188 66 15MB
German Pages 48 [49] Year 1944
Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1943 Philosophisch-historische Klasse
Nr. 2
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens von
Franz Koch
Berlin Verlag derAkademie
1943 derWissenschaften
in K o m m i s s i o n b e i W a l t e r d e Q r u y t e r u . C o .
Vorgetragen in der Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 4. Februar 1943. Zum Druck genehmigt am gleichen Tage, ausgegeben am 12. Juni 1943.
In ihrem Buche über Rainer Maria Rilkes »Stunden-Buch«, einer der sachlichsten und verdienstlichsten Arbeiten1 der allzu üppig ins Kraut schießenden, mehr Gefühle als Erkenntnisse spiegelnden Rilke-Literatur, kommt Ruth Mövius zu dem Ergebnis, im ersten Teile des Stunden-Buchs, dem »Buch vom mönchischen Leben«, und im »Buch vom lieben Gott und Anderes« habe »gleich tief und packend das Rußland-Erlebnis Rilkes seinen Niederschlag«, in der Erkenntnis: Gott ist ein Werdender, geradezu »seinen Kern«2 gefunden. Das ist nicht neu, zumindest für das StundenBuch ist das immer wieder behauptet worden, und, da die Entstehungszeiten der beiden Dichtungen nahe aneinanderliegen, auch wahrscheinlich. Denn »Das Buch vom mönchischen Leben« ist, wie nachgewiesen wird, in Schmargendorf vom 20. September bis 14. Oktober 1899 entstanden, »Das Buch vom lieben Gott« in sieben aufeinanderfolgenden Nächten zwischen dem 10. und 21. November 1899. Dennoch könnte gegen diese Behauptung zunächst einmal, von außen her, der Umstand mißtrauisch machen, daß sich im 2. und 3. Teile des Stunden-Buchs kaum mehr Anspielungen auf Rußland finden, obwohl Rilke mittlerweile die Eindrücke der ersten Rußlandreise durch die zweite vom Mai bis August 1900 vertieft hatte. »Das Buch von der Pilgerschaft«, in Westerwede vom 15. bis 25. September 1901 geschrieben, läßt kaum mehr etwas von russischen Erlebnissen verspüren, noch weniger »Das Buch von der Armut und vom Tode«, das, zwischen dem 13. und 20. April 1903 in Viareggio gedichtet, weit eher Rilkes Italien-Erlebnis, den Aufenthalt in Venedig und Florenz im Frühjahr 1898 und den in Viareggio spiegelt. Hätte Rilke seine Absicht, das Stunden-Buch fortzusetzen, über die Fragmente hinaus, die aus dem in Borgeby-gárd verbrachten Herbst 1904 stammen, verwirklicht3, so wären wohl auch noch andere Erlebnisschichten als die Wiedererinnerung an Rußland und Italien zu Worte gekommen. Ruth Mövius selbst konnte überzeugend nachweisen, daß Rilke auch von Gerhart Hauptmann und Jacobsen angeregt ist, daß namentlich der Gedanke des Werdens, die 1 Trotz der berechtigten Kritik H u g o v o n K l e i n m a y r s in: Helicon. Revue internationale des problèmes généraux de la littérature. Tome I V . Fase, i — 3 . p. 86. 2
Rainer Maria Rilkes Stunden-Buch. Leipzig 1937, S . 4 7 , 43. Viel vorsichtiger urteilt G a n k a N a i d e n o w a in ihrer Dissertation über »Rainer Maria Rilke und die slawische Welt«, Berlin 1942 (Masch.-Schr.), wenn sie die Einwirkungen Rußlands auf Bildhaftes und Atmosphärisches einschränkt. » A . a. O. S . 160. 1*
4
Koch:
Vorstellung des werdenden, des zukünftigen Gottes, vor allem ihm von Hauptmanns »Michael Kramer« her bestätigt worden sei1. Die Wurzel dieses Gedankens aber, des »Zentralerlebnisses«2 des Stunden-Buches, sucht die Verfasserin im Rußland-Erlebnis Rilkes, wie es sich in dem bekannten Briefe Rilkes an Ellen Key aus dem Jahre 1904 ausspricht3. Zugleich aber wird erkannt, daß der Gedanke vom zukünftigen Gott das »Endglied einer langen Kette von Überlegungen und Erfahrungen ist«, die im zweiten und dritten Teile des Stunden-Buchs sichtbar werde, so daß der erste Teil eigentlich das Fazit der beiden folgenden bilde, die ganze Dichtung also sozusagen in umgekehrter Folge entstanden sei. Diese Kette reicht nun, wie sich zeigen läßt, weiter zurück, als Ruth Mövius sichtbar macht. Nicht Rußland, dessen sonstiger Einfluß auf Rilke und das Stunden-Buch unbestritten sei, ist der Wurzelboden der Vorstellung des werdenden Gottes, es bestätigt ihm nur das, was in ihm schon lebendig ist. Nur als Bestätigung eigenen Wesens ist es daher zu verstehen, wenn Rilke nicht müde wird, Rußland wie etwas Altvertrautes zu preisen, wenn es ihn wie »fortwährendes Wiedersehen und Winken«, wie »Heimat« berührt, wenn er bekennt: »Es hat mich zu dem gemacht, was ich bin«. Oft genug wird ja gerade die Fremde zum Erwecker des Eigensten. Gelingt es, dies auch für das Stunden-Buch zu erweisen, so wird es damit auch, geistesgeschichtlich gesehen, aus der Vereinzelung gelöst, die dieses rätselvolle Werk geschichtlich merkwürdig verbindungslos wie im luftleeren Räume erscheinen läßt. Es wird sich dann zeigen, daß das Stunden-Buch den vorläufigen Abschluß einer Bewegung darstellt, die als Kampf zwischen Glauben und Wissen das Schrifttum des gesamten 19. Jahrhunderts durchzieht, letztlich aber noch im 18. Jahrhundert von Lessing eingeleitet wird, daß es ein Glied in der Kette des »alten Streites zwischen Erde und Himmel«4 bildet. Ellen Key, die der entscheidenden Wendung, die sich im Welt- und Lebensgefühl der Epoche vollzogen hatte, viel näher stand als wir, sie darum auch schärfer sah, hatte ganz recht, wenn sie in ihrem Aufsatz über Rilke5 das Lebensgefuhl Rilkes sich deutet als Empfindung »des Evolutionismus von dem Zusammenhange des Weltalls«, als »das unmittelbare Einheitsgefuhl, in dem der 'Monist' lebt, sich bewegt und sein Wesen hat«. Selbstverständlich ist damit nichts über die dichterische Eigenartigkeit und Einzigartigkeit Rilkes sowohl wie des Stunden-Buches ausgesagt, wohl aber wird auch sie sich deutlicher bestimmen lassen, sind erst einmal die Konturen des Hintergrundes erkannt, von dem Dichter 1 3
A . a . O . S . 80 f., 89.
2
A.a.O.
S.99.
Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit 1899 bis 1902 (zitiert als: Briefe I), S . 4 1 9 . 4 Rilke in einer Besprechung von Selma Lagerlöfs »Jerusalem«, die am 26. V I I I , 1902 im »Bremer Tageblatt« erschien. Jetzt in: Bücher, Theater, Kunst. Wien 1934, S . 46. 5 »Ein Gottsucher« in »Seelen und Werke«, Berlin 1 9 1 1 , S. 1 5 3 — 2 3 2 , bes. S. 1 7 1 .
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
5
und Dichtung sich abheben. Es geht hier also zunächst um die geschichtlichen Voraussetzungen jener Rilkeschen Vorstellung des werdenden, des zukünftigen Gottes, die für das Stunden-Buch so charakteristisch ist, dann aber aus dem Werke Rilkes verschwindet, um anderen, gleichfalls geschichtlich vorbereiteten Gedanken Raum zu geben. Die Einsicht in diese Zusammenhänge wird sich aus formalen Anregungen ergeben, die Rilke von außen her empfängt und die von einer Seite kommen, die man am allerwenigsten vermutet hätte. In jenem Kampfe zwischen Glauben und Wissen im 19. Jahrhundert, den auch die Dichtung immer begleitet, spielt das Werk Wilhelm Jordans, dessen Schlüsselstellung uns erst jetzt wieder in die Augen fällt 1 , eine entscheidende Rolle. Er hatte den Zwiespalt im eigenen Wesen auszutragen, Enkel theologischer Generationen und selbst vorerst noch Theologe, der aber nun unter dem Eindruck der aufblühenden Naturwissenschaft aus der vorgezeichneten Bahn ausbricht und sich, da er den Glauben nicht mehr aufzubringen vermag, für das Wissen entscheidet. Sein gesamtes Werk ist Bekenntnis dieses Kampfes und seiner Entscheidung, von den ersten, noch unreifen lyrischen Ergüssen bis zu den Altersromanen, »Die Sebalds« und »Zwei Wiegen«. Ist so sein ganzes Schaffen durch diese Problematik bedingt, so setzt er sich doch vornehmlich in drei Werken mit ihr auseinander, in dem »Mysterium« »Demiurgos«, in der lyrischen Sammlung »Andachten« (1877) und in dem die »Andachten« ergänzenden Prosabuche »Die Erfüllung des Christentums« (1879). Der »Demiurgos« nimmt im Bilde des gnostischen Luzifer-Mythus den Darwinschen Gedanken vom Kampf ums Dasein in der Form vorweg, daß Leid und Not als die eigentlichen Hebel des Fortschritts, der Entwicklung der Menschheit erscheinen. Mittlerweile war 1859 Darwins epochemachendes Buch über die natürliche Zuchtwahl erschienen »On the origin of species by means of natural selection«. In den »Andachten« hat sich dieses Weltbild bereits völlig durchgesetzt und damit die Uberzeugung: »Dem ärgsten Fluch entkeimt der reichste Segen«2. Die »Erfüllung des Christentums« erörtert Einwendungen eines Straußianers und eines Altgläubigen, um sie gegeneinander abzuwägen, verteidigt den eigenen in den »Andachten« dichterisch gestalteten Standpunkt, begründet und umreißt ihn genauer. Von den »Andachten« nun — der Titel schon mußte Rilke an seine »Gebete«, wie das Stunden-Buch ursprünglich sich nannte, erinnern — scheint er Anregungen empfangen zu haben. Diese »Andachten« bilden einen Zyklus von 14 Gedichten, die selbst wieder mehr oder minder zyklus1 Vgl. F r a n z K o c h , Wilhelm Jordans »Demiurgos«: A b h . d. Preuß. Akad. d. Wiss. Jg. 1942, Phil.-hist. K l . N r . 1. 2
A . a. O . S. 89.
6
Koch:
artigen Charakter haben. So das vorletzte Gedicht »Osterfragen«1, das 17 Einzelteile umfaßt. Die 14. und 15. der zwanzig vierzeiligen Strophen, aus denen Nr. 11 der Osterfragen besteht, lauten: Der heil'ge Graal, dies Licht, dies Heileslehn, Sie wissen's deutlich, daß nicht sie vergehn; Verwechselnd hoffen's dann mit Selbstbetrug Das Erbkind auch, die Kerze und der Krug. Wir sollens endlich wissen, daß der Erbe Vergehen müsse, rettungslos zerscherbe Die Gottesschaale, unser Kerzchen auch Verschwäl', und bald, in Asche nur und Rauch.
Im Zusammenhang des ganzen Gedichtes ist der Sinn dieser beiden Strophen kurz folgender. Es geht Jordan darum, den Glauben an persönliche Unsterblichkeit als mit der neuen Weltsicht unvereinbar zu erweisen. Der menschliche Körper sei nur Träger, Gefäß eines überpersönlichen Erbes, des Menschentums. Dies als Gotteskraft sei das eigentlich Unsterbliche, und so gebe es den Trost, daß, wenn auch der einzelne vergeht, doch bleibt, was er an Menschenwert hinzuerworben. So sei der einzelne nur, was seine Schale aus dem heiligen Grale zu schöpfen vermocht habe, ein Kerzenschein der großen Flamme, das Kindesteil vom echten Heil. Nicht dies Heileslehn, damit setzt die 14. Strophe ein, vergehe. Aber es sei Selbstbetrug, wenn nun auch das Gefäß, der Krug, die Kerze, das Erbkind, wie die Metaphern für den Einzelmenschen, den Träger jenes geliehenen Lichtes, lauten, wenn auch er glaube, nicht zu vergehen. Dagegen müßten wir wissen, daß dieser, der Erbe, das Gefäß, die Schale, vergehen, das Kerzchen in Rauch und Asche verschwelen müsse. Erinnert man sich an dieser Stelle der Verse aus dem »Buch vom mönchischen Leben«: Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe? Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?) Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?) Bin dein Gewand und dein Gewerbe, Mit mir verlierst du deinen Sinn2,
so wird niemand überhören, wobei vorläufig der Gehalt der Verse Jordans wie Rilkes unbeachtet bleibe, daß hier frappante formale Anklänge sich begegnen. Vor allem ist es das gewiß nicht häufige Wort »zerscherben« und seine Stellung im Reim3, was die Vermutung nahelegt, daß Rilke diese Strophen kannte und sie ihm irgendwie im Ohr geblieben sind. 1
S. 192—234.
3
In den »Andachten« in dieser Stellung bereits S. 18 und 163.
2
Ges. Werke I I , S. 198.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
7
Um so mehr als Rilke dieselbe Metapher verwendet wie Jordan, das Bild des Gefäßes, ja, in wörtlicher Übereinstimmung des Kruges für den Gottesträger, den Menschen, und die andern Symbole, wie Trank, Gewand und Gewerbe, sich als sozusagen spielerische Abwandlungen der Grundmetapher »Schale«, »Krug« verstehen lassen. Zwar vermeidet Rilke den Reim auf Erbe, das Wort und die Vorstellung aber sind da im »Buch von der Pilgerschaft«: D u bist der Erbe. Söhne sind die Erben, denn Väter sterben. Söhne stehn und blühn. D u bist der Erbe 1 .
Es sind das eben diejenigen Verse, die in den Umkreis dessen gehören, wofür Ruth Mövius die Anregimg durch Hauptmanns »Michael Kramer« nachgewiesen hat2. Es ist demnach an sich durchaus nicht ausgeschlossen, daß Rilke auch anderswoher angeregt worden ist. Die Wahrscheinlichkeit verdichtet sich, wenn sich noch mehr derartige Ubereinstimmungen ergeben sollten. Es ist zu diesem Behufe unerläßlich, jenes Gedicht, Nr. n der Osterfragen, in seiner Gänze hier einzurücken: Ist wirklich noch der Mensch so kindisch klein? Vermag die F u r c h t ihm vor des Nichtseins Pein Nur Gaukelspiel mit lichten Zukunftschemen, Wie Chloroform und Lachgas, zu benehmen? 5 Der Wahn erst daß man sterbend doch nicht sterbe Gebiert die Furcht und macht sie zehnfach herbe. Ein Jenseits erst vor dem du zweifelnd bangst Verschärft den Todesschmerz mit Seelenangst. 9 Ist's würdig noch, mit Paradiesesgärten, Mit zweitem Leben ohne Hast und Härten Dem Sterbenden in seinen letzten Zügen Des Todes Ernst und Weh hinweg zu lügen? 13 Nicht länger ziemts dem reifen Erdensohn, Unsterblichkeit, zum Saft aus Taumelmohn Entweiht, zu schlürfen aus geweihten Schaalen Um feig berauscht die letzte Schuld zu zahlen. 17 Mit Für Nur Daß 1
II, S.238.
Dir ist's aus an deinem letzten Tage, immer aus; das wisse und ertrage. Eitelkeit und falsche Furcht begehrt dauern soll was keiner Dauer werth. 2
A . a . O . S. 8of.
8
Koch : 21 Wie hoch du fliegst im Geist, wie tief du tauchst, Es kommt die Zeit, der Du nicht länger taugst, Nur selber hinderst deiner Saat Gedeih'n; Da heimst der S c h n i t t e r Tod den Sämann ein. 25 Dich tröste dies: was du hinzuerwarbst An Menschenwerth, das bleibt auch wenn du starbst Und das zu wissen zahlt im Leben schon Unsterblichkeitsgefühl als Thatenlohn. 29 Dein Leib, aus Ahnenarbeit zweckgemäß Ererbt, ist nur geeignetes G e f ä ß , Des Menschenthums: Ambrosia zur Nahrung Und Füllung fordert er: die Offenbarung. 33 Mit ihr erst senkt in deine irdnen Glieder Sich Gotteskraft als Lenkergeist hernieder, Gleichwie Magnetkraft erst dem Nadeleisen Die Gabe leiht, stets nach dem Pol zu weisen. 37 Ist jedes Wort in seiner Urgestalt Nicht Hunderte von Menschenleben alt? Und macht nicht erst die Sprache, selbst unsterblich, Dem Sohn des Staubes Ewiges erwerblich? 41 Was denkt in Dir, mit deiner Zunge spricht, Dein Leben leitet als Gewissen, Pflicht, Bist Du das? Nein! Es ist, was deine Schaale Vermocht zu schöpfen aus dem heil'gen Graale. 45 Es ist, was Dich auch von der großen Flamme, Die stetig wächst, die Zucht in deinem Stamme befähigt hat, als deinen K e r z e n s c h e i n , Als deinen G e i s t Dir zündend zu entleihn. 49 Es ist von Gott auf der Erlösungsstufe, Zu welcher er auf seinem Erdberufe Bis heut gestiegen ist, das Kindestheil Das deinem Werth gebührt vom echten Heil. 53 Der heil'ge Graal, dies Licht, dies Heileslehn, Sie wissen's deutlich, daß nicht sie vergehn; Verwechselnd hoffen's dann mit Selbstbetrug Das Erbkind auch, die K e r z e und der K r u g . 57 Wir sollens endlich wissen, daß der Erbe Vergehen müsse, rettungslos zerscherbe Die G o t t e s s c h a a l e , unser K e r z c h e n auch Verschwäl', und bald, in Asche nur und Rauch.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens 61 Der Uns Die Der
9
steten Dauer Thorenwunsch beschlich mit dem Wahn, es seien unser Ich Drei; doch kann dies Würdewort nur sagen Gottesantheil, den sie dienend tragen.
65 Der ganzen Gattung Auszug lebt in Dir, D u bist kein Einzelwesen wie das Thier. In Dir sind heut noch was du Bestes bist Homer und Plato, Moses, Buddha, Christ. 69 Dem großen Chor erhabenster Gestalten In Dir die Wohnung würdig rein zu halten Sei treu bemüht und für die hohen G ä s t e Zu baun in Söhnen bessere Paläste. 73 Das ist Unsterblichkeit von rechter Art, Ihr Vollgenuß schon in der Gegenwart. Auch D u dann legst vielleicht ein Gotteswort Als Körnchen Gold zum Offenbarungshort. 77 Unsterblichkeit ist nicht ein Trost, die Schrecken Des unempfundnen Nichtseins zu verdecken Wann einst für immer unser Auge bricht: Sie ist der höchsten Würde höchste Pflicht 1 .
Es ergeben sich für »Das Buch vom mönchischen Leben« folgende formale Ubereinstimmungen. Das Bild vom Schnitter (Vers 24) begegnet im Stunden-Buch2 S. 220: »und hörst weder Säer noch Schnitter, die über dich schreiten«. Dabei ist das Bild vom Säer, wie die Urgestalt der Dichtung zeigt3, erst eine spätere Ergänzung des ursprünglich allein vorhandenen Bildes vom Schnitter. Metaphern Jordans wie V. 30 »geeignetes Gefäß«, V. 59 »Gottesschaale«, sind Vorstellungen, die Rilkes Versen vom zerscherbenden Krug zugrundeliegen; vgl. auch Stunden-Buch S. 214: »in dem Gefäß, das dich erfreut«. Zu V. 43 »deine Schaale« vgl. Stunden-Buch S. 208: »mein Schatten liegt wie eine Schale«; zu V. 47 »Kerzenschein«, V. 56 »Kerze«, V. 59 »Kerzchen« vgl. Stunden-Buch S. 178: »Und wenn einmal das Licht in mir entbrennt«; V. 56 »der Krug« vgl. Stunden-Buch S. 183: »wie meinen täglichen Krug«, S. 215: »als Becher brauchte dich der Blinde«; V. 71 f.: »für die hohen Gäste / Zu baun in Söhnen bessere Paläste« vgl. Stunden-Buch S. 185: »Der drängt / die Lärmenden aus dem Palast, / wird anders festlich, und du bist der Gast«. Der Gedanke, daß 1
A . a. O. S.212—216.
2
Zitiert wird nach dem 2. Bande der Ges. Werke.
3
Mövius a. a. O. S. 208.
10
Koch:
der Sohn einen besseren Palast Gottes darstellt als der Vater, erscheint im »Buch von der Pilgerschaft« S. 238 in der Wendung: »Du bist der Erbe. / Söhne sind die Erben, / denn Väter sterben. / Söhne stehn und blühn«, S. 237: »Du bist mein Sohn«. V. 72 »baun«, ein Bild, das in den »Andachten« S. 218 noch in folgender Fassung begegnet: »Voll tiefsten Sinnes ist das Wort 'erbauen'. / Was vor- in ihrem Gott die Völker schauen / Ist Riß zum Bau, der leibhaft werden soll«. Von dieser Metapher des »Bauens« macht Rilke ausgiebigen Gebrauch. So S. 207: »Ich zeichnete viel ziere Risse«, S. 208: »will ich es immer wieder baun«, S. 176: »Wir bauen Bilder auf vor dir wie Wände«, S. 178: »Aus deinen Bildern ist sie aufgebaut«, S. 184: »Wir bauen an dir mit zitternden Händen«, »meine Sinne / bilden und baun / die letzten Zierate«, S. 190: »Sieh, Gott, es kommt ein Neuer an dir bauen«, S. 191: »und bauen dich, du hohes Mittelschiff«, S. 212: »Für sie ist beten immer noch: erbauen, / aus allen Maßen bauen«, S. 213: »Und Gott befiehlt mir, daß ich baue«. Diese Äußerlichkeiten würden für sich allein vielleicht noch nicht genügen, anzunehmen, daß Rilke dieses Jordansche Gedicht gekannt habe, obwohl bei einem Dichter von solcher Eigenart wie Rilke von vornherein kaum anderes zu erwarten ist, als daß ein Bild, eine Metapher auf irgendeine Gestimmtheit seiner Seele trifft, von ihr ergriffen, festgehalten und nun von hier aus selbständig verwertet und ausgebaut wird. Wahrscheinlicher wird die Wirklichkeit einer Anregung durch Jordan, wenn sich auch gedankliche und motivische Fäden von diesem Gedichte der Andachten zum Stunden-Buche spinnen. Das ist nun tatsächlich der Fall. Die Furcht vor des Nichtseins Pein, des Todes Ernst und Weh, sie sind das Thema des »Buches von der Armut und vom Tode«. Jordans Verzicht auf die persönliche Unsterblichkeit, der Mensch, gesehen als Träger ihm überkommenen Erbgutes, die Vorstellung, daß Gott durch eine Reihe von Werdestufen zu seiner Erlösung aufsteigt, die Aussicht auf eine Unsterblichkeit rechter Art, solcher nämlich, daß alles Gewesene, Geister wie »Homer und Plato, Moses, Buddha, Christ«, unsichtbar in jedem Gegenwärtigen weiterleben, das sind Gedanken, denen, wie sich zeigen läßt, im Weltbild Rilkes eine entscheidende Stelle zukommt. Da die formalen Berührungen sich von der gehaltlichen Seite her bestätigen, ist die Wahrscheinlichkeit, daß Rilke Jordans Gedicht gekannt hat und Nachklänge davon irgendwie in ihm lebendig geblieben sind, sehr groß. Hat aber Rilke dieses Teilgedicht der »Osterfragen« gekannt, dann ist anzunehmen, daß er diesen ganzen Zyklus, ja die »Andachten« überhaupt gelesen, zumindest durchblättert hat. Es bleibt also zu untersuchen, welche Gedanken und Probleme diese »Andachten« mit dem »Stunden-Buch« verbinden. Zu diesem Behufe aber ist es notwendig, zunächst diejenigen gedanklichen Motive und Vorstellungen des »Stunden-Buches« heraus-
Rilkes
Stunden-Buch — ein Akt deutschen
11
Glaubens
zuheben, die für eine solche Berührung mit den Andachten in Betracht kommen, ohne daß vorläufig die Geschichte ihrer Entwicklung eine Rolle spielen soll. Die entscheidende Vorstellung des Stunden-Buches, aus der sich die anderen mehr oder minder von selbst ergeben, ist die des werdenden, des zukünftigen Gottes. Sie begegnet im »Buch vom mönchischen Leben« auf Schritt und Tritt. Der Dichter lebt gerade, »da das Jahrhundert geht«. Advent-Stimmung herrscht: »Man fühlt den Glanz von einer neuen Seite, / auf der noch alles werden kann«1. Zukunftsträchtig, erwartungsvoll, werdewillig ist diese Zeit: »Die stillen Kräfte prüfen ihre Breite / und sehn einander dunkel an«2. »Um das Werden« runden sich Gottes Hände »warm und weise«3. Was die Stimmen, die Gott sagen und tragen sollen, stammeln, sind nur Stücke seines alten Namens. »Entfalten« will sich der Betende, der Gottsucher, um seinen Gott zu »spiegeln in ganzer Gestalt«4. Klingt so das Motiv des Werdens von allem Anfang an mit, wird nunmehr diese Vorstellung auf Gott selbst übertragen. Von den »werdenden Tiefen5« Gottes ist die Rede, »wo sich das Leben ruhig verrät« und in die zu tauchen es noch nicht zu spät ist. Mit einem Dome wird Gott verglichen, an dem zitternde Hände bauen, den aber niemand zu vollenden vermag. Traum nur überschaut zuweilen das Ganze, »tief vom Beginne / bis zu des Daches goldenem Grate«6. Ob wir es wollen oder nicht: »Gott reift«7. An seiner, des Dichters und Gottsuchers »Sinne Saum« beginnt Gott sein Dasein »zögernd, wie mit vielen Inseln«8. Als »Samen« sonnt er sich in den geringen Dingen9, ein Bild, wie das des Reifens dem organischen Leben entnommen, fortgesetzt in dem vom wundersamen Spiel dienender Kräfe, »in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte / und in den Wipfeln wie ein Auferstehn«10. Wie noch nie beginnt das Buch Gottes11 — ein neues Bild —, des sanftesten Gesetzes, »an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen«. »Unendlich groß« hat Gott im Menschen sich »begonnen«, in Menschen, Engeln und Madonnen kann er sich vollenden12. Dann wiederum sind sie es, die Menschen, die dies vollbringen, Werkleute, Knappen, Jünger, Meister, Künstler, denen ein ernster Hergereister einen neuen Griff zeigt, eine strahlende Stunde die Stirne küßt, so daß Gottes »kommende Konturen dämmern«13. So ist er »Zukunft, großes Morgenrot«14, wie Rauch steigt sein Reich aus den Dächern15, dem »noch nicht ausgereiften Wein« wird er verglichen, »der immer süßer wird«.16 Ein Ast des Baumes Gott, der über Italien reicht, hat schon geblüht17, aber Gott war dort, d. h. in der italienischen Renaissance, nur Frühling, 1 7 13
S. 178 f. S. 185. s.192.
3
2
s.179. » Ebd. 14 S.252.
0
Ebd. S.189. 15 S.258.
4 1,1
S.182. S. 189. 16 S.265.
5
11
1
12
S.183. S. 190. 17 S.194
S.184. S.191.
Koch:
12
bald des Blühens aber müde, so daß er keine Früchte trug. Mit einem andern Aste wird er »sommerlich / verkündend werden und aus Reife rauschen«1, er, der jedem anders erscheint und doch durch alle »wie eine Welle« geht, bis sie erkennen: »Die Wurzel Gott hat Frucht getragen«2. »Ins Ungewisse« wächst Gott im Schatten seines Angesichts3, »wachsend in Gebärden« zu bleiben, bittet ihn der Dichter 4 , den großen Mauerbrecher, »der eine stumme Arbeit hat«5. Wieder wird der Vergleich mit einem Baume aufgenommen, aus dessen Äste Engel gehen, »das letzte Wehn an seines Wipfels Saum«6, mit einem Feigenbaum sodann, von dessen Zweigen Duft ausgeht7, immer also mit einem Wachsenden, Werdenden oder einem immer Tätigen, dem Schmiede, »der immer an dem Amboß stand«8. Und wieder wechselt der Blick, wieder sind es die Menschen, Theologen, Jungfrauen, Jünglinge, Dichter, hunderttausend Harfen, die Gott aus der Schweigsamkeit heben, und in denen er sich offenbart9. Wieder wird der Dichter, der Mönch, zu dem, der träumt, Gott zu vollenden »und: daß er sich vollenden wird«10, denn »mit meinem Reifen / reift / dein Reich«11. »Alles, was wird, wird schön. Man darf es nur nicht stören«, diesen Gedanken äußert schon der junge Rilke 12 , ein Beweis dafür, welche Rolle der Begriff des Werdens von Anfang an in seinem Weltbilde spielt. Damit verbindet sich im Stunden-Buch der des Dunkeln, Nächtigen, Schweigenden. Gott ist da »dunkel und wie ein Gewebe / von hundert Wurzeln, welche schweigsam trinken«13, ein »dunkles Netz«14, sein Mund ist dunkel, seine Hand von Ebenholz, »schwarze Kraft«, er ist ein Gott des Schweigens, dessen schwere Summe er »in Stirnen und Gebirge schreibt«15, zeitlos auch, ja Feind und Gegner aller Zeit 16 , Züge, die die Vorstellung eines persönlichen Gottes aufheben. Sein Gegenbild ist Luzifer, »der helle Gott der Zeit«17. Wechselnd und wandelbar verhält er sich zum Menschen. Einmal ist dieser, übereinstimmend mit dem dogmatischen Glauben, das Geschöpf Gottes, sein Traum, sein Knecht, eine sinnlose, kleine Helle an Gottes Saum. Aus Gottes Wärme hebt er sich, tief unten in Gottes Wurzelgrund ruhen auch seine Zweige 18 . Zum andern aber wird umgekehrt Gott zum Geschöpf des Menschen, der Gott gewollt hat 19 , wird der Mensch ein neuer Anbeginn Gottes 20 , wird Gott zum jungen, aus dem Nest gefallenen 1
S. 197.
2
Ebd.
3
7
S.218.
8
S.243.
» S.214.
S.203.
1
S.205.
10
S.215.
12
Gedruckt am 15. X . 1898. Jetzt: Bücher usw. S. 222.
13
S. 176.
14
S. 191, vgl. ferner S. 192, 199, 2x0, 220, 222.
"
S.211.
17
S.210.
20
So in der Urfassung: Mövius a . a . O . S. 178.
18
S.176.
18
S.184.
5 11
S.209.
6
S.244.
15
S.205.
S.210.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
13
Vogel, den der Mensch mit einem Tropfen Wasser labt1. Des Menschen Liebe hat Gott aus dem Lande gehoben und wie mit einem Mantel mit seines Wesens Seide umhüllt2. Der Mensch darf ihn wiegen wie ein Kind3, in einer Stunde, die ihn straffte, erschafft er ihn4. So innig sind sie einander zugetan, daß die Frage sich erhebt: »Ich geh doch immer auf dich zu / mit meinem ganzen Gehn; / denn wer bin ich und wer bist du, / wenn wir uns nicht verstehn?«5. Unmißverständlich endlich sind die Verse, die den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildeten, die Gott zum Krug, Gewand, Gewerbe und Erben des Menschen machen, der Gott liebt wie einen Sohn6. So wird der Mensch zum Vater Gottes, als solcher geringer als der Sohn, zum Blatt, das fällt, während Gott, der Erbe, wächst7. Hand in Hand damit geht das Schwanken dieses Rilkeschen Gottes zwischen Immanenz und Transzendenz. Gewiß ist Gott für Rilke auch »das ganz andere«, dem Menschen unendlich Ferne, zugleich aber der Hiesige, in alle Welt verteilt, »der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit, / der Tau, die Morgenmette und die Maid, / der fremde Mann, die Mutter und der Tod«, »die sich verwandelnde Gestalt«, »der Dinge tiefer Inbegriff«8. Nicht mehr inmitten seines Glanzes, im Himmel, »wo alle Linien des Engeltanzes / die Fernen dir verbrauchen mit Musik«9, wohnt Gott, sondern im »allerletzten Haus«, wohin nun umgekehrt der ganze Himmel hinaushorcht, kein Gott, der irgendwem zuliebe Wunder tut, sondern seinen Gesetzen nachgibt, »die von Geschlecht zu Geschlecht / sichtbarer sind«10, in denen und als die er sich mehr und mehr enthüllt. So sieht der Dichter Gott in der Natur, fühlt ihn in Winden und Fernen, hört ihn im Gesang der Sterne, denn alles ist sein »Mantel nur«11, »der Gottheit lebendiges Kleid«, wie es einst hieß im Bilde eines dynamisch-organischen Gottes. Ein Gott, der als Ganzes zum Wunder wird, das fühlen läßt: »alles Leben wird gelebt«12, den keine Kirche »wie ein gefangenes und wundes Tier« zu umklammern vermag13, und von dem am Ende die Verse gelten: Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben, nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn und dienend sich am Irdischen zu üben, um seinen Händen nicht mehr neu zu sein 14 .
Gewiß wird im Stunden-Buch noch viel mehr an Gott gesehen und von Gott gesagt, wie ja Rilke den ganzen Metaphernschatz der Mystik 1 5 8 13
s.188. s.212. s.186. s.255.
2
3 4 MöviusS.195. s.206. s.207. 8 « s.235. ' s.236. s.252. 10 11 12 s.245. s.247. s.242. 11 s.255.
14
Koch:
und mehr verschwendet, um das letztlich Unsagbare doch irgendwie, mit Meister Eckhart zu reden, zu »geworten«1. Aber gerade die eben und hier hervorgehobenen Züge machen das sonst so schwer faßbare, in allen Farben schillernde, rätselvolle und vieldeutige Bild Gottes klarer und greifbarer. Und gerade diese Züge begegnen, wenn auch selbstverständlich in ganz anderer Vergestaltung, in den »Andachten« Jordans. Der Einwurf ist zu gewärtigen: Welche Blindheit, ja Beschränktheit, auf Grund einiger Anklänge Rilke, den denkbar empfindlichsten Seismographen für die feinsten und leisesten Schwingungen und Erschütterungen der Seele, jenem grobknochigen Ostpreußen und Rationalisten, Klugredner und Aufklärer Jordan auch nur von fern zu vergleichen! Aber es geht hier nicht, um es noch einmal zu unterstreichen, um Dichterisches, sondern um die dahinterstehende geschichtliche Problematik, um den weltanschaulichen Gehalt des Stunden-Buchs. Jordan war ein biologischer Denker, im Rahmen seiner Zeit natürlich, sein Weltbild baute sich auf aus den Elementen der modernen Naturwissenschaft. Aber auch Rilke ist biologisches Denken nicht fremd. Im ersten der unter dem Titel »Uber Gott« zusammengefaßten beiden Briefe empfiehlt er »Wilhelm Fließ . . . und seine sehr merkwürdigen Forschungen«2, um der von ihm Beratenen »von der biologischen Seite her« bei ihrer Beschäftigung mit dem Tode zuhilfe zu kommen3. Die kleine 1896 entstandene Skizze »Der Apostel« baut sich auf über der Ethik des Evolutionismus, dem Rechte des Starken. »Und wenn unsere Altvordern«, predigt der Apostel, »Affen waren, wilde Tiere mit großen Naturtrieben, und wenn ihnen ein Messias erstanden wäre, der ihnen Nächstenliebe gepredigt hätte, sie hätten, seinem Wort gehorchend, nie zu höherer Entwicklung emporklimmen dürfen«4. Aber auch Jacobsen, von dem Rilke erwiesenermaßen aufs stärkste beeindruckt worden ist, war Darwinianer5, nicht anders steht der junge Hauptmann, der gleichfalls auf Rilke gewirkt hat, im Banne des modernen Evolutionismus. Alle jene Grundvorstellungen nun, die im Stunden-Buch festgestellt wurden, finden sich auch in Jordans »Andachten«. Nicht alle 14 Gedichte dieser »Andachten« sind dafür in gleicher Weise ergiebig, da solche, die das religiöse Thema behandeln, wechseln mit anderen, die nach Art von Gedichten, wie Goethes »Metamorphose der Pflanzen« oder »Metamorphose der Tiere«, das naturwissenschaftliche Welt1
Vgl. F r a n z K o c h , Rilke und die Mystik: Witiko 1929. Über Gott. Leipzig 1934, S. 21 f. 3 W i l h e l m F l i e ß hatte seine übrigens sehr umkämpften Forschungen in den beiden Büchern niedergelegt: »Der Ablauf des Lebens.« Wien 1906 und »Vom Leben und vom Tode.« Jena 1909. 2
' Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. Leipzig 1930, S. 356. 5
Vgl. E l l e n K e y , a . a . O . S. 1 7 2 .
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
15
bild in didaktischer Form vermitteln oder in Gedichten, wie »Kastanien« und »Eine Tabakspfeife«, Autobiographisches mit Weltanschaulichem verschmelzen. Das eigentliche Anliegen der »Andachten« aber ist doch das Bemühen, Antwort zu finden auf die Frage, wer recht hat, die Naturforschung, die nur von Kraft und Stoff zu reden weiß, oder »in uns die Gottesdichterin«, das Sehnen und Hoffen unsres Herzens, das nach mehr als mathematischer Gesetzlichkeit verlangt. So will Jordan das Senkblei in Tiefen tauchen, welche die Muse bisher als bodenlos vermieden habe, im Bewußtsein eigenen Friedens und Bekenntnis: Ich fand zur Andacht ohne Selbstbetrug Im weit erkannten All noch Raum genug 1 .
Der Grundakkord des Ganzen wird angeschlagen, zugleich damit bereits das Motiv des werdenden Gottes, wenn Jordan der Tatsache, daß sein Lied von der Zeit Gerichtetes nicht retten könne, den Trost entgegenhält: Doch daß uns Bestes, Höchstes w a h r e r d i c h t e t Der Sehnsuchtsdrang im menschlichen Gemüte Bewährt es an der Frucht der Glaubensblüte2.
Denn hinter dem Gedanken, daß der Traum unserer Sehnsucht, ihre beste und höchste Dichtung, Rechtfertigung und Verwirklichung durch den Glauben erfährt, dahinter steckt ja bereits das Bild des wachsenden und reifenden Gottes. Das wird kurz vorher noch deutlicher ausgesprochen, wenn Jordan bekennt, ihm sei der Ehrfurcht wert geblieben, was durch Gotteskraft erworben worden sei »und uns noch jetzt als lange nicht erreicht / Sein Musterbild in Zukunftfernen zeigt«3. Dieses Wachsen und Werden Gottes, sein Erwachen vom Schlafe, wie Jordan das Bild wendet, beginnt nach seiner Uberzeugung in der Brutpflege der Tiere4. Dann versuche er, Gott, sich im Nestbau, in der Kunst, ein Gedanke, der bei Rilke noch begegnen wird; halb verständlich lalle er im Sang der Nachtigallen; in unsrer Brust, unsrem Haupte aber werde er sich seiner bewußt, wache er auf »aus unbewußter Nacht«, woran Rilkes Dunkelheits-Metaphern anklingen, als zum ersten Male die Worte »Mutter, Vater« gesprochen wurden. So führt die Betrachtung eines Nesselblattes, der Erbarmungslosigkeit und Grausamkeit der Natur, aus der es scheinbar keinen Ausweg gibt, 1 s 3
S.4. S . 5 . Jordan hat seine eigene Zeichensetzung, die hier überall wiedergegeben wird. S.4.
S . 3 2 . M a n denkt hier an die »Bauhütte« (Neue Fassung. M ü n c h e n 1940, S. 301) K o l b e n heyers, die auch in der Brutpflegehandlung der Vögel das erblickt, w a s man in einem gewissen Grade Erkenntnis und Bewußtsein nennen kann«, wie überhaupt Jordans Weltbild als Vorstufe des Kolbenheyerschen zu ihrer Zeit und mit deren Mitteln angesehen werden kann. 4
16
Koch:
während doch eben dieser Kampf mit Neid und Not der Natur den Menschen über die Natur emporgetrieben hat, zu der Erkenntnis: Ja, Gottes Erderwachen war das Wort. Ihm, der in Dir in dieser Welt voll Mord Vom Schlaf im Nesselgiftblatt aufgestiegen Zum Liebesrecht, verhilf zu fernem Siegen 1 .
Wieder also die Vorstellung des werdenden Gottes, der im Menschen erwacht, keimhaft beginnt, um in ihm sich zu vollenden. Und damit verbindet sich von Anfang an die Idee des hiesigen, immanenten, nicht transzendenten Gottes, wenn es heißt: So richte nicht das Fernrohr himmelwärts, Um Gott zu suchen; denn das Menschenherz Ist seine Stätte. Nur die künstlich-blinden Vermögen ihn auch da nicht vorzufinden 2 ,
wie ähnlich vorher: Da draußen suchst Du Gott? — Ob allvorhanden, Da schläft er tief in harten Felsenbanden Und leise wird sein Athem nur gespürt Im steten Zug, der Stern' um Sterne führt 3 .
Nimmt man an, Rilke habe diese Verse gelesen, so ist der Weg von hier zur Geschichte »Von einem, der die Steine belauscht«4 nicht weit. Denn da sieht Gott »die am Steine horchenden Hände« Michelangelos, wie sie »erwachen«(!) und den Stein aufwühlen wie ein Grab. Und Gott ruft, »in Bangigkeit«: »'Wer ist im Stein'? Michelangelo horchte auf; seine Hände zitterten. Dann antwortete er dumpf: 'Du, mein Gott, wer denn sonst. Aber ich kann nicht zu Dir'. Und da fühlte Gott, daß er auch im Steine sei, und es wurde ihm ängstlich und enge«5. Übrigens nehmen die »Andachten« das Gleichnis vom Bildhauer, der den Marmor erst im groben abzukloben beginnt, doch aber auch schon im roh behauenen Stein merken läßt, wie sich Gestaltetes aus Ungestalt herausbildet, noch einmal auf 6 , wenn da die Schmetterlingspuppe gleichsam als Rohentwurf des künftigen Schmetterlings gesehen wird. Das Gedicht »Erinnerung« stellt dann die Frage, was denn eigentlich den Gottesgedanken in uns hat entstehen lassen. Wie kam das Mitleid in unsre »Nordnatur«? Die Antwort lautet: durch Erinnerung, genauer »Erberinnerung«7. Der alte Platonische Gedanke der Anamnese erfährt hier eine kennzeichnende Umbildung, wie umgekehrt sichtbar Wird, wieviel Platonisches, 1 1
S.33. S.65f.
2 6
Ebd. S.221.
3 7
S.31. S . 4 0 , 41.
1
V o m lieben Gott und Anderes.
S.64—68.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
17
Idealistisches in dem scheinbar so naturalistisch-biologischen Weltbild Jordans noch lebendig ist. Schreibt er doch jedem Atom diese Gabe der Erinnerung zu, »den Pfad zu gehen, den es oft gegangen, / Um einst empfundnes wieder zu erlangen«1. Und da der Mensch aus denselben Weltstoff-Atomen sich aufbaut, besitze auch er diese Erinnerung an ein höheres Dasein, wie es sich auf einem bereits versunkenen Stern abgespielt haben mag, dessen Trümmer sich im Weltenraum verteilten, und aus denen sich die Erde gestaltet hat. Dieser Erinnerungstraum von einem schon einmal dagewesenen höheren Leben lasse jeden an ein verlorenes Paradies glauben: »Erinnerung des dort einst ganz gethanen / Wird wach in uns als unser Gottesahnen«2. Breit wird dabei das Ahnenmotiv instrumentiert. Nichts Neues fließe von irgendwoher in den Menschen ein: Nur weil im Menschen, was er lebend lernte, In Schatten stellt der Ahnen Arbeitsernte, Verkennt er, blöd' aus Schülerübermut, Wie reich auch er an Erberinnrungsgut. Erinnerung an tausendmal zuvor In gleicher Art vom ganzen Ahnenchor Getanes lehrt, geschickt, obwohl noch blind, Zu melken schon das neugeborne Kind. Erinnrung ist's womit im Mutterschoße Du selbst, o Mensch, erst alle Daseinslose, Die Deine Ahnen langsam einst erstiegen, Befähigt bist in Monden zu durchfliegen«3.
Der Hebel aber, der diese Aufwärtsbewegung in Gang setzt, ist die Not, »die Schöpferin Gefahr«4: »Dem ärgsten Fluch entkeimt der reichste Segen«5. Der »Erberinnerung« entspricht die »Erbkraft«6, wie Jordan sie an der Schmetterlingspuppe wirksam sieht. Daher der Imperativ: Du, der durch Ahnenarbeit hört und sieht, Bist ew'gen Stoffs und uralt Glied vor Glied, Denn Ahnenarbeit gab Dir jedes erblich, Doch nicht umsonst: bezahl es: sei unsterblich 7 .
Und wieder fühlt man sich an das Stunden-Buch, diesmal an Rilkes Verdammung der großen Städte im »Buch von der Armut und vom Tode«, erinnert, wenn das Gedicht »Asträos« mit einer Polemik endet gegen die Kulturlosigkeit der eigenen Zeit, in der die Kunst nicht mehr Gottesdienst 1
2 s.42. s.47. 6 s.89. s.221. Fhil.-hist. Abh. 1943. Nr. 2. s
3 7
s.40. S.211.
4
s.89.
18
Koch:
und altersschwach geworden ist. Aber nur die Formel des Glaubens sei veraltet, nicht er, der Glaube selber. Wieder taucht die Vorstellung des werdenden Gottes auf, denn nur »halbenthüllt« schaue bisher die Menschheit das Musterbild dieses Glaubens, und noch lange habe sie es nicht in sich erfüllt1. Immer wieder wird dieses Motiv aufgenommen und abgewandelt: Zu wünschen, zu wollen, zu wetten und wagen, Um schöner zu schaffen das Erdengeschick; Die Ordnung der Welt zu ahnen und wissen, Zu ruhen vom Kampf im Reiche der Kunst: Das sehnt aus der Saat sich der Gott zu ersiegen, Deß hat er die Macht nur als menschliches Mark; Deß harrt er, und hofft, wann ein Herbst noch vergangen, Nach unnennbaren Zeiten sich nahe dem Ziel«2.
So stellt sich das Wort vom »unerlösten Gotte«3 ein, vom Erlösungstraum der Natur als der »Wiege« des Gottesglücks4. »Der Mächer, Töpfer nur ist abgeschafft, / Nicht Gott. Sein Wesen ist Erlösungskraft«5. »Was draußen schlummert, träumt, im Traume lallt / Wirbt wach in Uns um edlere Gestalt«6. So sind für Jordan der Klang der Osterglocken und der Pfiff der Lokomotive nur Verkündung eines Gedankens, daß nämlich Gott sich »aus ewig langem Leide zuletzt erlöst« im Menschen7, »daß, wie der Osterheld aus Todesbanden / Der Mensch aus Not als Herrscher auferstanden«. Der Glaube an ein überweltliches Paradies, ein Glaube für Toren, sei gewesen, aber »als Gottes Kampfziel«8 jedem eingeboren, sei als Trugbild vergangen, aber als »Hoffnungstreubild« eine Quelle der Kraft, diesen Traum zu verwirklichen, aber hier auf Erden: »Des Glaubens Wundermär ist Zukunftswahrheit«9. Das ist denn auch die Formel, in der die Vorstellung des werdenden Gottes für Jordan dauernde Gestalt gewinnt, daß nämlich der dogmatische Glaube an Gott und Paradies Zukünftiges in Form des Traumes, der Vision vorwegnehme, und es die Aufgabe des Menschen sei, dieses transszendente Reich Gottes hier auf Erden zu verwirklichen. So entpuppt sich dieses Bild von der werdenden Gottheit, geistesgeschichtlich gesehen, als ein Akt der Säkularisation, als Teilvorgang jener Immanentisierung aller Transzendenz, die seit der Aufklärung den Bereich des Religiösen erfaßt. Der Menschheit ewiger Glaube ist es danach, das Hoffnungsbild eines allmächtigen und allgütigen Gottes, des Menschengeistes eignes »Uberbild«, dereinst hier im Erdenstaube herzustellen. Ein Teil dieses Weges ist verwirklicht. Grund dieses Glaubens aber wie der Welt ist »ein Urgeheimes, EwigbleiS. IOI. S. 122. ' S.206.
1
2
4
5 8
S. io6f. S. 122. S. 134.
S. U9. « S. 127. » s.134.
3
19
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
bendes doch immer neue Formen treibendes«1, »aus schwachem Spiegelschein in uns erahnen wir das Ewigeine«2. Hat im Stunden-Buch das alles auch eine ganz andere Klangfarbe und ist es auch in eine andre Seelenlage transponiert, in ganz andrer Weise und unvergleichlich höherem Grade Dichtung geworden und gestaltet, so ist doch die Verwandtschaft der Vorstellungen und Gedanken Jordans mit denen Rilkes unverkennbar. Auch jenes wechselseitige Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen, wonach dieser aus dem Geschöpfe zum Schöpfer Gottes werden kann, findet sich in den »Andachten«. Denn die Menschenseele ist ja die Geburtsstätte dieses hiesigen Gottes, im Herzen des Menschen wird er wach nach ewig langer Not, Aufgabe des Menschen ist es, hieniden Gott vom Leide zu erlösen3. Das war eine notwendige Folge der Verweltlichung des Gottesgegedankens. Es hat sich »die Bühne für den alten Glaubenstraum« zum Weltenraum geweitet »und alle Hoffnung ist uns ernst verwehrt / Daß je der Herr von oben wiederkehrt«4. Umgekehrt aber hat es kaum ein Volk »von edlern Sitten« gegeben, »dem nicht ein Gott als Mensch den Tod erlitten / Um völlig frei von irdischem Gebreste / Zu auferstehn an seinem Osterfeste«5. Das heißt: immer wieder haben edle Völker ihre Lieblinge heroisiert, vergöttlicht, hypostasiert würden wir sagen, sie als Erfüllung eigener Sehnsuchtsträume gesehen. Man wird bis an Lessings religiöse Kämpfe zurückerinnert, wenn Jordan sich von hier aus gegen die Priesterzunft wendet, die solche Weisheit des Volkes in Unvernunft umgestempelt habe, »zum factum das nur einmal sich vollzogen / Die ewig große Wahrheit klein gelogen«6. Nur ihre Schuld sei es, wenn man über Wunder spotte, Schuld der »schwarzen Rotte«, »die wahrheitsschwangere Zukunftstraumgesichte erniedrigen zu wirklicher Geschichte«7. Der echte Glaube tut das Gegenteil. Erstritt ein Mann dem Volke großes Heil So spürt's ein Gottgeschenk im neuen Wohle Und flicht um seine Stirn die Aureole8.
So feiern wir zu Ostern nicht, was Gott war »in kurzer Gegenwart«, sondern »das Wunderwesen das er langsam ward«9, wie umgekehrt im Wunder in uns die Gotteskraft von ihrer Erlösung aus Naturgefangenschaft träume. Daher ist auch das Verhältnis zwischen Volk und Glauben wechselseitig bedingt. Gegenseitig treiben sie einander hoch »und wachsen, wie das Volk nach seinem Gotte, / Muß Gott mit ihm, damit es nicht verrotte«10. In der Schluß-»Hymne« der »Andachten« faßt Jordan in be1
2
r
6
S. 216. ' S.197. u S.203.
10
Ebd. S.197. S.218.
3 7
S. 140. S.203.
1 8
S. 182. S.198. 2*
20
Koch:
schwingter Form diesen Säkularisationsglauben zusammen und alle jene Motive des werdenden Gottes, seiner Erlösung und Diesseitigkeit kehren fugenartig in der Schlußstrophe der »Andachten« wieder: Ja, Gott ward, die Welt vom Bösen Loszuringen, Fleisch und Bein; Doch der Mensch muß Gott erlösen Und aus Not und Neid befrein1.
Im letzten bleibt Jordan an einen gewissen Aufklärungs-Optimismus und Fortschrittsglauben gebunden. Das hängt auch mit seiner Stellung zu Schopenhauer zusammen, dessen lebenverneinende Lehre er erbittert bekämpfte. Not und Leid der Kreatur, der Welt, für Schopenhauer die Wurzel seines »Drum besser wärs, daß nichts entstünde«, ist für den Darwinianer Jordan erst eigentlicher Antrieb und geheimste Kraft des Lebens. Sie erst hat den Menschen zum Herrscher gemacht: Der Auf Das Das
Dienst erst war es, was die Glieder schuf; hartem Grund erlieh den harten Huf Roß; das Fassen bildete den Daumen; Beißen hörnte, zähnte dann den Gaumen2.
Daher hat sein Fortschrittsoptimismus doch auch wieder eine Färbimg, die ihn von dem der Aufklärung abhebt, einen Ton von Diesseitsgläubigkeit und Lebensbejahung, der dem 18. Jahrhundert noch fremd ist und fremd sein muß, wohl aber mit Goethe verbindet. Jordan war sich dessen auch mit Stolz bewußt, weshalb er denn »froh« vom Gottesreiche sagen kann: »Ja, es ist im Kommen«3. Auch motivisch also bestehen Ähnlichkeiten und Berührungen zwischen den »Andachten« und dem Stunden-Buch. Motive sind wie Samenkörner in die Seele eines ganz anderen Dichters gefallen, um dort, diesen anderen Lebensbedingungen entsprechend, sich anders zu entwickeln. Das aber wird hier schon sichtbar, daß Rilke die Vorstellung des werdenden Gottes nicht erst in Rußland zu finden brauchte, daß sie vielmehr eng mit der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts verbunden und von der Zeit selbst an Rilke herangebracht worden ist. Ja, sie ist in ihrer dynamischen Artung geradezu der statischen russischen Frömmigkeit fremd und unangemessen. Und nicht erst in Rußland, sondern schon sehr viel früher hat Rilke sich mit religiösen Gedanken beschäftigt, wie denn der Konflikt mit dem dogmatischen Glauben zum typischen Zeiterlebnis gehört, man denke an ein so zeittypisches Buch wie Gustav Frenssens »Hilligenlei« (1905). Russische Dinge würden ihm, fühlt Rilke, die Namen schenken »für jene fürchtigsten Frömmigkeiten meines Wesens, die sich, seit der Kindheit schon, danach sehnen, 1
s.237.
2
s.210.
3
s.184.
Rilkes
Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
21
in meine Kunst einzutreten«1. Rußland hat ihm also nur die Namen geschenkt für etwas, was schon früher da war, den Rahmen, in dem längst schon Gefühltes und Gedachtes Bild werden konnte, das Kostüm, das für allzu Persönliches Abstand schuf. Damit deckt sich, was Rilke kurz vorher so ausdrückt: »Im Grunde sucht man in jedem Neuem (Land oder Mensch oder Ding) nur einen Ausdruck, der irgendeinem persönlichen Geständnis zu größerer Macht und Mündigkeit verhilft. Alle Dinge sind ja dazu da, damit sie uns Bilder werden in irgendeinem Sinn«. Zugleich empfindet er den Aufenthalt in Rußland »als eine selige Ergänzung jenes Florentiner Frühlings«, so daß ihm umgekehrt Florenz »als eine Art Vorbildung und Vorbereitung für Moskau« erscheint. Die Eindrücke zweier Länder also vereinigen sich im Stunden-Buch, beide aber schaffen gleichsam nur den Atemraum für eine aus ganz anderen, aus heimischen, artgegebenen Voraussetzungen erwachsene Dichtung. Der Atem kommt aus der Brust des Dichters selber, der Gehalt des Stunden-Buchs ist, heißt das, so deutsch und heimatbedingt wie nur möglich. Deshalb bietet sich Rilke ja auch der große Metaphernschatz der Mystik an2, denn auch Mystik ist nicht der Gehalt von Rilkes religiösem Erlebnis, auch sie schenkt ihm nur die Namen dafür. Daß sich Rilke dabei im Stunden-Buch an eine Aufgabe gewagt hatte, der er noch nicht gewachsen war, hat er später selbst erkannt und betont, das Thema des Stunden-Buches sei zu groß gewesen und es gelte vielmehr, dienend sich am Irdischen zu üben3. Tatsächlich ist ja das Thema des Stunden-Buches noch das der letzten und spätesten Dichtungen Rilkes, und wiederum hat er das selbst ausgesprochen in jenem Briefe aus Muzot, in dem er gleichsam eine Geschichte seines Gottsuchertums gibt4. Es sei dieses Erlebnis, meint er da, »vielleicht immer wieder nur das, was schon an gewissen Stellen im Stundenbuch sich vollzog, dieser Aufstieg Gottes aus dem atmenden Herzen, davon sich der Himmel bedeckt, und sein Niederfall als Regen«5. Und von den Elegien sagt er: »Ich halte sie für eine weitere Ausgestaltung jener wesentlichen Voraussetzungen, die schon im 'Stundenbuch' gegeben waren«6. Es wird sich demnach lohnen, der Entstehung und Entwicklung dieser Gottesvorstellung noch etwas näher nachzugehen und ihr Werden zunächst bei Jordan zu verfolgen. Jordan, Sohn und Enkel eines Pfarrers, Nachkomme eines Geschlechtes, dessen Ahnen seit vier Generationen Theologen sind, und selbst bestimmt »zum heiligen Dienst am nämlichen Altare, den sie verwaltet volle hundert 1
Petersburg 7. V I . 1899.
Briefe I, S. 17.
So würde ich heute das Verhältnis Rilkes zur Mystik formulieren. »Rilke und die Mystik« in »Witiko«, Jg. 2, 1929. 2
3 4 5 6
V g l . M ö v i u s , a. a. O . S. 10. A n I l s e J a h r 2 2 . 2 . 1923. Briefe aus M u z o t , S. 183®. A.a.O. S.i85f. A n W i t o l d v o n H u l e w i c z 13. X I . 1925. A . a . O . S. 332.
V g l . meinen Aufsatz
22
Koch:
Jahre«1, hat, durch »Das Leben Jesu« von David Friedrich Strauß aus dem dogmatischen Schlummer geweckt2, den Kampf zwischen Glauben und Wissen ehrlich und mutig bis zum Ende durchgefochten, bis zu dem Entschlüsse, der Theologie den Abschied zu geben. Vergeblich sucht er bei Hegel den verlorenen Frieden, um ihn dann in der modernen Naturforschung zu finden. Für die »Sippe« freilich ist er der verlorene Sohn, ein Giftgewächs, »ein gottlos toll gewordner Versifex«. Erst der Großvater, dem der Verzicht, den Enkel als seinen Nachfolger in der Pfarre von Norkitten zu sehen, am schwersten ankam, erwirkte ihm Verzeihung. Ein Brief an die Freundin Rosalie Schönfließ, die ihm zur Seite steht, und die Jordan später als Jobaea in seinem Roman »Zwei Wiegen« verherrlicht hat, vom 8. Mai 18413 gibt Kunde von diesen Kämpfen. Auf ihre Befürchtungen, er habe den Glauben an einen persönlichen Gott verloren, antwortet er, er habe das nicht getan. Zwar könne er sich einen Pantheisten nennen, »aber meine Eigentümlichkeit dabei ist die, daß mir Gott dennoch, wenn auch keineswegs ein außerweltlicher oder überweltlicher, sondern nur außerirdischer und überirdischer (zugleich jedoch unirdisch und diesseitig) ein ewig persönlicher, sich selbst bewußter ist«. »Die ganze W e l t mit ihren Substanzen, Pflanzen, Tieren, Menschen, Monden, Erden, Sonnen, Milchstraßen und ganzen Scharen von Sternensystemen ein einziger unendlicher Organismus mit dem Bewußtsein, dem schaffenden, leitenden, erhaltenden, vernichtenden — doch nein, keine Vernichtung — nur umwandelnden und in andere Formenausdrücke übersetzenden Bewußtsein Gott; die Welt ist mir, wenn Sie wollen, der L e i b G o t t e s , der aber keineswegs in einer starren, transzendentalen Geschiedenheit von seiner Seele zu halten ist«. Fragt Jordan: »Ist mein Gott nicht persönlich ?«, so wird man diese Frage auf Grund des vorausgehenden Bekenntnisses kaum bejahen können. Die Mutter lehre ihn Menschengottheit: Es ist mir die Welt, ihr ganzes Leben vergöttlicht Und verweltlicht die Gottheit, vom Himmel heruntergestiegen. Alles was andere träumen vom seligen Lande des Schauens, Nur durch Glauben erfassen, hinausgerückt in die Ferne, Hat sich für meinen Geist schon hier auf Erden verwirklicht Und das neblichte Jenseits wird mir zum deutlichen Diesseits, Blühende Gegenwart die wolkenverschleierte Zukunft.
Bald ist sich Jordan über seine Stellung klarer. In einem Briefe vom 10. II. 1842 an eine andre mütterliche Freundin, Minetta von Cebrow, berichtet er, wie er in überströmendem Glückgefühl gebetet habe, aber »nicht zu Gott, sondern zur Hoheit der Menschennatur. O, Du Gott der Christen, der Du 1
Andachten S. 170.
2
E b d . S. 1 7 1 .
Mitgeteilt von R . W o l k a n : Jg. 1906/07, S. 280/84. 3
»Aus Wilhelm Jordans Jugendtagen«: Deutsche Arbeit.
VI.
23
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
nicht mehr mein Gott bist. Du mit allen Deinen so scharfsinnig ausgeklügelten Eigenschaften, die alle so hoch sind, so übergroß und ausschweifend, daß immer eine in und über die andere geht, bis ein erhabenes Allnichts da ist, welch ein armselig Wesen bist Du gegen uns sterbliche Menschen, wenn wir unsere göttlichen Seelen in heiliger Liebe zueinander zusammenschließen«1. In den »Irdischen Phantasien«, einer 1842 erschienenen lyrischen Sammlung, finden diese Kämpfe ihren dichterischen Niederschlag. Schon das 1841 entstandene Gedicht »Himmelsentsagung«2 ist an der Grenze entstanden, wo das Wissen den Glauben ablöst. Da begegnet bereits die Vorstellung des hiesigen und des werdenden Gottes. Christus und Hertha, die Göttin und Mutter der Erde, treten da einander gegenüber. Reuig kehrt der Sohn zur Mutter zurück, um für die Zukunft bei ihr sein Glück zu suchen. Er habe, bekennt er, die Menschen jenseitssüchtig gemacht, habe über das Buch, das ihm in der Muttersprache gegeben war, hinweg nach den goldenen Titeln anderer Bücher gesehen, endlich aber im Erdenbuche zu blättern begonnen. Nun wird irdische Wirklichkeit, was der Mensch in Sagen einst geahnt. Schiffe, Eisenbahnen machen das Wunder der Uberwindung des Raumes zur Wirklichkeit. »Das hat die Menschheit sich errungen, seit sie zur Erde umgekehrt«. Ehe der Mensch den Tempel bauen konnte, mußte er den Riß des Baus erschaut haben, Mußte sein phantastisch Gleichnis Zum Himmelsgott der Mensch erheben, Bevor es langsam zum Ereignis Verwirklicht ward im Erdenleben 3 .
Mit diesem Gedanken verbindet sich die Wendung gegen das Christentum, gegen seinen jenseitsbesessenen Glauben. »Nur auf der Gruft des Christentums zu blühn vermag die wundervolle Freiheitsblume« heißt es in der 1841 entstandenen kleinen Gedicht-Sammlung »Glocke und Kanone«4. »Sei Du mein Glück, sei Du mein Gott!« mit diesem Gebete wendet sich Jordan, der sieht, »wie schal die geträumte Welt ist, wie wunderbar schön die ächte dagegen«5, an die Erde. Laß den verfluchten Möncheswahnsinn fahren, Daß schlecht das Irdische: D u bist die Erde! 6 O laß Dich nicht verlocken, Herz, zur Ferne! Nicht besser ist es droben als hienieden. Die Erde ist der schönste aller Sterne, Das glaub' — und hier schon h a s t D u ewigen Frieden 7 , 1
A u s Jordans Nachlaß. Mitgeteilt mit Erlaubnis des Herrn D r . P a u l V o g t , Hamburg.
M i t einigen Veränderungen unter dem T i t e l »Heimkehr« abgedruckt in der 1846 erschienenen Sammlung »Schaum«. 2
3
Schaum S. 67.
4
A . a. O . S. 114.
5
A . a. O . S . 1 3 .
0
S.49.
'
S.61.
24
Koch:
so fordern die »Irdischen Phantasien«, die sich unter das Rückertsche Motto stellen: Wonach ich auf zum Himmel geschaut, Das hab' ich noch alles gefunden auf Erden.
»Ich will das Leben in dem Jenseits nicht«, heißt es unmißverständlich in dem Fragment »Ein letzter König«1. Auch der Geist ist hier auf Erden heimisch, ist erdentsprossen und der Erde herrlichste Blüte, Der als Duft die Gedanken entsteigen Bis an die fernsten Sterne des Himmels, Alles erfassend, zuletzt sich selber Als die ewige Gottheit erkennend2.
So wird die Erde wahrhaft zur Mutter Gottes, denn der Mensch, Geschöpf der Erde, ist es ja, der Gott denkt3. Begraben ist damit die Hoffnung auf persönliche Unsterblichkeit: Laß sein, laß sein das Auferstehungshoffen, Du bist aus Erde, bist ein Erdengeist, Der, wenn des Todes Sichel ihn getroffen, Von neuem nur im Erdenzirkel kreist4.
»Die Verwesung ist das Leben«5, »Nur das Sterben ist ewges Gebären«6, die Welt ein unermeßlich gähnendes Grab,
„
Ewig gebärend, um das Geborne Mit ewig unersättlicher Mordlust Zurück in den hungrigen Bauch zu schlingen7.
Ein Bild der Welt, der Natur bietet sich dar, wie es der junge Goethe in der Rezension von J. G. Sulzers »Schönen Künsten« umreißt8, und das in Werthers Tagebuchblatt vom 18. August9 wiederkehrt, ein Bild des »Stirb und werde!«, das hier schon ganz modern evolutionistische Züge hat: Im steten Formenwechsel, der sich brausend Dahinwälzt von Jahrtausend zu Jahrtausend, Im ewigen Sterben, Wiederauferstehen, Im ruhelosen Werden und Vergehen, Und im Zerreißen und im Wiederweben: Drin hat allein der Geist sein wahres Leben 10 . 11 S.73. S.201. 6 S.72. Ebd. " » Ebd. XVI, S. 58.
1
5
S. 109. S.96. S.245. 3
4
7
8
S.56. Jubil.-Ausg. XXXIII, S.16.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
25
In der Sammlung »Strophen und Stäbe« (1871) hat Jordan in dem Gedicht »Laurentiusthränen« seine Kosmogonie und alles, was für den Menschen aus ihr folgt, in 11 knappen Strophen gestaltet. Für den Menschen ergibt sich der Imperativ: So nutzet wohl die Spanne Zeit Stets mehr zu werden als ihr seid. Schon wissensreich und wunderstark Beginnt euch selbst Gestalt und Mark Zu steigern und verklären. Den blind und stumm im Sternenreich Gefangnen Gott erlöst in Euch Und macht ihn frei aus Neid und Not — So laute nun das Heilsgebot Anstatt der Kindheitsmären1.
In aller Klarheit ist hier der Gedanke des werdenden und hiesigen Gottes ausgesprochen: Gott wird und wächst mit der werdenden und wachsenden Kultur des Menschen, in ihm erwacht er zum Leben, der Mensch erlöst den blind und stumm im Kosmos gefangenen Gott. Der Augenblick aber, der Gott befreit, Ist größer als die Ewigkeit. Krönt Er äonenlange Müh'n, Dann mag die Erde froh zersprühn Zu Sanctlaurentiusthränen2.
Um den eigentlichen Zusammenhang für einen Augenblick wieder einmal aufleuchten zu lassen, sei hier eine der Rilkeschen Meditationen aus der kleinen Novelle »Wladimir der Wolkenmaler« (1899) eingeschaltet: »Die Menschen schauen immer von Gott fort. Sie suchen ihn im Licht, das immer kälter und schärfer wird, o . . . und Gott wartet anderswo — wartet — ganz am Grunde von allem. Tief. Wo die Wurzeln sind. Wo es warm ist und dunkel. . .«3. Es sind dieselben Gedanken und Vorstellungen, nur in ganz anderer, eben Rilkescher Beleuchtung. Man dringt noch weiter und tiefer in die geistesgeschichtliche Problematik dieser Zusammenhänge ein, wenn man Jordans Aufsatz über »Die religiöse Bewegung der Gegenwart« heranzieht, den Jordan im Jahrgang 1845 der Wigandschen »Vierteljahrsschrift«4 hat erscheinen lassen. Die Gedanken dieses Aufsatzes stehen in genauem Zusammenhang mit einem in derselben Zeitschrift früher gebrachten über »Die Philosophie und die allgemeine Wissenschaft«5. Wenn Jordan hier die Philosophie unter die kritische Lupe 1
S. 149.
3
Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit.
4
4. Bd, S . 1 5 5 — 2 2 0 .
2
S. 150. 5
1930.
S.412.
Jg. 1844, 1. Bd., S. 2 2 7 — 2 5 2 .
26
Koch:
nimmt, so tut er es, weil in ihr der letzte Rest des theologischen Bewußtseins eine Zuflucht gefunden habe. Die Ursache dafür liege in der Identitätslehre, die einseitig den Geist zu ihrem Fundamente nehme und »zu ihrem richtigen Gedanken nur dadurch kommt, daß sie aus ihm die Welt entwickelt, was noch eine Konzession an das theologische Bewußtsein ist«1. Von hier aus kritisiert Jordan die idealistische Grundstellung der Philosophie, was damals ohne Wirkung blieb, uns heute aber wie ein Vorklang organischen Denkens anmutet. Die Welt begreifen wollen, indem man vom Gedanken ausgeht, das heiße, so urteilt Jordan, ein Gebäude von der Spitze statt vom Grunde aus bauen. Wer den Geist zum Vater aller Dinge mache, verzichte darauf, ihn zu erkennen, und schaffe von Anfang an einen Gegensatz zwischen Geistigem und Materiellem, Leib und Seele, dessen Versöhnung unmöglich sei, woraus sich die radikale Forderung ergibt: »Man muß endlich das Vorurteil fallen lassen, daß der Geist etwas selbständig Existierendes sei«2. Gedanken, wie sie heute E. G. Kolbenheyer vertritt, tauchen keimhaft auf, wenn es heißt: »Man kommt nicht zum Ich ohne Du: die Gesellschaft erst macht den Menschen zum Geist, denn nur sie ist es, die die Sprache, das Denken erzeugt«3. »Reines« Denken, Gedanken an sich gebe es nicht, sie seien nur »bequeme, weite Säcke, in die man alles mögliche hineinstecken kann, und die sich, eben weil sie leer sind, auf das bequemste handhaben lassen«4. Der angeblich tiefsinnige Satz »Cogito ergo sum« setze voraus, was erst bewiesen werden müsse, das Ich. Diesem Zustande der Philosophie gegenüber fordert Jordan die »allgemeine Wissenschaft«, wie er sich ausdrückt, die die Welt aus ihr selber, das Gesamtwissen der Menschheit als ein organisches, harmonisches Ganze begreife. Sie hat ihre jeweilige Grenze, und auch dieser Gedanke erinnert an moderne Überlegungen, in der Zeit, der sie angehört. Denn die Welt ist für sie ja nur insoweit begriffen, als es nach dem jeweiligen Stande dieser allgemeinen Wissenschaft eben möglich ist, sie zu begreifen. »Sie bildet sich nicht ein, etwas anderes leisten zu können als was von der Gesamtheit der Geister zur Zeit geleistet ist«5. Gedanken, wie Jordan sie hier äußert, wird man rückblickend als einen der entscheidensten Akte in dem großen Kampfe zwischen Glauben und Wissen bezeichnen dürfen, wenn sie zu ihrer Zeit auch nicht in ihrer Bedeutung erkannt wurden, daher auch nicht zu wirken vermochten. Auch hier wird der Zusammenhang nach rückwärts mit Herder-Goetheschem Gedankengute deutlich, wenn man liest: »Die Welt ist ein ewiges Werden und Vergehen; jedes ihrer Zustände ist das Resultat einer unendlichen Reihe von vorhergegangenen Veränderungen und läßt sich nur aus diesen begreifen. Wir werden also, um die Welt zu begreifen, nichts anderes zu tun haben, 1
S.229.
2
S. 230.
3
S.271.
4
S.234.
5
S.242.
Rilkes
Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
27
als ihre Biographie zu schreiben, und es klar zu machen, wie sie geworden ist: Die begriffene Welt ist nichts anderes als die Weltgeschichte im weitesten Sinne des Wortes«1. Damit ist auch die Standfläche für die Kritik an der Religion, d. h. am Christentume gewonnen. Denn in ihm ist ja das idealistisch-dualistische Moment noch viel deutlicher und unverhüllter ausgeprägt als in der Philosophie, die es durch die Identitätslehre wenigstens zu verschleiern suche. Das Christentum liege nun im Sterben, weil seine Ideen unter ganz anderen Voraussetzungen und Verhältnissen entstanden seien und man endlich begreifen müsse, daß Ideen zugrunde gehen, wenn die Verhältnisse zugrunde gegangen sind, unter denen sie entstanden. Wie die Pflanze vergeht, wenn ihr der Boden, in dem sie wurzelt, genommen wird, so müßten auch Geistesformen, Sitten, Gesetze, Religionen vergehen, wenn die Bedingungen ihres Entstehens verschwunden sind. So liege das Christentum gegenwärtig im Todeskampfe. Denn die Himmelssehnsucht werde in dem Maße geringer, in dem die Möglichkeit, hier auf Erden glücklich zu werden, sich vergrößere. Die Gegenwart, die sich hier auf Erden immer wohnlicher einrichte, habe das Gegenteil des Christentums zu ihrem Wesen und Lebensinhalt gemacht. Wenn Jordan erklärt: »Welch ein ungeheurer Stillstand, ja Rückschritt selbst in den wichtigsten Lebenskünsten, in der ganzen Kultur, solange das Christentum noch in seiner vollen Blüte steht«2, so hat er später in der »Erfüllung des Christentums« (1879) den genau entgegengesetzten Standpunkt vertreten, daß aller Aufschwung der Kultur an das Christentum gebunden sei und seine Entwicklung sozusagen die Geschichte Gottes bilde. In dem Jugendaufsatze denkt Jordan noch folgerichtiger, wogegen »Die Erfüllung des Christentums« in idealistische Denkformen zurückfällt. Wie der Untergang der antiken Bildung, so lautet der Schluß hier in der Vierteljahrsschrift, mit dem Siege des Christentums zusammenfiel, so sei jetzt »der neue siegende Aufgang der Bildung zum zweiten, vielmals helleren Menschheitstage«3 unzertrennlich mit dem Untergang des Christentums verkoppelt, wobei Jordan unter »Bildung« die sprunghafte Aufwärtsentwicklung der Naturwissenschaften versteht. »Deutschland ist dies Sterbebett, wie es, wenn nicht die Wiege, so doch die Kinderstube, die eigentliche Pflanzschule des Christentums für alle Welt gewesen ist«4. Gott und Engel seien Geschöpfe der menschlichen Phantasie, »die sich selbst als eine menschliche Gestalt in alles hineinlegt und sich dann nicht darin wiedererkennt, sondern für etwas 1
S. 244.
2
S. 166.
3
S . 169.
S. 172. Wiederum wird die immanente Zielstrebigkeit dieser Gedanken deutlich, wenn man hier an die Worte Gregors in Kolbenheyers »Gregor und Heinrich« erinnert: »Ich will euch in dieser Stunde ein Geheimnis verraten, ihr Getreuesten: Jenseits der Nordberge liegt der Grund, in dem das Schiff der Kirche a n k e r t . . . R o m ist der Bau, der Grund aber (leiser) der Grund ist Germanien. Dort fließt aus dem Borne einer barbarischen Jugend die neue Menschheit«, Werke, V I . 476f. 4
28
Koch:
Höheres, Ubermenschliches hält«1, ein Gedanke, der auf Feuerbach zurückdeutet. Das »fortschreitende vernünftige Zeitbewußtsein« sei das wahre Reich Gottes auf Erden 2 , worin man wiederum nur eine andere Formulierung der Vorstellung des werdenden Gottes erkennen wird. »Der Glaube an Unsterblichkeit«, so schließt Jordan, »ewige Seligkeit im Jenseits, ist nichts als ein Surrogat für das vernunftmäßige Leben auf Erden, für die Freiheit, und bevor nicht das Surrogat vertilgt ist, wird das Bedürfnis nach dem Ächten nicht siegreich überwältigend. Ohne Verzweiflung keine Erhebung; denn es ist nur zu wahr, daß aller Mut im Grunde nichts ist als eine Masse von Feigheit. Soll die Erde gewonnen werden, muß erst der Himmel verloren gehen«3. In der kleinen Schrift über »Das Kunstgesetz Homers und die Rhapsodik«4 hat Jordan noch einmal zu dem von der Phantasie des Menschen geschaffenen Gotte Stellung genommen. Zur Zeit Homers sei es mit dem »Glauben« nicht anders bestellt gewesen als heute, habe man an den einäugigen Menschenfresser Polyphem nicht anders geglaubt als in der unsrigen an den Storch. Eine weitere Entwicklung von Jordans Gedanken bedeutet nun die in diesem Zusammenhange vorgetragene These, nur die semitischen Völker hätten dieses menschlichen Ursprungs der Götter so sehr vergessen, daß der Zweifel an Gottes handgreiflicher Existenz bei Strafe ewiger Verdammnis verboten worden sei. »Die arischen Völker haben mit den tiefsten Schauern der Verehrimg und Andacht ein Ewiges, Unergründliches lebendig empfunden, ein Wollen und Wirken, aus dem die Welt quelle, ein Göttliches, das in der Natur nach Entfaltung strebe, ein Heiliges, das mit dem Menschengeschlecht walte als dessen Zucht und Sitte, um seine schönste Gestalt zu gewinnen. Sie haben von dem unendlichen Rätsel immer neue Lösungen versucht und sehr wohl gewußt, daß keine derselben genüge. So haben sie Gott gedichtet in Menschengestalt. Sie aber haben es niemals ganz vergessen und umgedreht, daß die Götter Geschöpfe des Menschen seien. Die Hellenen und Germanen wenigstens sind niemals verzichtend Sklaven ihrer eigenen Phantasiebilder geworden. Sie bewahrten sich stets ein Gefühl der Oberherrlichkeit und ein Recht, mit ihren Gebilden frei zu spielen, um sich zu vergnügen, zu erbauen, zu erziehen«5. Das erinnert an einen von Hebbel im Tagebuch geäußerten Gedanken. Aus einem jüdischen Kalender notiert er da: »Zu dem Gedanken eines »Weltschöpfers« hat sich die heidnische Philosophie nie aufgeschwungen; das war uns vorbehalten«, was er so ausdrücken möchte: »Zu dem Gedanken eines Weltschöpfers ist die Philosophie der Alten nie herabgesunken, vor diesem krassesten aller Anthropomorphismen hat sie ihr gesunder Instinkt immer glücklich bewahrt«6. So münden 1 5
S.188. S. 22—25.
2
3 S.208. S.2l9f. ' Tgb. IV, Nr. 5960.
4
Frankfurt a. M. 1869.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
29
Jordans religiöse Gedanken letztlich in das Streben nach einem »Deutschen Glauben«, den zu finden, zu schaffen ihm allerdings, wie er im »Nachgesang« zu seinen »Nibelungen« bekennt, die Kraft fehle, den er aber kommen sieht. Daß er sich in der »Erfüllung des Christentums« diesem wieder nähert, damit zugleich aber vom »Deutschen Glauben« sich entfernt und den Begriff des werdenden Gottes nunmehr in den aus der Entwicklung des Christentums sich ergebenden Fortschritt verlegt, diese Rückwendung ist eine Angelegenheit des individuellen Schicksals, nicht mehr der allgemeinen Geistesgeschichte, weshalb »Die Entwicklung des Christentums« und der dem Ideengehalte nach damit sich deckende Roman »Die Sebalds« hier außer Betracht bleiben können. Vor Jordan hatte schon Hebbel, der 1855 bei der Lektüre des »Demiurgos« in Jordan einen ihm bisher unbekannten Anhänger entdeckte, den Gedanken des werdenden Gottes im Ganzen seines Weltbildes tiefsinnig ausgebaut, ohne daß jedoch sich eine Einwirkung von Hebbels Gedanken auf diejenigen Jordans feststellen ließe. Wenn sie beide zu ähnlichen Ergebnissen kommen, so hat das seine Ursache darin, daß sie von wenn nicht denselben so doch ähnlichen Grundlagen ausgehen, Jordan von der Gnosis, Hebbel, natürlich unbewußt, von Böhme, dessen grundsätzlicher Dualismus ihm anonym über Schelling und Hegel zugespielt worden sein mag 1 . Im tragischen Weltbild Hebbels spielt der Begriff des werdenden Gottes eine entscheidende Rolle. Ein grundsätzlicher Dualismus zerspaltet nach Hebbels Uberzeugung Welt und Leben, unser ganzes Sein, ohne daß wir das Gemeinsame, Lösende und Erlösende hinter diesen gespaltenen Zweiheiten vorzustellen vermöchten2. Auch Gott ist, soweit er sich in der Erscheinung offenbart; dieser Spaltung unterworfen, ja, dieser Widerspruch ist für ihn das Mittel, sich in der Zeit, im Werden darzustellen. In dem Sonett »Der Mensch und die Geschichte« wird Gott geradezu mit dem reinen Bilde der Menschheit, an dem die Geschichte meißelt, das sich also erst in der Zeit vollendet, identifiziert. So wird ihm der Mensch zum »Prokrustesbett der Gottheit«3, die Schöpfung zur »Schnürbrust«4, die Welt zur »großen Wunde Gottes«5, ein Bild, das schon an die Verse des Stunden-Buches erinnert: Dir war das Nichts wie eine Wunde, da kühltest du sie mit der Welt.
Auch für Hebbel wird der Mensch zum Schöpfer Gottes. Seltsam erscheint es ihm, »wenn nicht Gott die Welt, sondern wenn die Welt Gott geboren hätte«6. Ein andermal fragt er sich: »Wenn nicht Gott-Schöpfer, 1 Vgl. dazu Benno von Wiese, Das Tragische in Friedrich Hebbels Welt- und Kunstanschauung: Dichtung und Volkstum. 41. Bd. 1941, S. r—22. 2 s 4 Tgb. II, Nr. 2197. Tgb. I, Nr. 1687. Tgb. I, Nr. 1744. 6 8 Tgb. III, Nr. 2663. Tgb. II, Nr. 1971.
30
Koch:
warum nicht Gott-Geschöpf? Wenn nicht ein ungeheures Individuum am Anfang, warum nicht am Ende P«1. Gott und Mensch sind aufeinander angewiesen, und im schärfsten Gegensatz zur christlichen Lehre wird für Hebbel der Mensch im Untergang zum Erlöser der Idee, d. h. doch wohl Gottes. Gott ist also nur vorläufig, nur unvollkommen da, und des Menschen letzte Aufgabe ist es, »aus sich heraus ein dem Höchsten, Göttlichen Gemäßes zu entwickeln und so selbst Bürge zu werden für jede seinem Bedürfnis entsprechende Verheißung«2. In die Geschichte dieses werdenden deutschen, keineswegs aber eines russischen Glaubens reiht sich nun aber auch Rilkes Stunden-Buch ein, was noch deutlicher wird, wenn man die Entwicklung der hierher zielenden Vorstellungen und Motive bei Rilke noch näher verfolgt. In der 1897 entstandenen Erzählung »Einig«, die der heimliche Kampf zwischen der Mutter, Frau Sophie, und dem kranken Sohne, Gerhard, um den alten Gottesglauben durchzieht, läßt Rilke den Sohn zur Mutter sagen: »Du hast mich tief in lauter Wunder geführt, immer weiter und immer weiter. So weit hast Du mich in Deinen Glauben geführt, daß ich die ganzen zehn Jahre, da ich von Dir fern war, gebraucht habe, um herauszufinden«3. Sie seien ein trostloser Rückweg für ihn gewesen, jetzt stehe er erst am Anfang des Bemühens, ins wirkliche Leben zu finden. »Fünfzehn Jahre irregeführt sein und zehn Jahre sich zurückkämpfen zum Anfange: Das bin ich«. Wenn Rilke hier, wobei es natürlich nicht auf zahlenmäßige Richtigkeit ankommt, Selbsterlebtes berichtet, und eine Stelle wie diese spricht bei einem Dichter wie Rilke, der so unmittelbar aus eigensten Seelentiefen gestaltet, mit Sicherheit dafür, dann darf man darin ein Zeugnis für seine Lösung vom dogmatischen Glauben sehen, zugleich eines dafür, daß jene »furchtigsten Frömmigkeiten« seines Wesens wirklich seine Entwicklung ganz erfüllt haben. Die gleichzeitige Geschichte »Alle in Einer« erzählt von dem Bildschnitzer Werner, dem, wenn er die heilige Jungfrau aus dem Holze schneidet, sich immer wieder, ja, gegen seinen eigenen Willen, die Züge Anne-Maries, der heimlich Geliebten, aufdrängen. Sein Schaffen ist sein Gebet. Als ihn das Mädchen fragt, welche seiner vielen Madonnen der Gottesmutter am ähnlichsten sehe, antwortete er ihr: »Alle zusammen sind sie. Wenn Du das Liebliche und Gnädige und das Mächtige und Innige von den vielen an Eine schenkst, dann ist diese Eine ihr ä h n l i c h . . . Alle diese zusammen und jene, die mir noch gelingen, sind — sie«4. Diese Worte erinnern sehr an die Art, wie Rilke später den werdenden und wachsenden Gott umschreibt, wie es sich ja auch hier um Göttliches handelt, das erst 1
T g b . III, Nr. 3739.
3
Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit.
1
A . a . O . S. 98f.
2
T g b . I, Nr. 584. S. i n .
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
31
wird, geschaffen werden muß. Vor allem aber erinnern sie an jene Briefstelle aus St. Petersburg, wo er sein Schicksal preist, daß er Fra Angelico »vor den Bettlern und Betern der iberischen Madonna« habe sehen dürfen, »die alle mit der gleichen knieenden Kraft ihren Gott erschaffen, immer und immer wieder, ihn mit ihrem Leid und mit ihrer Freude (kleinen unbestimmten Gefühlen) beschenken und bezeichnen, ihn morgens heben mit dem Augenlid und ihn abends ruhig loslassen, wenn die Ermüdung ihre Gebete wie Rosenkranzschnüre zerreißt«1. Es liegt am Tage, daß hier nur ein Gedanke weitergesponnen und ausgeführt wird, der Rilke schon beschäftigt hat. In den 1899 erschienenen »Geschwistern«, der zweiten der »Zwei Prager Geschichten«, nimmt Rilke nun schon unmittelbar Bezug auf Gott. Da entwickelt Zdenko seiner Schwester seine Ideen von dem Ruck, »da man sich vor alledem (den Dingen, deren Beispielhaftigkeit man sich nicht klar mache) auf die Fußspitzen stellt, statt davor hinzuknieen«, dem Ruck, der einem das Drüberstehen und Drübersehen ermögliche. Man sehe, meint er, indem er die übliche Stufenleiter von unten nach oben, vom Menschen zu Gott hinauf entwickelt, die Dinge meist vom verkehrten Ende an. Ihm dagegen scheint: »Ganz tief unten ist der liebe Gott und ein wenig über ihm der Papst und so fort. Oben aber ist das Volk«2. Das heißt, hier wie ebenso in der bereits zitierten Stelle aus der gleichzeitigen Skizze »Wladimir der Wolkenmaler« kommt bereits eine fertige Gottesvorstellung zu Worte, die mit der üblichen nichts mehr gemein hat, dagegen sich mit den Versen des Stunden-Buches verträgt: , Mein Gott ist dunkel und wie ein Gewebe von hundert Wurzeln, welche schweigsam trinken3.
Im gleichen Jahr, in dem »Das Buch vom mönchischen Leben« entstand, ist auch die Vorstellung des werdenden, wachsenden Gottes schon ausgebildet. Charakteristischerweise verbindet sie sich dort, wo sie zum ersten Male deutlich als solche auftritt, mit der des Künstlers, der, wie Rilke in einem durch mehrere Hefte der Wiener Zeitschrift »Ver sacrum« reichenden Aufsatze »Über Kunst«4 sagt, keine Vergangenheit habe: »Die anderen haben Gott hinter sich wie eine Erinnerung. Dem Schaffenden ist Gott die letzte, tiefste Erfüllung. Und wenn die Frommen sagen: 'Er ist', und die Traurigen fühlen: 'Er war', so lächelt der Künstler: 'Er wird sein'. Und sein Glauben ist mehr als Glauben; denn er selbst baut(!) an diesem Gott. Mit jedem Schauen, mit jedem Erkennen, mit jeder seiner leisen Freuden fügt er ihm eine Macht und einen Namen zu, damit 1
A n F r i e d a v o n B ü l o w , 27. V . 1899.
2
A . a. O . S. 2 0 7 f .
3
Briefe I, S. i 6 f .
I I , 176.
4 Jetzt »Verse und Prosa aus dem Nachlaß«. der Freunde der Deutschen Bücherei).
Leipzig 1929 ( 1 1 . Jahresgabe der Gesellschaft
32
Koch:
der Gott endlich in einem späten Urenkel sich vollende, mit allen Mächten und allen Namen geschmückt. Das ist die Pflicht des Künstlers«1. Sie, die Künstler, seien die Allerzukünftigsten, ihre Heimat werde erst sein2, sie sind »wartende und einsame Künftige und ungeduldige Einsame«. Der Künstlerbaum strecke seine Äste nicht Gott, dem ewig Fragenden, entgegen, »er breitet ruhig seine Wurzeln aus, und sie umarmen den Gott, der hinter den Dingen ist, dort, wo es ganz warm und dunkel wird«3, also wiederum jene tellurische Vorstellung von Gott als dem dunklen, fruchtbaren, trächtigen Wurzelboden des Seins. Es ist demnach eine Selbsttäuschung Rilkes, wenn er ein Vierteljahrhundert später »Das Dunkel Gottes, in dem allein Gemeinschaft ist«, als ein Geschenk Rußlands bezeichnet4. Die Sätze von dem seienden, gewesenen und zukünftigen Gotte, die zum mindesten den Rahmen des späteren Bildes vom werdenden und wachsenden Gotte bilden, sind im Novemberheft des Jahrganges 1898 von Ver sacrum erschienen, also gedacht und geschrieben, ehe Rilke in irgendeine Beziehung zu Rußland getreten war. Ganz deutlich heißt es in einer am 1. VIII. 1899 erschienenen Besprechung des Gedichtbuches »Lenz« von Max Bruns: »Der Gott ist noch nicht vollendet, dem diese Gebete gelten. Es kann sein, daß er in den nächsten Büchern mündig gemacht wird«5. Der Gedanke kehrt in derselben Abwandlung: Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, wieder in der letzten der »Geschichten vom lieben Gott«. Zu sagen: Er ist, wäre Klara, bekennt sie, wie Uberhebung erschienen, in Florenz hat sie gefühlt, »daß er war, irgendeinmal war«, jetzt denkt sie manchmal: »Er wird sein«6. Das ist auch der Glaube des Stunden-Buches, das ja aus derselben Geburt stammt, der Glaube, daß »der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht«, schon geblüht hat, daß dort nur der Frühling Gottes war 7 . Noch in dem Briefe vom 23. XII. 1903 an einen jungen Dichter aus Rom vertritt er den Gedanken, daß Gott noch nicht gewesen, erst im Werden und Kommen sei, der Kommende, »der von Ewigkeit her bevorsteht, der Zukünftige, die endliche Frucht eines Baumes, dessen Blätter wir sind«. »Was hält Sie ab«, fragt er, »seine Geburt hinauszuwerfen in die werdenden Zeiten und Ihr Leben zu leben wie einen schmerzhaften und schönen Tag in der Geschichte einer großen Schwangerschaft?«8. In eigentümlicher Wendung wird das Motiv des »Letzten«, des Erben, auf Gott übertragen in den anschließenden Sätzen. Wir begännen ihn, ohne ihn zu erleben, »sowenig unsere Vorfahren uns erleben konnten. Und doch sind sie, diese Langevergangenen, in uns, 1
A . a. O. S . 4 2 .
4
2
An Ilse J a h r 22. II. 1923. Briefe aus Muzot. S. 185.
5
Bücher usw. S. 1 1 3 .
3
Briefe an einen jungen Dichter.
A . a. O. S . 4 5 . 6
3
A . a. O. S . 4 9 .
A . a. O. S. u 8 f . Inselbücherei.
'
II, S. 194.
N r . 406, S . 34f.
33
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
als Anlage, als Last auf unserem Schicksal, als Blut, das rauscht, und als Gebärde, die aufsteigt aus den Tiefen der Zeit«. So ist der »Fernste«, der »Äußerste«, der Erbe aller menschlichen Aufschwünge, aller einsamsten Erlebnisse, sozusagen zur Quintessenz gekeltertes Leben. »Muß er nicht der Letzte sein, um alles in sich zu umfassen, und welchen Sinn hätten wir, wenn der, nach dem wir verlangen, schon gewesen wäre ?« Wie Bienen den Honig sammeln, so holten wir das Süßeste aus allem und »bauten«(!) ihn. In Rußland aber werden nun dieselben Eigenschaften, die Rilke eben den Künstlern als wesentlich zuerkannt hat, auf den russischen Menschen übertragen. »Neu« und »zukünftig« erscheint ihm das Land, »als ob seine Paläste und Kirchen erst sein würden — einmal!«1, das Volk der Russen »voll Ehrfurcht und Frömmigkeit«2. Was ihn am Leben der Russen »so ewig, so zukünftig« berührt, ist der Anschein, als ob sie »Fragmente unendlich langer und mächtiger Lebensläufe« lebten, über denen »die Dimensionen gigantischer Absichten und hastloser Entwicklungen« liegen3. E s ist in diesen Zeugnissen, die aus dem russischen Erlebnis selber stammen oder unmittelbar daran anschließen, nirgends die Rede von dem zukünftigen Gotte, nur die Russen selbst sind als werdendes Volk, das an Gott grenzt 4 , gesehen. Erst aus größerem Abstand vom Erlebnis selbst, aus dem immer wieder zitierten Briefe an Ellen Key aus dem Jahre 1904 könnte man derartiges herauslesen, wenn es da heißt: »Rußland war die Wirklichkeit und zugleich die tiefe, tägliche Einsicht, daß die Wirklichkeit etwas Fernes unendlich langsam zu denen Kommendes ist, die Geduld haben. Rußland, das Land, wo die Menschen einsame Menschen sind, jeder mit einer Welt in sich, jeder voll Dunkelheit wie ein Berg, jeder tief in seiner Demut, ohne Furcht, sich zu erniedrigen, und deshalb fromm. Menschen voll Ferne, Ungewißheit und Hoffnung. Werdende. Und über allem ein nie festgestellter, ewig sich wandelnder, wachsender Gott« 5 . Aber dieser Brief ist bereits deutlich stilisiert — Rilke spielt hier schon mit den ursprünglich unvertauschbaren Elementen — , er besitzt nicht mehr die Unmittelbarkeit jener älteren Zeugnisse. Diese Bilder und Vorstellungen, Ahnliches läßt sich öfter bei ihm beobachten, sind ihm bereits bequeme Metaphern geworden. Denn genau dieselbe Bezeichnung, »Werdende«, die eine Wirklichkeit haben, widmet er der Worpsweder Gemeinde. »Schöne Werdende« nennt er sie Paula Becker gegenüber 6 , 1 2 3 4 5 6
A n H u g o S a l u s . St. Petersburg 7. V . 1899. Briefe 1 , 1 2 . A n Gfn. F r a n z i s k a R e v e n t l o w . St. Petersburg 1 9 . V . 1899. Ebd. S. 1 5 . A n S o f i a N i k o l a j e w n a S c h i l l . Schmargendorf 5. III. 1900. Ebd. S . 3 0 . Geschichten vom lieben Gott. S. 27. Briefe I, S . 4 1 9 . Schmargendorf 18. X . 1900. A . a. O. S . 53.
Phil.-hist. Abh. 1943. N r . 2.
3
34
Koch:
die das, was ihm entfernt und nur mit gestreckten Sinnen erreichbar sei, als »Wirklichkeit« besäßen. Und wie ihm eben noch Rußland Heimat bedeutet hat, so nunmehr Worpswede1, wie ihm später wieder Kärnten als Urheimat seines Blutes erscheint. Ein großes Vertrauen hat er zu dieser Worpsweder Landschaft, die ihn nicht der Vergangenheit angehören, ihm keine Erinnerungen läßt. »Mitgehen, werden, ein sich Verwandelnder« kann er hier sein2. Den Eindruck der Umgebung von Adiek, wohin man von Worpswede aus einen Ausflug gemacht hat, beschreibt er so: »Alles muß erst werden hier. Das ist namenlos traurig. Und um die Freude des Werdens zu empfinden, müßte man für länger hinkommen«3. Es ist also die Kategorie des Werdens, der Entwicklung, der Evolution, die Rilke in dieser Zeit zur innerlichen, alles andere übertönenden Erfahrung wird. Im Kreise der Worpsweder spricht er »von dem Einerwerden-müssen, um aufhören zu können, Einer zu sein«4, in der Novelle »Die Letzten« nennt er das Leben, das moderne Leben, ein »ungestümes, stündliches Werden«, vergleicht er es mit der »Hast eines Frühlingssturmes: alle Himmel über einen Tag« 5 . Diese Erfahrung, das Gefühl des Wachsens von einer dunklen reichen Mitte her ist begreiflich und selbstverständlich angesichts der Fruchtbarkeit, der geradezu eruptiven Schöpferkraft des Jahres 1899. Sie wird nunmehr, im »Buch vom mönchischen Leben« und in den »Geschichten vom lieben Gott« auf Gott selbst übertragen, so daß er ihn betend anruft als den »Werdendsten, der wird«6. Rückblickend auf Worpswede hält sein Tagebuch ein Gespräch mit Clara Westhoff fest, worin er Gottes Mängel, seine Ungerechtigkeit und alles Unzulängliche mit Gottes Entwicklung entschuldigt, damit, »daß er nicht vollendet sei. Wann sollte er auch geworden sein? Der Mensch bedürfte seiner so dringend, daß er Ihn gleich von Anfang als Seienden empfand und sah. Fertig brauchte Ihn der Mensch, und er sagte: Gott ist. Jetzt muß er sein Werden nachholen. Und wir sind, die Ihm dazu helfen. Mit uns wird er, mit unseren Freuden wächst er, und unsere Traurigkeiten begründen die Schatten in seinem Angesicht. Wir können nichts tun, was wir nicht an Ihm tun, wenn wir uns erst gefunden haben. Und Sie dürfen Ihn nicht über der Menge denken. Er hat nicht Menge gemeint, er wollte von vielen Einzelnen getragen sein. In der Menge ist jeder so klein, daß er nicht Hand anlegen kann an den Bau(!) Gottes. Der Einzelne aber, der Ihm gegenübertritt, schaut in sein Angesicht und ragt sicher bis zu seiner Schulter auf. Und ist mächtig an Ihm. Und ist wichtig für Gott«7. Hier schon auch verbindet sich dieses Gotteserlebnis, diese, wenn man will, Theodizee, denn von naiver Frömmigkeit kann wohl nicht die 1 4 6
2 3 A. a. O. S . 5 4 . Tagebuch 21. IX. 1900. Briefe I, S. 316. Ebd. S. 324. 6 Tagebuch 3. X . 1900. A . a . O . S. 367. Erzählungen und Skizzen. S. 309. 7 Tagebuch 4. X . 1900. A. a. O. S.368. A. a. O. S. 369f.
35
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
Rede sein, wo es gilt, Gott gegen seine eigenen »Unzulänglichkeiten« zu verteidigen, mit der Wendung gegen das Christentum. Denn Christus sei, namentlich für junge Menschen, eine große Gefahr, »der Allzunahe, der Verdecker Gottes«. Sie gewöhnten sich daran, Göttliches mit menschlichem Maße zu messen, »sie bescheiden sich und müßten unbescheiden sein, um Gott zu haben«1. Weiter erzählt das Tagebuch von einem Gespräche » unten an einem südlichen Meer« mit einem jungen Philosophen und von seiner Frage, wie es denn mit der modernen Kunst stehe, ob die an Gott glaube, und wie er, Rilke, im Blick auf das schwere, dunkle Meer, in der Empfindung der großen Schönheit der Florentiner Tage und alles Gütigseins der Landschaft tief ergriffen diese Frage bejaht habe, weil keiner was machen könne ohne ihn. Das habe er bekannt, ohne selbst Gott schon gefunden und ohne dieses sein Bekenntnis begriffen zu haben. Und doch habe jene Stunde schon alles umfaßt, was er seither lebe und mit jedem Tage besser zu leben verstehe2. Diese Idee des Werdens, im besonderen des werdenden Gottes in der Form des Stunden-Buches, wirkt noch nach in dem Büchlein »Die Letzten«3, verlagert sich aber hier bereits mehr auf die Welt der Kunst. So in der ersten der drei Erzählungen, »Im Gespräch«. Dinge der Kunst, »Lied und Gedicht und Bild«, erklärt da der Pole, »sind anders als alle anderen Dinge:« Sie sind nicht. Sie w e r d e n jedesmal wieder . . . Sie heben uns — hoch — bis zu Gott«4. Denn Kunst ist Kindheit, »Kunst heißt, nicht wissen, daß die Welt schon i s t , und eine machen . . . plötzlich Erfüllung sein, Sommer sein, Sonne haben . . . Niemals vollenden. Niemals den siebenten Tag haben. Niemals sehen, daß alles gut ist«5. Von selbst ergibt sich der Ubergang des Gesprächs auf Gott, dem hier der Vorwurf gemacht wird, daß er zu alt war am Anfang, am Abend des sechsten Tages aufgehört, sich ausgegeben und gefunden habe, »daß sein Buch zu Ende sei mit dem Menschen, und nun die Feder fortgelegt hat und wartet, wieviel Auflagen es haben wird. Daß er kein Künstler war . . . daß er d o c h kein Künstler war«6. Eine Gottesvorstellung wird hier abgelehnt, welche die Welt als einmalige, nicht als ewige Schöpfung Gottes sieht. »Daß Du verwandelst, kann ich von Dir sagen«, so spricht sich sein Gotteserlebnis im Herbste 1904 aus, als sich ein 4. Teil des Stunden-Buches zu gestalten scheint. Den zürnenden und liebenden, gebenden und nehmenden Gott lehnt er ab, nur den Schöpfer-Gott läßt er mehr gelten: Du handelst wie in Tagen, da alles wurde: Siehe, alles wird'. 2 Tagebuch 4. X. 1900. A. a. O. S.371. A. a. O. S. 37of. 5 A.a.O. S.280. Erzählungen und Skizzen. S.282. ' Mövius a.a.O. S.161. 1
4
3 Berlin 1902. ' A . a . O . S.281.
8*
36
Koch:
Deshalb wird denn auch gefordert, um die durch den müde gewordenen Gott gesetzte Traurigkeit zu überwinden, dort anzufangen, »wo Gott abließ, wo er müde wurde«, im Leben, beim Menschen 1 . Kindheit, Jugend, Kunst und Gott, sie finden sich in einem zusammen, im Begriff des Werdens, denn Gott »will nicht den Bestand«2. Und alle drei leben sie außer der Zeit, sind als Werdende »von der Zeit verstoßen«3, der das Sein zugehört. Es ist nun wichtig und wieder führt damit eine Brücke zur gedanklichen Welt Jordans, um diese nicht aus den Augen zu verlieren, daß diese Erfahrung des Werdens, des schöpferisch-wachsenden Ichs, von Anfang an mit den Elementen sich verbindet, die sich auch im Weltbild Jordans feststellen ließen, zunächst einem ausgesprochenen Ahnen-Bewußtsein, sodann mit dem Gedanken natürlicher Gesetzmäßigkeit, endlich mit dem Begriff des Diesseitigen, des Hiesigen. Ahnen-Bewußtsein spricht sich schon in den »frühen Gedichten« aus4, im fünften, gleichfalls in jenem fruchtbaren Herbste 1899 entstandenen Zaren-Gedicht ist es wieder da 5 . Die ebenfalls 1899 gedichtete »Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke« lebt aus demselben Bewußtsein. In der Erzählung »Die Letzten« spielt das Ahnenmotiv eine entscheidende Rolle. Harald lebt da zwei Leben: »Eines nach vorn und eines tief zurück in die Vergangenheit. Das macht ihn so — so breit. . .«6. »Er ist reif. Er hat jahrhundertelange Entwicklungen hinter sich«, einer auf den Schultern des andern, ganz zuhöchst er, »und alle leisesten Schwankungen dieser breiten Basis sind in ihm sichtbar«7, während Marie Holzer, der dieser »Letzte« sich dann nicht mehr gewachsen fühlt, die Enkelin eines Bauern ist, »der Erde näher, dem Lehm, dem Rohstoff, voll protziger Kraft und Eigennutz, jünger in der Kultur«. Das Tagebuch hält den Gedanken fest: » . . . je dunkler und bunter unsere Vergangenheiten waren, an desto reicheren Bildern erlöst sich die Tätigkeit unseres L e b e n s . . . Alle Grausamkeit wird einmal Glanz bei Enkeln. Alle Erben tragen vergangene Schicksale wie Schmuck«8. Etwas später beschäftigt ihn der Plan, den Roman der Vergangenheit zu schreiben, »an einer Gestalt zu zeigen, wie die Vergangenheit bald die Welle ist, welche trägt, bald der Sturzbach, der zerschmettert«9. Die Entwicklung eines Geschlechtes müßte, überlegt er da, zwischen zwei Dichtern stehen, die am Ende einander die Hände reichen und so den Stromkreis des Lebens schließen: »Wieder ist alles Sage, was war, wieder ist alles Leben, was sein 1 2 4 6 7 8
A . a . O . S.283. 3 Tagebuch 2. X I I . 1899. A . a . O . S . 2 3 9 . Ebd. S.248. 5 Werke I. 6of„ 362. Werke II, io3f. Erzählungen und Skizzen. S . 3 1 1 . Ebd. S. 313. « 4 . X . 1900. Briefe I, 372. 20. XI. 1900. A . a . O. S . 3 9 1 .
37
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
wird. Wieder ist Gottvater. Und wieder Zukunft und Ewigkeit«1. Dinge aber sind es, die willig halten,
Die
was einer ihnen in die Hände legte; da sagt ein Glas, was meinen Ahn bewegte, ein Buch verrät mir, was er heimlich hegte, und dieser Atlas, der um die Gestalten vergangner Frauen rauschend sich erregte, fällt immer wieder in die alten Falten. Was in uns schläft, bleibt in den Dingen wach, aus ihnen schaun uns dunkel Augen nach, die unsere Gebärden weit begleiten: Die Ersten dauern, und wir sind die Zweiten . . . 2 .
Zugleich aber offenbaren die Dinge eine »unendliche Gesetzmäßigkeit«, die nicht gestattet, zwischen schönen und nichtschönen Dingen zu wählen3. »Tu mir kein Wunder zulieb«, betet er im Stunden-Buch zu Gott: Gib deinen Gesetzen recht, die von Geschlecht zu Geschlecht sichtbarer sind 4 .
Er liebt Gott als »sanftestes Gesetz«5 und berührt sich hier mit Stifters Lebensgefühl, etwas »Notwendiges« ist Gott 6 . »Auf dem Grunde des Zufalls«, der sich in wahllosen Umarmungen zu vollziehen scheint, »erwacht«, so schreibt er einem jungen Dichter 7 , »das Gesetz, mit dem ein widerstandsfähiger kräftiger Samen sich durchdrängt zu der Eizelle, die ihm offen entgegenzieht. Lassen Sie sich nicht beirren durch die Oberflächen; in den Tiefen wird alles Gesetz«. Vom Leben sagt er in dem 1901 geschriebenen Aufsatz über Heinrich Vogeler, der 1902 im Aprilheft der Zeitschrift »Deutsche Kunst und Dekoration« erschienen ist, es sei »ein geheimnisvolles Nebeneinander unverkündeter Gesetze, keine Offenbarung«. Damit hängt die Briefstelle zusammen, alles Irren bestehe nur »im Nichterkennen der Gesetzmäßigkeit, unter welcher wir im gegebenen Fall stehen«8 — Niederschläge des evolutionistischen, naturwissenschaftlichen Denkens, das ja den transzendenten Gott nicht mehr kennt und anerkennt. Gott ziehe, heißt es in »Vom lieben Gott und anderes«9 den Himmel immer näher über die Erde, die Nacht, durch die er schreitet, habe »etwas von der duftenden Wärme fruchtbarer Schollen«. »Der Gott, der uns in den Himmel entfloh, aus der Erde wird er uns wiederkommen«10, diese weit 1
A . a. O . S . 3 9 5 .
4
II, S . 2 4 5 .
'
Briefe an einen jungen Dichter: Inselbücherei N r . 406, S . 2 5 Worpswede, 1 6 . V I I . 1903.
8
An Emanuel vom Bodman,
» S.78f.
2 5
10
2. X I I . 1899.
II. S. 190.
A.a.O.
S.80.
6
A . a. O . S . 2 4 1 .
17. V I I I . 1901. '
3
E b d . S. 242.
Geschichten vom lieben Gott. Briefe I, S. 107.
S.72.
38
Koch:
vordeutende Erkenntnis Rilkes, wird erst in den Elegien ihre dichterischen Früchte tragen. Vorerst wird der Gedanke als solcher festgehalten und immer wieder ausgesprochen: »Der Gott, der hoch über den Welten wohnt, hat ein gebücktes, mühseliges Dasein und wenig Raum; wenn sich ihm aber das All auftut, so sinkt er zurück in das breite Lager dieser tausend Dinge, streckt seiner Glieder winkelmüde Gelenke und träumt1.« An Maeterlinck rühmt er, daß er »durch die Himmel geht, um alles von dort zurückzuholen, was den Menschen gehört — um diesen ganzen Himmel, der uns viel zu fremd geworden ist und der sich viel zu weit von uns entfernt hat, zurückzuführen in seine Heimat, welche die Seele des Menschen ist«2. Und wiederum wird ein Thema der Elegien im »Buch von der Pilgerschaft« in den schon zitierten Versen vorweggenommen: Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben, nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn und dienend sich am Irdischen zu üben . . .3.
Daß Gott am Ende nichts anderes ist als das große Gesetz des Daseins, der Wirklichkeit, das Eine, das nicht Zufall ist und Ungefähr, wird hier schon sichtbar, eine Frömmigkeit, die Rilke nach Ellen Key als das Gesetz der Schwerkraft für die Seelen, »das aus der Tiefe Gottes stetig und still auf die Seelen wirkt, so wie das Schwere-Gesetz auf die Dinge«, gedeutet hat4. Uberhaupt finden sich in jenem Berichte Ellen Keys über Rilkes Anschauungen, der sich auf Briefe Rilkes stützt, alle genannten Motive wie im Schmelztiegel zusammen, weshalb er in seiner ganzen Ausdehnung hier stehen mag: »Das Ziel der ganzen menschlichen Entwicklung ist, Gott und die Erde in demselben Gedanken denken zu können. Die Liebe zum Leben und die Liebe zu Gott muß zusammenfallen, anstatt, wie jetzt, verschiedene Tempel auf verschiedenen Anhöhen zu haben; man kann Gott nur anbeten, indem man das Leben zur Vollkommenheit lebt. Ihm immer höhere Formen zu geben, einen immer reicheren Zusammenhang zwischen ihm und dem scheinbar Unbelebten herbeizuführen, dies heißt, Gott schaffen; mit anderen Worten, Gott ins Leben hinabsinken oder das Leben zu Gott emporblühen lassen. Der Glaube, daß Gott nicht da ist, daß er noch nicht da sein konnte, ist für eine Natur wie Rilke unendlich bejahend. 'Er hat', sagt er, 'die Angst von mir genommen, daß Gott vergangen und verbraucht sein könnte; er schließt die Gewißheit ein, daß Gott aus unserem wirkenden Willen, aus unserer langen Sehnsucht erschaffen werden wird. Die Einsamen, die alle schon gegebenen Formen für Gott, Bilder von Gott, Besitzansprüche 1 3
Bücher usw. S.227. gedr. 15.XI. 1898. 1 II, S.255. A.a.O. S.218.
a
Ebd. S.201. gedr. März 1902.
Rilkes
Stunden-Buch — ein Akt deutschen
Glaubens
39
an Gott zurückweisen, die sind im Begriffe, Gott mit ihrem Herzen, ihrem Kopfe, ihren Händen zu erschaffen, sei es, daß sie die Dinge oder Zustände bilden. Gott wird in dem Maße, in dem die Menschen das Leben mit Seele, die Zeit mit Ewigkeit erfüllen' 1 . Aber die Philosophen, die Gott in einen Begriff wie in einen Fingerhut einschließen und sich damit brüsten, ihn an einem ihrer fünf Finger zu haben, der Theologe, der glaubt, daß Gott den Religionsstiftern gestanden' sei, die ihre verschiedenen Bilder von ihm gemalt haben und die dann miteinander streiten, wer wirklich den Fingerhut trägt oder das ähnlichste Bild gemalt hat, diese spielen mit Gott. Nur die Einsamen, die 'unbeirrt sind, aus sich selbst kommen, ein eigenes Leben haben und eine eigene Kraft', sie bereiten das Kommen Gottes vor. Nicht eine ihrer Gebärden geht verloren, und das Weh, das sie tragen müssen, 'wirkt in die Welt des Kommenden hinein'. Alles, was ihnen widerfährt, alles, was sie erleben, ist ein Spiegelbild dessen, was die Zukunft für die Menschheit birgt. Alles, was wir träumen, wird werden, und Träume sind Vorläufer, Seher. Von diesen Einsamen, die sich nicht von den Rufen: hier oder hier ist Gott, verwirren lassen, von den Propheten, die nichts von Gott verkünden, von Seelen, schwer von ihrem eigenen Schweigen über Gott, reich durch ihre nie in Worte ergossene Sehnsucht — von all diesen wird Gott kommen. Sein Erscheinen wird hingegen durch alle verzögert, die ihn verkünden, ihn bestimmen, ihm vorgreifen. Ein solcher 'Voreiliger' war Christus, und nach einem solchen Vorgreifenden kommen andere noch Übereiltere. Durch sie alle gehört Gott der Vergangenheit an. Und darum, ruft Rilke, 'wenn die braven, gelehrigen Hunde auch einen Gott bringen, welchen sie mit Lebensgefahr apportiert haben — schleudert ihn zurück in die Unendlichkeit! Denn Gott soll nicht so aufs Trockene gebracht werden. Er läuft keine Gefahr auf den weiten Wassern, und eine große Zukunftswelle wird ihn auf den Strand heben, der seiner würdig ist'. Die Glut der Gerechtigkeit, die Flamme des Gesanges ist das Feuer, in dem Gott geschmiedet wird. Im Schöße des Weibes, wenn es das Kind der Liebe trägt, im weichen Sinn des Menschenherzens, wie in dem harten Stein, wenn er die Seele des Künstlers empfängt — da ist die Unendlichkeit, in der Gott ruht und wartet. So sind Rilkes Adventgedanken . . .«2. Sie tragen den unverkennbaren Stempel Rilkescher Prägung auch dort, wo Ellen Key seine Verfasserschaft nicht ausdrücklich bezeichnet. Blickt man von hier aus noch einmal auf Jordan zurück, sind die Ubereinstimmun1 2
Im Originaltext gibt diese Briefstelle Carl Sieber im Vorwort von »Über Gott« S. 6. A . a . O . S. 219—221.
40
Koch:
gen vollkommen. Nicht nur dieselben Gedankenmotive finden sich in diesem Berichte zusammen, ein Satz wie der: »Alles was wir träumen, wird werden, Träume sind Vorläufer, Seher«, stimmt fast wörtlich mit Jordans Formulierungen überein. Der Briefwechsel mit Rilke, aus dem Ellen Key schöpft, stammt aus.dem Jahre 1904. Um diese Zeit vollzieht sich bereits ein Wandel in Rilkes Anschauungen von Gott. Der Begriff des werdenden Gottes gewinnt deutlicheren Umriß, da Gott nunmehr in dem Maße als werdend erkannt wird, »in dem die Menschen das Leben mit Seele, die Zeit mit Ewigkeit erfüllen«. Zugleich tritt das Merkmal des Hiesigen stärker ins Licht. Gott und die Erde müssen in demselben Gedanken gedacht werden, Gott muß in unser hiesiges Leben hinabsinken, dieses hiesige Leben aber emporblühen zu Gott. In dieser Richtung entwickeln sich Rilkes religiöse Anschauungen weiter. Um deutlich werden zu lassen, wie sehr sie, natürlich Rilke unbewußt, in die Geschichte des Ringens um einen »deutschen Glauben« gehören, ist es daher notwendig, noch einen Blick auf diese späteren Entwicklungsformen zu werfen. Einen Markstein auf diesem Wege bilden die beiden, nunmehr unter dem Titel »Uber Gott«1 zusammengefaßten Briefe Rilkes, der an L. H. und der »Brief eines Arbeiters«. Der Brief vom 1$. XI. 1915 an L. H. geht von der Tatsache aus, »daß unser Antlitz und das göttliche Gesicht in dieselbe Richtung hinausschauen, einig sind«2, d. h. daß, wenn auch nicht ein völliger Zusammenfall von Gott und Mensch, doch eine Gleichgerichtetheit eingetreten ist. Dieser Gedanke aber gewinnt noch eine schärfere Profilierung. Der Mensch habe, meint Rilke, seit seinen frühesten Anfängen Götter gebildet, in denen er das Tote und Drohende, das Schreckliche, »das Fremde«, was alles auch in ihm selbst gewesen sei, womit er aber nichts anzufangen gewußt hätte, aus sich hinausstellte. Also Hypostasierung dessen, was ihn im eigenen Wesen beunruhigte, eine psychologische Erklärung des Gottesglaubens. Man könne, überlegt Rilke, von da aus »die Geschichte(!) Gottes« »als einen gleichsam nie angetretenen Teil des Menschengemütes, einen immer aufgehobenen, aufgesparten, schließlich versäumten« behandeln3. Dasselbe habe man mit dem Tode getan, also etwas Immanentes, Drohendes transzendiert, um sich auf diese Weise davon zu befreien. Aber damit habe man, und dieser Gedanke wird für die Entwicklung von Rilkes religiösen Vorstellungen entscheidend, »den kleinen Kreislauf des nur Hiesigen« noch mehr beschleunigt, gegen den Widerspruch der Natur, da doch in einem blühenden Baume der Tod so gut wie das Leben blühe, auch die Liebe den Menschen immer »in ein unendliches Bewußtsein des Ganzen« hineinreiße4. Rilke wehrt sich damit gegen jenen Dualis1
Leipzig 1934.
2
A. a. O. S. 15.
3
A. a. O. S. 17.
4
S.20.
Rilkes
Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
41
mus, der entstand, als man Gott und Tod als »das andere« von dem »Einen«, unserem Leben, abtrennte, gegen das »Zwielicht« des Christentums und sucht nach einer neuen Einheit, die beides wieder in dieses unser hiesiges Leben zurückholt. Und er sucht dieses Ziel auf einem Wege, der dem des Christentums gerade entgegengesetzt ist, indem er nicht unser Leben auf ein Jenseits bezieht, sondern umgekehrt dieses Jenseits, Gott, in unser Leben hinabsinken läßt. Der in der Nachkriegszeit entstandene »Brief eines Arbeiters« geht einen Schritt weiter, wenn er sich zunächst mit Christus, »der sich in alles hineinmischt«, auseinandersetzt, ihn als heute unmöglich, ja, sinnlos ablehnt. — Von dem »Telephon 'Christus', in das fortwährend hineingerufen wird: Holla, wer dort? — und niemand antwortet« spricht er schon in einem Briefe aus Ronda in Spanien1, wo er seit Cordoba »von einer beinah rabiaten Antichristlichkeit« erfüllt ist. — Das Kreuz Christi könne uns nicht ewig als Brandmal aufgedrückt bleiben. Man solle uns nicht immer in die Mühe und Trübsal zurückzwingen, die Christus die Erlösung gekostet hat. »Laßt uns endlich dieses Erlöstsein antreten«2. Christus habe wie viele vor ihm nur auf Gott hinweisen wollen, aber die Menschen seien wie Hunde, die keinen Zeigefinger verstehen und meinen, sie sollten nach der Hand schnappen. Statt vom Kreuzweg weiterzugehen, habe sich die Menschheit auf ihm angesiedelt. »Sie haben aus dem Christlichen ein Metier gemacht, eine bürgerliche Beschäftigung, sur place, einen abwechselnd abgelassenen und wieder angefüllten Teich«3. Sie machten das Hiesige schlecht und wertlos, die zunehmende Ausbeutung des Lebens sei nichts anderes als »eine Folge der durch die Jahrhunderte fortgesetzten Entwertung des Hiesigen. Welcher Wahnsinn, uns nach einem Jenseits abzulenken, wo wir hier von Aufgaben und Erwartungen und Zukünften umstellt sind! Welcher Betrug, Bilder hiesigen Entzückens zu entwenden, um sie hinter unserm Rücken an den Himmel zu verkaufen! O es wäre längst Zeit, daß die verarmte Erde alle jene Anleihen wieder einzöge, die man bei ihrer Seligkeit gemacht hat, um Uberkünftiges damit auszustatten«4. Schließlich komme es auch bei Christus auf eine Kränkung Gottes hinaus, wenn er schlecht vom Irdischen spricht, statt darin etwas uns Beglückendes zu sehen. »Der rechte Gebrauch, das ists. Das Hiesige recht in die Hand nehmen, herzlich liebevoll, erstaunend, als unser, vorläufig, Einziges«5. So habe es auch Franz von Assisi gehalten in seinem Lied an die Sonne, die ihm im Sterben herrlicher gewesen sei als das Kreuz, »das ja nur dazu dastand, um in die Sonne zu weisen« 6 . Wie oft seien Versuche unternommen worden, Versöhnung zu stiften »zwischen jener christlichen Absage und der augen1 A n Fürstin M a r i e v o n T h u m den Jahren 1907 bis 1914. S . 2 5 6 . s
Über G o t t .
5
E b d . 33f.
S.30. 8
3
Ebd.
und T a x i s - H o h e n l o h e ,
E b d . S. 31 f.
S.34.
1
E b d . 32Í.
17. X I I . 1912.
Briefe aus
42
Koch:
fälligen Freundschaft und Heiterkeit der Erde«. Habe doch selbst in der Kirche Hiesiges seine Statt gefunden in der Geschichte gewisser Päpste, »deren Thron beschwert war mit Bastardkindern, Kurtisanen und Ermordeten«, worin mehr Christentum gewesen sei als in den dürren Wiederherstellern der Evangelien,—»nämlich lebendiges, unaufhaltsames, verwandeltes«1. Man dürfe nicht erschrecken, wenn die großen Lehren, wie es in einem schönen Bilde heißt, »plötzlich in die zerklüftete Natur des Lebens fortstürzen und unter der Erde sich in unkenntliche Betten wälzen«. Im Zustande erhöhten Lebens, des Frei- und OfFen-Seins — das Gefühl des Zeitlosen spielt auch hier eine entscheidende Rolle —, von dem der junge Arbeiter dann berichtet, sei es ihm leicht geworden, »Gott« zu sagen, den er jetzt als Macht schlechthin erfährt. »Anwendbar« will er sein an Gott, so schließt er, ohne daß ihm sein »Strahl gebrochen wird«, auch nicht durch Christus, um dessentwillen er sich nicht schlecht machen lassen, sondern gut sein wolle für Gott, zu dem er keinen Mittler brauche, »niemanden, der mir Briefe an ihn aufsetzen hilft«. Was nottut, seien »Lehrer, die uns das Hiesige rühmen«. Dieses Rühmen des Hiesigen vollziehen die Elegien und Sonette, die demnach den organischen und notwendigen Abschluß einer Entwicklung bilden, die im Stunden-Buch begann als »Aufstieg Gottes aus dem atmenden Herzen, davon sich der Himmel bedeckt, und sein Niederfall als Regen«3. Daß sich Rilke dieser Tatsache bewußt gewesen ist, verrät der aufschlußreiche Brief an Ilse Jahr vom 22. Februar 1923 4 über sein nunmehriges Verhältnis zu Gott. Neue Fernen spannen sich jetzt zwischen ihm und Gott, »eine unbeschreibliche Diskretion« bestimmt ihr Verhältnis. »Die Eigenschaften werden Gott, dem nicht mehr Sagbaren, abgenommen, fallen zurück an die Schöpfung, an Liebe und Tod . . .«. Das christliche Bekenntnis komme dabei mehr und mehr außer Betracht, »der uralte Gott überwiegt es unendlich. Die Anschauung, sündig zu sein und des Loskaufes zu bedürfen als Voraussetzung zu Gott, widersteht immer mehr einem Herzen, das die Erde begriffen hat«. Ein Mittler sei nur notwendig, wo man den Abgrund zwischen Gott und uns zugebe. »Erst zu dem, dem auch der Abgrund ein Wohnort war, kehren die vorausgeschickten Himmel um, und alles tief und innig Hiesige, das die Kirche ans Jenseits veruntreut hat, kommt zurück; alle Engel entschließen sich, lobsingend zur Erde«. Nicht anders weiß es der berühmte Brief an Witold von Hulewicz vom 13. November 1925 5 . Es geht Rilke um »das Ganze unseres Daseins«6, »des im weitesten Begriffe weltischen Daseins«7 1
Ebd. 35.
2
Ebd. 49.
3
An I l s e J a h r 22. II. 1923. Briefe aus Muzot S. i 8 s f . schon im Stunden-Buch verwendetes Bild. Vgl. II, S . 2 6 6 . 4
A . a. O. S. i 8 3 f f .
5
Briefe aus Muzot.
Auch hier wiederholt Rilke ein
S.33off.
• An N o r a P u r t s c h e r - W y d e n b r u c k 1 1 . V I I I . 1924. A . a . O . 279. ' Ebd. S. 280.
Rilkes
43
Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
— schon im Stunden-Buch will er Gott »spiegeln in ganzer Gestalt«1 — ; es geht um »Lebens- u n d Todesbejahung«2, um »die große Einheit«3, die den Dualismus von Diesseits und Jenseits ausschließt. Auch das, was hier klar vor Rilkes Augen steht, diese Einheit und neue Wirklichkeit, hat seine Geschichte. Wird jedem auch ein anderer Gott erscheinen, so geht Gott, erkennt das Stunden-Buch, durch die »hundert Seinen« doch »wie eine Welle«4. Und wenn den Gottsucher das große Wunder überkommt, die Einsicht: »Alles Leben wird gelebt«5, so ist das nur ein anderes Wort für jene vorerst nur dumpf empfundene Einheit. Was hier eigentlich gemeint ist, wird deutlicher aus einem jener schönen Briefe, die Rilke an Franz Xaver Kappus geschrieben hat. »Wir sind ins Leben gesetzt«, schreibt er da am 12. VIII. 1904 aus Borgebygärd6, »als in das Element, dem wir am meisten entsprechen, und wir sind überdies durch jahrtausendelange Anpassung — auch hier verrät sich Rilkes evolutionistisch-biologische Einstellung — diesem Leben so ähnlich geworden, daß wir, wenn wir stille halten, durch ein glückliches Mimikry von allem, was uns umgibt, kaum zu unterscheiden sind. Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Mißtrauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so gehören diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben«. »Das Leben hat recht auf alle Fälle«7. Fehler und Schuld des Menschen ist es, daß er, »statt klugen Kräften hingegeben«, aus solchen »einigen Zusammenhängen« in den leeren Raum einer Freiheit drängt. Erst später naht er wieder der Natur, um sie als Mantel des einen Gottes zu fühlen, zu hören, zu sehen8. Aus fünf Blättern, die ihm der Maler Otto Modersohn geschenkt hat, spricht ihn diese Einheit an, »dieses Warme und Ewige, diese Atmosphäre, die am Abend um junge Mütter ist, dieses Ruhigste auf der Welt, dieses Eine, welches nicht Zufall ist, dieser Augenblick Ewigkeit, um den alles, was wir denken und tun, kreist wie Vögel um Glockentürme«9. Wie dieses Einheitserlebnis mit dem Begriff des Werdens, also Gott, zusammenhängt, wird klar, wenn Rilke, ein andrer Faust vorm Zeichen des Makrokosmos, diese Blätter als »Werdestunden« betrachtet, in die man wie in geheiligte Werkstätten schaue, »drinnen die schaffende Flamme sich bewegt und wächst, das ewige Feuer, in welchem Gestalten und Sterne sich läutern und, das, wenn es sich einmal besänftigt senkt, Bilder von unendlicher Klarheit und blendender Vollendung zurückläßt«10. Wenn Rilke von den mit Tolstoj geführten Gesprächen erzählt, von hintergründigen Gesprächen, wo die Worte sich gleichsam im Dunkel hinter
Briefe aus Muzot S. 332.
1
II, S. 182.
2
5
II, S. 242.
• A . a. O. S . 4 7 .
8
II. S. 247.
9
10
Ebd. 84.
7
3
Ebd. S. 333.
4. XI. 1904. A . a. O. S . 5 2 .
An O t t o M o d e r s o h n .
23. X . 1900.
Briefe I, S. 60.
4
II, S. 197.
44
Koch:
den Dingen durchdrängten1, so erhält dieses Gespräch seinen Wert durch das Gefühl, »daß es aus den Dunkelheiten und Geheimnissen kommt, aus denen wir alle leben«. Und habe sich auch Nicht-Gemeinsames bemerkbar gemacht, so sei irgendwo ein Ausblick aufgegangen »auf helle Hintergründe tiefer Einigkeit2«. Wie eben das Moment des Werdens auf den Zusammenhang mit Gott hinwies, so geschieht es hier durch das Merkmal der Dunkelheit und des Geheimnisvollen. Endlich fehlt dieser Einheit auch jenes Dritte, das Künstlerische, nicht, das ja im Gottsuchertum Rilkes schon seine Rolle gespielt hatte. Denn für den Künstler gilt nunmehr dasselbe, was einst von Gott gesagt worden ist: »reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht ohne die Angst, daß dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch. Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind als ob die Ewigkeit vor ihnen läge; so sorglos still und weit«3. Entscheidend ist für den Künstler wie für die Kunst, wie er im Gespräch mit Modersohn feststellt, das erste »Einheitwerden« seines Wesens4, ein Vorgang, bei dem der Künstler das Gefühl hat, »eine Einheit zu sein allem Vielen gegenüber, und die Aufgabe, das Viele immer mehr zu vereinfachen, d. h. in sich aufzunehmen«. Das sind Keime eines Einheits- und Wirklichkeitsbewußtseins, das sich in den Elegien, Sonetten und Späten Gedichten voll entfaltet und von dem an anderer Stelle die Rede gewesen ist 5 , eines Einheitsbewußtseins, das ihm einmal, eingelehnt in die schulterhohe Gabelung eines strauchartigen Baumes, »völlig eingelassen in die Natur«, geradezu körperlich-sinnlich spür- und fühlbar geworden ist. Blickt man von hier aus auf den Gang der Untersuchung zurück, so sieht man die Spannung eines Bogens, der von Lessings theologischen Kämpfen — er schon spricht im Paragraph 76 der »Erziehung des Menschengeschlechts« den Gedanken aus, daß die geoffenbarten Wahrheiten gleichsam das Fazit waren, »welches der Rechenmeister seinen Schülern voraussagt, damit sie sich im Rechnen einigermaßen danach richten können« — zurück zu Leibniz, zu Jakob Böhme, zum Pietismus, zu Luther und zur altdeutschen Mystik führt, nach vorwärts über Hölderlin, ins 19. Jahrhundert und endlich zu Rilke. Verschiedenstes wird hier gebunden und doch alles von der einen Sehnsucht nach »innerer Wahrheit«, wie Lessing das nannte, von der Sehnsucht getrieben, die Gott überkommen hat, »in den Herzen 1 Auch wo er sich (Über Gott erzählt, »er
dieses Bild von der »Rückseite« verwendet Rilke wiederum in jenem Briefe an L . H., fragt, »ob wir nicht immer sozusagen an der Rückseite der Götter heraustreten« S . 15). Und noch einmal in dem Prosafragment »Erlebnis«, das von der Empfindung sei auf die andere Seite der Natur geraten« (IV. S . 2 8 1 ) .
2
An S o f i a N i k o l a j e w n a S c h i l l .
3
Briefe an einen jungen Dichter 23. I V . 1903. A . a . O . S. 19.
4
Tagebuch 1 5 . I X . 1900. Briefe I, S. 300f.
5
20. V . 1900.
Briefe I, S . 4 1 .
Vgl. F r a n z K o c h , Rilkes Kampf um die Wirklichkeit: Jahrbuch des freien Deutschen Hochstiftes. Frankfurt a. M . 1940. S. 9 2 — 1 2 2 .
Rilkes Stunden-Buch•— ein Akt deutschen Glaubens
45
der Menschen zu wohnen und nicht mehr durch das kalte, klare Wachsein ihrer Gedanken zu gehen«1. Es ist der Weg, den deutsches Gottsuchertum immer gegangen ist, wenn es galt, das von außen gekommene Dogma sich anzuverwandeln, aus dem Sollen ein Wollen zu machen, das immer wieder als fremd Empfundene aus der Wesenstiefe der eigensten Seele zu durchformen und umzuformen. Es sind Vorstöße des erbgearteten germanischdeutschen Wesens, Male germanischer Kontinuität, Werke jenes »spannenden Drangs« der siebenten Elegie, der auch dem hier umrissenen geschichtlichen Vorgang als eigentlich Treibendes zugrunde liegt: Tempel kennt er nicht mehr. Diese, des Herzens Verschwendung sparen wir heimlicher ein. Ja, wo noch eins übersteht, ein einst gebetetes Ding, ein gedientes, geknietes — , hält es sich, so wie es ist, schon ins Unsichtbare hin. Viele gewahrens nicht mehr, doch ohne den Vorteil, daß sie's nun i n n e r l i c h baun (!), mit Pfeilern und Statuen, größer! 2
Im 19. Jahrhundert gipfelt diese Auseinandersetzung in einer Krise, die, durch »Das Leben Jesu« von David Friedrich Strauß und durch Ludwig Feuerbachs »Wesen des Christentums« eingeleitet, durch das Aufblühen der Naturwissenschaften ihrem Höhepunkt zugeführt wird. Zweifellos spielen Straußische und Feuerbachsche Ideen dabei eine entscheidende Rolle. Denn Strauß hatte im »Leben Jesu« den Gedanken vertreten, daß Christus als ideelle Gestalt seine wirkliche Verkörperung nur im Ganzen der Menschheit finde, in der sich die Erscheinung Gottes zur Totalität entfalte, wie er sich die Persönlichkeit Gottes auch nur als Allpersönlichkeit zu denken vermag, offenbar als einen Begriff, der sich erst im Laufe der Zeiten, erst werdend mit Inhalt erfüllt. Wilhelm Jordan aber, dessen »Andachten« Rilke, wie wahrscheinlich gemacht wurde, gekannt hat, gliedert sich einer Kampffront ein, deren Ziel Feuerbach im Tagebuch folgendermaßen formuliert hatte: »Jetzt gilt es vor allem, den alten Zwiespalt zwischen Jenseits und Diesseits aufzuheben, damit die Menschheit mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen auf sich selbst, auf ihre Welt und Gegenwart sich konzentriere, denn nur diese ungeteilte Konzentration auf die wirkliche Welt wird neues Leben, wird wieder große Menschen, große Gesinnungen und großeTaten zeigen«. Viel von dieser innerseelischen deutschen Problematik ist auch in Rilkes Stunden-Buch eingegangen, das an der Jahrhundertwende janusköpfig in Vergangenheit und Zukunft blickt. Daß Jordan der letzten Folgerung der rationalen Voraussetzungen seines Standpunktes ausgewichen ist, wurde an anderer Stelle gezeigt3. Von Nietzsche an schwingt das Pendel auf dem Hintergrunde der1
V o m lieben Gott und anderes.
2
III,
S. 79.
3
V g l . F r a n z K o c h , Wilhelm Jordans »Demiurgos«.
S.290. S. 46Í.
46
Koch:
selben Problematik, die naturwissenschaftlich rationalistisch bestimmt b l e i b t , ins Irrationale hinüber. Denn geblieben ist der metaphysische Trieb als solcher, das Gottsuchertum, das Kreisen um Gott, die Sehnsucht, die wie aller Engel größter, bleich und unerlöst vor Gott steht und ihm seine Flügel hinhält, die Gewißheit eines noch anderen Besitzes, dessen dichterischer Ausdruck an eines der tiefsten Bekenntnisse in deutscher Dichtung, an Alkmenens Gefühlsverbundenheit an den Gehebten erinnert: Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn, wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören, und ohne Füße kann ich zu dir gehn, und ohne Mund noch kann ich dich beschwören. Brich mir die Arme ab, ich fasse dich mit meinem Herzen wie mit einer Hand, halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen, und wirfst du in mein Hirn den Brand, so werd ich dich auf meinem Blute tragen1.
Dennoch ist es unmöglich, diesen Gott, »der Dinge tiefen Inbegriff«, zu, wie die alten Mystiker gesagt hätten, »geworten«. Denn er verschweigt seines Wesens letztes Wort, wie es ja in Rilkes Gottsuchertum nicht um den Gegenstand eines Glaubens, sondern um den Glauben selber geht, weil Gott ihm ja »nur eine Richtung der Liebe ist, kein Gegenstand«2, »eine Richtung«, nicht aber »eine Forcierung des Herzens«3, eine Aufgabe, »mit dem Herzen zu denken«4. Denn Rilke ist selber Glied eines jener Völker, zu denen er ein unbeschreibliches Vertrauen hat, Völker, »die n i c h t durch Glauben an Gott geraten sind, sondern die mittels ihres eigensten Volkstums Gott erfuhren, in ihrem eigenen Stamme«, die daher auch keinen Mittler brauchen, der erst »ihr Blut, das Idiom ihres Blutes übersetzt in die Sprache der Gottheit«. Er gehört zu den »Gottursprünglichen«, deren »ursprünglich erfahrener Gott Gut und Böse nicht sondert und unterscheidet im Hinblick auf die Menschen, sondern für sich s e l b s t , leidenschaftlich besorgt um ihr Nahan-ihm-sein, um ihr Zu-ihm-halten und -gehören und sonst um nichts«5, ein Gedanke, der auf dieser Linie germanischer Kontinuität zuerst von Jakob Böhme gedacht worden ist. Aber auch noch andres, typisch Deutsches ist als geschichtliches Erbe, das anonym und unbewußt mit einfließt, in Rilkes Gottsuchertum, zumal in seinem Begriff des werdenden Gottes »aufgehoben«, manches von Herders Humanitätsideologie, von Schillers Reich des ästhetischen Scheins, wo »eigene schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch 1
II, s . 237 f.
2
Ges. Werke V , S. 289.
3
An Ilse B l u m e n t h a l - W e i ß ,
4
V, S.290.
5
28. X I I . 1921.
Briefe aus M u z o t
S.66f.
Briefe aus M u z o t S. 67 und 65.
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens
47
durch die verwickeltsten Verhältnisse mit kühner Einfalt und ruhiger Unschuld geht und weder nötig hat, fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde wegzuwerfen, um Anmut zu zeigen«1, vom Bildungsideal der Romantik, wie es eines der Fragmente Friedrich Schlegels formuliert: »Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich bilden sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten«2, von Hegels absolutem Geist, der sich in der Geschichte realisiert, vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts, von Nietzsches flammendem Zorn bis zur Stimme Arno Holzens, die »bekannt unbekannt; langsam, tief, feierlich« in der »Blechschmiede« verkündet: »Gott . . . ist nicht . . . Gott . . . wird!«3. Wir werden Rilke in viel stärkerem Maße, als dies bisher geschehen ist, als einen typisch deutschen Dichter, d. h. als einen solchen zu erkennen haben, der in seiner Kunst um die innersten Anliegen des deutschen Menschen gerungen hat4. Das vornehmste Anliegen aber ist in dieser Zeit des Zerfalls überkommener weltanschaulicher und religiöser Bindungen das immer wieder aufflammende Ringen des Deutschen um den artgerechten Gott und Glauben, einen deutschen Glauben. Erwin Guido Kolbenheyer hat in dem Aufsatze »Der zweifache Weg der Wahrheit«5 die tiefsten Wurzeln dieses Gottsuchertums als eines typisch und notwendig deutschen Phänomens bloßgelegt. Der Satz aus dem Paracelsus: »Es ist kein Volk wie dieses, das keine Götter hat und ewig verlangt, den Gott zu schauen«, er gilt auch für Rilke, für die geschichtliche Gebundenheit seines Stunden-Buches, das umgekehrt nun wieder dem metaphysischen Ringen unserer Tage vorleuchtet mit seiner Mahnung, »dienend sich am Irdischen zu üben«. Was Goethe, noch in geschichtlich weniger verwickelter Lage in die Verse gefaßt hat: Willst du ins Unendliche schreiten, Geh nur im Endlichen nach allen Seiten,
es ist auch am Ende Rilkes Lösung in jenem Entschluß, das Hiesige recht in die Hand zu nehmen, herzlich, liebevoll, erstaunend, als unser vorläufig Einziges, in jenem namenlos entschlossenen Bekenntnis der siebten Elegie: »Erde, Du hebe, ich will«. 1
S ä k . A u s g b . Bd. X I I , S. 120.
2
Pros. Jugendschriften hsgg. von J . M i n o r .
3
Das Werk von Arno Holz.
Bd. II, N r . 262,
S.247.
Bd. 3, S. 380.
4 Einen ersten Versuch dazu unternimmt die Schrift von E r w i n C l e f f , Grundzüge D e u t schen Wesens in der Dichtung Rainer Maria Rilkes. Würzburg 1936, vgl. bes. S. 3 5 f . 6
Neuland.
München 1935,
S.9—97.
48
Koch:
Rilkes Stunden-Buch — ein Akt deutschen Glaubens Anmerkung.
Erst nach Fertigstellung des Satzes ist mir Rilkes Florenzer Tagebuch in der neuen Ausgabe der »Tagebücher aus der Frühzeit. Hsgg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber.« (Leipzig 1942) zugänglich geworden. Diese vom Mai bis Anfang Juli 1898 niedergeschriebenen, kostbaren und aufschlußreichen Aufzeichnungen bestätigen aufs schönste die oben gewonnene Erkenntnis, daß die Vorstellung des werdenden Gottes in Rilke ausgebildet ist, ehe er Rußland kennenlernte. Schließt doch das Florenzer Tagebuch mit den Sätzen: »Ich fühle also: daß wir die Ahnen eines Gottes sind und mit unseren tiefsten Einsamkeiten durch die Jahrtausende vorwärtsreichen bis zu seinem Beginn. Das fühle ich!« (S. 140). Ja, gerade dieses Tagebuch, das sehr bald von seinem eigentlichen Gegenstande, den Florentiner Erlebnissen und Eindrücken, zu persönlichen Bekenntnissen abbiegt, umkreist wieder die GottesFrage in jener eben berührten Verbindimg von Künstler und Gott, wobei das künstlerische Moment mehr und mehr zurücktritt und das religiöse Problem sich immer deutlicher heraushebt, wie einige in unserem Zusammenhange bedeutsame Zitate belegen mögen. »Der Schaffende ist der weitere Mensch, der, über welchen hinaus die Zukunft liegt« (S. 38). »Der Künstler ist die Ewigkeit, welche hineinragt in die Tage« (S. 39). »Und u n s e r e Sehnsüchte bleiben, bis wir ermattet sind, in anderen wach, bis sie sich in irgendwelchen Letzten erfüllen. Diese erst sind dann ein Beginn. Wir sind Ahnungen und Träume« (S. 41). »Kunstwerke sind die Freibriefe der einzigen kronenechten Aristokratie, jener, die ihre Ahnen noch vor sich haben!« (S. 50). »Als der Mensch sehr arm war und sehr wenig wußte, war Gott sehr groß. Mit jeder Erfahrung fiel irgend etwas aus seinem Machtkreis heraus, und als er endlich fast nichts mehr besaß, da sammelten Kirche und Staat gemeinnützige Eigenschaften für ihn, an die nun keiner rühren darf« (S. 52). »Solange dieser Gott lebt, sind wir alle Kinder und unmündig. Er muß einmal sterben dürfen. Denn wir wollen selbst Väter werden« (S. 52). »Gott ist das älteste Kunstwerk. Er ist sehr schlecht erhalten, und viele Teile sind später ungefähr ergänzt. Aber es gehört natürlich zur Bildung, über ihn reden zu können und die Reste gesehen zu haben« (S. 53). »Jeder kommt in Trauerkleidern vom Sterbebette seines Kindheitsgottes; aber bis er zuversichtlich und festlich geht, geschieht i n i h m die Auferstehimg Gottes« (S. 53). »Wir brauchen die Ewigkeit, denn nur sie gibt unseren Gesten Raum, und doch wissen wir uns in enger Endlichkeit« (S. 71). »Und jeder Gott ist die ganze Vergangenheit einer Welt, ihr letzter Sinn, ihr einheitlicher Ausdruck und zugleich die Möglichkeit eines neuen Lebens« (S. 140). So ist das Florenzer Tagebuch geradezu eine Vorstufe des Stunden-Buchs.
Berlin, gedruckt in
der Reichsdruckerei.
374 43 2 B* y^ 1 -