Römische Geschichte: Band 1 Bis zur Schlacht bei Pydna (168 v. Chr.) [2., verb. Aufl. Reprint 2019] 9783111683676, 9783111296661


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German Pages 124 [144] Year 1956

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Inhalt
1. Das vorrömische Italien
2. Italische und römische Form
3. Das alte Rom
4. Patriziat und Plebs
5. Sturz und Wiederaufstieg
6. Die Einigung Italiens
7. Karthago
8. Rom und die hellenistische Welt
Register
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INHALTSVERZEICHNIS
Geisteswissenschaften
Naturwissenschaften
Technik
SAMMLUNG GÖSCHEN - BANDNUMMERNFOLGE
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Römische Geschichte: Band 1 Bis zur Schlacht bei Pydna (168 v. Chr.) [2., verb. Aufl. Reprint 2019]
 9783111683676, 9783111296661

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SAMMLUNG

GÖSCHEN

RÖMISCHE

BAND

19

GESCHICHTE von

FR AN Z

ALTH

EIM

o. Professor an der Freien Universität Berlin

i

BIS

ZUR

SCHLACHT

BEI

PYDNA

( 1 6 8 v.

CHR.)

Zweite, verbesserte A u f l a g e

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandluog • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer * Karl J. Trübner • Veit & Comp. B E R L I N

1956

Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten

Die Gesamtdarstellung umfaßt folgende Bände : Band

I : Von den Anfängen bis zur Schlacht bei Pydna (168 v. Cht.)

Band

Band

I I : Bis zur Schlacht bei Actium (31 v. Cht.)

19

Band 677

Band I I I : Bis zur Schlacht an der Milvischen Brücke (312 n.Chr.)

Band 679

Band IV: Bis zur Schlacht am Yarmuk (636 n. Chr.)

© Copyright 1956 by

Walter de Gruyter Sc Co. Berlin W 35, Genthiner Str. 13 Archiv-Nr. 1100 35 Satz und Druck: Kahmann-Druck, Berlin-Steglitz Printed in Germany

Band 684

3

I n h a l t 1. Das vorrömische Italien

4—19

2. Italische und römische Form

20 — 29

3. Das alte Rom

30 — 51

4. Patriziat und Plebs

52 — 60

5. Sturz und Wiederaufstieg

60 — 76

6. Die Einigung Italiens

76 — 84

7. Karthago 8. Rom und die hellenistische Welt Register

84 — 101 102 — 122 123 — 124

1. Das vorrömische Italien Geschichtsschreibung verfolgt ein doppeltes Ziel. Sie ist auf den zeitlichen Verlauf der Ereignisse ausgerichtet, aber sie f a ß t auch die großen vorgegebenen u n d durchgehenden Formen ins Auge. Zeitliches und Überzeitliches, epische u n d systematische H a l t u n g stehen nebeneinander. Mehr noch: sie durchdringen und befruchten sich gegenseitig. Systematische Grundlegung hat der erzählenden D a r stellung voranzugehen. Vier Gegebenheiten bestimmen das alte Italien. Indogermanisches und altmittelländisches Volkstum treten von A n f a n g an einander gegenüber. H i n zukommen zwei geistige Mächte: der römische Staatsgedanke und die griechische Bildung. Mit ihnen allen beschäftigen sich die beiden ersten Kapitel dieses Buches. 1. Für die Geschichte der Apenninhalbinsel bedeutet die Einwanderung der Italiker frühestes Ereignis und zugleich eines der bedeutendsten. N u r mit der griechischen Kolonisation läßt es sich an Rang vergleichen. Die Italiker traten bei ihrer Einwanderung zusammen mit Angehörigen des gleichfalls indogermanischen Volkes der Illyrier auf. Eine besondere Stellung nimmt das Venetische ein (gesprochen im Nordosten Italiens, zwischen Etsch und dem T a l des Isonzo). Es zeigt enge Berührungen mit dem Lateinischen. Diese erstrecken sich gleichmäßig auf Laut- und Formenlehre; auch der N a m e der Göttin louzera-Libera war beiden Stämmen gemeinsam 1 ). Die Be1) H . Krähe, Welt als Gesdi. 3, 122 f . ; P a n n o n i a 1937, 16 f. Gegen M. Lejeune, R e v . philol. 26 (1952), 218 vgl. F. Altheim, Gesdi. der latein. Spradie 141 f. Zur spradilidien Stellung des Venetisdien: unten S. 6 Anm. 9

Das v o r r ö m i s c h e Italien

5

rührungen bleiben um so auffälliger, als Veneter und Latiner in geschichtlicher Zeit niemals Nachbarn waren. Die Lösung erbrachten die von E. Trautmann und dem Verfasser erschlossenen Felsinschriften der Val Camonica 2 ). Gefunden im Tal des oberen Oglio, meist in einem nordetruskischen, zuletzt auch im lateinischen Alphalbet aufgezeichnet, entstammen sie den Camunni, einer Unterabteilung der Euganeer. Ihre Sprache stellt den selbständigen Zweig einer Gruppe dar, der das Lateinische und sein nächster Verwandter, das Faliskische (in Südetrurien, zwischen Soracte und Tiber heimisch), angehörten. Die Veneter stießen bei ihrer Einwanderung in die östliche Poebene mit den Euganeern, die dort alles Land zwischen Meer und Alpen innehatten, zusammen, unterwarfen oder drängten sie ins Gebirge3). Damals kamen auch die Camunni in das nach ihnen benannte Alpental. Daraus ergeben sidi Richtung und Zeitpunkt für die Einwanderung der Latiner und ihrer Verwandten. Sie kamen, vermutlich über den Birmbaumer Wald 4 ), in das nordöstliche Oberitalien. Dort blieb ein Teil von ihnen, die Euganeer oder doch die Camunni, sitzen, während Latiner un>d Falisker nach Mittelitalien weiterzogen. Als die Veneter im 9. Jahrhundert 5 ) auf dem gleichen Weg nachrückten, übernahmen sie von den unterworfenen oder verdrängten Angehörigen der latino-faliskischen Gruppe die latinischen Bestandteile, welche die venetische Sprache kennzeichnen. Nicht nur Inschriften, auch bildliche Darstellungen haben sich auf den Felsplatten der Val Camonica gefunden. Unter den vielen Hunderten dieser Bilder hebt sich eine Schicht ab 6 ) die sich inhaltlich und stilistisch mit den südskandina2) A l t h e i m - T r a u t m a n n , V . U r s p r u n g d. Runen 9 f . ; F. A l t h e i m , Gesch. der l a t e i n . Sprache 92 f. Zustimmend zur Vai C a m o n i c a - F r a g e : J . W i e s n e r , W e l t als Gesch. 8, 197 f . ; N J a h r b . 1941, 205; S. Gutenbrunner, G e r m a n i e n 1934, 225; H . K r ä h e , A n t i k e , alte S p r . u. dtsdie. B i l d . 1944, 9 f . ; Die I n d o g e r m a n i s i e r u n g Griechenlands und I t a l i e n s 5Crf. 3 ) H . Nissen, I t a l . L a n d e s k d e . 1, 468 A n m . 5. 4 ) E. N o r d e n , A l t g e r m a n i e n 288 f. 5) v . D u h n - M e s s e r s d i m i d t , I t a l . G r ä b e r k d e . 2, 17 f . 6) F. A l t h c i m , R o m . Gesch. 1, 20 f .

6

D a s v o r r ö m i s c h e Italien

vischen hällristningar berührt. Die göttlichen Gestalten des Speer- und Beilträgers, Sinnbilder und Kultschiffe, Hirsch und Hinde sind den schwedischen Felsbildern und denen der Val Camonica gemeinsam. Zugleich erscheint auf italischer Seite das mittel- und nordeuropäische Einzelhaus, das Megaron mit Steildach und Giebel 7 ). Stilistisch ist für beide Gruppen die harte Fügung des menschlichen Gewächses bezeichnend, die sich um Herausarbeitung des den Aufbau tragenden Gefüges, vor allem der Gelenke, bemüht. Berührungen germanischer Felsbildkunst mit der in der Val Camonica entsprechen solche sprachlicher Art. Sie sind so zahlreich, daß man für Latiner und Germanen geradezu eine gemeinsame nordeuropäische Heimat gefordert hat 8 ). Aber auch das Volk der Veneter, das nach Latinern und Euganeern in die Poebene eindrang, war ursprünglich den Germanen benachbart. Der Lausitzer Kreis, bis nach Kärnten und Krain reichend, bildete den Ausgangspunkt; von den Germanen gedrängt, wanderte jenes Volk nach Süden. Es brachte nicht nur seine künstlerische Formenwelt, sondern auch eine Reihe sprachlicher Neuerungen, die das Venetische und Germanische gemeinsam geschaffen hatten 9 ), mit nach Italien. Die Einwanderung der aus Latinern, Faliskern und Euganeern bestehenden Italikergruppe war seit ihren Anfängen mit der illyrischen Ausbreitung verknüpft. Sie ist die letzte Welle einer Bewegung, die zeitlich und ursächlich mit der Dorischen Wanderung in Griechenland zusammenfällt. Denn hinter dieser, die man auch als Ägäische oder geradezu Illyrische 10 ) Wanderung bezeichnet hat, stand Altheim-Trautmann, Wörter u. Sachen 1938, T a f . 20 f. 8) R . Much, Festschrift H . Hirth 2, 552 f . ; H . Krähe, Sprachverwandtschaft im alten Europa 21 f.; zuletzt O . Szemerenyi, Ztsdtr. f. vgl. Sprachwiss. 71,

200 f.

9) H . Krähe, Festschrift H . Hirth 2, 565 f . ; 571 f . ; Welt als Gesdi. 3, 122 f . ; Pannonia 1917, 13 f. Grundlegend: H . Krähe, D a s Venetische. SB. A k a d . Heidelberg 1950, 3. Zuletzt E . Polome, Handel. 14. Vlaamse Filologencongr. 198 f. 10) H . Krähe, Antike 1939, 139; Welt als Geschichte 6, 54 f . ; Die Indogermanisierung Griechenlands und Italiens 10 f . ; 48 f . ; Die Sprache der Illyrier 1, 4 f . ; F. Altheim, Gesdi. der latein. Sprache 32 f.

Das vorrömische Italien

7

gleidifalls die seit etwa 1200 beginnende Ausbreitung der Illyrier nach Süden und Südosten. Wie von diesen gedrängt und mit ihnen vermischt 11 ) die Dorier als dritte und letzte Einwanderungswelle nach Griechenland kamen, so geschah es in Italien mit Venetern und Latino-Faliskern. Venetische Spuren und Splitter lassen sich bis nach Latium verfolgen 12 ). Audi die zweite Gruppe der ItaMker, die oskisch-umbrische, ist im Gefolge der illyrischen Wanderung auf die Apenninhalbinsel gelangt 13 ). Nur drang sie über das adriatische Meer nach Mittelitalien vom balkanischen Osten her vor, wo auch der Ursprung der ihr eigenen „Fossa"kultur zu suchen ist 14 ). Zu den Umwälzungen, welche die Wanderung im Gefolge hatte, gehört die Einführung des Reitens und des Reiterkriegs an Stelle des älteren Streitwagenkampfes. Als Träger der Neuerung erscheinen die Thraker 1 5 ). In ihrer Heimat, dem pannonischen Becken 16 ), saßen sie in Nachbarschaft sowohl der Illyrier wie der Reiterstämme. Seit dem Ende des 9. Jahrhunderts ist dort ein solcher Stamm, die Kimmerier, archäologisch faßbar 1 7 ). Was die Thraker von den einen empfingen, gaben sie an die anderen weiter. Sie selbst brachten das Reiten, reiterliche Tracht und reiterliche Kampfesweise nach Griechenland. Dasselbe taten für Italien die Veneter 18 ). Hier hatte man, ebenso wie bei den homerischen Griechen, zunächst zäh am Streitwagen festgehalten 19 ). Aber vom venetischen Nordosten her setzte das Reiten sich durch. In der Val Camonica 11) H . K r ä h e , Welt als G e s d i . 3, 291 f . ; E . N o r d e n , A l t g e r m a n i e n 268 f. u n d die z u v o r g e n a n n t e n A r b e i t e n . 12) H . K r ä h e , D i e I n d o g e r m a n i s i e r u n g u s w . 44 f. 13) H . K r ä h e , a . O . 54 f . ; F . A l t h e i m , Gesch. der l a t e i n . Sprache 134 f. » ) G . S ä f l u n d , S t u d i E t r . 12, 42; 5 0 ; 54. 1») J . Wiesner, F a h r e n u. R e i t e n in A l t e u r o p a u. im a l t . O r i e n t 63 f. 16) P . Reinecke, G e r m a n i a 9, 50 f . ; J . N e s t o r , Ber. R ö m . - g e r m . K o m m i s s . 1932, 125 f. . 1?) G a l l u s - H o r v a t h , U n p e u p l e c a v a l i e r p r e s c y t h i q u e ( D i s s . P a n n o n . 2, 9 ) ; F . Specht, D i e A u s b r e i t u n g der I n d o g . 21 f. 18) F . A l t h e i m , R o m . Gesch. 1, 36 f. 19) J . Wiesn6r, a . O . 48 f. J e t z t hat man freilich eine R e i t e r d a r s t e l l u n g in M y k e n a i g e f u n d e n : A . J . B . W a c e i n : L o n d o n N e w s I l l u s t r . N o v . 1. 1952

S. 718; 721 fig. 21.

8

Das vorrömische Italien

fehlt zwar nicht der Wagen, wohl aber der Streitwagen ganz. Dagegen erscheinen hier und in Bologna (Benacci I und I I ) die ältesten Reiterdarstellungen. Zusammen mit dem Reiten drangen andere Formen in Italien ein, die aus dem gleichen Kulturbereich hervorgingen: bronzene Klappern und Bleche, Bommeln und Glöckdien, deren Ursprung über die Hallstattkultur sich auf den Schamanismus der eurasiatischen Reiterstämme zurückführt 2 0 ); das Auftreten der „magischen Flucht" oder der Wolfskinder im Mythos (Romulussage); der Vogel auf dem Feldzeichen. Auch sie entstammen zuletzt der schamanistischen Welt 2 1 ). Und von den Thrakern übernahmen Griechen, Illyrier und Latino-Falisker die Gestalt des Dionysos. Die Namen Eleutheros-Liber und Libera, venetisch louzera, f ü r ihn und seine göttliche Gefährtin sind allen drei Völkern gemeinsam 22 ). 2. 23

Der N a m e Italien ) w a r ursprünglich an der Südspitze der Halbinsel zu Hause: in Bruttium, jenseits der L a n d enge zwischen dem skylletischen und napetischen Busen. 'Ix«/iu w a r das Land der miA.0' oder ixai.oi, der vituli, wie dies die oskische Form viteliii bestätigt. Die „ J u n g stiere" waren die Söhne des Stiergottes, so wie sich die Hirpini als Nachkommen des Wolfes und die Picentes, die „Jungspechte", als Söhne des göttlichen Spechtes Picus betrachteten. 20) J . Wiesner, Arch. Anz. 1939, 321 f . ; Gallus - H o r v ä t h , a. O . T a f . 28 f . 21) Eitrem, R E . 12, 1118; K . K e r i n y i , Mnemosyne 1939, 161 f . ; A . A l f S I d i , Germania 19, 328. 22) F . Altheim, R o m . Gesch. 1, 42 f . ; 2, 446 f. (zur E r g ä n z u n g : Linear B e-re-u-te-ro bei Ventris-Chadwick, J H e l l S t u d . 73, 102, zeigt, daß dh schon geworden war). Gegen A . Brühl, Liber pater (Paris 1953) 355 f . v g l . E . P o I o m £ , Latomus 13, 292 f. 23) Zum Folgenden F . Altheim, R o m . Religionsgesch. 1 (1951), 17 f . — Z u r K r i t i k K . L a t t e ' s Gnomon 1954, 15 f. verweise ich in diesem wie in anderen Fällen auf meine Entgegnung i n : Altheim-Stiehl, Porphyrios und Empedokles 61 f . ; ich habe ihr nichts hinzuzufügen. Zu E . Polom£, Latomus' 14 ( 1 9 5 5 ) , 600 A n m . 2 sei bemerkt, daß ith osk. viteliü nicht für eine Übernahme von ; I-raXia. sondern für eine oskische Parallelbildung h a t t e . D a m i t erklären sidi die von P . behandelten Lauterscheinungen, auch der Wechsel i : i ( R . P l a n t a , Gramm, d. osk.-umbr. D i a l . 1, 96 f . ) .

Das vorrömische Italien

9

Der Stiergott, später meist Mars gleichgesetzt, w a r in Kult und Sage über ganz Italien verbreitet 24 ). Ähnlich stand es im mittelmeerischen Osten. In Kreta und auf dem griechischen Festland, in Ägypten und in ganz Vorderasien war der Stier Träger göttlicher Vorstellungen. Wie in Italien, so lag auch hier seine Zeit der klassischen Antike vorauf, wenn auch die verschiedenen Formen des Stiergottes mit ihren Ausläufern noch in sie hineinreichten 23 ). Ein gewaltiges Reich dieses Gottes zog sich in vorindogermanischer Zeit quer durch den mittelmeerischen Bereich von Vorderasien bis nach Spanien. Als die indogermanischen Stämme von Nordosten und Osten in die Apenninhalbinsel einwanderten, brachen sie in dieses Reich ein. Sie übernahmen den Stiergott von den älteren Kulturen, auf die sie stießen, und nannten sich nach ihm. Sie hielten daran mit solcher Zähigkeit fest, d a ß in ihrem letzten Kampf mit Rom die Samniten sich immer noch im Bild des Stieres und Stiergottes wiederfanden. Das f ü h r t darauf, daß die vorindogermanischen Kulturen Italiens und ihre Träger, das altmittelländische Volkstum, sich gegenüber den mitteleuropäischen Einwanderern weitgehend zu behaupten vermochten. Mehr noch: während die Griechen, die gleichfalls aus dem N o r d e n kamen, im Gegensatz zu dem, was sie antrafen, und in Auseinandersetzung mit ihm eine neue Kultur schufen, die eine Uberwindung der altmittelländischen und altorientalischen bedeutete, gaben sich die Italiker airmittelländischem Wesen unbekümmert hin. Die Sikuler dürfen als die frühesten Indogermanen in Italien gelten. Von N o r d e n kommend, legten sie sich im Osten Siziliens über eine ältere Schicht, die Sikaner. Diese, ursprünglich aus N o r d a f r i k a oder von der Pyrenäenhalbinsel stammend, behaupteten sich im Süden u n d Westen. Auch sprachlich und archäologisch läßt sich die Scheidung H i n z u g e k o m m e n ist j e t z t K . G ü n t h e r , K l i o 36, 145 f . 25) L . M a l t e n , Arch. J a h r b . 1928, 90 f . ; J . W e i s w e i l e r , D . K u l t u r d e s irischen H e l d e n z e i t a l t e r s (Gesch. als G e g e n w . 1); P a i d e u m a 4, 171 f .

10

Das vorrömisdie Italien

greifen. Die Inschrift des Topfes von Kenturipe (5. Jahrhundert) beweist, daß das Sikulische dem Lateinischen nahestand26). Die Fundstätten der ersten Sikulerperiode P. Orsis und ihre Irdenware, die von der späten Schnurkeramik des nördlichen Mitteleuropas abstammt27), unterscheiden sich von der früheren Stentinello- und Villafratistufe, deren Glockenbecher nach dem ältesten Sardinien und dem steinkupferzeitlichen Spanien weisen28). Aber gerade bei den Sikulern tritt die Auseinandersetzung der Einwanderer und ihr Unterliegen gegenüber den altmittelländischen Vorgängern hervor. Weit nach Süden vorgedrungen, ohne Rückhalt an neuen Schüben, konnte dieser Vortrupp die eigene Form nur teilweise behaupten. Ein doppelhenkliger Krug der sikulischen Castellucciostufe ist seinem schnurkeramischen Vorbild gegenüber weicher, schlauchartiger, verwaschener. Bezeichnend für die Sikuler sind die Gräberstädte mit den Tausenden ihrer in die Felshänge gehauenen Grabkammern (Pantalica). Diese Höhlengräber sind, wie die Höhle überhaupt, eine der Urformen altmittelländischen Bauens29). Die Höhlen von Matera, die Trulli Apuliens, die steinüberschichteten Innenräume und schwergewölbten Apsiden des vorgeschichtlichen Malta — sie alle hat kein Weitengefühl geschaffen. Enge und Erdnähe, Dunkel und Haften an der Tiefe: mit dem Lasten der ungefügten Steinmassen verbinden sie sich zur Einheit. Und nicht nur die Toten der Sikuler zogen sich in die Berge und ihre Felsentäler zurück: die Lebenden sind ihnen gefolgt. Sicherheitsbedürfnis, ein zweiter Grundzug altmittelländischen Wesens, bestimmte die Anlage der sikulischen Städte. Audi sie zogen sich gleich den Toten in die Berge zurück, und meist war es so, daß dort die Städte 26) A . Braun, A t t i del R . Istuto Veneto 93, 2, 1006 f . ; A . v . B l u m e n t h a l , Z O N F . , 16, 50 f . ; F . Altheim, Gesch. der latein. Spr. 17 f . Dagegen V . Pisani, Bull, del C e n t r o di Studi filol. e linguist. Siciliani 1, 57 f . D o d i Medma als ausonisdi-sikulisdier Ortsname ( H . R i x , B e i t r . z. Namensforsdi. 1951, 252) weist erneut auf Zusammenhang mit dem Lateinischen. 2') F. M a t z , Neue J a h r b . 1938, 379 f. 2«) F . Matz, a. O . 374 f. 29) F . Altheim, R o m . Gesch. 1, 56 f.

Das vorrömische Italien

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der Lebenden über den Behausungen der Verstorbenen sich erhoben. Dieses Volk saß in wörtlichem Sinn auf seinen Toten und hat sich von der dumpfen Unentrinnbarkeit soldier Bindungen niemals lösen wollen. Neben Gegenden, in denen die altmittelländische Schicht unter der indogermanischen durchscheint, stehen solche, darin das Ältere sich unberührt erhalten hatte. Unter ihnen nimmt das frühe Sardinien die vornehmste Stelle ein. Audi seine Bevölkerung entstammte wohl, gleich den Sikanern, der Pyrenäenhalbinsel und Nordafrika. Sprachliche Berührungen mit den Basken30), Übereinstimmungen altsardischer Ortsnamen mit denen des antiken Afrika 31 ), die Federkrone des Sardus pater32) weisen in diese Richtung. Der Nuraghe33), der die Architektur Sardiniens bestimmt, setzt als kegelförmiger Wohn- und Wehrturm das altmittelländische Rundhaus ins Große und Dauerhafte um. Wie die Bauten des vorgeschichtlichen Malta erstrebt er wuchtige Häufung und übermenschliche Bildung. Maßloses und Ungefüges wird selbst Form: es ist zum baulichen Prinzip erhoben. Während griechische Baukunst den Menschen zum Maß aller Dinge machte und sich von der außermenschlichen Natur als eigener Bereich abhob, suchte der Nuraghe an Wirkung eben ihr gleichzukommen. Im Türmen steinerner Massen, in der Schichtung der Blöcke, in der Zurschaustellung ihrer ungebrochenen Mächtigkeit: überall bedeutete Natur das Vorbild. Eine Gruppe für sich bilden die sardischen Bronzen38"). Sie entnahmen ihre Stoffe der Umwelt: Krieger und Prie30) Aus der Literatur seien genannt: V . Bertoldi, Zeitsdir. R o m a n . Philol. 57, 151 f . ; M . L . Wagner, Ardi. R o m a n . 15, 225 f . ; H i s t o r . Lautlehre des S a r disdien (Beih. Ztsdir. R o m a n . P h i l o l . 9 3 ) ; M . v . Wartburg, D . Entstehung d. roman. V ö l k e r 2 22 f . ; J . Hubsdimid, Sardische Studien ( R o m . H e l v e t . 4 1 ) . Zum Baskischen: E . Gamillscheg, Abh. A k a d . M a i n z , Geistes- u. Sozialwiss. K l . 1950, 2 ; A. T o v a r , C a n t a b r i a Preromana (Madrid 1955). 31) Philipp, R E . 2 A, 2284 f. 32) H ö f e r , R M L . 9, 385. 33) A l t h e i m - M a t t i n g l y , a. O . 23 f . ; C . Zervos, Sardaigne 43 f . ; 70 f. A b b . 43—4. 33») C . Zervos, a. O . 22 f . ; 114 f . ; 159 f . ; 298 f.

La

civilisation

de

Ia

12

Das v o r r ö m i s d i e Italien

ster, Bauern, Mutter und Kind, eine Ringergruppe — sie wurden in diesen Figurinen dargestellt. Daneben stehen Gestalten mit vier Augen und vier Beinen, in einem Fall gar mit drei Leibern — übermenschliche und göttliche Gestalten also. Dem alten Sardinien waren diese Mischbildungen, diese H ä u f u n g der Gliedmaßen mit der altägäischen und der altorientalischen Gottesvorstellung gemeinsam. Den Griechen taugte der Mensch, und nur er, dazu, G e f ä ß der Gottheit zu sein. In Sardinien aber und in der Welt, der es angehörte, war dieser Mensch nicht N o r m , sondern Bestandteil der N a t u r . Zum Bild des Göttlichen eignete er sich allein, wenn er durch Steigerung seiner menschlichen Erscheinung über diese hinausschritt. Sardinien war nicht der einzige Bereich des alten Italien, in dem altmittelländisches Wesen bis in geschichtliche Zeit fortlebte. Die Ligurer hatten sich im Nordwesten ein Restgebiet bewahrt, nachdem sie einst in weiten Teilen Italiens, in Spanien, in Süd- und Westfrankreich, in der Schweiz und Korsika gesessen hatten 3 4 ). Von indogermanischen Stämmen (Ambronen) teilweise überschichtet, hielt sich ligurisches Volkstum am stärksten im Gebirge, wo T a u sende erhaltener Felsbilder (Monte Bego, unfern des Col di Tenda) von ihm zeugen 35 ). Auch im Norden von Picenum saß ein vorindogermanisches Restvolk, kenntlich durch seine inschriftlich erhaltene Sprache und die Grabsteine (Novilara-Stelen), die von der Vorstellungswelt dieser Asili künden 3 6 ). Audi dort, wo an der Adria die ältere Kultur (Adriatisdie Kultur 3 7 ) von den indogermanischen Illyriern überschichtet war, wirkte sie unter dieser Decke fort 3 8 ). Größte Bedeutung aber pflegt man den Etruskern zuzumessen. 31) H . Krähe, Festschrift H . H i r t h 2, 241 f.; R . Menendez P i d a l , Ztschr. Rom Philol. 59, 189 f . ; F. Altheim, Rom. Gesch. 1, 80 f. 35 ) Zur Datierung R . Battaglia, Studi E t r . 8, 48. 36) E. N o r d e n , Altgerman, 232 f . ; H . Krähe, Idg. Forsch. 54, 221; v. D u h n Messerschmidt, Italisdie G r ä b e r k u n d e 2, 161 f.; F. Altheim, Gesch. der latein. Sprache 180 f.; E. Polome, La N o u v . Clio 1952, 261 f. Zur E i n f ü h r u n g geeignet: R . Bloch, L ' a r t et la civilisation Etrusque (Paris 1955). 3 ?) N . Valmin, Lunds U n i v e r . A r s k r i f t , N . F. A v d . 1, 35, 1. 38) F. Altheim, R o m . Gesdi. 1, 86 f.

Das v o r r ö m i s c h e Italien

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3. Die Frage nach der Herkunft der Etrusker ist bis auf den heutigen T a g nicht zur Ruhe gekommen. Immerhin kann eine vorläufige Lösung gegeben werden 39 ). Das Altertum glaubte, die Etrusker oder, wie die Griechen sie nannten, die Tvrrhener seien aus Kleinasien eingewandert. Eine Ausnahme machte allein Dionysios von Halikarnassos, der sie für ein in Italien bodenständiges Volk hielt. An dieser Alternative hat sich seitdem nichts geändert. Sprachliche Übereinstimmungen, vor allem das Zeugnis der Stele von Lemnos, weisen auf ägäische Herkunft. Aber archäologisch zeigt sich seit dem Auftreten der Brandgräber auf toskanischem Boden eine geschlossene Entwicklung; kein Bruch, kein von außen erfolgter Eingriff ist zu beobachten. Seltsam bleibt, daß die etruskische Sprache, ohne indogermanisch zu sein, dodh deutliche Übereinstimmunigen mit dem Indogermanischen aufweist. Sind die Etrusker vielleicht nachträglich zu einheitlichem Volkstum gelangt? Ihre politische Form war der Städtebund. Zwölf Städte oder richtiger: zwölf „Völker" (populi) machten ursprünglich die Gesamtheit der Etrusker aus. Dieser Bund war von vergleichsweise später Entstehung. Kurz vor der Mitte des 6. Jahrhunderts wurde er nach dem Vorbild des ionischen Städtebundes geschaffen 40 ). Und wie der ionische 41 ), so setzte sich der etruskische Bund aus Bestandteilen sehr verschiedener völkischer Herkunft zusammen. Neben solchen östlicher Abstammung sind in Clusium (Camertes Umbri) Umbrer, in Caere Verwandte der Latiner, in Pisa Teutanesi2), anderswo sogar Illyrier und Griechen zu fassen. Wie Römer (unten S. 31 f.) und Samniten aus völkisch verschieden gearteten Stämmen zu einem Staatsvolk zusammenwuchsen, so auch die Etrusker. 39) 195 f . ; *>) «) «)

F. Altheini, Der Ursprung der Etrusker (1950); Gesch. der l a t e i n . Sprache nachzutragen A . Stoltenberg, S t u d i Etr. 22, 157 f. (Tontafel von C a p u a ) . U . v . W i l a m o w i t z , S B A W . 1906, 38 f . ; Th. Lensdiau, K l i o 36, 201 f. U . v . W i l a m o w i t z , a. O. 59 f . ; T h . Lenschau, a. O. 225 f. P. Kretsdimer, G l o t t a 21, 114 f.

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Dadurch erklärt sich nidit nur ihre rasche Assimilation an R o m seit dem 1. Jahrhundert v. Chr., sondern auch die italischen Bestandteile des Namenssystems und italische Lehnwörter, die sich besonders auf Ausdrücke der gesellschaftlich-staatlichen Gliederung beziehen 4 4 ). Überhaupt zeigt die Geschichte der Kultur, daß die Etrusker erst spät die Formen ausbildeten, die für sie bezeichnend waren Ägäisches und Orientalisches verband sich mit Italischem, das auch hier stark von mittelländischem Wesen durchsetzt w a r . Aber es bedurfte erst der Auseinandersetzung mit dem Griechentum, das hier wie überall seine befruchtende K r a f t bewährte, um die „malerische", oft an Altkretisches erinnernde Eigenform etruskischer Freskenkunst sich entfalten zu lassen 4 5 ). Tierisch-menschliche Mischbildung in der Darstellung der Dämonen, die Leberschau, die Anlage regelrechter Totenstädte mit Mauern und Straßensystem — sie treten gleichfalls in der etruskischen Geschichte spät, teilweise erst im 3. und 2. Jahrhundert, entgegen 4 0 ). D a s alte Sardinien, Sizilien und das vorgeschichtliche M a l t a waren der Verehrung der Quellen und Brunnen, den Höhlenheiligtümern, E r d - und Muttergöttinnen, Inkubation und unterirdischen Orakeln, aber auch den Toten zugewandt. Chthonisches und die Welt des Weibes ergänzen einander. In M a l t a zeigt die Plastik fast ausschließlich das „ f e t t e " Weib als Gegenstand 4 7 ), und diese Linie läßt sich auf der einen Seite bis N o r d a f r i k a , auf der anderen bis in die istrische Castellierkultur 4 8 ) verfolgen. N e s a z i o hat die einzigartige Darstellung des zugleich empfängnisbereiten, gebärenden und nährenden Weibes gebracht 4 9 ). Die Etrusker haben beides, chthonische Ausrich« ) E . V e t t e r , G l o t t a 28, 202; 227. 45) F . A l t h e i m , R o m . Gesch. 1, 93 f. 46) F . A l t h e i m , a . O . 1, 98 f. « ) L. M. Ugolini, T a f . 11.

Malta

50 f. A b b . 23 f . ;

126 T a f . 6 ;

139 A b b . 71 ;

48) N . V a l m i n , a. O . 97 f . ; 139, The S w e d i s h Messenia E x p e d . 408 f. «)

F . A l t h e i m , a . O . 1, 88.

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tung und die auf das Weib, übernommen. Sie haben sie ins Große und Grundsätzliche gestaltet. Die Etrusker waren ein begrabendes Volk. Im Gegensatz zur Verbrennung des Leichnams ging der begrabene Tote unzerstört dorthin zurück, von wo er gekommen w a r : in den Schoß der alles hervorbringenden Erdmutter. Dort war er eher mächtiger als auf Erden. Er empfing Opfer und Leichenspiele; seine Lieblingsgeräte wurden ihm mitgegeben. In festem Grab w a r sein Leichnam gegen schädigende Einflüsse geschüzt. Denn über ihm türmten sich gewaltige Grabhügel, die sich ihrerseits mit kleineren Kammergräbern zu regelrechten Totenstädten zusammenschlössen. Die ägyptischen Pyramiden und Mastäben, auch sie zu Totenstädten vereint, lassen sich vergleichen. Hinter beiden Welten stand die Vorstellung einer stofflich gefaßten Unsterblichkeit. Sie w a r mittelländischem Denken ebenso vertraut, wie sie indogermanischem Wesen fremd blieb. Der Ruhm des Mannes, nicht die Dauer des Grabes oder des einbalsamierten Leichnams, führte zur Ewigkeit. Horaz stellte den Ruhm seiner Dichtung als Denkmal hin, das höher rage als die Pyramiden. Ein zweiter Gegensatz bezog sich auf die Bewertung von Mann und Weib. Im Gegensatz zum römischen pater familias und zum Genius, dem Gleichnis des männlichen Samens, der das Geschlecht fortpflanzt, war bei den Etruskern das Weib Trägerin der Geschlechtsidee 50 ). Das tritt im Grabkult, in der Namengebung, aber auch in der Stellung hervor, die die Frau in der Öffentlichkeit einnahm. Viel auch erzählten die Griechen von der Schönheit der Etruskerinnen. . . . Aber wie Unsterblichkeit sich mit stofflicher Dauer verband, so blieb diese Schönheit der bloßen Physis verhaftet. Sie vereinigte, wie dies der berühmte Frauenkopf aus der Tomba dell'Orco zeigt, mit ihrer Blüte die Sinnlichkeit und Grausamkeit alles Physischen. Und wenn der 50) F. A l t h e i m , a. O. 1, 101 f.

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Etrusker sidi als einer Mutter Sohn fühlte, so war es auch da das physische Band des Blutes, das beide verband. Etruskische Kultur wollte vor allem dem Genuß eines schönen Daseins dienen. Was sie von den Griechen übernahm, hat sie in diesem Sinn gewendet; was sich nicht fügte, wie Philosophie, Tragödie, Geschichtsschreibung, homerisches Epos . . . , ließen die Etrusker beiseite. Denn diese Kultur wollte das Gegengewicht schaffen zur Einstellung auf Tod und Gräber, Nekromantie, Blitzlehre und Dämonenglaube, die gleichfalls etruskisch waren. Die Gladiatorenkämpfe, aus dem Totenkult hervorgegangen, wurden zum profanen Spiel, zur bloßen Lustbarkeit; dadurch stellten sie die Verbindung zwischen beiden Bereichen her. Wie denn im Totenkult sich Klagen und Lachen ergänzen, wie alles Spiel am Grabe die Neigung zum Überschäumenden und zum Burlesken in sich trägt. 4.

Das Erscheinen der Griechen in Italien, so sagten wir, besitzt eine Bedeutung, der nur die Einwanderung der Italiker selbst vergleichbar ist. Aus Roms Geschichte läßt sich das Griechentum nicht wegdenken. Denn dort vollzog sich erstmalig jene schöpferische Aufnahme, die seitdem bei jeder europäischen Kulturnation wiederkehrt. Hellenische Bildung wurde als menschliche schlechthin gefaßt, als überzeitliches und übernationales Vorbild. Weit entfernt davon, vorhandene Ansätze im Werden zu unterdrücken, hat Griechentum die nationalen Kräfte Roms freigemacht, in ihnen die Freude und Fähigkeit zu eigener Gestaltung geweckt. Im Gegenüber der übernommenen und der dadurch aufgerufenen eigenen Form wuchs Rom zur Größe. Dieser grundsätzlichen Feststellung wird nichts genommen, wenn man zugibt, daß die Wirkung jenes Vorbildes sich in Stufen vollzog. Audi haben die Griechen selbst ihre eigene und einmalige Form erst in allmählichem Gestaltungsprozeß erreicht. Von ihrer Berührung mit den alt-

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mittelländischen Kulturen haben sie die Spuren lange an sich getragen. — Der Handel ist der griechischen Kolonisation des Westens voraufgegangen 5 1 ). Bevorzugt war der Osten Siziliens, wo die Beziehungen in mykenische Zeit zurückreichten und mit dem Ende von P. Orsis dritter sikulischer Periode erneut einsetzten. Über Süditalien (Coppa Nevigata und Punta del Tonno) 5 2 ) geht die Einflußzone des ältesten Handels bis nach SUdetrurien, wo in Pyrgoi bei Caere eine griechische Siedlung nachgewiesen ist 53 ). Um die Mitte des 8. Jahrhunderts wurde Kyme von Chalkidiern aus Euboia angelegt 5 3 '). Dann gründeten sie Naxos auf Sizilien, Katane, Leontinoi und eine Faktorei auf der Ortygia. Es folgte eine zweite, dorische Welle. Megara und Korinth waren hier die Führenden. Man verdrängte die Vorgänger von Kerkyra, von der Ortygia und gründete Syrakus. Süditalien, aber auch der ganze Süden und Südoster Siziliens fiel den Doriern des Mutterlandes zu. Sie gewannen politisch und wirtschaftlich das Übergewicht; die korinthische Keramik verdrängte die der anderen Städte. Selbst Chalkis kam gegen die mächtige Stadt am Isthmos, mit ihrer Lage an zwei Meeren, mit dem Netz ihrer Kolonien nicht auf. T r o t z des Gegensatzes zwischen Ioniern und Doriern zeigt diese Kolonisation ein einheitliches Bild. Mit geringen Ausnahmen entstammten alle Ansiedler dem griechischen Mutterland. Dementsprechend fehlen bei ihnen die Götter des Kleinasiaten Homer. Kulte, die auf einer älteren Stufe verharrten, standen im Vordergrund. In Poseidonia (Paestum) erscheint Hera weitaus an erster Stelle. Stadt und Umgebung bildeten, wie man gesagt hat, einen einzigen 51) A. B l a k e w a y , B r i t . School Athens 1932—33. 170 f. 32) G . Säflund, Dragma M. P . Nilsson ¿58 f. 53) Die Zeugnisse bei F . A.hheim, a. O . 1, 117 5 3 a ) Auf Ischia fand sidl eine Nekropole mit protokorinthischer W a r e , so alt wie die ältesten Funde von K y m e : A. W . van Buren, Amer. J o u r n . Archeol. 1953, 212; vgl. 1949, 379.

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Altheim,

Römisd-.e Gesdiichte I

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Kultort dieser Göttin (K. Kerenyi). Weit später trat der Tempel des Poseidon hinzu, nach dem die Stadt heißt5311). Erst mit dem Ende des 6. Jahrhunderts trifft man in K y m e Apollon 54 ), aber auch er war mit der in der Erdtiefe hausenden Sibylle 65 ) verbunden. Uberall drängten sich in U n t e r italien Verehrung von Unterirdischen und Heroen, Beschwörung von Toten, Spuk und Geisterwesen in den V o r dergrund. In Sizilien herrschten Demeter und Kore, und nicht nur in Enna, auch in Akragas zeigt sich, daß sie den Kult sikulischer, also einheimisch-italischer Gottheiten fortsetzten 5 6 ). Die Grabungen in den Grotten unter S. Biagio 57 ), die untersten Schichten des Bezirkes der Demeter im Südwesten der Stadt 5 8 ) haben d a f ü r den Beweis erbracht. Auch sonst brach bei den sizilischen Griechen Einheimisches und mehr noch: Altmittelländisches durch. Freude am Kolossalischen äußert sich am Olympeion von Akragas. Der üppige Reichtum derselben Akragantiner und ihre Genußfreudigkeit waren berühmt: vergeblich suchte Empedokles dem Treiben seiner Mitbürger zu steuern. In Syrakus brachte die Komödie erstmalig die Gestalt des P a r a siten auf die Bühne; sie zeichnete das Bild des Fressers Herakles und führte den Speisezettel, der zur rechten sizilischen Mahlzeit gehörte, mit einem an Plautus gemahnenden Uberschwang vor. Schwelgerei und Prunksucht griffen nach Unteritalien über, wo Sybaris sich dadurch einen N a m e n machte . . . U n d überall erhob sich Tyrannis, die sich auf barbarische Söldner und auf den Demos stützte. Also auf die Schicht, die in vorgriechischen und vorindo53'>) C . Gottlieb, Amer. J o u r n . Ardieol. 57, 95 f. A. Maiuri, I campi Flegrei 144 f.; 121. 55) F. Altheim, a. O . 1, 122 f. 50) U . V. W i l a m o w i t z , D . Glaube d. Hell. 1, 88 Anm. 1; 2, 386 Anm. 2; H . H e r t e r , Rhein. Mus. 1941, 240 Anm. 9; vgl. D i o d . 5, 2, 3. 57) P. Marconi, Agrigento 21 f. 58) P. Marconi, Atti e memor. della soc. Magna Grecia 1931, 13 f.

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germanischen Tiefen wurzelnd, von den eingewanderten Hellenen mehr überlagert als umgeformt worden w a r . Auch griechisches Volkstum also erhielt sich in Italien nicht ungebrochen. Ihm drohte die gleiche Umbildung, die den Sikulern, den indogermanischen Italikern überhaupt ihre geschichtliche Gestalt a u f g e p r ä g t hatte. Pythagoras unternahm es, hier einzugreifen und eine politische und sittliche N e u o r d n u n g herbeizuführen 5 9 ). Er war Zeitgenosse, aber auch Gegner der übergewaltigen T y r a n n e n des 6. Jahrhunderts. E r sammelte v o m Adelsstaat, was noch lebendig war, forderte die Auswahl der Besten und die Beschränkung der politischen G e w a l t auf sie. Durch pythagoreische H a l t u n g gefestigt, errang K r o t o n den Sieg über das mächtige, aber allzu üppige Sybaris. Pythagoras bändigte auch die Überheblichkeit der Frauen, die etruskischen Vorbildern 6 0 ) nacheiferten, und lehrte sie wieder Keuschheit und Gehorsam gegen den Gatten. In seiner Seelenwanderungslehre vollzog sich die gleiche Scheidung zwischen Niederen und Ausgezeichneten, die sich in der Verfassung des pythagoreischen K r o t o n auswirkte. Wie alle männliche Ordnung unter dem Zeichen Apollons stand (und Pythagoras sich selbst als dessen Verkörperung, als den „hyperboreischen G o t t " , empfand), so die weibliche Welt unter dem der Demeter. Als göttliche Gestalt umschloß sie die Auseinandersetzung des Griechentums mit den mütterlich-erdhaften Mächten der altmittelländischen Schicht. W a s ihnen hier an Dauerndem und Bildungsfähigem entgegentrat, haben die Griechen aus ihrem Geist in Demeter neugestaltet. Pythagoras starb in Metapont, der Stadt, in der schon damals die beiden gewaltigen Apollontempel standen. D a s Sterbehaus des großen Mannes aber weihten die Metapontiner nach seinem T o d e der Demeter. K . K e r e n y i , P y t h a g p r a s u. O r p h e u s , A l b a e V i g i l . N . F . 9 ; F . A l t h e i m , a . O . 1, 129 f . 60) F . A l t h e i m ; a . O . 1, 132 f. 3*

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Italische u n d römische F o r m

2. Italische und römische Form 1. Die Funde aus der Val Camonica haben neues Licht auf die Frühgeschichte Italiens geworfen. Von der Einwanderung der Latiner ließen sich Verbindungslinien zur nordund mitteleuropäischen H e i m a t des indogermanischen ,,Rest"volkes 1 ) ziehen. "Wie hat sich das indogermanische Erbe im Römertum ausgewirkt? Die Frage stellen, heißt an eine Grundtatsache der römischen Geschichte rühren. Für Italien bedeuteten die Felsbilder einen Ausklang. Die Tektonik ihres Stiles zersetzt sich vor unseren Augen. N u r in der Abgeschiedenheit des Alpentals hielt sich diese altertümliche Kunst. Eine Fortsetzung in Latium fehlt. Wie die Dorer, Genossen der Illyrischen Wanderung, so wirkten die Latiner ihr Größtes im Staat: Rom steht neben Sparta. Doch wiederum ist ein Zusammenhang nicht greifbar. Fand der Felsbildstil keine Fortsetzung in Latium oder Rom, so besitzt umgekehrt der römische Staat keine erkennbaren Vorstufen. Er ist in allem eine Neuschöpfung. Es zeigt sich dasselbe Bild wie in der sprachlichen Entwicklung. Auch da ist das indogermanische Gesamtvolk ebensowenig unmittelbarer V o r f a h r des jeweiligen Einzelvolkes, wie dieses sich von jenem geradewegs ableiten läßt 2 ). Erneut erhebt sich die Frage, was indogermanisches Erbe sei. Die Götter Homers stellen eine der größten Schöpfungen indogermanischen Geistes dar. Aber weder Apollon noch Artemis, weder Athena noch Aphrodite tragen indogermanische Namen. Wenn sie gleichwohl am indogermanischen Wesen teilhaben, so darum, weil sie von H o m e r neugeschaffen wurden. Auch der homerische Zeus war fast in gleichem Maß Neuschöpfung wie Apollon und Athena. Ähnlich liegen die Verhältnisse in Rom. Einige wenige Linien lassen sich zwischen seinen Göttern und denen der 1) F . S p e d i t , D e u t s c h e L i t . - Z t g . 1932, 542 f . ; Z t s A r . f . v e r g i . 62, 29 f . ; 66, 4 f . ; 14; 71 f. 2) V g l . F . Specht, a. O . 62, 29.

Spradiwiss.

Italische u n d römische F o r m

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Val Camonica ziehen. Iupiter, Liber und Libera, Vorstellungen wie Sonnenrad und Sonnenscheibe, Gehen oder Umlauf der Sonne lassen sich zurückverfolgen 3 ). Aber erst in Rom wurde Iupiter zu dem von allem erdhaften Bezug gereinigten Gott des kapitolinischen Tempels 4 ); erst dort erhielten jene Vorstellungen in Sancus und Ianus göttliche Gestalt. Auch Vesta trägt gegenüber dem anzusetzenden indogermanischen H e r d - und Feuerkult 5 ) durchaus eigene Züge 6 ). Die skandinavischen Felsbilder und die der Val Camonica zeigen Hirschgötter und Verehrung des H i r sches7). Sie zeigen einen Kult der Dioskuren, die den elchgestaltigen Zwillingen der Wandalen, den AlcisH), gleichen. Wieder fehlt in Rom die Fortsetzung. Der Castorkult am Forum war griechischen Ursprungs und vom benachbarten Ardea übernommen 9 ). Dasselbe Bild geben andere Gebiete. Das vom N o r d e n mitgebrachte Megaron behauptete sich in Rom nur im Kult (Regia auf dem Forum 1 0 ); sonst traten an die Stelle die Rundhütte und das etruskische 11 ) Atriumhaus. Weder der römische rex noch der Diktator haben etwas mit indogermanischem Volkskönigtum zu tun 12 ). Nicht einmal der pater familias war urzeitliches Erbe, sondern Einrichtung erst des geschichtlichen Rom. U n d doch sind Götter, Staat und Recht Roms eine Schöpfung indogermanischen Geistes. Denn weniger die Bewahrung urtümlicher Inhalte, als die lebendige, ständig fortzeugende Form macht indogermanisches Wesen aus. In der Bilderwelt der Val Camonica spiegelt sich vieles 3) A l t h e i m - T r a u t m a n n , W ö r t e r u. Sachen N . F . 1, 26 f . ; 30 f . ; F . A l t h e i m , R o m . Gesch. 1, 143 f .