränkung ihrer Varianz allen formalen Sprachen allererst die Eindeutigkeit sichert. In beiden Vermögen offenbart sich eine Stärke und Relevanz zur Beantwortung philosophischer Fragen, die in der Tat die Besinnung auf Sprache zum übergreifenden philosophischen Motiv der Moderne und Nachmoderne haben werden lassen.33
Sprache als Thema und Medium der Philosophie | 15
2. Mentalistische und instrumentalistische Sprachmodelle Zu den traditionellen Bestimmungen gehört die Auffassung, dass Sprache, Welt und Wirklichkeit getrennte Sphären bilden; dass Sprache vor allem dazu diene, Informationen über eine Wirklichkeit mitzuteilen, die auch ohne sie da wäre. Das instrumentalistische Sprachparadigma begreift Sprache als Werkzeug der Übermittlung von Information, als Darstellung einer von ihr unterschiedenen Welt: »Werkzeug der Belehrung und Unterscheidung des Seienden.«34 Zwar galt bis in die neuzeitliche Philosophie ein Primat des darstellenden Wesens der Sprache, zu dessen Inbegriff seit Aristoteles der prädikative Satz wurde. Diese Form der mit Wahrheitsanspruch auftretenden Aussage identifizierte das Wesen der Sprache mit der bindenden Kraft der Kopula (»ist«). Doch schon bei Platon und Aristoteles meinte lógos weit mehr. Logos ist die genuine Seinsweise, in der wir, als das nach Aristoteles einzige Tier, das Sprache besitzt, selbst sind. Sprache ist das Sein, in und aus welchem wir Welt erfahren und sie in dem Maße bestimmen, wie wir von ihr bestimmt werden. Auch der vormoderne Begriff des Logos als Medium der Offenbarung bewahrte die Sprache vor reduktionistischer Auslegung. Dem bleibt auch die Bestimmung ihrer symbolischen Reflexion verpflichtet. Dabei sind allerdings durchaus konkurrierende Begriffe von Symbol auseinanderzuhalten. Weniger im Anschluss an Aristoteles denn an Platon hat Karl Bühler sein dreistufiges Funktionsschema der Sprachzeichen »Organon-Modell« genannt.35 Bühler schreibt der Sprache drei Grundfunktionen zu, in denen Sprecherinnen und Sprecher (Sender) sich anderen (Empfänger) mitteilen. Als Symptome sind Sprachzeichen Ausdruck der Innerlichkeit Sprechender (Ausdrucksfunktion), als Signale appellieren sie an den Empfänger (Appellfunktion), als Symbole vergegenwärtigen sie Sachverhalte (Darstellungsfunktion). Aber noch die semiotischen Modelle Bühlers und Charles W. Morris’36 bleiben jenem instrumentellen Mitteilungsparadigma der Sprache verhaftet, welches entweder die »instrumentale Rolle der Sprache beim Ausdruck des Gedankens« oder »ihre mediale Funktion bei der Abbildung der außersprachlichen Realität«37 bestimmt. Eng verwandt mit dem instrumentalistischen Modell der Sprache ist das mentalistische. John Locke, Begründer der neuzeit16 | Die symbolische Reflexion der Sprache
lichen Sprachphilosophie, hat deren Grundidee formuliert. Demnach dient Sprache nicht nur dem Ausdruck unserer Eindrücke (impressions) und Vorstellungen (ideas), sondern die sprachlichen Unterscheidungen folgen selbst der kategorialen Ordnung dieser Vorstellungen (einfache Ideen, Relationsideen, Substanzideen, Verbindungsideen).38 Zuletzt sollten diese sprachlichen Zeichen der Vorstellungen von den Eindrücken der Wahrnehmung abkünftig, also sekundär sein.39 Zwar hat Leibniz das Ordnungsprinzip der strukturalen Semantik Lockes übernommen, nicht aber deren impressionstheoretisches und repräsentationalistisches Fundament. Sprachliche Repräsentation (cognitio symbolica) kann gegenüber der gedanklichen nicht für temporär, willkürlich oder sekundär gelten, sondern muss als prinzipiell und konstitutiv für das Denken erachtet werden. Zeichen stehen nicht für das, was eigentlich gemeint ist, sondern sind selbst Eigentliches.40 Muster seines Analogiekonzepts von Repräsentation (repraesentatio), die nicht als Wiedergabe von Ideen, sondern als deren symbolische Reflexion verstanden wird, sind für Leibniz die schriftlichen Rechenoperationen: In ihnen haben wir es nicht mehr mit Gegenständen, sondern überhaupt nur noch mit Zeichen zu tun.41 Noch die funktionale Auslegung der Sprache als Kommunikation hat es schwer, die Kreise des mentalistischen und instrumentalistischen Paradigmas zu überschreiten. Referenz- und Kommunikationstheorien können der Eigenart menschlicher Sprachen nicht gerecht werden, weil deren spezifische Differenz in der Eigenart symbolischer Reflexionsformen liegt, welche auch die Schrift einschließen. Hartnäckig hält sich im Alltagsverständnis die Vorstellung des Primats gesprochener Sprache. In der Tat ist historisch wahrscheinlich, dass Menschen sprachen, bevor sie Schrift entwickelten. Auch liegt es nahe, Schrift als visible Fixierung klangkörperlichen Sprechens aufzufassen. Derrida hat dieses philosophisch-linguistische Vorurteil jedoch so nachhaltig erschüttert, dass seine dekonstruktivische Methode zur Hermeneutik der neuen, textbasierten, differentiellen und informationellen Medien dienen konnte. Damit gab die Dekonstruktion einen entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der medialen Moderne an die Hand. Zwar wird der Dekonstruktion die Welt nicht einfach zum Text, wie John R. Searle ihr unterstellt hat.42 Doch die Verhältnisse in ihr werden lesbar wie ein Mentalistische und instrumentalistische Sprachmodelle | 17
Text.43 Wiederholt hat Derrida zu zeigen gesucht, dass das phonographische Dogma44 im traditionellen Sprachverständnis die skripturale Substruktur – die archi-écriture – noch der gesprochenen Sprache verdecke.45 Denn die phonetische Sprache folgt keinesfalls einem streng phonetischen Prinzip. Es gibt sensu stricto keine phonetische Schrift: Die Interpunktion klingt ebensowenig wie die Zwischenräume der Buchstaben, die für die Distinktheit des Textes notwendig sind. Unbeabsichtigterweise hat der dekonstruktivische Paradigmenwechsel zur Erforschung der Schrift als Verräumlichung und Verkörperung den Fokus auf die leibliche Dimension der Sprache – Stimme, Geste, Ausdruck – zurückgelenkt. Dabei ging es keineswegs um eine Revision strukturalistischer Einsichten in die skripturale Matrix der Sprache, sondern um die Wiedergewinnung eines holistischen Begriffs von ihr.46 Es ging um die Korrektur eines einseitig »intellektualistischen Sprachbildes«47, welches Sprache als universales, epistemisch-repräsentatives, realitäts- und regelbezogenes, kompetenz- und dialogzentriertes, verkörperungs- und medienindifferentes Medium überzeichnet. Zu erinnern ist dabei an die Grenze innerhalb der Sprache selbst, die zugleich Unterscheidungs- wie Beziehungsgrund skripturaler, verbaler, paraverbaler und nonverbaler Zeichen, zwischen Graphemen, Akustemen und Kinemen ist. Zu erinnern ist auch an das Zusammenspiel von Sprechen und »Körperschema«48 im Wahrnehmungsvollzug. Für einen umfassenden Sprachbegriff heißt dies, auf die spezifische Materialität der Kommunikationsformen, auf die differenzierte Verkörperung der Gedanken, auf die konkrete Leiblichkeit der Sprechenden zu reflektieren. Denn es gibt keine Bedeutung jenseits der Schrift, der Sprache und ihrer Sprechakte. Und doch wird sie nicht restlos durch Sprache erzeugt und beherrscht.49
3. Symbolische Reflexion (1): Differentialität Was eigentlich meint symbolische Reflexion? Das lässt sich weder formelhaft noch allein mit positiven Attributen bestimmen. Einem Gravitationszentrum ähnlich, welches nicht selbst hervortritt, kann die symbolische Reflexion der Sprache zunächst indirekt, an ihren 18 | Die symbolische Reflexion der Sprache
Effekten bestimmt werden. Beschreiben lässt sich eine Art Oktagon ihres Wirkungsfeldes, dessen sich überlagernde Momente auf das ihnen gemeinsame Prinzip der Differenz, Distanz oder Absenz zurückgeführt werden können. Diesem Prinzip entspringt eine tertiäre Vermittlungsrelation, die sehen lässt, in welchem Maße sprachliche Symbole stets schon auf andere sprachliche Symbole und diese auf Bedeutungen, nicht Gegenstände reflektieren. Dass die Symbole menschlicher Umgangssprachen in dieser Weise reflexiv, jedenfalls nicht direkt referentiell sind, soll als jenes Moment gefasst werden, das auch die geläufigen Sprachmodelle auf ihren übergreifenden, aber entzogenen Grund hin durchsichtig macht. (1) Semiose: Ausgehen kann eine solche via negativa symbolischer Reflexivität50 von der Feststellung, dass unser Weltzugang von vornherein medien- und zeichenabhängig ist; dass wir nicht nicht Zeichen interpretieren können. Entsprechend haben Leibniz, Peirce und Cassirer argumentiert, dass der menschliche Geist bereits auf der Ebene des Erwerbs und der Bildung von Vorstellungen, nicht erst auf der ihrer »Verarbeitung«, auf Zeichen angewiesen ist – und zwar auf die konventionellen Zeichen symbolischer Normalsprachen. Diese haben eine »heuristische« Funktion, »indem ihre Formen für uns die Weisen der Beobachtung und Interpretation vorherbestimmen«51. Während das mentalistische Paradigma sprachliche Symbolsysteme auf ihre Darstellungs- und Kommunikationsfunktion reduziert, betont die kulturphilosophische Sprachanalyse die Symbolizität unseres Geistes als »Primärphänomen«52, als Leib- und »Sprachapriori«53: Wahrnehmung und Erkennen sind nicht im Nachhinein, sondern konstitutiv symbolisch. Unmittelbar vermittelte Sinnstiftung durch Zeichen hat Peirce als »Urphänomen der Semiose« bezeichnet. Er versteht darunter »an action, or influence, which is, or involves, a coöperation of three subjects, such as a sign, its object, and its interpretant, this tri-relative influence not being in any way resolvable into actions between pairs.«54 In diesem Verhältnis der Triangulation treten Zeichen auf als etwas, das etwas anderes (hier: den Interpretanten) dazu bestimmt, in der gleichen Beziehung zum Objekt zu stehen wie es selbst. Peirce zufolge tritt in der unhintergehbar tertiären Zeichenfunktion der Semiose nicht nur die Bedeutung des Zeichens überhaupt erst zutage, sondern auch die tatsächliche Wirkung, die Symbolische Reflexion (1): Differentialität | 19
eine Zeichenäußerung hervorbringt (wie etwa das Absetzen der Waffen beim Befehl »Gewehr bei Fuß«). Diese kann bekanntlich als Interpretant wiederum selbst zum Zeichen werden (etwa für den gelungenen Drill innerhalb der Kompanie). Zuletzt bestimmt das triangularische Verhältnis für Peirce auch diejenige Auffassung eines Zeichens, die sich nach einem virtuell unendlichen Interpretationsprozess als die angemessene erweisen würde. Die verschiedenen Arten von Zeichen bilden einen asymmetrischen Gattungszusammenhang, der gleichwohl geordnet scheint. Denn in die Beherrschung natürlicher Zeichen geht ein umfangreiches Weltwissen ein, das selbst schon auf symbolischer Repräsentation beruht. Das indexikalische Zeichen des Schwalbenflugs, der den Sommer ankündigen soll, deutet bereits auf eine komplizierte symbolische Zuordnung, die selbst nicht indexikalisch gewonnen und erkannt werden kann. Vielmehr liegt ihm ein Wissen um diesen natürlichen Zusammenhang schon voraus. Daher erweist sich die ebenso eindeutige wie konkrete Referenzbeziehung natürlicher und mimetischer Zeichen als doppelt problematisch. Zum einen sind beide Zeichenarten auf die Anwesenheit von Referenzobjekten angewiesen, zum anderen reduzieren sie den Zeichengebrauch auf den Umgang mit sinnlich Konkretem. Abstrakta, Appellativa, Attributiva oder »Collektivwörter«55 sind, wie bereits Mendelssohn hervorhebt, mit den Mitteln natürlicher und mimetischer Zeichenordnungen kaum auszudrücken. Entsprechend besteht der überwiegende Teil umgangs- und bildungssprachlicher Symbole aus willkürlichen Zeichen, »die mit dem Bezeichneten in keiner objektiven Verbindung stehen«56. Mendelssohn vermutet willkürliche Zeichen auf einer sprachgeschichtlich späten Stufe. Denn sie setzen einen Abstraktionsprozess voraus, der die starre Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem schon durchtrennt hat. Erst mit symbolischen Zeichen scheint ein reflexiver, kontrollierter Umgang auch mit jenen Informationen möglich, die uns natürliche und mimetische Zeichensysteme übermitteln. Condillac hat dies zu der Überlegung geführt, »dass die Operationen des Geistes sich stärker oder schwächer entwickeln, je nach dem Maße der Zeichenverwendung (à proportion qu’on a l’usage des signes)«57. Der Besitz natürlicher Zeichen allein befähigt noch nicht zum Sprechen – wie sich an Interjektionen leicht sehen 20 | Die symbolische Reflexion der Sprache
lässt. In der Regel sind Zeichen, symbolische zumal, auch nicht autosemantisch. Sie bedeuten nicht sie selbst, sondern etwas anderes, das sie vorstellen. Entsprechend gehört es zum Wesen des Zeichens, keine Wesenheit zu sein. Das Zeichen ist keine Substanz, sondern reine Relation, in der etwas für etwas anderes steht (oder supponiert).58 In der Regel machen symbolische Zeichen präsent, was selbst nicht anschaulich oder anwesend ist. Sie gewinnen Bedeutung, indem sie Abwesendes anwesend werden lassen, ohne selbst dieses etwas zu sein. (2) Transformation: Sprechen lässt sich mit Susanne Langer zunächst als »symbolische Transformation von Erfahrung«59 bestimmen. In einem doppelsinnigen Überführungsvorgang drücken wir in und mit Sprache Erfahrungen aus. Freilich lassen sich auch solche Erfahrungen repräsentieren, die unmittelbar gar nicht erreichbar sind. Sprache kann sogar Erfahrungen ersetzen, die wir möglicherweise nie werden machen können. Symbolische Transformation nennt daher den Umstand, dass Sprache nicht nur Supplement unmittelbarer Erfahrung ist, sondern auch Erzeugung, Begleitung, Klärung von Erfahrung. Denn durch Distanz zur Erfahrung werden bestimmte Erfahrungen überhaupt erst möglich. Sprache und Erfahrung durchdringen sich so innig, dass Auffassungen von der Sekundarität der Sprache gegenüber der Erfahrung haltlos werden. Mithin dienen symbolische Zeichen auch Ersatzhandlungen. So sind in rituellen Handlungen Sprechakte nicht unmittelbar praktisch, sondern expressiv (und im engeren Sinn absichtslos). Auch der frühkindliche Instinkt des Lallens, eines intentionslosen Einübens, Vokalisierens und Artikulierens, wird durch positiven Widerhall gefördert und verliert sich mit der Zeit. Bis dahin jedoch scheint für das Kind alles »Ausdruck« zu sein. Nichts ist gleichgültig und daher alles gleich gültig. Insofern lässt sich mit Susanne Langer von Symbolen erst dort sprechen, wo ein Laut oder Akt gegeben ist, der keinen praktischen Sinn hat, um dennoch eine Tendenz zu erzeugen, Antwort hervorzurufen. Wir dürfen das Wesen der Sprache also weniger in der Mitteilung natürlicher Wünsche (das kann auch Pantomime) als vielmehr im symbolischen Ausdruck von Vorstellungen suchen. Merkmal symbolischer Reflexion ist der »ursprünglich unpraktische, oder besser, konzeptuelle Gebrauch der Sprache«60. Symbolische Reflexion (1): Differentialität | 21
Sprachliche Symbole lenken nicht durch sich selbst von der Sache ab, für die sie stehen. Wenngleich sinnlich präsent, sind symbolische Zeichen notwendig ungegenständlich und an sich selbst wertlos. Sie sind kein Gegenstand, der als solcher interessiert: »Je karger und gleichgültiger das Symbol, um so größer seine semantische Kraft. Pfirsiche sind zu gut, um als Wörter zu figurieren.«61 Symbole illustrieren nicht Gegenstände, sondern repräsentieren sie in einem Anderen – weshalb Hegel und Humboldt vom Zeichen als von dem »Grab«62 oder der »Mumie«63 der Bedeutung gesprochen haben. Solange sie nicht mit der Sache zusammenfallen, können sprachliche Symbole beanspruchen, Allgemeines darzustellen.64 Symbole dienen folglich nicht der unmittelbaren Erfassung von Wirklichkeit, sondern ihrer schon vermittelten Objektivierung. Sprachliche Zeichen erscheinen daher »nicht mehr als passive Abbilder eines gegebenen Seins, sondern als selbstgeschaffene intellektuelle Symbole«65. Zu unterscheiden ist freilich zwischen der Differenz von dem, was sie repräsentieren, und der Konkretion, in der sie es repräsentieren. Ihre ideierende Kraft zur Erfahrungstransformation gewinnt symbolische Formierung nur auf der Grundlage eines stets sinnlichen Substrats. Nur als Sprachlaut, Schriftzeichen, Mimik, Gestik oder zumindest spürbarer Hauch können Symbole »Träger einer rein geistigen Bedeutung«66 werden. Cassirer wird nicht müde zu betonen, dass diese Bedeutung nicht schon vor oder unabhängig von ihrer Setzung vorhanden ist. Auch wird sie in dieser Setzung nicht erschaffen, sondern auf den Einzelfall angewendet. Dadurch ergibt sich die »eigentümliche Doppelnatur« der Symbolgebilde: »ihre Gebundenheit ans Sinnliche, die doch zugleich eine Freiheit vom Sinnlichen in sich schließt.«67 Cassirers Begriff der Sprache als symbolische Form berücksichtigt den eigentümlichen Umstand, dass für uns keine »geistige Bedeutung«68 ohne sinnlichen Träger erkennbar wird, Bedeutung aber nicht schon an und von sich her in diesem Sinnlichen liegt, sondern ihm irgendwie vorausgegangen sein muss. Das wiederum kann nicht heißen, dass Bedeutung bereits da wäre (wie noch in Husserls Eidetik idealer Bedeutungen), sondern nur, dass sie sich in dem »Zusammen« von Sinnlichkeit und Bedeutungsintention ereignet. Entsprechend erschafft der Ausdruck überhaupt erst be22 | Die symbolische Reflexion der Sprache
stimmte Bedeutungskomplexe und schon die bloße Reproduktion des Sprachzeichens (als Repräsentation von Sinn) im Sprechen darf als Akt sprachlicher Produktivität gelten. Damit die »eigentümliche Leistung« des Symbols zum Tragen kommen kann, ist der Schein der Identität zwischen Wirklichkeit und Symbol freilich aufzuheben, so dass eine »Distanz vom unmittelbaren Dasein« möglich werden kann: »Auch die Sprache beginnt daher erst dort, wo das unmittelbare Verhältnis zum sinnlichen Eindruck und zum sinnlichen Affekt aufhört.«69 (3) Repräsentation: Im Unterschied zu Symptomen oder Signalen rufen Symbole »kein der Anwesenheit [ihres] Gegenstandes angemessenes Verhalten«70 hervor. Sie sind »nicht Stellvertretung ihrer Gegenstände, sondern Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen«71. Das Symbol ermöglicht ein Festhalten am Objekt, ohne dieses Objekt zu haben. Das gilt auch für naturwissenschaftliche Sprachvermittlung. Nichts in der Natur sieht dem (in sich geschlossenen) physikalisch-mathematischen Symbolsystem der Physik ähnlich; und dennoch darf es beanspruchen, ein Bild – nicht Abbild – der Natur zu geben. Auch chemische Formeln wie H2O haben nichts mit der direkten Beobachtung des so bezeichneten Stoffes gemein.72 Daher werden wissenschaftliche Probleme in der Regel nicht dann gelöst oder beherrschbar, wenn neue Phänomene ermittelt, sondern neue symbolische Ausdrücke und verbesserte Beschreibungssprachen gefunden werden. Diese Aufklärung hat allerdings ihre eigene Dialektik: »Je weiter wir in der Richtung auf das Symbolische, auf das bloß Signifikative fortschreiten, um so mehr trennen wir uns vom Urgrund der reinen Intuition.«73 Anders gesagt: Die vermeintliche Sekundarität der Symbole gegenüber den Erfahrungsgegenständen wird so sehr zu einem Ersten, dass vorsymbolische Erfahrungen immer weiter zurücktreten, äußerst rar werden. Das Paradies reiner Unmittelbarkeit verschließt sich, Symbole übernehmen unaufhaltsam die Ordnung des »Chaos der unmittelbaren Eindrücke«74. Dieser Zusammenhang lässt allerdings den bis heute gebräuchlichen Begriff der Repräsentation problematisch werden. Meinen kann er allenfalls eine Vergegenwärtigung, die ohne Vorstellung eines Eigentlichen, das da repräsentiert würde, auskommen muss. Symbolische Repräsentation kann nicht die Vergegenwärtigung von Objekten und Symbolische Reflexion (1): Differentialität | 23
Gegenständen, sondern allein die von Bedeutungen meinen. Auch hier herrscht zwischen Repraesentans und Repraesentandum ein kategorialer Unterschied; ihr Verhältnis entspringt dem sprachlichen Prinzip symbolischer Differenz. Nun impliziert die Symbolizität allen Wissens und Erkennens, dass sprachliche Zeichen immer auch anders interpretiert werden; dass wir den Gebrauch unserer Symbolsysteme, mithin auch zwischen ihnen, wählen können. Nur als animal symbolicum entspricht der Mensch Nietzsches »nicht festgestellte[m] Thier«75. Die Möglichkeit der Interpretationsvarianz erweist sich allerdings als abhängig nicht schon von Referenz und Repräsentation, sondern von einer bestimmten Art von Referenz: der Reflexion. Das zeigt etwa der Unterschied zwischen situationsgebundenen und situationsunabhängigen Repräsentationen. Situationsgebundene Zeichen (cued representations) repräsentieren etwas, das in einer Situation tatsächlich anwesend ist oder das durch etwas anderes in dieser unmittelbaren Situation ausgelöst (triggered) wird.76 Allein die Situation legt die Art der Reaktion fest, die stets eine andere wäre, würde das wahrgenommene Objekt als Fress- oder aber als Paarungsobjekt kategorisiert. Demgegenüber stehen situationsunabhängige Repräsentationen (detached representations) für Gegenstände oder Ereignisse, die weder anwesend noch durch eine unmittelbare Situation ausgelöst sind. Keineswegs kann damit schon die Demarkationslinie zwischen menschlicher und animalischer Kommunikation gezogen werden. So wie menschliche Kommunikation eine Vielzahl von non-, präoder parasymbolischen Anzeichen einschließt, so verfügen auch Primaten (etwa im Suchverhalten) über ausgeklügelte Formen situationsunabhängiger Repräsentationen, kognitiv-sensomotorischer Schemata und »spatial maps«77. Daher empfiehlt sich, Stufen der Situationsunabhängigkeit zu unterscheiden, deren zunehmender Grad auf stets reichere, instinktunabhängige Innenwelten schließen lässt – Welten, die sich ab einem bestimmten Komplexionsgrad nur noch in symbolischen Sprachen bewältigen und ausdrücken lassen. Sobald Reaktionen nicht mehr von der Unmittelbarkeit einer Außenwelt regiert werden, sondern von Rückblicken, reflektierten Erfahrungen oder Antizipationen, nimmt nicht einfach die Menge an Zeichen zu (Quantität), sondern ihre Komplexität (Qualität). 24 | Die symbolische Reflexion der Sprache
Diese Aufgabe übernehmen syntaktische Strukturen. Symbolische Sprachen vereinen deshalb nicht ein Maximum, sondern ein Optimum von Ausdrucksmöglichkeiten. Symbole ermöglichen mit ihrer Situationsunabhängigkeit allererst Reflexivität. Wenngleich der Hund zeigen kann, dass er ärgerlich ist, kann er nicht zeigen, dass er es gestern war.78 Signalsprachen eignet offenbar die Form des Imperativs.79 Die sich davon radikal unterscheidenden Formen und Funktionen symbolischer Reflexivität gründen in einer Koevolution von Sprache und Hirnfunktionen. Deren Pole bilden die zunehmend symbolisch werdende Repräsentation der Sprache und die mit ihr verbundene Weiterung der geistig-imaginativen Innenwelt des Menschen.80 (4) Referentialität: Normale Sprachen kennzeichnet, dass ihre Symbole in keiner Kausal- oder Ähnlichkeitsbeziehung zum Repräsentierten stehen. Symbolische Zeichen sind die unmittelbare (sinnlich gegenwärtige) Vermittlung (= Bedeutungen/Begriffe) von Vermitteltem (Irrealem, Antizipiertem) und Unmittelbarem (Situationen, Ereignissen, Erfahrungsgegenständen). Dabei macht der Koordinationsbedarf an Bedeutungen eine frugale Ökonomie grammatischer Verknüpfungen notwendig. Syntax entsteht durch die Koordination großer Mengen von Semantik, die sie zugleich komprimiert.81 Syntaktische Strukturen wirken wiederum auf die Situationsunabhängigkeit symbolischer Sprachen zurück. Symbole beziehen sich folglich nicht direkt auf Gegenstände der äußeren Welt, sondern auf erlernte Bedeutungen. Die differentia specifica zwischen sprachvermögenden Spezies ist also nicht schon der Unterschied zwischen referentiellen und nichtreferentiellen Arten der Kommunikation, sondern fällt in den Bereich referentieller Zeichen selbst.82 Es ist der Unterschied zwischen direkten, transparenten semantischen Beziehungen und indirekten, opaken Referenzen, wie sie nur Symbolsysteme auszeichnen. Nur die symbolische Sprache lässt einen hinreichend großen Spielraum zwischen Sinn und Bedeutung, zwischen der Intension und der Extension von Begriffen. Symbolisch-reflexive Referenz impliziert daher eine nicht bloß zufällige, sondern strukturelle Abwesenheit des Referenten. Es ist notwendig, dass das Repräsentierte immer auch abwesend sein kann. Derrida hat (im Anschluss an Edmund Husserls Logische Symbolische Reflexion (1): Differentialität | 25
Untersuchungen) das Moment der Abwesenheit als die eigentliche Struktur des Zeichens bestimmt,83 so dass es durchaus symbolische Referenz ohne Referenten, sogar ohne bestimmte Signifikate geben kann.
4. Symbolische Reflexion (2): Multiperspektivität (5) Multiperspektivität: Für den ontogenetischen Spracherwerb spielt die Beherrschung der Varianz und Perspektivität symbolischer Zeichen die vermutlich entscheidende Rolle. Empraktisch üben Kinder in Situationen gemeinsamer Aufmerksamkeit mit Erwachsenen das Verständnis nichtlinearer Bedeutungsreferenz ein: Das zu erlernende Symbol hat keine eindimensionale Funktion, sondern meist mehrere Aspekte. Fünfzehn bis achtzehn Monate alte Kinder lernen folglich mit der Schwierigkeit umzugehen, dass ein »Gegenstand […] zugleich eine Rose, eine Blume und ein Geschenk«84 sein kann. Die Voraussetzungen dieses Symbolgebrauchs liegen zum einen in der Intersubjektivität von Zeichen, in dem Umstand also, dass sie Ausdruck einer gemeinsamen (Wir-)Intentionalität (shared intentionality) sind, zum anderen in ihrer Perspektivität, d. h. insofern jedes Symbol eine besondere Sichtweise einer bestimmten Bedeutung darstellt. Wir-Intentionalität wird erzeugt durch gemeinsame Aufmerksamkeit auf kollaborative Tätigkeiten.85 Diese Aufmerksamkeit impliziert, gemäß dem ternären Intentionalitätsschema Grice’s,86 ein implizites Metabewusstsein von dem gemeinsamen Wissen um diese geteilte Aufmerksamkeit: »Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, dass wir gemeinsam diesen Turm bauen wollen«87. Empirische und experimentelle Studien, die Situationen gemeinsamer Aufmerksamkeit (joint attentional scenes) auswerten, untermauern die Einsicht der neueren Sprachpragmatik, dass symbolische Repräsentation in soziale Handlungen eingebettet ist, aus denen sie erlernt wird. Dabei ist die Umkehrung von Handlungsrollen ein entscheidender Faktor. Offenbar erfordert der Ausdruck der eigenen Intentionalität bei Kleinkindern eine potentielle Rollenvertauschung auf Seiten des Kindes. Das Kind wird in die Lage gebracht, eine Du-Perspektive einzunehmen, um an dem Ensemble der Handlungen, Gesichts26 | Die symbolische Reflexion der Sprache
züge, Gesten und sprachlichen Aufforderungen des Erwachsenen abzulesen, worin die gemeinsame Tätigkeit bestehen soll.88 Für Tomasello ergibt sich als Grundmodell des Verständnisses kommunikativer Intentionalität: You intend for [me to share attention to X].89 Ausschlaggebend scheint, dass sich die erwachende Selbstrepräsentation des Kindes nicht nur über die Wahrnehmung der Reaktion des Erwachsenen auf es, sondern vor allem durch die Repräsentation einer immer schon gemeinsamen Wir-Einstellung herstellt. Damit wird eine ältere Einsicht moderner Sozialphänomenologie empirisch verfeinert, derzufolge es stets ein durch den Spiegel unserer Intersubjektivität schon gebrochener Blick des Anderen ist, der unser Selbstsein bestimmt.90 Rückschlüsse erlauben solche Erkenntnisse auch auf die Konstitution des Selbstbewusstseins, in welcher »you-awareness«91 und »we-awareness« unserer »self-awareness« immer schon vorgängig sind. Denn in der Multiperspektivität dieser Einstellungen spiegelt sich die Multiperspektivität symbolischer Sprache. Hier wie dort haben die Intentionen bzw. Bedeutungen keinen eindeutigen, sondern schwankenden Referenzbezug, kraft dessen dieselbe Person ein Du, Wir oder Ich bzw. derselbe Gegenstand zugleich Blume, Rose und Geschenk sein kann. (6) Äquipotentialität: Die negativen Bestimmungen der Situationsunabhängigkeit, Abwesenheit und Distanz lassen sich indes auch in positiven Attributen reformulieren: als Möglichkeit zur freien Anpassung an virtuell jede Situation. Die Abwesenheit eindeutiger Referenz ermöglicht stets neue Adaptionen an veränderte Situationen: »The extraordinary evolutionary advantage of language lies in its amazing ability to be put to use in any situation. We will call this crucial property of language ›equipotentiality‹. For any situation, real or imaginary, there is always a way to use language to express thoughts about that situation.«92 Damit ist nicht gemeint, dass wir uns nicht sprachlos ein Brot schmieren oder unsere Tasche packen könnten, sondern dass jede geistige Einstellung als Reflexion dieser Tätigkeiten sprachlicher Natur, dass sie sprachlich am besten möglich ist. Äquipotentialität entspringt der Verfasstheit natürlicher Sprachen nicht einfach von selbst, sondern erst einer Fähigkeit, die nur in der symbolischen Reflexivität selbst angelegt ist: dem Vermögen, die eigenen propositionalen Einstellungen durch die grundsätzlich Symbolische Reflexion (2): Multiperspektivität | 27
imaginierbaren propositionalen Einstellungen anderer »zur Disposition stellen zu können«93. Die Äquipotentialität der Sprache entspringt einer ternären Intentionalität von Selbstkorrekturen. Wir erkennen Absichten »hinter […] Äußerung[en]«94, indem wir uns so verhalten, wie ein Anderer intendiert, weil wir interpretierend zu verstehen meinen, was der andere als dieses Bestimmte intendiert haben könnte. Voraussetzung solcher kognitiv-imaginären Fähigkeiten zum Potentialis und Irrealis sind die grammatischen Möglichkeiten der Bedeutungskompression,95 die sich in symbolischen Sprachen allerdings einer Wechselwirkung verdanken. Äquipotentialität setzt Syntax, diese wiederum symbolische Multiperspektivität und Äquipotentialität voraus, über die wir nicht schon als Individuen, sondern erst als kulturelle, auf gemeinsame Überlieferungen zurückgreifende Wesen verfügen können. Weil Multiperspektivität und Äquipotentialität conditiones sine quibus non der symbolischen Reflexion der Sprache sind, ist keine der existierenden Normalsprachen »von vornherein ungeeignet, die komplexesten Ideen auszudrücken«96. Äquipotentialität beruht auf der eigentümlichen Synthesisleistung symbolischer Reflexion. Vermöge der Kopplung von Sprache und Vorstellungskraft beziehen wir im Geist problemlos und natürlich verschiedene semantische Felder oder kognitive Schemata aufeinander, um daraus neue zu bilden (conceptual blending).97 Begriffliche Synthesis ist Produkt einer Wechselwirkung zwischen Sprache und Imagination, deren eigentümliche »Feedback-Schleife«98 darin besteht, dass das animal symbolicum mit vorgefundenen symbolischen Ordnungen neue Dimensionen von Vorstellung und Wirklichkeit erschließt, welche auf die symbolische Ordnung selbst verändernd zurückwirken, was wiederum zu neuen Erkenntnisdimensionen führen kann, die nur in einer veränderten symbolischen Ordnung zu begreifen wären – usw. (7) Symbolprägnanz: Naiven Auffassungen des in der Sprache zum Ausdruck kommenden Verhältnisses von Repräsentans und Repräsentandum haben Cassirer und Goodman entgegengehalten, dass die Beziehung in gewisser Weise immer schon vor den Bezogenen da ist: in Form unterschiedlicher Symbolsysteme. Dabei versteht Cassirer unter symbolischer Prägnanz jenen Zusammenhang von Sinn und Sinnlichkeit, der aus der Konkretion sinnlicher Er28 | Die symbolische Reflexion der Sprache
lebnisse Bedeutung entspringen lässt, ohne dessen Sinnerzeugung durch einen nachträglichen, »aufgepfropften« apperzeptiven Akt sicherzustellen. Gegebenes wird in »symbolischer Ideation«99 prägnant, »sofern in ihm ein prinzipiell überanschaulicher Gehalt in anschaulicher Form sich äußert«100. So erhält alles Sinnerfassen einen »Richtungscharakter«101, der subjektiv von der Zeitform des Bewusstseins, objektiv aber durch die Symbolsysteme bestimmt ist, in denen das Erlebnis aufgenommen wird. Erst die symbolische Ordnung ermöglicht, das Gegebene als Etwas, als Ausdruck und Bedeutung, zu erfassen.102 Cassirer gibt das bekannte Beispiel verschiedener Linienzüge, die als Wahrnehmungserlebnis zunächst bloße Gestalt sind, sichtbar und konkret. Während man aber das Auf und Ab einer solchen Kontur verfolgt, »beginnt plötzlich der Linienzug sich gleichsam als Ganzes von innen her zu beleben. Das räumliche Gebilde wird zum ästhetischen Gebilde«103. Mit ihm verknüpft sich »Bedeutsamkeit«, die gleichwohl perspektivisch bleibt. Denn während der eine den Stil einer bestimmten Epoche erkennt, fasst ein anderer den Linienzug als Repräsentanten eines Sinuskurvenverlaufs oder als »Gesetz für eine periodische Schwingung«142 auf. Erscheint dasselbe sinnliche Grunderlebnis durch drei verschiedene symbolische Grundordnungen (ästhetischer, mathematischer und physikalischer Natur) setzbar, so zeigt es auch, dass keine Perspektive an sich selbst schon die richtige und damit zu privilegierende wäre, sondern Bedeutung stets von ihren Bedeutungskontexten abhängig ist. Angesichts dieser Zusammenhänge zwingt die Eigenart sprachphilosophischer Probleme ebenso sehr dazu, die Analyse symbolischer Ordnungen als Kulturphilosophie wie auch umgekehrt die Kulturphilosophie als Sprachphilosophie fortzusetzen: als eine Philosophie erfahrungskonstitutiver Ausdruckssysteme.105 Nur so lassen sich symbolische Ordnungen bestimmen als geschichtlich gewordene, offene Systeme variabler Zeichen, die nicht auf eindeutiger, sondern auf multiperspektivischer und äquipotentialer symbolischer Repräsentation beruhen und sich durch eigene Techniken in ihrem Bestand erweitern und verändern. Durch sie gewinnt das Abstraktum »Sprache« konkrete Gestalt in den Sprachen, welche nicht bloß in ihrer Darstellungs- und Kommunikations-, sondern auch in ihrer Ausdrucks- und Imaginationsfunktion bedeutsam Symbolische Reflexion (2): Multiperspektivität | 29
sind. Überhaupt scheinen diejenigen symbolischen Ordnungen dem menschlichen Geist und seiner Vorstellungskraft gemäß, die mit einer übersichtlichen Menge an Zeichen ein Maximum an Flexibilität und Variabilität durch ein Optimum an Ausdrucksmöglichkeiten erreichen, mit denen sich andere oder neue symbolische Ordnungen schaffen lassen. Diese Formen manifestieren sich im kulturellen Gedächtnis allerdings nicht rein sprachlich, sondern bedürfen materieller und technischer Speicher- und Trägermedien.106 (8) Sedimentation: Symbolsysteme prägen die kulturellen und kognitiven Schemata, die individuell bereits im frühkindlichen Spracherwerb verankert werden. In dieser Weise ist Sprache kulturelle Tatsache, Kultur »sedimentierte Sprache«107. Entsprechend zitieren linguistisch-symbolische Zeichen, als Wörter und Begriffe, stets ganze Kultur- und Bildungswelten unseres semantischen Gedächtnisses: »Consequently, when the child learns the conventional use of these well-traveled symbols, what she is learning is the ways that her forebears in the culture have found it useful to manipulate the attention of others in the past.«108 Als Formen, die Hegel wohl Gestalten des objektiven Geistes genannt hätte, gehen die natürlichen Sprachen immer schon jenen Individuen voraus, die in ihnen und dank ihrer sprechen, aber Sprachen dadurch erst zum Leben erwecken. Symbolische Ordnungen repräsentieren »Weltansichten«, die einer nicht immer klar zu bestimmenden oder intentionalbewusst gesteuerten Wir-Intentionalität entstammen. Lange vor Michael Tomasello hat Merleau-Ponty seine Theorie sedimentierter Bedeutungen in der leibgebundenen Gebärdenhandlung des Zeigens zu fundieren gesucht. Die Parallelität im Verhältnis von parole und geste lässt sich zunächst an dem simplen Umstand aufzeigen, dass das Sprechen im selben Maße von dem differiert, was es ausdrücken soll, wie die Geste von dem Objekt, auf das sie zeigt. Ein solches körperliches Zielen (visée corporelle), ein solches Streben auf die Umgebung verlangt nach keiner Thematisierung – wir tun es einfach. Denn in der Regel werden Gesten nicht erst mental repräsentiert, bevor wir sie ausführen. Es gibt, wird zeitgleich Gilbert Ryle sagen,109 keine Sekundarität von Überlegung (considering) und Ausführung (executing). So belebt auch die Bedeutung das Sprechen nicht anders als »durch eine stimmlose 30 | Die symbolische Reflexion der Sprache
(sourde) Anwesenheit, die meine Intentionen weckt, ohne sich ganz vor ihnen auszustellen«110. Merleau-Ponty führt dies zu der These, dass die Bedeutung selbst im Sprechen stumm bleibe. Es ist der Signifikant als Akustem, Graphem oder Kinem, der tönt oder sich zeigt, nicht das Signifikat oder die Signifikation selbst. Erst diese in gewisser Weise abwesende Anwesenheit der Bedeutung weckt die Bedeutungsintentionen der Sprechenden, nicht umgekehrt. Die Intentionalität geht der Bedeutung oder Bedeutungsäußerung nicht voran, vielmehr setzen sich beide wechselseitig voraus: Intention ist nur, wenn Bedeutung da ist. Umgekehrt bedarf die Bedeutung der Intention, um über etwas zu sein – weshalb Intentionalität hier sowohl aboutness als auch Absicht meinen kann. Wenn aber nicht die Absicht das erste ist, sondern eine unbestimmte Anwesenheit (Signifikate sind notwendig immer auch unbestimmt, um überhaupt eine symbolische Beziehung zu Gegenständen und Sachverhalten unterhalten zu können), dann ist Sprechen auch nicht reine Ausführung einer geplanten, mental vorbereiteten Äußerung, sondern: Ereignis. Daher ist die Bedeutungsintention stets instantan: sur le moment; ebenso wie deren Entschlüsselung beim Hörenden. Mit dieser Überlegung erreicht Merleau-Ponty den entscheidenden systematischen Punkt, der Derridas Idee der différance zugleich antizipiert, um sich von ihr dennoch toto coelo zu unterscheiden. Zwar gemahnt die »determinierte Leere« (vide déterminé) im Bedeutungsprozess, die später gedanklich rekonstruiert werden kann, aber unbestimmt bleibt, an Derridas Charakterisierung eines ursprungslosen Ursprungs der Differenzen; und auch bei MerleauPonty ist das, was Bedeutung verleiht, in ihr selbst nicht anwesend, sichtbar oder hörbar. Ihnen korrespondiert kein Gegenstand in der Erfahrung, vielmehr sind sie als Pole einer »gewissen Zahl konvergierender Ausdrucksakte« zu verstehen, die den Discours »magnetisieren«, ohne selbst anwesend zu sein.111 Doch verharrt Merleau-Pontys Überlegung noch ganz im Horizont einer leibphänomenologischen Analyse der Realpräsenz des Sprechens und der Sprechenden, bleibt also im Umkreis dessen, was Derrida wenig später als »Phonologismus« kritisieren wird. Wichtig aber ist Merleau-Ponty dieser Zusammenhang, weil ihm die Abwesenheit und Nichtverausgabung der Bedeutung im konkreSymbolische Reflexion (2): Multiperspektivität | 31
ten Sprechakt zur Erklärung dient, warum die Bedeutung stets über das, was gesagt werden wollte, hinausgeht, so dass das Gesagte hinter ihr zurückzubleiben scheint. Eigentümlicherweise widerspricht dies, wie Merleau-Ponty zeigt, zugleich einer anderen Erfahrung, die wir ebenfalls alltäglich mit der Sprache machen: der Erfahrung, dass unsere Ausdrücke niemals vollkommen unverständlich sind. Anders könnten wir keine isolierten oder verkürzten Äußerungen verstehen, deren Sinn sich auch scheinbar kontextlos erschließt, indem die Sprache wie von selbst den Kontext blind ergänzt. »Unterverständnis«, sous-entendue, nennt Merleau-Ponty jenes subkutane Vor- oder Immer-schon-Verstehen, wodurch in jeder parole das Ganze der Sprache unthematisch und stillschweigend schon enthalten scheint. Äußerungen haben einen Sinn, der sich durch eine implizite Realisierung und Aktualisierung des Ganzen einer Sprache herstellt. Das spitzt den Gedanken auf einen äußersten Gegensatz zu: Sprechen gibt es nur im lebendigen, präreflexiven Vollzug. Doch bedeuten kann das Sprechen nur kraft jenes unthematischen sous-entendue, welches ihr – als Sprache – stets vorausgeht. Merleau-Ponty zwingt dies, von jener »Grundtatsache des Ausdrucks« auszugehen, die ein Überschreiten des signifiant durch das signifié unterstellt, welches schon im Vermögen des signifiant selbst liegt. Denn zuweilen wissen wir erst dann, was wir sagen oder nicht sagen wollten, wenn es ausgesprochen wurde. Die Bedeutungsintention tastet gleichsam in einem »System verfügbarer Bedeutungen« nach dem angemessenen Leib und sprachlichen Äquivalent. Inkarniert wird in der Bedeutungsäußerung zuletzt nichts anderes als eine Bedeutungsintentionsleerstelle, die im Vollzug des Sprechakts erfolgreich überdeckt wird. Während zuvor der semantische Überschuss der Äußerung gegenüber der Bedeutungsintention (als ein Verfehlen der Intention oder als Überbestimmtheit der Äußerung) betont war, so lässt dies jetzt sehen, dass sich umgekehrt in jedem Sprechakt auch das Übertreffen der Intention durch die Äußerung ereignen kann (Unterbestimmtheit der Intention). Auf diese Weise verfügen wir über unsere Sprachkultur in all ihren bedeutungstragenden Formen und finden aus ihnen für die jeweilige Bedeutungsintention ein stets neues »Arrangement«. Dadurch haben wir an den sedimentierten Bedeutungen unserer Sprachgemeinschaft teil und bringen die überlieferte Sprache dennoch dazu, noch 32 | Die symbolische Reflexion der Sprache
Ungesagtes zu sagen, Unerzähltes aufzuspüren. Merleau-Pontys Kollektivismus verbindet sich in dieser Bedeutungstheorie zugleich mit einem Individualitätspathos: Jedem Einzelnen steht offen, mit Condillac gesagt, ein génie des langues zu sein.112 So lassen sich an Merleau-Pontys Sprachtheorie zwei für unseren Kontext entscheidende sprachpragmatische Einsichten ablesen: Im sous-entendue kommt die symbolische Reflexivität der Sprache zum Vorschein; und in der Sedimentation die Form der Sprache als kulturelles semantisches Gedächtnis.
5. Sprache und kulturelle Tatsachen Die symbolische Reflexion der Sprache beruht auf einer dreifach vermittelten Beziehung von Sachen und Sätzen. Als Zeichenketten beziehen sich Sätze auf sprachliche Zeichen, die Bedeutungen reflektieren, welche sich enteder auf Situationen, Sachverhalte und Erfahrungsgegenstände oder auf allgemeine ideale Gegenstände beziehen können. Diese symbolisch-reflexive Ordnung soll im Folgenden im Blick auf zwei ausgewählte Untersuchungsfelder analysiert werden. Zum einen ist zu fragen, inwieweit symbolische Ordnungen nicht nur die schillernde Welt kultureller Tatsachen zu beschreiben erlauben, sondern selbst ein Teil von ihr sind. Zum anderen ist die ternäre Struktur symbolischer Reflexivität mit der jenes sprachpragmatischen Wahrheitsverständnisses zu vergleichen, welches im zweiten Teil dieses Buchs aus der Perspektive eines kulturphilosophisch informierten alethischen Pragmatismus rekonstruiert wird. Die Zusammenführung methodischer Elemente sowohl der Sprachanalyse als auch der Kulturphilosophie wird für beide Vorhaben angestrebt. Kulturphilosophie findet ihre Aufgabe in der theoretischen Reflexion kultureller Tatsachen.113 Doch ihr wird Sprache nicht nur als kulturelles Gedächtnis zum Thema und Medium. Mehr noch bedient sich Kulturphilosophie der Sprachanalyse, um einer angemessenen Bestimmung ihres Gegenstandes willen: dem sich ständig reorganisierenden Ensemble kultureller Tatsachen. Mit Georg Simmel werden »materielle Kulturgüter« wie Möbel und Kulturpflanzen, Kunstwerke und Maschinen, Geräte und Bücher ebenso Sprache und kulturelle Tatsachen | 33
»kulturelle Tatsachen« genannt wie jene objektiven Kulturformen, in denen das Selbstverhältnis des Menschen Gestalt gewinnt: Sprache, Sitte, Religion, Recht.114 Diese Nomenklatur wirft Probleme auf. Zum einen die Frage, mit welchem Recht bei kulturellen Sachverhalten überhaupt von Faktizität gesprochen werden kann, weil beide Formen Wirklichkeitsbereiche konstituieren, die es offenbar nur gibt, weil wir kollektiv annehmen, dass es sie gibt;115 deren Gegenstände also nur existieren, weil sie als bestehende Sachverhalte rezipiert werden, und von denen man sich fragen kann, ob sie vor ihrer Rezeption überhaupt bestanden haben. Zum anderen die Frage, ob das Verständnis kultureller Tatsachen auch nur entfernt vereinbar ist mit der überwiegend propositionalistischen Interpretation des Tatsachenbegriffs. Zeigen wird die Analyse, dass die Beantwortung der zweiten Frage auf die der ersten zurückwirkt und eine sprachpragmatische Theorie kultureller Faktizität fordert. Zwar geht die analytisch-propositionalistische Lesart davon aus, dass deskriptive Sätze Sachverhalte darstellen und wahre Sätze als Repräsentanten bestehender Sachverhalte, also Tatsachen, zu betrachten sind: »Wer überhaupt von einer Tatsache spricht oder auf sie hinweisen will, der muß selbst einen Satz schon formulieren, der diese Tatsache ausspricht«.116 Aber auch diese Lesart hat zwischen der Formulierung des Faktums selbst und den Bedingungen zu unterscheiden, die erfüllt sein müssen, damit ein die Tatsachen repräsentierender Satz wahr ist. Dass jeder Mensch sterblich ist, darf als eine Grundtatsache menschlicher Existenz gelten. Zugleich ist es ein Faktum, das auch ohne seine Artikulation bestanden hätte, deren Formulierung auch hätte aufgeschoben werden können.117 Das also, worauf sich die Tatsache bezieht, kann auch unabhängig von seiner sprachlichen Formulierung da sein. Man hat diese terminologische Proteushaftigkeit in den Griff zu bekommen versucht mit der Unterscheidung zwischen grundsätzlich sprachabhängigen Tatsachen und den mithin sprachunabhängigen Umständen, auf die sich Tatsachen beziehen, um Tatsachen zu sein. Faktizität hat folglich einen Doppelcharakter, der Dinge betrifft, die vorfallen (= Ereignisse, Erlebnisse, Situationen) und Dinge umfasst, die wahr sind (= zutreffende Sachverhalte).118 Es mag helfen, dieses verwirrende Doppelgesicht unseres Tatsachenverständnisses nicht als ein 34 | Die symbolische Reflexion der Sprache
terminologisches Ärgernis, sondern als Explikationsgewinn zu verstehen, dessen Erklärungspotential die »Logik« kultureller Tatsachen erschließt. Denn anders als in der Metaphysik und Scholastik die data, sind in der verwissenschaftlichten Moderne Fakten nicht mehr geber-, sondern beobachterabhängig. Daten bedürfen der Interpretation, um Tatsachen zu sein, weil es für den Sinn empirischer Daten so gut wie unerheblich ist, auf welchen Geber sie zurückweisen; unabdingbar hingegen der Beobachter, der sie deutet. Daher ist zwischen dem, worüber bzw. wovon etwas ausgesagt wird, und dem Was der Aussage selbst zu unterscheiden.119 Wovon oder worüber man etwas aussagt, sind Erfahrungsgegenstände; was behauptet wird, ist dagegen ein Sachverhalt, der besteht oder nicht besteht. Bestehende Sachverhalte werden Tatsachen genannt. Deshalb lassen sich Tatsachen auch nicht erfahren und Erfahrungen nicht behaupten.120 Und so, wie die sprachabhängigen Tatsachen von den Erfahrungsgegenständen (die immer Gegenstände möglicher Erfahrung sind) zu trennen sind, ist der Anspruch auf Objektivität von diskursiven Geltungsansprüchen zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wird die ältere Bedeutung von Faktizität als Ensemble der Tat-Sachen durchsichtig, die komplementär zur propositionalen Auffassung von Faktizität als Gesamtheit der Tat-Sätze steht.121 Es ist zugleich der Hintergrund, der den sprachlichen Symbolisierungsanteil kultureller Tatsachen deutlich werden lässt. Denn mit Simmel kann man argumentieren, dass mit kulturellen Tatsachen zwar generell Artefakte angesprochen sein können – wie Möbel und Kulturpflanzen –, dass sie zu kulturellen Tatsachen aber nur werden kraft der sprachlichen Rezeptionsleistungen einer kulturellen Praxis. Kulturelle Tatsachen heißen also solche (sozialen) Tatsachen, die den jeweiligen Kontext C allererst hervorbringen (und/oder ihm Dauer verleihen), in welchem dann X für Y gelten kann.122 Diese Metaebene der Poiesis von Tatsachen ist jener kulturelle Raum, in dem die sprachliche Zuschreibung von Kategorien erfolgt. Kulturelle Tatsachen entstehen durch sprachliche Rezeptionsleis-tungen bestimmter Artefakte, Ereignisse und Handlungen als kulturelle Tatsachen. Sie verdanken sich einer Form sprachabhängiger Rezeptionshandlungen und Statusfunktionen, die – im Sinn Sprache und kulturelle Tatsachen | 35
von res factae, des Erschaffens von Tatsachen – etwas als kulturelle Tatsache setzen. Kulturelle Faktizität ist ein Bedeutungs- und Geltungsphänomen. Dies schließt eine mögliche Ding-Referenz dieser Tatsachen ebenso ein wie die sprachliche Artikulation ihrer Geltung. Entsprechend ist Sprache selbst eine kulturelle Tatsache und zugleich Bedingung der Möglichkeit kultureller Faktizität überhaupt. Diese Doppelstruktur wohnt der symbolischen Reflexion der Sprache auch noch auf ihrer Metaebene inne. Denn nur dank ihrer Verfassung symbolischer Reflexivität können wir über die symbolische Reflexion der Sprache selbst sprechen.
36 | Die symbolische Reflexion der Sprache
ER STER TEIL Symbolische Ordnungen und kulturelle Tatsachen
Die andere Sprache Positionen grammatischer Metaphysikkritik In der Philosophie ist also alles, was nicht Dunst ist, Grammatik.1 Ludwig Wittgenstein
1. Riss zwischen logischer und grammatischer Syntax der Sprache Die klassische Logik enthielt stets mehr als eine formalisierte Satzgrammatik. Dennoch blieb die traditionelle Urteilslehre, in deren Zentrum seit Aristoteles der prädikative Satz stand, eng an die (griechisch-lateinische) Grammatik gebunden. In der Wissenschaft der Logik hat Hegel diese Urteils- und Schlusslehre für die Metaphysik ein letztes Mal systematisiert und die erfüllte Copula des Urteils als den Ort des Vorscheins des göttlichen Logos und der Gegenwart kommunikativer Freiheit gedeutet.2 Mit Wilhelm von Humboldts komparativer Sprachphilosophie, die systematisch noch auf transzendentalphilosophischem Boden zu stehen scheint, wird diese Privilegierung der griechisch-lateinischen Sprachfamilie für das philosophische Denken fragwürdig. 1812, im Jahr des Erscheinens der Lehre vom Sein, skizziert Humboldt eine Universalgrammatik, deren Forderung, sowohl die »Totalität« der Sprache zu bedenken als auch die »Individualität« der Nationalsprachen zu erforschen, die Synthese von Philosophie und vergleichender Sprachwissenschaft begründet.3 Die vielen Einzel- und Weltsprachen konstituieren »die« Sprache als ein »unendliche[s] Ganze[s]«4, in dessen Pluralität möglicher »Weltansichten« sich die Produktivität des menschlichen Geistes reflektiert. Dieses Faktum ließ das philosophische Desiderat einer »allgemeinen Grammatik«5 entspringen, die virtuell alle – sei es vergangene, sei es existierende – Sprachen auf ihren Bau und ihre Wurzelwörter durchmustert. | 39
Humboldt reformuliert die idealistische Erkenntnistheorie als eine vergleichende Grammatiktheorie. Zu ihren methodischen Prämissen zählt, die anderen Sprachen nicht über den Leisten einer indoeuropäischen Sprachgrammatik und Denksyntax zu schlagen.6 Ziel des Systems ist weniger eine »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« als eine »vollständige und universelle Enzyklopädie der bekannten Sprachen«7. Damit ist eine immanente Neubestimmung des Deutschen Idealismus formuliert, die dessen Grenzen jedoch nicht voll überschreitet. Zwar hat Humboldt – was seinen geschichtlichen Ort an der Schwelle zur nachidealistischen Moderne markiert – mit der Entdeckung der philosophischen Relevanz der anderen Sprachen zugleich jeder identitätsphilosophischen Reduktion von Sprache den Boden entzogen. Doch Humboldts Dualistheorie und Universalgrammatik des Geistes behält eine geschichtsphilosophische Signatur, deren Wirkung auf Hegels Sprachund Schrifttheorie in der zweiten Auflage der Enzyklopädie (1827) unübersehbar ist. So bleibt die Differenzierung und Emanzipierung der grammatischen Formen für Humboldt das wesentliche Beurteilungskriterium des Standes der »Ideenentwicklung« existierender Nationalsprachen. Gedanklicher Fortschritt findet dort statt, wo die grammatischen Formen explizit und darin selbst noch einmal reflektiert werden. Je formkomplexer ein grammatischer Sprachbau bei gleichzeitiger Einheit von Ausdrucksfunktionalität und semantischem Reichtum ist, desto »freie[r] und reine[r]« findet die Ideenentwicklung statt.8 Sie wird zum Maßstab der reziproken Entwicklung von grammatischer Form und logischem Denken, so dass sich die geschichtlich-kulturelle Stellung der Nationen idealiter in dem grammatischen Bau ihrer Nationalsprachen spiegelt. Komplementär zur Universalgrammatik erstellt Humboldt eine Typologie der Grammatiken existierender Nationalsprachen, die sich als isolierende, agglutinierende oder flektierende unterscheiden lassen. Jede dieser Sprachen wiederum hat sich in einem ihrem Wesen angemessenen graphematischen Symbolsystem zu materialisieren. Dies allerdings leistet, wie Humboldt und Hegel übereinstimmend betonen, zuletzt allein die Buchstabenschrift, die dem Medium der Sprache als einer tönenden Idealität des Wortes die ihr adäquate Materialität verleiht.9 In diesem Kontext macht Humboldt die philosophische Entdeckung eines sprachgeschichtlichen 40 | Die andere Sprache
Faktums, das die unendliche Verschiedenheit der vielen Sprachen, Grammatiken und Schriftsysteme übergreift. Die mitunter fundamental sich unterscheidenden Sprachen konvergieren in nur einem Aspekt: in dem Verhältnis der beiden Personalpronomina Ich und Du. Jede Sprache verweist von sich aus auf eine unhintergehbare Interpersonalität, weshalb sie offenbar weniger einem dialektischen als vielmehr dialogischen Prinzip folgt. In ihm verschränken sich die kognitiven Sprachfunktionen mit den kommunikativen.10 Es ist das Verhältnis von Identität und Differenz, von Selbstheit und Andersheit, zwischen deren Polen die Sprache pendelt: »Die Denkkraft bedarf etwas ihr Gleiches und doch von ihr Geschiedenes.«11 Das mediale »Zwischen« der Sprache erstreckt sich vertikal als erfüllter Raum zwischen Subjekt und objektiver, aber noch göttlich geschaffener Welt; horizontal hingegen als interpersonaler Raum eines irreduziblen Ich-Du-Verhältnisses. Komplementär zu Humboldts Erschließung der anderen Sprachen eröffnet sich in der philosophischen Entdeckung des Dualis die Sprache des Anderen. Die philosophischen Konsequenzen dieser erkenntniskritischen Universalgrammatik und Dualistheorie sind dem 19. Jahrhundert zunächst nur schleppend, dann aber schockhaft zu Bewusstsein gekommen. Im Verein mit der in den 1850er Jahren aufkommenden völkerpsychologischen Linguistik Lazarus’ und Steinthals markiert die Einsicht in die Pluralität der Grammatiken den geschichtlichen Ort, auf den Nietzsche, Frege und Husserl jeweils mit einer antimetaphysischen Kritik der Grammatik reagieren. Als point de départ dieser grammatischen Metaphysikkritik lässt sich eben jene sprachphilosophische Krisis bestimmen, die das Auseinanderbrechen von grammatischer und logischer Syntax auslöst. Dieser Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts ist in Humboldts Werk vorgebildet. Wo das Kristall des grammatischen Sprachbaus in die Pluralität der verschiedenen Grammatiken der Weltsprachen zerspringt, dort zerfällt mit dieser Einheit offenbar auch die Universalität der logischen Syntax. Die Einheit »des« Logischen scheint in »Denkgesetze« zersplittert, die von der jeweiligen physiologischen Beschaffenheit der Sprecher/innen, Gruppen, Nationen und ihren je kulturell verschiedenen und geschichtlich gewordenen Sprachformen abhängig ist. Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielberufene »Psychologismus« hat seinen Ursprung präzise in diesem Verlust des Riss zwischen logischer und grammatischer Syntax | 41
Privilegs und der kulturellen Selbstverständlichkeit der Kongruenz von »metaphysischer« Logik und »indoeuropäischer« Grammatik.
2. Bann der grammatischen Funktionen: Nietzsche Nietzsche entdeckt das Problem des Auseinanderfallens von grammatischer und logischer Syntax zunächst nicht auf moral- oder metaphysikkritischem, sondern auf philologischem Wege. Die frühen Baseler Vorlesungen über lateinische Grammatik vom Wintersemester 1869/70 unterscheiden noch mit Humboldt zwischen isolierenden, agglutinierenden und flektierenden Sprachen.12 Doch bereits die affirmative Rezeption wird von einer kulturkritischen Deutung überlagert, die Humboldts komparativen Ansatz geradezu umwertet. Der späte Humboldt hatte die tendenzielle Flexionsverarmung der europäischen Hochsprachen als ein Moment fortschreitenden Bewusstseins sprachlicher Freiheit gedeutet, als Herstellung eines Äquilibriums von semantischer Fülle, Formalität und Funktionalität. Gerade für die europäischen Kulturen mit ihrem hohen Abstraktionsgrad gesellschaftlicher und ökonomischer Vermittlung schien es wichtig, daß die zunehmende Überdifferenzierung grammatischer Formen nicht in ein fortschrittsdysfunktionales Moment umschlägt. Nietzsches Deutung ist eine andere: »Die Entwicklung des bewußten Denkens ist der Sprache schädlich. Verfall bei weiterer Kultur. Der formelle Theil, in dem gerade der philos. Werth liegt, leidet. Man denke an die französ. Sprache: keine Deklination mehr, kein Neutrum, kein Passivum, alle Endsilben abgeschliffen, die Stammsilben unkennbar verunstaltet. Eine höhere Culturentwicklung ist nicht einmal im Stande, das fertig Überkommene vor Verfall zu bewahren.«13 Nietzsche präsentiert Humboldts idealistischer Theorie des Zusammenhangs von sprachlichem Fortschritt, grammatischem Formenreichtum und »Ideenentwicklung« die sprachkritische Rechnung: Zwar ist »jedes bewußte Denken […] erst mit Hülfe der Sprache möglich«. Doch einmal zur Sprache gekommen, depraviert das bewusste Denken die Sprache, auf die es Einfluss nimmt. Damit kehren sich die Bedingungen der Sprachentwicklung gegen die Bedingungen der Sprachentstehung. Die blinde, präreflexive Pro42 | Die andere Sprache
duktivität der Sprache wird in das Flussbett gelenkter Konventionalisierung und kultureller Zurichtung umgeleitet. Dem hält Nietzsche zur Erklärung der Sprachentstehung einen Begriff des natürlichen Instinkts entgegen, der seine Herkunft aus Kants »Kritik der teleologischen Urteilskraft« verrät: Sprache als ein Stück bewusstloser Natur, die gleichwohl vollkommen zweckmäßig hervorbringt. Stand die Sprache ursprünglich im Zeichen präreflexiver Produktivität, um dann unter die Herrschaft der Vernunft zu geraten, so wird umgekehrt die sich immer bewusster werdende Vernunft zunehmend an ihr eigenes Sprachapriori gebunden. In der Sprache sind die Gleisbahnen vorgezeichnet, in denen allein sich das Denken bewegen kann – und immer schon bewegt hat: »Die tiefsten philosoph. Erkenntnisse liegen schon vorbereitet in der Sprache. […] Man denke an Subjekt und Objekt; der Begriff des Urtheils ist vom grammatischen Satze abstrahirt. Aus Subjekt u. Prädikat wurden die Kategorien von Substanz und Accidenz.«14 Der frühe Nietzsche hat diesen Gedanken von der Herrschaft der Subjekt-Prädikat-Urteilsstruktur nicht eigens ausgeführt, sondern stattdessen die Kritik an der normativen Sprachkonventionalisierung verfolgt. Die Geburt der Tragödie (1872) und »Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne« (1873) stellen insofern einen Wandel dar, als die Sprache weniger als grammatisches und instinkthaft sich selbst organisierendes System denn als Medium der künstlerischen Expression begriffen und am Paradigma der Musik bestimmt wird. An die Stelle des Sprachinstinkt-Postulats tritt die Rolle des produktiven »Triebs zur Metaphernbildung«. Allerdings spiegelt sich die frühe Unterscheidung von bewusstlos-naturhaftem Sprachproduzieren und bewusster Veränderung der Sprache durch das Denken noch in der Differenz von Apollinischem und Dionysischem. Nur gerät die Sprache – unter den Bedingungen nicht mehr der Natur, sondern der Kultur – in das »ungeheure Triebrad des logischen Sokratismus«15 und damit ganz auf die Seite der apollinischen Formbestimmung. Die Sprachschematismen sind nichts anderes als sedimentierte Moralkonventionen, die den poietischen, welterschließenden und weltschaffenden Charakter der Sprache verdrängen. Die sprachliche Semantik entspringt einem moralischen Bedürfnis, das ihren Regeln einen Gegensatz der Werte einschreibt und die Unterscheidung Bann der grammatischen Funktionen: Nietzsche | 43
von Wahrheit und Lüge, Gut und Böse hervorbringt. Dies widerspricht der Bestimmung des Menschen als eines »metaphernbildenden« Tieres – eine Vorform der späteren Definition des Menschen als das »nichtfestgestellte Thier«16. Metaphorisch ist jede menschliche Erkenntnis, insofern sie Nervenreize zunächst in Bilder und diese wiederum in sprachliche Laute überträgt – ein scheinbar noch ganz im mentalistischen Paradigma verbleibender Gedanke Nietzsches. Metaphorisch ist die Sprache, weil sie ein Bild, nicht ein Abbild der Welt entwirft. Problematisch erscheint ihm, dass sich die Vorgänge dynamisch-metaphorischen Sprachschaffens in jene gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Konventionen der Tatsachenfeststellung stillstellen, die wiederum unter einem Moralapriori stehen. Sprache wird zu einem Regelfolgen, dessen Funktion es ist, den Schein zu verdrängen, dass die sprachlichen Bedeutungen auf schwankendem Boden stehen. Sprache ist also keineswegs der »adäquate Ausdruck aller Realitäten«17. Denn ihre konventionellen Zeichen drücken nicht »die« Wahrheit – d. h. einen objektiven Bezug auf Sachen – aus, sondern die Relation einer Sache zu uns. Alle sprachlichen Zeichen sind insofern nicht eindeutig referenziell, sondern relational referenziell: »Also verweisen alle diese Relationen immer nur wieder aufeinander und sind uns ihrem Wesen nach unverständlich durch und durch […].«18 Stehen die Zeichen in einem virtuell unendlichen Verweisungszusammenhang, lassen sie sich allein differenziell organisieren: in einer offenen Ordnung von Signifikanten, nicht in einem geordneten System von SignifikatSignifikant-Relationen. Damit ist auch gesagt, dass auf nur weniges Bezug genommen werden kann, das außerhalb unserer produktiven und kommunikativen Praktiken und Perspektiven läge – für Nietzsche eine Tatsache, die von der Darstellungs- und Kommunikationsdimension der Sprache selbst verdrängt wird. Nietzsches »Spätwerk« hat diese Einsichten in die symbolische Reflexivität der Sprache nicht revoziert. Doch die philosophische Wende von der fröhlichen Wissenschaft zur tragischen Weisheit, von der »jasagenden« Hälfte seines Werks zur »neinthuende[n]«19, ist motiviert von der Wiederaufnahme und Radikalisierung der zentralen Idee der frühen Vorlesungen. In Jenseits von Gut und Böse (1886) und der Götzen-Dämmerung (1888) erkennt Nietzsche, dass die Semantik zwar ihren Ursprung in den normierenden Moralkon44 | Die andere Sprache
ventionen hat, diese semantischen Moralfeststellungen selbst jedoch ihrerseits in grammatischen Schematismen gründen – wodurch Nietzsches Kritik eine ebenso antimetaphysische wie tragische Signatur erhält. Antimetaphysisch, insofern Jenseits von Gut und Böse zu zeigen sucht, dass die bisherige Philosophie auf einem Grund baut, den sie selbst nicht durchsichtig macht: Einerseits ist der »Glaube an die Gegensätze der Werthe«20 Grundprämisse aller Metaphysik; andererseits herrscht in ihr der »tyrannische Trieb […] zur ›Schaffung der Welt‹, zur causa prima«21 vor. Indem beide Prämissen, die Gegensatz- und die Ursprungsprämisse, einander ausschließen, bekräftigen sie nur um so mehr die von Nietzsche postulierte metaphysische Gegensatzstruktur, der sich die Sprache unterwirft: »Mag nämlich auch die Sprache, hier wie anderwärts, nicht über ihre Plumpheit hinauskönnen und fortfahren, von Gegensätzen zu reden, wo es nur Grade und mancherlei Feinheit der Stufen giebt«22. Denn Wertgegensätze widersprechen dem Leben, welches nicht Gegensätze, sondern eben nur Grade, Stufen, Perspektiven kennt. Nietzsches entscheidendes Argument ist, dass das Grundproblem der Metaphysik, der Gegensatz der Werte, bereits in der Sprache steckt, die diese Gegensätze grammatisch reproduziert. Deshalb kommt, was in den Baseler Vorlesungen »Sprachinstinkt« hieß, in den Schriften nach dem Zarathustra als »Bann« in den Blick: »[D]er Bann bestimmter grammatischer Funktionen ist im letzten Grunde der Bann physiologischer Werthurtheile und Rasse-Bedingungen.«23 Diese äußern sich in einer »gemeinsamen Philosophie der Grammatik«, in welcher vor allem die philosophischen Begriffe in der immer gleichen »Kreisbahn« laufen: »irgendetwas in ihnen führt sie, eben jene eingeborne Systematik und Verwandtschaft der Begriffe.« Im Umkreis dieser Anamnesis eines »fernen uralten Gesammt-Haushalt[s] der Seele«24 rufen Seelen- und Denklehre einen ähnlichen Glauben hervor. Man glaubt an die christliche Seele »wie man an die Grammatik und das grammatische Subjekt glaubte«25. Wie in den frühen Baseler Vorlesungen bereits angedeutet, hat Nietzsche den tieferen Grund der unbestimmt-reflektierenden Regelhaftigkeit des Grammatischen an der Subjekt-(Copula-)Prädikat-Struktur des prädikativen Satzes freizulegen gesucht.26 Sie scheint ihm verantwortlich für jenen »Bann bestimmter grammaBann der grammatischen Funktionen: Nietzsche | 45
tischer Funktionen«, der den indoeuropäischen Sprachstrukturen entstammt und alles Philosophieren zu einem »Atavismus höchsten Ranges« macht: »Die wunderliche Familien-Ähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophirens erklärt sich einfach genug. Gerade, wo Sprach-Verwandtschaft vorliegt, ist es gar nicht zu vermeiden, dass, Dank der gemeinsamen Philosophie der Grammatik – ich meine Dank der unbewußten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen – von vornherein Alles vorbereitet liegt […].«27 Diese »Sprach-Metaphysik« grundiert auch die Kausalitätsvorstellung, deren geläufige Konzeption des Zusammenhangs von Ursache-»Ding« plus Wirkungs-»Ding« auf dieselbe »grammatische Gewohnheit«28 zurückgeht. Damit zeichnen sich ex negativo die Konturen von Nietzsches Utopie einer Sprache ab, die imstande wäre, Vorgänge und Prädikate rein als solche zu denken; als Ereignisse, die selber unvordenklich sind, die sich der grammatischen Urteilsform S-C-P versagen. Auch hier ist Nietzsches Maßstab wiederum das Leben selbst in seiner präreflexiven und unvordenklichen Tätigkeit. Der Verlust der Selbstverständlichkeit grammatischer Gewohnheiten berührt vor allem aber den Begriff des theoretischen Ich. Das »Ich denke« ist keine Einheit der Apperzeption, sondern eine »Subjekts-Vielheit«29. Die in ihre Triebe, Wünsche und Neigungen differenzierte Pluralität der schaffenden Seele gleicht einem »Labyrinth«30. Auch diese innere Vielheit wird von den grammatischen Funktionen einer identifizierenden Logik nivelliert. Als »Aberglaube[n]« der Logiker bezeichnet Nietzsche die Auffassung eines »Ich«-Subjekts, das zur Bedingung des Prädikats »denke« wird und sich in der prädikativen Struktur eines jeden wahrheitsfunktionalen Satzes reproduziert. Unsere »grammatische Gewohnheit«, so der metaphysikkritische Gedanke, erlaubt es einer stets nach dem Satzsubjekt fahndenden Sprachvernunft nicht, Tätigkeiten als solche zu fassen. Tragisch wird die Kritik dieser »Sprach-Metaphysik«, insofern Nietzsche die Unausweichlichkeit des grammatischen Regelfolgens zugleich bekämpft und bejaht. Aus den Bahngleisen der indogermanischen Grammatik, so die Einsicht der Götzen-Dämmerung, ist kein Ausscheren, allenfalls ein Entgleisen möglich: »Das vernünftige Denken ist ein Interpretiren nach einem Schema, welches wir 46 | Die andere Sprache
nicht abwerfen können.«31 Das konvergiert mit Nietzsches Bestimmung des Tragischen: »Kann ein Esel tragisch sein? – Dass man unter einer Last zu Grunde geht, die man weder tragen noch abwerfen kann?… Der Fall des Philosophen.«32 Der Befund ist, wie immer, ambivalent. Denn indem die Verfassung der Sprache den tragischen Zug einer Bejahung ihres aporetischen Charakters und Weltverhältnisses trägt, nährt sie selbst zugleich auch die Hoffnung auf ein tragisches Zeitalter. Dieser Epoche steht jedoch geschichtlich die sokratische Erblast jener »Superfötation des Logischen«33 entgegen, deren argumentierende Überwindung aller Vitalität, Irrationalität und Perspektivität selbst unredlich wird; und zwar vor allem darin, dass sie die Macht- und Moralkonventionen in den rationalisierenden Mantel der Sprache hüllt und mit dem Siegel eines unanfechtbaren Begründungs- und Argumentationszwangs versieht, der in Wahrheit von Vernunft-Vorurteilen regiert wird. Zu ihnen »necessitirt«34 uns eben jene indoeuropäische »Sprachmetaphysik« und die grammatisch notwendige S-C-P–Struktur sinnvoller Sätze. Sie befestigen den Glauben an einen kausalen Zusammenhang von Täter und Tun, von Vorgang und Ich: »Die Sprache gehört ihrer Entstehung nach in die Zeit der rudimentärsten Form von Psychologie: wir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen. Das sieht überall Täter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache überhaupt; […] Und in Indien wie in Griechenland hat man den gleichen Fehlgriff gemacht […]. Die ›Vernunft‹ in der Sprache: oh was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben … .«35 Im Bann der Grammatik bleibt die Sprache ein Vorurteil: eine Regel, die vor allen Urteilen als deren prädikative Struktur schon da ist. Daher besteht die Abgründigkeit der Herrschaft des grammatischen Apriori nicht schon darin, dass noch an die Grammatik (und die in ihre Formen larvierte Erste Substanz) geglaubt wird, sondern dass der Glaube an die Grammatik zugleich nie anders als ein Glaube in der Grammatik – d. h. in den Bahnen ihrer Formen und Funktionen – möglich ist. Nicht der Glaube an die Grammatik ist bereits tragisch, sondern erst die reflexive Einsicht, dass selbst Bann der grammatischen Funktionen: Nietzsche | 47
noch die Aufklärung darüber, dass das Substanzdenken grammatisch motiviert ist, nicht anders denn in grammatischer Form erscheinen kann. Aus diesem Grund bleibt philosophische Kritik, will sie sich nicht zum »Singen« der »vornehmen Seele«36 überwinden, immer noch grammatische Metaphysikkritik. Damit ist jede Aussicht auf eine nicht nur regelfolgende, sondern ursprünglich produktive Sprache genommen. Diesem Entzug setzt die grammatische Metaphysikkritik des fin de siècle das Desiderat einer anderen Sprache entgegen. Im Werk Nietzsches nimmt sie die Gestalt einer aphoristischen »Sprach-Artistik«37 an, die eine der Möglichkeiten nachmetaphysischen Philosophierens darstellt.
3. Suspension der Urteilsstruktur: Frege Die Kritik der »Sprach-Metaphysik« markiert einen geschichtlichen Ort, den Nietzsche selbst freilich nicht mehr reflektiert hat. Man könnte nämlich argumentieren, dass die Götzen-Dämmerung exakt jenen Psychologismus hyperbolisiert, gegen den sich Frege und Husserl wenden. Dann ließe sich, in Anwendung des hermeneutischen Grundsatzes, dass in den philosophischen Differenzen die Nähe und Ferne einer geschichtlichen Nachbarschaft aufzuspüren ist, zeigen, auf welch komplizierte Weise Nietzsche und Frege sich wechselseitig treffen und zugleich verfehlen. Hinter dem Gegner »Psychologismus« ist die Physiognomie von Nietzsches kritischer Tiefenpsychologie der »Sprach-Metaphysik« erkennbar. Umgekehrt scheint Nietzsches Kritik an der »Superfötation des Logischen«, an dem »Problem des Sokrates«, nicht eigentlich den christlichen Platonismus der europäischen Denkgeschichte, sondern den Ort der begriffsschriftlichen Logik Freges zu treffen, die sich mit dem Primat des Arguments und der logischen Beweisführung über die dionysische Produktivität erhebt. Dennoch berühren sich die sprachpsychologische und die sprachphilosophische Kritik an Logik und Kausalitätsprinzip in ihrem jeweiligen Ausgangspunkt. Auf Nietzsches Kritik der dem Bann grammatischer Funktionen von Subjekt und Prädikat unterworfenen Metaphysik antwortet Frege mit der Auflösung ihres Zusammenhangs in die logische Syntax von Funktion und Argument. Zugleich unterläuft Frege mit der Be48 | Die andere Sprache
griffsschrift eines semantikfreien Kalküls logischer Formelsprachen eben jene semantischen Moralkonventionen, denen Nietzsches Kritik galt. Nietzsches Verdikt, wir glaubten noch an Gott, weil wir die Grammatik nie losgeworden seien, findet daher sein protentionales Echo in einem Satz Freges (von 1884): »Wenn die Philosophen von dem ›absoluten Sein‹ sprechen, so ist dies eigentlich eine Vergötterung der Kopula.«38 Es war allerdings nicht Nietzsches Moralpsychologie und Sprachkritik, sondern John Stuart Mills A System of Logic (1843), das Frege und Husserl als Grundbuch des Psychologismus vor Augen stand. Freges Logik sieht von Mills (subjektivistischen) »Denkgesetzen« ab und konzentriert sich auf die objektive Form des (logischen) Denkens, welche in den formalen Eigenschaften sprachlicher Aussagen steckt. Dabei gibt er die Differenzierung der Urteile auf und fokussiert seine »Formelsprache« ganz auf wahrheitsfunktionale Aussagen, d. h. auf Urteilssätze, deren Inhalt ein binärer Wahrheitswert zukommt.39 Der Wahrheitswert richtet sich nach Sachverhalten, die bestehen oder nicht bestehen und erfahrungsunabhängig sind. Aus moderner Perspektive macht sich die klassische, in der Neuzeit weitgehend als »Denklehre« verstandene Logik einer Kontamination der Kategorien schuldig: Während die Vorstellung eine psychologische Kategorie bezeichnet, ist der Satz eine grammatische Kategorie, dessen beurteilbarer Inhalt wiederum, die Proposition, die eigentlich logische Kategorie darstellt. Wenn sich, wie Frege hervorhebt, die Begriffsschrift keiner »psychologische[n] Entstehungsweise«40 verdankt, sondern das logische Beweisen begründet, so hat sie nicht die variable Semantik der Begriffe und Propositionen zu untersuchen, sondern die möglichen Arten ihrer konstanten Verknüpfung. Die begriffsschriftliche Innovation dieser Abkehr von der herkömmlichen Urteils- und Schlusslehre begründet Frege mit ihrer Differenz zur grammatischen Syntax: »Diese Abweichungen vom Hergebrachten finden ihre Rechtfertigung darin, dass [1] die Logik sich bisher immer noch zu eng an Sprache und Grammatik angeschlossen hat. Insbesondere glaube ich, dass [2] die Ersetzung der Begriffe Subject und Praedicat durch Argument und Function sich auf Dauer bewähren wird. Man erkennt leicht, wie die Auffassung eines Inhalts als Function eines Arguments begriffbildend wirkt. Es möchte ferner [3] der Nachweis des Zusammenhangs Suspension der Urteilsstruktur: Frege | 49
zwischen den Bedeutungen der Wörter: wenn, und, nicht, oder, es giebt, alle u.s.w. Beachtung verdienen.«41 Die Begriffsschrift formuliert ein dreiteiliges Programm. Sie fordert erstens die Disjunktion von Logik und natürlicher Sprache. Der Philosophie wird zur Aufgabe, »die Herrschaft des Wortes über den menschlichen Geist zu brechen, indem sie die Täuschungen aufdeckt, die durch den Sprachgebrauch über die Beziehungen der Begriffe oft fast unvermeidlich entstehen«42. Zweitens wird dieser Differenzpunkt in der allgemeinen Urteilsstruktur aufgesucht, wobei die Copula grammatisch dem Prädikat zugeordnet wird. Drittens soll die Begriffsschrift vor allem die Semantik derjenigen syntaktischen Begriffe klären, die in der modernen Logik »Junktoren« genannt werden und als reine Beziehungsbegriffe den Vorzug der Unabhängigkeit von jeder realen »Beschaffenheit der Dinge«43 genießen. Freges Substitution von Subjekt/Prädikat durch Funktion/Argument beruht auf der Prämisse, dass jeder logisch relevante Satz einen mit »wahr« oder »falsch« beurteilbaren Inhalt habe. Ihm kommt ferner ein begrifflicher Inhalt zu. Beide Inhalte werden als darstellungsindifferent unterstellt. Denn ihnen bleiben die grammatischen Unterscheidungen von Subjekt und Prädikat äußerlich, wie Frege an folgendem Beispiel zu demonstrieren sucht: (1) Die Griechen [= S] siegten bei Plataeae über die Perser [= P]. (2) Die Perser [= S] wurden bei Plataeae von den Griechen besiegt [= P].
Die Sätze zeigen eine minimale Sinnverschiedenheit (deren Ausdruck der Unterschied von aktivischer und passivischer Form ist), aber denselben begrifflichen Inhalt. Logisch gesehen scheint der begriffliche Inhalt satzstrukturindifferent und syntaxrelativistisch. Derselbe Satzinhalt wird jeweils mit verschiedenen Subjekten und Prädikaten ausgedrückt, indem das – grammatisch gesprochen – vormalige Akkusativobjekt nun als Subjekt, das vormalige Subjekt nun als präpositionales Dativobjekt erscheint. Die Umkehr von Subjekt und Objekt kann mithin zur Vertauschung von Subjekt und Prädikat führen, was für den Autor der Begriffsschrift heißt, »keinen Unterschied zwischen Sätzen zu machen, die denselben begrifflichen Inhalt haben«44. Für die Darstellungsfunktion der Sprache ist 50 | Die andere Sprache
die Subjektstellung unerheblich. Relevant scheint die grammatische Syntax allein für die psychologismusverdächtige Kommunikationsfunktion der Sprache. Denn die Subjektstelle zeigt nur an, »worauf man die Aufmerksamkeit des Hörers besonders hinlenken will […]«. Diese sprachpragmatische Dimension aber hat »in meiner Formelsprache nichts Entsprechendes, weil im Urtheile hier nur das in Betracht kommt, was auf die möglichen Folgerungen Einfluss hat«. Mit der Suspension der traditionellen Urteilsstruktur nähert sich die logische Formelsprache der mathematischen an, »bei der man Subject und Prädicat auch nur gewaltsamerweise unterscheiden kann«. Dass beide nicht nur die Stellung tauschen, sondern sogar zum logischen Subjekt des Satzes werden können, zeigt das Beispiel: (3) Archimedes [= S] kam bei der Eroberung von Syrakus um [= P]. (4) Der gewaltsame Tod des Archimedes bei der Eroberung von Syrakus [= S] ist eine Tatsache [= P].
Der beurteilbare Satzinhalt, in Freges Terminologie: der »Gedanke«, ist in beiden Sätzen der gleiche; sie sind »äquipollent«45. Als Prädikat bleibt aber im zweiten Satz allein der Ausdruck »ist eine Tatsache« zurück, genau der Terminus also, den Frege im Unterschied zum »Fassen eines Gedankens« (begriffsschriftlich: —) das »Anerkennen der Wahrheit eines Gedankens«46 im Urteil (begriffsschriftlich: ) nennen möchte. Die begriffsschriftliche Formelsprache kennt damit im Grunde nur noch ein Prädikat für alle Urteile, »nämlich ›ist eine Thatsache‹. Man sieht, dass im gewöhnlichen Sinn von Subject und Prädicat hier keine Rede sein kann. Eine solche Sprache ist unsere Begriffsschrift und das Zeichen ist ihr gemeinsames Prädicat für alle Urtheile«47. Wie sich die Hoffnung auf die im Vorwort angekündigte Bewährung der Substitution von S-C-P durch f(a) – in Freges Notation: Φ (A) – legitimiert, macht § 9 der Begriffsschrift deutlich. Als Funktion bestimmt Frege die »Gesammtheit der Beziehungen«48, als Argument das Zeichen des (bzw. der) Bezogenen. So kann der unveränderliche Teil des Ausdrucks als Funktion, der ersetzbare Teil als Argument bestimmt werden. Die Funktion – im Grunde abhängig von der Valenz des in ihr verwendeten Verbs – kann mehrere Argumentstellen haben, sobald ein zuvor als unersetzbar angesehenes Zeichen sich als ersetzbar erweist. Je mehr Ersetzungen, desto mehr Suspension der Urteilsstruktur: Frege | 51
ungesättigte Stellen, d. h. Argumente: »A gibt dem B ein Γ« entspräche begriffsschriftlich: Φ (A, B, Γ). Damit ist der Begriff des Gegenstands geklärt: »Gegenstand ist alles, was nicht Funktion ist, dessen Ausdruck also keine leere Stelle mit sich führt.«49 Mit dieser funktionalisierten Urteilslehre, mit der Tilgung der prädizierenden Funktion der Copula und der ausschließlichen Berücksichtigung des begrifflichen Satzinhalts ist nicht nur die Beschränkung der klassischen Logik auf Identitäts- und Prädikationssätze aufgehoben, sondern auch jede Differenzierung der Urteile hinfällig. Die ältere Logik unterschied zwischen Daseins- oder Existenzurteilen, Notwendigkeitsurteilen (kategorische, hypothetische, disjunktive),50 Begriffs- bzw. Modalitätsurteilen. Frege nivelliert diese Differenzen, weil sie wiederum grammatische, nicht logische Unterschiede bezeichnen.51 Diesem, von Michael Dummett als »Verstoßung der Gedanken aus dem Bewußtsein«52 beschriebenen Schritt korrespondiert die Verstoßung des Subjekts aus den Sätzen. Damit scheint die Begriffsschrift ironischerweise Nietzsches Hoffnung auf eine Sprache erfüllt zu haben, die Vorgänge und Tätigkeiten als Tätigkeiten denkt, ohne sie unter ein Subjekt (eine absolute Substanz, ein Ding etc.) zu subsumieren. Mit Frege lassen sich – jenseits der Herrschaft der Grammatik, aber diesseits der Logik – reine Tätigkeiten zumindest als ungesättigte Funktionen denken. Nur geht die Begriffsschrift mit Mitteln vor, die Nietzsche abgelehnt haben würde. Denn wenn es wahr wäre, dass der Grundglaube der Metaphysik der Gegensatz der Werte ist, dann führt Frege diesen Gegensatz ganz offensichtlich als kontradiktorischen Gegensatz der Wahrheitswerte W und F wieder ein. Aus dessen eigener Perspektive ist mit der Funktion/ArgumentForm eine tragfähige Unterscheidung von grammatisch-semantischer und logischer Form und damit auch von analytischen und logischen Wahrheiten gewonnen. Die Formalisierung der Argumentstellen ist Voraussetzung für den Erweis der Gültigkeit von Satzschemata. Denn es gibt (i) grammatisch strukturell gleiche Sätze mit verschiedenem Satzinhalt; (ii) grammatisch verschiedene Sätze mit identischem Satzinhalt; (iii) Sätze mit ungültigem Satzinhalt, aber gültiger logischer Form. Im Unterschied zur analytischen Wahrheit, die auf der Semantik der verwendeten Termini beruht, erforscht die Logik die Gültigkeit der Satzschemata und nennt diese 52 | Die andere Sprache
Wahrheiten logische. Ein Schema ist gültig genau dann, wenn jeder Satz dieser Form analytisch wahr ist. Daher ist der Satz (5) Wenn a Junggeselle war, dann war er unverheiratet
analytisch, nicht aber logisch wahr, weil das entsprechende Satzschema (5´) Wenn a ein F ist, ist a G
nicht immer gültig ist. Die Wahrheit des Satzes ist abhängig von der Semantik der Termini a, F und G. Deshalb verwendet auch Frege weiterhin den Begriff Urteil, nur anders bestimmt: »Das Urtheilen im engeren Sinne«, schreibt er an Husserl, »könnte man kennzeichnen als ein Uebergehen vom Gedanken zum Wahrheitswerthe.«53 Konsequenterweise zieht der späte Frege für seine Darstellung zweistelliger Aussageverknüpfungen den Begriff »Gedankengefüge« dem grammatischen Terminus »Satzgefüge« vor.54 Denn nicht jeder grammatische Satz einer Normalsprache drückt einen selbstständigen wahrheitsfunktionalen Gedanken aus. Interessanterweise setzt Frege eine Begriffsschrift ins Werk, deren Nutzen Humboldt noch bestritten hatte. Zwar standen Humboldt die Vorteile einer »Begriffsschrift«55 klar vor Augen. Ideographien repräsentieren nicht Bilder, nicht Laute, sondern operieren mit nicht-mimetischen, arbiträren Symbolen. Sie vermeiden Ablenkung durch den Bildgehalt des Symbols und erleichtern die Übersetzbarkeit in andere Sprachen. Doch ist für diese Vorteile ein hoher Preis zu entrichten. Benötigt wird erstens eine in der Regel ungleich größere Menge an Symbolen und Graphemen als in der Buchstabenschrift (Humboldt denkt vor allem an die ca. 6000 Zeichen der chinesischen Begriffsschrift). Notwendig wäre zweitens eine vollkommen geschichtsfremde Fixierung der Wortbedeutungen. Während piktographische Symbolordnungen zu unscharf bleiben, sind begriffsschriftliche Systeme zu starr für die gesprochene Sprache – und zwar nicht nur des Alltags. Sie reduzieren die notwendigen Bedeutungsunschärfen der natürlichen Sprache und ihrer Wörter in einem Maße, die deren Substanz angreift. Die Abstraktion der begriffsschriftlichen Welterfassung steht im Gegensatz zur Fülle der durch sie erfassten »bunten und lebendigen Mannigfaltigkeit«56 der Welt selbst. Suspension der Urteilsstruktur: Frege | 53
Freges Begriffschrift beabsichtigt freilich etwas ganz anderes als die von Humboldt charakterisierten Ideographien. Sie ersinnt keine lebendig gesprochene Sprache, sondern entfernt sich von aller Phonie und Repräsentation, indem sie begriffsschriftlich nur die Semantik der logischen Verknüpfungen festlegt, während alle anderen Begriffe oder Bedeutungen als Variablen aufgefasst werden. Die Begriffsschrift hellt die Form der logischen Syntax auf. Dazu dient ihr eine künstliche Formensprache von Begriffs- und Beziehungsfiguren, die Claus-Artur Scheier als logischen »Jugendstil«57 bezeichnet hat. Am Ende kann Frege mit einer übersichtlichen Menge logischer Grundoperationen, deren Raffinement vor allem in der Kombination von »Bedingtheit« (bzw. Implikation) und »Verneinung« besteht, nicht nur elaborierte logische Kalküle vollziehen, sondern überhaupt erst verborgene gedankliche und logische Verbindungen explizit machen, die den grammatischen Partikeln und Junktionen implizit zu Grunde liegen. Entsprechend werden auf der Ebene der logischen Syntax Unterscheidungen transparent, die von der grammatischen Syntax verschliffen werden. Dass etwa die Konjunktion »und« eine »Bedingtheit« und eine »Verneinung« impliziert, zeigt die Begriffsschrift in optischer Unmittelbarkeit, sozusagen als »Bild der Tatsachen«58: A B
Dieser begriffsschriftlichen Form des modern notierten ¬(B → ¬A) entspricht das umgangssprachliche »A und B« als ein: Es ist nicht der Fall, dass, wenn B der Fall ist, dann A nicht der Fall ist. Mit der Begriffsschrift eröffnet Frege in der Abkehr von der Satzgrammatik und der Ausklammerung sprachpragmatischen Sinnverstehens einen logischen Raum und formalsprachlichen Möglichkeitshorizont des »Imaginäre[n]«59, deren antimetaphysischen Hauptimpuls ein späterer Brief an Husserl resümiert: »Die Logik soll Richterin sein über die Sprachen. Man sollte mit Subjekt und Prädikat in der Logik aufräumen.«60
54 | Die andere Sprache
4. Eidetik idealer Bedeutungseinheiten: Husserl Sucht man die funktionalistische Verwandlung der Logik im 19. Jahrhundert an ihrem systematischen Ort auf, so lässt sich das Verschwinden der Funktion der Copula innerhalb der f(a)-Satzstruktur, das Schwinden also des vormaligen Verbindungsmoments von Logik und Grammatik, als das Signum der philosophischen »Syntax« der Moderne bestimmen.61 Das Sprachdenken der Moderne ist differentiell. Die geschichtliche Bedeutung Freges liegt daher in der »operational-theoretische[n] Bestimmung des Satzes«62 und der Entdeckung der Funktion als des »aller psychologi(sti)schen Wühlarbeit entzogene[n] Ort[s] der Wahrheit«63. Hinter dem Problem, auf das die grammatische Metaphysikkritik reagiert, steht in der Tat eine Krise des Wahrheitsbegriffs. Nietzsche kritisiert, dass die traditionelle Wahrheitskonzeption das Wahre entweder einer Moraloder einer Grammatikkonvention unterwirft. Frege argwöhnt, dass das Wahre durch die Hypostase psychologistischer und historisierter Denkgesetze entweder subjektivistisch oder relativistisch entwertet wird. Husserl schließlich erkennt, dass Freges strikte Wahrheitsfunktionalität das Wahrheitsproblem formalsemantisch, nicht aber erkenntniskritisch löst. Damit ist sowohl der Weg einer Tiefenpsychologie der Grammatik (Nietzsche) als auch der einer begriffsschriftlichen Sprachanalyse (Frege) versperrt. Entsprechend ziehen die Logischen Untersuchungen (1900) aus dem Entweder-Oder von Poietisierung oder Formalisierung der Sprache eine andere Konsequenz, die auch noch den frühen Husserl in den Kontext der grammatischen Metaphysikkritik einschreibt. Deutlich wird dies zunächst daran, dass die Logischen Untersuchungen eine Analytik der logischen Bedeutungen umreißen, die sich als »reinlogische Grammatik« auslegt. Damit soll sowohl der Gefahr begegnet werden, die logischen Aussagen unter der Hand zu empirisch-psychologischen Sätzen zu verkehren, als auch der Gefahr, das »Gegebensein« der logischen Ideen aus den formalen Symbolordnungen (sei es Mills, Freges oder Brentanos) einfach nur zu übernehmen, ohne sie neu zu begründen. Während Frege von den gegebenen oder formalsprachlich geschaffenen Zeichen der Sache ausgeht, Fragen nach ihrer Genesis und Geltung jedoch weitgehend ausklammert, wirft Husserl alles Licht auf den Eidetik idealer Bedeutungseinheiten: Husserl | 55
Entstehungsprozess der Bedeutung logischer Begriffe, die sich »ideierende[n] Abstraktion[en]«64 verdanken. Bedeutungsanalyse deckt sich folglich nicht mit grammatischer Analyse. Denn die grammatischen Unterschiede sind nur zu einem Teil notwendig, in den meisten Fällen jedoch kontingent; sie sind sprachgeschichtlich oder rhetorisch motiviert. Grammatische Kategorien nehmen Rücksicht auf Sprecher- und Hörerintentionen, auf »kommunikative Nützlichkeit«65, ohne im Einzelnen mit den logischen Unterscheidungen kongruieren zu müssen. In diesem Zusammenhang interessiert Husserl, dass die seit der Antike geläufige Unterscheidung zwischen kategorematischen und synkategorematischen Ausdrücken in erster Linie grammatisch motiviert ist. Denn entgegen Bolzanos Ansicht, jedem Wort komme eine eigene Bedeutung zu, lässt sich zeigen, dass nicht allen selbständigen oder unselbständigen Ausdrücken auch kategorematische oder synkategorematische Bedeutungen entsprechen. Vielmehr können sich erstens zusammengesetzte Bedeutungen auch auf einfache Gegenstände (und Ausdrücke) beziehen (z. B. der Ausdruck »einfacher Gegenstand« selbst); zweitens lassen sich zusammengesetzte Gegenstände auch auf einfache Bedeutungen beziehen (z. B. der Ausdruck »Etwas«); und drittens entsprechen zusammengesetzten Bedeutungen nicht immer zusammengesetzte Gegenstände (in der Formulierung »Land ohne Berge« z. B. referiert nicht jeder Teil der Bedeutung auf einen Teil des Gegenstandes). Bleibt die Frage, ob synkategorematische Ausdrücke wie um, nichtsdestoweniger, aber etc., ob also auch Konjunktionen und Präpositionen eine eigene Bedeutung haben. Auf dieses faktische Auseinanderweisen von grammatischer Form und sachhaltiger Bedeutung antwortet Husserl mit einer Logik, die der »reinen Formenlehre der Bedeutungen die sie voraussetzende reine Geltungslehre derselben gegenüber«66 stellt. Man könnte auch sagen: Freges Formelsprache des reinen Denkens tritt eine phänomenologische Bedeutungsanalyse entgegen. Der Ansatz führt in den Logischen Untersuchungen zu ebenso starken wie produktiven methodischen Spannungen. Einerseits werden Sprachuntersuchungen mit einer Konkretion durchgeführt, die die spätere Intransingenz von Sprachanalyse und Phänomenologie fast unverständlich erscheinen lässt. Andererseits aber treiben die Sprachanalysen Husserl am Ende in 56 | Die andere Sprache
die Sackgasse einer Hypostasierung der Bedeutungen zu »ideale[n] Einheiten«67. Denn Husserl behauptet, dass die Bedeutungen unter apriorischen Gesetzen stehen, die ihre Verknüpfung regeln. Auch diese Gesetze sind wiederum keine der grammatischen Syntax. Ihr Auseinanderklaffen lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, daß grammatische Ausdrücke freier kombinierbar sind als Bedeutungen: »Nur in gewissen, im voraus bestimmten Weisen passen die Bedeutungen zusammen und konstituieren wieder sinnvoll einheitliche Bedeutungen, während die übrigen kombinatorischen Möglichkeiten gesetzlich ausgeschlossen sind: sie ergeben nur einen Bedeutungshaufen statt einer Bedeutung.«68 Verantwortlich dafür sind apriorische Bedeutungskategorien. Das Beispiel der Formalisierung des Satzes Dieser Baum ist grün zu der Form Dies S ist p zeigt, dass die Variable S nicht etwa durch den Begriff »Gold« ersetzt werden dürfte: »sowie wir die Kategorien der Bedeutungsmaterien nicht innehalten, geht die Sinneseinheit verloren.« Dass sie materiale Kategorien sind, heißt, dass die Verhältnisse zwischen Bedeutungen an der Fülle der Erscheinungen, d. h. an den Sachen selbst, konkret überprüft werden können. Werden die Regeln dieser materialen apriorischen Bedeutungskategorien dagegen verletzt, so bleiben Wortreihen zurück, in denen jedes der Worte zwar für sich gesehen Bedeutung hat, deren Zusammenhang aber keinen einheitlich geschlossenen Sinn ergibt, wie etwa der Satz (6) Dieses leichtsinnig ist grün.
Hier wird nicht einfach ein Adjektiv – grammatisch unzulässig – an die Subjektstelle gesetzt (denn man könnte den Satz leicht ändern in: Dieses Leichtsinnige ist grün), sondern eine Grenzlinie zwischen Bedeutungskategorien verletzt. Husserl, der hiermit letztlich ein Grundproblem der späteren Typentheorie umreißt, übergeht allerdings, dass auch die Grammatik diese Umstände in der Unterscheidung zwischen Wortarten und Satzgliedern zumindest reflektiert. Jedenfalls wird die Notwendigkeit einer Rückführung der grammatischen Kategorien auf Bedeutungskategorien, abgesehen von den Gesetzen der Bedeutungskomposition, auch von denen der Bedeutungsmodifikation unterstrichen. Durch Bedeutungsänderung Eidetik idealer Bedeutungseinheiten: Husserl | 57
lässt sich jedes Wort an jede Stelle eines kategorematischen Ganzen bringen, etwa in dem Satz (7) »Wenn« ist eine Partikel.
Hier tritt die synkategorematische Partikel »wenn« an die Stelle eines – üblicherweise kategorematischen – Nominalen. Husserl folgert, dass es hier weniger auf die (grammatische) Komposition der Worte als auf die (logische) Komposition der Bedeutungen ankommt. Denn die Logik fordert eine Konstanz der Bedeutungsfunktion. Allerdings bringt es »die Natur der Sache […] mit sich, daß gewisse Bedeutungsänderungen sogar zum grammatisch normalen Bestande jeder Sprache gehören«69. Das grammatisch Korrekte ist aber selbst logisch »anomal«: »Sagen wir ›und‹ ist eine Konjunktion, so haben wir nicht das Bedeutungsmoment, das dem Worte und normalerweise entspricht, an die Subjektstelle gebracht, sondern hier steht die selbständige, auf das Wort ›und‹ gerichtete Bedeutung.«70 Husserl schließt von diesem Befund auf die apriorische Gesetzmäßigkeit des Bedeutungswandels in Gestalt einer »Änderung des Bedeutens«: Jeder sprachliche Ausdruck kann in der modifizierten Bedeutung als Eigenname seiner ursprünglichen Bedeutung auftreten, also als Nominalisierung von Adjektiven usw. In den Logischen Untersuchungen hat Husserl diese logischgrammatische Formenlehre der Bedeutungen nicht im Einzelnen durchgeführt, sondern deren Programm formuliert. Geklärt werden soll, wie Bedeutungen aufgebaut sind und welche Gesetze der Bedeutungsmodifikation und -komplexion sich aus diesem Bau ableiten lassen. Diese reine Logik der Bedeutungen hat es ausdrücklich nicht mehr mit Urteilen, sondern – wie bei Frege – mit Sätzen zu tun.71 Husserls Programm umfasst die Explikation (a) der einfachen Formen selbständiger Bedeutungen, (b) der Bedeutungen ganzer Sätze, (c) der Formen der Bedeutungskomposition und -modifikation, (d) der nominalen, adjektivischen und propositionalen Bedeutungskategorien, aus denen sich (e) idealerweise eine systematische Übersicht über die Mannigfaltigkeit der Formen herausarbeiten lassen sollte. Der notwendigen Klassifikation von Bedeutungskategorien, die im einzelnen überaus kompliziert ist – wie spätere Versuche einer Stereotypen-, Prototypen oder Frameworksemantik gezeigt haben –, enthebt sich Husserl in den Logischen 58 | Die andere Sprache
Untersuchungen, indem er deren Ziel, »allen logischen Fundamentalbegriffen feste Bedeutungen zu geben«72, in den Horizont der Zukunft verschiebt. Mit dem Befund, dass die Grammatik den bedeutungslogischen Unterscheidungen nur unbefriedigend Rechnung trage und stattdessen den Kontingenzen eines historisch gewordenen Sprachgebrauchs folge, schlägt Husserl den Bogen seiner Argumentation zu deren Ausgangsproblem zurück: dass sich die Bedeutungsunterschiede und -unverträglichkeiten in den syntaktischen Unterschieden und »grammatischen Unverträglichkeiten« nicht angemessen abbilden lassen. Bis zum Schluss bewahrt sich Husserls Grammatikkritik jedoch eine prinzipielle Unentschlossenheit. Anders als Frege verzichtet sie auf eine Verabsolutierung der reinlogischen Grammatik. Diese gilt Husserl als führende, aber nicht einzige Stimme in dem Konzert physiologischer, psychologischer und kulturhistorischer Sprachbestimmungen. Allerdings macht nur sie die apriorischen Fundamente der Bedeutungsform transparent, auf denen sich der Sprachforscher immer schon bewegt, »ob er sich über die Sachlage klar ist oder nicht«73. Husserl beharrt darauf, dass die Welt idealer Bedeutungskategorien allem nur empirischen und psychologischen Zugang verschlossen bleibe. Doch es fragt sich, wo die Bedeutungskategorien anders herstammen sollen als aus der real gesprochenen Sprache, aus ihrer alltäglichen und historischen Semantik. Die »ideierendende Abstraktion« kann die Entstehung idealer Bedeutungskategorien klären helfen, nicht aber die Herkunft ihres Substrats. Überraschend ist, dass sich Husserl am Ende all der Überlegungen, die ihn wohl am weitesten von Humboldt entfernt haben, diesem »hochverehrten Forscher«74 am nächsten wähnt. Das dürfte an der Sprunghaftigkeit liegen, mit der Husserl aus der Tiefe der reinlogischen Grammatik wieder an die Oberfläche der realen Grammatiken der verschiedenen Weltsprachen auftaucht. Mit dieser Kehrtwendung ist nämlich zugestanden, dass die idealsprachlichen Bedeutungen doch keine platonischen Ideen, sondern »ideierende Abstraktionen« existierender und sich historisch wandelnder Normalsprachen sind: »Wie drückt das Deutsche, das Lateinische, Chinesische usw. ›den Existenzialsatz‹, ›den‹ kategorische Satz […], das ›nicht‹ usw. aus?« Bei dieser Frage – und das ist in der Tat ein Eidetik idealer Bedeutungseinheiten: Husserl | 59
Erbe der Humboldtschen Kritik am grammatischen Eurozentrismus – darf sich der reinlogische Grammatiker nicht mehr auf »empirisch getrübte Vorstellungen, die ihm die historische, etwa lateinische Grammatik an die Hand gibt«75, verlassen.
5. Grammatische Metaphysikkritik und symbolische Reflexivität der Sprache In der nachidealistischen Moderne hat die Reflexion über Sprache zunächst die Gestalt einer grammatischen Metaphysikkritik angenommen. Sie markiert den Punkt, an dem die Fäden der später auseinanderstrebenden sprachphilosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts noch zu dem Knoten eines gemeinsamen Ausgangsproblems zusammenlaufen. Nietzsche, Frege und Husserl haben, diesem Problem verpflichtet, verschiedene sprachphilosophische Ansätze begründet, deren Argumente erst gegenwärtig, nach dem Ende der konkurrierenden Schulen, langsam wieder zusammenfinden. Doch mit den gemeinsamen Gegnern »Metaphysik« und »idealistische Sprachvernunft« wurde auch die Alltagssprache und die ihr innewohnende Sprachpraxis und Rationalität getroffen. Nietzsches Poietisierung der Sprache, Freges Formalisierung der Syntax und Husserls Idealisierung der Bedeutungen kreuzen sich in der Überzeugung, der Gemeinsprache entraten zu müssen. Als Ausdruck der »Sklaven-Moral«76, als Hemmschuh psychologischer »Verseuchung«77 oder als Banalität »kommunikative[r] Nützlichkeit«78 fällt ihr am fin de siècle offensichtlich die Rolle der Repräsentantin einer ebenso unerträglichen wie zu überwindenden Gegenwart zu. In der grammatischen Metaphysikkritik dokumentiert sich die philosophische Sehnsucht nach einer anderen Sprache, die, jeweils gebrochen, auch in die Literatursprache der klassischen Moderne (Hofmannsthal, Arno Holz, Rilke u. a.) eingegangen ist. Insofern diese Arbeit der antimetaphysischen Grammatikkritik geleistet wurde, haben sich die Aufgaben grammatischer Sinnkritik für die Gegenwart verschoben. Sie konzentriert sich, erstens, auf die symbolische Reflexivität unserer Umgangssprachen; und sie konzentriert sich, zweitens, erneut, ähnlich wie schon bei Humboldt, auf eine transparente Unterscheidung der verschiedenen gramma60 | Die andere Sprache
tischen Sprachbauten und kulturellen Sprachspiele, auf das Verstehen und die Rettung ihrer »Weltansichten«, ihrer inneren »Logik«. Das Verständnis fremder Kulturen beginnt mit dem Verständnis ihrer Sprachen und Praktiken. Humboldt hatte hervorgehoben, dass die Erkenntnis der Einheit des menschlichen Geistes über den Weg eines Studiums seiner verschiedenen Sprachen führt. Jede andere Sprache, die wir lernen, mache uns die Natur des Geistes und seiner inneren universellen Grammatik durchsichtiger. Die Annahme einer solchen universellen Grammatik scheint uns heute zwar problematisch. Universell an allen normalen Sprachen dürfte aber ihre, je anders ausgeprägte, Form symbolischer Reflexivität sein: ihr Vermittlungsverhältnis opaker Bezugnahme. Aufgrund der Differenzen dieser symbolischen Reflexionsformen wird die Erkenntnis anderer Sprachen als Sprachen des Anderen immer auch zur Selbsterkenntnis. Entsprechend kann das Ziel nicht deren »Beherrschung« sein. Vielmehr dient der Erwerb einer fremden Sprache dazu, »seine Begriffe über die eigene zu berichtigen und zu erweitern, als tatsächlich eine große Zahl zu beherrschen«79. Erst die Sicht auf die fremden Sprachen erschließt die eigene – so wie der Blick auf das Andere allererst die Einsicht in das eröffnet, was Selbstsein ist. In diesem Gedanken einer nicht mehr bloß antimetaphysischen Grammatikkritik steckt wohl mehr als ein nur sprachphilosophisches Anliegen. Er macht deutlich, dass der Wunsch nach Herrschaft gelingendes Selbstsein versperrt. Denn die Dinge und Wesenheiten, die wir zu beherrschen trachten, sagen uns nichts mehr.
Grammatische Metaphysikkritik | 61
Anoetik und Hermeneutik Symbolische Formen des Verstehens und Nichtverstehens
1. Radikales Nichtverstehen: Geltung ohne Bedeutung Verstehen ist ein zweistelliges Prädikat. Wir verstehen stets etwas. Zuweilen sind die Gründe, warum verstanden wird, ebenso vielfältig und unzugänglich wie die unseres Nichtverstehens. Was sich uns irgend zu Verstehen gibt, das kann weder überhaupt nicht noch vollständig verstanden werden. Letzteres käme vollkommener Noesis, ersteres vollständiger Anoesis gleich. Beides aber scheint unserem endlichen Verstand gleich unmöglich. Entsprechend könnte man, in Anlehnung an Wittgensteins Metapher des »logischen Raum[s]«1, von dem Noetischen und dem Anoetischen als den beiden Limesgestalten eines noetischen Raums reden, der den Horizont eines jeden möglichen Verstehens bildet. Verstehen und Nichtverstehen wären dann reflexive Mischformen verstandener und unverstandener Aspekte. Dies jedenfalls legt die symbolische Reflexivität unserer Sprache nahe, die im Verstehen und Nichtverstehen sprachlichen Sinns einen Spielraum eröffnet, der im Verstehen immer auch das Nichtverstehen reproduziert und umgekehrt. Zugleich halten normale Sprachen aufgrund ihrer Äquipotentialität eine Reihe von Strategien zur Einhegung des Nichtverstehens bereit, deren Typologie im Folgenden zur Diskussion gestellt werden soll, ohne darüber allerdings die Form sprachlichen Verstehens privilegieren zu wollen. Einen Grenzfall des Nichtverstehens zeigt das »Tetragrammaton«. Scholem hat von diesem Zeichen im Briefwechsel mit Benjamin als von einer Äußerung absoluter Geltung ohne Bedeutung gesprochen:2 (1) יהוה
Das Nichtverstehen solcher Ausdrücke hat in der Regel zwei Gründe. Wir kennen entweder die Objektsprache selbst (in die | 63
sem Fall: Hebräisch) oder die konkrete Wortbedeutung nicht. Hier jedoch kennt auch der/die des Hebräischen Kundige weder Semantik noch Grund der Geltung dieses Namens, den die jüdische Tradition den besonderen oder unaussprechlichen genannt hat: shem ha-mephorasch. Zu seinem Verständnis tragen auch die wenigen belastbaren etymologischen Indikatoren kaum bei.3 Maimonides und später die kabbalistische Tradition, der wir die tiefsten philosophischen Analysen des Namens verdanken, heben die Autorität des JHWH als dem an sich selbst unaussprechlichen und unbestimmbaren Namen hervor, der alle Bedeutung enthält und dennoch nichts bezeichnet. Sprachphilosophisch handelt es sich um einen extensionalen Namen ohne Intension.4 In Fregescher Terminologie könnte man umgekehrt auch von einem sinnvollen Ausdruck ohne Bedeutung sprechen. Wir können nicht wissen, was er besagt, wohl aber, worauf er sich beziehen soll. Gläubigen sind Bedeutungen ohne Intension keine sinnlosen Buchstabenkonfigurationen. Vielmehr wird die Absenz von Sinn zum Index der Autorität des göttlichen Namens, angesichts dessen das Sprechen in Schweigen umschlägt. Allerdings versteht sich dieses Schweigen nicht als bloßes Verstummen, sondern als Zeigen. Das Tetragrammaton wird zum Zeichen der absoluten Einfaltung aller Namen und Bedeutungen in deren selbst bedeutungslosen Ursprung. Dass dieses Zeichen keinen Gegenbegriff kennt, jeder Form der Prädikation und des Urteils, jedem Hinweis auf Semantik, jeder Ableitung und Begründbarkeit entzogen ist, überhebt es auch jeder Phonie. Das Tetragramm gilt als stummes, schweigendes Zeichen einer absoluten, mit seiner Wesenheit identischen Existenz. In dem Nichtaussprechen der Buchstabenfolge יהוהkommt die prädikative Sprache zum Schweigen; in ihr findet sie eine dem Inhalt angemessene symbolische Form. Das Unverständnis solcher Ausdrücke zeigt vielleicht die äußerste Grenze sprachlichen Nichtverstehens. Denn im Unterschied zu anderen Gegenständen mit opakem Referenzbezug gibt es nicht nur keine Beschreibung, die den begrifflichen Gehalt des Trägers dieses Eigennamens bestimmen könnte (Intension),5 sondern auch keine genau angebbare Extension. Denn auch die Form der »Bedeutungsfixierung«, die Saul Kripke ins Spiel gebracht hat: »Paul ist das Baby, das von Mrs. Jones im Arm gehalten wird«, welche sich etwa auf64 | Anoetik und Hermeneutik
grund von Tauf- und Namensfixierungszeremonien rekonstruieren lässt,6 ist hier nicht möglich: »Wie wir den Namen Gottes verstehen können, bleibt ein Rätsel.«7 Offenbar verdankt sich das Zusammengehen von Verstehen und Nichtverstehen im Sprachspiel von »Bedeutungen ohne Intension« der Partizipation an einer religiösen Lebensform. Im Zuge der Teilnahme an ihren Sprachspielen (wie dem Gebet), die wir verstehen, weil wir sie spielen (und zwar auch dann, wenn wir nicht an sie glauben), üben wir ein Verständnis solcher »reference without comprehension«8 ein. Das Nichtverstehen bedeutungsvoller Ausdrücke ohne Intension wird durch eine bestimmte Praxis (hier: des Glaubens) zur Normalität. Durch Einübung wird eine Evidenz herbeigeführt, in der Prozesse des Nichtverstehens mit solchen des Verstehens problemlos zusammengehen. Eben darin liegt eine der zentralen Kräfte symbolischer Reflexivität. Sie sichert nicht nur Sinn ohne Bedeutungsbezug, sondern umgekehrt auch: sie lässt Bedeutungen ohne Sinn verstehen.
2. Radikale Übersetzung: Bedeutung als Satzwahrheit Quine geht für sein Gedankenexperiment in Word and Object (1960) von einer anderen, profanen Situation radikalen Nichtverstehens aus. Sein Szenario des Feldlinguisten, der auf eine unbekannte Sprachgemeinschaft stößt, deren Sprache keinerlei Ähnlichkeiten mit bestehenden unterhält, zielt nicht auf die Beschreibung realer Gepflogenheiten linguistischer Feldforschung, sondern auf ein philosophisches Gedankenexperiment. Quine ist es nicht um eine soziolinguistische, sondern um eine philosophische Bedeutungstheorie zu tun. »Radikale Übersetzung« heißt sein streng behavioristischer Ansatz einer Sprachrekonstruktion über »Reizbedeutungen« holophrastischer Sätze. An ihnen soll sich die Einsicht des frühen Wittgenstein bewähren: »Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.«9 Weil das Szenario radikaler Übersetzung auf der Fiktion einer absoluten Dolmetscherlosigkeit beruht, muss Quine sowohl wortähnliche als auch kulturähnliche Sprachen ausklammern: »Für unsere Zwecke eher relevant ist die radikale Übersetzung, d. h. die Übersetzung der Radikale Übersetzung: Bedeutung als Satzwahrheit | 65
Sprache eines bisher unberührten Volkes.«10 An der fiktiven Äußerung (2) »Gavagai«
sucht Quine zu plausibilisieren, dass soche Ausdrücke, von einem Angehörigen der radikal fremden Sprachgemeinschaft etwa beim Vorbeihuschen eines Kaninchens geäußert, eine erste provisorische Übersetzung provozieren. So nahe es liegen mag, die Äußerung mit »Kaninchen« zu übersetzen, so wenig garantiert irgend-etwas an ihr, dass nicht auch die Bedeutung »Tier«, »weiß« oder ähnliches gemeint war, so dass der Sprachforscher selbst »Reizsituationen« herstellen und nach »Gavagai« fragen muss, um Reaktionen der Zustimmung oder Ablehnung einzuholen. Da Gebärden ebenso trügerisch, weil gegensätzlicher Art sein können, müssen bei Anwesenheit eines entsprechenden Kaninchens sprachliche Reaktionen auf die Frage »Gavagai?« evoziert werden, etwa: »Evet« oder »Yok«. Die Arbeitshypothese könnte dann lauten: Wird bei Anwesenheit des Kaninchens »Evet«, bei Anwesenheit eines anderen Tieres die Frage »Gavagai« mit »Yok« quittiert, so meint »Evet« »Ja«. Schon an dieses einfache Modell lassen sich zahlreiche Komplikationen knüpfen. Leicht kann es zu Differenzen zwischen den Reizbedeutungen des Stammesangehörigen und des Feldforschers kommen. Auch gilt: Je größer die intersubjektive Variabilität der Reizbedeutung, desto mehr verlieren Gelegenheitssätze den Status von Beobachtungssätzen – »Junggeselle« etwa hat eine äußerst geringe Beobachtungsnähe. Da es nicht um Fragen einer ethnologischen Übersetzungstheorie, sondern um die einer philosophischen Bedeutungstheorie geht, kann Quine es freilich bei dem Hinweis belassen, dass auch abstraktere und allgemeine Äußerungen dieser fremden Sprache am Maßstab einer mühsamen Fall-zu-FallApproximation von Reizbedeutungen rekonstruiert werden können müssten. Philosophisch relevant sind nicht die linguistischen Details, sondern die aus Quines Szenario ableitbaren »analytischen Hypothesen«. Verallgemeinert man nämlich die Theorie radikaler Übersetzung, so ergeben sich folgenreiche sprachphilosophische Konsequenzen. (i) Sprecher/innen einer bestimmten Sprache verstehen eine fremde Sprache dann, wenn sie diese Objektsprache in ihre 66 | Anoetik und Hermeneutik
Metasprache übersetzen können.11 (ii) Dabei wird unterstellt, dass auch die Sprecher/innen der fremden Objektsprache ihre natürliche Sprache meistern und sich wechselseitig mit sprachlichen Mitteln interpretieren. (iii) Angenommen wird ferner, dass die Sprecher/ innen überwiegend wahre und bedeutungsvolle Sätze äußern; dass nicht das Täuschen des Hörers primäres Ziel der Sprechenden ist. Damit wird eine basale Rationalität und Normativität des Wahrsprechens vorausgesetzt und auch für ihr Verhältnis zum Feldlinguisten unterstellt. (iv) Diese basale Rationalität lässt nun annehmen, dass unter den Sprechhandlungen von Objektsprachen auch eine Menge bedeutungsvoller und propositional gehaltvoller Äußerungen vorkommen. (v) Es darf angenommen werden, dass »Wahrheit und Falschheit, Rationalität und Irrationalität, Verstehen und Missverstehen […] nicht symmetrisch [sind]«12. So wie wir nicht einmal in einen Bus steigen könnten, würden wir nicht unterstellen, dass er tatsächlich in die angezeigte Richtung fährt (die Anzeigenäußerung also wahr ist), so muss vorausgesetzt werden, dass für die sprechenden Wesen der Objektsprache – so wie auch für die der Metasprache – wahre Sätze konstitutiv für Verständigung sind; dass sich radikaler Relativismus im Sprechen und radikaler Skeptizismus im Hören nicht halten lassen und nur im Ausnahmefall ereignen kann. (vi) Wenn das Faktum gelingenden Verstehens nur dann erklärbar ist, wenn von einer basalen Wahrheitsunterstellung ausgegangen wird, so fundiert offensichtlich nicht die Bedeutung von Sätzen ihre Wahrheit, sondern die Wahrheit von Sätzen deren Bedeutung. Denn erkennen, was die holophrastische Äußerung »Gavagai« bedeutet, können wir nur, wenn wir wissen, unter welchen Bedingungen diese Äußerung wahr ist – d. h. mit der Zustimmung »Evet« quittiert wird. Situationen radikaler Übersetzung zeigen, dass Unverständnis nicht einfach beseitigt, sondern durch provisorische und hypothetische Operationen wie der des Interpretierens oder rationalen Unterstellens mühsam kompensiert wird. Dazu reichen behavioristische Parameter der Beobachtung allerdings nicht aus. Notwendig ist vielmehr auch so etwas wie ein Vorverständnis der eigenen Lebensform auf Seiten des Feldlinguisten. Er muss nicht die fremde Objektsprache, wohl aber seine eigene Objekt- als die zugleich gemeinsame Metasprache meistern, um überhaupt eine Sprache zu Radikale Übersetzung: Bedeutung als Satzwahrheit | 67
verstehen. Er muss ferner wissen, dass die tendenzielle Überwindung des Nichtverstehens Zug um Zug das Beobachten der fremden Lebensform und ihrer Sprachspiele durch ein Mitleben mit ihnen ersetzt. Daraus ergeben sich auch wahrheitstheoretische Konsequenzen. Auszugehen ist nämlich von der Kompensationsleistung unserer Wahrheitspraxis: Wir verstehen, wenn wir wissen, unter welchen Bedingungen der Satz wahr oder richtig ist. Ein Falsch-, Miss- oder Nichtverstehen läge dann vor, wenn die Wahrheitsprüfung der Äußerungen misslänge. Unbeantwortet bleibt am Ende der Überlegungen Quines freilich die Frage, ob sich auch die Bedeutung nichtpropositionaler Äußerungen über einen solchen alethischpragmatischen Leisten schlagen lassen. Ungestellt bleibt bei Quine die Frage nach den Bedingungen des Nichtverstehens. Deren begriffliche Struktur wird im Folgenden aufzuhellen sein.
3. Die symbolische Als-Struktur des Verstehens Als zweistelliges Prädikat ist Verstehen zugleich ein transitives Verb: Ausdruck einer Handlung, die sich auf etwas richtet. Als derart bestimmtes kann das zweistellige Prädikat allerdings auch als dreistellige Relation verstanden werden. Denn begriffliches Verstehen ist immer ein Verstehen von Etwas als Etwas. Auch ein solches Verstehen mag seinen Gegenstand nicht vollständig erschließen, wohl aber unter einen bestimmten Begriff bringen. Heidegger hat dies zu der Formel versammelt: »das ausdrücklich Verstandene hat die Struktur des Etwas als Etwas«.13 Freilich scheint, als sei eine der symbolischen Als-Struktur des Verstehens analoge dreiwertige Prädikation des Nichtverstehens nicht möglich. Denn in den beiden Sätzen (3) Ich verstehe Kants Kritik der reinen Vernunft nicht als Erkenntnistheorie (4) Ich verstehe Deine Bemerkung nicht als Beleidigung
wird nicht das Verb und damit die Tätigkeit selbst, sondern deren adverbiale Vergleichbestimmung (»als Erkenntnistheorie«; »als Beleidigung«) verneint. Offensichtlich geht es hier nicht eigentlich um ein Nichtverstehen, sondern um ein Andersverstehen von Etwas. 68 | Anoetik und Hermeneutik
Anders als dem Verstehen ist dem Nichtverstehen der Schritt vom zweistelligen zum dreistelligen Prädikat verwehrt. Der Satz (5) Ich nichtverstehe X als Y
oder (6) Ich verstehe X als Y nicht
wäre sinnlos. Wiederum anders steht es mit einem Satz wie (7) Ich verstehe nicht, dass X ein Y sein soll.
Denn hier haben wir es schon mit dem Entzug eines bestimmten Verstehens, etwa des Zusammenhangsverstehens zu tun. Ähnlich Satz (3) wird in (7) nicht unbestimmt Etwas nicht verstanden, sondern die begriffliche Zuordnung eines Gegenstandes zu einem anderen nicht nachvollzogen. Im Unterschied zu einer – mit Kant gesprochen – bestimmenden Urteilskraft, die das Besondere immer schon unter ein Allgemeines subsumiert hat, sucht eine reflektierende Urteilskraft noch nach der zutreffenden begrifflichen Einordnung des zu verstehenden Sachverhalts.14 Daher kann das bestimmende Verstehen in der Regel nicht überrascht werden, während das reflektierende Verstehen in einer Art Kontemplation verharrt, die auch wieder in Unverständnis übergehen kann.15 Schon diese erste Annäherung an das Verstehen als dreistelliges Prädikat mag anzeigen, dass wir Nichtverstehen weder einfach per analogiam zum Verstehen noch auch per negationem als dessen bloßen Entzug bestimmen können. Wiederum scheint sinnlos, von einem bestimmenden Nichtverstehen reden zu wollen. Dann nämlich müsste der Satz (5´) Ich nichtverstehe etwas als etwas
seinen Sachverhalt als etwas nicht- oder missverstehen. Dadurch aber würde er ihn schon irgendwie bestimmt und so bereits etwas Wesentliches an ihm verstanden haben. Das ergäbe wiederum den sprachpragmatischen Kontext von Satz (3) und (4): Ich verstehe dieses X nicht als Y oder etwa (4´) Ich verstehe Ihre Äußerung nicht als Beleidigung, sondern als Kompliment. Die symbolische Als-Struktur des Verstehens | 69
Hier aber werden »nicht« und »verstehen« gerade zum Zweck eines sehr bestimmten Verstehens, eben des Verstehens von etwas als etwas verwendet. Mithin kann es also kein bestimmendes Nichtverstehen von etwas als etwas geben, wohl aber ein reflektierendes Nichtverstehen – und dies entweder als ein Nichtverstehen, das nach den geeigneten Kategorien sucht, oder als ein solches, das sein eigenes Unverständnis auf den Begriff zu bringen und dadurch zu überwinden sucht. In gewisser Weise sucht das reflektierende Nichtverstehen nach Erklärung. Bekanntlich hat Dilthey Verstehen und Erklären als die beiden grundsätzlich geschiedenen Erkenntnismethoden von Geistes- und Naturwissenschaften bestimmt.16 Die Unterscheidung ist oft, gewiss auch zu Recht kritisiert worden.17 Denn schon semantisch überschneiden sich Erklären und Verstehen. Schon das Verstehen-als neigt sich dem Erklären zu. Zuweilen müssen wir bereits verstanden haben, was wir erklären wollen; zuweilen aber haben wir das Verstandene auch zu erklären.18 Gleichwohl geht das Erklären insofern über das Verstehen hinaus, als es nicht nur als dreistellige, sondern auch als vierstellige Relation verwendet werden kann: (8) Ich erkläre Dir etwas als etwas.
Möglich ist Erklären mithin als fünfstellige Relation: (9) Ich erkläre Dir das Problem von X als ein Problem, dass …
Eine vergleichbare Relation steht dem Verstehen nicht offen. Möglicherweise hängt das mit seiner lebensweltlichen Unhintergehbarkeit zusammen. Konsequent hat Heidegger das Erklären deshalb in den Horizont des Daseinsverstehens gerückt: »Alles Erklären wurzelt als verstehendes Entdecken des Unverständlichen im primären Verstehen des Daseins.«19 Demnach meint primäres Daseinsverstehen weder nur propositionales Informationswissen noch metaphysisches Ergründen, sondern schlicht: gelingenden Weltzugang. Erst wenn etwas Unverständliches Widerstand leistet, etwa im Misslingen einer sonst unproblematischen Tätigkeit wie dem Binden einer Schleife, werden wir zum Erklären herausgefordert. Darin aber ist das Erklären ebenso wenig Privileg der Naturwissenschaften wie das Verstehen exklusives Prinzip der Geisteswissenschaften.
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Halten wir fest, dass sich die symbolische Als-Struktur des Verstehens kaum auf Phänomene des Nichtverstehens anwenden lässt. Was nun das reflektierende Nichtverstehen anlangt, so zeigt es sich zunächst als ein Sich-nicht-Verstehen-auf-etwas. Auch dessen Beirrung bleibt noch in ein grundsätzliches Daseinsverstehen eingebettet, das sich in Gestalt der Verständnishorizonte des Selbst-, Weltund Fremdverständnisses20 wohl nie gänzlich auflöst.
4. Sich nicht verstehen auf etwas Verstehen ist nicht informativ. Darin unterscheidet es sich vom Wissen. Freilich ist die epistemologische Grenze zwischen Wissen und Verstehen nicht scharf gezogen. Schon alltagssprachlich überschneiden sich Bedeutung und Gebrauch von wissen und verstehen vielfältig. Wittgenstein hat beiden Formen einen Gutteil seines späteren Werks gewidmet. Über Gewissheit (1951) analysiert die Grammatik des Sprechakts »Ich weiß, dass …«, seine Philosophische Grammatik (1934) die des Sprechakts »Ich verstehe, dass …«. Während sich unser Wissen in der Regel objektivierten Gestalten gemeinsamer Intentionalität verdankt, die kraft Sprache bestimmte Wissensbestände mitteilt, bestätigt das Verstehen den subjektiven Nachvollzug eines bestimmten Informations- oder Handlungswissens. Im Unterschied zum Verstehen ist das Wissen von etwas in der Regel informativ und unteilbar, Verstehen hingegen reflexiv und partiell. Wohl lässt sich sagen (10) Ich verstehe diese Aufgabe nur zum Teil,
nicht aber (11) Ich weiß nur zum Teil, dass Sussex eine Grafschaft von England ist.21
Während Satz (11) sinnlos zu werden droht, erlaubt Satz (10) die Möglichkeit eines Teilerfassens von etwas. Verstehen hat keinen informativen, sondern interpretativen Gehalt. Wer weiß, dass sich Sodiumchlorid in Wasser auflöst, hat ein bestimmtes Propositionalwissen erworben. Wer sagt, er habe verstanden, dass sich Sodiumchlorid in Wasser auflöst, verfügt über Sich nicht verstehen auf etwas | 71
keine zusätzliche Information. Vielmehr soll etwas anderes mitgeteilt werden: dass das schon vorhandene Wissen im Verstehen als Wissen affirmiert wird. Verstehen ist folglich ein reflexiver Akt, der über einen Vorgang Rechenschaft gibt. Es ist Ausdruck eines Selbstverständnisses – und allenfalls in dieser Hinsicht »informativ«. Wenn Verstehen das Verstehen von Etwas als Etwas ist, dann scheint im Nichtverstehen genau dieses »als Etwas« problematisch zu werden. Deshalb bleibt das Nichtverstehen im Verstehen stets mitpräsent. Etwas anders steht es mit unserem Handlungswissen. Denn das Verstehen dieses Wissens umfasst nicht bloß die Kenntnis, was eine Information hergibt, sondern zugleich ein Können. Handlungswissen besteht in dem gelingenden Sich-verstehen-auf-etwas. Auch hier überschneidet sich die Pragmatik von Wissen und Verstehen. Eigentümlicherweise sagt man im Deutschen nicht (12) Ich verstehe, wie man einen Palstek bindet,
sondern (13) Ich weiß, wie man einen Palstek bindet.
Doch umfassen solche Tätigkeiten weniger ein Faktenwissen denn ein Können. Auch ist ein solches Sich-verstehen-auf-etwas durchaus tolerant gegenüber Anteilen eines Sich-nicht-verstehens auf dieses Etwas. Anders als Satz (11) ist der Satz (11´) Ich weiß nur zum Teil, wie man einen Palstek bindet
sinnvoll. Das Nichtverstehen als ein Sich-nicht-verstehen-auf-etwas kann folglich ein weites Spektrum von Nicht- oder nur Teilbeherrschung eines bestimmten Könnens umgreifen. Gilbert Ryle hat die Differenz von Wissen und Sich-verstehenauf-etwas in der Unterscheidung von knowing that und knowing how reflektiert. Indes wäre es irrig zu glauben, Ryle schlage das Verstehen-als auf die Seite des knowing that und das Sich-verstehen-auf-etwas schlicht auf die Seite des knowing how. Selbst wer Einsteins Gleichung E = mc2 als die populäre Formel der Speziellen Relativitätstheorie und diese wiederum als eine Beschreibungssprache physikalischer Wirklichkeit kennt, muss doch nichts von ihr begriffen haben im Sinne des Ermessens ihres propositionalen Gehalts (knowing that), geschweige denn im Sinne ihrer gelingenden 72 | Anoetik und Hermeneutik
Anwendung (knowing how). Vielmehr wollte Ryle mit dieser Unterscheidung die – wie er glaubte – »metaphysische« Dichotomie von Wissen und Können (und damit nicht zuletzt auch seine Unterscheidung selbst) untergraben. Denn das Können enthält schon ein bestimmtes, wenngleich oft implizites Wissen, während das Wissen stets auch ein Können erfordert. Hält man zunächst auseinander, dass das knowing how ein Wissen, Können oder Sich-verstehen-darauf umfasst, wie man etwas macht, und das knowing that das Wissen repräsentiert, was eine Information hergibt,22 so demonstriert Ryle zugleich, dass diese Unterscheidung nur eine provisorische, analytische sein kann. Denn gewiss lässt sich das botanische Wissen, wie man Bäume stutzt, eindeutig als ein knowing how und das Wissen, dass die Römer an dieser oder jener Stelle ein Lager aufgeschlagen hatten, eindeutig als ein knowing that klassifizieren. Doch schon das simple Wissen, dass das englische Wort für Messer »knife« ist,23 unterläuft diese Differenz: welcher Form des Wissens sollte es ausschließlich zugehören? Denn als knowing that ist es zugleich schon knowing how: wir können das Wort korrekt anwenden. Eine zweite Komplikation ist, dass ein knowing how auch ohne die Kenntnis seiner Regeln (eo ipso ein knowing that) erfolgreich sein kann. Wer gute Witze erzählt, muss sich nicht über die Charakteristika des guten Witzes begrifflich im Klaren sein. Es ist möglich, sagt Ryle, to perform intelligently ohne propositionale Instruktionen dafür zu haben, wie (how) sie ausgeführt werden: »Efficient practice precedes the theory of it.«24. Das Sich-verstehen-auf-etwas lässt beträchtlichen Spielraum im Verhältnis von Verstehen und Nichtverstehen zu. Es gestattet, im Unterschied zum unteilbaren Faktenwissen, ein Teilkönnen: (15) Ich verstehe mich nur bedingt aufs Schachspielen, ich habe nur ein sehr beschränktes Maß an Schachfähigkeiten,
obwohl dies das Verfügen über ein lückenloses propositionales Wissen (also knowing that) sämtlicher Schachregeln durchaus einschließen könnte. Auch das Metabewusstsein eines Sich-verstehens-auf kann Unverständnis enthalten: (16) Ich wüsste nicht, wie ich erklären soll, wie man einen Palstek bindet. Sich nicht verstehen auf etwas | 73
Plausibel lassen sich mit Ryles Analysen eine Reihe von Fragen der klassischen Hermeneutik klären. Auch machen sie deutlich, dass Verstehen alles andere als kognitives oder inferentielles Nachkonstruieren fremder Gedanken ist. Denn im Verstehen schließen wir nicht von den sichtbaren Handlungen auf dem Schachbrett auf unsichtbare, im Geist stattfindende Operationen – so wie wir von der Veränderung des Eisenbahnsignals auf das Umlegen eines Hebels im Bahnwärterhaus schließen. Dazu kennen wir nicht einmal die Wechselwirkungen (connections, interactions) zwischen Handlung und Geist, so wie wir die Drahtverbindung zwischen Signal und Bahnhaus kennen könnten. Wäre Fremdverstehen ein direktes Nachkonstruieren fremder Gedanken, so hätte noch nie jemand verstanden, was ein anderer gedacht, getan oder gesagt hat. Offensichtlich haben wir es nicht mit kausalen, sondern mit dispositionalen Beziehungen zu tun. Verstehen ist nicht das Erraten – Schleiermachers divination – okkulter geistiger Vorgänge oder die Kenntnis psychologischer Theorien,25 sondern ein schlichtes Sich-verstehenauf-etwas. Dabei können unsere Verstandestätigkeiten nicht als eingleisige Dispositionen aufgefasst werden, sondern nur als solche, »die eine große Vielfalt von einander mehr oder weniger unähnlichen Ausübungen zulassen«26. Auch heißt es nicht, dass die Bewertung einer Handlung den gleichen Grad des knowing how erforderte, wie die Ausführung der Handlung selbst.27 Verstehen, könnte man sagen, bleibt konstitutiv unabgeschlossen und erlaubt deshalb die Möglichkeit von Teilkenntnis (partial knowledge) oder Teilvollzug (partly following). Die instantane Auffassung von Fakten ist ein knowing that, der graduelle Vollzug von Fertigkeiten ein knowing how. Deshalb setzen Nicht- und Missverstehen stets eine partielle Kenntnis der nicht- oder missverstandenen Sache voraus. Das Missverstehen eines Manövers beim Kartenspiel setzt voraus, Kartenspielen zu können; und die falsche Verwendung russischer Ausdrücke erfordert zumindest die rudimentäre Kenntnis des Russischen. So richtig diese Einsichten, so sehr bleibt freilich auch Ryle noch im Bann jener positiven Hermeneutik, die das Nichtverstehen primär als zu beseitigenden Entzug des Verstehens begreift. Geht man stattdessen von einem primordialen Nichtverstehen aus (so wie das knowing how zunächst von einem Nichtkönnen 74 | Anoetik und Hermeneutik
ausgehen muss), das im Verstehen begrenzt, aber nicht beseitigt werden kann, dann wird plausibler, dass Verstehen nicht bloß das Bestimmen von Etwas als Etwas oder ein Sich-verstehen-auf-etwas umfasst, sondern auch die Anerkennung des an ihm selbst Nichtverstandenen.
5. Selbstunverständnis und Selbstmissverständnis In Lessings frühem Lustspiel Der junge Gelehrte ruft Damis’ Diener gegenüber seinem Herrn aus: (17) »Ich verstehe mich selbst nicht mehr.« (III/15)
In der Regel haben Äußerungen des Selbstunverständnisses einen retentionalen und einen normativen Sinn. Retentional, insofern man frühere Handlungen und Äußerungen nicht mehr versteht. Dann fällt es schwer, vergangene Motive nachzuvollziehen; vormalige Handlungsgründe sind uns entzogen; persönliche Einstellungen haben sich verwandelt. Auch frühere Texte werden uns unverständlich, weil sich Ansichten und Stilgefühl verändert haben; vielleicht auch, weil wir Fertigkeiten verloren haben, vermöge derer dieser Text nur geschrieben werden konnte. Normativ sind Äußerungen eines Selbstunverständnisses, wenn sie sich als Selbstkritik verstehen. Dann begreift man frühere Handlungen nicht mehr, bedauert ihre Konsequenzen. In diesem normativen Sinn zielen Unverständnisäußerungen allerdings oft selbst auf ein Verständnis – das Verständnis der anderen. Die Äußerung »Ich verstehe mich selbst nicht mehr« fungiert dann als eine Art Entschuldigung. Im Selbstunverständnis scheinen sich Verstehen und Nichtverstehen besonders stark zu durchdringen. Denn die »Personalidentität zwischen dem erlebenden und dem [zu] verstehenden Selbst«28 sorgt für eine Verstehensnähe, die im Normalfall einen Evidenzhorizont stiftet, aus welchem wir – Aufrufe wie (17) dokumentieren es – nur selten ausscheren. Wir verlassen dann für einen Moment unser Selbstverstehen, welches identisch ist mit Erleben. Wir sind in der Regel nicht in einem Strom des Selbstverstehens – denn das würde permanente Selbstreflexion bedeuten –, sondern in einem ununterbrochenen Erlebnisvollzug.29 Dieser scheint innezuhalten, Selbstunverständnis und Selbstmissverständnis | 75
wenn wir uns selbst nicht verstehen. Genau dann aber sind wir uns nicht mehr selbst der Nächste, sondern wie Nietzsche sagt: der Fernste. In dem Ausruf »Ich verstehe mich selbst nicht mehr« werden wir uns anders, nehmen die Position eines Anderen ein. Doch nur in dieser Entfremdung, kraft ihres Verkennens, gewinnen wir die Möglichkeit des Selbstverstehens. Zu deren Einsicht ist es nötig, aus dem normalen Evidenzvollzug herauszufallen und, wie momentan auch immer, ins Äußerste eines Selbstunverständnisses zu treten. Diese Form neutraler Selbstbeobachtung scheint notwendig, um ein eigenes Verständnis jenes Erlebens zu gewinnen, das wir gemeinhin Selbstverständnis nennen. Abhängig vom Erleben ist alles Sichselbstverstehen präreflexiv, vital, vorbegrifflich. Erst durch das Selbstunverständnis aufgeschreckt, reflektieren wir es als Selbstverständnis. Es ist so etwas wie die Summe aller Einbrüche des Selbstunverständnisses in unser Erleben. In der Tat ist »das Primäre des Sich-Selbstverstehens nicht das ›Nacherleben‹«30, sondern der Einfall der Reflexion ins Erleben. Authentizität erschöpft sich deshalb nicht schon in Selbstidentität. Erst im Nichtidentischwerden des Selbst kann dieses überhaupt auf sich als auf ein echtes oder authentisches zurückkommen. Sein Reflektieren ist dann ein Beurteilen, wodurch das Sichselbstverstehen als eine Selbstbeobachtung zuletzt auch zu einem Sichselbstbeurteilen wird.31 Damit kehrt auch die normative Perspektive des Selbstunverständnisses zurück. Denn im Selbstunverständnis bewerten wir uns ganz offensichtlich negativ und treten in Differenz zu unserem Selbstbild, also dem gemeinhin affirmativen Erlebensselbstverhältnis, das uns unmerklich begleitet. Erst jetzt lässt sich auch von der Normativität des Selbstunverständnisses selbst sprechen. Ohne Situationen eines Selbstunverständnisses könnten wir schwerlich überhaupt ein Selbstverständnis gewinnen. Wir wären reflexionslos identisch mit uns und unserem Tun. Um einen Satz Hölderlins zu variieren: Selbstunterschiedenes ist gut. Allerdings fällt die Normativität des Selbstunverständnisses nicht mit einer Normativität generellen Nichtverstehens zusammen. Denn die hartnäckige Normativität des Verstehens ist nur schwer zu überwinden. Wichtig ist das Moment des Selbstunverständnisses zumal für eine erneuerte Kritik des Konzepts der Introspek76 | Anoetik und Hermeneutik
tion. Auch vom Mythos der Introspektion als eines privilegierten Zugangs zum Selbst, wie ihn noch Diltheys »Intimität des Verstehens«32 unterstellt, hat Ryles sinnkritische Sprachanalyse nicht viel übrig gelassen. Ryle destruiert die sowohl rationalistische als auch empiristische Auffassung, der Geist besitze das Vermögen, seine eigenen Tätigkeiten (cognitive operations) zu erfassen. Verlockend scheint dieser Gedanke, weil er vom Ideal einer Übereinstimmung von Subjekt, Objekt und Medium der Selbsterfassung ausgeht. Zur Folge hätte dies aber nicht nur, dass der Geist als eine Form ständigen Gewahrwerdens bestimmt, sondern auch, dass ihm eine Form nichtsinnlicher innerer Wahrnehmung (also Introspektion) zugeschrieben werden müßte.33 In beiden Formen gewinnt das Selbst einen vermeintlich doppelt privilegierten Zugang der Irrtumsfreiheit. Erstens scheint die innere Wahrnehmung von überlegener Qualität gegenüber der äußeren; sie kann uns nicht täuschen. Zweitens legt sich eine Priorität der Genesis nahe: Das Bewusstsein kann nichts vor sich selbst zurückhalten. Mit guten Argumenten allerdings hält Ryle das Privileg eines solchen Erste-Person-Zugangs zur Selbstkenntnis für eine sprachlogische Verwirrung. Statt die Erkenntnis des Fremdpsychischen an der Selbstkenntnis zu messen, wäre das Selbstverstehen vielmehr am Modell des Fremdverstehens auszurichten: an der Beobachtung des Verhaltens des Anderen, am Verstehen seiner Äußerungen. Die vermeintliche Selbstevidenz des Mentalen wird auf mehrerlei Weise erschüttert. Schon im Zustand der Hypochondrie zeigt sich das Bewusstsein im Blick auf seine eigenen Körperempfindungen als irrtumsanfällig. Da wir auch nicht erst Handlungen bedenken, um sie dann auszuführen, gibt es im Selbst keine strikte Zweiheit von Überlegung und Ausführung. Eine solche Form der Selbstkenntnis führte zu einem Regress-Problem. Zwar können wir jederzeit – und das nennen wir »bewusst« – unsere Aufmerksamkeit auf Zustände lenken und zurücklenken, »so dass ich auf die Frage, was ich gerade gehört etc. habe, gewöhnlich eine richtige Antwort geben kann«34. Solche Erinnerungsberichte würden aber notwendig selbstbezüglich, wollten wir auf alles aufmerksam sein. Denn dann müssten wir auch auf diese Erinnerung aufmerksam werden, so dass sich die Aufmerksamkeit ständig selbst zum Inhalt Selbstunverständnis und Selbstmissverständnis | 77
machte. Diese Art Buchführung der Aufmerksamkeit kann kein Dauerzustand sein. Es wäre absurd zu glauben, wir wüssten ständig in einem nichtdispositionalen Sinn, was wir gerade tun. Diesem Dogma der »self-luminousness«: dass der Geist stets wisse, was er tut, weil seine seelischen Vorgänge per definitionem selbstevident seien, begegnet Ryle mit dem Argument, dass das Wissen von dem, was wir tun, nicht notwendig impliziert, ständig die eigenen Bewusstseinszustände abzuhorchen. Das Argument ruht auf drei Prämissen: (i) Auch alltagssprachlich beglaubigen wir Tatsachen nicht, indem wir auf unser Bewusstsein verweisen.35 Wir privilegieren also intuitiv nicht – wie es das Dogma behauptet – die Erste-Person-Perspektive. (ii) Bewusst zu wissen, was vorgeht, beruht auf einem logisch-grammatischen Missbrauch des Zeitworts »wissen«. Denn Wissen wird hier im Sinne von Anschauen oder Fühlen gebraucht. Wir sagen aber auch nicht: »Das Licht war mir zu schwach, um die Käserinde zu wissen«, wiewohl wir sagen können: »Ich weiß, dass ich jetzt Schmerzen habe«. Demgegenüber kann Wissen nur ein Wissen sein, was der Fall ist (knowing that) oder ein Wissen, wie etwas geht (knowing how). Eine ähnliche Paralogik kennzeichnet unsere Gefühlsäußerungen: »Ich fühle mich krank« – hier wird Wissen mit Wahrnehmen kontaminiert. (iii) Auch die vermeintliche Selbstoffenbarkeit im unmittelbaren Gegebensein der psychischen Zustände ist irrtumsanfällig. Zuweilen nehmen wir irrtümlich an, etwas zu wissen; täuschen uns über unsere Beweggründe; glauben, die Uhr ticken zu hören, auch wenn sie längst aufgehört hat. Von solchem Selbstunverständnis ist zuletzt das Selbstmissverständnis zu unterscheiden. Insofern es uns von anderen unterstellt wird, ist die Frage, ob wir uns selbst missverstehen können, nicht ganz leicht zu beantworten. Eindeutig scheint das Selbstmissverständnis zunächst nur in pathologischen Fällen: (18) Ich verstehe mich selbst als Napoleon.
Doch selbst hier lässt sich fragen, ob die Äußerung nicht durchaus einem subjektiven Selbstverständnis tatsächlich entspricht. Denn wer einen solchen Anspruch ernsthaft äußert, versteht sich zweifellos so. Davon unterscheidet sich der Fall:
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(19) Ich verstehe mich als den legitimen Nachfolger Gilbert Ryles.
Denn während (18) ohne jede Selbstdistanzierung geäußert wird, eröffnet Satz (19) eine notwendige Differenz zwischen dem realen Subjekt und dem selbstzugeschriebenen Prädikat »Nachfolger Gilbert Ryles«. Selbstmissverständnis lässt sich also zuschreiben nur aus der Perspektive einer Zweiten Person, welche die vorgeblich sich selbst missverstehende Erste Person besser zu verstehen glaubt, als diese sich selbst. Im pathologischen ersten Fall (18) wird eine solche Differenzierung in Erste und Zweite Person gar nicht erst vorgenommen, im zweiten Fall (19) hingegen wird sie getroffen, aber ebenfalls in ein und derselben Person vereinigt. In einem etwas anderen Sinn spricht Habermas etwa von Freuds szientistischem Selbstmissverständnis. Freud selbst glaubte, eine biologistischempirische Theorie des »seelischen Apparates« gegeben zu haben, die aber in Wahrheit als eine Art Kulturtheorie des Ich gelesen werden muss: »Freud hat nie daran gezweifelt, daß die Psychologie eine Naturwissenschaft sei. [Aber ihre Hypothesen erstrecken sich nicht] auf kausale Zusammenhänge beobachtbarer empirischer Erkenntnisse […].«36 »Diese Zwiespältigkeit des Interesses mag dazu beigetragen haben, daß Freud in der Tat eine neue Humanwissenschaft begründet, aber in ihr stets eine Naturwissenschaft gesehen hat.«37 Selbstverständnisse der eigenen Person und ihrer Handlungen verdanken sich Einbrüchen des Selbstunverständnisses in unser vorgängiges, affirmatives Daseinsverständnis. Solche Selbstunverständnisereignisse scheinen, gemäß Satz (17), ipso facto sprachlichdiskursiver Natur zu sein. Demgegenüber indizieren (szientistische oder pathologische) Selbstmissverständnisse ein Sich-selbst-nichtverstehen anderer Art. Denn sie vermeiden entweder jede Unterscheidung in erste und zweite Person oder werden aus einer Zweite- oder Dritte-Person-Perspektive gefällt. Diese können wir dann unter Umständen uns selbst gegenüber als die einer Ersten Person einnehmen und Selbstmissverständnisse, wenngleich stets retrospektiv, aufdecken.
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6. Anoetik: Phänomenologische Analytik der Sprechakte und Kategorientafel »Nichts verstanden was nicht construirt ist«38 – die klassische Hermeneutik wusste sehr wohl, wie sehr sich das Verstehen reflexiven Akten verdankt, die nicht auf Information, sondern auf Interpretation beruhen. Auch wird man keineswegs sagen können, sie habe das Nichtverstehen verdrängt. Seit ihren frühromantischen Anfängen hat die Hermeneutik die Achtung des Nichtverstehens als notwendiges Konstituens allen Verstehens begriffen. Gerade im höchsten Punkt des Verstehens reproduziert sich, wie Friedrich Schlegels frühromantisches Ideal unbewusster Produktivität bezeugt, eine grundsätzliche Unverständlichkeit: »Es ist eine hohe und viell[eicht] die lezte Stufe d[er] Geistesbildung, sich in die Sphäre d[er] Unverständlichkeit und Confusion selbst zu setzen. Das Verstehen des χα [Chaos] besteht im Anerkennen«.39 Mag Unverständlichkeit den Hintergrund allen Verstehens bilden und Voraussetzung jeden Weltverhältnisses sein, das auf Auslegung beruht, so war allerdings von Anbeginn auch unmissverständlich, dass sich vor dem Grund des Unverständlichen idealerweise stets die Figur eines möglichen Verstehens abheben sollte. Als »Kunst des Verstehens und Verständlichmachens«40 schien der Universalitätsanspruch der Hermeneutik schlecht bestreitbar und es konnte einem Nichtverstehen kaum das Wort geredet werden. Dass die normative Forderung eines Nichtverstehensollens absurd ist, legitimiert indes nicht schon die Normativität und Universalität des Verstehens. Auch kann Verstehen nicht bloß als Entzug eines ursprünglichen Nichtverstehens rekonstruiert werden. Um dem Eigensinn, um den Formen und Leistungen des Nichtverstehens ein angemessenes Analyseinstrumentarium zu verschaffen, bietet sich an, unter Nichtverstehen einen produktiven Vorgang zu fassen, der nach zwei Richtungen offen ist. Er kann sowohl ins Nichtwissen oder in die Unbegrifflichkeit (anoia) als auch zu einer je neuen Erkenntnis (epistêmê) führen. Doch auch für das negative Ergebnis des Nichtwissens ereignet sich im Nichtverstehen in der Regel immer schon eine Reflexion seiner Genese, Umstände und Konsequenzen. 80 | Anoetik und Hermeneutik
Unverständnis ist ebenso alltäglich wie allgegenwärtig; es ist Movens und Schranke unserer Erfahrung zugleich. Eine sprachphänomenologische Analytik des Anoetischen wird daher nicht einfach die Vorzeichen von Verstehen und Nichtverstehen umkehren können, sondern muss den Ort des Nichtverstehens im Verstehen ebenso aufsuchen wie den des Verstehens im Nichtverstehen. Beide laufen in Sprachspielen zusammen, die sich der Partizipation an bestimmten Praktiken verdanken, die, wie Wittgenstein zeigt, ihrerseits auf Lebensformen zurückverweisen. In ihnen haben sich Routinen der Kompensation von Nichtverstehen sedimentiert. Es gibt daher keine Normativität des Nichtverstehens, wohl aber dessen allgegenwärtige Normalität. Wir üben das Verständnis auch unverständlicher Redeweisen oder Praktiken im permanenten Umgang mit ihnen ein – so wie nur wenige verstehen, wie Computer funktionieren, wir gleichwohl ein praktisches Verständnis des gelingenden Umgangs mit ihnen haben. Solche Einübungen rufen Umgangsevidenzen hervor, in welchen Prozesse des Nichtverstehens mit solchen des Verstehens zusammengehen; sie machen uns das Unverständliche zugänglich, zuletzt vielleicht sogar umgänglich. Der produktive Vorgang des Nichtverstehens kann Dianoesis (aus dianoia und noêsis) heißen – in Anspielung auf Peirce’ Konzept der Produktivität des Zeichenprozesses im Interpretanten, Semiosis genannt. In der Dianoesis ereignet sich das Nichtverstehen im und am Verstehen als dessen nicht mehr reibungsloser Vollzug. Zunächst subjektivistisch interpretiert: die Person (oder das »plurale Subjekt«41) a vermeint einen Vorgang oder Sachverhalt F nicht zu verstehen und äußert dies. Das Nichtverstehen von F (= NVF) kann Anoêsis genannt werden, wobei in der Regel schon in der Nichtverstehensäußerung auf dieses Unverständnis sprachlich reagiert wird. Es wird einbekannt und anerkannt. Das Nichtverstehen kann dann zu einem Versuch des Verstehens oder besser: impliziten Erklärens (E) des Unverständnisses von F (= ENVF) führen und damit auf eine zweite Stufe, den Versuch des Begreifens dieses Nichtverstehens, gehoben werden. Es sucht nach dem »als Etwas«, als das der Sachverhalt verstanden werden könnte – oder aber nach einer Selbstexplikation des Unverständnisses. Dadurch wird das Nichtverstehen in dem Sinn produktiv, dass es zu einer bestimmten Form des Selbstverständnisses führt – ohne Analytik der Sprechakte und Kategorientafel | 81
dass dieser Prozess dadurch schon abgeschlossen sein oder aber stets in ein »positives« Wissen münden müsste (also zu einem »tatsächlich« Verstehen von F [=VF] führte). Die Leistung des Nichtverstehens könnte näher darin bestehen, dass der Eigensinn von ENVF gegenüber dem angestrebten VF anerkannt würde – eine Erkenntnis, die nicht ins Wissen (knowing), sondern in eine begründete Anerkennung (acknowledging) des Nichtverstehens führt.42 Während das Noetische und das Anoetische reine Limesbegriffe sind, ereignet sich alles konkrete (Nicht)Verstehen, das Dianoetische, in dem von diesen Grenzfällen eröffneten anoetischen Raum. Zum Zweck der Begriffsklärung als Analyse unterschiedlicher Dimensionen des Nichtverstehens empfiehlt es sich, auf alltägliche Sprechakte zu rekurrieren. Nicht unberechtigt scheint die Hoffnung, aus der zunächst disparat wirkenden Mannigfaltigkeit der Phänomene einige basale, wenngleich geschichtlich nicht invariante Formen und Kategorien ableiten zu können. Gewonnen würde eine unabgeschlossene Systematik, deren alltagssprachliches Fundament offen bleibt für eine Verwandlung der Formen selbst. Eine solche Analytik der Sprechakte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder lückenlose Systematizität, wohl aber einen Anspruch auf Explikationsgewinn durch Unterscheidungskriterien, die an konkrete normalsprachliche Phänomene gekoppelt sind. Die Äußerung (19) »Das verstehe ich nicht«
ist ein eo ipso sprachlicher Akt; auch dann, wenn wir ihn nicht aussprechen, sondern denken. Denn er setzt bereits eine Reflexion über das Nichtverstandene als Nichtverstandenes voraus und damit dessen Gewahrwerden. Was wir nicht verstehen, weil es unserer Aufmerksamkeit als Unverstandenes entgeht, bleibt unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: weder als Verstandenes noch als Unverstandenes, sondern schlicht als ein Nichtbemerktes. Überhaupt ist das Verhältnis von Verstehen und Nichtverstehen dem Wahrnehmungsakt vergleichbar. So wie wir beim Wahrnehmen das Marginale im Wahrnehmungsbild abschatten und uns auf das Zentrale konzentrieren, so schatten wir im Verstehen das ab, was wir nicht verstehen. Gleichwohl bleibt das Unverstandene als Leerintention mitpräsent. Deshalb ist Nichtverstehen auch nicht einfach der Reflexionsbegriff zu Verstehen, geschweige denn die 82 | Anoetik und Hermeneutik
bestimmte Negation des Verstehens, sondern dessen notwendiges »by-product«43. Freilich muss es der Anoetik als der Analytik des Nichtverstehens darum zu tun sein, das Verstehen auch als Nebenprodukt des Nichtverstehens zu erweisen. Dass wir unser Unverständnis in der Regel äußern, versprachlichen und damit bereits objektivieren, gibt die unhintergehbare sprachpragmatische Grundlage der folgenden, sprachphänomenologischen Typologie und Kategorientafel des Nichtverstehens. Maßgeblich ist die Intuition, Kategorien des Nichtverstehens nicht aus der schlichten Umkehrung klassischer hermeneutischer Verstehenskonzepte zu gewinnen. Auch in diesem Sinn stellt die folgende Typologie kein geschlossenes System dar. Noch weniger beruht sie, wie Kants berühmte Tafel,44 auf einer Analytik der logischen Urteilsformen. Vielmehr handelt es sich um eine offene Ordnung realer, einfacher, alltagssprachlicher Akte. Sätze verschiedenen Typs, die sich nach verschiedenen sprachpragmatischen Situationen unterscheiden lassen, konstituieren eine unabgeschlossene Tektonik möglicher Verstehens- und Nichtverstehensqualitäten, -dispositionen und -modi. Im Folgenden seien, in all ihrer Selbstverständlichkeit, einige dieser basalen Satztypen aufgezählt: (a) Ich kann Dich nicht verstehen. (Ausdrucksunverständnis) (b) Ich verstehe Deinen Ärger nicht. (Einfühlungsunverständnis) (c) Ich verstehe diese (z. B. mathematische) Aufgabe nicht. (Zusammenhangsunverständnis) (d) Das kann/werde ich nie verstehen. (Nichtverstehenkönnen) (e) Das soll ich auch gar nicht verstehen. (Nichtverstehensollen bzw. Nichtverstehendürfen) (f) Das will ich einfach nicht verstehen. (Nichtverstehenwollen)
Satztypus und pragmatische Situation können ferner nach den unterschiedlichen Modi des unmöglichen Verstehens, des faktischen Nichtverstehens oder des zufälligen bzw. notwendigen Nichtverstehens unterschieden werden: Missverständnis, Falschverstehen, Teilverständnis. So ergibt sich vor dem Hintergrund des ebenso überraschenden wie theorierelevanten Reichtums alltagssprachlicher Sprechaktformen einigermaßen zwanglos die folgende Kategorienordnung anoetischer Vorgänge:
Analytik der Sprechakte und Kategorientafel | 83
Nichtverstehensdispositionen Nichtverstehenkönnen Nichtverstehensollen Nichtverstehenwollen ichtverstehensqualitäten Nichtverstehensmodi N Ausdrucksunverständnis un/mögliches Unverständnis Einfühlungsunverständnis Anoetik faktisches Unverständnis* Zusammenhangs- zufälliges/notwendiges unverständnis Unverständnis Verständnishorizonte Weltunverständnis Fremdunverständnis Selbstunverständnis
So trivial die unter (a) bis (f) – sowie im Folgenden unter (g) bis (i) – gegebenen Beispiele, so irreduzibel sind die Beirrungsvorgänge, die sich in ihnen als Formen unseres Nichtverstehens anmelden. Ihre Komplexität zeigt sich allerdings rasch, sobald verschiedene Typen bzw. Kategorien verbunden werden. So sind Fälle denkbar, in denen sich Einfühlungs- und Zusammenhangsunverständnis verbinden; oder auch Fälle, in denen das Einfühlungsunverständnis noch etwas spezifisch anderes meint als Fremdunverständnis. Dann kommt eine besondere Begriffsdialektik von Verstehen und Erklären ins Spiel. Denn möglicherweise lassen sich kannibalistische Praktiken aus europäischer Sicht nicht verstehen, wohl aber erklären. Auch können sich Nichtverstehensdispositionen in unterschiedlichen Nichtverstehensmodi äußern: Das Nichtverstehenkönnen verweist auf ein zufälliges oder notwendiges Unverständnis zurück. Entsprechend soll das Modell eine größtmögliche Kombinatorik für Untersuchungsgegenstände verschiedener, nicht nur kultur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen erlauben.
* Das faktische Unverständnis schließt die zu unterscheidenden Formen des Missverstehens, Teilverstehens und Falschverstehens ein. 84 | Anoetik und Hermeneutik
7. Erste Kategorie: Verständnishorizonte Die grundlegende Kategoriengruppe der »Verständnishorizonte« wird im Oberbegriff nicht negativiert. Diese bestreitbare terminologische Entscheidung beruht auf der Einsicht, dass sich Verstehen und Nichtverstehen immer schon in Verständnishorizonten eines Vorverständnisses bewegen, in denen Unverständnis nur temporär, nicht aber konstitutiv sein kann – wenn anders gelingendes Selbstsein, ja bereits schlichtes Zurechtkommen in der Welt möglich bleiben soll. Von »Unverständnishorizonten« auszugehen, scheint widersinnig. Anders gesagt: Es ist wenig plausibel anzunehmen, dass wir permanent nichts verstehen. Gleichwohl finden sich auch hier Sprechaktformen, die solche produktiv suspendierten oder »verrückten« Vorverständnisse anzeigen: (g) Ich versteh’ die Welt nicht mehr. (Weltunverständnis) (h) Ich kann Dich nicht verstehen. (Fremdunverständnis) (i) Ich versteh’ mich selbst nicht mehr. (Selbstunverständnis)
Im Unterschied zu den ähnlich formulierten Satztypen (a) und (b) werden (g) und (h) seltener geäußert und meinen in ihrem Kontext in der Regel weniger Selbstverständliches. Gleichwohl umreißen die Verständnishorizonte auch den ganz alltäglichen Möglichkeitsraum eines Sich-Verstehens-auf. Weltverständnis meint nicht, dass wir die Welt verstehen, sondern dass wir uns auf die Welt verstehen; dass wir uns einigermaßen in ihr zurechtfinden. Daher fallen Verständnishorizonte auch nicht schon mit Verstehensqualitäten zusammen. Heidegger hat das, was hier Verständnishorizonte heißt, Daseinsverstehen genannt. Danach trifft unser primär praktisches Verhältnis zur Welt dankbarerweise stets auf deren »Erschlossenheit« für und durch uns. Welt verschließt sich nicht prinzipiell unserem Verstehen, zu dessen Bedingungen stets auch die je geschichtliche Situation des »Mitseins« mit Anderen gehört. Auch dadurch haben die Verstehenshorizonte – Heideggers »existenziales Verstehen«45 – eine solch hartnäckige Evidenz. Dennoch ist deren Beirrung, Suspension oder Verschiebung, ebenso notwendig wie folgenreich. Dies lässt sehen, dass die Einseitigkeit der klassischen Hermeneutik nicht darin bestand, das Nichtverstehen verdrängt, sondern darin, die Verstehensform des Nachvollzugs und Rekonstruierens priviErste Kategorie: Verständnishorizonte | 85
legiert zu haben. Einseitig war es, das Nichtverstehen an den Anfang allen Verständnisses gesetzt zu haben; einseitig der Wunsch nach subjektiver Auflösung der Dialektik des Verstehens im Nichtverstehen und des Nichtverstehens im Verstehen. Zu den Axiomen der traditionellen Hermeneutik gehörte der Grundsatz, dass »das Nichtverstehen sich niemals gänzlich auflösen will«, insofern »jede [Seele] in ihrem einzelnen Sein das Nichtsein der anderen ist«46. Für Schleiermacher stößt jedes Verstehen absehbar an die Grenzen unserer Verstehenshorizonte. Als Einfühlungs- und Nachvollzugsverständnis hat jedes individuelle Verständnis seine natürliche Schranke vor allem am Verstehen des Fremdpsychischen. Man kann darüber streiten, ob das Fremdunverständnis die möglicherweise häufigste Erfahrung ist; auch darüber, ob es Vorrang vor den beiden anderen Formen basalen Nichtverstehens genießt. Klar scheint, dass sie nur individuell erfahren werden können, um dennoch sinnvoll auch für Beschreibungen von Kollektivzuständen verwendet zu werden. Schleiermachers Hermeneutik jedenfalls wurde das subjektive Nichtverstehen zum Muster, welches er wiederum am Muster des »Nichtverstehen[s] der [zweideutigen oder unbestimmten] Rede«47 orientierte. Verstehen kam deshalb primär als Auslegung sprachlicher Äußerungen in den Blick – das die zweite Einseitigkeit der Hermeneutik –, welches entweder als grammatische Interpretation den objektiven Sinn der syntaktisch strukturierten Teile nachzuvollziehen oder als technische/psychologische Interpretation den subjektiven Sinn, der dem zu Verstehenden beigelegt wurde, zu dekodieren sucht.48 Diesem Verständnis schreibt Schleiermacher eine quantitative Perspektive zu, nach der zu ermitteln ist, ob »Wort und Sache, Rede und Gedanke einander richtig entsprechen« sowie eine qualitative Seite, nach welcher der »Gehalt richtig auszumitteln« ist (z. B. Trennung von Haupt- und Nebensächlichem).49 Verstehen im Ganzen wird zur »Kunst« des »geschichtlichen und divinatorischen objectiven und subjectiven Nachconstruiren[s] der gegebenen Rede«. Ihr Ziel ist, diese Rede »zuerst eben so gut und dann besser zu verstehen als ihr Urheber«50. Darin liegt die Kunst der verstehenden Rekonstruktion: »Man hat nur verstanden, was man in allen seinen Beziehungen und in seinem Zusammenhange 86 | Anoetik und Hermeneutik
nachconstruirt hat«51, wobei alles Verstehen »ein provisorisches« bleiben muss.52 Dieser Zusatz bringt die anoetisch wohl entscheidende Einsicht in die Verständnishorizonte auf den Begriff: Unser Welt-, Fremd- und Selbstverständnis ist zwar nicht dauerhaft zu beirren, aber gerade deshalb bleibt es stets provisorisch. So konnte Schleiermachers Hermeneutik vom ursprünglichen Nichtverstehen als einem dunklen Raum ausgehen, in den das Licht des Verstehens bricht, um die Dunkelheit Stück für Stück zu verdrängen. Diesem fast kabbalistischen Gedanken stellt die phänomenologische Analytik des Nichtverstehens eine andere Erfahrung zur Seite. Sie geht aus vom Schein des alltäglich immer schon Verstandenhabens, welches intensiver Prüfung und Belastung nicht standhält und Schritt für Schritt Räume des Nichtverstehens zugeben, eben: einräumen muss. Die Anoetik setzt das Staunen sowohl darüber, dass wir etwas nicht verstehen als auch darüber, dass wir überhaupt etwas verstehen und nicht vielmehr nichts, erneut in ihr philosophisches Recht.
8. Zweite Kategorie: Nichtverstehensqualitäten Die zweite Kategorie von Nichtverstehenstopoi lässt sich, wohl als einzige, primär dadurch kennzeichnen, dass sie die klassischen Verstehensqualitäten schlicht umkehrt oder verneint: Ausdrucksverstehen, Einfühlungsverstehen, Zusammenhangsverstehen.53 Allgemein meint Ausdrucksverstehen die gelingende Auffassung des Sinns sprachlicher Äußerungen. Es ist von verschiedenen Voraussetzungen abhängig: der akustischen oder optischen Klarheit von Übertragungswegen, den geistigen Kapazitäten der Verstehensteilnehmer, ihrem Fremdsprachvermögen etc. So ist der Satz: (a) Ich kann Dich nicht verstehen
durch eine verzerrte Übertragung der zum Verstehen notwendigen Signale motiviert. Einfühlungsverstehen wird der gelingende Nachvollzug seelischer Vorgänge und Motive genannt: (b) Ich verstehe Deinen Ärger nicht. Zweite Kategorie: Nichtverstehensqualitäten | 87
Voraussetzungen sind bestimmte Vermögen des Nachvollzugs, Erinnerns, Hineinversetzens, auch der Empathie. Ausdrucksverstehen und Einfühlungsverstehen können auseinanderweisen, etwa in solchen Fällen, wo wir jedes Wort einer Äußerung verstehen, nicht aber ihr Motiv. Seit der Hermeneutik Schleiermachers hat das Einfühlungsverständnis oder, etwa bei Wundt und Dilthey, das Nachvollzugsverstehen alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Noch Theodor Abels berühmter Aufsatz »The Operation called ›Verstehen‹« geht von einer behavioristischen Variante des Motivationsverstehens aus, die das Spezifische menschlichen Verhaltens in jenem Einfühlungsverstehen erblickt, welches in der »Anwendung persönlicher Erfahrung auf ein beobachtetes Verhalten« gründet. Dessen Daten verknüpfen wir in der Regel so, dass wir sie mit Vorkommnissen parallelisieren, die wir »durch Selbstbeobachtung kennen«54. Dass es sich dabei stets nur um eine mögliche sinnvolle Verknüpfung dieser Daten handeln kann, bedeutet freilich, dass es sich beim Einfühlungsverstehen (empathy) nicht eigentlich um eine Methode, sondern nur um ein heuristisches Prinzip handeln kann. Denn nichts an den selbstbeobachtungsaffinen Datenverknüpfungen kann für Gewissheit, geschweige denn Notwendigkeit verbürgen, solange sie in den Grenzen persönlicher Erfahrungshorizonte verbleiben. So triftig Abels Darstellung in diesem Punkt, so sehr unterschlägt sie in ihrer offensichtlichen Abhängigkeit vom Primat der Realitätserfahrung, dass ein solches Verstehen zugleich über das bloße Formulieren von Verhaltensmaximen und möglicher Kausalerklärungen hinausgeht. Denn indem der Verstehende stets auch andere Verknüpfungen imaginieren könnte, indem er überhaupt zu einer bestimmten Hypothese über das beobachtete Verhalten oft bereits verschiedene Möglichkeiten durchgespielt hat, wird der rein persönliche Erlebnishorizont zugleich schon überschritten. Das mag nichts an der Tatsache ändern, dass alle diese durchgespielten Möglichkeiten stets fallible Interpretation des beobachteten Verhaltens gemäß einem heuristischen Prinzip bleiben. Es zeigt allerdings auch, dass das Einfühlungsverstehen nur ein bestimmter, keineswegs privilegierter Fall der »Operation« Verstehen sein kann, welcher zudem ins Zusammenhangsverstehen hinüberspielt. 88 | Anoetik und Hermeneutik
Zusammenhangsverstehen heißt die Nachkonstruktion von Zusammenhängen, Kausalbeziehungen, Reihen. Man versteht den Aufbau einer Zahlenreihe, wenn man sie über das letzte angegebene Glied hinaus korrekt fortführen kann. Hier meint Verstehen richtiges Fortsetzen von objektivierten Gedanken oder den Gebrauch erlernter Fähigkeiten. Wittgenstein allerdings weist auf den nicht bloß mechanisch-nachkonstruierenden, sondern zugleich interpretierenden Gehalt solchen Zusammenhangsverstehens hin: »Schreiben wir den Befehl[,] die Quadrate einer Reihe von Zahlen zu bilden[,] in der Form einer Tabelle so: x 1 2 3 x2 – Es scheint uns, als ob wir dem Befehl durch das Verstehen etwas hinzufügen, was die Lücke zwischen Befehl und Ausführung füllt. So daß wir Einem, der sagt, ›aber Du verstehst ihn ja, er ist also nicht unvollständig‹ antworten könnten: ›Ja ich verstehe ihn, aber nur, weil ich noch etwas hinzufüge; die Deutung nämlich‹.«55
In der Tat sind selbst Zahlenfolgen der Deutung bedürftig: 2, 4, 6 kann mit 8, aber auch mit 50 fortgesetzt werden – wodurch sich eine andere Zahlenreihe ergibt. Die letzte Zahl erzeugt gleichsam erst die Reihe. Wittgenstein führt dies zu einer Gebrauchstheorie des Verstehens, die für Worte und Sätze gilt: »›Ein Wort verstehen‹ kann heißen: Wissen, wie es gebraucht wird; es anwenden können.«56 Der Ausruf (c) Ich verstehe diese Aufgabe nicht
würde dann das Unvermögen eines Zusammenhangsverstehens anzeigen. Qualitativ kann Unverständnis begriffen werden als Nichtverstehenkönnen akustischer oder sinnvoller Äußerungen; als Nichteinfühlenkönnen in die »Lebensäußerungen« (Dilthey) anderer; als Nichtnachvollziehenkönnen von logischen, kausalen oder dispositionalen Zusammenhängen; als ein Nichtgebrauchenkönnen von Worten oder Sätzen im Kontext ihrer Sprachspiele. Rückübersetzt in die Terminologie der Hermeneutik Schleiermachers und Diltheys: Nichtverstehensqualitäten bezeichnen verschiedene Arten des Nichtrekonstruierenkönnens von Sinn. Zweite Kategorie: Nichtverstehensqualitäten | 89
9. Dritte Kategorie: Nichtverstehensdispositionen Dass sich Nichtverstehen »niemals gänzlich auflösen« wird, gründet wohl weniger in der Ineffabilität des Individuums, wie noch Schleiermacher meinte. Mit Ryle und der analytischen Tradition lässt es sich vielmehr dadurch erklären, dass Verstehen ein Begriff für das Erfassen dispositionaler, weniger kausaler Verhältnisse ist. Damit gewönne man vielleicht auch Diltheys Dichotomie von geistes- und naturwissenschaftlichem Methodenprinzip einen neuen Sinn ab, ohne seiner Disjunktion zu erliegen. Denn bei dispositionalen Zuschreibungen, auf denen viele Tätigkeiten des menschlichen Geistes beruhen, ist die Kette der Umstände, die sie beschreiben, nicht einfach kausal verknüpft. Wenn ich verstehe, dass X ein Erbschleicher ist, reicht es aus zu verstehen, dass X zu diesem Zweck seinen Onkel Y besucht; es ist nicht nötig, seine Entscheidung zu verstehen, dafür den Bus und nicht das Taxi zu nehmen; es ist nicht nötig, nachzuvollziehen, warum er dazu das Ticket am Terminal A und nicht am Terminal B erwarb etc. Auch Entscheidungen sind in ihren dispositionalen Implikationen oft undurchsichtig und dennoch würden wir sagen: Wir verstehen sie. Die Entscheidung, sich zu immatrikulieren, kann problemlos getroffen und verstanden werden, ohne jeden einzelnen der dazu nötigen Schritte vorher durchgegangen zu sein. Dispositionale Zuschreibungen bestimmen Verhaltensweisen, wie sich eine Sache unter gegebenen Umständen, d. h. seinen Manifestationsgesetzen, verhalten wird.57 Deshalb lassen sich Dispositionsbegriffe auch dann einer Sache zuordnen, wenn dieses Verhalten nicht verursacht wird. Die Glasscheibe wäre auch dann zerbrechlich, wenn sie nie zerbrochen würde. Daher gehören Dispositionsaussagen wie: »Diese Scheibe ist zerbrechlich« einem grundsätzlich anderen Aussagetypus an als der Satz: »Diese Scheibe ist zerbrochen«. Dispositionsprädikate lassen sich daher kaum definieren, ihre Manifestationsgesetze sich nicht restlos angeben. Einen Weberknoten binden zu können, heißt nicht notwendig, auch beschreiben zu können, wie man ihn bindet. Umgekehrt kann jemand an der Tafel ein Schaubild der Knotenbindung erläutern, ohne jemals einen solchen Knoten gebunden zu haben. Dispositionen sind Möglichkeiten von Handlungen; Vorgänge sind empirisch fassbare, realisierte Handlungen. 90 | Anoetik und Hermeneutik
All das könnte dazu verleiten, das Ausdrucks- und Einfühlungsverstehen als Prinzip der Geistes-, das Zusammenhangsverstehen hingegen als das der Naturwissenschaften zu bestimmen. Dieser Unterscheidung lässt sich nicht mehr folgen. Nicht vollends unplausibel ist zwar die Intuition, Naturwissenschaften hätten es vor allem mit Kausalfragen und Vorgangsvoraussagen, die Geisteswissenschaften hingegen vor allem mit Dispositionsaussagen und Bedeutungsphänomenen zu tun. Doch beide Wissenskulturen schöpfen aus einem gemeinsamen Fundus von Theorie- und Aussagentypen, dem sowohl Kausal- als auch Dispositionsaussagen angehören. Deshalb sind geisteswissenschaftliche Methoden zwar dazu da, Verstehen zu befördern, doch ist Verstehen nicht selbst das exklusive methodische Prinzip der Geisteswissenschaften.58 Wenn Verstehen nicht mehr primär ein Nachvollziehen von Kausalzusammenhängen, sondern ein Bedenken dispositionaler Verhältnisse eines Zu-Verstehenden ist, dann könnte der Anteil des Nichtverstehens die opak bleibenden kausalen Implikationen betreffen. Anders bei Erklärungen: Auch sie können es natürlich mit dispositionalen Verhältnissen zu tun haben, sollten diese aber, jedenfalls in den Naturwissenschaften, für eine wissenschaftlich valide Erkenntnis einigermaßen lückenlos aufklären können. Diese dispositionalen Zusammenhänge können nun ihrerseits von verschiedenen Verstehensdispositionen erfasst oder nicht erfasst werden. Deren jeweilige Negation ergibt die Kategorie der Nichtverstehensdispositionen: Nichtverstehenkönnen, Nichtverstehensollen, Nichtverstehenwollen. Wie sehr unser Verstehen auf dispositionalem Wissen beruht, erläutert ein Beispiel Wittgensteins: »›Ich weiß, daß ich im letzten Monat täglich gebadet habe.‹ Woran erinnre ich mich? An jeden Tag und das Bad an jedem Morgen? Nein. Ich weiß, daß ich jeden Tag gebadet habe, und ich entnehme das nicht aus einem andern unmittelbaren Datum.«59 Nicht jede einzelne Begebenheit wird erinnert und ausgefaltet, sondern alle unter »Baden« fallenden Begebenheiten sind eingefaltet in ein unterschiedsloses Wissen ihrer täglichen Verrichtung im Monat X. Die Begebenheiten sind verdichtet zu einer sprachabhängigen Tatsache, von der ich weiß, indem ich sie verstehe. Die Philosophische Grammatik aus den frühen 1930er Jahren versammelt Wittgensteins Auslegungen der Grammatik des Begriffs Dritte Kategorie: Nichtverstehensdispositionen | 91
»Verstehen«. »Grammatik« nennt der spätere Wittgenstein bekanntlich ein sozial eingebettetes Regelsystem, das den Gebrauch der Wörter reguliert und dadurch ihre Bedeutung hervorbringt. Grammatik, so verstanden, meint ein System von Konventionen.60 Nun lässt sich allerdings eine eigene sprachanalytische Hermeneutik des Nichtverstehens aus Wittgensteins Philosophischer Grammatik nur implizit gewinnen. Ähnlich Ryle geht es Wittgenstein um eine Gebrauchstheorie des Verstehens, die auf dem Grundsatz beruht: »Wie kann man vom ›Verstehen‹ und ›Nicht verstehen‹ eines Satzes reden; ist es nicht erst ein Satz, wenn man es versteht?«61 Man kann hier schlecht davon absehen, worauf sich eigentlich das zweite »es« grammatisch beziehen soll – denn es kann syntaktisch nur das Verstehen (= Neutrum), nicht den Satz (= Maskulinum) meinen. Formuliert Wittgenstein korrekt, so besagte die Äußerung: Für uns ist ein Satz erst ein Satz, wenn wir sein Nichtverstehen verstehen. Erst unser Verstehen oder Nichtverstehen macht einen Satz zum Satz – nicht schon seine grammatische Form oder die Kenntnis der Wörter. Wittgenstein begreift das Verstehen eines Satzes pragmatisch als sein Anwendenkönnen: »Wenn ›einen Satz verstehen‹ heißt: in irgend einer Weise nach ihm handeln, dann kann das Verständnis nicht die Bedingung dafür sein, daß wir nach ihm handeln.«62 Es wäre demnach eher umgekehrt: Indem er Handlung ermöglicht, verstehen wir ihn. Wir verstehen den Schachzug e2–e4, weil wir ihn sinnvoll ausführen können; vielleicht auch aufgrund unseres impliziten Handlungswissens, welche Vorentscheidung durch diese Spieleröffnung bereits getroffen wurde. Das Nichtverstehen eines Satzes hieße umgekehrt: Nicht wissen, wie er angewendet werden kann. Dann verstehen wir uns nicht auf diejenige Sache, deren »Grammatik« der Satz enthält. Eine andere Form des Nichtverstehens ist durch den zweiten Pol der »Hermeneutik« Wittgensteins gesetzt: Verstehen heißt, »entdecken, daß ein Satz keinen Sinn hat«63. Auch dies ließe sich durch Anwendung prüfen: Sinnlos ist der Ausdruck »Dieses Grün ist oder«64, weil sich kein sinnvoller Zusammenhang denken lässt, in welchem er – außer zu Demonstrationszwecken sprachphilosophischer Art – Anwendung finden kann. Dieses Nichtanwendenkönnen erzeugt dann freilich ein Verstehen zweiter Ordnung: Wir verstehen (d. h. 92 | Anoetik und Hermeneutik
wir können uns erklären), warum ein Satz keinen Sinn zu haben scheint, so dass wir ihn nicht verstehen können. Um Begriffskollisionen innerhalb einer typentheoretischen Tektonik des Verstehens zu vermeiden, böte sich an, zwischen dem (Nicht)Verstehen erster Ordnung, einem (Nicht)Verstehen zweiter Ordnung als Erklären oder Nichterklärenkönnen und einer dritten Ordnung des Verstehens, nämlich der Explikation des Nichterklärenkönnens bzw. des Verstehens unseres Unverständnisses zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund ließe sich das Nichtverstehenkönnen entweder als Unvermögen im Gebrauch von Sätzen, als unbewusster Missbrauch von Sätzen (unintendierte Sinnentstellung) oder als bewusster Missbrauch von Sätzen (Sinnentstellung) bestimmen. Nichtverstehenkönnen wäre dann ein akzidentell bedingtes Unvermögen im Ausdrucksverstehen (etwa durch physische oder physiologische Handicaps): (a) Ich kann Dich nicht verstehen (ein Umstand, aus dem sich bekanntlich Johann Peter Hebels Geschichte des »Kannit verstan« entspinnt)
oder ein an seine Grenzen Stoßen unseres Einfühlungsverstehens: (b´) Ich kann das nicht verstehen (nachempfinden)
oder ein Mangel des Zusammenhangsverstehens aufgrund unzureichender kognitiver Kapazitäten oder Unkenntnis methodischer Praktiken: (d) Das werde ich nie verstehen.
Nichtverstehensollen: Der dritte Fall des Nichtverstehenkönnens durch bewusste Sinnentstellung weist bereits hinüber auf die Disposition des Nichtverstehensollens. Es mag eine sinnvolle pädagogische Maßnahme sein, Kinder nicht alle Inhalte eines Erwachsenengesprächs verstehen zu lassen: (e) Das sollst Du gar nicht verstehen.
Dann verstehen Kinder, dass sie hier nichts verstehen sollen (und bemühen sich möglicherweise umso angestrengter um ein Verständnis des Gesagten). Dieser Fall berührt auch das Nichtverstehenmüssen, welches in der hier zur Diskussion gestellten Analytik Dritte Kategorie: Nichtverstehensdispositionen | 93
nicht als eigener Verstehensmodus, sondern als Unterart des Modus des Nichtverstehensollens bestimmt wird. Das zeigt die Äußerung (e´) Das musst Du auch gar nicht verstehen,
die zugleich einen anderen Aspekt des Nichtverstehensollens beleuchtet. Denn auch Rätsel, Codes und Geheimschriften sollen von der Mehrzahl der Personen nicht verstanden werden. Dann wird Nichtverstehen normativ im Blick auf eine Außenwelt. Unverständlich sollen solche Sprachen nur für Nichteingeweihte sein. Grundsätzlich aber verweigern sie sich nicht per se dem Verstehenkönnen, insofern sie einen entsprechenden Codeschlüssel bereithalten. Freimaurerschriften, Gaunerzinken und verschlüsselte Codes lassen sich prinzipiell verstehen. Ihr Sinn ist nicht entstellt, sondern verborgen. Kein sinnvolles Rätsel ohne seine prinzipielle (wenngleich möglicherweise nie zu erlangende) Lösung. Die Kryptographie verbirgt nur, was die Kryptoanalyse wieder zu entbergen sucht. Das Nichtverstehensollen verweigert sich nicht dem Verstehen, sondern will verhindern, worauf es selbst beruht. Nichtverstehenwollen: Demgegenüber verweigert sich das Nichtverstehenwollen einer bestimmten Evidenzpraxis. Es setzt sich in ein bewusstes Verhältnis der Differenz. Im Nichtverstehenwollen wird Verstehen explizit negiert. Es gründet gerade nicht auf einem Nichtverstehenkönnen von Ausdrücken, Gefühlen oder Zusammenhängen, sondern lebt von dessen Leugnung. Das Nichtverstehenwollen behauptet aus taktischen Gründen das Misslingen des Verstehens. Es stellt sich taub oder dumm; oder es verbaut sich durch eine bestimmte Voreinstellung bewusst das Verständnis. Der Ausdruck (f´) Du willst mich nicht verstehen
ist ein Vorwurf, der gerade nicht einen Mangel an Verstehen, sondern die mangelnde Bereitschaft zum Verständnis, zur Einfühlung als Einverständnis meint. Eine Verweigerungshaltung wie (f) Das will ich gar nicht verstehen
signalisiert in der Regel ein bewusstes Sich-Verschließen vor einer Begebenheit, mit der wir nicht einverstanden sind. Es ist freiwillige Ignoranz, die möglicherweise vor späteren Folgen bewahren soll. 94 | Anoetik und Hermeneutik
Auch die Wendung, die man je nach Zuordnung ebenso gut als (a´), (b´) oder (c´) kategorisiert werden könnte: (f´´) Das will mir nicht einleuchten
zeigt ein Nichteinverständnis in argumentativen Zusammenhängen an. Auch hat nicht der Hörer oder die Hörerin die Sache nicht verstanden, sondern will eine Differenz zu ihr markieren. Nichtverstehensdispositionen beruhen entweder auf Formen eines Unvermögens, eines Sinnverbergens oder eines Sinnverweigerns, die sich aus dem jeweiligen pragmatischen Kontext ergeben und eine Art Anwendung der Nichtverstehensqualitäten darstellen.
10. Vierte Kategorie: Nichtverstehensmodi Einer Analyse der Nichtverstehensmodi stellt sich neben den klassischen ontologischen Problemen der Modalanalyse65 das Problem ihrer Unreduzierbarkeit auf eindeutige Satztypen. Deshalb sind die Satztypen (a) bis (i) primordial auf die fundamentalen Modi von Wirklichkeit und Unwirklichkeit etc. immer schon rückbezogen, bringen aber keine spezifisch eigenen Typen hervor. Ein Satz wie (a) Ich kann Dich nicht verstehen
drückt ein faktisches Unverständnis aus, das zugleich ein zufälliges, kontingentes Nichtverstehen sein könnte, etwa wenn eine bessere Übertragungsqualität zum faktischen Verständnis verholfen haben würde. Ein solches Unverständnis wäre zumindest nicht unmöglich. Bei einem Satz wie (b) Ich verstehe Deinen Ärger nicht
ließe sich nach der Unmöglichkeit eines Verstehens fragen: Ist Verstehen überhaupt möglich, wenn die Fähigkeit der Einfühlung fehlt oder die Möglichkeit des Fremdverständnisses überhaupt bestritten wird. Besonders verwickelt scheinen die Modi des unmöglichen Nichtverstehens und des notwendigen Nichtverstehens. Der Modus des möglichen Nichtverstehens wirkt zunächst unproblematisch. Denn grundsätzlich dürften alle Äußerungen oder Handlungen Vierte Kategorie: Nichtverstehensmodi | 95
einem möglichen Unverständnis offen stehen. Wer kein Chinesisch spricht, dem sind chinesische Sätze nicht nur möglicherweise, sondern notwendigerweise unverständlich. Allerdings wäre dann der Sinn des Modus der Notwendigkeit genauer zu unterscheiden. Denn das notwendige Nichtverstehen kann hier nicht das Erlernen dieser Sprache ausschließen, wodurch das notwendige Nichtverstehen der Äußerung einem nur möglichen Nichtverständnis weichen müsste. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Nichtverstehens lässt sich eben nur prospektiv (»Das werde ich nie verstehen, es sei denn ich lerne Chinesisch«) oder retrospektiv beurteilen. Was aber könnte ein unmögliches Nichtverstehen sein? Vielleicht erlaubt auch hier die Alltagssprache Einblicke. In einer Situation äußerster Eile mag man es als unmöglich empfinden, dass die implizite Aufforderung »Ich habe jetzt leider keine Zeit mehr« nicht verstanden wird. Die Satzfragen (20) (21)
Was an der Äußerung »Ich habe leider keine Zeit mehr« hast Du jetzt eigentlich nicht verstanden? Was an »Ruf mich niemals zu Hause an!« hast Du eigentlich nicht verstanden? (Walter White zu Jesse Pinkman in Breaking Bad)
würden dem Modus der Unmöglichkeit eines Nichtverstehens vermutlich am nächsten kommen. Das faktische Unverständnis bezeichnet wiederum Allerweltsfälle. Denn nur im konkreten Einzelfall lässt sich klären, ob etwas verstanden, nicht verstanden oder graduell (nicht)verstanden wurde. Relevanter ist deshalb das konkrete Sosein faktischen Nichtverstehens. Handelt es sich um ein Missverständnis, ein Falschverstehen oder ein Teil(nicht)verstehen? Alle drei Submodi dieses Nichtverstehensmodus setzten freilich objektive Kriterien voraus, die darüber entscheiden, ob nun jeweils miss-, falsch- oder nur teilweise verstanden (und also teilweise nichtverstanden) wurde. Ebenso trivial ist das kontingente Nichtverstehen. Als prinzipielle Möglichkeit des Nichtverstehens lässt sich nur am Einzelfall prüfen, worin die Zufälligkeit des Nichtverstehens wurzelt. Zum Beispiel ließe sich argumentieren, dass die Zufälligkeit des Unverständnisses chinesischer Äußerungen mit der Kontingenz des Umstands vermittelt ist, dass ein Sprecher nicht über Kenntnisse des 96 | Anoetik und Hermeneutik
Chinesischen verfügt, diese wohl aber erwerben könnte. Es handelt sich um ein kontingentes Sich-nicht-verstehen-auf-etwas; oder – ein anderer Fall – um einen kontingenten Informationsmangel. Wer nicht weiß, dass »rot« als Licht der Wellenlänge 700 nm bestimmt wird, wird eine entsprechende Äußerung nicht verstehen, ohne dass es im ontologischen oder anthropologischen Sinn notwendig wäre, eine solche Äußerung nicht zu verstehen. Schwieriger steht es daher mit dem notwendigen Nichtverstehen, das sich zunächst als Unmöglichkeit des Verstehens bestimmt. Entsprechend erlaubt das notwendige Nichtverstehen auch kein Missverständnis. Es berührt zugleich die Disposition des Nichtverstehenkönnens. Notwendiges Nichtverstehen ist unmögliches Verstehen oder absolutes Nichtverstehenkönnen, wie es etwa bei sprachlichen Sinnwidrigkeiten zu Tage tritt. Husserl diskutiert solche Sinnwidrigkeiten in der vierten seiner Logischen Untersuchungen als Unverträglichkeit von Bedeutungskategorien. Zugrunde liegt die Unterscheidung des Sinnlosen in Unsinniges und Widersinniges. Das Unsinnige kontaminiert Bedeutung und Gegenstand, das Widersinnige kontaminiert zwei unverträgliche Bedeutungen. So ist die Formulierung (21) ein rundes Viereck
unsinnig. Zwar haben die Teile dieser Bedeutungskomposition (rund; viereckig) eine einheitliche Bestimmung in der Welt der idealen Bedeutungen. Doch kann der Komposition dieser existierenden Bedeutungen kein existierender Gegenstand entsprechen. Demgegenüber gelten Husserl Formulierungen wie (22) ein rundes oder
für widersinnig, weil die verknüpften uneinheitlichen Bedeutungsteile in einer einheitlichen Bedeutung unverträglich sind, ohne dass das Kriterium aus der Existenz eines Gegenstandes gewonnen würde, auf das sie bezogen werden könnten. Sie sind, in der Terminologie Ockhams, einander unverträgliche Begriffe zweiter Intention.66 Husserl bemerkt dazu: »In normaler Funktion erweckt der Ausdruck seine Bedeutung; wo aber das Verständnis unterbleibt, da wird er […] die uneigentliche Vorstellung einer ›gewissen‹ zugehörigen Bedeutung herbeiführen, während man die Bedeutung selbst Vierte Kategorie: Nichtverstehensmodi | 97
gerade vermisst.«67 Husserl wird zugleich auf das Problem aufmerksam, dass die Grammatik solchen Bedeutungsunterscheidungen nur unzulänglich Rechnung trage. Sie ist auf die Zufälligkeiten des Sprachgebrauchs angewiesen, ihre Bedeutungsunverträglichkeiten spiegeln sich im Glas der »grammatischen Unverträglichkeiten« nie schlierenlos. Interessanterweise führt das Unsinnige und Widersinnige des notwendigen Nichtverstehens wiederum zu einem Verständnis dieses Sinnlosen selbst. Husserl nennt es apodiktische Evidenz. Denn das notwendige Unverständnis, absolutes Nichtverstehen, ist uns in gewisser Weise als ein solches transparent: Wir können mit ihm umgehen, verstehen uns unmittelbar auf es. Im Falle logischen oder grammatischen Widersinns können wir es mitunter sogar erklären und erhalten ein explizierbares Nichtverstehenkönnen: (d´) Das kann man nicht verstehen, weil …
Selbst im notwendigen Nichtverstehen, jener äußersten Grenze des Anoetischen, verbirgt sich eine Möglichkeit des Verstehens im Sinne einer apodiktischen Evidenz noch des Nichtverstehbaren. Deshalb kann eine phänomenologische Analytik des Nichtverstehens, die hier Anoetik heißen soll, nicht einfach den Spieß des hermeneutischen Universalitätsanspruchs umdrehen. Von einer Normativität des Nichtverstehens zu sprechen, wäre selbst widersinnig. Wohl kann es ein Nichtverstehensollen von Etwas geben – Sprechakt (e): »Das sollst Du auch gar nicht verstehen« –, nicht aber ein Gebot des Nichtverstehens: (23) »Du sollst nicht verstehen«.
In einem sich totalisierenden Horizont normativen Nichtverstehens würde der Mensch nicht nur aufhören, homo hermeneuticus, sondern überhaupt animal symbolicum zu sein. Die Anoetik leugnet nicht, dass wir symbolische Wesen sind. Sie versucht einzig, die Privilegierung diskursiven Verstehens in der Erinnerung der Inkommensurabilität verschiedener Verstehens- und Nichtverstehensmodi genauer zu bestimmen, um sie zu relativieren. Die Analytik des Nichtverstehens ist keine normative Theorie des Unverständnisses, am wenigsten eine der Verständnisverweigerung. Vielmehr gewinnt sie die Gestalt einer Anoetik, die in ver98 | Anoetik und Hermeneutik
schiedenen Objektbereichen all jene »normalen« Fälle zwischen dem unwahrscheinlichen Nichtsverstehen und dem ebenso unwahrscheinlichen Allesverstehen analysiert. Darin ist sie weniger eine »Agnotologie« (Proctor) denn eine selbstreflexive Hermeneutik, die ins Bewusstsein hebt, dass es die Geisteswissenschaften konstitutiv mit Formen und Leistungen des Nichtverstehens zu tun haben. Diese beruhen auf der prinzipiell nicht abschließbaren Bestimmbarkeit ihrer Gegenstände: den kulturellen Tatsachen. Geisteswissenschaftliche Erkenntnis schließt die Anerkennung der Inkommensurabilität alles Geistigen ein. Gerade eine Anoetik sollte dieser Beschränkungen eingedenk bleiben – ohne Anspruch, mehr verstehen zu können, als es unsere fallible Vernunft erlaubt.
Vierte Kategorie: Nichtverstehensmodi | 99
Symbolische Differenz Wie intelligent ist die Buchstabenschrift?
1. Zwei Dogmen der Dekonstruktion? Verstehen setzt die Kenntnis symbolischer Ordnungen voraus. In der Regel sind unsere Symbol- und Notationssysteme funktional auf den Zweck ihres Ausdrucks bezogen. Dagegen verdanken sich ihre konkreten Formen kontingenten, sprachgeschichtlichen Entwicklungen. Deswegen können natürliche Sprachen nicht streng systematisch organisiert sein. Noch weniger lassen sich Hierarchien zwischen den symbolischen Ordnungen begründen. Absurd zu behaupten, die Symbolform der Gestik stehe über oder unter der der Mimik. Bewerten ließe sich allenfalls die Ausdrucksfunktionalität im Blick auf eine bestimmte Ausdrucksintention. Von Vorzügen oder Nachteilen lässt sich sinnvoll nur dort sprechen, wo klar ist, welche Funktion erfüllt werden soll; wo es Konkurrenz um die Erfüllung ihrer Aufgabe geben kann. Schon weil der zu äußernde Inhalt nicht medienindifferent gegenüber der Form seiner Äußerung bleibt, fällt es schwer, Werturteile über den Vorrang eines Systems zu begründen. Entsprechend problematisch wirken heute Bemerkungen über den Primat der Alphabetschrift. Hegel und Humboldt haben ihren Vorrang für die menschliche Vernunft in fast identischen Worten bekräftigt und systematisch zu begründen gesucht. Hegels Überlegungen zum Verhältnis von Schrift und Sprache in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften kulminieren in der These, die Buchstabenschrift sei »an und für sich die intelligentere«1. Das war im Unterschied zur ägyptischen Hieroglyphenschrift und zur chinesischen Ideographie gesagt – jenen Symbolsystemen, die auch Humboldt im Blick hat, wenn er, fast zeitgleich, die »Vorzüge der Buchstabenschrift vor den übrigen Schriftarten«2 hervorhebt. Nun sind Schriftsysteme nicht nur funktionale Kommunikationsformen, sondern auch geschichtlich gewordene Kulturtech | 101
niken. Werturteile, die über solche Techniken gefällt werden, sind notwendig mit kulturellen Voreinstellungen verwoben. Humboldt hat diese kulturellen Differenzen durchaus respektvoll betont und in seinen Überlegungen zur ebenso notwendigen wie erwünschten Differenz der Weltansichten verschiedener Sprachen festgehalten. Allerdings ergeben sich auch für ihn kulturelle und geschichtliche Nuancierungen des »menschlichen Entwicklungsgangs« in Relation zu den jeweils verwendeten Symbolsystemen. Diese lassen Humboldt die Alphabetschrift im »engsten Zusammenhange mit der individuellen Sprachanlage jeder Nation«3 betrachten, und zwar so, dass ihr sprachgeschichtlicher Erfolg historisch notwendig erscheint. Solche systematisch-geschichtsphilosophischen Unterscheidungen haben seit dem 19. Jahrhundert ihre sprachwissenschaftliche Unschuld verloren. Während Hegel und Humboldt noch umschweiflos superlativische Vorstellungen vom geschichtlich erreichten Stand des menschlichen Wissens formulieren konnten, stehen uns komparativische Überlegenheitsgesten nicht mehr offen. Nicht aus Gründen geopolitischer Korrektheit, sondern aufgrund der besseren Einsicht in Eigenart und Eigensinn symbolischer Ordnungen. Dennoch bleibt die Frage nach der geistigen Funktion der verschiedenen Schriftsysteme sprachphilosophisch fruchtbar. Nur braucht nicht mehr zu interessieren, welche die intelligentere sei, sondern welche Konsequenzen die Wahl einer bestimmten symbolischen Ordnung für unsere Erkenntnis zeitigt. Dann freilich muss die Frage vom Elativ zum Positiv herabgestuft werden: Wie intelligent ist die Buchstabenschrift? Eine kritische Theorie der Schrift ist der Philosophie erst spät in den Blick gekommen. Platons Sokrates misstraut der skripturalen Sprache als einem allzu »demokratischen« Medium. Das Geschriebene macht das gesprochene Wort dauerhaft, schwächt dessen Erinnerungsvermögen, lässt es am Ende in die Hände von Lesern geraten, die den ursprünglichen Sinn der Worte, den Sinn ihres kontextabhängigen Ganzen nicht mehr verstehen.4 Das Wort wird nicht mehr nur Eingeweihten, sondern virtuell allen Lesern und Leserinnen zugänglich. Aristoteles hat mit der Exoterität der Sprache zwar kein Problem mehr, kommt aber aus anderen Gründen zu einem ähnlichen Resultat. Denn seinem erkenntnispsycho102 | Symbolische Differenz
logischen Grundmodell gemäß erscheint die Schrift primär als Bezeichnung des gesprochenen Wortes.5 Ein gesprochenes Wort (W) bezeichnet die Wahrnehmung eines Objekts (O), das literale Wort (W´) bezeichnet das orale Wort (W). So besteht in der Relation O – W – W´ zwischen Objekt und Wort das gleiche Verhältnis wie zwischen Sprache und Schrift (O : W ~ W : W´).6 Scheinbar ähnlich wird noch Saussure seinen Genfer Hörern 1916 zu verstehen zu geben: »Sprache und Schrift sind zwei verschiedene Systeme von Zeichen; das letztere besteht nur zu dem Zweck, um das erstere darzustellen.«7 Diese und andere Befunde aus der Geschichte der (Sprach-) Philosophie haben Derrida zu der These geführt, die Schrift sei gegenüber der gesprochenen Sprache stets als sekundär und abkünftig gedacht worden; dass man die Schrift als Explikationsmedium8 suo genere seit jeher vernachlässigt und verdrängt habe. So kann er behaupten, dass die Metaphysik einer phonologischen Quelle entspringt, die in Logozentrismus mündet: »Die Epoche des Logos erniedrigt also die Schrift, die als Vermittlung der Vermittlung und als Herausfallen aus der Innerlichkeit des Sinns gedacht wird.«9 Derrida zeichnet das Bild einer doppelten Devianz der Schrift. Die gesprochene Sprache ist Repräsentation des gemeinten Sinnes und der zu kommunizierenden Bedeutung, Schrift wiederum Repräsentation der gesprochenen Repräsentation – weshalb sich der Logozentrismus zuletzt als ein Phonozentrismus entpuppt. Man könnte dies mit Werner Kogge und Gernot Grube die Kritik am »phonographische[n] Dogma« der Philosophie nennen: Schrift verstanden als »Menge der graphischen Zeichen, mit denen die gesprochene Sprache festgehalten wird«10. In ihrer solidarischen Kritik der Dekonstruktion legen die Autoren überzeugend dar, dass man den Schriftbegriff allerdings weder verengen noch über Gebühr ausweiten sollte. Weder ist Schrift bloßes Übertragungsmittel von Sprache noch sollten alle skripturalen Notationssysteme (von der Choreographie über die Notenschrift bis hin zu Spuren im Schnee) schon für Schrift gelten. Zu bestimmen ist Schrift als eigenständiges semiotisches System, das zwischen Bild, mündlicher Rede und Notationalität formaler Systeme changiert. Begegnen lässt sich mit dieser Bestimmung zugleich jenem fragwürdigen Medienkonzept, das hinter dem phonographischen Dogma steckt: der binären Zwei Dogmen der Dekonstruktion? | 103
Unterscheidung »zwischen einer Entität – sei diese nun Sprache, Sprachform oder Sprachäußerung genannt – und ihrer materiellen Realisierung in einer phonischen oder graphischen Substanz«11. Diese Unterscheidung droht jenen Dualismus von Inhalt und Verkörperung zu befestigen, der die Relevanz der Transformation des Inhalts durch seine Transport- und Speicherungsvorgänge aus blendet. Derridas Metaphysikkritik hat der europäischen Philosophie von Platon über Rousseau zu Saussure eben dieses phonographische Dogma unterstellt. Genauer betrachtet steckt darin, und zwar gerade dort, wo sich das Dogma selbst zu verschleiern droht, noch ein zweites Bekenntnis, das man vorläufig das stoicheiographische Dogma nennen könnte.12 Denn dort, wo die metaphysische Tradition selbst das Problem der Skripturalität unserer Vernunft bedenkt, scheint sie – wie bei Hegel und Humboldt – die Buchstabenschrift zu privilegieren. Für die Dekonstruktion scheint das phonographische zuinnerst mit dem stoicheiographischen Dogma verbunden. Ihrer Deutung zufolge bildet die Verwandtschaft beider Dogmen den eigentlichen Kern metaphysischer Schriftfeindlichkeit. Ihr zu begegnen musste daher eine nicht mehr nur grammatische, sondern auch grammatologische Metaphysikkritik auf den Plan rufen. Die folgende Relektüre möchte die ihrerseits dogmatische Seite dieser dekonstruktivistischen Dogmenkritik aufhellen. Dazu sind im Anschluss an Arbeiten, die im Umkreis von Sybille Krämers Schrift- und Medientheorie entstanden sind, zunächst Kriterien eines allgemeinen Schriftbegriffs zu skizzieren (2.–3.). In einem zweiten Schritt soll gezeigt werden, dass ein gleichberechtigtes, also sekundaritätskritisches Verhältnis von Sprache und Schrift auch innerhalb der »metaphysischen« Tradition möglich war, weil ihr die Skripturalität des Denkens und Sprechens überhaupt nur als wechselseitige Adäquation von Sprache und Schrift zum Problem werden konnte. Vor diesem Problemhintergrund wird die philosophische Bedeutung der durch Alphabetschrift gestifteten Symbolsysteme genauer zu bestimmen sein – wozu sich Humboldts (4.) und Hegels (5.) Schrifttheorien eignen, die, ungeachtet beträchtlicher Differenzen im Grund ihres jeweiligen Sprachdenkens, ähnliche Konsequenzen ziehen. Im Anschluss an Christian Stetters Konzeption der Buchstabenschrift soll dann weniger eine bündige Antwort 104 | Symbolische Differenz
auf die Ausgangsfrage »Wie intelligent ist die Buchstabenschrift?« skizziert, als deren sprachphilosophisches Enjeu verdeutlicht werden (6.).
2. Schrift und Schriftordnungen Symbolische Ordnungen eröffnen, mit Husserl und Frege gesagt, Möglichkeitshorizonte des »Imaginären«13. Ohne sie blieben ganze Sphären geistiger Produktivität unzugänglich, ja unentfaltet. Gewiss ist die Vielfalt der menschlichen Symbolformen nicht ähnlich umfangreich wie die zu denkenden Inhalte. Doch ihre Varianz macht es einer philosophischen Bestimmung des Phänomens symbolischer Reflexivität nicht einfacher. Derrida und andere Dekonstruktivisten haben freilich den Eindruck erweckt, als sei der ausgezeichneten Stellung der Symbolform Schrift erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ihr gemäße Bedeutung angesehen worden. Insbesondere hat die Dekonstruktion, hellhörig für Formen kultureller Techniken und Praktiken, die sich mit dem Aufkommen elektronischer Datenverarbeitung und visueller Textkommunikationsmedien etablierten, einen zugleich kybernetikkritischen Begriff der Schrift gedacht, der nicht auf die Repräsentation von Sprache oder Information reduziert werden kann. Ein solcher Schriftbegriff, so Derridas Überzeugung, musste allerdings erst aus den Trümmern jener metaphysischen Tradition geborgen werden, die von Platon bis Rousseau die Sekundarität der Schrift betont und zur Vermittlung der Vermittlung herabgesetzt hatte. So problematisch der historische Gehalt der These, so schwer scheint ihre Widerlegung im Einzelnen. Zwei Strategien stehen zur Wahl. Systematisch ließe sich zeigen, dass der Vorwurf der Schriftvergessenheit jener wie auch immer rekonstruierten »metaphysischen« Tradition von Platon bis Husserl windschief entgegen kommt; dass es sich wohl eher um die Retrojektion eines aktuellen Desiderats handelt. Philologisch wäre zu zeigen, dass zahlreiche Autoren der inkriminierten »metaphysischen« Tradition eine Philosophie der Schrift entwickelt haben, die den Sekundaritätsvorwurf allemal unterläuft. Der von Derrida im Sinne dieses Vorwurfs dekonstruierte Condillac hatte die Natur der Schrift in dem Moment Schrift und Schriftordnungen | 105
konstitutiver Abwesenheit (absence) aufgesucht. Schrift bedient sich der Zeichen, um Gedanken beständig fixieren und sie »abwesenden Personen [personnes absentes] mitteilen zu können«14. Mitteilen (communiquer) wird von Condillac näher als ein faire connaître, ein Bekanntmachen oder zum Wissen Bringen bestimmt. Als Mitteilung transportiert Schrift, was eigentlich hätte gesprochen werden können oder sollen. Das aber macht sie, in Derridas Terminologie, zum Supplement, zum Ersatz für das abwesende Sprechen eines Senders. Die Funktion der Schrift bestünde demnach in der Ausdehnung mündlicher und gestischer Kommunikation über den Augenblick ihrer Äußerung hinaus. Denn Stimme und Geste ereignen sich in Raum (als gestische Bewegung) und Zeit (als linear vertönender Klang der Stimme) ebenso gut wie Schrift, deren Buchstaben Raum einnehmen, linear erscheinen, im Lesen Zeit verbrauchen. Zwar verbleibt die Schrift in den Grenzen von Raum und Zeit. Doch kann sie ihr Feld entschieden ausdehnen (étend le champ), während Geste und Ton an den Ort ihres ersten Erscheinens gebunden bleiben. In der Tat zehrt die herkömmliche Idee von Kommunikation – die Derrida, statt sie der Kybernetik nachzuweisen, der europäischen Metaphysik unterstellt – von einer problematischen Voraussetzung: »Der Sinn, der Inhalt der semantischen Botschaft würde durch unterschiedliche Mittel, technisch stärkere Vermittlungen, über eine sehr viel größere Entfernung hinweg übertragen, kommuniziert werden, jedoch in einem zutiefst kontinuierlichen und sich selbst gleichgültigen Umfeld, in einem homogenen Element, durch welches die Einheit, die Integrität des Sinns nicht wesentlich in Mitleidenschaft gezogen würde.«15 Dieser klassischen Auffassung von Kommunikation, die einen gegenüber der Form seiner Übermittlung (communicans) seltsam neutralen oder gleichgültigen Inhalt (communicatum) voraussetzt, gilt Derridas Kritik. Ihren Nutzen verdankt die Schrift vor allem einer Ökonomie der Abkürzung. Erreicht wird ein bestimmter Raum- und Zeitgewinn durch den Transport komplexerer Informationen auf weniger Raum in geringerer Zeit. An dieser vermeintlichen Sekundarität von primärem Inhalt und sekundärer Form der Übermittlung möchte Derrida die Abgründigkeit aller Ursprungstheorien und instrumentalistischen Sprachauffassungen ansichtig machen. 106 | Symbolische Differenz
Hypostasiert man nämlich die Ursprünglichkeit eines Inhalts, der dann zur Sprache gebracht wird, so lässt sich nach dem fragen, was vor seiner Versprach- oder Verschriftlichung überhaupt da gewesen sein soll. Würde Schrift als bloßes Kommunikationsmittel bestimmt, so hätte ihre Komprimierungsökonomie keinerlei Wirkung auf Inhalt oder Struktur des kommunizierten Sinns. Die instrumentalistische Sichtweise suggeriert, dass ein Inhalt auch durch noch so verschiedene Notationstechniken der gleiche bleibe, also weder durch hieroglyphische noch ideographische oder alphabetische Schriftformen entscheidend in seinem Sinn verändert würde. Dem aber widersprechen schon einfachste Überlegungen zu Problem und Praxis von Übersetzung. Zu fragen ist daher zunächst nach den verschiedenen Schriftordnungen, von deren einer Hegel und Humboldt übereinstimmend behaupten, sie sei die überlegene. Zunächst ist die Alphabetschrift nur eine von zahlreichen symbolischen Ordnungen. Von ihr unterscheidet sich die Piktographie oder Bilderschrift (etwa der Innuit) durch das Prinzip, Vorstellungen durch bildliche Zeichen auszudrücken. Ihr gegenüber stellt die Hieroglyphenschrift schon keine Bilderschrift mehr dar, sondern besteht aus einer Mischung von Piktogrammen und abstrakten Zeichen, die zugleich Phonogramme sein können. Anders wiederum die Logographie oder Begriffsschrift (nicht im streng Fregeschen Sinne): Hier wird die Bedeutung eines Wortes durch (konventionell-arbiträre) graphische Zeichen oder formale Symbole ausgedrückt; so etwa in der Symbolsprache der Logik (∀, ↔ , ¬). Von ihr wiederum unterscheidet sich die Ideographie (auch Pasigraphie) durch das Prinzip, einzelne sprachliche Bedeutungen oder Wörter durch Grapheme wiederzugeben (wie im Chinesischen) und die Nuanciertheit dieser Bedeutungen auch in der Nuancierung der Zeichen zu spiegeln. Gegenüber der Blindenschrift, Formen wie der Knotenschnur-Schrift der Inka und Zeichen- oder Gebärdensprachen wie der American Sign Language (ASL) zeichnen sich phonemische Schriften der Phonographie durch ihren reinen Lautschriftcharakter aus, zu deren Gattung auch Silbenschriften (Syllabogramme) gehören. Ihr Prinzip ist der Bezug von Zeichen auf phonologische Einheiten; idealiter als genaue Entsprechung von Zeichen und Laut bzw. von Laut und Zeichen. Derzeit regelt dieses direkt-referentielle Verhältnis das International Phonetic Alphabet (IPA). Schrift und Schriftordnungen | 107
Im Unterschied nun zu anderen Schriftordnungen zeichnet sich die Alphabet- oder Buchstabenschrift durch das Prinzip einer unsystematischen, genauer: symbolisch-reflexiven Zuordnung von graphischen Zeichen und Lautsegmenten aus. Ihre Unordnung erlaubt eine erhebliche Vielfalt geschichtlich gewordener Schriftformen. Während das Hebräische noch eine konsonantische Buchstabenschrift darstellt, haben die phönizischen und griechischen Schriften bequeme Vokalisierungen eingeführt. In einem Spektrum von 22 bis 30 Zeichen unterscheidet sich die Alphabetschrift in ihrer graphematischen Ökonomie erheblich etwa von der chinesischen Ideographie mit ihrem beträchtlichen Archiv tausender verschiedener Zeichen. Offensichtlich (und daraus speist sich ein Teil des Argumentationspotentials der Thesen Humboldts und Hegels) vereint die Alphabetschrift nicht ein Maximum, sondern ein Optimum an Formen. Dieser Vorzug symbolischer Reflexivität kann zugleich als Nachteil interpretiert werden. Denn sie bringt, je nach Sprache, eine Fülle sprachfamilienspezifischer Inkonsequenzen von Laut und Zeichen hervor. Symbolisch-reflexive Normalsprachen stehen zu ihrer alphabetschriftlichen »Repräsentation« in keinem systematischen Verhältnis. Die Phonologie der gesprochenen Sprache ist keine Phonographie, sie baut nicht auf einem streng phonologischen Prinzip. Weder kann man das Atemholen der gesprochenen Sprache in ihrer Verschriftung sehen noch kann man den Raum zwischen den Worten oder die Interpunktion der geschriebenen Sprache hören. Die Zuordnung Graphem/Schriftzeichen und Laut/Phonem ist zuinnerst variabel. Problemlos kann ein Zeichen für mehrere Laute ( : Dunst [s], Sache [z], Spiel [∫]) verwendet werden;16 möglich aber auch, dass sich mehrere Zeichen auf denselben Laut beziehen ( für Stil [i], Stiel [ie], stiehl [ieh]). Und dass ein Zeichen für ganze Lautverbindungen ( für [ts] in »Reiz«), etwa ein Graphem für zwei Phoneme, verwendet werden kann, schließt keinesfalls aus, dass umgekehrt auch ganze Zeichenverbindungen für einen Einzellaut ( für [∫] in »Schein« und »Spiel«) stehen mögen. Das komplexe Wechselverhältnis von signifikativen Einheiten (Sememe/Moneme), in welchem jeder Einheit Bedeutung zukommt und distinktiven Einheiten (Phoneme/Grapheme), die an 108 | Symbolische Differenz
der Form mitwirken, selbst aber unmittelbar keine Bedeutung tragen, bedingt jene eigentümliche Ökonomie buchstabenschriftlicher Normalsprachen, mit der schon durch 21 distinktive Einheiten ca. 100 000 signifikative Einheiten darstellbar werden.17 Schon diese einfachen Beispiele lassen sehen, dass zwischen gesprochener und geschriebener Sprache eine unaufhebbare Differenz waltet, die beide allererst aufeinander beziehbar macht und ihre gemeinsamen Aufgaben der Darstellung, Kommunikation und des Ausdrucks zu erfüllen hilft. Dieser symbolischen Differenz trägt die Alphabetschrift ebenso Rechnung, wie sie ihr entspringt. Und es ist die Reflexion dieser Differenzen, die jede skripturale Auffassung von Sprache veranlasst, Schrift und Sprache nicht aufeinander zu reduzieren, geschweige denn in der Schrift ein Supplement des Sprechens zu erkennen.
3. Aspekte eines allgemeinen Schriftbegriffs Mit Grund geht Derrida von der Untriftigkeit des phonographischen Dogmas aus. Dass die phonetischen Normalsprachen keineswegs einem streng phonetischen Prinzip folgen, sondern symbolisch-reflexiv sind, lässt ein Spiel der Differenzen zu, dem Bedeutungsvariation allererst entspringen kann. Verdeutlichen lässt sich dieser Umstand an dem Neographismus »différance«, von dem Derrida sagt, er sei weder Wort noch Begriff, weder signifiant noch signifié. Derridas Kunstgriff, begünstigt durch die Phonetik der französischen Sprache, besteht darin, das phonographische Dogma an den Klippen der Differenz zwischen différence und différance, die sich zwar schreiben und lesen, nicht aber hören lässt, selbst zerschellen zu lassen. Denn ihre Differenz entzieht sich selbst dem Vernehmen (entendre) und damit auch jeder Ordnung der Vernunft. So fügt es sich, dass die graphische Differenz, der entscheidende Unterschied zwischen zwei Notationen, die im Austausch zweier Vokale vermeintlich Laut-Notationen sind, rein graphisch bleibt. Ironisch lässt Derrida das Problem der Differenz an dem Wort différance selbst aufscheinen und markiert darin zugleich die symbolische Differenz von Homophonie und Allographie, die sich wohl in allen normalen Sprachen findet. Aspekte eines allgemeinen Schriftbegriffs | 109
Für Derrida heißt dies auch, die différance nicht selbst wiederum zum Prinzip, geschweige denn zum Grund eines Systems namens Schrift erheben zu wollen. Wohl aber waltet sie in ihrem Prinzip, was sich daran zeigt, dass Sinn (verstanden als Anwesenheit) in der Schrift nur kraft einer ursprünglichen Abwesenheit (der différance) produziert wird. In der hier gewählten Terminologie formuliert: Differenz erlaubt allererst ein normalsprachliches Prinzip wie etwa das der symbolischen Reflexivität. Derrida selbst spricht von einem Schweigen im Zentrum der phonetischen Schrift, welches von einem »enormen« Vorurteil verdeckt werde: dass die Alphabetschrift eine phonetische Schrift sei. Das wäre in der Tat ein Irrtum, denn die Interpunktion klingt ebensowenig wie die Zwischenräume der Buchstaben, die für die Distinktheit des Textes notwendig sind. Offenkundig ist das Komma ein Signifikant, aber was sollte sein Signifikat, was sein Referent sein? Schon Wittgenstein bemerkt im Tractatus, dass Satzzeichen, ebenso wie die logischen Konstanten, als Operationsanweisungen zu verstehen seien, die der Lesbarkeit des Satzes dienen.18 Dass zwischen Sprache und Schrift ein Verhältnis symbolischer Reflexivität waltet, zeigt sich noch an wichtigeren Elementen als an jenen graphischen Ordnungsparametern sprachlicher Verschriftung, die fürs Sprechen selbst noch entbehrlich wären. Denn das phonologische Prinzip der Buchstabenschrift beruht auf jener bereits beschriebenen unsystematischen Zuordnung von Zeichen und Lauten. Für Derrida offenbaren die Interferenzen von Sprache und Schrift ein Spiel der Differenz, welches als Bedingung der Möglichkeit von Bedeutung selbst zugleich lautlos bleibt. In diesem Sinn ist dieses Spiel transzendental: stumme Voraussetzung aller Schrift, auch der phonetischen. Wenn es jedoch keine rein phonetische Schrift gibt, so deshalb, weil es in normalen Sprachen auch keine rein phonetische phonê gibt (so wie bereits die Differenz der beiden phonai »différence« und »différance« selbst nicht phonetisch ist). Dass die graphische Differenz eine selbst wiederum unsichtbare Beziehung zwischen zwei Phonemen ausspannt, deutet auf jene allgemeinen Charakteristika der Schrift, die im Folgenden nur kurz zu skizzieren sind. Lesbarkeit: Entgegen dem naiven Sender/Empfänger-Schema der Kommunikation bleibt Schrift auch nach dem Verschwinden von 110 | Symbolische Differenz
Sender und/oder Empfänger lesbar. Diese Konsequenz ergibt sich aus einer nicht zufälligen, sondern konstitutiven Abwesenheit von Referent und Signifikat. Auch Notenschrift und chemische Formeln referieren in aller Regel auf Abwesendes und können selbst Zeichen für Abwesendes (z. B. die Zahl »0« oder das Wort »nichts«) verwenden. Schriftbildlichkeit: Die prinzipielle Lesbarkeit der Schrift beruht auf einer unhintergehbaren Sinnlichkeit visueller oder haptischer Präsenz, die das strukturelle Merkmal aller Schriftbildlichkeit anzeigt.19 Hier ist wohl die Linearität oder Sukzessivität der Zeichen weniger entscheidend als ihre Simultanität. Denn die räumliche Ordnung des Textes ermöglicht durchaus eine »Nichtlinearität und zeitliche Diskontinuität der Augenbewegungen, in denen der Text erfasst wird«20. Die Zweidimensionalität der Schriftfläche erlaubt gegenüber der Eindimensionalität des Tons (und seiner entsprechenden Speichermedien) den flexibleren Zugriff.21 Vielleicht ist deshalb nicht schon die Visualität wesentliches Merkmal der Schrift, sondern ihre sichtbar zu machende Spatialität. Iterativität, Identifizierbarkeit, Funktionalität: Soll Schrift über die Abwesenheit ihres Senders/Empfängers hinaus lesbar bleiben, so muss sie wiederholbar und identifizierbar sein.22 Daher gibt es auch keinen strukturell geheimen Code, kein Schrifträtsel, das nicht prinzipiell lösbar wäre. Diesen Umstand kann man mit Derrida die »Funktion« der Schrift nennen, welche sich ihr auch nach dem Tode des Senders/Empfängers erhält. Sie funktioniert, anders gesagt, im Rahmen der Ordnungsparameter ihres Symbolsystems auch von selbst. Notationalität: Damit zusammen hängt der Charakter der Operativität und Notationalität der Schrift. Im Unterschied zur Sprache lassen sich mit der Schrift semantikfreie Operationen und Kalküle durchführen. Differentialität und Disjunktivität: Schriften treten als Symbol- oder Notationsschemata auf,23 die sich durch Disjunktivität und Differentialität auszeichnen: »Das Alphabet ist ein disjunktes Schema, da jedes konkrete Zeichenvorkommen [mark] genau einen Zeichentypus, hier also einen bestimmten Buchstaben [charakter] instantiiert. Es ist auch endlich differenziert, da ›zwischen‹ zwei Zeichen nicht ein drittes stehen kann, das eine eindeutige UnterscheidAspekte eines allgemeinen Schriftbegriffs | 111
barkeit verhinderte.«24 Aufgrund ihres differentiellen Charakters scheint nicht einmal mehr die Spatialität der Schrift ein Erstes zu sein, sondern nur noch, ob die notwendigen Differenzen vollständig reproduziert werden. Die Differentialität der Schrift wiederum hängt an ihrer Disjunktivität, d. h. der Notwendigkeit der Zeichen, sich nicht nur diakritisch von anderen zu unterscheiden, sondern auch unabhängig zu sein. Denn die Existenz eines bestimmten Graphems ist keinesfalls von der eines bestimmten anderen abhängig; wohl aber davon, dass es andere Buchstaben, also überhaupt Differenzen gibt. Differentialität meint dann relationale Binarität: zwischen e und f ist kein Übergang, kein drittes Graphem, das vermisst werden könnte. So gibt es zwar zu zwei Graphemen stets ein Drittes, nicht aber zwischen ihnen – was nahe legt, die Differenzen insgesamt auf eine einzige Differenz, also den Unterschied selbst zu reduzieren: 0 und 1.25 Diese Differenz – Derridas différance – lässt unbestimmt, was, und zeigt nur noch an, dass unterschieden wird. Es offenbart, dass alles Unterschiedene nur deshalb es selbst ist, weil es auf dem Moment des Unterschieds beruht. Daher lassen sich Maschinen zuletzt nur durch schriftliche Programme, nicht aber durch Bilder oder gesprochene Sprache steuern. Regularität: Schrift entsteht als systematisches Notationssystem und geregelte symbolische Ordnung. Sicher lassen sich auch mit Körpern Schriftbilder produzieren, lassen sich auch Gesten in den Raum schreiben. Schriftsysteme gehen jedoch darüber hinaus, indem sie Bedeutung nur als eine symbolische Ordnung von Zeichen entstehen lassen, die gegliedert, disjunkt und distinkt ist. Darin besteht ihr Unterschied zur bloßen Spur. Während Spuren hinterlassen werden, sind Schriften produziert.26 Spuren stehen mit dem Spurengeber in einem kausalen Verhältnis (indexikalische Zeichen), während Schrift auf Regeln, auf Eigenschaften symbolischer Schriftzeichen zurückzuführen ist (konventionelle Zeichen). Metaschriftlichkeit: Zuletzt erlaubt die Regelhaftigkeit von Schriftordnungen, auch auf andere Notationssysteme, mithin auf sich selbst zu referieren. Auch symbolische Ordnungen sind »Weltansichten« im Sinne Humboldts und daher nicht aufeinander reduzierbar. Das Phänomen der Metaschriftlichkeit zeigt Beziehungen der Symbolsysteme zueinander. So überlappen sich teilweise chemische, physikalische und mathematische Symbolsysteme, doch 112 | Symbolische Differenz
können wir nicht mit der Notation von Choreographien Partituren erläutern (und umgekehrt), wohl aber mit dem Sprachsystem der Alphabetschrift. Transproduziertheit: Die strukturelle Absenz der phonê in der Schrift hat Derrida zu der Überzeugung geführt, dass diese Abwesenheit nicht als Modifikation einer wie auch immer wünschenswerten Anwesenheit bestimmt werden darf, sondern als Bruch mit allen am Modell der Kommunikation orientierten Weisen der Sinnerschließung.27 Schrift erschöpft sich nicht in Sprachübermittlung, ist nicht bloß Signifikation einer intentionalen Bedeutung. Das macht auch die Rede von dem »wirklichen« Kontext des Sprechaktes prekär. Denn der »Augenblick seiner Produktion ist unwiederbringlich verloren«28 – ein Umstand, der verweist auf das Kriterium der Dekontextualität: Geschriebene Zeichen haben die Kraft zum Bruch mit ihrem Kontext. Man kann, dank seiner Iterabilität, »ein schriftliches Syntagma immer aus der Verkettung, in der es gefasst oder gegeben ist, herausnehmen«, ohne dass es die Möglichkeit seines Funktionierens/Kommunizierens verlöre. Darin besteht die grundsätzliche Möglichkeit der Aufpfropfung (greffage) von Zeichen.29
4. Die Mumie und die Hieroglyphe: Humboldts Bestimmung der Buchstabenschrift Ungebrochen scheint Humboldt in seiner berühmten »genetischen« Sprachdefinition das »phonographische Dogma« zu reformulieren: »Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn. Sie ist nemlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen.«30 Humboldts eindimensionale Charakterisierung der Schrift als mumienartige Aufbewahrung von Sinn, die stets der Versinnlichung zur lebenHumboldts Bestimmung der Buchstabenschrift | 113
digen Rede harrt, scheint einem äußerst differenzierten, »energetischen« Sprachbegriff gegenüberzustehen, den er in einem frühen, ursprünglich französisch verfassten Abriss seiner Sprachphilosophie in die Bedeutungsebenen langage, langue, idiômes, parole und discours auseinandergelegt hat.31 Doch zum einen kann sich das Pronomen »sie« zu Beginn des berühmten dritten Satzes der zitierten Passage grammatisch auch auf die Schrift beziehen, die dann gleichfalls nicht nur als Ergon, sondern auch als Energeia aufgefasst würde. Zum anderen zeigen andere Passagen, wie sehr es Humboldt nicht um den Vorrang der Sprache vor der Schrift, sondern um deren spezifische Wechselwirkung zu tun ist. Es empfiehlt sich daher, Humboldts Herauspräparierung der Vorzüge der Alphabetschrift in Opposition zur Piktographie und Logographie nicht nur genetisch, sondern auch systematisch zu rekonstruieren. Das Faszinosum der Hieroglyphenschrift: Wer in den 1820er Jahren über Schrift nachdenkt, steht unter dem wissenschaftsgeschichtlichen Eindruck der endgültigen Entzifferung der Hieroglyphen. Seit Warburtons Essay on the Hieroglyphs (1746) waren die europäischen Intellektuellen dem Faszinosum der vollkommen anschaulichen und doch rätselhaften ägyptischen Schrift erlegen. Ihre Entzifferung gelang erst 1822 Champollion aufgrund des 1799 gefundenen Steins von Rosette, der denselben Text in hieroglyphischer, demotischer und griechischer Schrift enthält. Darauf spielt Humboldt im Mai 1824 vor der Berliner Akademie an, wenn er sagt, »dass die Natur der Sprache in der That nicht vollständig eingesehen werden kann, wenn man nicht zugleich ihren Zusammenhang mit der Buchstabenschrift untersucht, und dass gerade jene neuesten Beschäftigungen mit der Aegyptischen Schrift den Antheil an Untersuchungen über Schrift-Erfindung und Aneignung im gegenwärtigen Augenblicke verdoppeln«32. Wichtig für unseren Zusammenhang ist vor allem der erste Teil des Zitats. Denn der dass-Satz besagt unmissverständlich, dass die Natur der Sprache ohne Berücksichtigung ihrer Wechselwirkung mit der Schrift nicht »eingesehen« werden könne. Schon in dieser Hinsicht ist die skripturale Materialität der Sprache für Humboldt alles andere als sekundär. In Humboldts Deutung gewinnt die ägyptische Schrift eine ebenso schriftgeschichtlich wie sprachsystematisch wichtige Mittelstellung. Während einerseits die indianischen, chinesischen und 114 | Symbolische Differenz
alt-indischen Sprachen keine Buchstabenschrift kennen,33 andererseits die semitischen und neueren indischen Sprachen bereits auf buchstabenschriftlichem Fundament ruhen, zeigt die ägyptische Schriftsprache noch eine Mischform von ca. 500 Zeichen, die sowohl aus Buchstaben als auch Silbenzeichen, Wortzeichen und sog. Determinativa (nachgestellten Worten zur Erleichterung der Lektüre) bestehen. Dieser Umstand erlaubt Humboldt, anders als noch fünfzig Jahre zuvor Warburton, von der Hieroglyphenschrift als der »Wiege« der Buchstabenschrift zu sprechen: ihn ihr gehen Bilderund Buchstabenschrift ineinander über. Probleme der Bilderschrift: Reine Bilderschriften gelten Humboldt für sprachfremd. Gleich Hegel geht er von zwei sprachphilosophischen Prämissen aus: (1) Sprache und Schrift muss jeweils die funktionale Vereinigung von Idealität (Bedeutung) und Materialität (Ton- oder Schriftzeichen) gelingen. Erreicht wird diese Einheit im Wort – in der Terminologie Humboldts: im Verbum. (2) Damit kommt die Schrift der Sprache nicht einfach von Außen zu, sondern regt sie an, beeinflusst und verwandelt sie von ihrer inneren Schriftform her. Indem Schrift die tönende Idealität des gesprochenen Wortes in die sichtbare Materialität der Zeichen überträgt, gelingt auch ihr ein Äquilibrium von Materialität und Formalität herzustellen, deren organisches Ganzes selbst wiederum sprachadäquat ist. Nur die Alphabetschrift, so die Prämisse Humboldts (und Hegels), die insgeheim auch schon die Konklusion seines Schlusses ist, verzerrt das Verhältnis von Idealität und Materialität nicht. Daraus ergibt sich eine grundlegende Asymmetrie im Bereich der Schrift. Während allen normalen Sprachen offensichtlich die Adäquation von Bedeutung und Ausdruck gelingt, so gilt dies nicht in gleichem Maße für die Verschriftung dieser Sprachen. Das behauptet Humboldt insbesondere von der Bilderschrift. Sie kann die Idealität des Wortes nicht angemessen wiedergeben, weil sie den Bogen materieller Anschaulichkeit überspannt: »Dass jede Bilderschrift durch Anregung der Anschauung des wirklichen Gegenstandes die Wirkung der Sprache stören muss, statt sie zu unterstützen, fällt von selbst in die Augen. Die Sprache verlangt auch Anschauung, heftet sie aber an die, vermittelst des Tones, gebundene Wortform.«34 Störend wird die Bilderschrift gerade in ihrer vermeintlichen Eindeutigkeit, deren ikonische Suggestivität in WahrHumboldts Bestimmung der Buchstabenschrift | 115
heit die ideelle Wirkkraft der Sprache zu verzerren droht: »Wenn sich das Bild zum Schriftzeichen aufwirft, so drängt es unwillkührlich dasjenige zurück, was es bezeichnen will, das Wort. Die Herrschaft der Subjectivität, das Wesen der Sprache, wird geschwächt, die Idealität dieser leidet durch die reale Macht der Erscheinung, der Gegenstand wirkt nach allen seinen Beschaffenheiten auf den Geist […], die Schrift, die nur Zeichen des Zeichens seyn soll, wird zugleich Zeichen des Gegenstandes, und schwächt, indem sie seine unmittelbare Erscheinung in das Denken einführt, die Wirkung, welche das Wort gerade dadurch ausübt, dass es nur Zeichen seyn will.«35 Es wäre schlechte Hermeneutik, wollte man Humboldts bemerkenswerte Kurzformel der Schrift: dass sie »Zeichen des Zeichens« ist, mit Derridas Charakterisierung metaphysischer Schriftvergessenheit kontaminieren, derzufolge die Schrift zum »Signifikant des Signifikanten«, zum »Substitut des Substituts« verbracht, »deportiert« wurde.36 In der zitierten Passage wird, im Gegenteil, das phonographische Dogma gerade suspendiert. Humboldt zeigt auf, dass im Unterschied zur Bilderschrift, die der Logik der Repräsentation von Gegenstand und Bildzeichen (O – B) folgt, die Alphabetschrift sich gerade von Gegenstandsrepräsentation und unmittelbarer Erscheinungswiedergabe emanzipiert. Die Signifikantenketten der Alphabetschrift schmiegen sich nicht den Gegenständen an, sondern suchen den maximalen Abstand zu ihnen. Es bedarf exakt dieser symbolischen Reflexivität, um die gelingende Wechselwirkung von Denken und Schrift zu gewährleisten. Darin besteht das Problem aller Piktographie: Bild und Wort treten nicht in ein Verhältnis wechselseitiger Verstärkung und Unterstützung, sondern der »Verwirrung«. Schrift kann nicht zum bloßen Zeichen des Zeichens, sondern muss zum Bild des Zeichens werden, während umgekehrt die gesprochene Sprache Zeichen von Bildern äußert. Probleme der Figuren- und Begriffsschrift: Die gleichen Nachteile im Verhältnis sowohl von Zeichen und Bezeichnetem als auch von Sprache und Schrift findet Humboldt in der Begriffsschrift, nur spiegelverkehrt. Besteht die Idee einer Begriffsschrift darin, nicht Bilder, nicht Laute, sondern abstrakte Symbole als Zeichen ganzer Bedeutungen zu setzen, so liegen ihre Vorteile zunächst auf der Hand. Weder kann es Ablenkung durch den Bildgehalt des Sym116 | Symbolische Differenz
bols geben noch ist die Übersetzbarkeit in andere Sprachen ähnlich unpräzise wie in symbolisch-reflexiven Buchstabenschriften. Doch sind die Vorteile erkauft durch gravierende Nachteile. Benötigt wird, erstens, eine größere Menge an Symbolen und Graphemen als in der Buchstabenschrift – die Ideographie des Chinesischen, an welches Humboldt denkt, benötigt tausende von Zeichen. Erforderlich macht die Begriffsschrift, zweitens, eine geschichtsfremde Fixierung der Wortbedeutungen. Begriffe wären eindeutig zu definieren, was selbst bei anschaulichen Gegenständen ungemein schwierig ist. Humboldt erscheint die Begriffsschrift als zu starr für gesprochene Sprachen. Denn sie reduziert die notwendigen Bedeutungsunschärfen natürlicher Sprachen: »Die Individualität der Wörter, in deren jedem immer noch etwas andres, als bloss seine logische Definition liegt, ist insofern an den Ton geheftet, als durch diesen unmittelbar in der Seele die ihnen eigenthümliche Wirkung geweckt wird. Ein Zeichen, das den Begriff aufsucht, und den Ton vernachlässigt, kann sie mithin nur unvollkommen ausdrücken.«37 Phonographisch dogmatisch bleibt daran nur, dass Humboldt die »eigentümliche Wirkung« von Sprache und Schrift an ihre akroamatische Funktion bindet,38 d. h. an ihre Verwiesenheit auf Hörende, auf ein unhintergehbares Du. Da es hier einzig um den Sach-, nicht auch um den Wahrheitsgehalt dieser Überlegungen gehen kann, sei nur festgehalten, dass für Humboldt die logographische Abstraktion sprachlicher Welterfassung in einen Gegensatz zur Fülle der durch sie erfassten Welt selbst geraten muss: »Ein System solcher Zeichen giebt nur die abgezognen Begriffe der äussren und innren Welt wieder; die Sprache aber soll diese Welt selbst, zwar in Gedankenzeichen verwandelt, aber in der ganzen Fülle ihrer reichen, bunten und lebendigen Mannigfaltigkeit enthalten.«39 Während die Bilderschrift viel zu anschaulich-konkret ist, um symbolisch-reflexiv sein zu können, geraten die »Gedankenzeichen« der Begriffsschrift zu abstrakten Spielmarken. Wohl ist Humboldts Prinzip zur Beurteilung von Fortschritten in der menschlichen »Ideenentwicklung« dasselbe wie bei Hegel: Freiheit der Vergeistigung als Entfernung von der Anschauung und der Gebundenheit an die sinnliche Gegenwart von Objekten, kurzum: die Tendenz zur Idealität der Vernunft. Doch das meint in Humboldts Selbstverständnis gerade Humboldts Bestimmung der Buchstabenschrift | 117
nicht Abstraktion, sondern adäquate Wechselwirkung von Inhalt und Form, Idealität und Materialität. Vorzüge der Buchstabenschrift: Vor diesem Hintergrund setzen sich die gegenüber Piktographie und Ideographie einsichtigen Vorzüge der Alphabetschrift ab: »Durch dies enge Anschliessen an die eigenthümliche Natur der Sprache verstärkt sie gerade die Wirkung dieser, indem sie auf die prangenden Vorzüge des Bildes und Begriffsausdrucks Verzicht leistet. Sie stört die reine Gedankennatur der Sprache nicht, sondern vermehrt vielmehr dieselbe durch den nüchternen Gebrauch an sich bedeutungsloser Züge, und läutert und erhöht ihren sinnlichen Ausdruck, indem sie den im Sprechen verbundnen Laut in seine Grundtheile zerlegt, den Zusammenhang derselben unter einander, und in der Verknüpfung zum Wort anschaulich macht, und durch die Fixirung vor dem Auge auch auf die hörbare Rede zurückwirkt.«40 Wirksamer ist die Buchstabenschrift paradoxerweise gerade dadurch, dass sie sowohl auf die suggestive Eindrücklichkeit der Piktographie als auch die semantische Eindeutigkeit der Ideographie verzichtet. Als »Zeichen des Zeichens« stört sie, im Gegensatz zum Bild, nicht den ideellen Charakter der Sprache, die Humboldt mit der Idealität des Tons und so mit dem Element der Luft verbindet. Umgekehrt schlägt sie nicht, im Unterschied zur Begriffsschrift, in abstrakte Idealität und statische Semantik um, sondern entspricht der regulativen Idee eines Äquilibriums von Funktionalität und Fülle. Indem die Alphabetschrift arbiträre Buchstabenzeichen gebraucht, die an sich selbst nichts bedeuten, ist sie nicht semantisch, sondern differentiell und diakritisch organisiert. Diese graphematische Zerlegung oder »Spaltung des verbundenen Lauts« – etwa dass Buch ein Morphem oder Phonem ist, aber in vier Grapheme zerfällt – ist für Humboldt »das Wesen der Buchstabenschrift«41. Philosophisch gesprochen: Nur die Alphabetschrift erlaubt größtmögliche Differenzen in einer Einheit. Gleichwohl hält die Buchstabenschrift auch noch den »Zusammenhang« ihrer Grundteile durchsichtig und stellt ihn im Wort her. Denn das Wort bleibt für Humboldt Ziel und sinnvolle Einheit der selbst nur bedeutungsunterscheidenden, nicht aber schon bedeutungstragenden Buchstaben. Daher kann die buchstabenschriftliche »Fixierung« des tönenden Sprechens – wiederum ist hier die Einheit der Idealität 118 | Symbolische Differenz
des Tons mit der Materialität des Graphems erreicht – auf das Sprechen selbst zurückwirken, etwa wenn kursiv Gedrucktes hörbar oder Anführungszeichen sichtbar gemacht werden: »Die Buchstabenschrift ist von diesen Fehlern frei, einfaches, durch keinen Nebenbegriff zerstreuendes Zeichen des Zeichens, die Sprache überall begleitend […].«42 Die akroamatische Dimension der Sprache: Humboldts Versuch einer Darstellung der »Vorzüge der Buchstabenschrift vor den übrigen Schriftarten«43 ringt mit einem durchaus problematischen Konzept von Verkörperung. Das tönende Wort wäre demnach die Verkörperung des Gedankens, Schrift dagegen Verkörperung des Tons: »Die Eigenthümlichkeit der Sprache besteht darin, dass sie, vermittelnd, zwischen dem Menschen und den äussren Gegenständen eine Gedankenwelt an Töne heftet. Alle Eigenschaften jeder einzelnen können daher auf die beiden grossen Hauptpunkte in der Sprache überhaupt bezogen werden, ihre Idealität und ihr Tonsystem.«44 Um nicht dem phonographischen Dogma das Wort zu reden, müsste hier wohl ein Verhältnis von Gedanke, Ton und Schrift formuliert werden, welches nicht von der Sekundarität oder Degradierung der Schrift ausgeht. Humboldt findet diesen Zugriff in Gestalt einer spezifisch stoicheiographischen Wechselwirkung kraft Anregung der Sprache durch die Schrift: »Es ist daher keineswegs gleichgültig, welche Art der Anregung die geistige Thätigkeit durch die besondre Natur der Schriftbezeichnung erhält. Es liegt in den Gesetzen dieser Thätigkeit, das Denkbare und Anschauliche als Zeichen und Bezeichnetes zu betrachten, wechselsweise hervorzurufen, und in verschiedne Stellung gegen einander zu bringen.«45 Keineswegs also ist die Schrift dem tönenden Wort äußerlich. Vielmehr entscheidet auch ihr skripturaler Ausdruck darüber, was gesprochene Sprache leisten kann. Vor diesem Hintergrund ist allerdings entscheidend, ob eine gesprochene Sprache durch Laut-, Bilder-, oder Buchstabenschrift angeregt wird. Spätestens hier lässt sich fragen, ob Humboldts Privilegierung der Buchstabenschrift als adäquatester Ausdruck der »eigenthümliche[n] Natur der Sprache«46 nicht eine petitio principii unterläuft. Wer insgeheim schon einen alphabetschriftlichen Sprachbegriff voraussetzt, zum Ideal erhebt und unterm Primat der phonetischen Sprache betrachtet, wird, deduktiv argumentierend, Humboldts Bestimmung der Buchstabenschrift | 119
zu keiner anderen Konklusion kommen können, als in der Alphabetschrift die »eigenthümliche Natur der Sprache« einzig angemessen vorzufinden. So legitim diese kritische Frage, so sehr lässt sich zeigen, dass Humboldts Sprachdenken ihren Vorwurf wo nicht zu entkräften, so doch zu unterlaufen sucht. Gewiss evaluiert Humboldt in seiner Differenzierung von vollkommeneren und weniger vollkommenen Sprachbauten; er macht keinen Hehl aus seiner Präferenz der buchstabenschriftlich organisierten europäischen Hochsprachen. Dennoch bleibt, erstens, sein Urteil stets im Komparativ, nicht im Elativ; zweitens ist seine Präferenz nicht so zu verstehen, dass sich idealerweise alle Sprachen der Buchstabenschrift unterwerfen oder dem grammatischen Bau graeco-romanischer Sprachen annähern sollten. Dies schließt zum einen seine Theorie der Weltansicht aus. Denn je mehr Weltansichten und -perspektiven es gibt, desto vollständiger und differenzierter wird das menschliche Weltbild in der virtuellen Einheit des Geistes. Zum anderen erfordert Humboldts Postulat der angemessenen Wechselwirkung von Sprache und Schrift, dass die jeweilige Volkssprache die ihr angemessene Schriftform findet – und umgekehrt. Das aber bedeutet, dass auch nicht-buchstabenschriftliche Symbolsysteme zum vollkommenen Ausdruck einer gegebenen Nationalsprache werden können. Gerade die Neubewertung der chinesischen Sprache, in die sich Humboldt Mitte der 1820er Jahre unter Anleitung des zeitgenössisch führenden Experten Abel-Rémussat einarbeitet,47 lässt ihn den Eigensinn und die spezifischen Vorteile auch anderer Schriftsysteme stärker anerkennen. Wovon Humboldt gleichwohl nicht abrückt, ist das geschichtsphilosophische Postulat der entscheidenden Relevanz von Schriftsystemen hinsichtlich der Wege und Abwege nationalsprachlicher Entwicklungen; auch nicht von dem universalsprachlichen Postulat, dass mit gewissen Schriftsystemen die Wiedergabe bestimmter Aspekte von Wirklichkeit und Denken besser, schlechter oder kaum gelingen kann. In diesem Zusammenhang zieht die peruanische Knotenschnurschrift besonderes Interesse auf sich. Zwar wird sie sich aus der inneren Logik ihrer Bezeichnungsart ebenso wenig geschichtlich zur Buchstabenschrift fortentwickeln, wie diese wieder zur Bilderschrift regredieren könnte.48 Doch ist die Knotenschnurschrift der Inka für Humboldt insofern 120 | Symbolische Differenz
höchst bemerkenswert, als ihr im Unterschied zu den aztekischen Hieroglyphen sowohl die Ablösung von Bild und Schrift als auch die Verwandlung der Knoten zu teilweise arbiträren, konventionalisierten Zeichen gelingt. Er habe diese zur symbolischen Reflexivität sich fortentwickelnde Schriftform erwähnt, sagt Humboldt, »um zu zeigen, auf welche Weise die Völker Amerika’s die doppelte Art der Zeichen kannten, zu welcher alle Schrift, wie sie seyn mag, gehört, die durch sich selbst verständliche der Bilder, und die durch willkührlich für das Gedächtnis gebildete Ideenverknüpfung, wo das Zeichen durch etwas Drittes (den Schlüssel der Bezeichnung) an das Bezeichnete erinnert«49. Auch hier ist offensichtlich der Prozess des Verlustes ikonischer Selbstverständlichkeit als Gewinn einer »doppelten Art der Zeichen« konstitutiv für die Entwicklung von Schrift. Es ist die Notwendigkeit einer skripturalen Doppelgesichtigkeit von Materialität und Idealität. Auszuschließen ist für Humboldt der Übergang von (mexikanischen) Hieroglyphen zu phonetischer Schrift allerdings schon deshalb nicht (im Gegensatz zur Knotenschrift), weil auch die ägyptische Hieroglyphenschrift »die nahe Verwandtschaft von Laut-Hieroglyphen und Buchstaben«50 zeige, also in jenem »Zwischen« von Bild- und Alphabetschrift siedele, welches allererst die Voraussetzung einer gelingenden Versöhnung von Idealität und Materialität schafft. Hier wird Humboldts sprachphilosophische Systematik vollends transparent: Das Prinzip der Buchstabenschrift folgt einer Unterscheidung der Grundlaute, kraft deren auch die gegliederte Differenziertheit der grammatischen Formen Hand in Hand mit der Avanciertheit im Gebrauch der Buchstabenschrift gehen kann.51 Was also für die Grammatik der Mangel echter grammatischer Formen bedeutet, dem entspricht im Bereich der Schrift das Fehlen eines Buchstabensystems. Doch ebenso wie in ihrer Grammatik können die jeweiligen Nationalsprachen auch in ihrem Schriftsystem diese Mangelerscheinungen auf sei es mühsame, sei es höchst kunstvolle und je individuelle Weise kompensieren. Mehr noch: Vielleicht wirken gerade diese Kompensationsleistungen auf das Eigentümliche ihrer »inneren Sprachform« zurück. Ganz ersetzt werden kann der Entzug alphabetschriftlicher Strukturen indes nicht: »Wo also die Buchstabenschrift von einem Volke mit freudiger Begierde ergriffen und angeeignet werden soll, da muss sie demselben früh, in seiner Humboldts Bestimmung der Buchstabenschrift | 121
Jugendfrische, wenigstens zu einer Zeit dargeboten werden, wo dasselbe noch nicht auf künstlichem und mühevollem Wege eine andre Schriftgattung gebildet, und sich an dieselbe gewöhnt hat.«52
5. Der Schacht und die Pyramide: Hegels Bestimmung der Buchstabenschrift Hegels schriftphilosophische Überlegungen können angemessen nur im Kontext ihres jeweiligen systematischen Ortes verstanden werden. Die Phänomenologie des Geistes (1807) beschreibt den Weg, auf dem sich das natürliche Bewusstsein zunächst überhaupt zur Sprache bringt, um sich kraft ihrer zuletzt zur Bildung und Wissenschaft zu erheben.53 Hier hat Schrift ihren spezifischen Ort im Zusammenhang der ganz »individuelle[n] Bestimmtheit der Sprache«, nämlich der je eigenen Stimme des Individuums und seiner eigentümlichen »Handschrift«, dem äußeren Zeugnis seiner natürlichen Innerlichkeit. Erst die eigene Stimme und Handschrift erlauben dem Bewusstsein neue Schritte seines Weltverhältnisses. In ihrer Gestalt tritt es sich, hörend und sehend, selbst gegenüber – weshalb Hegel Stimme und Handschrift nicht zufällig im Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes situiert: »Wenn also zuerst die bestimmte Natur und angebohrne Eigenthümlichkeit des Individuums zusammen mit dem, was sie durch die Bildung geworden, als das Innere, als das Wesen des Handelns und des Schicksals genommen wird, so hat es seine Erscheinung und Aeußerlichkeit zuerst an seinem Munde, Hand, Stimme, Handschrifft, so wie an den übrigen Organen, und deren bleibenden Bestimmtheiten; und alsdann erst drückt es sich weiter hinaus nach außen an seiner Wirklichkeit in der Welt aus.«54 Einer Wissenschaft der Logik (1812–1816) hingegen können Sprache und Schrift nicht mehr als subjektive Voraussetzungen des Zugangs zur Welt erscheinen, sondern allein als objektive Voraussetzungen ihrer kategorialen Konstitution selbst. Erinnert die Wissenschaft der Logik ein letztes Mal die vollständige logische Syntax und Semantik der metaphysischen Tradition, so kommt innerhalb ihrer der Schrift – bereits verstanden als Buchstabenschrift – eine zentrale Rolle im »synthetischen Erkennen«55 zu. Denn gegenüber 122 | Symbolische Differenz
der analytischen Erkenntnis im Urteilen durch prädikative Sätze ist die synthetische Erkenntnis des Schließens und Begreifens auf eine Schrift angewiesen, deren Bedeutungssynthesis die Analysis in ihre an sich selbst nichts bedeutenden Elemente, die Buchstaben, bereits geleistet hat und voraussetzen kann: »Daher wird auch z. B. beym Lesenlernen vernünftigerweise, nicht mit dem Lesen ganzer Worte oder auch der Sylben der Anfang gemacht, sondern mit den Elementen der Wörter und Sylben, und den Zeichen der abstracten Töne; in der Buchstabenschrift ist die Analyse des concreten Wortes in seine abstracten Töne und deren Zeichen schon vollbracht, das Lesenlernen wird ebendadurch eine erste Beschäftigung mit abstracten Gegenständen.«56 Ähnlich wird Humboldt in seiner Akademierede Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhange mit dem Sprachbau von 1824 sagen: »Das alphabetische Lesen und Schreiben dagegen nöthigt in jedem Augenblick zum Anerkennen der zugleich dem Ohr und dem Auge fühlbaren Lautelemente, und gewöhnt an die leichte Trennung und Zusammensetzung derselben.«57 Diese Idee der Analysis in und kraft einer ursprünglichen Bedeutungssynthesis der Buchstabenschrift führt Hegel in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften von 1827 und 1830 genauer aus. Hier hat die Alphabetschrift, die Hegel in identischen Worten wie Humboldt als »Zeichen der Zeichen«58 bestimmt, ihren systematischen Ort zwar in der Philosophie des subjektiven Geistes. Dies jedoch darf nicht verleiten, Sprache und Schrift als ein für Hegel bloß individuelles Vermögen zu interpretieren. Hegel thematisiert, im Gegenteil, Sprache und Schrift überhaupt nur als kollektive Formen einer bestimmten Kultur, die im subjektiven Geist eines jeden Individuums immer schon wirksam sind und ihm allererst ein Vermögen nicht nur der Erinnerung, sondern auch des produktiven Gedächtnisses, ein Vermögen nicht nur der anschauenden, sondern auch der denkenden Vorstellung vermitteln. Die Operationen des Denkens selbst: komplexe Schlüsse, mathematische Algorithmen, geometrische Raisonnements sind stets schon von schriftsprachlichen und diagrammatischen Formen abhängig. Hegel scheint die Notwendigkeit dieser systematischen Architektonik zugleich an ihrer immanenten Unplausibilität aufgegangen zu sein. In der Überarbeitung seiner Enzyklopädie von 1817 erkennt Hegels Bestimmung der Buchstabenschrift | 123
er, dass im Übergang von der bereits über willkürliche Zeichen verfügenden Vorstellung zum sprachvermögenden Gedächtnis die Lücke eines missing links geblieben war, in welche er Sprache und Schrift einfügen wird. Angeregt möglicherweise durch Humboldts Sprachstudien über den Dualis, korrigiert Hegel die – dem eigenen Selbstverständnis nach – unzulängliche Konzeption der §§ 377–383 von 1817 bereits in den §§ 455–464 der Überarbeitung von 1827, dann aber vor allem durch die §§ 455–464 der Textrevision von 1830. Gewonnen wird nicht nur eine vermeintlich geringfügige, in Wahrheit aber entscheidende Verschiebung des systematischen Orts der Sprache, sondern auch die Möglichkeit einer ausführlicheren Diskussion des Systems der Schrift. Indes gehört schon in der Enzyklopädie von 1817 zu Hegels sprachphilosophischen Prämissen, dass wir in »Namen« (Hegels Begriff für willkürliche Zeichen) sprechen und denken, die in der Sprachgemeinschaft schon vorgefunden werden. Dies bringt eine eigentümliche Asymmetrie im menschlichen Geist ans Licht, der im Gebrauch der Zeichen zwar allererst ganz bei sich selbst und seinen eigenen Tätigkeiten und Produkten ist und das Sprachverstehen als seine genuine, produktive Tätigkeit verstehen kann; der zugleich aber einsehen muss, dass dasjenige, kraft dessen er da versteht (die Zeichen und deren System als Sprache), nicht von ihm als einem subjektiven Geist selbst geschaffen sein kann. Vielmehr konstruiert er im Sprechen nach, was ihm als objektiver Geist potentialiter immer schon vorausgeht.59 Die lange, 1827 eingefügte und 1830 vermehrte Anmerkung zum Verhältnis von Sprache und Schrift in § 459 verdient ein close reading schon deshalb, weil Derrida seine hypertrophe Kritik an Hegels phonozentrischer Semiologie vor allem auf diesen Paragraphen gestützt hat.60 In ihn fällt die Darstellung der psychologischen Scharnierstelle, an der das Zeichen vom Ausdruck einer inneren Vorstellung zur tatsächlichen Expression eines realen Sprechakts fortbestimmt wird. Die so gewonnene Doppelbestimmung behalten Sprache und Schrift in der Enzyklopädie fortan bei: Als »Gebehrde« und »anthropologische Articulation«61 geht die Sprache sowohl auf äußere Objekte (Referenz/Bedeutung) wie auch auf die innere »Symbolik« der Sprechenden (Vorstellung/Sinn). Erst in der Rede gelingt die entscheidende Vermittlung von der subjektiven Vorstellung zur objektiven Bedeutung. Daran hält Hegel zweierlei 124 | Symbolische Differenz
fest: dass die Elemente der Wortsprache nicht deshalb bedeuten, weil sie auf sinnliche Gegenstände bezogen sind, sondern weil sie Konventionen entsprechen; und dass die Elemente dieser Elemente – Vokale, Konsonanten, Intonation, Prosodie – selbst nicht schon bedeutungstragend, sondern bedeutungsunterscheidend sind: Jede Sinnlichkeit ist selbst »zum Zeichen herabgesetzt«62. Der symbolisch-reflexiven Doppelfunktion der Wortzeichen entsprach zuvor in § 458 Hegels doppelte Unterscheidung der Einbildungskraft in ihre semiotische und semantische Funktion. Sprachliche und schriftliche Zeichen veräußern die eingebildete Vorstellung wieder zur Anschauung, von deren ursprünglich sinnlichem Stoff – dem Erfahrungsgegenstand selbst – sie abgelöst wurde. Das unmittelbar anschauliche, sichtbare Zeichen ist nunmehr »ein Bild, das eine selbstständige Vorstellung der Intelligenz als Seele in sich empfangen hat, seine Bedeutung. Diese Anschauung ist das Zeichen«63. Indem dieses Zeichen aber nicht sich selbst, sondern »etwas anderes« vorstellt – gemäß der traditionellen Definition des Zeichens –, steht es für die Bedeutung des Bildes, aber gerade nicht als Bild. Deshalb sind die Zeichen willkürlich, sie stellen irgendeinen Inhalt vor: »Das Zeichen ist irgend eine unmittelbare Anschauung, die einen ganz anderen Inhalt vorstellt, als den sie für sich hat; – die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist.«64 Schon aus Platzgründen legt Hegel die Sprache in § 459 zwar als Produkt der Intelligenz aus, nicht aber auch in ihr Produziertsein (durch Lexik, Grammatik, Physiologie) auseinander. Ihm genügt zu zeigen, dass das elementare Material der Sprache zwar sprachgeschichtlich kontingent ist und dennoch den Status »bloßer Zufälligkeit«65 für die gesprochenen Sprachen verloren hat. Anders als für Kant, dessen transzendentale Deduktion der Kategorien als Subtext auch der Einbildungskrafttheorie Hegels in den §§ 451–464 gelesen werden kann, bildet für Hegel der menschliche Geist als Verstand seine Kategorien tatsächlich in die Sprache(n) ein: als deren Grammatik. Hier will Hegel, belehrt wohl durch Humboldts Akademierede über den Dualis, einen eigentümlichen Chiasmus erkennen: Weniger gebildete Völker haben kontraintuitiverweise eine vollkommenere (im Sinne von: differenziertere) Grammatik, während die »Sprache der gebildetsten Völker die unvollkomHegels Bestimmung der Buchstabenschrift | 125
menere Grammatik«66 besitze. Plausibel wird dieser Gedanke, wenn man sieht, dass Humboldt, dem Hegel hier folgt, in der Fülle der Formen (etwa der Flexionsformen nichtisolierender oder der Wortzeichenfülle isolierender Sprachen) selbst noch kein sprachliches Gütesiegel erkennen kann. Maßstab bleibt allein die Funktionalität und Ökonomie der Vermittlung von Idealität und Materialität. Scheinbar wird in Hegels Enzyklopädie die Schriftsprache »nur im Vorbeigehen« erörtert, en passant, was Derrida darin bestärkt hat, Hegel das phonographische Dogma von der Schrift als bloßem Supplement der Sprache zu unterstellen.67 Zwar lässt Hegel die Schrift in ein »besondere[s] Gebiet« der Sprache, nämlich deren »äußerlich praktische Tätigkeit«, fallen. Auch gilt ihm Sprache als Veräußerung je subjektiv erinnerter Empfindungen, die im Sprechen allererst hörbar gemacht und so von der Schrift »zum Felde des unmittelbaren räumlichen Anschauens«68 objektiviert werden. Doch das systematische Gewicht der Ausführungen bietet ein anderes Bild als das von Derrida gezeichnete. Denn die Schrift markiert in der Enzyklopädie den entscheidenden Übergang von der Einbildungskraft zum Gedächtnis und in eins damit von der Vorstellung zum Denken. Ohne die Funktion der Schrift zu erläutern, hinge dieser Übergang systematisch in der Luft. Deutlich wird dies an Hegels Auseinandersetzung mit der Idee einer algorithmisierbaren Formelsprache, deren normalsprachliche Funktionalität er vehement bestreitet. Gegen Leibniz’ Vision eines schriftsprachlichen Esperanto, welches in seiner Mischung aus Figuren- und Buchstabenschrift den »Verkehr der Völker« erleichtert haben würde, argumentiert Hegel mit Hinweis auf eine aus seiner Sicht unumkehrbare sprachhistorische Tendenz: das Bedürfnis nach Verbreitung der Buchstabenschrift. Zu tun hat dies mit der zuvor bestimmten symbolischen Reflexionsform der Sprache. Hegel konzediert nämlich, dass sich zwar die Bedeutung der Zeichen für sinnliche Gegenstände möglicherweise fixieren lasse, nicht aber die der »Zeichen von Geistigem«69. Denn diese sind weniger den Zufälligkeiten des Sprachwandels ausgesetzt, als vielmehr der inneren Logik des geschichtlichen »Fortgang[s] der Gedankenbildung, [als einer] fortschreitende[n] logische[n] Entwicklung« verpflichtet. 126 | Symbolische Differenz
Gleich Humboldt gewinnt Hegel die ihn interessierenden sprachphilosophischen Vorzüge der Buchstabenschrift aus einer vermeintlich unvoreingenommenen Analyse der Nachteile von Hieroglyphik und Ideographie. Das Ägyptische und das Chinesische sind auch für Hegel die Pole seiner Untersuchung – freilich ohne eine annähernd ähnliche Kenntnis der Gegenstände zu haben wie Humboldt. In seiner Unterscheidung der Systematik von Buchstaben- und Hieroglyphenschrift fällt auch die zentrale Genitivformulierung vom »Zeichen des Zeichens«: »Näher bezeichnet die Hieroglyphenschrift die Vorstellungen durch räumliche Figuren, die Buchstabenschrift hingegen Tone, welche selbst schon Zeichen sind. Diese besteht daher aus Zeichen der Zeichen, und so, daß sie die concreten Zeichen der Tonsprache, die Worte, in ihre einfachen Elemente auflöst, und diese Elemente bezeichnet.«70 Das Zentrum einer jeden Tonsprache bilden für Hegel die »Namen«. Gemeint sind nicht singuläre Termini oder Kennzeichnungen, sondern das, was moderne Terminologien Symbol nennen würden: »sinnlose Äußerlichkeiten«, die kein anderes als das bloß konventionell geregelte Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem kennen. Bedeutung ist ihnen nicht vorgängig, sondern die Namen tragen erst in Gestalt »sinnlos-äußerlicher« Zeichen überhaupt Bedeutung, wie umgekehrt Bedeutung ohne Namen selbst nicht schon gegeben wäre. Hier tut sich eine eigens zu bedenkende terminologische Schwierigkeit auf, weil Hegel unter dem Wort »Symbol« offensichtlich anderes versteht als jenen Begriff, den man im Windschatten der modernen Nomenklatur Peirce’s und Cassirers mit dem Wort verknüpft. In Hegels Terminologie ist das Zeichen als Pyramide oder gleichgültiges Grab seiner Bedeutung gerade nicht Symbol: »Das Zeichen ist von dem Symbol verschieden, einer Anschauung, deren eigene Bestimmtheit ihrem Wesen und Begriffe nach mehr oder weniger der Inhalt ist, den sie als Symbol ausdrückt.« Weil das Symbol den Inhalt des Symbolisierten mimetisch ausdrückt, will Hegel es als Bild oder Hieroglyphe verstehen. Wäre das Zeichen Δ das Symbol der Pyramide, so könnte – in Hegels Terminologie – erst so etwas wie »P« tatsächlich als Zeichen fungieren; besser noch, um auch das Moment der lautlichen Nachahmung auszuschließen, vielleicht ein Zeichen wie »X«. Allein das Zeichen entfernt sich ausreichend weit vom sinnlichen Inhalt des BezeichHegels Bestimmung der Buchstabenschrift | 127
neten, ist ihm gleichgültig genug. Nur auf diese Weise kommt der sprachökonomische Vorteil der Arbitrarität zum Austrag: »beim Zeichen als solchen hingegen geht der eigene Inhalt der Anschauung und der, dessen Zeichen sie ist, einander nichts an. Als bezeichnend beweist daher die Intelligenz eine freiere Willkür und Herrschaft im Gebrauch der Anschauung, denn als symbolisierend.« Je unähnlicher Zeichen und Bezeichnetes, desto freier sind die durch Sprache und Schrift ermöglichten Denkoperationen; desto angemessener ist das gegebene Symbolsystem unserer Intelligenz. Die terminologischen Verschiebungen lassen sich gleichwohl einigermaßen problemlos der semiologischen Unterscheidung von idexikalischen, ikonischen und symbolischen Zeichen zuordnen. Während erstere auch von Hegel »Zeichen« genannt werden – verstanden als »äußerer, zufälliger Ausdruck«71 –, heißen letztere »Namen«, die ikonischen Zeichen hingegen »Symbol«. Während die über Zeichen verfügende Intelligenz mechanisches Gedächtnis getauft wird, begreift Hegel die Zeichen hervorbringende Intelligenz als produktives Gedächtnis: »Diese Zeichen erschaffende Thätigkeit kann das produktive Gedächtnis […] vornemlich genannt werden, indem das Gedächtniß, das im gemeinen Leben oft mit Erinnerung, auch Vorstellung und Einbildungskraft verwechselt und gleichbedeutend gebraucht wird, es überhaupt nur mit Zeichen zu tun hat.«72 Vor diesem systematischen Hintergrund heben sich die drei – mit Blick auf das stoicheiographische Dogma – entscheidenden Thesen Hegels ab: (1) »Die Ausbildung der Tonsprache hängt zugleich aufs genaueste mit der Gewohnheit der Buchstabenschrift zusammen, durch welche die Tonsprache allein die Bestimmtheit und Reinheit ihrer Articulation gewinnt.«73 Gleich Humboldt legt Hegel alles Gewicht auf den Gedanken der Wechselwirkung. Die Tonsprache ist auf ihre Einbildung durch die Gewohnheit der Buchstabenschrift angewiesen. Bester Beweis in Hegels Augen: Die chinesische Tonsprache ist unvollkommen, gerade weil es ihr an alphabetschriftlicher Eingewöhnung mangelt. Anders gesagt: die chinesische Ideographie, die er für eine Art Hieroglyphik hält, ist nicht symbolisch-reflexiv, sondern symbolisch-repräsentiv – und darin allerdings »dem Statarischen der chinesischen Geistesbildung«74 wiederum vollkommen angemessen. (2) »Die Buchstabenschrift ist an und für sich die intelligentere«75, das Wort die »würdigeste Art« der Bedeutungsvermittlung. Hegels 128 | Symbolische Differenz
Argumentation: Indem die Alphabetschrift das »Zeichenmachen« auf nur wenige, einfache Buchstabenelemente und diese zu »Urgebehrden des Articulierens«76 reduziert, erreicht sie die optimale Adäquation von Sprache und Schrift. Denn in dem Maße, wie die Tonsprache ihre Bedeutungen durch nichts als leere Namen vermittelt, in dem Maße vermittelt die Buchstabenschrift die Namen durch bedeutungsleere Elemente: »[D]er Name ist das einfache Zeichen für die eigentliche, d. i. einfache, nicht in ihre Bestimmungen aufgelößte und aus ihnen zusammengesetzte Vorstellung.«77 Da in hieroglyphischen und ideographischen Systemen die Bedeutungen den Schriftzeichen schon vorausgehen, können sie nicht »aus der unmittelbaren Analyse der sinnlichen Zeichen« entstehen – wie im Falle der Buchstabenschrift. Damit widersprechen sie für Hegel dem »Grundbedürfnisse der Sprache«, dem Bedürfnis nach Namen also, deren Form reduziert ist, »so reich ihr Inhalt in sich«78 auch sein mag. Der Name ist »einfaches unmittelbares Zeichen […], das als ein Seyn für sich nichts zu denken gibt, nur die Bestimmung hat, die einfache Vorstellung als solche zu bedeuten und sinnlich vorzustellen«79. Hegels Argumentation orientiert sich offensichtlich am Motiv des Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit. In Namen zu denken heißt, im freien Medium einer Sprache zu denken, deren Materialität die Entfaltung der in sie eingebildeten Bedeutungen optimal begünstigt. Doch nur je weiter sich die Form der Namen von dem Inhalt ihrer Bedeutungen entfernt, d. h. je fremder sie einander werden, desto einfacher – und das heißt: freier – sind sie für den Geist zu handhaben. Sowohl der vorstellenden als auch der denkenden Intelligenz kommt die Einfachheit der Vorstellungen entgegen, die sie aus den abstrakten Materialien, »in welche sie analysirt [also zerlegt] worden, wieder zusammen zu fassen«80. Ihr Bedürfnis besteht darin, die Synthesis (von Bedeutung) aufgrund der Wiederzusammensetzung des vormals in Buchstaben analysierten zu vollziehen. Ihr Vorteil zeigt sich darin, dass selbst bedeutungslose Buchstabenketten oder Silben zu Bedeutungen komponiert, nicht etwa selbst schon bedeutungsvolle Zeichen (wie Bilder oder Begriffszeichen) zu Bedeutungen zusammengesetzt werden. Ihre analytisch-synthetische Grundverfassung entscheidet über den »Wert der Schriftsprachen«. Für Hegel spiegelt sich der VorHegels Bestimmung der Buchstabenschrift | 129
rang buchstabenschriftlich verfasster Sprachen in der kulturellen Entwicklung ihrer Nation – und vice versa: »Eine hieroglyphische Schriftsprache erforderte eine ebenso statarische Philosophie als es die Bildung der Chinesen überhaupt ist.«81 Weil er die Avanciertheit der Bildung von der sprachlichen und buchstabenschriftlichen Entwicklung abhängig macht, kann Hegel schließen, dass das »Lesen- und Schreibenlernen einer Buchstabenschrift« »unendliches Bildungsmittel«82 sei. Nur in ihr werde der Geist angemessen vom sinnlich Konkreten (den situationsabhängigen Repräsentationen) zur Aufmerksamkeit auf das Formellere (den situationsunabhängigen Repräsentationen) gelenkt. Derrida musste aufgrund seiner metaphysikkritischen Unterstellung die entscheidende Pointe der Hegelschen Schrifttheorie entgehen, deren Witz auch dann erhalten bleibt, wenn man Hegel des stoicheiographischen Dogmatismus überführt zu haben glaubt. Denn für Hegel bewirkt die Buchstabenschrift zuletzt nichts weniger als »ein Wesentliches«, um »den Boden der Innerlichkeit im Subjecte zu begründen und rein zu machen«83. Er schreibt der Buchstabenschrift eine Mitverantwortung für die Konstitution des Subjekts, für die Begründung und Reinigung seiner Innerlichkeit zu. Die Buchstabenschrift bereitet den sprachlichen »Boden« des Subjekts. Zweifellos bleibt darin ein irreduzibel phonozentrisches Element. Denn Hegel kann sich das Subjekt nicht anders als ein nicht bloß schreibendes, sondern zuweilen eben auch sprechendes vorstellen. Wenn dies allerdings Phonozentrismus sein soll, dann dürfte der Vorwurf des Zentrismus sinnlos werden. Eine zweite Pointe: Für die Geistesbildung, heißt es in § 459, ist das Lesen- und Schreibenlernen eine unhintergehbare Voraussetzung – eine Trivialität, die zu erwähnen Hegel sich gleichwohl nicht zu schade ist angesichts der äußerst konzentrierten Paragraphen der Enzyklopädie. Das liegt an der überraschende Volte, mit der Hegel am Ende seiner langen Anmerkung aufwartet. Zuletzt erweist sich, so sein Gedanke, die Buchstabenschrift sogar als die eigentliche Hieroglyphenschrift und Ideographie. Denn wir bedürfen im gewohnten Umgang mit der Buchstabenschrift keines »Umweg[s] durch die Hörbarkeit« mehr. Problemlos verstehen wir im Lesen stumme Zeichen. Weder müssen wir uns die geschriebenen Bedeutungen oder Vorstellungen gedanklich illustrieren noch bedürfen 130 | Symbolische Differenz
wir ihrer Aussprache. Gegenüber der gesprochenen Sprache ist das symbolisch-reflexive Verhältnis von Bedeutung und Zeichen in der geschriebenen also noch einmal reflektiert. Das ist der Grund, warum – so Hegels eindrückliches Beispiel – im Lesen Ungeübte »das Gelesene laut vor[lesen], um es in seinem Tönen zu verstehen«84. Im Lesen alphabetschriftlicher Texte tut der Geist gar nichts anderes als »Buchstabenschrift in Hieroglyphen [zu] verwandel[n]«85. Somit »ist das hieroglyphische Lesen für sich selbst ein taubes Lesen und ein stummes Schreiben; das Hörbare oder Zeitliche und das Sichtbare oder Räumliche hat zwar jedes seine eigene Grundlage zunächst von gleichem Gelten mit der andern; bey der Buchstabenschrift aber ist nur Eine Grundlage, und zwar in dem richtigen Verhältnisse, daß die sichtbare Sprache zu der tönenden nur als Zeichen sich verhält«86. (3) Das motiviert die dritte These: »Die Intelligenz äußert sich unmittelbar und unbedingt durch Sprechen.« Anders als für Kant ist der kategoriale Verstand im System Hegels bereits ein Tonsprache sprechendes und Buchstabenschrift schreibendes Subjekt. Um dem Denken und nicht nur der Vorstellung, um also dem Gedächtnis und nicht nur der Erinnerung dienlich zu sein, muss der menschliche Geist zu einer doppelten, sprach-schriftlichen Reflexion fähig sein. Einmal als »Vermittlung der Vorstellungen durch das Unsinnlichere der Töne«. Hier werden die Bilder in abstraktere Töne verwandelt. Zweitens als Vermittlung der Töne (und gesprochenen Worte) durch das noch abstraktere Medium der Schrift (in Gestalt unbedeutender Buchstaben). Erst in der Schrift werden dem Geist die wesentlichen Operationen seines Denkens ungeschmälert zugänglich: Urteilen, Schließen, Begreifen.
6. Stoicheiographie und Akroamatik: Die symbolische Reflexivität der Schrift Neuere skriptizistische Studien bestätigen ganz unbefangen den Hegelschen Befund. Keineswegs aus Sympathie zu Hegel: »Sprache ist nicht das vorherrschende Thema der Philosophie des 19. Jahrhunderts: Hegel rechnet sie dem ›subjektiven‹ Geist zu, dessen perspektivische Beschränktheit von einer sich als episteme begreifenden Die symbolische Reflexivität der Schrift | 131
Philosophie aufzuheben ist.«87 Stetters Befund darf mit den guten philologischen Gründen des vorigen Abschnitts bezweifelt werden, ist hier aber nicht das Wesentliche. Wesentlicher ist, dass die Einsicht, dass Sprache für Hegel keine subjektiv-geistige Form ist, sondern ihren Ort auch systemarchitektonisch nur dort haben kann, wo sie als mit den objektiven Nationalsprachen und ihrer Schriftkultur vermittelte Form individueller Expressivität begriffen wird, überhaupt erst genaueren Einblick in die Adäquation der skripturalen und der akroamatischen Funktion von Sprache gewährt. Akroamatische Bedeutung gewinnt Sprache in ihrem Bestimmtsein für Andere; in ihrer dialogischen Ausrichtung auf Hörende. Dies darf nicht mit dem Sender/Empfänger-Modell kybernetischer Kommunikationstheorien verwechselt werden. Denn gerade die Entkoppelung von Stoicheiographie und Akroamatik, die Gleichgültigkeit der Schrift gegenüber dem lebendigen Dialog, ist das – nicht zuletzt für Derrida – entscheidende Moment digitaler Medialität. Dies nicht erkannt zu haben, wird man allerdings einer von vordigitaler Medialität ausgehenden Metaphysik Hegels und Humboldts vernünftigerweise kaum vorwerfen wollen. Deren zeitgenössisch verweigerte sprachphilosophische Kommunikation88 lässt sich daher als eine Art Geistergespräch ihrer schriftphilosophischen Unterschiede inszenieren, die in der Apologie des Primats der Stoicheiographie übereinkommen. Humboldts und Hegels Bestimmungen der Schrift lassen eine Spannung erkennen, die sich zwischen den Polen von Autonomie und Repräsentationalität auftut. Zum einen gilt ihnen die Alphabetschrift als eigenständige Symbolordnung, zum anderen wird sie als Notationssystem begriffen, das eine korrespondierende Wortsprache unsystematisch in eine Form der Wortschrift, aber eben nicht der Lautschrift verwandelt. Daher kann die von Hegel inspirierte Frage: »Wie intelligent ist die Buchstabenschrift« nicht quantitativ, ja im Grunde überhaupt nicht beantwortet werden. Zeigen lässt sich aber, warum sie eine sprachphilosophisch relevante Frage ist. Dann freilich bedarf es einer zweiten Formulierungsverschiebung. Die Frage »Wie intelligent?« impliziert eigentlich die Frage »Inwiefern ist die Buchstabenschrift intelligent?«, d. h. unserem theoretischen Geist angemessen. Die Antwort könnte lauten: 1) insofern sie durch eine Beschränkung an graphematischen Formen ein größtmögliches Maß an Freiheit 132 | Symbolische Differenz
im Transport und in der Speicherung möglicher Inhalte zulässt; 2) insofern sie selbst weder Bild- oder Begriffs- noch aber auch reine Lautschrift ist; 3) insofern sie in Form von Schrift die Opposition von Sprache und Schrift gerade unterläuft. Hier sind die Studien Christian Stetters auch deshalb so einschlägig, weil sie eine Hegel und Humboldt ähnliche Argumentation entwickeln, ohne im Bann idealistischer Voraussetzungen zu stehen. Auch Stetter geht davon aus, dass die Alphabetschrift aus einer »phonematische[n] Analyse«89 der semitischen und phönizischen Konsonantenschriften hervorgegangen sei. Das veränderte Schriftsystem führt die Opposition zwischen Konsonantbuchstabe und Vokalbuchstabe ein, welche im Schriftbild selbst keinen Unterschied macht. Auch können, trivial zu sagen, visuelle Grapheme nicht klingen. Daher funktioniert die Alphabetschrift nicht als Lautschrift. Denn die Buchstaben bezeichnen keineswegs bedeutsame Laute, sondern bilden durch deren Kombination und Zusammenfügung Wörter, Sätze, Texte: »Summengegenstände«. Das Funktionsprinzip der Alphabetschrift ist eine extensive Kombinatorik solcher Wortgegenstände, nicht etwa die Nachbildung von Lauten: »Diese, nicht ihre miteinander verknüpften Teile sind demnach als die elementaren Einheiten einer Sprache anzusprechen, hier eben einer Schrift-Sprache. Denn erst sie weisen die für jede sprachliche Einheit als solche konstitutive Eigenschaft auf, unauflösliche Einheit von signifiant und signifié zu sein.«90 Ein dem Laut zugeordnetes Graphem trägt selbst noch keine Bedeutung, ist kein Signifikat, sondern für sich genommen zunächst nichts anderes als Signifikant. Ihre signifikative Einheit erreichen erst Buchstabenkombinationen, die sich als Ganze im Wort und zwar als Bedeutung materialisieren. Welche Bedeutung (signifié) welchen signifiant zugewiesen bekommt, ist ebenso geschichtlich kontingent wie semiotisch arbiträr. Implizit greift Stetter die Hegelsche Idee ursprünglicher buchstabenkombinatorischer Synthesis in Gestalt einer skripturalen Zusammensetzung des Unzusammengesetzten auf, deren materialer Signifikant eine synthetisierte Einheit mindestens zweier Grapheme ist. So besteht die Bedeutung des Wortes (1) »in« aus i + n, Die symbolische Reflexivität der Schrift | 133
ohne dass das Signifikat /in/ etwa aus einer Komposition der Bedeutung von »i« und der Bedeutung von »n« entstanden wäre. Darin erweisen sich schon kleinste sprachliche Entitäten als Symbolschemata eines nach Regeln aus Teilen gebildeten Ganzen.91 Sie zeigen, wie bereits von Derrida hervorgehoben, dass die Differenz von Sprache und Schrift selbst nur in der Schrift offenbar gemacht werden kann. Zwar neigen wir zu glauben, dass »i« + »n« das literale Wort »in« ergäbe, welches dann als Name des oralen Wortes /in/ erscheint. Erzeugt werden solche Figuren jedoch allererst durch Trans-Skription. Wohl gibt es den Laut /in/, aber zum bedeutungstragenden Wort wird es erst durch eine vom gesprochenen Wort unterscheidbare Verschriftung. Das hat zur Folge, dass der Gebrauch der gesprochenen Sprache zunehmend von den Normen der literalen durchformt wird. Als Symbolschemata gewinnen Wörter durch einen, wie Stetter ausführt, dreifachen Prozess Bedeutung: Erstens dadurch, dass es in der jeweiligen Schriftsprache mit ähnlichen und unähnlichen Schemata verglichen und als unverwechselbare Gestalt erkannt wird (Notationalität, Differenzialität); zweitens dadurch, dass es regelmäßig im syntaktischen Verbund verwendet und dadurch einer Wortart zugemessen wird (Operativität, Systematizität, Regularität); drittens dadurch, dass es auf Sachverhalte, auf Welt bezogen werden kann (Referenzialität und Metaschriftlichkeit). Stets bleibt allerdings die bereits hervorgehobene Asymmetrie bestehen. Die Zuordnung orales Wort : literales Symbolschema ist selbst nur in der Schrift möglich, ihre »Abbildung kann nur in einem dafür geeigneten Symbolismus organisiert werden«92. Geeignet scheint die Alphabetschrift gerade durch ihren Verzicht, akustische Laute visuell nachbilden zu wollen. Die Schrift folgt nicht der Sprache, sondern entwickelt in ihrer Übersetzung eine dieser und ihrer selbst angemessene symbolische Reflexivität. Dieser »Skriptizismus«93 zeigt sich in Stetters zweitem Beispiel: (2) /ge:bn/ ↔ .
Die Auszeichnung der Buchstabenfolgen macht aus /ge:bn/ kein orales Wort, sondern ein in Lautschrift geschriebenes: »Der Repräsentationsmythos funktioniert also nur auf der Grundlage eines durch und durch literalen Sprachspiels.«94 Ideographien wie das 134 | Symbolische Differenz
Chinesische lösen das Verschriftungsproblem, indem sie nicht Signifikanten (d. h. materiale Graphemformen), sondern Signifikate (d. h. ideelle Bedeutungen) verschriften, gleichsam Phono-Logogramme bilden. Die konsequente Lexikalisierung der Signifikate kämpft aber – das war schon Humboldts und Hegels Argument – mit einem schwierigen Problem: der Darstellung der grammatischen Morphologie. Demgegenüber besteht der universelle Zug der Alphabetschrift darin, nicht Signifikate, sondern Signifikanten zu verschriften. Vermöge dieses zusätzlichen Vermittlungsschritts lässt sich mit ihrem Verfahren nun virtuell jede gesprochene Sprache verschriften. Die erste Pointe der Alphabetschrift besteht also darin, sich differentiell zu konstituieren: Vokal-/Konsonantbuchstaben, Getrennt-/Zusammenschreibung, Groß-/Kleinschreibung; ihre zweite Pointe darin, die Phoneme zu variieren und zwar je nach Position in der Silbe, nach Kombination mit anderen Phonemen, nach Artikulationsmodus. Insgesamt errechnet Stetter ein Repertoire von ca. vierzig Phonemen und ca. 403 Phonemvarianten. Diese beträchtliche Menge lässt sich vermöge der Alphabetschrift, und auch deshalb ist sie keine Lautschrift, auf 30 bis 40 Varianten reduzieren. Diese werden dann zu graphematisch fixierten und dadurch vereindeutigten Hauptvarianten von Phonemen. Überflüssig daher, bestimmte Gutturallaute etwa des Arabischen eigens zu graphematisieren: »Die tatsächliche Bedeutung der Entwicklung des ersten (ionischen) Alphabets liegt […] in der quantitativen Reduktion der kleinsten kombinatorischen Konstituenten von Sprache um ganze Größenordnungen.«95 Im Ganzen ist die graphematische Reduktion der Phoneme »diagrammatischer Natur«: das eine ist nicht das andere; A, a, B, b, sind syntaktisch disjunkt. Daraus ergibt sich die bereits angesprochene Reduktion der Differenzen: »Die epochale Bedeutung der Entwicklung der Alphabetschrift liegt also in der damit gewonnenen Möglichkeit, sprachliche Informationen digital darzustellen.«96 Dieser Differenzialität als, au fond, digitaler Code entspricht das alphabetisch organisierte zweidimensionale »Inskriptionsschema, das nach rechts und nach unten offen ist«97. Erweist sich damit der Sinn der Hegelschen und Humboldtschen Formulierung des stoicheiographischen Dogmas als wenn nicht begründet, so doch mindestens argumentativ einholbar? Insofern Die symbolische Reflexivität der Schrift | 135
Sprache und Schrift sowohl kognitive als auch kommunikative Funktion gewinnen können, zielte Hegels Adjektiv »intelligent« auf den Erweis der Überlegenheit der Alphabetschrift für die kognitivoperative Funktion von Sprache. Das aber impliziert nicht, dass sie auch die überlegene Form kommunikativen Handelns ist. Denn die beruht, darin ist Hegel Aufklärer geblieben, nicht nur in der kalkülisierbaren Operativität des Verstandes, sondern auch in der imaginativen Sozialität der lebendigen Rede. Hegels scheinbare Parteinahme für das »phonographische Dogma« hat ihren Grund in der Insistenz auf der kognitiv bedeutsamen Synthesis von Sprache und Buchstabenschrift. Eine holistische Sprachbetrachtung wäre mit der Trennung sowohl von Sprache und Schrift als auch von Verstand und Vernunft nicht zu gewinnen. Nicht beantwortet werden sollte die Frage, warum die Alphabetschrift »intelligenter« ist als andere, sondern nur: warum sie als »intelligent« begriffen werden kann. Dem bisher gesagten lassen sich zwei Antwortperspektiven abgewinnen, die komplementär sind: (i) Die Buchstabenschrift ist dem symbolisch-reflexiven Wesen unserer Sprache in höchstem Maße angepasst (ii) und sie ist dem Wesen unseres Geistes als eines imaginativen überaus angemessen. Denn die Buchstabenschrift eröffnet gerade aufgrund ihrer Inkongruenzen – dass sie die gesprochene Sprache repräsentiert, aber keine Phonographie ist; dass die Zuordnung von Graphem und Phonem unsystematisch ist; dass sie Bilder evozieren kann, aber nicht bildlich ist – einen Möglichkeitsspielraum nicht streng repräsentationaler oder referenzieller Beziehungen. Zwischen Sprache und Buchstabenschrift herrscht ein Verhältnis symbolischer Reflexivität. Die Einbildungskraft wird von der symbolischen Ordnung der Buchstabenschrift offenbar gerade deshalb unterstützt, weil sie (i) nicht ideographisch Bedeutungen mit Zeichen oder logographisch ganze Wörter oder Ausdrücke mit einem eigenen Zeichen versieht, sondern konventionell arbiträre Grapheme an wiederum arbiträre Lautsegmente bindet, und weil sie (ii) die ikonischen Zeichen weitgehend tilgt. Imagination ist also selbst gerade nicht auf bildliche Zeichen, auf Ikonizität angewiesen, um Vorstellungen zu bilden. Innere Bilder und Vorstellungen werden nicht bildlich entäußert, sondern in der verallgemeinernden Abstraktion von Schrift und Sprache. Nicht das innere Bild wird äußerlich anwesend gemacht, 136 | Symbolische Differenz
sondern dessen Bedeutung. Das erst erlaubt die fließenden Übergänge, anders gesagt: die symbolische Reflexion von Vorstellung und Begriff. Beide werden in demselben Medium der Buchstabenschrift geäußert und damit allererst kommensurabel.
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Systematische Metaphern Figuratives Wissen zwischen kognitiver und historischer Semantik
1. Metaphern als philosophisches Problem Gute Metaphern stören nur dort, wo sie fehlen. Das gilt nicht bloß für literarische, sondern auch für philosophische Texte. Lange Zeit schienen Formen der metaphorischen Rede vor allem für formale Terminologien ein Ärgernis. Es stand der Verdacht im Raum, metaphorische Sprechweisen beförderten jene Formen »metaphysischer Begriffsdichtung«1, die der Logische Empirismus auf den Schutthaufen der Philosophiegeschichte zu werfen trachtete. Tatsächlich lassen sich für metaphorische Sätze weder einfache Verifikationsbedingungen angeben, noch können sie problemlos begrifflich präzisiert, geschweige denn formalisiert werden. Noch vor dreißig Jahren haben Lakoff und Johnson ihre berühmte Studie mit Rechtfertigungsrhetorik einleiten müssen: »The fear of metaphor and rhetoric in the empiricist tradition is a fear of subjectivism – a fear of emotion and the imagination. […] To use words metaphorically is to use them in an improper sense […] and thus to lead us away from the truth and toward illusion.«2 Evidenterweise mussten Überlegungen zur Rehabilitierung der Metapher auf Autoren der analytischen Philosophie selbst zurückgreifen (Black, Goodman, Davidson u. a.), um sie einem von ihr dominierten Philosophiejargon wieder hoffähig, ihre Erforschung zu einem respektablen philosophischen Thema zu machen. Weniger – und dies dürfte den Erfolg erklären –, indem man die metaphorische Rede zur erlaubten oder zumindest tolerierten philosophischen façon de parler erklärte. Überzeugender dürfte vielmehr die Einsicht in die Unmöglichkeit strikter Unterscheidung zwischen begrifflicher und metaphorischer Sprache gewesen sein. Denn in der Tat zeigt der metaphorische Gehalt selbst abstrakter Begriffe, | 139
dass Metaphorizität nicht zum bedauerlichen Betriebsunfall innerhalb eines im Übrigen begrifflichen Denkens neutralisiert werden kann. Damit befindet sich jede streng begriffsorientierte Einstellung in einem Dilemma. Denn die behauptete Wahrheits- und Vernunftferne metaphorischer Rede muss zwangsläufig in Konflikt mit ihrer Allgegenwart geraten. Inzwischen ist dieses Dilemma zum Vorteil der Metaphorizität philosophischer Sprache gemünzt und zur Produktivität der Metapher erklärt worden. Wo die Metapher als würdiger Ausdruck der Philosophie anerkannt wird, kann die Opposition heute nicht mehr die zwischen metaphorischer und nichtmetaphorischer Rede in der Philosophie sein, sondern nur noch die zwischen gelungenen und misslungenen Metaphern. Die philosophisch prägnanten Probleme haben sich mit der Entspannung der Lage keineswegs verflüchtigt. Nur zwei von ihnen seien im Folgenden diskutiert. Erstens der Umstand, keine metaphernfreie Metasprache für den metaphorischen Objektbereich zu haben – und schon im Terminus »Metasprache« stecken zwei Metaphern. Daraus folgt zunächst, dass die zur Vermeidung von Antinomien, Zirkeln und Paradoxien oft hilfreiche Unterscheidung von Objekt- und Metasprache hier nicht reibungslos anwendbar ist. Das Problem scheint zunächst ein aus der Philosophie der Sprache und des Geistes wohlbekanntes zu sein. Auch hier ist die Differenz zwischen Gegenstand und Untersuchungsmedium, zwischen Explanandum (Sprache oder Geist) und Explanans (Sprache oder Geist), verwischt oder nur künstlich zu trennen. Nur war eigens deshalb jene Differenz von Objekt- und Metasprache eingeführt worden, die auf Metaphernanalysen so einfach nicht übertragbar ist. Fruchtbar an dem Vergleich dürfte sein, dass er auf die interessante Liaison von Philosophie der Sprache und Philosophie des Geistes deutet, in deren Schnittfläche auch die philosophische Metaphernforschung ihren Ort hat. Das zweite Problem entspringt der Frage, ob man überhaupt von spezifisch philosophische Metaphern reden kann, und es überrascht, dass trotz des erwachten Interesses bislang offen blieb, worin eigentlich ihre spezifisch philosophische Funktion besteht. Wohl gibt es Metapherntheorien von Philosophen oder philosophische Theorien der Metapher, kaum jedoch Theorien der philosophischen Me140 | Systematische Metaphern
tapher als philosophische Theorien philosophischer Metaphern. Das von Ralf Konersmann unternommene Wörterbuch der philosophischen Metaphern (2007) war ein bedeutsamer Schritt, diese Lücke zu schließen und Metaphern als eine spezifische, eben »figurative« Form philosophischen Wissens lexematisch zu erfassen. Schon aus wissenschaftspragmatischen Gründen müssen Wörterbuchunternehmungen allerdings von der Prämisse ausgehen, dass philosophische Metaphern zunächst schlicht solche Redefiguren sind, die in anerkanntermaßen philosophischen Texten »auftauchen«. Diese pragmatische Entscheidung verschiebt das Problem auf die Frage, was ein philosophischer Text sei. Mit Grund wird die volle Komplexität der Frage nach dem philosophischen Gehalt von Metaphern, nach der spezifischen Differenz philosophischer Metaphern vermieden. Stattdessen wollen die folgenden Überlegungen das Terrain abermals verkomplizieren, um auf den Vorschlag zuzulaufen, diejenigen Redefiguren, die man vielleicht systematische Metaphern nennen könnte, einem spezifisch philosophischen Gebrauch von Metaphorik zuzuordnen.
2. Probleme einer allgemeinen Metaphernbestimmung Metaphernforschung ist ein entmutigend weites Feld. Gegenwärtig werden kognitive,3 neuronale,4 kulturwissenschaftliche und komparative5 Metapherntheorien diskutiert. Es gibt Substitutions-, Interaktions- und Kommunikationstheorien der Metapher.6 Ungeachtet ihrer Diversität orientieren sich die meisten Vorschläge noch an der Idee eines Übertragungsvorgangs als dem übergreifenden Merkmal metaphorischer Wendungen. Seit Aristoteles’ Bestimmung, Metapher sei die Übertragung (wiederum ein metasprachlicher Begriff metaphorischen Gehalts) eines Worts zwischen Gattung und/oder Art,7 hält sich die Auffassung, dass der überwiegende Teil metaphorischer Formulierungen auf einem impliziten Vergleich beruhe. In dem (der Form nach) prädikativen Satz, den Ludwig Börne in seinen Pariser Briefen äußert: (1) »Paris ist die Sonne« (Börne),
zeigt die Kopula »ist« keine Identitäts- oder Prädikationsaussage an, Probleme einer allgemeinen Metaphernbestimmung | 141
sondern allenfalls eine ähnliche Versammlung von Eigenschaften. Erzeugt wird die Übertragung von Prädikaten oder semantischen Feldern auf eine andere semantische Ebene: Was die Sonne für das Leben auf der Erde bedeutet, entspricht der politischen und kulturellen Bedeutung Paris’ für die französische Nation im Ganzen. Auf der wörtlichen Ebene sind Metaphern »falsch« und man spricht seit Aristoteles von übertragener Bedeutung, von Wahrheit in einem übertragenen Sinn. Auch das ist wörtlich und metaphorisch zu verstehen. Aus einem Bereich wird eine bestimmte Redeweise auf einen anderen übertragen. Damit ist eine erste, freilich problematische Unterscheidung eingeführt: die zwischen eigentlicher (wörtlicher) und uneigentlicher (metaphorischer) Rede. Dass Metaphern verkürzte Vergleiche sind, »figurative Ähnlichkeitsaussagen«8 enthalten, stellt die folgende Minimalbestimmung von Reimer und Camp fest: »[…] Metaphor is […] a figure of speech in which one thing is represented (or spoken of) as something else.«9 Wenngleich als »tentative characterization« gedacht, scheint die Definition nicht sonderlich glücklich, mindestens aber in zweifacher Hinsicht problematisch. (i) Die Bestimmung trifft zwar ein allgemeines Moment der Funktion von Metaphern, bleibt aber beliebig und leer, weil sie genau so gut eine Definition des Zeichens oder Symbols sein könnte: aliquid stat pro aliquo. Die Bestimmung als »Redefigur« neigt ferner der umstrittenen Auffassung zu, dass Metaphern primär linguistische Phänomene seien, droht also deren subsprachliche Bildlichkeit zu unterschlagen. (ii) Zweitens wird die Struktur der Repräsentation zugrundegelegt, was suggeriert, die übertragene repräsentiere eine eigentliche (wörtliche) Bedeutung. Angemessener wäre wohl, den Charakter ihrer symbolischen Reflexivität hervorzuheben. Doch nicht nur der Umstand, dass vermeintlich wörtliche Bedeutungen früher selbst einmal metaphorische waren – und umgekehrt –, sondern auch, dass es für die metaphorischen Formulierungen zuweilen gar keine wörtlichen Ersetzungen gibt, lässt sehen, wie wenig die strenge Unterscheidung von litera – metaphora der Belastung standhält.10 Sie unterstellt die Ursprünglichkeit des Wörtlichen gegenüber der Abkünftigkeit des Metaphorischen, wo doch äußerst fraglich ist, ob in Signifikantenketten Erstes und Zweites überhaupt getrennt werden können. 142 | Systematische Metaphern
Dieser Umstand verweist auf die Kontextabhängigkeit der Metapher. Paul Ricœur argumentiert, dass eine allgemeine Metapherntheorie nicht zu gewinnen ist, weil Metaphern allein aus dem Kontext erhellen, in dem sie stehen. Natürlich lassen sich einige verallgemeinerbare Strukturen ableiten (das wäre Aufgabe der kognitiven Semantik), die dann jedoch stets kontextualisiert und historisiert werden müssen (das wäre Aufgabe der historischen Semantik). Dieser Zusammenhang scheint für eine philosophische Theorie philosophischer Metaphern besonders relevant. Dann nämlich umfasste eine philosophisch präzise Theorie der Metapher zwei Explikationsebenen. Sie hätte (i) zu erläutern, wie Metaphern in der Philosophie systematisch gewonnen werden, und (ii) zu erklären, wie ein philosophischer Text, um den beabsichtigten Sinn zu erhalten, einer bestimmten, zu systematischen Zwecken eingesetzten Metaphorik bedarf. Beides zusammen macht die systematische Metapher aus.
3. Konzeptuelle Räume: Metaphern in der kognitiven Semantik Metaphern haben einen ikonischen Gehalt. Dennoch neigen sprachanalytische und interaktionistische Metapherntheorien dazu, diesen Bildaspekt zu unterschätzen. Ihnen gelten Metaphern als sprachliche Ausdrücke; sie sind, wenn irgend, primär Sprachbilder. Eine differenziertere Bestimmung sollte freilich zwischen dem unterscheiden, was Metaphern evozieren, und dem, was sie sind – wobei der Unterschied zwischen Bedeutungs- und Ausdrucksseite keineswegs eindeutig ist. Das jedenfalls legen Erkenntnisse der kognitiven Semantik nahe, die sich ihrerseits dem Einwand aussetzen, ins andere Extrem zu fallen. Denn im Unterschied zur linguistischen Auffassung betrachtet die kognitive Semantik Metaphern als konzeptuelle Figuren, die erst in zweiter Linie auch sprachliche Phänomene sind. Gemäß dem Grundsatz kognitiver Semantik, dass Bedeutungen nicht weltabbildend, sondern »meanings […] in our heads«11 seien (d. h. Ausdruck stabiler und verkörperter kognitiver Strukturen), werden diese Bedeutungen auf bestimmte Grundfiguren oder image schemas zurückgeführt. Zwar unterstellt die kognitive Semantik keine mentale Sprache der Bedeutungen, in die wir unsere Metaphern in der kognitiven Semantik | 143
gesprochenen Sprachen stets rückübersetzen können, wohl aber bestimmte Grundschemata. Der kognitiven Semantik gelten Metaphern primär als Sprachbilder. Folglich gehört zu den Prämissen der Analyse von Bildschemata, dass sich in den kognitiven Strukturen Bewegungen und Kräfte ausdrücken, die eine topologische Ordnung erkennen lassen. Entsprechend werden Bildschemata als »dynamic analog representations of spatial relations and movements in space«12 definiert – eine Formulierung, die auf Mark Johnson zurückgehen dürfte: »An image schema is a recurring, dynamic pattern of our perceptual interactions and motor programs that gives coherence and structure to our experience.«13 Zu vermuten steht, dass Metaphern Ausdruck räumlicher Verhältnisse sind, deren Analyse zugleich zentrale geometrische Strukturen unserer Kognition, vor allem ihrer grundlegenden conceptual domains, aufdecke.14 Dargestellt werden Bildschemata anhand der Zweiheit von landmark und trajector (beide metaphernanalytischen Begriffe sind wiederum selbst Metaphern), von Ruhepunkt und Bewegungspunkt, so dass etwa die Bedeutungen von »nach oben« oder »auf« und »nach unten« oder »unter« als vertikale Bewegung von einem fixierten landmark zum trajector verstanden werden kann.15 Erkennbar wird, dass Adverbien und Adjektive, die offensichtlich eine basale metaphorische Struktur aufweisen, vielleicht zu den wenigen Ausdrücken gehören, die bereits wortsemantisch als Metaphern bestimmt werden können. Ein anderes Beispiel ist Langackers Bildschema für »hinüber« (Abb. 1):
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lm t Abb. 1: R. W. Langacker: Concept, Image and Symbol, Berlin/New York 1990, 22. 144 | Systematische Metaphern
Deutlich wird, dass sich nicht erst in Substantiven, sondern schon in Propositionen wie »in«, »unter«, »auf«, »zwischen« räumlich strukturierte mentale Repräsentationen offenlegen.16 Lakoff/Johnson und Langacker vermuten, dass prinzipiell alle Wortarten einem image schema zugeordnet werden können – was bei Verben wie »klettern« oder »verlassen« noch recht plausibel zu demonstrieren ist.17 Lakoff geht so weit anzunehmen, dass sich alle Metaphern auf spatiale, topologische und geometrische Dimensionen zurückführen lassen.18 Richtig ist mit Sicherheit, dass sich vor allem zeitliche Verhältnisse – etwa der Zeitpunkt t2, der »zwischen« t1 und t3 liegt – auf räumliche Verhältnisse abbilden lassen. Nach Überzeugung der kognitiven Semantik ist die Raumdimension grundlegender als die Zeitdimension. Deshalb finden zwischen Ort und Zeit häufig Übertragungen statt, etwa, wenn wir von einer »fernen Zukunft« sprechen und Längenparameter dort verwenden, wo wir eigentlich etwas über Zeit aussagen wollen. Diese Übertragungen sind in der Regel asymmetrisch, Raum nicht auf Zeit reduzierbar.19 Was aber wird hier übertragen und warum bestimmt schon Aristoteles solche Sprachbilder als metaphora, als Übertragungen? Nimmt man als Beispiel die Metapher des »Gipfels«, die sich in ihrer, vermeintlich, wörtlichen Bedeutung problemlos als vertikal höchster Punkt eines horizontal ausgedehnten Objekts begreifen lässt, und spricht man in diesem Sinn vom »Gipfel einer Karriere«, so wird eine ähnliche topologische Struktur aus der geometrischen Ordnung eines realen Bereichs auf einen anderen Bereich übertragen, in dem es um zeitliche und kulturelle Dimensionen eines sozialen Status’ geht. Geboren ist damit eine Redefigur, die sich reibungslos des Repertoires der gesamten Semantik des Ursprungsbereichs (Berg, Gipfel etc.) bedienen kann: Man »klettert« auf den Karrieregipfel, »fällt« tief, muss sich anstrengen, benötigt »Seilschaften« etc.20 Kognitiver Semantik zufolge sind Metaphern Ausdruck der Ähnlichkeit topologischer oder geometrischer Strukturen zwischen natürlicherweise getrennten Bereichen. Ein Begriff, der die Struktur eines bestimmten Bereichs der source domain repräsentiert, kann als Metapher benutzt werden, um die Struktur in einem anderen Bereich, der target domain zu erklären.21 Damit kann die Metaphern in der kognitiven Semantik | 145
Metaphernanalyse auch verborgene kognitive Strukturen und Wissensfiguren einer Sprache aufdecken.22 An dem Beispielsatz: (2) »Die Liebe ist ein Frühling« (Tieck)
lässt sich die Sphäre D1 (= Jahreszeiten) als der umfangreichere und die topologischen Strukturen bereitstellende Bereich bestimmen. Die Sphäre D2 (= Liebe) repräsentiert den Zielbereich, auf den übertragen wird und der in der Regel die »geistigere« Sphäre darstellt. So wie zuvor von D1 (Berg, Gipfel) auf D2 (Karriere) übertragen wurde, so wird jetzt von D1 (= Jahreszeiten) auf D2 (= Liebe) übertragen. Daraus folgt freilich, dass sich in der Übertragung Strukturen in ihrem neuen semantischen Umfeld diesem sogleich anverwandeln. Mehr noch: es werden andere und neue Verbindungen eingegangen, neue Deutungen und Bedeutungen erzeugt. So werden mit der Struktur »Jahreszeiten« auch die Strukturkomponenten »Wärme/ Kälte«, »Dauer/Wechsel«, »Blühen/Verwelken« etc. übertragen, bilden aber zugleich Verbindungen zu fremden semantisch-metaphorischen Feldern aus: »Herz«, »rot«, »Paar« etc., die in der source domain D1 nicht schon enthalten waren. Es gibt bei aller Parallelität auch eine strukturelle Asymmetrie in dem Verhältnis der domains. Wir können etwa die Semantik von »Herz«, »rot« etc. aus D2 nicht rückübertragen in D1. Und wir können mit dem Begriff des Wegs Vorgänge im Denken beschreiben, nicht aber mit dem Begriff des Denkens reale Erd- oder Wasserwege. Man kann festhalten, dass die Übertragung zwischen Domains von einer Überlagerung der semantischen Felder geprägt ist. Es kommt zu Überlappungen, nicht etwa zu Abbildungen. Die Überlappung sowohl der source domains als auch der target domains kann sich beim Übertragen der Metaphern auf andere Bereiche sowohl erkenntniserweiternd als auch erkenntnishemmend auswirken. Metaphern gelingt die kreative Entdeckung von Ähnlichkeiten zugrunde liegender Strukturen, indem sie andere ausschließen.23 Wird eine Redeweise aus einem bestimmten Bereich D1 auf einen anderen Bereich D2 übertragen, so kann die Metapher in diesem Bereich einen neuen logischen Raum, eine andere »Resonanz«24, neue »Redekonsequenzen«25 entwickeln. Hat man etwa den Begriff des Virus aus dem Bereich D1: Medizin und Virologie, auf den Bereich D2: elektronische Datenverarbeitung übertragen, wird 146 | Systematische Metaphern
es möglich, von »Computerviren« oder »infizierten Rechnern« zu sprechen. Die beiden Bereiche, die eine Metapher möglicherweise neuartig verbindet, beinhalten dann »the same skeleton of semantic relations«26. Gewiss sind Metaphern keine Bilder im engeren Sinn, können aber auf ähnlichen Bildschemata beruhen. Daraus lässt sich allerdings kein Universalitätsanspruch der Einsichten kognitiver Semantik in die metaphorische Relevanz von image schemas ableiten. Denn die Auffassung, es handele sich um geradezu transzendentale, subsprachliche Strukturen, die dann in Sprache verwandelt werden, ist nicht zu halten. Arbeiten allgemeine Metapherntheorien Strukturähnlichkeiten heraus, so dürfen solche Isomorphien nicht vergessen lassen, dass der Gebrauch von Metaphern mindestens in der Philosophie radikal text- und kontextabhängig ist. Damit wächst einer philosophischen Theorie der Metaphern die Aufgabe zu, deren kognitiv-konzeptuelle Systematik auch mit ihrer historisch-kontextuellen zu vermitteln.
4. Mentale Synthesis: Systematik und Produktivität der Metapher Aus mehreren Grüunden bedarf das für einen begrenzten Bereich plausible, aber einseitige Theoriemodell der kognitiven Semantik der Ergänzung. (i) Problematisch ist zunächst, Metaphern der Alltagssprache exklusiv in den vorsprachlichen Bereich mentaler Repräsentationen und Bildschemata zu verlegen. Darin mag sich zwar ein genereller Trend innerhalb der Kognitionswissenschaften äußern, die Tendenz, hinter die linguistische Wende zurückzugehen und ihre Verengungen zu vermeiden: »the locus of metaphor is not in language at all, but in the way we conceptualize one mental domain in terms of another.«27 Aus sprachpragmatischer Perspektive macht sich jede kognitive Semantik allerdings verdächtig, die Metaphern erst aus der realen Sprache gezogen, dann aber zu image schemas ausgedünnt zu haben, um sie schließlich in subsprachliche Entitäten umzudeuten, die uns transzendentalerweise eigen sein sollen. (ii) Die Grenzen dieser kognitiv-semantischen Methode sind rasch erreicht. Denn mit Bildschemata allein lässt sich der syntheSystematik und Produktivität der Metapher | 147
tische und integrative Charakter figurativ-metaphorischen Wissens nicht angemessen beschreiben. Vielmehr sind Metaphern als Formen mentaler Synthesis und symbolischer Reflexivität zu bestimmen, in denen semantische Informationen zum Zweck ihrer Verbindung zu einer kohärenten neuen Vorstellung vereinigt werden.28 Dazu gehört, dass die kognitive Semantik, trotz ambitionierter Ansätze, daran scheitert, Verbformen angemessen als Kraftverhältnisse oder topologische Strukturen zu beschreiben. Insbesondere sperren sich Modalverben jedem Zugang durch conceptual spaces, weil schon normalsprachlich selbstverständliche und triviale Unterscheidungen wie die zwischen sollen und müssen topologisch nicht zu fassen sind. (iii) Das dritte Problem führt ins Zentrum eines alternativen, synthetischen Erklärungsmodells. Die Annahme einer Dualität von domains (source und target) hebt nicht angemessen hervor, dass in der Metaphorisierung in der Regel Neues entsteht; dass sie – worauf insbesondere bei spezifisch philosophischen Metaphern zu achten ist – auf einer doppelten Übertragung beruht. Anders gesagt: Metaphern verdanken ihre Kraft einem produktiven Prozess nicht bloß der Übertragung, sondern der Interaktion zweier Bereiche.29 Diese stiftet etwas Neues, einen dritten Bereich: den metaphorischen Raum. Diese Auffassung metaphorischer Synthesis unterstellt nicht mehr, dass D2 erst von D1 aus erschlossen werden müsste, sondern lässt zu, dass D2 auch vor, neben oder unabhängig von D1 bestehen kann. Um diese Synthesis darzustellen, scheint ein Notationssystem nötig, das den Dualismus des Quell- und Zielbereich-Schemas vermeidet. Das Netzwerk-Modell der conceptual integration von Fauconnier und Turner gibt hierzu einen wichtigen Schlüssel an die Hand.30 Die Autoren gehen davon aus, dass jedes Verständnis auf einer begrifflich-metaphorischen Synthesis (conceptual-metaphorical blending) der Übertragung oder Ausdehnung beruht, in denen mentale Begriffsfelder (mental spaces) miteinander interagieren. Diese mentalen Felder sind semantische Felder (z. B. Aufstieg/Abstieg) gerahmt von bestimmten Frames (z. B. einen Weg entlang gehen) und einem spezifischen Langzeitwissen. Entsprechend bestehen konzeptuelle Netzwerke aus semantischen Feldern, ihren Rahmen und den zwischen ihnen möglichen Verbindungen. Diese Verbindungen treten zunächst als topologische oder seman148 | Systematische Metaphern
tische Parallelen zwischen den Eingabefeldern (mental oder input spaces) (MS) auf. Sämtliche Parallelen werden zu einem Allgemeinplatz oder Gemeinfeld (generic space) (GS) versammelt. Er enthält, was beide Einspeisungsfelder (input spaces) gemeinsam haben, etwa bei der Semantik von »Aufstieg« und »Abstieg« die Bewegung in der Vertikalen als eine Bewegung, die auf demselben Weg, aber in zwei Richtungen geht. Entscheidend ist, die Entwicklung emergenter, gleichwohl neuer Strukturen in einem eigens erzeugten semantisch-topologischen Feld, dem Blended Space (B) zu reflektieren. Im Unterschied zum Gemeinfeld (generic space) (GS) werden also nicht mehr nur Gemeinsamkeiten harmonisiert, sondern es wird eine neue innere Struktur erzeugt, die nicht schon in den mental input spaces (MS) vorgeprägt war, sich aber zwanglos durch Synthesis des Verschiedenen aus ihnen ergeben kann. In dem gewählten Beispiel des Aufstiegs und Abstiegs wäre dies etwa die Möglichkeit eines Orts, den man sowohl beim Auf- als auch beim Abstieg passiert. Nicht nur findet eine mentale Synthesis der Übertragung statt, sondern eine Art Komposition der semantischen Eingabeelemente (MS), die im blended space (B) etwas hervorbringt, das weder schon in den Eingabefeldern selbst (MS) lag, noch in dem Gemeinplatz (GS) bereits abgeglichen werden konnte (Abb. 2).31 Überträgt man diese zunächst abstrakt klingenden Einsichten auf ein konkretes Beispiel, etwa das semantische Feld des »Wegs« (Erd-, Luft- oder Wasserweg) als den ersten, und das semantische Feld »Denken« als den zweiten der beiden Input Spaces (MS), so mag die metaphorische Synthesis rasch deutlich werden. Anders als in der geläufigen Terminologie von Quell- und Ziel-, Spenderund Empfängerbereich, die eine Hierarchie von erster und zweiter Sphäre voraussetzt, kann mit dem Modell des conceptual blending die Systematik von Metaphern als eine Synthesis gleichberechtigter Eingabefelder (input spaces) angemessener beschrieben werden. Es wird deshalb auch nicht einfach zwischen D1 und D2 bzw. zwischen MS1 und MS2 übertragen, sondern es werden zwischen ihnen strukturelle Ähnlichkeiten abgeglichen (dies symbolisieren die durchgezogenen Linien) und in einem Gemeinfeld (im generic space) isoliert (dies symbolisieren die gestrichelten Linien), um dann zu ermitteln, welche neue Bedeutung der Blend ergibt. Systematik und Produktivität der Metapher | 149
Hier zeigt sich im konkreten Fall, dass im Gemeinfeld zwischen Weg und Denken Gemeinsamkeiten wie »Bewegung«, »Folgen«, »Herleiten«, »Sicherheit«, »Ziel« ermittelt werden können. Das Novum des Blends ist jedoch ein neues semantisches Feld, das mehr ist als die Summe der Bedeutungsebenen im generic space (GS). Denn für das »sichere Folgen im Denken« können wir jetzt das semantische Feld der Methode ableiten, in dem auch etymologisch »Weg« (hodos) steckt. »Methode« ist das neu erschlossene Bedeutungsfeld, das sich nicht schon tautologisch aus MS1 oder MS2 ergeben hätte. Das wird deutlich, wenn man den Blend weiter bearbeitet (»elaboriert«). Denn nun kann die Methode mit Attributen der Eingabefelder versehen und ausgeschmückt werden: Nun kann auch von einer »kühnen« Methode (aus dem semantischen Feld des »gefahrvollen Wegs«) oder einer »geistvollen« Methode (aus dem semantischen Feld des Geistes/Denkens) gesprochen werden; ebenso von einer ziel- oder irreführenden, von einer starken oder schwachen Methode. Daraus folgt: Bei produktiven Metaphern entsteht in dem Blend – als dem neuen, eigentlich erst metaphorischen Raum – kraft einer zweiten Übertragungs- oder Vergeistigungsleistung gegenüber dem MS2 etwas Neues, möglicherweise Unerwartetes und dennoch vollkommen Konsequentes und Einleuchtendes. Dieser Vorgang ist nicht bloß Analogie, Übertragung oder Vergleich, sondern Synthesis. Damit wird die Suggestion der klassischen Metapherntheorien, es handele sich um eine lineare Übertragungsbeziehung von D1 auf D2, relativiert und zugleich die Simultaneität der Synthesis betont. Entsprechend ist die Auslegung dieser Struktur nicht nur eine plausible Erläuterung der »Logik« von Metaphern, sondern des Imaginationsvermögens schlechthin – was erklärt, warum die Metapher unserem sprechenden Denken so unabdingbar wie natürlich ist. Festgestellt war bereits, dass die target domain (D2) mitunter selbst zur neuen source domain (= D3) werden kann. Genau darin besteht ein Hauptaspekt der Produktivität von Metaphern. Nun lässt sich genauer sagen: Es sind die blended spaces (B1 oder B2), die jetzt wiederum zum Material – also zu mental input spaces (MS) – eines neuen Blend (B3) werden können. Sagt man etwa: Diese Methode stehe »auf tönernen Füßen«, so verknüpfen wir die aus der Weg-Domain entliehenen Strukturen mit einem eigenen Blend, 150 | Systematische Metaphern
das Architektur- oder Bildhauersemantik mit sich führt. Sagt man: »Diese Methode scheint mir schlecht begründet«, so würde das metaphorische Feld des Grundes mit einbezogen. Metaphorische Blends interagieren,32 sie beeinflussen sich wechselseitig, sind Folge einer produktiven Synthesis. Entsprechend lässt sich das Grundmodell folgendermaßen erweitern (Abb. 2) GS3
GS2
GS1
MS2
MS3
MS2
MS1
Denken
Weg
Denken
Grund B1
B2
Methode
B3
Begründung
Abb. 2: Metaphorische Begriffssynthese »begründete Methode«
Der neue metaphorische Blend »begründete Methode« (B3) setzt sich aus zwei anderen, ihrerseits schon metaphorischen Blends (B1 und B3) zusammen. Dabei zeigt sich, dass der generic blend (GS3) virtuell noch besteht, aber zunehmend verzichtbar wird. Der neue Blend ist nicht durch rein semantische Relationen oder durch Ähnlichkeiten erzeugt (die es zwischen dem realen Weg und dem realen Grund, auf dem er gebaut ist, noch geben mag), sondern vor allem syntaktisch:33 durch Synthesis von Strukturen. Zurück zum Beispiel. Der philosophische Gebrauch der WegMetapher unterscheidet drei Domains. Einmal wird die räumliche Dimension der materiellen Grundlage von Bewegung auf den kognitiven Bereich der Vorstellung und des Denkens übertragen. Von dieser Überführung äußerlicher Weg-Dimensionen (= source domain) in innerliche, kognitive Vorgänge (= target domain als zweite source domain), die wir entsprechend als »Denkbewegung«, »Denkwege« oder »Gedankengänge« bezeichnen, muss noch einmal eine Systematik und Produktivität der Metapher | 151
Binnendifferenzierung der target domain getroffen werden. Denn hier schließt sich eine zweite Übertragung an, die das kognitive Element genauer als die Bewegung eines schrittweisen Schließens, Argumentierens oder Begründens fasst. Die target domain differenziert sich entsprechend in eine allgemeine »Denkbewegung« und in die spezifische Denkbewegung als »Methode«. Nicht jede Bewegung unseres Denkens ist ja methodisch – ein ähnliches Beispiel gibt die Metapher des »Theoriengebäudes«34. In dieser Weise relativiert das integrative Modell metaphorischer Synthesis die Dichotomie von domains oder Quell- und Zielbereichen. Es legt den Akzent auf deren strukturelle Wechselwirkung, nicht Übertragung. Seine Auslegung der synthetischen Funktion syntaktischer und semantischer Integration führt zu einer tieferen Einsicht in die Produktivität der Metapher. Es zeigt, wie durch Metaphern neue Blends und semantische Felder systematisch erschlossen werden.
5. Die kulturelle Signatur metaphorischer Felder Metaphern sind klüger als ihre Benutzer.35 Sie müssen nicht stets neu und in der eben beschriebenen Weise systematisch gestiftet werden, sondern sind schon geborgen im Schatz der Alltagssprache. Sie liegen zum produktiven Umgang bereit. Sprachliche Kreativität besteht in der Regel weniger darin, Metaphern systematisch neu zu erzeugen, als mit den metaphorischen Blends wiederum neue Blends zu stiften (sog. Hyperblends). Auch diese legen sich meistens schon von selbst nahe – so wie »begründete Methode«, bestehend aus dem Blend »Methode« und dem mental space »Grund«, welche zu einem neuen Blend zusammengefügt wurden. Wenn die meisten metaphorischen Blends immer schon in einer »inneren Sprachform« (Humboldt) gegeben und in kulturelle Lebensformen eingebettet sind, so sind auch Metaphern abhängig vom sprachlich-kulturellen Kontext.36 Die kulturelle Signatur der Metaphorik wird sichtbar, wenn wir ihre Sprachspiele komparativ betrachten – ein weiterer Grund für die Fragwürdigkeit des kognitiv-semantischen Postulats allgemeiner und invarianter topologischer Metaphernstrukturen. Stabilität und Varianz von Metaphern 152 | Systematische Metaphern
lassen sich wohl eher so zusammendenken: Ihre domains oder mappings sind kulturspezifisch, übergreifend aber ist die Systematik des Ineinanderblendens selbst, die Synthesis. Entsprechend benötigen wir die Kognitive Semantik zur Erläuterung der Systematik, die Historische Semantik zur Aufhellung der Geschichtlichkeit und Kulturalität von Metaphern. In der Regel meistern wir eine fremde Sprache, ihre Sprachspiele und ihre »Weltansicht« (Humboldt) erst dann, wenn wir ihre Metaphern und Redensarten richtig verstehen. Feldman hat für den Aspekt der Kulturspezifität den Begriff des kulturellen Rahmens (cultural frame) vorgeschlagen,37 in welchem unsere Begriffssysteme generell entstehen und eingebettet sind: »A cultural frame is a collection of words, concepts, and relationships characterizing some domain of human experience that is not universal, such as baseball, biophysics, meditation, or the Eskimo hunting culture. Although this is currently not provable, the embodied theory of language suggests that all universal conceptual schemas are expressible in any language, but many cultural frames will not be directly expressible in most languages.«38 Aus den Zeilen geht nicht zuletzt die Notwendigkeit eines integrativen Ansatzes hervor, der die ahistorische Fixierung auf vermeintlich invariante image schemas aufhebt. Feldman hat gleichwohl versucht, die transkulturelle Basisstruktur von Metaphern mit dem kulturellen Kontext zusammen zu denken und in drei Grundstrukturen – sogenannte Primärmetaphern (primary metaphors) – auseinanderzulegen. (i) In der sensorisch-motorischen Struktur werden quantitative Verhältnisse (z. B. »Die Preise gehen hoch«) durch eine vertikale Bewegungsrichtung dargestellt: »More is up«. (ii) In der Kraftdynamik-Metapher (force dynamics)39 werden Kraftverhältnisse auf Ursachen übertragen:40 »Von dem Lärm bekam ich Kopfschmerzen«, »Das Aspirin nahm mir den Kopfschmerz«. (iii) In der Ereignisstruktur-Metapher (event-structure-metaphor), die insbesondere für philosophische Metaphern grundlegend scheint, weil sie horizontale und vertikale Bewegungsverhältnisse auf geistige Zusammenhänge überträgt, werden Zustände als Bewegungen oder Ortsveränderungen gefasst und lexikalisch von Submetaphern erweitert. So etwa in dem Satz »She is at a crossroads of her carreer«, wo die Metapher »Weggabelung« durch die event-structure-metaDie kulturelle Signatur metaphorischer Felder | 153
phor unterlegt wird, die Karrieren und andere zielorientierte Vorhaben mit »Reisen« oder »Wegen« vergleicht. Wiederum wird beides deutlich: Auch die Blends neuer metaphorischer Felder sind nur im Zusammenhang solcher »cultural frames« zu analysieren, während die basalen topologischen Strukturen der Synthesis kulturinvariant wirken und damit eine komparative Analyse von Ähnlichkeiten überhaupt erst erlauben.
6. Kontextabhängigkeit und Redekonsequenzen: Die Historizität metaphorischer Semantik Eine Metapher kommt selten allein. Zum einen entspringen sie der Synthesis semantischer Felder, den Blends; zum anderen stehen sie in kulturellen und historischen Kontexten. Vor allem aber sind Metaphern im Kontext eines bestimmten Textes situiert. Metaphern sind text- und kontextabhängig. Dies mögen die folgenden Beispiele zeigen:41 (3) Feuer (4) Das Leben ist ein Feuer. (5) »Die Barke, in der sie saß, brannte auf dem Fluss« (Shakespeare).
Zeigen die beiden ersten Beispiele, dass Metaphern keine einfachen Lexeme sind, also nicht wortsemantisch, sondern nur satzsemantisch verstanden werden können, so erweist das dritte Beispiel, dass zuweilen auch die satzsemantische Analyse nicht ausreicht, wenn es um ein textsemantisches Verständnis geht. Wer eine Metapher von jeglichem Kontext, wozu stets auch ein Situationskontext zählt, ablöst, zerstört sie.42 Der Kontext determiniert das Wort in einer besonderen Weise, »und ebendadurch entsteht die Metapher. Wort und Kontext machen zusammen die Metapher.«43 Diese Überlegungen sind wichtig für die Frage nach dem Spezifikum philosophischer Metaphern. Wenn Metaphern einzig aus dem Kontext erhellen, in dem sie stehen, dann wird in der Philosophie dieser Kontext stets von einem bestimmten systematischen Gedanken, einem Text, mithin auch einer Textgattung bestimmt. »Systematisch« meint hier: eine Architektonik von Begründungen und Argumenten betreffend, die nur in ihrer Gesamtheit, als sorg154 | Systematische Metaphern
sam gebauter Text, die gestellte philosophische Frage zu klären oder das betreffende Problem zu behandeln verspricht. Nur diejenigen Metaphern, die sich entweder aus dieser Architektonik erklären oder diese selbst erhellen, sind im engeren Sinne philosophische Metaphern. Systematische Metaphern drücken das Prinzip, den Grundgedanken, den Gehalt eines bestimmten philosophischen Texts aus oder verhelfen ihm zu adäquatem Ausdruck. Erkennen lassen sich systematische Metaphern daran, dass ohne sie der philosophische Gedanke nicht in ähnlich prägnanter Weise hätte ausgedrückt werden können; daran, dass ohne sie der betreffende Gedanke im Text nicht hätte gedacht und formuliert werden können; daran, dass ohne sie kein Schritt in diesem Text getan werden könnte. Paul Ricœur hat mit seinem Hinweis, dass das »Verstehen des Werks als Ganzes«44 den Schlüssel zum Verständnis der in ihm enthaltenen Metaphorik liefere, den wohl entscheidenden Aspekt genannt, der philosophisch-systematische Metaphern kennzeichnet. Die systematische Metapher hat ihren Ort in und gewinnt ihre Aussage- und Erkenntniskraft allein aus dem geschichtlichen und gedanklichen Zusammenhang eines systematisch-argumentativen Textes. Ohne diesen Kontext bleiben die verwendeten Metaphern unbestimmte Metaphern; sie lassen uns den Text besser verstehen, geben aber nicht eigens zu denken. Demgegenüber liefert die systematische Metapher ein Unterscheidungskriterium dafür, ob in diesen Texten ein bestimmter Metapherngebrauch façon de parler (für die sich auch eine andere Formulierung angeboten hätte) oder aber sachlich unverzichtbar ist. Phraseologismen wie: »etwas auf den Weg bringen« sind noch keine philosophisch relevanten »Figuren des Wissens«. Wenn Kant in der Kritik der reinen Vernunft davon spricht, erst John Locke habe dem Nachdenken über das Verhältnis der Wahrnehmungen zu den allgemeinen Begriffen »den Weg eröffnet«45, so ist dies nicht nebensächlich. Zu einer systematischen wird die Weg-Metaphorik in der Kritik der reinen Vernunft aber erst dort, wo Kant wiederholt von dem »sicheren Gang der Wissenschaft« spricht, wo »Weg« zu einem Synonym für die Methode der Kritik wird: »Der kritische Weg ist allein noch offen.«46 Kants berühmte Metapher gehört dem Bildschema nach zur Ereignisstruktur-Metapher, erhält aber eine produktive Verwandlung Kontextabhängigkeit und Redekonsequenzen | 155
(die zunächst nach einer schlechten Kontamination von Domains aussieht) (Abb. 3a): GS1
GS1
MS2
MS1
Denken als Kritik
Weg
MS2
MS1
Skeptizismus
Dogmatismus
B1
B1
»der kritische Weg«
Kritizismus
Abb. 3 a/b: Kants Weg-Metapher
»Der kritische Weg« mag vielleicht keine schöne Metapher sein. Doch ihrer kühnen Synthesis gelingt auszudrücken, was Kant unmetaphorisch nicht prägnanter hätte sagen können. Denn die Metapher umreißt nichts weniger als die von ihm gewählte Methode (post)aufklärerischer Philosophie, die einen dritten Weg jenseits von Skeptizismus und Dogmatismus beschreitet.47 Es handelt sich um eine Formulierung, die das gesamte systematische Vorhaben der Kritik der reinen Vernunft auf die Metapher bringt und ihre spezifisch vernunftkritische Semantik aus eben diesem Kontext erhält. Deshalb umfangen die Blends, schematisch ausgedrückt, auch die Textsemantik von Skeptizismus (MS2), Dogmatismus (MS1) und Kritizismus (B1) (Abb. 3b). In ihrer Kultur- und Kontextabhängigkeit gewinnen Metaphern, philosophische zumal, eine historische Semantik, die nicht einfach auf image schemas, primary metaphors oder mental synthesis reduziert werden kann. In philosophischen Texten werden Metaphern durch den systematischen Kontext determiniert – durch die Erfordernisse der jeweiligen philosophischen Fragen oder den Möglichkeitshorizont ihrer Antwort. Systematische Metaphern sind Metaphern in systematischen Texten der Philosophie und genauer Ausdruck ihrer jeweiligen »Sprachspiele« (Wittgenstein) und »Denkstile« (Fleck). 156 | Systematische Metaphern
7. Absolute Metaphern und historische Semantik Systematische Metaphern stehen Begriffen epistemisch in nichts nach. Sie stehen dort, wo der philosophische Gedanke anders nicht besser hätte ausgedrückt werden können. Wenn die systematische Metapher stets die Metapher eines konkreten philosophischen Textes ist, dann lässt sie sich auch nicht ohne Bedeutungswandel oder Sinnverlust auf andere Texte (nicht einmal desselben Autors) übertragen. Thomas von Aquins quinque viae haben den Charakter von Gottesbeweisen; und sie haben ihn nur in dem spezifischen Ansatz des ersten Teils der Summa theologiae. Es ist kein Zufall, dass sie in dieser Form nicht auch in der Summa contra gentiles stehen, deren Text einer anderen Architektonik folgt. Trivial, aber wichtig zu sagen, dass die Metaphorik des Wegs in Thomas von Aquins Summa eine ganz andere philosophische Funktion gewinnt als in Kants Kritik. Ihre Verwendung steht in einem je anderen geschichtlichen und systematischen Zusammenhang. Wenn Begriff und systematische Metapher auf Augenhöhe sind, so zeigt dies eine methodische Dehierarchisierung an, die in der Philosophie – der Sphäre des Begriffs und der Argumentation – alles andere als selbstverständlich war. Jedenfalls konnte Hans Blumenbergs »Metaphorologie« noch von einer traditionellen Opposition ausgehen, als er um 1960 den Versuch unternahm, die traditionelle Begriffs- und Ideengeschichte um die historische Semantik von Metaphern zu bereichern. Den Begriff der »absoluten Metapher« hat Blumenberg für solche Denkfiguren geprägt, die gar nicht anders denn metaphorisch ausgedrückt werden können, weil sie sich nicht in eine »ursprüngliche« Bedeutung rückübertragen lassen. Absolute sind solche Metaphern, die nicht weniger konstitutiv für das Denken sind als Begriffe. Absolute Metaphern können ihren Gegenstand nicht begrifflich formulieren, weil es für ihn keinen anderen Begriff gibt als die Metapher. Was absolute Metaphern sind, zeigt der Vergleich zu sog. »toten Metaphern«. Gemeint sind Sprachbilder, deren ursprünglicher Objektbereich D1 nicht mehr vorhanden, »abgestorben« ist, während der Zielbereich D2 von diesem Absterben unberührt blieb und als Metapher weiterhin Verwendung findet. Den wenigsten dürfte der ursprüngliche Objektbereich der Metapher »Sündenbock« noch vor Absolute Metaphern und historische Semantik | 157
Augen stehen.48 Freilich folgt die absolute Metapher einer anderen Logik als die tote. Denn offensichtlich bleiben hier die beiden Bereiche gleichursprünglich: Bereich D2 ist nicht mehr abhängig von oder rückführbar auf D1. Bereich D2 wird autonom, ohne dass der Bereich D1, auf den er ursprünglich referierte, verschwinden müsste. Absolute Metaphern sind daher nicht tote, sondern – wenn diese Metapher erlaubt ist – »schlafende Metaphern«. Es gibt den Objektbereich D1 noch, ist allerdings nicht mehr als realer Objektbereich aktiv oder muss nicht mehr als solcher hinzugedacht werden. Eben darin besteht die symbolische Reflexivität von Metaphern, die mit dem Synthesis-Modell allemal angemessener zu beschreiben ist als mit der klassischen Terminologie von Bildspender und Bildempfänger. So wie tote Metaphern durch häufigen Gebrauch ihre metaphorische Relevanz verloren haben,49 so fällt bei absoluten Metaphern ihre Metaphorizität nicht mehr auf. Absolute Metaphern stören folglich nur dort, wo sie fehlen. Sie werden zu »Figuren des Wissens«, die »am besten oder nur in dieser Form ein theoretisches Problem anzeigen«50, wie etwa die Metapher »kopernikanische Wende«51 oder die des »Wegs« als absolute Metapher für Kognition und Erkenntnis.52 Absolute Metaphern sind Begriff und Metapher zugleich: abstrakt und allgemein genug, um Ähnliches zu bündeln, aber konkret genug, um ihre ikonischen Urprünge nicht ganz zu verbergen. Sie sind Beispiel für die Unmöglichkeit einer metaphernfreien Wissenschaftssprache. So wird auch den experimentellen und empirischen Kognitions- und Naturwissenschaften zunehmend die irreduzible Metaphorizität ihrer Modelle und Terminologien bewusst. Solange kein genaueres experimentelles und sprachliches Verständnis kognitiver Vorgänge und Zusammenhänge vorliegt, muss auch hier noch von »Gedankengängen«, von »Nervenbahnen« oder dem »Folgen« von Argumentationslinien gesprochen werden: »Yet we actually know very little about how such processes operate in the brain. So we employ various metaphors to describe thinking – we say that our thoughts are ›clear‹ or ›brilliant‹, that we can ›follow‹ a line of reasoning, etc.«53 In Gestalt philosophischer Metaphorologie untersucht die Historische Semantik Metaphern in philosophischen Texten und absolute Metaphern, die sich als »Denkmodelle der Er158 | Systematische Metaphern
kenntnis«54 ihrer Auflösung in Begriffe widersetzen. Um zu klären, was »systematische Metaphern« sind, bedarf es allerdings auch einer Reflexion ihres alethischen Gehalts.
8. Metaphern als indirekte Wahrheitsträger Warum eigentlich sollte die metaphorische Rede nicht wahrheitsfähig sein? Denn Metaphern entstehen nicht schon wort-, sondern allererst satz- und textsemantisch. Selbst eine reduktive Auffassung, die Wahrheitsfähigkeit mit Propositionalität schlechthin identifizierte, könnte an der metaphorischen Rede nichts Prinzipielles auszusetzen haben. Folgt man der Rehabilitierung absoluter Metaphern (genauer: der absoluten systematischen Metapher), indem man ihre Metaphorizität nicht im Namen des Begriffs und der Propositionalität philosophischer Metasprachen herabsetzt, so lässt sich auch die Frage nach ihrer Wahrheitsfähigkeit neu aufrollen. Unter solchen Voraussetzungen könnte man die Wahrheitsfähigkeit der Metapher in ihrer Kontextualität und Teilhabe an der Systematik eines philosophischen Textes aufsuchen. Leugnen würde die Wahrheitsfähigkeit der Metaphern dann nur noch, wer ihre Kontextabhängigkeit überhaupt in Abrede stellt. Metaphern sind wahrheitsfähig, wo sie eine Wahrheit ausdrücken, die propositional-unmetaphorisch nicht oder nur weniger treffend hätte geäußert werden können. Konzediert, dass Metaphern zu Formen einer nicht streng begrifflichen Sprache zählen, würde man doch – anders als Rorty und Searle – zögern, metaphorischen Sätzen Propositionalität abzusprechen. Da sie in der Regel nur satzsemantisch verständlich sind und also primär in Sätzen vorkommen, erscheinen sie mithin auch in propositionaler Gestalt – streng genommen in einer, die die Falschheit ihres Inhalts anzeigt. So gesehen sind Metaphern »falsch«, wie der bereits zitierte Satz (1) Börnes zeigt. Freilich will der Satz nicht täuschen, sondern etwas Bestimmtes ausdrücken, das selbst wahr zu sein beansprucht: Es geht in Börnes Aussage um die überragende kulturelle und politische Bedeutung Paris’ für die französische Nation, der gegenüber alle Provinzstädte sich wie bloße »Mondlichter« ausnähmen. Börne will eine, wie auch immer triviale, geopolitische Wahrheit ausdrücken. Nelson Goodman stellt in einem verwandMetaphern als indirekte Wahrheitsträger | 159
ten Zusammenhang fest, Metaphern begingen einen »kalkulierten Kategorienfehler«55. Es hat System, dass sie die semantischen Ebenen vermengen und darin die Funktion gewinnen, ein bestimmtes semantisches Surplus in die Aussage zu tragen. Auch Metaphern übermitteln Inhalte, die zwar wahr oder falsch sein können, aber nicht wörtlich ausdrückbar sind. Es ist ein anderer Wahrheitsstatus, den sie einfordern. So wäre der hypothetische Satz Gräfin Terskys in Schillers Drama Wallensteins Tod (V/3): (6) Wallenstein ist nicht unser Licht und unsere Sonne
gemessen an der Handlung des Stücks und der Hoffnungen Gräfin Terskys in Wallenstein gewiss falsch. Allerdings in einem gänzlich anderen Sinn als der wortwörtlich verstandene Satz: (7) »Wallenstein ist unser Licht und unsere Sonne«
falsch wäre. Die Verifikationsbedingungen für metaphorische Sätze – Künne spricht von »repräsentationaler Rede« – können sich nicht streng an denen propositional-konstativer Sätze orientieren, sie sind aber auch nicht einfach performative, illokutionäre oder perlokutionäre Sätze. Als Sprechakte stehen sie quer zur wahr/falschUnterscheidung. Das zeigt der Satz: (8) Gräfin Tersky sagt, dass Herzog Wallenstein unsere Sonne ist.
Der illokutionäre Sprechakt, den Gräfin Tersky vollzieht, enthält zweifellos eine Behauptung. Doch das, was er behauptet, »fällt nicht zusammen mit der Proposition, die der von ihr verwendete Satz in der beschriebenen Situation ausdrückt.«56 Hält man zunächst fest, dass Metaphern nicht in Worten, sondern in Sätzen oder Kennzeichnungen, Nominalisierungen etc. geäußert werden, so ist klar, dass sie nicht schon wortsemantisch, zuweilen aber auch nicht immer schon satzsemantisch zu verstehen sind. Manche Metaphern gewinnen satzsemantisch einen verstehbaren Sinn: (2) »Die Liebe ist ein Frühling« (Tieck). Dagegen ist der metaphorische Satz: »Die Barke, in der sie saß, brannte auf dem Fluß« (Shakespeare)
nicht schon satz-, sondern allererst text- und kontextsemantisch zu verstehen. Sein Verständnis setzt das Wissen voraus, dass er von Marc Anton ausgesprochen wird, da er zum ersten Mal Kleopatra 160 | Systematische Metaphern
»an Bord eines goldschimmernden Schiffes«57 sieht. Wenn wir mit Wolfgang Künne das Satzschema so bestimmen: »a ist in irgendeiner Hinsicht wie F« oder »a ähnelt irgendwie F«, dann sind Metaphernvergleiche nicht mehr nur trivial, sondern eben darin auch wahrheitsansprucherhebend und möglicherweise erkenntniserweiternd. Propositionaler Gehalt und Wahrheitsfähigkeit des metaphorischen Satzes werden durch einen Kontext gestiftet, für den es jeweils Indikatoren und Parameter gibt, die als Wahrheitsgehaltsfixierungen dienen können: »hier« »jetzt«, »gestern«, »in Shakespeares Drama« etc. Auch im folgenden Beispiel verbinden sich Wahrheitsfähigkeit und Kontextabhängigkeit der Metapher: (9) »Alle Menschen sind Brüder.« (Wieland) (10) Alle Menschen sind männliche Geschwister.58
Der metaphorische Satz ist nur deshalb wahr, weil sein propositionaler Gehalt streng genommen falsch ist. Diese ungewöhnliche Propositionalität metaphorischer Sätze zeigt der Vergleich von (9) und (10). Metaphern erheben nicht im eigentlichen Sinn einen Wahrheitsanspruch; noch weniger aber will man durch metaphorische Sätze wie (9) täuschen, lügen oder die Unwahrheit sagen. Vielmehr gilt es einer »höheren« Wahrheit Ausdruck zu verleihen, die man in repräsentational-propositionaler Rede nicht angemessen träfe. In die Terminologie Freges übersetzt könnte man sagen, dass die metaphorische Rede die Kategorie des (ungeraden) Sinns,59 nicht der Bedeutung erfüllt. Sie hat kein reales Referenzobjekt, ein Gestirn namens »Paris« wie in Satz (1), sondern eine Mitteilungsfunktion, deren Inhalt nicht Täuschung, Lüge oder Falschheit ist, die zugleich aber auch nur dann Sinn ergibt, wenn die Frage nach der Wahrheit dem Satz nicht äußerlich ist. Direkte Referenz kann nicht das Kriterium der Wahrheitsfähigkeit metaphorischer Sätze sein. An dieser Stelle erschöpft sich selbst die Erklärungskraft kognitiver und historischer Semantik. Sie rufen eine im Verein mit textlinguistischer Pragmatik auftretende logische Semantik auf den Plan. Notwendig ist die methodische Verbindung, kraft derer sich der Charakter metaphorischer Sätze und Syntagmen erläutern lässt, die einen impliziten Wahrheitsanspruch erheben. Wiederum zeigt sich, dass die Frage, ob Metaphern nun außersprachliche Bilder Metaphern als indirekte Wahrheitsträger | 161
oder linguistische Sprachfiguren seien, dem Sachverhalt ein unnötiges tertium non datur aufprägt. Offensichtlich kann es bei der Frage allenfalls um ein Sowohl-als-auch gehen, das weder die rein kognitiv-semantische noch die historisch-linguistische Semantik privilegiert, die für sich allein genommen kaum ausreichende Erklärungskraft besitzen. Dass solche, zumal philosophisch-systematische Metaphern nur im Kontext von Sätzen oder ganzen Texten analysierbar werden, wirft Licht zuletzt auch auf einen bislang wenig beachteten Zusammenhang: die Rolle der Kopula in metaphorischen Sätzen. Ganz offensichtlich sind metaphorische Sätze weder existentiale noch identifizierende noch prädizierende Aussagen. Daher hat die Kopula eine andere, eben metaphorisierende Funktion, die quer zu den anderen Funktionen steht, aber gleichwohl berücksichtigt werden muss, wenn wir den Sinn solcher Art von Sätzen verstehen wollen. In dem Satz (1) »Paris ist die Sonne« scheint ein singulärer Terminus unter einen generellen subsumiert. Doch nur die Einsetzung eines »wie« machte auch den Unterschied zum Identitäts- oder Prädikationsurteil formal explizit. »Paris« gehört der offensichtlichen Intention des Sprechers wie auch der objektiven Kategorie nach nicht in die Klasse der Himmelsgestirne. Es ist aber auch kein reines Identitätsurteil, allenfalls kann die Identität zwischen Eigenschaften gemeint sein. Da es aber um einen Vergleich, um ein erkenntniserweiterndes Bild geht, hat der metaphorische Satz, der gleichwohl Wahrheitsanspruch erhebt, eine andere Funktion als existenziale, prädikative oder identifizierende Aussagen. Diese Funktion verbirgt die Kopula metaphorischer Sätze, deren Sinn allein der jeweilige Kontext bestimmt.
9. Systematische Metaphern und die Frage: Was ist ein philosophischer Text? Was spezifisch philosophische Metaphern sind, ist mit dem Begriff der absoluten Metapher noch nicht hinreichend beantwortet. Vor dem Hintergrund unserer bisherigen Überlegungen hat der Begriff der philosophischen Metapher drei Bedeutungsebenen: (i) Er kann zunächst schlicht Metaphern meinen, die in philosophischen Texten 162 | Systematische Metaphern
stehen – aber eben auch in beliebig anderen Textsorten. (ii) Er kann absolute Metaphern meinen, die sich in und aus der Philosophie entwickelt haben: Metaphern wie »Grund«, »Licht«, »Methode«, »Definition«, »Argumentation«, »Beweis« etc. (iii) Er kann – und das seien systematische Metaphern im engeren Sinn – absolute Metaphern meinen, die systematisch hergestellt und/oder eingesetzt werden, um einen bestimmten Text wahrheits- und überzeugungsfähig zu machen, insofern sie von dem systematischen Anspruch dieses Textes bestimmt werden. Was den Ausgangspunkt unseres Problems anlangt: die Frage nach einer philosophischen Theorie philosophischer Metaphern, so hat eine solche Theorie die basale Struktur philosophischer Metaphorik zu klären, um sie dann als konstitutiv (d. h. unersetzbar) für ihren systematischen Zusammenhang zu erweisen. Die These lautet, dass eine solche Aufgabe nur im Ensemble von kognitiver, linguistisch-pragmatischer und historischer Semantik geleistet werden kann. Letztere gibt Auskunft über die philosophischen source domains, ihren geschichtlichen Bedeutungswandel, ihre Kulturspezifität. Die linguistische Analyse gibt Auskunft über die Text- und Kontextabhängigkeit, Propositionalität und Wahrheitsfähigkeit philosophischer Metaphern, während die kognitiv-semantische Analyse die systematische Erzeugung, Bildlichkeit und basale Metaphorizität unseres Denkens aufzeigt. Beschränkt man sich auf den Bereich der theoretischen Philosophie, so dürften ihre systematischen Metaphern vor allem epistemische Metaphern sein, solche also, die jene Leistungen mentaler Synthesis beschreiben, denen sie sich selber verdanken. Damit erhalten sie zugleich eine performative Ebene: In der Form der Beschreibung, im Rekurs auf Metaphern, ereignet sich stets das, was mit diesen Formen beschrieben werden soll. Herausgegriffen seien zum Zweck einer Zusammenschau (eine Metapher übrigens) nur drei Aspekte, um die beiden Ausgangsfragen nach einer geeigneten philosophischen Metapherntheorie und die Frage, was systematische Metaphern sind, zusammenzuführen. Ausgewählt sei (i) ein generelles Beispiel für systematische Metaphern in der Philosophie, (ii) die Verbindung philosophischer Metaphern mit der event-structure-metaphor, (iii) das systematische Blending zweier systematischer Metaphern. Systematische Metaphern | 163
(i) Es gehört zu den Eigentümlichkeiten unserer philosophischen Terminologie, die Klarheit fordert und zu begrifflichem Denken mahnt, dass ihre tragenden Begriffe metaphorische Figuren sind. Dabei muss man gar nicht bei so sinnfälligen Begriffsmetaphern wie Licht oder Sprache suchen, sondern kann die vermeintlich abstraktesten metasprachlichen Begriffe herausgreifen: Methode (von meta-hodos, wörtlich Über-Weg: »meta« und »Bewegung« wiederum lassen sich im Sinne kognitiver Semantik explizieren), Definition (von finis, Grenze; als ein »die-Sache-von-der-Grenzeher-Bestimmen«), Argument (von arguos = klar, hell bzw. arguo = klarmachen), Beweis, demonstratio (von monstro = zeigen, durch Gesten angeben; aber auch: monstrum = Ungeheuer), Grund oder Begründung (= feste Grundlage; Axiome als sich selbst begründender Grund), Ursprung (= Bild des ersten Sprungs; eines aus sich selbst Entspringens; Quelle; Bild des Anfangs). (ii) Zahlreiche systematische Metaphern sind, weil sie Bewegungsverhältnisse oder dynamische Kräfte auf den Bereich Denken übertragen, von der Ereignisstruktur-Metapher unterlegt. Legt man als Kontext »Denken ist Bewegung« fest, dann ergibt sich als Redekonsequenz: »lead someone step by step through an argument«, »follow an argument« oder »get lost«, »talk in circles«, »go directly to the point«, »skip steps in an argument«.60 Schon hier stößt man auf die Verbindung der genannten drei Aspekte. Denn nicht nur ist »Folgen« eine Metapher, sondern auch »Argument« (arguo = klarmachen) – was sich aber nicht schon kognitiv-semantisch, sondern zureichend erst durch die Methoden der Historischen Semantik aufhellen und mit Mitteln des conceptual blending als »Hyperblend« erweisen lässt. (iii) Die systematische Metapher des »Folgens einer Argumentationslinie« können wir mit dem Modell von Fauconnier/Turner folglich als eine mentale Synthesis dreier Blends begreifen. Ähnlich verhält es sich mit der Metapher »Raum der Gründe«, die Davidson geprägt hat. Auch sie ist ein Blend dreier semantischer Felder, die z. T. bereits selbst erschlossen wurden, aber einen Gehalt besitzen, der so niemals in den input spaces gewesen ist (Abb. 4): Systematisch heißen Metaphern, die ihren Ort in philosophischen Argumentations- und Begründungszusammenhängen erhalten. Gewonnen werden sie aus einer Synthesis semantischer Felder, 164 | Systematische Metaphern
GS2
GS1
MS2
MS3
MS2
MS1
Denken
Raum
Denken
Grund B1
B2
Denkraum
Begründung
B1
Raum der Gründe
Abb. 4: Metaphorische Begriffssynthese »Raum der Gründe«
von denen eines dem Feld des Denkens angehören kann. Die Rede mit systematischen Metaphern erhebt einen Wahrheitsanspruch, der unmetaphorisch nicht ebenbürtig hätte ausgedrückt werden können. Ihre Wirkungsmacht lässt eine Affinität zur symbolischen Reflexivität erkennen, die sich an der Struktur produktiver Imagination in Form einer begrifflichen Synthesis (conceptual blending) verschiedener semantischer Felder orientiert. Allerdings scheint die zurückliegende Argumentation, wo nicht einen Zirkel, so doch eine offene Kurve im Raum zu beschreiben. Denn sie setzt voraus, dass wir schon wissen, was ein philosophischer Text ist, um seine Metaphern als systematische bestimmen zu können. Damit aber würde die Begründungslast auf einen opaken Begriff von »philosophischer Text« verschoben. In der Tat lässt sich der Zirkel nicht auflösen, vielleicht aber produktiv fortdenken. Wenn wir nicht einfach voraussetzen können, was ein philosophischer Text sei, dann muss umgekehrt vorausgesetzt werden, dass wir zumindest näherungsweise wissen, was mit systematischen Metaphern gemeint ist. Dann ließe sich die Perspektive umkehren und sagen: Es sind nicht zuletzt die systematisch für einen Argumentationszusammenhang verwendeten Begriffe und Metaphern, die einen gegebenen Text als philosophischen auszeichnen. Systematische Metaphern | 165
Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis 1. Das terminologische Problem Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses hat sich als theoriesprachlicher Terminus für diejenigen symbolischen Formen eingebürgert, in denen kollektive Erinnerungen Gestalt gewinnen. Das kulturelle Gedächtnis umfasst »das Korpus immer wieder nutzbarer Texte, Bilder und Rituale, die für jede Gesellschaft in jeder Epoche typisch sind und deren ›Kultivierung‹ dazu dient, das Selbstverständnis der jeweiligen Gesellschaft zu festigen und weiterzugeben«.1 In der Regel werden Begriff und frühe Konzeption auf Maurice Halbwachs zurückgeführt.2 Doch stammt die ihm zugrunde liegende Idee aus der Philosophie des 19. Jahrhunderts. Im Übergang von der neuzeitlichen zur modernen Philosophie gewinnt die Klärung der verschiedenen, übrigens im europäischen Denkhorizont aufkommenden, Vorstellungen eines organischen Ensembles kultureller Praktiken und Artefakte, die als Medien kollektiver Selbstverständigung fungieren, an theoretischer Prägnanz. Hegel und seine kulturphilosophischen Erben, so lautet die historische These der folgenden Überlegungen, nehmen in diesem Prozess eine Schlüsselstellung ein. Hegel hat gewiss keine Konzeption des kulturellen Gedächtnisses im heutigen Sinn entworfen. Dort, wo die nachhegelsche Kulturphilosophie sie situiert und wo sie auch in Hegels System hätte stehen können, in der Philosophie des objektiven Geistes, sucht man sie vergeblich. Dieser Systemteil nimmt zwar emphatische Begriffe von Mnemosyne und Seinserinnerung in Anspruch. Doch systematisch hergeleitet werden Erinnerung und Gedächtnis in der Philosophie des endlichen, subjektiven Geistes. In ihrem Zusammenhang unterscheidet Hegel zwischen der Funktion einer noch weitgehend vorsymbolischen Erinnerung und den Leistungen eines von den symbolischen Ordnungen des objektiven Geistes schon durchdrungenen Gedächtnisses. Was beide voneinander trennt, sind die Tä | 167
tigkeiten der »zeichenmachenden Phantasie« und der sprachlichen Vernunft. Daher zählt bereits für Hegel die Sprache zum wichtigsten Medium kultureller Überlieferung. Theorien des kulturellen Gedächtnisses sind aber nicht nur sprachphilosophisch relevant, sondern auch sprachanalytisch komplex. Sie bedürfen der Klärung ihrer begrifflich oft ungesicherten Grundlagen. Dabei hat eine aussagekräftige Theorie des kulturellen Gedächtnisses, so lautet die systematische These der folgenden Überlegungen, neben der semantischen Profilierung ihres Gegenstandes drei Voraussetzungen zu klären. Sie muss, erstens, das komplizierte Verhältnis von individueller und kollektiver Erinnerung erläutern, zweitens die verschiedenen, auch empirisch und naturwissenschaftlich erforschten Formen von Erinnerung und Gedächtnis unterscheiden und in einen kulturwissenschaftlichen Zusammenhang einbetten, um schließlich, drittens, aufzuzeigen, in welchen spezifischen »Trägermedien« das kulturelle Gedächtnis eine erkennbare Gestalt annimmt. Deshalb sollen mit Blick auf aktuelle Diskussionen (2) die theoriehistorische Genese dieser systematischen Fragen aus der Kultur- und Völkerpsychologie des 19. Jahrhunderts untersucht (3) und in ihrer Herkunft aus Hegels Philosophie des subjektiven und objektiven Geistes transparent gemacht werden (4–7). Motiv der Rekonstruktion ist die Frage nach dem systematischen Beitrag der Bestimmung kulturellen Gedächtnisses für eine Theorie kultureller Faktizität.
2. Gedächtnisfunktionen und Trägermedien Wie andere Terminologien kulturwissenschaftlicher Modeparadigmen scheint auch die des kulturellen Gedächtnisses unscharf. Schon die Frage, ob man sinnvoll oder unmetaphorisch von »kollektiver Erinnerung« reden kann, legt den Finger auf den wunden systematischen Punkt der Vermittlung von Besonderem und Allgemeinem. Die Übertragung organisch disponierter individueller Eigenschaften – wie Erinnern und Gedächtnis – auf die Ebene kollektiven Denkens, Meinens und Handelns ist jedenfalls explikationsbedürftig: »Wie ein Staat weder essen noch tanzen kann, so vermag er auch nicht zu reden oder sich zu erinnern.«3 168 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
Allerdings ist die Antwort auf die Gegenfrage: Gibt es eine rein individuelle Erinnerungsform? kaum weniger problematisch. Mit ihrer entschlossenen Verneinung haben die Theoretiker des kulturellen Gedächtnisses, ungeachtet anderer sachlicher Differenzen, immerhin über die wohl wichtigste ihrer theoretischen Prämissen Einigkeit erzielt. Wir können voraussetzen, dass sich menschliche Selbstverständigung, auch jede individuelle, nie individualistisch vollzieht. Sie ist stets eingebettet in Formen nicht rein subjektiver, sondern »objektivierte[r] Kultur, d. h. Texte, Riten, Bilder, Gebäude […], [in] offiziell anerkanntes Erbe«.4 Intersubjektiv geteilte symbolische Ordnungen nimmt auch das individuelle Erinnern schon auf seinen basalen Stufen in Anspruch. Aus der Optik naturalistischer Auffassungen betrachtet, hat das kulturelle Gedächtnis zwar kein organisches Substrat; aber es besitzt eine Gestalt in der Kommunikation einer Sprachgemeinschaft über den Sinn ihrer Vergangenheit, es ist in die Lebenswelt ihrer Sprecher eingebettet und gründet in einem gemeinsamen Archiv von Zeichen und Symbolen. Daran ist gegenwärtig auch angesichts der »strikt individualistischen Theoriebildung« in den Neurowissenschaften zu erinnern. Offenbar neigt ein harter Naturalismus zu vergessen, dass es die experimentell analysierten Hirnfunktionen, wie Harald Welzer betont, »keineswegs mit Informationen zu tun [haben], sondern mit sozial und kulturell gebildeten Bewusstseins-, Gedächtnis- oder Willensinhalten, die unsere Wahrnehmung von Welt (und damit auch das, was wir erinnern) nach Kriterien von Sinn und Bedeutung selektieren«: »Die Entwicklung des Gehirns verläuft erfahrungs- und nutzungsabhängig, und genau dieser Umstand macht es unmöglich, das Gehirn oder das Bewusstsein oder das Gedächtnis als etwas konstitutiv Individuelles zu betrachten.«5 Das vom sozialen streng unterschiedene individuelle Gedächtnis gleicht einer »sinnleeren Abstraktion«.6 Im Anschluss an die Arbeiten Daniel L. Schacters7 resümiert Wulf Kansteiner: »Nicht einmal in der Neurologie kann unsere Fähigkeit, […] Erfahrungen und Informationen zu speichern, abzurufen und zu rekonstruieren, von Wahrnehmungsmustern unterschieden werden, die wir von unserer engeren und weiteren sozialen Umgebung übernommen haben. Die Sprache selbst und die Erzählstrukturen, die wir verwenden, um unsere Erinnerungen zu verbalisieren, sind untrennbar mit sozialen Gedächtnisfunktionen und Trägermedien | 169
Standards der Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit verwoben, die ihnen Gestalt geben. In diesem Sinne gibt es keine individuelle Erinnerung.«8 Erscheint die Annahme eines überindividuellen Gedächtnisses plausibel, dann muss allerdings das komplizierte Verhältnis von Einzelheit und Allgemeinheit genauer bestimmt werden. Denn so wenig das individuelle Gedächtnis ohne kollektive Einflüsse begriffen werden kann, so wenig lassen sich auf das Kollektivgedächtnis die Kategorien individueller Erinnerung schlicht übertragen. Darauf machen schon zwei triviale Umstände aufmerksam. Zum einen, dass Kollektivgedächtnisse nicht in dem Maße wieder verschwinden wie der »Horizont der Zeitgenossenschaft«,9 aus deren Handlungen, Erlebnissen und Erinnerungen sie sich speisten; zum anderen, dass Ereignisse so, wie sie kollektiv »erinnert« werden, möglicherweise nie stattgefunden haben. Das kulturelle Gedächtnis ist von ganz anderer Art als die Versammlung reproduktiver Erlebniserinnerungen. Es ist keine Summe memorierter Einzeltatsachen und beschränkt sich nicht auf die Funktion des Wiedererinnerns. Der überwiegenden Nichtintentionalität individueller Erinnerung steht die Gerichtetheit kollektiver Gedächtnisse gegenüber – etwa auf politische und soziale Ziele.10 Aus diesem Faktum zieht Jeffrey Olicks Unterscheidung zwischen collected und collective memory Konsequenzen.11 Während gesammelte Erinnerung (collected memory) die Summe individueller Erinnerungsspuren darstellt, deren Verarbeitung mit neuropsychologischen Mitteln analysiert werden kann, entfaltet die kollektive Erinnerung (collective memory) eine eigene, davon unabhängige Dynamik. Hier beruht die Gedächtnisleistung nicht auf einer direkten Verbindung von Realem und Erinnertem. Erinnerungskulturen orientieren sich selten an der Bedeutung oder Referenz der Ereignisse und Aussagen über Tatsachen, sondern an ihrem Sinn. Instruktiv ist vor diesem Hintergrund die Differenz zwischen den funktional aufeinander verwiesenen Formen eines Speicherund eines Funktionsgedächtnisses:12 Das Speichergedächtnis enthält das potentiell verfügbare Erinnerungsmaterial, für dessen stets notwendige Aktualisierung und zeitgemäße Interpretation das Funktionsgedächtnis sorgt. Das Speichergedächtnis operiert weitgehend amorph und ohne offensichtliche Ordnung, während das 170 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
Funktionsgedächtnis aktual, selektiv, sinngebend und identitätsbildend vorgeht – und zeigt, wie im Begriff der Geschichte kontingente Ereignisfaktizität und historische Sinnbildung zusammenfließen. Eine andere Differenzierung der Assmanns legt den Akzent nicht auf die funktionale, sondern zeitliche Dimension des kollektiven Gedächtnisses.13 Das kommunikative Kurzzeitgedächtnis steht für eine kontingente und unspezialisierte Alltagskommunikation über den Sinn geteilter Vergangenheiten, eine Kommunikation, die sich über einen Zeitraum von ca. 80 – 100 Jahren erstreckt und mit den Individuen vergeht, deren Erfahrungen und Erlebniserinnerungen geteilt werden. Demgegenüber erweist sich das kulturelle Langzeitgedächtnis als dauerhafter und organisierter – allerdings durch eine Art unsichtbare Hand, denn das »Korpus« symbolischer Ordnungen und Handlungen, die das Selbstverständnis einer Kultur prägen, kann kaum zentral und dauerhaft gesteuert werden. Auf die starke Abhängigkeit individueller und kollektiver Gedächtnisfunktionen verweisen auch die gängigen psychologischen Typologisierungen.14 Demnach repräsentiert (1) das episodische Gedächtnis den persönlichen und emotionalen Bezug zu Erlebnissen, die meist Erinnerungsgemeinschaften sozialer Kleingruppen (Familie, Vereine) konstituieren; (2) das semantische Gedächtnis steht für das Weltwissen allgemeiner epistemischer Systeme (Physik, Chemie, Historie etc.); (3) das implizite Gedächtnis umfasst routinierte und habitualisierte Handlungs- und Verhaltensweisen, die mitunter vorsymbolisch erlernt werden; (4) das prozedurale Gedächtnis kann als Subsystem des impliziten Gedächtnisses verstanden werden, gibt aber den stärker symbolischen Regelhandlungen Ausdruck, wie sie im sprachlich-grammatischen Regelfolgen des Sprechens, in der Dechiffrierung von Zeichensystemen, im Spielen eines Instrumentes usw. auftreten; das prozedurale Gedächtnis gibt gleichsam die Grundgrammatik unserer Alltagsorientierung, während (5) das perzeptuelle Gedächtnis in der Wahrnehmung von Reizen, ihrer Speicherung und Verarbeitung nach Maßgabe von Bekanntheit oder Neuigkeit die Grundsemantik unseres Alltagsverständnisses bereitstellt. Dass Gedächtnis eine Einheit individueller und kollektiver Formen der Erinnerung bildet, zeigt sich daran, dass ohne die Fähigkeit, Erlebnisse in ein sozial geteiltes System von Regeln einzuGedächtnisfunktionen und Trägermedien | 171
betten, keine unserer mannigfaltigen Erfahrungen bewusst und sinnvoll erinnert werden könnte. Abgelöst vom semantischen dürfte das prozedurale Gedächtnis kaum funktionsfähig sein, dieses kaum ohne das implizite, welches auf die vom perzeptuellen Gedächtnis bereitgestellten Inhalte zurückgreift, deren Ordnung sich wiederum Kategorien eines semantischen Weltwissens verdankt usw. Insofern alle Erinnerungsformen fließende Übergänge zum kulturellen Gedächtnis unterhalten, muss das Fehlen einer organischen Basis auch gar nicht kompensiert werden, weil es keinen Mangel darstellt. Was dort die Einheit eines organischen Gegenstandes ist, ist hier die Vielfalt kollektiver Erinnerungsformen. Sie lenken den kulturwissenschaftlichen Blick durch die Gedächtnissysteme hindurch auf die materiellen und immateriellen Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses, d. h. auf jene Institutionen, Praktiken und Usancen des sozialen Lebens, die in uns wirken und dennoch weder unserer »Teilnahme noch unserer expliziten Zustimmung bedürfen«.15 Die Vielfalt materieller Erinnerungsträger und Gedächtnismedien verdankt sich »Kombinationen diskursiver, visueller und räumlicher Elemente«, sie sind »multimediale Kollagen«.16 Welzer unterscheidet insgesamt vier Medien des sozialen Gedächtnisses: Interaktion (kommunikative Praktiken), Aufzeichnungen (von Redensarten bis privaten Briefen), kulturelle Erzeugnisse (Bilder, Filme etc.), Räume (Städtebau und Architektur).17 Die einzelnen Gedächtnismedien reflektieren nie schlierenlos das Kollektivgedächtnis, sind aber notwendig an seine Genese gebunden. Gedächtnismedien besitzen unterschiedliche Bindekräfte, von denen vor allem Bilder die Differenz zwischen individuellem und kollektivem Erinnern besonders rasch überbrücken, insofern sie uns Teilhabe an Erinnerungen gewähren, die wir selbst individuell nicht gehabt haben. Genauer zu erforschen wäre die Frage, wie das kulturelle Gedächtnis zum Archiv und Medium historischer Kreativität werden kann, in dem »neue Gestalten des Lebens, der Verständigung und des Ausdrucks«18 hervortreten. Es ist die Frage, ob wir nicht nur von kollektiver Erinnerung, sondern auch von kultureller Einbildungskraft sprechen dürfen. Ganz offensichtlich haben wir es nicht bloß mit Rekombinationen bereits abgelegter Erinnerung zu tun, die unserer Identitätsbildung und Selbstverständigung, aber auch – 172 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
was vielfach übersehen wird – der Kritik dienen. Das kulturelle Gedächtnis bedarf der fortgesetzten Kritik und Veränderung seiner Überlieferungsinhalte. Umgekehrt wird die individuelle Erinnerung durch kollektive Formen objektiviert. Diese kreative Kraft kritischer Überschreitung des engen Umkreises kommunikativer Erlebniserinnerung zeigt den philosophisch vielleicht wichtigsten Punkt: Erinnerungen sind erst dann wirklich allgemein, »wenn sie Zeit und Raum der ursprünglichen Ereignisse transzendieren«19 und freie Eigenständigkeit gewinnen. Gerade die Verarmung des Erfahrungsgehalts von Erinnerungen macht ihre Universalisierbarkeit und Teilbarkeit aus. Nur die Erinnerungen, deren Individualität abgeschliffen wurde – und zwar sowohl durch die erforderliche thematische Selektivität der Inhalte als auch durch die unumgängliche Materialität und Medialität der symbolischen Erinnerungsformen –, sind fähig, in kollektive Erinnerungspraktiken einzugehen. Bei diesem Übergang greifen die Schematismen allgemeiner Symbolsysteme. Ein Kollektivgedächtnis kann nur funktionieren, wenn es symbolische Ordnungen nutzt, die individuelle Erfahrungen selektiv in ein »kulturelles System«20 einordnen, das sie überhaupt erst verständlich und damit bedeutungsvoll werden lässt: »Kollektivgedächtnisse haben eine Struktur, die eher in der Welt als im Kopf einer Person existiert.«21 Nicht zuletzt entlasten die Schematismen einer kollektiven Einbildungskraft das individuelle Gedächtnis. Die These von der Selektivität kollektiver Erinnerung meint daher noch etwas Anderes, Radikaleres. Sie hebt die Notwendigkeit und Unabdingbarkeit kollektiven Vergessens hervor. Nur dann, so die paradoxe Einsicht, wenn nicht alles erinnert, sondern vieles vergessen wird, ist Erinnerung möglich. Nietzsche hatte dies dem Historismus des 19. Jahrhunderts ins Stammbuch geschrieben. Ein »total recall« aller Ereignisse, eine lückenlose Erinnerung würde die Funktionalität des kulturellen Gedächtnisses ebenso zum Erliegen bringen wie seine »Fähigkeit zur Schemabildung«22 und Sinnerzeugung beschädigen.
Gedächtnisfunktionen und Trägermedien | 173
3. Die materiellen Träger des objektiven Geistes Die Erforschung des kulturellen Gedächtnisses hat eine theoriehistorisch heute weitgehend vergessene Vorgeschichte. Nicht Maurice Halbwachs, sondern bereits Moritz Lazarus und Heyman Steinthal haben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Problem kollektiver Erinnerung explizit kulturwissenschaftlich untersucht. Ihre komparative Kultur- und Sprachphilosophie hat sich allerdings unter einem anderen, dem heute fatal klingenden Titel »Völkerpsychologie« zu etablieren versucht. Der völkerpsychologische Ansatz vereint psychologische, anthropologische und historische Methoden, sein Gegenstand sind »Culturzustände«:23 Sprachen, Sitten, Religionen. Während die allgemeine Psychologie menschliche Vorstellungen, Gefühle und Triebe untersucht, die Individualpsychologie sich der Verbindung von »Einzelgeist« und »historischem Geist« widmet, formuliert die Völkerpsychologie analytische Grundsätze geistigen Zusammenlebens und wendet sie synthetisch auf die »Culturwissenschaft« an.24 Expressis verbis taucht der Begriff des kollektiven oder kulturellen Gedächtnisses in den Texten der Völkerpsychologen nicht auf. Aber er fällt zusammen mit einem gegenüber Hegel semantisch entschlackten Begriff des objektiven Geistes. Die Verschiebung des Konzepts in Lazarus’ und Steinthals Kulturwissenschaft betrifft allerdings nicht nur die Auflösung seiner Verbindung zu einem übergeordneten absoluten Geist, sondern auch seine sprachphilosophische Reformulierung. Die Sprache wird aus dem systematischen Zusammenhang des subjektiven in den des objektiven Geistes überführt und als Erkenntnisform bestimmt, die Gestalten des vormals absoluten Geistes (Kunst, Religion, Philosophie) mit umfasst.25 In doppelter Abgrenzung stößt sich die Völkerpsychologie sowohl vom absoluten Geist der Philosophie Hegels als auch von der impliziten Fortschrittsteleologie der Universalgrammatik Humboldts ab.26 Daher wirkt sie aus der rückblickenden Optik eines kulturphilosophisch bewegten 20. Jahrhunderts überraschend frisch, daher erstaunt die heuristische Kraft ihres geisteswissenschaftlichen Programms. Zu diesem Eindruck trägt bei, dass sie nicht nur zentrale Thesen Boas’,27 Halbwachs’ und der gegenwärtigen Erforschung des kulturellen Gedächtnisses vorwegnimmt, sondern diese 174 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
auf systematische Grundlagen stellt – was nicht bedeutet, dass an sie heute noch kulturphilosophisch bruchlos anzuknüpfen wäre. Es sind vier miteinander verbundene Theoriefelder, deren Argumente kulturphilosophisch diskussionswürdig geblieben sind. (1) Die völkerpsychologische Theorie kollektiver Erinnerung beruht auf der Bestimmung des Wechselverhältnisses von subjektivem und objektivem Geist. Sie widmet sich einer Analyse seiner Trägermedien und zeigt, wie diese in die individuellen Praktiken eingehen, selber aber nicht individuelle, sondern stets schon verallgemeinerte und verallgemeinernde »Culturzustände« sind. Im Gegensatz zur Individualpsychologie erforscht die Völkerpsychologie deshalb auch keine Substanz, kein Organ, sondern »Thätigkeiten« »einer Nation, eines Staates, einer Gesellschaft«, kurzum: »das Allen Einzelnen Gemeinsame der innern Thätigkeit«.28 Aus den Elementen solcher joint actions setzt sich das geistige Leben jeder Gesellschaft zusammen, die einen gemeinsamen Schatz von Vorstellungen, Begriffen und Handlungsmaximen teilt. Ihre Kategorien helfen ein »Bild der innern Eigenthümlichkeit eines Volkes« zu zeichnen und ihr geistiges Leben als den »Inbegriff aller innern und höhern Thätigkeit« zu verstehen.29 Material für den empiristischen Grundansatz sollen Ethnographen, Ethnologen und Sprachforscher (Humboldt, Steinthal, Böckh) bereitstellen, denn »die Völkerpsychologie [kann] nur von den Thatsachen des Völkerlebens ausgehen«.30 In der Spur dieser theoretischen Grundkoordinaten stoßen Lazarus und Steinthal auf die »künstlichen Vorkehrungen« eines kulturellen Gedächtnisses, auf eine von der individuellen Erlebniserinnerung und Tatsachenrekollektion sich ablösende Form objektivierten Erinnerns: »Je inniger die gesinnungsbildende Kraft noch mit der Thatsache selbst verknüpft, je weniger sie abgelöst und selbständig geworden ist, desto wichtiger bleibt noch der Glaube an die Thatsache und die Wiedererinnerung derselben. Für das Leben der Völker gibt es deshalb, eben so wie für Einzel- und Familienleben, künstliche Vorkehrungen der Erinnerung, die Herstellung von Bedingungen der Reproduktion, um die Gesetze derselben zu unterstützen und ihre Anwendung zu regeln, Feste, Gedenktage usw.«31 Tatsachen, die kulturell erinnert werden, sind nicht mehr identisch mit Situationen, Ereignissen oder Sachen. Diese sind als ErDie materiellen Träger des objektiven Geistes | 175
fahrungsgegenstände an den Augenblick ihres Ereignens gebunden, während kulturelle oder »psychologische Thatsachen«32 allein in der medialen Form von Aussagen und Texten, Dingen und Produkten, Bauwerken und Artefakten, kurzum: als Bedeutungen präsent bleiben. Lazarus und Steinthal erkennen die eigentümliche Wechselwirkung, die den objektiven Geist als kulturelles Gedächtnis konstituiert: Disparate Vorstellungen finden erst im einzelnen Subjekt zur Einheit, aber die Einheit des Subjekts kann überhaupt nur durch die relative Gleichartigkeit vorgefundener und übernommener Vorstellungen hergestellt werden. Anders gesagt: Die Gesellschaft reproduziert sich nirgendwo anders als in den Individuen, aus denen sie gebildet wird, aber diese Individuen sind überhaupt nur sie selbst, weil die allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellungen und Praktiken sie präformieren.33 (2) Die völkerpsychologische Kulturwissenschaft erkennt den Vorrang des objektiven vor den Formen des subjektiven Geistes und die Vermittlung individueller Erinnerung mit der kollektiven. Eine wesentliche Anknüpfung an Humboldt besteht darin, dass sie das Ich mit dem Du vermittelt und beide auf den Boden einer ersten Person Plural stellt. Der objektive Geist ist Ausdruck einer WirIntentionalität: »Wo immer mehrere Menschen zusammenleben, ist dies das nothwendige Ergebniß ihres Zusammenlebens, daß aus der subjectiven geistigen Thätigkeit Derselben sich ein objectiver, geistiger Gehalt entwickelt, welcher dann zum Inhalt, zur Norm und zum Organ ihrer ferneren subjectiven Thätigkeit wird.«34 Diese Auffassung kulturell vernetzter Selbstverständigung führt in Lazarus’ und Steinthals Kulturwissenschaft zu einer prägnanten Theorie der Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses, die zwischen geistigen und »materiellen Träger[n]«35 des objektiven Geistes unterscheidet. Trägermedien sind »Verkörperungen« an sich selbst körperloser Tätigkeiten und Praktiken, die es überhaupt nur dann gibt, wenn sie geglaubt und ausgeführt werden, und dennoch nicht einfach momenthaft, zufällig und austauschbar sind, sondern jedes Mal in relativer Gleichförmigkeit neu ausgeführt werden. Zu den »materiellen Träger[n]« gehören Bücher, Bauwerke, Denkmäler und Werkzeuge »zum realen oder symbolischen Gebrauch«, aber Lazarus beschreibt auch – erstmals, wie es scheint – die erste und zweite Technik der industriellen Revolution 176 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
als Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses. Zu den geistigen Trägern werden die symbolischen Ordnungen gerechnet. Sie stellen sozusagen die software zur Verfügung, deren die materiellen hardware-Trägermedien bedürfen, um ihre Funktion ausüben zu können: Ordnungen der Sprache, der Natur-, Rechts-, und Moralvorstellungen einer Gesellschaft. Nicht alle Trägermedien erfüllen die gleichen Funktionen, nicht alle lösen ihre Aufgaben in ähnlicher Weise. Lazarus zieht einen Vergleich zur Lexikologie: So wie die Sprachvorstellungen eines Volkes in seinen Kompendien zur Grammatik und Lexik niedergelegt sind, so müssten im Grunde auch die Rechts-, Natur- und Moralvorstellungen eines Volkes in entsprechende lexikalische und systematische Formen gebracht werden, wollte man sein kulturelles Gedächtnis vollständig erfassen.36 Natürlich ist die Aufgabe einer solchen Enzyklopädie aufgrund der Heterogenität und Fülle der empirisch zu erfassenden und systematisch ausdifferenzierten Gegenstände unmöglich geworden, behält aber in der völkerpsychologischen Kulturphilosophie als regulative Idee eine wissenschaftspragmatische Funktion. Gegenüber Hegels Enzyklopädie, die sich aufgrund der Expansion neuzeitlicher Erfahrungswissenschaften bereits auf die »philosophischen Wissenschaften« beschränkte, ist die postmetaphysische Lage der Kultur- und Geisteswissenschaften noch einmal komplexer geworden: Im Nachweis der Notwendigkeit eines Systems erweist sich zugleich dessen Unmöglichkeit. Als Summe seiner Theorie darf Lazarus’ Typologie der fünf Verkörperungen oder »Manifestationen des objektiven Geistes« gelten. Sie plausibilisiert die Differenz materieller und ideeller Trägermedien, verrät in ihrer Betonung der gedanklichen Struktur von Verkörperungen allerdings noch klar bewusstseinsphilosophische Prämissen. Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses sind a) die stets wiedererkennbaren Gedanken (Denken, Sprache), b) die wirksamen Gedanken (Handlungen, Tätigkeiten), c) die im psycho-physischen Organismus wirkenden Gedanken (Einzelsprache, Gestik, Bewegungen, Gewandtheit etc.), d) die materiell das Verhalten der Individuen organisierenden Gedanken (Maschinen und Werkzeuge; staatliche Institutionen, Formen der Geselligkeit) und e) die das geistige Leben regierenden Gedanken (Kunst, Religion, Wissenschaft). Die materiellen Träger des objektiven Geistes | 177
(3) Die Völkerpsychologen haben Humboldts linguistic turn vertieft und die symbolische Ordnung der Sprache als höchstes Medium des objektiven Geistes und notwendige Voraussetzung der Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses interpretiert.37 Ihre herausragende Stellung führen Lazarus und Steinthal auf die einzigartige sprachliche Doppelnatur von »Verkörperung« und »Verständigung« zurück. In der Differenz von materiellen und geistigen Trägermedien bildet die Sprache deren genaue Mitte. Die Idee findet sich zwar bereits in Hegels Phänomenologie des Geistes, aber gegen dessen Bestimmung machen Lazarus und Steinthal den Wirkungsvorrang nicht der logischen, sondern der völkerpsychologischen Veränderungen auf die Sprache geltend. Sie bleibt durch die sprachgeschichtliche und damit auch völkerspezifische Dynamik ein offenes System, in dem »ein fester Punkt der Spracheinheit kaum zu finden ist«38. Sprache und Schrift sind »Verkörperungen« individueller und intersubjektiv geteilter Vorstellungen, Inhalte und Bedeutungen und damit »besondere Thätigkeitsweisen des Volksgeistes«39. Sprache und Schrift sind auf »Verständigung« ausgerichtet, insofern sie nicht privatsprachlich organisiert, sondern stets auf den Sprachhorizont eines objektiven Geistes bzw. kulturellen Gedächtnisses bezogen werden.40 Dieser ist aufgrund seiner eigentümlich symbolischen Funktionsweise nicht experimentell41 zugänglich, und weil in den Sprachformen die Verkörperungen von Lebensformen mitpräsent sind, können beide nur im Zusammenhang untersucht werden:42 »So entspringt aus der subjectiven Thätigkeit des Sprechens, indem sie von mehreren Individuen unter gleichen Antrieben und Bedingungen vollzogen wird und dadurch auch das Verstehen einschließt, eine objective Sprache. Diese Sprache steht dann den Individuen als ein objectiver Inhalt für die folgenden Sprechacte gegenüber; sie wird aber auch gleich zur Norm, zur gegebenen, gesetzmäßigen Form der Gedanken, und weiterhin selbst zum Organ der weiteren Entwicklung der Sprechthätigkeit in Allen. Aus der Thätigkeit aller Einzelnen ursprünglich geboren, erhebt sich der geistige Inhalt, als fertige That, sofort über die Einzelnen, welche ihm nun unterworfen sind, sich ihm fügen müssen. Die Sprache erscheint als das Seiende und Bleibende neben den vorübergehenden Acten des wirklichen 178 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
Sprechens, sie ist das Allgemeine gegenüber der individuellen Thätigkeit der Einzelnen.«43
Das kulturelle Gedächtnis der Sprache ist die Gesamtheit möglicher Sprechakte. In welchem Maße Sprachhandlungen verständigungsorientiert organisiert sind, zeigt sich allerdings oft erst dann, wenn ihre Entschlüsselung misslingt. Nicht zu allen im kulturellen Gedächtnis abgelegten symbolischen Ordnungen gibt es einen Stein von Rosette. Sobald eine Dekodierung gelingt – etwa der uns lange als »Gedankenmumien«44 verschlossen gebliebenen Hieroglyphen –, bringt diese Rekonstruktion symbolischer Ordnungen wiederum neue kulturelle Tatsachen hervor, die als symbolische Formen in das kulturelle Gedächtnis reintegriert werden. (4) Lazarus und Steinthal sind Erben einer in ihrem Fortschrittsglauben nur noch gebrochen und desillusioniert auftretenden Geschichtsphilosophie des Neunzehnten Jahrhunderts. Dennoch geht es ihnen nicht nur um die Explikation der Funktionsweisen kultureller Gedächtnisse, sondern auch um die Beschreibung kulturrelativer Eigenschaften von Nationen und Gesellschaften im Blick auf eine Bestimmung ihrer »objectiven Culturentwicklung«.45 Entscheidend ist die Frage, wie sich jeweils epochal das Verhältnis vom objektiven zum subjektiven Geist »gliedert«: Ist es das Verhältnis einer überwiegend harmonischen Beziehung oder einer antagonistischen zwischen Klassen?46 Das Grundverhältnis von subjektivem und objektivem Geist ist die Beziehung von Teilen und Ganzem, die auf subjektiver Ebene strukturell die objektiven Gegebenheiten spiegelt: »Jeder Einzelne nun verhält sich zur Gesamtheit und dem in ihr lebenden objectiven Geist, wie sich jeder einzelne psychische Act im Individuum zu dem Ganzen seines bis dahin erlebten Gesammtbewußtseins verhält.«47 Daraus folgt die Annahme, dass jede einigermaßen homogene Gesellschaft eine strukturelle Gleichheit der subjektiven psychologischen Prozesse und eine strukturelle Gleichförmigkeit und Wiederholbarkeit ihrer symbolischen Handlungen und Praktiken erzielt. Diese strukturelle Gleichförmigkeit erzeugt der in allen Subjekten anwesende objektive Geist, er »ersetzt die Identität der Person«.48 Die erste Pointe der Theorie Lazarus’ und Steinthals besteht nun in der Entdeckung des Ortes, an dem die materiellen und Die materiellen Träger des objektiven Geistes | 179
geistigen Trägermedien des objektiven Geistes wieder zusammenlaufen. Dieser Punkt ist kein anderer als der subjektive Geist der Individuen selbst. In ihm vereinigt sich zwanglos die Materialität der verschiedenen Trägermedien mit der Idealität der Sprachformen, Praktiken und Handlungen einer Gesellschaft. Die Individuen sind selbst »Träger des objectiven Volksgeistes«.49 Sie erzeugen ihn nicht, denn er ist immer schon vor ihnen da, aber sie erhalten ihn. Die zweite Pointe liegt in der Anerkennung des Vorrangs objektiver Verhältnisse bei gleichzeitiger Verteidigung der Produktivität und des Eigensinns der Individuen. Das Kollektiv hat in der Völkerpsychologie Lazarus’ und Steinthals ebensowenig das letzte Wort wie germanozentrischer Chauvinismus. Wenn nämlich der subjektive Geist mit dem objektiven vermittelt ist, »so sehen wir […] umgekehrt die weitere Fortentwicklung des objectiven Geistes selbst abhängig von der […] Erhebung des einzelnen Geistes (in seiner subjectiven Tätigkeit) über denselben«.50 Die Einzelnen empfangen ihr semantisches Weltwissen, ihre Alltagsroutinen, Verständigungs- und Orientierungsformen nicht ohnmächtig aus dem objektiven Geist. Sie selbst bereichern, übertreffen, überragen ihn auch und treiben ihn dadurch fort; er speichert die Exzellenz der Einzelnen zur Beförderung des Ganzen. Lazarus’ Beispiel ist Kants Sittlichkeitsvorstellung, die heute bis in jede »Dorfschule«51 hinein wirke. Die Produktivität der Individuen befördert die Kreativität des objektiven Geistes, der wiederum auf jene zurückstrahlt. In dieser Wechselwirkung sorgen die Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses für die optimale Übersetzung der kreativen Leistungen und sind in dieser Funktion selbst dem Anpassungsdruck geschichtlichen Wandels unterworfen. Deshalb verdankt das kulturelle Gedächtnis den Trägermedien seine temporale Reichweite; es bleibt nicht auf Zeitmodi der Vergangenheit beschränkt, sondern kann Gegenwart bestimmen und Zukunft antizipieren. In den Theorien Lazarus’ und Steinthals wird der »Volksgeist« zwar zur notwendigen Bedingung der produktiven Leistungen aller Einzelnen, nicht aber zum letzten Zweck der Kulturentwicklung selbst. Inmitten ihres geschichtlichen Orts zwischen Restauration, Imperialismus und Kolonialismus betonen Lazarus und Steinthal die Notwendigkeit einer den Volksgeist übergreifenden regulativen 180 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
Idee. Der logische Schluss: Individuum (Einzelheit) – Volksgeist (Besonderheit) – Menschheit (Allgemeinheit) darf nicht zu dem völkerpsychologischen Fehlschluss verleiten: Individuum (Einzelheit) – Volksgeist (Besonderheit und Allgemeinheit). Das erklärt, warum das Individuum, das am Allgemeinen als der »Menschheit in seiner Person« teil hat, den objektiven (Volks-)Geist auch stets über sich selbst hinaustreiben muss, um nicht einfach nur das Bestehende zu wiederholen. Lazarus kritisiert vehement, »daß bei weitem die meisten Menschen nur an dem objectiven Geist, in welchem sie stehen, ihr Allgemeines haben; was darüber hinaus liegt, existiert nicht für sie […]; so individualisieren sie […] nur das im Volksgeist als Allgemeines bereits Gegebene«.52 Mit diesen Überlegungen haben Lazarus und Steinthal, ein halbes Jahrhundert nach Hegel und vor Halbwachs, ein reiches Theoriemodell für die Wechselwirkung zwischen individual- und kollektivpsychologischen Gedächtnisformen entwickelt. Theoriehistorisch erzählt ihre linguistisch ausgerichtete, komparative Völkerpsychologie die Ursprungsgeschichte späterer Kulturphilosophie. Wir wissen heute, warum ihr sprachphilosophischer Ansatz durch Freges und Husserls Psychologismus-Kritik rasch auf die Verliererseite der Philosophiegeschichte gebracht wurde. Zweifellos verschaffte Freges Kritik einer objektivistischen Deutung der Sprachgesetze und der Logik gegenüber kulturrelativistischen und psychologisch-subjektivistischen Auslegungen berechtigte Geltung. Mit seiner formalsemantischen Reduktion wurde jedoch die Einsicht in die sprachlich-mediale Konstitution des kulturellen Gedächtnisses verdrängt.
4. Hegels Erinnerungs- und Gedächtnistheorie Die völkerpsychologische Theorie des kulturellen Gedächtnisses hat ihre Herkunft aus der Philosophie Hegels nicht verleugnet. Auch das dürfte eher zur Hypothek für eine unverzerrte Rezeption geworden sein. Freilich konnten Lazarus und Steinthal nur an einen bestimmten Teil der Erinnerungskonzeption Hegels anknüpfen, die über drei verschiedene Ebenen verfügt und mit mehreren, sehr nuancierten Begriffen von Erinnerung und Gedächtnis operiert. Man Hegels Erinnerungs- und Gedächtnistheorie | 181
könnte argumentieren, dass schon die Phänomenologie des Geistes selbst eine großangelegte Erzählung des kulturellen Gedächtnisses, der geschichtlichen Selbsterinnerung des Geistes sei. Das legt ihr berühmter Schluss nahe: »Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reichs vollbringen.« Auf diesem Wege vereinigen sich bei Hegel das in der Geschichte »erscheinende Daseyn« des Geistes mit dem in der Wissenschaft »erscheinenden Wissen« zur »begriffne[n] Geschichte« und bilden so »die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre«.53 Diese Passagen im Sinne einer Theorie des kulturellen Gedächtnisses zu deuten, ginge allerdings an ihrer Sache vorbei. Man kann den Anspruch, den die Teleologie des absoluten Wissens erhebt, nicht endlos herabstufen, man kann ihr Konzept geschichtlicher Erinnerung nicht rücksichtslos kommunikabel machen, ohne es zu trivialisieren. Michael Theunissen hat die mittlere Stillage geschichtlicher Erinnerung in der Phänomenologie des Geistes von der hohen Stillage der Seinserinnerung in Hegels Wissenschaft der Logik unterschieden.54 In der Konsequenz dieser Deutung käme der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften die untere Stillage einer psychologischen Erlebnis- und Wiedererinnerungskonzeption des subjektiven Geistes zu. In der Tat bestimmt sie die Form subjektiver Erinnerung, die allerdings auch in der Enzyklopädie von der Geschichts- und Seinserinnerung, auf deren Boden sie sich erhebt, nicht abgesondert werden kann. Hegels an verschiedenen Orten entwickelte Erinnerungs- und Gedächtnistheorie bildet eine komplexe Einheit der (1) Erinnerung an abgelegte Erlebnisse (= konkrete Erlebnis- und Wiedererinnerung); (2) Erinnerung von Gegebenem oder »Gedenken« als Selbstaneignung dessen, was für das Ich bedeutungsvoll ist (= allgemeiner Begriff von Erinnerung); (3) Erinnerung durch zeichenhafte Veräußerung (= »produktives Gedächtnis« als sprachliche Objektivierung erinnerter Vorstellungen); (4) Erinnerung in das Werden des Geistes selbst (= Theorie der geschichtlichen Erinnerung als Selbstaneignung des objektiven Geistes); (5) Erinnerung aus der vorfindlichen Welt heraus in die logische Bewegung und ab182 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
solute Idee selbst (= Seinserinnerung, Metaphysik, methodische Reflexion; Selbstaneignung des objektiven durch den absoluten Geist). Parallelen und Differenzen dieser Konzeptionen Hegels zur sozialpsychologischen Unterscheidung von episodischem, semantischem, prozeduralem, implizitem und perzeptuellem Gedächtnis drängen sich auf, wichtiger aber dürfte die Frage sein, ob Hegels Philosophie des objektiven Geistes tatsächlich als systematisches Pendant zur Theorie des kulturellen Gedächtnisses gefasst werden kann, ob beide Begriffe eine semantische Schnittmenge haben. Eine Antwort ist schwierig, weil die Frage eigentlich schon schief gestellt ist; so lassen sich statt Antworten eigentlich nur Klärungen und Erläuterungen zu den Voraussetzungen eines möglichen Vergleichs geben. Dies schon deshalb, weil Hegels Begriff des objektiven Geistes zugleich mehr und anderes enthält als das kulturelle Gedächtnis. Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein systematisches Pendant zum kulturellen Gedächtnis genau genommen nur in der Theorie des subjektiven Geistes zu finden ist, so dass der Vergleich letztlich auf eine Nachkonstruktion der Plausibilität und Erklärungskraft ihrer Systematisierung hinausläuft. Umgangssprachlich werden Erinnerung und Gedächtnis in der Regel nicht näher unterschieden. Hegel nimmt diese Differenz genau, weil er zwischen die Form individueller Erlebniserinnerung und die Form des prozeduralen Gedächtnisses das semantische Gedächtnis schiebt, welches zugleich den systematischen Ort der Sprache markiert. Für dieses Theoriemodell sprechen auch heute noch Argumente, deren Diskussion die Theorie des kulturellen Gedächtnisses philosophisch präzisieren kann. Während moderne Theoriebildungen Formen empirisch erforschbarer subjektiver Erinnerungsleistungen auf die Ebene kultureller Erinnerungsformen übertragen und dann immer dort Modifikationen vornehmen, wo der Vergleich sozusagen zu »hinken« beginnt, lässt sich mit Hegel ein alternatives systematisches Modell verfolgen. Hegel zeigt, dass die Erinnerungs- und Gedächtnisform des subjektiven Geistes schon von den kulturellen Praktiken und Gedächtnisleistungen des objektiven durchdrungen sind; dass man auf dem Grund subjektiver Erinnerung auf deren objektive und kulturelle Voraussetzungen stößt. Dass diese Bestimmungen aber nicht in der Philosophie des objektiven, sondern des subjektiven Hegels Erinnerungs- und Gedächtnistheorie | 183
Geistes systematisch abgeleitet werden, erbringt – sowohl aus der Binnenperspektive des Systems als auch aus der Außenperspektive eines aktuellen Interesses gesprochen – zwei Vorteile. Zum einen kann Hegel mit der Konstitution des subjektiven Gedächtnisses durch die Formen des objektiven Geistes das kulturelle Gedächtnis im Individuum als seinem wichtigsten »materiellen« Träger verankern und dennoch die Probleme individualistischer Theoriebildung umgehen. Zum anderen treten an dieser Schnittstelle sowohl die menschliche Imagination als auch die Sprache als die wesentlichen Trägermedien des kulturellen Geistes profilierter hervor, und man sieht, dass es nur noch eines kleinen Schritts bedurfte, um zu einer sprachphilosophischen Grundlegung der Völker- und Kulturpsychologie à la Steinthal, Lazarus oder Wundt zu gelangen.
5. Individuelle Erlebniserinnerung und symbolische Form Hegels Erinnerungstheorie der Enzyklopädie thematisiert zunächst die allgemeine Form individueller Erlebniserinnerung. Phänomenologisch minutiös beschreibt Hegel den Prozess der »Er-Innerung«55 als Besonderung und Verallgemeinerung einzelner Anschauungen, ohne das Ziel seines makrotheoretischen Zusammenhangs aus den Augen zu lassen. Diesen Zusammenhang stiftet die Frage nach der Realisierung von Freiheit im theoretischen Ich,56 das Hegel »Intelligenz« nennt. Verwirklichen lässt sie sich nur auf der Ebene der Verallgemeinerung und Übersetzung individueller Vorstellungen in den habitualisierten Symbolgebrauch einer »Zeichen machenden Phantasie«. Befreiung erwächst aus der sprachlichen Vermittlung der Unmittelbarkeit des Angeschauten, aus seiner Verwandlung und Objektivierung durch symbolische Formen. In einem ersten Schritt verwandelt die Erinnerung Empfundenes oder Angeschautes in innere Bilder. Selbstverständlich bringt »ErInnerung« keine originalgetreuen mentalen Spiegelbilder angeschauter Gegenstände hervor. Vielmehr zeigt Hegel, dass der unmittelbare Raum-Zeit-Zusammenhang des vormals angeschauten Inhalts aufgelöst, »von seiner ersten Unmittelbarkeit und abstracten Einzelnheit gegen anderes befreit«57 und in den »eigenen Raum« und die »eigene Zeit« der Intelligenz gebracht wird, weil sich der 184 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
angeschaute Inhalt nun als Bild unabhängig von seiner realen Gegenwart gemacht hat. Auch kann der erinnerte Inhalt nur dadurch Dauer gewinnen, dass der Großteil seiner Begleitumstände nicht mitpräsent bleibt, dass also ein Großteil der Eindrücke, die auf uns einströmen, sofort wieder vergessen werden. Zwischen den Zeilen erzählt uns der Prozess der Erinnerung auch seine eigene Verlustgeschichte. Denn erst durch das Vergessen ursprünglich kopräsenter Eindrücke erhält der zu erinnernde Inhalt einen Fokus. Es bedarf der Aufmerksamkeit und des Interesses, um das Vorgestellte zu verdauern, es seiner Momenthaftigkeit und Flüchtigkeit zu entziehen – ein Vorgang, der aber, wie Hegel in den Vorlesungen anmerkt, »nur auf Kosten der Klarheit und Frische der unmittelbaren […] Einzelheit des Angeschauten« geschieht: »die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bild wird.«58 Nun ist dieses Verwischen der Individualität des Angeschauten gerade das Entscheidende, weil es zwei zentrale Voraussetzungen für die Tätigkeit der Einbildungskraft erfüllt: die bewusstlose Konservierung der Erinnerungsbilder und deren Assoziation zu allgemeinen Vorstellungssynthesen. Mit einer kraftvollen Metapher bestimmt Hegel die Aufbewahrungsfunktion der Erinnerung als »nächtlichen Schacht […] unendlich vieler Bilder und Vorstellungen«. Als »Schacht« ist Erinnerung aber zunächst nur Substanz des Ich, noch nicht selbsttätiges Subjekt, was daran liegt, dass die unendlich vielen Bilder nur als »virtuell«59 Vorhandene existieren; sie bleiben einer nur bewusstlos arbeitenden Aufbewahrungserinnerung entzogen. Den Zugriff auf sie erlaubt erst die Diskretsetzung der verschiedenen Vorstellungen. Sobald sie nicht mehr nur Verschiedene, sondern auch Unterschiedene sind – also sowohl voneinander Unterscheidbare als auf die gemeinsame Identität eines erinnernden Ich Bezogene –, können die Bildvorstellungen aus dem Schacht wieder herausgegriffen werden. Nicht ohne Grund misstraut Hegel der Suggestionskraft eines von der »Schacht«-Metaphorik nahegelegten topischen Erinnerungsmodells. Dessen Naturalismus könnte dazu verleiten, Erinnerungsfunktionen einseitig organisch aufzufassen. Das »Aufbewahren der besonderen Vorstellungen« wäre dann – wie Hegel mit Blick auf die empirische Psychologie des ausgehenden 18. Jahrhunderts sagt – »in besonderen Fibern und Plätzen«60 einer (semi-)fluiden HirnErlebniserinnerung und symbolische Form | 185
masse aufzusuchen. Die Frage ist aber, ob die Reduktion auf ein natürliches Substrat nicht gerade die Sicht auf die Allgemeinheit des Ich und den überindividuellen Charakter von Erinnerung und Gedächtnis versperrt. Denn weil sich das Speichergedächtnis auf die physiologische Konservierung von Erinnerungsspuren beschränkt, kann es zwar zur Grundlage, aber nicht zur Zweckbestimmung freier Mnemosyne werden. Freiheit lässt sich nur dann schrittweise realisieren, wenn ein gezielter und willkürlicher Zugriff auf die Erinnerungsbilder möglich ist. »Das Bild, das im Schachte der Intelligenz nur ihr Eigentum war«, sagt Hegel mit einer juridischen Metapher, muss nun auch zum »Besitze derselben«61 werden. Das ist auf zweierlei Art möglich. Das erinnerte Bild muss entweder erneut »mit einer daseienden Anschauung gleichen Inhalts« oder erstmals mit einer bereits erinnerten Anschauung konfrontiert werden. Notwendig ist der wiederholte Bildabgleich. Erst in der Iterierbarkeit ihrer Erinnerungsspuren befreit sich die Erinnerung, weil sie weder an die Unmittelbarkeit der Anschauung noch an die Bewusstlosigkeit der »Schacht«-Erinnerung gefesselt wird. Intentional gesteuerte Erinnerung ereignet sich nur in jenem Zwischen, das aus der Synthese von Anschauung und Erinnerung – und zwar von verinnerter Anschauung und Veräußerung des erinnerten Bildes – besteht und dem Erinnerungsinhalt ermöglicht, »vor die Intelligenz gestellt werden zu können«.62 Wenngleich das Ich in dieser Vor-Stellung selbsttätig zu werden beginnt, trägt es noch die Spuren der aus Anschauung und Speichererinnerung stammenden Unfreiheit. Als Einbildungskraft ist die Vorstellung deshalb auch zunächst nur reproduktiv. Gleichwohl ist dies ein wichtiger Schritt, denn hier erreicht das Ich den vollständigen Besitz seiner inneren Bilder, dessen Macht in dem uneingeschränkten Übergreifen auf sie besteht. Damit ist auch gesagt, dass sich die Macht begrifflichen Leistungen verdankt. Hegel setzt eine kategoriale Assoziations- und Attraktionskraft im Ich voraus, welche die einander ähnlichen Bilder ordnet, gleichgültig aus welchen Erlebnisquellen sie stammen. Folglich sorgen bereits Kategorien wie »ähnlich–unähnlich« für ein »Aufeinanderfallen vieler ähnlicher Bilder«, die »das Ungleiche […] aneinander abreiben«,63 so dass die einzelnen, erinnerten Anschauungen unter allgemeine Bildvorstellungen subsumiert werden können. 186 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
Der nächste, gegenüber dem mechanischen Verknüpfen und kategorialen Subordinieren notwendige Schritt ist das »freie Verknüpfen und Subsumieren« von Bildern, d. h. ihre willkürliche Zusammenstellung aus dem Vorrat der Speichererinnerung. Hegel entdeckt in diesem Vorgang die Präsenz eines allgemeinen Vermögens der »Phantasie«, dem allerdings noch die Beschränkungen dieses Vorrats auferlegt sind. Die Gebilde, die sie – als symbolisierende, allegorisierende oder dichtende Einbildungskraft – hervorbringt, schöpft sowohl ihre Bildinhalte (z. B. »Flügel« und »Pferd«) als auch die Form ihrer Verknüpfung (etwa zu »Pegasus«) noch aus Gegebenem. »Erfindung« ist auf dieser Stufe die Rekombination von Vorgefundenem. Mit der »dichtenden Einbildungskraft« ist ein wesentlicher Schritt in Richtung auf die freie Produktivität der Vorstellung getan, die allerdings weiterhin zweierlei Beschränkungen unterworfen bleibt, welche sie aus eigener Kraft nicht überwinden kann. Die Unfreiheit, die ihr von den Grenzen des Vorstellungsvorrats auferlegt wird, ist auf der Stufe des subjektiven Geistes überhaupt nicht aufzuheben – und genau darin liegt die Relevanz dieser Passagen für eine Philosophie des kulturellen Gedächtnisses. Dasselbe gilt für die zweite Beschränkung. Hegel zeigt, dass die Vorstellungssynthesen als »Gebilde ihres Selbstanschauens« nur subjektiv sind, eben nur diesem Ich angehören; das heißt, dass ihnen »das Moment des Seyenden noch fehlt«.64 Ihnen mangelt es an Objektivität und Realität (Sein-für-anderes). Sollen die Vorstellungssynthesen nicht partikular, subjektiv und unartikuliert bleiben, so dürfen sie nicht in der Innerlichkeit der Intelligenz verharren, sie müssen eine äußere Gestalt gewinnen. Dass dies nur symbolisch, durch Zeichen erfolgen kann, führt in der Enzyklopädie zu zwei Resultaten: (i) Die materialen Ausdrucksformen sind nicht vom Ich selbst produziert, sondern von der Zeichen- und Sprachgemeinschaft, in der es lebt, immer schon vorgegeben und vorproduziert. (ii) Dieses Sprachund Zeichenapriori kleidet jede individuelle Vorstellungssynthese in die Form allgemein verbindlicher und verständigungsorientierter Zeichen. In der Phänomenologie hatte Hegel die verallgemeinernde Tendenz der Sprache beispielhaft an indexikalischen Ausdrücken freigelegt.65 Den Worten »hier«, »jetzt« oder »ich« entspricht nicht die Realität, die sie behaupten. Jedem individuellen Bewusstsein geErlebniserinnerung und symbolische Form | 187
lingt das einfache Sagen seiner Unmittelbarkeit, das Ich-Sagen, nur in der ihm inadäquaten Form der Allgemeinheit – und misslingt darin zugleich. In der Enzyklopädie kehrt diese Überlegung auf der Ebene der »Zeichen machende[n] Phantasie« wieder, von der Hegel zeigt, dass sie ihre Synthesen aus einem allgemeinen kulturellen Sprach- und Zeichengedächtnis schöpft. Was die sich äußernde Phantasie produziert, sind nicht mehr die individuellen Anschauungen des Empfindungsstoffes, sondern solche, die bereits im Gewand kollektiver und geschichtlich gewordener symbolischer Ordnungen auftreten. Hegel kann mit der Einheit von subjektivem Vorstellungsinhalt und objektiver Zeichenform auch dessen klassische Bestimmung als aliquid stat pro aliquo rekonstruieren. Das Zeichen ist immer »etwas anders vorstellend«66 und wird allein durch seine Offenheit und Flexibilität Voraussetzung für den freien Umgang mit sprachlichen Symbolsystemen. Die Einheit von Inhalts- und Ausdrucksseite sprachlicher Zeichen bedeutet für Hegel, dass – jedenfalls normalsprachliche – Zeichen nicht autosemantisch, sondern allgemeine Hülle für je andere, individuell verwendbare Bedeutungen sind. Das Zeichen gleicht einer »Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt […] ist«. Peirce’ spätere Unterscheidung findet sich, in anderen Termini, in Hegels Differenz von Zeichen, Symbol und Name vor. Unter Zeichen versteht Hegel allgemein die Form symbolischer Konventionalität, in der Bedeutung und Ausdruck – in seinen Worten: Inhalts- und Anschauungsseite – »einander nichts an[gehen]«.67 Als »Symbole« fasst Hegel ikonische Zeichen, als »Namen« die konventionellen Schriftzeichen und Begriffe natürlicher Sprachen. Alle Zeichen können als Schrift- oder Tonzeichen fungieren, auch wenn es zunächst scheint, als würde Hegel mit der Rede als ihrem höchsten Punkt die phonetische Sprache privilegieren.68 Doch die Enzyklopädie unterscheidet hier genauer zwischen der Expressivität der Rede als Äußerung einer »sich kund gebenden Innerlichkeit«69 und der Sprache als einem allgemeinen System aus Gebärde, Lexik, Grammatik und Schrift. Hier deutet Hegel in einem langen Zusatz zum Paragraphen 459, dem die Völkerpsychologen Steinthal und Lazarus entscheidende Einsichten verdanken, die Sprache nicht mehr als eine Form des subjektiven, sondern des objektiven Geistes. Das Ich findet ein gebildetes Sprachsystem, in welchem sich die kulturellen, 188 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
technischen und normativen Praktiken und Sprachspiele über lange geschichtliche Zeiträume sedimentiert haben, bereits vor, kann jedoch selbst individuell, schöpferisch und partiell verändernd in das Netz der symbolischen Ordnungen eingreifen. Die Faktizität der Sprach- bzw. Schriftsysteme und des kulturellen Gedächtnisses, das in ihnen mitgespeichert ist, entscheidet über den Stand der sozialen Evolution, der sich an ihnen ablesen lässt. Hegels Theorie des Freiheitsfortschritts als Emanzipation von naturwüchsiger Unmittelbarkeit setzt sich hier in der These von der fortschreitenden Ablösung der ikonischen (in Hegels Terminologie: symbolischen) durch konventionelle Zeichen fort. Aus diesem Grund hält Hegel auch die Buchstabenschrift für die »an und für sich intelligentere«. Die Alphabetschrift unterstützt die Abwendung des Geistes »von dem sinnlich Conkreten zu der Aufmerksamkeit auf das Formellere, das tönende Wort und dessen abstracte Elemente«.70
6. Das produktive Gedächtnis und die symbolische Reflexion der Sprache Auf die Folie dieser Ableitung von Erinnerung und symbolischer Einbildungskraft legt sich die Konzeption des Gedächtnisses. Hegel hat mit ihr keine Theorie der kulturellen Memoria entworfen, wohl aber ihre Notwendigkeit begründet und ihre transzendentalen Voraussetzungen freigelegt. Aufgrund der Vermittlung des Gedächtnisses mit den kulturellen Praktiken verschiedener Sprachund Symbolordnungen kann es jetzt nicht mehr um ein Speichergedächtnis individueller Erlebniserinnerungen gehen. Gedächtnis muss als eine durch das semantische Gedächtnis der Sprache subkutan bereits durchdrungene Übergangsform zum begrifflichen Denken interpretiert werden. Mit dem Denken konvergiert das Gedächtnis darin, dass es »überhaupt nur mit Zeichen zu thun hat«71. Als »namenbehaltendes Gedächtnis« identifiziert es ein bestimmtes Zeichen mit seinem objektiven, d. h. konventionell festgelegten Bedeutungsinhalt; als »reproduzierendes Gedächtnis« versteht es in den Namen bild- und vorstellungslos deren Inhalt; und als produktiv-mechanisches Gedächtnis hat es Teil an einer allgemeinen, allen Sprachteilnehmern zugänglichen Vernunft. Das produktive Gedächtnis | 189
Im sprachlichen Regelfolgen der Kommunikation bedürfen wir in der Tat weder der Gegenwart des Bedeutungsinhalts noch der seines Vorstellungsbildes: »Es ist in Namen, daß wir denken.« »Das reproducirende Gedächtniß hat und erkennt mit dem Namen die Sache, und mit der Sache den Namen, ohne Anschauung und Bild.«72 Dass das reproduzierende Gedächtnis »hat«, heißt im Rückblick auf die Schachterinnerung: Es hat die Macht und den Besitz über die Bilder; und dass es mit dem Namen die Sache erkennt, weist bereits voraus auf das produktive Gedächtnis. Der Name ist auf dieser Stufe nunmehr die allgemeine Existenz des Inhalts einer vormals besonderen Vorstellung. Erst hier ist die Sprachwerdung und Objektivation der Vorstellungen wirklich abgeschlossen. Erst hier, so ließe sich pointieren, ist der subjektive Geist mit dem objektiven, mit seiner kulturellen Umgebung verbunden, in die er von Haus aus eingebettet ist. Gelingen kann das sinnvolle, aber bedeutungsblinde und bilderlose Kommunizieren in Namen nur, weil Lexik, Grammatik und Schrift nicht privatsprachlicher Natur sind. Ihre gesellschaftliche Prägung und Faktizität machen sie zu einem unverlierbaren Besitz nur deshalb, weil sie nicht unser Eigentum sind, sondern prinzipiell allen Kommunikationsteilnehmern einer Sprachgemeinschaft offen stehen. Wer ein Wort hundertmal mechanisch vor sich hin sagt, wird die Erfahrung machen, dass die Bedeutung des Wortes zunehmend entgleitet, dass man es aber schon im nächsten Moment dennoch wieder sinnvoll verwenden kann. Die Semantik der Namen muss vom Gedächtnis ebenso wenig überprüft werden, wie es der ständigen Assoziation zwischen Name und Vorstellungsbild bedarf. Die Namen werden, wie Hegel sagt, durch ein »leeres Band« in fester Ordnung gehalten. Wir verwenden bereits in unserem alltäglichen Sprechen die Namen so, dass wir uns ihre Bedeutung nicht mehr gegenwärtig halten müssen. Die Gebrauchsform der Sprache sichert bei Hegel den Übergang in das Denken, das gar nicht mehr anders als begrifflich vorgehen kann – womit der Ort der Sprache in der Enzyklopädie ganz durchschritten ist. Im produktiv-mechanischen Gedächtnis ist der Geist gerade deshalb ganz bei sich selbst, weil die Bedeutungen der Wörter mechanisch gebraucht werden, ihr Bezug auf den Referenten ganz ausgeblendet und der gesuchte sprachliche Ausdruck frei gebildet werden kann. 190 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
Ähnlich wie Frege unterscheidet Hegel zwischen dem subjektiven, gleichsam illokutionären Sinn, den wir mit konkreten Äußerungen übermitteln und der objektiven, lokutionären Bedeutung, die von einem konventionellen Sprachsystem vorgängig festgelegt wurde: »Der richtige Accent, der hineingebracht wird, geht auf den Sinn; die Bedeutung, Vorstellung, die herbeigerufen wird, stört dagegen den mechanischen Zusammenhang und verwirrt daher leicht das Hersagen. Das Vermögen, Reihen von Worten, in deren Zusammenhang kein Verstand ist […] auswendig behalten zu können, ist darum so höchst wunderbar, weil der Geist wesentlich diß ist, bei sich selbst zu seyn, hier aber derselbe als in ihm selbst entäußert, seine Tätigkeit als ein Mechanismus ist.«73 Aus der Gedächtnisanalyse fällt retrospektiv auch Licht auf die Paragraphen zur »Zeichen machenden Phantasie«. Sprache transportiert eine kulturelle Überlieferung, die im kommunikativen Handeln immer mitpräsent ist. Je reflexionsloser wir sie handhaben, desto freier können wir mit ihren Produkten umgehen und aus ihr neue Synthesen bilden. Hegel sieht hier keinen Gegensatz zwischen Einzelheit und Allgemeinheit. Nur durch Einübung der kulturellen Überlieferung kann sich die Phantasie des Ich frei entfalten. Dessen produktive Einbildungskraft schließt bei Hegel, anders als bei Kant, das semantische Gedächtnis kulturellen Weltwissens und kollektiver Weltzugangspraktiken immer schon ein. Denn nur durch den Filter dieser Überlieferung erreicht das Ich (i) neue Bildvorräte und deren Verknüpfungsregeln sowie (ii) neue symbolische Ordnungen, die es lernt und gebraucht, aber wiederum auch selbst erfinden, verändern und in das kulturelle Gedächtnis zurückspeisen kann. Zwar sind für Hegel die Handlungen der Einzelnen, im weltgeschichtlichen Maßstab, »Werkzeuge«74 einer allgemeinen Entwicklung. Doch ist diese wiederum nur eine leere Form, die ihren Sitz im Leben allein in der Einzelheit von Individuen, der Besonderheit von Nationen oder der konkreten Allgemeinheit ästhetischer und religiöser Praktiken haben kann. Sprache als kardinales Trägermedium des kulturellen Gedächtnisses entwickelt Hegel systematisch in § 459; dem entspricht der Begriff der Bildung in der Phänomenologie als ein »Allgemeingültiges«, kulturell »Gebildetes«, das immer als ein von anderen Geleistetes und Entfremdetes an uns herantritt. Andere Trägermedien, die Formen von Recht, Moralität und Sittlichkeit, entwickelt dann Das produktive Gedächtnis | 191
die Philosophie des objektiven Geistes, die nicht zufällig mit einer Skizze geschichtsphilosophischer Erinnerung schließt. Die Interpretation des Vorstellungskapitels der Enzyklopädie unter dem Gesichtspunkt seiner Relevanz für Vorläufertheorien des kulturellen Gedächtnisses soll abschließend noch durch ein theoriearchitektonisches Argument gestützt werden. Hegel hat mit erstaunlicher Energie – früher hätte man ideologiekritisch gesagt: unter Systemzwang – die gesamte Enzyklopädie ebenso konsequent wie transparent nach dem Prinzip absoluter Negativität durchorganisiert. In dieser Architektonik wird die Gedächtnistheorie selbstreflexiv, d. h. zu einem Moment systematischer Erinnerung in das Selbstsein des Geistes. Denn das Gedächtnis des Denkens steckt nirgendwo anders als in seiner methodischen Reflexion selbst, die in einer vierfachen Bewegung von Position (P), Negation (N), Negation der Negation (NN) zu einer auf höherer Ebene wiederhergestellten, also reflektierten Position (PR) fortschreitet.75 Für die Philosophie des subjektiven Geistes bedeutet das, dass sie in der Anthropologie zunächst den Begriff der Seele (P) exponiert und dessen Realisierung zur tätigen Substanz (und damit zum Bewusstsein) dann in den Negationsstufen einer Selbstdifferenzierung vollzieht: als körperliche Naturseele (N), als leiblich-fühlende Seele (NN) und als wirkliche Seele (PR), mit welcher die Leibseele zum bewussten Ich erwacht und der Leib zum »Zeichen«76 des Ich wird. Diese Architektonik wiederholt sich auf der Ebene der Phänomenologie und der Psychologie, wo zunächst der Begriff des Geistes abstrakt vor-ausgesetzt (P), dann aber konkret als theoretischer (N), praktischer (NN) und freier Geist (PR) entwickelt wird. Dieselbe Organisation durchzieht die Mikrostruktur (zum Teil bis in die Absätze hinein), wo auf der Ebene des theoretischen Geistes zunächst dessen Substanz bestimmt wird (P), die sich dann als anschauendes (N), vorstellendes (NN) und denkendes (PR) Ich realisiert. Systemarchitektonisch auffällig ist nun, dass stets die Stufe der Negation der Negation (NN) sowohl als theoretisch gehaltvollste und am schwersten zu begründende als auch – und auf diese Präzisierung kommt es an – als diejenige gefasst wird, in die auf der Stufe des subjektiven Geistes bereits Elemente des objektiven und absoluten Geistes eingehen. Mit anderen Worten: in ihnen ereignet sich mit der Antizipation höherer Stufen auch die Verschränkung 192 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
von individuellem und kulturellem Gedächtnis. So zeigt Hegel in der Naturbestimmtheit der körperlichen Seele und ihrer Unterworfenheit unter die »natürlichen Qualitäten« (Klima, geographische Lage, Witterung, Jahreszeiten) die natürliche Grundlage des subjektiven und objektiven Geistes auf. Doch mit den »natürlichen Veränderungen«: Ethnie und Nationalität schreibt er in die natürliche Grundlage auch bereits Vorformen des objektiven und kulturellen Geistes ein.77 »Natürlicher Geist«78 und kultureller Geist verhalten sich zueinander wie Substanz und Subjekt. Ebenso sind die individuell-natürlichen »Dispositionen«79 wie Temperament und Charakter nicht mehr rein natürliche, sondern bereits vom kulturellen Gedächtnis beeinflusste Qualitäten.
7. Das »individuelle Weltsystem« und die symbolischen Ordnungen In welchem Maße auch der absolute Geist in dieses Verhältnis eingeht, kann hier nicht erörtert werden. Die nachhegelschen Kulturphilosophen und Völkerpsychologen haben diesen Systemteil abgetrennt und, wenn überhaupt, ihren Hegelianismus nur noch zum »herabgesetzten Preis« (Schnädelbach) anbieten können. Plausibel kann man Hegels Klärung der transzendentalen Voraussetzungen des kulturellen Gedächtnisses aber selbst dann finden, wenn man nur bis zur Philosophie des objektiven Geistes mitzugehen bereit ist. Denn das dichte Gewebe seiner Begründungsarchitektur zeigt erstaunliche Parallelen zwischen den Systemebenen, die Licht auf den Zusammenhang von Subjektivität und kultureller Objektivität werfen. Hegel hat selbst auf eine für diesen Zusammenhang entscheidende Verbindung hingewiesen, auf diejenige zwischen Gewohnheit und Gedächtnis: »Die Gewohnheit ist, wie das Gedächtniß ein schwerer Punkt in der Organisation des Geistes; die Gewohnheit ist der Mechanismus des Selbstgefühls wie das Gedächtniß der Mechanismus der Intelligenz.«80 Methodisch stehen beide, wenngleich jeweils auf verschiedenen Makroebenen, gleichermaßen auf der Stufe der Negation der Negation (NN). Als Gewohnheit beschreibt Hegel diejenigen Zustände unserer leiblichen Seele, die von ihr mechaDas »individuelle Weltsystem« | 193
nisch geordnet und in das »individuelle Weltsystem«81 des Ich integriert werden. Die verschiedenen, konfligierenden Gefühlszustände innerhalb seines Selbstgefühls bedürfen einer ordnenden Macht, die dem fragilen Selbstgefühl keine Gewalt antun, wohl aber ein Ziel verleihen und es auf das Bewusstsein ausrichten soll. Gewohnheiten sind eine Art Prolepse eigentlich kultureller Überlieferungen in die konkreten leiblichen Tätigkeiten und Gefühlslagen des Individuums. Sie sind ein Stück Kultur im natürlichen Subjekt. Die abstumpfenden Einübungsgewohnheiten etwa des Klavierspielens erzeugen im leiblichen, subjektiven Geist ja nicht nur Fingerfertigkeiten, sondern transportieren über die rein körperlich-funktionale Ausübung zugleich geistige Gehalte mit; sie tragen einen Teil des semantischen Gedächtnisses (etwa im Üben einer Klaviersonate Beethovens) in das prozedurale Gedächtnis wiederholter Handbewegungen auf den Tasten ein. Sie zeigen, dass Erinnerung und Gedächtnis stets verkörpert sind, ihren Sitz jedoch nicht in einem organischen Substrat, sondern im Leben des ganzen Organismus haben. Mit der Engführung von Gewohnheit und Gedächtnis macht Hegel die Verbindung von natürlichem und kulturellem Geist explizit. Es ist nur eine von vielen möglichen cross-references innerhalb der Systemarchitektonik der Enzyklopädie, hier aber die entscheidende: So wie die Gewohnheit das »Weltsystem« Ich aus der Unordnung überbordender, »verrückter«82 und unverarbeiteter Gefühlserlebnisse rettet, bewahrt die Ordnungsmacht des Gedächtnisses das Ich vor dem Chaos miteinander unvermittelter Erinnerungserlebnisse und Vorstellungssynthesen. Erst durch die Symbolsysteme des objektiven, kulturellen Gedächtnisses kann der subjektive Geist diese Phänomene in eine für ihn sinnvolle und zur Mitteilbarkeit notwendige Einheit bringen. Der systematische Zusammenhang macht verständlich, warum Hegel auf der Ebene des objektiven Geistes keiner eigenen Gedächtnistheorie mehr bedarf und sie auch für die Mnemosyne der Weltgeschichte83 nicht mehr eigens herleiten muss. Sie ist, jedenfalls seinem Anspruch nach, durch die vorherige Systementwicklung bereits erbracht. So zeigt Hegels Erinnerungstheorie, wie das an einer allgemeinen Außenwelt Wahrgenommene in individuelle, je-meinige und konkrete Erinnerungsspuren verwandelt wird. Seine Sprach- und Gedächtnistheorie zeigt hingegen, wie indivi194 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
duell Erinnertes nur durch die symbolischen Ordnungen des kulturellen Gedächtnisses als Verkehrsformen eines objektiven Geistes verständigungsorientiert und sinnbildend vermittelt werden. Ihr keineswegs einziges, doch basales Trägermedium ist ein Sprachsystem konventioneller Zeichen (das als »abstrakte Mnemosyne« zum »produktiven Gedächtnis« wird). Erst auf dem Boden eines kulturellen Symbolgedächtnisses kann sich jedes individuelle Ich vom »Mitleben«84 mit der Natur, von seiner sozialen Umgebung, aber auch von sich selbst unterscheiden, distanzieren und befreien. Wir wissen heute, dass hinter die linguistische Wende kein Weg, auch kein kulturphilosophischer, zurückführt. Die Vorgeschichte der Theorie des kulturellen Gedächtnisses erinnert aber an die durch formalsemantische, ja selbst durch sprachpragmatische Theorien teilweise verschütteten Überlegungen zur Sprache als kultureller Tatsache. Diese Überlegungen bergen wichtige kultur- und sprachphilosophische Konsequenzen für die Einsicht in das asymmetrische Grundverhältnis von kollektivem Gedächtnis und Sprache. Kollektive Erinnerung beschränkt sich nicht auf ihr sprachliches Medium; umgekehrt müssen wir Sprache als integralen Teil unseres kulturellen Gedächtnisses begreifen. Nur so eröffnet sich der Raum eines unverkürzten Sprachbegriffs, der das Wechselverhältnis ihrer Ausdrucks,- Imaginations-, Darstellungs-, und Kommunikationsfunktion umfassend zu beschreiben erlaubt. Hegel und seine kulturphilosophischen Erben haben die eingangs skizzierten systematischen Fragen einer Theorie des kulturellen Gedächtnisses erstmals aus sprachphilosophischer Perspektive beantwortet und den Zusammenhang von individueller und kollektiver Erinnerung, deren verschiedene Formen sowie die Funktion sprachlicher Trägermedien des kulturellen Gedächtnisses zu erklären versucht. An ihren Theorieprogrammen lassen sich auch heutige Notwendigkeiten und Aufgaben einer philosophischen Theorie des kulturellen Gedächtnisses klar machen, die nicht darin bestehen kann, kulturwissenschaftlichen Diskursen aufzuhelfen, deren Praxis auch ohne philosophische Reflexion reibungslos voranschreitet. Einsetzen kann eine solche Theorie nur dort, wo diese Praxis sich nicht durch bloße Existenz begründen zu können glaubt, sondern mit Argumenten rechtfertigt. Selbstverständlich kann die Aufhellung der »transzendentalen«, sprach- und kulturphilosophischen Das »individuelle Weltsystem« | 195
Voraussetzungen einer Theorie des kulturellen Gedächtnisses auch heute die systematisch anregenden Fragen der Enzyklopädie und Phänomenologie neu stellen, ohne ihrem fundamentalphilosophischen Ansatz folgen zu müssen. Hegels »Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind« verlangt die Transparenz absoluter Selbsterfassung. Diesen Anspruch eines vollständigen Durchsichtigmachens unseres Geistes hat die Philosophie der Moderne redlicherweise aufgegeben. Heute reklamiert ihn ein neurophysiologischer Naturalismus für sich.
196 | Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis
ZWEITER TEIL Sprachanalyse und alethischer Pragmatismus
Sachen und Sätze Kulturphilosophische Prämissen einer sprachpragmatischen Alethiologie
1. Intransigenz von Sprachanalyse und Kulturphilosophie? In der Philosophie machen Nuancen den ganzen Unterschied. Entsprechend ausgeprägt ist der Narzissmus der kleinsten Differenz nicht nur unter philosophischen Schulen, sondern auch zwischen den Disziplinen, die für gewöhnlich von bestimmten Schulen und Traditionen bestimmt werden. Eine solche Idiosynkrasie der nächsten Nähe schien lange Zeit auch das Verhältnis von Sprach- und Kulturphilosophie zu dominieren. Schwierig zu sagen, wann eigentlich ihre Unversöhnlichkeit begann; noch schwieriger zu beantworten die Frage, worin genau sie eigentlich besteht. Eine der theoriehistorischen Linien reicht in die 1920er Jahre zurück, wo mit dem einheitswissenschaftlichen Methodenideal des logischen Empirismus für viele Jahre die regulative Idee der Sprachanalyse formuliert wurde: »Philosophie betreiben bedeutet nichts Anderes als: die Begriffe und Sätze der Wissenschaft durch logische Analyse klären.«1 Aus der Perspektive einer ausschließlich auf empirische Wissenschaften bezogenen, angewandten Logik musste jede kulturphilosophische Reflexion dem Generalverdacht »metaphysischer Begriffsdichtung«2 verfallen, unter den Rudolf Carnap alle nichtempirischen Geisteswissenschaften gestellt hatte. Wenige Jahre später sah sich Ernst Cassirer gezwungen, dem Vorwurf mit einer Verteidigung des Eigensinns kulturphilosophischer Theoriebildung zu begegnen, indem er ihre Untersuchungsgegenstände nicht als Fragen der Genesis, sondern der Geltung, nicht als Probleme der Beobachtung, sondern der Bedeutung begriff. Seither hat sich eingebürgert, den methodischen Hauptunterschied von Kultur- und Naturwissenschaften in der Differenz von »Bedeutungs-Analyse[n]«3 und Kausalfragen zu suchen. | 199
Dass Bedeutungsfragen nicht mit der gleichen Präzision zu beantworten sind wie Kausalfragen, ist unstrittig. Unstrittig auch, dass Phänomene der Sprache als sprachlich erfahrbare Phänomene zu den vergleichsweise exakt beschreibbaren und intersubjektiv überprüfbaren Forschungsgegenständen zählen. Kehrseite dieses Umstands war lange Zeit die Fiktion, mit der vermeintlichen Einheit des Gegenstandes auch eine Einheit der analytischen Methode vor sich zu haben, die umso mehr gefordert schien, je pluralistischer sich ein kulturwissenschaftlicher Methodenperspektivismus gebärdete und berechtigte Skepsis hervorrief. Doch auch die Dichotomie von Bedeutungsfragen und Kausalbeziehungen verzerrt das Bild, weil sich beide Objektbereiche nicht klinisch trennen lassen, sondern stets überlappen, wie jede noch so bescheidene Reflexion über kulturelle Tatsachen nahelegt. Angesichts der fortschreitenden, namentlich von Putnam und Dummett vorangetriebenen Selbsthistorisierung der analytischen Philosophie lassen sich heute mit den Differenzen auch die Affinitäten zur Methodenreflexion der anderen wichtigen philosophischen Strömungen des vergangenen Jahrhunderts besser überblicken. Dabei scheint von den ursprünglichen Instrumenten strenger Metaphysikkritik durch logische Begriffsanalyse nur noch ein Minimalprogramm übriggeblieben zu sein, das einer radikalen Metaphysikkritik abgeschworen hat und inzwischen weniger mit theoretischem Rigorismus und philosophischen Hintergrundüberzeugungen als vielmehr mit Fragen des richtigen Stils und der richtigen Haltung verbunden zu sein scheint.4 In der Philosophie hat die Sprachanalyse ein ganz eigenes Sprachspiel ausgebildet, das problemlos auch das Sprechen über Gott und die Welt erlaubt, wenn man es nur mit einem stilistisch schmalen und inzwischen stark technoiden Wissenschaftsjargon versieht, der sich selbst das Epitheton »analytisch« zuspricht. Die unvermeidliche semantische Überdehnung des theoriesprachlichen Begriffs »analytisch« hat nun den Vorzug, dass er als Adjektiv wieder freigeworden ist; dass man mit der Gelassenheit, die die Tugend der Erben ist, nach ausgestandenen Schulstreitigkeiten unvoreingenommen Überlegungen zu einer kulturphilosophischen Sprachanalyse anstellen und eine Vermittlung der Traditionen in Angriff nehmen kann, für die die Pole Carnap und Cassirer 200 | Sachen und Sätze
einst standen, die aber ihre Anstößigkeit verloren hat. Ohne sich von einer neuerlichen Schulphilosophie vorschreiben zu lassen, was da analytisch und was da Philosophie heißen soll, können nun auch Methodenideale, zu denen sich Cassirer übrigens unzweideutig bekannte, für kulturphilosophische Fragen fruchtbar werden. Peter Bieri hat an die zwei verbliebenen verbindlichen Vorgaben analytischen Philosophierens erinnert: zum einen an den Primat der Klarheit, die nicht schon mit formaler Schlüssigkeit identisch ist, sondern eine Durchsichtigkeit der Sache und der ihr angemessenen Methode meint. Dies kann auch das Durchsichtigmachen der Undurchsichtigkeit einer Sache implizieren und bestimmt die Form der Klarheit als klärende Übersichtlichkeit und kontextuelle Genauigkeit (hinter der sich noch eine Schwundstufe der positivistischen Reaktionsbildung auf den Verdacht begrifflicher Vernebelung durch Metaphysik ahnen lässt). Zum anderen ist es der Primat der Argumentation, der sich ebenfalls nicht schon in begriffsdefinitorischer Exaktheit und deduktivem Argumentieren erschöpft, sondern auch in der »hohen Kunst der Beispielanalyse« oder im Ersetzen einer Betrachtungsweise durch eine andere bestehen kann, kurzum: in mitunter höchst verschiedenen Formen theoretischer »Phantasie«.5 Das alles wären philosophische Selbstverständlichkeiten, hätten eingeschliffene Rezeptionsgewohnheiten nicht Klischees hervorgebracht, die ihrer abschließenden Entmythologisierung durchaus noch harren. Man könnte überpointieren und die Zerrbilder so zusammenfassen, dass Sprachphilosophen, analytische zumal, Kulturphilosophen für Wortjongleure halten, deren Arbeiten bestenfalls ungenau, schlimmstenfalls spekulativ und unwissenschaftlich sind; und dass umgekehrt Kulturphilosophen die Sprachanalyse des piecemeal-engineerings (Popper) einer linguistischen Fachhuberei verdächtigen, die sich über skurrilen Kunstwörtern wie »Dthat«6 verliert, am Ende jedoch in ihren Detaillösungen die linguistischen Fäden nicht mehr zu einem philosophischen Knoten gebunden bekommt. Diesem stilisierten Porträt gemäß stünde einer theoretischen Spekulation ohne tatsachengesättigte und methodisch saubere Basis die materialreiche Akribie mit höchst bescheidenem theoretischem Erkenntnisgewinn gegenüber. Die daraus sich nahelegende Folgerung wäre so verlockend wie naiv: Könnten beide Richtungen das Intransigenz von Sprachanalyse und Kulturphilosophie? | 201
Beste ihrer Traditionen vereinigen, entspränge eine originelle philosophische Position.
2. Perspektiven der Verschlingung von Sprachanalyse und Kulturphilosophie Realität ist zum Glück komplexer als holzschnittartige Kategorisierungen. In der Wirklichkeit ihrer Geschichte hält die Philosophie nicht nur zahlreiche Beispiele ihrer Verschlingung bereit. Auch zeigt sie, dass Kulturphilosophie und Sprachanalyse historisch einander entsprungen sind. Konzentriert man sich auf die drei neuralgischen Punkte ihrer Genese, so zeigt sich Kulturphilosophie von früh an unter dem Anspruch der Sprachreflexion. Vicos Scienza nuova (1725), von Cassirer als erster »systematische[r] Entwurf der Kulturphilosophie«7 gewürdigt, ist eine an den Grundsätzen der neuzeitlichen Naturwissenschaften orientierte Erforschung des mondo civile. Mit Vico gewinnt die kulturelle Welt gegenüber der natürlichen dadurch Eigensinn, dass sie zum eigentlichen »Substrat« der Wissenschaft und diese entsprechend zur »neuen« fortbestimmt wird. Vico erkennt, dass die kulturelle Welt des mondo civile keinen bloßen Kausal-, sondern einen Bedeutungszusammenhang bildet, der auf Zeichenstrukturen beruht, dessen Deutung nach einer »sematologischen« Kultur-Wissenschaft verlangt.8 Diese Ko-Evolution von Kultur- und Sprachreflexion wiederholt sich an ihrem zweiten, modernen Ursprungsort. Unter dem heute belastet klingenden Namen der »Völkerpsychologie« unternehmen Moritz Lazarus, Heymann Steinthal und Wilhelm Wundt eine explizit sprachphilosophische Reformulierung der Hegelschen Lehre vom objektiven Geist. Ihre von Humboldts Sprachforschungen angeregte »Culturwissenschaft« widmet sich den »Culturzustände[n]«9 und ihren »materiellen Träger[n]«10, also kulturellen Tatsachen wie objektiven Ideen, Bauwerken, Denkmälern und Werkzeugen, von denen sich die Sprache als die alle anderen Trägersysteme übergreifende und begründende »Manifestation« des »objektiven Geistes«11 abhebt. Vicos Einsicht in das semiotische Bedeutungssystem der Kultur wird nun als Untersuchung kollektiver Ausdrucksphänomene weitergedacht: »Die psychophysischen Lebensäußerungen, 202 | Sachen und Sätze
denen die Sprache als eine besondere, eigenartig entwickelte Form zugezählt werden kann, bezeichnen wir ihrem allgemeinen Begriffe nach als Ausdrucksbewegungen.«12 Der Ansatz, Kultur als Ensemble von Ausdrucksphänomenen zu begreifen, hat sich im Werk Ernst Cassirers fortgesetzt, dem dritten Knotenpunkt von Sprach- und Kulturphilosophie. Als nicht mehr bloß natürliches, sondern symbolisches Universum des Menschen ist Kultur derart von ihren sprachlichen Manifestationen durchdrungen, dass die philosophische Reflexion über Kultur mit der über Sprache zusammenfällt: »Der Mensch lebt in einem symbolischen und nicht mehr in einem bloß natürlichen Universum. […] Statt mit den Dingen selbst umzugehen, unterhält sich der Mensch in gewissem Sinne dauernd mit sich selbst. Er lebt so sehr in sprachlichen Formen, in Kunstwerken, in mythischen Symbolen oder religiösen Riten, daß er nichts erfahren oder erblicken kann, außer durch Zwischenschaltung dieser künstlichen Medien.«13 Dass kulturelle Zusammenhänge als Bedeutungsphänomene eben nicht tel quel, als Dinge (im Sinne von Poppers Welt 1), sondern stets in Form symbolischer Medien (im Sinne von Poppers Welt 3) präsent sind,14 ist das entscheidende Verbindungsmoment von Kultur- und Sprachreflexion, welches die skizzierten Ursprungsorte neuzeitlicher und moderner Kulturphilosophie konstelliert. An ihnen lässt sich zeigen, dass die Bestimmung der Sprache als des entscheidenden symbolischen Mediums des Menschen in Kulturphilosophie eingebettet wird, diese der Reflexion über Sprache als einer anthropologischen Differenz jedoch allererst entspringt. Gewiss wird es ein Rest des Psychologismusverdachts Husserls und Freges gegenüber der sprachwissenschaftlichen Kultur- und Völkerspychologie gewesen sein, der den logischen Empirismus dazu gebracht hat, alle kulturelle Vermittlung von Protokollsätzen, Wahrheit und Wissenschaft als weder wahr noch falsch und damit als wissenschaftlich sinnlos auszuklammern. Rasch allerdings musste diese Trennung von Wissenschaft und kultureller Lebenswelt auch der analytischen Philosophie selbst unbefriedigend erscheinen. Im Grunde motiviert genau dieses Unbehagen die Gabelung der Sprachanalyse in ihre idealsprachliche und ihre alltagssprachliche Strömung. Mit Wittgensteins und Ryles informaler »Logik« der Umgangssprache, Quines Angriff auf die Sprachanalyse und Kulturphilosophie | 203
»Dogmen« des Empirismus und Austins Analyse der Sprechakte kündigt sich ab den frühen 1950er Jahren eine Wende an, die den Konflikt zwischen wissenschaftlicher und alltäglicher Weltbeschreibung als schein- und daher auflösbaren Gegensatz komplementärer Sprachspiele derselben Welt begreift.15 Mit einer etwas kühnen These könnte man diese Wende innerhalb der linguistisch gewendeten Philosophie vielleicht als larvierte kulturalistische Wende interpretieren; als eine mühsam sich durchsetzende Korrektur der zunächst positivistischen, später sprachanalytischen Indifferenz gegenüber den kulturellen und damit psychologismusverdächtigen Kontexten der Sprache. Wie sehr eine solche Verschiebung des Blicks sich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle vollzogen hat, können drei Stationen der Sprachanalyse zeigen, welche im Rückblick geradezu nach einer komplementären kulturphilosophischen Reflexion zu verlangen scheinen. Es ist die Reflexion, Sachen und Sätze einzig dadurch klären zu können, dass man sie nicht nur trennt, sondern auch wieder aufeinander bezieht. (1) Wittgensteins Skepsis gegenüber der Philosophie der idealen Sprache in den Philosophischen Untersuchungen beruhte auf der Einsicht in die Komplexität der natürlichen Sprachen. Ihm wurde deutlich, dass sprachliche Bedeutung nicht im Rekurs auf geistige Zustände, sondern im Rückgriff auf öffentliche, kulturelle Sprachpraktiken geklärt werden muss. Die Pointe des Sprachspiel-Begriffs besteht darin, den Zusammenhang zwischen symbolisch-sprachlichen und nichtsprachlichen Handlungen an sog. grammatischen Sätzen aufzusuchen, die weder richtig noch falsch sind, sondern bestimmen, was in einem bestimmten Kontext als richtig oder nicht richtig akzeptiert ist. In diesen Bereich gehören auch die Mooreschen Sätze (wie »Ich war noch nie in der Stratosphäre«16), die ein Wissen auszudrücken scheinen, welches sich nicht wissenschaftlicher Überprüfung oder philosophischer Überzeugung, sondern schlicht einer Suggestivität und »Überredung« verdankt. Sie gründen in den Weltbildern und deren normalsprachlich transportierten Alltagsverständnissen. Dass sprachliche Ausdrücke nicht einfach Welt repräsentieren (sei es als Welt 1 der Erfahrungsgegenstände oder als Welt 2 der menschlichen Praxis und Handlungsdispositionen), sondern nur im Zusammenhang eines Sprachspiels etwas bedeuten, führte Wittgenstein bekanntlich zu ihrer Einbet204 | Sachen und Sätze
tung in das, was er »Lebensform«17 genannt hat. Nur als Teil einer Lebensform können Sprachspiele gespielt und verstanden werden; und nur, wer die Sprachspiele einer Lebensform versteht, versteht auch diese Lebensform – was, wie Hilary Putnam gezeigt hat, am Beispiel religiöser Lebensformen besonders augenfällig wird.18 Für Wittgenstein sind Sprachspiele, ihre Lebensformen und Weltbilder also keine – im engeren Sinn – »grammatischen« Formen, sondern Manifestationen objektiver (man müsste wohl sagen: kultureller) Normen, die bestimmte Formen des Regelfolgens nahelegen. Diese »Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen)«, »eine Technik [zu] beherrschen«,19 werden von den Individuen einer Sprachgemeinschaft oder Lebensform geteilt, ohne von ihnen subjektiv hervorgebracht zu sein, weshalb eben nicht schon die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, sondern die jeweilige Praxis institutionell festlegt, wie ein Sprachspiel funktioniert und damit auch, was es bedeutet. Man sieht jedoch rasch, dass solche Überlegungen unausgesprochen kulturelle Konzepte in Anspruch nehmen, um die offen bleibende Vermittlungslücke zwischen Normativität, subjektiven und objektiven Sprechhandlungen zu schließen. John Michael Krois’ augenzwinkerndes Bonmot »Wittgenstein was a bad pragmatist« zielte letztlich auf eine solche Vermittlung, in der Wittgensteins Sprachspielkonzeption und Cassirers Theorie der symbolisch-künstlichen Medien hätten fruchtbar gemacht werden können. (2) Quine hat in seiner Analyse der beiden »Dogmen« des Empirismus nicht nur die Dichotomie von synthetischen und analytischen Sätzen revoziert, sondern mit dieser auch das traditionelle logisch-empiristische Verständnis gelungenen Theoriedesigns, welches sich durch ein revisionsimmunes Zentrum von Grundsätzen (come what may)20 und eine anpassungsfähige Peripherie von Erfahrungssätzen auszeichne. Für Quines wissenschaftsphilosophischen Holismus ergab sich daraus die Konsequenz, dass, wenn ein System von Sätzen (Theorien) nur als Ganzes durch Erfahrung zu bestätigen oder zu widerlegen ist, dies im Prinzip auch jedem Satz des Systems (selbst den analytischen) drohen kann. Dabei mag sich zeigen, dass die Sätze im Zentrum des Aussagensystems – als theoretische Aussagen über Physik, Logik oder Ontologie – eine geringere Verknüpfung mit bestimmten Sinnesdaten haben, so dass Sprachanalyse und Kulturphilosophie | 205
die Anpassung »widerspenstiger Erfahrungen« (recalcitrant experiences) möglichst schonend und störungsfrei für das Gesamtüberzeugungssystem (z. B. geozentrisches Weltbild; Artenkonstanz) ausfallen sollte. Doch scheut Quine in diesem Zusammenhang nicht davor zurück, die (natur)wissenschaftlichen Begriffsschemata nicht nur als Werkzeuge der Vorhersage künftiger Erfahrungen im Lichte vergangener Sinneserfahrungen, sondern als »kulturelle Setzungen« (cultural posits) zu betrachten, die sich gegenüber den mythologischen Göttern Homers einzig dadurch als wirksamer erweisen, dass sie dem Fluss unserer Erfahrung eine praktikablere Struktur einarbeiten.21 Solche Postulate, z. B. atomare und subatomare Entitäten, fußen auf einer mehr oder weniger expliziten Ontologie und Mythologie, die Theorien eigentümlicherweise nicht obskurer, sondern handhabbarer macht. Sie sind empirisch adäquat; einfacher gesagt: sie sorgen schlicht für den reibungslosen Umgang mit den Sinnesdaten. Mit solchen Überlegungen ist freilich nicht nur die logisch-empiristische Doppelmoral der Trennung von ontologischen Hintergrundannahmen und wissenschaftlicher Hypothesenbildung dahin, sondern auch die von Searle noch einmal wiederaufgerichtete Dichotomie von reinen (sprachunabhängigen) und sozialen (sprachabhängigen) Tatsachen. In gewisser Weise wiederholt sich Quines verdrängter Kulturalismus in der Theorie radikaler Übersetzung.22 Auch hier muss verwundern, dass das instruktive Ausgangsszenario des Feldforschers, der eine ihm vollkommen unbekannte Stammessprache erkundet, ohne jede kulturphilosophische Reflexion auszukommen scheint. Diese aber geht – wenngleich Quine insistieren muss, dass das Gedankenexperiment nur im Ausschluss aller nichtlinguistischen Faktoren gelingen kann – in die metasprachliche Übersetzung einer unbekannten Objektsprache eigentlich immer schon ein, und sei es in Form unbewusster Unterstellungen oder positiver/negativer Vorurteile. Verstehen erschöpft sich, wie Quine selbst bemerkt, offensichtlich nicht im Übersetzen von Bedeutungen, sondern fordert den Nachvollzug kulturell eingeübter Praktiken. Der Interpret orientiert sich nicht allein an den Ausdrücken des Sprechers, sondern auch an seinem Handeln in der Welt. Dadurch aber enkulturalisiert sich der Feldlinguist bis zu einem bestimmten Punkt selbst in die ihm fremde Welt. Indem man die eigene Metasprache in die Objekt206 | Sachen und Sätze
sprache hineinliest, weil Elemente der fremden Sprache nur in den Entsprechungen der eigenen verstanden werden können, fließen in die radikale Übersetzung eine Reihe von Unterstellungen ein: dass die Überzeugungen des Gegenübers weitgehend rational und widerspruchsfrei sind; dass auch die fremde Sprache eine bestimmte logische Struktur besitzt.23 Für Quine und Davidson gründet sprachliche Bedeutung in Wahrheit, weil ein Sprecher einen Satz dann versteht, wenn er erkennt, unter welchen Bedingungen er wahr ist. Dass sprachliche Ausdrücke dadurch Bedeutung haben, dass sie für andere interpretierbar sind und vom Sprecher selbst in ihrer Wahrheitsfunktion verstanden werden, legt nun auch die »soziale Grundlage«24 und kulturell-interaktionistische Struktur sprachlichen Verstehens offen, deren Analyse Quine aufgrund seiner in andere Richtungen weisenden theoretischen Interessen noch früher abgebrochen hat als Davidson.25 Entweder scheint ihm Bedeutung als relativ unabhängig von ihrer jeweiligen kulturellen Praxis bestimmt – oder das eigene Verständnis von kultureller Praxis nicht erläuterungsbedürftig zu sein. Dann aber lässt sich fragen, ob dem empirischen Sprachforscher die Übersetzung bzw. Interpretation auch nur im Ansatz gelingen kann, ohne Verstehen auch als Partizipation an historisch gewachsenen kulturellen Praktiken zu begreifen, wenn anders dieses nicht auf ein von jedem Einfühlungsverstehen abgetrenntes Zusammenhangsverstehen reduziert werden soll. (3) Auch Austins sprechakttheoretischer Minimalismus nimmt unexplizierte Kulturkonzepte in Anspruch. Bereits an den Heirats- und Taufformeln, die er als Beispiele für den Eigensinn performativer Äußerungshandlungen heranzieht, zeigt sich, dass die Sprengkraft seiner Konzeption gerade in der Berücksichtigung der Sprechaktkontexte steckt: »We must consider the total situation in which the utterance is issued – the total speech-act – if we are to see the parallel between statements and performative utterances, and how each can go wrong. So the total speech act in the total speech situation is emerging from logic piecemeal as important in special cases: and thus we are assimilating the supposed constative utterance to the performative.«26 Mit der Engführung von konstativen und performativen Äußerungen bricht Austin den exklusiven Anspruch wahrheitsfunktionaler Propositionalität und damit das Sprachanalyse und Kulturphilosophie | 207
zentrale Dogma des logischen Empirismus. Seine Selbstkritik der analytischen Tradition verschiebt den Blick von der Bedeutungsanalyse der Begriffe und Äußerungen auf die Analyse ihrer Rollen oder illokutionären Kräfte und spekuliert, dass deren Unterscheidung späteren Stufen der Kultur- und Sprachentwicklung angehöre. Man sieht förmlich, wie Austin eine Erweiterung des linguistischen Blicks einfordert, um sie sich im selben Atemzug zu versagen: »discussing the thing […] in terms of linguistics and psychology […] will have to be done […] after, not before, seeing what we can screw out of ordinary language.«27 Ihre Einbettung in Sprechsituationen löst die betreffenden Äußerungen aus ihrem linguistischen Kontext und hebt sie auf eine metalinguistische Ebene, die Austin nicht mehr eigens thematisiert hat. So blieb ihm, diesen Schritt zumindest anzudeuten, indem er zeigt, dass konstative Sätze, wie andere Illokutionen auch, im Unterschied zu Freges Sätzen mit beurteilbarem Inhalt, verständigungsorientierte Sprechhandlungen sind – allein schon dadurch, dass sie als perlokutionäre Akte auf Verständigung zielen (secure uptake).28 Die Verschiebung der Optik von isolierten Propositionen auf ihre verborgenen Sprechsituationen führt bekanntlich zu einer Unterscheidung von Sprechakttypen (Verdictives, Exercitives, Commissives, Behabitives, Expositives), deren sozial- und kulturphilosophische Implikationen nicht mehr Austin selbst, sondern Searle und Habermas zu einer Theorie der sozialen Realität ausformuliert haben. Alle drei Beispiele machen deutlich, dass die Sprachanalyse aus durchaus verständlicher Scheu gegenüber allen nicht unmittelbar an linguistischen Exempeln ablesbaren, nicht exakt parametrisierbaren oder mit der gewünschten deduktiven Strenge bestimmbaren Bedeutungsphänomenen, denen sich die kulturphilosophische Reflexion widmet, deren Kontextualisierung anderen überlässt. Damit lässt sich allerdings nicht schon die naheliegende Frage abwehren, was die Sprachanalyse gewönne, wenn sie ihre nichtthematisierten Begriffe von Kultur bzw. ihre impliziten kulturphilosophischen Vorannahmen explizit machte. Die Furcht vorm Rückfall in linguistischen Psychologismus darf nicht dazu führen, dass die kulturphilosophische Sprachanalyse allein den Gegenbeweis dafür antreten muss, dass in der Sprachphilosophie ein »social stance«29 – oder gar »cultural stance« – überflüssig sei. Im Folgenden soll die Frucht208 | Sachen und Sätze
barkeit einer solchen behutsamen kulturphilosophischen Flankierung der Sprachanalyse plausibilisiert werden, um im Gegenzug auch an die Notwendigkeit der Sprachanalyse für die Klärung derjenigen spezifisch kulturphilosophischer Probleme zu erinnern, unter denen der Begriff der kulturellen Tatsache eine vermittelnde Stellung einnimmt.
3. Analytische und synthetische Aufgaben: Das Problem der »Denaturalisierung« Sprachphilosophie ist eine analytische Disziplin. Ihre Kraft liegt im Unterscheiden und Auseinanderlegen der Phänomene, in der Kritik. Nun zielt Kritik nicht auf Beseitigung, sondern auf Erzeugung von Sinn. Als Sprachanalyse ist Philosophie deshalb die Kunst, sinnvolle Unterscheidungen zu treffen. Denn wenn Unterscheidungen nicht immer solche der Sache, sondern ihres Begriffs sind, dann können sie kaum anders denn im Medium der Sprache getroffen werden. Dieser Umstand macht Sprachanalyse in der Tat zur ersten, nicht aber auch schon zu einer letzten Philosophie; sie mag Anfang allen Philosophierens, aber nicht schon ihr Endzweck sein. Denn die in Form von Sätzen zu analysierenden Sachverhalte werden notwendig isoliert und dekontextualisiert, während die Philosophie aufs Ganze geht. Wer also nicht in der Funktion des Linguisten, sondern als Philosoph formale Semantiken, Abtönungspartikel oder Kunstwörter untersucht, muss begründen können, welche philosophische Relevanz, welche systematischen Konsequenzen eine solche Sprachanalyse besitzt. Der fröhliche Positivismus, der oft genug die forschungspragmatische Kehrseite eines analytischen Negativismus ist, muss die Rationalitätsmaßstäbe ausweisen können, die ihn implizit oder explizit leiten. Trivial zu sagen, dass es problematisch ist, von »der« Sprachanalyse zu reden. Der Terminus enthält eigentlich schon eine Traditionsund Theorieretrojektion (von Russell bis zur heutigen analytischen Philosophie), eine Theorienharmonisierung, die äußerst heterogene Autoren und Texte unter eine Strömung subsumiert. Solche Traditionsrückprojektionen sind so sachlich fragwürdig wie theoriesprachlich unumgänglich. In Kenntnis solcher Kautelen lässt sich Das Problem der »Denaturalisierung« | 209
der wohl auffälligste Grundzug der Sprachanalyse als der eines moderaten Universaliennominalismus bestimmen. Wie die sprachphilosophische Reflexion seit Nietzsche, Frege und Husserl insgesamt geht die sprachanalytische Philosophie davon aus, dass Sprache weder Welt abbilde noch vollkommen von ihr geschieden, sondern selbst ein Faktum in der Welt sei. Verbunden damit ist die Überzeugung, dass die logischen Regeln nicht Gesetze der Wirklichkeit, sondern der Sprache repräsentieren und dass sich diese Differenz noch einmal innersprachlich in dem Riss von grammatischer und logischer Syntax reflektiert. Michael Dummett bringt die verschiedenen sprachanalytischen Strömungen auf den kleinen, aber gemeinsamen Nenner der Überzeugung, dass die »philosophische Erklärung des Denkens durch eine philosophische Analyse der Sprache erreicht werden kann« und dass sie »nur in dieser und keiner anderen Weise zu erreichen ist.«30 Dies kann als doppelte Aufgabe verstanden werden. Im engeren, schulphilosophischen Sinn hätte Sprachanalyse die Aufgabe der Klärung aller sprachlichen Voraussetzungen philosophischen Denkens, sie bestünde im Aufdecken sprachlicher Antinomien und Scheinprobleme, in die es sich zu verstricken droht. Im weiteren, weltweisheitlichen Sinn hätte Sprachanalyse die Aufgabe, das Wesen der Sprache als symbolische Reflexion und deren Funktion für den menschlichen Geist zu erforschen, und wäre dann genauer Sprachphilosophie. Indes meinte Analyse im Zusammenhang der älteren analytischen Philosophie, die den Begriff übrigens nie eindeutig festgelegt hat, zweierlei: zum einen die Beschränkung auf analytische und synthetische Urteile und damit den Verzicht auf die als Inbegriff von Metaphysik verrufenen synthetischen Urteile a priori, zum anderen die Unterscheidung zwischen formalsemantisch-logischer und material-empirischer Analyse. Um aber die Analyse von Sätzen und Behauptungen nicht allein den Logikern und die Analyse von Tatsachen nicht allein den Empirikern zu überlassen, bedurfte es einer Rettung der Eigenart philosophischer Analyse,31 die mit Wittgensteins Begriff der Erläuterung gewonnen schien. Auf diese Weise nämlich ließ sich, wie bei Quine und Davidson, Analyse als eine Erläuterungspraxis begreifen, die sich nicht zwischen dem Entweder-Oder von analytischen und empirischen Aussagen entschei210 | Sachen und Sätze
den muss, sondern die ganze Pluralität der Äußerungen und ihrer Sprechsituationen berücksichtigen kann.32 Warum aber sollte eine solche sprachanalytische Arbeit am Ende auch in eine kulturphilosophische Reflexion übergehen? Zunächst aus dem durchaus trivialen Grund, dass Kulturphilosophie auch diejenigen Kontexte der Sprachanalyse thematisiert, die von ihr selbst nicht mehr in den Blick genommen werden. Während die Sprachanalyse die Sprache als Thema und Medium der Philosophie bestimmt, reflektiert Kulturphilosophie die Sprache und ihre Analyse als eine kulturelle Tatsache eigenen Rechts. Trotz ihres antispekulativen Grundtons, den sie mit der Sprachanalyse teilt, ist Kulturphilosophie deshalb eine von Haus aus synthetische, wenngleich skeptische Disziplin. Sie misstraut monokausalen oder reduktionistischen Explikationen unseres Selbst- und Weltverständnisses und legt ihre Kraft in die Kontextualisierung der sprachlich unterschiedenen Sachverhalte. Dazu gehört, dass ihre Kritik vor den eigenen kulturtheoretischen Prämissen nicht Halt machen kann. Dies hält sie auf Abstand zu den geläufigen Formen des Skeptizismus und Relativismus, deren Argumente seit den Tagen des Deutschen Idealismus zwar stets reformuliert, aber kaum substantiell verwandelt wurden. Gewiss: Die Kulturphilosophie hat durch Simmel und Cassirer eine markant antihegelianische Signatur erhalten, aber doch auf einer Form philosophischer Selbstreflexion beharrt, deren Besinnung der frühe Hegel inmitten einer geistesgeschichtlichen Umbruchssituation verteidigt hat und deren Brisanz trotz der verwandelten Situation heute genauso plastisch vor Augen stehen dürfte wie den zeitgenössischen Lesern des von Hegel und Schelling herausgegebenen Kritischen Journals. Der dort erschienene frühe Aufsatz Hegels über »Das Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie« von 1802 wendet sich gleichermaßen gegen die Geistvergessenheit empiristischer Aufklärungspsychologien wie gegen die Spekulationen skeptizistischer Bewusstseinsphilosophien. Für beide Formen der »Unphilosophie« findet Hegel harte Worte, denn er hält die Reduktion des menschlichen Geistes auf Natur für ebenso rückständig wie deren »Verachtung« durch eine vermeintlich naturerhabene Kultur. Beide Auffassungen führten geradewegs in eine »Barbarey der Kultur«, in die »gemachte Rohheit, welche sich eine absolute Gränze Das Problem der »Denaturalisierung« | 211
schafft und, innerhalb dieser Bornirtheit das unbegränzte der Natur verachtet; und wo sie erkennend sich ausspricht, Verstand ist.«33 Die Sätze skizzieren einen Gegenentwurf: Kultur als humane Herrschaft der Vernunft, die der Natur eingedenk bleibt, ohne sich ihr zu unterwerfen oder sich ihr zu überheben. Theoriepotential besitzt eine solche, noch das Sprachspiel des Deutschen Idealismus verratende Überlegung vielleicht auch heute noch. Kulturphilosophie wäre dann nicht nur das synthetische Komplement zu einer analytischen Sprachphilosophie, sondern auch das reflexive Komplement zu einer objektiven Naturphilosophie, die sich den natürlichen Voraussetzungen von Sprache und Kultur zuwendet. In ihrem synthetisch-holistischen Anspruch kann Kulturphilosophie heute gar nicht anders, als einen moderaten Naturalismus zu vertreten, der zugleich Denaturalisierungsperspektiven aufzeigt. Denn die natürliche Bestimmtheit des Menschen ist vollkommen unstrittig. Kontrovers sind allein die Reichweite dieser Tatsache und die Schlüsse, die wir aus ihr ziehen. Auch Kulturphilosophen sind heute weiche Naturalisten. Wer aber die organische Basis kultureller Lebensformen nicht nur feststellen, sondern verständigungsorientiert interpretieren will, verlässt bereits exklusiv naturwissenschaftliches Terrain. Daher ist im kulturphilosophischen »Raum der Gründe« (Sellars) weder Platz für einseitig naturalistische noch für einseitig kulturalistische Deutungen unserer Welt und Umwelt. Überflüssig zu sagen, dass Kulturphilosophie keine Bewusstseinsoder Geistesphilosophie alten Schlages mehr sein kann, sondern die Konstellation von Natur, Geist und Kultur unter veränderten, postmetaphysischen Bedingungen deuten muss, ohne die Perspektive ihrer Vermittlung aufzugeben. Ein solcher »weicher« kulturphilosophischer Naturalismus könnte als philosophisches Projekt der Denaturalisierung präzisiert werden. Unter den Begriff fallen vier Aspekte, die im fruchtbaren Grenzbereich zwischen Sprach-, Kultur- und Naturphilosophie siedeln: (1) Denaturalisierung nennt den naturphilosophischen Aspekt einer tiefgreifenden Veränderung unseres Verständnisses von Natürlichkeit, natürlicher Produktion und Reproduktion: Das vormoderne, aristotelische Paradigma eines Reproduzierens und nachahmenden Übertreffens der Natur, das lange auch noch die industrielle Moderne zu bestimmen schien, hat sich aufgrund 212 | Sachen und Sätze
neuerer Reproduktionstechniken radikal verwandelt. Deren Möglichkeiten werfen die kontroverse Frage auf, ob mit diesen Techniken Natur tatsächlich noch reproduziert oder möglicherweise die Produktivität der Natur selbst ursprünglich produziert werde. Als Denaturalisierung erscheint dieser Prozess, weil die Maßgabe des Eingreifens in die Produktivität der Natur selbst jedoch nicht von der Natur, sondern durch Forderungen kultureller und sozialer Institutionen vorgegeben wird; Denaturalisierungsprozesse sind eine kulturelle Tatsache. (2) Denaturalisierung umfasst den kulturphilosophischen Aspekt der Rückkopplungseffekte zwischen kulturellen Institutionen, die bestimmte Produktions- und Reproduktionstechniken nachfragen, aber in ihrer Entwicklung selbst wiederum auf unser kulturelles Selbstverständnis zurückwirken, dessen nachholenden Anpassungsleistungen dann stets hinter der Innovationsgeschwindigkeit der Naturbeherrschungs- und -verwandlungstechniken zurückzubleiben scheinen. Auch dieser Rückkopplungseffekt ist keine naturwissenschaftliche, sondern eine kulturelle Tatsache und bedarf entsprechender philosophischer Aufhellung. (3) Denaturalisierung meint den wissenschaftsphilosophischen Aspekt der Relativierung totalisierender Deutungsansprüche naturalistischer Erklärungen. Im Gegensatz zu kulturwissenschaftlichen Zerrbildern haben die sog. Naturwissenschaften selbst in den letzten Jahren zunehmend nicht nur ihren Einfluss auf unser kulturelles Selbstverständnis, sondern umgekehrt auch den Einfluss kultureller Selbstverständigungsfragen auf ihre eigenen Gegenstände und Methoden erkannt – etwa im Bewusstsein der Biologen, Physiker oder Genetiker von der unhintergehbaren Metaphorizität ihrer empirischen Befunde und Modelle (»Doppelhelix«, das »Feuern« der Neuronen etc.); oder in dem wachsenden Bedürfnis nach einer der Lehre biologischer Vererbungsformen vergleichbaren Theorie kultureller Überlieferungsformen, mit denen die biologischen in Wechselwirkung stehen; oder schließlich in dem Wunsch Synthetischer Biologen nach einer raschen Flankierung ihrer Ergebnisse und Erzeugnisse durch ethische Selbstverständigungsdiskurse. (4) Zuletzt kann unter Denaturalisierung der historisch-semantische Aspekt einer Explikation unserer geschichtlich gewordenen Natur-, Lebens- und Umweltsemantiken verstanden werden: Dass Das Problem der »Denaturalisierung« | 213
eine spezifisch technisch-rationale Kultur in die Grundlagen der Natur eingreift, bringt es mit sich, diese Prozesse nicht einfach positiv als Kulturierung (oder Kultivierung) beschreiben zu können, sondern auch privativ als »Entnatürlichung« der Lebensverhältnisse, in denen Natur freilich auch weiterhin das »Material« bleibt, an dem und durch welches Kultur sich produziert und reproduziert. Daher meint »Denaturalisierung« anderes als »Denaturierung«. Während wir unter Denaturierung verstehen, dass Natur so verändert wird, dass sie uns mittel- und langfristig als Lebensraum unwirtlich wird, benennt Denaturalisierung die Vorgänge kultureller Durch- und Überformung unserer natürlichen und künstlich-synthetischen Produktionen. Hier bedürfen die kultur- und naturphilosophischen Termini sprachanalytischer Überprüfung, allerdings stets im Verein mit einer Kulturphilosophie, die bedenkt, dass die Historizität ihrer Phänomene nicht mit Passe-partout-Begriffen theoretisch zugerüs tet werden kann, ohne an Erklärungskraft einzubüßen. Ein wichtiger kritischer Impuls liegt in der Aufdeckung des Mangels an historischer Semantik etwa in konkurrierenden kognitionsoder naturwissenschaftlichen Kulturbegriffen. Als weicher Naturalismus thematisiert Kulturphilosophie die genannten Aspekte der Denaturalisierung, um »harten« naturalistischen Kulturtheorien nicht das Feld zu überlassen; diese sind selbst den Methoden der Sprachanalyse zu unterwerfen. Prominentes Beispiel wäre etwa die Kritik an der Mem-Theorie als einem gescheiterten Versuch der Naturalisierung und »Darwinisierung« kultureller Übertragungsund Überlieferungszusammenhänge.34 Die Fiktion, kausale Übertragungswege natürlicher Veränderungen auch auf kulturelle Tatsachen und Vorgänge sozialer »Evolution« übertragen zu können (als Entdeckung einer Art DNA der Kultur),35 lässt sich mit Mitteln der Sprachanalyse semantisch entmythologisieren – womit einer kulturphilosophischen Sprachanalyse auch die Aufgabe zuwächst, die »explanatorisch[e]« und »Heuristische Trivialität«36 überzogener Naturalisierungsbestrebungen aufzuspüren.
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4. Symbolische Reflexion: Der Gegenstand kulturphilosophischer Sprachanalyse Dass Sachen, Sachverhalte und Sätze eine symbolische Beziehung unterhalten, gehört zu den Prämissen kulturphilosophischer Sprachanalyse. Kulturphilosophie und Sprachanalyse, so die These, konvergieren in der Bestimmung der Sprache als einer Form symbolischer Reflexivität. Darunter soll ein Ensemble von Aspekten verstanden werden, denen jeweils, etwas pleonastisch, stets noch das Epitheton »symbolisch« vorangestellt sein könnte: (1) Semiose, (2) Transformation, (3) Repräsentation, (4) Referenz, (5) Multiperspektivität, (6) Äquipotentialität, (7) Prägnanz und (8) Sedimentation. Der Versuch solcher Differenzierung begegnet auf dem Boden der linguistischen Wende deren eigener Verengung von Sprache auf ihre kognitiven und kommunikativen Funktionen, um gleichzeitig an ihre expressiven und imaginativen zu erinnern. (1) Auszugehen ist dabei von der sinnlich-zeichenhaften Grundstruktur der Sprache. Sprachlicher Weltzugang ist unhintergehbar zeichenabhängig; die konventionellen Zeichen symbolischer Normalsprachen gewinnen eine »heuristische« Funktion, »indem ihre Formen für uns die Weisen der Beobachtung und Interpretation vorherbestimmen«.37 Unser Auffassen wird nicht erst im Nachhinein symbolisiert, sondern kommt überhaupt erst durch sprachliche Symbole zustande. (2) Im Zuge solchen Auffassens werden Erfahrungen in einem doppelsinnigen Übertragungsvorgang symbolisch transformiert.38 Denn Sprache dient immer auch der Erzeugung, Begleitung, Klärung von Erfahrung. Ihre Distanzierung macht bestimmte Erfahrungen überhaupt erst möglich, ordnet das »Chaos der unmittelbaren Eindrücke«.39 (3) Erfahrungen werden daher nicht einfach repräsentiert, wenngleich Repräsentation eines der wesentlichen Momente sprachlicher Symbolisierung darstellt. Nur ist die Repräsentation derart, dass sie sinnlich gegenwärtig ist und dennoch hinter die repräsentierte Sache gänzlich zurücktritt. Das sprachliche Symbol lenkt in der Regel den Blick nicht auf sich selbst, sondern durch seine Selbsttransparenz hindurch auf die Sache. Im Unterschied zu Anzeichen oder Signalen rufen Symbole »kein der Anwesenheit [ihres] Gegenstandes angemessenes Verhalten hervor«,40 sie entbinden von direkter Reaktion. Der Gegenstand kulturphilosophischer Sprachanalyse | 215
(4) Sprachliche Symbolisierung meint, dass wir Zeichen nicht nur stets auch anders gebrauchen, sondern zwischen ihnen, und je nach Kontexten sogar zwischen den verschiedenen Symbolsystemen selbst, wählen können. Von situationsgebundenen Repräsentationen (cued representations) unterscheidet sich die symbolische Reflexion der Sprache durch ihre Nichtfestgelegtheit auf Anwesendes (detached representation).41 Entsprechend kommt es nicht auf die Menge (Quantität), sondern auf die Komplexionskraft (Qualität) sprachlicher Symbole an. Die von imperativisch strukturierten Signalsprachen des Tierreichs42 prinzipiell unterschiedenen Formen symbolischer Reflexivität gründen in der Koevolution von Sprachzeichen und menschlichem Vorstellungsvermögen.43 Normale Sprachen charakterisiert daher eine Form der Referenz, die indirekt ist. Ihre Symbole beziehen sich nie unmittelbar auf reale Gegenstände, sondern auf erlernte Bedeutungen. Referentiell können auch nichtmenschliche Formen der Kommunikation sein,44 Symbolsysteme arbeiten hingegen mit einer opaken Referentialität, die nicht nur extensionale, sondern auch intensionale Formen der Bedeutung umgreift. (5) Besonders augenfällig wird dies an der Multiperspektivität sprachlicher Symbole. Eine Hauptschwierigkeit frühkindlichen Spracherwerbs besteht im Verständnis nichtlinearer Bedeutungsreferenz. Denn die meisten zu erlernenden Symbole haben keine einfachen, sondern mannigfaltige Referenzbeziehungen. Michael Tomasello hat untersucht, wie Kinder zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr mit der Schwierigkeit umzugehen lernen, dass ein »Gegenstand […] zugleich eine Rose, eine Blume und ein Geschenk«45 sein kann. Die erlernten Symbole sind darüber hinaus nicht nur Ausdruck einer mehrdimensionalen Perspektivität, sondern auch Ausdruck einer im Spracherwerb eingeübten Intersubjektivität nicht nur der Zeichen, sondern auch der Intentionalität der beteiligten Aktoren (Kind, Erwachsener). Die sprachliche Symbolisierung kollaborativer Tätigkeiten vermittelt eine Form ternärer Intentionalität, die an Grice’s Schema erinnert: »Ich weiß, daß du weißt, daß ich weiß, daß wir gemeinsam X tun wollen« bzw. »You intend for [me to share attention to X]«.46 Die Verwendung sprachlicher Symbole gewährt die Möglichkeit des Rollentauschs, der Übernahme der Perspektive eines Anderen. 216 | Sachen und Sätze
(6) Die Aspekte der Situationsunabhängigkeit, Abwesenheit und Multiperspektivität, welche die symbolische Reflexion der Sprache charakterisieren, sind Voraussetzung auch der Möglichkeit zur freien Anpassung und ständigen Adaption an neue Umstände: »The extraordinary evolutionary advantage of language lies in its amazing ability to be put to use in any situation. We will call this crucial property of language ›equipotentiality‹. For any situation, real or imaginary, there is always a way to use language to express thoughts about that situation«.47 Sprachlicher Äquipotentialität ist auch die Option der Veränderung propositionaler Einstellungen, die Möglichkeit permanenter Selbstkorrektur eingeschrieben: Indem wir Absichten »hinter […] Äußerung[en]«48 zu erkennen meinen, verhalten wir uns in der Regel immer schon so, wie ein Gegenüber intendiert, weil wir interpretierend zu verstehen meinen, was der andere intendiert. (7) Solche Rekonstruktionsleistungen geschehen für gewöhnlich ebenso unbewusst wie instantan. Keinesfalls aber verdanken sie sich einer bloß kognitiven Form von Intentionalität. Vielmehr sind es Leistungen, die den erlernten Symbolsystemen selbst schon als Möglichkeiten eingeschrieben sind und deren Prägnanz die Bedingung der Möglichkeit ihrer Aktualisierung ist. Bekanntlich versteht Ernst Cassirer unter symbolischer Prägnanz genau jenen Zusammenhang von Sinn und Sinnlichkeit, der aus der Konkretion sinnlicher Erlebnisse Bedeutung entspringen lässt, ohne dass dessen Sinnerzeugung durch einen nachträglichen, »aufgepfropften« apperzeptiven Akt entstünde: »Alle ›Praegnanz‹ bedeutet letzten Endes ein anschauliches Enthaltensein des ›Ganzen‹ in jedem einzelnen ›Moment‹ – jedes Moment hat die Kraft, das Ganze […] unmittelbar symbolisch lebendig zu machen«.49 In einer solchen »symbolischen Ideation«50 wird Gegebenes prägnant, »sofern in ihm ein prinzipiell überanschaulicher Gehalt in anschaulicher Form sich äußert«.51 Dasselbe sinnliche Grunderlebnis kann durch verschiedene symbolische Ordnungen erschlossen werden (etwa als ästhetisches, mathematisches oder physikalisches Gebilde), so dass nur diejenigen symbolischen Ordnungen dem menschlichen Geist und seiner Vorstellungskraft gemäß erscheinen, die mit einer übersichtlichen Menge an Zeichen sowohl ein Maximum an Flexibilität als auch ein Optimum an Ausdrucksmöglichkeiten erreichen – und vor allem: mit denen sich andere oder neue symbolische Ordnungen schaffen lassen. Der Gegenstand kulturphilosophischer Sprachanalyse | 217
(8) Als Formen intersubjektiver Mnemosyne sind Sprache und Schrift zuletzt Leitmedien,52 in denen Ereignisse, Praktiken, Artefakte oder Sachverhalte allererst zu kulturellen Tatsachen, mithin zu Gegenständen eines kulturellen Gedächtnisses werden. Symbolische Zeichen zitieren stets ganze Kultur- und Bildungswelten eines kollektiven semantischen Gedächtnisses. Mit dem Einüben solcher Begriffe im Spracherwerb werden, latent oder manifest, kulturelle Gehalte mittransportiert. Symbolische Ordnungen repräsentieren »Weltansicht[en]«,53 die einer weder eindeutig bestimmbaren noch bewusst gesteuerten Wir-Intentionalität entstammen. Symbolsysteme sind kulturelle Tatsachen und das Ensemble kultureller Tatsachen formt unsere Lebenswelt ebenso, wie es deren kollektives Gedächtnis bestimmt.
5. Kulturelle Tatsachen: Eine theoriehistorische Digression Was eigentlich sind kulturelle Tatsachen? Die Schwierigkeit, vielleicht Unmöglichkeit einer befriedigenden Antwort folgt nicht nur aus dem Umstand, dass sich Begriffe, die ohne ihre historische Semantik nicht verstanden werden können,54 eindeutiger Definition sperren, sondern schon aufgrund der Proteushaftigkeit des Tatsachenbegriffs selbst. Während »historische Tatsache« zu den etablierten theoriesprachlichen Termini gehört, ist die Theorie- und Begriffsgeschichte der »kulturellen Tatsache« jung.55 Wortgeschichtlich dürfte sie auf Diltheys und Nietzsches »Cultur-Thatsachen«56 zurückgehen, systematisch abhängig scheint das darunter Verstandene um 1880 allerdings noch ganz von den »psychischen Thatsachen«57, dem Zentralbegriff jener ab 1850 sich etablierenden Völkerpsychologie (Lazarus, Steinthal, Wundt). Für die Völkerpsychologen macht das Ensemble psychischer Tatsachen das je Ganze eines, noch gut Hegelsch, in Volksgeister sich differenzierenden objektiven Geistes aus. Dieser wiederum umfasst alle Formen von WirIntentionalität, kraft deren »die Einheit des Subjects nur aus der Gleichheit oder Vereinbarkeit des Inhalts in den Individuen« entspringt.58 Völkerpsychologie und Kulturphilosophie beschäftigen sich allerdings nicht nur mit der Entstehung des objektiven Geistes als »nothwendige[m] Resultat des Zusammenlebens«59, welches 218 | Sachen und Sätze
vollständig erfasst wäre, könnte man eine Art systematisches Lexikon nicht nur der Sprachen, sondern auch der Rechts-, Naturund Moralvorstellungen aller Gesellschaften erstellen.60 Vielmehr verschieben sie auch Fragen der Genesis in Richtung auf solche der Geltung kultureller Tatsachen. Denn sie lassen sich kaum anders fassen denn als stets verkörperte und situierte Bedeutungsphänomene; als Sachen und Sachverhalte, die für mehr und anderes gelten, als was sie ihrem bloßen Material nach sind. Eine Statue mag ein materielles Artefakt sein, hervorgebracht von einem bestimmten Künstler; fortan aber gilt sie als Denkmal, an welchem der Kriegstoten gedacht wird usw. Daher geht die frühe Kulturphilosophie von »materiellen Träger[n]«61 des objektiven Geistes aus, der kein körperloser spiritus ist, sondern seinen Sitz im Leben von Büchern, Bauwerken, Denkmälern, Werkzeugen, Ritualen, Kulturtechniken hat – seien diese nun »zum realen oder symbolischen Gebrauch«. Lazarus unterscheidet fünf Typen solcher Trägermedien: (i) die Verkörperung beharrender Gedanken (die Idee des Rades, der Treppe etc.), (ii) die Verkörperung wirksamer Gedanken (Handlungen, Tätigkeiten), (iii) die im psycho-physischen Organismus verkörperten Gedanken (Gestik, Bewegungen, Gewandtheit etc.), (iv) die Verkörperung organisierender Gedanken (Maschinen, Werkzeuge, staatliche Institutionen, Formen der Geselligkeit), (v) schließlich die Verkörperung der das geistige Leben einer Kultur manifestierenden Gedanken (Kunst, Religion, Wissenschaft). Die Ordnungsformen kultureller Faktizität müssen als ebenso überindividuell und allgemein wie zugleich nirgendwo anders denn in den Gedanken und Handlungen Einzelner repräsentiert gedacht werden. Wilhelm Dilthey hat ihre Analyse vertieft, indem er die elementare Orientierung durch den objektiven Geist noch einmal von der metatheoretischen Orientierung über den objektiven Geist, seine »Wirkungszusammenhänge« und »Kulturleistung[en]«62 unterschieden hat. Als »Kultursysteme« begreift Dilthey die sowohl autonomen als auch ineinandergreifenden Sphären der Bedürfnisbefriedigung, Handlungskoordinierung und Lebensorganisation: »Erziehung, Wirtschaftsleben, Recht, politische Funktionen, Religionen, Geselligkeit, Kunst, Philosophie, Wissenschaft«63. Verschiedene Rückkopplungseffekte zwischen diesen Sphären kanalisieren die »produktive[n] Eine theoriehistorische Digression | 219
Energie[n]«64 der Individuen, die darin ebensowohl autonom wie abhängig vom Allgemeinen sind. In einer Konkretion, die Simmel zur Perfektion gebracht hat, untersucht bereits Dilthey kulturelle Tatsachen als die »mannigfachen Formen, in denen die zwischen den Individuen bestehende Gemeinsamkeit sich in der Sinneswelt objektiviert hat«65. Kultursysteme sind geistig organisiert und dennoch ganz sinnlich erfahrbar. Schon der »mit Bäumen bepflanzte Platz«66, schon die bestimmte, alles andere als zufällige Anordnung von Stuhlreihen in einem Sitzungssaal (so Diltheys Beispiele) sind Ausdruck kultureller Umgangsformen, die uns keinesfalls unbekannt, sondern im Gegenteil »von Kindesbeinen ab« verständlich sind, weil an ihnen die menschlichen Zwecksetzungen, Ordnungen oder Wertbestimmungen, die den objektiven Geist durchdringen, empraktisch erfahrbar, geradezu »lesbar« werden; Zwecksetzungen, die, wie in dem Fall des Sitzungssaals, »jedem Gegenstand im Zimmer seine [spezifische] Stelle angewiesen«67 haben. Die Pointe dieser elementaren Form des Verstehens von Manifestationen des objektiven Geistes besteht näher darin, dass jedes Individuum seine jeweilige Auffassung von Lebensäußerungen, Wirkungszusammenhängen oder eben Sitzungssälen in der Regel nicht bloß als die eigene Verstehensleistung dieses konkreten Sachverhalts begreift, sondern immer schon als »erfüllt von einem Wissen über Gemeinsamkeit und von einer in ihr gegebenen Beziehung auf ein Inneres«68 erkennt. Im Verstehen extrapoliert das Individuum deshalb nicht nur implizit auf die Verstehensleistungen anderer, sondern erfasst in diesem Transfer auch das allen Verstehensteilnehmern gemeinsame Selbstverständnis. Mit einem Wort: Es begreift sich im Verstehen noch so trivialer Sachverhalte unausgesprochen bereits als Kulturwesen, das mit anderen einen gemeinsamen Verstehens- und Erlebnishorizont teilt. Darin treibt das elementare Verstehen von Gegenständen des objektiven Geistes von sich aus in die »höheren Formen des Verstehens«: vom Erlebnisverstehen des Hineinversetzens, Nachbildens und Nacherlebens zur Auslegung, Interpretation (Hermeneutik) und zum Bedeutungsverstehen, das sich als ein Struktur-, Zusammenhangs- und Entwicklungsverstehen differenziert.69 Einsichtig wird vor diesem Hintergrund auch Simmels Unterscheidung zwischen »materiellen Kulturgüter[n]« (Möbel, Kultur220 | Sachen und Sätze
pflanzen, Kunstwerke, Maschinen, Geräte, Bücher etc.) und jenen objektiven Kulturformen, in denen das Selbstverhältnis des Menschen Gestalt gewinnt: Sprache, Sitte, Religion, Recht.70 Beide Formen konstituieren eine Sphäre kultureller Tatsachen, die es nur gibt, weil wir kollektiv davon überzeugt sind, dass es sie gibt;71 die nur existieren, weil sie als bestehende Sachverhalte rezipiert werden, und von denen wir uns fragen können, ob sie vor ihrer Rezeption überhaupt »gegeben« waren. Simmel gibt das instruktive Beispiel des Newtonschen Gravitationsgesetzes, welches zwar zunächst eine Aussage über physikalische Gegenstände und Gesetzmäßigkeiten enthält, zugleich aber auch zu einem kulturellen Sachverhalt wird. Zweifellos würde man sagen, das »Gravitationsgesetz habe gegolten, bevor Newton es aussprach«, doch ruhte dieses Gesetz als solches nicht einfach »in den realen Materiemassen, da es nur die Art bedeutet, in der sich deren Verhältnisse in einem bestimmt organisierten Geist darstellen«.72 Als kulturelle Tatsache wandert das Gravitationsgesetz in den Bestand des objektiven Geistes ein, wo es jedoch prinzipiell von der kontinuierlichen Wiederholung durch die einzelnen Individuen abhängig ist. Werden soziale und kulturelle Tatsachen also durch ihre Rezeption und Wiederholung allererst hervorgebracht, so bemisst sich die »praktische Kulturbedeutung« an dem Umfang, in welchem diese Tatsachen »zu Entwicklungsmomenten der Individuen werden«: »Denn angenommen, jene Entdeckung Newtons stünde nur in einem Buch, von dem niemand weiß, so wäre sie zwar immer noch objektiv gewordener Geist und ein potenzieller Besitz der Gesellschaft, aber kein Kulturwert mehr. Da dieser extreme Fall in unzähligen Abstufungen auftreten kann, so ergibt sich unmittelbar, dass in einer größeren Gesellschaft immer nur ein gewisser Teil der objektiven Kulturwerte zu subjektiven werden wird«.73 Simmels kritischer Analyse hat Hans Freyers Theorie des objektiven Geistes (1923) eine konservative »Wirklichkeitswissenschaft« gegenübergestellt. Auch sein Gegenstand sind nicht natürliche Kausal-, sondern kulturelle Strukturzusammenhänge, die er in drei Objektivationssphären und fünf Hauptgebilde des objektiven Geistes auseinanderlegt. Unter »Objektivationen« versteht Freyer Formen vergegenständlichten Sinns, wie sie sich etwa in den verschiedenen »Ausdrucksbewegungen« zeigen. So kann sich die seelische ObEine theoriehistorische Digression | 221
jektivation der Wut (1. Ebene) in den verschiedenen, möglichen Ausführungen und Typen eines solchen Ausdrucks äußern (z. B. als Wutschrei, Wuttränen oder wütende Geste: 2. Objektivationsebene), schließlich in der Verfestigung solcher Gebärden- oder Zeichenkomplexe zu »materiellen Gebilde[n]« (z. B. als Text oder Werk: 3. Objektivationsebene). In den Objektivationsformen spiegelt sich so die Gesamtstruktur des objektiven Geistes als Sein, schaffender Prozess und System. Kulturphilosophisch ebenso einfluss- wie aufschlussreich ist Freyers Gliederung der dritten Objektivationssphäre in die Formtypen Gebilde, Gerät, Zeichen, Sozialform und Bildung. Gebilde nennt er »selbstgenugsame« Einheiten, deren Sinn und Relationen nur auf ihr Inneres verweisen – wie bei Kunstwerken; Geräte heißen solche Formen, deren Sinn aus technischen Zweck- und Handlungszusammenhängen erwächst; Zeichen hingegen sind expressive Formen, die Bedeutungs- und Mitteilungsgehalt gerade dadurch gewinnen, dass sie für anderes stehen – Sprache, Denkmäler etc.; Sozialformen (»Familie, […] Dorfgemeinschaft, Volk«,74 aber auch Grußsitten, Regierungen, Steuerpflicht etc.) heißen Sinngefüge, die Willenszusammenhänge mit sozialen Zwecken darstellen; Bildung schließlich ist selbst eigentlich kein eigener Typus, sondern Titel für das »Verhältnis zwischen subjektiv-seelischem Geschehen und objektiv-geistiger Form überhaupt«.75 Bildung meint nicht subjektive Lernaneignungsprozesse objektiven Wissens, sondern ein Bilden, wie es etwa in der Generationen überdauernden gemeinsamen Arbeit an einer Technik oder einem Werkzeug zum Ausdruck kommt, welches dann Künftigen frei zur Verfügung steht und so in das allgemeine Wissen des objektiven Geistes einwandert. Für Freyer stellen diese fünf Formtypen kulturelle Grundkoordinaten dar, kraft deren, unterschiedlich verbunden, alle Inhalte eines objektiven Geistes bestimmt werden können, der gar nicht anders zu denken ist denn als stets gewordenes »Resultat eines Schaffensprozesses«,76 als kollektives Werk. Dem komparativen theoriehistorischen Blick auf Diltheys, Simmels und Freyers Theorien erschließen sich sowohl Familienähnlichkeiten als auch Divergenzen der Begriffe »objektiver Geist«, »Kultur« und »kulturelle Tatsachen«, die man vielleicht auf diese Formel bringen könnte: »Objektiver Geist« nennt die frühe Kulturphilosophie die allgemeine Form pluraler Subjektivität, während 222 | Sachen und Sätze
»Kultur« die besonderen Kulturformen, -systeme und -gebiete als Gesamtheit oder Aggregat jener kulturellen Tatsachen meinen, die als einzelne »Werke« auftreten.77
6. Kulturelle Tatsachen: Werke und Wir-Intentionalität Schon Simmels Überlegungen zur Rezeptionsverfasstheit kultureller Tatsachen lenkten den Blick auf die symbolische Als-Struktur von Faktizität. Lässt man einmal dahingestellt, ob es tatsächlich beobachter-unabhängige Tatsachen gibt (wie Searle meint) – der moderne Tatsachenbegriff verlangt ja gerade den Beobachter, während das vormoderne Verständnis die data noch auf einen Geber zurückführt –, so scheint doch die allgemeine Form beobachterabhängiger Tatsachen jenes »Etwas als Etwas« und »Für-uns« zu sein, die alle Formen geteilter Intentionalität kennzeichnet. Dafür muss man offenbar tautologieverdächtige Formulierungen in Kauf nehmen: Kulturelle Sachverhalte verhalten sich so, weil wir davon ausgehen können, dass sie sich so verhalten – was die Frage aufwirft, ob kulturelle Tatsachen unabhängig von ihrer Rezeption existieren; aber auch, ob sie unabhängig von ihrer »Fabrikation«78 existieren. Ähnlich Nelson Goodman argumentiert Ralf Konersmann, dass Tatsachen nicht einfach Gegebenes sind, sondern »erschlossen und errungen sein [wollen], sie werden erdacht und, in diesem Sinne, auch gemacht«79 – eine Formulierung, die zugleich auf die sprachkritische Dimension einer Theorie kultureller Faktizität hinweist. Tatsächlich dürfte eine Klärung des kulturphilosophischen Tatsachenbegriffs nicht ohne jene sprachanalytischen Unterscheidungen auskommen, die das naive Alltagsverständnis von Faktizität als einem schlechthin Selbstgegebenen und Vorfindbaren unterminieren. Dies allerdings weniger im Sinne des konstruktivistisch klingenden Fabrikationskonzepts Goodmans als eher im Sinne jener Doppelsemantik des Tatsachenbegriffs selbst, wie sie im Anschluss an Strawson vor allem Günther Patzig aufgehellt hat. Die analytisch-propositionalistische Lesart des Tatsachenbegriffs geht davon aus, dass Sachverhalte durch deskriptive Sätze dargestellt werden, dass wahre Sätze bestehende Sachverhalte – also Tatsachen – repräWerke und Wir-Intentionalität | 223
sentieren: »Wer überhaupt von einer Tatsache spricht oder auf sie hinweisen will, der muß selbst einen Satz schon formulieren, der diese Tatsache ausspricht«.80 Genau zu unterscheiden ist allerdings zwischen der Formulierung des Faktums und jenen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein die Tatsachen repräsentierender Satz wahr ist. Denn das, worauf sich die Tatsache bezieht, könnte auch unabhängig von seiner sprachlichen Formulierung bestehen. Mag also das, worauf sich Tatsachen beziehen, um Tatsachen zu sein, sprachunabhängig existieren, so bleibt doch die Tatsache selbst sprachrelativ. Denn die Tatsache, dass Cäsar ermordet wurde, besteht weiterhin, obwohl die Begebenheit selbst längst vergangen und nicht mehr anders denn in sprachlichen Berichten zugänglich ist.81 Faktizität hat, so lässt sich daraus schließen, eine Doppelsemantik, die sowohl Dinge meint, die vorfallen (= Ereignisse, Erlebnisse, Situationen), als auch Dinge, die wahr sind (= zutreffende Sachverhalte).82 Ähnlich unterscheidet Strawson zwischen dem, worüber (oder wovon) etwas ausgesagt, und dem, was ausgesagt wird.83 Ersteres sind Erfahrungsgegenstände, letzteres Sachverhalte, die bestehen oder nicht bestehen. Werden bestehende Sachverhalte Tatsachen genannt, so sind sie aufgrund ihrer sprachlichen Signatur ebenso wenig erfahrbar, wie Erfahrungen nicht behauptet werden können.84 Das zunächst verwirrende Doppelgesicht dieses Tatsachenverständnisses sollte nicht als terminologisches Ärgernis, sondern als Explikationsgewinn verstanden werden, der die »Logik« kultureller Tatsachen erschließt. Denn er erlaubt sie als »ebenso sehr gemacht wie gefunden«85 zu begreifen. Ihre Doppelnatur betont auch Ralf Konersmanns Bestimmung des Werkcharakters kultureller Tatsachen, die eben nicht nur Dinge oder Sachverhalte im Sinne von res facti – also Gegenstände möglicher Erfahrung –, sondern solche res eben nur als etwas sind, weil sie für etwas gelten. Auf diese Weise durchdringen sich in der Objektivität kultureller Tatsachen ihr Werkund Wirkungscharakter. Dass Etwas als Etwas wirksam ist – das bedruckte Papier als universales Tauschmittel –, verdankt sich allerdings sprachlichen Funktionsverkettungen, die Searle in seiner Theorie der social facts als Übertragung von »Statusfunktionen« analysiert hat. Ihre generelle Formel lautet »X gilt für Y in einem Kontext C«.86 Demnach wäre der Schritt von dem Papierstück X zu 224 | Sachen und Sätze
der Konvention des Geldes (»gilt für Y«) der Schritt über das Stadium bloßer Faktizität hinaus in eine Sphäre, in der Bedeutungen durch symbolisch-linguistische Systeme festgelegt werden. Diese Bedeutungsfixierung nennt Searle Übertragung von Statusfunktionen, welche ihrerseits durch den jeweiligen sozial kodierten Kontext C festgelegt wird. Indem solche Statusfunktionen nur durch konventionell geregelte Symbolisierungen der Sprache verliehen werden können, ist der Schritt von »reinen« zu sozialen Tatsachen insofern »eo ipso ein sprachlicher«, als der X-Term jetzt etwas symbolisiert, was jenseits seiner selbst liegt.87 Kulturelle Tatsachen beruhen auf einem mehr oder weniger expliziten Bewusstsein ihrer Geltung, weniger auf einem Verständnis ihrer Genesis. In der Regel wissen wir nicht (und brauchen nicht zu wissen), aus welchen Gründen oder aufgrund welcher historischen Umstände es – um wahllos ein Beispiel herauszugreifen – im mitteleuropäischen Raum die kulturelle Tatsache eines Begrüßungsrituals in Form des Händereichens gibt. Wohl aber pflegen wir zu wissen, dass »man es so macht«. In der Regel kennen wir nicht im einzelnen die Legitimierungsketten, die ein Stück bedrucktes Papier zum Geldschein machen, wohl aber können wir es jederzeit als Tauschmittel gebrauchen. Dieses Geltungswissen lässt sich im Rückgriff auf Grice’s Struktur ternärer Intentionalität als das implizite Bewusstsein einer Wir-Intentionalität begreifen: »Ich weiß, daß Du weißt, daß ich weiß, daß dieses Stück Papier ein Geldschein ist«. Hier spielen Formen pluraler Subjektivität88 für die Wahrnehmung von Artefakten, Ausdrucksphänomenen oder Bedeutungszusammenhängen als kulturelle Tatsachen eine zentrale Rolle. Kulturelle Tatsachen sind Produkte eines Wir, einer pluralen Subjektivität, die sich kraft der gemeinsamen Überzeugungen von Gruppen konstituiert, die solche Überzeugungen natürlich auch aktiv herbeiführen können, wenngleich sie sich nicht restlos steuern lassen. Unabhängig von dieser unhintergehbaren Urwüchsigkeit kultureller Faktizität bedarf es sprachlicher Rezeptionsleistungen ihrer Phänomene, Artefakte und Ereignisse als kulturelle Tatsachen in Form der Übertragung von Statusfunktionen, die – im Sinne von res facti, des Hervorbringens von Tatsachen – dieses Etwas als kulturelle Tatsache setzen. Dies schließt eine mögliche Dinglichkeit dieser Tatsachen ebenso ein wie die sprachliche ArWerke und Wir-Intentionalität | 225
tikulation ihrer Geltung. Zuletzt freilich ist die Sprache selbst eine kulturelle Tatsache und zugleich Bedingung der Möglichkeit kultureller Faktizität überhaupt. Von den sozialen ließen sich kulturelle Tatsachen dann näher so unterscheiden, dass sich diese nicht schon auf das Faktum der Statusfunktionen selbst, sondern auf die Beschaffenheit des Kontextes C beziehen. Eine kulturelle Tatsache wäre, um bei Simmels und Searles Beispiel zu bleiben, nicht nur und nicht schon die Funktionsweise des Geldes, sondern die Bedingungen, die jene Kontexte (C, D, E etc.) allererst stiften, in denen bedrucktes Papier als universales Tauschmittel anerkannt wird – diejenigen Tatsachen also, die in bestimmten Kulturen diese, in anderen hingegen jene Statusfunktionen hervorgebracht haben. Die bestimmte Stellung von Stuhlreihen im Sitzungssaal oder die Bepflanzungsanordnung eines öffentlichen Platzes (Diltheys Beispiele) sind kulturelle Tatsachen als kollektive Werke, in denen sich durch sprachliche Statusfunktionen Sinn- und Wirkungszusammenhänge einer bestimmten Wir-Intentionalität manifestieren.
7. Im Wahren sein: Alethische Evidenzhorizonte Der späte Wittgenstein hat solche Sinnkontexte auf dem Grund seiner Analyse Moorescher Sätze entdeckt und schlicht »Weltbilder« genannt: »Ich kann mir einen Menschen vorstellen, der unter ganz besonderen Umständen aufgewachsen ist und dem man beigebracht hat, die Erde sei vor 50 Jahren entstanden, und dieses deshalb auch glaubt. Diesen könnten wir belehren: die Erde habe schon lange etc. – Wir würden trachten, ihm unser Weltbild zu geben. Dies geschähe durch eine Art Überredung.«89 Weltbilder »überreden« durch Kanalisierung unserer Erfahrungen in ein komplexes Wechselspiel zwischen Sprachspielgrammatiken und kulturellem semantischen Gedächtnis; sie rufen Überzeugungen hervor, die uns unfragwürdig und evident erscheinen. Alle Sätze, die solche Evidenz mit sich führen und dennoch von uns nicht materialiter auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können (»Jeder Mensch hat Eltern«, »Die Erde existiert lange vor meiner Geburt«), formen, je nach Zusammensetzung, Sinnkontexte, die man vielleicht alethische Evidenzhorizonte nennen könnte. 226 | Sachen und Sätze
Ihre hier nur anzutippende Charakterisierung mag zeigen, dass jede kulturphilosophische Sprachanalyse zuletzt auf eine Explikation ihres Wahrheitsverständnisses zusteuert. Auch hier bedarf Kulturphilosophie der Sprachanalyse, um sich in eine kulturphilosophische Sprachanalyse zu übersetzen. Denn während Sprachanalyse die Wahrheitssemantik auf ihre propositionalistische Lesart verengen muss, fällt einer kulturphilosophischen Wahrheitsexplikation die Aufgabe zu, an den umfassenden »Sinn von Wahrsein«90 zu erinnern. Indem sie davon ausgeht, dass – gerade so wie Argumente stets nur in einem »Argumentationsfeld«91 (field of argument) überzeugend oder Beschreibungen stets nur relativ zu ihrem »Bezugssystem«92 (frame of reference) zutreffend sind – auch Aussagen oder Aussagensysteme in kulturellen Evidenzhorizonten stehen, die Behauptungen allererst wahr machen, bewähren oder zumindest plausibel erscheinen lassen, kann eine kulturphilosophische Alethiologie nicht einfach den geläufigen wahrheitstheoretischen Minimalismus wiederholen. Im Unterschied zu deflationistischen Theorien fragt sie nach den Bedingungen der Wahrheitskriterien als den Bedingungen auch des Wahrheitsdiskurses selbst und übernimmt eine Explikationsaufgabe, die modernen Wahrheitstheorien aus dem Blick geraten muss. Allerdings folgt daraus nicht etwa ein genuin kulturphilosophisches Verständnis von Wahrheit; ebenso wenig ist es Kulturphilosophie bloß um eine Analyse der impliziten oder expliziten Verwendung des Wahrheitsbegriffs in den sog. Kulturwissenschaften zu tun; vielmehr geht es um eine kulturphilosophische Erläuterung derjenigen Elemente unserer Wahrheitsdefinitionen, -kriterien und -diskurse, die ohne Besinnung auf ihre kulturellen Voraussetzungen nicht angemessen bestimmt werden können. Das ist der Fall bei allen vor- oder transpropositionalen Gehalten der Wahrheitssemantik, die zu ihrem Verständnis beitragen, aber mit der formalsemantischen Struktur von Aussagen nicht selbst schon aufgehellt sind. Aussagen wollen überzeugen; doch gehen in Aussagen auch schon Überzeugungen ein. So gut wie in vortheoretischen Sätzen haben sich auch in wissenschaftlichen Aussagen immer schon ganze Welten an kommunikativen Kompetenzen, kulturellen Selbstverständnissen und Evidenzannahmen abgelagert; ebenso in der Überprüfung solcher Sätze nach bestimmten Alethische Evidenzhorizonte | 227
Verifikationskriterien. Entsprechend folgen auch Wahrheitskonventionen bestimmten kulturellen Setzungen und Überlieferungen, Gewohnheiten und Praktiken. Sie beeinflussen die Überzeugungen, mit denen wir assertorische Sätze äußern; sie beeinflussen aber auch die Überzeugungskraft, die unsere Behauptungen im Diskurs entfalten oder verfehlen. Zum Wahrheitsverständnis gehören Evidenzkriterien, die von kulturellen Horizonten vorgezeichnet werden. Man denke etwa an die Bestimmung der Transzendentalien in der mittelalterlichen Philosophie. Der Mittleren Epoche erschien vollkommen evident, dass alles natürlich-göttlich Geschaffene ipso facto seiend, gut und wahr ist. Das Wahrheitsprädikat gehörte zu denjenigen begrifflichen Bestimmungen, die allem natürlich Seienden a priori zuzusprechen waren – woran auch menschliches Fürwahrhalten nichts zu ändern vermochte. Damit war das verschiedene, in eine natürliche Ordnung gegliederte Seiende zwar nicht schon gleich wertig und gleich wahr, aber doch von Anbeginn »im Wahren«. Den Glauben an eine transzendentalerweise wahre, gute und schöne natürliche Ordnung des Seienden vermögen säkulare Zivilgesellschaften nicht mehr uneingeschränkt zu teilen. Seine Prämissen erscheinen uns nicht mehr annehmbar, haben ihre Evidenz verloren. Kulturphilosophische Wahrheitsexplikationen nehmen daher die Gestalt einer Hermeneutik der Nachkonstruktion alethischer Evidenzparameter an. Denn die Überzeugungen, die unsere diskursiv überprüften Aussagen allererst motivieren, sind selbst schon durchdrungen von solchen Voraussetzungen. Dass Aussagen nicht nur Tatsachen (Korrespondenz), anderen Aussagen (Kohärenz), allgemeiner Zustimmung (Konsens), sondern jederzeit auch gewachsenen kulturellen Evidenzhorizonten entsprechen müssen, um als Wahrheitsträger in Frage zu kommen, schließt gerade nicht aus, dass es Wahrheitsträger geben mag, von denen wir (noch nicht oder niemals) wissen können, dass sie es sind. Dadurch eröffnet sich ein Raum, in dem Wahrheit nicht immer auch schon identisch mit dem Wissen von ihr ist. Man hat daher allen Grund, der unhintergehbaren strukturellen Unwissenheit und Perfektibilität menschlichen Wissens auch wahrheitstheoretisch Rechnung zu tragen. Es gibt Gedanken, auf die eine stets geschichtlich situierte Argumentationsgemeinschaft, mag sie idealiter auch als unendliche 228 | Sachen und Sätze
unterstellt werden, nicht verfallen kann, weil ihre alethischen Evidenzhorizonte in demselben Maße Erkenntnismöglichkeiten eröffnen, wie sie andere zugleich verdecken. Innerhalb jener kulturellen Kontexte oder »Weltbilder«, deren Sprachspiele Wittgenstein 1951 untersucht, konnte ein Satz wie »Jemand war auf dem Mond«93 nicht »im Wahren« sein. Mit guten Gründen hat Wittgenstein eine solche Überzeugung noch für einen Mooreschen Satz halten können, der sich weder als eindeutig sinnlos noch falsch oder wahr klassifizieren lässt. Bekanntlich wird Hergé zwei Jahre später in dem Comic On a marché sur la lune (dt. Schritte auf dem Mond) (1953) seinen Helden Tintin sagen lassen: »Zum ersten Mal macht ein Mensch von der Erde Schritte auf dem Mond« – und antizipiert damit einen alethischen Evidenzhorizont, in welchem solche Sätze allererst als wahre anerkannt werden könnten. Auf diese Weise ergänzen sich pragmatische Wahrheitsexplikation und alethischer Realismus, Kulturphilosophie und Sprachanalyse: Wenn prinzipiell die Möglichkeit eines wahren x gegeben sein muss, von dem wir nicht wissen können, dass es wahr ist, so berührt dies eben jene Grenzen kultureller Evidenzhorizonte, die im selben Zug unsere Erkenntnisse überhaupt erst spezifisch machen. Eine sprachpragmatische Alethiologie weiß um die Beschränkungen menschlichen Fürwahrhaltens, welches die Möglichkeit wahrer Propositionen offenhält, die das Kriterium rationaler Akzeptierbarkeit gleichwohl übersteigen.
Alethische Evidenzhorizonte | 229
Evidenz und Geltung Varianten des alethischen Pragmatismus
1. Wahr-Sagen und Wahr-Machen Für gewöhnlich schreiben wir Wahrheiten die Form der Aussage zu. Mit Handlungen verbinden sich dagegen normative Geltungsansprüche. Schon alltagsprachlich werden »die Wahrheit sagen« und »das Richtige tun« unterschieden. Wenn die Wahrheit gesagt, das Richtige aber getan wird,1 so scheint es für eine spezifische Form des Tuns des Wahren, jedenfalls im Deutschen, keine eigene Sprachhandlung zu geben. Freilich reicht schon der kursorische Blick auf die Sprechakttheorie, um an der Strenge dieser Trennung zu zweifeln. Austin hatte seine Unterscheidung von konstativen und performativen Sprechakten zusammenfallen lassen, als er auf Formen stieß, deren Gelingensbedingungen für performative Sprechakte nicht mehr von den Wahrheitsbedingungen ihres konstativen Gehalts getrennt werden konnten. Zum Vorschein kommen dann solche Sprachhandlungen, deren propositionale Bedeutung sich unauflöslich mit ihrem performativen Sinn verklammert. So können etwa justiziable Behauptungen (»Sie sind ein Verbrecher«) als performative Sprechakte nur dann richtig oder gelungen genannt werden, wenn sich das Behauptete, also ihr propositional-konstativer Gehalt, als wahr erweist. Vom Tun der Wahrheit sprechen wir in der Regel nur in dem trivialen Sinn, dass damit die Einheit von Wort und Tat gemeint ist; dass man Ankündigungen Taten folgen lässt; dass wir demgemäß, was wir sagen, auch handeln. Was aber könnte über diesen einfachen Sinn und den Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit hinaus mit dem Begriff eines Wahrmachens gewonnen werden, welches sich nicht schon im Sagen des Wahren erschöpft? Nahe läge, zunächst den Sprechakt des Behauptens genauer zu analysieren. Assertorische Aussagen sind, wie Dummett hervorhebt, auf besondere | 231
Weise »durch sprachliche Elemente mit der Wahrheit verknüpft«2. Was aber an ihnen ist Handlung? Liegt im Erreichen ihres Zwecks: das Erheben eines Anspruchs durch deren Aussage, bereits ein Handeln? Wenn assertorische Aussagen nicht nur als Aussagen und Sprechakte, sondern explizit auch als Sprechakte gelten sollen, worin mag dann das wahrmachende Komplement zu ihren Behauptungen bestehen? Was den erhobenen Wahrheitsanspruch als triftig erweist, ist das je Bewährende. Wie aber lässt sich das Wahrmachen oder Bewähren als solches verstehen? Schon der alethische Pragmatismus Peirce’s und James’ unterschied zwischen Wahrmachen (verification) und Rechtfertigung (justification). Denn die Begründung einer Aussage ist noch nicht identisch mit ihrer Bewährung; und auch bestens gerechtfertigte Auffassungen mögen sich nicht bewähren und keinen Eingang in unsere Evidenzhorizonte finden. Daher bietet sich an, dieser Tradition, die im Folgenden nicht auf ihre angloamerikanischen Strömungen reduziert werden soll, Antworten darauf zu entnehmen, was »Wahrmachen« sinnvollerweise heißen könnte (2.–6.). In einem zweiten Schritt soll diese in systematischer Absicht unternommene theoriehistorische Rekonstruktion des alethischen Pragmatismus mit den Argumenten und Einwänden des alethischen Realismus konfrontiert werden (7.). Drittens wird zu diskutieren sein, inwiefern die sprachpragmatische Respondenzkonzeption der Wahrheit von der Einsicht in das abhängt, was man mit James’ Geltungskontexte, mit Wittgenstein Überzeugungssysteme, mit Foucault Wahrheitsdiskurse nennen könnte. Bei aller Differenz in der Sache wie im Detail geht es ihren sprachpragmatischen Explikationen um eben jene Kontexte, innerhalb deren wahrheitsbeanspruchende Aussagen allererst wahr sein oder wahr »gemacht« werden können. Mit einem vorläufigen, daher abschließend nur zu plausibilisierenden Begriff mögen diese Kontexte Evidenzhorizonte genannt werden (8.). Eine unreduzierte sprachpragmatische Alethiologie, so die übergreifende These, hätte eine Explikation dieser Kontexte in ihre Wahrheitskonzeption aufzunehmen.
232 | Evidenz und Geltung
2. Bewahrheiten als regulative Idee unendlichen Forschens Pragmatistische Wahrheitstheorien haben einen miserablen Ruf. Daran dürfte sich bis heute wenig geändert haben – auch wenn ihre letzte Schwundstufe, in Rortys Werk erreicht, nicht mit jenen Anfängen bei Peirce, James und Dewey zu verwechseln ist, auf die es sich zuweilen berief. Zu den tradierten Zerrbildern des pragmatischen Wahrheitsbegriffs gehört die Auffassung, er stelle bloß auf den Nutzen der Wahrheit, ihre Effekte und Konsequenzen ab; sein Kriterium erschöpfe sich in dem der Erfüllung (satisfaction) gegebener firm – oder warrented3 – beliefs.4 Das aber hieße, den alethischen Pragmatismus mit jener kriteriologischen Wahrheitstheorie zu verwechseln, die er ebenso wenig zu sein beansprucht wie eine definitorische.5 Vielmehr stellt der alethische Pragmatismus die Frage nach dem Wahrmachen, Bewähren, Wahrwerden von Aussagen. So wenig daraus schon eine unreduzierte Wahrheitskonzeption zu gewinnen ist, so wenig können Wahrheitstheorien generell auf verifikatorische Elemente verzichten. Nicht die Definition, das Was, der Wahrheit, auch nicht ihre Kriterien, das Wann, sondern das Herbeiführen und deren Zweck, das Wie und das Worumwillen der Wahrheit, scheint die genuine Frage des alethischen Pragmatismus. Peirce’s Variante dieser Strömung, die ihm seinen Namen verdankt,6 trifft eine bis heute wahrheitstheoretisch grundlegende Unterscheidung: die zwischen Wahrheit und Wirklichkeit. Sachverhalte (state of things) sind bereits abstrakte Aussagen über Wirklichkeit, nicht diese selbst.7 Die Wirklichkeit möglicher Erfahrungsgegenstände (Situationen, Ereignisse, Dinge, Personen) ist unendlich feinkörniger als ihre Repräsentation durch die propositionale Form von Tatsachen (facts).8 Weil sich perzeptive Realität niemals in propositionaler Form ereignet, kann sie auch nicht für wahr oder falsch gelten, sondern nur sein.9 Realität ist, Tatsachen gelten. Diese grundlegende Einsicht des alethischen Pragmatismus hält zunächst einen korrespondenztheoretischen Impuls fest. Peirce konzediert, dass mit der Korrespondenzformel nur die Nominaldefinition der Wahrheit genannt werden kann. Doch sorgt sie, pace Kant, für Klarheit über den transzendentalen Status von Dingen an sich. Denn insofern sie sich nicht in Zeichen mitteilen, so Peirce, könBewahrheiten als regulative Idee | 233
nen Dinge an sich auch niemals Gegenstand der Wahrheitsfrage sein. Der Ausschluss transzendentaler Wahrheit, dieses Wahrzeichen des Übergangs vom metaphysischen Wahrheitsbegriff zu modernen Wahrheitstheorien,10 wird durch den alethischen Pragmatismus Peirce’s, James’ und Nietzsches endgültig besiegelt. Ihrer Operationalisierung entsprechend bestimmt Peirce Wahrheit als Relation semiotischer Konformität. Werden Zeichen (representamen) durch ihren Gegenstand bestimmt (compelled), so besteht Wahrheit in der »conformity of a representamen to its object«. Peirce wiederholt emphatisch: »ITS object«: »This is evidently the reason of the dichotomy of the true and the false. For it takes two to make a quarrel.«11 Daraus ergibt sich die einfache Konformitätsrelation: object – representamen oder Realität – Proposition. Für Peirce erlaubt dieses Grundverhältnis auch solche propositionalen Artikulationen, die sich nicht auf sprachliche Aussageformen beschränken. Entsprechend können Gesten oder Bilder, also indexikalische und ikonische Zeichen, propositionale Funktion gewinnen, sofern aus ihnen klar hervorgeht, was sie abbilden oder dass ihr Bezugsobjekt etwas Daseiendes ist. Zeichenrelationen bedürfen ferner der Interpretation. Zeichen sind Zeichen stets nur »in actu – by virtue of its receiving interpretation, that is, by virtue of its determining another sign of the same object.« Äquivalenz zwischen Propositionen liegt dann vor, wenn sie denselben Interpretanten, man darf verkürzend sagen: dieselbe Interpretation hervorrufen, welche dann freilich selbst wiederum zu einem interpretierbaren Zeichen werden kann.12 Falsch wären demnach solche Behauptungen, deren Interpretant nicht mit der Wahrnehmung des behaupteten Gegenstandes übereinstimmt – oder nicht mit allen anderen Interpretationen dieser Wahrnehmung von Gegenständen. Das berührt die beiden zen-tralen Aspekte der Peirce’schen Wahrheitskonzeption: Handlungsbegriff und Konsensualismus. Auf beide stößt Peirce in Ausein-andersetzung mit Schillers Wahrheitskriterium der Erfüllung (satisfaction).13 Eine Handlung wird dann befriedigend genannt, wenn sie ihr Handlungsziel verwirklicht. Erfüllung einer Handlung heißt schlicht »that it is congruous to the aim of that action«14. Daraus erhält Peirce die einfache Kongruenzrelation: Handlung – 234 | Evidenz und Geltung
Handlungsziel, deren Erfüllung oder Gelingen zu einer begründeten Überzeugung (firm belief) führt. Problematisch daran ist, dass solches Gelingen zu Überzeugungen führen kann, die gleichgültig sind gegenüber ihrer Wahrheit oder Falschheit.15 Feste Überzeugungen drohen sich gegen Kritik zu immunisieren, letztlich sogar gegen den Versuch ihrer Bewährung oder Nichtbewährung. Entsprechend unvollständig bleibt das Kriterium der Erfüllung. Selbstkritisch wendet sich der späte Peirce von seinem früheren pragmatistischen Ansatz ab, welcher in »How To Make Our Ideas Clear« von 1877 noch auf dem Prinzip des firm belief ruhte. Es ist die Wende zu einem »pragmatizistischen« Ansatz, der die Überzeugungen alethischen Prüfungsprozessen unterwirft: Über den Eigendünkel (willful belief) und der »imposition of beliefs by the authority or organized society« hin zum »settlement of opinion as the result of a fermentation of ideas« und zur »truth as […] forced upon the mind in experience as the effect of an independent reality«.16 Wenn sich Überzeugungen bewähren oder wahr machen lassen müssen, so besteht die systematische Crux im Problem des Maßstabs solchen Bewährens. Handlungstheoretisch gefragt: Worin besteht das kongruente Ziel der Handlungsbewährung? Peirce sucht das Problem mit einer revidierten Wahrheitsexplikation zu lösen, die objektive oder mindestens intersubjektive Kriterien zur Bewährung formuliert: »Truth is that concordance of an abstract statement with the ideal limit towards which endless investigation would tend to bring scientific belief, which concordance the abstract statement may possess by virtue of confession of its inaccuracy and one-sidedness, and this confession is an essential ingredient of truth.«17 Hier wird Wahrheit nicht mehr nur propositionalistisch als Konformität von Aussage und Realität interpretiert, sondern auch konsensualistisch als Konkordanz zwischen einer abstrakten Aussage und der regulativen Idee unendlicher wissenschaftlicher Forschung. Konkordanz gewinnt die Form einer Wahrheitsannäherung, die die Möglichkeit ihrer eigenen Einseitigkeit reflektiert und als Fallibilitätsbekenntnis in das Definiens von Wahrheit aufnimmt. Damit erhält die Tradition des alethischen Pragmatismus ein ebenso folgenreiches wie produktives Grundbegriffsverhältnis der Wahrheitsexplikation: Bewahrheiten als regulative Idee | 235
representamen Proposition
FG GG SG GG H FG GG SG GG H FG GG SG GG H
object Realität
ideal limit/ endless investigation Handlung Handlungsziel
conformity
concordance congruency/satisfaction
Über die Mitte der propositionalen Artikulation von Tatsachen ist dieses Modell dynamisch nach zwei Seiten: (1) Zum einen können sich Propositionen oder gewonnene Auffassungen durch Konformität mit dem Objekt bewähren. Wäre dies allerdings das einzige Wahrheitskriterium, so Peirce’s schneidende Kritik am Positivismus Comtes und Poincarés, dann könnten wir niemals Hypothesen bilden. Hieße Verifizieren »to be detected by direct percept«, d. h. Konformität mit perzeptueller Wahrheit oder Wahrnehmung, so wären weder Schliemanns These, in Hissarlik läge das antike Troja, noch Hypothesen über Ichtyosaurierskelette überhaupt diskutierbar, weil die eine nicht mit dem antiken Ort selbst, die anderen nicht mit einem lebenden Tier abgeglichen werden könnten.18 (2) Insofern also das Reich einfacher Wahrheiten entweder trivial oder unwiderruflich verschlossen bleibt, kann Verifikation nur in einer Komplexion zu haben sein, die den vorläufigen Konsens aller Sachverständigen zum Konkordanzkriterium der Proposition erhebt. Die Wahrheit der Aussage »Cäsar überschritt den Rubikon« bewährte sich dann durch philologische und archäologische Forschung »– or would do so, if study were to go on forever«19; was bezogen auf das Schema heißen könnte: Forschen ist selbst eine Handlung, dessen Handlungsziel möglicherweise nie vollständig erfüllt werden kann, sondern regulative Idee bleibt. An dem genannten Beispielsatz erläutert Peirce seinen alethischen Konsensualismus genauer: »The truth of the proposition that Caesar crossed the Rubicon consists in the fact that the further we push our archeological and other studies, the more strongly will that conclusion force itself on our minds forever […].«20 Verwandt ist dies einer Bestimmung, die Peirce bereits in seinem frühen Aufsatz How To Make Our Ideas Clear (1877) gefasst hatte: Dass jene Auffassung, der »letztlich alle Forscher zustimmen, das ist, was wir unter Wahrheit verstehen.«21 236 | Evidenz und Geltung
Die in dieser Explikation enthaltene Achillesverse des alethischen Pragmatismus ist Peirce freilich nicht verborgen geblieben. Einwenden lässt sich zunächst, dass eine Proposition wie »Cäsar überschritt niemals den Rubikon« aus kontingenten Gründen als derzeitige Überzeugung aller Forschenden sich verfestigt haben könnte – also für konform mit einer Realität gehalten wird, die sich als solche perzeptiver, nicht-inferentieller Überprüfung entzieht. Genau deshalb muss Peirce auf die regulative Idee »unendlicher Forschung« (ultimate research) vertrauen. Denn sie würde nach und nach zu erweisen haben, dass die entsprechende Proposition falsch, genauer: dass sie nicht mit der Realität konform ist. Daraus ergibt sich ein doppeltes Prüfungskonzept des Wahrmachens. In Aussagen über situative Realität ist diese selbst das Bewährungskriterium der Aussage. Ist sie uns, wie bei historischen Begebenheiten, indes entzogen, muss sie durch die begründete Auffassung aller über den Gegenstand Forschenden ersetzt bzw. allererst hergestellt werden. Wahr-Machen wäre dann so etwas wie die Substitution entzogener Realität (also des Wahr-Machers) durch die Herstellung eines Konsensus aller Fachkundigen. Nur darf diese Substitution nicht als schlechter Ersatz begriffen werden, sondern als berechtigte Antwort auf den Umstand, dass sich Wahr-Machen nur in den wenigsten Fällen im schlichten Zeigen auf die Wirklichkeit von Erfahrungsgegenständen erschöpft. Peirce’s Konsensualismus setzt sich einer Reihe von Einwänden aus, die man im weitesten Sinne alethisch-realistisch nennen könnte. Was, wenn die Gemeinschaft der Fachkundigen die falsche Auffassung verträte, ein aus dem »wilden Außen« (Foucault) ihres Diskurses und Konsenses wahllos Hereinrufender jedoch die richtige? Müssten diesem Konsens nur virtuell oder auch tatsächlich alle Beteiligten zustimmen? Würden tatsächlich nur Forscher in den Kreis der Argumentationsgemeinschaft aufgenommen? Fragwürdig ist zudem das Ideal der Annäherung. Denn die relationale Bestimmung des »näher als« ist zwar für Zahlen, nicht aber für Theorien definiert.22 Auch werden wissenschaftliche Annahmen, wie wir seit Kuhn wissen, in der Regel nicht laufend verbessert, sondern zuweilen schlicht verworfen, durch andere ersetzt. Der klassische, zugleich systematisch hartnäckigste Einwand gegen jede Form des Konsensualismus besteht darin, dass mit Grund Bewahrheiten als regulative Idee | 237
bezweifelt werden darf, ob alles, was den Konsensbedingungen genügt, wahr genannt werden kann. Denkbar also die Wahrheit einer Tatsache, die noch von niemandem entdeckt oder formuliert wurde. Diese Möglichkeit des alethischen Realismus hatte Peirce allerdings selbst schon bedacht: »Wer hätte noch vor einigen Jahren gedacht, daß wir jemals wissen könnten, aus welcher Materie Sterne bestehen, deren Licht vielleicht mehr Zeit gebraucht hat, uns zu erreichen, als die Gattung Mensch existiert.«23 Was Peirce’s Theorie, aus ihrer eigenen Systematik heraus, diesen Einwänden entgegnen könnte, ist zuletzt der Verweis auf die Produktivität des Interpretanten. Denn auch der Konsens der Forschenden ist nichts weniger als ein Interpretant von Propositionen, der selbst wieder Interpretationen – und also Interpretanten – hervorruft, durch die er korrigiert werden kann. Dieser Interpretant könnte sich dann, etwa im Fall des Rubikon-Beispiels, auf neue archäologische Evidenzen, mithin auf Realität, beziehen und so den Konsens erschüttern. Im Reich dieser Komplexität des Wahrmachens ist jedenfalls kein Raum mehr für einfache Wahrheiten, die transzendentalerweise nicht auf Zeichen, sondern auf Dingen an sich beruhen.24 Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung gliedert sich Peirce’s Semantik von Wahrheit dreifach: (1) Ethische Wahrheiten bestehen in der Konformität der Überzeugung eines Sprechers oder Schreibers mit seiner Äußerung; sie erfüllen den Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit (veracity). (2) Logische Wahrheiten nennt Peirce die Konkordanz von Realität und Aussage – und dürfte damit auch jene Konkordanz mit dem Konsens der Forschenden meinen.25 (3) Formale Wahrheiten sind für Peirce schließlich das, was man heute wohl logische Wahrheit nennen würde: die formale Gültigkeit von Schlüssen und zwar sowohl der Deduktion (Regel – Fall – Resultat), der Induktion (Resultat – Fall – Regel) als auch der von Peirce entdeckten Form der Abduktion (Resultat – Regel – Fall).26
3. Verifikation als Zur-Geltung-Bringen wahrer Auffassungen Peirce hat seinen alethischen Pragmatismus in doppelter Auseinandersetzung gewonnen. In der Kritik am Wahrheitstranszendentalismus und Wahrheitspositivismus war ihm mit der Entdeckung des 238 | Evidenz und Geltung
Kriteriums der Argumentationsgemeinschaft aller Forschenden das Problem nicht nur der Genesis von Tatsachen, sondern auch das ihrer Geltung in den Blick gekommen. Schlüssig ergänzt wird das Wahrheitsmodell des alethischen Realismus in dieser Hinsicht allerdings erst von William James. Auch James verfällt nicht dem positivistischen Wahrheitsideal der Weltabbildung: »Wirklichkeiten sind nicht wahr, sie sind; und Ansichten sind wahr bezogen auf sie.«27 Credo des Pragmatismus ist es, dem Irrtum entgegen zu steuern, es handele sich bei wissenschaftlichen Wahrheiten »um exakte Kopien […] nichtmenschlicher Wirklichkeiten«28. Weder bilden Aussagen eine extramentale Wirklichkeit, noch aber bilden sie Gedanken ab. Genau genommen bringen Aussagen Gedanken erst hervor. In diesem Sinne hat der Pragmatismus in der Tat schon etwas von jenem sprachanalytischen Pragmatismus, der in unmittelbarer geschichtlicher Nachbarschaft mit dem Werk Freges entsteht und Gedanken als sinnvolle Sätze interpretiert. Eine andere Fehldeutung des Pragmatismus, der James schon früh begegnen muss, ist der Vorwurf des Konstruktivismus. Kein Pragmatist, versichert James, wolle im Ernst behaupten, wir machten Wirklichkeit im Sinne ihres physischen Hervorbringens. Wirklichkeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie zwar in unsere Erfahrung fällt, aber darin etwas bewahrt, das sich uns zugleich entzieht. Unsere Erfahrung von Realität kann niemals eine ihrer Ganzheit sein. Jede bestimmte Wirklichkeitserfahrung schließt evidenterweise eine andere aus. Realität ermöglicht allererst Erfahrung und bleibt doch unhintergehbar erfahrungsresilient: »Dass die Wirklichkeit ›unabhängig‹ ist, bedeutet, dass es in jeder Erfahrung etwas gibt, das sich unserer willkürlichen Kontrolle entzieht.«29 Was aber meint dann Pragmatismus? Schon Peirce hatte hervorgehoben, dass unser Erkennen das Erkannte verwandelt und diese Überlegung zur Prämisse seiner Wahrheitsexplikation gemacht: »the act of knowing a real object alters it.«30 Ähnlich sieht James in der Erkenntnis kein bloß reproduzierendes, sondern ein produktives Weltverhältnis. Mag sich Erkennen auf Wirklichkeit beziehen, so bringt es diese doch von vornherein in eine symbolische Form – sei es als Bild, Ton, Schrift oder Zahl. Diese symbolische Reflexion scheint ihm desto erfolgreicher, je weniger mimetisch sie vorgeht. Das meint jene »Welttauglichkeit« vor allem sprachlicher Symbole, Verifikation als Zur-Geltung-Bringen | 239
von der James spricht. Ihre Eignung nimmt in dem Maße zu, wie sie unsere Erwartungen nicht nur »in richtiger Weise festlegen«, sondern sich von unmittelbarer Erfahrung entfernen.31 Am Beispiel des Sternbilds des Großen Bären erläutert James, dass wir die stellaren Attribute der sieben Sterne gewiss nicht hervorbringen. Doch ebenso sinnlos wäre es zu behaupten, die Sterne seien vor aller Zeit nach einem »bestehenden Zahlenmodell abgezählt« worden. Daher registriert jede Wirklichkeitsauffassung zwar, was ist, aber leistet dennoch mehr als die bloße Wiedergabe von Bestehendem: »Wir haben hier den Schein einer Paradoxie. Durch das Zählen entsteht unbestreitbar etwas, das es vorher nicht gab. Und doch war es immer schon wahr. In einer Hinsicht bringt man es hervor, in anderer Hinsicht findet man es.«32 James’ Pragmatismus wendet das Wahrheitsprädikat allein auf propositionale Auffassungen von Tatsachen an. Wahrheit, wie sie sein Pragmatismus meint, berücksichtigt nur das Wahre in rebus, nicht ante rem. Dabei soll keineswegs geleugnet werden, dass es Wahres ante rem geben mag. Ein aus der Perspektive des alethischen Realismus formulierter Vorwurf ginge daher ins Leere. Nur bezweifelt James die praktischen Konsequenzen der Wahrheiten ante rem. Als Beispiel dient ihm die 1000. Dezimalstelle der Zahl π. Schon vor aller konkreten Erfahrung ruht sie in der Welt geometrischer Beziehungen und ist wahr, »auch wenn niemals jemand versuchen sollte, sie zu berechnen«. Weil sie ebenso folgenlos bleibt, wie alle bislang noch ungespielten Melodiekombinationen, sind sie für den Pragmatisten »statisch«, »geisterhaft«, virtuell. Man hat daher leicht übersehen können, dass der alethische Pragmatismus auch die potentiellen oder essentiellen Wahrheiten anerkennt, allerdings für folgenlos erachtet. Einen »cash-value«33, wie James provokant formuliert, haben nur existentielle Wahrheiten. Dabei bedürfen wahrheitspragmatisch zwei Begriffe der genaueren Klärung: Situation und Verifikation. Die Wahrheit in rebus ist stets situativ. Was wahr ist, wird in Abhängigkeit von Begebenheiten, Eventualitäten und Regularitäten der Wirklichkeit betrachtet. Solche kontingenten Wahrheiten beruhen auf situativer Bewährung (eventual verification). Und nur sie interessieren uns in der Regel handlungspraktisch. Wenn wir sicher sein wollen, dass uns ein bestimmter Zug ans gewünschte Ziel bringt, so muss die Angabe 240 | Evidenz und Geltung
auf der Anzeigetafel, der wir vertrauen, situativ wahr sein. Hier wird durch die unterstellte Wahrheit der Anzeige eine bestimmte Handlung, das Steigen in den Zug, allererst motiviert. Das komplexere, hier genauer interessierende pragmatische Verständnis von Wahrheit besteht demgegenüber in der Funktionalität von Geltungsprozessen (truth-process oder validation). Darunter versteht James den Umstand, dass etwas auch deshalb wahr genannt werden kann, weil es so festgelegt wurde – weil es gilt. In dem Fall wäre nicht Übereinstimmung oder Einverständnis, sondern schlicht Geltung – kulturelle Akzeptanz, Übereinstimmung mit Hintergrundüberzeugungen, juristische Festlegung – das entscheidende Wahrheitskriterium. So besteht der Pragmatismus darauf, »dass es Aussagen und Überzeugungen, die wahr sind, […] nur aus Höflichkeitsgründen gibt: sie gelten praktisch als wahr; aber es ist unmöglich, genau zu erklären, was man meint, wenn man sie wahr nennt, ohne sich auf ihre funktionalen Möglichkeiten zu beziehen.«34 Bleibt die Frage: Was eigentlich meint Geltung? Der Begriff berührt zunächst einen Aspekt, der schon in der situativen Bewährung (eventual verification) berücksichtigt war: den Unterschied zwischen aktual und potentiell Verifizierbarem. Denn Wahr-Machen kann auch negativ bestimmt werden, indem schlicht nichts dagegen spricht, dass eine Auffassung wahr ist. Unter solchen Umständen darf sie als wahr gelten.35 James bleibt im Sprachspiel seiner ökonomistischen Metaphorik, wenn er hinzufügt: »Truth lives, in fact, for the most part on a credit system.« Geltung beruht auf dem Kredit, der bestimmten Auffassungen durch ihre Kohärenz mit unseren kulturellen Hintergrundüberzeugungen und Verifikationssystemen eingeräumt wird. James’ Metaphorik mag problematische Resonanzen haben, doch gelingt ihr eine dreifache Einsicht in die Natur sprachlicher Überzeugungssysteme, die wie ökonomische Kreditsysteme funktionieren, solange ihre Glaubwürdigkeit nicht in Frage gestellt wird. (i) Zum einen können wir in den meisten Fällen davon ausgehen, dass sich unsere Auffassungen – etwa, dass das Land Japan existiert – auch dann bewähren, wenn wir uns niemals anders als nicht-inferentiell (also nicht durch eine Reise dorthin) von ihr überzeugen könnten. (ii) Damit springt aus James’ Verifikationstheorie die ebenso triviale wie grundstürzende Einsicht heraus, dass der größte Teil unserer für wahr gehaltenen firm beliefs auf inVerifikation als Zur-Geltung-Bringen | 241
terpersoneller Kommunikation beruht. Wahrheit und Verifikation sind radikal diskursiv. Nur in den wenigsten Fällen haben wir selbst die Möglichkeit der Bewährung unserer propositionalen Auffassungen. Vielmehr erhalten wir ihre Verifikation »from one another by means of social intercourse. All truth thus gets verbally built out, stored up, and made available for everyone. Hence we must talk consistently just as we must think consistently«.36 Die meisten für wahr gehaltenen Auffassungen – James spricht von 99 von 100 Fällen – erlauben überhaupt keine »face-to-face verification«. (iii) Einsicht gewinnt James auch in einen dritten Aspekt von Geltungsprozessen: Wahre Auffassungen sind eingebettet in Kontexte und Überzeugungssysteme. Dem Satz »Kain tötete Abel« eignet Wahrheit einzig im Kontext der biblischen Genesis. Abgelöst »from its connections to the universe of speech« oder dem »entire system of speech«, mitsamt den Fakten, die es verkörpert, bedeutet der Satz nichts. James arbeitet so der späteren sprachanalytischen Auffassung vor, derzufolge die Bedeutung von Sätzen davon abhängt, ob wir wissen können, unter welchen Bedingungen sie wahr sind. Gemäß der systematischen Architektonik der berühmten sechsten Pragmatismus-Vorlesung von 1906/7, »Pragmatism’s Concept of Truth«, wird eine im Ganzen sechsfache Bestimmung von Bewährung (verification) und Übereinstimmung (agreement) deutlich. In einem ersten Schritt diskutiert James die Grundthesen seiner pragmatischen Wahrheitskonzeption: (1) Wahre Ideen lassen sich verifizieren; und sie machen einen praktischen Unterschied gegenüber den falschen. (2) Wahrheit wiederfährt diesen Ideen, indem sie durch Ereignisse wahr gemacht werden. Zugleich ist das WahrMachen selbst Ereignis: Prozess der Verifikation. Und das Gelten des Wahrgemachten ist der Prozess der Validierung.37 Wahr-Machen hieße in diesem Sinne: Realisierung einer wahren Idee. Der zweite Schritt klärt, was das Wahrheitskriterium der praktischen Relevanz meint. Hier wird deutlich, dass Nützlichkeit und Relevanz nicht als instantane Kriterien misszuverstehen sind. Natürlich kann jederzeit das, was eben noch nützlich war, sogleich unbrauchbar werden. Doch dass wir den Trampelpfad, den wir zu Recht für geeignet hielten, um aus der Wildnis wieder in besiedeltes Gebiet zu gelangen, dort angekommen nun nicht mehr benötigen, macht die bewährte Idee, er führe in die Zivilisation zurück, 242 | Evidenz und Geltung
nicht falsch. Offenbar bilden unsere wahren Ideen einen Vorrat, der im Moment der Erfahrung praktisch relevant werden kann. WahrMachen hieße dann: Zur-Anwendung-Bringen wahrer Ideen. Gemäß seiner dreifachen Unterscheidung von Erfahrung gliedert James auch die weiteren Schritte seiner Wahrheitsexplikation. Erfahrung kann einmal den Fluss reiner und chaotischer Erfahrung meinen, welcher uns unablässig Eindrücke zuführt. Erfahrung kann aber auch die Ordnung dieser Eindrücke im Sinne fundamentaler Kategorien meinen. Ein dritter Modus ist die praktische Erfahrung, die unsere Bedürfnisse und Handlungen in Übereinstimmung mit der schon kategorial durchdrungenen Erfahrung bringt.38 Der erste Modus heißt Wirklichkeitserfahrung: dass ein Ding sei und wie wir uns von seinem Dasein überzeugen. Der zweite Modus fragt nach dem Was eines Sachverhalts und in welcher Weise er abhängig ist von der Situation oder der Wahl unseres Zugangs zu ihm. Der praktische Modus schließlich betrifft den Gebrauch einer Sache und klärt, welche sie – von anderen möglichen unterschieden – in Abhängigkeit unseres Gebrauchs sei. Aus dieser Trias lassen sich verschiedene Bewährungsformen oder Modi des Wahrmachens ableiten. (3) Der reinen Erfahrung entspricht die Wahrheit von Aussagen über Erfahrungsgegenstände und damit die »eventual verification«. Auf sinnlicher Evidenz beruhend, bleibt sie, gleichwohl eingebettet in kulturelle Evidenzhorizonte, stets situativ. Ein Satz über die Farbe eines Tischs in einem bestimmten Raum kann nur vor Ort verifiziert werden. Diese triviale Form der »truths we live by«39 kann freilich nur den Prototypus von Verifikation darstellen. (4) Ganz anders sind Sätze zu verifizieren, die sich auf Gattungen oder ideale Gegenstände beziehen: »Weiß ist näher an Grau als an Schwarz« ist unabhängig von seiner ad hoc-Verifikation wahr. Wahr-Machen meint in solchen Zusammenhängen: korrektes Klassifizieren, richtiges Subsumieren unter Begriffe und Kategorien. Hier ist nicht mehr sinnliche Evidenz, sondern begriffliche Konsistenz Verifikationskriterium. James’ vierter Argumentationsschritt erhält damit ein kohärenztheoretisches Element. Denn die Wahrheit dieser Sätze ist mit der Wahrheit anderer abzugleichen, aus denen sich Schnittmengen bilden. (5) Der dem praktischen Erfahrungsmodus entsprechende Verifikationsmodus ist selbst praktisch im Sinne einer diskursiven Verifikation als Zur-Geltung-Bringen | 243
Übereinstimmung (agreement) mit anderen Diskursteilnehmern. Offensichtlich geht James mit diesem fünften Klärungsschritt von der sinnlichen und kategorialen Objektivität zur alethischen Intersubjektivität über. Dabei ist zu klären – und Dewey wird später den ganzen Stolz des alethischen Pragmatismus in dieses Vorhaben setzen40 –, was eigentlich agreement heißen kann. Übereinstimmen können wir grundsätzlich und formal mit allem, zu dem wir in Beziehung treten. Diese Beziehung gestaltet sich jedoch objektspezifisch. Übereinstimmung heißt dann: in die Realität führen; etwas funktionieren lassen; etwas in der Realität handhaben. Es kann freilich auch meinen, dass nichts in der Realität unserer Handlung widerspricht.41 (6) Damit ist der Hintergrund umrissen, vor dem James das Verhältnis des Pragmatismus zu Rationalismus und Idealismus diskutiert. Beiden Kontrahenten scheint gemein, der Wahrheit eine Transzendentalität zuzusprechen, die sie unabhängig von Verifikationsprozessen machen soll. Beide stellen die prinzipielle Wahrheitsfähigkeit (verifiability) der Wahrheiten ante rem über die konkrete Bewahrheitung (verification) der Wahrheiten in rebus.42 Nun gibt der Pragmatismus zwar den Begriff einer absoluten Wahrheit preis, zu welcher »all our temporary truths will some day converge«43. Für James heißt dies jedoch ebenso wenig wie für Peirce, den Maßstab einer regulativen Wahrheitsidee (regulative notion) aus der Hand zu geben, welche den Gedanken an eine stets potentiell »bessere« Wahrheit bewahrt, die sich entweder im Diskurs, durch genaueren kategoriellen Zugriff oder durch schärfere sinnliche Wirklichkeitserfahrung ergeben könnte. Auch James’ alethischer Pragmatismus lässt sich auf das Schema eines dreistufigen Wahrheitsprozesses (truth-process)44 der Verifizierung und Validierung bringen: belief Auffassung
system of speech
FG GG SG GG H F GG GS GGG H FG GG SG GG H
event fact Situation Proposition
eventual verification verification validation/truth-process (non-interference)
Aus diesem Modell schöpft James nicht zuletzt seine weitreichende Einsicht in die Rückkopplungseffekte von Wahrheit und Faktizität. Wenn nämlich Wahrheiten ein aus Tatsachen, res facti, Gemachtes 244 | Evidenz und Geltung
sind, kann auch ihrem Gelten selbst der Status von Faktizität nicht abgesprochen werden. Wahrheit wäre dann tatsächlich so etwas wie ein Handeln in der Welt in Form von Aussagen, die praktische Konsequenzen in der Welt zeitigen: »Truth is made largely out of previous truths.«45 »Truths emerge from facts; but they dip forward into facts again and add to them; which facts again create or reveal new truth (the word is indifferent) an so on indefinitely. The ›facts‹ themselves meanwhile are not true. They simply are. Truth is the function of the beliefs that start and terminate among them.«46 In diesem Kontext gewinnt der alethische Pragmatismus auch die kritische Funktion der Abwehr metaphysischer oder rationalistischer Ansprüche auf eine privilegierte Wahrheit ante rem. Schon zeitgenössisch musste jedoch Missverständnisse hervorrufen, dass er weder den Anspruch erhebt, eine definitiorische noch den, eine kriteriologische Wahrheitstheorie zu sein. Dass Peirce und James die klassischen Bestimmungen des Wahrheitsprädikats als bloße Nominaldefinition identifiziert haben, konnte den Schein erzeugen, sie würden es realdefinieren wollen. Peirce wie James haben sich der Naivität einer solchen Forderung enthoben. Ihnen war klar, dass niemand Wahrheit technisch herbeizuführen imstande ist. Statt als Versuch einer Realdefinition der Wahrheit lässt sich ihr alethischer Pragmatismus vielmehr als windungsreiches Vorhaben einer Verifikationsexplikation begreifen. Erläutert wird, was Bewahrheiten, Verifikation, Wahrmachen heißen könnte. Je nach Kontext meint es bei James die reibungslose Handhabe von Auffassungen in Übereinstimmung (agreement) mit der Wirklichkeit; die Erfüllung (satisfaction) einer Auffassung durch Abgleich mit Erfahrung; das Hervorbringen von Etwas, das es vorher nicht gab, aber immer schon wahr war; die Stützung und Begründung einer Auffassung; das Antizipieren von Problemlösungen durch Vorrat wahrer Ideen; das zur Geltung-Bringen (validation) von Auffassungen; das Überwinden geltender Auffassungen durch bessere, nützlichere Auffassungen; die Veränderung von Faktizität durch wahre Auffassungen, die selbst zum Faktum werden; die kollektive Stiftung von Geltungskontexten; nicht zuletzt die diskursive Verifizierung von Aussagen durch Abgleich mit ihren Evidenzhorizonten.
Verifikation als Zur-Geltung-Bringen | 245
4. Weltbilder: Wahrmachen als Anerkennung in Überzeugungssystemen Ohne von ihrem alethischen Pragmatismus beeinflusst zu sein, hat der späte Wittgenstein präzise an jenem systematischen Punkt angesetzt, der bei Peirce und James unterbestimmt geblieben war. Denn zu klären ist nicht nur, welche alethische Funktion Überzeugungssysteme haben, sondern auch, wie sie verfasst sind. Der späte Wittgenstein entdeckt auf dem Grund seiner Analyse sog. grammatischer oder Moorescher Sätze eine Art engmaschiges Netz von Erfahrungsurteilen, die sich zum offenen Ganzen eines Verifikationssystems zusammenschließen.47 Grammatische Sätze erläutern die Regeln bestimmter Sprachspiele; sie lassen sich nicht vernünftig bezweifeln, sondern werden als gegeben vorausgesetzt. Mögen Beispiele wie »Jeder Stab hat eine Länge«48 noch als analytische Sätze durchgehen, so zeigt die überwiegende Zahl der Mooreschen Sätze – »Ich habe einen Körper«49, »Katzen wachsen nicht auf Bäumen«50, »Es ist höchst unwahrscheinlich, daß ich je auf dem Mond war«51 –, dass es sich um alltagssprachliche Sätze handelt, aus denen sich herausbildet oder immer schon herausgebildet hat, was Wittgenstein »Weltbilder« nennt. Alle Sätze, von denen Moore sagt, sie zehrten von der Grammatik des Wissens, also von der Behauptung »Ich weiß, dass …« , sind »solcher Art, daß man sich schwer vorstellen kann, warum Einer das Gegenteil glauben sollte.«52 Zuletzt heißt dies wohl, dass grammatische Sätze und ihre Systeme nicht anders als indirekt begründen: Die Behauptung ihres Gegenteils wäre absurd bzw. nicht mit der Grammatik des approbierten Sprachspiels vereinbar. Weltbilder beruhen, darin liegt das Moment ihrer unhintergehbar brüchigen Fundierung53, nicht eigentlich auf einem propositionalen Überzeugtwerden durch Gründe, sondern durch Hintergründe: »Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide.«54 Mindestens zweierlei ist an Wittgensteins Überlegung für die Tradition des alethischen Pragmatismus bemerkenswert: Zum einen reproduziert sich die Differenz in der Wahrheitsfunktionalität von Wahr und Falsch: w | f, weil das, was ihre Differenz überhaupt erst 246 | Evidenz und Geltung
ermöglicht und begründet, nämlich das | selbst nicht zum Vorschein kommt und unbegründet – eben Hintergrund – bleibt. Zum anderen verdankt sich das Überzeugtsein, deshalb verneint Wittgenstein es so vehement, keiner »deontische[n] Kontoführung«55 des Gebens und Nehmens von Gründen, sondern bleibt schlicht ein Überreden: »Ich kann mir einen Menschen vorstellen, der unter ganz besonderen Umständen aufgewachsen ist und dem man beigebracht hat, die Erde sei vor 50 Jahren entstanden, und dieses deshalb auch glaubt. Diesen könnten wir belehren: die Erde habe schon lange etc. – Wir würden trachten, ihm unser Weltbild zu geben. Dies geschähe durch eine Art Überredung.«56 Für Wittgenstein wird der »Raum der Gründe« selbst noch einmal überwölbt von einem Horizont an Weltbildern, deren Fundament nicht begründete propositionale Überzeugungen, sondern überredende Sprachspiele sind. Sie stellen im engeren Sinne auch kein Wissen dar, sondern dessen System.57 Denn die Hintergrundüberzeugungen machen ebenso wie die Differenzierung von wahr und falsch den Zweifel allererst möglich. Wissen kann es nur dort geben, wo auch Zweifel ist.58 Deshalb bedarf, auf den ersten Blick kontraintuitiv, nicht das Weltbild der Begründung: sondern der Zweifel an Sätzen, die das Weltbild in Frage stellen »Braucht man«, fragt Wittgenstein, »zum Zweifel nicht Gründe?«59 Nicht die Gewissheit, sondern der Zweifel beruht auf Gründen. Und es ist der Zweifel an Sätzen wie »Ich weiß, dass ich nie auf dem Mond war«60 der, wie jedes Spiel des Zweifels, Gewissheiten voraussetzt. Die aber können wir nicht als begründete unterstellen, weil sich der Satz weder inferentiell noch nicht-inferentiell wirklich beweisen ließe – uns bliebe vermutlich nur, auf seine offene Unwahrscheinlichkeit zu weisen. Entsprechend konstituiert eine »Unzahl allgemeiner Erfahrungssätze, die uns als gewiß gelten«61 (und die wir weder empirisch noch inferentialistisch letztbegründen können), einen sprachpragmatischen Boden kultureller Hintergrundüberzeugungen und Geltungskontexte, die freilich ohne solche grammatischen Sätze nicht möglich wären. Das Verhältnis von Mooreschen Sätzen und kulturellen Überzeugungen bildet einen hermeneutischen Zirkel. Wie wenig solche Hintergrundüberzeugungen durch die Sätze und Sprachspiele ein für allemal festgelegt sind, zeigt allerdings geAnerkennung in Überzeugungssystemen | 247
rade das letzte Beispiel. Wittgenstein konnte 1951 noch von der nicht nur Unwahrscheinlichkeit, sondern objektiven Unmöglichkeit des evidenten Satzes »Ich weiß, dass ich noch niemals auf dem Mond war« ausgehen. Heute steht es zumindest im Bereich des experimentell Denkbaren, von malignen Wissenschaftlern narkotisiert, auf den Mond und wieder zurück transportiert zu werden, so dass der selbstgewisse Erfahrungssatz »Ich weiß, dass ich noch niemals auf dem Mond war«, trügerisch sein könnte. Auch der grammatische Satz »Jeder Mensch hat Eltern«62 hat viel von seiner nicht unbedingt biologischen, wohl aber kulturellen Selbstverständlichkeit verloren. Dass die Weltbilder, in Wittgensteins Worten, »überkommen« sind, schließt allemal Bedeutungsnuancen ein: von »auf uns gekommen« bis zu »überholt«, aus der Zeit gefallen. Dass Weltbilder beweglich sind, heißt allerdings in beiden Fällen, dass ihre implizite Vernünftigkeit auf dem virtuell unendlichen und offenen Ensemble Moorescher Sätze beruht.63 Andere, neue Sätze können eintreten oder auch herausfallen. Hier wie dort aber sorgen sie für einen sprachabhängigen Evidenzhorizont, ohne den unsere kulturellen Praktiken nicht gelingen könnten. Abhängig ist das Ensemble verifikationskonstitutiver Sätze zuletzt gerade nicht von bloß subjektiver Gewissheit: »Was ein triftiger Grund für etwas sei, entscheide nicht ich.«64 Denn das »Wissen gründet sich am Schluß auf der Anerkennung«65 – und zwar auf der Anerkennung überindividueller Sprachspiele und ihrer Sprecher/ innen. Daran, dass ich zwei Hände habe, kann ich schlecht zweifeln – nicht nur, weil ich sie vor mir sehe, sondern auch deshalb, weil mir das »System, worin es diesen Zweifel geben könnte«66, fehlt. So kann Wittgenstein sagen, er sei »auf dem Boden meiner Überzeugungen angelangt. Und von dieser Grundmauer könnte man beinahe sagen, sie werde vom ganzen Haus getragen.«67 Drastischer noch: »Am Grunde des begründeten Glaubens liegt der unbegründete Glaube«68, den Wittgenstein schlicht »Evidenz«69 nennt. Zum Vorschein kommt an dieser Stelle ein Zusammenhang zwischen dem frühen Tractatus und den späten philosophischen Untersuchungen Wittgensteins. Geht es ersterem um den von Tautologien und Kontradiktionen gestifteten »logischen Raum« dessen, was kontingenterweise der Fall sein kann, so kreisen letztere um jenen alltagssprachlichen Raum unserer Weltbilder und Überzeugungssysteme, 248 | Evidenz und Geltung
die von evidenten grammatischen Sätzen erzeugt werden. Weil der späte Wittgenstein seine Einsicht, dass die Welt nicht die Gesamtheit der Dinge sei, sondern der Tatsachen, d. h. der bestehenden Sachverhalte, die sich in sinnvollen Sätzen äußern, kaum revoziert haben dürfte, ergibt sich folgendes Modell einer Fortsetzung des alethischen Pragmatismus:
FGG G SG GG H FG GG SG GG H FG GG SG GG H
Verifikations- systeme/ Dinge Tatsachen sinnvolle Sätze Weltbilder
Bedingen
Bewähren
Folgen mit Evidenz
Dinge bedingen Tatsachen; diese können andere sinnvolle Sätze bewähren, welche ihrerseits mit Evidenz aus jenem Satzensemble folgen, das Wittgenstein abwechselnd »Bezugssystem«, »System unserer Verifikation«, »System unseres Wissens«, »Weltbild« nennt. Der frühe Wittgenstein hatte Wahrheitsfunktionen noch als »Ausdrücke ihrer Wahrheitsbedingungen«70 verstanden und diese in Wahrheitsmöglichkeiten und Wahrheitsargumente (als die Argumente der Wahrheitsfunktion) unterschieden.71 Insofern diese Wahrheitsmöglichkeiten einen Satz verifizieren, heißen sie Wahrheitsgründe; und zwar als »diejenigen Wahrheitsbedingungen eines Satzes, mit denen er übereinstimmt«72. In ihrer Gesamtheit stiften die mit ihren Wahrheitsbedingungen übereinstimmenden und also begründeten Sätze jenen Spielraum, den diese Sätze den Tatsachen lassen.73 Zum Vorschein kommt darin ein kohärenztheoretisches Moment der Wahrheitsauffassung des frühen Wittgenstein. Die Wahrheit von Sätzen ergibt sich stets aus der Wahrheit anderer Sätze, mit deren Wahrheitsgründen sie übereinstimmen. So folgt die Wahrheit eines jeden der drei Sätze q, p ∨ q, p → q, aus der Wahrheit der beiden anderen, die sie wahr machen.74 Ähnlich, wenngleich auf den Horizont alltagssprachlicher Grammatiken und Sätze bezogen, verhält es sich beim späten Wittgenstein. Aus dem zum Weltbild vereinigten Ensemble von Sätzen lassen sich genau dann wahre Sätze ableiten, wenn sie in ihren Wahrheitsgründen mit den Sätzen, die das Weltbild konstituieren, übereinstimmen. Dass »Automobile nicht aus der Erde wachsen«75 wäre ein solcher Satz, den nur für falsch erachten könnte, wer »das ganze System unserer Verifikation nicht annimmt«: »Unser Wissen Anerkennung in Überzeugungssystemen | 249
bildet ein großes System. Und nur in diesem System hat das Einzelne den Wert, den wir ihm beilegen.«76 Verifizieren hieße demnach: Das Folgenlassen oder erfolgreiche Eintragen von Sätzen in ein Wissenssystem auf dem Hintergrund der Übereinstimmung mit einem bestimmten Weltbild. Wittgenstein selbst hat gezögert, ein solches Wahrheitsverständnis pragmatistisch zu nennen.77 Doch mit dem alethischen Pragmatismus teilt er die Einsicht in den gleichermaßen vor- wie transpropositionalen Gehalt wahrer Sätze. Seine Analyse legt nahe, das Verifikationssystem wahrheitsbeanspruchender Propositionen in den gerade nicht streng propositional verfassten, wiewohl durch alltagssprachliche »Grammatiken« plausibilierten Hintergrundüberzeugungen zu suchen, die besser fast Hintergrundüberredungen heißen könnten. Diese stiften kulturelle Evidenzhorizonte mit offenen und unscharfen Rändern. Damit zeigt die Analyse grammatischer Sätze gleichermaßen Kontinuität wie Diskontinuität der späten Überlegungen zum frühen Tractatus an. Dort ging Wittgenstein von den Grundsätzen der Logik aus, die allesamt dasselbe sagen: nämlich nichts. Nichtssagend aber sind sie, weil ihnen gar keine andere Aufgabe zukommt als das Zeigen – und zwar jenes »logischen Raums«, den Tautologien und Kontradiktionen aufspannen und in welchem sich überhaupt erst alle kontingenten Sätze situieren können. Beim späten Wittgenstein breiten nun gerade die kontingenten und dennoch selbstevidenten Sätze, wie die Mooreschen (oder sollten sie am Ende das moderne Surrogat der metaphyischen synthetischen Sätze a priori sein?), den Horizont der Weltbilder auf, in denen sich unsere Überzeugungen einnisten und aus denen sich ihre Überredungskraft speist.
5. Vérité à faire als Eingriff in die Geschichte In der Phänomenologie der Wahrnehmung (1945) bemerkt MerleauPonty, Philosophie sei nicht »Reflex einer vorgängigen Wahrheit, sondern gleich der Kunst Realisierung von Wahrheit«78. Zwei Aspekte erlauben es, seine Existenzphänomenologie ungewöhnlicherweise in den Traditionszusammenhang eines nicht bloß auf seine angelsächsichen Strömungen reduzierten alethischen Prag250 | Evidenz und Geltung
matismus zu stellen: die Abwehr einer vorgängigen Wahrheit ante rem sowie der sprachpragmatische Zugriff einer Realisierung des Wahren in Verifikationssystemen, die Merleau-Ponty als geschichtlich gewordene Erkenntnisfelder bestimmt.79 Gegen den Begriff des alethischen Pragmatismus sperren sich daher weniger MerleauPontys erkenntnistheoretische als vielmehr seine politischen und geschichtsphilosophischen Motive. Denn weder die radikale Geschichtlichkeit von Überzeugungssystemen noch die Wahrheit als marxistisches Politikum lässt sich aus der bisher rekonstruierten Tradition des alethischen Pragmatismus herauspräparieren. Mit ihr teilt Merleau-Ponty indes die Kritik der Korrespondenztheorie. Ohne sie rundheraus abzulehnen, muss er ihr doch die Zuständigkeit für alles absprechen, was über die reine Wiedergabe – James’ copy – oder Feststellung des Bestehenden hinausgeht. Gerade die Korrespondenztheorie scheint die vorgängigen Wahrheiten in ihrem Bestand zu sichern, ohne ein Kriterium für neu entstehende Wahrheiten geben zu können.80 An deren Möglichkeit aber hat Merleau-Ponty emphatisch festgehalten. Das Kriterium der Adäquation, dessen Gültigkeit seine Wahrheitskonzeption einschränken möchte, geht von einer Relation aus, deren Relata ein Maßverhältnis bilden, das der Ökonomie von Maßgeben (mensurans) und Maßnehmen (mensurata) folgt.81 In einer naiven Übereinstimmungstheorie von Aussagen und Tatsachen wären erstere als das maßnehmende, letztere als das maßgebende Relatum zu bestimmen. Doch könnte eine solche Differenz auf etwas, das neu entsteht und also nach keinem vorhandenen Maßstab bemessen werden kann, sondern diesen allererst entwickelt, gar nicht angewendet werden. Um eben diese werdende Wahrheit – vérité qui se fait – ist es der politischen Philosophie Merleau-Pontys zu tun, die sich die Frage als eine nach der Wahrheit revolutionärer Aktion stellt.82 Für die »Wahrheit, die gemacht wird«, kann weder bloß der Alltag noch der Augenblick noch die Tradition zum Tribunal werden. Denn jeder Abgleich des Neuen mit einer faktischen oder universal geltenden Wahrheit, also den vérités toute faite, würde die vérité qui se fait auf jene gegebenen oder geltenden Normen zurückführen, die die werdende Wahrheit gerade suspendiert. Virulent wird dieses Problem in Merleau-Pontys Werk auf zwei denkbar disparaten Ebenen. Im Bereich der Phänomenologie zeigt Vérité à faire als Eingriff in die Geschichte | 251
sich die Wahrnehmung als eine solche genuine Wahrheit, die stets im Werden ist, weil das Wahrgenommene, die Gestalt, Maß ihrer selbst (mensura sui), selbst also maßgebend und maßnehmend sei.83 Im Bereich der politischen Philosophie kommt das Werden der Wahrheit als ein Problem der revolutionärer Praxis in den Blick. Gegenüber der Klassenwahrheit, die eine Wahrheit toute fait zunächst nur für den Proletarier, nach marxistisch-leninistischer Lehre später auch für alle sein wird, muss eine Geschichtswahrheit bedacht werden, die diese Klassenwahrheit überhaupt erst schrittweise oder mit einem Schlag, d. h. revolutionär, realisiert. Wie aber können, innerhalb des theoretischen Horizonts des Marxismus, angesichts des gesetzlichen Gangs der Geschichte überhaupt Eingriffe in sie gedacht werden? Anders gefragt: Wie lassen sich politische Wahrheiten machen? Merleau-Pontys Frage führt in ein nicht bloß politisches, sondern auch verifikationstheoretisches Extrem des alethischen Pragmatismus. Denn sie macht blutigen Ernst mit der pragmatistischen Forderung der praktischen Relevanz von Wahrheit. Sie ist insofern das positive Komplement einer Wahrheitskonzeption, die bislang nur negativ bestimmt werden konnte: als Einschränkung der Korrespondenztheorie qua Anpassung an gegebene Maße und Einschränkung der Kohärenztheorie qua Stimmigkeit eines Ganzen aller Wahrheiten. Wenn es Merleau-Ponty der Philosophie zur Aufgabe macht, die Wahrheit zu realisieren, so erkennt er in dieser Forderung des Wahr-Machens sogleich eine eigentümliche Dialektik. Hieße Wahr-Machen Verwirklichung, so müsste sie Realisierung eines bereits vorausgesetzten Ziels sein. Verwirklichen ließe sich nur, dessen Ziel vorgegeben ist; von dem man sagen kann, wann und in welchem Fall man es erreicht habe. Dann aber wäre dieses Ziel per definitionem ein vorausgesetztes, es müsste als übergeschichtlich gedacht werden und widerspräche der Preisgabe absoluter Wahrheit. Hieße Wahr-Machen dagegen Herstellen, so dächte man Wahrheit als Produkt und müsste es maßstablos sich selbst anmessen lassen.84 Mit dem Problem kommt eine Dialektik zum Vorschein, die Merleau-Pontys Denken im Ganzen konstelliert und auf sein Prinzip der leeren Mitte verweist. Vereinigt werden in ihm die heterogenen Pole von Phänomenologie, Sprachphilosophie und Revolutionstheorie, indem von einer verborgenen Aufhebung dicho252 | Evidenz und Geltung
tomischer Begriffe ausgegangen wird, die sich wohl am Besten an Merleau-Pontys Sprach- und Ausdruckstheorie verdeutlichen lässt. Anders als dasjenige Derridas geht dieses Sprachdenken noch unbefangen phonozentrisch vor. Sprache bleibt für Merleau-Ponty wesentlich Sprechen als leibgebundene Gebärdenhandlung, die sich einzig dialogisch und interpersonell vollzieht. Als Handlung ist sie zugleich Expression und darin Veräußerung von etwas, das nicht nur und stets schon innerlich war. Merleau-Ponty suspendiert die Dichotomie von Konzept und Ausführung, von Ausdrucksintention und Ausdruckshandlung. Stattdessen sieht Merleau-Ponty, dass in konkreten Sprechakten deren Bedeutung über das, was gesagt werden wollte, stets hinausgeht, so dass das Gesagte dahinter zurückzubleiben scheint. Jeder Ausdruck bleibt unvollständig, sein Sinn nicht restlos auszuschöpfen. In gleichem Maße ereignet sich aber auch das Umgekehrte. Wir machen die Erfahrung, dass sprachliche Ausdrücke niemals vollends unverständlich sind. Anders könnten wir keine isolierten oder verkürzten Äußerungen verstehen, deren Sinn sich scheinbar kontextlos erschließt, indem die Sprache wie von selbst den nötigen Zusammenhang blind zu ergänzen scheint. Ersteres verdankt sich einer stummen Bedeutungsproduktion im Sprechen, letzteres den Funktionen sprachlich-kultureller Sedimentierung. Im Verein sorgen beide sprachlichen Funktionen symbolischer Reflexivität dafür, dass die Bedeutungsintention nicht stets schon der Bedeutungsäußerung vorausliegen muss, sondern sich in ihr ereignet. So wie wir zuweilen im Sprechen selbst das Gefühl gewinnen, mit unserer Äußerung viel mehr getroffen zu haben, als wir ursprünglich sagen wollten, und Sprechen nicht einfach bloß die Exekution einer mental genau geplanten Äußerungsintention ist,85 und so wie Rede und Sprechhandeln niemals nur die Wiedergabe einer vorgängigen Konzeption sind, die gleichwohl nirgends anders als in der konkreten Ausführung zur Ansicht kommt, so konturiert sich für Merleau-Ponty auch der seiner Wahrheitskonzeption eingeschriebene Begriff der Geschichte. In dem Maße nämlich, wie das Verhältnis der Sprechenden ein Verhältnis der Respondenz ist, nämlich ein »Übergreifen des Ich auf den Anderen und des Anderen auf mich«86, in dem Maße soll auch das Eingreifen in Geschichte ein Bewähren ihres Fortgangs Vérité à faire als Eingriff in die Geschichte | 253
durch das wechselseitige Übergreifen von handelndem Subjekt und gewordenen Verhältnissen sein. Auch hier wird an der interpersonalen Situation des Gesprächs mit dem Anderen die übergreifende Logik der determinierten Leere deutlich. In der Konversation bleiben wir niemals nur wir selbst, weil sowohl der Andere Ungesagtes mir, wie umgekehrt: wir dem Anderen Ungesagtes entlocken: »Ich bin nicht nur aktiv, wenn ich spreche, sondern ich eile meiner Rede im Zuhören des Anderen voraus; ich bin nicht passiv, wenn ich zuhöre, sondern ich spreche gemäß dem […], was der Andere sagt.«87 Auch die kollektiv hervorgebrachte Geschichte, als Geschichte menschlicher Anerkennungs- und Nichtanerkennungsverhältnisse, will Merleau-Ponty als fortschreitende Sammlung solcher, freilich wesentlich antagonistischer Respondenzen denken. Erst jetzt wird die Parallele zwischen Sprach- und Geschichtsphilosophie ganz offenbar: »Wahr wäre also ein Reden und Handeln, das die Dinge sagen lässt, was sie selber sagen wollen und allein nicht sagen können.«88 Geschichtsphilosophisch gewendet: Der Zustand der Klassenlosigkeit, der sich – entgegen der Marxschen Prognose – nach den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offenbar nicht eigengesetzlich herstellt, muss durch Eingriffe herbeigeführt werden. Und so wie das Kriterium der Wahrheit des Sagens und Handelns nicht, korrespondenztheoretisch, die Richtigkeit, sondern die »Triftigkeit«89 wäre, so müsste das geschichtsphilosophische Wahrmachen ein Tun der Wahrheit sein (oder eben eine revolutionäre Aktion), welches jenes Wahre träfe und herbeiführte, das »von sich aus aber ohnmächtig ist, eine solche herbeizuführen.«90 Das geschichtliche Tun der Wahrheit müsste einen Zwischenweg beschreiten zwischen der letztgültigen Allzeitigkeit der Wahrheit (die zugleich die postulierte, geschichtliche Gesetzmäßigkeiten reflektierende Wahrheit der kommunistischen Partei wäre) und ihrer kontingenten Unzeitigkeit, die sich als Jetztzeit offenbaren muss. Denn was geschieht, kann nach Merleau-Ponty weder bloße Ausführung einer vorgeschichtlich bestimmten Wahrheit noch aber reine Kontingenz sein. Vielmehr erweist sich das geschichtliche Wahrmachen als Vorgriff auf etwas, das sich im Nachhinein bewährt. Entsprechend kann Merleau-Ponty von einer »retrograden Bewegung des Wahren« (mouvement rétrograde du vrai) reden.91 Es ist, als wollte er der kommunistischen Orthodoxie und ihrer Fest254 | Evidenz und Geltung
legung des Ziels der Geschichte entgegenhalten: Ob und wann wir am Ziel sind, können wir erst dann wissen, wenn wir es erreicht haben. Anders wäre es die vermeintliche Ausführung einer vorausgehenden Konzeption und nicht die Konzeption selbst, die sich erst in der geschichtlichen Ausführung überhaupt zu erkennen geben kann. Damit wird auch die vorausgesetzte Verbindung von Sprechen und Handeln deutlicher. Beide erzeugen, über die Mitte der »bestimmenden Leere«, ein Neues, das weder schon von seinem Anfang noch auch bereits von seinem Ende her bestimmt wäre. Wo aber entfaltet sich dann die vérité à faire? Merleau-Pontys Antwort schärft sich in Auseinandersetzung mit Sartres Kritik der kommunistischen Orthodoxie. Seine Argumentation arbeitet sich an einer, Merleau-Pontys Deutung nach, ahistorischen Zuspitzung der Sartreschen Handlungskonzeption ab: »Die Frage ist die, ob es, wie Sartre sagt, nur Menschen und Dinge gibt oder auch diese Zwischenwelt (intermonde), die wir Geschichte, Symbolik (symbolisme) und herzustellende Wahrheit (vérité à faire) nennen.«92 Was hier geschichtsphilosophisch intermode heißt, entspricht der sprachphilosophischen vide déterminé unserer Ausdrucksakte. Beide leeren Mitten erzeugen überhaupt erst Bedeutung zwischen Dingen und Menschen oder Menschen und Menschen. Zugleich aber bestimmen sie, als Zwischenwelt, auch unser geschichtliches Handeln, das stets anders ausfallen muss (und zum Glück ausfällt) als von der Parteiorthodoxie vorhergesagt. So erscheint die Geschichte, contre Hegel und Sartre, als eine retrograde Geschichte der Wahrheit im Sinne eines Resultats permanent eingreifenden Wahrmachens in sie. Solche Eingriffe nennt Merleau-Ponty Einrichtungen: institutions. Sie rufen etwas aus der Leere der Zwischenwelt auf, das von Haus aus ohnmächtig wäre, sich selbst »herbeizuführen«. Geschichtliche Eingriffe sind Vorgriff auf etwas, das sich erst im Nachhinein als bewährt zeigen kann. Das berührt einen letzten, auf Foucault vorausweisenden Aspekt der Wahrheitskonzeption Merleau-Pontys. Denn er betont, Wahrheit realisiere sich einerseits in Institutionen, andererseits in jenen Erkenntnisfeldern, die der alethische Pragmatismus als Überzeugungssysteme oder Evidenzhorizonte bestimmt hatte. Wahrheit, sagt Merleau-Ponty seinen Hörern am Collège de France, »gibt es Vérité à faire als Eingriff in die Geschichte | 255
[…] im Sinne eines den verschiedenen Erkenntnisbemühungen gemeinsamen Feldes.«93 Diese »Felder« – eine offenkundig der semiologischen Ethnologie entlehnte Metapher – sind Diskursuniversen, die sich durch interpersonale Verhältnisse, durch das Tun und Sagen der Anderen auszeichnen. Ihre Wahrheit ist »eine Wahrheit, die aus Durchsichtigkeit, Überschneidung und Wiederaufnahme besteht und an der wir nicht partizipieren, sofern wir dieselbe Sache denken, sondern sofern wir, jeder auf seine Weise, von ihr betroffen und berührt sind.«94 Auch diese Betroffenheit kann nicht als Korrespondenz, Richtigkeit oder Kohärenz verstanden werden, sondern nur als Triftigkeit, als Treffen des Anderen in der Antwort auf seine Ansprüche, kurz: als Respondenz. Weniger noch als Kohärenz oder Konsens kann Respondenz niemals restlos aufgehen, an ihr Ziel kommen. Denn stets treffen und verfehlen wir uns in diesem Einanderantworten, weshalb die Grammatik oder, wie Merleau-Ponty auch sagt, »Poesie des menschlichen Verkehrs«95, nie zur Deckung oder zum Konsens kommen kann. Seine interpersonale Bewährungskonzeption der Wahrheit ist deshalb alles andere als eine Konsensustheorie: »Unser Verhältnis zur Wahrheit führt über die Mitmenschen. Entweder wir gehen den Weg der Wahrheit mit ihnen, – oder dann ist es nicht der Weg, der zur Wahrheit führt. Doch liegt der Höhepunkt der Schwierigkeit darin, dass, wenn das Wahre kein Idol ist, die Anderen auch keine Götter sind. Eine Wahrheit ohne sie gibt es nicht. Andererseits ist die Solidarität mit ihnen nicht zureichend, um die Wahrheit zu erlangen.«96 Entsprechend kann es auch kein abschließbares Ganzes der Wahrheit oder der Geschichte geben, sondern allenfalls einen »Polymorphismus des wilden Seins«97, welcher durch keinen Ausdruck, keine aktuale, gemachte Wahrheit restlos ausgeschöpft werden könnte. Stets richtet sich in ihr die symbolische Zwischenwelt einer bestimmenden Leere wieder auf.
6. Verifikation: Diskursregulierung als Eindringen ins Wahre Die Idee einer Wahrheit, die sich auf Feldern gemeinsamer Erkenntnisunternehmen realisiert, hat Foucault noch genauer bestimmt als Merleau-Ponty. Jedem geschichtsphilosophischen Anspruch ab256 | Evidenz und Geltung
schwörend, geht es ihm um eine die klassischen Geschichtskonzeptionen kritisierende Genealogie; auch um eine Genealogie der Wahrheit, des Willens zu ihr, nicht zuletzt: des Willens zu ihrer Realisierung. Von Nietzsche kommend musste Foucault das Wahrheitsproblem primär als Diskursregulierungstrategie in den Blick geraten. Der Wille zur Wahrheit ist, genau genommen, das raffinierteste aller Diskursregulative. Denn was ließe sich ernsthaft einwenden gegen die evidente Forderung, nur das Wahre solle in den Diskurs aufgenommen, das Falsche jedoch ausgeschlossen werden? Wahr-Machen hieße dann zunächst: Exklusion des Falschen, des Irrtums und der Lüge aus dem wissenschaftlichen Diskurs. Spätestens seit Foucault und dank ihm kann man die Naivität einer solchen wissenschaftstheoretischen Forderung nicht mehr rührend finden. Foucault adressiert das Wahrheitsproblem zweifach: zum einen an das Feld des propositionalen, zum anderen an das des prozeduralen Wissens. In seiner Untersuchung der Aussagefunktion, die entsprechenden analytischen Arbeiten in nichts nachsteht, hatte Foucault in der Archéologie du savoir (1969) eine Theorie des énoncé erarbeitet, welche – ähnlich Peirce – die Aussagefunktion nicht auf die sprachlich-lokutionäre Form der Aussage reduziert, sondern auch para-sprachliche, gleichwohl symbolische, illokutionäre Formen des Behauptens gelten lässt. Aussageformen müssen nicht notwendig identisch sein mit dem logischen Element »Proposition«, dem grammatischen Element »Satz« oder dem pragmatischen Element »Sprechakt«. Auf dieser Folie kann Foucault – durchaus noch traditionell – die Proposition als die wohl nicht einzige und allgemeine, aber normale Form der Aussage, als die kleinste, elementare Einheit von Wissen bestimmen. Populationen von Aussagen wären dann »Theorien« und die offene Gesamtheit von Aussagen zu einem bestimmten Gegenstandsbereich konkurrierender Theorien »Diskurs« zu nennen. Allerdings schlummert das Problem, auf das Foucault stößt, schon in der Konstitution dieser in der Regel wie selbstverständlich vorausgesetzten Gegenstandsbereiche. Doch sind Gegenstandsbereiche etwa immer schon da, so dass Aussagen nur kraft ihres Gegenstandsbereichs diesem angehören können? Oder ist es vielmehr umgekehrt: Aussagen konstituieren allererst jenen GegenstandsDiskursregulierung als Eindringen ins Wahre | 257
bereich, dem sie dann zuzuordnen sind, nicht dieser jene? Dann jedoch ließe sich fragen, wie diese immer schon Aussagen zu diesem Gegenstandsbereich gewesen sein sollen. Die Aporie lässt sehen, dass die Bestimmung propositionalen Wissens offenbar nicht, wie in der klassischen Wissenschaftsphilosophie, abgelöst vom prozeduralen Wissen geleistet werden kann. In Diskurse gehen sowohl logisch-propositionale als auch nichtlogische Elemente bzw. Argumentationsformen ein; und die Produktion des Diskurses ist mitverantwortlich dafür, welches Wissen produziert wird; aber auch dafür, warum es als Wissen gelten darf. Elementar sind Aussagen also weder in einem sachlichen noch chronologischen, sondern in einem pragmatischen Sinn: als Aufteilung des Wissens in übersichtliche Bereiche. Das propositionale Wissen ist per definitionem ausschließend, weil es stets als Negation der kontradiktorischen Proposition auftritt: p exkludiert ¬p. Unter »Diskurs« muss daher zunächst jedes theoretische System der Wissensorganisation verstanden werden, das Wissen ermöglicht und dabei anderes ausschließt. Genau darin besteht nach Foucault die Aufgabe der Regulierungsprozeduren: Wissen hervorzubringen, um freilich zugleich jene Kräfte und »Gefahren« des Diskurses zu bändigen, die Foucault aufgrund der vorgeblichen Unentschiedenheit seiner Beobachterperspektive als Genealoge eher beschwört denn beschreibt.98 Der weitere Gang seiner Analyse innerer und äußerer Prozeduren lässt sehen, dass Foucault die Trias von äußeren Kontrollprozeduren – Verbot, Grenzziehung/Zurückweisung, Wahr/FalschDichotomie – in der Chronologie nicht ihres Auftretens, sondern ihrer Verfeinerung behandelt: das Verbot als offensichtlichste, den Wahr/Falsch-Fetisch als subtilste Diskursregulierungsstrategie. Dazwischen liegen Ausschließung, Grenzziehung, Zurückweisung (partage/rejet). Ihnen eignet die Funktion von Trennung oder Entgegensetzung wie etwa die von Vernunft und Wahnsinn oder Wahr und Falsch. Ihr Problem scheint, dass sie, psychoanalytisch gesprochen, den Automatismen der Verdrängung unterliegen. Daher kann das Verdrängte an anderer Stelle mit umso größerer Macht wiederkehren. Entsprechend interessiert Foucault, an welcher Stelle das stumm Ausgeschlossene erneut seine Stimme erhebt, wo es seine Ohnmacht überwindet. So konnte etwa, wie Foucault unter Verweis auf sein erstes Hauptwerk erinnert, der Wahnsinn in der Rolle der 258 | Evidenz und Geltung
maskierten Wahrheit geduldet, die Wahrheit im Gewand des Wahnsinns gekleidet, als List der Vernunft bewahrt bleiben. Dass wir dem vormals Ausgeschlossenen heute größere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, heißt freilich nicht, dass die Grenze nicht mehr bestünde. Im Gegenteil, sie wird umso fester gezogen. Zu den hermeneutischen Prinzipien der Diskursanalyse gehört, nicht das Fehlen, sondern die Fülle des Materials und die ihm gewidmete Aufmerksamkeit für verdächtig zu halten. Gerade Materialfülle wird zum Index für das Raffinement der Diskursverknappung. Sie belegt, wie engmaschig das Netz der Institutionen geworden ist, wie wenig ihnen entgeht. In diesem Sinne kann die Wahr-Falsch-Dichotomie als subtilstes Ausschlussregulativ gelten. Der Ausschluss des Unwahren scheint evidenterweise den Fortschritt im Wissen zu implizieren. Foucault erinnert daran, dass eine solche Auffassung ihre Rechnung ohne die Geschichtlichkeit der Wahrheit und des Willens zu ihr macht. Mag schon auf der synchronen Ebene von Propositionen innerhalb eines Diskurses die Wahr/ Falsch-Grenzziehung problematisch sein, so gilt dies a fortiori auf der diachronen Ebene eines Willens zur Wahrheit, der seit der Antike die europäischen Diskurse durchdringt. Foucault bemüht ein philosophiehistorisches Beispiel, das ihn bis in die letzte Vorlesung am Collège de France umtreiben wird: die Etablierung der parrhêsia im Griechenland der Achsenzeit. An der Geschichte des Wahr-Sprechens, der verediction, sucht Foucault den Wandel aufzuzeigen von der Wahrheitsautorität über die wahre Rechtsprechung zur Privilegierung von Aussagenwahrheit: »eines Tages hatte sich die Wahrheit vom ritualisierten, wirksamen und gerechten Akt der Aussage weg und zur Aussage selbst verschoben: zu ihrem Sinn, ihrer Form, ihrem Gegenstand, ihrem referentiellen Bezug.«99 Was Cassirer in einem Aufsatz von 1929 als Verschiebung vom hierarchisch-metaphysischen über den rationalistischen zum positivistischen Wahrheitsbegriff geschichtlich untersucht hat,100 fasst Foucault unter das Nietzschesche Stichwort eines geschichtlich sich wandelnden Willens zur Wahrheit, der das jeweilige Ziel des Willens zum Wissen bestimmt. Mit entscheidenden Verschiebungen in der Neuzeit: Nicht mehr ist das Wissen das Kriterium der Wahrheit, vielmehr wird die Wahrheit, als Wille zu ihr, bestimmender Maßstab der Gewinnung von Wissen – was sich für Foucault an dem Diskursregulierung als Eindringen ins Wahre | 259
Druck offenbart, den der Wille zur Wahrheit auch auf jene Diskurse ausübt, denen er eigentlich äußerlich ist. Wahrheit wirft sich zur allgemeinen Autorität aller Wissenssysteme auf. Insofern geht es Foucault nicht eigentlich um eine Wahrheitsexplikation, sondern um die institutionellen Bedeutungskategorien des Wahrheitsdiskurses. Der Wille zur Wahrheit wäre demnach ein Institutionalisierungswissen. Er bedient sich zu seiner Durchsetzung institutioneller Basen. Der Wille zur Wahrheit ist sowohl Produzent als auch Produkt dieser Institutionen, die früher das System der Bücher, Bibliotheken, Gesellschaften, Laboratorien waren. Foucaults abschließende Gedankenfigur in diesem Zusammenhang ist wieder nietzscheanisch: Der Wille zur Wahrheit verschleiert sich, verdeckt sich vor sich selbst als große Ausschließungsmaschinerie (prodigieuse machinerie destinée à exclure).101 Sie ist der sich selbst verbergende Schein, der vergessen lässt, dass er auf einer abgründigen metaphysischen Moralopposition und Konstruktion von Wertgegensätzen beruht. Wollte man Merleau-Ponty und Foucault in die Tradition des alethischen Pragmatismus aufnehmen, so ergänzte man seine Perspektive um den kritischen Blick auf die historische Semantik des Wahrheitsbegriffs. Dessen diachrone Problematik besteht darin, dass wir zeitgenössisch das Unwahre nicht immer synchron als solches zu erkennen vermögen. Philosophisch liegt unsere eigene Gegenwart im toten Winkel. Sie gleicht einem blinden Fleck, den wir nur ex post selbst in den Blick bekommen. Entsprechend untersucht auch Foucault die Realisierung des Wahren am historischen Beispiel der Organisation des medizinischen, biologischen oder botanischen disziplinären Diskurses im 18. und 19. Jahrhundert. Bekanntlich bedurften Theorien, wie die der Photosynthese, erheblicher Anstrengungen, um sich durchzusetzen. Ihnen blieb der Eingang in die Wissenskanones zunächst versperrt, weil sie dem herrschenden disziplinären Evidenzhorizont nicht einzupassen waren: »Ein Satz muß komplexen und schwierigen Erfordernissen (exigences) entsprechen, um der Gesamtheit einer Disziplin angehören zu können. Bevor er als wahr oder falsch bezeichnet werden kann, muß er, wie Georges Canguilhem sagen würde, ›im Wahren‹ sein (dans le vrai).«102 Innerhalb der Erkenntnisfelder sind gleichwohl disziplinäre Irrtümer möglich. Nur müssen sie nicht sogleich aus dem Wahren 260 | Evidenz und Geltung
fallen. Im Sinne des alethischen Realismus wäre deshalb zu unterscheiden zwischen dem Fürwahrhalten von Sätzen innerhalb der gegebenen alethischen Evidenzhorizonte – Canguilhems »Im-Wahren-Sein« – und einem Wahrsein, das nicht schon durch disziplinäre und kulturelle Regeln bestimmt ist. Fraglich jedoch bleibt, wie sich ein solches vorkulturelles Wahrsein selbst bestimmen lassen sollte. Gegen die Intention des alethischen Realismus könnte man mit Peirce die Unabhängigkeit von Wahrsein und Fürwahrhalten vielleicht eher als regulative Idee begreifen, die uns die Geschichtlichkeit des Wahren vor Augen führt. Als Wissenschaftsgenealoge zeigt Foucault, dass es nicht schon ausreicht, auf der Seite des Wahren zu stehen, sondern notwendig ist, auch ins jeweils »Wahre« des disziplinären Fachdiskurses einzudringen. Bewähren, Wahrmachen, Verifizieren hieße dann die Einführung neuer Propositionen aus einem gefährlichen Außen – Merleau-Pontys intermonde – in das Zentrum des Diskurses: sei es durch erfolgreiche Theorie- und Argumentationsarbeit, sei es durch erfolgreiches Passieren der Diskurspolizei. In gewisser Weise lässt sich Foucaults Konzeption als Kohärenztheorie verstehen. Die Aussagen, die sich im Diskurs bewähren müssen, werden mit den bestehenden Aussagen in ihm abgeglichen. Sind sie mit ihm inkompatibel, werden sie zurückgewiesen. Oder aber sie begründen einen eigenen Diskurs, deren Diskursregeln und Grundüberzeugungen nun durch die im Herkunftsdiskurs abgewiesenen Aussagen selbst konstituiert werden. Alles Licht fällt auf die Diskurserfordernisse, während der Abgleich mit außersprachlicher Wirklichkeit nicht mehr eigens in den Blick kommen muss. Daraus ergibt sich folgende Verwandlung des alethisch-pragmatischen Modells:
Entsprechung remplir
»dans le vrai« »das Wahre«
FG GG SG GG H
FGG GS GGG H
X énoncé exigences Proposition du discours
Angehören appartenir
Nach dieser Ordnung der Begriffsverhältnisse kann es außerdisziplinäre bzw. außerdisziplinäre, aber irrelevante Wahrheiten und disziplinäre Irrtümer geben – und Wahrheiten, die gleichsam dazwischen liegen. Vorgeschrieben werden die Wahrheitskriterien Diskursregulierung als Eindringen ins Wahre | 261
eines bestimmten Gegenstandsbereichs von den Disziplinen, weshalb sich entweder die Wahrheitskriterien ändern müssen, damit neue Gegenstände und neue Methoden in den Diskurs einfinden. Oder es spalten sich Subdisziplinen ab, die einen neuen Gegenstandsbereich mit den ihm gemäßen Methoden etablieren. Foucault bleibt insoweit alethischer Realist, als er nicht leugnen will, dass Wahrheit auch in diesem »wilden Außen« stattfinden kann. Doch er ist alethischer Pragmatist darin zu sagen, dass diese Wahrheit erst wirksam wird, sobald sie sich den Regeln des Diskurses unterwirft, in den sie eintritt: »Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen (dans l’espace d’une extériorité sauvage) die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven Polizei gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muss.«103 Das Einheitsmoment der Disziplinen zeigt sich in der Stiftung solcher Wahrheitshorizonte. Anders jedoch als die Einheit des Kommentars, die von der Einheit des Textes ebenso zehrt wie von der des Autors, dessen personale Identität wiederum für die Einheit des Textes zu verbürgen scheint, wird innerhalb der Disziplinen Einheit gestiftet durch die permanente Reaktualisierung der Regeln der Diskursproduktion durch die Disziplinen selbst.
7. Alethischer Realismus vs. alethischer Pragmatismus Epistemische Wahrheitsauffassungen knüpfen das Wahrsein an propositionales Fürwahrhalten. Nichtepistemische Konzeptionen lockern dieses Band, um die Möglichkeit einer Unabhängigkeit von Wahrheit und Fürwahrhalten offen zu lassen. Mit guten Gründen vertreten alethische Realisten letztere Auffassung. Der alethische Realismus, dessen Begriff William P. Alston geprägt hat,104 folgt einer Überlegung Freges, derzufolge es keinen Widerspruch darstellt, dass etwas wahr sein kann selbst dann, wenn es von allen für falsch gehalten wird.105 Daher dürfen sich Wahrheitskriterien nicht auf allgemeine Zustimmungsfähigkeit oder rationale Akzeptierbarkeit beschränken. In der Tat ist nicht zu leugnen, dass es für den hinter einer bestimmten Frage stehenden Sachverhalt (etwa der, wie viel Niederschlag im Jahre 44 v. Chr. auf das Stadtgebiet Roms gefallen 262 | Evidenz und Geltung
sei) einen Wahrmacher – also ein reales Ereignis – gibt, der unabhängig von unseren Auffassungen, Schätzungen und (zuletzt wohl unmöglichen) Rekonstruktionen dieses Sachverhalts besteht. Dass er besteht, ist wahrscheinlich, da ein vollkommen niederschlagsfreies Jahr 44 auch in Latium schwer vorstellbar ist. Worin aber der bestehende Sachverhalt besteht (also die ungefähre Niederschlagsmenge), bliebe selbst unter den idealen Diskursvoraussetzungen, die Konsensustheorien einfordern, jenseits und unabhängig aller Vorschläge, auf die eine virtuell unendliche Argumentationsgemeinschaft sich einigen könnte. Auf die hinter der Frage nach dem Bestehen des Sachverhalts liegende wahre Antwort können wir uns nicht einfach einigen. Ihre Wahrheit ist nicht verhandelbar; sie besteht – unabhängig von unserem Fürwahrhalten. Blickt man auf die Theoriegeschichte ihrer Tradition, so bleiben alethischen Pragmatismen zwei Möglichkeiten. Entweder sie erklären mit William James jene auffassungsunabhängigen Wahrheiten zu Wahrheiten ante rem und damit für praktisch irrelevant. Folgerichtig müssten sie dann ins Lager der epistemischen Wahrheitsauffassungen wechseln. Oder aber sie anerkennen die plausible Grundintuition einer möglichen Unabhängigkeit von Wahrsein und Fürwahrhalten, um diese mit der pragmatischen Auffassung zu versöhnen. Man würde dann zu zeigen haben, dass der alethische Pragmatismus das stärkste Argument des alethischen Realismus aufzunehmen weiß, ohne dessen Reduktionismus zu verfallen. Um letzteres soll es den folgenden Überlegungen gehen, welche zunächst eine systematische Achillesverse des alethischen Realismus freizulegen suchen. Alston charakterisiert die Auffassung des alethischen Realismus wie folgt: »What it takes to make a statement true on the realist conception is the actual obtaining of what is claimed to obtain in making that statement. If what is stated is that grass is green then it is grass’s being green that is both necessary and sufficient for the truth of the statement. Nothing else is relevant to its truth value. This is a realist way of thinking of truth in that the truth maker is something that is objective vis-à-vis the truth bearer. It has to do with what the truth bearer is about, rather than with some ›internal‹ or ›intrinsic‹ feature of the truth bearer, such as its epistemic status, its place in a system of propositions, or the confidence with which it is held. This Alethischer Realismus vs. alethischer Pragmatismus | 263
is a fundamental sense in which truth has to do with the relation of a potential truth bearer to a Reality beyond itself.«106 Alethische Realisten erkennen den Wahrmachern (truth maker), kraft derer die als Wahrheitsträger (truth bearer) fungierenden Aussagen (statements) bewahrheitet werden können, eine – was immer das meint – objektive Realität jenseits des vom Wahrheitsträger Bezeichneten zu. Ein robuster alethischer Realismus muss folglich davon ausgehen, dass jene Fakten, die eine »gegebene Aussage als wahr oder falsch erweisen, […] bestehen (obtain) und sind, was sie sind, unabhängig von unseren kognitiven Leistungen.«107 Damit scheint der point de départ zwischen alethischem Realismus und alethischem Pragmatismus genau bestimmbar. Mag nämlich noch überzeugend sein, Wahrheit nicht von den »intrinsischen Zügen« der Wahrheitsträger abhängig zu machen, so ist doch ihre rückhaltlose Entkoppelung von dem »System von Propositionen« (Wittgensteins Weltbildern) in zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen droht der realistische Ansatz seinen Wahrheitsbegriff auf ein Wahrmachen durch Abgleich mit propositional repräsentierbaren Erfahrungsgegenständen zu reduzieren. Dann aber könnte er wenig mehr tun, als deren Bestehen zu konstatieren und müsste unbeabsichtigt einer Redundanztheorie das Wort reden. Bezeichnend darum, dass Alstons Beispiele kaum je über den Status jener trivialen Sätze der semantischen Wahrheitskonzeption Tarskis hinausreichen: »Eine Aussage ist wahr, wenn sie einen existierenden Sachverhalt bezeichnet.«108 (1) »Die Aussage ›Schnee ist weiß‹ ist wahr genau dann, wenn Schnee weiß ist.« (2) »Wenn ausgesagt wird, dass Gras grün ist, dann ist es das Grünsein des Grases, welches sowohl notwendig als auch hinreichend ist für die Wahrheit der Aussage.«109
Damit zusammen hängt ein zweites Problem. Der alethische Realismus bekommt, grob vereinfacht, das Problem der Geltung nicht in den Griff. Der einäugige Blick auf das Wahrmachen von Aussagen durch extrasprachliche, »objektive« Realität droht Alstons alethischen Realismus auf seinem kohärenztheoretischen Auge erblinden zu lassen. So sinnvoll es ist, das Wahrheitsverständnis nicht epistemisch einzuschränken (d. h. Wahrmacher als propositionale Wahr264 | Evidenz und Geltung
heitsträger zu privilegieren), so wenig sind epistemisch beschränkte Wahrmacher einfach auszuschließen. Mit Grund grenzt daher Wolfgang Künne in seiner Charakterisierung des alethischen Realismus die Geltung nicht-epistemischer Wahrmacher bereits ein: »Some true propositions which human beings are able to comprehend can never be contents of any justified human beliefs. Truth, alethic realists contend, outruns rational acceptability; it is not epistemically constrained. […] Alethic realism, thus understood, calls attention to a kind of inevitable ignorance on our part, but it is not committed to allowing the possibility of undetectable error […].«110 Dass wir alle im Blick auf eine bestimmte Proposition irren können, von der wir der wohlbegründeten, gleichwohl irrigen Auffassung sind, dass sie wahr ist und sie fälschlich annehmen, heißt nicht, dass dieser Irrtum prinzipiell unentdeckt und damit unkorrigierbar bliebe. Bleibt die Frage, ob ein solcher moderater alethischer Realismus pragmatisch verwandelt werden kann, um dem verifikatorischen Element der Geltung Rechnung tragen zu können. Soziale und kulturelle Tatsachen sind Geltungsphänomene; sie existieren, weil wir glauben, dass es sie gibt. Geltung ist, mit Popper gesprochen, die Existenzform nicht der Gegenstände von Welt 1, sondern der Gegenstände von Welt 2 und 3: der Einstellungen, Handlungen, Gegenstände des Denkens. Zieht man das aus der pragmatistischen Tradition gewonnene, im folgenden Kapitel genauer zu erläuternde Modell sprachpragmatischer Wahrheitsexplikation zu Rate, so lässt sich zeigen, wie der alethische Pragmatismus die Beweislast der Wahrmacher, je nachdem, sowohl auf extrasprachliche Realität als auch auf intrasprachliche Geltung verteilen kann. Als wahr oder bewährt dürfen dann solche assertorischen Aussagen gelten, die den Tatsachen entsprechen (2. Entsprechungsstufe), welche wiederum Repräsentationen realer Ereignisse oder Erfahrungsgegenstände sein können (1. Entsprechungsstufe); oder aber solche Aussagen, die anderen geltenden Aussagen unserer sprachlichen Verifikationssysteme und Evidenzhorizonte entsprechen (3. Entsprechungsstufe): Tatsachen
Aussagen Evidenzhorizonte
FG GG SG GG H FG GS GG H F GG GS GGG H
Erfahrungsgegenstände
1. Entsprechung (= Objektivierung)
2. Entsprechung (= Mitteilung)
3. Entsprechung (= Geltung)
Alethischer Realismus vs. alethischer Pragmatismus | 265
Während sich die systematische Deutungskraft des alethischen Realismus allein auf den ersten Bereich von Aussagen erstreckt, den der Objektivität, kann der alethische Pragmatismus auch für Aussagen über Geltungs- oder Bedeutungsphänomene fruchtbar gemacht werden. Wahrmacher wären dann nicht allein Begebenheiten einer objektiven Realität – von der alethische Realisten wie Alston leider offen lassen, ob sie darunter auch eine primär von Menschen gemachte Wirklichkeit verstehen wollen –, sondern auch bewährte, d. h. geltende Aussagen unserer jeweiligen Evidenzhorizonte. Während der alethische Realismus nur die erste und zweite Entsprechungsrelation der Wahrheit berücksichtigt, macht der alethische Pragmatismus auf die ebenso wahrheitstheoretische wie -praktische Bedeutung der dritten Entsprechungsrelation aufmerksam. Denn erst hier zeigt sich, inwiefern auch Geltungskontexte und Evidenzhorizonte als Wahrmacher auftreten können. Schon Peirce’s und James’ alethischer Pragmatismus enthielt jenen alethischen Realismus, der später als ihr Kritiker auftrat. Alethische Pragmatisten haben deshalb kein Problem mit dem Bekenntnis zu der Idee, dass wahr (und real) auch das sein kann, wonach wir noch nie gefragt haben. Nur verzichtet der alethische Pragmatismus auf einen unbefangenen, statischen Wirklichkeitsbegriff. Sein Wirklichkeitsverständnis schließt die dynamische Welt unserer Handlungen und die kontingente Welt der Geltung veränderbarer kultureller Tatsachen mit ein: »Die Wahrheit, welche durch die der Wirklichkeit entsprechenden Erfahrung verkörpert wird, kann eine positive Ergänzung der früheren Wirklichkeit sein, so daß spätere Urteile ihr zu entsprechen haben mögen. Dennoch aber könnte sie, zumindest potentiell bereits vorher wahr gewesen sein. In pragmatischer Hinsicht bedeuten potentielle und wirkliche Wahrheit ein und dasselbe: die Möglichkeit nämlich nur einer Antwort, wenn die Frage danach erst einmal gestellt ist.«111 Schon der frühe alethische Pragmatismus legte ein durchaus differenzierteres Verständnis von Faktizität an den Tag als der gegenwärtige alethische Realismus. Für Alston reflektiert unsere Sprache noch eine mehr oder weniger »aristotelische« Ontologie der facta bruta. Real ist die erfahrbare Wirklichkeit von Welt 1. Deshalb gilt ihm Faktizität für beobachterunabhängig: »Either it is a fact that the milk is sour or it isn’t.«112 Insbesondere für Beobachtungs- oder 266 | Evidenz und Geltung
Geschmacksurteile wie das angeführte ist die alethisch-realistische Auffassung jedoch mehr als problematisch, zumal wir seit Platons Theaitetos der Differenz zwischen allgemeinem Wissen und individueller Wahrnehmung eingedenk sind. Ein eher naiver alethischer Realismus à la Alston muss folglich auch das (mit dem alethischen Pragmatismus französischer Provenienz durchaus vereinbare) Verständnis von Faktizität Hilary Putnams zurückweisen. »Nach meinem Verständnis«, sagt Putnam, »sind Gegenstände in dem Sinne theorieabhängig, dass Theorien mit inkompatiblen Ontologien dennoch beide richtig sein können.«113 »Was wir nicht sagen können […] ist, was Fakten unabhängig von begrifflichen Voreinstellungen nun eigentlich sind.«114
8. Die bestimmte Unbestimmtheit der Evidenzhorizonte und die Aufgaben eines alethischen Pragmatismus Was Putnam als Ontologien oder begriffliche Voreinstellungen bezeichnet, speist sich aus unseren Verifikationssystemen und alethischen Evidenzhorizonten. Leider ist der Begriff des Evidenzhorizonts vager, als es eine verantwortungsvolle philosophische Terminologie erlaubt. Unkontrovers dürfte aber sein, dass, ausgehend von der Einsicht des alethischen Pragmatismus in die Geschichtlichkeit, Sozialität und Interpersonalität von Wahrheitsprozessen, Geltungskontexte, Verifikationssysteme und Evidenzhorizonte nicht als facta bruta begriffen werden können. Verständlich werden sie nur als eine Gestalt kultureller Faktizität; ähnlich der Bestimmung, die man in Searles Modell der sozialen Tatsachen: »X counts as Y in context C«115 dem Kontext C zuerkennen müsste. Mit Wittgenstein lassen sich Evidenzhorizonte auch als engmaschiges, gleichwohl durchlässiges und an seinen Rändern offenes Netz grammatischer Sätze begreifen, die wir überwiegend nicht eigenen Erfahrungen, sondern dem Wissen und der Vermittlung anderer verdanken. Geltungskontexte sind in diesem überindividuellen Sinne gemacht. Weder können sie von Einzelnen hervorgebracht werden noch sind sie naturwüchsige Phänomene der Welt 1 physikalischer Gegenstände. Nicht zu vernachlässigen ist angesichts der bestimmten Unbestimmtheit alethischer Evidenzhorizonte der negative Charakter der sie bestimDie bestimmte Unbestimmtheit der Evidenzhorizonte | 267
menden Sätze. Zu ihren Koordinaten gehören auch triviale, aber grundlegende Einsichten indirekter Art. Zu vermuten steht, im Sinne des Negativismus Theunissens und Rentschs, dass diese Koordinaten primär per negationem zu ziehen sind: durch ein offenes, virtuell unabgeschlossenes Ensemble negativer Bestimmungen, die das Feld eingrenzen: »Ich kann nicht die Zugfahrt von gestern noch einmal erleben«; »Ich kann mich nicht als leib- und geistlos vorstellen«, »Ich werde meinen eigenen Tod nicht verhindern können« usw. Diese kursorische theoriehistorische Rekonstruktion des alethischen Pragmatismus sollte helfen, den möglichen Sinn verifikatorischer Elemente zu klären. Sie ergibt selbst freilich noch keine definitive Bestimmung, was Bewähren, Wahr-Machen, Verifikation heißen mag. Vielleicht aber zeigt ihr selektives Panorama grundlegende geschichtliche und systematische Möglichkeiten auf. Neben dem trivialen Sinn, dass Wahr-Machen bedeuten kann, die Bedeutung sinnvoller Zukunftsaussagen wie »Der Tisch wird bald dort drüben stehen« herbeizuführen (durch Rücken des Tisches) oder »Morgen wird eine Seeschlacht stattfinden«116, kann Verifikation verstanden werden als unendliche Erforschung der Wahrheit von Aussagen; als Überwindung geltender Auffassungen durch praktisch relevantere; als Anerkennung durch bestehende Verifikationssysteme; als Veränderung von Faktizität durch den Eingriff wahrer Auffassungen, die selbst zum Faktum werden; als Passieren der Diskurskontrollen und Einzug »ins Wahre« des Diskurses. Ein alethisch-pragmatistischer Ansatz hätte die Konturen, den Sinn und die Probleme jener dritten Entsprechungsstufe genauer zu untersuchen, die das Verhältnis von assertorischen Aussagen und alethischen Geltungskontexten betrifft. Überhaupt hat der alethische Pragmatismus – will er eine unreduzierte, »substantielle«117 Bestimmung von Wahrheit geben und sich nicht auf das Zerrbild beschränken, das seit James’ und Deweys Tagen von ihm gezeichnet wird – fünf zentralen Explikationsanforderungen zu genügen, die wahrheitstheoretisch sinnvoll unterschieden werden sollten. (1) Statt einer definitorischen Wahrheitstheorie muss er zumindest die Gestalt einer Wahrheitsexplikation annehmen, um die Semantik des von ihr verwendeten Prädikats »wahr« zu klären. (2) Ohne eine ausgeführte kriteriologische Wahrheitstheorie sein zu kön268 | Evidenz und Geltung
nen, müsste der alethische Pragmatismus gleichwohl eine Erläuterung seiner Wahrheitskriterien geben. Es wäre dies die Klärung der Frage, unter welchen Bedingungen wir Aussagen das Prädikat wahr zusprechen können. (3) Freilich ist schon die Frage umstritten, wem dieses Prädikat zuzusprechen wäre – die Frage also nach den Wahrheitsträgern (truth bearer). Hier hat auch ein alethischer Pragmatismus zu entscheiden, ob er im wesentlichen sprachliche Entitäten auszeichnen oder auch andere Aussagefunktionen zulassen will; innerhalb der Kategorie sprachlicher Aussagefunktionen wäre ferner zu unterscheiden, ob Propositionen, Feststellungen (statements) oder erst assertorische Aussagen (assertions) einen Geltungsanspruch auf Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Richtigkeit erheben. (4) Schließlich hätte eine sprachpragmatische Alethiologie, den Winken Wittgensteins und Foucaults folgend, zu klären, worin unsere – je gegenwärtigen und geschichtlichen, je lebensweltlichen und akademischen – Wahrheitskontexte, Überzeugungssysteme oder Evidenzhorizonte bestehen. Welche Koordinaten jener Felder des »Im-Wahren-Seins« gibt es und wer eigentlich legt sie fest; welche Sätze bestimmen die Grenzen ihres logischen und disziplinären Raums? Diese Fragen im folgenden Kapitel vertiefend, soll hier abschließend nur eine vorläufige Antwort auf die Forderung nach einer arbeitsfähigen Wahrheitsexplikation des alethischen Pragmatismus gegeben werden. Im Blick auf das skizzierte dreistufige Respondenzmodell sei folgende Explikation (nicht Definition) vorgeschlagen: Wahrheit zeigt sich in der diskursiv einlösbaren, darin gesellschaftlichen Konventionen folgenden und in kulturellen Evidenzhorizonten eingebetteten Entsprechung von assertorischen Aussagen und Tatsachen. So verstanden meinte Wahrmachen und Bewähren nicht mehr, aber auch nicht weniger als: Dafür sorgen, dass sich die diskursiv einlösbare Entsprechung tatsächlich zeigt; dem Wahren helfen, sich selbst zu offenbaren. Auf der metatheoretischen Ebene erzeugte eine solche, in der Spur des alethischen Pragmatismus formulierte Explikation freilich eine pragmatistische Paradoxie ganz eigener Art. Denn sie würde kaum mehr zu bieten haben als eine praktisch weitgehend folgenlose Aufhellung unserer Alltagssemantik des Prädikats »wahr«.
Die bestimmte Unbestimmtheit der Evidenzhorizonte | 269
Bewährte Überzeugungen Aufgaben einer sprachpragmatischen Alethiologie
1. Explikation statt Theorie der Wahrheit Wahrheit zeigt sich in der diskursiv einlösbaren Entsprechung von Aussagen, Sachverhalten und Evidenzhorizonten. Schon umgangssprachlich heißt »wahr«dasjenige, dessen Behauptung zutrifft; wenn etwas mit den Tatsachen übereinstimmt; wenn es so, wie man sagt, auch der Fall ist. Die moderne philosophische Klärung des Wahrheitsbegriffs, die seit dem frühen 20. Jahrhundert im Namen von »Wahrheitstheorien« geleistet wird, konzentriert sich in der Regel auf propositionalistische Varianten der Wahrheitsexplikation. Ihr gelten assertorische Aussagen als einzig mögliche Wahrheitsträger. Wahr können nicht schon Wörter, Sachen, Bitten oder Berichte, sondern nur Aussagen sein, die einen Wahrheitsanspruch erheben. Mit Michael Dummett gehen moderne Wahrheitsexplikationen davon aus, dass alles Behaupten »durch sprachliche Elemente mit der Wahrheit verknüpft«1 ist. In dem Maße, wie die Propositionalisierung des Wahrheitsbegriffs zu seiner rückhaltlosen Versprachlichung führt, scheint sich auch Seins- und Sachwahrheit in Satzwahrheit aufzulösen.2 Grammatisch drückt sich Sachwahrheit in dem attributiven Gebrauch des Wahrheitsprädikats aus. So kann vom »wahren Glück«, von einer »wahren Ursache«3, von einem »wahren Freund«4 die Rede sein. Viele dieser Formulierungen lassen sich nicht in Satzwahrheiten überführen, ohne an den Rand der Sinnlosigkeit zu geraten: (1) Dieses Glück ist wahr.
Satzwahrheiten hingegen verwenden das Eigenschaftswort »wahr« ausschließlich prädikativ: (2) »›Queen Anne is dead‹ is true.«5 | 271
Auf den ersten Blick scheint sich der illokutionäre Teil der Behauptung »Es ist wahr, dass …« problemlos durch »Es ist eine Tatsache, dass …« austauschen zu lassen: (3) Es ist eine Tatsache, dass Königin Anne tot ist.
Beispiele dieser Art lassen allerdings nicht nur sehen, wie viel Wahrheitssemantik bereits im Tatsachenbegriff steckt. Sie beleuchten auch das Hauptargument der von Frege, Ramsey, Ayer und anderen vertretenen Redundanztheorie, derzufolge das Prädikat »wahr« für kognitiv synonym mit der Proposition des Satzes und damit für redundant gilt. Gegen solch deflationistische Tendenzen der redundanztheoretischen Entsorgung des Wahrheitsbegriffs hat der alethische Pragmatismus die performative Dimension assertorischer Aussagen geltend gemacht. Erst die Sprechhandlung des Behauptens verleiht Aussagen ihren prinzipiell überprüfbaren Wahrheitsanspruch.6 Mit der sprechakttheoretischen Wiederherstellung eines unverkürzten Wahrheitsverständnisses scheint eine Perspektive auf, die zugleich über strikt propositionalistische Lesarten des Wahrheitsprädikats hinausweist. Tatsächlich sind auch unserer alltagssprachlichen Verwendungsweise von »wahr« vor- und transpropositionale Aspekte nicht fremd. Auch Bildern wird zuweilen, man denke an ihre Verwendung als Beweismittel, eine aussagen-analoge Kraft zuerkannt. Überhaupt kann man in bestimmten Kontexten sinnvoll sagen, dass sich die Wahrheit zeige. In den Überlegungen des frühen Wittgenstein zum logischen Raum, der sich zwischen aussagenlogisch stets wahren (Tautologien) und aussagenlogisch stets falschen Aussagen (Kontradiktionen) aufspannt und so überhaupt erst den Bereich sinnvoller Sätze eröffnet, klingt an, dass dieser »logische Raum« selbst nicht gesagt, sondern nur gezeigt werden kann.7 Im Wesen der Sprache selbst waltet die Logik als ein sub- und transsprachliches Zeigen. Vor allem liegt im Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit, im Gefühl des Überzeugtseins vom Behaupteten, ein vorprädikativer Aspekt von Wahrheit. Noch die mittelalterlichen Wahrheitsbestimmungen handeln vom Prädikat »wahr« als einer Transzendentalie, Aufklärungstheorien setzen einen präreflexiven sensus veri voraus, der sich im »Wahrheitstrieb«8 oder »Wahrheitsgefühl«9 äußert. Pro272 | Bewährte Überzeugungen
minent tritt das Wahrheitsgefühl zuletzt in Hans Jonas’ biologischer Anthropologie auf, wo es eine erste Erfahrung der Stimmigkeit von Wahrnehmungserlebnissen markiert. Könnte das Wahrheitsgefühl sprechen, so würde es ein »So ist es also wirklich!«10 ausrufen. Das alethische Empfinden stiftet ein erkenntniskonstitutives Aufmerken, das die Gestalt einer ursprünglichen, vorbegrifflichen Evidenzerfahrung gewinnt. Nach einer differenzierten, moderat pluralistischen Sichtweise11 verlangen allerdings nicht nur die (wahrheitstheoretisch mit begründeter Skepsis oder mit Desinteresse bedachten) prä- und transpropositionalen Bedeutungsschichten der Wahrheitssemantik, sondern auch ihre durchaus heterogene Verwendung innerhalb der unterschiedlichen Disziplinen. Während die Behauptung eines Beobachtungssatzes durch Hinweis auf entsprechende Ereignisse oder korrespondierende Sachverhalte bewahrheitet zu werden pflegt, scheint die Verifizierung einer mathematischen Behauptung vollkommen unabhängig von außersymbolischen Tatsachen. Wahr ist sie allein gemäß den Konventionen einer zugrunde gelegten Axiomatik ihres Symbolsystems.12 Doch schon für die Philosophie selbst, für den Bereich ihrer Aussagen und Thesen, lässt sich kein passe partout-Wahrheitsbegriff, geschweige denn eine privilegierte Bewährungsmethode voraussetzen. Was aber unter diesen Umständen den Wahrheitsbegriff vor einer in Beliebigkeit umschlagenden Pluralisierung noch schützen kann – und so das Feld einer spezifisch kulturphilosophischen und sprachpragmatischen Wahrheitsexplikation eröffnet –, ist die pragmatische Unterscheidung der semantischen Ebenen des Wahrheitsbegriffs als Differenzierung der verschiedenen Aufgaben seiner Erläuterung. Aus dieser Perspektive müssten sich definitorische und kriteriologische Wahrheitstheorien nicht einmal mehr gegenüberstehen. Fragen erstere nach einer »Definition des Begriffs ›ist wahr‹ als eines Charakteristikums von Propositionen«, so suchen letztere nach den »Bedingungen für die korrekte Anwendung des Begriffs«13. Der alethische Pragmatismus setzt den geläufigen sprachanalytischen Antworten auf die Frage »Was ist Wahrheit?« und »Wann ist ein Satz wahr?« nichts hinzu. Wohl aber übersetzt er die Sprachanalyse auf ein ihr bislang fremdes Feld, welches den Bereich »kultureller Tatsachen« einschließt. Ein kulturphilosophisch informierter Explikation statt Theorie der Wahrheit | 273
alethischer Pragmatismus fragt nach den Bedingungen der Wahrheitskriterien als den Bedingungen des Wahrheitsdiskurses selbst und übernimmt eine Explikationsaufgabe, die von rein propositionalistischen Wahrheitstheorien nicht in den Blick genommen wird. Daraus folgt nicht etwa ein genuin kulturphilosophisches Verständnis von Wahrheit; ebenso wenig ist es Kulturphilosophie um eine Analyse der impliziten oder expliziten Verwendung des Wahrheitsbegriffs in den sog. Kulturwissenschaften zu tun. Vielmehr geht es um eine kulturphilosophische Explikation der nicht explizit sprachlichen Voraussetzungen von Wahrheitsdefinition, -kriterium und -diskurs. Untersuchungsgegenstand sind nicht die Kohärenzbeziehungen einzelner Aussagen und Aussagensysteme, sondern die Kohärenzbedingungen sowohl des alltagssprachlich-vortheoretischen als auch des wissenschaftlichen Wahrheitsverständnisses selbst. Daher ist ihr Vorgehen explikatorisch weniger im Sinne Carnaps und Quines: als Verfahren, einem inexakten Ausdruck vermöge bestimmter Anwendungsregeln eine schärfere Bedeutung zu geben,14 sondern im Sinne Ryles: als breite analytische Auffächerung der verschiedenen, alltags- und theoriesprachlich vorgängigen Aspekte und Verwendungsweisen von Wahrheit, nicht zuletzt auch ihrer Unverträglichkeiten und Inkohärenzen, ihrer Hoffnungen und Mythen. Im Unterschied zu den, isoliert betrachtet, plausiblen »deflationistischen«15, »minimalistischen«16 oder »prosententionalistischen«17 Verengungen der Wahrheitssemantik kommt ihrer sprachpragmatischen Explikation die Aufgabe zu, an den umfassenden »Sinn von Wahrsein«18 zu erinnern. Dieser zeigt sich keinesfalls nur im vermeintlich vagen umgangssprachlichen Gebrauch des Wahrheitsprädikats, sondern spiegelt sich facettenreich bereits in seinen – auch theoriesprachlichen – Antonymen: Lüge, Täuschung, Schein, Falschheit, Irrtum. Seine raison d’être hat der alethische Pragmatismus in der Thematisierung jener Bedeutungsebenen von »wahr«, die einer einseitig propositionalistischen Auslegung zu entraten drohen.
274 | Bewährte Überzeugungen
2. Überzeugung (1): Wahrheitsgefühl Aussagen wollen überzeugen. Doch gehen in Aussagen stets schon Überzeugungen ein. Das gilt für vortheoretische Sätze (4) »Die Katze ist auf der Matte«19
so gut wie für wissenschaftliche Aussagen (5) Als rot erscheint dem menschlichen Auge Licht der Wellenlänge 700 nm,
in denen sich bereits ganze Welten an kommunikativen Kompetenzen, kulturellen Voraussetzungen und notwendigen Unterstellungen abgelagert haben; ebenso in der Überprüfung solcher Sätze gemäß bestimmter Verifikationskriterien. Vorprädikative Überzeugungen werden allerdings entweder in die Psychologie (wo sich in der Regel auch niemand für sie interessiert) oder in die Argumentationstheorie abgeschoben.20 Dort aber hat man es nicht mehr mit dem zu tun, was in den illokutionären Anspruch eines Aktes eingeht, sondern schon mit seiner perlokutionären Wirkung: dass jemand von einer Aussage überzeugt ist – oder wird. Mit ebenso guten Gründen hat ein alethischer Pragmatismus solche vorprädikativen Aspekte zu reintegrieren. Das Verhältnis von Überzeugungen und Überzeugen im diskursiven Prozess der Verifikation von Aussagen gehört in den Bereich seiner genuinen Untersuchungsgegenstände. Für eine unverkürzte, pragmatische Auslegung des Wahrheitsproblems müssen daher auch jene Voraussetzungen in den Blick genommen werden, die Karl Leonhard Reinhold, noch in der Terminologie des Deutschen Idealismus, ihre halbdunklen »Anfangsgründe«21 genannt hat. Aus nachvollziehbaren Gründen haben in modernen, detranszendentalisierten Wahrheitstheorien spekulative Betrachtungen über Wahrheitsempfindungen oder Evidenzerlebnisse keinen Ort. Sie kennen allenfalls noch deren Schwundstufe in Form des rationalen Geltungsanspruchs der Wahrhaftigkeit. Während Wahrhaftigkeit als reflexive Verständigungsvoraussetzung gilt, die nur »in Handlungszusammenhängen«22 überprüft werden kann, halten transzendentalphilosophische Idealisten wie Reinhold das Wahrheitsgefühl noch für ein ebenso vorbewusstes wie blindes, aber mit Vernunft unterirdisch kommunizierendes Überzeugung (1): Wahrheitsgefühl | 275
Apriori allen Sprechens. Demnach würde das zur Gewissheit gefestigte Wahrheitsgefühl jeden Sprechakt, jedes mit »Ueberzeugung gefällte Urtheil«23 begleiten. Gewissheit als »Ueberzeugung von der Wahrheit« selbst ist Voraussetzung aller Diskursivität, die Anspruch auf Wahrheit erhebt. Nichts scheint überzeugender als die Wahrheit und wer von ihrer Überzeugungskraft überzeugt ist, wird ihr in seinen Äußerungen auch zum Ausdruck verhelfen suchen. Schon in der frühen empirischen Psychologie erhält das Wahrheitsgefühl eine orientierende Funktion. Vorstellungen, die uns wahr vorkommen, vereinigen sich schneller zu Gedanken und produzieren einen größeren Aktus des Vorstellens. Wahrheitsgefühle zählen zu den vorreflexiven, unthematischen, aber subkutan orientierungsstiftenden Hintergrundeinstellungen dessen, was für gut, richtig und wahr befunden wird. Sie haben den Charakter normativ-alethischer Hybride. Überzeugungen beruhen auf einem empfundenen Fürwahrhalten, welches, bei aller Anfälligkeit für Obskurantismus, auch eine kritische Funktion erhalten kann. Deutlich unterschieden vom Trieb zum Angenehmen sorgt der Wahrheitstrieb in Mendelssohns Deutung für eine erste, notwendige Desillusionierung. Seine Ent-Täuschung verbürgt, dass »unsere Erkenntniß, ohne Rücksicht auf Wohlgefallen oder Mißfallen, mit der unveränderlichen Wahrheit in Uebereinstimmung«24 gebracht wird. Nur wenn wir davon überzeugt sind, dass im Zweifelsfall das Wahre dem Angenehmen oder Nützlichen vorzuziehen ist, sehen wir, »wie die Dinge beschaffen sind, nicht wie wir sie wünschen.« Indes ist der Wahrheitstrieb weder nur Agent des Triebverzichts noch einfach Vehikel der Wunscherfüllung. Es ist der Trieb, nicht dem Schein oder dem Irrtum zu verfallen: »So widersetzen wir uns aller Täuschung, so glücklich sie uns auch machen würde, und streben nach Wahrheit«, indem wir auf »Ueberzeugung«25 dringen. Das Wahrheitsgefühl ist jene Empfindung, die »in uns diejenige Hinbeugung des Verstandes auf die Idee [bewirkt], die wir die Beystimmung oder den Beyfall nennen«26. Statt Beifall kann auch von »Evidenz«27 gesprochen werden. Nach dieser Lehre bereitet das Wahrheitsgefühl das Verstandesurteil vor. Es sortiert das Wahrgenommene bereits in beifallswürdige und nichtbeifallswürdige Vorstellungen: »Bey den widersprechenden, den falschen und unwahrscheinlichen Ideen zeiget sich das Gegenteil. Diese wollen 276 | Bewährte Überzeugungen
uns nicht in den Kopf hinein, wie wir sagen, man kann sie nicht anreihen, nicht mit denen vereinigen, welche schon ihre Stelle eingenommen haben.« Bei Nichtbeifall verhindert das Wahrheitsgefühl die Verknüpfung zweifelhafter Vorstellungen mit den bereits als wahr gefühlten oder erwiesenen. Als präreflexives Evidenzgefühl liefert unser Wahrheitsempfinden dem »skeptischen Verstand« »Überzeugungsgründe«, welche das reflexive und diskursive Urteil vorbereiten. So wie das Urteil wahr oder falsch sein kann, ist freilich auch das Gefühl selbst eines der Evidenz oder Nichtevidenz.28 Jederzeit aber muss sich das Wahrheitsgefühl auf höherer Ebene und zu späterem Zeitpunkt auf diskursiv-propositionale Weise von einem möglichen Gefühlsirrtum überzeugen und korrigieren lassen. Gerade der Mangel an »Gründen und Beweisen« für diese Entscheidung, die das Wahrheitsgefühl auszeichnet, lässt darauf schließen, dass das Wahrheitsgefühl eine erste Negation impliziert, in der sich Bejahung nur indirekt ausdrücken kann. Die Spätaufklärung hat das Wahrheitsgefühl in drei verschiedene Richtungen fortbestimmt. Zum einen wird es in den Grund des praktischen Ich und des Selbstgefühls gelegt, als das Vermögen, »Einsichten und Handlungen aufs allergenauste mit einander in Uebereinstimmung zu bringen«29. Zentral ist der Übereinstimmungsbegriff auch für die zweite, hirnphysiologische Variante der Wahrheitsgefühlanalyse, die einen organischen Ursprung behauptet: »Wahrheit […] ist das angenehme Gefühl, aus der Uebereinstimmung der Schwingungen der Fibern im Gehirne«.30 Eine dritte Lesart rekurriert auf sensus communis-Auffassungen: »Das Gefühl des Wahren ist der sensus communis im engern Verstande. Das Gefühl des Guten ist das Gewissen. Das Gefühl des Schönen ist der Geschmack.«31 Husserl dagegen wähnt in der auch um 1900 noch umgehenden Rede (seines Lehrers Brentano) vom Evidenzgefühl der Wahrheit ein Relikt des Psychologismus, einen »mystische[n] Index veri«32, der auf einem Mangel an phänomenologischem Methodenbewusstsein deutet: »Diese angeblichen Gefühle der Evidenz, der Denknotwendigkeit, und wie sie sonst genannt sein mögen, sind nichts weiter als theoretisch erfundene Gefühle. […] Solche Auffassungen sind nur solange möglich, als man es nicht gelernt hat, Bewußtseinsarten rein schauend und wesensmäßig zu analysieren, statt über Überzeugung (1): Wahrheitsgefühl | 277
sie von oben her Theorien zu machen.«33 Dem streng deskriptiven Blick des Phänomenologen zerfallen die Evidenzgefühle entweder in gegliederte (also richtige) oder in ungegliederte (also falsche) »Sachverhaltsintuition(en)«, in Gestalten eines »Sachverhaltsbewußtseins«, das ein vorbewußtes »Klarheitsgefühl«34 als schlicht inadäquat beschriebene Bewusstseinsform entlarvt. Noch der Husserl der Formalen und transzendentalen Logik (1929) unternimmt einen weit ausholenden Versuch der Kritik des Evidenzgefühls. Vielleicht ist die Vehemenz und Ausführlichkeit dieser Ablehnung dadurch erklärbar, dass (i) auch ein phänomenologischer Evidenzbegriff auf dem Spiel steht (nämlich der der Intuition und des originär Gegebenen) und weil (ii) gerade aus dem Umkreis der Phänomenologie selbst, etwa bei Rickert und Switalski, Rehabilitationen des »Wahrheitssinns« vorliegen,35 die Husserl, hellhörig für Nuancen, psychologismusverdächtig vorkommen mussten. Statt dem »Glauben« anzuhängen, dass die Wahrheit sich selbst »zu wirklicher Gegebenheit bringt«, begreift Husserl Wahrheit als regulative, als »eine im Unendlichen liegende Idee«36. Evidenz betrifft für Husserl weniger die Rezeptionsleistung des Subjekts als vielmehr die Selbstgebung eines Sachverhalts. Das Verschwinden dieser Selbstgebung beruht auf seiner »Durchstreichung«, »Enttäuschung« oder »Negation«. Dabei unterscheidet Husserl (i) zwischen vorprädikativer und prädikativer Evidenz und (ii) zwischen adäquater und apodiktischer Evidenz. Die (i) vorprädikative Evidenz beruht auf der passiven Erfahrung individueller Gegenständlichkeit, (ii) apodiktische Evidenz auf der Zweifellosigkeit eines Gegebenseins. Man muss deshalb unterscheiden, dass Husserl sehr wohl den impliziten Obskurantismus eines vorprädikativen Evidenzgefühls, nicht aber den Begriff und das Ziel von Evidenz selbst kritisiert hat, um seine Wahrheitsauffassung nicht missverständlicherweise den Manifestationstheorien zurechnen zu müssen.37 Das Wahrheitsgefühl repräsentiert einen Teil jener präreflexiven und vorpropositionalen Schicht der Wahrheitssemantik, die Fichte auf die vielleicht einfachste Formel gebracht hat, er leuchte uns entweder »mit Einem Schlage«38 ein oder überhaupt nicht. Daraus spricht die Überzeugung, dass Wahrheit, noch bevor sie ausgesprochen oder rational begründet werden kann, sich in einer prära278 | Bewährte Überzeugungen
tionalen Klarheit äußert, die ein Gefühl der Kohärenz vermittelt: Hier stimmt etwas zusammen. Insofern Gefühle den Charakter der Absolutheit, Ganzheit, der Undifferenziertheit, des clair-obscur haben, sind sie in einer ursprünglichen Indifferenz gegeben, die nur synthetisch, nicht analytisch sein kann. Insofern erkennt auch der alethische Pragmatismus im Wahrheitsgefühl nur die dunkelste Schicht unseres Wahrheitsverständnisses. Entsprechend zeigt der Versuch seiner Aufhellung, dass Überzeugung, Wahrheitsgefühl und Wahrhaftigkeit nur eine erste Stufe von Wahrheitsexplikationen darstellen können – zumal die beiden Hauptprobleme des Wahrheitsgefühls auf dessen eigener, vorpropositionaler Ebene selbst gar nicht adressiert werden können. Dass es täuschungsanfällig ist und subjektiv bleibt, dass es sich selbst nicht überprüfen kann – diese Aspekte können überhaupt erst auf einer zweiten, diskursiven Ebene selbst artikuliert werden.
3. Überzeugung (2): Wahrhaftigkeit Geltungsansprüche der Wahrhaftigkeit werden dann als erfüllt betrachtet, wenn assertorische Aussagen tatsächlich der hinter ihnen stehenden Überzeugung einer Person entsprechen. Auch wenn der Gedanke einer innersubjektiven Wahrhaftigkeit nicht vollkommen sinnlos erscheinen mag, kann der Geltungsanspruch selbst nur in intersubjektiven Zusammenhängen thematisch werden. Er ist, wie Hegel sagt, eine »Pflicht gegen die anderen«39. Seiner Intersubjektivität ungeachtet ist Wahrhaftigkeit gleichwohl kein diskursiv einlösbarer Geltungsanspruch, sondern eine Glaubensgewissheit, die nur durch unmittelbare Interaktion mit der diesen Geltungsanspruch erhebenden Person erfahren wird.40 Ein solcher Anspruch muss in interpersonalen Verhältnissen bezeugt, zuweilen auch erzeugt werden. Während Wahrheit, sprachpragmatisch betrachtet, in konstativen Sprechakten geäußert wird, gibt sich der Anspruch auf Wahrhaftigkeit, sofern er überhaupt explizit wird, in repräsentativen Sprechakten zu erkennen. In der Regel aber wird er implizit und unthematisch vorausgesetzt, denn seine Erörterung unterstellt bereits die skeptische Frage: Wird hier getäuscht? In der AlltagsÜberzeugung (2): Wahrhaftigkeit | 279
kommunikation ebenso wie im wissenschaftlichen Diskurs muss Wahrhaftigkeit für jeden Sprechakt vorausgesetzt werden, wenn Sprechhandlungen überhaupt gelingen sollen. Auch die Täuschung, Irreführung oder Lüge partizipiert, wenngleich parasitär, an dieser vorausgesetzten intentionalen Entsprechung von Überzeugung und Äußerung. Das schließt nicht aus, intentional wahrhaftig sein zu wollen und trotzdem Falsches zu sagen. Auch ist denkbar, dass jemand etwas Wahres sagt und dabei unwahrhaftig ist – gemäß Sokrates’ Bonmot im Hippias, der beste Lügner sei der Weise, der die Wahrheit kennt.41 Das Verhältnis von Wahrhaftigkeit und Lüge lässt sich so bestimmen, dass »x genau dann [lügt], wenn x etwas behauptet, das seiner Meinung nach falsch ist, in der Absicht, jemanden glauben zu machen, es sei wahr«42. Zum Thema einer sprachpragmatischen Wahrheitsexplikation kann der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit nur werden, wenn er nicht bloß in seinem subjektivistischen Gehalt interessiert. Denn auch in die Forderung nach Wahrhaftigkeit, die Nietzsche als eine bereits verlogene zu enttarnen gesucht hat,43 gehen schon geschichtliche und kulturelle Überzeugungen ein. Das Verständnis von Wahrhaftigkeit, wie es die kynische parrhêsia fordert, unterscheidet sich bereits fundamental von ihrem platonischen Verständnis44 und dieses wiederum radikal von ihren modernen Auffassungen. Mit Nietzsche könnte man Kultur geradezu als die permanente »Umschaffung der Überzeugungen«45 begreifen. Dann allerdings bliebe die Erfüllung des Imperativs der Wahrhaftigkeit an die Wandlung von Überzeugungen gebunden und erwiese sich selbst als wandlungsfähig. Wahrhaftigkeit hat mit Akzeptierbarkeit und so mittelbar auch mit dem Geltungsanspruch der Richtigkeit zu tun. Hilary Putnams »internalistische« Wahrheitsauffassung schlägt vor, das Kriterium der »(idealisierte[n]) rationale[n] Akzeptierbarkeit« als »ideale Kohärenz unserer Überzeugungen untereinander und in Bezug auf unsere Erfahrungen entsprechend der Darstellung dieser Erfahrungen in unserem Überzeugungssystem« zu begreifen. Kohärente, wenngleich wandelbare Überzeugungssysteme geben Maßstäbe zur Prüfung von Wahrheitsansprüchen, nicht etwa die »Übereinstimmung mit geistesunabhängigen oder redeunabhängigen ›Sachverhalten‹«, welche eigentlich nur von einem »Gottesgesichtspunkt« zweifelsfrei 280 | Bewährte Überzeugungen
festgestellt werden könnte. Dagegen müssen Überzeugungssysteme die Gesamtheit der »verschiedenen Gesichtspunkte tatsächlicher Personen, die verschiedene Interessen und Zwecke erkennen lassen, denen ihre Beschreibungen und Theorien dienlich sind«46 – letztlich ist das eine sprachanalytische Formulierung dessen, was zuvor bereits alethisch-pragmatistisch Evidenzhorizonte genannt wurde. Keineswegs hat es Wahrheit nur mit individuellen Überzeugungen zu tun; dies hielt bereits Austins Formulierung fest: »It takes two to make a truth.«47 Vielmehr sind es gemeinsame Überzeugungen, die den Evidenzhorizont unseres Wahrheitsverständnisses bestimmen. Solche geteilten Überzeugungen offenbaren eine Struktur ternärer Intentionalität, die weniger durch explizite Vereinbarungen als durch koordinierte Handlungen herbeigeführt wird. Plurale Subjekte: Kleingruppen, Vereine, Parteien etc. verfügen über einen Minimalbestand gemeinsamer Überzeugungen, der darüber entscheidet, was sie gemeinsam für gerecht, richtig oder wahr halten. Soziale und kulturelle Tatsachen wie Rituale, Regierungsformen oder Geldwertsysteme beruhen auf Anerkennungsverhältnissen, in denen nicht einfach ein Ich von einem Du anerkannt wird, sondern die stets schon von einem pluralen WirSubjekt ausgehen.48 Wir-Intentionalität entsteht aus einem Netz impliziter, kaum je wirklich ausgesprochener Überzeugungen, deren basale Struktur tertiär-intentional bestimmt werden kann: »Ich weiß, dass Du glaubst, dass wir glauben, dass dieses Stück Papier ein Geldschein ist.« Nun konstituieren sich plurale Subjekte nicht nur kraft gemeinsamer Überzeugungen, sondern führen solche Überzeugungen zuweilen überhaupt erst herbei, indem sich andere von ihnen überzeugen lassen. Diese akzeptieren dann nicht nur geteilte Pläne, sondern regen andere zur Teilung solcher Überzeugungen an. Margaret Gilbert nennt das Anerkennungsergebnis solcher Rückkopplungseffekte »derived joint commitment«49. Geradezu rätselhaft an solchen Übereinkünften scheint, dass nie alle Mitglieder zu jedem Zeitpunkt genau wissen müssen, welche Überzeugungen die anderen jeweils auch noch haben. Auch müssen sie nicht zu jedem Zeitpunkt genau wissen, als was oder wie das plurale Subjekt (also z. B. alle anderen Vereinsmitglieder) handelt. Es kommt einzig auf den geteilten Zweck und die entscheidende kollektiv verbindÜberzeugung (2): Wahrhaftigkeit | 281
liche Überzeugung an, welche den – sei es ausgesprochenen, sei es unausgesprochenen – Sprechakt »Wir taten es« stiftet. Der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit und der lebensweltliche Bodensatz individueller und kollektiver Überzeugungen sind Voraussetzungen eines argumentativen Überzeugens, dem es um Wahrheit zu tun ist. Nur wer schon von etwas überzeugt ist, kann von anderen überzeugt werden. Nur wer Überzeugungen hat, ist überhaupt für Argumente empfänglich. Hier stößt man auf ein dem Wahrheitsgefühl verwandtes »argumentatives Gefühl«50. Gemeint ist, dass wir in der Regel, auch ohne in Logik oder Argumentationstheorie geschult zu sein, intuitiv recht zuverlässig »fühlen«, ob ein bestimmtes Argument überzeugend, zwingend, substantiell ist oder nicht; ob es der Wahrheit dienen oder irreführen soll. Im Anschluss an Kant51 unterscheidet Chaim Perelmans Argumentationstheorie zwischen dem erfolgreichen Einwirken auf eine gruppenspezifische Hörerschaft (persuader) und dem rational motivierten Überzeugen (convaincre) eines virtuell unendlichen und »universellen Auditoriums«52; ähnlich Charles Morris zwischen einer instrumentell vorgehenden persuasiveness und einer informativ oder rational erzielten convincingness.53 Allerdings wird die holzschnittartige Dichotomie von sophistischer Überredung und alethischem Überzeugen von Wittgensteins Sprachspielanalyse unterlaufen, die auf dem Grund der (normalen) Sprache einen persuasiven Gehalt entdeckt: »Am Ende der Gründe steht die Überredung.«54 Denn Sprachspiele überzeugen uns nicht eigentlich; vielmehr legen sie durch eingeschliffene Sprechgewohnheiten bestimmte Sichtweisen nahe. Sätze wie (6) Die Erde existiert lange vor meiner Geburt (7) »Katzen wachsen nicht auf Bäumen«55
sind nicht einfach sinnlose Sätze; sie lassen sich aber auch nicht einfach als analytische oder synthetische Sätze bestimmen – vielleicht am ehesten noch als synthetische a priori? Offensichtlich ergeben sie sich zwanglos aus anderen für wahr gehaltenen Sätzen, ohne je eigens aufgestellt zu werden. Könnten wir jedoch Personen, denen die Überzeugungssysteme solcher Sätze fremd sind, tatsächlich von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugen? Wittgenstein vermutet, dass wir von der Richtigkeit dieser Sätze eher überredet denn überzeugt 282 | Bewährte Überzeugungen
werden, weil ihre Plausibilität umgangssprachlichen Gepflogenheiten und kulturellen Selbstverständlichkeiten entspringt, die wir immer schon eingelernt haben müssen, um sie für wahr zu halten.
4. Überzeugung (3): Fürwahrhalten Das (persuasive) Fürwahrhalten von Überzeugungen, die sich aus unseren kulturellen Sprachspielen wie von selbst ergeben, bleibt allerdings stets fallibel, revisionsoffen, problematisch. Schon Kant, der zwischen drei »Modi« des Fürwahrhaltens unterscheidet, hatte dem Meinen den Status des problematischen Urteils zuerkannt.56 Überzeugungen bleiben daher subjektiv, während objektive Gewissheit »für jedermann«57 gelten muss. Vom »objektive[n] Fürwahrhalten« spricht tatsächlich Wilhelm Wundt, der darunter den Modus solcher Sätze versteht, die sich auf Gründe, Zeugnisse oder Tatsachen stützen. Wahrheitskriterium wäre demnach die »Sicherheit der Überzeugung«, d. h. der Umstand, »daß [auch] künftige Erkenntnisse das Urteil nicht umstoßen könnten«58. Auch Bolzano wird das Fürwahrhalten eines Satzes »Urteil« nennen59. Diese können durchaus mit verschiedenen »Grade[n] der Zuversicht« und damit Zustimmung versehen sein. Erkennen will Bolzano darin eine Stufenfolge, die vom »Dafürhalten« über das »Fürwahrhalten« zur »Überzeugung« und schließlich zur »vollkommenen Zuversicht«60 führt. Folgte man dieser Auffassung, so müsste allerdings das Fürwahrhalten nicht nur an die Wahrscheinlichkeit von Sätzen – zu deren klassischem Beispiel Aristoteles’ Satz »Morgen wird eine Seeschlacht stattfinden« wurde –, sondern auch an ihre Wahrheitsähnlichkeit geknüpft werden. Auf den mittelalterlichen Begriff der »Wahrheitsähnlichkeit« musste bereits Popper zurückgreifen, um die Aufgabe der Wahrheitserkenntnis im Sinne eines regulativen Prinzips deuten zu können.61 Im Unterscheid dazu hatte Carnaps Verifikationstheorie dafür plädiert, das Prädikat »wahr« als einen »zeitunabhängige[n] Begriff« vom Prädikat »bewährt« zu unterscheiden, welches mit einem Zeitindex versehen ist.62 Doch erst kraft solcher Differenzierungen lässt sich sinnvoll davon reden, ob Sätze oder Überzeugungen wahrer seien als andere. Während in Überzeugung (3): Fürwahrhalten | 283
der Regel nur positiv von »wahr« gesprochen wird, lässt das Prädikat durchaus seinen komparativischen Gebrauch zu. Auf diesen Gebrauch bezieht sich Poppers Rede von der »Wahrheitsähnlichkeit«, indem sie die beständige, revisionsoffene Annäherung an das Wahre betont.63 Insofern wahrheitsfunktionale Sätze immer schon ganze Bündel anderer Sätze (also Theorien) enthalten, kann Popper den Wahrheitsgehalt von Theorien so bestimmen, dass sie selbst wiederum eine Klasse ihrerseits wahrer Folgerungsaussagen ergeben. Ist die Menge solcher Folgerungsaussagen einer bestimmten Theorie T1 größer als die einer konkurrierenden Theorie T2 desselben Objektbereichs G, so darf T1 für wahrer bzw. wahrheitsähnlicher denn T2 in Bezug auf den Wahrheitsgehalt von Aussagen über G gelten. Popper erscheint ein solcher pragmatisch-wissenschaftstheoretischer Wahrheitsbegriff den üblichen Wissenschaftspraktiken (und ihren synthetischen Sätzen) gemäßer »und deshalb für die Analyse wissenschaftlicher Methoden vielleicht wichtiger als die Idee der absoluten Wahrheit«64, welche letztlich nur für analytische Sätze zu gelten scheint. Auf der Folie einer solchen Bestimmung des Fürwahrhaltens lassen sich Wahrheitsauffassungen dahingehend unterscheiden, ob sie das Wahrsein von unserem Fürwahrhalten abhängig machen oder nicht. Wolfgang Künne nennt epistemische Wahrheitsauffassungen solche Theorien, die Wahrheit an das Fürwahrhalten knüpfen – so der Fall bei Kohärenz- und Konsensustheorien.65 Wohl kommen solche Auffassungen unserem gewöhnlichen Wahrheitsverständnis entgegen, lassen jedoch den entscheidenden Aspekt unberücksichtigt, dass zuweilen das Wahrsein in der Tat auch unabhängig von unserem Fürwahrhalten denkbar ist. Darauf jedenfalls insistieren nichtepistemische Auffassungen. Es sei kein Widerspruch, formuliert Frege, »daß etwas wahr ist, was von Allen für falsch gehalten wird.«66 Tatsächlich sind Sätze denkbar, deren Falschheit noch nicht entdeckt wurde – oder vielleicht nie entdeckt werden wird: »Dass Sokrates blass ist [Beispiel aus Aristoteles’ Metaphysik IX, 1051 b 5-17], ist unabhängig davon, ob jemand die wahre Meinung hat, dass Sokrates blass ist. Aber dass jemand die wahre Meinung hat, dass Sokrates blass ist, ist nicht unabhängig davon, ob Sokrates blass ist.«67 Diese Intuition des alethischen Realismus ist auch für den 284 | Bewährte Überzeugungen
alethischen Pragmatismus relevant. Denn sie rührt an die geschichtlichen Kohärenzbedingungen und kulturellen Wahrheitshorizonte, die unser Wahrheitsverständnis bestimmen, von ihrer rein sprachanalytischen Auslegung aber nicht mehr erfasst werden. Es sind nicht zuletzt kulturelle Bedingungen, die dafür sorgen, dass es unabhängig von unserem je aktuellen Fürwahrhalten Wahrheiten gibt, die nicht offenbar sind und denen unsere Aussagen folglich nicht mehr, noch nicht oder nie werden entsprechen können.
5. Aussagen als Ort der Wahrheit Seit Aristoteles gelten Aussagen als der genuine Ort der Wahrheit. Im Unterschied zu Frage- und Bittsätzen, zu Gelübden und Imperativen können nur apophantische Urteile, also prädikative Behauptungssätze wahr oder falsch sein.68 Im Sinne Freges haben solche Sätze einen »beurteilbaren Inhalt« oder »Gedanken«. Der mittelalterlichen Wahrheitssemantik war solche Einseitigkeit fremd. Die Wahrheitsträger, von Anselm auch »Wahrheitssitze« (sedes veritatis) genannt, wurden zwar stets am Modell der Aussage gedacht, erschöpften sich aber nicht in dessen Bedeutung (significatio), sondern schlossen die Wahrheit des Gedankens, des Willens, des Handelns, der Wahrnehmung und der Wesenheit ein.69 Demgegenüber differenzieren moderne Theorien, pace Quine, noch grob zwischen analytisch bzw. logisch wahren Aussagen und jenen synthetischen Aussagen, deren Wahrheitsgehalt von Faktizität abhängt. Synthetische, kontingente, empirische Aussagen können ferner danach untersucht werden, ob ihre jeweilige (repräsentative, direktive, kommissive, expressive, deklarative) Kommunikationsfunktion mitbedacht oder ausgeklammert wird. Sieht man von dem jeweiligen »psychischen Modus« prädikativer Sätze ab, so sprechen wir von ihrem »propositionalen Gehalt«70, der sich in der faktischen dass-Klausel niederschlägt: dass p. Mit guten Gründen argumentieren alethische Pragmatisten, dass wir bei Aussagen, die einen Wahrheitsanspruch erheben, nicht einfach von ihrem Aussagemodus abstrahieren können. Denn hier artikulieren sich durchaus verschiedene Anwendungskontexte und Geltungsansprüche (Wahrhaftigkeit, Wahrheit, Richtigkeit), die nur Aussagen als Ort der Wahrheit | 285
auf je verschiedene Weise eingelöst werden können. Satz (4) »Die Katze ist auf der Matte« hat den propositionalen Gehalt (4´) »dass die Katze auf der Matte ist«. Nun lässt die dekontextualisierte Aussage selbst nicht erkennen, ob sie als Warnung, Satire oder Feststellung mit alethischem Anspruch gemeint ist. Seit Searle sprechen wir deshalb von der illokutionär-propositionalen Doppelstruktur von Aussagen. Schon Austin hatte mit Strawson gegen die Redundanztheorie eingewandt, dass das, wovon Aussagen handeln und was diese wahr macht, selbst nichtsprachliche Umstände in der Welt sein können; dass allerdings die Aussagen selbst, als Sprechakte – einmal von und vor realen Personen geäußert –, ebenfalls etwas »in der Welt«71 sind. Als Wahrheitsträger kommen deshalb nicht schon Überzeugungen, Beschreibungen, Berichte, Wörter, Sätze oder deren Proposition(en), sondern erst behauptende Aussagen (statements) mit performativem Wahrheitsanspruch in Frage. Sprachpragmatische Wahrheitsexplikationen konzentrieren sich allerdings nicht bloß auf die Bestimmung von Aussagen als Wahrheitsträgern, sondern fragen (i) worin eine Aussage überhaupt besteht und (ii) welche Akzeptanz- und Wahrheitsträgerbedingungen von Aussagen innerhalb der verschiedenen Wissenschaftssysteme gelten. Anders gefragt: Was eigentlich sind Aussagefunktionen und Aussagensysteme? Foucault, der in der Archäologie des Wissens diese Fragen untersucht hat, erkennt, dass unser propositionales Wissen kaum von seinen prozeduralen Bedingungen zu trennen ist, welche ebenfalls Formen des Wissens darstellen. Propositionen geben sich zunächst zwar als generelle Form der Aussage (énoncé) und als vermeintlich elementarste Einheit von Wissen aus – wie etwa die Protokollsätze des logischen Positivismus –, aus denen sich dann Populationen von Aussagen (also Gegenstandsbereiche und deren Theorien) oder Diskurse (als Gesamtheit von Aussagen zu einem Gegenstandsbereich) gewinnen lassen. Doch fragt es sich, ob solche Sätze überhaupt nur Aussagen sind kraft der Gegenstandsbereiche, von denen sie handeln. Dann wäre die Aussage nicht schon vor ihrem Gegenstandsbereich »da« und auch nicht schon identisch mit einer Proposition (Logik), einem Satz (Grammatik) oder einem Sprechakt (Pragmatik). Schwerlich könnten wir Aussagen auf das syntaktische Gebilde des Satzes oder die logische Form der Proposition reduzieren.72 286 | Bewährte Überzeugungen
Ähnlich Austins Kritik an der Redundanztheorie will Foucault am Beispiel der beiden Aussagen: (8) »niemand hat gehört« (9) »Es stimmt, dass niemand gehört hat«,
zeigen, dass hier vielleicht eine logische, sicher aber keine pragmatische Äquivalenz von Propositionen vorliegt.73 Beide Sätze können sich nicht an derselben Stelle des Diskurses befinden, sie sind nicht fungibel. Man kann diverse Beispiele für Aussagefunktionen anführen, die nicht in der prädikativen S-C-P-Form geboten werden, aber dennoch propositionale Ansprüche erheben.74 Müssten nicht auch algebraische Formeln, Periodensysteme oder Tabellen der Klassifikation botanischer Arten als Aussagen betrachtet werden? »Man findet Aussagen ohne legitime propositionale Struktur; man findet Aussagen dort, wo man keinen Satz erkennen kann; man findet mehr Aussagen als man Sprechakte isolieren kann.«75 Die Aussage hat jedenfalls keine strenge formale (S-C-P) oder materiale (z. B. buchstabenschriftliche) Einheit. Positiv formuliert ist die Aussage eine »Existenzfunktion«76 von Zeichen, die Sinn ergeben oder nicht. Sie ist nicht einfach nur Produkt einer Menge sinnvoller Zeichen, sondern zugleich auch deren Produzentin.
6. Tatsachen und Tatsachensphären Wie eng der Wahrheits- mit dem Tatsachenbegriff verwoben ist, zeigt wie kaum ein anderer Satz der Interview-Lapsus eines früheren Fußballprofis: (10) »Die Leute werden ständig mit Tatsachen aufgehetzt, die nicht der Wahrheit entsprechen« (Toni Polster).
Indem es von der »Entsprechung« von Tatsachen und Wahrheiten ausgeht, belegt das Bonmot eine tiefe Verwurzelung korrespondenztheoretischer Intuitionen im alltagssprachlichen Verständnis unserer Weltsemanik. Korrespondenztheorien der Wahrheit gehen von der – wie auch immer bestimmten – Übereinstimmungsrelation von Erkenntnis und Gegenstand (Kant), Begriff und Wirklichkeit (Hegel), wahrer Meinung (true belief) und Tatsache (fact) (Moore), Tatsachen und Tatsachensphären | 287
Aussagen und Ereignissen (Russell I), Aussagen und Tatsachen (Austin, Russell II) aus. Dass Aussagen den Tatsachen entsprechen müssen, um wahr genannt zu werden, verschiebt die Wahrheitsproblematik allerdings zunächst auf den Tatsachenbegriff, der einem gestaltwechselnden Proteus gleicht – insbesondere, wenn man näher zwischen physikalischen, geschichtlichen, politischen, sozialen oder kulturellen Tatsachen zu unterscheiden sucht. Was eigentlich Tatsachen sind, ist trotz windungsreicher sprachanalytischer Diskussionen umstritten geblieben. Viel spricht dafür, Tatsachen als bestehende Sachverhalte zu fassen und von Erfahrungsgegenständen, Ereignissen und Situationen zu unterscheiden.77 Denn die Tatsache, dass Cäsar ermordet wurde, besteht weiterhin, obwohl das Ereignis selbst längst vergangen und nicht mehr anders denn in sprachlichen Berichten zugänglich ist (etwa bei Plutarch, Appian oder Sueton). Auch lassen sich Ereignisse (wie das CäsarAttentat) in unendlich viele Einzelereignisse zerlegen, nicht aber das Faktum.78 Tatsachen werden nicht »tatsächlicher« dadurch, dass alle Einzelheiten berücksichtigt werden, sie geben kein »Maximum, sondern ein Optimum an Information«79. Wären Tatsachen unendlich detaillierte Beschreibungen einer Situation, machte dies einen späteren und raschen sprachlichen Zugriff auf sie unmöglich. Ereignisse sind datierbar und endlich, Tatsachen können fortbestehen. Tatsachen sind in der propositionalen Form von Sätzen gegeben, doch nicht alle Sätze repräsentieren Tatsachen. Sprachanalytische Positionen gehen davon aus, »daß es Tatsachen und Sachverhalte überhaupt nicht geben kann, ohne daß es Sprache und Denken gibt, d. h. Sätze, in denen Tatsachen ausgedrückt oder dargestellt werden. […] Tatsachen sind wesentlich sprachabhängig.«80 Im Alltagsverständnis von Tatsachen konkurriert deren Sprachabhängigkeit allerdings mit der Intuition ihrer Konkretheit, Handgreiflichkeit, Diesheit. Unser alltagssprachliches Tatsachenverständnis impliziert ein »Verlangen nach Unmittelbarkeit des Wirklichkeitsbezuges«81. Daher scheint das komplizierte Doppelgesicht des Tatsachenbegriffs darin zu gründen, dass es Dinge, die vorfallen (Ereignisse, Erfahrungsgegenstände) und Dinge, die wahr sind (zutreffende Sachverhalte), miteinander verklammert. Entsprechend lassen sich Schneeflocken beobachten, nicht aber die Tatsache, dass es schneit. Ein Satz wie 288 | Bewährte Überzeugungen
(11) Ich habe noch nie eine Tatsache gesehen, kannst Du mir eine zeigen?82
ist offensichtlich sinnlos, während der Satz (12) Ich sehe, dass es schneit
einen Wahrheitsanspruch erheben kann, der Tatsachenbezug stiftet. Offenbar kann nur deshalb etwas (= Ereignis) als etwas (= Tatsache) »gesehen« werden, weil es in die symbolische als-Struktur sprachlichen Verstehens transformiert wird: »Tatsachen sind genau das, was wahre Sätze darstellen. […] Wir wollen eine Tatsache bestimmen als das, was dasselbe ist, wenn zwei wahre und voneinander verschiedene Sätze dieselbe Tatsache ausdrücken oder darstellen.«83 Der alethische Pragmatismus unterscheidet näher zwischen der allgemein-formalen und der konkret-materialen Signatur von Tatsachen. Wovon Tatsachen handeln, kann nichtsprachlicher Natur sein, aber als Tatsachen haben bestehende Sachverhalte die Form des Satzes. Das Raffinement der symbolischen als-Struktur besteht näher darin, dass Tatsachen Sätze sind, in denen die Sprachunabhängigkeit und Nichtsprachlichkeit dessen, worauf sich die Tatsache bezieht, immer auch »mit erfasst« wird. Nur deshalb können sich verschiedene Sätze auch auf dasselbe Ereignis beziehen und stellen dennoch nicht notwendig dieselbe Tatsache dar; diese sind vielmehr von der Art der Darstellung im Satz abhängig. Patzigs berühmt gewordenen Beispielsätze:84 (13) »Fido hat heute morgen einen Mann gebissen« (14) »Fido hat den Briefträger gebissen«
könnten sich auf dasselbe Ereignis beziehen, aber dennoch zwei verschiedene Tatsachen darstellen. Beiden Sätzen ist es möglich, unabhängig voneinander wahr zu sein, was bedeutet, dass der erste falsch und der zweite dennoch wahr sein kann – oder umgekehrt. Gegenüber der streng linguistischen Deutung des Tatsachenbegriffs kann man mit guten Gründen den nichtsprachlichen Anteil von Faktizität ins Feld führen.85 Auch gibt es eine Reihe hartnäckiger Probleme der linguistischen Lesart, auf die Strawson und Ayer aufmerksam gemacht haben. Denn Tatsachen sind nicht schon identisch mit »wahren Aussagen«. Zwar scheint die Formulierung Tatsachen und Tatsachensphären | 289
»es ist eine Tatsache, dass« kognitiv synonym mit der Formulierung »es ist wahr, dass«. Entsprechend fasst die an Frege anschließende Tradition Tatsachen als Gedanken auf, die wahr sind, und für Wittgenstein ist jede Tatsache ein sinnvoller Satz. Probleme wirft die Auffassung allerdings dort auf, wo man in der Spur ihrer Argumentation ebenso viele verschiedene Formen von Tatsachen wie Formen von Aussagen konzedieren würde. Entsprechend ergäben sich auch negative Tatsachen, hypothetische Tatsachen, disjunktive Tatsachen. Wittgenstein selbst argumentiert im Tractatus, dass ¬¬p oder ¬¬¬¬p gegenüber p keine neue Tatsache darstelle.86 Zwar mögen hypothetische Tatsachen einleuchten: »So wäre es nicht unbedingt absurd, wenn ein Historiker behauptete, es sei eine Tatsache, dass Hannibal Rom erobert haben würde, wenn er es nach der Schlacht bei Cannae belagert hätte.«87 Doch bleibt fraglich, ob wir kontrafaktische Sachverhalte sinnvollerweise als Tatsachen behaupten können, weshalb noch einmal zwischen Sachverhalten und Tatsachen als bestehenden Sachverhalten zu unterscheiden nötig ist. Deutlicher noch wird der Zirkel der Identifizierung von Tatsachen mit wahren Aussagen, wenn man auf die Frage »Was ist wahr?« antwortet: »Was den Tatsachen entspricht«. Denn was entspräche den Tatsachen? Offenbar das, was wahr ist. Es ist nicht zuletzt diese Schwierigkeit, die Übereinstimmungs- oder Entsprechungstheorien zu schaffen macht. Offensichtlich gibt es keine strenge Relation zwischen Tatsache und wahrer Aussage; und im Definiendum von »Wahrheit« wäre bereits das Definiens »Tatsache« im Sinne von »wahrer Aussage« zirkulär enthalten. Nun sind die wahren Aussagen: (15) »Platons Lehrer starb an Gift« (16) »Sokrates starb eines unnatürlichen Todes«88
nicht äquivalent, werden aber durch dieselbe Tatsache wahr. Tatsachen müssen folglich durch Beschreibungen allererst festgelegt werden, sie müssen eine Bestimmtheit gewinnen. So dürfte die Aussage (17) Irgendwo auf dieser Welt geschieht zu diesem Zeitpunkt irgendein Unfall
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wahr sein. Dennoch würde man zögern, diese Überlegung einfach als Tatsache zu konstatieren. Ein Einwand wäre, dass die Aussage keine Tatsache 290 | Bewährte Überzeugungen
festlegen kann, weil der Satz zu unspezifisch ist. Ähnlich verhält es sich mit der Aussage (18) London ist nicht die Hauptstadt von Frankreich,
welche zweifellos wahr ist, allerdings keine positive Tatsache angibt, mit der dieser Satz korrespondieren könnte. Entsprechend sollte man Tatsachen als sprachlich repräsentierten Inhalt einer Klasse von Aussagen bestimmen, der überprüfbar, einfach (d. h. nicht aus zwei Aussagen zusammengesetzt) und hinreichend spezifisch ist. Aus dieser sprachanalytischen Bestimmung des Tatsachenbegriffs geht hervor, dass Tatsachen zwar vor ihrer sprachlichen Formulierung zu existieren scheinen, aber erst in ihr und vermöge ihrer als Tatsachen angesprochen werden können. Sprache ist, mit Popper gesprochen, das ausgezeichnete Medium, das die Welt 1 der physikalischen Gegenstände und die Welt 2 der psychischen Zustände übergreift und noch eine weitere, dritte Ebene von Welt bestimmt, die man die des objektiven Geistes (objective mind) nennen könnte.89 Anders als von Popper intendiert, gibt diese Unterscheidung der Weltsemantik auch Kulturphilosophie und alethischem Pragmatismus einen Schlüssel zur Bestimmung der eigenen Gegenstände, der sozialen und kulturellen Tatsachen, an die Hand. Beethovens »Eroica« könnte das willkürlich herausgegriffene Beispiel einer kulturellen Tatsache sein, die nur deshalb für eine Tatsache gilt, weil sie von hinreichend vielen Menschen als eine solche rezipiert wird. Kulturelle Tatsachen sind Sachverhalte, die es nur gibt, weil wir annehmen, dass es sie gibt, oder weil wir sie als bestehende Sachverhalte rezipieren. Sie sind – das entspricht dem Doppelgesicht des Tatsachenbegriffs – Produkte der kollektiven Intentionalität eines pluralen Subjekts und dennoch gegenständlich, als Werke in der Welt. So mag die Partitur der dritten Beethovenschen Sinfonie, als Noten auf Papier oder Bildschirmen, der physikalischen Welt 1 angehören. Lebendig wird sie freilich erst als ein Stück objektiven, d. h. überindividuellen Geists vermöge der konkreten Gedankenleistung, psychischen Zustände und koordinierten Handlungen (= Welt 2) lebender Subjekte (des Dirigenten und seines Orchesters etwa), um dennoch ein von diesen konkreten, sie aufführenden Subjekten zugleich unabhängiger Inhalt und Gedanke zu sein (Welt 3), der wiederum zurückwirken kann auf Welt 1 und Welt 2. Tatsachen und Tatsachensphären | 291
Das, worauf sich Tatsachen beziehen, können folglich nicht nur Gegenstände von Welt 1, sondern auch von Welt 2 und Welt 3 sein. In Poppers Unterscheidung der drei Sphären unseres Welt- und Wirklichkeitsverständnisses ist bereits eine implizite Unterscheidung von Tatsachensphären angelegt, wie sie im Folgenden skizzenhaft im Anschluss an Carnaps Logischen Aufbau der Welt (1928) formuliert werden soll. Zunächst zurück zum Beispiel: Als bloßes Notenpapier wäre die »Eroica« eine physikalische, als Umsetzung der Noten in Klänge eine geistig-körperliche, als rezipierte Aufführung eine soziale oder kulturelle Tatsache. Mit Strawson lassen sich Erfahrungsgegenstände als das bestimmen, wovon wir etwas behaupten und Sachverhalte als das, was wir behaupten. Besteht das, was wir behaupten, sprechen wir von Tatsachen und die Behauptung erweist sich als wahr. Obwohl wir also mit Tatsachen einen Objektivitätsanspruch erheben, können wir ihnen nicht den Charakter sinnlichen oder gegenständlichen »Gegebenseins« zusprechen. Einen solchen erkennen wir nur Erfahrungsgegenständen wie diesem Tisch und diesem Geldschein zu. Daher bleibt es eine richtige Intuition aller Korrespondenztheorien, dass sich Aussagen nach den Tatsachen zu richten haben, nicht umgekehrt. Bestehende oder existierende Sachverhalte meinen also nicht Existenz von Gegenständen, sondern Wahrheit von Aussagen. Deren Wahrheitsansprüche können zwar durch Erfahrungen (z. B. Experimente) gestützt, aber eben nicht begründet werden. Anders gesagt: Wahrheitsansprüche werden durch Argumente eingelöst und so als begründeter Anspruch erwiesen. In diese Richtung weist, noch mit problematischen Voraussetzungen behaftet, Searles Unterscheidung zwischen beobachterunabhängigen und beobachterabhängigen Tatsachen (brute facts vs. social oder institutional facts). Denn die Kategorie der beobachterunabhängigen Tatsachen ist selbst eine beobachterabhängige. Searle argumentiert, dass dasjenige, was wir mit »Kraft«, »Masse«, »Atom« bezeichnen, auch unabhängig von uns und solchen Bezeichnungen bestünde, während Geld, Verfassungen, Regierungen etc. von menschlichen Einstellungen und Praktiken abhängig sind. Beobachterunabhängige Tatsachen, wie etwa, dass die Sonne 93 Mio. Meilen von der Erde entfernt ist, gäbe es auch ohne menschliche Beobachter, während soziale Tatsachen wie »Clinton ist Prä292 | Bewährte Überzeugungen
sident (1995)« beobachterabhängige Sachverhalte darstellen.90 Für letztere benötigen wir Sprache, um diese Sachverhalte zu Tatsachen für uns zu machen. Denn der Übergang von Sachverhalt zu bestehender Tatsache bedarf einer intersubjektiven Überprüfung und sprachlichen Mitteilung als Sachverhalt. Sprache wäre durchaus ohne Institutionen wie Geld oder Ehe denkbar, nicht aber Geld oder Ehe ohne die Institution der Sprache. Das liegt an den »Statusfunktionen«91, die dafür sorgen, dass ein bestimmter physikalischer Gegenstand (ein Streifen Papier) oder eine bestimmte Handlung (das Zerschlagen einer Flasche am Schiffsrumpf) in symbolischer Weise mit einer bestimmten Funktion versehen werden kann. Ding X (Papierstreifen) erhält eine Funktion Y (einen bestimmten Tauschwert) nur kraft symbolisch-linguistischer Konventionen, die dieser Funktion Dauer, Akzeptanz, kurzum: Geltung verschaffen. Kulturelle Tatsachen sind folglich Sachverhalte, die nur bestehen, weil sie sich in ihrer Rezeption permanent produzieren und reproduzieren. Kultur ist diejenige (sprachlich strukturierte) Wirklichkeit, die auf der Faktizität von Geltungsansprüchen beruht, mit denen unsere nach Regeln hervorgebrachten Äußerungen versehen werden.92 Bleibt das Problem einer praktikablen begrifflichen Unterscheidung von Tatsachensphären, wie sie unser notwendig vager umgangssprachlicher Gebrauch schon vorgibt. Ein Modell für die Differenzierung solcher Tatsachensphären lässt sich aus Carnaps formalsemantischem Konstitutionssystem der Gegenstandsbereiche gewinnen. Ein solcher Versuch kann hier nur grob skizziert werden. Seine Grundidee besteht darin, Tatsachenbereiche durch sinnvolle Satzfunktionen zu ordnen, um biologische, psychische, politische, soziale, kulturelle Tatsachen zumindest tendenziell auseinanderhalten zu können. Problem und Pedanterie eines solchen formalsemantischen Verfahrens liegen auf der Hand, doch überwöge vielleicht sein Gewinn. Carnap bestimmt Aussagefunktionen ganz im Sinne seines Lehrers Frege. Die Streichung der Argumentstellen ergibt die Satzfunktion. Argumentstellen werden durch Variablen kenntlich gemacht, nur zulässige Argumente können Funktionen »sättigen« bzw. »befriedigen«. Funktionen mit nur einer Argumentstelle heißen Eigenschaften, Funktionen mit mehreren Argumenten Beziehungen. Die Beziehung oder Aussagefunktion »ist eine Stadt in« könnte Tatsachen und Tatsachensphären | 293
durch die zulässigen Argumente »Berlin« und »Deutschland« gesättigt werden.93 Gegenstände werden »sphärenverwandt« genannt, wenn es Argumentstellen einer Funktion gibt, für die die beiden Gegenstandsnamen zulässige Argumente sind (z. B. »Hamburg« und Berlin«); »sphärenfremd« hingegen würden unzulässige Argumente genannt (z. B. »Paris«, »Mond«). Entsprechend solcher Funktionen schälen sich nun Gegenstandssphären heraus – und zwar als Klassen aller sphärenverwandten Gegenstände –, die einander wiederum selbst ausschließen.94 Freilich darf man nicht erwarten, nur »reine Gegenstandssphären« bilden zu können. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die meisten Tatsachenbereiche »unreine Gegenstandssphären« konstituieren, solche nämlich, die Gegenstände umfassen, die nicht allesamt miteinander sphärenverwandt sind. Solche »unreinen Gegenstandssphären« sind für Carnap Gegenstandsarten des Physischen, Psychischen und Geistigen. Beurteilen lassen sich Sphärenverwandtschaften nun anhand der schlichten Prüfung, ob eine Wortreihe einen sinnvollen Satz ergibt oder nicht. Carnap schlägt folgende Reihe nicht sphärenverwandter Gegenstände vor: (a) physische Gegenstände (z. B. Substanzen wie Aluminium) (b) psychische Gegenstände (z. B. Gemütszustände wie die Lebhaftigkeit des Herrn N.) (c) geistige Gegenstände (wie den Expressionismus, die Weimarer Verfassung) (d) biologische Gegenstände (wie die Vererbung genetischer Eigenschaften) (e) mathematisch-logische Gegenstände (wie die Zahl 3, den Satz des Pythagoras) (f) sinnesphänomenologische Gegenstände (wie die Farbe »grün«, eine Melodie) (g) physikalische Gegenstände (wie die Temperatur, ein elektr. Elementarquantum) (h) ethische Gegenstände (wie den kategorischen Imperativ) (i) zeitliche Gegenstände (wie »der heutige Tag«).
Zu vermuten steht, dass sprachpragmatisch-kulturphilosophisch relevante Gegenstands- oder Tatsachensphären stets unreine Sphären bilden – schon aus dem einfachen Grund, dass sich die Objekt294 | Bewährte Überzeugungen
bereiche historischer, politischer, sozialer und kultureller Tatsachen überlappen. So wenig »Geldscheine« ein physikalischer Gegenstand sind (wenngleich auch ein physischer), so wenig ist Geld eine ausschließlich ökonomische oder soziale Tatsache. Sphärenunterscheidungen und Sphärenisomorphien dürften also kaum zu trennen sein. Ein alethischer Pragmatismus hätte beide Perspektiven festzuhalten: den Versuch einer Bestimmung der »Struktur« kultureller Tatsachen, der Aussagefunktion ihrer Gegenstandssphäre sowie der Notwendigkeit, solche Unterscheidungen (im Sinne Ryles und Austins) an den Klippen unserer umgangssprachlichen Sprachspiele wieder zerschellen zu lassen. Wirklichkeit, am wenigsten die kulturelle, lässt sich nicht logisch aufbauen. Dessen ungeachtet lohnt die Frage, ob ein Sphärenmodell von Tatsachen entworfen werden könnte, das die Unterschiede, aber auch Verwandtschaften verschiedener Tatsachenbereiche darzustellen vermag. Der Sinn eines solchen Unternehmens wäre weniger wirklichkeits- denn wahrheitstheoretischer Natur. Verschiedene Behauptungen (normative, deskriptive; logische, politische) würden dann nicht einfach über denselben korrespondenztheoretischen Leisten geschlagen, sondern nach inhaltsspezifischer Orientierung eingeführt. Die Prüfung von Geltungsansprüchen physikalischer Sätze wäre zwangsläufig eine andere als die der Behauptungen über soziale, politische oder geschichtliche Sachverhalte. Ergänzt werden müsste diese Sphärentheorie von Faktizität um die Einsicht, dass sich bestimmte Tatsachenbereiche allererst Formen geteilter Intentionalität verdanken. Dass es eines pluralen Subjekts, dass es mindestens zweier Personen bedarf, um Tatsachen zu konstituieren, zeigt bereits der Umstand, dass sie als bestehende Sachverhalte oft erst relevant werden, wenn es gilt, sie zu rechtfertigen. Dies beleuchtet den Zusammenhang von Tatsachenbegriff und Rechtfertigung. Fragt man den Sohn: »Hast du dir heute morgen vor dem Gang zur Schule auch tatsächlich die Zähne geputzt?«, so könnte die Antwort lauten: »Aber ja, das ist eine Tatsache, du kannst Mama fragen«. Solche Sprechakte legen die Vermutung nahe, dass bestimmte bestehende Sachverhalte erst dann zu Tatsachen werden, wenn wir nach ihnen fragen, um in der Antwort auf diese Frage bestätigt zu werden; wenn sie problematisiert oder mit ihnen Geltungsansprüche erhoben werden. Unter Umständen werden besteTatsachen und Tatsachensphären | 295
hende Sachverhalte sogar erst nachträglich für uns zu Tatsachen. Was so paradox klingt, kommt indes der realistischen Intuition des alethischen Pragmatismus entgegen, der sich die Möglichkeit eines noch unentdeckten Wahrseins offen hält. Tatsachen entspringen einer pluralen Intentionalität. Nur wenn sich mehrere Sprecher und Sprecherinnen eines Umstands gewahr sind, kann sich dieser als Sachverhalt zeigen. Allerdings entstehen Tatsachen nicht nur durch eine bestimmte Art der Wir-Intentionalität, sondern erzeugen diese umgekehrt auch selbst: Ich weiß jetzt, dass mein Sohn weiß, dass ich weiß (oder glaube zu wissen), dass er sich die Zähne geputzt hat. Es ist ein gemeinsames Wissen dieses Sachverhalts entstanden und dieses gemeinsame Wissen macht ihn für uns zu einer Tatsache. Man könnte einwenden, dass der Sachverhalt auch bestanden hätte, wenn nicht nach ihm gefragt worden wäre – und genau dies meint die Überlegung, dass es stets zweier intentionaler Subjekte bedarf, um Tatsachen zu schaffen. Der Metaeinwand könnte lauten: Würden wir, hätte nie jemand danach gefragt, tatsächlich vom Vorgang des morgendlichen Zähneputzens des Sohnes als einer Tatsache sprechen? Wäre es überhaupt eine hinreichend relevante Tatsache, würde man sie nicht stets (halb-) öffentlich als eine solche aussprechen? Solche Überlegungen zeigen, dass es lohnt, die unscheinbare Differenz zwischen »bestehenden Sachverhalten« und »Tatsachen« eigens zu bedenken und mit den Kriterien der Relevanz, Mitteilbarkeit und Wir-Intentionalität zu füllen. Erkennbar wird, dass alle Tatsachen, die nicht – nach der Unterscheidung Searles – beobachterunabhängig sind (wie der Schnee auf dem Mt. Everest) eine Form das »etwas als etwas«, eine Form des »für uns« und damit die Form geteilter und mitteilbarer Intentionalität gewinnen. Kulturelle Tatsachen gibt es, weil sie für Tatsachen gelten. Fontane war hellhörig für diesen Wortsinn. Im Stechlin bekräftigt Thormeyer gegenüber Molchow, alle Kultur entspringe der Tatsache eines orientalischen »Hang[s] nach Restitution«: (19) »Ja, ist es eine Tatsache?« »Schwer zu sagen. Aber es wird als Tatsache genommen. Und das ist ebensogut«.
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7. Konvergenz (1): Korrespondenz »Wahr« kann als ein- oder zweistelliges Prädikat verwendet werden. Für gewöhnlich ist es Ausdruck einer Relation, die zwei Relata bezieht. Will man die Bezogenen nicht hypostasieren, kommt man kaum umhin, von ihrer wechselseitigen Angleichung oder Konvergenz zu sprechen. Offenkundig ist Wahrheit nichts, was einfach vorliegt (wenngleich es Wahres geben mag, das noch nicht als solches erkannt wurde), sondern allererst hervorgebracht wird. Daher unterscheidet der alethische Pragmatismus nicht nur den Begriff der Wahrheit (Was ist Wahrheit?) von ihren Kriterien (Wann ist Wahrheit?), sondern diese auch noch einmal vom Prozess der Verifikation (Wie wird Wahrheit erzeugt?). Moderne Korrespondenztheorien legen die Konvergenz von Aussagen und Tatsachen (Moore, Austin, McDowell), Aussagen und Ereignissen (Russell) oder gar Aussagen und Gegenständen zu Grunde; Kohärenztheorien ermitteln die Konvergenz von Aussagen und Aussagen (Rescher) oder Aussagen und Aussagesystemen (Quine); Konsensustheorien gehen von der Konvergenz der Überzeugungen aller zum Thema Forschenden (Peirce) oder von der im Diskurs ermittelten Übereinkunft einer (virtuell unendlichen) Argumentationsgemeinschaft (Perelman, Habermas, Apel) aus. Übereinstimmungstheorien verbinden mit dem zweistelligen Prädikat »x konvergiert/stimmt überein/korrespondiert mit y (und x wird dadurch wahr genannt)« in der Regel Aussagen und Tatsachen. Moore hat die Notwendigkeit einer gewissen Unbestimmtheit dieser Relation konzediert, um die jeweilige Besonderheit der Beziehung von x zu y bewahren zu können. Denn »jede wahre Meinung (belief) steht in einer besonderen Beziehung zu genau einer Tatsache (fact)«95. In der Tat steht die Überzeugung, dass ich weggefahren bin (so ein Beispiel Moores), zu der Tatsache meiner Abreise in einer ganz anderen (Korrespondenz-)Beziehung wie etwa die Auffassung, dass der Vesuv 79 n. Chr. ausbrach, zu der Tatsache des Vesuvausbruchs stünde. Grundproblem von Korrespondenztheorien bleibt die Frage, was da Korrespondenz heißen und wer da miteinander korrespondieren soll. Denn was stimmt in der Aussage »Die Ansicht ist wahr, dass der Vesuv 79 n. Chr. ausbrach«96 miteinander überein? (i) Korrespondiert das Prädikat »brach aus 79 n. Chr.« mit Konvergenz (1): Korrespondenz | 297
dem Berg Vesuv? (ii) Korrespondiert die Aussage als Ganze mit dem Faktum des Vesuvausbruchs? (iii) Oder korrespondiert diese Ansicht mit dem realen Ereignis im Jahre 79 n. Chr.?97 Bis heute scheint die mittlere (ii), bereits von Moore favorisierte Version der Übereinstimmungstheorie die tragfähigste: »Sagen, dass eine Meinung wahr ist, heißt: Sagen, dass es im Universum eine Tatsache gibt, der sie entspricht (correspond).«98 Als plausibel erweist sie sich insbesondere dann, wenn man die Doppelsemantik des Begriffs »Tatsache« als wahre Proposition und als Etwas in der Welt, das diese Proposition wahr macht99, berücksichtigt. Nur so können Tatsachen als wahre Propositionen bestimmt werden, ohne dass (a) wahre Propositionen selbst immer schon Tatsachen und (b) Tatsachen nicht selbst immer schon identisch mit Wahrheiten wären.100 Sowohl in Aussagen als auch in Tatsachen gehen sprachliche wie außersprachliche Momente ein, so dass Korrespondenztheorien in der Regel eine vermittelte Form des Wirklichkeitsbezugs in Anspruch nehmen. Das dürfte auch für sprachpragmatische Wahrheitsexplikationen gelten, deren Diskussionsgegenstand in der diskursiven Einlösung von Aussagen über kulturelle Tatsachen (also Bedeutungsphänomene) zu finden ist, denen eben dieser Doppelcharakter zukommt. Kulturelle Tatsachen sind – als Werke – auch gegenständlich, aber als Werke, die als etwas gelten, verdanken sie sich einer sprachlich artikulierten Wir-Intentionalität. In der Form kultureller Faktizität vermitteln sich unauflösbar dingliche und sprachliche Momente. Der mittlere Russell hat zeitweilig für die dritte Variante (iii) plädiert – mit dem Argument, dass der Aussage (20) »Cäsar wurde ermordet«
das tatsächliche Ereignis der Ermordung korrespondieren müsse, um wahr zu sein. Tatsachen wären demnach nicht wahre Aussagen, sondern Begebenheiten (occurrences), die als Verifikatoren benötigt werden. Aber schon Dispositionsaussagen wie (21) »Was spröde, ist zerbrechlich« (Grillparzer, Libussa)
oder Allaussagen wie (22) »Alle Menschen sind Egoisten« (Goethe, Der Großkophta) 298 | Bewährte Überzeugungen
lassen sich nicht einfach durch eine bestimmte Begebenheit, etwa durch Zerbrechen einer »spröden« Glasscheibe verifizieren oder falsifizieren. Denn gewiss würde eine nicht zerbrochene Glasscheibe die Dispositionsaussage »Glas ist zerbrechlich«101 nicht widerlegen. Wohl scheinen in Ausnahmefällen auch Dinge – das wäre Variante (i) – als Verifikatoren dienen zu können (so wie der Planet Venus die Aussage »Der Morgenstern ist der Abendstern« wahr macht).102 Doch schränkte dies die Korrespondenzbeziehung »x stimmt mit y überein« auf solche Gestalten von y ein, die stets gegenwärtig sein müssten. Auf vergangene Ereignisse oder Dinge, die mit x korrespondieren sollen, wäre jeder Zugriff verwehrt. Die Unbestimmtheit des Übereinstimmungsbegriffs hat es Kritikern der Korrespondenztheorie leicht gemacht, zu unterstellen, sie begünstige die Tendenz »Wahrheit als Reflex unserer Produktionstreue vorzustellen«103 oder begreife Korrespondenz als gelungene »Kopie« der gemeinten Tatsache. Dem hat bereits Austin entgegnet, es handele sich bei Korrespondenz um ein Verhältnis nicht der Nachahmung, sondern der Vergegenwärtigung – so wie eine Landkarte die betreffende Landschaft nicht abbildet, sondern in die abstrahierende symbolische Form diagrammatischer Schemata übersetzt. Rescher wirft einer zum Zweck seiner Kritik stark zurechtgelegten Korrespondenztheorie vor, sie verstehe »unter einer ›wahren Proposition‹ so etwas wie eine ›genaue Kopie‹ eines Textes: wir haben das Original (die ›Tatsachen, um die es geht‹) und vergleichen es mit der Kopie (der Proposition), um festzustellen, ob sie miteinander korrespondieren oder nicht«104. Dazu sind jeweils Beobachtungssätze zu formulieren, die mit den beobachteten Tatsachen konfrontiert und abgeglichen werden. Wenig hilfreich wäre eine solche Theorie bei Allaussagen, Vergangenheitsaussagen (denen eine »Vergleichstatsache« nicht mehr zur Verfügung steht), Aussagen über Wahrscheinlichkeiten, modalen und hypothetischen Aussagen.105 Indes können Reschers Argumente allenfalls Variante (iii) der Korrespondenztheorie treffen, kaum jene »gereinigte«106 oder »raffiniertere«107 Version, die Austins sprechakttheoretische Wahrheitsexplikation zur Diskussion stellt. Austin selbst mokiert sich über jene naiven Abbildtheorien, die unsere Welt mit »linguistischen Doppelgängern«108 von Faktizität bevölkern wollen. Vielmehr sollKonvergenz (1): Korrespondenz | 299
ten wir von Korrespondenz als von einer Korrelation zwischen Aussagen, Tatsachen und Ereignissen sprechen, die »rein und ausschließlich konventionell«109 ist. Getroffen wird Wahrheit dann, wenn wir über die Tatsachen statements äußern, die mit denen übereinstimmen, die auch jede/r andere Sprecher/in in der gleichen Situation, bestimmten Konventionen gemäß, gemacht haben würde. Korrespondenz wäre insofern »eine Korrespondenz des Gebrauchs oder […] der Rolle«110. Schwerer als Reschers Einwände wiegt ein anderes, alethisch-pragmatisches Argument gegen die Korrespondenztheorie.111 Wenn Wahrheit bloß in der Übereinstimmung von Aussagen und Tatsachen bestünde, dann ließe sich vom Fortschritt des Wissens oder von der Annäherung an die Wahrheit (Poppers »Wahrheitsähnlichkeit«) kaum mehr plausibel reden. Unsere Aussagen würden stets nur wiedergeben, was schon ist.
8. Konvergenz (2): Kohärenz Statt der Übereinstimmung von Aussagen und Sachverhalten/Tatsachen kann »wahr« auch die Übereinstimmungsrelation von Aussagen mit anderen Aussagen genannt werden. Ihr Kriterium wäre dann nicht mehr Korrespondenz, sondern Kohärenz und hätte vor allem die Konsistenz und innere Verbundenheit von Aussagesystemen zum Ziel: »Wenn man […] jede Bezugnahme auf Tatsachen ausschließt, dann kann es nur noch logische Beziehungen zwischen Aussagen geben: Beziehungen logischer Unabhängigkeit, logischen Enthaltenseins oder von Inkompatibilität.«112 Die Aussage (20) Cäsar wurde ermordet
wäre dann kohärent mit anderen Aussagen wie (20´) Sueton schildert Cäsars Ermordung (20´´) Plutarch und Appian berichten von Cäsars Ermordung.
Kohärenz kann nur eine Eigenschaft von Mengen sein, die mindestens zwei Aussagen umfassen. Eine Proposition P1 wäre dann das Element einer kohärenten Menge M von Propositionen M = {P1, P2, P3 …}113, wenn sich P1 immer auch aus den übrigen Elementen von M ableiten ließe.114 Eine Proposition P qualifizierte sich dadurch als 300 | Bewährte Überzeugungen
»Wahrheitskandidat«, dass sie »mit möglichst vielen der restlichen Daten konsistent«115 wäre. Kohärenz meint daher nicht nur formale Vereinbarkeit, sondern auch wechselseitige Stützung der Sätze eines Systems M. Probleme ergeben sich allerdings durch die Möglichkeit kohärenter Mengen, welche Elemente einschließen, die mit denen anderer kohärenter Mengen unverträglich sind. Leicht vorstellbar, dass die Proposition (23) »Die Welt hat keinen Anfang, […] sondern ist unendlich«116
in dem Aussagensystem M1 kohärent, im Aussagensystem M2 hingegen nur als verneinte mit allen anderen Aussagen verträglich ist (Kants Antinomienproblematik). Welche der beiden Propositionen wäre dann wahr – oder gar wahrer, weil kohärenter? Was offensichtlich fehlt, ist eine Metaperspektive, die nicht nur die Binnenkohärenz eines Satzsystems, sondern auch den Wirklichkeitsbezug der enthaltenen Sätze mitberücksichtigte. Das aber hieße, wieder auf korrespondenztheoretische Argumentationen zurückgreifen zu müssen. Allerdings waren schon dem frühen Logischen Empirismus, ungeachtet seines Hangs zu etwas naiven Varianten der Kohärenztheorie, korrespondenztheoretische Elemente keineswegs verfemt. Carnap kennt als Verifikationskriterien sowohl die Konfrontation eines Satzes mit der Beobachtung als auch die Konfrontation des Satzes mit schon zuvor anerkannten Sätzen – mit dem Ziel der »nachträglichen Ausmerzung ungeeigneter Elemente aus dem Satzsystem der Wissenschaft.«117 Sind wissenschaftliche Satzsysteme prinzipiell offen für die Eingliederung neuer Elemente (Propositionen), so wird der Abgleich mit dem System zum entscheidenden Tribunal des Ein- oder Ausschlusses dieser Proposition. Der ausgeschlossene Satz muss demnach für falsch gelten, der eingeschlossene für wahr.118 Quine wird diese Theorie ihrer Naivität überführen, indem er auf das Problem aufmerksam macht, dass Propositionen zum einen selbst schon implizite Theorien enthalten; dass zum anderen Theorien keine starren Gebilde sind, auf die der Einschluss eines neuen Satzes kaum Auswirkungen hätte. Auch klingt bei Quine bereits der cantus firmus aller Einwände gegen Kohärenztheorien an: Dass auch Mythen und Märchen durchaus als kohärente Satzsysteme gelKonvergenz (2): Kohärenz | 301
ten dürfen, ohne dass deren Elemente anerkannt wahre Sätze wären. Umgekehrt können auch kohärente Satzsysteme nicht ausschließlich wahre Sätze enthalten, weil immer die Möglichkeit besteht, dass deren Negation in einem konkurrierenden Satzsystem für wahr gilt. Gegenstand der Verifikation sind folglich immer ganze Theorien, und statt zu sagen, dass jeder sinnvollen Aussage ein empirischer Gehalt eindeutig zugeordnet werden kann, schlägt Quine vor, nicht einzelne Aussagen, sondern gleich alle Aussagen eines Satzsystems vor das »Tribunal der Sinneserfahrung«119 zu stellen. Damit steht auch die Möglichkeit offen, jede Aussage beizubehalten, wenn nur das System drastisch genug angepasst würde. Dann gilt umgekehrt aber auch, dass keine Aussage revisionsimmun sein kann – nicht einmal analytische Sätze. Für den frühen Quine steht deshalb mit jedem empirisch widerlegten oder anzupassenden Satz im Grunde die gesamte Wissenschaft auf dem Spiel: »Die Einheit empirischer Bedeutung ist die Wissenschaft als Ganzes.«120 Ersetzt wird der radikale Holismus später durch einen moderaten, der Satzmengen einer »kritischen semantischen Masse« der Prüfung unterzieht. Gemeint sind Satzmengen, deren Elemente beobachtungskategorische Aussagen enthalten: (24) »Sodiumchlorid löst sich in Wasser auf.«121
Sätze dieser Art sind Theorieminiaturen, die fordern, schon im Falle eines einzigen Nichtauflösens von Sodiumchlorid in Wasser, alle weiteren Sätze, die diesen beobachtungskategorischen Satz enthalten, zu verwerfen oder zu entschärfen. Anders als für Carnap zerfallen für Quine wissenschaftliche Theorien deshalb nicht einfach in einen empirischen (und also falliblen) Beobachtungs- und einen analytisch-axiomatischen (und also revisionsimmunen) theoretischen Teil, sondern sind stets durchsetzt von »spekulativer Metaphysik« und »kulturellen Setzungen« (cultural posits), die eigentlich rationalisierte Mythen sind, aber »dem Fluss unserer Erfahrung eine handhabbare Struktur einarbeiten«122. Wahrheitssuche und Wissenschaft stellen eine pragmatische Weiterführung des common sense dar.
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9. Konvergenz (3): Konsens Holistische Kohärenztheorien neigen jenem common sense-Pragmatismus zu, dem bei Peirce eine Konsenstheorie der Wahrheit entsprang. Konsenstheorien gehen nicht von der Übereinstimmung von Aussagen und Tatsachen oder von der Zusammenstimmung von Sätzen mit anderen Sätzen aus, sondern von der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit von Aussagen. Wahr wäre, nach Peirce, diejenige Meinung, »deren Schicksal es ist, letztlich von allen, die forschen, akzeptiert (agreed to) zu werden«123. Selbstverständlich ist nicht an die praktische Umsetzung einer solchen allgemeinen Zustimmung gedacht, sondern an die Limesposition eines Ideals, der sich unsere »wissenschaftliche Überzeugung annähern«124 sollte. Apel und Habermas haben Peirce’s Idee diskurspragmatisch reformuliert und den diskursiv erzielten Konsens zum Wahrheitskriterium erhoben: »Wahr nennen wir Sätze, deren Geltungsanspruch von jedem vernünftigen Menschen anerkannt werden muß.«125 Ihnen wird die Universalpragmatik zum Ort, an dem sich Wahrheit klären lässt.126 Habermas stellt indes klar, »daß Wahrheit nicht mit den Methoden der Gewinnung von wahren Aussagen verwechselt werden darf«127. Entsprechend beziehen sich die Wahrheitsdefinienda der »diskursive[n] Geltungsansprüche« (Wahrheit und Richtigkeit) auf die Argumentationspraxis einer Prüfung von Aussagen mit Wahrheitsanspruch, nicht aber auf bestimmte Methoden der Aussagengewinnung. Geltungsansprüche sind eher am Modell der Rechtsansprüche zu messen, wo notfalls mit entsprechenden – sei es gerichtlichen, sei es argumentativen – Prozeduren eine Entscheidung herbeigeführt werden muss. Geltungsansprüche verweisen »auf einen ausgezeichneten Modus der Überprüfung, dem diese standhalten sollen«128. Umgekehrt lässt sich der Begriff der Wahrheit von der argumentativen Praxis der Untermauerung von Geltungsansprüchen und den diskursiven Prozeduren der Wahrheitsprüfung auch nicht einfach trennen. Denn zugleich untersteht er jenem Anspruch der Vernunft, in welchem alle anderen Geltungsansprüche letztlich konvergieren. Konsenstheoretiker betonen, dass das Wahrheitskriterium der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit nicht zufällige ÜbereinstimKonvergenz (3): Konsens | 303
mung meinen kann. Dass Geltungsansprüche von Aussagen diskursiv eingelöst werden sollen, ist eine normative Forderung, »diskursive Einlösung« ein normativer Begriff. Privilegiert wird die Form des argumentativ begründeten Konsensus. Dieser kann nur unter bestimmten Bedingungen – dem Willen zur Argumentation und der idealen Sprechsituation – erzielt werden. So soll der Diskurs einem »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« zum Durchbruch verhelfen, der weder auf logischer noch empirischer Notwendigkeit beruht. Nun ist selbst die formale Argumentation bereits an bestimmte Sprachsysteme und kognitive Schemata geknüpft, in die immer schon soziokulturelle Überzeugungen eingehen. Der Diskurs sollte deshalb eine solche prozedurale Gestalt gewinnen, die immer auch die »Revision«129 dieser Sprachsysteme und Schemata erlaubt. Damit kann auch die Erfahrung des Unangemessenwerdens oder Überholtseins von Argumentations- und Sprachsystemen selbst zum Gegenstand des Diskurses werden. Mit einem Wort: Diskurse müssen stets in Metadiskurse über sich selbst und ihre eigenen Bedingungen und Beschränkungen umschlagen dürfen. Nur so erzeugen sie einen Erkenntnisfortschritt in Richtung auf einen »normativen Begriff der Erkenntnis«130. Jeder Diskurs kann von innen, aus sich selbst heraus gesprengt, geschlossen oder geöffnet werden. Sinn der idealen Sprechsituation, die Habermas nur anfänglich auch als »notwendige Bedingungen emanzipierter Lebensformen«131 verstanden hat, ist die Ermöglichung eines unverzerrten, nichtstrategischen, verständigungsorientierten Diskurses, der den Rahmen für die Entfaltung zwangloser Argumentation stiftet. Die konsenserzielende Kraft wahrheitsorientierter Argumentation kann sich nur im Diskurs entfalten. Bedingung ist die symmetrische Verteilung der Sprachakte, die Chancengleichheit bei der Wahrnehmung von Dialogrollen; die Gleichheit in der Problematisierung von Geltungsansprüchen und Diskursebenen. Unter diesen Bedingungen soll die »rationale Motivation« des Diskurses, sein Charakter reinen kommunikativen (d. h. nicht strategisch-instrumentellen) Handelns sichergestellt sein. Warum aber soll der Diskurs Kriterium der Wahrheit sein? Wenn »diskursive Einlösbarkeit« ein Definiens von »wahr« sein soll, so »darf jeder Konsensus, der argumentativ unter Bedingungen einer idealen Sprechsituation erzeugt worden ist, als Kriterium für 304 | Bewährte Überzeugungen
die Einlösung des jeweils thematisierten Geltungsanspruchs angesehen werden.«132 Genauer gesagt: Nicht löst der Konsens selbst schon Geltungsansprüche ein, sondern er gibt allein die – ihrerseits revidierbaren – Kriterien ihrer Einlösung. Die ideale Sprechsituation wird zum kontrafaktischen Konstrukt; ihre Verwirklichung ist ebenso unwahrscheinlich wie denknotwendig. Ihr wächst die Rolle einer Leitidee zur methodischen und prozeduralen Überprüfung realer Diskurse zu. Sie wird zum Maßstab, an dem sich die faktischen Diskurse messen und kritisieren lassen müssen. So lässt sich nie sagen, ob ein konkreter Diskurs wirklich unter Bedingungen der idealen Sprechsituation stattgefunden hat. Wohl aber lässt sich begründet darstellen, warum er offensichtlich dieses Ideal nicht erreichen konnte. Auch hat sie den Sinn der Dezentrierung aller am Diskurs Teilnehmenden als Fokusverschiebung in Richtung auf die Konzentration der zu diskutierenden Sache selbst. Idealiter erreichen solche Dezentrierungen, dass jede Sprecherin und jeder Sprecher von vornherein die Perspektive aller möglichen anderen einzunehmen versucht – eine »praktische Hypothese«, von der eine kritische Theorie der Gesellschaft und der Wahrheit ihren Ausgang nehmen soll.133 Leicht lässt sich gegen konsenstheoretische Überlegungen einwenden, dass selbst dann, wenn alle diskursethischen Bedingungen der Argumentation und idealen Sprechsituation erfüllt sind, diejenigen zustimmungsfähigen Behauptungen, auf die sich die Argumentationsgemeinschaft geeinigt hat, unwahr sein können.134 Was Konsensbedingungen genügt, muss nicht wahr sein. Sonst würde der Satz gelten, mit dem einst Elvis Presleys erste Greatest-HitsSammlung beworben wurde: (25) »Fifty million Americans can’t be wrong«.
Kritisch muss die Konsensustheorie dahingehend befragt werden, ob sie tatsächlich nur das, was die Konsensbedingungen erfüllt, wahr nennen will; und ob tatsächlich alles, was den Konsensbedingungen genügt, für wahr gelten kann. Nicht undenkbar, dass alle Historiker, aus kontingenten Gründen, in der Datierung eines Ereignisses irrten, das »in Wahrheit« jedoch zu einem anderen Zeitpunkt stattfand, dessen »falsche« Datierung sich aber längst und unwiderruflich als eine historische Tatsache etabliert hat.135 Konvergenz (3): Konsens | 305
Ein zweiter Einwand betrifft den konsenstheoretischen Argumentations- und Begründungszwang. Es mag Gründe geben, einen Anspruch nicht begründen zu wollen – oder zu können. Ein dritter ist die Ermangelung eines Falsifikationsprinzips.136 Denn die Vernunftregeln mögen zwar das Recht, nicht aber Pflicht zur Kritik und Widerlegung von Normen bzw. Wahrheitsansprüchen begründen. Viele faktische Beratungen erzielen trotz großen Bemühens aller Beteiligten keinen Konsens. Die Konsensustheorie liefert insofern keine harten Kriterien für die Wahrheit/Falschheit von Aussagen, weil auch der faktische Konsens kein Wahrheitskriterium ist, solange die Möglichkeit besteht, dass sich die Argumentationsgemeinschaft irrtümlich auf Falsches einigen kann. Man müsste, so lautete schon Nietzsches Kritik, nur gemäß den richtigen Konventionen lügen, um wahr zu sprechen.137 Was die Konsensustheorie vielmehr sprachpragmatisch in Erinnerung ruft, und worauf sie vertraut, scheint der alten Humboldtschen Idee verwandt: dass Wahrheit und Vernunft bereits in unsere Sprachspiele, -praktiken und kommunikativen Handlungen eingelassen sind; dass sich Moral, Vernunft und Wahrheit implizit in den Formen kultureller Sprachregeln und Weltansichten sedimentiert haben.
10. Konvergenz (4): Respondenz Vorschlag eines pragmatischen Entsprechungsmodells Wahrheit zeigt sich in der diskursiv eingelösten, darin gesellschaftlichen Konventionen und kulturellen Praktiken folgenden Entsprechung von Aussagen und Sachverhalten. Die Formulierung umreißt eher als den Begriff das Programm eines alethischen Pragmatismus. Zu dessen Aufgaben gehört (i) die Analyse der Wahrheitsansprüche von Aussagen über kulturelle Tatsachen und (ii) die Analyse der kulturellen Bedingungen von Wahrheitsansprüchen, Wahrheitsfindung und Wahrheitsprüfungen selbst. Indem der alethische Pragmatismus die Bedingungen noch der Wahrheitsbedingungen thematisiert, müssen seine Explikationen hinter die propositionale Ebene des Wahrheitsprädikats sowohl zurück-, als auch über sie hinausgehen. Er erschöpft sich nicht in einer epistemisch orientierten Explikation, knüpft die Möglichkeit des Wahrseins also 306 | Bewährte Überzeugungen
nicht, jedenfalls nicht nur, an die Faktizität subjektiven Fürwahrhaltens. Umgekehrt aber sucht der alethische Pragmatismus die Wahrheit weder unabhängig aller menschlichen Praktiken in einem platonischen Ideenhimmel, noch findet er sie in der physischen Welt einfach nur vor. Objektiv unabhängig vom subjektiven oder intersubjektiven Fürwahrhalten kann Wahrheit sprachpragmatisch nur als eine in den kulturellen Konventionen und Evidenzhorizonten der Wahrheitsermittlung schon enthaltene bestimmt werden. In dieser Weise wäre sie auch dem intentionalen »Machen« von Argumentationsgemeinschaften entzogen, ihnen jedenfalls nicht direkt zugänglich. Wahrheit kann nur dann nicht gemacht und willkürlich hergestellt werden, wenn ihre Bedingungen nicht restlos von uns bestimmbar sind. Diese Komplexion berücksichtigt das folgende dreistufige Respondenzmodell einer sprachpragmatischen Wahrheitsexplikation. Es geht aus von einer doppelten konventionellen Entsprechung von assertorischen Sprechakten, Tatsachen und Begebenheiten. Es stiftet einen korrespondenztheoretischen Zusammenhang zwischen (a) Situationen, Ereignissen oder Erfahrungsgegenständen und (b) Sachverhalten, die (c) als bestehende behauptet werden. Diese wiederum werden in einen kohärenz- und konsenstheoretischen Zusammenhang mit den (d) Überzeugungssystemen und Evidenzhorizonten gebracht, in denen sich Tatsachen und assertorische Aussagen situieren. Gemäß dieser vierfachen Unterscheidung lässt sich eine beliebige Situation S, mit Austin etwa das Gefühl der Übelkeit,138 unterschieden von der Tatsache, dass X übel ist (S´) und diese wiederum von X’ Behauptung: »Es ist wahr, dass mir übel ist« (S´´). Da Sätzen, nach Tarskis semantischer Wahrheitstheorie,139 Sinnlosigkeit droht, wenn sie auf sich selbst angewendet oder von sich selbst negiert werden,140 sollte nur der metasprachliche Behauptungssatz (S´´) das Wahrheitsprädikat enthalten. Er selbst ist wiederum in ein normalsprachliches Überzeugungs- und Satzsystem E eingebunden, das je eigene Evidenzhorizonte hervorbringt. Austin hat vorgeschlagen, Behauptungssätze (statements) und assertorische Aussagen (assertions) nicht bloß als Konstativa, sondern als verständigungsorientierte Sprechhandlungen aufzufassen, die – als Handlungen – selbst in der Welt sind. Auch sie unterliegen, Konvergenz (4): Respondenz | 307
als Teil des allgemeinen Symbolsystems der Sprache, konventionellen Regeln. Unser Wahrheitsverständnis korreliert, genauer gesagt, zwei Konventionen. Demnach beziehen sich deskriptive Konventionen auf Wörter und Sätze (S´) – d. h. Sachverhalte in Form von Propositionen –, mit denen, gemäß bestimmter Indikatoren (»am 15. März 44 v. Chr.«), eine Situation in der Welt repräsentiert bzw. ihr entsprochen wird. Dies impliziert Beschreibungsregeln, in die freilich selbst immer schon Interpretationsdiskurse eingegangen sind. Demgegenüber beziehen sich demonstrative Konventionen auf Aussagen, die den deskriptiv-konventionellen Sätzen dieser historischen (also realen) Situationen entsprechen und die, mit verdiktiven oder expositiven Verben gebildet, die behauptete Tatsache bzw. Proposition enthalten (S´´). Damit kommt eine zweite Ebene der Entsprechung ins Spiel, auf der sich die Übereinstimmung von Aussagen und Tatsachen letztlich zu einer doppelten Konvergenz fortbestimmt. Den Grund dafür liefert die zunächst kryptisch wirkende Wahrheitsexplikation Austins: »Eine Aussage wird wahr genannt, wenn der historische Sachverhalt, mit dem sie durch die demonstrativen Konventionen korreliert (auf den sie sich bezieht), einem Typus angehört, mit dem der Satz, durch den sie gemacht worden ist, durch die deskriptiven Konventionen korreliert.«141 Eine assertorische Aussage (S´´) wäre dann wahr, wenn sie sich regelgerecht (nach bestimmten demonstrativen Konventionen, z. B. den Zitationsgepflogenheiten der Geschichtswissenschaft) auf eine Tatsache (S´) bezöge, die ebenfalls regelgerecht (d. h. nach deskriptiven Konventionen) und entsprechend der fraglichen Begebenheit (S) gebildet wurde. Das alethisch-pragmatische Respondenzmodell weist noch auf eine weitere Entsprechung hin. Denn die assertorische Aussage S´´ hat nicht nur in ein Entsprechungsverhältnis mit S´ und S zu treten, sondern muss sich auch »im Wahren« eines entsprechenden Evidenzhorizonts befinden. Aussage S´´ muss in einem geltenden Überzeugungssystem E anerkannt sein oder werden, um selbst Evidenz und Geltung zu gewinnen. Die drei Entsprechungs- oder Respondenzverhältnisse lassen sich wie folgt schematisieren:
308 | Bewährte Überzeugungen
S´´ E Aussagen Evidenzhorizonte
FGG GS GGG H FG GS GG H FG GG SG GG H
S S´ Begebenheiten/Situationen Tatsachen
1. Entsprechung 2. Entsprechung [deskriptive Konv.] [demonstrative Konv.] (= Objektivierung)
3. Entsprechung (= Geltung)
Nach diesem Modell werden behauptende Sprechakte des Typs S´´ selbst als Ereignisse interpretierbar, die zu einer Begebenheit (S) bzw. einem Sachverhalt (S´) in der Welt werden können, über den sich neue Behauptungen (S´´´) anstellen lassen – wobei die jeweiligen Regeln zur Beschreibung von Sachverhalten und zur Bestimmung dessen, was Entsprechung bedeutet, selbst geschichtlich veränderlich und veränderbar sind. Warum etwas gilt, ist jederzeit im Diskurs kritisierbar. Auch erfasst das Modell den Doppelcharakter des Tatsachenbegriffs wesentlich genauer. Es lässt sehen, dass Tatsachen selbst schon eine Entsprechung von Erfahrung darstellen, dass sie eine Art impliziter Sprechakt sind, der außersprachliche Erfahrungsgegenstände allererst auch für andere erfahrbar macht. Wahrsein hängt also gerade nicht allein von der sprachlichen Gestalt der Sachverhalte ab, die gleichwohl nur als sprachliche für uns zu Tatsachen werden. So ergibt sich ein eigentümlicher Chiasmus: Tatsachen sind nicht nur abhängig von ihrem sprachlichen Wahrsein und doch in ihrem Dasein abhängig von sprachlich-propositionaler Repräsentation. Zu den Vorzügen des pragmatistischen Respondenzmodells gehört die Einsicht, dass Behauptungen vom Typ S´´ nicht der Anwesenheit von Begebenheiten des Typs S bedürfen, um für wahr zu gelten. Es genügt ihre konventionelle Entsprechung zu Sätzen des Typs S´ – und/oder die Entsprechung mit den Evidenzhorizonten E. Darin besteht ihr kohärenztheoretisches Element. In der Tat scheinen die meisten unserer historischen und kulturellen Tatsachen dieser Art, weil uns ihr ursprünglicher Erfahrungsgegenstand nicht mehr zugänglich ist – oder es nie hätte werden können. Auch zeigt es, dass Sätze über Sätze des Typs S´´: (26) Ich behaupte, es ist wahr, dass für bewegte Systeme »die lange Zeit der Reise nur ein Augenblick [wäre], falls die Bewegung annähernd mit Lichtgeschwindigkeit erfolgte«142 Konvergenz (4): Respondenz | 309
selbst zu »neuen« Tatsachen werden können. Mit ähnlichen Überlegungen hatte bereits Simmel darauf hingewiesen, dass die Rezeption physikalischer Tatsachen und Theorien selbst nicht mehr als physikalische, sondern als kulturelle Tatsache gelten muss.143 Nicht zuletzt zeigt das Modell, dass eine Behauptung S´´, im Gegensatz zur redundanztheoretischen Auffassung, sehr wohl einen Unterschied gegenüber den propositionalen Sachverhalten S´ markiert. Weder sind Sätze des Typs S´ objektsprachliche Doppelgänger der Begebenheit S, noch sind Sätze des Typs S´´ metasprachliche Wiedergänger der objektsprachlichen Propositionen S´, sondern Sätze eigenen Rechts, die – unter Voraussetzung entsprechender Prüfungsprozesse – selbst in das kulturelle Gedächtnis der Tatsachen, d. h. in unsere Evidenzhorizonte Eingang finden können. Denn nur dann, wenn die illokutionäre Ebene assertorischer Sprachakte berücksichtigt wird, lassen sich auch Tendenzen kulturellen Wandels, geschichtlicher Dynamik und diskursiver Kritik in einem Wahrheitsverständnis verankern, welches, alles andere als geschichtlich invariant, evidenterweise einen »Zeitkern« besitzt. Anders als die Begriffe »Korrespondenz« oder »Übereinstimmung« trägt der Terminus »Entsprechung« der sprachlichen Signatur jener Konvergenzen zwischen Erfahrungsgegenständen, Tatsachen und Aussagen Rechnung. Der privative Sinn des Präfix ent- gibt zunächst den Charakter der Aufhebung äußerer Ding-lichkeit in die Form der Sprache wieder; der dativische Sinn der impliziten Frage, wem da entsprochen werde, zeigt den doppelten Bezug an, der eine Entsprechung sowohl mit außersprachlicher Sachhaltigkeit (S´– S) als auch mit innersprachlicher Faktizität (S´´– S´ und S´´– E) ausdrücken kann. Darin spiegelt das Respondenzmodell zuletzt auch die zwischen Gegenständen, Bedeutungen und Zeichen waltende Struktur symbolischer Reflexivität zurück. Der Inhalt der zweiten Entsprechung, welche die Angemessenheit der Verwendung demonstrativer Konventionen anzeigen soll, ist allerdings gegenüber ihrer ungenauen Austinschen Bestimmung erheblich – und zwar kohärenz- und konsensustheoretisch – zu erweitern. Denn in der Tat unterliegen Sätze des Typs S´´ dem Prozess der Prüfung oder Verifikation mit anderen Sätzen gleichen Typs. Doch entstammen diese Sätze selbst wiederum einer räsonierenden Argumentationsgemeinschaft, innerhalb derer der Wahrheitsanspruch solcher 310 | Bewährte Überzeugungen
Aussagen einer Prüfung unterworfen wird. Sätze gelten dann für wahr oder bewährt, wenn sie nicht nur deskriptiven und demonstrativen Darstellungskonventionen entsprechen, sondern auch, nimmt man ein akademisches Beispiel, den disziplinären Gepflogenheiten und fachlichen Überzeugungen eines bestimmten Fachs oder einer Forschungsgemeinschaft. Aufgabe des alethischen Pragmatismus ist folglich die genauere Erläuterung der verifikatorischen und validatorischen Elemente unseres Wahrheitsverständnisses, die sich in der Bewährung oder Kritik von Aussagen zeigen.
11. Verifikation als Bewährung und Kritik Empirische Aussagen, so lautete in seltener Einmütigkeit die Auffassung der logischen Positivisten und der frühen Kritischen Theorie, können sich nicht bewahrheiten, wohl aber bewähren: »Wahr, (in der üblichen Bedeutung) ist ein zeitunabhängiger Begriff […], ›bewährt‹ ist dagegen zeitabhängig.«144 Entsprechend kann das vermeintlich unbedingte Prädikat »wahr« kein Bewährungskriterium für »erkenntnistheoretische Überlegungen«145 sein. Konsequenterweise kann es auch keine absolute Verifikation empirischwissenschaftlicher Aussagen geben, sondern nur eine »mehr oder weniger«146 Bewährung oder Erschütterung. Bewährung meint die vorläufige praeter-propter-Bestätigung empirischer Sätze, aufgrund geeigneter Beobachtungen, aus denen Voraussagen über Wahrscheinlichkeiten abgeleitet werden. Unabhängig wahr scheinen nur analytische Aussagen zu sein, die keiner empirischen Überprüfung zugänglich sind. Diese sind entweder tautologisch oder kontradiktorisch, d. h. aussagenlogisch stets wahr oder stets falsch. Gewiss muss man sich die Wahrheit des Satzes (27) Ein Wirbeltier ist ein Wirbeltier
nicht von einem Biologen empirisch bestätigen lassen. Aber schon analytische Sätze wie (28) Alle Junggesellen sind unverheiratet
beruhen auf rein lexikographischen Synonymien, die keinesfalls invariant sind.147 Bleiben allein die logisch wahren analytischen Sätze Verifikation als Bewährung und Kritik | 311
übrig, welche allerdings nur noch die reine Form des »logischen Raums« selbst anzeigen. Man war versucht, sagt Quine rückblickend auf den logischen Empirismus, »ganz allgemein anzunehmen, die Wahrheit einer Aussage sei irgendwie in eine sprachliche und eine faktische Komponente analysierbar. Unter dieser Annahme erscheint es im nächsten Schritt vernünftig, dass bei manchen Aussagen die faktische Komponente gleich Null sein soll«148. Man müsste, so das zweite Dogma des Empirismus, von solchen Sätzen nur alle außerlinguistische Faktizität (extralinguistic fact) abziehen, um analytische Wahrheit(en) zu erhalten. Empirische Wahrheit wäre dann abhängig von Sprache und außersprachlichen »Tatsachen« (besser: Erfahrungsgegenständen des Typs S), analytische Wahrheit nur von den logischen Formen sprachlicher Syntax. Wo sich aber keine klare begriffliche Grenze zwischen analytischen und synthetischen Sätzen ziehen lässt, da können allerdings auch analytische Aussagen allenfalls auf Bewährung entlassen werden. Preisgegeben wird damit auch die naive Ansicht, analytische Wahrheiten seien das, was von Aussagen nach Abzug aller außerlinguistischen Faktoren übrig bleiben würde. Für Quine liegen die Wahrheitsbedingungen deshalb sowohl in der Sprache als auch in den extralinguistic facts.149 Eigenartigerweise scheinen dann überhaupt nur noch solche (vormals »empirisch« genannten) Aussagen übrig zu bleiben, denen statt des Prädikats »wahr« ein »vorläufig bestätigt« zugesprochen werden kann. Von solchen Aussagen gilt aber nicht minder, dass auch ihre Bewährungsbedingungen aufzuhellen sind. Gegen die blinden wissenschaftsphilosophischen Flecken des logischen Empirismus hatte bereits die frühe Kritische Theorie auf der Berücksichtigung der historischen und gesellschaftlichen Situierung solcher Bewährungsbedingungen insistiert. Denn schon »bei dem Erforschen und Feststellen von Tatbeständen, erst recht bei der Verifikation von Theorien, spielen die Richtung der Aufmerksamkeit, die Feinheit der Methoden, die Struktur des Kategorienmaterials, kurz die menschliche Aktivität, die der bestimmten gesellschaftlichen Periode entspricht, ihre Rolle«150. Will man die »unabgeschlossene Dialektik« der Wahrheit in Forschungs- und Erkenntnisprozessen anerkennen, so zeigt die dafür nötige »Analyse des Begriffs der Bewährung, […] dass die Entscheidung über bestimmte Wahrheiten 312 | Bewährte Überzeugungen
von noch nicht vollendeten geschichtlichen Prozessen abhängt«151. Eben dieser unreflektierten Kontexte nimmt sich der alethische Pragmatismus an. Wahrheitsfragen stellen sich überhaupt erst auf dem brüchig gewordenen Boden erschütterter Überzeugungen, deren Bewährtheit fragwürdig wurde. Jede Frage nach Verifikation bestimmter Sätze (oder Theorien) ist Ausdruck einer Bewährungskrise anderer Aussagen (oder Aussagensysteme). Weder aber werden solche Überzeugungen noch deren Verifikationskriterien in einem antiseptischen Laborraum der Gründe gefunden. Die »Verifikation und Bewährung von Vorstellungen, die sich auf Mensch und Gesellschaft beziehen«, bestehe – wie Horkheimer hervorhebt – »nicht nur in Laboratoriumsexperimenten oder im Aufsuchen von Dokumenten, sondern in geschichtlichen Kämpfen, bei denen die Überzeugung selbst eine wesentliche Rolle spielt«152. Fragen der Verifikation sind deshalb nicht nur Fragen einer wissenschaftspragmatischen Explikation, in der Probleme des Verhältnisses von Wahrheit und Irrtum verhandelt werden, sondern auch Fragen einer sprachpragmatischen Alethiologie153, die solche meist unthematischen disziplinären und historischen Bedingungen der Verifikation zur Sprache bringt. Der alethische Pragmatismus hat zweierlei im Blick: die allgemeine Analyse der sozialen und kulturellen Kontextbedingungen der Verifikation ebenso wie die konkrete Analyse von Behauptungen (S´´), deren Verifikatoren kulturelle Tatsachen des Typs S´ oder E sind.
12. Evidenzhorizonte: Im-Wahren-Sein Zum Thema werden einem alethischen Pragmatismus allerdings nicht nur Fragen nach der Wahrheit von Behauptungen über kulturelle Tatsachen, sondern auch solche nach der Wahrheit als einer kulturellen Tatsache. Eine solche Frage gehörte zu jenen prinzipiell nicht zu beantwortenden Fragen, die eine analytische Philosophie, bedacht auf die übersichtliche Zerlegung von Problemen in ihre vermeintlich für sich lösbaren Segmente, perhorreszieren musste, aber erst durch ihre Unbeantwortbarkeit überhaupt zu jenen philosophischen Problemen werden, die »jedermann« (Kant) zu interessieren vermögen. Indessen gibt es einen Punkt, an dem sich Evidenzhorizonte: Im-Wahren-Sein | 313
die Linien einer solchen kulturphilosophischen »grand theory«Frage mit dem technizistischen »piecemeal engineering« deflationistischer Wahrheitstheorien schneiden lassen: in der Frage nach Evidenz. Denn es scheint, als sei die unwiderstehliche Evidenz des Wahren mitverantwortlich für dessen Karriere innerhalb der europäischen Kulturen; zugleich ist es nichts anderes als Evidenz, die sich in zustimmenden Äußerungen wie (29) That’s true
bekundet, an deren Analyse sich »minimalistische«, »prosententionalistische« und »disquotationalistische« Wahrheitstheorien so intensiv abarbeiten. Schon Strawson hatte gegen Austin geltend gemacht, dass das Prädikat »wahr« gar keinen ontologischen Sachverhalte anzeige, sondern schlicht den performativen Akt der Anerkennung oder Bestätigung einer Behauptung, der freilich auch durch Interjektionen wie »Richtig« oder »Stimmt« ausgeführt werden kann. Sätze wie »Du sprichst wahr« oder »Das ist wahr« werden verwendet, um Aussagen einer anderen Sprecherin zu bekräftigen, zu bestätigen oder anzuerkennen. Sie können allerdings auch selbst Behauptungscharakter annehmen, zuweilen sogar dann, wenn der Sprecherin gar nicht bewusst ist, damit etwas zu behaupten.154 Minimalistische und deflationistische Theorien könnten getrost als voreilige Entsorgung des Wahrheitsproblems ignoriert werden, wäre an ihnen nicht die Überlegung bedenkenswert, in dem Prädikat »wahr« einen nicht zu definierenden,155 weil nicht weiter reduzierbaren und daher »einfachen Begriff« (primitive concept) zu erkennen, dessen Analyse unserem intuitiven Verständnis von »wahr« entweder nichts hinzufügt oder sich in einem Labyrinth an Beispielen und Gegenbeispielen verstrickt. »Warum in aller Welt«, ruft Davidson aus, »sollten wir hoffen, Wahrheit auf etwas noch Klareres und Grundlegenderes reduzieren zu können?«156 In der Tat ist Evidenz selbst kaum erklärbar. Wohl aber lassen sich alethischpragmatisch fünf Evidenzstufen unterscheiden, deren übergreifendes Merkmal jenes Moment des »mit Einem Schlage« (Fichte) Einleuchtens sein dürfte. Introspektive Evidenz157 kennzeichnet alle subjektiven Urteile der inneren Wahrnehmung (»Ich sehe jetzt diesen Bildschirm«), deren 314 | Bewährte Überzeugungen
Beschreibung vor allem der Indexikalia bedarf. Von solchen Wahrnehmungsurteilen sagt Husserl, ihnen komme nicht eigentlich der Status wahrer, sondern wahrscheinlicher oder wahrhaftiger Sätze zu (»Ich fühle mich nicht wohl«).158 Es wäre schlicht sinnlos, sie falsch zu nennen (»Ich sehe jetzt einen roten Kreis, aber das stimmt nicht«). Axiomatische Evidenz hingegen leitet sich aus der logischsyntaktischen Form der Sprache ab. Solche Evidenz kennzeichnet alles Schließen oder unmittelbare Auffassen wahrer Sätze (»Alle Löwinnen sind weiblich«), aber auch implikative Aussagen wie: »Alle Kinder von Jack sind kahl«159, welche evidenterweise impliziert, dass Jack mindestens zwei Kinder hat. Axiomatische Evidenz besagt, dass es sich notwendigerweise so verhält, wie gesagt wurde.160 Schon Mendelssohn bezeichnet »metaphysische Sätze« wie den Satz vom Widerspruch oder moralische Wahrheiten wie den Dekalog als transzendentale Evidenzen.161 Es mag überraschen, dass Phänomene ikonischer Evidenz durchaus mit solchen axiomatischer Evidenz zusammenhängen. Denn nicht nur vermögen Bilder, etwa als Beweismittel, unmittelbar einzuleuchten – wie das Sujet eines Gemäldes, welches unstreitig die sacra familia zeigt. Auch logische Schlüsse können ikonisch durchsichtig sein. Der Kettenschluss p → q, q → r p → r vermag, mit nur wenig Vorkenntnis, aufgrund der Transparenz seiner diagrammatisch-schriftbildlichen Darstellung unmittelbar einzuleuchten. Disziplinäre und systemische Evidenzen, wie sie Foucault im Blick auf Diskurse untersucht hat, betreffen näher schon Wahrheitsproduktion und Verifikation in den Ordnungssystemen der Wissenschaften. Es muss nicht erst lange bewiesen werden, dass Wünschelrutengänge nicht in das Repertoire geologischer Untersuchungsmethoden gehören und bestenfalls für parawissenschaftlich gelten. Disziplinäre Evidenzen werden durch Ordnungssysteme gestiftet. Sie gewinnen ihre Überzeugungskraft mithin durch Teilhabe an anderen Evidenzstufen, so wie die Logik an axiomatischer Evidenz, die Neuropsychologie auch an der ikonischen Evidenz bildgebender Verfahren partizipiert etc. Kulturelle Evidenzen drücken sich in sozialen Handlungen, kulturellen Selbstverständlichkeiten oder kollektiven Hintergrundüberzeugungen aus, die ihre Evidenz erst dann verlieren, wenn sie selbst fragwürdig werden. Evidenzhorizonte: Im-Wahren-Sein | 315
Der alethische Pragmatismus konzentriert sich naheliegenderweise auf die beiden letzten Evidenzunterscheidungen. Auch hier gibt es Entsprechungsverhältnisse, die nicht Abbildung, photorealistische Wiedergabe oder Strukturgleichheit, sondern Respondenz und Korrespondenz mit gewachsenen Sprachkonventionen meinen. Dagegen ließe sich wahrheitsskeptizistisch einwenden, dass solche Entsprechungskonventionen das Bestehende zementieren; dass die deskriptiven und demonstrativen Konventionen zu einem der Sache selbst äußerlichen Wahrheitskriterium gerinnen. Diesem Argument entgegnet der alethische Pragmatismus, dessen nietzscheanisches Erbe er in diesem Punkt antritt, mit der Erinnerung an die prinzipielle Fallibilität und Kritikabilität auch gewachsener Wahrheits- und Evidenzkonventionen. Das unterscheidet die »diskursive Wahrheit« disziplinärer Formen, in der Behauptungen situiert sein müssen, um überhaupt als Wahrheitskandidaten in den Blick zu kommen, von der »transzendentalen Wahrheit« Kants, welche die Ermöglichungsstrukturen und Konstitutionsbedingungen von Erfahrung und Objektivität einbegreift.162 Noch weniger Ähnlichkeit hat das moderne Prädikat »wahr« mit jener mittelalterlichen Transzendentalie, deren Bestimmung jedem natürlich Seienden a priori zuzusprechen war und alles Seiende von Anbeginn »im Wahren« situierte. Eine wahre Ordnung des Seienden hat für säkulare Zivilgesellschaften ihre Evidenz verloren. Insofern wir auf solche alethischen Evidenzhorizonte bei der Lektüre älterer Texte stoßen, bedarf es der oft mühsamen Rekonstruktion ihrer verständnisstiftenden Kontexte. Dann gilt es, die Perspektiven derjenigen einzunehmen, für die das Gesagte einmal Evidenz besessen hat. Der alethische Pragmatismus wird deshalb zu einer Art »praktischen Hermeneutik«163 der Nachkonstruktion von Evidenzparametern. Eine solche Rekonstruktion schließt den Kreis zur vorpropositionalen Ebene der Wahrheitssemantik. Denn die Überzeugungen, die jene zu überprüfenden, wahrheitsbeanspruchenden propositionalen Aussagen allererst motivieren, sind selbst schon durchdrungen von kulturellen Evidenzhorizonten. Dabei stiftet das Motiv der Evidenz die Einheit der drei wahrheitssemantischen Ebenen des kulturphilosophischen Ansatzes. So stellt sich im Wahrheitsgefühl und Wahrhaftigkeitsanspruch der Überzeugungen, die 316 | Bewährte Überzeugungen
unsere Aussagen motivieren und begleiten, ein Gefühl der Stimmigkeit und Klarheit ein. Überzeugungen sind nur dann überzeugend, wenn sie sich selbst entsprechen. Auf der propositionalen Ebene erzeugt die Erkenntnis der Entsprechung von Aussagen (S´´) und Tatsachen (S´) bzw. Aussagen (S´´) und Aussagesystemen (E) eine diskursiv einlösbare Evidenz: (30) p ist genau dann wahr, wenn p.
Auf der dritten, transpropositionalen Ebene zeigt sich, dass Behauptungssätze und Wahrheitsansprüche nicht schon und auch nicht nur durch Faktenkonformität Evidenz gewinnen, sondern auch kulturellen Evidenzkriterien genügen müssen. Nun sind, und darauf kommt es an, vorpropositionale Überzeugungen nicht bloß subjektive Empfindungen, sondern bereits geprägt von interpersonalen Beziehungen, kulturellen Praktiken und gesellschaftlichen Selbstverständnissen. Mehr noch: Überzeugungen, Wahrheitsgefühle und Wahrhaftigkeitsansprüche dürften gerade in dem Maße mit sich übereinstimmen und wirksam werden, wie sie mit den kulturellen Evidenzhorizonten konvergieren, in denen sich solche Beziehungen, Praktiken und Selbstverständnisse entfalten. Daher bilden die drei Objektbereiche des alethischen Pragmatismus einen offenen Kreis von vorprädikativer Überzeugung, propositionalem Wahrheitsbegriff und kulturellem Evidenzhorizont, deren Zusammenhang die unterschiedlichen Formen von Konvergenz und Evidenz stiften, die sich auf verschiedenen Stufen in ihnen ausdrücken. Offensichtlich ergänzen sich die semantischen Ebenen unseres sprachpragmatischen Wahrheitsverständnisses nicht nur, sie setzen sich wechselseitig voraus. Denn unsere sei es auch noch so subjektiven (vor-)propositionalen Überzeugungen sind schon eingebettet in den kulturellen Evidenzhorizont, dem sie ihre Grundkoordinaten verdanken. Vielleicht beruht ein Gutteil der Streitigkeiten, Verkürzungen und Einseitigkeiten innerhalb des modernen Wahrheitsdiskurses gerade auf der künstlichen Trennung dieser Objektebenen, auf der Ignoranz ihrer Wechselwirkungen. Die folgende Übersicht mag diese Zusammenhänge andeuten, aber auch zeigen, dass die unterschiedenen semantischen Ebenen gleichwohl nicht aufeinander reduzierbar sind: Evidenzhorizonte: Im-Wahren-Sein | 317
Entsprechung
Evidenz
Status
(vorpropositionale) Überzeugungen
von Überzeugungen mit sich selbst
unmittelbar
subjektiv
(propositionale) Wahrheitsträger
von Aussagen mit Sachverhalten/ Tatsachen
geprüft, diskursiv ermittelt, rational begründet
intersubjektiv
vermittelt gegeben, vorgefunden, gleichwohl veränderlich und kritisierbar
objektiv
(transpropositionale) von geprüften Aussagen Wahrheitsbedingungen mit Aussage- und Überzeugungssystemen, und Evidenzhorizonte Evidenzhorizonten und kulturellen Praktiken
Ungeachtet der unterschiedlichen Perspektiven des Wahrmachens, die der alethische Pragmatismus im Laufe seiner Theoriegeschichte entwickelt hat, lässt er sich durch den alethischen Realismus darin belehren, dass es Wahrheitsträger geben mag, von denen wir nicht wissen können, dass sie es sind. Dieses Korrektiv setzt allen pragmatistischen Phantasien des »Machens« von Wahrheit enge Grenzen. In dem reflexiven Raum solcher Selbstkorrekturen erscheint Wahrheit als nicht schon identisch mit dem Wissen von ihr. Das schließt den Grundsatz epistemischer Wahrheitstheorien – »Wenn eine Aussage wahr ist, muss es im Prinzip möglich sein, zu wissen, worin sie wahr ist«164 – zwar nicht gänzlich aus, relativiert ihn aber erheblich. Denn selbst wenn der Fall sein sollte, dass das, was wahr ist, sich in einer sprachlich »artikulierenden Offenbarkeit«165 auch tatsächlich von sich her zeigt, so muss doch weder alles, was sich in ähnlicher Weise zeigt, wahr sein, noch offenbart sich uns zwingend alles, was wahr ist. Nicht alles Wahre muss, unmittelbar oder nachträglich, Evidenz gewinnen. Man hat daher allen Grund, der strukturellen Ignoranz und Imperfektion menschlichen Wissens, dem Anoetischen also, auch wahrheitstheoretisch Rechnung zu tragen. Es gibt Gedanken, auf die eine stets geschichtlich situierte Argumentationsgemeinschaft nicht verfallen kann, weil ihre alethischen Evidenzhorizonte nur bestimmte Erkenntnismöglichkeiten eröffnen, während sie andere verschließen. Es sind zugleich diese Horizontbeschränkungen, die Erkenntnisse überhaupt erst spezifisch machen. Deshalb setzt auch der alethische Pragmatismus einen Rest unhintergehbarer Unwissen318 | Bewährte Überzeugungen
heit voraus. Neben dem notwendig alethisch Unbestimmten (performative Sätze, Erfahrungsgegenstände, Personen) kann es auch propositional Wahrheitsindefinites geben. Sei es, weil es sinnlos wäre, nach seinem Wahrheitswert zu fragen; sei es, weil es wahr sein könnte, aber gleichwohl nicht rational und diskursiv begründbar. Alethische Pragmatisten wissen um die Beschränkungen menschlicher Erkenntnis. Sie wissen, dass sich nicht alle Aussagen und Überzeugungen so lange traktieren lassen, »bis dass die Wahrheit sich enthüllte, kalt und blass« (Baudelaire).
Evidenzhorizonte: Im-Wahren-Sein | 319
Müssen Wahrheitstheorien wahr sein? 1. Konkurrieren Wahrheitstheorien? Michael Dummett hat die wahrheitstheoretischen Kontroversen des letzten Jahrhunderts als einen »Disput« zwischen Korrespondenz- und Kohärenztheorien rekonstruiert. Während Korrespondenztheorien die Übereinstimmung von Aussagen und Tatsachen zum Kriterium erheben, betonen Kohärenztheorien die Notwendigkeit der Übereinstimmung von Aussagen mit anderen Aussagen.1 Man muss kein alethischer Pragmatist sein, um diese Zuspitzung für eine Überpointierung zu halten, die vermutlich den strategischen Sinn verfolgt, Dummetts eigene bedeutungstheoretische Wahrheitsexplikation als innovatives tertium comparationis anzubieten. Dass eine solche Gegenüberstellung überhaupt nur auf kohärenztheoretischem Boden möglich ist, weil sie Aussagen der Korrespondenztheorie mit Aussagen der Kohärenztheorie konkurrieren lässt, scheint eine weitere hintersinnige Pointe dieser These. Indes dürfte schwierig genug sein, wahrheitstheoretische Explikationen Lagern zuzuordnen.2 Selten treten sie in idealtypischer Form auf und auch auf der formalen Ebene gibt es Überschneidungen. Wissenschaftlicher Parochialismus, die Vorstellung, man könne theoretische Ansätze voneinander trennen wie Gemeindebezirke, sitzt in der Regel einer doppelten Täuschung auf. Zum einen verdanken sich dichotomische Theorieunterscheidungen einem verbreiteten geisteswissenschaftlichen Zerrbild naturwissenschaftlicher Theoriebildung, welches unterstellt, es gäbe streng unterschiedene Lösungswege oder Experimentanordnungen. Zum anderen entrichten auch alethische Theorien einen Preis für die Verwissenschaftlichung und linguistische »Deflation« des traditionellen Wahrheitsbegriffs, welche konsequent die Reduktion auf propositionale Fragen der Satzwahrheit nach sich zieht. Hoch scheint dieser Preis, weil die Deflation in der Regel nicht mehr zwischen den Tatsachenbereichen unterscheiden kann, die | 321
Propositionen allererst zu wahrheitsbeanspruchenden Aussagen machen. Die folgenden Überlegungen wollen anhand der paradoxen Titelfrage zwei Thesen untermauern. Deren erste lautet, dass verschiedene Wahrheitstheorien unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und es genauer Prüfung bedarf, um festzustellen, ob sie überhaupt konkurrieren.3 Die zweite These besagt, dass sich metatheoretische Überlegungen zum Wahrheitsprädikat und ihren jeweiligen Theorien auf moderate Weise eines typentheoretischen Instrumentariums bedienen sollten, um bestimmte, wie immer auch unvermeidbare, Paradoxien aufzudecken. Die Argumentation der ersten These geht davon aus, dass an Dummetts Verdikt wenn nicht generell das Postulat der Theorienkonkurrenz, so doch das der Konkurrenz von Korrespondenz- und Kohärenztheorie schief ist. Zwar können Theorien, die sich derselben Aufgabe stellen, auch denselben Untersuchungsgegenstand teilen, wenngleich mit verschiedenen Methoden untersuchen, miteinander um einen höheren Grad der Erklärungskraft, theoretischen Klarheit oder erfolgreichen Wirkung wetteifern. Schwierig aber bleibt die Frage, was es heißt, dass Wahrheitstheorien in Konkurrenz zueinander treten. Dies fällt zusammen mit der Frage, worum und auch: worumwillen alethische Theorien in ihrem Disput konkurrieren. Erheben sie Anspruch auf Richtigkeit, auf Gültigkeit, auf vorläufige Nichtfalsifizierbarkeit oder selbst auf – Wahrheit? Ist also die Beziehung einer Theorie der Wahrheit zu ihrem Gegenstand der Art, dass sie mit ihm eng »korrespondieren« und daher selbst Anspruch auf Wahrheit erheben müsste? Anders gefragt: Müssen auch Wahrheitstheorien wahr sein? Umgangssprachlich scheint die Rede unverfänglich. Von einer Theorie, die andere ablöst, kann man sagen, sie sei erklärungskräftiger und also »wahrer« als die überwundene. Freilich würde dies zweierlei konzedieren. Erstens, dass nicht nur Sätze, sondern auch Theorien einen Wahrheitsanspruch erheben können. Und zweitens, dass Wahrheitstheorien einen solchen Anspruch in geradezu emphatischer Weise erheben müssen, weil ihr Gegenstand selbst der der »Wahrheit« ist. Eine Bemerkung Wolfgang Künnes geht in eben diese Richtung: »Aber auch wenn diese Theorien nicht die Wahrheit über die Wahrheit enthalten sollten, sind sie doch für eine Theorie der Erkenntnis von großem Interesse.«4 Nur das »sollten« schützt 322 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
den sich hart am Rande eines Kategorienfehlers bewegenden Satz vor einer Konfusion objektsprachlicher und metasprachlicher Prädikate. Wollte man die Prädikate des Objektbereichs auf dessen Theorie selbst anwenden, stellten sich die üblichen Schwierigkeiten sprachlicher Ipsoflexivitäten ein. Einer Theorie (hier: der Wahrheit) müssten dann selbst die objektsprachlichen Prädikate zukommen, von denen sie metasprachlich handelt. Fraglich deshalb, ob sich die Absurdität der Forderung, eine linguistische Theorie und Beschreibung von Jugendsprachen müsse selbst jugendsprachlich, eine Theorie des Marxismus selbst marxistisch sein, nicht auch gegen die Erwartung einwenden ließe, Theorien der Wahrheit müssten über sich selbst die Wahrheit sagen. Entsprechend erweitert sich die Prüfung der ersten These um die einer zweiten, derzufolge das Prädikat »wahr« zwar als objekttheoriesprachliches, nicht aber als wahrheitstheoriemetasprachliches Attribut sinnvoll angewendet werden kann.
2. Typentheoretische Probleme des Wahrheitsprädikats Schon gegen die Legitimität der Frage »Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?« lassen sich Einwände geltend machen. Zum einen haben sich in den windungsreichen sprachanalytischen Auseinandersetzungen um die verschiedenen Spielarten der Korrespondenztheorie assertorische Aussagen (statements, assertions) als die eigentlichen Wahrheitsträger herauskristallisiert. Entsprechend haben seit Frege Denker von Austin bis Dummett hervorgehoben, Behauptungssätze seien in besonderer Weise »durch sprachliche Elemente mit der Wahrheit verknüpft«5, weil sie allererst einen solchen Anspruch erheben. Dann könnten (Wahrheits-)Theorien eine Eigenschaft wie »wahr« nur zugesprochen werden, wenn sie selbst die Form oder den Charakter assertorischer Aussagen besäßen. Entsprechend wäre die Frage zu klären, ob Aussagesystemen selbst auch jene von Dummett beschriebenen Aussagequalitäten zugesprochen werden können. Zum anderen darf man argwöhnen, dass sich die Frage »Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?« einer Konfusion von Objekt- und Metasprache zweiter Ordnung – nun als Objekt- und MetatheoTypentheoretische Probleme des Wahrheitsprädikats | 323
rie – schuldig mache. Tarskis semantische Wahrheitstheorie wollte zeigen, dass wir, um Antinomien zu vermeiden, Wahrheits- und Falschheitsprädikate nicht auf objekt-, sondern nur auf metasprachliche Sätze beziehen sollten.6 Überträgt man diese Einsicht von der Satz- auf die Theorieebene, dann muss man wohl genauer zwischen der Objektstufe »Wahrheitstheorien« und der Metaebene »Sätze über Wahrheitstheorien« unterscheiden. Wahr könnten dann nicht schon Wahrheitstheorien selbst, sondern allererst Sätze über Wahrheitstheorien sein. Offen bliebe allerdings weiterhin die Frage, welchen Anspruch Theorien eigentlich erheben, welche assertorische Kraft sie entfalten. Tarski selbst schien die hier zu diskutierende Titelfrage mit einer semantischen Volte eher umgehen denn beantworten zu wollen, wenn er sagt, er habe zu der Debatte, welche Wahrheitskonzeption denn die »richtige« oder »einzig mögliche« sei, nichts beizutragen.7 Gleichwohl hatte er zur Unterscheidung von Objekt- und Metasprache auf die im Anschluss an Frege erarbeitete Typentheorie zurückgegriffen. Bekanntlich helfen typentheoretische Festlegungen, logisch-semantische Antinomien zu umgehen, letztlich zu untersagen. Diese Theorie – deren Vorbild in der Suppositionstheorie Wilhelms von Ockham vom notorisch geschichtsblinden Logischen Positivismus schlicht übersehen wurde – entsprang der Beschäftigung mit Russells Mengenantinomie. Um dem logischen Problem der Frage, ob die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, sich selbst enthält, zu entgehen, sollten sprachliche Regeln aufgestellt und regelwidrige Verknüpfungen oder Selbstbezüglichkeiten aufgelöst werden. Zu diesem Zweck schienen Carnap drei Schritte erforderlich: (i) Zunächst sollte überhaupt zwischen Gegenstandsarten, also Typen, unterschieden werden. (ii) Dann dürfen in die Argumentstellen einer Satzfunktion (d. h. in die Relata-Leerstellen einer Relation) nur Zeichen gleichen (oder niedrigeren) Typs eingesetzt werden. (iii) Dadurch erhalten Satzfunktionen einen Geltungsbereich, der reflexive Prädikatfunktionen ausschließt. Die Grundidee: Der Typus einer Klasse ist jeweils um eine Stufe höher als der Typus ihrer Elemente. Typenvermischungen wären dann weder wahr noch falsch, sondern ergeben sinnlose Sätze. Grelling hat zuerst jenes bekannte Beispiel gegeben, das Carnap später in seiner Logischen Syn324 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
tax der Sprache analysieren wird.8 (1) Ein Wort, das die Eigenschaft, die es nennt, auch selbst besitzt, heißt autolog: (1´) Das Wort »Wort« ist selbst ein Wort. (1´´) Das Wort »Substantiv« ist selbst ein Substantiv. (1´´´) Das Wort »lesbar« ist selbst lesbar.9
(2) Ein Wort, auf das das, was es aussagt, nicht selbst zutrifft, soll hingegen heterolog heißen: (2´) Das Wort »einsilbig« ist selbst nicht einsilbig, sondern dreisilbig. (2´´) Das Wort »Tisch« ist nicht selbst ein Tisch.
Unkontrovers ist, dass die meisten Worte nicht autolog, sondern heterolog sind. Denn zwischen Eigenschaft und Erscheinungsform herrscht in symbolisch-reflexiven Normalsprachen keinerlei natürliches Verhältnis. Wo dem so ist, haben wir es mit linguistischen Kapriolen oder sprachgeschichtlichen Atavismen zu tun. Problematisch wird die Nichtbeachtung dieser Differenz nun dort, wo Eigenschaften selbstbezüglich auf Zeichen angewandt werden können. Die Frage, ob das Wort »heterolog« selbst heterolog sei, führte dann auf folgende Antinomie: (i) Wäre das Wort »heterolog« selbst heterolog, dann träfe es auf sich selbst zu – es wäre also autolog (bzw. nach Definition nicht heterolog). (ii) Wäre es hingegen autolog, dann träfe es nicht auf sich selbst zu – es wäre also heterolog (bzw. nach Definition nicht autolog). Als weder heterolog noch autolog ergäbe sich für den Begriff jene widersprüchliche Zuschreibung, der durch Regeln der Typentheorie ebenso gesteuert werden sollte, wie Ockham es bereits mit seiner Unterscheidung von materialer und signifikativer Supposition unternommen hatte. An die Argumentstelle einer Satzfunktion dürfen deshalb nur Ausdrücke des gleichen (oder niedrigeren) Typs eingesetzt werden. Und sollte eine Satzfunktion vom Typ n + 1 vorliegen, so muss das Argument vom Typus n sein. Demnach wären drei Typenebenen zu unterscheiden:10 0 1 2
Individuen Individuenprädikate Prädikatenprädikate
z. B. Körper z. B. viereckig, rot z. B. Farbe
Typentheoretische Probleme des Wahrheitsprädikats | 325
Dieser Unterscheidung zufolge könnte eine Eigenschaft erster Stufe nur Individuen zukommen oder nicht zukommen (»Der Körper ist viereckig«). Eine Eigenschaft zweiter Stufe könnte nur Eigenschaften erster Stufe zukommen oder nicht zukommen (»Rot ist eine Farbe«). Die Annahme, eine Eigenschaft komme sich selbst oder einer anderen Eigenschaft derselben Stufe zu (»rot ist viereckig«) bzw. eine Funktion treffe auf sich selbst zu (f[f]), wäre dann weder »wahr« noch »falsch«, sondern schlicht sinnlos. Carnap selbst hat dieses Problem der »Russellschen Antinomie des Begriffs derjenigen Eigenschaften, die sich selbst nicht zukommen«11 an der Eigenschaft »imprädikabel« exemplifiziert, wo man zum gleichen Ergebnis wie im angeführten autolog-heterolog-Beispiel gelangt. Damit scheint zumindest der Problemhorizont der Ausgangsfrage »Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?« umrissen. Ob sie gegen Typenregeln verstößt, ist allerdings noch nicht unmittelbar beantwortet. Man könnte zunächst den normativen Klang der Frage abschwächen, um sie modal zu reformulieren: »Können Wahrheitstheorien wahr sein?« Erst durch die Reformulierung fällt angemessen Licht auf das entscheidende Problem der Wahrheitsträgerschaft. Und ein typentheoretisches Problem wird man sich nun erst dann einhandeln, wenn die Frage überhaupt bejaht werden soll. Wer auf radikal-korrespondenztheoretischem Standpunkt steht und unterstellt, dass nur Propositionen wahr sein oder assertorische Aussagen einen Wahrheitsanspruch erheben können (insofern sie mit Gegenständen und Ereignissen korrespondieren), nicht aber Theorien (weil sie als Satzsysteme nur mit eigenen oder anderen Sätzen und Satzsystemen übereinstimmen können), der wird die Ausgangsfrage sogleich verneinen oder als sinnlos verwerfen. Kohärenztheoretiker allerdings würden die Frage kaum verneinen können. Wenn nämlich assertorische Äußerungen immer schon auf andere Äußerungen Bezug nehmen, wenn also im Grunde jede Äußerung theoriegeladen und theoriegeleitet ist, dann wäre jeder Satz, insofern er eine Unzahl anderer impliziert, selbst immer schon eine larvierte Theorie. Freilich können wir nicht jede Versammlung miteinander in Zusammenhang stehender Sätze (etwa Spielanleitungen) eine Theorie nennen. Das ist im Einzelnen abhängig vom jeweiligen Objektbereich, vor allem aber ihrer pragmatischen Absicht. Dass aber assertorische Sätze in besonderer Weise einen Theo326 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
riegehalt aufweisen, dafür lassen sich mit Quines »Two Dogmas of Empiricism« gute Argumente finden. Entsprechend gilt, zur Klärung der Frage selbst drei Vorklärungen ihrer Prämissen zu diskutieren: Was sollen Theorien leisten, welchen Status haben Wahrheitstheorien, worin bestehen die Kriterien ihrer Erklärungskraft? Die Klärung selbst verlangt fünf Schritte: (i) Nach einem kursorischen Blick auf den reduktiven Charakter moderner, deflationierter Wahrheitstheorien ist (ii) zunächst der assertorische Gehalt von Theorien zu klären. (iii) Sodann muss nach einer allgemeinen Begriffsbestimmung von Theorie gesucht werden, um (iv) den Anspruch von Wahrheitstheorien näher zu untersuchen. Erst dann dürfte (v) der Ausgangsfrage mit einer typentheorieaffinen Unterscheidung von Begriffsebenen eine provisorische Antwort zukommen, die nicht Wahrheit oder Richtigkeit, sondern Kritisierbarkeit als metatheoriensprachlich adäquates Prädikat vorschlägt.
3. Die moderne Deflation des Wahrheitsbegriffs Noch am Vorabend des Siegeszugs des scholastischen Aristotelismus hatte Anselm von Canterbury von den Propositionen als den eigentlichen »Sitzen der Wahrheit« (sedes veritatis) gesprochen. Anselm erhebt Aussagenwahrheit zum Maßstab seiner Wahrheitsexplikation, in welcher die propositionale Wahrheit zuletzt auf die Bestimmung der Wahrheit selbst (veritas ipsa) hin überstiegen wird.12 Auch Thomas von Aquin erörtert bei verschiedenen Gelegenheiten die Frage nach den Wahrheitsträgern und unterscheidet im Ganzen fünf Bedeutungsebenen des Prädikats »wahr«: (i) transzendentale Wahrheit, (ii) Wahrnehmung (simplex apprehensio), (iii) Wahrheit der Sache selbst (res vera vel falsa),13 (iv) Wahrheit des Begriffs der Sache (veritas conceptionis intellectûs), (v) Wahrheit als Adäquation von Urteilen (intellectus) und Sachverhalten (res) bzw. von Sachen und Sätzen. Mit der letzteren Bestimmung war zugleich die formale Struktur des Wahrheitsbegriffs gegeben, der von wahrheitskonditionalen Begriffen zu wahrheitsfähigen Urteilen und gültigen Schlüssen übergeht. Wahrheit wird bestimmt als eine Relation zwischen dem, was Die moderne Deflation des Wahrheitsbegriffs | 327
ist und dem, was über dieses Seiende gesagt wird, wobei eben dieses Sagen selbst die Form einer (grammatischen) Relation annimmt, nämlich die von Subjekt (Begriff), Copula und Prädikat (Begriff). Dadurch wird das Seiende in Beziehung zu einer innerbegrifflichen Relation gesetzt. Wenn nun die zu erkennende Sache der Seinsgrund des Begriffs ist, so wird erst das wahre Urteil zum Erkenntnisgrund der Sache (ratio cognoscendi), von der uns dieses Urteil eine »wahre Einschätzung« (vera aestimatio) geben soll. Auf diese Weise ist Wahrheit in erster Linie nicht in der Sache selbst (in re) zu finden, sondern in der erkennenden Vernunft (in intellectu), welche freilich – als sowohl durch die Objekte als auch die göttliche Vernunft bestimmt – nur eine maßnehmende, d. h. bestimmte, nicht aber selbst alles bestimmende und maßgebende sein kann. Diese urteilende Vernunft (intellectus iudicare in re) ist zunächst als (i) intellectus possibilis reine Möglichkeit von …, sodann als (ii) intellectus comparativus eine aufnehmende und vergleichende Kraft, die als intellectus dividens schließlich (iii) zum urteilenden und trennenden (etwa Definitionen bildenden) Geist wird. Allerdings muss diese Vernunft in einem letzten Schritt wiederum als zusammensetzend gedacht werden: als Reflexion eines intellectus componens. Hier erst wird das wahre Urteil wieder in Beziehung zur Sache gesetzt und als wahr erkannt. Doch erst mit der Begründung des Wahrheitsbegriffs in einer nicht mehr bloß maßnehmenden, sondern auch schlechthin maßgebenden Vernunft kann Thomas von Aquin – gegen Aristoteles – den Zeitcharakter der Wahrheit diskutieren. Damit sollte der Boden bereitet werden, nicht mehr nur Faktizität als das zu begreifen, was gerade (wahr) ist, sondern auch Aussagen etwa über die göttliche Vorsehung den fälligen Wahrheitsanspruch zuzuerkennen, woraus abermals erhellt, dass in der thomasischen (und überhaupt mittelalterlichen) Konzeption der Adäquationstheorie Wahrheit und Offenbarung stets miteinander verklammert blieben. Entsprechend konnten die linguistisch gewendeten Wahrheitstheorien des 20. Jahrhunderts, aus nahe liegenden Gründen, nur jene fünfte, die propositionale Ebene des Prädikators »wahr« gelten lassen. In ihrer Konsequenz lag eine fortschreitende Deflation des Wahrheitsbegriffs, die statt der Frage, was Wahrheit sei, der Frage nach ihren Kriterien oder den Verwendungsweisen des Wortes 328 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
»wahr« nachging. Es komme nicht darauf an, so Michael Dummett, die Wahrheit zu »erniedrigen oder zu verherrlichen, sondern darauf, zu erklären, warum wir ihren Begriff benötigen und was es heißt, ihn zu besitzen«14. Nicholas Reschers Gegenüberstellung von definitorischen und kriteriologischen Wahrheitstheorien markiert eine weitere Transformationsstufe: den Übergang von wissenschaftstheoretischen zu sprachpragmatischen Wahrheitstheorien.15 An die Stelle der Forderung nach Verifikation oder Falsifikation von Sätzen tritt die der Klärung ihres Gebrauchs. Die antimetaphysische Reaktion solcher Verifikationstheoretiker wie Carnap traf übrigens weniger jene philosophische Tradition, für deren mittlere Epoche Thomas von Aquins De veritate stand, als vielmehr zeitgenössische Antipoden wie Heidegger, dessen Frage nach dem Sinn von Sein, sprachanalytisch gewendet, zur Frage nach dem Sinn von Sätzen wurde. Im Verein mit dem Übergang von der Seinswahrheit zur Satzwahrheit16 war auch das bedeutungstheoretische Fundament einer philosophischen Bewegung freigelegt, die Austin use of language-movement genannt und dem verificationist-movement gegenübergestellt hat.17 Damit konnte der Ironiker Austin den Substanzbegriff der Wahrheit getrost dem Wein überlassen und bemerken, ein so »nüchternes Symposium« wie jenes, an dem er gemeinsam mit Strawson und Cousin unter Vorsitz Gilbert Ryles 1950 teilnahm, um über truth zu disputieren, habe sich schlicht dem Funktionsbegriff der Wahrheit zu widmen.18 Zur Verhandlung steht nicht mehr die Substanz veritas, sondern die Eigenschaft verum als deren Gebrauch in der Sprache. Dieser Gebrauch ist allerdings nicht auf wahrheitskonditionale, konstative Sätze beschränkt. Habermas zog am Beginn seines Aufsatzes über »Wahrheitstheorien« (1973) nur die Summe der sprachpragmatischen Überlegungen zu der Frage nach der Wahrheitsfähigkeit von Sätzen, Propositionen oder Aussagen, als er jene Klasse von Äußerungen, die man mit Austin als statements oder assertions bezeichnet, zu primären Wahrheitsträgern erklärte.19 Privilegiert wahrheitsfähig blieb damit zwar weiterhin die Proposition innerhalb der assertorischen Aussage, also das, was man mit Frege ihren Gedanken genannt hat. Doch leistet die Aussage gegenüber der nackten Proposition bedeutend mehr, weil sie, indem wir sie behaupten, den konstativen Sprechakt mit einem Geltungsanspruch verklammert. So ließ sich ausgehend von Austins »raffinierter«20 Die moderne Deflation des Wahrheitsbegriffs | 329
bzw. linguistisch »gereinigter«21 Korrespondenztheorie der Wahrheit genauer zwischen Sachen (Gegenständen, Ereignissen), Sachverhalten, Tatsachen (Propositionen) und Aussagen (statements, assertions) unterscheiden, die in einem komplexen, von Austin selbst nicht hinreichend gedeuteten, Verhältnis von Konvention, Korrelation und Korrespondenz stehen.
4. Haben Theorien assertorische Kraft? Die Binnendifferenzierung von Sachen, Sachverhalten, Tatsachen und Aussagen über Tatsachen wirkt zunächst kontraintuitiv. Im Grunde aber variiert sie den Vorschlag Wittgensteins, Welt nicht als Totalität der existierenden Dinge, sondern als Gesamtheit der uns sprachlich zugänglichen Tatsachen zu begreifen.22 Allerdings ist die Bestimmung der Tatsachen als wahre Propositionen sinnvoller Sätze auf den zweiten Blick nicht so problemfrei, wie sie auf den ersten kontraintuitiv erschien. Als dasjenige, was Sätze wahr macht, könnten sie auch als von diesen grundsätzlich unterschieden gedeutet werden. Tatsachen würden dann nicht wahr oder falsch genannt werden, sondern wären schlicht seiend: »they just are«23. Ayer hat argumentiert, dass die Existenz negativer Propositionen konsequenterweise auch die Existenz negativer Tatsachen nahe legen müsste. Die Proposition: »London ist nicht die Hauptstadt von Frankreich«24 bleibt zweifellos wahr, wenngleich es keine positive Tatsache gibt, mit welcher dieser Satz korrespondieren könnte. Lässt uns dies mindestens zögern, von negativen Tatsachen zu sprechen und Tatsachen mit Propositionen gleichzusetzen, so hält das Argument der näheren Prüfung gleichwohl nicht stand. Denn es kann bei den scheinbar homologen Begriffen von wahrer Proposition und Tatsache offensichtlich nicht um Äquivalenz, sondern nur um Implikation gehen. Denn die Behauptung lautet nicht, alle wahren Propositionen seien Tatsachen, sondern nur: Wir können von Tatsachen einzig als von zutreffenden, nicht negativ formulierten Propositionen sprechen. Tatsachen erscheinen, wollen wir sie nicht mit Sachen oder Situationen kontaminieren, in Form von Propositionen, aber nicht alles, was in dieser propositionalen Form erscheint, sind Tatsachen. 330 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
Wenn es stimmt, dass Äußerungen des Behauptens und Feststellens unmittelbarer als andere Sprechakte »durch sprachliche Elemente mit der Wahrheit verknüpft« sind und aufgrund ihrer illokutionär-propositionalen Doppelstruktur einen privilegierten Zugang zum Prädikator »wahr« besitzen, dann lässt sich fragen, ob dies nicht auch für ein System von Sätzen und Feststellungen, also für eine Theorie gelten darf. Schon Frege band die Wahrheit nicht allein an die Semantik des Prädikats »wahr«, sondern auch an die Syntax oder Form des Behauptens. Entsprechend hätten auch Satzfragen, wiewohl selbst keine assertorischen Urteile, einen propositionalen Gehalt, der sich daran zeigt, dass sie mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Bis zu einem gewissen Grad scheint die behauptende Kraft einer Äußerung nicht nur qualitäts-, sondern auch formrelativistisch. Wenn sie aber nicht ausschließlich an die Form von Sätzen gebunden ist, könnten auch Wahrheitstheorien als Wahrheitsträger in Betracht kommen. Theorien hätten dann eine nicht bloß explikative, sondern auch assertorische Kraft. Versuchen wir es für den Moment nur mit der abgeschwächten These, dass die assertorische Kraft nicht an einzelne Sätze gebunden sein muss. Der frühe Quine hatte in seiner Kritik des Carnapschen Reduktionismus’, welcher jeder synthetischen Aussage einen Bereich möglicher Sinnesereignisse zuordnen und damit beweisen wollte, dass jedes dieser Sinnesereignisse die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit einer Aussage erhöhe oder vermindere, den kühnen Gegenvorschlag einer Verifikationstheorie der Wahrheit unterbreitet, die unter dem Namen des semantischen Holismus bekannt wurde. Statt zu sagen, dass jeder sinnvollen Aussage ein empirischer Gehalt eindeutig zugeordnet werden kann, geht Quine davon aus, dass Aussagen nie individuell, sondern »kollektiv vor dem Tribunal der Sinneserfahrung«25 stehen. Denn nicht einzelne Aussagen lassen sich durch einzelne Beobachtungen bestätigen oder widerlegen (»Diese Scheibe ist zerbrechlich«), sondern nur Theorien (»Scheiben sind zerbrechlich«). Gegenstand der Verifikation sind folglich immer ganze Theorien, und dies wohl deshalb, wie Quine gezeigt hat, weil Aussagen im Grunde Theorien in nuce darstellen. Dass Theorien stets an empirische Belege angepasst werden müssen, ist evident. Weniger selbstHaben Theorien assertorische Kraft? | 331
verständlich scheint, dass es dazu kein experimentum crucis gibt. Jede Aussage könnte beibehalten werden, wenn wir das System nur drastisch genug anpassen. Quine hat seine frühe Auffassung, dass ein Holismus noch Theorien übergreife und auf die theoretisch sich überlappenden Wissenschaften im Ganzen erstrecke, zwar revidiert. Dass zuletzt jedoch mit jedem empirisch widerlegten oder anzupassenden Satz eigentlich das Zentrum der gesamten Wissenschaft betroffen sei, hält sich in Quines eigener Theorieentwicklung durch: »Die Einheit empirischer Bedeutung ist die Wissenschaft als Ganzes.«26 Quine hat den starken Holismus später durch einen moderaten ersetzt: Nie stehe die ganze Wissenschaft auf dem Spiel, sondern Satzmengen einer »kritischen semantischen Masse«. Das sind Satzmengen, deren Sätze gemeinsam einen beobachtungskategorischen Satz beinhalten. Doch es bleibt bei der Auffassung, dass solche Sätze Theorieminiaturen sind – wie z. B. in »Immer wenn es schneit, ist es kalt.« Gewahrte man bleibenden Schnee bei Hitze, so müssten alle Sätze, die diesen bedeutungskategorischen Satz implizit oder explizit enthalten, verworfen werden. Weil dies zum Äußersten führen kann – denn wir müssten im gesamten Gefüge unserer wissenschaftlichen Theorien solche Satzmengen aufspüren und entschärfen –, bleibt allein die Hoffnung, dass die zu eliminierende Satzmenge stets kleiner sei als die Menge aller wahren Sätze.27 Bekanntlich ruft Quine das Bild einer offenen Kurve im Raum zur Illustration seiner wissenschaftstheoretischen Kritik auf. Sie demontiert das logisch-positivistische Ideal des Theoriedesigns eines revisionsimmunen Zentrums analytischer Grundsätze, um das sich eine anpassungsfähige Peripherie von Erfahrungssätzen gruppiert. Als Konsequenz des Holismus ergibt sich der hypothetische Schluss: Ist das System von Sätzen (Theorien) als Ganzes von Erfahrung widerlegbar, dann im Prinzip auch jeder Satz des Systems (mag er nun im erfahrungsunabhängigeren Zentrum oder an der erfahrungsabhängigen Peripherie stehen). Quine verweist etwa auf die Ablösung des Ptolemäischen Sphärenmodells durch das heliozentrische Weltbild und die Quantenmechanik. Damit hat sein Überprüfungsholismus der Idee erfahrungsfreier und widerlegungsimmuner (analytischer) Sätze den brüchigen Grund entzogen. Unter Bedingungen atomistischer Überprüfbarkeit schienen analytische Sätze noch unangreifbar. Geht man demgegenüber davon aus, dass ein 332 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
System als Ganzes mit Erfahrung vereinbar sein soll, so ist im Prinzip mit dem Ganzen auch jeder Satz des Systems widerlegbar. Wenn jeder Satz widerlegbar ist, dann zerfällt mit der Privilegierung analytischer Sätze allerdings auch die Unterscheidung »analytisch/synthetisch«. Das heißt offenbar nicht, dass einzelne analytische Sätze widerlegt werden, sondern dass gleichsam differentialdiagnostisch festgestellt wird, dass es sie nicht gibt (oder dass es unpragmatisch ist, sie vorauszusetzen). Quine geht soweit zu sagen, dass physische Gegenstände Setzungen, genauer: kulturelle Setzungen (cultural posits) seien – nichts anderes als Mythen, aber eben wirksamere Mythen als die von Homer beschriebenen. Wirksamer, insofern sie dem Fluss unserer (heutigen) Erfahrung eine handhabbare Struktur einarbeiten.28 Kräfte sind ebensolche Postulate. Zeigt die moderne Physik, dass sie keine sinnvolle Abgrenzung von Energie und Materie mehr zu geben vermag, so sind in der Mathematik abstrakte Entitäten wie Klassen auch nichts anderes als Postulate: »Epistemologisch sind dies Mythen …«29, deren Kriterium die Frage ist, ob sie uns mit der Welt besser umgehen lassen, »unseren Umgang mit Sinnesdaten« befördern. Die Frage, ob es Klassen gibt, wäre demnach die Frage eines bequemen Begriffsschemas (vormals: analytisch). Die Frage, ob es Backsteinhäuser auf der Elm Street gibt, wäre eine Frage der Tatsachen (vormals: synthetisch). Ein solch konservatives Wissenschaftsparadigma hätte den Vorteil der Zügelung allzu großen wissenschaftlichen Übermuts beim Anpassen beliebiger Teile der Theorie, aber auch der Einfachheit – wobei Vereinfachungen auch zu großen Abweichungen von der alten Theorie führen können. In jedem Fall kann als Kriterium nicht mehr die Unterscheidung analytisch/synthetisch herhalten, sondern einzig die Unterscheidung, ob es sich um mehr oder weniger akzeptierte Aussagen handelt. Anders gesagt: Manche Aussagen sind wir aufgrund neuer Belege eher bereit aufzugeben als andere. Pace Quine (und seiner impliziten Konsenstheorie) ist es mit der virtuellen und hypothetischen Ersetzung von Sätzen durch Theorien indes noch nicht getan. Denn der Frage: »Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?« stellt sich ein weiteres Problem. Ob Wahrheitstheorien selbst Gegenstand von Wahrheit sein können, hängt nämlich von der jeweiligen Auflösung des Plurals »WahrheitstheoHaben Theorien assertorische Kraft? | 333
rien« ab. Präziser gesagt: Es hängt davon ab, welches Explanandum eine Wahrheitstheorie erläutert und welches Explanans sie dabei zur Diskussion stellt. Kohärenztheorien haben als ihr Explanandum in der Regel Wahrheitskriterien zum Gegenstand, die durch die formale und/oder materiale Bestimmung der Kohärenz definiert werden. Diesem Ansatz zufolge wäre ein kohärentes System aufeinander bezogener Sätze wahr. Damit aber könnten prinzipiell auch Theorien und, lässt man zunächst das Problem von metatheoretischen Antinomien beiseite, Wahrheitstheorien »wahr« genannt werden. Dies allerdings wäre einer eindimensionalen Korrespondenztheorie der Wahrheit, die Sachen und Sätze zur Übereinstimmung bringen will, nicht möglich. Erkennbar wird daran ein spezifischer Zirkel, der entsteht, weil die Frage nach der Wahrheit von Wahrheitstheorien abhängig gemacht wird von der Natur der jeweiligen Wahrheitstheorie. Korrespondenztheorien müssten dann selbst mit der Wahrheit korrespondieren, Kohärenztheorien mit ihr kohärent sein. Die Beantwortung der Frage scheint von eben den Voraussetzungen abzuhängen, die geklärt werden sollten. Dass dem nicht so sein muss, lässt sich zeigen, wenn man zunächst auf eine metatheo-retische Ebene ausweicht und den Status von Theorien und spezieller den von Wahrheitstheorien zu klären sucht.
5. Was sind Theorien? Zu den unvermeidbaren Paradoxien von Metaunterscheidungen gehört, dass wir offenbar Theorien benötigen, um zu erklären, was eine Theorie ist.30 An Puntels Feststellung, dass die verschiedenen Versuche zur Präzisierung des Theoriebegriffs erheblich divergieren,31 hat sich auch für Wahrheitstheorien nichts geändert. Ob wir aber Theorien nicht nur für schlüssig, plausibel oder richtig, sondern auch für »wahr« halten, hängt mithin davon ab, ob wir ihnen eine assertorische Kraft zugestehen wollen, die denen von Sätzen mindestens gleichwertig ist. Dass Sätze Theorieminiaturen sind, muss ja nicht umgekehrt auch bedeuten, dass sich Theorien auf eine wahrheitsbeanspruchende Aussage reduzieren lassen. 334 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
Wissenschafts- wie umgangssprachlich scheinen wir, jedenfalls im Deutschen, durchaus zu zögern, von einer »wahren Theorie« zu reden. Diese façon de parler mag sich kontingenten Sprachgewohnheiten verdanken, zeigt jedoch den Kern des Problems. Wir sprechen von einer plausiblen, einer interessanten, einer abenteuerlichen, zuweilen von einer guten Theorie. Aufschluss über ihren möglichen assertorischen Gehalt wird man eher von ihrer wissenschaftstheoretischen Bestimmung erhoffen dürfen. Hier hat vor allem Popper den Wahrheitsstatus von Theorien vehement abgelehnt: »Induktionslogische Elemente treten in dem hier skizzierten Verfahren nicht auf, niemals schließen wir von der Bedeutung der singulären Sätze auf die der Theorien. Auch durch ihre verifizierten Folgerungen können Theorien niemals als ›wahr‹ oder auch nur als ›wahrscheinlich‹ betrachtet werden.«32 Für Popper spricht der hypo thetische und prognostische Charakter von Theorien gegen ihren Wahrheitsstatus. Wenn aber zutrifft, dass Behauptungen »durch sprachliche Elemente mit der Wahrheit verbunden« sind, was spräche dagegen, auch prognostischen Theorien einen Wahrheitsanspruch zuzubilligen? Auch Husserl spricht nicht von der Wahrheit, sondern der Schlüssigkeit von Theorien. Darunter will er eine »ideal geschlossene Gesamtheit von Gesetzen« verstehen, »die in einer Grundgesetzlichkeit als auf ihrem letzten Grunde ruhen und aus ihm durch systematische Deduktion entspringen«33. Diesem deduktiven Ideal und Anspruch wollen freilich gerade die mit Sprachbeispielen operierenden Wahrheitstheorien nicht immer genügen. Ähnlich ergeht es Bedeutungstheorien, deren zentrale Aufgabe Dummett in der Festlegung jedes sprachlichen Ausdrucks und der Erklärung der Funktionen von Sprache und Kommunikation erblickt.34 Eine solche theory of meaning enthält jeweils noch einmal Subtheorien, etwa eine Theorie des Verstehens, der behauptenden Kraft oder der Wahrheit. Gewiss wäre das Verhältnis von Theorie und Subtheorie(n) eine eigene (systemtheoretische oder rhizomatische) Betrachtung wert. Hier genügt festzuhalten, dass das Ideal eines deduktiv-logischen Zusammenhangs, einer strengen und folgerichtigen Herleitung von wahren Sätzen aus wenigen Grundprinzipien, allen Methodendiskussionen zum Trotz, ein wissenschaftstheoretisches Gebot geblieWas sind Theorien? | 335
ben ist, das wesentlich durch das Verständnis von Theorie als einem deduktiv geordneten System von empirischen Gesetzen geprägt war. Unter dem entsprechenden Eintrag der Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie steht zu lesen: »Der deduktive Zusammenhang ist ein wesentliches Merkmal einer wissenschaftlichen Theorie, deren Satzbestand auf diese Weise als Folgerungsmenge aus einem endlichen Ausgangsbestand von Aussagen (Prinzipien, Grundgesetzen, Hypothesen) bestimmt wird.«35 Damit ist allerdings noch nichts über den Gegenstand von Theorien gesagt. Fragwürdig scheint, ob man, abgelöst von der Frage zur Untersuchung welchen Gegenstands sie eigentlich aufgestellt werden soll, überhaupt eine Theorie über Theorien fordern kann. Wenn von dem Gegenstand ihr jeweiliger Charakter abhängt, so stellt sich die Frage, ob es auch Theorien singulärer natürlicher Ereignisse bzw. Phänomene geben könne (Urknall, Kambrische Explosion). Dahinter steht mithin die Frage, ob etwa historische oder kulturelle Phänomene nach Erklärungen ganz anderer Art verlangen als allgemeine oder singuläre Naturphänomene? Vielleicht dürfen wir vorläufig den Charakter von Theorien dadurch bestimmen, dass sie (i) sprachliche Gebilde in zwar weitgehend propositionaler, aber (wie Fleck, Kuhn und Foucault gezeigt haben) auch prozeduraler Form sind, welche (ii) Phänomene eines Sachbereichs ordnen, (iii) darin die diesem Bereich wesentlich zugehörenden Eigenschaften (iv) und deren Beziehungen untereinander beschreiben, um daraus (v) allgemeine Gesetze und Prognosen herzuleiten. (vi) Zuletzt freilich haben alle diese Versprachlichungen, Ordnungen, Beschreibungen und Verallgemeinerungen selbst wiederum beschreibbar und beurteilbar, kritisierbar und revidierbar zu sein. Poppers Untersuchung der Natur erfahrungswissenschaftlicher Theorien und ihrer Trennung von nichterfahrungswissenschaftlichen Theorien besaß noch einen dezidiert metaphysikkritischen Impuls.36 Abgrenzungskriterium war das der Falsifizierbarkeit. Seine Logik der Forschung hatte Carnaps Logischem Empirismus auch darin einen Stoß versetzt, als dieser noch von der Verifizierbarkeit von Sätzen ausging, die aus empirischer Theoriebildung und Verallgemeinerung gewonnen wurden. Popper verband mit der Forderung nach Falsifizierbarkeit erfahrungswissenschaftlicher Hypothesen und Theorien nicht, wie 336 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
man missverstanden hat, dass Theorien stets ihrer Falschheit überführt werden müssten. Das liefe auf den unsinnigen Satz »Nur eine falsche Theorie ist eine gute Theorie« hinaus. Kriterium ihrer Wissenschaftlichkeit ist nicht, dass Theorien falsifiziert werden, sondern dass sie falsifizierbar sein müssen. Die normative Forderung nach Falsifizierbarkeit hat selbst den modalen Charakter einer Dispositionsaussage. Es muss die Möglichkeit der Falsifikation bestehen, die eine Selbstimmunisierung gegen Einwände verhindert. Freilich werden Theorien in der Regel nicht in toto, sondern in parte falsifiziert. Daher zählt zu Poppers Kriterien der Wissenschaftlichkeit erfahrungswissenschaftlicher Theorien, dass sie an Erfahrung scheitern können; dass Erfahrungen denkbar sind, die ihr widersprechen; dass bestimmte denkbare Erfahrungen gleichwohl ausgeschlossen werden, um die Theorie nicht ihrer Spezifität zu berauben; dass sie sich dem Risiko empirischer Widerlegung explizit aussetzt.37
6. Was Wahrheitstheorien leisten sollten Im Sinne dieser Kriterien sind Wahrheitstheorien evidenterweise keine erfahrungswissenschaftlichen Theorien. Weder lassen sie sich durch Beobachtungen noch durch gesammelte Daten oder Experimente falsifizieren. Sind sie aber deshalb irrational oder metaphysisch? Dass man aufgrund dieser und ähnlicher Bestimmungen schlechterdings nicht von Wahrheitstheorien sprechen könne, hat wohl am schärfsten Moritz Schlick, Begründer des Wiener Kreises, hervorgehoben: Die Rede von einer Theorie der Wahrheit sei schlicht »unangebracht, da Bemerkungen über die Natur der Wahrheit einen ganz anderen Charakter haben als wissenschaftliche Theorien, die immer aus einem System von Hypothesen bestehen«38. Schlick privilegiert das positivistische Ideal naturwissenschaftlicher Theorien derart, dass er an der binären Opposition von erfahrungswissenschaftlichen Theorien und nichterfahrungswissenschaftlichen Theorien, die letztlich gar keine Theorien sind, sondern eben Metaphysik, nicht mehr zweifeln kann. Demnach gäbe es aber nur noch Theorien (die per definitionem erfahrungswissenschaftlich sind) und Hypothesengebilde, die, weil Was Wahrheitstheorien leisten sollten | 337
nicht erfahrungswissenschaftlich organisiert, auch keine Theorien sind. Diese Opposition von Theorie und Nicht-Theorie unterläuft, mit und gegen Schlick, Poppers Forschungslogik in der Weise, dass sie ein Drittes zu erfahrungswissenschaftlichen Theorien und metaphysischen Theoriesimulacren denken lässt, nämlich Metatheorien: Theorien über Theorien. Diese wiederum sind nicht erfahrungswissenschaftlichen Charakters, sondern können, empirischer Befunde ledig, einzig auf rationalen Überlegungen und Argumenten beruhen. Solche Theorien versammeln Sätze nicht über Objekte, sondern über den allgemeinen Charakter von Theorien über Objekte, deren Objekttheorien eben aus Sätzen über Objekte bestehen. Im Anschluss an Tarski könnte man demnach zwischen Objekt- und Metatheorien unterscheiden und ihnen verschiedene Prädikatebenen zuordnen. Die Wahrheitstheoretiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben aus anderen Gründen erkannt, dass es einen guten Sinn hat, spezifisch von Wahrheitstheorien zu sprechen. Aus strategischer Perspektive heißt das zunächst wohl (und das scheint eine Erbschaft des logischen Positivismus), dass mit dem Wahrheitsproblem irgendwie »wissenschaftlich« umgegangen werden soll. Theorie klingt, ebenso wie das Epitheton »analytisch«, immer gut, es suggeriert Exaktheit und systematische Methodik. Darüber kann freilich schnell die aristotelische Bedeutung von theôria als kontemplative Schau verloren gehen. Puntel hat zweifellos Recht, dass wir angesichts eines derart restringierten Sinns von Theorie wohl eher von Heideggers Wahrheitsauffassung denn von Heideggers Wahrheitstheorie sprechen würden. Von Wahrheitstheorien zu sprechen ist allerdings auch deshalb schwierig, weil die meisten von ihnen diesen Titel weder beanspruchen können noch wollen. Strawsons Theorie wurde eine »performative« genannt, aber es ist mehr als fraglich, ob das, was Strawson erklären wollte – den Gebrauch des Prädikats »wahr« in indikativen Sätzen, deren Subjekte auf Aussagen (statements) referieren –, eine Theorie im Sinn eines Systems miteinander verknüpfter Aussagen ist. Mit Warnock formuliert: »For a ›theory of truth‹ would presumably have to aspire to throw some sort of light on contexts in general in which ›true‹ or ›truth‹ might occur […].«39 Ayer schreibt in diesem Zusammenhang: »For it is easy to see that the purpose of a ›theory of truth‹ is simply to describe the crite338 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
ria by which the validity of various kinds of propositions is determined.«40 Versucht man also, im Anschluss an Überlegungen Puntels, die Aufgaben zu umreißen, deren Ausführung wir von einer entfalteten Theorie der Wahrheit erwarten, so wird man zunächst sagen können, dass (i) Wahrheitstheorien einen Gegenstand, der ihr Explikandum ist, aufweisen müssen. Dieses könnte a) die Bestimmung des Wesens (bzw. der Definition) der Wahrheit, b) die Bestimmung von Wahrheitskriterien (= Korrespondenz, Kohärenz, Konsensus), c) die Bestimmung von Wahrheitsbedingungen (= unter welchen Bedingungen ist ein Satz wahr) oder d) die Relevanz bzw. Konsequenz von Wahrheit sein. Die Traditionsgeschichte des alethischen Pragmatismus ließ sehen, dass diese vier Bestimmungen voneinander abhängen. Ferner müssen Wahrheitstheorien (ii) eine Bestimmung des Verhältnisses von Sachen und Sätzen, von Tatsachen und Aussagen geben oder schon in eine umfassendere Theorie dieses Verhältnisses eingelassen sein. (iii) Schließlich müssten Wahrheitstheorien klären, in welcher Weise Aussagen einen bestimmten, assertorisch-behauptenden Anspruch erheben (sei es der Anspruch auf zutreffende Erklärung der Welt, sei es der Anspruch der Geltung des Behaupteten in ihr), aber auch, wie sie diesen Anspruch sollen einlösen können (sei es diskursiv, argumentativ etc.). Dies ist der Punkt, an dem das Problem der Selbstbezüglichkeit zurück ins Spiel kommt. Denn die Frage war, ob wir Wahrheitstheorien die Eigenschaft ihres Gegenstandes selbst zuschreiben, ob wir ihr Objekt auf sie selbst anwenden dürfen. Für die Korrespondenztheorie der Wahrheit könnte das formal heißen: Müsste sie mit der Wahrheit über die Wahrheit übereinstimmen? – oder material: Muss der Wahrheitsbegriff der Korrespondenztheorie mit den Tatsachen übereinstimmen? Beiden Selbstanwendungen drohen sinnwidrige Konsequenzen. Auch von Verifikationen würden wir kaum sagen können, sie seien wahr oder falsch. Gleich den rein performativen Sprechakten können sie gelingen oder misslingen. Kehren wir die Frage also zunächst um: Wann ist eine Wahrheitstheorie falsch? Wenn sich kein Explanandum namhaft machen lässt? Dann wäre sie wohl einfach unbrauchbar. Wenn sie ein falsches Explanandum hat? Dann wäre sie schlicht keine Wahrheitstheorie – und Was Wahrheitstheorien leisten sollten | 339
schon die Frage ist sinnlos, weil Theorien entweder ein Explanandum haben oder keines; hätten sie ein anderes, so läge schlicht eine andere Theorie vor. Wäre das Explanandum »die« Wissenschaft, so läge eine Wissenschaftstheorie vor; wäre das Explanandum einer Theorie die Bedeutung von Ausdrücken, so läge eine Bedeutungstheorie vor. Ist eine Wahrheitstheorie falsch, wenn sie die falschen Wahrheitsbedingungen nennt? So wäre der Satz »Das Audimax ist der Startpunkt einer Großdemonstration« wahr, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Es gibt ein Audimax; es gibt eine angemeldete und/oder öffentlich bekannt gemachte Demonstration; die Organisatoren wählen das Audimax zum Startpunkt dieser Demonstration. Falsch ist der Satz, wenn mindestens eine Bedingung nicht erfüllt ist. Falsch wäre daher zu sagen: Die Wahrheit des Satzes »Das Audimax ist der Startpunkt einer Großdemonstration« beruht auf der Bedingung, dass es kein Audimax gibt. Damit wird aber noch nicht die Theorie selbst unbrauchbar oder falsch. Denn die Wahrheitstheorie hatte nicht postuliert, es bedürfe falscher Wahrheitsbedingungen, sondern sie hatte nur verfügt, es bedürfe der Erfüllung von Wahrheitsbedingungen zur Bewährung einer Aussage.
7. Die Kritisierbarkeit von Theorien Die vorangegangenen Überlegungen können zu folgenden Thesen verdichtet werden. (i) Es bedarf einer gegenstandsunterscheidenden Metatheorie der Wahrheit. Damit ist noch nicht die Entscheidung gefällt, ob eine Wahrheitstheorie selbst wahr oder falsch, sondern nur, ob sie brauchbar oder unbrauchbar zur Bestimmung dieses oder jenes Gegenstandes sei. So mag etwa die Redundanztheorie in der Erläuterung logisch äquivalenter Propositionen überzeugen. Unbrauchbar ist sie hingegen zur Erklärung von Diskursen, in denen Sprecher Wahrheits- und Geltungsansprüche erheben. Hier allenfalls wäre eine Formulierung wie »Diese Wahrheitstheorie ist falsch« gerechtfertigt, weil man zeigen könnte, dass die Redundanztheorie an ihrem Gegenstand – der Klärung der Semantik von »wahr« – vorbeigeht, mindestens einseitig bleibt. Besser wäre indes zu sagen, sie sei begrifflich zu eng, um für diesen Gegenstands340 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
bereich Erklärungskraft zu haben – etwa dort, wo sie auf normalsprachliche Zusammenhänge kaum anwendbar ist. Damit verschiebt sich die Frage, ob Wahrheitstheorien wahr sein müssen, zu der Frage, welche Art der Beziehung eine Wahrheitstheorie zu ihrem Gegenstand unterhalten sollte. Muss sie selbst, korrespondenztheoretisch gedacht, ihrem Gegenstand entsprechen – und worin bestünde eine solche Entsprechung? Müsste eine Kohärenztheorie der Wahrheit selbst kohärent sein – und wenn ja, welches wären die Relata dieser Kohärenzrelation? Auch auf den Verdacht hin, komplexe, aber immerhin eingeführte Terminologien durch eine ungesicherte neue zu ergänzen, soll diese Entsprechung vorläufig als Konvergenz gefasst werden. Wahrheitstheorien, so der Gedanke, konvergieren dem Gegenstand, den sie per explicationem voraussetzen. Konvergenz meint angemessene Zueignung, aber nicht Übereinstimmung, geschweige denn Einheit. Es meint die wechselseitige Respondenz von Gegenstand und Methode, die sich an dem Ideal des Gesprächs orientiert. Damit lässt sich zunächst dem Verdacht begegnen, die Pluralität von Wahrheitstheorien decke eine tiefe Unschlüssigkeit und Unzulänglichkeit der Philosophie auf. Vielmehr bedarf es einer Pluralität von Theorien, wenn es Ernst damit ist, dass sie je anders bestimmte Gegenstandsbereiche umfassen und nur für solche Gegenstandsbereiche Explikationskraft beanspruchen, denen sie auch methodisch entsprechen. (ii) Vor diesem Hintergrund bringt die zweite These das typentheoretische Instrumentarium wieder ins Spiel. Wenn wir die Antwort auf die Frage »Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?« zunächst als Antwort auf die normativ neutralere Frage: »Können Wahrheitstheorien überhaupt wahr sein?« geben sollten, so ließe sich sagen: Wahrheitstheorien können selbst nicht wahr sein, weil der Selbstanwendung des Objektprädikats »wahr« auf deren Theorie sinnwidrige Konsequenzen drohen. Damit rücken Theorienprädikate in den Blick, die sich vom Objektprädikat unterscheiden. Der Vorschlag: Wahrheitstheorien können nicht wahr, doch sie können und sollten kritisierbar sein. Das würde bedeuten, dass Wahrheit und Falschheit bzw. Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit Kriterien von Objekttheorien, der allgemeinere Begriff der Kritisierbarkeit hingegen das zentrale Kriterium von Metatheorien ist. Die Kritisierbarkeit von Theorien | 341
Das dieser Unterscheidung zugrunde liegende Problem erinnert an John Horgans vermeintlich scharfsinnige Frage an Popper, ob die Falsifizikationstheorie selbst falsifizierbar sei. Poppers Antwort, dies sei eine dumme Frage, mobilisierte das naheliegende Schlicksche Argument, dass Wissenschaftstheorien selbst keine erfahrungswissenschaftlichen Theorien, sondern Metatheorien sind. Daher sind sie genauso wenig zu falsifizieren wie der Satz »Alle Schimmel sind weiß«, weil wir es nicht mit einem empirischen oder synthetischen, sondern mit einem analytischen Satz zu tun haben. Zwar ist ein solcher Vergleich nach der Quineschen Destruktion der Unterscheidung problematisch. Doch das berührt nicht den Kern des Arguments, wonach nichterfahrungswissenschaftliche Theorien als »rationale Unternehmen« nicht verifizier- oder falsifizierbar, wohl aber kritisierbar sein müssen. Kritisierbarkeit wird zum Sinnkriterium von Rationalität. (iii) Die zu diskutierende These enthält den Vorschlag, Metatheorien (zu denen Wissenschaftstheorien, Typentheorien oder Wahrheitstheorien zählen) selbst nicht dem Kriterium der Falsifizierbarkeit und damit Wahrheit, sondern dem der rationalen Kritisierbarkeit zu unterwerfen. Insofern auch Falsifizieren eine begründende und also rationale Tätigkeit ist, kann diskursive Rationalität zugleich als ein Bindeglied der typentheoretisch unterschiedenen Ebenen gelten. Vielleicht ist es deshalb auch glücklicher, statt von Wahrheitstheorien von Wahrheitsexplikationen zu sprechen. Dahinter verbirgt sich mehr als ein terminologischer Trick. Denn auch diese Wortwahl führt eher tiefer in die diskutierten Fragen hinein, als ihr Kunstgriff sehen lässt. Verneinen wir also, for the sake of argument, die implizite Frage: »Können Wahrheitstheorien wahr sein?«, so lässt die Verneinung allererst das Schiefe in der Frage »Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?« ganz hervortreten. Die sinnvollere – und zu bejahende – Frage könnte also heißen: »Müssen Wahrheitstheorien kritisierbar sein?«. Daher mag folgender typentheoretisch inspirierter Unterscheidungsvorschlag den Überblick über die Differenz von erfahrungswissenschaftlichen Objekttheorien und nichterfahrungswissenschaftlichen Metatheorien verdeutlichen:
342 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
Stufe Gegenstandsbereich
Theorieart/Theorienprädikate
0
Objekttheorien
Erfahrungswissenschaftliche Hypothesen und Theorien
1
Objekttheorienprädikate
»verifizierbar« / »falsifizierbar« »wahr« / »falsch« »wissenschaftlich« / »unwissenschaftlich«
2
Theorien über Objekttheorienprädikate (= Metatheorien)
Falsifikationstheorie Wahrheitstheorie Wissenschaftstheorie
3
Metatheorienprädikate
»kritisierbar« »plausibel« »wohlbegründet«
Die typentheoretische Regel könnte lauten: Theorieprädikate einer Stufe dürfen derselben und der nächsthöheren Stufe nicht zugeschrieben, wohl aber solche Prädikate höherer Stufen auf Objekte der unteren Stufen angewendet werden. Man würde damit ausschließen, dass etwa Wissenschaftstheorien selbst wissenschaftlich sein müssen, nicht aber, dass sie kritisierbar sind. Umgekehrt können Objekttheorien auch mit den höherstufigen Prädikaten charakterisiert werden: kritisierbar, plausibel, wohlbegründet. Es bleibt, wie bei allen typentheoretischen Unterscheidungen, das formale Problem infiniter Metaebenen, die in der Infinitesimalität der Konzeption von n+1 Ebenen liegt, die benötigt werden, um die je vorhergehende zu fundieren. Sprachpragmatisch kommt es aber in der Regel nicht zu unübersichtlichen Ebenenaufstufungen. Schwerer wiegt das nicht-formale Problem. Nicht immer lässt sich sinnvoll festlegen, was Objekttheorienprädikate und was Metatheorienprädikat sind. Nichts an den Prädikaten selbst nötigt zu ihrer eindeutigen Zuordnung. Hier kann es keine abstrakten Festlegungen geben. Prädikate müssen mit Augenmaß den zu unterscheidenden Gegenständen angemessen werden, sie sollten ihnen konvergieren – was stets Ermessens- und Entscheidungsfrage ist. Festgelegt werden kann nur die Vermeidung von Selbstzuschreibungen und/oder Typensprüngen. Nötig wären überdies genauere Begriffsunterscheidungen von »falsifizierbar« und »kritisierbar«. Das Definiendum »Kritisierbarkeit« könnte das Definiendum »FalDie Kritisierbarkeit von Theorien | 343
sifizierbarkeit« schlecht in ihr Definiens aufnehmen. Was bei einer solchen Definition noch plausibel erscheint, wird problematisch, wenn wir fordern, dass eine Definition von Falsifizierbarkeit im Definiens die Kritisierbarkeit vermeiden muss. Wie aber ist eine wissenschaftliche Widerlegung ohne den Gehalt von Kritik pragmatisch denkbar? Bleibt zu bedenken, dass formale, sprachbereinigende Unterscheidungen im Rahmen unserer Alltagssprache, die zuletzt immer auch unsere Verständigungssprache ist, nie paradoxiefrei gegeben sind. In der Philosophie tun wir gut daran, formalsprachliche Konstruktivismen stets wieder an den Klippen normalsprachlicher Mannigfaltigkeit zerschellen zu lassen. Denn auch sie gründen in nicht letztbegründbaren, nur temporär bewährten Verfahren, Sprachspielen und Denkstilen. Auch die hier vorgeschlagene Regelung theoriesprachlicher Prädikate ist der nicht vollends beherrschbaren symbolischen Reflexivität der Sprache und ihrer Logik »iterierter Unentscheidbarkeit«41 unterworfen. Eine moderate typentheorieaffine Regelung wird diese Probleme deshalb nicht lösen, aber immerhin diskutieren können. In der Untersuchung der Titelfrage kommen die Probleme einer sprachpragmatischen Wahrheitsexplikation brennglasartig zum Vorschein. Sie treibt den alethischen Pragmatismus an seine äußerste Grenze; sie zwingt durch die Erklärungsbedürftigkeit jedes einzelnen Worts der Frage zu einer genaueren Sprachanalyse der Semantik aller Fragekomponenten und der Syntax ihres Zusammenhangs. Der Fortschritt in der Philosophie ist möglicherweise auch deshalb so unscheinbar, weil er mithin darin besteht, zu entdecken »what are the proper questions to ask«42 – und damit auch: »What are the proper questions to avoid.«43
344 | Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?
Wahrheit und Kulturelle Tatsachen Thesen zur Logik der Kulturwissenschaften
1. Das Wahrheitsproblem der Kulturwissenschaften Tatsachen stehen in enger Verbindung zum Wahrheitsbegriff. Sie gelten als Kontrollinstanz von Aussagen, die Wahrheitsanspruch erheben. Auch im Alltag werden Aussagen mit dem von ihnen behaupteten Sachverhalt konfrontiert, um zu prüfen, ob eine Behauptung wahr ist. Problematisch deshalb, dass der Tatsachenbegriff in den meisten Disziplinen entweder unterbestimmt oder zu eng gefasst wird. Offensichtlich gibt es verschiedene Arten von Tatsachen, die alles andere als kontext- und beobachterunabhängig sind. Auf Georg Simmel geht der Begriff der »kulturellen Tatsache« zurück, der jüngst in die kulturwissenschaftliche Diskussion wiedereingeführt wurde.1 Gleichwohl spielt im gegenwärtigen Diskurs um die »Logik« der Sozial- und Kulturwissenschaften das Wahrheitsproblem eine eigentümlich marginale Rolle. Dies mag in einer Disziplin, die für Offenheit, Perspektivität und Relativität der Interpretationsmöglichkeiten kultureller Faktizität wirbt, kaum verwundern, wird aber mit einer methodischen Beliebigkeit erkauft, die an ihre Substanz als Wissenschaft greift. Hinzu kommt die eigentümliche Sperrigkeit des Tatsachenbegriffs, dessen Gebrauch in den Kulturwissenschaften unklar geregelt ist. Die folgenden, thesenartig formulierten Überlegungen verfolgen zunächst historisch, dann systematisch die Frage nach dem Wahrheitsstatus von Aussagen über kulturelle Tatsachen.
2. Drei Positionen: Cassirer, Wiener Kreis, Kritische Theorie Theoriehistorisch ist die Genese der Diskussion um Wahrheit und kulturelle Tatsachen recht genau datierbar. Sie reicht zurück in das Jahr 1935, das den Beginn einer »Geisterdiskussion« philosophi | 345
scher Emigranten aus Deutschland markiert. In den 1930er Jahren entfaltet sich zwischen dem Wiener Kreis und Horkheimers Institut für Sozialforschung ein Disput, der das Wahrheitsproblem mit der Frage nach der »Logik« der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften verknüpft. Zeitgleich, doch unabhängig davon, formuliert Ernst Cassirer seine kulturphilosophischen Überlegungen, die sich im Rückblick wie eine Synthese der opponierenden Ansätze lesen. Unstreitig erbrachte der Disput eine Differenzierung der Begriffe physikalischer, sozialer und kultureller Tatsachen; und jede aktuelle kritische Revision seiner Fragen wird das Ensemble von Argumenten zur Kenntnis nehmen müssen, die er, im polemischen Gegeneinander, hervorgebracht hat. (1) Es war Rudolf Carnap, der philosophische Kopf des Wiener Kreises, der 1930 in einer Weise, die auch im Rückblick nichts an Vehemenz eingebüßt hat, der »geisteswissenschaftlichen Philosophie« jegliches Wahrheitsmoment absprach. In seinem Aufsatz »Die alte und die neue Logik« lässt Carnap als einzig wissenschaftliche Methode des Philosophierens die »logische Analyse der Sätze und Begriffe der empirischen Wissenschaft« gelten. Logik soll an die Stelle »metaphysischer Begriffsdichtung« treten, Erkenntnistheorie durch »angewandte Logik«2 ersetzt werden. Der Ergebnisarmut von Jahrhunderten spekulativen Denkens stünden erhebliche Fortschritte der mathematischen und formalen Logik seit Frege und Russell gegenüber: Relationsanalyse, Wahrheitsfunktionalität, Typensemantik. Mit ihnen, so Carnaps Vision, sind endlich die Mittel zur Hand, wissenschaftliches Philosophieren von der philosophierenden Beschäftigung mit Scheinproblemen zu trennen: »Alle Philosophie im alten Sinne, knüpfe sie nun an Plato, Thomas, Kant, Schelling oder Hegel an, oder baue sie eine neue ›Metaphysik des Seins‹ oder eine ›geisteswissenschaftliche Philosophie‹, erweist sich vor dem unerbittlichen Urteil der neuen Logik nicht etwa nur als inhaltlich falsch, sondern als logisch unhaltbar, daher sinnlos.«3 Zwar will der »methodische Positivismus« andere Wissenschaften als die von der Natur nicht abschaffen, wohl aber auf eine neue, »gemeinsame Basis« stellen. Naturwissenschaften, Psychologie und Sozialwissenschaften4 »lassen sich auf Wurzelbegriffe zurückführen, die sich auf das ›Gegebene‹, die unmittelbaren Erlebnisinhalte, beziehen«5. Im Grunde, so Carnaps Ideal einer von der Logik ge346 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
zuchtmeisterten »Einheitswissenschaft«, lasse sich »jeder Satz der Wissenschaft […] in einen Satz über das Gegebene«, d. h. über physikalisch feststellbare Tatsachen rückübersetzen. Weniger bedarf der Wahrheitsbegriff einer allgemeinen Definition – die hält auch Carnap für unerreichbar – als eines Kriteriums: Wann oder unter welchen Bedingungen sind Sätze wahr? In den Wissenschaften meint das Prädikat »wahr« keine zeitunabhängige Wahrheit (denn die meisten wissenschaftlichen Sätze müssen mit der Zeit revidiert und korrigiert werden), sondern »Bewährung«6. Entsprechend bestimmt sich Wahrheit als Verifikationsverfahren, das zwei Kriterien genügen muss: (i) der Konfrontation eines Satzes mit der Beobachtung und (ii) der Konfrontation dieses Satzes mit bereits wissenschaftlich anerkannten Sätzen. (2) Carnap hat diese empiristische Verifikationstheorie 1935 auf dem Ersten Internationalen Kongress für Einheit der Wissenschaft in Paris vorgetragen. Möglich, dass der Kongressbericht seines Institutsmitarbeiters Paul Lazarsfeld Horkheimer dazu bewogen hat,7 den lang gehegten Plan einer Darstellung des Wahrheitsproblems mit einem Angriff auf den logischen Empirismus zu verbinden. In dem Aufsatz »Zum Problem der Wahrheit«, erschienen 1935 in der Zeitschrift für Sozialforschung, fällt dieser Angriff noch moderat aus; zumal auch in Horkheimers Wahrheitskonzeption der Begriff der »Bewährung« zentral steht. Doch im Gegensatz zu Carnaps Tatsachenideal hebt Horkheimer hervor, dass die Bewährung von Hypothesen in den verschiedenen Wissenschaften auch eine jeweils verschiedene Funktion erhält und dass Verifikation in den Disziplinen, die sich »auf Mensch und Gesellschaft beziehen«8, evidenterweise nicht durch »Laborexperimente« geleistet werden kann. Überdies sind Verifikationen nie wertrelativistisch. In ihnen spielen immer auch Überzeugungen, zuweilen gar »geschichtliche Kämpfe« eine Rolle: »Bei der Analyse des Begriffs der Bewährung, wie er in dem nicht abschlußhaften, dialektischen Denken eine Rolle spielt, zeigt sich, daß die Entscheidung über bestimmte Wahrheiten von noch nicht vollendeten geschichtlichen Prozessen abhängt.«9 Horkheimer kritisert die klassische Wahrheitskonzeption der »Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande«, indem er betont, dass das Moment der Übereinstimmung selbst keine Tatsache ist, sondern »vielmehr durch reale Vorgänge, durch menschCassirer, Wiener Kreis, Kritische Theorie | 347
liche Aktivität hergestellt«10 wird. Wie die Übereinstimmung mit den Tatsachen festgestellt wird, ist daher nicht nur eine Frage der Logik oder Methode, sondern hängt im selben Maße von der herrschenden Wissenschafts- und Forschungspraxis ab. Auch die Kritische Theorie lehnt, so wird betont, die formale Logik nicht ab. Doch muss der Logische Empirismus sich vorwerfen lassen, »den verlorenen göttlichen Halt dadurch noch ersetzen [zu wollen], daß ihre Philosophen sich an den scheinbar überzeitlichen Relationen isolierter Begriffe und Sätze als der zeitlosen Wahrheit erfreuen«11. Zwei Jahre später geht Horkheimer entschieden weiter. In dem Aufsatz »Der neueste Angriff auf die Metaphysik« (1937) werden mit dem Wiener Kreis auch Russell und Wittgenstein attackiert. Horkheimer argumentiert, dass der logische Empirismus den Eigensinn der Sozial- und Kulturwissenschaften schon deshalb nicht anerkennen kann, weil er sie einem ihren Gegenständen fremden, mathematisch-naturwissenschaftlichen Methodenideal unterwirft. Entsprechend hatte Horkheimer bereits im programmatischen Vorwort zum ersten Heft der Zeitschrift für Sozialforschung den Begriff »Sozialforschung« eher kulturphilosophisch denn soziologisch interpretiert: Es gehe um »die Frage des Zusammenhangs zwischen den einzelnen Kulturgebieten, ihrer Abhängigkeit voneinander, der Gesetzmäßigkeit ihrer Veränderung«12. Demgegenüber wird der logische Empirismus vom eigenen Wissenschaftsideal gezwungen, sich auf berechenbare Tatsachenfeststellung zu beschränken, um darüber zu verkennen, dass die festgestellten Fakten Produkte eines wissenschaftlichen Betriebs sind, der selbst ein »sozialer Faktor«13 ist. Der zweite blinde Fleck positivistischer Methodenreflexion steckt im Ideal der »physikalischen Sprache«. Es schreibt vor, die sachlichen philosophischen Probleme durch »zweifelhafte Sprachreinigung […] aus der Welt [zu] schaff[en]«14 und sitzt dem Irrglauben auf, man könne Sprachspiele »gehalttreu« von lebendigen in formale Symbolsysteme übersetzen, »ohne dabei etwas zu verlieren«. Doch zeigt die Praxis, dass sich isolierte, einzelne wissenschaftliche Sätze nicht unabhängig von einem theoretischen Ganzen verifizieren lassen. Im Ganzen, so die Kritik, verwechseln die logischen Empiristen »kalkulatorische[s] Denken mit der Vernunft schlechthin«15; sie erheben das romantisierte Ideal naturwissenschaftlich organi348 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
sierter Fachwissenschaften zum Inbegriff des Denkens. Einher geht damit nicht nur die Leugnung der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Reflexion kultureller Phänomene, sondern auch eine Kritik an Metaphysik, die so hypertroph wird, dass sie selbst in Metaphysik umzuschlagen droht – eine deutliche Antizipation der Grundthese der späteren Dialektik der Aufklärung. Neben zwei persönlichen Diskussionstreffen der »feindlichen Freunde[n]«16 Wiener Kreis und Kritische Theorie 1937 in New York dokumentiert vor allem der Briefwechsel Horkheimer-Neurath das depravierende Verhältnis der beiden Lager in den späten 1930er Jahren. Die unüberbrückbare theoretische und persönliche Intransigenz zwischen Wiener Kreis und Kritischer Theorie entzündet sich nicht zuletzt an der Uneinigkeit über den Eigensinn und Verifikationsstatus kultureller Tatsachen. Wenn Horkheimer insistiert, Wahrheit sei nicht nur durch Experiment, Beobachtung und Satzverifikation zu ermitteln, sondern zugleich eine gesellschaftliche Praxis, so folgt er einem Wissenschaftsbegriff, der auch die Relevanz verschiedener Tatsachensphären nicht verleugnet. Zwar ist nicht unmittelbar von kulturellen Tatsachen, wohl aber von »kulturellen Faktoren« die Rede: »Die Kriterien, deren man sich im wissenschaftlichen und alltäglichen Leben zu bedienen pflegt, sind kulturelle Faktoren, die wir zu konservieren und weiterzubilden haben.«17 Damit ist die entscheidende Bestimmung erbracht: Kulturelle Tatsachen sind nicht einfach Fakten, sondern zugleich Faktoren; sie sind »Produkt und Produzierendes«18, Sachen und Sätze, Seiendes und Geltendes in einem. (3) Die systematische wie zeitliche Nachbarschaft zu Ernst Cassirers Ausarbeitung einer »Logik« der Kulturwissenschaften ist frappant. Und es war interessanterweise Horkheimer selbst, der in dem Aufsatz »Der neueste Angriff auf die Metaphysik« Cassirer ins Spiel brachte und als Zeugen gegen das Wahrheitsverständnis des logischen Empirismus aufrief. Gegen den Positivismus zeigt Cassirer, »daß die Welt […] nicht einfach da ist, sondern mit ein Erzeugnis unseres verarbeitenden Verstandes«. Gegen die positivistische Reduktion der Wissenschaftssprache auf einen physikalistischen Code pointiert Cassirer, wie Horkheimer zustimmend resümiert, die sprachlichen Vermittlungsleistungen des Tatsächlichen. Fehler seines larvierten neukantianischen Idealismus bleibe freilich Cassirer, Wiener Kreis, Kritische Theorie | 349
der, die Praxis, »welche die Tatsachen erzeugt und strukturiert, als geistigen Prozeß«19 zu verstehen. Tatsächlich kann man in Horkheimers Theorieprogramm einige Argumente der noch im Entstehen begriffenen Kulturphilosophie Cassirers in materialistischer Variation erkennen. Umgekehrt aber scheint fraglich, ob Cassirer als Verbündeter gegen den logischen Empirismus des Wiener Kreises gelten darf. Denn, erstens, vollzieht Cassirer im schwedischen Exil eine Neuorientierung seines Denkens in Richtung auf eine Philosophie der »Basisphänomene«, die sich gerade der produktiven Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis verdankt.20 Schwerer noch wiegt, zweitens, eine Notiz Cassirers aus den späten 1930er Jahren – geschrieben exakt zu dem Zeitpunkt, da die »diplomatischen Beziehungen« zwischen Wiener Kreis und Horkheimers Institut abbrechen: »In der Weltanschauung, in dem, was ich als das Ethos der Philos ansehe, glaube ich keiner ›Schule‹ näher zu stehen, als dem Denken des Wiener Kreises – Streben nach Bestimmtheit, nach Exaktheit, nach Ausschaltung des bloss Subjektiven, […] Anwendung der analytischen Methode, strenge Begriffsanalyse – das alles sind Forderungen, die ich durchaus anerkenne«.21 Die Selbstbehauptung einer Affinität zum Theorieprogramm des logischen Empirismus überrascht, und sie reicht noch weiter: »Einen solchen ›logischen Positivismus‹ brauchen wir nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch für die Geisteswissenschaften (Kulturwissenschaften) und die Logik (›Formenlehre‹) der Geisteswissenschaften ist die ›Philos der symb F‹«.22 Die letzte Bemerkung zeigt allerdings, dass es sich empfiehlt, genotypische Differenzen nicht mit phänotypischen Parallelen zu verdecken. Selbstcharakterisierungen bleiben problematisch und der Kulturphilosoph Cassirer ist am Ende kein larvierter Positivist. Vorderhand stimmt Cassirer den Kriterien des Wiener Kreises zu, kaum aber ihrer Eindimensionalität. Darin scheint er wiederum Horkheimer nahe, der notiert, man müsse die »Einseitigkeit des analytischen Denkens aufheben, ohne es zu verwerfen«23. Cassirer lässt keinen Zweifel daran, dass die »Logik« der Kulturwissenschaften nicht als formale, sondern als symbolische Formenlehre zu fassen ist.24 Dies zur Grundlage genommen, zeigen sich rasch Differenzen: »Aber stellen wir uns einmal versuchsweise auf den Boden 350 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
der Anschauung von Russell und Carnap – nehmen wir also an, daß jede Art der objektiven Aussage, jedes Urteil, das sich wissenschaftlich begründen und rechtfertigen lässt, notwendig an die Dingwahrnehmung geknüpft ist und immer nur zur Feststellung physischer Tatbestände führen kann […] so hiesse dies nichts anderes, als daß es entweder überhaupt keine Kulturobjekte gibt – oder daß es von ihnen keine wissenschaftliche Erkenntnis gibt.«25 Im Mittelpunkt der Kulturwissenschaft steht nicht die natürliche, sondern »die von Menschen geschaffene Welt«26. Sie hat es nicht bloß mit Natur und mit Seiendem, sondern vor allem mit Normen und Werten, mit Formen und Geltendem zu tun.27 Der methodische Unterschied von Geistes- und Naturwissenschaften zeigt sich in der Privilegierung von »Bedeutungs-Analyse[n]«28 gegenüber Kausalfragen. Auch diese sind für Kulturphänomene relevant, haben aber nicht die gleiche objektivierende Funktion wie in der Physik. Unterschiedliche Wissenschaften bearbeiten unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Damit scheint auch klar, dass es so etwas wie Tatsachen als solche, im Sinne der reinen Objektivität unparteiischer Beobachter oder auktorialer Erzähler, nicht geben kann: »Es gibt keine ›nackten‹ Fakta – keine Tatsachen, die anders als im Hinblick auf bestimmte begriffliche Voraussetzungen und mit ihrer Hilfe feststellbar sind. Jede Konstatierung von Tatsachen ist nur in einem bestimmten Urteilszusammenhang möglich, der seinerseits auf gewissen logischen Bedingungen beruht.«29 Kulturphilosophie fragt nicht nach Objekten einer Welt »da draußen«, sondern nach den »Taten«, die »Sachen« haben entstehen lassen: die Tatsachen der Kultur. Fakten lassen sich nicht als isolierte Phänomene bestimmen, sondern sind, wie Ute Daniel präzisiert, »Produkte von Wechselwirkungen zwischen wissenschaftlichen Herangehensweisen und deren Resultaten«30. Demnach beziehen sich (kultur)wissenschaftliche Begriffe nicht auf Dinge, sondern auf Relationen. Denn kulturelle Tatsachen können zwar Gegenstände sein, sind aber Tatsachen nur in Beziehung auf eine bestimmte Geltung. Geltung aber gewinnen Gegenstände durch ihren Gebrauch und ihre symbolische Form des Als: Sie gelten als Etwas. Ihre Geltung wird in einer Praxis her- und damit festgestellt. Für die Kulturwissenschaften heißt dies auch heute noch, »daß es zur Wahrheit ihrer Tatsachenfeststellungen gehört, daß die Prinzipien und Prozeduren Cassirer, Wiener Kreis, Kritische Theorie | 351
der Tatsachenfindung in der Tatsachenfeststellung zum Ausdruck kommen müssen«31. Wenn dieses generelle Kriterium ein (wenngleich nicht hinreichendes, so doch) notwendiges Moment von Wissenschaftlichkeit ist, welches im selben Maße auch für die Naturwissenschaften gilt, dann lässt sich die Beweislast der Wissenschaftlichkeit von den Geisteswissenschaften auch an die Naturwissenschaften adressieren. Auch sie müssen die Prozeduren ihrer Tatsachenfestsstellung, ja Hervorbringung von Tatsachen offen legen, statt sich in ihrem unmittelbaren Besitz zu wähnen. Fakten werden dann nicht einfach entdeckt, sondern erzeugt – durch Experimente, Beobachtungen, Verifikation von Sätzen. »Tatsachen sind theoriegeladen«32 und theoriegeleitet – so ließe sich das Resultat der »kulturalistischen« Korrekturen am logisch-empiristischen Tatsachenverständnis resümieren.33 Dies jedenfalls ist die Lehre aus einer wissenschafts- und kulturtheoretischen Konstellation, welche, so die erste – theoriehistorische – These, in der Auseinandersetzung zwischen Wiener Kreis, Kritischer Theorie und Ernst Cassirer erstmals das Wahrheitsproblem mit der »Logik« kultureller Tatsachen verknüpft hat.
3. Die symbolische Form kultureller Faktizität: Znaniecki, Whitehead, Cassirer Die Logik kultureller Faktizität macht noch eine zweite, in systematischer Absicht unternommene Aufarbeitung ihrer historischen Semantik notwendig. Denn in begrifflicher Hinsicht bedarf die Frage nach der symbolischen Form kultureller Tatsachen weiterer Klärung. In historischer Hinsicht ist die Frage in den Theoriehorizont des alethischen Pragmatismus zu rücken. Dann nämlich zeigt sich, wie sehr das Problem kultureller Faktizität die sprachpragmatische Wahrheitsexplikation ebenso präzisiert wie herausfordert. In diesem Kontext bilden Znanieckis Cultural Reality (1919), Whiteheads Symbolism (1927) und Cassirers Logik der Kulturwissenschaften (1942) eine logotektonische Trias der Aufhellung dieses Begriffs. Ihnen gelingt eine Skizze nicht des logischen, sondern des kulturellen Aufbaus der Lebenswelt, die sich für Znaniecki, Whitehead und Cassirer gleichermaßen den Formen einer symbolischen Konstitu352 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
tion von Faktizität verdankt. Ähnlich und zugleich ganz anders als bei Carnap entspringt ihren kulturphilosophischen Grundlegungen der Schattenriss jener kategorialen Ontologie der Tatsachenbereiche, die zu den bleibenden Desideraten aktueller Kultur- und Sprachphilosophie gehört. (1) Culturalism nennt der polnisch-amerikanische Kulturphilosoph Florian Znaniecki die nachmetaphysisch gebotene methodische Alternative zu Realismus und Idealismus. Seinem Kulturalismus scheint »evident, dass eine Philosophie der Kultur […] das gesamte traditionelle Feld philosophischer Problemstellungen revidieren«34 muss. Denn die »Philosophie kultureller Tätigkeiten«35 erschließt nicht einfach nur einen neuen Gegenstandsbereich. Vielmehr verwandelt die Expansion ihres Objektbereichs auch alle vormaligen Wissensgebiete, deren Gegenstände nunmehr als Formen kultureller Realität aufgefasst werden. Wo der Naturalismus blind für eine kulturelle Realität wurde, die sich nicht bloß kausalistisch verstehen lässt, dort blieb der Idealismus leer, weil seine überkommenen Begriffe auf den rasanten Wandel der kulturellen Institutionen keine Anwendung mehr finden. Beide methodischen Zugriffe verschließen sich der spezifisch »kulturellen Erfahrung« (cultural experience).36 Methodisch sind Erfahrungen solcher Art freilich immer Erfahrungen des Doppelcharakters kultureller Fakten (cultural data). Sie sind nicht einfach Dinge, sondern angesprochene Artefakte; nicht bloß Objekte, sondern Handlungen; nicht einfach daseiend, sondern bewusst produziert. Entsprechend unterliegen sie nicht primär den Gesetzen natürlicher Kausalität, sondern denen idealer Finalität.37 Der kulturalistische Konstruktivismus ergibt sich aus dem Umstand, dass »wir unfähig sind, jedes Wesen anders denn durch das Prisma der Kultur wahrzunehmen oder zu begreifen und es anders denn durch kulturell bereits bestimmte Formen zu behandeln«38. Dies darf auch für die naturwissenschaftliche Weltsicht gelten. Ihr wohnt ein verdeckter Kulturalismus bereits in Form jenes Fallibilismus naturwissenschaftlicher Theorien inne, mit deren jeweiliger Absetzung oder Überwindung sich stets auch unser Begriff der von ihnen untersuchten »Realität« verwandelt.39 Auch der Physiker und Biologe kommt nicht hinter eine prähumane und das heißt modern: vorkulturelle Welt zurück. Selbst dort, Die symbolische Form kultureller Faktizität | 353
wo er den Ursprung des Universums oder die Wirkung eines Enzyms untersucht, gehen in seine »scientific conceptions« zeitgenössische kulturelle Überlegungen ein. Eigentlich müsste stets schon deren Reflexion und Analyse geleistet sein, bevor es mit den Methoden der eigenen Zunft ans Werk geht. Znanieckis Kulturalismus mag sich daher als Konstruktivismus entpuppen. Er ist, dem Selbstverständnis nach, jedenfalls kein Obskurantismus. Denn an den kulturellen Data ist nichts rätselhafter als an den natürlichen; keine kulturelle Tatsache ist weniger oder schlechter beschreibbar als eine natürliche. Kulturphilosophie bedient sich folglich sowohl begrifflicher als auch empirischer Methoden zur Deutung der von ihr begriffenen Realität. Diese Realität, das freilich macht sie so komplex, ist wesentlich die eines Zusammenspiels unendlich vieler, stets sich wandelnder Handlungs- und Verifikationssysteme. Als lebendige werden solche Systeme unterm kulturphilosophischen Blick zwar zu Untersuchungsobjekten stillgestellt, gerinnen aber nicht zu Petrefakten, sondern sind stets in ihrem Sitz im Leben zu untersuchen. Das aber heißt: Untersucht werden auch solche Handlungen, die Objekte und deren Systeme organisieren.40 Kulturelle Tatsachen sind demnach nicht allein einzelne Artefakte oder Praktiken, sondern immer auch deren System. So kann das Möbelstück dann zur kulturellen Tatsache werden, wenn darauf reflektiert wird, dass es in seinem Gebrauch zugleich die komplexen Herstellungsgepflogenheiten und -traditionen spiegelt, aus denen der Tischler bewusst oder unbewusst auswählt, um den Gegenstand hervorzubringen.41 Als Möbel mag es bloßes Ding sein, doch als Biedermeier-Möbel ist es zugleich Ausdruck einer geistigen Form. Triviale Beispiele wie dieses lassen etwas Wesentliches von der Logik kultureller Faktizität sehen. Das gefertigte Möbelstück ist ein physischer Erfahrungsgegenstand, seine konkrete Ausführung durch den Tischler, möglicherweise im Verein mit anderen, eine soziale Handlung, die überlieferten Tischlerpraktiken wiederum, aus denen er schöpft, überlieferte Handlungsanweisungen, während der Gesamtzusammenhang (interconnection) aller dieser Handlungen und Tatsachen – ihr System – die volle kulturelle Faktizität dieses konkreten Gebrauchsgegenstands konstituiert. Nur wo dieser Zusammenhang realisiert ist, kann das Möbelstück als ein solches gebraucht, d. h. als eines, das bestimmte Funktionen (auch des klas354 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
sischen oder zeitgenössischen Designs) erfüllt, rezipiert werden. Dabei ist für seine kulturelle Faktizität gleichgültig, ob die jeweiligen Handlungen, die Tat-Sachen, bewusst oder unbewusst ausgeführt werden; kulturelle Zusammenhänge schlagen sich jederzeit so gut wie in diesen auch in jenen nieder. Zu der kritischen Einsicht, dass die Warenform kultureller Data selbst eine nicht bloß ökonomische, sondern auch kulturelle Tatsache ist, kann sich Znanieckis Culturalism allerdings ebenso wenig durchringen wie der Whiteheads oder Cassirers. Immerhin aber hat Znaniecki die kulturelle Organisation von Objekten und deren Systemen in ihrem »dynamischen Charakter«42 beschrieben. Das macht Kulturphilosophie zu einem so schwierigen und innerhalb der Philosophie mit gewohnter Skepsis betrachteten Unternehmen. Denn sie widmet sich ganz dem Werden ihrer Phänomene, deren ungeschichtlichem Sein habhaft zu werden sie bewusst entsagt. Als pragmatistisch versteht sich diese Kulturphilosophie auch deshalb, weil neuen kulturellen Gegenständen und ihrer »praktischen Organisation« stets die Verwandlung der bestehenden Organisationssysteme offen steht: »the pre-existing reality must be adapted to the new object in order to be able to include the latter.« Diese Anpassungsleistungen sind freilich reziprok, denn der Gegenstand findet Eingang in bestehende Systeme nur, wenn er ihnen vorab bereits irgendwie angepasst wurde. Wie aber lassen sich aus physischen, politischen, ökonomischen, geschichtlichen oder sozialen Data sinnvolle, distinkte Tatsachenbereiche ableiten? Offenbar nicht ohne eine terminologische Willkür, zu der sich Znanieckis Cultural Reality nicht entschließen mag. Das Buch erschöpft sich so sehr in der Rechtfertigung des Begriffs und des Eigensinns kultureller Realität, dass es jener Opposition von natürlichen und nicht-natürlichen Tatsachen verhaftet bleiben musste, die bereits Simmel an Dilthey zu überwinden gesucht hatte. Erst ein dezidierter, nicht nur impliziter symboltheoretischer Blick scheint diese Opposition auch als eine Distinktion aufeinander verwiesener Tatsachensphären durchsichtig machen zu können. Das Faktum divergierender Subsysteme innerhalb derselben kulturellen Realität hat freilich auch Znaniecki bemerkt: »In every social group we find several different political, economic, religious systems existing together, and our task is then to separate them and to reconDie symbolische Form kultureller Faktizität | 355
struct each in its rational perfection.«43 Wir müssen davon ausgehen, heißt es an anderer Stelle, »that any number of dogmatic systems of a similar or different type may coexist, each perfectly developed, in a given section of the cultural world«44. Damit ist einer entscheidenden Einsicht in die Logik kultureller Faktizität vorgearbeitet. Kulturelle Realität bildet eine mögliche Metasphäre zu den divergierenden Fakta der sozialen Realität. Sie erlaubt die Koexistenz und Konkurrenz jener zuweilen entgegenstrebenden Handlungen sozialer Gruppen – auch innerhalb ihrer. Es liegt daher nahe, grob zwischen den natürlichen Tatsachen der Dingwelt, den sozialen Tathandlungen innerhalb bestehender oder künftiger Organisationssysteme und der kulturellen Faktizität und das heißt vor allem: der sedimentierten Geschichte dieser Systeme selbst zu unterscheiden. Denn in konkreten Situationen sozialen Handelns geben allein diese Systeme die normativen Orientierungsparameter für die Ausführung oder Kritik solchen Handelns ab. Dann könnten politische, ökonomische, religiöse und historische Tatsachen sowohl als Bindeglieder zwischen natürlichen und sozialen, sozialen und kulturellen sowie kulturellen und natürlichen Tatsachen verstanden werden. Das bleibend unbefriedigende und willkürlich anmutende dieses theoriesprachlichen Zugriffs wird gemildert durch die Perspektive, das Moment der Kritik theoretisch genauer fassen und innerhalb des Felds kultureller Realität situieren zu können. (2) Das ist die Perspektive der symbolphilosophischen Überlegungen Whiteheads. In Symbolism (1927), entstanden als kulturphilosophisches Komplement zum naturphilosophischen Hauptwerk Process and Reality (1929) und erschienen zeitgleich mit Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, begreift Whitehead Faktizität als eine durch Symbolprozesse hervorgebrachte Realität – realitas durchaus pragmatistisch verstanden als actualitas: Wirksamkeit. Whitehead karikiert zunächst den erwartbaren Einwand gegen eine symbolphilosophische Bestimmung der Wirklichkeit. Der nüchterne Verstand verlange »Fakten, nicht Symbole«45. Das verstandene Faktum aber – und andere kennen wir nicht, weil Fakten nicht eigentlich mehr Data, und damit geberabhängig, sondern Phaenomena, also beobachterabhängig sind – ist immer schon symbolisch vermittelt. Symbolisch gegebene Erfahrungen sind keine sekundären Erlebnisse zweiter Hand. 356 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
So skizzenhaft Whiteheads Symbolphilosophie im Einzelnen geblieben sein mag, der sie tragende Begriff der »symbolischen Referenz« bleibt keineswegs vage. Unter Symbolen werden Erfahrungskomponenten verstanden, die Bedeutung erzeugen, indem sie individuelle so gut wie kollektive Wahrnehmungen in Sinnzusammenhänge einordnen. Die Einordnung selbst verdankt sich einer symbolischen Referenz, die das »aktiv-synthetische Element«46 in unseren Handlungen und Äußerungen darstellt. Wichtig ist (darin gewinnt Whitehead Einsicht in das Prinzip symbolischer Reflexivität), dass symbolische Referenz konkret, aber nie direkt, bedeutsam, doch nie eindimensional ist. Symbolische Einordnungen von Erfahrungen können stets auch anders, nicht zuletzt fehlerhaft vorgenommen werden. In normalsprachlichen Zusammenhängen kann das Lob auch als Tadel, die Beleidigung auch als Kompliment (miss)verstanden werden. Der schwankende Boden symbolischer Referenz erlaubt unterschiedliche Formen mentaler Synthesis. Um einer Mystifizierung des Symbolismus zu steuern, aber auch, um die Tür zu einer realistischen Ontologie offen zu halten, hält Whitehead vier mögliche Relationsformen symbolischer Referenz auseinander, deren Muster offensichtlich die symbolische Form der Sprache vorgibt.47 Möglich ist in dem semiotischen Dreieck von Symbolform, Bedeutung und Symbolbenutzer/in (i) eine Beziehung von Symbol und Bedeutung, die sich auch ohne konkrete Benutzer/in realisiert, d. h. von einer kollektiven Symbolisierung gestiftet oder algorithmisch durchgeführt wird. (ii) Möglich ist umgekehrt auch, dass die Handlung der Wahrnehmenden ohne Berücksichtigung von Symbol oder Bedeutung erfolgt – womit Whitehead offenbar die Möglichkeit prä- oder parasymbolischer, d. h. instinktiver Handlungen offen halten möchte. Damit nicht zu verwechseln sind (iii) subsymbolische Reflexhandlungen. Hier können Symbol und Bedeutung auseinandertreten, ihre Verbindung lösen. Ausgeführt wird dann eine symbolische Handlung, ohne deren Bedeutung zuvor reflektiert zu haben, etwa im unwillkürlichen Grüßen einer Person, die nicht mehr zu grüßen man sich vorgenommen hatte. Dies erlaubt nicht zuletzt die Möglichkeit leerer Signifikanten oder sinnloser Symbolhandlungen. Denn gerade an ihnen zeigt sich (iv) ein letztes Charakteristikum symbolischer Referenz, nämlich dies, dass Die symbolische Form kultureller Faktizität | 357
das Verhältnis von Symbol und Bedeutung in seiner Richtung nicht festgelegt, mit einem Wort: symbolisch-reflexiv ist. Was Cassirer die Prägnanz von Wahrnehmungserlebnissen kraft einer primordialen symbolischen Formierung des Wahrgenommenen nennen wird, heißt bei Whitehead presentational immediacy – eine durchaus paradoxe Formulierung, weil es ihm gerade um eine immer schon vermittelte Unmittelbarkeit im Erleben geht. Gut pragmatistisch bestreitet er die Möglichkeit reiner Sinnesempfindung, die nachträglich vom Verstand ihre kategoriale Deutung erfährt. Vielmehr ist Erfahrung schon symbolisch-begrifflich durchdrungen, besser gesagt: verkörpert. »We do not perceive disembodied colour or disembodied extensiveness: we perceive the wall’s colour and extensiveness. The experienced fact is ›colour away on the wall for us‹.«48 Präsentative Unmittelbarkeit kennzeichnet höhere Spezies, sie ist, so Whitehead, eine »physikalische Tatsache«, die sich im Falle der menschlichen Gattung primär der »Tätigkeit begrifflicher Funktionen« verdankt, kraft deren »physische Erfahrung und begriffliche Einbildungskraft zur Erkenntnis verbunden«49 werden. Whiteheads Ansatz würde zu kurz greifen, wäre er bloß erkenntnistheoretischer Natur. In der Tat lässt sich Symbolism als »symboltheoretisch konzipierte Kulturphilosophie«50 lesen. Der Schwierigkeit einer solchen kulturphilosophischen Reformulierung des Pragmatismus wird er sich bewusst gewesen sein, auch wenn ein symboltheoretischer Begriff kultureller Faktizität durchaus in der Konsequenz des alethischen Pragmatismus James’ und Deweys liegt. Denn anders ist kaum zu erklären, weshalb Whitehead den Symbolismus zunächst umständlich vor allem dessen Verächtern unter den Gebildeten näher zu bringen sucht. In diesem Kontext steht seine Diagnose eines zunehmenden Unbehagens (repulsion) in (den symbolischen Formen) der Kultur. Die fortschreitende Verfeinerung symbolischer Repräsentation ruft einen zunehmenden Widerwillen gegen diese symbolische Verfeinerung kultureller Realität hervor. Whitehead konzediert, dass Tendenzen symbolischer Überwucherung unseres Lebens jederzeit möglich sind, verleugnet also keinesfalls die Byzantinismen einer Verselbstständigung kultureller Vermittlungsformen. Wo sich etwa Verantwortlichkeiten in modernen bürokratischen Symbolapparaturen verflüchtigen, 358 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
dort ist zuletzt kein persönlich Verantwortlicher mehr namhaft zu machen. Allerdings wendet Whitehead den Befund in der Weise gegen sich selbst, dass er den Widerwillen gegen kulturelle Symbolisierungen seinerseits als »ausgezeichnetes Element in der Kulturgeschichte der zivilisierten Völker«51 begreift – ein überaus hintersinniges Argument, weil es erlaubt, die beständige »Anpassung aller Symbole an Änderungen der sozialen Struktur«52 als Antidot gegen das Unbehagen in der Kultur zu bestimmen. Zwar bleibt der Symbolismus unhintergehbar, »inherent in the very texture of human life«53. Doch die Distanznahme sowohl zum Symbolisierten als auch zum Symbol erschließt selbst ein für uns zentrales Moment kultureller Faktizität: die Notwendigkeit ihrer Kritik; mehr noch: ihre Selbstkonstitution durch Kritik. Verlangt jeder menschliche Ausdruck nach Symbolisierung, so schließt ihr Gebrauch doch jederzeit Distanz und Kritik zum Symbolisierten ein. Symbolisch-reflexiv daran ist, dass wir Symbolhandlungen etwa auch dann vollziehen können, wenn wir nicht mit ihnen einverstanden sind. Neue symbolische Formen verdanken sich nicht selten triebsublimierenden Verschiebungen: »Man mag die Etikette eines königlichen Hofes mit ihren Vorgaben persönlicher Unterwerfung abschaffen, um dennoch bei offiziellen Empfängen zeremoniell die Hand des Gouverneurs zu schütteln.«54 So sehr sich freilich die kulturelle Symbolisierung neuen sozialen Systemen anzupassen hat, so wenig verschwindet sie in den gewandelten Formen selbst. Als Form dieser Formen verlangt auch sie nach einer, etwa fortschreitender Egalisierung oder Entfeudalisierung angemessenen, sei es auch noch so sublimierten symbolischen Gestalt. Mag der Hofknicks auch verschwinden, so doch keineswegs jede Form der Begrüßung von Respektspersonen. Im Unterschied zur imperativischen Form von Instinkthandlungen oder Warnrufen in Tiersprachen können Referenz und Bedeutung kultureller Symbole daher niemals die Eindeutigkeit von Befehlsformen gewinnen.55 Zwar erfolgen Reaktionen auf eingeführte Symbole weitgehend mechanisch. Ihre Referenz ist aber offen sowohl für emotionale Unterstützung als auch für argumentative Kritik. Anstelle der Macht des Instinkts (und der kausalen Determinierung sozialer Erfahrungen) ist gattungsgeschichtlich die WirksamDie symbolische Form kultureller Faktizität | 359
keit einer individuellen Verwendung kollektiv geltender Symbole getreten. Damit sind die theoretischen Voraussetzungen eingeholt, um kulturelle Tatsachen als Werke einer Wir-Intentionalität, als Artefakte und deren Ordnungssysteme zu begreifen. Ersteres nennt Whitehead primäre, letzteres sekundäre Symbolisierung. Erst durch sekundäre Symbolisierung allerdings wird primär Symbolisiertes auch zur kulturellen Tatsache. Denn »an sich selbst sind Symbole unergiebige Tatsachen, deren direkte assoziative Kraft nicht ausreichen würde, eine automatische Konformität herbeizuführen«. Erst im Gebrauch durch ein plurales Subjekt, erst als Werk einer geteilten Intentionalität »ruft das Symbol Loyalitäten zu vage vorgestellten Ideen hervor, die für unsere geistigen Naturen grundlegend sind«56. Gerade weil Gesellschaften durch die Konformität gesteuert werden, die der »operativen Tätigkeit unserer riesigen Systeme vererbter Symbolismen«57 entspringt, bedrohen Strukturwandelprozesse kultureller Symbolisierungen sogleich die Gesellschaften, deren Struktur von den sich wandelnden Symbolisierungen definiert wird. Entsprechend lassen sich Revolutionen unterscheiden in solche, die den »fundamental wirkenden Symbolismus der Gesellschaft intakt lassen«58 und solche, die ihn zerstören. Schon Hegel hatte in seinen Überlegungen zum Völkerrecht gefordert, im Kriegsfalle müssten die symbolischen Sittlichkeitsordnungen besiegter und besetzter Staaten um jeden Preis bewahrt bleiben.59 Für Whitehead besteht die Kunst freier Gesellschaften zuletzt darin, die »Ehrfurcht« gegenüber ihren symbolischen Codes mit der Freiheit zu deren »Revision« zu verbinden.60 Bedeutsam für die Bestimmung kultureller Faktizität ist schließlich Whiteheads mereologische Einsicht in ihre Wechselwirkung von Teil und Ganzem: »Kein einziges Detail ist von großer Wichtigkeit. Das ganze Spektrum symbolischen Ausdrucks ist erforderlich.«61 Für sich selbst mag unerheblich sein, wie die Stuhlverteilung eines Sitzungssaals gestaltet ist. Im Ganzen aber lässt sich an ihr auch etwas von der kulturellen Physiognomie dessen erkennen, was in diesem Saal wie verhandelt wird: etwas von den Hierarchien und Rücksichten, von den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der hier stattfindenden Diskurse. Kaum jemals gleicht diese symbolische Referenz allerdings einer direkten Beziehung von Zeichen 360 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
und Bedeutung; sie kann stets auch anders ausgelegt werden. Die Eindeutigkeit ihrer Zuordnung steht umgekehrt proportional zu den unterschiedlichen Arten der Faktizität, die auch bei Whitehead, grob vereinfacht, in physische, soziale und kulturelle Tatsachen geschieden sind. Ist bei Instinkt- oder Reflexhandlungen, generell bei natürlichen Tatsachen, die Zuordnung eindeutig, so erlauben soziale Handlungen und insbesondere kulturelle Symbolformen ein breiteres Spektrum höchst unterschiedlicher Reaktions- und Deutungsvarianten. Anders gesagt: Sie gestatten überhaupt erst reflexive Distanznahme und Kritik. (3) Ralf Konersmann hat dargestellt, wie die wichtigen systematischen Charakteristika kultureller Tatsachen in Simmels und Cassirers Begriff des »Werks« eine glückliche terminologische Verbindung eingehen konnten.62 Dabei ist eine Zweideutigkeit zu berücksichtigen, in der sich die Doppelsinnigkeit des Tatsachenbegriffs noch einmal selbst reflektiert. So wie die Tatsache sowohl auf etwas referiert, worin sie besteht (und das können auch nichtsprachliche Gegenstände sein), als auch auf das, woraus sie besteht, nämlich aus sprachlich artikulierten Propositionen, so kann auch mit den »Werken der Kultur«63 sowohl ein dinglicher Gegenstand (sei dies ein Hörsaal, ein Mythos oder die Pastorale von Beethoven) gemeint sein als auch das – nur sprachlich ins Bewusstsein zu hebende – Symbolsystem (der Universität, der griechischen Mythologie oder der Sonatenform) selbst, durch welches die konkreten Werke ihren kulturellen Sinnzusammenhang erhalten. Zum einen aber manifestieren sich solche symbolischen Formen nie abstrakt, sondern nirgendwo anders als in den Werken, in denen ihre jeweilige geschichtliche Physiognomie ansichtig wird. Zum anderen sind diese Formen notwendigerweise Handlungskonzentrationen: als Werk ist die kulturelle Tatsache »eine menschliche Tat, die sich zum Sein verdichtet hat«64. Die übergeordneten, aber nie als solche rein zu fassenden Symbolsysteme scheinen sich einerseits urwüchsig und nicht beliebig steuerbar zu entfalten. Andererseits sind sie auch nicht jedem kollektiven menschlichen Zugriff entzogen. Keineswegs verdanken sie sich allein Diskursen, gewinnen aber auch nur dann allgemeine Geltung, wenn sie kritische Anerkennungsprozesse durchlaufen haben. Die Faktizität kultureller Tatsachen besteht in ihrer Geltung. Die symbolische Form kultureller Faktizität | 361
Searle hat für das Zur-Geltung-Bringen von Faktizität sprachlich organisierte Statusfunktionen verantwortlich gemacht. Kraft ihrer weisen wir einem Gegenstand, einem Werk oder einer Handlung X innerhalb eines bestimmten Kontextes C die Funktion Y zu. Searle hat eine genauere Bestimmung dieser Kontexte C liegen gelassen. Doch auch sie selbst sind kulturelle Tatsachen; und auch sie bedürfen einer symboltheoretischen Explikation. Cassirer hat diese Kontexte »Kulturform[en]«65 genannt und ihnen die Studien Zur Logik der Kulturwissenschaften (1942) gewidmet. Dabei konnte er eine bereits anderswo geleistete Verknüpfung von Kulturform und Wahrheitsproblem voraussetzen, die sein kulturphilosophisches Verständnis von Faktizität beleuchtet. In einer Studie zum geschichtlichen Wandel des Wahrheitsbegriffs hatte Cassirer gezeigt, inwiefern es in der Logik des positivistischen Wahrheitsbegriffs der nachhegelschen Moderne liegt, auch noch den analytischen Sätzen oder vérités éternelles des rationalistischen Wahrheitsverständnisses der Neuzeit zu misstrauen, um alle Hoffnung auf eine Inventarisierung der vérités de fait zu setzen. Wahrheit kann dann weder als Gabe noch auch als Grund, sondern nur als Einheit des Wissens in der Erfahrung aufgesucht werden. Zwar erschließt das positivistische Wahrheitsideal überhaupt erst den ganzen Reichtum der Faktizität, bezahlt seine Erkenntnisse jedoch mit einem eindimensionalen Methoden- und Wissenschaftsbegriff, der paradoxerweise zur unaufhaltsamen Spezialisierung und Departmentalisierung der Disziplinen und Gegenstandsbereiche zwingt. Dann aber kann der positivistisch-empiristische Wahrheitsbegriff seine Einheit nicht mehr im Prinzip der göttlichen Gabe oder der begründenden Methode, sondern einzig in dem empirischen Gegebensein induktiv gewonnener und methodisch abgleichbarer Daten finden. Mit dieser Typologie der Wahrheitsbegriffe hat Cassirer nicht nur auf deren Geschichtlichkeit hinweisen, sondern auch für den Eigensinn der verschiedenen Wissenskulturen argumentieren wollen, deren Methoden nicht über den Leisten eines naturwissenschaftlichen Erkenntnisideals zu schlagen sind: »Alles Faktische erhält seinen klar bestimmten Sinn erst durch die Bedeutungszusammenhänge, in denen es steht, und durch die Bedeutungskategorien, die es formen.«66 362 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
Aus dieser historischen Rekonstruktion lässt sich folgende zweite – theoriesprachliche – These ableiten: Unter kulturellen Tatsachen können Artefakte, Werke, Handlungen oder Aussagen und deren jeweilige symbolische Ordnungen verstanden werden. Kulturelle Tatsachen sind nicht nur, sie gelten. Geltung erhalten sie durch ihre kollektive Rezeption als Tatsachen; sie müssen als solche anerkannt werden. Anerkennungsprozesse sind primär durch die symbolische Form der Sprache vermittelt. Gleichwohl geht kulturelle Faktizität nicht in ihrem sprachlichen Dasein auf. Insofern kulturelle Tatsachen, als »Werke der Kultur« sowohl Artefakte, Handlungen und Aussagen als auch geltende Handlungs- und Aussagensysteme sein können, gewinnen sie den Charakter dinglich-sprachlicher Hybride. Sie sind, könnte man sagen, Logofakte.
4. Die innere Pluralität des Tatsachenbegriffs Das Problem des Verhältnisses von Wahrheit und kulturellen Tatsachen, die Frage nach einer kulturphilosophischen Alethiologie führt auf das Feld des alethischen Pragmatismus zurück. Denn nach einer wie immer auch provisorischen Klärung des Begriffs der kulturellen Tatsache stellt sich nun das Problem seiner Integration in das sprachpragmatische Explikationsmodell der Wahrheit. Werden kulturelle Tatsachen – seien es Werke, Institutionen, symbolische Formen – nicht allein von realen Produktionsleistungen, sondern auch von ideellen Rezeptionsleistungen konstituiert, sind sie also geschichtliche und gesellschaftliche Phänomene des Ausdrucks, nicht bloß der Aussage, so scheint ihr symbolisches Dasein wesentlicher als die Möglichkeit ihres (propositionalen) Wahrseins. Weil ihr Dasein kein primär dinghaftes ist, wird die zunächst willkommene Unterscheidung von propositionaler und kategorialer Ebene sogleich fragwürdig.67 Soziale und kulturelle Tatsachen wie Geld, Eigentum, Wissenschaften etc. gehören zu Daseinsformen, die nur existieren, weil wir glauben, dass es sie gibt; weil sie wir-intentional gemacht und zur Geltung gebracht werden. So bleibt die Polysemie des Tatsachenbegriffs ein sprachanalytisches Ärgernis. Neben dem eingebürgerten Begriff der »sozialen Tatsache«68, der auf Émile Durkheim zurückgeht, ist seit lanDie innere Pluralität des Tatsachenbegriffs | 363
gem schon von »historischen Tatsachen«69, im 19. Jahrhundert von »psychischen Thatsachen«70 und »ästhetischen Thatsachen«71, neuerdings auch von »religiöse[n] Tatsachen«72 die Rede. Terminologisch geläufig sind ferner »moralische und politische Tatsachen«73. Es liegt auf der Hand, dass die wechselnden Epitheta Probleme aufwerfen. Doch die semantische Expandierung des Tatsachenbegriffs ist ebenso wenig zu beklagen wie die systemtheoretische Rede von den sich ausdifferenzierenden Subsystemen. Mit dieser hängt das Problem der Tatsache in gewisser Weise zusammen. Denn es lässt sich fragen, ob es nicht möglicherweise ebenso viele Tatsachenbereiche wie wissenschaftliche Subsysteme oder Diskursebenen gibt. Diese sind freilich keine Unterscheidungen der Sache selbst, sondern der jeweils herrschenden Wissenschaftspraxis, die sich nach Regeln richtet, die die Konstruktion neuer Aussagen implizit oder explizit prozedural festlegen. Zu untersuchen sind zunächst immer die Bedingungen, die eine bestimmte Aussage einer Disziplin zuordnen lassen. Diese Disziplinen unterschieden sich nach den Ebenen verschiedener – sich ändernder und kontingenter – Erkenntnisgegenstände und Fragestellungen; sie basieren auf einem Geflecht institutioneller Praktiken. Diese wiederum legen bestimmte Verwendungsregeln für Aussagen fest. Aus wahrheitstheoretischer Perspektive bleibt eine Art negative Ontologie sinnvoller Tatsachenbereiche philosophisches Desiderat.74 Negativ ist diese Sphärenordnung (i) weil sie nur ahierarchisch bestimmt werden kann (kulturelle Tatsachen stehen nicht über anderen Tatsachen), und (ii) weil sie keinen substantiellen oder normativen Begriff der Tatsache und ihrer Sphärenordnung vorschreibt, sondern die herrschende Sprach- und Sozialpraxis analysiert. Zu ihr gehört freilich auch, dass die Diversität und begriffliche Unschärfe der Tatsachenbereiche selbst ein Faktum darstellt, das sich nicht als Scheinproblem oder mit rein begrifflichen Unterscheidungen aus der Welt bringen lässt. Ein zweites Problem stellen Auffassungen dar, in denen ein naiv empiristisches Tatsachenverständnis mit unserem Alltagsverständnis von Fakten eine trübe Verbindung eingeht. Wir glauben, Fakten seien etwas Unmittelbares, Handgreifliches, Konkretes. Doch sie sind nicht einfach das sich von sich her Zeigende, das unverschleiert selbst Gegebene oder Unmittelbare. Dieses Zerrbild haben so364 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
wohl die sprachanalytische als auch die kulturphilosophische Kritik des Tatsachenbegriffs unumkehrbar korrigiert. Die guten Gründe, Tatsachen oder Sachverhalte analytisch von Erfahrungsgegenständen, Situationen oder Ereignissen zu unterscheiden, wurden in den vergangenen Kapiteln bereits dargestellt. Schon triviale Beispiele für solche Aussagen zeigen, dass Tatsachen nicht kontextunabhängig bestimmt werden können. Umgekehrt aber wird man kaum darauf hoffen dürfen, alle Tatsachen lückenlos Bereichen oder Rubriken zuordnen zu können. Diese überlagern sich wahllos. Wer wollte im Einzelfall verfügen, ob der Mauerfall nun eine geschichtliche und/ oder politische Tatsache sei. Insofern bleibt die Pluralität des Tatsachenbegriffs problematisch, denn sie droht ihn zu zersplittern. Zugleich ist die Vielfalt des Tatsachenbegriffs selbst eine Tatsache unserer Sprachpraxis und was wir fordern können, ist nicht die »Reinigung« (Carnap) oder »Eindimensionierung« des Tatsachenbegriffs, sondern allenfalls seine Klärung. Angesichts der Vielfalt von Faktizität scheint es sinnvoll, Wahrheitskonzeptionen an den jeweiligen Tatsachen auszurichten, für deren Aussageweisen sie die Wahrheitskriterien benennen. Wahrheitstheorien können ihrem Gegenstand, einer bestimmten Klasse von Tatsachen, nicht einfach ein Begriffssystem aufzwingen, sondern müssen dieser Klasse konvergieren, sich ihnen anmessen. Dem spezifischen Wahrheitsproblem kultureller Tatsachen versucht das respondenztheoretische Modell des alethischen Pragmatismus Rechnung zu tragen. Es kann als kulturphilosophische Verfeinerung einer moderaten Korrespondenztheorie verstanden werden, die sich in vielen Bereichen durch ihre sowohl wissenschafts- wie alltagssprachliche Evidenz empfiehlt. Insofern kulturelle Tatsachen auf Ausdrucksphänomenen, Bedeutungen, Interpretationen beruhen, kommt freilich auch eine konsensustheoretische Komponente von Wahrheitsansprüchen ins Spiel; insofern Aussagen über kulturelle Tatsachen auch den Handlungs- und Aussagesystemen, denen sie angehören, konvergieren müssen, kommt überdies eine kohärenztheoretische Dimension hinzu. Es bietet sich an, vereinfachend zunächst nur zwischen natürlichen, sozialen und kulturellen Tatsachen zu unterscheiden. Erstere wären dann nicht einfach schon Erfahrungsgegenstände wie eine bei 100° Celsius siedende Menge Wasser, sondern erst die PropoDie innere Pluralität des Tatsachenbegriffs | 365
sition »Das Wasser siedet bei 100 °C«75. Diese Dispositionsaussage müsste zunächst zusammenstimmen mit allen anderen Sätzen unserer physikalischen Verifikationssysteme – und jeder konkrete Erfahrungssatz über siedendes Wasser sowohl mit der Dispositionsaussage als auch ihrem Verifikationssystem. Doch schon von Wittgensteins evidentem Satz »Katzen wachsen nicht auf Bäumen«76 können wir uns zum einen fragen, ob er überhaupt eine Tatsache genannt werden darf, weil wir schlecht negative Tatsachen annehmen können, und zum anderen, ob er tatsächlich noch eine bloß natürliche Tatsache feststellt; ebenso der Satz, dass jeder Mensch zwei menschliche Eltern habe.77 Dagegen dürfte der Satz, dass dieser Wein das Blut Christi sei, keine natürliche Tatsache zu sein beanspruchen, wohl aber eine soziale (als kategorial der religiösen »Faktizität« übergeordnete Sphäre). Er gilt innerhalb der sozialen Gruppe einer bestimmten religiösen Gemeinschaft, die ihm durch geteilte intentionale Praktiken zur Anerkennung verhilft. Dass konkurrierende Systeme sozialer Fakten gleichwohl zu einer sich als zusammenhängend verstehenden Kultur zählen können, kann selbst als kulturelle Tatsache angesprochen werden. Ihr Verifikationssystem scheint offen auch für höchst gegensätzliche Überzeugungen, Praktiken und soziale Gruppen. Mehr noch: diese innere Pluralität macht das symbolische System einer Kultur aus. Zugleich allerdings macht es die Prüfung des Wahrheitsanspruchs von Aussagen über kulturelle Faktizität so argumentativ offen und diskursiv unberechenbar. Vor allem erlaubt es, auch natürliche und soziale Tatsachen unter Umständen als kulturelle Tatsachen, als Bedeutungs- oder Geltungsphänomene anzusprechen – und zwar immer dann, wenn es um ihre Herkunft, Geschichtlichkeit, Geltung geht. Es ist sinnvoll, so die dritte – faktizitätshermeneutische – These, zwischen verschiedene Arten oder Sphären von Tatsachen zu unterscheiden. Dies erfordert eine negative, »kategoriale Ontologie« möglicher Tatsachenbereiche, die sinnvolle Bereichsunterscheidungen trifft, doch das Kristall des Tatsachenbegriffs ebenso wenig in die Unendlichkeit möglicher Situationen, Ereignisse und Diskurse zerspringen lässt, wie es den Begriff der Faktizität auf Erfahrungsgegenständlichkeit oder Propositionalität reduziert. 366 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
Vor diesem Hintergrund lässt sich sogleich noch eine vierte – wahrheitsmethodische – These hinzufügen, die besagt, dass sich das Verhältnis von Wahrheit und kulturellen Tatsachen in vier unterschiedliche Aspekte auseinanderlegt: (i) Tatsachen werden durch die spezifischen Bedeutungszusammenhänge ihrer jeweiligen Tatsachensphäre allererst hervorgebracht. (ii) Kulturelle Tatsachen können konkrete Werke sein, die in und durch solche Bedeutungszusammenhänge individuell oder kollektiv produziert, in jedem Fall aber kollektiv rezipiert werden – also gelten. Kulturelle Tatsachen sind allerdings auch die Bedeutungssysteme selbst, die alles Faktische erst für uns zu Tatsachen werden lassen. (iii) Insofern solche Systeme selbst kritisierbar, fallibel und revidierbar sind, gehört das Moment der Prüfung ihrer Geltung, das Moment ihrer Kritik und Distanznahme zum Begriff kultureller Faktizität selbst. Kulturell-tatsächlich ist, was gilt; dabei gilt freilich auch, dass diese Geltung stets der Prüfung unterliegt. (iv) Zuletzt haben sich auch assertorische Aussagen über kulturelle Tatsachen in eine Beziehung sowohl zu den angesprochenen Fakten als auch zu den Bedeutungszusammenhängen, Überzeugungssystemen und Evidenzhorizonten zu setzen, um ihren Geltungsanspruch sei es der Wahrheit, sei es der Richtigkeit, überprüfbar zu machen.
5. Die symbolische Reflexivität der Sprache und das Verhältnis von Wahrheit und kulturellen Tatsachen Sprachanalytisch werden Tatsachen als wahre Propositionen bestimmt. Tatsachen sind Sachverhalte, die als bestehend angesprochen werden. Kulturelle Tatsachen, soviel ließ die theoriehistorische Rekonstruktion ihres Begriffs sehen, lassen sich aufgrund ihres Werk- und Geltungscharakters nicht ähnlich streng propositionalistisch bestimmen. Dadurch kann die Frage ihres Wahrseins nicht mehr unvermittelt an sie herangetragen werden. Offensichtlich durchdringen sich in ihren Logofakten die Kategorien des Daseins und des Wahrseins. Wahrheit kommt dinglichen kulturellen Tatsachen nicht unmittelbar zu, sondern nur den Aussagen über sie; Wahrheit kommt sozio-kulturellen Tatsachen nicht direkt zu, sondern nur vermittelt über die Frage nach ihrer Geltung oder LegitiDie symbolische Reflexivität der Sprache | 367
mität; Wahrheit kommt einer »Kulturform« wie etwa der Religion nicht unmittelbar zu, sondern nur den Aussagen über sie. In dieser Indirektheit spiegelt sich, auf den ersten Blick überraschend, die symbolische Reflexion der Sprache. Bemerkenswerterweise zeigt ihre tertiäre Form der Entsprechung eine Strukturparallele zur dreidimensionalen Entsprechung der sprachpragmatischen Wahrheitsexplikation. So wie normalsprachliche Zeichen nicht direkt auf Gegenstände referieren, sondern selbst sowohl einer Entsprechung von Gegenständen oder Sachverhalten und Bedeutungen entsprechen müssen als auch den Regeln ihres Zeichensystems, so haben auch Aussagen sowohl der Beziehung von Tatsachen und Erfahrungsgegenständen als auch den Überzeugungssystemen bzw. Evidenzhorizonten zu entsprechen. Die symbolische Reflexivität der Sprache kann wie folgt schematisiert werden: Zeichen
Zeichensysteme
FG GG SG GG H FG GS GG H FG GG SG GG H
Erfahrungsgegenstände Bedeutungen
1. Entsprechung
2. Entsprechung
3. Entsprechung
Bekanntlich sind die ersten beiden Entsprechungen arbiträr, während der dritten die jeweiligen Regeln zugrunde liegen, die sich aus der inneren Struktur der Zeichen als Zahl-, Laut-, Wort- oder Schriftzeichen sowie den geltenden syntaktischen Regeln ihrer möglichen Verknüpfung ergeben. Auch unsere Wahrheitsanspruch erhebenden Aussagen unterhalten eine solche, strukturell verwandte, doppelte Distanz. Das Verhältnis zwischen Sachen und Sätzen, das im Geltungsanspruch auf Wahrheit gestiftet wird, erweist sich ebenfalls als symbolisch-reflexives. Wenn sich, alethisch-pragmatischem Verständnis zufolge, Wahrheit in der diskursiv einlösbaren, darin gesellschaftlichen Konventionen folgenden und in kulturelle Evidenzhorizonte eingebetteten Entsprechung von assertorischen Aussagen und Tatsachen zeigt: S´´ Aussagen
E Evidenzhorizonte
FGG GS GG GH FG GS GG H F GG GS GGG H
S S´ Erfahrungsgegenstände Tatsachen
1. Entsprechung [deskriptive Konv.]
2. Entsprechung 3. Entsprechung [demonstrative Konv.] [Geltungskonventionen]
368 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
so meint Entsprechung nicht Gleichheit, Abbildung oder Wiedergabe, sondern symbolische Repräsentation. Was heißt das nun für Aussagen über kulturelle Tatsachen? Auch hier gelten zunächst die üblichen Verifikationskriterien. Wir müssen solche Sätze erstens mit den Tatsachen selbst und zweitens mit den anerkannten Sätzen konfrontieren, die unsere Evidenzhorizonte prägen. Geregelt wird diese Beziehung durch deskriptive und demonstrative Konventionen. Auch assertorische Aussagen über kulturelle Tatsachen besitzen jene illokutionär-propositionale Doppelstruktur, die sowohl den Sprechakt als auch die behauptete Tatsache enthält. Hier nun tritt die spezifische Schwierigkeit des sprachpragmatischen Modells im Blick auf kulturelle Faktizität hervor. Denn diese kann auch Artefakte wie Sitzungssäle, englische Gärten oder Kunstwerke einschließen. Dadurch tritt an die Stelle von S´ auch das, was mit Simmel und Cassirer »Werke der Kultur« genannt werden kann. Mag der Pelzmantel als Kleidungsstück die schlichte Funktion des Schutzes vor Kälte haben, so kann er doch zugleich in seiner kulturellen Faktizität als soziales Distinktionsmerkmal fungieren. Dann aber wird er nicht mehr bloß als Ding, sondern als Bedeutungsphänomen angesprochen. Damit ist zwar nicht schon der Mantel als Gegenstand eine kulturelle Tatsache, wohl aber in seiner Gestalt als sozialer Signifikant. Kleidungsstücke haben eine dingliche Wirklichkeit, doch der Kleidungscode gehört zu den semiologischen Systemen, deren Signifikanten keine bloßen Funktionszeichen ihrer Signifikate (etwa »Schutz vor Kälte«) sind, sondern auch symbolische Zeichen einer Konnotation (z. B. »soziales Unterscheidungsmerkmal«).78 Daher ist der Kleidungscode eine kulturelle Tatsache erster Stufe, an der Artefakte, Werke und Handlungen teilhaben und somit als kulturelle Tatsachen gelten können. Ähnlich ist der Streifen Papier zunächst ein Erfahrungsgegenstand des Typs S. Bestimmte deskriptive Konventionen (Searles »Statusfunktionen«) und kulturelle Praktiken können diesen Papierstreifen nun zur symbolischen Form des Geldes fortbestimmen; das Stück Papier wird dann zu einem Logofaktum des Typs S´. Diese kulturelle Tatsache kann evidenterweise als solche weder wahr noch falsch sein. Fragen lässt sich nicht nach ihrer Wahrheit, sondern ihrer Geltung: Als was wird dieses Faktum rezipiert? Wahrheit könDie symbolische Reflexivität der Sprache | 369
nen erst entsprechende Aussagen S´´ über das Logofakt S´ beanspruchen, das zugleich einen Gegenstand des Typs S kennzeichnet. Diese Aussagen sind dann wahr, wenn sie bestimmten demonstrativen Konventionen genügen (die etwa von der scientific community festgelegt werden, den Regeln der fraglichen Disziplin genügen müssen, von der Glaubwürdigkeit des Sprechers gestützt oder geschwächt werden, vom Niveau seiner Formulierung und/oder der Zustimmung kompetenter Sprecher abhängig sind). Simmels Behauptung über die kulturelle Tatsache des Geldes: dass es die Fähigkeit besitze, »für jeden speziell bestimmten Wirtschaftswert einzutreten«79, d. h. ein fungibles Äquivalent zu sein, könnte ein Beispiel solcher Aussagen des Typs S´´ sein. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass Simmels Feststellung eines späteren geschichtlichen Tages falsch sein könnte, würden wir doch sagen, dass eine solche Aussage unseren gegenwärtigen kulturellen Evidenzhorizonten und Überzeugungssystemen entspricht. Zeigt dies den »Zeitkern« der Aussagen über kulturelle Tatsachen, so lassen sie – sogar noch als zutreffende – den produktiven Dissens um den Grad und die Aussagekraft ihres Wahrheitsgehalts zu. Es sind zwei verschieden akzentuierte, gleichwohl ähnlich zutreffende Aussagen über denselben Sachverhalt denkbar. Denn das freie Spiel und Ringen der Deutungen eines Sachverhalts ließe sich nur um den Preis seiner Trivialisierung stillstellen. Einfacher ist die Prüfung des Wahrheitsgehalts von Behauptungen über kulturelle Tatsachen nun einmal nicht zu haben. Die Differenzierung zwischen Aussagenwahrheit und Tatsachenebene mag im Einzelnen schwierig sein; sie ist aber unverzichtbar. Allerdings bleibt sie einem ergebnisoffenen und kontroversen Deutungsprozess unterworfen. Aussagen über kulturelle Tatsachen sind wahr, sofern sie eine angemessene, zutreffende und diskursiv nachvollziehbare Interpretation des von ihr behaupteten Faktums geben. Erkenntniserweiternd sind sie primär dann, wenn sie ihren Tautologie- oder Evidenzstatus einbüßen; dort, wo sich ihr Wahrsein als komplexer, überraschender und kontroverser erweist als die bloße Feststellung von Selbstverständlichem, Unmittelbarem, Bestehendem. Eine zweite Schwierigkeit, zugleich aber auch Möglichkeit der Berücksichtigung eines Korrektivs der Kritik kultureller Faktizität 370 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
besteht darin, dass Aussagen über kulturelle Tatsachen alethischnormative Hybride sind. Wenn Wahrheit als Übereinstimmung oder Korrespondenz unserer Aussagen mit den Tatsachen bestimmt wird, dann ist die Übereinstimmung selbst keine unverrückbare, unhistorische und allen einleuchtende Evidenz. Sie ist vielmehr die Arbeit einer (virtuell unendlichen) Argumentationsgemeinschaft. Was Korrespondenz, was Übereinstimmung ist, entscheiden nicht Traditionen oder Autoritäten, sondern bestimmen wir im wechselseitigen Gespräch oder Streit stets selbst. Und auch dieser Streit kann zur kulturellen Tatsache werden. Denn wo sich Beschreibungskonventionen zum Wahrheitskriterium aufspreizen, droht das bestehende Wissen zementiert zu werden, weil jedermann nur nach denselben »festen Conventionen« lügen müsste, um wahr zu sprechen.80 Korrespondenz erschöpfte sich in bloßer Konformität durch »Regelmäßigkeit der Äußerungen«81. Dieser Konformitätsnegativismus wird jedoch dort hypertroph, wo er übersieht, dass die Beschreibungsregeln selbst verändert werden können – ein Prozess, auf den die Kulturphilosophie in besonderer Weise konzentriert ist. Denn gerade die Prozesse der Inventarisierung und Konventionalisierung werden von den Diskursen der Kulturtheorie (= Reflexion der deskriptiven Konventionen: z. B. die Geschichtlichkeit des Sehens oder der Wahrnehmung, der Veränderung von Sprachregelungen) und der Kulturkritik (= Reflexion der demonstrativen Konventionen: Bedingungen der Performativität der Sprecher selbst) unmittelbar beeinflusst. Schon in die Beschreibung von Sachverhalten, also auf objektsprachlicher Ebene, gehen kulturelle und gesellschaftliche Deutungsleistungen ein. Deshalb kann ein alethischer Pragmatismus, der den Akzent auch auf die illokutionäre Ebene assertorischer Sprechakte des Typs S´´ legt, kulturellen Wandel und gesellschaftliche Dynamik in einer Wahrheitskonzeption verankern, die der Wahrheit nicht übergeschichtliche Invarianz, sondern einen historischen »Zeitkern« zuspricht, um dennoch dem Relativismus nicht das Wort reden zu müssen. Paradoxerweise stiftet gerade die Dynamik der Entsprechungsverhältnisse die entscheidende Balance zwischen der bloßen Konformität und der bloßen Relativität von Aussagen. Das respondenztheoretische Explikationsmodell verfolgt mit seiner dreidimensionalen Differenzierung von Erfahrungsgegenständen, (kulDie symbolische Reflexivität der Sprache | 371
turellen) Tatsachen und assertorischen Aussagen über Tatsachen innerhalb bestehender kultureller Evidenzhorizonte eine doppelte Aufgabe. Es soll zum einen der positivistischen Fiktion einer passe partout-Wahrheitstheorie begegnen, die glauben macht, man könne Wahrheitskriterien kontextunabhängig auf Tatsachen applizieren. Umgekehrt kann auf konvergenztheoretischer Basis gezeigt werden, dass die korrespondenz-, konsens- und kohärenztheoretische Klammer unauflösbar ist, will man den Wahrheitsbegriff kulturwissenschaftlichem Relativismus entziehen. Zugleich erweist es die kulturphilosophischen Implikationen als wichtiges Moment nichtformalistischer Wahrheitstheorien. Symbolische Ordnungen und ihre Sprachkonventionen eröffnen in dem Maße ein Feld von Möglichkeiten, wie sie per se andere Felder verschließen. Sie erinnern daran, dass auch Wahrheitskriterien und Beschreibungskonventionen kulturell gewordene Tatsachen sind. Sie gemahnen, dass wir weder die Strukturen der Sprache einfach in die Welt hinein-, noch auch die Strukturen der Welt einfach aus der Sprache herauslesen sollten. Beide Sphären sind nicht beziehungslos, aber autonom. Welt ist sprachermöglichend, Sprache welterschließend. Sie lässt uns die Welt verstehen, nicht weil sie ihr ähnelte, sondern weil in ihr, der Sprache, die kommunikativen Praktiken archiviert sind, vermöge derer wir in der Welt überhaupt zurechtkommen; weil Sprache selbst eine kulturelle Tatsache in der Welt und damit ein Teil ihrer ist. Aus alledem leitet sich die fünfte – im engeren Sinn wahrheitsexplikatorische – These ab: Wir dürfen die Frage nach der Wahrheit kultureller Tatsachen weder dem Dezisionismus eines redundanztheoretischen Positivismus noch der Beliebigkeit eines kulturwissenschaftlichen Relativismus überlassen. Das dreidimensionale Erklärungsmodell des alethischen Pragmatismus unterscheidet nicht nur das Wahrheitsverhältnis von Sachen und Sätzen genauer, sondern trägt sowohl dem logofaktischen Doppelgesicht des Begriffs kultureller Tatsachen als auch der symbolischen Reflexion normaler Sprachen Rechnung. Es erlaubt ferner den wahrheitstheoretischen Ort der Kritik als einer selbst symbolisch geregelten Einstellung der Distanznahme zu den deskriptiven und demonstrativen Wahrheitskriterien kenntlich zu machen. Das Wahrheitsmodell des alethischen Pragmatismus gestattet, ein Optimum an begrifflicher 372 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
Konkretion und Verbindlichkeit mit einem Maximum an Offenheit für kulturelle Kontingenzen zu verbinden.
6. Abschied von den facta bruta Die Vielfalt wahrheitstheoretischer Modelle wird irrigerweise als Index fachphilosophischen Unvermögens verstanden. Sie ist aber, im Gegenteil, Vorzug einer Disziplin, die keine revisionsfreie und nicht-fallibilistische Argumentation mehr kennt. Anders als Michael Dummett vermutet, konkurrieren Wahrheitstheorien nicht miteinander,82 jedenfalls nicht direkt. Konkurrieren können sie nur und erst dort, wo sie auf denselben Tatsachenbereich bezogen sind. Unterschiedliche Theorien haben, kurz gesagt, unterschiedliche Aufgaben. Diese Aufgabenbereiche sind aber wesentlich bestimmt durch die Unterschiede der von ihnen behandelten oder überhaupt erst erschlossenen Faktizität. Unterschiedliche Tatsachen erfordern je unterschiedliche Wahrheitsmodelle, um Aussagen über diese Tatsachen zu prüfen. Entsprechend lautet eine letzte, sechste These: Wahrheitsexplikationen können nicht als von einem sei es logischen, empiristischen oder kulturwissenschaftlichen Standpunkt aus immer schon zutreffende Modelle bestimmt werden, die sich dann den Gegebenheiten, Sachverhalten und Tatsachen überstülpen lassen, um sie zum »Sprechen« zu bringen. Vielmehr müssen Wahrheitskonventionen mit dem jeweiligen Zusammenhang von Sachen und Sätzen, von Ansprüchen und Tatsachenbereichen konvergieren; sie antworten ihrem Gegenstand, nicht dieser ihnen. Die Überlegungen führen ein letztes Mal zum Tatsachenbegriff zurück. Blumenberg und Konersmann haben in ihren Metaphern- und Problemgeschichten des »Abschieds von der nackten Wahrheit«83 gezeigt, wie die Vorstellung einer sich von selbst zeigenden, idealerweise unverhüllt greifbaren Wahrheit in der Moderne endgültig revidiert wurde. Ihr Abschied ist das metaphorologische Spiegelbild der sprachanalytischen Desubstanzialisierung des Wahrheitsbegriffs, in deren Folge nicht mehr nach einer endgültigen, absoluten Wahrheitsdefinition, sondern allein nach intersubjektiv kontrollierbaren und damit relativen Wahrheitskriterien gefragt wird. Auch den Wahrheitsbegriff hat die von Cassirer beAbschied von den facta bruta | 373
schriebene moderne Verwandlung der Substanz- in Funktionsbegriffe erfasst. Der alethische Pragmatismus geht noch einen Schritt weiter. Er weiß, dass nach dem Abschied von der metaphysischen Idee der nackten Wahrheit auch das positivistische Gegenideal der nackten Tatsachen nicht zu halten ist.
374 | Wahrheit und Kulturelle Tatsachen
Anmerkungen
Die symbolische Reflexion der Sprache 1
Thema und Titel plagiieren Schnädelbach 2007. 2 Schnädelbach 2004, 241. 3 Vgl. Apel 1973, Bd. 2, 311–329; Patzig 1996, 146–168; Schnädelbach 2007. 4 Locke 1689/1975, 429. 5 Mendelssohn JubA 6/2, 17. 6 Mendelssohn JubA 8, 172. 7 Coseriu 2003, 158. 8 Patzig 1996, 157. 9 Reinhold 1816, 9. 10 Patzig 1996, 157. 11 Seel 2002, 163. 12 Gadamer 1975, 366. 13 Seel 2002, 151. 14 Humboldt GS V, 387. 15 Humboldt Werke III, 434. 16 Davidson 1993, 45. 17 Davidson 1993, 81. 18 Humboldt GS V, 380–381. 19 Wittgenstein WA 1, 6–7. 20 Adorno GS 6, 21. 21 Hegel GW 9, 41. 22 Adorno 1973, 87. 23 Cassirer ECW 11, 136. 24 Nietzsche KGW III/2, 374. 25 Nietzsche KGW III/2, 374. 26 Nietzsche KGW III/2, 377. 27 Patzig 1996, 162. 28 Vgl. Saussure 1916/2005, 27–32. 29 Merleau-Ponty 1960, 145.
30
Patzig 1996, 151. Patzig 1996, 152. 32 Lipps 1938/1977, 109. 33 Vgl. Boeder 2006. 34 Platon, Krat. 388b13–c1. 35 Bühler 1934/1982, 28. 36 Vgl. Morris 1955. 37 Coseriu 2003, 14. 38 Locke 1689/1975, 409–473. 39 Deacon 1997, 27. 40 Leibniz PS 7, 204. 41 Vgl. Krämer 1992. 42 Vgl. Searle 1977. 43 Vgl. Winter 2009. 44 Vgl. Kogge/Grube 2007, 81–96. 45 Vgl. Derrida 1972, 16. 46 Vgl. Bertram 2006. 47 Krämer 2001, 98. 48 Vgl. Krois 2011, 252–271. 49 Merleau-Ponty 1960, 134–135. 50 Die Formulierung »symbolische Reflexivität« selbst scheint von Ulrich Beck zu stammen (Beck 1997, 88). Gebraucht wird sie auch von Patrick Ramponi in globalisierungstheoretischer Perspektive, während Georg W. Bertram sie zur Bestimmung ästhetischer Medialität verwendet. Die hier dargelegte Verwendung schränkt den Terminus, dem begrenzten Untersuchungsfeld dieses Buchs gemäß, auf sprachlich-symboltheoretische 31
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Anmerkungen
(I. Teil) und wahrheitstheoretische Aspekte (II. Teil) ein. 51 Sapir 1933, 157. 52 Krois 2004, 106. 53 Gipper 1987. 54 Peirce CP V, 484. 55 Mendelssohn JubA 6/2, 16. 56 Mendelssohn JubA 6/2, 10; vgl. Westerkamp 2011c. 57 Condillac 1746/1973, 172. 58 Vgl. Ockham, Summa logicae I, 4. 59 Langer 1941/1965, 52. 60 Langer 1941/1965, 122. 61 Langer 1941/1965, 83. 62 Hegel GW 20, 452. 63 Humboldt Werke III, 418. 64 Vgl. Cassirer ECW 11, 19. 65 Cassirer ECW 11, 3. 66 Cassirer ECW 11, 39. 67 Cassirer ECW 11, 40. 68 Cassirer ECW 11, 39. 69 Cassirer ECW 11, 136. 70 Langer 1941/1965, 68. 71 Langer 1941/1965, 69. 72 Vgl. Cassirer ECW 11, 15. 73 Cassirer ECW 11, 47. 74 Cassirer ECW 11, 18. 75 Nietzsche KGW VI/2, 79. 76 Gärdenfors 2005, 227–228. 77 Vgl. Leslie 1987. 78 Vgl. Sjörlander 1993. 79 Vgl. Glasersfeld 1977. 80 Vgl. Gärdenfors 2003, 177; Deacon 1997, 22. 81 Vgl. Schoenemann 1999. 82 Deacon 1997, 59. 83 Derrida 1972, 379–380. 84 Tomasello 2006, 140. 85 Tomasello/Carpenter 2007, 121. 86 Vgl. Grice 1969. 87 Greffrath 2009, 33. 88 Vgl. Tomasello 2006, 127. 376 | ANMERKUNGEN
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119 120 121 122
Tomasello 1999, 102. Vgl. Theunissen 1965. Gärdenfors 2005, 233. Fauconnier/Turner 2002, 179. Seel 2002, 152. Grice 1979, 7. Fauconnier/Turner 2002, 183; 189. Deutscher 2010, 10. Vgl. Fauconnier/Turner 2002, 39–57. Flusser 1998, 77. Cassirer ECW 13, 150. Cassirer ECW 13, 444. Cassirer ECW 13, 232. Cassirer ECW 17, 254. Cassirer ECW 17, 257. Cassirer ECW 17, 258. Vgl. Goodman 1978. Vgl. Welzer 2002; Stiegler 2009. Merleau-Ponty 1960, 145–149. Tomasello 1999, 126. Vgl. Ryle 1949/2000, 30. Merleau-Ponty 1960, 145. Merleau-Ponty 1960, 145. Vgl. Condillac 1746/1973, 260. Vgl. Konersmann 2006. Simmel GA 6, 618 (Hervorhebung von mir). Searle 1995. Patzig 1996, 12. Patzig 1996, 15. Patzig 1996, 19. Strawson 1950/1964, 33. Vgl. Habermas 1973/1984, 135. Vgl. Wittgenstein WA 1, 11. Vgl. Searle 1995, 55.
Die andere Sprache 1 Wittgenstein 2 Vgl.
433.
1984, 132. Theunissen 1978, 43; 419–
3 Humboldt
GS III, 340.
4 Humboldt
GS V, 384. 5 Humboldt GS III, 325. 6 Humboldt Werke III, 35. 7 Humboldt GS III, 327. 8 Humboldt Werke III, 40. 9 Vgl. Humboldt Werke III, 99; Hegel GW 19, 337–339. 10 Vgl. Habermas 1998/2004, 75. 11 Humboldt GS VI, 54. 12 Nietzsche KGW II/2, 192. 13 Nietzsche KGW II/2, 185. 14 Nietzsche KGW II/2, 185. 15 Nietzsche KGW III/1, 87. 16 Nietzsche KGW VI/2, 79. 17 Nietzsche KGW III/2, 372. 18 Nietzsche KGW III/2, 379. 19 Nietzsche KGW VI/3, 348. 20 Nietzsche KGW VI/2, 10. 21 Nietzsche KGW VI/2, 16. 22 Nietzsche KGW VI/2, 37. 23 Nietzsche KGW VI/2, 29. 24 Nietzsche KGW VI/2, 28. 25 Nietzsche KGW VI/2, 71. 26 Vgl. Simon 1971. 27 Nietzsche KGW VI/2, 28. 28 Nietzsche KGW VI/2, 28. 29 Nietzsche KGW VI/2, 21. 30 Nietzsche KGW VI/2, 244; vgl. Scheier 1985. 31 Nietzsche KGW VIII/1, 198. 32 Nietzsche KGW VI/3, 54. 33 Nietzsche KGW VI/3, 63. 34 Nietzsche KGW VI/3, 71. 35 Nietzsche KGW VI/3, 71–72. 36 Nietzsche KGW VI/2, 243. 37 Scheier 1990, xlvi. 38 Frege 2001, 17. 39 Vgl. Frege 1918/1993, 73. 40 Frege 1879, iii. 41 Frege 1879, vii (Hinzufügung der eckigen Klammern von mir). 42 Frege 1879, vi–vii. 43 Frege 1879, iv.
Die folgenden Zitate: Frege 1879, 3. 45 Frege an Husserl, 1. November 1906 (Frege 1976, 102). 46 Vgl. Frege 1918/1993, 35. 47 Frege 1879, 4. 48 Frege 1879, 15. 49 Frege 1986, 18. 50 Vgl. Kant KrV B 95–B 101. 51 Frege 1879, 4: »Die Unterscheidung der Urtheile in kategorische, hypothetische und disjunctive scheint mir nur grammatische Bedeutung zu haben.« Ähnlich Frege an Husserl, 1. November 1905 (Frege 1976, 101). 52 Dummett 1988, 32. 53 Frege an Husserl, 24. Mai 1891 (Frege 1976, 96). 54 Frege 1918/1993, 73. 55 Humboldt Werke III, 87. 56 Humboldt Werke III, 87. 57 Scheier 1991, 32. 58 Vgl. Wittgenstein WA 1, 14. 59 Husserl an Frege, 19. Juli 1891 (Frege 1976, 100). 60 Frege an Husserl, 30. Oktober/1. November 1906 (Frege 1976, 103). 61 Vgl. Scheier 1996. 62 Scheier 1991, 43. 63 Scheier 1991, 47. 64 Husserl Hua XIX/1, 10. 65 Husserl Hua XIX/1, 19. 66 Husserl Hua XIX/1, 303. 67 Husserl Hua XIX/1, 320. 68 Husserl Hua XIX/1, 326. 69 Husserl Hua XIX/1, 330. 70 Husserl Hua XIX/1, 331. 71 Vgl. Husserl Hua XIX/1, 337. 72 Husserl Hua XIX/1, 10. 73 Husserl Hua XIX/1, 347. 74 Husserl Hua XIX/1, 351. 75 Husserl Hua XIX/1, 348. 44
ANMERKUNGEN
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Nietzsche KGW VI/2, 218. 77 Frege 1893/1962, xiv. 78 Husserl Hua XIX/1, 19. 79 Humboldt GS III, 320. 76
Anoetik und Hermeneutik 1 Wittgenstein
WA 1, 11. 1985, 175. 3 Vgl. Rose 1987, 440. 4 Vgl. Benor 1995. 5 Vgl. Putnam 1997a, 415. 6 Vgl. Putnam 1997a, 415; Kripke 2000, 96. 7 Putnam 1997a, 415. 8 Putnam 1997a, 419. 9 Wittgenstein WA 1, 28. 10 Quine 1960/1980, 63. 11 Ich folge hier eng der Darstellung Detels (Detel 2007b, 105–107). 12 Detel 2007b, 111. 13 Heidegger 1927/1993, 149. 14 Vgl. Kant, KdU B XXV. 15 Vgl. Heidegger 1927/1993, 172. 16 Vgl. Dilthey GS 5, 142–146. 17 Vgl. Patzig 1996, 117–145; Schnädelbach 2008. 18 Schnädelbach 2008, 9. 19 Heidegger 1927/1993, 336. 20 Vgl. Abel 1989. 21 Vgl. Ryle 1949/2000, 57. 22 Vgl. Boeder 2006, 297–298. 23 Ryle 1949/2000, 29. 24 Ryle 1949/2000, 31. 25 Ryle 1949/2000, 53. 26 Ryle 1949/2000, 54. 27 Ryle 1949/2000, 55. 28 Günther 1934, 114. 29 Vgl. Günther 1934, 146. 30 Günther 1934, 148. 31 Günther spricht von einem »Sichselbstbewerten« (Günther 1934, 171–181). 2 Scholem/Benjamin
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Zit. nach Günther 1934, 114. 33 Ryle 1949/2000, 148. 34 Ryle 1949/2000, 153. 35 Ryle 1949/2000, 155. 36 Habermas 1968/1973, 301; 329. 37 Habermas 1968/1973, 300–301. 38 Schleiermacher 1974, 56. 39 Schlegel 1798–99/1963, 227. 40 Habermas 1973, 265. 41 Gilbert 1989. 42 Vgl. Cavell 1969. 43 Ryle 1949/2000, 58. 44 Kant, KrV B 106. 45 Heidegger 1927/1993, 146–147. 46 Schleiermacher 1974, 141. 47 Schleiermacher 1985, 1271. 48 Vgl. Schleiermacher 1974, 76–77. 49 Schleiermacher 1985, 1274. 50 Vgl. Schleiermacher 1974, 83. 51 Schleiermacher 1985, 1272. 52 Schleiermacher 1974, 144. 53 Vgl. Patzig 1996, 129. 54 Abel 1953, 684. 55 Wittgenstein WA 4, 46–47. 56 Wittgenstein WA 4, 47. 57 Vgl. von Savigny 1970, 79–81. 58 Vgl. Patzig 1996, 130. 59 Wittgenstein WA 8, 202. 60 Wittgenstein WA 8, 141. 61 Wittgenstein WA 4, 39. 62 Wittgenstein WA 4, 46. 63 Wittgenstein WA 8, 327. 64 Derrida 1972, 380. 65 Nicolai Hartmann etwa unterscheidet Möglichkeit und Wirklichkeit, Notwendigkeit und Zufälligkeit als Modalkategorien der »reinen« Seinsmodi, die zu unterscheiden sind in die Seinsweisen Realität und Idealität und die Seinsmomente Dasein und Sosein (vgl. Hartmann 1949, 2–3). 32
Vgl. Ockham, Summa logicae I/11. 67 Husserl Hua XIX/1, 335. 66
Symbolische Differenz 1 Hegel
GW 20, 546. Werke III, 83. 3 Humboldt Werke III, 95. 4 Platon, Phaidr. 275d–e. 5 Aristoteles, Peri herm. 16a. 6 Stetter 2007, 97. 7 Saussure 1967, 28. 8 Dies wird entfaltet von Bertram 2007, 119–121. 9 Derrida 1974, 27. 10 Kogge/Grube 2007, 83. 11 Krämer 1996, 93. 12 Zusammengesetzt aus dem griechischen to stoicheion (der Buchstabe) und graphô (schreiben). 13 Husserl an Frege, 18. Juli 1891; Frege 1976, 100. 14 Derrida 1972, 371. Vgl. Condillac 1746/1973, 252. 15 Derrida 1972, 370. 16 Die Beispiele folgen Bußmann 1990, 576–577. 17 Vgl. Bußmann 1990, 577. 18 Wittgenstein WA 1, 56. 19 Vgl. Krämer 2003. 20 Groß 2006, 10. 21 Raible 1991, 10. 22 Vgl. Derrida 1972, 375. 23 Vgl. Goodman 1976, 127–173. 24 Kogge/Grube 2007, 86. 25 Vgl. Kogge/Grube 2007, 92. 26 Vgl. Kogge/Grube 2007, 90. 27 Vgl. Derrida 1972, 376. 28 Derrida 1972, 377. 29 Derrida 1972, 377. 30 Humboldt Werke III, 418. 31 Im Essai sur les langues du 2 Humboldt
nouveau Continent von 1812, § 14 (GS III, 321–322), bestimmt Humboldt langage als die Einheit der Sprache und allgemeinen Begriff von ihr; die faculté du langage ist Sprachvermögen und grundlegender Wesenszug des Menschen. »Die« langage ist zugleich das Erkenntnisziel seiner Universalgrammatik. Als langue hingegen fasst Humboldt das Sprachsystem verschiedener Laut- und Schriftzeichen auf, die einem bestimmten Sprachtypus angehören und einen eigenen grammatischen Bau besitzen (Sprachfamilien wie etwa das »Indoeuropäische«). Idiômes ist für Humboldt der Titel für besondere Welt- oder Volkssprachen, in denen sich der Charakter einer bestimmten Nation manifestiert. Parole ist demgegenüber Titel für das gesprochene Wort einzelner Gruppen, Gesellschaften oder Individuen; Titel auch für die sprachliche Vermittlung von Welt und Ich. 32 Humboldt Werke III, 83. 33 Vgl. Humboldt Werke III, 82. 34 Humboldt Werke III, 86. 35 Humboldt Werke III, 86–87. 36 Derrida 1967, 16; 433. 37 Humboldt Werke III, 87. 38 Vgl. Riedel 1990. 39 Humboldt Werke III, 87. 40 Humboldt Werke III, 89–90. 41 Humboldt Werke III, 90. 42 Humboldt Werke III, 89. 43 Humboldt Werke III, 83. 44 Humboldt Werke III, 85. 45 Humboldt Werke III, 84. 46 Humboldt Werke III, 89. ANMERKUNGEN
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Auch Hegel verdankt, eigenem Bekunden nach, Abel-Rémussat entscheidende Hinweise zum Verständnis der Philosophie des göttlichen Namens im Buddhismus und Taoismus (Hegel TWA 18, 146): Man könne Tao, als das namenlose Prinzip des Himmels, am Besten mit dem griechischen Wort logos ausdrücken. 48 Humboldt Werke III, 107. 49 Humboldt Werke III, 109. 50 Humboldt Werke III, 111. 51 Humboldt Werke III, 99. 52 Humboldt Werke III, 112. 53 Vgl. Scheier 1982. 54 Hegel GW 9, 175. 55 Hegel GW 12, 209–230. 56 Hegel GW 12, 216. 57 Humboldt Werke III, 91. 58 Hegel TWA 10, 273. 59 Hegel GW 13, 215. 60 Derrida 1972, 79–127. 61 Hegel GW 20, 454. 62 Ähnlich Humboldt: »Versucht man nun aber die Unterschiede zwischen a und e, p und k u.s.w. auf einen allgemeinen sinnlichen Begriff zurückzuführen, so ist mir wenigstens bis jetzt dies immer mislungen« (Humboldt Werke III, 93). 63 Hegel GW 20, 452. 64 Dies ist analog zur Hegelschen Ästhetik gedacht, in der die Pyramide als Paradigma der »symbolischen Kunstform« fungiert. 65 Hegel GW 20, 453. 66 Hegel GW 20, 454. 67 Derrida 1972, 110–111. 68 Hegel GW 20, 455. 69 Hegel GW 20, 455. 47
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Hegel GW 20, 455. 71 Hegel GW 9, 174. 72 Hegel GW 20, 452–453. 73 Hegel GW 20, 456. 74 Hegel GW 20, 456. 75 Hegel GW 20, 456. 76 Hegel GW 20, 456. 77 Hegel GW 20, 456. 78 Hegel GW 20, 457. 79 Hegel GW 20, 457. 80 Hegel GW 20, 457. 81 Hegel GW 20, 457. 82 Hegel GW 20, 458. 83 Hegel GW 20, 458. 84 Hegel GW 20, 458. 85 Hegel GW 20, 458. 86 Hegel GW 20, 458. 87 Stetter 2004, 10 (Einleitung zu Humboldt 2004). 88 Anders die Deutung in Riedels verdienstvoller Studie zur sprachphilosophischen Differenz zwischen Hegel und Humboldt (vgl. Riedel 1990). 89 Stetter 2007, 98. 90 Stetter 2007, 98–99. 91 Stetter 2007, 100. 92 Stetter 2007, 101. 93 Krämer 1998. 94 Stetter 2007, 101. 95 Stetter 2007, 104. 96 Stetter 2007, 104. 97 Stetter 2007, 104. 70
Systematische Metaphern 1 Carnap
1930, 12. 2 Lakoff/Johnson 1980, 191. 3 Gärdenfors 2000, 151–202. 4 Feldman 2006, 183–212. 5 Kövecses 2005. 6 Einen Überblick geben Reimer/ Camp 2006, 845–863. 7 Aristoteles, Poetik 21, 1457b7–9 .
8 Reimer/Camp
2006, 846. 9 Reimer/Camp 2006, 846. 10 Vgl. Broström 1994, 26. 11 Gärdenfors 2007, 57. 12 Gibbs/Colston 1995, 349. 13 Johnson 1987, xiv. 14 Gärdenfors 2000, 178. 15 Vgl. Gärdenfors 2007, 60. 16 Vgl. Herskovits 1986. 17 Vgl. Langacker 1987, 96. 18 Vgl. Lakoff 1994, 203. 19 Einschränkend: Brinck 1992. 20 Vgl. Gärdenfors 2000, 177. 21 Vgl. Lakoff/Johnson 1980, 215. 22 Gärdenfors 2000, 178. 23 Gärdenfors 2000, 180. 24 Black 1996, 390. 25 Konersmann 2011, 16. 26 Tourangeau/Sternberg 1982, zit. nach Gärdenfors 2000, 180. 27 Lakoff 1994, 203. 28 Vgl. Lawson 1980, 6. 29 In diese Richtung weist Feldmans Hinweis, dass bei Metaphern »both domains [embodied (source) domain und abstract target domain] are coactive« (Feldman 2006, 202). 30 Fauconnier/Turner 2002, 39–50. 31 Fauconnier und Turner haben ihr Modell des conceptual blending (von dem man bereits argwöhnen konnte, dass es aus einer metapherntheoretischen Überlegung gewonnen und dann auf die Geistestätigkeit des Menschen im Ganzen übertragen wurde) selbst auf die Metapherntheorie übertragen: vgl. Fauconnier/Turner 2003. 32 Vgl. Tourangeau/Sternberg 1982. 33 Feldman 2006, 193–196. 34 Vgl. Grady 1997.
Die These variiert ein Bonmot Lichtenbergs, der notiert, eine Metapher sei zuweilen »weit klüger als ihr Verfasser« (Lichtenberg 1968, 512). 36 Vgl. Kövecses 2005, 3. 37 Vgl. Feldman 2006, 189. 38 Feldman 2006, 189. 39 Vgl. Talmy 1988 . 40 Vgl. Feldman 2006, 204. 41 Vgl. Künne 2007, 63. 42 Vgl. Weinrich 1976, 319. 43 Weinrich 1976, 319. 44 Ricœur 1972/1996, 363. 45 Kant, KrV B 120. 46 KrV B 884. 47 Vgl. Kants Schrift Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolff ’s Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1791; 1804), in der Dogmatismus, Skeptizismus und Kritizismus als jene »drey Stadien, welche die Philosophie zum Behuf der Metaphysik durchzugehen hatte«, bestimmt werden, die folglich »in der Natur des menschlichen Erkenntnißvermögens gegründet« seien (Kant AA 20, 264). 48 Gärdenfors 2000, 179. 49 Vgl. Reimer 1996. 50 Blumenberg 1999, 9. 51 Blumenberg 1965, 100. 52 Vgl. Westerkamp 2011b. 53 Gärdenfors 2003, 12. 54 Weinrich 1980, in: HWdPh Bd. 5, Sp. 1182. 55 Goodman 1995, 73. 56 Künne 2007, 64. 57 Künne 2007, 63. 58 Vgl. Künne 2007, 74. 59 Frege 1892/2002, 28. 35
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Feldman 2006, 196.
Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis 1 Assmann
1995, 132. 1985. 3 Funkenstein 1995, 12. 4 Kansteiner 2004, 123. 5 Welzer 2004, 155–156. 6 Connerton 1999, 37. 7 Vgl. Schacter 1996. 8 Kansteiner 2004, 124. 9 Kansteiner 2004, 123. 10 Vgl. Wood 1999. 11 Olick 1999. 12 Vgl. Assmann 1999. 13 Assmann 1997, 48–66. 14 Vgl. Welzer 2004, 158–159; Welzer 2002; Markowitsch 2002. 15 Terdiman 1993, 34. 16 Kansteiner 2004, 128. 17 Welzer 2004, 165–167. 18 Angehrn 2004, 388. 19 Kansteiner 2004, 127. 20 Schwartz 2000, 17. 21 Zitat nach Kansteiner 2004, 127. 22 Erll 2005, 12. 23 Steinthal KS, 608. 24 Steinthal KS 621–624. 25 Vgl. Lazarus 1865/2003, 175. 26 Steinthal 1848/1985; vgl. auch Steinthal KS 114–138, 115; 137. 27 Vgl. Kalmar 1987. 28 Lazarus 1851/2003, 12. 29 Lazarus 1851/2003, 4. 30 Lazarus 1851/2003, 8. 31 Lazarus 1865/2003, 215. 32 Lazarus 1851/2003, 5. 33 Lazarus 1865/2003, 139. 34 Lazarus 1865/2003, 176. 35 Lazarus 1865/2003, 179. 36 Lazarus 1865/2003, 178–179. 37 Steinthal KS 248–306; 250: »die 2 Halbwachs
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Sprache durchzieht die ganze intellectuelle oder theoretische Entwickelung des Geistes.« 38 Steinthal KS, 339. 39 Steinthal KS, 358. 40 Steinthal KS, 114–138; 136. 41 Vgl. Steinthal KS, 616–617. 42 Lazarus 1865/2003, 223. 43 Lazarus 1865/2003, 176. 44 Lazarus 1865/2003, 190. 45 Lazarus 1865/2003, 202. 46 Lazarus 1865/2003, 202. 47 Lazarus 1865/2003, 207. 48 Lazarus 1865/2003, 209. 49 Lazarus 1865/2003, 199. 50 Lazarus 1865/2003, 209. 51 Lazarus 1865/2003, 211. 52 Lazarus 1865/2003, 225. 53 Hegel GW 9, 433–434. 54 Vgl. Theunissen 2001, 41. 55 Hegel GW 9, 433. 56 Vgl. Loock 2007. 57 Hegel GW 20, 446. 58 Hegel TWA 10, 259. 59 Hegel GW 20, 446–447. 60 Hegel GW 20, 446–447. 61 Hegel GW 20, 447. 62 Hegel GW 20, 448. 63 Hegel GW 20, 449. 64 Hegel GW 20, 450. 65 Vgl. Heidmann 2004/2005. 66 Hegel GW 20, 452. 67 Hegel GW 20, 452. 68 Vgl. Derrida 1967, 39–41; Derrida 1972, 79–127. Dagegen Stähler 2003. 69 Hegel GW 20, 453. 70 Hegel GW 20, 458. 71 Hegel GW 20, 453. 72 Hegel GW 20, 459–460. 73 Hegel GW 20, 461–462. 74 Hegel GW 20, 529. 75 Vgl. Scheier 2000b; Henrich 1974.
Hegel GW 20, 419. Vgl. Hegel GW 20, 391–396. 78 Hegel GW 20, 496. 79 Hegel GW 20, 392. 80 Hegel GW 20, 416. 81 Hegel GW 20, 412. 82 Hegel GW 20, 412. 83 Vgl. Hegel GW 20, 523–541. 84 Hegel GW 20, 391. 76 77
Sachen und Sätze 1 Carnap
1930, 26. 2 Carnap 1930, 12. 3 Cassirer ECN 5, 207. 4 Vgl. Schnädelbach 2004, 11. 5 Bieri 2007, 338. 6 Kaplan 1978. 7 Cassirer ECN 5, 29. 8 Vgl. Trabant 1994. 9 Steinthal KS, 608. 10 Lazarus 1865/2003, 179. 11 Lazarus 1865/2003, 199. 12 Wundt 1904, 37. 13 Cassirer ECW 23, 30; Cassirer 1960, 39. 14 Popper 1972, 153–161. 15 Vgl. Ryle 1970, 87–103. 16 Wittgenstein WA 8, 163. 17 Wittgenstein WA 1, 250. 18 Putnam 1997b; Putnam 1992, 134–157. 19 Wittgenstein WA 1, 344. 20 Quine 1953/2003, 43. 21 Quine 1953/2003, 44. 22 Quine 1960/1980, 59–147. 23 Vgl. Davidson 1974/2001, 141– 154. 24 Davidson 1993, 81. 25 Quine muss, interessanterweise in einer Fußnoten-Auseinandersetzung mit Ernst Cassirer und in der Spur seiner Theorie radikaler Übersetzung blei-
bend, darauf beharren, dass »tiefreichende sprachliche Unterschiede« zuletzt gerade nicht »Unterschiede der Denkweise oder der Weise, die Welt zu sehen, nach sich ziehen« (Quine 1960/1980, 145). 26 Austin 1955/2000, 52. 27 Austin 1955/2000, 123. 28 Austin 1955/2000, 139. 29 Gärdenfors 2005, 173–178. 30 Dummett 1988, 11. 31 Vgl. Feyerabend 1958. 32 Vgl. Schnädelbach 2004, 40–44. 33 Hegel GW 4, 237. 34 Vgl. dazu die überzeugende Analyse von Kronfeldner 2009. 35 Vgl. Dawkins 1976, 203–215. 36 Kronfeldner 2009, 42. 37 Sapir 1933, 157. 38 Vgl. Langer 1941/1965, 52. 39 Cassirer ECW 11, 18. 40 Langer 1941/1965, 68. 41 Vgl. Gärdenfors 2005, 206. 42 Glasersfeld 1977. 43 Vgl. Gärdenfors 2003, 177. 44 Deacon 1997, 59. 45 Tomasello 2006, 140. 46 Tomasello 1999, 102. 47 Fauconnier/Turner 2002, 179. 48 Grice 1979, 7. 49 Cassirer ECN 4, 81. 50 Cassirer ECW 13, 150. 51 Cassirer ECW 13, 444. 52 Vgl. bereits Schiller 1980, 761. 53 Humboldt GS V, 387. 54 Vgl. Konersmann 2006. 55 Einen detaillierteren, andere Schwerpunkte setzenden theoriehistorischen Überblick gibt der prägnante Artikel von Mähl 2012. 56 Nietzsche KGW VI/3, 119. ANMERKUNGEN
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Lazarus 1865/2003, 7. Lazarus 1865/2003, 139. 59 Lazarus 1865/2003, 177. 60 Lazarus 1865/2003, 179. 61 Lazarus 1865/2003, 179. 62 Dilthey GS VII, 166. 63 Dilthey GS VII, 166. 64 Dilthey GS VII, 168. 65 Dilthey GS VII, 208. 66 Dilthey GS VII, 208. 67 Dilthey GS VII, 208. 68 Dilthey GS VII, 209. 69 Vgl. Dilthey GS VII, 210–227. 70 Simmel GA 6, 618. 71 Vgl. Searle 1995. 72 Simmel GA 6, 626. 73 Simmel GA 6, 627. 74 Freyer 1923, 54. 75 Freyer 1923, 55. 76 Freyer 1923, 111. 77 Vgl. dazu Konersmann 2006, 25; 55; 59–65; Goodman 1978, 1–22. 78 Goodman 1978, 91–107. 79 Konersmann 2006, 31. 80 Patzig 1996, 12. 81 Patzig 1996, 21. 82 Patzig 1996, 19. 83 Strawson 1950/1964, 35–43. 84 Habermas 1973/1984, 153. 85 Goodman 1978, 22. 86 Searle 1995, 55. 87 Searle 1995, 63. 88 Vgl. Gilbert 1989. 89 Wittgenstein WA 8, 171. 90 Jaspers 1947, 457. 91 Toulmin 1958/2008, 11–40. 92 Goodman 1978, 2. 93 Wittgenstein WA 8, 142. 57 58
Evidenz und Geltung 1 Ähnlich
bereits James 1907/1995, 86: Er versteht unter »true« »a
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way of thinking«, unter »right« »a way of behaving«. 2 Dummett 1988, 179. 3 Quine 1992, 93–94. 4 Auf diese Absicht reduziert Künne (2003, 400) James’ Wahrheitsexplikation. 5 Zur Unterscheidung: Rescher 1973. 6 Vgl. zum Ganzen: Ayer 1968. 7 Peirce CP V, 549 (nach der üblichen Zitierweise wird der Band der Collected Papers in römischen, die §§-Nummer in arabischen Ziffern angegeben). 8 Peirce CP V, 568. 9 Peirce CP V, 569: »Truth and falsity are characters confined to propositions. A proposition is a sign which separately indicates its object.« 10 Vgl. Westerkamp 2008; Westerkamp 2011a. 11 Peirce CP V, 554. 12 Peirce CP V, 569: »Two propositions are equivalent when either might have been an interpretant of the other.« »The interpretant of a proposition is itself a proposition. Any necessary inference from a proposition is an interpretant of it.« 13 Vgl. Peirce CP V, 556. 14 Peirce CP V, 560. 15 Vgl. Peirce CP V, 563: »As soon as a firm belief is reached we are entirely satisfied, whether the belief be true or false.« 16 Peirce CP V, 564. 17 Peirce CP V, 565. 18 Peirce CP V, 597 19 Peirce CP V, 565. 20 Peirce CP V, 565.
Peirce CP V, 407: »The opinion which is fated to be ultimately agreed to by all who investigate, is what we mean by truth«. 22 Vgl. im Anschluss an Quine auch Künne 1994, 166. 23 Peirce CP V, 409. 24 Peirce CP V, 571. 25 Peirce CP V, 570. 26 Peirce CP V, 171. 27 James 1908/2006, 126. 28 James 1904/2006, 89. 29 James 1904/2006, 95. 30 Peirce CP V, 555. 31 James 1904/2006, 102. 32 James 1904/2006, 108. 33 James 1907/1995, 77. 34 James 1907/2006, 115. 35 James 1907/1995, 80: »Just as we here assume Japan to exist without ever having been there, because it works to do so, everything we know conspiring the belief, and nothing interfering […].« 36 James 1907/1995, 82. 37 James 1907/1995, 77–78. 38 James 1904/2006, 92. 39 James 1907/1995, 80. 40 Vgl. Dewey 1907/1977, 78–79. 41 Eine ausführliche Bestimmung von agreement gibt James in »Humanism and Truth« (James 1904/2006, 100). 42 James 1907/1995, 84–85. 43 James 1907/1995, 86. 44 James 1907/1995, 79. 45 James 1907/1995, 86. 46 James 1907/1995, 87. 47 Wittgenstein WA 8, 174. 48 Wittgenstein WA 1, 359. 49 Moore 1959, 32–33. 50 Wittgenstein WA 8, 175. 21
51 Wittgenstein
WA 8, 185. 52 Wittgenstein WA 8, 139. 53 Ich lehne mich hier eng an den von Juliane Schiffers und Markus Rautzenberg anlässlich einer Berliner Tagung über »Ungründe« (Januar 2013) geprägten Begriff der »prekären Fundierung« an. 54 Wittgenstein WA 8, 139. 55 Brandom 2000, 707. 56 Wittgenstein WA 8, 171. 57 Wittgenstein WA 8, 200. 58 Wittgenstein WA 8, 145. 59 Wittgenstein WA 8, 145. 60 Wittgenstein WA 8, 143. 61 Wittgenstein WA 8, 173. 62 Wittgenstein WA 8, 162. 63 Wittgenstein WA 8, 168–170. 64 Wittgenstein WA 8, 173. 65 Wittgenstein WA 8, 194. 66 Wittgenstein WA 8, 169. 67 Wittgenstein WA 8, 169. 68 Wittgenstein WA 8, 170. 69 Wittgenstein WA 8, 169. 70 Vgl. Scheier 1991, 155. 71 Wittgenstein WA 1, 40; WA 1, 45. 72 Scheier 1991, 155. 73 Wittgenstein WA 1, 43–44. 74 Vgl. Scheier 1991, 155. 75 Wittgenstein WA 8, 174. 76 Wittgenstein WA 8, 200. 77 Vgl. Wittgenstein WA 8, 203: »Ich will also etwas sagen, was wie Pragmatismus klingt. Mir kommt hier eine Art Weltanschauung in die Quere.« 78 Merleau-Ponty 1945, xv. 79 Merleau-Ponty 1973, 76. 80 Vgl. Waldenfels 1992, 150–151. 81 Vgl. Thomas von Aquin, De ver. I, 2. ANMERKUNGEN
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Merleau-Ponty 1955, 206; dt.1968, 184. 83 Vgl. Waldenfels 1992, 153. 84 Vgl. Waldenfels 1992,156. 85 Merleau-Ponty 1960, 146. 86 Merleau-Ponty 1984, 149. 87 Merleau-Ponty 1984, 158. 88 Waldenfels 1992, 159. 89 Waldenfels 1992, 159. 90 Merleau-Ponty 1945, 506–511. 91 Merleau-Ponty 1986, 244. 92 Merleau-Ponty 1955, 269; dt. 1968, 242. 93 Merleau-Ponty 1973, 76. 94 Merleau-Ponty 1984, 148. 95 Merleau-Ponty 1973, 9. 96 Merleau-Ponty 1973, 31. 97 Merleau-Ponty 1986, 319. 98 Vgl. Foucault 1971, 10–11. 99 Foucault 1971, 17. 100 Vgl. Cassirer ECW 17, 342–359. 101 Foucault 1971, 22. 102 Foucault 1971, 35–36. 103 Foucault 1971, 25. 104 Alston 1996; Künne 2003, 20. 105 Vgl. Frege 1893/1962, xv–xvi. 106 Alston 1996, 7–8. 107 Alston 1996, 263. 108 Tarski 1944, in: Skirrbekk 1977, 143. 109 Alston 1996, 7. 110 Künne 2003, 20 (die Hervorhebung von »some« ist hinzugefügt). 111 James 1904/2006, 113. 112 Alston 1996, 165. 113 Putnam 1990, 40. 114 Putnam 1987, 33. 115 Searle 1995, 55. 116 Vgl. Aristoteles, De int. 9. 117 »Substantiell« ist hier noch etwas anders gemeint als in der bedeutungstheoretisch fun 82
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dierten Wahrheitskonzeption Dummetts und Wiggins’ (Vgl. Wiggins 1980). Bewährte Überzeugungen 1 Dummett
1988, 179. Janich 2000, 29. 3 Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 337–390; Puntel 1974, 1657. 4 Hegel TWA 8, 86. 5 Ayer 1936/1970, 88. 6 Austin 1961, 87–89; Habermas 1973/1984, 127–129; Puntel 1974. 7 Wittgenstein WA 1, 11. 8 Mendelssohn JubA 3/2, 64. 9 Tetens 1775/1913, 185–191. 10 Jonas 1973/2010, 305. 11 Vgl. Wright 1992. 12 Vgl. Burri 2002. 13 Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 337. 14 Quine 1950, 12–17. 15 Vgl. Kirkham 1992. 16 Vgl. Horwich 1998. 17 Vgl. Grover 1992. 18 Jaspers 1947, 457. 19 Austin 1961, 91. 20 Vgl. Micheli 2010. 21 Vgl. Reinhold 1808. 22 Habermas 1973/1984, 139. 23 Reinhold 1816, 260. 24 Mendelssohn JubA 3/2, 64. 25 Mendelssohn, JubA 3/2, 65. 26 Tetens 1775/1913, 197. 27 Tetens 1775/1913, 198. 28 Tetens 1775/1913, 197. 29 Pfenninger 1774, 137. 30 Lossius 1775, 140–141. 31 Hennings 1774, 35. 32 Husserl Hua III/1, 46. 33 Husserl Hua III/1, 46. 34 Husserl Hua III/1, 46–47. 35 Vgl. Switalski 1917. 2 Vgl.
Husserl Hua XVII, 284. 37 Vgl. Habermas 1973/1984, 150; Patzig 1971. 38 Fichte 1804/1985, 229. 39 Hegel, GW 10/1, 415. 40 Habermas 1973/1984, 139. 41 Vgl. Künne 1994, 118. 42 Künne 1994, 119. 43 Nietzsche KGW III/2, 379. 44 Vgl. Foucault 1984/2009. 45 Nietzsche KGW IV/3, 147. 46 Putnam 1982, 75–76. 47 Austin 1950/1961, 92. 48 Vgl. Gilbert 1989; Searle 1995, 26. 49 Gilbert 2013, 352. 50 Detel 2007a, 59. 51 Kant KrV B 848–851. 52 Perelman/Olbrechts-Tyteca 1958/1976, 34–40. 53 Morris 1955, 97. 54 Wittgenstein WA 8, 243. 55 Wittgenstein WA 8, 175. 56 Kant AA 9, 66: »Das Meinen ist ein problematisches, das Glauben ein assertorisches und das Wissen ein apodiktisches Urtheilen.« 57 Kant KrV B 850. 58 Wundt 1880/1906, 398. 59 Bolzano 1837, Bd. 1, §§ 19; 34. 60 Bolzano 1837, Bd. 3, § 293. 61 Popper 1994, 312–365; 318; 329. 62 Carnap 1936, in: Skirbekk 1977, 89. 63 Vgl. Popper 1994, 329. 64 Popper 1994, 342. 65 Vgl. Künne 1994, 122. 66 Frege 1893/1962, xv–xvi. 67 Künne 1994, 131. 68 Vgl. Aristoteles, De int. 17a. 69 Vgl. Anselm von Canterbury, De ver. VI, 1. 70 Detel 2007b, 70. 36
Austin 1961, 97. Vgl. Puntel 1974, 1655–1656. 73 Foucault 1969, 111. 74 Foucault 1969, 112–113. 75 Foucault 1969, 116. 76 Foucault 1969, 120. 77 Dagegen Schmitz 2008, 65–78. 78 Patzig 1996, 55. 79 Patzig 1996, 56. 80 Patzig 1996, 14. 81 Konersmann 2006, 14. 82 Vgl. Patzig 1996, 16. 83 Patzig 1996, 14; 27. 84 Patzig 1996, 28. 85 Vgl. Tegtmeier 1992; vgl. Schmitz 2008, 65–78. 86 Vgl. Wittgenstein WA 1, 53. 87 Ayer 1963b, 173. 88 Ayer 1963b, 173. 89 Popper 1972, 153–190. 90 Vgl. Searle 1995, 27. 91 Vgl. Searle 1995, 40–43; 41. 92 Vgl. Habermas 1973/1984, 146. 93 Vgl. Carnap 1928/1998, 38. 94 Vgl. Carnap 1928/1998, 38–39. 95 Moore 1910/1953, 256. 96 Künne 2003, 6. 97 Künne 2003, 6. 98 Moore 1910/1953, 277. 99 Russell 1918/1986, 163–165. 100 Künne 2003, 11. 101 Descartes, Principia philosophiae, § 128. 102 Vgl. Künne 1994, 145. 103 Goodman 1960, 53. 104 Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 344. 105 Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 344–345. 106 Strawson 1950, in: Skirrbek 1977, 246. 107 Ayer 1963a, 296. 108 Austin 1950/1961, 91. 71 72
ANMERKUNGEN
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109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144
Austin 1950/1961, 92. Sellars 1963, 203. Vgl. Puntel 1974, 1660. Ayer 1963a, 291. Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 379. Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 374. Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 337–390; 379. Kant KrV B 455. Carnap 1936, in: Skirbekk 1977, 92. Vgl. Neurath 1981, 581. Quine 1953/2003, 41. Quine 1953/2003, 117. Quine 1992, 18. Quine 1953/2003, 44. Peirce CP V, 407. Peirce CP V, 565. Habermas/Luhmann 1971, 222. Habermas 1971/1984, 106. Habermas 1973/1984, 159. Habermas 1973/1984, 160. Habermas 1973/1984, 174. Habermas 1973/1984, 175. Habermas 1971/1984, 121. Habermas 1973/1984, 179. Habermas 1971/1984, 126. Vgl. Puntel 1974, 1662; Künne 2003, 404. Künne 1994, 166–167. Vgl. Alexy 1991, 175. Vgl. Nietzsche KGW III/2, 371–372. Vgl. Austin 1961, 91. Vgl. Tarski 1944, in: Skirrbek 1977, 145–159. Vgl. Austin 1961, 92. Austin 1961, 90. Einstein 1911/1993, 436. Simmel GA 6, 627. Carnap 1936, in: Skirbekk 1977, 89. 388 | ANMERKUNGEN
145 146 147 148 149 150 151 152 153
154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165
Carnap 1936, in: Skirbekk 1977, 90. Carnap 1936, in: Skirbekk 1977, 90. Vgl. Quine 1953/2003, 31–32. Quine 1953/2003, 36. Quine 1953/2003, 41. Horkheimer GS 3, 293. Horkheimer GS 3, 309. Horkheimer GS 3, 293. Den Begriff »Alethiologie« hat Johann Heinrich Lambert in seinem Neuen Organon geprägt (Lambert 1764/1965, 453). Vgl. Warnock 1964, 65. Vgl. Davidson 1996. Davidson 1996, 264. Künne 1994, 159–160. Husserl Hua III, 336. Austin 1955/2000, 48. Künne 1994, 159–160. Vgl. Mendelssohn, JubA 3/1, 156. Kant KrV B 269. Kersting 2011, 451. Dummett 1993, 61. Puntel 1974, 1658.
Müssen Wahrheitstheorien wahr sein? 1 Vgl.
Dummett 1993, 117. Puntel 1978, 6–14. 3 Vgl. Patzig 1996, 59: »Die Korrespondenztheorie wäre demnach für die Definition des Begriffs der Wahrheit, die Kohärenztheorie für die Kriterien seiner Anwendung zuständig.« 4 Künne 1994, 168. 5 Dummett 1988, 178–179. 6 Tarski 1944, in: Skirbekk 1977, 149–154. 7 Vgl. Tarski 1944, in: Skirbekk 1977, 160. 2 Vgl.
8 Vgl.
Carnap 1968, § 60; Menne 1986, 69. 9 Bereits Wilhelm von Ockham nimmt den Satz »Lesen ist ein Verb« als Beispiel für den Unterschied von materialer und signifikativer Supposition. Signifikativ verwendet wäre der Satz unsinnig, weil die Tätigkeit des Lesens selbst kein Verb ist; nur in der materialen Supposition, in welcher die Termini selbst Gegenstand des Satzes sind, ergibt der Satz Sinn (vgl. Ockham, Summa log. I, 2). 10 Vgl. Carnap 1930, 19. 11 Carnap 1954/1968, 82–83. 12 Anselm von Canterbury, De ver. 6. 13 Vgl. Thomas von Aquin, Expos. libri periherm. I, 1, 3, 5; De ver. I, 10. 14 Dummett 2004, 116. 15 Vgl. Rescher 1973, in: Skirbekk 1977, 337–341. 16 Vgl. Janich 2000, 29. 17 Vgl. Austin 1961, 221. 18 Vgl. Austin 1961, 85. 19 Vgl. Habermas 1973/1984, 128. 20 Ayer 1963a, 296. 21 Strawson 1964, 32. 22 Wittgenstein WA 1, 11. 23 Bennett/Baylis 1939, 49. 24 Ayer 1963b, 173. 25 Quine 1953/2003, 41. 26 Quine 1953/2003, 42. 27 Quine 1992, 20. Vgl. Keil 2011, 59–66. 28 Quine 1953/2003, 44. 29 Quine 1953/2003, 44. 30 Vgl. Grandy 1992, 216–233. Stegmüller 1976. 31 Vgl. Puntel 1978, 2.
Popper 1934/1966, 8. 33 Vgl. Husserl Hua XVIII, 234. Eine ähnliche, freilich noch weiter gefasste Definition gibt Carl Friedrich von Weizsäcker, der Theorien als »große gedankliche Zusammenhänge von unausweichlicher Stringenz« (Weizsäcker 1984, 96) bestimmt. 34 Dummett 1993, 1. 35 Thiel 1996, 262. 36 Vgl. Vollmer 2007. 37 Vollmer 2007, 73. 38 Schlick 1934, 84; vgl. Thiel 1996. 39 Warnock 1964, 57. 40 Ayer 1936/1970, 87. 41 Schmitz 2008, 125. 42 Ayer 1963b, 187. 43 Diese Schlussformulierung, aber auch andere Klarstellungen im Ganzen verdankt dieses Kapitel Herrn Johann N. Schmidt, wichtige Anregungen auch Hilmar Schmiedl-Neuburg. 32
Wahrheit und Kulturelle Tatsachen 1 Vgl.
Konersmann 2006, 13–69. 2 Carnap 1930, 12;16. 3 Carnap 1930, 13. 4 Vgl. Hempel 1935, in: Skirrbek 1977, 96–108. 5 Carnap 1930, 24. 6 Carnap 1936, in: Skirrbek 1977, 89. 7 Vgl. Dahms 1994, 73. 8 Horkheimer GS 3, 293. 9 Horkheimer GS 3, 309; vgl. auch Horkheimer GS 3, 193–194. 10 Horkheimer GS 3, 293. 11 Horkheimer GS 3, 297. 12 Horkheimer GS 3, 37. 13 Horkheimer GS 4, 130. 14 Horkheimer GS 4, 130. ANMERKUNGEN
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Horkheimer GS 4, 155. 16 Neurath an Horkheimer, 21. Juni 1937, in: Horkheimer GS, 16, 179. 17 Horkheimer an Neurath, 29. Dezember 1937, in: Horkheimer GS 16, 346. 18 Konersmann 2006, 23. 19 Horkheimer GS 4, 133–134. 20 Vgl. Krois 2000. 21 Zit. nach Krois 2000, 105. 22 Cassirer ECN 5, 200. 23 Horkheimer GS 3, 195. 24 Vgl. Cassirer ECN 5, 203–204: »Es ist erkannt, daß es neben der Logik der Naturwissenschaft eine selbständige, eine autonome Logik der Kulturwissenschaft gibt und daß der konsequente Aufbau einer solchen Logik ein Desiderat der Wissenschaftstheorie ist.« 25 Cassirer ECN 5, 84. 26 Cassirer ECN 5, 30. 27 Cassirer ECN 5, 11; vgl. Cassirer ECW 21, 111. 28 Cassirer ECN 5, 207. 29 Cassirer ECW 24, 373. 30 Daniel 2001, 385. 31 Daniel 2001, 387. 32 Goodman 1984, 120. 33 Vgl. Daniel 2001, 388. 34 Znaniecki 1919, xi. 35 Znaniecki 1919, x. 36 Znaniecki 1919, 12. 37 Znaniecki 1919, 12–13. 38 Znaniecki 1919, 16. 39 Znaniecki 1919, 19. 40 Vgl. Znaniecki 1919, 155. 41 Vgl. Znaniecki 1919, 157–158. 42 Znaniecki 1919, 159. 43 Znaniecki 1919, 313. 44 Znaniecki 1919, 311. 15
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Whitehead 1927/1985, 60. 46 Whitehead 1927/1985, 8. 47 Vgl. Whitehead 1927/1985, 10. 48 Whitehead 1927/1985, 15. 49 Whitehead 1927/1985, 16. 50 Lachmann im Vorwort zu: Whitehead 2000, 53. 51 Whitehead 1927/1985, 60. 52 Whitehead 1927/1985, 61. 53 Whitehead 1927/1985, 61–62. 54 Whitehead 1927/1985, 62. 55 Vgl. Whitehead 1927/1985, 66. 56 Whitehead 1927/1985, 74. 57 Whitehead 1927/1985, 73. 58 Whitehead 1927/1985, 76. 59 Vgl. Hegel GW 14, 272; vgl. Westerkamp 2009, 291. 60 Whitehead 1927/1985, 88. 61 Whitehead 1927/1985, 77. 62 Konersmann 2006, 59–69. 63 Cassirer ECW 24, 456. 64 Cassirer ECW 24, 486. 65 Cassirer ECW 24, 456. 66 Cassirer ECW 17, 355–356. 67 Vgl. Searle 1995; Searle 2004, Kap. 13–15. 68 Vgl. Gilbert 1989. 69 Becker 1955. 70 Lazarus 1851/2003, 7. 71 Fechner, 1876, 5. 72 Strasser 2006, 22. 73 Schnädelbach 2006, 805. 74 Man könnte dies im Anschluss an Tegtmeier (Tegtmeier 1992, 138–183) eine »negative kategoriale Ontologie der Tatsachenbereiche« nennen – ohne sich im Einzelnen an Tegtmeiers »S-Ontologie« (Tegtmeier 1992, 150) zu orientieren. Auch die hier verwendeten Variablen S – S´– S´´ sind nicht mit Tegtmeiers S-Ontologie zu vermengen. 45
Wittgenstein WA 8, 177. 76 Wittgenstein WA 8, 175. 77 Wittgenstein WA 8, 167. 78 Vgl. Barthes 1981, 40. 79 Simmel GA 6, 129. 75
Vgl. Nietzsche KGW III/2, 371–372. 81 Foucault 1999, 219. 82 Vgl. Dummett 1993, 117. 83 Konersmann 2006, 380–399. 80
ANMERKUNGEN
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Siglenverzeichnis
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Personenregister Abel, Günter 378 Abel, Theodor 88, 378 Abel-Rémusat, Jean-Pierre 120, 380 Adorno, Theodor W. 14, 375 Alexy, Robert 388 Alston, William P. 262–264, 266 f., 386 Angehrn, Emil 382 Anselm von Canterbury 285, 327, 387, 389 Apel, Karl Otto 297, 303, 375 Aristoteles 16, 39, 102, 141 f., 145, 212, 266, 283–285, 328, 338, 379 f., 386 f. Assmann, Aleida 171, 382 Assmann, Jan 171, 382 Austin, John L. 204, 207 f., 231, 281, 286–288, 295, 297, 299, 307 f., 310, 314, 323, 329 f., 383, 386–389 Ayer, Alfred J. 272, 289, 330, 338, 384, 386–389 Barthes, Roland 391 Baylis, Charles 389 Beck, Ulrich 375 Becker, Carl L. 390 Benjamin, Walter 63, 378 Benor, Ehud 378 Bennett, Albert 389 Bertram, Georg W. 375, 379 Bieri, Peter 201, 383 Black, Max 139, 381 Blumenberg, Hans 157, 373, 381 Boeder, Heribert 375, 378 Bolzano, Bernard 56, 283, 387 Brandom, Robert B. 385 Brinck, Ingar 381
Broström, Sofia 381 Bühler, Karl 16, 375 Burri, Alex 386 Bußmann, Hadumod 379 Camp, Elisabeth 142, 380 f. Canguilhem, Georges 260 f. Carnap, Rudolf 199 f., 274, 283, 292–294, 301 f., 324, 326, 329, 331, 336, 346 f., 351, 353, 365, 380, 383, 387–389 Carpenter, Malinda 376 Cassirer, Ernst 14, 19, 22, 28 f., 127, 199–203, 205, 211, 217, 259, 346, 349 f., 352, 355 f., 358, 361 f., 369, 373, 375 f., 383, 386, 390 Colston, Herbert L. 381 Condillac, Étienne B. de 20, 33, 105 f., 376, 379 Connerton, Paul 382 Coseriu, Eugenio 375 Dahms, Hans-Joachim 389 Daniel, Ute 351, 390 Davidson, Donald 13, 139, 164, 207, 210, 314, 375, 383, 388 Dawkins, Richard 383 Deacon, Terrance W. 375 f., 383 Derrida, Jacques 17 f., 25, 31, 103–106, 109–113, 116, 124, 126, 130, 132, 134, 253, 375 f., 378–380, 382 Descartes, René 387 Detel, Wolfgang 378, 387 Deutscher, Guy 376 Dewey, John 233, 244, 268, 358, 385 | 411
Dilthey, Wilhelm 70, 77, 88–90, 218–220, 222, 226, 355, 378, 384 Dummett, Michael 52, 200, 210, 231, 271, 321–323, 329, 335, 373, 377, 383 f., 386, 388 f., 391 Einstein, Albert 72, 388 Erll, Astrid 382 Fauconnier, Gilles 148, 164, 376, 381, 383 Fechner, Gustav Theodor 390 Feldman, Jerome A. 153, 380–382 Feyerabend, Paul Karl 383 Fichte, Johann G. 278, 314, 387 Flusser, Vilem 376 Fontane, Theodor 296 Foucault, Michel 232, 237, 255–262, 269, 286 f., 315, 336, 386 f., 391 Frege, Gottlob 41, 48–56, 58–60, 64, 105, 107, 161, 181, 191, 203, 208, 210, 239, 262, 272, 284 f., 290, 293, 323 f., 329, 331, 346, 377–379, 381, 386 f. Freyer, Hans 221 f., 384 Funkenstein, Amos 382 Gadamer, Hans-Georg 13, 375 Gärdenfors, Peter 376, 380 f., 383 Gibbs, Raymond, W. 381 Gilbert, Margaret 281, 378, 384, 387, 390 Gipper, Helmut 376 Glasersfeld, Ernst von 376, 383 Goodman, Nelson 14, 28, 139, 159, 223, 376, 379, 381, 384, 387, 390 Grady, Joseph 381 Grandy, Richard E. 389 Greffrath, Mathias 376 Grice, H. Paul 26, 216, 225, 376, 383 Groß, Sabine 379 Grover, Dorothy L. 386 Grube, Gernot 103, 375, 379 Günther, Hans R. G. 378 412 | PERSONENREGISTER
Habermas, Jürgen 79, 208, 297, 303 f., 329, 376–378, 384, 386–389 Halbwachs, Maurice 167, 174, 181, 382 Hartmann, Nicolai 378 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 14, 22, 30, 39 f., 101 f., 104, 107 f., 115, 117, 122–133, 135 f., 167 f., 174, 177 f., 181–196, 202, 211, 218, 255, 279, 287, 346, 360, 362, 375–377, 379 f., 382 f., 386 f., 390 Heidegger, Martin 68, 70, 85, 329, 338, 378 Heidmann, Dieter H. 382 Hempel, Carl G. 389 Henrich, Dieter 382 Hennings, Justus Chr. 386 Herskovits, Annette 381 Homer 206, 333 Horkheimer, Max 313, 346–350, 388–390 Horwich, Paul 386 Humboldt, Wilhelm von 12–14, 22, 39–42, 53 f., 59–61, 101 f., 104, 107 f., 112–121, 123–128, 132 f., 135, 152 f., 174–176, 178, 202, 306, 375–380, 383 Husserl, Edmund 22, 25, 41, 48 f., 53–60, 97 f., 105, 181, 203, 210, 277 f., 315, 335, 377–379, 386–389 James, William 232–234, 239–246, 251, 263, 266, 268, 358, 384–386 Janich, Peter 386, 389 Jaspers, Karl 384, 386 Johnson, Mark 139, 144 f., 380 f. Jonas, Hans 273, 386 Kalmar, Ivan 382 Kansteiner, Wulf 169, 382 Kant, Immanuel 12, 43, 68 f., 83, 125, 131, 155–157, 180, 191, 233, 282 f., 287, 301, 313, 316, 346, 349, 377 f., 381, 387 f. Kaplan, David 383
Kersting, Wolfgang 388 Kirkham, Robert 386 Kogge, Werner 103, 375, 379 Konersmann, Ralf 141, 223 f., 361, 373, 376, 381, 383 f., 387, 389–391 Kövecses, Zoltán 380 f. Krämer, Sybille 104, 375, 379 f. Kripke, Saul 64, 378 Krois, John Michael 205, 375 f., 390 Kronfeldner, Maria E. 383 Künne, Wolfgang 160 f., 265, 284, 322, 381, 384–388 Lachmann, Rolf 390 Lakoff, George 139, 145, 380 f. Lambert, Johann H. 388 Langacker, Ronald W. 144 f., 381 Langer, Susanne K. 21, 376, 383 Lawson, Bryan 381 Lazarsfeld, Paul 347 Lazarus, Moritz 41, 174–181, 184, 188, 202, 218 f., 382–384, 390 Leibniz, Gottfried Wilhelm 17, 19, 126 Leslie, Alan M. 376 Lichtenberg, Georg C. 381 Lipps, Hans 375 Locke, John 11, 16 f., 155, 375 Loock, Reinhard 382 Lossius, Johann C. 386 Luhmann, Niklas 388 Mähl, Nikolai 383 Markowitsch, Hans-Joachim 382 Mendelssohn, Moses 11, 20, 276, 315, 375 f., 386, 388 Menne, Albert 389 Merleau-Ponty, Maurice 15, 30–33, 250–256, 260 f., 375 f., 385 f. Micheli, Raphaël 386 Moore, George E. 204, 226, 229, 246–248, 250, 287, 297 f., 385, 387 Morris, Charles W. 16, 282, 375, 387
Neurath, Otto 349, 388, 390 Newton, Isaac 221 Nietzsche, Friedrich 14, 24, 41–49, 52, 55, 60, 76, 173, 210, 218, 234, 257, 259 f., 280, 306, 316, 375–378, 383, 387 f., 391 Olick, Jeffrey 170, 382 Patzig, Günther 223, 289, 375 f., 378, 384, 387 f. Pfenninger, Johann K. 386 Platon 16, 48, 59, 102, 104 f., 267, 280, 290, 307, 375, 379 Popper, Karl Raimund 201, 203, 265, 283 f., 291 f., 300, 335–338, 342, 383, 387, 389 Puntel, Lorenz Bruno 334, 338 f., 386–389 Putnam, Hilary 200, 205, 267, 280, 378, 383, 386 f. Quine, Willard van Orman 65 f., 68, 203, 205–207, 210, 274, 285, 297, 301 f., 312, 327, 331–333, 342, 378, 383–386, 388 f. Raible, Wolfgang 379 Rautzenberg, Markus 385 Reimer, Marga 142, 380 f. Reinhold, Karl Leonhard 12, 275, 375, 386 Rescher, Nicholas 297, 299 f., 329, 384, 386–389 Ricœur, Paul 143, 155, 381 Riedel, Manfred 379 f. Rose, Martin 378 Russell, Bertrand 209, 288, 297 f., 324, 326, 346, 348, 351, 387 Ryle, Gilbert 30, 72–74, 77–79, 90, 92, 203, 274, 295, 329, 376, 378, 383 Sapir, Eduard 376, 383 PERSONENREGISTER
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Saussure, Ferdinand de 15, 103 f., 375, 379 Savigny, Eike von 378 Schacter, Daniel L. 169, 382 Scheier, Claus-Artur 54, 377, 380, 382, 385 Schelling, Friedrich Wilhelm Josef 211, 346 Schiffers, Juliane 385 Schiller, Friedrich 160, 234, 383 Schleiermacher, Friedrich 74, 86–90, 378 Schlick, Moritz 337 f., 342, 389 Schmitz, Hermann 387, 389 Schnädelbach, Herbert 193, 375, 378, 383, 390 Schoenemann, Paul T. 376 Scholem, Gershom 63, 378 Schwartz, Barry 382 Searle, John R. 17, 159, 206, 208, 223–226, 267, 286, 292, 296, 362, 369, 375 f., 384, 386 f., 390 Seel, Martin 375 f. Sellars, Wilfrid 212, 388 Simmel, Georg 33, 35, 211, 220–223, 226, 310, 345, 355, 361, 369 f., 376, 384, 388, 391 Simon, Josef 377 Sjörlander, Sverre 376 Sokrates 48, 102, 280, 284, 290 Stähler, Tanja 382 Steinthal, Heyman 41, 174–176, 178– 181, 184, 188, 202, 218, 382 f. Sternberg, Robert J. 381 Stetter, Christian 104, 132–135, 379 f. Stiegler, Bernhard 376 Strawson, Peter F. 223 f., 286, 289, 292, 314, 329, 338, 376, 384, 387, 389 Switalski, Bronislaus W. 278, 386 Talmy, Leonard 381 Tarski, Alfred 264, 307, 324, 338, 386, 388 414 | PERSONENREGISTER
Tegtmeier, Erwin 387, 390 Terdiman, Richard 382 Tetens, Johann N. 386 Thiel, Christian 389 Thomas von Aquin 157, 327–329, 385, 389 Theunissen, Michael 182, 268, 376, 382 Tomasello, Michael 27, 30, 216, 376, 383 Toulmin, Stephen Edelston 384 Tourangeau, Roger 381 Trabant, Jürgen 383 Turner, Mark 148, 164, 376, 381, 383 Vico, Giambattista 202 Vollmer, Gerhard 389 Waldenfels, Bernhard 385 f. Warnock, Geoffrey J. 338, 388 f. Weinrich, Harald 381 Weizsäcker, Carl Friedrich von 389 Welzer, Harald 169, 172, 376, 382 Whitehead, Alfred North 352, 355–361, 390 Wiggins, David 386 Wilhem von Ockham 97, 324 f., 376, 379, 389 Winter, Stefan 375 Wittgenstein, Ludwig 39, 63, 65, 71, 81, 89, 91 f., 110, 156, 203–205, 210, 226, 229, 232, 246–250, 264, 267, 269, 272, 282, 290, 330, 348, 366, 375–379, 383–387, 389, 391 Wolff, Christian 381 Wood, Nancy 382 Wright, Crispin 386 Wundt, Wilhelm 88, 184, 202, 218, 283, 383, 387 Znaniecki, Florian 352–355, 390
Danksagung Die Abfassung der hier versammelten Studien verdankt sich unterschiedlichen Anlässen und Diskussionen. Für vielfache Anregung, Unterstützung und Korrekturen danke ich, alphabetisch gereiht, folgenden Freunden und Kollegen: Ralf Becker, Ralf Konersmann, David Lauer, Xenia Fischer-Loock, Claus Langbehn, Claus-Artur Scheier, Hilmar Schmiedl-Neuburg, Michael Sellhoff und Astrid von der Lühe. Das dritte Kapitel hat dankenswerte Anregungen durch den Kollegen Oliver Niebuhr und die Kollegin Maike Schmidt, das zehnte Kapitel durch Johann N. Schmidt erhalten. Meine studentischen Mitarbeiterinnen Heike K. Behnke und Katia Hansen haben unschätzbare Hilfe bei den Korrektur- und Bibliographie arbeiten geleistet. Den Verlagen Metzler, Alber und Meiner sei für die Genehmigung zum Abdruck bereits veröffentlichter Textpassagen gedankt, die im Folgenden nachgewiesen werden. Nachweise Die symbolische Reflexion der Sprache, führt Überlegungen des Artikels »Sprache« (Handbuch Kulturphilosophie, hrsg. von R. Konersmann, Stuttgart: Metzler 2012) fort. Die andere Sprache, überarbeitete Fassung eines erstmals in der Festschrift für C.-A. Scheier (Metaphysik und Moderne, Würzburg: Königshausen und Neumann 2007) erschienenen Aufsatzes. Anoetik und Hermeneutik, erweiterte Fassung eines 2012 im Rahmen der Ringvorlesung »Formen des Nichtverstehens« an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gehaltenen Vortrags; unpubliziert. Symbolische Differenz, unpubliziert. Systematische Metaphern, erweiterte Fassung eines unter dem Titel »Qu’est ce qu’une métaphore systématique? Savoir figurative entre sémantique cognitive et sémantique historique« gehaltenen Vortrags an der Universität Charles-de-Gaulle/Lille III (Frankreich), März 2010; bislang unpubliziert. | 415
Sprache, objektiver Geist und kulturelles Gedächtnis, revidierte Fassung eines in der Zeitschrift für Kulturphilosophie 2 (2008) veröffentlichten Essays. Sachen und Sätze, revidierte Fassung eines in der Zeitschrift für Kulturphilosophie 6 (2012) veröffentlichten Essays. Evidenz und Geltung, erweiterte Fassung eines im September 2013 an der Universität Konstanz gehaltenen Vortrags; unpubliziert. Bewährte Überzeugungen, unpubliziert; übernimmt einige Über legungen (und gelegentlich auch Formulierungen) meines Artikels »Wahrheit« (im Handbuch Kulturphilosophie, Stuttgart: Metzler 2012) sowie eines im Januar 2013 an der Freien Universität Berlin gehaltenen Vortrags. Müssen Wahrheitstheorien wahr sein?, unpubliziert. Wahrheit und kulturelle Tatsachen, stark revidierte Fassung eines erstmals in dem Sammelband Die Kultur denken (hrsg. von R. Konersmann, Freiburg/München: Alber 2007) publizierten Vortrags.
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