Ringen Um Israel: Intertextuelle Perspektiven Auf Das 5. Buch Esra 9789042935983, 9789042936836

English summary: 5 Ezra is the designation given to the first two chapters of 4 Ezra, an apocryphal "Jewish/Christe

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German Pages 332 [341] Year 2018

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Ringen Um Israel: Intertextuelle Perspektiven Auf Das 5. Buch Esra
 9789042935983, 9789042936836

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Ringen um Israel Studies on Early Christian Apocrypha (14)

Intertextuelle Perspektiven auf das 5. Buch Esra VERONIKA HIRSCHBERGER

PEETERS

Ringen um Israel

Studies on Early Christian Apocrypha Edited by J.N. Bremmer (editor-in-chief), I. Czachesz, T. Nicklas, M. Pesthy and L. Roig Lanzillotta. In recent decades the so-called apocryphal literature has increasingly drawn the attention of scholars interested in early Christianity, ancient history and the ancient novel. New editions of the most important texts have already appeared or are being prepared. We are therefore pleased to announce a new series, Studies on Early Christian Apocrypha (formerly called Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles). The editors welcome contributions on individual aspects of the main texts, be they proceedings of conferences or monographs.  1. The Apocryphal Acts of John, J.N. Bremmer (ed.), Kampen 1996  2. The Apocryphal Acts of Paul and Thecla, J.N. Bremmer (ed.), Kampen 1996  3. The Apocryphal Acts of Peter: Magic, Miracles and Gnosticism, J.N. Bremmer (ed.), Leuven 1998  4. The Acts of John: a Two-stage Initiation into Johannine Gnosticism, P.J. Lalleman, Leuven 1998  5. The Apocryphal Acts of Andrew, J.N. Bremmer (ed.), Leuven 2000  6. The Apocryphal Acts of Thomas, J.N. Bremmer (ed.), Leuven 2001  7. The Apocalypse of Peter, J.N. Bremmer and I. Czachesz (eds.), Leuven 2003  8. Commission Narratives: A Comparative Study of the Canonical and Apocryphal Acts, I. Czachesz, Leuven 2007  9. The Visio Pauli and the Gnostic Apocalypse of Paul, J.N. Bremmer and I. Czachesz (eds.), Leuven 2007 10. The Pseudo-Clementines, J.N. Bremmer (ed.), Leuven 2010 11. The Ascension of Isaiah, J.N. Bremmer, T.R. Karmann and T. Nicklas (eds.), Leuven 2016 12. Thecla: Paul’s Disciple and Saint in the East and West, J.W. Barrier, J.N. Bremmer, T. Nicklas and A. Puig i Tàrrech (eds.), Leuven 2017 13. Figures of Ezra, J.N. Bremmer, V. Hirschberger and T. Nicklas (eds.), Leuven 2018

Ringen um Israel Intertextuelle Perspektiven auf das 5. Buch Esra VERONIKA HIRSCHBERGER

PEETERS

A catalogue record for this book is available from the Library of Congress. © 2018, Uitgeverij Peeters, Bondgenotenlaan 153, 3000 Leuven ISBN 978-90-429-3598-3 eISBN 978-90-429-3683-6 D/2018/0602/69 All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

Inhaltsverzeichnis

Vorwortvii I

Einleitung1 1  Einleitungsfragen zu 5 Esra 1 2 Hinführung 11 3 Forschungsüberblick 17 4  Textauswahl und Fragestellung des Projekts 30 5 Methodik 33

II

1 Baruch38 1 Strukturvergleich 38 2 Motivvergleich 47 3 Fazit 89

III

Jeremia 791 1 Hinführung 91 2  Gemeinsame inhaltliche Grundlinien 92 3  Verbindende Formeln 107 4  Gemeinsame Motive 114 5 Fazit 120

IV Matthäusevangelium125 1 Hinführung 125 2  Mt 11,21–24 und 5 Esra 1,11; 2,8f. 126 3  Mt 23,34–39 und 5 Esra 1,28–33 132 4  Gemeinsamkeiten in eschatologischen Aussagen 142 5 Ersetzung Israels in Mt und 5 Esra? (Mt 21,28–22,14) 156 6 Fazit 172 V Offenbarung des Johannes174 1  Der Name Gottes und die Namen 174 2  Der Baum des Lebens 191

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inhaltsverzeichnis



3  5 Esra 2,33–48 4 Fazit

VI

4 Esra242



1 Hinführung 2  Zion als Mutter 3 Der Messias auf dem Zion und die friedliche Menge 4  Die Darstellung Esras 5 Fazit



208 240 242 243 252 258 265

VII Gesamtfazit267 VIII Anhang277

1 Übersetzung der Handschriftengruppe SA nach der Textausgabe von Weber (VUL) 277 2 Übersetzung der Handschriftengruppe CMNEVLK nach der Textausgabe von Bergren 286

IX

Literaturverzeichnis294

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Stellenverzeichnis319

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2016/17 von der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Für die Publikation wurde sie geringfügig überarbeitet; seit der Abgabe erschienene Literatur konnte nur noch teilweise berücksichtigt werden. Wie kommt man dazu, eine Doktorarbeit über 5 Esra zu schreiben, einen Text, den nicht einmal alle NeutestamentlerInnen kennen? Die Auseinandersetzung mit diesem Text, der mir sehr ans Herz gewachsen ist, verdanke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Tobias Nicklas, der mich nicht nur zur Promotion selbst ermutigte, sondern mir auch 5 Esra als Dissertationsthema empfahl und mir nicht nur damit die Welt der nicht-kanonischen Texte nahebrachte. Ich danke ihm sehr herzlich für seine Begleitung, seine Unterstützung, seine ­vielen Tipps und Gedanken und seine Menschlichkeit und Nahbarkeit! Ich durfte viel von ihm lernen – z.B. auch ein kritisches Herangehen an scheinbar selbstverständliche Denkweisen –, was mich persönlich bereichert hat. Ein sehr wichtiger Wegbegleiter war auch mein Zweitbetreuer, PD Dr. Franz Tóth, dessen kritischen und ideenreichen Geist ich sehr schätze. Durch sein breites Wissen und seine kreativen Denkansätze brachte er immer wieder neue Aspekte und Blickwinkel ein. Dankbar bin ich auch Prof. Dr. Matthias Henze, der mich mit wichtigen ForscherInnen in Kontakt brachte, mich unterstützte und auch das Zweitgutachten verfasste. Sein Einsatz für NachwuchswissenschaftlerInnen ist keineswegs selbstverständlich. Prof. Dr. Jörg Frey ermöglichte mir ebenso, die wissenschaftliche Welt kennenzulernen und mich zu vernetzen – herzlichen Dank dafür! Ein weiterer Dank gilt dem ganzen Team des Lehrstuhls für ­Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments in Regensburg; besonders hervorheben möchte ich J.-Prof. Dr. Michael Sommer, der

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vorwort

mir immer wieder wichtige Hinweise gab, und Dr. Veronika Niederhofer, mit der ich zehn Jahre an der Universität verbringen und teilen durfte. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Studies on Early Christian Apocrypha und die gute Unterstützung bei der Publikation danke ich dem Verlag Peeters, Prof. Dr. Jan Bremmer und Bert Verrept! Ein letzter und sehr großer Dank gilt meiner Familie, die für mich da war und ist, die mich ablenkte, aufbaute und die an mich glaubt. Die Zeit der Promotion hat mich geprägt, gefordert und begeistert. Ich bin sehr dankbar, dass mir dieser Weg ermöglicht wurde.

I Einleitung

1  Einleitungsfragen zu 5 Esra 1.1  Überlieferung 5 Esra wird in acht Haupthandschriften1 überliefert, die auch eine lateinische Version von 4 Esra und 6 Esra enthalten. Diese sind: § S – Codex Sangermanensis: Paris, Bibliothèque Nationale latin (11504-)11505; 821/22 n.Chr., aus St. Germain des Prés § A – Codex Ambianensis: Amiens, Bibliothèque Communale 10; 9. Jhd., aus Corbie § C – Codex Complutensis 1: Madrid, Biblioteca de la Universidad Central 31; 9.–10. Jhd., aus Alcalá de Heñares § M – Codex Mazarinaeus: Paris, Bibliothèque Mazarine (3-)4; 11.– 12. Jhd., aus Cordeliers § N – Codex Bruxellensis: Brüssel, Bibliothèque Royale 1er Série (9107-)9109(-9110); 12. Jhd., unbekannter Ursprung § E – Codex Epternacensis: Luxemburg, Bibliothèque Nationale 264; 1051–1081, aus Echternach § V – Codex Abulensis: Madrid, Biblioteca Nacional vitr. 15-1; 12.–13. Jhd., aus Avila § L – Codex Legionensis 2: León, Real Colegiate de San Isidoro I,3; um 13002, aus León

  Vgl. hierzu die ausführliche Untersuchung in Bergren, Theodore A., Fifth Ezra. The Text, Origin and Early History (SCSt 25), Atlanta 1990, 39–58; 93–145 sowie die Erklärungen in Wolter, Michael, 5. Esra-Buch, 6. EsraBuch (JSHRZ III,7), Gütersloh 2001, 768–774. 2   Wolter (769) gibt 1162 als Entstehungszeit an; dies beruht auf der Einordnung von Berger (Berger, Samuel, Histoire de la Vulgate pendant les premiers siècles du moyen âge, New York 1893, 21.), während Violet (Violet, Bruno, Die Esra-Apokalypse (IV. Esra). Erster Teil, Die Überlieferung (GCS 18), Leipzig 1910, XXI–XXIV.) sich für 1300 ausspricht. Bergren folgt Violets Argumentation (vgl. Bergren, Fifth Ezra, 53.). 1

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Eine besondere Stellung hat Handschrift K inne, die nur den Text von 5 Esra 1,1–2,20 enthält, jedoch keine Auszüge von 4 oder 6 Esra: § K – Codex Victorensis: Paris, Bibliothèque Nationale latin 14233; 13. Jhd., wahrscheinlich aus Chesnay (Nièvres) Diese Handschriften werden in zwei Gruppen eingeteilt, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf zwei Rezensionen basieren: Die Handschriften SA werden als sogenannte ‚französische‘ Gruppe, die Handschriften CMNEVLK als ‚spanische‘ Gruppe zusammengefasst. In den acht Handschriften, die 4–6 Esra enthalten, werden die Texte in unterschiedlicher Reihenfolge aufgeführt: Während die Handschriften SA 5 Esra vor 4 und 6 Esra positionieren, in S sogar getrennt von diesen durch 3 Esra 1,1–2,15,3 erscheinen die Texte in den spanischen Handschriften in der Reihenfolge 4-6-5 Esra und als Einheit; der Beginn von 5 Esra wird „durch eine etwas vergrößerte Initiale (E; M), durch den Beginn einer neuen Zeile (C; V) oder durch eine eigene Epitome“4 (L) markiert. Diese unterschiedlichen Auflistungen und Abtrennungen der Texte weisen darauf hin, dass 4, 5 und 6 Esra selbstständige Schriften darstellen, die zuerst unabhängig voneinander verbreitet wurden. Die Überlieferungsgeschichte deutet auf einen stärkeren Bezug zwischen 4 und 6 Esra, was Bergren zu der Annahme führt, dass zuerst diese Texte zusammengefügt wurden und später 5 Esra hinzukam5. Die Rezeptionsgeschichte von 4–6 Esra zeigt, dass dem Korpus z.T. ‚autoritativer‘ oder sogar ‚kanonischer‘ Rang zugesprochen wurde, während die Schriften in anderen Kreisen anscheinend nicht beachtet wurden oder bekannt waren, was sich darin zeigt, dass keine Übersetzungen des Textes in orientalischen Sprachen erhalten sind.6 Das Konzil von Trient nahm 2 Esdras 1546 zusammen mit 1 Esdras und dem Gebet des Manasse in den Anhang der Vulgata auf7, wo sich die Schriften auch in heutigen Ausgaben noch finden.   Die Handschrift A schließt 5 Esra durch Incipit und Explicit von 4 Esra ab (vgl. Bergren, Fifth Ezra, 47.). 4   Wolter, 5. Esra-Buch, 772. 5   Vgl. Bergren, Theodore A., Christian Influence on the Transmission History of 4, 5 and 6 Ezra, in: VanderKam, James C., Adler, William (Hg.), The Jewish Apocalyptic Heritage in Early Christianity, Assen u.a. 1996, 102–127, hier 117. 6   Vgl. auch Bergren, Fifth Ezra, 6. 7   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 6. 3



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Die Frage nach der Priorität der beiden Handschriftengruppen ist kaum abschließend zu beantworten. Während in Übersetzungen und Kommentaren8 beinahe immer der französischen Handschriftengruppe der Vorzug gegeben und nur in Fußnoten bzw. im Anhang auf die Varianten der spanischen Handschriften verwiesen wurde, spricht sich Bergren nach einer genauen Untersuchung9 für die grundsätzlich größere Originalität der spanischen Handschriften aus10, wie sie auch James11 und Kraft12 vertreten. Seine Fassung eines lateinischen Textes 5 Esras ist eklektisch, d.h. er wählt bei zweifelhaften Stellen die Version, die er für den Archetyp des Textes hält. Eine bessere Entscheidung trifft m.E. Wolter13, der die Übersetzungen beider Handschriftengruppen nebeneinanderstellt14. Dasselbe Vorgehen soll auch in dieser Arbeit angewendet werden, um den Blick auf den Text durch eine derartige Vorentscheidung nicht zu verengen.15 8   So geschehen bei Bensly, Rießler, Oesterley, Myers, Knibb, Metzger und Geoltrain. 9   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 153–224. 10   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 207. 11   Vgl. Bensly, Robert L., The Fourth Book of Ezra. The Latin Version edited from the Mss by the late Robert L. Bensly. With an Introduction by Montague Rhodes James (TaS 3,2), Cambridge 1895, xlvi. 12   Vgl. Kraft, Robert A., Exploring the Scripturesque. Jewish Texts and their Christian Contexts (JSJ.S 137), Leiden 2009, 161. 13   Ebenso verfährt Labourt (Labourt, M. J., Le cinquième livre d’Esdras, in: RB 18 (=NS 6) (1909), 412–434). 14   Er begründet dies folgendermaßen: „Wenn im Folgenden trotzdem der Text beider Rezensionen übersetzt wird, so hat dies seinen Grund vor allem darin, dass der Abstand zwischen ihnen an vielen Stellen so groß ist, dass es überaus schwer fällt, mit Hilfe der lokal-genealogischen Methode die ursprüngliche Lesart zu rekonstruieren: Es lässt sich häufig kein Kriterium benennen, das es ermöglichte, die eine Lesart als Veränderung der anderen zu erklären. Hinzu kommt noch, dass in Einzelfällen der französische Text auch nach dem Urteil Th. A. Bergrens der ältere ist (z.B. in 1,24–26.31; 2,3.12.33) und dass manche seiner Entscheidungen zugunsten des spanischen Textes diskutierbar sind.“ (Wolter, 5. Esra-Buch, 774.). 15   Bereits die Entscheidung für eine bestimmte Textedition ist eine Vorentscheidung: Die Ausgabe der Handschriften SA bei Bensly unterscheidet sich z.B. in ihren Details von der der Vulgata nach Weber. Zudem existiert als Ausgabe der Handschriften CMNEVLK nur die eklektische Fassung von Bergren, die er in Fifth Ezra veröffentlicht – darin wählt er immer wieder die von ihm vermutete Urfassung 5 Esras und nennt den Text der spanischen

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1.2  Datierung Die zeitliche Einordnung 5 Esras ist verbunden mit Entscheidungen über literarische Bezüge des Textes zu anderen Schriften. Stimmt man Bergrens Ansicht zu, dass 5 Esra das Buch 1 Baruch rezipiert16, so kann als terminus a quo das zweite Jahrhundert v.Chr. festgelegt werden. Eine Verbindung zwischen 5 Esra und dem Matthäusevangelium17 bzw. 4 Esra, wie sie von Stanton und Geoltrain vertreten wird, verschiebt den terminus a quo auf etwa 100 n.Chr. Da Bergren Lateinisch oder Griechisch als Ursprungssprache 5 Esras annimmt, folgert er, dass 4 Esra dem Verfasser womöglich ebenso auf Lateinisch oder Griechisch vorlag; dies führt ihn zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt 130 n.Chr.18 Als terminus ad quem kann etwa 400 n.Chr. bestimmt werden, da 5 Esra von verschiedenen Schriften aufgegriffen wird, deren Entstehungszeit unsicher ist, jedoch im fünften Jahrhundert vermutet wird. Die Zitierung eines „Esra“-Wortes in den Acta Silvestri (wahrscheinlich 5. Jhd.), das auf eine Interpolation 5 Esras Bezug nimmt, die sich nur in den Handschriften MNE findet19, legt den Schluss nahe, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine textgeschichtliche Entwicklung 5 Esras stattgefunden hat; dies spricht für eine eher frühe Datierung. Ein weiterer wichtiger Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung des Textes ist seine Aussage: Meist wird in 5 Esra eine Auseinandersetzung zwischen Christen- und Judentum gesehen, die auf der Notwendigkeit einer Abgrenzung beruht; dies würde darauf hindeuten, dass noch keine klare Trennung der Gruppen vollzogen Handschriften in Klammern. Für diese Arbeit wurden für die französische Fassung die Ausgabe von Weber, für die spanische Fassung die von Bergren gewählt, wobei die von ihm in Klammern gesetzten Formulierungen vorgezogen wurden. 16   S. hierzu den Überlick über die Forschungsgeschichte, der unter Punkt 3 der Einleitung erfolgt. 17   Die Datierungsversuche des Matthäusevangeliums reichen von 40 n.Chr. bis nach 100 n.Chr.; eine Übersicht über die Positionen geben Davies und Allison, Matthew 1–7, 127f. Die meisten Forscher sprechen sich entweder für eine Entstehung zwischen 60 und 80 n.Chr. oder zwischen 80 und 100 n.Chr. aus (vgl. Evans, Craig A., Matthew (NCBiC), Cambridge 2012, 4f.; Davies, W. D., Allison, Dale C., The Gospel according to Saint Matthew 1. Matthew 1–7 (ICC), London, New York 2006 (repr.), 127–138.). 18   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 24. 19   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 131–133.



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war, was wiederum auf eine Frühdatierung des Textes verweisen würde. Als Konsens der Forschung kann somit ein Entstehungszeitraum von 130 bis 250 n.Chr. angenommen werden. 1.3  Lokalisierung Bergren schreibt zum Entstehungsort 5 Esras 1990: „It is my opinion that none of the arguments previously advanced for a particular provenance for 5 Ezra is defensible, and that the contents of the book offer no grounds for determining its place of composition.“20 Diese Aussage hat auch heute noch Gültigkeit. Weder die Handschriftensituation noch sprachliche Beobachtungen lassen einen klaren Schluss darauf zu, wo 5 Esra entstand. Bergren selbst geht in seinem Kommentar in den OTP zwar einerseits weiterhin von der Offenheit dieser Frage aus, für ihn deutet das Mater Ecclesia-Motiv, das er mit der Benutzung bei Tertullian und Cyprian in Verbindung bringt, aber andererseits auf eine Entstehung in Nordafrika hin21. Hogan weist in ihrer Untersuchung der Tradition des Motives jedoch auf, dass sich in 5 Esra eine frühere Form findet als bei Tertullian und Cyprian, weshalb die Frage nach dem Entstehungsort 5 Esras auch weiterhin als offen bezeichnet werden muss.22 1.4  Gattung Die Frage nach der Textgattung 5 Esras weist die Problematik der Kategorien auf, wie ein Blick in die Forschungsgeschichte zeigt: 5 Esra wird teilweise als Apokalypse23, teilweise als prophetische   Bergren, Fifth Ezra, 26.   Vgl. Bergren, Theodore A., Fifth Ezra. A new Translation and Introduction, in: Bauckham, Richard u.a. (Hg.), OTP 1. More noncanonical Scriptures, Grand Rapids 2013, 467–482, hier 473. 22   Vgl. Hogan, Karina Martin, Mother Zion or Mother Church? The Use of Baruch in 5 Ezra (SBL Paper des Annual Meeting), Atlanta 2015. [bisher unveröffentlicht] 23   So geschehen bei Daniélou (vgl. Daniélou, Jean, Le Ve Esdras et le judéo-christianisme latin au second siècle, in: Ex orbe religionum 1. Studia Geo Widengren (SHR 21), Leiden 1972, 162–171, hier 171.), Geoltrain (vgl. Geoltrain, Pierre, Remarques sur la diversité des pratiques discursives apocryphes. L’exemple de 5 Esdras, in: Apocrypha 2 (1991), 17–30, hier 21.), Labourt (vgl. Labourt, Livre, 412.) und Hahn (vgl. Hahn, Ferdinand, Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik: Eine Einführung (BThSt 36), Neukirchen-Vluyn 1998, 148.). 20 21

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Schrift24 bezeichnet; Stanton und Kraft verstehen den Text hingegen als „apocalyptic prophecy“25 bzw. als Text „in a prophetic-­apocalyptic presentation“26. Der erste Teil 5 Esras orientiert sich stark an den prophetischen Texten des Alten Testaments; prophetische Formeln wie Haec dicit Dominus oder Verkündigungsaufträge wie Annuntia populo meo sind ebenso zu finden wie die Darstellung Esras als Prophet und ein Geschichtsverständnis, das sich an das der Prophetenbücher anlehnt. Ab 5 Esra 2,33 häufen sich Motive apokalyptischer Texte, doch erst mit 2,42 tritt in der Vision Esras ein angelus interpres auf und eine Art transzendenter Realität ist zu erkennen. Dies führt Bergren dazu, 5 Esra insgesamt als prophetische Schrift, 2,42– 48 jedoch als „an ‚apocalypse‘ in the formal sense of the word“ zu klassifizieren27. 5 Esra vereint also ‚prophetische‘ und ‚apokalyptische‘ Elemente; eine klare Kategorisierung dieser Elemente ist ebenso wie eine deutliche Trennung von Texten prophetischen und apokalyptischen Charakters nicht möglich. 1.5  Abfassungssprache 5 Esra ist durch die handschriftliche Überlieferung nur lateinisch erhalten, es sind bisher keine griechischen oder anderen Textstücke als Fragmente gefunden worden, wie dies für 6 Esra der Fall ist. Während nach Hilgenfeld28 in der Forschung – „seemingly with more strength of conviction than positive evidence“29 – meist für den lateinischen Text30 ein griechisches Original angenommen wurde,31 bietet   Bei Knibb (vgl. Knibb, Michael A., The Second Book of Esdras, in: Coggins, R. J., Knibb, M. A. (Hg.), The First and Second Books of Esdras (CNEB), Cambridge 1979, 76–305, hier 77.) und Myers (Myers, Jacob M., I and II Esdras. Introduction, Translation and Commentary (AncB 42), New York 1974, 153.). 25   Stanton, Graham N., 5 Ezra and Matthean Christianity in the Second Century, in: JThS 28 (1977), 67–83, hier 81. 26   Kraft, Exploring, 152. 27   Vgl. Bergren, Fifth Ezra (OTP), 470. 28   Hilgenfeld, Adolf, Messias Judaeorum. Libris eorum Paulo ante et Paulo post Christum natum conscriptis illustratus, Leipzig 1869. 29   Bergren, Fifth Ezra, 283. 30   Hilgenfeld berücksichtigt nur die ‚französische‘ Handschriftengruppe. 31   Dies beruht jedoch auf der Annahme Hilgenfelds, dass 5 und 6 Esra derselben Schrift angehören. 24



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Bergren in seiner Monographie eine ausführliche Untersuchung32 des „internal textual, lexical and grammatical evidence“33. Er zeigt auf, dass die von Hilgenfeld vorgebrachten scheinbaren Belege dafür, dass 5 Esra eine Übersetzung ist, auch in lateinisch verfassten Texten verbreitet sind.34 Bergren kommt zu dem Ergebnis, dass „none of the evidence put forth here definitely resolves the question of the original language of 5 Ezra“35. Es sind also weder Hebräisch, Aramäisch, Griechisch noch Lateinisch als Originalsprache 5 Esras auszuschließen; da es aber keine Anzeichen für ein semitisches Original gibt, jedoch einige „Gräzismen“ im Text, die auch in lateinischen Texten gebraucht wurden, sind ein lateinisches oder griechisches Original für 5 Esra am wahrscheinlichsten.36 1.6  Rezeption Die Schrift De Altercatione Ecclesiae et Synagogae stammt wahrscheinlich aus dem fünften Jahrhundert n.Chr.37 und wurde im Mittelalter fälschlicherweise Augustinus zugeschrieben38. Sie schildert den Disput zwischen zwei Frauen, Ecclesia und Synagoga, in der Art einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Als Teil ihrer Argumentation greift Ecclesia dreimal Passagen aus 5 Esra auf und bezeichnet dabei Esra als Propheten: (1) Certum habeo quod legisti sed quae legeris retinere non potes et ipsud agnosco redire, sed recole scriptum: Et adnuntient filii filiis suis quoniam peccata parentum suorum in filiis creverunt et iam non laxabo illis dicit Dominus. (vgl. 5 Esra 1,5f.) (2) Lege quid tibi Esdras ex persona salvatoris scripserit: Ad meos veni, et mei me non cognoverunt. Quid faciam tibi Iacob? Noluit

  Vgl. hierzu Kapitel 7 von Bergren, Fifth Ezra (283–312).   Bergren, Fifth Ezra, 283. 34   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 294f. 35   Bergren, Fifth Ezra, 306. 36   Bergren nennt als Beispiele für „Gräzismen“ Partizipalkonstruktionen wie in 5 Esra 1,17 (CMNEVLK) Et in via deserta esurientes et sitientes proclamastis und finale Infinitive wie in 5 Esra 1,19 (CMNEVLK) manna vobis dedi manducare (Bergren, Fifth Ezra, 304.). 37   Vgl. Hillgarth, Jocelyn N., Altercatio Ecclesiae et Synagogae (CCSL 59A), Turnhout 1999, 8. 38   Vgl. Hillgarth, 3. 32 33

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me obaudire Iuda, transferam me ad alteram gentem.39 (vgl. 5 Esra 1,24) (3) Nam memor es quid ex persona tua Esdras ille propheta tuus exclamet ubi filiis tuis miserabilem servitutem indixisti: Ite filii quia vidua sum et derelicta, educavi vos cum laetitia, amisi vos cum luctu et tristitia.40 (vgl. 5 Esra 2,2f.)

Die ersten zwei genannten Stellen sind der Fassung der spanischen Handschriften 5 Esras näher, die dritte Stelle den französischen Handschriften. Interessant ist außerdem, dass 5 Esra in der Altercatio selbstverständlich neben Texten aus dem Alten und Neuen Testament aufgegriffen wird, so dass es als Schrift kanonischen Ranges erscheint: So wird zum Beispiel Jes 33,10 als Zitat angeführt und mit den Worten Lege Esaiam prophetam qui ex persona salvatoris ait41 eingeleitet, Dan 12,4 mit den Worten Sicut et Daniel scripsit42. Die Acta Silvestri, auch Actus oder Vita Silvestri genannt, werden ebenso meist in das fünfte Jahrhundert n.Chr. datiert. Sie umfassen legendarische Erzählungen über Silvester, Papst und Bischof von Rom zwischen 314 und 335 n.Chr. Im Rahmen einer Debatte zwischen dem Bischof und jüdischen Gegnern zitiert Silvester einen Ausspruch „Hesdras“, der sich in einem Abschnitt 5 Esras findet, der nur in MNE enthalten ist und von Bergren als Interpolation eingeordnet wurde43: Nam quia vinculis eorum ligandus esset, et crucifigendus in ligno, dicit sanctus Hesdras: ‚Vinxistis me non sicut patrem, qui liberavit nos [sic] de terra Aegypti, clamantes ante tribunal iudicis; humiliastis me suspensum in ligno; tradidistis me.‘

Die Handschriften MNE geben für 5 Esra 1,32abc diesen Text an: Haec dicit Dominus omnipotens novissime et in me manus vestras iniecistis acclamantes ante tribunal iudicis ut me traderet vobis accepistis me tanquam iniquum non ut patrem qui vos liberavi de servitute et suspensum ligno morti tradidistis haec est opera quam operati estis ideoque dicit Dominus redeat pater meus et angeli eius et iudicent inter me et vos si patris mandatum non feci si non vos alui si non feci quae pater meus iussit iudicio vobis cum contendam dicit Dominus     41   42   43   39 40

Bei Hillgarth entspricht dies Z. 172–175. Bei Hillgarth entspricht dies Z. 551–554. Vgl. bei Hillgarth Zeile 436f. Vgl. bei Hillgarth Zeile 585f. Die Textfassung folgt Bergren, Fifth Ezra, 63.



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Die Acta greifen diesen Abschnitt 5 Esras also nur teilweise und eher frei auf; da diese Verse überdies in allen anderen Haupt-Handschriften nicht enthalten sind, können sie zwar einen Hinweis für die zeitliche Einordnung 5 Esras darstellen, geben aber keinen weiteren Aufschluss für die Rezeptionsgeschichte 5 Esras. Zahlreiche Parallelen sind zwischen 5 Esra und der mozarabischen und römischen Liturgie, in Antiphonen, Antwortsätzen und anderen Formeln zu erkennen. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Schreiber dieser liturgischen Formeln, die aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Orten stammen, auf 5 Esra zurückgriffen, was bedeuten würde, dass der Text als autoritativ betrachtet wurde. Die klarsten Bezüge 5 Esras lassen sich zur mozarabischen Liturgie erkennen; Bergren gibt den Text einer Handschrift aus dem zehnten Jahrhundert aus León, Spanien, an: Dabo sanctis meis regnum in Iherusalem, lignum enim vite erit eis in odorem ungenti, et non laborabunt neque fatigabuntur, alleluia. (ff. 31r l. 16 – 31v l. l) (vgl. 5 Esra 2,10.12) Sanctificabo te, Iherusalem, dicit dominus: et dabo sanctis meis regnum, tabernacula aeterna que (pre)parabi illis in odorem ung(u)enti. (f. 263r, 11. 4–5 and f. 263v, 11. 8–9) (vgl. 5 Esra 2,10–12.18) In proximo est advenire vobis salvator vester, dicit dominus: vigilate, sobrii estote, testor vobis celum et terram, ut auferam a vobis mala et creabo vobis bona. (f. 64v 11. 8–9) (vgl. 5 Esra 2,13f.) Iherusalem confortetur cor tuum, dicit dominus, quia te elegi matrem filiorum Israel, alleluia: montes tui manabunt lacte, et cholles producent in pulcritudinem rosas et lilia alleluia, et dabitur tibi et filiis tuis gaudium sempiternum. (f. 52r 11. 1–5) (vgl. 5 Esra 2,17.19) Elegi et sanctificavi vos, dicit dominus: praeparavi vobis montem florentem rosas et lilia, ut gaudio repleamini usque in sempiternum. (f. 218r, 11. 5–6) (vgl. 5 Esra 2,17–19) Dabo sanctis meis primam sessionem, dicit dominus in resurrectione eterna, et exquiram illos in gaudio magno: et lux perpetua lucebit eis alleluia, et eternitas temporum preparata est illis, alleluia alleluia. (f. 239r, 11. 7–9) (vgl. 5 Esra 2,23.31.35) Lux perpetua lucet in sanctis, aeternitas temporum data est illis a domino Deo. (f. 248r, 1. 10) (vgl. 5 Esra 2,35) Accipite iucunditatem glorie vestre alleluia, gratias agentes deos [sic] qui vos ad celestia regna vocabit, alleluia alleluia alleluia. (f. 100r, 11. 13–14) (vgl. 5 Esra 2,36f.) Hii sunt qui mortale [sic] tunicam deposuerunt et inmortalem vitam sumpserunt, et confesssi sunt nomen Dei viventis: modo coronantur et accipiunt palmas. (f. 218v, 11. 4–5) (vgl. 5 Esra 2,45)

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In der römischen Liturgie44 finden sich weniger Parallelen zu 5 Esra, zudem meist solche, die auch in der mozarabischen Liturgie enthalten sind. Sie sind Teil des Introitus und des Graduale der Missa pro Defunctis, der Antiphon und des Responsoriums des Commune de Sanctis TP, des Introitus in der Messe am Dienstag nach Pfingsten, der Antiphon des Commune plurim. Martyrum und der Antiphon und des Responsoriums des Commune Apost. Auch die Improperien45 der Karfreitagsliturgie weisen Bezüge zu 5 Esra 1,7–23 auf. Diese zahlreichen Bezugnahmen auf 5 Esra durch die Verfasser liturgischer Texte lassen erkennen, dass 5 Esra für sie als autoritativer Text galt. Eine Kenntnis 5 Esras ist wahrscheinlich auch den Inventiones Nominum zu entnehmen, die eine Auflistung von Personen enthält, die denselben Namen tragen. Zwei Handschriften aus dem 8. Jahrhundert, eine aus St. Gallen (G), die andere aus Albi (A), überliefern die Listen in unterschiedlicher Länge. G28 erklärt „Chusi“ mit folgenden Worten: Tres sunt Chusi, unus est filius Archi amicissimus David; secundus est pater Soffoniae prophetae; tercius est Chusi pater Hesdrae prophetae maioris.   Vgl. hierzu Marbach, Carl, Carmina Scripturarum. Scilicet Antiphonas et Responsoria ex Sacro Scripturae fonte in libros liturgicos Sanctae Ecclesiae Romanae derivata, Hildesheim 1963, 537f. 45   Pópule meus, quid feci tibi? Aut in quo contristávi te? Respónde mihi. Quia edúxi te de terra Ægýpti: parásti Crucem Salvatóri tuo. […] Quia edúxi te per desértum quadragínta annis, et manna cibávi te, et introdúxi te in terram satis bonam: parásti Crucem Salvatóri tuo. […] Quid ultra débui fácere tibi, et non feci? Ego quidem plantávi te víneam eléctam meam speciosíssimam: et tu facta es mihi nimis amára: acéto namque sitim meam potásti, et láncea perforásti latus Salvatóri tuo. […] Ego propter te flagellávi Ægýptum cum primogénitis suis: et tu me flagellátum tradidísti. […] Ego edúxi te de Ægýpto, demérso Pharaóne in Mare Rubrum: et tu me tradidísti princípibus sacerdótum. […] Ego ante te apérui mare: et tu aperuísti láncea latus meum. […] Ego ante te præívi in colúmna nubis: et tu me duxísti ad prætórium Piláti. […] Ego te pavi manna per desértum: et tu me cecidísti álapis et flagéllis. […] Ego te potávi aqua salútis de petra: et tu me potásti felle et acéto. […] Ego propter te Chananæórum reges percússi: et tu percussísti arúndine caput meum. […] Ego dedi tibi sceptrum regále: et tu dedísti cápiti meo spíneam corónam. […] Ego te exaltávi magna virtúte: et tu me suspendísti in patíbulo Crucis. Pópule meus, quid feci tibi? Aut in quo contristávi te? Respónde mihi! (Missale Romanum ex Decreto Sacrosancti Œcumenici Concilii Vaticani II instauratum Auctoritate Pauli PP. VI promulgatum. Editio Typica, Typis Polyglottis Vaticanis 1970, 259–61.) 44



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Damit nimmt es wohl Bezug auf die Beschreibung Esras in der Fassung der spanischen Handschriftengruppe von 5 Esra 1,4 als Sohn des Chusi. Esra selbst wird in G49 bzw. A45 folgendermaßen beschrieben: G49 DUO sunt Hesdrae, unus est propheta filius Chusi ad quem Dominus de rub(o) sicut ad Moysen locutus est, quique memoria sua renovavit divinas scripturas quas Nabuchodonosor incenderat. Litterasque hebraeicas Iudeis inmutasse, et fecisse eis litteras Assirias, ut non conmiscerentur Samaritanis. In diversa manu scribuntur, ipse dictus est iure peritus. Alius est Hesdra filius Helia, scriba, sacerdos et doctor, qui cum reliquo populo de captivitate Babilloniae ascendit. Inter ambos autem sunt anni ferme c. A45 Duo sunt Esdre unus profheta filius Cusi ad quem dominus de rubo locutus est qui et legem renobabit alius sacerdos scriba et doctor legis qui reversus est de captibitate Babylonis. Inter ambos sunt anni 1(?).

Die Inventiones Nominum verstehen Esra also übereinstimmend als Propheten und Sohn des Chusi, womit sie offensichtlich Bezug nehmen auf die spanische Fassung von 5 Esra. Gleichzeitig deutet die Beschreibung Esras als desjenigen, der die Schriften erneuerte, darauf hin, dass 4 und 5 Esra vom Autor der Inventiones entweder vermischt wurden oder ihm als eine Schrift vorlagen. 2  Hinführung 5 Esra fand in der Forschung bisher – unverdientermaßen – keine große Beachtung, wie auch Bergren in der einzigen Monographie, die bis heute zu 5 Esra veröffentlicht wurde, feststellt: „Due largely to its brevity, its usual characterization as a mere ‚appendix‘ to the ‚great apocalypse‘ of 4 Ezra, and the fact that it is usually regarded as Christian while 4 Ezra is considered Jewish, 5 Ezra (together with its ‚sibling‘ 6 Ezra) has been subject to relatively little scholarly attention. The fact that a full critical edition of the book‘s text has not previously been produced is sufficient witness to this lack of regard.“46 Ein wichtiger Aspekt, weshalb 5 Esra bisher eher vernachlässigt wurde, ist sicherlich zudem, dass der Text durch das (vorschnelle) Einordnen in bestimmte Kategorien reduziert wird, indem er als   Bergren, Fifth Ezra, 7.

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‚­apokalyptischer‘ Text betrachtet wird, als ‚christliche‘ Antwort auf 4 Esra oder als Beispiel christlicher Substitutionstheorien. Erst die Infragestellung scheinbar selbstverständlicher Kategorien in der neutestamentlichen Forschung in den letzten Jahren und Jahrzehnten machte es möglich, das Potential 5 Esras wahrzunehmen und den Text als ein wertvolles Beispiel der Vielfältigkeit des religiösen Lebens im 2. Jhd. n.Chr. einzuordnen, die sich in den so unterschiedlichen Schriften dieser Zeit zeigt. Denn 5 Esra ist Teil verschiedener Themenfelder, in denen sich in der Forschung in den letzten Jahren viel bewegte und veränderte: (1) Bedeutete bereits das „Parting of the Ways“-Konzept „einen großen Schritt nach vorn“47, da es die Vorstellung von ‚einem Christentum‘, das ‚das Judentum‘48 abgelöst habe, infrage stellt, so bemüht man sich in der heutigen Exegese, noch präziser und noch kritischer zu sein: Die Kategorien ‚jüdisch‘ und ‚christlich‘, die von unserer heutigen Erfahrung zweier getrennter Religionen geprägt sind, werden hinterfragt49 und es wird darauf verwiesen, dass im 2. Jhd. noch nicht   Nicklas, Tobias, Juden und Christen? Sollen wir weiter von den Wegen sprechen, die sich trennten? in: ZNT 37 (2016), 53–57, hier 53. 48   Himmelfarb betont, dass man in der Zeit des Zweiten Tempels nicht von ‚dem Judentum‘ sprechen könne: „In the Second Temple period we need to speak, not of a single Judaism, but of varieties of Judaism.“ (Himmelfarb, Martha, The Parting of the Ways Reconsidered: Diversity in Judaism and Jewish-Christian Relations in the Roman Empire: ,A Jewish Perspective‘, in: Fisher, Eugene J. (Hg.), Interwoven Destinies. Jews and Christians through the Ages (SJC), New York, Mahwah 1993, 47–61, hier 48.). 49   So stellt Frankfurter fest: „However, ‚history, rightly done, must err on the side of radical nominalism,‘ as Jacob Neusner once said, and nowhere has this challenge to old categories and their reification been more necessary, and more productive, than in the traditional model of a ‚Christianity‘ emergent and separate from a ‚Judaism.‘ For there was not only an immense diversity within these two religious clusters but also a mutual influence persisting through Late Antiquity. And most importantly for this paper, there is evidence for a degree of overlap in self-definition that, all things considered, threatens almost every construction of an historically distinct ‚Christianity‘ before at least the mid-second century.“ (Frankfurter, David, Beyond „Jewish Christianity“. Continuing Religious Sub-Cultures of the Second and Third Centuries and their Documents, in: Becker, Adam H. u.a. (Hg.), The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages (TSAJ 95), Tübingen 2003, 131–143, hier 132; Hervorhebungen durch den Autor.). 47



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umfassend von eindeutig getrennten ‚jüdischen‘ und ‚­christlichen‘ Gruppen gesprochen werden kann, „die sich durch feste, klar erkennund definierbare Identitätsstrukturen voneinander abgrenzen lassen.“50 Nicklas beschreibt das mögliche Zu-, Neben- und Miteinander der damaligen Gruppen mit folgendem Bild: „Wir sehen von außen auf eine Gruppe von Tänzern, die sich fortwährend bewegen und in unterschiedlichen Phasen des Tanzes mit unterschiedlichen Partnern tanzen. Je nachdem, aus welcher Distanz und aus welcher Perspektive wir uns dem Tanz nähern, entstehen verschiedene Muster – nicht jeder tanzt mit jedem oder berührt sich mit jedem, einige Teilnehmer formen Gruppen, einige Paare bleiben wenigstens für einen Teil des Abends beisammen, andere vermeiden den Kontakt und beeinflussen sich schon dadurch gegenseitig. Das Zueinander wirkt komplex, von bestimmten Perspektiven chaotisch, manchmal jedoch werden Ordnungen sichtbar. Ich denke, es macht Sinn, ein derartiges Bild auch auf unsere Vorstellungen antiker christlich-jüdischer Beziehungen zu übertragen. Unsere Perspektive heute jedoch ist höchst problematisch, wir sehen nie den ganzen Tanz, sondern – vielleicht nur durch das Schlüsselloch aufgenommene Schnappschüsse einzelner Szenen. […] Unsere Konstruktionen von Geschichte müssen deswegen immer berücksichtigen, dass sie nur Fragmente vergangener Realitäten vorfinden – und wir das große Ganze nur in Ansätzen zu erfassen vermögen.“51

Die Problematik der Einordnung von Werken aus dem 1. und 2. Jhd. als ‚jüdisch‘, ‚christlich‘, ‚judenchristlich‘ oder ‚heidenchristlich‘ wird mehr und mehr thematisiert und infrage gestellt; so spricht z.B. Frankfurter von „documents that challenge categories“52 und von „continuous communities“53. Es wird also darauf verwiesen, dass die Einordnung von Texten in die trennenden Kategorien ‚jüdisch‘ und ‚christlich‘ oft kaum möglich und eher hinderlich ist. Dass 5 Esra ein Beispiel hierfür ist, betont Frankfurter ebenso wie Himmelfarb: „Once again, the prophetic concerns and self-definition of the authors of these texts [= 5 und 6 Esra; VH] seem ‚Christian‘ only in a limited sense   Nicklas, Tobias, Parting of the Ways? Probleme eines Konzepts, in: Alkier, Stefan, Leppin, Hartmut (Hg.), Juden – Heiden – Christen? Religiöse Inklusionen und Exklusionen im Römischen Kleinasien bis Decius (WUNT), Tübingen 2018. [im Druck] 51   Nicklas, Juden und Christen, 54; s. auch Nicklas, Parting of the Ways. 52   Frankfurter, Beyond Jewish Christanity, 131. 53   Frankfurter, Beyond Jewish Christanity, 139. 50

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but ‚Jewish‘ in their more basic appeal to a religious frame of reference and authority. […] Indeed, for Revelation, Ascension of Isaiah, and 5 and 6 Ezra, larger religious affiliations do not concern the authors nearly as much as prophetic authority […]. Thus, far from a Christian ‚importation‘ of Jewish texts, or even a self-consciously ‚Christian‘ appropriation of Jewish traditions, we should posit a multiform ‚prophetic sectarianism‘ that continued with a fairly consistent identity and impulse from a Jewish stage into a Jewish and Christ-oriented stage.“54 „Was the author of 5 Ezra a Jew or a Christian? To consider the question is to become aware of the difficulties involved in understanding what constituted Judaism and Christianity in our period. 5 Ezra shows clearly that a negative attitude toward the Jews does not preclude a profoundly Jewish outlook, which should come as no surprise to any one who has read the prophets of the past that make the past look much simpler than the present. As our experience today testifies, the existence of different kinds of Jews and Christians assures a variety of relationships between Jews and Christians. For the historian it is worthy goal to show us a past as complex as the present.“55

(2) Ein zweites Feld, das in letzter Zeit verstärktes Interesse in der Forschung erfährt und dessen Grundlagen bis heute diskutiert werden, ist das Zueinander von prophetischen und apokalyptischen Texten und das grundsätzliche Verständnis von Apokalyptik und Apokalypsen56. Seit dem Kongress von Uppsala 1979 wird um eine Definition für Apokalypsen gerungen, wobei die 1979 in Semeia erschienene Definition von John J. Collins bis heute einen Maßstab bildet: „‚Apocalypse‘ is a genre of revelatory literature with a narrative framework, in which a revelation is mediated by an otherworldly being to a human recipient, disclosing a transcendent reality which is both, temporal, insofar as it envisages eschatological salvation, and spatial insofar as it involves another, supernatural world.“57   Frankfurter, Beyond Jewish Christanity, 138f.   Himmelfarb, Parting, 57. 56   Frey hebt hervor: „Zwischen ‚Apokalypse‘ als einer bestimmten Gattung (mit einigen Unterformen), und der (jüdisch-christlichen) Apokalyptik als einer nicht immer klar fassbaren Strömung, in der solche Texte entstanden und sich eine entsprechende Vorstellungswelt entwickelt hat, ist zu unterscheiden […].“ (Frey, Jörg, Editorial. Apokalyptik und das Neue Testament, in: Early Christianity 4 (2013), 1–6, hier 2f.). 57   Collins, John J., Introduction: Towards the Morphology of a Genre, in: Semeia 14 (1979), 1–20, hier 9. 54

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Diese Definition, „die gegenwärtig ebenso selbstverständlich verwendet wie energisch kritisiert wird“58, wird besonders wegen ihres fehlenden funktionalen Aspekts bemängelt, doch gibt es bis heute keine allgemein anerkannte Beschreibung von Apokalypsen.59 So beschreibt auch Markschies das Ringen um die Textauswahl für den dritten Band der Antiken christlichen Apokryphen, der antike christliche Apokalypsen enthalten soll: „Ein zentrales Problem jedes Bandes, der antike, apokryph gewordene Apokalypsen in deutscher Übersetzung sammeln will, ist die Definition des Materials: Was ist eine Apokalypse, was ist eine antike christliche Apokalypse?“60 Die Problematik der Einordnung von Texten in diese Kategorie und die Verzahnung von prophetischen und apokalyptischen Texten61 zeigt sich auch in der Forschungsgeschichte 5 Esras, denn auch 5 Esra ist ein Beispiel für Texte zwischen Prophetie und Apokalypsen62.   Markschies, Christoph, Editorial/ Einleitung, in: ZAC 20 (2016), 1–20, hier 16. 59   Aune stellt fest: „How can we describe the literary form of the typical apocalypse? New Testament scholars have debated this question endlessly during the last generation.“ (Aune, David E., Understanding Jewish and Christian Apocalyptic, in: Aune, David E. (Hg.), Apocalypticism, Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays (WUNT 199), Tübingen 2006, 1–12, hier 2.). 60   Markschies, Editorial, 4; Hervorhebungen durch den Autor. 61   Auf die unterschiedliche Wahrnehmung dieser Verbindung verweist auch Markschies in einem Beispiel: „Vielhauer rezipiert von seinem Vorgänger Weinel die Zweiteilung in ‚Prophetie‘ und ‚Apokalyptik‘, nennt freilich die christliche Prophetie literarisch wenig produktiv und macht auf das Phänomen der Aneignung von jüdischen Apokalypsen aufmerksam, die als ‚heilige Schriften‘ benutzt worden seien. Im Unterschied zu Weinel, für den ‚Apokalyptik‘ sich in gewisser Weise aus der ‚Prophetie‘ entwickelt hat, trennt Vielhauer mit Martin Buber und Gerhard von Rad scharf zwischen beiden: ‚Der Dualismus, Determinismus und Pessimismus der Apokalyptik bilden die Kluft, die zwischen ihr [sc. der Apokalyptik, C. M.] und der Prophetie besteht.‘ Vielhauer zitiert von Rad und spricht von der ‚Unvereinbarkeit des Geschichtsverständnisses der Apokalyptik mit dem der Propheten.‘ […] Die Freunde Schneemelcher und Vielhauer grenzen offenkundig Prophetie und Apokalyptik unterschiedlich streng ab und bemühen sich auch gar nicht, diese Sichtweisen auszugleichen.“ (Markschies, Editorial, 11f.). 62   Vgl. zu dieser Thematik auch Collins, John J., Apocalypticism and the Transformation of Prophecy in the Second Temple Period, in: Collins, 58

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(3)  Die Fortschritte in einem dritten Themenfeld ermöglichen eine neue Offenheit und Wertschätzung für 5 Esra: Im letzten Jahrzehnt kam es zu einem Paradigmenwechsel in der Apokryphenforschung63. Durch eine „Loslösung von der Beziehung zu den Texten des Neuen Testaments“64 öffnete sich der Apokryphenbegriff und der Blick auf apokryph gewordene Texte65, die zuvor oft pauschal abgewertet worden waren. Ihr Eigenwert und ihre Rolle innerhalb einer Textwelt, zu der auch die kanonisch gewordenen Texte gehören, werden in der Forschung mittlerweile stärker berücksichtigt66, ihre Bedeutung für den Blick auf das „Werden christlicher Identitätsentwürfe“67 wahrgenommen. Markschies gibt in diesem Rahmen folgende Arbeitsdefinition, die er der Auswahl der Texte für die „Antike[n] christliche[n] Apokryphen in deutscher Übersetzung“ zugrundelegt: „‚Apokryphen‘ sind jüdische und christliche Texte, die die Form kanonisch gewordener biblischer Schriften aufweisen oder Geschichten über John J. (Hg.), Apocalypse, Prophecy, and Pseudepigraphy. On Jewish Apocalyptic Literature, Grand Rapids, Cambridge 2015, 54–69. 63   Vgl. hierzu besonders Nicklas, Tobias, „Écrits apocryphes chrétiens“: ein Sammelband als Spiegel eines weitreichenden Paradigmenwechsels in der Apokryphenforschung, in: VigChr 61 (2007), 70–95. 64   Nicklas, Écrits, 73. 65   Auch Markschies führt an: „Zu den großen Problemen der bisherigen Erforschung der Literatur, die seit der frühen Neuzeit unter dem Titel ‚Apokryphen‘ gesammelt wird, gehört die einseitige Fixierung der Debatte auf die ‚Kanonisierung‘ der christlichen Bibel und die beständige Diskussion über die sogenannten apokryphen Texte im Spiegelbild der kanonisch gewordenen Texte.“ (Markschies, Christoph, Haupteinleitung, in: Markschies, Christoph, Schröter, Jens (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I. Band, Evangelien und Verwandtes, Teilband 1, Tübingen 72012, 75.). 66   So erklärt Markschies: „Allerdings beziehen sich die meisten apokryph gewordenen Schriften nach ihrer Form oder ihrem Inhalt direkt auf kanonisch gewordene Schriften. Insofern sind die meisten apokryph gewordenen Schriften in gewisser Weise ‚Literatur zweiten Grades‘ und ein Musterbeispiel für Intertextualität (Jean-Daniel Kaestli), bilden einen apokryphen Hypertext zu einem kanonisch gewordenen Hypotext. Wichtig ist, daß man – durchaus im Unterschied zu älterer Forschung – wohl davon ausgehen kann, daß die Autoren der apokryph gewordenen Schriften eine solche Intertextualität bewußt angelegt haben, aber nicht unbedingt und schon gar nicht in jedem Fall mit ihren Schriften in Konkurrenz zu den kanonisch werdenden bzw. gewordenen Schriften treten wollten.“ (Markschies, Haupteinleitung, 105.). 67   Nicklas, Écrits, 81.



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Figuren kanonisch gewordener biblischer Schriften erzählen oder Worte solcher Figuren überliefern oder von einer biblischen Figur verfaßt sein wollen. Sie sind nicht kanonisch geworden, sollten dies aber teilweise auch gar nicht. Teilweise waren sie auch ein genuiner Ausdruck mehrheitskirchlichen religiösen Lebens und haben oft Theologie wie bildende Kunst tief beeinflußt.“68

Apokryph gewordene Texte werden mittlerweile nicht mehr als Texte ‚zweiter Klasse‘ eingeordnet und darauf reduziert, dass sie es eben nicht in den Kanon geschafft haben – ihre Unterschiedlichkeit wird in der heutigen Forschung stärker berücksichtigt, ihre Bedeutung als Spiegel der Vielfalt ihrer Zeit neu wertgeschätzt. 3  Forschungsüberblick Abgesehen von zahlreichen Erwähnungen 5 Esras im Zusammenhang verwandter Thematiken69, gibt es mittlerweile zwar verschiedene Textausgaben und Übersetzungen des Textes, aber doch nur wenige Aufsätze, die sich gezielt mit 5 Esra beschäftigen. Aufgrund dieser überschaubaren Anzahl soll im Folgenden ein Überblick über wichtige Forschungsbeiträge gegeben werden, der in drei Unterbereiche   Markschies, Haupteinleitung, 114. Eine hilfreiche „Annäherung an den Begriff christlicher Apokryphen“ liefert auch Nicklas: „Ein Text lässt sich dann sinnvoll als christliches Apokryphon interpretieren, wenn er (1) nicht Teil der in der heutigen christlichen Bibel gesammelten Schriften geworden sowie nicht nur oder weitestgehend nur aus Abschnitten der christlichen Bibel zusammengesetzt ist, wenn er aber (2) (in seiner Gesamtheit) als Hypertext zu Teilen oder dem Ganzen der christlichen Bibel gelesen werden will. Diese Teile der christlichen Bibel bzw. die christliche Bibel selbst bilden dann einen „privilegierten Hypotext“ des entsprechenden Hypertextes. […] In manchen Fällen zeigt sich die Apokryphität eines Textes indirekt: Es gibt auch Texte, die sich vor allem aufgrund ihrer Hypertextualität zu anderen christlichen Apokryphen sinnvoll als christliche Apokryphen interpretieren lassen.“ (Nicklas, Tobias, Semiotik – Intertextualität – Apokryphität: Eine Annäherung an den Begriff „christlicher Apokryphen“, in: Apocrypha 17 (2006), 55–77, hier 74f.). 69   Beispiele hierfür sind Untersuchungen zu 4 Esra (vgl. Kraft, Robert A., „Ezra“ Materials in Judaism and Christianity, in: ANRW 2,19,1 (1979), 119–136, hier 129.) oder zu ‚frühchristlichen‘ ‚apokalyptischen‘ Texten (vgl. Hahn, Ferdinand, Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik: Eine Einführung (BThSt 36), Neukirchen-Vluyn 1998, 148f.). 68

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sortiert wird. Wie auch bei Bergren70 soll hier nur auf die Beiträge eingegangen werden, die gezielt auf 5 Esra Bezug nehmen und eigene Erkenntnisse aufweisen; ein Schwerpunkt liegt dabei auf Angaben zu Einflüssen anderer Texte auf 5 Esra. Zudem soll der Forschungsüberblick erst mit den ersten ausführlicheren Erörterungen zu 5 Esra, mit Benslys und James Beitrag von 1895, begonnen werden. 3.1  Die wichtigsten Textausgaben und Übersetzungen Zwei Jahre nach dem Tod Benslys71 wurde seine Edition der Handschriften SA herausgegeben, die im Anhang durch eine Version der Handschriften CM ergänzt ist. Eingeleitet wird diese Textausgabe von James, der die Handschriften SA und CMVL vorstellt, auf Zitate 5 Esras in späteren Schriften eingeht und schließlich die zwei Handschriftengruppen unter Angabe möglicher Bezugsstellen (darunter viele aus Mt) vergleicht; dies führt ihn zu dem Ergebnis, dass die spanischen Handschriften wohl eher einer älteren Textform entsprechen72. Weinels Einführung, seine Erläuterungen und seine Übersetzung zum Text 5 Esras erschienen 190473, in zweiter Auflage 192474 im „Handbuch zu den Neutestamentlichen Apokryphen“ bzw. den „Neutestamentliche[n] Apokryphen“. Er beschreibt 5 Esra als christlichen Text, der ursprünglich auf Griechisch verfasst worden sei, möglicherweise auf einem „jüdische[n] Flugblatt“75 beruhe und außerordentlich stark von den Propheten Israels geprägt sei.76 Eine französische Übersetzung beider Handschriftengruppen samt Einleitung und Kommentierung bietet Labourt77 (1909) an, der   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 7.   Bensly, Robert L., The Fourth Book of Ezra. The Latin Version edited from the Mss by the late Robert L. Bensly. With an Introduction by Montague Rhodes James (TaS 3,2), Cambridge 1895. 72   Vgl. Bensly, Fourth Book, lxiii. 73   Weinel, H., Das fünfte Buch Esra, in: Hennecke, Edgar (Hg.), HNTA, Tübingen 1904, 331–339. 74   Weinel, H., Das fünfte Buch Esra, in: Hennecke, Edgar (Hg.), NTApo, Tübingen ²1924, 390–394. 75   Weinel, NTApo, 390. 76   Weinel spricht auch von Einflüssen von Texten wie dem PetrEv und der Passio Perp., erläutert diese Vermutung aber nicht näher. 77   Labourt, M. J., Le cinquième livre d‘Esdras, in: RB 18 (=NS 6) (1909), 412–434. 70 71



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5 Esra als „petite apocalypse chrétienne“78 einordnet, die eine „centonisation79 de textes bibliques très connus“80 darstelle. Gleichzeitig sieht er eine besonders große Nähe zur Passio Perp. – dies macht er an der seiner Ansicht nach großen Bedeutung der Märtyrer in 5 Esra fest81 – und zu den prophetischen Texten. Er positioniert 5 Esra im 6. Jhd. in Rom und sieht Latein als Originalsprache des Textes. Eine kommentierte deutsche Übersetzung 5 Esras stammt von Paul Rießler82, in erster Auflage von 1928. Er sieht Hebräisch als Originalsprache des Textes und nimmt einen jüdischen, wahrscheinlich essenischen Ursprung 5 Esras an, der christlich überarbeitet und zu einem Gegenstück des Barnabasbriefes gemacht worden sei83. Einen Kommentar samt englischer Übersetzung zu 2 Esdras (= 4–6 Esra) veröffentlichte Oesterley84 1933. Er hebt den Einfluss der kanonischen Evangelien auf 5 Esra hervor und sieht zudem eine Bezugnahme auf die griech. Baruch-Apokalypse und, nach James, auf die ApkZef, was ihn zu einer Datierung in die Mitte des zweiten Jahrhunderts führt. Einige der apokalyptischen Motive 5 Esras vergleicht er mit der Verwendung in 1 Hen. Im Rahmen der „Neutestamentliche[n] Apokryphen in deutscher Übersetzung“ erschien 1964 in dritter Auflage85, 1989 in fünfter   Labourt, Livre, 412.   Centonisation ist eine Kompositionstechnik, bei der aus einem Vorrat vorhandener melodischer Formeln eine neue Melodie zusammengesetzt wird. 80   Labourt, Livre, 413. 81   Der Text macht an keiner Stelle explizit deutlich, dass er tatsächlich von Märtyrern spricht; erst in 2,43 werden Personen genannt, die vom „Sohn Gottes“ Kränze erhalten und die charakterisiert werden als die, die die inmortalem tunicam erhalten und den nomen Dei bekannt hätten (2,45). Ein gewaltsamer Tod dieser Personen wird nicht erwähnt, auch spricht Gott der Mutter klar seinen Schutz vor den gentes zu (2,25–28) und sagt ihr zu, dass keines ihrer Kinder umkommen werde (2,26). 82   Rießler, Paul, AJSAB, Heidelberg 51984. 83   Leider ergänzt Rießler keine Argumente oder Belege für diese These. 84   Oesterley, William O.E., II Esdras (The Ezra Apocalypse), London 1933. Siehe auch: Oesterley, William O. E., An Introduction to the Books of the Apocrypha, London 1935. 85   Duensing, Hugo, Das fünfte und sechste Buch Esra, in: Schneemelcher, Wilhelm (Hg.), NTApo. II. Band, Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen ³1964, 488–498. 78

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­ uflage86 eine weitere deutsche Übersetzung zu 5 Esra, verfasst von A Duensing, in der späteren Auflage ergänzt von de Santos Otero. 5 Esra wird darin als christliche Apokalypse verstanden – im ersten Teil möglicherweise basierend auf einer jüdischen Schrift –, die im „Jüngling von großer Gestalt“87 Parallelen zum PetrEv, der Passio Perp. und dem Hirt des Hermas aufweise, im ersten Teil aber ein „Mosaik aus zahllosen alttestamentlichen Sätzen“88 darstelle. 1974 erschien Myers89 Kommentar zu 2 Esdras (= 4–6 Esra), dessen Übersetzung auf SA basiert, aber die Varianten von Handschrift C in den Fußnoten angibt. Er geht davon aus, dass 5 Esra im 2. Jhd. „in imitation of the prophets“90 verfasst wurde, durch seine Polemik aber in die Nähe des Barnabasbriefes zu rücken sei. In den Anmerkungen zu seiner Übersetzung nennt Myers zahlreiche und vielfältige mögliche Bezugsstellen zu 5 Esra. Ein weiterer Kommentar zu 2 Esdras wurde 1979 von Knibb91 herausgebracht. 5 Esra imitiert für ihn den Stil der alttestamentlichen Propheten und wurde von einem Judenchristen verfasst, der sich mit dem Problem der Beziehung zwischen Kirche und Israel auseinandersetzte. In seinem Kommentar gibt Knibb mögliche Bezugsstellen an, verweist aber gleichzeitig darauf, dass 5 Esra ein „mosaic of biblical quotations“92 darstelle. Die bedeutendste deutschsprachige kommentierte Übersetzung erschien ebenfalls 2001 in der Reihe JSHRZ, verfasst von Michael Wolter93. Wolter bietet Übersetzungen beider Handschriftengruppen an, die nebeneinandergestellt sind, gibt in den Fußnoten wichtige Hinweise und nennt zahlreiche Parallelstellen. In seiner Einleitung   Duensing, Hugo, Santos Otero, Aurelio de, Das fünfte und sechste Buch Esra, in: Schneemelcher, Wilhelm (Hg.), NTApo. II. Band, Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 51989, 581–590. 87   Duensing (1964), 488. 88   Duensing (1964), 489. 89   Myers, Jacob M., I and II Esdras. Introduction, Translation and Commentary (AncB 42), New York 1974. 90   Myers, I and II Esdras, 153. 91   Knibb, Michael A., The Second Book of Esdras, in: Coggins, R. J., Knibb, M. A. (Hg.), The First and Second Books of Esdras (CNEB), Cambridge 1979, 76–305. 92   Knibb, Second Book, 78. 93   Wolter, Michael, 5. Esra-Buch, 6. Esra-Buch (JSHRZ III,7), Gütersloh 2001. 86



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spricht er sich für einen christlichen Verfasser 5 Esras aus, der ein prophetisches Buch gestaltete, stimmt der bis dahin üblichen Einordnung der Entstehung 5 Esras zwischen 150–250 n.Chr. zu und stellt die These auf, dass 5 Esra v.a. aufgrund seines Pseudonyms als Gegenschrift zu 4 Esra zu verstehen sei: „Wir können 5. Esr darum als eine Art Gegenschrift zu 4. Esr verstehen, die unter Rückgriff auf denselben fiktiven Autor […] das Ende jeder Hoffnung für Israel und den Übergang der Erwählung auf die Christenheit artikuliert.“94 3.2  Wichtige Beiträge zu möglichen Bezugstexten 5 Esras Für die Ausrichtung dieses Projekts von besonderer Bedeutung sind die Beiträge, in denen mögliche Bezugstexte 5 Esras genannt oder sogar untersucht werden. Auch diese werden in chronologischer Reihenfolge aufgelistet, um so die Entwicklung der literarischen Einordnung 5 Esras aufzuzeigen; es ist jedoch auffällig, dass sich die Forschungsbeiträge eher widersprechen als aufeinander aufzubauen. Daniélou (1970) gibt in seinem Aufsatz zur „Littérature latine avant Tertullien“95 einen Überblick über 5 Esra, das er als „apoca­ lyptique latine judéo-chrétienne du IIe siècle“96 versteht. Er nennt zahlreiche mögliche Bezugsstellen für 5 Esra und verweist besonders auf Texte wie Passio Perp., Hirt des Hermas und 1 Hen. Im Aufsatz „Le Ve Esdras et le judéo-christianisme latin au second siècle“ (1972)97 bzw. dessen englischem Pendant, einem Kapitel in „The Origins of Latin Christianity“ (1977)98, ordnet er 5 Esra in die Literatur vor Tertullian ein und rückt es erneut in die Nähe von Texten wie Passio Perp. und dem Hirt des Hermas. Während er den ersten Teil 5 Esras als „cento of quotations from the Old Testament prophets“99 versteht, nimmt er die Eschatologie 5 Esras im zweiten Teil   Wolter, 5. Esra-Buch, 793.   Daniélou, Jean, La littérature latine avant Tertullien, in: REL 48 (1970), 357–375. 96   Daniélou, Littérature, 364. 97   Daniélou, Jean, Le Ve Esdras et le judéo-christianisme latin au second siècle, in: Ex orbe religionum 1. Studia Geo Widengren (SHR 21), Leiden 1972, 162–171. 98   Daniélou, Jean, The Origins of Latin Christianity, translated by David Smith and John Austin Baker (A history of early Christian Doctrine before the Council of Nicaea 3), London 1977. 99   Daniélou, Origins, 19. 94 95

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genauer in den Blick und verknüpft sie mit zahlreichen weiteren Texten dieser Zeit. Einen viel rezipierten Aufsatz veröffentliche Stanton100 1977 unter dem Titel „5 Ezra and Matthean Christianity in the Second Century“.101 Er wendet sich gegen die Annahme Rießlers102, dass 5 Esra eine jüdische Schrift mit christlichen Interpolationen sei und spricht stattdessen von einem christlichen Verfasser, der im Alten Testament und in späteren apokalyptischen Traditionen tief verwurzelt sei. Das Matthäusevangelium übt seiner Ansicht nach den größten Einfluss auf 5 Esra aus103; gleichzeitig setzt er es in die Nähe des Bar Kochba-Aufstandes. Hauptthema der Schrift ist für ihn die Ersetzung Israels durch die Christen, wobei gleichzeitig eine große Kontinuität zwischen den zwei Gruppen betont werde; die Trennung zwischen Kirche und Israel sieht er deshalb als ein wenig zurückliegendes Geschehen, so dass die hinter 5 Esra liegende Gemeinschaft noch immer um seine Identität ringe: „Discontinuity could hardly be sharper, for Israel is totally and finally rejected. Continuity could hardly be stronger, for there is not even a hint that as the prophets and the law pass from Israel to the ,coming people‘   Stanton, Graham N., 5 Ezra and Matthean Christianity in the Second Century, in: JThS 28 (1977), 67–83. 101   Dieser Beitrag erschien auch als Kapitel 11 von Stantons Werk „A Gospel for a New People“. (Stanton, Graham N., A Gospel for a New People. Studies in Matthew, Edinburgh 1993.) 102   Vgl. Rießler, AJSAB, 1285. 103   An Stanton orientiert sich auch Strickert. In zwei Beiträgen von 1997 (Strickert, Fred, 2 Esdras 1.11 and the Destruction of Bethsaida, in: JSPE 16 (1997), 111–122.) und 1999 (Strickert, Fred, The Destruction of Bethsaida. The Evidence of 2 Esdras 1.11, in: Arav, Rami, Freund, Richard A. (Hg.), Bethsaida. A City by the North Shore of the Sea of Galilee 2, Bethsaida Excavations Project, Reports & contextual Studies, Kirksville 1999, 347– 372.) untersucht Strickert den archäologischen Hintergrund zu 5 Esra 1,11 und der dortigen Erwähnung von Bethsaida. Er verknüpft 5 Esra 1,11 und 2,8f. mit dem Matthäusevangelium und schließt aufgrund weiterer Verbindungen (und aufbauend auf Stanton) auf eine große Abhängigkeit 5 Esras von Mt. Aus seiner Annahme eines für Bethsaida zerstörerischen Erdbebens im 2. Jhd. folgert er die Entstehung 5 Esras im selben Zeitraum. Als Entstehungsort bringt er die nördlichen Regionen Palästinas und das südliche Syrien ins Spiel. Seine archäologischen Annahmen wurden später von W ­ olter (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 798, FN 11b.) widerlegt. 100



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they are to be modified in any way. How is this apparent paradox to be explained? There would seem to be only two possible explanations. 5 Ezra might be seen as an unsophisticated apocalyptic document in which the hermeneutical problems posed by the transfer of the law and the prophets to the church were bypassed. But apocalyptic writings are not the literary deposits of naive visionaries: they usually bear the marks of considerable theological reflection. 5 Ezra is no exception. It is much more plausible to see the community from which 5 Ezra stems as struggling to define itself over against a Judaism which could not be ignored. Israel‘s privileges are to be transferred to the church without remainder and without modification. This suggests a community primarily concerned to establish its continuity with Israel in spite of a recent final rupture for which a thorough explanation has had to be found.“104

Mit Theodore Bergrens Aufsatz „The ‚people coming from the East‘ in 5 Ezra 1:38“ von 1989105 begann eine Hoch-Zeit in der Forschung zu 5 Esra, die sich vor allem Bergren selbst verdankt, der die bei weitem wichtigsten Beiträge zu 5 Esra und die bis heute detailliertesten Untersuchungen zu diesem Text verfasste. In „The people coming“ äußert sich Bergren noch sehr vorsichtig zu den Grundfragen zu 5 Esra und ordnet 5 Esra als christliches Produkt ein, das zwischen 130 und 300 n.Chr. entstand und wahrscheinlich auf Griechisch oder Lateinisch verfasst wurde. Für 5 Esra 1,38 verweist er als möglichen Hintergrund auf das Buch 1 Baruch, aber auch auf weitere jüdische Literatur wie die Prophetenschriften oder 4 Esra. Seiner Ansicht nach stamme dieses Motiv aus einem jüdischen Kontext und sei christlich überarbeitet und eingeordnet worden.106   Stanton, 5 Ezra, 77f.   Bergren, Theodore A., The „people coming from the East“ in 5 Ezra 1:38, in: JBL 108 (1989), 675–683. 106   Die Geschichte des von ihm sogenannten „Exodus-Review“ in 5 Esra 1,7–23 untersucht Bergren 1999 in seinem Aufsatz „5 Ezra, Dayyenu and Improperia“ (Bergren, Theodore A., 5 Ezra, Dayyenu and Improperia. The Tradition History of the Exodus-Review in 5 Ezra 1, in: Wright, Benjamin G. (Hg.), A Multiform Heritage. Studies on Early Judaism and Christianity in Honor of Robert A. Kraft (Scholars Press Homage Series 24), Atlanta 1999, 109–122.). Er nimmt dabei jüdische Texte wie Ps 78; 105; 106; Neh 9 und das Dayenu, ein Pessach-Lied, in den Blick, ebenso christliche Texte wie Justins ‚Dialog mit Trypho‘, Melitos ‚Peri Pascha‘ oder die ‚Didascalia apostolorum‘. Er folgert aus dieser Übersicht, dass der Exodus-Review in 5 Esra ursprünglich aus einem Pessach-Kontext 104 105

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1990107 erschien eine leicht veränderte Version seiner von Kraft betreuten Dissertation unter dem Titel „Fifth Ezra. The Text, Origin and Early History“. Diese Schrift stellt die einzige Monographie dar, die bisher zu 5 Esra veröffentlicht wurde, und setzt sich ausführlich und herausragend mit den Einleitungsfragen zu 5 Esra auseinander. Bergren erörtert genau die einzelnen Handschriften, die 5 Esra überliefern, geht auf seine Rezeptionsgeschichte ein, vergleicht die zwei Handschriftengruppen und untersucht den Wortschatz 5 Esras, so dass er als Erster begründete Aussagen zu Entstehungszeit, Originalsprache und Textgeschichte treffen kann. Seiner Ansicht nach ist 5 Esra zwischen 130 und 250 n.Chr. entstanden; zum Entstehungsort sind seiner Meinung nach keine Angaben möglich. Griechisch ist für ihn etwas wahrscheinlicher die Ursprungssprache des Textes als Lateinisch, ein christlicher Verfasser ein wenig überzeugender als ein jüdischer. Er zeigt mögliche „verbal parallels“ zu 1 Bar, zu Spr 1,28, zu Mt und Lk, zur Offb, zum Hirt des Hermas und zu einigen weiteren biblischen Texten auf (in Kap. 6), setzt sich mit dieser Thematik aber detailliert erst in seinen Aufsätzen auseinander, die in den darauf folgenden Jahren erschienen sind. Er gibt auch den wichtigen Hinweis, dass 5 Esra sich in seinem Vokabular nicht auf die Vulgata, sondern auf Texte der Vetus Latina beziehe. In einem kurzen, aber interessanten Beitrag beschäftigt sich Bergren 2009108 mit 5 Esra 1,11 und 2,8–9. Er verknüpft diese Verse mit Mt 11 und Lk 10, die der Verfasser 5 Esras in seiner „literary ingenuity“109 mit Zef 2,13–3,5 verbunden habe. In den einleitenden s­tammen könnte, dass Griechisch als Originalsprache für 5 Esra wahrscheinlicher sei als Lateinisch und als Entstehungsort möglicherweise der Osten – wie Kleinasien, Syrien oder Israel – anzunehmen sei. Als Entstehungszeit tendiert er zum späten zweiten oder dritten Jahrhundert. Dieser Aufsatz erschien überarbeitet erneut 2004: Bergren, Theodore A., The Tradition History of the Exodus-Review in 5 Ezra 1, in: Evans, Craig A. (Hg.), Of Scribes and Sages: Early Jewish Interpretation and Transmission of Scripture, Vol. 2, Later Versions and Traditions (SSEJC 10), London, New York 2004, 34–50. 107   Bergren, Theodore A., Fifth Ezra. The Text, Origin and Early History (SCSt 25), Atlanta 1990. 108   Bergren, Theodore A., A Note on 5 Ezra 1:11 and 2:8–9, in: JBL 128 (2009), 809–812. 109   Bergren, Note, 812.



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­ orten seines Beitrags datiert er 5 Esra als Beispiel christlicher W Ablösungstheologie ins späte zweite bzw. dritte Jahrhundert.110 Ein weiterer bedeutender Aufsatz Bergrens erschien 2010111. Darin untersucht Bergren die Textstruktur 5 Esras und benennt folgende Texte als „main literary sources“ und hauptsächlich maßgeblich für 5 Esra: Das Buch 1 Baruch, Ps 78, die synoptischen Evangelien, Gal 4,21–31 und die Offenbarung des Johannes. Er versteht 5 Esra als „radically revisionist, Christian supersessionist reading of the apocryphal book of Baruch“112 und datiert den Text auch in diesem Beitrag ins späte zweite oder dritte Jahrhundert. Als Grundlage für seine Untergliederung des Textes sieht er ebenso das Buch 1 Baruch. Ein umfangreicher Aufsatz wurde im selben Jahr von Stefan Krauter113 veröffentlicht. Er bezieht Position gegen Stanton und Bergren, die das Matthäusevangelium bzw. 1 Baruch als Haupt-Bezugstexte 5 Esras sehen, und spricht sich selbst für eine stärkere Berücksichtigung des Esra-Corpus aus, worunter er Esr, Neh, 3 Esr und 4 Esr versteht. Eine Verknüpfung verschiedener Motive und theologischer Themen 5 Esras mit anderen Esra-Schriften führt ihn zu der Position, dass 5 Esra als dezidiert antijüdische, christliche Schrift einzuordnen sei, die Verfolgungserfahrungen aus dem 2. Jhd. verarbeite und 4 Esra rezipiere, gleichzeitig aber dessen Botschaft negiere.

  Auf 5 Esra 1,35–40, die Ankündigung und das Heraufziehen des Volkes aus dem Osten, geht Bergren 2011 in seinem ausführlichen Aufsatz „Gentile Christians, Exile, and Return in 5 Ezra 1:35–40“ ein (Bergren, Theodore A., Gentile Christians, Exile, and Return in 5 Ezra 1:35–40, in: JBL 130 (2011), 593–612.). Er ordnet die Motive des Abschnitts in einen breiten literarischen Kontext ein, wobei er sich sowohl auf alttestamentliche, auf neutestamentliche als auch auf nicht-kanonische, frühchristliche Texte stützt. Seine Untersuchung führt ihn zu der These, dass in diesen Versen Heidenchristen dargestellt werden, die – wie bereits in seinem Aufsatz „The List of Leaders“ (Bergren, Theodore A., The List of Leaders in 5 Ezra 1:39– 40, in: JBL 120 (2001), 313–327.) deutlich wurde – in ihrer Auferstehung abgebildet werden. 111   Bergren, Theodore A., The Structure and Composition of 5 Ezra, in: VigChr 64 (2010), 115–139. 112   Bergren, Structure, 115. 113   Krauter, Stefan, Zur Theologie des 5. Esra-Buches, in: Early Christianity 2 (2011), 153–172. 110

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Kritisch Bezug auf Bergrens These zur Rezeption 1 Baruchs durch 5 Esra nimmt Karina Hogan in ihrem Paper beim Annual Meeting der SBL im November 2015114. Sie sieht 1 Baruch als zwar wichtigen, doch nicht ausschlaggebenden Text für 5 Esra und widerspricht Bergrens heilsgeschichtlichen Stufen, anhand derer er eine Unterteilung für 1 Baruch und 5 Esra vornimmt. Ihre Untersuchung des Mutter-Motivs in 5 Esra führt sie zu dem Ergebnis, dass 5 Esra eine frühere Form des Motivs verwende als Tertullian, der im 3. Jhd. als einer der Ersten das Mater Ecclesia-Motiv in Unterscheidung vom Mater Sion-Motiv verbreitet habe, und dass 5 Esra deshalb zeitlich vor Tertullian anzusiedeln sei. Hogan spricht sich demgemäß für eine Datierung ins zweite Jahrhundert aus und nimmt einen griechischen Urtext an. Den Bezug zwischen 4, 5 und 6 Esra nehmen Jens Schröter und Lillia Milbach in ihrem Paper „The Composition of ,2 Esdras‘. Reflections on the Relationship of 4, 5 and 6 Ezra with Special Regard to the Use of Female Imagery in These Writings“115 in den Blick. Sie vergleichen die Darstellung einer weiblichen Figur in den drei Texten und kommen zu dem Schluss, dass die Zusammenstellung der Texte nicht als zufällig betrachtet werden könne, sondern im Gegenteil Bezugnahmen von 5 und 6 Esra auf 4 Esra vorlägen; deshalb sei es notwendig, die drei Schriften als Korpus zu betrachten. 3.3  Wichtige Beiträge zur Einordnung 5 Esras Um diesen Forschungsüberblick abzuschließen soll noch auf einzelne Beiträge eingegangen werden, die sich mit der Einordnung 5 Esras beschäftigten; die gewählten Beispiele zeigen die Vielfältigkeit der eingenommenen Positionen auf. Eine herausragende Position nimmt de Bruyne116 in seinem Aufsatz von 1921 ein: Da nur Verse aus 5 Esra 2,33–48 in der römischen 114   Hogan, Karina Martin, Mother Zion or Mother Church? The Use of Baruch in 5 Ezra (SBL Paper des Annual Meeting), Atlanta 2015. [bisher unveröffentlicht] 115   Schröter, Jens, Milbach, Lillia, The Composition of „2 Esdras“. Reflections on the Relationship of 4, 5 and 6 Ezra with Special Regard to the Use of Female Imagery in These Writings, in: Bremmer, Jan N., Hirschberger, Veronika, Nicklas, Tobias (Hg.), Figures of Ezra (Studies on Early Christian Apocrypha 13), Leuven 2018. [im Druck] 116   Bruyne, Donatien de, Fragments d‘une apocalypse perdue, in: RBen 33 (1921), 97–109.



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Liturgie rezipiert seien, entwickelt er die These, dass diese Verse Teil einer größeren, verlorenen Apokalypse seien, die vom Rest 5 Esras zu unterscheiden sei. Bergren117 erklärt dazu, dass de Bruyne wohl keine Abschriften der mozarabischen Liturgie vorlagen, die auch auf Verse des ersten Teils 5 Esras zurückgreift; zudem habe sich in der Forschung mittlerweile auch das Bild von apokalyptischen Texten geweitet, so dass die Einordnung von ganz 5 Esra möglich sei. Den ‚jüdischen Ursprung der Improperien‘ untersucht Brocke118 1977. Er betont den eindeutig jüdischen Charakter 5 Esras. Dieses sei von einem Judenchristen überarbeitet worden und so zu einer christlichen, prophetischen Diatribe geworden, die mit einer typischen judenchristlichen Apokalypse ende. Einen bedeutenden Beitrag, der die bisherige Forschungsgeschichte kritisch in den Blick nimmt, bildet Krafts Aufsatz von 1986119, „Towards Assessing the Latin Text of ‚5 Ezra‘: The ‚Christian‘ Connection“, der geringfügig verändert auch 2009120 in Krafts „Exploring the Scripturesque. Jewish Texts and their Christian Contexts“ erschien. Für Kraft ist 5 Esra „relevant to questions about early Christian use of Jewish materials“121, in seinen stichprobenartigen Untersuchungen zu den Argumenten der Forschung für den christlichen Charakter 5 Esras kommt er aber dann zu dem Ergebnis, dass 5 Esra 1,4–2,32 „a unit of primarily ‚paraenetic/ confrontational prophetic‘ type Jewish material“122 darstelle. Die Handschriften MEC und SA führt er auf mögliche unabhängige Übersetzungen 5 Esras aus dem Griechischen zurück und verweist auf den „pre- or non-Christian ‚Judaism‘“123, der in MEC sichtbar werde. 1991124 untersucht Geoltrain in einem Aufsatz den Bezug zwischen 4 und 5 Esra. Er versteht 5 Esra als christliche, polemische   Bergren, Fifth Ezra, 14.   Brocke, Michael D., On the Jewish Origin of the Improperia, in: Imm. 7 (1977), 44–51. 119   Kraft, Robert A., Towards Assessing the Latin text of „5 Ezra“: The „Christian“ Connection, in: HTR 79 (1986), 158–169. 120   Kraft, Robert A., Exploring the Scripturesque. Jewish Texts and their Christian Contexts (JSJ.S 137), Leiden 2009. 121   Kraft, Towards, 158. 122   Kraft, Towards, 168. 123   Kraft, Towards, 167. 124   Geoltrain, Pierre, Remarques sur la diversité des pratiques discursives apocryphes. L’exemple de 5 Esdras, in: Apocrypha 2 (1991), 17–30. 117 118

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Re-Interpretation 4 Esras, um das jüdische Erbe zu vereinnahmen: „La fonction de ce texte est claire: faire d‘un prophète juif un prophète chrétien […]“125. 5 Esra entstand seiner Meinung nach im zweiten, spätestens im dritten Jahrhundert und stellt eine kleine Apokalypse dar, die dem Propheten Esra zugeschrieben wurde. Eine gänzlich andere Richtung schlägt O‘Neill126 im selben Jahr ein: Er untersucht alle ‚christlichen‘ Stellen 5 Esras und die Verse, die auf Texte des Neuen Testaments zurückgeführt werden und kommt zu dem Schluss, dass 5 Esra ein klar jüdisches Dokument aus der Zeit des Neuen Testaments zugrunde liege, das von christlichen Schreibern überarbeitet und verchristlicht worden sei. In eine ähnliche Richtung wie Geoltrain geht Longenecker127, der annimmt, dass 5 Esra geschrieben wurde, um den Glauben einer christlichen Gemeinde zu stärken, „whose members were to recognize themselves as God‘s chosen people and the recipients of his eschatological glory“128. In diesen Prozess der Identitätsbildung ordnet er auch die Funktion des Textes ein, der christlichen Gruppierung ein positives Beispiel für Gottes Beistand, aber auch ein negatives Beispiel für die menschliche Sündhaftigkeit aufzuzeigen. Longenecker geht vorsichtig auf mögliche Bezüge zum Matthäusevangelium und zu 4 Esra ein und rückt 5 Esra in die Nähe des Bar Kochba-Aufstandes. In der Einleitung zu einer kommentierten französischen Übersetzung zu 5 Esra, die die wichtigsten Bezugsstellen des Textes auflistet, wiederholt Geoltrain 1997129 seine Position: 5 Esra, das keine richtige Apokalypse, sondern im Stil der biblischen Propheten verfasst sei, sei ein christlicher Text, der Esra zu einem Propheten machen wolle, der die Verwerfung Israels zugunsten der Christen verkünde. Gleichzeitig weise 5 Esra eine Nähe zu deuterokanonischen Schriften des AT, sicher zu 1 Baruch, vielleicht auch zu den Büchern Weisheit   Geoltrain, Remarques, 22.   O‘Neill, J.C., The desolate House and the New Kingdom of Jerusalem: Jewish Oracles of Ezra in 2 Esdras 1–2, in: Horbury, William (Hg.), Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple presented to Ernst Bammel (JSNTS 48), Sheffield 1991, 226–236. 127   Longenecker, Bruce W., 2 Esdras, Sheffield 1995. 128   Longenecker, 2 Esdras, 120. 129   Geoltrain, Pierre, Cinquième livre d’Esdras, in: Bovon, François, Geoltrain, Pierre (Hg.), EApC I, Paris 1997, 633–651. 125 126



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und Tobit, aber auch zu 4 Esra auf. Diese Erörterungen liegen auch einer späteren Veröffentlichung zugrunde, die ebenfalls inkl. kommentierter Übersetzung 2006130 unter dem Titel „Le vol des Ancêtres ou comment procéder à une captation d’héritage“ erschien. 3.4  Fazit Ein Überblick über die Forschungsgeschichte zeigt, dass zwar v.a. in der Arbeit Bergrens die Einleitungsfragen zu 5 Esra betrachtet wurden, dass aber dennoch in keinem Punkt Klarheit herrscht: Es wurden weder die größere Originalität einer Handschriftengruppe festgestellt noch mehrheitsfähige Ansichten zur Originalsprache 5 Esras und zur zeitlichen Entstehung des Textes erzielt, wenn auch eine grobe Einordnung 5 Esras ermöglicht wurde. Zudem gibt es nur wenige Aufsätze, die sich mit möglichen Bezugstexten 5 Esras auseinandersetzen; meist werden nur Parallelstellen aufgelistet, statt genauer auf Bezugslinien zwischen den Texten einzugehen. Mögliche Bezugstexte 5 Esras, die in der Forschung immer wieder genannt werden, sind 1 Baruch, das Matthäusevangelium, 4 Esra und die Offenbarung des Johannes – doch auch das Verhältnis 5 Esras zu diesen Texten wurde noch nicht ausführlich untersucht; zudem wird der Stellenwert, den sie für 5 Esra haben, unterschiedlich hoch angesetzt. Es bleibt somit bis heute unklar, welche Texte, Konzepte und Motive 5 Esra prägen und beeinflussen, was wiederum die Interpretation 5 Esras wesentlich beschränkt. Auch die grundsätzliche Einordnung 5 Esras z.B. in ein religiöses Umfeld geschah auf sehr unterschiedliche Weise. Während manche Forscher 5 Esra als ‚jüdischen‘ Text verstehen, ordnen andere ihn als ‚christlichen‘ Text ein, der sich gegen Israel wendet. Auf die diesen Kategorien zugrundeliegenden Vorstellungen wird in den Forschungsbeiträgen nicht genauer eingegangen, was auch damit zusammenhängt, dass die Sensibilität gegenüber diesen Kategorien erst in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen ist. Die Folge davon ist jedoch,

  Geoltrain, Pierre, Le vol des Ancêtres ou comment procéder à une captation d’héritage, in: Mimouni, Simon C., Ullern-Weité, Isabelle (Hg.), Pierre Geoltrain ou comment „faire l’histoire“ des religions? Le chantier des „origines“, les méthodes du doute et la conversation contemporaine entre les disciplines (BEHE.R 128), Brepols 2006, 13–24.

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dass Aussagen über die Botschaft 5 Esras, die auf diesen starren Kategorien aufbauen, wenig differenziert erscheinen. Es lassen sich bis heute also kaum fundierte Aussagen über 5 Esra treffen, weder über seine sozio-historische Verortung noch über seine inhaltlichen Dimensionen oder seine literarischen Kontexte. An diesen Forschungsdesideraten will dieses Projekt ansetzen. 4  Textauswahl und Fragestellung des Projekts Der Überblick über die Einleitungsfragen und die Forschungsgeschichte 5 Esras hat gezeigt, dass 5 Esra nicht nur einer detaillierten Untersuchung bedarf, sondern dass sich der Text auch einer einfachen Kategorisierung verweigert. 5 Esra bewegt sich im Grenzgebiet mehrerer, miteinander verwobener Welten: Die Schrift wird ‚christlich‘ und ‚jüdisch‘ genannt, als ‚prophetischer‘ und ‚apokalyptischer‘ Text eingeordnet, sie gehört nicht dem Kanon an, steht aber dennoch in seiner Nähe und wurde in ihrer Rezeptionsgeschichte unter Schriften kanonischen Rangs aufgelistet. Der Inhalt 5 Esras wird in der Literatur oft auf eine einfache Formel heruntergebrochen – Christentum ersetzt Judentum – was zeigt, dass seine Bedeutungsvielfalt in der Forschung kaum wahrgenommen wurde. Um eben dieser Bedeutungsvielfalt gerecht zu werden, ist es m.E. notwendig, die ‚TextWelt‘ 5 Esras in den Blick zu nehmen und ein intertextuelles Profil des Textes zu erstellen: Welche Texte 5 Esra wie stark beeinflusst haben könnten, wurde in einzelnen Aufsätzen erörtert, doch gibt es weder einen größeren Überblick darüber noch eine weitergehende Übereinstimmung der Positionen. Eine genaue Untersuchung dieser Frage ist aber unabdingbar, um die verschiedenen inhaltlichen Dimensionen des Textes wahrzunehmen und eine präzisere Einordnung des Textes zu erreichen. Deshalb soll mit diesem Projekt ein intertextuelles Profil 5 Esras erstellt werden. Den Umfang einer Dissertation berücksichtigend ist es jedoch nicht realisierbar, alle möglichen Bezugsstellen 5 Esras zu untersuchen; deshalb wurde entschieden, fünf wahrscheinliche Hauptbezugstexte auszuwählen und deren Bezug zu 5 Esra genau in den Blick zu nehmen, um 5 Esra in größere Kontexte stellen zu können. Weitere Bezugsstellen werden natürlich bei allen untersuchten Passagen miteinbezogen. Die ausgewählten wahrscheinlichen Hauptbezugstexte repräsentieren ‚christliche‘ und ‚jüdische‘ Texte, ‚prophetische‘ und ‚apokalyptische‘, kanonisch



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gewordene und kanonnahe Texte. Sie sind zudem unterschiedlichen Textgattungen zuzuordnen. Als erster Text wurde das Buch 1 Baruch gewählt, dessen Einfluss auf 5 Esra von Bergren hervorgehoben und teilweise untersucht wurde. Verbindungen zu 5 Esra zeigen sich nicht nur auf sprachlicher, sondern auch auf struktureller Ebene; zudem verweisen die klarsten sprachlichen Bezüge 5 Esras zu einem anderen Text auf 1 Baruch. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde deutlich, dass sich zahlreiche und klare Bezugslinien zwischen 5 Esra und dem siebten Kapitel des Buches Jeremia erkennen lassen, die in der Forschung bisher nicht aufgezeigt wurden. Auch ist die Jer 7 zugrunde liegende Aussage für das Verständnis 5 Esras äußerst aufschlussreich – deshalb wurde Jer 7 als zweiter zu untersuchender Bezugstext ausgewählt. Einen dritten möglichen Hauptbezugstext bildet das Evangelium nach Matthäus, das nach Stanton großen Einfluss auf 5 Esra ausübte; seine Bedeutung für die eschatologischen Elemente 5 Esras wird in der Forschung immer wieder hervorgehoben. Zudem ist die dem MtEv zugrundeliegende Gemeindesituation aufschlussreich für die Entstehungssituation 5 Esras, da beide Texte Bezüge zu Christenund Judentum aufweisen. Besonders für den zweiten Teil 5 Esras und dessen apokalyptische Elemente wichtig ist die Offenbarung des Johannes, die in ihrer Motivik vielfache Übereinstimmungen mit 5 Esra zeigt. Die Bezüge der Texte zueinander wurden in der Forschung wiederholt aufgegriffen, z.B. in einem Beitrag von Nicklas131. Weiterhin widersetzt sich die Offb ähnlich wie 5 Esra der Zuordnung zu einer bestimmten Textgattung und wird als ‚jüdisch‘ und ‚christlich‘ charakterisiert. Einen letzten Bezugstext in dieser Arbeit stellt 4 Esra dar – dies liegt nahe, da 5 Esra in seiner Überlieferung mit 4 Esra verbunden ist und dasselbe Pseudonym gebraucht. Auch wurde der Bezug zwischen 4 und 5 Esra in der jüngsten Forschung von Krauter und Schröter/ Milbach hervorgehoben. Besonders interessant ist die Betrachtung der Frage, ob 5 Esra von seiner Entstehung her auf 4 Esra bezogen werden sollte oder als eigenständiger Text anzusehen ist, der erst in seiner Rezeptionsgeschichte in diesen Kontext gestellt wurde.   Nicklas, Tobias, Rezeption und Nicht-Rezeption der Offenbarung des Johannes durch antike christliche Apokalypsen, in: Huber, Konrad u.a. (Hg.), Tot sacramenta quot verba. Zur Kommentierung der Apokalypse des Johannes von den Anfängen bis ins 12. Jahrhundert, Münster 2014, 1–27. 131

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Nicht unproblematisch ist die Entscheidung, welche Textfassungen der möglichen Hauptbezugstexte für den Vergleich mit 5 Esra gewählt werden. 5 Esra ist nur lateinisch überliefert, es ist aber nicht klar, ob die Fassungen der zwei Handschriftengruppen eine Übersetzung einer anderen Sprache darstellen. Ebenso wenig zu beurteilen ist, ob dem Verfasser von 5 Esra mögliche Bezugstexte in ihrem hebräischen bzw. griechischen Original vorlagen oder in lateinischen Übersetzungen. Bergren konnte aufweisen, dass 5 Esra keine Nähe zu den Vulgata Versionen der Texte aufzeigt132; deshalb sollen, soweit möglich, die existierenden Vetus Latina Versionen berücksichtigt werden, gleichzeitig jedoch auch die hebräischen bzw. griechischen Fassungen der Bezugstexte. Eine Ausnahme stellt dabei 4 Esra dar: Da 5 Esra gemeinsam mit der lateinischen Fassung von 4 Esra überliefert ist, die sich von den syrischen, äthiopischen, arabischen, armenischen und georgischen Übersetzungen unterscheidet, während sowohl die griechische als auch die vermutete hebräische Form 4 Esras verloren sind, soll 5 Esra nur mit der lateinischen Version 4 Esras verglichen werden. 5 Esra enthält keine Zitate aus anderen Texten und weist nur wenige eindeutig zuzuordnende intertextuelle Bezüge auf, was eine gewisse Offenheit beim Vergleich der Texte mit sich bringt – dennoch ist zu akzeptieren, dass aufgrund der Überlieferungssituation 5 Esras kein exakter sprachlicher Vergleich durchgeführt werden kann. Ziel des Projekts ist es, ein intertextuelles Profil 5 Esras zu erstellen, das aufzeigt, in welchem Maß und auf welche Weise die gewählten möglichen Hauptbezugstexte die Sprache und die Gedankenwelt 5 Esras beeinflussten. Dies soll einerseits ermöglichen, 5 Esra exakter zwischen ‚Juden- und ‚Christentum‘, ‚prophetischen‘ und ‚apokalyptischen‘ Texten zu verorten und andererseits die Bedeutungsdimensionen des Textes zu erhellen. Dafür werden die Bezugsstellen in ihrem ursprünglichen Zusammenhang betrachtet und zugleich in ihrer Verwendung in 5 Esra untersucht; so soll deutlich werden, wie 5 Esra mit seinen Bezugstexten verbunden ist, ob es Motive und Kontexte verändert und ob die Bezugstexte anerkannt oder infrage gestellt werden. Die Parallelstellen, die in der Forschung zu den einzelnen Texten bereits genannt wurden, dienen als Ausgangspunkt der Untersuchung. Gleichzeitig werden auch Motivzusammenhänge berücksichtigt und 132

  Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 240ff.



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ggf. größere Sinnkomplexe und Textabschnitte in den Blick genommen. In Einzelfällen soll zudem die Gesamtkonzeption der Texte bzgl. bestimmter Aspekte miteinbezogen werden. Die konkreten Fragen, die dieses Projekt stellt, lauten also: Was lässt sich über mögliche Hauptbezugstexte 5 Esras aussagen? In welchem Verhältnis steht 5 Esra zu diesen Texten, welche Formen der Rezeption zeigen sich? Welche Themenfelder teilt 5 Esra mit seinen Hauptbezugstexten? Können Problemfelder, die in der Forschungsgeschichte der möglichen Hauptbezugstexte diskutiert werden, aufschlussreich sein für 5 Esra und umgekehrt? Inwiefern sind die Kategorien ‚jüdisch‘ und ‚christlich‘, ‚prophetisch‘ und ‚apokalyptisch‘ auf 5 Esra anwendbar? Was trägt 5 Esra zur Diskussion dieser Kategorien bei? Und schließlich: Was lässt sich über das Selbstverständnis 5 Esras aussagen? Ist es möglich, den Text genauer zu verorten? 5  Methodik „Je mehr ein Begriff kursiert, desto schillernder wird meist sein Inhalt. Dies gilt in besonderer Weise für den Begriff der Intertextualität, der in den späten sechziger Jahren von Julia Kristeva geprägt wurde, um das, was sich zwischen Texten abspielt, d.h. den Bezug von Texten auf andere Texte, zu umschreiben.“133 Diese von 1985 stammende Feststellung ist angesichts zahlreicher verschiedener existierender Konzepte von Intertextualität noch immer aktuell. Diese Konzepte kann man grob in ‚weitere‘ und ‚engere‘ Konzepte unterteilen: Für die Anhänger des Poststrukturalismus ist jeder Text „Teil eines universalen Intertexts“134, bei ihnen wird der Textbegriff ausgeweitet und es gibt keinen Text mehr, der in irgendeinem Aspekt nicht intertextuell ist135; Anhänger eines engeren Verständnisses gehen dann von Intertextualität aus, „wenn ein Autor bei der Abfassung   Broich, Ulrich, Pfister, Manfred, Vorwort, in: Broich, Ulrich, Pfister, Manfred (Hg.), Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), Tübingen 1985, IX– XI, hier IX. 134   Pfister, Manfred, Konzepte der Intertextualität, in: Broich, Ulrich, Pfister, Manfred (Hg.), Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), Tübingen 1985, 1–30, hier 25. 135   Vgl. Pfister, Konzepte, 8. 133

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seines Textes sich nicht nur der Verwendung anderer Texte bewußt ist, sondern auch vom Rezipienten erwartet, daß er diese Beziehung zwischen seinem Text und anderen Texten als vom Autor intendiert und als wichtig für das Verständnis seines Textes erkennt“136, die Bezüge zwischen Texten gelten also als bewusst, intendiert und markiert.137 Diese Arbeit folgt einem engeren Verständnis von Intertextualität, sieht aber ein bewusstes Vorgehen des Verfassers nicht als zwingend notwendig. Sie konzentriert sich auf erkennbare Bezüge zwischen dem Haupttext oder referierenden Text, 5 Esra, der analysiert werden soll, und bestimmten, zuvor ausgewählten Prätexten, die auf Basis des Bezuges, den 5 Esra auf sie nimmt, auch als Bezugstexte bezeichnet werden. Im Fokus stehen dabei primär weder der Verfasser des Textes noch der intendierte Leser – es wird also weder ausschließlich nach Lesersignalen gesucht noch klar darauf abgezielt, die Aussageabsicht des Verfassers zu ergründen – sondern 5 Esra selbst in seiner Bedeutungsvielfalt und mit seinen Sinnpotentialen. Diese Arbeit versteht sich also als textzentriert; dies impliziert natürlich, dass der Text nur mit den Augen eines Lesers betrachtet werden kann und letztendlich in einen gesellschaftlichen und literarischen Kontext eingeordnet werden soll, weshalb in die Untersuchungen sowohl Verfasser als auch Leser miteinbezogen sind. Im Anschluss an Hays138 werden in der Exegese als Formen der Intertextualität häufig Zitat, Anspielung und Echo genannt. Zitate können eingeleitet oder nicht-eingeleitet sein und stellen eine gut erkennbare und „exakte Übernahme eines Satzes oder einer Wortfolge“139 dar. Sie gelten als vom Verfasser intendiert und können meist eindeutig einem Prätext zugeordnet werden140 – eine Schwierigkeit besteht in der biblischen Exegese jedoch darin, dass die Texte teilweise auch mündlich tradiert wurden und nicht bestimmt werden 136   Broich, Ulrich, Formen der Markierung von Intertextualität, in: Broich, Ulrich, Pfister, Manfred (Hg.), Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), Tübingen 1985, 31–47, hier 31. 137   Vgl. Pfister, Konzepte, 25. 138   Hays, Richard B., Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven, London 1989. 139   Hübenthal, Sandra, Transformation und Aktualisierung. Zur Rezeption von Sach 9–14 im Neuen Testament (SBB 57), Stuttgart 2006, 51. 140   Vgl. Hübenthal, Transformation, 52.



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kann, in welcher Sprachfassung sie dem Verfasser des Haupttextes vorlagen; deshalb sind sprachliche Abweichungen auch bei Zitaten möglich141. Ähnlich eindeutig wie Zitate sind onomastische Verweise, d.h. das Nennen der Namen biblischer Figuren, so dass „ganz bestimmte literarische Zusammenhänge“142 aufgerufen werden, die jedoch „eher größere Textzusammenhänge […] als spezifisch ausgewählte Textelemente“143 umfassen. Anspielungen sind im Gegensatz zum Zitat weniger klar gekennzeichnet und sind in den Sprachfluss des Haupttextes integriert. Sie können vom Leser Prätexten zugeordnet werden, sind aber weniger eindeutig. Deshalb werden von Paulien144 fünf Stufen von Anspielungen unterschieden: (1) Sichere Anspielungen; (2) wahrscheinliche Anspielungen; (3) mögliche Anspielungen; (4) unsichere Anspielungen und (5) Nichtanspielungen. Diese Stufen sind nicht klar voneinander zu trennen und unterliegen letztendlich der Einschätzung des Exegeten, sind also nicht objektiv zuzuordnen145; dennoch helfen sie, die Nähe zwischen Haupt- und Prätext besser einzuordnen. In dieser Arbeit sollen sichere, wahrscheinliche und mögliche Anspielungen unterschieden werden. Das Vorhandensein und der Grad der Anspielungen soll auf verschiedenen Ebenen untersucht werden: (1) Von einer Anspielung wird ausgegangen, wenn auf sprachlicher Ebene in mindestens zwei Wörtern eine Übereinstimmung zwischen Haupt- und Bezugstext gegeben ist; da es bereits zwei unterschiedliche Handschriftengruppen 5 Esras gibt und nicht klar ist, wie nahe die erhaltenen eventuellen Übersetzungen einem möglichen anderssprachigen Original sind, ist eine begriffliche Nähe, keine begriffliche Gleichheit vorausgesetzt. Die synonymen Begriffe müssen relevant sein, d.h. einzelne Pronomen   Vgl. Moser, Marion, Schriftdiskurse im Johannesevangelium. Eine n­arrativ-intertextuelle Analyse am Paradigma von Joh 4 und Joh 7 (WUNT  2,380), Tübingen 2014, 20f. 142   Merz, Annette, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe (NOAT 52), Göttingen, Fribourg 2004, 23. 143   Merz, Selbstauslegung, 23. 144   Paulien, Jon, Eine Auslegung der Symbolik in der Offenbarung, in: Holbrook, Frank B. (Hg.), Symposium über die Offenbarung. Einführende und exegetische Studien, 1. Band, Silver Spring 1992, 62–80, hier 75f. 145   Vgl. Kowalski, Beate, Die Rezeption des Propheten Ezechiel in der Offenbarung des Johannes (SBB 52), Stuttgart 2004, 58. 141

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oder Präpositionen dienen nicht als Aufweis einer Anspielung. Eine Anspielung wird weiterhin festgemacht an (2) thematischen und (3) strukturellen Verbindungen zwischen den Texten. Thematische Übereinstimmungen zeigen sich an der ähnlichen Kombination bestimmter Motive und Aspekte, Paulien nennt dies „similarity of thought and theme“146. Ein Beispiel hierfür ist die Verbindung des Zions mit dem Erscheinen des Messias in 5 Esra 2,42f. und Offb 14,1 bzw. 4 Esra 13,35. Von Bedeutung für die Bestimmung von Anspielungen sind auch ähnliche strukturelle Muster in den Texten, also das Einbinden bestimmter Motive in eine übereinstimmende Struktur in den Texten; dabei können auch größere Abschnitte des Textes in den Blick genommen werden, worin sich die thematischen von den strukturellen Parallelen unterscheiden. So wird sowohl in 5 Esra als auch im Buch 1 Baruch die Klage einer Mutterfigur nach dem Aufweis der Sündhaftigkeit des Volkes angeführt, das Motiv wird in beiden Texten also in eine übereinstimmende Struktur gebettet. Paulien erklärt diese Kategorie für das Beispiel der Offenbarung des Johannes: „Structural parallels should not be limited to parallel passages but can occur in relation to larger historical or theological structures that go beyond specific OT passages. For example, the seven trumpets of Revelation are unquestionably parallel to the plagues of the Exodus which are described in Exodus 7–12 but are also mentioned explicitly in the Psalms (78, 105, 135, 136) and implicitly in a multitude of other references to the Exodus, particularly in the prophets.“147 Als dritte und sehr offene Kategorie für das Bestimmen des Bezugs zwischen zwei Texten benennt Hays „echoes“, was Hübenthal als „Anklang, die Erinnerung an einen [Prätext]“148 wiedergibt. Echos sind kaum greifbar und nicht vom Verfasser intendiert149 und in die Nähe dessen zu rücken, was als „biblische Sprache“ bezeichnet werden kann. Der Verfasser schöpft dabei aus einem Sprachvorrat, der dem Leser vertraut ist, ohne auf einen bestimmten Textabschnitt zurückzugreifen.150 Gleichzeitig werden beim Leser jedoch Konzepte   Paulien, Jon, Elusive Allusions. The Problematic Use of the Old Testament in Revelation, in: BR 33 (1988), 37–53, hier 42. 147   Paulien, Allusions, 43. 148   Hübenthal, Transformation, 57. 149   Vgl. Hübenthal, Transformation, 57. 150   Vgl. Paulien, Auslegung, 72. 146



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hervorgerufen, die mit dieser Begrifflichkeit verbunden sind, wie dies z.B. beim Hirtenmotiv in 5 Esra 2,34 der Fall ist. Nicht nur die Art und Intensität der Bezüge zwischen 5 Esra und seinen Bezugstexten soll in dieser Arbeit untersucht werden, sondern auch deren Funktion, denn „Intertextualität erfüllt immer einen bestimmten Zweck, der ihren Gebrauch motiviert“151. So prägt die Bezugnahme auf einen anderen Text den Haupttext selbst, indem Denkmuster übernommen oder Assoziationen beim Leser hervorgerufen werden. Auch in anderen Texten thematisierte Problematiken können auf die eigene Situation, die über den Verfasser den Haupttext prägt, übertragen und für diese fruchtbar gemacht werden. Intertextuelle Bezüge sagen aber auch etwas über den Prätext aus, da durch sie eine „gewisse Wertung und/ oder Auslegung des Prätextes“152 geschieht. Der Prätext wird durch die Bezugnahmen interpretiert und bestätigt oder in Frage gestellt; gleichzeitig werden den Lesern neue Sinnpotentiale des Prätextes aufgezeigt, so dass sie eingeladen werden, „den […] bekannten Text neu zu lesen“153.

  Moser, Schriftdiskurse, 35.   Moser, Schriftdiskurse, 41. 153   Moser, Schriftdiskurse, 42. 151 152

II  1 Baruch

1  Strukturvergleich 1.1  Hinführung Ein Blick auf 5 Esra und 1 Baruch lässt schnell Verbindungslinien in der Struktur der Texte erkennen, die einen engen Bezug zwischen diesen nahelegen – dies ist überraschend, da die Schriften scheinbar entgegengesetzte inhaltliche Positionen beziehen. Beide enthalten dieselben strukturierenden Elemente, die das ‚Grundgerüst‘ der Texte bilden: Sie sprechen (1) von den Verfehlungen des Volkes Israel, (2) zeigen Gottes Reaktion darauf, (3) stellen Klagen und Trost dar und (4) schildern abschließend eine prachtvolle Zukunft. Trotz dieser verbindenden Elemente weicht 5 Esra teilweise sehr weit von 1 Baruch ab: In 5 Esra wird Israel scheinbar verstoßen, während es in 1 Baruch gerettet wird – aus diesem Grund wird 5 Esra in der Forschung im Gegensatz zum jüdischen Buch 1 Baruch z.T. als ‚antijüdisch‘ verstanden, Rüdiger Feuerstein bezeichnet die Verwendung von 1 Bar durch 5 Esra sogar „beinahe als Mißbrauch eines alttestamentlichen Textes“1. Wie gelangen die Texte trotz ihres gleichen Aufbaus zu Positionen, die so unterschiedlich erscheinen? 1.2  Sündhaftigkeit Israels Die Ausgangslage der beiden Texte stimmt überein2: Das Volk Israel verharrt seit dem Exodus-Geschehen (1 Bar 1,19; 5 Esra 1,6f.) in Ungehorsam (1 Bar 1,18f.; 5 Esra 1,8), verstößt gegen Gottes Gebote (1 Bar 1,18; 5 Esra 1,34) und begeht Untaten (1 Bar 1,22; 5 Esra 1,5),   Feuerstein, Rüdiger, Das Buch Baruch. Studien zu Textgestalt und Auslegungsgeschichte (EHS.T 614), Frankfurt 1997, 122. 2   Das Buch 1 Baruch wird eröffnet mit einer Beschreibung der Situation in Form einer geschichtlichen Einleitung, 5 Esra in SA mit einer Genealogie Esras. Der Hauptteil der Schriften, auf den sich die Untersuchung bezieht, beginnt mit 1 Bar 1,15b bzw. 5 Esra 1,4. 1



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und dies trotz der Mahnungen der Propheten (1 Bar 1,21; 5 Esra 1,32). Israel richtet sich in seiner Sündhaftigkeit gegen Gott selbst und zeigt sich unbelehrbar. In dieser Charakterisierung des Volkes, die die weiteren Geschehnisse hervorruft, sind 1 Baruch und 5 Esra völlig konform. Art und Ausmaß der Sünden sind ebenso gleich wie die zugrundeliegende Haltung Israels. Doch bereits in der Darstellung zeigen sich die ersten Unterschiede der Texte und die Abwandlung des Buches 1 Baruch, die 5 Esra vornimmt: Während in 1 Baruch Israel seine Sünden selbst bekennt und in diesem ersten Teil, in 1 Bar 1,15b– 2,10, als einziger Sprecher auftritt, seine Verfehlungen also er- und bekennt, klagt in 5 Esra Gott selbst das Volk Israel an3, betrauert dessen andauerndes Fehlverhalten, seine Ablehnung und seine fehlende Einsicht. Und während in 1 Baruch das Volk wiederholt die Gerechtigkeit Gottes hervorhebt (1 Bar 1,15b; 2,6 u.a.), die dem Fehlverhalten der Israeliten gegenübersteht4 und die Selbstanklage des Volkes verstärkt, rechnet Gott selbst in 5 Esra die Taten auf, die er für Israel begangen hat und die die Untaten des Volkes noch größer und schlimmer erscheinen lassen (5 Esra 1,7–23). Wenn auch beide Texte damit beginnen, die Sünden Israels aufzuzeigen und mit Gottes Verhalten zu kontrastieren, so wird doch in 1 Baruch die reuige Haltung des Volkes erkennbar, die im Gegensatz zur bleibenden Verstockung Israels in 5 Esra steht. 1.3  Gottes strafende Reaktion Israel begeht unablässig Untaten, und dieses Verhalten wird in 1 Baruch und in 5 Esra von Gott bestraft: In beiden Texten wird Israel als halsstarriges (1 Bar 2,30 (VUL): populus dura cervice; 5 Esra 1,8: populus indisciplinatus) Volk dargestellt, das von Gott zerstreut und vertrieben wird (1 Bar 2,4; 5 Esra 2,7) und dem mit Vernichtung gedroht wird (1 Bar 2,24.29; 5 Esra 1,34). Beide Texte sprechen mit drastischen Worten vom Tod, den Gott Israel sandte bzw. senden will (vgl. 1 Bar 2,25; 5 Esra 2,7); gleichzeitig wird in   Erst ab 5 Esra 1,11 spricht Gott direkt zu Israel, davor klagt er über sein Volk. 4   Steck spricht von der Kombination „Selbstanklage Israels/ Freispruch Gottes“ (Steck, Odil H., Das apokryphe Baruchbuch. Studien zu Rezeption und Konzentration „kanonischer“ Überlieferung (FRLANT 160), Göttingen 1993, 76.). 3

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1 Bar und 5 Esra bereits direkt im Anschluss an die Darstellung des Unheils eine positive Entwicklung erkennbar. Das Ausmaß der Sünden Israels und die Härte der Strafen Gottes werden in beiden Texten deutlich gemacht, dennoch zeigt sich auch hier der große Unterschied der Schriften: Wie in 1 Baruch für das Volk der bleibende Bund unumstößlich ist, so ist in 5 Esra für Gott die Aufkündigung dieses Bundes unvermeidbar. Im Buch 1 Baruch wird die Gerechtigkeit Gottes von Israel ebenso wenig infrage gestellt wie die eigene andauernde Sündhaftigkeit, denn beide gelten für das Volk als evident. Das Volk versteht das Unheil, das es erlitt, als logische, selbstverschuldete Folge des eigenen Ungehorsams (1 Bar 1,20; 2,7.9). Es sieht eine klare Verbindung zwischen seiner Sündhaftigkeit und Gottes strafender Reaktion.5 Diese Verkettung wird nicht hinterfragt: Die Gegenwart ergibt sich für Israel aus der Vergangenheit, Aktion und Reaktion sind klar verbunden. Doch ist eine weitere Tatsache ebenso gewiss wie die Sündhaftigkeit des Volkes und Gottes Gerechtigkeit: Gott ist unzweifelhaft und unverändert der „Gott Israels“ (1 Bar 2,11), der sein Volk aus Ägypten geführt (ebd.) und seinen Namen über Israel und sein Geschlecht ausgerufen hat (2,15).6 Aus dieser Gewissheit heraus kann Israel in seiner verzweifelten Lage zu seinem Gott rufen und Rettung (2,14) und Barmherzigkeit (2,27) erhoffen und erflehen.7 Diese ­Anrufung Gottes durch   1 Bar 2,20 spricht zwar klar vom „Zorn Gottes“, also von einer emotionalen Reaktion Gottes auf die Untaten seines Volkes; Strafen und Unheil waren von ihm aber zuvor unmissverständlich angekündigt worden (vgl. 1 Bar 2,21–23). 6   Die Wohltaten Gottes gegenüber Israel sind ebenso auf Gottes Gerechtigkeit und seine Verbundenheit mit dem Volk zurückzuführen wie seine strafende Reaktion. Die ‚Gutmütigkeit‘ und das Bemühen Gottes, das in 5 Esra aufscheint, werden hier nicht angedeutet. 7   Saldarini macht deutlich: „Israel has neither listened to God‘s voice nor done what God commanded (cf. 1:18). They have shamed God and God‘s honor – that is, God‘s status as Creator and Ruler requires defense. Thus God has punished Israel, and in response Israel must honor God by acknowledging God‘s justice and turning to God for help. This Israel does in its prayer for mercy and deliverance.“ (Saldarini, Anthony J., The Book of Baruch. Introduction, Commentary, and Reflections, in: NIB 6. Introduction to Prophetic Literature, The Book of Isaiah, The Book of Jeremiah, The Book of Baruch, The Letter of Jeremiah, The Book of Lamentations, The Book of Ezekiel, Nashville 2001, 927–982, hier 952f.). 5



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Israel unterstreicht einerseits die bleibende Verbindung zwischen Gott und seinem Volk, ermöglicht andererseits aber auch eine Veränderung der Lage und ein Ende des Unglücks Israels (vgl. 1 Bar 2,30b–32). Neben dem schuldbewussten Blick in die eigene Vergangenheit und dem Ausdruck der Verzweiflung über die gegenwärtige Lage wird in diesem Abschnitt also erstmals auch eine erhoffte positive Zukunft ins Auge gefasst. In 5 Esra dominiert ein anderer Blickwinkel: Dort betont Gott selbst die Vielzahl der Taten, die er Israel trotz dessen unaufhörlicher Untaten erwiesen habe und zeigt so den Gegensatz zwischen seinem Verhalten und dem seines Volkes auf. Gottes Bemühen um sein Volk, sein ‚guter Wille‘ und seine ‚Gutmütigkeit‘, aber auch seine Verzweiflung und Resignation werden durch die Auflistung der Wohltaten in 5 Esra 1,7–23 und durch wiederholte direkte Fragen, z.B. „Bis wohin werde ich diese ertragen?“ (5 Esra 1,9); „Wo sind die Wohltaten, die ich euch erwiesen habe?“ (1,17); „Was soll ich euch noch weiter tun?“ (1,21) und Ausrufe wie „Ihr aber habt mich vergessen!“ (1,14) hervorgehoben und deutlich gemacht. Als Folge daraus gipfelt dieser erste Abschnitt 5 Esras in der Ankündigung Gottes, Israel so zu verlassen, wie das Volk ihn verlassen habe (1,25). Gott will die Beziehung zu seinem Volk aufheben, es endgültig verstoßen. Dieser Schritt wird als unvermeidbar dargestellt, nachdem Gott so lange Zeit um sein Volk gekämpft habe, dieses aber nicht zur Umkehr gelangt sei. Das Unheil, das Israel trifft, ist in 5 Esra also wie in 1 Baruch Folge der Untaten des Volkes, geschieht aber hier nicht gleichsam unabhängig von Gottes persönlicher Haltung8, sondern als bewusster Entschluss Gottes, seinem Volk nicht mehr weiter zu verzeihen, das ihn ‚zwinge‘, sich endgültig von ihm loszusagen. Die Bitten Israels in 1 Bar 2,11–18 und 3,1–6 haben in 5 Esra keinen Raum: Israel kommt dort nicht zu Wort und hat durch sein unverändertes Fehlverhalten die Gnade Gottes scheinbar verwirkt. In diesen   Gleichzeitig wird in 1 Bar 2,9 klar ausgedrückt, dass das Unheil von Gott stamme: „Der Herr aber wachte und brachte das Unheil über uns; denn der Herr ist gerecht in all seinen Fügungen, die er über uns verhängt hat.“ (EIN) Das Unheil geschieht also auch im Buch 1 Baruch nach dem Willen Gottes, aber nicht aus einer Entscheidung Gottes heraus, nun Israel das Heil zu versagen und ihm Unheil zu senden, sondern als Folge der Sünden Israels. Während bei Esra Gott agiert und entscheidet, sein Verhalten zu verändern, agiert bei 1 Baruch das Volk Israel, während JHWH auf seine Taten reagiert. 8

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­ usammenhang lässt sich einordnen, dass das Volk in 1 Bar seine Z exklusive Beziehung zu JHWH mit den Zeichen und Wundern in Verbindung bringt, die er ihnen während des Exodus-Geschehens erwiesen habe (1 Bar 2,11); das Fehlen einer derartigen Aufmerksamkeit stellt in 5 Esra einen Hauptvorwurf Gottes an Israel dar (5 Esra 1,7–23). Während in 1 Baruch die grundsätzliche Verbundenheit Gottes mit seinem Volk zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt wird, wird in 5 Esra die Verstoßung Israels angekündigt und ein anderes Volk (vgl. 5 Esra 1,24.35) ins Spiel gebracht. Dieses Volk steht ab 5 Esra 2,10 im Fokus, an dessen Mutter wendet sich Gott, während Israel bis 2,33 nicht mehr angesprochen wird. 1.4  1 Bar: Der weisheitliche Hymnus Auf die Darstellung der Strafen Gottes und der Bitten Israels folgt im Buch 1 Baruch ein hymnischer Teil, in dem die Weisheit gepriesen und Israel ermahnt wird (1 Bar 3,9–4,4). Baruch verkündet Israel, dass die Verschleppung des Volkes die Folge davon sei, dass dieses die Pfade der Weisheit und somit Gottes Wege verlassen habe (3,12f.) – dementsprechend müsse Israel zur Weisheit zurückkehren, um Frieden zu erlangen. Mit fünf Imperativen, die diesen Abschnitt rahmen, betont Baruch9 die Dringlichkeit der Umkehr und will das Volk aufrütteln und zur Einsicht bewegen.10 Dieser Abschnitt des Textes findet m.E. keine strukturelle Entsprechung in 5 Esra, da dort bereits beschlossen ist, dass Israel seine herausragende Stellung verlieren soll. Theodore Bergren verknüpft diese Stelle in 1 Baruch aber mit 5 Esra 1,25–34, das seiner Ansicht nach ebenfalls von den weisheitlichen Texten des Alten Testaments   Dieser Monolog Baruchs verleiht ihm eine Sonderstellung im Text; Esra hingegen tritt in 5 Esra erst ab 2,33 mehr in Erscheinung, auch dort hauptsächlich in seiner Vermittlerfunktion. 10   Steck erklärt: „Der Widerstand gegen den Gebotsgehorsam (Inklusion 3,13/9a) und die Verweigerung von Einsicht (Inklusion 3,12/9b) sind der Grund für die immer noch aktuelle Notlage des zerstreuten Volkes (3,10f.), den es zu überwinden gilt. Aus Einsicht, wie sie die Mahnrede in Breite nahebringt, soll dieses Israel im Sinne dtn.-dtr. Texte doch jetzt den Geboten folgen und damit, wie 3,14b; 4,2b andeuten und die Verheißungsrede, 2,34f. entsprechend, dann direkt zusagen wird, wieder heilvolles Leben in seinem Lande gewinnen, also sein Verhalten an der geschriebenen Tora (4,1) orientieren, die solches Leben verbürgt.“ (Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 140.). 9



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geprägt sei.11 Das Gedankengut, das sich dort zeigt, ist jedoch auch in prophetischen Texten wie dem Buch Jeremia zu erkennen, wie sich später zeigen wird, und als ‚deuteronomistisch‘ einzuordnen. 1.5  Klagen, Trost und der Blick in die Zukunft Der letzte Abschnitt des Buches 1 Baruch (4,5–5,9)12, der Klagen, Trost und die Verheißung einer wunderbaren Zukunft darstellt, bildet die strukturellen Parallelen zu 5 Esra 2,1–48. Beide Texte verwenden darin übereinstimmend das Motiv von Jerusalem als Mutter Israels (1 Bar 4,8–29; 5 Esra 2,2–4). In diesen Abschnitten finden sich die klarsten Bezüge zwischen 1 Bar und 5 Esra und die deutlichsten intertextuellen Bezüge 5 Esras zu einem anderen Text überhaupt. 1.5.1 1 Bar Die Klage Jerusalems umfasst im Buch 1 Baruch 4,9b–20. Jerusalem spricht dort voller Verzweiflung vom Verlust ihrer Söhne und Töchter13, die in die Gefangenschaft geführt worden seien (4,10). So sei sie nun einsam14 und verlassen (4,12). Als Grund der Gefangenschaft gibt sie die Sünden ihrer Kinder an, aufgrund derer Gott ein „Volk aus der Ferne“ (4,15) gegen Israel geführt habe. Es wird also eine Verbindung zum ersten Teil des Textes hergestellt, indem auf die Sündhaftigkeit Israels und Gottes Strafe für diese verwiesen wird. In 4,20 zeigt sich ein erster Wandel in der Grundstimmung dieses Abschnitts: Jerusalem wendet sich an Gott, den Ewigen, der ihre   Vgl. Bergren, Structure, 127f.   Vgl. hierzu auch Xeravits, Géza G., „Take Courage, O Jerusalem…“. Studies in the Psalms of Baruch 4–5 (DCLS 25), Berlin, Boston 2015. 13   Adams erklärt, dass zwar die Personifizierung Jerusalems als Frau nicht nur in Baruch zu finden sei, sondern ähnlich auch in Ez 16,1–63; Jer 4,11– 18; 6,2–8; Zef 3,1–20; Klgl 1,2.4, dass aber „nowhere else in the Greek Bible is Jerusalem regularly presented as a mother, except for Isaiah 49–54, esp. 54.1–6.“ (Adams, Sean A., Baruch and the Epistle of Jeremiah: A Commentary on the Greek Texts of Codex Vaticanus (Septuagint Commentary Series), Leiden 2014, 118.). 14   In den Übersetzungen wird gewöhnlich für das griechische χήρα bzw. das lateinische vidua die Bedeutung „Witwe“ angegeben. Im Adjektiv ist jedoch auch die Bedeutungsmöglichkeit „einsam, beraubt, trauernd“ impliziert, die deutlich passender erscheint, da Jerusalem nicht ihren Mann, sondern ihre Kinder verlor. 11 12

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­ inder aus der Hand der Feinde entreißen könne (4,21). Mit dieser K Aussage wird der letzte, im Vergleich zum Vorherigen veränderte Abschnitt des Textes eingeleitet: Wurde bisher hauptsächlich die Gegenwart Israels betrachtet und mit der Vergangenheit des Volkes verknüpft, richtet sich der Blick Jerusalems nun in die Zukunft. In 4,21–29 spricht sie ihren Kindern Trost zu und fordert sie auf, Mut zu fassen und die baldige Rettung durch Gott zu erwarten; Unheil und Heil, Strafe und Rettung, Sündhaftigkeit und Umkehr werden kontrastiert. Die Untaten des Volkes und das erlittene Unheil werden also weiterhin wahrgenommen, als ebenso unzweifelhaft wird aber auch das Heil betrachtet, das Gott seinem Volk bringen wird. In 4,30–5,9 schließlich verheißt Baruch Jerusalem eine prachtvolle und freudvolle Zukunft, in der ihre Kinder zu ihr zurückgeführt (4,37), die Feinde gestürzt (4,33) und dem Volk Israel Frieden und Herrlichkeit15 zugesagt werden (5,4). Dieser letzte Abschnitt von 1 Baruch betont die enge und unverletzte Verbindung von Israel, Jerusalem und JHWH, dem Retter seines Volkes, der ‚Mutter‘ und ‚Kinder‘ nach der durchlebten Trennung wieder vereint. Gottes Gerechtigkeit und sein Bund mit Israel wurden bestätigt, die Hoffnungen Jerusalems erfüllt. 1.5.2 5  Esra Während Jerusalem in 1 Bar sehr ausführlich zu Wort kommt, nimmt sie, trotz wörtlicher Übereinstimmungen in ihren Aussagen, in 5 Esra eine andere Rolle ein. In 5 Esra 2,2–4 spricht Jerusalem als Mutter Israels mit denselben Worten wie im Buch 1 Baruch von ihrer Einsamkeit und Verlassenheit, ihrer Trauer und ihrem Schmerz, den sie durch den Verlust ihrer Kinder erlitt. Es ist zu beachten, dass in 5 Esra das „Weggehen“ der Kinder, das in 1 Baruch für das Exil steht, wie selbstverständlich mit der angekündigten Verstoßung und Zerstreuung Israels identifiziert wird, was der Aussage Jerusalems eine andere und größere Dimension verleiht. Auch in 5 Esra wird das Unglück von Jerusalems Kindern mit deren Sünden begründet (5 Esra 2,3) und wie in 1 Bar fordert Jerusalem ihre Kinder auf, von Gott Barmherzigkeit zu erstreben (5 Esra 2,4).   Saldarini sieht die Bedeutung der Herrlichkeit darin, dass sie symbolisiert, dass „Jerusalem‘s situation has completely changed through divine intervention.“ (Saldarini, Book of Baruch, 981.). 15



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Doch dem Grundtenor des Textes entsprechend folgt auf die Klage Jerusalems kein Trost für ihre Söhne und Töchter: Stattdessen fordert Esra16 die Zerstörung und Vernichtung Israels ein (2,6f.). Mit 5 Esra 2,10 folgt ein Umbruch im Text: Israel hat scheinbar seine Stellung als Volk Gottes verloren und wurde von einem ‚anderen Volk‘ ersetzt. Diesem Volk wird die prachtvolle Zukunft zuteil, die im Buch 1 Baruch trotz aller Sünden nur für Israel bestimmt ist. Die Verse 2,10–19.24–32.34–41 sprechen dem ‚anderen Volk‘ und seiner Mutter17 Trost und Hoffnung zu. Gnade und Barmherzigkeit, die im Buch 1 Baruch die Geschichte JHWHs mit Israel prägten (1 Bar 2,14.27; 4,22), sollen in 5 Esra von der Mutter ihren Kindern verkündet und versprochen werden. Gleichzeitig werden zahlreiche Aufforderungen ausgesprochen, durch deren Erfüllung sich das ‚andere Volk‘ von Israels Fehlverhalten unterscheiden soll. Dieser zweite Teil 5 Esras spricht von dem Trost, den Gott der Mutter des ‚anderen‘ bzw. ‚kommenden Volkes‘ spendet, und schildert dabei die zahlreichen Güter, die diesem eine sorglose und heilvolle Zukunft bringen werden. 1.6  5 Esra: Das apokalyptische Ende 5 Esra endet mit der Schilderung einer Vision, die keine Entsprechung in 1 Baruch findet, sich aber auch von den vorherigen Abschnitten 5 Esras abhebt. Dort werden apokalyptische Motive wie die caelestia regna und die candidati verwendet und es wird eine möglicherweise transzendente Realität sichtbar. Die Vision beschreibt den „Sohn Gottes“, der eine große Menge bekränzt, was von einem angelus interpres erläutert wird.

  Es ist nicht klar, wer Sprecher dieses Abschnitts ist. In 2,5 wird der „Vater“ angerufen, der gleiche Vers spricht aber bereits davon, dass „mein Bund“ nicht gehalten wurde. 17   Diese wird in der Forschung oft als ekklesia verstanden, da das Christentum als das ‚andere Volk‘ identifiziert wird. Der Text gibt aber keine klaren Identifizierungsmerkmale dafür. Beachtenswert ist zudem, dass in 2,40f. Zion angesprochen wird, das die Zahl seiner Kinder empfangen soll (vgl. 1 Bar 5,5). Zion ist also die Mutter dieses Volkes! Inwiefern also das ‚andere Volk‘ mit dem Christentum identifiziert und klar von Israel unterschieden werden kann, bleibt zu untersuchen. 16

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1.7  Teilfazit Der Vergleich der Struktur der Bücher 1 Baruch und 5 Esra zeigt zwei wichtige Punkte auf: Erstens wurde die Textstruktur 5 Esras m.E. vom Buch 1 Baruch bestimmt, das dem Verfasser von 5 Esra als Muster diente; zweitens lässt sich anhand des Vergleichs dieser beiden Texte nachvollziehen, wie frei 5 Esra mit seinen Bezugstexten verfährt. Wie sich gezeigt hat, finden sich in beiden Texten dieselben Grundelemente: Verfehlungen Israels werden beschrieben, die Reaktion Gottes darauf aufgezeigt, Klage und Trost dargestellt und eine prachtvolle Zukunft geschildert. Obwohl diese Elemente als „klassisch“ für prophetische Texte eingeordnet werden können, ist die Stringenz in der Anordung dieser Elemente und die sich dadurch zeigende Parallelität zwischen 1 Bar und 5 Esra auffallend und ein Zeichen für eine Verbindung zwischen den Texten. Auch ‚feinere‘ Übereinstimmungen in der Struktur sind vorhanden, wie sich an Art und Ausmaß der Sünden und Strafen zeigt, aber auch an den Übergängen von Klage zu Trost und von der Betrachtung der Vergangenheit zum Blick auf Gegenwart und Zukunft. Gleichzeitig sind zwei Abschnitte18 der Texte im jeweils anderen Text nicht zu finden – der weisheitliche Teil des Buches 1 Baruch (1 Bar 3,9–4,4) und der apokalyptische Abschnitt am Ende von 5 Esra (5 Esra 2,42–48) haben keine Entsprechung im jeweils anderen Text. Dies lässt sich mit der unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzung der Bücher erklären19: 5 Esra gibt scheinbar die Sonderstellung Israels auf und spricht deshalb nicht von der Weisheit als ‚Geschenk‘ JHWHs an Israel, 1 Baruch verwendet keine apokalyptischen Motive und positioniert seine Zukunftsdarstellung ‚innerweltlich‘.   Auch einzelne Textabschnitte wie die Bitten Israels gegenüber JHWH in 1 Baruch oder die Anforderungskataloge in 5 Esra fehlen im jeweils anderen Text. 19   Während in der Forschung oft von einer „mehrstufigen Entstehungsgeschichte“ (Meyer, Ivo, V. Das Buch Baruch und der Brief des Jeremia, in: Zenger, Erich u.a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament. Achte, vollständig überarbeitete Auflage herausgegeben von Christian Frevel (KStTh 1,1), Stuttgart 82012, 585–591, hier 590.) des Buches 1 Baruch gesprochen wird, plädieren O. H. Steck und A. Kabasele Mukenge für eine einheitliche Konzeption des Buches (vgl. Meyer, Baruch, 590.). Davon wird auch in diesem Vergleich ausgegangen und daher keine ursprüngliche Selbstständigkeit des ‚weisheitlichen Abschnittes‘ angenommen. 18



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Die Übereinstimmungen im Grundgerüst und den strukturellen Details der beiden Texte sprechen meiner Ansicht nach dafür, dass der Verfasser von 5 Esra das Buch 1 Baruch kannte und sich von der Struktur des Buches leiten ließ. Dabei sind die aufgezeigten Textelemente in beiden Texten jeweils miteinander verknüpft und greifen ineinander. Theodore Bergren legt seiner Strukturierung der beiden Texte heilsgeschichtliche Stufen zugrunde20; einer derartigen Unterteilung folge ich nicht, sehe aber wie Bergren das Buch 1 Baruch als „template for the structure of his [= der Verfasser von 5 Esra; VH] own work“21. Bedenkt man die gegensätzlichen Grundaussagen der Texte, überrascht die Annahme einer so engen Verbindung. Doch gerade der Vergleich 5 Esras mit dem Buch 1 Baruch zeigt, wie frei 5 Esra Texte verwendet und diese abwandelt. Die Verschiebung von Redeanteilen, die Auslassung bestimmter Passagen und die Übertragung von Inhalten auf andere Personengruppen ermöglichen es, die Vorrangstellung Israels in 5 Esra aufzuheben und Gottes heilsgeschichtlichen Plan abzuändern. Gleichzeitig bleibt 5 Esra jedoch so nahe am Buch 1 Baruch, dass die große Bedeutung dieses ‚jüdischen‘ Textes für 5 Esra klar erkennbar ist. 2  Motivvergleich 2.1  Hinführung Dem Buch 1 Baruch, das laut Gunneweg „durchweg von kanonischen Schriften des AT abhängig“22 ist, wird oftmals jede Originalität abgesprochen23 und seine Bedeutung eher in seiner Schriftgelehrsamkeit gesehen; es macht also auf den ersten Blick wenig Sinn, gerade die Motive von 1 Baruch mit 5 Esra in Bezug zu setzen, da zahlreiche andere und früher entstandene Texte ebenfalls auf diese Motive zurückgreifen und 5 Esra als Bezugstext gedient haben könnten. Wie ein   Vgl. Bergren, Structure, 124f.   Bergren, Structure, 122. 22   Gunneweg, Antonius H. J., Das Buch Baruch, in: Gunneweg, Antonius H. J. u.a. (Hg.), Das Buch Baruch – Der Brief Jeremias, Testament Abrahams, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas (JSHRZ III,2), Gütersloh 1975, 165–182, hier 167. 23   vgl. z.B. Meyer, Baruch, 590. 20 21

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Strukturvergleich zwischen 1 Baruch und 5 Esra aber zeigte, kann als wahrscheinlich angesehen werden, dass 5 Esra 1 Bar kannte und seine Struktur rezipierte. Um die Dimension dieser Verbindung ergründen zu können, liegt es deshalb nahe, auch die Darstellung der die Texte verbindenden Themenfelder zu vergleichen, um eventuelle weitere Bezüge zu erkennen. Sollten sich mögliche Anspielungen 5 Esras auf das Buch 1 Baruch oder eine größere Menge an Echos zeigen, stärkt dies die These, 1 Baruch als wichtigen Bezugstext für 5 Esra einzuordnen. 2.2  Untaten Israels Die Sündhaftigkeit Israels bildet Anfangspunkt und richtungsweisende Grundaussage von 5 Esra. Sie prägt das erste Kapitel des Textes und den Verlauf der Geschichte Gottes mit Israel, wie dies in vielen prophetischen Schriften des AT der Fall ist. So beginnt 5 Esra nach einer Genealogie, die nur in der Handschriftengruppe SA angeführt und wahrscheinlich sekundär24 ist, mit dem Auftrag Gottes (1,5) an Esra, den Propheten (1,1; nur SA), Israel die Untaten und Ungerechtigkeiten vor Augen zu führen, die es gegen Gott verübt habe: 5 Esra 1,5 (SA)25 Vade adnuntia populo meo facinora ipsorum et filiis eorum iniquitates, quas in me admiserunt, ut nuntient filiis filiorum suorum, 6 quia peccata parentum illorum in illis creverunt; obliti enim me sacrificaverunt diis alienis. (CMNEVLK)26 Vade, adnuntia populo meo facinora ipsorum et filiis eorum iniquitates quas admiserunt in me. Filii autem eorum nuntient   Bergren kommt zu dem Schluss: „Given this situation, it can be argued with some persuasiveness that the genealogy and floruit of 5 Ezra found in the French text result from editorial change designed to bring a more original text of 5 Ezra, represented by the Spanish version, into closer conformity with the biblical account. Reasoning in the other direction, there does not seem to be an equally compelling reason for an editor to change the ‚expected‘ genealogy and floruit of Ezra in the French text to the brief, seamingly enigmatic version found in the Spanish. Therefore, in this passage, it seems probable that the Spanish version is more original than the French.“ (Bergren, Fifth Ezra, 176f.). 25   Die Wiedergabe der französischen Handschriftengruppe entspricht der Version von Weber, die sich in der Vulgata findet. 26   Die Wiedergabe der spanischen Handschriftengruppe entspricht Bergrens Fassung in seinem Werk Fifth Ezra. 24



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filiis filiorum suorum 6 quoniam peccata patrum suorum in filios creverunt, propter quod obliti sunt me et sacrificaverunt diis alienis.

Die Untaten des Volkes werden in 5 Esra 1,6–23 dargestellt und von Gott selbst vorgebracht, der über das Fehlverhalten Israels klagt und daraus seine Konsequenzen zieht. Auch in 1 Bar beginnt die von Baruch verfasste Schrift mit dem Bekenntnis der Scham über die eigenen Sünden und den Ungehorsam: 1 Bar 1,15 (LXX)27 καὶ ἐρεῖτε Τῷ κυρίῳ θεῷ ἡμῶν ἡ δικαιοσύνη, ἡμῖν δὲ αἰσχύνη τῶν προσώπων ὡς ἡ ἡμέρα αὕτη, ἀνθρώπῳ Ιουδα καὶ τοῖς κατοικοῦσιν Ιερουσαλημ 16 καὶ τοῖς βασιλεῦσιν ἡμῶν καὶ τοῖς ἄρχουσιν ἡμῶν καὶ τοῖς ἱερεῦσιν ἡμῶν καὶ τοῖς προφήταις ἡμῶν καὶ τοῖς πατράσιν ἡμῶν, 17 ὧν ἡμάρτομεν ἔναντι κυρίου 18  καὶ ἠπειθήσαμεν αὐτῷ καὶ οὐκ ἠκούσαμεν τῆς φωνῆς κυρίου θεοῦ ἡμῶν πορεύεσθαι τοῖς προστάγμασιν κυρίου, οἷς ἔδωκεν κατὰ πρόσωπον ἡμῶν.

2.2.1 Verstöße gegen die Mensch-Gott-Beziehung Ausgehend von der Grundsituation 5 Esras überrascht es nicht, dass sich etwa die Hälfte der genannten Untaten Israels der Mensch-Gott-Beziehung zuordnen lassen und die Verletzung der Beziehung zwischen Israel und JHWH durch das Volk thematisieren. So wirft Gott Israel vor, dass es ihn vergaß (1,6 obliti enim me; 1,14 mei obliti estis), erzürnte (1,7 irritaverunt me) und seinen Namen schmähte (1,22 blasphemantes nomen meum). Diese Formeln finden sich in der Vulgata häufig in Kombination mit Fremdgottverehrung und Israels Murren gegen Gott während der Wüstenwanderung (vgl. Dtn 32,21; Ps 106,21; Jer 3,21; Ez 20,8.13); auch in 5 Esra wird diese Verbindung hergestellt, wie 1,6 (sacrificaverunt diis alienis)28 und 1,15f. (illic murmurastis bzw. murmuratis) zeigen. Die Verehrung fremder Götter wird in 5 Esra zwar als Beispiel der Sünden Israels genannt, aber nicht weiter ausgeführt oder mit weiteren Attributen oder Motiven dargestellt (vgl. anders z.B. Ez 16): Dies lässt die Tat der Fremdgottverehrung an sich zurücktreten und verweist auf die zugrunde liegende Haltung Israels, das durch diese Handlung die Beziehung zu   Die griechischen Fassungen von 1 Baruch in diesem Kapitel entsprechen jeweils der LXX. 28   Zur Formel vgl. 2 Chr 34,25; Jer 44,5. 27

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Gott verletzte. Auch fehlende Dankbarkeit stellt einen Hauptvorwurf Gottes dar: Das Murren bzw. Nicht-Triumphieren des Volkes wird allein in 1,15f. dreimal29 thematisiert. Das wiederholte Einleiten der Fragen Gottes mit nonne zeigt die scheinbare Ungläubigkeit und Hilflosigkeit Gottes, der sein Volk nicht zufriedenstellen kann (vgl. 5 Esra 1,7.17.20). Diese fehlende Wahrnehmung und Wertschätzung der Taten Gottes durch Israel hat in 5 Esra besonderes Gewicht und zieht Konsequenzen nach sich. Auch im Buch 1 Baruch werden Verstöße des Volkes gegen seine Beziehung zu JHWH vorgebracht. Dafür werden wiederholt Begriffe des Abweichens verwendet (1,19 ε͗σχεδιάζομεν; 1,22 ᾠχόμεθα; 4,13 οὐδὲ ἐπορεύθησαν ὁδοῖς ἐντολῶν θεοῦ; 4,28 πλανηθῆναι ἀπὸ τοῦ θεοῦ), was dem Vorwurf des derelinquere in 5 Esra 1,25 nahekommt. Auch das Vergessen Gottes, das dieser Israel in 5 Esra 1,6 zum Vorwurf macht, wird in 1 Bar 4,8 (ἐπελάθεσθε δὲ τὸν τροφεύσαντα ὑμᾶς θεόν) thematisiert. 1 Bar 4,8 ἐπελάθεσθε δὲ τὸν τροφεύσαντα ὑμᾶς θεὸν αἰώνιον, ἐλυπήσατε δὲ καὶ τὴν ἐκθρέψασαν ὑμᾶς Ιερουσαλημ 5 Esra 1,6 (CMNEVLK)30 quoniam peccata patrum suorum in filios creverunt, propter quod obliti sunt me et sacrificaverunt diis alienis.

Ein weiteres verbindendes Motiv ist das Nicht-Hören auf Gott, das auch im Buch Jeremia häufig aufgegriffen wird, und das im Buch Baruch die Selbstanklage Israels einleitet (καὶ ἠπειθήσαμεν αὐτῷ (1,18) und ἠμεθὰ ἀπειθοῦντες (1,19); vgl. 5 Esra 1,8 non obedierunt legi meae; 1,24 noluisti me obaudire). 1 Bar 1,18 καὶ ἠπειθήσαμεν αὐτῷ καὶ οὐκ ἠκούσαμεν τῆς φωνῆς κυρίου θεοῦ ἡμῶν πορεύεσθαι τοῖς προστάγμασιν κυρίου, οἷς ἔδωκεν κατὰ πρόσωπον ἡμῶν. 5 Esra 1,8 (CMNEVLK)31 Haec dicit Dominus: Concute comam capitis tui et excute haec omnia mala super eos, quoniam non obedierunt legi meae. Populus indisciplinatus!   In CMNEVLK wird es zweimal angesprochen: illic murmurastis (1,15) und adhuc murmurat populus (1,16). 30  SA: quia peccata parentum illorum in illis creverunt; obliti enim me sacrificaverunt diis alienis. 31  SA: Tu autem excute comam capitis tui et proice omnia mala super illos, quoniam non oboedierunt legi meae; populus autem indisciplinatus. 29



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Auch die Verehrung fremder Götter kommt in 1 Baruch zweimal zur Sprache: Nach 1 Bar 1,22 wird sie außerdem in 4,7 aufgegriffen (θύσαντες δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ) und als Begründung für die Auslieferung des Volkes an seine Feinde herangezogen, da das Abwenden von Gott diesen zum Zorn gereizt habe32. Die Fremdgottverehrung erhält an dieser Stelle also Gewicht und hat Einfluss auf die Geschichte Israels – der Zorn Gottes wird jedoch nicht als dauerhaft verkündet, sondern es wird dem Volk zugesagt, dass es nicht dem endgültigen Verderben ausgeliefert sei (4,6 ἐπράθητε τοῖς ἔθνεσιν οὐκ είς ἀπώλειαν). 1 Bar 1,22 καὶ ᾠχόμεθα ἕκαστος ἐν διανοίᾳ καρδίας αὐτοῦ τῆς πονηρᾶς ἐργάζεσθαι θεοῖς ἑτέροις ποιῆσαι τὰ κακὰ κατ᾽ ὀφθαλμοὺς κυρίου θεοῦ ἡμῶν.

Während das Murren, das in 5 Esra die Undankbarkeit Israels offenlegt, in 1 Baruch kein einziges Mal genannt wird, zeigt das formelhaft wiederholte ἡμάρτομεν33 (1,17; 2,5; 2,12; 3,2) das Schuldeingeständnis Israels auf. Dieses klare und knappe Bekenntnis lässt den Eindruck entstehen, dass im Buch 1 Baruch die Sündenhaftigkeit durch Israel nicht bestritten wird und klar erkannt wird34, dass aber gleichzeitig die inhaltliche Seite der Untaten weniger im Fokus steht als dies in 5 Esra der Fall ist. 2.2.2 Verletzung der Gebote und Ungehorsam Von großer Bedeutung sind in 5 Esra die Weisungen, die Gott Israel gab35, die das Volk aber verachtete (1,7 consilia mea spreverunt). Es   1 Bar 4,7: παρωξύνατε γὰρ τὸν ποιήσαντα ὑμᾶς θύσαντες δαιμονίοις καὶ οὐ θεῷ. 33   Schreiner nennt diese Sätze (Sündenbekenntnis verbunden mit Nicht-Hören) „Leitgedanken“ und verweist auf den Bezug zu den die Schuld bekennenden Sätzen aus Dan 9,8.10 (von ursprünglich deuteronomistischem Charakter) (vgl. Schreiner, Josef, Baruch (NEB 14), Würzburg 1986, 58.). 34   Saldarini stellt fest, dass „Israel‘s shame is neither a feeling of embarrassment nor a sense of personal guilt; it is, rather, a loss of honor of „face“ – that is, proper and expected public standing. […] In this case, Israel frankly admits its disordered and untenable relationship with the most important member of its social world, God.“ (Saldarini, Book of Baruch, 952.). 35   5 Esra 2,1 (populum cui mandata dedi) zeigt, dass die Gebote als Verbindung zwischen Gott und Israel betrachtet werden und die Identität Israels als Volk Gottes prägen. 32

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ist auffallend, dass für die Gebote und Weisungen Gottes in 5 Esra kein einheitliches Nomen verwendet wird36: Der Text spricht von consilia (1,7; 2,1), lex (1,8) und mandatum (1,3437; 2,1) und verwendet diese Begriffe synonym. Drei Mal findet sich das Verb audire (auch in den Formen obaudire/ oboedire)38 in Verbindung mit Gott selbst oder seinen Geboten im Text: non oboedierunt legi meae (1,8), noluisti me obaudire (1,24) und quae39 (= mandata) audire noluerunt (2,1; nur CMNEVLK).40 In 5 Esra 1,7–2,1 wird die Geringschätzung der Gebote und das Missachten des Willens Gottes durch Israel sechs Mal angeklagt, was verbunden mit den weiteren genannten Untaten Israels, der Verletzung der Beziehung zu JHWH und dem Murren des Volkes gegen Gott, klar betont, dass durch das Volk und sein Verhalten die besondere Stellung Israels und seine Beziehung zu JHWH grundsätzlich infrage gestellt, gering geschätzt und verletzt wurde. Die Bedeutung des Nicht-Gehorchens wird dadurch unterstrichen, dass es im entscheidenden Vers 1,24, in dem Gott ankündigt, Israel zu verlassen, zusammen mit der durch ‚Quid tibi faciam?‘ ausgedrückten Ratlosigkeit Gottes als ausschlaggebender Punkt für die radikale Entscheidung Gottes genannt wird. Dieses Nicht-Hören Israels und seine Missachtung der Gebote führen im weiteren Verlauf des Textes zu einer Unterscheidung und Trennung zwischen Israel und dem ‚anderen Volk‘, das in 1,24 angekündigt wird, und das die Erwartungen, die Gott an es stellt, erfüllen soll und wird.41

  Dies ist auch in 1 Baruch zu erkennen: Der Text nennt δικαιώματα (2,12; 4,13), προστάγματα (1,18; 2,10; 4,1) und ἐντολαι (3,9; 4,13). 37   Die Nichtbeachtung des mandatum wird in 1,34 mit dem Vorwurf quod malum est coram me fecerunt ergänzt und schlägt so eine Verbindung zwischen Geboten und richtigem Handeln. 38   Die Verben audire und oboedire werden in einen Bedeutungszusammenhang gesetzt: Aus dem Nicht-Hören und dadurch Nicht-Wahrnehmen folgt das Nicht-Gehorchen. 39   SA bezieht sich mit quos auf die pueros. 40   Eine ähnliche Formulierung wird z.B. in Ps 81,12ff. (80,12 (VUL): non audivit populus meus vocem meam) verwendet, um die Verstocktheit Israels aufzuzeigen. 41   Dies weisen folgende Verse auf: 1,24: custodientes custodient legitima mea (CMNEVLK) bzw. ut custodiant legitima mea (SA); 1,37: quae dixi audierunt et credunt mihi (CMNEVLK) bzw. me non videntes oculis carnalibus, sed spiritu credent quae dixi (SA). 36



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Auch im Buch 1 Baruch wird das Nicht-Hören und Nicht-­Gehorchen Israels siebenfach42 ausgedrückt. Mit Ausnahme von 1 Bar 2,30 wird ἀκούειν dabei immer mit der φωνὴ κυρίου verknüpft, was einen in der Septuaginta gebräuchlichen Ausdruck abbildet (vgl. z.B. 4 Kön 18,12 (LXX); Ps 80,12 (LXX); Jer 42,21; Dan 9,10 (LXX; Θ)). Das Nicht-Gehorchen steht in 1 Bar in Verbindung mit dem Abweichen Israels von Gottes Geboten, was wiederum τὰ κακά (1,20) begründet, die von Gott gegen Israel gesandt wurden. Dieser Bezug Hören – Gebote findet sich auch in 5 Esra bei jedem der genannten Beispiele. Während in 5 Esra das Nicht-Hören auf Gott jedoch die Verstockung Israels ausdrückt, das seine Beziehung zu Gott gleichsam von sich aus aufkündigt43, betont das Buch 1 Baruch durch das wiederholte ἀκούειν stärker das Bemühen Gottes um sein Volk, dem der Weg zum Heil immer wieder gezeigt wird. 2.2.3 Taten als Sünden Eine kleinere Gruppe von Verfehlungen bilden in 5 Esra konkrete Taten Israels.44 Dreimal wird dabei von Gewalt und Morden gesprochen: 5 Esra 1,26 (SA) Quando invocabitis me, ego non exaudiam vos. Maculastis enim manus vestras sanguine45, et pedes vestri inpigri sunt ad committenda homicidia. (CMNEVLK) Erit enim quando invocaverint me, et ego non exaudiam eos. Maculaverunt enim animas suas et manus sanguine maculatas habent. Pedes vestri non sunt pigri ad effundendum sanguinem. 1,32 (SA) Ego misi pueros meos prophetas ad, vos, quos acceptos interfecistis et laniastis corpora illorum, quorum sanguinem exquiram, dicit Dominus.   1 Bar 1,18; 1,19; 1,21; 2,5; 2,10; 2,24; 2,30.   So heißt es in 5 Esra 1,27: non quasi me dereliquistis, sed vos ipsos, dicit Dominus (SA). 44   Nur in 5 Esra 1,26 und 1,32 werden Gewalttaten Israels angeklagt, diese werden aber als äußerste Zeichen von Verstocktheit und Bosheit dargestellt: Auf die Ermordung der Propheten (1,32) folgt die Ankündigung der Verstoßung des Volkes in 1,33f.: Domus vestra deserta est, proiciam vos sicut ventus stipulam. Et filii procreationem non facient [...]. 45   Vgl. Jes 1,15! Die spanische Handschriftengruppe ergänzt diese Aussage mit der Erweiterung maculaverunt enim animas suas und führt die blutigen Handlungen Israels so auf eine innere Verderbtheit zurück. 42

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(CMNEVLK) Ego misi pueros meos prophetas ad vos, quos acceptos interfecistis et laniastis corpora apostolorum, quorum animas et sanguinem exquiram, dicit Dominus.

Dieses Vergehen gegen die Propheten Gottes, die zu Israel gesandt worden waren (1,32), wird von Gott als klare Verletzung der Beziehung Israels zu ihm verstanden und zieht Gottes strafendes Handeln nach sich (1,32 quorum sanguinem exquiram).46 Gott wird in diesem Abschnitt durch Ausrufe wie Usquequo eos sustinebo? (1,9) oder Quid faciam vobis adhuc? (1,21) als ratlos und enttäuscht dargestellt; sein Zorn spielt eine untergeordnete Rolle (explizit in 1,7). Auch im Buch 1 Baruch werden konkrete Taten Israels angeführt; darunter sind aber keine Gewalttätigkeiten und Morde zu finden, was die Dimension der Sünden Israels an dieser Stelle geringer hält als in 5 Esra. Das Abweichen von den Geboten Gottes wird in 1 Bar 1,22 mit Opfern für fremde Götter verbunden und in den Zusammenhang des ποιῆσαι τὰ κακὰ κατ᾽ ὀφθαλμοὺς κυρίου θεοῦ ἡμῶν eingeordnet. Dies entspricht einer Formulierung 5 Esras: Quod malum est coram me fecerunt (5 Esra 1,34; vgl. Dtn 4,25; 31,29; 2 Kön 3,2 u.ö.). Im Vordergrund stehen in 1 Bar also vor allem das Abweichen von den Wegen Gottes und das Nicht-Hören auf Gottes Stimme, nicht konkrete Verfehlungen des Volkes. Zusätzlich zu diesem Vergehen qualifiziert das Volk sein Verhalten mehrmals selbst als ungerecht (vgl. 2,12) und spricht von der πονηρία (2,26) bzw. ἀδικία (3,8), die das gesamte Volk (vgl. 2,26) bereits seit der Generation der Väter (3,8) betreffen47. Diese Haltung nutzt das Volk dazu, seine Ungerechtigkeit in 2,12 den gerechten Taten Gottes bzw. Geboten Gottes48 gegenüberzustellen. Auch hier wird der Eindruck erweckt,   Das Prophetenmordmotiv weist eine Tradition in biblischen Texten auf und wird z.B. auch in Neh 9,26; 2 Chr 24,20f.; Jer 2,30; 26,20–23; Mt 23,34.37 aufgegriffen. 47   Odil H. Steck hebt hervor, dass Israel in seinem Bußgebet als Teil „des Gesamtvolkes Israel von dessen Anfängen (1,19) an bis jetzt“ spricht und gleichzeitig „sogar voll die gesamte Sündengeschichte ihrer Vorfahren, und zwar bereits vom Exodus aus Ägypten an“ übernimmt (Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 73.). 48   Gunneweg übersetzt mit „Gerechtigkeitsforderungen“ (Gunneweg, Baruch, 173.), Steck mit „Gerechtigkeitserweisen“ (Steck, Odil H., Das Buch Baruch (ATD.A 5), Göttingen 1998, 36.), Schreiner mit „Satzungen“ (Schreiner, Baruch, 61.). 46



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als wiege die Tatsache der Sündhaftigkeit mehr als es die tatsächlichen Sünden tun – das Schuldbekenntnis des Volkes zeigt seine Einsicht und Umkehrbereitschaft und ermöglicht die Kommunikation mit Gott, der seinem Volk den Weg zum Heil offen hält.49 2.2.4 Teilfazit Die Grundlinie in 5 Esra, die Untaten Israels als Verletzung der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk aufzuzeigen, findet im Buch 1 Baruch eine Entsprechung, ist dort aber von geringerem Gewicht. Dennoch sind zahlreiche verbindende Elemente zu erkennen, die bis hin zu wörtlichen Übereinstimmungen reichen. Die Einzelbeispiele, die in den beiden Texten verwendet werden, überschneiden sich immer wieder und gliedern sich in dasselbe Denksystem ein. Dennoch sind unterschiedliche Absichten wahrnehmbar: In 1 Bar wird die Sündhaftigkeit vom Volk selbst unumwunden eingestanden, gleichzeitig wird betont, dass Israel von dem ihm von Gott gebotenen Weg des Heils abgewichen sei. Die Konzentration auf das Nicht-Hören der Stimme Gottes durch Israel zeigt einerseits das Bemühen Gottes um Israel auf und andererseits Israels Taubheit gegenüber Gott. Eine grundsätzliche Schädigung der Beziehung zwischen Gott und Israel wird jedoch nicht thematisiert: Das Volk erlitt Unheil und Verderben wegen der Verletzung der Beziehung zu Gott und wegen seines Ungehorsams und wurde von JHWH seinen Feinden überliefert (vgl. 1 Bar 1,21–2,4) – ebenso muss und kann es nun aber durch seine Umkehrbereitschaft die Gnade Gottes und eine Besserung seiner Lage erhoffen und erflehen. Im Vordergrund stehen daher im Buch 1 Baruch nicht die Sünden Israels an sich, sondern das Eingestehen der Sündhaftigkeit, das Äußern von Scham über die Vergehen (1,15) und die damit verbundene Möglichkeit, von Gott Rettung zu erfahren (2,11). In 5 Esra werden die Untaten Israels vor allem als (beabsichtigte) Missachtung der Beziehung zwischen Israel und Gott gedeutet. Die Undankbarkeit des Volkes und seine Gleichgültigkeit werden   Steck betont dies ebenso: „Ein Israel, das sich fortwährend schamvoll so sehen muss, kann dabei nur noch von Gott, aber nicht mehr zu Gott sprechen. Folgt es, von Baruch gelehrt, betend solchem Erkennen und Bekennen, so ist eben dies Ausdruck seiner Wandlung, Anfang einer Wende, die wieder die direkte Hinwendung zu Gott ermöglicht [...]“ (Steck, Das Buch Baruch, 41.). 49

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h­ ervorgehoben, sein Ungehorsam aus seiner Halsstarrigkeit heraus erklärt. Auch in 5 Esra liegt der Schwerpunkt nicht auf einzelnen Sünden, sondern es soll eine Grundhaltung des Volkes dargestellt werden, dem nicht nur schwerwiegende Sünden zur Last gelegt werden, sondern auch eine umfassende und scheinbar nicht zu überwindende Sündhaftigkeit. Deshalb wird in 5 Esra im Gegensatz zum Buch 1 Baruch die Umkehrbereitschaft des schweigenden Volkes an keiner Stelle thematisiert; stattdessen wird aufgezeigt, dass das Verhalten Israels die Schädigung seiner Beziehung zu Gott vorantreibt. 2.3  Taten Gottes Das Ausmaß der Sündhaftigkeit Israels wird in 5 Esra dadurch noch weiter vergrößert, dass Israels Sünden mit den Taten, die Gott dem Volk erwies, verglichen und in Beziehung gesetzt werden. Diese Taten können dem Komplex des Exodus-Geschehens50 zugeordnet werden und greifen dessen Hauptereignisse auf51. Die erste, durch nonne eingeleitete Frage des Textes in 5 Esra 1,7, die an die Beauftragung Esras, also an die Situationsangabe des Textes, anschließt, beginnt die Klage Gottes und somit den ersten Teil des Textes: 5 Esra 1,7 (SA) Nonne ego eos eduxi de terra Aegypti de domo servitutis?

Dies erinnert an Ex 13,3 und Dtn 5,6 und damit einerseits an das Geschehen, welches die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und die Identität des Volkes begründet, und andererseits an einen der „elementarsten und […] am häufigsten wiederholten Glaubenssätze im Alten Testament“52, an ein „Urbekenntnis Israels“53. Die Rede Gottes umfasst 5 Esra 1,7–2,1 und wird auch wieder durch die Erinnerung an die Herausführung abgeschlossen. 5 Esra 2,1 (SA) Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum istum de servitute   Bergren nennt diese Methode „Exodus-review form“ (vgl. Bergren, Dayyenu, 110.). Er weist eine lange Tradition derselben in Judentum und Christentum auf. 51   Vgl. Bergren, Dayyenu, 113. 52   Noth, Martin, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Darmstadt ²1960, 50. 53   Noth, Überlieferungsgeschichte, 52. 50



ii  1 baruch57

Die Taten Gottes, die in diesem Abschnitt aufgezählt werden, lassen sich zwei Gruppen zuordnen. Zum einen wird wiederholt die Verteidigung des Volkes gegen seine Feinde dargestellt, zum anderen zählt Gott verschiedene Weisen auf, wie er Israel versorgt und ihm Schutz gegen natürliche Widrigkeiten gewährt habe. Ähnlich wie bei der Beschreibung der Untaten Israels bleibt 1 Bar auch bei der Beschreibung der Taten Gottes allgemeiner als 5 Esra. Der Beginn des Schuldbekenntnisses drückt das ‚Thema‘ und die ‚Rollenverteilung‘ in diesem ersten Abschnitt aus: 1 Bar 1,15 Τῷ κυρίῳ θεῷ ἡμῶν ἡ δικαιοσύνη, ἡμῖν δὲ αἰσχύνη τῶν προσώπων.54

Gottes Gerechtigkeit wird in 1 Bar als unzweifelhaft und uneingeschränkt betrachtet; sie muss nicht durch Wundertaten ‚bewiesen‘ werden und aufgrund der bußfertigen Haltung Israels – im Unterschied zu 5 Esra – auch nicht von Gott expliziert werden. 2.3.1 Vorgehen Gottes gegen Israels Feinde Der erste Abschnitt 5 Esras, in dem Gottes Vorgehen gegen Israels Gegner abgebildet wird, konkretisiert die Feinde Israels mit verschiedenen Begriffen, zusätzlich werden einzelne Städte und Volksgruppen genannt. Insgesamt finden sich in 5 Esra 1,10–21 sieben Bezugnahmen auf die Vertreibung und Tötung der Feinde Israels durch Gott, was diesem Motivbereich Gewicht verleiht und etwa die Hälfte aller genannten Taten Gottes für sein Volk umfasst. Sie sind nicht einer klaren chronologischen oder ortsbezogenen Linie nach geordnet. In 1,10 werden reges multi genannt, die Gott propter eos gestürzt habe, was sich inhaltlich auf Dtn 7,24 oder Jos 12 beziehen könnte und somit auf die (bereits in Ex angekündigte) Landnahme. Der sich daran anschließende Halbsatz Pharaonem cum pueris suis et omnem exercitum eius demersi in mare (CMNEVLK) bzw. percussi (SA)   Die Bedeutung dieser Aussage wird von Sean Adams wiedergegeben: „These two verbless clauses stand in stark contrast to each other, as the speaker attempts to depict the vast distance between his community and God. This contrast is emphasized by the use of δέ, a conjunction that normally would not merit discussion, but is noteworthy here because there are only two uses in the first half of Baruch (the other occurs at 2.6).“ (Adams, Baruch, 65.). 54

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wiederum bezieht sich auf den Auszug des Volkes aus Ägypten und auf Ex 15,4, stimmt aber nicht mit der dortigen Formulierung in Vulgata und Vetus Latina überein. Diese Tat Gottes wird in den spanischen Handschriften in 1,16 wiederholt, wo es heißt persecutorem vestrum cum exercitu suo demersi in mare, was inhaltlich keinen Zusatz darstellt und daher eine Doppelung bildet. Auch in 1,11 unterscheiden sich die Handschriftengruppen SA und CMNEVLK: 5 Esra 1,11 (SA) Omnes gentes a facie eorum perdidi et in oriente provinciarum duarum populos Tyri et Sidonis dissipavi et omnes adversarios eorum interfeci. (CMNEVLK) Nonne propter vos Bethsaidam civitatem everti, et ad meridianum duas civitates, Tyrum et Sydonem, igne cremavi, et eos qui adversum vos fuerunt male interfeci?

Während omnes gentes a facie eorum perdidi aus den Handschriften SA auf Dtn 11,23 anspielen könnte, wird in den spanischen Handschriften Bethsaida ins Spiel gebracht. Zwar stimmen die beiden Versionen in der Weiterführung durch die Nennung der Städte Tyrus und Sidon überein55, doch unterscheiden sie sich auch dort in ihrer Aussage: Während in SA die Bewohner der Städte ‚nur‘ vertrieben werden, werden die Städte in CMNEVLK verbrannt (Tyrum et Sydonem igne cremavi) und somit zerstört. Eine letzte Verteidigung des Volkes gegen seine Feinde durch Gott wird in 1,21 angeführt. Dort werden die Volksgruppen der Kananäer, Perisiter und Philister (SA) bzw. Ethäer56 (CMNEVLK) genannt, die Gott a facie vestra vertrieben habe. Dies lässt an Stellen wie Ex 3,8 oder Jos 3,10 denken, in denen Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter als Bewohner Kanaans aufgezählt werden, die von Gott bei der Landnahme vertrieben wurden. In diesen Versen 5 Esras wird die Vertreibung und Tötung feindlicher bzw. konkurrierender Völker jeweils direkt mit Israel in Verbindung gebracht und als Handeln Gottes für sein Volk gekennzeichnet: Alle   Die Städte werden jedoch einmal in oriente lokalisiert, einmal ad meridianum. 56   Wolter identifiziert die Ethei mit den Hetitern. Er begründet seine Folgerung mit der Nennung der Hetiter in den Listen des Alten Testaments (z.B. Ex 3,8) (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 800, FN 21a.). 55



ii  1 baruch59

Verben werden in der ersten Person Singular angegeben und Pronomen eingefügt, die den Bezug zu Israel hervorheben, z.B. propter eos in 1,10, a facie eorum (SA) und adversum vos (CMNEVLK) in 1,11, vestrem in 1,16 und a facie vestra in 1,21. Dies stimmt mit der Gesamtlinie des ersten Teils von 5 Esra überein, die das Bemühen Gottes um sein Volk herausstreicht und dieses dessen Gleichgültigkeit und Ungehorsam gegenüberstellt. Im Buch 1 Baruch wird die Verteidigung des Volkes vor seinen Feinden kein einziges Mal angesprochen. Dies hängt damit zusammen, dass sich das Volk im Exil und somit bereits in der Hand der Feinde befindet (vgl. 1 Bar 2,4; 4,6), was von Gott selbst ausgelöst wurde (vgl. 1 Bar 2,4; 4,15f.). Dementsprechend werden die Befreiung des Volkes und die Bestrafung der Feinde auch nicht als Tat der Vergangenheit, sondern als erhofftes Wirken der Zukunft geschildert und angekündigt (vgl. 1 Bar 4,18.21.25.32–35). 2.3.2 Abhilfe bei natürlichen Widrigkeiten Die weiteren von Gott in 5 Esra vorgebrachten Taten für Israel beziehen sich auf den Durchzug des Volkes durch das Rote Meer und die Wüstenwanderung und auf Gottes Abhilfe bei natürlichen Widrigkeiten. Auf die ersten fünf Aussagen über die Verteidigung Israels vor seinen Feinden folgt ein zweiter Abschnitt, eingeleitet durch haec dicit Dominus (1,12; nur in SA), der 5 Esra 1,13–23 umfasst und mit einer Frage Gottes beginnt, die an die Meerwundererzählung erinnert: 5 Esra 1,13 (SA) Nempe ego vos mare traieci et plateas vobis in invio munitas exhibui; ducem vobis dedi Moysen et Aaron sacerdotem. (CMNEVLK) Nonne ego vos mare transieci, et dextera atque sinistra muros feci? Duces vobis dedi Moysen et Aaron.

Die Formulierung aus CMNEVLK übernimmt das Bild aus Ex 14,2257, auf dessen ersten Teil sich womöglich die Formulierung aus SA bezieht. Der Folgesatz führt Moses und Aaron als Führer des Volkes (CMNEVLK) bzw. Moses als Führer und Aaron als Priester an (SA), diese Bezeichnungen finden sich z.B. in Ex 6,26 bzw. Ex 57   Ex 14,22 (LXX): καὶ εἰσῆλθον οἱ υἱοὶ Ισραηλ εἰς μέσον τῆς θαλάσσης κατὰ τὸ ξηρόν, καὶ τὸ ὕδωρ αὐτοῖς τεῖχος ἐκ δεξιῶν καὶ τεῖχος ἐξ εὐωνύμων.

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28,4; 30,30 u.a. Auch die Feuersäule, die in 1,14 genannt wird, wird im Buch Exodus (z.B. in Ex 13,21) beschrieben und mit dem Auszug aus Ägypten verbunden. Dieser erste Block von Wundertaten Gottes wird in 1,14 als magna mirabilia zusammengefasst und mit dem Vergessen Gottes durch das Volk kontrastiert, was die Undankbarkeit des Volkes hervorhebt. Die weiteren Taten Gottes in 5 Esra 1,15–23 beziehen sich, mit Ausnahme von 1,21, auf die Zeit der Wüstenwanderung und dabei auf sogenannte „Murrerzählungen“58: 5 Esra 1,15.19 verweist auf Ex 16,12–15, die Wachtel- und Brot-Erzählung, 5 Esra 1,20 auf Ex 17,6, wo das Spalten des Felsen am Horeb beschrieben wird, aus dem dann Wasser für das durstige Volk fließt. 5 Esra 1,22 deutet auf Ex 15,23– 25 hin, in dem vom bitteren Wasser von Mara erzählt wird, das durch ein Stück Holz süß wird. 5 Esra greift an diesen Stellen also konkrete Geschehnisse aus der Zeit der Wüstenwanderung auf, wie sie im Buch Exodus dargestellt werden – dabei werden die Taten so beschrieben, dass sie klar zuzuordnen sind. Gleichzeitig werden sie um kleinere Details ergänzt, wie die Bezeichnung des Manna59 in 5 Esra 1,19 als panem angelorum (nur SA; vgl. Ps 77,25 (VUL)60), die Ergänzung des „Wassers“ in 5 Esra 1,20 durch die Mengenangabe in satietate, die in Ex 17,6 fehlt61 oder den Vorwurf des blasphemantes

58   Schart, Aaron, Mose und Israel im Konflikt. Eine redaktionsgeschichtliche Studie zu den Wüstenerzählungen, Freiburg, Göttingen 1990, 47f. Schart sieht als Grundschema für diese Erzählungen Situation – Murrvorwurf – Mose – Jahwe – Mose – Folgen und umschreibt sie so: „Aus Anlaß eines Mangels entsteht ein Konflikt zwischen Mose und Volk. Das Volk bestreitet Moses Legitimität als Führer. Diesen Konflikt entscheidet Jahwe zu Gunsten Moses, wobei die Ausnahmestellung des Mose darin gegenüber dem Volk manifest wird, daß Jahwe nur zu ihm spricht, während er am Volk nur handelt. Es liegt kein Rechtsverfahren zu Grunde, bei dem zwei gleiche Partner ihren Streitfall vor einen neutralen Richter bringen, sondern ein Beschwerdeverfahren an eine übergeordnete Stelle.“ (Schart, Mose, 49; Hervorhebungen durch den Autor). 59   Dieser Begriff wird im Buch Exodus nicht verwendet, findet sich aber z.B. in Dtn 8,3. 60   Weitere Belegstellen nennt Nicklas in Nicklas, Tobias, „Food of Angels“ (Wis 16:20), in: Xeravits, Géza G., Zsengellér, József (Hg.), Studies in the Book of Wisdom (JSJ.S 142), Leiden, Boston 2010, 83–100. 61   In Num 20,11 (LXX) heißt es jedoch ὕδωρ πολύ.



ii  1 baruch61

nomen meum in 5 Esra 1,2262. Das Aufgreifen dieser ‚­Murrerzählungen‘ und die Schilderung in 5 Esra, die so konkret ist, dass die Passagen aus dem Buch Exodus wiedererkannt werden, zeigt, welches Gewicht das Murren, das die Undankbarkeit und Gleichgültigkeit Israels deutlich macht, in 5 Esra hat. In 5 Esra werden noch zwei weitere Handlungen Gottes angeführt, die er dem Volk zu dessen Schutz erwiesen habe, die aber keine (klare) Entsprechung im Buch Exodus finden: In 1,15 spricht JHWH davon, dass er dem Volk ein Lager gegeben habe, in dem es Schutz gefunden habe, worauf es aber erneut mit Murren reagiert habe.63 In 5 Esra 1,20 berichtet Gott, dass er Israel auch vor der Hitze in der Wüste bewahrt habe.64 Dieser Inhalt zeigt keinen direkten Bezug zum Buch Exodus und den Schilderungen der Wüstenwanderungen; damit weicht 5 Esra von seinem vorherigen Schema ab, in dem klare Identifizierungsmöglichkeiten geschaffen waren. Wie in 5 Esra65 ist auch in 1 Bar das Exodus-Ereignis von zentraler Bedeutung: 1 Bar 1,19 benennt, wie es in 5 Esra 1,7 geschieht, als Anfangspunkt für die Geschichte Gottes mit Israel – und für die Sündhaftigkeit des Volkes – den Tag ἧς ἐξήγαγεν κύριος τοὺς πατέρας ἡμῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου; diese Zeitangabe wird im folgenden Vers wiederholt: 1 Bar 1,20 καὶ ἐκολλήθη εἰς ἡμᾶς τὰ κακὰ καὶ ἡ ἀρά, ἣν συνέταξεν κύριος τῷ Μωυσῇ παιδὶ αὐτοῦ ἐν ἡμέρᾳ, ᾗ ἐξήγαγεν τοὺς πατέρας ἡμῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου δοῦναι ἡμῖν γῆν ῥέουσαν γάλα καὶ μέλι ὡς ἡ ἡμέρα αὕτη. 5 Esra 1,7 (CMNEVLK) Nonne ego eos eduxi de terra Aegypti et de domo servitutis? Quare irritaverunt me et consilia mea spreverunt?   In Ex 15,24 murrt das Volk gegen Mose, nicht aber gegen Gott.   In Ex 16,13 (LXX) heißt es καὶ ἀνέβη ὀρτυγομήτρα καὶ ἐκάλυψεν τὴν παρεμβολήν; da auch in 5 Esra in einem Vers von den Wachteln und dem Gewähren des Lagers gesprochen wird, könnte ein Bezug zu Ex 16,13 bestehen. 64   5 Esra 1,20: Propter aestus folia arborum vos texi. (SA) bzw. Propter aestum arbores vobis foliis tectas creavi. (CMNEVLK) 65   Zur Untersuchung des von ihm sogenannten „Exodus-Review“ vgl. Bergren, Theodore A., The Tradition History of the Exodus-Review in 5 Ezra 1, in: Evans, Craig A. (Hg.), Of Scribes and Sages: Early Jewish Interpretation and Transmission of Scripture, Vol. 2, Later Versions and Traditions (SSEJC 10), London, New York 2004, 34–50. 62 63

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Diese Bezugnahme auf die Landnahme findet sich nicht nur in 1 Bar 2,21, sondern ebenso in 5 Esra 1,21, die Beschreibung Kanaans unterscheidet sich aber: 1 Bar 2,21 Οὕτως εἶπεν κύριος Κλίνατε τὸν ὦμον ὑμῶν καὶ ἐργάσασθε τῷ βασιλεῖ Βαβυλῶνος καὶ καθίσατε ἐπὶ τὴν γῆν, ἣν ἔδωκα τοῖς πατράσιν ὑμῶν. 5 Esra 1,21 (SA) Divisi vobis terras pingues, Chananeos et Ferezeos et Philisteos a facie vestra proieci. Quid faciam vobis adhuc? dicit Dominus. (CMNEVLK) Terras vobis pingues dedi. Chananeos, Etheos, Ferezeos, et filios eorum a facie vestra proieci. Quid vobis faciam adhuc?

Ein drittes Mal wird Gottes Herausführen des Volkes aus Ägypten in Bar 2,11 aufgegriffen. Erstmals wird an dieser Stelle Gott von Israel direkt angesprochen und als „Gott Israels“ bezeichnet, was die „in Gott beschlossen[e], anhaltend[e] Kontinuität der Verbundenheit mit Israel“66 betont. Durch die Verbindung dieser Anrede mit der Erinnerung an Gottes Heilshandeln in Ägypten sieht sich Israel in der Lage, JHWH auch jetzt um sein Eingreifen zu bitten.67 Gottes Taten während des Exodus werden in 1 Bar 2,11 in einer Beschreibung zusammengefasst: 1 Bar 2,11 καὶ νῦν, κύριε ὁ θεὸς Ισραηλ, ὃς ἐξήγαγες τὸν λαόν σου ἐκ γῆς Αἰγύπτου ἐν χειρὶ κραταιᾷ καὶ ἐν σημείοις καὶ ἐν τέρασιν καὶ ἐν δυνάμει μεγάλῃ καὶ ἐν βραχίονι ὑψηλῷ καὶ ἐποίησας σεαυτῷ ὄνομα ὡς ἡ ἡμέρα αὕτη,

Es wird also nicht wie in 5 Esra 1,7–23 an einzelne Wunder Gottes erinnert, doch wird Gottes Macht deutlich gemacht und es werden verschiedene Ebenen seiner Taten angedeutet.

  Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 102.   Steck hebt hervor: „Die Einleitung zur Bitte 2,11–12a […] übernimmt, sich ebenso am Jeremiagebet orientierend, die Kontrastierung zwischen dem machtvollem Ansehen, das Gott aus der Ägyptenexodus Israels bis heute gewonnen hat, und dem Zustand der Sünde und Schuld, in dem sein Volk jetzt dasteht. Der Kontrast bereitet die Bitte vor, daß Gott um seinetwillen und nicht um israelitischer Verdienste und Ansprüche willen die Lage nunmehr ändern möge – ein grundlegender theozentrischer Aspekt.“ (Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 101.). 66 67



ii  1 baruch63

2.3.3 Teilfazit Die ausführliche Aufzählung der Wundertaten in 5 Esra, die Gott seinem Volk erwiesen hat, betrifft alle Bereiche, durch die die Existenz Israels bedroht wird – Hunger, Durst, Hitze, Dunkelheit, Gewalt. Durch das Wirken Gottes auf all diesen Ebenen wird klargestellt, wie umfassend Gott sein Volk geschützt und seine Existenz und Identität begründet und bewahrt hat. Die Verknüpfung einzelner Taten mit Fragen und Ausrufen (z.B. 1,14 Vos autem mei obliti estis; 1,16 et non triumphastis in nomine meo de perditione inimicorum vestrorum, sed adhuc nunc usque murmuratis; 1,21 Quid faciam vobis adhuc?) lässt das Fehlverhalten Israels noch radikaler erscheinen und macht seine Undankbarkeit noch weniger nachvollziehbar. Anders ist dies im Buch 1 Baruch: Die geringe Anzahl von Wundertaten, die dort angeführt werden, aber auch ihre jeweils untergeordnete Stellung im Satz unterscheiden 1 Bar deutlich von 5 Esra. Zwar beziehen sich die Taten Gottes in beiden Büchern auf das Exodusgeschehen, doch dienen sie in 1 Baruch der Identitätssicherung Israels und der Vergewisserung seiner Beziehung zu Gott. Das Aufzeigen der Wirkung der Taten und ihrer Bedeutung für die Geschichte von Gott und Israel ist im Buch 1 Baruch wichtiger als die Anzahl der Wundertaten, die Gott dem Volk erwies, ihr Umfang oder die einzelnen Umstände.68 Nicht die einzelnen Taten Gottes stehen im Vordergrund, sondern der Aufweis von Gottes Macht und seiner Bedeutung für die Identität und Existenz Israels. Das Aufgreifen des Exodus und der Landgabe verbinden 5 Esra und 1 Bar, jedoch sind diese so verbreitete Motive, dass von ihnen keine Bezugnahme abgeleitet werden kann. 2.4  Klage und Trost der Mütter 5 Esra 2,2–4 enthält die Darstellung Jerusalems69 als Mutter, die den Verlust ihrer Kinder, des Volkes Israel, betrauert. Diese Verse zeigen die insgesamt klarste Bezugnahme 5 Esras auf einen biblischen Text   In diesen Zusammenhang ist auch einzuordnen, dass im Buch 1 Baruch das Wiedererkennen der Passagen aus dem Buch Exodus, das in 5 Esra gegeben ist, nicht möglich ist (mit Ausnahme von Exodus und Landgabe). 69   Der Name ‚Jerusalem‘ wird in 5 Esra nicht verwendet, die Zuordnung kann aber aus dem Kontext abgeleitet werden (vgl. auch Wolter, 5. EsraBuch, 807, FN 2a.). 68

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auf: Hier werden deutliche intertextuelle Bezüge zwischen 5 Esra und dem Buch 1 Baruch sichtbar.70 Das Motiv des personifizierten bzw. trauernden Jerusalems findet sich auch in anderen Texten71 wie Jes 49,14ff.; 50,1; 54,1.6; Mi 1,16; Klgl 1,1ff.; Gal 4,26; 4 Esra 9,38ff. und 2 Bar 3,1–3; die Kombination aus dem Verlust des Volkes, der Bezeichnung Jerusalems als vidua und dem Sprechen Jerusalems beinhalten jedoch nur 1 Baruch und 5 Esra. Das Spannungsfeld Jerusalem – Gott – Israel ist in beiden Texten von größter Bedeutung, wird aber auch sehr unterschiedlich ausgestaltet. Während 1 Bar 4,8–5,9 Jerusalems Klage, das Trösten ihrer Kinder und den Trost, den sie selbst durch Baruch erfährt, abbildet, spricht 5 Esra von der Klage Jerusalems und seiner Verwünschung (2,2–7), dann aber von der Tröstung einer scheinbar anderen Mutter, die von Gott als erwählt bezeichnet und in 2,40 schließlich mit Zion identifiziert wird.72 70   Knibb (Knibb, Second Book, 89.) führt das Muttermotiv primär auf Jes 49,14–21; 54,1 zurück. Dort wird Jerusalem aber als kinderlos dargestellt. 5 Esra und 1 Baruch verbinden der Verlust der Kinder und wörtliche Bezüge, zudem der Zusammenhang von Klage und Trost. 71   Zur Bedeutung der Darstellung Jerusalems als Frau schreibt Mark E. Biddle: „the feminine imagery employed in the Hebrew Bible with reference to Jerusalem is not the result of the whims of individual poets, but rests on well-developed traditions of great antiquity and geographical scope. […] Israel modified the city-concept in a rather sophisticated manner. Seen from a modern standpoint, personification is an interesting literary device, a technique which allows for the treatment of objects and concepts in more dramatically involved ways than is the norm; seen against the background of cities identified with patron deities or themselves deified, the personification of Jerusalem becomes a theological device, as well, allowing for dramatic development, but also setting Jerusalem in proper relation to her God.“ (Biddle, Mark E., The Figure of Lady Jerusalem. Identification, Deification and Personification of Cities in the Ancient Near East, in: Younger, K. Lawson u.a. (Hg.), The Biblical Canon in Comparative Perspective. Scripture in Context IV (Ancient Near Eastern Texts and Studies 11), Lewiston 1991, 173–194, hier 186f.). 72   Auszüge aus dieser Passage wurden in der Schrift „De Altercatione Ecclesiae et Synagogae“ aufgegriffen, in der ein Disput zwischen zwei Frauen, Ecclesia und Synagoga dargestellt wird. Dort heißt es: Nam memor es quid ex persona tua Esdras ille propheta tuus exclamet ubi filiis tuis miserabilem servitutem indixisti: „Ite, filii, quia vidua sum et derelicta, educavi vos cum laetitia, amisi vos cum luctu et tristitia.“ (vgl. 5 Esra 2,2)



ii  1 baruch65

2.4.1 Klage Die Klage ‚Jerusalems‘ beginnt in 5 Esra plötzlich und ohne eine genauere Einführung der Person der Mutter, wie es auch in 1 Bar 4,8 der Fall ist73; sie wird als mater quae eos (= populus = Israel) generavit bezeichnet und nicht mit weiteren Eigenschaften versehen. Auch ihre Trauer wird in 5 Esra 2,2–4/5a komprimiert dargestellt, während diese in 1 Bar die Verse 4,9–20 umfasst. Damit steht in Beziehung, dass die Aussagen Jerusalems aus dem Buch 1 Baruch in 5 Esra nur teilweise übernommen werden. 5 Esra 2,2 (SA) Mater quae eos generavit dicit illis: Ite, filii, quia ego vidua sum et derelicta. 3 Educavi vos cum laetitia et amisi vos cum luctu et tristitia, quoniam peccastis coram Domino Deo et quod malum est coram me fecistis. 4 Modo autem quid faciam vobis? Ego enim vidua sum et derelicta. Ite, filii, et petite a Domino misericordiam. (CMNEVLK) Matrem sibi progeneraverunt quae dicit eis: Ite, filii, quoniam vidua sum et derelicta. 3 Educavi vos cum laetitia, amittam vos cum fletu et luctu, quoniam peccastis coram Domino Deo et fecistis iniquitatem in conspectu eius. 4 Modo autem quid faciam vobis?; quia vidua sum et derelicta a filiis meis. Ite, filii, petite a Domino misericordiam. 5 Ego enim desolata sum.

Diese Formulierungen sind eine Zusammenstellung aus 1 Bar 4,8–23: 1 Bar 4,8 ἐπελάθεσθε δὲ τὸν τροφεύσαντα ὑμᾶς θεὸν αἰώνιον, ἐλυπήσατε δὲ καὶ τὴν ἐκθρέψασαν ὑμᾶς Ιερουσαλημ·9 εἶδεν γὰρ τὴν ἐπελθοῦσαν ὑμῖν ὀργὴν παρὰ τοῦ θεοῦ καὶ εἶπεν ᾿Ακούσατε, αἱ πάροικοι Σιων, ἐπήγαγέν μοι ὁ θεὸς πένθος μέγα·10 εἶδον γὰρ τὴν αἰχμαλωσίαν τῶν υἱῶν μου καὶ τῶν θυγατέρων, ἣν ἐπήγαγεν αὐτοῖς ὁ αἰώνιος 11 ἔθρεψα γὰρ αὐτοὺς μετ᾽ εὐφροσύνης, ἐξαπέστειλα δὲ μετὰ κλαυθμοῦ καὶ πένθους. 12 μηδεὶς ἐπιχαιρέτω μοι τῇ χήρᾳ καὶ καταλειφθείσῃ ὑπὸ πολλῶν· ἠρημώθην διὰ τὰς ἁμαρτίας τῶν τέκνων μου, διότι ἐξέκλιναν ἐκ νόμου θεοῦ, 13 δικαιώματα δὲ αὐτοῦ οὐκ ἔγνωσαν οὐδὲ ἐπορεύθησαν ὁδοῖς ἐντολῶν θεοῦ οὐδὲ τρίβους παιδείας ἐν δικαιοσύνῃ αὐτοῦ ἐπέβησαν. 14 ἐλθάτωσαν αἱ πάροικοι Σιων, καὶ μνήσθητε τὴν αἰχμαλωσίαν τῶν υἱῶν μου καὶ θυγατέρων, ἣν ἐπήγαγεν (vgl. Bergren, Fifth Ezra, 59f.; s. auch Einleitung.). Auf diese Bezugnahme lässt sich wohl auch zurückführen, dass die Mutter aus 5 Esra 2,15ff. meist mit der Kirche gleichgesetzt wird, was aber in Bezug auf die textliche Basis keinesfalls zwingend ist. 73   Dort wird die Mutter jedoch als „Jerusalem“ benannt.

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αὐτοῖς ὁ αἰώνιος·15 ἐπήγαγεν γὰρ ἐπ᾽ αὐτοὺς ἔθνος μακρόθεν, ἔθνος ἀναιδὲς καὶ ἀλλόγλωσσον, οἳ οὐκ ᾐσχύνθησαν πρεσβύτην οὐδὲ παιδίον ἠλέησαν 16 καὶ ἀπήγαγον τοὺς ἀγαπητοὺς τῆς χήρας καὶ ἀπὸ τῶν θυγατέρων τὴν μόνην ἠρήμωσαν. 17 ἐγὼ δὲ τί δυνατὴ βοηθῆσαι ὑμῖν; 18 ὁ γὰρ ἐπαγαγὼν τὰ κακὰ ὑμῖν ἐξελεῖται ὑμᾶς ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ὑμῶν. 19 βαδίζετε, τέκνα, βαδίζετε, ἐγὼ γὰρ κατελείφθην ἔρημος·20 ἐξεδυσάμην τὴν στολὴν τῆς εἰρήνης, ἐνεδυσάμην δὲ σάκκον τῆς δεήσεώς μου, κεκράξομαι πρὸς τὸν αἰώνιον ἐν ταῖς ἡμέραις μου. 21 θαρσεῖτε, τέκνα, βοήσατε πρὸς τὸν θεόν, καὶ ἐξελεῖται ὑμᾶς ἐκ δυναστείας, ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν. 22 ἐγὼ γὰρ ἤλπισα ἐπὶ τῷ αἰωνίῳ τὴν σωτηρίαν ὑμῶν, καὶ ἦλθέν μοι χαρὰ παρὰ τοῦ ἁγίου ἐπὶ τῇ ἐλεημοσύνῃ, ἣ ἥξει ὑμῖν ἐν τάχει παρὰ τοῦ αἰωνίου σωτῆρος ὑμῶν. 23 ἐξέπεμψα γὰρ ὑμᾶς μετὰ πένθους καὶ κλαυθμοῦ, ἀποδώσει δέ μοι ὁ θεὸς ὑμᾶς μετὰ χαρμοσύνης καὶ εὐφροσύνης εἰς τὸν αἰῶνα.

Die Vulgata gibt folgenden lateinischen Text dazu an: 1 Bar 4,8 (VUL) obliti autem estis eum qui nutrivit vos et contristastis nutricem vestram Hierusalem 9 vidit enim iracundiam a Deo venientem vobis et dixit audite confines Sion adduxit enim mihi Deus luctum magnum 10 vidi enim captivitatem populi mei filiorum meorum et filiarum quam superduxit illis Aeternus 11 nutrivi enim illos cum iucunditate dimisi autem illos cum fletu et luctu 12 nemo gaudeat super me viduam et desolatam a multis derelicta sum propter peccata filiorum meorum quia declinaverunt a lege Dei 13 iustitias autem ipsius nescierunt nec ambulaverunt per vias mandatorum Dei neque per semitas veritatis eius cum iustitia ingressi sunt 14 veniant confines Sion et memorentur captivitatem filiorum et filiarum mearum quam superduxit illis Aeternus 15 adduxit enim super illos gentem de longinquo gentem inprobam et alterius linguae 16 qui non sunt reveriti senem neque puerorum miserti sunt et abduxerunt dilectos viduae et a filiis unicam desolaverunt 17 ego autem quid possum adiuvare vos 18 qui enim adduxit super vos mala ipse vos eripiet de manibus inimicorum vestrorum 19 ambulate filii ambulate ego enim derelicta sum sola 20 exui me stola pacis indui autem me sacco obsecrationis et clamabo ad Altissimum in diebus meis 21 animaequiores estote filii clamate ad Dominum et eripiet vos de manu principum inimicorum 22 ego enim speravi in Aeternum salutem vestram et venit mihi gaudium a Sancto super misericordia quae veniet vobis ab Aeterno salutari nostro 23 emisi enim vos cum luctu et ploratu reducet autem vos mihi Deus cum gaudio et iucunditate in sempiternum

5 Esra greift in seinem gesamten ersten Teil weitestgehend auf Texte des Alten Testaments zurück und macht dies auch erkennbar; eine derartig enge Übereinstimmung der Formulierungen ist jedoch nur an



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dieser Stelle und nur zum Buch 1 Baruch gegeben. In den beiden Texten werden dieselben inhaltlichen Aussagen getroffen: Die Mutter Israels wird als trauernde Hinterbliebene dargestellt, die den Verlust ihrer Kinder beweint. Es wird nicht, wie z.B. in 4 Esra, vom Tod der Kinder (dort des Sohnes) gesprochen74, sondern von der Wegführung dieser, was sich in 1 Baruch auf das Exil bezieht, in 5 Esra jedoch im Kontext der Verstoßung Israels steht.75 Auch wird Jerusalem nicht als von Anfang an kinderlos dargestellt, wie es in Jes 49,20f. der Fall ist. In beiden Texten werden die Kinder aufgefordert, von der Mutter wegzugehen (1 Bar 4,19; 5 Esra 2,4); im Buch 1 Baruch wird gleichzeitig aber klar von der (gewaltsamen) Wegführung der Söhne und Töchter gesprochen: 1 Bar 4,10 εἶδον γὰρ τὴν αἰχμαλωσίαν τῶν υἱῶν μου καὶ τῶν θυγατέρων, ἣν ἐπήγαγεν αὐτοῖς ὁ αἰώνιος

In dieselbe Richtung weist auch die französische Version von 5 Esra 2,3, die die Perfektform amisi verwendet, während die spanischen Handschriften mit der Futurform amittam die Deutung ermöglichen, dass ‚Jerusalem‘ ihre Kinder selbst von sich weist. In 5 Esra wird nicht deutlich, ob die Trauer Jerusalems durch den Verlust der Kinder oder durch deren Sünden hervorgerufen wird – dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass die Klage Jerusalems dort nur verkürzt wiedergegeben wird und Aussagen wie in 1 Bar 4,14 entfallen. Als Ursache für diesen Verlust werden in beiden Texten die Sünden Israels angegeben, was im Buch 1 Baruch in 4,12f. dreifach expliziert wird. Es ist auch in 5 Esra und 1 Bar übereinstimmend JHWH, der das Unheil über sein Volk brachte und dafür Verantwortung trägt (explizit in 1 Bar 4,9; 5 Esra 1,33). Im Buch 1 Baruch wird zusätzlich ein „Volk von weit her“ (1 Bar 4,15) genannt, das Gott gegen Israel geführt habe und dessen Beschreibung an Jer 5,1576 erinnert. J­ erusalem   Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den Texten besteht darin, dass in 4 Esra der Tod des Sohnes direkt mit der Zerstörung des Tempels und der Aufhebung des Kultes verknüpft ist. In 1 Baruch und in 5 Esra hingegen „spielen […] Zerstörung und Wiederaufbau der Stadt keine Rolle“ (Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 172.). 75   So wird implizit eine viel größere Dimension in den Blick genommen als dies in 1 Baruch geschieht. 76   Jer 5,15 (LXX): ἰδοὺ ἐγὼ ἐπάγω ἐφ᾽ ὑμᾶς ἔθνος πόρρωθεν, οἶκος Ισραηλ, λέγει κύριος, ἔθνος, οὗ οὐκ ἀκούσῃ τῆς φωνῆς τῆς γλώσσης αὐτοῦ. 74

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bezeichnet sich in beiden Texten als gänzlich hilflos und einsam, ein Zustand, den die Sünden ihrer Kinder hervorgebracht haben (1 Bar 4,12); sie verweist aber (auch in 5 Esra!) auf Gott, der das Schicksal ihrer Kinder ändern könne (1 Bar 4,18; 5 Esra 2,4). Bedeutsam ist die Antithese in 5 Esra 2,3 bzw. 1 Bar 4,11, die in dieser Formulierung keine biblische Parallele findet und deshalb ein deutliches Anzeichen für eine wahrscheinliche Anspielung bildet. Auf die Klage ‚Jerusalems‘ folgt in 5 Esra eine Verwünschung der Mutter und ihrer Kinder, die verschiedene Unklarheiten aufweist. Es ist nicht eindeutig erkennbar, wer Sprecher dieses Abschnitts ist77: 5 Esra 2,1 wurde eingeleitet durch haec dicit Dominus, dort war Gott selbst also Sprecher. Darauf folgte in 2,2–4 die Klage Jerusalems; 2,5 beginnt nun mit ego autem te, pater, testem invoco super matrem filiorum. Der Titel pater wird bereits in 1,38 verwendet, wo Gott auf diese Weise wohl Esra anspricht.78 Wolter sieht eine Parallele zu einer derartigen Bezeichnung Jeremias durch Baruch in den Paraleip. Jer. 2,2.4.6.7; 5,5.22; 9,8; aber auch dort geschieht diese Anrede eines Propheten nicht durch Gott selbst.79 Zudem bleibt offen, wie der Finalsatz aus 5 Esra 2,6 (ut des eis confusionem et matrem eorum in direptionem80) einzuordnen ist: Wenn man annimmt, dass Gott sich 77   Myers gibt keine Deutung für 5 Esra 2,5 (vgl. Myers, I and II Esdras, 156.), Knibb ergänzt in seiner Übersetzung hinter „father“ „Ezra“ (vgl. Knibb, Second Book, 89.), ohne dies näher zu begründen. Wolter bezieht das Wort „Vater“ ebenfalls auf Esra (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 808.), ohne auf das schwer einzuordnende testamentum tuum der spanischen Handschriftengruppe näher einzugehen. 78   Bensly bringt die Möglichkeit ins Spiel, dass es sich an dieser Stelle (in einer Abschrift eines angenommenen griechischen Urtexts) um eine Verschreibung von περίβλεψαι in πάτερ βλέψαι handeln könnte, was durch die Verwendung dieses Verbs in 1 Bar 4,36 und 5,5 gestützt wird (vgl. Bensly, Robert L., The missing Fragment of the Latin Translation of the Fourth Book of Ezra, Cambridge 1875, 24, Anm. 3.). 79   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 805, FN 38a. 80   Dieses Substantiv wird in Jes 42,24 auf Israel bezogen (und die Strafe mit dem Übertreten der Gebote begründet!), in Ez 25,7 auf die Ammoniter; die Völker werden dort zur Beute, zum Raub. Die direptio (in 5 Esra 2,6) wird in der Forschung mit dem Fall Jerusalems 70 n.Chr. oder auch der Eroberung durch Hadrian 135 n.Chr. in Verbindung gebracht (vgl. z.B.



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hier an Esra wendet, ist überraschend, dass der Prophet Esra von Gott dazu aufgefordert wird, Israel Schaden zuzufügen. Ist ihm diese Macht gegeben? Ist nicht eher Gott derjenige, der auf diese Weise handeln würde? Auf Gott als Sprecher81 deutet wiederum der Ausdruck quoniam spreverunt testamenteum meum in 2,7 hin, der Gottes Bund mit Israel ins Spiel bringt. Dieser Ausdruck wird auch in 5 Esra 2,5 verwendet, hier widersprechen sich aber die französischen (testamentum tuum) und die spanischen (testamentum meum) Handschriften, wie sich auch die spanischen Handschriften in sich widersprechen (2,5.7). Eine weitere Unklarheit bringt die Formulierung Ego autem te, pater, testem invoco super matrem filiorum (2,5) mit sich: Die Kombination te testem invoco super ist eher ungewöhnlich, wird aber z.B. in 1 Makk 2,37 für den Ausdruck ‚jemanden als Zeugen für jemanden anrufen‘ verwendet.82 Es überrascht an dieser Stelle, dass Esra (?) als Zeuge für die Mutter Israels angerufen wird, überdies für das Verhalten ihrer Kinder (quia noluerunt testamentum meum servare). Folgende Fragen stellen sich: Wird der Mutter das Fehlverhalten ihrer Kinder zur Last gelegt? Werden Mutter und Kinder als Einheit gesehen, obwohl die Mutter ihre Söhne und Töchter von sich weist? Oder soll die Mutter im Gegenteil von der Sündhaftigkeit Israels ausgenommen werden? Wenn ja, warum wird sie dann der direptio preisgegeben?83

Knibb, Second Book, 89f.). Die Plünderung ist jedoch ein verbreitetes Motiv im Rahmen einer Bestrafung des Volkes durch Gott (vgl. auch Tob 3,4; Jer 15,13); ein historischer Bezug ist möglich, findet aber keinen weiteren Anhaltspunkt im Text. 81   Labourt führt die Möglichkeit an, dass hier Christus zu seinem Vater spricht. Dies ist allerdings wenig überzeugend, da erst in 2,43 ein junger Mann eingeführt wird, der in 2,47 als „Sohn Gottes“ bezeichnet wird, aber weder als sprechend noch in der Welt wirkend charakterisiert wird (vgl. Labourt, Livre, 430.). 82   Das Beispiel 1 Makk 2,37 (EIN: Denn sie sagten: Wir wollen lieber alle sterben, als schuldig werden. Himmel und Erde sind unsere Zeugen, dass ihr uns gegen jedes Recht umbringt.) zeigt, dass ein Zeuge gewöhnlich für das (rechtmäßige) Verhalten einer Partei benannt werden soll. Dies würde bedeuten, dass in 5 Esra 2,5 die Mutter der Kinder ins Recht gesetzt werden soll. 83   Knibb schreibt dazu „Ezra is to confirm the truth of the mother‘s accusation […]“ (Knibb, Second Book, 89.).

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Auf die Klage ‚Jerusalems‘ folgen in 5 Esra also eine Verwünschung Israels und die Androhung seiner Vernichtung – im Buch 1 Baruch wendet sich Jerusalem am Ende seiner Klage trotz seiner Verzweiflung und Vereinsamung an Gott: κεκράξομαι πρὸς τὸν αἰώνιον ἐν ταῖς ἡμέραις μου (4,20). Dieser Unterschied in den Texten spiegelt sich auch in der Fortführung der Klage wider. Doch finden sich in diesem Abschnitt der Klage deutliche Verbindungen zwischen 1 Bar und 5 Esra, die klar für eine direkte Bezugnahme und Anspielungen 5 Esras auf das Buch 1 Baruch sprechen. Bergren bezieht folgende Position in der Frage des Bezuges zwischen 1 Bar 4,8–23 und 5 Esra 2,2–4/5a: „It seems almost certain that there is a literary relationship of some type between 5 Ezra and Baruch (see also the further parallel discussed below). While it is possible in theory that the two works know a common source or derive from common prophetic traditions there is no sure evidence of such a source or traditions. Prima facie, it seems most likely that one of the two is dependent on the other. […] Given the available evidence, it seems most reasonable to theorize that 5 Ezra knew Baruch. Influence in the opposite direction or dependence on a common source cannot, however, be excluded. It is also possible that the author of 5 Ezra was familiar with material from Baruch in some form other than a continuous, complete text of that book. If 5 Ezra is dependent on a text of Baruch similar to that known today, it seems clear that the situation in 5 Ezra is one of ‚allusion‘ or selective reference rather than extended, word-for-word quotation.“84

2.4.2 Trost Nach den Übereinstimmungen in der Darstellung der Klage Jerusalems zeigt der Fortgang der Texte die großen Richtungsunterschiede des Buches 1 Baruch und 5 Esras auf. Nach der Klage Jerusalems und der Verwünschung Israels folgt in 5 Esra ein Umbruch: Mit 2,10 hat Israel seine Stellung als Volk Gottes verloren – das ‚andere Volk‘ wurde zum populus meus, ihm wird von Gott das Reich Jerusalem zugesagt, das für Israel bestimmt war. Auf diese Prophezeiung hin wird in 5 Esra 2,15.17.30 eine Mutter angesprochen, die ebenso wenig wie die Mutter in 2,2 näher charakterisiert wird. Da ihren Kindern jedoch Heil und nicht – wie der Mutter Israels – Unheil zugesagt wird, wird sie in der Forschung   Bergren, Fifth Ezra, 259f.

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z.T. als ‚Kirche‘ identifiziert und von ‚Jerusalem‘ unterschieden.85 Hogan verweist jedoch richtig darauf, dass in Gottes Rede in 2,15– 32 auf keine Weise angezeigt wird, dass Gott sich hier an eine zweite Mutter wendet.86 Auch in 1 Baruch erfolgt der Wechsel von Verzweiflung zu Tröstung bei Mutter Jerusalem scheinbar plötzlich (1 Bar 4,20f.30) – dies weist für 5 Esra ebenso die Möglichkeit auf, dass dort Jerusalem getröstet wird. Die Identifizierung der Mutter mit Zion zeigt sich so auch schließlich in 5 Esra 2,40f. mit der Aufforderung an Zion, ihre Kinder zu empfangen. Diesem Abschnitt (2,15–32), in dem Gott zu der Mutter spricht, geht der Ruf Testare, testare, caelum et terram, omisi enim malum et creavi bonum, quia vivo ego, dicit Dominus (2,14) voraus, der in der Forschung auf die Ersetzung Israels durch die Kirche hin gedeutet wird.87 Die enge Verbindung Mensch – schlechtes Verhalten, die in 5 Esra 2,14 mit der Deutung auf Israel hin angenommen wird, findet sich ähnlich in Dtn (z.B. 17,7; 19,19 u.ö.) mit der Formel ut auferas malum de medio tui, die auf Menschen bezogen wird, die bestimmte Verfehlungen begehen. Es ist jedoch zu überlegen, ob ein Bezug auf die Handlungsrichtung Gottes und auf eine Abkehr von seinen Zerstörungsplänen möglich ist (vgl. Jes 45,7) – eine Übersetzung könnte dann lauten „Ich habe das Übel/ das Unheil aufgegeben und das Gute geschaffen.“ Eine weitere Möglichkeit wäre, die Adjektive bösem bzw. gutem Verhalten zuzuordnen, wie es auch in Gen 3,5; Am 5,14; Jes 7,16 oder Röm 7,19 der Fall ist. In 5 Esra 2,15–32 folgen umfassende Heilszusagen und Hoffnungsbotschaften für die Mutter und ihre Kinder. Diese stehen auf der Basis der Zusage Gottes an die Mutter, dass er sie erwählt habe (2,15 quoniam te elegi88; auch 2,17). Die Erwählung durch Gott spiegelt in der Hebräischen Bibel die besondere und einmalige Beziehung zwischen Gott und Israel wider und begründet die Sonderstellung des   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 810, FN 15a; Krauter, Theologie, 162.   Vgl. Hogan, Karina Martin, Mother Zion or Mother Church? The Use of Baruch in 5 Ezra (SBL Paper beim Annual Meeting), Atlanta 2015. 87   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 810, FN 14b; Knibb, Second Book, 91. 88   Vgl. Jes 41,9 – dort spricht Gott zu Israel. 85 86

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Volkes, vgl. z.B. Dtn 7,689; Jes 41,990. Das Erwählt-Sein wird in 2,41 auf ‚das Volk‘ ausgedehnt, das als vocatus […] ab initio bezeichnet wird.91 Gott sagt der Mutter und ihren Kindern auf Basis ihrer Erwählung Freude (2,15), Mut (2,17), Ruhe (2,24) und Schutz (2,28) zu. Eine besondere Stellung nimmt dabei die Freude ein, zu der die Mutter insgesamt viermal92 aufgefordert wird und die ihr versprochen wird: Diese wird in 2,15 mit der Erwählung verbunden (educa illos cum laetitia […], quoniam te elegi), in 2,19 mit einer paradiesischen Schilderung (in quibus [= montes inmensos septem habentes rosam et lilium] gaudio replebo filios tuos93); in 2,27 mit den Tagen der Trauer, in denen die Mutter jedoch fröhlich sein werde (alii plorabunt et tristes erunt, tu autem hilaris et copiosa eris) und in 2,30 mit Rettung (Iucundare, mater, cum filiis tuis, quia ego te eripiam94). Diese Fröhlichkeit kann als Gegensatz zur Trauer und Verzweiflung derselben Mutter Jerusalem in 5 Esra 2,3 gesehen werden.

 VUL: […] quia populus sanctus es Domino Deo tuo te elegit Dominus Deus tuus ut sis ei populus peculiaris de cunctis populis qui sunt super terram. 90   VUL: […] in quo adprehendi te ab extremis terrae et a longinquis eius vocavi te et dixi tibi servus meus es tu elegi te et non abieci te. 91   Diese Formulierung wirft erneut die Frage nach dem Verhältnis zwischen Israel und dem ‚anderen Volk‘ auf: Versteht man unter dem ‚Volk aus dem Osten‘ das Christentum, dann muss von einer radikalen Ab- und Auflösung Israels ausgegangen werden, so dass Israel gleichsam in seiner (auch vergangenen) Existenz aufgehoben wird. Eine andere Denkrichtung wäre, im ‚anderen Volk‘ das wahre Israel zu erkennen – dies würde klarer verständlich machen, dass dem Volk Zion (2,40) und die Propheten (1,39f.) zugeordnet werden. Meiner Ansicht nach ist jedoch auch eine Abkehr Gottes von seinen Plänen nicht auszuschließen; seine Drohungen entsprechen, wie sich noch zeigen wird, zum Großteil einer in den prophetischen Schriften des Alten Testament üblichen Dimension. Geht man von einem veränderten Volksverständnis im 2. Jhd. n. Chr. aus, ist auch ein Aufgeben der Exklusivität Israels und eine Ausdehnung des Volksbegriffes denkbar. 92   In den Handschriften CMNEVL wird zusätzlich auch in 2,22 den Sklaven und Freigeborenen und der ganzen Gemeinde (caterva begegnet nur einmal in der Vulgata in Ex 35,4) Freude zugesagt: Servi et liberi tui laetentur, et caterva tua omnis cum iocunditate erit. 93   Die Handschriften CMNEVLK weichen leicht von dieser Fassung ab. 94   Die Handschriften CMNEVL weichen leicht von dieser Fassung ab. 89



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Ebenfalls verbunden mit der Erwählung ist die Zusage paradiesischer Gaben durch Gott in 5 Esra 2,18f., dem sich die Sendung der Propheten Jesaja, Jeremia und in den spanischen Handschriften ­Daniels anschließt, auf deren Rat hin Gott (die Mutter)95 geheiligt habe. Die paradiesischen Motive, zwölf Bäume voller Früchte, Quellen von Milch und Honig und (sieben, SA) Berge voll von Rosen und Lilien finden sich in dieser Form nicht in den biblischen Schriften96; sie enthalten keinen Verweis auf eine jenseitige Welt, die getrennt ist von der diesseitigen, was diesen Abschnitt von späteren Inhalten (5 Esra 2,34–48) unterscheidet, und erinnern an die Darstellung des Landes Kanaan, z.B. in Ex 3,8 oder 1 Bar 1,20, und an die Nennung der schützenden Bäume in der Wüste in 5 Esra 1,20. Mutter und Kinder werden von Gott wiederholt aufeinander verwiesen (2,15.25.32) und die Mutter zur Fürsorge ihren Kindern gegenüber aufgefordert, Formulierungen wie educa illos cum laetitia (2,15) oder nutri filios tuos (2,25) erwecken dabei den Eindruck, als werde von kleinen, nicht von erwachsenen Kindern97 gesprochen.   In den französischen Handschriften wird kein Objekt für sanctificavi angegeben. Verbunden mit dem folgenden Verb paravi, dem tibi als Objekt angeschlossen ist, könnte es sich jedoch auch in den französischen Handschriften auf die Mutter beziehen. 96   Sieben Berge und einen besonderen Baum, dessen Früchte für die Heiligen bestimmt sind, schildert jedoch 1 Hen 24,2–25,6: „Und ich ging dorthin und sah sieben herrliche Berge, und alle waren – einer vom anderen – verschieden […] Und unter ihnen war ein Baum, wie ich ihn noch nie gerochen hatte, und keiner von diesen noch andere (Bäume) waren so wie er: Er duftete stärker als jeder Wohlgeruch, und sein Blattwerk, seine Blüten und sein Holz werden in Ewigkeit nicht welken. Und seine Frucht ist schön, und seine Frucht gleicht den Trauben einer Palme. […] Und dieser wohlriechende Baum: kein Sterblicher hat die Macht, ihn zu berühren, bis zum großen Gericht; wenn er alles vergelten und vollenden wird für die Ewigkeit, (dann) wird er den Gerechten und Demütigen übergeben werden. Von seiner Frucht (erwächst) den Auserwählten das Leben […]. Da werden sie sich freuen voller Freude und fröhlich sein, am heiligen (Ort) werden sie , seinen Wohlgeruch in ihren Gebeinen, und sie werden ein langes Leben auf Erden leben, wie es deine Väter lebten, und in ihren Tagen wird sie weder Trauer noch Leid, noch Bedrängnis, noch Plage erreichen.“ (Uhlig, Siegbert, Das äthiopische Henochbuch (JSHRZ V,6), Gütersloh 1984, 559–561.). 97   Hier unterscheidet sich 5 Esra von anderen Verwendungen des Mutter Jerusalem-Motivs wie z.B. in 4 Esra, wo der erwachsene Sohn stirbt oder 95

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In den spanischen Handschriften wird die Fürsorge und Barmherzigkeit, zu der die Mutter aufgefordert wird, auf „andere“ ausgeweitet (2,32), da auch die Gnade Gottes nicht beschränkt sei (gratia mea non deficiet).98 Dieser Abschnitt ist im Gegensatz zum vorherigen und nachfolgenden Abschnitt auch dadurch geprägt, dass viele Anforderungen an die Mutter gestellt und Aufträge gegeben werden. Am deutlichsten zeigt sich dies in 2,20–23, wo Gott sich mit elf Imperativen an die Mutter wendet und sie zu ‚Werken der Barmherzigkeit‘ auffordert. Diese betreffen alle sozial benachteiligten oder allgemein beeinträchtigten Gruppen wie Witwen, Waisen, Verkrüppelte, Blinde oder Alte, für die die Mutter sorgen und deren schwierige Situation sie lindern soll. Derartige Aufzählungen finden sich z.B. auch in Jes 58,6f., Jer 7,699 oder Ps 82,3, jedoch weniger umfangreich als in 5 Esra und meist verkürzt auf die Unterstützung von Witwen, Waisen und Fremden. Auch die Sorge für claudum (vgl. Mt 21,14) und mancum100 ist ungewöhnlich und fehlt in den oben genannten Aufzählungen. Der Ausdruck caecum ad visionem claritatis meae admitte (2,21) hebt sich zudem von der Sorge für die sozial Schwächeren ‚im Alltag‘ ab und spricht scheinbar eine eschatologische Dimension an, wie sie in Jes 35,5 oder Lk 4,18 erscheint. Im Rahmen dieser Aufzählung wird in den französischen Handschriften auch von den mortui gesprochen, die die Mutter kennzeichnen und begraben101 solle (5 Esra 2,23 (SA)). Überraschend ist der Auferweckungsgedanke, der in diesem Abschnitt mehrmals ins Spiel gebracht wird: Im ersten Teil von 5 Esra (1,4–2,9) waren Geschehnisse aus der Heilsgeschichte von Gott und Israel und ‚geschichtliche‘ Ereignisse prägend; nun werden auch im Buch 1 Baruch, wo zwar die Erziehung der Kinder angesprochen wird, diese aber erwachsen erscheinen (vgl. 1 Bar 4,27.28.32). 98   Dazu steht in Kontrast, dass nicht näher charakterisierte gentes (SA) bzw. omnes gentes (2,28) als Gegner der Mutter bezeichnet werden, von denen sie sich in den Tagen pressurae et angustiae (2,27) unterscheiden werde. 99   Achtung gegenüber Witwen und Waisen wird hier zur Grundbedingung Gottes dafür, dass er das Volk in dem Land wohnen lässt, das er den Vätern gab. 100   Dieser Ausdruck wird in der Vulgata nicht verwendet. 101   Vgl. Tob 1,17; dort wird auch von der Sorge für Hungernde und Nackte gesprochen.



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in 5 Esra 2,16.23 und wohl auch in 2,31 von Gott die mortui bzw. filii dormientes102 angeführt, die er erwecken werde und in denen er seinen Namen erkennt. Die Erweckung der Toten ist mit der Barmherzigkeit und Gnade Gottes verbunden (2,31) und steht im Kontext des Schutzes der Mutter in den Tagen der Bedrängnis und der Not (2,27). Der Trost für die Mutter durch Gott in 5 Esra 2,15–32 beruht auf der Zusage Gottes, ihr und ihren Kindern umfassenden Schutz und Heil zu schenken: Dies beinhaltet die Rettung vor Gegnern (2,27f.), die Auferweckung der Toten (2,16.23.31) und das Gewähren von Ruhe und Sorglosigkeit (2,24.27). Gleichzeitig werden aber zahlreiche Anforderungen an die Mutter gestellt, um ihr richtiges Verhalten zu sichern. So erinnert dieser Abschnitt an den ersten Teil von 5 Esra, die Darstellung von Gottes Wohltaten für Israel und die Reaktion des Volkes darauf, die aus Sünden und Ungehorsam besteht. Die beiden Abschnitte können aufeinander bezogen werden: Gott erweist seinem Volk Wohltaten – folgt darauf unrechtmäßiges Verhalten, sendet Gott Unheil und Strafe; folgt ein Verhalten entsprechend den Geboten Gottes, verspricht dieser Schutz und Heil. Der Trost, der im Buch 1 Baruch abgebildet wird, untergliedert sich in zwei Abschnitte: Zum einen ermutigt Jerusalem ihre Kinder und äußert statt Klage ab 4,21 Zuversicht und Hoffnung. Zum anderen wendet sich Baruch selbst ab 4,30 an Jerusalem, ermahnt sie zum Mut und verheißt ihr eine prachtvolle Zukunft. Während Jerusalem in 5 Esra ab 2,4/ 5a stumm bleibt und nur als Mutter Israels mit ihrer Klage abgebildet wird, wird in 1 Baruch nicht nur Jerusalems Trauer ausführlich dargestellt, sondern auch die Zuversicht103, zu der sie anschließend gelangt. Dieser Abschnitt   Zur Formulierung vgl. Ps 87,6 (VUL): inter mortuos liber sicut vulnerati dormientes in sepulchris […] 103   Der Trost, den Jerusalem ihren Kindern ausspricht, wird in zahlreichen Antithesen abgebildet: Der Macht der Feinde wird Gottes Rettung gegenübergestellt (4,21.22 χειρὸς ἐχθρῶν – σωτηρίαν), dem Klageruf aus 4,11 wird in 4,23 der zuversichtliche Ausruf ἐξέπεμψα γὰρ ὑμᾶς μετὰ πένθους καὶ κλαυθμοῦ, ἀποδώσει δέ μοι ὁ θεὸς ὑμᾶς μετὰ χαρμοσύνης καὶ εὐφροσύνης εἰς τὸν αἰῶνα entgegnet. Der Wegführung folgt die Rettung (4,24 αἰχμαλωσίαν – σωτηρίαν), der Verfolgung die Vernichtung der Feinde (4,25 κατεδίωξέν σε ὁ ἐχθρός σου – ἀπώλειαν), der Strafe das Erbarmen (4,27 τὰ κακὰ – τῆς σωτηρίας). Dabei werden fast exakt dieselben Begriffe wie in 4,11 verwendet, nur mit umgekehrter Aussage – dies zeigt, wie radikal und vollständig sich die Situation wandeln wird. Ergänzt 102

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beginnt mit dem Imperativ θαρσεῖτε, τέκνα, βοήσατε πρὸς τὸν θεόν (4,21) und schließt damit an die Aussage Jerusalems in 1 Bar 4,20 an, die Vertrauen auf Gottes Treue ausdrückt. Jerusalem verheißt ihren Kindern Freude und Rettung (4,22.24.29), was sich mit 5 Esra 2,19.27.29.30 deckt; auch das Retten vor den Feinden (1 Bar 4,21.25) wird in 5 Esra 2,27f., das Erbarmen Gottes in 1 Bar 4,22 wie in 5 Esra 2,31 thematisiert. 1 Bar 4,21 θαρσεῖτε, τέκνα, βοήσατε πρὸς τὸν θεόν, καὶ ἐξελεῖται ὑμᾶς ἐκ δυναστείας, ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν. 22 ἐγὼ γὰρ ἤλπισα ἐπὶ τῷ αἰωνίῳ τὴν σωτηρίαν ὑμῶν, καὶ ἦλθέν μοι χαρὰ παρὰ τοῦ ἁγίου ἐπὶ τῇ ἐλεημοσύνῃ, ἣ ἥξει ὑμῖν ἐν τάχει παρὰ τοῦ αἰωνίου σωτῆρος ὑμῶν. 5 Esra 2,19 (SA)104 et totidem fontes fluentes lac et mel et montes inmensos septem habentes rosam et lilium, in quibus gaudio replebo filios tuos. 5 Esra 2,27 (SA)105 Noli satagere, cum venerit enim dies pressurae et angustiae, alii plorabunt et tristes erunt, tu autem hilaris et copiosa eris. 28 Zelabunt gentes et nihil adversum te poterunt, dicit Dominus. 29 Manus meae tegent te, ne filii tui gehennam videant. 30 Iucundare, mater, cum filiis tuis, quia ego te eripiam, dicit Dominus. 31 Filios tuos dormientes memorare, quoniam ego eos educam de latibulis terrae et misericordiam cum illis faciam, quoniam misericors sum, dicit Dominus omnipotens.

Gleichzeitig wird deutlich gemacht, dass dieses Heil noch aussteht: 1 Bar 4,25106 zeigt auf, dass Gottes Zorn noch immer anhält, auch wenn wird in 4,23 nur ὁ θεὸς, der den Wandel ermöglicht und vollzieht – die Zuversicht Jerusalems in 4,21 wurde also erfüllt! 104   5 Esra 2,19 (CMNEVLK): et septem fontes fluentes lac et mel, et montes inmensos habentes rosam et lilium, quos paravi tibi et filiis tuis. Gaudio replevi filios tuos. 105   5 Esra 2,27 (CMNEVL): Noli satisagere; confirma eos. Venient dies pressurae et angustiae. Alii plorabunt et tristes erunt; tu autem hilaris et copiosa eris. 28 Zelo te habebunt omnes gentes, et nihil adversum te poterunt, dicit Dominus. 29 Me tremunt omnia; oculi mei gehennam vident. 30 Iocundare, mater, cum filiis tuis et eripiam te, dicit Dominus. 31 Filios tuos dormientes memorabor, quoniam ego illos exquiram de latitudine terrae. Et confirmare in amplitudine gloriae tuae et misericordiam fac, quoniam misericors sum, dicit Dominus. 106   1 Bar 4,25: τέκνα, μακροθυμήσατε τὴν παρὰ τοῦ θεοῦ ἐπελθοῦσαν ὑμῖν ὀργήν· κατεδίωξέν σε ὁ ἐχθρός σου, καὶ ὄψει αὐτοῦ τὴν ἀπώλειαν ἐν τάχει καὶ ἐπὶ τραχήλους αὐτῶν ἐπιβήσῃ.



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die Rettung des Volkes bald eintreffen werde.107 Wie in 5 Esra geschieht also auch im Buch 1 Baruch die Tröstung in Form von Verheißungen. Eine weitere Übereinstimmung sind die Aufforderungen, die mit der Gewährung von Heil verbunden sind und die in 5 Esra 2,20–23 dargestellt sind: Auch Jerusalem ermahnt ihre Kinder, Gottes Zorn zu ertragen (4,25) und Gott zu suchen (4,28). Der Trost Jerusalems für ihre Kinder endet mit der Zusage, dass Gott, der das Unheil gebracht habe, auch die Rettung bringen werde (4,29), was eine Brücke zum Anfang der Klage schlägt und das Wenden an Gott zum Ausgangspunkt eines Wandels der Situation macht. Ähnlich fordert auch Gott in 5 Esra 2,17.27.30 auf, auf ihn zu vertrauen, da er die Mutter und ihre Kinder schützen werde. An diesen ausführlichen Beitrag Jerusalems schließt sich ab 1 Bar 4,30 eine weitere Rede an, in der sich wohl Baruch108 an Jerusalem wendet und sie mit den zukünftigen Geschehnissen tröstet, die sie, ihre Kinder und deren Feinde betreffen. Dieser Abschnitt konzentriert sich auf die Bestrafung der Feinde Israels und stellt einen Rahmen dar zum Beginn des Buches und der Klage Israels über sein gegenwärtiges Unglück. Auch hier steht zu Beginn der Imperativ Θάρσει, Ιερουσαλημ (vgl. 1 Bar 4,21.27), der damit begründet wird, dass Gott Jerusalem beim Namen gerufen habe (1 Bar 4,30: ὁ ὀνομάσας σε). Dies erinnert an 5 Esra 2,16, wo die besondere Verbindung Gottes zu den Kindern der Mutter ebenso mit den Worten cognovi nomen meum in illis ausgedrückt wird. 2.4.3 Teilfazit Während die Klage in den Büchern 1 Baruch und 5 Esra klare ­Übereinstimmungen aufzeigt, aber bereits in seiner Fortführung ab   Die völlige Umkehrung der Situation wird an die Umkehr des Volkes gebunden: Aus der Abwendung von Gott muss die Hinwendung zu ihm werden, wie es in 1 Bar 4,28 ausgesagt wird: ὥσπερ γὰρ ἐγένετο ἡ διάνοια ὑμῶν εἰς τὸ πλανηθῆναι ἀπὸ τοῦ θεοῦ, δεκαπλασιάσατε ἐπιστραφέντες ζητῆσαι αὐτόν. Diese Hinwendung solle sich nicht nur durch das Vertrauen auf Gottes Treue und Rettung zeigen, aus dem heraus das Volk die gegenwärtige Unheilssituation ertrage (4,25), sondern auch durch das Rufen zu ihm, das auf der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk beruht und diese sichtbar macht (4,21.27). 108   Während Steck davon ausgeht, dass Baruch hier als Sprecher auftritt (vgl. Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 221.), gibt Adams nur an, dass sich Gott durch einen Vermittler an Israel wendet, der möglicherweise Baruch sein könnte (vgl. Adams, Baruch, 136.). 107

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5 Esra 2,5 bzw. 1 Bar 4,20 die verschiedenen Richtungen der Weiterentwicklung der Texte andeutet, unterscheiden sich die Trost-Abschnitte der beiden Bücher in ihrer grundsätzlichen Zuordnung, enthalten jedoch gemeinsame Grundzüge. In 1 Bar sind Klage und Trost deutlich miteinander verbunden: Die Klageinhalte werden in den späteren Zusagen aufgegriffen, gegenwärtiges und künftiges Schicksal aufeinander bezogen. Durch das gesamte Buch 1 Baruch zieht sich dabei eine Linie, die die Beziehung zwischen JHWH und Israel zur Basis hat und die Geschehnisse aus dem jeweiligen Handeln der Parteien ableitet. Diese klare Linie ist in 5 Esra nicht zu finden: Allgemein und umfassend wird der Mutter und ihren Kindern eine sorgenfreie Zukunft zugesagt, die das richtige Verhalten der Mutter zur Bedingung hat, aber keine Bezugnahme mehr auf die Vergangenheit aufweist. Zwar sprechen beide Texte von Freude und Rettung (1 Bar 4,22.24.29; 5 Esra 2,15.19.27f.30), von Feinden, die ein schlimmes Schicksal erleiden werden (1 Bar 4,33f.; 5 Esra 2,27f.), und von Gottes Erbarmen (1 Bar 4,22; 5 Esra 2,31), doch sind insgesamt keine aussagekräftigen Übereinstimmungen in der Motivik der Texte gegeben; man kann also von Echos, nicht aber von wahrscheinlichen Anspielungen sprechen. 2.5  Beschreibung von Heil und Unheil des Volkes bzw. der Völker Sowohl im Buch 1 Baruch als auch in 5 Esra wird von Heil und Unheil gesprochen – dies bezieht sich in 1 Bar jedoch nur auf Israel und seine Gegner, während in 5 Esra das ‚andere Volk‘ als zusätzliche Partei auftritt. Dabei sind auch die Zeitebenen verschoben; im Buch 1 Baruch ist das Unheil für Israel gegenwärtig, zukünftiges Heil wird von Gott prophezeit. In 5 Esra ist nicht klar, inwiefern Gott seine Absichten bereits vollzogen hat – er droht Israel Unheil an und verspricht wohl dem ‚anderen Volk‘ und der Mutter Heil und Schutz; die Erwählung des ‚anderen Volkes‘ ist also mit 5 Esra 2,10 bereits geschehen, doch wird nicht klar, ob damit auch das Unheil über Israel vollzogen wurde. Auch die Heilszusagen stehen dort im Futur. 2.5.1 Unheil für Israel Das Unheil, das Israel erleiden soll, wird in 5 Esra in zwei Abschnitten abgebildet, in 1,24–35 und 2,5–9. Auf die Gegenüberstellung der



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Wohltaten Gottes und der Untaten des Volkes im ersten Abschnitt folgt mit 1,24 ein erster Umbruch im Text: Gott verkündet seinem Volk Israel109, dass er Konsequenzen aus seinem Verhalten ziehen und dessen Beziehungsverhalten ihm gegenüber auf es selbst zurückspiegeln werde. 5 Esra 1,24 (SA) Quid tibi faciam, Iacob? Noluisti me obaudire, Iuda. Transferam me ad alias gentes et dabo eis nomen meum, ut custodiant legitima mea. (CMNEVLK) Quid tibi faciam, Iacob? Noluit obaudire me Iuda. Transferam me ad gentem alteram et dabo illi nomen meum, et custodientes custodient legitima mea.

Auf diese Ankündigung folgt kein näheres Eingehen auf das andere Volk bzw. die anderen Völker, sondern ein erneutes Hinwenden zu Israel. Anschließend werden in 1,25–32 in zahlreichen Gegensatzpaaren – analog zum ersten Teil, der die Zuwendung Gottes und die Abwendung Israels kontrastiert – vergangenes Handeln Israels und zukünftiges Handeln Gottes, aber auch zukünftiges Handeln Israels und Gottes Reaktion darauf gegenübergestellt. Der Abschnitt beginnt mit der Feststellung Gottes, dass Israel ihn verlassen habe, und er es deshalb seinerseits verlassen werde110, was einer Linie entspricht, die sich durch 5 Esra zieht: Gottes Handeln wird als Reaktion und Antwort auf Israels Verhalten gekennzeichnet. Dementsprechend kündigt Gott an, mit seinem zukünftigen Verhalten das Verhalten des Volkes aus der Vergangenheit zu ‚kopieren‘ – dieses habe ihn zurückgewiesen, als er sich um es bemüht habe111 und deshalb werde auch Gott keine Barmherzigkeit mehr zeigen (1,25) und das Volk nicht mehr erhören, wenn es ihn anrufe (1,26). Diese Härte wird mit den B ­ luttaten des Volkes in Verbindung gebracht, die auch in 1,32 noch einmal zur Sprache kommen. Das Werben JHWHs um Israel in der V ­ ergangenheit   Der Name ‚Israel‘ wird in 5 Esra nur in 2,10.33 verwendet. In 1,24 stehen Juda und Jakob stellvertretend für das Volk. 110   Diese Aussage wird zusätzlich in 5 Esra 1,27 wiederholt: Non quia me dereliquistis, dicit Dominus, sed vos. (CMNEVLK) 111   5 Esra 1,28–30 (SA): Haec dicit Dominus omnipotens: Nonne ego vos rogavi ut pater filios et ut mater filias et nutrix parvulos suos, ut essetis mihi in populo, et ego vobis in deum, et vos mihi in filios, et ego vobis in patrem? Ita vos collegi ut gallina filios suos sub alas suas. Modo autem quid faciam vobis? Proiciam vos a facie mea. 109

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wird in 1,28–30 erneut hervorgehoben, was auf den ersten Teil des Textes zurückverweist und Gottes Entscheidung rechtfertigt: Israels Ablehnung Gott gegenüber bildet die Grundlage für Gottes Abkehr von Israel, die in 1,30 noch einmal betont wird (Proiciam vos a facie mea; vgl. 2 Kön 23,27; Jer 7,15). Die Abwendung Gottes von Israel beinhaltet auch die Ablehnung der dies festos et neomeniam et sabbata112 et circumcisiones, die Gott verschmäht (repudiavi, SA) bzw. nicht aufgetragen habe (non mandavi vobis, CMNEVLK).113 Mit 5 Esra 1,33 wird die Zurückweisung Israels verstärkt: Wurde bisher die Verbindung Israels zu Gott infrage gestellt, wird nun die Existenz des Volkes selbst angegriffen. Mit der Drohung domus vestra deserta est (vgl. Mt 23,38) wird Nachkommenschaft für das Volk verweigert (1,34); dies wird wie schon in 1,24.26.32 mit dem Übertreten der Gebote und bösen Taten begründet. Diese Linie setzt sich in 5 Esra 2,6 fort: Da Israel Gottes Bund nicht gehalten habe (2,5) solle seine Mutter der direptio preisgegeben werden, das Volk selbst der confusio. Durch Aussagen wie ne generatio eorum fiat oder nomina eorum deleantur a terra (2,6.7) wird deutlich gemacht, dass eine völlige Aufhebung des Volkes beschlossen ist. Dies wird in 2,7 erneut mit der Verwerfung des Bundes Gottes durch Israel in Verbindung gesetzt. Mit 2,9 wird Israel endgültig aus dem Blickfeld gerückt und nur noch einmal in 2,33 angeführt – Israel hat seine Sonderrolle scheinbar verloren, das ‚andere Volk‘ ist an seine Stelle getreten. Das Unheil, das Israel in 5 Esra trifft bzw. treffen soll, bezieht sich also auf zwei Bereiche: Zum einen verliert das Volk anscheinend seine Sonderstellung, Gott will seine Beziehung zu ihm selbst aufheben. Zum anderen wird Israel die physische Nivellierung angedroht; alle diesbezüglichen Aussagen stehen jedoch im Konjunktiv oder Futur, ihre Erfüllung wird im Text nicht verkündet. Im Buch 1 Baruch bildet das Unheil, das Israel aufgrund seiner eigenen Untaten, jedoch durch Gottes Wirken getroffen habe, Ausgangspunkt und inhaltliche Linie. Es prägt das Bußgebet des ersten   Nur in CMNEVLK   Diese Verweigerung gegenüber Teilen des „jüdischen Ritualgesetzes“ (Wolter, 5. Esra-Buch, 803, FN 31a.) wird oft als Begründung verwendet, warum eine jüdische bzw. judenchristliche Verfasserschaft des Textes als unwahrscheinlich erachtet wird. Jedoch werden auch in Texten aus der Hebräischen Bibel (vgl. z.B. Jer 7,22f.) Opfer zugunsten richtigen Verhaltens entsprechend Gottes Geboten abgelehnt. 112 113



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Teils, wird aber bereits auch in der Einleitung des Textes aufgegriffen, wo in 1 Bar 1,9 von der Wegführung des Volkes nach Babel gesprochen wird. Im Hauptteil des Textes wird das Unheil, das Israel traf, in 1,20 allgemein als τὰ κακὰ καὶ ἡ ἀρά, ἣν συνέταξεν κύριος τῷ Μωυσῇ παιδὶ αὐτοῦ ἐν ἡμέρᾳ, ᾗ ἐξήγαγεν τοὺς πατέρας ἡμῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου gekennzeichnet, also mit Gott, Mose und dem Exodus verknüpft. Ähnlich wird in 2,1 das Wort angeführt, das Gott über das ganze Volk Israel gesprochen habe und das sich nun erfüllt habe; dieses finde sich im Gesetz des Moses. Τὰ κακὰ καὶ ἡ ἀρά wird also als von Gott bewirkt gesehen, es wurde von diesem angekündigt, einerseits durch die Propheten (1 Bar 1,21) und andererseits in den Büchern Moses (2,2). Diese Beschreibung macht deutlich, dass Israel in 1 Baruch sein Unglück ebenso wie Gottes Handeln als gerecht wahrnimmt und als selbstverschuldet betrachtet: Der eigene Ungehorsam und die Verstocktheit werden als Ursachen für die Situation des Volkes gesehen, das die Warnungen Gottes ignoriert habe (1 Bar 1,21; 2,7.10). Die Zerstreuung des Volkes, die auch in 5 Esra 2,7 als Drohung ausgesprochen wird, und die Auslieferung Israels an seine Feinde umfassen einen Großteil der Beschreibungen des Unheils114, die sich   Die Übereignung des Volkes an πάσαις ταῖς βασιλείαις ταῖς κύκλῳ ἡμῶν, also seine Auslieferung und Zerstreuung, wird zum ersten Mal in 1 Bar 2,4 beklagt; sie wird damit der einleitenden Aussage καὶ ἔστησεν κύριος τὸν λόγον αὐτοῦ aus 1 Bar 2,1 angegliedert und als Erfüllung der angekündigten Bestrafung gekennzeichnet. Gleichzeitig wird sie mit dem Attribut εἰς ὀνειδισμὸν καὶ εἰς ἄβατον verbunden, was auch in 3,8 geschieht. Die Unterwerfung unter die feindlichen Könige, die zur Dezimierung Israels führte (2,13: κατελείφθημεν ὀλίγοι ἐν τοῖς ἔθνεσιν, οὗ διέσπειρας ἡμᾶς ἐκεῖ), die also auch die Existenz des Volkes bedroht (vgl. 5 Esra 2,7), bildet nicht nur den Ausgangspunkt der Klage, sondern wird ebenso zur Grundlage für den Bittruf des Volkes zu Gott. Auch im weisheitlichen Teil des Buches 1 Baruch wird in 1 Bar 3,10f. das Ausgeliefertsein an die Feinde aufgegriffen und mit Schmach und Verlorenheit des Volkes verknüpft: τί ἐστιν, Ισραηλ, τί ὅτι ἐν γῇ τῶν ἐχθρῶν εἶ, ἐπαλαιώθης ἐν γῇ ἀλλοτρίᾳ, συνεμιάνθης τοῖς νεκροῖς, προσελογίσθης μετὰ τῶν εἰς ᾅδου. Dort wird als Begründung für das Unglück des Volkes das Verlassen der Quelle der Weisheit (3,12: ἐγκατέλιπες τὴν πηγὴν τῆς σοφίας) angegeben, zu der das Volk wieder zurückkehren müsse. Diese wird in 4,1 mit dem Buch der Gebote Gottes und dem Gesetz identifiziert, das für Israel zugänglich sei; hieran schließt sich eine erste Ermutigung Israels an (4,5f.), 114

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im Buch 1 Baruch finden, was sich in dieser Dimension von 5 Esra unterscheidet. 1 Bar 2,4 καὶ ἔδωκεν αὐτοὺς ὑποχειρίους πάσαις ταῖς βασιλείαις ταῖς κύκλῳ ἡμῶν εἰς ὀνειδισμὸν καὶ εἰς ἄβατον ἐν πᾶσι τοῖς λαοῖς τοῖς κύκλῳ, οὗ διέσπειρεν αὐτοὺς κύριος ἐκεῖ. 1 Bar 3,8 ἰδοὺ ἡμεῖς σήμερον ἐν τῇ ἀποικίᾳ ἡμῶν, οὗ διέσπειρας ἡμᾶς ἐκεῖ εἰς ὀνειδισμὸν καὶ εἰς ἀρὰν καὶ εἰς ὄφλησιν κατὰ πάσας τὰς ἀδικίας πατέρων ἡμῶν, οἳ ἀπέστησαν ἀπὸ κυρίου θεοῦ ἡμῶν. 5 Esra 2,6 (SA)115 ut des eis confusionem et matrem eorum in direptionem, ne generatio eorum fiat. 7 Dispergantur in gentes, nomina eorum deleantur a terra, quoniam spreverunt testamentum meum.

Auch Jerusalem thematisiert in seiner Klage mehrmals (z.B. in 1 Bar 4,10.14.21.24) die Wegführung ihrer Kinder, für die sie ein Volk aus der Ferne verantwortlich macht, das ohne Gnade mit Israel verfuhr: ἐπήγαγεν γὰρ ἐπ᾽ αὐτοὺς ἔθνος μακρόθεν, ἔθνος ἀναιδὲς καὶ ἀλλόγλωσσον, οἳ οὐκ ᾐσχύνθησαν πρεσβύτην οὐδὲ παιδίον ἠλέησαν καὶ ἀπήγαγον τοὺς ἀγαπητοὺς τῆς χήρας καὶ ἀπὸ τῶν θυγατέρων τὴν μόνην ἠρήμωσαν (1 Bar 4,15f.; vgl. 4,26). Bereits in seinem Bußgebet klagte das Volk über Schmach und Gewalt, die seine Väter erleiden mussten, die nicht nur gewaltsam umkamen, sondern deren Leichname überdies auch noch geschändet wurden (2,24f.). Noch drastischer als die Schändung der Gebeine der Vorfahren und Könige ist das in der Einleitung des Bußgebetes in 2,2f. geschilderte Geschehen: Durch die Erfüllung des Wortes Gottes (2,1) sei in Israel das Fleisch der eigenen Kinder gegessen worden.116 Auch die die Begrenztheit des aktuellen Schicksals betont, während gleichzeitig Israels Fehlverhalten erneut als Ursache für die Auslieferung des Volkes angegeben wird (4,6: ἐπράθητε τοῖς ἔθνεσιν οὐκ εἰς ἀπώλειαν, διὰ δὲ τὸ παροργίσαι ὑμᾶς τὸν θεὸν παρεδόθητε τοῖς ὑπεναντίοις). 115   5 Esra 2,6 (CMNEVLK): ut tu des eis confusionem et matrem illorum in direptionem. Ne quando generatio in eis fiat, 7 et dispergantur in gentibus, et nomen eorum deleatur a terra, quoniam respuerunt testamentum meum. 116   Dies bezieht sich wohl zurück auf Lev 26,29, wo JHWH als Strafe für Ungehorsam und das Übertreten seiner Gebote (Lev 26,14) nicht nur droht, Israel seinen Feinden auszuliefern und dessen Untaten siebenfach zu vergelten, sondern auch den Verzehr der eigenen Kinder als Vergeltung anführt. Steck nennt zudem Jer 19,9, das diese Strafe ebenso dem Ungehorsam



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die völlige Aufhebung des Volkes wird in 1 Bar in 2,21–23 von Gott als Strafe für Ungehorsam angekündigt (vgl. 5 Esra 2,6f.), dabei wird Jer 7,34 inhaltlich wiedergegeben117. 1 Bar 2,21 Οὕτως εἶπεν κύριος Κλίνατε τὸν ὦμον ὑμῶν καὶ ἐργάσασθε τῷ βασιλεῖ Βαβυλῶνος καὶ καθίσατε ἐπὶ τὴν γῆν, ἣν ἔδωκα τοῖς πατράσιν ὑμῶν·22 καὶ ἐὰν μὴ ἀκούσητε τῆς φωνῆς κυρίου ἐργάσασθαι τῷ βασιλεῖ Βαβυλῶνος, 23 ἐκλείψειν ποιήσω ἐκ πόλεων Ιουδα καὶ ἔξωθεν Ιερουσαλημ φωνὴν εὐφροσύνης καὶ φωνὴν χαρμοσύνης, φωνὴν νυμφίου καὶ φωνὴν νύμφης, καὶ ἔσται πᾶσα ἡ γῆ εἰς ἄβατον ἀπὸ ἐνοικούντων.

Im Buch 1 Baruch lassen sich ähnliche Grundelemente finden wie in 5 Esra, in beiden Texten erlitt bzw. erleidet Israel Gewalt und Zerstreuung. Doch unterscheiden sich nicht nur die Details der Texte voneinander, sondern es werden auch hier die verschiedenen Grundrichtungen der beiden Texte deutlich: Während in 1 Bar das Exil des Volkes, das in seiner Heimführung mündet, das Zentrum des Textes bildet, thematisiert 5 Esra schwerpunktmäßig die Loslösung Gottes von seinem Volk – eine Entwicklung, die für das Buch 1 Baruch undenkbar bleibt. Gleichzeitig wird das Unglück, das Israel trifft, in 1 Baruch vom Volk selbst stets mit den eigenen Untaten in Verbindung gesetzt und als von Gott und seinen Propheten angekündigt verstanden, was die Gerechtigkeit Gottes hervorhebt. Darin unterscheidet sich der Text deutlich von 5 Esra: Während das Volk dort schweigt, ist es Gott selbst, der sein Unheil rechtfertigt. 2.5.2 Heil für das Volk Während Israel im Buch 1 Baruch zwar gegenwärtig im Unheil lebt, aber auf eine heilvolle Zukunft verwiesen wird, wechselt mit 5 Esra 1,24 kurzzeitig und mit 5 Esra 2,10 endgültig die Blickrichtung und dem ‚anderen Volk‘ wird das Heil zugesagt, das für Israel gedacht war. Wie nahe Israel und das ‚andere Volk‘ verbunden sind, zeigt sich darin, dass das ‚andere Volk‘ alles erhält, was Israel zugesagt oder bereits gegeben war: Gott will ihm seinen Namen geben gegenüber den Worten der Propheten (hier Jeremia, vgl. 18,23) folgen lässt (Steck, Das apokryphe Baruchbuch, 85.). 117   Dies wird durch die einleitende Formel καθάπερ ἐλάλησας ἐν χειρὶ τῶν παίδων σου τῶν προφητῶν λέγων als Prophetenwort gekennzeichnet (1 Bar 2,20).

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(1,24)118, es erhält das Haus bzw. die Häuser Israels (1,35), ihm werden die Propheten und Stammväter Israels zur Seite gestellt (1,38– 40), das Königreich Jerusalem übergeben, das für Israel gedacht war (2,10) und die tabernacula aeterna Israels (2,11) gewidmet. War nach der ersten Nennung des ‚anderen Volkes‘ in 5 Esra 1,24 direkt wieder Israel in den Fokus gerückt, spricht Gott in 1,35–40 über119 das ‚andere Volk‘ und bezeugt ihm gratia (1,37; SA) und laetitia (1,37; nur in SA120). Das ‚andere Volk‘ wird dabei ausschließlich durch seinen Glauben charakterisiert, der nicht an signa (1,35) und das Sehen der Propheten (1,36) gebunden ist und bewirkt, dass das Volk Gottes Geboten folgt (1,35). 5 Esra 1,38–40 schildert das Heraufziehen des Volkes: 5 Esra 1,38 (SA) Et nunc, pater, aspice cum gloria et vide populum venientem ab oriente, 39 quibus dabo ducatum Abraham, Isaac et Iacob et Osee et Amos et Michae et Iohelis et Abdiae et Ionae 40 et Naum et Abacuc, Sofoniae, Aggei, Zacchariae et Malachiae, qui et angelus Domini vocatus est. (CMNEVLK) Iam, pater, aspice cum gloria et vide populum venientem ab oriente, 39 cui dabo ducatum cum Abraham, Isaac, et Iacob, Helia et Enoch, Zacharia et Osee, Amos, Iohel, Michea, Abdia, Sophonia, 40 Naum, Iona, Mathatia, Abacuch, et angelos duodecim cum floribus.

Die Einleitung dieser Szene durch die Aufforderung an Esra121, nach Osten zu blicken, verweist auf 1 Bar 4,36f., das ebenso das Heraufziehen des Volkes aus dem Osten schildert.122 Besonders interessant ist dabei die Kombination der Verben „betrachten“ und „sehen“ in   Auch dies wird direkt verbunden mit dem Einhalten der Gebote: 1,24: et custodientes custodient legitima mea (CMNEVLK) bzw. ut custodiant legitima mea (SA). 119   Erst in 2,13 zeigt sich eine direkte Anrede des ‚anderen Volkes‘ durch Gott, dieses wird dort aber nicht genannt, was den Ansprechpartner Gottes offen lässt; eine sichere erste Anrede (wenn nicht doch wieder Israel damit gemeint ist) findet sich in 5 Esra 2,24. 120   CMNEVLK sprechen über die Freude der Apostel, vgl. 5 Esra 1,37: Testantur apostoli populum venientem cum laetitia. 121   Die Zuordnung des pater ist in 5 Esra nicht eindeutig; Wolter identifiziert hier Esra, beschreibt aber auch die Schwierigkeiten dieser Deutung (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 805f., FN 38a.). 122   Vgl. auch Bergren, Fifth Ezra, 261f. 118



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beiden Texten. Hogan vermutet zudem eine Verbindung zwischen der Freude der Kinder im Ruhm Gottes in 1 Bar 4,37 und 5 Esra 2,36 in der Fassung der französischen Handschriften (accipite iucunditatem gloriae vestrae) bzw. 2,37 in den spanischen Handschriften (vos accipite iocunditatem gloriae vestrae)123, was möglich ist, aber der Tendenz beider Texte entspricht, das Volk zur Freude aufzufordern und seine Herrlichkeit zu verkünden. 1 Bar 4,36 (LXX) περίβλεψαι πρὸς ἀνατολάς, Ιερουσαλημ, καὶ ἰδὲ τὴν εὐφροσύνην τὴν παρὰ τοῦ θεοῦ σοι ἐρχομένην. 37 ἰδοὺ ἔρχονται οἱ υἱοί σου, οὓς ἐξαπέστειλας, ἔρχονται συνηγμένοι ἀπ᾽ ἀνατολῶν ἕως δυσμῶν τῷ ῥήματι τοῦ ἁγίου χαίροντες τῇ τοῦ θεοῦ δόξῃ. (VUL) circumspice Hierusalem ad orientem et vide iucunditatem a Deo tibi venientem 37 ecce enim veniunt filii tui quos dimisisti dispersos veniunt collecti ab oriente usque ad occidentem in verbo Sancti gaudentes in honorem Dei

Während Bergren auch 1 Bar 5,5 mit 5 Esra 1,38 in Verbindung bringt124, verweist Hogan mit Bergren125 auf die interessanten Parallelen zu 5 Esra 2,38,126 das dieselbe Verbfolge aufweist, inhaltlich aber stark abweicht, da es nicht auf das in 1,38–40 geschilderte Heraufziehen des ‚anderen Volkes‘, sondern auf den eschatologischen Abschluss des Textes ausgerichtet ist: 1 Bar 5,5 (LXX) ἀνάστηθι, Ιερουσαλημ, καὶ στῆθι ἐπὶ τοῦ ὑψηλοῦ καὶ περίβλεψαι πρὸς ἀνατολὰς καὶ ἰδέ σου συνηγμένα τὰ τέκνα ἀπὸ ἡλίου δυσμῶν ἕως ἀνατολῶν τῷ ῥήματι τοῦ ἁγίου χαίροντας τῇ τοῦ θεοῦ μνείᾳ. (VUL) exsurge Hierusalem et sta in excelso et circumspice ad orientem et vide collectos filios tuos ab oriente sole usque ad occidentem in verbo Sancti gaudentes Dei memoria 5 Esra 2,38 (SA) Surgite et state et videte numerum signatorum in convivio Domini. (CMNEVLK) Surgite et state et videte numerum signatorum in convivio,

    125   126   123 124

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hogan, Mother Zion. Bergren, Fifth Ezra, 262. Bergren, Fifth Ezra (OTP), 481. Hogan, Mother Zion.

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Mit 2,10 erfolgt der zweite Umbruch des Textes, das ‚andere Volk‘ und dessen Mutter127 sind nun im Blick Gottes. Dies wird dadurch ausgedrückt, dass dem ‚anderen‘ Volk (2,10 Annuntia populo meo…) durch Esra, der erneut mit einem Sendungsauftrag versehen wird, verschiedene Dinge zugesagt werden: 5 Esra 2,10 (SA) Haec dicit Dominus ad Ezram: Adnuntia populo meo, quoniam dabo eis regnum Hierusalem, quod daturus eram Israhel. 11 Et sumam mihi gloriam illorum et dabo eis tabernacula aeterna, quae praeparaveram illis. 12 Lignum vitae erit illis in odore unguenti, et non laborabunt neque fatigabuntur. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus ad Esdram: Annuntia populo meo quoniam paravi eis manducare, et dabo illis regnum Iherusalem quod daturus eram Israel, 11 et sumam sibi gloriam illorum, et dabo eis tabernacula aeterna quae paraveram illis 12 in odore unguenti. Non laborabunt neque fatigabuntur.

In 5 Esra 2,18f. werden der Mutter außerdem zwölf Bäume voller Früchte, Quellen von Milch und Honig und (sieben, SA) Berge voll von Rosen und Lilien versprochen, in denen die Kinder voll Freude sein werden. Neben der Freude und Mühelosigkeit wird dem Volk in 2,24 auch requies tua prophezeit. Die Formel petite (ite, SA) et accipietis in 2,13 hebt die dem Volk ermöglichte Sorglosigkeit erneut hervor, die in diesem Teil des Textes als Hauptgabe Gottes gekennzeichnet wird. Im darauf folgenden Abschnitt wendet Gott sich an die Mutter des Volkes, spricht ihr Trost zu (2,27.30) und fordert sie zur Fürsorge ihren Kindern gegenüber auf (2,15.25.32). Wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben werden ihr von Gott die Auferweckung der Toten (2,16.23.31) und Schutz in den Tagen der Bedrängnis und Not zugesagt (2,27–29). Abschließend führt Gott der Mutter seine Barmherzigkeit vor Augen, die den Kindern gemeinsam mit seiner Gnade zuteilwerden wird (2,32). Während Israel in 5 Esra als Volk Gottes verstoßen werden soll (5 Esra 1,24), kann es sein Unglück im Buch 1 Baruch überwinden und erlebt die glorreiche Rückführung aus dem Exil durch Gottes   Wie bereits erwähnt wird die Mutter in 2,40f. als Zion identifiziert. Zion ist also nicht nur die Mutter Israels, sondern auch die Mutter des anderen bzw. kommenden Volkes, das in 2,10 von Israel unterschieden wird. Dennoch kann Israel diesem ‚anderen Volk‘ angehören, wie u.a. die Verweise auf Gottes Barmherzigkeit (2,14.31f.) andeuten.

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Macht und Treue (1 Bar 5,5–9). Bereits in seinem Bußgebet scheint für Israel die Hoffnung auf, dass Gott sein Schicksal wenden und es aus seinem Unheil retten werde. Trotz seiner Halsstarrigkeit äußert JHWH die Zuversicht, dass sich das Volk im Exil bekehren werde.128 Dies wiederum ermöglicht die Wandlung der unheilvollen Situation: Israel soll zurückgeführt werden in das Land, das Gott seinen Vätern gab (1 Bar 1,20), sein Bund zu Gott soll ewig sein129 und es soll nicht mehr vermindert werden (2,13). Die Rettung Israels aus seinem Unglück und die vollständige Wandlung der Situation sind das beherrschende Grundmotiv in der Darstellung der Zukunft des Volkes. Immer wieder wird dem Volk Hoffnung zugesprochen und zugesichert, dass Gott es aus der Hand seiner Feinde befreien werde. Dies spiegelt sich vor allem in der Rede Jerusalems wider, die nach ihrer Klage zur Hoffnung findet und ihre Kinder ermutigt. Sie sieht Gott als Retter (4,22), der in Kürze Freude und Herrlichkeit bringen werde (4,18.22.24). Bestätigt wird diese Hoffnung ab 1 Bar 4,36. Dort wird Jerusalem auf die Freude verwiesen, die von Gott zu ihr käme: Ihre Kinder wurden gesammelt ἀπ᾽ ἀνατολῶν ἕως δυσμῶν (4,37) und werden zu ihr zurückgeführt, wie sie weggeführt worden waren (5,6). Die Lage Israels und seiner Feinde kehrt sich um: Während diese ihre übergeordnete Position verlieren, gelangt Israel wieder zu Freude und Herrlichkeit. Dies lässt sich vergleichen mit dem Schicksal Israels und des ‚anderen Volkes‘ in 5 Esra: Dort soll Israel seine exponentielle Stellung verlieren und von Gott erniedrigt werden, dafür wird das ‚andere Volk‘ erwählt und mit Freude und Herrlichkeit beschenkt. Von der Freude, die in 1 Bar 4,22.36 Jerusalem zuteil wird, und die auch in 5 Esra eine große Rolle spielt, spricht auch 1 Bar 5,5.9: τὰ τέκνα […] χαίροντας τῇ τοῦ θεοῦ μνείᾳ bzw. ἡγήσεται γὰρ ὁ θεὸς Ισραηλ μετ᾽ εὐφροσύνης τῷ φωτὶ τῆς δόξης αὐτοῦ σὺν ἐλεημοσύνῃ καὶ δικαιοσύνῃ τῇ παρ᾽ αὐτοῦ. Sie wird auch in 5 Esra 1,37 (SA) und 2,19 aufgegriffen. Die Freude steht in 1 Baruch im Kontext der Rückführung des Volkes, die mit Gottes Herrlichkeit, Erbarmen und Gerechtigkeit verbunden wird (5,4.9). Die Darstellung   1 Bar 2,33: ἀποστρέψουσιν ἀπὸ τοῦ νώτου αὐτῶν τοῦ σκληροῦ καὶ ἀπὸ πονηρῶν πραγμάτων αὐτῶν, ὅτι μνησθήσονται τῆς ὁδοῦ πατέρων αὐτῶν τῶν ἁμαρτόντων ἔναντι κυρίου. 129   Von einer Aufhebung des alten Bundes ist in 1 Baruch nicht die Rede. 128

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der Heimführung Israels wird, ähnlich wie in 5 Esra, von paradiesischen Motiven begleitet: 1 Bar 5,7 συνέταξεν γὰρ ὁ θεὸς ταπεινοῦσθαι πᾶν ὄρος ὑψηλὸν καὶ θῖνας ἀενάους καὶ φάραγγας πληροῦσθαι εἰς ὁμαλισμὸν τῆς γῆς, ἵνα βαδίσῃ Ισραηλ ἀσφαλῶς τῇ τοῦ θεοῦ δόξῃ·8 ἐσκίασαν δὲ καὶ οἱ δρυμοὶ καὶ πᾶν ξύλον εὐωδίας τῷ Ισραηλ προστάγματι τοῦ θεοῦ.

Das Buch 1 Baruch beschränkt sich also im Gegensatz zu 5 Esra auf ‚irdische‘ Motive; in beiden Texten soll aber Üppigkeit dargestellt und die Versorgung und der Schutz des Volkes sollen abgebildet werden. Zudem verbindet die Texte die Nennung eines „wohlriechenden Baumes“ (5 Esra 2,12 lignum vitae in odorem unguenti; 1 Bar 5,8 πᾶν ξύλον εὐωδίας). Die Sicherheit und Mühelosigkeit, die Gott für Israel schafft durch das Senken aller Berge und Hügel und die Erhöhung der Täler (1 Bar 5,7), erinnert an die Ruhe, die dem ‚anderen Volk‘ in 5 Esra geschenkt werden soll (5 Esra 2,12.24). 2.5.3 Teilfazit Es ist eine Grundaussage von 1 Bar, dass das Schicksal Israels durch die Macht Gottes radikal verändert werden kann – wie JHWH das Unheil über Israel brachte, so bringt er ihm auch die Rettung, wie er es erniedrigte, so erhöht er es auch. Dieser Gedanke ist in 5 Esra nicht zu finden. Dennoch gibt es Verbindungen zwischen den Vorstellungen von einer heilvollen, prächtigen Zukunft in den beiden Texten. Israel (1 Bar) und dem ‚anderen Volk‘ (5 Esra) soll Ruhe ermöglicht werden, Freude und Sorglosigkeit. Dies geschieht in beiden Texten durch die Macht und den Beistand Gottes. Israel wird in beiden Texten von Gott zerstreut, es erleidet Gewalt. Doch während in 5 Esra die persönliche Beziehung zwischen Gott und Israel und deren Aufhebung den Kern des Unheils, das Israel trifft, ausmachen, ist es in 1 Bar die Wegführung aus dem Land, das Gott den Vätern gab (2,21) und die Schande, die das Volk dadurch trifft. Genauere Übereinstimmungen lassen sich auch in der Darstellung des Heils finden. In beiden Texten wird den Völkern Gnade und Freude zugesagt, Bäume sollen ihnen Schutz spenden. Doch gibt es auch mehrere Elemente, die sich im jeweils anderen Text nicht finden lassen: So ist der Auferweckungsgedanke aus 5 Esra 2,16.24.31 in 1 Baruch nicht angeführt, während der Triumph über die Feinde dort von größerer Bedeutung ist als in 5 Esra.



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Insgesamt kann also festgestellt werden, dass es Übereinstimmungen in den beiden Texten gibt, dass diese jedoch teilweise sehr voneinander abweichen und nicht speziell genug sind, um von Anspielungen sprechen zu können. 3  Fazit Sowohl der Struktur- als auch der Motivvergleich von 5 Esra mit 1 Baruch zeigen zahlreiche Verbindungslinien zwischen den beiden Texten auf, die sich sowohl auf deren Grundlinien als auch auf die Details der verwendeten Motive beziehen. Der durchgeführte Strukturvergleich macht deutlich, dass 1 Baruch für 5 Esra wohl als Muster diente und die Struktur 5 Esras an diesem Text orientiert ist. Der Motivvergleich weist Bezüge zwischen 1 Bar und 5 Esra in allen Abschnitten der Texte (mit Ausnahme von 5 Esra 2,42–48) auf und offenbart mehrere wahrscheinliche Anspielungen und zahlreiche Echos. Besonders das Motiv von Jerusalem als Mutter Israels baut 5 Esra m.E. eindeutig auf 1 Baruch auf. Die Argumentations- und Denkmuster des Buches 1 Baruchs entsprechen denen 5 Esras, der Motivschatz 5 Esras stimmt grundsätzlich mit dem von 1 Bar überein, zeigt aber zusätzliche Einflüsse. Die in beiden Texten verwendeten Motive sind zum großen Teil jedoch eher unspezifisch und weisen keine größeren sprachlichen Übereinstimmungen auf, so dass die Motive an sich nicht 1 Baruch erkennen lassen, sondern eher einer ‚prophetischen‘ Sprache zuzuordnen sind und auch aus anderen Texten stammen können. Doch sind die Bezugslinien einerseits so zahlreich und andererseits mehrere Verbindungen so charakteristisch und übereinstimmend, dass, insgesamt gesehen, eine enge Beziehung zwischen den Texten eindeutig erkennbar ist. Daher ist 1 Baruch meiner Ansicht nach als einer der zentralen Hauptbezugstexte 5 Esras einzuordnen. Dem Verfasser 5 Esras war m.E. 1 Bar sehr vertraut und er identifizierte sich mit der Sprache und Denkweise dieser Schrift. Dennoch entsteht aufgrund der vielen z.T. nur oberflächlichen Gemeinsamkeiten und der Freiheit, mit der 5 Esra 1 Baruch widerspiegelt, der Eindruck, dass 5 Esra das Buch 1 Baruch weder explizit ehren noch korrigieren will. Aufgrund der großen Nähe zwischen den Texten ist ihre unterschiedliche Fortführung des Schicksals Israels auffällig und bedeutend; dennoch macht der freie Umgang mit 1 Bar meiner Ansicht nach eher unwahrscheinlich, dass sich 5 Esra direkt

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als ‚Gegenschrift‘ zu 1 Baruch darstellen will. Meines Erachtens entstand 5 Esra unter im Bezug auf 1 Bar veränderten Gegebenheiten: Trotz der ‚Verwandtschaft‘ zu 1 Baruch ist eine bleibende Sonderstellung Israels in 5 Esra scheinbar nicht impliziert. Auch wenn 5 Esra die Denkmuster von 1 Baruch teilweise genau widerspiegelt, so ist die Wiederherstellung der vorherigen Verhältnisse, wie sie in 1 Bar begegnet, für 5 Esra anscheinend nicht möglich: Israel verliert seine exklusive Stellung und ein ‚anderes Volk‘ gewinnt an Bedeutung – eine Rettung Israels ist jedoch auch in 5 Esra nicht ausgeschlossen.

III Jeremia 7

1 Hinführung Während ein Bezug 5 Esras zu Texten wie dem Buch 1 Baruch1, der Offenbarung des Johannes2 und dem Matthäus-Evangelium3 in der Forschung weitgehend übereinstimmend angenommen wird, liegt der Fall für das siebte Kapitel des Buches Jeremia anders. Eine eigene Rezeption dieses Kapitels durch 5 Esra wird in der Forschungsliteratur nicht thematisiert; es wird höchstens auf Bezugsstellen zwischen den Texten verwiesen. Doch zeigt bereits ein erstes Überfliegen des Kapitels grundsätzliche Verbindungslinien auf, die unterschiedlich aussagekräftig sind – sie beruhen z.T. auf prophetischer biblischer Sprache, sind teilweise aber auch spezifischer – und von der Verwendung derselben Formeln über inhaltliche Übereinstimmungen bis hin zu der Gemeinsamkeit eher selten bezeugter Ausdrücke reichen. Im Folgenden sollen diese Verbindungen zwischen 5 Esra und Jer 7 aufgezeigt werden, sortiert nach den verschiedenen Ebenen, auf denen sie anzusiedeln sind. Der vermutete enge Bezug zwischen diesen Texten wirft für die Einordnung 5 Esras wichtige Fragen auf: Was bedeutet eine derartige Bezugnahme für 5 Esra? Welches Interesse führte den Verfasser zu einer Berücksichtigung dieses Kapitels? Und inwiefern muss oder soll eine derartige Bedeutung einer prophetischen Schrift des Judentums für den Verfasser unsere Einordnung 5 Esras beeinflussen? Theodore Bergren schreibt dazu: „The closest and most extensive parallels between 5 Ezra and outside literary materials occur with the book of Baruch (1 Baruch).“ (Bergren, Fifth Ezra, 257.). 2 Vgl. Nicklas, Tobias, Rezeption und Nicht-Rezeption der Offenbarung des Johannes durch antike christliche Apokalypsen, in: Huber, Konrad u.a. (Hg.), Tot sacramenta quot verba. Zur Kommentierung der Apokalypse des Johannes von den Anfängen bis ins 12. Jahrhundert, Münster 2014, 1–27. 3 Vgl. Stanton, Graham N., 5 Ezra and Matthean Christianity in the Second Century, in: JThS 28 (1977), 67–83. 1

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2 GemeinsameinhaltlicheGrundlinien 2.1 DieSündhaftigkeitIsraels Die sogenannte Tempelrede in Jeremia 7,1–15 und ihre Fortführung in 7,16–8,3 zeigen ihre Schwerpunktsetzung bereits zu Beginn: Israel ist in Sündhaftigkeit verstrickt, die sich auf vielfältige Art und Weise zeigt (vgl. besonders Jer 7,9.17f.30f.) und auf dem Verstoß gegen die Gebote Gottes gründet. Diese Sünden bzw. die Hartherzigkeit des Volkes seien noch größer als die der Vätergeneration: Jer 7,26 (ELB) Aber sie haben nicht auf mich gehört und ihr Ohr nicht geneigt. Und sie haben ihren Nacken verhärtet, haben es schlimmer gemacht als ihre Väter. (LXX)4 καὶ οὐκ ἤκουσάν μου, καὶ οὐ προσέσχεν τὸ οὖς αὐτῶν, καὶ ἐσκλήρυναν τὸν τράχηλον αὐτῶν ὑπὲρ τοὺς πατέρας αὐτῶν. ‫בוֹתם׃‬ ֽ ָ ‫ת־ע ְר ֔ ָפּם ֵה ֵ ֖רעוּ ֵמ ֲא‬ ָ ‫שׁוּ ֶא‬ ֙ ‫ת־אזְ ָנ֑ם וַ יַּ ְק‬ ָ ‫עוּ ֵא ֔ ַלי וְ ֥ל ֹא ִה ֖טּוּ ֶא‬ ֙ ‫( וְ ֤לוֹא ָשׁ ְמ‬BHS)5

Der Bezug zur Vätergeneration wird auch in 5 Esra hergestellt; crescereinkann dabei sprachlich gesehen entweder eine Steigerung der MT und LXX unterscheiden sich bezüglich des Jeremia-Buches sehr stark voneinander, deshalb werden in diesem Kapitel immer beide Versionen angegeben: „Die Unterschiede zwischen dem masoretischen Text und der Septuaginta sind in fast keiner anderen alttestamentlichen Schrift so groß wie bei Jer. Die Differenzen betreffen v.a. den Umfang des Buches – je nach Zählung ist die Septuaginta um ein Siebtel oder Sechstel kürzer als der masoretische Text – und die Stellung und Reihung der Fremdvölkersprüche. Aber auch inhaltlich-theologische Akzentverschiebungen sowie Aktualisierungen der Septuaginta auf ihre Zeit und Adressaten hin kommen vor. Diese Lage wird in der Forschung kontrovers beurteilt. Während viele annehmen, dass es sich bei der hebräischen Vorlage der Septuaginta-Fassung um einen gegenüber dem masoretischen Text älteren und kürzeren Text handelt, rechnen andere, so auch diese Bearbeitung, im Wesentlichen mit Kürzungen durch den bzw. die Übersetzer, da die in der Septuaginta fehlenden Textteile zumeist im masoretischen Text doppelt überlieferte Passagen, für das Verständnis unnötige Floskeln und Formeln sowie Hinzufügungen zu Eigennamen und Gottesbezeichnungen sind.“ (Kraus, Wolfgang, Karrer, Martin (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009, 1288.). 5 Die BHS gibt den masoretischen Text wieder, also eine vokalisierte Fassung des hebräischen Textes, die zwischen dem 6. und 8. Jhd. n.Chr. entstanden ist. 4

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Sündhaftigkeit ausdrücken oder im Sinn von „entstehen“ wertneutral auf die Gemeinsamkeit der Vergehen verweisen; die Formulierung 5 Esras legt nahe, dass eher die zweite Version gemeint ist: 5 Esra 1,6 (SA) quia peccata parentum illorum in illis creverunt; obliti enim me sacrificaverunt diis alienis. (CMNEVLK) quoniam peccata patrum suorum in filios creverunt, propter quod obliti sunt me et sacrificaverunt diis alienis.

Die Sünden des Volkes werden in Jer 7,30 bezeichnet als ‫י־ע ֨שׂוּ ָה ַ ֛רע‬ ָ ‫ִ ֽכּ‬ ‫הו֑ה‬ ָ ְ‫( ְבּ ֵע ַינ֖י נְ ֻאום־י‬BHS) / ὅτι ἐποίησαν τὸ πονηρὸν ἐναντίον ἐμοῦ (LXX) / feceruntmaluminoculismeis (VUL). Diese Formel wird im AT nur auf JHWH bezogen verwendet6 und zur deuteronomischen Phraseologie gezählt7; sie begegnet in Dtn 4,25; 9,18; 17,2; 31,29 und zahlreich im Buch der Richter und der Könige. Sie findet sich auch in 5 Esra 1,34 und entspricht der Septuaginta Version des Jeremia-Verses, benennt also nicht explizit die „Augen“ Gottes wie die hebräische und die VUL Fassung von Jer 7,30: 5 Esra 1,34 (SA) Et filii procreationem non facient, quoniam mandatum meum vobiscum neglexerunt et quod malum est coram me fecerunt. (CMNEVLK) Et filii vestri procreationem non facient, quoniam mandatum meum neglexerunt, et quod malum est coram me fecerunt.

Trotz dieser beständigen Untaten vertraut das Volk blind und in trügerischer Sicherheit8 auf die Nähe Gottes im Tempel, dem Haus, „über dem mein Name ausgerufen ist“9 (7,10f.), was sich in der dreimaligen Vgl. Stipp, Hermann-Josef, Deuterojeremianische Konkordanz (ATSAT 63), St. Ottilien 1998, 109. 7 Vgl. Weinfeld, Moshe, Deuteronomy and the Deuteronomic School, Oxford 1972, 339. 8 So hebt auch Stulman hervor, dass Kap. 7–10 „the false sense of security“ ablehnen, der sich in „Judah’s systems“ zeigt (Stulman, Louis, The Prose Sermons of the Book of Jeremiah. A Redescription of the Correspondences with the Deuteronomistic Literature in the Light of recent text-critical Research (SBLDS 83), Atlanta 1986, 88.). 9 Diese deuteronomische Formel (vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 325.) drückt für Georg Fischer die persönliche Betroffenheit Gottes aus, der emotional auf das Verhalten Israels reagiert (vgl. Fischer, Georg, Zur Relativierung des Tempels im Jeremiabuch, in: Böhler, Dieter u.a. (Hg.), L’Ecrit et l’Esprit. Etudes d‘histoire du texte et de théologie biblique en hommage à 6

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Wiederholung des Ausrufs „der Tempel des Herrn“ widerspiegelt (7,4)10. Gott tritt durch Jeremia in einen heftigen Konflikt mit einer derartigen Tempelideologie11, indem er „the ideological underpinnings of the establishment“12 angreift. Dieser Konflikt zeigt sich an drei Schwerpunktsetzungen, die das Kapitel klar mit 5 Esra in Beziehung setzen. 2.1.1 Das Nicht-Hören Israels Gott beklagt das Nicht-Hören des Volkes, seinen Ungehorsam und die daraus folgende Missachtung seiner Gebote. Das Wortfeld „hören“ begegnet in Jer 7,1–8,3 zehnmal13, am ausdrücklichsten in 7,13.16.23– 27, wiederholt in der Kombination „Ich habe zu euch geredet, ihr habt nicht gehört“ (7,13.23f.27; vgl. Dtn 1,43; Jes 65,12). Eine derartige Anhäufung dieses Motivs geschieht auch in 5 Esra: Siebenmal14 wird das Wortfeld „hören“ aufgegriffen, auch in den zentralen Versen 1,24; 2,1.9; in 5 Esra 2,1 (nur SA) wie auch in Jer 7,25f.15 wird es mit der Sendung der Propheten Gottes verbunden, die vom Volk missachtet wurden. Esra selbst wird dabei in 5 Esra 2,33 in die Reihe der Propheten eingeordnet, die vom Volk abgewiesen wurden. Jer 7,25 (ELB) Von dem Tag an, da eure Väter aus dem Land Ägypten auszogen, bis auf diesen Tag habe ich alle meine Knechte, die Propheten, zu euch gesandt, täglich früh mich aufmachend und sendend. 26 Aber sie haben nicht auf mich gehört und ihr Ohr nicht geneigt. Und sie haben ihren Nacken verhärtet, haben es schlimmer gemacht als ihre Väter. (LXX) ἀφ᾽ ἧς ἡμέρας ἐξήλθοσαν οἱ πατέρες αὐτῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου καὶ ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης καὶ ἐξαπέστειλα πρὸς ὑμᾶς πάντας τοὺς δούλους μου τοὺς προφήτας ἡμέρας καὶ ὄρθρου καὶ ἀπέστειλα, 26 καὶ οὐκ ἤκουσάν μου, καὶ οὐ προσέσχεν τὸ οὖς αὐτῶν, καὶ ἐσκλήρυναν τὸν τράχηλον αὐτῶν ὑπὲρ τοὺς πατέρας αὐτῶν. Adrian Schenker (OBO 214), Fribourg, Göttingen 2005, 87–99, hier 89.). Eine persönliche und emotionale Ebene ist auch in 5 Esra 1,5–37 im Ringen Gottes um Israel zu erkennen. 10 Jer 7,4 (ELB): Und verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies! 11 Vgl. Brueggemann, Walter, A Commentary on Jeremiah. Exile & Homecoming, Grand Rapids 1998, 77. 12 Brueggemann, Commentary, 77. 13 Jer 7,2.13.16.23.24 (2×).26 (2×).27.28 14 5 Esra 1,8.24.26.35; 2,1.9.34. 15 Vgl. auch Jer 25,4; 26,5; 29,19; 35,15; 44,4f.

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‫יכ ֙ם‬ ֶ ‫יכ ֙ם ֵמ ֶ ֣א ֶרץ ִמ ְצ ַ ֔ריִם ַ ֖עד ַהיּ֣ וֹם ַה ֶזּ֑ה וָ ֶא ְשׁ ַל֤ח ֲא ֵל‬ ֶ ‫וֹת‬ ֵ ‫ן־היּ֗ וֹם ֲא ֶ֨שׁר יָ ְצ ֤אוּ ֲא ֽב‬ ַ ‫( ְל ִמ‬BHS) ‫יאים י֖ וֹם ַה ְשׁ ֵ ֥כּם וְ ָשׁ ֹֽל ַח׃‬ ִ֔ ‫ל־ע ָב ַ ֣די ַהנְּ ִב‬ ֲ ‫ת־כּ‬ ָ ‫ֶא‬ ‫בוֹתם׃‬ ֽ ָ ‫ת־ע ְר ֔ ָפּם ֵה ֵ ֖רעוּ ֵמ ֲא‬ ָ ‫שׁוּ ֶא‬ ֙ ‫ת־אזְ ָנ֑ם וַ יַּ ְק‬ ָ ‫עוּ ֵא ֔ ַלי וְ ֥ל ֹא ִה ֖טּוּ ֶא‬ ֙ ‫ וְ ֤לוֹא ָשׁ ְמ‬26 5 Esra 2,1 (SA)16 Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum istum de servitute, quibus mandata dedi per pueros meos prophetas, quos audire noluerunt, sed irrita fecerunt mea consilia.

Das Nicht-Hören auf Gottes Stimme bildet in 5 Esra und in Jer 7 die Grundlage der Sündhaftigkeit des Volkes, da es zur Zurücksetzung von Gottes Geboten führt und durch die damit verbundene Starrheit des Volkes (Jer 7,24) eine Umkehr auf Gottes Rufen hin unmöglich wird.17 Es bedroht somit die „Existenz des Volkes“18, das seine Beziehung zu Gott scheinbar leichtfertig aufs Spiel setzt19. Das Nicht-Hören wird in 5 Esra mit einem „Vergessen Gottes“20 verbunden; diese Deutung erfolgt in Jer 7 nicht, geschieht aber im gesamten Buch Jeremia häufig: Jer 2,32 (ELB) Vergißt etwa eine Jungfrau ihren Schmuck, eine Braut ihren Gürtel? Aber mein Volk hat mich vergessen seit unzähligen Tagen. Jer 18,15 (ELB) Aber mein Volk hat mich vergessen. Den nichtigen Götzen bringen sie Rauchopfer dar; und die haben sie auf ihren Wegen hinstürzen lassen, auf den Pfaden der Vorzeit, daß sie Steige gehen, einen Weg, der nicht gebahnt ist […] 5 Esra 1,6 (SA)21 quia peccata parentum illorum in illis creverunt; obliti enim me sacrificaverunt diis alienis. CMNEVLK: Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum cui mandata dediquaeaudirenoluerunt,sedirritafeceruntmeaconsilia. 17 So schreibt auch Theobald: „Dieses Wortfeld zeigt, daß die bibl. Autoren das Verhältnis zw. Gott u. Mensch bzw. Israel als einen ständigen Dialog begreifen, in dem Gott die Menschen anredet u. der menschl. Partner mit der Bereitschaft, sich darauf einzulassen, antwortet; den Rahmen dafür bietet die Vorstellung v. Bund, die v.a. das Dtn dahingehend vertieft hat, daß Gottes „Gebote tun“ soviel heißt wie „Gott lieben“ (Dtn 6,4ff. u.ö.).“ (Theobald, Michael, Gehorsam. I. Biblisch-theologisch, in: LThK 4 (1995), 358f., hier 358.). 18 Fischer, Georg, Jeremia 1–25 (HThKAT), Freiburg 2005, 324. 19 Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 324. 20 Das Vergessen Gottes wird in 5 Esra zudem mit der Verehrung fremder Götter verknüpft. Dieser Zusammenhang ist u.a. auch in Dtn 8,19; 32,17f.; 2 Kön 17,38; Ps 44,21, interessanterweise aber auch in Jer 18,15 zu finden. 21 CMNEVLK: quoniampeccatapatrumsuoruminfilioscreverunt,propterquodoblitisuntmeetsacrificaveruntdiisalienis. 16

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5 Esra 1,14 (SA)22 Lucem vobis per columnam ignis praestiti et magna mirabilia feci in vobis. Vos autem mei obliti estis, dicit Dominus.

Das Nicht-Hören Israels steht in beiden Texten als Bild für das Sich-Abwenden und die Verstocktheit des Volkes, gleichzeitig aber auch für das Bemühen Gottes um Israel. Die Geschichte Gottes mit seinem Volk wird dabei übereinstimmend mit dem Exodus-Geschehen verbunden, das Gottes Bemühen begründet (vgl. 1 Bar 2,11; Am 3,1): Jer 7,22 (ELB) Denn ich habe nicht mit euren Vätern darüber geredet und ihnen nichts geboten über das Brandopfer und das Schlachtopfer an dem Tag, da ich sie aus dem Land Ägypten herausführte; Jer 7,25 (ELB) Von dem Tag an, da eure Väter aus dem Land Ägypten auszogen, bis auf diesen Tag habe ich alle meine Knechte, die Propheten, zu euch gesandt, täglich früh mich aufmachend und sendend. 5 Esra 1,7 (SA)23 Nonne ego eos eduxi de terra Aegypti de domo servitutis? Ipsi autem inritaverunt me et consilia mea spreverunt. 5 Esra 2,1 (SA) Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum istum de servitute, quibus mandata dedi per pueros meos prophetas, quos audire noluerunt, sed irrita fecerunt mea consilia.

Das Nicht-Hören zeigt auf, dass das Volk Gottes Wege verlassen hat und nicht bereit ist, zu ihnen zurückzukehren (vgl. 5 Esra 2,33; Jer 7,27), trotz des Einsatzes Gottes und seiner Propheten. 2.1.2 Die Missachtung der Gebote Durch das Nicht-Hören sind, wie die Texte feststellen, wiederum die Gebote Gottes aus dem Blick geraten. Die Gebote sind für 5 Esra von zentraler Bedeutung und stehen auch hinter den Vorwürfen Gottes in Jeremia 7. Sie werden in 5 Esra 1,7.8.24.34; 2,1.33.40 in verschiedenen Begrifflichkeiten genannt und auf das Übernehmen sozialer Verantwortung hin gedeutet (2,20–23). Als Verstöße gegen die Gebote werden die Verehrung fremder Götter (1,6) und das Begehen von Morden24 CMNEVLK: Lucem vobis dedi in columnam ignis. Haec sunt magna mirabiliameaquaefeciinvobisetmeoblitiestis,dicitDominus. 23 CMNEVLK: NonneegoeoseduxideterraAegyptietdedomoservitutis?Quareirritaveruntmeetconsiliameaspreverunt? 24 Das Bild der blutbesudelten Hände aus 5 Esra 1,26 könnte sich von Jes 1,15 ableiten (Jes 1,15 (LXX): ὅταν τὰς χεῖρας ἐκτείνητε πρός με, 22

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angeführt (1,26.32). Diese Morde richten sich in 5 Esra sogar gegen Gottes Propheten selbst, was die Verhärtung des Volkes und die Vergeblichkeit von Gottes Bemühungen stark betont (vgl. 5 Esra 1,32). Auch in diesem Motivfeld gibt es zahlreiche Verbindungslinien zu Jer 7: In 7,23.31 wird vom „gebieten“ (‫ ;ץוה‬ἐντέλλω) gesprochen, in 7,28 von der Erziehung/ Zucht (‫;מוּסר‬ ָ παιδεία), Jer 7,9 reiht verschiedene Verstöße des Volkes gegen den Dekalog25 auf, darunter ebenso wie 5 Esra die Fremdgötterverehrung, die im ganzen Kapitel sehr breiten Raum einnimmt, und das Vergießen von Blut (7,6.9), sogar das der eigenen Kinder (7,31). Und wie in 5 Esra 2,20–23 ruft Gott das Volk in Jer 7,6 auf, soziale Verantwortung zu übernehmen, und macht dies zur Bedingung dafür, dass es im Land bleiben kann; dies soll ebenso durch die Sorge für Witwen und Waisen geschehen (Jer 7,6; vgl. 5 Esra 2,20). Eine Gegenüberstellung von Jer 7,6; 5 Esra 2,20 und Jes 1,17 zeigt jedoch eine größere Nähe dieses Verses von 5 Esra zur Formulierung in Jesaja.26 5 Esra 2,20 (SA)27 Viduam iustifica, pupillo iudica, egenti da, orfanum tuere, nudum vesti, 21 confractum et debilem cura, claudum inridere ἀποστρέψω τοὺς ὀφθαλμούς μου ἀφ᾽ ὑμῶν, καὶ ἐὰν πληθύνητε τὴν δέησιν, οὐκ εἰσακούσομαι ὑμῶν αἱ γὰρ χεῖρες ὑμῶν αἵματος πλήρεις.) Für eine Aufnahme dieses Verses spricht die zusätzlich verbindende Ankündigung Gottes, das Volk nicht zu erhören, wenn dieses sich an ihn wenden werde. (5 Esra 1,26 (SA): Quando invocabitis me, ego non exaudiam vos. Maculastis enim manus vestras sanguine, et pedes vestri inpigri sunt ad committendahomicidia.) 25 Vgl. Brueggemann, Commentary, 79: „The catalog of disobedience is a direct reference to the Ten Commandments, one of two such catalogs found in the prophets (see the other in Hos. 4:2).“. Carroll geht aber davon aus, dass der Dekalog noch nicht als feste Form bekannt war (vgl. Carroll, Robert P., The Book of Jeremiah. A Commentary (OTL 28), London 1986, 209.). 26 Michael Sommer verweist im Rahmen seines noch laufenden Habilitationsprojektes mit dem Titel „Witwen, Recht und Gerechtigkeit – Eine Studie zur Rezeption prophetischer Kultkritik im frühen Christentum“ darauf, dass Texte wie Jer 7 und Jes 1 Repräsentanten einer bestimmten Gruppe von Texten darstellen. Ich danke ihm für den Hinweis, dass es möglich ist, dass 5 Esra durch diese Text-Gruppierung beeinflusst wurde. 27 CMNEVL: Viduamiustificate;pupillumiudica;egentibussubministra; orfanumtuere;nudumvesti; 21 confractumacdebilemcura.Clauduminriderenoli,sedtutare.Luscumadvisionemclaritatismeaeadmitte. 22 Senem etiuvenemintramurostuoscollige.Infantestuoscustodi.Servietliberitui

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noli, tutare mancum, et caecum ad visionem claritatis meae admitte, 22 senem et iuvenem intra muros tuos serva, 23 mortuos ubi inveneris signans commenda sepulchro, et dabo tibi primam sessionem in resurrectione mea. Jer 7,5 (ELB) Denn nur wenn ihr eure Wege und eure Taten wirklich gut macht, wenn ihr wirklich Recht übt untereinander, 6 den Fremden, die Waise und die Witwe nicht unterdrückt, kein unschuldiges Blut an diesem Ort vergießt und nicht anderen Göttern nachlauft zu eurem Unheil, 7 dann will ich euch an diesem Ort, in dem Land, das ich euren Vätern gegeben habe, wohnen lassen von Ewigkeit zu Ewigkeit. (LXX) ὅτι ἐὰν διορθοῦντες διορθώσητε τὰς ὁδοὺς ὑμῶν καὶ τὰ ἐπιτηδεύματα ὑμῶν καὶ ποιοῦντες ποιήσητε κρίσιν ἀνὰ μέσον ἀνδρὸς καὶ ἀνὰ μέσον τοῦ πλησίον αὐτοῦ 6 καὶ προσήλυτον καὶ ὀρφανὸν καὶ χήραν μὴ καταδυναστεύσητε καὶ αἷμα ἀθῷον μὴ ἐκχέητε ἐν τῷ τόπῳ τούτῳ καὶ ὀπίσω θεῶν ἀλλοτρίων μὴ πορεύησθε εἰς κακὸν ὑμῖν, 7 καὶ κατοικιῶ ὑμᾶς ἐν τῷ τόπῳ τούτῳ ἐν γῇ, ᾗ ἔδωκα τοῖς πατράσιν ὑμῶν ἐξ αἰῶνος καὶ ἕως αἰῶνος. Jes 1,17 (ELB) Lernt Gutes tun, fragt nach dem Recht, weist den Unterdrücker zurecht! Schafft Recht der Waise, führt den Rechtsstreit der Witwe! (LXX) μάθετε καλὸν ποιεῖν, ἐκζητήσατε κρίσιν, ῥύσασθε ἀδικούμενον, κρίνατε ὀρφανῷ καὶ δικαιώσατε χήραν (VUL) discite benefacere quaerite iudicium subvenite oppresso iudicate pupillo defendite viduam

Beide Texte, 5 Esra und Jer 7, zeigen ein sehr ähnliches Verständnis der Gebote Gottes auf und verbinden die gleichen Aspekte mit ihnen. Gleichzeitig beklagen sie wiederholt die Verstöße des Volkes gegen diese Gebote. Eine klare Verwerfung der Gebote durch Israel, wie sie in 5 Esra 1,7; 2,1 thematisiert wird, wird in Jer 7 nicht kritisiert, wird aber z.B. in Jer 6,19; 9,12; 16,11 benannt. Jer 6,19 (ELB) Höre es, Erde! Siehe, ich bringe Unheil über dieses Volk, die Frucht ihrer Gedanken. Denn auf meine Worte haben sie nicht geachtet, und mein Gesetz – sie haben es verworfen.

laetentur, et caterva tua omnis cum iocunditate erit. 23 Mortuos tuos uti invenerosuscitabo.Signaprospiciam,etdaboeisprimamsessioneminresurrectionemea.

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Jer 9,12 (ELB) Und der HERR sprach: Weil sie mein Gesetz verlassen haben, das ich ihnen vorgelegt habe, und auf meine Stimme nicht gehört und nicht darin gelebt haben, 13 sondern der Verstocktheit ihres Herzens und den Baalim nachgelaufen sind, was ihre Väter sie gelehrt haben, 14 darum, so spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Siehe, ich will sie, dieses Volk, mit Wermut speisen und sie mit giftigem Wasser tränken 15 und sie unter die Völker zerstreuen, die sie nicht gekannt haben, weder sie noch ihre Väter. Und ich will das Schwert hinter ihnen her senden, bis ich sie vernichtet habe. 5 Esra 1,7 (SA)28 Nonne ego eos eduxi de terra Aegypti de domo servitutis? Ipsi autem inritaverunt me et consilia mea spreverunt. 5 Esra 2,1 (SA)29 Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum istum de servitute, quibus mandata dedi per pueros meos prophetas, quos audire noluerunt, sed irrita fecerunt mea consilia.

2.1.3 Die Konzentration auf äußerliche Riten 5 Esra und Jer 7 sind durch eine weitere Schwerpunktsetzung verbunden: In beiden Texten wird thematisiert, dass das Volk sich an äußerlichen Riten festhalte und in ihnen Sicherheit vermute. So heißt es in Jer 7,21–23: Jer 7,21 (ELB) So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Fügt nur weiter eure Brandopfer zu euren Schlachtopfern und eßt Opferfleisch! 22 Denn ich habe nicht mit euren Vätern darüber geredet und ihnen nichts geboten über das Brandopfer und das Schlachtopfer an dem Tag, da ich sie aus dem Land Ägypten herausführte; 23 sondern dieses Wort habe ich ihnen geboten: Hört auf meine Stimme, dann werde ich euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein! Und geht auf dem ganzen Weg, den ich euch gebiete, damit es euch wohlgeht! (LXX) τάδε λέγει κύριος Τὰ ὁλοκαυτώματα ὑμῶν συναγάγετε μετὰ τῶν θυσιῶν ὑμῶν καὶ φάγετε κρέα. 22 ὅτι οὐκ ἐλάλησα πρὸς τοὺς πατέρας ὑμῶν καὶ οὐκ ἐνετειλάμην αὐτοῖς ἐν ἡμέρᾳ, ᾗ ἀνήγαγον αὐτοὺς ἐκ γῆς Αἰγύπτου, περὶ ὁλοκαυτωμάτων καὶ θυσίας·23 ἀλλ‘ ἢ τὸ ῥῆμα τοῦτο ἐνετειλάμην αὐτοῖς λέγων ᾿Ακούσατε τῆς φωνῆς μου, καὶ ἔσομαι ὑμῖν εἰς θεόν, καὶ ὑμεῖς ἔσεσθέ μοι εἰς λαόν· καὶ πορεύεσθε ἐν πάσαις ταῖς ὁδοῖς μου, αἷς ἂν ἐντείλωμαι ὑμῖν, ὅπως ἂν εὖ ᾖ ὑμῖν. CMNEVLK: NonneegoeoseduxideterraAegyptietdedomoservitutis?Quareirritaveruntmeetconsiliameaspreverunt? 29 CMNEVLK: Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum cui mandata dediquaeaudirenoluerunt,sedirritafeceruntmeaconsilia. 28

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‫ֹלוֹת ֶיכ֛ם ְס ֥פוּ ַעל־זִ ְב ֵח ֶיכ֖ם וְ ִא ְכ ֥לוּ ָב ָ ֽשׂר׃‬ ֵ ‫ֹלהי יִ ְשׂ ָר ֵ ֑אל ע‬ ֣ ֵ ‫הו֥ה ְצ ָב ֖אוֹת ֱא‬ ָ ְ‫( ֥כֹּה ָא ַ ֛מר י‬BHS) ‫אוֹתם ֵמ ֶ ֣א ֶרץ ִמ ְצ ָ ֑ריִ ם‬ ָ֖ ‫הוֹציא‬ ִ ‫יתים ְבּי֛ וֹם‬ ִ֔ ִ‫יכ ֙ם וְ ֣ל ֹא ִצוּ‬ ֶ ‫וֹת‬ ֵ ‫ת־א ֽב‬ ֲ ‫א־ד ַ ֤בּ ְר ִתּי ֶא‬ ִ ֹ ‫ ֠ ִכּי ֽל‬22 ‫קוֹלי‬ ִ ֔ ‫אוֹתם ֵלאמ ֹ֙ר ִשׁ ְמ ֣עוּ ְב‬ ֤ ָ ‫יתי‬ ִ ‫ת־ה ָדּ ָ ֣בר ֠ ַהזֶּ ה ִצ ִ ֨וּ‬ ַ ‫ם־א‬ ֶ ‫ ִ ֣כּי ִ ֽא‬23 ‫עוֹל֖ה וָ ָז ַֽבח׃‬ ָ ‫ל־דּ ְב ֵ ֥רי‬ ִ ‫ַע‬ ‫שׁר ֲא ַצֶוּ֣ה ֶא ְת ֶ֔כם‬ ֣ ֶ ‫ל־ה ֶ ֨דּ ֶר ְ֙ך ֲא‬ ַ ‫יוּ־לי ְל ָ ֑עם וַ ֲה ַל ְכ ֶ֗תּם ְבּ ָכ‬ ֣ ִ ‫אֹלהים וְ ַא ֶ ֖תּם ִ ֽתּ ְה‬ ִ֔ ‫֤יתי ָל ֶכ ֙ם ֵ ֽל‬ ִ ִ‫וְ ָהי‬ ‫יטב ָל ֶ ֽכם׃‬ ֥ ַ ִ‫ְל ַ ֖מ ַען י‬

Auf ironische Weise werden die Brand- und Schlachtopfer des Volkes von Gott zurückgewiesen; ihre Wirksamkeit verfällt durch den vom Volk angenommenen Automatismus ‚Opfer – Heil‘ und durch die Trennung zwischen Kult und einem Verhalten gemäß Gottes Willen. Gott verneint in Jer 7,22 sogar gänzlich, diese Opfer geboten zu haben.30 Stattdessen verlangt er von Israel, auf seine Stimme zu hören und seinen Geboten zu folgen; so werde dem Volk in der Beziehung zu ihm Schutz und Heil zuteil (7,23). Diese Zurückweisung der Opfer und die Betonung des Gehorsams gegenüber Gott verweisen auf die Bedeutung des Hörens und der Gebote im ganzen Kapitel und schlagen einen klaren Bogen zu 5 Esra; diese verbindenden inhaltlichen Linien sprechen klar für eine Bezugnahme der beiden Texte. Sehr ähnlich wird diese Thematik auch in 5 Esra aufgegriffen; dabei zeigt der Vergleich mit Jes 1,13 und Hos 2,13 auch eine große Nähe zu diesen Versen, die dieselben Details aufweisen wie 5 Esra. Für einen direkten Bezug von 5 Esra zu Jer 7,21ff. spricht dennoch die zusätzliche Gemeinsamkeit der Bundesformel, die an die Beziehung zwischen Gott und Israel erinnert und das Bemühen Gottes unterstreicht. Die Reihenfolge Bundesformel – Abweisen der Opfer ist in 5 Esra 1,28–31 Diese Aussage steht im Widerspruch zu Texten der Tora und wurde in der Forschung ausführlich diskutiert. Neben der Auffassung, dass durch eine rhetorische Figur eine Rangordnung aufgezeigt werden soll (vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 312.), wird auch die These vertreten, dass hier nur individuelle Opfer abgelehnt werden, nicht der offizielle Tempelkult (vgl. Holladay, William L., Jeremiah 1. A Commentary on the Book of the Prophet Jeremiah, Chapters 1–25 (Hermeneia), Philadelphia 1986, 262.); weiter wird der Gedanke ins Spiel gebracht, dass dtr Redaktoren dieses Abschnitts auf eine frühere Form der Tora zurückgriffen, die noch keine Opfervorschriften enthielt (vgl. Lange, Armin, Gebotsobservanz statt Opferkult. Zur Kultpolemik in Jer 7,1–8,3, in: Ego, Beate u.a. (Hg.), Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple, Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT 118), Tübingen 1999, 19–35, hier 27.). 30

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umgekehrt im Vergleich zu Jer 7,21–23; dies kann als „inverted quotation“31 gedeutet werden. 5 Esra 1,28 (SA) Haec dicit Dominus omnipotens: Nonne ego vos rogavi ut pater filios et ut mater filias et nutrix parvulos suos, 29 ut essetis mihi in populo et ego vobis in Deum, et vos mihi in filios et ego vobis in patrem? 30 Ita vos collegi ut gallina filios suos sub alas suas. Modo autem quid faciam vobis? Proiciam vos a facie mea. 31 Oblationes mihi cum obtuleritis, avertam faciem meam a vobis; dies enim festos vestros et neomenias et circumcisiones carnis repudiavi. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus: Nonne ita vos ego rogavi ut pater filium et ut mater filiam suam et ut nutrix quae amat parvulum suum, 29 cum essetis mihi in populo et ego vobis in Deo, vos mihi in filiis et ego vobis in patre? 30 Ita enim collegi vos ut gallina pullos suos sub alis suis. Modo autem quid faciam vobis? Dicam, proiciam vos a facie mea. 31 Immolationes mihi offerentibus avertam oculos meos a vobis. Dies festos et neomeniam et sabbata et circumcisiones non mandavi vobis. Jes 1,13 (ELB) Bringt nicht länger nichtige Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Greuel. Neumond und Sabbat, das Einberufen von Versammlungen: Sünde und Festversammlung ertrage ich nicht. 14 Eure Neumonde und eure Feste haßt meine Seele. Sie sind mir zur Last geworden, ich bin es müde, sie zu ertragen. (LXX) […] ἐὰν φέρητε σεμίδαλιν, μάταιον θυμίαμα βδέλυγμά μοί ἐστιν τὰς νουμηνίας ὑμῶν καὶ τὰ σάββατα καὶ ἡμέραν μεγάλην οὐκ ἀνέχομαι νηστείαν καὶ ἀργίαν 14 καὶ τὰς νουμηνίας ὑμῶν καὶ τὰς ἑορτὰς ὑμῶν μισεῖ ἡ ψυχή μου. ἐγενήθητέ μοι εἰς πλησμονήν, οὐκέτι ἀνήσω τὰς ἁμαρτίας ὑμῶν. ‫תּוֹע ָ ֛בה ִ ֖היא ִ ֑לי ֤חֹ ֶדשׁ וְ ַשׁ ָבּ ֙ת ְק ֣ר ֹא‬ ֵ ‫ת־שׁוְ א ְק ֧טֹ ֶרת‬ ָ֔ ‫יא ִמנְ ַח‬ ֙ ‫תוֹסיפוּ ָה ִב‬ ִ֗ ‫( ֣ל ֹא‬BHS) ‫יכ ֙ם ָשׂנְ ָ ֣אה נַ ְפ ִ֔שׁי ָהי֥ וּ ָע ַ ֖לי ָל ֑טֹ ַרח‬ ֶ ‫וּמוֹע ֵד‬ ֲ ‫ ָח ְד ֵשׁ ֶיכ֤ם‬14 ‫א־אוּכל ָ ֖אוֶ ן וַ ֲע ָצ ָ ֽרה׃‬ ַ֥ ֹ ‫ִמ ְק ָ ֔רא ל‬ ‫יתי נְ ֽשׂ ֹא׃‬ ִ ‫נִ ְל ֵ ֖א‬

Vgl. hierzu Beentjes, Pancratius C., Discovering a New Path of Intertextuality: Inverted quotations and their dynamics, in: de Regt, Lénart, de Waard, Jan, Fokkelman, Jan (Hg.), Literary Structure and Rhetorical Strategies in the Hebrew Bible, Assen 1996, 31–50. Weitere Literaturangaben macht Franz Tóth (vgl. Tóth, Franz, Von der Vision zur Redaktion: Untersuchungen zur Komposition, Redaktion und Intention der Johannesapokalypse, in: Frey, Jörg, Kelhoffer, James A., Tóth, Franz (Hg.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption (WUNT 287), Tübingen 2012, 319–411, hier 344–348.).

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Hos 2,13 (ELB) Und ich mache ein Ende mit all ihrer Freude, ihren Festen, ihren Neumonden und ihren Sabbaten und allen ihren Festzeiten. (LXX) καὶ ἀποστρέψω πάσας τὰς εὐφροσύνας αὐτῆς, ἑορτὰς αὐτῆς καὶ τὰς νουμηνίας αὐτῆς καὶ τὰ σάββατα αὐτῆς καὶ πάσας τὰς πανηγύρεις αὐτῆς· ‫מוֹע ָ ֽדהּ׃‬ ֲ ‫שׂוֹשׂהּ ַח ָגּ֖הּ ָח ְד ָ ֣שׁהּ וְ ַשׁ ַבּ ָ ֑תּהּ וְ ֖כֹל‬ ָ֔ ‫ל־מ‬ ְ ‫תּי ָכּ‬ ֙ ִ ‫( וְ ִה ְשׁ ַבּ‬BHS)

Auch in 5 Esra weist Gott die Opfer des Volkes zurück; diese werden mit Festtagen, Neumond und Beschneidung verbunden. Gleichzeitig wird dem Volk vorgeworfen, die von JHWH angebotene Beziehung ausgeschlagen und missachtet zu haben. Die Opfer werden also explizit unterschieden von einem intakten Gottesverhältnis; ihre Durchführung hat keine Wirkung und bringt nicht den Schutz, der in der Beziehung zu Gott liegt. Wie für Jeremia 732 gilt m.E. auch für 5 Esra33, dass im Text nicht ausgesagt wird, dass Gott Opfer und Kult an sich ablehnt; sie werden aber der Befolgung von Gottes Geboten und dem Hören auf seine Stimme klar nachgeordnet34 und zurückgewiesen, wenn davon ausgegangen wird, dass sie aus sich heraus Heil So schreibt z.B. Brueggemann „The prophet is not rejecting liturgy or temple claims in principle, but those formulations which are false, that is, incongruent with the torah and with the LORD of the covenant.“ (Brueggemann, Commentary, 78.). Lundbom ergänzt „A second interpretation sees Jeremiah employing a type of distributioin Hebrew rhetoric, where a first statement is negated only to emphasize a second statement that matters more.“ (Lundbom, Jack R., Jeremiah 1–20. A new Translation with Introduction and Commentary (AncB 21A), New York 1999, 482.). Auch Römer betont: „This structure makes it clear that the goal of the discourse is not criticism of the temple as sanctuary. It is a popular magical and blind confidence in the temple that is denounced; vv. 10–11, in characterizing the temple as the place where the ‫ שׁם‬of YHWH has been proclaimed, […] show a high esteem for the temple.“ (Römer, Thomas, Is there a Deuteronomistic Redaction in the Book of Jeremiah? in: de Pury, Albert u.a. (Hg.), Israel constructs its History. Deuteronomistic Historiography in Recent Research (JSOTS 306), Sheffield 2000, 399–421, hier 414.). 33 Vgl. auch Stanton: „There is no criticism of sacrifices per se […]“ (Stanton, 5 Ezra, 76.). 34 Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 312: „Bei diesem Verständnis handelt es sich nicht um eine generelle Ablehnung von Opfern […], wohl aber um ein markantes Hervorheben der Prioritäten.“ 32

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bringen. Ihre Nicht-Beachtung durch Gott ist Folge der Gleichgültigkeit der Menschen, die Gott „den Rücken und nicht das Gesicht“ zeigen (Jer 7,24) und seinen Weisungen nicht gehorchen. Gottes Bundeszusage (Jer 7,23; 5 Esra 1,29) bleibt gültig und wird vom Volk selbst zurückgewiesen. Dieses Verhalten wird zum eigentlichen Thema der „Tempelpredigt“ in Jer 7: Gott empört sich über eine „Ideologie“35, durch die das Volk das Haus, über dem sein Name ausgerufen ist (Jer 7,10.11), zu einer Räuberhöhle macht (Jer 7,11), indem es ohne Reue gegen Gottes Wort und seine Gebote verstößt, während es gleichzeitig selbstverständlich im Tempel Schutz sucht und sich dort sicher fühlt. Diese „Diskrepanz zwischen äußerlichem, frommem, scheinbar rechtgläubigem Tun und ihrem sonstigen, insbesondere (un-)sozialen Verhalten“36 führt Gott zu seiner Gerichtsansage. Gott weist die Sicherheit zurück, die das Volk mit dem Tempel verbindet, er verschmäht die Opfer, durch die Israel seinen Schutz gegeben sieht. Dies zeigt auch das Schicksal von Schilo37, dessen Zerstörung Gott selbst als Beispiel anführt38 (Jer 7,12–14). Die trügerische Sicherheit, die das Volk durch den Tempel für sich als gegeben sieht, obwohl es gegen die Gebote verstößt, fremden Göttern folgt und Blut vergießt, und die klare Ablehnung und Bestrafung dieser Haltung durch Gott sind das zentrale Thema von Jeremia 7. 5 Esra betont im ersten Kapitel stärker die Undankbarkeit und Gleichgültigkeit des Volkes, das Gottes Taten nicht wertschätzt. Der Tempel ist dort kein Thema, die Verehrung fremder Götter nur eine Sünde unter anderen. Doch wehren sich beide Texte klar und übereinstimmend gegen die Selbstverständlichkeit, mit der die Gültigkeit des Bundes zwischen Gott und Israel angenommen wird, gegen das Vertrauen auf Opfer, das ein falsches Verständnis von Gottesverehrung aufzeigt, und gegen die fehlende Einsicht Israels, das die Gebote Gottes selbstverständlich und ohne Reue übertritt. Und beide Texte zeigen Gottes beständiges Bemühen um sein Volk auf, das doch nicht von Erfolg Person, Raymond F. Jr., The Deuteronomic School. History, social Setting, and Literature (StBL 2), Atlanta 2002, 132. 36 Fischer, Jeremia 1–25, 301. 37 Vgl. auch Ps 78,60. 38 Lundbom erklärt: „The argument here is by analogy: One simply need view the ruins of the Shiloh sanctuary, the first place to bear Yahweh’s name, to know what is going to happen to the place bearing Yahweh’s name in Jerusalem.“ (Lundbom, Jeremiah, 458.). 35

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gekrönt ist. Somit sprechen beide Texte Gott frei von Schuld und Verantwortung für das Unglück, das sowohl in Jeremia 7 als auch in 5 Esra für Israel angekündigt wird. Diese Verbindungslinien zwischen den Texten ermöglichen ein tieferes Verständnis 5 Esras und verweisen auf Jeremia 7 als zentralen Intertext. 2.2 DieFolgen So wie die Sündhaftigkeit Israels in beiden Texten gleich aufgefasst wird, stimmen auch die Folgen überein, die Gott als Konsequenz der Taten Israels verkündet. Sie werden in Jer 7 mit dem Ende der „Tempelpredigt“ in Jer 7,15 eingeleitet, in 5 Esra als Abschluss der Aufrechnung der Wohltaten Gottes mit den Untaten Israels. In beiden Texten entspringen sie also einem Pessimismus, der schrittweise die Reuelosigkeit Israels anerkennt. Jer 7,15 (ELB) Und ich werde euch von meinem Angesicht verwerfen, so wie ich alle eure Brüder, alle Nachkommen Ephraims verworfen habe. (LXX) καὶ ἀπορρίψω ὑμᾶς ἀπὸ προσώπου μου, καθὼς ἀπέρριψα τοὺς ἀδελφοὺς ὑμῶν πᾶν τὸ σπέρμα Εφραιμ. ‫ל־ז ַ֥ רע‬ ֶ ‫יכם ֵ ֖את ָכּ‬ ֶ֔ ‫ל־א ֵח‬ ֲ ‫ת־כּ‬ ָ ‫תּי ֶא‬ ֙ ִ ‫( וְ ִה ְשׁ ַל ְכ ִ ֥תּי ֶא ְת ֶכ֖ם ֵמ ַ ֣על ָפּ ָנ֑י ַכּ ֲא ֶ ֤שׁר ִה ְשׁ ֨ ַל ְכ‬BHS) ‫ֶא ְפ ָ ֽריִם׃ ס‬ Jer 7,32 (ELB) Darum siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da wird man nicht mehr sagen Tofet noch Tal Ben-Hinnom, sondern Tal des Schlachtens. Und man muß im Tofet begraben, weil kein Platz mehr da ist. 33 Und die Leichen dieses Volkes werden den Vögeln des Himmels und den Tieren der Erde zum Fraß werden, und niemand wird sie wegscheuchen. 34 Und ich werde in den Städten Judas und auf den Straßen von Jerusalem die Stimme der Wonne und die Stimme der Freude aufhören lassen, die Stimme des Bräutigams und die Stimme der Braut; denn das Land soll zu Trümmerstätten werden. (vgl. Jer 25,10f.) Jer 8,3 (ELB) Und der Tod wird dem Leben vorgezogen von dem ganzen Rest, der von diesem bösen Geschlecht übrigbleibt an allen Orten, wohin ich die Übriggebliebenen verstoße, spricht der HERR der Heerscharen. 5 Esra 1,30 (SA)39 Ita vos collegi ut gallina filios suos sub alas suas. Modo autem quid faciam vobis? Proiciam vos a facie mea. CMNEVLK: Ita enim collegi vos ut gallina pullos suos sub alis suis. Modoautemquidfaciamvobis?Dicam,proiciamvosafaciemea.

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5 Esra 1,33 (SA)40 Haec dicit Dominus omnipotens: Domus vestra deserta est, proiciam vos sicut ventus stipulam. 34 Et filii procreationem non facient, quoniam mandatum meum vobiscum neglexerunt et quod malum est coram me fecerunt. 5 Esra 2,5 (SA)41 Ego autem te, pater, testem invoco super matrem filiorum, quia noluerunt testamentum meum servare, 6 ut des eis confusionem et matrem eorum in direptionem, ne generatio eorum fiat. 7 Dispergantur in gentes, nomina eorum deleantur a terra, quoniam spreverunt testamentum meum.

Die Folgen des Nicht-Hörens Israels sind in 5 Esra und Jeremia 7 gleich hart: Gott verkündet, sein Volk verstoßen zu wollen, weg von seinem Angesicht.42 Die Verstoßung wird im Hebräischen durch ein breites Wortfeld ausgedrückt; in Jer 7,1543 wird ‫ שׁלְך‬verwendet, in der VUL wie in 5 Esra 1,30 proiciamvosafaciemea. Verstoßung im biblischen Verständnis beruht auf der vorherigen Erwählung durch Gott und stellt eine an das Vergehen angepasste Strafe für die Zurückweisung Gottes durch die Menschen44 dar, die sich z.B. in der Verehrung fremder Götter oder im Bruch der Gebote (vgl. auch 2 Kön 17,20; 23,27; Jer 52,3) zeigt.45 Sowohl im Buch Jeremia46 als auch in 5 Esra (5 Esra 2,5.7) wird der Bund zwischen JHWH und Israel aufgehoben (vgl. auch Jer 11,10; 31,31f.) – in Jeremia jedoch dient die 40 CMNEVLK: HaecdicitDominusomnipotens:Domusvestradesertaest. Proiciamvossicutventusstipulam.34 Etfiliivestriprocreationemnonfacient, quoniammandatummeumneglexerunt,etquodmalumestcorammefecerunt. 41 CMNEVLK: Egoenimdesolatasum.Te,patrem,invocosupermatrem eorumquinoluerunttestamentumtuumservare, 6 uttudeseisconfusionem et matrem illorum in direptionem. Ne quando generatio in eis fiat, 7 et disperganturingentibus,etnomeneorumdeleaturaterra,quoniamrespuerunttestamentummeum. 42 Dieser Ausdruck zählt zur deuteronomischen Phraseologie (vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 347.). 43 Manche Forscher sehen in diesem Vers eine redaktionelle Hinzufügung, vgl. z.B. Lundbom, Jeremiah, 470: „The verse is nevertheless an addition, though not necessarily exilic in date.“. 44 Vgl. Wagner, Siegfried, ‫מ ַאס‬, ָ in: ThWAT 4 (1984), 618–634, hier 622. 45 Vgl. Hieke, Thomas, Verwerfung, in: HGANT4 (2015), 448–450, hier 449. 46 Lange argumentiert: „Die Hoffnung auf magischen Schutz durch den Jerusalemer Tempel verführt zur Mißachtung von Gottes Gebot und hat daher die Qualität eines Bundesbruchs, was die Tempelideologie in den Bereich des Paganen rückt.“ (Lange, Gebotsobservanz, 26.).

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Verwerfung als Deutungsmuster für das Exil47, in 5 Esra tritt augenscheinlich ein ‚anderes Volk‘ an die Stelle Israels. Wie jedoch das Verhältnis Israels zu diesem Volk ist und ob nicht doch zumindest Teile Israels diesem Volk angehören, geht aus 5 Esra nicht hervor. Gleichzeitig spiegelt sich in beiden Texten ein ‚deuteronomistisches‘48 Geschichtsverständnis wider: Der Verwerfung Israels durch Gott geht die Verwerfung Gottes durch Israel voraus; das Verhalten des Volkes, das sich nach außen gegen Gott richtet, wird für Israel zum eigenen Schaden (vgl. Jer 2,5.17.19).49 Jer 7,19 (ELB) Kränken sie denn mich, spricht der HERR, nicht vielmehr sich selbst zu ihrer eigenen Schande? Vgl. Hieke, Verwerfung, 449. Auch McKane hebt hervor: „In offering an interpretation of Israel’s history D is seeking to explain why the exile took place: it was the consequence of a history of disobedience and failure from the Exodus on.“ (McKane, William, Jeremiah. A critical and exegetical Commentary in two Volumes, Vol. 1, Introduction and Commentary on Jeremiah 1–25 (ICC), Edinburgh 1986, 178.). 48 Lohfink hinterfragt den „inflationären Gebrauch […] des Etiketts ‚deuteronomistisch‘“ (Lohfink, Norbert, Gab es eine deuteronomistische Bewegung? in: Groß, Walter (Hg.), Jeremia und die „deuteronomistische Bewegung“ (BBB 98), Weinheim 1995, 313–382, hier 323.) und unterscheidet verschiedene Anwendungsweisen über sechs Seiten hinweg (vgl. Lohfink, Bewegung, 317–322.); Person betrachtet die Verwendung der Begriffe dtn – dtr ebenso kritisch: „This lack of consensus concerning terminology has led some scholars to call for abandoning the term ‚Deuteronomistic‘ altogether. Others prefer to keep the term, but want the term to refer to a narrower range of meanings. Whether one chooses to coin some new term to refer to the individual(s) behind the Deuteronomic History (or sections of the Deuteronomic History) or chooses to continue to use ,Deuteronomic‘ and/ or ,Deuteronomistic‘, it is especially clear that one must define one’s terms well to enable readers to fully understand one’s work.“ (Person, School, 6.). 49 Albertz setzt diese Aussage in einen historischen Kontext: „Denn nach Ansicht der JerD1R waren nicht die Könige, sondern war das Volk selber für das Geschick Israels verantwortlich. Da die Judäer die letzte von Jeremia eröffnete Heilschance verworfen hatten, waren vornehmlich sie, nicht wie im DtrG der König Manasse, am staatlichen Untergang Judas schuld; sie waren sehenden Auges in die Katastrophe hineingelaufen.“ (Albertz, Rainer, Der Streit der Deuteronomisten um das richtige Verständnis der Geschichte Israels, in: Mommer, Peter, Scherer, Andreas (Hg.), Geschichte Israels und deuteronomistisches Geschichtsdenken (FS Winfried Thiel) (AOAT 380), Münster 2010, 1–21, hier 9.). 47

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5 Esra 1,27 (SA) Non quasi me dereliquistis, sed vos ipsos, dicit Dominus. (CMNEVLK) Non quia me dereliquistis, dicit Dominus, sed vos.

Doch geht Gottes Gerichtsandrohung noch weiter: Gott spricht von einer Aufhebung des Volkes, vom Tod der Menschen und dem Ausbleiben von Nachkommenschaft. Die Radikalität der Aussage aus 5 Esra 1,34; 2,7, die eine endgültige Auslöschung des Volkes ankündigt, ist für McKane auch in Jer 7,30–34 zu erkennen: „But this is a land which will be totally devastated, and a community which has no future continuous with the old conditions of its existence.“50 Ausdrücklich wird sie aber auch in Jer 15,7 prophezeit: Jer 15,7 (ELB) Und ich werde sie mit der Worfschaufel zu den Toren des Landes hinausworfeln. Ich werde mein Volk kinderlos machen, es verloren geben. Sie sind von ihren Wegen nicht umgekehrt.

Die Dimension der Gerichtsandrohung Gottes in Jeremia und 5 Esra stimmt überein, wenn auch Einzelheiten voneinander abweichen. Beide Texte sprechen von der Verstoßung des Volkes und seiner Aufhebung. Und beide Texte machen dafür das Volk selbst verantwortlich, das Gottes Rufen nicht hörte und seine Gebote ignorierte. Der Verstockung Israels folgt nun die Verstockung JHWHs: Jer 7,16 (ELB) Du aber, bitte nicht für dieses Volk und erhebe weder Flehen noch Gebet für sie und dringe nicht in mich! Denn ich werde nicht auf dich hören. 5 Esra 1,25 (SA)51 Quoniam me dereliquistis, et ego vos derelinquam; petentibus vobis a me misericordiam, non miserebor vestri. 26 Quando invocabitis me, ego non exaudiam vos.

3 VerbindendeFormeln Neben diesen großen gemeinsamen inhaltlichen Linien, die bereits zahlreiche übereinstimmende Motive aufzeigen, sind 5 Esra und Jeremia 7 auch durch die Verwendung derselben Formeln und Ausdrücke McKane, Jeremiah, 180, bezugnehmend auf Jer 7,30–34. CMNEVLK: Nam qui me dereliquerunt petentes misericordiam, non miserebor eorum. 26 Erit enim quando invocaverint me, et ego non exaudiameos. (vgl. Spr 1,28)

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verbunden. Diese an sich unspezifischen Formeln, die prophetischer oder allgemein biblischer Sprache zuzurechnen sind, erhalten Aussagekraft nur in Verbindung mit weiteren Elementen, die auf einen Bezug zwischen den Texten hindeuten. Im Fall von Jeremia 7 und 5 Esra unterstützen sie die Annahme einer großen Nähe der beiden Texte und unterstreichen den prophetischen Charakter 5 Esras. Drei wichtige häufige Formeln finden sich in Jeremia 7 und in 5 Esra. 3.1 Wortereignisformel 5 Esra beginnt mit der sogenannten Wortereignisformel in 1,4, mit der Gott Esra beauftragt, sich an Israel zu wenden und ihm seine Botschaft zu verkünden. Sie schließt sich in der französischen Handschriftengruppe an die Genealogie Esras an, die in der spanischen Handschriftengruppe nicht überliefert ist, aber in 1,4 kurz aufgegriffen wird. Die Wortereignisformel ist in zahlreichen Varianten überliefert – die Handschriftengruppen 5 Esras zeigen bereits zwei Varianten auf – und findet sich besonders häufig in den Büchern Jeremia und Ezechiel. 5 Esra 1,4 (SA) Et factum est verbum Domini ad me dicens (CMNEVLK) Verbum Domini quod factum est ad Esdram filium Chusi in diebus regis Nabuchodonosor dicens

Die Beauftragung Esras durch Gott, die in 5 Esra 1,5 im Anschluss an die Wortereignisformel mit den Worten vade adnuntia populo meo52 ausgedrückt wird, wird an den zentralen Stellen 5 Esras wiederholt53: In der Schlüsselszene 2,10 sendet Gott Esra zu seinem von Israel unterschiedenen Volk mit den Worten adnuntiapopulomeo; in 2,33 verweist Esra selbst auf seine Sendung und die darauf folgende Zurückweisung durch Israel; schließlich endet der Text mit dem erneuten Auftrag des Engels an Esra in 2,48 vadeetadnuntiapopulo meo (SA) bzw. vade et nuntia populo ipsius (CMNEVL). Diese Untergliederung 5 Esras durch eine Beauftragungsformel betont die Diese findet sich ebenso in CMNEVLK. Im Gegensatz zur spanischen Version enthalten die französischen Handschriften in 1,12 den Vers Tu vero loquere ad eos dicens, woran sich die Botenformel anschließt. 52 53

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prophetische Rolle Esras und zeigt die verschiedenen Abschnitte des Textes an. Jeremia 7 beginnt in der hebräischen Version, nicht jedoch in der LXX, ebenfalls mit der Wortereignisformel. Die Vulgata Version des Verses verbum quod factum est ad Hieremiam a Domino dicens (Jer 7,1) stimmt eher mit der Fassung der spanischen Handschriftengruppe 5 Esras überein. In der spezifischen Form von Jer 7,1 wird diese Formel nur noch in Jer 11,1; 18,1 und 30,1 verwendet, steht also als „Gliederungssignal […] am Beginn größerer Textblöcke“54. Die Bedeutung der sich anschließenden Verkündigung wird durch den Rückverweis auf Gott und die dadurch in Anspruch genommene Autorität erhöht. Jer 7,1 (ELB) Das Wort, das vom HERRN zu Jeremia geschah ‫מר׃‬ ֹ ֽ ‫הו֖ה ֵלא‬ ָ ְ‫שׁר ָה ָי֣ה ֶ ֽאל־יִ ְר ְמ ָ֔יהוּ ֵמ ֵ ֥את י‬ ֣ ֶ ‫( ַה ָדּ ָב ֙ר ֲא‬BHS)

3.2 Botenspruchformel Eine zweite Jer 7 und 5 Esra verbindende Formel ist die sogenannte Botenspruchformel55. Sie durchzieht 5 Esra und wird in den Versionen haecdicitDominus(omnipotens)und dicitDominusin 5 Esra 1856 (SA) bzw. 1657 (CMNEVL(K)) Mal angeführt. Oft wird eine Kombination verwendet, in der dicitDominusdas Ende einer Aussage bildet, woraufhin die folgende direkt anschließend mit haecdicitDominusomnipotens eingeleitet wird. Die Botenspruchformel betont die Durchgängigkeit des prophetischen Charakters der Schrift, da sie auch im von Eigenschaften apokalyptischer Texte stärker geprägten zweiten Teil 5 Esras genannt wird. Sie wird auch in Jeremia 7,1–8,3 häufig gebraucht (in Jer 7,3.11.1358.19.20.21.30.32; 8,1.359), in der Form ‫הו֤ה‬ ָ ְ‫ה־א ַ֞מר י‬ ָ ֹ‫ֽכּ‬ ‫ֹלהי יִ ְשׂ ָר ֵ֔אל‬ ֣ ֵ ‫אוֹת ֱא‬ ֙ ‫( ְצ ָב‬BHS) bzw. τάδε λέγει κύριος ὁ θεὸς Ισραηλ (LXX) oder nur in der Kurzform ‫הו֑ה‬ ָ ְ‫ נְ ֻאם־י‬bzw. λέγει κύριος. Die Fischer, Jeremia 1–25, 294. Vgl. Zenger, Erich, F. Die Bücher der Prophetie, I. Eigenart und Bedeutung der Prophetie Israels, in: Zenger, Erich u.a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament. Neunte, aktualisierte Auflage herausgegeben von Christian Frevel (KStTh 1,1), Stuttgart 92016, 513–525, hier 520. 56 In 5 Esra 1,12.14.15.21.22.27.28.32.33; 2,1.9.10.14.15.17.28.30.31. 57 In 5 Esra 1,8.14.15.22.27.28.32.33; 2,1.10.14.15.17.28.30.31. 58 Nicht in der LXX. 59 Nicht in der LXX. 54 55

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Botenspruchformel betont wie die Wortereignisformel die Sendung des Propheten und die Bedeutung seiner Botschaft, die Gottes Offenbarung darstellt.60 Sie wird besonders häufig in den Büchern Amos und Sacharja verwendet. Die Häufigkeit dieser Formel in 5 Esra und Jer 7 soll die Wichtigkeit der vermittelten Inhalte erhöhen. 3.3 Bundesformel Auch die Bundesformel verbindet 5 Esra und Jer 7. Sie wird in 5 Esra 1,29 und Jer 7,23 Israel von Gott selbst entgegengehalten (vgl. auch Jer 11,4; 30,22; Ez 36,28). Jer 7,23 (ELB) sondern dieses Wort habe ich ihnen geboten: Hört auf meine Stimme, dann werde ich euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein! Und geht auf dem ganzen Weg, den ich euch gebiete, damit es euch wohlgeht! (LXX) ἀλλ᾽ ἢ τὸ ῥῆμα τοῦτο ἐνετειλάμην αὐτοῖς λέγων ᾿Ακούσατε τῆς φωνῆς μου, καὶ ἔσομαι ὑμῖν εἰς θεόν, καὶ ὑμεῖς ἔσεσθέ μοι εἰς λαόν· καὶ πορεύεσθε ἐν πάσαις ταῖς ὁδοῖς μου, αἷς ἂν ἐντείλωμαι ὑμῖν, ὅπως ἂν εὖ ᾖ ὑμῖν. ‫אֹלהים‬ ִ֔ ‫֤יתי ָל ֶכ ֙ם ֵ ֽל‬ ִ ִ‫קוֹלי וְ ָהי‬ ִ ֔ ‫אוֹתם ֵלאמ ֹ֙ר ִשׁ ְמ ֣עוּ ְב‬ ֤ ָ ‫יתי‬ ִ ‫ת־ה ָדּ ָ ֣בר ֠ ַהזֶּ ה ִצ ִ ֨וּ‬ ַ ‫ם־א‬ ֶ ‫( ִ ֣כּי ִ ֽא‬BHS) ‫יטב ָל ֶ ֽכם׃‬ ֥ ַ ִ‫שׁר ֲא ַצֶוּ֣ה ֶא ְת ֶ֔כם ְל ַ ֖מ ַען י‬ ֣ ֶ ‫ל־ה ֶ ֨דּ ֶר ְ֙ך ֲא‬ ַ ‫יוּ־לי ְל ָ ֑עם וַ ֲה ַל ְכ ֶ֗תּם ְבּ ָכ‬ ֣ ִ ‫וְ ַא ֶ ֖תּם ִ ֽתּ ְה‬ 5 Esra 1,28 (SA)61 Haec dicit Dominus omnipotens: Nonne ego vos rogavi ut pater filios et ut mater filias et nutrix parvulos suos, 29 ut essetis mihi in populo et ego vobis in Deum, et vos mihi in filios, et ego vobis in patrem?

Während in 5 Esra Gott durch die Bundesformel daran erinnert, wie er sich um sein Volk bemühte, während dieses ihn vergaß, wird sie in Jer 7 als Zusage ausgedrückt, die Israel unter der Bedingung, dass es sein Verhalten ändere, Heil vor Augen führt. Doch auch in Jer spricht Gott von einem vergangenen Angebot seinerseits, das bei Israel keine Besserung bewirkte. So wird die Bundesformel in beiden Texten zum Zeichen dafür, dass Gott den Bund mit Israel eingehalten habe, dass Vgl. Neef, Heinz-Dieter, Botenspruch, in: CBL 1 (2003), 204. CMNEVLK: Haec dicit Dominus: Nonne ita vos ego rogavi ut pater filiumetutmaterfiliamsuametutnutrixquaeamatparvulumsuum, 29 cum essetismihiinpopuloetegovobisinDeo,vosmihiinfiliisetegovobisin patre? 60

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dieser aber vom Volk aufgekündigt worden war. Eine weitere Übereinstimmung stellt die Form der Bundesformel dar: Sie ist in beiden Versen zweiseitig62, „Gott“ und „Volk“ werden also genannt, was die Wechselseitigkeit des Verhältnisses betont63. 3.4 ScheredeinHaar! Eine weitere Formel verknüpft 5 Esra und Jeremia 7. Diese ist aber weit weniger verbreitet und ihre Verwendung in beiden Texten deshalb besonders charakteristisch. Mit Jer 7,29 wird eine Klage angestimmt, die die Endgültigkeit des Gerichts besiegelt und den letzten Abschnitt dieses Kapitels einleitet. Dies wird formal durch „Poesie, Wechsel der Anrede (2. fem Sg.) und Setuma“64 angezeigt. Die Klage, die vermutlich von Jerusalem65, personifiziert als Frau und Mutter Israels, vorgebracht werden soll, wird eingeleitet durch den Aufruf Gottes, sich das Haar zu scheren. Das Kahlscheren und das Raufen des Haares gelten im Alten Testament als Zeichen der Trauer (vgl. Jes 22,12; Esr 9,3; Mi 1,16; Am 8,10)66; dies sind zwei unterschiedliche Vgl. Rendtorff, Rolf, Die „Bundesformel“. Eine exegetisch-theologische Untersuchung (SBS 160), Stuttgart 1995, 19. 63 Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 310. 64 Fischer, Jeremia 1–25, 316. Ein Setuma markiert einen geschlossenen Sinnabschnitt im masoretischen Text; in der BHS wird dies durch den in den Zwischenraum gesetzten Anfangsbuchstaben ‫ ס‬gekennzeichnet, der am Ende von Jer 7,28 zu finden ist (vgl. Fischer, Alexander Achilles, Der Text des Alten Testaments. Neubearbeitung der Einführung in die Biblia Hebraica von Ernst Würthwein, Stuttgart 2009, 42.). 65 Holladay geht davon aus, dass das Volk hier im Feminin Singular angesprochen wird (vgl. Jer 6,26) (Holladay, Jeremiah, 266.). Die Fortführung in 7,30, die von den „Söhnen Judas“ spricht, legt aber nahe, dass Jerusalem als Mutter hier im Blick ist. 66 Peter Riede begründet dies damit, dass „schnellwachsendes Haar […] für Energie, Vitalität und Lebenskraft“ stand, und das Abschneiden des Haares dementsprechend „symbolisch in die Sphäre des Todes“ eintauchen ließ (Riede, Peter, Haar, in: Fieger, Michael u.a. (Hg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013, 227–230, hier 227.). Stefan Maul führt zudem als altorientalische Trauerriten „das Bedecken des Hauptes; das Ausraufen der Haare; Selbstmutilationen (Zerkratzen/ Schlagen des Gesichtes, des Oberkörpers, der Schenkel); Schütteln des Kopfes; Zerreißen der Kleider, das Tragen einer speziellen Trauerbekleidung“ an (Maul, Stefan M., Altorientalische Trauerriten, in: Assmann, Jan u.a. (Hg.), Der Abschied von 62

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Gesten, die für verschiedene Emotionen desselben Prozesses stehen, für „gedrückte Stimmung und Teilnahmslosigkeit“67 (Scheren) und für ein „aufgeregte[s], nervöse[s] Gemüt bei großem Schmerz“68 (Raufen). Der Inhalt der von Gott geforderten Klage wird in Jer 7,30f. angegeben: Schlechte Taten, Verehrung fremder Götter und Kindesopfer führten dazu, dass Gott mit Israel die „Generation seines Zorns“ (7,29) aufgibt und verwirft. Jer 7,29 (ELB) Schere dein langes Haar und wirf es weg und erhebe Totenklage auf den kahlen Höhen! Denn der HERR hat die Generation, der er zürnt, verworfen und verstoßen. (LXX) Κεῖραι τὴν κεφαλήν σου καὶ ἀπόρριπτε καὶ ἀνάλαβε ἐπὶ χειλέων θρῆνον, ὅτι ἀπεδοκίμασεν κύριος καὶ ἀπώσατο τὴν γενεὰν τὴν ποιοῦσαν ταῦτα. ‫ת־דּוֹר ֶע ְב ָר ֽתוֹ׃‬ ֥ ‫הוה וַ יִּ ֖טֹּשׁ ֶא‬ ֔ ָ ְ‫ל־שׁ ָפיִ ֖ם ִק ָינ֑ה ִ ֚כּי ָמ ַ ֣אס י‬ ְ ‫וּשׂ ִ ֥אי ַע‬ ְ ‫יכי‬ ִ ‫( גָּ ִזּ֤י נִ זְ ֵר ְ֙ך ְ ֽו ַה ְשׁ ֔ ִל‬BHS)

Eine sehr ähnliche Verwendung dieses eher seltenen Motivs wird zu Beginn der Gottesrede in 5 Esra angeführt und symbolisiert die Klage, in deren Verlauf Gott ebenfalls die Verwerfung Israels beschließt. Mit dem Imperativ, der einen Auftrag Gottes abbildet und der die Klage über die Sünden69 Israels einleitet, ist die gleiche Grundsituation gegeben wie in Jer 7,29: 5 Esra 1,8 (SA) Tu autem excute comam capitis tui et proice omnia mala super illos, quoniam non oboedierunt legi meae; populus autem indisciplinatus. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus: Concute comam capitis tui et excute haec omnia mala super eos, quoniam non obedierunt legi meae. Populus indisciplinatus!

In zwei Punkten muss bedacht werden, ob 5 Esra von Jeremia 7 abweicht oder ob von Übereinstimmungen ausgegangen werden kann. den Toten. Trauerrituale im Kulturvergleich, Göttingen 2005, 359–372, hier 361.). 67 Scharbert, Josef, Der Schmerz im Alten Testament (BBB 8), Bonn 1955, 119. 68 Scharbert, Schmerz, 119. 69 Dass auch in Jer 7,29 die Sünden Israels beklagt werden und nicht (nur) die Verwerfung durch Gott zeigt die Fortführung der Klage: In 7,30f. werden erneut die Sünden des Volkes aufgegriffen und beschrieben; daran schließt sich die Androhung der Auslöschung des Volkes an.

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In beiden Versen wird dem Imperativ kein Name zugeordnet; da das Verb ‫ גזז‬in Jer 7,29 jedoch in einer weiblichen Form angegeben ist, wird angenommen, dass Jerusalem von Gott angesprochen wird70 (vgl. auch Jer 6,26). In 5 Esra 1,5 wird Esra von Gott als Prophet zu Israel ausgesandt und in 1,12 von Gott direkt mit den Worten tuvero loquere (nur SA) angeredet; deshalb wird er meist als Gegenüber Gottes gedeutet, was auch mit Esra 9,3 in Einklang zu bringen ist, wo sich Esra als Prophet die Haare rauft. Andererseits spricht Jerusalem als Mutter Israels in 5 Esra 2,2–4 und beklagt den Verlust ihrer Kinder. Sie bildet auch das Hauptgegenüber Gottes im zweiten Teil des Buches ab. Ihre Bedeutung in 5 Esra ist so groß wie die des Propheten, noch dazu drückt sie ihre Trauer tatsächlich aus. Könnte an dieser Stelle in 5 Esra also ebenso Jerusalem gemeint sein? Diese Frage lässt sich durch ein syntaktisches Problem erweitern: Für 5 Esra 1,8 ist eine alternative Leseweise möglich, die von der üblichen Auffassung dieser Stelle durch die Hinzufügung eines Ausrufezeichens nach proicebzw. excuteabweicht: (SA) Tu autem excute comam capitis tui et proice! Omnia mala super illos, quoniam non oboedierunt legi meae; populus autem indisciplinatus. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus: Concute comam capitis tui et excute! Haec omnia mala super eos, quoniam non obedierunt legi meae. Populus indisciplinatus!

Das zweite haecder spanischen Handschriftengruppe in 1,8 als Objekt zu excute anzunehmen, mutet etwas wahrscheinlicher an, als es als Demonstrativpronomen zu verstehen, das omnia mala zugeordnet ist. Zudem verwendet die VUL in Nahum 3,671 die Kombination proicere super, die so auch in der französischen Handschriftengruppe gedacht sein könnte. Diese zwei Punkte sprechen für die klassische Auffassung dieses Verses. Doch bildet auch populusindisciplinatusin 5 Esra 1,8 eine Ellipse, was die Annahme einer zweiten Ellipse im selben Satz plausibel macht. Und die Kombination excutesuperinder spanischen Handschriftengruppe, die bei der üblichen Leseweise angenommen wird, ist nicht in der VUL überliefert. Dies spricht für die abweichende Leseweise, die verständlich und vom Sprachlichen her möglich ist und Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 316. Nah 3,6 (VUL): et proiciam super te abominationes et contumeliis te adficiametponamteinexemplum

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eine klare Parallele zu Jer 7,29 ergeben würde. Das Ausreißen/ Raufen und Wegwerfen der Haare könnte dann als symbolischer Akt gesehen werden, als prophetische Zeichenhandlung und Gerichtszeichen, das die Verstoßung (proicere!)des Volkes abbildet und das basierend auf einer Rezeption von Jer 7 durch 5 Esra naheliegt. Gleichzeitig muss aber gefragt werden, wie das Verb in 5 Esra 1,8 aufgefasst werden soll, ob zu einem Raufen der Haare oder zu einem Ausschütteln aufgerufen wird – excutio kann als „ausreißen“ übersetzt werden, während concutio eher ein „schütteln“ vermuten lässt – und ob dies als Trauerritus verstanden werden soll. Wolter bringt ins Spiel, dass auf der Basis von Jer 51,38 (VUL) vielleicht auch ein bedrohliches Auftreten des Propheten ausgedrückt werden soll.72 Die sich an diesen Vers 5 Esras anschließende Klage Gottes über den Ungehorsam des Volkes und seine Gleichgültigkeit, die wiederum von der Klage Jerusalems abgeschlossen wird, macht es m.E. jedoch wahrscheinlicher, dass auch hier ein Trauerritus abgebildet werden soll. Der Ritus in 5 Esra steht im Zusammenhang derselben Ausgangslage wie in Jeremia 7, aus ihm heraus zieht Gott dieselben Konsequenzen – dies spricht dafür, diese Formel in derselben Weise wie in Jer 7,29 zu deuten. Meiner Ansicht nach zeigt dieses eher selten bezeugte Motiv also eine sehr ähnliche Verwendungsweise in den beiden Texten und deutet so auf einen Bezug zwischen den Texten hin. 4 GemeinsameMotive 5 Esra und Jeremia 7 weisen verschiedene gemeinsame Motive auf, auf die zum Teil bereits eingegangen wurde. Diese Motive sind meist nicht spezifisch für Jeremia, sondern werden auch in anderen biblischen Büchern verwendet; für die Annahme einer Verbindung von Jeremia 7 und 5 Esra sind sie deshalb nur durch ihre Anzahl aussagekräftig und können so Echos darstellen, die das Buch Jeremia als Hintergrund erkennen lassen. 4.1 DieSündhaftigkeitvonElternundKindern Die Beauftragung Esras durch Gott wird in 1,6 damit begründet, dass die Sünden der Eltern in der jetzigen Generation „herangewachsen“ 72

Wolter, 5. Esra-Buch, 797, FN 8a.

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seien, also entweder ebenso groß oder noch größer seien. Dieser Bezug zwischen den Verfehlungen der Vätergeneration und der jetzigen Generation wird, wie bereits erwähnt, auch in Jer 7,26 hergestellt (nicht in der LXX-Fassung), ebenso in Ri 2,19, 1 Kön 14,9 und an einer späteren Stelle des Jeremiabuches in Jer 16,12. Er dient dem Aufweis der Schwere der Schuld und der Reuelosigkeit Israels. Bei den alttestamentlichen Versen jedoch liegt der Schwerpunkt auf dem aktiven Handeln der Menschen, was sich in der Formulierung „sie handelten schlimmer“ widerspiegelt. In Jer 7,26 wird der Fokus zudem auf die „Verhärtung des Nackens“ der Menschen gelegt, was sich auch darin zeigt, dass die LXX Fassung das Handeln nicht extra formuliert. In 5 Esra jedoch bilden die Sünden das Subjekt des Satzes, es weicht in diesem Detail also von den Parallelstellen ab. Dennoch ist das Motiv der Verknüpfung der Sünden mit denen der Vätergeneration nicht so verbreitet, dass die übereinstimmende Verwendung in Jeremia 7 und 5 Esra nicht von Bedeutung wäre. Eine Verbindung zwischen 5 Esra 1,6 und Ri 2,19 wiederum zeigt sich in der Kombination des Handelns mit den Opfern für fremde Götter; dieser Vers des Richterbuches enthält zudem wie Jer 7,26 einen Hinweis auf die Halsstarrigkeit73 des Volkes. 5 Esra 1,6 (SA)74 quia peccata parentum illorum in illis creverunt; obliti enim me sacrificaverunt diis alienis. Jer 7,26 (ELB) Aber sie haben nicht auf mich gehört und ihr Ohr nicht geneigt. Und sie haben ihren Nacken verhärtet, haben es schlimmer gemacht als ihre Väter. ‫בוֹתם׃‬ ֽ ָ ‫ת־ע ְר ֔ ָפּם ֵה ֵ ֖רעוּ ֵמ ֲא‬ ָ ‫שׁוּ ֶא‬ ֙ ‫ת־אזְ ָנ֑ם וַ יַּ ְק‬ ָ ‫עוּ ֵא ֔ ַלי וְ ֥ל ֹא ִה ֖טּוּ ֶא‬ ֙ ‫( וְ ֤לוֹא ָשׁ ְמ‬BHS) Ri 2,19 (ELB) Und es geschah, sobald der Richter gestorben war, kehrten sie um und trieben es schlimmer als ihre Väter darin, anderen Göttern nachzulaufen, ihnen zu dienen und sich vor ihnen niederzuwerfen. Sie ließen nichts fallen von ihren Taten und von ihrem halsstarrigen Wandel.

4.2 DieHerausführungausÄgypten Beide Texte greifen die Herausführung Israels aus Ägypten auf, die in den Schriften Israels insgesamt unzählige Male thematisiert wird. „Den Nacken verhärten“ wird zur deuteronomischen Phraseologie gezählt (vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 341.). 74 CMNEVLK: quoniampeccatapatrumsuoruminfilioscreverunt,propterquodoblitisuntmeetsacrificaveruntdiisalienis. 73

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Gott selbst erinnert sowohl in Jer 7 als auch in 5 Esra an dieses Ereignis. In 5 Esra steht die Herausführung bildhaft für die Leistungen Gottes für sein Volk, das Gott hingegen nur Undank und Ungehorsam entgegenbrachte; es betont also Gottes Unschuld und die Schuld des Volkes. Deshalb ist das Exodus-Geschehen in 5 Esra 1,7 in eine nonneFrage eingekleidet, die Unverständnis ausdrücken will; in 2,1, nachdem Gott seine Entscheidung gegen Israel verkündet hat, wird das Motiv zusammenfassend noch einmal aufgegriffen, um diese Entscheidung erneut zu begründen. Die Hinzufügung des Substantives servitusin 5 Esra 1,7 und 2,1 verstärkt die Bedeutung der Tat Gottes, der seinem Volk Freiheit schenkte. Dies wiederum vergrößert die Unangemessenheit der Undankbarkeit Israels und seiner Verfehlungen. In Jeremia 7 wird beide Male der „Tag“ genannt, an dem der Auszug stattfand; der Exodus wird also primär als Zeitpunkt verstanden und als Zeitangabe genutzt, während in 5 Esra die Tat an sich im Zentrum steht. Zudem spricht Gott in Jer 7,25 vom „Ausziehen“ des Volkes statt von der Herausführung durch ihn; sein Gnadenerweis ist an dieser Stelle also sekundär. Auch wenn die Motive unterschiedlich verwendet werden, berufen sich doch beide Texte auf das Exodus-Geschehen und sehen es als Zeichen für die Verbundenheit Gottes mit seinem Volk und seine Treue, der die Untreue Israels entgegensteht. Auch verknüpfen beide Texte die Herausführung des Volkes mit der Sendung der Propheten, in denen sich Gott beständig an sein Volk wandte. Jer 7,22 (ELB) Denn ich habe nicht mit euren Vätern darüber geredet und ihnen nichts geboten über das Brandopfer und das Schlachtopfer an dem Tag, da ich sie aus dem Land Ägypten herausführte; (LXX) ὅτι οὐκ ἐλάλησα πρὸς τοὺς πατέρας ὑμῶν καὶ οὐκ ἐνετειλάμην αὐτοῖς ἐν ἡμέρᾳ, ᾗ ἀνήγαγον αὐτοὺς ἐκ γῆς Αἰγύπτου, περὶ ὁλοκαυτωμάτων καὶ θυσίας ‫אוֹתם ֵמ ֶ ֣א ֶרץ ִמ ְצ ָ ֑ריִם‬ ֖ ָ ‫הוֹציא‬ ִ ‫יתים ְבּי֛ וֹם‬ ִ֔ ִ‫יכ ֙ם וְ ֣ל ֹא ִצוּ‬ ֶ ‫וֹת‬ ֵ ‫ת־א ֽב‬ ֲ ‫א־ד ַ ֤בּ ְר ִתּי ֶא‬ ִ ֹ ‫( ֠ ִכּי ֽל‬BHS) ‫עוֹל֖ה וָ ָז ַֽבח׃‬ ָ ‫ל־דּ ְב ֵ ֥רי‬ ִ ‫ַע‬ Jer 7,25 (ELB)75 Von dem Tag an, da eure Väter aus dem Land Ägypten auszogen, bis auf diesen Tag habe ich alle meine Knechte, die Propheten, zu euch gesandt, täglich früh mich aufmachend und sendend. 75

Vgl. Jer 25,4.

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(LXX) ἀφ᾽ ἧς ἡμέρας ἐξήλθοσαν οἱ πατέρες αὐτῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου καὶ ἕως τῆς ἡμέρας ταύτης καὶ ἐξαπέστειλα πρὸς ὑμᾶς πάντας τοὺς δούλους μου τοὺς προφήτας ἡμέρας καὶ ὄρθρου καὶ ἀπέστειλα, ‫יכ ֙ם‬ ֶ ‫יכ ֙ם ֵמ ֶ ֣א ֶרץ ִמ ְצ ַ ֔ריִם ַ ֖עד ַהיּ֣ וֹם ַה ֶזּ֑ה וָ ֶא ְשׁ ַל֤ח ֲא ֵל‬ ֶ ‫וֹת‬ ֵ ‫ן־היּ֗ וֹם ֲא ֶ֨שׁר יָ ְצ ֤אוּ ֲא ֽב‬ ַ ‫( ְל ִמ‬BHS) ‫יאים י֖ וֹם ַה ְשׁ ֵ ֥כּם וְ ָשׁ ֹֽל ַח׃‬ ִ֔ ‫ל־ע ָב ַ ֣די ַהנְּ ִב‬ ֲ ‫ת־כּ‬ ָ ‫ֶא‬ 5 Esra 1,7 (SA)76 Nonne ego eos eduxi de terra Aegypti de domo servitutis? Ipsi autem inritaverunt me et consilia mea spreverunt. 5 Esra 2,1 (SA)77 Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum istum de servitute, quibus mandata dedi per pueros meos prophetas, quos audire noluerunt, sed irrita fecerunt mea consilia.

4.3 DieSendungderPropheten Auch Gottes Sprechen über seine Sendung der Propheten verbindet Jeremia 7 und 5 Esra und unterstreicht den prophetischen Charakter der beiden Texte, der sich bereits im Denkmuster und der Strukturierung durch die genannten Formeln zeigte. In Jeremia 7,25 wird die tägliche Beauftragung der Propheten betont, wodurch Gott auf sein anhaltendes Engagement verweist78. Diese Hinwendung Gottes zu seinem Volk wird als ununterbrochen geschildert, was die Einhaltung des Bundes durch Gott hervorhebt. In 5 Esra werden die Propheten an zwei Stellen genannt: In 5 Esra 1,32 wirft Gott Israel vor, seine Diener, die Propheten ermordet zu haben79. 5 Esra 1,32 (SA)80 Ego misi pueros meos prophetas ad vos, quos acceptos interfecistis et laniastis corpora illorum, quorum sanguinem exquiram, dicit Dominus.

Wenn auch pueriKnechte oder Diener bezeichnet, so wird für das griechische δοῦλοι als Ergänzung zu den Propheten zumindest in der Vulgata eher das Wort serviangewendet, während dem puerivon 5 Esra 76 CMNEVLK: NonneegoeoseduxideterraAegyptietdedomoservitutis?Quareirritaveruntmeetconsiliameaspreverunt? 77 CMNEVLK: Haec dicit Dominus: Ego eduxi populum cui mandata dediquaeaudirenoluerunt,sedirritafeceruntmeaconsilia. 78 Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 313. 79 Zur sog. Prophetenmordtradition vgl. das Kapitel zum Matthäusevangelium, 3.1 „Der Prophetenmord“. 80 CMNEVLK: Ego misi pueros meos prophetas ad vos, quos acceptos interfecistisetlaniastiscorporaapostolorum,quorumanimasetsanguinem exquiram,dicitDominus.

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eher παῖδες entsprechen würde. Hier kann nicht entschieden werden, ob ein anderer Begriff gebraucht werden sollte, oder pueriim gleichen Sinn wie δοῦλοι verwendet wurde. Die Kombination „meine Knechte, die Propheten“ ist deuteronomisch81 und somit ein weiterer dtn Ausdruck, der Jer 7 und 5 Esra verbindet. Außerdem wird die im Jeremiabuch sehr verbreitete Wendung vom Senden der Propheten und dem Nicht-Hören des Volkes (vgl. Jer 7,25f.; 25,4; 26,5; 29,19; 35,15; 44,4f.) in 5 Esra 2,1 (s.o.) aufgegriffen, was die Verstocktheit des Volkes betont. 4.4 „DasBöseinmeinenAugen“ Ein weiteres gemeinsames Motiv bildet die bereits zu Anfang genannte deuteronomistische Phrase „sie taten das Böse in meinen Augen“, die in Jer 7,30 und 5 Esra 1,34 verwendet wird. Diese Aussage schließt sich in 5 Esra an den Entschluss Gottes an, Israel zu verstoßen und wird als Zusammenfassung der Sünden des Volkes präsentiert. In Jer wird der Ausdruck ebenso an einer bedeutenden Stelle verwendet. Er folgt auf die Aufforderung an Jerusalem, sich die Haare zu scheren und ein Klagelied anzustimmen. Er ist also ebenso mit dem Zeitpunkt des Entschlusses Gottes verbunden, Israel zu bestrafen und begründet die Verstoßung des Volkes. Wie bereits erwähnt, stimmt 5 Esra 1,34 eher mit der griechischen Fassung des Jeremia-Verses überein, da die „Augen“ nicht genannt werden, sondern nur allgemein das Böse „vor mir“ angeklagt wird. 5 Esra 1,34 (SA)82 Et filii procreationem non facient, quoniam mandatum meum vobiscum neglexerunt et quod malum est coram me fecerunt. Jer 7,30 (ELB) Denn die Söhne Juda haben getan, was in meinen Augen böse ist, spricht der HERR. Sie haben ihre Scheusale in das Haus gestellt, über dem mein Name ausgerufen ist, um es unrein zu machen. (LXX) ὅτι ἐποίησαν οἱ υἱοὶ Ιουδα τὸ πονηρὸν ἐναντίον ἐμοῦ, λέγει κύριος· ἔταξαν τὰ βδελύγματα αὐτῶν ἐν τῷ οἴκῳ, οὗ ἐπικέκληται τὸ ὄνομά μου ἐπ᾽ αὐτόν, τοῦ μιᾶναι αὐτόν· ‫יהם ַבּ ַ ֛בּיִ ת‬ ֶ֗ ‫וּצ‬ ֵ ‫הו֑ה ָ ֣שׂמוּ ִשׁ ֽקּ‬ ָ ְ‫הוּדה ָה ַ ֛רע ְבּ ֵע ַינ֖י נְ ֻאום־י‬ ֥ ָ ְ‫י־ע ֨שׂוּ ְבנֵ י־י‬ ָ ‫( ִ ֽכּ‬BHS) ‫א־שׁ ִ ֥מי ָע ָל֖יו ְל ַט ְמּ ֽאוֹ׃‬ ְ ‫ֲא ֶשׁר־נִ ְק ָר‬

Vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 351. CMNEVLK: Etfiliivestriprocreationemnonfacient,quoniammandatummeumneglexerunt,etquodmalumestcorammefecerunt. 81 82

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4.5 DieGehenna Ein auf den ersten Blick unvermutetes, meiner Ansicht nach jedoch dennoch verbindendes Motiv ist die „Gehenna“. Das Hinnomtal, aus dem sich dieser Begriff entwickelte, war ursprünglich eine Nekropole westlich und südlich von Jerusalem83, das „nach literarischen Quellen auch als Stätte des Molechkultes diente“84, in dessen Rahmen man angeblich Kinder durch das Feuer gehen ließ (vgl. Dtn 18,10; 2 Kön 17,17; 21,6; 2 Chr 33,6). Mit Jeremia 7,29–8,3 vollzieht sich eine Wendung in der Wahrnehmung dieses Tals: Gott prophezeit die Umbenennung des Tals in das „Tal des Schlachtens“, das „als Ort vergangener Vergehen […] [zum] Schauplatz der aus dem Vergehen resultierenden Strafe“85 wird. Jer 7,3186 (ELB) Und sie haben die Höhen des Tofet gebaut, das im Tal Ben-Hinnom ist, um ihre Söhne und ihre Töchter im Feuer zu verbrennen, was ich nicht geboten habe und mir nie in den Sinn gekommen ist. 32 Darum siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da wird man nicht mehr sagen Tofet noch Tal Ben-Hinnom, sondern Tal des Schlachtens. Und man muß im Tofet begraben, weil kein Platz mehr da ist. (LXX) καὶ ᾠκοδόμησαν τὸν βωμὸν τοῦ Ταφεθ, ὅς ἐστιν ἐν φάραγγι υἱοῦ Εννομ, τοῦ κατακαίειν τοὺς υἱοὺς αὐτῶν καὶ τὰς θυγατέρας αὐτῶν ἐν πυρί, ὃ οὐκ ἐνετειλάμην αὐτοῖς καὶ οὐ διενοήθην ἐν τῇ καρδίᾳ μου. 32 διὰ τοῦτο ἰδοὺ ἡμέραι ἔρχονται, λέγει κύριος, καὶ οὐκ ἐροῦσιν ἔτι Βωμὸς τοῦ Ταφεθ καὶ Φάραγξ υἱοῦ Εννομ, ἀλλ᾽ ἢ Φάραγξ τῶν ἀνῃρημένων, καὶ θάψουσιν ἐν τῷ Ταφεθ διὰ τὸ μὴ ὑπάρχειν τόπον. ‫יהם ָבּ ֵ ֑אשׁ‬ ֖ ֶ ‫ת־בּנ ֵֹת‬ ְ ‫יהם וְ ֶא‬ ֥ ֶ ֵ‫ת־בּנ‬ ְ ‫ן־ה ֔נּ ֹם ִל ְשׂ ֛ר ֹף ֶא‬ ִ ‫תּ ֶפת ֲא ֶשׁ ֙ר ְבּ ֵג֣יא ֶב‬ ֹ ֗ ‫וּבנ֞ וּ ָבּ ֣מוֹת ַה‬ ָ (BHS) ‫ל־ל ִ ֽבּי׃ ס‬ ִ ‫יתי וְ ֥ל ֹא ָע ְל ָ ֖תה ַע‬ ִ ‫ֲא ֶשׁ ֙ר ֣ל ֹא ִצ ִ ֔וּ‬ ‫ם־גּ֣יא‬ ֵ ‫ן־ה ֔נּ ֹם ִ ֖כּי ִא‬ ִ ‫תּ ֶפ ֙ת וְ ֵג֣יא ֶב‬ ֹ ֨ ‫הוה וְ לֹא־יֵ ָא ֵ֨מר ֤עוֹד ַה‬ ֔ ָ ְ‫ֽה־יָמים ָבּ ִא ֙ים נְ ֻאם־י‬ ֤ ִ ‫ ָל ֵ֞כן ִה ֵנּ‬32 ‫ת ֶפת ֵמ ֵ ֥אין ָמ ֽקוֹם׃‬ ֹ ֖ ‫ַה ֲה ֵר ָג֑ה וְ ָק ְב ֥רוּ ְב‬

Vgl. Bieberstein, Klaus, Die Pforte der Gehenna. Die Entstehung der eschatologischen Erinnerungslandschaft Jerusalems, in: Janowski, Bernd, Ego, Beate (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 503–539, hier 511. 84 Bieberstein, Pforte, 514. 85 Bieberstein, Pforte, 519. 86 Vgl. auch Jer 19,4–7.11, das zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Jer 7,31– 34 aufweist. 83

120

RINGEN UM ISRAEL

Gleichzeitig erweitert sich das Bild dieses Ortes, erhält mit der Zeit eine Konnotierung mit Feuer und Leichen87 (vgl. auch 1 Hen 27,2) und wird zum Ort des Jüngsten Gerichts, was sich im Neuen Testament (vgl. Mt 5,22.29–30; Mt 10,28; Mt 18,9; Mt 23,15.33; Mk 9,43.45.47; Lk 12,5; Jak 3,6) widerspiegelt. Der Name des Tals verliert mit der Zeit an Bedeutung, wird in aramaisierter und gräzisierter Form (γέεννα, γέενα, γέννα) dann aber wieder aufgegriffen88 und findet sich in seiner lateinischen Form gehennaschließlich in 5 Esra 2,29. 5 Esra 2,29 (SA) Manus meae tegent te, ne filii tui gehennam videant. (CMNEVL) Me tremunt omnia; oculi mei gehennam vident.

Die Verwendung der „Gehenna“ entspricht in Jer 7,31f. und 5 Esra 2,29 also verschiedenen Entwicklungsstufen; gleichzeitig gilt sie in beiden Texten aber als Ort der Strafe, vor der Gott bewahren kann (5 Esra 2,29; nur SA). Die Gehenna bleibt in 5 Esra unbestimmt; es ist zu fragen, inwiefern sie „gesehen“ werden kann, wenn sie hier wie im Neuen Testament der „Ort der endzeitlichen Strafe nach dem jüngsten Gericht“89 wäre. Dieses „Sehen“ in 5 Esra 2,29 und die Möglichkeit, vor der Gehenna gerettet zu werden, sprechen eher für ein von den neutestamentlichen Texten abweichendes Verständnis in 5 Esra. Für dieses Motiv kann selbstverständlich kein direkter Bezug zwischen Jeremia 7,31f. und 5 Esra 2,29 abgeleitet werden – dennoch zeigen die Texte ein grundsätzlich ähnliches Verständnis auf; die überraschende und kontextlose Verwendung des Motivs in 5 Esra schließt zudem eine Kenntnis von Jeremia nicht aus. 5 Fazit Die Fülle an Verbindungslinien, die zwischen den beiden Texten zu erkennen sind, erfordert es m.E., Jeremia 7 als zentralen Intertext für 5 Esra zu verstehen. Entscheidend sind dabei nicht einzelne gemeinsame Formeln oder Motive, sondern die große Anzahl dieser Verbindungen und v.a. die Äquivalenz der Grundlinien und der 87 88 89

Vgl. Bieberstein, Pforte, 523. Vgl. Bieberstein, Pforte, 525. Bietenhard, Hans, γέεννα, in: TBLNT³ (2014), 966.

III JEREMIA 7

121

Strukturierung der Texte. Vergleicht man den Bezug 5 Esras zu anderen Kapiteln prophetischer Texte, die ebenso Übereinstimmungen mit 5 Esra aufzeigen, wird schnell deutlich, dass die Verbindung mit Jer 7 wesentlich aussagekräftiger und auffälliger ist. Auch wenn die Motive und Formeln, die Jer 7 und 5 Esra verbinden, z.T. an sich weitverbreitet sind, so zeigt 5 Esra meines Wissens keine annähernd so große Nähe zu anderen Kapiteln und Texten der prophetischen Schriften Israels. Jer 7 und 5 Esra teilen nicht nur allgemeine Motive prophetischer Sprache, sondern zahlreiche Details; schon allein deren Anzahl macht eine Bezugnahme plausibel. Gleichzeitig werden aber keine Zitate verwendet und Formeln und Motive frei verarbeitet, so dass sich die Verbindung mit Jer 7 wohl nur dem schriftkundigen Leser erschloss. 5 Esra setzt eigene Schwerpunkte und greift gleichzeitig so häufig auf Jer 7 zurück, dass man von einer „Relecture“90 des Kapitels sprechen kann: 5 Esra basiert auf Inhalt und Sprache von Jeremia 7, gebraucht den Text aber gleichzeitig frei. Die Bezugnahmen sind jedoch so zahlreich, dass davon ausgegangen werden kann, dass Jer 7 vom Leser als Hintergrund 5 Esras erkannt werden sollte und dass diese Kenntnis den Blick auf 5 Esra prägen sollte. Doch was veranlasste dieses Aufgreifen gerade von Jeremia 7? Lässt sich eine gemeinsame Aussage der beiden Texte erkennen? Paul Volz stellt die ‚Tempelrede‘ Jeremias unter die Überschrift:

Das Modell der ‚Relecture‘ wurde von Andreas Dettwiler und Jean Zumstein für die Johannesforschung entwickelt. Dettwiler nennt folgende Charakteristika: „1. Relecture ist ein intertextuelles Phänomen, das zugleich in synchroner wie auch diachroner Hinsicht zu analysieren ist. […] 2. Der Rezeptionstext setzt das im Bezugstext Entwickelte als grundsätzlich weiterhin gültig voraus. […] 3. Relecture vollzieht sich grundsätzlich in der zweifachen Bewegung von explizierender Rezeption und thematischer Akzentverlagerung. […] 4. Der Rezeptionstext ist von Anfang an als Rezeptionstext konzipiert worden. […] 5. Beweggrund für Relecture kann einerseits ein genuin innertheologisches Bedürfnis nach weiterer Entfaltung des tradierten Sachverhaltes und andererseits eine neue geschichtliche Situation sein. […] 6. Die Autorenfrage ist nicht von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Relecture.“ (Dettwiler, Andreas, Die Gegenwart des Erhöhten. Eine exegetische Studie zu den johanneischen Abschiedsreden (Joh 13,31–16,33) unter besonderer Berücksichtigung ihres Relecture-Charakters (FRLANT 169), Göttingen 1995, 46–51.).

90

122

RINGEN UM ISRAEL

„Was gibt Schutz?“91; dabei wird er von Lange92 und Carroll93 unterstützt. Für Fischer bildet das Hauptthema des Kapitels die Frage nach der rechten Form der Gottesverehrung94. Diese Einschätzungen, die sich gegenseitig ergänzen, zeigen, dass nicht primär die Bestrafung, Verstoßung und Zerstörung Israels als Botschaft des Textes gesehen werden, sondern ein paränetischer95 und wohl auch deuteronomistischer96 Charakter des Kapitels angenommen wird: Jer 7 begründet das Handeln Gottes und zeigt auf, welcher Weg zu einer Gottbeziehung führt, die wiederum Schutz und Heil verspricht (vgl. Jer 7,3.5– 7). Es weist die trügerische Sicherheit des Volkes klar zurück und betont mit radikalen Worten, dass die Beziehung zwischen Gott und Israel nicht selbstverständlich und unangreifbar ist, sondern vom Verhalten des Volkes abhängt. Diese Grundausrichtung ist meiner Ansicht nach auch in 5 Esra gegeben: Hauptthema des Textes ist meiner Meinung nach nicht die Ersetzung Israels durch ein ‚anderes Volk‘, sondern eine Warnung vor falscher Sorglosigkeit, die sich darauf gründet, dass die Zugehörigkeit zu Gott kein Automatismus sei, sondern auf der Befolgung seiner Gebote beruhe. Deshalb werden die Verstöße Israels scharf kritisiert, deshalb wird das ‚andere Volk‘ dadurch charakterisiert, Volz, Paul, Der Prophet Jeremia (KAT 10), Leipzig ²1928, 90. Vgl. Lange, Gebotsobservanz, 24. 93 Vgl. Carroll, Jeremiah, 226. 94 Vgl. Fischer, Jeremia 1–25, 293. 95 Vgl. Holt, Else Kragelund, Jeremiah‘s Temple Sermon and the Deuteronomists: An Investigation of the redactional Relationship between Jeremiah 7 and 26, in: JSOT 36 (1986), 73–87, hier 79. Auch Römer betont: „Like DH, ‚Dtr Jeremiah‘ is preoccupied with the explanation of the fall of Judah and by the question if there is a future for the people of the covenant. Such a future is only possible if the people return to the foundation of their relation with YHWH (namely, the Deuteronomic Torah).“ (Römer, Redaction, 402.). 96 Diese Ausrichtung des Textes wird in der Forschung häufig bezeugt. So schreibt Seidl: „Jer 7 ist eine gänzlich deuteronomistische Komposition, die mit Jer 26 in der Deutung der politischen Katastrophe und der Rechtfertigung Jahwes konvergiert.“ (Seidl, Theodor, Jeremias Tempelrede: Polemik gegen die joschijanische Reform? Die Paralleltraditionen Jer 7 und 26 auf ihre Effizienz für das Deuteronomismusproblem in Jeremia befragt, in: Groß, Walter (Hg.), Jeremia und die „deuteronomistische Bewegung“ (BBB 98), Weinheim 1995, 141–179, hier 175.). 91 92

III JEREMIA 7

123

dass es die legitimaGottes bewahrt (5 Esra 1,24). 5 Esra will hervorheben, dass die Zugehörigkeit zu Gott verloren werden kann – wird sie aber (wieder) erlangt, bringt sie Schutz und Zukunft (vgl. 5 Esra 2,27f.; 2,15–19). Aus diesem Grund ist m.E. nicht davon auszugehen, dass Israel in 5 Esra letztendlich endgültig vom Heil ausgeschlossen ist, so wie auch in Jeremia Hoffnung sichtbar wird; sein Bund ist jedoch nicht exklusiv, nicht bedingungslos, sondern wird nur denen gewährt, die auf Gottes Stimme hören. Es bleibt zu überlegen, ob mit dieser Warnung ein Ringen um das Schicksal Israels verknüpft ist, ob 5 Esra eine radikale Ermahnung für Gottes Volk darstellen will. Eine derartige Berücksichtigung von Texten des jüdischen Volkes und eine solche Prägung durch die Welt dieser Texte fordern meiner Ansicht nach jedoch zweifellos, die Entstehungsbedingungen 5 Esras in einem jüdisch geprägten Kontext anzunehmen.

124

RINGEN UM ISRAEL

Jeremia

5 Esra

Gemeinsamkeit

7,1

1,4

Wortereignisformel

7,3.11 u.ö.

1,8.12 u.ö.

Botenspruchformel

7,6

2,20

Sorge für Witwen und Waisen

7,6.9 u.ö.

1,6

Vorwurf der Fremdgottverehrung

7,6.9 u.ö.

1,26.32

Vorwurf des Blutvergießens

7,13.24.26 u.ö.

1,24; 2,1.9 u.ö.

Nicht-Hören Israels

7,15; 8,3

1,30.33; 2,7

Androhung der Verwerfung Israels

7,16

1,25f.

Verstockung JHWHs

7,19

1,27

Israel schadet sich selbst

7,22

1,31

Zurückweisung der Opfer

7,22.25

1,7; 2,1

Erinnern an Herausführung aus Ägypten

7,23

1,29

Bundesformel

7,25

1,32; 2,1

„Meine Knechte, die Propheten“

7,26

1,6

Sünden werden in Bezug zur Vätergeneration gesetzt

7,29

1,8

„Schere/ Raufe dein Haar!“

7,30

1,34

„Sie taten das Böse vor mir“

7,31

2,29

Gehenna

7,33f.

1,34; 2,6f.

Androhung der physischen Vernichtung Israels

IV Matthäusevangelium

1  Hinführung Eine Verbindung zwischen dem Matthäusevangelium und 5 Esra wird in der Forschung zu 5 Esra spätestens seit der Publikation des Auf­ satzes „5 Ezra and Matthean Christianity in the Second Century“1 durch Graham Stanton im Journal of Theological Studies im Jahr 1977 beinahe selbstverständlich angenommen. Es gibt zwar nur wenige wörtliche Übereinstimmungen zwischen diesen Texten, doch vertreten insbesondere Stanton und Strickert2 die These einer Beein­ flussung der eschatologischen Vorstellungen und der ‚Ekklesiologie‘ 5 Esras durch das Matthäusevangelium: Stanton beginnt seine Aus­ führungen bereits mit der Feststellung, 5 Esra sei „deeply influenced by Matthew’s Gospel“3; Strickert verkündet, dass „redactional ana­ lysis shows that 2 Esdras 1–2 clearly makes use of Matthean mate­ rial“ und ergänzt, dass „this is consistent with the work of G.N. Stan­ ton who demonstrates a close connection between 2 Esdras 1–2 and the themes of Matthew 21–25.“4. Diese Annahme Stantons beruht jedoch auf einem diskutablen Grundverständnis beider Texte: Stan­ ton sieht als Hauptaussage 5 Esras die Ersetzung Israels durch die Kirche5 – die Verwerfung Israels und die Hinwendung zu einem anderen Volk ist für ihn „a theme which is also prominent in Mat­ thew’s Gospel.“6 Diese Deutung ist weder für 5 Esra noch für das Matthäusevangelium wissenschaftlicher Konsens, sondern wird im Gegenteil zumindest für Mt in der heutigen Forschung klar infrage gestellt7. Auf diese Thematik im Speziellen wird ausführlich in   Vgl. Stanton, 5 Ezra.   Vgl. Strickert, Destruction. 3   Stanton, 5 Ezra, 70. 4   Strickert, 2 Esdras, 120. 5   Vgl. Stanton, 5 Ezra, 70, 76. 6   Stanton, 5 Ezra, 73. 7   Vgl. z.B. Konradt, Matthias, Israel, Kirche und die Völker im Matthäus­ evangelium (WUNT 215), Tübingen 2007. 1 2

126

ringen um israel

Abschnitt 5 eingegangen, da sie für das Gesamtbild 5 Esras entschei­ dend ist. Als konkrete mögliche Bezugsstellen der beiden Texte werden in der Forschung v.a. vier Abschnitte ins Spiel gebracht: § Mt 11,21–24 und 5 Esra 1,11; 2,8f. § Mt 23,34–39 und 5 Esra 1,28–33 § Mt 24 und 25 als Hintergrund der eschatologischen Vorstellungen 5 Esras § Mt 21,43 und 5 Esra 1,24; 2,10 o dazu das ‚Winzergleichnis‘ (Mt 21,33–45) und das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22,1–14) als Hintergrund für das Verhältnis Israel – ‚Kirche‘ in 5 Esra Diese möglichen Bezugsstellen sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Zugrunde gelegt werden dabei v.a. die Ausführungen von Stanton, Strickert und Bergren8, die die Verbindungen zwischen 5 Esra und dem Matthäusevangelium am ausführlichsten thematisieren. 2  Mt 11,21–24 und 5 Esra 1,11; 2,8f. Im Anschluss an ein Gespräch zwischen Jesus und τοῖς ὄχλοις (Mt 11,7) über die Bedeutung Johannes des Täufers stimmt Jesus in Mt 11,20 einen Wehe-Ruf über die galiläischen Städte an, in denen er die meisten seiner Wunder getan hätte, die aber dennoch nicht umgekehrt seien. Die Auswahl dieser Städte ist auffällig, da keine Wunder Jesu in Bethsaida und Chorazin bekannt sind.9 Mt 11,21 (NA)10 οὐαί σοι, Χοραζίν, οὐαί σοι, Βηθσαϊδά· ὅτι εἰ ἐν Τύρῳ καὶ Σιδῶνι ἐγένοντο αἱ δυνάμεις αἱ γενόμεναι ἐν ὑμῖν, πάλαι ἂν ἐν σάκκῳ καὶ σποδῷ μετενόησαν. 22 πλὴν λέγω ὑμῖν, Τύρῳ καὶ Σιδῶνι ἀνεκτότερον ἔσται ἐν ἡμέρᾳ κρίσεως ἢ ὑμῖν. 23 καὶ σύ, Καφαρναούμ, μὴ ἕως οὐρανοῦ ὑψωθήσῃ; ἕως ᾅδου καταβήσῃ ὅτι εἰ ἐν Σοδόμοις ἐγενήθησαν αἱ δυνάμεις αἱ γενόμεναι ἐν σοί, ἔμεινεν ἂν μέχρι τῆς σήμερον. 24 πλὴν λέγω ὑμῖν ὅτι γῇ Σοδόμων ἀνεκτότερον ἔσται ἐν ἡμέρᾳ κρίσεως ἢ σοί.   Vgl. Bergren, Fifth Ezra.   Vgl. Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus 2 (Mt 8–17) (EKK 1,2), Düsseldorf, Neukirchen-Vluyn 42007, 193. 10   Alle griechischen Fassungen in diesem Kapitel entsprechen NA 28. 8 9



iv  matthäusevangelium127

Lk 10,12 λέγω ὑμῖν ὅτι Σοδόμοις ἐν τῇ ἡμέρᾳ ἐκείνῃ ἀνεκτότερον ἔσται ἢ τῇ πόλει ἐκείνῃ. 13 Οὐαί σοι, Χοραζίν, οὐαί σοι, Βηθσαϊδά· ὅτι εἰ ἐν Τύρῳ καὶ Σιδῶνι ἐγενήθησαν αἱ δυνάμεις αἱ γενόμεναι ἐν ὑμῖν, πάλαι ἂν ἐν σάκκῳ καὶ σποδῷ καθήμενοι μετενόησαν. 14 πλὴν Τύρῳ καὶ Σιδῶνι ἀνεκτότερον ἔσται ἐν τῇ κρίσει ἢ ὑμῖν. 15 καὶ σύ, Καφαρναούμ, μὴ ἕως οὐρανοῦ ὑψωθήσῃ; ἕως τοῦ ᾅδου καταβήσῃ.

Vier11 bzw. drei12 der in diesen Versen genannten Städte, Bethsaida, Tyrus, Sidon und Sodom, werden auch in 5 Esra angeführt, während Gottes Aufzählung seiner Taten für Israel und als Beispiel für Gottes strafendes Handeln: 5 Esra 1,11 (SA) Omnes gentes a facie eorum perdidi et in oriente provinciarum duarum populos Tyri et Sidonis dissipavi et omnes adver­ sarios eorum interfeci. (CMNEVLK) Nonne propter vos Bethsaidam civitatem everti, et ad meridianum duas civitates, Tyrum et Sydonem, igne cremavi, et eos qui adversum vos fuerunt male interfeci? 5 Esra 2,8 (SA) Vae tibi, Assur, qui abscondis iniquos penes te. Gens mala, memorare quid fecerim Sodomae et Gomorrae, 9 quorum terra iacet in piceis glebis et aggeribus cinerum. Sic dabo eos qui me non audierunt, dicit Dominus omnipotens. (CMNEVLK) Vae tibi, Assur, qui abscondis iniquos penes te. Civitas mala, memorare quid fecerim Sodomae et Gomorrae, 9 quorum terra descendit usque ad infernum. Sic dabo eos qui me non obaudierunt.

Die Untersuchung eines möglichen Bezugs zwischen 5 Esra 1,11 und Mt 11,21–24 wird dadurch erschwert, dass sich die Fassungen der beiden Handschriftengruppen 5 Esras an dieser Stelle stark unter­ scheiden. Welcher der beiden Versionen der Vorzug gegeben werden sollte, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Bergren argumentiert, dass der Herausgeber der französischen Handschriften die Anführung von Bethsaida, das „never appears in the Jewish scriptures or elsewhere in Jewish apocrypha“13, vielleicht als der historischen Situation eines antiken jüdischen Esra unangemessen wahrgenommen und es deshalb aus den Handschriften entfernt habe.14 Ebenso kann Bethsaida aber     13   14   11 12

In der Handschriftengruppe CMNEVLK In der Handschriftengruppe SA wird Bethsaida nicht genannt. Bergren, Fifth Ezra, 207. Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 207.

128

ringen um israel

auch als nachträgliche Interpolation eingeordnet werden, um eine größere Nähe zum Neuen Testament herzustellen – dann wäre der Text der französischen Handschriften ursprünglicher. Strickert nennt verschiedene Ungenauigkeiten in der Fassung der Handschriften SA, was für ihn für eine Bearbeitung durch einen unkundigen Schreiber und somit die Überlegenheit der spanischen Handschriften spricht15. Die von ihm angesprochene anachronistische Erwähnung der Zerstö­ rung von Tyrus und Sidon beruht jedoch auf einer Ungenauigkeit seinerseits: Der Text spricht nur von der Zerstreuung der Bewohner von Tyrus und Sidon, eine Zerstörung der Städte wird, anders als in den spanischen Handschriften16, nicht erwähnt. Ebenso lagen Tyrus und Sidon wohl weder östlich (SA) noch südlich17 (CMNEVLK) des biblischen Esra18 – eine Überlegenheit der spanischen Fassung ist mit diesen Argumenten also nicht begründbar; Strickerts Bevorzugung dieser Handschriften beruht möglicherweise darauf, dass seine eigene These auf der Nennung Bethsaidas aufbaut.19 In Mt 11,21–24 wird der Unglaube der jüdischen Städte Chora­ zin, Bethsaida und Kafarnaum angeklagt, die trotz der Wundertätig­ keit Jesu nicht umgekehrt seien. Um die Dimension ihrer Hartherzig­ keit aufzuzeigen, werden sie mit heidnischen Städten kontrastiert, die im Alten Testament für ihren Reichtum und Hochmut (vgl. Ez 28,4f.)   Auch Wolter bezeichnet die französische Handschriftengruppe in die­ sem Vers als „mit Sicherheit sekundär“ (Wolter, 5. Esra-Buch, 798, FN 11b.), begründet dies aber nicht. 16   Theodore Bergren denkt hier an eine Anspielung auf das Schicksal von Sodom und Gomorrha (vgl. Gen 19,24) (vgl. Bergren, Note, 810.). 17   James’ Hinweis, dass hier eine Verwechslung basierend auf Zeph 2,4 (VUL: quia Gaza destructa erit et Ascalon in desertum Azotum in meridie eicient et Accaron eradicabitur) vorliegen könnte, klingt weit hergeholt und wird auch von Theodore Bergren (vgl. Bergren, Fifth Ezra, 288.) abgelehnt (vgl. Bensly, Fourth Book, xlviii.). 18   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 287. 19   Strickert versteht die Formulierung der spanischen Handschriften Bethsaidam civitatem everti als Hinweis auf eine Zerstörung der Stadt durch ein Erdbeben im 2. Jhd. n.Chr. – Kuhn gibt als Datum einer wahrscheinlichen Zerstörung jedoch das Jahr 363 n.Chr. an (vgl. Kuhn, Heinz-Wolfgang, Betsaida und et-Tell in frührömischer Zeit. Historische, archäologische und philologische Probleme einer als Wirkungsstätte Jesu angenommenen Orts­ lage, in: ZNW 101 (2010), 1–32; 174–203, hier 196.) (vgl. auch Wolter, 5. Esra-Buch, 798, FN 11b.). 15



iv  matthäusevangelium129

bzw. ihren Frevel (vgl. Gen 19; Ez 16,49) angeprangert werden20: selbst diese wären umgekehrt, wenn sie Jesu Machttaten erlebt hätten. Die Verse sind klar parallel aufgebaut21: Je einer jüdischen Stadt wird eine heidnische Stadt zugeordnet, in „wenn – dann“ Sätzen wird das Handeln dieser Städte und daraufhin deren Schicksal am Tag des Gerichts kontrastiert. Die Zuordnung der Städte Chorazin/ Bethsaida – Tyrus/ Sidon und Kafarnaum – Sodom bildet die Struktur dieser Wehe-Rufe und verstärkt den Vorwurf an die galiläischen Städte; darin weicht Matthäus auch von seiner lukanischen Parallelstelle ab. Tyrus, Sidon und Sodom werden also wegen ihrer Frevelhaftigkeit ausgewählt und dienen primär als Kontrastfolie.22 Sie werden nicht vom Gericht freigesprochen, ihnen wird aber ein besseres Schicksal prophezeit als Chorazin, Bethsaida und Kafarnaum. In 5 Esra geschieht die Nennung der Städte in einem gänzlich anderen Zusammenhang: Die Zerstörung bzw. die Vertreibung der Einwohner von Tyrus, Sidon und Bethsaida (nur CMNEVLK) wird in 5 Esra 1,11 als Beispiel für eine Machttat Gottes für sein Volk Israel skizziert. Die Städte werden so als Gegner Israels erkennbar, ansonsten aber nicht beurteilt oder in den Blick genommen. Im Fokus steht in 5 Esra Gottes Bewahren seines Bundes mit Israel und sein Treueerweis für sein Volk; das Handeln gegen Bethsaida, Tyrus und Sidon wird nur in diesem Kontext betrachtet und reiht sich in eine Liste zahlreicher anderer Machttaten Gottes ein (vgl. 5 Esra 1,10–23), die auch die Ver­ treibung anderer Bevölkerungsgruppen, der Chananeos et Ferezeos et Philisteos bzw. Chananeos, Etheos, Ferezeos (5 Esra 1,21), beinhaltet. Die Nennung der Städte geschieht also nicht in einem Gerichtszusam­ menhang wie in Mt, sondern im Rahmen der Hervorhebung des positi­ ven Handelns Gottes während des Exodus. Tyrus und Sidon werden im Alten Testament zudem insgesamt häufig genannt und z.B. in Jes 23, Jer 25 und Ez 26–28 mit der Bestrafung durch Gott bedroht, ihre ­Verwendung in 5 Esra 1,11 ist also auf diesem Hintergrund nachvoll­ ziehbar; zudem wird ihre Zerstörung in Mt nicht angedeutet. Geht man von einer Überlegenheit der spanischen Handschriften aus, ist außer­ dem zu beachten, dass von den galiläischen Städten in Mt 11,21–24 nur   Vgl. Luz, Matthäus 2, 193.   Vgl. Luz, Matthäus 2, 191. 22   Vgl. Konradt, Matthias, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göt­ tingen 2015, 186. 20 21

130

ringen um israel

­ ethsaida aufgegriffen wird, nicht aber Kafarnaum und Chorazin. B Sodom wiederum, das in Mt 11,23 als Gegenpol zu Kafarnaum ange­ führt wird, tritt in 5 Esra 1,11 nicht in Erscheinung, sondern wird erst in 5 Esra 2,8 gemeinsam mit Gomorrha Assur23 als warnendes Beispiel für Gottes Strafen (vgl. Gen 19,24f.) entgegengehalten. So ist einerseits klar die auffällige parallele Strukturierung des Matthäusevangeliums zerstört, andererseits mit der Beifügung von Gomorrha24 eine weitere Abweichung in der Auflistung der Städte vorgenommen. Auch dient das Schicksal von Sodom und Gomorrha im Alten Testament wieder­ holt als warnendes Beispiel, so z.B. in Jes 1, das 5 Esra wahrscheinlich als Bezugstext diente, aber auch in Jer 49,18; 50,40; Am 4,11. Bemer­ kenswert ist jedoch die Aussage der spanischen Handschriften in 5 Esra 2,9 (quorum terra descendit usque ad infernum), die Überein­ stimmungen mit der VUL Fassung von Mt 11,23 usque in infernum descendes, hier jedoch bezogen auf Kafarnaum, aufzeigt. Diese Formel findet sich auch in Gen 37,35; Ps 55,16; Ez 31,17 u.a.; der Gegensatz Himmel – Hölle, der in Mt 11,23 dargestellt wird, geht vielleicht auf Jes 14,13–15 zurück25. Theodore Bergren führt in seinem Aufsatz „A Note on 5 Ezra 1:11 and 2:8–9“ ein weiteres Erklärungsmodell an: Er will 5 Esra 2,8–9 (CMNEVLK) auf Zeph 2,13–3,5 zurückführen26 und vermutet, dass der Autor von 5 Esra die dort fehlenden Motive, den Wehe-Ruf gegen Assur (vgl. aber Zeph 3,1!), das „Hinabsteigen zur Hölle“ und die Nennung von Sodom, aufgrund seiner „literary inventiveness“27 aus Mt 11,21–24 genommen habe. Da die Nennung von Assur aber die einzige Verbindungslinie zwischen 5 Esra 2,8–9 und Zeph 2,13–3,5 ist,   Assur wird häufig als Chiffre für Rom gedeutet (z.B. Myers, I and II Esdras, 157; Oesterley, II Esdras, 9.). Wolter widerspricht dem und nennt als Schuld Assurs, dass es durch die Deportation der Bevölkerung des Nord­ reiches Angehörige Israels aufgenommen habe und so „kontaminiert“ sei (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 808, FN 8a.). Meiner Ansicht nach liegt die Betonung aber auf der Schuld des Ungehorsams (2,9 (SA): Sic dabo eos qui me non audierunt, dicit Dominus omnipotens); die Zerstörung träfe Assur also deshalb, weil Israel, dem die Drohung gilt, in dieser Stadt zu finden ist. 24   Sodom und Gomorrha werden gemeinsam in Mt 10,15 genannt, in der ansonsten gleichen Formulierung wie in Mt 11,24. 25   Vgl. Davies/ Allison, Matthew 8-18, 268. 26   Vgl. Bergren, Note, 811. Darauf verweist bereits auch James in seiner Einführung (vgl. Bensly, Fourth Book, liv.) 27   Bergren, Note, 810. 23



iv  matthäusevangelium131

kann ein Bezug zwischen diesen Versen m.E. kaum begründet werden. Bergren sieht durch das Anführen bestimmter Motive und das Weglas­ sen anderer in 5 Esra 1,11 und 2,8f. einen geschickten Chiasmus gestal­ tet, der „literary flair and literary ingenuity“28 des Autors abbilde – beachtet man jedoch all die Unterschiede zwischen Zeph 2,13–3,5, Mt 11,21–24 und 5 Esra 1,11; 2,8f. und die Häufigkeit von Wehe-­ Rufen, der Nennung von Sodom und von Drohungen im Alten Testa­ ment, drängt sich der Gedanke auf, dass die Genialität des Autors an dieser Stelle vielleicht überstrapaziert wird und Verbindungen in den Text hineingetragen werden. Bergren räumt zwar selbst die Angreifbar­ keit seiner These ein, spricht aber auch von der Schwierigkeit „to for­ mulate a more satisfactory explanation“29. Zeph 2,13 (ELB) Und er wird seine Hand gegen Norden ausstrecken und wird Assur vernichten und Ninive zur Öde machen, dürr wie die Steppe. 14 Und in seiner Mitte werden sich Herden lagern, allerlei Tiere; auch Wüstenkauz und Eule werden auf seinen Säulenknäufen übernachten. Eine Stimme singt im Fenster, Verwüstung auf der Schwelle, denn er hat das Zederngetäfel bloßgelegt. 15 Das ist die aus­ gelassene Stadt, die in Sicherheit wohnte, die in ihrem Herzen sagte: «Ich und sonst gar nichts!» Wie ist sie zur Wüste geworden, zum Lagerplatz der wilden Tiere! Jeder, der an ihr vorübergeht, wird zis­ chen, wird höhnisch seine Hand schwenken. 3,1 Wehe der Widerspen­ stigen und Befleckten, der gewalttätigen Stadt! 2 Sie hat auf keine Stimme gehört, keine Zurechtweisung angenommen; auf den HERRN hat sie nicht vertraut, ihrem Gott hat sie sich nicht genaht. 3 Ihre Ober­ sten in ihrer Mitte sind brüllende Löwen, ihre Richter sind Wölfe am Abend, die nichts für den Morgen übriglassen. 4 Ihre Propheten sind leichtfertig, treulose Männer; ihre Priester entweihen das Heiligtum, tun dem Gesetz Gewalt an. 5 Der HERR ist gerecht in ihrer Mitte, er tut kein Unrecht; Morgen für Morgen stellt er sein Recht ans Licht, es bleibt nicht aus. Aber der Ungerechte kennt keine Scham. 5 Esra 2,8 (CMNEVLK) Vae tibi, Assur, qui abscondis iniquos penes te. Civitas mala, memorare quid fecerim Sodomae et Gomorrae, 9 quorum terra descendit usque ad infernum. Sic dabo eos qui me non obaudierunt. Mt 11,21 (ELB) Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunderwerke geschehen wären, die unter euch gesche­ hen sind, längst hätten sie in Sack und Asche Buße getan. 22 Doch ich sage   Bergren, Note, 812.   Bergren, Note, 812.

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euch: Tyrus und Sidon wird es erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als euch. 23 Und du, Kapernaum, meinst du, du werdest etwa bis zum Himmel erhöht werden? Bis zum Hades wirst du hinabgestoßen werden; denn wenn in Sodom die Wunderwerke geschehen wären, die in dir geschehen sind, es wäre geblieben bis auf den heutigen Tag. 24 Doch ich sage euch: Dem Sodomer Land wird es erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als dir.

Gegen eine direkte Bezugnahme auf das Matthäusevangelium in 5 Esra 1,11; 2,8f. sprechen der breite biblische Hintergrund für Tyrus, Sidon und Sodom und die starken Abweichungen in den Details der Texte. Zudem stehen die Verse in 5 Esra in einem gänzlich anderen Kontext als in Mt. Zu bedenken ist auch, dass die lukanische Parallel­ stelle ebenso all die Elemente aufweist, die eine Verbindung zu 5 Esra herstellen. Doch ist die Nennung Bethsaidas und seine Verknüpfung mit Tyrus und Sidon in CMNEVLK so ungewöhnlich und mit dem „Hinabsteigen in die Hölle“ eine weitere Gemeinsamkeit mit Mt 11,21– 24 bzw. Lk 10,12–15 gegeben, dass für die spanischen Handschriften eine Bezugnahme angenommen werden kann. Für wenig wahrschein­ lich halte ich dennoch eine bewusste Anspielung 5 Esras auf Mt, da auch Lk die verbindenden Begriffe enthält, die Elemente in 5 Esra (CMNEVLK) weit auseinander gerissen sind (1,11; 2,8f.), keine auf­ fälligen Bezüge zur französischen Handschriftengruppe zu erkennen30 und die Details der Texte sehr unterschiedlich sind. 3  Mt 23,34–39 und 5 Esra 1,28–33 Ein zweiter Abschnitt, der wörtliche Übereinstimmungen zwischen Mt und 5 Esra aufweist, ist Mt 23,34–39. Diese Verse schließen sich an sieben Wehe-Rufe über Schriftgelehrte und Pharisäer an, die Jesus vor dem Volk äußert, und leiten zu den eschatologischen Ereignissen über, die in den Kapiteln 24 und 25 thematisiert werden. Mt 23,34 Διὰ τοῦτο ἰδοὺ ἐγὼ ἀποστέλλω πρὸς ὑμᾶς προφήτας καὶ σοφοὺς καὶ γραμματεῖς·ἐξ αὐτῶν ἀποκτενεῖτε καὶ σταυρώσετε καὶ ἐξ αὐτῶν μαστιγώσετε ἐν ταῖς συναγωγαῖς ὑμῶν καὶ διώξετε ἀπὸ πόλεως εἰς πόλιν· 35 ὅπως ἔλθῃ ἐφ‘ ὑμᾶς πᾶν αἷμα δίκαιον ἐκχυννόμενον ἐπὶ τῆς γῆς ἀπὸ τοῦ αἵματος Ἅβελ τοῦ δικαίου ἕως τοῦ αἵματος Ζαχαρίου υἱοῦ Βαραχίου, ὃν ἐφονεύσατε μεταξὺ τοῦ ναοῦ καὶ τοῦ θυσιαστηρίου. 30   Es ist also auch nicht auszuschließen, dass hier eine spätere bewusste Angleichung an Mt oder Lk geschah.



iv  matthäusevangelium133

36 ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἥξει ταῦτα πάντα ἐπὶ τὴν γενεὰν ταύτην. 37  Ἰερουσαλὴμ Ἰερουσαλήμ, ἡ ἀποκτείνουσα τοὺς προφήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους πρὸς αὐτήν, ποσάκις ἠθέλησα ἐπισυναγαγεῖν τὰ τέκνα σου, ὃν τρόπον ὄρνις ἐπισυνάγει τὰ νοσσία αὐτῆς ὑπὸ τὰς πτέρυγας, καὶ οὐκ ἠθελήσατε. 38 ἰδοὺ ἀφίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν ἔρημος. 39 λέγω γὰρ ὑμῖν, οὐ μή με ἴδητε ἀπ‘ ἄρτι ἕως ἂν εἴπητε·γημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου. Lk 11,49 διὰ τοῦτο καὶ ἡ σοφία τοῦ θεοῦ εἶπεν ἀποστελῶ εἰς αὐτοὺς προφήτας καὶ ἀποστόλους, καὶ ἐξ αὐτῶν ἀποκτενοῦσιν καὶ διώξουσιν, 50 ἵνα ἐκζητηθῇ τὸ αἷμα πάντων τῶν προφητῶν τὸ ἐκκεχυμένον ἀπὸ καταβολῆς κόσμου ἀπὸ τῆς γενεᾶς ταύτης, Lk 13,34 Ἰερουσαλὴμ Ἰερουσαλήμ, ἡ ἀποκτείνουσα τοὺς προφήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους πρὸς αὐτήν, ποσάκις ἠθέλησα ἐπισυνάξαι τὰ τέκνα σου ὃν τρόπον ὄρνις τὴν ἑαυτῆς νοσσιὰν ὑπὸ τὰς πτέρυγας, καὶ οὐκ ἠθελήσατε. 35 ἰδοὺ ἀφίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν. λέγω [δὲ] ὑμῖν, οὐ μὴ ἴδητέ με ἕως [ἥξει ὅτε] εἴπητε·εὐλογημένος ὁ ἐρχόμενος ἐν ὀνόματι κυρίου.

Diese Verse bilden die wohl klarste mögliche Bezugsstelle von Mt und 5 Esra ab und weisen Gemeinsamkeiten mit 5 Esra 1,28–33 auf. 5 Esra 1,28 (SA) Haec dicit Dominus omnipotens: Nonne ego vos rogavi ut pater filios et ut mater filias et nutrix parvulos suos, 29 ut essetis mihi in populo, et ego vobis in Deum, et vos mihi in filios, et ego vobis in patrem? 30 Ita vos collegi ut gallina filios suos sub alas suas. Modo autem quid faciam vobis? Proiciam vos a facie mea. 31 Oblationes mihi cum obtuleritis, avertam faciem meam a vobis; dies enim festos vestros et neomenias et circumcisiones carnis repudiavi. 32 Ego misi pueros meos prophetas ad vos, quos acceptos interfecistis et laniastis corpora illorum, quorum sanguinem exquiram, dicit Domi­ nus. 33 Haec dicit Dominus omnipotens: Domus vestra deserta est, proiciam vos sicut ventus stipulam. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus: Nonne ita vos ego rogavi ut pater filium et ut mater filiam suam et ut nutrix quae amat parvulum suum, 29 cum essetis mihi in populo et ego vobis in Deo, vos mihi in filiis et ego vobis in patre? 30 Ita enim collegi vos ut gallina pullos suos sub alis suis. Modo autem quid faciam vobis? Dicam, proiciam vos a facie mea. 31 Immolationes mihi offerentibus avertam oculos meos a vobis. Dies festos et neomeniam et sabbata et circumcisiones non mandavi vobis. 32 Ego misi pueros meos prophetas ad vos, quos acceptos inter­ fecistis et laniastis corpora apostolorum, quorum animas et sanguinem exquiram, dicit Dominus. 33 Haec dicit Dominus omnipotens: Domus vestra deserta est. Proiciam vos sicut ventus stipulam.

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Drei Motive werden in allen drei Textabschnitten, in Mt 23,37–39, Lk 13,34f. und 5 Esra 1,28–33, verwendet; diese sollen einzeln genauer untersucht werden. 3.1  Der Prophetenmord Mt 23,37 beginnt mit der Anrede Jerusalems, die charakterisiert wird als ἡ ἀποκτείνουσα τοὺς προφήτας καὶ λιθοβολοῦσα τοὺς ἀπεσταλμένους πρὸς αὐτήν. Prophetenmord wird bereits in Mt 23,34 im Anschluss an den siebten Wehe-Ruf gegen Pharisäer und Schrift­ gelehrte zum Anlass einer prophetischen Unheilsankündigung31 und wird auch in Mt 21,34–36; 22,6 thematisiert. Die ursprünglich ‚deu­ teronomistische‘ Prophetenmordtradition ist im Alten Testament ver­ breitet (vgl. z.B. Neh 9,26; 2 Chr 24,20f.; Jer 2,30; 26,20–23), nimmt aber bei Matthäus – und auch in weiteren Texten des Neuen Testa­ ments (vgl. Apg 7,52; 1 Thess 2,15) – eine besondere Stellung ein. Die Darstellung dieses Motivs in Mt 23,34–37 ist jedoch übertrie­ ben32 und der in diesem Evangelium erkennbaren Polemik33 gegen­ über den mutmaßlichen Kontrahenten der matthäischen Gemeinde geschuldet. Matthäus führt drei verschiedene Arten der Tötung von Propheten an – Kreuzigung, Geißelung und Steinigung – und unter­ scheidet sich dadurch von der lukanischen Parallele in Lk 11,49; 13,34, die nur die Steinigung nennt. So schafft Matthäus einerseits einen Bezug zur Passion Jesu und zeigt durch die häufige Verwen­ dung dieses Motivs und dessen Ausgestaltung andererseits, dass die­ ses für ihn von großer Wichtigkeit ist. Auch in 5 Esra 1,32 wird die Tötung von Propheten aufgegriffen, doch wird nicht Jerusalem dafür verantwortlich gemacht; dieses Ver­ gehen wird in Gottes Anklage gegen Israel eingereiht34. 5 Esra   Vgl. Luz, Ulrich, Das Evangelium nach Matthäus 3 (Mt 18–25) (EKK  1,3), Neukirchen-Vluyn ²2012, 367. 32   Vgl. Luz, Matthäus 3, 371. Kreuzigung (vgl. Mt 23,34) ist ein aus­ schließlich römisches Machtinstrument und wurde wohl wie die Geißelung von Kontrahenten (vgl. Mt 23,34; auch in Mt 10,17) nicht von Pharisäern angewendet. 33   Vgl. z.B. Sim, David C., Polemical Strategies in the Gospel of Matthew, in: Wischmeyer, Oda, Scornaienchi, Lorenzo (Hg.), Polemik in der frühchrist­ lichen Literatur. Texte und Kontexte (BZNW 170), Berlin 2011, 491–515. 34   Diese Anklage enthält z.B. auch den allgemeinen Vorwurf, dass Morde begangen wurden (vgl. 5 Esra 1,26). 31



iv  matthäusevangelium135

u­ nterscheidet sich auch insofern von der Fassung von Mt 23,37 und Lk 13,34, dass keine Steinigungen genannt werden. Übereinstimmend mit Mt 23,37/ Lk 13,34 werden die Propheten als Gesandte charakte­ risiert – die Aufteilung in zwei Satzbausteine in 5 Esra (ego misi – quos acceptos interfecistis), die auch in Mt 23,34 par Lk 11,4935 geschieht, betont zusätzlich, wie im gesamten ersten Teil der Schrift, die gegensätzlichen Handlungen Gottes und Israels bzw. die boshafte und ungehorsame Reaktion Israels auf Gottes Handeln. Die Formu­ lierung ego misi pueros meos prophetas ad vos (5 Esra 1,32) hebt Gottes Engagement für sein Volk hervor und wird besonders häufig in Jeremia verwendet (Jer 7,25; 25,4; 26,5; 29,19; 35,15; 44,4f.). In den spanischen Handschriften wird zusätzlich die Schändung der Leichen der Apostel angeklagt, was als mögliche Angleichung an Lk 11,49 verstanden werden kann.36 An die Anklage dieser Tat schließt sich Gottes Ankündigung an, dass er das Blut (und die animas, nur CMNEVLK) seiner Propheten einfordern werde; Wolter verweist erneut auf einen möglichen Zusammenhang mit Lk 11,5037. Diese Details deuten auf eine größere Nähe von 5 Esra 1,32 zu Lk 11,49f. hin als zu Mt 23,37 par Lk 13,34. Das Motiv des Prophetenmordes reiht sich in 5 Esra 1,32 in eine lange Liste von Untaten Israels ein und beruht auf den verbreiteten biblischen Motiven der Sendung und Tötung von Propheten. Eine besondere Stellung dieses Motivs wie in Mt ist hier nicht zu erkennen, auch eine Ausgestaltung entsprechend Mt 23,34 geschieht nicht. Dem­ entsprechend kann an diesem Motiv keine Abhängigkeit festgemacht werden; eine Anspielung dieses Teilabschnitts von 5 Esra 1,32 auf Mt 23,34.37 bzw. Lk 13,34 ist eher unwahrscheinlich. Auffällig sind jedoch die Bezüge zwischen 5 Esra 1,32 (CMNEVLK) und Lk 11,49f.38   Lk 11,49 unterscheidet sich von Mt 23,34 dadurch, dass dort explizit ἡ σοφία τοῦ θεοῦ spricht, während bei Mt Jesus als Sprecher impliziert ist. Das entspricht eher 5 Esra 1,32, wo sich Gott an Israel wendet. 36   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 804, FN 32c. Diese wird in der Parallelstelle Mt 23,34 nicht erwähnt. 37   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 804, FN 32e. 38   Bergren folgert optimistischer und aufbauend auf anderweitigen Bezugs­ stellen zwischen Mt und 5 Esra: „It seems probable to me that a verbal relationship of some sort exists between 5 Ezra and the synoptic logion. The question of the nature of the relationship is, however, a difficult one.“ (­Bergren, Fifth Ezra, 275.). 35

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3.2  Das Sammeln der Kinder Ein zweites, herausragendes Motiv ist das Bild des versuchten Sam­ melns der Kinder Jerusalems durch Jesus39 ὃν τρόπον ὄρνις ἐπισυνάγει τὰ νοσσία αὐτῆς ὑπὸ τὰς πτέρυγας in Mt 23,37 par Lk 13,34. Bergren gibt zu Mt 23,37 folgende Vetus Latina Fassung40 an: Mt 23,37 (VL) Quoties volui colligere filios tuos, quemadmodum gallina colligit pullos suos sub alis suis.

Das „Bewahren unter den Flügeln“ ist ein Bild für den Schutz Gottes, das in zahlreichen Texten – v.a. im AT und der jüdischen Tradition – aufge­ griffen wird, z.B. in Dtn 32,11; Rut 2,12; Ps 17,8; 36,8; 91,4; Jes 31,5; 2 Bar 41,4. In allen diesen genannten Stellen wird jedoch nur vom Schutz­ finden gesprochen; von einer Sammlung wie in Mt 23,37 par Lk 13,34 und in 5 Esra 1,30 ist dort nicht die Rede.41 Auf der sprachlichen Ebene gesehen ist deshalb eine Bezugnahme oder gemeinsame Grundlage von Mt 23,37 par Lk 13,34 und 5 Esra 1,30 anzunehmen, denn derartige Übereinstimmungen sind bei keinem anderen Text gegeben: Beide Texte erinnern an eine (1) Sammlung, die damit (2) verglichen wird, wie eine (3) Henne42 ihre (4) Jungen unter ihren (5) Flügeln sammelt, sie stimmen also in fünf Details überein, im ­zweiten Satzglied sogar beinahe wörtlich.   Nolland verweist darauf, dass „God is the natural speaker of Mt. 23:37– 38. An original attribution to Wisdom here as in Lk. 11:49 would make God the speaker by providing in ‚Wisdom‘ a suitable euphemism for ‚God‘. […] Finally, in each case there is a change of speaker to Jesus with ‚I say to you‘.“ (Nolland, John, The Gospel of Matthew. A Commentary on the Greek Text (NIGTC), Grand Rapids 2005, 949.) Er ergänzt: „On the lips of Jesus the connection has to be more complicated: the historic pattern is in the process of repeating itself as Jerusalem does not give the repeated desire of Jesus to gather the children a fitting response.“ (Nolland, Gospel, 950.). 40   Bergren schränkt gleichzeitig ein: „There are numerous OL witnesses to Matt 23:37, and they display substantial variation.“ (Bergren, Fifth Ezra, 266.). In der Vetus Latina Datenbank (http://apps.brepolis.net/vld/default. aspx) werden 192 Zitate von Vetus Latina Fassungen angegeben; wichtige Variationen sind die Ersetzung von colligere durch congregare, von quemadmodum durch sicut bzw. tamquam und von pullos durch filios. 41   Davies und Allison führen als weiteres Beispiel Lev. Rab. 19,23 an: „the hen, when its young are small, gathers them together and sets them under its wings“ (vgl. Davies/ Allison, Matthew 19–28, 320.). 42   ὄρνις kann allgemein „Vogel“ bedeuten, wird aber auch speziell für einen Hahn oder eine Henne verwendet. 39



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Der Hauptunterschied zwischen der lukanischen und der matthäischen Fassung, das Nicht-­Erscheinen des Verbs „sammeln“ innerhalb des Hen­ nen-Bildes, rückt 5 Esra 1,30 näher an Lk 13,34 als an Mt 23,37. Doch unterscheiden sich 5 Esra und die synoptischen Texte in ihrem Kontext: In 5 Esra spricht Gott zu Israel und erinnert es an seine Bemü­ hungen und sein Bewahren des Bundes. Er drückt seine nahe Verbin­ dung zu seinem erwählten Volk dadurch aus, dass er ihr Verhältnis mit dem von Vater und Söhnen, Mutter und Töchtern, Amme und Kleinkin­ dern vergleicht (5 Esra 1,28). In diesem Rahmen dient das Bild von einer Henne und ihren Jungen als Bekräftigung, dass eine derartig nahe Bezie­ hung von Gott angestrebt, angeboten und immer wieder verwirklicht wurde. Deshalb wird in 5 Esra ein Perfekt verwendet (collegi), während in den Evangelien von einem (gescheiterten) Versuch (ἠθέλησα ἐπισυναγαγεῖν) gesprochen wird. Gott bezeichnet sich in 5 Esra selbst als Vater der Kinder Israels (1,29 ut essetis mihi in populo, et ego vobis in deo, et vos mihi in filiis, et ego vobis in patre); in Mt und Lk sind die Israeliten jedoch die Kinder ihrer Mutter Jerusalem, Gott tritt dort nicht in Erscheinung und wird nicht als Vater dargestellt. Gleichzeitig ist das Verständnis von Jerusalem als Mutter Israels aber auch in 5 Esra gege­ ben; Jerusalem klagt in 5 Esra 2,2–4 über ihre Kinder und wird von Gott im zweiten Teil des Textes immer wieder angesprochen. In Mt 23,37 bzw. Lk 13,34 tritt Jesus selbst als Sprecher auf. Er gebraucht dieses Bild im Kontext der Wehe-Rufe gegen Pharisäer und Schriftgelehrte und reagiert auf die Ablehnung seiner Person. Ob diese Verse als Gerichtswort gegen ganz Israel zu verstehen sind, ist in der Mt-Forschung umstritten.43 Während z.B. Luz44 für das Mat­ thäusevangelium die Ansicht vertritt, dass es für ein Israel, das Jesus ablehne, keine gute Zukunft mehr geben könne, auch nicht beim Weltgericht des kommenden Menschensohns, lehnen Konradt45 und   Harrington (330) und Davies und Allison (Matthew 19–28, 324) weisen dies wie Konradt und Fiedler strikt zurück; Hagner (Matthew 14–28, 681) sieht einen Hauptbezug auf Pharisäer und Schriftgelehrte (ebenso Davies und Allison). 44   Vgl. Luz, Matthäus 3, 385. Er äußert zuvor: „Natürlich ist das ein gött­ liches Fanal für ganz Israel.“ (Luz, Matthäus 3, 382.). 45   Vgl. Konradt, Israel, 250f.: „Eine Ausweitung der Gerichtsperspektive auf ganz Israel ist schließlich auch nicht durch die Anfügung der Klage über Jerusalem in 23,37–39 – Matthäus wiederholt damit die bereits in 22,2–7 begegnende Verbindung der Zerstörung Jerusalems mit der Reaktion der Autoritäten auf die Sendung der Jünger – zu registrieren, da, wie bereits 43

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Fiedler46 diese Deutung vehement ab. Im Lukasevangelium erfolgt das Gerichtsorakel47 gegen Jerusalem auf dem Weg Jesu nach Jerusa­ lem (Lk 13,22) und schließt sich an eine Warnung der Pharisäer vor der Tötungsabsicht des Herodes an (13,31); es wird also in den Kon­ text der Kreuzigung Jesu in Jerusalem gestellt. Das Motiv der Henne, die ihre Küken unter ihren Flügeln sammelt, passt ideal in den Kontext des ersten Teils von 5 Esra: Dieser Teil ist von alttestamentlichen Texten geprägt, gebraucht prophetische Sprache und verwendet verbreitete Bilder, um das Verhältnis von Gott und Israel auszudrücken. Das Motiv der Henne, die ihre Kinder unter ihren Flügeln sammelt, drückt hier die Liebe Gottes zu Israel aus und den Schutz, den er dem Volk immer zuteil werden ließ. Im Matthäus- und Lukasevangelium hingegen wird das Motiv in anderen Kontexten gebraucht, die keine Gemeinsamkeiten mit 5 Esra aufweisen: Dort steht das Motiv als Bild für die Klage Jesu über seine Ablehnung in Jerusalem. Eine Anspielung 5 Esras auf diese Texte erscheint also an dieser Stelle wenig wahrscheinlich, eine „verbal relationship of some type“48 ist aber klar gegeben. Die große sprachliche Nähe auf der einen Seite und der veränderte Kontext, in dem Mt/ Lk und 5 Esra dieses deutlich wurde, Jerusalem in der matthäischen Konzeption keineswegs für Israel steht.“ (Hervorhebungen durch den Autor) 46   Fiedler betont: „Zwar wird der durch die Passion erzwungene Fortgang Jesu die Zerstörung des Tempels und der Stadt als Strafe Gottes zur Folge haben. Sie stellt jedoch keine endgültige Trennung Gottes von den Gegnern des Mt oder der Einwohnerschaft Jerusalems oder gar von Israel als Ganzem dar. Vielmehr wer­ den bei der Parusie alle die Messianität Jesu anerkennen, eben auch die, die sie jetzt noch ablehnen, weil er dann als Messias, als Heilbringer für ganz Israel offenbar werden wird (vgl. 1,21; 19,28).“ (Fiedler, Peter, Das Matthäusevange­ lium (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 1), Stuttgart 2006, 359.). 47   Vgl. Bovon, Francois, Das Evangelium nach Lukas (Lk 9,51–14,35) (EKK 3,2), Neukirchen-Vluyn ²2008, 446. 48   Bergren, Fifth Ezra, 267. Bergren führt aus: „There are various possibili­ ties for the nature of this relationship. 5 Ezra could depend on one of the synoptic passages or on ,Q‘, or vice versa; in either case, dependence could be direct or indirect. 5 Ezra 1:30 and the ,Q‘ logion could derive from a com­ mon source or sources. Either passage could have been adapted toward the other in its transmission history. Also, the two passages could independently express a ,proverbial‘ type of simile. None of these possibilities can be exclu­ ded summarily. […] In my estimate, the most likely situation is that 5 Ezra 1:30 is dependent on the synoptic tradition.“ (Bergren, Fifth Ezra, 267f.).



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Motiv gebrauchen, auf der anderen Seite, verweisen darauf, dass die Texte für dieses Motiv auf dieselbe Quelle zurückgegriffen haben. 3.3  Der Verlust des Hauses Ein drittes Motiv verbindet Mt 23,37–39 par Lk 13,34f. und 5 Esra 1,28– 33: Im Rahmen der Unheilsankündigung über Israel prophezeit Gott Israel in 5 Esra 1,33 domus vestra deserta est, was mit Mt 23,3849 par Lk 13,35 korreliert. οἶκος kann sich in Mt 23,38 auf den Tempel (vgl. Mt 12,4; 21,13), die Stadt Jerusalem50 oder das ‚Haus Israel‘ (vgl. Mt 10,6; 15,24) beziehen. Während sich Konradt51 und Luz52 für eine Bezugnahme auf den Tempel aussprechen (vgl. auch Mt 24,1 (ELB): „Und Jesus trat hinaus und ging von dem Tempel weg“), gehen Davies/ Allison53 und Hagner54 davon aus, dass sich die Optionen nicht gegen­ seitig ausschließen müssen. Dieser Vers wird meist als Hinweis auf die Zerstörung des Tempels und Jerusalems gelesen55. In 5 Esra ist vom Tempel an keiner Stelle die Rede, auch Jerusa­ lem wird im ersten Teil 5 Ersas nicht namentlich genannt oder mit Stadt-Attributen versehen. 5 Esra 1,35 (CMNEVLK) spricht zwar von domos vestras, doch stellt dies nicht nur durch seine Plural-Form eine Abweichung vom domus in 1,33 dar, sondern es scheint auch durch die Rahmung tradam domos vestras populo venienti kein Zusammenhang mit der Aussage domus vestra deserta est zu beste­ hen und somit ein zweites unabhängiges Motiv vorzuliegen. Domus wird in 5 Esra 1,33 also nur in den Kontext der prophetischen Spra­ che und der zahlreichen Motive aus Texten des Alten Testaments gesetzt, die sich im ersten Teil dieser Schrift finden. Die Bedeutung, die die Zurückweisung Jesu im Matthäusevangelium hat, und die mit der Kreuzigung Jesu und der Zerstörung Jerusalems und des Tempels in Bezug gesetzt wird, ist 5 Esra fremd, das von Gottes   Mt 23,38 (NA): ἰδοὺ ἀφίεται ὑμῖν ὁ οἶκος ὑμῶν ἔρημος.   Dann wird dieser Vers verstanden als Verweis auf die Zerstörung Jeru­ salems 70 n.Chr. 51   Vgl. Konradt, Israel, 253. 52   Vgl. Luz, Matthäus 3, 382. 53   Vgl. Davies/ Allison, Matthew 19–28, 322. 54   Vgl. Hagner, Donald A., Matthew 14–28 (WBC 33B), Dallas 1995, 680. 55   Vgl. Luz, Matthäus 3, 382; Davies/ Allison, Matthew 19–28, 321; Hag­ ner, Matthew 14–28, 681. 49 50

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­ nttäuschung über Israels Undankbarkeit und Ungehorsam spricht und E sich in eine Reihe mit verschiedenen alttestamentlichen Prophetenschrif­ ten stellen will. Stanton hingegen findet folgende Erklärung dafür, dass die Ablehnung Jesu in 5 Esra nicht erwähnt wird: „At this point in 5 Ezra the expected reference to Israel‘s rejection of Jesus, who, like the pro­ phets, was sent to God‘s people Israel, is studiously avoided. Why? Per­ haps there was reluctance to concede to opponents that Jesus might be seen as another prophet, though Matt, xxi. 37 f. uses ,son‘ and ,heir‘ in order to separate Jesus from the prophets, and Acts vii. 52 uses ,the righ­ teous one‘ for the same reason. More probably the rejection of Jesus was so well established that it hardly needed to be stressed in a context where the contrast between God‘s people Israel and the ,people to come‘ is the central theme.“56 Dies klingt m.E. konstruiert und wenig überzeugend. Von einem Verlassen des Hauses durch JHWH und einem Verlas­ sen-Sein sprechen auch 1 Kön 9,6–9; Hag 1,4.9; Jes 64,9f.; Jer 12,7; 22,5; Tob 14,4; 2 Bar 8,2 und 1 Hen 89,56. Jer 22,557 und Tob 14,458 enthalten das von Matthäus ergänzte59 ἔρημος, das in der lukanischen Parallele (Lk 13,35) fehlt; Davies und Allison gehen jedoch davon aus, dass „no particular OT text lies behind our passage but rather a far-flung way of speaking“60. Die eigentlich überflüssige Ergänzung von ἔρημος in Mt 23,38 stellt eine Verbindung mit deserta in 5 Esra 1,33 her, wie auch die VL Fassung des Verses zeigt: Mt 23,38 (VL)61 Ecce relinquetur vobis domus vestra deserta. 5 Esra 1,33 (SA) Haec dicit Dominus omnipotens: Domus vestra deserta est, proiciam vos sicut ventus stipulam.   Stanton, 5 Ezra, 75.  LXX: ἐὰν δὲ μὴ ποιήσητε τοὺς λόγους τούτους, κατ᾽ ἐμαυτοῦ ὤμοσα, λέγει κύριος, ὅτι εἰς ἐρήμωσιν ἔσται ὁ οἶκος οὗτος. 58  LXX: ἄπελθε εἰς τὴν Μηδίαν, τέκνον, ὅτι πέπεισμαι ὅσα ἐλάλησεν Ιωνας ὁ προφήτης περὶ Νινευη ὅτι καταστραφήσεται, ἐν δὲ τῇ Μηδίᾳ ἔσται εἰρήνη μᾶλλον ἕως καιροῦ, καὶ ὅτι οἱ ἀδελφοὶ ἡμῶν ἐν τῇ γῇ σκορπισθήσονται ἀπὸ τῆς ἀγαθῆς γῆς, καὶ Ιεροσόλυμα ἔσται ἔρημος, καὶ ὁ οἶκος τοῦ θεοῦ ἐν αὐτῇ κατακαήσεται καὶ ἔρημος ἔσται μέχρι χρόνου. 59   Dieses wurde möglicherweise mit Blick auf Mt 24,15 ergänzt. 60   Davies/ Allison, Matthew 19–28, 322. 61   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 323. Die meisten Vetus Latina Zitate stimmen mit dieser Fassung überein, bei manchen steht dimittitur statt relinquetur. 56 57



iv  matthäusevangelium141

Doch unterscheidet sich 5 Esra durch die Auslassung des Verbs relinquere bzw. ἀφίημι von Mt und Lk und scheint durch das Partizip Perfekt Passiv deserta eine abgeschlossene Handlung anzuzeigen, während in Mt 23,38 par Lk 13,35 eine präsentische (NA 28) bzw. futurische (VL) Verbform verwendet wird. Zudem wird in 5 Esra weder ein Bezug zum Tempel noch zur Stadt Jerusalem hergestellt, stattdessen beschreibt Gott die Bestrafung Israels mithilfe zahlreicher verschiedener Motive. Die Verwendung dieses Motivs wirkt in 5 Esra unspezifisch, wer welches Haus verlassen62 hat, geht aus dem Text nicht hervor. Dennoch (ver)führt die sprachliche Nähe dazu, 5 Esra 1,33 als „die älteste uns bekannte Paraphrase des Wortes [in Mt; VH]“63 zu verstehen; Davies und Allison formulieren vorsichti­ ger: „2 Esdr 1.28–37 probably depends upon Mt 23.27–9 or its Lukan parallel.“64 Es bleibt jedoch zu bedenken, dass es für dieses Motiv zahlreiche Belegstellen in Schriften des Alten Testaments und ande­ ren Schriften gibt und dass sowohl der Kontext als auch die Detail­ formulierung von Mt und 5 Esra nicht übereinstimmen. Daher halte ich für dieses Einzelmotiv eine Anspielung 5 Esras auf Mt erneut für wenig wahrscheinlich. 3.4  Teilfazit Zwei der drei 5 Esra 1,28–33 und Mt 23,37–39 verbindenden Motive sind Teil allgemeiner biblischer Sprache und werden in 5 Esra sehr unspezifisch verwendet; alle drei Motive stehen in 5 Esra und Mt/ Lk in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Doch sind diese Motive nicht über die Texte hinweg verteilt, sondern finden sich in 5 Esra und Mt/ Lk gehäuft innerhalb nur weniger Verse. Diese Auffälligkeit spricht für einen Bezug zwischen den Texten, die die Einzelmotive an sich nicht begründen könnten. Dieser ist primär sprachlicher Natur – 5 Esra ist nicht interessiert am Kontext dieser Motive in Mt. Eine bewusste Anspielung 5 Esras auf Mt halte ich deshalb für wenig   Wolter übersetzt deserta mit „verödet“. Auch in den Texten des Alten Testaments und bei Mt schwingt die Vorstellung einer Zerstörung bei die­ sem Begriff mit, Georges nennt die Bedeutungen „unbewohnt, unbesetzt, unbebaut, verödet, öde, einsam, leer“ (Georges, Band 1, 2080.). 63   Luz, Matthäus 3, 379. 64   Davies/ Allison, Matthew 19–28, 321, FN 63. Statt ‚-9‘ müsste wohl ‚-39‘ stehen. 62

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wahrscheinlich, doch ist 5 Esra 1,28–33 als Echo auf Mt 23,37–39/ Lk 13,34f. einzuordnen. Bergren fasst die Bezugsmöglichkeiten fol­ gendermaßen zusammen: „First, either work could depend directly on the other. If the material in Matt 23:34–38 also stood as unit in ‚Q‘, this hypothetical unit could also have been dependent on 5 Ezra, or vice versa. Also, ‚Q‘ and 5 Ezra could depend on a lost common source. Furthermore, it is theoretically possible that the similarly grouped material in 5 Ezra and Matthew is coincidental. After all, 5 Ezra 1:30bc and 31 intervene between the logia paralleled in Matthew, and Matt 23:34–38 contains material not found in 5 Ezra.“65

4  Gemeinsamkeiten in eschatologischen Aussagen Stanton sieht Verbindungen zwischen den eschatologischen Vorstel­ lungen in 5 Esra und in Mt 24–2566, besonders in Mt 25,31–4667; für ihn behandelt 5 Esra „largely […] themes with which Matthew him­ self is very much concerned“68. Auch Daniélou versteht den zweiten Teil von 5 Esra als „closely akin to the eschatological discourse in the Gospel of Matthew.“69 Während er jedoch zu Texten wie der Offen­ barung des Johannes und der Passio Perpetuae et Felicitatis Bezugs­ ­ erbindungen stellen nennt70, macht er keine näheren Angaben zu den V   Bergren, Fifth Ezra, 325f.   Einen interessanten Vergleichspunkt bildet die OffbPetr, die in ihrem äthiopischen Text, Kapitel 1 und 2, zahlreiche Motive aus Mt 24 aufgreift und deutliche Beziehungen zu Mt, auch auf sprachlicher Ebene, zeigt. Bei­ spiele sind „Und indem er auf dem Ölberg saß, traten zu ihm die Seinigen, und wir beteten ihn an und flehten einzeln ihn an und baten ihn, indem wir zu ihm sagten: ‚Tu uns kund, was die Zeichen deiner Parusie und des Endes der Welt sind […]‘“ (vgl. Mt 24,3) oder „Wahrlich, ich sage dir, wenn seine Zweige getrieben haben am Ende, werden lügnerische Messiasse kommen und die Hoffnung erwecken: ‚Ich bin der Christus […]‘“ (vgl. Mt 24,5). Übersetzung von Detlef, C., Müller, G., Offenbarung des Petrus, in: Schnee­ melcher, Wilhelm, NTApo. II. Band, Apostolisches, Apokalypsen und Ver­ wandtes, Tübingen 51989, 562–578, hier 566f. 67   Vgl. Stanton, 5 Ezra, 78. 68   Stanton, 5 Ezra, 79. 69   Daniélou, Origins, 22; Hervorhebungen durch den Autor. 70   Siehe z.B. Daniélou, Origins, 27. 65

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5 Esras zu Matthäus. Meine Durchsicht von 5 Esra und Mt 24–2571 ergab folgende gemeinsame Themen: Wachsamkeit, Naherwartung, Reich, Verkürzung der Tage, Bedrängnis, Ende der Welt, Hirte, Gericht. Diese Motive entstammen alle 5 Esra 2,13–38; die Motive der Schlussvision in 5 Esra 2,42–48 zeigen also keine Verbindung zu Mt auf, auch die ‚paradiesischen‘ Motive in 5 Esra 2,11f.18f. finden dort keine Entsprechung. Gleichzeitig sind alle diese Elemente Bestandteile der Tradition apokalyptischer Texte und jüdischer eschatologischer Vorstellungen und entspringen somit einem allge­ meinen Motivschatz – eine Bezugnahme zwischen den beiden Texten ist nur anhand einer übereinstimmenden spezifischen Gestaltung der Motive oder einer Konzentration von matthäischen Motiven in 5 Esra aufzuweisen. 4.1  Wachsamkeit Die Mahnung zur Wachsamkeit prägt Mt 24,32–25,30 und wird explizit und fast identisch in Mt 24,42 und 25,13 ausgedrückt, findet sich aber auch in Mk 13 und Lk 21,36: Mt 24,42 Γρηγορεῖτε οὖν, ὅτι οὐκ οἴδατε ποίᾳ ἡμέρᾳ ὁ κύριος ὑμῶν ἔρχεται. 25,13 Γρηγορεῖτε οὖν, ὅτι οὐκ οἴδατε τὴν ἡμέραν οὐδὲ τὴν ὥραν. Mk 13,33 Βλέπετε, ἀγρυπνεῖτε· οὐκ οἴδατε γὰρ πότε ὁ καιρός ἐστιν. 34 Ὡς ἄνθρωπος ἀπόδημος ἀφεὶς τὴν οἰκίαν αὐτοῦ καὶ δοὺς τοῖς δούλοις αὐτοῦ τὴν ἐξουσίαν ἑκάστῳ τὸ ἔργον αὐτοῦ καὶ τῷ θυρωρῷ ἐνετείλατο ἵνα γρηγορῇ. 35 γρηγορεῖτε οὖν· οὐκ οἴδατε γὰρ πότε ὁ κύριος τῆς οἰκίας ἔρχεται, ἢ ὀψὲ ἢ μεσονύκτιον ἢ ἀλεκτοροφωνίας ἢ πρωΐ, 36 μὴ ἐλθὼν ἐξαίφνης εὕρῃ ὑμᾶς καθεύδοντας. 37 ὃ δὲ ὑμῖν λέγω πᾶσιν λέγω, γρηγορεῖτε.

  Hahn verweist darauf, dass sich im gesamten Evangelium verstreut eschatologische Aussagen finden, z.B. in Mt 3,1–12; 5,3–10; 7,13–23; 18,23–35 usw. (vgl. Hahn, Ferdinand, Die eschatologische Rede Matthäus 24 und 25, in: Schenke, Ludger (Hg.), Studien zum Matthäusevangelium (FS Wilhelm Pesch) (SBS), Stuttgart 1988, 107–126, hier 112f.). Da jedoch keine wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Mt und 5 Esra ins Auge fal­ len, die auf eine Bezugnahme verweisen, werden nur die großen eschatolo­ gischen Reden in den Kap. 24 und 25 genauer untersucht, die das matthäi­ sche Konzept umfassen.

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Lk 21,36 ἀγρυπνεῖτε δὲ ἐν παντὶ καιρῷ δεόμενοι ἵνα κατισχύσητε ἐκφυγεῖν ταῦτα πάντα τὰ μέλλοντα γίνεσθαι καὶ σταθῆναι ἔμπροσθεν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου.

Diese Rufe rahmen in Mt drei Gleichnisse (Mt 24,4372; 24,45– 51 ; 25,1–12), die die Dringlichkeit der Wachsamkeit erläutern: Für Mt ist der Zeitpunkt der Parusie völlig ungewiss, deshalb sei es not­ wendig, wachsam zu sein und jederzeit mit Gottes Eingreifen zu rechnen.74 Die Imperative in Mt 24,42; 25,13 stehen parallel in Mk 13,33.35.37 und Lk 21,36 (vgl. auch Mt 26,38.41 par Mk 14,34.38), die Gleichnisse in Mt 24,43–25,12 finden sich jedoch nicht in der markinischen Parallele; in der lukanischen Parallele ist nur das erste Gleichnis aufgenommen (vgl. Lk 12,39–46), was die besondere Bedeutung dieses Motivs bei Matthäus aufzeigt. Die Wachsam­ keits-Forderung ist bei Mt dadurch spezifisch, dass sie direkt mit der Ungewissheit des Eintretens der Parusie verknüpft ist, was durch die Gleichnisse in 24,43–25,12 deutlich gemacht wird. Sie soll sich in einer ethischen Grundhaltung zeigen, die „Verantwortung gegenüber den Mitmenschen (24,45–51), aktiven Gehorsam mit den geliehenen Talenten (25,15–23) und vor allem Liebe gegenüber den geringsten Schwestern und Brüdern (25,31–40)“75 umfasst. 73

  Labahn führt an: „Jeder weiß, dass ein Eindringling mit der Absicht, durch Diebstahl die Existenzgrundlage zu rauben, abgewehrt werden muss; das antike Haus beherbergt in der Regel das Eigentum, das die Menschen zum Leben benötigen. […] Den Einbruch des Diebes will man vermeiden, das Kommen des Menschensohnes – hier wird die Brüchigkeit zwischen Parabel und Anwendung wieder deutlich – nicht, im Gegenteil […]. Es gilt vielmehr darum, sich ange­ messen für diesen Zeitpunkt zu präparieren. So werden die Angeredeten in Rela­ tion zum Hausherrn gesetzt. Doch nicht die Erfolglosigkeit des Bemühens, son­ dern das Bemühen als Aufgabe des Hausherrn, durch stete Wachsamkeit den Einbruch zu vermeiden, wird thematisiert. Unerwartet wie der Dieb kommt auch der Menschensohn und darauf sollen die Adressaten vorbereitet sein.“ (Labahn, Michael, Achtung Menschensohn! (Vom Dieb), in: Zimmermann, Ruben, Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 154–160, hier 154f.). 73   Gerber hebt hervor, dass Mt im Gegensatz zur angenommenen Q-Fassung „die Ungewissheit über den Zeitpunkt des Endes“ in den Vordergrund stelle. Er warne, dass „das höllische Gericht droht“ (Gerber, Christine, Es ist stets höchste Zeit (Vom treuen und untreuen Haushalter), in: Zimmermann, Ruben, Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 161–170, hier 169.). 74   Vgl. Luz, Matthäus 3, 451. 75   Luz, Matthäus 3, 456. 72



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Wachsamkeit an sich fordert ebenso dringlich aber auch Mk 13, wie die nah aneinandergereihten Imperative in 13,33.35.37 ausdrü­ cken. Ebenso wird der Imperativ γρηγορεῖτε auch in Apg 20,31 und 1 Kor 16,13 bzw. vigilate in 1 Petr 4,7; 5,8 verwendet; thematisiert wird Wachsamkeit weiterhin in 1 Thess 5,2; Offb 3,3. Auch in 5 Esra 2,13 wird explizit zur Wachsamkeit aufgerufen: 5 Esra 2,13 (SA) Ite et accipietis, rogate vobis dies paucos ut minoren­ tur; iam paratum est vobis regnum, vigilate. (CMNEVLK) Petite et accipietis; rogate vobis dies paucos ut minorentur dies vestri. Iam enim paratum est regnum meum advenire. Vigilate animo.

Die Aufforderung zur Wachsamkeit wird in 5 Esra direkt mit dem Reich Gottes verbunden, das schon bereitet sei; sie wird implizit auch in 5 Esra 2,34 durch den Imperativ expectate eingefordert und dort ebenso mit der Naherwartung eschatologischer Ereignisse verknüpft: 5 Esra 2,34 (SA) Ideoque vobis dico, gentes quae auditis et intellegitis: Expectate pastorem vestrum, requiem aeternitatis dabit vobis, quoniam in proximo est ille, qui in finem saeculi adveniet. (CMNEVL) Vobis dico qui auditis et intelligitis: Expectate pastorem vestrum. Requiem aeternitatis vestrae dabo vobis, quoniam in proximo est finis saeculi et diminutio hominum.

Der Aufruf, wachsam zu sein, wird in 5 Esra also nicht mit der Unge­ wissheit des Kommens Christi begründet und unterscheidet sich in diesem Spezifikum von Mt; er beruht stattdessen auf einem weiteren eschatologischen Motiv, der Naherwartung76. Ermahnungen zu ethi­ schem Verhalten, die in Mt mit der Mahnung zur Wachsamkeit ver­ bunden sind, werden auch in 5 Esra 2,20–23 gegeben, weichen aber in ihren Details vollständig von Mt ab; sie stehen in 5 Esra zwar ebenso im Kontext eschatologischer Aussagen, sind aber nicht mit der Aufforderung zur Wachsamkeit verknüpft. 4.2  Naherwartung Naherwartung wird ohne die Angabe eines genaueren Zeitpunkts oder eines Zeitplans in 5 Esra 2,13 durch die Formulierung iam enim   Zur Problematik der Begriffsverwendung vgl. Erlemann, Kurt, Naher­ wartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament. Ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrung (TANZ 17), Tübingen, Basel 1995, 26ff.

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p­ aratum est regnum meum advenire (CMNEVLK) bzw. iam paratum est vobis regnum und am klarsten in 5 Esra 2,3477 in den Worten in proximo est finis saeculi et diminutio hominum (CMNEVL) bzw. in proximo est ille, qui in finem saeculi adveniet (SA) vermittelt78. Auch 5 Esra 2,41 enthält mit der an Zion gerichteten Aussage plenus est numerus (SA) bzw. imple numerum eorum (CMNEVL) einen Hin­ weis auf die Nähe79 des Kommens des Reiches: Dieser Ausdruck folgt der Tradition, dass es „eine bestimmte Zahl von Menschensee­ len [gibt], die voll sein muß, ehe das Ende kommen kann“80 (vgl. 2 Bar 21,10; 23,5; 30,2; 4 Esra 4,35f.; 1 Clem 59,2). Auch Mt 24,33f. par Mk 13,29f. drückt „bildhaft die Nähe der Parusie aus“81, in eine ähnliche Richtung geht Lk 21,31f.: Mt 24,33 οὕτως καὶ ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε πάντα ταῦτα, γινώσκετε ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἐπὶ θύραις. 34 ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη ἕως ἂν πάντα ταῦτα γένηται. Mk 13,29 οὕτως καὶ ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε ταῦτα γινόμενα, γινώσκετε ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἐπὶ θύραις. 30 Ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη μέχρις οὗ ταῦτα πάντα γένηται. Lk 21,31 οὕτως καὶ ὑμεῖς, ὅταν ἴδητε ταῦτα γινόμενα, γινώσκετε ὅτι ἐγγύς ἐστιν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ. 32 ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐ μὴ παρέλθῃ ἡ γενεὰ αὕτη ἕως ἂν πάντα γένηται.

Πάντα ταῦτα (Mt 24,33) bezieht sich auf die in Mt 24,4–28 geschilder­ ten Ereignisse; auf sie wird das Kommen des Menschensohns (24,30) folgen. Auch Mt 16,2882 (vgl. Mk 9,1; Lk 9,27) verweist mit der Angabe einer „general (not precise) time for the arrival of the end“83 auf die „imminence of the parousia“84. Gleichzeitig ist aber in den   Man beachte, dass in der französischen Handschriftengruppe eine Mes­ sias-Gestalt aufscheint, die in der spanischen Handschriftengruppe nicht angedeutet wird. 78   Vgl. auch Daniélou, Origins, 22. 79   Vgl. Erlemann, Naherwartung, 332. 80   Volz, Eschatologie, 140. 81   Erlemann, Naherwartung, 141. 82   Mt 16,28 (NA): Ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι εἰσίν τινες τῶν ὧδε ἑστώτων οἵτινες οὐ μὴ γεύσωνται θανάτου ἕως ἂν ἴδωσιν τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐν τῇ βασιλείᾳ αὐτοῦ. 83   Sim, David C., Apocalyptic Eschatology in the Gospel of Matthew (MSSNTS 88), Cambridge 1996, 155. 84   Sim, Apocalyptic, 156. 77



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zwei Gleichnissen in Mt 25,1–13.14–30 auch vom Ausbleiben des Bräutigams (25,5) bzw. Herrn (25,19) die Rede, was auf eine Verzöge­ rung des Kommens der βασιλεία hindeutet85. Mt vertritt also einerseits die Erwartung der Nähe der Parusie86, weiß aber auch um ihr Ausblei­ ben und betont klar die Ungewissheit des Tages und der Stunde (24,36), an dem bzw. in der sie geschehen wird; darauf liegt sein Hauptaugen­ merk. Dies nämlich untermauert seine Mahnung, ständig zu wachen und auf das Kommen des Menschensohnes vorbereitet zu sein. Beide Texte, 5 Esra und Mt, vertreten also eine Naherwartung; Mt legt mit der Betonung des überraschenden Kommens der Parusie jedoch einen zusätzlichen Schwerpunkt, zu dem 5 Esra keine Übereinstim­ mung aufweist. Da Naherwartung zudem ein verbreitetes Element neu­ testamentlicher Texte ist (vgl. z.B. 1 Thess 4,13–18; Offb 1,3; 22,10) und die entsprechenden Verse in Mt und 5 Esra keine Übereinstimmun­ gen aufweisen, liegt hier m.E. kein direkter Bezug vor. 4.3  Reich 5 Esra 2,13 spricht von der Naherwartung des Kommens des Reiches. Das Reich87 ist als βασιλεία τῶν οὐρανῶν ein zentraler Begriff des Matthäusevangeliums, aber als βασιλεία τοῦ θεοῦ auch in den bei­ den anderen synoptischen Evangelien und im gesamten Neuen Testa­ ment verbreitet. Das βασιλεία-Motiv beruht auf dem alttestamentli­ chen Verständnis von Gott als König (vgl. Ps 47; 93; 96–99; Ex 15,18; Jes 6,5; Jer 8,19; Dan 6,27; 7); im Neuen Testament haben jedoch „die βασιλεία-Belege das Übergewicht gegenüber βασιλεύς und βασιλεύω“88. Die synoptischen Evangelien sprechen übereinstimmend vom Kommen (VUL adpropinquare) und der Nähe der Gottesherrschaft, z.B. in Mk 1,15; Mt 3,2; 4,17; 10,7; Lk 10,9.11. Von einem Reich ist in 5 Esra viermal die Rede, jeweils in unter­ schiedlichen Kontexten: In 2,10 wird das Reich Jerusalem (vgl. Mi 4,8) zum Zeichen für die Abwendung Gottes von Israel und die   Vgl. Erlemann, Naherwartung, 157.   Vgl. Luz, Matthäus 3, 444: „Matthäus vertritt Naherwartung.“ 87   Volz hebt hervor, dass βασιλεία „nicht ‚Reich‘ im Sinn von ‚Reichsge­ biet‘, sondern ‚Königtum‘, ‚Herrschaft Gottes‘“ bezeichnet (Volz, Eschato­ logie, 166.). 88   Vgl. Klappert, Berthold, βασιλεύς. III, in: TBLNT³ (2014), 1487–1494, hier 1487. 85 86

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Hinwendung zu „seinem Volk“. Hier scheint ein innergeschichtliches Geschehen angedacht zu sein, an das sich jedoch eschatologische Motive, wie die tabernacula aeterna und der lignum vitae, anschlie­ ßen. Direkt daran anschließend wird auch in 2,13 ein nicht näher bestimmtes Reich genannt, das nicht eindeutig als Jerusalem zu iden­ tifizieren ist. Die Formulierung paratum est vobis regnum in den Handschriften SA legt nahe, dass das Reich für die Anhänger Gottes bestimmt ist (vgl. Dan 7; Mt 25,34; Mk 10,15; Lk 12,32; 22,29), während die spanischen Handschriften die Ankunft des Reiches Got­ tes (meum) ankündigen (vgl. Mt 6,10; Lk 11,2; 22,18). In 5 Esra 2,35 wird von der praemia regni gesprochen, ein Zusammenhang mit Jeru­ salem, aber auch mit 2,13 (SA) ist also möglich; die im begründen­ den Relativsatz angeführten Begriffe lux perpetua und aeternitas temporum deuten aber auf ein außergeschichtliches Geschehen hin. Wie in 2,13 ist der Gedanke des Reiches auch hier mit der Aufforderung verbunden, bereit zu sein. Auch in 5 Esra 2,37 werden, diesmal als Pluralform, die caelestia regna erwähnt; sie leiten zur Vision in 5 Esra 2,42–48 hin und stellen wohl den Ort da, an dem das convivium Domini (2,38) stattfinden wird. Dass die, die hören und verste­ hen (5 Esra 2,34), zu den caelestia regna gerufen/ eingeladen (vgl. Offb 19,9) sind, kann darauf hindeuten, dass an einen jenseitigen Ort gedacht ist. 5 Esra zeigt also kein einheitliches „Reich“-Verständnis auf; das Reich wird einmal als Jerusalem identifiziert, ansonsten aber weder als Reich Gottes noch als Reich der Himmel gekennzeichnet. Auch seine Verwendung im Plural in 2,37 und die unterschiedlichen Fassungen der Handschriften in 2,13 deuten auf das Fehlen eines kla­ ren Konzeptes hin. Die Nähe des Reiches und die französische Fas­ sung von 2,13 (paratum est vobis regnum) weisen Übereinstimmun­ gen mit dem synoptischen Verständnis auf, sind aber so unspezifisch und verbreitet, dass keine Bezüge hergestellt werden können; gegen einen Bezug zu Mt spricht zudem klar das Fehlen des Begriffs „Reich der Himmel“. 4.4  Verkürzung der Tage 5 Esra 2,13 enthält ein weiteres eschatologisches Motiv: Das Volk Gottes wird aufgefordert, sich wenige Tage zu erbitten, damit diese vermindert werden. 5 Esra 2,13 (SA) Ite et accipietis, rogate vobis dies paucos ut minoren­ tur; iam paratum est vobis regnum, vigilate.



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(CMNEVLK) Petite et accipietis; rogate vobis dies paucos ut minoren­ tur dies vestri. Iam enim paratum est regnum meum advenire. Vigilate animo.

Die Verkürzung der Tage ist ein „in der apokalyptischen Literatur verbreitete[r] Topos, dass Gott eine Verkürzung der Zeit der endzeit­ lichen Drangsal zusagt, um seine Erwählten vor dem Schlimmsten zu bewahren.“89 In diesem Kontext wird das Motiv in Mt 24,22 par Mk 13,20 verwendet: Mt 24,21 ἔσται γὰρ τότε θλῖψις μεγάλη οἵα οὐ γέγονεν ἀπ‘ ἀρχῆς κόσμου ἕως τοῦ νῦν οὐδ‘ οὐ μὴ γένηται. 22 καὶ εἰ μὴ ἐκολοβώθησαν αἱ ἡμέραι ἐκεῖναι, οὐκ ἂν ἐσώθη πᾶσα σάρξ·διὰ δὲ τοὺς ἐκλεκτοὺς κολοβωθήσονται αἱ ἡμέραι ἐκεῖναι. Mk 13,19 ἔσονται γὰρ αἱ ἡμέραι ἐκεῖναι θλῖψις οἵα οὐ γέγονεν τοιαύτη ἀπ‘ ἀρχῆς κτίσεως ἣν ἔκτισεν ὁ θεὸς ἕως τοῦ νῦν καὶ οὐ μὴ γένηται. 20 καὶ εἰ μὴ ἐκολόβωσεν κύριος τὰς ἡμέρας, οὐκ ἂν ἐσώθη πᾶσα σάρξ· ἀλλὰ διὰ τοὺς ἐκλεκτοὺς οὓς ἐξελέξατο ἐκολόβωσεν τὰς ἡμέρας.

Durch die extreme Härte der Bedrängnis (vgl. Dan 12,1) wird es not­ wendig, die Tage zu verkürzen (VUL breviare), um die Auserwählten retten zu können. Dieses Motiv findet sich in unterschiedlichen Aus­ prägungen auch in 4 Esra 4,26; 2 Bar 20,1; 83,1; AntBibl 19,13. In 5 Esra wird vom „Vermindern“ der Tage gesprochen, also eine andere Konnotation verwendet als bei Mt und Mk. Zwei weitere Komponenten unterscheiden das Motiv: Während bei Mt und Mk die Tage nach göttlichem Plan verkürzt werden, um die Auserwählten zu schützen, werden die nicht näher beschriebenen Angesprochenen90 in 5 Esra 2,13 aufgefordert, sich wenige Tage zu erbitten. So wird erneut eine Naherwartung impliziert, gleichzeitig werden die Anhänger Got­ tes aber in die Geschehnisse involviert. Einen größeren Unterschied bildet jedoch der Kontext, in den diese Aussagen gestellt werden: Mt und Mk verwenden das Motiv ‚klassisch‘ im Zusammenhang der Schilderung einer furchtbaren Bedrängnis in Mt 24,2–28 bzw. Mk 13,2–23, aufgrund derer eine Verkürzung der Tage unbedingt notwendig ist.   Wolter, 5. Esra-Buch, 810, FN 13a.   2,10 legt nahe, dass Esra sich an das von Israel unterschiedene Volk Gottes wendet.

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4.5  Bedrängnis Diese Bedrängnis (Mt 24,9.21 (NA) θλῖψις; (VUL) tribulatio) wird sehr ausführlich geschildert und auch als ὠδίνες (Mt 24,8) und βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως (Mt 24,15) umschrieben. Sie umfasst Kriege, Hungersnöte und Erdbeben (24,6f.); die Glaubenden werden verführt, gehasst, ausge­ liefert und getötet (24,9–12). Bedrängnis in der Endzeit ist ein verbreite­ tes Motiv in apokalyptischen Texten und wird z.B. auch in Offb 6–19 (explizit 7,14), in 4 Esra 9,3; 13,31 und in 2 Bar 70,8 u.ö. angeführt. In 5 Esra 2,13 ist von diesen Dingen keine Rede. Es wird ange­ kündigt, dass das Reich bereits bereitet sei, dass die Mutter ihre Kin­ der cum laetitia (2,15, SA) erziehen und sich nicht fürchten solle (2,17). Erst in 2,27, nachdem dem populus meus Ruhe versprochen (2,24) und der Mutter zugesagt wurde, dass keines ihrer Kinder ster­ ben werde (2,26), werden dies pressurae et angustiae91 angekündigt, in denen es Kämpfe geben werde – doch auch in diesen Tagen werde die Mutter hilaris et copiosa sein, während andere trauern würden: 5 Esra 2,27 (SA) Noli satagere, cum venerit enim dies pressurae et angustiae, alii plorabunt et tristes erunt, tu autem hilaris et copiosa eris. 28 Zelabunt gentes et nihil adversum te poterunt, dicit Dominus. (CMNEVL) Noli satisagere; confirma eos. Venient dies pressurae et angustiae. Alii plorabunt et tristes erunt; tu autem hilaris et copiosa eris. 28 Zelo te habebunt omnes gentes, et nihil adversum te poterunt, dicit Dominus.

Das Volk Gottes sieht in 5 Esra also zwar Bedrängnis, erleidet sie aber nicht selbst. Die gentes92 kämpfen (SA), können aber nichts gegen die Mutter erreichen. Deshalb sehe ich als Hintergrund dieser Verse gerade nicht, dass eine evtl. hinter 5 Esra stehende Gemeinde in einer Verfolgungssituation sei und ermutigt werden solle93, wie es von Stanton verstanden wird: „The ‚coming people‘ have experienced hardship and persecution (ii. 23 ff.). In the final verses Ezra receives a vision of a large crowd   In der französischen Handschriftengruppe wird Singular verwendet.   Hier werden die gentes im Gegensatz zu 5 Esra 2,34 (SA) negativ konnotiert. 93   Auch Erlemann reiht 5 Esra 2,13 in Texte mit einer „Beschreibung gro­ ßer persönlicher oder kollektiver Not“ ein (er nennt weiter LibAnt 19,13; 2 Bar 20,1; 83,1; Mk 13,20 par; Barn 4,3), ohne dies näher zu begründen (Erlemann, Naherwartung, 370.). 91 92



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receiving crowns and palms from the Son of God, whose name they have confessed so valiantly (ii. 42 ff.). Ezra is then told to go and con­ vey this vision to ‚the people‘. The community is being encouraged in the face of persecution. The origin of the persecution is not clear, but harsh opposition from Jews is not ruled out. Justin Martyr informs us that Christians suffered severely at the hands of Jews during the Bar Kokhba revolt. […] 5 Ezra, then, seems to stem from a community for whom the Bar Kokhba rebellion was a recent painful memory.“94

5 Esra drückt m.E. explizit aus, dass das ‚andere Volk‘ vor Verfol­ gung geschützt ist; auch der Tod der Gekrönten in 2,4595 wird nicht mit Gewalt in Verbindung gebracht und muss nicht wegen ihres Bekenntnisses geschehen sein. Deshalb stimme ich mit Stanton hier nicht überein. 5 Esra unterscheidet sich sowohl in der Verwendung des Motivs der Verkürzung der Tage, das im Kontext der Naherwartung steht, als auch in der Abbildung der Bedrängnis von Matthäus und Markus und lässt keine Bezugnahmen erkennen. 4.6  Ende der Welt Die Bedrängnis wird in Mt 24,3.6.13.14 (vgl. Mk 13,4.7.10.13; Lk 21,9) verbunden mit der „Vollendung der Welt“ und dem „Ende“. Dafür werden zwei verschiedene Begriffe verwendet, συντέλεια τοῦ αἰῶνος/ consummatio saeculi und τέλος/ finis. In Mt 24,3 fragen die Jünger Jesus nach seiner Ankunft und der συντέλεια τοῦ αἰῶνος (NA; VUL: consummatio saeculi; vgl. Mt 13,39.40.49; 28,20), worauf dieser von den Bedrängnissen der Endzeit spricht. Die Vollendung der Welt wird auch in 1 Hen 16,1; 2 Bar 13,3; 19,5 u.ö.; TestLev 10,2; TestMos 12,4 und 4 Esra 7,113 thematisiert. Das „Ende“ (NA: τέλος; VUL: finis) wiederum ist ein häufiges Motiv neutestamentlicher Texte (vgl. z.B. 1 Kor 1,8; Hebr 6,11; Offb 2,26)96. Es wird bei Matthäus, Markus und Lukas mit „kosmischen Phänomenen“97 und der Parusie Christi in Zusammen­ hang gesetzt.   Stanton, 5 Ezra, 72.   5 Esra 2,45 (SA): Qui respondens dixit mihi: Hii sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt et confessi sunt nomen Dei; modo coronantur et accipiunt palmas. 96   Vgl. hierzu Sim, Apocalyptic, 115. 97   Konradt, Evangelium, 375. 94

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Auch 5 Esra 2,34 prophezeit die finis saeculi, wobei sich die Handschriftengruppen aber in wichtigen Details voneinander unter­ scheiden: 5 Esra 2,34 (SA) Ideoque vobis dico, gentes quae auditis et intellegitis: Expectate pastorem vestrum, requiem aeternitatis dabit vobis, quoniam in proximo est ille, qui in finem saeculi adveniet. (CMNEVL) Vobis dico qui auditis et intelligitis: Expectate pastorem vestrum. Requiem aeternitatis vestrae dabo vobis, quoniam in proximo est finis saeculi et diminutio hominum.

Die finis saeculi wird in den zwei Versionen unterschiedlich charak­ terisiert: In den Handschriften SA wird sie mit einer Art Messi­ as-Vorstellung verbunden, die auf das Hirten-Motiv zurückgreift. Das Ende der Welt wird dort mit dem Kommen des Hirten eingeläutet, was grundsätzlich mit der synoptischen Darstellung übereinstimmt. In den Handschriften CMNEVL wird jedoch die 1. Person Sg. (dabo) beibehalten; trat auch Esra in 2,33 als Sprecher auf, so ist doch davon auszugehen, dass hier wieder Gott selbst spricht. Hier tritt zum Ende der Welt die diminutio hominum. Beide Handschriftengruppen 5 Esras unterscheidet jedoch von Mt und Mk einerseits die Begrifflichkeit und andererseits, dass das Ende der Welt nicht an Tage der Bedrängnis und kosmische Geschehnisse geknüpft und keine Parusie Christi dargestellt wird. Die Verbindung der finis saeculi mit einer messianischen Vorstellung ist in 5 Esra wesent­ lich schwächer ausgeprägt als in den Evangelien. Da es also weder sprachliche noch kontextuelle Verbindungen gibt, ist auch hier von einer unabhängigen Nutzung desselben verbreiteten Motivs auszugehen. 4.7  Hirte Die in SA angedeutete messianische Gestalt wird in 5 Esra 2,34 als Hirte bezeichnet, der von denen, die hören und verstehen, erwartet werden solle. Er leitet die finis saeculi ein und ist wahrscheinlich mit dem salvator in 5 Esra 2,36 zu identifizieren. Dieser Titel wird zwar im Alten Testament gewöhnlich für Gott selbst verwendet (vgl. 1 Chr 16,35; Ps 25,5; Jes 45,15), im Neuen Testament aber Christus verlie­ hen (vgl. Lk 2,11; Joh 4,42; Apg 5,31; Phil 3,20; anders aber Lk 1,47!). Während in den spanischen Handschriften in 2,34 auch Gott selbst als Hirte angesprochen sein kann, verweist die F ­ ormulierung in 2,36 salvatorem meum mandatum esse a Domino auf eine von Gott



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unterschiedene Gestalt, was in SA wiederum weniger eindeutig ist. Dieser salvator ist wahrscheinlich mit dem filius Dei (2,47) gleichzu­ setzen, der in der Vision des Esra auftritt, von dessen Erscheinen in der Welt in 5 Esra aber nicht gesprochen wird. Das Hirten-Motiv ist in den Psalmen und der exilischen Literatur des Alten Testaments ein Bild für Gott, der für Israel, seine Herde, sorgt (vgl. Ps 23; 77,21; 78,52f.; Jes 40,11; Jer 23,3f.; Ez 34,11ff.), wird aber in Ez 34,23; 37,24 (vgl. auch Jer 23,4) auch in einen davidisch-messianischen Kon­ text gestellt. Dieser Kontext scheint auch im Neuen Testament auf, wie Mt 9,36 par Mk 6,34; Mt 15,24; Joh 10 zeigen, wo sich Jesus selbst als Hirte bezeichnet, der zu Israel gesandt ist. In Mt 25,32 (vgl. Ez 34,17–22) schließlich wird dieses Motiv für das Gericht der Endzeit verwendet: Mt 25,32 καὶ συναχθήσονται ἔμπροσθεν αὐτοῦ πάντα τὰ ἔθνη, καὶ ἀφορίσει αὐτοὺς ἀπ‘ ἀλλήλων, ὥσπερ ὁ ποιμὴν ἀφορίζει τὰ πρόβατα ἀπὸ τῶν ἐρίφων,

Chae erklärt, dass hier Jesus „as the Shepherd/ King/ Judge“ beschrie­ ben werde, der, „assuming the throne as the future king (cf. Ezek 34:23–24), warns his flock of the final judgment, though he actually intends to lead them to the righteous way to follow him, and to remain with his flock.“98 Stanton ist der Ansicht, dass 5 Esra 2,34 „is almost certainly dependent on Matt. xxv. 32ff.“99; für diese These gibt es jedoch keine hinreichende Begründung, wie sich an mehreren Punkten zeigt: Die einzige sprachliche Verbindung zwischen Mt 25,32ff. und 5 Esra 2,34 ist die Bezeichnung pastor, die mit einer endzeitlichen Gestalt verbunden ist. Dies entspricht aber verbreiteten Erwartungen, wie sich im Neuen Testament (vgl. auch Offb 7,17) zeigt. Zudem ist die messianische Einbindung dieses Motivs in 5 Esra, das kein klares messianisches Konzept enthält, deutlich schwächer ausgeprägt als in Mt; in den spanischen Handschriften könnte auch Gott als Hirte bezeichnet sein. Ein großer Unterschied zwischen Mt 25,32ff. und 5 Esra 2,34 zeigt sich jedoch in drei wichtigen Punkten: (1) Das Hir­ ten-Motiv dient in diesem Vers in Mt als Bild in einem Vergleich100,   Chae, Young S., Jesus as the Eschatological Davidic Shepherd. Studies in the Old Testament, Second Temple Judaism, and in the Gospel of Mat­ thew (WUNT 2,216), Tübingen 2006, 223. 99   Stanton, 5 Ezra, 78. 100   Vgl. Fiedler, Matthäusevangelium, 378. 98

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während in 5 Esra entweder Gott oder der ‚Messias‘ diesen Titel erhal­ ten, was über einen Vergleich hinausgeht. (2) Das Hirten-Bild ist in Mt verknüpft mit dem Handeln Christi als Richter101, der die Völker102 voneinander trennt „wie der Hirt die Schafe von den Zicklein trennt“103. Diese Richter-Funktion, die für Mt von großer Bedeutung ist, ist in 5 Esra nicht erkennbar. (3) Stattdessen ist der Hirte in 5 Esra mit der requies aeternitatis104 verbunden, die wiederum kein Teil der matthäi­ schen Konzeption ist. 4.8  Gericht Der in Mt 25,32 mit dem Hirtenbild fest verbundene Gerichtsgedanke spielt in 5 Esra keine Rolle.105 Während im Matthäusevangelium „the judgement by Jesus the Son of Man is one of the most important elements“106, findet sich in 5 Esra kein Hinweis107 auf ein e­ ndzeitliches 101   Weber verdeutlicht: „To conclude, the image of the sheep and goats is not simply relevant to underscoring the unerring accuracy and certainty of the eschatological judge‘s division; it is also significant for the theme of righteousness sounded throughout the Gospel. It accents the radical quality of divine judgment, which the author thinks will go beyond the expectations of many readers, just as the condemnation of the goats goes beyond their expectations.“ (Weber, Kathleen, The Image of Sheep and Goats in Matthew 25:31–46, in: CBQ 59 (1997), 657–678, hier 674f.). 102   Die Verknüpfung der Hirten-Figur mit den Völkern und Israel ist wie­ derum interessant für 5 Esra. Chae betont: „All the nations (πάντα τὰ ἔθνη) will be gathered before the throne of the Son of Man (v. 32). This gathered flock, without a doubt, will involve all humanity, Jews as well as Gentiles. […] The idea of ‚one Shepherd over both Israel and the nations‘ may not be a theme entirely novel to first-century audiences.“ (Chae, Jesus, 224.). 103   Luz, Matthäus 3, 516. Auch Münch geht von Schafen und jungen Zie­ gen aus (vgl. Münch, Christian, Der Hirt wird sie scheiden (Von den Scha­ fen und Böcken), in: Zimmermann, Ruben, Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 504–509, hier 505.). 104   Auf die requies aeternitatis wird in 3.2.2 im Kapitel zur Offb näher eingegangen. 105   Stanton verweist ebenso darauf, dass die matthäische Warnung, dass auch die christliche Gemeinde nicht vor Bestrafung und Verwerfung sicher sei, in 5 Esra keine Rolle spiele (vgl. Stanton, 5 Ezra, 78.). 106   Sim, Apocalyptic, 110. 107   Die spanischen Handschriften nennen die diminutio hominum (2,34); dieser Begriff ist nicht eindeutig und könnte auf eine Trennung der Men­ schen durch Gott hinweisen. Deminutio meint jedoch eher eine Verringerung



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Gericht, im Gegenteil: Die Ermahnung zur Wachsamkeit, die bei Matthäus auf der Offenheit des Gerichts beruht108, in dem alle Völker (25,32) nach ihrem Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen beurteilt werden, bezieht sich in 5 Esra 2,13 auf die Nähe des Reiches, das schon bereitet ist. Das ‚kommende Volk‘ wird glauben und Gott gehorchen (5 Esra 1,35–37), deshalb werden ihm Jerusalem (2,10), paradiesische Zustände (2,12.18f.), Ruhe (2,24.34), ewiges Licht (2,35) und gloria (2,36f.) zugesagt. Auch die ethischen Forderungen in 5 Esra 2,20–22 stehen nicht im Rahmen einer Warnung vor Gericht und Verdammnis (vgl. Mt 25,34–46), sondern gründen sich auf Got­ tes Barmherzigkeit (5 Esra 2,32). 5 Esra unterscheidet von Mt 25,32ff. auch, dass es kein festes populus-Konzept beinhaltet, das klar auf­ weist, wer zu Gottes Volk gehört, und keinen Dualismus109 vertritt, der Gerettete und Verworfene gegenüberstellt (vgl. Mt 25,46). Zwar treten die gentes in 5 Esra 2,28 als Gegner auf, doch wendet sich Esra in der französischen Handschriftengruppe in 2,34 erneut an die gentes, was auf eine differenzierte Einordnung verweist. Für Matthäus hingegen hat der Gerichtsgedanke hohe Bedeu­ tung110, seine eschatologische Rede mündet in die Darstellung des Gerichts111. Seine Konzentration auf den Aufruf zur Wachsam­ keit und sein Sprechen vom unerwarteten Kommen der Parusie in Mt 24,36–25,13 unterstreichen zudem, dass auch die Anhänger Christi vom Gericht betroffen sind112 und dass auch ihr Schicksal offen bleibt (vgl. auch Mt 24,10–13). In diesem wichtigen Motiv

(vgl. Georges, Band 1, 2027.), was in Lev 26,22 als Strafe Gottes für Israels Ungehorsam genannt wird und auch in Sir 48,2 als Strafe dient. 108   Vgl. Hahn, Rede, 124. 109   Zwar scheint der Begriff saeculum in 5 Esra negativ konnotiert zu sein (vgl. 5 Esra 2,34.36.39), doch ist hier m.E. eher an einen Dualismus Diesseits-Jenseits zu denken als an eine Aufspaltung zwischen Nicht-­ Glaubenden und Glaubenden. 110   Vgl. Hahn, Rede, 123. Auch Sim betont: „Matthew’s references to the event of judgement are both many and widely distributed throughout his gospel. The sheer number of these allusions testifies to the importance of this theme in the evangelist‘s theology.“ (Sim, Apocalyptic, 114.). 111   Weitere Texte, die ein endzeitliches Gericht schildern, sind z.B. Dan 7,9–14; 1 Hen 62,1–63,12; 90,20–27; 4 Esra 7,32–43; 2 Bar 72,2; Offb 20,11–15. 112   Vgl. Konradt, Evangelium, 392.

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des ­Matthäusevangeliums113 unterscheiden sich die beiden Texte sehr stark voneinander. 4.9  Teilfazit Die genauere Untersuchung verbindender Motive in den eschatolo­ gischen Vorstellungen von Mt und 5 Esra ergab, dass die Motive nicht nur unterschiedlich ausgestaltet, sondern auch in verschiedene Kontexte gestellt sind, so dass kein einziges bei näherem Hinsehen auf eine Bezugnahme verweist. Da alle Motive auch einem allgemei­ nen apokalyptisch-eschatologischen Motivschatz zuzurechnen sind, spricht auch ihre Anzahl nicht für eine Verbindung der beiden Texte. Das wird vor allem dann deutlich, wenn man auf die Motive blickt, die für das matthäische Konzept charakteristisch sind und in 5 Esra fehlen: 5 Esra spricht weder vom unberechenbaren und überraschen­ den Beginn der Parusie und davon, dass niemand Tag und Stunde kenne, noch von Kriegen, falschen Propheten und Morden, die dieser vorausgehen. Es deutet keine Zerstörung des Tempels an, keinen Zusammenbruch der kosmischen Ordnung, thematisiert nicht das Erscheinen des Menschensohns und sieht ihn nicht als Richter. Des­ halb scheint dieser Abschnitt 5 Esras auch nicht paränetisch ausge­ richtet zu sein; er spricht von Zusagen an die Mutter, die mit 2,40f. als Zion erkennbar wird. Das Matthäusevangelium wiederum enthält die paradiesischen Motive 5 Esras nicht, nennt keine Versiegelten und beinhaltet kein Detail der Schlussvision 5 Esras. All diese Punkte sprechen meiner Ansicht nach dafür, nicht von einer Bezug­ nahme 5 Esras auf die eschatologischen Vorstellungen des Mt aus­ zugehen. Teilweise ist vielleicht an einen gemeinsamen Motivschatz zu denken, auf den beide Texte zurückgreifen, doch sind Motive wie der Aufruf zur Wachsamkeit oder das Kommen des Reiches zu ver­ breitet, um annehmen zu können, dass Mt und 5 Esra dieselbe Quelle nutzten. 5  Ersetzung Israels in Mt und 5 Esra? (Mt 21,28–22,14) Graham Stantons These, dass 5 Esra „has been strongly influenced by Matthew‘s gospel“114, gründet im Wesentlichen auf der Annahme 113 114

  Mt 25,31–46 sind matthäisches Sondergut.   Stanton, Gospel, 138.



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einer gleichen Grundaussage beider Texte: „5 Ezra is largely taken up with a vigorous exposition of a theme which is also prominent in Matthew‘s Gospel – God has rejected Israel and is turning to a ,peo­ ple soon to come‘ (i.35,38).“115 Für Stanton verkündet 5 Esra die vollständige und endgültige Verwerfung Israels als Gottes Volk und die Ersetzung durch die Christen116, wenn er auch gleichzeitig eine Verbindung zwischen Israel und der Kirche wahrnimmt: „There is a complete rupture between the church and Israel, but there is also con­ tinuity.“117 Die Grundlage für eine derartige Bezugnahme von 5 Esra auf Mt sieht Stanton in 5 Esra 1,24, das seiner Ansicht nach speziell von Mt 21,43, aber auch insgesamt von den Parabeln in Mt 21,28– 32.33–46; 22,1–14 beeinflusst wurde.118 Das Israel-Verständnis des Matthäusevangeliums wird in der Forschung bis heute heftig disku­ tiert und sehr unterschiedlich eingeschätzt119; gerade Mt 21,43 wird dabei zum Schlüsselsatz, seine Auslegung prägt die Sicht der For­ scher auf das Verhältnis von Pharisäern und Schriftgelehrten, Israel und Kirche/ matthäischer Gemeinde in Mt. Da dies ein zentrales For­ schungsfeld des Matthäusevangeliums ist, das als höchst komplex einzustufen ist, ist es notwendig, hier erst ausführlich auf die matthä­ ische Konzeption einzugehen, bevor 5 Esra miteinbezogen wird. Der Blick auf dieses Thema in Mt und die Diversität der Positionen in der Forschung ist äußerst hilfreich für die Einordnung 5 Esras – die Argumentationen und Blickwinkel der Exegeten, die sich gerade in der Auslegung der drei Gleichnisse zeigen, auf die im Folgenden kurz

  Stanton, 5 Ezra, 73.   Vgl. Stanton, 5 Ezra, 73. 117   Stanton, 5 Ezra, 76. 118   Vgl. Stanton, 5 Ezra, 73. 119   Kraus fasst zusammen: „Das Verständnis des Mt-Ev und damit die Sicht auf die mt Ekklesiologie hat sich in den vergangenen 50 Jahren mehrfach fundamental gewandelt. Gingen Georg Strecker und Wolfgang Trilling noch davon aus, dass das Mt-Ev in seiner heutigen Gestalt ein an eine überwiegend heidenchristliche Gemeinde gerichtetes Buch sei, so wird diese Position heute – so weit ich sehe – gar nicht mehr vertreten. Das Pendel schlägt im Gegenteil in die entgegengesetzte Richtung aus und David Sim etwa fragt, ob das Mt-Ev überhaupt eine positive Perspektive mit den Heidenvölkern verbunden habe.“ (Kraus, Wolfgang, Zur Ekklesiologie des Matthäusevangeliums, in: Senior, Donald (Hg.), The Gospel of Matthew at the Crossroads of Early Christianity (BETL 243), Leuven u.a. 2011, 195–239, hier 197.). 115 116

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eingegangen wird, können auf 5 Esra übertragen werden und das Ver­ ständnis dieser Schrift bereichern. Mt 21,43 ist Teil dreier Gleichnisse, die eine matthäische Komposi­ tion darstellen120: Während das Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Mt 21,28–32) Sondergut bildet, basiert das ‚Winzergleichnis‘ (Mt 21,33–46; vgl. Lk 20,9–19) auf Mk 12,1–12; an dieses fügt Mt das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (22,1–14) an, das sich auch in Lk 14,16–24 findet. Das ‚Winzergleichnis‘ bildet dabei „Kristallisationspunkt und Achse der mt Komposition“121. Die drei Gleichnisse behandeln den „fortwährenden Widerstand […], auf den die Boten Gottes stoßen“122 und schließen sich an ein Streitgespräch zwischen Jesus und den Hohepriestern und Ältesten des Volkes über die Vollmacht Jesu an (Mt 21,23–27). 5.1  Ersetzung Israels bei Mt? 5.1.1 Das Gleichnis von den ungleichen Söhnen Das Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Mt 21,28–32) ist direkt an die Hohepriester und Ältesten gerichtet (Mt 21,28: Τί δὲ ὑμῖν δοκεῖ) und zeigt am Verhalten der zwei Söhne einerseits die Bedeu­ tung von Reue und Umkehr123 und andererseits den Gegensatz zwi­ schen Reden und Handeln auf. Es wird von Jesus auf die Ablehnung Johannes des Täufers durch Hohepriester und Älteste bezogen; diese führe dazu, dass Zöllner und Huren vor jenen in das Reich Gottes gelangen würden (21,31). Dass diese zwei Gruppen, Hohepriester/ Älteste und Zöllner/ Huren genannt werden, widerspricht einer   Oppong-Kumi verweist darauf, dass die drei Parabeln „belong […] together contextually, structurally and semantically. […] While each parable is unique in its own right, the parables complement each other in their mes­ sage.“ (Opping-Kumi, Peter Yaw, Matthean Sets of Parables (WUNT 2,340), Tübingen 2013, 264.). 121   Konradt, Evangelium, 330. 122   Konradt, Evangelium, 330. 123   Gäbel erklärt, dass der Akzent auf der Bereitschaft liege, „dem Entge­ genkommen des Vaters zu entsprechen, sich von seiner Bewegung selbst in Bewegung bringen zu lassen.“ (Gäbel, Georg, Was heißt Gottes Willen tun? (Von den ungleichen Söhnen), in: Zimmermann, Ruben, Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 473–478, hier 477.). 120



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h­eilsgeschichtlichen Deutung des Gleichnisses, in deren Rahmen ganz Israel mit einer zweiten Gruppe, meist ‚den Heiden‘, kontrastiert wird124; die im Gleichnis gegenübergestellten Parteien stehen ­nämlich beide innerhalb des Judentums125. Zudem betont Mt 21,26, dass das Volk Johannes für einen Propheten halte, nimmt es also von dem Vorwurf in 21,32 aus. Die Kritik Jesu richtet sich somit primär gegen die „unfaithfulness of the Jewish leaders“126, das Gleichnis „zeigt sich […] als ein polemischer Angriff Jesu gegen die Führungs­ schicht.“127. Eine Ermahnung Israels sieht Gäbel dennoch: „Schließ­ lich deutet die Aufnahme der Bildfelder von Vater und Kindern und vom Weinberg bereits einen israeltheologischen bzw. heilsgeschicht­ lichen Horizont an: Erwählung und Anspruch Gottes spitzen sich auf die Forderung zu, der entgegenkommenden Bewegung Gottes mit seiner eigenen Bewegung zu entsprechen – die sich als Bewegung hin zur Gottesherrschaft erweist (V. 31).“128. 5.1.2 Das ‚Winzergleichnis‘ An dieses Gleichnis schließt sich ohne eigene Hinführung (21,33: Ἄλλην παραβολὴν ἀκούσατε) ein zweites Gleichnis an (Mt 21,33– 46), das auch in Mk 12,1–12 und Lk 20,9–19 dargestellt wird, von Mt aber bearbeitet und um den Schlüsselsatz Mt 21,43 und die Drohung in 21,44 ergänzt wurde. Während Matthäus die Darstellung der Sen­ dungen verkürzte, erweitert er die Deutung des Gleichnisses und lässt Hohepriester und Pharisäer, die hier unvermutet auftauchen, selbst ein Urteil sprechen. Die Rollenverteilung im Gleichnis ist nur teil­ weise klar: Gott selbst wird als Herr und Besitzer des Weinbergs dargestellt, Jesus als sein Sohn, der als Erbe von den Winzern getötet wird. Die Knechte, die der Herr zu den Winzern sendet, bezeichnen die Propheten129. Die Zuordnung von Winzern und Weinberg jedoch geschieht in der Forschung unterschiedlich; in der traditionellen und   Vgl. Luz, Matthäus 3, 213. Dagegen wendet sich Konradt, Israel, 185.   Vgl. Konradt, Evangelium, 331; Luz, Matthäus 3, 214; Frankemölle, Hubert, Matthäus Kommentar 2, Düsseldorf 1997, 327. 126   Vgl. Hagner, Matthew 14–28, 612. 127   Konradt, Israel, 187. 128   Gäbel, Gottes Willen, 477. 129   Zur Tötung und Steinigung der Propheten vgl. Mt 23,37. Die Propheten werden z.B. in Jer 7,25f.; 25,4; Am 3,7; Sach 1,6 als δοῦλοι bezeichnet. 124 125

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auch in der jüngeren Forschung erfolgte dementsprechend oft eine heilsgeschichtliche Ausdeutung des Gleichnisses auf das Schicksal ganz Israels hin, die in der jüngsten Forschung meist klar abgelehnt wird: (1)  Die jüngste Forschung geht davon aus, dass sich dieses Gleichnis gegen die Autoritäten Israels richtet. Aufbauend auf Jes 5,1–7 kann der Weinberg als Bild für Israel130 verstanden werden: Dort wird ein Weinberg besungen, der trotz liebevoller Pflege saure Beeren bringt statt süßer Trauben (Jes 5,2) und deshalb der Zerstörung überlassen wird (Jes 5,5f.); Jes 5,7 deutet den Weinberg schließlich als Israel, das statt Gerechtigkeit Rechtsbruch beging. Saldarini bringt zudem Jes 3,13–15 ins Spiel, wo Gott die Führenden des Volkes wegen der Plünderung seines Weinbergs Israel anklagt.131 Mt und Jes 5,1–7 ver­ bindet die Beschreibung der Pflege des Weinbergs (Mt 21,33 und Jes 5,2) und der Verweis auf seine Früchte (Mt 21,34 und Jes 5,2); da Jes 3,13–15 aber die Führenden des Volkes in das Bild aufnimmt, sollte auch diese Stelle mitbedacht werden. Versteht man den Weinberg als Chiffre für Israel, sind die Führenden des Volkes als Winzer zu sehen (vgl. Jes 3,14) und vom Volk zu unterscheiden.132 Dazu passt, dass sie in Mt 21,45 erkennen, dass Jesus von ihnen spricht: Καὶ ἀκούσαντες οἱ ἀρχιερεῖς καὶ οἱ Φαρισαῖοι τὰς παραβολὰς αὐτοῦ ἔγνωσαν ὅτι περὶ αὐτῶν λέγει. Dann wäre das Gleichnis zu deuten als Bild für den in Mt immer wieder aufscheinenden Konflikt zwi­ schen Jesus und den Autoritäten Israels133, denen vorgeworfen wer­ den würde, dass sie den Menschen das Himmelreich verschließen (vgl. Mt 23,13) und so keine Früchte abliefern, dass sie die Boten Gottes ablehnen (vgl. Mt 23,34) und den Sohn töten (21,39), der von Gott aber wieder auferweckt werde (21,42). Ihr Versuch, „ihre eigene

  Belege für diese Deutung finden sich bei Konradt, Israel, 189, FN 42.   Vgl. Saldarini, Anthony J., Reading Matthew without Anti-Semitism, in: Aune, David E. (Hg.), The Gospel of Matthew in current Study. Studies in Memory of William G. Thompson, S.J., Grand Rapids 2001, 166–184, hier 171. 132   Vgl. Nolland, Gospel, 871. Hagner versteht den Weinberg als „‚the house of Israel‘ […] or more precisely ‚the kingdom of God‘“ (Hagner, Matthew 14–28, 620.), vertritt aber gleichzeitig die Verurteilung ganz Israels. 133   Vgl. Davies/ Allison, Matthew 19–28, 189. 130 131



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Herrschaft aufzurichten“134, wäre auf diese Weise gescheitert: ἀρθήσεται ἀφ‘ ὑμῶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ καὶ δοθήσεται ἔθνει ποιοῦντι τοὺς καρποὺς αὐτῆς (21,43). Die βασιλεία τοῦ θεοῦ könnte hier in einem doppelten Sinn verstanden werden: Einerseits „in its most central sense as reign and ruling power“135 – d.h. die Autoritäten verlören ihre Führungsrolle an das ἔθνος, auf dessen Deutungsmöglichkeiten noch eingegangen werden muss –, anderer­ seits eschatologisch, d.h. die Autoritäten verlören den Zugang zum Heil (vgl. 21,32). Für diese Deutung spricht die die Episode abschlie­ ßende Gegenüberstellung von Hohepriestern und Pharisäern, die Jesus ergreifen wollen, und dem Volk, das ihn für einen Propheten hält (21,46). Diese Interpretationsrichtung ist auch möglich, wenn mit Blick auf Mt 21,28 die Arbeit im Weinberg als „Beschäftigung mit ‚der Sache Gottes‘“136 gedeutet wird: die Autoritäten des Volkes hät­ ten „durch ihr toragemäßes Verhalten dem Volk ein Vorbild“137 sein müssen, hätten darin aber versagt und sich „als Feinde Gottes erwie­ sen“138, weshalb ihnen die βασιλεία τοῦ θεοῦ (21,43) entzogen würde. (2) Oft wurde das Gleichnis aber auch heilgeschichtlich gedeutet. Die Schriftgelehrten und Pharisäer, die weiterhin als die Winzer des Gleichnisses verstanden werden, repräsentieren dann ganz Israel139, das aufgrund der Ablehnung Jesu und seiner Botschaft (21,38f.) keine Früchte bringt, seine Sonderstellung (die βασιλεία τοῦ θεοῦ; 21,43) verliert und durch die Kirche140 ersetzt wird. Die βασιλεία kann   Konradt, Israel, 204. Vgl. auch Saldarini, Anthony J., Matthew’s Chris­ tian-Jewish Community (CSHJ), Chicago, London 1994, 63. 135   Saldarini, Community, 62. 136   Konradt, Israel, 191. 137   Konradt, Israel, 207. 138   Konradt, Israel, 207. 139   So schreibt auch Hagner: „The leaders thus function as representatives of Israel.“ (Hagner, Matthew 14–28, 617.). S. auch Luz, Matthäus 3, 222; 225. 140   Vgl. Davies/ Allison, Matthew 19–28, 184. Diese sehen hier eine Kir­ che aus Juden und Heiden, sprechen also nicht von einer Ablösung ganz Israels (vgl. auch 190). Hagner verdeutlicht: „To be sure, as several have pointed out (e.g., Harrington), it is not necessary to interpret the ἔθνος as meaning the church. But given the total context of the Gospel, this is the most natural interpretation of the passage (see Grundmann).“ (Hagner, 134

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h­ ierbei sowohl präsentisch als auch eschatologisch gedeutet wer­ den141, der Weinberg selbst stünde, wie der Bezug von Mt 21,43 auf 21,41 nahelegt, in Verbindung mit ihr.142 Diese Interpretationsrich­ tung baut stark auf Mt 21,43 und auf dem Verständnis von ἔθνος auf. Ἔθνος kann klassisch „Volk“ oder „Nation“ bedeuten; von dieser großen Kategorie ausgehend wird der Begriff auf die Kirche oder matthäische Gemeinde bezogen, die sich vom Judentum bereits gelöst habe.143 Dies wird auch damit begründet, dass die βασιλεία nicht anderen Winzern (vgl. 21,41), sondern einem ἔθνος übergeben wird.144 Das Volk, das die Früchte bringt, ist dann die Gruppe der – von Israel unterschiedenen – Jesus-Anhänger, die seiner Botschaft von der βασιλεία τοῦ θεοῦ glauben. Diese Interpretation des Gleich­ nisses sieht hier also das Gericht über Israel145 angekündigt, das von der Kirche oder den Christen als Volk Gottes abgelöst wird.146 Diese Deutungsweise wird in der heutigen Forschung meist zurück­ gewiesen; dies stützt sich auf verschiedene Einwände. Luz sieht hier keine soziologische Definition von ἔθνος, sondern eine ­Konzentration ­ atthew 14–28, 623.). Es widerspricht Luz: „Matthäus hätte dies z.B. durch M τῇ ἐκκλησίᾳ direkt ausdrücken können.“ (Luz, Matthäus 3, 226.); ebenso tut dies Konradt (vgl. Konradt, Evangelium, 335.). Zur Thematik siehe auch Saldarini, Community, 59; Konradt, Evangelium, 336; Kraus, Ekklesiolo­ gie, 225. 141   Vgl. Konradt, Israel, 192. 142   Vgl. Luz, Matthäus 3, 226. Andere sehen jedoch auch eine fließende Bedeutung des Weinbergs (vgl. Luz, Matthäus 3, 224. S. auch Davies/­ Allison, Matthew 19–28, 176, FN 9.). 143   Vgl. Luz, Matthäus 3, 228: „V 43 ist eine in einen Grundsatz geklei­ dete polemische These, die sein Fazit aus einer schmerzlichen Auseinander­ setzung um Israel und aus der Trennung seiner Gemeinde vom Hauptstrom des Judentums formuliert.“ Auch Stanton äußert: „This verse is probably the clearest indication in the gospel that the Matthean community saw itself as a separate and quite distinct entity over against Judaism.“ (Stanton, Gos­ pel, 151; vgl. auch 271.). 144   Vgl. Luz, Matthäus 3, 225. 145   Luz ergänzt, dass Mt 27,25 andeute, dass ganz Israel in den Tod Jesu verstrickt sei (vgl. Luz, Matthäus 3, 226.). 146   Vgl. Luz, Matthäus 3, 221; Stanton, Gospel, 276; Hagner, Matthew 14–28, 623; Gnilka, Joachim, Das Matthäusevangelium 2. Kommentar zu Kap. 14,1–28,20 und Einleitungsfragen (HThK.NT), Freiburg u.a. 1988, 231. Für weitere Belege vgl. Saldarini, Community, 243, FN 57.



iv  matthäusevangelium163

auf das „Bringen“, also das Übergeben der Früchte, was er als Tun des Willens Gottes deutet.147 Aus der Nicht-Verwendung von λαός folgert er, dass nicht Israel durch die Kirche ersetzt werden soll, son­ dern eine Offenheit des Begriffs gegeben ist148, vertritt aber gleichzei­ tig die These, dass „Matthäus […] einer der Väter der später domi­ nierenden kirchlichen ‚Sukzessionstheorie‘ [ist], nach welcher die Kirche Israel als Heilsvolk abgelöst hat“149. Auch Sim wendet sich gegen die Deutung von ἔθνος als „Kirche“, da die Kirche im 1. Jhd. n.Chr. „not a nation in any sense of the term“150 war. Zudem betont er, dass mit den Winzern in Mt 21,45 die Hohepriester und Pharisäer gemeint seien151, weshalb diese Perikope „details God‘s rejection of the Jewish leadership“152. Er bezieht ἔθνος auf die matthäische Gemeinde, die eine Führungsrolle in der jüdischen Gemeinde bean­ spruche.153 Auf die Deutungsoffenheit des Begriffes ἔθνος verweist auch Saldarini, der verschiedenste Übersetzungsmöglichkeiten anführt.154 Er sieht wie Sim einen Bezug zu Jesus-Anhängern155, wahrscheinlich zu der eigenen Gruppe des Matthäus, die aber eben   Vgl. Luz, Matthäus 3, 226.   Vgl. Luz, Matthäus 3, 227. Gleichzeitig sieht er aber eine Gerichtsan­ sage über ganz Israel angedeutet (vgl. S. 228: „[Es] taucht hinter V 43 der Gedanke mindestens unterschwellig auf, daß das ganze Volk seine Erwäh­ lung verliert.“), die mit dieser Offenheit schwer in Einklang zu bringen ist. 149   Luz, Matthäus 3, 228. 150   Sim, David C., The Gospel of Matthew and Christian Judaism. The History and Social Setting of the Matthean Community (Studies of the New Testament and its World), Edinburgh 1998, 148. Ebenso Saldarini, Community, 60. 151   Ebenso Konradt, Evangelium, 335: „Dies gilt umso mehr, als eben­ diese Unterscheidung in der szenischen Zwischenbemerkung in V. 45f aus­ drücklich aufgenommen und in ganz unzweideutiger Klarheit gesagt wird, dass die Autoritäten begriffen, dass das Gleichnis auf sie gemünzt ist, sie es aber wegen der Volksmengen nicht wagten, gegen Jesus vorzugehen.“ (Her­ vorhebungen durch den Autor) 152   Sim, Gospel, 149. 153   Vgl. Sim, Gospel, 149. 154   Vgl. Saldarini, Community, 59. Er nennt z.B. „a number of people living together“; „a large number of people“; „a social class of people“. 155   Ebenso Konradt, Evangelium, 335. Konradt führt an anderer Stelle aus: „Dass mit dem ἔθνος die (wahren) Jesusnachfolger gemeint sind, also die, die in dem verworfenen Stein den Eckstein erkannt haben, ist schwerlich zu bestreiten. Gegenüber einer geradlinigen Identifikation des ἔθνος mit der Kir­ che ist freilich Zurückhaltung geboten, sofern diese ein corpus mixtum ist. 147 148

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nicht als neues oder wahres Israel dargestellt werde.156 Gleichzeitig hebt er die Unterschiede zu Jes 5,1–7 hervor, das von Mt hier wohl rezipiert wird: der Weinberg bringt bei Mt seine Früchte, das Fehl­ verhalten geschieht durch die Winzer.157 Auch die Differenzierung zwischen Volk und Autoritäten, die sich durch das Matthäusevange­ lium zieht (vgl. Mt 9,33f.; 12,23f.; 21,9–16), widerspricht einer Kol­ lektivierung, wie sie diese Deutung erfordert.158 Diese Argumente und die differenziertere Betrachtung des Gleichnisses in der neueren Forschung machen m.E. plausibel, auch in diesem Gleichnis einen Angriff auf die jüdische Führungsebene wahrzunehmen, nicht jedoch eine Gerichtsansage über ganz Israel und die Ankündigung seiner Ersetzung durch die Kirche. 5.1.3 Das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl Das dritte Gleichnis dieser Gruppe ist das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22,1–14), das zum Teil mit Lk 14,16–24 überein­ stimmt159, zum Teil matthäisches Sondergut bildet. Jesus beschreibt αὐτοῖς – was sich nach 21,45 auf Hohepriester und Pharisäer bezieht – die Einladungen eines Königs zum Hochzeitsmahl seines Sohnes als Bild für die βασιλεία τῶν οὐρανῶν. Die Weigerung der Gäste, zum Hochzeitsmahl zu kommen, wird wie in Mt 21,35f. mit der Pro­ phetenmordtradition verbunden, was im Gleichnis wiederum zur Zer­ störung der ganzen Stadt der Mörder führt160. Statt der geladenen Man könnte also höchstens sagen, dass das ἔθνος ποιοῦν τοὺς καρποὺς αὐτῆς (= τῆς βασιλείας) auf die ideale Kirche blickt.“ (Konradt, Israel, 199.). 156   Vgl. Saldarini, Community, 60. 157   Vgl. Saldarini, Community, 61: „Matthew focuses on the leadership, not the people, who remain fruitful.“. S. auch Konradt, Evangelium, 334; Fiedler, Matthäusevangelium, 332; Fiedler, Peter, Israel bleibt Israel. Über­ legungen zum Kirchenverständnis des Matthäus, in: Kampling, Rainer (Hg.), „Dies ist das Buch…“. Das Matthäusevangelium, Interpretation – Rezeption – Rezeptionsgeschichte, Paderborn 2004, 49-73, hier 54. 158   Vgl. Konradt, Evangelium, 335; Fiedler, Matthäusevangelium, 332; Frankemölle, Matthäus, 337. 159   Matthäus überarbeitete das Gleichnis, das wohl auf einem Q-Gleichnis basiert, unterstrich die Güte des Königs und die Unverschämtheit der gela­ denen Gäste und zeigt nach Konradt so einen „massiven Konflikt“ auf (vgl. Konradt, Israel, 209f.). 160   Dies stellt wohl einen Hinweis auf die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. dar (vgl. Konradt, Matthäus, 340; Hagner, Matthew 14–28, 630; Davies/­Allison,



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Gäste sammeln die Knechte daraufhin auf den Straßen πάντας οὓς εὗρον, πονηρούς τε καὶ ἀγαθούς (22,10), so dass der Hochzeitssaal voll wird. Für die Zuordnung von ursprünglich geladenen und neuen Gäs­ ten gibt es verschiedene Möglichkeiten. Obwohl Luz drei Optionen, eine Gegenüberstellung von Führenden und Volk, Israel und Heiden­ kirche und Reichen und Armen in Erwägung zieht161, deutet er das Gleichnis schließlich doch als „große Abrechnung mit Israel“162, des­ sen Schicksal die Gemeinde des Matthäus warnen163 solle.164 Konradt weist darauf hin, dass diese Zuordnung meist „analog zur Interpreta­ tion des Winzergleichnisses“165 geschehe, dass das Gleichnis selbst sie aber nicht begründe166. Er spricht sich für eine Gegenüberstellung von Führungsschicht und einfachem Volk167 aus, wie es auch der Bil­ debene des Gleichnisses nahe komme168; diese Deutung gliedert sich in den Kontext des Matthäusevangeliums ein, da weiterhin die Auto­ ritäten mit Jesus in Konflikt stehen (vgl. 21,46) und, wie die zwei vorherigen Gleichnisse deutlich machen, von diesem scharf angegrif­ fen werden.169 Gegenspieler der Autoriäten wären in dieser Parabel die „missionierenden Jesusnachfolger“170, die als Knechte zum Hochzeitsmahl des Sohnes einladen (22,3f.), von den Autoritäten aber abgelehnt und sogar getötet werden (22,5f.; vgl. 23,34). Die neuen Gäste, die aus Guten und Bösen bestehen (22,10), repräsentie­ ren für Konradt das corpus mixtum der mt Gemeinde171. Ein Kontrast Matthew 19–28, 201; Luz, Matthäus 3, 242. Anders Nolland, Gospel, 887; Nalpathilchira, Joseph, „Everything is Ready: Come to the Marriage Banquet“. The Parable of the Invitation to the Royal Marriage Banquet (Matt 22,1–14) in the Context of Matthew‘s Gospel (AnBib 196), Rom 2012, 194.). 161   Vgl. Luz, Matthäus 3, 237f. 162   Luz, Matthäus 3, 249. 163   Vgl. Luz, Matthäus 3, 249. 164   Gegen die Position von Luz wendet sich ausführlich Peter Fiedler (vgl. Fiedler, Israel, 58f.). 165   Konradt, Israel, 211. 166   Vgl. Konradt, Israel, 212. 167   Vgl. auch Saldarini, Community, 64. 168   Vgl. Konradt, Israel, 212. 169   Vgl. Nalpathilchira, Everything, 185. 170   Konradt, Israel, 214. 171   Vgl. Konradt, Israel, 214; Gnilka, Matthäusevangelium, 240. In seinem Matthäuskommentar verweist Konradt aber darauf, dass die Einladung wohl mit

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zwischen Israel- und Heidenmission172, wie ihn Luz173 wahrnimmt, wird im Text an sich nicht ausgedrückt174, ein Scheitern der Israel­ mission ebenso wenig. Die Deutung Konradts wird auch durch die Unterscheidung von unwilligen Gästen und Mördern (22,5–7) gestützt, die die Zerstörung der Stadt nicht als Strafgericht über Israel175, erst recht nicht über ganz Israel erscheinen lässt.176 Dass dieses Gleichnis auch ganz anders verstanden werden kann, zeigt Luise Schottroff: „Deshalb schlage ich vor, die Gleichniserzäh­ lung V. 3–13 nicht als bildliche Darstellung des Handelns Gottes zu lesen, sondern als Erzählung über Gewalterfahrungen in der Lebens­ welt jüdischer und anderer Menschen unter römischer Herrschaft. […] Israel als von Rom beherrschtes Land leidet unter der Konzent­ ration des bebaubaren Landes in der Hand weniger, die sich in Mt 21,33–44 spiegelt. Die Pächter sind Opfer dieser Landenteignung und werden selbst zu Mördern. Auch die antirömischen Aufruhrversuche im Volk, die sich in der Ablehnung des Königs durch die Erstgelade­ nen spiegeln, enden in Gewalt von allen Seiten. Und doch gilt: Gott hat alle Völker gerufen, die Vielen und die Wenigen.“177 Auch dieses dritte Gleichnis wendet sich also nicht gegen Israel als Ganzes und kontrastiert es mit der Kirche oder den Heidenvölkern, sondern spiegelt wohl primär den Konflikt zwischen Jesus und den Autoritäten178 wider; dass gleichzeitig aber die Gruppe der Geladenen geöffnet wird und die ‚Heidenmission‘179 damit angedeutet sein kann, ist nicht auszuschließen, wird aber im Gleichnis auch nicht expliziert. einem Ruf zur Umkehr verbunden und deshalb die Vorstellung von der Gemeinde als corpus mixtum nicht notwendig sei (vgl. Konradt, Evangelium, 342.). 172   Konradt argumentiert, dass dieses Thema hier nicht in den Blick genommen werde, dass aber gleichzeitig nicht auszuschließen sei, dass hier die Völker miteinbezogen seien (vgl. Konradt, Israel, 215.). Vgl. auch Nol­ land, Gospel, 631. 173   Vgl. Luz, Matthäus 3, 243. 174   Vgl. Konradt, Israel, 215; vgl. auch Frankemölle, Matthäus, 343. 175   Konradt verweist wiederholt darauf, dass Jerusalem bei Mt nicht Israel repräsentiert (vgl. Mt 21,9–11). 176   Vgl. Konradt, Israel, 217. 177   Schottroff, Luise, Verheißung für alle Völker (Von der königlichen Hochzeit), in: Zimmermann, Ruben, Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 479–487, hier 485. 178   Vgl. Nolland, Gospel, 889; Gnilka, Matthäusevangelium, 240. 179   Vgl. auch Nalpathilchira, Everything, 210.



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5.1.4 Die Deutung der Parabeltrilogie Die Deutung dieser Parabeltrilogie basiert in der Forschung bewusst oder unbewusst auch auf der sozio-historischen Einordnung der mat­ thäischen Gemeinde, da sich Exegese und Verortung gegenseitig beein­ flussen180. Dass diese sehr unterschiedlich geschieht, weist Christopher Tuckett auf: „The issue of the social, ,religious‘ and ethnic identity of Matthew – whether one thinks of Matthew‘s gospel, Matthew the evangelist, or the possible community from which Matthew came and for which he may have written his gospel – has been debated vigorously, almost ad nau­ seam, in modern studies of Matthew. Almost every aspect of the subject has been discussed, argued about, analysed and debated, and almost every permutation and combination of possible solutions to the network of problems has been proposed at some time or other during the course of research.“181

Stanton z.B. verortet die matthäische Gemeinde extra muros, geht also davon aus, dass sie sich bereits vom Judentum gelöst habe182, wenn sie auch noch Verbindungen zu lokalen Synagogen aufrecht halte.183 Er sieht das Judentum in Mt als Ganzes verworfen184 und „the trauma of separation from Judaism and […] the continuing threat of hostility and persecution“185 als Hintergrund der matthäischen Polemik. Gleichzeitig sprechen Forscher wie Stanton oder Luz, die von einer Ablehnung ganz Israels in Mt ausgehen, aber auch von der Suche nach der eigenen Identität der Gemeinde, sehen also weiterhin   Ordnet man Matthäus als außerhalb des Judentums stehend ein, neigt man wohl eher dazu, in diesen Gleichnissen eine Ersetzungsthematik zu sehen, als wenn man ihn innerhalb des Judentums positioniert. 181   Tuckett, Christopher, Matthew: The Social and Historical Context – Jewish Christian and/ or Gentile? in: Senior, Donald (Hg.), The Gospel of Matthew at the Crossroads of Early Christianity (BETL 243), Leuven u.a. 2011, 99–129, hier 99. 182   Vgl. auch Hagner: „The evangelist‘s community thus shared in two worlds, the Jewish and the Christian. Although the members of this commu­ nity saw their Christianity as the true fulfillment of Judaism, they were also very conscious that they had broken with their unbelieving brothers and sisters.“ (Hagner, Matthew 1–13, lxxi.). 183   Vgl. Stanton, Gospel, 124. 184   Vgl. Stanton, Gospel, 154. 185   Stanton, Gospel, 157. 180

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einen jüdischen Hintergrund.186 Saldarini geht deutlich weiter, er bezeichnet die matthäische Gruppierung als „a new, deviant Jewish group“187, die innerhalb des Judentums stehe: „Though the competing groups were in serious conflict, they all remained Jews and all operated within the world of Israel. […] From the viewpoint of society at large, they were a deviant group, a reformist sect with millenarian tendencies, seeking to change Jewish society. The tension between Matthew‘s Jewish group of believers-in-Jesus and the majority of the Jewish community does not mean that Matthew‘s group is Christian in contrast to the Jewish community.“188

Fiedler, der betont, dass Mt „pauschale Verurteilungen [vermeide], so als sei Israel als Ganzes von Gott verworfen und die Kirche infolgedes­ sen an seine Stelle getreten“189, verweist auf das Grundproblem von Einordnungen wie Stantons: „Zudem geht die Behauptung von einem ‚endgültige(n) Bruch der Kirche mit der Synagoge‘190, der sich im MtEv widerspiegeln soll, für beide ‚Größen‘ von unhaltbaren Voraus­ setzungen aus. Denn damals gab es weder bereits ‚die‘ Kirche – das wird allein durch den Pluralismus der Evangelien belegt – noch gab es schon ‚die‘ Synagoge als eine etablierte, ‚das‘ Judentum repräsentie­ rende Institution, die unter der Führung ‚des‘ pharisäisch-­rabbinischen Judentums gestanden wäre.“191. Zwei Dinge sind also festzuhalten: (1) Die Kategorien, die bei ­solchen Verortungen angewendet werden, sind schon an sich proble­ matisch. Einerseits sind sie kaum zu konkretisieren und werden unter­ schiedlich verwendet, andererseits sind sie anachronistisch und werden der historischen Situation nicht gerecht.192 (2) Eine verallgemeinernde Rede von ‚der Kirche‘, die ‚das Judentum‘ ersetzt, ist mit dem ­Matthäusevangelium nicht in Einklang zu bringen: Die Differenzierung, die auch Luz immer wieder theoretisch anmahnt, darf bei der Exe­ gese selbst nicht vernachlässigt werden. Die Unterscheidung zwischen   Vgl. Luz, Matthäus 1, 97f.; Stanton, Gospel, 157.   Saldarini, Community, 120. 188   Saldarini, Community, 121. Ebenso Sim, Polemical, 497f. 189   Fiedler, Israel, 68. 190   Weiß, H.-F., Kirche und Judentum im Matthäusevangelium. Zur Frage des ‚Antipharisäismus‘ im ersten Evangelium, in: ANRW II/ 26.3 (1996), 2079 (Zitat und Literaturangabe nach Fiedler). 191   Fiedler, Israel, 69f. 192   Vgl. Tuckett, Matthew, 100. 186 187



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­ ührungsgruppe und Volk muss gerade in der Parabeltrilogie Mt 21,28– F 22,14 beachtet werden, gleichzeitig dürfen Israel und Jesus-Nachfolger nicht gegeneinander ausgespielt werden. Konradt fasst zusammen: „Das Matthäusevangelium vertritt die Substitution der Autoritäten durch die Jünger Jesu, und die ecclesia erhebt den Anspruch, die einzig legitime Sachwalterin der theologischen Tradition Israels zu sein. Nirgendwo wird hingegen erkennbar, dass der Evangelist die Kirche als das neue oder wahre Gottesvolk im Gegenüber zu Israel konzipiert hat. Kirche und Israel sind bei Matthäus keine äquivalenten, auf einer Ebene stehenden und daher potentiell miteinander konkurrierenden Größen. […] Zugleich ist festzuhalten, dass mit der Bildung der ecclesia eine signifikante Trans­ formation der Rolle Israels als Gottesvolk verbunden ist.“193

Diese Differenzierungen müssen auch für 5 Esra vorgenommen wer­ den, um eine vorschnelle Einordnung in eine Substitutionstheorie zu vermeiden; deshalb sollte auch dort nicht von ‚der Kirche‘ und ‚dem Judentum‘ gesprochen werden. 5.2  Die Verbindungen zwischen Mt 21,28–22,14 und 5 Esra Mt 21,43 διὰ τοῦτο λέγω ὑμῖν ὅτι ἀρθήσεται ἀφ‘ ὑμῶν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ καὶ δοθήσεται ἔθνει ποιοῦντι τοὺς καρποὺς αὐτῆς. 5 Esra 1,24 (SA) Quid tibi faciam, Iacob? Noluisti me obaudire, Iuda. Transferam me ad alias gentes et dabo eis nomen meum, ut custodiant legitima mea. (CMNEVLK) Quid tibi faciam, Iacob? Noluit obaudire me Iuda. Trans­ feram me ad gentem alteram et dabo illi nomen meum, et custodientes custodient legitima mea. 2,10 (SA) Haec dicit Dominus ad Ezram: Adnuntia populo meo, quo­ niam dabo eis regnum Hierusalem, quod daturus eram Israhel. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus ad Esdram: Annuntia populo meo quoniam paravi eis manducare, et dabo illis regnum Iherusalem quod daturus eram Israel.

Terminologisch gesehen kann nicht von einer Bezugnahme zwischen Mt 21,43 und 5 Esra 1,24; 2,10 ausgegangen werden.194 Während Mt mit ὑμῶν die Führungsschicht Israels in den Blick nimmt, mit der Jesus 193 194

  Konradt, Israel, 376f.   Vgl. auch Wolter, 5. Esra-Buch, 809, FN 10c.

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im Gespräch ist, spricht Gott in 5 Esra zu Jakob und Juda (1,24) bzw. nennt ‚sein Volk‘ im Unterschied zu Israel (2,10). Wird bei Matthäus die βασιλεία weitergegeben, so wendet sich Gott in 5 Esra selbst mit seinem Namen einem ‚anderen Volk‘ bzw. anderen Völkern zu; in 2,10 wird das regnum Hierusalem übergeben. Und während Matthäus mit der Qualifizierung ποιοῦν τοὺς καρποὺς αὐτῆς im Bild des Gleichnis­ ses bleibt, fokussiert Gott Gehorsam und das Bewahren seiner legitima. Auch der Empfänger ist verschieden: Zwar sprechen beide Texte von einem ἔθνος (VUL gens), doch weist die französische Handschriften­ gruppe in 1,24 einen Plural auf, auch charakterisiert Mt das ἔθνος nicht als ‚anderes‘ ἔθνος. Ob der Singular der spanischen Handschriften oder der Plural der französischen Handschriften in 5 Esra 1,24 ursprünglich ist, lässt sich kaum beantworten. Bergren führt an, dass der erzähleri­ sche Wechsel in CMNEVLK195 für eine Korruptheit dieser Stelle spre­ chen könnte196; auch Wolter hält es für zweifelhaft, dass die singulari­ sche Formulierung ursprünglich ist197. Das Wort gens wird in 5 Esra nur ein weiteres Mal im positiven Sinn verwendet, in 2,34 (SA), auch dort steht es im Plural. Die französische Fassung gentes ist an dieser Stelle also wohl überlegen. Auf der terminologischen Ebene gibt es insgesamt also keine aussagekräftigen Übereinstimmungen zwischen 5 Esra 1,24; 2,10 und Mt 21,43. Verbunden sind diese Stellen aber thematisch durch die Übertra­ gung eines Zeichens der Erwählung von einer Gruppe an eine andere. Die ‚andere Gruppe‘ wird dabei in beiden Fällen als ἔθνος charakte­ risiert. Da es jedoch keine weiteren sprachlichen Verbindungen zwi­ schen Mt 21,43 und 5 Esra 1,24; 2,10 gibt und auch der Kontext der beiden Texte sehr weit divergiert, liegt hier m.E. keine Anspielung 5 Esras auf Mt vor, auch ein Echo ist nicht erkennbar. 5.3  Ersetzung Israels in 5 Esra? Zu bedenken ist aber, was die Unterschiedlichkeit der Interpretations­ richtungen der Parabeltrilogie in Mt für den Blick auf 5 Esra b­ edeutet: So wie es möglich und begründbar ist, eine Substitution Israels in den   In 1,24 wird erst Jakob angesprochen, dann erfolgt ein Wechsel erst von der 2. in die 3. Person, in 1,27 dann jedoch plötzlich wieder in die „ihr“-Anrede. 196   Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 187f. Er gibt aber auch zu bedenken, dass dies nicht unbedingt heiße, dass die französische Fassung älter sei. 197   Vgl. z.B. Wolter, 5. Esra-Buch, 801, FN 24f. 195



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mt Gleichnissen zu erkennen – wobei man aber, auch wegen vorge­ fasster Kategorien, dem Text nicht gerecht wird –, so ist es auch für 5 Esra möglich, die Botschaft des Textes auf die Verwerfung Israels und seine Ersetzung durch die Kirche198 zu reduzieren. Die Differen­ zierung, die den matthäischen Parabeln in der jüngsten Forschung entgegengebracht wird, muss jedoch auch bei 5 Esra angewendet werden. So gilt z.B. die Offenheit des gens-Begriffes auch für 5 Esra. Wurden in 1,24 das gens altera bzw. die gentes alterae angekündigt, so führen 5 Esra 1,35.37.38 das populus veniens bzw. das populus veniens ab oriente ein, was dafür spricht auch gens in dieser Richtung („Volk“) zu interpretieren. Gleichzeitig zeigt dies aber, dass 5 Esra, das in 2,34 (SA) wieder die gentes anspricht, kein einheitliches Volkskonzept aufweist. Ist an eine ethnische Gruppierung gedacht, wie gens vermuten lässt? Oder an eine politisch organisierte Gemeinde (γένος)? Soll ein Gegenbegriff zum λαός Israel gebildet werden? Oder weisen die unterschiedlichen Begriffe darauf hin, dass nur eine ‚Gruppe‘ beschrieben werden soll, wie die Begriffe populus und gens, unsauber verwendet, aufgefasst werden können? Meiner Ansicht nach kann aufgrund der unterschiedlichen Terminologie nicht von zwei klar getrennten und gegenübergestellten Gruppierungen („Israel“ – „Kirche“) ausgegangen werden. Auch der Gebrauch der Begriffe Jakob, Juda (1,24) und Israel (2,10.33) muss untersucht wer­ den: Ergänzen sie sich? Stehen sie für ‚alle Juden‘? Für ‚das‘ Juden­ tum? Oder können sie einer jüdischen Gruppierung auch als Abgren­ zung von einem ‚Hauptjudentum‘ dienen? Würden sich ‚Judenchristen‘ als gens altera bezeichnen? Thematisiert 5 Esra statt einer Verwer­ fung Israels durch seine Rede von einem populus veniens eine Öff­ nung auf die Völker hin (vgl. 5 Esra 2,33f.)? Deuten der große Raum, der Israel im Text gegeben wird, und das völlige Fehlen von Bezug­ nahmen auf Christus nicht eher darauf hin, dass nicht Christentum und Judentum gegeneinander ausgespielt werden sollen, sondern ein innerjüdisches Ringen im Hintergrund stehen könnte? Diese Fragen weisen auf, dass keine einfache Antwort auf die Frage nach der Botschaft 5 Esras gegeben werden sollte. So wie sich auch in Mt Israel und die Völker gegenüberstehen und oftmals Anti­ judaismus im Evangelium gesehen wurde, so gibt es auch für 5 Esra verschiedene Auslegungsmöglichkeiten, die nicht durch vorgefasste 198

  Dieser Begriff wird in 5 Esra an keiner Stelle verwendet!

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Kategorien und vereinfachte Systeme beschränkt werden dürfen. Die gleiche Offenheit der Kategorien und die Sorgfalt der Auslegung, die für das Matthäusevangelium notwendig ist, muss auch 5 Esra entge­ gengebracht werden. 6  Fazit Eine genauere Untersuchung der von Stanton angeführten Bezugs­ stellen zwischen 5 Esra und dem Matthäusevangelium macht deut­ lich, dass nicht von einer klaren Beeinflussung 5 Esras durch Mt aus­ zugehen ist, dass jedoch von einzelnen Verbindungslinien gesprochen werden kann. Die beiden Texte weisen übereinstimmende Motive und Begriffe auf, doch unterscheiden sich deren Verwendung und Kontexte z.T. stark. Am wahrscheinlichsten ist eine direkte Verbin­ dung zwischen Mt 23,37–39 und 5 Esra 1,28–33, die spanischen Handschriften weisen in 5 Esra 1,11; 2,8f. auch eine große Nähe zu Mt 11,21–24 auf. Bezüglich der eschatologischen Vorstellungen der Texte und den „Ersetzungsparabeln“ in Mt 21,28–22,14 sind keine Bezugslinien erkennbar, die aussagekräftig genug wären, um eine direkte Bezugnahme plausibel zu machen. Die wenigen klaren Gemeinsamkeiten zwischen den Texten sprechen stattdessen für das Aufgreifen verbreiteter Traditionen. Ich folge Stantons Auffassung, dass 5 Esra „deeply influen­ ced“199 durch das Matthäusevangelium sei, also nicht, wenn auch einzelne Echos vorhanden sind. Dennoch ist das Matthäusevangelium meiner Ansicht nach bedeutend für die Einordnung 5 Esras, denn die Texte lassen eine ähnliche Grundsituation erkennen: Zwar spricht 5 Esra weder von der Bedrängnis noch vom Gericht, wie es in Mt geschieht, doch lässt sich gerade anhand der Forschungsgeschichte des Matthäusevangeliums die Problematik der Einordnung eines Tex­ tes als ‚jüdisch‘ oder ‚christlich‘ aufzeigen: Weder Mt noch 5 Esra lassen sich eindeutig diesen Kategorien zuweisen, beide Texte zeigen eine große Nähe, aber auch Distanz zum ‚Judentum‘. Die sozio-­ historische Verortung 5 Esras führt uns m.E. in die Nähe des Mat­ thäusevangeliums: Beide Texte sind ‚jüdisch‘ und lassen doch eine gewisse Distanzierung erkennen, beide zeigen eine „Öffnung auf die 199

  Stanton, 5 Ezra, 70.



iv  matthäusevangelium173

Völkerwelt“200, die auf unterschiedliche Weise mit der Sonderstel­ lung Israels vermittelt wird. Darin liegt auch die Leistung Stantons, trotz seiner Reduzierung des Inhalts 5 Esras: Er betont in seinem Aufsatz klar die Kontinuität, die in 5 Esra zwischen dem ‚anderen Volk‘ und Israel hervorgehoben wird, und bringt die These vor, dass eine möglicherweise hinter 5 Esra stehende Gruppierung auf der Suche nach ihrer eigenen Iden­ tität sei.201 Dieser Aspekt verbindet 5 Esra und Mt; die Forschungs­ geschichte zu dieser zentralen Problematik des Matthäusevangeliums ist hilf- und aufschlussreich für 5 Esra: Zeigt sich auch dort eine „auf die Völkerwelt hin programmatisch in neuer Weise geöffnete Vari­ ante jüdischen Glaubens“202?

  Konradt, Matthias, Die Sendung zu Israel und zu den Völkern im Mat­ thäusevangelium im Lichte seiner narrativen Christologie, in: Konradt, Mat­ thias (Hg.), Studien zum Matthäusevangelium (WUNT 358), Tübingen 2016, 115–145, hier 144. 201   Vgl. Stanton, 5 Ezra, 77. 202   Konradt, Sendung, 144. 200

V Offenbarung des Johannes

1 DerNameGottesunddieNamen 1.1 Hinführung Das Substantiv ὄνομα bzw. nomenbegegnet in der Offb des Johannes in unterschiedlichem Kasus und Numerus 38 bzw. 37 Mal1. Es bezieht sich auf den Namen Gottes, den Namen des Tieres (13,17), des Todes (6,8), eines Sternes (8,11), von Gläubigen usw. An sich ist es nicht erwähnenswert, dass Wesen und Dingen Namen gegeben sind; in der Offb lässt sich jedoch ein besonderer Stellenwert des Begriffs „Name“ und ein Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu Gott und dem Erlangen oder Verlieren des Lebens erkennen. Auch in 5 Esra wird das Wort „Name“ sieben Mal genannt; sechs Mal ist der Name Gottes gemeint. Dort wird ebenso anhand des „Namens“ über Zugehörigkeit zu Gott, Leben und Tod geurteilt. Die besondere Verwendung des Begriffs „Name“ sowohl in der Offb als auch in 5 Esra lässt es notwendig und interessant erscheinen, seine Gestaltung als Motiv in den beiden Texten zu vergleichen. Da dieses Wort2 jedoch sehr oft gebraucht wird, soll eine Beschränkung auf zwei Verwendungsweisen erfolgen: § Der Name Gottes als Zugehörigkeitszeichen und Identitätsmerkmal § Das Eintreten der Glaubenden für den Namen Gottes als Zeichen für ihre Treue im Glauben In der Offenbarung des Johannes ist der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und seinem Gesalbten und dem Tier, das „letzten Endes doch unter der Kontrolle Gottes ist“3, ein inhaltlicher Schwerpunkt. In diesem Zusammenhang wird in Kap. 13 berichtet, Novum Testamentum Graece und Vulgata unterscheiden sich in Offb 19,16 (NA 28 ὄνομα, VUL scriptum). 2 Auch der „Name“ Gottes begegnet in der Offb häufig. 3 Satake, Akira, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2008, 76. 1

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dass die Menschen den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens (Offb 13,17) als Zeichen an der rechten Hand oder der Stirn tragen müssen (13,16). Der Name Gottes und der Name des Tieres werden dabei ebenso gegenübergestellt wie das Siegel Gottes (Kap. 7) und das Zeichen des Tieres (Kap. 13). In 5 Esra spielt dieser Dualismus keine Rolle. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, dieses Konzept der Apokalypse durchdringen zu wollen; aus diesem Grund wird auf die gegnerischen Kräfte in der Offb nur bei Bedarf an einzelnen Stellen eingegangen. Ebenso werden verbreitete Zusammenhänge des „Namens Gottes“, z.B. das Lästern seines Namens (5 Esra 1,22; Offb 13,6; 16,9; vgl. Lev 21,11.16; Jes 52,5; Röm 2,24) oder Jubel in seinem Namen (5 Esra 1,16; Offb 15,4; vgl. Dtn 32,3; Ps 34,4; 68,31) nicht berücksichtigt, da sie zu wenig spezifisch sind, um durch sie die Verbindung zwischen den beiden Texten besser beurteilen zu können. Auf Basis dieser Grundbedingungen wurden folgende Textstellen ausgewählt: § 5 Esra 1,24; 2,16.45.47 § Offb 2,3.13; 3,8.12; 11,18; 14,1; 22,4 1.2 5Esra 1.2.1 5 Esra 1,24 An einer der zentralsten Stellen in 5 Esra, in der Gott verkündet, Israel zu verlassen (1,24), findet sich folgende Aussage: 5 Esra 1,24 (SA) Quid tibi faciam, Iacob? Noluisti me obaudire, Iuda. Transferam me ad alias gentes et dabo eis nomen meum, ut custodiant legitima mea. (CMNEVLK) Quid tibi faciam, Iacob? Noluit obaudire me, Iuda. Transferam me ad gentem alteram et dabo illi nomen meum, et custodientes custodient legitima mea.

Gottes Entscheidung, sich von Israel abzuwenden und ein ‚anderes Volk‘ zu erwählen, wird in diesem Vers dadurch ausgedrückt, dass Gott dem gentemalterambzw. den aliasgentesseinen Namen übergeben wird. Der Name Gottes steht in diesem Zusammenhang also stellvertretend für die Zugehörigkeit seines Volkes zu ihm; das Volk, dem er seinen Namen geben wird, wird zu seinem erwählten Volk werden (vgl. Num 6,27; 2 Chr 7,14; Dan 9,19). Gott wird bei diesem

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angekündigten Übergang von Israel zum ‚anderen Volk‘ durch seinen Namen expliziert, wie der Parallelismus transferam me – dabo illi deutlich macht. Beachtenswert ist, dass Gott das ‚andere Volk‘ nicht erwählt, sondern verkündet, sich selbst zu dem ‚anderen Volk‘ hin zu versetzen.4 Diese Ankündigung steht im Futur; es scheint auf den ersten Blick so, als würde sie in 1,385 mit dem Herziehen des Volkes aus dem Osten erfüllt. Doch auch dort ist das Gewähren von Führern für den Zug des Volkes in 1,39f. im Futur angegeben (daboducatumAbraham…), zudem wird in 2,1 der Blick wieder auf Israel zurück gerichtet. Die Umsetzung der Ersetzung Israels ist also noch nicht geschehen; sie wird in der Forschung meist in 5 Esra 2,10 erkannt, wo mit populo meo6 (aus der Sicht Gottes) zum ersten Mal nicht Israel gemeint ist. Dort werden dem ‚anderen Volk‘ Gaben zugesagt, die es anstelle von Israel erhalten soll. Auch das Gewähren dieser Gaben ist in der Zukunft angesiedelt; ob das Geben des Namens Gottes also zugleich mit der Anrede des ‚anderen Volkes‘ als Volk Gottes (2,10) geschieht oder erst mit dem Eintreten einer sicheren Zukunft, die noch nicht angebrochen ist, wird aus dem Text heraus nicht deutlich. Klar wird aber, dass der Name Gottes ebenso wie Jerusalem, die Herrlichkeit, die ewigen Hütten und der Baum des Lebens (5 Esra 2,10–12) als Identifikationsmerkmal dient, das die Ersetzung Israels durch das ‚andere Volk‘ verdeutlichen soll. Obwohl mit dem zentralen Verb transferre in 1,24 eine räumliche Veränderung angedeutet ist, soll die Vergangenheit Gottes mit Israel weitergeführt werden als Zukunft des ‚anderen Volkes‘. In 5 Esra 1,24 werden mit dem Namen Gottes direkt seine Gebote (legitimamea; vgl. Lev 10,11) verbunden, deren Nichtbeachtung zur Verstoßung Israels führte (1,24.34) und auf die Gott das ‚andere Vgl. 1 Kor 13,2. Transferre steht in der Vulgata oft im Zusammenhang mit einer räumlichen Veränderung (vgl. Jer 27,22), dem Wechseln von einem Platz zum anderen, oft auch unfreiwillig (vgl. Hiob 18,18) (vgl. Georges, Band 2, 3184: „refl. se, sich wohin wenden“). 5 SA: Et nunc, pater, aspice cum gloria et vide populum venientem ab oriente. 6 Der Ausdruck populus meus ist jedoch auch im Alten Testament nicht ausschließlich für Israel reserviert; vgl. Jes 19,25. 4

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Volk‘ verpflichtet (1,24). Ihre Einhaltung und somit die Bewahrung der Beziehung zu Gott ermöglichen eine geschützte, heilvolle Zukunft (vgl. 5 Esra 2,10–13.15–19.25–32). Diese Zukunft umfasst auch ein Leben nach dem Tod durch eine Auferweckung der Toten: dass auch dies direkt mit dem Namen Gottes verknüpft wird, lässt sich aus 2,16 erkennen. 1.2.2 5 Esra 2,16 5 Esra 2,16 (SA) Et resuscitabo mortuos de locis suis et de monumentis educam illos, quoniam cognovi nomen meum in illis. (CMNEVLK) Et suscitabo mortuos de locis suis et de monumentis eorum, quoniam cognovi nomen meum in illis.

Die Auferweckung der Toten des ‚anderen Volkes‘ wird damit begründet (quoniam), dass Gott seinen Namen in ihnen erkannt habe7. Das Erkennen des Namens wird so zur Voraussetzung der Auferweckung und somit des Lebens8 und erhält eine zentrale Bedeutung: Es löst Gottes Handeln aus. Dies zeigt auch der Kontext des Verses: In 2,15.17 wird der Mutter Mut zugesprochen, der darauf aufbauen soll, dass die Mutter von Gott erwählt worden sei. Diese Erwählung bezieht sich auch auf die Kinder der Mutter, die von ihr getröstet und ermutigt werden sollen (2,15) und deren Zugehörigkeit zu Gott sich anhand seines Namens „in ihnen“ zeigt. Während das Auferwecken im Futur angegeben wird (resuscitabo), also noch geschehen wird, so wie auch die eschatologischen Gaben aus 2,10–12 erst zuteilwerden sollen, sagt Gott aus, dass er seinen Namen in illis bereits erkannt habe (cognovi). Dies wirft die Frage auf, ob mit illisdie bereits Verstorbenen gemeint sind oder alle eingeschlossen sind, die Gott zu seinem Volk zählt und die einmal sterben werden. Damit zusammen hängt die Frage, ob die Erwählung des ‚anderen Volkes‘ bereits Myers verweist hier bereits auf Offb 14,1 und 1 Hen 48,7 (Myers, I and II Esdras, 150.). 8 Das Auferweckungskonzept der Offb ist komplexer gestaltet als das 5 Esras; vgl. hierzu Nicklas, Tobias, „Die Seelen der Geschlachteten“ (Offb 6,9)? Zum Problem leiblicher Auferstehung in der Offenbarung des Johannes, in: Nicklas, Tobias, Reiterer, Friedrich V., Verheyden, Joseph (Hg.), The Human Body in Death and Resurrection (DCLY 2009), Berlin, New York 2009, 329–349. 7

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geschehen ist und ob dessen Tote in diese Erwählung mit aufgenommen sind. Die überraschende Formulierung des „Erkennens des Namens“, die keine biblischen Parallelen findet, lässt sich durch 5 Esra 2,23 besser einordnen, wo ebenso die Auferweckung der Toten thematisiert wird. Dort heißt es im Rahmen zahlreicher Imperative, welche Gott an die Mutter des ‚anderen Volkes‘ richtet: Mortuos tuos uti invenerosuscitabo.Signaprospiciam,etdaboeisprimamsessionem in resurrectione mea. (CMNEVL)9. Der Name Gottes spiegelt sich also wohl in signa wider, die an den Toten erkannt werden können.10 Die Zeichen oder Siegel der Toten, von denen im Plural gesprochen wird11, verweisen wiederum auf 5 Esra 2,38, wo die signatigenannt werden, die zum Gastmahl Gottes zugelassen sind und splendidas tunicas (2,39) empfangen. Die Auferweckung der Toten steht in 5 Esra also in Zusammenhang mit dem Namen Gottes, der sich wohl in Siegeln darstellt, die die Toten zur Auferweckung und zu einem Leben im Jenseits qualifizieren. Dieser Zusammenhang zwischen Name und Siegel lässt einen Bezug zur Johannesapokalypse (und zum oft diskutierten Zusammenhang zwischen Offb 7 und 14, vgl. 7,3 und 14,1) naheliegend erscheinen.12 An beiden Stellen, in denen die Auferweckung der Toten thematisiert wird, in 5 Esra 2,16 und 2,23, wird deutlich gemacht, dass die Toten nicht selbst auferstehen, sondern von Gott13 auferweckt werden. Über 5 Esra 2,23 (SA): mortuos ubi inveneris signans commenda sepulchro, etdabotibiprimamsessioneminresurrectionemea. 10 So auch Daniélou, Le Ve Esdras, 166. 11 Natürlich kann der Plural signa so gedeutet werden, dass das gleiche Siegel an verschiedenen Toten gemeint ist. Trotzdem ist verwunderlich, dass das Substantiv nicht im Singular angegeben wird (wie in Offb 9,4), wenn an ein festes Zeichen gedacht werden soll (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 813, der vom Kreuzeszeichen ausgeht.). Nicht auszuschließen ist auch, dass signafür Erscheinungen oder Wunder steht wie in 5 Esra 1,35; allerdings lassen 2,38 und die Fassung der französischen Handschriftengruppe eher an Siegelzeichen denken. 12 Myers verweist in seinem Kommentar für 5 Esra 2,16 ebenso auf Offb 14,1 (Myers, I and II Esdras, 150.). 13 Während z.B. im Johannesevangelium Christus sagt, dass er, das Brot des Lebens, die Toten auferwecken werde (vgl. Joh 6,39–54), spricht in 5 Esra Gott selbst davon, dass er die Toten auferwecken werde. Christus in 9

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eine derartige Auferweckung wird auch in Ez 37,12f.14 gesprochen, dort ruhen die Toten aber in tumuli und werden herausgeführt (ἀνάξω), nicht wieder erweckt (resuscitabo).15 Zudem wird kein Zusammenhang mit der Auferstehung Christi hergestellt (vgl. Offb 20). Das Auferwecken in 5 Esra geschieht in ihren monumenta und den loci16, die Wolter im Anschluss an 4 Esra 4,35.41 u.ö. als „Seelenkammern“ identifiziert, die als „jenseitige […] Aufbewahrungsorte der Toten“17 dienen. Für diese Seelenkammern wird in 4 Esra der Ausdruck promptuaria(animarum)verwendet; wie Wolter zu der Identifizierung der loci mit den promptuaria gelangt, gibt er nicht an. Eine einfachere Deutung ist es, an Grablegungen an unterschiedlichen Orten zu denken. Während 5 Esra 2,16 individuelle Auferweckungen vermuten lässt, deutet 2,23 eine zentrale Auferweckung an. Diese Perspektive, die sich in andere Bilder für eine positive Zukunft einreiht, wird der Mutter für ihre Kinder zugesagt – das Charakteristikum dieser ist der Name Gottes, der Israel weggenommen und ihnen geschenkt wurde. Der Name Gottes dient also in 5 Esra 2,16 wie in 1,24 als Identifikationsmerkmal der Glaubenden, noch mehr, wird zur Bedingung für Leben aus dem Tod heraus.

5 Esra als Sprecher anzunehmen würde manche Stellen des Textes erhellen (z.B. 5 Esra 2,5), ergibt sich aus den Formulierungen des Textes aber nicht und erscheint insbesondere im ersten Teil des Textes (5 Esra 1,4–37) nicht naheliegend. 14 Schöpflin verweist darauf, dass hier metaphorische Sprache verwendet wird: „Being dead and lying in the grave describe the status of the exiled people, as living in a foreign country feels like being isolated from God, and as YHWH is the God of life therefore being separated from Him is equivalent to death. Causing the dead to rise out of their graves means to initiate a new exodus […].“ (Schöpflin, Karin, The Revivification of the Dry Bones: Ezekiel 37:1–14, in: Nicklas, Tobias, Reiterer, Friedrich V., Verheyden, Joseph (Hg.), The Human Body in Death and Resurrection (DCLY 2009), Berlin, New York 2009, 67–85, hier 76.). 15 Myers nennt zudem Jes 26,19 und Mt 27,53; dort wird jedoch von der Auferstehung der Toten bzw. Christi gesprochen, was einen anderen Grundgedanken wiedergibt (vgl. Myers, I and II Esdras, 150.). 16 Daniélou sieht hier einen „terme technique pour cercueil, ossuaire“ (Daniélou, Le Ve Esdras, 166.). 17 Wolter, 5. Esra-Buch, 810.

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1.2.3 5 Esra 2,45.47 An zwei weiteren bedeutenden Stellen im Text begegnet der Name Gottes, im Rahmen der 5 Esra abschließenden Vision in 2,45 und 2,47 (nur SA). 5 Esra 2,44 (SA) Tunc interrogavi angelum et dixi: Qui sunt hii, domine? 45 Qui respondens dixit mihi: Hii sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt et confessi sunt nomen Dei; modo coronantur et accipiunt palmas. 46 Et dixi ad angelum: Ille iuvenis quis est, qui eis coronas inponit et palmas in manus tradit? 47 Qui respondens dixit mihi: Ipse est Filius Dei, quem in saeculo confessi sunt. Ego autem magnificare eos coepi, qui fortiter pro nomine Domini steterunt. (CMNEVL) Et interrogavi angelum et dixi, Qui sunt hii? 45 Et respondens dixit mihi, Isti sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt, et confessi sunt nomen Dei. Modo coronantur et accipiunt palmas. 46 Et dixi ad angelum, Quis est iste iuvenis qui eis coronas dat et palmas? 47 Et ille respondit mihi et dixit, Ipse est filius Dei quem confessi sunt in saeculo mortali. Ego vero laudare et magnificare coepi Dominum.

In dieser Vision wird eine große Menge geschildert, die mit Gesängen Gott lobt (2,42). In ihrer Mitte befindet sich ein iuvenis statura (ex)celsus(2,43), der auf die Köpfe ‚jener‘18 Kränzesetzt. Der Zusammenhang ‚jener‘ mit den Versiegelten aus 2,39, den candidati aus 2,40 und der großen Menge aus 2,42 ist komplex – ob alle Begrifflichkeiten für dieselbe Gruppe gedacht sind, soll in einem späteren Abschnitt untersucht werden. ‚Jene‘ werden auf die Rückfrage Esras hin vom angelus interpres dadurch charakterisiert, dass sie die mortalemtunicam abgelegt und die inmortalem angezogen und den Namen Gottes bekannt hätten. Der Gebrauch des Perfekts an dieser Stelle lässt vermuten, dass eine Abgrenzung von irdischer und jenseitiger Welt und Zeit vorgenommen werden soll. ‚Jene‘ sind dabei wohl als Tote zu verstehen, die von Gott auferweckt wurden (vgl. 2,16.23) – 5 Esra 2,45 kann so als Vollzug von 2,16 verstanden werden. Es ergibt sich somit die Frage, ob das Tragen des Namens Gottes, von dem in 2,16 gesprochen wird, Während die französischen Handschriften von singulis capitibus sprechen, nennen die spanischen Handschriften coronassingulas.In dieser Version erhalten wohl alle aus der Menge Kränze; in der französischen Version sind zwei Deutungsmöglichkeiten gegeben (‚einzelne aus der Menge‘ oder ‚jedem einzelnen‘). Ausgehend vom Hintergrund der spanischen Fassung werden aber auch hier m.E. allen Einzelnen Kränze aufgesetzt. 18

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Bedingung für die Auferweckung ist oder ob dies vielmehr das Bekenntnis des Namens (2,47) ist, das vielleicht zu einem Siegel (vgl. 5 Esra 2,16.23 verknüpft mit Offb 14,1) berechtigt. Wird das Bekenntnis zur Bedingung des Lebens, dann wäre die Auferweckung der Toten automatisch mit ihrem Eingehen in die caelestiaregna(2,37) und mit der dortigen Bekränzung verbunden. Die Verbindung mortalis – inmortalis und confiteri führt dazu, dass in 5 Esra 2,45–47 eine Bezugnahme auf Märtyrer angenommen wird.19 Jedoch ist es nicht notwendig zu implizieren, dass das Bekennen des Namens zum Tod der Glaubenden geführt habe; hier können auch zwei Tatsachen (der Tod und das Bekennen) nebeneinander angeführt sein.20 Die Bekränzung ‚jener‘ und das Verleihen von Palmzweigen21 kann je nach Deutungsweise die Belohnung für das im ‚Diesseits‘ erlittene Martyrium sein oder die Gewährung der prächtigen Zukunft, die der Mutter der Kinder in 2,10–32 verheißen wurde22. Mit Kränzen und Palmzweigen steht der große bzw. erhabene junge Mann in Verbindung, der in 2,47 als „Sohn Gottes“ identifiziert wird. Er wird, nachdem in 2,45 vom (preisenden)23 Bekennen des Namens Gottes gesprochen wurde, überraschenderweise in 2,47 als der filius Dei eingeführt, quem confessi sunt in saeculo mortali. Diese Formulierung kann auf zwei Arten verstanden werden: Es kann eine Gleichstellung des Sohnes mit dem Namen Gottes24 angenommen 19 Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 819; Knibb, Second Book, 100; Daniélou, Le Ve Esdras, 171. 20 Zudem wird der Mutter in 5 Esra 2,28–30 explizit von Gott zugesichert, dass er sie und ihre Kinder schützen werde. 21 Palmwedel sind Teil des Laubhüttenfests (vgl. Lev 23,40) und „ab der Makkabäerzeit Siegessymbol“ (Frevel, Christian, Palme, in: LThK 7 (1998), 1302.), was sich in Offb 7,9 niederschlägt. 22 Dabei kann (mit Offb 2,10 im Hintergrund) speziell an die Gabe des Lebens gedacht werden, die in 5 Esra 2,16 zugesagt wurde. 23 Vgl. diese Bedeutung von confiteorin 1 Chr 16,8; Ps 9,2; Jes 12,4. Im Georges wird angegeben: „insbes. (bei den Eccl.) sich zu jmd. od. etw. bekennen, bes. preisend, lobend, dankend, Christum, Prud. perist. 5, 40: deum summum, Lact. 2, 1, 6: omne euangelium (Ggstz. negare unum euangelium), Tert. de cor. 11. – mit Dat., tibi, domine, Vulg. psalm. 137, 1: nomini tuo, ibid. 141, 8“ (Georges, Band 1, 1453.). 24 Diese Gleichstellung wäre sehr ungewöhnlich. Selbst im Johannesevangelium „nennt sich der Sohn niemals das ὄνομα des Vaters“ (Untergaßmair, Franz Georg, Im Namen Jesu. Der Namensbegriff im Johannesevangelium,

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werden, die jedoch verwundern würde, nachdem dieser im gesamten vorherigen Text nicht genannt wurde. Es ist aber auch möglich, das Relativpronomen quem auf das näherliegende Substantiv Dei zu beziehen25 („er ist der Sohn des Gottes, den…“), wodurch eine Kongruenz (und gleichzeitig eine Wiederholung) zu 2,45 gegeben wäre. Dies wäre auch stimmiger in Bezug auf den Folgesatz desselben Verses26, der sich kaum erklären lässt, wenn man den „Sohn Gottes“ nicht völlig mit dem Namen Gottes gleichsetzen will.27 Der Name Gottes, den Gott in den Verstorbenen erkannte (2,16.23), soll dem ‚anderen Volk‘ durch die Verstoßung und Ersetzung Israels zuteil werden (1,24). Er stellt eine Gabe für das Volk dar, die ihm die Nähe zu Gott bescheinigt. Er ermöglicht Leben nach dem Tod, berechtigt zum Leben in den caelestiaregna(2,45.47),sein Bekenntnis wird zum Beweis des Glaubens und zum Identifikationsmerkmal der Glaubenden und ermöglicht Herrlichkeit durch die Bekränzung durch den „Sohn Gottes“ selbst. Der Name Gottes bildet in 5 Esra somit ein zentrales Motiv und steht für die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk, die Heil und Leben ermöglicht (vgl. Joh 17,26). 1.3 OffenbarungdesJohannes Wie in 5 Esra lassen sich auch in der Offenbarung des Johannes zwei große Verwendungsweisen des Begriffs „Name“ erkennen: Zum einen dient der Name Gottes – und hier auch der Name Christi – als Erkennungs- und Identitätszeichen, zum anderen wird das Bekenntnis zu und das Einstehen für den Namen Gottes bzw. Christi gefordert und belohnt. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie zu den johanneischen Namensaussagen (FzB 13), Stuttgart, Würzburg 1973, 93.), sondern partizipiert nur am Namen (vgl. Joh 17,11). 25 Vgl. hierzu auch Kraft, Exploring, 160. 26 SA: Ego autem magnificare eos coepi, qui fortiter pro nomine Domini steterunt. CMNEVL: EgoverolaudareetmagnificarecoepiDominum. Auch starepromuss nicht bedeuten, in einer schwierigen Situation „einzustehen“ für etwas und so auf Märtyrer hinweisen; die Wendung ist laut Georges verbreitet für „auf der Seite sein von“ (vgl. Georges, Band 2, 2808f.). 27 Draper verweist darauf, dass in der Offb Christus mit dem Namen Gottes gleichgesetzt wird (vgl. Draper, J. A., The Heavenly Feast of Tabernacles: Revelation 7.1–17, in: JSNT 19 (1983), 133–147, hier 135.). Dies kann auch in 5 Esra der Fall sein, ist durch die dort kaum ausgestaltete Rolle des „Sohnes Gottes“ aber eher unwahrscheinlich.

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Stärker als 5 Esra arbeitet die Apokalypse mit bildhaften Darstellungen. So wird die Zugehörigkeit der Glaubenden zu Gott, die sich im Namen ausdrückt, nicht nur in sprachlichen Formeln wie in 5 Esra 1,24 (daboeisnomenmeum)ausgedrückt, sondernexplizit als Schrift auf den Glaubenden abgebildet. Dies zeigt sich an verschiedenen Stellen in der Offenbarung, in Offb 3,12; 14,1; 22,4.28 1.3.1 Der Name als Identitätszeichen Offb 3,12 (NA) Ὁ νικῶν ποιήσω αὐτὸν στῦλον ἐν τῷ ναῷ τοῦ θεοῦ μου καὶ ἔξω οὐ μὴ ἐξέλθῃ ἔτι καὶ γράψω ἐπ‘ αὐτὸν τὸ ὄνομα τοῦ θεοῦ μου καὶ τὸ ὄνομα τῆς πόλεως τοῦ θεοῦ μου, τῆς καινῆς Ἰερουσαλὴμ ἡ καταβαίνουσα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ μου, καὶ τὸ ὄνομά μου τὸ καινόν.

Im Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia wird ‚dem Siegenden‘ angekündigt, dass er zu einer Säule im Tempel werden solle29 und die Namen Gottes, des Neuen Jerusalems und der neue Name Christi30 auf ihn geschrieben werden. Die Zusage des Überwinderspruchs, dass drei Namen auf die Glaubenden geschrieben werden sollen, steht einerseits mit einer vorhergehenden Aussage im Sendschreiben In diesem Abschnitt werden die aus der Apokalypse zitierten Verse nur auf Griechisch (nach NA 28) angegeben, da keine wörtlichen Übereinstimmungen mit 5 Esra gegeben sind. 29 Diese Verheißung ist metaphorisch zu verstehen (vgl. Gal 2,9; 1 Tim 3,15); dies ist schon deshalb anzunehmen, weil im Neuen Jerusalem, dem Ort der Verheißung, kein Tempel sein wird (Offb 21,22). Nicklas erklärt dies so: „Während die immer wieder für die Vision des himmlischen Jerusalem entscheidenden Subtexte aus dem Ezechielbuch als Höhepunkt auf den Einzug der Herrlichkeit Gottes in den Tempel des erneuerten Jerusalem hinauslaufen, liegt die entscheidende Innovation der Offenbarung des Johannes darin, dass es einen Tempel in der endzeitlichen Gottesstadt nicht mehr gibt. Der Zugang zur Herrlichkeit Gottes – über das Böcklein – ist unmittelbar und allen zugänglich, nicht nur einem ausgewählten Vertreter des Volkes zu besonderen Zeiten.“ (Nicklas, Tobias, Die Himmelsstadt als Neue Schöpfung: Das Neue Jerusalem der Offenbarung des Johannes, in: Dietl, Albert u.a. (Hg.), Utopie, Fiktion, Planung. Stadtentwürfe zwischen Antike und Früher Neuzeit (Forum Mittelalter-Studien 9), Regensburg 2014, 149–162, hier 159f.). 30 Die Namen Gottes, Jerusalems und Christi bilden eine Einheit und eine Linie; sie drücken „the intimate, latter-day presence of God and Christ with their people“ aus (Beale, Gregory K., The Book of Revelation. A Commentary on the Greek Text (NIGTC), Grand Rapids 1999, 293.). 28

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in Zusammenhang, in der Christus hervorhebt, dass die Gemeinde in Philadelphia seinen Namen nicht geleugnet habe (Offb 3,8), zum anderen mit Offb 14,1 und 22,4, in denen die Kennzeichnung der Glaubenden mit dem Namen Gottes beschrieben ist (vgl. auch Offb 7,3ff.). Der Name Christi bzw. die Namen haben hier also eine doppelte Funktion: Sie dienen der Prüfung der Glaubenden, indem deren Bekenntnis zu Christus ihre Treue im Glauben aufweist, und stellen gemeinsam mit dem Namen Gottes und dem Namen des Neuen Jerusalems die Verheißung eines Lebens im Neuen Jerusalem dar. Das Schreiben der Namen auf die Glaubenden durch Christus zeigt ihre Zugehörigkeit zu Gott und Christus und bürgt dafür, dass ihnen in der Stadt Gottes Heil zuteilwerden wird: „That is, never denying Christ‘s „name“ now (3:8; cf. v 10) and persevering through tribulation (vv 10–11) are the basis for inheriting the reward of everlasting identification with Christ‘s „new name“ after death.“31 Die Namen werden also zum Identitätszeichen und garantieren gleichzeitig eine heilvolle Zukunft. Durch die doppelte Bezugnahme im Überwinderspruch in Offb 3,12 auf das Neue Jerusalem wird ein Bezug zu Offb 22,4 erkennbar, wo die „Knechte Gottes“ (22,3), die im Neuen Jerusalem leben, den Namen Gottes auf ihrer Stirn tragen (22,4): Offb 22,3 καὶ πᾶν κατάθεμα οὐκ ἔσται ἔτι. καὶ ὁ θρόνος τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου ἐν αὐτῇ ἔσται, καὶ οἱ δοῦλοι αὐτοῦ λατρεύσουσιν αὐτῷ 4 καὶ ὄψονται τὸ πρόσωπον αὐτοῦ, καὶ τὸ ὄνομα αὐτοῦ ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν.

Die Kapitel 21 und 22 der Offenbarung enthalten eine Schilderung des Neuen Jerusalems und der Lebensgemeinschaft der Christen mit Gott und dem Lamm darin; dort sind also die Verheißungen der Sendschreiben erfüllt.32 Die δοῦλοι, die dort Gott bzw. dem Lamm33 Beale, Revelation, 293. Die Anwesenheit der Völker und der Knechte Gottes ist jedoch noch immer im Futur angegeben: περιπατήσουσιν τὰ ἔθνη (Offb 21,24); οἱ δοῦλοι αὐτοῦ λατρεύσουσιν αὐτῷ (22,3). 33 Offb 22,3: καὶ ὁ θρόνος τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου ἐν αὐτῇ ἔσται, καὶ οἱ δοῦλοι αὐτοῦ λατρεύσουσιν αὐτῷ. Αὐτῷ kann sich hier auf Gott und das Lamm beziehen. Der Ausdruck „sein Angesicht sehen“ und die Fortsetzung in 22,5 (ὅτι κύριος ὁ θεὸς φωτίσει ἐπ‘ αὐτούς) legen aber nahe, dass die Knechte Gott dienen und seinen Namen auf ihrer Stirn tragen. Beale jedoch geht davon 31

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dienen und ihn bzw. es verehren werden, werden charakterisiert als diejenigen, die Gottes Angesicht sehen und seinen Namen auf ihrer Stirn tragen (22,4).34 Die Namen des Lammes und seines Vaters sind in 22,4 bereits auf ihre Stirn geschrieben, was wohl die Erfüllung der Zusage aus 3,12 deutlich machen soll. An dieser Stelle erfolgt keine weitere Charakterisierung der δοῦλοι αὐτοῦ, auch das Schauen Gottes35 ist wohl eher als Heilszusage und weniger als Charakterisierung aufzufassen. Demzufolge dient der Name auf der Stirn der Knechte Gottes hier als alleiniges Identitätsmerkmal und Zeichen für die Zugehörigkeit zu Gott36 und den Zugang zum Heil. Die Gleichsetzung der „Knechte“ mit denen, die den Namen Gottes auf der Stirn tragen, schlägt eine Linie zu Offb 7,3, wo das Siegel den δούλους τοῦ θεοῦ ebenfalls auf die Stirn aufgetragen wird, aber auch zu Offb 14,1 und den 144000 auf dem Berg Zion. Die Vision des Johannes in Offb 14 schließt sich an die Abbildung des Tieres aus dem Meer in Kapitel 13 an, das Gott lästert und von denen angebetet wird, deren Name nicht ἐν τῷ βιβλίῳ τῆς ζωῆς τοῦ ἀρνίου (13,8) aufgeschrieben ist, und an die des Tieres vom Land im gleichen Kapitel, das die Menschen zwingt, sich ein Zeichen, τὸ ὄνομα τοῦ θηρίου ἢ τὸν ἀριθμὸν τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ (13,17), auf die rechte Hand oder die Stirn machen zu lassen. Der Name des Tieres aus dem Meer, der zum Zeichen wird, wird in der Offb doppelt kontrastiert: Einerseits durch das Zeichen (= Siegel) Gottes in 7,2ff., andererseits durch Offb 14,1–5, wo die Menge den Namen Gottes auf der Stirn trägt. Offb 14,1 Καὶ εἶδον, καὶ ἰδοὺ τὸ ἀρνίον ἑστὸς ἐπὶ τὸ ὄρος Σιὼν καὶ μετ‘ αὐτοῦ ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες ἔχουσαι τὸ aus, dass Gott und das Lamm eine derartige Einheit bilden, dass mit dem singulären Personalpronomen beide gemeint sind (vgl. Beale, Revelation, 1113.). 34 Sie werden bereits in Offb 1,1 zu den Empfängern der Botschaft Christi, in 7,3 wird ihre Versiegelung angekündigt, in 22,6 werden sie erneut als Adressaten der Offenbarung benannt. Sie sind diejenigen, die den Sieg errungen haben (vgl. auch 21,7) und den Anforderungen der Sendschreiben gerecht wurden, die zu Gott gehören und die nun „eternal life, abundant provisions, complete healing, and absolute security“ erhalten (Osborne, Grant R., Revelation (BECNT), Grand Rapids 2002, 773.). 35 Vgl. Ps 11,7; 42,3; Mt 5,8; 4 Esra 7,98. 36 Beale erklärt: „The assertion that ,his name [will be] on their foreheads‘ intensifies the notion of intimate fellowship with God.“ (Beale, Revelation, 1114.).

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ὄνομα αὐτοῦ καὶ τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς αὐτοῦ γεγραμμένον ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν.

In Offb 14,1–5 wird eine Menge von 144000 geschildert, die sich, vom Lamm begleitet, auf dem Berg Zion befindet. Die 144000 werden beschrieben als diejenigen, die „den Namen des Lammes und den Namen seines Vaters“ auf der Stirn tragen. Es ist auffällig, dass an allen drei bisher behandelten Stellen der Offb unterschiedliche Namen gebraucht wurden: In 3,12 werden der Name Gottes, des Neuen Jerusalems und der neue Name Christi genannt, in 22,4 der Name αὐτοῦ, was sich auf Gott oder auf Gott und das Lamm bezieht, in 14,1 der Name des Lammes und seines Vaters. Gleichzeitig wird ein klarer Zusammenhang geschaffen, indem der Name jeweils auf die Stirn der Glaubenden geschrieben ist und ein Bezug zum Neuen Jerusalem hergestellt wird.37 Die im Brief an Philadelphia in 3,12 geforderte Treue der Glaubenden, die in 22,4 im Neuen Jerusalem belohnt wird, wird in 14,1–5 aufgezeigt; der Name des Lammes und seines Vaters auf den Stirnen der 144000 dient dabei erneut als einziges Identitätszeichen. 1.3.2 Die Treue zum Namen In der Offenbarung des Johannes ist noch eine zweite bedeutende Verwendungsweise der „Namen“ erkennbar: So wie in der 5 Esra abschließenden Vision diejenigen gerühmt werden, die den Namen Gottes bekannt haben (2,45.47), werden in Offb 2,3.13; 3,8; 11,18 diejenigen gelobt und gepriesen, die den Namen Gottes bzw. Christi fürchten und ihm die Treue halten. Die ersten drei Beispiele, Offb 2,3.13; 3,8 sind Teil der Sendschreiben an Ephesus, Pergamon und Philadelphia. Offb 2,2 οἶδα τὰ ἔργα σου καὶ τὸν κόπον καὶ τὴν ὑπομονήν σου καὶ ὅτι οὐ δύνῃ βαστάσαι κακούς, καὶ ἐπείρασας τοὺς λέγοντας ἑαυτοὺς ἀποστόλους καὶ οὐκ εἰσὶν καὶ εὗρες αὐτοὺς ψευδεῖς, 3 καὶ ὑπομονὴν ἔχεις καὶ ἐβάστασας διὰ τὸ ὄνομά μου καὶ οὐ κεκοπίακες. Zwar wird in 14,1 nur vom Berg Zion gesprochen, doch deuten der Erzählzusammenhang und die Beschreibung der 144000 als die, die „von der Erde losgekauft sind“ (14,3), an, dass nicht vom irdischen, sondern vom himmlischen Zion die Rede ist. Vgl. auch Hebr 12,22 (EIN): „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung […]“. 37

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Offb 2,3 ist Teil des ersten Sendschreibens, das an die Gemeinde in Ephesus gerichtet ist. Christus lobt die Gemeinde für ihre Werke und ihre Standhaftigkeit, die sich darin zeige, dass sie διὰ τὸ ὄνομά μου38 ertrage und nicht müde geworden sei (2,3). Der Name Christi steht hier wie auch schon in Offb 3,8 für Christus selbst39, aber auch für die Beziehung der Glaubenden zu Christus, zu der sie Treue beweisen; die Formulierung legt nahe, dass sie durch ihren Bezug zu Christus Unannehmlichkeiten erdulden mussten. Die verstärkende Reihung „Standhaftigkeit – ertragen – nicht müde werden“ deutet zudem einen längeren Prozess an, in dem das Ausharren der Gemeinde gefordert ist und der auf das Leben der Gemeinde Einfluss nimmt. Dies unterstreicht die Bedeutung des Namens einerseits für die Gemeinde selbst, andererseits für ihre implizierten Gegner: Die Verbindung der Gemeinde mit Christus und ihre Treue zu ihm zeigen sich im Ertragen um seines Namens willen. In eine ähnliche Richtung wie Offb 2,3 geht auch Offb 2,13, das Lob Christi für die Gemeinde in Pergamon im dritten Sendschreiben: Offb 2,13 οἶδα ποῦ κατοικεῖς, ὅπου ὁ θρόνος τοῦ σατανᾶ, καὶ κρατεῖς τὸ ὄνομά μου καὶ οὐκ ἠρνήσω τὴν πίστιν μου καὶ ἐν ταῖς ἡμέραις Ἀντιπᾶς ὁ μάρτυς μου ὁ πιστός μου, ὃς ἀπεκτάνθη παρ‘ ὑμῖν, ὅπου ὁ σατανᾶς κατοικεῖ.

Der Brief an die Gemeinde in Pergamon wird durch die Zusicherung Christi begonnen, dass er wisse, wo die Gemeinde wohne: Dort, wo ὁ θρόνος τοῦ σατανᾶ sei. Trotz dieser Nähe zum „Thron des Satan“ bewahre (Präsens) sie den Namen Christi und habe den Glauben an ihn nicht geleugnet (Aorist). Der Name Christi steht in diesem Vers erneut stellvertretend für die Beziehung zwischen Christus40 und den Glaubenden und findet ein Synonym im πίστις μου, also im Glauben 38 Vom Ertragen um des Namens Christi willen sprechen auch apokalyptisch geprägte Aussagen der Synoptiker wie in Mk 13,13 und Lk 21,17–19 (vgl. auch Satake, Offenbarung, 156.). 39 Ulland hebt ebenso hervor, dass in der Offb der Name „mehr ist, als nur eine Bezeichnung. Der Name hat symbolische Kraft, die – in diesem Fall [d.h. in Offb 2,3; VH] – die Person des Offenbarers vollgültig repräsentiert.“ (Ulland, Harald, Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes. Das Verhältnis der sieben Sendschreiben zu Apokalypse 12–13 (TANZ 21), Tübingen 1997, 58.). 40 Satake (164) bekräftigt: „[…] ‚mein Name‘ ist mit ‚ich‘ identisch.“

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an41 Christus. Wie auch in Offb 2,3 ist der Name verknüpft mit der Treue der Gemeinde in ihrem Glauben, zugleich wird er an dieser Stelle, ähnlich wie in 5 Esra 2,47, mit einem Bekenntnis (οὐκ ἠρνήσω) verbunden, das in einer bedrohlichen Situation erfolgte. Das Urteil Christi über die Gemeinden, das auch zum Urteil über Leben und Tod wird, wird im Brief an Pergamon ebenso wie im Brief an Ephesus anhand deren Treue zum Namen Christi gefällt, in der sich die Verbundenheit mit Christus und ihr Glaube zeigen. Dies bestätigt sich ein drittes Mal im Sendschreiben an Philadelphia. Offb 3,8 οἶδά σου τὰ ἔργα, ἰδοὺ δέδωκα ἐνώπιόν σου θύραν ἠνεῳγμένην, ἣν οὐδεὶς δύναται κλεῖσαι αὐτήν, ὅτι μικρὰν ἔχεις δύναμιν καὶ ἐτήρησάς μου τὸν λόγον καὶ οὐκ ἠρνήσω τὸ ὄνομά μου.

Der Beginn des ‚Lob-Teils‘ dieses Sendschreibens weist eine Besonderheit auf. Statt als Fortsetzung der Formel οἶδά σου τὰ ἔργα (vgl. 2,2) die Werke der Gemeinde zu benennen, spricht Christus hier in einer Parenthese von seiner Tat für die Gemeinde: Er habe der Gemeinde eine offene Tür gegeben, die niemand schließen könne. Als Begründung gibt Christus an, dass die Gemeinde trotz ihrer geringen Kraft sein Wort bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet habe (beides im Aorist). Die Formulierung aus 2,13 (οὐκ ἠρνήσω τὴν πίστιν μου) wird hierbei wiederholt, dabei wird jedoch der „Glaube“ (2,13) durch den „Namen“ (3,8) ersetzt; dass diese zwei Begriffe anscheinend austauschbar sind, unterstreicht ihre enge Verbindung. Das Nicht-Verleugnen des Namens Christi deutet ein Bekenntnis der Gemeinde an, wie es auch in Offb 2,13 und 5 Esra 2,45.47 angesprochen wird; dieses ist wie im vorherigen Brief Hauptinhalt des Lobes Christi für die Gemeinden und Sinnbild für ihre Treue im Glauben. Ein letztes Beispiel bildet Offb 11,18, das den Namen Gottes in den Blick nimmt: Offb 11,18 καὶ τὰ ἔθνη ὠργίσθησαν, καὶ ἦλθεν ἡ ὀργή σου καὶ ὁ καιρὸς τῶν νεκρῶν κριθῆναι καὶ δοῦναι τὸν μισθὸν τοῖς δούλοις σου τοῖς προφήταις καὶ τοῖς ἁγίοις καὶ τοῖς φοβουμένοις τὸ ὄνομά σου, τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους, καὶ διαφθεῖραι τοὺς διαφθείροντας τὴν γῆν.

Das Gebet der vierundzwanzig Ältesten vor Gott in 11,17f. ist die Reaktion auf das Blasen der siebten Posaune, mit der der endgültige Eine zweite Verständnismöglichkeit dieses Ausdrucks ist, dass der Glaube gemeint ist, der von Christus kommt.

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Herrschaftsantritt Gottes und Christi verkündet wird (11,15). Die vierundzwanzig Ältesten bringen Gott ihren Dank entgegen, der sich auch auf den Lohn bezieht, der mit dem Kommen des Zornes Gottes (11,18) den Knechten, Propheten, Heiligen, denen, die „deinen Namen fürchten“, den Kleinen und den Großen, gegeben wird42. Die Verbindung zwischen diesen ‚Gruppen‘, die erneut, aber ohne Propheten und Heilige, in Offb 19,5 begegnen, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt: Während manche (vgl. Osborne, Revelation, 446.) δοῦλοι als Oberbegriff verstehen, der in Propheten und Heilige untergliedert wird (vgl. Offb 16,6; 18,24), verbinden andere (vgl. Mounce, Robert H., The Book of Revelation (NICNT 17), Grand Rapids 1977, 227.) die Begriffe Knechte und Propheten („deine Knechte, die Propheten“) und sehen die Heiligen als zweite Gruppe. Diese zweite Deuteweise schließt Satake aufgrund von Offb 19,5 aus, wo Propheten und Heilige fehlen, aber die Knechte genannt werden (vgl. Satake, Offenbarung, 275.). Ebenso werden die, die den Namen Gottes fürchten, von manchen Forschern als die Heiligen identifiziert, die so näher beschrieben werden (vgl. Osborne, Revelation, 447; Mounce, Book, 227.), während Satake, ebenso wie Beale, eine Gesamtumschreibung der Christen annimmt (vgl. Satake, Offenbarung, 276; Beale, Revelation, 617.). In Offb 19,5 ist statt τὸ ὄνομά σου Gott selbst eingesetzt, wodurch sich dieser Vers zusätzlich von den Sendschreiben unterscheidet, in denen der Name Christi angesprochen wurde (vgl. auch Offb 15,4: τίς οὐ μὴ φοβηθῇ, κύριε, καὶ δοξάσει τὸ ὄνομά σου […]. Dieser Vers zeigt die enge Verbindung zwischen Gott und seinem Namen, die quasi synonym verwendet werden.). Die Gottesfürchtigen (Offb 19,5), mit denen die, „die deinen Namen fürchten“ (11,18), in der Forschung gleichgesetzt werden, sind in den Psalmen diejenigen, die ein besonderes Gottesverhältnis haben, die Frommen der Gemeinde. In der dtn-dtr Literatur sind damit die gemeint, die Gott lieben und seinen Geboten folgen (vgl. Wanke, Günther, φοβέω, φοβέομαι, φόβος, δέος. B. φόβος und φοβέομαι im Alten Testament, in: ThWNT 9 (1973), 194–201, hier 198f.). Als terminustechnicus wurde der Begriff aber auch für ‚Heiden‘ verwendet, die nicht zum Judentum konvertiert sind, sich jedoch „an einen Teil der mosaischen Gesetze halten“ (Balz, Horst, φοβέω, φοβέομαι, φόβος, δέος. C. Die Furcht im palästinischen und hellenistischen Judentum; D. Die Wortgruppe im Neuen Testament, in: ThWNT 9 (1973), 201–214, hier 203; s. auch 209.) (vgl. Apg 10,2.22; 13,16.26). Auf dieser Basis sieht Aune bei denen, die „deinen Namen fürchten“ (Offb 11,18), einen Bezug zu Heidenchristen gegeben (vgl. Aune, Revelation 6–16, 645.). Ebenso sieht Charles hier eine Unterscheidung von Juden- (= Heilige) und Heidenchristen (= die, die Gott fürchten) vorgenommen (vgl. Charles, Robert H., A critical and exegetical Commentary on the Revelation of St. John with Introduction, Notes, and Indices also the Greek text and English 42

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Offb 11,18 unterscheidet sich von den drei vorherigen Versen der Sendschreiben dadurch, dass der Name Gottes thematisiert wird, nicht der Name Christi. Dennoch gibt es zwei bedeutsame Punkte, die diesen Vers mit den drei vorherigen Stellen verbinden: Der Glaube der Anhänger Gottes zeigt sich auch hier dadurch, dass dem „Namen“ Ehre und Treue erwiesen wird und wurde; dabei steht der Name stellvertretend für Gott und das Verhältnis der Glaubenden zu ihm. Gleichzeitig werden die, die so ihre Treue und ihren Glauben bewiesen haben, hervorgehoben und belohnt. Das Bekenntnis des Namens, das in 5 Esra sehr explizit betont wird, wird auch in Offb 11,18 nicht genannt, doch zeigt sich hier erneut die große Bedeutung und zentrale Rolle der Namen in der Offenbarung des Johannes. 1.4 Teilfazit Der Vergleich der Verwendung des sehr verbreiteten Begriffs „Name“ in der Offenbarung des Johannes und in 5 Esra zeigt überraschend deutliche Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Texten auf. In beiden Büchern lassen sich an mehreren Stellen zwei konkrete Hauptverwendungsweisen erkennen: Zum einen dient der Name Gottes bzw. der Name Christi als Identifikationsmerkmal. Durch ihn wird in 5 Esra das ‚andere Volk‘ zum Volk Gottes (1,24), er macht die für die Auferweckung bestimmten Toten erkennbar (2,16); der Name kennzeichnet die Knechte Gottes im Neuen Jerusalem (Offb 22,4) und die 144000, die mit dem Lamm auf dem Berg Zion stehen (Offb 14,1). Der Name erhält in beiden Texten einen besonderen Stellenwert, da durch ihn Zugehörigkeit ausgedrückt wird und er immer wieder als einziges Erkennungszeichen für die Glaubenden genannt wird – anhand des Namens lässt sich erkennen, wer zu Gott gehört. Zum anderen fällt auf, dass der ‚Name‘ stellvertretend für Gott (und Christus), aber auch für die Beziehung zwischen Gott, Christus (in der Offb) und den Glaubenden gebraucht wird. Anhand des Verhaltens gegenüber dem Namen wird deutlich, in welcher Beziehung die Glaubenden zu Gott bzw. Christus stehen, wie tief ihr Glaube ist. Dabei wird sowohl in der Offb als auch in 5 Esra das Bekenntnis der Glaubenden gefordert und gelobt (5 Esra 2,45.47; Offb 3,8). Der Name, der in Offb 2,3.13 zum Konfliktpunkt wird, ist gleichzeitig translation, Vol. 1 (ICC), Edinburgh 1963, 296.); dem widersprechen diejenigen, die in den fünf Begriffen eine Gesamtumschreibung der Christen sehen.

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auch Verbindungspunkt zu den Belohnungen, die den Glaubenden zuteilwerden sollen. Er verspricht eine sorglose Zukunft (5 Esra 1,24), garantiert ein Leben im Neuen Jerusalem (Offb 3,12; 22,4) und gewährt Leben statt Tod (5 Esra 2,16; Offb 3,12). Inhaltlich gesehen, also von der Verwendungsweise des Begriffs her, lassen sich deutliche Übereinstimmungen im Konzept der beiden Texte wahrnehmen. Doch ist ebenso festzuhalten, dass keinerlei sprachliche Bezugnahmen zwischen den Texten zu finden sind. Auch die Erlösungskonzepte unterscheiden sich klar, zudem ist in 5 Esra nur vom Namen Gottes die Rede, nicht vom Namen Christi43 oder Jerusalems. In der Offenbarung spielt die Ersetzung Israels durch ein ‚anderes Volk‘ keine Rolle und auch ein direktes Bekennen des Namens wird zwar angedeutet, aber nicht explizit ausgedrückt; stattdessen wird das Motiv der Siegel dort breit behandelt, das in 5 Esra eher implizit ist. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass hier nur auf einzelne Verwendungsweisen des ‚Namens‘ eingegangen wurde, während sich in der Offb noch viele weitere finden lassen, die nicht untersucht wurden, weil sie in 5 Esra keine Entsprechung besitzen. Insgesamt kann also gesagt werden, dass sich anhand der Verwendung des ‚Namens‘ keine direkte Bezugnahme der beiden Texte aufweisen lässt, aber dass sich dennoch Linien und Konzepte erkennen lassen, die die beiden Texte miteinander verbinden und die darauf hinweisen, dass es Bezüge zwischen den Schriften gibt. 2 DerBaumdesLebens Der Baum des Lebens (ξύλον τῆς ζωῆς; lignumvitae) ist ein verbreitetes, aber nicht häufiges Motiv in frühjüdischen und -christlichen Schriften. Die bekannteste Verwendung des Motives findet sich in Gen 2,9ff. mit der Darstellung des Baums des Lebens im Paradiesgarten. Weitere Belegstellen sind Spr 3,18 u.ö.; PsSal 14,2–3.10; 4 Esra 8,52; 1 Hen 24,4ff.; 2 Hen 8,3–7; ApkMos 9,28 u.ö. und TestLev 18,10ff. Die eher seltene Bezeugung und die Auffälligkeit, dass sich das Motiv sowohl in der Offenbarung des Johannes als auch in 5 Esra – dort jedoch ausschließlich in Handschrift S, während Handschrift A nur das 43 Es ist jedoch möglich, dass in 5 Esra, ähnlich wie in der Offb (vgl. z.B. Offb 1,17; 22,1), eine „Untrennbarkeit von Christus und Gott“ angenommen wird (Satake, Offenbarung, 90.).

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Wort lignumenthält – findet, lassen es sinnvoll erscheinen zu untersuchen, ob hier eine Bezugnahme 5 Esras auf die Offb vorliegen könnte, die sich auf der kontextuellen Ebene zeigt. Der Baum des Lebens erscheint in der Offb viermal, in Offb 2,7; 22,2.14.19, also im Schreiben an die Gemeinde in Ephesus und in der Beschreibung des Neuen Jerusalems (Offb 21,9–22,5). In 5 Esra wird er nur einmal genannt, in 5 Esra 2,12. Während dieses Motiv in der Offenbarung also wiederholt und in unterschiedlichen Kontexten zu finden ist, spielt es in 5 Esra eine untergeordnete Rolle, steht aber dennoch an einer bedeutenden Stelle im Text. 2.1 5Esra In 5 Esra lassen sich, wie bereits beschrieben, zwei größere Abschnitte unterscheiden: Im ersten Abschnitt, 5 Esra 1,4–2,9, stehen das Volk Israel und sein Verhältnis zu Gott im Fokus. Israels beständige Sündhaftigkeit wird von Gott angeklagt und führt diesen zu der Entscheidung, Israel zu verstoßen und ein ‚anderes Volk‘ (CMNEVLK) bzw. ‚andere Völker‘ (SA) zu erwählen. Das Ausmaß der Untaten Israels, die radikale Veränderung der Situation und die Entschlossenheit Gottes, Israel zu verlassen, werden in diesem ersten Abschnitt klar aufgezeigt. Mit 5 Esra 2,10 beginnt ein zweiter, sich vom ersten Teil abgrenzender Abschnitt: Die Blickrichtung Gottes verändert sich, Israel rückt aus dem Fokus und scheint als verstoßen zu gelten. Das kommende Volk wird von Gott als populusmeus angesprochen, stellt nun also sein Volk dar. Der Abschnitt beginnt damit, dass Gott Esra erneut einen Verkündigungsauftrag erteilt44: Das kommende Volk soll die Güter erhalten, die für Israel bestimmt waren. Diese sind das regnum45 Hierusalem, das von Israel46 an das Dieser wird mit den Worten haecdicitDominuseingeleitet, wie es auch in 1,15.28.33 u.a. der Fall ist. Verkündigungsaufträge ergehen auch in 1,5 und 2,48 an Esra, dort tritt zum Imperativ adnuntia bzw. et nuntia jedoch der Imperativ vade.Alle drei Stellen – eine ganz zu Beginn des Textes, eine ganz am Ende des Textes, eine in der Mitte – verbindet aber der Ausdruck nuntiapopulomeo(nuntia mit und ohne Präfix). 45 In 2,13 wird erneut das regnum aufgegriffen. Zumindest in der spanischen Handschriftengruppe (2,13: iamenimparatumestregnummeumadvenire) ist zu bezweifeln, dass noch immer vom regnumHierusalem die Rede ist; statt „Reich“ könnte hier als Übersetzung „Herrschaft“ gewählt werden. 46 Obwohl Israel also gleichsam als aufgehoben dargestellt wird, wird es schon mit 2,10 wieder genannt. 44

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kommende Volk übergehen soll, die gloria Israels (vgl. 2,36) und die tabernaculaaeterna (vgl. Lk 16,9; 1 Hen 39,4).In diese Reihe fügt sich in 5 Esra 2,12 der lignumvitaeein. Der Baum des Lebens steht also im Kontext der Kontrastierung des Schicksals Israels und des kommenden Volkes. Die genannten Güter werden so als besonders wertvoll eingestuft und symbolisieren das Ausmaß des Verlustes Israels. Gleichzeitig leiten diese Verse die Zusagen Gottes für das kommende Volk ein. 5 Esra 2,10 (SA) Haec dicit Dominus ad Ezram: Adnuntia populo meo, quoniam dabo eis regnum Hierusalem, quod daturus eram Israhel. 11 Et sumam mihi gloriam illorum et dabo eis tabernacula aeterna, quae praeparaveram illis. 12 Lignum vitae erit illis in odore47 unguenti, et non laborabunt neque fatigabuntur. 13 Ite et accipietis, rogate vobis dies paucos ut minorentur; iam paratum est vobis regnum, vigilate. (CMNEVLK) Haec dicit Dominus ad Esdram: Annuntia populo meo quoniam paravi eis manducare, et dabo illis regnum Iherusalem quod daturus eram Israel, 11 et sumam sibi gloriam illorum, et dabo eis tabernacula aeterna quae paraveram illis 12 in odore unguenti. Non laborabunt neque fatigabuntur48. 13 Petite et accipietis; rogate vobis dies paucos ut minorentur dies vestri. Iam enim paratum est regnum meum advenire. Vigilate animo.

Der Baum des Lebens wird in 5 Esra als Gabe für illisqualifiziert, die ihnen erst zuteilwerden wird. Illi werden in diesem Zusammenhang nicht näher beschrieben; aus 2,1049 und zuvor aus 1,24–40 kann aber abgeleitet werden, dass hier das ‚kommende Volk‘ gemeint ist. Es ist auffällig, dass dieses Volk nicht näher charakterisiert50, sondern nur Handschrift S hat die Form odorem. Bensly gibt den Text der Handschriften CM folgendermaßen wieder: Hec dicit Dominus ad Esdram adnuntia populo meo quoniam parabi eis manducare et dabo illis regnum Iherusalem quod daturus eram Israel. Ut sumantsibigloriamillorumetdaboeistabernaculaaeternaqueparaberam illis.Inodoreunguentinonlaborabuntnequefatigabuntur.Petiteetaccipietis,rogatevobisdiespaucosutminorenturdiesvestriiamenimparatumest regnummeumadvenirevigelateanimo(Bensly, Fourth Book, 85.). 49 Vom ‚anderen Volk‘ wird in 2,10 nicht gesprochen, nur vom populo meo, das von Israel unterschieden wird. Dies lässt darauf schließen, dass das in 1,24.35.37f. genannte andere bzw. kommende Volk zum Volk Gottes geworden ist und hier angesprochen ist. 50 Die auffälligste Eigenschaft des Volkes ist sein „Kommen“ (vgl. 5 Esra 1,35.37.38), ausgedrückt durch das PPA veniens. Diese Formulierung 47

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durch seinen Gegensatz zu Israel bestimmt wird. Daher ist auch der Baum des Lebens in diesen Zusammenhang aufzunehmen: Seine Funktion liegt, wie das Reich Jerusalem und die tabernaculaaeterna, in der Gegenüberstellung des kommenden Volkes und Israels. Die Gabe des Baumes bildet den Inhalt des Verkündigungsauftrages für Esra, der mit den Worten adnuntiapopulomeo eingeleitet wird, also mit der Bestätigung Gottes, dieses Volk als sein Volk erwählt zu haben. Der Baum wird dem kommenden Volk zugesprochen, ohne dass dieses vorher eine Leistung erbrachte und ohne den Nachweis, dass es den Gehorsam erweisen werde, den Israel vermissen ließ. Die Zusage der Güter geschieht in den ersten Worten, die Gott an sein Volk richtet; sie erhalten durch diese Position einen besonderen Stellenwert. Gottes Entscheidung gegen Israel und für das kommende Volk wird durch den Aufbau dieses Abschnitts betont.51 Das Reich Jerusalem, die Herrlichkeit Israels52, der Baum des Lebens und die ewigen Hütten53 stehen stellvertretend für die Reichtümer, die Israels Gottesbeziehung verdeutlichen und Heil durch Gott abbilden. Das ist deshalb überraschend, weil alle vier Motive sehr ungewöhnlich sind und in diesen Formulierungen nicht oder nur äußerst selten in den biblischen Texten zu finden sind54. Wie der Baum des Lebens dem kommenden Volk erst zufallen wird, so sind findet sich vergleichbar an keiner Stelle in der Vulgata (in 1 Bar 1,3 steht das PPA in Kombination mit der Präposition ad); eine ähnliche Verwendung lässt sich aber z.B. in Jer 6,22 erkennen. 51 Dies wird auch durch die Gegenüberstellung daboeis–daturuseram in 2,10 verstärkt. Dass bei beiden Verbformen das Futur gewählt wurde, zeigt die vollständige Veränderung des Plans des zukünftigen Geschehens auf. Dem entspricht nicht die Formulierung in 2,11 (Futur – Plusquamperfekt): Die ewigen Hütten waren bereits für Israel vorbereitet; die Verwendung des Plusquamperfekt statt dem Perfekt wie in 2,7.13 deutet darauf hin, dass die Hütten bereits an Israel gegangen waren. 52 Man beachte, dass die Herrlichkeit Israels nicht dem kommenden Volk zugesprochen wird: Im Text wird nur ausgedrückt, dass Gott die Herrlichkeit Israels (wieder) für sich nehmen wird. Die spanischen Handschriften sprechen die Herrlichkeit tibi zu, womit Esra gemeint sein dürfte. Diese Aussage bleibt jedoch m.E. unklar. 53 Vgl. Lk 16,9 (VUL): etegovobisdicofacitevobisamicosdemamona iniquitatisutcumdefeceritisrecipiantvosinaeternatabernacula. 54 Bezugsstellen werden von Wolter aufgelistet (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 809.).

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auch das Reich Jerusalem und die ewigen Hütten Israel noch nicht zuteil geworden, was sich in der futurischen Form der Verben in 5 Esra 2,10–12 zeigt. Diese Anwendung der Tempora hat Konsequenzen für das Zeitverständnis in 5 Esra: Geht man davon aus, dass mit dem Kommen des Volkes eine eschatologische Heilszeit anbricht, stellt sich die Frage, warum die eschatologischen Heilsgüter erst (zukünftig) zuteilwerden werden. Gleichzeitig ist zu fragen, ob diese Zukunft in der Vision in 5 Esra 2,42f. gegenwärtig wird, ob die Krönung der Menge also im Reich Jerusalem geschieht.55 Der Baum des Lebens selbst wird in Handschrift S durch den Begriff lignumvitaebezeichnet, der in Vulgata und Vetus Latina auch in Offb 2,7; 22,2.14.19 verwendet wird, ebenso in Gen 2,9. Das Verbum esse wird dabei nicht in der Funktion gebraucht, den Besitzer oder die Zugehörigkeit anzuzeigen – auch wenn dies durch die Kombination mit dem Dativ illis naheliegt und wohl auch mitgedacht werden kann –, sondern steht in Verbindung mit der Präposition in, auf die im Ablativ oder Akkusativ56 das Objekt odore(m)unguenti57folgt. Wird eritim Sinn von „werden“ verstanden, ist der Akkusativ besser nachvollziehbar („werden zu“), versteht man das eritals Zustand („wird sein“), ist der Ablativ klarer und eine Qualität des Baumes wird ausgedrückt. Auf den Duft des Lebensbaumes wird auch in 1 Hen 24,4 verwiesen: 1 Hen 24,458 Und unter ihnen war ein Baum, wie ich ihn noch nie gerochen hatte, und keiner von diesen noch andere (Bäume) waren so wie er: Er duftete stärker als jeder Wohlgeruch, und sein Blattwerk, seine Blüten und sein Holz werden in Ewigkeit nicht welken. Und seine Frucht ist schön, und seine Frucht gleicht den Trauben einer Palme.

Diese mögliche Bezugsstelle erklärt jedoch weder die Einfügung des Wortes unguentum noch den Bezug des Salböls zum Baum des 55 Dafür spricht, dass die, quiauditisetintelligitis(2,34), ermahnt werden, bereit zu sein für die praemiaregni (2,35) und die iocunditasgloriae vestrae (2,37). 56 In den Handschriften ALK. 57 Unguentiist der Genitiv des Substantives unguentum (eine Deutung als PPA von ung(uo) ist nicht möglich, da dann der Ablativ verwendet werden müsste und auf -o auslauten würde). Die Substantive odor und unguentum werden im Plural gemeinsam tautologisch verwendet, vgl. Plautus, Pseudolus 1265 (odor hat dann die Bedeutung ‚Salbe‘). Die Übersetzung von Michael Wolter („duftendes Salböl“) berücksichtigt dies. 58 Uhlig, Henochbuch, 559f.

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Lebens. Zudem legt die Übersetzung Wolters59 nahe, nicht primär den Baum selbst als duftend zu verstehen, sondern die Salbe, die in einem nicht näher erläuterten Zusammenhang mit dem Baum des Lebens steht.60 Dieser ungewöhnliche Ausdruck des Textes wird in den für 5 Esra vorhandenen Kommentaren leider nicht berücksichtigt oder eingeordnet. Mehr Klarheit ergibt sich durch das Einbeziehen von 2 Hen 8,3–561: 2 Hen 8,362 Und in der Mitte [befindet sich] der Baum des Lebens an diesem Ort, an dem der Herr ruht, wenn er hinaufgeht in das Paradies. Und dieser Baum ist von unaussprechlicher Schönheit und [unaussprechlichem] Wohlgeruch und schöner als alle Geschöpfe, die es gibt. 4 Und von allen Seiten ist er goldfarben und von purpurnem Aussehen und feurig, und er bedeckt das ganze Paradies. Er hat von allen gepflanzten Bäumen und allen Früchten. Er hat seine Wurzel im Paradies am Ausgang der Erde. 5 Das Paradies aber ist zwischen Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit und 2 Quellen entspringen, die eine bringt Honig und Milch hervor, [die andere] Öl und Wein. Und sie teilen sich in 4 Teile. Und sie laufen um mit stillem Lauf, […].

In diesem Abschnitt sind der Baum des Lebens, das Paradies, Duft und Öl63 miteinander verbunden, was einen Bezugspunkt für 5 Esra „Der Baum des Lebens wird für sie zu duftendem Salböl.“ (Wolter, 5. Esra-Buch, 809f.) 60 Die Kombination odor unguentorum (also Plural statt Singular) ist in Hld 4,10 gegeben, der Singular odorunguentiin Joh 12,3, bei der Salbung Jesu durch Maria. Die Form odoramenta in Kombination mit unguentum steht in Jes 39,2 und Offb 18,13 für die kultischen Güter Balsam bzw. Räucherwerk und Öl. 61 Böttrich datiert 2 Hen in das 1. Jhd. n.Chr., vor das Jahr 70 (Böttrich, Christfried, Das slavische Henochbuch (JSHRZ V,7), Gütersloh 1995, 812f.). 62 Böttrich, Henochbuch, 847–850. Böttrich äußert, dass „die handschriftliche Überlieferung des Hen (sl) […] markante Unterschiede“ aufweist, „sowohl im Umfang als auch im sprachlichen Charakter bzw. in sachlichen Einzelheiten […]“ (Böttrich, Henochbuch, 788.). Die Übersetzung Rießlers lautet: „Und der Baum des Lebens war dort, wo Gott ruht, wenn er ins Paradies geht, und dieser Baum hat einen wundervollen Duft. 5 Der andere Baum daneben, ein Ölbaum, spendete beständig Öl.“ (Rießler, AJSAB, 454.). 63 Vgl. zum Zusammenhang von Öl und dem Baum des Lebens auch ApkMos 9,3 bzw. VitAd 36,2. Dort ist die Salbung mit dem Öl mit Heilung verknüpft. 59

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bilden könnte. Böttrich64 verweist auch auf das vermutlich im 2. oder 3. Jhd. n.Chr.65 entstandene Philippusevangelium (NHC II,3) 92, wo es heißt: „Aber der Baum des Lebens steht mitten im Paradies. Und zwar (ist es) der Ölbaum. Von ihm kam die Salbung. Durch sie (kam) die Auferstehung.“66 Diese Bezugsstellen zeigen eine Tradition auf, die wohl auch den Hintergrund für 5 Esra gebildet hat; der Baum des Lebens wird dabei in einen eschatologischen Heilszusammenhang gestellt. Der Baum des Lebens wird in 5 Esra mit zwei weiteren Verben in Verbindung gesetzt: Lignum vitae erit illis in odore(m) unguenti, et nonlaborabuntnequefatigabuntur(2,12). Der Text gibt nicht an, dass das Ausruhen durch den Baum des Lebens ermöglicht wird, dennoch liegt nahe, dass das Ende der Mühen in Zusammenhang mit dem lignum vitae steht, da sowohl in 2,11 als auch in 2,13 abgeschlossene Sinneinheiten angegeben werden und die zwei Elemente in 2,12 mit einem etverbunden werden. Nimmt man an, dass der Baum des Lebens im Paradies steht, wie es in Gen 2,9 und in Offb 2,7 der Fall ist, lässt sich laut Wolter die Tradition erkennen, dass im Paradies nicht gearbeitet werden muss67, wie sie auch in 2 Bar 74,168 gegeben ist. Die Verbindung aus Arbeit und Mühe erinnert an Gen 3,17: Wieder ins Paradies und somit zum Baum des Lebens zu gelangen69 wäre auf diesem Hintergrund damit verbunden, dass dort kein Raum mehr für die Mühe ist, die Folge der Vertreibung aus dem Paradies war. In diesem Kontext lässt sich die Formulierung in 5 Esra am besten verstehen: Mit der Gabe des Baums des Lebens in einer eschatologischen Heilszeit, die Vgl. Böttrich, Henochbuch, 850, FN 5d. Schenke, Hans-Martin, Das Philippusevangelium (NHC II,3), in: Markschies, Christoph, Schröter, Jens (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. I. Band, Evangelien und Verwandtes, Teilband I, Tübingen 2012, 527–557, hier 531f. 66 Schenke, Philippusevangelium, 550. 67 Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 810. 68 „Geschehen wird‘s in jenen Tagen, dass nicht mehr abmühen sich die Schnitter, und die Bauern werden nicht mehr müde. Wenn sie in aller Ruhe daran arbeiten, wird die Ernte schnell von selbst aufschießen.“ (Klijn, Albertus F. J., Die syrische Baruch-Apokalypse (JSHRZ V,2), Gütersloh 1976, 171.) 69 Vgl. TestLev 18,10: „Und er (Gott) wird die Tore des Paradieses öffnen und wird das gegen Adam drohende Schwert entfernen.“ (Becker, Jürgen, Die Testamente der zwölf Patriarchen (JSHRZ III,1), Gütersloh 1974, 61.) 64 65

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mit dem Reich Jerusalem, der Herrlichkeit und den ewigen Hütten in einer Linie steht, sind auch die paradiesischen Zustände frei von Qual und Mühe wiederhergestellt. Der Baum des Lebens ist also in 5 Esra indirekt mit der Wiederherstellung paradiesischer Zustände verbunden; indirekt deshalb, weil der Begriff „Paradies“ nicht verwendet wird und die anderen genannten Güter – Jerusalem, die ewigen Hütten und gloria–in der Traditionzwar mit einer eschatologischen Heilszeit, nicht aber mit Vorstellungen vom Paradies verbunden sind. 2.2 Offb In der Offenbarung des Johannes ist der Baum des Lebens in zwei unterschiedlichen Kontexten zu finden, im Sendschreiben an die Gemeinde in Ephesus in Offb 2,7 und in der Darstellung des Neuen Jerusalems in Kapitel 22. Ephesus, die damals wichtigste Stadt der Provinz Asia70, verließ seine „erste Liebe“ (Offb 2,4: τὴν πρώτην ἀφῆκες (NA); caritatem primam(VL)71). Es wird von Johannes zur Umkehr gemahnt und vor den anderweitigen Folgen gewarnt (Offb 2,5), dann aber für seine Ablehnung der Nikolaiten72 gelobt (Offb 2,6). In diesem Zusammenhang wird der Baum des Lebens aufgegriffen: Offb 2,7 (VL) qui habet aures audiat quid spiritus dicat ecclesiis: qui vincet dabo illi edere ex ligno vitae quod est in paradiso dei mei. (VUL) qui habet aurem audiat quid Spiritus dicat ecclesiis vincenti dabo ei edere de ligno vitae quod est in paradiso Dei mei. (NA) Ὁ ἔχων οὖς ἀκουσάτω τί τὸ πνεῦμα λέγει ταῖς ἐκκλησίαις. Τῷ νικῶντι δώσω αὐτῷ φαγεῖν ἐκ τοῦ ξύλου τῆς ζωῆς, ὅ ἐστιν ἐν τῷ παραδείσῳ τοῦ θεοῦ.

70 Vgl. Satake, Offenbarung, 154. Zur Thematik vgl. Trebilco, Paul, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius (WUNT 166), Tübingen 2004. 71 Lateinische Formulierungen stammen, soweit nicht anders angegeben, aus der Vetus Latina Ausgabe von Roger Gryson (Freiburg 2000). 72 Vgl. zu dieser Thematik: Sommer, Michael, Die Nikolaiten und die Gegnerfiktion in der Offenbarung des Johannes – eine Annäherung an einige hermeneutische Probleme der Apokalypselektüre, in: Verheyden, Joseph, Nicklas, Tobias, Hernitscheck, Elisabeth (Hg.), Shadowy Characters and Fragmentary Evidence. The Search for Early Christian Groups and Movements (WUNT 388), Tübingen 2017.

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In Offb 2,7 werden zwei Angaben zum Baum des Lebens gemacht: (1) Er befindet sich im paradisusdeimei73, das nicht näher beschrieben wird, aber an Gen 2,8ff. denken lässt, wo der Begriff Paradies für den Garten Eden74 verwendet wird. (2) Dem, der überwinden wird (qui vincet, ohne Objekt), wird verheißen, dass er vom Baum des Lebens essen wird. Nicht nur der Baum des Lebens, sondern auch seine Frucht werden also als Belohnung genannt. Die Frucht des Baums des Lebens als Belohnung speziell für die Heiligen wird in TestLev 18,11 und 1 Hen 24,4 angeführt, was U. Müller hier aufgenommen sieht75. Das Essen vom Baum des Lebens in Offb 2,7 versteht Beale als Bild für „forgiveness and consequent experience of God‘s intimate presence“76, was diese Stelle für ihn klar mit Offb 22,2–477 verbindet.78 Gleichzeitig repräsentiert der Baum des Lebens Vom Baum des Lebens im Paradies spricht auch 4 Esra 8,52, statt lignum vitae wird dort aber der Begriff arbor vitae verwendet. 4 Esra 8,52 (VUL): vobisenimapertusestparadisus,plantataestarborvitae,praeparatumestfuturumtempuspraeparataestabundantia,aedificataestcivitas, probataestrequies,perfectaestbonitasanteperfectasapientia. 74 Statt des Namens ‚Eden‘ begegnet in der Vulgata der Begriff paradisus voluptatis. Dies entspricht der für das Wort Eden von seiner hebräischen Wurzel her angenommenen Bedeutung „Lust, Vergnügen“ (vgl. Kugel, James L., Traditions of the Bible. A Guide to the Bible as it was at the Start of the Common Era, Cambridge, London ²1998, 110f.). 75 Müller, Ulrich B., Die Offenbarung des Johannes (ÖTBK 19), Gütersloh, Würzburg 1984, 104. 76 Beale, Revelation, 234. 77 Im 22. Kapitel der Offenbarung werden explizit aber nur die Früchte des Baumes angesprochen, nicht das Essen vom Baum selbst. Labahn betont, dass „der Seher sprachlich und inhaltlich zwischen Offb 2 und Offb 22 differenziert“ und begründet dies damit, dass „er einerseits zwischen der Anspielung im Sendschreiben mit dem Handeln des erhöhten Christus an den Adressaten im Kontext der gegenwärtigen Welt und andererseits dem Neuen Jerusalem in der zukünftigen Welt“ unterscheidet (Labahn, Michael, Ausharren im Leben, um vom Baum des Lebens zu essen und ewig zu leben. Zur Textform und Auslegung der Paradiesgeschichte der Genesis in der Apokalypse des Johannes und deren Textgeschichte, in: Ausloos, Hans, Lemmelijn, Bénédicte, Vervenne, Marc (Hg.), Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honour of Florentino García Martínez (BEThL 224), Leuven u.a. 2008, 291–316, hier 303.). 78 Satake sieht das Essen als Bild für die Verleihung des Lebens und zieht ebenso eine Verbindung zur Darstellung des Neuen Jerusalems in Kapitel 22 73

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an sich natürlich das Leben – durch die Teilhabe an seinen Früchten wird den Glaubenden Leben zuteil.79 Der Überwinderspruch wiederholt sich in den Sendschreiben der Offenbarung am Ende jedes einzelnen Briefes, in der Vulgata in den Varianten vincenti(2,7.17) und qui vicerit (2,11.26; 3,5.12.21)80, und wird jeweils mit der Verheißung einer Belohnung verbunden. Wer jedoch hier angesprochen wird und was überwunden werden soll, wird im Text nicht dargelegt. Es wird aber deutlich, dass der Baum des Lebens in Offb 2,7 symbolisch für die Erlangung des ewigen Lebens steht und den Gemeinden als Lohn für Treue im Glauben81 vor Augen geführt wird. Eine ausführlichere Verwendung des Motivs geschieht in Kapitel 22, dem letzten Kapitel des Textes. Offb 21,9–22,5 umfasst die Schilderung der „heiligen Stadt Jerusalem“ (Offb 21,10), die sehr detailliert geschieht. Nach der Beschreibung der Stadt selbst und ihrer Mauern in Offb 21,12–21 stellt Offb 21,22–22,5 das Innere der Stadt dar, die in 22,1–5 ebenfalls mit paradiesischen Elementen beschrieben wird82. Offb 22,2 (VL) Et per mediam plateam eius et ex utraque parte fluminis lignum vitae adferens duodecim fructus per singulos menses reddentes fructum suum et folia ligni in curationem gentium. (VUL) in medio plateae eius et ex utraque parte fluminis lignum vitae adferens fructus duodecim per menses singula reddentia fructum suum et folia ligni ad sanitatem gentium. (vgl. Satake, Offenbarung, 157.). Dem entspricht auch ApkMos 28,4: „Und es wird dir vom Baum des Lebens gegeben werden, und du wirst unsterblich sein in Ewigkeit.“ (Merk, Otto, Meiser, Martin, Das Leben Adams und Evas (JSHRZ II,5), Gütersloh 1998, 840.). Eine ähnliche Richtung schlägt auch Wong ein, der in dieser Stelle ein Bild für das „enjoyment of life in its grandest realization“ erkennt (Wong, Daniel K., The Tree of Life in Revelation 2:7, in: BS 155 (1998), 211–226, hier 213.). 79 Vgl. Trebilco, Early Christians, 307. 80 In den Vetus Latina Handschriften unterscheiden sich die Formen von vincere; z.T. wird Präsens verwendet, zum Teil futurische Formen, z.T. das Partizip. 81 Vgl. Satake, Offenbarung, 152. Labahn nennt es erforderlich, sich an die ethischen Vorgaben des Sehers zu halten (vgl. Labahn, Ausharren, 294.). 82 Vgl. Tavo, Felise, Woman, Mother, and Bride. An exegetical Investigation into the „ecclesial“ Notions of the Apocalypse (BToSt 3), Leuven 2007, 304; Satake, Offenbarung, 416; Beale, Revelation, 1103; Nicklas, Himmelsstadt, 160.

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(NA) ἐν μέσῳ τῆς πλατείας αὐτῆς καὶ τοῦ ποταμοῦ ἐντεῦθεν καὶ ἐκεῖθεν ξύλον ζωῆς ποιοῦν καρποὺς δώδεκα, κατὰ μῆνα ἕκαστον ἀποδιδοῦν τὸν καρπὸν αὐτοῦ, καὶ τὰ φύλλα τοῦ ξύλου εἰς θεραπείαν τῶν ἐθνῶν.

Wie es möglich ist, dass der eine Baum des Lebens exutraqueparte fluminis steht83, wird in der Literatur häufig diskutiert. Meist wird ein kollektiver Singular angenommen84, der die Nähe zur Paradiesgeschichte (Gen 2,9f.; 3,22) noch deutlicher machen soll85; Beale führt den Singular zudem auf die gleiche Art der Bäume zurück: „Since these trees are all of the same kind as the original tree, they can be referred to from the perspective of their corporate unity as „the tree of life“ (so 2:7).“86 Einen kollektiven Singular sieht Giesen87 schon in Ez 47,1288 gegeben, also in dem Kapitel, in dem das Motiv der lebensspendenden Tempelquelle89 beschrieben wird, das die Darstellung in der Apokalypse deutlich beeinflusste90. Satake hingegen geht davon aus, dass bewusst der Singular gesetzt wurde, um die Einheitlichkeit der Quelle des Lebens hervorzuheben und aufrechtzuerhalten.

Beale (vgl. Beale, Revelation, 1104.) nennt auch die Möglichkeit, dass der Fluss in zwei Arme geteilt sein könnte, so dass auf der Straße in der Mitte zwischen diesen zwei Armen der eine Baum des Lebens stehen könnte; er beruft sich dabei auf Beasley-Murray (vgl. Beasley-Murray, George R., The Book of Revelation (NCeB), London 1974, 331.). Die Vetus Latina Formulierung per mediam plateam (per im Sinn von „über…hin, entlang“; im Unterschied zu inmedioplateae in der Vulgata) ist mit diesem Bild jedoch schwer vereinbar. 84 Vgl. Giesen, Heinz, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg ³1959, 474; Beale, Revelation, 1106; Müller, Offenbarung, 363; Aune, Revelation 17–22, 1177; Lichtenberger, Hermann, Die Apokalypse (Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 23), Stuttgart 2014, 270. 85 Vgl. Giesen, Offenbarung, 474. 86 Beale, Revelation, 1106. 87 Ebenso wie Müller, Offenbarung, 363; Aune, Revelation 17–22, 1177; Beale, Revelation, 1104. 88 Ez 47,12 (VUL): orietur in ripis eius ex utraque parte omne lignum pomiferum […] 89 Vgl. Müller, Offenbarung, 362. 90 Vgl. Beale, Revelation, 1103f.; Müller, Offenbarung, 362; Satake, Offenbarung, 417. 83

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Während an dieser Stelle vom Essen vom Baum des Lebens keine Rede ist (im Gegensatz zu Offb 2,7), werden doch die Früchte des Baums bzw. der Bäume angeführt. Diese werden zwölffach hervorgebracht91, per singulos menses, also einmal im Monat92. Diese „außerordentliche Fruchtbarkeit“93 des Baumes setzt Giesen in Zusammenhang mit dem unverlierbaren Leben, das den Bewohnern des Neuen Jerusalems gewährt ist.94 Doch nicht nur die Früchte des Baumes stehen in Verbindung mit Leben (vgl. auch Offb 2,7; 1 Hen 25,5), sondern seine Blätter dienen auch zur Heilung95 der Völker.96 Aune verbindet die Heilung mit Ez 47,12, sieht die Anspielung insgesamt aber „simply mechanical“97, da es im eschatologischen Aune ist der Ansicht, dass zwölf verschiedene Arten von Früchten entstehen (vgl. Aune, Revelation 17–22, 1178; vgl. auch Beasley-Murray, Book, 331; Wengst, Klaus, „Wie lange noch?“ Schreien nach Recht und Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 2010, 234.), jeden Monat eine andere Frucht. Dies ist m.E. aber nur nachvollziehbar, wenn verschiedene Bäume des Lebens angenommen werden; da aber die Bäume von einer Art sind, würde das bedeuten, dass jeden Monat eine andere Frucht hervorgebracht wird; es ist davon auszugehen, dass eine derartig ungewöhnliche Erscheinung im Text klarer ausgedrückt werden würde (z.B. durch die Hinzufügung des Adjektivs varius oder diversus). 92 Beale wendet ein, dass es ohne Sonne und Mond (Offb 21,23; 22,5) keine Monate mehr gäbe; dieser Ausdruck solle wohl „fullness of redemptive provision“ andeuten (Beale, Revelation, 1108; gegen Kiddle, Martin, The Revelation of St. John (MNTC), London 41946, 442.). 93 Giesen, Offenbarung, 474. 94 Vgl. Giesen, Offenbarung, 474. 95 Hier kann eine indirekte Verbindung zum Salböl aus 5 Esra 2,12 gesehen werden: Auch Salböl wird zur Heilung verwendet (vgl. ApkMos 9,3). 96 Diese Heilung versteht Beale als Bild für die Erlösung der Glaubenden, die durch die Tötung Christi im gegenwärtigen Zeitalter den Tod im kommenden nicht erleiden mussten. Er betont, dass die Erlösung nicht nur auf ethnische Israeliten beschränkt sei, sondern allen Völkern dieser Erde gewährt sei, die das Evangelium geglaubt hätten (vgl. Beale, Revelation, 1107.). Dennoch sei die Heilung nicht in der Ewigkeit anzusiedeln, da es dort nach Offb 21,4 keinen Tod und keinen Schmerz mehr gebe (vgl. Beale, Revelation, 1108.). Satake zufolge umfassen ‚die Völker‘ jedoch „alle Christen, ohne danach zu fragen, ob sie Juden oder Nichtjuden sind.“ (Satake, Offenbarung, 417.). „Die Völker“ werden nicht in allen Handschriften genannt. 97 Aune, Revelation 17–22, 1178. 91

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Schema der Offenbarung keinen Raum gebe für die Heilung der Völker.98 Satake hingegen bindet Offb 22,2 eng an 2,7 und versteht unter Heilung die „Begabung mit dem ewigen Leben“99. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Offb 22,2 den Baum des Lebens mit dem Neuen Jerusalem verbindet, ihn also in einen eschatologischen Zusammenhang setzt und ähnlich wie Offb 2,7 seine Verbindung mit Leben und Heilung hervorhebt. Ein drittes Mal wird der Baum des Lebens in Offb 22,14 genannt. Offb 22,14 (VL) felices eos qui faciunt praecepta eius ut sit potestas eorum super lignum vitae et per portas intrent in civitatem sanctam bzw. beati qui servant mandata mea (VUL) beati qui lavant stolas suas ut sit potestas eorum in ligno vitae et portis intrent in civitatem (NA) Μακάριοι οἱ πλύνοντες τὰς στολὰς αὐτῶν, ἵνα ἔσται ἡ ἐξουσία αὐτῶν ἐπὶ τὸ ξύλον τῆς ζωῆς καὶ τοῖς πυλῶσιν εἰσέλθωσιν εἰς τὴν πόλιν.

Im Rahmen einer beati qui bzw. Μακάριοι οἱ-Aussage werden in Offb 22,14 diejenigen gerühmt, die ihre Gewänder waschen100, so ein Anrecht am Baum des Lebens erhalten101 und durch die Tore der Stadt eingehen können. Diese werden unterschieden von Zauberern, Unzüchtigen, Mördern usw. Die Vetus Latina Handschriften unterscheiden sich hier voneinander und weichen insgesamt am Beginn des Verses vom griechischen Text und der Vulgata ab. Der Baum des Lebens ist in Offb 22,14 ähnlich wie in Offb 2,7 Gegenstand einer Heilszusage, die hier Aune, Revelation 17–22, 1178. Er denkt bei der Verbindung von Heilung und Paradies auch an 4 Esra 7,123 (VUL): etquoniamostendeturparadisus, cuius fructus incorruptus perseverat, in quo est saturitas et medella […]. 99 Satake, Offenbarung, 417. 100 Es ist zu beachten, dass manche Vetus Latina Handschriften an dieser Stelle vom Griechischen abweichen, sich auch von der Vulgata unterscheiden und die preisen, die faciuntmandata/praeceptaeius(vgl. Gryson, Vetus Latina, 759.). 101 Dies stellt wohl, wie Aune anführt, einen Rückbezug zu Gen 3,22–24 dar – die Abwehr des Menschen vom Baum des Lebens durch Gott ist aufgehoben, dieser wird zugänglich (vgl. Aune, Revelation 17–22, 1221.). 98

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in eine Seligpreisung eingegliedert ist.102 Gleichzeitig wird auf Offb 22,2 zurückverwiesen, indem mit der civitasdas Neue Jerusalem ins Spiel gebracht wird, in dem sich der Baum des Lebens befindet. Die Heilszusage richtet sich an die „treuen Gemeindeglieder“103, die durch das Waschen ihrer Kleider104 ihren Glauben und ihre Treue im alltäglichen Leben105 beweisen – Aune sieht dies als äquivalent zum vincereaus Offb 2,7106. Ihnen wird Macht über den Baum des Lebens verheißen, was sich von 1 Hen 25,4 her einordnen lässt, aber auch an Gen 3,22–24 erinnert107: 1 Hen 25,4108 Und dieser wohlriechende Baum: kein Sterblicher hat die Macht, ihn zu berühren, bis zum großen Gericht; wenn er alles vergelten und vollenden wird für die Ewigkeit, (dann) wird er den Gerechten und Demütigen übergeben werden.

Offb 22,14 versteht den Baum des Lebens also als Belohnung für Treue im Glauben und erinnert damit an Offb 2,7, setzt durch den Rückgriff auf die civitas gleichzeitig aber auch einen Bezug zum Neuen Jerusalem und zu Offb 22,2. Ein letztes Mal begegnet der Baum des Lebens in Offb 22,19, dem drittletzten Vers der Apokalypse.109 Nachdem in 22,18 gewarnt worVgl. Müller, Offenbarung, 370. Müller, Offenbarung, 369. 104 Vgl. Offb 3,4; 7,14. Giesen betont, dass das Waschen der Gewänder kein einmaliger Akt sei und deshalb nicht auf die Taufe bezogen werden könne, sondern, wie das Partizip Präsens vermuten lässt, ständig geschehen müsse, wodurch sich die Gläubigen bewähren könnten (vgl. Giesen, Offenbarung, 487; vgl. auch Aune, Revelation 17–22, 1220.). 105 Vgl. Satake, Offenbarung, 424. 106 Vgl. Aune, Revelation 17–22, 1219. 107 Vgl. auch TestLev 18,10–14: „Und er (Gott) wird die Tore des Paradieses öffnen und wird das gegen Adam drohende Schwert entfernen. Und er wird den Heiligen vom Baum des Lebens zu essen geben, und der Geist der Heiligung wird auf ihnen ruhen. Und Beliar wird von ihm gebunden werden, und er wird seinen Kindern Macht geben, auf die bösen Geister zu treten. Und der Herr wird sich über seine Kinder freuen, und wird an seinen Geliebten Gefallen haben bis in Ewigkeit. Dann werden auch Abraham und Isaak und Jakob jubeln, und auch ich werde mich freuen, und alle Heiligen werden sich mit Jubel bekleiden.“ (Becker, Testamente, 61.) 108 Uhlig, Henochbuch, 560f. 109 Zu Offb 22,6–21 vgl. Hieke, Thomas, Nicklas, Tobias, „Die Worte der Prophetie dieses Buches“. Offenbarung 22,6–21 als Schlussstein der 102 103

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den war, dass denjenigen, der etwas zu verbaprophetiaelibrihuius (VUL) / τοὺς λόγους τῆς προφητείας τοῦ βιβλίου τούτου (NA) hinzufüge, die im Buch beschriebenen Plagen treffen werden, wird eine weitere Drohung ausgesprochen gegen die, die etwas hinwegnehmen würden. Der Baum des Lebens wird dabei in Offb 22,19 wie in 22,2.14 direkt mit der Stadt Jerusalem verbunden; der Verlust des Anteils an ihm und der Stadt Jerusalem wird zum „eternal punishment“110. Offb 22,19 (VL) et si quis dempserit de verbis libri huius demet deus partem eius a ligno vitae et de civitate sancta et ex his quae scripta sunt in hoc libro. (VUL) et si quis deminuerit de verbis libri prophetiae huius auferet Deus partem eius de ligno vitae et de civitate sancta et de his quae scripta sunt in libro isto. (NA) καὶ ἐάν τις ἀφέλῃ ἀπὸ τῶν λόγων τοῦ βιβλίου τῆς προφητείας ταύτης, ἀφελεῖ ὁ θεὸς τὸ μέρος αὐτοῦ ἀπὸ τοῦ ξύλου τῆς ζωῆς καὶ ἐκ τῆς πόλεως τῆς ἁγίας τῶν γεγραμμένων ἐν τῷ βιβλίῳ τούτῳ.

Giesen111 und U. Müller112 sprechen im Kontext dieser zwei Drohungen von einer „Kanonisierungsformel“, die bereits z.B. in Dtn 4,2; 13,1 zu finden ist. Während in Offb 22,18 die Plagen angedroht wurden, die im Buch beschrieben sind, also temporäre Qualen genannt wurden, spricht 22,19 vom einer ewigen Strafe durch den Ausschluss vom Baum des Lebens und dem Verwehren des Eintretens in das Neue Jerusalem. Beale sieht einen größeren Zusammenhang dieser Passage: Er verbindet sie mit Dtn 29,19f. und sieht die Apokalypse als neuen Codex für Israel ausgegeben.113 Auf diesem Hintergrund stehen ‚Hinzufügen‘ und ‚Wegnehmen‘ für ihn dafür, falschen Lehren über das „inscripturated word“114 nachzufolgen, was wiederum einen Bezug zu den Sendschreiben herstellt.

christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments gelesen (BThSt 62), Neukirchen-Vluyn 2003, besonders 61–84. 110 Aune, Revelation 17–22, 1232. Satake spricht ebenso vom „vollkommene[n] Ausschluss vom Heil“ (Satake, Offenbarung, 427.). 111 Vgl. Giesen, Offenbarung, 493. 112 Vgl. Müller, Offenbarung, 372. 113 Vgl. Beale, Revelation, 1150. 114 Beale, Revelation, 1151.

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Auch in Offb 22,19 wird der Baum des Lebens mit dem Neuen Jerusalem in Bezug gesetzt. Seine Bedeutung als Heilsgut wird dadurch hervorgehoben, dass er hier zum Objekt einer Drohung wird, die ganz an das Ende der Apokalypse gestellt ist und die Autorität des Textes heraushebt. In der Offenbarung des Johannes ist das Motiv des Baums des Lebens also zum einen mit dem Begriff (2,7) bzw. mit Vorstellungen vom Paradies (22,2) verbunden, zum anderen mit dem Neuen Jerusalem (22,2.14.19) und dem Zugang zum Heil oder dessen Verlust (22,14.19). 2.3 Teilfazit Sowohl in 5 Esra als auch in der Apokalypse des Johannes ist der Baum des Lebens von eher untergeordneter Bedeutung. Zwar wird er in der Apokalypse viermal genannt, steht jedoch, wie dies auch in 5 Esra der Fall ist, in kurzen Zusammenhängen. In 5 Esra bildet der Baum des Lebens eine der Gaben, die das ‚andere Volk‘ anstelle von Israel erhält; sein duftendes Salböl wird hervorgehoben und er wird in einen nicht näher beschriebenen paradiesähnlichen Kontext gesetzt, in dem man nicht mehr arbeiten muss und nicht müde wird. In der Offenbarung des Johannes wird als Standort des Baums des Lebens das Paradies Gottes angegeben; nach Kapitel 22 befindet er sich im Zentrum des Neuen Jerusalems – ob dies mit dem Paradies gleichzusetzen ist, wird nicht ausgesagt. Das lignum vitae ist in der Offb primär Gabe und Belohnung für die treuen Glaubenden; es symbolisiert Heilung und Leben. Es gibt also mehrere Berührungspunkte zwischen 5 Esra und der Offb des Johannes: § In beiden Texten steht der Baum des Lebens im Kontext von Paradiesvorstellungen, was an Gen 2–3 denken lässt. § Das Salböl des Baumes, das in 5 Esra genannt wird, dient gewöhnlich zur Heilung (vgl. ApkMos 9,3); dies schafft einen Bezug zu den heilenden Blättern des Baumes in Offb 22,2. § Beide Texte weisen Bezüge zu 1 Hen 24–25 und indirekt115 zu TestLev 18,10ff. auf. 115 Es ist davon auszugehen, dass nur mit den Texten verbundene Traditionen aufgegriffen werden.

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§ In beiden Texten wird der Baum des Lebens zur (eschatologischen) Gabe für die Erwählten Gottes. § Der Baum des Lebens findet sich in beiden Texten an wichtigen Stellen (in 5 Esra bestätigt er die Erwählung des ‚anderen Volkes‘; in der Offb steht der Baum im Zentrum des Neuen Jerusalems, sein Verlust wird zum Bild einer ewigwährenden Strafe) und wird als wertvolle Gabe abgebildet. Gleichzeitig werden aber klar unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: § Während der Baum des Lebens in 5 Esra von Gott „gegeben“ wird und auch in die ‚irdische‘ Welt gesetzt sein könnte, wird der Ort des Baums in der Offb mit dem Paradies Gottes und dem Neuen Jerusalem klar genannt. § Geht man davon aus, dass die Schlussvision in 5 Esra (2,42f.) im himmlischen Jerusalem spielt, so ist dort keine Rede vom Baum des Lebens, während der Zusammenhang lignumvitae–civitas in Offb 22,2.14.19 hervorgehoben wird. § Wird in 5 Esra vom duftenden Salböl gesprochen, beschreibt die Offb stattdessen Früchte und Blätter des Baums; diese genaue Beschreibung (Anzahl der Früchte, Lage im Neuen Jerusalem) ist für 5 Esra nicht interessant. § Während der Baum des Lebens in der Offb eine Gabe ist, die verdient werden muss (2,7) und verloren werden kann (22,19), wird sie in 5 Esra dem ‚anderen Volk‘ ohne Bedingungen zugesagt. In 5 Esra liegt der Schwerpunkt so auf der Zusage einer heilvollen und positiven Zukunft für das ‚andere Volk‘; in der Apokalypse steht der paränetische Charakter im Vordergrund (v.a. 2,7; 22,14). Die zahlreichen Intertexte116, zu denen 5 Esra und die Offb in ihrer Darstellung des Baums des Lebens Bezüge aufweisen und die z.T. mit beiden Texten verbunden werden können, lassen darauf schließen, dass an sich nicht von einer direkten Abhängigkeit zwischen 5 Esra und der Offb des Johannes in der Verwendung des Motivs „Baum des Lebens“ auszugehen ist. Auch wenn sich Ähnlichkeiten und kleinere Bezüge finden lassen, gestalten die Texte das Motiv doch so eigenständig und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, dass eher an gemeinsame Traditionen zu denken ist als an eine direkte Abhängigkeit. Auch sprachlich finden sich keine klaren Bezüge 116

V.a. Gen 2–3; 1 Hen 24–25; TestLev 18.

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zwischen den beiden Texten. Dennoch wird deutlich, dass 5 Esra und die Offb hier auf dieselben Traditionslinien zurückgreifen117; zeigt sich eine wahrscheinliche Kenntnis der Offb durch 5 Esra anhand anderer Motive, so ist eine Bezugnahme zwischen den Texten auch hier möglich. 3 5Esra2,33–48 3.1 Hinführung War es bisher sinnvoll, Einzelmotive zu untersuchen und deren Darstellung in den beiden Texten zu vergleichen, ist nun eine andere Vorgehensweise notwendig: 5 Esra 2,33–48 bildet eine große Menge von Motiven und Formulierungen ab, die auch in der Offenbarung des Johannes zu finden sind118. Die Motive werden dabei in 5 Esra nicht ausgearbeitet, so dass eine genaue Einordnung der Begrifflichkeiten schwer fällt. Deshalb muss an dieser Stelle ein komplexeres Vorgehen angewendet werden: 5 Esra 2,33–48 soll kleinschrittig mit der Offenbarung verknüpft werden. 3.2 5Esra2,33–37 Dieser letzte Abschnitt 5 Esras, der sich an das Gespräch Gottes mit der Mutter des ‚anderen Volkes‘ anschließt, beginnt mit der Erklärung Esras, dass er auf dem Horeb119 von Gott das Gebot erhalten habe, zu Israel zu gehen; Israel habe aber mandatumhoc/Domini(SA) zurückgewiesen (vgl. 5 Esra 1,7.34; 2,1). Dieser Vers erfüllt zwei Funktionen: Einerseits reiht er Esra in die Tradition des Mose ein, der auf dem Horeb Gott begegnete und dort das Gesetz Gottes für Israel empfing 117 Nicklas hebt hervor, „dass beide Texte ein (v.a. im frühen Christentum) eher selten bezeugtes Motiv in zudem sehr spezifischer Weise verwenden“ (Nicklas, Rezeption, 14.). 118 Beale nennt 5 Esra 2,33–48 „the interpretative paraphrase of Rev. 7:1– 17“ (Beale, Revelation, 424; 734.), an anderer Stelle „the commentary on Rev. 7:1–17 and 14:1–4“ (Beale, Revelation, 745.). 119 Die Handschriften MNE geben den Begriff mit „Chobar“ wieder, die Handschriften C und V mit „Cobar“, was einen Fluss im Land der Chaldäer bezeichnet (vgl. Ez 1,3), der in Ez achtmal genannt wird. Bergren weist überzeugend auf, warum er „Horeb“ als ursprünglich vermutet (vgl. Bergren, Fifth Ezra, 204f.).

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(vgl. Ex 3,1; 1 Kön 8,9; Mal 3,22 (VUL 4,4)), andererseits wird ein letztes Mal Israel ins Spiel gebracht und dessen Verstocktheit aufgezeigt, die den ersten Teil des Textes bestimmt. 5 Esra 2,33 wird so zur Überleitung; nun wendet sich Esra an die gentes120, quae (SA) bzw. vobis, qui auditis et intellegitis121 (CMNEVL). Die eschatologischen Verheißungen der folgenden Verse scheinen so direkt mit der Einsicht der Völker verknüpft zu sein. 5 Esra 2,34 (SA) Ideoque vobis dico, gentes quae auditis et intellegitis: Expectate pastorem vestrum, requiem aeternitatis dabit vobis, quoniam in proximo est ille, qui in finem saeculi adveniet. (CMNEVL) Vobis dico qui auditis et intelligitis: Expectate pastorem vestrum. Requiem aeternitatis vestrae dabo vobis, quoniam in proximo est finis saeculi et diminutio hominum.

3.2.1 Hirte Die Völker werden von Esra gleich zu Beginn aufgefordert, ihren Hirten zu erwarten. Das Hirten-Motiv hat einen breiten alttestamentlichen Hintergrund, als wichtigste Passagen sind Ez 34.37 und Sach 11, aber auch Ps 23 und Mi 5,3 zu nennen. Dabei können im AT drei große Linien unterschieden werden: Das Hirten-Bild wird für Gott selbst verwendet (z.B. in Ps 23; Jes 40,11; Ez 34,11–16; Mi 2,12), 120 Die gentes, die in den spanischen Handschriften an dieser Stelle nicht genannt werden, werden in 5 Esra fünfmal angeführt, in zwei unterschiedlichen Kontexten: In 1,11 (SA); 2,7.28 treten sie als die Gegner Israels und später auch des ‚anderen Volkes‘ in Erscheinung, die von Gott vertrieben werden (1,11) und eine Bedrohung für Israel (2,7) und das ‚andere Volk‘ (?) (2,28) darstellen. In 1,24 und 2,34 jedoch (jeweils nur in den französischen Handschriften) bilden die gentesdas Volk Gottes. Die unklare Terminologie 5 Esras wirft die Frage auf, welcher Volksbegriff dem Text zugrunde liegt: Ist an eine festumrissene Gruppe gedacht (was der Singular der spanischen Handschriften in 1,24 unterstreicht) oder muss der Begriff eher universal gedacht werden, z.B. indem die Zugehörigkeit über das Befolgen der Weisungen Gottes bestimmt ist? 121 ‚Hören‘ und ‚verstehen‘ bilden ein häufiges Begriffspaar (oft in Kombination mit ‚sehen‘), das z.B. in Weish 6,2; Jes 6,9f.; Dan 12,8; 4 Esra 8,19; Mk 4,12 par u.ö. zu finden ist und in verschiedenen Kontexten gebraucht wird. Diese Anrede, die keine festumrissene Gruppe erkennbar macht, deutet auf einen offenen Volksbegriff hin. Die Angesprochenen werden in ihrer Einsicht von Israel abgegrenzt.

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für menschliche Herrscher in Israel (Ps 78,70–72; Jer 23,1–4; Ez 34,2–10) und für heidnische Völker (Jer 25,34–36; Nah 3,18).122 In 5 Esra steht wohl eine spezielle Form des Hirten-Motivs im Hintergrund, bei der eine idealisierte, messianische Hirten-Gestalt auftritt. Diese Form kann vor allem auf Ez 37,24; Mi 5,1.3 (VUL 5,2.4) zurückgeführt werden und wird im NT in Joh 10 aufgenommen. In 5 Esra ist diese Gestalt keineswegs klar umrissen, wird aber mit endzeitlichen123 Verheißungen in Verbindung gesetzt wird. Dass in 5 Esra Christus selbst als Hirte im Blick ist, wird aus dem Text heraus nicht ersichtlich, denn 5 Esra verwendet den Namen „Christus“ nicht. Zwar wird in der späteren Vision vom „Sohn Gottes“ (2,47) gesprochen, der wohl mit dieser messianischen Gestalt zu identifizieren ist124, doch wird hierbei kein Bezug zu Christus geschaffen. Die spanischen Handschriften schwächen die Bedeutung dieser Gestalt in 2,34 ab, indem sie statt der 3. Ps. Sg. der französischen Handschriften (dabit) durch den Gebrauch der 1. Ps. Sg. die Gabe der Ruhe auf Gott selbst bzw. Esra beziehen (dabovobis). Gleichzeitig deutet die spanische Fassung von 5 Esra 2,36 – dieses Mal interessanterweise im Gegensatz zu SA – auf die Existenz eines von Gott unterschiedenen Retters (salvator) hin, ein Begriff, mit dem z.B. in Jes 45,15; Ps 24,5 (VUL); Lk 1,47; Jud 1,25 Gott gemeint ist, in Lk 2,11; Joh 4,42; Phil 3,20 Christus125. Während sich dieser Vgl. hierzu Chae, Jesus, v.a. die Seiten 25–31. Die mit diesem Motiv verbundene Aufforderung expectate vermittelt den Eindruck einer Naherwartung und einer Ermahnung zur Wachsamkeit, wie sie auch die Erklärung, dass das Ende der Welt bzw. der am Ende der Welt Erscheinende inproximo sei, unterstreicht. 124 Dies lässt sich darauf stützen, dass keine Abgrenzung zwischen den Gestalten vorgenommen wird – es werden aber auch keine Verbindungen hergestellt. 125 Foerster erklärt: „Abgesehen von den Pastoralbriefen und dem 2. Petrusbrief, kann man nur von einer Zurückhaltung im Gebrauch von σωτήρ [für Jesus im Neuen Testament; VH] sprechen, deren Erklärung darin liegt, daß sich mit σωτήρ im jüdischen Bereich die Erwartung eines Befreiers von nationaler Bedrückung, im heidnischen Bereich die Vorstellung von einem irdischen Wohltäter, vor allem in der Gestalt des Kaisers leicht verbinden konnten und Hoffnungen und Gedanken erweckt wurden, die das Evangelium nicht zu realisieren versprechen konnte.“ (Foerster, Werner, σῴζω, σωτηρία, σωτήρ, σωτήριος. G. Der urchristliche σωτήρ-Gebrauch, in: ThWNT 7 (1964), 1021f, hier 1021.). 122

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Begriff in der französischen Handschriftengruppe auf Gott und Christus beziehen kann, ergänzen die spanischen Handschriften mandatum esse a Domino – die Unterscheidung der Figur von Gott weist also auf ein zugrundeliegendes messianisches Konzept hin. Diese Ungleichheit im eschatologischen Schema der beiden Handschriftengruppen ist möglicherweise auch in 2,37 erkennbar: Dort fordert Esra in den französischen Handschriften die gentes auf, commendatum Domini anzunehmen; in den spanischen Handschriften fehlt dieser Ausdruck. Wolter fasst diese Partizipialform personal auf (vgl. 2 Makk 4,24 (VUL)) und spricht vom „Beauftragten des Herrn“126. Dieser Titel ist, auch sprachlich gesehen, sehr ungewöhnlich; möglich und wahrscheinlicher ist es, statt einer Substantivierung ein Neutrum anzunehmen und den Ausdruck mit „das Anvertraute“ wiederzugeben, was z.B. mit nomen oder mandatum zusammengedacht werden könnte. Übereinstimmend nennen die Handschriften außerdem in 2,37 den, quivosadcaelestiaregnavocavit (Perfekt!). Dies könnte auf einen Messias verweisen; da sich in 2,10–13 jedoch Gott selbst an sein ‚anderes Volk‘ wendet und ihnen das Reich Jerusalem, die Herrlichkeit, die ewigen Hütten und den Baum des Lebens vor Augen stellt, ist dies eher auf Gott selbst zu beziehen. Dieser Abschnitt 5 Esras macht nicht deutlich, inwiefern in 5 Esra eine Messias-Gestalt grundgelegt ist; zudem zeigen die Handschriftengruppen kein übereinstimmendes und in sich einheitliches Konzept auf. Mit dem Hirten-Motiv tritt in 5 Esra eine endzeitliche Gestalt auf, die in einer Handschriftengruppe dem Volk die Ruhe der Ewigkeit verleiht, wahrscheinlich mit dem „Sohn Gottes“ zu identifizieren ist und, ebenfalls in nur einer Handschriftengruppe, mit dem Ende der Welt in Beziehung steht. Der Text lässt dabei kein klares Konzept erkennen, das hinter dieser Gestalt steht. Das Hirten-Motiv ist auf Christus angewendet auch in Offb 2,27; 7,17; 12,5; 19,15 zu erkennen. Dort wird jedoch kein Substantiv verwendet, sondern das Verb ποιμαίνω, das nicht auf den HirtenKontext beschränkt ist127 und in der Vulgata und in manchen Vetus Wolter, 5. Esra-Buch, 816. Vgl. Satake, Offenbarung, 174: „Ποιμαίνειν bedeutet eigentlich ‚weiden‘, im übertragenen Sinne ‚unter Schutz nehmen, herrschen, verwalten 126 127

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Latina Handschriften mit regere wiedergegeben wird, in anderen mit pascere. Offb 2,27; 12,5 und 19,15 weisen alle dieselbe Phrase auf, die auf Ps 2,9 (LXX)128 Bezug nimmt und die Völker zum Objekt hat: [ποιμανεῖ αὐτοὺς] ἐν ῥάβδῳ σιδηρᾷ. In der hebräischen Fassung wird das Verb ‫( תרעמ‬von ‫רעע‬, zerbrechen) verwendet, das vielleicht fälschlicherweise129 auf ‫ רעה‬zurückgeführt und zum ποιμανεῖς der LXX wurde, das die Basis für Offb 2,27; 12,5; 19,15130 bildet. Als einzige Hirtenstelle mit positivem Hirtenbild131, wie es in 5 Esra der Fall ist, ist also Offb 7,17 einzuordnen, das auf Jes 49,9f.132 zurückgreift. Dieses Kapitel weist zahlreiche weitere Bezüge zu 5 Esra auf, wie sich noch zeigen wird. Offb 7,17 ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου ποιμανεῖ αὐτοὺς καὶ ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων, καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν.

Während das ἀρνίον in Offb 7,17 die Glaubenden zu den „Quellen lebendigen Wassers“ (vgl. Offb 21,6; 22,1.17) führen wird, bringt der Hirte in 5 Esra 2,34 denen, die hören und verstehen, requiem aeternitatis(vgl. 5 Esra 2,24 (SA)). An beiden Textstellen wird also ein soteriologischer und eschatologischer Bezug deutlich, weitere oder fürsorgen‘.“ Aune wirft jedoch ein, dass in Offb 2,27 (ebenso wie in 12,5; 19,15) ein negativer Kontext gegeben sei, der diese Bedeutung unwahrscheinlich mache (vgl. Aune, Revelation 1–5, 210.). 128 Ps 2,9 (LXX): ποιμανεῖς αὐτοὺς ἐν ῥάβδῳ σιδηρᾷ, ὡς σκεῦος κεραμέως συντρίψεις αὐτούς. 129 Zu diesen Erläuterungen vgl. Aune, Revelation 1–5, 210f. Vgl. auch Beale, Revelation, 267: „Whichever is the case, either John or the LXX translator misunderstood the Hebrew or interpreted it or gave a dynamic equivalence rendering.“ 130 Satake schließt nicht aus, dass der Verfasser das Wort „weiden“ in 2,27; 12,5; 19,15 mit Absicht aufgriff, und die „untrennbar enge Beziehung zwischen dem harten Handeln Christi den Gottlosen und dem gnadenvollen den Christen [in Offb 7,17; VH] gegenüber zum Ausdruck bringen will.“ (Satake, Offenbarung, 174f., FN 98.). 131 So schreibt auch Giesen: „‚Weiden‘ ist hier nicht die richterliche Herrschaft Christi über die Völker (12,5; 19,15; vgl. 2,26), sondern sein heilvolles Handeln […]“ (Giesen, Offenbarung, 201.). 132 Jes 49,9f. (LXX): καὶ ἐν πάσαις ταῖς ὁδοῖς αὐτῶν βοσκηθήσονται, καὶ ἐν πάσαις ταῖς τρίβοις ἡ νομὴ αὐτῶν·οὐ πεινάσουσιν οὐδὲ διψήσουσιν, οὐδὲ πατάξει αὐτοὺς καύσων οὐδὲ ὁ ἥλιος, ἀλλὰ ὁ ἐλεῶν αὐτοὺς παρακαλέσει καὶ διὰ πηγῶν ὑδάτων ἄξει αὐτούς.

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Verbindungen sind jedoch nicht vorhanden. Beide Texte verwenden das Bild eines messianischen Hirten wenig ausgeprägt; es dient dazu, den Erwählten eschatologisches Heil zu verheißen. 3.2.2 Ruhe Die Ruhe der Ewigkeit wird in 5 Esra 2,34 mit der Nähe dessen begründet (quoniam), der zum Ende der Welt kommen wird133 (SA), bzw. mit der Nähe des Endes der Welt und der diminutio hominum (CMNEVL). Sie ist auch in anderen Texten eschatologisches Gut, z.B. in Weish 4,7; Mt 11,29; 2 Thess 1,7; 4 Esra 8,52; 2 Bar 73,1; JosAs 8,9. Dort wird jedoch nur von ‚Ruhe‘ gesprochen, der volle Ausdruck requiemaeternitatisentspricht Sir 30,17134. Die Ruhe der Ewigkeit kann in Zusammenhang mit 5 Esra 2,12 gesehen werden, wo zugleich mit der Anführung des Baums des Lebens verheißen wird, dass das Volk Gottes nicht mehr arbeiten und ermüden werde. In Offb 14,13 wird Ruhe den Toten vorhergesagt, in einem Kapitel also, das wie Kapitel 7 verschiedene Bezüge zu 5 Esra zeigt. Ruhe wird erst durch das Substantiv ἀνάπαυσις ausgedrückt, dann durch das Verb ἀναπαύω, und bildet den Gegenpunkt zu den Mühen des ‚Diesseits‘. Gleichzeitig kontrastiert sie das Schicksal derer, die das Tier oder sein Bild anbeten und die Tag und Nacht keine Ruhe finden werden.135 Offb 4,8 als Hintergrund zeigt, dass der Schwerpunkt in 14,11 darauf liegt, dass die Qual unablässig geschieht136. Ruhe gilt also in Offb 14 als Belohnung für die Anhänger Gottes, die sie von den Anhängern des Tieres abgrenzt, aber auch eine

In den französischen Handschriften könnte das quoniam auch auf die Aufforderung zur Erwartung rückbezogen werden, so dass die Aussage requiem aeternitatis dabit vobis attributiv aufgefasst werden könnte; die Fassung der spanischen Handschriften (Wechsel der Person) spricht aber gegen dieses Verständnis. 134 Sir 30,17 (VUL): meliorestmorsquamvitaamaraetrequiesaeterna quamlanguorperseverans. 135 So bekräftigt Beale: „Only two verses later, in 14:13, believers find eternal ‚rest‘ when they die, as the opposite of the restlessness that unbelievers will experience […].“ (Beale, Revelation, 764.). 136 Beale (Revelation, 765) verweist für die Strafe „of unending restlessness“ auf 1 Hen 63,1–6, für das Motiv unendlicher Strafe auf SibOr 2,305– 308; 4 Esra 7,35–44; Mt 25,41.46 usw. 133

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Hoffnungsperspektive in den Bedrängungen der Gegenwart darstellt. Offb 14,11 καὶ ὁ καπνὸς τοῦ βασανισμοῦ αὐτῶν εἰς αἰῶνας αἰώνων ἀναβαίνει, καὶ οὐκ ἔχουσιν ἀνάπαυσιν ἡμέρας καὶ νυκτὸς οἱ προσκυνοῦντες τὸ θηρίον καὶ τὴν εἰκόνα αὐτοῦ καὶ εἴ τις λαμβάνει τὸ χάραγμα τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ. 12 Ὧδε ἡ ὑπομονὴ τῶν ἁγίων ἐστίν, οἱ τηροῦντες τὰς ἐντολὰς τοῦ θεοῦ καὶ τὴν πίστιν Ἰησοῦ. 13 Καὶ ἤκουσα φωνῆς ἐκ τοῦ οὐρανοῦ λεγούσης:·γράψον:·μακάριοι οἱ νεκροὶ οἱ ἐν κυρίῳ ἀποθνῄσκοντες ἀπ‘ ἄρτι. ναί, λέγει τὸ πνεῦμα, ἵνα ἀναπαήσονται ἐκ τῶν κόπων αὐτῶν, τὰ γὰρ ἔργα αὐτῶν ἀκολουθεῖ μετ‘ αὐτῶν.

Ähnlich wird auch in Offb 6,11 davon gesprochen, dass die ‚Märtyrer‘137 noch weiter ruhen sollen, bis ihre Zahl voll sei – dieser Vers ist, wie sich noch zeigen wird, durch weitere Motive mit 5 Esra verbunden. Hier bezeichnet „Ruhe“ den Zustand der ‚Märtyrer‘ nach ihrem Tod, in dem sie durch ihre weißen Kleider bereits ein „Zeichen der Zugehörigkeit zur himmlischen Welt“138 empfangen. Offb 6,11 καὶ ἐδόθη αὐτοῖς ἑκάστῳ στολὴ λευκὴ καὶ ἐρρέθη αὐτοῖς ἵνα ἀναπαύσονται ἔτι χρόνον μικρόν, ἕως πληρωθῶσιν καὶ οἱ σύνδουλοι αὐτῶν καὶ οἱ ἀδελφοὶ αὐτῶν οἱ μέλλοντες ἀποκτέννεσθαι ὡς καὶ αὐτοί.

Sowohl in der Offb als auch in 5 Esra gilt Ruhe als eschatologisches Gut, das denen verheißen ist, die sich durch ihre Werke139 (Offb Der Begriff „Märtyrer“ wurde erst in der Literatur der Alten Kirche zum terminustechnicusfür Personen, die als Zeuge ihres Glaubens gestorben sind, begegnet also in der Offb noch nicht in diesem Sinn. Μάρτυς steht dort für „Zeuge“; diese Zeugenschaft kann auch die Hingabe des eigenen Lebens einschließen. Dabei wird jedoch dem Leiden kein Sinn zugesprochen (vgl. Wengst, Schreien, 25f.). Zur Unterscheidung Märtyrer – Zeugen vgl. auch http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/51986/ bzw. http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/56010/ 138 Satake, Offenbarung, 223. 139 Beale hebt hervor: „The parallel in Rev. 6:9–11 shows that 14:13 alludes not merely to general works of righteousness but to faithful deeds of bearing up under oppression. In 6:11 ,rest‘ (the verb ἀναπαύω) is used together with the bestowal of ,white robes‘ of the believer‘s reward after death for their enduring faith in the midst of trials. That the ,rest‘ is to be eternal is apparent from its contrast with the eternal restlessness of the 137

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14,13) oder ihre Einsicht (5 Esra 2,34) auszeichnen. Dabei ist der Kontrast zwischen Gegenwart und verheißener Zukunft, der sich in der Offb zeigt, in 5 Esra nicht abgebildet. Ein negativer Blick auf die Gegenwart, wie er in apokalyptischen Texten üblich ist, ist in 5 Esra kaum ausgearbeitet und nur aus dem Kampf der Völker, vor dem die Mutter jedoch geschützt wird (5 Esra 2,28), und dem in 2,36 negativ konnotierten umbrasaeculi (2,36.39) abzuleiten. Dennoch lässt sich im Text durch die Gegenüberstellung des luxperpetua(2,35) und des umbrasaeculi(2,36.39) und ebenso im Kontrast zwischen dem „Ende der Welt“ (2,34) und der „Ewigkeit der Zeit“ (2,35) eine Unterscheidung von ‚Diesseits‘ und ‚Jenseits‘ erkennen. 3.2.3 Licht 5 Esra 2,35 (SA) Parati estote ad praemia regni, quia lux perpetua lucebit vobis per aeternitatem temporis. 36 Fugite umbram saeculi huius, accipite iucunditatem gloriae vestrae. Ego testor palam salvatorem meum. (CMNEVL) Parati estote ad praemia regni. Lux perpetua lucebit vobis et aeternitas temporum vobis parata est. 36 Fugite umbram saeculi huius, captivitatem gloriae vestrae. Testor salvatorem meum mandatum esse a Domino.

Luxperpetuaund aeternitastemporumwerden in 5 Esra als praemia regnieingeführt; sie werden in den spanischen Handschriften nebeneinandergestellt, in den französischen aufeinander bezogen. Das ewige Licht140 kontrastiert wohl den umbra saeculi; wenn auch das saeculum in 5 Esra an sich nicht negativ dargestellt wird, so deutet der Ausdruck fugite umbram saeculi huius hier doch auf einen wicked in v 11 and from the promises of comfort from life‘s storms made to Christians in 7:13–15 and 21:2–7, where the duration is open-ended. Though in 6:11 the ,rest‘ may appear temporary, 14:13 together with 7:13–15 and 21:2–7 show it to be the beginning of an eternal reward.“ (Beale, Revelation, 768.). 140 Dieser Ausdruck ist wohl auf Jes 60,19f. zurückzuführen: καὶ οὐκ ἔσται σοι ὁ ἥλιος εἰς φῶς ἡμέρας, οὐδὲ ἀνατολὴ σελήνης φωτιεῖ σοι τὴν νύκτα, ἀλλ᾽ ἔσται σοι κύριος φῶς αἰώνιον καὶ ὁ θεὸς δόξα σου. 20 οὐ γὰρ δύσεται ὁ ἥλιός σοι, καὶ ἡ σελήνη σοι οὐκ ἐκλείψει· ἔσται γὰρ κύριός σοι φῶς αἰώνιον, καὶ ἀναπληρωθήσονται αἱ ἡμέραι τοῦ πένθους σου. Vgl. auch Weish 7,26: ἀπαύγασμα γάρ ἐστιν φωτὸς ἀιδίου καὶ ἔσοπτρον ἀκηλίδωτον τῆς τοῦ θεοῦ ἐνεργείας καὶ εἰκὼν τῆς ἀγαθότητος αὐτοῦ.

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negativen Blickwinkel hin. Licht und Schatten werden biblisch als Bilder für Leben und Tod gebraucht (vgl. Jes 9,1; Mt 4,16; Lk 1,79); dabei hebt besonders die Begriffsverbindung σκιὰ θανάτου (Ps 23,4; 44,20; Hiob 3,5; Jer 13,16 u.ö.) die menschliche Vergänglichkeit hervor141. Die Handschriften SA verbinden luxperpetuadurch das kausale quia mit der Aufforderung, bereit zu sein – so erscheint das ewige Licht dort als Belohnung und Zusicherung für das Volk. Die Verbindung mit der aeternitastemporisbzw. temporumverstärkt den eschatologischen Charakter des Verses. Auch in Offb 21,23 und 22,5 wird vom Leuchten Gottes und des Lammes im Neuen Jerusalem gesprochen, dabei wird wahrscheinlich auf Jes 60,19 zurückgegriffen, das auch im Hintergrund von 5 Esra 2,35 stehen könnte; die Verbindung des Leuchtens mit der Herrlichkeit Gottes findet sich auch in Ez 43,2. Im Gegensatz zu 5 Esra bezieht die Offb das Leuchten direkt auf Gott selbst und spricht nicht vom luxbzw. φῶς, sondern gebraucht eine Verbalform von φωτίζω. Offb 21,23 καὶ ἡ πόλις οὐ χρείαν ἔχει τοῦ ἡλίου οὐδὲ τῆς σελήνης ἵνα φαίνωσιν αὐτῇ, ἡ γὰρ δόξα τοῦ θεοῦ ἐφώτισεν αὐτήν, καὶ ὁ λύχνος αὐτῆς τὸ ἀρνίον. 22,5 καὶ νὺξ οὐκ ἔσται ἔτι καὶ οὐκ ἔχουσιν χρείαν φωτὸς λύχνου καὶ φωτὸς ἡλίου, ὅτι κύριος ὁ θεὸς φωτίσει ἐπ‘ αὐτούς, καὶ βασιλεύσουσιν εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων.

Da sich die Terminologie von Offb und 5 Esra klar unterscheiden und das Motiv als Teil der Schilderung des Neuen Jerusalems in der Offb auch in seinem Kontext sehr stark von der kurzen Nennung in 5 Esra abweicht, ist keine direkte Bezugnahme zwischen den Texten erkennbar, jedoch eine grundsätzlich ähnliche Verwendung. 3.3 5Esra2,38–41 Mit 5 Esra 2,38142 und der Aufforderung surgiteetstateetvidetewird eine Offenbarungsrede143 eingeleitet, die in Esras Wiedergabe einer Vision mündet, die ihm zuteilwurde und die den Abschluss von Vgl. Hahn, H.C., σκιά, in: TBLNT³ (2014), 1304–1307, hier 1305. Für diesen Abschnitt vergleiche auch Nicklas, Rezeption, 15–18. 143 Diese Konzeption ist nicht auf apokalyptische Texte beschränkt, sondern in verschiedenen Texten des Alten Testaments zu erkennen (vgl. Ex 14,13; 1 Sam 12,16; Jes 32,9). 141 142

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5 Esra bildet. Die Imperative sind dem Textzusammenhang folgend auf diejenigen zurückzubeziehen, quiauditisetintelligitis (2,34), und an die sich bereits andere Aufforderungen richteten (expectate;parati estote;fugite;accipite;iucundamini). Ob diese auch die Vision erblicken, die Esra in 2,42–48 beschreibt und die ebenfalls mit vidi beginnt, wird aus dem Text heraus nicht eindeutig klar. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die ihnen in 2,38–41 beschriebene144 Gruppe mit dem ‚anderen Volk‘ übereinstimmt (vgl. 2,41) und dass sie auch mit der unzählbaren Menge identisch ist, die in 2,42–45 dargestellt wird. Nimmt man dies an, dann bedeutet das gleichzeitig, dass das ‚andere Volk‘ und die unzählbare Menge unterschieden sind von denen, die hören und verstehen (2,34). Möglich ist dann, dass sich die Bilder aus 2,38–48 auf endzeitliche bzw. jenseitige Geschehnisse beziehen, die den beabsichtigten Adressaten der Schrift vor Augen geführt werden. 5 Esra 2,38 (SA) Surgite et state et videte numerum signatorum in convivio Domini. 39 Qui se de umbra saeculi transtulerunt, splendidas tunicas a Domino acceperunt. 40 Recipe, Sion, numerum tuum et conclude candidatos tuos, qui legem Domini conpleverunt. 41 Filiorum tuorum, quos optabas, plenus est numerus; roga imperium Domini, ut sanctificetur populus tuus, qui vocatus est ab initio. (CMNEVL) Surgite et state et videte numerum signatorum in convivio, 39 qui se de umbra saeculi tulerunt et splendidas tunicas a Domino acceperunt. 40 Accipe, Syon mons, numerum tuum. Conclude candidatos tuos servientes tibi in obtemperantia, quoniam legem Domini145 suppleverunt. 41 Quia olim optabas filios tuos venire, imple numerum eorum. Roga imperium Domini ut sanctificetur populus, quoniam vocatus est ab initio.

In 2,38 wird vom numerus der Versiegelten gesprochen, die am convivium (Domini, nur SA), also dem Gastmahl (Gottes), teilnehmen. Dies verbindet die Versiegelten mit der „Anzahl“, die Zion empfangen soll (2,40); im selben Vers wird konkretisiert, dass damit die

Diese Beschreibungen sind in ihrer Terminologie nicht aufeinander bezogen und bilden kein klares Konzept ab; in diesem Punkt ist jedoch der gesamte Abschnitt nicht eindeutig. 145 Die Handschriften CVL überliefern Dei statt dem Domini der übrigen Handschriften. 144

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candidati146gemeint sind. Zudem macht die Fassung der spanischen Handschriften durch das in den französischen Handschriften in 2,39 fehlende et deutlich, dass das Relativpronomen qui (2,39) auf die Versiegelten (2,38) zu beziehen ist147, dass diese also vom umbra saeculikamen148 und splendidastunicasvon Gott erhielten. Die signati(2,38)sind also einerseits mit den candidatigleichzusetzen, die Der Begriff candidatuswird in der Vulgata nicht verwendet und bedeutet neben seiner wörtlichen Übersetzung „Weißgekleideter“ übertragen auch „Bewerber, Kandidat“. Im TLL wird 5 Esra 2,40 als Beispiel für eine christliche Verwendungsweise angeführt, das als candidati neu Getaufte oder Märtyrer bezeichnet: „apud christianos de nuper baptizatis et martyribus, interdum symbolice i. q. castus purus: Comm. instr. 2, 24, 10 donas tu de lacrimis -s; ille ingratus oppressus usuris deplorat factus egenus. Ps. Lact. mort.pers.49,5 deum videre coepit -is ministris (i. angelis) de se iudicantem persecutor. Hil.inpsalm.2,20 qui enim ut coccum et phoenicium erant, … hi in nivem albescent eruntque veste beati velleris -i. Zeno2,31,5 hominem istum vestrum veterem foeterosis suis cum pannis abicite, novelli omnes, omnes -i. 2,35,7 in fontem quidem nudi demergemini, sed aetherea veste vestiti, mox -i inde surgetis. Ps.Ambr.sacr.5,3,14 astare sibi familiam -am spiritali exultatione laetatur ecclesia. Vulg. IV Esdr. 2, 40 recipe Sion numerum tuum et conclude -os tuos, qui legem domini compleverunt. Prud. perist. 1, 67 Christus illic (in caelo) -is praesidet cohortibus. 4, 145 Caesaraugusta ter senis sacra -is (i. martyribus. cf. Ps.Avg.serm.317 quid aliud massa candida nisi multitudo intellegenda est martyrio -a?). 10, 355 poscit litari victimas Christo … -as simplices. Sedul.op.pasch.1,2p.180, 12 agnum Iesum … purissimum grex omnis sequitur -s. Pass. Mar.Iac.12 p.62,1 iuvenes -i. Pass.Paul.17 Paulus de caelo veniens innumerabilium -orum caterva comitatus.“ (http://www.degruyter.com/view/TLL/3-001/3_0_1_candidatus_1_v2007.xml?pi=0&moduleId=tll-entries&dbJumpTo=candidatus). Das weiße Gewand ist jedoch ein in Texten wie der Offb und dem Hirt des Hermas verbreitetes apokalyptisches Motiv, weshalb seine Verwendung in diesen Kontext eingeordnet werden kann. 147 Meiner Ansicht nach ist diese Leseweise auch in den französischen Handschriften angedacht, wie eine veränderte Interpunktion deutlich macht: SurgiteetstateetvidetenumerumsignatoruminconvivioDomini,quisede umbrasaeculitranstulerunt.SplendidastunicasaDominoacceperunt. 148 Die lateinische Fassung der Handschriften ist nicht eindeutig verständlich. Der Ausdruck se transferre deutet eine räumliche Veränderung an („sich begeben“) und muss keine negative Beurteilung des ursprünglichen Ortes implizieren; die Präposition de weist auf ein Verlassen des umbra saeculi hin. Der vorhergehende Ausdruck fugite umbram saeculi (2,36) jedoch beinhaltet eine negative Wertung. 146

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das Gesetz des Herrn erfüllten (2,40) und andererseits mit denen, die splendidastunicastragen (2,39). Damit liegt nahe, dass die splendidas tunicas zeitgleich die weißen Gewänder der candidati bezeichnen.149 Die Zahl Zions (2,40) wiederum wird in 2,41 mit dem populus in Verbindung gesetzt, das als „von Anfang an berufen“ bezeichnet wird, was wiederum eine Verbindung zwischen dem Volk und den signatischafft. Ob die Szene auf dem Zion (2,42–48) als das Gastmahl (2,38) zu verstehen ist, ist nicht einfach zu entscheiden – die Erklärung des Engels, dass die dort Gekrönten tunicam immortalem annahmen (2,45), verweist jedoch darauf, dass die ‚glänzenden/ hellen/ herrlichen Tuniken‘ mit den ‚unsterblichen Tuniken‘ zu identifizieren sind. Die Versiegelten (1) nehmen also am (himmlischen) Gastmahl teil, (2) tragen splendidas tunicas, die auch als weiße Kleider aufgefasst werden, (3) sind die Kinder Zions, (4) bilden den von Zion erwarteten numerus, (5) erfüllten das Gesetz Gottes und (6) sind das ab initio berufene Volk. Es ist somit davon auszugehen, dass in 2,38–41 eine Gruppe in den Blick genommen wird – zudem ist es wahrscheinlich, dass diese Gruppe auch in 2,42–45 beschrieben wird. Die genannten Eigenschaften dieser Gruppe weisen vielfache Beziehungen zur Apokalypse des Johannes auf, besonders zu den Kapiteln 7 und 14. 3.3.1 Siegel Das Siegeln umfasst in biblischen und schriftnahen Texten verschiedene Implikationen. In Ez 9150 wird es als Zeichen verwendet, das die Gerechten Israels vor der Strafe Gottes schützt, sie also vor körperlichem Unheil bewahrt (vgl. auch Ex 12,13; Offb 9,4). Das Siegel dient auch als Identifikationsmerkmal und Eigentumszeichen Gottes und wird in diesem Sinn in Offb 7,3 für die δοῦλοι τοῦ θεοῦ gebraucht.151 Zusätzlich repräsentiert das Siegel den Namen Gottes, Diese Verbindung zeigt sich auch in Offb 19,8 (VUL): etdatumestilli utcooperiatsebyssinumsplendenscandidum.byssinumenimiustificationes suntsanctorum. 150 Zur Untersuchung von Ez 9 als Hintergrund für Offb 7 vgl. Hirschberg, Peter, Das eschatologische Israel. Untersuchungen zum Gottesvolkverständnis der Johannesoffenbarung (WMANT 84), Neukirchen-Vluyn 1999, 140– 148. 151 Vgl. Giesen, Offenbarung, 193; Bauckham, Richard, The Climax of Prophecy. Studies on the Book of Revelation, London, New York 1993 149

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wie sich ebenfalls in der Offenbarung (14,1; 22,4) zeigt.152 Wie bereits untersucht wurde, steht das Siegel in 5 Esra in Zusammenhang mit dem Namen Gottes, der Erwählung ausdrückt (5 Esra 1,24) und mit der Auferweckung der Toten in Verbindung steht (2,16.23). Es ist also wie in der Offenbarung Erwählungszeichen und Zeichen des Heils. 5 Esra 2,38 Surgite et state et videte numerum signatorum in convivio (Domini). Offb 7,2 Καὶ εἶδον ἄλλον ἄγγελον ἀναβαίνοντα ἀπὸ ἀνατολῆς ἡλίου ἔχοντα σφραγῖδα θεοῦ ζῶντος, καὶ ἔκραξεν φωνῇ μεγάλῃ τοῖς τέσσαρσιν ἀγγέλοις οἷς ἐδόθη αὐτοῖς ἀδικῆσαι τὴν γῆν καὶ τὴν θάλασσαν 3 λέγων·μὴ ἀδικήσητε τὴν γῆν μήτε τὴν θάλασσαν μήτε τὰ δένδρα, ἄχρι σφραγίσωμεν τοὺς δούλους τοῦ θεοῦ ἡμῶν ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν. 4 Καὶ ἤκουσα τὸν ἀριθμὸν τῶν ἐσφραγισμένων, ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες, ἐσφραγισμένοι ἐκ πάσης φυλῆς υἱῶν Ἰσραήλ· 14,1 Καὶ εἶδον, καὶ ἰδοὺ τὸ ἀρνίον ἑστὸς ἐπὶ τὸ ὄρος Σιὼν καὶ μετ‘ αὐτοῦ ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες ἔχουσαι τὸ ὄνομα αὐτοῦ καὶ τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς αὐτοῦ γεγραμμένον ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν. 22,4 καὶ ὄψονται τὸ πρόσωπον αὐτοῦ, καὶ τὸ ὄνομα αὐτοῦ ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν.

5 Esra und die Offb sind nicht nur in der Funktion des Siegels verbunden, sondern auch darin, dass das Siegel in direktem Bezug zu Gott und seinem Namen steht.153 Ein bedeutsamer Unterschied ist jedoch, dass die Anzahl der Versiegelten, die in Offb 7,4 nur gehört wird, während die Versiegelten in 5 Esra 2,38 und in Offb 14,1154 (Nachdruck von 2005), 216; Pattemore, Stephen, The People of God in the Apocalypse. Discourse, Structure and Exegesis (MSSNTS 128), Cambridge 2004, 129; Hirschberg, Israel, 143. 152 Vergleiche hierzu auch Beale, Revelation, 409–415. 153 Beale sieht zudem in beiden Texten die Bedeutung des Siegels, den Glauben seiner Träger zu schützen: „The implication is that all who have been given a divine seal have been predestined to be safeguarded in their faith (the identical idea of ‚sealing‘ believers before the world began in order to protect their faith is found in 4 Ezra 2:38–41; 6:4–6; Odes Sol. 4:7–8; 8,13–19).“ (Beale, Revelation, 415.). 154 Es gibt Diskussionen darüber, ob die 144000 aus Offb 7,4 dieselben 144000 wie in 14,1 sind. Aune kommt nach dem Vergleich der Darstellungen zu dem Ergebnis: „Despite the differences between the two passages,

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zu sehen sind, in Offb 7,2–8 und 14,1 mit 144000155 wiedergegeben wird, die sich aus den zwölf Stämmen Israels zusammensetzen (Offb 7,4–8)156. Diese Beschreibung, die zumindest auf den ersten Blick auf Israel verweist, fehlt in 5 Esra. Es fehlen aber auch weitere Details und Schwerpunkte dieses Abschnitts der Offenbarung in 5 Esra, z.B. die Gestalten der Engel, die Auswirkungen auf die Natur und die direkte Verbindung dieses Siegels mit Gott – das Auslassen dieser Punkte und das Ergänzen anderer, zum Beispiel der splendidastunicasmuss nicht aus bestimmten Absichten heraus geschehen sein. Zudem ist nicht klar, ob 5 Esra das Motiv des Siegelns aus der Offb übernommen hat oder auf einen gemeinsamen Motiv-Schatz zurückgreift. Wenn sich auch Überschneidungen im Verständnis des Siegels finden, so ist doch keine direkte Bezugnahme erkennbar und das Konzept des Siegelns in den beiden Texten unterschiedlich gestaltet.

and despite the fact that the mention of the 144,000 does not have the anaphoric definite article referring back to 7:4, it appears that the author intends to equate the 144,000 in 7:4–8 and 14:1–5.“ (Aune, Revelation 6–16, 448.). Ebenso weist Hirschberg die Identität der Gruppen in einer ausführlichen Argumentation auf (vgl. Hirschberg, Israel, 195–200.). Karlheinz Müller widerspricht: „Nur auf einen allerersten, flüchtigen Blick kann es sich nahelegen, diese 144.000 aus Offb 14,1–5 mit jenen anderen 144.000 in Offb 7,1–8 gleich zu stellen.“ (Müller, Einhundertvierundvierzigtausend, 136.). 155 Diese Zahl ist wohl symbolisch, nicht wörtlich zu verstehen: „Symbolically it suggests the completeness and perfection of the company of the people of God.“ (Pattemore, People, 135.). 156 Die Bedeutung dieses Charakteristikums wird in der Forschung zur Offenbarung sehr unterschiedlich interpretiert: Während manche ethnische Juden (vgl. Müller, Einhundertvierundvierzigtausend, 140.) impliziert sehen, denken andere an Märtyrer (vgl. Caird, George B., A Commentary on the Revelation of St. John the Divine (BNTC), London ²1984, 95.), eine Armee (vgl. Bauckham, Climax, 217.) oder sehen die Kirche hier als wahres oder eschatologisches Israel angedeutet (vgl. Lichtenberger, Apokalypse, 148; Harrington, Revelation, 98; Hirschberg, Israel, 200; Giesen, Offenbarung, 193.). Eine Mittelposition hat Aune inne, der die 144000 als „a Christian symbol for the fullness of the new people of God, composed of both Jews and Gentiles“versteht. Er ergänzt: „They form, as it were, an eschatological army of those who keep the commandments of God and follow the Lamb. They are not martyrs, for they have received divine immunity from all forms of suffering and death.“ (Aune, Revelation 6–16, 444.).

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3.3.2 Mahl Die Versiegelten werden in 5 Esra als Teilnehmer des convivium (Domini)bezeichnet, das möglicherweise in 2,42–48 mit der Krönung der unzählbaren Menge näher beschrieben wird, an dieser Stelle aber keinerlei weitere Konkretisierung erfährt. Die Vorstellung eines eschatologischen Mahls auf dem Zion begegnet zum ersten Mal in Jes 25,6, wo ein Mahl „von fetten Speisen und alten Weinen“ für alle Völker beschrieben wird. Von einem Mahl mit dem Menschensohn spricht 1 Hen 62,14, das das Mahl mit Ruhe und einem besonderen Gewand verbindet, während 2 Hen 42,5 Licht und ewiges Leben in den Zusammenhang des Mahls setzt. Auch die Offenbarung spricht von einem besonderen Mahl, vom Hochzeitsmahl des Lammes: Offb 19,7 χαίρωμεν καὶ ἀγαλλιῶμεν καὶ δώσωμεν τὴν δόξαν αὐτῷ, ὅτι ἦλθεν ὁ γάμος τοῦ ἀρνίου καὶ ἡ γυνὴ αὐτοῦ ἡτοίμασεν ἑαυτὴν 8 καὶ ἐδόθη αὐτῇ ἵνα περιβάληται βύσσινον λαμπρὸν καθαρόν·τὸ γὰρ βύσσινον τὰ δικαιώματα τῶν ἁγίων ἐστίν. 9 Καὶ λέγει μοι·γράψον·μακάριοι οἱ εἰς τὸ δεῖπνον τοῦ γάμου τοῦ ἀρνίου κεκλημένοι. καὶ λέγει μοι· οὗτοι οἱ λόγοι ἀληθινοὶ τοῦ θεοῦ εἰσιν.

Während 5 Esra in den französischen Handschriften vom Mahl des Herrn spricht, liegt der Akzent in der Offenbarung augenscheinlich auf dem Lamm und seiner Hochzeit, die jedoch, wie die δικαιώματα τῶν ἁγίων (19,8) aufweisen, das „eschatologische Heil der ‚Heiligen‘“157 ankündigen will. Eine weitere Verbindung zwischen der Ausgestaltung dieses Motivs in Offb und 5 Esra stellen die glänzenden Kleider der Frau des Lammes dar158 (vgl. auch Offb 15,6), die an die splendidas tunicas(5 Esra 2,39) der Versiegelten erinnern. Die Verknüpfung der glänzenden Kleider mit den gerechten Taten in Offb 19,8, als deren Folge ein eschatologisches Mahl stattfindet, schlägt einen Bogen zu 5 Esra, wo in 2,43–45 die Krönung der Gerechten abgebildet wird, die wahrscheinlich das convivium der signati und candidati darstellt. Erneut entsteht der Eindruck, dass beide Texte auf dasselbe Motiv zurückgreifen, es aber sehr unterschiedlich ausgestalten. Satake, Offenbarung, 373. Kowalski erklärt: „Ihre Kleidung, das strahlend reine Leinen, symbolisiert ihre gerechten Taten und ihre Heiligkeit.“ (Kowalski, Beate, Gottesbilder in Offb 21,1–8. Alttestamentliche Vernetzungen, in: Stowasser, Martin (Hg.), Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes (WUNT 2,397), Tübingen 2015, 11–52, hier 22.). 157 158

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3.3.3 Vollzahl Mit 5 Esra 2,40 wird erneut Zion ins Spiel gebracht, das als Mutter Israels (2,2–6) auftrat und, wie 5 Esra 2,40 (in Bezug gesetzt zu 2,26) und 2,41 zeigen, auch die Mutter des ‚anderen Volkes‘ ist. 5 Esra 2,40 (SA) Recipe, Sion, numerum tuum et conclude candidatos tuos, qui legem Domini conpleverunt. 41 Filiorum tuorum, quos optabas, plenus est numerus; roga imperium Domini, ut sanctificetur populus tuus, qui vocatus est ab initio. (CMNEVL) Accipe, Syon mons, numerum tuum. Conclude candidatos tuos servientes tibi in obtemperantia, quoniam legem Domini suppleverunt. 41 Quia olim optabas filios tuos venire, imple numerum eorum. Roga imperium Domini ut sanctificetur populus, quoniam vocatus est ab initio.

Die Anzahl, die Zion auf- bzw. annehmen soll, wird zweifach als die Anzahl ihrer Kinder konkretisiert, (1) durch die Nennung der filiiin 5 Esra 2,41, die wiederum das populusbilden und (2) durch die Verheißung Gottes in 2,26, dass er die servider Mutter, d.h. ihre Anzahl, suchen werde. 5 Esra 2,26f. ist schwer verständlich. Zwar ist requireredealiqu.+ Akkusativobj. in der VUL üblich (vgl. Gen 9,5; 43,9; Ez 3,18.20), doch ergibt die Bedeutung „einfordern von“ an dieser Stelle keinen Sinn. Auch die von Wolter vorgeschlagene Übersetzung „Ich werde sie suchen nach deiner Zahl“159 ist grammatikalisch schwer möglich und wenig verständlich. Möglicherweise sind die servi von SA als Untergruppe der filiizu verstehen, werden aus der Anzahl also ausgewählt. Dieser Ausdruck fehlt in der französischen Fassung jedoch. Es ist zu überlegen, ob eine Abänderung der Interpunktion an dieser Stelle Klarheit bringen könnte: Übersetzt man requirere mit „suchen“, könnte man de numero tuo mit de als Präposition „zur Bezeichnung der veranlassenden Ursache od. des Grundes, ‚von wegen, wegen, um... willen, aus, durch‘“160 auf noli satagere161 beziehen, so dass sich folgende Übersetzung ergibt: Wolter, 5. Esra-Buch, 813. Georges, Band 1, 1888. 161 Das Verb satisagereder spanischen Handschriften findet sich weder im Georges noch in der VUL, wird von Wolter aber mit „besorgt sein“ übersetzt (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 813f.). 159 160

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5 Esra 2,26 (SA) „Die Knechte, die ich dir gegeben habe – niemand von ihnen wird zugrunde gehen, denn ich werde sie suchen. Sei nicht in Not wegen deiner Zahl – wenn…“ 2,26 Servos quos tibi dedi, nemo ex eis interiet, ego enim eos requiram. De numero tuo 27 noli satagere, cum venerit enim dies pressurae et angustiae, alii plorabunt et tristes erunt, tu autem hilaris et copiosa eris.

Während numerusin 5 Esra 2,38 noch auf eine unbestimmte Menge verweisen kann, vermitteln 2,40f. klar den Eindruck, dass an eine feste Anzahl gedacht ist. Dies zeigt sich am deutlichsten in der Formulierung plenus est numerus bzw. imple numerum eorum, die in einen doppelten Bezug, zu filiiund populus,gesetzt wird. Das Erreichen der Zahl des Volkes führt wiederum zu dessen Heiligung, die auf den imperiumDominihingeschehen soll – es löst also eschatologische Ereignisse aus. Dieses Motiv der festgesetzten Anzahl der Erwählten tritt auch in anderen Schriften in Erscheinung, z.B. in Röm 11,25; 4 Esra 4,35ff.; 1 Hen 47,4; 2 Bar 23,4f; 30,2.162 Die Handschriftengruppen 5 Esras unterscheiden sich in 2,41 in mehreren Details: Während die Anzahl in SA schon erreicht ist, was dem bereits angekündigten Kommen des ‚anderen Volkes‘ in 1,38 entsprechen würde, muss die Zahl in CMNEVL noch angefüllt bzw. vollzählig gemacht werden, und zwar vom Berg Zion, zu dem die Kinder kommen sollen. Verbunden ist dies jedoch mit der Aufforderung accipenumerumtuum(2,40), es ist also wohl an eine schnell zu erreichende Vollzähligkeit gedacht. Während die spanischen Handschriften durch die Ergänzung von mons(2,40) und venire (2,41) den Zion als eschatologischen Gottesberg darstellen, an dem sich die Erwählten sammeln (vgl. Jes 2,2–4), erscheint Zion in den Handschriften SA personifiziert als Mutter. Die Aufforderung an Zion, ihre Anzahl anzunehmen, die auch in SA zu finden ist (dort mit dem Imperativ recipe) verknüpft die signati und die eschatologischen Ereignisse direkt mit Zion, das positiv mit seinen Kindern verbunden ist, wie das Verb optabas(2,41) hervorhebt. Dieses eigentlich ‚jüdische‘ Charakteristikum wird in den Handschriften CMNEVL noch zusätzlich verstärkt: Das nur in diesen Handschriften eingefügte olim und die in beiden Handschriftengruppe vorhandene Ergänzung, dass das Volk ab initio berufen sei (2,41), stellen einen Bezug zur 162 Zur Untersuchung der Verbindungen der Offenbarung zu diesen Passagen vgl. Bauckham, Climax, 48–56.

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Geschichte und zur Verbindung Gottes mit Israel her. Dies wurde oft so gedeutet, dass in 5 Esra an eine radikale Ersetzung, gleichsam eine Auslöschung Israels, auch aus der Geschichte, gedacht ist. Doch kann dies im Gegenteil ebenso darauf verweisen, dass weiterhin Israel im Blick ist, aber nicht mehr in seiner ursprünglichen Gestalt, sondern gewandelt und geöffnet auf die genteshin! 5 Esra spricht also von einer Vollzahl der Kinder Zions, deren Erreichung zu soteriologischen Ereignissen, hier der Heiligung des Volkes, führt. Eine (Symbol-)Zahl für die Erwählten kennt auch die Offenbarung, wie die Nennung der 144000 in 7,4 und 14,1.3 zeigt. Auch in Offb 6,11 wird eine Zahl der Erwählten angedeutet163: Offb 6,9 Καὶ ὅτε ἤνοιξεν τὴν πέμπτην σφραγῖδα, εἶδον ὑποκάτω τοῦ θυσιαστηρίου τὰς ψυχὰς τῶν ἐσφαγμένων διὰ τὸν λόγον τοῦ θεοῦ καὶ διὰ τὴν μαρτυρίαν ἣν εἶχον. 10 καὶ ἔκραξαν φωνῇ μεγάλῃ λέγοντες· ἕως πότε, ὁ δεσπότης ὁ ἅγιος καὶ ἀληθινός, οὐ κρίνεις καὶ ἐκδικεῖς τὸ αἷμα ἡμῶν ἐκ τῶν κατοικούντων ἐπὶ τῆς γῆς; 11 καὶ ἐδόθη αὐτοῖς ἑκάστῳ στολὴ λευκὴ καὶ ἐρρέθη αὐτοῖς ἵνα ἀναπαύσονται ἔτι χρόνον μικρόν, ἕως πληρωθῶσιν καὶ οἱ σύνδουλοι αὐτῶν καὶ οἱ ἀδελφοὶ αὐτῶν οἱ μέλλοντες ἀποκτέννεσθαι ὡς καὶ αὐτοί.

Das griechische πληρόω wird in der Vulgata und in einigen Vetus Latina Handschriften mit implerewiedergegeben, wie es auch in den Handschriften CMNEVL in 5 Esra 2,41 verwendet wird. Auch die „kurze Zeit“, die die ‚Märtyrer‘ laut Offb 6,11 noch warten müssen, ist mit der Fassung der spanischen Handschriften 5 Esras vereinbar. Zudem gibt es eine weitere wichtige Verbindung zwischen den Texten in diesem Vers, gleichzeitig aber auch einen großen Unterschied: Den ‚Märtyrern‘, deren Zeugnis belohnt wird (Offb 6,9), so wie auch die Einzelnen der Menge auf dem Zion in 5 Esra 2,47 dafür gepriesen werden, dass sie fortiterpronomineDoministeterunt(nur SA), wird ein weißes Gewand gegeben (Offb 6,11), wie es auch die signati erhalten (5 Esra 2,39f.). Doch unterscheiden sich die Texte darin, dass in der Offb das blutige Schicksal der ‚Märtyrer‘ in den Mittelpunkt gestellt wird, das in 5 Esra auf keinerlei Weise erkennbar wird. Auch dort wird zwar von der tunica immortalis in Abgrenzung zur tunicamortalisgesprochen (2,45), doch gibt der Text keinen Hinweis 163

Vgl. hierzu auch Wengst, Schreien, 25f.

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darauf, dass der Tod dieser Personen gewaltsam war. In der Offb hingegen klagen die ‚Märtyrer‘ und verlangen von Gott Vergeltung für ihre Ermordung (6,9f.). Sowohl die Offb als auch 5 Esra kennen also das Konzept einer Vollzahl von Erwählten, doch fehlen in der Offb der direkte Bezug zu Zion, in 5 Esra der Hinweis auf das gewaltsame Los der ‚Märtyrer‘ und die Aufforderung an diese zu ruhen. Von einem direkten Bezug zwischen den Stellen ist also nicht auszugehen. 3.3.4 Weiße Kleider Die weißen Gewänder der ‚Märtyrer‘ werden in der Offenbarung an verschiedenen Stellen erwähnt und sind ein weiteres Motiv, das 5 Esra und die Offb verbindet. Die Offb verwendet das Motiv neben den bereits genannten Stellen (6,11; 19,8) fünfmal. Die Gewänder werden dabei in ἱμάτια, στολαί und βύσσινον unterschieden. Offb 3,4 ἀλλ‘ ἔχεις ὀλίγα ὀνόματα ἐν Σάρδεσιν ἃ οὐκ ἐμόλυναν τὰ ἱμάτια αὐτῶν, καὶ περιπατήσουσιν μετ‘ ἐμοῦ ἐν λευκοῖς, ὅτι ἄξιοί εἰσιν. 5 Ὁ νικῶν οὕτως περιβαλεῖται ἐν ἱματίοις λευκοῖς καὶ οὐ μὴ ἐξαλείψω τὸ ὄνομα αὐτοῦ ἐκ τῆς βίβλου τῆς ζωῆς καὶ ὁμολογήσω τὸ ὄνομα αὐτοῦ ἐνώπιον τοῦ πατρός μου καὶ ἐνώπιον τῶν ἀγγέλων αὐτοῦ. 3,18 συμβουλεύω σοι ἀγοράσαι παρ‘ ἐμοῦ χρυσίον πεπυρωμένον ἐκ πυρὸς ἵνα πλουτήσῃς, καὶ ἱμάτια λευκὰ ἵνα περιβάλῃ καὶ μὴ φανερωθῇ ἡ αἰσχύνη τῆς γυμνότητός σου, καὶ κολλ[ο]ύριον ἐγχρῖσαι τοὺς ὀφθαλμούς σου ἵνα βλέπῃς. 4,4 Καὶ κυκλόθεν τοῦ θρόνου θρόνους εἴκοσι τέσσαρες, καὶ ἐπὶ τοὺς θρόνους εἴκοσι τέσσαρας πρεσβυτέρους καθημένους περιβεβλημένους ἐν ἱματίοις λευκοῖς καὶ ἐπὶ τὰς κεφαλὰς αὐτῶν στεφάνους χρυσοῦς. 7,9 Μετὰ ταῦτα εἶδον, καὶ ἰδοὺ ὄχλος πολύς, ὃν ἀριθμῆσαι αὐτὸν οὐδεὶς ἐδύνατο, ἐκ παντὸς ἔθνους καὶ φυλῶν καὶ λαῶν καὶ γλωσσῶν ἑστῶτες ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου περιβεβλημένους στολὰς λευκὰς καὶ φοίνικες ἐν ταῖς χερσὶν αὐτῶν, 7,13 Καὶ ἀπεκρίθη εἷς ἐκ τῶν πρεσβυτέρων λέγων μοι·οὗτοι οἱ περιβεβλημένοι τὰς στολὰς τὰς λευκὰς τίνες εἰσὶν καὶ πόθεν ἦλθον; 14 καὶ εἴρηκα αὐτῷ·κύριέ μου, σὺ οἶδας. καὶ εἶπέν μοι·οὗτοί εἰσιν οἱ ἐρχόμενοι ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης καὶ ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου. 19,14 Καὶ τὰ στρατεύματα [τὰ] ἐν τῷ οὐρανῷ ἠκολούθει αὐτῷ ἐφ‘ ἵπποις λευκοῖς, ἐνδεδυμένοι βύσσινον λευκὸν καθαρόν.

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Die weiße Kleidung gilt in der Offenbarung als Zeichen der Gerechten und Reinen, wie Offb 3,4f. und 6,11 zeigen164, aber auch als Zeichen für die Belohnung165 des Glaubens, wie eben diese Stellen nahelegen. Offb 4,4; 7,9.13; 19,14 verdeutlichen die weiße Kleidung auch als Gewänder der himmlischen Wesen166, die durch ihre Reinheit vor Gottes Thron stehen können167. Diese Reinheit erlangten, wie in 7,14 beschrieben wird, die aus der großen Bedrängnis Kommenden168 durch das Waschen169 ihrer Kleider (vgl. Ex 19,10.14) im Blut des Lammes. In 5 Esra werden die candidati als diejenigen beschrieben, die das Gesetz des Herrn erfüllt haben und die von Zion eingeschlossen170 Pattemore führt aus: „the state of the garments clearly reflects the behaviour and ethical state of the wearers.“ (Pattemore, People, 87.). Ebenso bekräftigt Tavo: „Clearly, the act of being clothed in white, whether by robe, garment or linen, connotes a life of purity and integrity.“ (Tavo, Woman, 167.). 165 „The martyrs are identified with other heavenly beings, and in particular with the risen Christ, qualified as residents of heaven. This is the reward for their works. They are assured of eternal life and the ability to stand and be acknowledged before God.“ (Pattemore, People, 88.) 166 Dies erklärt auch Satake: „Ihre weißen Gewänder sind ein Symbol der Zugehörigkeit zur himmlischen Welt.“ (Satake, Offenbarung, 231.). Ebenso meint Ulfgard: „In Rev, as in the rest of the New Testament, the colour white is especially related to the heavenly world, which means that the white robes of the multitude must fundamentally be understood as representing the ‚heavenly‘ quality of its bearers.“ (Ulfgard, Håkan, Feast and Future. Revelation 7:9–17 and the Feast of Tabernacles (CB.NT 22), Lund 1989, 81.). 167 Vgl. Pattemore, People, 143. 168 Satake verdeutlicht: „Die Christen bekommen erst durch ihr treues Erdulden der Bedrängnis bis zu ihrem Tod am Tod Christi und dadurch auch an dessen Sieg Anteil.“ (Satake, Offenbarung, 233.). 169 Pattemore verbindet diesen Reinigungsritus mit den Mahnungen in den Briefen an Sardis (Offb 3,1–6) und Laodicea (3,14–22): „Thus the combination of coming through the great tribulation and washing their robes in the blood of the Lamb produces a challenge to the audience to respond to the tribulation that is coming to them with faithfulness, refusal to compromise, refusal to fall into sin. In this way they will hope to be a part of the crowd around the throne.“ (Pattemore, People, 153.). Weiterhin wird das Waschen der Kleidung auch als Symbol für die Taufe verstanden (vgl. hierzu Ulfgard, Feast, 82f., der einen Taufbezug nicht ausschließt, aber keine Reduzierung darauf unterstützt.). 170 Concludere wird in der Vulgata nur in einem negativen Kontext verwendet; Myers übersetzt den Begriff ins Positive gewendet mit „enfold“ (vgl. Myers, I and II Esdras, 147.). 164

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werden sollen. Diese Charakterisierung und die Umschreibung der Kleider im vorherigen Vers als splendidae tunicae verweisen darauf, dass die Gewänder auch in 5 Esra Reinheit symbolisieren.171 Der Bezug zur großen Menge, die in immortalestunicasgekleidet ist, bringt zudem eine Verbindung zur himmlischen Welt; die weißen Gewänder stellen sogar eines der zentralen Charakteristika dieser Gestalten dar. Diesen Kontext teilen die Offb und 5 Esra mit weiteren Texten, z.B. Dan 7,9; Mk 9,3 par Mt 17,2; Mk 16,5 par Mt 28,3; Passio Perp. 4,8172 und dem Hirt des Hermas, Sim. 8,2,3–4173. Die Offb und 5 Esra weisen somit zwar eine ähnliche Verwendung des Motivs auf, doch ist dies auch bei zahlreichen anderen apokalyptischen Texten der Fall; zudem wird dieses Motiv in der Offb wesentlich häufiger und differenzierter gebraucht als in 5 Esra. Eine direkte Entlehnung dieses Motivs aus der Offb ist für 5 Esra nicht nachzuweisen, ist jedoch im Hinblick auf die Häufung der Bezugslinien zwischen den beiden Texten nicht unwahrscheinlich. 3.4 5Esra2,42–48 Mit 2,42 beginnt Esras Schilderung einer Vision, die er empfängt, und die möglicherweise auch für die, quiauditisetintellegitis(2,34), sichtbar ist. In der Vision wird Esra eine große Menge gezeigt, die sich auf dem Berg Zion befindet. 5 Esra 2,42 (SA) Ego Ezra vidi in monte Sion turbam magnam, quam numerare non potui, et omnes canticis conlaudabant Dominum. 43 Et in medio eorum erat iuvenis statura celsus, eminentior omnibus illis, et singulis eorum capitibus inponebat coronas, et magis exaltabatur; ego autem miraculo tenebar. 44 Tunc interrogavi angelum et dixi: Qui sunt hii, domine? 45 Qui respondens dixit mihi: Hii sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt et confessi sunt nomen Dei; modo coronantur et accipiunt palmas. 46 Et dixi ad angelum: Ille iuvenis quis est, qui eis coronas inponit et palmas in manus tradit? 47 Qui respondens dixit mihi: Ipse est Filius Dei, quem in saeculo confessi sunt. Ego autem magnificare eos coepi, qui fortiter pro nomine Beale schreibt zu Offb 6,11: „Instead, the metaphor of white robes connotes the idea of a purity resulting from persevering faith tested by the refining fire of tribulation (see on 3:4–5; cf. 4 Ezra 2:39–44, which alludes to Rev. 6:11).“ (Beale, Revelation, 394.). 172 An dieser Stelle wird wie in 5 Esra der Begriff candidativerwendet. 173 Die „Träger der grünen Zweige“ werden in Hirt des Hermas, Sim. 8,2 mit weißem Gewand und Siegel versehen. 171

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Domini steterunt. 48 Tunc dixit mihi angelus: Vade et adnuntia populo meo, qualia et quanta mirabilia Domini Dei vidisti. (CMNEVL) Ego Esdra vidi in monte Syon turbam magnam quam numerare nemo poterat; omnes canticis conlaudabant Dominum. 43 Et in medio eorum erat iuvenis statura excelsus, omnibus illis eminens. Et in capite illorum coronas singulas ponebat, et magis exaltabantur. Ego autem mirari coepi. 44 Et interrogavi angelum et dixi, Qui sunt hii? 45 Et respondens dixit mihi, Isti sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt, et confessi sunt nomen Dei. Modo coronantur et accipiunt palmas. 46 Et dixi ad angelum, Quis est iste iuvenis qui eis coronas dat et palmas? 47 Et ille respondit mihi et dixit, Ipse est filius Dei quem confessi sunt in saeculo mortali. Ego vero laudare et magnificare coepi Dominum. 48 Et dixit mihi angelus, Vade et nuntia populo ipsius quanta mirabilia a Domino Deo vidisti.

Diese Verse 5 Esras greifen verschiedene Motive aus den Kapiteln 7 und 14 der Offenbarung auf, zudem weitere Motive aus anderen Kapiteln. Offb 7,9 Μετὰ ταῦτα εἶδον, καὶ ἰδοὺ ὄχλος πολύς, ὃν ἀριθμῆσαι αὐτὸν οὐδεὶς ἐδύνατο, ἐκ παντὸς ἔθνους καὶ φυλῶν καὶ λαῶν καὶ γλωσσῶν ἑστῶτες ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου περιβεβλημένους στολὰς λευκὰς καὶ φοίνικες ἐν ταῖς χερσὶν αὐτῶν, 10 καὶ κράζουσιν φωνῇ μεγάλῃ λέγοντες·ἡ σωτηρία τῷ θεῷ ἡμῶν τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ καὶ τῷ ἀρνίῳ. 11 Καὶ πάντες οἱ ἄγγελοι εἱστήκεισαν κύκλῳ τοῦ θρόνου καὶ τῶν πρεσβυτέρων καὶ τῶν τεσσάρων ζῴων καὶ ἔπεσαν ἐνώπιον τοῦ θρόνου ἐπὶ τὰ πρόσωπα αὐτῶν καὶ προσεκύνησαν τῷ θεῷ 12 λέγοντες·ἀμήν, ἡ εὐλογία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ σοφία καὶ ἡ εὐχαριστία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ ἰσχὺς τῷ θεῷ ἡμῶν εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων·ἀμήν. 13 Καὶ ἀπεκρίθη εἷς ἐκ τῶν πρεσβυτέρων λέγων μοι·οὗτοι οἱ περιβεβλημένοι τὰς στολὰς τὰς λευκὰς τίνες εἰσὶν καὶ πόθεν ἦλθον; 14 καὶ εἴρηκα αὐτῷ·κύριέ μου, σὺ οἶδας. καὶ εἶπέν μοι·οὗτοί εἰσιν οἱ ἐρχόμενοι ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης καὶ ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου. 15 διὰ τοῦτό εἰσιν ἐνώπιον τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ καὶ λατρεύουσιν αὐτῷ ἡμέρας καὶ νυκτὸς ἐν τῷ ναῷ αὐτοῦ, καὶ ὁ καθήμενος ἐπὶ τοῦ θρόνου σκηνώσει ἐπ‘ αὐτούς. 16οὐπεινάσουσιν ἔτι οὐδὲ διψήσουσιν ἔτι οὐδὲ μὴ πέσῃ ἐπ‘ αὐτοὺς ὁ ἥλιος οὐδὲ πᾶν καῦμα, 17 ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου ποιμανεῖ αὐτοὺς καὶ ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων, καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν. Offb 14,1 Καὶ εἶδον, καὶ ἰδοὺ τὸ ἀρνίον ἑστὸς ἐπὶ τὸ ὄρος Σιὼν καὶ μετ‘ αὐτοῦ ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες ἔχουσαι τὸ ὄνομα

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αὐτοῦ καὶ τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς αὐτοῦ γεγραμμένον ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν. 2 καὶ ἤκουσα φωνὴν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ὡς φωνὴν ὑδάτων πολλῶν καὶ ὡς φωνὴν βροντῆς μεγάλης, καὶ ἡ φωνὴ ἣν ἤκουσα ὡς κιθαρῳδῶν κιθαριζόντων ἐν ταῖς κιθάραις αὐτῶν. 3 καὶ ᾄδουσιν [ὡς] ᾠδὴν καινὴν ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τῶν τεσσάρων ζῴων καὶ τῶν πρεσβυτέρων, καὶ οὐδεὶς ἐδύνατο μαθεῖν τὴν ᾠδὴν εἰ μὴ αἱ ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες, οἱ ἠγορασμένοι ἀπὸ τῆς γῆς. 4 οὗτοί εἰσιν οἳ μετὰ γυναικῶν οὐκ ἐμολύνθησαν, παρθένοι γάρ εἰσιν, οὗτοι οἱ ἀκολουθοῦντες τῷ ἀρνίῳ ὅπου ἂν ὑπάγῃ. οὗτοι ἠγοράσθησαν ἀπὸ τῶν ἀνθρώπων ἀπαρχὴ τῷ θεῷ καὶ τῷ ἀρνίῳ, 5 καὶ ἐν τῷ στόματι αὐτῶν οὐχ εὑρέθη ψεῦδος, ἄμωμοί εἰσιν.

Während die Verortung dieser Geschehnisse auf dem Zion in 5 Esra oft mit 4 Esra 13 in Verbindung gebracht wird, lassen sich ebenso deutliche Bezugnahmen zwischen 5 Esra 2,42–46 und Offb 14 erkennen, das die 144000 Versiegelten auf dem Zion platziert, aber auch Bezüge zu Offb 7, das in Zusammenhang mit Kap. 14 steht: 5 Esra 2,42–46 ist gleichsam eine Zusammensetzung aus diesen beiden Kapiteln. 5 Esra verknüpft dabei drei in der Offb getrennte Darstellungen: (1) die Versiegelten aus Offb 7,1–8, (2) die unzählbare Menge, in Weiß gekleidet, aus Offb 7,9–17 und (3) die 144000 auf dem Zion aus Offb 14,1–5. 3.4.1 Berg Zion Die mit dem Siegel Bezeichneten (Offb 7,1–8; 14,1; 5 Esra 2,38) befinden sich in beiden Texten auf dem Berg Zion (Offb 14,1; 5 Esra 2,42), der Schauplatz der eschatologischen Ereignisse ist174 – das Erscheinen des Messias bzw. Gottessohnes auf dem Zion verbindet die beiden Texte mit 4 Esra 13175 und 2 Bar 40,1.176 Während 174 Hierbei könnte das irdische Jerusalem, aber auch das himmlische Jerusalem gemeint sein. Aune verweist auf diese Offenheit, spricht sich aber für eine Darstellung des „heavenly triumph“ der „people of God“ aus (Aune, Following, 68.). Auch Beale spricht von der „end-time city where God dwells with and provides security for the remnant, the ‚144,000 who have been bought out from the earth.‘“ (Beale, Revelation, 732.). 175 Wie der Messias in 4 Esra 13 auf dem Zion steht, steht auch das Lamm dort in Offb 14,1. Es ist also wohl auch in der Offb an eine kriegerische Assoziation gedacht (vgl. Aune, Revelation 6–16, 803.). 176 Vgl. auch Hebr 12,22–24. Pattemore führt aus: „But here we are specifically on Mt Zion, which, since its acquisition by the shepherd-king, was

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die Versiegelten in der Offb um das Lamm gruppiert sind (14,1), umringen sie in 5 Esra einen iuvenisstatura(ex)celsus177(2,43), der als „Sohn Gottes“ identifiziert wird (2,47). Offb 14,1 und 5 Esra 2,42f. entsprechen sich178 in dem Aspekt der Situationsbeschreibung, dass die Menge bereits zu Beginn um das Lamm bzw. den jungen Mann geschart ist und nicht auf den Zion zieht, wie es in anderen Texten geschildert wird; gleichzeitig unterscheiden sie sich dadurch, dass in Offb 14 keine Tätigkeit des Lammes dargestellt ist179, während der „Sohn Gottes“ in 5 Esra Palmen und Kränze verteilt. 3.4.2 Unzählbare Menge Die Gruppe dieser Auserwählten wird in 5 Esra nicht erneut als signatioder candidatibezeichnet, sondern als turbamagna,quamnumerare non potui bzw. nemo poterat (2,42); eine Übereinstimmung dieser Gruppe mit den signati und candidati180 wurde aus dem known as the City of David (2 Sam. 5:7) and carries ideas associated with the Davidic Messiah in almost all of its occurrences. It is the place of residence of God (Pss. 9:11; 76:2; 132:13) and his anointed king (Ps. 2:6). It is the place fromwhich help is expected to come for the people of God, but also the focus of the hopes of restoration of the exiles.“ (Pattemore, People, 180.). Zur Bedeutung des Zion für eschatologische Ereignisse s. auch das Kapitel zu 4 Esra, Punkt 3. 177 Excelsus bedeutet primär „erhaben“, wird aber z.B. in Dtn 2,10 für hohen Wuchs verwendet; eminens wird ebenso meist bildhaft gebraucht, doch verwendet auch Ez 17,22 (VUL) die Begriffskombination excelsusund eminensfür einen Berg. Auf die überragende Größe himmlischer Gestalten bzw. des Messias selbst wird auch in weiteren Texten eingegangen, z.B. in 2 Hen 1,4; ApkPaul 51; Hirt des Hermas, Sim. 9,6,1; EvPetr 10(40) oder Passio Perp. 10,8. Brox führt an: „Die Größe zeigt in Apokalypsen den Rang der kolossalen Gestalt.“ (Brox, Norbert, Der Hirt des Hermas (KAV 7), Göttingen 1991, 398.). 178 Aune spricht davon, dass 5 Esra 2,42–48 „obvious similarities“ zu Offb 7,9; 14,1 und Hebr 12,22 aufweise und ordnet dies als „literary dependence“ ein (Aune, Revelation 6–16, 803.). 179 Pattemore argumentiert jedoch: „The Lamb does nothing here but stand, and it is as though his mere presence is enough to defeat the beasts.“ (Pattemore, People, 179.). 180 Wie die Versiegelten aus Offb 7,4; 14,1 mit den Weißgekleideten in Offb 7,9 in Verbindung stehen, wird in der Forschung sehr unterschiedlich

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Zusammenhang erschlossen. Die Beschreibung dieser unzählbaren Gruppe stimmt beinahe wörtlich mit Offb 7,9181 überein, dessen Vulgata Version vidi turbam magnam quam dinumerare nemo poterat lautet. Bergren gibt an, dass ein Zitat der Stelle bei Cyprian dieser Formulierung entspricht und dass auch die Vetus Latina Fassungen als einzige Variante nullushominumstatt nemonennen182; die Texte weisen also beinahe denselben Wortlaut auf. Ob die spanische oder die französische Fassung von 5 Esra 2,42 ursprünglicher ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden; gegen die spanische Version spricht jedoch, dass diese möglicherweise bewusst an den lateinischen Text von Offb 7,9 angeglichen wurde.183 Doch auch, wenn man die französische Version zugrunde legt, ist eine sehr große sprachliche Nähe zur Offenbarung gegeben.184 Dass hier eine Bezugnahme 5 Esras auf die Offenbarung wahrscheinlich ist, stützen weibeantwortet: Manche Forscher sehen hier zwei verschiedene Gruppen dargestellt (vgl. z.B. Draper, Feast, 136.), manche eine Gruppe (vgl. z.B. Charles, Commentary, 199.). Andere sprechen von zwei Perspektiven auf dieselbe Wirklichkeit (vgl. z.B. Beale, Revelation, 424; Ulfgard, Feast, 73.). Pattemore wendet ein: „All attempts to define a relationship directly between the two images are unconvincing because the wrong question is being asked. It is not that John is being given a guided tour around a single over-arching reality and our job is to determine how all the pieces fit together. Two quite different symbolic representations of the people of God occur in two adjacent but distinct vision sequences. The crowd are patently not the 144,000. […] The 144,000 represent the whole church as a messianic army, and John has provided clues for his audience to identify themselves with that army. Now we here find a different group of people, but the audience are again led to identify with them, this time by means of the description of the multi-ethnic nature of the crowd.“ (Pattemore, People, 141.). Eine Auflistung der Vertreter der Positionen findet sich bei Tavo, Woman, 159. Für 5 Esra gilt, dass eine Gleichsetzung der Versiegelten und der Weißgekleideten angenommen werden kann. 181 Wolter führt als weitere Parallelstelle 1 Hen 71,8 an (vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 818, FN 42b.), das von einer nicht zu zählenden Menge an Engeln berichtet, „Tausende von Tausenden und Zehntausende von Zehntausenden“ (Übersetzung Siegbert Uhlig). 182 Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 197. 183 Vgl. Bergren, Fifth Ezra, 197. 184 Bergren betont: „Even here, however, the wording of the two sources is extremely close, suggesting a verbal relationship of some type.“ (Bergren, Fifth Ezra, 270.).

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tere Verbindungslinien zwischen den Texten: Die große Menge wird in der Offenbarung als mit weißen Gewändern bekleidet (Offb 7,9) beschrieben, was eine Verbindung zu 5 Esra 2,40 aufweist. Dies wird in der Vulgata mit den Worten amicti185 stolas albas ausgedrückt, sprachliche Übereinstimmungen mit den candidati 5 Esras bestehen also nicht. 3.4.3 Palmen Die Weißgekleideten der großen Menge halten, ebenfalls nach Offb 7,9, Palmen in ihren Händen (Offb 7,9 (VUL): palmaeinmanibus eorum); auch 5 Esra 2,45.46 berichtet davon, dass der iuvenis den Einzelnen186 Palmen gibt – 2,46 (SA) konkretisiert sogar, dass diese in die Hände gegeben werden (palmas in manus tradit). Palmen sind ab der Makkabäerzeit Freuden- und Siegeszeichen187 (vgl. auch Joh 12,13), die in 1 Makk 13,37.51 in einem militärischen Kontext gebraucht werden. Nach Lev 23,40; Neh 8,15 und 2 Makk 10,7 PPP von amicio = bekleidet, umhüllt Während alle aus der großen Menge Gott loben (2,42), ist nicht klar, ob auch alle Palmen und Kränze erhalten, oder nur Einzelne, die Gottes Namen bekannt haben (2,45). Die Fassung der spanischen Handschriften in capite illorumcoronassingulasponebatlässt vermuten, dass alle Kränze bekommen, auch wenn die Hinzufügung von singuli in diesem Fall wenig Sinn ergibt. Die französische Version et singulis eorum capitibus inponebat coronasdeutet eher darauf hin, dass nur Einzelne aus der Menge ausgewählt sind. Wolter ergänzt „(jedem) einzelnen“, sieht also eine kollektive Bedeutung (Wolter, 5. Esra-Buch, 818.). 187 Vgl. Frevel, Palme, 1302. Draper deutet die Identifikation der Palmen mit Siegeszeichen als „quite groundless“ (Draper, Feast, 137.), da sie eher einem hellenistischen als einem jüdischen Kontext entspringe, doch zeigen Texte wie 1 Makk 13,51 oder Joh 12,13 den derartigen biblischen Gebrauch dieses Motivs auf. Ulfgard erklärt: „By far the most common understanding of the palm branches is that they show how those in the multitude are victors, just like the Lamb. […] However, one important objection to seeing the palm branches as mere signs of victory is that this use of palm branches was primarily pagan, and that it would be quite extraordinary if an anti-pagan writing as Rev would make use only of such non-biblical symbolism when describing the people of God before his throne.“ (Ulfgard, Feast, 89f.). Er schlägt vor, das liturgische Element des Laubhüttenfestes zu berücksichtigen, gleichzeitig aber ihre Bedeutung als Siegeszeichen nicht auszuschließen (vgl. Ulfgard, Feast, 90; ebenso Giesen, Offenbarung, 197f.). 185 186

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sind Palmzweige zudem Zeichen des Laubhüttenfestes, das Beale in Offb 7,9–17 abgebildet sieht188. Draper vertritt diese These ebenso und verweist auf Sach 14189, das er als Hintergrund von Offb 7 versteht190: „The structure of Rev. 7 comes sharply into focus if the account is recognized as representing the eschatological pilgrimage of the survivors of the Gentiles, together with the restored fulness [sic!] of Israel, to celebrate the Feast of Tabernacles in the heavenly Jerusalem, in fulfilment of Zech. 14.“191 Für diese Deutung entscheidend ist die Charakterisierung der Menge als ἐκ παντὸς ἔθνους καὶ φυλῶν καὶ λαῶν καὶ γλωσσῶν. Dass eben dieses Charakteristikum in 5 Esra nicht übernommen wurde, fällt auf, da meist angenommen wird, dass die Nennung der gentesin 1,24 (SA) und die Anrede der gentesin 5 Esra 2,34 (SA) eine Ausrichtung der Schrift auf die (Heiden-)Völker ausdrücken will. Geht man davon aus, dass Offb 7 und 14 dem Verfasser von 5 Esra bekannt waren, überrascht dies auf den ersten Blick, da ja bereits die Israel-Implikationen entfallen sind – doch darin, dass auch beinahe alle weiteren Aspekte aus Offb 7,11– 17 nicht in 5 Esra wiederzufinden sind, zeigt sich einmal mehr die freie Verfahrensweise des Verfassers, der aus seinen Bezugstexten nur die für ihn interessanten Aspekte übernimmt. Während das Laubhüttenfest in 5 Esra m.E. eher nicht im Hintergrund steht192, ist die (einen Bezug auf das Laubhüttenfest nicht ausschließende) Deutungsweise der Palmen als Siegeszeichen übereinstimmend passend für Offb 7,9 und 5 Esra 2,45 und stützt das Verständnis der Szene als eschatologisches Freudenmahl der Erwählten. Die Funktion des Motivs stimmt also in den Texten überein; während die Menge in Vgl. Beale, Revelation, 428. Tavo widerspricht: „For while 7:9f may possibly allude to the palm fronds carried on the feast of Tabernacles, much more likely is that φοίνικες is here used as a symbol for victory in war (1 Mac 13:51; 2 Mac 10:7).“ (Tavo, Woman, 162.); er führt zahlreiche weitere Vertreter dieser Deutung an. 189 In Sach 14,16 wird angekündigt, dass „alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind“ (ELB) nach Jerusalem ziehen werden, um dort Gott zu preisen und das Laubhüttenfest zu feiern. 190 Vgl. Draper, Feast, 136. 191 Draper, Feast, 140. 192 Anders schreibt Daniélou: „Tous ces thèmes se rattachent à la fête des Tabernacles dans son interprétation eschatologique.“ (Daniélou, Littérature, 362.). Es fehlt jedoch z.B. der in der Offb ergänzte Hinweis auf die Völker, der den Bezug zu Sach 14,16 schafft. 188

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Offb 7,9 die Palmen aber bereits in Händen hält, werden sie in 5 Esra erst überreicht. 3.4.4 Kränze Neben den Palmen erhalten die Einzelnen der Menge in 5 Esra auch Kränze vom „Sohn Gottes“. Diese werden in Offb 7 und 14,1–5 nicht erwähnt, spielen aber in anderen Abschnitten der Offenbarung eine Rolle: Sie werden in Offb 2,10; 3,11; 4,4.10; 6,2; 9,7; 12,1 und 14,14 genannt (griech. στέφανος, latein. corona) und sind dort ein Charakteristikum himmlischer Gestalten. In Offb 2,10 und 12,1 sind die Kränze spezifiziert als „Kranz des Lebens“ – der Kranz wird so zur Belohnung für den ‚Kampf des Lebens‘ und zum Siegeszeichen, das nach 3,11 jedoch auch verloren gehen kann193 – und als „Kranz aus zwölf Sternen“, der für Tavo ebenfalls den „anticipated victory“194 der Frau repräsentiert. Kränze sind in der Offb Zeichen der Ehre (vgl. Offb 4,4.10) und Zeichen der Macht und des Sieges195 (vgl. Offb 6,2; 9,7; 14,14). In einem solchen Zusammenhang stehen Kränze auch im Martyrium des Polykarp 17,1; 19,2, im Hirt des Hermas, Sim. 8,3,6 und in 2 Bar 15,8. Auch in 5 Esra werden sie nach dem Tod denen verliehen, die den Namen Gottes bekannt haben (5 Esra 2,45)196. Die Kränze sind also wie in der Offenbarung Zeichen der himmlischen Welt, Belohnung für Treue und wie die Palmen Siegeszeichen.197

Vgl. Kvalbein, Hans, στέφανος, in: TBLNT³ (2014), 1112–1115, hier 1114. 194 Tavo, Woman, 261. 195 Tavo erklärt: „Since the days of the ancient Olympic games in which a ‚victory garland‘ (στέφανος) was the reward of the champion, the noun eventually became a symbol of victory as is found in the NT (cf. 1 Cor 9:24–25; 2 Tim 4:8, etc) and especially in the Apocalypse (cf. 2:10; 3:11; 6:2, etc).“ (Tavo, Woman, 261f.). 196 Beale verweist auf den Zusammenhang des Siegels mit der Zeugen-Rolle in der Offb: „Hence, the seal empowers the 144,000 to perform the witnessing role intended for true Israel (e.g., Isa. 42:6–7; 49,6; 51:4– 8).“ (Beale, Revelation, 411.). Dieser Zusammenhang ist auch in 5 Esra gegeben (vgl. 5 Esra 2,45). 197 Vgl. auch 1 Kor 9,25; Jak 1,12; 1 Petr 5,4. 193

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3.4.5 Qui sunt hii? 5 Esra und Offb 7 weisen eine weitere Verbindung auf, die auf einer sprachlichen Nähe basiert. Esra fragt den angelus interpres in 2,44 mit den Worten qui sunt hii, (Domine, SA) nach der Deutung der großen Menge. Dies entspricht einem Teil der (rhetorischen) Frage eines der Ältesten an Johannes in Offb 7,13: 5 Esra 2,44 (SA) Tunc interrogavi angelum et dixi: Qui sunt hii, domine? Offb 7,13 (VL) Et respondit mihi unus de senioribus dicens hi qui amicti sunt stolas albas qui sunt et unde venerunt 14 et dixi ei domine tu scis et ait mihi hi sunt qui venerunt de tribulatione magna et laverunt vestimentum suum et candidas eas fecerunt in sanguine agni. (VUL) Et respondit unus de senioribus dicens mihi: hii qui amicti sunt stolis albis, qui sunt et unde venerunt? 14 Et dixi illi: domine mi tu scis. Et dixit mihi: hii sunt qui veniunt de tribulatione magna et laverunt stolas suas et dealbaverunt eas in sanguine agni. (NA) Καὶ ἀπεκρίθη εἷς ἐκ τῶν πρεσβυτέρων λέγων μοι· οὗτοι οἱ περιβεβλημένοι τὰς στολὰς τὰς λευκὰς τίνες εἰσὶν καὶ πόθεν ἦλθον; 14 καὶ εἴρηκα αὐτῷ· κύριέ μου, σὺ οἶδας. καὶ εἶπέν μοι·οὗτοί εἰσιν οἱ ἐρχόμενοι ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης καὶ ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου.

Zwar entspricht 5 Esra 2,44 einer für apokalyptische Texte typischen Frage nach der Bedeutung einer Vision (vgl. Sach 1,9; 2,2; 1 Hen 22,6; 43,3), doch deutet – gestützt auf die anderen Bezugslinien zwischen 5 Esra und Offb 7 – gerade das in den Handschriften SA ergänzte domine auf Offb 7,13f. hin, wo Johannes den Ältesten ebenso als dominetituliert und auf dessen Wissen zur Bedeutung der Vision verweist. Diese Frage bildet eine weitere Verbindungslinie zu Kap. 7 der Offenbarung – an eine ähnliche Vision schließt sich in beiden Texten die sprachlich gleich formulierte (jedoch in der Offb erweiterte) Frage quisunthiian. 3.4.6 Gesänge Teil der Beschreibung der großen Menge in 5 Esra 2,42 ist die Anführung ihrer Tätigkeit: omnes canticis conlaudabant Dominum. Diese Formulierung erinnert einerseits an Offb 7,10, das den Weißgekleideten beinahe dieselbe Tätigkeit zuweist, indem sie laut zu Gott rufen

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und ihn und das Lamm in einer Doxologie preisen198, andererseits an Offb 5,8f.; 14,2f. und 15,3f., die von Liedern berichten, mit denen Gott und das Lamm gerühmt werden. Offb 5,9 und 14,3 benennen ein „neues Lied“; dieser Terminus entspricht Jes 42,10; Ps 33,3; 96,1; 98,1; 149,1, die eine Tradition widerspiegeln, der zufolge auf diese Weise „in der Endzeit die Verwirklichung des Heilswerks Gottes“199 gepriesen wird200; Offb 15,3 spricht vom „Lied Moses, des Knechtes Gottes, und [dem] Lied des Lammes“. Von diesen Versen ist besonders 14,2f. interessant, da sich bereits andere Bezüge dieses Kapitels zu 5 Esra zeigten. Die Details der Darstellung in 14,2f. heben sich jedoch von 5 Esra ab: Johannes hört dort eine Stimme ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ὡς φωνὴν ὑδάτων πολλῶν καὶ ὡς φωνὴν βροντῆς μεγάλης, καὶ ἡ φωνὴ ἣν ἤκουσα ὡς κιθαρῳδῶν κιθαριζόντων ἐν ταῖς κιθάραις αὐτῶν. Diese Stimme wird von manchen einem Engelschor201 zugeordnet, von manchen aber auch den 144000202. Offb 14 stellt nicht heraus, ob das Lied, dessen Text nur die 144000 lernen können, einen Lobpreis Gottes bzw. des Lammes darstellt; dies ist jedoch als wahrscheinlich anzunehmen.203 Aufgezeigt wird diese Ausrichtung der Gesänge in Offb 5,9204 und 15,3f., bei denen anders als in 5 Esra der Vgl. Satake, Offenbarung, 231. Satake, Offenbarung, 211. 200 Bauckham spricht von „holy war terminology for a hymn in praise of a fresh victory of the divine Warrior over his foes“ (Bauckham, Climax, 230.). 201 Vgl. Satake, Offenbarung, 310. Aune spricht sich dafür aus, die Stimme nicht mit den 144000 in Verbindung zu bringen, er ist aber selbst unsicher, ob ein himmlischer Chor von Engeln oder andere Christen gemeint sind (vgl. Aune, Revelation 6–16, 806.). 202 Vgl. Pattemore, People, 184; Beale, Revelation, 735; Bauckham, Climax, 230. 203 Beale spricht davon, dass Offb 14,2f. ähnlich wie 5,8f. und 15,2f. „portrays redeemed saints praising God for the victory he has won for them over sin and the beast, though the victory over the beast is not explicitly mentioned until 15:1–3.“ (Beale, Revelation, 735.). Bauckham verweist ebenso auf „the 144000 participating in the victory of the Redeemer and so singing his victory song“ (Bauckham, Climax, 230.). Auch Giesen erklärt: „Über den Inhalt des Lieds erfahren wir nichts. Es ist indes naheliegend, an einen Lobpreis auf die Erlösungstätigkeit des Lammes zu denken (5,9; 15,3).“ (Giesen, Offenbarung, 321.). 204 In Offb 5,9 wird das Lamm gepriesen. 198 199

238

RINGEN UM ISRAEL

Inhalt des Liedes wiedergegeben wird. Außerdem spricht 5 Esra nicht von einem spezifischen Lied, sondern von nicht näher bezeichneten cantica. Es lassen sich also keine direkten Verbindungslinien zwischen 5 Esra und der Offb erkennen, doch stellt der Lobpreis Gottes durch Gesänge ein weiteres Motiv dar, das sich sowohl in 5 Esra als auch in Offb 7 bzw. 14 findet. Weiterhin deutet die in beiden Texten verwendete Kombination von Palmen und Gesängen auf das Anführen von Siegeszeichen hin, wie auch 1 Makk 13,51205 zeigt: 1 Makk 13,51 (EIN) Am dreiundzwanzigsten Tag des zweiten Monats im Jahr 171 zogen die Israeliten unter der Musik von Harfen, Zimbeln und Zithern mit Hymnen und Gesängen in die Burg ein; sie trugen Palmzweige in den Händen und sangen Freudenlieder. Denn Israel war von einem gefährlichen Feind befreit.

Ein weiterer wichtiger Bezugstext, der ebenfalls viele der Motive aufgreift, die die Offb und 5 Esra verbinden, ist Hirt des Hermas, Sim. 8,2,1–4206: Sim. 8,2,1 Dann ließ der Engel des Herrn Kränze herbeibringen. Und es wurden Palmkränze herbeigebracht, und er bekränzte die Menschen, die die Stöcke mit Seitentrieben und Frucht abgegeben hatten, und er entließ sie in den Turm. 2 Auch die anderen entließ er in den Turm, die ihre Stöcke mit Seitentrieben, aber ohne Frucht abgegeben hatten. Zuvor versah er sie mit einem Siegel. 3 Alle, die in den Turm einzogen, hatten das gleiche schneeweiße Gewand an. 4 Auch diejenigen, die ihre Stöcke grün abgegeben hatten, wie sie sie bekommen hatten, entließ er (in den Turm), nachdem er ihnen ein weißes Gewand und ein Siegel verliehen hatte.

3.5 Teilfazit 5 Esra 2,33–48 und die Offenbarung des Johannes sind durch Motive verbunden, die an sich auch in zahlreichen anderen Texten zu finden sind und zu einem verbreiteten Motivschatz apokalyptischer Texte gehören. Doch sind die Verbindungslinien so zahlreich und auf nur wenige Verse 5 Esras beschränkt, dass ein Bezug zwischen 5 Esra und der Offb für diesen Abschnitt sehr wahrscheinlich ist und eine Kenntnis der Offb durch 5 Esra angenommen werden kann. Meiner Vgl. Tilly, Michael, 1 Makkabäer (HThKAT), Freiburg 2015, 273. Übersetzung nach Brox, Norbert, Der Hirt des Hermas (KAV 7), Göttingen 1991. 205 206

V OFFENBARUNG DES JOHANNES

239

Ansicht nach ist der Schlussabschnitt 5 Esras (2,33–48) durch die Offb geprägt und verweist durch die hohe Zahle der gemeinsamen Motive auf diese.207 Doch zeigt 5 Esra oftmals kein Konzept hinter seinen Begrifflichkeiten und hebt sich so stark von der Ausgestaltung der Motivik in der Offb ab. 5 Esra greift sehr spezifisch auf die Offb zu und interessiert sich nicht für die Zusammenhänge der einzelnen Motive; auch werden die Motive der Offb nur teilweise beibehalten und stattdessen in 5 Esra in neue Kontexte gestellt und abgewandelt, was auch auf das Aufgreifen von gleichen Traditionssträngen verweisen kann. Dennoch lassen sich Übereinstimmungen in der Konzeption der Motive sowie die Darstellung einer ähnlichen Szenerie erkennen – beide Texte schildern eine eschatologische Versammlung der Erwählten, die Belohnungen für ihren Glauben empfangen. 5 Esra lässt seinen Bezugstext also durch die Anzahl seiner Bezugslinien aufscheinen, orientiert sich aber strukturell nicht an der Offenbarung.

5 Esra

Offb

Gemeinsamkeit

2,34

7,17

Hirte

2,34

6,11; 14,11.13

Ruhe

2,35

21,23; 22,5

Licht

2,38.40.41

6,11

Anzahl

2,38

7,3; 14,1; 22,4

Versiegelte

2,38

19,9

Gastmahl

2,39.40.45

3,4.18; 4,4; 6,11; 7,9.13; 19,8.14 Weißgekleidete

2,42

14,1

Versammlung auf dem Berg Zion

2,42

7,9

Unzählbare Menge

2,42

5,9; 14,3; 15,3

Gesänge

2,43

2,10; 3,11; 6,2; 14,14 u.ö.

Kränze

2,44

7,13

„Wer sind diese?“

2,45.46

7,9

Palmen

Ähnlich resümiert Nicklas: „So lässt die Summe der Beobachtungen im Grunde nur den Schluss zu, dass dem Autor von 5 Esra die Offenbarung des Johannes bekannt gewesen sein dürfte und er sie zumindest hier explizit verarbeitete. Der Umgang von 5 Esra mit der Offenbarung ist dabei ein überaus kritischer.“ (Nicklas, Rezeption, 17.). 207

240

RINGEN UM ISRAEL

4 Fazit Die Untersuchung der Darstellung der Motive „Name (Gottes)“ und „Baum des Lebens“ in 5 Esra und der Offenbarung des Johannes und ein Blick auf die zahlreichen Motive, die im letzten Abschnitt 5 Esras (2,33–48) und in der Offb zu finden sind, machen deutlich, dass es auffällig viele Bezugslinien zwischen der Offenbarung und 5 Esra gibt. Die Texte sind durch eine große Anzahl an Motiven verbunden, die in zumindest ähnliche Kontexte gestellt sind; besonders auffällig ist die Konzentration dieser Bezugslinien auf zwei Kapitel der Offb, Kapitel 7 und Kapitel 14. Die Verbindungen liegen auf verschiedenen Ebenen: Während manche Motive auf einem breiten Traditionsstrang beruhen, wie z.B. die Rede vom Licht, sind andere wie die „Menge, die niemand zählen kann“ spezifischer. Die einzige auffällige sprachliche Übereinstimmung ist jedoch eben diese turba quam numerare nemopoterat (5 Esra 2,42; Offb 7,9) – selbst die Frage Quisunthii (5 Esra 2,44; Offb 7,13) findet sich in der Offb nicht in dieser Form, sondern weist nur eine sprachliche Nähe auf. Ein weiterer Punkt, der die Bestimmung des Bezuges zwischen 5 Esra und der Offb beeinflusst, ist die kaum vorhandene Ausarbeitung der Motive in 5 Esra: Diese werden oft nur einmal genannt, ohne in Kontexte gestellt zu werden oder klare Implikationen aufzuweisen. Zudem sind die Motive Teil eines ‚apokalyptischen Motivschatzes‘, sind also nicht nur in 5 Esra und der Offb, sondern in zahlreichen anderen Apokalypsen anzutreffen. All diese Punkte führen m.E. zu der Folgerung, dass nicht gesagt werden kann, dass die Offb als Gesamttext großen theologischen wie konzeptionellen Einfluss auf 5 Esra ausübte. 5 Esra zeigt kein Interesse an den Zusammenhängen und Konzepten der Offb, wenn es auch kleinere Schnittmengen gibt. Dennoch ist die Anzahl der Bezugslinien und gemeinsamen Motive so hoch, besonders in 5 Esra 2,33–48 und Offb 7; 14, dass meiner Ansicht nach davon ausgegangen werden kann, dass 5 Esra die Offb kannte und sich manche Motive des Textes auf die Offb zurückführen lassen. Wenn auch kaum von Anspielungen 5 Esras auf die Offb gesprochen werden kann, so können die vielen Motive, die auch in Offb 7 und 14 begegnen, doch als Echos eingestuft werden – der Leser wird durch ihre Anzahl und Dichte auf die Offb verwiesen und erkennt diesen Text im Hintergrund. 5 Esra und die Offb sind auch dadurch verbunden, dass sie sich einer Einordnung in feste Kategorien widersetzen: Beide weisen Charakteristika einer prophetischen Schrift auf,

V OFFENBARUNG DES JOHANNES

241

enthalten aber auch Elemente apokalyptischer Texte; beide Texte sind stark von den Schriften Israels geprägt und sind doch nicht mehr nur an Israel orientiert. Während die Offb aber weiterhin von den zwölf Stämmen spricht (Offb 7,4–8), entfällt dieses Charakteristikum in 5 Esra. Dies kann bewusst geschehen sein, entspricht jedoch auch der freien Verfahrensweise, mit der 5 Esra andere Texte aufgreift – aus diesem Grund halte ich es für wenig wahrscheinlich, dass 5 Esra sich hier bewusst gegen die Offenbarung positioniert. Die Offenbarung des Johannes ist m.E. insgesamt gesehen nicht als konzeptioneller Hauptbezugstext 5 Esras einzuordnen, beeinflusste jedoch klar dessen Motivik.

VI  4 Esra

1  Hinführung 4 und 5 Esra werden meist in engem Zusammenhang gesehen, was sich auch darin zeigt, dass der Corpus 4–6 Esra lange Zeit zusammengefasst als „2 Esdras“ bezeichnet wurde. Dies begründet sich mit der Überlieferungssituation der Texte: 5 Esra wird in acht von neun Haupthandschriften1 gemeinsam mit einer lateinischen2 Version der jüdischen Apokalypse 4 Esra und 6 Esra überliefert; nur die Handschrift K enthält ausschließlich den Text von 5 Esra 1,1–2,20. In der französischen Handschriftengruppe (SA) bildet 5 Esra dabei den Anfang der Reihe3, während die spanischen Handschriften CMNEVL 5 Esra an das Ende hinter 6 Esra stellen. Die Handschriftensituation und diese unterschiedlichen Anordnungen zeigen auf, dass die drei Texte ursprünglich selbstständig waren – es wird davon ausgegangen, dass erst 4 und 6 Esra verbunden wurden und später4 5 Esra hinzugefügt wurde5. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass 5 Esra in seiner Rezeptionsgeschichte in Zusammenhang mit 4 Esra gesehen wurde. Diese Verbindung zwischen 4 und 5 Esra wird in der Forschung unterschiedlich aufgenommen: Bergren6 und Wolter7 z.B. bearbeiten 5 Esra als einzelne Schrift, Myers8 und Knibb9 jedoch reihen 5 Esra   Eine Auflistung der Handschriften erfolgt in der Einleitung, 1.1 „Überlieferung“. 2   Alle weiteren Überlieferungen 4 Esras, also syrische, äthiopische, arabische, armenische und georgische Übersetzungen, enthalten 5 und 6 Esra nicht. 3   Die Handschrift S fügt zwischen 5 Esra und 4 Esra zusätzlich 3 Esra 1,1–2,15 ein. 4   Bergren nimmt an, dass 5 Esra „probably as early as 450 CE“ zu 4 und 6 Esra hinzutrat (Bergren, Christian Influence, 117.). 5   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 772; Bergren, Christian Influence, 115ff. 6   Vgl. Bergren, Fifth Ezra. 7   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch. 8   Vgl. Myers, I and II Esdras, 108. 9   Vgl. Knibb, Second Book, 76. 1



vi  4 esra243

in das Werk „2 Esdras“ ein, wenn sie auch auf die Selbständigkeit der Texte verweisen. So wie der Rezeption 5 Esras unterschiedlich entsprochen wird, so wird auch die Entstehung des Textes verschieden stark auf 4 Esra bezogen. Vertreter eines sehr starken Bezugs sind Geoltrain, der von einer „relecture chrétienne d’un écrit juif“10 spricht, und Krauter, der 5 Esra als „eine christliche Weiterentwicklung von und zugleich in mancher Hinsicht ein[en] christliche[n] Gegenentwurf zu 4 Esr“11 sieht. Nicht nur die Rezeption, sondern auch die Intention des Werks wird von diesen Forschern also direkt mit 4 Esra in Zusammenhang gesetzt. Es bleibt zu bedenken, dass die Möglichkeit, 5 Esra im Licht 4 Esras zu lesen, nicht bedeutet, dass der Text auch bei seiner Entstehung in diesem Zusammenhang gedacht wurde. Rückschlüsse auf die beabsichtigte Intention des Textes sind kaum möglich, zudem ist diese zu unterscheiden von der Rezeptionsgeschichte eines Textes. Die Annahme einer Ausrichtung 5 Esras auf 4 Esra kann dann zu Zirkelschlüssen führen, wenn man Unterschiede in den Texten per se als beabsichtigte Abweichungen versteht und durch diese die Verbindung zwischen den Texten nur verstärkt sieht. Deshalb ist ein Blick auf folgende Fragen wichtig: Beruht die Annahme eines derart engen Bezugs zwischen 4 und 5 Esra primär auf der Zuschreibung beider Schriften an Esra? Oder gibt es tatsächlich Hinweise auf direkte Bezugnahmen oder wahrscheinliche Anspielungen 5 Esras auf 4 Esra? Welche besonderen Gemeinsamkeiten gibt es im Inhalt der beiden Texte? Während von keinem Forscher direkte sprachliche Bezüge aufgezeigt werden, sind es drei Motive, die in ihrer Ausgestaltung in beiden Texten auffallend ähnlich verwendet werden: (1) Das Auftreten Zions als Mutter, (2) das Erscheinen des Messias auf dem Berg Zion und (3) die Darstellung der Figur des Esra. Diese sollen im Folgenden – mit den genannten Fragen im Hintergrund – untersucht werden. 2  Zion als Mutter Die jüdische Apokalypse 4 Esra thematisiert in ihren ersten Kapiteln in Gesprächen Esras mit dem Engel Uriel, an die sich Visionen   Geoltrain, Remarques, 30.   Krauter, Theologie, 169.

10 11

244

ringen um israel

anschließen, die Zerstörung Jerusalems. Trotz mehrerer vorangegangener Dialoge mit dem Engel Uriel beginnt Esras vierte Vision dann erneut mit einem Gebet, in dem Esra mit Gott hadert und das harte Schicksal Israels beklagt.12 Dieses Gebet wird durch das Erscheinen einer Frau plötzlich unterbrochen: 4 Esra 9,3813 et cum loquor haec in corde meo, et respexi oculis meis et vidi mulierem in dextera parte, et ecce haec lugebat et plorabat cum voce magna, et animo dolebat valde, et vestimenta eius discisa et cinis super caput eius.

Auch in 5 Esra tritt eine Frau in Erscheinung, die als Mutter Israels vorgestellt wird und ihrer Trauer Ausdruck verleiht. Neben Gott und Esra erhält sie die einzigen direkten Redeanteile im Text: 5 Esra 2,2 (SA) Mater quae eos generavit dicit illis: Ite, filii, quia ego vidua sum et derelicta. 3 Educavi vos cum laetitia et amisi vos cum luctu et tristitia, quoniam peccastis coram Domino Deo et quod malum est coram me fecistis. 4 Modo autem quid faciam vobis? Ego enim vidua sum et derelicta. Ite, filii, et petite a Domino misericordiam. (CMNEVLK) Matrem sibi progeneraverunt quae dicit eis: Ite, filii, quoniam vidua sum et derelicta. 3 Educavi vos cum laetitia, amittam vos cum fletu et luctu, quoniam peccastis coram Domino Deo et fecistis iniquitatem in conspectu eius. 4 Modo autem quid faciam vobis?; quia vidua sum et derelicta a filiis meis. Ite, filii, petite a Domino misericordiam. 5 Ego enim desolata sum.

Während in 4 Esra die Frau also in der Lebenswirklichkeit Esras erscheint und von ihm als real wahrgenommen wird14, scheint die ‚Mutter‘ in 5 Esra ähnlich wie in 1 Bar 4,8ff. und Jes 49,20f. ein   Hogan erklärt: „His frustrating dialogues with Uriel have only compounded his original anger against God.“ (Hogan, Karina Martin, Theologies in Conflict in 4 Ezra. Wisdom Debate and Apocalyptic Solution (JSJ.S 130), Leiden, Boston 2008, 163.). 13   Die lateinischen Textfassungen folgen der Vulgata. 14   Vgl. Stone, Michael E., Fourth Ezra. A Commentary on the Fourth Book of Ezra (Hermeneia), Minneapolis 1990, 312: „The vision is presented as a real, waking experience in which the visionary plays a major active role.“ Söllner äußert: „Damit weist die Zionsvision ein eigenartiges Genus auf, das zwischen Traumvision und realer Erfahrung liegt.“ (Söllner, Peter, Jerusalem, die hochgebaute Stadt. Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum (TANZ 25), Tübingen, Basel 1998, 272.). 12



vi  4 esra245

Beiname oder ein Modell zu sein, der bzw. das dem personifizierten Zion15 zugedacht ist. Dies entspricht auch der unterschiedlichen Gattung der Texte: Während 4 Esra als Apokalypse einzuordnen ist, ist 5 Esra als prophetische Schrift16 gestaltet. Die Darstellung Jerusalems als Frau und Mutter ist ein häufig verwendetes Motiv17, das sich im Alten Testament z.B. in Jes 51,18; 1 Bar 4,8ff.; Hos 2,4ff.; Ez 16,20ff.; Klgl 1,1.5 und im Neuen Testament in Gal 4,25–5,1 findet, das aber auch in 2 Bar 3,1–3 und PsSal 2,3–13 verwendet wird. Besonders Jerusalems Kinderlosigkeit bzw. der Verlust ihrer Kinder wird im Alten Testament immer wieder aufgegriffen (vgl. Jes 49,20ff.; 1 Bar 4,8ff.; Klgl 1,5). Diese ist verbunden mit der Zerstörung der Stadt (vgl. Jes 22,4; Jer 10,17–20) und der Sündhaftigkeit Israels (vgl. Jes 1,21–26; 1 Bar 4,8ff.; PsSal 2,3.7), wie sie auch in 4 und 5 Esra angewendet wird. In 4 Esra 9,43–10,4 schildert die Frau, die Esras Aufmerksamkeit auf sich zog, den Grund ihrer Trauer: Nachdem sie 30 Jahre lang kinderlos gewesen war (9,43), gebar sie einen Sohn, den sie cum labore multo großzog (9,45f.). Am Tag seiner Hochzeit jedoch, als er das Brautgemach betrat, fiel der Sohn plötzlich tot um (10,1), weswegen auch die Mutter nun sterben will (10,4.18). Diese Aussagen werden in 4 Esra 10,40–48 vom Engel Uriel gedeutet: Die Frau, deren Verwandlung in eine Stadt Esra in 10,25–27 voller Schrecken erlebt, wird als Zion18 erklärt, die Zeit ihrer Kinderlosigkeit als die 3000 Jahre der   Der Name Jerusalem bzw. Zion fällt in diesem Kontext nicht, es wird aber deutlich, dass die Mutter Israels spricht. In 5 Esra 2,40f. wird Zion schließlich von Gott angesprochen und auf ihre Kinder verwiesen; eine Identifikation mit Mutter Zion ist also auch für 5 Esra 2,2–4/5a sehr wahrscheinlich. 16   S. hierzu Einleitung, 1.4 „Gattung“. 17   S. hierzu Bergren, Theodore A., Mother Jerusalem, Mother Church: Desolation and Restoration in Early Jewish and Christian Literature, in: Chazon, Esther G. u.a. (Hg.), Things revealed. Studies in Early Jewish and Christian Literature in Honor of Michael E. Stone (JSJ.S 89), Leiden, Boston 2004, 243–259. 18   In der Deutung des Engels wird einerseits von Zion selbst gesprochen, andererseits von ihrer similitudo. Vgl. 4 Esra 10,44: haec mulier quam vidisti haec est Sion, quam nunc conspicis ut civitatem aedificatam. 49 et ecce vidisti similitudinem eius, quomodo filium luget, et tu inchoasti consolare eam de his quae contigerunt. haec erant tibi aperienda. Harnisch erklärt: „Die konkrete Einzelperson, der Esra augenscheinlich ansichtig wurde, gewinnt rückwirkend die Züge eines ‚Fabelwesens‘, das auf etwas anderes verweisen sollte. An der Frau konnte analogisch Zion wahrgenommen werden […].“ (Harnisch, 15

246

ringen um israel

Weltgeschichte, in denen noch keine Opfer in der Stadt dargebracht wurden. Das Leben des Sohnes entspricht, wie der Engel ausführt, der Zeit, in der im bewohnten Jerusalem Opfer abgehalten wurden, sein Tod der Zerstörung der Stadt. Die Ausgestaltung dieser Vision unterscheidet sich von 5 Esra. Dies beginnt damit, dass in 4 Esra eine vollständige Szene dargestellt wird, die eine Debatte zwischen der Frau und Esra und eine Verwandlung dieser Frau in eine Stadt enthält, die Esra nach dem Gespräch mit Uriel besichtigen darf (4 Esra 10,55). In 5 Esra hingegen ist die klagende Mutter der Kinder eine Personifikation, wie sie für die prophetischen Texte des Alten Testaments üblich ist; sie ist mit keiner Handlung verbunden, sondern bildet das Zentrum weniger Verse. Doch auch die Details der Darstellung weichen in den beiden Texten voneinander ab. In 5 Esra wird nicht von Kinderlosigkeit und vom Tod eines Sohnes gesprochen, sondern von der Trennung von den Kindern bzw. deren Wegschicken.19 Es wird kein Zusammenhang mit der Stadt Jerusalem oder ihrer Zerstörung hergestellt, stattdessen werden die Sünden hervorgehoben, die Israel beging: 5 Esra 2,3 (SA) Educavi vos cum laetitia et amisi vos cum luctu et tristitia, quoniam peccastis coram Domino Deo et quod malum est coram me fecistis.

Israel und seine Sündhaftigkeit wiederum treten in der Vision in 4 Esra nicht in Erscheinung, da sie bereits in vorherigen Kapiteln 4 Esras ausführlich thematisiert wurden. Dementsprechend trauert die Mutter in ­ olfgang, Die Ironie der Offenbarung. Exegetische Erwägungen zur ZionsviW sion im 4. Buch Esra, in: ZAW 95 (1983), 75–95, hier 92; Hervorhebungen durch den Autor.). Ebenso betont Lichtenberger: „It is necessary to stress an important difference: the mourning woman, Ezra saw, symbolized Zion. The city he now can see, is Zion.“ (Lichtenberger, Hermann, Zion and the Destruction of the Temple in 4 Ezra 9–10, in: Ego, Beate u.a. (Hg.), Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple, Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT 118), Tübingen 1999, 239–249, hier 246; Hervorhebungen durch den Autor.). 19   Die Mutter bezeichnet sich als vidua, was üblicherweise Witwe bedeutet, aber auch die Bedeutung „beraubt, einsam“ umfasst und eine Endgültigkeit mitschwingen lässt. Dennoch ist nur vom Wegschicken der Kinder die Rede (vgl. auch 1 Bar 4,12!). Die Witwenschaft wird in 4 Esra nicht erwähnt (gegen Schröter/ Milbach).



vi  4 esra247

4 Esra scheinbar wegen der Zerstörung der Stadt, in 5 Esra aber klagt sie nicht primär über den Verlust ihrer Kinder, sondern über deren schlechtes Handeln. Auch der Kult spielt weder in diesen Versen 5 Esras noch im ganzen Text eine hervorgehobene Rolle: Seine einzige Erwähnung in 5 Esra 1,3120 ist negativ konnotiert. Und während der Tod des Sohnes in 4 Esra unumkehrbar ist – wenn auch Esra die Mutter darauf verweist, dass sie ihren Sohn zurückerhalten könne, wenn sie Gottes Beschluss als gerecht anerkenne21 (4 Esra 10,16: si enim iustificaveris terminum Dei, et filium tuum recipies in tempore) – gibt die Mutter in 5 Esra ihren Kindern mit auf den Weg, von Gott Barmherzigkeit zu erstreben (2,4), sie hat also noch Hoffnung. In 4 Esra werden in dieser Vision zwei Schwerpunkte sichtbar. Sie stellt „the solution, key, or turning point of the book“22 dar, da sich die Rolle Esras wandelt: Er wird vom Getrösteten zum Tröster; die klagende Mutter nimmt die Rolle ein, die er in den ersten drei Visionen innehatte23, während Esra die Aufgabe Uriels übernimmt und dessen Argumentationsmuster nachahmt.24 Esra und die Frau treten in einen Dialog – Esra als Person und der Wandel seiner G ­ esinnung stehen im Zentrum der Vision, welche für ihn geschieht: „Da das Geschehen der Episode auf Esra abzielt und sich an ihm eine  SA: Oblationes mihi cum obtuleritis, avertam faciem meam a vobis; dies enim festos vestros et neomenias et circumcisiones carnis repudiavi. CMNEVLK: Immolationes mihi offerentibus avertam oculos meos a vobis. Dies festos et neomeniam et sabbata et circumcisiones non mandavi vobis. 21   Die Gerechtigkeit Gottes ist das zentrale Thema 4 Esras: „At the beginning of Vision 3 he [= Ezra; VH] had even questioned the righeousness and justice of God.“ (Stone, Fourth Ezra, 319.). 22   Humphrey, Edith McEwan, The Ladies and the Cities. Transformation and Apocalyptic Identity in Joseph and Aseneth, 4 Ezra, the Apocalypse and the Shepherd of Hermas (JSPES 17), Sheffield 1995, 59. 23   Vgl. Stone, Fourth Ezra, 321: „the woman who is in fact his own grief, both the pain and its cause.“ 24   Vgl. Stone, Fourth Ezra, 312; 318; Brandenburger, Egon, Die Verborgenheit Gottes im Weltgeschehen. Das literarische und theologische Problem des 4. Esrabuches (AThANT 68), Zürich 1981, 75–81; Harnisch, Ironie, 76; Stone, Michael E., Ancient Judaism. New Visions and Views, Grand Rapids, Cambridge 2011, 101; Najman, Hindy, The Quest for Perfection in Ancient Judaism, in: Najman, Hindy (Hg.), Past Renewals. Interpretative Authority, Renewed Revelation and the Quest for Perfection in Jewish Antiquity (JSJ.S 53), Leiden, Boston 2010, 219–234, hier 233. 20

248

ringen um israel

e­ ntscheidende, wunderbare Wende vollzieht, handelt es sich um das Mysterium der Verwandlung Esras.“25 Mit dieser verknüpft ist die Verwandlung der Frau in das himmlische Jerusalem26 in 4 Esra 10,25– 27, die den Höhepunkt der Episode bildet und vergleichbar in keiner anderen jüdischen Apokalypse zu finden ist27. Die Wiederherstellung Jerusalems28 bildet die tröstende Botschaft der Vision für Esra29: 4 Esra 10,55 tu ergo noli timere neque expavescat cor tuum, sed ingredere et vide splendorem vel magnitudinem aedificii, quantum capax est tibi visu oculorum videre. 56 et post haec audies, quantum capit auditus aurium tuarum audire. 57 tu enim beatus es prae multis et vocatus es apud Altissimum sicut et pauci.

Diese zwei Schwerpunktsetzungen, (1) die Ausrichtung auf Esra und (2) die Verwandlung der Frau in das himmlische Jerusalem, sind in 5 Esra nicht zu erkennen. Esra tritt in keine direkte Beziehung zur trauernden Frau; diese wendet sich nur an Israel, ihre Kinder. 5 Esra spricht also nicht von Auswirkungen auf Esra selbst, sondern die Gestalt der Mutter dient eher der Bekräftigung der Darstellungen im ersten Teil des Textes, also der Klage über Israels Fehlverhalten. Dies entspricht der geringen Ausgestaltung der Figur des Esra im ganzen Text; dieser dient primär als Sprachrohr Gottes und tritt wenig in Erscheinung. Mit 5 Esra 2,530 wendet sich Gott jedoch an Esra und   Brandenburger, Verborgenheit, 75.   Vgl. Stone, Michael E., Bergren, Theodore A., 2 Esdras, in: Mays, James L. (Hg.), HBC, San Francisco 1988, 776–790, hier 785. 27   Vgl. Stone, Fourth Ezra, 326. 28   Stuckenbruck betont, dass hier Jerusalem und Zion unterschieden werden: „Though Zion mourns (and does not trivialize) the destruction, Zion ultimately stands outside the destruction of the temple and remains distinct.“ (Stuckenbruck, Loren T., Ezra’s Vision of the Lady: The Form and Function of a turning Point, in: Henze, Matthias, Boccaccini, Gabriele (Hg.), Fourth Ezra and Second Baruch. Reconstruction after the Fall (JSJ.S 164), Leiden, Boston 2013, 137–150, hier 147.). 29   Vgl. Stone, Fourth Ezra, 334; s. auch Gore-Jones, Lydia, The Unity and Coherence of 4 Ezra: Crisis, Response, and Authorial Intention, in: JSJ 47 (2016), 212–235, hier 219. 30  CMNEVLK: Te, patrem, invoco super matrem eorum qui noluerunt testamentum tuum servare. SA: Ego autem te, pater, testem invoco super matrem filiorum, quia noluerunt testamentum meum servare. 25

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vi  4 esra249

fordert ihn auf, ut des eis confusionem et matrem eorum in direptionem, ne generatio eorum fiat (5 Esra 2,6 (SA)); diese Aussage ist nicht nur wegen der Anrede Esras als pater überraschend, sondern auch, weil Unglück üblicherweise von Gott selbst, nicht von seinen Propheten gewirkt wird. Zudem wird auch die eigentlich schuldlose Mutter in das Unheil miteinbezogen; direptio könnte als Hinweis auf die Plünderung Jerusalems gelesen werden. Diese Aufforderung Gottes folgt der Linie des ersten Teils von 5 Esra, in dem Israel Unheil als Strafe für seine Untaten angedroht wird und setzt Esra und die trauernde Frau in einen (wenn auch im Vergleich zu 4 Esra deutlich schwächeren) Zusammenhang. Auch vom himmlischen Jerusalem ist in 5 Esra nicht explizit die Rede; zwar spielt die Schlussvision 2,42–48 auf dem Berg Zion, doch wird dort keine Stadt erwähnt. Interessant ist jedoch, dass in 2,15–32 erneut eine mater angesprochen, getröstet und gepriesen wird: 5 Esra 2,15 (SA) Mater, complectere filios tuos, educa illos cum laetitia sicut columba, confirma pedes eorum, quoniam te elegi, dicit Dominus. (CMNEVLK) Mater bona, conplexare filios tuos. Da illis laeticiam sicut columba quae educat filios suos, et confirma pedes eorum, quoniam te elegi, dicit Dominus. 2,17 (SA) Noli timere, mater filiorum, quoniam te elegi, dicit Dominus. (CMNEVLK) Noli pavere, matrem filiorum te elegi, dicit Dominus. 2,30 (SA) Iucundare, mater, cum filiis tuis, quia ego te eripiam, dicit Dominus. (CMNEVL) Iocundare, mater, cum filiis tuis et eripiam te, dicit Dominus.

Diese Mutter wird in 2,40f. mit Zion identifiziert, was nach der Aufforderung zur direptio in 2,6 überrascht – sie ist also mit der Mutter Israels identisch. Schröter und Milbach verweisen auf die Bezüge, die zwischen dieser Mutter und der Mutter aus 2,2–4 im Text hergestellt werden und die gegensätzlichen Rollen abbilden: „While the widow throws her children out, the mother has to embrace her children, that is to accept or adopt them31. The terms ‚mother‘ and ‚widow‘, as well 31   Complectere bedeutet primär „umfassen, umarmen“ (vgl. auch die Übersetzungen von Wolter und Bergren); „adopt“ beruht auf einer freien

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as ‚elected‘ and ‚rejected‘32 are contrasted. The guilt and rejection of the widow and her children, especially in contrast to the light of sincerity and election of the new mother and her children, emerge in a strong comparison33.“34 Der Mutter werden ethische Weisungen gegeben, von denen eine folgendermaßen lautet: 5 Esra 2,22 (SA) senem et iuvenem intra muros tuos serva, (CMNEVL) Senem et iuvenem intra muros tuos collige.

Die Formulierung intra muros tuos ist bemerkenswert und die einzige Stelle im Text, die darauf verweist, dass an eine Stadt gedacht ist; bezieht man diese Weisungen auf Mutter Zion, die in 2,15 angesprochen wurde35, so ist anzunehmen, dass hier von der Stadt Jerusalem die Rede ist. 5 Esra spricht also von der trauernden Mutter Israels, ermutigt Mutter Zion, nennt den Berg Zion und deutet Jerusalem als Stadt an. Es finden sich somit verschiedenste Facetten Jerusalems in 5 Esra, eine ausgestaltete Darstellung des himmlischen Jerusalems, wie sie in 4 Esra geschieht, jedoch nicht. Es zeigt sich also, dass 4 und 5 Esra zwar beide die Figur der Mutter Zion mit gewissen Ähnlichkeiten verwenden, die Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung der Texte jedoch unterschiedlich ausfällt. Dies wird besonders deutlich, wenn man 1 Baruch 4–5 miteinbezieht. 1 Baruch ist wie 5 Esra in weiten Teilen als prophetischer Text gestaltet und thematisiert die Sündhaftigkeit Israels und die Strafe, die von Gott daraufhin verhängt wurde. Auf die Wegführung Übersetzung und der Annahme, dass diese Kinder von Israel unterschieden sind und als ‚neue Kinder‘ zur Mutter kommen. 32   Während Israel von Gott angedroht wird, dass er es verwerfen werde (5 Esra 1,30.33), spricht die Mutter selbst davon, derelicta zu sein, was „verlassen, vernachlässigt“ bedeutet und sich wohl primär auf das Loslösen von den Kindern bezieht. Es wird auch in 1 Bar 4,12.19 (VUL) in diesem Zusammenhang gebraucht, ebenso in Jes 60,15; 62,4.12. Von der Verwerfung der Mutter ist in 5 Esra nicht die Rede. 33   Diese Unterschiedenheit ist bereits in der biblischen Verwendung zu beobachten und beruht auf der Wendung des Schicksals Israels durch Gott, vgl. besonders 1 Bar 4–5. Von einer „neuen“ Mutter wird in 5 Esra nicht gesprochen! 34   Schröter/ Milbach, Composition. 35   2,24 wendet sich an populus meus, 2,25 jedoch wieder an die nutrix.



vi  4 esra251

Israels ins Exil reagiert auch in 1 Baruch das trauernde Jerusalem als Mutter mit folgenden Worten: 1 Bar 4,8 (LXX) ἐπελάθεσθε δὲ τὸν τροφεύσαντα ὑμᾶς θεὸν αἰώνιον, ἐλυπήσατε δὲ καὶ τὴν ἐκθρέψασαν ὑμᾶς Ιερουσαλημ·9 εἶδεν γὰρ τὴν ἐπελθοῦσαν ὑμῖν ὀργὴν παρὰ τοῦ θεοῦ καὶ εἶπεν ᾿Ακούσατε, αἱ πάροικοι Σιων, ἐπήγαγέν μοι ὁ θεὸς πένθος μέγα·10 εἶδον γὰρ τὴν αἰχμαλωσίαν τῶν υἱῶν μου καὶ τῶν θυγατέρων, ἣν ἐπήγαγεν αὐτοῖς ὁ αἰώνιος·11 ἔθρεψα γὰρ αὐτοὺς μετ᾽ εὐφροσύνης, ἐξαπέστειλα δὲ μετὰ κλαυθμοῦ καὶ πένθους. 12 μηδεὶς ἐπιχαιρέτω μοι τῇ χήρᾳ καὶ καταλειφθείσῃ ὑπὸ πολλῶν· ἠρημώθην διὰ τὰς ἁμαρτίας τῶν τέκνων μου, διότι ἐξέκλιναν ἐκ νόμου θεοῦ, 13 δικαιώματα δὲ αὐτοῦ οὐκ ἔγνωσαν οὐδὲ ἐπορεύθησαν ὁδοῖς ἐντολῶν θεοῦ οὐδὲ τρίβους παιδείας ἐν δικαιοσύνῃ αὐτοῦ ἐπέβησαν. 14 ἐλθάτωσαν αἱ πάροικοι Σιων, καὶ μνήσθητε τὴν αἰχμαλωσίαν τῶν υἱῶν μου καὶ θυγατέρων, ἣν ἐπήγαγεν αὐτοῖς ὁ αἰώνιος·15 ἐπήγαγεν γὰρ ἐπ᾽ αὐτοὺς ἔθνος μακρόθεν, ἔθνος ἀναιδὲς καὶ ἀλλόγλωσσον, οἳ οὐκ ᾐσχύνθησαν πρεσβύτην οὐδὲ παιδίον ἠλέησαν 16 καὶ ἀπήγαγον τοὺς ἀγαπητοὺς τῆς χήρας καὶ ἀπὸ τῶν θυγατέρων τὴν μόνην ἠρήμωσαν. 17 ἐγὼ δὲ τί δυνατὴ βοηθῆσαι ὑμῖν; 18 ὁ γὰρ ἐπαγαγὼν τὰ κακὰ ὑμῖν ἐξελεῖται ὑμᾶς ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν ὑμῶν. 19 βαδίζετε, τέκνα, βαδίζετε, ἐγὼ γὰρ κατελείφθην ἔρημος·20 ἐξεδυσάμην τὴν στολὴν τῆς εἰρήνης, ἐνεδυσάμην δὲ σάκκον τῆς δεήσεώς μου, κεκράξομαι πρὸς τὸν αἰώνιον ἐν ταῖς ἡμέραις μου. 21 θαρσεῖτε, τέκνα, βοήσατε πρὸς τὸν θεόν, καὶ ἐξελεῖται ὑμᾶς ἐκ δυναστείας, ἐκ χειρὸς ἐχθρῶν. 22 ἐγὼ γὰρ ἤλπισα ἐπὶ τῷ αἰωνίῳ τὴν σωτηρίαν ὑμῶν, καὶ ἦλθέν μοι χαρὰ παρὰ τοῦ ἁγίου ἐπὶ τῇ ἐλεημοσύνῃ, ἣ ἥξει ὑμῖν ἐν τάχει παρὰ τοῦ αἰωνίου σωτῆρος ὑμῶν. 23 ἐξέπεμψα γὰρ ὑμᾶς μετὰ πένθους καὶ κλαυθμοῦ, ἀποδώσει δέ μοι ὁ θεὸς ὑμᾶς μετὰ χαρμοσύνης καὶ εὐφροσύνης εἰς τὸν αἰῶνα.

Dieser Abschnitt aus 1 Baruch enthält nicht nur Formulierungen, die in 5 Esra beinahe wörtlich aufgenommen werden, sondern zeigt auch denselben Gedankengang: Die Sündhaftigkeit des Volkes führte zum Unheil, weswegen Jerusalem einsam zurückbleibt. Strafender und möglicher Retter zugleich ist Gott, an den sich die Kinder wegen der Hilflosigkeit Jerusalems wenden sollen. Auch die verschiedenen Facetten im Schicksal der Mutter werden in 1 Bar deutlich: Aus dem trauernden Jerusalem wird das herrliche Jerusalem, das seine Kinder, von Gott geschützt und begleitet, zurückkehren sieht (1 Bar 5,1–9). Während sich 5 Esra und 4 Esra durch die Bezugnahme 4 Esras auf die Zerstörung der Stadt, auf den Kult, auf das Neue Jerusalem und die ‚Bekehrung‘ Esras und zusätzlich die Verknüpfung in 5 Esra mit den Sünden Israels, dem Wegschicken der Kinder und der K ­ onzentration auf Israel statt auf Jerusalem

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unterscheiden, sind 5 Esra und 1 Baruch in eben diesen Punkten übereinstimmend. Die zusätzliche wörtliche Bezugnahme zwischen den Texten zeigt meiner Ansicht nach eindeutig, dass 5 Esra in der Verwendung des ‚Mutter Zion‘-Motivs 1 Baruch deutlich näher ist als 4 Esra und dass möglicherweise ein direkter Bezug zwischen den beiden Texten vorliegt. Da jedoch in 4 und 5 Esra dieselben Grundlinien zu erkennen sind und auch die Position des Motivs jeweils in etwa in der Mitte der Texte übereinstimmt, ist eine Kenntnis dieses Abschnitts 4 Esras für 5 Esra möglich, eine Anspielung 5 Esras auf 4 Esra aber unwahrscheinlich. 3  Der Messias auf dem Zion und die friedliche Menge Die sechste Vision in 4 Esra schildert Esras Traum (13,1–13) von einem homo36, der mit den Wolken des Himmels einfliegt (13,3) und auf einem Berg, den er losgeschlagen hat37 (vgl. Dan 2,34.45), eine unzählbare Menschenmenge38 de quattuor ventis caeli (13,5) bekämpft und tötet (13,9–11). Daraufhin versammelt er eine multitudinem aliam pacificam (13,12) um sich, die sich ihm teils freudig, teils traurig, aliqui vero alligati, aliqui adducentes ex eis qui offerebantur (13,13; vgl. Jes 66,20), nähert. In der Deutung des Traums39 (13,21–50) wird der Mensch als Sohn40 bezeichnet41, der sich allen 36   In der lateinischen Fassung 4 Esras fehlt im Vergleich zu den anderen Fassungen ein Satz, den Schreiner folgendermaßen übersetzt: „Ich sah, und siehe, der Sturm führte aus dem Herzen des Meeres etwas wie die Gestalt eines Menschen herauf.“ (Schreiner, Josef, Das 4. Buch Esra (JSHRZ V,4), Gütersloh 1981, 393.). Wie schon die Vision vom Adler ist auch diese Vision von Daniel 7 beeinflusst. 37   4 Esra 13,6 (VUL): ibimet ipso sculpsit montem magnum. 38   multitudo hominum, quorum non erat numerus (13,5); multitudo innumerabilis (13,34). 39   Vision und Deutung weisen so große Unterschiede auf, dass in der Forschung davon ausgegangen wird, dass die Visionsschilderung dem Verfasser bereits als unabhängige Quelle vorlag (vgl. z.B. Stone, Fourth Ezra, 399; Müller, Ulrich B., Messias und Menschensohn in jüdischen Apokalypsen und in der Offenbarung des Johannes (StNT 6), Gütersloh 1972, 127.). 40   In der lateinischen, syrischen und sahidischen Version erfolgt die Zuordnung als „Sohn“, in der armenischen und äthiopischen Version als „Mann“, in der arabischen als „Knecht“ bzw. „Jüngling“ (vgl. Stone, Fourth Ezra, 393.). 41  13,32: tunc revelabitur Filius meus quem vidisti virum ascendentem; s. auch 13,37.52.



vi  4 esra253

Völkern und Reichen der Erde auf dem Gipfel des Berges Zion42 stellt (vgl. Ps 2,2). Die friedliche Menge wird mit den zehn43 Stämmen identifiziert, die nach der Gefangennahme durch Salmanassar, den König der Assyrer (13,40; vgl. 2 Kön 17,1–6), in das Land Arzaret jenseits des Euphrat (13,43ff.) zogen, um dort ihre Gesetze zu halten44; zu ihnen treten die Übriggebliebenen Israels45 hinzu. Diese Vision des Buches 4 Esra weist mögliche Bezüge zu den apokalyptischen Versen 5 Esra 2,42–48 auf46. 2,42 (SA) Ego Ezra vidi in monte Sion turbam magnam, quam numerare non potui, et omnes canticis conlaudabant Dominum. 43 Et in medio eorum erat iuvenis statura celsus, eminentior omnibus illis, et singulis eorum capitibus inponebat coronas, et magis exaltabatur; ego autem miraculo tenebar. 44 Tunc interrogavi angelum et dixi: Qui sunt hii, domine? 45 Qui respondens dixit mihi: Hii sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt et confessi sunt nomen Dei; modo coronantur et accipiunt palmas. 46 Et dixi ad angelum: Ille iuvenis quis est, qui eis coronas inponit et palmas in manus tradit? 47 Qui respondens dixit mihi: Ipse est Filius Dei, quem in saeculo confessi sunt. Ego autem magnificare eos coepi, qui fortiter pro nomine Domini steterunt. 48 Tunc dixit mihi angelus: Vade et adnuntia populo meo, qualia et quanta mirabilia Domini Dei vidisti. (CMNEVL) Ego Esdra vidi in monte Syon turbam magnam quam numerare nemo poterat; omnes canticis conlaudabant Dominum. 43 Et in medio eorum erat iuvenis statura excelsus, omnibus illis eminens. Et in capite illorum coronas singulas ponebat, et magis exaltabantur. Ego autem mirari coepi. 44 Et interrogavi angelum et dixi, Qui sunt hii? 45 Et respondens dixit mihi, Isti sunt qui mortalem tunicam deposuerunt et inmortalem sumpserunt, et confessi sunt nomen Dei. Modo coronantur et accipiunt palmas. 46 Et dixi ad angelum, Quis est iste 42   Im folgenden Vers wird auf die Stadt Jerusalem verwiesen (vgl. Stone, Fourth Ezra, 403; Hogan, Theologies, 191.): Sion autem veniet et ostendetur omnibus parata et aedificata; vgl. 4 Esra 7,26. 43   Während Handschrift S von zehn Stämmen spricht, nennen ACVL, die äthiopische und eine arabische Fassung neun, zwei andere äthiopische Handschriften, eine weitere arabische und die syrische Fassung neuneinhalb Stämme (vgl. Stone, Fourth Ezra, 393.). 44  13,42: ut vel ibi observarent legitima sua, quae non fuerant servantes in regione sua. 45  13,48: et qui derelicti sunt de populo tuo. 46   Vgl. Geoltrain, Remarques, 24f.; Krauter, Theologie, 160.

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iuvenis qui eis coronas dat et palmas? 47 Et ille respondit mihi et dixit, Ipse est filius Dei quem confessi sunt in saeculo mortali. Ego vero laudare et magnificare coepi Dominum. 48 Et dixit mihi angelus, Vade et nuntia populo ipsius quanta mirabilia a Domino Deo vidisti.

Die Grundlinien der Visionen der beiden Texte stimmen überein: Der „Sohn Gottes“, der als Messias identifiziert werden kann47, befindet sich auf dem Berg Zion, um ihn herum ist eine nicht zu zählende Menge. Der Berg Zion als Berg JHWHs ist mit zahlreichen theologischen Vorstellungen und eschatologischen Erwartungen ­verbunden (vgl. Ps 2,6; 48; Jes 2,2–4; 31,4; Mi 4,1–4); er gilt in den biblischen Texten als Zentrum der Welt (Ps 48,3) und Ort des Endgerichts.48 Nachexilisch wurde er „zum Fokus diverser eschatologischer Themen wie der prophetischen Zukunftserwartung in Form der Völkerwallfahrt zum Z. (Jes 2,2ff.; 18,7; 1QM 12,13; 19,5), des erfolglosen Völkeransturms gegen den Z. (Jes 17,12–14; 29,5–8), der eschatologischen Rettung am Z. (Jes 25,6f.; 33) und der eschatologischen Vision des himmlischen Jerusalem“49. Vom Erscheinen des Messias auf dem Zion spricht auch 2 Bar 40,1, eine wichtige Parallelstelle für den Kontext von 5 Esra ist jedoch Offb 14,1, wo das Lamm gemeinsam mit den 144000 Versiegelten auf dem Berg Zion erscheint. Der Messias tritt in 4 Esra nicht nur in Kap. 13, sondern auch in weiteren Kapiteln in Erscheinung und wird als Richter (12,32f.), Beschützer der Übriggebliebenen Israels (12,34; 13,49), in Kap. 1350 aber primär als Krieger51 (13,3–11) abgebildet. Er wurde bis zum ­Zeitpunkt seines Erscheinens verborgen (4 Esra 13,26), ist wohl als   Dieser Begriff wird jedoch in keinem der beiden Texte verwendet. Für die Identifizierung des homo als Messias in 4 Esra vgl. Hogan, Theologies, 190, 198; Collins, John J., The Son of Man in First-Century Judaism, in: NTS 38 (1992), 448–466, hier 463; Müller, Messias, 128. 48   Vgl. Berlejung, Angelika, Zion, in: HGANT² (2009), 434f., hier 434. 49   Berlejung, Zion, 435. 50   Man beachte die Wandlung im Vergleich zu Kap. 7: „Er hat hier ganz und gar nichts mehr mit der ‚passiven‘ Figur aus 7,28f. zu tun.“ (Söllner, Jerusalem, 282.). 51   Collins hebt hervor: „The vision is reminiscent of traditional theophanies of the divine warrior.“ (Collins, Son of Man, 464.). Hogan fügt hinzu, dass „the divine warrior imagery of the vision is interpreted in 13:37–38 as symbolic of the Messiah‘s judicial function.“ (Hogan, Theologies, 192.). 47



vi  4 esra255

menschliches Wesen52 gedacht und wird in einer vorherigen Vision explizit als sterblich beschrieben (vgl. 7,28f.). Er wird in 4 Esra 13,3.12 als homo bezeichnet, in 13,25.32 als vir, in 13,32.37 als filius. Diese Terminologie stimmt mit 5 Esra nur in einem Punkt überein. Dort hat der „Sohn Gottes“ (5 Esra 2,47) nur eine Funktion, er legt in 5 Esra 2,43 Kränze auf die Häupter der Einzelnen. Ein messianisches Verständnis könnte auch hinter 5 Esra 2,34.37 (SA) stehen, doch wird eine messianische Gestalt dort, wenn überhaupt, nur angedeutet. In 5 Esra sind messianische Vorstellungen somit kaum ausgeprägt. Eine Verbindung des Messias mit innergeschichtlichen oder endzeitlichen Handlungen wird in 5 Esra nicht vermittelt, zudem ist die Vielfalt der Messias-­ Vorstellungen aus 4 Esra in 5 Esra nicht gegeben. Grundsätzlich muss die Frage gestellt werden, ob eine Verbindung zwischen den inhomogenen Messias-Darstellungen in 4 Esra und dem kaum identifizierbaren Messias in 5 Esra überhaupt aufgezeigt werden kann. 5 Esra 2,34 (SA) Ideoque vobis dico, gentes quae auditis et intellegitis: Expectate pastorem vestrum, requiem aeternitatis dabit vobis, quoniam in proximo est ille, qui in finem saeculi adveniet. (CMNEVL) Vobis dico qui auditis et intelligitis: Expectate pastorem vestrum. Requiem aeternitatis vestrae dabo vobis, quoniam in proximo est finis saeculi et diminutio hominum. 2,37 (SA) Commendatum Domini accipite et iucundamini gratias agentes ei qui vos ad caelestia regna vocavit.

Auch die Beschreibung der Szene am Zion ist in den beiden Texten sehr verschieden gestaltet. Die Kampfeshandlungen, die dieses Kapitel 4 Esras bestimmen, fehlen in 5 Esra vollständig; auch die Sammlung des Volkes geschieht in 5 Esra nicht am Zion, sondern wird bereits während der Verkündigung von Gottes Botschaft in 1,3853 beschrieben. In der Vision 4 Esras wird der Berg vom Messias losgeschlagen54, was sich wohl auf Dan 2,34.45 bezieht; weder dieses   Vgl. Burkett, Delbert, The Son of Man Debate. A History and Evaluation (MSSNTS 107), Cambridge 1999, 107. 53   5 Esra 1,38 (SA): Et nunc, pater, aspice cum gloria et vide populum venientem ab oriente. 54   Söllner führt an: „Unklar bleibt in Vision und Deutung freilich, ob das Losschlagen des Berges als grundsätzlicher Entstehungsvorgang des eschatologischen Zion oder aber als spezifischer Offenbarungsvorgang einer bereits vorhandenen Stadt zu verstehen ist.“ (Söllner, Jerusalem, 283.). 52

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Detail, noch dass der Messias auf dem Gipfel des Berges steht (vgl. Sach 14,4), wird in 5 Esra aufgegriffen, wie auch das himmlische Jerusalem in 2,42–48 nicht in Erscheinung tritt. Auch ist die unzählbare Menge, die in 4 Esra den Zusammenschluss aller dem Messias feindlich gesinnten Völker und Reiche darstellt und vernichtet wird, in 5 Esra positiv konnotiert und verweist auf die Erwartung von umfassendem Heil. Dementsprechend enthält 5 Esra in seinen abschließenden Versen auch keine Gegenüberstellung ‚unzählbare Menge – gesammeltes Volk‘ wie 4 Esra55: Das ‚andere, kommende Volk‘ aus 5 Esra 1,24.35.37.38 wird im Schlussteil des Textes nicht mehr erwähnt, stattdessen werden in 2,34 (SA) die gentes angesprochen. Geoltrain56 und Krauter57 bringen einen möglichen Bezug zwischen den 10 Stämmen in 4 Esra 13,39–47 und dem Volk, das in 5 Esra 1,38 aus dem Osten kommt, ins Spiel. Ein derartiger Bezug ist aus dem Text an sich nicht abzuleiten, da der Begriff „Osten“ in 4 Esra nicht verwendet wird und in 5 Esra keine Elemente der detaillierten Darstellung 4 Esras übernommen werden. Zudem ist zu bedenken, dass das Motiv von der Rückführung der Stämme58 bzw. Israels sehr verbreitet ist und z.B. auch in 1 Baruch59 angeführt wird, das zahlreiche Bezugslinien zu 5 Esra aufweist. 1 Bar 5,5 (LXX) ἀνάστηθι, Ιερουσαλημ, καὶ στῆθι ἐπὶ τοῦ ὑψηλοῦ καὶ περίβλεψαι πρὸς ἀνατολὰς καὶ ἰδέ σου συνηγμένα τὰ τέκνα ἀπὸ ἡλίου δυσμῶν ἕως ἀνατολῶν τῷ ῥήματι τοῦ ἁγίου χαίροντας τῇ τοῦ θεοῦ μνείᾳ.

Sowohl die zehn Stämme in 4 Esra wie auch das ‚kommende Volk‘ in 5 Esra werden idealisiert und als den Gesetzen Gottes gehorsam   In 4 Esra bilden die zehn Stämme und der Rest Israels das dem Messias zugeordnete Volk. 56   Vgl. Geoltrain, Remarques, 24f. 57   Vgl. Krauter, Theologie, 164. 58   Die Rückführung der zehn Stämme aus dem Norden wird z.B. auch in Commodian, Instr. 1,42 und Carm. apol. 941–979 thematisiert. 59   Bergren schreibt dazu: „Thus, the ‚Zion poem‘ of Bar 4:5–5:9 describes in a highly glorified manner a people coming from the east, with apparent reference to the return of Judahites from Babylonian captivity. As noted above, the coming of the people from the east in 5 Ezra (esp. 1:35–40) is portrayed in similarly exalted terms.“ (Bergren, People coming, 677.). 55



vi  4 esra257

geschildert60, doch auch dies entspricht der Tradition dieses Motivs61. Die Texte geben also keine klaren Anhaltspunkte dafür, dass dieses Motiv aus 4 Esra in 5 Esra aufgegriffen wurde. Da die Rückführung der Stämme verbreitet ist und keine Spezifika von 4 Esra übernommen werden, ist ein Rückgriff auf dieselbe Traditionslinie62 hier wahrscheinlicher als eine direkte Bezugnahme. Die aufgeführten Unterschiede in der Darstellung des Messias auf dem Zion sprechen eher gegen eine direkte Bezugnahme 5 Esras auf 4 Esra. Auf den möglichen Bezug zu einem anderen Text verweisen zudem eben die Elemente, die die Schlussverse 5 Esras prägen und in 4 Esra fehlen: Die signati, die candidati, die palmae und coronae finden sich alle in der Offenbarung des Johannes, die wahrscheinlich einen Bezugstext für 5 Esra bildet. Dabei sind v.a. Offb 7,9 und 14,1 von Bedeutung: Offb 7,9 (NA) Μετὰ ταῦτα εἶδον, καὶ ἰδοὺ ὄχλος πολύς, ὃν ἀριθμῆσαι αὐτὸν οὐδεὶς ἐδύνατο, ἐκ παντὸς ἔθνους καὶ φυλῶν καὶ λαῶν καὶ γλωσσῶν ἑστῶτες ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου περιβεβλημένους στολὰς λευκὰς καὶ φοίνικες ἐν ταῖς χερσὶν αὐτῶν, 14,1 Καὶ εἶδον, καὶ ἰδοὺ τὸ ἀρνίον ἑστὸς ἐπὶ τὸ ὄρος Σιὼν καὶ μετ‘ αὐτοῦ ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες ἔχουσαι τὸ ὄνομα αὐτοῦ καὶ τὸ ὄνομα τοῦ πατρὸς αὐτοῦ γεγραμμένον ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν.

Die Ausgestaltung der Schlussszene 5 Esras differiert also in weiten Teilen von 4 Esra, stimmt in diesen Punkten jedoch mit der Offenbarung des Johannes überein. Die Darstellung dieses Motivs weist so größere Verbindungen 5 Esras zur Offb auf als zu 4 Esra. Die ­gemeinsamen   Vgl. 5 Esra 1,35 (SA): Tradam domus vestras populo venienti. Qui me non audientes credunt; quibus signa non ostendi, facient quae praecepi. 61   Vgl. Bergren, People coming, 679. S. auch SibOr 2,170–176. 62   Bergren stellt fest: „Clearly it is difficult, if not impossible, to construct a plausible context for the ‚people coming from the east‘ of 5 Ezra 1:38 within a characteristically Christian ideological setting. On the other hand, the evidence gathered above has pointed out numerous parallels to this motif in Jewish (or, in Commodian’s case, Jewish-based) literature. It therefore seems reasonable to suggest that the theme of the ‚coming people‘ as it is expressed in 5 Ezra 1:38 originated in a Jewish context.“ (Bergren, People coming, 682.). 60

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Grundlinien dieser Abschnitte in 4 und 5 Esra bilden verbreitete apokalyptische Traditionen ab; ohne tiefer gehende Übereinstimmungen kann nicht von Anspielungen gesprochen werden. Wie bereits bei der Verwendung des Motivs „Mutter Zion“ ist eine Kenntnis 4 Esras durch 5 Esra zwar möglich, eine direkte Bezugnahme jedoch unwahrscheinlich. 4  Die Darstellung Esras Neben den Verbindungslinien, die sich in gemeinsamen Motiven zeigen, ist es bei der Untersuchung des Bezugs von 5 Esra auf 4 Esra für Wolter die Zuschreibung der Schrift an Esra, den Propheten, die er als „wichtigste Rezeptionsanweisung für die impliziten Leser“63 versteht. Wir wissen heute von zahlreichen Esra-Schriften, biblischen und außer-biblischen, „including historical narratives, prophetic exhortations, and various apocalyptic journeys and discourses“64. Diese unterscheiden sich so sehr, dass Robert Kraft die Frage stellt, inwiefern sie auf dem biblischen Esra-Bild beruhen und ob sie nicht auf „an older, more widely ranging perception of a person or persons called ‚Ezra‘ in Jewish traditions“65 zurückgreifen. Kraft unterscheidet drei Haupttypen von Esra-Bildern: (1) Esra als Priester und Gesetzesgelehrter, der die Rückkehr nach Jerusalem anführt; (2) Esra als Prophet und Seher und (3) unspezifische Zuordnungen.66 Der biblische Esra wird als Priester, Schriftgelehrter und Beauftragter für das Gesetz des Gottes des Himmels (Esr 7,11f.) eingeführt, der „den Israeliten Orientierung beim Neuaufbau nach der Katastrophe des Exils“67 bietet (vgl. Esr 7,10), aber auch als Fürsprecher vor Gott für sie eintritt (vgl. Esr 9,5–15). Diese Funktion Esras für Israel nach der Katastrophe macht sich 4 Esra zunutze, das einen „Esra“ nach der Zerstörung Jerusalems auftreten lässt. Esra klagt s­ tellvertretend für Israel über   Wolter, 5. Esra-Buch, 791.   Kraft, „Ezra“ Materials, 119. 65   Kraft, „Ezra“ Materials, 120. 66   Vgl. Kraft, „Ezra“ Materials, 130–132. 67   Metzger, Paul, Esra und das vierte Esra-Buch. Die Bedeutung des Pseudonyms für die Interpretation einer apokalyptischen Schrift, in: Horn, Friedrich Wilhelm, Wolter, Michael (Hg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS Otto Böcher), Neukirchen-Vluyn 2005, 263–290, hier 267. 63 64



vi  4 esra259

dessen Schicksal und ringt mit Gott68; im Zentrum stehen dabei die Fragen, wie es Babylon besser ergehen könne als dem Volk Gottes, obwohl dessen Sünden ebenso groß seien wie Israels (4 Esra 3,30ff.), und weshalb Israel den Völkern preisgegeben worden sei (5,28). Zugleich weicht 4 Esra von der biblischen Tradition erheblich ab, indem es Esra zum apokalyptischen Seher werden lässt, der Träume und Visionen empfängt, die vom angelus interpres Uriel erklärt werden. In diesen Gesprächen werden Esras Ausgangsfragen und seine Kritik an Gott immer wieder thematisiert; die Haltung Esras und dessen schrittweise Akzeptanz69 bilden den roten Faden der Schrift. Esras Funktion als Offenbarungsempfänger umfasst nicht nur die Visionen, in denen er z.B. das himmlische Jerusalem schaut (10,55), sondern auch, dass er den Lauf der Welt (4,44–50) und das Schicksal der Menschen (5,1–12; 6,18–28 usw.) erkennen darf. An der priesterlichen Funktion des biblischen Esra zeigt 4 Esra kein Interesse. Stattdessen wird Esra als Prophet bezeichnet (4 Esra 12,42), was ihm jedoch nicht als ‚Titel‘ verliehen wird: Er wird vom Volk unter die Propheten eingeordnet. 4 Esra 12,42 tu enim nobis superasti ex omnibus prophetis, sicut botrus de vindemia et sicut lucerna in loco obscuro, et sicut portus navi salvatae a tempestate.

Als Prophet wird es Esras Aufgabe, für Israel das Gesetz wiederherzustellen und ihm den Weg aus der Katastrophe zu verkünden (14,34)70. Mit dieser Rolle verbunden ist Esras Funktion als Hirte, dem Israel anvertraut ist (5,17f.). Als Repräsentant des Volkes beklagt er Israels Unglück, nimmt aber auch das Schicksal der gesamten Menschheit in den Blick (7,62ff.). Er bittet Gott um Erbarmen für Israel (8,6–36) und tröstet das Volk (12,46f.). Gegen Ende der Schrift   Vgl. Metzger, Esra, 270.   Knowles betont: „For while Ezra is consoled, his questions are never really answered. Redemption in this work, as A.L. Thompson has rightly pointed out, is not a matter of finding the correct answers to all the vexing intellectual problems of the moment. Rather it is a matter of casting oneself on the mercy of God, learning to trust in the wisdom and instruction he has given, and keeping judiciously silent on matters where guidance is lacking, in the expectation that God‘s purpose will, in the end, work out after all.“ (Knowles, Michael P., Moses, the Law, and the Unity of 4 Ezra, in: NT 31 (1989), 257–274, hier 260.). 70   Vgl. Metzger, Esra, 281. 68 69

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tritt ein weiterer Aspekt in den Vordergrund: Esra bittet Gott, das Gesetz, das in ganz 4 Esra von zentraler Bedeutung ist, für die folgenden Generationen aufschreiben zu dürfen. 4 Esra 14,22 si enim inveni gratiam coram te, inmitte in me spiritum sanctum, et scribam omne quod factum est in saeculo ab initio, quae erant in lege tua scripta, ut possint homines invenire semitam, et qui voluerint vivere in novissimis vivant.

40 Tage lang diktiert Esra, dem Verständnis, Weisheit und Erinnerung gegeben werden (14,40), fünf Männern daraufhin 94 Bücher, von denen 70 verborgen, 24 offengelegt werden (14,45f.). Damit wird die biblische Tradition von Esra als Gesetzesgelehrtem und Schreiber71 aufgegriffen, gleichzeitig wird er in die Tradition des Moses gestellt72. Bereits an früherer Stelle in diesem Kapitel wird Esra als zweiter Mose73 stilisiert: 4 Esra 14,1 et factum est tertio die, et ego sedebam sub quercu, 2 et ecce vox exivit contra me de rubo et dixit: Ezra, Ezra. et dixi: ecce ego, Domine. et surrexi super pedes meos. et dixit ad me: 3 revelans revelatus sum super rubum et locutus sum Moysi, quando populus meus serviebat in Aegypto. 4 et misi eum et eduxi populum meum de Aegypto,   Hogan folgert aus diesem Handlungsverlauf: „If the so-called epilogue is viewed not as the dénouement but as the true climax of 4 Ezra, the choice of Ezra as the pseudepigraphic ‚author‘ and protagonist makes perfect sense, given the author’s evident preoccupation with ‚Torah‘. […] The author exaggerates Ezra’s importance relative to the Torah, making him not just its promulgator but the inspired restorer of all twenty-four books of the (proto-) canonical Scriptures – but then presents his dictation of esoteric apocalyptic texts as an even greater achievement.“ (Hogan, Theologies, 219.). 72   Najman betont, dass dies über das ganze Buch hinweg geschieht: „Throughout 4 Ezra, the protagonist is intimately linked to the figure of Moses. This is both explicit and implicit throughout the seven visions of 4 Ezra.“ (Najman, Hindy, Traditionary Processes and textual Unity in 4 Ezra, in: Henze, Matthias, Boccaccini, Gabriele (Hg.), Fourth Ezra and Second Baruch. Reconstruction after the Fall (JSJ.S 164), Leiden, Boston 2013, 99–117, hier 112.). 73   Najman ergänzt, dass sich in 4 Esra „a kind of ‚overkill‘ or even ‚protesting too much‘“ finde, indem Ezra nicht nur mit der biblischen Gestalt des Esra verknüpft werde, sondern „is also authorized as another Daniel, another Abraham and, perhaps most importantly another Moses (in the final, seventh vision) – all in the name of generating an authentic and authoritative text.“ (Najman, The Quest, 230.). 71



vi  4 esra261

et adduxi eum super montem Sina et detinebam eum apud me diebus multis. 5 et enarravi ei mirabilia multa, et ostendi ei temporum secreta et temporum finem. et praecepi ei dicens: 6 haec in palam facies verba et haec abscondes. 7 et nunc tibi dico: 8 signa quae demonstravi et somnia quae vidisti et interpretationes quas tu audisti in corde tuo repone ea. 9 tu enim recipieris ab hominibus, et converteris residuum cum Filio meo et cum similibus tuis, usquequo finiantur tempora.

Esra wird in 4 Esra eine außergewöhnliche Sonderstellung zugewiesen, da er nicht nur würdig ist, göttliches Wissen durch Visionen zu empfangen (vgl. 4 Esra 10,57: tu enim beatus es prae multis et vocatus es apud Altissimum sicut et pauci; 12,36 tu ergo solus dignus fuisti scire Altissimi secretum hoc), sondern auserwählt ist, das zerstörte Gesetz (14,21) neu aufzuzeichnen74 „und Israel damit wieder einen Neuanfang zu ermöglichen“75. Seine Trauer und seine Gedanken stehen im Mittelpunkt der Schrift, die ganz auf ihn ausgerichtet ist und seine Persönlichkeit und seine Funktionen für das Volk ausführlich thematisiert. Welche Rolle wird Esra in 5 Esra zuteil? Esra wird in 1,1 (SA) als Ezra propheta eingeführt, die sich anschließende Genealogie orientiert sich an Esra 7,1–5 und 3 Esra 8,1–2, ergänzt durch Elemente einer Priesterlinie aus 1 Sam 14,3. Diese ersten drei Verse fehlen in der spanischen Handschriftengruppe und werden meist als sekundär eingestuft76; in den Handschriften CMNEVLK wird Esra als Sohn des Chusi77 vorgestellt und nicht in die Zeit des Artaxerxes (SA) versetzt, sondern in die Zeit von Nebukadnezar. In diesen Handschriften wird Esra nicht als Prophet bezeichnet, die Wortereignisformel in 1,4 zeigt aber, dass er auch dort als Prophet auftritt. Diese Darstellung Esras   Esra wird zur „bridge figure“ (Hogan, Karina Martin, Pseudepigraphy and the Periodization of History in Jewish Apocalypses, in: Frey, Jörg u.a. (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen (WUNT 246), Tübingen 2009, 61–83, hier 81.), indem er die „chain of tradition stretching back to Moses“ (ebd.) wiederherstellt. 75   Metzger, Esra, 280. Auch Knowles hebt hervor: „this author’s choice of a pseudonymous speaker emphasizes restoration and new beginnings […]“ (Knowles, Moses, 266.). 76   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 794; Kraft, „Ezra“ Materials, 132. 77   Nach Zeph 1,1 hieß der Vater Zephanjas Chusi. Die Inventiones Nominum führen diesen unabhängig von einem Chusi pater Hesdrae prophetae maioris (G28) auf. 74

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entspricht der Form der gesamten Schrift78, die immer wieder prophetische Formeln aufgreift und als prophetischer Text79 gestaltet ist. Die Bezeichnung Esras als Prophet verbindet 4 und 5 Esra und macht die Texte gemeinsam mit griechApkEsr 1,1.3 und koptApocrJer 32.3480 zu Vertretern einer Tradition, die Esra nicht als Priester und Gesetzeslehrer, sondern als Propheten einordnet. Diese Linie führte in späteren Texten wie den Inventiones Nominum zu einer Unterscheidung von zwei Esra-Figuren, dem Priester und dem Propheten.81 Während die zeitliche Einordnung unter Nebukadnezar in 5 Esra 1,4 (CMNEVLK) in etwa mit 4 Esra 3,1 (anno tricesimo ruinae civitatis eram in Babylone) übereinstimmt, verweist die Nennung von Artaxerxes in 5 Esra 1,3 (SA) auf das biblische Buch Esra (vgl. besonders Esra 7,1). 4 Esra weist keine Abstammungsverhältnisse Esras auf, dessen Benennung als Salathihel qui et Ezras (4 Esra 3,1)82 findet keine Entsprechung in 5 Esra. Einen größeren Unterschied bildet die Ausgestaltung der Figur Esras: Dieser tritt in 5 Esra primär als Sprachrohr Gottes in Erscheinung, hat kaum eigene Redeanteile und zeigt keine Charaktereigenschaften, die ihm eine individuelle Gestalt verleihen. Er verkündet Gottes Botschaften, ohne diese zu bewerten, zeigt selbst keine Emotionen83 oder eigene Positionen und tritt weder für Israel ein noch gegen es auf.   Davon auszunehmen ist 5 Esra 2,42–48.   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 791: „5. Esr präsentiert sich im literarischen Gewand eines prophetischen Buches.“ 80   Vgl. Wolter, 5. Esra-Buch, 794, FN 1b; Kraft, „Ezra“ Materials, 132f. 81   Inventiones Nominum G49 (= A45): Duo sunt Hesdrae, unus est propheta filius Chusi ad quem Dominus de rub(o) sicut ad Moysen locutus est, quique memoria sua renovavit divinas scripturas quas Nabuchodonosor incenderat. Litterasque hebraeicas Iudeis inmutasse, et fecisse eis litteras Assirias, ut non conmiscerentur Samaritanis. In diversa manu scribuntur, ipse dictus est iure peritus. Alius est Hesdra filius Helia, scriba, sacerdos et doctor, qui cum reliquo populo de captivitate Babilloniae ascendit. Inter ambos autem sunt anni ferme c. Vgl. auch Kraft, „Ezra“ Materials, 127. 82   Hogan vermutet, dass die Nennung von Salathiel, den sie mit Shealtiel, dem Sohn von Jehoiachin und dem Vater von Zerubbabel identifiziert, als Hinweis auf eine anachronistische Grundanordnung dienen könne und als Signal, dass der Autor keine historische Genauigkeit beansprucht (vgl. Hogan, Theologies, 221.). 83   Die einzige Regung geschieht während der Vision in 5 Esra 2,43: ego autem miraculo tenebar (SA). 78 79



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Er wird von Gott zu Israel geschickt, um dem Volk seine Sünden und die von Gott angedrohte Strafe zu verkünden; in 1,38 wird ihm das Kommen des Volkes aus dem Osten gezeigt, in 2,5ff. wird er zum Zeugen für die Verwünschung der Mutter und ihrer Kinder, die er der confusio und der direptio preisgeben soll84. Mit 2,10 sendet Gott ihn zu seinem Volk, um diesem die ihm bevorstehende herrliche Zukunft zu weissagen, dann wendet sich Gott von Esra ab und der Mutter des Volkes zu. Erst mit 2,33 beginnt die erste direkte Rede Esras: Er berichtet von seiner Abweisung durch Israel und spricht zu denen, die hören und verstehen, und zu Zion, bevor ihm in 2,42–48 eine Vision gezeigt wird, die ein angelus interpres erklärt. In diesen Schlussversen tritt Esra als apokalyptischer Seher in Erscheinung, der die Menschen ermahnt und auf endzeitliche Geschehnisse verweist. Eine besondere Facette seiner Rolle zeigt jedoch 5 Esra 2,33: 5 Esra 2,33 (SA) Ego Ezra accepi praeceptum a Domino in monte Horeb, ut irem ad Israhel. Ad quos cum venirem, reprobaverunt me et respuerunt mandatum Domini. (CMNEVL) Ego Esdra accepi praeceptum a Domino in monte Chobar ad Israel, et respuerunt mandatum hoc.

Die Verknüpfung Esras mit dem Berg Horeb ruft eine Verbindung zu Mose hervor, ohne dass dieser im Text genannt wird85 – Esra wird so als zweiter Mose präsentiert, der ebenso die Abtrünnigkeit des Volkes und dessen Geringschätzung der Gesetze Gottes erfährt wie Mose in Ex 32. Diese Bezugnahme auf Mose schafft eine weitere Verbindung in der Darstellung des Esra in 5 und 4 Esra, wenn sich auch die Ausgestaltung unterscheidet: In 4 Esra liegt die Bedeutung Esras als zweiter Mose darin, dass er das Gesetz wiederherstellt, das nach 4 Esra mit der Zerstörung Jerusalems verloren gegangen sei. ‚Das‘ Gesetz86 ist zwar grundsätzlich auch in 5 Esra bedeutsam, doch liegt   Wie bereits erwähnt ist diese Stelle unklar: Geht man davon aus, dass in 1,38 und 2,5 mit pater Esra gemeint ist, stellt sich die Frage, inwiefern Esra die Macht gegeben ist, die Mutter und ihre Kinder mit Unglück zu schlagen. Zudem spricht die spanische Handschriftengruppe in 2,5 erst vom testamentum tuum, was Esra als Sprecher vermuten lässt, in 2,7 dann aber vom testamentum meum. 85   In diesem Punkt unterscheiden sich 4 und 5 Esra. 86   Auch wenn der Gesetzesbegriff in 5 Esra nicht klar ist, so wird doch an zentralen Stellen vom lex (1,8; 2,40), den legitima (1,24) und den mandata (2,1) gesprochen. 84

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hier der Vergleichspunkt mit Mose auf der Sündhaftigkeit Israels, das Gott missachtete; Esra tritt in 5 Esra nicht als Gesetzesgelehrter und Schreiber auf. Dennoch ist diese parallele Verknüpfung Esras mit Mose aussagekräftig und beruht wohl auf einer Tradition, die sich in rabbinischen Quellen widerspiegelt87 und Esra mit Mose in Beziehung setzt: „Ezra is often portrayed in early Judaism and Christianity as a second law-giver similar to Moses, and the two are several times explicitly compared or identified in the literature […]“88. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass Esra in beiden Texten als Prophet, apokalyptischer Seher und zweiter Mose abgebildet wird. Während Esra in 4 Esra jedoch im Fokus steht und seine Haltung den Verlauf der Schrift bestimmt, ist er in 5 Esra primär und größtenteils Prophet im Sinn eines Sprachrohres Gottes, das keine individuellen Züge aufweist.89 Er tritt nicht als Gesetzeslehrer,   Vgl. Stone, Fourth Ezra, 411.   Bergren, Fifth Ezra, 205. Bergren verweist auf folgende Quellen (vgl. Bergren, Fifth Ezra, 223f., FN 58.): 4 Esra 14,1–26 (und andere, wohl von 4 Esra abhängige Schriften); Tosefta Sanhedrin 4,7; Babli Sanhedrin 21b; Yerushalmi Megillah 1,71b; Tertullian, De cultu feminarum 3 (quemadmodum et Hierosolymis Babylonia expugnatione deletis omne instrumentum Iudaicae litteraturae per Esdram constat restauratum), Hieronymus, Adversus Helvidium 7. 89   Es stellt sich die Frage, warum bei dieser geringen Ausgestaltung der Figur überhaupt Esra als Pseudonym gewählt wurde. Ein Grund kann sein, dass Esra mit der Rückführung Israels nach Jerusalem verbunden ist (vgl. Esra 7,13), was hier auf das Volk aus dem Osten (5 Esra 1,38) zu beziehen wäre. Er tritt zudem im kanonischen Buch Esra als Fürsprecher für Israel auf (Esra 9,5–15): dass ebendiese Fürsprache in 5 Esra nicht geschieht, kann auf eine beschlossene endgültige Verurteilung Israels in 5 Esra hin gedeutet werden. Doch ist dies keineswegs zwingend: Der Esra aus 5 Esra unterscheidet sich in deutlich mehr Punkten vom biblischen Esra, was auf eine eigene Schwerpunktsetzung des Verfassers oder verschiedene Esra-Traditionen zurückgeführt werden kann. Zudem steht auch im 4. Buch Esra nicht die Fürbitte für Israel, sondern die Theodizee-Frage im Vordergrund (vgl. Stone, Fourth Ezra, 36.). Nur wenige Male bittet Esra in 4 Esra für Israel, meist für die gesamte Menschheit (4 Esra 8,36; 12,48f.). Collins fasst zusammen: „Insofar as Ezra was associated with the restoration of Judah after the destruction by the Babylonians, even if the historical Ezra lived three quarters of a century after the initial restoration, he was a relevant figure for someone writing after the Roman destruction. Bergren [in seinem Aufsatz „Ezra and Nehemiah Square off“; VH] suggests that the evocation 87 88



vi  4 esra265

­ chreiber und Hirte Israels auf, wie es in 4 Esra der Fall ist, das stärS ker am biblischen Esra-Bild90 orientiert ist. Gemeinsamkeiten zwischen 4 und 5 Esra in der Darstellung Esras sind klar vorhanden, reihen sich aber in Esra-Traditionen ein, die sich in vielen weiteren Schriften widerspiegeln. Die Vielfalt, die die Ausgestaltung der Esra-Figur in der Traditionsgeschichte erfuhr, macht es meiner Ansicht nach kaum möglich, 5 Esra in diesem Punkt auf eine bestimmte Schrift zurückzuführen. Dafür wären sehr klare und vielfache Bezugslinien vonnöten, die zwischen 4 und 5 Esra nicht gegeben sind. Eine Kenntnis des Esra-Bildes von 4 Esra durch 5 Esra ist also durchaus möglich, das Aufgreifen derselben Traditionen erkennbar, eine direkte Bezugnahme lässt sich aber anhand der Texte nicht aufweisen. 5  Fazit In welchem Bezug stehen 4 Esra und 5 Esra? Die Reichweite der möglichen Antworten geht von der Nicht-Berücksichtigung 4 Esras durch 5 Esra bis hin zur Konzeption von 5 Esra im Hinblick auf 4 Esra, als Einleitung für oder Antwort auf die jüdische Apokalypse. Die genauere Betrachtung der (insgesamt doch wenigen auffälligen) Verbindungslinien zeigt, dass die Texte meist nur in den Grundlinien übereinstimmen, sich in ihren Details aber z.T. stark unterscheiden. Gleichzeitig ist erkennbar, dass 5 Esra für die Motive, die 4 und 5 Esra besonders verbinden, die ‚Mutter Zion‘ und der ‚Messias auf of Ezra was reminder that the people could and would rebound from disaster. More specifically, Ezra was associated with renewal through the Law […].“ (Collins, John J., Enoch and Ezra, in: Henze, Matthias, Boccaccini, Gabriele (Hg.), Fourth Ezra and Second Baruch. Reconstruction after the Fall (JSJ.S 164), Leiden, Boston 2013, 83–97, hier 91.). Diese tröstende und richtungsweisende Perspektive ist m.E., auch wenn es auf den ersten Blick anders scheint, auch in 5 Esra gegeben: Sieht man die Drohungen gegen Israel in einem paränetischen Kontext, so kann Esra auch in 5 Esra als Orientierungshilfe und Hoffnungsgeber betrachtet werden. 90   Stone hebt hervor: „Yet it remains incontrovertible that our apocalypse was really attributed to Ezra the Scribe, as is particularly evident from chapter 13.“ (Stone, Fourth Ezra, 56.). Auch Hogan stimmt zu: „[…] the epilogue leaves little room for doubt that the pseudepigraphic author is the biblical scribe Ezra, despite the exilic setting.“ (Hogan, Theologies, 208, FN 10.).

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dem Zion‘, deutlich stärkere Bezugslinien hin zu anderen Texten (1 Bar; Offb) aufweist. Auch das übereinstimmende Anführen Esras als Prophet verweist zwar auf die gleichen Traditionsstränge, die unterschiedliche Ausgestaltung der Funktion Esras spricht aber für eine eigenständige Gestaltung der Figur in 5 Esra und nicht für eine Übernahme dieser Figur aus 4 Esra, wenn die Kenntnis 4 Esras auch nahe liegt. Für alle in der Forschungsliteratur angegebenen Bezugslinien zwischen 4 und 5 Esra lassen sich Traditionen erkennen, denen die Texte entsprechen; das Fehlen von sprachlichen Bezügen und einer genaueren Übereinstimmung bei der Ausgestaltung der Motive spricht meiner Meinung nach dafür, für 4 und 5 Esra nur das Aufgreifen derselben Traditionslinien anzunehmen. Da weder die sprachliche noch die kontextuelle Ebene klare Verbindungen zwischen 4 und 5 Esra aufweisen, kann m.E. nicht von Anspielungen 5 Esras auf 4 Esra gesprochen werden. Direkte Bezugnahmen lassen sich weder in wörtlichen Übereinstimmungen erkennen noch durch eine größere Anzahl an spezifischen Überschneidungen begründen. Eine Kenntnis 4 Esras durch den Verfasser von 5 Esra ist dadurch natürlich keineswegs ausgeschlossen. Problematisch ist es in meinen Augen, die Konzeption 5 Esras auf 4 Esra auszurichten, wie dies bei Geoltrain und Krauter geschieht. Diese These gibt nicht nur einen bestimmten Blickwinkel auf den Text vor91, sondern beruht auch darauf, die Hauptaussage 5 Esras in der Ersetzung Israels durch die Christen zu sehen, was m.E. eine Verengung der Aussage des Textes darstellt. Eine ‚Reduzierung‘ 5 Esras auf 4 Esra hin birgt die Gefahr, den Text nur aus einer bestimmten Richtung zu betrachten und Differenzen zwischen den Texten einseitig zu erklären. Zudem werden wichtige Bezugstexte wie 1 Baruch und die Offb dabei zugunsten 4 Esras hintangesetzt. Meiner Ansicht nach ist 5 Esra weder als Einleitung noch als Gegenschrift zu 4 Esra einzuordnen; 5 Esra präsentiert sich in meinen Augen als eigenständige Schrift, die keine klaren Einflüsse 4 Esras aufzeigt.   Dies zeigt sich bei Geoltrain: „La fonction de ce texte est claire: faire d’un prophète juif un prophète chrétien, qui annonce le rejet total d’Israël, au profit d’un autre peuple […]. Esdras est devenu un Esdras chrétien et il n’est pas indifférent que ce petit ouvrage attribué à cet Esdras christianisé soit joint, dans la tradition manuscrite latine, à 4 Esdras.“ (Geoltrain, Remarques, 22.). 91

VII Gesamtfazit

„,5 Ezra‘ is a curious and challenging little work, crying out for detailed examination.“1 Diesen Aufruf Robert Krafts von 2009 beher­ zigend hat sich dieses Projekt zum Ziel gesetzt, durch „detailed exa­ mination“ der literarischen Bezüge 5 Esras etwas zum Verständnis dieses Textes beizutragen. Dabei stehen folgende Fragen im Zent­ rum: Was lässt sich über mögliche Hauptbezugstexte 5 Esras aussa­ gen? In welchem Verhältnis steht 5 Esra zu diesen Texten, welche Formen der Rezeption zeigen sich? Welche Themenfelder teilt 5 Esra mit seinen Hauptbezugstexten? Können Problemfelder, die in der Forschungsgeschichte der möglichen Hauptbezugstexte diskutiert werden, aufschlussreich sein für 5 Esra und umgekehrt? Inwiefern sind die Kategorien ‚jüdisch‘ und ‚christlich‘, ‚prophetisch‘ und ‚apo­ kalyptisch‘ auf 5 Esra anwendbar? Was trägt 5 Esra zur Diskussion dieser Kategorien bei? Und schließlich: Was lässt sich über das Selbstverständnis 5 Esras aussagen? Ist es möglich, den Text genauer zu verorten? Die Untersuchung der Verbindungen zwischen 5 Esra und seinen möglichen Bezugstexten 1 Baruch, Jeremia 7, Matthäusevangelium, Offenbarung des Johannes und 4 Esra führte zu sehr unterschiedli­ chen Ergebnissen, die auf verschiedene Art und Weise äußerst hilf­ reich für die Einordnung 5 Esras sind; dies wiederum bestätigte die Auswahl dieser Texte auch im Nachhinein. Im Lauf der Untersu­ chung ergaben sich auch weitere Bezugsstellen, wie z.B. Jes 1,13, Hirt des Hermas, Sim. 8,2,1–4 oder 2 Hen 8,3–5, die eine große Nähe zu 5 Esra aufweisen; eine zukünftige genaue Betrachtung dieser Bezüge und Bezugstexte verspricht weitere Erkenntnisse, doch zeigen die möglichen Hauptbezugstexte, die für diese Arbeit gewählt wurden, Verbindungen zu 5 Esra in größerer Menge und auf verschiedenen Ebenen. Als wichtigste mögliche Hauptbezugstexte aus der Reihe der gewählten Texte sind m.E. eindeutig das Buch 1 Baruch und das 1

  Kraft, Exploring, 149.

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Buch Jeremia, speziell dessen siebtes Kapitel, einzuordnen. Das Buch 1 Baruch lässt sich als Muster für die Struktur 5 Esras verste­ hen und weist das Denkmuster auf, dem auch 5 Esra folgt: Auf Ungehorsam und Verfehlungen folgen Drohungen und Strafe, auf Gehorsam und Gottesfürchtigkeit folgen Trost und Heil. Diese Tex­ telemente, die die Struktur 1 Baruchs bilden, finden sich in dersel­ ben Reihenfolge auch in 5 Esra und bestimmen dort ebenso den Verlauf der Geschehnisse. Der Wandel der Situation, der sich in 1 Bar besonders am Schicksal von Mutter Jerusalem zeigt, die erst trauert, dann getröstet wird, prägt auch 5 Esra, wenn er auch dort eben nicht explizit am Schicksal Israels aufgezeigt wird, das in 1 Baruch erst Unheil, dann aber Heil erfährt: 5 Esra, das 1 Baruch so nahe steht, spricht nicht davon, dass Israel Heil zuteilwerden wird, sondern bringt ein ‚anderes Volk‘ ins Spiel, das in 5 Esra 1,24.35; 2,10 mit Israel kontrastiert wird. Jedoch verkündet 5 Esra auch nicht, dass Israel das Unheil bereits zuteilwurde, das ihm angedroht wird, wie es in 1 Baruch geschieht: Dies verweist auf die bleibende Offenheit des Schicksals Israels in 5 Esra. Noch deutlicher werden Übereinstimmungen im Denkmuster sichtbar, wenn man den Bezug zwischen 5 Esra und Jeremia 7 betrachtet. Dieses Kapitel zeigt eine ähnliche Radikalität in den Drohungen gegenüber Israel wie 5 Esra; in ihm werden, wie in 5 Esra 1,31, Opfer abgelehnt, die während der gleichzeitigen Mis­ sachtung der Weisungen Gottes dargebracht werden. Jer 7 und Bezugsstellen wie Jes 1,13 und Hos 2,13 zeigen, dass die Zurück­ weisung jüdischer identity markers wie des Sabbats in den Schriften Israels selbst zu finden ist, so wie auch die Verstoßung und Ver­ nichtung Israels dort angedroht und festgestellt werden. 5 Esra und Jeremia 7 weisen in einer herausragenden Dichte Bezugslinien auf, die 5 Esra als Relecture2 von Jer 7 erkennen lassen3. Jer 7 ­spiegelt typische Denkmuster der deuteronomischen und deutero­ nomistischen Tradition wider, ebenso ,klassische‘ Elemente der   Zur Definition von Relecture siehe S. 121.   Konradt verweist zudem auf intertextuelle Bezüge zwischen Jer 7 und Mt 21; 23 – also den Kapiteln des Mt, die ebenso Bezüge zu 5 Esra auf­ weisen! (vgl. Konradt, Matthias, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Matthäusevangelium, in: Konradt, Matthias (Hg.), Studien zum Matthäusevangelium (WUNT 358), Tübingen 2016, 219–257, hier 247f.)

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vii  gesamtfazit269

­ rophetenschriften; dieser Hintergrund ist ebenso entscheidend für P das Verständnis von 5 Esra wie die Jer 7 eigene Grundaussage: Die falsche Sorglosigkeit der Menschen wird in diesem Kapitel ange­ griffen und hinterfragt – mit harschen Worten wird deutlich gemacht, dass die Zugehörigkeit zu Gott kein Automatismus ist, sondern ver­ loren werden kann. Jer 7 hebt hervor, dass das Verhalten der Men­ schen Auswirkungen auf das Verhalten Gottes hat: Dass dies auch in 5 Esra gilt, zeigt sich klar in 5 Esra 1,25–27. In den Rahmen dieser Paränese können sowohl in Jer 7 als auch in 5 Esra die Dro­ hungen eingeordnet werden, die gegen Israel gerichtet sind. In Jer 7 stehen diese Drohungen im Kontext der Warnung vor den Folgen von Ungehorsam und der Aufforderung, Gottes Weisungen zu gehorchen (vgl. Jer 7,23). Diese Ausrichtung ist m.E. auch in 5 Esra gegeben, was sich im ersten Teil des Textes an der Verknüpfung der Drohungen mit den Sünden Israels zeigt (vgl. 5 Esra 1,24.26.34; 2,9), im zweiten Teil an den Anforderungen, die an die Mutter bzw. an die, „die hören und verstehen“, gestellt werden (vgl. 5 Esra 2,20– 22.32.35), aber auch an den Zusagen, die an Gehorsam gebunden sind (vgl. 5 Esra 1,35–37). Für diese Grundausrichtung sprechen auch die vielfachen Verweise auf Gebote und Gehorsam in 5 Esra (vgl. 5 Esra 1,7.8.24.35; 2,1.9.33.40), die Aufforderung zu Barm­ herzigkeit (2,31f.) und die Belohnung des Bekenntnisses zu Gottes Namen (2,45–47). Für Gottes Gebote wird in 5 Esra kein fester Begriff verwendet – sie werden zwar in 1,8 als lex tituliert, aber auch als mandata bzw. consilia (1,7; 2,1) bezeichnet – und es ent­ steht der Eindruck, dass primär das Hören auf Gott und die Ausrich­ tung auf ihn angemahnt werden, also das Befolgen von Gottes Wei­ sungen, wie es auch in Jer 7 der Fall ist (vgl. Jer 7,23.28). 5 Esra weist wie Jer 7 das blinde Vertrauen auf Opfer4 und auf die Verbin­ dung mit Gott zurück und warnt davor, dass Israel unvorstellbar großes Unheil treffen wird, weil es seine Beziehung zu Gott über lange Zeit geschädigt hat. Gleichzeitig führt es wie 1 Baruch die wunderbare Zukunft vor Augen, die mit dem Befolgen von Gottes Weisungen einhergeht. So ist 5 Esra wie die prophetischen Schrif­ ten Israels Warnung und Zusage zugleich.   5 Esra 1,31 spricht von den immolationes (CMNEVLK) bzw. oblationes (SA) und unterscheidet im selben Vers dies festos, neomeniam, sabbata (nur CMNEVLK) und circumcisiones (carnis, nur SA). 4

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Wie hängt diese Grundaussage aber mit Israel und dem ‚anderen‘ bzw. ‚kommenden Volk‘5 zusammen? 5 Esra wurde oft als Text ver­ standen, der die Ersetzung Israels durch die Kirche thematisiert. Es ist möglich, 5 Esra auf diese Weise zu lesen – doch beruht diese Inter­ pretation auf einer klaren Trennung und Gegenüberstellung von Israel und Kirche, die, wie die Forschung zum Parting of the Ways bzw. zu den Partings of the Ways aufzeigt, unseren heutigen Konzepten ent­ springt und der Vielfalt der Konzepte von ‚Judentum‘ und ‚Christen­ tum‘ im 2. Jhd. n.Chr. nicht gerecht wird. 5 Esra ist in meinen Augen kein christlicher Text, insofern man ‚christlich‘ als unterschieden von ‚jüdisch‘ auffasst, denn die Ausdrucks- und Denkweise 5 Esras zeigt, dass sich der Text als ‚jüdisch‘ versteht. Gleichzeitig zeigt 5 Esra jedoch eine Nähe zu Texten unseres Neuen Testaments: Wenn die geringe Ausgestaltung der Rolle des Sohnes Gottes auch überrascht, so ist doch möglich, dass mit dem Sohn Gottes Christus gemeint ist; die Verbindungen zur Offb machen dies sogar wahrscheinlich. 5 Esra ist also möglicherweise eine Schrift von Jesusanhängern – möglicher­ weise deshalb, weil die messianische Ausgestaltung des Textes äußerst gering ist und keine einzige charakteristische Christus-Be­ zeichnung aus Mt/ Lk oder der Offb (wie Menschensohn, Lamm) in 5 Esra übernommen ist. Eine andere Deutungsmöglichkeit ist des­ halb, dass eine mögliche Gruppierung hinter 5 Esra Jesusanhängern zwar nahe steht, sich aber diesen (noch) nicht zurechnet.6 Der Text zeigt zudem kein eindeutiges Volkskonzept auf, das auf zwei klar umrissenen, verschiedenen Gruppen basiert: Während in 1,24 vom gens altera bzw. den alias gentes gesprochen wird, in 1,38 vom populus veniens, wendet sich Esra in 2,34 an die gentes, qui   Hilfreich kann in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von im Land Verbliebenen und Exils-Heimkehrern sein, die sich in den Propheten­ schriften, wie z.B. in Jer 24; 29 oder Ez 11,17 zeigt, oder auch die Tradition der zehn Stämme, die z.B. in 4 Esra und bei Commodian sichtbar wird, denn diese Traditionen kennen eine Unterscheidung innerhalb Israels und ein „Kommen“ des Volkes. 6   Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die neutestamentlichen Texte, die die größte Nähe zu 5 Esra aufweisen, Mt und Offb, (1) in der jüngsten Forschung selbst als ‚dem Judentum‘ äußerst nahe charakterisiert werden und (2) zwar Verbindungslinien zur Motivik 5 Esras zeigen, jedoch 5 Esra m.E. nicht strukturell beeinflussten, im Gegensatz zu 1 Bar und Jer 7. 5



vii  gesamtfazit271

auditis et intelligitis bzw. vos, qui auditis et intelligitis, 2,41 wiede­ rum spricht vom populus, qui vocatus est ab initio, 2,48 vom populus meus (bezogen auf den angelus interpres) bzw. ipsius (bezogen auf Gott). Das „andere Volk“ wird nur in seinem Verhalten von Israel unterschieden (5 Esra 1,35–37) und nicht anderweitig charakterisiert; inwiefern es in 2,42–48 überhaupt mitgedacht ist, wird nicht expli­ ziert. Auch Israel selbst rückt in 5 Esra immer wieder in den Fokus (vgl. 5 Esra 2,1.33), obwohl scheinbar mit 1,24 schon beschlossen ist, dass es verstoßen wird. Die ebenso bleibende Bedeutung jüdischer ‚Komponenten‘ zeigt sich darin, dass die Propheten (1,39f.; 2,18) ebenso wie Jerusalem (2,40) weiterhin selbstverständlich als Autori­ täten betrachtet werden.7 Ist Israel nach 5 Esra also wirklich endgültig verstoßen? Oder kann es in 5 Esra eine Abkehr Gottes von seinen Plänen geben? Kön­ nen die harten Worte Drohungen sein, die aufrütteln sollen? 5 Esra 2,14 spricht vom malum, das Gott aufgegeben habe, und dem bonum, das er geschaffen/ gewählt habe. Dies kann auf die Abwendung Gottes von Israel und seine Hinwendung zum anderen Volk bezogen werden, aber auch auf eine Abkehr von der Verwerfung Israels; für diese Deutung spricht, dass Gott der Mutter bereits im nächsten Vers Trost zuspricht, weil er sie erwählt habe. Eben diese Mutter wird in 2,40 mit Zion iden­ tifiziert – wie im Buch 1 Baruch trauert Jerusalem also, wird dann aber getröstet. Es ist Jerusalem selbst, die von Gott im ganzen zweiten Teil 5 Esras (speziell in 5 Esra 2,15–32) angesprochen wird. Sie bildet die Brücke zwischen Gott und ihren Kindern, ihr schenkt Gott seine Auf­ merksamkeit. Gott verheißt ihr, dass er sie und ihre Kinder „herausrei­ ßen“ werde (2,30), mit sehr klaren Worten spricht er von seiner unbe­ grenzten Gnade und Barmherzigkeit (2,31f.) und der Erwählung von Anfang an: Esra wendet sich in 5 Esra 2,41 an das Volk, das berufen ist ab initio. Entweder liest man dies als radikale Ersetzung Israels und zugleich Auslöschung seiner Geschichte mit Gott oder versteht es eben als Hinweis auf die Offenheit des Schicksals Israels, die auf der blei­ benden Erwählung des Volkes beruht. Dies erinnert erneut an die Pro­   Zwar spricht z.B. auch Ignatius von Antiochien von der Liebe zu den Propheten, doch einerseits nur in Verbindung mit deren Glauben an Christus (vgl. Ignatius’ Brief an die Philadelphier, Kap. 5; s. auch Kap. 9) und ande­ rerseits mit einer gleichzeitigen Distanzierung von judaistischen Lehren (vgl. ebd., Kap. 6) – deshalb ist diese bleibende Bedeutung jüdischer Denkmuster und -inhalte in 5 Esra nicht unerheblich. 7

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phetenschriften Israels, die dem Volk trotz radikaler Drohungen – bei verändertem Verhalten – Hoffnung und eine heilvolle Zukunft verhei­ ßen. Die Verweise auf Gottes Barmherzigkeit und der Trost, der Mutter Jerusalem zugesprochen wird, deuten darauf hin, dass Israel die Härte nicht erfahren muss, die ihm prophezeit wird. Die endgültige Verstoß­ ung Israels ist in 5 Esra zwar angedroht, der Text drückt aber nicht aus, dass sie auch durchgeführt wurde – Israel darf deshalb m.E. weiter auf Gottes Barmherzigkeit hoffen, vorausgesetzt, dass es Gottes Weisun­ gen folgt. Gleichzeitig ist aber auch offensichtlich, dass ein unbestimmtes ‚kommendes Volk‘ in 5 Esra in den Blick genommen wird und dass von der Rettung Israels eben nicht direkt gesprochen wird. Die gentes haben ihren Raum in Gottes Volk (1,24; 2,10.34), wenn auch mit 2,40f. doch erneut Israel gemeint sein könnte. Auch dies verweist darauf, dass 5 Esra in das 2. Jhd. n.Chr. einzuordnen ist und dass möglicherweise Jesusanhänger im Hintergrund des Textes stehen. Die bleibende Bedeutung Israels und die tiefe Verwurzelung in den Schriften Israels deuten jedoch darauf hin, dass 5 Esra ein Ringen um das Schicksal Israels abbildet und eine Neu-Konzipierung des Gottes­ volkes bedenkt. Der Text zeigt meiner Ansicht nach eine innerjüdi­ sche Perspektive, die auf einer Unsicherheit über die eigene Identität basiert, wie sie vielleicht mit der Erfahrung der Niederschlagung des Bar Kochba-Aufstandes (132–135 n.Chr.) einherging. Deshalb spre­ che ich mich für eine Datierung der Schrift in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts n.Chr. aus. 5 Esra vertritt kein klares Volkskonzept (s. oben) und es wird nicht deutlich, ob 5 Esra 2,24.40f. bzw. 5 Esra 2,48 vom ‚kommen­ den Volk‘ spricht oder doch Israel wieder miteinschließt – die blei­ bende Bedeutung Israels ist in 5 Esra also ermöglicht; seine einzigar­ tige Sonderstellung jedoch wird nicht mehr vertreten, stattdessen ist eine Öffnung auf die gentes hin erkennbar. Auch wenn eine Distan­ zierung gegenüber Israel im Text wahrzunehmen ist, so bedeutet dies noch keine Loslösung8, sondern kann im Gegenteil einem Ringen um das Schicksal Israels entspringen. Das Matthäusevangelium könnte   So argumentiert auch Konradt bzgl. der Rede von „euren Synagogen“ in Mt (vgl. Konradt, Matthias, Matthäus im Kontext. Eine Bestandsaufnahme zur Frage des Verhältnisses der matthäischen Gemeinde(n) zum Judentum, in: Konradt, Matthias (Hg.), Studien zum Matthäusevangelium (WUNT 358), Tübingen 2016, 3–42, hier 8.). 8



vii  gesamtfazit273

den Hintergrund für eine derartige Szenerie bilden: Es ist für eine bedeutende Gruppe von Forschern der Text einer jüdischen Gruppe, die als matthäisches oder christliches Judentum bezeichnet wird9. In den letzten Jahren traten Forscher wie Konradt oder Saldarini immer wieder für einen neuen, offeneren Blick auf Mt ein10, der den vorge­ fertigten Dualismus zwischen Synagoge und Kirche11 vermeidet, der   Vgl. Konradt, Matthäus, 4.   Konradt erklärt: „Durch den jeweiligen Zeitgeist bestimmte Plausibilitäts­ strukturen, die die Generierung des Sinns eines Textes mitsteuern, lassen sich retrospektiv in der Regel leichter erkennen als für die eigene Zeit. Gleichwohl darf die Vermutung gewagt werden, dass die Veränderungen in der Matthäus­ deutung nicht unwesentlich mit der auf christlicher Seite deutlich veränderten Sensibilität gegenüber dem Judentum zu tun haben. Allerdings lässt sich dieser Hinweis sogleich dadurch neutralisieren, dass umgekehrt manche Zweige der traditionellen Deutung durch jahrhundertelang in den ‚christlichen‘ Kirchen etablierte, das Judentum abwertende Denkweisen mitgeprägt sind. Wie dem auch sei: Für ein adäquates Verständnis des Matthäusevangelium, das kirchen­ geschichtlich im Blick auf die jüdisch-christlichen Trennungsprozesse offen­ kundig an einer ganz anderen Stelle steht als seine heutigen Leser, erscheint es mir wichtig, sich der Frage zu stellen, inwiefern das vom heutigen Standpunkt aus vertraute Gegenüber von Kirche und Israel als Rezeptionsfilter die Lektüre leitet und von daher die Differenzierung zwischen den Jüngern Jesu/ der ecclesia und (anderen) jüdischen Gruppen in der matthäischen Jesusgeschichte fast selbstverständlich, aber möglicherweise vorschnell im Sinne des Gegenübers von Christentum und Judentum gelesen wird.“ (Konradt, Matthäus, 17f.). 11   So schreibt Konradt: „Die Auseinandersetzung Jesu mit den Autoritäten in Mt 21–23 wird als finale Abrechnung mit Israel gedeutet. Die Kirche trete in die Fußstapfen des Gottesvolkes Israel – vor allem 21,43 dient als Beleg für diese These. Ferner: Je nachdem, ob πάντα τὰ ἔθνη in 28,19 inklusiv oder exklusiv gedeutet wird, tritt die Zuwendung zu den ‚Heiden‘ an die Stelle der Israelmission oder es wird postuliert, dass Israel seine Sonderstellung verloren habe und nur noch als eines der Völker in 28,19 subsumiert sei. […] Diesem in sich differenzierten Deutungstyp ist in der jüngeren Forschung mit immer breiterer Akzeptanz widersprochen worden: Matthäus rede nicht einer Kollek­ tivschuld und Verwerfung Israels und einer Ersetzung Israels durch die Kirche das Wort. Insbesondere im Zuge der dezidiert innerjüdischen Verortung des Matthäusevangeliums bei Overman und Saldarini ist der in der matthäischen Jesusgeschichte erzählte Konflikt, wie bereits angedeutet wurde, als Reflex der Konkurrenz von matthäischer Gruppe und Pharisäern um den Führungsan­ spruch innerhalb des sich nach 70 n.Chr. neu formierenden Judentums gese­ hen worden, bei dem es vorrangig um einen Streit um das richtige Verständnis der Tora gehe.“ (Konradt, Matthäus, 10f.). 9

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zu einer anti-jüdischen Einordnung12 des Mt führt. Das Matthäu­ sevangelium stellt einen wichtigen Hintergrund für die sozio-histori­ sche Verortung 5 Esras dar, wenn auch inhaltlich kaum Einfluss auf 5 Esra festgestellt werden kann. Der Dualismus Synagoge-Kirche provoziert eine Begrenzung der Wahrnehmung 5 Esras und übersieht, dass die Positionierung des Textes komplex ist und sich nicht auf die einfache Formel „Kirche vs. Israel“ herunterbrechen lässt. Es darf nicht vergessen werden, dass weder der Begriff ecclesia in 5 Esra verwendet noch Christus als solcher benannt wird. Auch bildet den einzigen Anhaltspunkt für die Identifizierung des ‚anderen Volkes‘ mit der Kirche die Unterschei­ dung von Israel (2,10) und die Nähe zu Texten des Neuen Testa­ ments; doch das Matthäusevangelium zeigt, dass diese Punkte auch ‚innerjüdisch‘ zu verorten sind. Die Radikalität der Drohungen gegen Israel in 5 Esra lässt sich zudem schwer erklären, wenn sich ‚die Kirche‘ selbstbewusst als von ‚der Synagoge‘ getrennte und diese ablösende Größe sehen und mit ihr nicht (mehr) in Konkurrenz stehen würde.13 Ein Konzept, das ‚die Kirche‘ von ‚dem Judentum‘ unter­ scheidet, lässt sich mit 5 Esra nicht vereinen: Die selbstverständliche und freie Bezugnahme auf jüdische Texte wie 1 Baruch, Jeremia, aber auch die Offenbarung des Johannes zeigt die bleibende Bedeu­ tung dieser Schriften und dieses Denksystems. Der große Raum, der Israel in 5 Esra gewidmet wird – in einem Text, der sich als jüdische

  Vgl. hierzu Viljoen, Francois P., Matthew, the Church and Anti-Semi­ tism, in: Senior, Donald (Hg.), The Gospel of Matthew at the Crossroads of Early Christianity (BETL 243), Leuven u.a. 2011, 665–682. 13   Je größer die Distanz zwischen zwei Gruppen, desto weniger emotional muss ihr Konflikt geführt werden. Dies erklärt Sim am Beispiel des Mat­ thäusevangeliums: „It is now well understood on the basis of social-scienti­ fic studies that intense polemical and stereotypical language such as we find in Matthew does not reflect the distance between the two opposing parties. Rather, it reflects both physical and ideological proximity between the dis­ putants, since its very purpose is to distance one group from the other. A general sociological rule of thumb is that the closer the relationship bet­ ween the dissenting parties, the more intense the conflict and the sharper the resultant polemic.“ (Sim, David C., Polemical Strategies in the Gospel of Matthew, in: Wischmeyer, Oda, Scornaienchi, Lorenzo (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte (BZNW 170), Berlin 2011, 491–515, hier 495.). 12



vii  gesamtfazit275

Prophetie präsentieren will – verweist auf die immer noch vorhan­ dene Nähe zu Israel. Oder gab es diese Nähe nie? Deutet 5 Esra 1,35–37 darauf hin, dass 5 Esra von einem ‚Heidenchristen‘ verfasst wurde, also von einem Christus-Anhänger, der kein ethnischer Jude war? Ich halte diese These für wenig überzeugend. Es ist ein wichtiges Charakteris­ tikum 5 Esras, dass es seine Bezugstexte sehr frei aufnimmt, so dass diese erkennbar sind, dass sich ihre Kontexte und Ausgestaltungen aber nicht in 5 Esra niederschlagen. Das Denksystem 5 Esras ist ein­ deutig von den Schriften Israels bestimmt; der freie Umgang mit den Texten lässt auf eine große Vertrautheit und Selbstverständlichkeit schließen. Eine derartige Vertrautheit ist natürlich auch bei einem ‚Heiden‘ vorstellbar, jedoch kaum, wenn dieser ‚Heide‘ gleichzeitig die Bedeutung Israels vollkommen zurückweist und zwar die jüdi­ schen Denkmuster verinnerlicht, diese aber von Israel löst, während er gleichzeitig an Jerusalem und den Propheten festhält; auch wäre dann die Radikalität der Drohungen gegen Israel schwer nachvoll­ ziehbar. 5 Esra ist m.E. eine Schrift, die das Streben nach einer Neu-Ori­ entierung sichtbar werden lässt: Die Wahrnehmung des Volkes Got­ tes wandelt sich, es wird vor Nachlässigkeit gewarnt, gleichzeitig aber auch Trost zugesprochen. Dieser Trost führt zur Vision des Got­ tesvolkes auf dem Zion, die stark an der Offenbarung des Johannes orientiert ist. In dieser Vision werden m.E. keine Märtyrer dargestellt und sie dient auch nicht dazu, einer verfolgten Gemeinde Trost zu spenden. 5 Esra macht deutlich, dass Gott die Mutter und ihre Kinder schützen wird (vgl. 5 Esra 2,26–32) – ihr Bekenntnis zu seinem Namen wird belohnt, sie werden in den Tagen der Bedrängnis von Gott bewahrt. Eine Grundsituation des Textes kann dennoch sein, dass 5 Esra auf eine Krise reagiert, nach der man sich neu ausrichten muss – 5 Esra 2,6 kann auf die Zerstörung Jerusalems verweisen –, doch ist diese Krise eher indirekt erkennbar: 5 Esra ist v.a. in seinem zweiten Teil ein zuversichtlicher Text, der zwar von Tagen der Bedrängnis spricht, aber diese unter dem Schutz Gottes erlebt. Die wahrgenommene Krise fordert vielleicht jedoch eine Neu-­ Orientierung. Deshalb zeigt der Text auf, dass eine Abwendung von Gott schreckliche Konsequenzen hat, und verweist zugleich auf das Heil, das dem ‚Volk Gottes‘ zuteilwerden wird. Auf diese Weise wird gleichzeitig ermahnt, gewarnt, getröstet und zum Vertrauen ermuntert. Verknüpft ist dies mit einer Neuausrichtung des Volkes Gottes; wie

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genau das Volk Gottes zusammengesetzt ist, wird in 5 Esra nicht offen gelegt – meiner Ansicht nach hat Israel weiterhin die Möglich­ keit, das Volk Gottes zu sein, doch ist dieses Angebot nicht mehr auf Israel beschränkt, sondern auf die gentes hin geöffnet. Die Drohungen gegen Israel sind nicht die eigentliche Aussage 5 Esras, sondern stehen in Zusammenhang mit der Aufforderung, sich an Gott auszurichten; auf diese Weise und durch Gottes Barmherzig­ keit wird „seinem Volk“ Schutz und Heil zuteil, auf diese Weise werden die mirabilia Gottes (2,48) sichtbar. In diesem Kontext lässt sich auch die Zuschreibung der Schrift an Esra erklären: Wie im kanonischen Esra-Buch und in 4 Esra verhilft Esra zu einer Neu-Ori­ entierung, er macht sich für das Gebot Gottes stark und reagiert auf eine Krise. Trotz mancher Verbindungslinien ist 5 Esra m.E. dennoch eine selbstständige Schrift, die ursprünglich nicht auf 4 Esra reagie­ ren will, sondern eigene Positionen vertritt und v.a. durch die Prophe­ ten Israels geprägt ist. Wenn sich also auch manche Nähe zwischen 4 und 5 Esra zeigt, so ist meiner Meinung nach trotzdem keine direkte Bezugnahme zwischen den Texten erkennbar. 5 Esra präsentiert sich als prophetische Schrift, die dem prophetischen Denkmuster Sünde – Drohung – Wendepunkt – Trost folgt, jedoch in seinem zweiten Teil, v.a. aber in 5 Esra 2,33–48 zahlreiche apokalyptische Motive verwendet, die auf die Offenbarung des Johannes verweisen. Die Darstellung der Vision, die wohl eine transzendente Realität abbildet, geht über die Prophetenschriften hinaus und ordnet 5 Esra auch in der Nähe von Schriften wie der Offb ein, welche die Kategorien von ‚prophetischen‘ und ‚apokalyptischen‘ Texten infragestellen. Die Offenbarung des Johannes beeinflusste m.E. also klar die Motivik 5 Esras, wird aber frei aufgegriffen und nur in Einzelmotiven, nicht gemeinsam mit seinen Kontexten berücksichtigt. 5 Esra thematisiert meiner Meinung nach nicht die Ersetzung Israels durch die Kirche, sondern stellt einen Text dar, der die Neu-Orientierung im Rahmen einer wahrgenommenen Krise abbildet. Das beobachtete Unheil wird erklärt, die Veränderung im Volk Got­ tes-Konzept verarbeitet, gleichzeitig wird Trost gespendet und eine heilvolle Zukunft verheißen: In der Orientierung an Gott und seinen Weisungen liegt Heil, das auf der bleibenden Erwählung durch Gott (5 Esra 2,15.41) gründet.

VIII Anhang

1  Übersetzung der Handschriftengruppe SA nach der Textausgabe von Weber (VUL) 1,1 Buch des Propheten Esra, des Sohnes Serajas1, des Sohnes Asarjas2, des Sohnes Hilkijas, des Sohnes Schallums3, des Sohnes Zadoks, des Sohnes Ahitubs, 2 des Sohnes Achias, des Sohnes Pinhas’, des Sohnes Helis, des Sohnes Amarjas4, des Sohnes Asieis5, des Sohnes Marimots6, des Sohnes Arnas, des Sohnes Usijas, des Sohnes Borits, des Sohnes Abischuas7, des Sohnes Pinhas’, des Sohnes Eleasars, 3 des Sohnes Aarons aus dem Stamm Levi, der8 Gefangener war im Gebiet der Meder, unter der Herrschaft des Artaxerxes, des Königs der Perser. 4 Und es geschah das Wort des Herrn an mich, das sagte: 5 Geh, verkündige meinem Volk die Untaten von ihnen selbst und ihren Kindern die Ungerechtigkeiten, die sie gegen mich begangen haben, damit sie es den Kindern ihrer eigenen Kinder verkünden, 6 weil die Sünden der Eltern jener in jenen herangewachsen9 sind: sie vergaßen mich nämlich und opferten fremden Göttern. 7 Habe etwa nicht ich sie aus dem Gebiet Ägyptens, aus dem Haus der Sklaverei, herausgeführt?   vgl. Esr 7,1.   vgl. Esr 7,1. 3   vgl. Esr 7,2. 4   vgl. Esr 7,3. 5   Abweichung zu Esr 7,3: Dort wird Asarja genannt. 6   Abweichung zu Esr 7,3: Dort wird Merajot genannt. 7   vgl. Esr 7,5. 8   Dies ist auf Esra selbst bezogen! 9   Crescere in meint von der Bedeutung her eher „entstehen“ als „anwachsen“ – es ist also eher anzunehmen, dass die Sünden der Kinder nicht größer sind als die der Eltern, sondern dass auch in den Kindern Sünden zu finden sind. Dies passt auch dazu, dass in 1,5 der Begriff facinora auf die Eltern selbst bezogen ist, während kein klarer Bezug von iniquitates auf filii hergestellt wird – auch die iniquitates könnten von den Eltern begangen worden sein. 1 2

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Sie aber erzürnten mich und verachteten meine Ratschläge. 8 Du aber reiß das Haar deines Kopfes heraus10 und wirf11 alle Übel über jene, weil sie meinem Gesetz nicht gehorcht haben; das Volk ist aber zuchtlos. 9 Bis wohin werde ich diese ertragen, denen ich so große Wohltaten erwiesen habe? 10 Viele Könige habe ich wegen ihnen vernichtet, den Pharao mit seinen Söhnen/ Dienern12 und das ganze Heer dessen habe ich getötet. 11 Alle Völker habe ich, von ihrem Anblick weg13, vernichtet und im Osten die Völker der zwei Provinzen, von Tyrus und Sidon, vertrieben und alle Gegner von ihnen getötet. 12 Du aber sprich zu ihnen und sag: Dies spricht der Herr: 13 Denn ich habe euch doch durch das Meer hinübergebracht und euch feste Straßen im unzugänglichen (Gebiet) gemacht; als Führer habe ich euch Mose gegeben und Aaron als Priester. 14 Licht habe ich euch gewährt durch eine Säule von Feuer und große Wunder habe ich an euch getan. Ihr aber habt mich vergessen, spricht der Herr. 15 Dies spricht der allmächtige Herr: Die Wachtel war (für) euch als ein Zeichen, ich habe euch ein Lager zum Schutz gegeben, und dort habt ihr gemurrt. 16 Und ihr habt nicht triumphiert/ gejauchzt in meinem Namen wegen dem/ über den Untergang eurer Feinde, sondern ihr murrt jetzt noch immer ununterbrochen. 17 Wo sind die Wohltaten, die ich euch erwiesen habe? Habt ihr etwa nicht in der Wüste, als ihr hungrig und durstig wart, laut zu mir gerufen und gesagt: „Wozu hast du uns in diese Wüste gebracht – uns zu töten14? 18 Besser war es für uns gewesen, den Ägyptern zu dienen als zu sterben in dieser Wüste.“ 19 Ich war betrübt wegen eurer Seufzer und ich gab euch Manna zur Speise, das Brot der Engel habt ihr gegessen. 20 Habe ich etwa nicht, als ihr durstig wart, den Felsen aufgebrochen, und Wasser15 flossen zur Genüge?   vs. „schüttle aus“ (vgl. Wolter, 797.).   Hier ist eine andere Zeichensetzung möglich: Nach proice kann ein Punkt gesetzt werden, so dass es sich dann auf das Haar bezieht. Darauf würde dann ein elliptischer Ausruf folgen (vgl. Abschnitt 3.3 im Kapitel zu Jeremia 7). 12   Wolter (798) übersetzt pueris mit „Leute“. 13   vgl. Jos 13,6; Ri 2,3. Wolter (798) übersetzt „von ihrem Angesicht vertrieben“; Myers (141) „destroyed before them“, Knibb (79) wiederum „destroyed ... that stood in their way“. 14   Interficere stellt wohl einen finalen Infinitiv dar. 15   Im Lateinischen steht Plural (aquae); Wolter (800) wählt den deutschen Ausdruck „Quellen“. 10

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viii  anhang279

Ich habe euch wegen der heißen Tage16 mit den Blättern17 der Bäume geschützt. 21 Ich habe euch fruchtbare Länder zugeteilt, Kanaanäer und Perisiter und Philister habe ich von eurem Anblick weg18 fortgejagt. Was soll ich euch noch weiter tun? spricht der Herr. 22 Dies spricht der allmächtige Herr: In der Wüste, als ihr beim19 bitteren Fluss wart, dürstend und meinen Namen schmähend, 23 habe ich euch nicht Feuer für die Schmähungen beschert, sondern, ein Holz schickend, habe ich, als20 es im Wasser war, den Fluss süß gemacht. 24 Was soll ich dir tun, Jakob? Du wolltest mir nicht gehorchen, Juda. Ich werde mich zu anderen Völkern hinwenden und ihnen meinen Namen überlassen, damit sie meine Satzungen/ Regeln befolgen. 25 Weil ihr mich gänzlich aufgegeben habt, werde auch ich euch gänzlich aufgeben; obwohl21 ihr von mir Barmherzigkeit erstrebt, werde ich mich nicht eurer erbarmen. 26 Wenn ihr mich anrufen werdet, werde ich euch nicht erhören. Ihr habt nämlich eure Hände mit Blut besudelt, und eure Füße sind rastlos beim Begehen von Morden. 27 Ihr habt gleichsam nicht mich gänzlich aufgegeben, sondern euch selbst, spricht der Herr. 28 Dies spricht der allmächtige Herr: Habe ich euch etwa nicht eingeladen wie ein Vater die Söhne, wie eine Mutter die Töchter und eine Amme ihre Kinder, 29 dass ihr mir zum Volk22 seid und ich euch zu Gott, und ihr mir zu Söhnen/ Kindern und ich euch zum Vater? 30 So habe ich euch gesammelt wie eine Henne ihre 16   Aestus ist eine Plural-Form! Laut Georges, Band 1, 211 wird der Pl. gebraucht für „heiße Tage“. 17   Die Form folia stellt, wenn sie vom lateinischen Wort folium stammt, einen Akkusativ Plural dar, nicht einen Ablativ, wie die Übersetzung voraussetzt. Handschrift C überliefert tatsächlich den Abl.Pl. foliis (arbores vobis foliis tectis creavi). Laut Georges, Band 1, 2808 wurde im Vulgärlatein jedoch auch das Wort folia (f Sg.) verwendet; dann könnte hier ein Abl.Sg. angedacht sein. 18   vgl. 5 Esra 1,11. 19   Eigentlich steht im Lateinischen in mit Abl.; dies könnte „im Gebiet des Flusses“ meinen. 20   In steht hier überraschenderweise mit Ablativ, obwohl ein Akkusativ deutlich sinnvoller wäre und in der Übersetzung vorausgesetzt wird – 5 Esra 1,18 zeigt, dass eine Unterscheidung der Bedeutungen von in m. Abl. und Akk. bekannt ist. Handschrift A überliefert in aquam. 21   Petentibus vobis misericordiam wird als Abl.abs. verstanden. 22   Die Dativ-Form populo überrascht; parallel zu in Deum müsste in populum stehen.

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Kinder unter23 ihre Flügel (sammelt). Gerade jetzt aber, was soll ich euch tun? Ich werde euch fortjagen von meinem Anblick weg. 31 Obschon ihr mir Opfer dargebracht habt/ Wenn ihr mir Opfer dargebracht haben werdet24, werde ich mein Angesicht von euch abwenden; denn eure Festtage und Neumondtage und Beschneidungen des Fleisches habe ich verschmäht/ verworfen. 32 Ich habe meine Diener, die Propheten, zu euch geschickt, welche ihr, übel behandelt25, getötet und die Körper jener zerstückelt habt, deren Blut ich einfordern werde, spricht der Herr. 33 Dies spricht der allmächtige Herr: Euer Haus ist verlassen und ich werde euch fortjagen wie der Wind das Stroh. 34 Und die Söhne werden keine Zeugung bewirken, weil sie meinen Vertrag mit euch nicht geachtet haben und in meinem Angesicht getan haben, was böse ist. 35 Ich werde eure Häuser dem kommenden Volk übergeben. Diese glauben, obwohl sie mich nicht hören; sie, denen ich nicht die Zeichen gezeigt habe, werden tun, was ich verordnet habe. 36 Sie haben die Propheten nicht gesehen und werden denken an deren alte Tage/ alte gute Sitten. 37 Ich bezeuge die Gnade für26 das kommende Volk, dessen Kinder jauchzen mit Freude, die mich mit menschlichen/ körperlichen Augen nicht sehen, aber durch den Geist/ die Seele glauben werden, was ich gesagt habe. 38 Und nun, Vater, blicke her mit Herrlichkeit und sieh das Volk, das von Osten kommt. 39 Ich werde27 jenen Abraham als Führung28 geben, Isaak, Jakob, Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, 40 Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja und Maleachi, der auch Bote des Herrn genannt worden ist. 2,1 Dies spricht der Herr: Ich habe dieses Volk da aus der Sklaverei geführt, denen29 ich Weisungen gegeben habe durch meine Diener,   Sub wird m. Akk. gebraucht: Die Richtung wird also betont.   Von der Form her sind bei obtuleritis Indikativ Perfekt und Futur II möglich. 25   Vgl. Georges, Band 1, 62. 26   Findet sich hier eine Art Gen.obi.? Normalerweise würde im Lateinischen gratia mit in od. Dativ stehen. Der Begriff kann evtl. auch mit „Wohlgefälligkeit“ wiedergegeben werden. 27   Die futurische Form überrascht hier, da das Volk augenscheinlich bereits auf dem Weg ist. 28   Vgl. Blaise, Dictionnaire, 294. 29   Hier erfolgt ein plötzlicher Wechsel in den Plural. 23

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viii  anhang281

die Propheten, die30 sie nicht anhören31 wollten, sondern sie machten meine Ratschläge vergeblich. 2 Die Mutter, die sie hervorgebracht hat, sagt jenen: „Geht, Kinder, weil ich Witwe/ einsam32 bin und gänzlich aufgegeben. 3 Ich habe euch mit Freude aufgezogen und habe euch mit Trauer und Betrübnis aufgegeben/ weggeschickt, weil ihr gesündigt habt im Angesicht Gottes, des Herrn, und vor mir gemacht habt, was schlecht/ böse ist. 4 Gerade jetzt aber, was soll ich euch tun? Ich bin nämlich eine Witwe/ einsam und gänzlich aufgegeben. Geht, Kinder, und erbittet vom Herrn Barmherzigkeit.“ 5 Ich aber rufe dich, Vater, als Zeugen an für die Mutter der Kinder, weil sie meinen Bund nicht bewahren wollten, 6 so dass du ihnen Bestürzung gibst und ihre Mutter der Plünderung33 preisgibst, damit es nicht eine Zeugung von diesen34 gibt. 7 Sie sollen in die Völker verstreut werden, die Namen35 von ihnen sollen von der Erde vertilgt werden, weil sie meinen Bund verachteten. 8 Weh dir, Assur, die du die Ungerechten verbirgst bei dir. Böses Volk, erinnere dich, was ich Sodom und Gomorra getan habe, 9 deren Erde36 in Pechklümpchen und Haufen von Asche daliegt. So werde ich diese preisgeben37, die mich nicht angehört haben, spricht der allmächtige Herr. 10 Dies spricht der Herr zu Esra: Verkündige meinem Volk, da ich nun ihnen das Reich Jerusalem geben werde, welches ich Israel geben wollte38. 11 Und ich werde für mich die Herrlichkeit jener nehmen und werde diesen die ewigen Hütten geben, die ich für jene vorbereitet hatte39.   Das Relativpronomen ist bezogen auf die Propheten.   Audire mit Akk. kann hier sowohl „zuhören“ meinen als auch „gehorchen“. 32   Das Adjektiv viduus bedeutet auch „beraubt, einsam“ (vgl. Georges, Band 2, 3482.). Da die Mutter ihre Kinder verliert und nicht ihren Gatten, macht dies mehr Sinn als der Begriff „Witwe“ (vgl. auch 5 Esra 2,4). 33   vgl. Jes 42,24. 34   Der Genitiv bringt eine gewisse Deutungsoffenheit mit sich: „Diese“ könnten die existierenden Kinder sein (sie sollen nicht Nachkommen zeugen) oder die potenzielle Nachkommenschaft (die nicht gezeugt werden soll). 35   Plural! Bezieht sich also wohl nicht auf den Namen „Israel“. 36   Hier ist wohl tatsächlich Erde als Substanz gemeint und nicht „Land“. 37   Vgl. Georges, Band 1, 2261. 38   Dies ist eine ungewöhnliche Grammatik-Konstruktion: Ein PFA wird mit Ind. Impf. verbunden. 39   Das Plusquamperfekt ist an dieser Stelle auffällig – es war wohl schon alles vorbereitet und schien sicher. 30 31

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12 Der Baum des Lebens wird für jene im40 Duft41 des Salböls sein, und sie werden sich nicht abmühen und nicht ermüden. 13 Geht und ihr werdet empfangen, erbittet für euch wenige Tage, damit sie vermindert werden; schon ist für euch das Reich/ die Herrschaft bereitet, seid wachsam. 14 Bezeugt, bezeugt, Himmel und Erde, denn ich habe das Böse/ Unheil42 aufgegeben und das Gute erwählt/ geschaffen43, weil ich lebe, spricht der Herr. 15 Mutter, umarme deine Kinder, ziehe jene mit Freude auf, wie die Taube, bestärke die Füße von ihnen, weil ich dich erwählt habe, spricht der Herr. 16 Und ich werde die Toten von ihren44 Orten wiedererwecken und jene werde ich aus den Grabmälern herausführen, weil ich meinen Namen in jenen erkannt habe. 17 Fürchte dich nicht, Mutter der Kinder, weil ich dich erwählt habe, spricht der Herr. 18 Ich werde dir als Beistand meine Diener Jesaja und Jeremia schicken, auf deren Rat hin ich geheiligt habe45 und dir46 zwölf Bäume bereitet habe, voll mit verschiedenen Früchten 19 und ebenso viele Quellen voll47 von Milch und Honig und sieben unermesslich große Berge, die Rosen48 und Lilien haben, in welchen ich deine Kinder mit Freude erfüllen werde. 20 Handle recht49 gegen die Witwe, verschaffe der Waise50 Recht51, gib dem Bedürftigen, schütze die Waise, bekleide den Nackten, 21 sorge für   Sinn: „voll von“.   Odor und unguentum sind (auch) bedeutungsgleich. Wolter gibt diese Tautologie durch „duftendes Salböl“ wieder (vgl. Wolter, 809f.). 42   vgl. den Abschnitt 2.4.2 im Kapitel zu Baruch. 43   vgl. Georges, Band 1, 1746; für die Bedeutung „geschaffen“ spricht, dass im folgenden Vers eligere verwendet wird, das auch hier gepasst hätte. 44   Hier wird ein Possessivpronomen angefügt, bei monumenta nicht; soll dies sogar auf für die Einzelnen bestimmte Orte verweisen? 45   Sanctificare steht hier ohne Objekt – aktueller Ansprechpartner ist zumindest die Mutter. 46   Tibi wird dem Verb paravi nachgestellt – so erscheint es, als wäre tu nicht Objekt beider Verben (paravi und sanctificavi). 47   im Sinn von „triefen von“ – aber Milch und Honig stehen im Nominativ statt im Ablativ! In Ex 3,7; 13,5; Ez 20,6 u.a. heißt es immer fluens lacte et melle; in Bar 1,20 VUL steht jedoch wie hier fluentem lac et mel. 48   Von der Form ist dies zwar Singular, er wird aber kollektiv gebraucht. 49   vgl. Georges, Band 2, 503. 50   Pupillus bedeutet eher „verwaister Knabe“, orfanus (im selben Vers) steht allgemein für „Waise“. 51   vgl. Dtn 10,18; Ps 10,18. 40

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viii  anhang283

den, der zunichte gemacht worden ist, und für den Gelähmten, verlache nicht den Lahmen, beschütze den Gebrechlichen/ Verkrüppelten und lass den Blinden zur Schau meines Glanzes gelangen, 22 schütze den Alten und den Jungen innerhalb deiner Mauern, 23 übergib die Toten dem Grab, sobald du sie aufgefunden hast52, wobei du sie bezeichnest, und ich werde dir den ersten Platz bei meiner Auferstehung geben. 24 Halte inne und ruhe aus, mein Volk, weil deine Ruhe kommen wird. 25 Gute Amme, nähre deine Kinder, bestärke ihre Füße. 26 Die Knechte, die ich dir gegeben habe – niemand von ihnen wird zugrunde/ verloren gehen, denn ich werde sie suchen53 aus deiner Menge54. 27 Sei nicht in Ängsten, denn wenn der Tag der Bedrängnis und der Not gekommen sein wird, werden andere weinen und traurig sein, du aber wirst heiter sein und zahlreich55/ reich ausgestattet. 28 Die Völker werden eifern56 und nichts gegen dich vermögen, spricht der Herr. 29 Meine Hände werden dich schützen, damit deine Kinder nicht die Gehenna sehen. 30 Freue dich, Mutter, zusammen mit deinen Kindern, weil ich dich57 erlösen58/ befreien werde, spricht der Herr. 31 Gedenke/ Erinnere dich deiner schlafenden Kinder, weil ich diese herausführen werde aus den Verstecken der Erde und mit jenen Barmherzigkeit zeigen werde, weil ich barmherzig bin, spricht der allmächtige Herr. 32 Umfasse deine Kinder solange bis ich komme und verkündige jenen Barmherzigkeit, weil meine Quellen überströmen und meine Gnade nicht abnehmen/ aufhören wird. 33 Ich, Esra, habe vom Herrn auf dem Berg Horeb den Auftrag erhalten, dass ich zu Israel gehen solle. Als ich zu ihnen kam, verwarfen   Tempus ist Futur II.   Auch hier ist eine andere Zeichensetzung möglich: Man könnte den Punkt nach requiram setzen. Dann ergäbe sich folgende Übersetzung: „Die ich dir als Knechte gegeben habe – niemand von ihnen wird zugrunde gehen, denn ich werde sie suchen. Sei nicht in Not wegen deiner Zahl – wenn…“ 54   Wolter (813) übersetzt „suchen nach deiner Zahl“, Myers (145) mit „seek them from among“, Knibb (92) wählt „demand them back from among“. Der Sinn ist bei allen Alternativen schwer verständlich. 55   Vgl. Blaise, Dictionnaire, 222. 56   Sowohl der Aspekt „Eifersucht“ als auch „Eifer“ können hier enthalten sein. (Vgl. Blaise, Dictionnaire, 864.). 57   Es überrascht, dass hier nicht vos steht. Da der quia-Satz erst nach filiis tuis angeordnet ist, sind diese wohl nicht in diesen Nebensatz hineinzuziehen. 58   Vgl. Blaise, Dictionnaire, 313. 52

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sie mich und nahmen die Weisung des Herrn nicht an. 34 Deshalb sage ich euch, Völker, die ihr hört und versteht: Erwartet euren Hirten, er wird euch die Ruhe der Ewigkeit geben, weil jener ganz nah ist, der kommen wird für59 das Ende der Welt. 35 Seid bereit für die Belohnungen des Reichs, weil für euch das immerwährende Licht leuchten wird durch die Ewigkeit der Zeit hindurch. 36 Lehnt den Schatten dieser Welt ab, nehmt die Lieblichkeit eurer Herrlichkeit entgegen. Ich bezeuge offen60 meinen Retter. 37 Nehmt den Empfohlenen61/ das Anvertraute des Herrn an und freut euch, wobei ihr dem dankt, der euch zu den himmlischen Reichen62 gerufen hat. 38 Erhebt euch und haltet stand63/ steht fest da und seht die Zahl der Versiegelten beim Gastmahl des Herrn. 39 Die64, die sich vom Schatten der Welt weg wendeten65, nahmen vom Herrn die glänzenden Tuniken entgegen. 40 Nimm, Zion, deine Zahl entgegen66 und fasse deine Weißgekleideten/ Kandidaten zusammen67, die das Gesetz des Herrn 59   Vgl. Georges, Band 2, 123: „zur Angabe der Bestimmung, des Endzwecks, wozu etwas dienen soll od. geschieht = zu, für, behufs“. 60   Wolter (816) wählt die Übersetzung „öffentlich“ – da die Welt aber ja verurteilt wird, passt „offen“ vielleicht besser. Knibb (95) und Myers (146) übersetzen mit „openly“. 61   Überraschenderweise übersetzt Wolter (816) mit „der Beauftragte“, erläutert aber nicht, wie er zu diesem Begriff kommt. Knibb (95f.) gibt „it is he whom the Lord has appointed“ an, trennt also commendatum Domini aus dem Satz-Zusammenhang, und Myers (146) übersetzt commendatum ebenfalls frei mit „the gift“. Es ist möglich, das Wort als Maskulinum oder als Neutrum zu verstehen. 62   Im Gegensatz zu 5 Esra 2,10.14.35 wird regnum hier plötzlich im Plural verwendet. 63   Vgl. Georges, Band 2, 2810; Myers (146) übersetzt „stand erect“, Knibb (96) „stand up“, Wolter (817) neutral mit „steht“. 64   Auch eine andere (mehr Sinn ergebende) Interpunktion und Leseweise ist möglich: qui kann als Relativsatz zu 2,38 verstanden werden; ab splendidas ergäbe sich dann ein eigener Satz. 65   transfero bedeutet wenden, aber nicht im Sinn von „sich abwenden“ (der Fokus liegt auf dem Gegenstand), sondern im Sinn von „sich von etwas weg wenden“ (der Fokus liegt auf der Richtungsänderung). 66   Recipere kann „erneut“ mit ausdrücken (vgl. Wolter, 817.), dies muss aber nicht sein; auch Myers (147) und Knibb (96) drücken das Praefix -re nicht aus. 67   Wolter (817) übersetzt mit „einschließen“ – wie dies zu verstehen ist, bleibt offen. Myers (147) wählt die positive Bedeutung „enfold“, Knibb (96) entscheidet sich für „close the roll“.



viii  anhang285

erfüllt haben. 42 Die Zahl deiner Kinder, die68 du wünschtest, ist voll; erbitte die Macht/ den Befehl69 des Herrn, so dass dein Volk geheiligt wird, das berufen ist von Anfang an. 42 Ich, Esra, sah auf dem Berg Zion eine große Menge, die ich nicht zählen konnte, und alle lobten70 den Herrn mit Gesängen. 43 Und in der Mitte von ihnen war ein junger Mann, groß/ erhaben von71 Gestalt, erhabener/ hervorragender72 als alle jene, und er setzte den Einzelnen von ihnen Kränze auf die Häupter, und mehr wurde gepriesen73; ich aber wurde von dem Wunder(baren) erfüllt74. 44 Darauf fragte ich den Engel und sagte: „Wer sind diese, Herr?“ 45 Dieser antwortete und sagte mir: „Diese sind die, die die vergängliche Tunika abgelegt haben und die unvergängliche angezogen und den Namen Gottes bekannt haben; jetzt werden sie bekränzt und empfangen Palmzweige.“ 46 Und ich sagte zum Engel: „Wer ist jener junge Mann, der ihnen Kränze aufsetzt und Palmzweige in die Hände gibt?“ 47 Dieser antwortete und sagte mir: „Er ist der Sohn Gottes selbst, den75 sie in der Welt bekannt haben.“ Ich aber begann, diese zu rühmen, die tapfer für den Namen des Herrn eingetreten sind76. 48 Darauf sagte mir der Engel:   Das Pronomen ist auf die Kinder bezogen.   Wolter (817) übersetzt mit „Befehl“ und nennt biblische Parallelstellen. Knibb (96) entscheidet sich für „kingdom“ im Sinne des neutestamentlichen Reiches Gottes, Myers (147) für das Wort „council“. Bei Blaise (412) werden die Bedeutungen „empire; pouvoir suprême“ genannt. 70   Im Sinn einer iterativen Handlung; conlaudo verweist nicht auf eine Gemeinschaft, wie Wolter (818) es versteht („priesen gemeinsam“), sondern verstärkt das Loben selbst. 71   Celsus wird auf iuvenis bezogen, statura steht im Ablativ! 72   vgl. Blaise, Dictionnaire, 307: „plus haut“ (der Komparativ zu ‚hervorragend‘ verweist auf eine Mischung aus Größe und Würde). Myers (147) und Knibb (98) übersetzen mit „taller“. 73   vgl. Blaise, Dictionnaire, 321: „exalter, louer, célébrer“; Wolter (818) bezieht das Verb auf den Jüngling („wuchs“). 74   Vgl. Georges, Band 2, 3061: „(v. Affekten) jmd., jmds. Gemüt fesseln, einnehmen, beseelen, erfüllen, sich bemächtigen“. 75   Hier gibt es zwei Bezugsmöglichkeiten: Das Relativpronomen kann sich auf den Sohn beziehen, der dann mit dem „Namen Gottes“ gleichzusetzen ist, oder auf Gott selbst, was wahrscheinlicher ist (vgl. 1.1.2 im Kapitel zur Offenbarung des Johannes). 76   Hier schwingt auch die Bedeutung „auf der Seite sein von“ mit (vgl. Georges, Band 2, 2808f.). In Haupt- und Nebensatz wird Indikativ Perfekt verwendet, es wird also keine Vorzeitigkeit ausgedrückt. 68 69

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„Geh und verkünde meinem Volk, welche und wie viele Wunder/ wunderbare Dinge Gottes, des Herrn, du gesehen hast.“ 2  Übersetzung der Handschriftengruppe CMNEVLK nach der Textausgabe von Bergren 1,4 Das Wort des Herrn, das zu Esra, dem Sohn des Chusi, in den Tagen des Königs Nebukadnezar geschah, das sagte: 5 Geh, verkündige meinem Volk die Untaten von ihnen selbst und ihren Kindern die Ungerechtigkeiten, die sie77 gegen mich begangen haben. Ihre Kinder aber sollen es verkünden den Kindern ihrer eigenen Kinder, 6 weil die Sünden der eigenen Väter in den Kindern/ Söhnen herangewachsen78 sind, weswegen sie mich vergessen haben und fremden Göttern geopfert haben. 7 Habe etwa nicht ich sie aus dem Gebiet Ägyptens und aus dem Haus der Sklaverei herausgeführt? Weshalb erzürnten sie mich und verachteten meine Ratschläge? 8 Dies spricht der Herr: Schüttle das Haar deines Kopfes und wirf79 alle diese Übel über diese herab, weil sie meinem Gesetz nicht gehorcht haben. Ein zuchtloses Volk! 9 Bis wohin werde ich diese ertragen, der ich jenen so große Wohltaten erwiesen habe? 10 Viele Könige habe ich wegen ihnen vernichtet. Ich habe den Pharao mit seinen Söhnen/ Dienern und das ganze Heer dessen in das Meer versenkt. 11 Hab ich etwa nicht wegen euch die Stadt Bethsaida zerstört, und im Süden die zwei Städte, Tyrus und Sidon, mit Feuer verbrannt, und die, die gegen euch waren, übel getötet? 13 Habe ich euch etwa nicht durch das Meer hinübergebracht und rechts und links Mauern gemacht? Als Führer habe ich euch Mose und Aaron gegeben. 14 Licht habe ich   Dies kann sich auf das Volk oder die Kinder beziehen; das eingefügte ipsorum macht das Volk wahrscheinlicher. 78   Crescere in meint von der Bedeutung her eher „entstehen“ als „anwachsen“ – es ist also eher anzunehmen, dass die Sünden der Kinder nicht größer sind als die der Eltern, sondern dass auch in den Kindern Sünden zu finden sind. Dies passt auch dazu, dass in 1,5 der Begriff facinora auf die Eltern selbst bezogen ist, während kein klarer Bezug von iniquitates auf filii hergestellt wird – auch die iniquitates könnten von den Eltern begangen worden sein. 79   Hier ist eine andere Zeichensetzung möglich: Der Punkt könnte nach excute stehen, das sich dann auf das Haar bezieht, und dann ein elliptischer Ausruf erfolgen (vgl. Abschnitt 3.3 im Kapitel zu Jeremia 7)! 77



viii  anhang287

euch gegeben in eine Säule von Feuer hinein. Dies sind meine großen Wunder, die ich an euch getan habe und ihr habt mich vergessen, spricht der Herr. 15 Dies spricht der Herr: Die Wachtel war (für) euch als Zeichen. Ein Lager habe ich euch zum Schutz gegeben, und dort habt ihr gemurrt. 16 Euren Verfolger habe ich mit seinem Heer in das Meer versenkt, und noch immer murrt das Volk und sie selbst über den Untergang derer80. 17 Wo sind meine Wohltaten, die ich euch erwiesen habe? Auch auf dem verödeten Weg habt ihr hungernd und durstend zu mir gerufen 18 und gesagt: „Weshalb hast du uns in diese Wüste geführt, damit wir sterben? Besser war es für uns nämlich gewesen, den Ägyptern zu dienen, als in dieser Einöde/ Verlassenheit zu sterben.“ 19 Deswegen habe ich, eure Seufzer bedauernd, euch Manna gegeben zum Essen81, und ihr habt gegessen. 20 Für euch Dürstende habe ich den Felsen aufgebrochen und Wasser82 flossen zur Genüge. Und wegen der Hitze habe ich Bäume geschaffen, die für euch mit Blättern bedeckt waren. 21 Ich habe euch fruchtbare Länder gegeben. Die Kanaanäer, Hethiter83, Perisiter und ihre Söhne habe ich von eurem Anblick weg fortgejagt. Was soll ich euch noch weiter tun? 22 Dies spricht der Herr: In der Wüste, als ihr beim84 bitteren Fluss wart, dürstend und meinen Namen schmähend, 23 war ich nicht entrüstet, sondern habe für euch den Fluss süß gemacht durch85 ein ins86 Wasser geschicktes Holz. 24 Was soll ich dir tun, Jakob? Juda wollte mir nicht gehorchen. Ich werde mich zu einem anderen Volk hinwenden und jenem meinen Namen überlassen, und als Befolgende werden sie meine Satzungen/ Regeln befolgen. 25 Denn obwohl die, die mich gänzlich aufgegeben haben, Barmherzigkeit erstreben, werde ich mich nicht dieser erbarmen. 26 Es wird nämlich sein – wenn sie mich angerufen haben werden, werde auch   Dies ist wahrscheinlich auf das Volk und die ipsi bezogen.   Manducare dient wohl als finaler Infinitiv. 82   Im Lateinischen steht hier Plural (aquae); Wolter (800) übersetzt mit „Quellen“. 83   In der VUL werden normal die Hetthei genannt, nicht Ethei wie hier; aus dem Zusammenhang geschlossen müssten aber die Hethiter gemeint sein. 84   Eigentlich steht hier in mit Abl.; dies könnte „im Gebiet des Flusses“ meinen. 85   Hier müsste ein Ablativ stehen – der Akkusativ ist so nicht verständlich. 86   In müsste hier eigentlich mit Akkusativ stehen. 80 81

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ich diese nicht erhören. Sie besudelten nämlich ihre Seelen und haben Hände, die von Blut besudelt worden sind. Eure Füße sind nicht rastlos beim Vergießen von Blut. 27 Nicht weil ihr mich gänzlich aufgegeben habt, spricht der Herr, sondern euch. 28 Dies spricht der Herr: Habe ich euch etwa nicht so eingeladen wie ein Vater den Sohn und wie eine Mutter ihre Tochter und wie eine Amme, die liebt, ihr kleines Kind, 29 weil ihr mir als Volk wart und ich euch als Gott, ihr mir als Kinder und ich euch als Vater? 30 So habe ich euch nämlich gesammelt wie eine Henne ihre Küken unter ihren Flügeln. Gerade jetzt aber, was soll ich euch tun? Ich soll sagen, ich werde euch von meinem Anblick weg fortjagen. 31 Ich werde meine Augen von euch abwenden, die ihr mir Opferhandlungen anbietet. Festtage und den Neumond und den Sabbat und Beschneidungen habe ich euch nicht aufgetragen. 32 Ich habe meine Diener, die Propheten, zu euch geschickt, die ihr, übel behandelt, getötet habt und ihr habt die Körper der Apostel zerstückelt, deren Seelen und Blut ich einfordern87 werde, spricht der Herr. 33 Dies spricht der allmächtige Herr: Euer Haus ist verlassen. Ich werde euch fortjagen wie der Wind das Stroh. 34 Und eure Söhne werden nicht Zeugung bewirken, weil sie meinen Vertrag/ Auftrag nicht geachtet haben, und weil sie in meinem Angesicht getan haben, was böse ist. 35 Ich werde eure Häuser dem von weit her kommenden Volk übergeben, und die, die dich88 nicht kannten, werden dir89 glauben, und die, denen ich die Zeichen nicht gezeigt habe, werden tun, was ich gesagt habe. 36 Sie sahen die Propheten nicht und sind eingedenk deren alter Tage/ alter guter Sitten. 37 Die Apostel bezeugen das mit Freude90 kommende Volk. Obwohl sie mich aber nicht mit menschlichen Augen sehen, glauben sie durch den Geist, und sie haben91 gehört, was ich gesagt habe, und glauben mir. 38 Jetzt, Vater, blicke her mit Herrlichkeit und sieh das Volk, das von

  Diese Verwendung ist für das Lateinische untypisch; vgl. im biblischen Kontext aber Gen 42,22 und Jdt 8,20. 88   Me wird von den Handschriften LK genannt, te von den Handschriften CV. 89   Mihi wird von den Handschriften EK genannt, tibi von CMNV. 90   Hier ist eine Bezugnahme auf die Apostel (vgl. Wolter, 805.) und auf das Volk möglich – die Wortstellung stellt die Freude zum Volk (vgl. auch 2,19). 91   gegen Wolter (805) – audierunt kann von der Form her nur Perfekt sein! 87



viii  anhang289

Osten kommt, 39 dem ich eine Leitung/ Gefolgschaft92 geben werde mit Abraham, Isaak und Jakob, Elija und Henoch, Sacharja und Hosea, Amos, Joel, Micha, Obadja, Zephanja, 40 Nahum, Iona, ­Matthatias93, Habakuk und denen ich zwölf Engel geben werde mit Blumen. 2,1 Dies spricht der Herr: Ich habe das Volk herausgeführt, dem ich Weisungen94 übergeben habe, die sie95 nicht anhören wollten, sondern sie machten meine Ratschläge vergeblich. 2 Sie zeugten sich eine Mutter96, die ihnen sagt: „Geht, Kinder, weil ich Witwe/ einsam97 bin und gänzlich aufgegeben. 3 Ich habe euch mit Freude aufgezogen, ich werde euch mit Weinen und Trauer aufgeben/ wegschicken, weil ihr gesündigt habt im Angesicht Gottes, des Herrn, und Unrecht begangen habt in seinem Angesicht/ offen vor ihm. 4 Gerade jetzt aber, was soll ich euch tun? Weil ich Witwe/ einsam bin und gänzlich aufgegeben von meinen Kindern. Geht, Kinder, erbittet vom Herrn Barmherzigkeit. 5 Ich bin nämlich vereinsamt.“ Dich, Vater, rufe ich an wegen der Mutter dieser, die deinen Bund nicht bewahren wollten, 6 dass du ihnen Bestürzung gibst und die Mutter jener in die Plünderung. Damit nicht jemals Zeugung bei diesen geschieht, und sie sollen innerhalb der Völker zerstreut werden, und ihr Name soll von der Erde vertilgt werden, weil sie meinen Bund verwarfen. 8 Weh dir, Assur, die du die Ungerechten verbirgst bei dir. Schlechte Stadt, erinnere dich, was ich Sodom und Gomorra getan habe, 9 deren Erde hinabgestiegen ist98 bis zur Tiefe der Unterwelt. So werde ich diese   vgl. Blaise, Dictionnaire, 294. Blaise nennt verschiedene mögliche Bedeutungen: „le fait de conduire; direction; charge de chef; action de guider, exemple; magistère; conduite; cours, suite“. Hier ist meiner Ansicht nach gemeint, dass dem Volk Abraham und andere als Leitung gegeben werden, nicht, dass das Volk selbst eine Leitungsfunktion erhält (vgl. Wolter, 806.). 93   Die Handschriften EK überliefern Malachia. 94   In 5 Esra 1,34 und 2,33 wird der Singular (mandatum) verwendet. 95   Überraschend wird hier plötzlich in den Plural gewechselt. 96   Diese Aussage macht wenig Sinn; Bergren vermutet als Version des Archetyps (entsprechend zu SA) Mater quae eos generavit dicit. 97   Das Adjektiv viduus bedeutet auch „beraubt, einsam“ (vgl. Georges, Band 2, 3482.). Da die Mutter ihre Kinder verliert und nicht ihren Gatten, macht dies mehr Sinn als der Begriff „Witwe“ (vgl. auch 5 Esra 2,4). 98   Von der Form her sind hier Präsens und Perfekt möglich. 92

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preisgeben, die mir99 nicht gehorchten. 10 Dies spricht der Herr zu Esra: Verkündige meinem Volk, weil ich ihnen vorbereitet habe zu essen100, und ich werde jenen das Reich Jerusalem geben, welches ich Israel geben wollte, 11 und ich werde für es101 die Herrlichkeit jener nehmen, und ich werde diesen die ewigen Hütten geben, die ich für jene vorbereitet hatte 12 im102 Duft103 des Salböls. Sie werden sich nicht abmühen und nicht ermüden. 13 Bittet und ihr werdet empfangen; erbittet euch wenige Tage, damit eure Tage vermindert werden. Denn schon ist mein Reich/ meine Herrschaft vorbereitet dazu, anzukommen. Seid wachsam im Geist104. 14 Ich nehme Himmel und Erde zum Zeugen, ich habe das Böse/ Unheil105 aufgegeben und das Gute erwählt/ geschaffen, weil ich lebe, spricht der Herr. 15 Gute Mutter, umfasse deine Kinder. Gib jenen Freude wie die Taube, die ihre Kinder aufzieht, und bestärke die Füße dieser, weil ich dich erwählt habe, spricht der Herr. 16 Und ich werde die Toten von ihren Plätzen erwecken und von deren106 Grabmälern, weil ich meinen Namen in jenen erkannt habe. 17 Ängstige dich nicht, weil ich dich als Mutter der Kinder ausgewählt habe, spricht der Herr. 18 Ich schicke dir als Beistand meine Diener Jeremia, Jesaja und Daniel, auf deren Rat hin ich dich geheiligt habe. Und ich werde dir zwölf Bäume bereiten mit verschiedenen Früchten 19 und sieben Quellen voll von107 Milch und Honig und unermesslich große Berge, die Rosen108 und Lilien haben,   Im Lateinischen müsste statt me eigentlich mihi stehen.   vgl. den Gebrauch des Infinitivs in 5 Esra 1,19. 101   Sibi wird umgangssprachlich für ei verwendet (vgl. Georges, Band 2, 2915.) – als Bezugsmöglichkeit ist nur populus sinnvoll, auch wenn im unmittelbaren Zusammenhang stets der Plural verwendet wird. 102   Bergren reagiert auf die Unsinnigkeit dieses Zusammenhangs und ergänzt analog zu SA lignum vitae erit illis. 103   Odor und unguentum sind (auch) bedeutungsgleich. Wolter gibt diese Tautologie durch „duftendes Salböl“ wieder (vgl. Wolter, 809f.). 104   „Seele“ (vgl. Wolter, 810.) entspräche eher dem Wort anima; animus könnte sich auf die Denk- und Handlungsweise des Menschen beziehen. 105   vgl. den Abschnitt 2.4.2 im Kapitel zu Baruch. 106   Eorum ist wohl nicht auf die mortuos bezogen, sonst wäre eine Unterscheidung von suos weder notwendig noch sinnvoll. 107   im Sinn von „triefen von“ – aber Milch und Honig stehen im Nominativ statt im Ablativ! In Ex 3,7; 13,5; Ez 20,6 u.a. heißt es immer fluens lacte et melle; in Bar 1,20 VUL steht jedoch wie hier fluentem lac et mel. 108   Von der Form ist dies zwar Singular, er wird aber kollektiv gebraucht. 99

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viii  anhang291

die ich für dich und deine Kinder bereitet habe. Ich habe deine Kinder mit Freude erfüllt. 20 Handelt recht gegen die Witwe; beurteile109 die Waise; reiche den Bedürftigen (etwas) dar; schütze die Waise; bekleide den Nackten; 21 sorge für den, der zunichte gemacht worden ist, und für den Gelähmten. Verlache nicht den Lahmen, sondern schütze ihn. Lass den Einäugigen/ Halbblinden zur Schau meines Glanzes gelangen. 22 Sammle den Alten und Jungen innerhalb deiner Mauern. Hüte deine kleinen Kinder. Deine Sklaven und Freien sollen sich freuen und deine ganze Gemeinde110 wird voll Frohsinn sein. 23 Ich werde deine Toten erwecken, sobald ich (sie) aufgefunden habe111. Ich werde die Zeichen vor mir erblicken und ich werde ihnen den ersten Platz bei meiner Auferstehung geben. 24 Haltet eine kleine Weile inne, eure Ruhe wird kommen. 25 Gute Amme, nähre deine Kinder. Bestärke die, die du geboren hast, und bestärke deren Füße, 26 weil niemand von jenen, die ich dir übergeben habe, zugrunde/ verloren gehen wird. Ich werde jene suchen aus deiner Menge112. 27 Sei nicht in Ängsten113; stärke sie. Es werden Tage der Bedrängnis und Not kommen. Andere werden weinen und traurig sein; du aber wirst heiter und zahlreich/ reich ausgestattet sein. 28 Mit Eifersucht werden dich alle Völker behandeln und nichts werden sie gegen dich vermögen, spricht der Herr. 29 Alle Dinge zittern114 vor mir; meine Augen sehen die Gehenna. 30 Freue dich, Mutter, und ich werde dich zusammen mit deinen Kindern erlösen115/ befreien, spricht der Herr. 31 Ich werde mich an deine schlafenden Kinder erinnern, weil ich   Hier erfolgt ein plötzlicher Wechsel in den Singular. Der Akk. pupillum ist weniger sinnvoll als der Dativ der französischen Handschriftengruppe (pupillo). Pupillus bedeutet eher „verwaister Knabe“, orfanus (im selben Vers) steht allgemein für „Waise“. 110   vgl. Ex 35,4 VUL; caterva bedeutet eigentlich „Schar, Truppe“ (vgl. Georges, Band 1, 1032.). 111   Invenero ist Futur II. 112   Diese Stelle ist kaum verständlich. Eine veränderte Zeichensetzung erhöht den Sinn: Der Punkt kann auch nach requiram gesetzt und de, bezogen auf satisagere, mit „wegen“ übersetzt werden. 113   Das Wort satisagere ist nicht bekannt; auch die Aufspaltung in satis agere ergibt keinen Sinn. Deshalb wird ein Überlieferungsfehler und eine Verwechslung mit dem Wort satagere (vgl. SA) angenommen. 114   Von der Bedeutung her passender wäre „alle Dinge lassen mich erzittern“: So ist es aber im Lateinischen nicht konstruiert! 115   Vgl. Blaise, Dictionnaire, 313. 109

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jene (aus)suchen werde aus der Weite der Erde. Und erstarke116 in der Größe deiner Herrlichkeit und zeige Barmherzigkeit, weil ich barmherzig bin, spricht der Herr. 32 Schließe deine Kinder zusammen117, solange bis ich komme, und erweise anderen Barmherzigkeit, weil meine Quellen überströmen werden und meine Gnade nicht abnehmen/ aufhören wird. 33 Ich, Esra, habe vom Herrn den Auftrag/ die Lehre118 erhalten auf dem Berg Chobar für Israel, und sie nahmen diese Weisung nicht an. 34 Ich sage euch, die ihr hört und versteht: Erwartet euren Hirten. Ich werde euch die Ruhe eurer Ewigkeit geben, weil ganz nahe ist das Ende der Welt und die Verringerung der Menschen. 35 Seid bereit für die Belohnungen des Reichs. Das immerwährende Licht wird für euch leuchten und die Ewigkeit der Zeiten ist für euch vorbereitet. 36 Lehnt den Schatten dieser Welt ab, die Gefangenschaft eurer Herrlichkeit. Ich bezeuge, dass mein Retter vom Herrn beauftragt worden ist. 37 Ihr, nehmt die Lieblichkeit eurer Herrlichkeit entgegen, während ihr dem dankt, der euch zu den himmlischen Reichen gerufen hat. 38 Erhebt euch und haltet stand119/ steht fest da und seht die Zahl der Versiegelten beim Gastmahl, 39 die sich vom Schatten der Welt her bewegten und glänzende Tuniken vom Herrn entgegennahmen. 40 Nimm, Berg Zion, deine Zahl entgegen. Fasse deine Weißgekleideten/ Kandidaten zusammen120, die dir gemäß dem Gehorsam121 dienen, weil sie das Gesetz des Herrn erfüllt haben. 41 Weil du schon lange wünschtest122, dass deine Kinder   Confirmare wird als Imperativ Sg. Passiv gedeutet.   Die Handschriften CVL überliefern confirma. 118   Während in der französischen Handschriftengruppe durch den folgenden ut-Satz klar wird, dass von einem Auftrag die Rede ist, ist hier offen, ob nicht Lehre oder Regel als Überbegriff für die Gebote Gottes (vgl. 2 Chr 24,20 VUL) gemeint sind – dafür spricht der sich daran anschließende Ausdruck mandatum hoc. 119   Vgl. Georges, Band 2, 2810; Myers (146) übersetzt „stand erect“, Knibb (96) „stand up“, Wolter (817) neutral mit „steht“. 120   Wolter (817) übersetzt mit „einschließen“ – wie dies zu verstehen ist, bleibt offen. Myers (147) wählt die positive Bedeutung „enfold“, Knibb (96) entscheidet sich für „close the roll“. 121   Blaise (569) kennt das Substantiv und gibt als Bedeutung „obéissance“, also „Gehorsam“, an. Als Bezugsstelle führt er einen „Arnobe le Jeune“ aus dem 5.Jhd. an, der das Substantiv in seinem „Liber ad Gregoriam in palatio constitutam“ verwendet (vgl. ebd., S. 10). 122   Hier wird eine durative Verwendung des Imperfekts angenommen. 116 117



viii  anhang293

k­ ommen, ergänze die Zahl dieser. Erbitte die Macht/ den Befehl123 des Herrn, so dass das Volk geheiligt wird, weil es ja berufen ist von Anfang an. 42 Ich, Esra, sah auf dem Berg Zion eine große Menge, die niemand zählen konnte; alle lobten124 den Herrn mit Gesängen. 43 Und in der Mitte von ihnen war ein junger Mann, groß/ erhaben von Gestalt, hinausragend über alle jene. Und er legte einzelne125 Kränze auf den Kopf jener und sie126 wurden mehr erhöht127. Ich aber begann mich zu wundern. 44 Und ich fragte den Engel und sagte: „Wer sind diese?“ 45 Und antwortend sagte er mir: „Diese da sind es, die die vergängliche Tunika abgelegt haben und die unvergängliche angezogen haben und den Namen Gottes bekannt haben. Jetzt werden sie bekränzt und empfangen Palmzweige.“ 46 Und ich sagte zum Engel: „Wer ist dieser junge Mann da, der ihnen Kränze gibt und Palmzweige?“ 47 Und jener antwortete mir und sagte: „Er ist der Sohn Gottes selbst, den sie in der vergänglichen Welt bekannt haben.“ Ich aber begann den Herrn zu loben und zu rühmen. 48 Und der Engel sagte mir: „Geh und verkünde dem Volk von ihm, wie viele Wunder/ wunderbare Dinge von Gott, dem Herrn, du gesehen hast.“

  Wolter (817) übersetzt mit „Befehl“ und nennt biblische Parallelstellen. Knibb (96) entscheidet sich für „kingdom“ im Sinne des neutestamentlichen Reiches Gottes, Myers (147) für das Wort „council“. Vgl. auch Blaise, Dictionnaire, 412: „empire, pouvoir suprême“. 124   Im Sinn einer iterativen Handlung; conlaudo verweist nicht auf eine Gemeinschaft, wie Wolter (818) es versteht („priesen gemeinsam“), sondern verstärkt das Loben selbst. 125   Das auf die Kränze bezogene singulas könnte ausdrücken, dass es nicht Kränze für alle gibt. 126  Plural! 127   „Erhöhen“ ist hier wohl bildlich zu verstehen – Wolter (818) bezieht das Verb auf den jungen Mann und denkt an ein Wachsen der Christus-­ Gestalt: dazu müsste das Verb aber im Singular stehen! 123

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X Stellenverzeichnis 5 Esra 1,1 48, 261 1,1–2,20 242 1,3 262 1,4 108, 261f. 1,4–37 179 1,4–2,9 74, 192 1,5 38, 48, 108, 113, 192 1,5f. 7, 48 1,5–37 94 1,6 49, 50, 93, 95f., 114 1,6f. 38 1,6–23 49 1,7 49–52, 54, 56, 61, 96, 98f., 116f., 208, 269 1,7–23 10, 39, 41f., 62 1,7–2,1 52, 56 38, 50, 52, 94, 96, 109, 112– 1,8 114, 263, 269 1,9 41, 54 1,10 57, 59 1,10–21 57 1,10–23 129 39, 58f., 127, 129–132, 172, 1,11 209 1,12 59, 108f., 113 1,13–23 59 1,14 41, 49, 60, 63, 96, 109 1,15 50, 60f., 109, 192 1,15f. 49f. 1,15–23 60 1,16 50, 58f., 63, 175 1,17 7, 41, 50 1,19 7, 60 1,20 50, 60f., 73 1,21 41, 54, 58–60, 62f., 109, 129 1,22 49, 60f., 109, 175 1,24 8, 42, 50, 52, 79f., 83f., 86, 94, 96, 123, 157, 169–171, 175–177, 179, 182f., 190f., 193, 209, 220, 234, 256, 263, 268–272 1,24–35 78

1,24–40 193 1,25 41, 50, 79 1,25f. 107 1,25–27 269 1,25–32 79 1,25–34 42 1,26 53, 79f., 94, 96f., 134, 269 1,27 53, 79, 107, 109, 170 1,28 109, 137, 192 1,28f. 110 1,28–30 79f. 1,28–31 101 1,28–33 132–134, 139, 141f., 172 1,29 103, 110, 137 1,30 80, 104f., 136f., 250 1,31 247, 268f. 1,32 8, 39, 53f., 79f., 97, 109, 117, 134f. 1,33 67, 80, 109, 139–141, 192, 250 1,33f. 53, 105 1,34 38f., 52, 54, 80, 93, 96, 107, 118, 176, 208, 269 1,35 42, 84, 94, 139, 171, 178, 193, 256f., 268f. 1,35–37 155, 269, 271, 275 1,35–40 84 1,36 84 1,37 52, 84, 87, 171, 193, 256 1,37f. 193 68, 84f., 171, 176, 193, 224, 1,38 255f., 263f., 270 1,38–40 84f. 1,39f. 72, 176, 271 2,1 51f., 56, 68, 94–96, 98f., 109, 116–118, 176, 208, 263, 269, 271 2,1–48 43 2,2 64, 70 2,2f. 8 2,2–4 43f., 63, 65, 68, 70, 113, 137, 244f., 249 2,2–6 223 2,2–7 64

320 2,3 2,4 2,5

ringen um israel

44, 67f., 72, 246 44, 67f., 75, 247 45, 68f., 78, 80, 105, 179, 248, 263 2,5ff. 263 2,5–7 105 2,5–9 78 2,6 68, 80, 249, 275 2,6f. 45, 82f. 2,7 39, 69, 80f., 105, 107, 194, 209, 263 2,8 130 2,8f. 127, 130–132, 172 2,9 80, 94, 109, 130, 269 2,10 9, 42, 45, 70, 78f., 83f., 86, 108f., 147, 149, 155, 169– 171, 176, 192–194, 263, 268, 272, 274 2,10–12 9, 86, 176f., 195 2,10–13 177, 193, 211 2,10–19 45 2,10–32 181 2,11 84, 194, 197 2,11f. 143 2,12 9, 88, 155, 192f., 197, 202, 213 2,13 84, 86, 145, 147–150, 155, 192, 194, 197 2,13f. 9 2,13–38 143 2,14 71, 86, 109, 271 2,15 70–73, 78, 86, 109, 150, 177, 249f., 276 2,15ff. 65 2,15–19 123, 177 2,15–32 71, 75, 249, 271 2,16 75, 77, 86, 88, 177–182, 190f., 220 9, 70–72, 77, 109, 150, 177, 2,17 249 2,17–19 9 2,18 9, 271 2,18f. 73, 86, 143, 155 2,19 9, 72, 76, 78, 87 2,20 97 2,20–22 155, 269 2,20–23 74, 77, 96f., 145 2,21 74 2,22 72, 250

2,23 2,24

9, 74f., 86, 178–182, 220 72, 75, 84, 86, 88, 150, 155, 212, 250, 272 2,24–32 45 2,25 73, 86, 250 2,25–28 19 2,25–32 177 2,26 19, 150, 223f. 226f. 223f. 2,26–32 275 2,27 72, 74–77, 86, 150 2,27f. 75f., 78, 123, 150 2,27–29 86 2,27–31 76 2,28 72, 74, 109, 155, 209, 215 2,28–30 181 2,29 76, 120 2,30 70, 72, 76–78, 86, 109, 249, 271 2,31 9, 75f., 78, 86, 88, 109 2,31f. 86, 269, 271 2,32 73f., 86, 155, 269 2,33 42, 79f., 94, 96, 108, 152, 171, 209, 263, 269, 271 2,33f. 171 2,33–37 208 2,33–48 208, 238–240, 276 2,34 94, 145f., 148, 150, 152– 155, 170f., 195, 209f., 212f., 215, 217, 228, 234, 255f., 270, 272 2,34–41 45 2,34–48 73 2,35 9, 148, 155, 195, 215f., 269 2,35f. 215 2,36 85, 152, 155, 193, 210, 215, 218 2,36f. 9, 155 2,37 85, 148, 181, 195, 211, 255 2,38 85, 148, 178, 216–220, 224, 230 2,38–41 216f., 219 2,38–48 217 2,39 155, 178, 180, 215, 218f., 222 2,39f. 225 2,40 64, 72, 96, 180, 217–219, 223f., 235, 263, 269, 271



x  stellenverzeichnis321

2,40f.

45, 71, 86, 156, 223f., 245, 249, 272 72, 146, 217, 219, 223–225, 2,41 271, 276 2,42 180, 228, 230–233, 236, 240 2,42f. 195, 207, 231 2,42–45 217, 219 2,42–46 230 2,42–48 45, 46, 89, 143, 148, 217, 219, 222, 228, 231, 249, 253f., 256, 262f., 271 2,43 19, 69, 180, 231, 255, 262 2,43–45 222 2,44 236, 240 2,44–47 180 9, 19, 151, 180–182, 186, 2,45 188, 190, 219, 225, 233–235 2,45–47 181, 269 2,46 233 69, 153, 180–182, 186, 188, 2,47 190, 210, 225, 231, 255 2,48 108, 192, 271f., 276 1.  Altes Testament Amos 3,1 96 3,7 159 4,11 130 5,14 71 8,10 111 1 Baruch 1,3 194 1,9 81 1,15b 39, 55, 57 1,15b–18 49 1,15b–2,10 39 1,17 51 1,18 38, 50, 52f. 1,18f. 38 1,19 38, 50, 53, 61 1,20 40, 53, 61, 73, 81, 87 1,21 39, 53, 81 1,21–2,4 55 1,22 38, 50f., 54 2,1 81f.

2,2 81 2,2f. 82 2,4 39, 59, 81f. 2,5 51, 53 2,6 39 2,7 40, 81 2,9 40f. 2,10 52f., 81 2,11 40, 42, 55, 62, 96 2,11–18 41 2,12 51f., 54 2,13 81, 87 2,14 40, 45 2,15 40 2,20 40, 83 2,21 62, 88 2,21–23 40, 83 2,24 39, 53 2,24f. 82 2,25 39 2,26 54 2,27 40, 45 2,29 39 2,30 39, 53 2,30b–32 41 2,33 87 3,1–6 41 3,2 51 3,8 54, 81f. 3,9 52 3,9–4,4 42, 46 3,10f. 81 3,12 81 3,12f. 42 4–5 250 4,1 52, 81 4,5f. 81 4,5–5,9 43 4,6 51, 59, 82 4,7 51 4,8 50, 65 4,8ff. 244f. 4,8–23 65f., 70, 251 4,8–29 43 4,8–5,9 64 4,9 67 4,9b–20 43, 65 4,10 43, 67, 82 4,11 68, 75

322

ringen um israel

4,12 43, 68, 246, 250 4,12f. 67 4,13 50, 52 4,14 67, 82 4,15 43, 67 4,15f. 59, 82 4,18 59, 68, 87 4,19 67, 250 4,20 43, 70, 76, 78 4,20f. 71 4,21 44, 59, 75–77, 82 4,21f. 76 4,21–29 44 4,22 45, 75f., 78, 87 4,23 75f. 4,24 75f., 78, 82, 87 4,25 59, 75–77 4,26 82 4,27 74f., 77 4,28 50, 74, 77 4,29 76–78 4,30 71, 75, 77 4,30–5,9 44 4,32 74 4,32–35 59 4,33 44 4,33f. 78 4,36 68, 87 4,36f. 84f. 4,37 44, 85, 87 5,1–9 251 5,4 44, 87 5,5 45, 68, 85, 87, 256 5,5–9 87 5,6 87 5,7 88 5,7f. 88 5,8 88 5,9 87 1. Chronik 16,8 181 16,35 152 2. Chronik 7,14 175 24,20f. 54, 134 33,6 119 34,25 49

Daniel 2,34 252, 255 2,45 252, 255 6,27 147 7 147f. 7,9 228 7,9–14 155 9,10 53 9,19 175 12,1 149 12,8 209 Deuteronomium 1,43 94 2,10 231 4,2 205 4,25 54, 93 5,6 56 7,6 72 7,24 57 8,3 60 8,19 95 9,18 93 11,23 58 13,1 205 17,2 93 17,7 71 18,10 119 19,19 71 29,19f. 205 31,29 54, 93 32,3 175 32,11 136 32,17f. 95 32,21 49 Esra 7,1 262 7,1–5 261 7,10 258 7,11f. 258 7,13 264 9,3 111, 113 9,5–15 258, 264 Exodus 3,1 209 3,8 58, 73 6,26 59



x  stellenverzeichnis323

12,13 219 13,3 56 13,21 60 14,13 216 14,22 59 15,4 58 15,18 147 15,23–25 60 15,24 61 16,12–15 60 16,13 61 17,6 60 19,10 227 19,14 227 28,4 60 30,30 60 32 263 35,4 72

2,8ff. 199 2,9 195, 197 2,9f. 201 2,9ff. 191 3,5 71 3,17 197 3,22 201 3,22–24 204 9,5 223 19 129 19,24 128 19,24f. 130 37,35 130 43,9 223

Ezechiel 3,18 223 3,20 223 9 219 11,17 270 16 49 16,20ff. 245 16,49 129 17,22 231 20,8 49 20,13 49 25,7 68 26–28 129 28,4f. 128 31,17 130 34 209 34,2–10 210 34,11ff. 153 34,11–16 209 34,17–22 153 34,23 153 36,28 110 37 209 37,12f. 179 37,24 153, 210 43,2 216 47,12 201f.

Hiob 3,5 216 18,18 176

Genesis 2–3 206f.

Haggai 1,4 140 1,9 140

Hohelied 4,10 196 Hosea 2,4ff. 245 2,13 100, 102, 268 Jeremia 2,5 106 2,17 106 2,19 106 2,30 54, 134 2,32 95 3,21 49 5,15 67 6,19 98 6,22 194 6,26 111, 113 7,1 109 7,1–15 92 7,1–8,3 94 7,2 94 7,3 109, 122 7,4 94 7,5–7 98, 122 7,6 74, 97

324

ringen um israel

7,9 92, 97 7,10 103 7,10f. 93 7,11 103, 109 7,12–14 103 7,13 94, 109 7,15 80, 104f. 7,16 94, 107 7,16–8,3 92 7,17f. 92 7,19 106, 109 7,20 109 7,21 109 7,21–23 99–101 7,22 96, 100, 116 7,22f. 80 7,23 94, 97, 100, 103, 110, 269 7,23f. 94 7,23–27 94 7,24 94f., 103 7,25 96, 116f., 135 7,25f. 94, 118, 159 7,26 92, 94f., 115 7,27 94, 96 7,28 94, 97, 111, 269 7,29 111–114 7,29–8,3 119 7,30 93, 109, 111, 118 7,30f. 92, 112 7,30–34 107 7,31 97 7,31f. 119f. 7,31–34 119 7,32 109 7,32–34 104 7,34 83 8,1 109 8,3 104, 109 8,19 147 9,12 98 9,12–15 99 10,17–20 245 11,1 109 11,4 110 11,10 105 12,7 140 13,16 216 15,7 107 15,13 69 16,11 98

18,1 109 18,15 95 18,23 83 19,4–7 119 19,9 82 19,11 119 22,5 140 23,1–4 210 23,3f. 153 23,4 153 24 270 25 129 25,4 94, 116, 25,10f. 104 25,34–36 210 26,5 94, 118, 26,20–23 54, 134 27,22 176 29 270 29,19 94, 118, 30,1 109 30,22 110 31,31f. 105 35,15 94, 118, 42,21 53 44,4f. 94, 118, 44,5 49 49,18 130 50,40 130 51,38 114 52,3 105

118, 135, 159 135

135

135 135

Jesaja 1 130 1,13 100f., 267f. 1,15 53, 96 1,17 97f. 1,21–26 245 2,2ff. 254 2,2–4 224, 254 3,13–15 160 3,14 160 5,1–7 160, 164 5,2 160 5,5f. 160 5,7 160 6,5 147 6,9f. 209 7,16 71 9,1 216

12,4 181 14,13–15 130 17,12–14 254 18,7 254 19,25 176 22,4 245 22,12 111 23 129 25,6 222 25,6f. 254 29,5–8 254 31,4 254 31,5 136 32,9 216 33 254 35,5 74 39,2 196 40,11 153, 209 41,9 71f. 42,10 237 42,24 68 45,7 71 45,15 152, 210 49,9f. 212 49,14ff. 64 49,20f. 67, 244 49,20ff. 245 50,1 64 51,18 245 52,5 175 54,1 64 54,6 64 58,6f. 74 60,15 250 60,19 216 60,19f. 215 62,4 250 62,12 250 64,9f. 140 65,12 94 66,20 252 Josua 3,10 58 12 57 Klagelieder 1,1 245 1,1ff. 64 1,5 245

x  stellenverzeichnis325 1. Könige 8,9 209 9,6–9 140 2. Könige 3,2 54 17,1–6 253 17,17 119 17,20 105 17,38 95 18,12 53 21,6 119 23,27 80, 105 Levitikus 10,11 176 21,11 175 21,16 175 23,40 181, 233 26,14 82 26,22 155 26,29 82 1. Makkabäer 2,37 69 13,37 233 13,51 233, 238 2. Makkabäer 4,24 211 10,7 233 Maleachi 3,22 209 Micha 1,16 64, 111 2,12 209 4,1–4 254 4,8 147 5,1 210 5,3 209f. Nahum 3,6 113 3,18 210 Nehemia 8,15 233 9,26 54, 134

326 Numeri 6,27 175 20,11 60 Psalmen 2,2 253 2,6 254 2,9 212 9,2 181 11,7 185 17,8 136 23 153, 209 23,4 216 24,5 210 25,5 152 33,3 237 34,4 175 36,8 136 42,3 185 44,20 216 44,21 95 47 147 48 254 48,3 254 55,16 130 68,31 175 77,21 153 77,25 60 78,52f. 153 78,60 103 78,70–72 210 81,12ff. 52 82,3 74 87,6 75 91,4 136 93 147 96–99 147 96,1 237 98,1 237 106,21 49 149,1 237 Richter 2,19 115 Rut 2,12 136 Sacharja 1,6 159

ringen um israel 1,9 236 2,2 236 11 209 14 234 14,4 256 14,16 234 1. Samuel 12,16 216 14,3 261 Sirach 30,17 213 48,2 155 Sprüche 1,28 107 3,18 191 Tobit 1,17 74 3,4 69 14,4 140 Weisheit 4,7 213 6,2 209 7,26 215 Zephanja 1,1 261 2,4 128 2,13–3,5 130f. 3,1 130 2. Neues Testament Apostelgeschichte 5,31 152 7,52 134 10,2 189 10,22 189 13,16 189 13,26 189 20,31 145 Galater 2,9 183 4,25–5,1 245 4,26 64



x  stellenverzeichnis327

Hebräer 6,11 151 12,22 186 12,22–24 230 Jakobus 1,12 235 3,6 120 Johannesevangelium 4,42 152, 210 6,39–54 178 10 153, 210 12,3 196 12,13 233 17,26 182 Judas 1,25 210 1. Korinther 1,8 151 9,25 235 13,2 176 16,13 145 Lukas 1,47 152, 210 1,79 216 2,11 152, 210 4,18 74 9,27 146 10,9 147 10,11 147 10,12–15 127, 132 11,2 148 11,49 134f. 11,49f. 133, 135 11,50 135 12,5 120 12,32 148 12,39–46 144 13,22 138 13,31 138 13,34 134–137 13,34f. 133f., 139, 142 13,35 139, 140f. 14,16–24 158, 164 16,9 193f. 20,9–19 158f. 21,9 151

21,17–19 187 21,31f. 146 21,36 143f. 22,18 148 22,29 148 Markus 1,15 147 4,12 209 6,34 153 9,1 146 9,3 228 9,43 120 9,45 120 9,47 120 10,15 148 12,1–12 158f. 13,2–23 149 13,4 151 13,7 151 13,10 151 13,13 151, 187 13,19f. 149 13,20 149 13,29f. 146 13,33 144f. 13,33–37 143 13,35 144f. 13,37 144f. 14,34 144 14,38 144 16,5 228 Matthäus 3,2 147 4,16 216 4,17 147 5,8 185 5,22 120 5,29f. 120 6,10 148 9,33f. 164 9,36 153 10,6 139 10,7 147 10,15 130 10,17 134 10,28 120 11,7 126 11,20 126

328

ringen um israel

11,21–24 126–132, 172 11,23 130 11,24 130 12,4 139 12,23f. 164 12,29 213 13,39 151 13,40 151 13,49 151 15,24 139, 153 16,28 146 17,2 228 18,9 120 21,9–11 166 21,9–16 164 21,13 139 21,14 74 21,23–27 158 21,26 159 21,28 158, 161 21,28–32 157f. 21,28–22,14 156, 169, 172 21,31 158 21,32 159, 161 21,33 159f. 21,33–44 166 21,33–46 157–159 21,34 160 21,34–36 134 21,35f. 164 21,38f. 161 21,39 160 21,41 162 21,42 160 21,43 157–159, 161f., 169f. 21,44 159 21,45 160, 163f. 21,46 161, 165 22,1–14 157f., 164 22,3f. 165 22,5f. 165 22,5–7 166 22,6 134 22,10 165 23,13 160 23,15 120 23,33 120 23,34 54, 135, 160, 165 23,34–37 134

23,34–39 132f. 23,37 54, 134–137, 159 23,37–39 134, 139, 141f., 172 23,38 80, 139–141 24–25 142f. 24,1 139 24,2–28 149 24,3 142, 151 24,4–28 146 24,5 142 24,6 151 24,6f. 150 24,9 150 24,9–12 150 24,10–13 155 24,13 151 24,14 151 24,15 140, 150 24,21 150 24,21f. 149 24,22 149 24,30 146 24,32–25,30 143 24,33 146 24,33f. 146 24,36 147 24,36–25,13 155 24,42 143f. 24,43 144 24,43–25,12 144 24,45–51 144 25,1–12 144 25,1–13 147 25,5 147 25,13 143f. 25,14–30 147 25,15–23 144 25,19 147 25,31–40 144 25,31–46 142, 156 25,32 153–155 25,32ff. 153, 155 25,34 148 25,34–46 155 25,46 155 26,38 144 26,41 144 28,3 228 28,20 151



x  stellenverzeichnis329

Offenbarung des Johannes 1,1 185 1,3 147 1,17 191 2,2 188 2,2f. 186 2,3 186–188, 190 2,4 198 2,5 198 2,6 198 2,7 192, 195, 197–200, 202– 204, 206f. 2,10 181, 235 2,11 200 2,13 186–188, 190 2,17 200 2,26 151, 200 2,27 211f. 3,3 145 3,4 204 3,4f. 226f. 3,5 200 3,8 184, 186–188, 190 3,11 235 3,12 183–186, 191, 200 3,18 226 3,21 200 4,4 226f., 235 4,8 213 4,10 235 5,8f. 237 5,9 237 6–19 150 6,2 235 6,8 174 6,9 225 6,9f. 226 6,9–11 225 6,11 214, 225–228 7 175, 213, 219, 229f., 234f., 238, 240 7,1–8 221, 230 7,2ff. 185 7,2–4 220 7,2–8 221 7,3 178, 185, 219 7,3ff. 184 7,4 220, 225, 231 7,4–8 221, 241

7,9

181, 226f., 231–235, 240, 257 7,9–17 229f., 234 7,10 236 7,11–17 234 7,13 227, 240 7,13f. 226, 236 7,14 150, 204, 227 7,17 153, 211f. 8,11 174 9,4 178, 219 9,7 235 11,15 189 11,17f. 188 11,18 186, 188–190 12,1 235 12,5 211f. 13 174f., 185 13,6 175 13,8 185 13,16 175 13,17 174f., 185 14 185, 213, 219, 229–231, 234, 237f., 240 14,1 178, 181, 184–186, 220f., 225, 230f., 254, 257 14,1–5 185f., 190, 221, 229f., 235 14,2f. 237 14,3 186, 225, 237 14,11 213 14,11–13 214 14,13 213, 215 14,14 235 15,3 237 15,3f. 237 15,4 175, 189 15,6 222 16,9 175 18,13 196 19,5 189 19,7–9 222 19,8 219, 222, 226 19,9 148 19,14 226f. 19,15 211f. 20 179 20,11–15 155 21 184 21,6 212

330

ringen um israel

21,7 185 21,9–22,5 192, 200 21,10 200 21,12–21 200 21,22 183 21,22–22,5 200 21,23 216 21,24 184 22 184, 198, 206 22,1 191, 212 22,1–5 200 22,2 192, 195, 200, 203–207 22,2–4 199 22,3 184 22,3f. 184 22,4 184–186, 190f., 220 22,5 184, 216 22,6 185 22,10 147 22,14 192, 195, 203–207 22,17 212 22,18 204f. 22,19 192, 195, 204–207 1. Petrus 4,7 145 5,4 235 5,8 145 Philipper 3,20

152, 210

Römer 2,24 175 7,19 71 11,25 224 1. Thessalonicher 2,15 134 4,13–18 147 5,2 145 2. Thessalonicher 1,7 213 1. Timotheus 3,15 183

3.  Weitere Schriften Apokalypse des Mose 9,3 196, 202, 206 9,28 191 28,4 200 2 Baruch 3,1–3 64, 245 13,3 151 15,8 235 19,5 151 20,1 149 21,10 146 23,4f. 224 23,5 146 30,2 146, 224 40,1 230, 254 41,4 136 70,8 150 72,2 155 73,1 213 74,1 197 83,1 149 1. Clemens 59,2 146 3 Esra 1,1–2,15 242 8,1–2 261 4 Esra 3,1 262 3,30ff. 259 4,26 149 4,35 179 4,35f. 146 4,35ff. 224 4,41 179 4,44–50 259 5,1–12 259 5,17f. 259 5,28 259 6,18–28 259 7 254 7,26 253 7,28f. 255 7,32–43 155



x  stellenverzeichnis331

7,62ff. 259 7,113 151 7,98 185 8,6–36 259 8,19 209 8,36 264 8,52 191, 199, 213 9,3 150 9,38 244 9,38ff. 64, 67 9,43 245 9,43–10,4 245 9,45f. 245 10,1 245 10,4 245 10,16 247 10,18 245 10,25–27 245 10,40–48 245 10,44 245 10,49 245 10,55 246, 259 10,55–57 248 10,57 261 12,32f. 254 12,34 254 12,36 261 12,42 259 12,46f. 259 12,48f. 264 13 230, 254 13,1–13 252 13,3 252, 255 13,3–11 254 13,5 252 13,6 252 13,9–11 252 13,12 252, 255 13,13 252 13,21–50 252 13,25 255 13,26 254 13,31 150 13,32 252, 255 13,34 252 13,37 252, 255 13,39–47 256 13,40 253 13,42 253

13,43ff. 253 13,48 253 13,49 254 13,52 252 14,1–9 260f. 14,21 261 14,22 260 14,34 259 14,40 260 14,45f. 260 griechische Esra–Apokalypse 1,1 262 1,3 262 1 Henoch 16,1 151 22,6 236 24–25 206f. 24,2–25,6 73 24,4 195, 199 24,4ff. 191 25,4 204 25,5 201 27,2 120 39,4 193 43,3 236 47,4 224 62,1–63,12 155 62,14 222 90,20–27 155 2 Henoch 1,4 231 8,3–5 196, 267 8,3–7 191 42,5 222 Hirt des Hermas Sim. 8,2,1–4 238, 267 Sim. 8,2,3f. 228 Sim. 8,3,6 235 Sim. 9,6,1 231 Josef und Asenat 8,9 213 koptisches Apokryphon des Jeremia 32 262 34 262

332

ringen um israel

Leben Adams und Evas 36,2 196

Philippusevangelium (NHC II,3) 92 197

Martyrium des Polykarp 17,1 235 19,2 235

Psalmen Salomos 2,3 245 2,3–13 245 2,7 245 14,2–3 191 14,10 191

Offenbarung des Petrus 1–2 142 Paraleipomena Jeremiou 2,2 68 2,4 68 2,6 68 2,7 68 5,5 68 5,22 68 9,8 68 Passio Perpetuae et Felicitatis 4,8 228 10,8 231 Paulusapokalypse 51 231 Petrusevangelium 10(40) 231

1QM 12,13 254 19,5 254 Sibyllinische Orakel 2,170–176 257 Testament Levis 10,2 151 18 207 18,10 197 18,10ff. 191, 206 18,10–14 204 18,11 199 Testament Moses 12,4 151