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English Pages 372 [367] Year 2023
Livia Jesacher-Rößler
Responsive Schulleitung Leitungshandeln zwischen Legitimitätsansprüchen und Transformationsstreben
Responsive Schulleitung
Livia Jesacher-Rößler
Responsive Schulleitung Leitungshandeln zwischen Legitimitätsansprüchen und Transformationsstreben
Livia Jesacher-Rößler Philosophische Fakultät und Fachbereich Theologie, Institut für Pädagogik Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Erlangen, Deutschland
ISBN 978-3-658-41420-7 ISBN 978-3-658-41421-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en) 2023. Dieses Buch ist eine Open-Access-Publikation. Open Access Dieses Buch wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Buch enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Probst Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Die Publikation wurde mit finanzieller Unterstützung durch das Land Tirol und aus Fördermitteln des Vizerektorats für Forschung der Universität Innsbruck gedruckt.
Zusammenfassung/Summary
Responsive Führung im Kontext von Schule und Unterricht versteht sich als Zugang zu Führung, der hilft, die Antwortgeschehen abzubilden, die Schulleiter/innen durchlaufen, wenn sie in ihren Entscheidungen bzw. Schulentwicklungsprozessen auf Ansprüche reagieren. Responsive Schulleitung versucht zu fassen, wie sich etwas für Leiter/-innen zeigt und wie sie darauf respondieren. Insbesondere wird in der vorliegenden Arbeit die institutionelle schulische Umwelt mit ihren Anspruchsgruppen in den Blick genommen. Damit Antwortprozesse von Schulleitenden in ihrer Komplexität abgebildet werden können, wurde im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie, an der elf Schulleiter/-innen teilgenommen haben, ein Modell der Responsivität operationalisiert. Dies erfolgte mit Hilfe theoretischer Konzepte, deren Ursprünge auf neo-institutionalistischen Annahmen aufbauen. Als zentrale Komponenten des responsiven Schulleitungshandeln zeigten sich das Wahrnehmen, das Antworten, das Verantworten sowie das Legitimieren des eigenen Handelns. Im Zusammenspiel dieser vier Phasen liegt der responsive Akt, den Schulleiter/-innen vollziehen, wenn sie auf Ansprüche, wie etwa neue Reformen, antworten. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen zum einen, dass alle Leitenden unterschiedlich auf die von ihnen wahrgenommenen Ansprüche antworteten und zum anderen, dass institutionelle schulische Umwelten von einer Vielzahl an Legitimität aussprechenden Anspruchsgruppen geprägt sind. Die Ergebnisse zeigen ferner, wie wichtig es ist, die Aushandlungsprozesse zwischen organisationalen Akteuren (Schulleiter/-innen) und institutionellen Akteuren (Anspruchsgruppen) wahrzunehmen, um schulische Entwicklungsprozesse besser nachvollziehen zu können.
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Zusammenfassung/Summary
Daher möchte die Arbeit mit den Ergebnissen dazu beitragen, Schulleitungshandeln besser zu verstehen sowie Schulentwicklungsprozesse auch in einem größeren institutionellen Kontext zu betrachten. Schlüsselwörter: Schulleitung · Schulleitungshandeln · Neo-Institutionalismus · institutionelle Umwelten · Educational Governance · Mittelschulreform · Österreich Responsive leadership in the context of school development is understood as an approach to leadership that helps to map and understand how school leaders respond to demands in their practice or school development processes. Responsive leadership therefore provides a means of understanding how something appears to school leaders and how they respond to it. In particular, this study focuses on the institutional school environment and its stakeholders. In order to map the complexity of response processes of school leaders, a model of responsiveness was operationalized in a qualitative study in which eleven school principals participated. The research draws on conceptual work based on neo-institutionalism theory. The central components of responsiveness in school leadership were shown to be sensing, responding, taking responsibility and legitimizing of one’s own actions. Findings also demonstrate how leader responsiveness to demands, such as new reforms, is enacted within the interplay of these four phases. The outcomes of the study suggest, firstly, that all school leaders responded differently to the demands they perceived and, secondly, that institutional environments of schools are characterized by a multitude of stakeholders who express legitimacy. The results also show how important it is to understand the negotiation processes between organizational actors (school leaders) and institutional actors (stakeholders) in order to better understand school development processes. This work contributes to a more comprehensive understanding of school leadership practices and school development processes in broader institutional contexts. Keywords: School leadership · school leadership practices · neo-institutionalism · institutional environments · educational governance · middle school reform · Austria
Einleitende Bemerkungen
Oder „Sie sind für mich wichtig, weil sie für mich wichtig sein müssen [...].“ (SL 11 MGU)
Die Suche nach dem Thema für die eigene Qualifizierungsarbeit gestaltet sich mitunter herausfordernd. Es gibt viele spannende Themen und viele offenen Fragen. Zu viele, um sie alle in nur einer Arbeit beantworten zu können, gleichwohl viele der Fragen miteinander in Beziehung stehen und einander bedingen. Die offenen Fragen zu bearbeiten und dabei die Komplexität nicht zu groß werden zu lassen, erscheint mir eine der größten Herausforderungen zu sein. Mit der Forschungstätigkeit im Projekt „Modellregion Bildung Zillertal“ wurde mir nicht nur die Möglichkeit geboten, mich gezielt mit Fragestellungen zur Gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen auseinandersetzsetzen, sondern durch die Zusammenarbeit mit den Schulen der Modellregion hatte ich auch die Chance, sämtliche Reformvorhaben, die in den vergangenen Jahren an die Sekundarstufe 1 bzw. die Neuen Mittelschulen herangetragen wurden, direkt in ihren Umsetzungen zu studieren. Im Zusammenhang mit weiterführenden Projekten kristallisierten sich immer deutlicher die Fragen heraus, wie Reformumsetzungen eigentlich gestaltet werden und inwieweit sich solche Umsetzungsprozesse von Schulstandort zu Schulstandort unterscheiden. Damit verbunden waren immer auch die Fragen nach der Rolle der Schulleitung und den Entwicklungsprozessen der Organisationen. Durch die vielen Schulbesuche konnte ich überdies ausmachen, wie Lehrer/-innen und Schulleiter/-innen mit Veränderungen rangen. Dieses
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Einleitende Bemerkungen
Ringen zwischen den neuen Ansprüchen, die an sie gestellt wurden, und den Routinen, die sie bis dahin praktizierten, weckte mein besonderes Interesse. Zumal meine Beobachtungen vermuten ließen, dass nicht alle auf die gleiche Art und Weise bzw. mit den gleichen Handlungen auf die Herausforderungen antworteten. Insbesondere das Zwischenspiel zwischen den Anspruchserhebenden und den Antwortenden faszinierte mich. In der Aussage eine/-r-/s- Schulleiter/-in/-s manifestiert sich dieses spannungsbehaftete Zwischenspiel so pointiert, dass ich sie vorgreifend an dieser Stelle schon zitieren möchte: „Sie sind für mich wichtig, weil sie für mich wichtig sein müssen [...].“ (SL 11 MGU)
Schulleiter/-innen bewegen sich in ihrem Leitungshandeln zwischen Legitimitätsansprüchen und Transferstreben. Diese Beobachtung und die Vorstudien, die ein Eintauchen in unterschiedliche Schulkulturen gewährten, führten mich schließlich zu den Fragestellungen, die die Ausgangspunkte für die vorliegende Qualifizierungsarbeit sind. Die einleitenden Bemerkungen der vorliegenden Arbeit schließen ab mit einem herzlichen Dank an jene Schulleiter/-innen, die sich für die zugrundeliegende Untersuchung bereit erklärten an einem Interview teilzunehmen. Ein weiterer Dank gilt meinen beiden Betreuern, Prof. Dr. Michael Schratz und Prof. Dr. Bernd Miebach für deren Unterstützung. Durch Professor Schratz habe ich unterschiedliche Zugänge zur Schulforschung und insbesondere zur Schulleitungsforschung erhalten, die nicht nur von nationalen, sondern auch internationalen Perspektiven geprägt waren. Durch den Austausch und die Gespräche mit Professor Miebach gelang es mir ferner, über den erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Diskurs hinaus zu blicken. Mein Dank richtet sich überdies an jene Kolleginnen und Kollegen, die mittels Rückmeldungen und Diskussionen die Gedankenknäule und umständlichen Formulierungen (zum Teil) entflochten bzw. aufgelöst haben. Stellvertretend erwähnt seien an dieser Stelle: Evi, Michaela, David, Ann-Kathrin und Dominique. Zuletzt danke ich meiner Familie und besonders meinem Mann für die anhaltende Unterstützung.
Inhaltsverzeichnis
1 Absichten und Interesse der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Entstehungshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Argumentationsgang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Schule und Schulleitung auf den Spuren des Neo-Institutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung des Neo-Institutionalismus für Fragen der Schulforschung . . . . . . . . . 2.1.1 Historiographie der neo-institutionalistischen Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Schulleitung in einer institutionalisierten Umwelt . . . . . . 2.1.3 Neue Perspektiven für die Schul(leitungs)forschung . . . . 2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Ein verwobenes Geäst: Institutionen und institutionelle Umwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Alte Pfade, verschlungene Wege und neue Zugänge . . . 2.3 Schule als Organisation im neo-institutionalistischen Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Organisationen im wechselseitigen Organisationen-Umwelt-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Schule als Organisation der besonderen Art . . . . . . . . . . . 2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Der Blick von innen: Schulleiter/-innen als AkteurInnen in bestimmter Agentenschaft . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Der Blick von außen: Schulische Anspruchsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 5 11 15 16 16 22 27 28 28 47 76 80 86 97 97 108 XI
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Inhaltsverzeichnis
3 Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden institutionellen Umwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Institutioneller Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Auslöser von Wandel am Beispiel schulischer Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Muster institutionellen Wandels: Zusammenführung von institutionellen Erwartungen und Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Schulleitungshandeln und Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Veränderte Anforderungen an Schulleitung . . . . . . . . . . . 3.2.2 Verändertes Schulleitungshandeln und die Entstehung neuer Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Responsivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Ausgewählte Diskurse zu Responsivität . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Antwortverhalten von organisationalen Akteuren . . . . . . 3.4 Responsives Leitungshandeln als Antwort auf institutionellen Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen des Projektes Modellregion Bildung Zillertal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Erhebungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Gütekriterien qualitativer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Forschungsprojekt Modellregion Bildung Zillertal . . . . . 4.1.3 Sampling: Schulleitende einer ländlichen Region . . . . . . 4.1.4 Qualitative Interviewstudien und inhaltsanalytisches Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Operationalisierung eines Modells zu responsivem Schulleitungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Ergebnisse der empirischen Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Beschreibung Umwelt-Organisations-Verhältnis (Dimension „wahrnehmen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Strategien zur Wahrnehmung (Dimension „wahrnehmen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Beschreibung der wahrgenommen Akteursgruppen (Dimension „wahrnehmen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Zusammenfassung der Dimensionen „wahrnehmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Veränderungsempfinden Der Schulleitenden (Dimension „antworten“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 122 123
131 142 142 150 154 156 165 169 175 175 175 179 180 184 190 195 195 223 227 243 244
Inhaltsverzeichnis
Mechanismen der Weitergabe (Dimension „antworten“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Leitungsverständnisse (Dimension „antworten“) . . . . . . . 4.2.8 Ziel und Absichten der Verantwortungsübernahme (Dimension „verantworten“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.9 Rekonstruktionen von Agency (Dimension „verantworten“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.10 Strategien der Legitimierung (Dimension „legitimieren“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.11 Rekonstruktion von Legitimierung in Bezug auf wahrgenommen Anspruchsgruppen (Dimension „legitimieren“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.12 Zusammenfassung der Dimensionen responsiven Leitungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.13 Kontrastive fallorientierte Auswertung: Ausgewählte Leiter/-innen und deren responsives Leitungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.14 Kontrastive Betrachtung von vier Schulleitenden . . . . . . 4.3 Zusammenfassung und Grenzen der Untersuchung . . . . . . . . . . . .
XIII
4.2.6
5 Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen Legitimitätsansprüchen und Transformationsstreben . . . . . . . . . . . . . 5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische Einordnung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Neo-institutionalistische Verortung der Ergebnisse . . . . . 5.1.2 Verortung der Ergebnisse aus Perspektive der Implementations-, Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Grenzen und Chancen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Fazit und Implikationen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 250 251 254 258
265 266
267 284 287 293 294 294
307 317 317 319 320
Abschliessende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis
APS BIFIE BIST BMBWF HAK HTL LD LSR LSI MBZ NMS SET SL
Allgemein bildende Pflichtschulen Bundesinstitut für Forschung, Innovation und Entwicklung1 Bildungsstandards Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung Handelsakademie (Oberstufenschulform, 9.–12. Schulstufe) Höhere Technische Lehranstalt (Oberstufenschulform, 9.–12. Schulstufe) Lerndesigner/-in Landesschulrat2 Landesschulinspektor/-inspektorin3 Modellregion Bildung Zillertal Neue Mittelschule Schulentwicklungsteam Schulleitende
1
Das BIFI wurde im Zuge des „Pädagogik Pakets“ wieder in ministerielle Strukturen (BMBWF) eingegliedert. 2 Diese Bundesbehörde wurde am 01.01.2019 mit der jeweiligen Bildungsabteilung desd Bundeslandes fusioniert zu einer Bund-Land-Behörde (Hybridbehörde), die Bildungsdirektion. 3 Eine Funktion, die die pädagogische Aufsicht eines Schultyps verantwortete. Ihr unterstellt waren für den Pflichtschulbereich (APS) die Pflichtschulinspektoren/-inspektorinnen. Diese Funktion wurde durch die Neugründung der Bildungsdirektionen mit 01.01.2019 aufgelöst. Es existieren seitdem Abteilungsleitungen (AL), die einzelne Bildungsregionen verantworten. Diese Bildungsregionen umfassen alle Schultypen. Der AL sind nun die Schulqualitätsmanager/-innen (SQM) unterstellt.
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XVI
SQA PBZ PH PLN/PLG PSI ZLS
4
Abkürzungsverzeichnis
Schulqualität Allgemeinbildung (nationales Qualitätsentwicklungsprogramm)4 Pädagogisches Beratungszentrum5 Pädagogische Hochschule Professionelles Lernnetzwerk/Professionelle Lerngemeinschaften Pflichtschulinspektor/-inspektorin6 Zentrum für lernende Schulen7
SQA wurde mit Beginn des Schuljahrs 2021/2022 durch QMS (Qualitätsmanagement für Schulen) ersetzt. 5 Diese Einrichunng heißt seit 01.01.2019 FIDS. 6 PSI wurden durch die Neugründung der Bildungsdirektionen mit 01.01.2019 ersetzt durch Schulqualitätsmanager/-innen (SQMs). Dadurch veränderte sich auch das Aufgabenprofil. 7 Das ZLS heißt seit dem Schuljahr 2019/2020 National Competence Center (NCoC) für lernende Schulen und war nur noch an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich angesiedelt. Mit 31.08.2021 wurden das NCoC für lernende Schulen geschlossen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.1 Abbildung 2.2 Abbildung 2.3
Abbildung 2.4 Abbildung 2.5 Abbildung 2.6 Abbildung 2.7 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2
Abbildung 3.3 Abbildung 3.4 Abbildung 3.5 Abbildung 3.6
Überlebensstrategien von Organisationen (Meyer und Rowan 1977, S. 353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestandteile des Institutionalisierungsprozesses (Tolbert & Zucker 1996, Übersetzung L.J.-R.) . . . . . . . Darstellung des Objektivierungsvorgangs im Zuge der NMS-Reform am Beispiel Leistungsrückmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A sequential model of institutions (Burger 2013, s. 63 nach Barley und Tolbert 1997, S. 101) . . . . . . . . . Formen der Objektivierung (Hasselbladh & Kallinikos 2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untersuchungsebenen aus neo-institutioneller Perspektive (Sandhu 2012, S. 87) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stakeholder-Typologie (nach Mitchell et al. 1997) . . . . The Travel of Ideas (Czarniwaska & Joerges 1996) . . . Adaptierte Version „Travel of Ideas“ (nach Czarniawaska & Joerges 1996, erweitert durch L.J.-R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stufen der Schulentwicklung (nach Harris und Chrispeels 2006, adaptiert L.J.R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strömungen im Konfluenzmodell (nach Wiesner et al. 2015) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Legitimierungsstrategien (Beelitz & Merkl-Davies 2011, S. 103) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenführen der Modelle zu responsivem Leitungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 39
40 63 69 95 110 132
141 147 151 166 172
XVII
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 4.1 Abbildung 4.2
Abbildung 4.3 Abbildung 4.4 Abbildung 4.5
Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13 4.14 4.15 4.16 4.17
Abbildung 4.18 Abbildung 4.19 Abbildung 4.20 Abbildung 4.21 Abbildung 4.22 Abbildung 4.23 Abbildung 4.24 Abbildung 4.25
Aufbau und Struktur des Episodischen Interviews (nach Flick 2011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adaption des episodischen Interviews für die qualitative Studie (nach Flick 2011, erweitert durch L. J.-R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterentwickeltes Modell der Responsivität (nach Gärtner et al. 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationalisierung der Responsivitäts-Phasen . . . . . . . Verortung der Hypothesen im Zwischenspiel zwischen institutioneller Umwelt und schulischem organisationalem Akteur (Schulleiter/-in) . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_01_OGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_02_MGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_03_OGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_04_MGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_05_OGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_06_MGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_07_OGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_08_MGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_09_OGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_10_MGU . . . . . . . . . . . . Übersicht Akteursgruppen SL_11_MGU . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Leitungslogiken im Spiegel der empirischen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Szenarien zum Agency-Verständnis von Schulleitenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsgruppen und Legitimierungsstrategien von SL_10_MGU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
187 191 193
194 197 199 201 204 206 209 211 214 216 218 220 228 232 235 237 240 241 251 255 266
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2.1
Tabelle 2.2 Tabelle 2.3 Tabelle 2.4 Tabelle 2.5 Tabelle 2.6 Tabelle 2.7
Tabelle 2.8
Tabelle 2.9
Tabelle 2.10 Tabelle 3.1
Stufen der Institutionalisierung und vergleichenden Dimensionen (Tolbert & Zucker 1996, übersetzt L.J.-R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Dimensionen des Institutionenbegriffs (nach Senge 2006) . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterte Dimensionen des Institutionenbegriffs (nach Senge 2006 und Koch & Schemmann 2009) . . . . . . Säulenmodell nach Scott (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenführung der vergleichenden Aspekte nach Scott (2008) und Koch (2018) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenführung der vergleichenden Aspekte nach Barley und Tolbert (1997) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenführung der Arbeiten von Maguire und Hardy (2009); Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000) . . . . Instrumentelles versus institutionelles Organisationsverständnis (nach Bormann 2002, S. 26 und Schreyögg 2008, S. 4 ff.) . . . . . . . . . . . . . Heuristik der Verständnisweise einer „gesellschaftlich eingebetteten Organisation“ (nach Koch 2018, S. 143 erweitert um die Perspektive von Mense-Petermann 2006 durch L. J.-R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akteure des Schulsystems (nach Fend 2008a) . . . . . . . . . . Konfluenzmodell von Schulleitung (leicht adaptiert nach Schratz et al. 2015, S. 222) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 45 47 53 60 66
73
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82 117 144
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Tabelle 3.2 Tabelle 4.1 Tabelle 4.2 Tabelle 4.3 Tabelle 4.4 Tabelle 4.5 Tabelle 4.6 Tabelle 4.7 Tabelle 5.1
Tabellenverzeichnis
Strategische Reaktionen auf institutionalisierte Erwartungen (Oliver 1991, S. 152) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der untersuchten Schulen und SL . . . . . . . . . . . . Übersicht über die drei relevanten Anspruchsgruppen aller Schulleitenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategorien und Unterkategorien zu Strategien und Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategorien der Anspruchsgruppen (nach Sandhu 2014, S. 1165 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategorien und Unterkategorien der Legitimierung der Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform . . . . . . . . . . . Kategorien und Unterkategorien der Legitimierung der Nicht-Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform . . . . . . Darstellung der vier Phasen, ihrer Teildimensionen und der zugrunde liegenden theoretischen Konzepte . . . . . Verortung der Ergebnisse zu den relevantesten Anspruchsgruppen der Schulleitenden im Dimensionenmodell nach Koch (2018). (Adaption des Modells, Eigene Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168 182 222 225 244 261 264 268
300
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Absichten und Interesse der Arbeit
„[…] the mental model behind the NMS reform pilot was one of diversity rather than uniformity.” (Westfall-Greiter & Hofbauer 2015, S. 127)
1.1
Entstehungshintergrund
Mit der systemweiten Einführung der Neuen Mittelschule (NMS) ab dem Schuljahr 2012/2013 hat sich aus Schulentwicklungsperspektive eine Systemintervention in der österreichischen Schullandschaft vollzogen, die es in dieser Form noch nicht gab. Insgesamt knapp 1.3001 (vgl. Statistik Austria) vormalige Hauptschulen wurden über insgesamt acht Generationen und jeweils zwei Jahre (vgl. Westfall-Greiter & Hofbauer 2015, S. 127) systematisch auf nationaler Ebene begleitet. Insbesondere Schulleiterinnen und Schulleiter sowie eine ausgewählte Lehrperson des Kollegiums (neue Funktion: Lerndesigner/-in) wurden in bundesweiten Lernateliers (vgl. Kahlhammer 2012) durch forschungsgeleitete Ansätze und Konzepte mit einr neuen Lern- und Lehrkultur vertraut gemacht – einer Hinwendung zu einer „lernseitigen“ Herangehensweise (Agostini, Schratz & Risse 2018; Schratz 2009, S. 16 ff.) sowohl auf Unterrichts- als auch auf Schulentwicklungsebene. „Lernseitigkeit“ meint, eine Perspektive einzunehmen, die das Lernen der Schülerinnen und Schüler, aber auch jenes der Lehrpersonen bzw. Schulleiterinnen und Schulleiter, und weniger didaktische Interventionen in 1
Laut Statistik Austria für das Schuljahr 2016/2017 setzt sich die Zahl zusammen aus 1126 Neuen Mittelschulen, 12 AHS Unterstufen im Modellversuch mit NMS-Konzept und 186 Hauptschulen, die mit diesem Schuljahr den Übertritt zur Neuen Mittelschule vollzogen. (https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bildung_und_ kultur/formales_bildungswesen/schulen_schulbesuch/index.html).
© Der/die Autor(en) 2023 L. Jesacher-Rößler, Responsive Schulleitung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4_1
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Absichten und Interesse der Arbeit
den Mittelpunkt stellt. Weitere Neuerungen auf Unterrichtsebene (vgl. Altrichter et al. 2015) sind das Aufheben der Leistungsgruppen sowie, damit einhergehend, Maßnahmen zur flexiblen Differenzierung (Schratz & Westfall-Greiter 2010; Hoffmann & Katstaller 2015). Eingebettet sind diese Veränderungen in ein neues Lern- und Lehrkonzept („rückwärtiges Lerndesign“, vgl. Wiggins & McTighe 1998), welches übergeordneten Zielsetzungen, orientiert an den Bildungsstandards sowie dem Lehrplan, forciert und in weiterer Folge Unterricht „vom Ende gedacht“ entwickelt. Ergänzt wird das Ganze durch erweiterte Formen der Leistungsrückmeldung (formative Leistungsrückmeldung) sowie eine neue Aufgabenkultur etwa nach dem Webb-Modell (vgl. Webb 1997). Strukturell wird diese Systemtransformation unterstützt durch die Einführung von TeamteachingStunden und einer neuen Teacher Leader Funktion – der/die Lerndesigner/-in. „Teamteaching“, so Bachmann, (2012) „ermöglicht ein verbessertes Eingehen auf die unterschiedlichen Begabungen in heterogenen Klassen (gezielte Fördermaßnahmen bei Teilleistungsschwächen und verstärkte Herausforderungen bei Leistungsstärken)“ (S. 809). Lerndesigner und Lerndesignerinnen sind „neben der Schulleitung die zentralen Personen für die Umsetzung des pädagogischen Konzepts der Neuen Mittelschule am Standort“ (Westfall-Greiter, Schratz & Hofbauer 2015, S. 44). Somit setzen sich Schulleitungen2 und neue Teacher Leader Funktionen (u. a. Lerndesigner) im Zuge der bundesweiten Begleitungsphase mit forschungsgeleiteten Fragen der Lern- und Lehrkultur auseinander und vertiefen dadurch ihr professionelles Selbstverständnis. Neben dieser intensiven Professionalisierung der Akteurinnen und Akteure3 wurde ihnen an ihren Standorten die Möglichkeit gegeben, die Reformausgestaltung maßgeblich mitzugestalten: „Innerhalb der Rahmenvorgaben sollte den Schulstandorten Platz für eigene Entwicklungen und Ausformungen eingeräumt werden, wodurch auch ihnen eine wesentliche Rolle in der Umsetzung der NMS zukam. Dies führte letztendlich dazu, dass eine bundesweite Entwicklungsbegleitung – unter starker Einbindung der NMSLänderverantwortlichen – beauftragt wurde. Diese Initiative konnte die Standorte individuell bei ihrer Entwicklungsarbeit unterstützen und zugleich auch einheitliche,
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Im Rahmen der vorliegenden Arbeit meint Schulleitung primär Schulleiterinnen und Schulleiter, wohl wissend, dass diese an vielen Standorten eng mit ihren Schulentwicklungsteams und Lehrpersonen, die Funktionsrollen bekleiden, zusammenarbeiten. 3 Zu Gunsten der besseren Lesbarkeit der Arbeit wird in weiterer Folge nur noch von „Akteuren“ geschrieben.
1.1 Entstehungshintergrund
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zentrale Umsetzungsideen gewährleisten. Parallel zur bundesweiten Entwicklungsbegleitung wurden auch in den einzelnen Bundesländern Unterstützung- und Entwicklungsbegleitungsmaßnahmen installiert. All dies spiegelt sehr gut wider, dass es sich bei der NMS um ein lernendes System handelt.“ (Petrovic & Svecnik 2015, S. 13).
Schulleiterinnen und Schulleiter sowie die gesamten Schulkollegien finden sich demnach in Spannungsfeldern zwischen eigener Ausgestaltung und systemweiten Umsetzungsstrategien4 wieder. Neue autonome Räume werden ihnen eröffnet und eine Kultur der Diversität gefördert. Westfall-Greiter und Hofbauer beschreiben daher das Ausgangsmodell der Neuen Mittelschule wie folgt: „[…] the mental model behind the NMS reform pilot was one of diversity rather than uniformity. This diversity reflects the tendency of schools to think and act locally, rooted in the federalist structure of compulsory education in Austria […]“ (WestfallGreiter & Hofbauer 2015, S. 127).
Reformen mit Gestaltungsspielräumen nach dem Prinzip der Diversität folgen weniger einer Implementationslogik und sehen daher „Implementationstreue“, wie sie von Rolff (2012) im Prozess der Schulentwicklung gefordert wird, nicht unbedingt als zu erreichendes Ziel. „Aus der Implementationsforschung wissen wir allerdings: Nichts wird so realisiert, wie es einmal geplant war. Aber nur wenn wir Beliebigkeit akzeptieren, brauchen wir überhaupt keine Planung. Deshalb muss sich Schulentwicklung um Implementationstreue bemühen. Zur Verbesserung der Implementationstreue gibt es einige methodische Ansätze. Der erste ist: Ziele klären und vereinbaren. Der zweite bezieht sich auf eine strikte Prozessorientierung. Und der dritte sorgt für Institutionalisierung bzw. Inkorporation. Daraus ergibt sich die Formel: Strategie vor Prozess vor Struktur.“ (S. 19).
Die Frage drängt sich auf, wem oder was hier die Treue gehalten werden soll, da unterschiedliche Logiken der Einzelschulstandorte unterschiedlich sein können. Forschungsergebnisse verweisen ebenfalls darauf, dass Reformumsetzungen
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Die bundesweite Entwicklungsbegleitung wurde vom Zentrum für lernende Schulen übernommen, ein dem Ministerium nachgereihtes Bundeszentrum, das sowohl an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich als auch an der Universität Innsbruck angesiedelt war. Mit dem 31.08.2018 wurde die Kooperation mit der Universität Innsbruck beendet und das Bundeszentrum fortan nur noch der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich zugeordnet. (https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/bw/nms/eb.html; abgerufen am 20.07.2018). Mit 31.08.2021 wurde das Zentrum geschlossen.
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Absichten und Interesse der Arbeit
bzw. Organisationsentwicklungsvorhaben, die Ziele formulieren, die den Akteuren sinnfrei erscheinen oder zu denen ihnen der Bezug fehlt, Vorhaben sind, die in der Regel scheitern (u. a. Kotter 2003; Gräsel & Parchmann 2004). Auch das Festhalten an einer strikten Prozessorientierung erscheint in einer agilen Organisationsumwelt nicht mehr zeitgemäß. Nichtsdestoweniger steht jede Reform vor dem Dilemma, Ermöglichungsräume für Akteure zu schaffen, ohne dabei der Willkür zu verfallen. Die daraus resultierenden Rahmenbedingungen, auf die auch Marti (2017) verweist, sorgen dafür, dass sich Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrkräfte zwischen engen Vorgaben5 und Unbestimmtheiten bewegen (vgl. S. 134), wenn es um Entwicklungsprozesse und/oder Umsetzungsbemühungen von Reformen geht. Supovitz und Weinbaum (2008) bestätigen in ihrem Buch „The Implementation Gap“, dass „[…] a complex combination of individual, social and organizational characteristics interact and influence both the pace and content of program implementation” (S. 10). Ball, Maguire und Braun (2012) gehen in Anbetracht dessen weg vom Ausdruck der „Reformimplementation“ und sprechen sich für „Reform-Enactment“ aus: „As Taylor et al (1997, p. 20) say of policy work in education, we need to observe politics in action, tracing however economic and social forces, institutions, people, interests, events and chance interact. Issues of power and interests need to be investigated.’ Thus, policy enactment involves creative processes of interpretation and recontextualization. […]. Policies rarely tell you exactly what to do, they rarely dictate or determine practice, but some more than others narrow the range of creative responses. […] policy texts are typically written in relation to the best of all possible schools, schools that only exist in the fevered imagination of politicians, civil servants and advisers and in relation to fantastic contexts. These texts cannot simply be implemented! They have to translated from text to action – put ‘into’ practice – in relation to history and context, with the resources available.” (S. 3).
Ball, Maguire und Braun schreiben provokant von „fevered imagination of politicans“, arbeiten jedoch einen wichtigen kritischen Punkt dabei heraus: Reformen müssen so gestaltet werden, dass den Einzelschulen die Möglichkeit bleibt,
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Marti benutzt dabei das Konzept der engen und losen Kopplung, das u. a. auf March & Olsen (1975), Weick (1976). Meyer und Rowan (1977) und Zucker (1977) zurückgeht und mittlerweile als „dauerhafter Baustein“ im Neo-Institutionalismus verankert (vgl. Koch & Schemmann 2009a, S. 20) ist. Weick (1976) beschreibt Schule als lose gekoppeltes System, da Lehrkräften ein hohes Maß an Unabhängigkeit haben und auch andere Systemelemente nur gering miteinander verbunden sind. Je mehr die Elemente miteinander verbunden sind, umso enger beschreibt sich die Kopplung.
1.2 Erkenntnisinteresse
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die Reformen mit ihrem lokalen Wissen und den dort herrschenden Bedingungen verknüpfen zu können. Eine abstrakte Vorstellung von Schule, für die eine Reform formuliert wird, muss dabei Adaptionsräume offen halten (eine Schule in einem Ballungsraum ist anders als eine in einer abgeschiedenen ländlichen Region), beiden wird aber die gleiche Reform zuteil. Orientiert man sich an dem Ausspruch von Rolff, so bedarf es Ziele, Prozesse und letztlich Institutionalisierungsverfahren – besonderd auf lokaler Ebene. Wie beschrieben, hat auch die Neue Mittelschulreform, die der vorliegenden Arbeit ihre Handlungsrahmung gibt, ein solches Reformumsetzungsverständnis. Bis dato wurden in Österreich kaum Untersuchungen durchgeführt, die den Einfluss dieser Reform auf das Handeln der betroffenen Akteure hat. Vereinzelte Qualifizierungsarbeiten setzten sich mit Länderperspektiven (NOESIS6 ), Teilaspekten wie der Professionalisierung der neuen Teacher Leader Funktion von Lerndesignern (vgl. z. B. Kahlhammer 2012) oder Unterrichtsaspekten (vgl. z. B. Muhr 2018) auseinander. Schulentwicklungsprozesse und Schulleitungshandeln im Reformprozess der Neuen Mittelschule wurden jedoch bis dato kaum untersucht. Im Kern beschäftigt sich diese Arbeit daher mit Schulleiterinnen und Schulleitern und ihrem responsiven Handeln während der Reformumsetzungsphasen ihrer Schulstandorte. Besonders sind hierbei die Strategien von Interesse, die sich Schulleiterinnen und Schulleiter zurechtlegen, wenn es um die lokalen Adaptionen und das Antwortverhalten ihrer Schulstandorte auf die institutionellen Ansprüche geht. Es lassen sich demnach zwei zentrale, übergeordnete Fragen formulieren, die für die Arbeit leitend sein werden: (1) Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiterinnen und Schulleiter bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform an ihrem Standort? (2) Wie respondieren Schulleiterinnen und Schulleiter in der Reformumsetzung – also auf Organisationsebene – auf ihre institutionelle Umwelt?
1.2
Erkenntnisinteresse
Schulen sind besondere Organisationen – Merkens (2011) spricht von „Organisationen mit pädagogischen Zielen“ (S. 25). Sie sind sowohl in ihren 6
https://bildungswissenschaft.univie.ac.at/historische-und-vergleichende-schul-und-bildun gsforschung/projekte/noesis/
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Absichten und Interesse der Arbeit
organisationalen Abläufen besonders, als auch auf besondere Weise von umweltlichen Vorgaben geprägt. „Das gilt insbesondere für die Organisationen mit pädagogischen Aufgaben, in denen ein öffentlicher Auftrag erfüllt wird, wie das bei Kindergärten oder Schulen der Fall ist“ (Merkens 2011, S. 25). Ausgehend von der Annahme, dass bei lokalen Adaptionen die Beziehung zwischen der Organisation und ihrer Umwelt eine zentrale Rolle einnimmt, baut die Arbeit auf forschungs-theoretischen Annahmen des Neo-Institutionalismus auf. „Der alte Institutionalismus richtet die Aufmerksamkeit auf formale und informale Handlungen, Muster der Einflussnahmen sowie auf Koalitionsbildungen zwischen Akteuren in Organisationen“, schreiben Walgenbach und Meyer (2008, S. 12), „während der Neoinstitutionalismus die Auswirkungen institutionalisierter Regeln und Erwartungen der Umwelt auf die Ausgestaltung von Organisationen thematisiert“ (ebd). Greenwood et al. (2008, S. 3ff) unterteilen die neo-institutionalistische Theoriebildung in mehrere Phasen: Grundlegung (1977–1983), frühe Entwicklungsphase (1983–1991), parallel dazu die Konsolidierungsphase (1983–1991), und die Expansionsphase (1991–2007). In der Erziehungswissenschaft wird der Theorie vor allem unter den Organisationspädagogen und -pädagoginnen in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit viel Aufmerksamkeit zuteil (Fend 2008; Koch & Schemmann 2009; Merkens 2011; Muslic 2017; Koch 2018). Zu den Hauptvertretern und -vertreterinnen zählen neben John W. Meyer und Brian Rowan, die 1977 mit „Insitutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony“ einen der beiden grundlegenden Texte verfassten, auch Lynn Zucker (1977) sowie Paul DiMaggio und Walter W. Powell (1983). Letztere untersuchten in ihrem Beitrag „The iron cage revisted: Institutional ismorphism and collective rationality in organizational fields“, wie Homogenität organisationaler Strukturen und Managementpraktiken zu erklären sind. Hierbei entwickelten sie das zentrale Analyseinstrument des Neo-Institutionalismus – das organisationale Feld. Ihrer Beobachtung nach ähneln Organisationen, die sich in einem organisationalen Feld befinden, durch die gesetzten Veränderungsprozesse der Akteure zunehmend einander. Diesen Ansatz auf Schulen und ihre Umwelten zu übertragen, wird ein zentraler Punkt dieser Arbeit sein. Weitere relevante Autoren und Autorinnen7 für die vorliegende Forschung sind jene Forschende, die sich genauer mit dem Institutionenbegriff und in weiterer Folge mit Fragen der Legitimität im Kontext des Neo-Institutionalismus
7
Zu Gunsten der besseren Lesbarkeit der Arbeit wird in weiterer Folge bei Autorenschaften, bei denen sowohl weibliche als auch männliche Autoren bzw. Autorinnen beteiligt sind, nur noch von ‚Autorinnen‘ geschrieben.
1.2 Erkenntnisinteresse
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auseinandergesetzt haben. W. Richard Scott entwirft in seinem Beitrag „Institutions and Organisations“ (2001) ein Säulenmodell, das eine Beschreibung von unterschiedlichen Institutionen und ihren Logiken ermöglicht. Suchmann, dessen Beitrag „Managing legetimacy: Strategic and insititutional approaches“ (1995) ebenfalls als Standardreferenz für den Ansatz des Neo-Institutionalismus gilt, setzt sich mit dem Aspekt der Legitimität auseinander und beschreibt diese wie folgt: „Legitimacy is a generalized perception or assumption that actions of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed systems of norms, values, beliefs, and definitions.” (S. 574). Neuere Entwicklungen im Bereich „institutionelle Logiken“, wie sie von Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) aufgegriffen werden, ergänzen die theoretische Auseinandersetzung. Walgenbach und Meyer übersetzen diese Definition u. a. wie folgt: „Eine Organisation wird als legitim betrachtet, wenn ihre Aktivitäten innerhalb gesellschaftlicher Werte, Normen, Vorstellungen und Festlegungen wünschenswert, richtig und angemessen erscheinen.“ (2008, S. 64). Die Einführung einer Reform, wie jene zur Neuen Mittelschule, bringt veränderte Ansichten und entwickelt daher mitunter Situationen, in denen Vorstellungen und Festlegungen für manche nicht mehr als wünschenswert oder angemessen erscheinen – wie Schulleiterinnen und Schulleiter damit umgehen, bildet wie bereits erwähnt ein Kernelement der vorliegenden Arbeit. Ebenfalls bereits angesprochen, werden im Neo-Institutionalismus Umwelten als Felder beschrieben, in denen Institutionen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen angesiedelt sind. Schulleiterinnen und Schulleiter sind hochgradig relevante Akteure, wenn es um die Entwicklung der Organisation Schule geht (Wissinger 2000; Rolff 2009; Bonsen 2010; Wissinger 2011; Schratz et al. 2016; Böse et al. 2018). Dies belegen auch Vorstudien, die im Rahmen dieser Arbeit an den untersuchten Schulen8 durchgeführt wurden. Dabei wurden sieben der elf Schulen besucht und in den Qualitätsbereichen von Schulqualität Allgemeinbildung9 (SQA) porträtiert. Mithilfe eines dafür entwickelten 8
Insgesamt wurden Experteninterviews mit elf Schulleiterinnen und Schulleitern durchgeführt. Sieben der Schulleiterinnen und Schulleiter kamen aus einer ländlichen Region, vier aus Ballungsräumen. Alle Schulleiterinnen und Schulleiter leiten Schulen im gleichen politischen Bezirk und haben somit die gleichen Schulaufsichtsverantwortlichen und ihre Schülerinnen und Schüler besuchen nach ihrer Schulzeit die gleichen weiterführenden Schulen. Sieben der elf Schulen wurden umfassender in einer Vorstudie porträtiert. 9 SQA – Schulqualität Allgemeinbildung ist ein nationalweites System zur Qualitätsentwicklung und -sicherung an allgemeinbildenden Schulen in Österreich (vgl. http://www. sqa.at). Insgesamt werden sechs Qualitätsbereiche und Rahmenzielvorgaben beschrieben (Qualitätsbereich 1: Lernerfahrungen und Lernergebnisse, Qualitätsbereich 2: Lernen und
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Absichten und Interesse der Arbeit
Instruments – Entwicklungsporträts10 – wurden unterschiedliche intra- und interorganisationale Personengruppen zu Schulentwicklungsprozessen der Einzelschulstandorte befragt. Tenor dieser Befragung war, dass Schuleiterinnen und Schulleiter maßgeblich die Entwicklungsprozesse an den Standorten gestalten. Zurückgehend auf die zentralen Fragen dieser Arbeit, kann festgehalten werden, dass sich auch Schulleiterinnen und Schulleiter als zentrale Akteure in institutionellen Kontexten bewegen. Ein Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit besteht darin, die subjektiv wahrgenommenen institutionellen Umwelten von Leitungshandelnden, in diesem Fall Schulleiterinnen und Schulleitern, darzustellen und die unterschiedlichen Anspruchsgruppen11 zu beschreiben und das Antwortverhalten der Schulleitenden auf diese Gruppen nachzuzeichnen. Die Arbeit zielt außerdem darauf ab, Erkenntnisse über Agentenschaft12 von Schulleiterinnen und Schulleitern und deren Legitimationsquellen zu gewinnen. Aufbauend auf die Ausführungen von Suchmann zu Legitimation, ergänzen Meyer und Jepperson (2000), dass den
Lehren, Qualitätsbereich 3: Lebensraum Klasse und Schule, Qualitätsbereich 4: Führung und Schulmanagement, Qualitätsbereich 5: Professionalität und Personalentwicklung, Qualitätsbereich 6: Schulpartnerschaft und Außenbeziehungen).Mit Hilfe des SQA-Rahmens werden Ziel- und Entwicklungsperspektiven der Schulen festgemacht, die dann in Entwicklungsund Bilanzgesprächen mit der Schulaufsicht besprochen werden. Die Entwicklungshorizonte erstrecken sich auf zwei bis drei Jahre. Auch die Schulaufsicht formuliert mit Hilfe von SQA Ziele – allerdings auf Bezirks- bzw. Landesebene. Somit werden Entwicklungsvorhaben im Mehrebenenkonstrukts des nationalen Bildungssystems aufeinander abgestimmt. 10 Entwicklungsporträts verstehen sich als dynamisches Analyseinstrument der Begleitforschung der Schulen (vgl. Rößler & Kraler 2016). Hierbei werden in unterschiedlichen Qualitätsbereichen (jene der SQA-Initiative) qualitativ Daten erhoben, welche inhaltsanalytisch Aufschluss über die Schulentwicklungsprozesse der Einzelstandorte geben. Die Ergebnisse der Einzelschulen bilden die Grundlage für ein regionales Entwicklungsporträt. Auf dieser Grundlage aufbauend, werden Entscheidungen zur regionalen Schulentwicklung abgeleitet. 11 Im Neo-Institutionalismus versteht man unter Anspruchsgruppen unterschiedliche Akteure/Akteursgruppen aus der institutionellen Umwelt, die bestimmte Ansprüche z. B. wie etwas umgesetzt werden soll an Organisationen / Schulen stellen (vgl. Walgenbach & Meyer 2008, S. 25). Ausführlich wird dieser Aspekt in Kapitel 2 der Arbeit behandelt). 12 Agentenschaft (Agency) meint nach Emirbayer and Mische (1998, S. 970): „[T]he temporally constructed engagement by actors of different structural environments – the temporal–relational contexts of action – which, through the interplay of habit, imagination, and judgment, both reproduces and transforms those structures in interactive response to the problems posed by changing historical situations“. Weiters hat sich die Rolle des Akteurs im Zuge der Entwicklung vom ‚Old Instutionalism‘ hin zum ‚New Institutionalism‘ verändert. Kapitel 2 widmet sich dieser Veränderung im Detail und beleuchtet Agentenschaft im Handlungsfeld von Schulleiterinnen und Schulleitern.
1.2 Erkenntnisinteresse
9
„in der Moderne legitimierten Akteuren die Fähigkeit zugeschrieben [wird], (1) im Verhältnis zu sich selbst (Agentenschaft für das Selbst) ebenso wie (2) im Verhältnis zueinander (Agentenschaft für andere) als ‚Andere‘ zu agieren sowie (3) für Einheiten, die selbst keine Akteure sind, und in den umfassenden kulturellen Rahmen (Agentenschaft für Prinzipien) zu handeln“ (nach Walgenbach & Meyer 2008, S. 127).
Wie eine Übernahme von unterschiedlichen Agentenschaften bei Schulleiterinnen und Schulleiter erfolgt, soll mit Hilfe empirisch fundierter Daten aus Interviews diskutiert werden. In diese Diskussion fließt auch die Frage nach einem Professionsverständnis von Schulleitenden ein. Aufgrund der historisch gewachsenen Strukturen von Schulleiterinnen- und Schulleiterrollen in Österreich erlebte das Professionsverständnis in den letzten Jahrzehnten einen starken Wandel (Schratz et al. 2015). Die neuen Anforderungen, die an Schulleitungen gestellt werden, auch wiederum in Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform, werden in die Überlegungen miteinbezogen. Einher mit der Frage nach der Beziehung zur Umwelt und jener nach Legitimität, geht im Neo-Institutionalismus auch die Frage nach dem Umgang mit konfligierenden Anspruchsgruppen (vgl. Senge & Hellmann 2006, S. 19). „Akteure befolgen Institutionen nicht nur deshalb, weil sie selbst keine Handlungsalternative sehen, sondern weil sie davon ausgehen, daß andere diese institutionalisierten Praktiken von ihnen erwarten.“ (Meyer 1977, S. 75 nach Meyer und Hammerschid 2006, S. 162)“.
Meyer und Hammerschmid (2006, S. 162 f.) ergänzen diese Annahme: „Sie [Akteure] übernehmen die Vorgaben somit nicht notwendigerweise als unreflektierte, verinnerlichte Selbstverständlichkeit, sondern gehen mit ihnen durchaus auch bewußt und kalkulierend um. Sie signalisieren beispielsweise Übereinstimmung, koppeln aber gleichzeitig zentrale Tätigkeiten ab und schützen diese vor externer Evaluation […] da es zur Gewinnung von Legitimation oftmals ausreicht, den Anschein der Konformität zu erwecken.“
Gerade Schulen, die sich in starken Umbruchphasen befinden, etwa initiiert durch umfassende Reformen wie die Neue-Mittelschulreform, sehen sich mit vielen neuen Vorgaben konfrontiert. Schulleiterinnen und Schulleitern kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu – gemeinsam mit den Lerndesignerinnen und Lerndesignern sind sie es, die aus erster Hand erfahren, welche Neuerungen kommen und es wird ihnen die Verantwortung zuteil, diese Neuerungen in ihre Schulen zu tragen. Sie interpretieren und deuten die Neuerungen kontextspezifisch. Die
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Absichten und Interesse der Arbeit
nähere Betrachtung von Kontextfaktoren erfährt in der Schulleitungsforschung in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit (vgl. Hallinger 2003; Schwarz & Brauckmann 2015). Auch Ball, Maguire und Braun (2012, S. 19) betonen, dass der Kontext im Zuge von Reformumsetzungen ernstgenommen werden sollte: „Policies enter different resource environments; schools have particular histories, buildings and infrastructures, staffing profiles, leadership experience, budgetary situations and teaching and learning challenges […] and the demands of contexts interact.”
Für Ball, Maguire und Braun (2012). spielen sich Kontexte in den folgenden Bereichen ab: • Situated contexts (e.g. locale, school histories and intakes) • Professional cultures (e.g values, teacher commitments and experience and ‘policy management’ in schools) • Material contexts (e.g. staffing, budget, buildings, technology and infrastructure) • External contexts (e.g. degree and quality of LA support; pressures and expectations from broader policy context such as Ofsted ratings, league table positions, legal requirements and responsibilities. (S. 21) Zwar beschreiben die Autorinnen unter der Kategorie „external contexts“ Teilaspekte der institutionellen Umwelt, gehen darauf jedoch nicht näher ein. Kontexte, explizit verstanden als institutionelle Umwelten, bleiben unbesprochen. Institutionelle Umwelten, bestehend aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen, wie etwa Schulaufsicht oder Fort- und Weiterbildungsinstitute, interpretieren und deuten ebenfalls die neuen Inhalte von Reformen (vgl. Rößler & Kemethofer 2018). Diese Anspruchsgruppen mit unterschiedlichen Logiken stellen somit Erwartungshaltungen an die Organisation und gestalten dadurch Kontexte. Diese Erwartungen können unterschiedlich sein – Schulleiterinnen und Schulleiter bewegen sich in diesem Spannungsfeld und müssen mit diesem umgehen. Hasse und Krücken erläutern hierzu, dass sich „Institutionen […] als übergreifende Erwartungsstrukturen definieren [lassen], die darüber bestimmen, was angemessenes Handeln und Entscheiden ist. Damit Institutionen wirken können, müssen die Beteiligten allerdings um diese Erwartungen wissen, und sie müssen annehmen, dass auch andere mit diesen Erwartungen vertraut sind.“ (Hasse & Krücken 2005, S. 15)
1.3 Argumentationsgang der Arbeit
11
Akteure – in der vorliegenden Arbeit Schulleiterinnen und Schulleiter – reagieren also auf (vermeintliche) Erwartungen, was Veränderungsprozesse anleitet und sich auch in bestimmten Handlungen niederschlägt. Um diese Handlungsebene zu berücksichtigen, soll die vorliegende Arbeit durch theoretisch fundierte Erkenntnisse aus der Change-Managementforschung (Agyris und Schön 1976; Kotter 2003; Czarniawksa & Joerges 1996; Cunha & Cunha 2018) sowie der responsiven Organisationsforschung (vgl. Althans und Engel 2017; Ortmann 2010, 2017) erweitert werden. „Eine responsive Organisationsforschung interessiert sich dementsprechend für Transformations- und Tradierungsprozesse von Organisationen als Handlungssystem in ihrem (Spannungs-)Verhältnis zu Institutionen, d. h. zu gesellschaftlichen Erwartungsstrukturen.“ (Althans & Engel 2016, S. 3). Zwar nähern sich die Schulen alle in einer bestimmten Form den Vorgaben der neuen Reformen an, doch nichtsdestoweniger vollziehen manche Schulen den Wandel schneller als andere (vgl. Green & Higgens 1996). Auch variieren Schulen in ihrem Antwortverhalten auf diese neuen Vorgaben. Mit Hilfe dieser Arbeit soll auch untersucht werden, welche Ursachen, Gründe und Begründungen dafür existieren.
1.3
Argumentationsgang der Arbeit
Der Argumentationsgang der Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Während Kapitel eins zugleich Einleitung und Rekontextualisierung der vorliegenden Forschungsarbeit ist, widmen sich Kapitel zwei und drei der theoretischen Rahmung. Schulleitungshandeln, betrachtet im „Zangengriff“ (Böttcher & Terhart 2004, S. 9) unterschiedlicher Institutionen mit teils konfluierenden Ansprüchen, bietet den Ausgangspunkt für eine theoretische Auseinandersetzung mit Umsetzungsprozessen und Schulentwicklungsvorhaben an einzelnen Schulstandorten – aber auch in Bildungsregionen13 . Orientiert an den Theorien des Neo-Institutionalismus, mit besonderer Berücksichtigung der Frage der Legitimitätsquellen, derer sich Schulleiterinnen und Schulleiter bei Schulentwicklungsvorhaben bedienen, wird ein theoretisches Grundgerüst erarbeitet, aus dem sich fünf Unterthesen zur übergeordneten Leitfrage (1) ableiten. Wie im vorangegangenen 13
Maag Merki (2008) definiert Bildungsregionen als folgt: „Bildungsregionen […] sind institutionalisierte regionale Zusammenschlüsse von Schulen sowie ihrer außerschulischen Partnerinstitutionen mit dem Ziel, die Bildungsqualität innerhalb der Region entsprechend verschiedener Kriterien maßgeblich zu verbessern.“ (S. 28). Ausgehend von der Definition wird der Begriff der Bildungsregion vor allem in Kapitel 2 in Zusammenhang mit Organisationalen Feldern vertieft betrachtet.
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Absichten und Interesse der Arbeit
Teil beschrieben, werden Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrem institutionellen Kontext dargestellt. Vorwegnehmend lassen sich die folgenden Thesen herausarbeiten, die für die weitere kategoriegeleitete Analyse der empirischen Daten leitend sind: 1. Schulleiter/-innen agieren in Organisationen, die besondere Merkmale haben und sich daher von anderen Organisationen (z. B. Wirtschaftsunternehmen) unterscheiden. 2. Schulleiter/-innen nehmen ihren Standort und dessen institutionelle Umwelt unterschiedlich wahr. 3. Institutionelle Umwelten von Schulen und daher auch Handlungsfelder von Schulleitern und Schulleiterinnen, charakterisieren sich wie folgt: 3.1. Institutionelle Umwelten der Organisation Schule setzen sich aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen zusammen, bei denen sich unterschiedliche Handlungslogiken zeigen. 3.2. Institutionen können unterschiedliche Logiken aufweisen und dem entsprechend unterschiedliche institutionelle Erwartungshaltungen, z. B. bei Reformumsetzungen zur Folge haben. Ebenfalls im zweiten Kapitel wird mit Hilfe von neo-institutionalistischen Zugängen erörtert, wie sich die Rolle von Schulleiterinnen und Schulleitern in Österreich zeigt (4), bzw. welche unterschiedlichen Agentenschaften Schulleitungen übernehmen. Dabei wird zum einen noch einmal gesondert auf die professionsspezifischen Orientierungsmöglichkeiten Bezug genommen (4.1), zum anderen wird die These formuliert, dass sich Schulleitende in ihren Akteursverständnissen unterscheiden (4.2). Letztgenannte These versteht sich auch als Ergebnis der unterschiedlichen Akteursverständnisse innerhalb der neo-institutionalistischen Zugänge. Die Ausgestaltung der Rolle des/der Schulleiter/-in als „Institutional Entrepreneuer“, im Sinne eines Führungsverständnisses in der institutionellen Umwelt, wird gesondert thematisiert. Neben der eigenen Wahrnehmung werden auch Anspruchsgruppen im Kontext von Legitimierungsprozessen nach neo-institutionalistischem Verständnis diskutiert (4.3). 4. Das Verständnis von Schulleitung bzw. die Agentenschaft dieser Funktion kann unter-schiedlich interpretiert werden. Schulleiterinnen und Schulleiter antworten verschieden auf ihre Umwelten und adressieren unterschiedliche Anspruchsgruppen.
1.3 Argumentationsgang der Arbeit
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4.1. Für Schulleiterinnen und Schulleiter gibt es in Österreich wenig professionsspezifische Orientierungsmöglichkeiten z. B. innerhalb einer eigenständigen Professionsvertretung. 4.2. An wem sich ein/-e Schulleiter/-in hinsichtlich seines/ihres eigenen Akteurs-Verständnisses orientiert, unterscheidet sich im Vergleich zu anderen Leiter/-innen. 4.3. Die Gewichtung der bzw. die Orientierung an bestimmten Anspruchsgruppen erfolgt durch die Schulleiter/-innen. Dadurch wird auch die Schulentwicklung der Schule mitbeeinflusst. Der Leitfrage (2) widmet sich Kapitel drei. Organisationen und ihre Akteure respondieren auf Ansprüche ihrer institutionellen Umwelt – Schulleiterinnen und Schulleitern kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Ansprüche, wie etwa Reformen, bedeuten vielfach Wandel und Veränderung innerhalb der Organisation – Schulleitende sind mit deren Umsetzung konfrontiert und müssen dementsprechend handeln (5). Wie Veränderung dabei wahrgenommen wird, kann unterschiedlich sein (5.1). Mit den unterschiedlichen Ansprüchen an Schulen im Verlauf der letzten vier Dekaden wurden entlang der verschiedenen Reformen auch unterschiedliche (Steuerungs-)Logiken weitergegeben. So haben sich in den vergangenen Jahrzenten unterschiedliche Handlungsparadigmen im Schulleitungskontext abgezeichnet (vgl. Schratz et al. 2015). Eine weitere These greift diese Entwicklungslinien auf, indem sie das Antworten von Schulleiter/-innen auf Ansprüche der institutionellen Umwelt mit deren Leitungslogiken verknüpft (5.2). Die letzte Hypothese (6) greift den Akt des Respondierens auf und setzt diesen noch einmal im Bezug zu unterschiedlichen Leitungslogiken (6.1) bzw. zu daraus resultierenden Entwicklungs- und Umsetzungsstrategien (von Reformen) an den Einzelschulstandorten (6.2). 5. Schulleiter/-innen werden im Rahmen ihrer Leitungsfunktion damit konfrontiert, Veränderungen in der Organisation durchzuführen, z. B. Reformen umzusetzen. 5.1. Veränderungsprozesse werden dabei von Schulleiter/-innen als inkrementell oder fundamental wahrgenommen. 5.2. Bei der operativen Umsetzung zeigen sich unterschiedliche institutionelle Rahmungen/Logiken (vgl. Matrix 1.0, 2.0, 3.0, 4.0). 6. Schulleiter/-innen respondieren in ihrer Agentenschaft auf Ansprüche ihrer Umwelt 6.1. mit entsprechendem Führungshandeln 6.2. mit entsprechenden Entwicklungsmaßnahmen innerhalb der Organisation.
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1
Absichten und Interesse der Arbeit
Das vierte Kapitel beschreibt den empirischen Teil der Qualifikationsarbeit. Eine umfassende Reflexion und Darstellung der Methode sowie die inhaltsanalytische Herangehensweise (u. a. Kuckartz 2012, Schreier 2014) werden bei der Auswertung der Ergebnisse dargelegt. Die theoriegeleiteten Thesen der Arbeit werden mit Hilfe einer qualitativen Untersuchung explorativ überprüft und durch eine darauf folgende induktive Codierungsphase erweitert. Hierzu wurden episodische Interviews (n = 11) (Flick 1995, 2011) mit Schulleiterinnen und Schulleitern durchgeführt. Um respondierendes Leitungshandeln abbilden zu können, erfolgt eine Orientierung am Responsivitätsmodell nach Gärtner et al. (2017), welches mittels neo-institutionalistischer Zugänge sowie ausgewiesenen Erweiterungen operationalisiert wird. Mit Hilfe kontrastiver Falldarstellungen werden unterschiedliche prototypische Zugänge von Schulleitenden in ihrem Antwortverhalten auf die NeueMittelschulreform rekonstruiert. Im abschließenden fünften Kapitel werden die Ergebnisse entlang der beiden Leitfragen diskutiert und interpretiert. Weiters werden die Grenzen und Chancen der vorliegenden Qualifikationsarbeit aufgezeigt, bevor eine Gesamtbilanz gezogen und ein Ausblick auf weiterführende Forschungsfragen gegeben wird.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren des Neo-Institutionalismus
„Die Umwelten von Organisationen bestehen aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen, die die Ausgestaltung von Organisationen nachhaltig prägen.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 11)
Im folgenden Kapitel soll zunächst noch einmal begründet werden, warum die Wahl der theoretischen Fundierung auf Zugänge aus dem Neo-Institutionalismus gefallen ist sowie eine Vorstellung der zentralen Konzepte dieser Theorie erfolgen (Abschnitt 2.1). Historiographisch werden diese präzisiert, indem sie im Kontext des Forschungsstandes betrachtet und anschließend in Bezug auf Schulleitung bzw. Schulleitungshandeln diskutiert werden. Die Theorien des NeoInstitutionalismus haben seit den 1980er Jahren „unterschiedliche disziplinäre und inhaltliche Entwicklungspfade genommen […], diese unterscheiden sich so stark, dass nicht von dem Neo-Institutionalismus als monolithische Theorie gesprochen werden kann.“ (Sandhu 2012, S. 73).1 Daher werden im Zuge dieser Arbeit ausgewählte Begriffe dieser sozialwissenschaftlichen Theorieströmung aufbereitet, um Schulen in ihren institutionellen Umwelten und vor allem die Rolle von Schulleiter/-innen in diesen Umwelten erörtern zu können. Aus diesem Vorhaben lassen sich zwei zentrale Aspekte für das zweite Kapitel ableiten. Zum Ersten werden Zugänge beschrieben, die es ermöglichen Schulen und insbesondere Schulleiter/-innen in einer institutionalisierten Umwelt (1) abzubilden – hierbei werden Leitbegriffe wie Institution (Abschnitt 2.2) und Organisation (Abschnitt 2.3) im Zusammenhang von formalen Bildungskontexten erörtert. Vor allem die diversen Verständnisse von Institutionen und wie diese entstehen, tradiert werden bzw. sich verändern, werden auf Grundlage unterschiedlicher Ansätze aufgearbeitet. Um eine veranschaulichende Zugangsweise zu 1
Dies gilt auch im Fortgang der Arbeit, wenn von dem Neo-Institutionalismus geschrieben wird. © Der/die Autor(en) 2023 L. Jesacher-Rößler, Responsive Schulleitung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4_2
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
ermöglichen, werden die unterschiedlichen theoretischen Ausführungen anhand relevanter Beispiele für schulische Umwelten aufbereitet. Eine Klärung des Akteursbegriffs aus Sicht des Individuums leitet die zweite Phase der vertieften theoretischen Auseinandersetzung in diesem Kapitel ein. Dabei rücken die Schulleiter/-innen ins Zentrum der Betrachtung. Deren Aufgabenprofil sowie ihr Handeln im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen wird im Zusammenhang mit Konzepten zu Agentenschaften (Abschnitt 2.4) dargelegt. Im Zuge der theoretischen Auseinandersetzung werden Hypothesen formuliert, die Ausgangspunkte für die Kategoriensysteme in der empirischen Untersuchung sein werden. Überdies wird an entsprechender Stelle darauf verwiesen, wie Zugänge der neo-institutionalistischen Theorien erweitert bzw. im Sinne eines für die vorliegende Arbeit zielführenden Verständnisses geschärft werden.
2.1
Verortung, Entwicklung und Bedeutung des Neo-Institutionalismus für Fragen der Schulforschung
„Im Kern geht es im NI [Neo-Institutionalismus] um die institutionelle, multikausale und multikontextuelle Einbettung von Organisationen in die Gesellschaft.“ (Senge und Hellmann 2006, S. 8)
2.1.1
Historiographie der neo-institutionalistischen Theorien2
Bereits die Anfänge des Neo-Institutionalismus gründen auf empirischen Forschungen in Non-Profit-Organisationen (z. B. Schulen, Krankenhäuser, Universitäten). So verwundert es nicht, dass diese Theorie gerade in den letzten Jahren eine Renaissance in erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschungsarbeiten (vgl. u. a. Schaefers 2002; Brüsemeister 2003; Koch und Schemmann 2009a, 2009b, Powell 2009; Schaefers 2009; Merkens 2011, Muslic und Ramsteck 2016; Muslic 2017; Schemmann 2017; Koch 2018; Pilz 2018; Kamm 2
Diese Hinführung beruht auf einer umfangreichen Literaturzusammenschau aus folgenden Quellen: DiMaggio/Powell 1983; Greenwood et al. 2008; Hasse und Krücken 1999; Koch und Schemmann 2009a, 2009b; Merkens 2011; Meyer und Rowan 1977; Muslic und Ramsteck 2017; Pilz 2018; Sandhu 2012; Schaefers 2002; Schaefers 2009; Schemmann 2018; Senge und Hellmann 2006; Senge 2011; Türk 2004; Walgenbach und Meyer 2008.
2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung …
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2019) und der schulischen Leadership-Forschung3 im Konkreten (vgl. u. a. Spillane 2017; Hallinger 2018) erfahren hat. Zentrale Perspektiven, die die neoinstitutionalistischen Theorieströmungen charakterisieren, sind von einer Abkehr der Beschreibung organisationaler Umwelten als technisch bzw. aufgabenorientiert und einer Hinwendung zum Verständnis der Umwelten als kulturell bzw. institutionell geprägt (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 12; Senge und Hellmann 2006; Merkens 2011). Durch diese Orientierung lassen sich neo-institutionalistische Theorieströmungen von anderen Organisationstheorien unterscheiden. Es wird nicht mehr davon ausgegangen, „dass die Zuordnung der Mittel zu den Zwecken in den Organisationen immer rational im Sinne von effizient erfolge bzw. instrumentell funktionell sei.“ (Merkens 2011, S. 23) Eine Unterscheidung etwa gegenüber dem Rational-Choice-Ansatz wird deutlich, indem bemerkt wird, dass Neo-Institutionalisten zwar davon ausgehen, „dass es Ziele in Organisationen gibt, deren Verwirklichung nach den Kriterien rationaler Wahl angestrebt wird – korporative Akteure [also] durchaus ‚intendedly-ration‘ (Simon 1997: 88 ff.) [handeln] – aber Neo-Institutionalisten meinen zeigen zu können, dass die Motive für die rational intendierten Ziele in der Regel aufgrund (oftmals unbewusster) institutioneller Einflüsse entstehen. Das heißt, rationales Handeln wird im Neo-Institutionalismus nicht wie im Rational-Choice-Ansatz als Prämisse zugrunde gelegt, sondern in seinen sozialen Voraussetzungen erst erklärt (HirschKreinsen 2003: 3). [...] In der Logik des Neo-Institutionalismus wird die Gesellschaft als ein Gefüge von Institutionen begriffen, und es sind die Institutionen der Gesellschaft, welche dauerhaft, verbindlich und maßgeblich das organisationale Handeln bestimmen.“ (Senge 2011, S. 17).
Eine gleiche Argumentationslinie wird verfolgt, wenn nach einer Abgrenzung des Neo-Institutionalismus zur Kontingenztheorie gesucht wird. Demnach geht es im Neo-Institutionalismus nicht mehr darum, den Fortbestand von Organisationen durch effiziente Arbeits- und Tauschprozesse zu gewährleisten, sondern sich durch die Orientierung an institutionellen Umwelten entsprechende Legitimität für den Fortbestand der Organisation zu verschaffen: „Legitimität wird dabei jedoch nicht als eine spezielle Ressource verstanden, die ebenso wie andere Ressourcen in (ökonomischen) Transaktionsbeziehungen eingesetzt werden kann, sondern als eine notwendige Bedingung, in der sich die Übereinstimmung der Organisation mit gesellschaftlich geteilten Werten, normativen
3
Die Literaturzusammenschau im Zuge dieser Arbeit hat ergeben, dass es im Bereich der Leadership-Forschung im deutschsprachigen Raum noch kaum Berücksichtigung des Ansatzes gegeben hat und somit ein Forschungsdesiderat besteht.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Erwartungen sowie mit allgemeinen Regeln und Gesetzen widerspiegelt.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 12)
Besonders die Einbettung in die gesellschaftlichen Umwelten konfrontiert Organisationen mit Vorgaben und Erwartungshaltungen, auf die sie reagieren müssen. Diesen gerecht zu werden, bedeutet, Legitimität zu erhalten. „Der Neo-Institutionalismus fokussiert die Grenze zwischen Organisation und Gesellschaft und betrachtet diese unter der Perspektive von Unsicherheitsabbau und Legitimations- respektive Legitimitätsaufbau4 in Organisationen.“ (Hartz 2011, S. 67). Durch die unterschiedlichen Institutionen, die die Umwelt beeinflussen, entstehen heterogene Ansprüche an Organisationen und deren Akteure. Diese Ansprüche lassen sich beschreiben als „gesellschaftliche Erwartungen im Allgemeinen und […] staatlich-politische Regulierungen im Besonderen“ (Hasse und Krücken 1999, S. 55). In empirischen Studien konnte jedoch festgestellt werden, dass sich Organisationen trotz dieser heterogenen Erwartungshaltungen immer mehr angleichen. Schemmann (2017) folgert daraus, dass „[es] einen Kern von Annahmen oder Regeln [gibt], die weiterhin konsensual in der Gesellschaft bestehen und sich über längere Zeiträume als verbindlich für das Handeln von Akteuren erweist“ (S. 189). Viele Untersuchungen, die ausgehend von neo-institutionalistischen Theorien durchgeführt wurden, versuchen daher zu ergründen, wie es zu solchen Angleichungen kommt bzw. welche Folgen eine Orientierung an solchen heterogenen Umwelterwartungshaltungen haben kann. „Akteure und ihre Umwelt stehen aus neo-institutionalistischer Perspektive in einem wechselseitigen Konstituierungsverhältnis. In der empirischen Forschung geht es dem Neo-Institutionalismus folglich um die Frage, wie sich dieses wechselseitige Bedingungsverhältnis von sozialen Akteuren, insbesondere von Organisationen, und ihrem institutionellen Kontext als Prozess darstellen lässt und welche Folgen daraus für die Akteure einerseits sowie die institutionelle Umwelt andererseits entstehen.“ (Koch und Schemmann 2009b, S. 10).
Was Koch und Schemmann hier ansprechen, sind Fragen, die die Forschungsentwicklungen in den vergangenen Jahren besonders beschäftigt haben – eine zentrale Kritik in den Anfängen der Neo-Institutionalismusforschung zielte auf
4
Hartz verweist darauf, dass DiMaggio von Legitimität schreibt, die deutschsprachige Literatur verwendet jedoch vorwiegend den Begriff Legitimation – dem folgend wird dies in der vorliegenden Arbeit ebenfalls so gehandhabt.
2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung …
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die Nichtberücksichtigung von Wandel- und Veränderungsprozessen (vgl. Walgenbach und Meyer5 2008, S. 85). Dies hat sich dezidiert in der jüngeren Forschungsgeschichte verändert und somit zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der neo-institutionalistischen Theorieströmungen geführt (vgl. Greenwood et al. 2008). Im Detail wird auf diese Kritik, nämlich fehlende Konzepte für die Abbildung von Wandel, in Kapitel 3 noch eingegangen. Dass der Neo-Institutionalismus nicht als „Grand Theory“ (vgl. Dierkes und Zorn 2005, S. 313) betrachtet wird, ist auch der nicht eindeutigen Abgrenzung zu eng verwandten Theorieströmungen, wie denen des „alten Institutionalismus“ geschuldet. Senge und Hellmann (2006) betonen, dass im „alten Institutionalismus“ „Wechsel und Veränderung der Organisation im Zentrum standen“ (S. 13), und verweisen darauf, dass die „erste Generation“ der neo-institutionalistischen Theorieströmungen „[…] gesellschaftliche Einflüsse auf Handlungsstränge und konkrete Akteurskonstellationen innerhalb von Organisationen untersuchte, während im NI diese als Mikroperspektive zu bezeichnende Forschungsrichtung insbesondere in den frühen Arbeiten vernachlässigt wurde.“ (ebd.). Walgenbach und Meyer (2008) ergänzen, dass außerdem im alten Institutionalismus „besonders normative Dimensionen von Institutionen betrachtet wurden“, im neuen Ansatz jedoch „vor allem die kognitiven Dimensionen von Institutionen, z. B. die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten des Alltags“ (S. 12), diskutiert werden. Auch erfolgt im neuen Ansatz nicht mehr eine Betrachtung von einzelnen Organisationen, sondern werden Organisationen in ihren Einbettungen in die Umwelt betrachtet, was wiederum mit Hilfe von Organisationalen Feldern, ein dezidiertes Instrument des neuen Ansatzes, veranschaulicht und erforscht werden kann. Nichtsdestoweniger betont Merkens (2011), sei eine solche klare Unterscheidung zwischen „altem“ und „neuem“ Institutionalismus nicht so einfach, da „es in den letzten 20 Jahren eine rasche theoretische Entwicklung gegeben hat und Grundpositionen, die am Beginn der 1970er Jahre formuliert worden sind, heute nicht mehr mit der Ausschließlichkeit des Anfangs gelten […]“ (S. 9 f.). Walgenbach und Meyer (2008, S. 12) sprechen sich deshalb dafür aus, die beiden Strömungen des Institutionalismus als unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zu verstehen. Für Arbeiten im Bereich der erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschung wird in erster Linie der organisationssoziologische Institutionalismus herangezogen (vgl. Schaefers 2002; Türk 2004; Koch & Schemmann 2009a/b). Dieser Tradition folgt auch diese Forschungsarbeit. 5
Hierbei beziehen sie sich auf Kritiker/-innen innerhalb und außerhalb des neoinstitutionalistischen Diskurses: DiMaggio 1988, Powell 1988; DiMaggio/Powell 1991; Krint/Karabel 1991; Hirsch/Lounsbury 1997; Kondra/Hinings 1998; Beckert 1999; Scott 2001.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Koch und Schemmann (2009) bestimmen in ihrem einleitenden Kapitel das Verhältnis zwischen Neo-Institutionalismus und Erziehungswissenschaft. Sie rekurrieren dabei auf Türk (2004), der drei unterschiedliche „Analyse- und Aggregationsebenen“ unterscheidet, nämlich einen organisationsinternen (Organization as Institution) (1), einen umweltbezogenen (Organization and Insitution) (2) und einen gesellschaftstheoretischen (World Policy) (3) (vgl. Türk 2004) Ansatz. Die Ebene, auf der Organisationen und Institutionen in ihrem Wechselspiel beobachtet werden, wird wie folgt charakterisiert. „Sie [programmatische Beiträge eines umweltbezogenen Neo-Institutionalismus] fokussieren die institutionalisierte Organisationsumwelt und deren Wirkung auf die organisationale Struktur und Praxis [...].“ (Koch & Schemmann 2009b, S. 8)
Während jene der Mikroperspektive so beschrieben wird: „In neueren Arbeiten [...], im Gegensatz zu der ursprünglich betonten Prägekraft von Institutionen, [steht] vor allem [...] die Gestaltung der Organisation (organisationaler Wandel) sowie ihrer institutionalisierten Umwelt (institutioneller Wandel) [im] Mittelpunkt des Forschungsinteresses [...].“ (ebd.)
Da im Mittelpunkt dieser Arbeit Schulleiter/-innen und deren Handlungen stehen, bedarf es einer Erweiterung der Interaktionsbetrachtung zwischen Umwelt und Organisation auf Mikroebene. Die vorliegende Arbeit bewegt sich, daraus resultierend, im Zwischenfeld der erst- und zweitgenannten Aggregationsebenen. Koch und Schemmann (2009b) verweisen darauf, dass in neueren Arbeiten Zugänge zur Aggregatsebene (1) – organisationsinterner Ansatz – „die Rolle von individuellen Akteuren bei der Ausgestaltung und Verbreitung spezifischer Organisationsformen“ (ebd., S. 8) betont werden. Für die Fragestellung und die zu diskutierenden Hypothesen ist es relevant, die Mikroperspektive verstärkt einzunehmen – eine Sichtweise, die in den Anfängen der Theorie nur vereinzelt behandelt wurde (Zucker 1977), jedoch zunehmend mehr Beachtung findet (vgl. Meyer und Jepperson 2005; Meyer und Hammerschmid 2006; Hardy und Maguire 2008; Powell und Colyvas 2008; Rybnikova und Lang 2017). Gerade für Personen mit erweiterter Leitungsverantwortung, die über Handlungsmöglichkeiten verfügen, Organisationsentwicklung maßgeblich zu bestimmen, müssen passende Ansätze im Neo-Institutionalismus gefunden werden. Konkret bedeutet das, Ansätze, die weg von einer rein passiven Beeinflussung von Akteuren bzw. Organisationen durch Institutionen und hin zu einem responsiven Agieren in institutionellen Umwelten gehen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit entsprechenden neuen Entwicklungslinien der Theorie erfolgt
2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung …
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im weiteren Verlauf der Arbeit (Abschnitt 2.4 und 2.3) unter den entsprechenden Kernbausteinen der Theorieströmungen. Neo-institutionalistische Theorien sind nicht zuletzt aus einem fortlaufenden „Wechselspiel zwischen empirischer Forschung und damit verbundener theoretischer Weiterentwicklung“ (Sandhu 2012, S. 74) entstanden – und bieten daher im besonderen Maß eine Ausgangsposition für die zu untersuchenden Fragestellungen in dieser Arbeit. Auch tritt die vorgestellte Theorieströmung der seit Jahren anhaltenden Orientierung an Organisationstheorien und Akteurskonzepten entgegen, die einen starken Fokus auf „starke Handelnde“ (sowohl individuell als auch organisatorisch) legen (vgl. z. B. „New Public Management“ und in Teilen auch Diskurse der „School Effectiveness and School Improvement“-Forschung). Auch Leitungsverständnisse wurden dadurch maßgeblich beeinflusst, indem Leitende etwa als immer rational Steuernde wahrgenommen wurden (ausführlich hierzu Abschnitt 3.2.2). Mit neo-institutionalistischen Ansätzen wird betont, dass Organisationsentwicklung nicht ohne die Organisation umgebende Gesellschaft, hier verstanden als Umwelt, geprägt durch Institutionen, betrachtet werden kann. Dazu unterstreichen Walgebach und Meyer: „[...] [Es] wird in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie durchaus anerkannt, dass Organisationen auch als ein Versuch der effizienten Steuerung durch eine technisch-rationale Ausgestaltung der Struktur zu verstehen ist. Allerdings wird besonders betont, dass die Grenzen zwischen Organisation und Umwelt verschwimmen und die Durchlässigkeit von Organisation für rationalisierte institutionalisierte Erwartungen eine verstärkte Beschäftigung mit dem Einfluss der kulturellen oder institutionellen Umwelt der Organisation erforderlich macht.“ (2008, S. 17)
Schulleitungs- sowie Schulentwicklungsforschung in deutschsprachigen Ländern bedarf einer Erweiterung um diese Perspektive und muss sich daher bemühen, Handlungs- und Organisationstheorien entweder zu übersetzen oder Theorieansätze zu stärken, die von vorneherein einen entsprechenden kulturellen Fokus haben. Bildung bzw. Bildungssysteme und die darin handelnden Akteure sind mehr als in anderen gesellschaftlichen Systemen bestimmt von kulturellen Vorstellungen, denn Schule kann verstanden werden als ein Ort für kulturelle Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Generationen. Schule prägt daher entscheidend die Gesellschaft und damit wiederum das institutionelle Umfeld jedes Einzelschulstandortes.
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2
2.1.2
Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Schulleitung in einer institutionalisierten Umwelt
Ob Umwelt, Kontext, Außenwelt oder externe Beziehungen – Schulen werden auch in der Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung nicht als in sich geschlossene Systeme betrachtet, sondern es wird der Einfluss der Umwelten auf Schule und deren Entwicklung klar erkannt (vgl. Bormann 2002; Fend 2008; Rolff 2013; Schratz et al. 2015; Hallinger 2018). Wie sich die Umwelten jedoch gestalten, lässt sich unterschiedlich beschreiben. Auch innerhalb neo-institutionalistischer Theorien werden Organisationen als „offene Systeme“ verstanden (vgl. Merkens 2011, S. 25). Umwelten werden hier nicht, wie bereits beschrieben, als technische wahrgenommen, sondern als von Institutionen geprägte – also als institutionelle Umwelten. Mit Offenheit ist hier zunächst gemeint, dass die Umwelten Einfluss auf die Organisationen haben. Wie stark oder schwach diese Einflüsse sind, hängt wiederum von der Stärke der Legitimation ab, die von der Anspruchsgruppe ausgeht. Für die hier vorliegende Arbeit wird jedoch nicht nur das passive Reaktionsverhalten dieses „offenen“ Systems von Interesse sein, sondern vor allem auch die Frage, inwieweit institutionelle Umwelten von Organisationen mitgestaltet werden, also inwieweit die hier angesprochene Offenheit in beide Richtungen geht. John W. Meyer und Brian Rowan verdeutlichen gleich zu Beginn ihres den Neo-Institutionalismus begründenden Aufsatzes „Institutionalized organizations: Formal structure as myth and ceremony“, wie sie die Einbettung von Organisationen in ihre Umwelten verstehen6 : „Formal organizations are generally understood to be systems of coordinated and controlled activities that arise when work is embedded in complex networks of technical relations and boundary-spanning exchanges. But in modern societies, formal organizational structures arise in highly institutionalized contexts. Professions, policies and programs are created along with the products and services that they are understood to produce rationally. […] That is, organizations are driven to incorporate the new practices and procedures defined by prevailing rationalized concepts or organizational work and institutionalized in society. Organizations that do so increase their legitimacy and their survival prospects, independent of the immediate efficacy of the acquired practices and procedures.” (1977, S. 340 f.)
Die beiden Autoren führen zunächst an, dass Umwelten nicht nur als technische Umwelten wahrgenommen werden, sondern auch institutioneller Natur sein 6
Obgleich Meyer und Rowan mit ihrem Aufsatz die Grundsteine für die neoinstitutionalistischen Theorien legen, richten sie ihren Fokus noch ausschließlich auf den Einfluss, den die institutionellen Umwelten auf die Organisationen nehmen.
2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung …
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können. Walgenbach und Meyer erläutern, dass im frühen Neo-Institutionalismus technische Umwelten als solche definiert sind, die durch den Markt bewertet werden und „durch eine effiziente Koordination und Steuerung ihrer Arbeits- und Tauschprozesse einen Wettbewerbsvorteil erlangen“. (2008, S. 68). Institutionelle Umwelten hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass „Organisationen Konformität mit institutionalisierten Regeln zeigen müssen, um von ihrer Umwelt Legitimität zugesprochen zu bekommen und Unterstützung zu erhalten“ (ebd.). Es gilt daher zu klären, was überhaupt unter Institutionen verstanden wird, welche unterschiedlichen Formen von Institutionen in der schulischen Umwelt vorkommen und wer für die Organisation institutionelle Akteure darstellen von denen Legitimierung für das organisationale Handeln ausgehen. Vor diesem Hintergrund deuten Meyer und Rowan im oben beschriebenen Abschnitt bereits an, was in den folgenden Unterkapiteln ausgeführt werden wird, nämlich, dass verschiedene Anspruchsgruppen (Professionen, Politik, Programm etc.) in der institutionellen Umwelt agieren. Verbunden mit dem Auftreten dieser Anspruchsgruppen sind häufig auch neue Produkte und Services, die im Verständnis dieser Gruppen Rationalität schaffen. Organisationen, so die beiden Autoren, die diesen Erwartungen und Ansprüchen Folge leisten, steigern ihre Legitimierung und festigen ihr Weiterbestehen, jedoch unabhängig davon, ob die durch die Umwelt geforderten Praktiken die Effektivität in den Organisationen selbst steigern oder nicht. Walgenbach und Meyer erläutern hierzu, dass „beide Umwelten, technische und institutionelle, [zu] ‚rationalen’ organisatorischen Formen [führen].“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 68). Mit „rationalen“7 organisatorischen Formen ist gemeint, dass es bestimmte Normen gibt, die sich in Regeln manifestieren, die einzelne Anspruchsgruppen als Erwartungen an Organisationen formuliert haben. Häufig wird in der Literatur das Beispiel der Umweltvorgaben an ein Unternehmen bemüht. Unternehmen müssen – ob es förderlich für ihre Arbeitsweise ist oder nicht – bestimmte Auflagen erfüllen, damit sie entsprechende Legitimierung 7
Tacke verweist in ihrem Kapitel „Rationalität im Neo-Institutionalismus. Vom Kalkül zum Mythos“ darauf, dass die Definition von Rationalität wie auch von anderen zentralen Begriffen dieser Theorie wenig genau ist. Denn, so begründet sie, „[es] kommt in der Welt der Institutionen nicht vorrangig auf sachliche Richtigkeit und faktische Genauigkeit, Transparenz und kontrollierende Inspektion, individuelle Klarheit und Effizienz des Handelnden an; relevant sind vielmehr soziale Angemessenheit und symbolische Konformität des Handelns, Regeltreue und die Sicherung von Legitimität.“ (Tacke 2006, S. 89 ff.). Sie begründet die Unschärfe des Rationalitätsbegriffes mit dem durch die einzelnen Umwelten der Organisationen definierenden Charakter. Ein zu beschränktes Verständnis würde der Theorie ihre Offenheit nehmen.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
(u. U. weiterer Fortbestand des Unternehmens) der dies fordernden Anspruchsgruppe (z. B. Politik) erhalten. Dieser zentrale Aspekt der Rationalitätsschaffung führt mitunter zu Verhalten in Organisationen, die wider deren logischen Arbeitsweisen sein können. Da der Anspruch der Organisationen, den Erwartungen der Umwelten zu genügen, jedoch in vielen Fällen höher ist als die Effizienz der eigenen Arbeitsweisen, kommt es zu entsprechenden Antwortverhalten der Organisationen. Daraus ergeben sich einige weiterführende kritische Momente für die Organisationen. Zum einen haben Organisationen meist mehr als eine Anspruchsgruppe, zum anderen sehen sich Organisationen, deren Legitimation sich vor allem aus institutionellen und nicht-technischen Umwelten speist, mit der Herausforderung konfrontiert, dass Rationalität nur schwer gemessen werden kann. Was sich für technische Umwelten leicht beschreiben lässt, gestaltet sich für institutionelle Umwelten schwerer, diese „erfordern [den] Nachweis, dass eine Organisation den institutionalisierten Rationalitätsmythen8 genügt.“ (Kieser & Ebers 2006, S. 361) Meyer und Rowan (1977) haben ein Konzept entwickelt, das veranschaulichen soll, in welcher Abhängigkeit Organisationen zu ihren institutionellen Umwelten stehen und inwieweit ein Zusammenhang zwischen den Erwartungsstrukturen (rationalized institutional myths) und dem Überleben (survival) der Organisation erfolgen kann (Abbildung 2.1): „Organisationen, die gesellschaftlich legitimierte und rationalisierte Elemente in ihre formalen Strukturen übernehmen, maximieren ihre Legitimität, erhöhen den Ressourcenzufluss und verbessern ihre Überlebenschancen.“ (Walgenbach & Meyer, S. 26 nach Meyer & Rowan 1977, S. 352)
Für formale Bildungseinrichtungen (insbesondere für Schulen) und zum Teil auch für Non-Profit-Organisationen allgemein kann festgehalten werden, dass ein „Überleben“ im zuvor dargestellten Sinne nicht vorrangiges Ziel ist und ein bestimmtes opportunes Verhalten auch nicht zwangsläufig zu einem erhöhten Ressourcenfluss führen muss. Die Existenz von Schulen per se wird gesellschaftlich (noch) nicht angezweifelt. Insbesondere die in dieser Arbeit untersuchten Schulen sind allesamt Pflichtschulen. Eine Auflösung bzw. Schließung dieser
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Diese Bezeichnung findet sich im Aufsatz von Meyer und Rowans wieder. Rationalitätsmythen sind Mythen in dem Sinne, dass sie nicht der Produktions-Rationalität entsprechen. Für das Überleben (Legitimation) in der institutionellen Umwelt sind sie aber erforderlich. Die Ziele und Mittel zur Erreichung von Legitimation sind somit rational, aber nicht wie in der Produktion operationalisierbar.
2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung …
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Abbildung 2.1 Überlebensstrategien von Organisationen (Meyer und Rowan 1977, S. 353)
Schulen ist nicht vorgesehen9 , da eine ausreichende Anzahl an Schülerinnen und Schüler (vermeintlich) gesichert ist. Pflichtschulen sind, wie der Name sagt, verpflichtet, alle schulpflichtigen Schülerinnen und Schüler, die in keine andere (weiterführende) Schule aufgenommen wurden (z. B. wegen ihrer Noten), aufzunehmen. „Survival“ sollte daher in anderer Form übersetzt werden. Auch das Verständnis von Ressourcen10 muss angepasst werden. Die Finanzierung und Ressourcenausstattung von Pflichtschulen erfolgt nach einem Prinzip, das zu großen Teilen fix geregelt ist – organisationale Konformität mit institutionellen Erwartungshaltungen erhöht die Ressourcenzufuhr nur bedingt11 . Betrachtet man Ressourcenausstattung für Pflichtschulen im Sinne monetärer Ressourcen, so gilt, dass je nach Anzahl der Schülerinnen und Schüler am Standort und etwaige 9
Damit ist insbesondere eine Schließung im Sinne der marktwirtschaftlichen Logik gemeint. Schließungen bzw. Zusammenlegungen können sehr wohl dann eintreten, wenn sich die Schüler/-innenzahlen verringern. 10 Nach neo-institutionalistischem Verständnis erfolgt Ressourcenzufluss dann, wenn Legitimation zugesprochen wird. In welcher Form Ressourcen zugesprochen werden, kann unterschiedlich sein. Nachdem neo-institutionalistische Theorien jedoch die kulturellen Facetten der Umwelt betonen, spielen vor allem Ressourcen wie Macht und Herrschaft eine besondere Rolle. In Anlehnung an den Ressourcenbegriff nach Giddens (1984) kann daher unterschieden werden zwischen allokativen und autoritativen Ressourcen. Allokative Ressourcen entsprechen jenen der materiellen Art, während autoritative Ressourcen die „Herrschaft“ über Personen symbolisieren (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 136). Geld wird in diesem Zusammenhang zwar als klassische allokative Ressource beschrieben, kann jedoch auch gleichzeitig zu einer autoritativen Ressource werden. 11 Siehe die Ausführungen oben – zumindest bezogen auf monetäre Ressourcen des Bundes, nicht zwangsläufig der Gemeinde.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
gesonderte Förderbedürfnisse dieser Schülerinnen und Schüler (sonderpädagogischer Förderbedarf) Lehrer/-innen-Stellen zugeteilt werden. Somit ist jedem Schulstandort eine monetäre Grundversorgung mit Ressourcen zugeteilt. Darüber hinaus bestimmt der Schulerhalter – das ist bei Pflichtschulen im Regelfall eine oder mehrere Gemeinde(n)12 , bei Bundesschulen der Bund –, welche budgetären Mittel den Schulen zugedacht werden. Die Zuständigkeit der Schulerhalter liegt dabei z. B. in den Bereichen Ausstattung, Gebäude, IT sowie Assistenzpersonal (Schulassistenz, Sekretariatskraft). Mitunter kommt es jedoch bei Pflichtschulen zu erheblichen Unterschieden in der Ressourcenzuwendung. Dies hängt z. B. von der finanziellen Lage der Gemeinde(n) ab. Gemeinden nehmen daher für Pflichtschulen, die in dieser Arbeit im Zentrum stehen, eine bedeutende Rolle ein. Auch DiMaggio und Powell (1983) setzen sich in ihrem, ebenfalls die neoinstitutionalistischen Theorien mitbegründeten Aufsatz „The Iron Cage Revisited: Institutional Isomporphism and Collective Rationality in Organizational Fields“ mit dem Hergang von Rationalisierung und dem Wandel von Organisationen auseinander: „Bürokratisierung und andere Formen der Homogenisierung entstehen unserer Ansicht nach durch die Strukturierung (Giddens 1979) organisationaler Felder. Dieser Prozess wiederum wird besonders vom Staat und den Professionen beeinflusst, den großen Rationalisierern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus zu erläuternden Gründen bilden hochstrukturierte organisationale Felder einen Kontext, in dem individuelle Bemühungen, mit Ungewissheit und Handlungsrestriktion rational umzugehen, in ihrer Gesamtheit oft zu einer Homogenisierung der Struktur, der Kultur und des Outputs führen.“ (DiMaggio und Powell 1983, nach Koch 2009, S. 58)
Ihr Konzept des „Organisationalen Felds“ erweitert die Theorie vor allem um die Möglichkeit, die verschiedenen Anspruchsgruppen und deren Erwartungen an die Organisation darstellen zu können. Entgegen bisheriger Annahmen fasst ein „Organisationales Feld“ „die gesamte relevante Umwelt, in der eine Organisation operiert“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 34). Legt man diesen hier angeführten Gedanken auf Schulen und deren Umwelt um, so muss zunächst festgehalten werden, dass Schulen besondere Arten von
12
Pflichtschulen können auch von mehreren Gemeinden gemeinsam (Gemeindeverbände) erhalten werden. Dies kommt insbesondere bei Neuen Mittelschulen vor, deren Sprengel sich auf das Gebiet mehrerer Gemeinden bzw. deren Volksschulen erstreckt.
2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung …
27
Organisationen sind – daher wird diese Besonderheit (angeleitet durch das neoinstitutionelle Verständnis von Organisationen) im Unterkapitel 2.3 herausgearbeitet. Für Schulen oder andere Non-Profit-Einrichtungen sind die Anforderungen der institutionellen Umwelt wesentlich entscheidender als die der technischen Umwelten (vgl. Walgenbach und Meyer 2008; Koch 2009; Merkens 2011).
2.1.3
Neue Perspektiven für die Schul(leitungs)forschung
Dass neo-institutionalistische Theorien Einzug in die Erziehungswissenschaft gehalten haben und als Ansätze zur Beforschung schulischer Prozesse herangezogen werden, wurde bereits betont. In welchem Ausmaß die Theorie überdies eine Erweiterung und Bereicherung für die Schul(leitungs)forschung darstellt, soll nachfolgenden noch einmal herausgestrichen werden. Zunächst liefern neo-institutionalistische Zugänge Ansatzpunkte, die es ermöglichen kulturell-kognitiv angeleitete Einflüsse der schulischen Umwelten bezogen auf Schulentwicklungshandlungen beschreibbar zu machen. Damit können sie die aktuell dominanten Governance-Diskurse erweitern. Diese, so Benz et al. (2007, S. 19), vernachlässigen vielfach die kulturell-kognitiven Dimensionen als Erklärungsmuster für Rekontextualisierungen (vgl. Fend 2008b, S. 235 ff.) innerhalb eines Mehrebenensystems – etwa bei Reformen. Mit den Zugängen der neo-institutionalistischen Theorien wird in der vorliegenden Arbeit eine erweiternde Perspektive auf das Handeln von Leitenden sowie die Entwicklung schulischer Organisationen gegeben. Schulische Akteure, im Fall der vorliegenden Arbeit Schulleiter/-innen, bewegen sich in einer institutionalisierten Umwelt. Sie sehen sich trotz der vorhergehenden Ausführungen konfrontiert mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, wie Schule, ja wie Unterricht auszusehen hat. Die Betrachtung der Mikroperspektive einzelner Leitungshandelnden an der Nahtstelle zur Mesoperspektive – der schulischen Umwelt – erlaubt es, neue Einsichten in das Umwelt-Organisationsverhältnis zu gewähren. Insbesondere soll die Perspektive der aktiven Rolle der organisationalen Akteure in der Ausgestaltung und Beeinflussung der institutionellen Umwelt mitgedacht werden. Auch der omnipräsente Verweis, dass die Umsetzung von Neuerungen innerhalb schulischer Organisationen mit den Kontextfaktoren der einzelnen Schulen zusammenhängt, bleibt allzu oft vage. Mit Hilfe neo-institutionalistischer Zugänge erfolgt in dieser Arbeit eine intensive Auseinandersetzung mit Umwelten, die von unterschiedlichen institutionellen Akteuren geprägt werden – damit
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2
Schule und Schulleitung auf den Spuren …
erfährt der Begriff „Kontext“ eine Schärfung. In diesem Zusammenhang werden auch Anspruchsgruppen, die schulischen Umwelten prägen und Einfluss auf schulische Entwicklungsvorhaben haben, in den Blick genommen. Welche Anspruchsgruppen das jeweils sind und welcher institutionellen Logik diese jeweils folgen und welchen Einfluss das auf das Handeln der Akteure in den Schulen haben kann, soll im Zuge dieser Arbeit geklärt werden. Diese erweiterte Betrachtung kann ein vertieftes Verständnis für schulisches Leitungshandeln gewähren.
2.2
Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
„Von ihnen [gesellschaftlichen Institutionen] gehen Einflüsse aus, denen sich Organisationen nicht gänzlich entziehen können, auf die Organisationen aber unterschiedlich reagieren können.“ (Senge 2011 S. 18)
2.2.1
Ein verwobenes Geäst: Institutionen und institutionelle Umwelten
Institutionen sind der zentrale Ansatzpunkt der neo-institutionalistischen Theorieströmungen. Das Verhältnis zwischen ihnen und Organisationen steht im Mittelpunkt der neo- institutionalistischen Organisationstheorien. Auch im Fokus des wissenschaftlichen Interesses dieser Arbeit steht das Verhältnis zwischen Schule bzw. Schulleiterinnen und Schulleitern und ihrer institutionellen Umwelt. Daher ist für diese Arbeit zentral, ein umfassendes Verständnis einer solchen institutionellen Umwelt zu entwickeln. Dieses Unterkapitel fokussiert demnach auf Modelle zur Darstellung, Tradierung und Entwicklung von Institutionen bzw. institutionellen Umwelten. Walgenbach und Meyer formulieren in Bezug auf das Verhältnis zwischen kollektiven Akteuren, sprich Organisationen, und ihrer institutionellen Umwelt einen viel zitierten und für die Rezeption der neo-institutionalistischen Theorie leitenden Satz: „Die Umwelt von Organisationen besteht aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen, die die Ausgestaltung von Organisationen nachhaltig prägen. So lässt sich das Kernargument der Organisationstheorie zusammenfassen.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 11)
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
29
Liest man diese Charakterisierung13 , so lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Organisationen als „Produkt“ (Koch 2018, S. 113) institutioneller Annahmen, Vorgaben bzw. Erwartungshaltungen zu verstehen sind. Genauer gesagt, dass Organisationen gegenüber Institutionen in einer untergeordneten Rolle zu betrachten sind (Meyer & Rowan 1977; DiMaggio & Powell 1983; Fligstein 1985). Neue Zugänge verweisen allerdings darauf, dass Organisationen auch als „Produzenten“ (Koch 2018, S. 113) bzw. als aktive(rer) Akteure (Abdelnour, Hasselbladh, Kallinikos 2017; Greenwood, Oliver, Sahlin-Andersson & Suddaby 2008) die Umwelt gestalten können. Um diesen Ansatz weiter zu verfolgen, braucht es jedoch ein anderes bzw. verändertes Verständnis, wie institutionelle Umwelten auf kollektive und individuelle Akteure wirken, mit ihnen in Wechselbeziehung stehen bzw. sie sich selbst verändern können. Diese Erweiterung der Definition von institutioneller Umwelt bewirkt, dass kein eindeutiges, für die Theorieentwicklungen stringentes Konzept für Institutionen, also für organisationale Umwelten, vorliegt. Je nachdem, worauf der Fokus gerichtet wird, können unterschiedliche Blickrichtungen anschlussfähiger sein. Für die komplexen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit empfehlen sich daher drei14 unterschiedliche Zugänge.
13
Ausgehend von der ersten Phase der neo-institutionalistischen Theorieentwicklungen lag der Fokus zunächst darauf, institutionelle Umwelten an sich als entscheidende Einflussgrößen auf individuelle und kollektive Akteure zu verstehen. Das Abwenden von einem technologisierten Umweltverständnis hin zu einem kulturell-kognitiven Verständnis (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 68 f.) prägte die ersten Jahrzehnte. Die damit verbundene Engführung der Theorieansätze, die zu einer nahezu vollständigen Ausblendung der normativen und regulativen umweltlichen Komponenten führte (vgl. Wilson 1970; Schimank 2011), kann in den frühen Arbeiten (Meyer und Rowan 1977; DiMaggio und Powell 1983) nachvollzogen werden. Auch die Fokussierung auf den Einfluss, den institutionelle Umwelten auf Organisationen nehmen (nicht jedoch vice versa) ist bezeichnend für die erste Theoriephase. Koch (2018, S. 113, Fußnote 63) verweist darauf, dass diese zweite Form der Engführung zwar in einer zweiten Phase relativiert wurde, indem kollektiven Akteuren, also Organisationen, eine aktive Rolle zugestanden wurde, jedoch weiterhin ein einseitiges Verständnis vorherrschte. Insbesondere, so Koch, schlägt sich das in den Rezeptionen nieder; stellvertretend für den deutschsprachigen Raum können hier die Argumentationslinien von Walgenbach und Meyer (2008) sowie Schreyögg (2008) genannt werden, die neo-instiuitonalisitische Therorieströmungen als „deterministischen Ansatz“ charakterisieren. 14 Eine weitere Engführung, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Konzept der institutionellen Umwelt verzeichnet werden kann, ist die dominante Rezeption des Drei-SäulenModells nach Scott. Dies aufgreifend, soll in der vorliegenden Arbeit versucht werden, neueren bzw. weniger rezipierten Arbeiten Rechnung zu tragen und somit auch den bereits genannten Engführungen entgegenzuhalten, indem erweiterte Perspektiven eröffnet werden. Dies geschieht insbesondere mit Blick auf unterschiedliche institutionelle Umwelten von Schulen.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Bereits in der Darstellung dieser unterschiedlichen Zugänge sollen für die Weiterverwendung im empirischen Teil zentrale Elemente hervorgehoben werden. Mit diesem Ansatz soll ferner ein Grundstein für die Ausdifferenzierung der institutionellen Umwelten der untersuchten Schulen im empirischen Teil gelegt werden. Eine häufig in der Literatur angeführte Herausforderung im Umgang mit dem Institutionenbegriff ist, dass die institutionelle Umwelt selbst zunehmend organisierter ist. Scott erläutert dies wie folgt: „The first and most general assumption underlying our approach is that the environment of organizations are themselves increasingly organized. Organizations increasingly do not exist and complete as individual autonomous units, but as members of lager systems […] Not only are these organizational environments becoming more highly organized socially: they are also more highly organized culturally.“ (Scott 1983, S. 160f.)
Die zentrale Problemlage besteht demnach darin, dass viele institutionalisierte Erwartungshaltungen der Gesellschaft mehr und mehr organisiert und somit durch individuelle bzw. kollektive Akteure vertreten werden. Demnach ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Begriffen „Organisation“ und „Institution“. „Organisationen bestehen aus Handlungen (oder, bei Luhmann, aus Kommunikation). Institutionen regeln Handlungen. Organisationen sind Handlungssysteme, Institutionen aber gesellschaftliche Erwartungsstrukturen [...] Organisationen sind heutzutage – nicht ‚schon immer’ – ein Fall von Institutionen.“ (Ortmann 2015, S. 120)
Schimank (2011) schreibt hierzu: „Alle Institutionen sind handlungsprägend; aber einige sind darüber hinaus selbst handlungsfähig, besitzen Akteursstatus.“ (S. 293). Gerade diese entscheidende Feststellung bedarf einer vertieften Betrachtung im Zusammenhang mit schulischen institutionellen Umwelten. So werden in vielen Diskursen Organisationen – wie staatliche Einrichtungen (z. B. Behörden) – als Institutionen bezeichnet, da ihnen mitunter Aufgaben wie das Ausformulieren übergreifender Regeln bzw. das Etablieren, Durchsetzen und Kontrollieren solcher Regeln (vgl. Koch 2018, S. 116, Fußnote 68) zuteilwerden. Schulische institutionelle Umwelten sind geprägt von Behörden (z. B. Schulaufsichtsbehörde, Kinder- und Jugendamt; kommunale Verwaltungen etc.). Die „duale Grundstruktur des Umweltverständnisses“ (Koch 2018, S. 115) wird charakterisiert durch sowohl sozial-strukturelle als auch kulturelle Merkmale,
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
31
eine Weitläufigkeit der begrifflichen Verständnisse. Althans und Engel (2017) verweisen auf Göhlich (2011, 2013), der Organisationen als durch kulturelle Kontexte geformt, aber auch sozial konstruiert, d. h. kultur-gestaltend, beschreibt und auf die verschwindende Grenze zwischen Organisation und Kultur aufmerksam macht. Dies trifft, so der Autor weiter, besonders auf Organisationen zu, denen der Status einer Institution zugeschrieben werden kann. Althans und Engel (2017) rekurrieren auf diese „mangelnde Trennschärfe“ zwischen den Begriffen, welche, so die beiden Autorinnen, speziell im pädagogischen Diskurs zu finden sei (vgl. S. 3). Daher ist es nötig, nicht nur einen genauen Blick auf Konzepte und Verständnisse zum Institutionenbegriff zu werfen, sondern darüber hinaus muss auch die Frage nach Anspruchsgruppen, die stellvertretend für bestimmte institutionelle Normen, Routinen und Vorgaben stehen, miteinbezogen werden. Türk (2004) liefert mit seiner umfassenden und überblickenden Beschreibung dessen, was unter Institutionen verstanden werden kann, eine erste Verortung: „Der Begriff der Institutionen bezieht sich [...] auf komplexe dauerhafter, gegenüber abweichendem Verhalten relativ resistenter Regeln, Normen, Deutungen, Orientierungen und Handlungsmuster. Diese sind im Alltag nur zu einem Teil bewusst präsent, zum anderen Teil fungieren sie als Bedingungen der Möglichkeit von Handeln überhaupt, da sie Formen und Inhalte für Sinn-, Erwartungs-, Ziel- und Strategiebildung bereitstellen“ (S. 924).
Da die vorliegende Arbeit sich insbesondere mit dem soziologisch geprägten NeoInstitutionalismus auseinandersetzt, hilft eine weitere Präzisierung, welche von Miebach (2007) stammt: „Während Anthropologen auch Bräuche und Rituale als Institutionen betrachten, grenzt die Soziologie den Begriff der Institution auf soziale Normen und Regeln ein, die das Handeln von Individuen in sozialen Kontexten beeinflussen.“ (S. 128)
Die neo-institutionalistischen Theorien fassen Organisationen als Handlungssysteme auf und nicht als Strukturen und Ziele wie in der klassischen Organisationstheorie. Diese Handlungssysteme sind reguliert durch kulturell-kognitive, regulative und normative Elemente der institutionellen Umwelt, die innerhalb der Organisation verankert sind. Während der alte Institutionalismus (vgl. u. a. Parsons) die normative Dimension einseitig betont, legen neo-institutionalistische Theorien den Fokus insbesondere auf den kulturell-kognitiven Aspekt. Der regulative Aspekt wird in der Tradition der Herrschaftstheorien von Weber und Giddens fortgesetzt. Damit analysieren die neo-institutionalistischen Theorien
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
neben den institutionellen Vorgaben die praktischen Prozesse innerhalb der Organisation genauer. Die Modelle und Konzepte zum Institutionenverständnis im Neo-Institutionalismus lassen sich mehrheitlich auf Berger und Luckmann15 (1969 [1966]) zurückführen. Diese beschreiben die Entstehung von Institutionen durch den Prozess der Institutionalisierung: „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf die Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.“ (2012 [1980])
Ausgehend von Habitualisierung als Vorstufe der Institutionalisierung werden Handlungen, die sich bewährt haben, wiederholt und dadurch zur Gewohnheit. Somit manifestieren sie sich in Handlungsmodellen, die sich reproduzieren lassen und letztlich typisiert werden (vgl. ebd. S. 72 ff.). Neben einer Typik der Akte bilden sich auch Typiken von Akteuren (vgl. ebd. S. 76 ff.). Berger und Luckmann sprechen in diesem Zusammenhang von Rollen. Diese Rollen hängen letztlich nicht mehr von bestimmten Individuen ab, sondern werden Individuen mit bestimmten Erwartungshaltungen an ihre Rolle konfrontiert.16 Durch diese Rollen wird Handeln im gesellschaftlichen Gefüge wechselseitig kalkulierbarer und führt zu einer Entlastung im Sinne eines „Vorbereitet-Seins“ (ebd.) auf bestimmte Verhaltensweisen.17 Eine Institutionalisierung kann als abgeschlossen angesehen werden, wenn sie an Dritte weitergegeben wird, z. B. an nächste Generationen
15
Peter L. Berger und Thomas Luckmann zählen zu den phänomenologischen Soziologen. Beide waren Schüler von Alfred Schütz. Ihr gemeinsames Hauptwerk trägt den Titel „The Social Construction of Reality” und erschien 1966. Mittlerweile liegt es in der 24. Auflage (2012) vor. 16 „Rollen repräsentieren die Gesellschaftsordnung.“ (Berger und Luckmann 2012, S. 79). Dies machen die beiden Autoren an der Rolle „Richter/Richterin“ fest – zum einen spielt man die Rolle als Richter/-in und agiert somit nicht aus sich heraus, sondern aus der der rechtsprechenden Berufsrolle „Richter/-in“, zum anderen wird unter dieser Rolle der gesamte Verhaltenskodex subsumiert, der mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen an diese Rolle einhergeht. 17 Während im alten Institutionalismus (Parson) stark das Konzept der Rollen aufgegriffen wird, distanzieren sich neo-institutionalistische Zugänge davon. So wird der Vorwurf, Parson würde „[…] die Rolle des Akteurs auf eine einfache Zweck-Mittel Kalkulation [..] reduzieren und die persönlich-individuellen Dimensionen und die kulturellen Orientierungen im Handeln aus[]blenden.“ (Miebach 2010, S. 80) laut und eine Forderung nach einer stärkeren interaktiven Rolle der Akteure artikuliert. Die schematische Wiederholung von Handlungsweisen in Form von Rollen wird auch als „Parsons Folklore“ (Turner & Beeghley 1974) bezeichnet. Scott regt zudem an, „die komplexe Problematik der gegenseitigen
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
33
oder an unbeteiligte Dritte, die nicht an der originären Konstruktion beteiligt waren.18 Erfolgt dies, sprechen Berger und Luckmann von „Objektivation“ (Berger und Luckmann 1982, S. 22). Diese kann im konkreten Organisationshandeln nicht verändert oder zerstört werden: „Institutionen sind nun etwas, das seine eigene Wirklichkeit hat, eine Wirklichkeit, die dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht.“ (ebd. S. 62) Institutionen stehen demnach als „objektive Faktizität“ (ebd., S. 20) den Individuen gegenüber. Die Veränderung institutionalisierter Verhaltensmuster erfordert die Habitualisierung anderer Verhaltensweisen, die dann institutionalisiert werden. Neben dieser ersten (primären) Objektivation sprechen Berger und Luckmann noch von einer zweiten (sekundären) Objektivation, nämlich der Legitimierung19 . Legitimation verbindet unterschiedliche Sinnkomplexe miteinander, sodass dadurch die institutionalisierten Handlungsmuster zusätzlich gerechtfertigt und gefestigt werden (sekundäre Objektivation). Trotz all dieser Annahmen verweisen Berger und Luckmann auch auf den Umstand, dass Institutionen „zwar eine Neigung zur Dauerhaftigkeit“ haben, dennoch der Prozess der Institutionalisierung kein unwiderruflicher sei (S. 86). Der Hinweis auf die Veränderbarkeit von Institutionen wird nur in einem Absatz angerissen. Für die Rezeption und Weiterentwicklung im Neo-Institutionalismus ist dies jedoch von großer Bedeutung, da ein statisches Verständnis von Institutionen, wie es in den originären Texten propagiert wird, für Veränderungsprozesse in Organisationen und auch in der Gesellschaft nicht haltbar ist. Dies wird als zentrale Kritik an den neo-institutionalistischen Theorien formuliert.20 Die Autorinnen und Autoren der originären Arbeiten wie Meyer und Rowan (1977), DiMaggio und Powell (1983) und Zucker (1977) bzw. Tolbert und Zucker (1983) präzisieren den Institutionenbegriff im Zuge der Gründung der neo-institutionellen Theorieströmungen für ihre Arbeiten noch einmal und führen weitere zentrale Begriffe im Kontext ihrer Zugänge ein. Beeinflussung von instrumentell-rationaler und normativ-kollektivistischer Ebene eingehender zu betrachten.“ (Miebach 2010, S. 81), und kehrt somit eines der Hauptinteressen der neo-institutionalistischen Theorieansätzen heraus. 18 Insbesondere dieser Aspekt der Weitergaben von institutionellen Vorstellungen an Dritte, die z. B. in einem anderen Sinngefüge agieren bzw. sich anderen Problemlagen stellen und dadurch bestimmte Handlungsmodelle entwerfen, kann zu konfligierenden Momenten führen – hierauf wird insbesondere im Zusammenhang mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen in schulischen Umwelten eingegangen. 19 Berger und Luckmann verstehen unter Legitimierung den Prozess, der zu Legitimation führt (vgl. S. 98). 20 Dazu in Kapitel 3 mehr.
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So nutzen Meyer und Rowan in ihrem für die Theorie richtungsweisenden Aufsatz von 1977 den Begriff des Mythos, um Institutionen wie folgt zu beschreiben: „Institutionelle Regeln fungieren als Mythen, die von Organisationen inkorporiert werden, um Legitimität, Ressourcen, Stabilität und erhöhte Überlebensaussichten zu erlangen.“ (Übersetzung nach Schemmann & Koch 2009c, S. 28)
Institutionen werden von den beiden Autoren auch als „rationalisierte institutionalisierte Mythen“ bzw. „rationalisierte institutionalisierte Regeln“ bezeichnet (Koch 2009, S. 113). Koch (ebd.) leitet daraus drei Aussagen ab. Institutionen werden demnach erstens enger gefasst, nämlich als Regeln – somit rückt neben der Vorstellung von „Objektivität, Externalität, Sinnbezug und Dauerhaftigkeit vor allem de[r] handlungsleitende Charakter institutionalisierter kultureller Wissensbestände in den Vordergrund“ (ebd.). Zweitens beschreiben die Autoren Institutionen als ‚rationalisierte‘ Regeln bzw. Mythen. Demnach sind Institutionen nicht mehr als allgemeine, abstrakte Erwartungshaltungen zu verstehen, sondern als „hochgradig konkrete ‚Rezepte‘ der Gestaltung von Organisation (ebd.). „Institutionen genießen den Status eines sozialen Faktums“ (Meyer und Rowan 1977, S. 341) und sind somit wenig dynamisch in dieser Interpretation. Drittens führen Meyer und Rowan den Begriff Mythos in die Debatte ein. Koch bringt die dahinterstehenden Aussagen wie folgt auf den Punkt: Die Autoren verstehen darunter „eine gesellschaftlich kursierende Vorstellung von dem, was als normativ richtiges, gesellschaftlich angemessenes und rationales Handeln von Organisationen gilt“ (Koch 2009, S. 113). „Rationalitätsmythen sind für die Institutionalisten Regeln und Annahmegefüge, die rational in dem Sinne sind, daß sie plausible soziale Ziele bestimmen und in sinnvoll erscheinender Weise festlegen, welche Mittel zur rationalen Verfolgung dieser Zwecke die angemessenen sind. Sie sind Mythen in dem Sinne, daß ihre Wirklichkeit und Wirksamkeit von einem geteilten Glauben an sie abhängt, sie also nicht einer ‚objektiven‘, d.h. empirischen Prüfung unterzogen werden bzw. werden können (Scott 1987b, 1992a). Die Verwendung des Plurals – Mythen – weist darauf hin, daß Rationalität differenziert, d.h. in unterschiedlichen Formen, in einzelnen Bereichen der Umwelt von Organisationen auftreten kann.“ (Walgenbach 1998, S. 275f.)
Meyer und Rowan (1977) entwickeln in ihrem Aufsatz ein Konzept von Institutionen, das sie als ‚Blaupausen‘ (des Organisierens) darstellen. In Abgrenzung zu technologisierten Umwelten betonen die Autoren insbesondere die kulturellkognitiven Seiten von Institutionen. DiMaggio und Powell unterstreichen dies
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
35
und verweisen darauf, dass sich die theoretischen Ansätze auf den „cognitive turn in contemporary social theory“ (1991, S. 22), den sie der phänomenologischen Soziologie und Ethnomethodologie zuordnen. Ein entscheidender Kritikpunkt an dieser Darstellung ist die Unveränderlichkeit dieser einflussnehmenden Institutionen auf kollektive Akteure. Zwar, so schreibt Walgenbach, wird immer von Mythen gesprochen – in unterschiedlichen Formen –, wie und in welcher Weise diese jedoch z. B. unterschiedlich starken Einfluss auf den Prozess des Organisierens nehmen, wird nicht präzisiert. Auch bezüglich der Entstehung und Verbreitung von Institutionen bleiben die Autoren vage. DiMaggios und Powells (1983) Begriffsauseinandersetzung manifestiert sich vor allem in ihrer Präzisierung des abstrakten Verständnisses von institutionellen Umwelten, welches zuvor von Meyer und Rowan eingeführt wurde. Sie tragen dem Rechnung, indem sie ihren Fokus insbesondere auf strukturelle Aspekte von Institutionen lenken: „Felder existieren nur in dem Ausmaß, in dem sie institutionell definiert sind. Der Prozess institutioneller Definition oder ‚Strukturierung‘, besteht aus vier Aspekten.“ (DiMaggio & Powell 1983, Übersetzung Schemmann & Koch 2009, S. 60) Diese vier Aspekte, die zu einer Strukturierung der institutionellen Umwelt führen, sind: eine Steigerung der Interaktion zwischen den Organisationen eines Feldes; klar definierte interorganisationale Herrschaftsstrukturen und Koalitionsmuster; Erhöhung der Informationsmengen, die von den Organisationen verarbeitet werden müssen, sowie, bedingt durch gemeinsame Unternehmungen, eine Intensivierung des gegenseitigen Wahrnehmens der Organisationen (vgl. ebd.). DiMaggio und Powell bringen damit eine von Giddens (1979) geprägte Perspektive mit in den Diskurs, nämlich jene der Strukturation (DiMaggio und Powell 1991, S. 22). Da das Hauptaugenmerk der beiden Autoren darauf gerichtet war zu erklären, wie es zu homogenen Entwicklungen und somit zu isomorphen Angleichungen bei Organisationen kommen kann, spielten Strukturen für sie eine entscheidende Rolle, obwohl sie mit der kognitiv-kulturellen Dimension die parsonssche Strukturtheorie zugunsten von praktischen Handlungsprozessen zu überwinden versuchten. Daher ist es konsequent, dass DiMaggio und Powell in ihren Ausführungen die Institutionalisierung nicht innerhalb sozialer Systeme verorten, sondern für den sozialen Kontext den offeneren Begriff „Organisationales Feld“ einführen. Bis heute ist dieses die primäre Analyseebene der Theoriestränge (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 71). Als „Organisationales Feld”21 definieren die Autoren jene Organisationen, die 21
Der Begriff „Organisationales Feld“ gilt somit als eingeführt und wird im Fortgang der Arbeit nicht mehr in Anführungszeichen gesetzt.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
„in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product costumers, regulatory agencies and other organizations that produce similar services or products.“ (DiMaggio und Powell 1983, S. 123). Zwar herrscht Einigkeit darüber, dass die Einführung des Instruments des Organisationalen Feldes ein entscheidender Meilenstein war, die detaillierte Konzeption und Weiterführung jedoch noch nicht vollends ausgereift war. So wurde kritisiert, dass es als äußerst statisches Konstrukt beschrieben wurde sowie Beziehungen und Aushandlungsprozesse im Feld selbst nur eine untergeordnete bis keine Rolle spielen. DiMaggio und Powell würdigen Bourdieus Habitustheorie als zentralen Baustein der soziologischen Praxistheorie (1991, S. 25–26). Sie beziehen sie allerdings nicht auf die Feldtheorie Bourdieus, die als „Feld von Kämpfen“ gerade die Kämpfe um Status und Macht innerhalb der Felder betont. Auch die Gewichtung der einzelnen Akteure innerhalb des Feldes wurde nicht weiter beachtet sowie Widersprüche, die durch unterschiedliche Erwartungshaltungen innerhalb des Feldes auftreten können, nicht berücksichtigt (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 73). Davon abgesehen, versuchen die beiden Autoren im Gegensatz zu Meyer und Rowan dennoch den Prozess des Wandels mit in ihre theoretischen Erläuterungen aufzunehmen und benennen insgesamt drei Mechanismen der Diffusion, die zu einem Wandel führen können: Zwang, Mimese und normativer Druck. Erzwungener Wandel ist zurückzuführen auf formellen bzw. informellen Druck, der entweder aus Abhängigkeit oder aus kulturellen Erwartungen der Gesellschaft resultieren kann (vgl. DiMaggio und Powell 1983, übersetzt von Schemmann und Koch 2009c, S. 64). „Unter bestimmten Umständen ist organisationaler Wandel eine direkte Antwort auf staatliche Anordnung.“ (ebd.) DiMaggio und Powell verbinden mit Zwang vor allem die „politisch konstruierten Umwelten“ (ebd.). Mimetischer Wandel sei, so die Autoren, zurückzuführen auf Ungewissheit und die Suche nach Orientierung, die sich dann in einem Nachahmen niederschlagen (vgl. S. 66). „Organisationen neigen dazu, jene Organisationen in ihrem Feld zu imitieren, die sie als legitimer und erfolgreicher wahrnehmen.“ (ebd. S. 68). Die dritte Form des Wandels wird als jene des normativen Drucks beschrieben. Repräsentiert wird dieser institutionelle Wandel laut DiMaggio und Powell durch Professionen. In Bezug auf Larson (1977) und Collins (1979) wird unter Professionalisierung „die kollektive Anstrengung einer Berufsgruppe [verstanden], die Bedingungen und Methoden ihrer Tätigkeit selbst zu definieren, die ‚Produktion von Produzenten‘ (Larson 1977, S. 49–52) zu kontrollieren sowie eine kognitive Grundlage und Legitimation ihrer beruflichen Autonomie zu etablieren.“
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
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Damit einhergehend wird ein Spannungsfeld beschrieben, bei dem sich individuelle Akteure im Zweifelsfall in einem Loyalitätskonflikt zwischen ihrer Profession und den formulierten organisationalen Zielen wiederfinden können (vgl. DiMaggio und Powell 1983, übersetzt nach Schemmann und Koch 2009c, S. 69). Die Benennung zentraler Institutionen wie politische Systeme und Professionen vertiefen die anfänglichen Überlegungen, dass institutionelle Erwartungshaltungen von bestimmten Akteuren repräsentiert bzw. inkorporiert werden. Durch die Engführung der möglichen Auslöser von Wandel werden auch die entsprechenden institutionellen Umwelten verkleinert. Ein Kritikpunkt lautet daher, dass es einer differenzierteren Betrachtungsweise von institutionellen Umwelten im Sinne von erweiterten Akteuren des Organisationalen Feldes bedarf. Dieser Kritikpunkt wird im Rahmen dieser Arbeit aufgegriffen und erweitert diskutiert. Auch die Darstellung von Organisationen, als stark von äußeren Umwelten beeinflusst und auf diese nur passiv reagierend, ist ein Kritikpunkt, der bereits mehrfach angesprochen wurde22 – und in Kapitel 3 unter dem Aspekt des institutionellen Wandels und des Antwortverhaltens darauf nochmals ausführlich beleuchtet wird. Die Aufnahme der Strukturkomponente erweitert den Diskurs. Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Zucker stehen drei besondere Eigenschaften von Institutionen, nämlich deren Vermittlung, deren relative Beständigkeit und deren Veränderungsresistenz (vgl. Zucker 1977, S. 726). Mit ihrer auf der Mikroebene durchgeführten Studie untersucht die Autorin, wie die Vermittlung insbesondere jener institutioneller Handlungen, die als Faktum kommuniziert bzw. transportiert werden, erfolgt. Dabei betont die Autorin den Aspekt der Zeit – je länger eine Institution bereits existiert, desto verfestigter ist sie und desto unhinterfragter wird sie übernommen. Walgenbach und Meyer (2008) weisen darauf hin, dass nach dem Verständnis Zuckers „Institutionalisierung einer Praktik oder einer Form nicht entweder gegeben oder nicht gegeben sei, sondern dass Institutionalisierung als Variable verstanden werden muss. Unterschiedliche Grade der Institutionalisierung hätten eine unterschiedliche Beständigkeit der Institution zur Folge.“ (S. 41)
Somit beschreibt die Autorin Institutionen als nichts Statisches, sondern als etwas Dynamisches. Institutionen, die den höchsten Grad der Institutionalisierung erlangt haben, müssen nicht mehr legitimiert werden. Sie sind beständig, nahezu unveränderbar, 22
Eine Diskussion hierzu findet ausführlich in Abschnitt 2.3 statt.
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und werden mehr oder weniger uniform von Generation zu Generation übernommen (vgl. ebd., S. 730). Das von der Autorin genannte dritte Merkmal ist die Veränderungsresistenz. Je stärker die Institutionalisierung, umso resistenter ist die Handlungsweise und umso beständiger die Kultur, so Zuckers Annahme. Walgebach und Meyer (2008) verweisen an dieser Stelle darauf, dass sich in diesen Grundannahmen die Unterschiedlichkeit von Zuckers Beitrag zu den beiden zuvor dargestellten Grundlagenpapieren abzeichnet. In den Konzepten von Meyer und Rowan und DiMaggio und Powell werden institutionelle Erwartungshaltungen von Organisationen aufgrund von Zwang oder Erwartungsdruck übernommen. Diese müssen nach Zuckers Annahmen jene sein, die wenig stark institutionalisiert sind. Nur dadurch ließe sich ein bewusstes Erleben von Druck oder Zwang in der Übernahme solcher Erwartungshaltungen erklären. Die Übernahme erfolgt nach dieser Auslegung nicht unhinterfragt. Abermals spielt die Frage nach Macht und Legitimität mit in die Übernahme von Erwartungshaltungen hinein: „Der Grad der Institutionalisierung hängt andererseits auch vom persönlichen Einfluss ab. Die Bewertung der Handlung, die ein Akteur / eine Akteurin, der/die Einfluss ausübt, hängt von den Qualitäten ab, die dieser Person zugesprochen werden. Sie kann, verbunden mit einer bestimmten Person, hohe Verbindlichkeit haben, beispielsweise weil diese Person eine bestimmte Funktion innehat oder weil ihr eine Autorität zugesprochen wird. Die Legitimität der Handlungen schwindet aber auch mit der Person. Entsprechend ist der Grad der Institutionalisierung dieser Handlungen gering (vgl. Zucker 1977, S. 729).“ (Falk 2016, S. 110f.)
Wie bereits beschrieben, beschäftigt sich Zucker jedoch nicht mit wenig institutionalisierten Handlungen, sondern mit jenen, die die stärkste Institutionalisierung erfahren haben. In der Ethnomethodologie, auf die sich Zucker beruft, werden die Verhaltensmuster nicht durch die bewusst-intentionale Umsetzung von Normen institutionalisiert, sondern durch die laufende Reproduktion in praktischen Handlungsprozessen. Da Zuckers Forschungen vor allem auf der Mikroebene durchgeführt wurden, ist ihre Beschreibung der Akteure besonders interessant. „Den Akteuren kommt bei einer solchen Betrachtung eine eigene, aktive Rolle zu. Sie sind es, die diese Institutionen kontinuierlich und über Generationen hinweg reproduzieren, ohne sie infrage zu stellen.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 42). In einem weiterführenden Aufsatz veranschaulichen Tolbert und Zucker (1996) nochmals die Ausführungen Zuckers zum Institutionalisierungsprozess. Besonders hervorzuheben sind hierbei die unterschiedlichen Institutionalisierungsgrade (vgl. Abbildung 2.2), angefangen von der Vorstufe, die sie als
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
39
Habitualisierung benennen (vgl. auch Berger und Luckmann), die Zwischenstufe, die sie als Objektivierung bezeichnen sowie die abschließende Stufe der Institutionalisierung. In den beiden ersten Phasen, so die Autorinnen, sind die institutionellen Vorstellungen noch instabil und führen zu einem hohen Veränderungsgrad bei den Akteuren. Erst in Phase 3, der Sedimentierung, kann von jenen Institutionen gesprochen werden, die, unhinterfragt und als Norm geltend (vgl. Tabelle 2.1), tradiert werden.
Abbildung 2.2 Bestandteile des Institutionalisierungsprozesses (Tolbert & Zucker 1996, Übersetzung L.J.-R.)
Tolbert und Zucker (1996) gehen davon aus, dass unterschiedliche exogene Auslöser, wie Technologiewandel, Marktkräfte und (neue) Gesetze23 , zu einer veränderten Handlungsweise (Habitualisierung) führen. Durch unterschiedliche, wiederum exogene oder endogene Faktoren werden Reaktionen objektiviert. Betont werden soll dabei die „theoretische Abstraktion“ (‚Theorizing‘). An dieser Stelle wird die neue Handlungsweise untermauert mit theoretischen Konzepten bzw. werden Argumentationsstrategien zur Legitimation dieser Handlungsweise
23
An dieser Stelle sei auf das Zirkuläre dieser Annahme verwiesen: Da Gesetze letztlich Manifestationen bzw. Sedimentierungen vorheriger institutioneller Erwartungen sind, könnte man von kreislaufähnlichen Wiederholungen sprechen.
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Materialien zum Thema Leistungsrückmeldung (Schwerpunkt NMS) 8 7
6 5 4 3 2 1 0 2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
Abbildung 2.3 Darstellung des Objektivierungsvorgangs im Zuge der NMS-Reform am Beispiel Leistungsrückmeldung (Eigene Darstellung)
ausgearbeitet. Überträgt man diese Phase auf schulische bzw. bildungssystemische Veränderungen, so lässt sich in dieser Phase eine vermehrte Produktion, etwa von Handreichungen oder Publikationen zu einem bestimmten Thema, erfassen. Dies lässt sich besonders eindrucksvoll bei der Einführung der NeuenMittelschul-Reform nachzeichnen. Während die Pilotierungsphase dieses Schultyps ab 2009/10 lief, wurde dieser Schultyp ab 2012/2013 als neue verpflichtende Schulform anstelle der vormaligen Hauptschulen eingeführt. Mit bundesweitem Roll-out der Reform (2012) mussten die habitualisierten Erfahrungen aus der Pilotierungsphase forschungsgeleitet abstrahiert werden – dies entspricht dem von Tolbert und Zucker beschriebenen Prozess. Im Zuge der Objektivierung der Erkenntnisse wurde eine Vielzahl an unterschiedlichen Präsentationen und
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
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Handreichungen angefertigt. Abbildung 2.3 zeigt die Entwicklung von Materialien24 , die insbesondere das Thema „kompetenzorientierte bzw. kritieriale Leistungsrückmeldung“ umfassen. 24
Die Materialien umfassen datierte PowerPoint-Präsentationen der Entwicklungsbegleitung des Zentrums für lernende Schulen, Handreichungen sowie Artikel. Besonders erwähnenswert sind zwei Publikationen aus dem Jahr 2009; dabei handelt es sich zum einen um einen Beitrag im Nationalen Bildungsbericht, jenem Medium, das Themen der Entwicklung für das Bildungssystem aufzeigen soll, und zum anderen um ein Auftragswerk des Bildungsministeriums zum Status Quo der Leistungsrückmeldung. Die folgende Auflistung umfasst die berücksichtigten Materialien für Abbildung 2.2: Orientierungshilfe Leistungsbeurteilung, Teil 1, Grundlagen und Begriffe, Tanja Westfall-Greiter, 2012; Orientierungshilfe Leistungsbeurteilung, Teil 2, KELGespräche, Tanja Westfall-Greiter, 2012; Orientierungshilfe Leistungsbeurteilung, Teil 3, Ergänzende Differenzierende Leistungsbeschreibung, Tanja Westfall-Greiter, 2013; Praxiseinblicke Englisch: 7. Schulstufe. Birgit Schlichtherle und Veronika Weiskopf-Prantner, 2013; Praxiseinblicke Englisch: 5. Schulstufe. Laura Bergmann, Birgit Schlichtherle, Veronika Weiskopf-Prantner, Tanja Westfall-Greiter, 2015; Praxiseinblicke Deutsch: 7. Schulstufe. Michael Kahlhammer, Vincent Wiltsche, Birgit Schlichtherle und Veronika Weiskopf-Prantner, 2013; Praxiseinblicke Deutsch: 5. Schulstufe. Laura Bergmann, Birgit Schlichtherle, Veronika Weiskopf-Prantner, Tanja Westfall-Greiter, Gertraud Leidinger, Christian Stadler, 2015; Praxiseinblicke Mathematik: 8. Schulstufe. Johann Rothböck, Birgit Schlichtherle und Veronika Weiskopf-Prantner, 2013; Praxiseinblicke Mathematik: 5. Schulstufe. Andreas Führer, Johann Rothböck, Andreas Schubert, Laura Bergmann, Birgit Schlichtherle, Veronika Weiskopf-Prantner, Tanja Westfall-Greiter, 2015; Entwicklung von Rastern, Tanja Westfall-Greiter; Ressourcenpaket Leistungsbeurteilung, Lernatelierarbeit, Tanja Westfall-Greiter; Erfahrung mit der Entscheidungsgrundlage, Tanja Westfall-Greiter, 2014; Kriterienorientierte Leistungsbeurteilung mit der 4.0 Skala, Birgit Schlichtherle, Veronika Weiskopf-Prantner, Tanja Westfall-Greiter, 2013; Nationaler Bildungsbericht Österreich 2009, B6, Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung, Ferdinand Eder, Georg Hans Neuweg und Josef Thonhauser, S. 247–267); Nationaler Bildungsbericht Österreich 2012, E9, Bildungsstandards und externe Überprüfung von Schülerkompetenzen: Mögliche Beiträge externer Messungen zur Erreichung der Qualitätsziele der Schule, Herbert Altrichter und Anna Kanape-Willingshofer, S. 355–394); Westfall-Greiter, T. (2013). Leistungsbeurteilung in der NMS: Geschärfte Konturen von Praxisproblemen. Erziehung und Unterricht 163 (2013), 9/10, S. 804–813. Schulische Leistungsbeurteilung, Georg Hans Neuweg, 2009; Förderliche Leistungsbewertung, Thomas Stern, ÖZEPS, 2010; Geschlechteraspekte in der schulischen Leistungsbewertung, 2011; Thomas Stern. Handreichung KOMPETENZWERKSTATT UND PORTFOLIOARBEIT auf den Punkt gebracht. Leistungsbewertung aktuell. Mit Kompetenzuüberpruüfungen das Lernen fördern; Zentrum für lernende Schulen. Leitlinien Leistungsbeurteilung 8. NMS-Koordinationstagung in Wien, 26.-27.11.2012. Präsentationen: – Leistungsbeurteilung im Überblick, Tanja Westfall-Greiter, 2012 – Du bist, was du übst. Webbs Modell für Komplexität in der Praxis, Tanja Westfall-Greiter
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2
Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Phase 3, der Prozess der Sedimentierung, kann unterschiedlich verlaufen – wenn man so will, entscheidet sich hier, ob es zu einer Institutionalisierung kommt oder nicht. Die entscheidenden Einflüsse auf das Gelingen der Sedimentation sind Widerstand bzw. Fürsprache und Ergebnisse im Sinne von positiven Effekten, die für die involvierten Akteure wahrnehmbar sind. Tolbert und Zucker führen hierzu aus: „Even in the absence of direct opposition, sedimentation may be truncated gradually because of a lack of demonstrable results associated with a structure. A weak positive relation between a given structure and desired outcomes may be sufficient to affect the spread and maintenance of structures, particularly if advocates continue to be actively involved in theorizations and promotion. However, in many cases, the link between the structure and the intended outcomes is quite distant, and demonstration of impact exceedingly difficult.“ (S. 178)
Konstruiert man diesen Prozess für die Transformation, sprich die Umwandlung der ehemaligen Hauptschule zur Neuen Mittelschule, weiter, so erfolgt zum momentanen Zeitpunkt die Phase der Sedimentierung. Beeinflusst wird dieser Prozess der Institutionalisierung durch partielle Rückführungen25 eingebrachter – Komplexe Aufgaben für alle, Tanja Westfall-Greiter – Überblick über die Inhalte des Hauses der NMS, Christoph Hofbauer undTanja WestfallGreiter – Motivation nach McLean, 2010 – Impulse zum pädagogischen Grundbegriff „Lernen“, Tanja Westfall-Greiter, 2010 – Förderliche Rückmeldekultur, Tanja Westfall-Greiter, 2013 – Kriteriale Leistungsbeurteilung, Tanja Westfall-Greiter und Christoph Hofbauer, 2014 – Beurteilung nach den Gesichtspunkten „vertieft“ und „grundlegend“, eLecture, Tanja Westfall-Greiter, 2014 – Ermittlung der Note mit einer Entscheidungsgrundlage, eLecture, Tanja Westfall-Greiter, 2014 – Skalenarbeit, eLecture, Tanja Westfall-Greiter, 2014 Diese Zusammenschau erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nicht berücksichtigt wurden u. a. viele PowerPoint-Präsentationen von den Landesschulinspektoren und inspektorinnen und Einzelschulstandorten (z. B. im Zuge von Elterninformationen), die zwar online zu finden sind, nicht jedoch mit einem Datum versehen wurden und somit für die Analyse nicht heranziehbar waren. 25 Im Dezember 2018 erfolgte die Kundmachung des „Pädagogik Pakets“, das unter anderem die Wiedereinführung dauerhafter Leistungsgruppen im Schultyp „Neue Mittelschule“ vorsieht. Begleitet soll dieses Vorhaben durch eine Umarbeitung der Leistungsbeurteilungsverordnung sowie ergänzenden Instrumenten werden, in denen zwei ausgewiesene Leistungsniveaus (Standard und Standard AHS) abgebildet werden (vgl. https://www.ris.bka.gv. at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2018_I_101/BGBLA_2018_I_101.pdfsig).
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
43
Veränderungen durch neue Regierungsparteien und ein Fehlen aktueller wissenschaftlicher Befunde zu den Auswirkungen der neuen Lehr- und Lernkultur. Inwieweit bzw. in welcher Form eine Sedimentierung stattfinden kann, ist zum momentanen Zeitpunkt demnach ungewiss. Neben den Aspekten „theoretische Abstraktion“ sowie „Verbreitungsformen während des Prozesses“ gehen Tolbert und Zucker auch auf die Charaktereigenschaften derjenigen ein, die die Handlungsvorgaben übernehmen. Unter anderem beschreiben Tolbert und Zucker sogenannte „Champions“, die in der Lage sind, Veränderungen herbeizuführen und im Vergleich zu anderen Akteuren Prozesse in Phase 1 und 2 anleiten können. Diese Explikationen der Autoren lassen vermuten, dass es in ihrer Lesart unterschiedliche Akteurstypen gibt. Unklar bleibt, inwieweit eine Veränderung von institutionellen Vorstellungen erfolgen kann, wenn die Phase der Sedimentation bereits eingetreten ist. Die Beschreibung des Veränderungsgrades, den die neuen Handlungsweisen auf ihrem Weg von der „veränderten Handlung“ hin zu einer „institutionalisierten Handlung“ durchlaufen, wird von Tolbert und Zucker (1996) als „hoch – moderat – gering“ beschrieben. Daraus lässt sich schließen, dass, einmal im Status der Institutionalisierung angekommen, keine Veränderungen der Handlungen mehr erfolgen – wie kann hier jedoch ein Prozess der De-Institutionalisierung oder Veränderung inkludiert werden? „The reversal of this process, or deinstitutionalization, is likely to require a major shift in the environment (e.g. long-lasting alterations in markets, radical change in technologies) which may then allow a set of social actors whose interests are in opposition to the structure to self-consciously oppose it or to exploit its liabilities [...]“. (S. 184)
Dieser Aussage nach zu urteilen, gehen Tolbert und Zucker davon aus, dass eine De-Institutionalisierung einen exogenen Auslöser braucht; inwieweit Organisationen aus sich heraus neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln können bzw. eine aktive Rolle in ihrem Antwortverhalten gegenüber der Umwelt einnehmen, bleibt weitestgehend26 unklar.
26
Tolbert und Zucker verweisen an einer Stelle auf Akteure bzw. ‚Champions‘, die in ihrer Funktion Einfluss auf den Prozess der Institutionalisierung nehmen können: „Objectification and diffusion of structure can also be spearheaded by what is sometimes referred to in the organizational change literature as a ‘champion’ - often, in this case, a set of individuals with a material stake in the promotion of the structure (DiMaggio 1988).“ (1996, S. 183). Diese Beschreibung ähnelt dem Modell des Institutional Entrepreneurs. Dieses Konzept wird in weiterer Folge noch ausführlich besprochen.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Mit dieser Rückblende auf die zentralen Texte des Neo-Institutionalismus wurden unterschiedliche Zugänge und Konzepte für die Begrifflichkeiten, die institutionelle Umwelten bedingen, erörtert. Vor diesem theoretischen Hintergrund soll im Folgenden auf zwei Definitionsversuche aus dem deutschsprachigen Diskurs zu neo-institutionalistischen Theoriesträngen verwiesen werden.
Tabelle 2.1 Stufen der Institutionalisierung und vergleichenden Dimensionen (Tolbert & Zucker 1996, übersetzt L.J.-R.) Dimensionen
Vorstufe Zwischenstufe Vollstufe Institutionalisierung Institutionalisierung Institutionalisierung
Prozess
Habitualisierung
Objektivierung
Sedimentierung
Charakteristika homogen der Übernehmenden27
heterogen
heterogen
Anstoß zur Verbreitung (Diffusion)
Imitation
Imitation/Normierung Normierung
Theoretische Abstraktion
keine
hohe
geringe
Veränderungsgrad hoch durch die Neueinführung
moderat
gering
Fehlerquote28
moderat
gering
27
hoch
In den Ausführungen von Tolbert und Zucker (1996, S. 181) wird beschrieben, dass häufig die ersten Übernehmenden eines neuen (innovativen) Ansatzes Entscheidungsträger sind, die gleiche Überzeugungen teilen und über ähnliche Wissensstände und Ideen verfügen. Somit lässt sich diese Gruppe als homogen beschreiben. Auch wenn man die anderen Forschungsarbeiten zum Thema ‚Innovationen’ heranzieht (Rogers 2010; Rürup und Bormann 2012), weisen die sogenannten ‚early adopters‘ ähnliche Eigenschaften auf und sind somit weitestgehend homogen zu charakterisieren. 28 Mit der Einführung neuer Handlungen verändern sich auch Strukturen bzw. müssen Prozesse neu gedacht werden. Hier entsteht eine Vielzahl an Prototypen, die zum Teil überdauern, zum Teil aber auch verworfen werden. Dieses Verwerfen von Ansätzen und Strukturen wird von Tolbert und Zucker (vgl. 1996, S. 183 f.) als ‚structure failure rate‘ bezeichnet und hier mit ‚Fehlerquote‘ übersetzt. Umso mehr sich die neuen Handlungen etablieren und in der Organisationsstruktur abgebildet werden, umso weniger anfällig werden sie.
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
45
Zum einen entwirft Senge (2006, S. 44 f.) ein Konzept, bei dem sie drei direkte Merkmale und ein indirektes Merkmal für Institutionen festlegt: • Institutionen sind soziale Regeln für Handlungen (sachliche Dimension). • Die Befolgung institutionell vorgegebener Regeln hängt vom Grad der Institutionalisierung ab (soziale Dimension). • Institutionalisierung setzt Wiederholung voraus (zeitliche Dimension). „Eine soziale Regel ist dann eine Institution, wenn sie maßgeblich für ein empirisches Phänomen ist, wenn sie in sozialer Hinsicht für einen oder mehrere Akteure verbindlich ist und wenn sie zeitlich von langer Dauer ist.“ (Senge 2006, S. 44)
Tabelle 2.2 Unterschiedliche Dimensionen des Institutionenbegriffs (nach Senge 2006)
Instuonen sachlich maßgebliche Regeln
Regeln, die fast unwichg sind
maßgebliche Regeln
Regeln, die fast unwichg sind
maßgebliche Regeln
Regeln, die fast unwichg sind
sozial
zeitlich
Koch und Schemmann (2009) zum anderen präzisieren diese von Senge aufgelisteten Merkmale und benennen sie neu: • Sachliche Dimension I – Objektivität (Institutionen sind für mehrere soziale Akteure vorhanden), • Zeitliche Dimension – Permanenz (Institutionen überdauern die Beteiligung der einzelnen Akteure) • Soziale Dimension I – Externalität (Institutionen existieren außerhalb der sozialen Akteure) Darüber hinaus fügen sie zwei weitere Merkmale hinzu: • Soziale Dimension II – Sinnhaftigkeit (Institutionen repräsentieren eine inhaltliche Bedeutung für Akteure)
46
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
• Sachliche Dimension II – Regelhaftigkeit (Institutionen nehmen bestimmenden Einfluss auf Akteure) (vgl. S. 7). Für die beiden Autoren stehen Institutionen „stellvertretend für ganz unterschiedliche Elemente einer gesellschaftlichen Umwelt, in die soziale Akteure – seien es Individuen, Organisationen, Nationalstaaten etc. – eingebunden sind und von denen sie grundlegend konstituiert und permanent beeinflusst werden.“ (ebd.) Während Senge die Regelhaftigkeit nur implizit beschreibt, umfasst die Beschreibung von Koch und Schemmann diese explizit. Senge gelingt es überdies, ein dynamisches Momentum einzubringen, indem sie mögliche unterschiedliche Gewichtungen der einzelnen Merkmale abbildet (siehe Tab. 2.2). Sie integriert in ihre ‚soziale Dimension‘ den Aspekt der Institutionalisierung. Allerdings liegt für Senge eine Institution nur dann vor, „wenn eine Regel alle drei Bedingungen erfüllt (maßgeblich, verbindlich, von langer Dauer)“. (Senge 2006, S. 45) Somit kann für die Autorin nur dann von Institutionen gesprochen werden, wenn gemäß ihrer Darstellung alle drei Parameter (sachliche, soziale und zeitliche Dimensionen) von höchster Regelhaftigkeit (maßgebliche Regel) sind. Damit knüpft sie an Zucker an, die genau diese Institutionen als zentral für ihre Forschung angesehen hat. Inwieweit man auch von Institution sprechen kann, wenn die Regelhaftigkeit unterschiedlich ausgeprägt ist, bleibt zu klären – nach Meyer und Rowan würden hier noch die Aspekte der Legitimation, der Macht bzw. des Zwangs (Legitimationsdruck) mit einfließen. Dies ist bis dato nicht ausreichend definitorisch berücksichtigt. Legitimation ist nur indirekt in der sachlichen und sozialen Dimension berücksichtigt. Führt man beide Definitionen zusammen, so müssten diese, rückführend auf die Erkenntnisse aus den originären Texten, sowohl um diese Dimension als auch um die Strukturkomponenten, die es bei DiMaggio und Powell bereits im Ansatz gibt29 , erweitert werden. Für die Erweiterung der strukturellen Dimension wird der Begriff der Interdependenz vorgeschlagen (Tabelle 2.3) • Soziale Dimension III – Interdependenz (Institutionen beeinflussen Umwelt und Akteure wechselseitig) Vor allem in Bezug auf die Weiterentwicklung des Verständnisses von institutionellen Umwelten und die Schärfung zentraler Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang ist es für die vorliegende Arbeit wichtig, sich mit weiteren 29
Barley und Tolbert (1997) sowie Koch (2018) betonen diese Dimension in ihren Weiterentwicklungen der institutionellen Umwelten ebenfalls.
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
47
Tabelle 2.3 Erweiterte Dimensionen des Institutionenbegriffs (nach Senge 2006 und Koch & Schemmann 2009) Dimension
Dimension
Ebene 1
Ebene 2
Instuonalisierung..............................Habitualisierung
sachlich Objekvität
Regelhaigkeit
maßgebliche Regeln
Regeln, die fast unwichg sind
_____________________
Legimaonsdruck geringe bis keine Sankon
Zwang, zusätzliche Legimaon
sozial Externalität,
Regelhaigkeit
Sinnhaigkeit
______________________
Interdepen-
maßgebliche Regeln
Regeln, die fast unwichg sind
Legimaonsdruck
denz
geringe bis keine Sankon
Zwang, zusätzliche Legimaon
zeitlich Permanenz
Regelhaigkeit
maßgebliche Regeln
Regeln, die fast unwichg sind
_______________________
Legimaonsdruck geringe bis keine Sankon
Zwang, zusätzliche Legimaon
Arbeiten und Ansätzen auseinanderzusetzen. Da eine zentrale Absicht dieser Forschungsarbeit darin liegt, institutionelle schulische Umwelten benennen bzw. aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter darstellen zu können, muss eine intensive Auseinandersetzung erfolgen. Erst ein umfassendes Verständnis über Institutionen, Akteure, Anspruchsgruppen und deren Beziehungen untereinander sowie das Zusammenspiel zwischen Handlungen und Institutionen ermöglicht es, die empirischen Untersuchungen theoretisch einordnen zu können.
2.2.2
Alte Pfade, verschlungene Wege und neue Zugänge
Obwohl in den bisher dargestellten Arbeiten bereits eine Vielzahl an Fragestellungen bezüglich institutioneller Umwelten angesprochen wurde, fehlt es an einer notwendigen Vertiefung, so etwa beim Konzept der unterschiedlichen institutionellen Ausprägungen. Wie können Institutionen in ihrer Unterschiedlichkeit innerhalb von institutionellen Umwelten dargestellt werden? Die Bearbeitung dieser zentralen Frage erfolgte im Neo-Institutionalismus vergleichsweise spät. Erst
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
in den 1990er-Jahren setzten sich Autorinnen und Autoren gezielt mit einer Klärung30 bzw. Weiterentwicklung der Begriffslage auseinander. Einschlägig bekannt wurde W. Richard Scott mit seinem Drei-Säulen-Modell (1995). Scott greift in seiner Arbeit (2001, erstmals 1995) wesentliche Argumente von Jepperson (1991)31 und Suchmann (1995)32 auf und legt eine weitreichende Begriffsbestimmung für Institutionen vor (Scott 2001, S. 48): • „Institutions are social structures that have attained a high degree of resilience. • Institutions are composed of cultured-cognitive, normative and regulative elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning in social life. • Institutions are transmitted by various types of carriers, including symbolic systems, relational systems, routines and artifacts. • Institutions operate at multi-level of jurisdiction, from the world system to localized interpersonal relationships. • Institutions by definition connote stability but are subjects to change processes, both incremental and discontinuous.” Neben dem Modell der drei Säulen findet Scott auch Antworten auf die Frage, wie sich Institutionen ausbreiten bzw. wie sie weitergegeben werden. Somit versucht er, in sein Modell ebenfalls die dynamische Seite des Wandels von Institutionsebenen einzubauen. Neuere Arbeiten greifen Scotts Ansatz auf und vertiefen ihn, indem sie die Frage behandeln, wie Verbreitungsmechanismen zwischen Institutionen und Handlungen von Akteuren konzipiert sind – dazu finden sich genauere Ausführungen bei Barley und Tolbert (1997). Beide Autoren greifen zudem den von DiMaggio und Powell induzierten Ansatz auf, den neoinstitutionalistischen Zugang mit der Strukturationstheorie nach Giddens (1976, 1979) zusammenzubringen. Die Weiterentwicklung der Autoren bewegt sich vor
30
Mit „Klärung“ ist hier weniger eine umfassende Definition gemeint als eine umfassende Betrachtung, wie sich Institutionen als Umwelt verhalten und auch wie institutionelle Erwartungshaltungen und Vorstellungen letztlich verbreitet werden. 31 Auf Jepperson bezieht sich Scott insofern, als dass er dessen Ideen, wie Institutionen operieren, aufgreift, und prominent in sein Modell aufnimmt. Unter anderem spricht auch Jepperson bereits von ‚Carrier-Systemen‘ für institutionelle Vorstellungen (vgl. 1991, S. 146 f.). 32 Scott verweist auf Suchman (1995) und dessen Ausführungen zum Thema Legitimität. Suchman versteht darunter: „Legitimacy is a generalized perception or assumption that an action of entity are desirable, proper or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs and definitions.” (S. 574).
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
49
allem im Bereich des kognitiv-kulturellen33 Verständnisses von Institutionen (vgl. Koch 2018, S. 118 f.). In eine ähnliche Richtung gehen auch andere Arbeiten, etwa von Greenwood et al. (2008). Für die hier vorliegende Arbeit sind die Ausführungen von Barley und Tolbert relevant, da das Modell der „kulturellen Skripten“, wie die Autoren kognitiv-kulturelle Erwartungsstrukturen bezeichnen, bestimmte schulische Umwelten zu erfassen vermag. Die Limitation des Scott‘ schen Ansatzes findet sich in dem Umstand, dass Institutionen als dauerhafte, nicht veränderbare Umwelteinflüsse beschrieben wurden. Mit der bereits erwähnten Wende, dass institutionelle Umwelten nicht nur Einfluss auf kollektive und individuelle Akteure nehmen können, sondern ein Einfluss auch in umgekehrter Form geschehen kann, etablierte sich der Wunsch in einer Weiterentwicklung des Institutionenkonzeptes auch institutionellen Wandel abbilden zu können. Dieser Anspruch führte zu einem Verständnis von Institutionen als Prozess (vgl. Koch 2009, S. 117 f.). Geleitet von Schlagwörtern wie „Institutionalisierung“, „Re-Institutionalisierung“ und „De-Institutionalisierung“ (Zucker 1977; DiMaggio 1991, S. 30 ff.), erfolgte eine vertiefte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zugängen, wie Institutionen in der Literatur zu neo-institutionalistischen Theorien dargestellt werden. Diesen neueren Theoriezweig repräsentierend, werden in dieser Arbeit noch die Arbeiten von Hasselbladh und Kallinikos (2000) sowie Philips, Lawrence und Hardy (2004) näher betrachtet. Diese Autoren verstehen Institutionen als Diskurse – ein Ansatz, der vor allem für Theorien der Responsivität anschlussfähig erscheint (vgl. Abschnitt 3.3). Die folgenden Unterkapitel dienen daher primär einer Perspektivenöffnung, um ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, was hinter den unterschiedlichen, in den neo-institutionalistischen Theoriesträngen angewendeten, Institutionenbegriffen steckt. Um die nachfolgenden Darstellungen über institutionelle Umwelten in einer strukturierten Form zu besprechen und die einzelnen Aspekte miteinander vergleichen zu können, sollen gemeinsame Fokusse für die Analyse gewählt werden. Dies hilft bei einem nachfolgendem Resümee. Darüber hinaus soll anhand anschaulicher Beispiele auch eine Brücke zum Thema der Arbeit geschlagen werden. Die Beispiele sind aus den institutionellen Umwelten von Schulen gewählt. Diesen Ausführungen folgend, kann als erster Vergleichspunkt folgender genannt werden:
33
Typisch für den neo-institutionellen Diskurs ist die Auslegung der Theorie als kultureller Ansatz (vgl. Senge 2011).
50
2
Schule und Schulleitung auf den Spuren …
i. Prozesse der Institutionalisierung (Wandel) Für die Fortführung dieser Arbeit, insbesondere den empirischen Teil betreffend, ist es wichtig, dass nachvollzogen werden kann, wie exogene Faktoren, etwa eine Reform, zu innerorganisationalen Veränderungen führen kann. Überdies werden die drei vertieft behandelten Theorieausführungen auf ihr Verständnis von Institutionalisierung bzw. Wandel hin untersucht. Ausführlich beschrieben wurden sowohl bei Berger und Luckmann als auch bei Zucker (1977) bzw. Tolbert und Zucker (1999), wie der Prozess von der Habitualisierung zur Institutionalisierung verläuft – wenig beschrieben wurde dagegen bis dato der umgekehrte Prozess. DiMaggio und Powell gehen auf diesen Aspekt mit dem Konzept der „Diffusion“ und des „Isomorphismus“ ein. Entscheidend sind jedoch auch Veränderungsprozesse, die durch exogene Auslöser erfolgen. Daher liegt der vierte und letzte Untersuchungsschwerpunkt auf den theoretischen Beschreibungen von Wandel bestehender institutioneller Vorstellungen. ii. Konzepte der Legitimation Insbesondere der Aspekt der Legitimation ist für die vorliegende Arbeit und die übergreifende Fragestellung, welche Akteure der institutionellen Umwelt von Schulleiterinnen und Schulleitern als legitimierend wahrgenommen werden, besonders wichtig. Berger und Luckmann (2012 [1980]) unterscheiden verschiedene Ebenen von Legitimierung34 . Zunächst, so führen die Autoren aus, gehe es im Prozess der Legitimierung um die Produktion einer neuen Sinnhaftigkeit (vgl. S. 98 f.). Sowohl institutionelle Ordnungen als auch Personen, die an verschiedenen institutionellen Prozessen beteiligt sind, sollen Institutionen als sinnhaft wahrnehmen. Die beiden Autoren betonen dabei eine Sinnverschränkung sowohl auf horizontaler als auch auf vertikaler Ebene. Entscheidend ist der Hinweis, dass die Frage nach Legitimation sich erst dann stellt, wenn eine institutionelle Ordnung in eine neue Generation bzw. an unbeteiligte Dritte herangeführt wird, da diesen das Momentum der Habitualisierung fehlt. Hier muss auf ein mögliches Missverständnis hingewiesen werden. Zucker (1977) sowie Tolbert und Zucker (1999) verwenden den Begriff „Habitualisierung“ auch dann, wenn eine institutionalisierte Erwartungshaltung gegenüber neuen Akteuren geäußert (also an Dritte weitergegeben) wird– hier bedarf es ihrer Ansicht nach sehr wohl einer Legitimierung. Wohingegen bei der Übergabe von institutionellen Vorstellungen, etwa von Generation zu Generation, institutionelle Vorstellungen und Annahmen so 34
Da die Autoren „Legitimierung“ als Prozess verstehen, ziehen sie diese Bezeichnung vor und verwenden nicht den Begriff „Legitimität“.
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
51
gefestigt sind, dass sie als unhinterfragte Tatsachen angenommen werden – hier entfällt die Notwendigkeit der Legitimierung. Meyer und Rowan (1977) weisen in ihrem Aufsatz auf einen weiteren Aspekt im Zusammenhang mit Legitimierung hin, der vor allem für die empirische Untersuchung von großer Bedeutung ist. Organisationen sehen sich häufig mit mehr als einer institutionellen Erwartungshaltung von mehr als einer Quelle konfrontiert. Mitunter können diese verschiedenen Institutionen bzw. Erwartungen konfligierende Ansprüche stellen. Um ihr Überleben zu sichern, so die Autoren, müssen individuelle Akteure bzw. Organisationen auf die institutionellen Erwartungen jener Anspruchsgruppen reagieren, die ihnen die größte Legitimität zusprechen. “In order to survive, organizations conform to what is societally defined as appropriate and efficient, largely disregarding the actual impact on organizational performance.” (Meyer und Rowan 1977, S. 353)
Um hier alternative Konzepte zu berücksichtigen bzw. eine Vertiefung der Frage nach Legitimierung zu erhalten, richtet sich hierauf der zweite Betrachtungsfokus. iii. Zusammenhang zwischen Institutionen und Handlungen (Action) Da in dieser Arbeit die Schulleiterinnen und Schulleiter und deren Handeln im Mittelpunkt stehen, wird ein besonderes Augenmerk auf die theoretischen Explikationen hinsichtlich der Verbindung zwischen Handlung und Institutionen gerichtet. Wie werden in der theoretischen Aufarbeitung die Ebenen der institutionellen Umwelt mit der Handlungsebene zusammengebracht? Hierzu bieten die drei originären Texte wenige Aufschlüsse. iv. Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren Eine Frage, die bereits im Problemaufriss dieses Unterkapitels zum Ausdruck gebracht wurde und die überdies auch von Berger und Luckmann mit der Konstruktion von Rollen angesprochen wurde, ist, wie bzw. warum und wann bestimmte Akteure Agentenschaft für institutionelle Vorstellungen übernehmen. Institutionelle Vorstellungen können als nicht zuschreibbare Erwartungshaltungen aus der Umwelt an individuelle oder kollektive Akteure herangetragen werden; sie können aber auch durch individuelle (Vertreter/-innen z. B. einer Institution) oder kollektive Akteure (Organisationen) vermittelt werden. Besonders interessiert in diesem Zusammenhang ist auch noch einmal die bereits angesprochene Debatte um Profession als Institution – darauf wird in einem Exkurs Bezug genommen. Außerdem wird im Zusammenhang mit diesen Fragestellungen erneut ein Blick darauf geworfen, wie das Akteurskonzept
52
2
Schule und Schulleitung auf den Spuren …
vor allem erweitert durch die Berücksichtigung der Theoriediskurse zum Thema Agentenschaft, behandelt wird. Um eine lesefreundliche Darstellung zu ermöglichen, werden anschließend an jedes Modell die genannten vier zentralen Aspekte noch einmal in einer tabellarischen Übersicht dargestellt. Die Reihenfolge der Besprechung beginnt mit Scott (1995, 2001), gefolgt von Barley und Tolbert (1997) und schließt ab mit Hasselbladh und Kallinikos (2000) sowie Philips, Lawrence und Hardy (2004).
2.2.2.1 Institutionelle Umwelten als Säulen bzw. als Dimensionen Setzt man sich mit unterschiedlichen Konzepten zu institutionellen Umwelten in neo-institutionalistischen Theorien auseinander, so stellt man fest, dass das Modell, das von Scott entwickelt wurde, jenes ist, das in unterschiedlichen Disziplinen (u. a. Soziologie, Politikwissenschaften, Bildungswissenschaften) in den vergangenen Jahrzehnten am dominantesten rezipiert wurde. Sowohl in deutschsprachigen (Senge und Hellmann 2006; Senge 2011; Koch und Schemmann 2009, Walgebach und Meyer 2008; Schaefers 2002, Sadhu 2012, Horwath 2017; Koch 2018) als auch englischsprachigen Artikeln (Hopkins & Spillane 2015; Nelson 2016; Hall 2017) Scotts Modell als Grundlage für weiterführende Forschungen herangezogen wird. Scott geht in seiner Grundannahme davon aus, dass “Institutions are comprised of regulative, normative, and cultural-cognitive elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning to social life” (2008, S. 48) (Tabelle 2.4). Das Säulen-Modell soll nun im Detail beschrieben werden; um dies anschaulich zu gestalten, wird dabei auf eine Anspruchsgruppe aus der schulischen Umwelt zurückgegriffen. Besonders geeignet erscheint hierbei die Schulaufsicht 35 (vgl. u. a. Dedering & Sowada 2017; Hall 2017). Die Schulaufsicht verkörpert mehrere Dimensionen institutioneller Umwelten – zum einen bildet die Schulaufsicht das Organ bzw. die Institution, die Aspekte der regulativen Umwelt für Schulen prägt. Die Akteure, die den juridischen Part 35
Die exemplarische Beschreibung der Schulaufsicht beruht auf Dokumentenanalysen (Rechnungshofbericht 2015; Beschreibung des Aufgabenprofils der Schulaufsicht: entsprechende Gesetzestexte) sowie Experteninterviews mit Akteuren der Schulaufsicht bzw. der Abteilung Bildung. Insgesamt wurden acht (n = 8) Vertreter/-innen der pädagogischen Profession, sprich Pflichtschulinspektoren und -inspektorinnen, der Landesschulräte Tirol und Oberösterreich sowie ein Vertreter der juridischen Profession (n = 1) der Bildungsabteilung interviewt. Die ausführliche Darstellung der Ergebnisse erschien in einem gesonderten Aufsatz (vgl. Jesacher-Rößler und Kemethofer 2020).
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
53
Tabelle 2.4 Säulenmodell nach Scott (2008) regulative Säule
normative Säule
kulturell-kognitive Säule
Ordnungsgrundlage
Gesetze, Regeln
bindende Erwartung
Selbstverständlichkeit, Unhinterfragbarkeit
Erfüllungsgrundlage
Zweckmäßigkeit
moralische Verpflichtung
gemeinsamer Bedeutungsrahmen
Wirkmechanismus
Zwang
Norm
Imitation/Kopie
Indikatoren
Gesetze, Richtlinien, Verordnungen
Zertifizierung, Akkreditierung
geteilter Glaube, Isomorphie
Sanktionen
Strafe
Entzug der Unterstützung
Verlust des gemeinsamen Bedeutungsrahmens
innerhalb der Schulaufsicht übernehmen, verengen Handlungsweisen in Schulen36 , indem sie auf die Wahrung expliziter, schriftlich fixierter und formalisierter Regeln (vgl. Koch 2018, S. 116) verweisen. Sie verkörpern damit die regulative Dimension. Die Akteure, die den pädagogischen Part übernehmen (Schulinspektorinnen und Schulinspektoren), wirken im Bereich der normativen Umwelt auf Schulen. Durch ihre Interpretation etwa neuer Reformerlasse werden zulässige Handlungsoptionen benannt. So werden Werte als „Konzeption des Wünschenswerten, als Standards, die der Bewertung von Verhalten dienen, sowie Normen im Sinne einer Spezifizierung, wie Dinge getan werden sollen“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 58 f.) dargestellt. Schulinspektorinnen und Schulinspektoren agieren so als Professionsvertretung und werden mitunter auch als eine solche von Schulleiterinnen und Schulleitern bzw. Lehrerinnen und Lehrern wahrgenommen, obwohl sie in ihrem Berufsverständnis eigentlich den Staat vertreten. Während den juridischen Vertreterinnen und Vertretern als Sanktionsmedium die (rechtlich bindende) „Strafe“ zur Verfügung steht, können die pädagogischen Vertreterinnen und Vertreter nur abgeschwächte Formen der Sanktionierung bemühen. Den direkten Kontakt zu den Schulen haben jedoch die Schulinspektorinnen und Schulinspektoren. In ihrer täglichen Arbeit werden sie mit vielen Fragen zum gesamten Wirkungs- und Aufgabenbereich der Schulaufsicht belangt, so auch mit 36
Die Auslegung gesetzlicher Grundlagen erfolgt überwiegend durch die juridische Profession in der Schulaufsicht. Beispielsweise wird von ihnen festgelegt, wie das Prozedere der Personalauswahl vonstatten zu gehen hat oder wie bestimmte Gesetzteslagen im Schulunterrichtsgesetz zu deuten sind (Leistungsbeurteilungsverordnung etc.).
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Fragen zur regulativen Dimension. Qua ihrer Erfahrung geben Inspektorinnen und Inspektoren auf diese Fragen oftmals ebenfalls Antworten. Als Konsequenz ergibt sich innerhalb der Institution ‚Schulaufsicht‘ nicht nur ein Ungleichgewicht der Professionen, sondern auch Fehladressierungen im professionellen Verständnis. Eine dadurch bedingte fehlende Eindeutigkeit im Erwartungsbild an Schulleiterinnen und Schulleiter kann zu Missverständnissen im Antwortverhalten führen. Exkurs Profession37
Profession als Institution bzw. als Agent spielt für Scott (u. a. 2008) in der heutigen Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Für den Autor haben Professionen die Rolle inne, neue institutionelle Rahmenvorgaben zu entwickeln (vgl. 2014, S. 122). Hierbei sieht er die Rolle der Profession in allen drei Dimensionen vertreten bzw. mit Hilfe aller drei Mechanismen arbeiten. So wirken Professionen allgemein im Bereich der kognitiv-kulturellen Dimension, indem sie neue Vorstellungen und Konzepte einbringen, aus denen wiederum Handlungsanleitungen und Richtlinien ergehen. Bestimmte Professionsvertretungen agieren jedoch vor allem mittels normativer Mechanismen – sie setzten Standards und Normen, wie Handlungen durchzuführen sind. Viele Studien belegen, dass Professionen vor allem durch normative Codes funktionieren. Einige Professionen verfügen sogar über Handlungsmechanismen, die im Sinne der regulativen Dimensionen funktionieren. Hierzu zählen etwa Juristen bzw. Juristinnen und Vertreterinnen und Vertreter von militärischen Professionen (vgl. ebd., S. 123; 2008, S. 226). Prinzipiell kann zu den Aussagen Scotts ergänzt werden, dass Professionen, die eine Professionsvertretung haben, z. B. Ärzte bzw. Ärztinnen durch die Ärztekammer, wesentlich gefestigter in ihrem Professionsverständnis sind als jene, die keine solche Vertretung haben. Pädagoginnen und Pädagogen haben in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern keine eigenständige Professionsvertretung; gleiches gilt für Schulleiterinnen und Schulleiter38 .
37
Ausführliche Darstellungen zu Professionen im Neo-Institutionalismus finden sich u. a. bei DiMaggio und Powell (1991, S. 71 f.); Greenwood, Suddaby und Hinings 2002; Senge 2011; Muzio, Brock und Sudabby 2013; Saks 2016. 38 Zum Professionsverständnis von Schulleiterinnen und Schulleitern ausführlich u. a. Warwas 2012; Rosenbusch 2005.
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Koch fügt den drei genannten Säulen (regulativ, normativ und kognitivkulturell) des etablierten Institutionenmodells von Scott (2014 [1995]) eine weitere Säule bzw. Dimension – Koch spricht von Dimensionen –, nämlich die der strukturellen Umwelt39 hinzu. Er führt dazu aus, dass „organisationale Akteure in Relation zu weiteren individuellen und kollektiven Akteuren stehen. Dieses Beziehungsgeflecht schließt hierarchische und horizontale Relationen zwischen Organisationen ein und umfasst so letztlich alle für die Organisation relevanten weitere Akteure.“
Mit dieser weiteren Dimension induziert Koch auch die Frage nach dem Näheund Distanzverhältnis in institutionellen Umwelten. Unterschiedliche Positionen von individuellen und kollektiven Akteuren können entscheidenden Einfluss auf ein potentielles Reagieren auf deren Erwartungshaltungen haben. Gerade für schulische Umwelten ist diese zusätzliche Dimension zu berücksichtigen. Um diese ergänzende Dimension Kochs besser verorten zu können, erfolgt ein kurzer Exkurs zu strukturellen Aspekten innerhalb neo-institutionalistischer Theoriezugänge. Neil Fligstein und Doug McAdam veröffentlichten 2012 eine „Theory of Fields“, in der sie das Feldkonzept von DiMaggio und Powell, auf welches sich auch Koch beruft, erweitert und theoretisch fundiert haben. Einige ihrer Überlegungen können Fragen, die im Laufe der Theorieentwicklung entstanden sind, weiter diskutieren. So etwa die Fragen: Wie kann man „Felder“ definieren? Wer gehört den Feldern an, wer nicht? Wer sind die zentralen Akteure und wer die peripheren Handelnden im Feld? Auch die Frage, wie Felder mit anderen Feldern verbunden werden können, steht im Zentrum ihrer Ausführungen. „A strategic action field is constructed mesolevel social order in which actors (who can be individual or collective) are attuned to and interact with one another on the basis of shared (which is not to say consensual) understandings about the purpose of the field, relationships to others in the field (including who has power and why), and the rules governing legitimate action in the field.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 9) 39
Koch integriert mit dieser Erweiterung die strukturelle Komponente, die von DiMaggio und Powell in Form von Organisationalen Feldern entwickelt wurde, in ein Gesamtkonzept von institutionellen Umwelten. Gleichzeitig verweist er darauf, dass auch Scott in früheren Arbeiten bereits diesen Aspekt berücksichtigt hatte, jedoch eine Übernahme in das DreiSäulen-Modell nicht erfolgte, sondern Scott die strukturelle Dimension als Ergebnis des Zusammenspiels der drei Säulen verstand. Für Koch bedarf es jedoch dieser Dimension als Bestandteil institutioneller Umwelten (vgl. Koch 2018, S. 116, Fn. 67).
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Wie hier angeführt wird, sehen Fligstein und McAdam die Möglichkeit, dass Akteure in einem Feld sowohl Individuen als auch Kollektive sein können. Weiters führen sie aus: „All collective actors (e.g., organizations, clans, supply chains, social movements, and govermnetal systems) are themselves made up of strategic action fields.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 9). Damit wird festgehalten, dass Gruppen und Organisationen, die in einem Organisationalen Feld angeführt werden, noch einmal als eigenes Feld definiert werden können. „[...] [T]he ties between fields highlight the interdependence of strategic action fields and their very real potential to effect change in one another. Indeed, we will argue that these links constitute one of the main sources of change and stability in the fields.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 9)
Fligstein und McAdam heben außerdem hervor, dass es sich bei Feldern um sozial konstruierte Umgebungen handelt (vgl. hierzu auch Berger und Luckmann). Die soziale Konstruiertheit lässt sich an drei Merkmalen festmachen: „First, membership in these fields is based far more on subjective ‚standing‘ than on objective criteria. […] The boundaries of strategic action fields are not fixed but shift depending on the definition of the situation and the issues at stake. […] So fields are constructed on a situational basis, as shifting collection of actors come to define new issues and concerns as salient. Finally, and most important, fields are constructed in the sense that they turn on a set of understanding fashioned over time by members of the field.“ (Fligstein und McAdam, 2012, S. 10)
Zu dem letztgenannten Punkt weisen die beiden Autoren explizit darauf hin, dass eine gemeinsame „institutionelle Logik“40 ein verbindendes Glied im Feld sein kann. Nach Friedland und Alford (1991) sowie Thornton und Ocasio (1999) versteht man unter institutionellen Logiken „die sozial konstruierten, historischen Muster materieller Praktiken, Annahmen, Werte, Glaubenssätze und Regeln, nach denen Individuen ihre Handlungen ausrichten, Zeit und Raum organisieren und ihrer sozialen Realität Sinn zuschreiben.“ (Thornton und Ocasio 1999, S. 804, übersetzt von Sandhu 2012, S. 108). Sandhu (2012) verweist darauf, dass institutionelle Logiken die „Scharniere“ zwischen Handlung und Struktur bilden, und somit eine Verbindung zwischen den Makro- und Mikro-Ansätzen innerhalb der Theorieströmungen (vgl. S. 108) schaffen. 40
Auf institutionelle Logiken wird noch einmal gesondert im 3. Kapitel eingegangen.
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In seiner detaillierten Auseinandersetzung mit dem Drei-Säulen-Modell hält Koch positiv fest, dass es Scott gelungen sei, „die unübersichtliche Debatte [zu] systematisier[en] und präzisier[en].“ (Koch 2018, S. 22, Fn. 70). Insbesondere eröffnet Scott mit seinem Modell die Möglichkeit, durch die regulative und normative Säule den Neo-Institutionalismus und dessen Institutionenverständnis für andere Organisationstheorien anschlussfähig zu machen (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 63.). Gleichzeitig übt Koch aber auch Kritik an Scotts Darstellung. So kritisiert er erstens die bereits angeführte Verkürzung und das Wegfallen der sozio-strukturellen Dimension, also jenes Theoriestranges, der durch die Aufarbeitung der Arbeiten von DiMaggio und Powell sowie von McAdam und Fligstein wieder aufgenommen wurde. Zweitens bemängelt Koch, dass Scott die drei Säulen (regulative, normative und kulturell-kognitive) in seiner Matrix nebeneinanderstellt und somit den Anschein erweckt, diese Institutionen wären gleichrangig. Dem widerspricht Koch, denn die kulturell-kognitive Dimension sei als grundlegende Ebene zu betrachten. Diese Interpretation entspricht auch den Ausführungen zum Professionsverständnis, bei dem vor allem aus der kognitivkulturellen Säule grundlegende Ideen und Denkrichtungen erwachsen, aus denen sich dann normative und regulative Mechanismen ableiten lassen. Eine solche Zugangsweise wäre auch an den von Zucker bzw. von Tolbert und Zucker aufgearbeiteten Institutionalisierungsprozess anschlussfähiger und würde eher zu der Definition von Institutionen passen. Kochs Vorschlag, die kognitiv-kulturelle Säule über die drei Elemente (regulativ, normativ und strukturell) zu stellen, ist ebenfalls stimmig für die Weiterführung im Sinne der institutionellen Logiken. Den Zugang der institutionellen Logiken wählen auch McAdams und Fligstein für ihre Feldtheorie. Friedland und Alford (1991) und weiterführend Thornton et al. (2012)41 beschreiben unterschiedliche Subsysteme und deren Mechanismen in gesellschaftlichen Arenen (Feldern), die übergeordnet von kulturell-kognitiven „root metaphors“ (vgl. Scott 2014, S. 90) geleitet werden. 41
Für Alford und Friedland ist im Gegensatz zu Meyer und Rowan klar, dass es wichtig ist, zwischen Individuen, Organisation und sozialer Ebene (Gesellschaft) zu unterscheiden. Die Sozialebene bezeichnen sie als komplexes Muster aus institutionellen Beziehungen. Dieses Geflecht wird begleitet von einer Vielzahl an Wertesphären (value spheres), wobei jede davon eine ausgewiesene „institutionelle Logik“ besitzt. Sie definieren „institutionelle Logiken” wie folgt: „a set of material practices and symbolic constructions which constitutes its organizing principles and which is available to organizations and individuals to elaborate.” (Friedland und Alford 1991, S. 248). Thornton et al. (Thornton, Ocasio und Lounsbury 2012) haben diesen Ansatz aufgegriffen und weiterverfolgt. Mit Hilfe des Ansatzes der institutionellen Logiken haben sie bestimmte Motivationsmodelle und soziale Arenen bzw. gesellschaftliche Subsysteme ausgearbeitet, die sich voneinander unterscheiden. Dabei variieren sie zwischen sogenannten Grundmustern, Legitimitätsquellen und unterschiedlichen
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Drittens kritisiert Koch, dass Scott in seinem Modell die Wirkung vereinseitigt. Im Zentrum Scotts Betrachtungen steht ausschließlich, wie Umwelten auf Organisationen reagieren können, nicht jedoch, wie Organisationen Institutionen beeinflussen. Hier ist auf Abschnitt 2.3 zu verweisen, wo eine solche einengende Lesart für die Organisation „Schule“ diskutiert wird. Koch merkt bei all seiner Kritik jedoch auch an, dass sich seine Äußerungen erstrangig auf die Matrix Scotts und nicht auf dessen begleitende Rahmenschriften bezieht. In diesen thematisiert Scott die ihm angetragene Kritik zum Teil sehr wohl. Deutlich wird dies etwa in seinen Ausführungen zur Verbindung zwischen Institutionen und Handeln. Der Autor betont in seiner Arbeit, dass, obwohl institutionelle Elemente wie Regeln, Normen und Vorstellungen symbolischer Natur sind, sich diese in sozialen Handlungsformen niederschlagen müssen, um wirkungsvoll zu werden. Somit schlägt er die Brücke zwischen Vorstellungen und Handlungen, Beziehungen und Ressourcen, durch welche diese in der Gesellschaft verbreitet werden. Um diese Annahme zu präzisieren, hat Scott Mechanismen, wie institutionelle Erwartungshaltungen transportiert werden, genauer betrachtet und in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Im Englischen spricht er von sogenannten „Carrier Systems“. „Institutions, whether regulative, normative, or cultural-cognitive elements are stressed, are conveyed by various types of vehicles or carriers (Jepperson 1991, S. 50). I identify four types: • • • •
Symbolic systems Relational systems Activities Artifacts.“ (2014, S. 95)
Diese Ausführungen Scotts wurden bis dato in der deutschsprachigen Literatur wenig diskutiert. Für die vorliegende Arbeit sind sie jedoch von großer Bedeutung, vor allem wenn es um das Antwortverhalten auf institutionelle Erwartungshaltungen und um Veränderungsprozesse geht. Daher werden diese Mechanismen in Kapitel 3 noch einmal ausführlicher vorgestellt und erörtert. Scott greift in seinen Ausführungen auf das Legitimitätsverständnis nach Suchmann (1995) zurück. Dieser definiert Legitimität wie folgt:
Normvorstellungen bzw. Kontrollmechanismen. Die zentralen Arenen, die sie herausgearbeitet haben, sind: Familie, Religion, Staat, Markt, Profession, Kooperationen (Cooperation) und kommunale Strukturen (Community).
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„Legitimacy is a generalized perception or assumption that the action of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs and definitions. (1995, S. 574, herv. im Org.).“
Mit dem Bezug auf Suchmann entwickelt Scott das ursprüngliche Verständnis von Meyer und Rowan (1983) weiter. Das Autorenduo geht von einem Legitimitätsverständnis aus, das vorsieht, dass Organisationen institutionelle Vorgaben unhinterfragt und als Selbstverständlichkeit übernehmen. Koch bringt dies auf den Punkt, indem er schreibt, „mit der organisationalen Aneignung der institutionellen Umwelt [geht] zugleich und zwangsläufig die Legitimität gesellschaftlicher Institutionen auf den organisationalen Akteur über.“ (2018, S. 174, herv. im Orig.). Suchmanns Definition schwenkt Mitte der 1990er in eine andere Richtung. Laut seiner Definition werden Institutionen und Legitimität nicht mehr gleichgesetzt, indem sie von den Organisationen übernommen werden, sondern Organisationen werden „durch weitere soziale Akteure“ (vgl. ebd.) als legitim oder nicht legitim eingeschätzt. Wie bereits zu erkennen ist, befasst sich auch Koch – im Zusammenhang mit institutionellen Umwelten – zentral mit der Frage nach Legitimität. Zunächst unterscheidet er zwischen Legitimität, Legitimation und Legitimierung. Das Verständnis von Legitimität, so Koch, sei in den neo-institutionalistischen Zugängen eng mit dem Verständnis von Institutionen verwoben. Er schreibt: „[...] die institutionelle Umwelt [wird] als Bedeutungswelt verstanden, die als eine Ansammlung kultureller Regeln fungiert und entsprechend von den Organisationen Konformität einfordert. Die (weitgehend unhinterfragte) Umsetzung solcher Vorgaben in organisatorische Strukturen und Handlungsweisen wird entsprechend als (weitgehend unbemerktes) Legitimierungsbemühen der Organisation betrachtet.“ (2018, S. 187).
Mit Blick auf die neueren Entwicklungen fügt er jedoch hinzu, dass sich dieses Verständnis dahingehend gewandelt hat, als dass „Legitimität nicht ‚mechanisch‘ mit der Inkorporation einer institutionellen Anforderungswelt einhergehe, sondern Legitimität analytisch erst in der Folge solcher Prozesse von sozialen Akteuren zugesprochen werde.“ (ebd.) Damit verdeutlicht Koch gleichzeitig den Zusammenhang zwischen institutionellen Vorstellungen und Akteuren, die diese vertreten, und wie dadurch bestimmte Akteursgruppen innerhalb der institutionellen Umwelten die Rolle einnehmen können, Organisationen mehr oder weniger Legitimität zuzusprechen. Eine Zusammenfassung zu Scott und dessen Ansätze findet sich in Tabelle 2.5.
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Tabelle 2.5 Zusammenführung der vergleichenden Aspekte nach Scott (2008) und Koch (2018) Prozess der Institutionalisierung (Wandel)
Hier beruft sich Scott ebenfalls auf die Carrier-Mechanismen und gibt an, dass es vor allem dann zu einem Wandel von Institutionen kommt, wenn diese diffundieren, also übertragen werden: „Institutions are modified in transmission“. (Scott 2014, S. 178) Er weist an dieser Stelle jedoch zweimal darauf hin, dass hier ein Forschungsdesiderat vorliegt und seine Ausführungen dazu enden wollend sind. Auch hier unterstützt das Konzept des Feldes wiederum die ‚blinden‘ Stellen in Scotts Modell. Durch das Aushandeln bzw. die Weitergabe institutioneller Erwartungshaltungen innerhalb eines Feldes festigen bzw. verändern sich diese. Hierbei spielen die Akteure eines Feldes eine besondere Bedeutung – etwa wenn es um Themenführerschaften geht.
Konzepte der Legitimation
Scott verweist darauf, dass Organisationen mehr als nur materielle Ressourcen und technische Informationen brauchen, um Akzeptanz und Stabilität zu erlangen; sie brauchen vor allem Legitimität. Dabei beruft sich Scott auf die Definition von Suchmann (1995). Koch beschreibt institutionelle Umwelten als Bedeutungswelten, die kulturelle Regeln aufstellen. Deren Übernahme durch Organisationen bedingt, dass die Organisationen Legitimität zugesprochen bekommen oder nicht. Wichtig erscheint überdies, dass Koch anmerkt, dass Legitimität nicht durch mechanische Inkorporation erfolgt, sondern durch soziale Akteure zugesprochen wird.
Zusammenhang zwischen Institution und Handlung
Scott stellt mit Hilfe der „Carrier“ einen Zusammenhang her. Dabei betont er, dass je nach Art der „Carriers“ die überbrachte Nachricht bzw. Erwartungshaltung auf verschiedene Weise übermittelt wird und somit unterschiedliche Einflüsse auf den Institutionalisierungsprozess haben kann. Mit der Ergänzung der sozio-strukturellen Dimension durch Koch sowie den Erläuterungen durch Fligstein und McAdams können Handlungen und Institutionen innerhalb von Feldstrukturen dargestellt werden. (Fortsetzung)
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Tabelle 2.5 (Fortsetzung) Zusammenwirken zwischen Agentenschaften können laut Scott von verschiedenen Institutionen und Akteuren Akteuren bzw. Akteurskonstellationen übernommen werden; exemplarisch wurde hier die Profession erörtert. Akteure sind für Scott auch die zentralen Hebel, wenn es um das Verbreiten und Verändern von institutionellen Vorstellungen geht (Scott 2008, S. 227 f.). Im Zusammenhang mit seinen Abhandlungen zur Profession unterscheidet er zwischen kreativen („creative“) Akteuren, die institutionelle Veränderungen (bewusst) herbeiführen, jenen, die als Verbreiter dieser Vorstellungen agieren („carrier“) und denen, die den professionellen Grundsätzen folgen („clinical“).
2.2.2.2 Institutionelle Umwelten als soziale Kategorien und kulturelle Skripten Im Ansatz von Barley und Tolbert (1997) wird die Operationalisierbarkeit von Institutionen ins Zentrum gestellt. Besonders relevant sind diese Ausführungen für weiterführende empirische Untersuchungen von institutionellen Umwelten. Die Autoren beginnen ihre Ausführungen zunächst recht kritisch, indem sie beanstanden, dass von Institutionalisten in empirischen Untersuchungen ignoriert wurde, wie Institutionen entstehen, sich verändern oder reproduziert werden42 : „Institutionalists, however, have pursued an empirical agenda that has largely ignored how institutions are created, altered, and reproduced, in part, because their models of institutionalization as a process are underdeveloped.“ (S. 93)
Anknüpfend an Tolberts Ausführungen zusammen mit Zucker, wird insbesondere die kognitiv-kulturelle Dimension untersucht. Bei kulturell-kognitiven Elementen handelt es sich laut Scott um jene institutionellen Erwartungsstrukturen, die unhinterfragt von den Akteuren übernommen werden. Des Weiteren verweisen die Autoren auf die Strukturationstheorie, die zwar den Prozess im Blick hat, jedoch die Empirie vernachlässigt (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 93). In einer Zusammenführung beider Theorien sehen die Autoren eine Chance der Weiterentwicklung. Auch hier ist eine Parallele zur Weiterentwicklung des Drei-Säulen-Modells durch Koch zu vermerken. Dabei geht es den 42
Wie ausführlich in den Arbeiten von Zucker sowie von Tolbert und Zucker dargelegt wurde, bieten diese beiden Grundlagentexte eine ausführliche Betrachtung zum Prozess der Institutionalisierung.
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Wissenschaftlern in erster Linie darum, einen Weg zu finden, beobachtbare Handlungsmuster in bestimmten Kontexten nachvollziehbar zu machen. Gleichzeitig versuchen sie, diese Handlungsmuster in Verbindung zu übergeordneten institutionellen Vorstellungen zu bringen. Von diesem Ansatz ausgehend, definieren Barley und Tolbert Institutionen wie folgt: „[...] we define institutions as shared rules and typification that identify categories of social actors and their appropriate activities or relationships (see also Burns and Flam 1987). This definition bears a, strong resemblance to Giddens’ (1984:377) notion of ’structure’ and Sewell’s (1992) idea of a ’schema’. Neither Giddens nor Sewell, however, emphasize the degree to which institutions vary in their normative power and their effect on behaviour.“ (Barley und Tolbert 1997, S. 96)
Der von Barley und Tolbert forcierte Ansatz gleicht jenen Annahmen, die vor allem in der ersten Phase der Theorieentwicklung (vgl. Greenwood et al. 2008) dominant waren. Handlungen erfolgen aufgrund kognitiver Vorlagen („templates“) oder Skripten („scripts“) – Akteure deuten entsprechend dieser Annahme Situationen und leiten aus ihnen routiniert ablaufende, z. T. schematische Handlungsweisen für ein „weitgehend unreflektiertes Entscheiden und Handeln gemäß einer Logik der Angemessenheit“ (Koch 2018, S. 121, Fn. 121) ab. Hier zeigt sich deutlich die Parallelität zu Konzepten der Strukturationstheorie. Übertragen auf neo-institutionalistische Theorien sind dies jene Handlungsanleitungen, die sozial vorstrukturiert sind (vgl. ebd.). Im Aufsatz von Tolbert und Zucker wird bereits darauf hingewiesen, dass nicht alle Praktiken und Handlungsweisen gleichermaßen institutionalisiert sind. Auch bei Skripten und Vorlagen gibt es jene, die stabiler, und jene, die aufgrund ihrer noch jungen Existenz bzw. ihres wenig objektivierten Status instabil sind (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 96). In weiterer Anlehnung an den Prozess der Institutionalisierung von Tolbert und Zucker sowie Giddens „Modell der Strukturation“ (vgl. Giddens 1984) haben Barley und Tolbert ein Modell entwickelt, das die Verbreitung bzw. die Weitergabe von institutionellen Erwartungshaltungen abbildet. Das Modell verdeutlicht, wie institutionelle Umwelten (Instituional Realms43 ) in aktive Handlungsprozesse überführt werden und somit zur Festigung bzw. Sedimentierung führen. Während die vertikalen Pfeile institutionelle Handlungsbeschränkungen darstellen, bilden die diagonalen Pfeile eine Aufrechterhaltung
43
“The institutional realm represents an existing framework of rules and typifications derived from a cumulative history of action and interaction.” (Barley und Tolbert 1997, S. 97).
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Abbildung 2.4 A sequential model of institutions (Burger 2013, s. 63 nach Barley und Tolbert 1997, S. 101)
oder veränderte institutionelle Erwartungen durch Handlungen ab. So stellt soziales Verhalten diachron Institutionen dar, während Institutionen das Handeln synchron einschränken (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 100). Ein besonders gutes und auch aktuelles Beispiel ist das Thema der Benotung aus Sicht der Eltern und Erziehungsberechtigten44 . (a) Der erste Pfeil symbolisiert, wie institutionelle Erwartungshaltungen in Skripten übersetzt werden (‚encoding‘). Barley und Tolbert (1997) erläutern ihren Begriff ‘Skript’ wie folgt: 44
Eltern und Erziehungsberechtigte spielen als Bildungspartner eine entscheidende Rolle für Schulen. Sie verfügen über ein gewisses Maß an Macht. Insbesondere im Bereich des Schultyps „Neue Mittelschule“, da sie mitentscheiden können, welchen Schultyp ihre Kinder nach der Grundschule (Volksschule) besuchen. Zwar sind auch die Noten maßgebend, in ländlichen Regionen, wie es in den Beispielschulen für diese Arbeit der Fall ist, spielt jedoch auch die Ortsnähe eine entscheidende Rolle und wird somit die Entscheidung über den Besuch der ortsnahen Schule nicht nur aufgrund der Noten der Schülerinnen und Schüler getroffen, sondern auch etwa auf Basis der Erfahrungen, Überzeugungen und normativen Vorstellungen, wie eine „gute Schule“ aussieht. Die formulierten Aussagen können auf Fokusgruppengespräche mit Eltern und Erziehungsberechtigten (n = 27) an sieben der elf Schulen im Rahmen der Begleitforschung der Modellregion Bildung Zillertal rückbezogen werden. Die Interviews wurden im Zeitraum März-Mai 2016 durchgeführt und inhaltsanalytisch (vgl. Mayring 2010) ausgewertet.
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“With regard to day-to-day interactions, it is useful to think of institutions as being enacted through ’scripts’ (Barley 1986). Although some analysts have treated scripts primarily as cognitive phenomena (Schank and Ableson 1977), we believe it is empirically more fruitful to view scripts as behavioral regularities instead of mental models or plans. From this perspective, scripts are observable, recurrent activities and patterns of interaction characteristic of a particular setting.” (S. 101)
Burger (2012) vergleicht die Skripten mit „‚Drehbüchern‘ einer Interaktion […], die in ähnlichen Situationen wiederholt angewendet werden.“ (S. 62). Ein Beispiel für ein Drehbuch in Verbindung mit Noten könnte etwa das Ausstellen eines Zeugnisses, in welchem die Schülerinnen- und Schülerleistung in Form von Ziffernnoten angeführt sind, sein. Die Lernenden bekommen von den Lehrenden für ihre erbrachten Leistungen Ziffernnoten.
(b) Der zweite Pfeil beschreibt den Prozess, wie Akteure die Skripten oder Drehbücher in konkrete Handlungen überführen („enacting“). Hierzu führen Barley und Tolbert aus: „Enacting a script may or may not entail conscious choice or an awareness of alternatives. If actors recognize that they are following a script, they will often offer a standard rationale for doing so […]. In many cases, however, enactment does not involve awareness or intentionality: actors simply behave according to their perception of the way things are.“ (1997, S. 102) Um bei dem zuerst beschriebenen Beispiel zu bleiben, geht es nun darum, Benotungsmodelle für Schüler/-innen und Schüler auf der Ebene des Unterrichts zu entwickeln.
(c) Der dritte Pfeil steht für den Akt, bei dem Akteure ihre konkreten Handlungen weitestgehend im Sinne des vorgegeben Skripts erfüllen, dies aber nicht zwangsläufig exakt so, wie im Skript vorgegeben, umsetzen müssen („revise or replicate“). An dieser Stelle kann es zu einer Weiterentwicklung oder Neuinterpretation von Skripten kommen. Dies ist zum einen wiederum abhängig von dem Status, in welchem sich die institutionelle Erwartung befindet; ist sie noch nicht sedimentiert, sind Veränderungen leichter möglich, ist sie es, wird es schwieriger. Zum anderen hängt die Neuinterpretation, so die Autoren, davon ab, ob es zu einem kontextuellen Wandel gekommen ist, da nur durch diesen überhaupt eine Infragestellung der Skripten ausgelöst werden kann.
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In dem gewählten Notenbeispiel können nun zwei Wege eingeschlagen werden. Die Lehrer/-innen finden in ihrer Notenpraxis Beurteilungswege, die nach ihrem Verständnis den übergeordneten Zweck der Leistungsrückmeldung (Rückmeldung an den Lernenden über seinen Lernprozess, Rückmeldung an den Lehrenden, inwieweit sein Unterricht die Lernziele bei den Schülerinnen und Schülern erreicht hat) erfüllen. Dies kann weiterhin in Form von Ziffernnoten erfolgen (1) oder sich zum Beispiel in variierter Form auch in einer Verbalbewertung der erbrachten Leistung niederschlagen (2). Dabei wird auf der Basis z. B. bereits existierender Modelle ein eigenes Modell über-/erarbeitet 45 oder das Modell übernommen.
(d) Der vierte Pfeil bringt zum Ausdruck, wie die Neuinterpretation bzw. das Fortbestehen des Skripts Auswirkungen auf die institutionellen Umwelten hat (‚objectification and externalization‘). Konkret wird beschrieben, wie die institutionellen Erwartungsstrukturen darauf respondieren – ob etwa dem neuen Skript Legitimation zugesprochen wird, es also auf Akzeptanz trifft – und somit weiterhin Ressourcen zur Verfügung stehen, oder ob eine Ablehnung erfolgt und somit keine Akzeptanz erzeugt wird. In dem schulischen Beispiel werden die Eltern am Ende des Jahres mit einem Zeugnis konfrontiert, in dem entweder Ziffernnoten stehen oder keine Ziffernnoten mehr zu finden sind, sondern Beschreibungen von Zielbildern. Während die Eltern und Erziehungsberechtigten im ersten Fall ihre Erwartungshaltungen erfüllt sehen, ist ihnen im zweiten Fall eine solche Form der Leistungsbeurteilung vollkommen fremd, da sie weder während ihrer eigenen schulischen Laufbahn noch in anderen gesellschaftlichen Kontexten derartige Bewertungen kennengelernt haben. Sie sind also irritiert. Diese Irritation könnte zwei mögliche Szenarien nach sich ziehen: Im ersten Fall verlangen sie die Wiedereinführung von Ziffernnoten, um ihren Erwartungen bzw. Vorstellungen, wie Zeugnisse auszusehen haben, gerecht zu werden, im zweiten akzeptieren sie die neuen Skripten (u. U. verlangen sie aber nach einer Erklärung). Sollte Fall eins eintreten, müssen sich die Lehrenden überlegen, wie sie nun die Skripten so fortschreiben, dass sowohl die von ihnen adressierten Ziele als auch die institutionellen Erwartungen seitens der Eltern in vereinbare Skripten gebracht werden.
Diesem Modell folgend, kann nun, um institutionellen Wandel nachvollziehen zu können, ein Vergleich von T und T + 1 (vgl. Abbildung 2.4) angestellt werden. Wie Wandel jedoch tatsächlich ausgelöst wird, kann auch durch dieses Modell
45
Mit den beiden Wörtern „erarbeiten“ oder „übernehmen“ wird den Ausführungen Tolberts und Barleys Rechnung getragen. In diesen Beschreibungen wird überdies die Akteursrolle sichtbar.
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nicht beantwortet werden. Das kritische Moment ist mit Punkt (c) angesprochen. Handelt es sich bei den weitergetragenen Skripten um bereits verfestigte, sedimentierte intentionelle Vorstellungen, werden diese Skripten unhinterfragt übernommen. Handelt es sich um neue Ansätze, kommt es, wie in dem Beispiel unter Punkt (d) angeführt, zu konfligierenden Situationen. Die Autoren verweisen daher auf zusätzliche Untersuchungen der Akteure im Moment des Wandels. „Information on actors’ interpretations is crucial for assessing whether they consciously consider alternative courses of action and the costs and benefits associated with such choices.” (Barley und Tolbert 1997, S. 105) Dennoch wird von den Autoren an dieser Stelle ausgeblendet, wie bereits etablierte intentionelle Erwartungshaltungen destabilisiert werden können. Sprich, welche endogenen oder exogenen Auslöser dazu beitragen, institutionellen Wandel zu veranlassen. Es bleibt die Annahme, dass an dieser Stelle entscheidende Machtsponsoren benötigt werden bzw. entsprechende Legitimationsquellen auftreten müssen, die die Lehrerinnen und Lehrer in ihren Weiterentwicklungen bestärken. Werden Eltern als entscheidende Machtquellen angesehen, können – zumindest im dargelegten Beispiel – neue Leistungsbeurteilungsformen unter Umständen nicht bestehen. Auch die Rolle der Akteure, die die Skripten über/-erarbeiten oder einfach nur übernehmen, wird nicht genauer beleuchtet. Eine Übersicht zu den dargestellten Ausführungen findet sich in Tabelle 2.6. Tabelle 2.6 Zusammenführung der vergleichenden Aspekte nach Barley und Tolbert (1997) Prozess der Zwar hilft das Modell von Tolbert und Barley, Wandel über die Institutionalisierung Weitergabe von Skripten sichtbar zu machen. Dennoch wird (Wandel) gerade bei etablierten institutionellen Vorstellungen und Erwartungshaltungen nicht nachvollziehbar erläutert oder erklärt, wie sich diese verändern können. Es wird lediglich auf „kulturelle Veränderungen“ verwiesen, die laut den Autoren nötig sind, damit ein Wandel von institutionellen Vorstellungen erfolgen kann – wie dieser jedoch entsteht, bleibt unbesprochen. Die adaptiven Veränderungen von institutionellen Vorstellungen, die durch immer wieder erfolgende Übersetzungsleistungen der Akteure zu Stande kommen, können über langfristige Zeiträume zu institutionellen Veränderungen führen. Aber auch hier bleibt eine Interpretation der Autoren aus, da sich die Ausführungen vermehrt auf die Art und Weise beziehen, wie eine solche Übersetzungsleistung methodisch zu erfassen sei (vgl. S. 102). (Fortsetzung)
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Tabelle 2.6 (Fortsetzung) Konzepte von Legitimation
Die Autoren führen an, dass das „Überleben“ von Institutionen davon abhängt, welche Akzeptanz sie bei einer breiten Masse haben. Je weniger „Unterstützer“ vorhanden sind, desto kurzlebiger sei eine Institution (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 96). Während sich im Strukturationsmodell von Giddens Legitimität und Macht noch deutlich abzeichnen, gehen diese auf dem Weg der Modellkonzeption von Tolbert und Barley verloren.
Zusammenhang zwischen Institutionen und Handlungen
Es besteht eine Verbindung der beiden Ebenen durch Skripten. Die Autoren entwickeln ein Modell, um die Zusammenführung der kulturellen und strukturellen Elemente nachvollziehbar und operationalisierbar zu machen – dies ist eine entscheidende Erweiterung für die neo-institutionalistischen Theorieströmungen.
Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren
Tolbert und Barley vertreten in ihrem Artikel indirekt ein breites Verständnis von Akteuren. Zum einen, indem sie beschrieben werden, dass „[t]hrough choice and action, individuals and organizations can deliberately modify, and even eliminate, institutions.” (Barley und Tolbert 1997, S. 94); zum anderen werden Akteure beschrieben als „actors, [who] simply behave according to their perception of the way things are”. (S. 102).
2.2.2.3 Institutionelle Umwelten als Idealvorstellungen, Diskurse und Techniken der Kontrolle Das Modell nach Scott und in weiterer Folge auch die Erweiterungen durch Koch lassen Institutionen auf Säulen „ruhen“. Dabei entsteht ein Modell, das nur wenige Hinweise liefert, wie Institutionen entstehen und wie sie sich wandeln (vgl. Nagel, Schulte und Hiß 2017). Einen möglichen Zugang, wie institutioneller Wandel vollzogen werden kann und welche Rollen hier Akteure spielen, lieferten Tolbert und Barley. Daran anschließend erfolgt eine weitere Präzisierung hinsichtlich des Prozesses der Objektivierung von Institutionen bzw. des institutionellen Wandels durch Maguire und Hardy (2009), Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000) (Zusammenfassung in Tabelle 2.7). Diese sehen Diskurse als grundlegende Entstehungsorte für Institutionen. „Institutionen entwickeln sich und bestehen in einem rekursiven und iterativen Prozess, der sich zwischen Handlungen, Texten, Diskursen und Institutionen abspielt.“ (Nagel, Schulte und Hiß 2017, S. 464) Phillips, Lawrence und Hardy (2004) definieren für sich den Prozess der Institutionalisierung wie folgt:
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„Institutionalization is the process by the structured collection of texts that exist in a particular field and that produce the social categories and norms that shape the understandings and behaviors of actors.“ (ebd., S. 638)
Damit betonen sie einen Aspekt, der bis dato in den Ausführungen dieser Arbeit nur teilweise berücksichtigt wurde – jenen der sprachlichen Weitergabe von Vorstellungen bzw. Ansichten und der Abbildung dieser Sprechakte. Die Autoren sprechen hier von „texts“46 , Hasselbladh und Kallinikos (2000, S. 704) werden in ihren Ausführungen konkreter: “Institutions are conceived as consisting of basic ideals that are developed into distinctive ways of defining and acting upon reality (i.e. discourses), supported by elaborate systems of measurement and documentation for controlling action outcomes. In this approach, institutionalization theoretically occurs at the intersection of abstract ideals (logics), discourses (systems of knowledge) and techniques for structuring practices.”
Hasselbladh und Kallinikos sehen Institutionen dieser Definition zufolge als grundlegende Ideale, die zu unterschiedlichen Umsetzungen und Realitäten führen. Diese Umsetzungen und Realitäten bilden für die Autoren z. B. Diskurse. Maguire und Hardy (2009, S. 150 ff. übersetzt v. L. J-R.) tragen einige Eigenschaften47 von Diskursen zusammen, die im Kontext von Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung relevant erscheinen: • Diskurse sind Sammlungen von miteinander verbundenen Inhalten (Parker 1992) • Diskurse schaffen es, Bedeutung und Wirkungen in der realen Welt entstehen zu lassen (Carabine 2001, S. 268) • Diskurse bieten eine Sprache, um über ein Thema zu sprechen, und schaffen ein bestimmtes Wissen über ein Thema (vgl. du Gay 1996, S. 43).
46
„Texts“ werden verstanden als „symbolic forms of representation (e.g., documents, books, media accounts, interviews and speeches, committee reports etc.), which are inscribed by being spoken, written or depicted in some way“ (Maguire und Hardy 2009, S. 8). Dadurch, dass sie materiellen Status erlangen, werden solche „texts“ nutzbar für andere und verbreiten sich. Diese Belege bzw. materialisierten Darstellungen von Diskursen sind zentraler Punkt dieser erweiterten Auseinandersetzung und präzisieren die Vorstellungen von Berger und Luckmann (2012 [1977]) bzw. von Tolbert und Zucker (1997) und deren Konzept der Objektivierung. 47 Die Übersetzung erfolgte durch die Autorin.
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
69
• Sie definieren, wer und was als ‚normal‘, ‚standard‘ und ‚akzeptabel‘ (Merilänn, Tienari, Thomas & Davies 2004, S. 544) angesehen wird bzw. was als geeigneter Weg zu denken, zu sprechen und zu handeln (vgl. Hall 2001) akzeptiert wird. • Diskurse prägen „die Strategien und Regeln, wie wir über ein Themengebiet sprechen und auf dieses reagieren können, sodass bestimmte Möglichkeiten und Ergebnisse eher als andere angewendet werden“ (Reed 1998, S. 96). • Diskurse erzeugen „Macht-/Wissensbeziehungen, die sprachlich kommuniziert, historisch lokalisiert und in die soziale Praxis eingebettet sind“ (Heracleous & Barratt 2001, S. 757) • Diskurse konstituieren Realität eher, als dass sie sie beschreiben (Phillips et al. 2004, S. 636). Damit Diskurse wirkmächtig werden, so führen Hasselbladh and Kallinikos in ihrer Definition weiter aus, müssen sie durch ausgefeilte Mess- und Dokumentationssysteme zur Kontrolle der Handlungsergebnisse unterstützt werden. Hier findet sich eine Anschlussmöglichkeit zu den regulativen Elementen bei Scott wieder. Phillips et al. (2004) ergänzen, dass vor allem Diskurse, die kohärent und strukturiert sind, das Potential haben, zu einer Wiederholung und Selbstverständlichkeit zu werden (vgl. ebd. S. 644). Ebenfalls bestärkend wirken Mechanismen, die die Diskurse eng in die soziale Realität anbinden und somit Plausibilität schaffen (vgl. ebd.).
Abbildung 2.5 Formen der Objektivierung (Hasselbladh & Kallinikos 2000)
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Maguire und Hardy (2009) erörtern in ihrem Beitrag zudem zwei Schlüsselmechanismen, die institutionalisierte Praktiken verstärken. Zum einen hängt die Dynamik von der Position der Diskursführenden48 ab, welche bürokratischen Positionen diese einnehmen, wie sie sozial konstruiert49 sind und welche legitimierten Identitätskategorien ihnen zugesprochen werden – in diesem Zusammenhang beruft sich das Autorenpaar auf Bourdieu (1990) und Foucault (1979). Dabei wird zu bestimmten Zeiten nur eine begrenzte Anzahl von solchen Diskursführerschaften als sinnvoll, legitim und mächtig verstanden (vgl. Maguire, Hardy & Lawarence 2004). Die Positionen der Diskursführenden können sich innerhalb des Feldes über die Zeit ändern, indem sie neu verhandelt werden (vgl. Maguire & Hardy 2009, S. 150 nach Oakes et al. 1998, S. 260). Durch die Berücksichtigung dieser „techniques of control“ (vgl. Abbildung 2.5) gelingt es den Autoren, auch die Dimension „Macht“ mit in die Konzeptualisierung der institutionellen Umwelten einfließen zu lassen. Zum anderen betrachten die Autoren das vorhandene Wissen („body of knowledge“) als Schlüsselmechanismus. Ausgehend von bereits bestehendem Wissen bauen sich neue Wissensstrukturen auf, die sich an normative Vorstellungen anschließen und so Ideen erzeugen, die akzeptables und inakzeptables Verhalten beschreiben (ebd. S. 156). In ihrer Rekonstruktion, wie De-Institutionalisierungsprozesse ablaufen, orientieren sich Maguire und Hardy wiederum an den drei Säulen nach Scott (vgl. 2001) und zeichnen die schrittweise Auflösung und Neuformierung institutioneller Prozesse nach. Dieser Prozess läuft, den Autoren zufolge, immer nach dem gleichen Schema ab – zunächst kommt es zu einer Normalisierung der Problematisierung und im Anschluss daran zu einem Wandel in der Argumentationsführung und einer neuen Darstellung des besagten Sachverhalts. Die unterschiedlichen Phasen verlaufen wie nachfolgend beschrieben:
48
Die Autoren verwenden an dieser Stelle das Wort ‚subject position‘ mit Verweis auf Oakes, Townley und Cooper (1998). Das ist ein Terminus, der eigentlich auf Foucault (1980) zurückgeht, indes gründen die Ausführungen der Autoren jedoch auf den Arbeiten von Bourdieu (1990) und dessen Verständnis von Wissen und Macht. Da in dieser Arbeit der Fokus nicht auf diskursanalytischen Theorien liegt, erübrigen sich weitere Ausführungen diesbezüglich. 49 Unter anderem werden im Text besondere Professionen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als „autorisiert“ betrachtet (vgl. Maguire und Hardy 2009, S. 156 f.).
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
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(1) Aufbrechen der Idee und Vorstellung im Bereich der kulturell-kognitiven Säule, ausgelöst durch bestimmte Dokumente von autorisierten Autoren (z. B. Wissenschaftler/-innen, Vertreter/-innen der Profession) a. Normalisierung der Problemdarstellung b. Neudarstellung des Sachverhalts (2) Im Bereich der normativen Säule lösen die neuen Vorstellungen und Überzeugungen eine öffentliche Debatte aus. Die bis dato als angemessen befundene und befürwortete Sichtweise wird zunehmend hinterfragt und destabilisiert. Medien greifen das Thema auf und moralische Infragestellungen werden lauter. a. Normalisierung der Problemdarstellung b. Neudarstellung des Sachverhalts (3) Die regulative Säule wird „aktiv“. Neue Gesetze werden erlassen, die vormalige rechtliche Räume einschränken bzw. neu aufsetzen. Ein solcher Prozess vollzieht sich nicht ohne Widerstand und so wurden in allen Phasen Versuche unternommen, den voranschreitenden institutionellen Wandel zu determinieren – im Falle des von Maguire und Hardy angeführten Beispiels des Giftstoffes DDT jedoch erfolglos. Überträgt man diese Weiterführung der theoretischen Ausführungen zu institutionellen Umwelten nun wiederum auf die konkrete Situation schulischer Umwelten, so lässt sich dies besonders gut am Beispiel bestimmter neu eingebrachter Diskurse im Zusammenhang mit der Reform, die eingangs benannt wurde – der Neuen Mittelschul-Reform in Österreich – darstellen. Mit der Einführung der Neuen Mittelschule in Österreich wurde ein neues Lernund Lehrkonzept für diesen Schultyp entwickelt. Kernthemen dieser neuen Lern- und Lehrkulturen waren Begriffe wie „flexible Differenzierung“, „authentische Aufgabenkultur“, „kriteriale Leistungsbeurteilung“. Hinter diesen Begriffen standen neue theoretische Konzepte, die mit Hilfe forschungsgeleiteter Praxis und übermittelt durch das Zentrum für lernende Schulen50 , dem die Verantwortung für die bundesweite 50
Das Zentrum für lernende Schulen (ZLS), seit Schuljahr 2019/20 National Competence Center für lernende Schulen ist ein Bundeszentrum. Bundeszentren sind an Pädagogischen Hochschulen angesiedelt. Im Fall des ZLS war das Zentrum sowohl an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich als auch an der Universität Innsbruck angesiedelt. Ein Bundeszentrum charakterisiert sich in der Regel durch ein national-weites Agieren. Im Gegensatz zu den bundesland-weiten Fort- und Weiterbildungen, für die sich die Pädagogischen Hochschulen verantwortlich zeichnen, obliegt einem Bundeszentrum die Begleitung bestimmter Reformvorhaben auf nationaler Ebene. Das Bundeszentrum für Lernende Schulen wurde
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Begleitung der Neuen Mittelschulen übertragen wurde, vorgebracht. In bundesweiten sogenannten Lernateliers mit jeweils zwei Vertreterinnen und Vertretern eines jeden Standortes wurden diese neuen Themen bearbeitet. Somit wurden zentrale Begrifflichkeiten national eingeführt und mit theoretischen Konzepten unterfüttert. Auch das Professionalisierungskonzept der Modellregion51 baut auf diesem theoretischen Konzept auf. Die Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen führten begonnene Diskurse des Zentrums nun in der Modellregion fort und vertieften diese sowie führten die zugrunde liegenden Konzepte weiter aus. Ein Resultat – so die Aussage eines Schulleiters52 – ist nun, dass er einen merklichen Anstieg von Fachgesprächen in seinem Kollegium verzeichnet und sogar Begrifflichkeiten wie „flexible Differenzierung“ nun zum aktiven Wortschatz seiner Lehrerinnen und Lehrer gehören. Institutionelle Vorstellungen, wie mit Schülerinnen und Schülern in einer heterogenen Zusammensetzung umgegangen werden kann, veränderten sich so innerhalb weniger Jahre: weg von segregierenden Ansätzen wie dem Bilden von Leistungsgruppen hin zu einem binnendifferenzierten Zugang über flexible Differenzierung. An vielen Schulen konnten dadurch erste De-Institutionalisierungsprozesse beobachtet werden. Dabei wurden bestimmte gängige Lehrpraktiken hinterfragt und normative Ansichten wandelten sich. Eine Änderung der regulativen Dimension wurde zwar mit Einführung der Neuen Mittelschule zunächst vollzogen, jedoch durch das Ende der Legislaturperiode und dem damit verbundenen parteipolitischen Wechsel zu entscheidenden Teilen wieder aufgehoben. Ob und wie sich nun eine weitere De-Institutionalisierung fortführen lässt, kann momentan nicht abgeschätzt werden.
2012 gegründet und mit der Entwicklungsbegleitung des neuen Schultyps „Neue Mittelschule“ beauftragt. 51 Diese Fort- und Weiterbildungsschiene erfolgte unter dem Titel „Kompetenzwerkstatt“. Sieben der elf Schulleiter/-innen, die für diese Arbeit interviewt werden, sind Teil der Modellregion. 52 Die Aussage des Schulleiters, auf die hier Bezug genommen wird, entstand im Zuge einer Gruppendiskussion am 24.10.2018. Ziel dieser Gruppendiskussion war es herauszufinden, wie die Schulleiterinnen und Schulleiter die verpflichtende schulübergreifende Fort- und Weiterbildung ihrer Kollegien im Kontext von Schulentwicklungsvorhaben an ihren Standorten wahrgenommen haben und ob und wenn ja, wie sich Veränderungen auf der Unterrichtsebene abgezeichnet haben. Neben der Gruppendiskussion wurden an allen Standorten Hospitationsstudien auf Ebene des Unterrichts durchgeführt, um zu erheben, inwieweit die neuen pädagogischen Konzepte umgesetzt wurden.
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
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Tabelle 2.7 Zusammenführung der Arbeiten von Maguire und Hardy (2009); Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000) Prozess der Hier liegt der Schwerpunkt dieser Ausführungen – indem die Institutionalisierung Autoren den Prozess der Objektivierung in den Mittelpunkt (Wandel) stellen und unter Zuhilfenahme des Konzepts der Diskurse Aushandlungs- und somit auch Wandlungsprozesse erklärbar machen, klären sie eine bis dato offen gebliebene Frage. Durch die explizite Beschreibung von De-Institutionalisierung, dargelegt mit Hilfe des Drei-Säulen-Modells nach Scott (2008), gelingt es den Autoren, ihr Modell so zu konzipieren, dass es eine Erweiterung bisheriger theoretischer Ausführungen darstellt. Zentrale Instrumente der Diskurse sind „schriftliche Erzeugnisse“, mit Hilfe derer „neue Sichtweisen“ generiert werden können. Maguire und Hardy beschäftigen sich in ihrem Beitrag vor allem mit Wandel, der durch externe Auslöser hervorgerufen wird – sie bemühen hierbei wieder die Feldstruktur, die von DiMaggio und Powell bemüht wurde, um zwischen intern und extern zu unterscheiden. Konzepte der Legitimität
Durch die Verknüpfung des Neo-Institutionalismus mit Ansätzen der Diskursforschung (vgl. Foucault 1980) bzw. Praxistheorie (vgl. Bourdieu 1990) werden Konzepte von „Macht“ und „Wissen“ explizit adressiert. Dabei geht es vor allem darum, wer Diskurse einbringt und diese führt (d. h. als legitim erachtet wird) und an welches vorhandene Wissen weiter angeknüpft wird.
Zusammenhang zwischen Institutionen und Handlungen
Das verbindende Element zwischen Handlungen und institutionellen Vorstellungen bilden in diesem Ansatz Diskurse – diese beschreiben, wie bestimmte Vorstellungen in der Realität umgesetzt werden sollen. Diskurse bilden dabei ein dynamisches Moment. Sie sind nicht fix, sondern werden immer wieder durch Akteure neu verhandelt.
Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren
Gerade Magurie und Hardy gehen von einem starken Akteursverständnis aus (vgl. Maguire & Hardy 2009, S. 171). Diesen Ausführungen schließen sich auch Phillips et al. an. Ebenso stimmen Hasselbladh und Kallinikos in diese Ansicht mit ein. Da sich alle drei Autorengruppen mit Momenten der Objektivierung beschäftigen, vertreten sie dadurch ein aktives und gestalterisches Verständnis von Akteuren. Akteure übernehmen in der Regel Agentenschaften für diese Aufgaben. Während Hasselbladh und Kallinikos noch von Rollen sprechen (vgl. 2000 S. 714), benennen Phillips et al. diese Agentenschaft dezidiert als „Insitutional Entrepreneurs“ (vgl. 2004, S. 647 ff.), ein Konzept, das auch von Garud, Maguire und Hardy (2007) weitergeführt wurde (vgl. Abschnitt 2.4.1).
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Zusammenfassung, Rückschlüsse für die vorliegende Arbeit und Vorschau Der Abschnitt 2.2 zielte darauf ab, eine Klärung herbeizuführen, was unter Institutionen bzw. institutionellen Umwelten verstanden werden kann. Die Aufarbeitung der unterschiedlichen Zugänge führte zunächst einmal dazu, eine Übersicht zu erhalten, welches Verständnis zu Institutionen überhaupt hinter den einzelnen Theoriesträngen zum Neo-Institutionalismus steht. Damit trägt diese Aufarbeitung zu einem besseren allgemeinen Verständnis dessen bei, wie und durch wen Institutionen entstehen bzw. weitergegeben werden. Durch die ausgewählten Konzepte konnten überdies weitere zentrale Bausteine des NeoInstitutionalismus noch einmal in einer vertieften Weise betrachtet werden. Im Folgenden werden die Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst, für die vorliegende Arbeit relevante Aspekte benannt und relevante Punkte zur weiteren Vertiefung herausgearbeitet. (a) Institutionen bzw. institutionelle Umwelten Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unterschiedliche Zugänge zum Institutionenverständnis existieren. Es kann außerdem festgehalten werden, dass Institutionen vielfach etwas Flüchtiges sind, das durch Handlungen zum Ausdruck gebracht wird. Allen Verständnissen zugrunde liegt, dass Institutionen durch kulturellkognitive Verständnisse geprägt sind. Bei Scott (2008) bzw. Koch (2018) kommt es zu einer weiteren Ausdifferenzierung, indem zwischen eher normativgeprägten und eher regulativ-geprägten Institutionen unterschieden wird. Um diesen Ausprägungen eine Form zu verleihen, sprechen die beiden Autoren davon, dass Institutionen aus Säulen bzw. Dimensionen bestehen. Koch erweitert dabei die Säulen von Scott um die sozio-strukturelle Dimension. Damit verbindet Koch die beiden Rahmungen, die in den Konzepten zu institutionellen Umwelten vorherrschen, nämlich jene der kulturellen und strukturellen Rahmung (vgl. Koch 2018, S. 163). Für Barley und Tolbert (1997) zeigen sich Institutionen bzw. institutionelle Vorstellungen in Form von sozialen Kategorien und Skripten. Sie betonen in ihren Ausführungen vor allem die strukturierende Rahmung innerhalb von institutionellen Umwelten. Maguire und Hardy (2009), Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000) legen ihren Arbeiten ein Verständnis zugrunde, das Institutionen als vorherrschende Logiken bzw. als Diskurse betrachtet. Dabei fehlt in diesem Konzept allerdings eine Ausdifferenzierung, worin sich die Logiken unterscheiden. Die Autoren betonen in ihren Arbeiten vor allem die Weitergabe von Institutionen. Ihr Verständnis kann jedoch als Ergänzung bzw. Vorstufe zu dem Verständnis von Scott und Koch betrachtet werden, da sie sich
2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten
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mit der Entstehung und – wie zuvor beschrieben – dem Wandel von Institutionen auseinandersetzen, während das Modell von Scott bzw. Koch bereits existierende Institutionen beschreibt. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem Institutionenverständnis nach Scott und dessen Erweiterung durch Koch. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich institutionelle Umwelten von Schulen bzw. Akteursgruppen, die unterschiedlichen Institutionen angehören, beschreiben und in der übergeordneten Fragestellung, nämlich welchen Einfluss eine Orientierung an diesen Akteursgruppen für die Umsetzung der NMS-Reform an den Schulstandorten hat, diskutieren. (b) Prozess der Institutionalisierung (Wandel) Institutionen sind nicht als starres Konstrukt zu verstehen, sondern als sich weiterentwickelnde bzw. verändernde Logiken. Scott brachte im Zuge seiner Arbeiten noch die Weitergabe von institutionellen Vorstellungen in Form von Carrier-Mechanismen mit in die Diskussion. Wie eine solche Veränderung herbeigeführt werden kann bzw. was Auslöser für sich wandelnde institutionelle Vorstellungen sein kann, wurde in den dargestellten Arbeiten nur zum Teil aufgegriffen. Daher erfolgt für diesen Aspekt eine weiterreichende Auseinandersetzung in Abschnitt 3.1. Gerade in Anbetracht der Fragestellung dieser Arbeit, wie Organisationen auf Veränderungen reagieren, die durch einen exogenen Auslöser (NMS-Reform) initiiert wurden, braucht es ein Konzept, dass Wandel umfassender begreift als die bereits diskutierten Arbeiten. (c) Konzepte der Legitimität Scott greift in seinen Ausführungen auf das Legitimitätsverständnis von Suchmann (1995) zurück. In dessen Verständnis erfolgt eine Aufhebung der Gleichsetzung von Legitimität und institutionellen Vorgaben. Das bedeutet, dass Organisationen nicht mehr nur dann als legitim erachtet werden, wenn sie unhinterfragt die institutionellen Vorstellungen für sich übernehmen, sondern legitim ist, so Suchmanns Auslegung, was durch soziale Akteure als legitim erachtet wird. Dieses Verständnis unterstreicht auch Koch. Damit manifestiert sich ein Verständnis, das besagt, „organisationale Inkorporation gesellschaftlicher Erwartungen und Entwürfe [kann] dann Legitimität erzeugen, muss dies aber nicht zwangsläufig.“ (Koch 2018, S. 175). Offen bleibt auch in diesem Ansatz noch, inwieweit Organisationen die Möglichkeit haben, zu bestimmen, wer ihnen Legitimität zuspricht bzw. abspricht. Daher soll vor diesem Hintergrund das Verständnis von Legitimität und institutionellen Umwelten in Abschnitt 2.4 noch einmal vertieft im Zusammenhang mit unterschiedlichen Formen von Anspruchsgruppen diskutiert werden.
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
(d) Zusammenhang zwischen Institutionen und Handlungen Eine der offenen Fragen, die unter anderem dazu geführt hat, sich noch einmal vertiefend mit weiteren Arbeiten, in denen der Institutionenbegriff behandelt wird, auseinanderzusetzen, war jene, wie sich der Zusammenhang zwischen Institutionen bzw. institutionellen Vorstellungen und abgeleiteten Handlungen erklären lässt. Dabei lieferten vor allem Barley und Tolbert mit ihrem Ansatz der Skripten, die bestimmte Handlungsroutinen beschreibbar machen, einen nachvollziehbaren Ansatz. Eine noch offene Frage ist in diesem Zusammenhang, wie handlungsfähig organisationale Akteure überhaupt sind. Die aufbereiteten Arbeiten zeigen, dass sich der Begriff der passiven Organisation, die institutionelle Vorstellungen inkorporiert übernimmt, gewandelt hat. Jedoch bedarf es zusätzlich eines erweiterten Verständnisses, wie organisationale Akteure im Verhältnis zu institutionellen Umwelten darstellen werden können. Dem Rechnung tragend folgt in Abschnitt 2.3 eine solche Vertiefung. (e) Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren Anschließend an die vorhergehenden Anmerkungen zeigt sich in den diskutierten Arbeiten, dass das Akteursverständnis nicht mehr als rein passives beschrieben wird. Insbesondere Maguire & Hardy (2004) entwickeln mit ihrem Ansatz des „Institutional Entrepreneur“ ein Verständnis, das Akteure nicht nur als aktiv, sondern sogar als vorgebende Instanz beschreibt. Dadurch erfolgt eine vollkommene Umkehr des ursprünglichen Verständnisses von Institutionen und Akteuren. Eine Frage, die trotz intensiver Auseinandersetzung nach wie vor unbeantwortet bleibt, ist jene nach der Übernahme von bestimmten institutionellen Vorstellungen, sprich, wann und wie werden Akteure zu Vertreter/-innen bestimmter institutioneller Logiken. In den Arbeiten wurde bereits das Konzept der Agency angesprochen, dieses soll jedoch noch vertieft in Abschnitt 2.4 behandelt werden, um eine weiterführende Klärung zu bieten.
2.3
Schule als Organisation im neo-institutionalistischen Verständnis
„Im Neo-Institutionalismus werden Organisationen mit Blick auf ihre gesellschaftliche Einbettung als institutionalisierte Organisationen angesprochen.“ (Koch 2018, S. 143; Herv. i. O.)
2.3 Schule als Organisation …
77
Um Schulen im Verständnis des Neo-Institutionalismus beschreiben zu können, bedarf es zunächst einer Klärung, wie Organisationen allgemein in diesen Theorieströmungen aufgefasst werden. Damit findet man sich sogleich mit einer Grundproblematik der Organisationsforschung konfrontiert – denn eine Definition von der Organisation gibt es nicht (vgl. Miebach 2007, S. 15). Dennoch braucht es eine Annäherung an den Organisationsbegriff aus neoinstitutionalistischer Sicht, um in weiterer Folge diesen Begriff im Diskurs um pädagogische Organisationen, konkret Schulen, verwenden und diskutieren zu können. Einführend bietet Scott eine Definition von Organisation. Demnach sind Organisationen „soziale Strukturen, geschaffen von einzelnen in der Absicht, gemeinsam mit anderen bestimmte Ziele zu verfolgen. Nach diesem Verständnis ergibt sich für alle Organisationen eine Reihe von gleichgelagerten Problemen. Alle müssen ihre Ziele definieren (und umdefinieren); alle müssen ihre jeweils Beteiligten dazu bringen, gewisse Dienste zu leisten; alle müssen diese Dienste kontrollieren und koordinieren; Geldmittel und Ressourcen müssen beschafft und Produkte oder Dienstleistungen verteilt werden; Mitglieder müssen ausgewählt, geschult und ersetzt werden.“ (Scott 1986, S. 31)
In dieser Beschreibung von Organisationen wird vor allem eine innerorganisationale Perspektive eingenommen und noch kein differenziertes Verständnis geboten, wie Organisationen im Wechselspiel mit ihrer Umwelt zu definieren sind. „Vor allem staatliche Vorgaben und organisationsübergreifende professionelle Standards“ (Mense-Petermann 2006, S. 64) liefern Organisationen Hinweise, wie Dinge zu bewerkstelligen sind – daher bedarf es eines Miteinbeziehens dieser externen Dimension in die Definition. In der modernen Gesellschaft weiten sich diese Anspruchsgruppen für Organisationen immer mehr aus. Deshalb sehen sich moderne Organisationen mit deutlich vielschichtigeren und komplexeren Mustern rationalisierter und institutionalisierter Umwelten konfrontiert. Daraus lässt sich schließen, dass Organisationen einem erheblichen Druck unterliegen. Wie gelingt also ein Organisationsverständnis, das einer solchen Komplexität gerecht wird und Organisationen in ihrem Verhältnis zu ihren institutionellen Umwelten fassbar macht? Für eine erste Verortung unterscheidet Schreyögg (2008) zunächst zwischen zwei grundsätzlichen Zugängen: entweder a) etwas hat eine Organisation (instrumentelles Organisationsverständnis) oder b) etwas ist eine Organisation (institutionelles Organisationsverständnis) (vgl. Bormann 2002, S. 26).
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Schule und Schulleitung auf den Spuren …
Tabelle 2.8 Instrumentelles versus institutionelles Organisationsverständnis (nach Bormann 2002, S. 26 und Schreyögg 2008, S. 4 ff.) instrumentelles Organisationsverständnis
institutionelles Organisationsverständnis
Verständnis von Organisation
etwas hat eine Organisation; geschlossenes, rationales System
etwas ist eine Organisation; natürliches, umweltoffenes System
Zielperspektive
rationaler Entwurf von Organisationsstrukturen mit dem Ziel der Optimierung der Abläufe
Verständnis für Prozesshaftigkeit und Wandel; Wandel und Lernen als Normalfall
Fokus
Aufbauorganisation; Strukturorganisation
Ablauf- und Aufbauorganisation und ihre Interdependenzen; Prozessorientierung
Steuerungsperspektive
Gestaltbarkeit der Organisation
Problem der Gestaltbarkeit der Organisation
Tabelle 2.8 stellt die beiden Organisationsverständnisse nach Schreyögg gegenüber und beschreibt sie in ihren Unterschieden. Ein instrumentelles Organisationsverständnis geht von Organisationen als „zeitlich überdauernde, fest gefügte, räumliche Gebilde“ (ebd.) aus. Organisationsstrukturen lassen sich zum Ziel der Optimierung rational steuern. Organisationsmitglieder passen sich weitestgehend an die Strukturen an (vgl. ebd., S. 27). Dem gegenüber steht ein institutionelles Organisationsverständnis, das einen „dynamische[n], prozessorientierte[n] nach innen gerichtete[n] Fokus auf Organisation [richtet]“ (ebd.). Im Gegensatz zu einem instrumentellen Organisationsverständnis können Handlungen in einem institutionellen Organisationsverständnis zwar geplant, jedoch durch unvorhersehbare (institutionelle) Einflüsse auch irritiert werden: „Organisationen werden in dieser Perspektive als Systeme aufgefasst, die sich per se im Wandel befinden. Dieser Ansicht nach sind sie in der Lage, ihre aufbau- und ablauforganisatorischen Erfordernisse entsprechend den eigenen Anforderungen und denen der Umwelt zu gestalten, um subjektiv – d.h., ins Innere der Organisation gerichtet bzw. akteursorientiert-plausibel zu sein.“ (ebd.)
Orientiert man sich an den unterschiedlichen Bezeichnungen, so müsste ein Organisationsverständnis im neo-institutionalistischen Sinne eindeutig jenem der zweiten Kategorie – also der des institutionellen Verständnisses – zugerechnet
2.3 Schule als Organisation …
79
werden. Dennoch bereitet eine solche klare Zuteilung gemäß der beschriebenen Kriterien Schwierigkeiten. Dies liegt in erster Linie daran, dass sich die neo-institutionalistischen Theoriezugänge aus der Bürokratietheorie nach Weber entwickelt haben (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 15). Diese basiert auf einer technisch-funktionalistischen Interpretation von Organisationen: Organisationen als Mittel, um ein oder mehrere vorgegebene Ziele in technisch effizienter Weise zu erreichen: „Bürokratie bedeutet nach Max Weber (1972) eine Form der legalen Herrschaft, die auf dem Glauben an die Legitimität gesetzter Ordnung und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft berufenen Amtsträger beruht.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 15)
In der Theorie Webers lassen sich organisationale Strukturen als hierarchiegeleitet beschreiben und Organisationsmitglieder, von ihm als Beamte beschrieben, dadurch charakterisieren, dass sie ‚formalen Gehorsam‘ leisten und „den Inhalt des Befehls um dessen selbst willen zur Maxime [eines] ihres Verhaltens gemacht haben.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 16, nach Weber 1972, S. 123). Gekennzeichnet durch vermeintliche „Professionalität, Objektivität und Abkehr von der Willkür der Herrschenden […]“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 16), prägt dieses Verständnis noch heute die Vorstellung eines Rechtsstaates (vgl. ebd.). Es kann somit eine technisch-funktionale Interpretation konstatiert werden, die im o. g. Sinn eine instrumentelle Lesart von Organisationen nach sich zieht. Es erscheint an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass dieses Verständnis gerade in Behörden noch immer auf breite Zustimmung trifft bzw. dem eigenen Organisationsverständnis zu entsprechen scheint, insbesondere in nachgeordneten Behörden (vgl. Brüsemeister und Newiadomsky 2008). Schulen sind nachgeordnete Behörden – allerdings der besonderen Art, dazu in weiterer Folge mehr. Die Theoriestränge des Neo-Institutionalismus gehen zwar über das Konzept von Weber hinaus, weil sich die moderne Organisation nicht mehr angemessen nach Webers Idealtyp beschreiben lässt (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 16), dennoch gibt es auch im Neo-Institutionalismus Lesarten, die Organisationen als rationale Akteure53 beschreiben. Allgemein gilt im Neo-Institutionalismus: Organisationen sind eng mit ihrer Umgebung verbunden und dadurch nicht nur 53
Wenn man Organisationen als lose gekoppelte Systeme begreift, dann werden Akteure/ Organisationen sehr wohl als rational-handelnd beschrieben. Sie verfügen nach innen über großen Handlungsspielraum und folgen nur nach außen institutionellen Vorgaben. Koch (2018) verweist darauf in einer Tabelle (siehe Tab. 2.2).
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rationalen Umwelten, sondern auch kulturellen Umwelten ausgesetzt – dieser Aspekt fehlt in Webers Theorie. In diesem Sinne folgt der Neo-Institutionalismus dem institutionellen Organisationsverständnis als eines, das umweltoffen ist. „Der NI gehört daher zu den sogenannten ‚open system‘-Ansätzen, weil er nicht die Organisation als autonome Einheit, mit ihren internen Strukturen und Prozessen ins Zentrum der Betrachtung stellt, sondern das Verhältnis von Organisationen und Umwelt.“ (Mense-Petermann 2006, S. 63)
Dennoch kann zweitens moniert werden, dass Schreyögg (2008) bzw. Bormann (2002) zufolge der Fokus beim institutionellen Verständnis von Organisationen auf Prozessen und dem Inneren von Organisationen (vgl. S. 27) liegt – auch das ist keine klare Perspektive, die der Neo-Institutionalismus einnimmt, betrachtet er doch das (wechselseitige) Verhältnis von Umwelt (Institution) und Organisation: „[...] es geht dabei nicht nur um die Verfasstheit der Organisation ‚als solche‘, sondern auch um die Art und Weise, wie die Organisation seitens der Umwelt beeinflusst wird (Organisation als Produkt) und wie sie umgekehrt diese Umwelt mitgestaltet (Organisation als Produzent).“ (Koch 2018, S. 141)
Schlussfolgernd gelingt eine Annährung über den Zugang von Schreyögg, jedoch noch keine zufriedenstellende Beschreibung von Organisationen. Es kann von einem institutionellen Organisationsbegriff ausgegangen werden, allerdings herrschen noch zu viele Uneindeutigkeiten. Es verlangt daher nach einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Organisationsbegriff im Neo-Institutionalismus.
2.3.1
Organisationen im wechselseitigen Organisationen-Umwelt-Verhältnis
Koch (2018) merkt gleich zu Beginn seiner Ausführungen an, dass „einer Präzisierung dessen, was eine Organisation ausmacht, weit weniger Aufmerksamkeit [im Neo-Institutionalismus] geschenkt wird [als etwa in anderen Organisationstheorien].“ (S. 141). Neben Koch (2018) haben sich im deutschsprachigen Raum auch Mense-Petermann (2006) und Meier (2009) eingehend54 mit dem Organisationsbegriff im Neo-Institutionalismus beschäftigt. 54
„Eingehend“ meint hier „über eine Einführung hinausgehend“. Miebach (2007) und Walgenbach und Meyer (2008) heben in ihren Ausführungen zum Organisationbegriff insbesondere die Beziehung zwischen Institution und Organisation hervor, weniger einen expliziten Organisationsbegriff.
2.3 Schule als Organisation …
81
So stellt etwa Koch (2018) die Frage: „Was ist gemeint, wenn eine Organisation als institutionalisierte Organisation bezeichnet wird?“ (S. 142). Wie auch Mense-Petermann (2006, S. 64) rekurriert Koch auf Türk (1997, S. 132 ff.) und dessen Unterteilung in eine konstitutionstheoretische und eine kontingenztheoretische Sicht auf Organisationen. Allerdings erweitern Koch wie auch MensePetermann die Ausführungen von Türk, da jener, so Koch, „lediglich auf der Grundlage eines einzigen (Schlüssel-)Aufsatzes [zum Neo-Institutionalismus]“ (Koch 2008, S. 144) seine Organisationsbestimmung für diese Theorieströmung eingeführt hat und neuere Entwicklungen (nach 1990) nicht berücksichtigte. Auch Mense-Petermann teilt inhaltlich die Kritik Kochs, indem sie anmerkt, dass „die Aufgabe, den Organisationsbegriff des NI vorzustellen, […] nicht auf eine[r] systematische[n] Darstellung der neo-institutionalistischen Autoren selbst aufbauen [kann], sondern auf eigene Rekonstruktionsarbeit angewiesen [ist].“ (Mense-Petermann 2006, S. 65). Letztlich formulieren beide Autoren damit die Wichtigkeit, sich auch innerhalb des Neo-Institutionalismus mit einem eigenen Organisationsbegriff zu beschäftigten. Während Organisationen im Sinne eines konstitutionstheoretischen Ansatzes als organisationale Akteure, die gezielt spezifische Umwelterwartungen aufnehmen, zu verstehen sind, werden nach einem konstitutionstheoretischen Verständnis Organisationen als „Konstruktionsergebnis und Verkörperung gesellschaftlicher Vorstellungswelten betrachtet“ (ebd., S. 142). Mense-Petermann (2006, S. 65) schlägt vor, den Organisationen-Begriff für den Neo-Institutionalismus von drei unterschiedlichen Blickwinkeln aus zu betrachten (Organisation als Bausatz aus institutionellen Elementen; Organisation als Reifikation ihrer institutionellen Umwelt und Organisation als Institution). Koch (2018, S. 143) differenziert diese drei Blickrichtungen nochmals: Alle drei Zugänge versuchen in ihren Definitionen des Organisationsbegriffs die Beziehung der Organisation zu ihrer Umwelt zu fassen und insbesondere „die produktive Verarbeitung kultureller Einflussfaktoren“ (Koch 2018, S. 142) innerhalb der Organisation zu beschreiben.
2.3.1.1 Kontingenztheoretische Sicht auf Organisationen Die kontingenztheoretische Sicht55 auf Organisationen geht hauptsächlich auf die Ausführungen von Meyer und Rowan in ihrem 1977 erschienenen Aufsatz „Institutionalized organizations: Formal structures as myths and ceremony“ zurück. Organisationen machen sich, nach diesem Verständnis, institutionelle Muster zu eigen, um eine bestmögliche Anpassung an die Ansprüche, die die Umwelt an 55
Vgl. Hinweise in Abschnitt 2.1.
Organisation als Regelverarbeitung
normativ
objektivistisches Verständnis: Organisation ist rationaler Akteur
Organisation als Baukasten aus institutionellen Elementen
Fokus der Analyse
Paradigma
epistemologisches Verständnis
gemäß Mense-Petermann (2006)
interpretativ
Organisation als Interpretationsleistung
Organisation als Akteur und Ergebnis von Deutungsleistungen
Organisation = Umwelt
Organisation als Reifikation
Organisation ←→ Umwelt
Organisation als Institution
gesellschaftliche Konstruktion entlang von Leitvorstellung ‚Organisation als rationaler Akteur‘
Organisation als Ergebnis (materiale Verkörperung)
Organisation als Interpret und Übersetzer gesellschaftlicher Deutungsangebote: Organisation als Ort und Ergebnis sozialer (deutender) Aushandlungen
Fundus gesellschaftlich etablierter Deutungen des Organisationalen
translative Sicht
2
vereinfachte Darstellung Organisation ← Umwelt
Organisation als ‚souveräner‘ Akteur
Rolle organisationaler Aktivität
Verkörperung der Vorgaben in Form von organisationalen Formalstrukturen und Handlungsweisen
strategische (ggf. inszenierte) Anpassung
Org.-Akteur als …
gesellschaftliche Vorstellung als (selbstverständliche/unhinterfragte) Skripten, regelhafte Vorgaben
begrenzende Rahmung gesellschaftlicher Erwartungen
Inkorporierte Sicht
„konstitutionstheoretische“ Sichtweise
institutionelle Umwelt als …
„kontingenztheoretische“ Sichtweise
Tabelle 2.9 Heuristik der Verständnisweise einer „gesellschaftlich eingebetteten Organisation“ (nach Koch 2018, S. 143 erweitert um die Perspektive von Mense-Petermann 2006 durch L. J.-R.)
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2.3 Schule als Organisation …
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sie stellt, zu leisten. Mense-Petermann spricht in Anlehnung an Meyers und Rowans Bezeichnung „prefabricated formulae“ von „Schablone für das Organisieren“ (Mense-Petermann 2006, S. 66 nach Meyer und Rowan 1977, S. 344). Dabei geht es insbesondere darum, jenen Ansprüchen und Anspruchsgruppen gerecht zu werden, die Organisationen nach ihrem Verständnis die meisten Ressourcen bzw. die höchste Legitimation zuteil werden lassen. Das Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt kann in dieser Lesart charakterisiert werden als ein bewusst-strategisches, aber nicht als ein selbstverständlich-unhinterfragtes Übernehmen von Strukturen: „Die Autoren [Meyer und Rowan] gehen nun davon aus, daß organisationen entlang eines Kontinuums unterschieden werden können, an dessen einem Ende sich Organisationen befinden, deren Erfolg und Überleben in erster Linie vom erfolgreichen Management der Außenbeziehungen mit der technisch und marktlichen Umwelt abhängt, und an dessen anderem Ende Organisationen zu finden wären, deren Erfolg von der Stabilität und dem Vertrauen abhängt, das sie durch Anpassung an institutionelle Regeln erlangen.“ (Mense-Petermann 2006, S. 68 nach Meyer und Rowan 1977, S. 354)
Der Grad der Übernahme hängt davon ab, als wie bindend diese Vorgabe erachtet wird bzw. wie notwendig das Erfüllen dieser Anforderung für die Organisation, etwa für den Zuspruch von Legitimation, ist. So können die Vorgaben der Umwelt als eine Notwendigkeit, eine Gelegenheit oder ein Impuls verstanden werden (vgl. Mense-Petermann 2006, S. 68). Hier muss allerdings darauf verwiesen werden, dass das Verständnis einer Vorgabe als Impuls eher einem Organisationsverständnis einer konstitutionstheoretischen Sicht gleichkommt. Es bleibt festzuhalten, dass ein kontingenztheoretisches Organisationsverständnis seine Formalstruktur so zu gestalten versucht, dass „sie [Organisationen] unter den gegebenen Umweltbedingungen ihre Ziele möglichst effizient erreichen. [...] Zwar wird den Organisationen nach innen ein nahezu unlimitierter Handlungsspielraum [...] zugestanden, jedoch führt die Logik der permanenten Suche nach dem ‚best fit‘ zu einer kontinuierlichen Anpassungsleistung [...].“ (Koch 2018, S. 144f.)
Beispielhaft, so Koch (vgl. 2018, S. 150 ff.), steht für dieses Organisationsverständnis jenes der „losen Kopplung“, das sich mittlerweile auch in erziehungsund bildungswissenschaftlichen Forschungsarbeiten großer Beliebtheit erfreut. Nicht zuletzt, da Weick (1976) dieses Modell anhand von Bildungseinrichtungen entwickelt hat und in Schulen Paradebeispiele für solche Organisationen sieht. Muslic (2017) hat sich intensiv mit diesem Organisationsverständnis
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im Zusammenhang mit Schulen und Reformumsetzungen im Bereich „Lernstandserhebungen“ auseinandergesetzt. Für Muslic bietet das Modell der „losen Kopplung“ eine Möglichkeit, schulische Organisationsstrukturen im Sinne der „Neuen Steuerung“ und in Abkehr von einem Verständnis von Schule als bürokratische Organisation zu verstehen (vgl. Muslic 2017, S. 22). Dabei betont die Autorin mit Rekurs auf Kuper (2008), dass Schulen „als primär gemanagte und sich wandelnde […] Organisation“ zu sehen seien, die „im Angesicht effizienterer Steuerungserwartungen insbesondere durch eine externe (Akteurs-)Ebene wie der Schulaufsicht“ (Muslic 2017, S. 22) mit veränderten Organisationsstrukturen und Entkopplungsmechanismen antworten. Koch verweist auf diese verbreitete Lesart56 , indem er schreibt, dass dieses Verständnis von Organisation besonders in der „Steuerungs-Debatte“ populär sei. Er kritisiert jedoch diesen Zugang deutlich, indem er anmerkt, dass man sich nicht des „Eindrucks erwehren [könne], dass die Metapher hierbei als Substitut einer Erklärung diene.“ (Koch 2018, S. 152). Theorien zu Entkopplungsmechanismen werden oft herangezogen, um misslungene „Top-Down“-Reformvorhaben zu beschreiben (vgl. u. a. Kuper 2001, Schaefer 2002; Muslic 2017). Kritik an diesem Organisationsverständnis wird vor allem dahingehend geäußert, als dass ein klassisches Verständnis von Organisation aus anderen Organisationstheorien beibehalten wird und diese Auslegung keinem „originären neoinstitutionalistischen Organisationsverständnis“ (Koch 2018, S. 145) entsprechen würde. Gegenüber anderen Organisationstheorien werden gesellschaftliche Erwartungen nur als ergänzenden Faktoren miteinbezogen. „Der institutionelle Charakter der Organisation liegt gemäß dieser Perspektive darin, dass sie in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen agiert, von welchen sie restringiert und damit in ihrer Produktivität eingeschränkt wird.“ (Koch 2018, S. 145, Hervorhebung i O.)
So gehe es am Ende doch wieder nur um eine bestmögliche Passung der Organisation für die Ansprüche der Umwelt in einem strategischen Sinn (vgl. Ortmann, Sydow und Türk 1997, S. 29; Koch 2018, S. 145).
2.3.1.2 Konstitutionstheoretische Sicht auf Organisationen Im Gegensatz zur kontingenztheoretischen Sicht, bei der das Verständnis von Organisationen auf strukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen bezogen wird, 56
„Verbreitet“ in dem Sinne, dass zumindest im Schulentwicklungsdiskurs der Ansatz der „Neuen Steuerung“ in den vergangenen Jahren stark propagiert wurde (vgl. u. a. Altrichter und Maag-Merki 2016; Mulsic 2017; Parshadis und Brauckmann 2018).
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steht in der konstitutionstheoretischen Lesart vor allem die kulturelle Bedeutungswelt im Mittelpunkt (Koch 2018, S. 146). Zu unterscheiden sind bei dieser Sicht zwei Zugänge: Der erste versteht Organisationen als Reifikationen ihrer institutionellen Umwelten (vgl. Mense-Petermann 2006, S. 69), der zweite Organisationen als Institutionen. Bei der Sichtweise von Organisationen als Reifikationen werden institutionelle Strukturen, Programme und Regeln als selbstverständliche und unhinterfragte Skripten übernommen. Organisationen werden hier als Verkörperungen von kulturellen Vorgaben verstanden. Umweltanforderungen werden in organisationalen Strukturen abgebildet. Koch spricht sich für den Begriff der Verkörperung aus, da „es sich um eine Transformation einer ideellen Umwelt in eine materiale Organisation handelt.“ (Koch 2018, S. 147). Mense-Petermann betont, dass diese Lesart von Organisationen vor allem im World-Policy Ansatz diskutiert wird. Inwieweit ein solches Organisationsverständnis auch auf die Schule zu beziehen ist – das heißt eine nicht hinterfragte Überstülpung der kulturellen Umwelt auf die Schule –, ist bis dato noch nicht Gegenstand einschlägiger Schulentwicklungsforschung gewesen. Die institutionellen Vorstellungen formen die Organisation und beeinflussen demnach die individuellen organisationalen Akteure. Die von Sanduh (2012) getroffene Definition beschreibt dieses Verständnis wie folgt: „Organisationen sind nicht das Ergebnis rationaler Entscheidungen, sondern die Folge und Konsequenz einer sozialen und kulturellen Konstruktion. Diese Konstruktion erfolgt durch kognitive Skripte, eingespielte und nicht hinterfragte Handlungsmuster und Routinen. Sie sind institutionalisierte Erwartungshaltung in der gesellschaftlichen Umwelt von Organisationen abgelagert.“ (S. 75)
Dominiert in den ersten beiden Lesarten noch die Umwelt gegenüber der Organisation, verändert sich das im dritten Zugang. Die zweite Lesart, Organisationen aus konstitutionstheoretischer Sicht, bildet einen Kontrast – hier befinden sich Organisationen und Institutionen im Wechselspiel und beeinflussen sich gegenseitig. Mense-Petermann (2006) spricht hier von „Organisation als Institution“. „Die Organisation bzw. die sozialen Akteure interpretieren die gesellschaftliche Bedeutungswelt nicht nur, sondern bearbeiten diese aktiv (z. B. durch ‚Übersetzungsleistungen‘).“ (Koch 2018, S. 147)
Organisationen entstehen bzw. entwickeln sich aus einem Fundus an gesellschaftlich etablierten Deutungen. Dieses Organisation-Umwelt-Verhältnis würde
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in Anbetracht der Ausführungen in Kapitel 1 einem „Enactment“-Prozess57 entsprechen. Koch (2018, Fn. 105, S. 147) versteht „Enactment“ als Synonym für „Verkörperung“ – hier divergieren die Ansichten Kochs und der Autorin. „Enactment“ wird verstanden als „organisationaler Aktivierungs- oder Aktionsprozess“, der Anforderungen verwoben mit innerorganisationalen Bedingungen umsetzt (vgl. Ball et al. 2012). Dieses Organisationsverständnis wurde vor allem von Zucker (1987, 1988), teilweise verbunden mit diversen anderen Theoriesträngen (Meyer und Jepperson 2005, S. 57), in den 1990er-Jahren verwendet. Ein theoretischer Seitenstrang im Neo-Institutionalismus, der dieser Lesart von Organisationen zuzuordnen ist, findet sich im Diskurs um sogenannte institutionelle Unternehmer bzw. „Institutional Entrepreneurs“ (Campbell 2004; Hardy und Maguire 2008). Dieser Diskurs soll in erweiterter Form in Abschnitt 2.4.1 fortgeführt werden, da er von besonderer Bedeutung für Schulleitungshandeln ist. Die umfangreiche Darstellung nach Koch (2018) und Mense-Petermann (2006) hat gezeigt, dass Organisationsverständnisse innerhalb der neoinstitutionalistischen Zugänge nach drei verschiedenen Lesarten präzisiert werden können. Mit Hilfe dieses fundierten Verständnisses ist es nun möglich, Schulen als Organisationen aus neo-institutionalistischer Perspektive eingehender zu betrachten.
2.3.2
Schule als Organisation der besonderen Art
Nach diesen Ausführungen gilt es nun, die Brücke zum Thema der vorliegenden Arbeit zu schlagen – Schulen als Organisationen stehen hier insofern im Mittelpunkt, als dass Schulleiterinnen und Schulleiter innerhalb solcher Organisationen agieren und des Weiteren eine besondere organisationale Größe58 (vgl. Muslic 2017, S. 22) darin einnehmen. „Kaum ein gesellschaftlicher Bereich wird so stark anhand seiner Organisationen identifiziert wie Erziehung und Bildung in der modernen Gesellschaft.“ 57
Hierauf wird in Abschnitt 3.1 noch einmal ausführlich eingegangen. Im Zusammenhang mit diesem Aspekt muss darauf verwiesen werden, dass in den Anfängen des Neo-Institutionalismus (insb. Meyer und Rowan 1977) Einzelpersonen nicht als Akteure bezeichnet wurden, da ihnen keine große Aufmerksamkeit zuteil wurde und außerdem damit versucht wurde, das vorbelastete Akteurskonzept (rational handelnd) aus anderen Theorien zu umgehen. Organisationen wurden hier als Akteure bezeichnet, was mitunter zu Irritationen in der Ausdifferenzierung der neo-institutionalistischen Forschungsstränge geführt hat (vgl. Sandhu 2012; Hammerschmid und Meyer 2008). Die besondere Rolle des Akteurs im Neo-Institutionalismus wird gesondert in Abschnitt 2.4 behandelt.
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(Drepper und Tacke 2012, S. 207). Dass Schulen innerhalb des pädagogischen Diskurses aber überhaupt als Organisationen betrachtet werden bzw. sich eine eigene Forschungsrichtung etabliert hat, die organisationstheoretische Forschung über Schulen betreibt, geht mit intensiven Debatten einher. So stand und steht im Zentrum der erziehungswissenschaftlichen Tradition das Erziehen, welches vor allem von der Warte des pädagogischen Handelns aus diskutiert und analysiert wurde – eine organisationale bzw. institutionelle Sicht wurde wenig bis kaum berücksichtigt (vgl. Böttcher und Terhart 2004, S. 7). Diese Engführung löste sich mit Ende der 1960er-Jahre und der „sozialwissenschaftlichen Wende“ von der Pädagogik hin zur Erziehungswissenschaft auf – organisationtheoretische Zugänge fanden mehr und mehr Beachtung sowohl unter Theoretiker/-innen als auch unter Praktiker/-innen. Insbesondere der Bürokratieansatz von Max Weber wurde in die erziehungswissenschaftlicheForschung aufgenommen. „Die Schule erscheint als bürokratische Organisation mit allen Merkmalen der verordneten Leistungserbringung, regelhaften Amtsausübung, standardisierten Kontrolle und aktenmäßigen Kommunikation. […] Allerdings gelten diese Merkmale eher für die Führungsebene der schulischen Organisation und weniger für den Kernbereich der Lehrertätigkeit. Das Unterrichten lässt sich nur bedingt bürokratisch regulieren, da Lehrkräfte eine Arbeit verrichten, die kaum standardisierbar und nicht technisierbar ist.“ (Herzog 2009, S. 159f.)
Dies hatte und hat zur Folge, dass eine Kontroverse unter den Pädagogen und Pädagoginnen und Erziehungswissenschaftler/-innen entflammte. Das Organisationsmodell von Weber bildet mit seinem rationalen Verständnis einen deutlichen Gegenpol zu den erzieherischen Idealbildern des pädagogischen Handelns. Mittlerweile, unter anderem auch abgemildert durch andere Zugänge, wird die organisationstheoretische Forschung im Bereich der Schulforschung akzeptiert (vgl. Böttcher und Terhart 2004, S. 9; Koch 2018, S. 30 ff.). Dennoch dominieren zwei unterschiedliche Forschungsperspektiven auf Schule als Organisation (vgl. Drepper und Tacke 2012). Die beiden Autoren unterscheiden die Perspektiven: Schule, gesehen als „innere Organisation“, und Schule, gesehen als „äußere Organisation“ (vgl. ebd., S. 209). Während Schule als „äußere Organisation“ vor allem Fragen des Schulmanagements, namentlich der Ordnung und Planbarkeit durch den Staat und dessen Verwaltung im Forschungsfokus hat (vgl. Drepper und Tacke 2012, S. 209), behandelt die Perspektive, die Schule als „innere Organisation“ untersucht, Fragen rund um das erzieherische Kernthema „Unterricht“. Die Perspektive der „inneren Organisation“ wird jenem Organisationsverständnis zugesprochen, welches dem einer „professionellen Organisation“ gleich ist. Hierbei werden Organisationsabläufe und Strukturen in erster Linie
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mittels fallorientierten Arbeitens durch hochqualifizierte Experten charakterisiert (Klatetzki 2012, Klatetzki und Tacke 2005). Drepper und Tacke (2012) merken an, dass „diese Perspektiven bisher weitgehend getrennt geblieben [sind], wenngleich sie erkennbar aufeinander verweisen und sich mithin wechselseitig voraussetzen.“ (S. 209) Terhart (2018) widerspricht insofern, als dass er auf einen Wandel verweist, der sich vollzogen hat, und durch den eine derartige Schwarz-Weiß-Betrachtung gerade in den letzten Jahren aufgehoben wurde: „Erst mit der Orientierung an offenen Organisationskonzepten u.a. aus dem NeoInstitutionalismus (Senge und Hellmann 2006 ), die den mechanistischen und rationalistischen Charakter älterer Organisationsvorstellungen definitiv abgestreift haben zugunsten einer eher organisch zellulären bzw. nicht-deterministischen, kulturell geprägten Sicht von Organisation, wurde auch in der Schulpädagogik die Diskussion neu geöffnet (vgl. Schaefers 2002 ; Koch und Schemmann 2009 ).“ (S. 50)
Ausgehend von den mittlerweile weitverzweigten und unterschiedlichen Ansätzen, können verschiedene Systematisierungsschemata abgeleitet werden, um schulische Organisationen in ihrem Besonderen zu beschreiben. Da die nun folgende Beschreibung Basis für den empirischen Teil dieser Arbeit sein wird, wurde eine Systematisierungsmöglichkeit gewählt, die auch von Muslic (2017) nach Kuper und Thiel (2009, S. 419 ff.) angewendet wurde. Demnach „lassen sich Organisationen anhand von drei Zentralperspektiven systematisieren […]“ (Muslic 2017, S. 38 f.), die wiederum bestimmten Organisationstheorien zugeordnet werden können. Es wird hierbei unterschieden zwischen Perspektiven, die (1) das Verhältnis von Organisation und Umwelt untersuchen, (2) die Binnenstruktur der Organisation untersuchen und (3) das Verhältnis von Organisation und Individuum in den Blick nehmen. Das Verhältnis von Organisation und Umwelt (1) kann typischerweise – wie bereits ausführlich beschrieben – den Organisationstheorien des NeoInstitutionalismus zugerechnet werden. Auch Mintzberg mit seinem Managementansatz, welcher auf den situativen Ansatz zurückgeht, zählt zu den Vertreter/innen dieser Perspektive, die Organisationen als umweltoffen beschreibt. Eine zentrale Grundannahme geht davon aus, „dass Kontingenzfaktoren in der Umwelt der Organisation ihren Aufbau und ihre Struktur determinieren.“ (Kuper und Thiel 2009, S. 493). Mintzberg (1979) typologisiert Organisationen anhand von fünf unterschiedlichen Basiskomponenten. „Er nimmt an, dass Organisationsstrukturen mit Zielen, Aufgaben und Umweltbedingungen (z. B. staatliche Regulierung, Machtverhältnisse) variieren, sich aber grundsätzlich in einer für die Effektivität
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und Effizienz der Gesamtorganisation vorteilhaften Weise ausbilden“ (Iseringhausen und Staender 2012, S. 186 f.). Bildungsorganisationen ordnet er hierbei ebenfalls einem solchen Typ zu, er bezeichnet sie als „professional bureaucracy“. Die zweite Perspektive nimmt die Binnenstruktur und somit innerorganisationale Prozesse und Strukturen in den Fokus. „[D]ie Differenzierung von Aufgaben, die entsprechende Einrichtung von Strukturen und die Integration der Einzelkomponenten“ (Kuper und Thiel 2009, S. 492) stehen hierbei im Mittelpunkt. Wie diese Binnenstrukturen beschrieben werden, unterscheidet sich wieder entsprechend der Organisationstheorien. Max Weber (1972 [1922]), einer der zentralen Vertreter dieser Perspektive, beschreibt mit seinem BürokratieModell die Bedeutung vertikaler und horizontaler Strukturen in Organisationen. Für die horizontalen Strukturen beschreibt er die Anordnung der Handelnden in abgegrenzten Einheiten sowie die Notwenigkeit, für diese Aufgabenbereiche qualifizierte Ausbildungen vorweisen zu können. Die vertikalen Strukturen stellt er in Form von Hierarchieebenen dar, die typischen Amtsstrukturen entsprechen. Ein weiterer bekannter Vertreter dieser Perspektive ist Taylor (1977 [1911]) – der den nach ihm benannten Taylorismus populär gemacht hat. Mit seiner Perspektive auf Managementstrukturen innerhalb von Organisationen hat er lange Zeit innerorganisationale Unternehmensstrukturen geprägt. Nach seiner Theorie werden Aufgaben und Abläufe in Organisationen spezialisiert und standardisiert: „Neben der aufgabenspezifischen Auswahl und Qualifikation der Arbeiter ist die Spezialisierung auf Funktionen bereits auf der Leitungsebene (Funktionsmeister) und die regelhafte, standardisierte Aufgabenbearbeitung ein Hauptmerkmal der tayloristischen Betriebsführung. Integration der spezialisierten Bereiche gelingt über ihre enge Verschaltung und über ein strenges System von Weisung und Ausführung.“ (Kuper und Thiel 2009, S. 493)
Ähnlich orientiert sich auch der betriebswirtschaftliche Zugang zu Organisationen. In diesem spielt vor allem die Effizienz in den Arbeitsprozessen eine Rolle. Es erfolgt ebenfalls wie in den anderen Zugängen eine Aufgabendifferenzierung, die damit in Form von Weisungsappellen an die Handelnden übermittelt wird. Somit kommt es zu einer Operationalisierung von Teilaufgaben. Durch ein solches Handeln etablieren sich feste organisationale Strukturen. Typisch für diese Perspektive sind Beschreibungen und Betrachtungen von Aufbau- und Ablauforganisationen. Die letzte Perspektive – das Verhältnis von Organisation und Individuum (3) – wird favorisiert von unterschiedlichen Organisationsansätzen wie der Rational-Choice-Theorie, von deskriptiven entscheidungsprozessorientierten Ansätzen bzw. dem mikropolitischen Ansatz, von der Agenturtheorie und dem
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Human-Relation-Ansatz. Während etwa die Rational-Choice-Theorie davon ausgeht, dass rationale Entscheidungen auf Basis einer Kosten-Nutzen-Rechnung gefällt werden, orientiert sich der Handelnde im deskriptiven entscheidungsprozessorientierten Ansatz an Legitimitätszusprüchen (vgl. Kuper und Thiel 2009, S. 491). Im mikropolitischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass Entscheidungen nach Machtinteressen erfolgen, während in der Agenturtheorie Verträge zwischen den Handelnden die entscheidenden Koordinationsmöglichkeiten für die Organisationsentwicklung bieten. Man sieht an dieser differenzierten Ausgestaltung, wie unterschiedlich die Wahrnehmung des Handelnden trotz einer gemeinsam eingenommenen Perspektive dennoch sein kann. Alle trachten in ihrer Perspektive jedoch nach Antworten auf die Frage, wie das individuelle Handeln von Akteuren durch spezifische Orientierung und Interessen motiviert werden kann, damit Organisationsziele erreicht werden können (vgl. Kuper und Thiel 2009, S. 491). Wie den Beschreibungen dieser Perspektiven entnommen werden kann, dienen den Zugängen mitunter unterschiedliche Ausprägungen von Organisationen als Vorlage. Schule kann und wird aus allen drei Perspektiven beschrieben. Daher soll im Folgenden nun Schule als Organisation59 nach dem Verhältnis von Organisation und Umwelt, nach besonderen Merkmalen für organisationsinterne Prozesse und Strukturen und nach Merkmalen, die das Verhältnis von Organisation und Individuum bestimmen, charakterisiert werden. (1) Verhältnis von Organisation und Umwelt – Der Staat definiert in Form des Bildungs- und Erziehungsauftrages das übergeordnete Organisationsziel für alle Schulen (vgl. Rolff 1995; Muslic 2017, S. 38). – Das Eröffnen und Auflösen von Schulstandorten hängt nicht mitvon den erzielten „Leistungen“ des Standortes ab, sondern wird vom Schulerhalter (z. B. Gemeinden) bzw. dem Bund reguliert. – Schulische Organisationen sind eingebettet in ein Mehrebenensystem. Die Akteure in diesem System bzw. die Akteursebenen folgen unterschiedlichen 59
Die Zusammenschau dieser Merkmale basiert auf einer Kompilation aus unterschiedlichen Beiträgen, die Schule aus verschiedenen theoretischen Zugängen (ausgehend von betriebswirtschaftlichen Zugängen, Ansätzen der Neuen Steuerung oder aus system-theoretischer Perspektive etc.) als Organisation beschrieben haben: Mintzberg 1979; Terhart 1986; Rolff 1993; Rolff 1995; Altrichter und Posch 1999; Kuper 2001; Bormann 2002; Altrichter und Eder 2004; Böttcher und Terhart 2004; Luhmann 2004; Kuper 2004; Tacke 2004; Fend 2008; Meier und Schimak 2010; Tacke 2012; Muslic und Ramsteck 2016; Muslic 2017; Terhart 2018.
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Handlungslogiken und stehen in wechselseitiger Interdependenz zueinander (vgl. Fend 2008). Nehmen Lehrkräfte vor allem Handlungslogiken ein, die sich mit der Frage des Erziehens und der Bildung von Individuen auseinandersetzen, so umfasst das Handlungsspektrum von Schulleitung neben pädagogischen Themen bereits Themen der Steuerung sowie administrative Aufgaben. Die Ebene der Schulaufsicht beinhaltet zu einem weitaus größeren Ausmaß Aufgabenbereiche, die der administrativen und steuerungslogischen Orientierung zugesprochen werden können. Dadurch ergeben sich die unterschiedlichen Handlungslogiken und mitunter auch die unterschiedlichen Organisationsverständnisse innerhalb des Bildungssystems. Alle drei Ebenen werden durch institutionelle Umwelten beeinflusst. Schulleitung ist einerseits Teil der linearen Verwaltungshierarchie, andererseits Teil der reversiblen Hierarchie innerhalb der einzelnen Schule. Schulleiter/-innen müssen somit unterschiedliche Handlungsrationalitäten beachten und bewegen sich zwischen dem Spannungsfeld der professionellen Autonomie und der bürokratischen Regulierung (vgl. Thiel 2008, S. 223). Die handelnden Personen in der Organisation „Schule“ können – zumindest im deutschsprachigen Raum – fast ausschließlich einer Profession zugerechnet werden: Es handelt sich um Pädagoginnen und Pädagogen. Tacke (2004) spricht hier von einer „professionellen Monokultur“ (S. 24).60 Durch die unterschiedliche Fachzugehörigkeit der Lehrerinnen und Lehrer ist die schulische Organisation von einer internen Arbeitsteilung geprägt. Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer erfolgt durch andere Institutionen, die z. T. staatlich geregelt sind (für Österreich beispielsweise die Reform „PädagoInnenbildung Neu“an z.T. autonomen Hochschulen). Die Fort- und Weiterbildung der Lehrenden wird durch nachgeordnete Behörden (Pädagogische Hochschulen) geregelt und ist somit mehr verstaatlicht als die Ausbildung. Deren Einfluss ist mitunter stark (vgl. Schratz 2012). Die Schulorganisation und die Unterrichtskonzeption werden durch gesetzliche Vorgaben (Schulorganisationsgesetz und Schulunterrichtsgesetz) bestimmt. Außerdem gibt es zentrale Lehrpläne, die eine Rahmung für jedes Unterrichtsfach anführen. Durch zentralisierte Standardüberprüfungen in den Fächern Mathematik, Deutsch und der ersten lebenden Fremdsprache (Österreich: Englisch) sowie
Zwar lässt sich zunehmend feststellen, dass auch andere Professionen in Schulen Einzug halten (z. B. Schulsozialarbeiter/-innen, Schulpsychologen), nichtsdestoweniger werden diese Professionen eher additiv in die Organisation integriert als inklusiv.
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einer zentralisierten Reifeprüfung (Österreich: Matura) werden seitens einschlägiger Institute (z. B. Institut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung [Bifie] in Österreich oder Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen [IQB] in Deutschland)61 Output-orientierte Steuerungselemente eingeführt. Die Orientierung an den dabei verlangten Kompetenzen (z. B. zugrundeliegende Kompetenzmodelle) führt zu einer weiteren Einflussnahme umweltlicher Akteure auf die Unterrichtstätigkeit in den entsprechenden Schultypen.62 Dennoch gilt, dass trotz „zahlreicher Vorschriften, Regulierungen und Disziplinierungsmöglichkeiten […] eine Einsicht in und ein Durchgriff auf schulische und unterrichtliche Prozesse von außen […] größtenteils nicht möglich [ist].“ (Muslic 2017, S. 43). Die Rekrutierung der Mitglieder der Organisation erfolgt unterschiedlich. Während Lehrpersonal aufgrund seiner Ausbildung ausgewählt wird und von staatlicher Stelle den Organisationen zugewiesen wird, erfolgt die Auswahl der Schülerinnen und Schüler über gesetzliche Regelungen (Sprengelschulen) oder durch organisationsinterne Regelungen (Notendurchschnitt, Geschwisterbonus, freie Plätze). Binnenstruktur – organisationsinterne Prozesse und Strukturen Schule fügt sich keinen „direktiven Arbeitstechnologien“ (Luhmann 2004, S. 469). Damit ist gemeint, dass sich Unterricht nicht technologisieren lässt, da dieser situationsbedingt immer unterschiedlich abläuft. Innerorganisationale Strukturen sind gekennzeichnet durch flache Hierarchien. Besondere Funktionsrollen bzw. Karrierestufen innerhalb der Organisation sind nur vereinzelt vorhanden. Zwischen Schulleitung und Lehrenden bestehen in den meisten Fällen nur Entwicklungsstufen, die Funktionsrollen umfassen, für die es keiner weiteren Qualifikationen bedarf (Fachvorstand, Qualitätsbeauftragte). Die Funktion „Schulleitung“ setzt nur in vereinzelten Fällen Qualifikationsbedingungen voraus. In der Regel haben in Schulen Schulleitungsverantwortliche und Lehrerinnen und Lehrer in den ersten Dienstjahren die gleiche Ausbildung. Außerdem wird diese Funktion von den Stelleninhaber/-innen nach einem Bewährungszeitraum unbefristet ausgeübt. Eine Funktionsabberufung des/der Stelleninhabers/-in kann nur im Wege des Disziplinarrechts oder auf eigenen Wunsch erfolgen.
Im Jahr 2019 erfolgte eine Integration des Bifies in ministerielle Strukturen, damit wurde das vormals unabhängige Institut unter die Weisungskette des Ministeriums gestellt. 62 Vgl. hierzu Kemethofer und Wiesner (2018); Zuber, Altrichter, Heinrich (2018) zu Bildungsstandards allgemein; sowie ausführlich Muslic (2017) zum Einfluss von Lernstandserhebungen auf die organisationalen Strukturen in Schulen.
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– Handelnde Personen können zum Teil schulfeste Stellen innehaben. – Schulen werden als „schwer veränderbare Organisationen“ dargestellt (Rowan 2006). Muslic und Ramsteck (2016) führen dies neben der Autonomie der Lehrkräfte vor allem zurück „auf die Tatsache, dass sie [Schulen] in Abhängigkeit zur staatlichen Bildungsadministration stehen und damit ihrer Kontrolle und Regulierung unterliegen.“ (S. 90). – Während Lehrende über ihre Ausbildung Teil der Organisation werden, erfolgt die Rekrutierung von Schülerinnen und Schülern, als ebenfalls innerhalb der Organisation handelnde Personen, über gesetzliche Zuweisung63 (vgl. Rolff 1995; Muslic 2017, S. 38). – Die Mitbestimmung unterschiedlicher Akteure bzgl. Organisationsstrukturen kann u. a. durch Konferenzen bzw. durch Gremien und Steuergruppen erfolgen. Während den Lehrenden hier in erster Linie Konferenzen und Sitzungen als Medium dienen, können Schülerinnen und Schüler, insbesondere in höheren Schulen über Ausschüsse, wie etwa den Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) mitbestimmen. Auch Eltern haben hier die Möglichkeit, ihre Meinung einzubringen. – Sämtliche interne Regelungen und Abläufe werden schulautonom etwa über entsprechende Hausordnungen geregelt. (3) Das Verhältnis von Organisation und Individuum – Die Handelnden verfügen über umfangreiche Autonomiespielräume (Mintzberg 1979; Meier und Schimank 2010) – insbesondere im Bereich des Unterrichts. Strukturen innerhalb der Schulen können charakteristische AutonomieParitäts-Muster (Lortie 1972; Altrichter und Posch 1999; Altrichter und Eder 2004) aufweisen. Lehrende haben somit weitläufige autonome Handlungsspielräume, wie sie ihren Unterricht gestalten und inwieweit sie welchen Lehrstoff wie vermitteln. – Muslic und Ramsteck (2016) verweisen im Zusammenhang mit der hohen Autonomie auch auf die wenig ausgeprägte Rechenschaftspflicht, denen die Handelnden unterliegen (S. 203; vgl. Avenarius 2010, S. 664). – Die Verantwortung für die Fort- und Weiterbildung liegt innerhalb der Organisation, zum Teil bei den handelnden Akteuren selbst64 . 63
Die Zuteilung in der Primarstufe wird von den Schulerhaltern (Gemeinden) über Sprengelregelungen gehandhabt. Die Zuteilung der Schülerinnen und Schüler ab der fünften Schulstufe erfolgt zum einen auf Basis der erbrachten Leistungen der Schülerinnen (Aufnahme ins Gynmasium) sowie wiederum durch den Schulerhalter regulierte Schulsprengelverordnungen (Neue Mittelschulen). Diese Ausführungen sind spezifisch für Österreich. 64 Hier unterscheiden sich die Verantwortlichkeiten je nach Schultyp. Während in den Pflichtschulen (Grundschule und weiterführende Neue Mittelschule) der Direktor bzw. die
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Die dargestellten Merkmale erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind vor allem für den Kontext dieser Arbeit – das österreichische Schulwesen – formuliert. Dennoch sollen diese organisationalen Merkmale von „Schule“ aufzeigen, warum Schulen als Organisationen der besonderen Art zu verstehen sind. Ihre Abhängigkeit und Eingebundenheit in institutionelle Strukturen zum einen, die Drepper und Tacke als „Souveränitätsabhängigkeit“ (Umweltabhängigkeit) (2012, S. 207) bezeichnen, und ihre innerorganisationale Autonomie, die Altrichter und Posch (1999) in Anlehnung an Lortie (1972) als „Autonomie-Paritäts-Muster“ beschreiben, verdeutlichen diese Sonderstellung gegenüber anderen Organisationen. Diese Komplexität und Vielgestaltigkeit erklärt mitunter, warum Schulen im Kontext so unterschiedlicher Organisationsansätze beschrieben und beforscht werden (können). Andererseits kann durch die dargestellten Besonderheiten auch herausgearbeitet werden, warum bestimmte Organisationstheorien für schulische Organisationen gerade nicht anschlussfähig sind. Allen Perspektiven immanent ist nämlich, dass Schulen mit Hilfe von Theorien aus anderen Wissenschaften betrachtet werden können, seien es organisations-soziologische oder betriebswirtschaftliche Organisationstheorien. Daher bedarf es bei der Übertragung von Theorien aus anderen Wissenschaften vorab einer Klärung und einer intensiven Auseinandersetzung, ob eine Übertragung überhaupt möglich ist, bzw. wenn ja, wie es zu einem Transfer der Ansätze auf Schulen als Organisationen kommen kann. Zusammenfassung und Ableitungen für die vorliegende Arbeit Nach der eingehenden Darstellung, aus welchen Perspektiven Schulen, wenn man sie mit Hilfe unterschiedlicher Organisationstheorien beschreibt, betrachtet werden können, soll noch einmal dezidiert auf Schulen im Zusammenhang mit einem neo-institutionalistischen Organisationsverständnis eingegangen werden. Kuper und Thiele (2009, S. 491 ff.) verweisen darauf, dass eine Unterteilung gemäß unterschiedlicher Blickwinkel und Theoriekonzepte möglich ist. Für die erfolgte Betrachtung innerhalb der neo-institutionalistischen Theorieströmungen lassen sich jedoch ebenfalls binnen-differenzierend weitere Organisationsverständnisse unterteilen. Dies ist insofern stimmig, als dass der Neo-Institutionalismus, wie bereits im ersten Kapitel aufgezeigt wurde, verschiedene Untersuchungsebenen Direktorin die Fort- und Weiterbildungsverantwortung innehat (durch Kontrolle der Fortund Weiterbildungspflicht), obliegt die Verantwortung in den mittleren und höheren Schulen (Gymnasium und höheren Lehranstalten) den Lehrenden selbst. Hier besteht keine Fortund Weiterbildungspflicht. Die inhaltliche Ausrichtung der Fort- und Weiterbildung hängt zum einen vom Angebot der entsprechenden Fort- und Weiterbildungseinrichtungen ab, zum anderen können bestimmte Themensetzungen durch eine Bewilligung bzw. Nichtbewilligung durch den/die Direktor/-in gesteuert werden.
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in den Blick nimmt. Sandhu (2012) hat dies mit Hilfe eines Modells übersichtlich dargestellt.
Abbildung 2.6 Untersuchungsebenen aus neo-institutioneller Perspektive (Sandhu 2012, S. 87)
Die vorgestellten Perspektiven finden sich demnach alle in den Analyseebenen des Neo-Institutionalismus wieder. Nachdem sowohl die Rolle der Schulleiterinnen und Schulleiter (Verhältnis „Organisation und Individuum“) sowie deren responsives Verhalten (organisationsinterne Prozesse und Strukturen) auf die umweltlichen Ansprüche (Verhältnis „Organisation und Umwelt“) im Mittelpunkt stehen, tangiert die dieser Arbeit zugrundliegende Untersuchung alle vorgestellten Perspektiven. Wie die ausführliche Herleitung und Darstellung der Lesarten von Organisationen im Neo-Institutionalismus gezeigt hathaben, gibt es nicht die eine Lesart. Auch die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Zugängen zu Schule als Organisation zeigt, dass hier das Verständnis, was eine schulische Organisation ist, bzw. deren Beschreibungen divergent sind. Terhart (2018) bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Für die Schulpädagogik ist der Blick auf Schule naturgemäß konstitutiv und zugleich darauf fokussiert; für die Organisationspädagogik dagegen ist Schule lediglich ein spezieller Fall von (pädagogisch gerichteter) Organisiertheit unter sehr vielen anderen.“ (S. 56)
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Für Schule als Organisation – verstanden im neo-institutionalistischen Organisationsansatz – wurde bereits darauf verwiesen, dass sich diese Perspektive großer Beliebtheit in der erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Debatte erfreut, dort allerdings eine kontingenztheoretische Lesart vorherrscht. Schulen werden mit Vorzug im Sinne des „loosly-coupled-Systems“ interpretiert. Dass allerdings der Neo-Institutionalismus ebenfalls gleich zwei konstitutionstheoretische Zugänge ausweist, blieb bis dato unbeachtet. Beide Ansätze bieten die Möglichkeit, die bisher nicht vereinbarten Positionen eines inneren und äußeren Verständnisses von schulischen Organisationen zusammenzuführen. Während das Verständnis „Schule als Reifikation“ hier noch weniger Raum für eine Zusammenführung lässt, da es einem normativen Paradigma folgt, bietet der Ansatz „Schule als Institution“ deutlicher interpretative und ermöglichende Handlungsstrukturen (vgl. Koch 2018, S. 143). Diese anderen Verständnisse des Organisationsbegriffs widersprechen der Aussage Terharts. Auch organisationspädagogische Betrachtungen von Schule können konstitutiv sein. Für die empirische Untersuchung lassen sich zwei Hypothesen ableiten. Zum einen gilt es, mit Hilfe der Experteninterviews noch einmal aufzuzeigen, dass Schulen „besondere“ Organisationen sind, was sich u. a. im Aufgabenrepertoire der Leitung widerspiegelt. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass Schulleiterinnen und Schulleiter unterschiedliche Verständnisse von ihren Schulen als Organisationen haben. Eine unterschiedliche Sichtweise kann mitunter ein divergentes Respondieren auf die Umwelt zur Folge haben. Daher bedarf es der Mitberücksichtigung des Organisationsverständnisses von Schulleiterinnen und Schulleitern. Hypothese
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Schulleiter/-innen agieren in Organisationen, die besondere Merkmale haben und sich daher von anderen Organisationen (z. B. Wirtschaftsunternehmen) unterscheiden. Schulleiter/-innen können das Verhältnis zwischen schulischen Organisationen und deren institutionellen Umwelten unterschiedlich wahrnehmen. Diese Wahrnehmung bedingt, wie Schulleitende ihren Handlungsspielraum ausgestalten.
2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
2.4
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Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
„[es geht] immer auch um das Verhältnis von Institutionen, Akteuren und Handlungen, d. h. um einen Brückenschlag zwischen Handlungs- und Strukturebene.“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 161)
2.4.1
Der Blick von innen: Schulleiter/-innen als AkteurInnen in bestimmter Agentenschaft
Im vorangegangenen Kapitel hat eine intensive Auseinandersetzung mit Konzepten zu kollektiven Akteuren, sprich Organisationen, stattgefunden. Da jedoch der Akteursbegriff65 nicht nur für kollektive Akteure gültig ist, sondern auch individuelle Akteure beinhaltet, erfolgt diesbezüglich eine weiterführende Auseinandersetzung. Die dabei zur Anwendung kommende Detailliertheit mag erstaunen, wird aber nachvollziehbar, da für die qualitative empirische Forschung erst die systematische und begriffliche Rahmung entwickelt werden muss. Vielfach wurde kritisiert, dass im Neo-Institutionalismus „die Ausblendung des Akteurs, seiner Interessen und strategischen Handlungen sowie die Ausblendung von Macht“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 116 nach Perow 1995, 1996; Reed 1992; Aldrich 1992; Beckert 1999; Wolf 2003) vorherrsche. Sich dieser Schwäche bewusst, verwiesen die maßgeblichen Autoren wie Meyer und Powell sowie DiMaggio bereits früh auf diese Schwachstelle: „(I)nstitutional theory has no explicit or formal theory of the role that interests play in institutionalization and consequently defocalizes, or distracts attentions from, the way in which variation in the strategies and practices of goal-oriented actors may be related to variation in organizational structures, practices and forms.“ (DiMaggio 1988, S. 4)
Die kritische Frage im Zusammenhang mit dem Akteurskonzept ist, inwieweit dieses sowohl für kollektive Akteure, sprich Organisationen und Nationalstaaten zu verwenden ist (vgl. hierzu Abschnitt 2.3) und inwieweit auch individuelle Akteure – im Falle dieser Arbeit also Schulleiterinnen und Schulleiter – damit 65
In weiterer Folge finden sich im Text die Bezeichnungen individuelle Akteure (Einzelpersonen), kollektive Akteure (Organisationen) und organisationale Akteure (Organisationen). Je nach Analyseebene werden den Akteuren innerhalb der neo-institutionalistischen Theorieströmungen unterschiedliche Rollen zugesprochen. Insbesondere die Verbindung zwischen Akteuren und Institutionen wird in den theoretischen Auseinandersetzungen unterschiedlich interpretiert. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Akteursbegriff sowie den Ausführungen zu „individuellen Akteuren“ findet in Unterkapitel 2.2.2.1–2.2.2.3 statt.
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adressiert werden können. Wie können Akteure in ihrer institutionellen Verwobenheit beschrieben werden? Anhand der Darstellung von Sandhu (2011, S. 84; vgl. Abbildung 2.6) wird deutlich, was auch Meyer und Hammerschmid (2006) hervorheben, nämlich, „dass [es] immer auch um das Verhältnis von Institutionen, Akteuren und Handlungen, d. h. um einen Brückenschlag zwischen Handlungsund Strukturebene [geht].“ (S. 161) Die hier in besonderer Weise betonte Herausforderung, dass sich „soziale Akteure zwar als durch Institutionen definierten, aber nicht [dadurch] determiniert […] konzipieren lassen“ (ebd.), gilt es überdies zu berücksichtigen. Mitunter sorgt diese Mehrebenenanschlussfähigkeit des Akteursbegriffs für Irritation. Sandhu führt hierzu aus: „[...] im Gegensatz zu Theorieansätzen, in denen Akteure entweder die zentrale Untersuchungseinheit darstellen (vgl. Kron und Winter 2009: 41ff.) oder in denen Akteure zugunsten strukturalistischer Erklärungsmodi ausgeblendet werden, hält der NeoInstitutionalismus am Begriff des Akteurs fest. Doch sie sind keine ‚muskulösen ‚Macho‘-Akteure‘ (Meyer 2005: 6), die permanent rational entscheiden und strategisch handeln. Sondern sie sind mit kulturellen Wertvorstellungen ‚aufgeladen‘, die durch habituelles Verhalten oder spezifische Handlungsskripte abgearbeitet werden.“ (Sandhu 2012, S. 88)
Wie Sandhu schreibt, treffen Akteure ihre Entscheidungen nicht auf Basis eines rationalen Kalküls, dennoch handeln sie mitunter in ihrem eigenen Interesse: „ […] das Verständnis von Eigeninteresse [unterscheidet sich] in der neoinstitutionalisitischen Organisationstheorie immer noch deutlich von jenen, welches wir in Theorien finden, die auf der Annahme eines rationalen Akteurs basieren.“ (Walgebach und Meyer 2008, S. 116). Nichtsdestoweniger muss auch bei der Konkretisierung des Akteursverständnisses die Unterschiedlichkeit im Reaktionsverhalten von individuellen bzw. kollektiven Akteuren auf ihre institutionelle Umwelt zentral sein. Dies muss auch im Kontext der Schulentwicklung sowie Schulleiter/-innen nochmals aufgegriffen und für die unterschiedlichen Anspruchsgruppen formuliert werden. Meyer und Hammerschmid (2006) setzen sich in ihrem Beitrag vertieft mit dem Akteurskonzept innerhalb der neoinstitutionalistischen Theorieströmungen auseinander und versuchen eingangs, die Wechselwirkung von Institutionen und Akteuren zu beschreiben: „Institutionen entfalten ihre Wirkung, weil sie kognitiv so stark verankert sind, daß sie die Wahrnehmung der Akteure und ihre Situationsdefinition beeinflussen. Umgekehrt sind es die Akteure, die durch die Interpretation und die entsprechende Umsetzung in Handlungen Institutionen kontinuierlich und über Generationen hinweg reproduzieren oder eben verändern.“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 162).
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Ausgehend von diesen Erläuterungen kann die Wirkung der Akteure im Zusammenhang mit dem Prozess der Institutionalisierung genauer beleuchtet werden. Hier schließen die folgenden Ausführungen an die zuvor erörterten Erklärungskonzepte zur Entstehung von Institutionen an. Zum einen existiert ein mikroperspektivischer Ansatz von Zucker (1977), der „die kognitive Verankerung institutionalisierten Wissens fokussiert“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 161). Zum anderen gibt es den von Meyer und Rowan (1977) entwickelten Ansatz, der eine starke Beeinflussung des Handelns der Akteure durch äußere Erwartungsstrukturen beschreibt. Dabei gehen beiden Autoren von der Makroebene aus und betonen den Ansatz der Realitätsmythen, die eine Beeinflussung der Institutionswerdung von außen und als Ergebnis darstellen. Durch diese beiden Zugänge unterscheidet sich auch das Akteurskonzept. Meyer und Hammerschmid (2006) fassen zusammen, dass bei Zucker „die Beständigkeit kultureller Praktiken in engem Bezug zum Grad der Institutionalisierung steht: Hochgradige institutionalisierte Praktiken sind relativ stabil, von Einzelpersonen unabhängig und veränderungsresistent“ (S. 161). Dies, so folgern beide Autoren, führt bei Zucker dazu, dass Akteure bestimmten Handlungsmustern unreflektiert folgen und diese so annehmen, wie sie sind. Positive oder negative Sanktionen greifen bei diesem Grad der Institutionalisierung nicht mehr. Meyer und Rowan (1977) und zu einem gewissen Grad auch DiMaggio und Powell (1983) gehen im Vergleich dazu genau von einer solchen externen positiven bzw. negativen Sanktionierung aus (Zwang) und betonen in ihrem Ansatz den Einfluss der institutionellen Umwelt auf das Handeln der Akteure innerhalb ihrer institutionellen Erwartungsstrukturen. „Meyer/Rowan fokussieren in ihrem klassischen Aufsatz auf die Übernahme von Praktiken aufgrund machtvoller Institutionen in der Umwelt der individuellen oder kollektiven Akteure (z. B. Organisationen).“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 162). Im Gegensatz zu Zuckers Ansatz betonen beide „den Charakter von Institutionen als Erwartungsstrukturen. Akteure befolgen Institutionen nicht nur deshalb, weil sie selbst keine Handlungsalternativen sehen, sondern weil sie davon ausgehen, daß andere diese institutionellen Praktiken von ihnen erwarten.“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 162 nach Meyer und Rowan 1977, S. 75). Unter Bezugnahme auf die weiteren Theorieausführungen lässt sich somit ein Akteursverständnis nachzeichnen, das eine gewissen Spannweite aufweist. Von den anfänglich schwachen, mit wenig Reaktionsmöglichkeiten ausgestatteten Akteuren, die als Spiegelbild einer institutionalisierten Umwelt fungieren (u. a. Zucker 1977; Tolbert und Zucker 1983; Meyer und Rowan 1977), bis hin zu aktiven, sich für institutionellen Wandel verantwortlich zeichnende „institutionelle
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Entrepreneure“ finden sich Beispiele in den Forschungsarbeiten (vgl. u. a. DiMaggio 1988; Hardy und Maguire 2008; Battilana, Leca und Boxenbaum 2009). Wie die Akteure dabei ihre Situationsdefinition gestalten, ob eher aktiv-kreativ oder reaktiv-sachlich (vgl. Scott 2008, S. 227 ff.), hängt auch von dem Akteursverständnis der Akteure selbst ab. Diese Vielfalt bestärkt zudem die Ausführungen (vgl. Abschnitt 2.3) zu den in den neo-institutionalistischen Theorieströmungen unterschiedlichen Verständnissen des Verhältnisses zwischen Organisation und institutioneller Umwelt. Alle Konzepte werden jedoch immer unter der Prämisse verwendet, dass der Akteur im Verständnis seiner Beziehung zur institutionellen Umwelt zu betrachten ist. Um jedoch zurück zur zweiten Ausgangsfrage zu kommen – wie gelingt es, dass Institutionen von oder durch Akteure vertreten bzw. verkörpert werden, braucht es mehr als nur ein passives Akteursverständnis, es braucht einen Zugang, der Akteure handlungsfähig im Sinne institutioneller Erwartungshaltungen werden lässt. Eine Möglichkeit, diese Brücke zu schlagen, ist mit Hilfe des Konzepts der Agentenschaft (Agency). Agentenschaft (Agency) Geht man von dem Handelnden im normativen Paradigma aus, so kann man Agency als „Rollenhandeln“ verstehen. Der Sozialkonstruktivismus löst sich von diesem Verständnis des alten Institutionalismus, indem die aktive Rolle des handelnden Individuums betont wird. „Agentenschaft“ steht zunächst einmal für ein Konzept, das eine Übernahme von unterschiedlichen Rollen ermöglicht: „Es sind Rollen, mittels deren Institutionen der individuellen Erfahrung einverleibt werden. Die Rollen sind in ihrer sprachlichen Vergegenständlichung ein wesentlicher Bestandteil der objektiv faßbaren [sic!] Welt einer jeden Gesellschaft. Als Träger einer Rolle – oder einiger Rollen – hat der Einzelne Anteil an einer gesellschaftlichen Welt, die subjektiv dadurch für ihn wirklich wird, daß [sic!] er seine Rollen internalisiert.“ (Berger und Luckmann 2012 [1977], S. 78)
Für Meyer und Jepperson (2000) ist Agentenschaft ein kulturelles Konstrukt. Für sie impliziert Agentenschaft die autorisierte Vertretung bestimmter Interessen: „First, we see the actorhood of individuals, organizations, and national states as an elaborate system of social agency […] Second, we call attention to the ways in which this cultural system constructs the modern actor as an authorized agent for various interests (including those of the self).” (S. 101)
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Konkret führen Meyer und Jepperson an, können Akteure Agentenschaften in vier Ausprägungen übernehmen: Als Agenten für sich selbst (1), als Agenten für andere/ Dritte (2), als Agenten für Einheiten ohne Akteursstatus (3) und als Agenten für generelle Prinzipien. (1) für sich, z. B. als Herr oder Frau Müller Dabei betonen die Autoren, dass „das agentenhafte Individuum […] in seiner Persönlichkeit oder seinem Lebensentwurf liegende Ziele verfolgt und nach Selbstverwirklichung strebt, keine ‚natürliche‘ Entität, sondern ein Resultat der modernen Kultur ist.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S 127). Damit gelingt es Meyer und Jepperson, eine Agentenschaft zu konstruieren, die nicht im Widerspruch zu neo-institutionalistischen Vorstellungen steht. Weiters können Akteure Agentenschaften für andere übernehmen. Für den schulischen Kontext könnte dies in Form, (2) als Angestellte/-r im Schulsystem oder für Schülerinnen und Schüler Durch die immer weiter fortgeschrittene Organisiertheit der Gesellschaft sind viele Aktivitäten stilisiert und standardisiert. Dies erleichtert die Übernahme von Agentenschaften für andere. Diese Übernahme der Agentenschaften kann so weit reichen, dass sogar für unbekannte Dritte Prinzipien vertreten werden: „Individuals in an instant can advise others of their true interests, or can participate in complete good faith as advisors and consultants to organizations that they might have known nothing about previously“ (Meyer und Jepperson 2000, S. 107).
Drittens vertreten Agenten vermehrt die Interessen von Akteuren, die keinen Akteursstatus haben – dies kann etwa der Klimawandel sein oder, um im schulischen Kontext zu bleiben, (3) etwa als Erziehungsziele des 21. Jahrhunderts (Nicht-Akteur). Bei den Vertretern solcher Nicht-Akteure spielt die Wissenschaft als Impulsgeber eine entscheidende Rolle (vgl. Meier 2004, S. 233). Die letzte Agentenschaft steht für die legitime Vertretung bestimmter Prinzipien. Etwa von (4) Verpflichtung für die vorherrschenden moralischen Gesetze und Vorstellungen einer Gesellschaft. Emirbayer und Mische (1998) entwerfen ein Konzept, das Agentenschaft in einem Kontinuum aus Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem betrachtet. Dies
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wird beeinflusst durch Handlungsmuster, die bereits erlebt wurden, orientiert sich dabei jedoch gleichzeitig an möglichen Handlungsweisen in der Zukunft und entsteht außerdem im Zusammenspiel mit den Eventualitäten des Augenblicks (vgl. S. 962). Sie streichen dabei drei Elemente hervor. Zum einen umfasst Agentenschaft für sie das „iterative“ Element, das vergangene Handlungsmuster als Ausgangspunkt nimmt und somit dazu beiträgt, Institutionen über die Zeit aufrechtzuerhalten. Das zweite Element beschreiben sie als „projektiv“. Damit meinen sie „die fantasievolle Generierung möglicher zukünftiger Handlungspfade durch Akteure“ (S. 971). Dabei unterstellen sie den Akteuren, dass sie zukünftige Szenarien unter Einbeziehung eigener Wünsche, Hoffnungen und Ängste kreativ rekonfigurieren (vgl. ebd.). Das dritte Element von Agentenschaft umfasst „praktisch-evaluative“ Momente. In ihrer Agentenschaft können Akteure für aktuelle Situationen „unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Anforderungen, Dilemmas und Zweideutigkeiten praktische und normative Urteile über mögliche Handlungspfade fällen“ (ebd.). Unter Agentenschaft verstehen die Autoren demnach: „[…| the temporally constructed engagement by actors of different structural environments – the temporal-relational contexts of action – which, through the interplay of habit, imagination, and judgment, both reproduces and transforms those structures in interactive response to the problems posed by changing historical situations.“ (Emirbayer und Mische 1998, S. 970)
Emirbayer und Mische liefern somit ein Konzept für Agentenschaft, das sowohl Räume der Gestaltung, also des Wandels, zulässt, als auch in bereits vorgegebene Handlungsstrukturen eingebettet ist. Durch diesen Zugang lassen sie Spielräume und Varianten für verschiedene Ausgestaltungen von Agentenschaften offen. Agentenschaft kann beschrieben werden als „the interpretive processes whereby choices are imagined, evaluated, and contingently reconstructed by actors in ongoing dialogue with unfolding situations.“ (Emirbayer und Mische 1998, S. 966)
Beide Zugänge zeugen von der Komplexität, die mit dem Konstrukt der Agentenschaft verbunden ist. Dieses umfasst sowohl die Dimensionen der kulturellen als auch der sozialen Bezogenheit, indem sie auf Handlungsmuster und Routinen ebenso eingeht wie auf soziale Strukturen. Agentenschaft lässt sich demnach immer innerhalb eines kulturell-strukturellen Rahmens beschreiben und auch ausleben (vgl. Abdelnour et al. 2017). Dabei ergibt sich jedoch ein Paradoxon:
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„Actors who are truly embedded are not supposed to imagine, desire or realize alternative ways of doing things, because institutionalized arrangements and practices structure cognitions, define interests and, in the limit, produce actors’ identities’.“ (S. 674)
Das hier beschriebenen ‚Paradoxon of embededd agency‘ (vgl. Seo und Creed 2002; Battalina und D’Aunno 2009) greift in dem Moment, in dem Individuen oder auch Organisationen zwar vermeintlich die Möglichkeit haben zu handeln, jedoch in institutionelle Erwartungsstrukturen eingebettet sind und somit keine volle Freiheit haben. Abdelnour et al. (2017) haben in ihrem Überblicksartikel die Paradoxien der unterschiedlichen Konzepte zur Agentenschaft noch einmal aufgearbeitet und vier verschiedene Perspektiven extrahiert. Mit Hilfe dieser Zugänge können paradox erscheinende Annahmen transparenter gemacht werden und zu einer weiteren Klärung des Konstrukts beitragen. (1) Agentenschaft aus Sicht des willenhaften Akteurs (‚wilful actor‘) Als erstes Beispiel führen sie den „willenhaften Akteur“ an – eine Perspektive, die vor allem ausgelöst durch den „agentic turn“ in den vergangenen Jahren zunehmend an Popularität gewonnen hat. Die Versuche, steuerungslogische Konzepte (u. a. Oliver 1991) innerhalb neo-institutionalistischer Strömungen zu etablieren, hat dazu geführt, Akteurskonzepte zu finden, die eine solche aktive Handlungsmöglichkeit aufweisen. Bezeichnend für den willenhaften Akteur ist das Konstrukt des „Institutional Entrepreneur“. Hierbei wird von einem Akteur ausgegangen, der nicht einfach institutionelle Vorstellungen und Erwartungen weitergibt („Carrier“), sondern diese mit Handlungen verknüpft und dabei interpretiert und durch anhaltende Aushandlungsprozesse weitergibt (vgl. Hardy und Maguire 2008, S. 205). Institutional Entrepreneur (IE)
Institutionelle Unternehmer/-innen, wie Walgenbach und Meyer (2008, S. 139) diese Form der Agentenschaft übersetzen, sind Akteure, denen die Verantwortung zugesprochen wird, aktiv Institutionen neu zu kreieren oder diese zu verändern (vgl. Hardy und Maguire 2008, S. 198). Während einige Autoren und Autorinnen davon ausgehen, dass individuelle Akteure die Rolle der Institutional Entrepreneurs (IE) übernehmen können (u. a. Phillips et al. 2004), vertreten andere eher die Auffassung, dass es sich dabei um einen Prozess handelt, der von verschiedenen Akteuren mitgetragen wird (u. a. Czarniawska und Joerges 1996, S. 13 ff.).
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Eine entscheidende Frage im Umgang mit IE ist die nach deren Position in Organisationalen Feldern. Um Veränderungen herbeiführen zu können, ist ein gewisses Maß an Macht und Legitimation notwendig – wie und warum erhalten bestimmte Akteure das „Recht“, anders zu handeln (vgl. Fligstein und McAdams 2012, S. 13 f.; Battilana 2006)? Nicht selten handelt es sich bei IE um Akteure, die in unterschiedlichen Feldern agieren und somit auch als Brückenbauer („Boundary Bridgers“/ „Boundary Spanners“) zwischen diesen fungieren können (vgl. Greenwood und Suddaby 2006, S. 40). So bringen sie z. B. neue Handlungsmöglichkeiten in ein bestehendes Feld. IE können jedoch auch Akteure sein, die keine zentrale oder etablierte Stellung innerhalb eines bestehenden Feldes haben. Die AbseitsAkteure („peripher actors“) haben weniger Verbindungen und somit auch weniger Anspruchsgruppen – sie können Handlungsideen entwickeln, ohne dabei von etwaigen Erwartungshaltungen oder institutionellen Vorgaben (vgl. ebd.) zu sehr eingeschränkt zu sein. Mit dieser Hypothese wird dem Konzept des „Macho-Akteurs“ (Sandhu 2012) bzw. des Champions (Tolbert und Zucker 1983), der Veränderungen herbeiführt, entgegengetreten. IE verfolgen in ihrer Agentenschaft unterschiedliche Strategien. Hardy und Maguire (2008, S. 206 f.) verweisen etwa auf den Einsatz von Ressourcen, ausgefeilten Begründungsstrategien und bewusst angelegten Kollaborationen.
Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass trotz des Ansatzes, Akteure auch als „willenhaft“ wahrzunehmen, die neo-institutionalistischen Vorstellungen nicht übergangen werden dürfen und Elemente des rational-handelnden Akteurs durch die Hintertür wieder eingebracht werden (vgl. Mutch 2007, S. 1124). (2) Agentenschaft mit Berücksichtigung der kollektiven Absicht Agentenschaft wird sowohl individuellen als auch kollektiven Akteuren wie Organisationen oder Professionen zugeschrieben, ohne dabei näher ins Detail zu gehen, wie zwischen dem Individuum und dem Kollektiv dabei die Agentenschaft verhandelt werden kann. Ein Irrglaube bzw. eine Fehlinterpretation, die dabei häufig auftritt, ist, dass kollektive Akteure als die Summe ihrer individuellen Akteure angesehen werden. Ausgeblendet werden dabei Aushandlungsprozesse, wie eine kollektive Agentenschaft entsteht. Scott (2008) hat sich dieses Dilemmas angenommen, indem er die Profession als kollektive Agentenschaft beschreibt. In seiner Beschreibung unterscheidet er verschiedene Gruppierungen, denen die
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individuellen Akteure innerhalb der Profession angehören können. Diese drei Gruppen charakterisieren sich durch eine „kreative“ (‚creative professionals‘), eine „translative“ (‚carrier professionals‘) oder eine „sachlich-nüchterne“ Art (‚clinical professionals‘) (vgl. Scott 2008, S. 227 f.), um mit institutionellen Vorstellungen und Überzeugungen umzugehen. Gerade wenn kollektive Akteure Handlungsroutinen haben, die nicht denen der individuellen Akteure entsprechen, bedarf es Mechanismen, die die individuellen Akteure dennoch nach den Vorgaben des kollektiven Akteurs handeln lassen (vgl. Ortmann 2010). Abdelnour et al. (2017) verweisen an dieser Stelle auf Barley und Tolbert (1997), die über Skripten und Rollenkonzepte eine solche Agentenschaft empirisch darstellen konnten. (3) Agentenschaft, betrachtet als Flickenteppich Unter diesem Punkt führen Abdelnour et al. (2017) die Problematik der Parallelität mehrerer Agentenschaften auf. Insbesondere wird dabei auf die Veränderung von institutionellen Erwartungshaltungen der Umwelt eingegangen. Während die eine Anspruchsgruppe noch Praktiken verteidigt, die viele Jahre lang etabliert waren, formuliert eine andere Anspruchsgruppe neue Erwartungshaltungen, die zwar noch nicht weit etabliert sind, die Arbeit jedoch erleichtern würden. Abdelnour et al. schreiben dazu: „Institutional fields are inherently dynamic and the practices and organizations that populate and constitute them are far from settled or unitary. The seemingly uniform institutional forces constituting an organizational field, predicated on shared ideals and mandatory techniques, are often underlain by incompatible goals, diverse skills and competences, as well as different traditions with unique role structures, positions, agency forms or cultures. This suggests a need to reconsider the very definition of institutions in a way that lends itself to the study of agency forms in the context of institutional diversity and fragmentation.“ (2017, S. 1786).
(4) Agentenschaft, betrachtet aus der Perspektive des modularen Individuums Das letzte Dilemma lässt sich daraus ableiten, dass individuelle Akteure mehr als nur eine Agentenschaft innehaben können und dieser Tatsache geschuldet, selbst in Dilemmata kommen können. Die Autoren verweisen auf die Möglichkeit der bewussten Rollenannahme, um sich diesen konfligierenden Momenten zu stellen – wohlwissend, dass es sich hierbei wieder um eine Rollenübernahme im Berger‘- und Luckmann‘schen Sinne handelt. Rollenflexibilität, so Abdelnour et al., erlaubt es Akteuren, sich in verschiedenen institutionellen Umwelten zu bewegen (vgl. S. 1788).
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Für die vorliegende Arbeit sind besonders die beiden Perspektiven (1) und (4) wichtig und unter Umständen auch die Sichtweise (2). Perspektive (1) bedarf es vor allem, um den Wandel von Institutionen verstehen zu können. Dabei kann sich diese Perspektive zum einen auf den bzw. die Schulleiter/-in selbst beziehen, zum anderen kann auch darauf geschaut werden, wie individuelle oder kollektive Akteure in der schulischen Umwelt durch ihr Agieren als „willenhafte Akteure“ eine Veränderung herbeiführen (z. B. das Zentrum für lernende Schulen). Der Fokus (2), also das Verhältnis zwischen Individuen und dem Kollektiv, einschließlich des nochmaligen Verweises etwa auf die Profession, ist für Schulleiter/-innen deshalb von Bedeutung, weil ein Professionsverständnis (zumindest im österreichischen Kontext) von Schulleiter/-innen als ein solches noch nicht (auf institutioneller Ebene in Form einer Professionsvertretung) etabliert ist und somit ein Zugehörigkeitsgefühl, das im Sinne einer Agency existieren könnte, weniger ausgeprägt erscheint. Die Perspektive (4) ist schließlich vor allem deshalb besonders relevant, weil sich Schulleiterinnen und Schulleiter in vielen unterschiedlichen Agentenschaften wiederfinden und sich in ihrer Rolle als Schulleiter/-in orientieren bzw. für bestimmte Agentenschaften entscheiden müssen. Um Schulleiter/-innen in ihrer agentenhaften Akteursrolle darstellen zu können, hilft ein exemplarischer Aufriss des Aufgabenfeldes66 bzw. sollen die Herausforderungen, mit denen sich Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert sehen (vgl. u. a. Schratz et al. 2015), aufgezeigt werden: • Schulleiter/-innen bewegen sich zwischen zwei Handlungsrationalitäten (Rosenbusch und Huber 2008, S. 750). Sie müssen einerseits Anweisungen einer verwaltungs-hierarchisch organisierten Behörde ausführen (übergeordnete Dienstbehörde) und zum anderen eine pädagogische, wenig hierarchisch 66
Bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit gibt es für das österreichische Bildungssystem kein Aufgabenprofil für Schulleiterinnen und Schulleiter. Mit dem 2017 eingeführten Bildungsreformgesetz verändert sich die Lage für Schulleiterinnen und Schulleiter deutlich (vgl. Brauckmann et al. 2019). Einhergehend mit den Veränderungen für die Arbeitsbereiche der Schulaufsicht, werden die Schulleiterinnen und Schulleitern die Verantwortung für die Professionalisierung ihrer Lehrer/-innen übernehmen sowie die direktere Auswahl ihres Personals treffen. Auch im Bereich der Schulorganisation können vermehrt Strukturen autonom entschieden werden (Stundentaktung, Klassenschülerhöchstzahlen etc.). Die hier angeführten Aufgaben ergaben sich zum großen Teil aus den Eröffnungsinterviews mit sieben der elf Schulleiterinnen und Schulleiter, die im Schuljahr 2015/16 im Zuge des Projektes Modellregion Bildung Zillertal geführt wurden sowie aus einer daraus abgeleiteten Literaturrecherche.
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orientierte Organisation leiten (vgl. Schulunterrichtsgesetz § 56 Abs. 1; vgl. Bonsen 2010, S. 278 f.) Sie tragen einen Großteil der Verantwortung für schulische Qualitätsentwicklungsprozesse (Schulunterrichtsgesetz § 56 Abs. 2; vgl. Schratz & Hartmann 2009, S. 333) und befinden sich in Rechenschaftspositionen gegenüber ihrer übergeordneten Dienststelle wieder (z. B. in Form von Bilanz- und Zielvereinbarungsgesprächen im Qualitätsentwicklungsprozess) (ebd. §17 Abs. 1; Bildungsdirektioneneinrichtungsgesetz; vgl. Altrichter 2017) Ihre Aufgabe besteht darin, pädagogische Zielvorstellungen zu entwickeln und diese gemeinsam mit den Lernenden und Lehrenden des Standorts umzusetzen. (vgl. u. a. Thiel 2008; Schratz 2016, S. 318 f.) Sie agieren in einem Spannungsfeld zwischen kollegialem Austausch und vorgesetzten Qualitätsprüfenden („Primus-inter-Pares-Dilemma“, vgl. Schratz et al. 2015; Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz § 32 Abs. 2) Sie zeichnen sich verantwortlich für die Personalentwicklung an ihrem Standort. (vgl. Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz § 32 Abs. 6; Appius et al. 2012) Ihre Arbeit umfasst zu großen Teilen administrative Aufgaben, die viel Zeit in Anspruch nehmen. (vgl. Brauckmann et al. 2014, S. 47) Sie sind Repräsentanten und Repräsentantinnen der Organisation nach außen. Sie agieren als Bittsteller gegenüber den Schulerhaltern. (u. a. Schulbudget, Schulneubauten) Sie sind Diskurspartner in bildungsrelevanten Fragen. (z. B. zum Thema „regionale Schulentwicklung“) Sie sind Kontaktpersonen für außerschulische Bildungspartner/-innen in unterschiedlichen Belangen (Raummiete – Vereine; Ministrantenfreistellung, Schulgottesdienste – Kirche/ islamische Glaubensgemeinschaft; Jurymitglied beim Malwettbewerb der ortsansässigen Bank – Wirtschaft). Sie sind Nahtstellenpartner/-innen für andere (Aus-)Bildungsorganisationen. Sie fungieren als Deeskalationspartner/-in bei Konflikten.
Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass sich Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrer täglichen Arbeit mit vielen unterschiedlichen Anspruchsgruppen sowie institutionellen Vorstellungen und Erwartungshaltungen konfrontiert sehen. Da für die vorliegende Arbeit insbesondere jene institutionellen Erwartungen, die mitunter die von Anspruchsgruppen an Schulleiterinnen und Schulleiter herangetragen werden, von Interesse sind, wird im folgenden Kapitel eine theoretische Fundierung des Konzeptes der Anspruchsgruppen weiterführend behandelt.
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2.4.2
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Der Blick von außen: Schulische Anspruchsgruppen
Unweigerlich hängt das Thema „Anspruchsgruppen“ mit dem Aspekt der Legitimität und jenem der Macht zusammen. Gerade noch einmal vor dem Hintergrund Kochs Ausführungen, in denen er betont, dass die Weitergabe kultureller Regeln nicht als „,mechanische‘ Inkorporation“ (2018, S. 187) zu verstehen ist, sondern durch sozialen Akteuren erfolgt. Organisationen sind in Feldstrukturen eingebettet, in denen sie nicht nur von einer Anspruchsgruppe gefordert werden, sondern gleich von mehreren: „Organisationen sind – so ein Kernargument des institutionalistischen Ansatzes – darauf angewiesen, daß sie von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Anspruchsgruppen Legitimität zugesprochen bekommen. Legitimität erhalten Organisationen nur dann, wenn sie den Anforderungen und Erwartungen der jeweiligen Anspruchsgruppe genügen.“ (Walgenbach 1998, S. 267)
Wie bereits beschrieben, vertreten Anspruchsgruppen in dieser Auffassung ebenfalls institutionelle Erwartungshaltungen, auf die organisationale Akteure (Organisationen) Antwort geben: „Viele der in Organisationen vorzufindenden Stellen, Abteilungen, Verfahrensweisen oder Programme werden aufgrund der öffentlichen Meinung und der Sichtweisen wichtiger Kunden erforderlich oder durch Gesetze erzwungen, sie werden adoptiert, und zwar unabhängig von ihren Auswirkungen auf das Arbeitsergebnis.“ (Walgenbach 1998, S. 273)
Dabei soll jedoch betont werden, dass die Ansprüche nicht willkürlich an Organisationen herangetragen werden, sondern etwa im Zuge von Reformen oder Kooperationen/Beziehungen, die zwischen den unterschiedlichen Akteuren bestehen (vgl. hierzu Kochs sozio-strukturelle Dimension). Sandhu (2014, S. 1165) bestimmt ausgehend von drei unterschiedlichen Attributen (Macht, Dringlichkeit
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und Legitimität) unterschiedliche Typen von Anspruchsgruppen67 für Organisationen (Abbildung 2.7). Hierbei beruft er sich auf Mitchell et al. (1997), Suchmann (1995) und auch Weber (1922). Um die Konzepte, die Sandhu (2014, S. 1165 ff.) für seine Schlüsselbegriffe verwendet, transparent aufzuzeigen, werden die Begriffe Macht, Dringlichkeit und Legitimität in weiterer Folge kurz dargestellt. Dabei werden die drei Begriffe noch einmal über die von Sandhu bereits erfolgte Erläuterung hinaus hergeleitet. Macht wird dabei in Anlehnung an Weber verstanden als „die Chance, in einer Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstände durchzusetzen.“ (vgl. Weber 1922, S. 28/29) Dringlichkeit: Mitchell et al. (1997) gehen in ihren Ausführungen zu Dringlichkeit auf zwei zentrale Eigenschaften ein. Zum einen das zeitliche Empfinden – wie lange kann ein Reaktionszeitraum sein, bis die Anspruchsgruppe ihn als zu lange empfindet und – zum anderen, wie sieht die Beziehung zur Anspruchsgruppe generell aus. Daraus leiten die Autoren ab: „We define urgency as the degree to which stakeholder claims call for immediate attention.“ (Mitchell et al. 1997, S. 867) Legitimität: Auch Sandhu bezieht sich bei seinem Verständnis von Legitimität auf jenes nach Suchmann (1995), das bereits in Abschnitt 2.2.2. vorgestellt wurde. Er schreibt dazu: „Die Legitimität einer Organisation ist die kollektive und generalisierte Wahrnehmung bestimmter Gruppen oder Publika innerhalb und außerhalb der Organisation. Sie urteilen über die Handlungen bzw. Aussagen einer Organisation bzw. über die Organisation als Ganzes.“ (Sandhu 2014, S. 1163)
Aus den drei zuvor genannten Eigenschaften ergeben sich sieben „idealtypische“ Anspruchsgruppen.
67
Sandhu (2014) sowie auch Mitchell et al. (1997) sprechen von Stakeholdern, um jedoch im Sprachduktus dieser Arbeit sowie der einschlägigen Sekundärliteratur (vgl. Walgenbach und Meyer 2008) zu bleiben, wird der Begriff „Anspruchsgruppe“ verwendet. Anspruchsgruppen können sowohl interne als auch externe Akteure der Organisation sein. Im Kontext dieser Arbeit werden sie nicht nur als Anspruchsstellende, sondern auch als Erwartende, die aufgrund der Entwicklungsprozesse der Schulstandorte förderliche oder hindernde Einflüsse für sich oder die Institutionen, denen sie angehören, erleben können. Damit entspricht das Verständnis dem von Stakeholdern (vgl. Beywl & Potter 1998).
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Abbildung 2.7 Stakeholder-Typologie (nach Mitchell et al. 1997)
• keine Anspruchsgruppe im eigentlichen Sinn (keine der drei Merkmale) Für die Schule wären das Gruppen, die weder Macht noch Legitimität noch Dringlichkeit mit ihren Ansprüchen hervorrufen. Dies könnten kommunale Einrichtungen sein, die an einer Kooperation mit der Schule interessiert sind. • latente Anspruchsgruppe (eine der drei Merkmale) Hier werden je nach Attribut drei Gruppen unterschieden: – fordernde Anspruchsgruppen (Dringlichkeit) Fordernde Anspruchsgruppen verfügen über ein hohes Maß an Dringlichkeit. Z. B. können Schulsozialarbeiter/-innen als eine solche fordernde Anspruchsgruppe auf den Plan treten, wenn es an der Schule einen Vorfall gegeben hat. Ihr Ansuchen ist dringend und bedarf in den meisten Fällen einer sofortigen Antwort.
2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
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– ruhende Anspruchsgruppen (Macht) Ruhende Anspruchsgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über Macht verfügen, diese aber nicht zwangsläufig gebrauchen. Ein Beispiel könnte etwa die Gemeinde als Schulerhalter sein. Diese wird erst dann tätig, wenn sie Handlungsbedarf sieht oder die Schule an sie herantritt. Aufgrund der Position verfügt diese Anspruchsgruppe aber über die Macht, entscheidende Veränderungen mittragen zu können oder nicht. – vernachlässigbare Anspruchsgruppen (Legitimität) Diese Gruppe hat zwar die Möglichkeit, der Schule Legitimität zuzusprechen, verfügt aber weder über das Attribut Macht noch über den Aspekt der Dringlichkeit. Als hypothetisches Beispiel könnte hier etwa eine Einrichtung stehen, die Preise und Auszeichnungen für besonders gute Schulen vergibt. • fordernde Anspruchsgruppe (zwei der drei Merkmale) Betrachtet man insbesondere das Merkmal der Legitimität, so unterscheidet Sandhu weitere drei Anspruchsgruppen: – diskrete Anspruchsgruppen (sind legitim, verfügen aber über wenig Macht) Für schulische Umwelten wären dies zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler; ihnen wird gerade in höheren Schulen eine Stimme im sogenannten Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) per Gesetz eingeräumt. Tatsächlich verfügen sie aber in der Realität häufig über wenig Macht. Ähnlich könnte man dies auch für Eltern nachzeichnen, allerdings weniger eindeutig, da Eltern durch bestimmte Faktoren auch zur folgenden Anspruchsgruppe zählen könnten: – abhängige Anspruchsgruppen (verfügen über Legitimität und Dringlichkeit) Dieser Anspruchsgruppe fehlt die Eigenschaft „Macht“, um ihre Interessen durchsetzen zu können. Das Attribut „abhängig“ leitet sich laut Sandhu ab von der Eigenschaft, dass ihre Ansprüche zwar „gerechtfertigt und zeitkritisch sind, aber nicht allein durchsetzungsfähig sind“ (vgl. 2014, S. 1165). Anspruchsgruppen dieses Typs versuchen daher, für ihre Ansprüche Machtsponsoren zu finden. Um das vorhin genannte Beispiel im Zuge der Benotung noch einmal aufzugreifen: Eltern könnten als Machtsponsor/-in zum einen den Schulleiter/die Schulleiterin selbst haben, der/die sie in ihrem Ansuchen unterstützt. Zum anderen sind Eltern
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und Erziehungsberechtigte in der Lage, sich an mächtige Instanzen wie etwa die Schulaufsicht zu wenden, um so zu ihrem Anspruch zu kommen. Ein anderes Beispiel für eine abhängige Anspruchsgruppe sind Einrichtungen zur Professionalisierung. Zieht man noch einmal das Beispiel des Zentrums für lernende Schulen heran, so wurde hier der Machtsponsor „Ministerium“ hinzugezogen, um überhaupt erst eine bundesweite Entwicklungsbegleitung aller Neuen Mittelschulen durchsetzen zu können. Sandhu führt bei dieser Gruppe ferner an, dass auch durch Lobbyarbeit die eigenen Interessen vorangebracht werden können. Anders gestaltet sich dies bei der dominanten Anspruchsgruppe. – dominante Anspruchsgruppen (verfügen über Legitimität und Macht) Diese Form der Anspruchsgruppe ist jene, die qua ihrer Eigenschaften einen starken Einfluss auf eine Organisation ausüben kann. Beispielhaft könnte man Akteure anführen, die etwa durch Gesetze Neuerungen innerhalb der Organisation fordern. Dieser Anspruchsgruppe fehlt jedoch der Aspekt der „Dringlichkeit“. Gerade die Frage, wie ein potentielles Antwortverhalten auf eine solche Anspruchsgruppe aussehen kann, wird für die weitere empirische Untersuchung relevant sein. • definitive Anspruchsgruppen (weisen alle drei Merkmale vor). Auf die dominante Anspruchsgruppe folgt nur noch jene Anspruchsgruppe, die als definitive Anspruchsgruppe beschrieben wird. Sie verfügt über alle Eigenschaften und ist somit jene Anspruchsgruppe, die am meisten Einfluss auf die Entwicklungen und Ausgestaltungen der Organisation nehmen kann. Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass die hier ausgewählten Beispiele alle rein hypothetisch und nur zur Veranschaulichung formuliert wurden. Wie sich die Situation mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen tatsächlich verhält, wird im vierten Kapitel im Rahmen der empirischen Untersuchung gezeigt. Sandhu verweist in seinen Ausführungen noch darauf, „dass die beschriebenen Eigenschaften keineswegs statisch und dauerhaft verteilt [sind].“ (2014, S. 1165). Außerdem leitet sich die Frage, inwieweit eine Anspruchsgruppe als mächtig bzw. als dringlich in ihren Ansprüchen wahrgenommen wird, auch von der Einschätzung – in dem Fall der vorliegenden Arbeit – des/der Schuleiters/Schulleiterin ab. Daher ist es von besonderer Bedeutung, einen Blick auf die verschiedenen Anspruchsgruppen zu werfen.
2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
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Ein anderer Zugang betrachtet Anspruchsgruppen in Form ihrer Anordnung innerhalb einer Feldstruktur68 . Fligstein und McAdam haben in ihrer „Theory of fields“ (2012) eine Typologie von Anspruchsgruppen vorgenommen. Sie unterscheiden zwischen: • Incumbents69 (etablierte Akteure) Diese etablierten Akteure dominieren die Feldstrukturen. Sie haben großen Einfluss. Ihre Interessen und Ansichten spiegeln sich in den organisationalen Handlungsstrukturen deutlich wider. Ihre Interessen sind leitend für die Sinnstiftung und die Strukturen des Feldes (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 13). Im Kontext schulischer Akteure kann dies etwa die Schulaufsicht sein. • Challengers (Infragesteller/-innen) Unter „Challengers“ werden Akteursgruppen angeführt, die im Vergleich zu den etablierten Akteuren weniger zentrale Positionen einnehmen und somit auch in vergleichsweise geringem Maß Einfluss nehmen. Nichtsdestoweniger kennen sie die Feldstrukturen sehr gut, insbesondere die dort vorherrschenden Logiken und etablierten Akteure. Aus dieser Position heraus gelingt es ihnen, alternative Handlungsformen aufzuzeigen, die dennoch anschlussfähig für die gängigen Vorstellungen sind. Diese Eigenschaft bildet sich auch in ihrer Bezeichnung „Infragesteller/-innen“ ab (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 13). Für schulische Umwelten wären dies z. B. Initiativen, die Schule anders denken – das können Fort- und Weiterbildungsinstitutionen sein oder Initiativen wie „Schule im Aufbruch“ (vgl. Rasfeld & Breidenbach 2014) oder die „London Challenge“ (vgl. Kidson & Norris 2014). • Governance Units (Interessenvertretungen) 68
„Das Feld wird zum ‚symbolischen’ Resonanzraum institutioneller Dynamiken.“ (Meyer 2004, S. 179 ff.). Mit Hilfe eines Feldes lassen sich Legitimitätskonflikte leichter nachzeichnen. „Die Themenfelder stehen in enger Rückbildung an institutionelle Logiken, denn ‚Akteure formen institutionelle Felder, in dem sie überzeugende Argumente darbieten, die institutionelle Logiken rechtfertigen, rationalisieren und legitimieren und/oder konkurrierende Logiken entwickeln‘ (Green et al. 2008, S. 43, Übersetzung nach Sandhu).“ (Sandhu 2014, S. 1173). Mit diesem Verständnis nach Green et al. wird hier ein Verständnis des ‚Issue-Feldes‘ (Hoffmann 1999) propagiert. Dies wird für die weiteren Ausführungen so beibehalten. 69 „Incumbent“ wird i. d. Regel übersetzt mit „Amtsträger“ – in erweiterter Auslegung sind hier aber etablierte Akteure gemeint.
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Ihre Aufgabe besteht darin, dominierende Positionen im Feld zu stärken und die Vormachtstellung der etablierten Akteure zu bekräftigen. Es handelt sich dabei nicht um staatliche Akteure, sondern um interne Akteure des Feldes. (Vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 12 f.) Klassisch wären für schulische Umwelten etwa Gewerkschaften oder Professionsvertretungen. Es zeigt sich allerdings bereits in der theoretischen Aufarbeitung dieses Konzepts, dass sich einige der Anspruchsgruppen schulischer Umwelten nicht in dieses Schema integrieren lassen bzw. mehrfach zugeordnet werden können. Die Ausführungen Fligsteins und McAdams (2012) berücksichtigen zudem die Frage, wie sich ein „gemeinsames Verständnis“ innerhalb eines Feldes70 entwickeln kann. Ihren Annahmen zufolge sind hierfür vier Formen des Verstehens nötig. (1) Allgemeines Verständnis Um sich in einem gemeinsamen Feld bewegen zu können, bedarf es zunächst eines allgemeinen Verständnisses, was das Gemeinsame71 an diesem Feld ist. Ein solches Verständnis ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einem allgemein gültigen Konsens aller Akteure (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 11). Es bedeutet lediglich, dass die Themen, um die sich das Feld formiert, als legitim angesehen werden. Ein Beispiel aus dem schulischen Kontext kann die Einführung der Neuen-Mittelschul-Reform sein. Hier ist allen im Feld klar, dass diese umzusetzen ist, nichtsdestoweniger haben die Akteure des Feldes unterschiedliche Zugänge und Ansichten zu dieser Thematik. (2) Verständnis der eigenen Position im Feld Um Felder und somit auch deren Strukturen zu begreifen, ist es wichtig, dass die Akteure selbst wissen, wo ihre Positionen innerhalb dieses Feldes sind. Fligstein und McAdam schreiben dazu: „[…] actors know who their friends, their enemies, 70
Die Ansätze zur Feldtheorie nach Fligstein und McAdam wurden bereits in Abschnitt 2.2.2 dargestellt. 71 An dieser Stelle sei auf Hoffmann (1999) und seinen Ausführungen zu einem „Issue-Feld“ hingewiesen. Für Hoffmann etablieren sich Felder nicht, wie ursprünglich von DiMaggio und Powell (1991, S. 64 f.) beschrieben, durch „[…] those organizations that, in the aggregate, institute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product consumers, regulatory agencies, and other organizations that produce similar services and products.“ (S. 64), sondern für ihn sind es vor allem „[…] centers of debates in which competing interests negotiate over issue interpretation.“ (Hoffmann 1999, S. 351). Damit gelingt es Hoffmann, die Kritikpunkte (gleiche Macht für alle Akteure, keine Ansätze oder Muster für Wandel, Homogenität unter den Organisationen), denen sich das Konzept von DiMaggio und Powell ausgesetzt sah, zu stellen.
2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
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and their competitors are because they know who occupies those roles in the field.“ (Ebd., S. 11) Wie dem Zitat zu entnehmen ist, hilft die Bestimmung der anderen Akteure im Feld dabei, die genaue Verortung von sich selbst festzulegen. Je nach Wahrnehmung der anderen Akteure setzt man sich auch zu diesen in Beziehung bzw. begegnet diesen. (3) Verständnis der Spielregeln Ausgehend von der Tatsache, dass Felder um gemeinsame Themen entstehen, haben diese Felder auch gemeinsame Spielregeln. Mit diesen Spielregeln ist ein kulturelles Verständnis dafür gemeint, wie sich Handlungen und Akteure im Feld verhalten können/dürfen, sprich, was als legitim angesehen wird. Verhalten sich Akteure außerhalb der Spielregeln, kann dies zu erheblichen Irritationen im Feld führen. (4) Verständnis der gegenseitigen Beeinflussung bzw. der Reaktion anderer auf das eigene Verhalten Der letzte Punkt behandelt das Verständnis des Miteinanders der Akteure im Feld. Wie beeinflussen sich die Akteure gegenseitig? Welche Reaktionen erhält man auf sein eigenes Verhalten bzw. auch: wie reagiert man auf die Verhaltensweisen der anderen Akteure? „We expect that actors will tend to see the moves of others from their own perspective in the field. […] The reactions of more and less powerful actors to the actions of others this reflect their social position in the field.“ (Ebd.)
Es wird also die eigene Position im Feld reflektiert und – so die Schlussfolgerung – kann sich diese dadurch auch verändern. Gerade die beiden Zugänge (2.) und (4.) erscheinen bemerkenswert, wenn man sich genauer betrachtet, wie sich responsives Verhalten einzelner Akteure bzw. Akteursgruppen im Feld gestaltet. In Kapitel 3 wird gesondert auf diese Thematik eingegangen. „[...] for us, there is constant jockeying going on in fields as a result of their conscious nature. Actors make moves and other actors have to interpret them, consider their options, and act in response.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 12)
Fligstein und McAdam gehen außerdem davon aus, dass sich Felder stets in Veränderung befinden, es kommt zu ständigen Aushandlungsprozessen.
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Mit dieser Untergliederung wird ein erweitertes Konzept für Anspruchsgruppen geschaffen. Zusammen mit der Annahme, dass sich Organisationale Felder um gemeinsame Aushandlungsprozesse formieren – wie etwa die Ausgestaltung einer neuen Schulreform im Kontext schulischer Organisationen – hilft die Kategorisierung nach Fligstein und McAdam, die institutionellen Umwelten von Schulen besser beschreiben zu können. Gemäß der angeführten Kriterien von Sandhu bietet sich eine Möglichkeit, die genannten Anspruchsgruppen aus den empirischen Daten später zu unterschiedlichen Feldern zu rekonstruieren. Dabei werden einige Akteure innerhalb mehrerer Felder vorkommen. Erste Überlegungen – wenn auch nicht unter der Prämisse, diese als Organisationale Felder darzustellen – wer schulische Anspruchsgruppen und somit mögliche Akteure eines Feldes sein können, liefert Helmut Fend in seiner Neuen Theorie der Schule (2008). Fend72 versucht, das Bildungssystem als Ganzes fassbar zu machen. Dazu orientiert er sich vorrangig an den systemtheoretischen Auslegungen nach Luhmann. Interessant für die vorliegende Arbeit sind jedoch seine Ausführungen zu Bildungssystemen als institutionelle Akteure. „Versteht man sie [Institutionen] als Regelsysteme, die das Ergebnis von sozialen Vereinbarungen oder auch von Machtkonstellationen sind, dann bedeuten Handlungen im Namen dieser Institutionen, Regelandwendung zu vollziehen. Institutionelle Akteure handeln dann als Individuen, aber nicht nach persönlichen Zielen und Bedürfnissen, sondern nach jenen, die im Regelwerk der Institution definiert sind. Handeln von institutionellen Akteuren ist nach dieser Definition normativ strukturiertes Zusammenhandeln.“ (Fend 2008, S. 153, Anmerkung L. J.-R.)
Des Weiteren führt er aus, dass „[d]ie Kernaufgabe des institutionellen Akteurs ‚Bildungswesen‘ […] somit in der Vermittlung von Kultur, von kulturellen Deutungssystemen und von kulturellen Kompetenzen [besteht].“ (ebd., S. 179) Fend unterteilt die Akteure in „externe“ und „interne“ und nimmt als dritte Kategorie „Rezipienten“ hinzu (vgl. Tab. 2.10). Strittig in Fends Darstellung ist die exklusive Behandlung von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern und Erziehungsberechtigten, denen er mit der Bezeichnung „Rezipienten“ eine Rolle zuteilwerden lässt, die für Fend außerhalb der Akteursebene liegt. In Abschnitt 3.2 werden alternative Konzepte diskutiert.
72
Diese Ausführungen gehen auf ein Kapitel in Helmut Fends (2008) „Neue Theorie der Schule“ zurück: „Grundzüge der erweiterten Neuen Theorie der Schule: Das Bildungswesen als institutioneller Akteur der Menschenbildung“ (S. 169–184).
2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
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Tabelle 2.10 Akteure des Schulsystems (nach Fend 2008a) „Organe“
Akteurskonstellationen und Akteure
Prozeduren und Aktivitäten
EXTERNE AKTEURE: GEMEINWESEN bzw. (BILDUNGS-)POLITISCHE INSTIUTIONEN gesellschaftliche Entwicklungen (z. B. Migration, Informationstechnologie)
staatliche Einrichtungen (z. B. Bundesamt für Ausländerfragen, Informatik-Beauftragte, Wissenschaftler)
Produktion von Wissen (Erfindungen, Kompetenzen) Formulierung von Intentionen
politische Interessen/ Instanzen (Parteien, Gewerkschaften)
Bildungspolitiker, Elternverbände
Formierung von Bildungsinstitutionen: Mittel, Personal, Infrastruktur
Vertreter/-innen von Institutionen
Bildungsrat, Kirche, Elternverbände, Jugendparlamente
Selektion von Wissen von gewünschten Kompetenzen; Lehrplanentwicklung
INTERNE AKTEURE DER ANGEBOTSGESTALTUNG Schulpflege Schulverwaltung
Schulpfleger/-in, Schulsekretariat
Personelle und administrative Führung des unterrichtlichen Angebots, Schulprofil
Schulleitung Lehrervertretung
Schulleiter/-in
Schulprogramm
Lehrerschaft
Lehrerin/Lehrer
Transformation von Wissen und Kompetenzen in unterrichtliche Prozesse (Lehren, Prüfen)
REZIPIENTEN VON BILDUNGSINSTITUTIONEN Standesvertretung der Schülerinnen und Schüler und Eltern
Schülerin / Schüler Eltern
Rezeption von Wissen und von Kompetenzen, Lernen
Besonders relevant ist Fends Darstellung der „internen“ Akteure, da ein expliziter Bezug auf diese Gruppe von Erwartungshaltenden bis dato noch nicht erfolgt ist, Entwicklungen einer Organisation jedoch maßgeblich von ihnen mitgestaltet werden können. Zusammenführung und Ableitungen Die dargelegten Weiterführungen konnten anhand ausgewählter Theorieströmungen aufzeigen, wie umfangreich und weitverzweigt der Diskurs zu zentralen Theorieelementen ist. Eine vollständige Darstellung und die Berücksichtigung
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der Entwicklungen sind in dieser Arbeit nicht leistbar. Wichtig war es daher, namentlich auf jene Punkte einzugehen, die für die zentrale Fragestellung73 der vorliegenden Arbeit relevant sind: A) Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiterinnen und Schulleiter bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschul-Reform an ihrem Standort? B) Wie respondieren Schulleiterinnen und Schulleiter durch Schulentwicklungsinitiativen – also auf Organisationsebene – auf ihre institutionelle Umwelt? Es erfolgte eine umfangreiche Darstellung, wie sich institutionelle Umwelten beschreiben lassen. Neben den Ausführungen zu Scotts Drei-Säulen-Modell konnten Erweiterungen durch Koch (2018) sowie Fligstein und McAdams (2012) unterschiedliche Elemente bzw. Mechanismen von Institutionen charakterisieren. Dass Schulleiterinnen und Schulleiter bestimmte Aufgaben innerhalb der Schulentwicklungsprozesse erfüllen, geht aus ihren Leiter/-innen-Beschreibungen hervor. Wie sie jedoch diese Aufgaben erfüllen, ist nicht im Detail vorgegeben. Im Zuge dieser Forschungsarbeit wird angenommen, dass hierfür unterschiedliche institutionelle Rahmen bzw. institutionelle Erwartungshaltungen existieren, an welchen sie sich orientieren können. Für die empirische Untersuchung leitet sich damit folgende Hypothese im Konkreten ab:
H3
73
Institutionelle Umwelten von Schulen, und daher auch Handlungsfelder von Schulleitern und Schulleiterinnen, charakterisieren sich wie folgt: H 3.1 Institutionelle Umwelten der Organisation Schule setzen sich aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen zusammen, bei denen sich unterschiedlichen Handlungslogiken zeigen. H 3.2 Anspruchsgruppen können nach unterschiedlichen Logiken handeln und dementsprechend unterschiedliche institutionelle Erwartungshaltungen z. B. bei Reformumsetzungen an Schulen stellen.
Vgl. Kapitel 1.
2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule
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Ein weiteres vertieftes Verständnis wurde durch die Auseinandersetzung erlangt, wie die einschlägigen Fachexpertinnen und -experten den Begriff des Akteurs – hier mit besonderem Fokus auf den individuellen Akteur – definieren. Erweitert durch die Konzepte der Agentenschaft können für die nachfolgende empirische Studie folgende Hypothesen abgeleitet werden:
H4
Das Verständnis von Schulleitung bzw. die Agentenschaft dieser Funktion kann unterschiedlich interpretiert werden. Schulleiterinnen und Schulleiter antworten verschieden auf ihre Umwelten und adressieren unterschiedliche Anspruchsgruppen. H 4.1 Für Schulleiterinnen und Schulleiter gibt es in Österreich wenig professionsspezifische Orientierungsmöglichkeiten, z. B. innerhalb einer eigenständigen Professionsvertretung. H 4.2 An wem sich ein/-e Schulleiter/-in orientiert, unterscheidet sich im Vergleich zu anderen Leiter/-innen. H 4.3 Die Gewichtung der bzw. die Orientierung an bestimmten Anspruchsgruppen erfolgt durch die Schulleiter/-innen. Dadurch wird auch die Schulentwicklung der Schule mitbeeinflusst.
Das zweite Kapitel diente der Hypothesengewinnung für die Fragestellungen, die Schule als Organisation und Schule in ihren institutionellen Umwelten beleuchten wird. Ein solcher Zugriff auf die institutionell-kontextuellen Bedingungen, denen sich Schulen und somit auch Schulleiterinnen und Schulleitern gegenübersehen, hilft dabei, diese zentralen Akteure der Schulentwicklung in ihrem responsiven Verhalten besser verstehen zu können. Der besondere Fokus der Arbeit, der auf dem Leitungshandeln der Schulleiterinnen und Schulleiter liegt, wurde ebenfalls anhand ausführlicher Darstellungen zum Akteurskonzept sowie des Konstruktes der Agentenschaft theoretisch unterfüttert. Im folgenden Kapitel werden ferner Veränderungsprozesse im Sinne von institutionellem Wandel genauer betrachtet sowie Theorien zu responsivem Antwortgeschehen dargestellt.
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Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden institutionellen Umwelten
„Responsivität als organisationales Vermögen, als Kompetenz der Organisation zählt nicht zu den stärksten Eigenschaften von Schulen. Eben deshalb bedürfen sie besonders dringend responsiver Organisationsforschung.“ (Ortmann 2017, S. 56 hervorg. im Text)
Wie kommen institutionelle Vorstellungen in die Schule, wie reagieren Schulleiter/-innen auf Ansprüche und wie vollzieht sich dadurch in weitestem Sinne organisationaler Wandel? Diese Fragen sind zentrale Themen des dritten Kapitels. Um sie im Detail zu behandeln, knüpfen die Ausführungen an die bereits in Kapitel 2 diskutierten Theorienansätze an. Es werden Konzepte zu institutionellem Wandel und die Verarbeitung von institutionellen Vorstellungen in konkrete Handlungen diskutiert. Um sich besonders auf die Situation von Schulleiterinnen und Schulleiter beziehen zu können, erfolgt im Anschluss eine vertiefte Betrachtung des sich wandelnden Verständnisses von Schulleitung inklusive des potenziell entstehenden Zielbildes für kommende Jahre. Um Schulleitungsforschung und institutionelle Organisationsforschung zusammenzubringen, werden im letzten Teil dieses Kapitels aktuelle Forschungszugänge der Organisationspädagogik aufgegriffen. Mit dem Ansatz, Wandel im Sinne von Responsivität zu verstehen, erfolgt die gemeinsame Rahmung der beiden Themen. Das Konzept der Responsivität bietet die Möglichkeit, Leitungshandeln als Antwortverhalten beschreibbar zu machen. Wie in der Einleitung klar dargestellt, soll dies anhand des Antwortverhaltens von Schulleiterinnen und Schulleiter auf eine Reform bzw. eine Reform umfassende Qualitätsentwicklungsinitiativen erfolgen. Um, wie bereits im zweiten Kapitel begonnen, auch hier der empirischen Studie eine solide theoretische Grundlage zur Seite zu stellen, werden zentrale Begriffe erläutert und in weiterer Folge auch für die
© Der/die Autor(en) 2023 L. Jesacher-Rößler, Responsive Schulleitung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4_3
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Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Arbeit operationalisiert. Zu diesen zentralen Begriffen zählen institutioneller Wandel im Neo-Institutionalismus, Schulleitung im Wandel, Leadershipformen und Responsivität als Antwortverhalten. Schule im 21. Jahrhundert kann als eine sich am Scheideweg befindende Institution beschrieben werden. Lag ihre zentrale Aufgabe über lange Zeit hinweg darin, Wissen zu vermitteln sowie „soziokulturelle Aufgaben im Sinne der Einführung in gesellschaftliche Anforderungen zu übernehmen“ (Schratz 2019, S. 46), ist dieses Bild zunehmend im Wandel begriffen. Schulen werden heute weniger als Orte der Wissensvermittlung gesehen, sondern vielmehr als Orte, an denen sich Generationen miteinander austauschen und entscheidende gesellschaftliche Fragen aushandeln. „Schule ist damit konfrontiert, dass sie heute über Strukturen von gestern junge Menschen zu mündigen Staatsbürgerinnen und -bürgern von morgen erziehen und bilden soll.“ (Schratz 2003, S. 8)
Daraus leitet sich ab, dass Schule als Institution, aber auch als Organisation, Logiken des Bewahrens – Schratz (2019, S. 41) spricht von Kontinuität – und gleichzeitig Logiken des Wandels in sich vereinen muss. Schulleitung hat, besser gesagt Schulleiterinnen und Schulleiter haben zur Aufgabe, Schulen bei diesem Wandel zu begleiten bzw. zu führen. Dementsprechend hat sich auch der Anspruch an Schulleitungshandeln gewandelt (vgl. Schratz et. al. 2015; Gerick und Harazd 2011). Um im Folgenden die Brücke zwischen institutionellen Umwelten von Schulen, deren Ansprüchen und sich daraus ergebenden Veränderungsprozessen schlagen zu können, erfolgt zunächst eine Darstellung institutionellen Wandels aus neo-institutionalistischer Sicht, um dann jene Veränderungstrends aufzuzeigen, die sich für Schulleitung in Österreich in den vergangenen Jahren ergeben haben.
3.1
Institutioneller Wandel
Während in der ersten Phase der neo-institutionalistischen Theorieströmungen die Stabilität von Institutionen im Zentrum der Betrachtung stand, weichen neuere Veröffentlichungen davon ab und setzen sich vermehrt mit dem Wandel von Institutionen auseinander (vgl. Merkens 2011, S. 99 f.). Damit wird der Kritik Rechnung getragen, die den neo-institutionalistischen Theorien vorwirft, „mangelhaftes konzeptionelles und empirisches Erklärungspotential im Bezug auf institutionelle Veränderungen und organisatorischen Wandel“ (Walgenbach
3.1 Institutioneller Wandel
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und Meyer 2008, S. 85) zu bieten. Anknüpfend an die bereits dargestellten Entwicklungen wird Wandel dabei auf unterschiedlichen Ebenen und unter Rekurs auf erweiterte Theorien diskutiert: z. B. Wandel von institutionellen Logiken (u. a. Thornton, Ocasio und Lounsbury 2012), Wandel in Organisationalen Feldern (u. a. Fligstein und McAdams 2012) oder Wandel durch institutionelle Arbeit (u. a. Lawrence und Suddaby 2006).
3.1.1
Auslöser von Wandel am Beispiel schulischer Veränderungen
Zunächst muss unterschieden werden zwischen institutionellem Wandel, also dem Wandel von institutionellen Logiken und Erwartungshaltungen, und organisationalem Wandel, der etwa durch externe institutionelle Erwartungshaltungen hervorgerufen werden kann. Festzuhalten ist, dass organisationaler Wandel schon immer Gegenstand der neo-institutionalistischen Forschung war, insbesondere etwa Wandel in Richtung einer zunehmenden Angleichung an institutionelle Vorstellungen (Isomorphie) (vgl. DiMaggio und Powell 1983) oder durch stufenweise Veränderung (Diffusion) (vgl. Zucker 1977; Barley und Tolbert 1997). Betont wurde dabei jedoch eine Homogenisierung von organisationalen Handlungsstrukturen durch institutionellen Druck – also ein „konvergenter Wandel“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 86). Wenig Beachtung – und vor allem hierauf bezieht sich die zuvor genannte Kritik – wurde Phänomenen wie divergentem Wandel, institutioneller Heterogenität oder einem konstitutiven Verständnis von Institutionen entgegengebracht (vgl. ebd.). Jene Fragen, die sich mit institutionellem Wandel auseinandersetzen, stehen somit im Mittelpunkt der Einwände. Eine solche Diskussion bedingt allerdings eine Abkehr von dem Verständnis, dass Institutionen stabile, nicht veränderbare Instanzen sind. Auch das Verhältnis zwischen Institutionen und Organisationen kann nicht mehr einseitig konstitutiv gedacht werden, sondern muss, wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, als ein sich gegenseitig beeinflussende Relation verstanden werden. Das wiederum zieht weitere Fragen nach sich. Walgenbach und Meyer bringen eine solche auf den Punkt: „Wie [können] neue Praktiken Fuß fassen und institutionalisiert werden, wenn Akteure, ihre sozialen Identitäten, Präferenzen und Interessen durch jene Institutionen definiert und geprägt sind, die verändert werden sollen [...]? (ebd.)
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Bereits dargestellte Ansätze (vgl. Kapitel 2), wie etwa das Paradoxon der „embedded agency“ oder der Ansatz des „institutional entrepreneurship“, bieten erste Konzepte, um diese Formen von Wandel zu diskutieren und eine aktivere Rolle der Akteure zu berücksichtigen. Mit den weiteren Ausführungen in diesem Kapitel, insbesondere zu Veränderungsprozessen in Schulen, die durch Schulleiter/innen begleitet und angeleitet werden, erfolgen weitere vertiefte Auseinandersetzungen. Um die Auslöser von Wandel analysieren und diskutieren zu können, ist es zunächst notwendig zu verstehen, dass Institutionen „multidimensionale Phänomene“ (Walgebach und Meyer S. 86) sind. Dementsprechend können Veränderungen dieser Institutionen an unterschiedlicher Stelle ansetzen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit erfolgen. Greenwood und Hinings (1996) unterscheiden zwischen revolutionärem und evolutionärem Wandel. Dabei attestieren sie ersterem eine hohe Geschwindigkeit und einen großflächigen Effekt und schreiben dem evolutionären Wandel eine gemäßigte Geschwindigkeit sowie eine pointierte und nur partiell ausgelöste Veränderung zu (S. 1024). Merkens bezeichnet den evolutionären Wandel als inkrementellen Wandel (vgl. 2011, S. 110 f.). Im Gegensatz zum revolutionären Wandel, der meist die fundamentalen institutionellen Logiken verändert, wird inkrementeller Wandel als natürlicher Fortgang der Entwicklung verstanden. Eine fortlaufende Weitergabe der institutionellen Logiken durch Akteure zieht kleinteilige Adaptionen nach sich, die somit stetigen Wandel bedingen. Wie bereits in Kapitel 2 im Zuge der Auseinandersetzung mit Zucker (1977) bzw. Tolbert und Zucker (1996) dargestellt, führen auch Greenwood und Hinings an, dass ein fundamentaler bzw. revolutionärer Wandel weniger häufig vorkommt, wenn Institutionen bereits verankert und gefestigt sind. Die Autoren sehen daher vor allem bei „jungen“ Institutionen die Möglichkeit einer radikalen Transformation. Diese Annahme wäre für sämtliche Veränderungsbestrebungen z. B. im Zuge von Reformen fatal, weshalb sie auf einige Kritik stößt. Streeck und Thelen (2005) etwa sprechen sich dafür aus, dass radikale Veränderungen auch graduell vonstattengehen können und nicht zwingend einer impulsiven Wandlungslogik folgen müssen. Auch Campbell (2004) regt an, Stabilität und Wandel nicht als gegensätzliches Paar zu verstehen, sondern vielmehr als Kontinuum: „So, for any episode of change, change may be located in a continuum, which ranges from stability on one end, through increasing degrees of evolutionary change in the middle, and through increasing degrees of revolutionary change on the other end.“ (S. 174)
3.1 Institutioneller Wandel
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Neben der Frage, in welcher Form sich Wandel vollziehen kann, wird auch die Frage in den Raum gestellt, welche Auslöser die unterschiedlichen Veränderungen haben können. Zentral wird dabei zwischen exogenen und endogenen Auslösern unterschieden. Entscheidend für die Verortung, ob exogen oder endogen, ist hierbei die zu untersuchende Analyseeinheit1 (vgl. Merkens (2011). Für die vorliegende Arbeit wäre exogen außerhalb der Schule und endogen innerhalb der Schule, wobei eine solch trennscharfe Unterscheidung nicht immer gelingen kann, wie sich in weiterer Folge darstellen lässt. Sowohl exogene als auch endogene Auslöser können in letzter Instanz zu einer Destabilisierung institutioneller Vorstellungen – zur De-Institutionalisierung – führen (vgl. Oliver 1991). Exogene Auslöser Ganz allgemein werden als exogene Auslöser sämtliche Ereignisse zusammengefasst, auf die Organisationen wenig bis keinen Einfluss haben. Bleibt man im schulischen Kontext, so können das etwa technologische Innovationen oder wesentliche Veränderungen in den gesetzlichen Vorgaben (z. B. neue Reformen) sein. Entscheidend für den Wandel ist jedoch die Antwort der Organisation auf den Impuls. „Je mehr eine Alternative durch einen einsetzenden Institutionalisierungsprozess als legitime Praktik erscheint, desto stärker erodiert die Legitimität der zuvor institutionalisierten Praktik.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 102 nach Leblebici et al. 1991)
Oliver (1991) unterscheidet zwischen drei verschiedenen Ursachen für DeInstitutionalisierung (vgl. Quack 2006, S. 177). Alle drei lassen sich – mehr oder wenig eindeutig – den exogenen Auslösern zuordnen und können mit dem Säulen-Modell von Scott bzw. dessen Erweiterung nach Koch in Bezug gesetzt werden. Zunächst führt Oliver den „politischen Druck“ an. „Über politischen Druck verändern sich in pädagogischen Organisationen vor allem die institutionellen Logiken. Schulen bieten hierzu gute Beispiele[.]“ (Merkens 2011, S. 101). Merkens führt als Beispiel an, wie mit Kindern nichtdeutscher Muttersprache an Schulen verfahren wird. Je nachdem, ob diese in gesonderten Deutschklassen oder in integrativen Settings unterrichtet werden, werden segregative oder integrative Handlungsweisen und Strukturen mit der Zeit institutionalisiert. Daraus ergeben sich wiederum institutionelle Logiken. Der exogene Auslöser, der hier beschrieben wird, lässt sich vor allem mit einer stark 1
In der Literatur findet man auch die Abgrenzung zwischen endogen als innerhalb des Organisationalen Feldes und exogen als außerhalb des Organisationalen Feldes liegend.
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regulativ ausgeprägten Säule vergleichen. Die Vorgaben erfolgen durch neue Verordnungen bzw. neue Erlässe. Es kann aber auch die normative Säule mehr in den Vordergrund treten; je nach Autonomiespielraum können Schulen bzw. schulische Akteure entscheiden, inwieweit sie den institutionellen Logiken der bildungspolitischen Vorgaben entsprechen wollen/müssen oder nicht. Merkens verweist in diesem Zusammengang auf das Begriffspaar „funktionaler Druck“ – ebenfalls eine von Oliver (1991) herausgearbeitete Kategorie. Damit wird eine Veränderung in der institutionellen Umwelt beschrieben, die eine direkte Auswirkung auf das Handeln in der Organisation hat, weil die institutionalisierte Handlung oder Routine nicht mehr als passend erachtet wird, um neuen Herausforderungen zu begegnen (vgl. u. a. Quack, S. 177). Merkens (2011) exemplifiziert dies anhand der PISA-Testungen und des durch die schlechten Ergebnisse ausgelösten Schocks. Durch die PISA-Testergebnisse kam es zu einem Umdenken in den deutschsprachigen Bildungssystemen. Zwar, so führt Merkens an, können durch die PISA-Testungen keine „falschen“ Strukturen im Bildungssystem festgemacht werden, jedoch ließe das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler die Annahme zu, dass aufgrund der Strukturen des Systems ein solch schlechtes Ergebnis überhaupt erst möglich gewesen sei (vgl. 2011, S. 102). Neben dem „politischen“ und dem „funktionalen“ Druck ist zuletzt noch der „soziale“ Druck zu nennen. Dieser lässt sich am ehesten mit der kognitiv-kulturellen Komponente des Säulenmodells vergleichen. „Sozialer Druck in Richtung Veränderung von Traditionen entsteht, wenn die normative Fragmentierung in einer Organisation zunimmt.“ (Merkens 2011, S. 102 nach Oliver 1991). Ein Beispiel aus dem erziehungswissenschaftlichen Kontext wäre etwa die Schulwahlentscheidung und die damit verbundene Attraktivitätsverschiebung der Schultypen innerhalb eines segregierenden Systems (nach der vierten Schulstufe), welches in vielen deutschen Bundesländern und auch in Österreich noch existiert. Sozialer Druck kann – und an dieser Stelle sei auf den Einschub weiter oben verwiesen – auch ein Auslöser endogener Wandlung sein. Insbesondere dann, wenn es zu „Differenzierung und Fragmentierung zwischen Organisationsmitgliedern“ (Quack 2006, S. 177) kommt. “Institutionalization refers to the process through which components of formal structure become widely accepted, as both appropriate and necessary, and serve to legitimate organizations. Most fundamentally, the process is one of social change. This process may occur in different ways (Hernes, 1976): (1) initial endogenous change may take place when the process is gradual and not required and/or (2) exogenous change may take place later in the process or when the process is required.” (Tolbert & Zucker 1983, S. 27)
3.1 Institutioneller Wandel
127
Gerade Expertenorganisationen, wie es Schulen sind, die zum Teil nur lose gekoppelt sind (vgl. Abschnitt 2.3 sowie Weick 1976, Muslic 2018), können einem solchen Wandel unterliegen. Der Verweis auf den sozialen Druck bildet daher auch die Überleitung zu endogenen Auslösern von Wandel. Endogene Auslöser Walgenbach und Meyer (2008) führen drei verschiedene Erklärungen für endogenen Wandel an: Widersprüche zwischen institutionellen Elementen (1) ergeben sich dann, wenn Organisationen oder individuelle Akteure nicht nur einer institutionellen Vorstellung folgen, sondern mehreren. Da Institutionen – geht man etwa nach Scott – aus verschiedenen Elementen bestehen können, sind diese nicht immer stimmig miteinander verbunden. Häufig sehen sich Akteure daher mit unterschiedlichen oder sogar widersprüchlichen Elementen konfrontiert, die sich außerdem noch unterschiedlich schnell ausbreiten. Tritt der Fall ein, dass die Inkonsistenzen oder Widersprüche zu groß werden, kann dies eine Veränderung bzw. einen Wandel herbeiführen. Auch Seo und Creed (2002) bestätigen in ihrem dialektischen Modell, dass durch institutionelle Widersprüche in der Alltagserfahrung Wandel hervorgerufen wird. Weinbauer-Heidel (2016), die sich ebenfalls auf Seo und Creed beruft, streicht in diesem Zusammenhang hervor, dass es bei konflikthaften Situationen Akteure braucht, die ein persönliches Interesse am Wandel haben bzw. daran interessiert sind, diesen zu initiieren. Im schulischen Kontext lässt sich dies exemplarisch anhand der Einführung des Konzepts des „offenen Lernens“ an einem Schulstandort nachzeichnen. Eine Gruppe interessierter Kolleginnen und Kollegen, die alle gemeinsam in einer Jahrgangsstufe unterrichten, plant für das kommende Schuljahr, dass aus allen Fächern Stunden zur Verfügung gestellt werden sollen, um in den Klassen offenes Lernen anbieten zu können. Die Kolleginnen und Kollegen sind alle von dem Ansatz überzeugt und suchen nach neuen Möglichkeiten, um die vorhandenen Ressourcen bestmöglich für ihr Vorhaben zu mobilisieren. Alle Kolleginnen und Kollegen unterrichten außerdem noch in anderen Jahrgangsstufen, dort stoßen sie mit ihrem Ansatz auf Widerstand – es gibt Kolleginnen und Kollegen, die keine Stunden zur Verfügung stellen wollen bzw. die einen solchen Unterrichtsansatz nicht unterstützen. Eine Umsetzung des offenen Lernformats ist dort (noch) nicht möglich – es müssen zunächst Aushandlungsprozesse oder, wie WeinbauerHeidel schreibt, „institutionelle Kriege“ (2016, S. 19 ff.) ausgefochten werden. „Je nach Ausgang dieser sozialen Verhandlungsprozesse“, so die Autorin, „kann sich der institutionelle Wandel vollziehen bzw. nicht vollziehen.“ Das Beispiel zeigt, dass dieser Ansatz über den klassischen Rollenkonflikt hinausgeht, da es
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sich um normative Vorstellungen innerhalb der Profession handelt. Für die Lehrenden bedeutet dies, dass sie sowohl in den offenen Lernformaten als auch in den traditionellen Unterrichtsformaten unterrichten. Dementsprechend folgen sie Lernkonzepten, die sich in ihrem Verständnis eigentlich widersprechen. Diesen Punkt greifen auch Walgenbach und Meyer (2008) auf. Kritisch, so die Autoren, wird es dann, wenn die Verfügbarkeit multipler Institutionen und institutioneller Logiken (2) gegeben ist. „Akteure partizipieren an einer Mehrzahl institutioneller Ordnungen und haben Kenntnis von verschiedenen institutionellen Regelungen. Daraus resultieren multiple mögliche Referenzgruppen mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen an und Chancen für Akteure.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 106).
Auf diesem Verständnis baut auch der Ansatz der institutionellen Logik von Friedland und Alford (1991) bzw. weiterführend von Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) auf. Deren Ansatz fokussiert bewusst auf heterogenen Wandel und stellt damit den Isomorphie-Ansatz in Frage. Ferner wenden sich die Autoren von der Entkopplungshypothese ab, indem sie monieren, dass „die formale Trennung von Formal- und Aktivitätsstruktur die konkreten Aushandlungsprozesse auf der organisationalen Mikroebene nicht ausreichend berücksichtig[t].“ (Truschkat, Sitter und Peters 2018, S. 458). Die Konfrontation mit multiplen Institutionen bzw. institutionellen Logiken wurde bereits im Kontext der „Embedded-agency“Diskussion in Abschnitt 2.4 aufgegriffen und diskutiert. Schulleiterinnen und Schulleiter begleiten immer mehrere Rollen und finden sich auch aus dieser Perspektive innerhalb parallel verlaufender Spannungsfelder2 . Wandel, so die theoretische Auslegung, tritt dann ein, wenn auch hier Widersprüche und Inkonsistenzen überhandnehmen. Der abschließend zu nennende Auslöser für endogenen Wandel wird beschreiben als die Anwendung abstrakter Regeln auf konkrete Handlungssituationen (3). Gemeint ist damit, dass nicht nur die Orientierung an unterschiedlichen bzw. widersprüchlichen Logiken Veränderungen auslösen kann, sondern auch schlichtweg die Auslegung bzw. Interpretation von Regeln und Vorgaben. Jede Vorgabe, so Walgenbach und Meyer, verfügt über eine „inhärente Mehrdeutigkeit“ (2008, S. 107), auf die es zu antworten gilt. Regeln sind wie Reformen „verallgemeinerbare Verfahren, die abstrakt genug gehalten werden müssen, um auf eine Vielzahl an sozialen Situationen anwendbar zu sein.“ (ebd.; vgl. Ball et al. 2012). Konkret verweisen Walgenbach und Meyer 2
Die beschriebene Dynamik im Zusammenhang mit endogenen Auslösern ist weitgehend aus der Rollentheorie entlehnt (vgl. Miebach 2010, S. 39 f.) und in den Bezugsrahmen der neo-institutionalistischen Theorien übersetzt worden.
3.1 Institutioneller Wandel
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auf Clemens und Cook (1999), die zwischen drei unterschiedlichen Arten von Regeln unterscheiden. Muss-Regeln, Darf-nicht-Regeln und Kann-Regeln (vgl. Dahrendorf 1964). Während Muss-Regeln die institutionellen Strukturen reproduzieren, stecken Darf-nicht-Regeln den Möglichkeitsrahmen ab: Kann-Regeln lassen den größten Handlungsspielraum zu. Führt man sich Erlässe und Reformen im Kontext bildungspolitischer Maßnahmen vor Augen, so finden sich auch dort unterschiedliche Formate an abstrakten Regeln, die es in konkrete Handlungssituationen zu übersetzen gilt. Wie bereits in der Einleitung dargestellt, bewegt sich die vorliegende Arbeit genau an der Nahtstelle zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen (exogene Auslöser), die an Schulen gestellt werden, und deren innerorganisationaler Verarbeitung bzw. Reaktion (endogene Auslöser) - hier behandelt durch das responsive Verhalten von Schulleiterinnen und Schulleitern. Von daher stellen sich für die Auswertung der empirischen Ergebnisse genau die Fragen, die auch von Walgenbach und Meyer formuliert wurden. Wenn es Ansprüche von multiplen Referenzgruppen gibt, an welchen orientieren sich Schulleiterinnen und Schulleiter dann in ihrer Schulentwicklungsarbeit (vgl. H 5.3)? Ferner, welche institutionellen Logiken verfolgen Schulleiterinnen und Schulleiter, um Veränderungen zu begegnen (vgl. H 5.2)? Bormann (2010) beleuchtet in ihrer Arbeit „Zwischenräume der Veränderung. Innovationen und ihr Transfer im Feld von Bildung und Erziehung“ kritisch die exogenen bzw. endogenen Auslöser für Wandel und hält Folgendes fest: „Die Grundannahmen sowohl der Pfadabhängigkeitstheorie wie auch des Neo- Institutionalismus’ – die reproduzierende Verwendung sozial und historisch erfolgreicher Deutungsmuster und Praktiken bzw. Anpassung von Handlungen an Erwartungen aufgrund der Anerkennung ‚fremden‘ Sinns – verkennt endogene kreative Leistungen im organisationalen Feld. Sie gehen von einem Primat normativer, exogener Faktoren aus, die durch die Organisationen im Feld aufgegriffen und symbolisch in ihr Handeln integriert werden. “ (Bormann 2010, S. 105).
Mit ihrer Kritik verweist die Autorin abermals auf die einschlägige3 Lesart der neo-institutionalistischen Theorienentwicklung. Bormann schlägt daher in ihrer Arbeit vor, sich auf das Konzept von Florian (2008) zu berufen, der „nicht soziale Institutionen, sondern ‚soziale Institutionalisierung als einen fortlaufenden Zyklus‘ (ebd.: 142; Herv. IB) begreif[t], in denen [sic!] beide Elemente analytisch in einen dialektischen Bezug zueinander gesetzt werden.“ (Bormann 3
Mit „einschlägig“ ist hier die bloße Beziehung auf die erste Phase der neoinstitutionalistischen Theorienentwicklung gemeint.
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2010, S. 105). Dies würde jedoch, so die Autorin, bedingen, dass Akteure als aktive, gestalterische Kraft wahrgenommen werden müssten (vgl. ebd. S. 106). Wie die Darstellung im zweiten Kapitel dieser Arbeit gezeigt hat, greifen neuere Zugänge der neo-institutionalistischen Theorie (u. a. Hardy und Maguire 2008; Sandhu 2012; Koch 2018) eben diesen Zugang auf, und zwar zum einen im bereits diskutierten erweiterten Organisationsverständnis und zum anderen durch Konzepte wie den „Institutional Entrepreneur“. Hervorzuheben in Bormanns kritischen Anmerkungen ist allerdings die Betonung des Verkennens „endogener kreativer Leistungen“. Genau diese Leistung des „Anerkennens ‚fremden‘ Sinns“ soll mittels der in diesem Kapitel erläuterten responsiven Organisationsforschung gelingen und somit den bereits begonnenen Diskurs der aktiven Akteure weiter unterstreichen. Walgenbach und Meyer (2008) sprechen im Zusammenhang mit den Auslösern für Wandel ein ganz entscheidendes Argument an, welches ebenfalls bereits in Kapitel 2 mit dem Verweis auf institutionelle Logiken kurz gestreift wurde: „Die Lokalisierung des Auslösers institutionellen Wandels in exogenen [und auch endogenen] Faktoren ist für die neo-institutionalistische Theorie allerdings nicht ganz unproblematisch. [....] Fakten [sind] wie objektiv diese auch sein mögen [...] nicht per se relevant und es lassen sich aus ihnen auch keine eindeutigen Konsequenzen ableiten. [...] Vielmehr erhalten Ereignisse und Fakten ihren Stellenwert erst, innerhalb bestimmter institutioneller Logiken und werden erst ‚real‘ und ‚relevant‘, wenn sie in die Situationsdefinitionen der Akteure einfließen.“ (ebd. S. 103 f.)
Um genau jene Situationsdefinition, die von Akteuren ausgeht, besser verstehen und einordnen zu können, folgt nun im weiterführenden Unterkapitel eine Auseinandersetzung mit den Mustern institutionellen Wandels und der Beschreibung der Verarbeitung von bestimmten institutionellen Vorstellungen in lokalen Umwelten. Damit werden auch jene Prozesse noch einmal im Detail aufgegriffen, die hier unter den Auswirkungen endogenen Wandels angeführt wurden.
3.1 Institutioneller Wandel
3.1.2
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Muster institutionellen Wandels: Zusammenführung von institutionellen Erwartungen und Handlungen
Institutioneller Wandel umfasst, wie bereits angeführt, den zyklisch angelegten Prozess der De-Institutionalisierung und in weiterer Folge die Institutionalisierung neuer Handlungsweisen4 (vgl. Tolbert und Zucker 1996; Bormann 2010 mit Bezug auf Florian 2008). „Ein zentraler Begriff im Institutionalistischen Ansatz ist ‚Institutionalisierung‘. Mit Institutionalisierung meinen die Institutionalisten sowohl, einen Prozeß [sic!] als auch einen Zustand. Institutionalisierung als kognitiver Prozeß [sic!] bezieht sich auf den Vorgang, durch den sich soziale Beziehungen und Handlungen zu nicht mehr zu hinterfragenden entwickeln, d.h. zu einem Bestandteil einer Situation werden, die als ‚objektiv gegeben‘ betrachtet wird. Prozeß meint auch das Moment der Vermittlung, in dem Akteure an andere Akteure weitergeben, was sozial als ‚wirklich‘ definiert wird.“ (Walgenbach 1998, S. 273, hervorgehoben L.J.-R.)
Ausgehend von den vertieften Betrachtungen in Kapitel 2 wurden bereits einige Konzepte genannt, wie es zu einer „Weitergabe“ bzw. „Übersetzung“ institutioneller Erwartungen in Handlungen kommt. Besonders soll im Folgenden noch einmal auf das „Carrier-System“ nach Scott sowie auf die Verbreitungs- bzw. Übersetzungsstrategien eingegangen werden: Diffusion, Bricolage und Enactment. Eingebettet wird diese Vertiefung in das Modell „Travel of Ideas“ von Czarniawaska und Joerges (1996). Nach Czarniawaska und Joerges (1996, S. 13 f.) vollzieht sich Wandel im Spannungsfeld zwischen einer geplanten Innovation und einer Anpassung an die institutionelle Umwelt. Während geplante Innovation sich vor allem auf gesetzte Aktionen bezieht, wie etwa strategisches Vorgehen im Sinne klassischer Organisationstheorien, beschreibt die Anpassung an die Umwelt jene Entwicklungen, die durch institutionelle Erwartungen an die Organisation entstehen. Die Autoren beschreiben mittels ihres Modells (Abbildung 3.1) jene Herausforderungen, denen sich Akteure z.B. Schulleiterinnen und Schulleiter gegenübersehen, wenn sie versuchen, neue Ideen bzw. Ansätze oder Erwartungshaltungen in lokale, organisationale Strukturen einzubringen und dabei intendierte und nicht intendierte Prozesse zu berücksichtigen. In ihrem Ansatz „The Travel of Ideas“ sprechen sich die Autorinnen dafür aus, weder den Druck von außen (institutionelle Umwelten) noch strategische Ziele (Entwicklungspläne) Überhand gewinnen zu lassen, 4
Verwiesen sei hier auf die Ausführungen in Kapitel 2, in denen die Prozesse der Institutionalisierung mehrfach unterschiedlich dargestellt wurden.
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also weder mehr und mehr rationale Planungstools zu implementieren, noch sich den Erwartungen von Außenstehenden vollends hinzugeben. Czarniawaska und Joerges plädieren vielmehr für ein Modell, das beide Seiten berücksichtigt.
Abbildung 3.1 The Travel of Ideas (Czarniwaska & Joerges 1996)
Das dargestellte Modell hilft ferner dabei, die Verbreitung von Ideen, Logiken bzw. Erwartungshaltungen nachzuzeichnen. Begonnen wird in dem Modell mit einem bestimmten „Trend“, einer „Quelle der Kreativität“, wie es die Autoren beschreiben. Solche „Trends“ können etwa aus einschlägigen Diskursen entstehen (vgl. hierzu Maguire und Hardy 2009; Philips, Lawrence und Hardy 2004; Hasselbladh und Kallinikos 2000), die als Entstehungsorte für institutionelle Erwartungshaltungen zu benennen sind. Zieht man etwa Parallelen zu einer schulischen Betrachtungsweise, so können diese „Trends“ verschiedene Quellen haben. Es kann sich dabei um neue bildungspolitische Maßnahmen handeln, die etwa in Form von Erlässen oder Reformen von außen in die Schulen getragen werden. Es können aber auch neue Lern- und Lehrmethoden sein, die z. B. bei einer Fort- und Weiterbildung von Kolleginnen und Kollegen gehört und fortan im Unterricht eingesetzt werden sollen. Des Weiteren können es auch neue Verhaltensformen sein, die aufgrund bestimmter Vorkommnisse im Schulalltag eine Veränderung bedingen. Somit lassen sich „Ideen“ sowohl als intern als auch als extern motivierte Anlässe für Veränderung beschreiben. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun im Konkreten die Frage, wie der „Transport“ solcher Ideen beschrieben werden kann. Czarniawaska und Joerges orientieren sich hierbei an Mitchell (1986) und verstehen „Ideen“ als verbildlichte Medien, die in erster Linie durch kommunikative Akte weitergegeben werden (vgl. Czarniawaska und Joerges 1996, S. 20). An dieser Stelle lässt sich die Verbindung zu Scott5 (2014, S 95) bzw. Jepperson (1991, S. 150) und dem Modell der „Carrier“ herstellen. 5
Thornton, Ocasio und Lounsbury (2012) verweisen in ihrer Arbeit kritisch auf die Genese des Modells nach Scott. Fanden sich in der Erstauflage von Scotts Buch „Institutions and
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Scott beschreibt die Verbreitungsformen von Institutionen auf vier unterschiedliche Arten, und zwar mittels symbolischer Systeme, relationaler (beziehungsorientierter) Systeme, Tätigkeiten und Artefakten (i.S. v. „von Menschen geschaffene Objekte“). Scott verweist im Zuge der Ausdifferenzierung dieser Weitergabe-Mechanismen darauf, dass diese in der Literatur unter unterschiedlichen Konzepten diskutiert werden. Auch den Diffusionsansatz nach DiMaggio und Powell (1983) zählt er zu Strategien der Weitergabe. Besonders wichtig erscheint, dass, je nach Art der Weitergabe, bestimmte Aspekte betont werden: „Carrier emphasize the features of the medium.“ (Scott 2014, S. 96). Außerdem verweist er darauf, dass „[…] the carriers we emphasize are those bearing institutional elements, not simply objects and activities.“ (ebd.). Unter der symbolischen Weitergabe (symbol carriers) fasst Scott in erster Linie jene Mechanismen zusammen, die mittels bild-sprachlicher Medien funktionieren – also eng angelehnt an das Verständnis Czarniawaskas und Joerges. Er zählt zu diesen symbolischen Verbreitungsmechanismen Regeln, Werte und Normen, Klassifikationen, Rahmenvorgaben, Schemata, protypische Handlungsweisen und Skripten, die bestimmte Verhaltensweisen vorgeben. Dabei verweist er auf die sich immer weiter ausdifferenzierende Form von bild-sprachlichen Medien, angefangen bei Buchstaben und ersten Schriften, über Filme und Radio bis hin zu neuesten digitalen Medien. Besonders herausfordernd sieht er dabei den Umstand, dass durch neue Technologien noch nie so viele Menschen Zugang zu Inhalten hatten, die jedoch in ihrer Aufbereitung oft (nicht nachvollziehbar) lokal adaptiert und geprägt sind. Symbole, so Scott, seien transportabel, vielseitig und formbar (vgl. ebd. S. 98). Beziehungsorientierte Weitergabesysteme (relational carriers, vgl. Scott 2014) befördern Institutionen bzw. institutionelle Vorstellungen und Erwartungen mit Hilfe von Verhaltensmustern, sozialer Stellung und Rollensystemen (vgl. ebd.). Häufig werden relationale Mechanismen in Organisationsstrukturen (z. B. in Form von Abteilungen) abgebildet oder in Form von Steuerungssystemen („Governance systems“) dargestellt (vgl. Scott 2008, S. 99). Die Weitergabe wird ferner unterstützt durch Konstellationen wie professionelle Partnerschaften etwa in professionellen Lerngemeinschaften oder Organizations“ 1995 lediglich zwei unterschiedliche Verbreitungsmechanismen, nämlich „symbolic carriers“ und „routines“, wurden diese 2001 bzw. 2008 um „relational systems“ und „artifacts“ erweitert. Als wenig gelungen stellen sie Scotts Versuch dar, diese verschiedenen Mechanismen auf sein Drei-Säulen-Modell zu übertragen, sie schreiben hierzu: „Scott’s pillars approach is a competing orienting strategy to the insitutional logics perspective intended to develop a typology of literature on instutional approaches and carriers rather than achieving a theoretical integration among them.“ (Thornton, Ocasio, Lounsbury 2012, S. 40).
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„Communities of Practice“ (Brown und Duguid 2000; Wenger 1999)6 . Diese Formate führen dazu, dass sich institutionelle Vorstellungen und Normen aufgrund des Zueinander-in-Beziehung-gestellt-werdens verändern: „Institutional categories and norms shape, and are shaped by, shifting relational systems“ (Scott 2008, S. 99). Als dritte Form der Weitergabe beschreibt Scott bestimmte Tätigkeiten (activities). Unter dieser Form versteht er Programme und Strategien, die nicht nach dem Modell „getting things done“ funktionieren, sondern als Entscheidungsgrundlage nach der Lesart „the choice that prefaces all actions“ verfahren (vgl. Scott 2008, S. 100). Gleichzeitig verweist Scott darauf, dass Tätigkeiten nicht den klassischen Weitergabeverständnissen der frühen Neo-Institutionalisten wie etwa Meyer und Rowan entsprechen, da in deren Logik Veränderungen durch Symbole oder Strukturen (relationale Kräfte) und weniger durch Tätigkeiten bestimmter Akteure hervorgerufen werden. Dessen ungeachtet unterstreicht Scott seinen dritten Zugang, indem er auf eine Vielzahl an anderen Theorien verweist (Giddens „Structuration“ (1979); Winter und Nelson „routines“ (1983); Bourdieu „practices“ (1977); Barney „capabilities“ und Lawrence du Suddaby „institutional work“ (2006)), durch deren Einfluss sich das Verständnis auch innerhalb der neoinstitutionalistischen Strömungen verändert hat. Tätigkeiten werden nach Scott unter zwei zentrale Schlagwörter gefasst, nämlich Routinen und habitualisierte Verhaltensweisen/bestimmte Verhaltensmuster. Setzt man dies in den schulischen Kontext, so finden sich dort viele institutionalisierte Strukturen, die eine solche Weitergabe begünstigen. Zu nennen wären etwa das Referendariat bzw. in Österreich das Unterrichtspraktikum7 . Hier bekommen Lehrer/-innen in ihrer letzten Ausbildungsphase routinierte und zum Begleitlehrer/zur Begleitlehrerin ausgebildete Kolleginnen und Kollegen an die Seite gestellt, die sie im besten Fall im Sinne eines/ einer Mentor/-in unterstützen. Gleichzeitig verfassen diese Kolleginnen und Kollegen jedoch auch Gutachten, die in die Abschlussbeurteilungen der Junglehrer/-innen miteinfließen. Daher muss in dieser institutionalisierten Struktur auch immer der Aspekt „Macht“ mitberücksichtigt werden. 6
Wie bereits im Unterkapitel zu sich wandelnden Umwelten für Schulleitungen festgehalten wurde, tendieren neue Ansätze der Schulentwicklung immer mehr in die Richtung, relationale System zu befördern. Begonnen bereits in den späten 90er Jahren mit dem Ansatz der „lernenden Schule“ (u. a. Schratz & Löffler 1998; Stoll 2016) über Professionelle Lerngemeinschaften (u. a. Stoll 2012; Rolff 2013) bis hin zu Vernetzungsansätzen, die über den Einzelschulstandort hinaus gehen (Fullan & Mulby; Brown & Portman 2018; Rößler & Schratz 2018). 7 Das Modell des Unterrichtspraktikums wurde mit Beginn des Schuljahres 2019/2020 in Österreich durch die Induktionsphase abgelöst.
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Nachdem Routinen auch außerhalb der Einarbeitungs- bzw. Induktionsphase häufig von Kolleginnen und Kollegen an andere Kolleginnen und Kollegen weitergegeben werden, kommt es hier zu einer starken Verwobenheit mit den relationalen Systemen. „The fact that they are learned in and sustained by a community means that routines are not readily transportable to new and different settings involving new actors and relationships. Routines tend to be more “sticky” and less easily carried across settings, but they are transportable.“ (Scott 2008, S. 102).
Je nach Organisation kann sogar ein „Repertoire“ an bestimmten routinierten Handlungen existieren (Clemens 1997, S. 39 f.). Für Schulen lässt sich ein solches „Repertoire“ z. B. mittels Hausordnung oder Leitbildern darstellen. Insbesondere Forschungsarbeiten, die sich mit „Schulkultur“ auseinandergesetzt haben, bieten hierzu weitere Erkenntnisse (vgl. Helsper 2000; Combe 2015; Helsper 2015). Die letzte Form der Weitergabe beschreibt Scott durch Artefakte. Damit meint der Autor bestimmte Objekte, die von Menschen entwickelt wurden und durch deren Einführung sich veränderte Strukturen und neue Verhaltensweisen entwickelt haben. Das Besondere an Artefakten ist, dass häufig deren ursprüngliche Intention durch die Weitergabe und Neuinterpretation der Nutzer/-innen verändert wird und dadurch unvorhergesehene institutionelle Erwartungshaltungen generiert werden. Orlikowski (1992) schreibt: „[…] In using a technology, users interpret, appropriate, and manipulate it in various ways.“ (S. 408). Wie einleitend von Walgenbach betont, spielen bei der Weitergabe bzw. Interpretation von institutionellen Vorstellungen Akteure eine entscheidende Rolle: „The basic theoretical premise underlaying the concept of agency is strongly aligned with the phenomenological assumption that undergird sociological version of neoinstitutional thought. Between the context and response is the interpreting actor. (Scott 2008, S. 94)
Auch Czarniawaska und Joerges sehen Akteure in ihrer Agentenschaft als das verbindende Element: „Also, it answers the question about the energy needed for travelling: it is the people, whether we see them as users or creators, who energize an idea any time they translate it for their own or somebody else’s use. Ideas left in books left on shelves do not travel, and no amount of satiation will help to diffuse ideas from closed libraries.“ (Czarniawaska und Joerges 1996, S. 23)
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Diese beiden Verknüpfungen unterstreichen noch einmal die Wichtigkeit, Akteure auch im neo-institutionalistischen Verständnis nicht als passiv-rezipierend zu verstehen, sondern ihnen aktiv-gestalterische Komponenten zuzuschreiben. Um zurück auf das Modell von Czarniawaska und Joerges zu kommen, benennen die beiden Autoren in ihrem Modell auch noch den Aspekt der sogenannten „Master Ideas“ (vgl. Abbildung 3.1) „Master ideas serve as focus on fashions and build a bridge between the passing fashion and a lasting institution. Where does a new set of master-ideas come from? It seems that it comes from the narratives of the past, which are translated into the present set of concepts, and are projected into the future, often in opposition to the present.“ (Czarniawaska und Joerges 1996, S.37).
Master-Ideen, verstanden im Sinne von jenen Regeln und Ansprüchen, auf die sich die Akteure in ihrer Entwicklung beziehen, sind bereits gefiltert. Damit ist gemeint, dass diese Ideen bereits in Bezug zu bestimmten Orientierungsrahmen gesetzt wurden. Dies wird von Czarniawaska und Joerges in dem Kontinuum zwischen „past“, „present“ und „future“ umschrieben. Mit diesem Ansatz lässt sich eine weitere Brücke zum Ansatz der institutionellen Logiken schlagen. Thornton und Ocasio (2008) beschreiben unter der Überschrift „Attention“, wie bestimmte „Master-Ideen“ im Sinne bestimmter, in der Organisation vorherrschenden, Logiken ausgewählt werden. „[...] [I]nstitutional logics provide individuals and organizations with a set of rules and conventions for deciding which problems get attended to, which solutions get considered, and which solutions get linked to which solution“ (S. 114)
Nach Ocasio (1997) erfolgt diese Auswahl von „Master-Ideas“ zum einen dadurch, dass eine bestimmte Haltung bzw. Werte generiert werden, die beschreiben, was als legitim, wichtig und relevant erachtet wird; zum anderen durch die Vorbereitung von Entscheidungsträger/-innen, wodurch diese sich über ihre Interessen und Identitäten klar sind. Sobald jene Entscheidungsträger/-innen bestimmte Identitäten bzw. Verständnisse (eine bestimmte Form von Agentenschaft) übernommen haben, handeln diese entlang bestimmter paradigmatischer Grundlagen, aus denen sie ihre Entscheidungen ableiten und ihre Motive für bestimmte Handlungsweisen legitimieren (vgl. ebd. S. 199). In der Lesart der vorliegenden Arbeit können die vorgestellten „Carrier“Mechanismen sowohl zwischen den allgemeinen Trends und den Master-Ideen als auch zwischen den Master-Ideen und den Übersetzungspraktiken verortet werden. Trotz der vorhergehenden Beschreibung, wie es zu Master-Ideen kommt, bleibt
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die Logik der institutionellen Umwelten und ihrem Einfluss auf Organisationen erhalten. Hasse und Krücke (1999) bringen diese Metaebene noch einmal auf dem Punkt: „Das Spektrum der Art, wie institutionalisierte Erwartungszusammenhänge wahrgenommen und verarbeitet werden, kann von der nicht-bewussten und quasireflexartigen Interpretation bis hin zur bewussten Auseinandersetzung mit diesen Vorgaben reichen.“ (Hasse & Krücken 1999, S. 67).
Vor diesem Hintergrund sollen nun die Mechanismen Diffusion, Bricolage und Enactment genauer behandelt werden, um den innerorganisationalen Mechanismus zu beleuchten, bei dem institutionelle Regeln, Vorgaben oder Erwartungen im Kontext institutioneller Logiken in Handlungsweisen „übersetzt“ werden. Diffusion Diffusion lehnt sich an die bereits dargestellten Mechanismen der Weitergabe an. Unter „Diffusion“ wird das Verbreiten von institutionellen Vorstellungen verstanden – allerdings im Sinne einer isomorphen Strukturangleichung. „Institutionalists use the concept of diffusion to refer the spread of institutional principles or practices with little modification through a population of actors.“ (Campbell 2004, S. 77)
Campbell kritisiert am Konzept der Diffusion, dass in dem Konzept nicht darauf eingegangen wird, was passiert, wenn neue Praktiken oder Prinzipien in einer Organisation ankommen. Es fehlt also an einer Prozessbeschreibung, welche Mechanismen dann bei den Akteuren ausgelöst werden. Das Konzept stellt die Verbreitung von institutionellen Ansprüchen, so Lounsbury, so dar, als ob die Einführung ohne jegliche Widerstände oder Anpassungsschwierigkeiten erfolgen würde (vgl. Lounsbury 2001, S. 29–30). Um diese Kritik aufzugreifen, werden in dieser Arbeit zwei weitere Mechanismen vorgestellt, die besonders auch zur Beschreibung von Schulentwicklungsprozessen anwendbar sind. Bricolage Zum einen handelt es sich hier um die Methode der „Bricolage“, die vor allem die Ressourcenmobilisierung innerhalb der Organisationen in den Blick nimmt. Mit Hilfe von Bricolage werden bestehende Routinen und institutionelle Logiken neu kombiniert. Dadurch können neue Reaktionsmöglichkeiten, etwa auf Ansprüche, die von außen an die Organisation herangetragen werden, bzw. neue Ideen oder Konzepte, die innerhalb der Organisation entstehen, umgesetzt werden.
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“[A]ctors often craft new institutional solutions by recombining elements in their repertoire through an innovative process of bricolage whereby new institutions differ from but resemble old ones.” (Campbell 2004, S. 69)
Damit diese neuen Praktiken und Prozesse akzeptiert werden, müssen sie mit bereits bestehenden kulturellen Praktiken verbunden bzw. verwoben werden. Umso besser dies gelingt, umso nachvollziehbarer und anschlussfähiger sind die Veränderungen (vgl. Campbell 2004, S. 70). Der Mechanismus der Bricolage baut auf dem Verständnis auf, dass der Akteur die Umgebung als Repertoire oder, wie bereits im Zuge des konstitutiven Organisationsverständnisses (vgl. Kapitel 2) behandelt, als Fundus versteht (vgl. Campbell 2004, S. 72). Nach dem neo-institutionalistischen Verständnis sind Akteure hierbei sowohl in institutionelle Praktiken eingebunden als auch befähigt, sich innerhalb dieser Strukturen zu orientieren. Auch hier kann ein solches Verständnis nur dann greifen, wenn Akteuren ein gewisses Maß an Entscheidungsfähigkeit zugesprochen wird. „Key element in the process of bricolage are creative and innovative people. [….] –[I]f leaders have extensive ties to people beyond their immediate social, organizational or institutional locations, they are more likely to have a boarder repertoire with which to work and they are more likely to receive ideas about how to recombine elements […] those who […] lacking a diversity of connections are more likely to find themselves cut off from knowledge […].“ (Campbell 2004, S. 74 f.)
Da Bricolage als Konzept in erster Linie die Rekombination alter bzw. bereits existierender Praktiken innerhalb der Organisation beschreibt (vgl. Cambpell 2004, S. 80; Cunha & Cunha 2007), lässt sich die Limitation dieses Konzeptes dahingehend benennen, dass solche Kombinationsmöglichkeiten enden wollend sind und irgendwann keine „neuen“ Antworten auf Ansprüche mehr gefunden werden können. Geht es also darum, Veränderungen als Reaktion auf neue Anforderungen, die von außen an die Organisation herangetragen werden, zu vollziehen, bedarf es einer weiteren Methode. Enactment „Enactment“ beschäftigt sich mit dem Prozess, der eintritt, wenn neue institutionelle Praktiken oder Prinzipien auf Akteure treffen. Es geht um den Prozess der Übersetzung dieser neuen Ideen und Konzepte in Handlungsroutinen. Wie dieser Prozess verläuft, hängt von den gegebenen Bedingungen (z. B. Machtdynamiken, Strukturen und Ressourcen) vor Ort ab und, so betont Campbell, auch von der Einstellung der Führungsverantwortlichen in der Organisation (vgl. 2004, S. 82).
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Auch hängen „Übersetzungen“ bestimmter Neuerungen oder Vorgaben wiederum von der Logik und der Motivation8 der Akteure ab. Entsprechend diesem Zugang werden die neuen Praktiken mit den bereits etablierten mehr oder weniger intensiv verwoben. Der Mechanismus des Enactments bzw. der Translation beschreibt daher das Zusammenbringen externer Elemente mit internen Elementen bzw. betrachtet, wie neue Elemente im Kontext bereits etablierter Elemente aktiviert werden. Auch Campbell unterstreicht dies: “The fact that diffusion involves an important translation step has serious implications for those institutionalists who claim that diffusion lead to homogeneous or isomorphic outcomes.” (Campbell 2004, S. 83).
Von dieser Prämisse ausgehend, ist es fraglich, inwieweit von Homogenität oder isomorphen Angleichungen gesprochen werden kann. Nach dieser Lesart ist es passender, von gemeinsamen Zielerahmen zu sprechen, die jedoch unterschiedlich erreicht werden können und in ihrer Mikrologik sich teils voneinander unterscheiden. Jede Übersetzung ist anders und somit sind Implementationsansätze, die die Absicht verfolgen, am Ende eine Homogenität zu erzielen, mit organisationalen Logiken bzw. mit Prozessen des Organisierens nicht in Einklang zu bringen. Erst die Verknüpfung mit dem Lokalen schafft eine Sinnstiftung (vgl. Weick, Sutcliffed und Obstfeld, 2005), von der aus weitere Veränderungswege abgeleitet werden können. Vor diesem Hintergrund sei auf die eingangs beschriebene Diskussion und das Verständnis von Ball et al. (2012) verwiesen, wenn es um die Umsetzung bildungspolitischer Maßnahmen geht: „Thus, policy enactment involves creative processes of interpretation and recontextualization. […]. Policies rarely tell you exactly what to do, they rarely dictate or determine practice, but some more than others narrow the range of creative responses.“ (Ball et al. 2012, S. 3)
8
DiMaggio und Powell nennen drei Motivationsquellen, warum es zur Annahme neuer Praktiken kommt. Zum ersten, weil sich die Akteure dadurch Vorteile erhoffen, zum zweiten, weil sie glauben, dass diese Praktik legitim und korrekt sei und drittens, weil sie sich mit einer großen Ungewissheit konfrontiert sehen, gegen welche nur durch Übernahme jener Verhaltensweisen anzukommen ist, die auch die Akteure um sie herum praktizieren (vgl. 1983). Ausgehend von diesen Motivationsquellen können Theorien, die auf das Phänomen der Entkopplung verweisen, abgeleitet werden (vgl. u. a. Muslic 2017) – die vorliegende Arbeit hat jedoch einen anderen Schwerpunkt.
140
3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Czarniawaska und Joerges nutzen für ihr Beispiel den Ansatz der Übersetzung und beziehen sich dabei auf Latour. Dieser versteht unter dem Begriff „Translation“: „[…]displacement, drift, invention, mediation, creation of a new link that did not exist before and modifies in part the two agents“ (Latour, 1993, p. 6). Latour betont dabei: „We observe a process of translation – not one ofreception, rejection, resistance or acceptance“ (Latour, 1991 p. 116). Das Modell „The Travel of Ideas“ stellt zusammengefasst in den Vordergrund, dass jene diffundierenden Elemente keine „physischen Objekte sind […], sondern Ideen und deren Rationalisierungen.“ (Walgenbach & Meyer 2008, S. 109). Enactment als Methode wird vor allem dann in Schulentwicklungsprozessen wirksam, wenn Reformen oder Veränderungen, die an die Schulen herangetragen werden, neue Elemente enthalten. Enactmant (bei Weick 1976) beinhaltet auch die Annahme, dass die Gestaltung der Umwelt durch das System erfolgen kann; also dass Schulleiter/-innen auch Einfluss auf institutionelle Umwelten nehmen können. In seiner Zusammenfassung führt Campbell noch einmal den Verweis an, dass, wenn mehr neue Elemente von Akteuren eingebracht werden, der Wandel eher revolutionärer als inkrementeller Natur sei. Bricolage – die in erster Linie durch die Neukombination bereits bestehender institutioneller Elemente erfolgt – befördert nach Campbell eher einen inkrementellen Wandel, wohingegen Enactment oder Übersetzungsstrategien, bei denen neue Elemente hinzukommen, den revolutionären Wandel begünstigen. Die Reform zur Neuen Mittelschule hat in die Schulen viele neue Elemente eingebracht – jene Schulen, die bereits vertraut(er) mit den neuen Elementen waren, z. B. weil sie sich bereits vor der Reform mit Differenzierung oder neuen bzw. anderen Formen der Leistungsbeurteilung auseinandergesetzt haben, empfanden den Wandel weniger revolutionär als jene, für die viele neue Elemente hinzugekommen waren. Die Übersetzung bzw. lokale Adaption ähnelte in den Schulen demnach entweder mehr einer Bricolage (Rekombination bekannter Herangehensweisen) oder aber dem Modell des Enactments (Neue Herangehensweisen gepaart mit bereits vorhandenen Routinen). Bei beiden Ansätzen spielen jedoch wieder die institutionellen Logiken eine entscheidende Rolle. Alle Veränderungsbestrebungen, sei es nun Bricolage oder – verbunden mit fundamentalerem Wandel – Enactment, bewegen sich nur innerhalb des institutionellen Rahmens: „[…] the institutions in which actors are embedded constrain them insofar as they limit the range of innovations they can envision and creat.“ (Campbell 2004, S. 87) Der von Czarniawaska und Joerges beschriebene Prozess wie neue Ideen resp. Ansätze lokal in Organisationen aufgegriffen wird, endet mit einer zweigliedrigen Beschreibung, wie sich daraus Wandel ereignen kann. Das Autorenduo
3.1 Institutioneller Wandel
141
beschreibt „Change“ einerseits als Ergebnis eines kontrollierten Prozesses und andererseits als nicht intendierten Akt, sondern als fortlaufendes und anhaltendes Verfahren der Organisationsentwicklung. Wichtig ist den beiden Autoren zu betonen, dass beides innerhalb der Organisationsentwicklung seinen Raum braucht. Nur so kann es letztlich zu kreativen neuen Routinen und Handlungen kommen, die sich wiederum als institutionalisierte Mechanismen in der Organisationskultur verankern. Während mit Hilfe des Modells von Czarniawaska und Joerges sowie der Erweiterung durch das Carriersystem von Scott und der Ergänzungen durch den Zugang der institutionellen Logiken (vgl. Abbildung 3.2) mehr Transparenz und Klarheit in die Abläufe und Prozesse der lokalen „Übersetzung“ von Erwartungshaltungen gekommen ist, geht es nun darum, dies konkret am Beispiel von Schulleitung und deren sich wandelnden Aufgabengebieten darzustellen und zu diskutieren.
Abbildung 3.2 Adaptierte Version „Travel of Ideas“ (nach Czarniawaska & Joerges 1996, erweitert durch L.J.-R.)
142
3.2
3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Schulleitungshandeln und Wandel
Schulleitungsforschung ist eine Forschungsrichtung, die sich vor allem im deutschsprachigen Raum erst in den letzten Jahrzehnten zunehmend breiteren Interesses erfreut (vgl. Wissinger 2011, Gerick 2014, S. 28). Während mit Ende der achtziger bzw. neunziger Jahre und Anfang der 00er Jahre erste Autoren (Rosenbusch 1989; Strittmatter 1995; Terhart 1997; Schratz 1998; Schratz 2002; Dubs 2005) sich dem Thema zunächst überblickshaft genähert haben, erfolgte eine empirische Beforschung von Schulleiterinnen und Schulleitern im deutschsprachigen Raum vermehrt erst in den vergangenen Jahren. Zentrale Themen in der empirischen Beforschung von Schulleitungen waren vor allem die Identifizierung bestimmter Aufgabenbereiche (vgl. u. a. Warwas 2009; Bonsen 2010; Brauckmann & Hermann 2012; Huber, Wolfgramm, Kilic 2013) sowie die Betrachtung bestimmter Formen von Führungsstilen (u. a. Gerick 2014; Klein 2016) und der Wirksamkeit von Schulleitungshandeln (vgl. u. a. Bonsen et al. 2002; Lohmann 2013; Pietsch 2014; Pietsch et al. 2016). Die empirische Beforschung von Schulleiterinnen und Schulleitern zeigte sich somit in den letzten Jahrzehnten fragmentiert (vgl. Schmerbauch 2017, S. 24–33). Wie bereits in Kapitel 2 aufgezeigt, wurde bis dato ebenfalls wenig zum Professionsverständnis von Schulleiterinnen und Schulleitern (vgl. Tulowitzki & Drahmann 2019, Wissinger 2014) und zu ihrem Umgang mit veränderten Aufgaben- bzw. Anforderungsstrukturen (Harazd, Gieseke und Gerick 2012, S. 101; Schratz et al. 2019) geforscht. Die vorliegende Arbeit ordnet sich somit in diese Forschungslücke ein. Dennoch lassen sich im Bereich der Schulleitungsforschung zentrale Aussagen treffen, was die Rolle der Schulleitung im Allgemeinen anbelangt. Schulleitungen an erfolgreichen Schulen spielen eine zentrale und wichtige Rolle (Pont u. a. 2008, S. 33) und tragen direkt bzw. indirekt zur Qualität von Schule bei (Bonsen 2010; Leithwood, Louis, Anderson & Wahlstrom, 2004). Bonsen fasst dies zusammen, indem er folgende Punkte konkretisiert: „Schulleiterinnen und Schulleiter erfüllen in der Schule somit klassische „Schlüsselaufgaben des Managements“ (Malik 2001, S. 171 ff.): Sie müssen (1) für Ziele sorgen, (2) organisieren, (3) entscheiden, (4) kontrollieren, messen und beurteilen und (5) die Selbstentwicklung von Menschen fördern.“ (2010, S. 286)
3.2.1
Veränderte Anforderungen an Schulleitung
Im Kontext des österreichischen Nationalen Bildungsberichtes 2015 wurde von Schratz et al. (2015, S. 221–262) aufgezeigt, wie sich Wandel im Kontext von
3.2 Schulleitungshandeln und Wandel
143
Schulleitung bzw. der veränderte Anspruch an diese in den letzten vier Jahrzehnte darstellt: „In Österreich war die Rolle und Funktion der pädagogischen Führung vor den 1980er Jahren und dem Eintreten der Stärkung der Schulleitung als zentrale Maßnahme des Schulmanagements (Eder & Altrichter, 2009, S. 307) lange durch die hierarchische Positionierung innerhalb eines zentralistisch gesteuerten Schulsystems geprägt. Die Leitung von Schule im Selbstverständnis eines Primus inter Pares diente der möglichst reibungslosen Umsetzung behördlicher Vorgaben. Eignungskriterien für den Primus inter Pares waren meist fortgeschrittenes Dienstalter, Bewährung im System (Systemerhalter) und soziale Integrität.“ (Schratz et al. 2015, S. 222)
Um die Entwicklungslinien der vergangenen vier Dekaden besser aufzeigen und beschreiben zu können, lehnen sich Schratz et al. an eine Matrix von Claus Otto Scharmer (vgl. 2007, 2013) und dessen Theorie U an. Dieser entwickelte für eine zunehmend komplexer werdende Welt ein Führungsmodell, mit Hilfe dessen der Umgang mit den neuen Herausforderungen erleichtert werden kann. In seiner Herleitung bzw. geschichtlichen Betrachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen („Geschichte der Ökonomie, vgl. 2014, S. 27) unterscheidet er zwischen vier Entwicklungsstufen: • 1.0: staatszentriertes Modell, Koordination erfolgt durch Hierarchie und Kontrolle • 2.0: Modell des freien Marktes, Koordination erfolgt durch Mechanismen von Markt und Wettbewerb • 3.0: sozial-marktwirtschaftliches Modell, Koordination erfolgt durch Verhandlung und Diskurs zwischen organisierten Interessengruppen • 4.0: Modell der generativen Gemeinwirtschaft, Koordination bezieht alle Prozessbeteiligten ein, bietet die Möglichkeit für sektorübergreifende Kooperation und Innovation. (vgl. ebd.) Alle vier Entwicklungslinien existieren nach Scharmer nebeneinander und werden durch das jeweilige Modell nur ergänzt und nicht ersetzt, sodass auf der vierten Stufe vier parallele Modelle existieren, die jedoch zum Teil auch ineinander übergehen können. Sich diese Matrix zum Vorbild nehmend, haben Schratz et al. (2015) eine Ableitung für schulische Entwicklungslinien im österreichischen Kontext erarbeitet (vgl. Tab. 3.1) Der Tabelle 3.1 kann man entnehmen, dass zu Beginn der Schulentwicklungsvorhaben in Österreich vor allem Logiken des Qualitätsmanagements leitend waren. Ziel war es, die Optimierung und Qualitätssicherung der Schulen zu
Rezipientinnen/ Rezipienten
Lernende
Produzentinnen/ Produzenten
expertenzentrierte Führung (Steuernde/-r)
lehrseits
transaktional
autoritätszentrierte Führung (Optimierer/-in)
Schulleitung und Lehrende
Wirksamkeit und Effektivität; Evidenz-basierung; Rechenschaft
Beziehung
Optimierung; Qualitäts-sicherung und -verbesserung
Leitthemen
2.0 Steuerung
test- und datengesteuert
Qualitätsmanagement
Leitkonzept
3.0
dialogisch und Perspektiven eröffnend
lerngesteuert
Respondentinnen/ Respondenten
Gestalter/-in und Befähiger/-in (Entwickler/-in)
Kompetenzorientierung; Musterwechsel; Empowerment; Arbeiten am System
Entwicklung
4.0
resonant und ko-konstruktiv
lernseits
Ko-Respondentinnen/ Ko-Respondenten
Förderin/Förderer und Dienende/-r (Transformator/-in)
Emergenz, Werteorientierung; Ko-Konstruktion; Salutogenese; Inklusion; Arbeiten im und am System
Trans-formation
3
Lehren und Lernen lehrgesteuert
1.0
Strömungen
Tabelle 3.1 Konfluenzmodell von Schulleitung (leicht adaptiert nach Schratz et al. 2015, S. 222)
144 Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
3.2 Schulleitungshandeln und Wandel
145
gewährleisten. Dabei wurde vor allem auf das Lehren von Lehrerinnen und Lehrern fokussiert, und das primär ausgehend von Einzelinitiativen: „So entstanden neue Entwicklungen im Schulsystem vor allem aus Initiative von LehrerInnen und Eltern, beispielsweise im Bereich […]der neuen Lernformen.“ (Altrichter et al. 2005, S. 9). Altrichter et al. führen an, dass sich aus dieser Phase der Schulentwicklung in Österreich eine erste klar zu benennende Periode entwickelte. Diese bezeichnen sie als Phase der „Schulmodernisierung“ (vgl. ebd. S: 10). Kennzeichnend für diese Entwicklung Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre waren erweiterte Handlungsräume durch erhöhte Schulautonomie, Tendenzen der Dezentralisierung und daraus abgeleitet erweiterte Gestaltungsräume für schulische Akteure. Gleichzeitig traten in dieser Phase erste Bestrebungen nach Schulqualitätsmanagement auf, wie Schratz et al. unter Verweis auf Eder und Altrichter (2009, S. 337) anführen. Die Einzelschule wurde als „Motor der Schulentwicklung“ beschrieben (Dalin & Rolff 1990). Wie der Matrix (vgl. Tab 3.1) zu entnehmen ist, werden Lernende in dieser Strömung primär als Rezipientinnen bzw. Rezipienten verstanden (vgl. Fend 2008, S. 170). Schulleitenden werden autoritätszentrierte Führungsstile attestiert. Mit Fortgang der 1990er Jahre trat zunehmend das Thema der Steuerung in den Diskurs der Schulentwicklungsforschung ein. „In Konzepten und Projekten wurden die Formulierung verbindlicher Schulprogramme, die Implementierung von Selbst- und Fremdevaluation, neue Formen der Schulaufsicht und der Schulleitung, die Koordinierung der Unterrichtsarbeit durch Aufgabenbeispiele und Vergleichsarbeiten diskutiert und erprobt.“ (Altrichter et al. 2005, S. 11)
Mit diesen neuen Instrumenten etablierten sich erstmals Schulentwicklungsberaterinnen und -berater auf dem freien Markt (vgl. Schratz et al. 2015, S. 224) und der Schulleitung wurde eine zentrale Rolle in Schulentwicklungsprozessen zugesprochen (vgl. Eder & Altrichter 2009, S. 307). Während in Deutschland der „PISA-Schock“, ausgelöst durch die Ergebnisse im Jahr 2000, dazu führte, dass die Rufe nach einer „weiteren Akzentuierung in Richtung schulübergreifender Steuerungselemente und einer Externalisierung von Steuerung“ (Altrichter et al. 2005, S. 13; vgl. van Ackeren 2003, S. 19 f.) lauter wurden, sah sich Österreich zu diesem Zeitpunkt noch in der eigenen Entwicklungsherangehensweise bestätigt (alle Ergebnisse lagen über den Richtwerten). Dies änderte sich 2003 schlagartig (vgl. Altrichter et al. 2005, S. 13), als die folgende Veröffentlichung der PISA-Daten Gegenteiliges aufzeigte. Es folgte ein Trend zurück zu zentralistischen Steuerungsmechanismen, erste Entwicklungen für standardisierte
146
3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
bundesweite Testungen wurden eingeleitet. Lehren und Lernen erfolgten nach dem Prinzip der Test- und Datenbasierung (vgl. Tab 3.1), Schulleitung verstand sich als steuernde Instanz. Die dritte Strömung, wie sie von Schratz et al. (2015) dargestellt wird, zeichnet sich in Österreich durch bundesweite Initiativen aus. Zum einen wurden nationale Bildungsstandards eingeführt, die von einer Kompetenzorientierung ausgehen, und zum anderen wurden Formate entwickelt, die durch Vernetzung gezielt die Professionalisierung schulischer Akteure befördern. „[E]ine weitreichende Qualifizierung strategisch wichtiger Führungspersonen [begann] innerhalb des Schulsystems ab 2004. In den Fokus kam neben Fortbildungsmaßnahmen für die Schulaufsicht eine kompetenzorientierte Qualifizierung der Schulleitung durch eine Leadership Academy (LEA)“ (Schratz et al. 2015, S. 228 f.)
Vor ca. acht bis zehn Jahren setzte die vierte Phase, wenn man diese so benennen will, ein. Schulentwicklungstrends bewegen sich zunehmend in Richtung Vernetzung und Regionalisierung. Dies kann z. B. an den gestiegenen Fördersummen für solche Projekte im bundesdeutschen Raum abgelesen werden (vgl. Berkemeyer et al. 2011, S. 118). Berkemeyer et al. (2011) sprechen sogar von „Netzwerken als neue Phase der Schulentwicklung“ (S. 116). In Österreich zeichnet sich im Rahmen neuer bildungspolitischer Maßnahmen (vgl. Bildungsreformgesetz 20179 ) ein vermehrter Fokus auf regionale Entwicklungsschwerpunkte wie das Einrichten von Schulclustern, die Forderung nach regionalen Bildungsberichten (vgl. Brauckmann et al. 2019) sowie eine Bereitschaft, auf Bundeslandebene regionale Schulentwicklungsprojekte weiter zu fördern (z. B. Tirol Modellregion Bildung Zillertal, vgl. hierzu Rößler & Schratz 2018), ab. Für Schratz et al. (2015, S. 232 f.) ergibt sich in diesem Zusammenhang ein viertes Leitkonzept, das vor allem von ko-konstruktivem Wirken aller beteiligten Akteure ausgeht und eine resonante Beziehungsebene fördert. Lernende werden in dieser Strömung besonders in den Mittelpunkt gestellt, da Unterricht ausgehend von einer lernseitigen Haltung konstituiert werden soll (vgl. Agostini, Schratz & Risse 2018). Schulleitungshandeln wird als resonant und in dem Sinne als förderlich gegenüber Ko-Konstruktionen beschrieben. Dass eine solche Abhandlung der Schulentwicklungsphase nicht allein für den deutschsprachigen Raum gilt, zeigen Forschungsergebnisse von Harris und Chrispeels (2006). Diese sind zu ähnlichen Ableitungen gekommen, sie haben daraus das im Folgenden vorgestellte Modell entwickelt (Abbildung 3.3): 9
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2017_I_138/BGBLA_2017_I_ 138.pdfsig.
3.2 Schulleitungshandeln und Wandel
Dominanz von kleinen Projekten
Schulentwicklung auf Mikroebene
Phase 1
147
Ansatz übergreifender Erneuerung
Phase 2
umfassende Reformen im Schulsystem
Schule im Verbund (Netzwerkansätze)
Phase 3
Abbildung 3.3 Stufen der Schulentwicklung (nach Harris und Chrispeels 2006, adaptiert L.J.R.)
Harris und Chrispeels (2006, S. 3–21) beschreiben drei großen Phasen der Schulentwicklung in den anglo-amerikanischen Sprachräumen. Auch sie beginnen in den 1980er Jahren. Die Anfänge, so schreiben die beiden Autorinnen, waren gekennzeichnet durch kleine lokale Initiativen, bei denen die Schulentwicklungsvorhaben noch wenig mit den Schüler/-innen-Leistungen in Zusammenhang gebracht wurden. Ausgehend von Initiativen einzelner Lehrer/innen oder Gruppen in den Schulen wurden neue innovative Ansätze ausprobiert. „This first phase of school improvement tended to be loosely conceptualized and under theorized. It did not represent a systematic programmatic and coherent approach to school change.“ (Hopkins and Reynolds 2001, S. 12). Dieser ersten Phase folgte eine zweite Phase, in der mehr und mehr nationale Reformen angestrebt und zentrale Befunde der Schulwirksamkeitsforschung (School-Effectiveness- und School-Improvement-Research) aufgegriffen wurden (vgl. Harris und Chrispeels 2006, S. 6). Durch die nationale Festlegung bestimmter Themen wurden mehr und mehr Entwicklungsprojekte forciert, die die ganze Schule in den Blick nahmen. Nichtsdestoweniger blieben die erhofften Ergebnisse aus: „In many countries numerous ressources have been targeted at programms and projects aimed at improving schools and raising standards of performance. […] The evidence supporting the relationship between school improvement and increased student achievement remains weak and contestable.“ (ebd.)
148
3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Die dritte Phase leitete sich daher aus den Erkenntnissen der zweiten Phase ab. Hopkins und Reynolds (2001) charakterisieren für diese dritte Phase drei Merkmale 1) Es muss ein deutlicher Fokus auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler und deren Lernergebnisse gelegt werden. Daraus erschließt sich ein Fokus auf die Arbeit im Klassenzimmer. 2) Die Aufmerksamkeit muss auf das Lern- und Lehrverhalten der Lehrenden gerichtet werden – im Sinne von „auch die Lehrenden sind Lernende“. 3) Es muss eine Infrastruktur geschaffen werden, die es ermöglicht, die Wissensgrundlage der Lehrenden, im Sinne eines Zugangs sowohl zu „Bestpractice“-Ansätzen als auch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, besser zu gewährleisten. Des Weiteren muss schulintern der Fokus auf Zusammenarbeit der Lehrenden gelegt werden (z. B. in Form von professionellen Lerngemeinschaften) und müssen Strategien entwickelt werden, wie neue innovative Ideen in die Organisation diffundieren können. Außerdem ergänzen Harris und Chrispeels noch die Integration und Mobilisierung der erweiterten Kooperation („district-encourage collaboration among teachers“ (2006, S. 15)), um gemeinsame und nachhaltige Ziele zu formulieren und zu verfolgen. In diesen regionalen Verbünden sehen die Autorinnen die Chance, das Commitment der Beteiligten zu bestärken. Honig und Hatch (2004) sprechen sich zudem für multiprofessionelle Gruppen innerhalb regionaler Strukturen aus. „Teachers and other organizational members belong to multiple communities – professional, personal, and epistemic, among others – from which they may draw scripts for decision- making. The availability of multiple scripts and logics may mean that school-level actors can make sense of a broader range of external demands than if they had fewer scripts from which to draw and lead to the kinds of productive conflict highlighted above.“ (S. 23)
Für das Autorenduo liegt dabei der entscheidende Mehrwert in einer Steigerung des Repertoires von Handlungslogiken. Somit lässt sich die vierte, hier dargestellte Schulentwicklungslinie nahtlos an die institutionellen Konzepte des Neo-Institutionalismus und die zuvor angeführten Mechanismen des Enactments anschließen. Vergleicht man die Ausführungen Hopkins und Reynolds (2001) bzw. Schratz et al. (2015) mit den Zielen, die im Zuge der Neuen Mittelschulreform formuliert worden sind, so lassen sich deutliche Parallelen aufzeigen:
3.2 Schulleitungshandeln und Wandel
149
• Die neue Lehr- und Lernkultur an der NMS – Fokus auf das Lernen ◯ „Die Aufhebung der Leistungsgruppen und das pädagogische Konzept in der NMS-Lehrplanverordnung sind umfassend und führen zu einer radikalen Änderung der Lehramtstätigkeit und des professionellen Selbstverständnisses der Lehrperson. Durch das Erkennen der eigenen Wirksamkeit wird der Lehrperson die Verantwortung für die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler bewusst.“ (Westfall-Greiter, Schratz und Hofbauer 2014, S. 38). • Veränderungen der Lehr- und Lernkultur bei den Lehrenden mittels neuer Strukturen ◯ „In der NMS unterrichten in den Fächern Mathematik, Deutsch und lebende Fremdsprachen teilweise zwei oder mehrere Lehrpersonen gemeinsam in einer Klasse. […] Durch gelungenes Teamteaching werden Lernchancen erhöht, Lernmöglichkeiten erweitert und Leistung gesteigert – auch für Lehrpersonen.[…] Zugleich werden die einzelnen Lehrpersonen durch die Zusammenarbeit entlastet, aber auch stärker in ihren didaktischen Gewohnheiten und Verhaltensweisen kollegial supervidiert.“ (ebd.) • Einbindung von Bildungspartnern: Öffnung der Schule ◯ Durch ein neues Format, das sogenannte Kind-Eltern-Lehrergespräch, wird die Bildungspartnerschaft zu Eltern und Erziehungsberechtigten mehr in den Fokus gestellt (vgl. ebd. S 43). • Fokus auf Zusammenarbeit am Standort und Öffnung für neue Ansätze ◯ „Komplexe Herausforderungen – wie z. B. die Umsetzung des pädagogischen Konzepts der NMS – können unmöglich von einer Person alleine bewältigt werden. Die Schulleiterinnen und Schulleiter benötigen dazu die Ressourcen aller. Jeder übernimmt der Anforderung entsprechend Führungsaufgaben: Lernende Schulen leben von shared leadership.“ (ebd, S. 44) ◯ Der/die „Lerndesigner/-in [ist] neben der Schulleitung die zentrale Person für die Umsetzung des pädagogischen Konzeptes der Neuen Mittelschule am Standort […]. Als Bindeglied zwischen Steuerung und Praxis stellt ihre Position einen Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung am Schulstandort
150
3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
dar.“ (ebd.) Mittels bundesweiter Lernateliers (Vernetzung aller Schulen auf Bundesebene) wurden alle Lerndesigner aller Hauptschulen Österreichs mit dem neuen pädagogischen Konzept vertraut gemacht und beauftragt, dieses an ihren Schulstandorten zu implementieren (vgl. Westfall-Greiter und Hofbauer 2012). Insbesondere die Reform zur Neuen Mittelschule versucht viele Elemente der Strömungen 3.0 und 4.0 abzubilden. Diese vier hier beschriebenen Leitkonzepte werden in der vorliegenden Arbeit als Marker für institutionelle Logiken herangezogen und helfen somit bei der empirischen Studie zum Antwortverhalten von Schulleiterinnen und Schulleitern in Kapitel 4.
3.2.2
Verändertes Schulleitungshandeln und die Entstehung neuer Führungsstile
Wirft man einen Blick auf die Landschaft der Schulleitungsforschung, die sich momentan mit schulischer Führung bzw. Leitung im Kontext schulischer Organisationen beschäftigt, so wird man mit einer kaum überschaubaren Anzahl an unterschiedlichen Typen von Führungsstilen konfrontiert. Mehr als 21 verschiedene Leadership-Arten werden von Day und Sammons (2016, S. 10) identifiziert. Neben system leadership, moral leadership, distributed leadership, instructional leadership und transformational leadership werden nahezu jährlich neue Bezeichnungen eingeführt. Leithwood, Day, Sammons, Harris und Hopkings (2006) schlussfolgern daher „[i]ndeed leadership by adjective is a growth industry“ (S. 7). Nun ist es keinesfalls die Intention der vorliegenden Arbeit, diese Ansammlung, um einen weiteren Stil zu erweitern; vielmehr soll jener Kritik Rechnung getragen werden, die Harazd, Gieseke und Gerick (2010) anführen, wenn sie schreiben, dass es diesen Führungsstilen oftmals an theoretischen Fundierungen mangle und es sich vielfach um „normativ geprägte Beschreibungen [handelt], die bestimmte Führungsstile oder -modelle charakterisieren“ (Gerick 2014, S. 31). Das beigefügte Attribut der vorliegenden Arbeit „responsiv“ dient vielmehr dem Zweck zu erkunden, wie Leitende antworten und welche Leitungsparadigmen für sie entscheidend sind. Zunächst gilt es einmal festzuhalten, dass viele Schulleiterinnen und Schulleiter nicht über den einen Führungsstil verfügen. Schulleiterinnen und Schulleiter
3.2 Schulleitungshandeln und Wandel
151
agieren in ihrem Leitungshandeln entsprechend den ihnen gestellten Aufgaben. So kommt es in vielen Fällen zu einer Kombination unterschiedlicher Führungsstile. „Die nicht auf den Schulkontext begrenzte Führungsforschung zeigt, dass es nicht den optimalen Führungsstil oder die optimale Führungseigenschaft gibt. Vielmehr besteht heutzutage Einigkeit darüber, dass die Anforderungen an effektives Führungsverhalten je nach Situation variieren.“ (Bonsen 2010, S. 293)
Wiesner et al. (2015) versuchen dies mit Hilfe eines Konfluenzmodells darzustellen, das in Anlehnung an die bereits vorgestellten vier Strömungen (vgl. Tab. 3.1, Schratz et al. 2015) entwickelt wurde (Abbildung 3.4):
Abbildung 3.4 Strömungen im Konfluenzmodell (nach Wiesner et al. 2015)
Wie bereits erläutert, gehen Führungsstile, ähnlich wie die Leitkonzepte, vornehmlich ineinander über, als dass sie voneinander ersetzt werden. Orientiert an den Beschreibungen zum Verhältnis von Schulleitung und Lehrenden, werden entsprechende Führungsstile, die in der einschlägigen Literatur der Schulleitungsforschung bekannt sind, anhand ihrer wesentlichen Merkmale vorgestellt. Führungsstile des 1.0 Leitkonzepts: Schulleiterinnen und Schulleiter, die im Wesentlichen diesem Leitkonzept folgen, zeichnen sich durch autoritätszentrierte Führungsstile aus. Schratz et al. (2015, S. 224) schreiben in Rekurs auf Radnitzky & Iby (2004, S. 36) hierzu, dass der Schulleiter bzw. die Schulleiterin „Garant für Verbindlichkeit und Kontinuität“ und als „Hüter/in des Gesetzes“ zu verstehen sei sowie ferner als „Anwalt/Anwältin von Innovation“ und „Außenminister/in“ der Schulen, wenn es um die Präsentation entsprechender Qualitätsentwicklungsergebnisse gegenüber Dritten geht. Dieser Charakterisierung nach zeichnet sich ein Führungsverhalten auf Ebene 1.0 vor allem durch ein Führungsverständnis aus, das Schulleiter oder Schulleiterin in weitestgehend alleiniger Verantwortung für Qualitätsentwicklung darstellt, und organisationales
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3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Lernen in einem Verständnis des Anpassungslernens beschreibt. Charakteristisch für diesen Führungsstil ist außerdem, dass wenig bis keine Verantwortung an Kolleginnen und Kollegen (vgl. u. a. „Primus inter Pares“ Strittmacher 1994; Schratz 2005) abgegeben wird. Führungsstile des 2.0 Leitkonzepts: Typisch für Leitungshandeln auf dieser Ebene, so Schratz et al. (2015, S. 222; 225), sei eine Orientierung am Konzept des Expertentums. Besonders in Formaten wie verteilter Führung sprechen Schulleiterinnen und Schulleiter einzelnen Akteuren bestimmte Funktionen und damit verbundene Verantwortung zu. Ein weiteres Merkmal dieses Leitungshandlungstypus ist die Fokussierung auf steuerbare bzw. messbare Elemente. Schulleiterinnen und Schulleiter fungieren als „Controller/-in“ und entscheiden datenbasiert. Ihr Führungsverhalten lässt sich als strategisch beschreiben. (vgl. u. a. transaktionale Führung Burns 1978; unterrichtszentrierte Führung Blase & Blase 1998; Hallinger & Murphy, 1985; Halverson, Grigg, Prichett &Thomas 2006; verteilte Führung Pearce & Conger, 2003) Führungsstile des 3.0 Leitkonzepts: Schulleiterinnen und Schulleiter, die mehrheitlich dieser Logik folgen, verstehen sich selbst als Visionäre, die sowohl Schule gestalten als auch andere zur Mitgestaltung befähigen möchten. Sie vermitteln Visionen und „fördern eine kooperative und professionelle Lernkultur“ (ebd. S. 225). Personalentwicklungsstrategien werden als zielführende Maßnahmen gesehen, um Kolleginnen und Kollegen in ihrer professionellen Arbeit zu unterstützen. Ziele und Absichten der Führenden werden klar kommuniziert und transparent gemacht. (vgl. u. a. geteilte Führung Gronn 2000; kollaborative Führung Woods & Roberts 2018; transformative Führung vgl. Gerick 2014; Hallinger 2003; Bass 1985) Führungsstile des 4.0 Leitkonzepts: Schulleitung, die nach dem vierten Leitkonzept agiert, nimmt sich zunehmend zurück und versteht sich überwiegend als jemand, der/die förderliche Umfelder für alle Akteure am Schulstandort schafft, damit jede/-r in seiner/ihre Rolle bestmöglich handeln kann. Die Entwicklungsvorhaben werden mit allen Parteien ko-konstruktiv entwickelt und es herrscht ein hoher Grad an demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeit. Die Einbindung außerschulischer Umwelten rückt ebenfalls mehr in das Aufmerksamkeitsfeld dieser Schulleiterinnen und Schulleiter (vgl. Scharmer 2014, S: 229). (vgl. u. a. geteilte bzw. emergente Führung Gronn 2000; Bonsen 2010, 2016; System-Leadership vgl. Schley & Schratz 2010; Hopkins 2008) Entscheidend – und das ist die Grundsatzfrage, die im Zusammenhang mit Führung und Wandel gestellt werden muss – ist, wie Schulleiterinnen und Schulleiter den an sie gerichteten Appellativen, seien sie externer oder interner Natur, mit Führungsverhalten antworten. Die neuen Herausforderungen für
3.2 Schulleitungshandeln und Wandel
153
Schulleiterinnen und Schulleiter in Österreich, aber auch allgemein in deutschsprachigen Bildungssystemen, schildern Altrichter und Brauckmann (2018) in einem Beitrag zur Festschrift für Peter Posch „Baustellen in der österreichischen Bildungslandschaft“ wie folgt: „Es kommt hinzu, dass die operationale Verantwortung nicht nur das konkrete Leitungshandeln, sondern zunehmend auch die Führungsverantwortung betrifft, also jene Verantwortung, die die Funktionalbeziehung zwischen verschiedenen Bezugsfeldern schulischen Handelns gewährleisten soll. [...] Grundsätzlich muss mehr nach der Kompatibilität von Zielen auf System-, Organisations- und Individualebene gefragt werden. [...] Schulleiterinnen und Schulleiter sind dazu aufgefordert, in diesen Veränderungsprozessen Entscheidungen zu treffen, aber auch ausgleichend zu wirken. Dementsprechend versuchen Schulleitungen extern und interne Zielsetzungen miteinander in Einklang zu bringen bzw. die Widersprüchlichkeit der Handlungsziele und ihres eigenen Rollenverständnisses bei der Erreichung dieser Ziele auszuhalten.“ (ebd. S. 172)
Für die vorliegende Arbeit lässt sich nach diesen Ausführungen eine weitere Hypothese formulieren.
H5
Schulleiter/-innen werden im Rahmen ihrer Leitungsfunktion damit konfrontiert, Veränderungen an ihrem Schulstandort durchzuführen, z. B. Reformen umzusetzen. H 5.1 Veränderungsprozesse werden dabei von Schulleiter/-innen als inkrementell oder fundamental wahrgenommen. H 4.2 Bei der operativen Umsetzung zeigen sich unterschiedliche institutionelle Rahmungen/Logiken (vgl. Matrix 1.0, 2.0, 3.0, 4.0).
Während nun die exogenen und endogenen Veränderungsprozesse in Schulen in den vergangenen Jahrzehnten aufgezeigt werden konnten, bedarf es noch einer weiteren Schärfung in Hinblick auf die Frage nach der „Auswahl“ bzw. „Antwort“, die es zwischen a) exogenen Auslösern, also bestimmten Trends (vgl. Qualitätssicherungen, Evidenzbasierung, Kompetenzorientierung usw.), sowie b) endogenen Ansprüchen (Führungsverständnis der Schulleiterinnen und Schulleiter, Zusammenarbeit unter den Lehrenden, Verständnis des Verhältnisses zu den Lernenden, usw.) gibt. Zwar konnte mit dem Konzept der „Attention“ nach Ocasio (1997) bereits eine erste Stoßrichtung andiskutiert werden, dennoch bedarf
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3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
es eines letzten brückenschlagenden Elements, als welches in dieser Arbeit das Konzept der Responsivität angesehen wird. Diese ergänzende Theorie schafft es, institutionelle Umwelten, institutionellen Wandel und Führungsverhalten so zusammen zu bringen, dass ein stimmiges Bild entsteht und eine Operationalisierbarkeit für den folgenden empirischen Teil gegeben ist.
3.3
Responsivität
„Wir erfinden, was wir antworten, wir erfinden aber nicht, worauf wir antworten.“ (Waldenfels 1999)
Responsivität lässt sich aus dem Lateinischen ableiten und stammt von dem Wort RESPONDERE = antworten ab. Durch die Substantivierung des Wortes entstehen unterschiedliche Nomen, wie etwa „Antwortverhalten“ oder auch „Antwortlichkeit“ (vgl. Gutknecht 2010, S. 27). Konzepte zur Responsivität erfreuen sich in den vergangenen Jahrzehnten in unterschiedlichen Disziplinen gesteigerter Beliebtheit (vgl. etwa im pädagogischen Diskurs: Remsperger 2011; Gutknecht 2015; Nowak 2016; Althans & Engel 2017). Dies kann mitunter zu mehr oder weniger problematischen Definitionsdifferenzen führen. So beschreiben etwa Disziplinen wie die Medizin Responsivität nach einem naturwissenschaftlichen Paradigma. Gutknecht (2010) weist darauf hin, dass dort „Responsivität […] mit Reaktion gleichgesetzt“ (S. 27) wird, also eine Lesart nach einem behavioristischen Zugang besteht. Erweitert man den medizinischen Bereich jedoch um den Zugang der Biosemiotik, so wird Responsivität „in Zusammenhang von Interaktion oder Interaktivität […]“ (Gutknecht, 2010, S: 30) verwendet. Diese zweite Auslegung, z. B. als Beschreibung wie Zellen miteinander kommunizieren, beschreibt Responsivität als „Zeichenprozesse“. Gutknecht führt hierzu aus, dass „die Wechselwirkung innerhalb jeden Systems […] als zentrale Elemente“ identifiziert werden können (ebd. S. 30). Behält man dieses Verständnis von Responsivität im Sinne der Wechselwirkung bei, so lässt sich eine Brücke zu jenem Konzept schlagen, das in den Politikwissenschaften entwickelt wurde. Hier wird Responsivität als Modell verstanden, „das Aussagen darüber zulässt, in welcher Weise und in welchem Maß die Ideen und Interessen der Bürger tatsächlich von den Repräsentanten vertreten werden.“ (Gutknecht 2010, S. 36). Ein solcher Zugang bietet bereits eine erste Anknüpfungsmöglichkeit für die weiteren Ausführungen dieser Arbeit, da auch Schulleiterinnen und Schulleiter als Repräsentantinnen und Repräsentanten des Einzelschulstandorts agieren.
3.3 Responsivität
155
Mit dem Konzept der kulturellen Responsivität wurde von Villegas & Lucas (2002) auch im pädagogischen Kontext ein Modell zu Responsivität entwickelt. Dieses zielt darauf ab, Lehrkräfte besser auf die Diversität, die in den Klassenzimmern herrscht, vorzubereiten. Indem die Lehrkräfte ein soziokulturelles Bewusstsein entwickeln, soll ihre besondere Aufmerksamkeit auf Status- und Machtstrukturen in der Gesellschaft gelenkt werden und eine Sensibilität dafür entwickelt werden, wie diese zu nachteiligen institutionellen Voraussetzungen für Schülerinnen und Schüler führen können. Eine vertiefte Auseinandersetzung hierzu findet sich bei Gutknecht (2010, S. 39) und Vincent, Randall, Cartledge, Tobin & Swain-Bradway (2011). Für die vorliegende Arbeit wird davon abgesehen, sich an der pädagogischen Ausrichtung des Responsivitäts-Konzepts zu orientieren. Ebenfalls ein Zugang über Zeichenprozesse, insbesondere sprachliche Zeichensysteme, liegt beim philosophischen Konzept zu Responsivität vor. Dieses wird vor allem durch den Phänomenologen Bernhard Waldenfels vertreten. Dieser setzt sich dezidiert mit dem Anspruch des Fremden auseinander, auf den es zu antworten gilt. Das bietet eine Anschlussmöglichkeit für die Fragen, mit denen sich diese Arbeit auseinandersetzt. Er distanziert sich deutlich von dem Reiz-Reaktions-Verständnis der Behavioristen, indem er schreibt: „Dennoch besteht ein erheblicher Unterschied zwischen einer Reaktion, die auf Fremdes antwortet[...] und einer Response, die auf einen fremden Anspruch als solchen eingeht.“ (Waldenfels 2016, S. 459)
Eine Mischung aus politikwissenschaftlichem und philosophischem Ansatz, so könnte man es beschreiben, stellen organisationstheoretische Ansätze dar. Diese betonen vor allem den strategischen Aspekt von Responsivität, der weniger bei Waldenfels, jedoch mehr bei Uppendahl (1981) sichtbar wird. Gleichzeigt verweist er aber auch auf die Verantwortung, die im Antworten steckt, und bereitet damit wieder den Weg in Richtung philosophisch-phänomenologischer Ausrichtung. Für die hier vorliegende Arbeit werden in weiterer Folge sowohl die philosophisch-phänomenologische Zugangsweise Waldenfels als auch politikwissenschaftliche Ansätze sowie jene der Organisationswissenschaft vertieft diskutiert, um daraus Ableitungen für ein responsives Leitungshandeln entwickeln zu können.
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3.3.1
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Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Ausgewählte Diskurse zu Responsivität
Philosophisch-phänomenologischer Diskurs nach Waldenfels In seinem zentralen Werk „Antwortregister“ (201610 [1994]) behandelt Bernhard Waldenfels die vielschichtigen Möglichkeiten des Antwortens. Für Waldenfels bedeutet „antworten“ nicht nur im sprachlichen Sinne antworten, sondern auch antwortende Handlungen ausüben (vgl. Waldenfels 1999). Dabei setzt er sich im kritischen Rekurs auf Husserl (1992) und Lévinas (1978) nicht nur mit den Ansprüchen der Anderen auseinander, sondern auch mit der Wahrnehmung (Aufforderungscharakter der Dinge). Im Zuge dieser Betrachtungen führt Waldenfels den Begriff Responsivität ein. Für diese Arbeit soll vor allem jene Form der Responsivität genauer diskutiert werden, die als „Antworten auf fremde Ansprüche“ (vgl. 2016, S. 238 ff.) zu verstehen ist. Für Waldenfels zeigt sich bereits im Begriff „Anspruch“ eine Dualität. „,Anspruch‘ verweist einmal auf den Vorgang, daß [sic!] jemand jemanden anspricht, sich an ihn wendet, seine Rede an ihn adressiert. ‚Anspruch‘ tritt so in eine Reihe mit Anruf, Anrede, Appell (vgl. Appel, appeal, interprellation, allocution), ‚Anspruch‘ bedeutet aber auch den Anspruch auf etwas, den jemand erhebt oder geltend macht, wobei offen bleibt, wem gegenüber dieser geschieht. Ansprüche, die man geltend macht, heißen in anderer Diktion Prätentionn (vgl. pretetion, revendictation, exigence/pretension, claim, demand).“ (Waldenfels 2016, S.238 f.)
Die Verzwicktheit der Beziehung zwischen Anspruch und Antwort bzw. Antwort und Anspruch besteht darin, so Waldenfels, im Antworten einen Anspruch zu generieren, der beim Fragen möglicherweise so nicht intendiert wurde. Es entsteht eine Irreziprozität in wechselseitigen Antwortprozessen (Gutknecht 2010, S. 33). Anders formuliert: Mit dem Antworten antworten Akteure auf etwas, das sie vermeintlich im Anspruch des anderen wahrgenommen haben, ohne sicher zu sein, dass dies tatsächlich der Anspruch war. Durch ihre Antwort beglaubigen sie jedoch den Anspruch. In diesem abstrakten Zugang zu Responsivität zeigt sich deutlich, dass das Antwortverhalten z. B. gegenüber Neuem, etwa Reformen, von den Akteuren unterschiedlich erfolgt. „Ähnlich, aber doch auch anders als bei der Frage, wo Gefragtes, Befragtes und Erfragtes sich voneinander absondert, haben wir beim Antworten zu unterscheiden zwischen dem, was geantwortet wird: der Antwort (answer) dem was beantwortet 10
Die zitierte Ausgabe stammt aus dem Jahr 2016. Daher wird fortan nur 2016 im Kurzverweis angegeben.
3.3 Responsivität
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wird: der Frage (question) und dem, worauf wir im Antwortgeben (response) antworten: dem Anspruch (appeal/pretension). Während Frage- und Antwortgehalt teilweise zur Deckung kommen und zueinander passen müssen, damit überhaupt eine Antwort zustande kommt, klafft zwischen Anspruch und Antwortgeben (response) eine unüberbrückbare Kluft.“ (Waldenfels 2016, S. 242)
Waldenfels bezeichnet die „unüberbrückbare Kluft“ als Responsive Differenz: Diese Responsive Differenz ereignet sich zwischen Pathos und Response – also zwischen Wahrnehmung und Antwortgeben. Da die Wahrnehmung von unterschiedlichen Dingen geprägt sein kann, etwa dem Vorwissen, aber auch den institutionellen Umwelten, kann die Response verschiedenartig ausfallen. So entstehen unterschiedliche Antworten auf gleiche Ansprüche. Die Bezugslogiken der Antwortenden formen das Antwortgeben und festigen damit den vermeintlichen Anspruch, auf den sie antworten. Waldenfels (1999, S. 245 f.) verweist in Rekurs auf Searl darauf, dass sich Handeln „auf zwei Stockwerken an[ge]siedelt, einem kulturellen und einem natürlichen“. Während das kulturelle Stockwerk von institutionellen bzw. konventionellen Regeln geprägt ist, bildet das natürliche Stockwerk die „natürlichen Restbestände“(ebd.), wie bestimmte Körperhaltungen oder elementare Gefühle. Somit bietet diese Betrachtung Waldenfels’ eine Anschlussmöglichkeit für die neo-institutionalistischen Theorieströmungen, insbesondere die institutionellen Logiken. Vergleicht man seine Ausführungen mit dem Konzept von Czarniawaska und Joerges, so vollzieht sich das Antworten auf dem Bereich, der zwischen der „Fashion“ und der „Meta Idea“ verortet ist. Wie geantwortet wird, hängt davon ab, welchen Anspruch man in den „Trends“ bzw. „neuen Ideen“ liest. Auch Reformen und Erlässe entsprechen weniger dem Charakter einer Frage als vielmehr einem Anspruch, auf den es zu antworten gilt. Von daher zeigt Waldenfels mit seinem Ansatz ein wichtiges Moment für das Antwortverhalten von individuellen und kollektiven Akteuren auf. Nun geht es jedoch nicht nur um das sprachliche Antworten, sondern – und das bringt diesen Diskurs wieder näher an die Ausgangsfrage dieser Arbeit – auch darum, wie „dem Handelnden ein Antwortcharakter zugesprochen werden kann.“ (2016, S. 438). Waldenfels vertritt die Meinung, dass sich antwortendes Handeln ähnlich verhalte wie sprachliches Antworten, da beides letztlich auch in einem Wechselbezug zu einander stehe. Die Organisation von Handlungsabläufen und Handlungsfeldern, so Waldenfels, verlangt eine „praktische Erfindungskraft“ (Waldenfels 2016, S. 451). Er führt weiter aus, dass man sich zwar mitunter an fremdem Handeln orientieren könne, dass man jedoch zwischen „implizitem und
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3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
explizitem Fremdbezug bzw. zwischen verschiedenen Dimensionen zu unterscheiden habe“ (ebd.). Diese Aussage Waldenfels lässt sich mit den Annahmen, die im Neo-Institutionalismus aufscheinen, vereinbaren. Dort wird davon ausgegangen, dass es institutionelle Ansprüche (Fremdbezüge) gibt, die nicht mehr hinterfragt werden. Dennoch – wie in diesem Kapitel dargestellt – kommt es zu Wandel und Veränderungen. Indem also antwortendes Handeln stattfindet, werden entweder institutionelle Vorstellungen gefestigt oder verändert. Der Akt der „praktischen Erfindungskraft“ liegt für Waldenfels im Worauf (vgl. S. 456), auf das sich das antwortende Handeln bezieht. Dieses worauf, so folgert der Phänomenologe, sei nicht „vorweg einer sozialen Handlungsordnung unterworfen“ (ebd.), sondern schaffe neue Ordnungen, neue Bezüge durch den Akt des Respondierens. „Mit dem antwortenden Handeln, das auf Ansprüche antwortet, betreten wir eine Dimension, die aus den verschiedenen Handlungskreisen herausführt und die auf gewisse Weise eine Handlung erst zu einer Handlung macht, die mehr darstellt als eine bloße Reaktion und mehr auch als eine bloße Verwirklichung.“ (Waldenfels 2016, S. 456).
Entscheidend, dafür, dass es nicht zu einer Reaktion, sondern zu einer Response kommt, ist laut Waldenfels die Verzögerung. „Die Verzögerung, mit der eine Reaktion auf den Reiz folgt, hat zur Folge, daß [sic!] wir etwas bemerken und bewirken, was nicht nur Bedeutung hat, sondern sich stets aufs Neue als bedeutsam herausstellt. Die Verzögerung [...] entsteht durch einen Aufschub, der bewirkt, dass etwas als etwas auftritt und daß [sic!] zugleich etwas für etwas anderes eintritt.“ (Waldenfels 2016, S. 460)
Durch den Moment der Verzögerung entsteht ein Raum für Reflexion, der die Handlung als eine antwortende hervortreten lässt. Plessner (1970, S. 236) und Agostini (2016) beschreiben diesen Moment als jenen, in dem ein „Überschuss an Möglichkeiten“ entsteht. Wie aber kommt es zur Entscheidung für die letztlich antwortende Handlung? Waldenfels differenziert dabei zwischen Handlungen, die „routiniert ablaufen“ bzw. sich im „Kurzschlu[ss]“ (1999, S. 257) entladen und jenen Handlungen, die durch ein Zögern begleitet werden. Im Sinne der neo-institutionalistischen Theorien sind Handlungen, die auf institutionalisierte Erwartungshaltungen reagieren und nicht mehr hinterfragt werden, jene, die mit „routinierten“ Handlungen nach Waldenfels verglichen werden können. Handlungen, die jedoch durch Ansprüche oder Erwartungshaltungen, die noch nicht institutionalisiert sind, hervorgerufen werden, bedingen ein Zögern, bevor es zur
3.3 Responsivität
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Antwort kommt. In diesem Zögern liegt das responsive Antwortgeschehen, um das es im Zusammenhang mit dem Schulleitungshandeln in dieser Arbeit geht. Da, wie zuvor bereits beschrieben, die Möglichkeit ausgeschlossen wird, dass Anspruch und Antwort deckungsgleich sein können, gleicht jede Anspruchsituation einer offenen Handlungssituation (Waldenfels 2016, S. 576 nach Merleau-Ponty 1966). Waldenfels verweist auf die beiden Begriffe Passendes und Entsprechendes, die das antwortende Handeln danach qualifizieren, ob ein Verhalten oder ein Geschehen dem (vermeintlichen) Anspruch entspricht (ebd.). Dies bedingt, dass sich das antwortende Handeln doch nicht als losgelöst von allem versteht, sondern sich (auf individueller Ebene) im Bereich des Vorwissens sowie der Wahrnehmungs- und Handlungsgewohnheiten bzw. - wie bereits aufgezeigt – auch der institutionellen Umwelt bewegt. Eine Möglichkeit, sich dem zu nähern, liegt in der Wechselseitigkeit der Perspektive begründet. Diese kann nur dann hergestellt werden, wenn man in das Antworten involviert ist – eine solche Involviertheit gelingt etwa durch die Übernahme der Perspektive von jenem/jener, dem/der zu entsprechen versucht wird (vgl. Gutknecht 2010). Für Schulleiterinnen und Schulleiter würde dies bedeuten, sich zunächst bewusst zu werden, wem man entsprechen möchte und sich dann in jene/n vermeintlich Anspruchserhebende/n hineinzuversetzen und abzuwägen, um entsprechend zu respondieren. Ein solcher Perspektivenwechsel bedingt ein hohes Maß an Kenntnis über die Logiken des Gegenübers. Dennoch gilt, dass selbst durch einen solchen Austauschprozess ein vollkommen kongruentes Respondieren nicht ermöglicht werden kann. Waldenfels schreibt weiter, dass es entscheidend ist, worauf mit Handeln reagiert wird – im Moment der Verzögerung bzw. des Abwägens, wie sich einem etwas als etwas (Bestimmtes) zeigt, wird abgewogen, wie auf das, was sich einem zeigt, geantwortet werden kann. Nach Waldenfels kann im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit aufgezeigt werden, warum das Antwortverhalten jeder/-s Schulleiters/-in unterschiedlich ausfällt. Schließlich zeigt sich jedem/jeder etwas als etwas Bestimmtes, und selbst wenn sich dieses Zeigen im Korsett des Passens befindet, so erfolgt dennoch eine neue Antwort darauf. In diesem Zusammenhang sei auch darauf verwiesen, dass Waldenfels auch dem Antwortgeschehen einen kreativen Akt zuschreibt, der sich zwischen zwei Antwortpolen, einem reproduktiven und einem produktiven, bewegt.
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Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
„Ähnlich wie im Fall der Kreativität ist beim Antworten zu unterscheiden zwischen einer primär reproduktiven Antwort und einer primär produktiven oder kreativen Antwort. Im ersten Fall liegt die Antwort mehr oder weniger parat; sie kann bei entsprechender Standardisierung von maschinellen Antwortapparaten übernommen werden [...]. Anders steht es mit kreativen Antworten. Solche Antworten greifen auf fremde Angebote zurück und gehen auf fremde Ansprüche ein [...]. Antworten auf fremde Ansprüche liegen nicht bereit, sie sind zu erfinden.“ (Waldenfels 1999, S. 256)
Mit diesem Verweis lässt sich eine Verbindung zu den beiden Zugängen Bricolage und Enactment herstellen. Beide Methoden bergen Wandel, Veränderung und möglicherweise auch Kreativität in sich. Entscheidend ist, wie sich das „Angebot“ bzw. das „Repertoir“, aus dem man schöpfen kann, zusammensetzt. Je größer der Fundus, desto reicher, vielleicht sogar „kreativer“, sind die Antwortmöglichkeiten. Der/die Antwortgebende wird affiziert von jenem, das sich ihm/ihr als Anspruch zeigt – das Verständnis des Akteurs ist somit eher passiv, da eine Beeinflussung des Affiziert-seins nicht gelenkt werden kann. Ein weniger passives Verständnis des Akteurs wird im Zugang zu Responsivität von den Politikwissenschaftlern vorgestellt. In Rekurs auf Uppendahl und dessen Abhandlung zur demokratischen Responsivität folgt weiter eine Auseinandersetzung mit einer anderen Zugangsweise. Politikwissenschaftlicher Diskurs11 nach Uppendahl Bei der politikwissenschaftlichen Auffassung von Responsivität nach Uppendahl geht der Autor davon aus, dass das Wort aus dem englischen Verständnis von „responsiveness“ abgeleitet wird. Uppendahl bezieht sich auf Herzog (1997), der das englische Wort mit „Aufnahmefähigkeit“ übersetzt. Herzog beschreibt mit Responsivität die „Fähigkeit von Repräsentanten [...] aufgeschlossen zu sein gegenüber den Wünschen, Erwartungen oder Interessen der Wählerschaft, diese zur Kenntnis zu nehmen und in die politischen Entscheidungen einfließen zu lassen.“ (S. 298).
Uppendahl (1981) unterscheidet in seinem Grundlagenbeitrag „Repräsentation und Responsivität Bausteine einer Theorie responsiver Demokratie“ zwischen individueller Responsivität (der Repräsentanten) und kollektiver Responsivität (von Systemen, Organisationen und Institutionen).
11
nach Uppendahl (1981).
3.3 Responsivität
161
Für Uppendahl gilt als Grundvoraussetzung für responsives Verhalten die Existenz von Handlungsspielräumen (vgl. S. 128) – sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene. Um jedoch diese Handlungsspielräume überhaupt zu kennen, sind Repräsentanten darauf angewiesen, sich Wissen über bevorstehende Entscheidungen anzueignen. Vielfach müssen, so Uppendahl, Repräsentanten Entscheidungen zu Themen treffen, zu denen sie keine näheren Kenntnisse haben. In diesen Fällen würde Rat „von Experten, Freunden und Bekannten“ eingeholt werden. Diese „Berater“, wie Uppendahl sie beschreibt, seien „Vermittler und Filterstationen“ (Uppendahl 1981, S. 129). Stellt man an dieser Stelle den Vergleich zu Waldenfels an, so wird durch jene Filterstationen die Verzögerung bzw. die Wahrnehmungsund Handlungsgewohnheit durch zusätzliche Akteure erweitert. Schulleiterinnen und Schulleiter finden sich ebenfalls oft in Situationen wieder, in denen sie neue Erlässe, neue pädagogische Themen einführen sollen, ohne nähere Kenntnis über selbige zu haben. Entscheidend ist dann das weitere Verfahren: Wer wird als Experte, Freundin oder Beraterin herangezogen? Und wie erfolgt in diesem Fall die Antwort auf den Anspruch? Eine Dimension, die bei Waldenfels nicht zur Sprache kommt, schwingt hier ebenfalls nur indirekt mit, nämlich jene der Legitimation. Jedoch findet auch bei Uppendahl keine vertiefte Auseinandersetzung damit statt. Wie in den neo-institutionalistischen Theorieströmungen mehrfach angesprochen wird, führen unterschiedliche Anspruchsgruppen zu divergierenden Antwortmöglichkeiten. Auch Uppendahl betont, dass „[e]in Maximum an responsivem Verhalten eines Repräsentanten [...]stets dann zu erwarten [ist], wenn zwischen seinen Handlungspositionen und den ihm zur Verfügung stehenden Informationen kein Widerspruch besteht.“ (Uppendahl 1981, S. 130).
Betrachtet man diese Aussage im Kontext institutioneller Logiken, so gilt, dass dann eine klare responsive Handlung stattfindet, wenn der vermeintliche Anspruch mit institutionellen Logiken in Einklang zu bringen ist. Weitere anschließende Entwicklungsschritte können somit passend (im Sinne Waldenfels’) gemacht werden. Nichtsdestoweniger gilt es nochmals darauf hinzuweisen, dass es eine volle Widerspruchslosigkeit nach Waldenfels nicht geben kann, da eine Deckungsgleichheit zwischen Anspruch und Antwort nicht existiert. In Anlehnung an Etzioni (1968) lässt sich daher bestenfalls mit einem Mittelmaß an Responsivität arbeiten:
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Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
„Totale Responsivität – so Etzioni – zerstöre die Möglichkeit langfristig angelegter und kontinuierlicher Politik und sei schon allein deshalb nicht zu erzielen, weil sich die divergierenden Interessen der gesellschaftlichen Gruppen nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen ließen. Völlige Irresponsibilität führe demgegenüber zur Gänze eines von den Interessen der Gesellschaft abgekoppelten Entscheidungszentrums und impliziere die Gefahr des politischen „Selbstmords“ eines Systems. Deshalb plädiere Etzioni für ein dem jeweiligen situativen Kontext angemessenes Mittelmaß an Responsivität der Elite gegenüber den Wünschen und Bedürfnissen der Herrschaftsunterworfenen.“ (Uppendahl 1981, S. 127 nach Etzioni 1968)
Viele Aspekte in dem von Uppendahl für den politikwissenschaftlichen Zugang herausgearbeiteten Ansatz der Responsivität lassen sich auch für den schulischen Kontext, insbesondere die Rolle von Schulleiterinnen und Schulleitern, übernehmen. Gutknecht (2010) bringt Uppendahls Arbeit nochmals auf den Punkt, indem sie schreibt: „Nach Uppendahl (1981) ist die Responsivität von Repräsentanten/Abgeordneten wesentlich vom Perzeptionsvermögen, der Selbsteinschätzung und dem Rollenverständnis auf der Seite der Repräsentanten abhängig.“ (S. 36)
Dabei wird auch der Aspekt der Agency, der bereits ausführlich im zweiten Kapitel behandelt wurde, deutlich. Schulleiterinnen und Schulleiter haben unterschiedliche Rollen inne; je nach diesem Verständnis respondieren sie. Dieser gemeinsame Nenner lässt sich sowohl für den philosophisch-phänomenologischen als auch für den politikwissenschaftlichen Ansatz finden. Der folgende Diskurs ergänzt mit weiteren Elementen die Auseinandersetzung mit einer Responsivität von individuellen und kollektiven Akteuren, wobei der Fokus hier stärker auf Organisationen gerichtet sein wird. Organisationswissenschaftlicher Diskurs12 Im Kontext der Organisationswissenschaften wird Responsivität als „eine von drei Basisfähigkeiten von Unternehmen, neben Handlungs- und Lernfähigkeit“ (Ortmann 2017, S. 42; Kirsch 1992) gehandelt. Ortmann verknüpft diesen Anspruch an Organisationen, nämlich responsiv auf ihre Umwelt reagieren zu können, mit den immer komplexer werdenden Strukturen, auf die es flexibel zu antworten gilt. Er verweist dabei auf den Ansatz der flexible Response (vgl. Ortmann 2010, S. 27). Für die Organisation Schule hält er Folgendes fest: „[…] angesichts der
12
nach Ortmann (2010, 2017) und Gärtner, Duschek, Ortmann, Schüßler, Müller-Seitz und Hülsbeck (2017).
3.3 Responsivität
163
Dynamik der Hypermodernen, [ist] auch die Responsivität der Schule als Organisation gefragt, die neuen Anforderungen ausgesetzt ist.“ (Ortmann 2017, S. 34). Unter „Respondieren“ wird nach organisationswissenschaftlicher Auffassung also die strategische Antwort von Organisationen auf ihre umweltlichen Ansprüche verstanden. Ortmann (2010) weist darauf hin, dass „to respond“ mit „reagieren“, „ansprechen“, „eingehen auf“ oder „entgegenkommen“ übersetzt werden kann und somit den aktiven Anteil des Antwortens beschreibt (S. 42). Für Ortmann besteht Antwortverhalten daher aus zwei Dimensionen, einer aktiven sowie einer passiven. Überdies existiert im Englischen das Adjektiv-plus-Infinitiv-Gefüge „to be responsive“, das bedeutet übersetzt: „für etwas verantwortlich sein“. Diese Übersetzung, aus der klar das Wort „Verantwortung“ abgeleitet werden kann, veranlasst Ortmann auch dazu, „über erhebliche Stufen zunehmender Komplexität zur Figur einer Verantwortung im Sinne eines Antwortens auf [einen] Anspruch und zu einer Ethik ohne Prinzip, einer Ethik nicht-ethischer Herkunft, da sie eben mit dem Anderen beginnt“ (S. 29) zu kommen. Ortmann führt somit den Zugangs Waldenfels’ ein Stück weit an den Zugang der Organisationswissenschaft heran. Gärtner et al. (2017) betonen, dass der Ansatz der Responsivität über den bereits gängigen Ansatz der „dynamic capability“ (vgl. u. a. Güttler 2013) hinausgehe. „What is unique about responsiveness is that – in addition to sensing opportunities and threats, seizing opportunities, and reconfiguring organizational resources and routines (Teece 2007) – it also includes the dimensions of responsibility and legitimacy (Jacobs 2003; Ortmann 2010).“ (Gärtner et al. 2017, S. 8)
Damit greifen die Autoren dezidiert jenen Aspekt auf, der bei den vorherigen beiden Zugängen in dieser Explizitheit nicht benannt wurde. Für Althans und Engel (2017) stehen im Mittelpunkt der responsiven Organisationsforschung deren „Transformations- und Tradierungsprozesse“ sowie deren „(Spannungs-)Verhältnis zu Institutionen, d. h. zu gesellschaftlichen Erwartungsstrukturen.“ (S. 3). Die sowohl von Ortmann als auch Althans und Engel betonte Komponente der Verbindung zwischen innerorganisationalen Handlungen in Bezug auf umweltliche Ansprüche lässt sich mit den neo-institutionalistischen Ansätzen verknüpfen. Auch in diesem Zugang werden Organisationen in Bezug auf ihr Verhältnis zu ihrer Umwelt diskutiert (vgl. Abschnitt 2.3). Gärtner et al. (2017) greifen in ihrer Auseinandersetzung mit Responsivität ein weiteres Phänomen auf, das auch bei Waldenfels von zentraler Bedeutung
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Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
ist: Das Phänomen der Wahrnehmung. Responsivität in der Organisationswissenschaft wird, wie bereits beschrieben, als strategisches Instrument eingesetzt, um gezielt auf neue Anforderungen der Umwelt reagieren zu können. Bevor jedoch respondiert werden kann, braucht es ein Wahrnehmen. Gärtner et al. (2017) beschreiben die Fähigkeit responsiv zu handeln, indem sie vier Faktoren aufzählen, die diese bedingen: „[Responsiveness] emerges from interorganizational practices that draw on organizational, network- and cluster-related structural properties and that are characterized by sensing, responding to and influencing changes, as well as taking responsibility for (re-)actions that must gain legitimacy. (S.16)
Mit Hilfe dieser Beschreibung gelingt es, eine Operationalisierbarkeit des Antwortprozesses zu entwickeln. (1) (2) (3) (4)
Phase Phase Phase Phase
des Wahrnehmens des Antwortens der Einflussnahme auf institutionelle Vorstellungen der Verantwortungsübernahme und der Legitimitätserhöhung.
Mit diesem Zugang vereinen die Autoren den Ansatz von Waldenfels, der sich eindeutig in Phase 1 und 2 wiederfindet, mit der strategischen Ausrichtung, die z. B. auch zu Teilen im Ansatz der Politikwissenschaft zu finden ist. Gärtner et al. (2017) gehen dabei von einem aktiven Antwortverhalten aus. Dieses, so betonen die Autoren, wird beeinflusst durch die interorganisationale Praxis. Damit integrieren sie in ihren Ansatz jene Feldtheorien, die bereits in Kapitel 2 behandelt wurden. „[…] this practice-based account allows describing how the dynamics and form of interorganizational interaction change through the engagement in interorganizational practice, because every enactment of an interorganizational practice can change the outcome that subsequent interorganizational practices draw upon. By acknowledging this active engagement, our practice based multilevel conception embraces the idea that organizational actors can influence the course of events. Accordingly, our understanding of responsiveness also considers an active dimension.“ (Gärtner et al. 2017, S. 15)
Für die empirische Untersuchung der Arbeit ist noch von Interesse, wie sich Phase eins und Phase drei konkret beschreiben lassen, wie also ein Antwortverhalten von Akteuren beschrieben werden kann.
3.3 Responsivität
3.3.2
165
Antwortverhalten von organisationalen Akteuren
Pfeffer (1981; gem. mit Salancik 1978) war einer der Ersten, der aufzeigte, dass Unternehmensführungen bzw. Manager umweltlichen Ansprüchen auf bestimmte Art entgegentraten, um die Legitimität der eigenen Organisation zu managen (vgl. Scott 2014, S. 210). Dabei unterscheidet sich jedoch das Verständnis von Legitimität: Laut Suchmann (1995) gibt es eine strategische und eine institutionelle Interpretation. Diese unterscheiden sich in unterschiedlichen Annahmen, was „agency“ und „cultural embeddedness“ angeht (ebd. S. 572). Während die strategische Interpretation Legitimität als operationale Ressource versteht, die aus der Umwelt gezogen wird, um Ziele des Unternehmens durch Management zu erreichen (vgl. S. 576), versteht die institutionelle Interpretation Legitimität nicht als Ressource, sondern als „set of constitutive beliefs“ (ebd.), das heißt als Praktiken einer Organisation, die von der Umwelt als akzeptabel, angemessen und wünschenswert wahrgenommen werden. „Organizations do not simply extract legitimacy from the environment in a feat of cultural strip mining; rather, external institutions construct and interpenetrate the organization in every respect. Cultural definitions determine how the organization is built, how it is run, and, simultaneously, how it is understood and evaluated.“ (ebd.)
Beelitz und Merkl-Davies (2011) gehen ebenfalls auf diese zwei Auslegungen ein. Sie streichen noch einmal heraus, dass Legitimität überwiegend aus symbolischinterpretativer Perspektive analysiert wird (vgl. S. 102). Das Autorenduo ergänzt, dass aus strategischer Perspektive die Rolle des Managements in den Fokus rückt, während bei der institutionellen Perspektive die „Rolle des organisatorischen Publikums bei der Legitimationskonstruktion“ (S. 103) in den Blick genommen wird. Während also die strategische Zugangsweise eine aktive Rolle der Organisation beschreibt, wird Organisationen im institutionellen Zugang ein weitaus passiveres Moment zugesprochen. Ähnlich leiten sich daraus auch unterschiedliche „Antwortmöglichkeiten“ der Organisationen ab (vgl. Abbildung 3.5).
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Abbildung 3.5 Legitimierungsstrategien (Beelitz & Merkl-Davies 2011, S. 103)
Sandhu (2014) unterscheidet in Anlehnung an Beelitz und Merkl-Davies (2011) zwischen rein strategischem Antworten, symbolischem Antworten (sowohl strategisch als auch institutionell) und rein institutionellem Antwortverhalten. Die Antwortmöglichkeiten, die aus institutioneller Perspektive angeführt werden, beschränken sich auf Entkopplung und Isomorphie. Beruft man sich auf Meyer und Rowan (1977, S. 356 ff.), so bieten diese genau die genannten Antwortmöglichkeiten: • Institutionalisierte Erwartungen zurückweisen – birgt die Gefahr des Ressourcenverlustes • Institutionalisierte Vorschriften rigide einhalten – kann zu Isolation führen (Formatstruktur)
3.3 Responsivität
167
• ‚zynisch eingestehen‘, dass die institutionellen Erwartungshaltungen nicht den arbeitsbezogenen Anforderungen entsprechen (Unterschied Formal- und Aktivitätsstruktur) • Reformen versprechen • entkoppeln (Logik des Vertrauens) (vgl. Walgenbach & Meyer 2008, S. 29 ff.) Wie jedoch bereits in Kapitel 2 diskutiert, begründet sich diese Engführung in dem einseitigen Organisationsverständnis, das über Jahre hinweg in den neoinstitutionalistischen Ansätzen propagiert wurde. Durch die Erweiterung dieses Verständnisses (vgl. Abschn. 2.3) lässt sich auch eine Erweiterung des Antwortverhaltens ableiten. Mit der Theorieerweiterung durch „instituional logics“ (Thornton, Ocasio und Lounsbury) und „instituional work“ (Lawrence und Suddaby 2006) wird auch im institutionellen Paradigma eine Hinwendung zu mehr strategischem Antwortverhalten möglich (vgl. Scott 2014, S. 210). „At the root of this cognitive move in strategy is an acknowledgement that organizational responses to environmental pressure or changes were fundamentally mediated by managerial interpretations. [….] “ (Thornton, Ocasio, Lounsbury 2012, S. 182)
Die Autoren betonen, dass institutionelle Logiken die strategischen Entscheidungen, die von den Leitungshandelnden getroffen werden, beeinflussen (vgl. S 183) und, wie z. T. im strategischen Ansatz der Fall, nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Mit diesem Hinweis verbinden sie die strategische und institutionelle Antwortmöglichkeit auf institutionelle Ansprüche durch Leitungshandelnde. Im Sinne von Waldenfels wird somit das Respondieren auf fremde Ansprüche aufgegriffen, das letztlich in einem Rahmen aus Wahrnehmungs- und Handlungsgewohnheiten erfolgt. Mit dem Modell und der Beschreibung nach Gärtner et al. wird der Antwortprozess noch einmal präzisiert. Ein konkretes Set von möglichen Antwortmustern wurde von Oliver (1991) entwickelt (siehe Tabelle 3.2). Eine Ausdifferenzierung, was Oliver unter den einzelnen Strategien und Taktiken versteht, ist bei Sandhu (2012, S. 115–119) nachzulesen. Sandhu (2012) betont, dass es von den Rahmenbedingungen abhängt, welche Taktik angewendet wird (S. 119). In Rekurs auf Goodstein (1994, S. 359 f.) zeigt er auf, dass sich die Art des Antwortens im Spannungsfeld zwischen der Stärke des institutionellen Zwangs aus der Umwelt (hoch-niedrig) und der erwarteten Auswirkung der Adaption innerhalb der Organisation (positiv-negativ) bewegt. Gäbe es beispielsweise einen hohen Zwang von außen und die Auswirkungen, das
168
3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Tabelle 3.2 Strategische Reaktionen auf institutionalisierte Erwartungen (Oliver 1991, S. 152) Strategien
Taktiken
Beispiel für die Taktiken
1. Erdulden
a. gewöhnen b. imitieren c. befolgen
a. Als gesichert geltende Normen befolgen b. Institutionalisierte Modelle nachahmen c. Regeln befolgen und Normen akzeptieren
2. Kompromisse a. ausgleichen b. befrieden c. verhandeln
a. Erwartungen unterschiedlicher Akteure ausgleichen b. Besänftigen, institutionalisierte Elemente anpassen c. Mit den Stakeholdern in Verhandlung treten
3. Vermeiden
a. verbergen b. puffern c. fliehen
a. Nichtkonformität verstecken b. Anknüpfung zur institutionellen Umwelt lockern c. Ziele, Aktivitäten oder Standorte ändern
4. Trotzen
a. zurückweisen a. Explizite Normen und Werte ignorieren b. herausfordern b. Gegen Regeln und Anforderungen ankämpfen c. angreifen c. Quellen institutionalisierter Zwänge angreifen
5. Manipulieren a. kooperieren b. beeinflussen c. steuern
a. Einflussreiche Akteure einbinden b. Werte und Kriterien entwickeln und formen c. Institutionelle Akteure und Prozesse beherrschen
heißt die dadurch ausgelösten Adaptionen, würden als negativ wahrgenommen werden, so greife die Taktik des „Vermeidens“. Hier würden Legitimitätsfassaden aufgebaut werden. Es kommt zu einer Entkopplung. Ist der Zwang von außen gering und werden die Auswirkungen intern aber als positiv wahrgenommen, dann würde eine manipulative Taktik eingesetzt werden (vgl. Sandhu 2012, S. 119). Dies, so Sandhu, sei die „aktivste Taktik“ (S. 118). „Die Organisation versucht dabei direkt auf institutionalisierte Anforderungen einzuwirken, sie zu verändern oder gar zu kontrollieren.“ (ebd.) Sandhu führt weiter aus, dass in diesem Fall vor allem durch „Ko-option“ (Einbindung in Entscheidungsprozesse) möglichst vieler Stakeholder die Legitimität gesteigert werden könne und die Interessen der Umwelt mit in die Organisationsentwicklung aufgenommen werden können. Hier könnte unter Umständen ein Bezug zu Scharmers 4.0 Version hergestellt werden. Scott (2008) diskutiert die vorgebrachten Antwortmöglichkeiten ebenfalls aus mehreren Perspektiven. Zum einen merkt er an, dass ein bestimmtes Antwortverhalten zwar für einen bestimmten Industriezweig das Richtige sein kann, für einen anderen jedoch unmöglich – damit kritisiert er eine Verallgemeinerung und Universalität der genannten Antwortmöglichkeiten. Zum anderen betont er, dass
3.4 Responsives Leitungshandeln als Antwort …
169
die Form, wie geantwortet wird, eine Einschränkung der eigenen Handlungsmöglichkeiten nach sich ziehen kann (vgl. Scott 2008, S. 210 f.). Zusammenfassend verdeutlicht er: „Tactics that can be successfully pursued in one setting may be inconceivable in others. [...] [L]ike other organizational processes, organizational strategies are institutionally shaped.“ (Scott 2008, S. 211).
Mit dieser Kritik liefert Scott den Hinweis darauf, dass ggf. das Antwortverhalten innerhalb anderer Organisationen wie etwa Schule – die, wie bereits im zweiten Kapitel deutlich gemacht wurde, sich von anderen Organisationen unterscheidet – mitunter anders ausfallen kann. Obwohl Weicks Studie (1976) zum Phänomen der Entkopplung damals in Schulen durchgeführt wurde, hat sich, wie zuvor bereits beschrieben, seither Vieles in Schulen gewandelt. Insbesondere die Rolle der Schulleitungen und das Schulleitungshandeln haben sich weiter ausdifferenziert. Davon ausgehend, bedarf es einer Revision des responsiven Schulleitungshandelns im Kontext institutioneller Umwelten.
3.4
Responsives Leitungshandeln als Antwort auf institutionellen Wandel
Die Art, wie Schulleiterinnen und Schulleiter führen bzw. ihre Schulen leiten, kann nach unterschiedlichen Leadership-Ansätzen geschehen. Die Beschreibung dieses Leitungsverhaltens kann je nach Schwerpunkt der Forschungsansätze abweichend beschrieben oder analysiert werden. Festgestellt wurde jedoch, dass Leitungshandeln selten einer einzigen Form entspricht. Vielmehr antworten Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrem Führungsverhalten auf Fremdreferenzen. Bleibt man im Bild von Waldenfels, so lässt sich dies als Antwortgeschehen übersetzen (Waldenfels 2016 [1994]). Ein entscheidender Moment in responsivem Leitungshandeln liegt also darin, auf etwas als etwas zu antworten. Waldenfels schreibt dazu: “In any case, what is at stake here can be put quite well in phenomenological terms: something appears as something, as somebody, but in such a way that it appears in this way rather than another. This “rather” has to be connected with something like a principle [or institutional logic] of insufficient reason, because every order which could be other than it is turns out to be selective and exclusive.” (2007, p. 13)
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3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
Damit unterstreicht der Autor, dass in jedem responsiven Akt immer auch ein Selektionsmoment mitschwingt bzw., wie bereits ausgeführt, eine Verzögerung einsetzt, in der abgewogen wird, welche Antwort als passend erscheint. Dabei spielen zum einen die Handlungsgewohnheiten, aber zum anderen auch – und das ist die entscheidende Anschlussmöglichkeit für den neo-institutionalistischen Zugang – institutionelle Logiken eine Rolle. Außerdem können – wie im politikwissenschaftlichen Diskurs – Zwischenschritte des Antwortgebens eingebaut werden, indem im Prozess des Abwägens weitere Meinungen ergänzt werden (z. B. durch Experten, Freunde, Vertraute) (vgl. Uppendahl 1981, S. 129). Die strategisch ausgerichtete Herangehensweise von Ortmann zeigt zwei weiterführende Aspekte auf: „Strategien sind nicht nur - diachronisch - durch Zukunfts-, sondern auch - synchronisch - durch Fremdreferenz charakterisiert, durch den strategischen - und das heißt auch: den instrumentalisierenden - Bezug auf Andere und „die Umwelt.“ (Ortmann 2017, S.17)
In welcher Form jedoch diese Umwelt wahrgenommen wird, kann ebenfalls unterschiedlich sein. Für die neo-institutionalistische Theorie werden hier drei unterschiedliche Zugänge benannt. Die Umwelt als „begrenzende Rahmung gesellschaftlicher Erwartungen“, als „gesellschaftliche Vorstellung, bzw. regelhafte Vorgaben“ oder als „Fundus gesellschaftlich etablierter Deutungen des Organisationalen“ (vgl. Koch 2018, S. 143 bzw. Abschnitt 2.3). Nimmt man Führungstheorien wie etwa die von Claus Otto Scharmer in den Blick, so verwendet dieser den Begriff der Führung von der Zukunft her („emerging future“). Für Scharmer liegt in der vierten Dimension seiner Theoriematrix die Hinwendung zur institutionellen Umwelt, jedoch nicht im (ursprünglichen) Sinne dessen, diese als maßgebendes Korsett (vgl. 1.0) wahrzunehmen, sondern im Sinne einer „Umkehr des alten Modells“, sodass „die Kultivierung von co-kreativen Beziehungen zwischen den Stakeholdern im Zentrum des neuen Öko-Modells der Organisation steht“ (Scharmer 2014, S. 227). Auch Bonsen beschreibt in seiner Abhandlung zu Schulführung, dass sich „Emergente Führung auf der Mesoebene (der Schulebene) [bildet], infolge des Zusammenspiels verschiedener professionell Handelnder (Lehrkräfte mit pädagogischer Expertise) heraus“ (Bonsen 2016, S. 317). Ähnlich wie auch Baecker (2015) beschreibt er damit eine Abkehr von heroischer Führung. Alle drei Autoren forcieren mit ihrer Beschreibung also ein Führungsverständnis, das ein Organisationsverständnis abbildet, bei dem die institutionelle Umwelt als Fundus wahrgenommen wird
3.4 Responsives Leitungshandeln als Antwort …
171
und die inneren und äußeren Anspruchgruppen als Mehrwert für die Entwicklung der Organisation angesehen werden. Schratz bringt diese Annahme Baeckers nochmals auf den Punkt, indem er schreibt: „In Veränderungsprozessen geht es daher vielfach um eine emergente Komplexität, da die Problemstellungen durch nichtlineare Veränderungen gekennzeichnet sind, wodurch keine bewährten Erfahrungen aus der Vergangenheit zur Verfügung stehen.“ (Schratz 2019, S. 48)
All diesen Ansätzen ist immanent, dass ein solcherart verändertes Führungsverhalten eine bestimmte Eigenschaft voraussetzt, nämlich eine Sensibilisierung für umweltliche Bedingungen. Wie bereits vorgestellt, sprechen Gärtner et al. (2017) in ihrer Definition von Responsivität in diesem Zusammenhang von „sensing“. Scharmer verwendet in seinen Ausführungen ebenfalls den Begriff „sensing“ bzw. „hinspüren“ in der deutschen Übersetzung, Waldenfels arbeitet mit dem Begriff „wahrnehmen“. Leitungshandeln auf der vierten Stufe (vgl. Tab. 3.1) folgt der Maxime: „[…] von einer zukünftigen Möglichkeit her handeln von einer authentischen Präsenz des Augenblicks her handeln – aus dem jetzt.“ (Scharmer 2009, S. 74). Um die mögliche Zukunft zu erahnen bzw. die Momente des Augenblicks erschließen zu können, müssen sich Leitungshandelnde in die Rolle eines Beobachters/ einer Beobachterin begeben, gleichzeitig aber auch Beobachtete sein. Auf diesen Aspekt geht Baecker explizit ein: „Postheroisches Management besteht seither darin, von der Komplexität der Managementaufgabe auszugehen. Und es profitiert davon, dass dieses Management die Organisation eben nicht wie von außen kommend in einen Betrieb verwandeln kann, [...], sondern dass dieses Management selbstverständlich in der Organisation arbeitet und wirkt und daher selbst ein Teil der Komplexität dieser Organisation ist. Er leistet willentlich und unwillentlich, als Beobachter und als Beobachtetes, wesentliche Beiträge zum Aufbau und zur Pflege jener Komplexität der Organisation [...].“ (Baecker 2015, S. 9)
Der Prozess des Sensing findet – und das ist die Quintessenz der vorhergehenden Ausführungen zur institutionellen Umwelt – immer in einem abgesteckten Rahmen und unter dem Vorbehalt der als Orientierung fungierenden institutionellen Logiken (bzw. Orientierungsrahmen) statt. Die Hinwendung zu bestimmten Anspruchgruppen bedingt passendes oder entsprechendes (vgl. Waldenfels 2016) Antwortgeben auf ein Wahrnehmen. Hier lässt sich ebenfalls ein Bogen zu
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3
Responsives Schulleitungshandeln in sich wandelnden …
den Ausführungen zur responsiven Organisationsforschung spannen. Strategisches Antwortverhalten wie von Oliver (1991) gezeigt, kann unterschiedliche Formen annehmen und ist in direktem Zusammenhang mit Legitimitätsgewinn zu betrachten.
Abbildung 3.6 Zusammenführen der Modelle zu responsivem Leitungshandeln (Eigene Darstellung)
Responsive Führung im Kontext von Schule und Unterricht versteht sich somit als Zugang zu Führung, der hilft, die Antwortprozesse abzubilden, die Schulleiterinnen und Schulleiter durchlaufen, wenn sie in ihren Entscheidungen bzw. Schulentwicklungstätigkeiten auf Ansprüche reagieren. Responsive Schulleitung versucht zu fassen, wie sich etwas für Schulleiterinnen und Schulleiter zeigt und wie sie darauf respondieren. Dabei werden die vorgestellten Aspekte von Responsivität (vgl. Abbildung 3.6) berücksichtigt. Die Formen des Antwortverhaltens, gepaart mit dem Modell, wie sich Führung in den vergangenen Jahren verändert hat und welche Formen der Führung sich entsprechend als Antwort zeigen können, führen zu einer letzten Hypothese:
3.4 Responsives Leitungshandeln als Antwort …
H6
173
Schulleiter/-innen respondieren in ihrer Agentenschaft auf Ansprüche ihrer Umwelt H 6.1. mit entsprechendem Führungshandeln H 6.2 mit entsprechenden Entwicklungsmaßnahmen innerhalb der Organisation
Die Zusammenführungen in diesem Kapitel, in Form einerseits des erweiterten Modells von Czarniawaska und Joerges (vgl. Abbildung 3.2) sowie andererseits des Modells, das die Kompetenten responsiven Leitungshandelns (vgl. Abbildung 3.6) abbildet, helfen zu operationalisieren, wie sich Schulleitungshandeln in institutionalisierten Umwelten zeigt. Beide Modelle liefern daher ein Grundgerüst für das vierte Kapitel, in dem die theoretischen Modelle anhand empirischer Daten überprüft werden.
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4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen des Projektes Modellregion Bildung Zillertal
„Die Theoriebildung ist so anzulegen, dass die Möglichkeit besteht Neues zu entdecken und theoretische Vorannahmen […] in Frage zu stellen bzw. zu modifizieren“ (Steinke 2015, S. 328)
4.1
Erhebungsdesign
Der empirischen Untersuchung werden in dieser Arbeit zwei Aufgaben zuteil. Auf der einen Seite soll explorativ ein erweitertes Wissen über Schulleitungshandeln entwickelt werden. Auf der anderen Seite sollen die im theoretischen Teil aufgearbeiteten organisationstheoretischen Annahmen zu responsiven Akten der Schulleitenden veranschaulicht und formulierte Hypothesen modifiziert bzw. partiell überprüft werden. Damit diese beiden Aufgaben umgesetzt werden können, erfolgt zunächst eine Kontextdarstellung der Erhebung sowie in weiterer Folge eine Beschreibung der methodischen Vorgehensweise.
4.1.1
Gütekriterien qualitativer Forschung
Die Frage nach Gütekriterien der qualitativen Forschung ist keine leicht zu beantwortende, da die Heterogenität dessen, was unter qualitativer Forschung Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4_4.
© Der/die Autor(en) 2023 L. Jesacher-Rößler, Responsive Schulleitung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4_4
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4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
subsumiert wird, groß ist. Strübing (2018) schlägt folgende fünf Qualitätskriterien vor: – – – – –
Gegenstandsangemessenheit Empirische Sättigung Theoretische Durchdringung Textuelle Performanz Originalität
Für Strübing meint Gegenstandsangemessenheit „nicht nur eine Passung der Methode auf den zu untersuchenden Gegenstand, sondern eine Abgestimmtheit von Theorie, Fragestellung, empirischem Fall, Methode und Datentypen […]“ (S. 86) zu gewährleisten. Er erörtert in Bezug auf das Gütekriterium „Gegenstandsangemessenheit“ auch jenen zentralen Aspekt der Offenheit qualitativer Forschungsvorhaben. „‚Offenheit‘ bedeutet, dass man ein empirisches Phänomen nicht einfach mit soziologischen Fragestellungen konfrontiert, sondern dass man von seiner Exploration das Auftauchen jener Fragen erwartet, mit denen es sich von innen erschließen lässt.“ (ebd. S. 86)
Zu Offenheit findet man in der Literatur unterschiedliche Haltungen. Glaser und Strauss weisen in ihren frühen Arbeiten darauf hin, dass möglichst keine theoretischen Arbeiten im Vorfeld qualitativer Studien, die mit Hilfe der „Grounded Theory“ ausgewertet werden, gelesen werden sollen (vgl. Meinefeld 2015, S. 268). So würde man dem Anspruch der maximalen Offenheit gegenüber dem Datenmaterial gerecht. Dieser Zugang wurde von den Autoren später revidiert. Eine moderatere Position unterstützt die Formulierung von „Ex-ante-Hypothesen“. Diese Befürworter/-innen argumentieren, es gebe „[...] in der Tradition qualitativer Forschung genügend Beispiele dafür, daß es möglich ist, theoretische Annahmen zu überprüfen, widersprechende Fälle zur Kenntnis zu nehmen und die eigenen Annahamen zu verändern. Nichts spricht deshalb dafür, die Unabhängigkeit des eigenen Urteils vorschnell zu pessimistisch einzuschätzen und sich damit auch viele Erkenntnismöglichkeiten zu zerstören, die mit einer theoriegeleiteten vom erreichten Forschungsstand ausgehenden empirischen Forschung verbunden ist. (Hopf 1996, S. 159)
4.1 Erhebungsdesign
177
Für die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen spricht laut Hopf (1996), dass „Aufgaben der Deskription mit […] mehr Genauigkeit, Umsicht und Selbstreflexion“ (S. 164) erfolgen können und auch durch qualitative Methoden die Möglichkeit eingeräumt wird, bereits bestehende Theorien weiter zu elaborieren. Ein Verzicht auf Ex-ante-Hypothesen, so Meinefeld (2015, S. 274), führe zu einer Engführung der qualitativen Forschung. Auf diese Argumentation stützt sich auch die vorliegende Qualifikationsarbeit, indem die aus der theoretischen Auseinandersetzung entstandenen Thesen als Ausgangspunkt für die qualitative Studie gewählt werden. Die Arbeit versteht sich daher als explorativ angelegte Studie, die nach Lamnek und Kell (2016, S. 98) vor allem die zweite (2) und dritte (3) Funktion einer explorativen Studie adressiert: (1) Formulierung von Hypothesen und Theorien, (2) Modifizierung von Hypothesen und Theorien und (3) partielle Prüfung von Hypothesen und Theorien. Entscheidend ist in diesem Zusammengang, wie die Forschungsfragen formuliert werden (vgl. Maxwell 2005). Dies wird im folgenden Unterkapitel (4.1.3) nachvollziehbar erläutert. Als weiteren Punkt führt Strübing (2018) die „Empirische Sättigung“ als Gütekriterium von qualitativer Forschung an. Diese wird durch: „(1) die Erschließung des Feldes und den Rapport zum Feld, (2) durch die Breite und die Vielfalt des Datenkorpus und (3) durch die Intensität der Gewinnung und Analyse der Daten.“ (S. 88) hergestellt. In Rekurs auf die vorliegende Arbeit kann gesagt werden, dass der Zugang zum Forschungsfeld durch das Forschungsprojekt „Modellregion Bildung Zillertal“ erfolgte. Im Zuge des Projektes bestand bereits eine Bekanntheit mit den interviewten SL1 der Modellregion. Der Erhebungszeitraum lag in den Schuljahren 2016/17 und 2017/18. Zu diesem Zeitpunkt lief das Projekt bereits zwei bzw. drei Jahre. Grundsätzlich gestaltete sich die Beziehung zwischen der Forschenden und den SL als responsiv (vgl. Althans & Junge 2017). Damit ist gemeint, dass die SL und die zu beforschenden Akteure in den Schulen als Subjekte und nicht als passiv zu beforschende Objekte wahrgenommen werden. Das Forschungssetting in der Modellregion wurde so angelegt, dass erhobene Daten an die Schulen zurückgespielt wurden, um so Schulentwicklungsprozesse anzuregen und Daten als Grundlage gemeinsamer Aushandlungsprozesse auf Ebene des 1
Schulleiter/-innen werden in Kapitel 4 nachfolgend mit SL abgekürzt, um den Lesefluss des Textes zu fördern.
178
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Kollegiums bzw. der Schulentwicklungsteams an den Schulstandorten zu ermöglichen (Demski 2017). Etwas anders verhält es sich mit den vier SL, die zu einer Kontrastierung der Fälle in der Modellregion nachträglich interviewt wurden. Die Zusammenarbeit mit jenen SL erfolgte punktuell, z. B. während gemeinsamer Konferenzen mit allen SL auf Bezirksebene oder im Rahmen von regionalen Vernetzungsinitiativen der Modellregion. Da außer den SL-Interviews keine vertieften Daten an den Schulstandorten erhoben wurden, fiel das Rückspielen der Daten im Verhältnis weniger umfassend aus. Neben der kommunikativen Validierung von Daten, wurden die Daten auch in Bezug zur dargelegten theoretischen Aufarbeitung diskutiert. Prinzipiell waren alle Gesprächspartner/-innen in den Interviewstudien offen und bereit, Einblicke in ihre Schulleitungstätigkeiten zu gewähren. Eine solche Bereitschaft wirkt sich direkt auf die Qualität der Interviews aus (vgl. Baur & Blasius, 2014, S. 50) Hinsichtlich der Breite des Datenkorpus schreibt Strübing (2018): „Für die empirische Sättigung sind der Umfang und die Zusammensetzung des Datenkorpus relevant. Sowohl die Dauer des Feldaufenthalts und die schiere Menge der Protokolle, die Zahl und Streuung von Interviewpartnern, die Länge und die Anzahl von Aufzeichnungen, Dokumenten oder Bildern spielen für die Datenintensität einer Studie eine Rolle.“ (S. 89)
Dieses Gütekriterium wird in der vorliegenden Arbeit vor allem durch eine Pluralität an abweichenden Fällen (deviant cases) hergestellt (vgl. ebd.). Dies wird noch einmal gesondert diskutiert, wenn auf die Auswahl der SL für die Interviewstudie eingegangen wird. Das iterative Vorgehen in der Analyse der Daten befördert darüber hinaus die empirische Sättigung dieser Arbeit. Die „theoretische Durchdringung“, das dritte von Strübing (2018) genannte Qualitätskriterium, wurde bereits im Zusammenhang mit dem Aspekt der „Offenheit“ und dem ersten Kriterium (Gegenstandsangemessenheit) diskutiert. Die vorliegende Arbeit wird diesem Qualitätskriterium gerecht, indem sie „durch theoretische Perspektivierung […], die Anschlussfähigkeit an andere Studien schaff[t] […].“ (S. 91). Das Gütekriterium „Textuelle Performanz“ zielt vor allem darauf ab, wie die Forschenden ihre Ergebnisse und Daten aufbereiten, um sie unterschiedlichen Adressaten zugänglich zu machen. Da die vorliegende Arbeit im Rahmen eines größer angelegten Forschungsprojektes entstanden ist, wird immer wieder reflektiert, wie Daten so zurückgespielt werden können, dass SL und Schulentwicklungsteams diese für eigene Entwicklungsprozesse verwenden können.
4.1 Erhebungsdesign
179
Gerade die Auswertung und Darstellung qualitativer Daten muss nach den Maßstäben der Verständlichkeit und Plausibilität erfolgen, um für den / die Lesenden eine Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (vgl. ebd. S. 94). Steinke (2015, S. 325 f.) spricht in diesem Zusammenhang von „intersubjektiver Nachvollziehbarkeit“, bei der zunächst das Vorverständnis dargelegt, Erhebungsmethode und Erhebungskontext transparent dargestellt sowie Aufarbeitung und Auswertung der Daten nachvollziehbar erläutert werden sollen. Das letzte Gütekriterium, das von Strübinger (2018) genannt wird, ist jenes der „Originalität“. Durch die ausführliche theoretische Darlegung des zu untersuchenden Gegenstands konnten Forschungsdesiderata aufgezeigt werden, deren empirische Untersuchung teilweise in dieser Arbeit in Form eines explorativen Ansatzes erfolgt. Dadurch ergibt sich die Originalität dieser Arbeit.
4.1.2
Forschungsprojekt Modellregion Bildung Zillertal
Die Daten, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, stammen aus dem Projekt Modellregion Bildung Zillertal2 . Dieses Projekt wurde 2013 von der Tiroler Landesregierung in Auftrag gegeben, um die Beforschung einer Gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen innerhalb einer Modellregion durchzuführen. Mit September 2014 wurde die Universität Innsbruck, konkret das Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, mit der wissenschaftlichen Begleitung dieses Modellprojektes beauftragt. Das Projekt wird von einer Steuergruppe koordiniert, die sich aus Vertreter/-innen der Schulaufsicht (Landesschulrat für Tirol/seit 2019 Bildungsdirektion), bildungspolitischen Verantwortungsträgern des Bundeslandes (Bildungsabteilung Tirol) sowie Verantwortlichen des wissenschaftlichen Konsortiums (Universität Innsbruck) und Verantwortlichen des pädagogisch-praktischen Bereichs (Koordinator für Fort- und Weiterbildung) zusammensetzt. Die Projektlaufzeit für die erste Phase wurde zunächst auf vier Jahre (Schuljahre 2014/15, 2015/16, 2016/17, 2017/18) angelegt und dann um ein weiteres halbes Jahr verlängert. Mit Januar 2019 startete die zweite Phase des Projektes, bei der wiederum eine wissenschaftliche Begleitung (ebenfalls Universität Innsbruck) bis einschließlich 2022 mitgeplant wurde. Neben der Beforschung der Gelingensbedingungen einer Gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen umfasste der Forschungsauftrag die wissenschaftliche Begleitung der Schulentwicklungsprozesse an den sieben Neuen 2
www.mbz-tirol.at; die Ergebnisse des Forschungsprojektes (Rößler & Kraler 2016; 2019) können über die Homepage eingesehen werden.
180
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Mittelschulen der Modellregion sowie Bildungsentwicklungsprozesse in der Region. Darüber hinaus wurde die wissenschaftliche Begleitung beauftragt, die Fort- und Weiterbildungsinitiative, die für alle Lehrenden an den sieben teilnehmenden Schulen verpflichtend eingerichtet wurde, zu evaluieren. Die Modellregion umfasst insgesamt sieben Sekundarstufe-1-Schulen, die zum Zeitpunkt der Begleitforschung alle in der Transformationsphase zur Neuen Mittelschule standen. Wie dem theoretischen Teil dieser Arbeit entnommen werden kann, fand in den letzten zehn Jahren eine umfassende Reformierung des Schultyps „Hauptschule“ in Österreich statt. Die Transformation der Schulen vollzog sich in Generationen. Damit ist gemeint, dass in insgesamt acht Generationen alle knapp 1200 Hauptschulen in Österreich auf ihrem Entwicklungsweg zu Neuen Mittelschulen begleitet wurden. Mit der Reform zur Neuen Mittelschule gingen neue pädagogische Konzepte einher, wie die Aufhebung von Leistungsgruppen oder die Einführung einer neuen Teacher-Leader-Rolle (Lerndesigner/-in). Die sieben Schulen der Modellregion haben in den Generationen 3, 4 bzw. 6 mit der Umsetzung der Reform begonnen. Wie im Eingang der Arbeit bereits vermerkt, ließen erste Vorstudien (Porträtieren der Schulen), die nicht zum Datenkorpus dieser Arbeit zählen, vermuten, dass die Neue-Mittelschulreform an den Standorten in der Modellregion unterschiedlich umgesetzt wurde. Insgesamt unterrichteten im Schuljahr 2018/2019 184 Lehrer/-innen an den sieben Neuen Mittelschulen3 . Alle Neuen Mittelschulen in der Modellregion kamen zusammen auf eine Zahl von insgesamt 1357 Schüler/-innen. Dabei unterscheiden sich die Standorte jedoch mitunter deutlich in ihren Schüler/innenzahlen. Der kleinste Schulstandort hatte 68 Schüler/-innen, während den größte Schulstandort 271 Schüler/-innen besuchten. Die Modellregion Bildung Zillertal lag zum Zeitpunkt der Erhebungen in einem größeren Bildungsbezirk, zu dem insgesamt vierzehn Neue Mittelschulen zählen. Zum Sampling der vorliegenden Arbeit wurden neben den sieben Neuen Mittelschulen des Tales noch vier weitere Neue Mittelschulen aus dem Bildungsbezirk hinzugezogen.
4.1.3
Sampling: Schulleitende einer ländlichen Region
Bei der Auswahl der Stichprobe für die vorliegende Arbeit wurde zum einen die vor der Untersuchung angenommene Arbeitshypothese berücksichtigt, dass 3
Angaben stammen aus der Bildungsdirektion; die Zahl beziffert jene Lehrer/-innen, bei denen der Standorte die Stammanstalt ist.
4.1 Erhebungsdesign
181
Schulleiter/-innen, deren Schulen in einem homogenen soziodemographischen Umfeld angesiedelt sind, Schulentwicklungsprozesse ähnlich gestalten, da viele ihrer Anspruchsgruppen gleich oder ähnlich sind. Als Kontrastierung dazu wurde eine SL-Gruppe, deren Schulen in einem anderen soziodemographischen Umfeld liegen, ausgewählt. Somit wurden alle sieben SL der Modellregion in das Sample aufgenommen und durch vier SL aus dem Bezirk ergänzt. Die Entscheidung, die Kontrastgruppe ebenfalls aus dem Bezirk zu wählen, wurde aus dem Grund gefällt, dass alle Schulen über dieselbe/denselben Schulaufsichtsverantwortliche/-n verfügten und somit eine Konstante im institutionellen Umfeld der SL gesetzt war. Neben der/dem Schulaufsichtsverantwortlichen wurden alle Schulen auch von der gleichen regionalen Neue.MittelschulBegleitung in ihrem Transformationsprozess begleitet. Alle Schulstandorte besuchten zudem die bundesweiten Veranstaltungen des Zentrums für lernende Schulen. Während die SL der Modellregion nach der Primarstufe einen nahezu hundertprozentigen Übertritt aller Schüler/-innen in ihre Schulen haben, schwankt die Übertrittsquote bei den Schulen, die im unmittelbaren Einzugsgebiet einer gymnasialen Unterstufe liegen, zwischen 60 und 80 Prozent. Die soziodemographische Beschreibung der Sprengelgemeinden der sieben Schulen in der Modellregion zeichnet sich durch einen geringen Anteil an Akademiker/-innen (die Akademikerquote der Gemeinden liegt zwischen 1,2 % und 8,7 %4 ) sowie einen Anteil von mindestens 83 % österreichischer Staatsbürger/-innen aus. Für die Gemeinden der vier Schulstandorte außerhalb der Modellregion variieren diese Angaben: Die Akademikerquote liegt zwischen 6,8 % und 14,1 %), er Anteil österreichischer Staatsbürger/-innen beträgt mindesten 80,6 % – hier ist allerdings festzuhalten, dass die soziodemographische Zusammensetzung der Schüler/-innen an den Schulstandorten abweichen kann. Beide Gruppen können als ländliche Schulstandorte bezeichnet werden, wobei die vier Schulen der Kontrastgruppe in urbanisierten Gemeinden lokalisiert sind. Neben den genannten Kriterien bedingte außerdem die Zugänglichkeit zu diesen Schulen die Stichprobenauswahl. Demnach ist das Stichprobendesign ein Convenience Sample (Akremi 2019, S. 320). Im Detail weist die Stichprobe zudem eine Heterogenität in Bezug auf das Geschlecht der SL, das Dienstalter und die Leitungserfahrung sowie die Größe der Schule auf. Wie bereits beschrieben, lassen sich die Schulen den Generationen 3, 4 und 6 der Neue Mittelschul-Entwicklungsbegleitung zuordnen.
4
Die Daten stammen aus Statistik Austria (abgestimmte Erwerbsstatistik 2016).
≥ 2 Jahre
≤ 33
4
3
4
3
4
(Fortsetzung)
NMS-Generation9
Die Akronyme OGU und MGU stehen für die Bezeichnung „ohne gymnasiale Unterstufe“ im Einzugsgebiet bzw. „mit gymnasialer Unterstufe“ im Einzugsgebiet. 6 Um sowohl der Notwendigkeit, die Kontexte der Schulen darzustellen, als auch jener, die Anonymität der Schulstandorte weitgehend sicherzustellen, Rechnung zu tragen, werden die Schüler/-innenzahlen in 30er-Schritten angegeben, beginnend mit < bzw.>180 > 200; >220; >240 > 260; Schüler/-innen. 7 Um sowohl der Notwendigkeit, die Kontexte der Schulen darzustellen, als auch jener, die Anonymität der Schulstandorte weitgehend sicherzustellen, gerecht zu werden, beginnt die Angabe zu den Lehrer/-innenzahlen bei < bzw.>33, wobei die Streuung hier zwischen 14 und 33 liegt. 8 Um sowohl der Notwendigkeit, die Kontexte der Schulen darzustellen, als auch jener, die Anonymität der Schulstandorte weitgehend sicherzustellen, Rechnung zu tragen, beginnt die Angabe zur SL-Erfahrung mit ≥ 2 Jahre, wobei die Streuung hier zwischen 2 und 7 Jahren liegt Angabe zum Zeitpunkt des Interviews. 9 Da nur ein Schulstandort zur Generation 6 gehört, wurde diese in der Tabelle ebenfalls in die Gruppe der 4. Generation eingegliedert, um die Anonymität der Schule resp. SL zu gewährleisten.
> 180
SL_5_OGU
> 15 Jahre
> 10 Jahre
≤ 33 > 30
> 10 Jahre
> 15 Jahre
≤ 33 > 40
Schulleitungserfahrung8
Anzahl der Lehrer/-innen7 (SJ 2018/2019)
4
5
< 180
> 260
SL_4_MGU
SL_2_MGU
SL_3_OGU
< 180
> 260
SL_1_OGU
Anzahl der Schüler/-innen6 (SJ 2018/2019)
Kennung5
Tabelle 4.1 Übersicht der untersuchten Schulen und SL (eigene Darstellung)
182 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Anzahl der Schüler/-innen (SJ 2018/2019)
> 180
> 260
< 180
> 180
> 220
< 220
Kennung
SL_6_MGU
SL_7_OGU
SL_8_MGU
SL_9_OGU
SL_10_MGU
SL_11_MGU
Tabelle 4.1 (Fortsetzung)
> 40
4 4
≥ 2 Jahre
4
3
> 10 Jahre
≥ 2 Jahre
< 40
> 15 Jahre
4
≤ 33
3
≥ 2 Jahre
NMS-Generation
> 10 Jahre
Schulleitungserfahrung
> 25
> 40
> 30
Anzahl der Lehrer/-innen (SJ 2018/2019)
4.1 Erhebungsdesign 183
184
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Die vorliegende Arbeit erhebt durch ihr Untersuchungsdesign keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern verfolgt durch die Stichprobenauswahl das Ziel der Angemessenheit für die theoretische Fragestellung.
4.1.4
Qualitative Interviewstudien und inhaltsanalytisches Auswertungsverfahren
Als Methode wurde für diese Arbeit das episodische Interview gewählt. Zurückgehend auf Flick (2011) besteht dieses aus zwei Teilen, einer argumentativ-theoretischen und einer erzählenden Darstellung. Damit können zwei unterschiedliche Formen des Wissens bei den Interviewten abgefragt werden. Zum einen jenes Wissen, „das aus unmittelbarer Erfahrungsnähe hervorgegangen ist und einen Erinnerungsfundus an konkreten Begebenheiten“ (Lamnek & Krell 2016, S. 343) beinhaltet und zum anderen ein „abgeleitete[s] Wissen, d. h. Generalisierungen, Abstraktionen und die Setzung bestimmter Zusammenhänge durch das Subjekt, […]“ (ebd.). Flick unterscheidet in diesem Sinn zwischen semantisch-begrifflichem Wissen und episodisch-narrativem Wissen. Insbesondere für die Untersuchung von professionellem Handeln stellt diese Interviewform eine geeignete Methode dar, da durch die interne Methodentriangulation zweier Zugänge sowohl konkrete Fragen gestellt als auch durch die Erzählaufforderungen bestimmte Erfahrungen der Befragten miteinbezogen werden können (vgl. Flick 2011, S. 273). Gerade für jene Fragen, die sich aus der theoretischen Auseinandersetzung mit institutionellen Umwelten und Schulleitungshandeln ergeben haben, sind direkte Fragen oft wenig zielführend und Erzählungen bzw. Einblicke in die alltägliche Praxis eine bessere Grundlage zur Beantwortung der Forschungsfragen. In Abbildung 4.1. exemplifiziert Flick den Ablauf, indem er auf Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit eingeht. Hierbei wird zunächst ein einschlägiger Begriff, z. B. Gesundheit, aus Sicht der interviewten Gesprächspartner/-innen beschrieben, bevor es im Interviewprozedere anhand konkreter Fragen, ebenfalls das übergeordnete Thema betreffend, zu Erzählaufforderungen kommt. Die Erzählpassagen können sich somit sowohl auf die konkreten Fragestellungen als auch aufeinander beziehen.
4.1 Erhebungsdesign
185
Abbildung 4.1 Aufbau und Struktur des Episodischen Interviews (nach Flick 2011)
Um das Schulleitungshandeln sowie die Schulentwicklungsvorhaben an den Standorten möglichst in ihrer Breite abbilden zu können, wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der neben Fragestellungen, die aus der Theorie abgeleitet werden konnten, Erzählimpulse, die an die sechs Qualitätsbereiche der Qualitätsoffensive „SQA (Schulqualität Allgemeinbildung)“ des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) angelehnt waren, lieferte. Die Allgemeinbildenden Pflichtschulen (APS) und Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) in Österreich sind angehalten, sich im Zuge von Entwicklungsvorhaben an diesen Kriterien zu orientieren. Dementsprechend bieten diese Qualitätskriterien einen Orientierungsrahmen für Schulentwicklung an Allgemeinbildenden Pflichtschulen und höheren Schulen. Gleichzeitig sind die bildungspolitischen Reformvorhaben im Zuge der Neuen-Mittelschulreform in genau diesen Bereichen angesiedelt.
186
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Die Qualitätsbereiche10 wurden für die Arbeit in der Modellegion adaptiert und umfassen auch für die vorliegende Untersuchung folgende Dimensionen: Q Q Q Q Q
1) 2) 3) 4) 5)
Lehren und Lernen Professionalisierung und Personalentwicklung Kommunikation und Zusammenarbeit Lebensraum Schule und Klasse Leistung, Kompetenz und Umgang mit Evidenzen
Um zusätzlich den Aspekt „Veränderung“ in die Interviewstudie aufzunehmen, wurde die Originaldimension „Q 6) Umgang mit Neuem“ ergänzt. Die Qualitätsdimension „Schulführung und Schulmanagement“ wurde nicht explizit berücksichtigt, da sie sich in der Adressierung der SL ohnehin abbildete (Abbildung 4.2). Wiederkehrende Fragestellungen, wie – Wer sind die relevanten Akteure in diesem Bereich? – Welche Erwartungshaltungen haben diese Akteure? – Wie wird Ihrerseits/deinerseits auf diese Ansprüche geantwortet? wurden vertiefend im episodisch-narrativen Teil von der Interviewerin abgefragt. Mit Hilfe dieses Designs konnten die Schulentwicklungsprozesse und das Antwortverhalten der SL gegenüber Ansprüchen der institutionellen Umwelt umfangreich abgedeckt werden. Flick (2011, S. 279) macht in Zusammenhang mit diesem Interviewformat auch darauf aufmerksam, dass sich die Erzählpassagen in unterschiedliche Textsorten untergliedern können. Es handelt sich nicht immer um reine Erzählformen, sondern mitunter werden auch „Repisoden“ (regelmäßig wiederkehrende Episoden) oder Beispielsituationen geschildert, an denen die Interviewten nicht selbst beteiligt waren. Darauf gilt es, insbesondere in der Auswertung, zu achten. Laut Flick (2011, S. 279) sind für das episodische Interview unterschiedliche Auswertungsformen möglich. Zwar würde sich für den narrativen Teil des Interviews und für Teile der Fragestellungen dieser Arbeit eine dokumentarischrekonstruktive Methode anbieten, da die vorliegende Qualifizierungsarbeit jedoch
10
Die originalen Qualitätsbereiche aus SQA lauten: Lernerfahrung und Lernergebnisse, Lernen und Lehren, Lebensraum Klasse und Schule, Führung und Schulmanagement, Professionalität und Personalentwicklung, Schulpartnerschaft und Außenbeziehung (www.sqa.at).
4.1 Erhebungsdesign
187
Semansch-begriffliches Wissen Entwicklungsprozesse an Schulstandort Kommunikaon & Zusammenarbeit
Lehren und Lernen
Professionalisierung & Personalentwicklung
Leistung, Kompetenz & Umgang mit Evidenzen Lebensraum Schule und Klasse
Umgang mit Neuem
Situaon 1 Situaon 3 Situaon 2 Situaon 5 Situaon 4 Situaon 6
1) Bezugspartner, Anspruchsgruppen und relevante Einflussgrößen in den Q-Bereichen? 2) Wie begegnet die/der Schuleiter/in den Erwartungen?
argumentavtheoresche Darstellung EPISODISCHES INTERVIEW erzählende Darstellung
Episodisch-narraraves Wissen
Abbildung 4.2 Adaption des episodischen Interviews für die qualitative Studie (nach Flick 2011, erweitert durch L. J.-R.)
nicht im Rahmen einer größeren Forschungsgruppe entstanden ist (was unabdingbar für die Qualität einer solchen Methode wäre), wurden die Interviews nach einem inhaltsanalytischen Verfahren ausgewertet. „Im Zentrum der Analyse steht das Kategoriensystem. Kategorien stellen die Auswertungsaspekte in Kurzform dar, haben formal Ähnlichkeit mit den Codes in der Grounded-Theory-Methodologie. Die Kategorien müssen jedoch in der Inhaltsanalyse genau definiert und mit inhaltsanalytischen Regeln muss die Zuordnung zum Text festgelegt werden [...].“ (Mayring 2010, S. 603)
Die genaue Definition der Kategorien erfolgt theoriegeleitet und wird vor der Auswertung festgelegt (deduktiv). Sowohl die Erstellung der Kategorien als auch deren Anwendung sind interpretativ. Da sich die qualitative Inhaltsanalyse in ihren Anfängen aus einer quantitativen Methode heraus entwickelt hat (vgl. Mayring 2010, S. 601), folgen auch die heutigen Variationen noch systematischen
188
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
und regelgeleiteten Vorgangsweisen, die sich unter anderem an Gütekriterien orientieren, die vor allem für quantitative Forschung herangezogen werden: Validität und Reliabilität. Während die Validität dadurch gewährleistet wird, dass das Kategoriensystem die wesentlichen Aspekte des Materials umfasst, entspricht das inhaltsanalytische Vorgehen dem Gütekriterium Reliabilität, indem ein „intersubjektiv-konsensuales Textverständnis angestrebt wird.“ (Schreier 2014, S. 3) Die Beschreibung dieser beiden Gütekriterien findet sich in den bereits ausführlich dargestellten Gütekriterien der qualitativen Forschung wieder. Mayring betont überdies, dass es sich bei dem inhaltsanalytischen Verfahren um ein zirkuläres Verfahren handelt. Damit meint er, dass während der Auswertung immer wieder Rückkopplungsschleifen eingebaut werden, die auch helfen können, das Kategoriensystem zu verfeinern. Die Erweiterung der Kategorien erfolgt während des Auswertungsprozesses (induktiv) und somit aus dem Material heraus. Andere Forscher/-innen wie etwa Schreier (2012) und Kuckartz (2012) sprechen sich dezidiert für eine Weiterentwicklung am Material aus. Laudel und Gläser (2009) halten „grundsätzlich […] eine gemischt deduktiv-induktive Vorgehensweise“ für zielführend (Schreier 2014, S. 2.) Diese Varianz der Inhaltsanalyse wird wiederum dem zentralen Anspruch von qualitativer Forschung, nämlich der Offenheit, gerecht. Bedingt durch die Weiterentwicklung der Analysemethode erfolgte in den vergangenen Jahren eine weitere Ausdifferenzierung unterschiedlicher Herangehensweisen. Schreier (2014, S. 4 ff.) benennt in ihrem wegweisenden Artikel folgende Varianten: – – – – – – – –
Inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse Evaluative qualitative Inhaltsanalyse Formale qualitative Inhaltsanalyse Zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse Typenbildende qualitative Inhaltsanalyse Explikative qualitative Inhaltsanalyse Summative qualitative Inhaltsanalyse Qualitative Inhaltsanalyse mittels Extraktion
Für die vorliegende Arbeit wird insbesondere die inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse herangezogen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie darauf abzielt, „inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben“ (Schreier 2014, S. 5). In der vorliegenden Arbeit wurden theoriegeleitete Oberkategorien
4.1 Erhebungsdesign
189
aus den theoretischen Teilen der Arbeit gebildet und Unterkategorien in den meisten Fällen aus dem Material entwickelt. Damit folgt die Arbeit einer von Schreier (2012) und Kuckartz (2012) empfohlenen Vorgangsweise. Die kategoriengeleitete Auswertung wird überdies durch eine kontrastive fallbezogene Analyse vertieft. Bei diesem vergleichenden Analyseverfahren geht es weniger darum, den Fall in „seiner Komplexität und Ganzheit“ zu betrachten (Flick 2007, S. 254), sondern möglichst deutliche Unterschiede zwischen den Einzelfällen herauszuarbeiten. Die besondere Herausforderung liegt dabei in der Auswahl der Fälle. Diese sollten so gewählt werden, dass einerseits die Vergleichbarkeit beibehalten und andererseits die Kontrastierung in einem höchstmöglichen Maß gewährleistet wird (vgl. George & Bennett, 2005). Während sich durch das Befragungsdesign und die vergleichbaren Rahmenbedingungen der SL eine hohe Komparation ergibt, führen die Antworten der Befragten zur nötigen Kontrastierung. Die Analyseform der kontrastierenden Fallanalyse (most-different cross-case research) wird außerdem als eine geeignete und verbreitete Methode zur Beforschung von Schulleiter/-innenhandeln genannt (Khan & van Wynsberghe 2008, S. 7). Während der erste Analyseschritt, die rein kategorienbasierte Auswertung, sich vor allem auf die Beschreibung der institutionellen Umwelten sowie die unterschiedlichen Facetten von Sensing- und Legitimierungsstrategien beschränkt, fokussiert die erweiterte kontrastive Fallanalyse auf die Argumentationsmuster, die in der beschreibenden Wahrnehmung der institutionellen Umwelt sowie der Darstellung der Agentenschaft und des Leitungsverständnisses angeführt wurden. Das Herausarbeiten unterschiedlicher Muster (vgl. Yin 2009, S. 269) bzw. Spannungsfelder stellt dabei das zentrale Moment dieses Analyseverfahrens dar. Beiden Analysen liegt ein kategoriengeleitetes Verfahren zugrunde. Der Begriff „Kategorie“ wird dabei im Verständnis von Kelle und Kluge (2016) verwendet: „Kategorie ist demnach jeder Begriff, der zu einer Klassifizierung von beliebigen Objekten dienen kann, im qualitativen Forschungsprozess also jeder Begriff, der zur Kennzeichnung und Unterscheidung von Phänomenen jeglicher Art [...] und damit zur Erschließung, Beschreibung und Erklärung der Daten genutzt werden kann.“ (S, 60)
Die Interviews, die im Rahmen dieser Arbeit geführt wurden, beliefen sich auf eine Dauer von mindestens einer Stunde zwanzig Minuten bis längstens zwei Stunden dreißig Minuten. Alle Interviews wurden autographiert und für die Auswertung transkribiert. Die Aufnahmen wurden wortgetreu transkribiert,
190
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
auf Notationssysteme wurde jedoch verzichtet, da für die Datenauswertung ausschließlich die Inhalte der Interviews von Bedeutung sind (vgl. Fuß und Karbach 2014). Die zum Teil dialektal gefärbten Antworten wurden in Standardsprache übertragen (u. a. Satzbau und Grammatik). Die Analyseeinheiten für die kategorienbasierte Auswertung wurden wie folgt zugewiesen: Als Kodiereinheit wurde ein Satz festgelegt, als Kontexteinheit werden jene Absätze bezeichnet, die sich eindeutig auf einen Frage- oder Erzählimpuls beziehen. und die Auswertungseinheit erfolgt sequenziell, entsprechend des Textverlaufs. Als Fall wird in dieser Arbeit die/der Schulleiter/-in als Einzelperson festgelegt. Die Auswertung der vorliegenden Daten erfolgte zum Teil mit Unterstützung der Auswertungssoftware MAXQDA (vgl. Rädiker & Kuckartz 2019), ansonsten manuell.
4.1.5
Operationalisierung eines Modells zu responsivem Schulleitungshandeln
Um im Folgenden die empirischen Daten vor dem Hintergrund des Ansatzes des responsiven Schulleitungshandelns auswerten zu können, bedarf es eines Modells, das die Operationalisierung des Schulleitungshandelns ermöglicht. Als Grundlage hierfür dient das in Kapitel 3 vorgestellte Modell von Gärtner et al. (2017). Nachdem das Respondieren als Erweiterung des innerhalb der neoinstitutionalistischen Theorien im Vordergrund stehenden Umwelt-OrganisationsVerhältnisses zu lesen ist, schlagen sich in der Operationalisierung ebenfalls die in Kapitel 2 und 3 diskutierten theoretischen Zugänge nieder. Das von Gärner et al. (2017) entwickelte Modell des Respondierens umfasst ursprünglich die Phasen „sensing“, „responding“, „influencing“ und „responsibility“. Für die vorliegende Untersuchung wird das Modell dahingehend weiterentwickelt, als dem „Wahrnehmen“ die Phase des „Antwortens“ nachsteht. Dieser folgt die Phase der „Verantwortungsübernahme“ und mündet letztlich in der Phase des „Legitimierens“. Damit wird das Modell, das aus der strategischen Unternehmensführung stammt, um den Aspekt der Legitimierung erweitert, wohingegen die Phase der Beeinflussung mit der Phase des Antwortens zusammengezogen wird. Durch bestimmtes Antworten wird auf etwas als etwas geantwortet. Der Umstand, dass die Phase des Legitimierens als letzte Phase definiert wird, liegt den theoretischen Annahmen aus Kapitel 2 (vgl. ebd. bzw. erweitertes Modell Travel of Ideas Abbildung 3.2). Der Prozess der Legitimierung schließt den
4.1 Erhebungsdesign
191
Institutionalisierungsprozess so weit ab, als dass im Anschluss daran nur noch Sedimentierungsprozesse innerhalb der Organisation folgen. Durch diese Weiterentwicklung des Konzepts nach Gärtner et al. (2017) ergibt sich ein Modell (vgl. Abbildung 4.3), das grundlegend für die Überprüfung der vorliegenden empirischen Daten herangezogen wird.
Abbildung 4.3 Weiterentwickeltes Modell der Responsivität (nach Gärtner et al. 2017)
Während in weiterer Folge zunächst die Grobstruktur der Auswertung skizziert wird, erfolgt in den Einzeldarstellungen der Bereiche noch einmal eine feinkörnigere Erläuterung – wiederum unter Bezugnahme auf die theoretischen Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3. Die einzelnen Phasen werden im Zuge der Operationalisierung dimensioniert. So entstehen pro Phase Dimensionen, die sich wiederum in Teildimensionen unterteilen lassen. Diese Dimensionen und Teildimensionen11 bilden das Kategorienschema für die Auswertung. Begonnen wird mit den Befunden zur Phase „Wahrnehmen“ (1). Dabei ergeben sich aus den theoretischen Herleitungen in den Kapiteln 2 und 3 drei Unterpunkte für diesen Bereich: 1.1 Strategien zur Wahrnehmung Frage 1.1: Wie spüren die Leitenden hin? (Sensing) 11
Kell und Kluge (2016) sprechen in diesem Zusammenhang von einem Prozess des Dimensionierens – „die Subkategorien müssen dabei so gewählt werden, dass Ähnlichkeiten und Unterschiede im Datenmaterial deutliche herausgearbeitet werden.“ (S. 73)
192
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
1.2 Beschreibung Umwelt-Organisations-Verständnis Frage 1.2: Wie nehmen die Leitenden ihre institutionelle Umwelt wahr? 1.3 Anspruchsgruppen und deren Beschreibungen Frage 1.3 a: Wer sind für die Leitenden relevante Anspruchsgruppen? Frage 1.3 b: Wie werden diese Anspruchsgruppen beschrieben? Frage 1.3 c: Ist jede genannte Gruppe eine Anspruchsgruppe? Phase zwei von Responsivität beschreibt das Antwortverhalten (2) der Leitenden. Da sich das Antwortverhalten der Schulleitenden nicht unabhängig von deren Kontexten und Zugängen beschreiben lässt, fokussiert dieser Teil der Auswertung auf 2.1. den Umgang mit Veränderung Frage 2.1: Wie beschreiben die Leitenden Veränderungsprozesse an ihrem Standort? 2.2 Mechanismen der Weitergabe: Carrier Frage 2.2: Mittels welchen Carrier werden Erwartungshaltungen seitens der Schulleitenden an die Kollegien weitergegeben? 2.3 die Verständnisse von Schulleitung Frage 2.3: Welche Führungsverständnisse zeigen sich in den Interviews? Mit diesem Schritt sollen Antwortprozesse nachvollziehbar gemacht werden. Es wird dabei davon ausgegangen, dass, je nachdem, welches Führungsverständnis vorherrscht bzw. wie auf Veränderung reagiert wird, sich entsprechende Handlungen ableiten. Die dritte Phase beschreibt die Verantwortungsübernahme (3) der Schulleitenden. Dieser Aspekt ist eng mit der Agency und Akteursschaft verbunden, die die Leitenden übernehmen. Darüber hinaus soll noch gesondert analysiert werden, wofür eigentlich Verantwortung übernommen wird, sprich, welche Bereiche die Leitenden überhaupt als Verantwortungsbereiche für sich abstecken. Für die Auswertung der Daten ergeben sich zwei Leitaspekte: 3.1 Ziele und Absichten der Verantwortungsübernahme Frage 3.1: Wofür übernehmen die Leitenden im Kontext von Entwicklungsprozessen und Reformumsetzung Verantwortung? 3.2. Darstellung von Agency Frage 3.2.: Wie zeigt sich Agency bei den Leitenden? In der letzten Phase des Respondierens erfolgt das Legitimieren (4). Dabei unterteilt sich dieser Teil des Modells in zwei Aspekte – zum einen werden allgemein
4.1 Erhebungsdesign
193
Strategien zur Legitimierung aus den Interviews herausgearbeitet, zum anderen wird der Prozess des Legitimierens noch einmal wie in Abschnitt 2.3 erörtert im Zusammenhang mit den sozialen Akteuren, die der Organisation Legitimität zusprechen, dargestellt. 4.1 Strategien zur Legitimierung Frage 4.1: Wie beschreiben die Schulleitenden in den Interviews Momente, in denen sie Legitimierung für ihr (Entwicklungs-)handeln erfahren? 4.2 Legitimierung im Zusammenhang mit Anspruchsgruppen Frage 4.2.: Wie hängen die genannten Legitimierungsstrategien mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen der schulischen Umwelten zusammen? Die Ergebnisdarstellung folgt der dargestellten Logik in Abbildung 4.4.
Abbildung 4.4 Operationalisierung der Responsivitäts-Phasen (eigene Darstellung)
Für die Auswertung der elf Interviews mit den Schulleitenden erfolgte eine Orientierung an den Hypothesen, die im Zuge der theoretischen Auseinandersetzung mit neo-institutionalistischen Theorien und responsivem Leitungshandeln in Kapitel 2 und 3 formuliert wurden. Die sich daraus abgeleiteten Hypothesen bewegen sich entlang unterschiedlicher Verbindungslinien zwischen institutioneller Umwelt, organisationalem Feld der Einzelschule sowie den Schulleitenden als organisationalen Akteuren auf Microebene (vgl. Abbildung 4.5). Die Pfeile in der Abbildung symbolisieren dabei jeweils die „Blickrichtung“.
194
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Auf Grundlage der theoretischen Auseinandersetzung wurde ferner ein Codierleitfaden (vgl. Anhang (2)) entwickelt, mittels dessen die Daten strukturiert wurden. Dabei wurden die Rohdaten zunächst grob zusammengefasst, um in weiterer Folge eine feinkörnigere Kategorisierung in sich zum Teil induktiv ergebende Subkategorien vornehmen zu können.
Abbildung 4.5 Verortung der Hypothesen im Zwischenspiel zwischen institutioneller Umwelt und schulischem organisationalem Akteur (Schulleiter/-in) (eigene Darstellung)
Damit die Untersuchung von Responsivem Schulleitungshandeln möglich ist, bedarf es allerdings einer Erweiterung der theoretischen Annahmen durch ein empirisches Modell. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass diese Erweiterung nicht in Eklektizismus übergeht. Mauerer und Schmid verweisen ebenfalls auf diesen Umstand:
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
195
„In vielen Fällen führt die Anerkennung der Tatsache, dass die bislang verwendete Theorie offenbar nicht ausreicht, um bestimmte Handlungen zu erklären, zu der Gefahr, sie etwa rein additiv und intuitiv, um einzelne Zusatzfaktoren zu erweitern und damit die Menge der erklärungswichtigen Faktoren zu erhöhen.“ (2010, S.121 f.)
Dieser Herausforderung Rechnung tragend wurde anhand der zugrundeliegenden theoretischen Annahmen das bereits von Gärtner et al. (2017) entwickelte Modell erweitert und entsprechend neo-institutionalistischer Zugänge operationalisiert. Eine detaillierte Beschreibung der Operationalisierung folgt im anschließenden Unterkapitel.
4.2
Ergebnisse der empirischen Studie
Im Folgenden werden die Ergebnisse der qualitativen Auswertung präsentiert. Dabei werden die Phasen (wahrnehmen, antworten, verantworten, legitimieren) des Respondierens nacheinander in ihren unterschiedlichen Dimensionen dargestellt.
4.2.1
Beschreibung Umwelt-Organisations-Verhältnis (Dimension „wahrnehmen“)
Die wahrgenommen Umwelt-Organisations-Verhältnisse ergaben sich aus jenen Interviewsequenzen, in denen Akteursgruppen in der Beschreibung einer der sechs Qualitätsbereiche (Schulqualitätsentwicklung Allgemeinbildung, SQA) genannt wurden. Es wird festgehalten, dass es sich nicht ausschließlich um Anspruchsgruppen, sondern auch um Ansprechpartner/-innen oder allgemein für die SL relevante Akteursgruppen handelte. Zwischen diesen Gruppen wird daher in der folgenden Darstellung keine Unterscheidung getroffen. Wurden die Akteursgruppen nur indirekt genannt, sind sie in den Abbildungen grau (vgl. Abbildung 4.6–4.16). Ergänzt werden die Falldarstellungen durch markante Aussagen12 , die im Zuge der Beschreibungen der institutionellen Umwelten getätigt wurden. Mit markant ist in diesem Zusammenhang eine besonders auffällige Äußerung in Bezug auf eine Akteursgruppe gemeint. Nach jeder Falldarstellung
12
Wörtliche Zitate, die eine gegenderte Formulierung enthalten, werden dahingehend verändert, als dass sie beide Formen aufweisen. Damit wird der Anonymisierung der Schulstandorte Rechnung getragen.
196
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
folgt auf Basis der in Abschnitt 2.4., Tab. 2.9 dargestellten Beschreibung des Umwelt-Organisations-Verhältnisses eine kategoriengeleitete Zuteilung. Die aufgeschlüsselte Darstellung der institutionellen Umwelt wird als Voranalyse für die im zweiten Teil der empirischen Auswertung angewendeten kontrastierenden Fallvergleiche gesehen. An die Falldarstellungen schließen Beschreibungen der Akteursgruppen an. Diese Beschreibungen werden durch eine Zuordnung zu den einzelnen Qualitätsbereichen strukturiert. Falldarstellung 1 – SL 01 OGU SL_01_OGU beschreibt die institutionelle Umwelt als Quelle der Inspiration, in der viele innovative Ansätze und Zugänge unter anderem durch den Austausch mit anderen Kolleginnen und Kollegen gewonnen werden können (Z. 77 f.; 241 ff.; 643 ff.). Dennoch gibt es auch Momente, in denen die institutionelle Umwelt als beschränkend wahrgenommen wird: „[...] mir sind oft, sehr oft, vom Lehrerdienstrecht sind mir einfach, waren uns die Hände gebunden. Und das hat mich massiv aufgeregt.“ (SL 01 OGU, Z. 727 f.)
Auf der anderen Seite zeigt sich im Interview, dass SL_01_OGU Ansprüche, die von außen an sie/ihn herangetragen werden, ignoriert: „Manchmal gibt es bei mir nur klick klick klick. Weg ist es. Ich finde nicht die Zeit, mir alles anzuschauen. Gewisse Dinge, da wären auch vielleicht ein paar Dinge dabei, die wären jetzt vielleicht gut. [...] Ich habe sie weggeklickt. Ich habe auch den Mut.“ (SL 01 OGU, Z. 525 f.)
SL_01_OGU beschreibt in den Interviewpassagen weniger die außerschulischen Akteure, sondern fokussiert in den Erzählungen stark auf innerschulische Prozesse und innerschulische Akteure (vgl. Z. 842 ff.). An einigen Stellen im Interview wurde auf externe Instrumente verwiesen, die Auskunft über die Qualität des Lernens und Lehrens bzw. die Leistung geben (u. a. Z. 94 f;). Zu betonen bei diesem Interview ist, dass die Anspruchsgruppe „weiterführende Schule“ kaum seitens SL_01_OGU eingebracht wurde, sondern von der Interviewerin. Dennoch wurden die weiterführenden Schulen sowie Betriebe als eine der drei relevantesten Anspruchsgruppen definiert (Z. 1205 f.). Neben den bereits genannten Anspruchsgruppen zählen auch Schüler/-innen und Eltern (Z. 280) zu den explizit genannten:
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
197
1. weiterführenden Schulen sowie Betriebe 2. Schüler/-innen 3. Eltern Die Umweltwahrnehmung von SL_01_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.
Abbildung 4.6 Übersicht Akteursgruppen SL_01_OGU (eigene Darstellung)
Falldarstellung 2 – SL 02 MGU SL_02_MGU beschreibt im Zuge der Neue-Mittelschul-Einführung, dass man sich zum einen umgeschaut hat, wie andere Schulen mit der Thematik umgehen, zum anderen aber auch am eigenen Standort viele Dinge selbst entwickelt hat (vgl. Z. 182 f.). Bei Ansprüchen, z. B. Neuerungen, die an SL_02_MGU „von oben“ herangetragen werden, wird zunächst ein Filtermechanismus eingesetzt: „Das Neue, das von oben kommt, habe ich eine Strategie entwickelt. Dass ich zuerst einmal ganz stark filtern tue.“ (Z. 462 ff.)
Mit Filtern meint SL_02_MGU vor allem, dass Neuerungen, die z. B. auf einer SL-Konferenz vorgestellt werden, zunächst gesichtet und dann entschieden wird, in welchen „Häppchen“ (vgl. Z. 469) die Informationen an das Kollegium weitergegeben werden. Für SL_02_MGU gelingen Entwicklungsprozesse dann, wenn sich die Lehrenden mit einer Sache identifizieren können bzw. hinter einer Sache stehen.
198
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„Ich glaube, dass alles, was nur von oben her verlangt wird, wenn man nicht das ganze... das Feuer noch selber beim Lehrer entfacht, dass man da eher an Schulentwicklung scheitert.“ (SL 02 MGU, Z. 476)
Gerade in der Wahrnehmung, woher neue Anregungen kommen, z. B. in der Unterrichtsentwicklung, beschreibt SL_02_MGU, dass dies aus dem Team kommen würde, da viele der Kolleginnen und Kollegen selbst aktiv in der Fortund Weiterbildung als Lehrende tätig seien (vgl. Z. 382): „Die Lehrer sind mein Kapital“ (SL 02 MGU, Z. 394) Die grundsätzliche Orientierung von SL_02_MGU ist eher nach innen gerichtet. „Ich selber bin generell der Typ, wo ich nicht sehr nach außen schaue, was machen andere, und was müssen wir machen, und was machen andere, wie setzen die es um, sondern wo ich sage: [...].. da hat sicher jede Schule auch ihre Besonderheiten und ihre Eigenheiten.“ (SL 02 MGU, Z. 577 ff.)
Für die Reputation der Schule, so SL_02_MGU, spielen die Gemeinde und der Bürgermeister eine „wesentliche“ Rolle (Z. 954, Z. 961). Diese Akteursgruppe wird wichtiger eingeschätzt als z. B. die Schulaufsicht (Z. 721 ff.). Diese, so wird im Interview ausgeführt, sei in den einzelnen Bezirken in ihrer Schwerpunktsetzung unterschiedlich und verfolge meist ihre eigenen Ziele, auch fernab von Reformen (vgl. 548 ff.). Ergebnisse bei Bildungsstandarderhebungen haben für SL_02_MGU „gar keinen“ (Z. 1205) Stellenwert in Bezug auf die Tatsache, ob die eigene Schule eine gute Schule ist. SL_02_MGU gibt als die drei wichtigsten Bezugsgruppen an: 1. die Eltern, 2. das eigene Kollegium 3. die Schüler/-innen Die Umweltwahrnehmung von SL_02_MGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden. Falldarstellung 3 – SL 03 OGU Von SL_03_OGU wird die Umwelt im Interview ambivalent beschrieben. Zum einen wird sie als Fundus und Ressource dargestellt, aus der man neue Anregungen und Zugänge schöpfen könne (Z.45 ff.), zum anderen führten bestimmte institutionelle Vorgaben zu einer Beschränkung, so etwa das Angebot der Pädagogischen Hochschule:
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
199
Abbildung 4.7 Übersicht Akteursgruppen SL_02_MGU (eigene Darstellung)
„[...] es [gibt] Lehrer an der Pädagogischen Hochschule, die eigentlich das NMSKonzept hintertreiben und dann gibt’s natürlich die anderen, die Leuchttürme, die gibt’s genauso. Und das spielt schon eine Rolle, weil die Fortbildung schon nochmal eine enorme Bedeutung hat; was mir in der Hinsicht immer gefehlt hat und immer noch fehlt ist, dass man sich in der Fortbildung auf wichtige Bereiche in einem gewissen Zeitraum konzentriert.“ (Z. 117 ff.)
Eine institutionelle Einschränkung erlebt SL_03_OGU auch durch Personalmangel und/oder gesetzliche Vorgaben, wie etwa bei der Anstellung von Lehrpersonen:
200
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„[…] ich habe ja eine AHS-Lehrerin gehabt, die ist mittlerweile am Gymnasium, die hat nicht mehr dürfen, weil sie Geographie und Geschichte hat.“ (SL 03 OGU, Z. 679) „[...] es ist bald, Mathematiker gibt’s sowieso keine und [...], ganz blöd ist das, dass sie dann an ihrer [Stamm-]Schule eine Stunde halten müssen oder wie, da gibt es eine Regel?!“ (SL 03 OGU, Z. 703)
In den Ausführungen zu bestimmten Akteuren aus der institutionellen Umwelt beschreibt SL_03_OGU, wie im Zuge der Neue-Mittelschulreform viele Neuerungen auf den eigenen Schultyp zugekommen sind und wie wenig Veränderungsdruck auf anderen Schultypen lastet. „[...], dass natürlich die ganze AHS-Szene sich von dem überhaupt nicht betroffen fühlt, also da sieht man ja überhaupt null Grund, warum man überhaupt irgendwas ändern sollte. Das ist schon ein riesen Hindernis.“ (SL 03 OGU, Z.293 f.)
Gerade bei der Umsetzung der Neue-Mittelschulreform wird seitens der Schulaufsicht von den SL verlangt, bestimmte thematische Inhalte aufzubereiten (Z. 132, 166, 220). Die Beschreibung dieses Vorgangs lässt jedoch darauf schließen, dass eigene Vorstellungen eingearbeitet werden können und somit auf den Anspruch der Umwelt gestalterisch geantwortet werden kann. „Ich möchte schon beeinflussen, was da abläuft.“ (SL 03 OGU, Z. 235 f.)
Dass SL_03_OGU die institutionelle Umwelt auch als Fundus wahrnimmt bzw. auch gegen institutionelle Erwartungen an bestimmten Dingen festhält, zeigt sich an dem folgenden Beispiel: „[...] es muss einen individuellen Lernbereich geben. ILB hat das geheißen. Und das ist für mich unbedingt notwendig, wenn man Lernseitigkeit und eine innere Differenzierung will, weil ich wüsste nicht, wie man mit reinem Frontalunterricht eine innere Differenzierung machen soll. [...] Und dann habe ich das in diesem Zeitfenster, wo der LSI das verfügt hat, da habe ich das an meiner Schule verbindlich gemacht. [...] Und das habe ich dann auch, als das nicht Gesetz geworden ist, beibehalten.“ (Z. 177 ff.)
Außerdem zeigt sich SL_03_OGU auch offen für Kooperationen, z. B. mit den Ausbildungsstätten für zukünftige Lehrer/-innen: „Ja also, ganz, das ist wirklich a Woche, die eine totale Win-Win-Situation. Einerseits organisieren wir das so, dass die betroffenen Klassen in den ersten zwei Stunden ILB oder Freiarbeit haben, da können sie [Studierenden] das beobachten und nachfragen
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
201
usw. und dann machen sie Projekte, also eines eher Hauptfach-orientiert, 3.,4. Stunde, 5.6. Stunde eher Realien-orientiert und machen immer tolle Sachen für die Kinder.“ (Z. 1216 ff.)
Zusammenfassend gibt SL_03_OGU an, dass folgende Anspruchsgruppen die größte Relevanz für sie/ihn haben (Z. 1669 ff.): 1. Schülerinnen 2. Literatur 3. Teacher-Leader Die Umweltwahrnehmung von SL_03_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.
Abbildung 4.8 Übersicht Akteursgruppen SL_03_OGU (eigene Darstellung)
Falldarstellung 4 – SL 04 MGU SL_04_MGU gibt an, dass immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse Einzug in schulische Entwicklungsprozesse halten (vgl. Z. 50) – dem steht SL_04_MGU grundsätzlich offen gegenüber. Ähnlich wie andere Schulleitende auch, wird im Interview darauf verwiesen, dass vielfach die Rahmenbedingungen, z. B. des Dienstrechts, Entwicklungen hemmen können.
202
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„Personalentwicklung ist aufgrund des Beamtendienstrechtes nur schwer möglich.“ (SL 04 MGU, Z. 178)
Insbesondere wird mit den Anstellungsbedingungen gehadert: „Da wäre zum Beispiel der beste Schub 30 Stunden Anwesenheitspflicht an der Schule, ein zwei Nachmittage, wo ich nicht Unterricht hätte, würden mir persönlich da sehr in die Hände spielen.“ (SL 04 MGU, Z. 199 ff.)
SL_04_MGU gibt an, dass die Umsetzung der Neuen Mittelschule im Bezirk ernster genommen würde als in anderen Bezirken: „Wir im Bezirk sind ja päpstlicher als der Papst“ (Z. 863), was damit zusammenhängt, dass die Schulaufsicht des Bezirks ein besonderes „Augenmerk“ auf die Umsetzung dieser Inhalte legt (vgl. Z. 869 f.). Gerade wenn es um die Wahrnehmung der institutionellen Umwelt geht, ist eine Sequenz des Interviews hervorzugeben, in der SL_04_MGU aufzeigt, wie mit gesetzlichen Vorgaben umgegangen wird: „Entweder aus dem Gesetz… Aber du weißt selber, wie das Ganze interpretiert wird… wie der Lehrplan interpretiert werden kann. Die Leistungsbeurteilungsverordnung… da steht wieder ganz etwas anderes als wie wir jetzt tun. Und das passt dann nicht zusammen mit dem neuen Konzept. Das hörst du natürlich sehr oft. Und einerseits pochen wir natürlich auf Gesetze, aber andererseits sagen wir da dann wieder die Leistungsbeurteilungsverordnung, die nehmen wir jetzt da nicht so tragisch.“ (SL 04 MGU, Z. 879 ff.)
Als begrenzender bzw. hinderlicher Umweltfaktor wird die Situation mit der Abwanderung der Schüler/-innen nach der Volksschule in die gymnasiale Unterstufe beschrieben: „Und die Gymnasien haben halt immer voll. Das heißt, wir können tun, was wir wollen, die Gymnasien haben es voll. [...] Zuerst ist einmal gesagt worden nur drei Klassen, dann nur bis 25, jetzt haben sie halt vier Klassen, zum Teil bis 28.“ (SL 04, MGU, Z. 1275 f.)
Das verbindet SL_04_MGU mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Druck, den die Neue Mittelschule spürt: „Der gesellschaftliche Druck ist einfach so groß, wir können tun, was wir wollen. Den schaffen wir nicht, den Spagat.“ (SL 04 MGU, Z. 1293 f.)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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Am Beispiel eines Erlebnisses wird geschildert, wie Vorgaben (Einhaltung des Dienstweges) gemacht werden. Das Beispiel zeigt, die Einbettung der Institution „Schule“ in ihre Umwelt. „[...] dann ist das eine Aktion [offener Brief], die du als Beamter nicht tun dürftest. Und du übergehst den Dienstweg, wir überspringen die Hierarchie.“ (SL 04 MGU, Z. 1464 ff.)
Die Sicht auf die eigene Schule und die innerschulischen Akteure wird ebenfalls im Interview thematisiert, dabei werden die eigenen Strukturen als hinderlich für Entwicklung beschrieben: „Bei uns [ist] in der Kommunikation schon ein bisschen ein Knäuel.“ (vgl. Z. 667 f.)
Für SL_04_MGU sind die drei wichtigsten Anspruchsgruppen: 1. Lerndesigner/-in (erweitert: Schulentwicklungsteam) 2. Schulaufsicht/ Pflichtschulinspektor/-in 3. Fort- und Weiterbildung / Zentrum für lernende Schulen Die Umweltwahrnehmung von SL_04_MGU kann als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden. Falldarstellung 5 – SL 05 OGU Durch das gesamte Interview zieht sich das Motiv, dass „von oben“ vorgegeben wird, welche Themen in der Schulentwicklung zu berücksichtigen sind. Als „von oben“ werden dabei die Institutionen Bundesministerium, Schulaufsicht und Zentrum für Lernende Schulen genannt. Durch die Vorgaben „von oben“ wird der Handlungsspielraum von SL_05_OGU als begrenzt eingeschätzt. Die Neue Mittelschul-Reform wird zunächst als starker, von außen kommender „Fremdkörper“ beschrieben: „Sofort. [...]. Ich glaube, das war psychologisch der Knackpunkt. Die Lehrer haben alle das Gefühl gehabt. Nicht weil ich ihnen das gegeben habe. Sondern weil das auch von da oben irgendwie da durch das schnelle Aufoktroyieren so gewirkt hat: Alles, was wir bisher gemacht haben, war schlecht. Und jetzt kommt sozusagen der neue Messias, oder war es die X, und verkündet das einzig Gute. Auf Kritik gestoßen ist auch, dass nur, oder dass zum Großteil englische Referenzliteratur genommen worden ist.“ (SL 5 OGU, Z. 1126) „Es kommt hie und da was daher. Und man merkt dann schon, ob es wichtig war oder nicht. Wenn das jetzt überall aufgegriffen wird von der (äh) PSI im Bezirk oder
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Abbildung 4.9 Übersicht Akteursgruppen SL_04_MGU (eigene Darstellung)
(äh) vom Landesschulinspektor. Dann weiß man: Okay, jetzt wird es wichtig, wenn sie das Thema aufgreifen. Aber ich täte schon sagen, im Schnitt kommen Reformen, die durchgezogen werden sollen, von der Schulaufsicht.“ (SL 5 OGU, Z. 925ff.)
Die Dringlichkeit, bestimmte Dinge umzusetzen, nimmt SL_05_OGU spürbar von bestimmten Akteursgruppen wahr: „Man merkt schon, was der Schulaufsicht wirklich wichtig ist. Zum Beispiel Arbeit mit Lerndesigns habe ich schon als sehr, sehr wichtig empfunden.“ (SL 5 OGU, Z. 899 ff.) „Das konsequente Arbeiten am SQA-Plan ist für mich auch als sehr, sehr wichtig dahergekommen.“ (SL 5 OGU, Z. 909)
Wichtig für SL_05_OGU ist auch, dass bei Veränderungen, die vorgegeben werden, auch klar transparent aufgezeigt wird, wer etwas von wem verlangt – dass
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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die Ansprüche an die Lehrenden nicht seitens der Schulleitung kommen, sondern „von oben“. „Ganz wichtig wäre, dass das von oben klar gemacht wird. Dass das nicht so ein nebulöser Begriff ist, sondern dass das eine eindeutige Sache in der Hierarchie ist. Das würde verändert gehören, dass man sagt: Auch, auch amtlich ist das so.“ (SL 5 OGU, Z. 625)
In der institutionellen Umwelt von Schulen agieren unterschiedliche Professionen, diese stehen nach Angabe von SL_05_OGU in einer hierarchischen Beziehung zueinander: „Dienstrecht schlägt die Pädagogik“ (SL 5 OGU, Z. 125)
Für SL_05_OGU sind die wichtigsten Anspruchsgruppen der schulischen institutionellen Umwelt die folgenden: 1. Schulaufsicht 2. Schüler/-innen 3. Eltern/ ex equo: weiterführende Schulen / Ausbildner in Betrieben Die Umweltwahrnehmung von SL_05_OGU kann als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden. Falldarstellung 6 – SL 06 MGU SL_06_MGU gibt an, dass sich die Außenwelt verändert und man als Organisation darauf reagieren muss – dies sei ein ständiger Prozess: „Strategie ist die Fortführung des ursprünglich leitenden Gedankens gemäß den sich ändernden Bedingungen. Und die Bedingungen ändern sich so, wie es bei uns der Fall ist, ob es jetzt im Rahmen der Mittelschule war oder, was weiß ich, mit Änderungen von Regierungen oder Ministern usw. ist, muss man sich ständig auf das einstellen, was an Rahmenbedingungen kommt und dementsprechend entwickeln wir dann.“ (SL 06 MGU, Z. 50 ff.)
Dennoch nimmt SL_06_MGU die Veränderungen, die im Zuge der NeuenMittelschulreform stattgefunden haben, als verengend wahr. Im Interview werden diese beschrieben. Die Verengung führt dazu, dass es „nur mehr eine Wahrheit geben“ (91 ff.) würde, „[u]nd diese Wahrheit hat zu verfolgt werden und diese Wahrheit wurde mit erhobenem Zeigefinger uns dann präsentiert und die haben wir dann machen müssen.“ (SL 06 MGU, Z. 93 f.)
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Abbildung 4.10 Übersicht Akteursgruppen SL_05_OGU (eigene Darstellung)
SL_06_MGU hat das Gefühl, dass durch die Neue Mittelschule viele Freiheiten der Lehrpersonen beschnitten wurden: „[...] ein gewisses Quäntchen an Authentizität sei meinen Lehrern erlaubt. Hat man ihnen aber genommen, sage ich.“ (Z. 225 f.)
Für SL_06_MGU war das System vor Einführung der Neuen Mittelschule besser, dieses „war ein System, das 25 Jahre gelaufen ist, ja, da hat es 25 Jahre Leistungsgruppen gegeben.“ (SL 06 MGU; Z. 117 f.) Weiters führt SL_06_MGU aus: „[...] die haben vorgegeben, was zu geschehen hat. Und wir haben gemacht, was zu geschehen hatte.“ (Z. 101)
In diesem Zusammenhang beschreibt SL_06_MGU, dass die Vorgaben, die „von oben kommen“ aus einem Konglomerat mehrerer Quellen stammten: „Diese eine Wahrheit kommt von höchster Ebene: Landesschulrat, herunter PSIs[…] ja, PHT, das ist natürlich, das ist ja alles vernetzt [...].“ (Z. 99 f.)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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Diese Neuerungen wurden als Zwang wahrgenommen: „Die Lehrer wurden in ein System gezwungen, ob sie glücklich waren oder nicht. Also, es ist gut, wenn man irgendwas vorgibt, an das man sich halten muss, aber es hat auch Auswüchse gegeben, wo Schulen nur mehr mit gewissen Tabellen, die irgendjemand erfunden hat, arbeiten mussten. Man ist nie mehr auf die Authentizität eines Lehrers eingegangen, sondern die hatten einfach das zu vollziehen, was man sich vorgestellt hat.“ (SL 06 MGU, Z. 107 ff.)
Durch die Einführung der Neuen Mittelschule, so SL_06_MGU, kam es zu Einschränkungen und Engführungen: „Fortbildungsseite geht: da war es diversifizierter, da habe ich viele Fortbildungen gehabt, [...] aber einfach breiter gestreut. Jetzt hat man einen NMS-Fortbildungsstrang, was es ja auch bedarf, weil sonst würden wir den Herausforderungen ja nie gewachsen sein können. Weil wir das halt auch noch nicht gelernt haben.“ (Z. 125 ff.)
Bei der Einführung der Neuen Mittelschule sei Vieles unklar gewesen: „Wir sind ziemlich alleine gelassen worden mit den Problematiken, die wir haben. Der Versuch, [den Transformationsprozess] eben mit, sage ich jetzt einmal, Seminaren und Leuten zu besetzen, die haben weniger Ahnung gehabt als wir [...]“ (Z. 155 f.)
Diese Unklarheit hat zu einer Frustration und letztlich zu einer Eigeninitiative und einer Abkehr von den zentralen Begleitungsprogrammen geführt. Gerade das Thema „Neue Mittelschule“ sei seitens der Schulaufsicht eine „Herzensangelegenheit“ (Z. 271) und man komme „[…]eh nicht narrisch aus13 […]“ (Z. 271). SL_06_MGU schwankt in den Aussagen zwischen Kritik gegenüber der Bevormundung durch die Schulaufsicht einerseits und dem Lob für die Unterstützung, etwa in Form von Fort- und Weiterbildungsangeboten, andererseits: „Was ich ja auch schätze, so ist es ja nicht. Sonst müsste ich mir selber etwas aus den Fingern saugen. Da ist mir lieber ich bin dahingehend auch geführt, das ist nicht das Thema.“ (Z. 276 ff.)
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„narrisch auskommen“ meint in diesem Zusammenhang, dass es aus Sicht des Schulleitenden/der Schulleitenden keine tatsächliche Möglichkeit gibt, sich der Anordnung zu entziehen.
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SL_06_MGU gibt an, dass die Umsetzung der Neuen Mittelschule in den einzelnen Bezirken sehr unterschiedlich erfolgte: „Ja, ich weiß ja auch, dass auf PSI-Ebene [...] mehr oder weniger ernst genommen wird, in dem was man dann auf die Klientel hinunterbricht.“ (Z. 450 ff.)
Immer wieder wird im Interview darauf verwiesen, dass die Handlungsspielräume, die seitens der „Obrigkeit“ gegeben werden, in der Praxis so nicht realisierbar seien. Als konkretes Beispiel führt SL_06_MGU die Schwierigkeit mit Zusatzstunden (vgl. Z. 489 ff.) an. Auf die Frage, ob SL_06_MGU glaubt, die Freiheit zu besitzen, eine Umsetzung anders zu gestalten, als sie als Empfehlung vorgegeben wurde, antwortet SL_06_MGU: „Das weiß ich nicht, habe ich nicht gefragt. [...]: In dem Maße, wie man ja keinen bekommt, der einem dann wirklich endgültig sagen kann: „Wir haben die Wahrheit gefunden“ – weil es sie ganz einfach nicht gibt. Weil da halt immer auch Abstriche drin sind, bitte. Also bin ich so weit, dass ich sage: Nicht ich, „le roi c´est moi“, nein nicht wirklich. Aber ich sage: Ich habe keinen gehabt, der mir die Wahrheit beschreiben hat können. Wir entwickeln uns selber etwas, [...]. Ich habe ja Vorgaben, was soll ich denn. … Zielbild getroffen, Zielbild erreicht, oder nicht erreicht usw., dann komme ich ja nicht aus, bitte.“ (Z. 586 ff.)
SL_06_MGU gibt an, durch das Konkurrenzverhältnis mit der gymnasialen Unterstufe am eigenen Standort Nachteile zu erleben: „Und wir werden ausgehungert von vorne bis hinten. Und wir haben keine Guten mehr. Was ist denn das für ein Setting da drinnen, wenn ich keine Leistungsstarken mehr habe? Da möchte ich einmal eine Antwort.“ (Z. 962 ff.)
Auch die Eltern, als Umwelt, sorgen dafür, dass das Konkurrenzverhältnis zum Gymnasium bestärkt wird (Z. 1011 ff; 1064 ff.). Nach Aussagen von SL_06_MGU hat der Schulstandort durch negative Zuschreibungen durch die Volksschulen mit Schüler/-innenanmeldezahlen zu kämpfen (Z. 994 ff.): „[...]Das heißt also, man versucht, uns so gut als möglich auszuschalten und zu umgehen. Und das ist teilweise generiert aus ganz mieser Propaganda.“ (Z.1008 ff.)
Zusammengefasst wird die Umwelt seitens SL_06_MGU als limitierend und beschränkend wahrgenommen. Außer im Qualitätsbereich 4 werden auffallend wenig Akteursgruppen genannt. Die wichtigsten Bezugsgruppen sind für
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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SL_06_MGU vor allem externe Akteure aus der schulischen institutionellen Umwelt: 1. andere Direktor/-innen 2. die Schulaufsicht 3. Fort- und Weiterbildungen Die Umweltwahrnehmung von SL_06_MGU kann als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden.
Abbildung 4.11 Übersicht Akteursgruppen SL_06_MGU (eigene Darstellung)
Falldarstellung 7 – SL 07 OGU Im Interview mit SL_07_OGU wird deutlich, dass die Wahrnehmung der institutionellen Umwelt als wenig beschränkend, sondern als Inspiration und Bereicherung wahrgenommen wird. SL_07_OGU verweist im Gespräch insbesondere auf den Umstand, dass Neuerungen, wie etwa die Einführung der Neuen Mittelschule, keinem „Patentrezept“ (vgl. Z. 158, Z. 167) folgen, sondern eine eigene Übersetzungsleistung des Schulstandortes bedinge:
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„Und Mittelschule ist kein Patentrezept. [...] Das muss jede Mittelschule für sich entwickeln. Natürlich in Absprache mit anderen Mittelschulen kann man sich gegenseitig unterstützen [...]. Man muss ja nicht immer alles neu erfinden, sage ich mal. Aber generell ist es ganz wichtig, dass das auch so im Denken gefestigt wird: Wir müssen das Ganze selbst für uns entwickeln, dass es für unsere Schule am besten ist.“ (SL 7 OGU, Z. 158)
Besonders hervorgehoben wird diese Sichtweise noch einmal im folgenden Zitat: „Weil es gibt kein, es gibt kein Patentrezept. Es gibt Inputs. Aber was wir daraus machen, müssen wir selber herausfinden.“ (SL 7 OGU, Z. 167)
SL_07_OGU gibt im Interview an, sich von anderen Schulen Inspiration zu holen (Z. 139), im Gespräch werden diese neuen Erfahrungen kontextualisiert und mit den eigenen Systemstrukturen verknüpft. Außerdem führt SL_07_OGU an, dass durch neue Kollegen und Kolleginnen, die an die Schule kommen, neuer Antrieb in das Kollegium gebracht wurde, der dazu führte, dass Veränderungsprozesse anliefen und vorangetrieben wurden (vgl. Z. 425 ff.). Die wichtigsten Anspruchsgruppen für SL_07_OGU sind (Abbildung 4.12): 1. Eltern 2. Schüler/-innen und ehemalige Schüler/-innen 3. Schulleitende von weiterführenden Schulen Die Umweltwahrnehmung von SL_07_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden. Falldarstellung 8 – SL 08 MGU SL_08_MGU gibt an, dass die Schule an sich keinen eigenen Schwerpunkt für die Schulentwicklung definiert habe, sondern die Ausrichtung, was thematisch in den Entwicklungsprozessen angegangen wird, von außen an die Schule herangetragen werde: „Es ist halt, was im Rahmen von der Neuen Mittelschule verlangt wird, SQA, innere/äußere Differenzierung, Kompetenzorientierung, Individualisierung. Also das Landläufige, das Übliche.“ (SL 8 MGU, Z. 7 ff.)
Die Quelle für die Themen ist dabei die „Schulaufsicht“ (SL 8 MGU, Z. 13). SL_08_MGU beschreibt die Veränderungen, die im Zuge der NeuenMittelschulreform an die Schule herangetragen wurden, z. B. die Aufhebung
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Abbildung 4.12 Übersicht Akteursgruppen SL_07_OGU (eigene Darstellung)
der Leistungsgruppen, als großen Wandel. Aus den Beschreibungen geht hervor, dass SL_08_MGU sich selbst kaum vorstellen kann, wie etwa eine innere Differenzierung möglich sein kann (vgl. Z. 91 ff.). SL_08_MGU beschreibt ebenfalls im Kontext der Reform, dass eine fehlende Unterstützung etwa seitens der Ausbildungsinstitutionen wahrnehmen werden konnte: „[...] Und bei den jungen Lehrern habe ich gesehen, dass sie das Rüstzeug von der Ausbildung her nicht mitbringen. [...], da habe ich oft gehört: „Wir haben auf der Hochschule eigentlich in der Richtung nichts gemacht“. (SL 8 MGU, Z. 108 ff.)
In einer Sequenz (SL 8 MGU, Z. 213 ff.) berichtet SL_08_MGU von einem Bildungstag, der seitens der Schulaufsicht geplant wurde und der als „nicht als erfolgreich“ eingeschätzt wurde. Das Thema hatte laut SL_08_MGU keinen Bezug zu den Entwicklungsthemen des Standorts. Durch diese Sequenz wird eine deutliche Unterscheidung zwischen innen und außen sichtbar. Auch die Anspruchsgruppe der Eltern wird von SL_08_MGU als Herausforderung beschrieben:
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„[...] Das ist mein Hauptwunsch, dass ich zwei- bis dreimal im Jahr die Eltern verpflichten könnte, zwei Stunden hereinzukommen, wo dann ich oder andere Lehrer oder irgendwelche Fachleute… aber was mich jetzt anbelangt, den Eltern einmal klipp und klar sage, „was ist Schule“. Was erwarten sich die Eltern von uns, aber was erwarten wir uns von den Eltern? Also ein gesellschaftliches Problem.“ (SL 8 MGU, Z. 295 ff.)
SL_08_MGU gibt im Interview an, seit jeher abzuwägen, welche Ansprüche verpflichtend seien und bei welchen es sich lediglich um Empfehlungen handle. Demnach werde dann auch das weitere Handeln am Schulstandort abgeleitet. „Oder mit PSI: ‚Müssen wir das machen, ist das notwendig, sollen wir noch abwarten?‘. ‚Was ist Pflicht?‘ Gerade mit dem Schulautonomiepaket zum Beispiel, wo wir gesagt haben wir im Haus, wir tun einmal jetzt nichts mit Schulzeiten oder Schulstunde, bleibt einmal gleich.“ (SL 8 MGU, Z. 568 f.)
Für SL_08_MGU ist es vor allem entscheidend, ob etwas gemacht werden muss, oder ob es sich um eine Empfehlung handelt: „Also die Frage ist: ‚Muss es gemacht werden?“‘ (SL 8 MGU, Z. 578)
SL_08_MGU beschreibt im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform die sich ergebenden Dilemmata bzw. die Genese des Umsetzungsszenarios: „Für mich ist das Konzept NMS vor 8 oder 9 Jahren, das hat eigentlich unheimlich gut geklungen. Voll begeistert, es war eine Aufbruchstimmung [...] Und dann sind viele dieser Fortbildungen eigentlich fehlgelaufen. Wir haben da Sachen gemacht, wo wir uns im Nachhinein gefragt haben: ,Wozu haben wir es gemacht?‘. [...]. Es ist für mich persönlich ein theoretisches Konzept, das entworfen worden ist von Theoretikern und das in der Praxis – und das stellt sich ja jetzt heraus – teilweise nicht so funktioniert wie sie sich das vorgestellt haben. [...] Es fehlt der Zeitraum der Evaluierung, das ist einfach dann viel zu schnell dann über uns alle darübergestülpt worden. [...] Knackpunkte, es ist [...] ja, viel zu schnell, viel zu wenig durchdacht und nicht richtig evaluiert.“ (SL 8 MGU, Z. 594 ff.)
SL_08_MGU gibt an, vor allem der Politik die Schuld für die Situation, in der sich die Schule zurzeit befinden würde, zu gebe. „Wir haben keine Ruhe mehr.“ (SL 8 MGU, Z. 659)
Trotz allem sieht SL_08_MGU durchaus auch Spielräume im System:
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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„In einem Satz gesagt, was von den Verordnungen, Gesetzen ist unbedingt einzuhalten und wo kann man das ein bisschen lockerer nehmen.“ (SL 8 MGU, Z. 772)
SL_08_MGU beschreibt im Zusammenhang mit der Qualitätsdimension „Kommunikation und Zusammenarbeit“ die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere geht sie/er dabei auf die veränderten Aufnahmemöglichkeiten in die gymnasiale Unterstufe ein und setzt diese in den Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform: „Irgendwo in einer Gewerkschaftszeitung war es drin, dass die Eltern uns halt vieles, was wir, was NMS ist, uns nicht mehr abnehmen. Man schaut, dass man die Kinder in die Gymnasien schickt. Und die eine Sache ist natürlich, Gymnasien werden immer mehr. Ich meine, es ist ganz logisch, je mehr Klassen ich eröffne, desto mehr Schüler kommen hinein. Das war vor 20 Jahren zum Beispiel noch anders, da war viel weniger. Erstens einmal waren viel mehr Schüler, zweitens waren viel weniger Gymnasialklassen, [...].“ (SL 8 MGU, Z. 950 ff.)
SL_08_MGU berichtet im Zusammenhang mit der Anspruchsgruppe Eltern einen „Mythos“ (Z. 1381). Der besage, dass der eine Standort weniger gut sei als ein anderer Mittelschulstandort. Mythen, die die Reputation einer Schule beeinflussen, seien, so gibt SL_08_MGU im Interview an, ein großes Problem. (vgl. SL 8 MGU, Z. 1405 ff.) In der Zusammenfassung wird die schulische Umwelt mit ihren unterschiedlichen Anspruchsgruppen als größtenteils beschränkend und für die Entwicklung hemmend beschrieben. Es werden von SL_08_MGU ausschließlich externe Akteursgruppen als wichtigste Anspruchsgruppen genannt: 1. Die Schulaufsicht 2. Die Eltern 3. Die Wirtschaft/Betriebe/Wirtschaftskammer Die Umweltwahrnehmung von SL_08_MGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden. Falldarstellung 9 – SL 09 OGU SL_09_OGU beschreibt die Ansprüche, die bestimmte Anspruchsgruppen stellen, weder als limitierend noch im Sinne eines Fundus. Am ehesten könnten die Aussagen von SL_09_OGU dahingehend interpretiert werden, dass „gesellschaftliche Regeln und Vorgaben“ aber auch historisch gewachsene Strukturen innerhalb der Schule die Organisation gestalteten. Diese Interpretation lässt sich etwa durch die
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Abbildung 4.13 Übersicht Akteursgruppen SL_08_MGU (eigene Darstellung)
Beschreibung des Einflusses ehemaliger SL der Schule stützen (SL 09 OGU, Z. 597 f.): „Woher kommt es? Aus unserer Vergangenheit, weil nämlich meine Vorgänger – Direktorvorgänger waren alles Mathematiker, [...] jetzt waren die Mathematiker in der Hierarchie immer ganz oben, außerdem haben [die ehemaligen Schulleiter den] [...] Mathematikern viele andere Fähigkeiten [zugesprochen]: organisatorisch, kreativ, technisch begabt [...] die haben ganz viele Begabungen, die kann man auch in mehreren Fächern einsetzten, weil sie teilweise auch mehrere Prüfungen haben und sie haben sonst viele Begabungen, die bei Veranstaltungen und so einfach dienlich sind. Jetzt waren die Mathematiker immer die führenden Persönlichkeiten hier, [...] man hat ihnen viel Verantwortung gegeben, viel Bühne [...].“ (SL 09 OGU, Z. 597 ff.)
Ferner durch Zuschreibungen, die SL_09_OGU gegenüber ausgewählten Anspruchsgruppen formuliert: „Na, die Eltern erwarten einfach, dass man auf sie und ihre Kinder eingeht, dass man ihre Sorgen und Nöte versteht, das ist glaube ich sehr wichtig für die Eltern.“ (SL 09 OGU, Z.714) „Weil die Eltern sehen das nie mit Kompetenzen verknüpft, bei den Eltern geht alles über Noten.“ (SL 09 OGU, Z. 65)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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„[....] die Schulerhalter, denen ist einfach das Gebäude wichtig und denen ist es wichtig, dass ihre Einwohner sagen, die Schule funktioniert gut, das ist denen einfach wichtig.“ (SL 09 OGU, Z. 515) „Die Erwartung der Schulaufsicht an mich? [...] Ja, dass ich das… also da geht es jetzt immer um die NMS-Entwicklung, gell, dass ich jetzt das, was z. B. auch vom ZLS kommt, das was sie also vorgeben, was wichtig für die NMS ist, dass ich das umsetze in der Schule mit meinem Team.“ (SL 09 OGU, Z.491-493).
Das so entstandene Bild der Schule ist geprägt von „traditionellen Bildern“, die durch vermeintliche Erwartungsformulierungen seitens SL_09_OGU beschrieben werden: „Zum Beispiel bei den Kompetenzen, auf die wir großen Wert legen: Ehrlichkeit, Höflichkeit, Verlässlichkeit.“ (SL 09 OGU, Z. 791). „[...] es alles ist in Ordnung und es ist sauber und die Lehrer passen auf und die Kinder sind gut erzogen.“ (SL 09 OGU, Z. 513, Rückmeldung zur Wahrnehmung des Schulerhalters)
SL_09_OGU charakterisiert die Schule als „konservativ“ (SL 09 OGU, Z. 531). Als zentrale Erwartungshaltung der institutionellen Umwelt an SL_09_OGU wird immer wieder das Lehren und Lernen betont, das müsse im Sinne eines guten Übergangs in die weiterführenden Schulen oder in den Lehrbetrieb „passen“. Auf diesen Aspekt wird an mehreren Stellen verwiesen (SL 09 OGU, Z. 29; Z. 360; Z. 803). Als wichtigste Gruppen werden im Interview 1. das Kollegium, 2. die Schulaufsicht und 3. die weiterführenden Schulen genannt. Die Umweltwahrnehmung von SL_09_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (inkorporiertes Verständnis) beschrieben werden. Falldarstellung 10 – SL 10 MGU Von SL_10_MGU wird die Umwelt als vielschichtig beschrieben – vor allem liefert die institutionelle Umwelt Rückmeldung über „den Ertrag des Unterrichts“ (Z. 42). Dies können Eltern sein, aber auch andere Akteure – hier bleibt SL_10_MGU vage (Z. 41 ff.). Nichtsdestoweniger ist diese Rückmeldung Ausgangspunkt für entsprechende Änderungen: „[…] irgendwo in einem
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Abbildung 4.14 Übersicht Akteursgruppen SL_09_OGU (eigene Darstellung)
Fach irgendwas nicht passt, dann [ist] das natürlich, da ist dem nachzugehen.“ (SL_10_MGU, Z. 49 f.) SL_10_MGU gibt im Interview an, dass die Ansprüche, die an sie/ihn seitens der Umwelt gestellt werden, unterschiedlichen Charakter hätten – handelt es sich bei den Ansprüchen um Gesetze, so sei diesen Folge zu leisten, handelt es sich um Empfehlungen, so müsse sehr genau abgewogen werden, welchen Mehrwert der Schulstandort dadurch hätte bzw. welchen Mehraufwand eine Veränderung hervorrufen würde (vgl. Z. 423 ff.). Neue Gesetze sind zu befolgen: „Und bitte dann deutlich sagen bei diesen Konferenzen: Das ist Gesetz. Bitte, da braucht man nicht drüber reden.“ (SL 10 MGU, Z. 494)
SL_10_MGU beschreibt, dass, wenn die Empfehlungen der Schulaufsicht nicht beachtet, man einiges an Gegenwind erlebe: „Von anderen Schulen. Von der Schulaufsicht. Ja. Aber das halte ich leicht aus.“ (Z. 556). In dieser Passage wird deutlich, dass SL_10_MGU nach eigenen Logiken entscheidet – das Verständnis der Umwelt ist ebenfalls mehr jenes eines Fundus als jenes eines rigiden Vorgabekorsetts.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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Prinzipiell, so die Angaben von SL_10_MGU spiele die Schulaufsicht keine große Rolle: „Also, Schulaufsicht – ist null“ (SL 10 MGU, Z. 75)
SL_10_MGU führt aus, dass vor allem interne Teams für die eigene Orientierung wichtig seien. SL_10_MGU beschreibt im Zuge eines Bauvorhabens die Beziehungsgestaltung zwischen Schule und Gemeinde als schwierig, da beide Institutionen unterschiedliche Fokusse hätten: Das ist schwierig, ganz schwierig. Weil, für mich jetzt weniger, weil ich über Jahrzehnte mit den Gemeinden zu tun habe. Das weiß ich schon, worauf ich aufpassen muss. Und wo ich weiß, da komm ich nicht weiter. Aber im Zuge des Umbaus natürlich haben wir auch Lehrpersonen gehabt, die mit in Gemeindeversammlungen waren usw. Da gelingt es nicht gut. Weil natürlich die Gemeindevertreter leider andere Interessen haben als Lehrpersonen. Wir haben das pädagogische und die Schüler/-innen im Fokus. Und die Gemeinde hat das Geld im Fokus. Eindeutig. Da zählen nur die Euros. Ja. Mit dem muss man lernen umzugehen.“ (SL 10 MGU, Z. 693 ff.)
Eine entscheidende Anspruchsgruppe sind für SL_10_MGU die weiterführenden Schulen. Dabei zeigt sich deutlich, dass SL_10_MGU große Unterschiede in der Wertigkeit der Rückmeldungen aus weiterführenden Schulen macht. Vor allem die Rückmeldungen der HTL und der HAK sind relevant, Rückmeldungen aus anderen weiterführenden Schulen werden weniger hervorgehoben (vgl. Z. 909 ff., 957 ff.). „Wir haben in den letzten Jahren viele Gespräche geführt mit weiterführenden Schulen. Die haben uns dann rückgemeldet, wo sie Wünsche hätten. Wir haben das dann auch befolgt.“ (SL 10 MGU, Z. 80 f.)
Grundsätzlich wurden seitens SL_10_MGU wenig unterschiedliche Akteursgruppen genannt. Bei der Frage nach der Außenwirkung gibt SL_10_MGU fast immer zwei Gruppen an – die Schüler/-innen und die Eltern: „Wieder für unsere Klientel. Eltern und Schüler.“ (SL 10 MGU, Z. 582) Es wird angegeben, dass die drei wichtigsten Anspruchsgruppen die folgenden sind (vgl. Z. 1197):
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1. Eltern 2. Schüler 3. weiterführende Schule Die Umweltwahrnehmung von SL_03_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.
Abbildung 4.15 Übersicht Akteursgruppen SL_10_MGU (eigene Darstellung)
Falldarstellung 11 – SL 11 MGU Bereits die Darstellung der genannten Akteursgruppen verdeutlicht, dass SL_11_MGU viele unterschiedliche Gruppen in der schulischen Umwelt wahrnimmt. Dabei wird neben einer grundsätzlich positiven Einstellung zu den Kooperationsmöglichkeiten auch eine Überforderung durch die vielen unterschiedlichen Ansprüche beschrieben: „[...] weil einfach die Menge zu viel ist. Ich habe ganz lang gebraucht, mich zu orientieren, von wem kommt es, hat es eine unterschiedliche Wertigkeit [...]“ (SL 11 MGU, Z.241)
Besonders in der Darstellung des Verhältnisses zu den Schulerhaltern wird sichtbar, wo die institutionelle Umwelt für SL_11_MGU als Limitation erfahrbar wird.
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„[...] mehr Interesse würde ich mir auf alle Fälle vorstellen, ich hab sie eingeladen teilzunehmen, [...], dass sie mitfahren, [...] keine Rückmeldung von irgendjemandem aus den sechs Gemeinden. Ich hätte sie jetzt wieder eingeladen, [...] sich einmal ein Bild zu machen. Ich kann eigentlich nichts entscheiden – so habe ich es versucht rüber zu bringen – wo ich mir nicht selbst ein Bild vor Ort mache - keiner schaut in die Schule hinein.“ (Z. 567 ff.)
Auch wird bemängelt, dass die Anspruchsgruppe der Schulerhalter zwar bestimmte Ansprüche stellt, SL_11_MGU im Ort jedoch in anderen Belangen wenig Mitspracherecht eingeräumt wird (vgl. Z. 669 ff.). Auch die abschließende Bemerkung, was die Aufgabe der Schulleitung sei, lässt Rückschlüsse auf das Verständnis und die Ansprüche der Umwelt zu: „Und dann bin ich aber auch fehl am Platz, es ist die Aufgabe der PSI und meine Aufgabe als Schulleiter/-in [das NMS-Konzept umzusetzen] und wenn ich das nicht mache, dann bin ich da eigentlich fehl am Platz.“ (Z. 816 ff.)
Im Qualitätsbereich Kommunikation und Zusammenarbeit werden von SL_11_MGU viele unterschiedliche Gruppen genannt – dies wird wie folgt begründet: „Wer für mich der Wichtigste ist? Ich kann nur sagen, für mich sind diese 4 oder 5 Organisationen irrsinnig hilfreich in der NMS-Entwicklung.“ (Z. 421) „[...] Schlussendlich müsste ich mich aufgrund meiner Dienstpflichten nach der Schulaufsicht richten.“(Z. 429 f.)
Die Schulaufsicht spielt in der institutionellen Umwelt eine maßgebliche Rolle (vgl. Z. 325). Durch die Beschreibungen von SL_11_MGU wird jedoch auch klar, dass die Vorgaben nicht als „top-down“-Verordnung wahrgenommen werden, sondern als „Stütze und Orientierung“ (ebd.), was wiederum eher auf ein Verständnis der Umwelt als Ermöglichungsraum hindeutet. Für SL_11_MGU sind außerdem die Lehrpersonen mit besonderer Funktion eine weitere wichtige Quelle für Austausch (vgl. 59; 297) „Ja. Lerndesigner haben für mich da auch wieder ganz eine wichtige Rolle. Weil die sind professionalisiert.“ (Z. 348 ff.)
Die Nennung der drei wichtigsten Anspruchsgruppen deckt sich mit den Aussagen im Interview (Abbildung 4.16).
220
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
1. Schulaufsicht 2. Schulentwicklungsteam (SET-Team) 3. Fort- und Weiterbildner/-innen/ Entwicklungsbegleitung Die Umweltwahrnehmung von SL_11_MGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis zum Teil jedoch auch inkorporiertes Verständnis) beschrieben werden.
Abbildung 4.16 Übersicht Akteursgruppen SL_11_MGU (eigene Darstellung)
Nach der Betrachtung aller Fälle kann zusammenfassend Folgendes festgehalten werden: Die Nennung der Akteursgruppen der institutionellen Umwelten und die Wahrnehmung des Umwelt-Organisations-Verständnisses unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander. Dabei besteht die Unterschiedlichkeit nicht nur in der rein quantitativen Nennung der Akteure, sondern auch in der wiederkehrenden Nennung sowie der institutionellen Zuordenbarkeit der genannten Gruppen. Während einige SL ihre institutionelle Umwelt durch häufige Nennung interner Akteursgruppen charakterisieren (vgl. SL_10, SL_9, z. T. SL_04),
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
221
werden in anderen Beschreibungen vielfach externe Akteursgruppen mit pädagogischen Hintergründen (Fort- und Weiterbildung, Entwicklungsbegleitung, andere SL sowie Fachexperten und -expertinnen bzw. Fachliteratur) genannt (vgl. SL_03, SL_05 und SL_07). Als interne Bezugsakteure wurden häufig Lehrpersonen mit besonderer Funktion benannt. Die häufigste Funktion, die dabei erwähnt wurde, war jene der Lerndesignerin/ des Lerndesigners, gefolgt von SQA-Beauftragten und Lehrpersonen, die eine bestimmte Zusatzqualifikation vorweisen konnten bzw. als Fachvorstände/Fachvorständinnen14 agierten. Gerade im Zuge von Schulentwicklungsprozessen wurden diese Akteursgruppen häufig genannt. Die Falldarstellungen SL_04, SL_06 und SL_11 weisen überdies eine hohe Anzahl an Nennungen im Qualitätsbereich Zusammenarbeit und Kommunikation auf – hier wird eine Vielzahl an externen Akteursgruppen genannt. Alle SL nannten die Schulaufsicht als Akteur. In der Detailbetrachtung konnte jedoch deutlich unterschieden werden, welche Rolle die Schulaufsicht – hier gemeint in Form der Pflichtschulinspektorin/des Pflichtschulinspektors (PSI) – in der institutionellen Umwelt der Schulleitenden einnimmt (unterstützend/ermöglichend oder vorgebend/anweisend). Auf diesen Aspekt wird in der der vertieften Analyse der kontrastiven Falldarstellung weiter eingegangen. Eine weitere Akteursgruppe, die von allen Schulleitenden genannt wurde, waren die Eltern. Die Nennung dieser Akteursgruppe erfolgte vor allem auf die Frage, welche Akteursgruppe in den entsprechenden Qualitätsbereichen für die Außenwirkung der Schule besonders relevant sei. Damit lässt sich auch in der nachfolgenden Einzelanalyse der Qualitätsbereiche der hohe Wert der Akteursgruppe Eltern erklären. Die explizite Nennung von Fachexperten und -expertinnen erfolgte in vier Fällen (SL_01, SL_03, SL_04, SL_05). In Tabelle 4.2 erfolgt noch einmal eine Gesamtübersicht über alle als direkte Anspruchsgruppen definierten Akteursgruppen, die jeweils am Ende der Interviews von den Schulleitenden als die drei bzw. vier wichtigsten Akteursgruppen genannt wurden. Im Überblick zeigt sich, dass insgesamt sechs der elf Leitenden angaben, dass die Schulaufsicht sowie die beiden Gruppen „Schüler/-innen“ und „Eltern“ relevante Anspruchsgruppen seien. Insgesamt fünf Mal wurden die „weiterführenden Schulen“ genannt und „Lehrpersonen mit besonderer Funktion“ erhielten in Summe vier Nennungen.
14
Keine offizielle Funktion im APS-Bereich.
5
6
6
2
4
SUMME
SL_11_MGU
SL_10_MGU
1
SL_09_OGU
SL_08_MGU
SL_07_OGU
SL_06_MGU
SL_05_OGU
SL_04_MGU
SL_03_OGU
SL_02_MGU
6
3
1
4
SL_01_OGU
Schulleitende Literatur Weiter-führende Eltern Schüler/-innen Kollegium Lehrpersonen Schulaufsicht Fort- und andere Schulen mit Weiter-bildung Schulleiter/-innen besonderer Funktion
Tabelle 4.2 Übersicht über die drei relevanten Anspruchsgruppen aller Schulleitenden (eigene Darstellung)
222 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
4.2.2
223
Strategien zur Wahrnehmung (Dimension „wahrnehmen“)
Mit der Darstellung der institutionellen Umwelten, wie sie von den SL wahrgenommen und durch die Nennung einzelner Akteursgruppen beschrieben werden konnten, wurde bereits ein erster Prozess der Wahrnehmung dargestellt. Die Wahrnehmung und Beschreibung der Akteursgruppen hat Auswirkungen auf die weiteren Entscheidungen, die im Zusammenhang mit Schulentwicklungsvorhaben getroffen werden. Eine entscheidende Frage dabei ist, auf welche Weise bzw. mit welchen Strategien SL ihre institutionelle Umwelt wahrnehmen. Dabei konnten unterschiedliche Zugangsweisen resp. Instrumente aus den Interviews herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden die Befunde entlang des entwickelten Kategorienschemas dargestellt. Die Reihenfolge der Strategien ist nicht gleichzusetzen mit der Häufigkeit der Nennung. Alle Strategien verstehen Wahrnehmen in der Absicht, Informationen über Erwartungen, die an die SL bzw. die Standorte gerichtet werden, zu erhalten. Die Wahrnehmungsstrategien lassen sich entlang unterschiedlicher Achsen beschreiben. Eine Achse vollzieht sich zwischen „strukturiert“ und „unstrukturiert“. Beispielsweise gaben die SL an, dass Ansprüche in Form von institutionalisierten Prozessen an sie herangetragen werden. Dies geschieht etwa durch Erlässe und neue Gesetze, die den SL über den Dienstweg kommuniziert werden. Auch durch die verpflichtende Teilnahme an SL-Konferenzen erfahren die Leitenden Neues. Auf der anderen Seite gibt es Situationen, in denen die SL mit Informationen konfrontiert werden, auf die sie nicht vorbereitet sind. Dies kann z. B. in Form von Medienberichten geschehen, in denen SL von Ansprüchen erfahren, die sie und ihren Standort betreffen. Eine weitere Achse beschreibt die Spannungspole zwischen intendierter Wahrnehmung und ad- hoc-Beobachtungen. In den Interviews wurden Wahrnehmungsstrategien beschrieben, bei denen die Schulleitenden gezielt Unterrichtsbesuche durchführten und formale Entwicklungsgespräche mit Lehrenden ihres Schulstandortes abhielten. Auf der anderen Seite berichteten die Interviewten von spontanen Gesprächen im Kaffeezimmer sowie von Beobachtungen, die sich auf ihrem Weg durch das Schulhaus ergaben. In beiden Fällen bilden sich die Strategien in der Kategorie „persönlicher Kontakt“ ab. Die dritte Achse lässt sich als Spannungspaar zwischen punktueller und universeller Wahrnehmung beschreiben. Dabei ist gemeint, dass die Schulleitenden, je nachdem, welche Akteursgruppe für sie von besonderer Bedeutung ist, mehr oder weniger sensibel auf deren Anliegen bzw. Rückmeldungen reagieren. Ein
224
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Beispiel hierfür ist das Wahrnehmen über das Weiterkommen der ehemaligen SL. Jene SL, die die weiterführenden Schulen als besonders relevante Akteursgruppe beschrieben haben, gaben auch in ihren Wahrnehmungsbeschreibungen an, sich regelmäßig darüber zu informieren, wie es den ehemaligen Schüler/-innen an den weiterführenden Schulen ergeht. Bei jenen Schulleitenden, bei denen eine wenig ausdifferenzierte Akteurslandschaft zu verzeichnen war, konnten eher punktuelle Wahrnehmungsstrategien aufgezeigt werden (vgl. SL_10_MGU; SL_06_MGU), wohingegen bei Schulleitende, die eine breite Varianz an Akteursgruppen vorwiesen (vgl. SL_03_OGU, SL_02_MGU, SL_07_OGU, SL_11_MGU), auch die Wahrnehmungsaspekte einen universelleren Charakter hatten. Eine letzte Achse lässt sich zwischen nach innen und nach außen gerichteter Wahrnehmung bilden. Diese Achse zeigt sich in den Kategorien „externes Feedback“ und „internes Feedback“. Dabei konnten aus den Interviews unterschiedliche Orientierungspunkte bzw. Marker für die Wahrnehmung herausgearbeitet werden. Während für einige Schulleitende vor allem externe Rückmeldungen besondere Bedeutung hatten und sich die Wahrnehmung vor allem auf diese Akteursgruppen richtete, gaben andere Leitende an, vor allem nach innen gerichtet hinzuspüren (i.S. von sensing), um zu schauen, was gefordert bzw. gewünscht wird. Hinsichtlich der zur Unterstützung der Wahrnehmung herangezogenen Instrumente wurden markante Unterschiede erkennbar: Während einige SL selbst Umfragen in Form von Fragebögen konzipierten (SL_01_OGU, SL_07_OGU), griffen andere auf bereits existierende Evaluationsinstrumente zurück (SL_02_MGU, SL_11_MGU). Wieder andere SL nutzten keinerlei Instrumente, um von den für sie relevanten Anspruchsgruppen Informationen zu erhalten (SL_10_MGU). Vielfach lassen sich durch das Wahrnehmen nicht direkt Erwartungshaltungen ableiten; dies geschieht durch zusätzliche Prozesse wie etwa Reflexionen oder Vergleiche. Diese beiden Kategorien lassen sich keiner Achse zuordnen. Eine besondere Strategie soll zuletzt noch herausgegriffen werden, da sie vor allem im Zusammenhang mit den weiterführenden Schulen aufschien: die Strategie der Zuschreibung. Obwohl viele Standorte angeben, keinen Austausch mit den weiterführenden Schulen bzgl. pädagogischer Themen zu pflegen, so wird doch vielfach angenommen, dass bestimmte Inhalte und didaktische Methoden seitens dieser Akteursgruppe erwartet werden. Diese Form der Wahrnehmung hat Auswirkungen auf die sich darauf stützenden responsiven Handlungen in der Schulentwicklung. Die folgende Tabelle 4.3 zeigt aus Sicht der befragten Schulleitenden Ausgangspunkte und Prozesse der Wahrnehmung. Die Kategorien werden mit Zitaten, die aus den empirischen Daten exzerpiert wurden, unterlegt.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
225
Tabelle 4.3 Kategorien und Unterkategorien zu Strategien und Wahrnehmungen Vorgaben und Empfehlungen Gesetze und Erlässe
„Dann lese ich mir auch ganz gern durch was politisch beschlossen worden ist. Parlamentsseite.“ (SL 08 MGU, Z. 569 f.) „Also. Von. (ah) Da gibt es ja diese tollen Verordnungsblätter, wo nachher die ganzen Neuerungen aufgelistet sind.“ (SL 07 OGU, Z. 762)
Rundschreiben
„Teilweise von diesen offiziellen Stellen, nicht? […]. Oder diese Gewerkschaftsrundschreiben.“ (SL 07 OGU, Z. 762)
E-Mail von Vorgesetzten
„[…] das kriegt man ja grundsätzlich durch verschiedene Mails von der Abteilung Bildung.“ (SL 08 MGU, Z. 568 f.)
SL-Konferenzen
„Im Rahmen von Direktorenkonferenzen was eben vom LSI und von der PSI da vereinbart wurde.“ (SL 08 MGU, Z 38 f.)
Erfolg ehemaliger Schüler/-innen Noten
„Kinder wenn sie dann unsere Schule verlassen, in den ersten Jahren positiv sind in den anderen Schulen.“ (SL 09 OGU, Z. 87 f.) „Also. Ich habe bisher von keinem gehört, der abbrechen musste.“ (SL 05 OGU, Z. 855)
Verhalten
„Eines muss ich sagen. Von Eurer Schule habt Ihr immer ordentliche Leute geschickt, […].“ (SL 05 OGU, Z. 1530)
Medien / Berichterstattung Zeitung / TV
„Einmal grundsätzlich über die Medien, Zeitung sehr oft leider.“ (SL 08 MGU, Z. 556 f.)
Vergleiche Schulbesuche
„[…] wir haben damals die Hauptschule XX besucht unten in Salzburg und haben das erste Mal sowas gesehen.“ (SL 03 OGU, Z. 50 ff.) „[…] also verschiedene Schulen uns anschauen, die Wahlpflichtfächern haben.“ (SL 11 MGU, Z. 273) (Fortsetzung)
226
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Tabelle 4.3 (Fortsetzung) Empfehlungen anderer SL
„[…] das NMS-Direktorenteam. Die schätze ich schon sehr. Naja, wenn wir uns gegenseitig motivieren, wenn wir uns gegenseitig besprechen, […].“ (SL 09 MGU, Z. 196 f.)
Fort- und Weiterbildungen
„Die NMS Vernetzungsseite bietet ja sehr viel an Materialien, das ist praktisch ein Ozean.“ (SL 05 OGU, Z. 19 f.)
Artefakte
„wir holen uns Schularbeiten von Fünftklässlern.“ (SL 09 OGU, Z. 450)
Fachliteratur
„Also daran orientier ich mich einerseits eben an der Szene also Bildungsbericht und andererseits an den, ah Felix Winter und Thorsten Bohl […].“ (SL 03 OGU, Z. 1479 f.) „[…] dass die Theorie einfach ganz eine große Rolle spielen sollte, dass wir das Rad nicht immer neu erfinden müssen.“ (SL 04 MGU, Z. 1518 ff.)
Externe Daten, Evaluationsergebnisse und Feedback Daten aus den BISt-Testungen
„Also die BISTA Testung zum Beispiel. Diesen Inhalt, haben wir den? Sind wir da wirklich nicht so gut.“ (SL 09 OGU, Z. 107 f.)
Feedback durch andere SL
„Wir reden mit diesen Referenten. Fragen sie nach den Bedürfnissen, nach dem Abschneiden unserer Schüler. Was können sie? Wo bestehen sie? Wo bestehen sie nicht? Oder wo liegen die Probleme? Also, das ist für uns eigentlich jedes Jahr eine konstante Rückmeldung auch.“ (SL 10 MGU, Z. 155)
Rückmeldung durch Schulentwickler/-innen
„Die mach ich ganz viel mit dem X, die mach ich mit dem Y, mit meinem Stellvertreter. Dann immer wieder mit der/dem Lerndesigner/-in auch, die ist […]. Ja und die Frage ist immer, was funktioniert, was funktioniert nicht in dem Sinn wie ich es gern möchte.“ (SL 03 OGU, Z. 126 f.)
Rückmeldungen durch Erziehungsberechtigte
„[…] eine Elternbefragung.“ (SL 01 OGU, Z. 1166)
Rückmeldungen durch die Schulaufsicht „Wir tauschen uns aus, welchen Eindruck [sie/er] hat und… Das ist für mich schon ein großer Gradmesser.“ (SL 04 MGU, Z. 429 ff.) (Fortsetzung)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
227
Tabelle 4.3 (Fortsetzung) Rückmeldung durch Partner/-in
„Ich rede jetzt ganz viel mit [meinem Ehepartner/-in]. [Die/der] kommt nämlich aus der Wirtschaft.“ (SL 07 OGU, Z. 463 f.)
Interne Daten, Evaluationsergebnisse und Feedback Daten aus Umfragen
„[…] noch eine ganz wesentliche Rolle spielt, das sagt auch der Fragebogen, […].“ (SL 11 MGU, Z. 616)
Rückmeldungen von Lehrpersonen mit besonderer Funktion
„Ja. Lerndesigner hat für mich da auch wieder ganz eine wichtige Rolle. Weil die sind professionalisiert.“ (SL 11 MGU, Z. 354 f.)
Rückmeldung aus dem Kollegium
„Da haben wir auch Ideen, diese Idee ist von einer Kollegin gekommen. Die hab‘ ich super gefunden, die werden wir auch in diesem Schuljahr machen.“ (SL 11 MGU, Z.494 f.) „Das sind die Indikatoren sind dann sicherlich die Aussagen von Lehrerinnen und Lehrern.“ (SL 02 MGU, Z. 1200 f.) „Die Lehrer sagen das und das funktioniert nicht, das funktioniert gut.“ (SL 08 MGU, Z. 1259 f.)
Rückmeldungen von Schüler/-innen
„Dass sie einfach auch das äußern, dass sie gerne in die Schule gehen.“ SL 07 OGU, Z. 665
Informelle Kompetenz Messungen (IKM)
„IKM nehmen wir sehr genau. Gilt als, als Unterrichtskontrolle. Wo fehlt´s? Das ist ganz wertvoll natürlich.“ (SL 10 MGU, Z.1163
Daten aus weiteren standardisierten Rückmeldeinstrumenten (z. B. SQ A-online)
„Ich selber bin keine Datenfan, ganz ehrlich für mich eine von den wichtigsten Umfragen war SQA Online, weil da vor allem auch da geht es vor allem auch wie sehen Kinder auch die gesamte Schule das ist ein sehr umfangreiches Bild.“ (SL 02 MGU, Z. 1168 ff.)
4.2.3
Beschreibung der wahrgenommen Akteursgruppen (Dimension „wahrnehmen“)
Um auf die einzelnen Akteure noch einmal gesondert eingehen zu können, folgt im Anschluss eine graphische Darstellung der Verteilung der Nennung der Akteursgruppen innerhalb der im episodischen Interviewformat abgefragten sechs Qualitätsbereiche. Die graphische Darstellung wurde gewählt, da die unterschiedliche Schwerpunktsetzung in den Bereichen dadurch besonders gut zum
228
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Ausdruck gebracht werden kann. Ergänzend zu den Darstellungen erfolgt eine, durch ausgewählte Zitate unterstützte, Zusammenfassung der Ergebnisse. Dabei werden die genannten Akteure in ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen präsentiert. Die Unterteilung der Akteursgruppen geschieht wie folgt: interne Gruppe (Selbstbezug, Schüler/-innen, Kollegium, Lehrpersonen besonderer Funktion (LP mit besonderer Funktion), Schulentwicklungsteam (SE-Team), Vorgänger/-innen, Schulwart, Freizeitpädagogen/-pädagoginnen), semi-interne Gruppe (Schulforum, Eltern, Schulaufsicht, Schulpsychologie, Schulsozialarbeiter/-innen, Mitarbeiter/innen des Pädagogischen Beratungszentrums (PBZ)) semi-intern ohne pädagogischen Bezug (Schulärztin /-arzt, Abteilung Bildung (Juristinnen/Juristen und Sachbearbeiter/-innen), Schulerhalter, externe Gruppe mit pädagogischem Bezug (Fachexperten/-expertinnen/ Literatur, Fort- und Weiterbildner/-innen, Schulentwickler/-innen, andere Schulleiter/-innen, Vertreter/-innen anderer Schulen, Vertreter/-innen weiterführender Schulen, Volksschulvertreter/-innen, Bundesinstitut für Innovation und Entwicklung (BIFIE), externe Gruppe ohne pädagogischen Bezug (Wirtschaft, Gemeinde, Vereine, Pfarrer, Medien, private Kontakte, Statistiken, Politik). Da die Akteursgruppen, die genannt werden, nicht mit Anspruchsgruppen gleichzusetzen sind, wird für die Beschreibung der Qualitätsbereiche der neutralere Begriff „Akteursgruppe“ gewählt. Qualitätsbereich 1
Q1 - Lernen und Lehren
Selbstbezug Schüler/-innen Kollegium LP mit Funkon SET-Team Vorgänger Freizeitpädagogen Schulforum Eltern Schulaufsicht Schulsozialarbeit Schulärzn Abteilung Bildung ehemalige Schüler/-innen Abteilung Bildung… Schulwart PBZ Schulerhalter Fachexperten/Literatur Fort- und Weiterbildung Schulentwickler/-innen andere Schulleiter/-innen andere Schulen weiterführende Schulen Volkkschulen BIFIE Wirtscha Gemeinde Vereine Pfarrer Medien private Kontakte Stasken Polik
8 7 6 5 4 3 2 1 0
Abbildung 4.17 Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 1 (eigene Darstellung)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
229
Für den Qualitätsbereich Lernen und Lehren kristallisiert sich sowohl in der Gruppe der schulinternen Akteure, der semi-internen Gruppe (Schulaufsicht) als auch der externen Gruppe mit pädagogischem Bezug (Fort- und Weiterbildner/innen) eine Mehrfachnennung heraus (Abbildung 4.17). In der Gruppe der internen Akteure spielen vor allem Lehrpersonen mit besonderer Funktion eine besondere Rolle – allen voran die/der Lerndesigner/-in (LD). Dabei handelt es sich um eine Funktion, der mit dem Roll-Out-Prozess der Neuen Mittelschule eine besondere Aufgabe zuteilwurde. Lerndesigner/-innen nahmen gemeinsam mit den SL an bundesweiten Treffen teil, bei denen beide umfangreich (über 1,5 Jahre hinweg) mit dem neuen pädagogischen Konzept vertraut gemacht wurden15 . Angedacht als Multiplikator/-innen, verantworteten die Lerndesigner/-innen qua ihrer neuen Funktion die Begleitung der Transformationsprozesse hin zu den neuen pädagogischen Konzepten der Neuen Mittelschule an den Schulstandorten mit. Dabei wird diese Rolle in den Interviews unterschiedlich wahrgenommen. Zum einen als „Sparringpartner/-in“, aber vielfach auch als „Inputgebende/-r“. Lerndesigner/-in als Unterstützung und Sparringpartner/-in: „Das muss ich jetzt wirklich sagen, das bestimme ich und ich hole mir da natürlich teilweise schon meine/-n Lerndesigner/-in und erklär ihr/ihm das, was ich da bei der Konferenz will und diesen Part übernimmt sie/er dann[...]“ (SL 01 OGU, Z. 49) „Dann ist für mich mein/-e Lerndesigner/-in eine ganz starke Ansprechperson. Dann überlegen wir uns, was wäre in welcher Reihenfolge in der Schule umsetzbar, und wie bringen wir es zu den Lehrern. Dann meistens eine Konferenz, und da wird es vorgestellt, und dann schauen wir wie wir das umsetzen. Das ist so der Weg.“ (SL 04 MGU, Z. 1536 ff.) „Das sagt mir eigentlich nur (ah) die/der Lerndesigner/-in manchmal: Das musst du. Da müssten wir noch was machen. (ah).“ (SL 05 OGU, Z.690) „Und nachher (ah) hole ich mir die Koordinatoren, oder meine/-n SQA, oder meine/n Lerndesigner/-in einfach in der Konferenz, ähnlich einer Kurzkonferenz zusammen und dann besprechen wir das.“ (SL 07 OGU, Z. 429 f.) „[...] Immer wenn sie/er dann wieder, wenn sie/er – sie/er ist ja momentan in Ausbildung und da können wir dann über das reden – sie/er wieder Neues erfahren hat oder da wo wir der Meinung sind, da sind wir noch nicht so weit, da müssen wir wieder ein
15
Lerndesigner/-innen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt diese Funktion übernahmen, hatten die Möglichkeit an einer späteren Kohorte teilzunehmen bzw. wurden in den Schuljahren 2017/18 von der Pädagogischen Hochschule Tirol im Zuge des Lehrgangs „lernwirksame Praxis“ ausgebildet.
230
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
bisschen mehr dahinter sein, da ist die/der Lerndesigner/-in für mich ganz wichtig.“ (SL 09 OGU, Z. 331)
Lerndesigner/-in als Inputgebende/-r „Also schulintern kommen sie von dem/der Lerndesigner/-in […]“ (SL 04 MGU, Z. 135) „Dass ich den einzelnen Lehrern, die Fortbildungen gegangen sind, den Auftrag gebe, sie sollen das, was wichtig war und was in den Unterricht einfließen kann, den Kolleginnen und Kollegen weitergeben.“ (SL 08 OGUZ. 262) „Die wichtige Rolle hat einmal die/der Lerndesigner/-in“ (SL 02 MGU, Z .241)
Die beiden weiteren Gruppen, die im Zusammenhang mit Lernen und Lehren häufig genannt wurde, sind die Eltern und die Schulaufsicht. Zu der Akteursgruppe Eltern kann festgehalten werden, dass meist bei der letzten Frage – „Welchen Stellenwert hat diese Qualitätsdimension für die Außenwirkung?“ – die Antwort kam: „Einen hohen Stellenwert“. Auf die vertiefte Frage “Für welche Anspruchsgruppe?“ war die Antwort: „Für die Eltern“. Die Nennung dieser Gruppe erfolgte nur im Zusammenhang mit der Außenwahrnehmung – nicht in direktem Zusammenhang mit der Qualitätsdimension. Die Ergebnisse für die Schulaufsicht beziehen sich in erster Linie auf die/den Pflichtschulinspektor/in (PSI) des Bezirks. Vor allem, da diese/-r in der Qualitätsdimension „Lernen und Lehren“, bedingt durch die Entwicklungsziele auf Bundes- und Landesebene, starke Akzente auf regionaler Ebene gesetzt hat. Auch dabei differiert die Wahrnehmung der Akteursgruppe deutlich. Zum Teil wird diese Akteursgruppe auch ambivalent betrachtet, als Gruppe, die Vorgesetzte, aber gleichzeitig auch als „unterstützende Institution“. Schulaufsichtsvertreter/-innen als Unterstützung „Ich sehe die Schulaufsicht wirklich als Unterstützung, um eine gute Schule zu sein. Erstens bei den Entwicklungsplänen: Sind wir, sind wir richtig unterwegs? Welche nächsten Entwicklungsschritte müssen gesetzt werden. (SL 11 MGU, Z. 314 ff.) „Ja, die muss mir ja auch Orientierung geben. Also aus meiner Sicht. Sie gibt mir absolut… Sie gibt mir Stärke und Orientierung“ (SL 11 MGU, Z. 325 f.) „Ja das ist auch interessant, weil die Schulaufsicht, die vorgehende, war für mich überhaupt nicht relevant, [...]. Mit der [jetzigen] kann ich gut und da hat ‘s auch eine Bedeutung gekriegt. [...].“ (SL 03 OGU, Z. 367) „Ich empfinde [sie/ihn] als wertschätzend und große Hilfe.“ (SL 04 MGU, Z. 431 f.)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
231
„Ist ein starker Partner, der uns Schulleiter sehr stützt.“ (SL 04 MGU, Z. 846) „Die Schulaufsicht ist momentan eher so involviert, dass wir bei den Direktorenkonferenzen einfach immer wieder darauf hingewiesen werden, was wichtig ist, worauf wir schauen sollen.“ (SL 07 OGU, Z. 109)
Schulaufsichtsvertreter/-innen als Vorgebende/-r „Schulaufsicht – weil das einfach ein MUSS ist und für mich eine gute Orientierung“ (SL_11_MGU, Z. 825) „Es kommt hie und da was daher. Und man merkt dann schon, ob es wichtig war oder nicht. [...] Dann weiß man: Okay, jetzt wird es wichtig, wenn sie das Thema aufgreifen. Aber ich täte schon sagen, im Schnitt kommen Reformen, die durchgezogen werden sollen, von der Schulaufsicht.“ (SL 05 OGU, Z. 925 ff.) „Da ist wirklich eine Hierarchie, so eine Maschinerie in Gang gekommen. Nicht? Die Ausdrücke IST, BIS ZUM, IST ZU, das hat man früher nicht so gehört. Wie soll man denn sagen? Deshalb ist man bei den Lehrern auf Widerstand gestoßen. Nicht? AB SOFORT IST ZU.“ (SL 05 OGU, Z. 1173)
Im Bereich der Akteure aus dem Bereich „extern mit pädagogischem Bezug“ sind zwei Gruppen in dieser Dimension hervorzugeben. Dies sind zum einen die Fachexpert/-innen und zum anderen die Fort- und Weiterbildner/-innen. Fachexpert–/-innen wurden insgesamt von sechs SL genannt, wobei vor allem SL_03_OGU (vgl. Z. 15, 393, 75) diese Gruppe als besonders relevant betrachtete. „Also daran orientiere ich mich einerseits eben an der Szene also Bildungsbericht und andererseits an den, ah Felix Winter und Thorsten Bohl [...]“ (SL 03 OGU, Z. 75 ff.)
Die zweite häufig genannte Gruppe in dieser Kategorie ist jene der Akteure aus dem Bereich der Fort- und Weiterbildung. Zu dieser Gruppe zählt zum einen das Zentrum für lernende Schulen (ZLS), das die Neuen Mittelschulen in ihrer Entwicklung begleitet hat. Zum anderen sind in diesem Zusammenhang die Fortund Weiterbildner/-innen im Allgemeinen, die insbesondere über die Pädagogischen Hochschulen Fortbildungsveranstaltungen leiten, sowie die im Rahmen der Modellregion Bildung Zillertal in zu unterrichtsrelevanten Themen abgehaltenen regionalen Fort- und Weiterbildungsformate im Besonderen angesprochen. Die Fort- und Weiterbildung fungiert vor allem als Impulsgeber:
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4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„ZLS ist sehr wichtig“ (SL 04 MGU, Z. 1481) „Die NMS Vernetzungsseite bietet ja sehr viel an Materialien, das ist praktisch ein Ozean“ (SL 05 OGU, Z. 19 f.) „Von dem, was ich von meinen Schulleiterkonferenzen und von meinen Fortbildungen lerne.“ (SL 09 OGU, Z.790 f.) „Modellregion ist für mich auch eine Professionalisierung.“ (SL_11_MGU, Z. 160)
Qualitätsbereich 2
Q2 - Professionalisierung und Personalentwicklung
Selbstbezug Schüler/-innen Kollegium LP mit Funkon SET-Team Vorgänger Freizeitpädagogen Schulforum Eltern Schulaufsicht Schulsozialarbeit Schulärzn Abteilung Bildung ehemalige Schüler/-innen Abteilung Bildung… Schulwart PBZ Schulerhalter Fachexperten/Literatur Fort- und Weiterbildung Schulentwickler/-innen andere Schulleiter/-innen andere Schulen weiterführende Schulen Volkkschulen BIFIE Wirtscha Gemeinde Vereine Pfarrer Medien private Kontakte Stasken Polik
8 7 6 5 4 3 2 1 0
Abbildung 4.18 Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 2 (eigene Darstellung)
Im Zusammenhang mit der Qualitätsdimension „Professionalisierung und Personalentwicklung“ wurde – neben internen Gruppen wie dem Kollegium und Lehrpersonen mit besonderer Funktion – als semi-interne Gruppe wiederum die Eltern genannt. Als weitere Gruppe aus dem Bereich „extern mit pädagogischem Bezug“ lässt sich noch jene der anderen SL sowie der Fort- und Weiterbildner/-innen identifizieren (Abbildung 4.18). Die beiden internen Gruppen, Kollegium und Lehrpersonen mit besonderer Funktion, spielen im Zusammenhang mit Personalentwicklung und Professionalisierung vor allem dahingehend eine Rolle, als dass diese Qualitätsentwicklungsdimension primär das Kollegium bzw. die Weiterentwicklung bestimmter Funktionen betrifft. Daher wurden diese beiden Gruppen auch häufig in den
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
233
entsprechenden Interviewsequenzen genannt. Es kann dabei jedoch wieder unterschieden werden, ob die Kollegien als Anspruch stellende Gruppe dargestellt wurden oder neutral als Gruppe im Zusammenhang mit Professionalisierung. Kollegium als fordernde Gruppe (Widerstand als Motiv): „Die Lehrer sind relativ – so wie ich es empfinde – ein stabiles Gebilde, wenn man das so sagen darf, das an und für sich Neuerungen nicht sehr aufgeschlossen gegenübersteht [...]“ (SL 04 MGU, Z. 28 f.) „Aber… dass wirklich mit Freude, mit Elan an Neues herangegangen wird… das erlebe ich nicht bei allen, also bei sehr vielen nicht.“ (SL 04 MGU, Z. 99 f.)
Kollegium als innovativer Motor: „Ich habe heuer ganz gute Leute gekriegt, neue (ge), die schon sehr viel in, in, in dieser Richtung gearbeitet haben und ganz viel Schulentwicklung gemacht haben. Und die haben einfach die Kollegen infiziert. [...] Die haben sich nachher darauf einlassen und das ist dann wie so ein Lauffeuer (ge), hat sich das verbreitet.“ (SL 07 OGU, Z. 700 f.) „[...] wir können goldene Türklinken haben [...], wenn ich nicht das Lehrerinnen- und Lehrerteam habe, das hinter der Schule steht, das vor allem den entsprechenden Blick auf die Kinder hat, dann können wir nicht Schulentwicklung machen.“ (SL 02 MGU, Z. 395)
Kollegium als steuerbare Gruppe: „Schwierig ist immer, wenn ein Fachbereich einen großen Vorsprung hat. Und der andere Fachbereich sich eher nach hinten entwickelt - (Pausenglocke) – als nach vorne (ge). Und deswegen muss man das ein bisschen steuern, das steuert man glaube ich schon als Schulleiter, wer wohin geht und was für Ausbildungen noch zusätzlich gemacht werden.“ (SL 07 OGU, Z. 334 f.)
Kollegium als nicht zu beeinflussende Gruppe: „Ich habe nicht versucht sie umzupolen, umzumodeln. Ich habe versucht, dass sie auf das reagieren, was uns die neue Aufgabenstellung gibt. Aber ich weiß, dass die nicht unbedingt im ganzen NMS-Bereich dann Hurra schreien. In den ganzen NMSThematiken Hurra schreien.“ (SL 06 MGU, Z. 768 ff.) „Aber das ist jedem seine persönliche Sache. Muss jeder selber wissen.“ (SL 10 MGU, Z. 395)
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„Bei meinem Lehrkörper ist es so, dass also nicht gerade sehr viele Lehrer da sind, die jetzt „juhu“ schreien, was ich auch nachvollziehen kann. Ich habe auch in dem Sinn fast keine Zugpferde, wie es vielleicht andere…“ (SL 10 MGU, Z. 585)
Im Zusammenhang mit der Darstellung der Akteursgruppe „Kollegium“ (auch über den Qualitätsbereich hinweg) differenzieren viele SL auch zwischen den einzelnen Fachteams. Kollegium als heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Logiken: „ […] in Deutsch funktioniert das einwandfrei, weil da hab ich ja alleine schon drei Personen da, die schaffen es schon, diese anderen – Konservativen– mitzuziehen. In Englisch habe ich bei den Innovativen nur eine mehr oder weniger und relativ viele Konservative [...]. Und in Mathematik habe ich nur solche [Konservative].“ (SL 09 OGU, Z. 593). „Uns gelingt in Deutsch viel, da sind wir sehr innovativ und uns gelingt viel. Das bekommen natürlich jetzt auch die anderen mit. Und die werden schon irgendwo neugierig. Ja.“ (SL_01_OGU, Z. 178) „Und die, und die Mathematiker, die passen auch wieder hervorragend zusammen. Also als Bewahrer.“ (SL 01 OGU, Z. 198)
Auffällig ist wiederum die Gruppe der Eltern, für die Ähnliches gilt, wie bereits bei Qualitätsdimension 1 erläutert. Diese Akteursgruppe wurde nur im Zusammenhang mit der Außenwirkung dieses Bereiches genannt. Dabei wurde ein Konnex zwischen gut ausgebildeten Lehrer/-innen, zufriedenen Schüler/-innen und zufriedenen Eltern hergestellt: Eltern als zufriedenzustellende Gruppe: „Und wenn das gut angekommen ist im Kollegium, dann kommt das auch nachher im Weiteren gut an bei den Schülern und damit auch bei den Eltern. Also diese, diese Schleife Richtung Eltern, die muss man genau beobachten.“ (SL 10 MGU, Z.617 ff.) „Wenn die Lehrer professionalisiert werden, dann überträgt sich das natürlich auch auf den Unterricht. Davon profitieren die Schüler (...). Zufriedene Schüler bedeutet zufriedene Eltern. (...) Und zufriedene Eltern heißt der Ruf der Schule ist positiv.“ (SL 07 OGU, Z. 656 ff.)
Als externe Bezugsgruppe wurden vor allem andere SL genannt. Im Bezirk, in dem alle elf Schulen liegen, finden regelmäßige SL-Konferenzen statt. Dadurch besteht ein institutionalisierter Austausch unter den SL. Die Interviewten gaben jedoch (ebenfalls bezogen auf das gesamte Interview) zum Teil an, über die organisierten Treffen hinweg bei anderen SL um Rat zu suchen bzw. nachzufragen, wie bestimmte Dinge an deren Standorten umgesetzt werden.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
235
Andere SL als Resonanz- und Bezugspunkte: „[...] oder ich frage dann auch oft, [...] wie [die/der andere Schulleiter/-in] das jetzt macht bei der NMS- Entwicklung“ (SL 09 OGU, Z. 854) „Die Kollegen, also die Runde der Schulleiter, die ist ganz ganz wichtig. Das ist eine sehr homogene Gruppe, im positiven Sinne, also dass wir sehr offen reden können [...]“ (SL 04 MGU, Z. 922 ff.)
Qualitätsbereich 3
Q3 - Umgang mit Neuem
Selbstbezug Schüler/-innen Kollegium LP mit Funkon SET-Team Vorgänger Freizeitpädagogen Schulforum Eltern Schulaufsicht Schulsozialarbeit Schulärzn Abteilung Bildung ehemalige Schüler/-innen Abteilung Bildung… Schulwart PBZ Schulerhalter Fachexperten/Literatur Fort- und Weiterbildung Schulentwickler/-innen andere Schulleiter/-innen andere Schulen weiterführende Schulen Volkkschulen BIFIE Wirtscha Gemeinde Vereine Pfarrer Medien private Kontakte Stasken Polik
9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
Abbildung 4.19 Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 3 (eigene Darstellung)
In Bezug auf den Umgang mit Neuem kann hier wenig beschrieben werden, da es in der Auswertung eher darum geht, welche Akteursgruppe mit „Neuem“ verbunden wird. Im Qualitätsbereich „Umgang mit Neuem“ wurde besonders häufig die Schulaufsicht erwähnt (vgl. Abbildung 4.19), da Neuerungen in erster Linie von ihr an SL herangetragen werden. Dabei fungieren wiederum die Pflichtschulinspektor/-innen als die am nächsten stehende Vertreter/-innen der Schulaufsicht. Mittels SL-Konferenzen auf Bezirksebene werden die SL über Neuerungen informiert. Dabei belegen die Interviews, dass die Akteursgruppe „Schulaufsicht“ ähnlich wahrgenommen wird, wie im Bereich „Lernen und Lehren“, nämlich als vorgebende Instanz bzw. als Unterstützung bei der Umsetzung
236
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
von Neuerungen. Die SL unterscheiden wiederum, ob Vorgaben zu Neuerungen aufgrund klarer gesetzlicher Vorgaben umzusetzen sind oder ob es sich lediglich um Empfehlungen handelt, die sich etwa auf die Expertise von Fort- und Weiterbildner/-innen (z. B. ZLS) stützen. Die zweite, ebenfalls bereits dargestellte Akteursgruppe ist die Fort- und Weiterbildung. SL gaben an, vor allem auch durch Fort- und Weiterbildungen Neues zu erfahren. Diese Erfahrung wird meist durch die Kolleginnen und Kollegen, die an den Fort- und Weiterbildungen teilgenommen haben, zurück in die Schule gespielt. Während sich die Fort- und Weiterbildner/-innen eher als Impulsgebende beschreiben lassen, wird die Akteursgruppe Schulaufsicht als Anspruch stellende Gruppe wahrgenommen. Im Zusammenhang mit der Akteursgruppe Schulaufsicht, und besonders bezogen auf diese Qualitätsdimension, merken zwei SL an, dass sie deutlich unterscheiden, ob seitens der/des PSI ein neues Gesetz oder eine Empfehlung an sie weitergegeben wird. Schulaufsichtsvertreter/-innen werden in einer vermittelnden Rolle beschrieben, die versuchen, die in juridischer Diktion verfassten Gesetze und Erlässe durch Empfehlungen und Umsetzungsvorschläge mit pädagogischem Wissen zu verknüpfen. Zum Teil orientieren sich die Vertreterinnen und Vertreter der Schulaufsicht an Vorgaben, die z. B. vom Ministerium bzw. durch das Bundeszentrum für lernende Schulen (ZLS) ausgegeben wurden. Teilweise übersetzen sie dabei nach eigenen Interpretationen. Dies führt mitunter zu unterschiedlichen Auslegungen gleicher Gesetze (vgl. SL_04_MGU,Z. 869 f.). Schulaufsichtsvertreter/-innen als übersetzende Instanz in einer Middle-TopDown-Konstellation: „Natürlich da (ah) sondiere ich immer: Was ist Gesetz? Was ist Wunsch oder Empfehlung? Und dann, wenn es natürlich eine Empfehlung ist, dann versuche ich auch, das schriftlich zu haben. Also. Wünsche nicht schriftlich, aber Empfehlungen. Gesetze sind selbstverständlich schriftlich. Damit ich auch argumentieren kann, das ist der Wunsch von dieser und dieser Person. Großes Thema war zum Beispiel die „4.0-Skala“. Das war eine Empfehlung. Ich habe mir das herausgesucht, das ist wirklich als Empfehlung schriftlich festgehalten. Und dann kommuniziere ich das an mein Kollegium.“ (SL 10 MGU, Z. 443)
Qualitätsbereich 4 Wenn es um den Qualitätsbereich „Kommunikation und Zusammenarbeit“ geht, spielen für die SL viele Akteursgruppen eine Rolle. Dies lässt sich auch deutlich aus der Grafik ablesen. Dabei beschränken sich die Akteursgruppen nicht nur auf innerschulische Gruppen, sondern es werden vor allem auch Gruppen aus den externen Bereichen genannt (Abbildung 4.20).
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
237
Q4 - Kommunikaon und Zusammenarbeit
Selbstbezug Schüler/-innen Kollegium LP mit Funkon SET-Team Vorgänger Freizeitpädagogen Schulforum Eltern Schulaufsicht Schulsozialarbeit Schulärzn Abteilung Bildung ehemalige Schüler/-innen Abteilung Bildung… Schulwart PBZ Schulerhalter Fachexperten/Literatur Fort- und Weiterbildung Schulentwickler/-innen andere Schulleiter/-innen andere Schulen weiterführende Schulen Volkkschulen BIFIE Wirtscha Gemeinde Vereine Pfarrer Medien private Kontakte Stasken Polik
9 8 7 6 5 4 3 2 1 0
Abbildung 4.20 Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 4 (eigene Darstellung)
Die Eltern stellen dabei wieder eine Gruppe dar, die von vielen SL genannt wurde. Trotz der häufigen Nennung divergiert die Wahrnehmung dieser Akteursgruppe beträchtlich. Eltern erheben zwar Ansprüche, diese sind aber z. T. vage; wenn sie pädagogische Ansprüche erheben, dann geht es vor allem um die Leistung ihrer Kinder und das problemlose Bestehen der Schüler/-innen in weiterführenden Schulen. Eltern als Anspruch Stellende (allgemein): „Na, die Eltern erwarten einfach, dass man auf sie und ihre Kinder eingeht, dass man ihre Sorgen und Nöte versteht, das ist glaube ich sehr wichtig für die Eltern.“ (SL 09 OGU, Z.714)
Eltern als Anspruch stellende Akteure (in pädagogischen Belangen): „Die Erwartungen der Eltern sind, dass ihre Kinder hier so viel lernen, dass sie dann entweder in einer Lehre oder in einer weiterführenden Schule gut bestehen können. Das ist immer das Gleiche.“ (SL 09 OGU, Z. 33) „Ja, weil sie [Schüler/-innen], wenn sie dann ins Gymnasium gehen oder wo immer hin, dann möchten sie, dass das funktioniert.“ (SL 03 OGU, Z. 409) „[...] Sie erwarten von uns sehr wohl, dass wir [den Kindern] die Chancen offenhalten und zugleich erwarten sie von uns, dass wir Strenge walten lassen, sozusagen. Also des Wort Strenge ist ganz stark präsent.“ (SL 03 OGU, Z.92)
238
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„[...] geht es einfach darum, dass Eltern das Gefühl haben, dass sie [Kolllegium] mit den Kindern gut arbeiten.“ (SL 04 MGU, Z. 559)
Meist werden Ansprüche dann erhoben, wenn es zu Konfliktsituationen kommt und Eltern die SL kontaktieren (vgl. SL_09_OGU, Z. 717). Die Wahrnehmung von Eltern als Bildungspartner/-innen wurde nur indirekt beschrieben. „[...] Ich versuche immer Ansprechpartner zu sein, wenn die Eltern etwas brauchen dann kriegen sie sehr schnell einen Termin und werden ernst genommen.“ (SL 04 MGU, Z. 572 ff.)
Die Rückmeldungen der SL zeichnen für die Akteursgruppe Eltern ein ambivalentes Bild. Eltern stellen zwar Ansprüche, und die Wichtigkeit dieser Gruppe zeigt sich in fast allen Qualitätsbereichen, allerdings werden sie nicht als pädagogische Instanz wahrgenommen und wird ihnen vielfach die Kompetenz abgesprochen, sich zu Schulentwicklungsthemen zu äußern. Eltern als nicht pädagogische Ansprechpartner/-innen: „[...] Wenn die Eltern so manchmal reinkommen, dann sagen sie ‚mei, nett so schöne Zeichnungen aufgehängt und die Klassen so groß und hell.‘ “ (SL 09 OGU, Z. 766) „Ich will jetzt nicht sagen, dass jetzt so höchst verantwortungsvolle Aufgaben [mit Eltern diskutiert werden], wie [was] jetzt im Schulunterricht drinnen ist. Bitte, wo bitte soll ein Elternteil mitentscheiden in der Schulbuchauswahl?“ (SL 01 OGU, Z. 222)
Im Bereich der externen Zusammenarbeit erwähnten die SL insbesondere jene Akteure, mit denen die Schulstandorte an den Nahtstellen zusammenarbeiten. Dabei handelt es sich um die Akteursgruppen Wirtschaftstreibende und Vertreter/innen von Volksschulen sowie weiterführenden Schulen. Beginnend mit der Akteursgruppe Wirtschaft konnten drei Wahrnehmungsoptionen aus den Interviews herausgearbeitet werden: Erstens Wirtschaftsbetriebe, die an Schulen herantreten, um die angebotenen Lehrbetriebe zu bewerben. Wirtschaftsbetriebe als Bittstellende: „[...] Ich als Schulleitung lasse auch die Betriebe in die Schule hinein. Also. Die dürfen Vorträge halten usw., wobei ich natürlich schon sage: Ihr dürft Vorträge halten über die Lehrberufe, die ihr anbietet. Ich will keine Werbeveranstaltung für deine Firma.“ (SL 07 OGU, 1247 ff.)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
239
Wirtschaftsbetriebe als Kooperationspartner/-innen: „Also. Betriebe sind sicher auch Kommunikationspartner.“ (SL 05 OGU, Z. 1530 f.)
Die Wahrnehmung als Anspruchsgruppe, die bestimmte Erwartungshaltungen an die Schulen stellt, wurde in den Interviews zum Teil genannt. Die Wirtschaftsbetriebe vertreten neben den weiterführenden Schulen aber auch eine Institution im Bildungssystem, zu der Schüler/-innen im Verlauf ihrer Bildungsbiographien wechseln. Sie stellen somit auch Ansprüche an die Schulen, da von den zukünftigen Lehrlingen bestimmte Qualifikationen erwartet werden. Wirtschaftsbetriebe als abnehmende Institution im Bildungssystem: „Ja. Das, was für die [Innungsmeister] wichtig ist, ist für uns auch wichtig.“ (SL 05 OGU, Z. 1560) „Und wir kriegen aber auch schon die Rückmeldung, dass, wenn wir zum Beispiel die Kinder Schnuppern schicken, wie sie sich anstellen.“ (SL 07 OGU Z.1158 f.) „Vor allem, weil sie auch immer wieder betonen, wie angenehm die Zusammenarbeit mit uns ist und vor allem wie angenehm unserer Schüler sind.“ (SL 11 MGU, Z. 527 f.)
An der Nahtstelle von der Primarstufe und der Sekundarstufe 1 beschreiben die SL in erster Linie Kooperationsprozesse, die auf Schulleitungsebene ablaufen. Dabei werden Volksschulvertreter/-innen mehrheitlich als Ansprechpersonen (vgl. SL_11_MGU, Z. 453) und weniger als Anspruchserhebende wahrgenommen. Die Volksschulvertreter/-innen werden dann für die Schulleitenden relevant, wenn der Eindruck entsteht, dass durch bestimmte Aussagen die Reputation der Schule gefährdet wird. „[...] Das heißt also, man versucht so gut als möglich uns auszuschalten und zu umgehen. Und das ist teilweise generiert aus ganz mieser Propaganda.“ (SL 06 MGU, Z.1008 ff.)
Die dritte Nahtstelle ist jene mit den weiterführenden Schulen. Aufgrund des österreichischen Bildungssystems gibt es eine Vielzahl an weiterführenden Schulen. Die SL meinen in den Interviews jedoch vielfach nur die höheren weiterführenden Schulen. „Na das [ der Austausch] findet nicht statt.“(SL 03 OGU, Z. 816 f.) „Ma, hmm, da haben wir eigentlich wenig, relativ wenig Kontakt […].“ (SL 02 MGU, Z. 972)
240
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Was indes stattfindet, sind regelmäßige Informationsveranstaltungen für die vierten Klassen (8. Schulstufe), zu denen Bildungsberater/-innen an die Schulen kommen. Im Anschluss daran finden – auf informeller Basis – Austauschgespräche statt. Die Beziehung zwischen den Beratungslehrenden und den Schulen wird unterschiedlich gestaltet. Anhand einer Interviewsequenz kann verdeutlicht werden, dass mitunter hierarchische Beziehungsstrukturen auftreten. „Also da haben wir sehr gute Beziehungen, die kommen sehr gerne. Und sie werden sehr gut… wir schauen, dass wir das ganz nett machen an dem Abend. Das fängt an, dass sie einen Spezialparkplatz kriegen, dass Kinder sie empfangen usw.“ (SL 04 MGU, Z. 1353 ff.)
Qualitätsbereich 5
Q5 - Lebensraum Schule und Klasse
Selbstbezug Schüler/-innen Kollegium LP mit Funkon SET-Team Vorgänger Freizeitpädagogen Schulforum Eltern Schulaufsicht Schulsozialarbeit Schulärzn Abteilung Bildung ehemalige Schüler/-innen Abteilung Bildung… Schulwart PBZ Schulerhalter Fachexperten/Literatur Fort- und Weiterbildung Schulentwickler/-innen andere Schulleiter/-innen andere Schulen weiterführende Schulen Volkkschulen BIFIE Wirtscha Gemeinde Vereine Pfarrer Medien private Kontakte Stasken Polik
8 7 6 5 4 3 2 1 0
Abbildung 4.21 Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 5 (eigene Darstellung)
Die Akteure, die in der Abbildung 4.21 zum fünften Qualitätsbereich besonders markant aufscheinen, sind die Schüler/-innen. Diese Gruppe wurde zudem von fünf SL als zentrale Anspruchsgruppe über alle Qualitätsbereiche hinweg genannt. Nichtsdestoweniger wird diese Akteursgruppe nicht als Anspruch stellende oder in Qualitätsentwicklung eingebundene Gruppe beschrieben (vgl. SL_11_MGA, Z. 626 f.), sondern als zugrundliegender Bezugspunkt für schulische Entwicklungsprozesse.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
241
Schüler/-innen als Bezugsgruppe für Entwicklungen: „Eine Schule zu sein … wo Chancengleichheit für alle Schüler gegeben ist.“ (SL 11 MGA, Z. 86 f.) „Dass Schüler sich wohl fühlen, dass sie gut behandelt werden, dass wir keine disziplinären Schwierigkeiten haben [...].“ (SL 04 MGU, Z. 552 f.) „Ja, es wollen alle das Ziel erreichen, wir wollen da den Schülern die bestmögliche Schule bieten.“ (SL 09 OGU, Z. 647) „[...] Und wie gesagt unser Ziel ist einfach (ah) auch den Schülern einfach. Lernerfolge, Erfolge, Erfolgserlebnisse zu vermitteln.“ (SL 07 OGU, Z.671 f.)
Qualitätsbereich 6
Q6 - Leistung, Kompetenz, Umgang mit Evidenz
Selbstbezug Schüler/-innen Kollegium LP mit Funkon SET-Team Vorgänger Freizeitpädagogen Schulforum Eltern Schulaufsicht Schulsozialarbeit Schulärzn Abteilung Bildung ehemalige Schüler/-innen Abteilung Bildung… Schulwart PBZ Schulerhalter Fachexperten/Literatur Fort- und Weiterbildung Schulentwickler/-innen andere Schulleiter/-innen andere Schulen weiterführende Schulen Volkkschulen BIFIE Wirtscha Gemeinde Vereine Pfarrer Medien private Kontakte Stasken Polik
4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0
Abbildung 4.22 Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 6 (eigene Darstellung)
Im Qualitätsbereich „Leistung, Kompetenz und Umgang mit Evidenz“ wurden innerschulisch vor allem die Lehrpersonen mit besonderer Funktion genannt, und zwar insbesondere die SQA-Koordinator/-innen die gemeinsam mit SL die Entwicklungspläne des Schulstandortes gestalten. Auch die LD wurden als Unterstützung von den Schulleitenden genannt. Zwei Standorte (SL_07_OGU; SL_11_MGU) betonten überdies noch die Schulentwicklungsteams (SET). Als externe Bezugsgruppen wurden weiterführende Schulen sowie das Bundesinstitut für Forschung, Innovation und Entwicklung (BIFIE) genannt (Abbildung 4.22).
242
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Weiterführende Schulen konnten im Zusammenhang mit diesem Qualitätsbereich einerseits als Anspruch stellenden Gruppe charakterisiert werden. Weiterführende Schulen als Anspruch stellende Institution: „[...] Das trau ich mich zu sagen und das findet jetzt langsam auch in der, in den Höheren Schulen Anerkennung.“ (SL 03 OGU, Z. 176) „[...] Da gibt’s auch ganz massive Kritiker [...], nehmen aber Schüler, die haben bei uns ein Grundlegend 3. (SL 03 OGU, Z. 176)
Andererseits wurden sie als Indikator für gute Leistung genannt, nämlich dann, wenn die Ergebnisse (Noten) der Schüler/-innen in den weiterführenden Schulen gut waren. Weiterführende Schulen als Indikator für gute Leistung: „Wir reden mit diesen Referenten. Fragen sie nach den Bedürfnissen, nach dem Abschneiden unserer Schüler. Was können sie? Wo bestehen sie? Wo bestehen sie nicht? Oder wo liegen die Probleme? Also, das ist für uns eigentlich jedes Jahr eine konstante Rückmeldung.“ (SL 10 MGU, Z. 155) „ [...] Wenn ich weiß, dass unserer Schüler, was weiß ich, zu 2/3 einen ausgezeichneten oder guten Gesamterfolg haben, dann deutet das jetzt schon darauf hin, dass auch der Unterricht ganz gut sein muss [...].“ (SL 01 OGU, Z. 24) „Kinder, wenn sie dann unsere Schule verlassen, in den ersten Jahren positiv sind in den anderen Schulen [sind].“ (SL 09 OGU, Z. 37)
Die weiterführenden Schulen zählen außerdem über alle Qualitätsbereiche hinweg zu der am häufigsten genannten Akteursgruppe. Eine zweite Gruppe, die im Zusammengang mit dem letzten Qualitätsbereich erwähnt wurde, ist das BIFIE. Diese Akteursgruppe wurde vor allem als Synonym für evidenzorientierte Schulentwicklung gesehen, da die Instrumente des Bildungsinstituts vielfach für die SL Auskunft über die Leistung der Schüler/-innen gaben (Bildungsstandardtestungen, Informelle Kompetenzmessungen (IKM)). Das BIFIE als Akteursgruppe stellt keine Ansprüche an die Schulleiter/-innen, die Testergebnisse können jedoch als Anlass für Entwicklung dienen bzw. von der Schulaufsicht als Indikator für den Entwicklungsstand herangezogen werden. Da das Abschneiden bei den Testungen jedoch kaum Konsequenzen nach sich zieht und die Ergebnisse auch nur für den Schulstandort und nicht im Sinne eines Profilierungsinstrumentes gedacht sind, beziehen sich die Schulleitenden nur in bestimmten Kontexten, eben z. B. im Bilanzund Zielvereinbarungsgespräch mit der/dem Schulaufsichtsverantwortlichen, auf
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
243
die Ergebnisse. Dabei ist die Sichtweise auf die einzelnen Instrumente kontrovers. Manche SL unterstrichen deren unterstützende Wirkung (SL_01_OGU, SL_07_OGU), andere gaben an, die Ergebnisse als nicht weiter wichtig zu erachten: „Oder die BISTA-Testung, aber auf die gebe ich jetzt nicht so viel.“ (SL 10 MGU, Z. 1049 f.)
4.2.4
Zusammenfassung der Dimensionen „wahrnehmen“
Durch die Darstellung der elf SL und der von ihnen genannten Akteursgruppen konnte ein Überblick geschaffen werden, der zeigt, wie unterschiedlich die institutionellen Umwelten beschrieben werden. Die Kurzporträts der institutionellen Wahrnehmung der Schulleitenden unterscheiden sich dabei nicht nur in der Nennung der relevanten Akteursgruppen, sondern auch darin, wie diese Akteursgruppen von den Schulleitenden beschrieben wurden. Ferner liefern die einzelnen Falldarstellungen erste Hinweise darauf, ob die institutionellen Umwelten von den Schulleitenden als eher beschränkend oder ermöglichend wahrgenommen werden. Im Hinblick auf die Akteursgruppen konnte festgestellt werden, dass trotz Mehrfachnennung der gleichen oder sogar derselben Akteursgruppe von den einzelnen Leitenden unterschiedliche Beziehungs- bzw. Abhängigkeitsstrukturen skizziert wurden. Um diese unterschiedlichen Wahrnehmungen vertieft betrachten zu können, wurden entlang der sechs Qualitätsdimensionen die jeweils am häufigsten genannten Akteursguppen auf Grundlage der Interviewdaten beschrieben. Aus diesen Beschreibungen lässt sich ein Kategorienschema ableiten (siehe Anhang). Für die Auswertung der unterschiedlichen Akteursgruppen wurde zunächst ein theoriegeleitetes Kategoriensystem konstruiert, das auf das Modell von Sandhu (2014, S. 1165 ff.) zurückgeht (vgl. Tabelle 4.1). Im Laufe der kategoriegeleiteten Auswertung der Akteursgruppen konnte jedoch feststellt werden, dass sich die von Sandhu vorgeschlagene Matrix nur schwerlich auf schulische Umwelten anwenden lässt. Zum einen unterscheiden sich die Akteursgruppen für jede/-n Schulleiter/-in in ihrem Anspruch nach Dringlichkeit, Macht und Legitimität, zum anderen müssten bestimmte Akteursgruppen qua der Abhängigkeitsstrukturen des Bildungssystems Anspruchsgruppen bestimmter Ordnung sein – zum Beispiel die Schulaufsicht. Für Letztgenannte lässt sich im Zusammenhang mit Q1 jedoch zeigen, dass die Einordnung der Relevanz dieses Akteurs unterschiedlich ausfällt und dementsprechend auch unterschiedliche Eigenschaften als Anspruchsgruppe zuordenbar sind. Das Spektrum erstreckt sich von unbedeutend („Spielt keine Rolle“ (SL_10_MGU;
244
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Tabelle 4.4 Kategorien der Anspruchsgruppen (nach Sandhu 2014, S. 1165 ff.) Kategorien der Anspruchsgruppen 1
keine Anspruchsgruppe im eigentlichen Sinn: keine der drei Merkmale Macht, Dringlichkeit und Legitimität
2
latente Anspruchsgruppen: eines der drei Merkmale
3
fordernde Anspruchsgruppen: zwei der drei Merkmale
3a
dominante Anspruchsgruppen legitim und mächtig
3b
diskrete Anspruchsgruppen: legitim und wenig Macht
3c
abhängige Anspruchsgruppen: legitim und dringend in ihrem Ansuchen
4
definitive Anspruchsgruppen: alle drei Merkmale
SL_03_OGU) bis hin zu „zentrale Ansprechperson“ (SL_11_MGU). Auch die Rolle des Schulerhalters, welcher über die finanziellen Mittel der Schulstandorte befindet, ist per se gesehen eine Anspruchsgruppe, die eine hohe Legitimität und Macht aufweist, von den SL aber ebenfalls unterschiedlich wahrgenommen wird: „Sie sind für mich wichtig, weil sie für mich wichtig sein müssen.“ (SL_11_MGU, Z. 648 f.). Von SL_08_MGU wurde sie während des gesamten Interviews kein einziges Mal erwähnt. Es wurde daher in der Auswertung auf ein offenes Kodieren übergegangen, bei welchem die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Akteursgruppen mitberücksichtigt wurden. Da bestimmte Akteursgruppen nur für bestimmte Schulleitende als Anspruchsgruppen zu definieren sind, wird in weiterer Folge der neutrale Begriff „Akteursgruppen“ verwendet.
4.2.5
Veränderungsempfinden Der Schulleitenden (Dimension „antworten“)
Mit der Frage nach der Qualitätsdimension „Umgang mit Neuem“ wurde vielfach in den Interviews darauf hingewiesen, dass dieser Bereich ein „Dauerthema“ sei, das die Schulen permanent beschäftige. Ausgangspunkte für Veränderungen sind in der Regel Ansprüche, die an die Schulen gestellt werden und auf die es zu antworten gilt. Die Phase „antworten“
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
245
setzt sich insgesamt aus drei Teildimensionen, und zwar dem Veränderungsempfinden, den Mechanismen der Weitergabe und dem Leitungsverständnis der SL zusammen. Diese Teildimensionen haben sich in der theoretischen Auseinandersetzung in Kapitel 3 als besondere Faktoren des Antwortverhaltens herauskristallisiert. Vor allem durch die Erweiterung des Modells „Travel of Ideas“ nach Czerniwaska & Jorges (1996) zeigt sich, dass der Moment, in dem das Wahrnehmen mit den institutionellen Logiken zusammentrifft und daraus Handlungen bzw. dadurch Übersetzungsprozesse in Gang gebracht werden, jener ist, in dem responsive Akte entstehen. Da SL in ihrer Funktion Entwicklungsprozesse, insbesondere Reformumsetzungen, an den Schulstandorten maßgeblich mitgestalten, geht es vor allem auch um ihr Veränderungsempfinden und ihr Verständnis von Leitung (ihrer Leitungslogik), aus denen heraus sie agieren. Begonnen werden soll zunächst mit den unterschiedlichen Ansichten der Schulleitenden zum Thema „Umgang mit Neuem“. Dieser Qualitätsbereich wurde im Zuge des episodischen Interviews extra abgefragt und ermöglicht Rückschlüsse auf das Veränderungsempfinden. Die folgenden Subkategorien orientieren sich dabei zum einen an den in Abschnitt 3.1 entwickelten theoretischen Annahmen von Veränderung als inkrementeller Wandel bzw. Veränderung als fundamentaler Wandel. Ergänzt werden diese beiden Subkategorien durch eine induktiv entstandene Kategorie, in der Veränderung per se als besondere Herausforderung für Leitende betrachtet wird. • Veränderung verstanden als inkrementeller Wandel Unter dem Begriffspaar „inkrementeller Wandel“ wird laut Merkens ein evolutionärer Ablauf von Veränderungsprozessen verstanden (vgl. 2011, S. 110 f.). Dabei wird auf bereits bestehende Logiken aufgebaut bzw. können die Veränderungsprozesse gut an die bereits existierenden Logiken angeschlossen werden. Wandel vollzieht sich in einer logischen Abfolge und wird als Weiterentwicklung verstanden. Im Zuge der Umstellung von Hauptschule auf Neue Mittelschule gaben drei Leitende an, diesen Prozess als evolutionär zu sehen. Viele etablierte institutionalisierte Abläufe, so diese, würden den neuen pädagogischen Konzepten ähneln würden (vgl. SL_01_OGU, SL_03_OGU). SL_02_MGU gab an, dass durch die Transformation zur Neuen-Mittelschule-Formate, die an der Schule eingerichtet wurden, einen besonderen Aufschwung erlebten:
246
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„Und mit der Umstellung dann auf die Neue Mittelschule ist eigentlich dieses offene Lernen ganz extrem auf fast alle Klassen übergeschwappt.“ (SL 02 MGU, Z. 116).
SL_07_MGU bemerkt, dass am Schulstandort ein regelrechter Schub in der Reformumsetzung zu verzeichnen war, da neue Kolleginnen und Kollegen das bereits in der Theorie vorhandene Wissen der anderen Lehrenden mit praktischen Beispielen unterlegen konnten: „Ich habe heuer ganz gute Leute gekriegt, neue , die schon sehr viel in dieser Richtung gearbeitet haben und ganz viel Schulentwicklung gemacht haben. Und die haben einfach die Kollegen infiziert. Weil sie ihnen etwas gezeigt haben was, was bis dato eher nur das Theoretische war.“ (SL 07 MGU, Z. 699 ff.)
• Veränderung verstanden als fundamentaler Wandel Veränderung verstanden als fundamentaler Wandel entspricht laut Merkens einem revolutionären Ansatz (vgl. 2011, S. 110 f.). Dabei werden Neuerungen bzw. veränderte Ansätze als wenig anschlussfähig und schwerlich mit existierenden Logiken in Einklang zu bringen empfunden. Bereits gefestigte institutionelle Vorstellungen werden in Frage gestellt bzw. müssen laut Vorgaben verworfen werden (z. B. äußere Differenzierung). Ein Verständnis von Veränderung als fundamentaler Wandel wird zum Beispiel zum Ausdruck gebracht, indem die Neuerungen als Einschränkung verstanden werden, als Zwang, Dinge anders zu machen: „Ja, die Eindimensionalität dahingehend, dass es jetzt nur mehr eine Wahrheit gegeben hat. Und diese Wahrheit hat zu verfolgt werden und diese Wahrheit wurde uns mit erhobenem Zeigefinger dann präsentiert und die haben wir dann machen müssen.“ (SL 06 MGU, Z. 91 ff.)
Veränderung verstanden als „fundamentaler Wandel“ bedeutet auch, dass vorherrschende Logiken auf einmal nicht mehr zur Verfügung stehen und somit ein Vakuum bzw. ein Moment der Unsicherheit entsteht, in dem Entscheidungen getroffen bzw. neue Ankerpunkte gesucht werden müssen: [...] Neu heißt immer Veränderung. Das heißt, ich verlasse das sichere Gelände. Und das ist immer mit Angst verbunden. Und es gibt halt Lehrpersonen, die da drauf einsteigen und sagen: Okay. Neues ist Entwicklung. Und es heißt was Gutes. Aber viele haben auch einfach Angst, alles falsch zu machen. (SL 07 OGU, Z. 1028 ff.)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
247
„Das Problem, das wir haben, und das auch ich habe, das ist in vielen Belangen die Unsicherheit [...]. Und da ist sicher auch das Riesenproblem, jetzt haben wir, glaube ich, das achte Jahr die Neue Mittelschule, und wir sind immer noch beim Experimentieren.“ (SL 08 MGU, 117 ff.)
• Veränderung verstanden als besondere Herausforderung für Leitende Diese Subkategorie beschreibt nicht die konkrete Reaktion auf Veränderungen, sondern in den dieser Kategorie zugeordneten Interviewpassagen geht es allgemein um die Ansprüche, die an SL herangetragen werden und die eine Veränderung nach sich ziehen. Vielfach, so kann aus den Interviews entnommen werden, begegnet SL Widerstand aus dem Kollegium, wenn Neuerungen eingeführt werden sollen. Dies wird als Herausforderung wahrgenommen. „[...] sie [Kolleginnen und Kollegen] sind von mir tief enttäuscht, weil ich ja auch schon so lange da bin und jetzt auf einmal von ihnen verlangen, dass wir da einiges verändern und das mögen sie gar nicht [...].“ (SL 09 OGU, Z. 607) „Wobei vielleicht für mich das Problem aufkommt, dass doch einige Lehrer eher im – sage ich jetzt – alten System stark verhaftet sind und sich sehr schwer tun, sich auf das neue NMS-System einzustellen.“ (SL 08 MGU, Z. 84 f.)
SL_07_OGU begründet diesen Widerstand mit einem professionellen Verständnis, das sich als typische Mentalität bei Lehrer/-innen zeigen würde: „[...] Lehrer oder generell. Wir warten immer auf Patentrezepte.“ (SL 07 OGU, Z. 158)
Gerade Reformen, die keine Blaupausen zur Umsetzung mitliefern, erfordern im Antworten auf die Ansprüche eine gesteigerte Eigeninterpretation und ein Maß an kokonstruktivem Herangehen. Es zeigt sich in den Interviews, dass, je nachdem wie Veränderungsansprüche von den SL beschrieben wurden, eine direkte Verbindung zur Weitergabe dieser Ansprüche und eine sich daraus ergebende Erwartungshaltung seitens der Leitenden gegenüber ihren Kollegien generiert wurden. Im zweiten Teil der Dimension „Antworten“ werden daher die Weitergabe-Mechanismen konkret in den Blick genommen.
248
4.2.6
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Mechanismen der Weitergabe (Dimension „antworten“)
Im Zusammenhang mit dem Aspekt der Weitergabe von Informationen muss zunächst noch einmal aus den Interviews rekonstruiert werden, über wen Neues in die Schule kommt. Ein zentraler Kanal ist dabei die Schulaufsicht, die über die SL sämtliche Gesetze, Erlässe sowie Empfehlungen zur Ausgestaltung selbiger an die Lehrer/-innen weitergibt. Hier liegt also das Informationsmonopol bei den Sl. Im Zuge der Neuen-Mittelschulreform wurde auch den Lehrenden mit besonderer Funktion, nämlich den Lerndesigner/-innen, ein Zugang zu exklusiven Informationen ermöglicht. Durch die bundesweite Ausbildung unter der Leitung des ZLS erfuhren die LD vielfach, wie sich die Vorgaben der NeuenMittelschulreform in pädagogisches Handeln übersetzen lassen. Dieses Wissen wurde von den Lerndesignern und Lerndesignerinnen in ihrer Funktion als Multiplikatoren und Multiplikatorinnen zurück an die Schulstandorte getragen. Neues wird ebenfalls durch Lehrpersonen, die z. B. an Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen oder an anderen Schulstandorten andere Erfahrungen gemacht haben, ins Kollegium getragen. Im Zusammenhang mit der Dimension „Antworten“ interessiert vor allem, wie seitens der SL das neue Wissen kanalisiert wird – also mittels welcher Mechanismen eine Weitergabe erfolgt. In Kapitel 2 bzw. in Kapitel 3 wurden die Carrier-Mechanismen vorgestellt. Scott (2014) unterscheidet insgesamt vier Mechanismen: – – – –
Symbolische Weitergabe Relationale Weitergabe Aktionale Weitergabe Weitergabe durch Artefakte
Die Weitergabe erfolgt hauptsächlich in Form von symbolischer Weitergabe. Laut Scott (vgl. 2014, S. 172 f.) erfolgt bei der Weitergabe mittels „symbolic carriers“ bereits eine Interpretation bzw. eine Einbettung in eigene Logiken desjenigen bzw. derjenigen, die/der die Informationen weitergibt. Laut den SL wird als Hauptmedium für die Weitergabe von Informationen das Format der Konferenzen genutzt. Konferenz finden in unterschiedlicher Regelmäßigkeit statt und dort informieren die SL und z. T. die LD das Kollegium darüber, welche Neuerungen es gibt. Zum interpretativen Akt, wie er von Scott beschrieben wurde, gehört auch, was konkret weitergegeben wird.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
249
„Und wir Schulleiter sitzen halt zwischen allen Stühlen. Also. Ich tu das für mich sozusagen abwägen, durchkauen und dann entscheide ich eigentlich, wieviel ich da weitergebe.“ (SL 05 OGU, Z. 1188) „[...] und habe am Anfang sicher zu viel an Information an das Team weitergetragen. [...] Das habe ich aber dann [....] geändert“ (SL 11 MGU, Z. 243 ff.) „ [...] wenn ich abwarte, dann kann ich schon sehr vieles abfedern. [...]. In der NMS-Entwicklung haben wir Dinge erarbeitet, die dann im Endeffekt wieder verschwunden sind. Das heißt nicht, dass sie schlecht waren, aber es war halt einfach zu viel wahrscheinlich, oder zu schnell [...]“ (SL 04 MGU, Z. 112 ff.)
Diese Form der Weitergabe wird dabei laut Leitenden von den Kollegien unterschiedlich wahrgenommen: „[...] zuerst haben wir bei jeder Konferenz Input gemacht. Das ist als belehrend, als negativ empfunden worden. Nicht als große Hilfestellung, sondern wirklich negativ“ (SL 04 MGU, Z. 145 ff.)
Eine weitere Form der Weitergabe bzw. des Austausches mit Kolleginnen und Kollegen zu neuen Inhalten besteht in persönlichen Gesprächen mit SL. Diese Form der Informationsweitergabe erfolgt eher auf einer relationalen Weise. Scott beschreibt im Zuge der „relational carrier“ (2014, S. 174) das soziale Beziehungsgeflecht, über das Informationen weitergegeben werden. Auch findet eine gemeinsame Interpretation statt. Laut Scott erfolgt die Weitergabe einfacher und schneller, wenn ähnliche Zugänge und ein enges Vertrauensverhältnis zwischen den Austauschenden existieren. In den Interviews wird vielfach beschrieben, dass es, bevor Informationen an das Gesamtkollegium weitergegeben werden, Zwischenschritte in Form von bilateralen oder trilateralen Gesprächen mit Lehrpersonen mit besonderer Funktion gibt. „Ich setze mich einmal damit auseinander, dass ich persönlich glaube, ein bisschen etwas davon zu verstehen. [...]. Dann ist für mich mein/-e Lerndesigner/-in eine ganz starke Ansprechperson. Dann überlegen wir uns, was wäre in welcher Reihenfolge in der Schule umsetzbar, und wie bringen wir es zu den Lehrern. Dann meistens eine Konferenz, und da wird es vorgestellt, und dann schauen wir, wie wir das umsetzen.“ (SL 04 MGU, Z. 1536 ff.) „Also. Ich führe ja immer wieder ein Gespräch, wenn sie [Lehrende] von der Fortbildung oder von der Ausbildung kommen und ich schreibe das ja alles mit. Und nachher hole ich mir die Koordinatoren, oder meinen SQA, oder meinen Lerndesigner einfach in der Konferenz, ähnlich einer Kurzkonferenz zusammen und dann besprechen wir das. Und da ergibt sich dann oft wieder aus der Runde, aus der Diskussion der nächste Schritt.“ (SL 07 OGU, Z. 427 ff.)
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Unter aktionaler Weitergabe, oder wie Scott schreibt „activities“, wird ein aktives Tun verstanden. In den Interviews konnten hierzu Weitergabe-Mechanismen rekonstruiert werden, bei denen die Leitenden ihrem Kollegium die Informationen, die sie erhalten haben, zur Verfügung stellten und sie dann baten, die Ausarbeitung der Neuerungen selbst zu übernehmen. „[...] Das ist in verschiedenen Konferenzen, pädagogischen Konferenzen vorgestellt worden, wie man vorgehen soll, um was es geht, was die Zielrichtung ist und dann arbeiten die Lehrer das aus. Und dann mache ich es so, dass ich ab und zu, also im Jahr werden das vielleicht fünf oder sechs pädagogische Konferenzen mache, wo wieder ein Input gegeben wird und die Lehrer müssen das dann nach Fachschaften in Teams ausarbeiten.“ (SL 08 MGU, Z. 51 ff.) „Das überlasse ich den Leuten.“ (SL 04 MGU, Z. 305 f.)
Der vierte von Scott beschriebene Mechanismus wird als Weitergabe über Artefakte beschrieben. Dabei geht es um Belegstücke bzw. Informationsschreiben, die weitergegeben werden. Die Interpretation der Inhalte erfolgt dabei bei jedem/-r Lesenden selbst. In den Interviews gaben die SL an, z. B. Artefakte des ZLS weiterzugeben. Dies können Newsletter („5minfür“) (vgl. SL_02_MGU) sein oder Handreichungen, wie etwa Praxiseinblicke (vgl. SL_05_OGU). Außerdem werden seitens der Gewerkschaften Informationsangebote gestellt (vgl. SL_07_OGU). Wie die Interviews überdies zeigen, kann sich die Form der Weitergabe von einer passiven Adressierung des Kollegiums bis hin zu aktiven Beteiligungsstrukturen ziehen. Dies wiederum hängt eng mit dem Leitungsverständnis der SL zusammen. Daher wird darauf in der dritten Teildimension des Antwortens eingegangen.
4.2.7
Leitungsverständnisse (Dimension „antworten“)
Die dieser Teildimension zugrundeliegenden Kategorien ergeben sich aus den Schulleiterverständnissen, die in Kapitel 3 von Schratz et al. (2015) in Anlehnung an Scharmer (2012) entwickelt wurden. Es konnten alle Leitungstypen in den Interviews aufgezeigt werden. Im Sinne der Strömungen des Konfluenzmodells (vgl. Abbildung 3.4) kamen mitunter mehrere Leitungsverständnisse parallel bei den Schulleitenden vor. Das Leitungsverständnis hängt direkt damit zusammen, wie Schulleitende die Ansprüche, die an sie gerichtet werden, an ihr Kollegium weitergeben und in weiterer Folge, wie sich daraus Schulentwicklungsmaßnahmen ergeben. Es macht einen Unterschied, ob steuernd oder ko-konstruktiv vermittelt wird (Abbildung 4.23).
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
251
Abbildung 4.23 Unterschiedliche Leitungslogiken im Spiegel der empirischen Daten (eigene Darstellung)
4.2.8
Ziel und Absichten der Verantwortungsübernahme (Dimension „verantworten“)
Die Dimension „verantworten“ lässt sich in zwei Teildimensionen untergliedern, und zwar zum einen in den Bereich „Ziele und Absichten der Verantwortungsübernahme“, der aus induktiv entwickelten Kategorien besteht. Hierbei gilt es zu klären, wofür sich die Schulleitenden verantwortlich fühlen, insbesondere im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform. Die zweite Teildimension greift wiederum auf Ansätze aus der Theorie zurück und legt die unterschiedlichen Verständnisse von Agency (vgl. Abschnitt 2.2.) der Datenauswertung zugrunde.
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Mit der ersten Teildimension wird jener Pluralität Rechnung getragen, die sich während der Auswertung der Interviews ergeben hat. Es zeigte sich, dass die SL im Zusammenhang mit der Reformumsetzung unterschiedliche Zielperspektiven, für die sie verantwortlich zeichnen, formulierten. Dazu gehören die folgenden Perspektiven: SL fühlen sich: • grundsätzlich verantwortlich für die Reformumsetzung bzw. die Umsetzung der Inhalte der Reform Einige SL gaben in den Interviews direkt an, dass sie sich verantwortlich für die Umsetzung des Neuen-Mittelschul-Konzepts an ihrem Standort fühlen und dass die Entwicklungsmaßnahmen, die an der Schule gesetzt werden, ebenfalls darauf hinzielen. „[...] dass die NMS kein falscher Weg ist, dass ich genau weiß, dass die gemeinsame Schule ein richtiger Weg ist, weil wir die Gemeinsame Schule schon seit fast 40 Jahren leben, weil sich gezeigt hat, dass Unterricht in einer heterogenen Gruppe mit zwei engagierten Lehrern, mit durchschnittlich begabten Schülern, dass da viel rauszuholen ist.“ (SL 01 OGU, Z. 97 f.) „Und dann muss man schon sagen, im Zuge der Entwicklung der NMS haben wir dann gemerkt, dass wir dann ja eigentlich uns schon in dem Gebiet aufhalten, wo die NMS hinwill.“ (SL 03 OGU, Z. 76 f.)
• verantwortlich für positive Abschlüsse/erfolgreiches Weiterkommen der Schüler/-innen In manchen Interviews lag der primäre Fokus weniger auf der Umsetzung der Neue-Mittelschulreform als auf dem Ziel, die Schüler/-innen möglichst erfolgreich in (bestimmte höhere) weiterführende Schulen zu entlassen. In diesen Interviews zeigt sich eine weniger ausgeprägte Verantwortungsübernahme für die Umsetzung der Neue-Mittelschulreform. „Im Prinzip muss das unser Ziel sein. Wir arbeiten ja nicht für uns selbst, sondern wir arbeiten, damit die Kinder dann gut auf das Leben bzw. auf die weiteren Schulen und Arbeitsbedingungen vorbereitet werden.“ (SL 04 MGU, Z. 1317 ff.) „[...]Sie möglichst gut vorzubereiten, dass sie auch imstande sind, erfolgreich eine weiterführende Schule zu schaffen.“ (SL 05 OGU, 2109 ff.)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
253
„Und sonst halt, ich meine ist ganz wichtig, das ist die Stärkung der Trägerfächer Deutsch, Englisch, Mathematik. Die Frage, was brauchen die, was brauchen sie in Englisch, wenn sie eine weiterführende Schule besuchen, dass man da ein bisschen einen Schwerpunkt legt, Grammatik zum Beispiel.“ (SL 08 MGU, Z. 971 ff.)
• verantwortlich eine gute Stimmung im Kollegium zu halten/ hohe Zufriedenheit unter den Lehrern und Lehrerinnen Für einige SL war es in den Interviews von zentraler Bedeutung, die Einführung neuer Reformen auch unter dem Gesichtspunkt der Zufriedenheit der Lehrer/innen zu betrachten. Aus den Aussagen der Leitenden geht hervor, dass eine besondere Herausforderung im Zuge von Entwicklungsprozessen im Willen und in der Unterstützung des Kollegiums liegt. Daher sahen sie ihre Verantwortung auch darin, eine solche Zufriedenheit zu gewährleisten. In den Interviews wurde dieser Aspekt mitunter als große Herausforderung beschrieben, insbesondere dann, wenn die einzelnen Fachteams unterschiedlich weit in ihrer Entwicklung waren (vgl. SL_07_OGU). „[...] da haben die Kollegen dann heute rückgemeldet: „Ja, aber das kann man nicht machen!“ Und ich habe gesagt: „Ich versteh euch, es gefällt mir auch nicht – wir müssen halt schauen, dass wir einen Weg finden, um das so zu machen, aber halt so, dass es für uns passt.“ (SL 09 OGU, Z. 365) „[...] Zum Zweiten geht das langsam, weil der Mensch ist nun mal ein träges Wesen. Das langsam ins Kollegium zu bringen. Und wenn das gut angekommen ist im Kollegium, dann kommt das auch nachher im Weiteren gut an bei den Schülern und damit auch bei den Eltern.“ (SL 10 MGU, Z. 618 ff.) „die Lehrer sind mein Kapital." (SL 02 MGU, Z. 394) „[...] Intern ist für mich das Entschiedenste eine gewisse Zufriedenheit, dass die Kolleginnen und Kollegen stolz sind, [...]“ (SL 02 MGU, Z. 737 ff.) „Wir sind nicht in der Privatwirtschaft, wir sind Beamte. [...] „Ich muss vorsichtig mit… oder, unter Anführungszeichen, nett mit meinen Lehrern umgehen.“ (SL 08 MGU, Z. 738 f.)
Ein weiterer Aspekt, der in Bezug auf Reformumsetzung und Verantwortung gesondert dargestellt werden kann, ist die Frage nach der Teilung von Verantwortung (SL_07_OGU, Z. 351 ff.) bzw. der Übertragung von Verantwortung (SL_02_MGU, Z. 353) an erweiterte Schulentwicklungsteammitglieder. In der
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4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Darstellung der Anspruchsgruppen wurde bereits die Rolle der/des Lerndesigner/in als Inputgebende/-r bzw. als Verantwortliche/-r für die Reformumsetzung dargestellt. „Die Verantwortlichkeit liegt bei den Fachkoordinatoren“ (SL 02 MGU, Z. 353) „Ist ein sogenanntes Expertenteam, das sich einfach damit beschäftigt: Was wird unser Schwerpunkt? [...] Unser langfristiger Schwerpunkt für das nächste Jahr. Einfach um gemeinsam diese Schulentwicklung voranzutreiben. Und das ist wirklich ein ganz bunt gemischtes Team aus interessierten und engagierten Kollegen und Kolleginnen mit mir.“ (SL 07 OGU, Z. 351 ff.)
4.2.9
Rekonstruktionen von Agency (Dimension „verantworten“)
Der zweiten Teildimension von „verantworten“ liegt das Konzept von Agency nach Abdelnour et al. (2017) zugrunde. Insgesamt vier unterschiedliche Ausprägungen von Agentenschaft werden von den Autoren beschrieben. Agentenschaft als „willenhafter Akteur“ (1), Agentenschaft mit Berücksichtigung der „kollektiven Absicht“ (2), Agentenschaft als „Flickenteppich“ (3) und Agentenschaft aus der Perspektive des „modularen Individuums“ (4). Vor diesem Hintergrund lassen sich für die Übernahme von Agentenschaft verschiedene Szenarien ausgehend von den Interviewdaten rekonstruieren (vgl. Abbildung 4.24). Während die Agentenschaften (1), (3) und (4) in der empirischen Untersuchung rekonstruiert werden können, wurde eine kollektive Agentenschaft – bedingt dadurch, dass die vorliegende Untersuchung Einzelakteure im Fokus hat – nicht vorgefunden. • Agentenschaft als willenhafter Akteur Abdelnour et al. (2017) beschreiben die Agentenschaft als willenhaften Akteur im Sinne des Konzeptes „Institutional Entrepreneur“ nach Maguire und Hardy (2008). Dabei werden institutionelle Erwartungen nicht einfach umgesetzt bzw. weitergegeben, sondern aktiv interpretiert und im Zuge von anhaltenden Aushandlungsprozessen angepasst. Die SL nehmen sich dabei in ihrer Agency als ko-konstruktive Akteure wahr, die trotz der institutionellen Rahmenbedingungen die Möglichkeit haben, aktiv die Umsetzung von Reformen mitzugestalten.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
255
für die Reform Agentenscha als "willenhaer" Akteur gegen die Reform Verantwortungsübernahme
Agentscha als "Flickenteppich"
Agentenscha als "modulares" Indiviuum
Abbildung 4.24 Szenarien zum Agency-Verständnis von Schulleitenden (eigene Darstellung)
Ein Beispiel aus dem Kontext der Ganztagesbetreuung, das in einem Interview genannt wurde, veranschaulicht diese aktive Rolle: „Wenn ich als Chef eine Tagesbetreuung will, dann gibt es eine Tagebetreuung.“ (SL 01 OGU, Z. 999 f.)
Auch im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform stellen einige SL fest, dass sie durchaus Interpretationsspielräume in der Umsetzung der Reform orten. „Ja, also aus so Bausteinen nehme ich mir die Freiheiten heraus, zu sagen, man darf ruhig was ändern, weil es nicht so erfolgreich ist, dass man sagen müsste, wir müssen jetzt da dabeibleiben.“ (SL 03 OGU, Z.1577 ff.)
Gerade bezogen auf die Reformumsetzung konnten aus den Interviews jedoch zwei konträre Richtungen abgeleitet werden. So gibt es Schulleitende, die sich als „willenhafte Akteure“ in ihrer Agentenschaft wahrnehmen und für die Mitgestaltung der Reform einsetzen, weil sie die Reform gutheißen, es gibt jedoch auch Leitende, die die Reform als weniger gelungen und sinnstiftend erachten, aber ihre Rolle ebenfalls als „willenhaften Akteur“ wahrnehmen – auch sie sehen eigenen Gestaltungs- und Handlungsraum, um die Reform auf ihre Ziele und Verständnisse hin anzupassen und umzusetzen:
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„Also die Frage ist: „Muss es gemacht werden?“ (SL 08 MGU, Z. 578)„Also das… ich versuche die Lehrer zu überzeugen, und das tun sie jetzt auch schön langsam, gottseidank, mehr äußere Differenzierung16 zu machen [...]“ (SL 08 MGU, Z. 1031 ff.) „Was für mich in den letzten Jahren nicht so wichtig geworden ist, das sind zum Beispiel gewisse Vorbereitungsstrukturen. Weil wir einfach festgestellt haben, wenn die Vorbereitung einfach top ist und ich bringe das nicht an den „Mann“ oder an die SchülerInnen, dann hilft es gar nichts. Da ist mir lieber weniger oder eine ganz unprofessionelle Vorbereitung.“ (SL 10 MGU, Z. 22 ff.)
Eine Möglichkeit, solche Freiräume zu gestalten, ist z. B. das bewusste Offenhalten gegenüber dem Kollegium, wie Umsetzung auf Unterrichtsebene erfolgt. Dabei wird häufig betont, dass SL keine pädagogische Expertise mehr vorweisen könne, da sie bereits zu lange nicht mehr aktiv unterrichtet haben: „Ja, also wenn ich das alles getan hätte, was man von mir wollte, dann wäre es so gewesen. Ich habe gesagt: Wisst ihr was, ich rede euch in der Causa, wie ihr da drinnen [Unterricht] das zusammenbringt, dass wir bei unseren Bildungsstandards immer gut abschneiden, da bin ich der Letzte, der euch in pädagogisch-didaktischen Sachen dreinredet. Zu dem bin ich auch schon zu lange aus der Klasse“ (SL 08 MGU, Z. 230 ff.) „[..] Die differenzieren schon. Die, ähm, berücksichtigen auch von mir aus im Teamteaching das eine oder andere, was man soll. [...] Nana, selbstverständlich haben die auf das Setting reagieren müssen und sich irgendwohin bewegen [...]“ (SL 06 MGU, Z. 758) „Sie ist in der Klasse drinnen. Ich bin ja rein ein Theoretiker. Ich kann ja nur das, was ich höre oder vielleicht lese, weitergeben, aber sie kann es aus eigener Erfahrung auch erzählen.“ (SL 02 MGU, Z. 495 f.) „Ich sage immer ich kann leicht gescheit sein. Ich kann es aus den Büchern lesen, ich beschäftige mich zwar viel damit, aber ich habe es nicht einmal in längerer Phase jetzt umsetzen müssen… oder dürfen.“ (SL 04 MGU, Z. 722 ff.)
Die Aussagen zeigen, dass die Schulleitenden keine Agentenschaft für die Reforminhalte und deren Ausgestaltung auf Unterrichtsebene übernehmen, sondern die Verantwortung auf die Lehrenden übertragen.
16
Durch die Neue Mittelschule ist die Aufhebung der Leistungsgruppen, also dezidiert die Entwicklung weg von der äußeren Differenzierung erfolgt. Mit dieser Ermutigung zeigt die/der Schulleiter/-in eine aktive Entwicklungsförderung in eine konträre Richtung.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
257
• Agentenschaft als Flickenteppich Für Abdelnour et al. (2017) bedeutet eine Agentenschaft als Flickenteppich, dass mehrere unterschiedliche institutionelle Vorstellungen parallel existieren. Während die eine Anspruchsgruppe bestimmte Praktiken verteidigt, formulieren andere Anspruchsgruppen neue Erwartungshaltungen. SL_06_MGU beschreibt diese Form der Agentenschaft eindrücklich in einer Interviewpassage, sie/er versteht sich als „[e]inen Kritischen, der zum Verfechter einer Sache werden muss. Ich bin [ein/-e Zerrissene/-r].“ (SL 06 MGU, Z. 362)
SL_11_MGU formuliert im Zusammenhang mit dem Schulerhalter dessen Anspruch und die damit einhergehenden unterschiedlichen institutionellen Logiken, die sich von jenen der Neuen Mittelschule zum Teil unterscheiden – dennoch muss SL_11_MGU für beide Logiken Agentenschaft übernehmen. „Ich habe das Problem – mit dem Schulerhalter – jetzt sind wir sechs Jahre NMS, aber dieses Konzept ist ihnen überhaupt nicht klar und überhaupt nicht wichtig, [...].“ (SL 11 MGU, Z. 634 ff.) „[...] Aber sie [Gemeindemitglieder/Schulerhalter] sind für mich wichtig, weil sie wichtig sein müssen.“ (SL 11 MGU, Z. Z. 648 f.)
• Agentenschaft als „modulares“ Individuum Die dritte Form der Agentenschaft wird als modulares Individuum beschrieben. Darunter verstehen Abdelnour et al. (2017) eine bewusste Rollenannahme, um sich den konfligierenden Momenten zu stellen. „[...] Der Kompetenzraster nach Mazono, soll ich zu denen sagen, das ist ein Blödsinn? Da schaufle ich mir selber ein Grab, [...] auch wenn ich mal nicht voll dahinterstehe, das werden meine Lehrer nie von mir erfahren, das ist ein totaler Blödsinn [...].“ (SL 01 OGU, Z. 259 ff.) „Dann muss ich ehrlicherweise sagen: Aus meiner Professionalität als Direktor heraus und aus meiner Loyalität dem gegenüber, was meine Chefin von mir will, gell, habe ich versucht, aus all den Vorgaben alles auf Punkt und Beistrich zu erfüllen. Aber rein aus der Professionalität heraus meines Jobs. Aber nie aus meinem Gemüt heraus, dessen was ich glaube.“ (SL 06 MGU, Z. 1434 f.)
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Die Auswertung der Interviews zeigte unter anderem, dass SL mehreren Formen der Agentenschaft zuordenbar waren (vgl. SL_06_MGU, SL_01_OGU). Im Zusammenhang mit Agentenschaft wurde überdies vielfach die Besonderheit schulischer Organisationen als nachgeordnete Dienststelle angeführt.
4.2.10 Strategien der Legitimierung (Dimension „legitimieren“) Die Dimension „legitimieren“ setzt sich aus zwei Teildimensionen zusammen. Beide wurden induktiv aus den Interviews generiert, sollen jedoch vor dem Hintergrund der theoretischen Auseinandersetzung mit Legitimation in Abschnitt 2.2. dargestellt werden, dies betrifft vor allem die zweite Teildimension. Die erste Teildimension „Strategien zur Legitimierung“ ist in den Kategorienschemata in den Tabellen 4.5 und 4.6 abgebildet. Dabei unterteilen sich die Legitimierungsstrategien in „pro“ und „kontra“ Entwicklungshandlungen zur Umsetzung der Neue-Mittelschulreform. Jene, die unter „pro“ kategorisiert sind, versuchen das angewendete Schulleiter/-innenhandeln zur Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform zu legitimieren, wohingegen jene, die unter „kontra“ subsumiert sind, Strategien der Legitimierung zeigen, in denen dargelegt wird, warum die Reform nicht umzusetzen ist bzw. scheitern muss. Die Reihenfolge der Kategorien hängt nicht mit der Häufigkeit der Nennung zusammen, auch erfolgt die Darstellung der Ergebnisse in abgewandelter Reihenfolge. • Legitimierungsstrategien „pro“ – direkt im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform Das eigene erfolgreiche Handeln wird durch den Bezug auf Fachliteratur und Expert/-innenmeinungen legitimiert, indem in den Interviews Fachartikel (z. B. Kapitel des Nationalen Bildungsberichts) sowie Inhalte aus Vorträgen zitiert werden. Das eigene Handeln – in den Interviews den „Pro“-Kategorien zugeordnet, wird legitimiert durch den Vergleich mit anderen Schulstandorten und wie dort bestimmte Aspekte der Neue-Mittelschulreform im Vergleich mit dem eigenen Schulstandort umgesetzt werden. Legitimierung erfolgt auch über schriftliche Erzeugnisse, Artefakte, wie Protokolle von Fachteamsitzungen, anhand derer sich zeigen lässt, wie die einzelnen Gruppen an der Umsetzung bestimmter
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
259
Reformvorhaben arbeiten. Gleich mehrfach wurde in Bezug auf die erfolgreiche Umsetzung der Reform, insbesondere hinsichtlich des Teamteachings, ein Rückgang von disziplinären Problemen erwähnt. Außerdem wurden in einigen Interviews als Legitimierung für das eigene Vorgehen bzw. für die Entwicklungsarbeit am Schulstandort die eigene Erfahrung zum einen im Bereich des Unterrichts und zum anderen im Bereich der Schulentwicklung genannt. Auch positive Evaluationsergebnisse zeugen, so die Aussagen der Leitenden, von einer gelungenen Umsetzungs- bzw. Entwicklungsarbeit am Standort. Dabei können die Evaluationsergebnisse durch externe Evaluationsinstrumente entstehen, aber auch durch Instrumente, die eigens für den Schulstandort entwickelt wurden. Ein weiterer wichtiger Punkt, wenn es um die Legitimierung des eigenen Handelns geht, ist die Bestätigung durch relevante Anspruchsgruppen. Hierauf wird im zweiten Teil der Dimension „legitimeren“ noch einmal vertieft eingegangen. – indirekt im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform Ein indirekter Zusammenhang mit der Legitimierung von Entwicklungshandlungen bzw. Umsetzungsvorgangsweisen von Leitenden lässt sich aus den folgenden Kategorien schließen. Ein/-e Schulleiter/-in gab an, dass eine fortlaufende Ressourcenzuwendung durch den Schulerhalter für sie/ihn ein Zeichen dafür sei, dass die (Entwicklungs-)Arbeit, die am Schulstandort gemacht wird, auf Zufriedenheit stößt. Auch jene Unterkategorien, die der Kategorie Reputation der Schule zugeordnet sind, legitimeren nur indirekt die Art und Weise, wie die Reform umsetzt wird. Nichtsdestoweniger wurden in den Interviews insbesondere die hohen Anmeldezahlen in der fünften Schulstufe häufig als Legitimierung für bestimmte Entwicklungen am Schulstandort genannt. So lautete der Tenor dieser Schulleitenden, dass, so lange diese Zahlen stimmen, die Entwicklung des Standortes auf einem richtigen Weg sei. Ähnlich verhält es sich auch mit der Kategorie Fortund Weiterkommen der ehemaligen Schüler/-innen. Solange die Schüler/-innen in den weiterführenden Schulen Erfolge verzeichnen würden, solange sei auch die Ausbildung, die sie am Schulstandort erhalten haben, in Ordnung. Dieser Gedankengang trat in den Interviews mehrfach auf. Ein anderer verknüpfte die Zahl der Absolventen und Absolventinnen, die es auf eine bestimmte weiterführende Schule schaffen würden, mit der Bestätigung, dass Unterrichtsentwicklungen, wie sie sich am Schulstandtort vollziehen würden, entsprechend gut seien.
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• Legitimierungsstrategien „kontra“ Im Verlauf der Auswertung konnten auch Legitimierungsstrategien aus dem Datenmaterial herausgearbeitet werden, die Argumente und Gründe anführten, warum eine Umsetzung der Reform nicht gelinge. Zum einen wurde der Grund Überlastung angeführt. Jene SL gaben an, dass zu viel Neues in immer kürzer werdenden Abständen an sie herangetragen werde, was Ausdruck einer ansteigenden Schnelllebigkeit in diesem Bereich sei und womit eine hohe Rate an Dingen, die dann auch wieder verworfen werden, einhergehe. Dies führe zu Instabilität und Unsicherheit (vgl. SL_08_MGU, Z. 117). Auch die Rahmenbedingungen ließen ein Arbeiten im gewünschten Sinn (Empfehlungen zur Umsetzung der Reform) oftmals nicht zu. Damit verknüpfen lässt sich auch die Kategorie Aufwand, die die vielen zeitintensiven Sitzungen, in denen die Umsetzungen der Reform an den einzelnen Standorten konkretisiert werden sollten, als zeitlich nicht umsetzbar eingestuft. Unter der Kategorie Erfahrungen werden zwei Subkategorien zusammengefasst. Zum einen gaben Schulleitende an, bereits viele Reformen erlebt zu haben und um die geringe Rechenschaftspflicht zu wissen bzw. mit anderen Reformen auch gute Erfahrungen gemacht zu haben. Die zweite Subkategorie bezieht sich auf die Expertise des Kollegiums. Hier wird mit dem Argument gekontert, dass die eigenen Lehrpersonen schon immer gute Arbeit geleistet hätten (bewiesen durch gute Ergebnisse in den Bildungsstandards, vgl. SL_08_MGU) bzw. selbst in der Fort- und Weiterbildung tätig seien und somit über einen besonderen Expertenstatus verfügen würden. Entwicklungsarbeit im Sinne der Neue-Mittelschulreformbegleitung sei durch Externe nicht notwendig, da die eigene Expertise am Schulstandort sei (vgl. ebd.). Die Kategorie Vorgaben umfasst drei Unterkategorien: Erstere befasst sich mit dem Argument, dass die Reform unausgereift sei und sich daher nicht umsetzen lasse, da laut SL keine ausreichende Pilotierung erfolgt sei. Das zweite Argument führt an, dass seitens der unterschiedlichen Vertreter/-innen der Schulaufsicht unterschiedliche Vorgaben gemacht würden und dabei die Aussagen in entgegengesetzte Richtungen gingen; in eine ähnliche Richtung geht auch das dritte Argument, wonach die Ansprüche der Reformumsetzung im eigenen Bezirk, sprich wiederum die Vorgaben der Schulaufsichtsverantwortlichen, anders wahrgenommen würden als die Vorgaben, die in anderen Bezirken transportiert werden. Für SL sei nicht nachvollziehbar, warum in einem anderen Bundesland bzw. in anderen Bezirken Leistungsrückmeldeprozesse anders gestaltet würden als im eigenen Bezirk. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass eine Umsetzung bei unterschiedlichen Ansprüchen nur schwerlich oder gar nicht möglich sei. Die
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
261
letzte Legitimierungsstrategie begründet sich in der Meinung, dass die Konzepte der Neue-Mittelschulreform nur theoretische Konstrukte seien, die sich so in der Praxis nicht umsetzen ließen. Gerade die Strategien, die eine Nicht-Umsetzbarkeit der Neue MittelschulReform legitimieren, bauen zum Teil auf fehlendem Verständnis bzw. fehlenden Umsetzungsstrategien für bestimmte Reforminhalte auf. Ein Beispiel hierfür ist das Nichtverständnis von innerer Differenzierung: „Weil ich meine ich weiß sehr gut, in der ersten Leistungsgruppe, da bist du voll gefahren und in der dritten Leistungsgruppe, da hast du dann teilweise ganz, ganz wenig gemacht, weil auch die Schüler einfach nicht mehr mitgearbeitet haben, weil sie nicht willig waren und weil sie es auch einfach nicht geschafft haben. Und diese Schüler hast du jetzt in einer Klasse beieinander und da ist das Problem, wie sollst du da differenzieren? Und es ist natürlich auch für die Lehrer schon ein ziemlicher Mehraufwand an Zeit.“ (SL 08 MGU, Z. 92 ff.)
Tabelle 4.5 Kategorien und Unterkategorien der Legitimierung der Umsetzung der NeuenMittelschulreform Bestätigung durch relevante Anspruchsgruppen Schulaufsicht
„[…]die Inspektorin/der Inspektor hat jetzt einen Schulbesuch gemacht, macht sie jetzt ja bei allen Schulen. Und da ist mir natürlich ihre Rückmeldung sehr wichtig.“ SL 09 OGU, Z.753 „Ja das erfahre ich dann nur wenn die Standardüberprüfung gut gepasst hat, dann kommt von oben die Meldung: „Eine der besten Schulen sozusagen.“ SL 09 OGU, Z. 731
Weiterführende Schulen
„Wir haben in den letzten Jahren viele Gespräche geführt mit weiterführenden Schulen. Die haben uns dann rückgemeldet, wo sie Wünsche hätten. Wir haben das dann auch befolgt.“ (SL 10 MGU, Z. 80 f.)
Externe Schulentwicklungsbegleitung „[…] viel Stärkung hat mir schon die Modellregion gegeben in den letzten Jahren.“ SL 11 MGU, Z. 91 f.) Positive Evaluation Allgemeine positive Rückmeldungen
„[…] ich habe Statistiken auf den Tisch gelegt, wir haben die Noten auf den Tisch gelegt, […].“ (SL 11 MGU, Z. 485 f.) (Fortsetzung)
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Tabelle 4.5 (Fortsetzung) Positive BiSta-Ergebnisse
„[…] dass wir letztes Jahr bei der BISTA Testung hervorragend abgeschnitten haben, dann ist das sicherlich EIN Beweis, dass die NMS kein falscher Weg ist, […].“ (SL 01 OGU, Z.95 ff.)
Schüler/-innenzufrieden-heit
„Dass sie einfach auch das äußern, dass sie gerne in die Schule gehen.“ (SL 07 OGU, Z. 665)
Elternzufriedenheit
„Mundpropaganda von den Eltern“ (SL 06 MGU, Z. 1138)
Fort- und Weiterkommen der ehemaligen Schüler/-innen Erfolge
„[…] wenn ich weiß, dass unserer Schüler, was weiß ich zu 2/3 ein ausgezeichnet oder guten Gesamterfolg haben, dann deutet das jetzt schon darauf hin, dass auch der Unterricht ganz gut sein muss, […].“ (SL 01 OGU, Z. 132 ff.)
Weiterkommen der ehemaligen Schüler/-innen
„durch das Fortkommen unserer ausgeschulten Schüler.“ (SL 09 OGU, Z. 16 ff.)
Reputation der weiter-führemden Schule
„Meiner Meinung nach eine ganz gute Schule. Also, die hat auch einen guten Ruf. Und da können wir auch die Schüler wirklich mit gutem Gewissen rausschicken. Nicht? Die haben wirklich eine gute Ausbildung. Also, das muss ich schon sagen.“ (SL 10 MGU, Z. 981 f.)
Reputation des eigenen Schulstandortes Anmeldezahlen
„Wenn die SuS zu uns kommen und nicht woanders hinwollen, dann ist das eine Bestätigung dafür, dass das Lehren und Lernen bei uns passt.“ (SL 09 OGU, Z. 708 f.)
Besonderes Schulprofil
„Weil uns das von anderen Schulen abgrenzt. Und weil wir in der Stadt auch um Schüler kämpfen müssen.“ SL 04 MGU, 986 f.
Sauberkeit
„Wenn die Klassen sauber, ordentlich, nett geschmückt, schöne Farben, schöne Zeichnungen. Ich glaube, das nehmen die Eltern sehr wohl wahr.“ (SL 10 MGU, Z. 1077) (Fortsetzung)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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Tabelle 4.5 (Fortsetzung) Disziplin der eigenen Schüler/-innen
„Dass Schüler sich wohl fühlen, dass sie gut behandelt werden, dass wir keine disziplinären Schwierigkeiten haben, […].“ (SL_04_MGU, Z. 552 f.) „Eine Rückmeldung kann man sicher daraus schließen, dass zum Beispiel bei uns ganz ganz wenig beschädigt wird. Das heißt, die Schüler empfinden das als ihr, ihr eigenes.“ (SL_10_MGU, Z. 1042 ff.)
Überzeugung vom eigenen Handeln Aus der eigenen Unterrichtspraxis
„Ich war ja auch 20 Jahre, 21 Jahre Lehrerin, und weiß wie (ah) Unterricht abläuft.“ (SL 07 OGU, Z.63 f.)
Aus der eigenen Schulent-wicklungserfahrung
„Ich selber bin, ich weiß nicht, ungefähr zwanzig Jahre Bildungsberater gewesen.“ (SL 05 OGU, Z. 822)
Bestätigung durch wissenschaftliche Befunde Fachliteratur
„teilweise über theoretischen Input.“ (SL_07_OGU, Z.62)
Vergleich Andere Neue Mittelschulen
„Ja, das ist verunsichernd, weil die anderen reden schon immer über ganz andere Dingen die mir noch gar nicht so am Herzen liegen.“ (SL_09_OGU, Z. 1063 f.)
Bestätigung durch schulinterne Artefakte Protokolle von Fachsitzungen
„Es wird ein Protokoll geschrieben, wo eben z. B. Fragen drinnen sind: Wo stehen wir jetzt, was funktioniert nicht so gut, was funktioniert gut, wo müssen wir noch nachjustieren?“ (SL_08_MGU, Z. 55 f.)
Ressourcenzuwendung Ressourcen durch den Schulerhalter
„Schulerhalter, indem er mir das Geld gibt, das so zu gestalten.“ (SL_09_OGU, Z. 1757)
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Tabelle 4.6 Kategorien und Unterkategorien der Legitimierung der Nicht-Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform Überlastung Zu viel Neues
„In der NMS-Entwicklung haben wir Dinge erarbeitet, die dann im Endeffekt wieder verschwunden sind. Das heißt nicht, dass sie schlecht waren, aber es war halt einfach zu viel wahrscheinlich, oder zu schnell […].“ (SL 04 MGU, Z. 114 ff.)
Rahmenbedingungen
„[…] jetzt haben wir nicht nur keine gescheiten Schüler mehr, oder guten Schüler mehr, sondern jetzt habe ich auch erschwerte Bedingungen überhaupt ein ‚sehr gut‘ zu bekommen.“ (SL 06 MGU, Z.618 f.)
Erfahrungen Andere Reformen
„Ich bin jetzt seit […] 11 Jahren aus der Klasse draußen. Bei uns hat es nur die LBVO gegeben. Das gebe ich ganz freiweg zu: Ich habe nie nach der LBVO, […] beurteilt.“ (SL 06 MGU, 603 f.) „[…] also ich habe A-Zug und B-Zug gehabt, weil ich bin vierzig Jahre schon dran… und Leistungsgruppen… ich denke oft nach, es ist sicher sehr sehr schwierig, wenn du jetzt alle Schüler in einer Klasse beieinander hast, zu differenzieren.“ (SL 08 MGU, Z. 93 ff.)
Expertise des Kollegiums
„Ich habe jetzt über vier Jahre sehr gut bei Bildungsstandards. […] Und wisst ihr, wer es zusammengebracht hat? Meine guten, starken, etablierten Lehrer.“ (SL 06 MGU, Z. 748 ff.) „Aber nicht generiert durch NMS-affine Vordergründige, sondern generiert aus starken, etablierten Lehrern, die ich in ihrem Wirken so wirken habe lassen, wie sie eh und je gewirkt haben.“ (SL 06 MGU, Z.1779 ff.)
Aufwand Zu hoher Zeitaufwand
„[…] und diese Schüler hast du jetzt in einer Klasse beieinander und da ist das Problem, wie sollst du da differenzieren? Und es ist natürlich auch für die Lehrer schon ein ziemlicher Mehraufwand an Zeit.“ (SL 08 MGU, Z. 92 ff.)
Vorgaben Unausgereiftes Konzept
„[…] die Neue Mittelschule ist der größte Feldversuch, den die österreichische Bildungspolitik je gehabt hat,[…] man hat es zum Regelschulsystem gemacht, ohne dass es evaluiert wurde, ohne dass man sich Gedanken darüber gemacht hat, wo liegen die, Stolpersteine drinnen, […].“ (SL 06 MGU, Z. 741 ff.) (Fortsetzung)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
265
Tabelle 4.6 (Fortsetzung) Widersprüche
„[…] wenn ein LSI sagt, na selbstverständlich tut ihr extern differenzieren, und es steht ja nur drin, aber nur temporär, und was heißt denn temporär? Ich meine, wenn das einmal geäußert wird, gell, dann muss ich […]. Der Vorgänger XX hat mit erhobenem Zeigefinger gesagt: Wehe, es tut mir einer einen heraus. Gell, also […].“ (SL 06 MGU, Z. 1559 bzw. Z.1568.)
Bezirksunterschiede
„[…] wir im Bezirk sind ja päpstlicher als der Papst.“ ((SL 04 MGU, Z. 863)
Theorie vs. Praxis Neues Konzept greift nicht „[…] weil sie einfach einfach vier Jahre lang nicht richtig gefordert wurden.“ (SL 08 MGU, Z. 144) [….] Und du müsstest dann eigentlich für jeden Schüler weiß Gott wie viele Differenzierungen machen.“ (SL 08 MGU, Z. 148) Fehlende Praktikabilität
„Es ist für mich persönlich ein theoretisches Konzept, das entworfen worden ist von Theoretikern und das in der Praxis – und das stellt sich ja jetzt heraus – teilweise nicht so funktioniert wie sie sich das vorgestellt haben.“ (SL 08 MGU, Z. 600 ff.)
4.2.11 Rekonstruktion von Legitimierung in Bezug auf wahrgenommen Anspruchsgruppen (Dimension „legitimieren“) Im 1. Teil wurde die zweite Dimension bereits angesprochen – eine Legitimierung für eine bestimmte Handlungsweise, insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung einer Reform, in dem Fall der Neuen-Mittelschulreform, hängt direkt mit den Anspruchsgruppen, die Legitimität zusprechen, zusammen. Wie Scott (2008), aber auch Koch (2018), in ihren Herleitungen – basierend auf den Ausführungen von Suchmann zum Legitimitätskonzept, das den neoinstitutionalistischen Theorien zugrunde liegt – anführen, wird Organisationen durch weitere soziale Akteure Legitimität zugesprochen. Daher bedarf es weiterer sozialer Akteure, um überhaupt zu entscheiden, welche Handlungen als legitim oder nicht legitim erachtet werden. Wie die Dimension „Wahrnehmen“ bereits aufzeigen konnte, unterscheiden sich die SL mitunter deutlich darin, wen sie für sich als Anspruchsgruppe definieren bzw. wen nicht. Dementsprechend unterschiedlich zeigt sich auch in der Dimension „legitimieren“, durch
266
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
wen die SL Legitimation erhalten. Exemplarisch soll dies am Bespiel eines SL nachgezeichnet werden (Abbildung 4.25):
Abbildung 4.25 Anspruchsgruppen und Legitimierungsstrategien von SL_10_MGU (eigene Darstellung)
Die ausgewählten Interviewsequenzen zeigen, dass die NeueMittelschulreform den relevanten Anspruchsgruppen entsprechend präsentiert wurde, damit der Schulstandort die von der relevanten Anspruchsgruppe (weiterführenden Schulen) Legitimität für die eigene Entwicklung zuzusprechen wird.
4.2.12 Zusammenfassung der Dimensionen responsiven Leitungshandelns Zusammengefasst konnte nun gezeigt werden, welche Komponenten zusammenspielen, um den Prozess des Respondierens von Leitungshandelnden auf die Erwartungshaltungen ihrer institutionellen schulischen Umwelten abzubilden. Dabei wird noch einmal deutlich, dass jene theoretischen Vertiefungen, die im Kontext der neo-institutionalistischen Theorien in den Kapiteln 2 und 3 aufgegriffen wurden, zur Operationalisierung der Phasen responsiven Leitungshandelns herangezogen wurden. Dadurch fungiert das Modell des Respondierens, wie es hier entwickelt wurde, als verbindendes Konzept, das die zum Teil voneinander losgelösten Diskussionsstränge der Theorie wieder zusammenführt und miteinander in Beziehung setzt.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
267
Vor dem Hintergrund muss einerseits infolge der Berücksichtigung neuer Faktoren gezeigt werden, wo, wann und inwiefern die bisherigen Handlungsannahmen zu korrigieren bzw. zu erweitern sind und andererseits bedarf es einer Kenntlichmachung, wie sich die berücksichtigungswürdigen Zusatzfaktoren mit den überkommenen Varianten funktional verbinden lassen. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wird in Tab. 4.4 eine solche theoretische Verortung dargestellt. Um das responsive Schulleitungshandeln jedoch im Gesamten zu verstehen, können die vier Phasen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Erst in ihrem Zusammenspiel ergibt sich der responsive Akt. Die einzelnen Dimensionen bedingen einander.17 Im folgenden Kapitel sollen, um responsives Leitungshandeln in seiner Mehrdimensionalität darstellen zu können, ausgewählte Leitungshandelnde in den zuvor beschriebenen Dimensionen kontrastiv dargestellt werden (Tabelle 4.7).
4.2.13 Kontrastive fallorientierte Auswertung: Ausgewählte Leiter/-innen und deren responsives Leitungshandeln Mit der kontrastiven fallorientierten Auswertung wird eine vierte Ebene in der Ergebnisdarstellung beschritten. Nach der Sichtung der Rohdaten (1), die mit Hilfe der aus der Theorie abgeleiteten Kategorien strukturiert (2) und dann anhand des Modells des Respondierens (3) ausgewertet wurden, erfolgt nun eine prototypische Anwendung des Modells (4) am Beispiel ausgewählter SL. Während die Gesamtauswahl der SL nach der Logik des convenient samples erfolgte, wurden für die Fallauswahl in der kontrastiven fallorientierten Darstellung die Fälle nach einem Theoretic-sampling-Verfahren ausgewählt (vgl. Kelle und Kluge 2010, S. 50). „Beim theoretical sampling erfolgt die Fallauswahl parallel zur Analyse des Datenmaterials anhand zentraler Kategorien der sich entwickelnden Theorie.“ (ebd., hervorgehoben im Original)
Die Fälle wurden so ausgewählt, dass sie sich in den Merkmalsräumen – den unterschiedlichen Phasen des Modells – möglichst deutlich voneinander unterscheiden, um eine Kontrastierung zu ermöglichen. Dieser vierte Schritt wurde unter anderem auch deshalb mit in die Ergebnisaufarbeitung aufgenommen, da 17
Vgl. Waldenfels „Bruchlinien der Erfahrung“ (2002).
induktiv
Ausgehend von dem von Sandhu Weiterentwicklung der Modelle zu (2014) entwickelten Konzept Organisationalen Feldern (DiMaggio & Powell); Sandhu beruft sich in seinen Arbeiten explizit auf neo-institutionalistische Zugänge.
Strategien zur Wahrnehmung
Anspruchsgruppen und deren Beschreibungen
(Fortsetzung)
4
Strategien der Wahrnehmung wurden im Zuge der Operationalisierung des Modells nach Gärtner et al. (2017) ergänzt.
Ursprüngliche Perspektiven von DiMaggio und Powell bzw. Meyer und Rowan folgen einer Logik der kontingenztheoretischen Wahrnehmung, während Zucker eine konstitutionstheoretische Perspektive einnahm (insbesondere inkorporierte Sicht); neuer Arbeiten wie jene von Hardy und Maguire (2013) folgen einem translativen Verständnis, das ebenfalls im konstitutionstheoretischen Zugang verortet ist.
Kontingenztheoretische und konstiutionstheoretische Sichtweisen nach Mense-Petermann 2006; Koch 2018
Beschreibung Umwelt-Organisations-Verhältnis
Wahrnehmen
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
Beschreibung der Teildimension
Phasen
Tabelle 4.7 Darstellung der vier Phasen, ihrer Teildimensionen und der zugrunde liegenden theoretischen Konzepte (eigene Darstellung)
268 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Beschreibung der Teildimension
Veränderungsempfinden
Phasen
Antworten
Tabelle 4.7 (Fortsetzung)
Wandel verstanden als inkrementell oder fundamental (Greenwood & Hinings 1996; Merkens 2011). Z.T. auch induktive Weiterführung der Kategorien.
(Fortsetzung)
Greenwood und Hinings beziehen sich in ihrem Aufsatz „Understanding Radical Organizational Change: Bringing Together the Old and the New Institutionalism“ direkt auf Ansätze der neo-institutionalistischen Theorien. Das Autorenduo verortet sich innerhalb neo-institutioneller Diskurse dahingehend, als dass sie weg von dem vorherrschenden Isomorphie-Ansatz (DiMaggio & Powell 1983, Zucker 1977) und hin zu einem Verständnis, das divergenten Wandel, institutionelle Heterogenität und konstitutive Organisationsverständnisse berücksichtigt, gehen. Die Erweiterung durch das Autorenduo ist die logische Fortführung des erweiterten Organisationsverständnisses.
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie 269
Phasen Scott (2008)
Mechanismen der Weitergabe
4 (Fortsetzung)
Mit diesem Ansatz Scotts erfolgt eine theoretische Erweiterung der ursprünglichen „Verbreitungsansätze“ von institutionellen Vorstellungen. Scotts Theorien zu „Carrier-Mechanismen“ erweitern das Diffusionskonzept von DiMaggio und Powell und liefern somit ein tiefgreifendes Verständnis der Auswirkungen, die unterschiedliche Weitergabeformen auf institutionelle Logiken haben können. Die Berücksichtigung dieser Erweiterung erfolgte in der deutschsprachigen Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung bis dato nicht.
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
Beschreibung der Teildimension
Tabelle 4.7 (Fortsetzung)
270 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Phasen Nach Schratz et al. (2015) in Anlehnung an Scharmer & Käufer (2012)
Leitungsverständnis
(Fortsetzung)
Thornton, Ocasio und Loundsbury (2012) setzen einen Akzent in der Weiterentwicklung neo-institutionalistischer Theorien, indem sie das Konzept der institutionellen Logiken prominent aufgreifen und theoretisch fundieren. Institutionelle Logiken, so der Tenor ihres Ansatzes, haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie organisationale Praktiken entwickelt werden bzw. sich entwickeln. Bis dato existiert jedoch noch kein Ansatz, der institutionelle Logiken von Leitungsverständnissen darzustellt. Vor diesem Hintergrund ergänzt das Matrixmodell von Schratz et al. (2015) die Operationalisierung des Responsivitätsmodells. Die Abbildung der unterschiedlichen Steuerungsparadigmen verbindet sowohl die historischen Entwicklungslinien der Schulentwicklung als auch die damit verbundenen Verständnisse von Führung. Für die Untersuchung von Leitungshandeln bietet dieser Ansatz eine funktionale Ergänzung, um das Antwortgeschehen beschreibbarer zu machen.
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
Beschreibung der Teildimension
Tabelle 4.7 (Fortsetzung) 4.2 Ergebnisse der empirischen Studie 271
induktiv
Nach den Kategorien von Abdelnour et. al (2017)
Ziele und Absichten der Verantwortungsübernahme
Rekonstruktion von Agency
Verantworten
4 (Fortsetzung)
Die Frage nach Agency ist eine Frage, die innerhalb der neo-institutionalistischen Diskurse vielfach und ausgiebig diskutiert wurde. Institutionelle Vorstellungen werden durch organisationale Akteure vertreten. Das Konzept der „embedded agency“ (Seo und Creed 2002; Battalina und D’Aunno 2009) etablierte sich im Kontext der theoretischen Zugänge. Mit der Aufarbeitung der aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich liefern Abdelnour et al. (2017) vier unterschiedliche Perspektiven, die auch konsititutiontheoretische Verständnisse mehr in den Blick nehmen. Die Operationalisierung orientiert sich daher an diesen neueren Ausführungen.
Ziele und Absichten wurden im Zuge der Operationalisierung des Modells nach Gärtner et al. (2017) ergänzt.
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
Beschreibung der Teildimension
Phasen
Tabelle 4.7 (Fortsetzung)
272 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Strategien zur Legitimierung
Legitimeren18 induktiv
(Fortsetzung)
Strategien zur Legitimierung wurden im Zuge der Operationalisierung des Modells nach Gärtner et al. (2017) ergänzt.
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
Die Phase „legitimieren“ wurde von der Autorin ergänzt, da entscheidend für das Antwortgeschehen der Schulleitenden die Legitimierung des eigenen Handeln war. Diese Abwandlung des ursprünglichen Modells lässt sich überdies durch die prominente theoretische Verankerung des Konzepts „Legitimierung“ innerhalb der neo-institutionalistischen Zugänge begründen (vgl. Scott 2001; Walgenbach & Meyer 2008; Koch 2018). Auch Waldenfels verweist in seinen Ausführungen zu Responsivität darauf, dass Antwortgeschehen in institutionalisierten Umwelten erfolgt und somit als etwas Passendes oder Entsprechendes in Bezug auf den wahrgenommenen Anspruch gesehen wird. Diese Grundannahme lässt sich mit Suchmanns Verständnis von Legitimität verbinden, wonach Handlungen von anderen sozialen Akteuren legitimiert werden.
18
Beschreibung der Teildimension
Phasen
Tabelle 4.7 (Fortsetzung)
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie 273
Phasen Konzept von Legitimität nach Suchmann (1996), weitergeführt nach Scott (2008) und Koch (2018).
Rekonstruktion von Legitimierung in Bezug auf Anspruchsgruppen
Bereits Meyer und Scott (1992) heben hervor, dass organisationale Akteure darauf angewiesen sind, Zustimmung bzw. Bestätigung der institutionellen Umwelt für ihr Handeln zu erhalten. Die Definition von Suchmann umfasst die Komponente, dass Legitimität durch soziale Akteure zugesprochen wird. Dadurch kann eine Verbindung zu den Feld-Konzepten hergestellt werden. Die Legitimierung des eigenen Handels erfolgt, so die theoretische Annahme, durch den Zuspruch von bestimmten Akteursgruppen. Damit sind jenen Akteursgruppen gemeint, die für die organisationalen Akteure als relevant im Sinne von mächtig, dringlich und legitim angesehen werden. Hier schließt sich der Kreis innerhalb des Modells zur ersten Phase des Modells „wahrnehmen“.
Zugrunde liegendes theoretisches Verortung innerhalb der Konzept neo-institutionalistischen Zugänge
Beschreibung der Teildimension
Tabelle 4.7 (Fortsetzung)
274 4 Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
275
mittels einer fallorientierten Darstellung noch einmal Verbindungslinien zwischen den Phasen des Respondierens sichtbar gemacht werden können, die so in der vorhergehenden Ergebnispräsentation nicht aufzeigbar waren. Insgesamt wurden vier SL für diese kontrastive Darstellung ausgewählt. Die Geschlechterverteilung sowie die Lage der Schulen, ob im Einzugsgebiet einer Unterstufe oder nicht, sind gleich verteilt. Es handelt sich um die Leitenden SL_06_MGU, SL_07_OGU, SL_09_OGU und SL_10_MGU. Es hat sich im Zuge der Auswertung gezeigt, dass sich zum einen die Schulleitenden SL_07_OGU und SL_10_MGU besonders gut kontrastieren lassen, da sie sich in einigen Phasen des Respondierens ähneln, sich jedoch in ihrem Antwortverhalten auf die Neue-Mittelschulreform deutlich unterscheiden. Die Schulleitenden SL_06_MGU und SL_09_OGU wurden für die fallorientierte Auswertung ausgewählt, da sich deren Umwelt-Organisations-Wahrnehmung von den übrigen Schulleitenden unterscheidet. Die Fälle werden nun entlang der Merkmalsräume responsiven Leitungshandelns einzeln dargestellt und in weiterer Folge kontrastiv miteinander verglichen. Falldarstellung: SL 06 MGU SL_06_MGU zeichnet sich durch eine Umwelt-Organisationswahrnehmung aus, die als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden kann. Nach diesem Verständnis wird die institutionelle Umwelt als begrenzender Rahmen wahrgenommen (vgl. Abschn. 2.3.1, Mense-Petermann 2006; Koch 2018), der geprägt durch Erwartungshaltungen aus der institutionellen Umwelt bestimmte Anforderungen an die Organisation stellt: „Habe es geschafft über acht Jahre Horror [NMS-Einführung], weil das war ein Wahnsinn, gell, habe es geschafft alle sozusagen [mitzunehmen], damit sich keine Grüppchen [bilden]“ (SL 06 MGU, Z. 1456)
Ergänzen lässt sich dies durch die Aussagen, bei denen SL_06_MGU z. B. die Vorgaben der Schulaufsicht als besonders beengend empfindet. Es gebe, so die/der Leitende, nur noch eine Wahrheit, der man zu folgen habe (vgl. SL_06_MGU, Z. 91 f; 93 f.). Im Vergleich zur konstitutionstheoretischen Sichtweise, die eher einem interpretativen Paradigma folgt, liegt im kontingenztheoretischen Verständnis ein normatives Paradigma zu Grunde: „[…] die haben vorgegeben, was zu geschehen hat. Und wir haben gemacht, was zu geschehen hatte.“ (SL 06 MGU, Z. 101). Mit der Wahrnehmung der Einengung geht auch eine Beschreibung durch SL_06_MGU einher, dass sich die Erwartungshaltungen
276
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
der institutionellen Umwelten nicht in Handlungsanleitungen niederschlagen würden, sondern vielfach zwar Anforderungen gestellt würden, die Umsetzung jedoch an den Schulstandorten erfolgen müsse. Dieser Umstand wird als belastend beschrieben: „Das [=die NMS-Einführung] war der Riesenwahn. Nichts erprobt. Und ich sehe uns jetzt auch noch immer in dieser Erprobungsphase.“ (SL 06-MGU, Z. 1519 f.)
Wenn man im Merkmalsraum „Wahrnehmen“ betrachtet, welche Akteursgruppen von SL_06_MGU genannt wurden, so handelt es sich insgesamt um 13 unterschiedliche Gruppen. Diese hohe Zahl kommt vor allem durch die Nennung im Qualitätsbereich 4 (Kommunikation und Zusammenarbeit) zustande. Während dort neun unterschiedliche Akteursgruppen genannt werden, belaufen sich die Nennungen in den Bereichen 1–3, 5 und 6 auf wenigstens 2 und maximal 4 unterschiedliche Akteursgruppen. Dabei fällt auf, dass jene Gruppen, die genannt werden, überwiegend externe Akteure sind. Auch die von SL_06_MGU als die drei zentralen Akteursgruppen mit Anspruchscharakter identifizierten Gruppen sind zu zwei Dritteln extern: • andere Direktor/-innen • die Schulaufsicht • Fort- und Weiterbildungen Versucht man diese drei Gruppen nach dem Drei-Säulen-Modell von Scott und in Erweiterung nach jenem von Koch zu diskutieren, so lässt sich die Anspruchsgruppe „andere Direktor/-innen“ eher als institutionelle Akteure beschreiben, bei denen die normative Säule mehr ausgeprägt ist, während bei der Schulaufsicht eher die regulative Säule für die formulierten Ansprüche prägend ist. „[...] aber ich kann ein Produkt dem anpassen, dass es mir als Schulstandort wieder besser geht. Das verbietet mir zurzeit das Gesetz.“ (SL 06 MGU, Z. 1525) „Dann sagt mir die Österreich-Vertreterin: Das scheint aber nur ein Tiroler Problem zu sein. Also in den anderen Bundesländern interessiert ein Lerndesign aber nicht das Schwarze unter dem Nagel. Dann sage ich: Ja, das weiß ich schon, weil wir in Tirol, die sind, die alles wie die Zinnsoldaten, wenn sie uns etwas vorgeben, dann vollziehen.“ (SL 06 MGU, Z.1485 ff.)
Die Fort- und Weiterbildung arbeitet mehr mit normativen Mechanismen. Beide institutionellen Akteure, „andere Direktor/-innen“ und „Fort- und Weiterbildung“,
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
277
werden von SL_06_MGU auch im Sinne der kulturell-kognitive Säule genannt. So wurden während des Interviews vor allem Schulleitende erwähnt, die die Ansichten von SL_06_MGU teilen. Bzw. waren Akteure, die mit „Fort- und Weiterbildung“ gemeint waren, in erster Linie Lehrende des eigenen Schulstandorts, die auch in der Fort- und Weiterbildung tätig sind und so Neues an den Schulstandort bringen bzw. die Ansätze, die am Schulstandort etabliert sind, unterstützen: „[...] unter den Umständen habe ich da ganz, ganz große Expertise selber im Haus gehabt und habe schon gewusst: In dem Fall brauche ich keinen, weil [Kollegin X], die an der PHT im Zuge der Mittelschulentwicklung bei [Frau X] am Institut mehr oder weniger das alles vollzogen hat, die habe ich mit Erstinformationen.“ (SL 06 MGUZ.327 ff.) „Ich war nicht immer zufrieden, weil uns die Leute nicht zufriedenstellende Antworten geben haben können, weil es einfach eine unfaire Aufgabenstellung denen gegenüber war. Wir haben es entwickelt. Und davor hat es keiner gewusst, und wir sind mittendrin.“(SL 06 MGU, Z. 647 f.)
Entsprechend den genannten Anspruchsgruppen erfolgen auch die Strategien der Wahrnehmung. SL_06_MGU orientiert sich an Bildungsstandardergebnissen (Z. 65 f.), an Vergleichen mit anderen Schulstandorten (Z. 1419 ff.) sowie eigenen Einschätzungen und Beobachtungen des Kollegiums bei der Umsetzung von Vorgaben (Z. 1430 ff.). Der Merkmalsraum „Antworten“ setzt sich aus den Dimensionen „Veränderungsempfinden“, „Mechanismen der Weitergabe“ und „Leitungsverständnis“ zusammen. Obwohl im Interview angegeben wird, dass Wandel ein integraler Bestandteil von Entwicklung sei und es nie Stillstand gebe, werden die Veränderungen im Rahmen der Neue-Mittelschulreform als fundamental beschrieben. „Es gibt keinen Stillstand, es wird sich immer etwas ändern. Natürlich in dem exorbitanten Maße, wie es sich jetzt im Rahmen der Mittelschule geändert hat, das ist katastrophal. Das war eine unfaire Aufgabenstellung in weiten Bereichen, eine Überfrachtung dessen.“ (Sl 06 MGU, Z. 1387 ff.)
Die Weitergabe der Ansprüche erfolgt in Portionen, die SL_06_MGU im Rahmen von Konferenzen kommuniziert. Vielfach betont SL_06_MGU im Interview, dass alle versuchen würden, die Umsetzung bestmöglich zu gestalten, jedoch oft keine Antworten auf die Anforderungen existieren würden (Z. 302 ff.). An diesen Stellen erfolge dann Eigeninterpretation.
278
4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
SL_06_MGU sieht sich eher in einer administrativen als in einer pädagogischgestalterischen Rolle: „[...] ich als Direktor habe also auch noch etwas anderes als nur die Pädagogik, und bin ja vielleicht dann auch hin und wieder der falsche Ansprechpartner, weil… schon dass im einen oder anderen vieles wissen muss, das heißt ich muss Bescheid wissen, was ist gefordert, was läuft, gell. Aber bis zum letzten I-Tüpfterl in der Pädagogik drin brauche ich nicht.“ (SL 06 MGU, Z. 414 ff.)
Mit diesem Leitungsverständnis geht auch der Merkmalsraum „Verantworten“ einher. Hier wird ersichtlich, dass durch das Negierung der pädagogischen Verantwortung vielfach Kolleginnen und Kollegen, die besondere Ausbildungen haben (LD) oder über andere ausgewiesen Kompetenzen verfügen (E-LearningExperte/-in), die Verantwortung für die Umsetzung der einzelnen Reformaspekte übernehmen. Betrachtet man neben der Verantwortungsübernahme noch die Beschreibung der Agentenschaft, wie sie SL_06_MGU bei sich wahrnimmt, so wird das Bild eines „Zerrissenen“ (vgl. Agentenschaft „Flickenteppich“; Z. 362) nachgezeichnet: Die letzte Phase des responsiven Leitungshandelns zeigt sich im Merkmalsraum „Legitimieren“. SL_06_MGU zieht vor allem Legitimierungsargumente heran, die ein Umsetzen der Reform verunmöglicht, da zu viele Widrigkeiten gegen die Transformation am Schulstandort sprächen. (vgl. Z. 618 ff; 741 ff.). Die Umsetzungsversuche, die am Schulstandort vollzogen wurden, werden mit der Expertise des eigenen Kollegiums legitimiert, hier lässt sich wieder eine Verbindungslinie zu den Anspruchsgruppen „Fort- und Weiterbildung“ herstellen. Da jene Kolleginnen und Kollegen, die als ausgewiesene (durch die PH) Expertinnen und Experten gelten, das Vorgehen am Standort mitentwickelt haben, ist dieses legitimiert. Auch die Bestätigung durch jene Direktorenkolleginnen und -kollegen, an denen sich SL_06_MGU orientiert, bestärkt die eigene Vorgangsweise. SL 07 OGU SL_07_OGU nimmt die Umwelt im Sinne einer konstitutionstheoretischen Sichtweise wahr. Diese Form des Umwelt-Organisationsverhältnisses untergliedert sich nochmals in ein inkorporatives und ein translatives Verständnis. SL_07_OGU beschreibt die Wahrnehmung nach dem translativen Verständnis. Dabei wird die Umwelt als Fundus verschiedener etablierter Deutungen wahrgenommen, aus dem geschöpft werden kann. SL_07_OGU bemerkt in diesem Zusammenhang:
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
279
„Und Mittelschule ist kein Patentrezept. [...] Das muss jede Mittelschule für sich entwickeln. Natürlich in Absprache mit anderen Mittelschulen kann man sich gegenseitig unterstützen [...]. Man muss ja nicht immer alles neu erfinden, sage ich mal. Aber generell ist es ganz wichtig, dass das auch so im Denken gefestigt wird: Wir müssen uns selber das Ganze für uns entwickeln, dass es für unsere Schule am besten ist.“ (SL 7 OGU, Z. 158 ff.)
Diese Aussage unterstreicht, dass die Neue-Mittelschulreform Handlungsspielräume eröffnet, die an den Schulstandorten interpretiert und befüllt werden können. Einher mit dieser gestalterischen Auffassung zeigt sich auch die Wahrnehmung der Akteure, welche das schulische institutionelle Umfeld prägen. In Summe wurden von SL_07_OGU 14 unterschiedliche Akteursgruppen genannt.19 Die Zahl der genannten Gruppen zählt im Vergleich zu den anderen SL zu einer der höchsten. Die vielen unterschiedlichen Akteursgruppen bilden einen großen Fundus; die Nennungen zeigen, dass die Akteure dabei sowohl intern als auch extern sind. Im Vergleich zu anderen Schulleitenden fanden sich zwei Gruppen, die selten genannt wurden, zum einen persönliche Kontakt (Ehepartner) sowie Fachliteratur bzw. Fachexperten und Fachexpertinnen. Die drei wichtigsten von SL_07_OGU als Anspruchsgruppen definierten Akteure sind: • Eltern • Schüler/-innen und ehemalige Schüler/-innen • Schulleitende von weiterführenden Schulen Die drei Akteursgruppen lassen sich institutionell weniger deutlich einordnen. Die Ansprüche der beiden ersten Gruppen ergeben sich eher aus den kulturellkognitiven Vorstellungen, während sich die Vertreter/-innen der dritten Gruppe der pädagogischen Profession zuordnen lassen und somit auch ein normatives Element in den institutionellen Vorstellungen verankert sein wird. Die Wahrnehmungsstrategien, die SL_07_OGU anwendet, basieren vor allem auf Beobachtungen und reflexiven Auseinandersetzungen damit (vgl. SL_07_OGU, Z. 404 f.), eigenen Erfahrungen, z. B. im eigenen Unterricht (Sl_07_OGU, Z. 63 ff.), und internen Daten (SL_07_OGU, Z.665), die aus Erhebungen stammen. Die Phase des Antwortens wird bei SL_07_OGU bedingt durch ein Veränderungsempfinden, das sich auf die Neuerungen einstellt und diese weniger als Belastung, sondern vielmehr als notwendige Weiterentwicklung, ausgehend von 19
Da Teile der Audioaufnahme des Interviews überspielt wurden, ergibt sich diese Zahl für vier statt wie bei den anderen Interviews für sechs Qualitätsbereiche.
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4
Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
sich verändernden Anforderungen, versteht. Dabei sieht SL_07_OGU auch die Hausforderungen, die mit neuen Anforderungen einhergehen (vgl. SL_07_OGU, Z. 1028 ff.) Darauf reagiert SL_07_OGU, indem Strukturen am Standort geschaffen werden, die helfen, Neuerungen zuerst im Kontext der Ressourcen des Standortes zu betrachten. Im Anschluss wird mit einem kleineren Team darüber gesprochen, wie welche Neuerungen am besten eingeführt und wie möglichst viele Kolleginnen und Kollegen in einen ko-konstruktiven Prozess miteingebunden werden können (vgl. SL_07_OGU, Z. 427 ff.) Das Leitungsverständnis, das SL_07_OGU aufweist, zeigt sich an vielen Stellen des Interviews als entwickelnd (3.0) und wie bereits beschrieben als ko-konstruktiv (4.0). Dieses Leitungsverständnis korreliert im Fall SL_07_OGU mit der Umwelt-Organisationswahrnehmung, die weiter oben interpretativ eingeordnet wurde. Eine ko-konstruktive Haltung sowohl im Verständnis, wie Organisationen auf ihre Umwelt reagieren, als auch wie innerhalb der Organisation Inhalte gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden, lässt auf eine konstante Logik schließen. Die Verantwortungsübernahme, die erste Dimension des dritten Merkmalsraumes (Phase „verantworten“), der sich zudem aus der Übernahme der Agentenschaft ergibt, zeigt sich bei SL_07_OGU durch die Betonung der eigenen Erfahrung und des eigenen Wissens darüber, wie die Reforminhalte im Unterricht umgesetzt werden können. SL_07_OGU identifiziert sich mit den Inhalten und übernimmt für deren Umsetzung am Schulstandort Verantwortung, indem sie/er auch immer wieder Unterrichtsbesuche macht und Kolleginnen und Kollegen in ihrer Entwicklung gezielt begleitet. Die Legitimierung für das eigene Handeln, so zeigt sich im Interview, holt sich SL_07_OGU vielfach aus dem Kollegium: „Ich merke es immer wieder mittlerweile in Gesprächen mit Lehrpersonen, dass sie sich auf die Sache einlassen und mit neuen Ideen zu mir kommen und sagen: [...], das haben wir jetzt probiert. Das hat super funktioniert. Da wollen wir dranbleiben.“ (SL 07 OGU, Z. 179 ff.)
Dabei ist festzuhalten, dass sich nach den Interviewpassagen die Legitimität weniger aus den Rückmeldungen der drei Anspruchsgruppen ergibt als vielmehr aus dem, was SL_07_OGU wahrnimmt und im Gespräch z. B. mit anderen SL und Lehrpersonen mit besonderer Funktion mittnimmt. Es zeigt sich, dass für die Bestätigung der Reformumsetzung vor allem Rückmeldungen von Akteuren aus dem pädagogischen Umfeld für SL_07_OGU relevant sind.
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
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SL 09 OGU Das Verständnis, das SL_09_OGU von dem Verhältnis zwischen Schule und institutioneller Umwelt hat, lässt sich nach dem Modell von Mense-Petermann (2006) bzw. Koch (2018) am ehesten der konstitutionstheoretischen Sichtweise zuordnen, im Unterschied zu SL_07_OGU und SL_10_MGU jedoch als inkorporiertes Verständnis. Die gesellschaftlichen Vorgaben bilden die Skripten, nach denen (ohne diese groß zu hinterfragen) Abläufe und Strukturen organisiert werden. Das Besondere an diesem Schulstandort ist daher auch die abwartende Haltung, die seitens SL_09_OGU gegenüber der Neue-Mittelschulreform betont wurde. Laut Schulleitung sollte zunächst abgewartet werden, welche Stolpersteine diese Reformumsetzung mit sich bringt, bevor am Standort selbst der Umsetzungsprozess gestartet wird. „Naja, nehmen wir z. B. die NMS, sie ist eingeführt worden und wir haben nicht gleich mitgetan. [...] Und da schauen wir jetzt natürlich sehr, was machen die anderen Schulen, aber leider habe ich jetzt erfahren müssen, [...] dass den Weg, den wir abkürzen wollten, ok wir schauen, was die anderen machen, den Fehler machen wir dann nicht, sondern wir machen dann gleich das ganz richtig. Jaaa, das ist nicht ganz praktisch, wir müssen – also es ist wirklich tragisch – [...]wir müssen wirklich den Weg genauso machen wie die anderen auch.“ (Z. 1016 ff.)
SL_09_OGU nennt dabei eine doch große Anzahl an Akteuren, die in den unterschiedlichen Qualitätsbereichen eine Rolle spielen, insgesamt 13 Akteure werden genannt. Die drei wichtigsten Anspruchsgruppen lauten: • das Kollegium • die Schulaufsicht • die weiterführenden Schulen Im Vergleich mit den Interviewsequenzen zeigt sich, dass eine hohe Kongruenz zwischen den häufigsten Nennungen und den hier angeführten Akteursgruppen herrscht. SL_09_OGU gibt häufig im Interview an, dass die Lehrpersonen des Schulstandortes eine wichtige Akteursgruppe seien. Deren Ansprüchen gerecht zu werden und dabei die Neue-Mittelschulreform umzusetzen, wird an einigen Stellen als Herausforderung beschrieben, da SL_09_OGU auf Widerstand trifft. Die Anspruchsgruppe „Schulaufsicht“ passt zum inkorporierten Verständnis, da durch diese Anspruchsgruppe auch Vorgaben und Umsetzungsskripten mitgegeben werden. Im Interview selbst wird auch die Wichtigkeit der Rückmeldung durch diese Anspruchsgruppe betont (Z. 737 ff.). Die weiterführenden Schulen entsprechen ebenfalls, wie die Schulaufsicht, einer Anspruchsgruppe, die in der
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
Wahrnehmung von SL_09_OGU in einem hierarchischen Verhältnis zur/zum Leitenden selbst stehen. Die Rückmeldungen der weiterführenden Schulen beziehen sich laut Aussagen weniger auf die Bestätigung einer gelingenden Umsetzung der Neue-Mittelschulreform als vielmehr auf die Bestätigung, dass der Standort ein guter Standort sei (Z. 1805). Eine anhaltend positive Rückmeldung wird damit gleichgesetzt mit einer anhaltend guten Reputation des Standortes. Eine Akteursgruppe, die nicht im Zusammenhang mit Ansprüchen genannt wird, jedoch dennoch häufig im Interview vorkommt, ist jene der externen Schulentwickler/-innen – diese werden im Zuge von Legitimierungsprozessen mehrfach genannt (SL_09_OGU, Z. 1077, 1096, 1097) Die Dimensionen der zweiten Phase, des Antwortens, lassen sich bei der/dem Schulleiter/-in wie folgt beschreiben: Das Veränderungsempfinden ist eher fundamental. An vielen Stellen des Interviews scheint auf, dass sich SL_09_OGU zwischen tradierten Ansätzen und Neuerungen hin und her bewegt und versucht, möglichst alle Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg mitzunehmen (vgl. SL_09_OGU, Z. 906 ff.). Da es im Kollegium jedoch unterschiedlichen Gruppierungen gibt, die auch unterschiedlich auf die Neuerungen reagieren, wird dadurch auch das Veränderungsempfinden beeinträchtigt. Die Mechanismen der Weitergabe werden ebenfalls durch die unterschiedlichen Gruppierungen beeinflusst – so beschreibt SL_09_OGU, dass es Gruppierungen gebe, die ihr/ihm näherstehen und andere, zu denen sie/er wenig bis keine direkten Verbindungen hat. Dies würde, so SL_09_OGU, auch die Weitergabe von Informationen bzw. das gemeinsame Arbeiten beeinflussen (SL_09_MGU, 845 f.). Das Leitungsverständnis wird vielfach sichtbar, wenn SL_09_OGU davon spricht, dass sie/er „befiehlt“ oder „anordnet“. Gewachsene hierarchische Beziehungen werden im Interview explizit angesprochen und aus der Historie des Schulstandortes hergeleitet. SL_09_OGU gibt an, diese Art zu führen zunächst von ihrem/seinem Vorgänger übernommen (vgl. Z. 964 f.) zu haben, nun jedoch sukzessive auch andere Ansätze in Richtung „entwickeln“ und Gründung eines Mittleren Managements auszuprobieren (vgl. Z. 949). Alles in allem zeigen sich in diesem Interview viele Bruchlinien, zwischen denen SL_09_OGU mäandert. Dabei zeichnen sich oszillierende Bewegungen zwischen den Leitungsverständnissen 1.0, 2.0 und 3.0 ab. Die Neue-Mittelschulreform wird in dem Sinn, wie es etwa bei SL_08_MGU oder SL_10_MGU der Fall ist, nicht hinterfragt, es werden einige Teilaspekte kritisch diskutiert, ein Nichtumsetzen steht jedoch außer Diskussion. Dies untermauert ebenfalls die Wahrnehmung, dass die institutionellen Vorstellungen als
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
283
regelhafte Vorgaben (unhinterfragt) umzusetzen seien. Daraus ergibt sich eine selbstverständliche Agentenschaft für die Reform. Die Legitimierungsstrategien wurden zum Teil schon im Zuge der Diskussion der drei Anspruchsgruppen besprochen. Vielfach gibt SL_09_OGU auch an, sich die Legitimierung für das eigene Handeln durch das Kollegium zu holen: „Aus dem, was mir die Lehrer zurückmelden“ (Z. 1068)
SL 10 MGU SL_10_MGU nennt im Interview eine kleine Anzahl an Akteursgruppen. Insgesamt sind es acht Akteursgruppen. Die drei Akteursgruppen, die von SL_10_MGU als die wichtigsten Anspruchsgruppen definiert wurden, sind: • Eltern • Schüler • weiterführende Schule Während die Eltern und Schüler/-innen im Interview für SL_10_MGU keine weiterführende Rolle spielen, da sie in keinem besonderen Maß mit Ansprüchen in Zusammenhang gebracht, noch mit bestimmten Legitimierungsstrategien bedacht wurden, bleibt die dritte Anspruchsgruppe übrig. Aus dem Interview geht hervor, dass für SL_10_MGU die weiterführenden Schulen die wichtigste Anspruchsgruppe innerhalb der institutionellen Umwelt sind. SL_10_MGU hat dabei ein Verständnis der Organisation-Umweltbeziehung, das die Umwelt durchaus als Fundus wahrnimmt und somit im Konzept nach Mense-Petermann (2006) und Koch (2018) als konstitutionstheoretisch mit Schwerpunkt auf eine translative Sichtweise beschrieben werden kann. Für SL_10_MGU gibt es seitens der Schulaufsicht bestimmte Gesetze, die verpflichtend vorgegeben werden, und dann als Erweiterung Empfehlungen, bei denen SL_10_MGU sich vorbehält, dass diese am Schulstandort diskutiert und entweder umgesetzt oder nicht umgesetzt werden. Damit wird SL_10_MGU dem Verständnis gerecht, dass „Organisationen als Interpret oder Übersetzer gesellschaftlicher Deutungsangebote“ (vgl. Tab. 2.9) wahrgenommen werden. Da die Schulaufsicht nicht zu den zentralen Anspruchsgruppen für SL_10_MGU gehört, zählen die Empfehlungen, die von dieser Akteursgruppe formuliert werden, auch nicht zu jenen, die sie/er am Standort umsetzt. Dies wird besonders an der folgenden Interviewpassage sichtbar:
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
„[...] Ich unterscheide sehr wohl zwischen einer gesetzlichen Vorgabe und einer Empfehlung und dann noch drunter über einen Wunsch von diversen Stellen. Das ist für mich ganz wichtig. Weil über Gesetz brauche ich nicht zu diskutieren. Es wird einfach durchgeführt und fertig. Das ist das eine. Über Empfehlungen wird ganz genau diskutiert, überlegt welche Vorteile unsere Schule dadurch hat, [...]“ (Z. 421 ff.)
Das Veränderungsempfinden von SL_10_MGU lässt sich, da vielfach die existierenden Routinen und Logiken des Schulstandortes mittels der neuen Ansätze der Reform in Frage gestellt werden, als fundamentaler Wandel beschreiben. SL_10_MGU gibt hierbei die Gesetzesvorgaben weiter, nimmt sich jedoch heraus, alles Weitere im Sinne der ehemaligen Vorgangsweisen zu interpretieren. Somit wird die Veränderung eher im Sinne einer Bricolage als in Form eines Enactments (vgl. Kapitel 3) vollzogen. Das Leitungsverständnis von SL_10_MGU kann als „steuernd“ charakterisiert werden. „Intern nicht, weil intern können wir es steuern.“ (Z.664).
Auffällig dabei ist, dass SL_10_MGU immer in der „Wir-Form“ spricht. SL_10_MGU fühlt sich jedoch für „alles“ verantwortlich (Z. 1118) und gibt keine Angaben zu geteilten Führungsverantwortungen. Bei der Reform-Umsetzung überlässt SL_10_MGU jedoch dem Kollegium viele Freiräume – ohne hier genauer hinzuschauen, wie die Umsetzung dann im Konkreten erfolgt. Im Vergleich zu SL_07_OGU unterscheidet sich das Führungsverständnis: Zwar nimmt SL_10_MGU Handlungsspielraum gegenüber der institutionellen Umwelt ebenfalls als interpretativ wahr, die Weitergabe bzw. die Interpretation erfolgt jedoch durch SL_10_MGU und nicht in einem ko-konstruktiven Ansatz. Eine Ambivalenz dazu bildet zuvor beschriebenes Faktum, dass SL_10_MGU dann jedoch keine Rechenschaft mehr seitens des Kollegiums einfordert, wie dort die Inhalte umgesetzt werden (vgl. SL_10_MGU, Z. 22 ff.).
4.2.14 Kontrastive Betrachtung von vier Schulleitenden Vergleicht man die vier Schulleitenden in ihrer Wahrnehmung bezogen auf das Umwelt-Organisationsverständnis, so wird zunächst ein erster deutlicher Unterschied zwischen den Befragten erkennbar. Während SL_06_MGU die eigenen Handlungsspielräume als begrenzt beschreibt und die Umsetzung der Neue-Mittelschulreform als angeordnete Top-Down-Bürde empfindet, sieht
4.2 Ergebnisse der empirischen Studie
285
SL_07_OGU die Vorgaben als interpretierbar an und empfindet die institutionellen Rahmenbedingungen eher als Fundus, aus dem entsprechend dem Bedarf vor Ort gewählt bzw. geschöpft werden kann. Auch SL_10_MGU sieht dies ähnlich, stellt jedoch fest, dass es im Rahmen dieser Sichtweise durchaus fixe Anteile gibt, die „Gesetz“ sind und „an denen es nichts zu rütteln“ gibt. Inwieweit jedoch die Empfehlungen, die seitens der Akteursgruppen aus der institutionellen Umwelt existieren, umgesetzt werden müssen, bleibt für SL_10_MGU offen und somit ausgestaltbar. SL_09_OGU beschreibt in den Aussagen des Interviews das Umwelt-Organisationsverhältnis eher als inkorporiert, weder als begrenzend noch als interpretierbar, sondern als umzusetzen – dabei werden die Ansprüche, die seitens der Schulaufsicht an die Schulleitung bzw. den Standort gerichtet werden, weniger hinterfragt als eher Schritt für Schritt umgesetzt. Irritationen werden eher dadurch ausgelöst, wenn es keine klaren Vorgaben gibt, wie die Umsetzung erfolgen soll. Um aus der Erfahrung der anderen Standorte schöpfen zu können, habe sich der Schulstandort dazu entschieden, die Umsetzung der Reform erst so spät wie möglich anzugehen, um von den Erfahrungen anderer Standorte bestmöglich profitieren zu können. Weiters unterscheiden sich die vier SL durch die drei von ihnen genannten Anspruchsgruppen – lediglich drei Akteursgruppen, nämlich Eltern, Schulaufsicht und weiterführende Schulen, wurden mehrfach genannt, alle anderen Anspruchsgruppen unterschieden sich. Mit allen Anspruchsgruppen verbindet sich der Aspekt der Legitimierung. Die jeweils drei genannten Anspruchsgruppen bilden für die Leitenden jene Akteursgruppen, von denen sie sich am ehesten Legitimierung für ihr Handeln bzw. die Entwicklung ihres Schulstandortes erhoffen. Diese Gruppen fungieren im Verständnis nach Suchmann als jene sozialen Akteure, die Abläufe und Entwicklungen der Organisationen als legitim bestätigen. Bezogen auf die Umsetzung der Neue-Mittelschulreform klang in den Interviews an, dass die Eltern weniger konkrete inhaltliche Ansprüche (zu pädagogischen Themen der Unterrichtsgestaltung) stellen, als vielmehr allgemein das Weiterkommen und die Zufriedenheit ihrer Kinder im Blick haben, wohingegen die anderen Anspruchsgruppen konkrete Erwartungshaltungen – auch bezogen auf pädagogisch-inhaltliche Themen – artikulierten. Während SL_10_MGU an vielen Stellen angab, die Gesetze so gut es gehe zu befolgen (Anspruchsgruppe Schulaufsicht), rechtfertigte sie/er gleichzeitig aber auch, dass bestimmte Reformaspekte (z. B. neue Unterrichtsvorbereitungsansätze wie das Lerndesign) nur teilweise umgesetzt würden bzw. auf andere Inhalte mehr Wert gelegt werde (Entwicklung hin zu den Erwartungen der Anspruchsgruppe weiterführenden Schulen).
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
In Bezug auf die Anspruchsgruppen kann durchaus festgehalten werden, dass die Schulaufsicht als regulativ-geprägte Institution vielfach durch die bereits erwähnten Empfehlungen auch als normativ-geprägt auftritt. Viele der genannten Anspruchsgruppen sind Akteursgruppen, deren organisationales Wirken sich im Kern mit pädagogischen Themen beschäftigt (Kollegium, andere Schulleiter/-innen, weiterführende Schulen, Fort- und Weiterbildung). Ihnen kann ein vordergründig normativ ausgerichtetes institutionelles Auftreten zugesprochen werden. Die Anspruchsgruppe Eltern vertreten vor allem die kulturell-kognitive Dimension. Die Schulleitenden unterscheiden sich auch hinsichtlich der Ausgestaltung, wie sie neue Informationen weitergeben. Während SL_06_MGU und SL_10_MGU vor allem die direkte Weitergabe pflegen, nutzt SL_07_OGU sowohl die Methode der direkte Weitergabe als auch den Mechanismus der Aktivität, indem ko-konstruktiv neue Inhalte in Form von Expert/-innenkonferenzen ausgetauscht und diskutiert werden, um dann gemeinsam nächste Schritte zu planen. SL_09_OGU beschreibt im Rahmen von Weitergabe-Mechanismen auch relationale Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen des Lehrkörpers: So würden bestimmte Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie/er mehr im Austausch steht, direkte Informationen erhalten und würde er/sie zu anderen Kolleginnen und Kollegen (aus bestimmten Fächern) keine solch intensiven Austauschbeziehungen pflegen. In allen vier Beispielen konnte ein enger Bezug zwischen jenen Gruppen, die als Anspruchsgruppen definiert wurden, und den Legitimierungsprozessen, die in den Interviews beschrieben wurden, nachgezeichnet werden. Die beiden Schulleitenden, deren Legitimierung sich vor allem gegen die Umsetzung der Reform richtet (SL_06_MGU, SL_10_MGU), versuchten Begründungsmuster zu finden, warum eine Umsetzung scheitern müsse, während die anderen beiden SL vornehmlich Gründe fanden, woran sich zeigen würde, dass die Reformumsetzung gelinge. Vor allem der Kontrast zwischen SL_07_OGU und SL_10_MGU zeigt deutlich, dass zwar beide ein Umwelt-Organisationsverständnis haben, das es ihnen erlaubt, die Umsetzungsprozesse am Standort relativ frei zu gestalten, diese freie Gestaltung jedoch in unterschiedliche Richtungen gehen kann. Maßgebend hierfür sind die Einstellungen und Orientierungen gegenüber der Reform: Während SL_07_OGU eigene Agentenschaft für die Reform einnimmt, ist bei SL_10_MGU das Gegenteil der Fall. Beide geben auch an, sich die Legitimierung ihrer Standortentwicklungsprozesse durch die Akteursgruppe „weiterführende Schule“ zusprechen zu lassen. Während für SL_07_OGU jedoch vor allem die Ergebnisse und Rückmeldungen ehemaliger Schüler/-innen Auskunft über die
4.3 Zusammenfassung und Grenzen der Untersuchung
287
Legitimität geben, kommuniziert SL_10_MGU regelmäßig mit Vertreter/-innen der weiterführenden Schulen und sieht sich durch deren Rückmeldung in der eigenen Wahrnehmung, nämlich dass das Neue-Mittelschul-Konzept auch viele schlechte Seiten aufweise (vgl. Z. 593 ff.) bestätigt, wohingegen SL_07_OGU eine solche Erwartungshaltung gar nicht hat. Gerade in der letzten Kontrastierung wird deutlich, dass auch bei vermeintlichen Parallelen in den Teildimensionen der Merkmalsräume das responsive Leitungshandeln doch unterschiedlich ausfallen kann, da es immer auf das Zusammenspiel aller vier Phasen des Respondierens ankommt. Im gezeigten Fall machen der Umgang mit Veränderung und die Übernahme von Agentenschaft für die Reform den entscheidenden Unterschied aus.
4.3
Zusammenfassung und Grenzen der Untersuchung
Durch die Operationalisierung der vier Phasen des Respondierens entstanden Merkmalsräume bzw. Dimensionen einer jeden Phase. Zusammengenommen ergeben die Dimensionen mit ihren Teildimensionen komplexe Merkmalsräume responsiven Schulleitungshandelns. Gerade die kontrastive fallbasierte Auswertung lieferte Erkenntnisse darüber, dass die Dimensionen dabei unterschiedlich zusammenspielen können bzw. sich gegenseitig bedingen. Fasst man die dargestellten Ergebnisse noch einmal pointiert zusammen, so lässt sich festhalten, dass bei der Untersuchung nicht festgestellt werden konnte, dass die Nähe zu einer gymnasialen Unterstufe einen Unterschied im responsiven Leitungshandeln der SL ergab. Vielmehr zeigten sich aufgrund anderer Faktoren Unterschiede. Etwa dann, wenn die Wahrnehmung der eigenen Handlungsspielräume (Umwelt-Organisationsverständnis) unterschiedlich interpretiert wurde. Auch die Orientierung an unterschiedlichen Anspruchsgruppen und die damit einhergehende Unterschiedlichkeit der sozialen Akteure, die den organisational Handelnden Legitimität zusprechen, konnte als Faktor, der das responsive Leitungshandeln beeinflusst, herausgearbeitet werden. Bemerkenswert dabei ist auch die Heterogenität, die die Schulleitenden in ihren Nennungen, wer für sie Anspruchsgruppen sind, vorwiesen. Die Darstellung der Ergebnisse konnte in dem Zusammenhang ebenfalls zeigen, dass unterschiedliche Akteursgruppen sowohl als reine Akteursgruppen des institutionellen Umfeldes als auch als dezidierte Anspruchsgruppen wahrgenommen werden. Die Unterscheidung zwischen Anspruchsgruppen und Akteursgruppen wurde dabei jeweils durch die Leitenden getroffen, die den Gruppen entweder Legitimität für das Handeln
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
der SL zusprachen oder nicht. Genannt seien hier noch einmal die Leitenden SL_10_MGU, durch die/den die Schulaufsicht nicht als Anspruchsgruppe wahrgenommen wird, sondern vielmehr die weiterführenden Schulen, und im Vergleich dazu SL_09_OGU, durch die/den die Schulaufsicht als Anspruchsgruppe genannt wurde. Zu der Thematik Anspruchsgruppe/Akteursgruppe lässt sich damit abschließend sagen, dass jeweils die Leitenden definieren, wer für sie Anspruchsgruppen sind – auch dann, wenn, wie im Fall der Schulaufsicht, diese aus ihrem Auftrag und ihrer Befugnis heraus (übergeordnete Behörde) eigentlich per se Anspruchsgruppen sein müsste. Die Ergebnisdarstellung hat zudem gezeigt, dass die Übernahme von Verantwortung – und in diesem Zusammenhang auch das Verständnis von Agentenschaft – das responsive Leitungshandeln beeinflusst. Je nachdem, ob sich SL für die Umsetzung der Inhalte einer Reform verantwortlich fühlt bzw. Agentenschaft dafür übernimmt, das Antworten auf die gestellten Anforderungen in der Umsetzung anders ausgestaltet wird, als im Falle einer fehlenden Verantwortungsübernahme. Wie die tatsächlichen Umsetzungen der Reforminhalte am Schulstandort vollzogen werden, wird wiederum auch vom Verständnis beeinflusst, das die SL im Zusammenhang mit Leitung haben. Dabei zeigten die Ergebnisse, dass unterschiedliche Leitungslogiken von den SL bedient wurden. Erwähnenswert hierbei ist, dass die Wahrnehmung der eigenen Handlungslogik, wiederum ausgedrückt im Umwelt-Organisationsverhältnis und im Leitungsverständnis, sich bedingen können (vgl. kontrastiven Fallbetrachtungen). Dieser Aspekt wird in der Diskussion in Kapitel 5 noch einmal vertieft aufgegriffen. Grenzen der Untersuchung Mit den vorliegenden Interviewdaten konnten erste explorative Untersuchungen angestellt werden, die responsives Schulleitungshandeln aus subjektiver Sicht der Schulleiter*innen entlang mehrdimensionalen Facetten rekonstruiert. Dabei ergaben sich einige Aspekte, bei denen die Untersuchung Grenzen aufweist. Diese Limitationen sollen an dieser Stelle der Arbeit unter besonderer Berücksichtigung des Untersuchungsdesigns diskutiert werden, bevor am Ende der Arbeit, in Kapitel 5, erweiterte Grenzen der Arbeit erörtert werden. • Repräsentativität und Generalisierbarkeit Durch die qualitative Ausrichtung der Arbeit wird kein Anspruch auf Repräsentativität bzw. Generalisierbarkeit gestellt. Der explorative Charakter dieser Arbeit
4.3 Zusammenfassung und Grenzen der Untersuchung
289
unterstreicht dies ebenfalls. Die Auswahl der Schulleitenden erfolgte grundsätzlich nach dem Verfahren des convenient samplings, auch diese Tatsache lässt eine allgemeine Gültigkeit außen vor. Die Beschreibung der Fallauswahl für die kontrastive Analyse als theoretical sampling ist dahingehend korrekt, als dass aus den vorliegenden Fällen auf Basis der größtmöglichen Differenzen ausgewählt wurde. Mit der Entwicklung eines Merkmalsraums in Anlehnung an die Typenbildung nach Keller und Kluge endet die empirische Untersuchung dieser Arbeit. Ergaben die elf vorliegenden Fälle genügend Datenmaterial, um die Dimension im Konkreten sowie einzelne Fälle kontrastiv zu beleuchten, reicht die Anzahl und Auswahl der Fälle jedoch nicht dafür aus, zu gewährleisten, dass für eine Typisierung die erforderlichen Träger/-innen des herausgearbeiteten Merkmalraums hinreichend vertreten sind (vgl. Kelle & Kluge 2010, S. 41). Dies stellt auch gleichzeitig eine Limitation der vorliegenden Arbeit dar. • Sozialer Bias Walgenbach und Meyer merken an, dass „[…] die Organisationsforschung als Sozialwissenschaft immer Material interpretiert, das von den Akteuren bereits einem Interpretationsprozess unterzogen wurde […].“ (2008, S. 178). Auf diesen Umstand ist auch im Zusammenhang mit den vorliegenden Daten zu verweisen. Es kann darüber hinaus trotz des Empfindens der Interviewerin, dass alle Interviews in einer offenen und ehrlichen Gesprächsatmosphäre stattgefunden haben, nicht ausgeschlossen werden, dass bei den Selbstauskünften der Schulleitenden ein sozialer Bias miteinzubeziehen ist. • Operationalisierung des Modells mit Hilfe neo-institutionalistischer Zugänge Untersuchungen, die mit neo-institutionalistischen Zugängen arbeiten, setzen sich zum Ziel, das Verhältnis zwischen institutionellen Umwelten und organisationalen Akteuren in den Blick zu nehmen. Die besondere Schwierigkeit dabei liegt zum einen darin, – dies wird in Kapitel fünf noch einmal ausführlicher diskutiert – die unterschiedlichen theoretischen Zugänge und Ansichten im NeoInstitutionalismus zusammenzubringen, und zum anderen darin, die häufig nicht direkt empirisch erfassbaren Elemente der theoretischen Zugänge wie „Institutionen“, „institutionelle Vorstellungen“ oder „Legitimität“ greifbar zu machen. Walgebach & Meyer schreiben daher, dass es, „[...] eine grundlegende Anforderung an empirische Untersuchungen [ist], dass das rekursive Verhältnis zwischen Institutionen oder institutionellen Arrangements auf
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Erhebungsdesign und die empirische Studie im Rahmen …
der einen Seite und dem Handeln von Organisation und Organisationsmitgliedern auf der anderen Seite zunächst konzeptualisiert und operationalisiert und anschließend durch entsprechende Analysen belegt werden muss.“ (2008, S. 178)
Dem folgend wurde in der vorliegenden Arbeit das Modell nach Gärtner et al. (2017), das aus dem strategischen Management stammt, und somit die theoretischen Richtungen, die gerade in jüngeren Jahren in den neo-institutionalistischen Theorieströmungen (vgl. Greenwood et al 2013; Hardy & Maguire 2013) existieren, herangezogen und adaptiert. Mit Hilfe der in Kapitel 2 und 3 dargestellten erweiterten Verständnisse von zentralen Konzepten im Neo-Institutionalismus erfolgte eine tiefergehende Operationalisierung der vier Phasen des Respondierens. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Untersuchung handelt, die im Kontext schulischer Umwelten und schulischer Akteure durchgeführt wurde, wurden überdies Erkenntnisse der Schulleitungsforschung (Schratz et al. 2015) in der Operationalisierung mitberücksichtigt. Die Anwendung des so entstandenen Modells wurde in seinen einzelnen Bestandteilen zunächst mittels der vorliegenden Daten angewendet, bevor die Schulleitenden durch die kontrastive Falldarstellung in ihrem Gesamtprozess des Respondierens beschrieben wurden. Da es sich um eine explorative Studie handelt, weisen die einzelnen Operationalisierungen der Phasen an manchen Stellen noch Diskussionspotential auf. So gelang es nicht, im Modell auch die institutionellen Logiken der Anspruchsgruppen abzubilden. Grundsätzlich erhebt das Modell keinen Anspruch auf Vollständigkeit von responsivem Leitungshandeln, es bietet jedoch entlang neo-institutionalistischer Theoriezugänge einen ersten vertieften Blick auf das Respondieren von SL gegenüber ihren institutionellen Umwelten im Zuge einer Reformumsetzung. Auch, dies wurde bereits in der Zusammenfassung betont, war es für die Operationalisierung des Modells notwendig, die einzelnen Phasen zu unterscheiden. Der gesamte Akt des responsiven Leitungshandelns wird jedoch erst im Zusammenspiel der einzelnen Phasen sichtbar. So bedingen die Phasen einander und stellen sich als Prozess dar. Aus diesem Grund kann der Operationalisierung aus einem phänomenologischen Verständnis heraus auch Kritik zugesprochen werden. In einer phänomenologischen Sichtweise lassen sich die Phasen des Wahrnehmens und Antwortens nicht strikt trennen, sondern stellen sich in der Realität als zwei ineinander verschobene Erfahrungen dar
4.3 Zusammenfassung und Grenzen der Untersuchung
291
• Auswertungsverfahren Grundsätzlich findet sich in den unterschiedlichen empirischen Forschungsarbeiten, denen ein neo-institutionalistischer Theoriezugang zugrunde liegt, durchaus eine Breite an Methoden sowie methodischen Auswertungsformen. Somit lässt die Theorie hier eine Methodenpluralität und eine gewisse Offenheit zu. Für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit erscheinen die angewendeten Methoden sowie das gewählte Auswertungsverfahren adäquat. Dennoch soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass jene Fragestellung, die sich mit der Orientierung der Schulleitenden und deren Legitimierungsstreben befasst, auch mittels rekonstruktiver Auswertungsverfahren, wie der dokumentarischen Methode (vgl. Amling & Vogd 2017), hätten analysiert werden können. Da für diesen Zugang jedoch eine größere Forschungsgruppe notwendig ist und die Forschung im Rahmen der vorliegenden Qualifizierungsarbeit alleine von der Autorin durchgeführt wurde, ergaben sich bestimmte Limitationen bzgl. des Auswertungsverfahrens. Eine Validierung war somit nur kommunikativ mit den Befragten bzw. durch die ausführliche Darstellung der Ergebnisse im Sinne einer argumentativen Validierung (vgl. Lamnek 2010 S. 140) möglich.
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen Legitimitätsansprüchen und Transformationsstreben
„[...].in den Schubladen der Wissenschaft hat man die einzelnen Schubladen aufgetan, hat sie zu einem Paket geschnürt und hat jetzt ein Paket zusammengebaut, das der neuen Pädagogik entspricht. Aus wissenschaftlicher Sicht passt das gut[...].“ (SL 6 MGA, Z. 746 ff.)
Ausgehend von der Annahme, dass schulische Umwelten aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen bestehen, die Einfluss auf die Ausgestaltung und Abläufe von Entwicklungsprozessen innerhalb schulischer Organisationen nehmen (vgl. Walgebach & Meyer 2008), wird in der vorliegenden Arbeit das Antwortgeschehen von Schulleiter/-innen auf institutionelle Ansprüche untersucht. Besonders sichtbar wird ein solches Antwortgeschehen, wenn neue Erwartungen aus der institutionalisierten Umwelt an die schulischen Organisationen herangetragen werden, beispielsweise im Zuge von Reformen. Von diesen Grundprämissen ausgehend, werden nachfolgend zentrale Ergebnisse der Studie unter Rückbindung an neo-institutionalistische Zugänge sowie im Kontext von Schulentwicklungsund Schulleitungsforschung diskutiert. Dabei markieren die beiden leitenden Fragestellungen dieser Arbeit den Orientierungsrahmen für die anschließende Erörterung: A) Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiter/-innen bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform an ihrem Standort? B) Wie respondieren Schulleiter/-innen auf ihre institutionelle Umwelt? Ferner rekapituliert das fünfte Kapitel die Grenzen und Chancen, die diese Arbeit aufweist, und leitet entsprechend der Befunde Implikationen sowohl für Schulleitungs- als auch Schulentwicklungsforschung ab. Die geschieht vor dem Hintergrund der vorangegangenen Kapitel, in denen grundlegende theoretische © Der/die Autor(en) 2023 L. Jesacher-Rößler, Responsive Schulleitung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4_5
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Konzepte der neo-institutionalistischen Zugänge (Kapitel 2), weiterführende Konzepte zu Responsivität sowie Entwicklungslinien und -trends der Schulleitungsund Schulentwicklungsforschung (Kapitel 3) und die empirischen Ergebnisse (Kapitel 4) aufgearbeitet wurden.
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Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische Einordnung der Ergebnisse
5.1.1
Neo-institutionalistische Verortung der Ergebnisse
Dass neo-institutionalistische Konzepte und Ansätze zunehmend in erziehungsund bildungswissenschaftlichen Arbeiten berücksichtigt werden (vgl. Schemmann & Koch 2009; Erckrath 2019), wurde bereits betont. Drepper und Tacke (2012) führen dies unter anderem darauf zurück, dass viele Studien „am Fall von Erziehungsorganisationen“ (S. 211) durchgeführt wurden, was zur Folge hat, dass eine „hohe Identifikation mit dieser Perspektive sowie ein großer Wiedererkennungswert und Plausibilitätsgrad ihres empirischen Bezuges“ (ebd.) entstehen. Nichtsdestoweniger bergen diese vermeintliche „hohe Identifikation“ und die „Plausibilität“ auch die Gefahr, Ansätze und Konzepte zu übernehmen, ohne entsprechend kritische Reflexionen anzustrengen. Daher versteht sich die anschließende Diskussion auch als ein Versuch, eine solche kritische Haltung einzunehmen. Überdies hat die vertiefte Auseinandersetzung mit neoinstitutionalistischen Zugängen gezeigt, dass sich in den vergangenen Jahren unterschiedliche Stränge entwickelt haben. Diese verschiedenen Entwicklungslinien haben zum Teil dazu geführt, dass zentrale Begriffe (Akteur, Institution, Organisation etc.) ein breites Definitionsspektrum aufweisen. Mit der Erweiterung der neo-institutionalistischen Zugänge durch das Modell der Responsivität wurde insbesondere das Umwelt-Organisationsverhältnis aus der Perspektive von organisationalen Akteuren (Schulleitenden) betrachtet. Die folgende Diskussion bezieht sich daher vordergründig auf diese Erweiterung und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse für neo-institutionalistische Zugänge in der Erziehungswissenschaft. Verhältnis zwischen institutionellen schulischen Umwelten und schulischen organisationalen Akteuren (Schulleitenden) Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen, dass Schulleitende unterschiedliche Verständnisse davon haben, wie sich ihnen die institutionelle schulische Umwelt zeigt. Während sich für einige Schulleitende die institutionelle Umgebung als begrenzend und einengend darstellt (SL_02_MGU; SL_04_MGU:
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
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SL_05_OGU; SL_06_MGU, SL_08_MGU), verstehen andere die institutionellen Erwartungsstrukturen ihrer Umwelt als Möglichkeitsräume (SL_03_OGU; SL_07_OGU; SL_10_MGU, SL_11_MGU), aus denen entsprechend geschöpft werden kann. Ein/-e Leitende/-r nahm die institutionelle Umwelt als gegeben wahr (SL_09_OGU). Entscheidend bei diesen Erkenntnissen ist, dass mit den unterschiedlichen Verständnissen auch unterschiedliche Auffassungen von den Ermöglichungsräumen organisationaler Akteure einhergehen. Wird die Umwelt als begrenzend wahrgenommen, so überträgt sich dies auf die Handlungsmöglichkeiten, die die Schulleitenden für sich sehen. Jene Leitende, die ihre Umwelt eher als begrenzend wahrnehmen, formulieren unter anderem den Wunsch, dass ihnen klare Vorgaben gemacht werden bzw. sie „von oben“ Informationen erhalten wollen, wie neue Reformen umzusetzen sind. In den empirischen Untersuchungen zeigte sich zudem, dass die Schulleitenden, die ihre institutionelle schulische Umwelt als begrenzend wahrnehmen, weniger häufig Reforminhalte als sinnstiftend bzw. Umsetzungen für ihren Standort als förderlich beschreiben (vgl. SL_06_MGU; SL_08_MGU). Aus den Ergebnissen konnte überdies abgeleitet werden, dass bisweilen mit bestimmten Umwelt-Organisationswahrnehmungen Legitimierungsstrategien einhergehen, die gegen die Umsetzung der NeuenMittelschulreform argumentieren (SL_06_MGU, SL_08_MGU). Betrachtet man diese Erkenntnisse vor dem Hintergrund der theoretischen Zugänge, wie sie in Kapitel 2 dieser Arbeit aufbereitet wurden, so lassen sich begrenzende Wahrnehmungen einem kontingenztheoretischen Verständnis der UmweltOrganisationsverhältnisse (vgl. Mense-Petermann 2006; Koch 2018) zuordnen. Organisationale Akteure passen sich laut der damit verbundenen Akteursbeschreibung „strategisch“ bzw. ggf. „inszenierend“ an (vgl. Tab. 2.9). Zum Teil wird (indirekt) ein kontingenztheoretisches Organisationsverständnis zugrunde gelegt, wenn in (einigen erziehungswissenschaftlichen) Arbeiten das Verhältnis zwischen Umwelt und Organisation diskutiert wird1 (vgl. hierzu Dubs 2005, 2016; Creemers et al. 2000). Die Auseinandersetzung des Verhältnisses wird meist erweitert durch Ansätze, die beschreiben, wie sich „Formal- und Aktivitätsstruktur“ zueinander verhalten bzw. welche Kopplungs- und Entkopplungsprozesse2
1
Insbesondere zählen hierzu Arbeiten, die Schulleitung bzw. Schulentwicklung aus der Perspektive des Situativen- bzw. Kontingenz-Ansatzes beschreiben. Diese Ansätze gehen davon aus, „dass eine Schule mehr oder weniger effektiv [ist]; je nachdem ob es ihr von ihrer Anpassungsfähigkeit her gelingt, sich an die spezifische Situation optimal anzupassen.“ (Holtappels et al. 2017). 2 Weick unterscheidet zwei Formen der Kopplung: „looseley coupling“ und „tightly coupling“. Organisationen, die er als eng gekoppelt beschreibt, weisen vier Merkmale auf: Es
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
(vgl. Weick 1976, 1982) sich zeigen. Dadurch entsteht im kontingenztheoretischen Organisationsverständnis die Sicht auf einen organisationalen Akteur, der vordergründig reaktionales Verhalten zeigt. Der Akteur reagiert auf die institutionellen Erwartungshaltungen. Durch dieses Akteursverständnis kann es zu verkürzten Folgerungen kommen, z. B. indem angenommen wird, dass im Falle von Reformumsetzungen organisationale Akteure (Schulleitende, Lehrende) Entkopplungsmechanismen anwenden, um ein „strategisches“ und „inszenierendes“ Akteursverständnis einzunehmen und Organisationsentwicklung im Sinne des kontingenztheoretischen Zugangs3 zu gestalten (vgl. Schäfers 2009; Hartz, 2009; Marti 2017; Muslic 2018). Dabei wird angenommen, dass Akteure rational und strategisch handeln. Dieses technokratische Verständnis orientiert sich eher an Rational-Choice-Theorien und weniger an neo-institutionalistischen Zugängen. Frühe neo-institutionalistische Arbeiten gehen davon aus, dass Institutionen unhinterfragt übernommen werden. Dieses Umwelt-Organisationsverständnis bildet sich eher in einem konstitutionstheoretischen Zugang ab, namentlich in jenem mit einer inkorporierten Sicht. Das Umwelt-Organisationsverständnis ist normativ geprägt, und die institutionellen Umweltstrukturen schaffen die organisationalen Strukturen. Organisationen sind Reifikationen dieser Vorgaben. Organisationale Akteure verkörpern die institutionellen Vorgaben in Form von organisationalen Formalstrukturen und Handlungsweisen (vgl. Tab. 2.9). Die Vorgaben werden als unhinterfragte Skripten und Regeln übernommen. Die Auswertung der empirischen Daten hat nur in einem Interview eine solche Wahrnehmung rekonstruieren können (SL_09_OGU). Insgesamt vier Mal zeigte sich in den Daten ein konstitutionstheoretisches Verständnis, das als translative Perspektive charakterisiert wird (vgl. Tab. 2.9). Die institutionelle Umwelt wird als Fundus beschrieben. Organisationale Akteure verfügen über die Fähigkeit, durch ihr Handeln auch Einfluss auf die institutionellen Umwelten zu nehmen. Dadurch unterscheidet sich diese Sichtweise entscheidend von den beiden zuvor genannten. Es liegt ein interpretatives Paradigma zugrunde. Dieses Verständnis des Umwelt-Organisationverhältnisses befördert existieren klare Regeln im System, die Regeln sind bekannt und die Mitglieder der Organisation sind sich über diese einig, es gibt ein Kontrollsystem, das überprüft, ob die Regeln eingehalten werden und es gibt Rückmelde- und Sanktionssysteme im Falle der Abweichung von den Regeln. Für Weick sind schulische Organisationen „loosly coupled“ Systeme, da ihnen mindestens das Merkmal des Kontrollsystems fehle. 3 Scott beschreibt den kontingenztheoretischen Zugang wie folgt: „Die Kontingenztheorie ist an der allgemeinen Hypothese orientiert, daß Organisationen, deren innere Wesenszüge den Umweltanforderungen am besten entsprechen, die beste Adaption leisten.“ (vgl. 1986, S. 163).
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
297
vor allem neuere Entwicklungsstränge im Neo-Institutionalismus. Garud et al. (2007, S. 961) beschreiben „institutionelle Agenten“, die vorgegebene Strukturen nicht einfach nur übernehmen, sondern sie als Fundus für mögliche Handlungsalternativen ansehen, als „Institutional Entrepreneurs“. Als besondere Herausforderung für die Anwendung neo-institutionalistischer Zugänge lässt sich festhalten, dass unterschiedliche Verständnisse angelegt werden und somit kein einheitlicher Theoriebezug hergestellt werden kann. Ein divergierendes Akteursverständnis (vgl. Tacke 2006) sowie unterschiedliche Grundverständnisse des Umwelt-Organisationsverständnisses erschweren die Diskussion. Durch die Erweiterung mittels des Ansatzes der Responsivität gelingt es, alle drei Zugänge zu berücksichtigen und somit die Beschneidung des Antwortgeschehens der organisationalen Akteure durch vorgefertigte Annahmen, wie deren Antworten erfolgt (nur passiv oder gestaltend), aufzuheben. Für die Weiterentwicklung neo-institutionalistischer Zugänge bedarf es eines vertieften Diskurses, welches Organisationsverständnis als leitend erachtet wird. Insbesondere im Zusammenhang mit Autonomieansätzen und Konzepten der Selbstverantwortung braucht es ein Akteursverständnis, das weg von einem reaktionären und hin zu einem gestalterischen Antworten geht. Schulische institutionelle Umwelten als Organisationale Felder Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse der empirischen Untersuchung findet sich in Tabelle 4.2. Sie bildet die unterschiedlichen Anspruchsgruppen ab, die von den Schulleitenden als eine der drei relevantesten Anspruchsgruppen zur Legitimierung der Entwicklungen am Schulstandort genannt wurden. Zunächst zeigt sich, dass sich die Angaben je nach Schulleiter/-in unterscheiden. Daraus lässt sich ableiten, dass jede Schule im Detail ein eigenes organisationales Feld konstruiert. Die empirische Untersuchung konnte ferner zeigen, dass sich die Verständnisse der unterschiedlichen Akteursgruppen bzw. Anspruchsgruppen voneinander unterscheiden4 . Insbesondere hinsichtlich der Legitimierung für Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in schulischen Organisationen konnte aufgezeigt werden, dass die unterschiedlichen Gewichtungen der Anspruchsgruppen unterschiedliche Quellen der Legitimierung bedeuteten. Die strukturell-relationale Komponente spielt demnach eine entscheidende Rolle in der Ausgestaltung von Organisationalen Feldern. Der Versuch, die mehrfach genannten Anspruchsgruppen nach dem Schema von Mitchell et al. (1997) bzw. Sandhu (2014) zuzuordnen, gelang nicht, da die 4
In Anhang (3) finden sich diese Verständnisse noch einmal zusammengefasst.
298
5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Dimensionen Macht, Dringlichkeit und Legitimität von den einzelnen Schulleitern und Schulleiterinnen jeweils unterschiedlich interpretiert wurden. Auch die Definitionen für Anspruchsgruppen von Fligstein und McAdam (2012) in ihrer „Theory of fields“ erschienen wenig passend für die Beschreibungen und Interpretationen der Akteurs- bzw. Anspruchsgruppen durch die Schulleiter/-innen. Zum einen, da Akteursgruppen sich nicht zuordnen ließen und zum anderen, weil Unterscheidungen zwischen Etablierten und In-Frage-Stellern nicht eindeutig getroffen werden konnten. Fligstein und McAdam adressieren außerdem in ihrer Theorie des „strategic action fields“ organisationale Akteure wieder vordergründig in einem kontingenztheoretischen Verständnis, wonach primär reaktionäres Antwortgeschehen erfolgt. Zwar beschreiben sie sogenannte „challengers“, die andere Denkweisen aktiv ins Feld tragen, verorten diese jedoch eher in der Peripherie des Feldes (vgl. 2012, S. 13). Die vorliegenden Daten konnten keine Auskunft darüber geben, wo (Nähe – Distanz) sich die In-Frage-Steller/-innen („challengers“) innerhalb der Felder positionierten. Für diese Bestimmung bedarf es weiterführender Untersuchungen. Einige der theoretischen Annahmen von Fligstein und McAdam ließen sich dahingehend bestätigen, als dass die Mitgliedschaft in einem Organisationalen Feld mehr von den eigenen Standpunkten aus gedacht wird als von Kriterien, die der Organisation zugeschrieben werden. Auch schreibt das Autorenduo, dass sich die Verbindungslinien der einzelnen Akteursgruppen innerhalb eines Feldes flexibel verändern können, je nach Situation und Bezugspunkt (vgl. S. 10). Diese Annahme kann durch die unterschiedlichen Nennungen von Akteursgruppen, bezogen auf die verschiedenen Qualitätsbereiche, belegt werden (vgl. Abbildung 4.22–4.28). Auch der Zugang, dass die einzelnen Akteure des Organisationalen Feldes sich bestimmten gemeinsamen Themen widmen (NMS-Reform, Schulqualität Allgemeinbildung), wodurch Dynamiken und gemeinsame Prozesse im Feld entwickelt werden, konnte in der zugrundeliegenden Untersuchung festgestellt werden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse empfiehlt es sich dennoch, in weiterführende vertiefte Auseinandersetzungen zu Konzepten für Organisationale Felder zu investieren. Vor allem bedarf es einer Integration der strukturell-relationalen Verbindungen, damit die Gewichtung der einzelnen Akteure innerhalb des Feldes berücksichtigt werden und Widersprüche, die durch unterschiedliche Erwartungshaltungen innerhalb des Feldes auftreten, in erweiterte Modelle einfließen können.
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
299
Schulische Anspruchsgruppen und verbindende institutionelle Logiken Wie in Kapitel 4 gezeigt werden konnte, gibt es eine Reihe von Akteursgruppen, die für Schulleitende in den unterschiedlichen Qualitätsbereichen unterschiedliche Relevanz aufweisen. Im Zusammenhang mit institutionellen Umwelten stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen Institutionen, die sich aus den von den Schulleitenden genannten Akteursgruppen ableiten lassen, in das von Scott (2001) bzw. durch Koch (2018) erweiterte Säulen- / Dimensionenmodell eingeordnet werden können. Wie in Abschnitt 2.2.2.1 theoretisch dargestellt wurde, setzen sich Institutionen für Scott aus unterschiedlichen „Säulen“ (Pillars) zusammen. Der Autor unterscheidet dabei die regulative, normative und kulturell-kognitive Säule. Je nach Konzeption der Institution sind die Säulen unterschiedlich stark ausgeprägt. Diese Ausprägung zeigt sich in der Ordnungsgrundlage (regulativ – Gesetze und Regeln; normativ – bindende (normative) Erwartungen; kulturell-kognitiv – unhinterfragte Selbstverständlichkeiten). Für Koch liegt jedoch die kulturellkognitive Dimension den beiden anderen Dimensionen zu Grunde, da sie übergreifend alle institutionellen Erwartungshaltungen beeinflusst. Darüber hinaus ergänzt Koch noch die strukturelle Dimension, da Institutionen auch davon geprägt werden, in welcher hierarchischen bzw. horizontalen Beziehung sie zu anderen Akteuren stehen. Dass diese Komponente entscheidend für die Bestimmung der institutionellen Umwelten ist, konnte bereits im vorangegangenen Abschnitt dargestellt werden. Orientiert man sich nun an dem Modell von Koch und spielt es für die Anspruchsgruppen durch, die am häufigsten genannt wurden, so ergäbe sich folgende erste Einteilung: Die Verortung der relevantesten Anspruchsgruppen entlang der von Koch (2018) entwickelten Dimensionen (vgl. Tab. 5.1) gestaltete sich schwierig. Während sich die regulative und die normative Dimension noch verhältnismäßig einfach den Anspruchsgruppen zuordnen ließen, war es für die relational-strukturelle Dimension herausfordernder. Systembedingt ergaben sich für manche Anspruchsgruppen Nah- oder Distanzverhältnisse. Die beiden von den Schulleiter/-innen (SL_03_OGU; SL_06_MGU) genannten Anspruchsgruppen „Literatur“ bzw. „Forschung“ sowie „andere Schulleiter/-innen“ weisen keine direkten systembedingten Relationen auf. Anspruchsgruppen wie „Schulaufsicht“ und „Fortund Weiterbildung“ konnten hingegen systembedingte Relationen vorweisen. Bei der Schulaufsicht impliziert die relational-strukturelle Dimension zudem eine Abhängigkeitskomponente, da Schulen dieser Institution dienstlich untergeordnet sind. Nichtsdestoweniger (siehe die Darstellung in Tab. 4.3) hängt die Nähe bzw. Distanz der Anspruchsgruppen zu anderen Akteuren innerhalb definierter Organisationaler Felder auch von der Wahrnehmung der Schulleitenden ab. Nur
Dimension stärker ausgeprägt. Forschungsergebnisse liefern Handlungsempfehlungen.
Kein direkter systembedingter Bezug. Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
Unterschiedliche Positionen der Akteure zueinander
strukturell-relationale Dimension
Dimension stärker ausgeprägt. Die Interviews zeigten, dass weiterführende Schulen häufig indirekte Empfehlungen aussprechen. Vertreter/-innen der weiterführenden Schulen gehören auch der pädagogischen Profession an.
(Fortsetzung)
Gewisser Nahebezug qua gegebene Systemstrukturen. Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
Kulturell-kognitive Dimension bildet sich entlang der Steuerungslogiken von Reformen in den unterschiedlichen Schultypen ab.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
Kulturell-kognitive Dimension bildet sich durch die unterschiedlichen Forschungslogiken ab.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
Literatur/ Forschung
Zeigt sich durch die Vorgabe von Empfehlungen und z. B. Vergabe von Zertifizierungen (Professionsbezug). Missachtung – Entzug der Unterstützung
normative Dimension
5
weiterführende Schulen
Zeigt sich durch die Berufung auf Gesetze, Richtlinien und Verordnungen. Missachtung – Strafe
Beschreibung
regulative Dimension
Tabelle 5.1 Verortung der Ergebnisse zu den relevantesten Anspruchsgruppen der Schulleitenden im Dimensionenmodell nach Koch (2018). (Adaption des Modells, Eigene Darstellung)
300 Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Kollegium
Schüler/-innen
Eltern
Dimension wenig ausgeprägt. Die Interviews zeigen, dass zum Teil von institutionellen Akteuren dieser Gruppe normative Vorstellungen geäußert werden.
normative Dimension Direkter aus Systemsicht: Konnex über die Schüler/-innen. Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
strukturell-relationale Dimension
Dimension wenig ausgeprägt.
Aus Systemsicht – Teil des Systems Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
Dimension stärker ausgeprägt. Die Interviews zeigten, dass Lehrpersonen intern Vorstellungen bzw. Empfehlungen aussprachen. Sie gehören der pädagogischen Profession an.
(Fortsetzung)
Aus Systemsicht – Teil des Systems Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
Kulturell-kognitive Dimension bildet sich entlang der Steuerungslogiken von Reformen in den unterschiedlichen Schultypen ab.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
Kulturell-kognitive Dimension scheint jene Dimension, die am stärksten ausgeprägt ist. Vorstellungen und Erwartungshaltungen orientieren sich am Elternhaus und der eigenen Sozialisation.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
Kulturell-kognitive Dimension scheint jene Dimension, die am stärksten ausgeprägt ist. Vorstellungen und Erwartungshaltungen orientieren sich vielfach an den eigenen Bildungserfahrungen.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
regulative Dimension
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische … 301
strukturell-relationale Dimension
Dimension stärker ausgeprägt. Aus Systemsicht – Teil des Systems Die Interviews zeigten, dass Abhängig von der Wahrnehmung Lehrpersonen mit Funktion an des Schulleiters/der Schulleiterin. vielen Standorten noch einen höheren Einfluss darauf hatten, wenn es um bestimmte Empfehlungen ging – insbesondere die Lerndesigner/-innen. Sie gehören der pädagogischen Profession an.
normative Dimension
Dimension ebenfalls ausgeprägt, da einige Vertreter/-innen der Schulaufsicht (Inspektoren und Inspektorinnen bzw. Schulqualitätsmanager und -managerinnen) Empfehlungen aussprechen, wie bestimmte Reformen umzusetzen sind.
(Fortsetzung)
Aus Systemsicht – Schulen sind nachgereihte Dienstbehörden – Schulaufsicht bildet Aufsichtsorgan und steht daher in einem besonderen relationalen Verhältnis. Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
Kulturell-kognitive Dimension bildet sich entlang der Steuerungslogiken von Reformen in den unterschiedlichen Schultypen ab.
Dimension ausgeprägt. Schulaufsichtverantwortliche sind als VertreterInnen der bürokratischen Hierachiekonstellation des Bildungssystems weisungsbefugt und dafür verantwortlich, dass geltende Rechtsvorschriften eingehalten werden.
Kulturell-kognitive Dimension bildet sich entlang der Steuerungslogiken von Reformen in den unterschiedlichen Schultypen ab.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
regulative Dimension
5
Schulaufsicht
Lehrpersonen mit Funktion
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
302 Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Dimension stärker ausgeprägt. Über Fort- und Weiterbildungsformate werden normative Empfehlungen weitergegeben. Fort- und Weiterbildungseinrichtungen stellen zudem (z. T. in Kooperation mit den Bundesländern) auch Gütesigel und Zertifikate aus.5
normative Dimension Für Lehrpersonen6 allgemeiner Pflichtschulen gilt eine Fortbildungspflicht. Diesbezüglich existiert systembedingt ein Bezug Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
strukturell-relationale Dimension
(Fortsetzung)
Kulturell-kognitive Dimension wird beeinflusst durch unterschiedliche Logiken. Steuerungslogiken neuer Reformen, je nach Fort- und Weiterbildner/-in auch durch schultypspezifische Reform- und Steuerungslogiken sowie in der forschungsgeleiteten Fort- und Weiterbildung auch durch Forschungsparadigmen.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
regulative Dimension
Im Zuge der NMS Reform kam dem National Competence Center für lernende Schulen (vormals ZLS) die Aufgabe zu, die Entwicklungsbegleitung aller Neuen Mittelschulen zu übernehmen, im Zuge dessen wurden viele (normative) Empfehlungen an die Schulen ausgesprochen. 6 Schulleiter/-innen haben – anders als Lehrpersonen – keine gesetzlich normierte Fortbildungsverpflichtung in Österreich.
5
Fort- und Weiterbildung
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische … 303
andere Schulleiter/-innen (Peergroup)
Dimension stärker ausgeprägt. Institutionelle Akteure dieser Gruppe gehören der pädagogischen Profession an und sprechen Empfehlungen aus bzw. zeigen bestimmte Antwortgeschehen bezogen gemeinsame Akteursgruppen (z. B. Schulaufsicht) auf.
normative Dimension Kein direkter systembedingter Bezug. Abhängig von der Wahrnehmung des Schulleiters/der Schulleiterin.
strukturell-relationale Dimension
5
Kulturell-kognitive Dimension bildet sich entlang der Steuerungslogiken von Reformen in den unterschiedlichen Schultypen ab.
Dimension wenig ausgeprägt. Von dieser Institution gehen keine gesetzlichen Regelungen aus.
regulative Dimension
Tabelle 5.1 (Fortsetzung)
304 Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
305
so erklärt sich eine Nicht-Nennung der letztgenannten Anspruchsgruppen bei manchen Schulleitenden. Diese Befunde vor Augen, stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Zuordnung für die Darstellung realer institutioneller Umwelten praktikabel ist. Jedenfalls ergeben sich aus den daraus ersichtlichen Diskrepanzen weiterführende Fragen: Wie gelingt es, die Abbildung der relationalen Beziehungen z. B. durch die Verortung der Akteure in Abhängigkeitsstrukturen voneinander dazustellen? Wie geht man damit um, wenn Schulleitende Anspruchsgruppen auswählen, die in keinen institutionalisierten Beziehungen zu ihnen stehen (z. B. Literatur und Forschung, Partnerschulen außerhalb der eigenen Bildungsregion etc.)? Der Umgang mit der letzten Dimension, nämlich der kulturell-kognitiven, stellte sich als besonderes herausfordernd dar. Wie ebenfalls in Abschnitt 2.2.2.1 diskutiert, liefert hier der Ansatz der „institutionellen Logiken“ eine Erweiterung, die bei der Beschreibung der kulturell-kognitiven Dimension unterstützt. Institutionelle Logiken sind laut Friedland und Alford (1991) “a set of material practices and symbolic constructions which constitutes its organizing principles and which is available to organizations and individuals to elaborate.” (S. 248). Sie bilden also die kulturell-kognitiven Bedeutungsrahmen, innerhalb derer Legitimierungen für Handlungen entstehen. Thornton et al. (2012) sprechen auch von kulturell-kognitiven „root metaphors“ (vgl. Scott 2014, S. 90), die unterschiedliche Subsysteme und deren Mechanismen in gesellschaftlichen Arenen (Feldern) anleiten. Solche „root metaphors“ existieren für zentrale Arenen wie Familie, Religion, Staat, Markt, Profession und kommunale Strukturen. Was jedoch können solche „root metaphors“ für Bildungssysteme sein? In diesem Zusammenhang bedarf es einer Erweiterung der neo-institutionellen Theorien durch Konzepte aus den erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschungen. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Forschungsarbeit handelt, die im Kontext der Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung verankert ist, wird auf ein Konzept aus diesem Bereich zurückgegriffen. Konkret ist damit jene Matrixstruktur gemeint, die in Abschnitt 3.2.1 diskutiert und in Tab. 3.1 im Überblick abgebildet ist. Schratz et al. (2015) haben entlang eines Modells nach Scharmer und Käufer (2013) unterschiedliche Leitkonzepte der Schulentwicklung nachgezeichnet. Diese Logiken können mit den Entwicklungsphasen im Bereich der Schulentwicklung verbunden werden. Somit stellt die Matrix von Schratz et al. (2015) heuristisch die Entwicklungsphasen im Bereich der Schulentwicklung dar, die zum Teil durch bildungspolitische Änderungen beeinflusst bzw. erzeugt wurden, zum Teil diese beeinflusst haben und zum Teil nicht mit bildungspolitischen Reformen korrelieren. Entsprechend dem Modell von Czarniawaska und Joerges (1996) können diese unterschiedlichen Phasen
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5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
auch als „Trends“ bzw. „Fashion“ verstanden werden (vgl. ausführlich Kapitel 3), die zu neuen institutionellen Logiken geführt haben (z. B. Outputsteuerung). Schratz et al. (2015) betonen in ihrem Aufsatz, dass sich diese Strömungen nicht gegenseitig abgelöst haben, sondern vielfach parallel nebeneinander herlaufen und sich auch in den Reformen bzw. bildungspolitischen Ansprüchen an die Schulen abgebildet sehen. Diese Strömungen bzw. Logiken (1.0, 2.0, 3.0, 4.0) wurden nun als Bezugsrahmen im Responsivitätsmodell für die kulturell-kognitive Dimension herangezogen; jedenfalls für jene Anspruchsgruppen, für die eine solche Zuordnung Sinn ergab. „Literatur“ bzw. „Forschung“, „Eltern“ und „Schüler/-innen“ konnten diesen „root metaphors“ nicht zugeordnet werden; an dieser Stelle erscheinen andere institutionelle Logiken zielführender. Gleichzeitig zeigte sich für die Anspruchsgruppen „Eltern“ und „Schüler/-innen“, dass diese vor allem durch institutionelle Vorstellungen geprägt werden, die in der kulturell-kognitiven Dimension zu finden sind – zu klären bleibt die Frage, welche institutionellen Logiken für diese Anspruchsgruppen leitend sind.7 Die Diskussion der Ergebnisse im Zusammenhang mit institutionellen Logiken der Anspruchsgruppen ergab überdies noch weiterführende Fragen, die auf Grundlage der vorliegenden Untersuchung nicht zu klären waren. So bedarf es einer weiterführenden Auseinandersetzung, wie das erweiterte Modell nach Koch (2018) und insbesondere die strukturell-relationale Dimension operationalisiert werden können. Auch die Vertiefung der Forschung hinsichtlich „institutioneller Logiken“ zeichnet sich als Mehrwert für die Entwicklung neoinstitutionalistischer Theorieentwicklungen ab. Insbesondere im Bereich der Erziehungs- und Bildungswissenschaften greifen aktuelle Arbeiten diese Perspektive zunehmend auf (vgl. Bridwell-Mitchell 2012; Bridwell-Mitchell & Sherer 2016; Glazer, Massell & Malone 2018; Diehl 2019). Modell der Responsivität als ergänzender Theoriebaustein Die Erweiterung neo-institutionalistischer Theorien durch ein Modell der Responsivität bildet ein weiteres Puzzlestück für deren Entwicklung. Der Perspektivenwechsel von der Organisation bzw. deren organisationalen Akteuren auf das Umwelt-Organisationsverhältnis wurde in der Literatur bis dato wenig berücksichtigt und wenn, dann mit Modellen, die das Antworten der Akteure als strategisches (rationalisiertes) Handeln beschreiben (Olivier 1991). Das operationalisierte Modell der Responsivität nach Gärtner et al. (2017), wie es in 7
In der Tabelle befindet sich momentan ein Bezug zu den eigenen Bildungsbiographien bzw. dem Elternhaus/ Bildungssozialisation.
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
307
Kapitel 4 empirisch entwickelt wurde, bietet die Möglichkeit, unterschiedliche neo-institutionalistische Stränge miteinander zu verbinden und so Prozesse unterschiedlichen Antwortgeschehens nachvollziehbar werden zu lassen. Dabei erfolgte außerdem eine Abkehr von den aus dem strategischen Management stammenden Ansätzen und eine Hinwendung zu dem in der philosophischen Phänomenologie (vgl. Waldenfels 2002) verankerten Verständnis von Responsivität. Die Modellentwicklung und Operationalisierung entlang des vorliegenden Datenmaterials hat anschaulich gezeigt, dass der Antwortprozess, der auf institutionelle Ansprüche folgt, wesentlich komplexer ist, als es die von Oliver (1991, S. 152) genannten Antwortmuster (Erdulden, Kompromisse, Vermeiden, Trotzen, Manipulieren) sind. Die kontrastive fallorientierte Auswertung hat zudem noch einmal gezeigt, dass das Modell nicht in seinen Einzelbestandteilen greift, sondern erst das Zusammenwirken der einzelnen Phasen das Antwortgeschehen (vgl. Kap. 4) ausmacht – diese Erkenntnis ist zu betonen, da im Sinne eines phänomenologischen Verständnisses eine Aufspaltung des Antwortgeschehens in Phasen nur bedingt nachvollziehbar ist. Die Überprüfung des entwickelten Modells durch weiterführende empirische Untersuchungen wird zeigen, inwieweit die Operationalisierung der Phasen gelungen ist. Insbesondere die Phase „Antworten“ bedarf einer weiterführenden kritischen Prüfung, da sich in ihr die variablen Faktoren der kulturell-kognitiven Logiken abgebildet finden, die direkten Bezug zur Schulleitungs- bzw. Schulentwicklungsforschung aufweisen.
5.1.2
Verortung der Ergebnisse aus Perspektive der Implementations-, Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung
Die vorliegenden Ergebnisse sollen nicht nur im Kontext neo-institutionalistischer Theorien diskutiert werden, sondern auch in aktuelle Forschungsansätze der Implementation, Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung eingebettet werden. In diesem Zusammenhang werden zentrale Befunde und Erkenntnisse herausgegriffen und erörtert. Institutionelle schulische Umwelten und Implementationsforschung Altrichter (2005, S. 37 ff.) unterscheidet zwischen zwei Implementationsmechanismen, wobei ersterer als „programmed approach“ bezeichnet wird. Dieser charakterisiert sich durch eine lineare „top-down“ Strategie, bei der bereits von Anfang an versucht wird, mögliche Hindernisse (z. B. fehlende Transparenz der
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5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
intendierten Aktionen) zu berücksichtigen. Der zweite Zugang wird als „adaptiveevolutionary approach“ beschrieben. Dieser Ansatz beinhaltet ein Verständnis dafür, dass die Intensionen einer Reform bei der Umsetzung entsprechend den lokalen Gegebenheiten adaptiert werden. Diese Form der Implementation berücksichtigt „institutionelle und organisationale Muster“ bei der Reformumsetzung (Berman & McLaughlin 1976, S. 5). Gerade im Verständnis des zweiten Zugangs bedarf es eines Akteursverständnisses, das die aktive und gestalterische Rolle in Reformumsetzungsprozessen abbildet. Dabei sind weniger reaktionale Verhaltensweisen gemeint (eher kontingenztheoretische Sichtweise), sondern Umsetzungsformen, die mit Aushandlungsprozessen einhergehen (eher konstitutionstheoretische Sichtweise). Auch Kraler und Schratz (2012) greifen diese konstitutionstheoretische Sicht im Zusammenhang mit Implementation auf, indem sie von transformativen Prozessen sprechen, die zu next practice anstatt best practice (mehr von dem gleichen) führen. Durch die Interpretation bzw. die organisationalen Aktivierungs- oder Aktionsprozesse (Enactment – vgl. Ball et al. 2012) von Reformen entstehen neue Zugänge, die wiederum in die institutionelle schulische Umwelt zurückgespielt werden und somit zu Veränderungen auf Systemebene beitragen können. Die Beforschung von responsivem Schulleitungshandeln erfolgte in dieser Arbeit anhand des Umgangs von Schulleitenden mit der NeuenMittelschulreform. Es soll jedoch betont werden, dass das zugrundeliegende Modell auch die Möglichkeit bietet, andere Schulentwicklungsprozesse und deren Umsetzung zu analysieren. Insbesondere für die Implementationsforschung bietet das Modell neue Perspektiven, um zu verstehen, wie Reformvorhaben an Schulstandorten übersetzt werden und welche besondere Rolle dabei die institutionellen Umwelten der Schulstandorte aus Sicht der Leitenden spielen. Wie im dritten Kapitel beschrieben wurde, folgte die Neue-Mittelschulreform einer bestimmten Implementationslogik (vgl. Abschnitt 3.2.1). Die Verantwortung für die Ausgestaltung und Umsetzung der einzelnen Komponenten wurde mehrheitlich an die Schulstandorte und damit verbunden an die Schulleitenden sowie die neuen Teacher Leader, die Lerndesigner, übertragen. Damit folgte die Reform einem Steuerungsmodus (vgl. Schimank 2011), der Austausch- und Verhandlungsprozesse in der Umsetzung der Reform verstärkt berücksichtigte. Schulleitende, die vormals mehrheitlich mit Implementationskonzepten adressiert wurden, die anderen Logiken (vgl. Programmansatz bei Altrichter 2005) folgten, und damit verbunden Leitungsverständnisse entwickelt hatten, die darauf passend antworten konnten, sahen sich vor neue Herausforderungen gestellt. Eine Conclusio, die aus den Ergebnissen in Kapitel 4 abgeleitet werden kann, ist, dass auch
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
309
Reformen bestimmte Implementationslogiken transportieren und mitunter kontradiktorisch zu vorherrschenden Führungslogiken von Schulleitenden sind. Dieser Fall tritt z. B. dann ein, wenn Schulleiter/-innen vornehmlich steuernde Führungsverständnisse haben, Reformimplementationsansätze jedoch vorsehen, dass am Schulstandort Umsetzungsstrategien gemeinsam entwickelt werden. Diese Erkenntnis impliziert, dass Reformbegleitungsprozesse immer auch die eigentliche Logik der Reform mitberücksichtigen sollten, um Schulleitende in diesem Sinne zu befähigen, entsprechende Veränderungen an den Schulstandorten zu initiieren. Oft sind diese Logiken innerhalb der kulturell-kognitiven Dimension zu verorten und werden somit nicht artikuliert bzw. hinterfragt, weil sie den größeren Bedeutungsrahmen setzen. Hier klarer den Bezugsrahmen sichtbar zu machen, könnte Reformvorhaben für Empfänger/-innen nachvollziehbarer werden lassen. Eine weitere Erkenntnis im Zusammenhang mit Reformbegleitungsprozessen betrifft jene der Legitimierung. Schulleitende lassen sich von unterschiedlichen Anspruchsgruppen bestätigen, ob ihre Entwicklungsmaßnahmen als legitim erachtet werden oder nicht. Zwar, so konnte die Tabelle 4.3 zeigen, wurden Schulaufsichtsverantwortliche insgesamt sechs Mal als wichtige Anspruchsgruppe genannt und somit auch als legitimierende Instanz beschrieben, von fünf weiteren Schulleitenden allerdings nicht. Auch für die zweite Gruppe der Schlüsselakteure, wenn es um Reformbegleitungsprozesse geht – die Fort- und Weiterbildung –, konnte gezeigt werden, dass lediglich drei Schulleitende diese als zentrale Anspruchsgruppe definierten. Mehrfach genannte Anspruchsgruppen8 waren dafür Eltern sowie für die Neuen Mittelschulen weiterführende Schulen. Wie zuvor aufgezeigt wurde, lassen sich die Eltern einer nicht-professionsbezogenen Akteursgruppe zuordnen und vertreten mehrheitlich eine kulturell-kognitive institutionelle Erwartungshaltung gegenüber Schulleitenden. Weiterführende Schulen können zu jenen Akteursgruppen gezählt werden, die aus einem professionsbezogenen, institutionellen Umfeld stammen. Je nach Anspruchsgruppen werden unterschiedliche Logiken in den Prozess der Reformumsetzung integriert. Scheint keine der Anspruchsgruppen einer professionsbezogenen Anspruchsgruppe zuzugehören, stellt sich die Frage, nach welchen Logiken pädagogische Inhalte aufbereitet und an den Schulen umgesetzt werden. Es bietet sich an, die Befunde der vorliegenden Arbeit entlang von Educational-Governance-Ansätzen kritisch zu diskutieren. Insbesondere erscheinen Mehrebenenperspektiven (Abs et al. 2014) 8
Die mehrfache Nennung der Schüler/-innen wurde bereits in Kapitel 4 relativiert, da diese Gruppe weniger als direkte anspruchsstellende Gruppe beschrieben wurde, denn als indirekte Anspruchsgruppe, die eine zentrale Bezugsgruppe für Schulentwicklungsmaßnahmen darstellt.
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
sowie Rekontextualisierungsprozesse (Fend 2008) in diesem Zusammenhang vielversprechende theoretische Ansätze. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung haben ferner gezeigt, dass Reformumsetzungsprozesse durch Legitimierungsprozesse von Akteuren aus nicht-professionsbezogenen Institutionen beeinflusst werden (vgl. Tab. 4.3). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit dies bei Reformbegleitungsprozessen berücksichtigt wird. Ferner stellt sich die Frage, welche Rolle dabei die fragmentierte Professionsvertretung der Pädagoginnen und Pädagogen spielt. Diese ersten Befunde dieser Untersuchung, ohne dass sie den Anspruch auf eine Verallgemeinerung erheben, regen an, über erweiterte systemische Reformbegleitungsprozesse nachzudenken (vgl. Altrichter 2005; Dedering 2012). Responsives Antwortgeschehen im Kontext von Schulentwicklungsforschung Schulentwicklungsforschung, so konnte bereits in Kapitel 3 gezeigt werden, hat für deutschsprachige Kontexte eine verhältnismäßig junge Geschichte, die sich dennoch in unterschiedliche Phasen einteilen lässt. Diese Entwicklungsphasen bedingen auch unterschiedliche Ausrichtungen der Schulentwicklungsforschung. Klein (2017) unterscheidet zwischen Schulentwicklungsforschung, deren Fokus auf die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schülern gerichtet ist und deren originäre Forschungsparadigmen sich in der Schuleffektivitätsforschung wiederfinden, und einem zweiten Zugang, der mehr auf (organisationale) Entwicklungsperspektiven fokussiert. Darin verankert ist die Schulqualitätsforschung. Beide Zugänge folgen einer eher technokratischen Ausrichtung, da die relationale Dimension von Schule bzw. Schulkultur kaum beachtet wird und stattdessen eine Überbetonung von „technischen“ Lösungen zur Verbesserung des Wissens von Lehrkräften bzw. deren Kompetenz und Effektivität beim Unterrichten vorliegt (vgl. Klein & Bremm 2019). Auch Czejkowska, Dörler & Seyss-Inquart (2016) betrachten diese Entwicklungslinien in der Schulentwicklungsforschung kritisch. Sie ergänzen einen weiteren Trend, bei dem sie beschreiben, dass der Fokus auf „evidenzbasierter Planbarkeit“ liege und Schulentwicklungsprozesse nur evidenzbasiert funktionieren könnten (vgl. S. 18 f.). Einige Theorien, die aktuell in der deutschsprachigen Schulentwicklungsforschung angewendet werden, transferieren technokratische Perspektiven in Form von „Trends“ (vgl. Czarniawaska und Joerges 1996) aus anderen Systemen. Insbesondere die Wahrnehmung des organisationalen Akteurs, die mit diesen technokratischen „Trends“ einhergeht, ist von einem kontingenztheoretischen Verständnis geprägt. Organisationale Akteure antworten „strategisch“ oder werden als rational entscheidende Akteure beschrieben. Auch Schulleitende werden
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
311
nach diesem Verständnis charakterisiert. So schreiben Pashardis und Brauckmann (2018) etwa, „there are various leadership styles (and hybrids thereof) from which leaders can select depending on the situation face, at the system, organizational, and personal levels“ (S. 495). Durch diese Akteurswahrnehmung werden institutionelle und soziale Kontexte mehr und mehr ausgeblendet und organisationale Akteure (Schulleiter/-innen) zunehmend alleinig für ihre Entwicklung verantwortlich gemacht (vgl. Lehmann-Rommel 2004). Diese Entwicklungsperspektive kann insbesondere für die Schulentwicklungsforschung problematisch sein, da, wie Czejkowska, Dörler und Seyss-Inquart (2016) in ihrem Beitrag aufzeigen, eine Ausrichtung der Schulentwicklung zum Beispiel auf OutputSteuerung zu der Konsequenz führe, dass konkurrierende Systeme befördert werden. Auch die Ausrichtung auf eine Effizienzlogik sei, so Czejkowska (2016), für formale Bildungseinrichtungen nicht stimmig, da Effizienz „nicht ihr genuines Strukturmoment“ sei (S. 73). Damit unterstreicht Czejkowska noch einmal die theoretische Annahme, die in Abschnitt 2.1 und Abschnitt 2.3 entwickelt wurde, nämlich, dass Schulen Organisationen besonderer Art sind. Einher mit der rationalen Beschreibung organisationaler Akteure geht ferner ein Zurückdrängen jenes kulturell-kognitiven Bezugsrahmens, der für deutschsprachige Bildungssysteme leitend ist – nämlich jenem des Verständnisses von Bildung9 . Hierzu Bezug nehmend sei darauf verwiesen, dass sich die vorliegende Arbeit nicht erstrangig mit dieser Fragestellung beschäftigt hat, durch den Ansatz und die Operationalisierung des Konzepts der Responsivität und die Berücksichtigung neo-institutionalistischer Theorien jedoch Erkenntnisse in diese Richtung gesammelt werden konnten. Es bietet sich an, diesen Aspekt in weiterführenden Forschungen zu untersuchen. Eine zweite Perspektive, die sich im Zusammenhang mit der Einbettung der Forschungsergebnisse in Schulentwicklungstheorien ergibt, beschäftigt sich mit der Frage, wie die in Kapitel 3 aufgezeigte vierte Phase der Schulentwicklungsforschung in Zukunft in den laufenden Diskurs eingebunden werden kann. Nach einem institutionalistischen Verständnis können Schulen als offene Systeme (vgl. Merkens 2011, Bormann 2002, S. 26 und Schreyögg 2008) beschrieben werden. Es ist daher entscheidend, institutionelle schulische Umwelten mit in den Blick zu nehmen, wenn es um schulische Entwicklungsprozesse geht. Die Ergebnisse der Schulleiter/-innen-Befragung zeigen, dass institutionelle Umwelten, aber auch vorherrschende institutionelle Logiken in der eigenen Schule einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie Reformen durch schulische Akteure rekontextualisiert 9
Damit ist die Abkehr von einer vielfach implizit existierenden Planungsphilosophie hin zu einer Lern- und Bildungsphilosophie gemeint, bei der die Lernenden im Mittelpunkt stehen.
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
werden. Spillane et al. (2019) greifen in ihren aktuellen Forschungsarbeiten genau diesen Aspekt auf: „We frame school systems as open systems that rely on the environments in which they operate for legitimacy and resources essential […]“ (S. 848). Insbesondere zeigen ihre Forschungsergebnisse, dass es gerade in der Schulentwicklungsforschung, aber auch in der Schulleitungsforschung, wichtig ist, institutionelle Umwelten zu berücksichtigen: “First, we demonstrate the importance of understanding the institutional environments of organizations as fragmented and comprising multiple texts and discourses, and we underscore the need to understand how system leaders notice, frame, and combine different texts and discourses in their practice (Lounsbury 2007).” (S. 871)
Die vorliegende Arbeit setzt mit dem Modell der Responsivität an diesem Verhältnis zwischen organisationalem Akteur und institutioneller Umwelt an. Durch die Operationalisierung mittels theoretischer Elemente der neo-institutionalistischen Theorien konnte ein umfassender Blick darauf geworfen werden, wie Schulleitende in ihrem Handeln institutionelle Umwelten einbeziehen. Für die aktuelle Schulentwicklungsforschung ergeben sich aus den Befunden der vorliegenden Arbeit sowie aus aktuellen Bestrebungen, die Region mehr in den Blick zu nehmen, weiterführende Diskussionspunkte. In Anbetracht der Tatsache, dass es in Zukunft vermehrt zur Bildung von Schulclustern kommen wird (vgl. Brauckmann et al. 2019), bedarf es Schulentwicklungstheorien, die die unterschiedlichen institutionellen Logiken berücksichtigen und Konzepte, ähnlich jenem des Organisationalen Feldes, aufgreifen. Gerade das Zusammenspiel unterschiedlicher Schulen, die diese Logiken für sich rekontextualisieren, fordert erweiterte theoretische Konzepte, die nicht nur Einzelschulen in den Blick nehmen. Ein Diskussionspunkt, der darüber hinaus in Kapitel 4 aufgetreten ist, ist die divergierende Wahrnehmung gleicher Anspruchsgruppen innerhalb einer Region. Wie erwähnt wurde, gehören die Schulleitenden, die im Zuge der Arbeit interviewt wurden, alle einer Bildungsregion an. Viele Akteursgruppen, die von den Schulleitenden erwähnt wurden, sind jeweils ein und dieselbe Person, nichtsdestoweniger werden diese Akteure unterschiedlich wahrgenommen (vgl. Anhang (3)). Wie kann also ein plurales Verständnis von Akteursgruppen abgebildet werden? Ein potentieller Ansatz wäre jener von Koch (2018), der Institutionen auch unter der Prämisse ihrer relationalstrukturellen Dimensionen betrachtet. Gerade für regionale Schulentwicklung kann der Ansatz der Responsivität eine theoretische Erweiterung innerhalb der Schulentwicklungsforschung sein.
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
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Eine dritte Perspektive eröffnet sich durch die Möglichkeit, mittels des entworfenen Modells eine vertiefte Betrachtung der Rolle der Schulleitenden an der Nahtstelle zwischen Schulentwicklung und Schulleitungshandeln anzustellen. Wie Koch (2011) schreibt, existieren oft nur vage Vorstellungen, „wie eigentlich genau Schulleitung in die Organisation hineinwirkt bzw. mit dieser interagiert“ (S. 55). Ausgehend von der Annahme, dass Schulleitende einen Einfluss auf Schulentwicklungsprozesse haben (Bonsen 2010), konnte gezeigt werden, dass das Antwortgeschehen der Schulleitenden Einfluss darauf hat, wie Reformen an Schulstandorten zunächst eingeführt und in weiterer Folge umgesetzt werden. Schulleitende fungieren hierbei als „Gatekeeper“ bzw. rahmen die Übersetzungsarbeit zu neuen Erlässen entsprechend der von ihnen wahrgenommenen Ansprüche. Die Phasen des Modells zur Responsivität zeigen dabei auf, wie komplex solche Antwortprozesse sein können. Responsive Schulleitung als erweiterte Dimension von Schulleitungshandeln und als Beitrag zur Professionsforschung von Schulleitenden Erweiterte Perspektive auf Schulleitungshandeln Mit dem Blick des soziologisch ausgerichteten Neo-Institutionalismus und seinen weiterführenden Konzepten erfolgte in der vorliegenden Arbeit eine Betrachtung von Schulleitungshandeln, die sich in Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Disziplinen (vgl. Wissinger 2014) einreiht. Bedingt durch die Perspektive der Institutionalisten wurde besonders Schulleitungshandeln im Verhältnis zu institutionellen schulischen Umwelten untersucht. Somit lässt sich der eingenommene Blick auf Schulleitungshandeln zwischen der Mikro- und Mesoebene verorten. Als Mikroebene wird hier die Ebene des/ der Schulleiter/-in als organisationaler Akteur verstanden, während die Mesoebene die direkte institutionelle schulische Umwelt in den Blick nimmt. Da die befragten Schulleiter/-innen alle in der gleichen Bildungsregion verortet sind, bildet die Mesoebene zudem diese Region ab. Diese Perspektive, die auf das Verhältnis zwischen Mikro- und Mesoebene schaut, befasst sich daher mit Konzepten zu schulischen Kontexten, die, wie in vielen Forschungsarbeiten betont wird (vgl. Hallinger 2016), einen Einfluss auf schulisches Leitungshandeln nehmen. Mit dem erweiterten organisationstheoretischen Verständnis von institutionellen Umwelten sowie der Darstellung unterschiedlicher Akteursformationen in Form Organisationaler Felder bietet diese Arbeit ein Theoriemodell zur Kontexterfassung mit Verknüpfungen zu Schulleitungshandeln.
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5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Das Responsivitätsmodell – erweiterte Konzepte zu Schulleitungshandeln Responsivität als Modell bietet auch Anlass, Schulleitungshandeln in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungsformen genauer betrachten zu können. Somit leisten die vorgestellten empirischen Ergebnisse weitere Einblicke, um das Handeln von Schulleiterinnen und Schulleitern in institutionellen schulischen Kontexten aufzuzeigen. Buchen und Rolff (2016) verkünden in ihrem Handbuch „Professionswissen Schulleitung“, dass „das Professionswissen […] abgeklärt und ausformuliert“ (vgl. S. 1) sei. Den Autoren nach bildet sich diese heuristische Deskription von Professionswissen in den Bereichen Führung und Management, Organisationsgestaltung, Personalmanagement, Unterrichtsentwicklung, Kommunikation sowie Beratung und Qualitätsmanagement ab. Unter den Überthemen finden sich Beiträge, die vor allem technokratische Aspekte von Schulleitung abhandeln. Perspektiven der motivationalen Orientierung, Überzeugungen, Wertehaltungen und institutionelle Aspekte werden im Zuge des Handbuchs wenig berücksichtigt (vgl. Louis & Wahlstrom 2011; Burow 2016; Klein & Bremm 2019). Gerade Letzteres erscheint für die umfassende Betrachtung und ein weiterführendes Verständnis von Schulleitungshandeln wichtig. Die Operationalisierung des Modells zur Responsivität hat einige Konzepte aufgegriffen, die als Erweiterung des professionellen Handelns von Schulleitenden angesehen werden können: • Wahrnehmung der institutionellen Umwelt • Akteursgruppen und Anspruchsgruppen für Schulleitende im Zusammenhang mit Legitimierungsprozessen für Schulqualitätsentwicklung • Wahrnehmung von Veränderung • Schulleitung und Agency • Steuerungslogiken und ihr Einfluss auf Leitungsverständnisse Insbesondere „Schulleitung und Agency“ sowie „Steuerungslogiken und ihr Einfluss auf Leitungsverständnisse“ sollen in der Diskussion noch einmal explizit hervorgehoben werden. Schulleiter/-innen, so Warwas (2012), sehen sich überwiegend als verwaltende bzw. gestaltende Führungskräfte. Die Ergebnisse des vierten Kapitels konnten jedoch auch zeigen, dass es einigen Schulleitenden schwer gefallen ist, Agency für die Neue-Mittelschulreform zu übernehmen, da, wie in den Interviews unter anderem angegeben wurde, sie aufgrund ihrer Freistellung von der Unterrichtsverpflichtung zu lange nicht mehr aktiv unterrichtet hätten. Dieses Paradoxon, dass Schulleitende sich nicht mehr mit grundeigenen pädagogischen Themen wie dem Unterrichten verbunden sehen, obwohl
5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische …
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ihre Professionsentwicklung als Lehrpersonen erfolgte, regt dazu an, die Ergebnisse auch im Zusammenhang mit dem Thema Schulleitung als Profession zu beleuchten. In diesem Zusammenhang sollten auch die Ergebnisse bezüglich unterschiedlicher Leitungsverständnisse noch einmal näher betrachtet werden. Das Herausarbeiten der Leitungsverständnisse erfolgte indirekt über den inhaltsanalytischen Zugang der Auswertungsmethode. Dabei konnte aufgezeigt werden, dass Schulleitende, die ihre Umwelt als Ermöglichungsrahmen wahrnahmen, häufiger über ein Leitungsverständnis verfügen, das Aushandlungs- und Interpretationsprozesse beinhaltet, als Schulleiter/-innen, die ihre Umwelt als begrenzend beschrieben. Diese versuchten Qualitätsentwicklung und Reformumsetzungen vor allem steuernd bzw. durch die Installation von Experten und Expertinnen (Lerndesigner/-in, SQA-Koordinatorin) zu bewerkstelligen. Es konnte kein gemeinsamer Bezugsrahmen festgestellt werden. Die Frage, die sich aus dieser Erkenntnis ergibt, ist, inwieweit sich Schulleitende den Steuerungslogiken, denen sie mit ihrem Leitungshandeln folgen, gewahr sind. Schulleitung als eigenständige Profession Die bereits im Zusammenhang mit Organisationalen Feldern und institutionellen Logiken diskutierten Ergebnisse zu den wichtigsten Anspruchsgruppen der Schulleitenden lassen auch für den Diskurs im Zusammenhang mit Schulleitungsprofession noch Räume zur vertieften Auseinandersetzung. Die Ergebnisse zeigten, dass nur ein/-e Schulleiter/-in die eigene Peergruppe (andere Schulleitende) als zentrale Anspruchsgruppe nannte. Zwar wurden professionsbezogene Anspruchsgruppen genannt, wie das Kollegium bzw. Lehrpersonen mit besonderen Funktionen, jedoch unterscheidet sich das Tätigkeitsfeld von Schulleitenden und Lehrpersonen zunehmend (vgl. u. a. Brauckmann 2013). Wie in Kapitel 2 im Exkurs zu „Professionen“ herausgearbeitet wurde, weist Scott (2008) Professionen in der heutigen Gesellschaft eine entscheidende Rolle zu. Sie gestalten, nach Annahme des Autors, maßgebliche Bezugsrahmen im Bereich der kulturell-kognitiven Dimension (vgl. Scott 2001, Koch 2018). Für die pädagogische Profession konnte bereits im vorangegangenen Teil (theoretische Verortung der Ergebnisse) festgehalten werden, dass die Bezugsrahmen, also die kulturell-kognitive Dimension, vordergründig von bildungspolitischen Entscheidungsträgern (z. T. anderen Professionen angehörend) vorgegeben werden (vgl. hierzu auch Peetz 2019, S. 136 ff.). Professionseigene Orientierungspunkte für Schulleitende konnten nur begrenzt gefunden werden (andere Schulleiter/-innen; Kollegium bzw. Lehrpersonen mit besonderen Funktionen).
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5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Ob Schulleitung als eigene Profession wahrgenommen wird oder nicht, konnte bis dato noch nicht hinreichend beantwortet werden, da wenige Forschungsarbeiten sich mit der Klärung dieser Frage beschäftigten. In diesem Zusammenhang können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit nur bedingt in aktuelle Diskurse eingeordnet werden. Ausgehend von den Erkenntnissen der qualitativen Untersuchung, die jedenfalls keine verallgemeinerten Aussagen zulassen, zeichnen die interviewten Schulleitenden bezüglich ihres professionellen Verständnisses ein durchaus heterogenes Bild. So gab ein/e Leitende/-r an, sich vor allem als administrativer Manager zu verstehen (vgl. SL_06_MGU, Z. 414 ff.), während andere Schulleiter/-innen es als ihre zentrale Aufgabe betrachteten, die Verantwortung für Entwicklung am Schulstandort zu übernehmen (SL_07_OGU, SL_11_MGU). Dabei zeigt sich zudem, dass einige der befragten Schulleitenden gezielt Lehrpersonen mit besonderen Funktionen einbinden und als Resonanzquelle für ihr Leitungshandeln heranziehen (vgl. SL_02_MGU; SL_04_MGU; SL_07_OGU). Diese Ergebnisse können zu den Befunden, die Klein (2017) in ihrem Beitrag herausgearbeitet hat, dahingehend in Bezug gesetzt werden, dass Schulleiter/-innen in Deutschland (im Vergleich zu den USA, vgl. S. 83) ihre Lehrkräfte vermehrt in Entscheidungsfindungen einbeziehen. Die Befunde zeigen zudem, dass sich einige der Befragten noch als primus inter pares (vgl. Schratz; Warwas 2009) wahrnehmen und unterrichtsbezogene Entwicklungen vor allem den Lehrer/-innen ihres Standorts überlassen. Eine weitere Erkenntnis betrifft die Rolle der Schulaufsicht bzw. der verantwortlichen Inspektor/-innen auf regionaler Ebene. Ohne die Schulaufsicht, die vielfach in den Interviews als Verbindungsglied auf regionaler Ebene genannt wurde, würden die Schulleitenden ihre Leitungsaufgaben losgelöst von anderen Schulleitenden erledigen. Demnach gibt die Schulaufsicht momentan für die Schulleitungen einen verbindenden Bezugsrahmen vor, der nur bedingt professionsspezifisch angelegt ist, da, wie Tabelle 4.4 zeigt, regulative Dimensionen auf das Handeln der Inspektor/-innen einen starke Einfluss einnehmen (vgl. Jesacher-Rößler & Kemethofer 2020). Aus diesen Erkenntnissen lässt sich die weiterführende Forschungsfrage ableiten, wer die kulturell-kognitiven Bezugsrahmen für Schulleitungshandeln bestimmt und inwieweit pädagogische Professionsvertretungen hier eine Rolle spielen.
5.2 Grenzen und Chancen der Arbeit
5.2
317
Grenzen und Chancen der Arbeit
In Kapitel 4. wurde bereits Grenzen der Arbeit im Zusammenhang mit den angewendeten Forschungsmethoden dargestellt. Die nachfolgenden Grenzen und Chancen der vorliegenden Arbeit verstehen sich in Bezug auf die angelegten theoretischen Konzepte.
5.2.1
Grenzen
Die vorliegende Arbeit nimmt eine Binnenperspektive ein. Dadurch können einige Dimensionen, die für die Beforschung von Schulleitungshandeln ebenfalls relevant gewesen wären (z. B. ökonomische Dimension, die Dimension der aus sozialen Lagen bedingten Interessen oder die Dimension sozialer Ungleichheit), nicht in den Blick genommen werden. Die vorliegende Arbeit bildet keinen systematischen Überblick. Dies mag vielleicht auch nicht möglich sein, da neo-institutionalistische Zugänge per se keine in sich geschlossene Theorie bilden, sondern stellen, so Walgenbach und Meyer, „eher eine bestimmte theoretische Ausrichtung dar“ (2008, S. 194 f.). Bedingt wird dies bereits durch die unterschiedlichen Ausrichtungen der drei grundlegenden und in dieser Arbeit diskutierten konzeptionellen Arbeiten von Meyer und Rowan (1977), Zucker (1977) und DiMaggio und Powell (1983). In Anbetracht dessen bieten die neo-institutionalistischen Zugänge jedoch auch eine breite Möglichkeit, um sie mit weiterführenden theoretischen Modellen zu verknüpfen. Dies erfolgte in der vorliegenden Arbeit mittels des Ansatzes der Responsivität. Wie in Kapitel 4 bereits dargestellt, wurde besonders darauf geachtet, die Erweiterung nicht eklektisch anzustellen, sondern im Rahmen der empirischen Operationalisierung. Es verlaufen einige der aufgegriffenen Konzepte in unvollendete Erzählstränge, die in weiterführenden Forschungsarbeiten aufgegriffen werden können und sollen. Einen solchen Erzählstrang stellt etwa die detaillierte Beschreibung der einzelnen Anspruchsgruppen als Institutionen dar. Eine qualitative Untersuchung der Logiken der unterschiedlichen Anspruchsgruppen würde ein tiefergreifendes Verständnis von den institutionellen schulischen Umwelten bedingen, insbesondere die Perspektiven der Eltern und Erziehungsberechtigten sowie der Schulaufsicht (vgl. Jesacher-Rößler & Kemethofer 2020). Auch eine Anwendung des Responsivitätsmodells auf Lehrer/-innen mit und ohne besondere Funktionen würde helfen, die Interdependenzen zwischen den Akteuren institutioneller schulischer Umwelten weiterführend zu verstehen.
318
5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Eine Grenze dieser Arbeit zeigt sich in der geringen Berücksichtigung von Machtkonzepten bezüglich Anspruchsgruppen und organisationalen Akteuren. Obwohl Koch (2018) mit seiner relational-strukturellen Dimension eine theoretische Erweiterung geliefert hat, die diese Komponente aufgreift, erfolgte noch keine vollständige Berücksichtigung der Machtverhältnisse innerhalb der Organisationalen Felder. Ein erster Hinweis, wie unterschiedlich solche Machtkonstellationen sein können, ist die Nennung unterschiedlicher Anspruchsgruppen für die Schulleitenden im Zusammenhang mit Legitimierungsprozessen. Die Befunde deuten an, dass einige Akteursgruppen in institutionellen schulischen Umwelten zwar qua ihrer institutionellen Zuordnung machtvoll sein müssten, jedoch von den Schulleitenden im Zusammenhang mit schulischen Entwicklungsprozessen nicht erwähnt oder nicht als Anspruchsgruppe beschrieben wurden (Schulaufsicht, Schulerhalter) – diese Fragen bieten sich für vertiefte Analysen und weiterführende Forschungsarbeiten (vgl. u.a Jahn 2016) an. In diesem Zusammenhang kann auch kritisch angemerkt werden, dass Erziehungsberechtigte und Schüler/-innen als einheitliche Quasi-Akteure behandelt werden, obwohl sie das nicht sind. Unter Berücksichtigung der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Prozess, wie neue institutionelle Erwartungshaltungen entstehen (Institutionalisierungsprozess), wurden in Kapitel 3 unterschiedliche Modelle der Veränderung beschrieben. Im Rückblick zeigt sich, dass eine Berücksichtigung des Sensemaking-Ansatzes nach Weick (1995) zusätzliche Perspektiven eröffnet hätte. Gerade in Zusammenhang mit Habitualisierungsprozessen geht es vielfach um Legitimierung neuer Routinen und Handlungsformen; diese werden jedoch beeinflusst durch Sinnstiftungsprozesse der einzelnen Akteure. Auch eine Integration der Sinnstiftungsprozesse in das Modell zu Responsivität bietet sich für weiterführende Arbeiten an. Da sich die Arbeit vordergründig mit theoretischen Konzepten des soziologisch ausgerichteten Neo-Institutionalismus befasst hat, erfolgte zum Teil nur eine implizite Kenntlichmachung von bildungswissenschaftlichen Bezugspunkten. Dies zur Kenntnis nehmend, wurden die Ergebnisse im 5. Kapitel im Kontext aktueller Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung eingebettet. Inwieweit für die Operationalisierung des Modells noch einschlägigere theoretische Zugänge (z. B. Schulkulturansatz nach Helsper 2010; 2014) hätten berücksichtigt werden können, bleibt Gegenstand der Diskussion.
5.2 Grenzen und Chancen der Arbeit
5.2.2
319
Chancen
Vielfach konnte bereits in der Verortung der Ergebnisse aufgezeigt werden, worin sich die Chancen und Erweiterungen der Arbeit zeigen. An dieser Stelle sollen daher nur noch zentrale Punkte genannt werden. Die vorliegende Arbeit richtet ihren Blick auf prozessuale Aspekte der Institutionalisierung bzw. der De-Institutionalisierung. Mit der theoretischen Erweiterung durch Konzepte zur Responsivität konnten diese zentralen Prozesse, die bis dahin nur unter bestimmten theoretischen Prämissen (strategisches Antworten) und in vereinzelten Studien aufgegriffen wurden (Olivier 1991), in einem Modell operationalisiert werden. Wie unter der Verortung „Verhältnis zwischen institutionellen schulischen Umwelten und schulischen organisationalen Akteuren“ erörtert, vermag das Modell Antwortgeschehen abzubilden, das unterschiedliche organisationstheoretische Grundannahmen miteinbezieht. Darüber hinaus verbindet das Modell Einzelstränge zu miteinander in Bezug stehenden Konzepten. Hierdurch kann der Kritik, die vielfach den neo-institutionalistischen Theorien entgegengebracht wird – sie seien fragmentiert und zum Teil eklektisch – ein Stück weit entgegengewirkt werden. Wie sich die unterschiedlichen Stränge histographisch entwickelt haben, wurde in Kapitel 2 ausführlich dargestellt; auch das soll als eine Stärke der Arbeit hervorgehoben werden. Das Modell bietet ferner die Möglichkeit, institutionelle schulische Perspektiven auch aus Sicht anderer Akteure zu betrachten. Es lässt sich somit für eine mehrperspektivische Betrachtung anwenden. So bietet es sich in Zukunft an, das responsive Antwortverhalten von Teacher Leadern oder Lehrpersonen zu betrachten, um so innerhalb einer Schule oder auf regionaler Ebene Antwortgeschehen sichtbar zu machen und diese zum Anlass zu nehmen, schulkulturelle Aspekte bzw. Qualitätsentwicklungsprozesse tiefgreifender zu erörtern. Die Betrachtung von Schule als offenes System, das als Teil eines Organisationalen Feldes existiert, bietet neue Perspektiven für die Schulentwicklungsforschung. Insbesondere für die (regionale) Schulentwicklung können die Erkenntnisse und Befunde nutzbar gemacht werden. Vor allem für die Schulentwicklungsforschung lieferten die empirischen Ergebnisse neue Sichtweisen auf die Wahrnehmung der institutionellen schulischen Umwelten durch Leitende. Wie Schulleiter/-innen ihre Umwelt wahrnehmen, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie sich ihnen ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten darbieten – gerade in Zeiten, in denen erweiterte Autonomie diskutiert wird, scheint dies besondere Relevanz zu haben. Verbunden mit dieser Erkenntnis ist auch ein Hinterfragen der gängigen Verständnisse von Schulleitenden als
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5
Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
organisationale Akteure – vielfach dominieren Theorien den Diskurs der Schulleitungsforschung, in denen Leitende rational-reaktionäre Verhaltensweisen attestiert bekommen. Mit der Berücksichtigung bestimmter Steuerungsparadigmen in Form von kulturell-kognitiven Bezugsrahmen wurde der Versuch unternommen, „root metaphors“ für Schulleitende sowie professionsbezogene Akteure zu verankern – dieser Versuch versteht sich als erster Aufschlag in Richtung weiterführender Forschung zu allgemeinen kulturell-kognitiven Dimensionen für pädagogisch Handelnde. In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf verwiesen, dass die vorliegende Arbeit auch ein Stück weit einen Beitrag zur professionsbezogenen Forschung von Schulleitenden liefert. Aus ebendieser Perspektive, der Schulleitungsforschung, bieten die Ergebnisse der Studie neue Einsichten in Schulleitungshandeln, welches den Antwortprozess im Blick hat und somit als Ergänzung zu neueren Arbeiten zu sehen ist, bei denen Antwortphänomen und -facetten von Schulleitungshandeln herausgearbeitet wurden (vgl. Schratz et al. 2019).
5.3
Fazit und Implikationen der Arbeit
Das fünfte Kapitel schließt mit einem Rückblick auf die eingangs erwähnten Fragestellungen und leitet aus den Befunden und Erkenntnissen weiterführende Implikationen ab. Eingangs wurden folgende zwei leitende Forschungsfragen formuliert: A) Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiter/-innen bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform an ihrem Standort? B) Wie respondieren Schulleiter/-innen auf ihre institutionelle Umwelt? Um die erste Frage beantworten zu können, galt es zunächst theoretische Zugänge zu finden, die Schulleitende in ihren institutionellen schulischen Umwelten abbilden. Wie die qualitative Untersuchung gezeigt hat, orientieren sich Leitende an unterschiedlichen organisationalen Akteuren in ihrer Umwelt. Die Orientierung ist abhängig davon, wer den Schulleitenden in ihrem Verständnis ihre Entwicklungsprozesse legitimiert. Die Bandbreite der genannten Anspruchsgruppen ist groß – demzufolge lautet die Antwort auf die erste Frage: Schulleitende orientieren sich an unterschiedlichen Akteursgruppen. Unter den genannten Anspruchsgruppen finden sich sowohl professionsbezogene Akteure (Kollegium,
5.3 Fazit und Implikationen der Arbeit
321
Lehrpersonen mit besonderen Funktionen, andere Schulleitende), die Schulaufsicht, Fort- und Weiterbildner/-innen, Eltern und Schüler/-innen. Zudem wurde einmal Literatur bzw. Forschung als Bezugspunkt genannt. Um die zweite Frage beantworten zu können, bedurfte es der Entwicklung eines Modells, das abbildet, was unter Responsivität verstanden werden kann. Dabei wurden unterschiedliche Konzepte miteinander verbunden, um den Antwortprozess von Schulleitenden auf Ansprüche, die an sie gestellt werden, sichtbar zu machen. Im Wesentlichen konnte dadurch gezeigt werden, welche komplexen Aspekte in das Antwortgeschehen von Schulleitenden mit hineinspielen. Weniger konkret konnte die Wie-Frage beantwortet werden, da alle Antwortgeschehen der Schulleitenden individuell abliefen. Die Ergebnisse konnten zeigen, dass sich responsives Schulleitungshandeln in einem ständigen Abwägen zwischen Legitimitätsansprüchen und Transformationsstreben befindet. Neben diesen beiden Fragen ergaben die theoretische Auseinandersetzung sowie die empirische Untersuchung weiterführende Erkenntnisse. Angeleitet durch das folgende Zitat, soll die vorliegende Arbeit – als eine Arbeit, die im Bereich der Schulentwicklungsforschung geschrieben wurde – auch praktische Implikationen vorweisen. „[...].in den Schubladen der Wissenschaft hat man die einzelnen Schubladen aufgetan, hat sie zu einem Paket geschnürt und hat jetzt ein Paket zusammengebaut, das der neuen Pädagogik entspricht. Aus wissenschaftlicher Sicht passt das gut[...].“ (SL 6 MGA, Z. 746 ff.)
Vertiefter Fokus auf institutionelle Logiken als kulturelle Bezugsrahmen Die Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen der neo-institutionalistischen Theorien hat dazu geführt, dass die Perspektive der institutionellen Logiken (Ocasio, Thornton & Lousbury 2012) mehr in den Fokus genommen wurde. Wie in Kapitel 3 gezeigt werden konnte, sind Veränderungsprozesse immanenter Bestandteil von Organisationentwicklung – institutionelle Logiken beeinflussen diese Veränderungen. Für erweiterte Schulentwicklungsansätze ist es daher empfehlenswert, sich mehr mit institutionellen bzw. kulturellen Bezugsrahmen auseinanderzusetzen.
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Abkehr einer Engführung des Organisationsverständnisses in der Schulentwicklungsforschung Schulentwicklungstheorien sind häufig von kontingenztheoretischen Sichtweisen geprägt. Einher mit diesem Organisationsverständnis geht eine Sicht auf organisationale Akteure, die deren Einbettung in institutionelle Kontexte nur bedingt berücksichtigt. Ausgehend von diesen Annahmen werden Akteure als rational entscheidende Individuen wahrgenommen. Dennoch wird ihnen oft nur die Rolle des Reaktionärs/der Reaktionärin zuteil, der/die mit bestimmten (empfohlenen) Strategien auf etwas antwortet. Die aktive Einbindung im Sinne einer Aushandlungskultur bzw. einer Mitgestaltung in der Umsetzung etwa von Reformen wird den Akteuren selten zugesprochen. In Zeiten, in denen Schulleiter/-innen jedoch mehr Autonomie erhalten sollen bzw. schulische Umwelten sich zunehmend schneller wandeln, braucht es eine Öffnung der organisationstheoretischen Sichtweisen. Plädoyer für plurale Umsetzungsstrategien statt homogener Angleichung Vielfach wird in neo-institutionalistischen Forschungsarbeiten, bedingt durch quantitative Forschungsmethoden, die reine Existenz ähnlicher Entwicklungsrichtungen und ein angleichendes Verhalten als eine Homogenisierung in der Entwicklung interpretiert. Die vorliegende Studie zeigt jedoch, dass eine tatsächliche Homogenisierung in dem Sinne nicht stattfindet. Vielmehr kann mittels der Ergebnisse auf der Mikroebene gezeigt werden, dass bestimmte Logiken, insbesondere die Ausrichtung zu bestimmten Anspruchsgruppen, die Umsetzung von Reformen beeinflussen. Für die Umsetzung bildungspolitischer Reformen ist dieses Wissen entscheidend, jedoch in dem Sinne nicht neu. Viele Studien weisen bereits darauf hin, dass top-down implementierte Reformen selten die Wirkungen erzielen, die beabsichtigt waren. Es bedarf daher Reformbegleitungsprozesse, die Schulen, Kollegien und Schulleitungen dabei unterstützen, neue Ansprüche entsprechend den schulkulturellen Logiken umzusetzen. Dafür ist jedoch eine Anerkennung pluraler Umsetzungsstrategien nötig, die auch in etwaigen Evaluationssettings aufgegriffen werden sollten. Damit sind Evaluationskonzepte gemeint, die eine solche Pluralität würdigen bzw. Fragestellungen, die mehr auf Prozesse als auf Ergebnisse fokussieren.
5.3 Fazit und Implikationen der Arbeit
323
Ausbau der Schulleitungsforschung unter besonderer Berücksichtigung professionstheoretischer Fragestellungen Dass Schulleitung mittlerweile, wie Buchen und Rolff (2016) schreiben, eine etablierte Berufsgruppe ist, zeigt auch das neue Schulleitungsprofil des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, das 2019 erstellt und veröffentlicht wurde10 . Dem gegenüber steckt jedoch die professionstheoretische Forschung zu Schulleitung noch in ihren Kinderschuhen (vgl. Rosenbusch & Warwas 2010). Auch diese Arbeit ist nur ein weiterer kleiner Baustein der fragmentierten Untersuchungen, die sich mit Schulleitungshandeln auseinandersetzen. Es bedarf größer angelegter Studien, die Schulleitung aus unterschiedlichen professionstheoretischen Zugängen beleuchtet und dadurch auch die Anerkennung und gesonderte Ausbildung dieses Berufs befördert. Die Etablierung und Förderung einer eigenständigen Profession könnte dazu führen, dass Diskurse breiter und vor allem unter Einbeziehung pädagogischer Expertise geführt werden. Dafür bedarf es einer weiterführenden Professionalisierung von Schulleiterinnen und Schulleitern, bei der professionsspezifische Momente von Leitungshandeln zentral in den Blick genommen werden (vgl. Tulowitzki et al. 2019; Schratz & Schley 2014, Schley & Schratz 2010). Veränderte Professionalisierungsangebote für Schulleitende Schulleiter/-innen wurden in der Regel direkt aus den Lehrerkollegien heraus rekrutiert. Bis dato erfolgte erst mit der Übernahme der neuen Funktion eine begleitende Professionalisierung. Neuere Entwicklungen in Österreich sehen vor, dass karrierevorbereitende Ausbildungsangebote bereits vor der Bewerbung um eine solche Funktion besucht werden müssen. Entscheidend für die berufsbegleitende Professionalisierung von Schulleitenden ist eine Erweiterung des Ausbildungsprofils in Richtung professionelles Lernen. Ähnlich wie seit einigen Jahren angemerkt wird, dass die Weiterqualifikation für Lehrende weg von einer reaktionären Formatstruktur, bei der neue Inhalte über Artefakte (Arbeitsblätter, die als Kopiervorlage dienen) bzw. symbolische Weitergabemechanismen (Inputvorträge und Referentenimpuls) vermittelt werden, führen soll, bedarf es auch bei der Schulleiter*innenausbildung einer gesteigerten Förderung aktionaler Weitergabemechanismen im Sinne professionellen Lernens (z. B. in Professionellen Lerngemeinschaften oder Lernnetzwerken, vgl. hierzu die Leadership Academy11 ). 10
https://www.bmbwf.gv.at (Schulleitungsprofil als pdf-Dokument herunterladbar). In diesem besonderen Format wurden Führungskräfte aus dem Bildungssystem in Österreich bis 2019 in mehreren Generationen gemeinsam auf ihre neuen Leitungsaufgaben
11
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Diskussion der Ergebnisse – Schulleiter/-innen zwischen …
Eine besondere Rolle nimmt in Österreich dabei die Schulaufsicht ein, in deren Verantwortung unter anderem die weiterführende Professionalisierung von Schulleitenden liegt. Formate und Zugänge, die eine Offenheit gegenüber unterschiedlicher Umsetzungsstrategien zuzulassen sowie die Befähigung der Schulleitenden, Entscheidungen entlang transparenter Steuerungslogiken zu treffen, gilt es zu fördern. Dafür entscheidend sind gemeinsame – auch schultypübergreifend – entwickelte Bezugsrahmen. Implikationen für eine regionale Schulentwicklungsforschung Den vorherigen Gedanken aufgreifend, empfiehlt es sich auch für regionale Schulentwicklungsstrategien gemeinsame Bezugsrahmen zu entwickeln. Die vorliegende Arbeit untersuchte Schulleitende, die sich in einer Bildungsregion befinden. Das Konzept des Organisationalen Feldes bietet sich besonders an, um Strukturen, Abläufe und Beziehungen innerhalb regionaler Schulentwicklungsfragen abzubilden und institutionelle schulische Umwelten in ihrer Komplexität und Verwobenheit nachvollziehbar werden zu lassen. Wie bereits betont, ist das Konzept noch nicht zur Gänze entwickelt, da Fragen der Machtbeziehungen sowie die Perspektiven aller Akteure miteinbezogen werden müssen – für weiterführende Forschung in diesem Bereich ist jedoch ein erster Grundstein gelegt worden. Der propagierte Ansatz kann zukünftig insofern relevant werden, als dass Schulzusammenlegungen sowie neu abgesteckte Steuerungseinheiten (Schulaufsicht neu) regionale Schulentwicklung mehr in den Fokus nehmen (vgl. Brauckmann et al. 2019). Evidenzorientierte Unterstützungsstrukturen für Transformationsprozesse Ein Nebenprodukt der qualitativen Studie ist die Erkenntnis, dass Schulleitende sich nur selten an Forschung orientieren, wenn es um Entscheidungen hinsichtlich schulischer Entwicklungsprozesse geht. Lediglich eine Leitungsperson gab an, Literatur bzw. Forschung als entscheidende Anspruchsgruppe zu sehen. Zwar nannten insgesamt drei Schulleitende im Zuge der Interviews Forschung bzw. einschlägige Fachliteratur als Orientierungsquelle, dies jedoch nur im Zusammenhang mit bestimmten Themen (meist dem Qualitätsbereich Lernen und Lehren). Auch andere Studien (Demski 2017; Neelemann 2019) kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Frage bzw. Implikation, die sich aus dieser Erkenntnis
im System vorbereitet. Die Konzeption dieses Formats beinhaltet bereits innovative neue Ansätze, die Leitende dazu anregte, vor allem aus ihren eigenen personalen Bildungsprozessen heraus professionellem Lernen zu begegnen (vgl. dazu u. a. Schratz et al. 2010).
5.3 Fazit und Implikationen der Arbeit
325
ableiten lässt, ist eine, die in den vergangenen Jahren oft gestellt wurde – nämlich wie es gelingen kann, Forschungsergebnisse auch für schulische Akteure zugänglich zu machen und mehr noch: ihnen einen Stellenwert einzuräumen, dass ein Bezug darauf für pädagogisch Handelnde sinnstiftend ist. Wie die Entwicklungsbegleitung der Neuen Mittelschule gezeigt hat, konnten im Zuge des mehrgenerationalen Entwicklungsprozesses über Handreichungen, Fort- und Weiterbildungsformate sowie (Onlinelern-)Ateliers neue pädagogische Ansätze über forschungsgeleitete Begründungsstrategien habitualisiert werden (vgl. Abbildung 2.3). Dennoch wurde von den Schulleitenden das Bundeszentrum als Akteursgruppe genannt und nicht die dahinterstehende Forschung. Es erscheint daher weiterhin wichtig, Brücken zwischen Forschung und Praxis zu bauen, die von beiden Seiten beschritten und an deren Enden beide Seiten gleichermaßen begrüßt werden.
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Abschliessende Bemerkungen
„[…] da müsste ich diesen Praxismenschen und diesen universitären Menschen[…], die müsste ich auf ein Packl zusammenbringen.“ (SL 6 MGA, Z. 850 ff.)
Wirft man am Ende, nach vielen Monaten der (fragmentierten) Arbeit einen kritischen Blick auf die vorliegende Arbeit, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein starkes Merkmal dieser Arbeit die intensive histographische Auseinandersetzung mit Konzepten und Entwicklungssträngen der neo-institutionalistischen Theorien ist. Affiziert von den Ansätzen und deren Verzweigungen, wurden Aspekte der theoretischen Zugänge beleuchtet, die sich in den Jahren der Weiterentwicklung zu zum Teil weit auseinanderdriftenden Annahmen herauskristallisiert haben. Als Beispiel wäre hier etwa das weitgefasste Akteursverständnis zu nennen. Diese unterschiedlichen Entwicklungslinien und die sich daraus ergebende Breite an Zugängen haben eine Anwendung und Zugrundelegung der theoretischen Modelle nicht immer einfach gemacht und noch einige offene Fragen hinterlassen. Erscheint für manche Leser/-innen die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Facetten zu ausufernd, gar zu weit vom eigentlichen Thema wegführend, so sei an dieser Stelle vermerkt, dass die Vertiefungen und das Mäandern zum erweiterten Verständnis der Autorin beigetragen haben. Diese versteht ihre Dissertation auch als Abbild ihrer Entwicklungswege und hat sich daher bewusst dazu entschieden, alle erarbeiteten bzw. erdachten Teile in dem (stets unfertigen) abgegebenen Manuskript beizubehalten. Dies gesagt, wurde der Versuch unternommen, das Potential neoinstitutionalistische Zugänge für die Schulentwicklungs- und insbesondere Schulleitungsforschung aufzuzeigen. Mit der Verknüpfung der neoinstitutionalistischen Theorien mit dem Ansatz der Responsivität konnte eine bislang wenig beachtete Perspektive eingenommen werden, nämlich jene, wie
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en) 2023 L. Jesacher-Rößler, Responsive Schulleitung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41421-4
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Abschliessende Bemerkungen
organisationale Akteure auf ihre institutionelle Umwelt antworten und welche Auswirkungen dies auf die Entwicklungsstrukturen innerhalb der Organisation haben kann. Das von Gärtner et al. (2017) adaptierte Modell bietet die entsprechende Flexibilität, um Schulleitungshandelnde in ihren unterschiedlichen Logiken abbilden zu können und dadurch ein verändertes Verständnis für die gesetzten Entwicklungsmaßnahmen und Umsetzungsstrategien an Einzelschulstandorten sowie auf regionaler Ebene zu ermöglichen. Die Vielfalt der Akteursgruppen, die von den Schulleitenden genannt wurden, zeigt außerdem, dass Schulleiter/-innen an unterschiedlichen Nahtstellen mit vielen verschiedenen Ansprüchen und Erwartungshaltungen konfrontiert werden, denen sie auf unterschiedliche Weise begegnen. Diese Arbeit soll auch ein Stück weit dazu beitragen, dieses Geflecht der institutionellen schulischen Umwelten nachvollziehbar werden zu lassen sowie die Verbindungslinien, die sich innerhalb dieses Geflechtes, z. B. auf regionaler Ebene, ergeben, dahingehend zu bestärken, als dass gemeinsame Akteursgruppen auch die Option bieten, mehr Synergien in schulischen Entwicklungsprozessen zu fördern. Die Erkenntnisse dieser Arbeit fließen auch in das übergeordnete Forschungsprojekt „Modellregion Bildung Zillertal“ ein. Stets stand die Zusammenarbeit mit den Schulleitenden dieser Region unter der Prämisse, diese als Subjekte und nicht als Objekte wahrzunehmen. Die Arbeit würdigt daher auch deren komplexe Arbeitswelten und bietet Anlass, Schulleiter/-innen in ihrer Professionalisierung weiter zu bestärken. Auch „universitäre Menschen“ lernen stetig, wenn sie sich auf die „Praxismenschen“ einlassen und deren Welten erkunden. Mit dieser allesübergreifenden Erkenntnis soll diese Arbeit abgeschlossen werden, in der Hoffnung, dass noch viele Lernerfahrungen kommen mögen und viele Anlässe geschaffen werden, um beide „Menschen“ auf „ein Pakl zusammenzubringen“.
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