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German Pages 129 [152] Year 1956
SAMMLUNG
GÖSCHEN
RÖMISCHE
BAND
677
GESCHICHTE von
F R A N Z
A L T H E I M
o. Professor an der Freien Universität Berlin
ii
BIS
ZUR
SCHLACHT
BEI
ACTIUM
( 3 1 v.
CHR.)
Zweite, verbesserte Auflage
WALTER DE GRUYTER & CO. Tormals G. J. Göschen'ache Verlagshandluog • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. B E R L I N
1956
Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung v o n P h o t o k o p i e n u n d Mikrofilmen, v o n der Verlagshandlung vorbehalten
Die Gesamtdarstellung umfaßt folgende Bände: Band
I : Von den Anfängen bis zur Schlacht bei Pydna (168 v. Chr.)
Band
Band
I I : Bis zur Schlacht bei Actium (31 v. Chr.)
19
Band 677
Band I I I : Bis zur Schlacht an der Milvischen Brücke (312 n.Chr.)
Band 679
Band IV: Bis zur Schlacht am Yarmuk (636 n. Chr.)
© Copyright 1956 by
Walter de Gruyter & Co. Berlin W 35, G e n t h i n e r Str. 13 Archiv-Nr. 1106 77 Satz und D r u c k : K a h m a n n - D r u c k , Berlin-Steglitz Printed in Germany
Band 684
I N H A L T 1. K r i s e
4—37
2. A u s g a n g d e r R e p u b l i k
37 — 66
3. G e m e i n d e s t a a t u n d R e i c h s s t a a t
66—77
4. Caesars A l l e i n h e r r s c h a f t
77 — 100
5. Consensus universorum Register
101—128 129
1. Krise Tod und Leben waren für die römische Geschichtsschreibung auf besondere Weise verbunden. Der Zeitpunkt des Sterbens, die letzten Handlungen und Worte dessen, der dahinging, erhielten eine einzigartige Bedeutung. Während in solchem Fall die griechischen Historiker das Normhafte innerhalb des Vorganges herausstellten: als etwas, das über das Einzelgeschehen hinausführte und ins Allgemeine verwies, stand es bei den Römern umgekehrt. Im Augenblick des Todes prägte sich Individualität des Sterbenden noch ein letztes Mal in Tat und Rede aus. Mehr noch: sie fand gesammelten Ausdruck. Das Streben, das ein Menschenleben erfüllt und es zu dem gemacht hatte, was es war, verdichtete sich zu einer letzten Äußerung von sinnbildlicher Kraft. Nascentes morimur finisque ab origine pendet, sagt Manilius. Tod und Werden, Vernichtung und Gestaltung des Lebens berührten sich darin, daß beide Ausprägungen der gleichen, unwiederholbaren und einzigartigen Form darstellten. Dasselbe Gesetz stand über dem einen wie über dem anderen Geschehen. Es schrieb dem Menschen die Art seines Strebens, seines Aufstiegs und Wirkens vor, und es bestimmte, wie er von der Bühne abzutreten hatte. In dem Augenblick, da eine Individualität entstand, lag in der gleichen Form keimhaft das Gesetz seines Lebens und seines Sterbens beschlossen. Haben die Römer damit Entscheidendes über sich selbst ausgesagt? Dann könnten auch Aufbau und Untergang, Werden und Sterben ihres Reiches unter demselben Gesetze gestanden haben. Sie müßten zwei Aspekte eines geschichtlichen Vorganges gebildet haben. „Les institutions perissent par leurs victoires." In Roms Geschichte sind Krisen Epochen, die solche der Eroberung
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und Ausdehnung ablösen. Aufstieg und Zerfall, Lebensund Todesaspekt des Reiches treten sich unmittelbar gegenüber. Krise und Untergang fallen nicht zusammen. D e r Untergang ist endgültig. I m Wesen der Krisen hingegen liegt, daß sie vorübergehen, daß sie überwunden werden. Krisen und Untergang scheiden sich auch darin, daß dieser einmalig ist, jene aber sich wiederholen oder doch wiederholen können. Aber das bedeutet nicht, daß sie beliebig wiederholbar sind und überhaupt ohne Folgen bleiben. Denn eine Krise zeichnet sich gleich einer schweren Krankheit auf dem Reichskörper ein, und jede neue Krise verschärft die Spuren der vorangegangenen. W i e K r a n k heiten Abbilder des Todes, so sind es auch die Krisen. Sie sind gespenstische Vorwegnahmen des Unterganges, der kommen muß und kommen wird. Auch eine überwundene Krise führt einen Schritt weiter dem Ende entgegen. Schon die erste Krise, die das römische Gemeinwesen durchmachen mußte, weist Züge auf, die für die folgenden von Bedeutung sein sollten. Bereits sie trug einschneidenden Charakter. Der Galliersturm brachte R o m dem Untergang nahe. U n d seine Folgen warfen R o m um ein halbes J a h r hundert zurück. Auf den Rückgang der römischen Macht nach dem Sturz der Tarquinier folgte seit der Mitte des 5. Jahrhunderts eine Reihe von Erfolgen. Sie wurden gegen unmittelbare Nachbarn erfochten, mochten es nun Ardeaten oder H e r niker, Latiner oder das etruskische V e j i sein. Aber dahinter erhob sich gleichsam eine W a n d . Neue Stämme traten R o m in den Weg, hemmten sein Vordringen oder brachten es, wie die Gallier, an den R a n d des Abgrundes. W a s konnte römische Kraft so bald erschöpfen? In Wirklichkeit war römische Ausdehnung auf eine Gegenbewegung größten Ausmaßes getroffen. Das 5. J a h r hundert bedeutete für Italien die Zeit der letzten großen Wanderungen. D a war das Vordringen der Gebirgsstämme, zu denen Volsker und Äquer gehörten. H i n t e r ihnen stand die Bewegung eines dritten und mächtigeren Bergvolkes,
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der Samniten. Es hat das Aussehen der Apenninhalbinsel stärker umgeformt als irgendeiner der Nachbarn, bis es endlich an Rom den Meister fand. Neben der samnitischen Wanderung bildete der Keltensturm, der über ganz Oberund Mittelitalien hinwegging und mit seinen Ausläufern bis Apulien reichte, das folgenschwerste Ereignis der Zeit. Kriegerische und unverbrauchte Stämme waren damit in die Kulturzonen eingebrochen. Unter dem Stoß der Bergstämme, der Kelten versank die altitalische Kultur. Die Verbindung mit dem Griechentum, seiner erweckenden und befruchtenden Kraft, wurde f ü r die Stämme der Apenninhalbinsel, darüber hinaus f ü r den Westen des Mittelmeeres überhaupt und den germanischen N o r d e n abgeschnitten. Mehr als hundert Jahre lastete der „ H i a t " auf der abendländischen Welt. Auch Rom wurde davon betroffen. U n d diesmal erweist sich: eben die römische Ausdehnung hat die Krise verursacht, die in dem gallischen Brand gipfelte. Denn erst diese Ausdehnung und ihr Erfolg brachte Rom mit jenen Stämmen zusammen, die ihm Einhalt geboten und den schwersten Rückschlag zufügten. Über beiden Erscheinungen stand das gleiche Gesetz. Krise war der andere Aspekt des allseitigen Eroberns und Vordringens, die den Grundzug des römischen Staatswesens von frühauf bildeten. Äußerer Krise ging die innere zur Seite. Der Ständekampf, das Ringen zwischen Patriziat und Plebs war nach seinen Stufen außenpolitisch bedingt. Die Zenturienordnung und die damit zusammenfallende Einführung desHoplitenheeres wurden durch militärische Zwangsläufigkeiten diktiert (Bd. I, S. 52 f.; 66). Heranziehung des besitzenden Bauernstandes zum Heeresdienst hatte die Gewährung von Rechten f ü r die Plebs zur Folge. Die Stärkung des Staates war zugleich Ziel und Folge dieser Bereinigung der inneren Verhältnisse. Auch Zwölftafelgesetzgebung brachte nicht den Sieg eines der Stände, sondern besagte nur, daß auf Grund staatlicher Notwendigkeiten ein dauerhaftes Vertragsverhältnis hergestellt war. Die gleichen außen- und wehrpolitischen Notwendigkeiten führten dazu, daß auch
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die Latiner in überlegter Abstufung mit dem Voll- und Halbbürgerrecht oder einem eigenen latinischen ausgestattet wurden (Bd. I, S. 75 f.). 1. Aufs Grundsätzliche hin gesehen, zeichnen sich in der Krise des 2. Jahrhunderts v. Chr. dieselben Erscheinungen ab. Auch in diesem Zeitraum vollzogen sich gewaltige Völkerbewegungen und politische Umwälzungen. Sie ergriffen die alte Welt von der Donau und Südrußland im Westen bis zum Huang-ho im Osten, vom Wattenmeer im Norden bis zum Persischen Golf im Süden. Alle diese Ereignisse waren um so eingreifender, als sie mit einer Veränderung der Kampfesweise verknüpft waren. Neben die schwerbewaffnete Infanterie der Phalanx und Legionen trat die Reiterei. Gegliedert in leichtbewaffnete Bogenschützen und eine gepanzerte Truppe, meldete sie ihren Anspruch als schlachtentscheidende Waffe an. Ihren Ausgangspunkt nahm die Umwälzung bei den Reiterstämmen Mittelasiens 1 ). In das 2. Jahrhundert fällt, wenn auch nicht das erste Auftreten der Parther, so doch die Begründung und Ausbreitung ihres iranischen Reiches. Im Zusammenhang damit stand das Eindringen nordiranischer Nomadenstämme in Ostiran, die Aufrichtung des Hunnenreiches unter Mau-dun und dessen erster Zusammenstoß mit dem China der Han. Alle diese Vorstöße waren Teile einer einzigen Bewegung, die von der Äußeren Mongolei ihren Ausgang nahm, über die turanische Steppe und den Nordrand von Iran sich bis nach Südrußland erstreckte. Westlichster Ausläufer waren die Sarmaten, die in Südrußland eindringend die Herrschaft der Skythen stürzten und zusammen mit den von Nordwesten her kommenden Germanenstämmen, Bastarnen und Skiren, sich festsetzten. Ihnen folgten die Kimbern eine Strecke Wegs, weit genug, um, teilweise durch ostkeltische Vermittlung, bestimmte Formen der Reitervölker sich anzueignen. Zusammen mit dem Wander! ) Z u m F o l g e n d e n : F. A l t h e i m , N i e d e r g a n g d e r A l t e n W e l t 1 ( 1 9 5 2 ) .
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karren 2 ), den Formen des pontischen Kunsthandwerks und der schweren Reiterei wurde der iranische Eisenpanzer übernommen 3 ). Auch die verstellte Flucht als Bestandteil der reiterlichen T a k t i k fand bei ihnen Eingang 4 ). Daß die Kimbern Wodan kannten, wurde längst ausgesprochen. Da sie ihm nach dem Sieg bei Arausio die Streitrosse der Römer opferten 5 ), werden sie sich ihn beritten gedacht haben. Wodan zu Pferd rückt damit in eine Reihe mit den Reitergöttern und -heroen der Thraker oder der Nomaden. Audi die Kimbern gehörten der großen Wander- und Sturmflut an, die die Völker Eurasiens erfaßt hatte. Unter dem furchtbaren Druck dieser Bewegung gingen die Han dazu über, die ererbte Kampfesweise des chinesischen Heeres, zu Fuß oder auf dem Streitwagen, zugunsten des nomadischen Reitens aufzugeben. In Baktrien brach die Herrschaft der Griechen unter dem Druck der Tocharer (Yüedschi) und anderen Nomaden zusammen, und das seleukidische Reich verlor an die Parther alle Provinzen bis zum Oberlauf des Euphrat. Der Stoß w a r in den südrussischen Griechenstädten ebenso spürbar wie an der Nordgrenze Makedoniens, an der die germanischen Bastarnen auftraten. Damit nicht genug: auch auf dem Balkan, in Nordafrika und Spanien erlebten Reiterei und reiterliches Kämpfen einen Aufschwung. Die Thraker gehörten zu den Stämmen, die am frühesten seitens der Nomaden das gerittene Pferd übernommen hatten. Dorther stammte auch die thrakische Tracht — Gürtel und lange Hose, hoher Stiefel und Radmantel — sowie die Bewaffnung mit Sichelschwert, Stoßlanze, Bogen und Lasso 6 ). Berühmt war die Pferdezucht der Thraker. Auch die Wagenburg, die Vorliebe für die Jagd, die Drachenfahne mit dem Wolfskopf 7 ) hatten sie von den 2) F. A l t h e i m , a . O. 1, 121. 3) F. A l t h e i m , a. O . 1, 96.