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English Pages 272 [267] Year 2006
Birgitta Kolte Rauchen zwischen Sucht und Genuss
Forschung Gesellschaft
Birgitta Kolte
Rauchen zwischen Sucht und Genuss
III
VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN
Bibliografische Information Der Deutschen Bibllothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publil^id6T|(;. ATEO TOV SioKo: Eva xaiydpo 6p6|iO(;, ABfjva 2003)
Inhalt
Einleitung
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Teil I: Geschichte, Standortbestimmung und Forschungsstand
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1. Geschichte und Gegenwart des Rauchens •.... 1.1. GeschichtlicherUberblick 1.2. Der profane Rauchgenuss der Modeme: die Zigarette 1.3. AktuelleKonsumentenzahlen und Trends 1.3.1. Amerika 1.3.2. Europa 1.3.3. Deutschland
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2. Der gegenwartige Diskurs um das Rauchen 2.1. Gesundheitsrisiken durch das Rauchen 2.2. Von der Schadlichkeit zur Sucht 2.3. Die Kritik an der Nikotinsucht 2.4. Die Grenzen des biomedizinisch-epidemiologischen Risikofaktorenkonzepts 3. Rauchen als soziales, funktionales und kontroUierbares Handeln 3.1. Funktionen des Rauchens 3.2. Forschungsstand zum Kontrollierten Rauchen 3.2.1. Tobacco Chippers 3.2.2. Theoretische Hintergriinde zum Konzept des Kontrollierten Rauchens 3.2.3. Studien zum kontrollierten oder reduzierten Rauchen 3.2.4. KontroUiertes Rauchen als therapeutisches Programm 3.3. Kurzzusammenfassung des Teils 1
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Teil II: Rauchen zwischen Sucht und Genuss. Auswertung der Interviews 4. Darstellung der Methode 4.1. Rekrutierung der Teilnehmerlnnen 4.2. Die Interviews 4.3. Schwerpunkte der Interviewstudie 4.4. Zur Auswertung 5. Deskriptive Darstellung der Low-Rate Raucherlnnen 5.1. Interview 1: Andreas H. (41 Jahre), 1 bis 3 Zigaretten am Tag 5.2. Interview 5: Britta I. (31 Jahre), 2 bis 5 Zigaretten am Tag 5.3. Interview 8: Christel J. (48 Jahre), 5 Zigaretten am Tag 5.4. Interview 16: Dimitris K. (40 Jahre), 3 Gramm Tabak am Tag 5.5. Interview 18: Elena L. (48 Jahre), 2 bis 5 Zigaretten am Tag 5.6. Interview 24: Frauke M. (52 Jahre), 3 bis 5 Zigaretten am Tag 5.7. Interview 39: Gerald N. (27 Jahre), 3 Zigaretten am Tag 5.8. Zusammenfassende Betrachtung der Low-Rate Raucherlnnen 5.8.1. Konsummotive 5.8.2. Erklarung und Wertung des eigenen Rauchverhaltens 5.8.3. Entwicklung und Steuerung des Rauchens 5.8.4. Kognitionen zu Sucht im allgemeinen und Nikotinsucht im Besonderen 5.8.5. Genuss 5.9. Hypothesen fur die weitere Auswertung 6. Die Ex- und die starkeren Raucherlnnen: Darstellung der Ergebnisse 6.1. Uberblick: Die "Biszuzwanzig"-, Ex- und Viel-Raucherlnnen 6.2. Motive und Funktionen des Rauchens 6.2.1. Biszuzwanzig-Raucherlnnen 6.2.2. Exraucherlnnen 6.2.3. Vielraucherlnnen 6.2.4. Zusammenfassung: Vergleich zu den L-R Raucherlnnen 6.3. Erklarung und Wertung des eigenen Rauchverhaltens 6.3.1. Biszuzwanzig-Raucherlnnen 6.3.2. Exraucherlnnen 6.3.3. Vielraucherlnnen 6.3.4. Zusammenfassung: Vergleich zu den L-R Raucherlnnen
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6.4. Kognitionen zu Sucht im AUgemeinen und Nikotinsucht im Besonderen 195 6.4.1. Biszuzwanzig-Raucherlnnen 195 6.4.2. Exraucherlnnen 200 6.4.3. Vielraucherlnnen 206 6.4.4. Legitimitat der Sucht 210 6.4.5. Kognititve Konsequenzen des Suchtglaubens 211 6.4.6. Zusammenfassung: Vergleich zu den L-R Raucherlnnen 215 6.5. Steuerung des Rauchverhaltens und Erfahrungen mit Verhaltensmodifikationen 218 6.5.1. Biszuzwanzig-Raucherlnnen 218 6.5.2. Exraucherlnnen... 222 6.5.3. Vielraucherlnnen 225 6.5.4. Zusammenfassung: Vergleich der 3 Gruppen 228 6.6. Einschatzungen zur Moglichkeit des Wenig-Rauchens 231 6.6.1. Biszuzwanzig-Raucherlnnen ..231 6.6.2. Exraucherlnnen 235 6.6.3 Vielraucherlnnen 239 6.6.4. Zusammenfassung: Vergleich der 3 Gruppen 241 6.7. Zusammenfassung der Hypothesenpriifung: Wie unterscheiden sich Low-Rate Smoker von anderen Raucherlnnen und Exraucherlnnen? 243 7. Schlussbetrachtung: Zur Kontraproduktivitat des Suchtkonzepts Literaturverzeichnis Danksagung
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Einleitung "Anything addictive is bad; if it is not addictive, it is probably not too bad. A tobacco-smoking habit is bad enough, but it is even worse when one thinks of it as an addiction." Ronald L.Akers (1991:778) Tabak ist die vielleicht verbreitetste Droge der Welt und das Rauchen fur uns zu einer alltaglichen und selbstverstandlichen Form des Konsums von Tabakwaren geworden. Doch auch wenn der Konsum von Tabak in erster Linie durch positive Erwartungen motiviert ist, so richtet sich die Aufmerksamkeit von Offentlichkeit und Politik in den letzten Jahrzehnten vomehmlich auf die problematischen Aspekte des Rauchens. Konzentrierte man sich hierbei in der Nachkriegszeit zunachst auf mogliche Gesundheitsgefahren, so wird das Rauchen seit den 80er Jahren insbesondere unter dem Rubrum der Nikotinsucht problematisiert. Diese Thematisierung des Rauchens als Sucht fmdet sich sowohl in den gesundheitspolitischen Kampagnen der WHO und in den aktuellen Diskussionen um die verschiedenen tabakspezifischen Richtlinien der Europaischen Union als auch in den Konzepten der deutschen Drogenpolitik zur Frage der Prevention und Intervention im Bereich des Tabakkonsums. Im Kontext der gesundheitspolitischen Problematisierung des Rauchens ist es heute selbstverstandlich, Tabak als "Suchtmittel" zu bezeichnen, ihn im Rahmen einer "Suchtmedizin" zu verhandeln, seine Wirkungen in die Agenda von "Suchtkongressen" aufzunehmen oder seinen Konsum zum Schwerpunktthema von Suchtzeitschriften zu machen. Das Suchtkonzept beziiglich des Rauchens vereint die Experten aus Prevention und Politik, Wissenschaft und Forschung: Die 'Nikotinsucht' ist zu einer wissenschaftlichen Tatsache geworden, die in der Regel nicht mehr hinterfragt wird. Zwar lassen sich auch einige kritische Arbeiten finden, die darauf hinweisen, dass es durchaus zweifelhaft sei, dass 'die Sucht nach Nikotin' dem Rauchen von Tabak zugrunde liege, da a) stichhaltige wissenschaftliche Beweise als Beleg fiir die Richtigkeit dieser These fehlen und b) eher eine Vielzahl von gesellschaftlichen und individuellen Aspekten herangezogen werden miissten, um die Bedeutung des Rauchens, die Motivation der Rauchenden und die Ausgestaltung der verschiedenen Konsummuster zu erklaren. Doch werden solche nicht mainstream konformen AuBerungen im Diskurs um das Rauchen aktuell gem ausgeblendet und deren Protagonisten als von der Tabakindustrie bezahlte Verfechter einer moralisch nicht zu legitimierenden Position diskreditiert. Die vorliegende Arbeit will die Plausibilitat des Suchtkonzepts im Tabakbereich durch problemzentrierte Interviews mit Konsumenten iiberpriifen und in diesem Zusammenhang zugleich die Morphologic und Verbreitung differenter 11
Tabakkonsummuster erheben. Hierbei ist vor allem das so genannte "kontrollierte Rauchen" von Interesse, well es a) den durch den Suchtdiskurs fokussierten Handlungsoptionen des entweder siichtigen Rauchens oder der rigiden Abstinenz die Alternative eines "kontrollierten" oder auch "genussvoUen" Konsums entgegenstellen kann, b) damit die Theorie einer zwangslaufigen Suchtentstehung beim Rauchen relativiert und c) auf diese Weise im Tabakbereich neue Moglichkeiten der Prevention und der "Harm Reduction" eroffhen kann. Ein iibergeordnetes Ziel meiner Arbeit ist ein Beitrag zur Beantwortung der Frage, inwiefem der (Sucht-) Diskurs hinsichtlich des Rauchens die Erwartungen der Rauchenden und damit auch die aktuellen Muster des Rauchens beeinflusst oder gar bedingt. Konkret frage ich: Produziert der gegenwartige (Sucht-) Diskurs die aktuellen Muster des Rauchens und damit auch das weitverbreitete Phanomen des "siichtigen Rauchens" gewissermaBen selbst, indem er im Sinne einer Erwartungshaltung Wirkung entfaltet, auf diese Weise eine bestimmte Realitat schafft und so letztendlich den Diskurs im Zirkelschluss wieder bestatigt? Zu untersuchen ware also die These der sich selbsterfullenden Prophezeiung beziehungsweise die Frage: Schafft sich, und wenn ja, wie, die Rede iiber die (Nikotin-) Sucht ihr eigenes Klientel? Wird hier - ahnlich wie einst im Bereich illegaler Drogen - ein (neues) "Gedankengefangnis" (Quensel) der Sucht errichtet? Ein Gedankengefangnis, das nur die Sucht oder Abhangigkeit als Erklarung flir das Rauchen zulasst und vor allem die Gefahren des Rauchens wahmimmt? Um diese grundlegende Fragestellung zu bearbeiten, soil zunachst nachgezeichnet werden, wie sich der seit Mitte des 20. Jahrhunderts konstituierende Diskurs der Schadlichkeit des Rauchens seit den 70er und vermehrt seit den 80er Jahren in einen Diskurs der Sucht verwandeln konnte, um daran anschlieBend zu prufen, inwieweit dieser Suchtdiskurs von den Subjekten kognitiv verarbeitet wird und in der Erklarung ihres Konsumverhaltens wiederzufinden ist. Ausgehend von der These, dass im Drogen- und Genussmittelbereich die sich einstellenden Konsummuster in erheblichem MaBe von den eigenen Erwartungen - die ja immer gesellschaftlich vorgegebene und sozial erworbene Erwartungen sind abhangen (hierzu grundlegend Peele/Brodsky 1992, Peele 1977), interessiert mich, wie die von mir interviewten Raucherlnnen und Exraucherlnnen (N=35) ihr Rauchverhalten erklaren, auf welche Wissensbestande sie dabei zuriickgreifen, wie sie ihre Kompetenzerwartungen hinsichtlich ihres Umgangs mit Zigaretten formulieren und inwieweit dies ihr Rauchverhalten sowie die Beendigung dieses Verhaltens beeinflusst (hat). Folgender Fragenkomplex soil dabei in der empirischen Auswertung qualitativ beantwortet werden:
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Wie und wie viel rauch(t)en die aktuellen und ehemaligen Konsumentlnnen, d.h. wie stellt sich der Umgang mit Zigaretten in meiner Untersuchungsgruppe dar? Welche Sinnkonstruktionen, Begriindungen und Rationalisierungen lassen sich hinsichtlich des aktuellen wie des ehemaligen Konsums bei den befragten Raucherlnnen und Exraucherlnnen finden? Korrelieren die unterschiedlichen Konsummuster und Verhaltensweisen mit individuellen Einstellungen und Kompetenzerwartungen, Wertungen und Wissensbestanden hinsichtlich des Rauchens im allgemeinen und "Nikotinsucht" im besonderen?
Die Schwerpunkte der empirischen Auswertung liegen sodann zum einen in einer Falldarstellung der "low-rate" Rancher und Raucherinnen meines Samples mit einem Konsum von maximal 5 Zigaretten pro Tag (N= 7) und zum anderen in einem Vergleich der verschiedenen Rauchergruppen hinsichtlich der jeweiligen Erfahrungen, Erwartungen und Kognitionen zu (Nikotin-) Sucht, (Ranch-) Genuss und der Moglichkeit des kontrollierten Rauchens. Ein weiteres Interesse meiner Arbeit ist es, die Ergebnisse der Studie fiir die Weiterentwicklung von Konzepten der Prevention und Schadensbegrenzung nutzbar zu machen. Eine Schadensbegrenzung in zweierlei Hinsicht: Zum einen konnte die Sichtbarmachung der Moglichkeiten und Hindemisse kontrolliert zu rauchen, den momentanen Diskurs erfrischend auflockem und neue Perspektiven auf das Rauchen und den Umgang mit dem Rauchen ermoglichen. Zum anderen offeriert das Konzept des kontrollierten und reduzierten Rauchens dem einzelnen Rancher und der einzelnen Raucherin eine Handlungsoption, die das mit dem (starken) Rauchen assoziierte Erkrankungsrisiko verringert und ihre Autonomic und Selbstbestimmung starkt. Die Arbeit ist in zwei Telle gegliedert: Teil I ist der historischen und theoretischen Rahmung des Themas gewidmet; Teil II umfasst die Auswertung der qualitativen Interviews. Die Schlussbetrachtung besteht aus der Nutzbarmachung des gefondenen und erarbeiteten Materials zum Kontrollierten Rauchen fur Prevention und Intervention.
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Teil I: Geschichte, Standortbestimmung und Forschungsstand
1. Geschichte und Gegenwart des Rauchens
1.1. Geschichtlicher Uberhlick Das Einatmen von Rauch ist so alt wie die Entdeckung des Feuers. Sobald man es willentlich erzeugen und nutzen konnte, spielte das Feuer die zentrale RoUe in den Kulthandlungen vorgeschichtlicher Zeiten. Die Kraft der zungelnden Flamme und der zum Himmel aufsteigende Rauch wurden fiir den primitiven Menschen heilige Symbole in ihrer Verehrung der Sonne und Gestime. Um den beiBenden Geruch des Ranches abzuschwachen, mischte man diesen Feueropfem mit der Zeit wohlriechende Harze und duftende Krauter bei. Der kultische Gebrauch des Weihrauchs zum Beispiel lasst sich bis in die altesten Kulturen Mesopotamiens und Altagyptens zuriickverfolgen und aus Pyramidentexten ist bekannt, dass Raucherungen mit myrrhenartigen Wohlgeriichen und Mischungen aus Krautem und Harzen etwa schon 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung zelebriert wurden (vgl. Corti 1986:13f). Weihrauchopfer sind uns ebenso aus beiden Testamenten der Bibel bekannt und auch in den Sitten der alten Griechen und Romer lebten die Idee des heiligen Feuers und das Ritual der Raucherungen weiter fort. Bei Griechen und Romem finden sich zudem die ersten Hinweise, dass Rauch auch im medizinischen Bereich Verwendung fand. So empfahl Hippokrates das Einatmen und EinfloBen von Rauch bei Frauenleiden und der romische Naturforscher Plinius schlug als Therapie bei veraltetem Husten vor, den Rauch von trockenem Huflattich zu inhalieren (vgl. Corti 1986:15). Auch wussten die Griechen des Altertums bereits, dass bestimmte Volker den Rauch narkotisierender Pflanzen zum Zwecke des Genusses und der Betaubung einatmeten. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot etwa berichtete um 450 vor unserer Zeitrechung wie die pontischen Skythen Hanfkomer auf gliihende Steine warfen und den Dampf freudig bejubelten (vgl. Corti 1986:16; Jettmar 1997:24). Ebenso war bereits in der Antike die (schmerz-)betaubende Wirkung des Schlafmohns bekannt, der u.a. in medizini-
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schen Raucherungen gegen Zahnschmerzen eingesetzt wurde (vgl. Schmitz 1997:65). Diese ersten kultischen, medizinischen und hedonistischen Verwendungen des Rauches bestimmter verbrannter Pflanzen und Harze konnten demnach als die "archaischen Wurzeln" des Rauchens verstanden werden und verweisen auf eine friihe Nutzbarmachung dieser fliichtigen Materie sowie auf verschiedene Bedeutungen, die ihr in der Alten Welt zugeschrieben wurden. Zugleich betont Corti (1986:18) jedoch, "dass zumindest in der im Altertum und Mittelalter den Kulturvolkem des Mittelmeerbeckens bekannten Welt die Rauchsitte in ihrem Zwecke als soziales Genussmittel vollig fremd war". Die Entwicklung des uns bekannten Rauchens ist mit dem Gebrauch und Konsum von Tabak assoziiert. Die botanische Heimat der subtropischen Pflanze Tabak liegt in den Antillengebieten Westindiens und den westlicheren Landteilen Zentral- und Mittelamerikas. Auch hier wurde in den religiosen Kulten der Bevolkerung zur Verehrung der Sonne das heilige Feuer geschiirt und Weihrauchopfer dargebracht. Zum Schiiren der Feuer wurden unter anderem getrocknete Zweige und Blatter der wildwachsenden Tabakspflanze verwendet. Dabei, so Corti (1986:19), bliesen die Priester in den gltihenden Zunder und atmeten den entstandenen Rauch ein: "Bei der langen Ubung dieser Gepflogenheit empfanden sie mit der Zeit die wohlig narkotische Wirkung des erwarmten Rauches der Tabakpflanze, die ungleich kostlichere Eigenschaften hatte als alle zu ahnlichen Kulthandlungen verwandten Krauter der Alten Welt". Corti schlieBt daraus, dass sich wahrscheinlich aus diesen Kulthandlungen der Priester im Antillengebiet und den angrenzenden Festlandsgebieten Mittelamerikas die Sitte des Rauchens zum personlichen Genuss entwickelt habe und sich allmahlich ausbreitete. Schon vor ca. 8000 Jahren wurde im Gebiet des heutigen Peru und Mexiko neben Kurbissen, Avocados, Bohnen, Mais und Chili auch Tabak angebaut. Auch die zeremonielle Funktion und der medizinische Gebrauch des Tabaks nahmen mit der Zeit zu. Man trank Tabaksaft bei Initiationsriten und rauchte gemeinsam nach friedlichem Abschluss von Verhandlungen eine mit Tabak gefullte Pfeife. Bei Verdauungsbeschwerden sollte der Tabak als Brech- und Abftihrmittel dienen und gegen Kopfschmerzen wurde Tabak geschnupft. Medizinmanner legten auf offene Wunden frische Tabaksblatter (und toteten damit, wie man heute weiB, die Fliegenlarven), verwendeten den Rauch gegen Brustkrankheiten und priesen Saft und Geruch gegen Kopfleiden (vgl. Corti 1986:21). Doch, wie gesagt, neben diesen rituellen und medizinischen Funktionen konnen wir durchaus davon ausgehen, "dass der Tabak schon lange vor der Entdeckung Amerikas auch vor allem eine alltagliche Genussdroge war" (Hess u.a. 2004:11).
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Die uns tiberlieferte und fur Europa bedeutsame Geschichte des Tabaks beginnt am 12. Oktober 1492: Der genuesische Seefahrer Christoph Kolumbus betritt die kleine Insel Guanahani der heutigen Bahamas, die er, um Gott fur sein geglticktes Untemehmen zu danken, San Salvador nennt. Das Ankommen der Fremden wird von einheimischen Indianem beobachtet, die ihnen alsbald Gastgeschenke tiberreichen, unter denen sich neben Friichten, Holzspeeren und Baumwolle auch getrocknete Blatter der Tabakpflanze befinden. Mit diesen trockenen Blattem, die den Indianem offensichtlich kostbar sind, konnen die Spanier jedoch zunachst nichts anfangen. Mehrere Wochen spater erreichen sie Kuba und zwei wagemutige Manner, Rodrigo de Jerez und Luis de Torres, erkunden die groBe Insel. Von ihrer Entdeckungsreise zuriickgekommen, berichten sie iiber das Gehabe der Indianer: "Dabei fiel ihnen auf, dass die Manner in ihren Handen trockene Blatter trugen, die sie an gltihenden Kohlen entziindeten und mit denen sie sich, wie die beiden Fremdlinge meinten, offenbar parfumierten. Um diese gerollten Blatter gliihend zu erhalten, setzten sie sie wiederholt an den Mund und bliesen oder sogen Luft und damit Ranch ein." (Corti 1986:31) Am 15. Marz 1493 kehrten die Schiffe des Kolumbus nach Spanien zuriick und Rodrigo de Jerez, der offenbar nach dieser ersten Reise in die neue Welt als einziger von der Besatzung das Rauchen selbst versucht und beibehalten hatte, erlangte als erster Tabakraucher Europas zweifelhaften Ruhm: Als er mit einer aus Tabakblattem gerollten Zigarre - aus Mund und Nase qualmend - durch seine Heimatstadt Ayamonte spazierte, wahnten ihn die Vertreter der heiligen Inquisition prompt vom Teufel besessen und sperrten ihn fur 10 Jahre in den Kerker (vgl. Precht/Baumgartner 1993:16f). Wahrend de Jerez im Gefangnis schmorte, eroberten seine Landsleute weiterhin die ihnen neue Welt. Dabei waren die spanischen Kolonisten in Mittelamerika dem Rauchen von Tabak gegenuber sehr viel aufgeschlossener eingestellt und ubemahmen diese Sitte ohne langes Zogem. Kehrten diese dann in ihre Heimatlander Spanien oder Portugal zuriick, war die zunehmend unter den Eroberem verbreitete Rauchsitte flir die soziale Umwelt ein Kuriosum, eine Sensation oder wie im Falle de Jerez ein Werk des Teufels. Die Kirche fiirchtete eine Gefahrdung der Ordnung und reagierte mit strikten Rauchverboten: "Als Begriindung fur die langjahrigen Gefangnisstrafen, die Zuwiderhandelnde zu befurchten hatten, wurde vor allem angeflihrt, das Rauchen sei nichts anderes, als dass der Satan den Heimkehrem aus unchristlichen Weltgegenden den HoUenrauch aus Mund und Nase blase." (Dieterich 1998:12) Somit war zunachst das der europaischen Kultur fremde, lust- oder genussmotivierte Rauchen von den kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten sanktioniert, wahrend zur gleichen Zeit das Ziichten von Tabakpflanzen, deren Samen noch Ende des 15. Jahrhunderts nach Spanien gelangten, forciert wurde. Denn als
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Zier- und Heilpflanze fand der Tabak immer groBere Verwendung und Verbreitung. Jean Nicot, ein franzosischer Gesandter am Hofe in Lissabon, empfahl die Pflanze bald nachdem er sie 1560 kennengelemt und mit ihr experimentiert hatte als Arznei gegen Flechten, Kratze und Kopfschmerzen und sandte die Botschaft ihrer heilenden Wirkung zusammen mit einigen Samen und pulverisierten Blattem nach Paris, wo Konigin Katharina von Medici sich des Heilkrautes annahm. In der folgenden Zeit beschaftigten sich zahlreiche Mediziner und Biologen mit der Erforschung der richtigen und besten Aufbereitung und Dosierung des Tabaks sowie seiner moglichen Anwendungsgebiete\ Um die Wende zum 17. Jahrhundert wurde Tabak in Frankreich und im ElsaB bereits groBflachig angebaut, um den enormen Bedarf an Nicotiana Tabacum fiir Extrakte, Tinkturen, Aufgusse etc. zu decken. Diese Heilwirkung wurde dem Tabak mehrheitlich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts und auch noch daruber hinaus zugesprochen, und seine Popularitat kam dem dann folgenden Paradigmenwechsel seines Gebrauchs wohl sehr entgegen. Obwohl Tabak weiterhin als Heilmittel Verwendung fand, gewann nun - uber hundert Jahre nach seiner Ankunft in Europa das Rauchen von Tabak zu Genusszwecken zunehmend an Bedeutung. So wie Portugal die fiihrende Rolle in der Distribution des Tabaks rund um die damals bekannte Welt spielte, so entwickelte sich in England die Sitte des Rauchens zu Genusszwecken und eroberte von hier aus die Wetf. Der beriihmte 'general on land' und 'admiral on sea' Sir Walter Raleigh gilt als groBer Protagonist des Rauchgenusses und erkannte schon friih, dass die Kultivierung des Tabaks in den nordamerikanischen Kronkolonien und seine Implementierung als Handelsartikel immense Gewinne versprach. Auf seinen 'smoking parties' in England wurde das Rauchen als gesellschaftliches Zeremoniell praktiziert. Viele schlossen sich seinem Beispiel an, andere reagierten auf diese neue Praxis mit groBer Missbilligung. Doch nicht nur in den hofischen Kreisen fand das Rauchen immer mehr Anhanger, auch in den unteren Gesellschaftsschichten etablierten die aus den Kolonien heimkehrenden Siedler Pfeife und Tabak. So verbreitete ' Corti (1986:51) bemerkt es sei "geradezu marchenhaft" gewesen, welche Fiille von Krankheiten die Tabakspflanze, als Arznei ausschlieBlich in Fonn von Pulvem, Tinkturen, Verbanden, Salben etc. angepriesen, angeblich heilen sollte. Dies sei wohl auch darauf zuriickzufuhren, dass die Alte Welt unter "der Unfahigkeit und oft auch unter den schwindelhaften Kuren damaliger Arzte litt. Suchten diese doch noch vielfach mit Aberglauben und Beschworungen zu heilen" (ebenda 52). In einem 1565 veroffentlichten Buch des beriihmten spanischen Arztes Nicolo Monardes findet sich ein weites Feld medizinischer Indikationsmoglichkeiten (s. ebenda 52). Aus dem breiten Spektrum der damals empfohlenen Verwendungsmoglichkeiten seien hier genannt: Behandlung von Kratze, Abtoten von Eingeweidewiirmem, Verdauungshilfe, gegen Geschwtire, bei Husten, gegen die Pest, Kopfweh, Zahnweh, Warzen und zu Forderung des Verstandes (vgl. Hengartner 1996:117; auch Dieterich 1998:13). ^ Zum Aufkommen des Rauchens in England siehe Corti 1986:6Iff.
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sich das Rauchen innerhalb kiirzester Zeit durch alle sozialen Klassen. Es entstanden spezielle Rauchlokale, sogenannte Tabagien, wo man dem Tabakgenuss fronte. Mit der bevolkerungsweiten Popularitat des Rauchens wuchsen sodann die Differenziemngsbemuhungen der hoheren Schichten. Um sich vom gemeinen Volk abzugrenzen, wurde nach exklusiven Tabakmischungen gesucht, und eine professionelle Lehrerschaft, die 'professors of the art of smoking', flihrte ihre Schiller der Oberschicht in die hohe Kunst des Rauchens ein, die zum Beispiel darin bestand, den Rauch in Form von Ringen auszublasen oder durch die Nase zu rauchen, unterwies sie in den richtigen Gebrauch der verschiedenen Rauchutensilien und klarte sie uber die richtige Mischung der Tabaksorten auf (vgl. Dieterich 1998:15, Hess 1987:20). Aber, wie schon gesagt, von Anfang an gab es auch zahlreiche Gegner des Tabaks, die zum Teil auch seinem medizinischen Gebrauch skeptisch gegeniiber standen, vor allem aber jeglichen Gebrauch zum blofien Zwecke des Genusses als Missbrauch verurteilten und das Rauchen vehement bekampften. Die dahinterliegenden Griinde beziehungsweise Motive anderten sich im Laufe der Zeit: ErlieB man 1575 das erste Rauchverbot in den Kirchen Mexikos wohl noch aus moralischer Emporung gegeniiber dieser heidnischen Sitte, die die Kirchen entweihe, so standen bei spateren Verfolgungen und Kontrollversuchen politische und okonomische Interessen und Parameter im Vordergrund. Die Verhandlung des Rauchens war dabei aber immer auch von den personlichen Einstellungen der Regenten gegeniiber dem Rauchen gepragt. So bestieg mit Jacob I. im Jahre 1603 ein regelrechter Rauchfeind den Thron Englands, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Rauchen in seinem Land zu diskreditieren. Im selben Jahr schon veroffentlichte er sein Pamphlet 'Misocapnus sive de abusu Tobacci Lusus regius'^ und begriindete diese Schrift wie folgt: "Da es nach meiner Ansicht (...) nichts Verderblicheres unter den Volkem gibt, als der haufige TabakgenuB, der sich bei uns eingenistet hat, so habe ich geglaubt, dass es meiner MuBe durchaus nicht abtraglich sein wird, wenn ich solch absurden Brauch in dieser Schrift geiBle" (zitiert nach Corti 1986:71"^). Aus seinen Argumenten sprachen sein personlicher Hass gegen diese "ekelhafte Gewohnheit", seine Zweifel an den medizinischen Wirkungen des Tabaks, sein schottischer Antihedonismus und seine Furcht vor den "ausschweifenden, liederlichen und verachtenswerten Leuten" (Brooks 1954:56), die er zu kontroUieren suchte. Jacob I. thematisierte im Streit um das Rauchen auch die okonomischen Aspekte wie das verschleuderte Vermogen, die zerstorte Arbeitskraft und den ^ 'Der Rauchgegner oder ein konigliches Scherzstiick gegen den Tabak' ^ Vgl. ausfuhrlich Corti 1986:70-78.
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Kapitalabfluss ins Ausland. Denn die neue Droge war auBerordentlich teuer, und da der in England angebaute Tabak (die aus Nordamerika eingefuhrte Art Nicotina rustica) von schlechter Qualitat war, rauchte jeder, der es sich leisten konnte, den von den spanischen Kolonien in Sud- und Mittelamerika stammenden Nicotiana tabacum, und das bedeutete Geldabfluss in die Kassen des Feindes Spanien. Jacobs Schrift erregte zwar ungeheures Aufsehen, hatte aber keine sonderliche Wirkung auf das Rauchverhalten seiner Untertanen. Wohl hatte er das Rauchen am liebsten verboten, hielt dies aber anscheinend wegen der grofien Verbreitung des Rauchens in hofischen Kreisen fur zu gefahrlich. SchlieBlich erhohte er 1604 den EinfuhrzoU fur Tabak um 4000 Prozent, was einer "indirekten Prohibition" (Hess u.a. 2004:22) gleichkam. Resultat dieser Politik war, dass die legalen Importe und koniglichen Einnahmen drastisch zuruckgingen, der Schmuggel enorm anstieg, die Einzelhandler den Tabak auf phantasievoUste Weise mit Zusatzen streckten und sich der Konsum und damit der Bedarf kontinuierlich erhohte. Daher senkte man 1608 die ZoUe wieder und die Tabaksteuer wurde fortan zu einer immer wichtigeren Geldquelle des koniglichen Hofes. In Deutschland hatte sich die Rauchsitte besonders durch die Soldaten des dreiBigjahrigen Krieges (1618-1648) sehr schnell verbreitet. So schreibt etwa der Erzbischof von Koln im Jahre 1649: "dass Tubackdrinken^, so vor Jahren fast keines Orts im Brauch gewesen, nunmehr iiberall fortgepflanzet und nicht allein unter Soldaten und gemeinen Unterthanen, sondem sogahr den Kindem aufin platten Lande und sonsten hauffenweiB dermaBen zunehme, dass dahero nicht allein allerhand Schwachheiten, sondem sogahr unterscheidliche, hochschetliche Feuersbrunsten entstanden" (Hess u.a. 2004:24). Die Gefahr von Feuersbriinsten, das mit dem Rauchen assoziierte "zehrhaffle, liederliche Leben vieler junger erwachsener Gesellen" (ebenda) und die Geldabfuhr ins Ausland waren die Argumente der Obrigkeit, welche die dann folgenden Verbote und Reglementierungen legitimieren sollten. Um die Jahrhundertmitte traten Verbote auf Kauf, Verkauf und Gebrauch des Tabaks in Kursachsen, Bayem, den Habsburgischen Erblanden, in Osterreich und vielen kleineren Furstenttimem in Kraft. Legal konnte Tabak nur noch in Apotheken erworben werden, wenn er aus medizinischen Grunden verordnet worden war. Die Strafen fur Zuwiderhandlungen gingen von Geldstrafen, Arrest und Zwangsarbeit iiber korperliche Ziichtigungen (Priigelstrafe, Einbrennen eines Zeichens) bis hin zur Verbannung. Doch wurden die Gesetze weder eingehalten noch ihre Missachtung streng verfolgt, dafiir war die Zahl der Rancher zu groB und die "Drogenhandler", meist Kaufleute aus Koln, Augsburg, Niimberg und Basel, zu angesehen.
Zur Begriffsentwicklung vom 'Rauch trinken' zum Rauchen s. bei Hess u.a. 2004:11-12.
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Auch in der Tiirkei (sowie in Russland, China und Japan) wurde mit zum Teil drastischen MaBnahmen versucht, das Rauchen zu unterdriicken. Ende des 16. Jahrhunderts gelangte der Tabak in die Tiirkei und hatte sich bereits am Anfang des 17. Jahrhunderts neben Kaffee und Opium als ein geschatztes und weit verbreitetes Genussmittel etabliert. Da die Geistlichen oder Muftis das Rauchen - wie den Wein - als unvereinbar mit den Satzungen des Koran verurteilten, kam es schon vor 1620 zu ersten Rauchverboten, die aber zunachst nur wenig sanktioniert wurden. Erst unter Sultan Murad IV., der 1623 als erst 14 jahriger Knabe an die Regierung kam, setzte eine gnadenlose Verfolgung der Rancher ein. Der Hauptgrund, neben des Sultans personlicher Abneigung gegen das Rauchen, war, dass die Kaffeehauser, in denen man zusammensitzen und die Wasserpfeife rauchen konnte, zu Zentren politischer Diskussion geworden waren, d.h. zu Orten der Kritik und Opposition. Als willkommener Anlass diente dann eine gewaltige Feuersbrunst, die am 7. August 1633 halb Konstantinopel einascherte: "Unter dem Vorwand, der Brand sei auf diese Rancher zuriickzuflihren, erging der polizeiliche Befehl, alle diese Kaffee- und Rauchhauser, die Brennpunkte der Empomngen, niederzureiBen. Dieser MaBnahme folgte sofort das Verbot des Tabakrauchens bei Todesstrafe" (Corti 1986:143). Der Sultan selbst fahndete nach den Gesetzesbrechem, indem er verkleidet durch die Stadt zog und dem Anschein nach Tabak erwerben wollte. War er dann auf einen Ungliicklichen gestoBen, der ihm ein Stiick verkaufte, zog er augenblicklich den Sabel und schlug ihm den Kopf ab (vgl. Hess u.a. 2004:26). Da das Vermogen der Hingerichteten an den Sultan fiel, erfullte das Rauchverbot zugleich mehrere Funktionen. Hess u.a. (2004:26) sprechen in diesem Zusammenhang von einer Normfalle: "Man verbot eine Verhaltensweise, die massenhaft verbreitet war und von der viele auch nicht mehr lassen wollten, und hatte dann die Moglichkeit, durch differentielle Sanktionierungen im Rahmen oder unter dem Vorwand der Drogenkontrolle ganz andere Ziele von politischer Repression bis zur personlichen Bereicherung zu verfolgen." Das Rauchen wurde jedoch trotz der zahlreichen Todesurteile nicht eingedammt. 1640 verstarb Sultan Murad IV. 1648 bestieg dann mit Mohamed IV. ein Rancher den Thron, der die Prohibition aufhob. Da Klima und Boden hervorragend fiir den Tabakanbau geeignet waren, stieg die turkische Eigenproduktion an, der Handel dehnte sich aus und der Geldabfluss ins Ausland ging zuruck. Einen ganz ahnlichen Verlauf nahm die Geschichte des Tabaks in Japan, China und Russland. Als weiteres Beispiel fiir die politische Instrumentalisierung des Rauchens sei hier Russland kurz erwahnt, wo das Rauchen vom Klerus in der ersten Halfi;e des 17. Jahrhunderts als Todsiinde aufgefasst wurde und die Zaren harte Strafen (AufreiBen der Nase, Aufschneiden der Lippen, Auspeitschen, Verbannung und Vermogenskonfiskation) androhten. Zar Peter der GroBe
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(1689-1715) nutzte dann in seinem Bemiihen, Russland zu modemisieren, den Symbolwert des Rauchens und setzte es ganz bewusst als Mittel des Aufbegehrens gegen den konservativen Klerus ein (vgl. Corti 1986:188ff). Nach und nach erkannten wie Jacob I. auch andere Regenten, dass sich mit dem Tabakhandel viel Geld fur den Staatshaushalt gewinnen lieB und an die Stelle der Verbote traten Reglementierungen, die diese Einkiinfte sichem soUten. Der Prohibition folgte eine meist im Stil des appalto-Systems angelegte Steuerpolitik: D.h. Monopolisten und Pachter kauften die alleinigen Rechte fur Einfuhr, Verkauf und Steuererhebung und batten damit die Preisgestaltung in ihrer Hand. Ein Anstieg der Tabakpreise folgte ebenso wie die Verscharfung der KontroUen durch von den Pachtem eingesetzte Informanten oder, wie in PreuBen, sogenannten Tabaksreutem, die den illegalen Anbau, den Schmuggel und den Schwarzmarkthandel unterdriicken soUten (vgl. Hess u.a. 2004:28f). Diese mit Ober- und Untergewehr bewaffheten Tabaksreuter - oder "Tabakspolizei" (Corti 1986:223) - waren berechtigt selbst beim Adel und Beamtenstand Hausdurchsuchungen durchzufuhren und durften auch Leibes- und Geldstrafen verhangen. Das Beispiel Frankreich zeigt, welche beeindruckenden Zahlen aus diesen vorpolizeilichen^ Aktivitaten resultierten: Dort wurden jahrlich von den Agenten der Fermiers generaux, den dortigen privaten Tabakpachtem, die seit 1674 das Verkaufsmonopol besafien, im Durchschnitt 2500 Manner, 2000 Frauen und 6000 Kinder festgenommen und vor Sondergerichte gestellt, deren Richter von den Pachtem bezahlt wurden. In diesem Sinne lasst sich sagen, "dass also die DrogenkontroUe schon damals Gelegenheit und Vorwand bot, neue und spater fiir andere Bereiche beispielhafte KontroUmechanismen zu entwickeln - genau wie wir das auch aus dem War on Drugs der vergangenen drei Jahrzehnte kennen (Ausdehnung der Rechte der Polizei, Kronzeugen-Regelung im Betaubungsmittelgesetz [BtmG], Medizinalisierung der Sanktion, Einfuhrung von Gesetzen gegen die sog. Organisierte Kriminalitat [OrgKG] etc.)" (Hess u.a. 2004:29). Im Laufe der Zeit schaffte man das appalto-System wieder ab und ersetzte es durch eine staatliche Regie^. Nachdem der Tabak auf diese Weise zu einer reichfliel3enden Steuerquelle geworden war, stand seiner Eroberung der Welt als Genussmittel nicht mehr viel entgegen. Jedoch blieb die gesellschaftliche Verhandlung des Tabaks und des Rauchens ambivalent: Einerseits problematisierte man weiterhin das Rauchen aus moralischen, politischen, finanziellen, aber auch gesundheitlichen Grunden; andererseits forderte man aus staatsokonomischen Interessen Produktion, Handel und Konsum. Insofem, bemerkt Dieterich ^ Denn eine eigentliche Polizei war in den absolutistischen Staaten noch nicht etabliert. ^ In Deutschland, wie heute in den meisten westlichen Landem, erhob man 1906 eine Verbrauchsbzw. Banderolensteuer.
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(1998:15), "verwundert es nicht, dass Gesetzentwiirfe, Verbote, Sanktionierungen, Wamungen vor und Pamphlete gegen den Tabak die Geschichte des Rauchens bis zum heutigen Tag begleitet haben, auch wenn natiirlich die zentralen Paradigmen der jeweils herrschenden Diskurse in den verschiedenen historischen Phasen ein unterschiedliches Gesicht zeigten". Vor dem Hintergrund der immensen Verbreitung des Rauchens entwickelten Arzte und Wissenschaftler ein gesteigertes Interesse an der Untersuchung des Tabaks. Doch wurden dem Tabakkonsum vom Beginn des 18. Jahrhunderts an nur noch sporadisch Widerstande entgegengesetzt. Die Positionen der Gelehrten und Wissenschaftler waren zu dieser Zeit recht unterschiedlich. Die Mehrzahl der negativen Einwande seitens der Arzteschaft bezogen sich auf die korperlichen Schaden durch das Rauchen. Man stiitzte sich dabei auf Experimente mit Tieren, die schon seit 1650 gezielt durchgefuhrt wurden und die die Giftigkeit der Tabakinhaltsstoffe bewiesen (vgl. Tiedemann 1854:316f). Andere Gelehrte betonten dagegen die positiven geistig-seelischen Wirkungen des Rauchens, die sie gerade in Verbindung mit geistiger Arbeit lobend hervorhoben. Da der Tabak in alien Bevolkerungsschichten sehr beliebt war, blieben die vereinzelten arztlichen Wamungen meist ungehort. Im 17., 18. und 19. Jahrhundert war die am weitesten iiber die Welt verbreitete, in Afiika und Asien ausschlieBliche, in Europa vor allem beim einfachen Volk vorgezogene Applikationsform das Pfeiferauchen. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich daruber hinaus in den hofischen Kreisen Frankreichs die Mode des Tabakschnupfens, die wie die fi-anzosische Sprache vom europaischen Adel ubemommen wurde und bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts andauerte. Interessant daran ist die sozialpolitische Funktion der Distinktion, die das Schnupfen von Tabak fur die Aristokratie innehatte^. Der Adel suchte in einer Zeit der okonomischen Bedrohung durch das aufstrebende Biirgertum in der "Kunst des Schnupfens" ein Mittel zur Differenzierung vom rauchenden Volk, um so "zumindest im Bereich der Lebensflihrung durch bis ins letzte Detail verfeinerte Sitten ihre tJberlegenheit zu demonstrieren und Distanz nach unten zu wahren" (Hess u.a. 2004:33 ). Das Schnupfen bHeb jedoch nicht dem Adel vorbehalten, sondem wurde - neben dem Rauchen - auch in den anderen Bevolkerungskreisen popular. Die Aristokratie verlor mit der Zeit weiter an Einfluss und ^ "Das Zeremoniell des Schnupfens richtig zu zelebrieren und eine Prise aus der eigenen Tabatiere einem anderen auf feine Art zu offerieren, zeichneten den Edelmann des Rokoko aus, die Requisiten der Kunst, wertvolle Schnupftucher und kostbare Tabakdosen aus Perlmutt, Porzellan, Elfenbein, Email, Silber oder Gold, besetzt mit Diamanten und Edelsteinen und verziert mit Miniaturmalereien und Reliefbildwerken, gehorten zu seiner Ausstattung wie die parfiimierte Periicke, das reichgeschmuckte Kostiim, der Zierdegen und der Zierstock" (Hess 1987:33; vgl. auch Schivelbusch 1990:143ff).
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Bedeutung und konnte dem Erstarken burgerlicher Ideen und Ideale kaum noch etwas entgegensetzen. Die Zigarre wurde das Symbol der neuen burgerlichen Epoche und das Rauchen wieder die bedeutendste Konsumform. Ausgangspunkt ihrer europaischen Verbreitung war Spanien, wo sie immer vorherrschend war und in groBem Umfang hergestellt wurde. Auch im spanischen Kuba und auf den spanischen Philippinen gab es bereits groBe Manufakturen und 1720 arbeiteten bereits tausend Frauen in der Zigarrenherstellung von Sevilla. Zu dieser Zeit war die Zigarre im iibrigen Europa noch kaum bekannt. Erst 1788 wurde in Deutschland, in der Hansestadt Hamburg, die erste kleine Manufaktur eroffhet. Der Zigarrenkonsum verbreitete sich dann nach 1814 vor allem durch franzosische und englische Soldaten, die wahrend der Napoleonkriege in Spanien gegeneinander gekampft batten und bei ihrer Ruckkehr die spanische Rauchsitte in ihre Heimatlander einfuhrten. In den folgenden Jahren stieg die Produktion und der Konsum von Zigarren in ganz Europa an. Dabei kam es im preuBischen Obrigkeitsstaat zu einem symptomatischen Konflikt. Wieder spielen Symbole eine entscheidende Roller Im Gegensatz zum altiiberlieferten Pfeiferauchen, das fur konservatives Kleinbiirgerttim und SpieBigkeit stand, sah man in dem Zigarrerauchen des Vormarz einen revolutionaren Akt, "ein demokratisches Symbol fur Volksverhetzer und Wiihler" (Corti 1986:276). In Berlin waren nach dem Riickzug der napoleonischen Truppen 1809 die alten Rauchverbote in der Offentlichkeit wieder in Kraft getreten, die jedoch von der Bevolkerung nur unter Protest hingenommen wurden (vgl. Dieterich 1998:2If), da man sie wiederum als "Symbol politischer Unterdruckung" ansah. (Schivelbusch 1990:141). Die Berliner Burger wehrten sich und forderten neben anderen biirgerlichen Freiheiten auch ihr offentliches Rauchrecht ein. Diejenigen, die weiterhin offentlich rauchten, waren somit per se verdachtig sich gegen die herrschende Staatsgewalt aufzulehnen und sich fiir demokratische Ideen einzusetzen. Die Berliner Unruhen eskalierten dann im Marz 1848 und alle burgerlichen Forderungen wurden bewilligt. Nur wenige Tage spater folgte die offizielle Bekanntmachung, dass die Rauchverbote aufgehoben seien. Damit gab es auch in Berlin wie in Paris, Wien und London eine 'offentliche Rauchfreiheit'. In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts symbolisiert die Zigarre bereits biirgerliche Behabigkeit und Reichtum. In den besseren Wohnungen finden sich spezielle Rauchzimmer oder Rauchsalons, die gleichzeitig auch als sogenannte Herrenzimmer einen mannlichen Riickzugsraum bedeuteten, und in den Eisenbahnen stehen nun den Rauchem besondere Abteile zur Verfligung. Begrundet wurden diese Raucherraume mit der Vermeidung von Belastigungen gegeniiber Nichtraucherlnnen (vgl. Dieterich 1998:50).
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Bis in das 20. Jahrhundert hinein blieb das Rauchen von Zigarren en vogue. 1904 verteilten sich beispielsweise die amerikanischen Ausgaben fiir verschiedene Tabakwaren wie folgt: "60 Prozent flir Zigarren, 33 Prozent fur Kautabak (in dieser Rubrik wurde auch der Pfeifentabak gefuhrt, der allerdings nur den kleineren Anteil ausmachte), 5 Prozent fur Zigaretten und 2 Prozent fur Schnupftabak" (Hess u.a. 2004:36). Diese Statistik sollte sich jedoch bald andem. Denn batten hier die Ausgaben ftir Zigaretten noch einen nicht ins Gewicht fallenden Marktanteil, so stieg deren Umsatz im Laufe des letzten Jahrhunderts kontinuierlich an, und die Zigarette wurde und blieb das nachgefragteste Tabakprodukt bis in unsere heutige Zeit.
1.2. Der profane Rauchgenuss der Moderne: die Zigarette In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren nicht nur alle Einschrankungen gegen das Rauchen gefallen, sondem die Regierungen fbrderten aufgrund der ihnen zuflieBenden Steuem den Tabakverbrauch in jeder Weise^. Zu dieser Zeit setzte dann auch der unaufhaltsame Aufstieg der Zigarette ein, die das voUendete, was mit der Zigarre begonnen hatte (vgl. Dieterich 1998:25) und zwar in zweierlei Hinsicht: Erstens triumphierte mit der Zigarette die Applikationsform des Rauchens iiber die Konsumformen des Tabakschnupfens und -kauens. Und zweitens breitete sich das Rauchen mit der Zigarette noch weiter aus und erreichte einen noch hoheren Grad an gesellschafllicher Normalisierung und Veralltaglichung als es in Zeiten der Zigarre der Fall war. Die Zigarette in ihrer urspriinglichen Form kam aus Siidamerika und war dort unter dem Namen 'papelito' schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt. Eine papelito bestand aus Tabak, den man in feine Papierhiilsen gefiillt hatte (vgl. Corti 1986:282) oder aus Tabakresten, die bei der Zigarrenproduktion abfielen und die man in Papier wickelte und rauchte. Spater wurde der Gebrauch der papelitos in Spanien ubemommen und von dort gelangte die neue Art des Rauchens nach Frankreich und Italien. Zunachst war ihr Konsum hier - im Gegensatz zum Osmanischen Reich und Russland, wo ein milderer Tabak angebaut wurde - aber eher die Ausnahme. Erst nach dem Krim-Krieg (1856), in dem franzosische und englische Soldaten, die zur Verstarkung der turkischen Truppen ^ Der Tabak war in alien Landem zu einer dermaBen wichtigen und reich flieBenden Einnahmequelle geworden, dass sein Konsum regelrecht geschutzt wurde. Ein pragnantes Beispiel ist eine Verordnung des Kardinalstaatssekretars Giacomo Antonelli, die er 1851 im Vatikan erliefi und in der er ausftihrte, dass das Tabakrauchen von niemanden und in keiner Weise behindert werden soUe und dass die Verbreitung von Schriften, die sich gegen das Rauchen wendeten, sogar mit Zuchthaus bestraft werden wurden (vgl. Corti 1986:281).
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entsandt worden waren, in Kontakt mit den milderen Orienttabaken kamen und lemten, diesen in Zeitungspapier gewickelt zu rauchen, fand das Rauchen von Zigaretten eine weitere Verbreitung in Europa. Heimkehrende Offiziere, die von ihren Standesgenossen die fertige Zigarette in Spezialpapier iibemonimen hatten, machten sie in den Clubs von London^^ und Paris bekannt, wo sie zunachst als "armselige Dunstrohre in Papier" ^^ bei den Zigarren- und Pfeiferauchem eher auf Ablehnung stieB. Zwar wurden auch schon Zigaretten in kleinen Manufakturen hergestellt, doch erst als sich die Hersteller um feinere Papiere und hochwertigere Tabake aus dem Orient bemiihten, stieg die Nachfrage an. In Deutschland entstand 1862 die erste Zigarettenfabrik, zunachst ein kleiner Betrieb mit nur sieben Angestellten, als Zweigniederiassung der Petersburger Firma Laferaie in Dresden. Die Stadt sollte sich zu einer Zigarettenmetropole entwickeln. In den nachsten Jahrzehnten eroffiieten Griechen, Russen und Deutsche viele weitere Betriebe und die Produktion schnellte enorm in die Hohe: Von zunachst 60 Millionen Zigaretten jahrlich stieg sie 1888 auf 600 Millionen und lag 1912 bei 11,5 Milliarden. Bei der Zigarettenherstellung wurden vor allem Orienttabake verwendet, die trotz ihrer Milde mit ihrem voUen sUBlichen Aroma iiberzeugten und so als geschmackliche Verbesserung halfen, "den Trend weg vom 'kratzenden Kraut"' (Dieterich 1998:26) fortzusetzen. Weiterhin wurde aber nicht nur Tabak, sondem auch ein GroBteil der Zigaretten importiert. Die exotischen Namen und die auBerlichen wie geschmacklichen Besonderheiten der aus Russland, Agypten und der Turkei eingefiihrten Marken fanden um die Jahrhundertwende in feineren Kreisen groBen Zuspruch. Dementsprechend warben auch deutsche Zigarettenprodukte durch eine entsprechende Verpackungsgestaltung und Namen wie 'Salem', 'Mohamed' und 'Sulima' mit dem Flair des Orients. Doch auch andere Imageaspekte spielten - neben der Sensation des Neuen - bei der Begeisterung fiir die Zigarette in der eleganten Welt eine RoUe: "Schon die im Vergleich zur behabig und schwerfallig anmutenden Zigarre filigrane Erscheinung der Zigarette und ihre 'saubere' feinweiBe Umhtillung konnten beinahe nur 'modem' erscheinen", bemerkt Dieterich (1998:26). Veredelt wurde das mondane Ansehen der Zigarette in den feineren Kreisen mit kostbaren Etuis, Haltewerkzeugen und Zigarettenspitzen, die als Statussymbole dienten und dem Rauchen (der an sich schmucklosen und vereinheitlichten Zigaretten) eine personliche Note verleihen soUten. Mit dem Rauchen von Zigaretten hatte man hier fur kurze Zeit einen Ausdruck seiner Exklusivitat gefunden, eine Moglichkeit der Distinktion vom '^ Von den Londoner Clubs aus kam die neue Rauchmode nach Nordamerika, wo die Herstellung und der Handel mit Zigaretten in kurzester Zeit eine der wichtigsten Erwerbszweige der Vereinigten Staaten wurde (vgl. Conti 1986:284). " Vgl. Dieterich 1998:26.
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biederen, soliden Burger. Die Zigarette verlieh "eine weltmannisch gelassene Uberlegenheit" (Hess u.a. 2004:39), symbolisierte elegante Lebenskunst und veredelte diese mit einem Hauch von Verruchtheit^^. Zudem ist sie schon fur die Menschen in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg ein Sinnbild fur Tempo und SchnelUebigkeit. Die wesentlichste Innovation der Zigarette, so Schivelbusch (1990:123 u. 127), liegt in der Ktirze der Zeit, in der sie geraucht werden kann: "Die Zigarette ist leicht und kurz, im physischen wie im zeitlichen und pharmakologischen Sinn des Wortes. Eine Zigarettenldnge, wie die neue informelle Zeiteinheit heifit, unterscheidet sich von einer Zigarrenlange wie die Geschwindigkeit der Postkutsche von der des Automobils." Damit verandert sich das Rauchen drastisch und wird den Anspruchen einer modemen, 'nervosen' Zeit gerecht: Die benotigte Zeit fiir das Rauchen einer Zigarette schrumpft auf 5-7 Minuten und wird damit im Vergleich zu der MuBe, die eine Zigarre braucht, um geraucht zu werden, zu einem eher fluchtigen Genuss des komplizierter lebenden Menschen. Diese Veranderung des Rauchens wurde in damaliger Zeit auch schon durchaus kritisch betrachtet. So zitiert Schivelbusch (1990:127) den Kulturhistoriker Alexander von Gleichen-Russwurm, ftir den die Zigarette 1914 "ein Symbol des modemen Lebens" ist, "die kein Ausruhen bringt, kein Vertiefen und Nachdenken in emstem Gesprach begleiten will. Sie regt an, aber sie verglimmt, sobald der angeregte Gedanke selbst Feuer gefangen hat. Eine leichte Beschaftigung miiBiger Hande, gibt sie kurzem Besuch den Schein der Gemiitlichkeit und wirkt als Symbol eines gastlichen Hauses, wenn Zeit und Stunde nicht erlauben, daB etwas anders angeboten wird." Der raschen Mechanisierung um die Wende zum 20. Jahrhundert verdankt die Zigarette ihre schnelle und weite Verbreitung. Um 1900 konnten die Maschinen der Manufakturen bereits 500 Zigaretten pro Minute herstellen.^^ Die Zigarette wurde zu einem Massenprodukt, ihre Produktionskosten sanken, und die Verkaufspreise reduzierten sich trotz gestiegener Steuersatze erheblich. Mit der Erfindung verschiedener Markenimages versuchte man den Anspruch der Rancher auf Differenzierung und Distinktion zu erfiillen. 1910 waren 20.000 Marken beim Patentamt des Deutschen Reichs gemeldet (darunter auch noch Marken, die einen Hanfanteil von 5 bis 10 Prozent enthielten^"*). Doch konnte sich diese Vielfalt nicht lange halten, denn eine Produktion von Marken mit dauerhaft gleich^^ Die (Werbe-)Abbildungen der damaligen Zeit benutzen vor allem das Klischee der sinnlichen und sexuell verfiihrerischen rauchenden Frau. Das Image der "holden Orientalin Zigarette" (Moszkowski 1914:34) war selbst weiblich. So sprach man von ihrer Zartheit, Schlankheit, Zerbrechlichkeit oder von einer "schwiilen Koketterie der grofien Damen vomNil" (Poppenberg 1914:18). ^^ Heute produzieren computergestiitzte, vollautomatische Maschinen bis zu 130 Zigaretten pro Sekunde. ^"^ Wie 'Khedive*, 'Nil', 'Arabische Nachte' und 'Harem'.
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bleibender Qualitat und die damals iibliche Markenreklame mit Treuegeschenken und Zigarettenbildem, die die Sammelleidenschaft wecken soUten, waren nur von den groBeren Firmen zu bewerkstelligen. Hunderte von kleinen Untemehmen gingen in den zv^anziger Jahren Bankrott oder wurden von groBen Konzernen ubemommen. Die Nachfrage stieg jedoch weiter an und die Zigarette setzte sich gesamtgesellschaftlich als beliebtes Genussmittel durch. Im ersten Weltkrieg hatte sich die Zigarette zudem als Psychopharmakon des kleinen Mannes und Soldaten bewahrt und der Emanzipationsschub der Nachkriegszeit und der 20er Jahre fuhrte zu einer weiteren Verbreitung des Rauchens auch unter Frauen.^^ So wuchs der Zigarettenkonsum einerseits deswegen an, weil er den Konsum von Zigarre und Pfeifentabak zunehmend ersetzte (wobei sich die Nachfrage beider Produkte erst nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich reduzierte), anderseits weitete die Zigarette aber vor allem den Markt aus und eroberte neue Konsumentenkreise: "Wahrend im Zeitalter von Pfeife und Zigarre und noch Ende des 19. Jahrhunderts das Rauchen fiir breite Schichten der Bevolkerung ein unbekannter Genuss war, wurde es mit der Zigarette zunehmend zum Alltagsvergniigen nicht nur fur viel mehr Manner, sondem auch fur Frauen und Jugendliche" (Hess u.a. 2004:42). Gleich mehrere Faktoren trugen zu dieser Karriere des Genussmittels Zigarette bei. Auf der gesellschafllichen Ebene ist hier der wachsende Lebensstandart bei gleichzeitiger Zunahme von Leistungsanforderungen und Stress zu nennen, die zu einem erhohten Bediirfhis nach alltaglichen Stimulantien und Sedativa ftihrten. Auf der Produktebene iiberzeugten Zigaretten durch ihre relative Milde und die geringere Nikotinmenge, die sie besser vertraglich machten (verminderte Gefahr einer Uberdosis mit den toxischen Effekten Ubelkeit, Erbrechen und Ohnmacht) und den Einstieg erleichterten. Der Markt schlieBlich offerierte, wie schon erwahnt, ein groBes Angebot zu einem niedrigen Preis und die Tabakindustrie miihte sich stetig, durch gezielte Werbung die Nachfrage zu erhohen. In den USA verlief der Anstieg der Zigarettenproduktion und des Konsums im Laufe des letzten Jahrhunderts noch rasanter.^^ Die Ursachen fiir diese Entwicklung waren im GroBen und Ganzen die gleichen wie fiir Deutschland (s.o.), doch beschleunigte eine Neuerung in der Tabakverarbeitung diesen Prozess in Amerika ganz erheblich und fuhrte schlieBlich auch dazu, dass die amerikanische Zigarette heute einen groBen Teil der Welt beherrscht und die Mode auf dem ^^ Siehe zum Aspekt der Ausweitung des Rauchens bei Frauen Dieterich 1998:29-34; Koppenhofer 2003:54f. *^ Von 14 Millionen produzierten Zigaretten im Jahr 1870 auf 80 Milliarden im Jahr 1930 und 600 Milliarden 1973 oder, im pro Kopf Verbrauch der gleichen Jahre ausgedriickt, von 0,16 auf 977 und schliefilich auf 3850 Stuck pro Einwohner.
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Zigarettenmarkt, der urspriinglich orientalisch gepragt war, bestimmt. Die amerikanische Innovation bestand in der Einfuhrung der "American Blend", d.h. einer neuen Tabakmischung, die sich aus dem leichten hellen Virginia, dem etwas dunkleren Burley und einer Spur ttirkischen Tabaks zusammensetzte. Diese Zigaretten waren auf dem amerikanischen Markt nicht nur wesentlich preisgiinstiger, da kaum noch Tabak importiert werden musste, sondem auch noch mal sehr viel milder als die europaischen Produkte. Das wirklich neue an der American Blend war jedoch die durch sie mogliche Veranderung der Rauchtechnik. Durch ein schnelleres Trocknungsverfahren der Virginia Tabake (das sogenannte flue curing) loste man eine besondere Fermentation aus, die nicht nur eine hellere Farbe der Tabakblatter zur Folge hatte, sondem auch dazu fuhrte, dass der Ranch nun sauer reagierte und nicht wie zuvor (und heute noch bei den Zigarren- und Pfeifentabaken) alkalisch. Aus saurem Ranch lassen sich die chemischen Bestandteile schlecht durch die Mundschleimhaut resorbieren, dafur aber kann man ihn weit besser in die Lunge inhalieren, was einerseits eine neue Qualitat des Rauchgenusses bedeutet, andererseits aber die Atmungsorgane durch das tiefere Einziehen des Ranches weit mehr belastet. Die erste "blonde" Zigarette auf dem amerikanischen Markt war 1913 die 'Camel' von der Firma Reynolds. Schon 1918 hatte sie einen Marktanteil von 40% und blieb jahrelang die beliebteste Zigarettenmarke der Amerikanerlnnen, aber auch die konkurrierenden Blend-Marken 'Lucky Strike' und 'Chesterfield' konnten sich erfolgreich durchsetzen. Die Zigarettenindustrie warb in den 1920er und 1930er Jahren vor allem mit dem Begriff der "Mildness" fiir ihre Produkte. Damit wollte man die Konsumenten sowohl von der milden Geschmacksrichtung uberzeugen, als auch der Sorge begegnen, dass die neue Rauchtechnik des Inhalierens gesundheitlich bedenklich sein konnte. Verkaufsschlager wurden auch die 1939 mit der 'Pall Mall' eingefuhrte Form des "King Size" und der 1954 von Reynolds mit der 'Winston' auf den Markt gebrachte Filter in seiner heutigen Art, der urspriinglich fur die vermeintlichen Bediirfnisse der weiblichen Konsumentinnen entwickelt worden war und die Tabakkrumel von den Lippen femhalten sollte. Auch in Deutschland, wo die ersten Blend-Zigaretten 1936 aufkamen, vollzog sich in der Nachkriegszeit ein so grundlegender Geschmackswandel, dass Ende der 50er Jahre die klassische Orientzigarette mit nur noch 3 Prozent Marktanteil kaum noch eine Rolle spielte. Zudem galten die Zigaretten der Besatzungstruppen als die einzig 'echten' Zigaretten. Denn in den letzten Kriegsmonaten und in den ersten Nachkriegsjahren war die Zigarettenherstellung in Deutschland nur noch eingeschrankt moglich, und die Erzeugnisse aus einheimischen Tabaken minderer Qualitat, die zudem noch mit allerlei Tabakersatzstoffen gestreckt waren, erfreuten ihre Kaufer kaum. An erster Stelle der Nachfi*age stand
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daher schon bald die 'Ami', die nicht nur ihres Geschmackes wegen iiberzeugte, sondem auch, weil sie die Attribute des Siegers und Luxus symbolisierte: "Wer eine solche Duftmarke setzen konnte, bewies - im Sinne Bourdieus - eriesenen Geschmack. Die 'Ami' setzte aber nicht bloB in qualitativ-geschmacklicher Hinsicht Mafistabe, sie wurde selber zum Ma6 aller Dinge und zum WertmaBstab schlechthin, zur uneingeschrankten Leitwahrung der Schattenokonomie, zu einem Ersatz fur die noch immer giiltige, aber hoffhungslos diskreditierte Wahrung aus der Nazizeit" (Merki 1996:57). Durch die so genannte Zigarettenwahrung'^ wurde nun die Zigarette in ihrem Tauschwert auch fur Nichtraucher kostbar und bis zur Wahrungsreform 1948 blieb sie das Ersatzgeld der ersten Nachkriegsjahre. Danach war die 'Ami' weiterhin das begehrteste Rauchgut, und als in den 60er Jahren die amerikanische Zigarettenindustrie den deutschen Markt massiv bewarb, war der Geschmackswandel schon langst voUzogen. Die Ami iiberzeugte nicht nur die Rancher in Deutschland und Europa, sondem eroberte gestiitzt durch die Kapitalkraft der amerikanischen Markte und den Wirtschaftsund Kulturimperialismus der USA - den gesamten Globus (s. Zundorf 2000). Um die Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Zigarette fast weltweit ein alltagliches, iiberwiegend akzeptiertes Genussmittel und amerikanische Marken dominieren die Verkaufszahlen der intemationalen Markte bis heute. Tabakerzeugnisse, so steht es 1963 in einer Presseerklarung der amerikanischen Tabakindustrie, wiirden haufiger iiber die Ladentheke gehen als irgendetwas anders auBer Geld. 1974 liegen die industriellen Produktionszahlen weltweit bei 3.676.000.000.000 Stuck und 1984 sind es bereits 4.695.734.000.000 Zigaretten, die in Fabriken*^ hergestellt werden (vgl. Hess 1987:53). Und obwohl seit Mitte des 20. Jahrhunderts Mediziner das Rauchen verstarkt als gesundheitliches Risikoverhalten kritisieren und anprangem (s. Kapitel 2), steigt der Verbrauch von Tabakwaren, zumindest in Form von Zigaretten, bis in unsere Tage kontinuierlich an.
*^ Ausfuhrlich zur Zigarettenwahrung s. Hess u.a. 2004:92ff. ^^ Hier sind also die verschiedenen Arten von selbstgedrehten und gestopften Zigaretten, die beispielsweise bei uns vom Konsumenten aus Feinschnitttabaken eigenhandig hergestellt werden, oder die in Sudostasien und Indien weit verbreiteten Bidis nicht mitgerechnet.
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1.3. Aktuelle Konsumentenzahlen und Trends In ihrem Bericht "Curbing the Epidemic: Governments and the Economics of Tobacco Control" aus dem Jahre 1999^^ spricht die Weltbank zum Ende des 20. Jahrhunderts apokalyptisch von einer "Tabakepidemie": Der Zigarettenkonsum hatte sich in groBem Umfang weltweit verbreitet, so dass man heute von rund 1,1 Milliarden rauchender Menschen ausgehen konne, dies sei in etwa jeder dritte Erwachsene. Die Weltbank geht davon aus, dass sich einerseits aufgrund des Wachstums der Erwachsenenbevolkerung, andererseits aber auch aufgrund eines weiteren Konsumanstiegs die Gesamtzahl der Rancher bis zum Jahr 2025 auf 1,6 Milliarden erhohen werde (2003:15). Dabei konstatiert der Bericht eine Riicklaufigkeit des Tabakkonsums in den Hocheinkommenslandem, allerdings mit der Einschrankung, dass der Konsum hier in einigen Gruppen (Frauen, Jugendliche) weiter ansteige, und eine seit etwa 1970 zu verzeichnende stetige Zunahme des Zigarettenkonsums in den Niedrig- und Mitteleinkommenslandem. Den allgemeinen globalen Konsumtrend, der auch unten (Tabelle 1) in den absoluten Zahlen des pro Kopf Verbrauchs im Vergleich der Regionen deutlich wird, fasst die Weltbank (2003:16) folgendermaBen zusammen: "Insgesamt gesehen breitet sich die Tabakepidemie somit von ihrem urspriinglichen Brennpunkt unter Mannem in Hocheinkommenslandem auf Frauen in Hocheinkommenslandem und Mannem in Niedrigeinkommenslandem aus".^^ Auch ein neuerer Bericht der Emahmngs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO^^ geht insgesamt von einer Zunahme des Tabakkonsums auf Gmnd von Bevolkemngswachstum und Einkommenssteigemng aus, doch werde pro erwachsene Person "der Konsum bis 2010 um mnd 10 Prozent sinken auf jahrlich ca. 1,4 Kilogramm Tabak" (FAO 2003), was zu einem abgeschwachten Wachstum der weltweiten Nachfrage nach Tabak bis 2010 fahren werde. Hier wird davon ausgegangen, dass der Anteil der Entwicklungslander am Tabakkonsum bis 2010 auf 71 Prozent ansteigen (1998: 66%) und der Anteil der Industrielander auf 29 Prozent (1998: 34%) sinken werde. Die WHO hat den weltweiten Trend des pro Kopf Verbrauchs 1995 wie folgt zusammengefasst:
*^ Erste Auflage der deutschen Ausgabe: Marz 2003 ^" Zur Kritik am Bericht der Weltbank s. Spehr (2000) und Tren/High (2000), sowie Kapitel 2 ^^ Quelle: Food and Agriculture Organization of the United Nations FAO, Projections of tobacco production, consumption and trade to the year 2010, Rome 2003, in: http://www.at-schweiz.ch/medien/view.php?messge_id= 1654
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Tabellel:
Weltweiteri&igarett(
Welt
L450
1.650
1.640
- Industriestaaten
2.670
2.770
2.400
820
1.160
1.370
- Entwicklungslander
I w lllllii
Regicmoi - Afrika
460
560
540
2.600
2.490
1.870
- Nahost
730
930
910
- Europa
2.280
2.470
2.290
- Sudostasien
640
960
1.150
- Westl. Pazifik
1.140
1.600
2.000
- Amerika
(Quelle: WHO, Febmar 1995; in: Ziindorf 2000:18)
1.3.1. Amerika In den USA, wo wie in der Manier des 'War On Dnigs' die Problematisierung des Tabakkonsums besonders dramatisch inszeniert wird, die Anti-TabakInitiativen sehr vielfaltig sind und die rigiden Kontrollbemuhungen schon zu etlichen Rauchverboten gefiihrt haben, die den Kampf der WHO fur eine Tobacco Free World' unterstutzen soUen, variieren die Raucherquoten der Erwachsenen in den einzelnen Staaten und Regionen derzeit von 13,9% (in Utah) bis 31,5% (in Nevada). Niedrige Raten an erwachsenen Rauchem fmden sich ansonsten auch noch in Minnesota (19,5%), Massachusetts (19,4%), Kalifomien (18,7%)) und Hawaii (18,6%).^^ Im allgemeinen Bevolkerungsdurchschnitt rauchten im Jahre 2001 in den Vereinigten Staaten 22,8 Prozent der iiber 18 Jahrigen. Der durchschnittliche Raucheranteil bei den Mannem betrug 25,2% und bei den Frauen 20,7%. Dabei war der Anteil der mannlichen Rancher in der Altersklasse der 18- bis 24-Jahrigen mit 30,4%) am hochsten, wahrend bei den Frauen die meisten Raucherinnen, namlich 24,5%), bei den 25- bis 44-Jahrigen^^ zu finden
^^ Quelle: http://www.uni-essen.de/cardio/ekn/ekn_01/02_07_rauchgewohnheiten.html vom 23.03.04 ^^ Wobei man hier wohl auf Grund der weiten Spanne von 19 Jahren nur eingeschrankt von "einer" Altersklasse reden kann.
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waren. Zwar stellt die Quelle^"^ dieser Zahlen seit 1965 einen kontinuierlichen Riickgang des Raucheranteils unter erwachsenen Mannem und Frauen fest, doch wiirden die US-Gesundheitsbehorden bezweifeln, dass sich das nationale Gesundheitsziel, den Raucherlnnenanteil bis 2010 auf 12 Prozent zu senken, realisieren liefie. Eine andere Quelle^^ spricht dagegen von stabilen Raucherzahlen in den USA und einem fur unser Thema sehr interessanten Trend: den Teilzeitrauchem'. Sowohl die vielen Rauchverbote an Arbeitsplatzen^^, in Burokomplexen und offentlichen Gebauden (oder gar, wie in der Stadt New York durchgesetzt, im fast gesamten Gastronomie- und Barbetrieb^^) als auch die hohen Zigarettenpreise batten dazu geflihrt, dass viele Raucherlnnen in Amerika ihre Konsummuster verandem und nicht mehr taglich rauchten. Der Raucheranteil sei dabei unverandert bei 23,4% der Erwachsenen geblieben, aber die Zahl der Rancher, die nicht mehr taglich zur Zigarette griffen, sei von 17,3% im Jahre 1996 auf 28,3% im Jahre 2001 gestiegen.
1.3.2. Europa Die Zahlen und Berechnungen zur Raucherverteilung in Europa, auf die ich mich unten beziehe, griinden sich (etwa bei Junge 1999 und Thamm/Junge 2003) auf Befragungen aus den Jahren 1995^^ und 1999^^ und zeigen deutlich, dass die Anteile der (bei Junge 1999 leider nicht naher nach Konsumniveau differenzierten) Rancher und Raucherinnen in den verschiedenen Landem recht unterschiedlich ausfallen. In den verschiedenen Landem der Europaischen Union fmden sich fur das Jahr 1995 folgende Rancher- und Raucherinnenquoten:
^"^ Quelle: Cigarette Smoking Among Adults - United States, 2001, in: Morbidity and Mortalitiy Weekly Report October 10, 2003 / 52 (49); 953-956, in: http://www.ar-schweiz.ch/medien/view.php?message_id=l 586 vom 23.03.04 ^^Quelle: Der Bund, 31.05.03, in: http:// www.rauchenschadet.ch vom 23.03.04 ^^ An 73% der amerikanischen Arbeitsplatze darf offiziell nicht geraucht werden. Siehe zu den Effekten von Rauchverboten am Arbeitsplatz auch Owen et al. (1991); Brigham et al. 1994. ^^ Die wenigen Bars oder Etablissements, in denen noch geraucht werden darf, haben Sondergenehmigungen wie beispielsweise das Campbell's Apartment, dass sich in New Yorks Bahnhof befindet und daher nicht zum Stadtgebiet zahlt, sondem zum Staat New York, in dem das Rauchverbot des New Yorker Burgermeisters Bloomberg nicht greift. s.: Die Tageszeitung vom 20. Januar 2004: New York - The City That Never Smokes? ^^ INRA (Europe) (Ed.): Standard Eurobarometer Survey 43.0. March-April 1995; Im Auftrag der Europaischen Kommission konnten in dieser Erhebung reprasentative Ergebnisse zum Rauchstatus von 16 000 Personen ab 15 Jahren gewonnen werden. ^^ Eurobarometer 52.1, November-Dezember 1999.
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Tabelle 2:
Raucherlnnenanteile (in %) unterschieden nach Geschlecht in den Landern der Europaischen Union 1995:
'n^^MM Griechenland D&Kiimilc Spanien Belgien Frankreich Nieckriatide Osterreich I>eiitsch]aiid Italien Poitu^ GroBbritannien Maud Luxemburg Fiimlatid Schweden EVmtA
:ki^*g.|5;*X5f^w •'^fipi 51,5 4^1 43,4 42^ 41,7
Danemark
UiakM^'"' "'' Frankreich On^Hlteinefi Belgien
4U
MM'
40,9 39,6 37,6 37,1 36,6 35,S 35,0 »,1 28,1 M^
Schweden Qm(^eie^imi Italien
"''
LuxeodNn^ Spanien di^m^sk Finnland Ikut»d^Bid Portugal
ms'^tiA^'- '•
mmm-
38,7 35,1 31,6 30,8 30,6 29,7 28,4 28,0 27,4 26,6 26,5 26,0 20,3 19,8 13,5 27,1
(Quelle: Eurobarometer 43.00 (1995); Berechnungen E von Junge 1999:43)
Die griechischen Manner fuhren die Liste der Raucher in der EU 1995 also ganz eindeutig an: tJber die Halfte der Manner rauchten 1995 in Griechenland. Danach folgen die Danen (trotz hoher Tabakbesteuerung) mit immerhin 46% und die spanischen Manner mit 43% Raucheranteil. Deutsche Raucher befinden sich mit 39,6% genau im europaischen Durchschnitt. Am wenigsten Manner rauchen in Finnland (29,1%) und Schweden (28,1%). Die meisten Raucherinnen fmden wir 1995 wiederum in Danemark mit 38,7% und in den Niederlanden mit 35,1%. Interessant ist, dass sogar der Anteil der rauchenden Frauen in Griechenland (28,0%) und Italien (27,4%) noch knapp iiber dem europaischen Durchschnitt und weit uber dem Raucherinnenanteil beispielsweise in Deutschland mit 19,8% liegt. Wiirden wir hier das Rauchen als Symbol der Emanzipation betrachten, lieBe sich daraus ableiten, dass sich, zumindest was das Rauchen betreffe, das Emanzipationsniveau der griechischen und italienischen Frauen an das der Frauen aus nordeuropaischen Landern angeglichen hat.
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Zum Vergleich hier die etwas aktuelleren, allerdings weder genau defmierten noch nach Geschlecht unterschiedenen Raucherzahlen aus dem Jahre 1999 des Eurobarometers 52.1:
Tabelle 3:
Raucheranteile in der EU nach dem Eurobarometer 52.1
Griechenland DMemark Frankreich Osterreich Belgien Spanien GroBbritannien Deutschland Luxemburg Irland Niederlande Finnknd Portugal ItaHen Schweden EV total
Raucherlnnen in % 45 38 38 38 37 37 35 34 34 32 31 30 28 27 22 34
(Quelle: Eurobarometer 52.1)^"
Der durchschnittliche Raucherlnnenanteil in Europa ist von 33,1 % im Jahre 1995 auf 34 % im Jahre 1999 leicht angestiegen. In dieser nicht nach Altersgruppen und Geschlecht differenzierten Betrachtung steht Griechenland mit 45% weiterhin bei den europaischen Raucherlnnen an erster Stelle, wieder gefolgt von Danemark mit 38% und Frankreich mit ebenfalls 38%. Deutschland liegt 1999 ebenso wie Luxemburg wieder genau im europaischen Durchschnitt. In Italien (27%) und Schweden (22%) hat sich der Raucheranteil im Vergleich zu 1995 deutlich verringert, und sie bilden das Schlusslicht des europaischen Rankings mit der niedrigsten Raucherquote. Es ware sicherlich sehr interessant, diese Situ^ Aus: http://europa.tiscali.de/index.jsp?section=lifestyle.home&level=preview&content=l 78885.
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ation der zum Teil sehr stark variierenden und sich verandemden Raucherquoten in den Landem der europaischen Union einmal genauer unter kulturellen, sozialen und gesundheits- wie kontrollpolitischen Gesichtspunkten vergleichend zu betrachten. Zudem miissten, um hier Trends herausarbeiten zu konnen, die Raucherlnnen differenzierter nach Konsumniveau, Altersgruppen, Geschlecht und sozialer Herkunft analysiert werden. Leider liegen mir aber an dieser Stelle keine in diese Richtung konzipierten Studien vor. So lassen sich auf dieser allgemeinen Ebene keine konkreteren Aussagen iiber die Entwicklung und Differenzierung des Konsumverhaltens in den verschiedenen sozialen Schichten eines Landes, zwischen Mannem und Frauen oder den Altersgruppen treffen. Vor dem Hintergrund, dass diese demographischen Variabeln wie Schicht, Geschlecht und Alter aber signifikant mit dem Rauchen korrelieren, mochte ich am Beispiel Deutschland etwas differenziertere Konsumtrends aufzeigen.
1.3.3. Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor eine Zunahme des Zigarettenverbrauchs zu beobachten. 2002 wurden 145,1 Mrd. Zigaretten geraucht und damit 1,8% mehr als im Vorjahr. Insgesamt erhohte sich in den vergangenen 10 Jahren der Zigarettenverbrauch um 13% (vgl: Thamm/Junge 2003:39). Zu dem Anteil an Raucherlnnen in der Bevolkerung gibt es unterschiedliche Angaben. Laut Drogen- und Suchtbericht (2003:47) rauchten im Jahre 2000 rund 35% der Erwachsenenbevolkerung zwischen 18 und 59 Jahren. Leider wissen wir nicht aus welcher Quelle der Bericht seine Daten rekrutiert. Die Zahlen zum Raucheranteil des neuen Jahrbuch Sucht 04^* beziehen sich momentan (auch) auf meist etwas altere Reprasentativbefragungen und Erhebungen wie den Mikrozensus^^ aus dem Jahre 1999. Aus einer Reprasentativerhebung aus dem Jahre 2000^^ zitiert das Jahrbuch Sucht 04 den Anteil der Raucher bei den Mannem mit 39% und den Raucherinnenanteil bei den Frauen mit 31% (vgl. auch DKFZ 2002:10). Hochgerechnet auf die erwachsene Bevolkerung (18-59 Jahre) seien dies 16,7 Mio. Raucherlnnen - 9,5 Mio. Manner und 7,2 Mio. Frauen. Von dieser Raucherpopulation wurden 35% mehr als 20 Zigaretten am Tag rauchen. In der Altersgruppe der 18 bis 20-Jahrigen sei der Raucheranteil mit 45%) am hochsten ^' Vgl.: Thamm/Junge 2003:37-63. ^^ Der Mikrozensus stellt mit einem Stichprobenumfang von 0,5% der BevQlkemng die groBte demographische Erhebung in Deutschland dar, erfasse aber, laut DKFZ (2002:10) "nur etwa die Halfte des Tabakkonsums nach Herstellerangaben". ^^ Reprasentativerhebung zum Gebrauch psychoaktiver Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland 2000, Sucht - Zeitschrift fur Wissenschaft und Praxis, 47, Sonderheft 1.
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(vgl: DHS 2003:12). Andere Zahlen gewinnen Thamm und Junge (2003) aus dem Mikrozensus 1999: Demnach bezeichnen sich insgesamt 28,3% der Bevolkerung ab 15 Jahren als Raucher^"^. Nach Geschlechtem differenziert rauchen 34,7% der Manner und 22,2% der Frauen. Das wiirde fiir Deutschland, in absoluten Zahlen ausgednickt, fast 20 Mio. Rancher bedeuten - 11,7 Mio. Manner und 8,0 Mio. Frauen. Nach dem Mikrozensus finden sich in den Altersgruppen der 30-34 Jahrigen (Manner 45%, Frauen 35%) und der 35-40 Jahrigen (Manner 46%, Frauen 35%) die hochsten Raucheranteile. Mit zunehmendem Alter nimmt die Raucherquote deutlich ab: So rauchen bei den 45-49 Jahrigen noch 41%) der Manner und 29% der Frauen. Bei den 55-59 Jahrigen hat sich der Raucheranteil bei den Manner schon auf 29%) und bei den Frauen auf 16% reduziert (vgl. Thamm/Junge 2003:48). Laut Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ 2002:10) stagnierten im vergangenen Jahrzehnt die Raucherquoten insgesamt betrachtet auf einem hohen Niveau. Der Nichtraucheranteil habe sich zwischen 1992 und 1999 nur sehr geringfugig erhoht und sei bei den Frauen sogar riicklaufig. In Bezug auf die unterschiedlichen Konsummuster machen Thamm/Junge (2003:49) anhand des Mikrozensus folgende allgemeine Angaben: Rund 87%) der Rancher waren 1999 regelmaBige (89% der Manner, 85% der Frauen) und 13%) gelegentliche Rancher (11% der Manner und 15% der Frauen). Betrachtet man den Tageskonsum der regelmaBigen Rancher etwas genauer, so lassen sich hier deutliche Unterschiede in der Konsummenge feststellen: Drei Viertel der mannlichen wie der weiblichen Zigarettenraucher konsumierten zwischen 5 und 20 Stuck pro Tag. Weniger als 5 Zigaretten taglich rauchten rund 5%o der Manner sowie 9% der Frauen und auf einen Konsum mit mehr als 20 Zigaretten pro Tag kamen 22% der Manner und 13% der Frauen. Bei den Jugendlichen ist in den letzten Jahren trotz vielfaltiger Praventionsbemiihungen ein deutlicher Anstieg der Raucherzahlen gerade in den jiingeren Altersklassen zu beobachten. Nach den Ergebnissen der Drogenaffinitatsstudie aus dem Jahre 2001 rauchen 38 Prozent der 12- bis 25-Jahrigen. Von diesen jugendlichen Rauchem bezeichnen sich 23 Prozent als standige Rancher und 15 Prozent als Gelegenheitsraucher (das macht umgerechnet einen Anteil von 39 Prozent Gelegenheitsrauchem innerhalb der Gruppe jugendlicher Raucherlnnen). Auffallend ist der Anstieg der Raucherquote unter den Madchen bzw. jungen Frauen. So sind heute 37% der weiblichen Jugendlichen Raucherinnen, bei den mannlichen Jugendlichen ist der Anteil der Rauchenden mit 38% nur geringfugig ^"^ Wobei 96% der im Mikrozensus befragten Raucher Zigaretten konsumieren, 1,9% rauchen Zigarren oder Zigarillos und 1,4% sind Pfeifenraucher. ^^ Diese Studie zur Drogenaffinitat Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Wiederholungsbefragung der Bundeszentrale fiir gesundheitliche Aufklarung.
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hoher (vgl. auch DKFZ 2002:10). In den jungeren Altersklassen rauchen sogar mehr Madchen als Jungen. Bei den 12-15 Jahrigen bezeichnen sich 21 Prozent der Madchen und 18 Prozent der Jungen als Raucherlnnen, in der Altersklasse der 16-19 Jahrigen rauchen 45 Prozent der weiblichen und 44 Prozent der mannlichen Jugendlichen und erst bei den 20-25 Jahrigen dominieren die Manner deutlich mit einem Raucheranteil von 48% gegeniiber den rauchenden Frauen in dieser Altersgruppe mit einem Anteil von 40% (vgl. BZgA 2002:6).^^ Zwar erscheinen diese Zahlen auf den ersten Blick recht hoch, doch wie schon oben erwahnt, handelt es sich bei vielen rauchenden Jugendlichen nicht um gewohnheitsmafiige Raucher mit einem hohen Zigarettenkonsum, sondem um gelegentliche Raucherlnnen mit einem niedrigen Konsumniveau. Madchen und junge Frauen rauchen in diesen Altersklassen meist weniger und sind eher Gelegenheitsraucherinnen als ihre mannlichen Altersgenossen. Auch in den jiingsten Altersgruppen handelt es sich zum groBten Teil um Probierer oder Gelegenheitsraucherlnnen: Bei den 12- bis 13 Jahrigen sind 80% Gelegenheitsraucher, bei den 14- bis 15-Jahrigen sind es 66% und selbst bei den 16-17 Jahrigen rauchen 45% nicht standig oder regelmafiig (vgl. BZgA 2001:33f). Bei der Konsummenge pro Tag ergibt sich folgendes Bild: 37% der 12-15-Jahrigen rauchen weniger als eine Zigarette pro Tag, 34% rauchen 1 bis 5 Zigaretten, 24% geben an, 6 bis 19 Zigaretten zu rauchen und 4% dieser Altersgruppe rauchen 20 Zigaretten oder mehr. Bei den 16 bis 19- jahrigen Raucherlnnen ist die Anzahl der taglich gerauchten Zigaretten dann schon deutlich angestiegen, wobei 16% immer noch weniger als eine Zigarette rauchen, 23% 1 bis 5 Zigaretten taglich konsumieren, 47% der jugendlichen Raucher kommen auf 6 bis 19 Stuck pro Tag und 13% geben an, 20 Zigaretten oder mehr zu rauchen. Auch korrelieren Schichtzugehorigkeit und soziale Belastungsfaktoren sowohl mit dem Tabakkonsum als auch mit anderen als gesundheitlich riskant bewerteten Verhaltensweisen. Im epidemiologischen Vergleich fmdet man in der Gruppe der Einkommensarmen, der Arbeits- und Wohnungslosen die hochsten Raucherquoten und den hochsten Anteil von Personen mit einem gesundheitlich riskanten Alkoholkonsum. Zwar existiert zwischen Armut und gesundheitlich bedenklichem Substanzgebrauch keine zwangslaufige Beziehung, da die Herausbildung spezifischer Verhaltens- oder Lebensweisen immer von einer Vielzahl individueller, biographischer und gesellschaftlicher Faktoren abhangt, doch kann sich mit dem Grad an sozialer Benachteiligung, zum Beispiel durch Armut und Arbeitslosigkeit^^, der Wunsch bzw. das Bediirfiiis nach Kompensation^^ mit ^^ Quelle: Reprasentativerhebung der Bimdeszentrale ftir gesundheitliche Aufklanmg, Koln durch forsa, Berlin; Januar 2001, in: BZgA (2002): Jugendliche Raucher. Veranderungen des Rauchverhaltens und Ansatze fur die Pravention. ^^ Was ja an sich schon eine gesundheitliche Belastung im Sinne der Ottawa-Charta bedeutet.
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Hilfe des Gebrauchs dieser Drogen erhohen. So stellt Henkel (1998:9) fest: "Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Desintegration implizieren nachweislich iiberproportional hohe Risiken, Tabak oder Alkohol oder auch beide Substanzen exzessiv zu konsumieren und davon abhangig zu werden, und sie erschweren es den Menschen, diese Konsummuster wieder zu tiberwinden mit der Folge, dass sich auch die Morbiditats- und Mortalitatsrisiken deutlichen erhohen." Vor dem Hintergrund zahlreicher Untersuchungen konstatiert das DKFZ (2002:1 Of) "auch fur Deutschland eine stark ausgepragte soziale Polarisierung des Rauchverhaltens. Personen, die in GroBstadten leben, Personen mit geringerer Schulbildung, niedrigem beruflichen Status, Arbeitslose und Sozialhilfeempfanger und Geschiedene sind haufiger Rancher." Bevolkerungsgruppen, auf die mehrere dieser Determinanten zutreffen, haben eine um das Vier- bis Sechsfache hohere Raucherquote als sozial und okonomisch besser gestellte Bevolkerungsgruppen.^^ Auch Helmert und Maschewsky-Schneider (1998) betonen die ungiinstige Auswirkung von Armut und Arbeitslosigkeit im Hinblick auf eine Beendigung des Rauchens. So war in ihrer Untersuchung die Rate der Exraucher bei Mannem, die weder von Armut noch von Arbeitslosigkeit betroffen waren, mit 48,8 % mehr als doppelt so hoch wie bei Mannem, die von beidem gehandicapt waren hier betrug der Anteil der Exraucher nur 22,6 %. Auch bei den Frauen zeigte sich dieser Zusammenhang: 45,0% der sozial besser gestellten Frauen hatten mit dem Rauchen aufgehort, wahrend es bei den armen und arbeitslosen Frauen lediglich 24,8% waren. Zusammenfassend kann man sagen, dass trotz der starken Problematisierung des Rauchens von medizinischer und gesundheitspolitischer Seite, trotz vielseitiger praventiver Bemiihungen und kontrollpolitischer Aktivitaten, die in der Geschichte des Rauchens nicht neu sind und auf die wir in ihrer aktuellen Form in Kapitel 2 zu sprechen kommen, das Rauchen nach wie vor fur einen groBen Teil der weltweiten Bevolkerung Attraktivitat besitzt. Zwar lasst sich in der Tendenz feststellen, dass die Zahl der Raucherlnnen in den Hocheinkommenslandem abnimmt und in den Niedrigeinkommenslandem ansteigt, doch sprechen die Raucherquoten in Amerika und Europa lediglich fur eine sukzessive Verringerung des Raucheranteils in einzelnen Bundesstaaten der USA bzw. in einzelnen europaischen Landem. Im Durchschnitt erhohte sich die europaische Raucherrate 1999 leicht und in den meisten europaischen Landem blieben die Raucherquoten stabil. Damnter fallen auch die Raucherzahlen in Deutschland, die genau im europaischen Durchschnitt liegen. Zwar ging nach Thamm und ^^ Schwarzer (1996:96) spricht in diesem Zusammenhang von einem "Emotionalem Coping", das auch den Gebrauch von Drogen einbeziehen kann, um "einen unangenehmen Gefuhlszustand zu beseitigen". ^^Vgl. Helmert etal. (2001).
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Junge (2003:47) der Raucheranteil bei den Mannem seit 1992 um 2,1 Prozentpunkte zuriick (-5,7%), doch stieg der Anteil der rauchenden Frauen um 0,7 Prozentpunkte (+3,3%) an und der Zigarettenverbrauch erhohte sich in den letzten 10 Jahren kontinuierlich um 13%. Auch bei den Jugendlichen und gerade bei den Madchen und jungen Frauen ist ein deutlicher Anstieg der Raucherlnnenzahlen zu erkennen, wobei wir hier gerade in jungen Jahren deutliche Unterschiede in den Konsummustem und einen hohen Anteil an Gelegenheitsraucherlnnen mit einer durchschnittlich (sehr) geringen Anzahl taglich gerauchter Zigaretten verzeichnen konnen. Zudem sind Rancher und Raucherinnen deutlich haufiger in Bevolkerungsgruppen zu finden, die durch soziale Benachteiligungen wie Einkommensarmut oder Arbeitslosigkeit belastet werden. Laut Helmert (2003:153) gehort "ein immer groBerer Anteil der Rancher und Raucherinnen zu den Armen und weniger Privilegierten". Es wird also geraucht trotz oder gerade wegen eines eklatanten Mangels an finanziellen Ressourcen. Diese Zusammenhange sind nicht neu, werden aber im Kontext tabakpolitischer Entscheidungen, wie wir an den jiingsten Erhohungen der Tabaksteuer sehen konnen, geme ausgeblendet, da sie dem vordergriindigen Argument der politischen Entscheidungstrager, dass eine Tabaksteuererhohung der Prevention und der Reduzierung der Raucherquoten diene, widersprechen. So sanktioniert eine solche Politik - und dazu gehort auch die Diskussion um eine Erhohung der Krankenkassenbeitrage ffir Rancher in zunehmendem MaBe sozial benachteiligte und ausgegrenzte Bevolkerungsgruppen und fuhrt eher zu einer Verscharfung ihrer sozialen Diskriminierung (vgl. Helmert 2003:153) als zu einer Gesundheitsforderung. SinnvoUe (aber utopische?) Strategien der Gesundheitsforderung soUten dagegen in diesem Zusammenhang nicht allein am Verhalten der Individuen ansetzen, sondem immer auch an einer Verbesserung der Lebensqualitat und der sozialen Verhaltnisse orientiert sein. Doch dies fuhrt uns schon in eine gesundheitspolitische Diskussion, die ich an anderer Stelle weiter ausfuhren mochte.
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2. Der gegenwartige Diskurs um das Rauchen Die medizinische Kritik am Rauchen gewinnt ab Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Zwar hatte es auch im 17., 18. und 19. Jahrhundert immer wieder vereinzelte Abhandlungen und Untersuchungen zur Giftigkeit des Tabaks bzw. des Nikotins und zur Gesundheitsschadlichkeit des Rauchens gegeben, doch blieb die Diskussion dieser Thematik weitgehend auf Gelehrtenkreise beschrankt. Auch die in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland wahrend des nationalsozialistischen Regimes erschienenen Arbeiten, die zum Teil schon auf epidemiologische Daten zum Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und Zigarettenrauchen zuruckgriffen, erregten liber die wissenschaftlichen Kreise hinaus kein groBes Aufsehen"^^. Andem sollte sich dies nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem weiteren Erstarken des epidemiologischen Paradigmas. Die neuen empirischen Forschungsmethoden der 50er Jahre in Form von Reihenuntersuchungen mit groBen Fallzahlen, statistischen Vergleichen zwischen Rauchem und Nichtrauchem und weit zunickreichenden Langzeituntersuchungen, welche die Korrelation zwischen Zigarettenrauchen und Krankheiten wie Lungenkrebs zu erfassen suchten, versorgten die medizinischen Kritiker mit vom Einzelfall unabhangigen statistischen Daten, die die Gefahrlichkeit des Rauchens "belegen" sollten'^^ Weltweites Aufsehen aber erregten die Ergebnisse "^^ Zu nennen waren hier die Arbeiten des Arztes Fritz Lickint, der schon 1929 statistische Daten anhand von Fallserien prasentierte, die eine hohe Wahrscheinlichkeit belegten, dass Lungenkrebspatienten zugleich Rancher waren und der 1939 in seinem 1 lOOseitigen Werk "Tabak und Organismus" eine groBe Bandbreite von Krankheiten auf den Konsum von Tabak zuriickfuhrte. Diese Anklageschrift gegen den Tabak entstand in Zusammenarbeit mit der Reichsarbeitsgemeinschaft fur Rauschgiftbekampfung im ReichsausschuB fur Volksgesundheitsdienst und dem Bund Deutscher Tabakgegner und es verwundert nicht, dass Lickint in diesem Kontext Tabak als Droge und eine Abhangigkeit von Tabak als Nikotinismus (oder Tabakismus) klassifizierte sowie Tabakkonsumenten, die er als Nikotinisten (oder Tabakisten) bezeichnete, mit Morphiumabhangigen verglich. Weiterhin hatte der Argentinier Angel H. Roffo bereits 1930 in Tierexperimenten gezeigt, dass der Teer im Tabakrauch krebserzeugend ist und eine viel bedeutendere RoUe bei der Entstehung von Tumoren spielt als bis dahin angenommen. Viele medizinische Forschungsarbeiten suchten nun den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs zu belegen. Als die beiden wichtigsten statistischen Analysen in dieser Zeit bezeichnet Robert N. Proctor (2002:222) eine 1939 erschienene epidemiologische Studie von Franz Hermann Miiller und die differenzierte Untersuchung von Eberhard Schairer und Erich Schoniger vom Jenaer Wissenschaftlichen Institut zur Erforschung der Tabakgefahren aus dem Jahre 1943 (s. auch Proctor 2002:242ff). "^^ AUerdings basieren solche statistischen Daten nach wie vor auf Korrelationen und Wahrscheinlichkeitsaussagen, die sich durchaus unterschiedlich interpretieren lassen. So fiihrt der Sozialmediziner Jiirgen von Troschke (1987:47) in diesem Zusammenhang aus, dass es sich hierbei um Ergebnisse handelt, "die den Schluss zulassen, dass das Risiko des Ranchers, zu erkranken und zu sterben, grofier ist als das des Nichtrauchers. Mit anderen Worten, auch Nichtraucher konnen an Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen mit dem Rauchen in Zusammenhang stehenden Krankheiten erkranken; ebenso wie die Rancher ihr Leben lang rauchen konnen, ohne je daflir mit
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dieser Untersuchungen erst durch ihre Zusammenfassung und kritische Wiirdigung in dem 1964 veroffentlichten Report des amerikanischen Surgeon General Luther Terry. Dieser sogenannte Terry-Report erkannte offiziell den Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs an und verlieh damit dem medizinischen Diskurs politische Macht (vgl. Knoblauch 1994:252f). Es folgten eine massenmediale Verbreitung der epidemiologischen Ergebnisse, zahlreiche neue Forschungen und eine wahre Flut wissenschaftlicher Veroffentlichungen zu dem Themenbereich Rauchen und Gesundheit. Helmert (2003:121) spricht heute von mehr als 40.000 Forschungsarbeiten, die weltweit iiber die Gesundheitsrisiken des Tabakrauchens existieren.
2.7. Gesundheitsrisiken durch das Rauchen Seit Herbst 2003 werden den Raucherlnnen in Deutschland mit "Hilfe von verscharften Wamhinweisen auf Zigarettenpackungen die gesundheitlichen Gefahren des Tabakkonsums noch deutlicher als bisher vor Augen gehalten" (BMGS 2003"^^). Die den Wamhinweisen zugrunde liegende EU-Richtlinie"^^, die Deutschland mit dem Inkrafttreten der Tabakprodukt-Verordnung zum 1.10.2003 ratifizierte, sieht dabei vor, dass auf 30 Prozent der Vorderseite einer Zigarettenpackung die Hinwiese "Rauchen ist todlich" oder "Rauchen kann todlich sein" Oder "Rauchen fiigt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu" abgedruckt sein mussen. Des Weiteren miissen 40 Prozent der Packungsruckseite dann 14 abwechselnd zu wahlenden Aussagen zur Verfugung stehen wie zum Beispiel "Rancher sterben fhxher", "Rauchen verursacht Lungenkrebs", "Rauchen fuhrt zur Verstopfiing der Arterien und verursacht Herzinfarkte und Schlaganfalle" oder auch: "Rauchen macht sehr schnell abhangig: Fangen Sie gar nicht erst an!" Auch der Hinweis, wo man gegebenenfalls Hilfe zur Entwohnung finden kann, fehlt nicht: "Ihr Arzt oder Apotheker kann Ihnen dabei helfen, das Rauchen aufzugeben.""*^ Krankheiten buBen zu mussen. Dabei zeigt sich die unterschiedliche Interpretierbarkeit von Statistiken. Auf der einen Seite haben von zehn Menschen, die an Lungenkrebs erkranken und sterben, neun geraucht, d.h. nur einer war Nichtraucher. Auf der anderen Seite erkrankt nur einer von elf starken Zigarettenrauchem an Lungenkrebs; die restlichen zehn haben 'Gluck gehabt'. Statistische Werte lassen sich als Risiken oder Chancen interpretieren". "^^ http://www.bmgs.bund.de/deu/gra/themen/praevention/drogen/2326_3983.cfm; s. auch: Drogenund Suchtbericht April 2004 "^^ "Richtlinie 2001/37/EG des Europaischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten iiber die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen". "^ Alle Wamhinweise unter: http://www.bmgs.bund.de
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Zwar sind solche generalisierenden Aussagen wie "Raucher sterben friiher" Oder "Rauchen verursacht Lungenkrebs" wohl zu pauschal bzw. "zu kausal" (vgl. Hess u.a. 2004:66), zugleich steht aber auBer Zweifel, dass das Rauchen das Risiko fur unterschiedliche Erkrankungen erhoht. Allgemein geht man davon aus, "dass ein Raucher sein gesamtes Krebsrisiko gegeniiber einem Nichtraucher verdoppelt und ein starker Raucher es sogar vervierfacht" (Adlkofer 2000:48). Zigarettenrauchen wird als die wichtigste Ursache fur Lungenkrebs angesehen (vgl. Adlkofer 2000:48) und erhoht das Risiko an einem Krebs der oberen Atemwege sowie an Blasen-, Leber-, Nieren-, Bauchspeicheldriisen-, Speiserohren-, Magen- oder Hamwegskrebs zu erkranken (vgl. Hess u.a. 2004:62ff.; DKFZ 2002:12; Adlkofer 2000:47ff. jeweils m.w.V.). Allerdings betont Schwarzer (1996:117), dass es sehr schwierig sei, die Hohe des Krebsrisikos fiir Raucher genau zu bestimmen und dass verschiedene Forschungen in verschiedenen Landem hier zu voneinander abweichenden Ergebnissen gekommen seien. Dariiber hinaus riskieren Raucherlnnen in einem erhohten MaBe auch andere Lungenerkrankungen (v.a. Lungenemphyseme, chronischen Husten, Minderung der Lungenfunktion), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (etwa Arteriosklerose, ischamische Herzerkrankungen), Schwangerschaftskomplikationen (z.B. vermindertes Geburtsgewicht, erhohtes Risiko einer Friihgeburt, erhohte Mortalitat von Fetus und Neugeborenen) sowie eine allgemeine Schwachung ihres Immunsystems.^^ Diese Erkrankungsrisiken stehen in einem komplexen Zusammenhang mit den gesundheitsschadlichen Wirkungen der drei wichtigsten Inhaltsstoffe des Tabakrauchs Nikotin, Kohlenmonoxid und Teer (vgl. Hess u.a. 2004:6If). Doch auch andere toxikologisch wichtige Bestandteile der sogenannten Gas- und Teilchenphase des Hauptstromrauchs"*^ spielen hier eine Rolle. Bei einer filterlosen Zigarette enthalt die Gasphase, die ungefahr 95% des Hauptstromrauchs ausmacht, bis zu 500 verschiedene Verbindungen. Zwar iiberwiegen gewichtsmaBig die toxikologisch unbedenklichen Bestandteile Stickstoff, Sauerstoff und Kohlendioxid, aber auch das gesundheitlich bedenkliche Kohlenmonoxid, mit einem Gehalt von durchschnittlich 2-3 Prozent am Hauptstromrauch, ist hier ein wesentlicher Bestandteil"^^. Im Mikro- oder Nanogrammbereich, also in sehr gerin-
^^ Vgl. ausfuhrlicher Hess u.a. 2004:61f.; Weltbank 2003:26ff.; Thamm/Junge 2003:57f.; Adlkofer 2000:47ff.; Schoberberger/Kunze 1999:18; Schwarzer 1996:117ff. u. 129ff.; jeweils m.w.V. "^^ Man unterscheidet den Rauch in Nebenstrom- und Hauptstromrauch: Der Nebenstromrauch ist jener, der in den Zugpausen in die Umgebungsluft abgegeben wird und im Mittelpunkt der Debatte um das sogenannte Passivrauchen steht. Der Hauptstromrauch entsteht an der Glutzone der Zigarette und wird vom Raucher eingeatmet. Wird Kohlenmonoxid in die Lunge inhaliert, dringt es durch die Lungenblaschen ins Blut ein und verbindet sich mit dem Hamoglobin, dem roten Blutfarbstoff. Bei Rauchem konnen zwischen 5 und 20 Prozent des Hamoglobins vom Kohlenmonoxid besetzt sein. Das Hamoglobin steht somit nicht
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gen Anteilen, findet man eine groBe Anzahl an Verbindungen, bei denen toxische Wirkungen nachgewiesen wurden wie etwa Blausaure, Formaldehyd oder Acetylaldehyd. Die letztgenannten Stoffe gelten auBerdem als Ko-Karzinogene, das heiBt als Stoffe die Karzinogenen dabei helfen, Krebs zu erzeugen. In der Teilchen- oder Partikelphase, mit einem ftinfprozentigen Anteil am Hauptstromrauch, finden sich, neben Wasserdampf und Nikotin, im sogenannten Kondensat bis zu 2500 chemische Verbindungen. Als Teer oder Kondensat bezeichnet man den gesamten Restbestand der Teilchenphase nach Abzug von Wasser und Nikotin. Das Kondensat besteht hauptsachlich aus polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, darunter dem klassischen Krebserzeuger Benzypren, sowie aus aromatischen Aminen, Phenolen und tabakspezifischen Nitrosaminen. Der Partikelphase wird der groBte Anteil des toxischen insbesondere des krebserregenden Potentials des Tabakrauchs zugesprochen, doch kann man bis heute nicht genau sagen, welche Stoffe, Verbindungen oder Synergien dabei ausschlaggebend sind: "Welchen chemischen Verbindungen oder Verbindungsgruppen bei der Krebsentstehung durch Rauchen die groBte Bedeutung zukommt, ist bis heute nicht bekannt. Wahrscheinlich wirken gentoxische Verbindungen, von denen die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, die tabakspezifischen Nitrosamine und die aromatischen Amine die wichtigsten sein diirften, mit Tumorpromotoren unspezifischer Art zusammen. In jiingster Zeit wurde auch den vor allem in der Gasphase vorkommenden freien Radikalen zunehmend Bedeutung beigemessen" (Adlkofer 2000:49).^^ Unterschiedliche Untersuchungen sprechen deutschlandweit von weit iiber 100.000 tabakbedingten Todesfallen pro Jahr und tabakbedingten Kosten (fur ambulante und stationare Behandlung, Arzneimittel, verlorene Produktivitat u.a.) in Milliardenhohe. Welte et al. (2000) gehen fiir 1993 von 117.000 Todesfallen und Kosten in Hohe von 17,3 Mrd. Euro aus; Ruff et al. (2000) beziffem fur 1996 die tabakbedingten Todesfalle auf 137.000 und die Kosten mit 16,6 Mrd. Euro. Thamm und Junge (2003: 57) errechneten fur 1993 Kosten fur tabakbedingte Todesfalle und Krankheiten in Hohe von rund 200 Euro pro Einwohnerin bzw. 800 Euro pro Raucherln. Auf intemationaler Ebene zitiert die Weltbank (2003:37ff) Schatzungen fur die Hocheinkommenslander, welche den Anteil der durch das Rauchen verursachten Kosten auf 6 bis 15 Prozent der Gesamtkosten des Gesundheitssystems bemessen. Die Gefahren des Rauchens, die seit Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Debatte iiber das Rauchen stehen, haben zu etlichen mehr im vollen Umfang fiir den lebenswichtigen Sauerstofftransport zur Verfiigung. Dies kann zu Konditionseinbufien, Kreislauf- und Herzschaden fiihren. ^^ Siehe ausfuhrlich hierzu Hess u.a. 2004:55ff und Adlkofer 2000:42ff.
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Veranderungen beim Produkt Zigarette gefiihrt. So sollte die Einfiihrung und Verbesserung des Filters die Schadstoffaufnahme beim Rauchen reduzieren und auch der Teer- und Nikotingehalt der Zigaretten wurde uber die Jahrzehnte hin sukzessive abgesenkt. Seit Januar 2004 gelten nun fur Zigaretten in der Europaischen Union Hochstgrenzen von max. 10 mg Teer, 1 mg Nikotin und 10 mg Kohlenmonoxid. Um jedoch direkt entsprechenden Interpretationen der Konsumenten hinsichtlich eines reduzierten Gesundheitsrisikos bei leichteren Zigaretten zu begegnen, wurden mit der schon erwahnten EU-Richtlinie 2001/37/EG im Herbst 2003 auch die Namensattribute wie "Light" und "Mild" fur Zigaretten in der EU verboten. Denn die Wirkungen solcher Produktveranderungen sind unklar: Auch in der Vergangenheit hat eine Absenkung des Teer- und Nikotingehalts in den Zigaretten nicht unbedingt die gesundheitlichen Risiken des Rauchens gemindert und dies aus folgenden Griinden: Erstens well diese generelle Absenkung nichts dariiber aussagt, ob ggf. einzelne besonders schadliche Stoffe trotz allem in nennenswerten Mengen enthalten sind. Zweitens reagieren manche Rancher auf die geschmacklichen und sensorischen Unterschiede der LightZigarette mit einer Veranderung ihrer Rauchtechnik: Man kann mehr Ziige an einer Zigarette machen, schneller rauchen und/oder weniger iibrig lassen. Leichtere Zigaretten provozieren es zudem oder machen es ggf. erst moglich, tiefer zu inhalieren, was wiederum zu vermehrten Krebserkrankungen in den feineren, tieferliegenden Verastelungen der Lunge fiihren kann. Drittens erlauben sich viele Rancher ganz bewusst eine Steigerung ihrer Zigarettenzahl, weil sie ja leichtere und damit scheinbar ungefahrlichere Zigaretten rauchen."^^ Eine Veranderung des Produkts Zigarette allein flxhrt also keineswegs zielstrebig zu einer Verminderung der mit dem Rauchen assoziierten Risiken. Auch ist nicht jeder Rancher gleich gefahrdet. Raucherlnnen unterscheiden sich sowohl in ihrer Konsumbiographie und ihrem Rauchverhalten als auch in ihrem weiteren Gesundheitsverhalten und sind in ihrer Lebenswelt unterschiedlichen Belastungen und Anforderungen ausgesetzt. Bei der Einschatzung solcher Risiken soUten daher neben den je individuellen Gegebenheiten auch die gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen beriicksichtigt werden. So haben Untersuchungen zum Beispiel gezeigt, dass die Gesundheitsrisiken umso groBer sind, je friiher mit dem Rauchen begonnen wird. Und zwar nicht nur deshalb, weil die Gesamtmenge der dem Korper im Laufe der Lebenszeit zugefiihrten "^^ Frenk/Dar (2000:161) verweisen zudem darauf, dass in verschiedenen sog. "Switching Studies", in denen den Probanten Zigarettenmarken mit unterschiedlichem Teer- und Nikotingehalt verabreicht werden, die teilnehmenden Rancher immer wieder erwahnen, dass sie die leichteren Zigaretten nicht mogen: "Notably, as is regularly reported but rarely stressed in such studies, the participants did not like the lower-yield cigarettes: They rated them as being less strong, less hot, less harsh, having less and poorer taste, delivering more air than smoke and being less satisfying."
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Schadstoffe groBer ist, sondem well die Schadstoffe den Korper in seiner Entwicklungsphase intensiver und irreversibler angreifen als spater. Auch das Geschlecht konnte eine Rolle spielen: Frauen scheinen manche Folgen in starkerem, andere in geringerem Mafie zu zeigen. Dann ist die physische Konstitution des individuellen Ranchers bedeutsam; insbesondere konnen auch da, wo Krankheiten Oder Anlagen zu Krankheiten schon aus anderen Griinden vorhanden sind, die Schadstoffe aus dem Zigarettenrauch verstarkend oder auf den Krankheitsausbruch beschleunigend wirken. Und schlieBlich ist die Lebenswelt des Ranchers bzw. der Raucherin von groBer Bedeutung: So wird sich die soziale Umwelt im HinbHck auf ihren Stress erzeugenden Charakter unterschiedlich auswirken, wahrend sich die physische Umwelt nach dem Gehalt an Schadstoffen aus anderen Quellen als dem Zigarettenrauch unterscheidet. Schadstoffe aus der Wohn- und Arbeitsumwelt konnen durch Addition und/oder Interaktion die Wirkungen der Rauchschadstoflfe potenzieren. Solche synergetischen Wirkungen sind iibrigens nicht nur ftir Zigarettenschadstoffe, andere Krankheitsursachen und Umweltbelastungen, sondem auch fiir die Zigarettenschadstoffe untereinander und schlieBlich fur Zigarettenschadstoffe und andere Drogen sowie Arzneimittel anzunehmen. Belegt sind etwa eine hohere Kehlkopfkrebsgefahr durch das Zusammenwirken von Rauchinhaltsstoffen und Alkohol sowie eine hohere Infarktgefahr fiir Raucherinnen, welche die Pille nehmen. Naturlich beeinflusst auch das jeweilige AusmaB an korperlicher Aktivitat das Risiko des individuellen Ranchers; so kann beispielsweise viel Bewegung die Halbwertszeit des CObesetzten Hamoglobins stark verkurzen, wodurch sich zum Teil das geringere Infarktrisiko korperlich aktiver Menschen erklaren lieBe (vgl. Hess u.a. 2004:65). Und schlieBlich wissen wir aus der salutogenetischen Forschung auch um die Bedeutung psychischer Faktoren, die bei der Gesunderhaltung des Menschen eine wesentliche Rolle spielen konnen (vgl. Bengel 2002; Lorenz 2004). Wenn wir diese Zusammenhange einmal nicht nur pathogenetisch als Risiken, sondem vielmehr als Chancen interpretieren, weisen die individuellen und sozialen Bedingungen darauf hin, dass es dementsprechend fiir Raucherinnen auch Moglichkeiten gibt, ein Erkrankungsrisiko zu verringem: So konnen weitere gesundheitliche Belastungen vermieden oder reduziert werden, indem man zum Beispiel als Raucherin auf die Pille verzichtet oder nur wenig Alkohol trinkt, zudem konnen die Nebenwirkungen des Rauchens durch sportliche Betatigung oder eine gesunde Emahmng bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, und man kann allgemein darauf achten, moglichst viele Stressoren auszuschalten bzw. altemative Umgehensweisen mit Stressoren zu entwickeln (vgl. hierzu auch Naumann 2000). Dies schlieBt auch einen bewussten Umgang mit der Zigarette im Sinne eines ambivalenten Genussmittels ein, der sich auszeichnet durch ein niedriges Konsumniveau und eine risikoreduzierende (nicht zu tief
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inhalieren, Zigaretten nicht bis zum Filter rauchen), aufmerksame und genussorientierte Art zu rauchen. Vieles deutet darauf hin, dass das gesundheitliche Risiko nicht nur durch das Ob, sondem insbesondere durch das Wie und Wie viel des Rauchens beeinflusst wird. Drinkmann (2002:84) verweist in diesem Zusammenhang auf Studien, die "nachweisbare und nennenswerte physiologische Effekte" (sowohl in Bezug auf kardiovaskulare und pulmonologische Parameter als auch hinsichtlich der Tumorenentwicklung) durch eine Reduzierung des Rauchens belegen. John R. Hughes (2000:3) von der Universitat Vermont fand eine betrachtliche Minderung der Kohlenmonoxidbelastung bei Rauchem, die ihren Konsum reduzierten, stellt aber fest, dass es trotz der offensichtlich positiven Effekte keine direkten Tests der Validitat einer Verminderung des Erkrankungsrisikos gibt, so dass es groBer und langandauemder Studien bedarf, um besser messen zu konnen, ob durch reduziertes Rauchen die gesundheitUchen Risiken abnehmen. Auch Schoberberger/Kunze (1999:81) betonen die positiven Auswirkungen der Zigarettenreduktion und pladieren eindringlich dafur, das Konzept des "Reduziertes Rauchens" als eine "zusatzliche Strategic zur Verringerung tabakassoziierter Schaden anzuerkennen."^^ Doch die aktuelle Verhandlung des Rauchens vemachlassigt solche Harm Reduction Interventionen wie die des reduzierten Rauchens. Nach wie vor wird in Praventionsprogrammen und bei der Rauchertherapie auf Abstinenz gesetzt und dies nicht nur, weil jede Zigarette gemeinhin als "schadlich" gilt, sondem vor allem deswegen, weil das Rauchen seit Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einer Drogensucht avancierte, wie ich im nachsten Kapitel naher ausfiihren werde.
2.2. Von der Schddlichkeit zur Sucht "When I use a word," Humpty Dumpty said in rather a scornful tone, "it means just what I choose it to mean - neither more nor less." "The question is," said Alice, "whether you can make words mean so many different things." "The question is," said Humpty Dumpty, "who is to be the master that's all" Lewis Caroll^^
Vgl. auch Forschungsstand zum Kontrollierten Rauchen in Kapitel 3.2. ^^ Zitiert nach Warburton 1989:169.
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Wie ehedem und heute noch bei den illegalisierten Drogen betont man nun auch beim Tabakkonsum die Suchtgefahren und negiert Kontrollmoglichkeiten: "Rauchen macht sehr schnell abhangig: Fangen Sie gar nicht erst an!" Das Rauchen selbst ist heute pathologisch: "Hat man bis vor einigen Jahren noch davon gesprochen, dass das Rauchen die korperliche Verfassung des Rauchers schadige und ihn auf Dauer krank mache, so ist heute das Rauchen selbst zur Krankheit geworden und der Raucher zum (Sucht-)Kranken" (Hess u.a. 2004:68). Es ist selbstverstandHch geworden, Tabak bzw. Nikotin als "Suchtmittel" zu bezeichnen, ihn im Kontext von "Suchtmedizin" zu verhandeln (Uchtenhagen/Zieglgansberger 2000), Raucherentwohnung (etwa Sucht 6/2000) und Tabakpravention (Suchtmagazin 1/2001) zu Schwerpunktthemen von Suchtzeitschriften zu machen, die "Diagnostik der Tabakabhangigkeit" als Seminar bei den "Suchttherapietagen" (Hamburg 2004) anzubieten und als WeiterbildungsmaBnahme im suchtmedizinischen Bereich das "Heidelberger Curriculum zur Tabakabhangigkeit" zu besuchen. Zudem offeriert der groBe Markt der Therapien seit einigen Jahren eine Zusatzausbildung zum speziell ausgewiesenen "Nikotintherapeuten". In unserem Buch "KontroUiertes Rauchen" (s. Hess u.a. 2004:67ff) haben wir ausfiihrlich die Etablierung der Nikotinsucht in den gesundheitspolitischen Diskurs der WHO beschrieben, so dass ich an dieser Stelle lediglich die bedeutsamsten Etappen dieser Etablierung hervorheben mochte^^: Als eine der wichtigsten Publikationen, welche die Existenz einer Nikotinsucht propagiert, muss die Schrift "Nicotine Addiction: A Report of the Surgeon General"^^ angesehen werden, die das US-Department of Health und Human Services im Jahre 1988 veroffentlichte. Dieser Report kommt zu folgendem Ergebnis^"^: "The central conclusion of this report is that cigarette smoking should be understood as a manifestation of nicotine addiction, and that the extend to which smokers are addicted to nicotine is comparable with addiction to 'hard' drugs such as heroin and cocaine." Diese Parallelisierung zwischen Heroin, Kokain und Nikotin wird in diesem Bericht so weit getrieben, dass das Tabak-Rauchen voUstandig auf die Nikotinaufhahme reduziert wird: "Nicotine is an addictive drug, and the primary purpose of smoking tobacco is to deliver a dose of nicotine rapidly to receptors in the brain. This generates a pleasurable sensation of the smoker, which, with repeated experience, rapidly consolidates into physiological and psychological ^^ Dabei ist die folgende Darstellung der WHO-Diskussion eine uberarbeitete Version unserer Ausfuhrungen in Kolte/Schmidt-Semisch 2003:6ff. " Zu den Studien, die diesem Bericht als "Belege" der Nikotinsucht zugrunde liegen, siehe die methodologische Kritik von Frenk/Dar 2000. ^"^ Ein Ergebnis, das in einem britischen Report iiber Nikotinsucht im Jahre 2000 wortwortlich wiederholt wird (s. Frenk/Dar 2000:2).
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addiction reinforced by pronounced withdrawal symptoms" (US-Department 1988:183). Diese Reduzierung des Tabakrauchens auf die Nikotinaufhahme wird in einem ebenfalls 1988 veroffentlichten Bericht einer WHO-Study-Group zum Thema Smokeless tobacco controU (WHO TRS 773) noch einmal ausgeweitet, indem nun auch das Kauen und Schnupfen von Tabak auf die vermeintliche Suchtpotenz des Nikotins reduziert werden. Die Autoren des Berichts wamen vor der Strategic der Tabakproduzenten, vermehrt "smokeless tobacco" auf den Markt zu bringen, denn diese Tabakprodukte seien nicht harmlos, sondem bewirkten im Gegenteil sogar einen hoheren Blutnikotinspiegel als Zigaretten und machten daher auch mindestens genauso abhangig. Eine weitere wichtige Zasur der Tabakpolitik folgt dann im Jahre 1989. Auf einer WHO-Konferenz in Genf wird die 10. Revision der ICD (International Classification of Diseases and Related Health Problems) angenommen (die am 1.1.1993 in Kraft treten soUte): Erstmals werden nun Koffein und Tabak in die Liste der "Abhangigkeit produzierenden Drogen" aufgenommen. Diese Liste enthalt von nun an die "following psychoactive drugs, or drug classes, the selfadministration of which may produce mental and behavioural disorders, including dependence": 1. Alkohol, 2. Opiate, 3. Cannabis, 4. Schlaf- und Beruhigungsmittel, 5. Kokain, 6. andere Stimulantien inklusive Koffein, 7. Halluzinogene, 8. Tabak, 9. Schniiffelstoffe und als weitere Kategorie 10. andere psychoaktive Substanzen. Diese Anderungen werden auch vom WHO Expert Committee on Drug Dependence aufgenommen und im 28. Report (1993) dieses Committees (WHO TRS 836) begriindet. Seither defmiert die WHO: "A dependenceproducing drug is one that has the capacity to produce dependence" (WHO TRS 836:6). "Drug-Dependence" wiederum wird defmiert als: "A cluster of physiological, behavioural and cognitive phenomena of variable intensity, in which the use of a psychoactive drug (or drugs) takes a high priority. The necessary descriptive characteristics are preoccupation with a desire to obtain and take the drug and persistent drug-seeking behaviour. Determinants and the problematic consequences of drug dependence may be biological, psychological or social and usually interact" (WHO TRS 836: 5). Durch diesen Schritt ist der Tabak also zu einer sowohl "dependenceproducing" als auch "psychoactive drug" geworden. Dies ist zumindest insofem bemerkenswert, da er bis zu diesem Zeitpunkt vor allem deshalb nicht in die Liste der dependence-producing drugs aufgenommen wurde, weil sein psychoaktives Wirkungsprofil als zu schwach bzw. als nicht vorhanden galt^^. Interessant ^^ Diesen Widerspruch erkannte freilich auch das Expert Committee on Drug Dependence (WHO TRS 836: 6f.): "It should be noted that, although the dependence-producing properties and public health problems caused by tobacco were recognized at the time of the twentieth meeting, they were
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ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Weltgesundheitsversammlung (WHA) die jahrlichen Todesopfer durch Tabak 1989 zunachst auf 2 Millionen beziffert (WHA 42.19), um diese Zahl bereits 1990 noch einmal auf 3 Millionen zuerhohen (WHA 43.16). 1995 bekraftigt die WHA noch einmal ihren Willen, die globale RoUe der WHO im Anti-Tabak-Kampf zu festigen, und regt eine Internationale Konventionan. 1998 wird die Tobacco Free Initiative (TFI) ins Leben gerufen. Ihr erklartes Ziel - in Anlehnung an den Surgeon General Everett Koop - ist: A Tobacco Free World. Die Nikotinsucht ist in diesen Kampagnen und auch in den sonstigen Tabak bezogenen Publikationen der WHO nun ein fester Bestandteil, der zusammen mit dem Verweis auf die enorme Schadlichkeit des Rauchens sowie des Passivrauchens stets zur Begriindung der unterschiedlichen WHO-Forderungen angefuhrt wird. 1999 beschlieBt die WHO die Erarbeitung einer Framework Convention on Tobacco Control (FCTC) und richtet diesbeziiglich eine Internationale Beratungsgruppe ein. Die Rahmenkonvention soil durch ZusatzprotokoUe - etwa iiber Werbung, Besteuerung, Schmuggel u.a.m. - erganzt und im Jahre 2003 von der WHA verabschiedet werden. Die Uberschrift einer diesbeztiglichen WHOPresse-Erklarung vom 26.4.1999 ist iiberschrieben mit: "Cigarettes should be regulated like other Drugs". In ahnlicher Weise auBerte sich bereits 1997 auch das WHO Regionalburo Europa: Hier wird zum einen eine striktere Produkthaftpflicht gefordert, "to enable individuals and communities to seek compensation for the harm done by tobacco products" - und weiter: "Finally, tobacco products should be classified as the drugs they are. Tobacco products deliver regulated doses of the addictive drug nicotine. The control of tobacco is increasingly coming within the jurisdiction of drug regulation agencies" (WHO Europe, Press background 11,12 May 1997: 3). ^^ not included in the report since its acute effects on behaviour were minimal." Gleichwohl wird der Tabak nun in pragmatischer Manier zur dependence-producing drug defmiert, weil, "at its present meeting, the Committee felt that the evidence for the dependence-producing properties of nicotine and the severe health consequences of tobacco and other forms of nicotine use warrented their inclusion in its report". ^^ Ahnliche Forderungen kommen auch aus dem Europaischen Parlament: So forderten z.B. im Jahre 2000 Abgeordnete im Ausschuss ftir Umwelt und Gesundheit im Europaischen Parlament wahrend der Auseinandersetzungen um die schon angesprochene EU-Richtlinie zur "Herstellung, Aufinachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen" den verpflichtenden Wamhinweis auf Zigarettenverpackungen: "Das Rauchen aufzugeben kann schwerer sein, als von Heroin oder Kokain loszukommen" (vgl. Siiddeutsche Zeitung vom 13.06.2000). Als die "Richtlinie 2001/37/EG des Europaischen Parlaments (...) uber die Herstellung, Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen" 2001 schlieBlich beschlossen wurde, hatte man sich zwar auf den "Pflichtwamhinweis" (Art.5): "Rauchen ist todlich" bzw. "Rauchen kann todlich sein" geeinigt und die Sucht "nur" in der "List of additional
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Die Zahl der jahrlichen Todesopfer durch Tabak wird von der Weltgesundheitsversammlung (WHA 52.18) 1999 auf 3,5 Millionen und 2002 auf mehr als 4 Millionen erhoht. Fur 2020 schatzt die WHO jahrlich 8,4 Millionen und fur 2030 jahrlich 10 Millionen vorzeitige Todesfalle aufgrund von Tabakkonsum. Ob bei der WHO, der Weltbank oder der Drogenbeauftragten der aktuellen Bundesregierung: Tabak bzw. Nikotin ist heute zu einem bedrohlichen Suchtmittel geworden und sowohl die Tabakpravention als auch die Reduzierung der Raucherzahlen stehen auf den gesundheitspolitischen Agenden der entsprechenden Institutionen mittlerweile an erster Stelle. Dies mochte ich mit ein paar Beispielen illustrieren: Im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung vom April 2004 ist die "Reduzierung des Tabakkonsums" das 2. Schwerpunktthema nach einem Schwerpunkt "Kinder und Jugendliche", in dem das Rauchen gleichfalls entsprechenden Raum einnimmt etwa bei den Trends im jugendlichen Konsumverhalten, der Vorstellung der Jugendkampagne "Rauchfrei" und der Problematisierung von passivrauchenden Kindem unter der Uberschrift "Kinder aus suchtbelasteten Familien". In der DHS Reihe "Informationen zur Suchtkrankenhilfe" erschien mit der Ausgabe 1/2003 der "DHS-Aktionsplan Tabak". Rolf Hiillinghorst, der Geschaftsfuhrer der "Deutschen Hauptstelle flir Suchtfragen"^^, schreibt in seinem Vorwort des 'Aktionsplans': "Unsere Reihe der 'Informationen zur Suchtkrankenhilfe' erscheint in unregelmaBiger Folge, und das Spektrum ihrer Themen war und ist groB. Dass wir allerdings ein Heft speziell zur Tabakproblematik herausgeben wiirden, hatten wir noch vor wenigen Jahren nicht flir moglich gehalten. Um es ganz deutlich zu sagen: Tabakmissbrauch und -abhangigkeit ist das Suchtproblem Nr.l" (2003:3). Als Aspekte dieser Suchtproblematik flihrt er an: Die korperlichen Folgeschaden (er spricht von 140.000 fnihzeitigen Todesfallen in Deutschland) und die psychische Wirkung (in Form einer Abhangigkeit, die "rasend schnell" einsetze); deshalb seien sowohl notwendige Hilfen flir tabakabhangige Menschen (deren Riickfallhaufigkeit die der Opiatabhangigen iibertreffe) als auch eine Tabakpolitik, die in der Lage sein mtisse, "Angebot und Nachfrage drastisch zu reduzieren" (DHS 2003:3), das Gebot der Stunde. Ziel des Aktionsplanes sei es, "dem Tabakkonsum entgegenzuwirken". Daflir sei auch ein health warnings" (Annex 1) untergebracht. Zugleich aber wurde mit Art. 8 der Richtlinie der erste Schritt in eine prohibitive Tabakpohtik untemommen: "Die MitgUedstaaten verbieten das Inverkehrbringen von Kautabak." Verboten werden in dieser Richtlinie, wie schon erwahnt, u.a. auch die Begriffe wie: "Mild", "Light", "ultraleicht" etc. (Art. 7) sowie die Uberschreitung folgender Werte ab 2004: Teergehalt: 10 mg/Zig., Nikotingehalt: 1,0 mg/Zig., Kohlenmonoxidgehalt: 10 mg/Zig. (Art. 3). ^^ Ehedem: "Deutsche Hauptelle gegen die Suchtgefahren". In der heutigen "Deutschen Hauptstelle fiir Suchtfragen" haben sich 26 bundesweit in der Suchtpravention und Suchtkrankenhilfe tatige und eigenstandige Verbande zusammengeschlossen.
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von Bund und Landem zu entwickelnder "Nationaler Aktionsplan Tabak" notwendig, an dessen Entwicklung die DHS ausdrucklich beteiligt werden mochte (DHS 2003:7). Auch das Deutsche Krebsforschungszentrum engagiert sich flir das Ziel "Gesundheit fordem - Tabakkonsum verringem" und veroffentlichte 2002 "Handlungsempfehlungen fur eine wirksame TabakkontroUpolitik in Deutschland". Bei den gesundheitlichen Konsequenzen des Tabakkonsums steht auch bei dem DKFZ die Problematisierung der Tabakabhangigkeit im Vordergrund (2002:11): Mit alleinigem Bezug auf den schon erwahnten Report des amerikanischen Surgeon General aus dem Jahre 1988 konstatiert das DKFZ, dass das "in Tabakprodukten enthaltene Nikotin stark suchterzeugend sei". Zwar raumt man neben den "psychopharmakologischen Nikotinwirkungen" auch "lempsychologische Faktoren" ein, die fur die "Entstehung einer Tabakabhangigkeit" von Bedeutung seien, kommt aber in den folgenden Ausfuhrungen nicht weiter auf diese Faktoren zu sprechen. Vielmehr werden im weiteren Kontext Aussagen getroffen - wie: "Die Mehrheit aller gewohnheitsmaBigen Raucher ist tabakabhangig"^^, "Erste Anzeichen einer Tabakabhangigkeit konnen bei Kindem und Jugendlichen bereits innerhalb weniger Wochen nach Beginn des nur gelegentlichen Zigarettenkonsums auftreten" (2002:11) und "Die Tabakabhangigkeit und die durch diese verursachten Entzugssymptome sind der entscheidende Grund flir die langfristige Aufrechterhaltung des Tabakkonsums, die niedrigen Erfolgsquoten bei Ausstiegsversuchen und die Haufigkeit von Riickfallen nach Ausstiegsversuchen" (2002:12) - die wohl vor allem dazu geeignet sind, unmissverstandlich die Botschaft einer pharmakologisch bedingten Sucht zu vermitteln. In dem schon erwahnten Bericht der Weltbank, der sich allgemein meist nicht damit aufhalt Literaturverweise oder Quellen flir seine Behauptungen anzugeben, gleichwohl aber den Anspruch erhebt die "vorhandene Evidenz" (Weltbank 2003:23) zusammenzufassen, werden in dem Kapitel "Die gesundheitlichen Folgen des Rauchens" zuerst die "Nikotinsucht" und dann die "Krankheitslast, die dem Rauchen zuzuschreiben ist" (Weltbank 2003:23), kurz erlautert. Die 'Evidenz' der Nikotinsucht wird folgendermafien dargestellt: "Tabak enthalt Nikotin, eine Substanz, die von intemationalen arztlichen Organisationen als suchterregend klassifiziert worden ist. Die Tabakabhangigkeit ist in der Intemationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-Intemational Classification of Diseases) aufgefuhrt. Nikotin erfullt die Hauptkriterien fiir Sucht oder Abhangigkeit; darunter den zwanghaflen Konsum trotz des Wunsches oder wiederholter Versuche, ^^ Bei "Zugrundelegung der Abhangigkeitskriterien der 10. Revision des Intemationalen Klassifikationssystems von Krankheiten der WHO (ICD-10)" so das DKFZ, musse man von 70 bis 80 Prozent abhangigen Rauchem ausgehen (2002:11).
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damit aufzuhoren; psychoaktive Effekte, die sich aus der Wirkung der Substanz auf das Him ergeben; sowie Verhaltensweisen, die sich aus der Verstarkenden' Wirkung der psychoaktiven Substanz ergeben." (Weltbank 2003:23)^^ Offensichtlich, so fiihrt die Weltbank an anderer Stelle weiter aus, wiirden Raucher auch einen Nutzen oder Vorteile aus dem Rauchen Ziehen. Zu den von der Weltbank aufgezahlten Vorteilen gehoren "Genuss und die Befriedigung, ein verbessertes Selbstbild, Stresskontrolle und, ftir siichtige Raucher, die Vermeidung des Nikotinentzugs" (Weltbank 2003:33). Diese von den Rauchem "empfiindenen Vorteile" wiirden augenscheinlich schwerer wiegen als die "privaten Kosten" des Rauchens zu denen "das fur die Tabakwaren ausgegebene Geld, die Gesundheitsschaden und die Nikotinsucht" gehoren wiirden (ebenda). Gerade "neue Raucher" unterschatzten zudem die mit der Nikotinsucht verbundenen "kiinftigen" Kosten: "Diese kiinftigen Kosten kann man sich als Kosten vorstellen, die erwachsenen Rauchem daraus entstehen, dass sie suchtbedingt auch dann nicht in der Lage sind, ihre in der Jugend getroffene Entscheidung zu rauchen zu revidieren, wenn sie dieses wiinschen" (Weltbank 2003:34). Es sei eine Tatsache, "dass junge Menschen das Risiko unterschatzen, nikotinsiichtig zu werden, und dass sie folglich auch ihre kiinftigen Kosten des Rauchens stark unterschatzen" (Weltbank 2003:35). Mit diesem "Suchtrisiko" verleiht die Weltbank dem Risikoverhalten Rauchen zudem eine zusatzliche Charakteristik, denn: Nur wenige andere riskante Verhaltensweisen seien "mit einem derart hohen Suchtrisiko verbunden wie das Rauchen, und die meisten kann man daher leichter aufgeben und werden auch in reiferen Jahren aufgegeben" (Weltbank 2003:37). Wie an diesen Beispielen deutlich geworden sein diirfte, spielt die (These der) Nikotinsucht in der gegenwartigen Verhandlung des Rauchens eine (dis-
^^ Vielleicht ist es der Ubersetzung geschuldet, dass diese Formulierung, vorsichtig gesagt, mehr als unglticklich ausgefallen ist. Vor allem der Satz "Nikotin erfiillt die Hauptkriterien fur Sucht oder Abhangigkeit" ist unsinnig. Die 6 Kriterien, die im ICD 10 zusammengefasst sind, sind "Leitkriterien" mit deren Hilfe man Abhangigkeit diagnostizieren will. Die Konstruktion dieser Abhangigkeitskriterien basiert auf spezifischen Annahmen beztiglich der Charakteristik und der Konsequenzen einer Abhangigkeit. So beziehen sich 3 Kriterien des ICD 10 auf das Verhalten des Konsumenten, 2 Kriterien formulieren die (vermeintlich) korperliche Abhangigkeitssymptomatik gegeniiber den Substanzen und 1 Kriterium bezieht sich auf die negativen Konsequenzen des abhangigen Gebrauchs. Von diesen 6 Kriterien miissen mindestens 3 erfiillt sein, um eine Abhangigkeitsdiagnose im Sinne dieses Konstrukts voUziehen zu konnen. Den "zwanghaften Konsum" versteht man hierbei als ein verhaltensbezogenes Kriterium (nicht etwa als ein substanzspezifisches, das in unserem Falle Nikotin "erfiillt"). Die "psychoaktiven Effekte" und die "verstarkende Wirkung der psychoaktiven Substanz", welche die Weltbank im obigen Zitat als weitere "Suchtmerkmale" anfiihrt, werden in den besagten Kriterien des ICD 10 nicht angesprochen (vgl. hierzu ausfiihrlich u.m.w.V. die kritische Analyse zu "Moglichkeiten der Klassifikation von Abhangigkeit" in Soellner 2000:28-48).
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kurs-)tragende RoUe^^. Nicht nur in den so genannten Expertenkreisen aus Forschung und Wissenschaft sowie den zahlreichen Professionen des Gesundheitswesens, sondem auch in der allgemeinen Bevolkerung ist man - ob Rancher, ExRaucher oder Rauchabstinenzler - heute groBtenteils davon iiberzeugt, dass das Rauchen von Zigaretten sixchtig mache und dass dies auf die psychoaktive Substanz Nikotin zuruckzufiihren sei.^^ Dieser einseitig auf das Negative gerichtete und ausschliefilich pathologisierende Blick auf den Konsum von Drogen ist uns aus dem Kontext der illegalisierten Drogen sehr vertraut. Er ist aber gerade in diesem Bereich auch durch viele Studien, welche die Moglichkeit eines kontrollierten, freizeitorientierten - und eben nicht siichtigen oder abhangigen Gebrauchs nachwiesen (etwa Harding 1982, Zinberg 1984, Weber/Schneider 1992, Cohen/Sas 1995, Decorte 2000), relativiert worden. Dies wirft freilich in unserem Zusammenhang umso drangender die Frage auf, ob die skizzierte Zuspitzung bzw. Reduktion des Rauchens auf die Nikotinsucht wissenschaftlich haltbar ist, und auch, ob dieser Fokus hinsichtlich gesundheitspolitischer Praventionsbemiihungen uberhaupt sinnvoU erscheint. So sollen im Folgenden mit Bezug auf Hanan Frenk und Reuven Dar von der Universitat Tel Aviv, die in ihrer Studie "A critique of Nicotine Addiction" (2000) den umfassendsten Versuch wagten, die Nikotinsucht kritisch zu befragen, die wissenschaftlichen "Evidenzen", auf denen die These der Nikotinsucht basiert, noch einmal betrachtet wer-
^^ Interessant ist hier auch wie rasant schnell sich die Verhandlung oder Thematisierung der Nikotinsucht im Internet verbreitet: Gab man im Juni 2002 bei www.Google.de das deutsche Wort "Nikotinsucht" ein, so wurde man auf 5.630 Eintrage verwiesen und bei dem englischen "nicotine addiction" stieB man auf 95.800 gefundene Intemetseiten. Im Oktober 2004 fmden sich unter "Nikotinsucht" 13.600 und unter "nicotine addiction" 232.000 Eintrage. ^' Auf diese Uberzeugungen werde ich spater in der Analyse der Interviews noch ausftihrlicher zu sprechen kommen. ^^ Vgl. auch Kolte 2002; Kolte/Schmidt-Semisch 2003; Hess u.a. 2004:118-127; altere kritische Stimmen zur Frage der Nikotinsucht fmden sich bei Brengelmann 1987; siehe auch Warburton 1985; 1987; 1989; 1990.
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2.3. Die Kritik an der Nikotinsucht In ihrer Studie "A critique of Nicotine Addiction" (Frenk/Dar 2000)^^ bemangeln die Autoren, dass die Nikotinsucht heute praktisch unhinterfragbar geworden sei: "Clearly, to our colleagues as well as to the majority of the scientific community, nicotine addiction is no longer a theory which can be legitimately questioned" (2000:1)^"^. Dem halten sie entgegen, dass die Ergebnisse bisheriger NikotinForschung eher den Schluss nahe legen, dass Nikotin nicht siichtig mache und dass insbesondere der Vergleich zu Kokain und Heroin unsinnig sei. Mit einem ersten gravierenden Einwand gegen die These, Nikotin sei eine abhangig machende Substanz, setzen Frenk/Dar bereits bei der Abhangigkeitsdefinition der WHO an. "Drug dependence" ist hiemach: "A cluster of physiological, behavioural and cognitive phenomena of variable intensity, in which the use of a psychoactive drug (or drugs) takes a high priority. The necessary descriptive characteristics are preoccupation with a desire to obtain and take the drug and persistent drug-seeking behaviour. Determinants and the problematic conse^^ Hanan Frenk imd Reuven Dar durchleuchten hier zunachst die Paradigmen, die die Theorie der Nikotin-Sucht stutzen sollen. Systematisch prufen sie die im Nikotin-Sucht-Diskurs herangezogenen Definitionen auf ihre Stichhaltigkeit und anhand der veroffentlichten Forschungsberichte die angeblich 'wissenschaftlichen Belege' auf ihre Validitat. Die Literaturliste des Bandes, bestehend aus 734 Referenzen, ist ein beeindruckendes Sammelwerk der Rauch- und Nikotinforschung. Bei ihrer kritischen Durchsicht der Forschungsberichte stoBen die Autoren auf eine Anhaufung methodologischer Fehler in der "Nicotine Addiction Research". Beispiele hierfiir sind: die Prasentation von nicht signifikanten Ergebnissen als signifikant und zuverlassig, das Fehlen von statistischen Vergleichen, fehlende Kontrollgruppen, die AusschlieBung von unkooperativen Versuchstieren, die Einbeziehung von schon vorher konditionierten Versuchstieren, ein erstaunlicher Mangel an kritischen KontroUen der Ergebnisse etc. (In einer partiellen Auflistung im letzten Kapitel ihres Buches kommen Frenk und Dar auf 13 schwerwiegende methodologische Mangel und Fehler in den verschiedenen Forschungen zur Nikotinsucht.) So wird mit der Kritik an der Nikotin-Sucht auch ihre Kritik an einer Wissenschaft laut, die eine kritische Sichtweise und den Mut zum Skeptizismus verloren hat. ^ Beide Autoren erfuhren iibrigens ihrerseits hinsichtlich der Entstehung ihres Werkes vom ChefHerausgeber des Journals "Addiction", Griffith Edwards, offentliche Kritik. Edwards wirft ihnen im Editorial von Addiction (2002:1-5) einen Interessenskonflikt vor. Beide Autoren hatten Jahre vor Erscheinen ihres Buches fiir eine Rechtskanzlei einen Teil der Forschungsliteratur, die auch in ihrer Studie zusammengefasst ist, gelesen und evaluiert. Der Klient der Kanzlei und damit Auftraggeber schien, so bestatigt Hanan Frenk in einem Antwortschreiben an Edwards, offensichtlich von Seiten der Tabakindustrie zu kommen. Frenk's Aufforderung an Edwards doch bitte ihre Arbeit anhand ihrer fur alle nachvoUziehbaren Argumente und Schlussfolgerungen zu prufen, seine Erinnerung, dass die zweifelhaften Forschungsdaten nicht von ihnen produziert, sondem lediglich gepriifl worden seien und seine Einladung "We welcome the most critical review of any aspect of our book" (Edwards 2002:2) nutzen jedoch nichts. Ohne im Geringsten auf ihre Arbeit einzugehen, disqualifiziert Edwards sie aufgrund dieser frtiheren Auftragsarbeit und schwenkt die Fahne einer "objektiven Wissenschaft", die nur dadurch geschutzt werden konne, wenn mogliche Interessen(skonflikte) von Wissenschaftlem durch eine offentliche Deklaration ihrer Einkiinfte transparent wiirden.
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quences of drug dependence may be biological, psychological or social and usually interact". Hinsichtlich dieser Definition, so Frenk/Dar (2000:17), sei anzumerken, dass sowohl die Formuliemng "a cluster of physiological, behavioural and cognitive phenomena of variable intensity" als auch der Satz "Determinants and the problematic consequences of drug dependence may be biological, psychological or social and usually interact" auf praktisch jedes menschliche Verhalten zutrafen, etwa auch auf Bettnassen oder Nagelkauen. In diesem Sinne lieBe sich die Definition der WHO durchaus auf folgenden Inhalt vereinfachen: "a behaviour, in which the use of a psychoactive drug (or drugs) takes on high priority. The necessary descriptive characteristics are preoccupation with a desire to obtain and take the drug and persistent drug-seeking behaviour." Es werde deutlich, dass hier zwar moglicherweise stichtiges Verhalten definiert werde keinesfalls aber stichtig machende Drogen. Das vermeintlich drogenabhangige bzw. siichtige Verhalten (die Autoren benutzen addiction und dependence synonym) involviere zwar den Drogengebrauch, die Definition enthalte aber keinerlei Aussagen uber die kausale RoUe der Drogen bei der Aufrechterhaltung dieses siichtigen Verhaltens: "The definition of drug dependence, therefore, becomes a mere description of a habitual behaviour, rather than a genuine explanation of it. This is difficult to see at first glance, because the word 'addiction' carries an illusion of an explanation: Why does the person in question continue to behave in a dysfunctional, self-defeating way? Because he or she is addicted. This has the sound, the structure of an explanation. But what does 'addicted' mean in this context? It means nothing more than continuing to behave in a dysfunctional, self-defeating way" (Frenk/Dar 2000: 17). Es werde also lediglich eine mehr oder weniger zwanghafle Gewohnheit beschrieben, in die eine Droge involviert sei, ohne etwas uber die Potenzen der Droge auszusagen (bzw. aussagen zu konnen). In diesem Sinne verbiete es die WHO-Definition gleichsam aus sich selbst heraus, von Nikotin, aber auch von jeder anderen Droge, als einer abhangig oder suchtig machenden Substanz zu sprechen. Im weiteren beziehen sich Frenk und Dar vor allem auf die vom USDepartment of Health and Human Services bzw. vom Surgeon General 1988 vorgelegte Suchtdefinition in jenem Bericht, der Nikotin erstmalig in einen Zusammenhang mit Heroin und Kokain stellte (s.o.). Im Gegensatz zur WHODefinition wird hier weniger ein Verhalten als vielmehr die Qualitat einer abhangig machenden Substanz beschrieben. Um Drogenabhangigkeit von anderen Gewohnheiten zu unterscheiden, so das US-Department (1988:6), "it must be demonstrated that a drug with psychoactive (mood-altering) effects in the brain enters the blood-stream. Furthermore, drug dependence is defined by the occurence of drug-motivated behaviour; therefore the psychoactive chemical must be capable as functioning as a reinforcer that can directly strengthen behaviour
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leading to further drug ingestion." Das primare Kriterium eines Suchtmittels ist also, dass es sich um eine psychoaktive Substanz handeln muss, deren Einnahme direkt zu einer gesteigerten Einnahme eben dieser Substanz fuhrt. Als sekundare bzw. tertiare Suchtkriterien benannte der Surgeon General seinerzeit noch die (auch von anderen vorgebrachten Aspekte) der Toleranzentwicklung und der physischen Abhangigkeit. In drei Kritiklinien widmen sich Hanan Frenk und Reuven Dar diesen drei Kriterien ('reinforcing effects', 'tolerance' und 'physical dependence') hinsichtlich des Nikotins. Die erste Kritiklinie richtet sich auf die verbreitete Annahme der so genannten reinforcing effects des Nikotins, also auf die Annahme, dass die Wirkung des Nikotins das Konsumbediirfnis verstarke und damit den Konsum erhohe, was zugleich bedeute, dass die Wirkungen des Nikotins als angenehm empfunden wiirden. Dagegen allerdings, so Frenk/Dar (2000: 93ff.), sprachen zunachst die Forschungsergebnisse, dass Nichtraucher den Effekten des Nikotins nichts abgewinnen konnten (unabhangig davon, wie es verabreicht wiirde) - kein Nichtraucher kame auf die Idee, Nikotinkaugummis oder -pflaster zu benutzen (vgl. auch Soria et al. 1996; Srivastava et al. 1991). Zudem seien im Rahmen von so genannten "Nicotine Replacement Therapies" (NRT)^^ auch die entwohnungswilligen Rancher keineswegs mit der Verabreichung von Nikotin zufrieden zu stellen. Nun konne man zwar, so Frenk/Dar (2000: 102), gerade hinsichtlich der Nichtraucher ins Feld flihren, dass die Wirkungen psychoaktiver Substanzen von Neulingen haufig als unangenehm erlebt wiirden. Erstaunlich sei aber doch, dass diese Ergebnisse auch flir Rancher galten: "In smokers, nicotine was found to be pleasurable in only four of eight injection studies, one of eight gum studies, and two of six patch studies - only 7 out of 22 studies altogether." Zu ahnlichen Ergebnissen fuhrten iiberdies Versuche mit Nikotin-Nasenspray, bei dem das Nikotin annahemd schnell ins Blut aufgenommen werde, wie beim Rauchen von Tabak (Frenk/Dar 2000: 105f.). Die Aufhahme von Nikotin werde also, zumindest wenn sie nicht durch Rauchen erfolge, von Nichtrauchem und Rauchem in aller Regel als unangenehm empfunden - als nicht unangenehm, aber auch als nicht "reinforcing" werde es lediglich von Rauchem empfunden, die mehrere Stunden nicht geraucht hatten^^. ^^ NRT-Produkte versorgen therapie- bzw. entwohnungswillige Raucher mit Nikotin, um den vermeintlichen Entzugserscheinungen vorzubeugen. In diesem Sinne ist der Begriff des Nicotine Replacement freilich eine recht verwirrende Bezeichnung, da das Nikotin j a nicht ersetzt, sondem in Form von Kaugummis oder Pflastem gerade verabreicht wird - es handelt sich also eher um eine Therapieform, die man im Bereich der illegalen Drogen als Originalstqffvergabe bezeichnet. ^^ In einer interessanten dreigeteilten Studie von Hughes et al. (1985), in der man die Wirkung von Nikotin mit der von Placebos - beides in Form von Kaugummis - verglich, kam man zu dem Ergebnis, dass entwohnungswillige und wahrend der Studiendauer abstinente Raucher die Nikotinkaugummis entweder bevorzugten oder aber in gleichen Mengen Placebos und Nikotinkaugummis
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Diese Ergebnisse, so die beiden Autoren, legten nahe, dass das Nikotin moglicherweise erheblich weniger mit dem Rauchen zu tun habe, als gemeinhin angenommen: "In fact, we found no credible evidence that nicotine is more desirable to humans than saline" (Frenk/Dar 2000:113).^^ Eine Einschatzung, die wiederum von Untersuchungen bestatigt wird, die sich der Bedeutung jener Stoffe im Tabak bzw. in Zigaretten gewidmet haben, die beim Rauchen fur die sensorischen Stimulationen der unterschiedlichsten Art (Geruch, Geschmack, Reizung der Mund- und Rachenschleimhaute u.v.m.) verantwortlich sind: dem Teergehalt. Mehrere Studien zeigten, so Frenk/Dar (2000:107ff), dass sich etwa die Art des Rauchens vor allem am Teergehalt entscheide. Rancher von Zigaretten mit niedrigem Teergehalt inhalierten mehr Ranch und diesen zudem tiefer, was dann auch zu einem hoheren Nikotingehalt im Blut fflhre: "In several subsequent experiments using experimental cigarettes of varying tar and nicotine yield, smoking patterns did not depend on the nicotine yield of the cigarettes or depended on tar rather than nicotine yield" (ebenda 110). Weitere Evidenz fur die Bedeutung der sensorischen Stimulationen konnten Versuche erbringen, bei denen die oberen und unteren Atemwege lokal betaubt wurden, was zu einer erheblichen Reduzierung des so genannten 'cravings' fuhrte. Ahnliche Beobachtungen machte man bei der Verabreichung von Substanzen, die ahnliche Stimulationen bewirken wie der inhalierte Tabakrauch: "In these experiments, the investigators had smokers self-administer puffs of citric acid aerosol that benutzten. Dies hing im Wesentlichen von den Infonnationen ab, die man iiber die Produkte vermittelte. Die Raucher waren zudem (zumindest im ersten Teil der Studie) in der Lage, das Nikotinprodukt aufgnind seines Geschmacks und seiner physiologischen Effekte (Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks, Schwindel, etc., s.a. Adlkofer 2000:46f) von den Placebos zu unterscheiden: "In the first of three studies, participants were told that they would receive either nicotine or placebo gum. With these instructions, participants consistently self-administered the nicotine gum significantly more than the placebo gum. However, these experiencd smokers demonstrated an excellent ability to distinguish between the gums, apparently on the basis of the nicotine gum's side-effects. Therefore, they may have preferred nicotine gum not because they liked its psychoactive effects, but rather because they believed it would be more helpful for them in overcoming craving. Studies 2 and 3 provided compelling evidence in support of this hypothesis. In study 2, participants were told they would receive either the marketed nicotine gum or a new nicotine gum (the same placebo) that was as effective as the marketed gum but had fewer side-effects. In study 3, the experimenters told the participants to expect more side-effects from the placebo thanfromthe nicotine gum. In both studies, participants self-administered equal amounts of placebo and nicotine gum" (Frenk/Dar 2000:94). ^^ Diese Kritik machen sie im iibrigen auch mit einer ausfuhrlichen Durchsicht der zahlreich durchgefuhrten Tierversuchsstudien plausibel. Diese Studien wurden zwar immer wieder an zentralen Stellen als Belege fiir eine Nikotinsucht herangezogen (so auch im besagten Report des Surgeon General von 1988), seien aber - ganz abgesehen von der grundsatzlichen Frage, ob sich Ergebnisse aus Tierstudien iiberhaupt auf den Menschen ubertragen lieBen - in vielen Fallen methodisch auBerst bedenklich. Haufig arbeiteten sie mit auBerst kleinen Zahlen von Versuchstieren, ohne Kontrollgruppen und schlossen (iberdies so genannte "unkooperative" Tiere vom Fortgang der Versuche aus (Frenk/Dar 2000: 67f, vgl. auch 45-76).
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investigators had smokers self-administer puffs of citric acid aerosol that irritates the respiratory system. Participants were asked to compare the subjective pleasure and satisfaction they derived from this aerosol to puffs of air, low tar and nicotine cigarettes, or the smoker's own brand. In these studies, citric acid aerosol reproduced some of the subjective pleasure and satisfaction associated with smoking. Participants liked the puffs of citric acid better than the control puffs of air and better than low tar and nicotine cigarette." (Frenk/Dar 2000:11 Of.; vgl. auch Opitz 2000:57f.). Das Rauchverhalten orientiere sich also eher an sensorischen Aspekten denn an der Aufnahme von Nikotin, ein Ergebnis, das jiingst durch eine Studie von Lisa Brauer (University of Minnesota) nochmals bestatigt wurde. Brauer hatte Rancher mit nikotinfreien Zigaretten versorgt und herausgefiinden, dass diese durchaus einen erheblichen positiven Einfluss auf Entzugssymptome und Craving ausiibten - ein Ergebnis, das die RoUe des Nikotins freilich weiter in Frage stellt^^. Die zweite Kritiklinie von Hanan Frenk und Reuven Dar betrifft die Toleranz: Toleranz bezeichnet in aller Regel das Phanomen, dass sich die als angenehm empfiindenen Wirkungen einer psychoaktiven Substanz (also die "reinforcing effects") "abnutzen" und daher die Einnahme immer grofierer Mengen der jeweiligen Substanz erforderlich wird, um die angenehmen Wirkungen weiterhin genieBen zu konnen. Wenn aber nun die oben zitierten Ergebnisse richtig seien, so Frenk/Dar (2000:118), dass Nikotin keine positiven Wirkungen im Menschen entfalte, so sei auch die Rede von einer Toleranz gegeniiber diesen Wirkungen wenig sinnvoll. Eher schon miisse man von einer Toleranz gegeniiber den negativen Effekten des Nikotins sprechen, welches ja durchaus auch bei Rauchem Vergiftungserscheinungen (wie Ubelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen usw.) auslose, wenn sie ihre Nikotin-Dosis deutlich erhohten. Zugleich konne man beobachten, dass Rancher mit einem taglichen Konsum zwischen 30 und 60 Zigaretten einen nicht wesentlich erhohten Nikotinspiegel im Blut aufwiesen, als Rancher, die 20 Zigaretten taglich konsumierten. Starke Rancher extrahierten weniger Nikotin aus ihren Zigaretten - regulierten also ihre Nikotinaufnahme nach unten. In diesem Sinne limitiere das Nikotin moglicherweise das Rauchen sogar, weil ab einer bestimmten Blutkonzentration die toxischen Effekte zu unangenehm wiirden: "Paradoxically, a review of the evidence suggests that the main role nicotine has in determining smoking may be in imposing a ceiling on the extend or intensity of smoking" (Frenk/Dar 2000:171). Die dritte Kritiklinie schlieBlich widmet sich den so genannten Entzugssymptomen (Frenk/Dar 2000:126ff.): Im DSM-IV werden acht zentrale Entzugssymptome fur Nikotinabhangigkeit benannt: (1) dysphorische und depressive Stim^ Vgl. www.smt.org/events/abstracts99/Craving Prozent20For Prozent20Cigarettes.htm
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mung, (2) Schlaflosigkeit, (3) Irritierbarkeit, Enttauschung, Arger, (4) Angst, (5) Konzentrationsschwierigkeiten, (6) Unruhe, (7) verminderte Herzfrequenz und (8) gesteigerter Appetit oder Gewichtszunahme. Diese Symptome seien nun aber keineswegs nikotinspezifisch: AuBer der verminderten Herzrate und der Gewichtszunahme folgten diese Symptome vielmehr "the interruption of a wide variety of normal and abnormal behaviour routines in which drug selfadministration does not play a role". Aber selbst wenn diese Symptome tatsachlich durch das Fehlen des Nikotins verursacht wiirden, dann mtisste die Verabreichung von Nikotin die Entzugssymptome beenden - dies sei ja auch die Logik der NRT. Gleichwohl, so Frenk/Dar (2000:127), konne keine der zahkeichen Studien hinsichtlich NRT dariiber berichten, dass eine solche Therapie alle Entzugssymptome beseitige. Im Gegenteil seien die Erfolge der NRT recht bescheiden, weil die Rancher durch das Nikotin allein nicht zufrieden zu stellen seien (vgl. Frenk/Dar 2000:152ff. m.w.V; vgl. auch Peele/Brodsky 1992:96; Opitz 2000:60ff). Dies wiederum sollte eigentlich Anlass genug sein, die zwei zentralen Annahmen, auf denen NRT beruhe, zu hinterfragen, namlich erstens, dass Nikotin der wichtigste Grund ist, warum man raucht, und zweitens, dass Nikotin Sucht erzeugt. Resiimierend ziehen Frenk und Dar den Schluss, dass man hinsichtlich des Rauchens von Zigaretten und anderen Tabakprodukten nicht von Nikotinsucht sprechen konne, sondem vielmehr von einem habitualisierten Verhalten bzw. einer Gewohnheit ausgehen miisse. Das besage nicht, dass eine solche Gewohnheit einfach abzustellen bzw. zu andem sei. Im Gegenteil handele es sich bei Gewohnheiten um automatisierte Verhaltensweisen, die gerade aufgrund dieser Automatisierung schwer zu kontrollieren seien. Gleichwohl macht diese Unterscheidung zwischen Sucht und Gewohnheit, die dem einen oder anderen auf den ersten Blick recht akademisch anmuten mag, aber einen erheblichen Unterschied: Denn im Gegensatz zum Konzept der Nikotinsucht, welches nahe legt, dass der Raucher der Sklave des Nikotins wird, beinhaltet die Vorstellung von "Gewohnheit" ganz andere Handlungsmoglichkeiten^^ fur die Betroffenen. Oder mit Peele/Brodsky (1992:102) gesprochen: Wahrend "the behefs that one can be physically enslaved by tobacco and that one cannot withstand withdrawal serve only to perpetuate the addiction", zeigen viele Studien, "that the best predictor of successful abstinence is smoker's confidence that they can stay off cigarettes" (Peele/Brodsky 1992:105) - was bedeutet, dass das Verhalten des Konsumenten
^^ Darauf weist auch Brengelmann (1987:VIII) hin: "Vages Gerede von Sucht und Abhangigkeit leistet keinen positiven Beitrag zur EntwShnung. Wird jedoch konkret der unterschiedliche Nutzen beriicksichtigt, den die verschiedenen Individuen aus dem Rauchen ziehen, gewinnen wir einen wesentlich besseren Ansatzpunkt zur Modifikation des Verhaltens."
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gegentiber seiner Droge maBgeblich davon gepragt ist, welches Bild er sich von diesem Verhaltnis macht.
2.4. Die Grenzen des biomedizinisch-epidemiologischen Risikofaktorenkonzepts ^^No doubt there are risks that we would rather not run but that we undertake in order to gain other benefits. People do live in Los Angeles, for example, not for the privilege of breathing smog but in order to take advantage of its natural beauty, warm climate, job opportunities, and so on. Life's choices (...) often come in bundles of goods and bads, which have to be taken whole." Mary Douglas/Aaron Wildavsky (1983:18) Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, ist die gegenwartige gesundheitspolitische Verhandlung des Rauchens ausschlieBlich gepragt von einer (sucht-) medizinischen und epidemiologischen Risikoperspektive. In dieser Perspektive reduziert sich das Rauchen auf mogliche biochemische und pathophysiologische Wirkungsketten und wird zu einer Bedrohung fur Leib und Leben (vgl. Franzkowiak 1986). Das Rauchen von Zigaretten wird sowohl zu einem 'Risikofaktor', gar zu einem "Hauptrisikofaktor" (DHS Info Tabak:14f) ftir bestimmte Erkrankungen, als auch zu einem gesundheitsgefahrdenden 'Risikoverhalten' (sowie durch die Verhandlung des Rauchens als bloBe Nikotinsucht zur 'Krankheit' selbst). Treten die mit einem Risikoverhalten assoziierten Krankheiten tatsachlich ein, flihrt man diese mehr oder weniger eindeutig auf das vermeintlich "falsche Verhalten" des Menschen zuruck: "Der neue Krankheitserreger heifit Risikoverhalten", so bringt es Keil (2000:66) auf den Punkt. Epidemiologisch betrachtet "steht Risikoverhalten fur einen gefahrlichen Umgang mit der eigenen korperlichen Unversehrtheit, der sich in abweichenden biochemischen Daten niederschlagt: als Bluthochdruck, in einem erhohten Cholesterinspiegel, in auffalligen Leberwerten u.a.m. Wer sich langfristig in einer bestimmten Weise verhalt, setzt seine Gesundheit aufs Spiel; auf diese Kurzformel wird menschliches Verhalten hier gebracht" (Franzkowiak 1986:125). Die Defmitionsmacht obliegt hierbei medizinischen Experten, die sich im Laufe der Medikalisierung der Gesellschaft immer grofiere Bereiche der individuellen Befindlichkeiten aneigneten und nun mehr in der Position sind, Normalitat ("Gesundheit") und Abweichung zu bestimmen. Sie orientieren sich dabei an labormedizinischen Norm- und Grenzwerten, welche die gerade herrschende klinische Lehrmeinung reprasentieren. Ivan Illich beschreibt in seiner "Nemesis der Medizin", dass diesen Klassifi-
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kationen jedoch weniger objektives Wissen als vielmehr institutionelle Konstruktionen zugrunde liegen: "Die Medizin ist ein moralisches Untemehmen und bestimmt daher zwangslaufig den Inhalt der Worte 'gut' und 'schlecht'. In jeder Gesellschaft definiert die Medizin, genau wie Gesetz und Religion, was normal, angemessen oder wunschenswert ist. Die Medizin besitzt die Autoritat, die Beschwerden des einen als legitime Krankheit zu etikettieren, den zweiten fiir krank zu erklaren, obgleich er gar nicht uber Beschwerden klagt, und dem dritten die soziale Anerkennung seines Leidens, seiner Schwache und sogar seines Todes zu verweigem. Die Medizin ist es, die gewisse Formen des Schmerzes als 'bloB subjektiv', manche Formen der Schwache als 'Simulantentum' und gewisse Todesarten - im Gegensatz zu anderen - als Selbstmord stempelt. Der Richter bestimmt, was legal und wer schuldig ist. Der Priester erklart, was heilig ist und wer ein Tabu gebrochen hat. Der Arzt entscheidet daruber, was ein Symptom und wer krank ist. Er ist ein Sachverwalter der Moral, ausgestattet mit inquisitorischen Machtbefugnissen, gewisse Ubel festzustellen, die behoben werden miissen. Wie alle Glaubensfeldziige schafft auch die Medizin, jedes Mai wenn sie eine neue Diagnose ftir verbindlich erklart, eine neue Gruppe von AuBenseitem" (IIlich 1995:35; vgl. auch Foucault 1999). Dem eben skizzierten Risikofaktoren- und Suchtdenken im Tabakbereich stehen aber die Funktionalitat und Simihaftigkeit des Zigarettem-auchens - wie etwa auch des Alkoholkonsums - als einem sozialen und kulturellen Handeln gegeniiber. Rauchen und Alkoholkonsum sind in unserer Gesellschaft kulturell geformte Verhaltensangebote an die Individuen, ihre subjektive und soziale Befmdlichkeit gesellschaftlich akzeptabel und fiinktional zu managen. "Mit Hilfe dieser kulturell stilisierten Verhaltensweisen konnen sich die Menschen Teile ihrer Selbstbefindlichkeit (die nicht oder noch nicht der Medizin als gesellschaftlichem Monopol uberlassen worden sind) aneignen und definieren. In dem MaBe, wie sich die gesellschaftlichen Experten dem 'Ernst des Leibes' verschreiben, bleibt den Individuen nur noch dessen zivilisierte 'triviale' Freisetzung mit Hilfe der Genuss- und Rauschmittel. Ihr Befmdlichkeitsmanagement ware ohne Tabak oder Alkohol - und andere Stimulantien - unvollstandig" (Franzkowiak 1986:123). Nocker (1990:72) spricht in diesem Zusammenhang eines "Befindlichkeitsmanagements" unter Bezug auf Elias (1989) von einem "Prozess vermehrter Selbstregulation" des modemen Menschen, deren Ursachen "in einer sich standig weiterentv^ickelnden gesellschaftlichen Aufgaben- und Funktionsteilung (liegen), die den einzelnen in immer langere, kompliziertere Handlungsketten einbindet und ihn so zwingt, sein Verhalten immer differenzierter, immer stabiler und gleichmaUiger zu regulieren". Da der einzelne Mensch dazu angehalten werde, seine Affekte, Geftihle und Triebhandlungen den gesellschaftlichen Erfordemissen 62
anzupassen beziehungsweise unterzuordnen, wiirde diese Affekt- und Triebkontrolle zu einem zentralen Problem der Individuen^^. Der Gebrauch von stimmungsverandemden Substanzen konne hier eine gesellschaftlich tragbare, da sozial kontroUierbare Entlastungsfunktion fiir das Individuum iibemehmen. In diesem Sinne kommt auch Franzkowiak zu dem Schluss: "Zigarettenrauchen und Alkoholkonsum sind zivilisierte Handlungen, die als gelebter Ausdruck ubiquitarer Bedurfiiisse, des zivilisatorischen Standes und der kulturellen Verfassung entwickelter Gesellschaften anzusehen sind. Im Zuge des fortschreitenden Zivilisationsprozesses konnen sie als Lebensbereiche im menschlichen AUtagshandeln gelten, die der sozialen Kontrolle durch Selbstzwang unterliegen" (Franzkowiak 1986:122f; vgl. auchNocker 1990:74). Der Stigmatisierung und Isolierung des Rauchens als Risikoverhalten und Sucht in den biomedizinischen Korper- und Gesundheitsentwurfen stehen also die Funktionalitat und die Integration dieses Verhaltens im Alltagsleben der zivilisierten Individuen gegeniiber. Bei den gegenwartigen Versuchen der Gesundheitserzieher, "das Subjekt in die Pflicht" (Keil 2000:66) zu nehmen und mit Appellen, Aufklarung und sozialer Kontrolle darauf einzuwirken, dass gesundheitlich riskante Verhaltensweisen vermieden werden, geraten aber die Funktionalitat des als riskant bewerteten Handelns und die auf dieses Handeln bezogene subjektive Sinnzuschreibung der Individuen aus dem Blick. Es wird nicht wahrgenommen, dass Lebensrisiken und gesundheitliche Gefahren "im Stoffwechsel zwischen Mensch, Natur und Umwelt" (Keil 2000:66) entstehen und somit gesellschaftliche wie subjektiv-biographische Produkte sind, die aus dem Prozess, den man Leben nennt, nicht wegzudenken sind - "Leben ist Risiko". Franzkowiak (1986:124) stellt hierzu fest: "Unsicherheit und Risiko sind Grundkategorien gesellschaftlich organisierten AUtagslebens. Sozialtherapeutische und/oder medizinische Versuche, sie auszuschalten (mit dem utopischen Wunsch ihrer vollstandigen Eliminierung), sind ideologisch motivierte Angriffe auf die geschichtliche und soziokulturelle Aneignung von Subjektivitat und Selbstbefindlichkeit". Und vielleicht sind in diesem Kontext auch die Grunde des Scheitems der vielfaltigen und kostspieligen Praventionsbemiihungen zu sehen (vgl. Quensel 2004). Nimmt man diese Gedanken emst und setzt sie in Bezug zu einem Interesse dieser Arbeit, namlich Aspekte eines altemativen (gesundheitspolitischen) Umgangs mit dem Rauchen aufzuzeigen, der die Risiken des Rauchens zwar nicht negieren, aber doch relativieren will, indem er fiir die Option eines gemaBigten Konsums von Tabakprodukten eintritt, dann kann nur ein akzeptierender und verstehender Blick auf das Rauchen als ein fimktionales und sinnhaftes Verhal' Vgl. auch Marcuse (1990).
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ten der Individuen die Konsequenz sein. Zugleich geht es aber auch darum, das Produkt Zigarette in seiner Ambivalenz von Kosten und Nutzen zu sehen. Wie auch in der akzeptierenden Drogenarbeit kann man Raucherlnnen hier Wege aufzeigen, wie sie adaquat auf diese Ambivalenz reagieren konnten. Eine den Kosten oder gesundheitlichen Risiken des Rauchens angemessene Reaktion ware m. E. ein gemafiigter, selbstbestimmter Konsum derjenigen, die auf ihren Rauchgenuss nicht verzichten wollen, mit dem Ziel, aus ihrem Zigarettenkonsum einen moglichst groBen Nutzen bei einem moglicht geringen Schaden zu Ziehen. Im Folgenden gebe ich zunachst einen kurzen Uberblick iiber die unterschiedlichen Funktionen und Motivlagen des Rauchens, auf die wir dann bei der Auswertung der Interviews noch ausfuhrlicher zu sprechen kommen werden. Des Weiteren soil die Kritik an der Fokussierung des Rauchens als Sucht durch eine Skizzierung des Forschungsstandes zum KontroUierten Rauchen vervollstandigt werden.
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3. Rauchen als soziales, funktionales und kontroUierbares Handeln "Meine Zigarette" ''Meine Zigarette! Das Amulett, Das in die Feme Unrast undSorge bannt. Der Zauberstab, der weit iiber das Heute hinaus Das Morgen heraufbeschwort. Wie Liebesglut deine Krone von Feuer, Die sachte mit der Ddmmerung verschmilzt; Und, ah, mir scheint, eines Poeten Trdume Steigen aufin deinen Ringen von Rauchy Charles F. Lummis^^
3.1. Funktionen des Rauchens Der zeitgenossische Diskurs verhandelt das Rauchen, wie oben beschrieben, als ein generelles und unerwiinschtes Risikoverhalten sowie als reine Abhangigkeit von der "Droge" Nikotin. Dies flihrt u.a. auch dazu, dass die Motive der Raucherlnnen und die Funktionen ihres Rauchens - auch von den Rauchenden selbst kaum noch wahrgenommen werden (konnen): Sowohl in offentlichen als auch in den privaten Diskursen dominieren vielmehr die Erklarungsprinzipien einer (Tabak-)Abhangigkeit oder einer (Nikotin-)Sucht7^ Auf diese kontraproduktive Wirkung des Suchtdiskurses machte Brengelmann schon 1987 (VIII) aufmerksam, indem er betonte: "Rauchen ist in dem Sinne nicht als Sucht aufzufassen als der Raucher nicht das Opfer von Einfliissen auBerhalb seiner KontroUe ist. Vielmehr ist Rauchen im Sinne einer funktionalen Interpretation als Gewohnheit zu verstehen, durch die der Raucher seinen seelischen Zustand wirksam steuem kann. Sehr leicht kann aber die Meinung iiber den Raucher von auBen beeinflusst werden, indem er durch 'ContraStimulierung' zum Suchtigen etikettiert wird." Gerade das selbstreflexive Erkennen und Bewusstwerden der Motive und positiven Funktionen des Rauchens ist aber ftr das Verstehen der Rauchhandlung und eine eventuell gewiinschte Veranderung des Verhaltens von groBer Bedeutung (vgl. Brengelmann 1987). Meist haben Rauchende schon in ihrer Jugendzeit ^^ Zitiert nach Klein (1995:92). " Darauf werden wir bei der Auswertung der Interviews noch ausfuhrlich zu sprechen kommen.
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gelemt, bestimmte Situationen, Geschehnisse und Gefiihle (positiv) mit dem Rauchen zu verbinden.''^ In diesem Zusammenhang ist es m.E. entscheidend zu erkennen, dass Menschen nicht rauchen, um sich zu schadigen, sondem well sie sich - wenn auch oftmals nicht (mehr) bewusst^"* - etwas Positives vom Rauchen versprechen. D.h. neben den Nachteilen oder Kosten des Rauchens (die den Rauchem im Obrigen meist durchaus bekannt und bewusst sind^^) existieren immer auch Vorteile und ein "instrumenteller Nutzen" (Franzkowiak 1986) des Rauchens: "Rauchen ist fiir Raucher eine wiinschenswerte soziale Technik im Dienste von Selbstdarstellung, Selbstdisziplinierung, Selbststabilisierung, Selbstaktivierung, Selbstbefriedigung und Kommunikation. Rauchen ist kein isoliertes monokausal erklarbares Verhalten, sondem integraler Bestandteil von Lebensstil und Lebensqualitat" (Bergler 1987:78). In diesem Sinne entpuppt sich das Rauchen zugleich als ein Verhalten von auBergewohnlicher Komplexitat,''^ wobei sich der Nutzen, den ein Raucher aus dem Rauchen zieht, "immer an der Verschrankung individueller Motive, koUektiver Bestatigung und soziokultureller Absicherung des Zigarettenkonsums als fiinktionalem AUtagshandeln" (Franzkowiak 1986: 134) bemisst. Dieses Sinn- und Bedeutungsnetz gilt es im Rahmen einer altemativen Verhandlung des Rauchens sowie in entsprechenden Angeboten bezuglich des Erlemens eines reduzierten Konsums zu durchdringen. Denn: Je genauer Raucher und Raucherinnen ihre Motive fiir das Rauchen und somit die Funktionen, die es fiir sie erfullt (er-)kennen, desto eher konnen sie ^^"When adults say that adolescents are immature they mean that they have problems with their affect control. Their moods swing widly from depression to euphoria, they are rash and gauche in conversation, alternately brash and embarassed in company. Adolescents who take up smoking rapidly learn to attribute their growing ability to control their moods to their smoking. A cigarette covers embarrassment, lifts depression, restores youthful cool. What the smoking adolescent never has the chance to learn is that, like his non-smoking friends, he would have acquired that knack of affect control anyway. It is called growing up and nearly everyone does it, with or without the help of cigarettes. But he passes into adulthood firm in the belief that his ability to top and tail the range of his emotional responses depends on a daily intake of nicotine. Smoking is a learned experience" (Marsh zitiert nach Peele/Brodsky, 1992: 102). ^"^ So bemerken Riemann und v. Troschke (1987:53): "Bewusste Motivation und Habitualisierung iiberlagem sich, so dass eindeutige Motivationsschwerpunkte schwer zu identifizieren sind." ^^ Vgl. Revenstorf/Henrich/Brengelmann 1987:95. ^^ Pohlisch (1954) beschreibt die Komplexitat des Rauchaktes wie folgt: "Die Tatigkeit des Rauchens gestaltet sich zu einem iiberaus reichen und wechselvollen Zusammenspiel von Zweck- und Ausdrucksbewegungen ... Bereits motorisch (Hervorh. i.O.), also nicht allein nikotinbedingt, lost das Rauchen schlagartig psychomotorische Spannungszustande; es lenkt Erregungen in eine beruhigende Motorik ab. Die nervos unruhige Hand betatigt sich rauchend zweckvoll ... Rauchen verschafft Beschaftigung in der MuBe und MuBe in der Beschaftigung ... Motorisch, pharmakologisch und sinnespsychologisch schafft Rauchen lustvolle Stimmungslage, Zustandsgefuhle recht verschiedener Tonung, behagliche Anregung zu geistiger Arbeit, angenehm empfundene Beruhigung, zufriedene Wunschlosigkeit, gemiitliche Geselligkeit" (zitiert nach Schivelbusch 1990: 115ff).
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alternative Verhaltensweisen in Bezug auf diese Motive oder Funktionen entwickeln. Im Folgenden mochte ich nun exemplarisch kurz^^ auf sechs Motiv- und Funktionskomplexe des Rauchens eingehen (s. hierzu auch ausflihrlich Hess et al. 2004:82ff; vgl. etwa v. Troschke 2000; Schivelbusch 1990; Sandgruber 1986; Franzkowiak 1986): a.
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Selbstdarstellung: Rauchen bietet als Handeln im sozialen Kontext vielfaltige Moglichkeiten der Selbstdarstellung, insbesondere auch durch die damit verbundenen sozialen Rituale: Welche Marke geraucht wird, wie die Zigarette gehalten und zum Mund gefuhrt wird, wie der Rauch ausgeblasen oder ausgestoBen wird - mit all dem kann der Raucher eine Vorstellung seiner Selbst, ein Image oder auch nur eine bestimmte Stimmungslage prasentieren. Wir haben gelemt, Zigarettenmarken und Gesten entsprechend zu deuten und einzuordnen. Soziale Anerkennung: Zwar weicht allgemein die soziale Anerkennung des Rauchens einer immer starker werdenden sozialen Ablehnung und Ausgrenzung, doch gleichwohl kann dies den sozialen Zusammenhalt unter den Raucherlnnen festigen. Das Rauchen in Gemeinschaft hat etwas Verbindendes, man teilt eine Leidenschaft, eine sinnliche Erfahrung und die damit verbundenen Rituale. Rauchen als Kommunikationsmitteh Durch das Anbieten einer Zigarette oder der Frage nach Feuer tritt man in Kontakt und vollzieht sowohl eine verbale wie auch eine nonverbale Kommunikation. Rauchen kann den Wunsch nach Nahe oder Zugehorigkeit wie auch nach Distanz signalisieren. Zeitstrukturierung: Zeit- und Handlungsablaufe konnen durch das Rauchen einer Zigarette strukturiert werden, man schafft sich Pausen oder iiberbriickt Wartezeiten. Die sprichwortliche Zigarettenlange ist zu einer Art modemen Zeiteinheit geworden. Belastungsbewdltigung bzw. emotionale Stabilisierung: Rauchen als Reaktion auf Stress, psychosoziale Spannungen und negativ empfundene Emotionen wird als Hilfe zur Bewaltigung dieser Belastungen verstanden. Dabei geht es meist weniger um eine Kompensation negativer Stimmungen, sondem eher um ihre Kontrolle "durch eine gezielte Stabilisierung des eigenen emotionalen Zustandes" (Laffert 1998:104). Genuss: Das Inhalieren des Rauches in einem Moment der Ruhe und Entspannung, die bewusste geschmackliche Wahmehmung des Tabakaromas,
'''' In der Analyse der Interviews im Teil II. meiner Arbeit werden wir noch auf weitere individuelle Motivlagen und Funktionskomplexe des Rauchens sowie auf die Bedeutungen, die dem Rauchen in diesem Kontext gegeben werden, zu sprechen kommen.
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der Abschluss eines guten Essens mit einer Zigarette, die Belohnung nach einer erledigten Aufgabe - also das bewusste, sinnliche Rauchen einer Zigarette in einer entspannten Sittiation wird von vielen Rauchem als Genuss empfunden. Den Tabakkonsum auf eine suchtbedingte Auftiahme von Nikotin zu reduzieren, heifit, das Rauchen als ein soziales und als ein fur das Individuum sinnstiftendes und funktionales Handeln zu negieren und den Rauchenden die (mogliche) Kontrolle iiber ihr Verhalten abzusprechen. Gleichwohl gibt es eine nicht geringe Anzahl von Forschungsarbeiten, die sich mit dem kontroUierten Tabakkonsum auf spezifische Weise auseinandergesetzt haben, wie ich nachfolgend aufzeigen mochte.
3.2. Forschungsstand zum KontroUierten Rauchen Die mir vorliegenden Studien, die sich mit kontroUiertem Zigarettenkonsum oder "low-rate" Konsummustem im Tabakbereich beschaftigen und die m.E. in unserem Kontext von Interesse sind, konnen hinsichtlich ihrer thematischen Ausrichtung zu zwei Schwerpunkten zusammengefasst werden: Zum einen wurden Wenigraucher mit einem maximalen Konsum von bis zu 5 Zigaretten pro Tag - in der englischsprachigen Literatur als "Tobacco Chippers" bezeichnet - mit starken Rauchem unter verschiedenen Aspekten verglichen, um mogliche Unterschiede zwischen diesen Rauchergruppen beispielsweise im Rauchverhalten, in der Rauchtopographie oder in Stof^echselprozessen zu erheben. Bei diesen Studien stand die "fehlende Sucht" der Chippers trotz regelmafiiger Aufhahme des "suchterzeugenden Nikotins" im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Zum anderen untersuchen viele therapeutisch orientierte Raucherstudien verschiedene Interventionsansatze und Methoden der Raucherentwohnung sowie teilweise auch die kognitiven und psychologischen Bedingungen, die eine Verhaltensanderung begiinstigen oder blockieren. In diesem weiten Feld sind in den letzten 20 Jahren eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten erschienen, die sich auch dem kontroUierten oder reduzierten Rauchen widmeten. Beide Forschungsrichtungen arbeiten zumeist mit quantitativen Methoden der Sozialforschung und/oder pharmakologischen Messmethoden und sind in ihrer Ausrichtung ausschlieBlich problemorientiert. Die mir als wichtig erscheinenden Ergebnisse aus diesen Untersuchungen habe ich im Folgenden in den Kapiteln 3.2.1. (Tobacco Chippers') und 3.2.3. ('Studien zum kontroUierten und reduzierten Rauchen') zusammengefasst. Zudem skizziere ich in Kapitel 3.2.2 zunachst die 'Theoretischen Hintergninde zum Konzept des Kontrollierten Rauchens' und schlieBe meine Ausfuh-
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rungen zum Forschungsstand mit einer kurzen Darstellung des 'KontroUierten Rauchens als therapeutisches Programm' in Kapitel 3.2.4. Ich will zuvor aber zumindest noch erwahnen, dass mir bei der Sichtung der vorhandenen Forschungsliteratur - sowohl zum Thema "KontroUiertes Rauchen" im Besonderen als auch beziiglich des Themenfeldes "Rauchen" im AUgemeinen - ein eklatanter Mangel an qualitativ orientierten, sozialwissenschafllichen Studien^^ aufgefallen ist. Dies ist umso erstaunlicher da sich erstens qualitativ orientierte Forschungsarbeiten zum Konsum illegalisierter Drogen langst als Quell wichtiger Erkenntnisse in Bezug auf das Drogengebrauchsverhalten - und dies speziell hinsichtlich kontrollierter Konsummuster^^ - bewahrt haben und zweitens in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion unter den Stichwortem "Mixed Methodologies" bzw. "Triangulation" zunehmend Konzepte iiberlegt werden, die eine pragmatische Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden anstreben (vgl. Mayring 2003:8).
3.2.1. Tobacco Chippers In der Tabak-, Nikotin- und Raucherforschung gibt es seit einigen Jahren Untersuchungen, die sich mit kontroUiert bzw. "wenig" rauchenden Konsumenten, den "tobacco chippers" befassen. Bezugnehmend auf die von Harding et al. (1980) durchgefuhrten Studien zum kontrollierten Heroinkonsum iibemehmen Shiffman et al. (1990) die Vorstellung des selbstgesteuerten Konsums auch in Bezug auf den Tabakgebrauch. Dabei gehen sie - durchaus von der gangigen These einer Nikotinsucht iiberzeugt - davon aus, dass das "Suchtpotential" des Tabaks dem des Heroins vergleichbar sei. In mehreren - meist schwerpunktmaBig pharmakologisch ausgerichteten - Studien (vgl. z.B. Shiffman et al. 1990; 1995; Kassel et al. 1994) wurden "tobacco chippers" (defmiert als Rancher, die regelmafiig hochstens 5 Zigaretten taglich an mindestens 4 Tagen in der Woche rauchen) unter verschiedenen Aspekten und Fragestellungen untersucht und mit als "abhangig" definierten Rauchem (mit einem Konsum von 20 bis 40 Zigaretten am
^^ Hervorzuheben bleiben mir hier lediglich zwei qualitativ ausgerichtete Interviewstudien von Maschewsky-Schneider (1984) und von Koppenhofer (2000), welche die Thematik des Rauchens bei Frauen naher untersucht haben. ^^ Grundlegende Arbeiten hinsichtlich kontrollierter Gebrauchsmuster gerade auch bei Heroinkonsumenten stammen von Powell (1973), vor allem aber von Zinberg (1983; 1984), Zinberg et al. (1978), Harding et al. (1980), Harding (1982, 1984, 1988) sowie Peele/Brodsky (1992). Weiterhin konnen in diesem Zusammenhang des kontrollierten Konsums illegalisierter Drogen als qualitative Studien genannt werden: Weber/Schneider (1992), Kolte (1996), Decorte (2000), Strieder (2001).
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Tag) verglichen. Aus diesen Untersuchungen lassen sich zur Charakteristik der Chippers folgende Ergebnisse zusammenfassen: 1.
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Anders als die von Harding et al. (1980) untersuchten Heroin-chippers greifen tobacco chippers nicht nur in Gemeinschaft zur Droge, sondem neigen auch - ebenso wie die als "abhangig" definierten Rancher - dazu, alleine zu rauchen (Shiffinan et al. 1990). Sie werden zudem durch die Anwesenheit anderer Rancher in ihrem Rauchverhalten nicht wesentlich beeinflusst (Shiffinan etal. 1989). Chippers rauchen regelmaBig, sind aber auch regelmaBig uber Stunden und selbst iiber Tage ohne Entzugserscheinungen abstinent. Des Weiteren unterscheiden sie sich insbesondere darin von starkeren Rauchem, dass sie seltener innerhalb der ersten 30 Minuten nach dem Aufstehen, sondem meist erst nach einigen Stunden ihre erste Zigarette des Tages konsumieren (Shiffinan et al. 1990, Kassel et al. 1994). Dies bestatigt auch eine reprasentative Bevolkerungsbefragung in Siidaustralien, die dariiber hinaus noch weitere signifikante Unterschiede zu starkeren Rauchem fand: "The significant independent predictors of being a low-rate smoker, compared to smoking at a higher daily rate, were perceiving quitting as not very difficult, smoking the first cigarette of the day more than 30 min after waking, bying packets of 30 or less cigarettes, and having not been advised by a doctor to quit" (Owen et al. 1995: 80). Auch wenn sich Chippers regelmaBig Nikotin zufuhren und die gleiche Menge Nikotin aus einer einzelnen Zigarette absorbieren wie Viel-Raucher (Shiffinan et al. 1990), versuchen sie entgegen der These der NikotinTitration^^ nicht, einen bestimmten Blut-Nikotin-Level aufi*echtzuerhalten bzw. zu regulieren. Chippers scheinen, so Shiffman, von dem biochemischen Prozess des Nikotinabbaus in keiner Weise beeinflusst zu werden: "They show no sign of compensating for their low rate of smoking to
^^ Die Aufrechterhaltung eines bestimmten Nikotinspiegels im Blut wird in der Rauch- bzw. Nikotinforschung haufig als Erklarung ftir die durchschnittlich von den meisten Rauchem konsumierten 1520 Zigaretten pro Tag herangezogen. Die These der "Nikotin-Titration" oder "NikotinKompensation" besagt also, dass Rancher stets darum bemiiht seien, ihren Nikotinspiegel zu regulieren und ein gewisses - ihrer Gewohnung entsprechendes - Mafi an Nikotin im Blut aufrechtzuerhalten. Frenk/Dar konstatieren hierzu allerdings: "(...) neither 'nicotine compensation' nor 'nicotine titration' are sustained by empirical evidence; hence neither has any bearing on the nicotine addiction hypothesis. Both terms reflect a pervasive bias in the smoking literature, which attributes an unwarrent role to nicotine in determing smoking. Paradoxically, a review of the evidence suggests that the main role nicotine has in determing smoking may be in imposing a ceiling on the extent or intensity of smoking. This effect is due not to the purported addictive properties of nicotine, but rather to its toxic effects." (Frenk/Dar 2000: 171)
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maintain higher levels of nicotine in the bloodstream. These findings underscore the unusual character of chippers' smoking: they are regulary exposed to nicotine but do not attempt to maintain minimal blood nicotine levels like those of other smokers" (Shiffman et al. 1990: 335). Die Vermutungen, dass der Nikotinabbau bei den Chippers verzogert sei oder der Nikotin-Level im Vergleich zu Viel-Rauchem langer im Blut aufrechterhalten werden konne, wurden widerlegt: "Their rates of nicotine elimination equaled those of regular smokers. This finding, when coupled with other data about chippers' smoking patterns and nicotine absorption, establish that chippers cannot maintain substantial plasma nicotine levels between cigarettes, and thus suggest that attempts to maintain minimal trogh levels of nicotine do not underUe chippers' smoking." (Shiffman et al., 1992: 449). Auch in ihrer "Rauch-Topographie" unterscheiden sich Chippers nicht wesentlich von Viel-Rauchem: Brauer et al. (1996: 233-238) konnten nachweisen, dass zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Intensitat des Inhalierens, der Anzahl der inhalierten Ziige pro Zigarette, der Dauer eines Zuges, der Zeitintervalle zwischen den Ziigen und der Dauer einer gerauchten Zigarette bestehen. Mit Bezug auf vorhergehende Studien konstatieren Shiffman et al. (1990, 1992), dass das Rauchen der Chippers weder durch eine Abhangigkeit noch durch das Vermeiden von Entzugserscheinungen motiviert werde (s.o.). In diesem Sinne sei es moglich, so Shiffinan (1992: 455), dass das Nikotin iiberhaupt keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle spiele. Deshalb suchte man nun nach anderen Griinden, um die "fehlende Abhangigkeit" zu erklaren: Vermutet wurden etwa eine grofiere Stresskompetenz der Chippers (Kassel et al. 1994), angemessenere Stress-Coping-Strategien oder groBere soziale Unterstutzung (Shiffman 1989) sowie familiare (Shiffinan 1989, Gnys und Shiffman 1991), insbesondere aber auch psychologische (Kassel et al. 1994), biologische oder genetische (Fisher 1958, Hughes 1986, Shiffman et al. 1990) Faktoren, die vor der Entwicklung einer Abhangigkeit schiitzen konnten. Solche und ahnliche Thesen konnten allerdings bisher empirisch nicht verifiziert werden, weshalb in den angesprochenen Studien auch immer wieder betont wird, dass weiterfuhrende, gerade auch den alltaglichen sozialen Kontext der Rancher einbeziehende Studien gebraucht wurden, um das Phanomen der "fehlenden Sucht" zu klaren: "Chippers' apparent ability to self-administer nicotine regulary without developing dependence challenges the simple notion that addiction is an inevitable consequence of repeated exposure to an 'addictive' drug. Perhaps even regular, longterm exposure is insufficient to produce dependence if it is kept below a certain threshold. Perhaps individual differences play a role in vulnerability
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to dependence. (...) Studying chippers may elucidate individual differences in responses to psychoactive drugs and perhaps help clarify the nature of addiction itself (Shiffinan et al. 1990, 47:336). Als Ergebnis der angesprochenen Studien kann also zunachst zweierlei festgehalten werden, erstens, dass das Konsummuster des Wenig- bzw. des kontrollierten Rauchens existiert, und zweitens, dass Viel-Raucher und Wenig-Raucher - jenseits der Quantitat der gerauchten Zigaretten - keine wesentlichen Unterschiede aufweisen, weder in biologischer Hinsicht (Nikotinabbau) noch in der Art, ihre Zigaretten zu rauchen (Ziige pro Zigarette, Dauer der Ziige und der Intervalle zwischen den Ziigen, Intensitat des Inhalierens etc.). Die einzig wirklich auffalligen Unterschiede scheinen die aus der Studie von Owen (1995:80) zu sein: "The significant independent predictors of being a low-rate smoker, compared to smoking at a higher daily rate, were perceiving quitting as not very difficult, smoking the first cigarette of the day more than 30 min after waking, bying packets of 30 or less cigarettes, and having not been advised by a doctor to quit". Man kann dieses Ergebnis so interpretieren, dass diese Personen zum einen ein vergleichsweise unproblematisches Verhaltnis zu ihrer Droge haben (kein Arzt hat ihnen das Aufhoren nahegelegt). Zum anderen sind sie aber vor allem der Uberzeugung, dass es keiner sonderlichen Anstrengungen bedarf, auf das Rauchen zu verzichten bzw. es in gewissen Grenzen zu halten. Diesen Zusammenhang betonen auch Frenk/Dar (2000: 5): "Several studies demonstrated that the more smokers believe that they are addicted, the more difficult they perceive quitting be (...) and the less confident they are about their own chances of quitting (...) Moreover, the belief that smoking is an addiction seems to be a selffulfilling prophecy, as it is associated with shorter duration of cessation attempts and higher relapse rates (...) It seems that smokers' belief that they are addicted leads to an external attribution of control over smoking and undermines their sense of self-efficacy." Bandura (1997) betrachtet diese subjektiven Erwartungen hinsichtlich eigener Selbstwirksamkeit (self-efficacy), also die personliche Einschatzung, wie effektiv man Aufgaben erftillen oder auf Herausforderungen reagieren kann, als wesentlichen motivationalen Faktor flir menschliche Handlungen: "Efficacy belief, therefore, is a major basis of action. People guide their lives by their beliefs of personal efficacy. Perceived self-efficacy refers to beliefs in one's capabilities to organize and execute the courses of action required to produce given attainments." (Bandura 1997:3) Die groBe Bedeutung dieser so genannten "self-efficacy expectations" ist auch hinsichtlich der Veranderung des
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Rauchverhaltens in versehiedenen Untersuchungen (Eiser et al. 1986; DiClemente et al. 1985; CoUetti et al. 1985; Condiotte/Lichtenstein 1981) bestatigt worden.
3.2.2. Theoretische Hintergriinde zum Konzept des KontroUierten Rauchens Die Bedeutung des Zusammenhanges zwischen Erwartungen und Verhalten bzw. zwischen Kompetenzerwartungen und Konsumverhalten oder -mustem wird in den Gesundheitswissenschaften u.a. im Rahmen der so genannten Selbstwirksamkeitstheorie (self-efficacy theory) thematisiert (vgl. etwa Bandura 1997; Schwarzer 1996). Hierbei wird den so genannten Selbstwirksamkeits- oder auch Kompetenzerwartungen eine zentrale RoUe zugeschrieben: Diese beziehen sich auf die subjektive Verfugbarkeit von Bewaltigungshandlungen, also darauf, ob jemand glaubt, mit wahrgenommenen Anforderungen fertig werden zu konnen. Insbesondere mit Blick auf die Entwohnung von Abhangigkeiten und speziell auch hinsichtlich der Raucherentwohnung hat sich die Bedeutung verhaltensspezifischer Kompetenzerwartungen empirisch wiederholt gezeigt.^^ Diese Ergebnisse sind vor allem deshalb interessant, weil - wie bereits angesprochen - immer wieder die geringen Erfolgsquoten von Raucherentwohnungsprogrammen beklagt werden. Denn wenn Selbstwirksamkeits- bzw. Kompetenzerwartungen im Rahmen der Raucherentwohnung von erheblicher Bedeutung sind, dann stellt sich hier die Frage, welche RoUe das Konzept der (Nikotin)Sucht im Kontext der Selbstwirksamkeitserwartungen von Rauchem spielt. Meine These (vgl. Hess u.a. 2004, Kolte/Schmidt-Semisch 2002, 2003) hierzu ist: Die medizinische und immer starker auch massenmedial geftihrte Rede von der Nikotinsucht - also der Suchtdiskurs - schwacht die Kompetenzerwartung der Rauchenden bereits im Vorfeld jedes Entwohnungs- oder Reduzierungsversuches und begiinstigt das fatalistische Selbstkonzept: "Das schaffe ich nie!" Diese Annahme, die ja in der grundlegenden Fragestellung dieser Studie impliziert ist, wird auch in der folgenden Auswertung der Interviews empirisch geprtift werden. Indizien fur die Richtigkeit dieser These fmden sich zunachst im Bereich illegaler Drogen: Ahnlich den nachgewiesenen Placeboeffekten in der Medizin, gibt es auch in der Drogenforschung etliche Belege daftir, dass die Wirkungen von Drogen maBgeblich davon bestimmt werden, was der Konsument liber diese Wirkungen gelemt hat und dementsprechend von ihnen erwartet. Aber solche Zusammenhange gelten nicht nur fiir den Bereich der Drogenwirkung, sondem ^^ Vgl. Schwarzer 1996: 37ff.; Godding/Glasgow 1985; Colletti et al. 1985; Condiotte/Lichtenstein 1981.
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auch fiir die Kognitionen hinsichtlich einer etwaigen Substanzabhangigkeit bzw. Sucht. So ist z.B. der behauptete, nahezu zwangslaufige biologische Zusammenhang zwischen der regelmafiigen Einnahme etwa von Heroin, einer darauf bezogenen korperlichen Abhangigkeit und entsprechenden Entzugssymptomen durch verschiedene Forschungsergebnisse erschiittert worden: Neben einem durchaus verbreiteten so genannten kontrollierten Konsum^^ und verschiedenen Formen des maturing out (vgl. z.B. Schmidt 1996; Weber/Schneider 1992) sowie des Uberwechselns von abhangigen zu kontrollierten Gebrauchsmustem (etwa Schippers/Cramer 2002) kann insbesondere auch auf eine wissensabhangige Morphologic der Entzugssymptomatik ("the social side of addiction")^^ verwiesen werden. Ahnliches wird jungst auch aus dem Alkoholbereich berichtet: Ging man bislang - wie etwa auch die Anonymen Alkoholiker^"* - davon aus, dass ein abstinenter ("trockener") Alkoholiker beim ersten Schluck Alkohol wieder mit dem zwanghaften Trinken beganne, so wird diese Sicht der Alkoholsucht seit einiger Zeit durch Forschungen zum "kontrollierten Trinken" relativiert. Aus diesen Forschungen geht hervor, dass zahlreiche Alkoholiker durchaus in der Lage sind, ein kontroUiertes, mafiiges Konsummuster zu erlemen.^^ Wendet man das Kontrollierte Trinken als "alternatives Therapiekonzept fur die Behandlung von Problemtrinkem" (Arend 1991) an, so ist der Erfolg solcher Versuche im wesentlichen in drei Merkmalskomplexen zu suchen: in den "Bedingungen des Konsumenten (z.B. Abhangigkeitsschwere, Zutrauen in die eigene Fahigkeit des kontrollierten Trinkens), des Behandlungsprogramms (Vermittlung von Kompetenzen des kontrollierten Trinkens in ausreichender Form) und des Lebensumfelds (Unterstutzung durch den Partner, Arbeitstatigkeit usw.)" (Korkel 2000: 173). Es wird deutlich, dass es in alien drei Komplexen immer auch darum geht, dass das ^^ Vgl. Schippers/Cramer 2002; Strieder 2001; Zinberg 1978, 1979; zur deutschen Situation: Kemmesies 2000; Weber/Schneider 1992:22ff. und 507ff.; Gerlach 1992. ^^ "Zinberg explored this social side of addiction more deeply when he found that withdrawal patterns themselves are markedly influenced by social considerations. For example, Zinberg und Robertson (...) report that addicts in Daytop Village, a treatment center in New York, do not manifest significant withdrawal symptoms because they are not excused from work duties when they do manifest symptoms. Many of the same patients had undergone extreme withdrawal in prison, where such behavior was expected and, in a way, endorsed. Zinberg (1971) also found that withdrawal patterns amoung soldiers in Vietnam varied from unit to unit, although they were consistent within a given unit. In other words, the men learned how to enact withdrawal as a part of a social learning process. The idea may thus occur that those addicts who do evidence elaborate displays of withdrawal have themselves learned to do so from television and movie depictions!" (Peele 1977:112f; vgl. weiterfuhrend vor allem auch Peele 1998: 63ff.; 1977: 11 Iff.). ^ Vgl. http://www.anonyme-alkoholiker.de ^^ Fiir einen Forschungstiberblick vgl. etwa Korkel 2002; Rosenberg 1993; Sobell & Sobell 1993.
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kontrollierte Trinken iiberhaupt flir moglich gehalten wird, d.h. es wird erst moglich, wenn es auch im Bewusstsein der Betreffenden als Moglichkeit existiert wenn es also Teil ihrer Selbstwirksamkeits- bzw. Kompetenzerwartungen geworden ist. Orford/Keddie (1986) haben diesen Zusammenhang als "persuasion hypothesis" bezeichnet und ebenso wie Kavanagh/Sitharthan/Sayer (1996) auch empirisch belegen konnen - sie besagt, dass ein Alkoholiker sich umso wahrscheinlicher das kontrollierte Trinken aneignet, je uberzeugter er davon ist, dies auch zu konnen. Vor diesem Hintergrund und in Abgrenzung zum pharmakologischorientierten Konzept einer Tabak- oder Nikotinabhangigkeit, geht die Idee des KontroUierten Rauchens davon aus, dass es sich beim Rauchen um erlemtes Verhalten handelt, welches nicht nur von personlichen und individuellen, sondem zugleich von sozialen und kulturellen Aspekten und Bedingungen gepragt und beeinflusst wird. In der sozial-kognitiven Theorie, auf die sich das SelbstkontroUmodell bezieht, spricht man in diesem Zusammenhang von erworbenen Gewohnheitsmustem: "Das Verhalten", so etwa Schwarzer (1996: 96), "wird haufig in solchen Situationen erzeugt und verstarkt, die als stressreich erlebt werden. Es wird z.B. geraucht, um sich zu beruhigen, getrunken, um Hemmungen zu uberwinden, oder gegessen, um Langeweile zu bekampfen. Das fragliche Verhalten fuhrt unmittelbar zu einem angenehmen Zustand und habitualisiert sich leicht, was einer Verhaltensbekraftigung im Sinne des operanten Konditionierens gleichkommt." Auf das Rauchen trifft dies moglicherweise in erhohtem MaBe zu, weil es so einfach in alltagliche Zeit- und Handlungsablaufe integriert werden kann. Es gehort praktisch unhinterfragt zu bestimmten Situationen, Tatigkeiten und Stimmungen dazu, steht aber zugleich nicht im Mittelpunkt der Situationen. Das Rauchen wird vielmehr zur (wichtigsten) Nebensache im Alltagshandeln der Rauchenden: die Zigarette beim Telefonieren und Autofahren, beim Lesen und vor dem Computer, beim Nachdenken und Diskutieren, in der Pause, beim Kaffee, vor dem Femseher und so weiter. Das Rauchen bzw. die (oftmals kaum noch bewusste) positive Konsequenzerwartung (z.B. Entspannung, Beruhigung, Anregung) hinsichtlich des Rauchens ist damit in einem hohen Grade konditioniert (vgl. Schwarzer 1996: 108), da sie an eine Vielzahl von Situationen bzw. auslosenden Bedingungen gekoppelt ist. Der Rauchvorgang selbst wird zu einem automatisierten Verhalten, das kaum noch reflektiert wird. Gleichwohl aber bleibt das Verhalten ein erlemtes und das bedeutet, dass sowohl das Rauchverhalten (Menge der gerauchten Zigaretten, Art und Weise des Rauchens etc.) als auch die kognitiven Einstellungen zum Rauchen modifizierbar sind, denn gelemtes Verhalten - so der zentrale Grundsatz der Verhaltenstherapie - kann auch wieder verlemt (bzw. verandert) werden. Ein Ziel die-
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ses individuell gesteuerten Lemprozesses konnte dementsprechend auch das reduzierte bzw. das so genannte Kontrollierte Rauchen sein.
3.2.3. Studien zum kontroUierten oder reduzierten Rauchen Der Begriff des KontroUierten Rauchens stammt urspriinglich von Frederiksen, der in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ein spezielles Programm entwickelte, das sich an Rancher richtete, die nicht mit dem Rauchen aufhoren woUten oder konnten. Hier wurde die Zigarettenreduktion als eine Moglichkeit angesehen, das Gesundheitsrisiko der an abstinenzorientierten Interventionen nicht interessierten Rancher zu verringem (s. Frederiksen 1979). Fiir die folgende Zeit, so Drinkmann (2002:82), "ist eine Begriffsaufweichung und -diffusion festzustellen, die zu einer entsprechenden Konfusion in der wissenschaftlichen Diskussion gefuhrt hat. Neben kontrolHertem (controlled, attenuated smoking) ist auch von reduziertem Rauchen (reduced smoking), von der Reduktionsmethode (reduction method, cigarette fading), von schrittweiser Reduktion (stepwise reduction), von Schadensbegrenzung (harm reduction) etc. die Rede". Entsprechend gibt es eine recht ansehnliche Zahl von Forschungsarbeiten, die unter verschiedenen Fragestellungen und mittels verschiedener Methoden das kontrollierte oder reduzierte Rauchen untersuchen bzw. es zumindest in ihrer Untersuchungsanordnung berlicksichtigen. In ihrer kommentierten Bibliographic "Controlled or Reduced Smoking" fassen Rogers und Baldwin (1999) 155 Studien, die Anfang der 60er bis Ende der 90er Jahre publiziert wurden, aus dem englischen Sprachraum zusammen. Auch Studien, die in ihrer Ausrichtung auf eine Beendigung des Rauchens setzen, also in ihrem Ansatz abstinenzorientiert sind, nahmen sie in ihre Bibliographic auf, sofem eine Konsumreduktion fiir Teilnehmer, die eine Abstinenz nicht erreichten, erhoben und ggf in spateren Nachbefragungen kontrolliert wurde. Nach Sichtung der Forschungsliteratur kommen sie zu folgendem Resiimee: "Overall, it becomes clear through careful analysis that the literature on controlled or reduced smoking is plagued with methodological flaws. In addition, the mayority of the literature on controlled or reduced smoking appears to have the aims and objectives of smoking cessation research. There is clear evidence in the literature that there is a population of smokers who are regular, but very light smokers. There is also evidence from several authors that smokers attempting to reduce or quit smoking reach 'stuck points' before cessation, and can maintain regular, light smoking without relapse. A large number of studies investigating a broad array of different treatments have been presented. Overall, considering outcome and methodology, few treatments have produced the results required to facilitate major development of
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reduced or controlled smoking programs to cater for the needs of smokers who cannot or do not want to quit smoking completely. Well planned and executed research is required to extend the research in controlled or reduced smoking to advance the services for smokers who whish to achieve sustained reductions" (Rogers/Baldwin 1999:127). Dieser wissenschaftskritische Tenor korrespondiert auffallig mit den Schlussfolgerungen, die Frenk/Dar (2000) aus ihrer Studie gezogen haben. Gleichwohl gibt es immer wieder deutliche Hinweise und Untersuchungsergebnisse, die das bestatigen, v^as schon Paracelsus (1493-1541) allgemein in seiner Lehre^^ mit "dosis facit venenum" zusammenfasste, dass namlich das Risiko gesundheitlicher Erkrankungen abhangig ist von der Menge der zugefiihrten Substanzen, hier also der Menge der taglich gerauchten Zigaretten. So betonen auch Baldv^in und Rogers ausdrucklich, dass "Kontrolliertes Rauchen" als schadensminimierende Strategie Anerkennung verdiene: "A reduction in the intake of carbon monoxide and tar can be achieved, hov^ever, by controlled smoking techniques. Such reductions have been found to have a modest affect in decreasing lung cancer risks (lit.) and thus controlled smoking can be considered a harm-reduction strategy" (Baldw^in/Rogers 1996a:69). Ebenso fand die Schweizer Riickversicherung (Sv^iss Re) in ihrer "Leben-Tarifierungsstudie 2000", bei der in einem Beobachtungszeitraum von 40 Jahren (1956 bis 1996) ca. 200.000 Versicherungspolicen analysiert v^urden, nicht nur heraus, dass Rancher doppelt so haufig an Tumoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen starben wiQ Nichtraucher, sondem auch, dass das Risiko signifikant abhangig v^ar von der Anzahl der taglich konsumierten Zigaretten.^^ Und schlieBlich defmiert man auch im Drogen- und Suchtbericht 2004 einen "riskanten Tabakkonsum als einen Konsum von sechs oder mehr Zigaretten pro Tag" (2004:60).
3.2.4. Kontrolliertes Rauchen als therapeutisches Programm Im deutschen Sprachraum markierte das ebenfalls in den 70er Jahren von Brengelmann entv^ickelte und von der BZgA (1983) herausgegebene Programm "Nichtraucher in 10 Wochen"^^ eine Wende hin zu einer lempsychologisch orientierten Rauchertherapie, die nicht mehr ausschlieBlich abstinenzorientiert war, ^^ "All Ding ist Gift und kein Ding ist ohne Gift. AUein die Menge macht ein Ding zum Gift." ^^ Vgl. Konturen 6-2004:7; vgl. hierzu auch die unterschiedlichen Mortalitatsraten nach Hohe des Konsums bei Hess 1987:74ff. ^^ Dabei handelt es sich um das Vorlauferprogramm des heutigen von der BZgA und dem IFT (1997) herausgegebenen und nun wieder rein abstinenzorientierten Programms "Rauchfrei in 10 Schritten".
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sondem auch eine Konsumreduktion als Ziel akzeptierte und auf Selbstkontrolle setzte. Schon damals integrierte man bestimmte SelbstkontroUtechniken wie Self-Monitoring, Selbstkontrollplane und das Kontraktmanagement in das Programm.^^ Die Ergebnisse von Interventionsstudien, welche die Wirksamkeit dieser Methode prufen soUten, referiert Drinkmann (2002: 83) folgendermafien: "Im Schnitt reduzierten die Klienten im Laufe der Therapie von 31,9 auf 7,0 Zigaretten, mit ansehnlicher Stabilitat zur 1-Jahres Katamnese (11,5). Ein nicht unerheblicher Tell erlangte Abstinenz (45% zu Therapieende, 39% nach 1 Jahr)".^^ Auch Baldwin/Rogers (1996b: 145) zitieren Forschungsresultate aus Studien zum reduzierten Rauchen, die sowohl die Erreichbarkeit eines langandauemden kontroUierten Zigarettenkonsums, als auch eine vergleichbare Abstinenzrate wie abstinenzorientierte Programme bestatigen. Gleichwohl kritisieren sie, dass sich nur wenige Arbeiten mit den verschiedenen Bedingungen oder Variabeln (wie z.B. den Selbstwirksamkeitserwartungen), die fur eine erfolgreiche Reduzierung und Aufrechterhaltung des kontrollierten Rauchens von Bedeutung sein konnten, naher beschaftigen: "Outcomes from other research studies have confirmed that long-term controlled smoking is potentially an attainable goal; smoking reduction programmes have produced abstinence rates comparable to cessation-oriented programmes (lit.). However, few studies have been focused on variables that mediate successful reduction/maintenance of controlled smoking. Golding and Glasgow (1985) reported that self-efficacy ratings were related to smoking behaviour 6 months post-treatment." Als Ergebnis lasst sich also zunachst festhalten, dass a) eine Veranderung des Rauchverhaltens, eine Reduzierung und KontroUe des taglichen Zigarettenkonsums auch fiir „gestandene" Raucher moglich ist, und b) dass ein Angebot zum kontrollierten Rauchen fur viele veranderungswillige Raucher auch einen Einstieg in den Ausstieg bedeuten kann. Die skizzierten theoretischen Uberlegungen sowie empirischen Ergebnisse sind sowohl ftir Kolte/Schmidt-Semisch (2002; 2004; 2005) als auch fur Drinkmann (2002) der Anlass, die in Vergessenheit geratenen Interventionsmethoden ^^ Als Beispiele ftir diese Methoden konnen angeflihrt werden, dass die Teilnehmer bis zu einem Nachkontrolltermin ein Jahr spater taglich ihren Zigarettenkonsum protokollieren mussten, oder auch, dass sie sich verpflichteten, pro Sitzung jeweils 3-5 neue Regeln aus einer Liste mit 37 Selbstkontrollstrategien auszuprobieren etc. (ausfuhrlicher Brengelmann/Sedlmayr 1976; Brengelmann 1984). ^° Bei diesen Zahlen sollte allerdings bedacht werden, dass sich auch die hohe Abstinenzquote in den Zahlen des durchschnittlichen Zigarettenkonsums niederschlagt.
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zum kontrollierten Rauchen wieder zu beleben. Im Anschluss an Drinkmann (2002:82f.) kann man hier kontroUiertes Rauchen folgendermaBen definieren: "Von 'kontroUiertem Rauchen' ist dann zu sprechen, wenn eine Person Verzicht leistet, indem sie ihren Tabakkonsum an einem zuvor festgelegten Plan oder einer Regel ausrichtet. Die Selbstkontrolle kommt darin zum Ausdruck, dass im Konflikt zwischen zwei als attraktiv angesehenen Konsequenzen (kurzfristig Genuss vs. langfristig Gesundheit) die positiver bewertete, aber erst spater eintretende Ahemative gewahlt und das Verhalten danach ausgerichtet wird." Die Regeln konnen sich dabei auf die Begrenzung der konsumierten Menge pro Zeiteinheit, aber auch auf bestimmte Orte, Situationen oder anwesende Personen beziehen, sie konnen eine langfristige Absenkung des Konsumniveaus oder begrenzte abstinente Phasen betreffen. Wie auch immer die Regeln oder Plane aussehen, wichtige Voraussetzung des vorgestellten Konzeptes ist, dass der Betreffende seine Regeln und Plane souveran und selbst bestimmt, also als Experte seines eigenen Rauchverhaltens und seiner Verhaltensveranderung angesprochen wird. Ein weiteres charakteristisches Merkmal ist daher auch die Zieloffenheit des Angebots, d.h. die Teilnehmer werden nicht auf eine bestimmte zu reduzierende Anzahl von Zigaretten verpflichtet, sondem sie bestimmen ihr Ziel nach ihren Wiinschen und Moglichkeiten - das bedeutet naturlich auch, stets flir das Ziel der Abstinenz offen zu sein (vgl. Drinkmann 2002: 83).
3.3. Kurzzusammenfassung des Teils I Die Geschichte des Rauchens zeigt deutlich, W\Q der Konsum von Tabak in den vergangenen rund 500 Jahren auf der politischen Ebene immer v^ieder missbilligt, geachtet, verboten, aber auch fur okonomische Interessen genutzt wurde und zugleich auf der Konsumentlnnenseite zu keiner Zeit an Attraktivitat verlor. Obvv^ohl sich eine Tendenz dahingehend abzeichnet, dass die Raucherzahlen in den Hocheinkommenslandem zuriickgehen und in den Entwicklungsandem ansteigen, lassen sich fur Europa und insbesondere flir Deutschland kaum nennenswerte Veranderungen hinsichtlich der Konsumentlnnenzahlen feststellen. Trotz der bekannten Gesundheitsrisiken, die vor allem mit einem hohen Konsunmiveau assoziiert sind, fangen viele Jugendliche nach v^ie vor mit dem Rauchen an, fmden wir im mittleren Erwachsenenalter hohe Raucherquoten und erst in den hoheren Altersklassen eine Reduktion der Raucheranteile in der Bevolkerung. Dies kann zum einen mit einem hohen instrumentellen Nutzen des Rauchens erklart werden: Rauchen dient dem Rancher als sozial (immer noch) akzeptables Befindlichkeitsmanagement und ist eine soziale Technik, die viele 79
Funktionen erfflllen kann. Zum anderen kann aber auch der derzeit dominierende Suchtdiskurs, der auf der recht zweifelhaften Annahme basiert, dass Nikotin eine suchterzeugende Droge sei, dazu ftihren, dass sich die Mehrzahl der Raucherlnnen als abhangig empfindet und definiert und es ihnen vor allem deswegen sehr schwer fallt, ihr Konsumverhalten zu verandem oder mit dem Rauchen aufzuhoren. Dieser Suchtdiskurs erschwert zugleich die Wahmehmung der Motive und Funktionen des Rauchens als auch eine VerhaltenskontroUe im Sinne eines kontrollierten oder reduzierten Konsums. Aus Studien zum kontrollierten Drogenkonsum wissen wir zudem, dass die kognitiven Einstellungen der Individuen hier vor allem die sog. Selbstwirksamkeits- bzw. Kompetenzerwartungen - eine entscheidende Rolle bei der Veranderung und Steuerung des Konsums spielen. Es ist anzunehmen, dass sich die Verhandlung des Rauchens als Sucht auch hier negativ auswirkt. Im nun folgenden empirischen Teil der Arbeit geht es daher vor allem darum, die Verarbeitungs- und Erklarungsmuster der unterschiedlichen Rauchergruppen hinsichtlich ihres aktuellen oder fruheren Konsumverhaltens zu analysieren. Es soil untersucht werden, inwiefem und wie sich das gesellschaftlich produzierte Deutungsmuster der Nikotinsucht bei den Interviewpartnerlnnen kognitiv reprasentiert und welche Konsequenzen sich daraus fur ihr Konsumverhalten sowie fur ihre Erwartungshaltung hinsichtlich anderer Konsumoptionen ergeben.
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Teil II: Rauchen zwischen Sucht und Genuss. Auswertung der Interviews
4. Darstellung der M ethode Es handelt sich bei meiner Studie um eine explorative qualitative Untersuchung, die mit Hilfe von problemzentrierten Interviews (Witzel 1985) sowohl die Konsumbiographien und Konsumverlaufe von Rauchem und Exrauchem als auch vor allem ihren Handlungshintergrund, also ihre emotionalen und kognitiven Einstellungen zum Rauchen erhoben hat. Dabei lasst sich die von mir gewahlte Forschungsperspektive unter dem qualitativen Ansatz des symbolischen Interaktionismus fassen, der an den subjektiven Bedeutungen und individuellen Sinnzuschreibungen der Individuen orientiert ist. Empirischer Ansatzpunkt ist somit "der subjektive Sinn, den Individuen mit ihren Handlungen und ihrer Umgebung verbinden" (Flick 2000:29). Die Grundannahmen des symbolischen Interaktionismus lassen sich mit Blumer (1973:81) in drei Pramissen zusammenfassen: "Die erste Pramisse besagt, dass Menschen Dingen gegeniiber auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, die diese Dinge flir sie besitzen. (...) Die zweite Pramisse besagt, dass die Bedeutung solcher Dinge aus der sozialen Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr entsteht. Die dritte Pramisse besagt, dass diese Bedeutungen in einem interpretativen Prozess, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt, gehandhabt und abgeandert werden." Vor diesem Hintergrund wird in der Rekonstruktion der subjektiven Sichtweisen der Individuen ein Instrument der Analyse sozialer Welten gesehen. Weitere methodische Begriindung erfahrt dieser Ansatz in der zentralen Annahme des so genannten Thomas-Theorem: Die Annahme, dass dann, "wenn eine Person eine Situation als real defmiert, diese Situation in ihren Konsequenzen real ist, fflhrt direkt zum fundamentalen methodologischen Prinzip des symbolischen Interaktionismus: Der Forscher muss die Welt aus dem Gesichtswinkel der Subjekte sehen, die er untersucht" (Stryker 1976:259). Die vorliegende Arbeit will die Sicht der Subjekte, also der von mir befragten Raucherlnnen und Exraucherlnnen, in Form ihrer subjektiven Theorien und Kognitionen, die diese iiber das Rauchen und ihr Rauchverhalten haben, mit
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Hilfe konkreter Fragestellungen erheben beziehungsweise "rekonstruieren". Die subjektiven Theorien und Kognitionen werden als ein Resultat der Interaktion mit der sozialen Umwelt angesehen. Meine besondere Aufinerksamkeit richtet sich hierbei auf die Resonanz der Subjekte hinsichtlich der sozialen Verhandlung des Rauchens unter dem Rubrum der Nikotinsucht. Fur die Realisierung dieses Anliegens schien mir die qualitative Methode des problemzentrierten Interviews am geeignetsten.
4.1. Rekrutierung der Teilnehmerlnnen Die Rekrutierung der Interviewteilnehmerlnnen erfolgte im Juni 2001 iiber die ortliche Presse und das Internet. Uber die Pressestelle der Universitat Bremen wurde eine Pressemitteilung^^ (Nr. 076 / 20. Juni 2001 RO) mit alien notwendigen Information zur Studie verschickt. In den unterschiedlichsten ortlichen Zeitungen ("TAZ", "Weser Kurier", "Bild") erschienen daraufhin kurze Mitteilungen Oder Hinweise auf die Studie mit der Bitte, sich bei Interesse an einer Teilnahme mit mir in Verbindung zu setzen. Auch unter der "Rubrik Forschung" auf der universitaren Homepage war, zentral platziert und als Blickfanger gestaltet, iiber ca. zwei Wochen ein Hinweis auf die Studie unter der Uberschrift "Raucher und Raucherinnen gesucht" zu lesen. Dabei definierte ich im Vorfeld verschiedene Rauchergruppen und Merkmale (wie Mindestalter, Regelmafiigkeit der Konsumerfahrung, Abstinenzzeit der Exraucherlnnen), die auf die Interessierten zutreffen sollten, so dass hier von einer spezifischen Fallgruppenauswahl (vgl. Flick 2000:78ff) zu sprechen ist.
^' Die Mitteilung an die Presse hatte folgenden Inhalt: "Das Bremer Institut fiir Drogenforschimg (BISDRO) sucht fur eine Forschungsstudie zum Thema ,Rauchen zwischen Sucht und Genuss' Raucher und Exraucher, die Interesse haben, zu diesem Thema in einem offenen Gesprach befragt zu werden. Gesucht werden Frauen und Manner, die sich in eine der folgenden vier Gruppen einordnen konnen: • Raucher und Raucherinnen, die 1-5 Zigaretten am Tag rauchen, • Raucher und Raucherinnen, die 5-15 Zigaretten taglich rauchen • Raucher und Raucherinnen, die 20 Zigaretten und mehr taglich rauchen und • Exraucher und Exraucherinnen, die mindestens 4 Jahre lang regelmafiig geraucht haben und seit mindestens 2 Jahren nicht mehr rauchen. Die Raucher und Raucherinnen sollten mindestens 23 Jahre alt sein und seit mindestens 4 Jahren regelmafiig rauchen. Zudem sollten sie gegenwartig nicht versuchen, ihren Zigarettenkonsum zu reduzieren oder mit dem Rauchen aufzuhoren und auBer Zigaretten keine anderen Tabakprodukte konsumieren. Wer Interesse hat, an dieser Studie teilzunehmen kann sich bei Birgitta Kolte vom BISDRO der Universitat Bremen unter (...) melden."
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Die Reaktionen auf die Zeitungsberichte waren im wahrsten Sinne des Wortes iiberwaltigend. Tagelang erreichte mich eine Flut von meist telefonischen Anfragen von Raucherlnnen und Exraucherlnnen, die geme an der Studie teilnehmen woUten. Ich vereinbarte mit den Anruferlnnen, soweit es mir moglich war, fur die kommenden Wochen Interviewtermine oder versprach, bei weiterem Bedarf wieder mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Die Interviewerhebung dauerte von Anfang Juni bis Mitte September 2001 mit Ausnahme eines spateren Interviews, das ich aus Interesse noch im Marz 2002 realisierte. Insgesamt flihrte ich 39 Interviews durch.
4.2. Die Interviews Die von mir gefuhrten Gesprache sind als halb-strukturierte, offene und themenzentrierte Interviews zu charakterisieren (vgl. Mayring 2003:48) und als problemzentrierte Interviews nach Witzel (1985) zu bezeichnen. "Halb-strukturiert" bedeutet hier, dass den Interviews zwar ein Leitfaden mit Fragen zugrunde lag, deren konkrete Reihenfolge und Formulierung variierte jedoch wahrend des Interviews. "Offen" bezeichnet in diesem Zusammenhang lediglich, dass die Interviewpartnerlnnen frei auf die Fragen antworten konnten und "themenzentriert" sind die Interviews, da ich mit ihnen eine ganz gezielte Thematik exploriert habe. Diese drei Merkmale finden sich auch in dem von Witzel vorgeschlagenen Konzept des problemzentrierten Interviews (vgl. hierzu FHck 2000:105ff). Ein solcherart konzipiertes Interview umfasst neben dem schon angesprochenen Leitfaden auch einen Kurzfragebogen zur Erhebung der demographischen Daten, die Aufzeichnung des Interviews per Tonband und ein Interviewprotokoll. Methodisch ist das problemzentrierte Interview eine Kombination von Erzahlung(en) und (Nach-) Fragen des Interviewers. Es ist das Ziel narrativer Interviews, "moglichst nahe an ein Alltagsgesprach zu kommen und genauere, 'authentische' Informationen vom Interviewpartner mit besonderer Beriicksichtigung seiner Perspektiven, seiner Bedtirfnisse und seiner Weltsicht zu erlangen" (Weber/Schneider 1992:122). Denn letztlich, so konstatiert auch Klein (2002:58), sind es "Erzahlungen, die im sozialen Austausch Sinn herstellen". Obwohl ich in einem streng methodologischen Sinne keine "narrativen" Interviews'^ durchgefiihrt habe, konnte das von Weber und
^^ Bei einem narrativen Interview wird der Interviewteilnehmer gebeten, in einer "Stegreiferzahlung" alle relevanten Ereignisse des in Frage stehenden Gegenstandbereiches als zusammenliangende Geschichte zu erzahlen. Danach schlieBt sich erst der Nachfrageteil des Interviews an. Am Ende wird das Interview mit einer Bilanzierungsphase abgeschlossen, in der auch Fragen nach theoretischen
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Schneider fur narrative Interviews formulierte Ziel in den allermeisten meiner Gesprache ebenso erreicht werden. Es gab nur sehr wenige Interviews, in denen es nicht "gefUnkt" hat, in denen die Interviewteilnehmer etwas stockend erzahlten, unsicher wirkten oder ich den Eindruck hatte, dass ihre Erwartungen an das Gesprach andere gewesen waren. Und natiirlich war auch ich nicht bei jedem Gesprach in einer gleich guten Verfassung, was sich an meiner Aufmerksamkeit, Konzentration und meinem Einlassen auf den jeweiHgen Interviewpartner oder die jeweilige Interviewpartnerin bemerkbar machen konnte. Von diesen Ausnahmen abgesehen war ich oftmals selbst uberrascht, wie tief die Erzahlungen gingen, wie bereitwillig meine Interviewpartnerlnnen uber ihre personlichen Erfahrungen berichteten und mit welcher Offenheit und mit welchem Vertrauen mir begegnet wurde. Die Dauer der Interviews variierte ganz erheblich von knapp einer Stunde bis zu iiber zwei Stunden. Von den 39 Interviews wurden 35 Interviews themenspezifisch transkribiert. Dabei wurden schon wahrend der Transkription Erzahlungen, die sich nicht auf das Forschungsthema bezogen (wie Kindheitserlebnisse, Familiengeschichten, berufliche Probleme etc.), ausgelassen oder gekurzt. Nach der Transkription wurde jedes Interview noch ein- oder zweimal durchgehort und mit den Aufzeichnungen verglichen.
Der Leitfaden In dem Leitfaden, den ich fur die Interviews entwickelte, waren 19 verschiedene Themenfelder vorgegeben, die mir fur die ErschlieBung meines Forschungsgegenstandes damals wichtig erschienen. Neben den Fragen, die sich gezielt auf das Rauchen bezogen, erweiterte ich den Kontext des Gegenstandes mit Fragen, die sich genereller auf Einstellungen und Kognitionen zu Genuss, Sucht/Abhangigkeit, Gesundheit und Krankheit bezogen. Wie schon gesagt, variierte die Formulierung und Reihenfolge der Fragen, und auch ein weiteres Merkmal problemzentrierter Interviews, die Prozessorientierung (vgl. Flick 2000:106), machte sich im Laufe der Zeit in der Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung einzelner Fragen bemerkbar. In jedem Fall aber achtete ich darauf, dass alle Themen auf die ein oder andere Weise entweder von mir gezielt durch eine Frage initiiert oder im "vom Befragten selbst entwickelten Erzahlstrang" (Witzel 1985:237) in den Interviews kommuniziert wurden. Im Folgenden nun also der Leitfaden mit den einzelnen Themen und exemplarischen Fragen: Erklarungen fiir das Geschehene gestellt werden sowie Fragen, die auf die Sinnzuschreibungen des Interviewten abzielen (vgl. Flick 2000:116; Bohnsack 2003:9Iff).
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Interviewleitfaden Initiation: Konnen Sie sich noch an ihre erste Zigarette erinnem? - Spezielle Empfmdungen, Gedanken, Wissen uber das Rauchen? Wer rauchte aus Freundeskreis und Familie? Wie wurde das Rauchen in der Familie verhandelt? Konsumverlauf: Wie ging es nach der ersten Zigarette weiter? Wie haben Sie das Rauchen empfunden? Wie hat sich der Konsum entwickelt? Welches Konsummuster hat sich eingestellt? Motivation/Funktion des Rauchens: Warum rauch(t)en Sie? Hat(te) das Rauchen fiir sie eine bestimmte Funktion? Wie wiirden Sie sich selbst in Bezug auf das Rauchen beschreiben? Wenig-Rauchen: (Einfiihrung: Es gibt ja Leute, die rauchen nur 3-5 Zigaretten am Tag, was denken Sie daruber?) Glauben Sie, dass man seinen (Sie Ihren) Zigarettenkonsum reduzieren und auf Dauer wenig rauchen kann? (Bei Wenig-Rauchem: Was ist Ihr Rat, wie schaffen Sie es, nur wenige Zigaretten pro Tag zu rauchen?) Assoziationen zum Rauchen: Was fallt Ihnen ganz spontan zum Rauchen ein? Wissen: Was wissen Sie uber das Rauchen? Woher? Vor- und Nachteile des Rauchens: Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in Bezug auf das Rauchen? Wie gehen Sie mit diesen Vor- und Nachteilen um? Rauchen in innerer Harmonie oder Dissonanz: Leb(t)en Sie mit Ihrem Rauchverhalten in innerer Harmonie oder existiert(e) ein innerer Konflikt, ein schlechtes Gewissen, weil Sie (so viel, zuviel) rauch(t)en? Genuss: Was heiBt fur Sie Genuss? Wie defmieren Sie Genuss? Abhangigkeit: Was heifit fur Sie Abhangigkeit? Wie defmieren Sie Abhangigkeit? Sucht: Wie lasst sich Sucht defmieren? Wiirden Sie sich als ,nikotinsuchtig' bezeichnen? Bewertung einzelner Konsumentengruppen: Was denken Sie iiber Nichtraucher, Exraucher, Wenig-Raucher, Durchschnitts- und Vielraucher? Identitat: Hat das (nicht mehr) Rauchen einen Einfluss auf Ihr Selbstbild? Alter: Wenn Sie auf Ihre Konsumzeit zuriickblicken, konnen Sie da sagen, dass das zunehmende Alter einen Einfluss auf Ihr Rauchverhalten hat(te)? Gesundheit: Was assoziieren Sie mit Gesundheit? Tun Sie etwas fiir Ihre Gesundheit? Krankheit: Wie defmieren Sie fiir sich Krankheit? Andere Drogen: Wie bewerten Sie andere Drogen im Vergleich zur Zigarette? Kritik: Wie reagier(t)en Sie, wenn man Sie wegen Ihres Rauchens kritisiert (hat)? Reaktion/Pravention: Was wurden Sie sagen, wenn Ihr 14 oder 15 jahriges Kind (Nichte/Neffe etc.) rauchen wtirde?
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4.3. Schwerpunkte der Interviewstudie In die Konzeption des Leitfadens gingen folgende Uberlegungen, Fragen und Interessen ein, die ich zum damaligen Zeitpunkt als gleichgewichtige, den Forschungsgegenstand spezifizierende Schwerpunkte der Interviewstudie betrachtete: (a) Haben die Befragten Vorstellungen und Erfahrungen hinsichtlich der (individuellen und biographischen) Funktionalitat des Rauchens: Wann, in welchen Situationen und warum wird geraucht? Gibt es individuell bevorzugte oder gemiedene Konsumsituationen? (b) Haben die Befragten ein bestimmtes Bild von "Abhangigkeit" und "Sucht"? Wie sehen die individuellen Vorstellungen und Erfahrungen von Abhangigkeit (bezogen auf das Rauchen sowie auf andere sinnliche bzw. drogale Erfahrungen) aus? Wo fangt Abhangigkeit an, wo hort sie auf? Kurz: Wie definiert sich Abhangigkeit ftir die Individuen? (c) Haben die Befragten ein bestimmtes Bild von Genuss? Wie sehen die individuellen Vorstellungen und Erfahrungen von Genuss aus? Wo fangt Genuss an, wo hort er auf? Welche Situationen, Raume, Bilder und Assoziationen sind mit Genuss verkniipft? (d) Inwieweit halten die Befragten eine Reduktion des Zigarettenkonsums fur moglich? Kennen oder haben sie Regeln und/oder Rituale, die helfen soUen, das Rauchen zu kontrollieren (etwa Abstinenzphasen, Abstinenz an bestimmten Orten o.a.)? Haben die Befragten eine explizite Vorstellung oder Kenntnis vom "Kontrollierten Rauchen" im Sinne eines speziellen Konsumverhaltens? Haben sie bezogen auf ihre Gesundheits- und Lebensvorstellungen selbstgesteckte Ziele, die sie verfolgen und die auch ihr Rauchverhalten betreffen? (e) Wie setzt sich das Wissen bzw. die Meinung iiber das Rauchen, iiber Abhangigkeit, Sucht und Genuss zusammen, welche Informationsquellen sind/waren fiir die Meinungsbildung wichtig? Welchen Stellenwert haben Eigenerfahrungen und Fremderfahrungen, Informationen aus zweiter Hand und der offentliche Diskurs auf die Meinungsbildung des/der Einzelnen? (f) Wie gestaltet sich die wechselseitige Bewertung der einzelnen Konsumentengruppen? Wie erinnem sich Exraucherlnnen an ihre Konsumzeit? Was war gut, was nicht? Warum und wie haben sie letztendlich aufgehort zu rauchen? Wie bewerten Rancher die Gruppe der Chippers sowie der Nichtraucher? Was denken kontrollierte Rancher iiber starke Rancher usw.? Konnen sich ehemals Starke Raucherlnnen, die ganz aufgehort haben, vorstellen, kontroUiert zu rauchen?
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(g) Wie gestaltet sich die Wechselwirkung von Konsumform und Identitat? Welche Bedeutung haben das Rauchen, das kontrollierte Rauchen oder das Nichtrauchen einerseits und die jeweilige gesellschaflliche Reaktion darauf andererseits fur die eigene Identitatsbildung und das Selbstbewusstsein? Wird die Facette des Rauchens (oder Nicht-Rauchens) in das Gesamtbild einer personellen Identitat (bewusst) eingefligt und wenn ja, wie wird es integriert und welchen Wert und welche Bedeutung hat das Rauchen bzw. Nichtrauchen fur das Individuum? Wie wird die Unterteilung der Welt in Rancher und Nichtraucher erlebt und beurteilt? Ftihlen sich Exraucherlnnen als die besseren Menschen, kontrollierte Raucherlnnen als die wahren Hedonisten, sieht sich der Vielraucher als echter Lebemann, der den Augenblick lebt? Usw. (h) Welchen Einfluss hat das Alter auf das Rauchen? Wie blicken langjahrige Rancher auf ihren Konsum zuruck? Haben sie Kategorien von weichen und harten Konsummustem? Wird im Alter anders - moglicherweise genussorientierter - geraucht? (i) Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf das Rauchen? Zwar rauchen heute mehr Frauen als noch vor einigen Jahrzehnten, aber: Rauchen Frauen moglicherweise aufgrund ihrer spezifischen Sozialisation und GenderroUe weniger riskant oder kontrollierter? LFben Schwanger- und Mutterschafl einen regulierenden (kontrolliertes Rauchen oder Abstinenz) oder auch zunehmend belastenden (schlechtes Gewissen) Einfluss aus? Oder ist Rauchen noch immer - wie etwa um die Jahrhundertwende - ein Symbol der Emanzipation? AUe diese Themenbereiche und Fragen konnen nun mittels der erhobenen Daten naher untersucht werden. Fiir die vorliegende Arbeit erschien es aber aufgrund der zentralen Fragestellung und hinsichtlich arbeitsokonomischer LFberlegungen unvermeidlich, den Auswertungsrahmen zu reduzieren, so dass leider nicht alle von mir vorab iiberlegten Aspekte in die vorliegende Auswertung einflieBen konnten.
4.4. Zur Auswertung Wie schon gesagt, steht die subjektive Sicht der Befragten im Kontext ihrer (Konsum-)Biographie und Lebenswelt im Mittelpunkt meines Forschungsinteresses. Daher ist die folgende Analyse und Darstellung des Datenmaterials so konzipiert, dass das aus den Interviews gewonnene empirische Material zur Veranschaulichung der subjektiven Perspektive auf das Rauchen moglichst viel Raum erhalt. Aus diesem empirischen Material werde ich dann im Sinne der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1967) empirisch fundierte, theoretische Riick-
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schlusse Ziehen. Strukturiert wird die Auswertung durch Kategorien (vgl. Kuckartz 1999:75ff) und themenspezifische Schweipunkte, die ich aus meiner Fragestellung entwickele. Dabei werden die Aussagen der verschiedenen Interviewpartnerlnnen mit Hilfe der Kategorien interpretierend ge- und eingeordnet sowie den verschiedenen Fragestellungen zugeordnet. Die Textanalyse erfolgt dann in einer deskriptiven und vergleichenden Darstellung der Aussagen und einer auf die Fragestellung bezogenen Interpretation der Daten. Die Auswertung besteht aus zwei Teilen: (a) Da sich ein Aspekt meiner Studie mit der schon im Titel benannten Moglichkeit des kontrollierten oder low-rate Rauchens beschaftigt, liegt es nahe, den Wenigrauchem, die an meiner Studie partizipiert haben, zunachst besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Als ersten Auswertungsschritt mochte ich daher mit einer naheren Vorstellung der 7 low-rate Raucherlnnen meines Samples beginnen, um diese Gruppe unter sozialwissenschaftlichen Fragestellungen zu untersuchen. Von den unter 4.3. genannten Schwerpunkten der Interviewbefragung werden bei dieser Darstellung vor allem die Punkte a - e bearbeitet. (b) An diese deskriptive Darstellung der Wenigraucher wird sich die vergleichende Auswertung der verschiedenen Rauchergruppen anschliefien. Die Auswertungskapitel werden dabei anhand der im Kontext dieser Arbeit wesentlich erscheinenden Ergebnisse, die sich bei der Analyse der low-rate Rancher und Raucherinnen fanden, strukturiert. Zudem sollen 5 Hypothesen, die ich aus diesen Ergebnissen generierte, gepruft werden. Methodisch realisierte ich diesen Schritt, indem ich eine computergestutzte Analyse der Interviews mit dem Programm MaxQDA^^ durchfuhrte. Hierbei werden die Antworten der Interviewteilnehmer zunachst codiert, d.h. Textsegmente werden verschiedenen Kategorien, die ich aus der Untersuchungsfrage entwickelte, zugeordnet. AnschlieBend stehen die codierten Textsegmente fur verschiedene Text-Retrievals sowohl im Kontext des Quelleninterviews als auch dekontextualisiert zur Verfiigung (vgl. Kuckartz 1999:101ff). So konnen auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Aussagen der Interviewten viele verschiedene Textstellen aus unterschiedlichen Quelleninterviews einer vergleichenden Betrachtung unterzogen werden. Kategorien, die u.a. bei der vorliegenden Auswertung von Bedeutung sein werden, sind "Motive" und "Funktionen" des Rauchens, "Erklarung/Bewertung des eigenen Rauchverhaltens", "Suchtbild" bzw. "Nikotinsucht", "Genuss", "KontroUe", "Selbstwirksamkeit", "Erfahrungen mit Verhaltensanderung" und "Zur Moglichkeit des Wenig-Rauchens". Daruber hinaus werden in
^^ QDA ftir Qualitative Data Analysis.
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den entsprechenden Kapiteln noch interessante, den themenspezifischen Focus erhellende Aspekte weiter ausgearbeitet. Am Ende der Auswertung soil die zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse unter anderem diese Fragen beantworten: 'Wie wirkt der Diskurs der Nikotinsucht in den Sinnwelten der (Ex-)Raucher?' und 'Inwieweit unterscheiden sich die low-rate Raucherlnnen von den anderen Raucherlnnen und Exraucherlnnen meiner Studie in den von mir untersuchten Kategorien?'
5. Deskriptive Darstellung der Low-Rate Raucherlnnen Die Gmppe der low-rate Raucherlnnen meiner Untersuchung besteht aus 7 Personen, 3 Mannem und 4 Frauen im Alter von 27 bis 52 Jahren (Altersdurchschnitt 41 Jahre) zum Zeitpunkt der Interviewerhebung. Ihre Konsummenge liegt in der Regel bei 1 bis 5 Zigaretten pro Tag beziehungsweise bei einem Selbstdreher bei 3 gr. Tabak taglich. Auffallend ist, dass alle low-rate Raucherlnnen dieser Studie Abitur haben und die meisten von ihnen auch ein Studium absolvierten (N=4) beziehungsweise noch studieren (N=l). Tabelle 4 gibt einen ersten LFberblick iiber einige demographische Daten der low-rate Raucherlnnen.
Tabelle 4: Ittterviewnr. Synonym
Low-rate Raucherlnnen FamlUen- Schul* bildung stand
Beruf
Zigaretten pro Tag
Geschl.
Alter
(1) Andreas H.
Ibis 3
Mann
41
verheirat.
Uni.
Soz.wiss.
(5) Britta I.
2 bis 5
Frau
31
ledig
Abitur
Kauffrau
5
Frau
48
verheirat.
Uni.
Lehrerin
(8) Christel J.
3 gr. Tabak
Mann
40
ledig
Abitur
Angestellter
(18) Elena L.
Ibis 5
Frau
48
ledig
Uni.
Lehrerin
(24) Frauke M.
3 bis 5
Frau
52
verheirat.
Uni.
Juristin
(39) Gerald N.
3
Mann
27
ledig
Uni.
Student
(16)DimitrisK.
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5.1. Interview 1: Andreas H. (41 Jahre), 1 bis 3 Zigaretten am Tag: "Mein stilles, privates Gluck" Andreas H. hat mit Anfang 20 angefangen zu rauchen. Die Lust auf eine Zigarette entwickelte sich dabei aus seinem damaligen Marihuanakonsum. "Also der Anfang war Haschisch, Marihuana rauchen und irgendwann verselbststdndigte sich das, also dann hatte ich einfach Lust, ne Zigarette zu rauchen." Uber seine Lust zu rauchen, hat er sich damals keine groUen Gedanken gemacht. Sehr viele in seiner Umgebung rauchten und als junger Erwachsener war er auch nicht genotigt, sich irgendwem gegenuber zu rechtfertigen. Die Entwicklung seines Konsumverlaufs beschreibt er als "zyklisch": "Ja, eher so zyklisch, also es gab Phasen, wo ich relativ viel geraucht habe und es gab dann auch Phasen, wo ich wirklich sehr wenig geraucht habe, manchmal wochenlang nicht. Also es war sehr zyklisch. Also, ich glaube, beobachtet zu haben, dass das anstieg, wenn ich in Stresssituationen war, neuen Job angetreten, oder Stress mit der Freundin, solche Sachen. Denn rauchte ich mehr."
Wenn Andreas H. damals "relativ viel" geraucht hatte, bedeutete das fiir ihn "wenn es hoch kam" 10 Zigaretten am Tag. Zur Zeit, betont er hingegen, rauche er vielleicht 10 Zigaretten in 2 Wochen. Diese Phasen des hohen Konsums wurden dann abgelost von Phasen, in denen er dieses Konsumniveau mit Schrecken zur Kenntnis nahm und sich dann selbst zu einer Verhaltensanderung ermahnte und dies dann auch umsetzte. Dabei motivierte ihn sein Bewusstsein iiber die moglichen Gesundheitsrisiken "da selber schon drauf zu achten", nicht allzu viel zu rauchen oder die Zigarettenmenge wieder zu reduzieren: "Also, Rauchen istja nun nicht gerade gesundheitlich forderlich. Also es ist nun mal der Hauptrisikofaktor fiir Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten und denn achtet man da selber schon drauf, dass man nicht allzu viel raucht und auch versucht, halt ein bisschen davon weg zu kommen. (...) Es gab dann immer so Phasen, wo ich nen Schreck gekriegt habe und gesagt habe, 'Was machst du denn da? Das musst du dir aber schleunigst abgewohnen!' (...) Da habe ich dann bewusst versucht, den Konsum zu unterdriicken. Also, bis das aufnem Level war, wo man meinte, ach, jetzt ist es auch nicht mehr schddlich. Da muss man dann halt eben aufpassen, dass man da nicht automatisch wieder in eine hohere Menge reinrutscht."
Seinen Konsum zu reduzieren und zu kontroUieren sei fur ihn "zumindest kein allzu groBes" Problem. Seine Frau hatte da, seiner Meinung nach, sicherlich mehr Probleme, "weil sie einfach mehr raucht" als er. Auch bei anderen Rauchem ist er eher pessimistisch hinsichtlich einer dauerhaften Reduktion und
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verweist als Beleg auf die hohe Riickfallquote bei den Nichtraucherkiirsen seiner Krankenkasse: "Also, so wie ich das beobachte. Also die Krankenkasse^"^, ich arbeite bei der Krankenkasse, die bietetja oder bot mal Nichtraucherkurse an und da waren die Erfahrungen ziemlich deprimierend, also 80% rauchten nach einem Jahr wieder "
Auf die Frage, woran das denn lage, antwortet Andreas H.: "Rauchen ist habitualisiertes Verhalten, glaube ich, das hat, glaube ich, weniger was mit Sucht zu tun als viel mehr, dass man halt eben gewohnt ist, in bestimmten Dingen einfach, nach bestimmten Sachen einfach eine zu rauchen, also nach dem Essen oder nach getaner Arbeit, vor der Arbeit. Es gibt immer Gelegenheiten, dann irgendwas zu rauchen und dass man halt immer irgendwas in den Fingern hat. Ich denke, daran liegt das, das ist im Prinzip ne schlechte Angewohnheit. Wurde ich mal sagen, also neben diesen ganzen Suchtkomponenten, die es naturlich auch gibt."
Diese "Suchtkomponenten" sieht er vor allem im "Suchtpotential von Nikotin": "Also, ich habe mir mal sagen lassen, das Suchtpotential von Nikotin sei hoher als das von Heroin. Also muss das ein starkes Nervengift sein, das suchtig macht."
Diese Information habe er von einem friiheren ArbeitskoUegen, der sich mit Suchtentwohnungen beschaftige und fiir ihn deswegen auch glaubwiirdig sei ("also, von daher glaube ich dem auch"). Fur ihn personlich sei aber diese Suchtkomponente des Nikotins nicht so ein Problem, er hatte "jetzt keinen so unertrdglichen Schmacht, dass ichjetzt sofort eine rauchen miisste, also ich kann auch tagelang ohne auskommen. Meistens sind halt eben die AusWser, wenn man raucht halt eben, wenn S. (seine Frau) trotz Schwangerschaft immer nock mal eine raucht, dann wurde ich manchmal auch eine rauchen oder nach dem Essen. Also, das hat dann meist irgend so nen konkreten Anlass." Die Zigarette nach dem Essen genieBt bei ihm einen hohen Stellenwert, das hatte "schon so was Kultiviertes, wenn es bei dieser einen Zigarette dann bleibt". Dabei beschreibt er seine Rauchtopographie als "ganz normal inhalierend". Er schenke der Zigarette auch beim Rauchen keine besondere Aufmerksamkeit, er rauche eher so "nebenbei", ohne spezielles Ritual und ohne das Rauchen der Zigarette nun zu uberhohen, denn dazu wiirde sich eine Zigarette, seiner Meinung nach, auch gar nicht eignen: "Nein, das ist ja keine Havanna, das ist ja einfach nur eine Zigarette." ^^ Im Originalton Name der Krankenkasse. 91
Die Wirkung der Zigarette merke er ganz stark: "Es wird einem zundchst ein bisschen schwindelig und dann hat man erst mal die ersten zwei, drei Minuten danach Herzrasen. Das gibt einem dann schon einen Kick, also das heifit, ist dann naturlich auch ein beruhigendes Gefiihl, das heifit, man ist nicht so richtig dran gewohnt." Auf die Frage, ob er denn sagen wiirde, dass er aus Genuss rauche, antwortet Andreas H. zogemd: Va (gedehnt), irgendwie schon, also . Genuss? . Also, so wie ich es gerade geschildert habe, ist esja kein Genuss (lacht) . Also, ich habe da manchmal einfach Lust zu und nachdem ich es dann gemacht habe, weifi ich auch, warum ich es nicht allzu oft tue (...) sie haut halt rein. Von daher muss ich das also nicht zwanzigmal am Tag machen . und. das passiert wirklich meistens nur im Zusammenhang mit geselligen Anldssen, also, wenn ich mit Freunden in der Kneipe sitze, dann rauche ich auch schon mal 3, 4 hintereinander und dann passiert dann auch mal wieder ne Woche lang nichts." Dabei nimmt er sich diese Woche Auszeit vom Rauchen heute nicht bewusst vor, sondem: "Nee, es ergibt sich dann einfach kein Anlass. Also, bei der Arbeit ergibt sich kein Anlass, ja hier, verbietet sich dasjetzt im Moment ja wirklich von selbsi , auch bei Freunden, die haben meistens auch aufgehort mit Rauchen. Da ist einfach kein Anlass, es sei denn nach dem Essen, dann zUndet man sich manchmal eine an, hatte ich ja gerade erzdhlt oder in der Kneipe halt eben aus geselligen Anldssen heraus oder wdhrend einer Fete, wenn man, wenn man halt eben schon sehr viel getrunken hat und einem dann im gewissen Mafie so eine Scheifi-Egal-Laune dann Uberfdllt, dann raucht man auch schon mal. Aber so im Alltag gibt es eigentlich wenige, wenig AnIdsse zum Rauchen." Abhangigkeit in Bezug auf das Rauchen iibersetzt Andreas H. in dem Interview mehrmals mit dem Gefiihl "Schmacht haben". So antwortet er auf die Frage, ob er glaube, vom Rauchen abhangig zu sein: "Ja, sagte ichja, also manchmal habe ich eigentlich immer noch Schmacht, mal eine zu rauchen. Aber ich denke, solange sich das auf einem Niveau bewegt, wo man mit einer Schachtel locker ne Woche auskommen konnte, ist das unproblematisch. Also ich wiirde mich ja auch nicht als Alkoholiker bezeichnen nur weil ich abends ein, zwei Bier trinke. Obwohl es gibt da sicherlich ganz strenge Definitionen, die wUrden schon davon ausgehen, dass ich alkoholabhdngig bin."
Seine Frau ist schwanger. 92
Wie schon erwahnt, hangt seine Motivation wenig zu rauchen mit den gesundheitlichen Risiken zusammen, denen er sich sehr bewusst ist: "Ja, das ist dann natiirlich schon ne Triebkraft, da dann ein bisschen drauf zu achten, also wie viel man raucht, ob man es uberhaupt muss. Das sindja keine sehr angenehmen Krankheiten." Gesundheit ist ihm sehr wichtig, er achtet auch auf seine Emahrung, treibt Sport und ist der festen Uberzeugung, dass man "eben viel machen (kann), also das ist einfach belegt, das ist ein Fakt. Also, wer auf seine Gesundheit achtet, kriegt nicht so schnell irgendwas", was im zunehmenden Alter auch immer wichtiger wUrde, weil in seinem Alter "die Neigung chronische Krankheiten zu entwickeln einfach wdchst". Sport mindere die Herz-Kreislauf-Risiken "und wenn man dann nicht viel raucht, dann ist das natiirlich auch ein Beitrag zur Gesundheit. Also gut, in dem Sinne ist das natiirlich auch ein stiickweit Gesundheitsverhalten. Also die Angst vor einer wirklich ublen Krankheit ist dann bei mir einfach viel zu ausgeprdgt, als dass ich mich diesem Laster nun vollends hingeben wiirde. Wahrscheinlich habe ich ein starkes Uber-Ich^^." Auf die Frage, ob er sich denn hinsichtlich seines Rauchverhaltens stark kontrollieren miisse, erwidert Andreas H.: "No, ich habe auch hdufig keine Lust zu rauchen. Also, es ist auch ein stUckweit konditionieren eben, weil ich manchmal mich erinnere, wie sehr ich denn danach Herzrasen kriege, das ist daja denn auch nicht so ein angenehmes GefUhl und dann habe ich da schon gar keinen Bock mehr drauf "
Gleichzeitig glaubt er, dass ein Einschranken des Zigarettenkonsums bei starken Rauchem schwierig sei. Auf Tipps angesprochen, die er diesen Rauchem hinsichtlich einer Reduktion des Zigarettenkonsums geben konnte, meint er: "Ich denke, das ist wahrscheinlich ein wirklicher Gewaltakt, weil es halt eben ein sehr potenter sUchtig machender Stoff ist und da ist die gute alte Sekunddrtugend Disziplin gefragt, vermute ich."
Auf die Frage, ob er denn diese Disziplin hatte, antwortet Andreas H.: "Na ja, ich bin gottlob nie so weit gewesen, dass ich wirklich ein starker Raucher war, vermutlich braucht das bei mir gar nicht so viel Selbstilberwindung, um das jetzt einzuschrdnken. Aber ansonsten, denk ich, kommt man um so nen WillensKraft-Akt auch nicht drumherum, da wird's kein Patentrezept geben. Also ich kenn ja diese ganzen Raucherentwohnungskurse, wo man, wie gesagt, erst schrittweise ^^ Das "Uber-Ich" ist eine von Sigmund Freud konstruierte "psychische Instanz", in der die Vertreterlnnen der Psychoanalyse die individuelle Verinnerlichung von ihrer Natur nach konservativen und gesellschaftlich-moralischen Werten verorten (vgl. Notzel 1981:658).
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immer weniger bis man uberhaupt nicht mehr raucht, und dann gibt es diese Schluss-Punkt-Methode, wo man von einem Tag aufden anderen aufhort, nachdem man sich vorher zwei, drei Wochen lang gesammelt hat und sich dieses eine Datum gesetzt hat und, und, und. Aber, ich meine, die Ruckfallquoten sind ja bei beiden Methoden enorm." Dabei konne man ja den korperlichen Entzug '7« Griff kriegen, mit Nikotinpflaster oder Prdparaten, die man einnehmen kann. Also fur meine Begriffe ist es schlicht und ergreifend auch ein gutes stiickweit eine schlechte Angewohnheit das Rauchen (...) Also, es ist gar nicht mal so sehr, dass dir ne chemische Substanz im Korper fehlt, dass das so ne physiologische Mangelerscheinung ist, sondern es fehlt schlicht und ergreifend irgend ne Handlung im Alltag. Also sozusagen das Rauchen nach getaner Arbeit, das Rauchen, was weifi ich, vor dem Kochen, keine Ahnung." Gleichwohl er fur starkere Raucher keine speziellen Tipps in Bezug auf eine Konsumreduktion hat, wird an einer anderen Stelle des Interviews deutlich, dass fur ihn zum Rauchen durchaus eine gewisse "Rauchkultur" gehort: "Obwohl, wenn ich esjetzt recht iiberlege, so rauchen aufder Strafie an sich,finde ich teilweise auch schon ein bisschen gewohnlich (...) Aber das ist auch so wie mit Essen aufder Strasse. Also wenn da Leute mampfend durch die Strafie gehen, das finde ich dann auch ein bisschen ordindr (...) also zum Essen sollte man sich hinsetzen. Vielleicht auch zum Rauchen sollte man sich einfach mal gemiitlich hinsetzen. Ich denke, das passt dann einfach nicht (..) Das stimmt wirklich, also wenn man in der Offentlichkeit raucht, denn stell ich mir das auch immer so auf einer Parkbank sitzend vor oder zumindest in irgendeiner ruhenden Situation. Und nicht so hastig weggezogen aufder Strafie.. also das hat wirklich schon was junkiehaftes an sich." Auf die Vorteile des Rauchens angesprochen, erwahnt Andreas H. vor alien Dingen den Aspekt der Geselligkeit und Gemeinschaft: "Ist manchmal geselligkeitsstiftend auffeten, wenn man da verscheucht wird, weil das eine Nichtraucherfete ist und man triffi sich, dann trifft sich SOVo der Gdste (lacht), treffen sich dann vor der Haustiir wieder, um zu rauchen, das hat manchmal dann schon was sehr witziges an sich. Also es stiftet aufjeden Fall Gemeinschaft. Das ware mit Sicherheit ein Vorteil. Und manchmal ist es halt auch wirklich Genuss, das ist halt eben so wie ichjetzt hier ein Bier trinke." Die Nachteile des Rauchens sieht er, wie schon deutlich geworden sein diirfte, vor alien Dingen in den gesundheitlichen Gefahrdungen bei exzessivem Genuss. Er schatzt, dass die "Schwelle", bis zu der ein Konsum gesundheitlich akzeptabel
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ist, bei 5 Zigaretten taglich liegt: "Ja, das wird auch willkurlich sein, aber die Schwelle liegt, glaube ich, bei 5 am Tag." Hinsichtlich eines Vergleichs von Zigaretten beziehungsweise Tabak mit anderen Drogen und nach welchen Kriterien er da unterscheiden wiirde, betont er zunachst deutlich das Kriterium der Legalitat und die damit verbundenen Implikationen: "Ja gut, da muss ich natUrlich auch sagen, naturlich auch so 'n hisschen dadurch beeinflusst, also indem ich mich danach richte, wie legal sind die. NatUrlich weifi ich, ich hab das ja auch vorhin erwdhnt, oder es wurde mir gesagt, dass Nikotin in seinem sUchtig machenden Potential also hinter Heroin nicht zurilcksteht. Aber offenbar macht Heroin die Leute kaputter als ne Zigarette, was moglicherweise wirklich daran liegt, dass sie ins soziale Abseits getrieben werden, um sich das Zeug zu beschaffen. Vielleicht ware alien damit gedient, wenn die das in der Apotheke fur ein paar Mark kriegen wUrden, dann gibt's auch keine Beschaffungskriminalitdt. Ansonsten, ja im Suffgehen auch sehr viele Leute dran kaputt, das wird sicherlich auch gefdhrlicher sein als Rauchen . Also . . es ist, man orientiert sich da wahrscheinlich wirklich an der Legalitat von Drogen, also Alkohol, Zigaretten, das sind Drogen, die sind legal zu beschaffen, sowie Kaffee und Tee, das sindja auch Drogen und von daher nimmt man sie wahrscheinlich gar nicht als so gefdhrlich wahr. Also Drogen im volkstUmlichen Sinne sind dann wirklich Heroin, LSD undja noch nicht mal Aujputschmittel, die kriegt man zur Not auch aus der Apotheke, alsofriiher zumindest, das waren AppetitzUgler."
Seine Definition von Abhangigkeit beim Rauchen liegt bei ungefahr einer Schachtel am Tag "oder wenn ich das manchmal bei den Kollegen im Bilro sehe, also auch bei der Krankenkasse wird wie wild geraucht, und wenn die sich mit der noch glimmenden Kippe schon die ndchste wieder anmachen, das halte ich Jur sehr alarmierend." Demgegeniiber ist fur ihn Genuss "halt immer mit Verzicht verbunden, sonst konnte ich es ja nicht geniejien, indem ich es halt eben moglichst wenig mache. Also wenn ich stdndig rauchen wiirde, dann wurde ich den Unterschied ja gar nicht merken, wie es ist, nicht zu rauchen und sich denn vielleicht aufirgendwas zu freuen. Denn ist es ja nichts besonderes mehr. Das ist quasi so wie immer wdhrender Luxus, der einem irgendwann auch nichts mehr bedeutet und wo man sich denn mit mal nach dem einfachen Leben sehnt." Darauf angesprochen, was den Genuss beim Rauchen ausmache, antwortet Andreas H.: "Weifi ich auch nicht, so das entspannte Dasitzen, einfach durchzuziehen. Also manchmal ist das ja auch ganz nett, auch wenn wir beide da manchmal sitzen, wenn wir zusammen rauchen, das hat auch so was vertrautes."
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Auf die Frage, ob sich Regeln finden lieBen, die seinen Konsum rahmen und ob dazu beispielsweise gehoren wiirde, "tagsiiber grundsatzlich nicht" zu rauchen, erwidert er: "Also grundsatzlich, das hort sich so schonfast nach Prinzipien an. Nee, es ergibt sichfUr mich einfach keine Gelegenheit oder kein Grund tagsiiber eine zu rauchen (...) Also es ist quasi eine Gewohnheit von mir, tagsiiber nicht zu rauchen, um es mal so zu sagen (...) Das ist quasi so wie mit Alkohol trinken, wo unsere Altvorderen sagten, also bevor es nicht dunkel geworden ist (..) oder vor 18 Uhr wird kein Alkohol getrunken. Aber wobei ich mir dasjetzt nicht als Kegel aufgestellt habe, sondem es ist einfach ne Gewohnheit, das nicht vorher zu tun."
Dies beinhaltet daiin auch, dass er in auBergewohnlichen Situationen, wie zum Beispiel im Urlaub, durchaus auch tagsuber seiner Lust nach einer Zigarette nachgibt, so dass er im Urlaub dann auch manchmal auf 5 oder 6 Zigaretten tagHch kommen kann. Dabei zahlt er die Zigaretten nicht und da er von der Packung seiner Frau mitraucht, hatte er "da natiirlich wenig Kontrolle driiber (...) also nur so n mal Daumen. Aber ich denke so, so 5, 6 am Tag konnten das gewesen sein im Urlaub, wobei ich denri auch nicht sojeden Tag meine strammen 5 bis 6 geraucht (habe)." Darauf angesprochen, ob er denn zum Ende des Interviews noch eine spezielle Botschaft hinsichtlich des Rauchens mitteilen mochte, antwortet Andreas H. auflachend: "Nein, das ist mein stilles, privates Gliick."
Zusammenfassung Sein fruheres Rauchverhalten beschreibt Andreas H. als eher zyklisch. Konsumphasen, in denen er bis zu 10 Zigaretten am Tag rauchte, wechselten sich mit wochenlangen konsumfreien Zeiten ab. In Stresssituationen stieg sein Konsum an, was darauf hinweist, dass das Rauchen fur ihn damals eine stress-coping Funktion gehabt haben konnte, dass er sich fruher also u.a. zur Wiederherstellung seines seelischen Gleichgewichts oder zur Beruhigung geme mal eine Zigarette anzundete. Dieses Motiv taucht in der Beschreibung seines heutigen Rauchverhaltens nicht mehr auf. Heute wird sein Rauchverhalten eher von externen "Auslosem" beeinflusst, die alle einen geselligen Charakter haben. Wenn er in Gesellschaft anderer Rancher oder Raucherinnen ist, bekonmit er "einfach Lust" in bestimmten Situationen auch eine Zigarette zu rauchen. Auch abends zusammen mit seiner Frau, die eine starkere Raucherin ist, schatzt er die gemiitliche Atmosphare beim gemeinsamen Rauchen einer Zigarette. Neben der "Lust" zu rauchen, erklart Andreas sein Bediirfhis nach einer Zigarette ebenfalls mit 96
dem Begriff des "Schmacht haben", wobei bei dieser Erklarung eine gewisse korperliche Bindung an die Zigarette mitschwingt. Damals wie heute motiviert ihn sein Wissen iiber die Gesundheitsgefahren des Rauchens zu einem maBvollen, nicht abhangigen Konsum, der sich auf einem Level bewegt, von dem er annimmt, dass dieser gesundheitlich nicht riskant sei. Dass er seinen Konsum so problemlos steuem kann, erklart sich Andreas vor allem damit, dass er "gottlob" nie "wirklich ein starker Rancher" gewesen sei und auch die Erinnerung an die Wirkungen des Rauchens, die er deutlich spure, oftmals dazu fuhrten, dass er keine Lust zu rauchen habe. Allgemein glaubt er, ist es fur starke Rancher schwierig, das Rauchen einzuschranken. Diese Schwierigkeit der Reduktion und auch die hohen Riickfallquoten bei den Raucherentwohnungskursen erklart er mit Hilfe von zwei Deutungsmustem^^. Zum einen ist das Rauchen fur ihn ein habitualisiertes Verhalten, eine gewohnheitsbildende Handlung und damit eher eine "schlechte Angewohnheit" oder ein "Laster". Neben dieser auf das Verhalten zielenden Erklarung thematisiert er aber auch das Suchtpotential des Nikotins und glaubt aufgrund dieses "sehr potenten siichtig machenden Stoffes", dass eine Reduktion des Rauchens fur starke Rancher "wahrscheinlich ein wirklicher Gewaltakt" sei. Doch erwahnt er letztlich auch, dass ja der korperliche Entzug mit Hilfe von Nikotinersatzpraparaten "in den Griff zu kriegen sei und dass die Schwierigkeit mit dem Rauchen aufzuhoren wohl doch nicht so sehr an einer dem Korper fehlenden chemischen Substanz liege, sondem daran, dass eine alltagliche, selbstverstandliche Handlung fehlen wiirde. Das Rauchen einer Zigarette hat fur Andreas H. keinen hervorgehobenen Stellenwert, es ist fur ihn eher ein nettes Ritual, das er in bestimmten Situationen geniefien kann. Genuss ist fiir ihn notwendig mit Verzicht gekoppelt, da ein standig wiederholter Genuss seine Besonderheit einbtiBt. Sein Rauchverhalten erscheint vemunftgeleitet und ist flir ihn problemlos, ohne rigide Kontrolle und starre Prinzipien, autonom zu steuem.
5.2. Interview 5: Britta L (31 Jahre), 2 bis 5 Zigaretten am Tag: "Ich toleriere das bei mir auch, dass ich in dem Mafie rauche, wie ichjetzt rauche." Ihre erste (halbe) Zigarette rauchte Britta L mit 12 Jahren auf einem Spielplatz. Diese erste Konsumerfahrung war ihr auBerst unangenehm, es schmeckte "ganz ekelig" und danach hat sie dann "eigentlich Ewigkeiten nicht mehr geraucht, keine Lust drauffand es eher nervig." Sie gehorte lange Zeit zu den "extremsten Nichtrauchern, die es selbst gestort hat, wenn draufien neben mir mehrere Leute geraucht haben. Oder auch im Raum, hat mich immer abgeschreckt, auch im Wgl. Flick 2000:36
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Cafe habe ich mich da hingesetzt, wo wenig geraucht wurde. So richtig extrem zum Teil." Ihre negative Einstellung gegeniiber dem Rauchen veranderte sich erst mit ihrer Beziehung zu einem Mann, den sie sehr mochte und der auf eine ihr angenehme Art rauchte, d.h. er war kein "Kettenraucher" und er zeigte nicht "diese Kribbeligkeit wegen der Zigaretten", Die Beziehung zu ihm hat ihr "den Ekel genommen". Mit 27 fing sie dann selbst an zu rauchen. Sie kaufte "mehr aus Gag" in einer Stresssituation leichte Zigaretten, weil sie gehort hatte, dass Rauchen beruhigend wirke: "Also, ich hah das Geflihl auch so gehabt. Also, so manche in der Pause, Hauptsachejetzt eine rauchen, auch wenn irgendwas Anstrengendes gewesen ist, auch so in der Schule und dann dachte ich, vielleicht hilft mir dasja auch, wenn ich total nervos bin oder angeschlagen, in so Situationen, wo ich innerlich, so Umwdlzungen. Ich wusste, dass ich bald umziehe, Liebeskummer - also es passten so mehrere Sachen zusammen, dadurch dachte ich, 'Vielleicht hilft's dir, probierst es einfach maV. (Nachfrage: Hat es geholfen?) Es hat am Anfang tatsdchlich geholfen. Also, es ist natiirlich auch ein bisschen Einbildung dabei. Also, wenn du anfdngst dir so was einzubilden, dann . . Also, es ist auch nicht so, dass ich mich dann in dem Moment dazugestellt hab, wenn die anderen geraucht haben. Das hab ich auch nicht gemacht. Sondem ich fing dann ganz alleine an mit dem Rauchen, ganzfur mich. Das hab' ich auch teilweise beibehalten, dass ich nur alleine flir mich auch gesessen hab, wie andere alleine sagen, 'Ich trinkjetzt mal ein Glas Wein' oder so. Vielleicht nach dem Motto. Ich hab haltfiiiher nicht geraucht und wenn michjetzt manchmal jemand rauchen sieht, 'Hach, du rauchst?' ist immer, oft noch so eine Reaktion, weil das manche gar nicht wissen. Jetzt ist es anders geworden, jetzt nehme ich auch mal Zigaretten mit, und ich rauch dann mal vielleicht bis zu 2, 3, 4 Stiick irgendwie am Tag" Dabei hat sie am Anfang ausschlieBlich gepafft, hatte also nicht "dieses Geflihl" des Inhalierens, aber es schmeckte ihr auch so gut. Mit 28 hatte sie dann noch einmal eine Abstinenzzeit von mehreren Wochen, mit der sie ihre Rauchphase beenden woUte, fing dann aber "irgendwie" wieder an, ohne sich genau an die Situation erinnem zu konnen: "Irgendwie war es so dieser Zusammenhang mit Kaffee und Rauchen, glaub' ich. Ja, dann hab' ich mir noch mal ne Packung gekauft. Und ich bin damals auch umgezogen von der Wohnung, also mein Mitbewohner warja Nichtraucher, und hab dann alleine gewohnt. Das stellte ich mir dann auch ganz schon vor, dachte, na gut, da musst du ja dann auch nicht stdndig deine Wohnung so verrduchem und kannst dann schon gemiitlich auf dem Balkan rauchen und das hab' ich dann auch so gemacht. Dachte, ja okay, dann rauchst du manchmal auf dem Balkon oder in der Kiiche oder so. Und ich hab das auch oft schon so gemacht, dass ich keine mitgenommen hab \ wenn ich unterwegs war. Ich wusste genau, es gibt immer zwischendurch
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Pausen da wird geraucht, bei irgendwelchen Veranstaltungen, egal was man gemacht hat. Ich warja in der Zeit arbeitslos und mach auch politisch einige Sachen und da giht 's auch viele Leute, die viel rauchen. Das Viel-Rauchen, das schreckt mich schon eher ah, also wenn ich in einen geschlossenen Raum reinkomme und merke, so ne Dunstwolke schwebt schon so uber dem Raum, dasfinde ich schon echt unappetitlich." Sie betont, dass heutzutage jeder Raucher und jede Raucherin wisse, "dass das Rauchen schddlich ist" und erzahlt in diesem Zusammenhang des allgemeinen Bewusstseins der Gesundheitsgefahren iiber eine Zeit, in der sie selbst etwas mehr geraucht hatte und die Nebenwirkungen des Rauchens sehr stark spiirte: "Ich hab mal ein bisschen mehr geraucht, da waren das wirklich schon 5, das war schon knapp fiber 5, also 5-8. Dasfand ich schon sehr viel. Das hab' ich aber auch gemerkt, dafuhlte ich mich auch nicht mehr wohl. Also wenn das so bei 2-3 sind, dann ist das in Ordnung und wenn's mehr wird, dann merk' ich auch selber schon so, wenn ich am ndchsten Tag aufstehe, also nee, derKopfundso, wie so nach einer durchzechten Nacht mit ziemlich viel Alkohol. Das merk ich dann auch schon, das ist dann auch echt die Grenze." Es gibt auch Tage da raucht sie gar nicht oder "hochstens eine" Zigarette. Diese Tage plant sie nicht, sondem sie entstehen aus einer spezifischen Beschaffenheit des Tagesgeschehens: "Das entsteht aus der Situation, dann bin ich vielleicht viel unterwegs und hab die vergessen mitzunehmen oder muss den ganzen Tag irgendwas suchen, aufrdumen, arbeiten oder so. Vergesse ich dann einfach irgendwie, oder ich denk da gar nicht dran, hab die, wie gesagt, gar nicht dabei und dann klappt das halt irgendwie nicht. Denk' ich vielleicht mal ganz kurz am Tag dran und dann ja, das war es auch wieder. Also es ist dann nicht so, dass ich denke, ich muss dann unbedingt welche haben, das hab ich dann auch nicht. Das halt sich, glaub ich, in Grenzen. Also eher so. Ware ganz schon, wenn du jetzt nen Kaffee trinken konntest, aber na ja gut, das klappt jetzt nicht, ist auch okay', so in der Art eigentlich." Wenn sie mit anderen Rauchem zusammen ist und selbst nicht rauchen mochte, weil sie z.B. ihre leichten Zigaretten nicht dabei hat oder nicht in einer Wohnung rauchen will, dann merkt sie schon, "dass man dann ein bisschen was vermisst, wenn man dann so gemiltlich sitzt und andere fangen an zu rauchen. Aber das ist ein Moment und dann geht's auch wieder und wenn andere dann viel rauchen, dann hab' ich gar nicht mehr das Bediirfriis, unbedingt zu rauchen, weil es ist irgendwie in der Luft, kriegst du irgendwie mit und muss gar nicht sein. Ist unterschiedlich, mal denk' ich, 'Na, ist ganz schon' und mal, 'Ach, muss nicht', ist
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unterschiedlich. Auch so ein bisschen, so wie ich selher draufbin, also wie entspannt oder wie locker ich bin, Wenn ich mehr nervos und so bin, kann sein, dass ich eher sage, 'Nee, mochtest doch auch gem ne Zigarette rauchen', istganz unterschiedlich." Auf die Frage, ob sie denn sagen wiirde, dass sie ihren Konsum kontrolliere, antwortetBrittal.: "Ich denke mal, ein bisschen Kontrolle ist aufjeden Fall dabei, das hab * ich auch bei Schokolade. Vielleicht liegt das daran, ich bin so ein bewusster Mensch. Also, mein jetziger Freund, der hat friiher mal Alkohol getrunken und trinkt gar keinen mehr. Er sagt, er kann das nicht kontrollieren. Dann trinkt er halt noch ein Bier, noch ein Bier, noch ein Bier. Und bei mir ist das so, 'Mensch, jetztfdngt es dir an, richtig gut zu schmecken. Sind aber schon drei gewesen, hor' doch mal aufirgendwie'. Das sag' ich mir dann so und dann hor' ich auch erstmal auf. Ich merke das schon, wenn man mal so an der Bar ist und jetzt fdngt es einem so richtig an zu schmecken, also auch ohne Hektik und so, dass ich dann bewusst auch mal aufhore. Also so ganz bewusst so erstmal den Kopf einschalte und sage, 'Nee'. Aber ich denke mir mal, wenn ich das nicht machen wiirde, konnte das auch sein, dass ich da so langsam mehr rauchen wiirde. Also ich glaub \ das ist immer so ne Grenze zwischen Gewohnheit irgendwie, mal so ein bisschen Genuss ist es irgendwie auch, weil mir schmeckt es auch, ehrlich gesagt. Und manchmal vielleicht auch nicht und wenn es mir nicht schmeckt, hab' ich auch schon erlebt, dass ich denk', 'Nee, irgendwie schmeckt das heute nicht, dann lass ich das mal rasch'. Dann ziind' ich mir ne Zigarette an und denke, 'Nee, das muss Jetzt gar nicht sein' und das Juhrt dann hdufig auch zu diesen ein, zwei Tagen, wo ich dann gar nicht rauche oder so." Sie weiB manchmal nicht genau, ob sie nun "richtige Raucherin" oder mehr "Genusspafferin" ist, da sie auch heute noch "nicht so auf LungenzUge mache", mal inhaliere sie und mal nicht. Auch lost das Konsumverhalten starkerer Raucher bei ihr eher Irritationen aus: "Wenn ich bei anderen so sehe, wie schnell die auch ihre Zigaretten so wegrauchen und in einer Art und Weise, also so auchfahren auf dem Fahrrad oder Moped und dann die ganze Zeit den Glimmstdngel im Mund. Das konnte ich irgendwie gar nicht. Wdrefur mich alles dahin. So ne intensive Raucherin bin ich da gar nicht." Sie vermisst das Rauchen auch nicht, wenn sie mit Nichtrauchem zusammen ist und wiirde iiberdies mit dem Rauchen aufhoren, wenn es ihren Freund storen und er sie darum bitten wurde. Ihre spontane Assoziation zum Rauchen ist: "Der erste Zug vielleicht, weil der ist eigentlich auch am angenehmsten. Ich konnte die im Grunde auch nach ein, zwei Ztigen ausmachen. Das reicht mir dann manchmal schon. (...) Wie wenn ich beim Spargel nur die Kopfe essen wiirde."
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Als bewusste Regeln, die ihren Konsum rahmen, benennt sie, dass sie wegen der Geruchsbelastigung nicht in der Wohnung rauche und nicht vor dem Friihstuck, da ihr das nicht bekomme. Ansonsten hatte sie keine tageszeitspezifischen Regeln. Darauf angesprochen, ob sie denn ihre Zigaretten zahlen wiirde, meint sie, dass sie "so ein bisschen zahlen wiirde". Es konnte ihr durchaus passieren, dass sie mal nicht zahlt, wenn sie mit anderen Rauchem unterwegs ist, dann wtirde sie das hinterher am Inhalt der Packung sehen, wie viel sie geraucht hatte. Aber ansonsten wiirde sie schon auf die Anzahl der gerauchten Zigaretten achten: "Wenn ich das nicht machen wiirde, weifi ich auch nicht, das macht tatsdchlich ein bisschen was aus. Ist auch ne Geldfrage, so komme ich soundsolang damit hin, eineinhalb Wochen oder ne Wocheje nachdem mit einer Packung und das ist okay, also mehr mochte ich auch nicht verbrauchen, sonst wiirde mir das Game auch zu teuer." Sie findet es schwierig, anderen Rauchem Tipps zu geben, wie sie das Rauchen reduzieren konnten: "Ich glaub' nicht, dass man so was anderen raten kann, weil das geht gar nicht. Ich hab das auch gedacht, klar, ist alles ne Sache der Kontrolle. Es gibt auch Leute, die haben 20 geraucht und horen von einem Tag auf den anderen auf. Aber dadurch, dass man auch mitkriegt, dass so viele Leute Probleme damit haben, irgendwas zu lassen, oh es meinetwegen ihre 5 Tassen Kaffee sind am Tag oder ihre 10 Tassen, ist es genauso gut auch ein Problem fUr manche, ihre Zigaretten zu lassen. Es ist natiirlich viel psychologisch dabei, denke ich, allein schon diese Gedankengdnge, du stehst an der Haltestelle, bist irgendwo im Cafe, andere rauchen und das kannst du nicht (...) Das ist ja fur manche auch ein Problem, wenn da so zwei Stunden in einem Raum nicht geraucht werden darf dann muss da schon ne Raucherpause gemacht werden oder so. Und das ist fUr mich kein Problem, Uberhaupt keins. Ich muss j a nicht irgendwo ne Pause machen um zu rauchen. Nee, es muss sich eine Situation ergeben, wo ich sage, da konnte man ne Zigarette rauchen. J a, das istjetzt gerade gemiitlich oder so. Nee, so was muss ich nicht haben. Das istja auch immer ne Frage, wie man sich das angewohnt. Ich hab's dann auch mal angefangen, ich lese halt irgendwelche Sachen, die ich mir merken muss. Also, wenn man lernt und dabei anfdngt zu rauchen, hab ich gemerkt, das wird dann auch mehr. Also, wenn man erst mal damit anfdngt, wird es immer mehr, dann hab' ich es auch wieder abgestellt. Und hab gesagt. Nee, das ist es irgendwo nichf. Weil da kommt man irgendwie in so was rein, genauso, wenn ich mir 2 Tiiten Chips daneben legen wiirde, das hdtte auch so was, eine Gedankenlosigkeit. Ich schau femsehen und esse Chips. Ich rauche, denk' ich mal, nicht gedankenlos, sondern vermeide, auch viel nebenbei zu tun, dass ich sehr intensiv was lese, und andere Sachen kommen halt nicht in
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Frage, weil ichja nicht im Haus rauche (...) Das ist alles so ne Gewohnheitssache, denke ich. Nee, also Tipp von wegen 5 Zigaretten kann man nicht geben."
Auf die Frage, woran das denn lage, dass sie ohne Probleme wenig rauchen konnte und andere nicht, meint sie, dass die anderen vielleicht "mehr dies em Gefiihl nachgeben als vielleicht den Kopfdann einzuschalten. Das ist ja auch mit dem Essen, schmeckt ja lecher, aber ich bin satt. Ich esse dann auch nicht weiter. Manche Leute konnen dann irgendwie auch weiteressen. Also ich bin wahrscheinlich so ein kontrolliertes Verhalten (gewohnt) oder auchjur mich selber so, das mach ich sehr lange schon, auch schon als Kind so, 'Toll, nachher kannst du 2 Stuck Schokolade essen' und so habe ich mir das alles eingeteilt, wenn ich was hatte und dann auch wieder aufgehort (...) Und ich bin das auch so gewohnt mit Alkohol, dass mein Vater so eine Flasche Bier trinkt oder so und dass da nicht gleich X'Flaschen getrunken werden (..) Ich denke das geht in der Kindheit los (..) Das sehe ichja an meinem Freund, der sagt auch, 'Nee, ich kann das gar nicht' (..)Der hatfruher auch viel mehr getrunken und der kann das auch nicht kontrollieren, das geht nicht. Und der hatte es mal angefangen, fand er nicht besonders befriedigend, eher furchtbar. Nee, dann lieber gar keinen Geschmack von Bier und gar nichts mehr. Weil es ja dann sein kann, dass es dann nicht reicht, weil man nur ein bisschen was getrunken hat, und das ist dann auch zu wenig. Nee, dann lieber gar nicht. Ist komisch, ich weifi es auch nicht. Ja, weil ich auch so das Gefiihl habe, wenn ich Alkohol zuviel trinke, das mag ich dann auch nicht, so mal ein Glas Wein, find ich ganz schon, aber mehr muss nicht sein. Das istja auch wieder dhnlich gelagert, gut das ist anders, manche konnen auch wenig trinken und rauchen viel, aber es hat auch was mit Sucht und so zu tun und Gewohnheit. Das hat schon Ahnlichkeiten, Rauchen, Alkohol, Uberhaupt so Drogen."
Mit Sucht verbindet sie eine Zwangshandlung. Sie raumt ein, dass man ja meist zunachst bei Sucht an die "harten Sachen" wie zum Beispiel Heroin denke, aber dass es ja "alles mogliche" gdbQ: "Alkoholsucht, Nikotinsucht und es wirdja irgendwelche anderen Siichte noch geben, jajetzt vielleicht schon Computer sucht, wovon man nicht mehr lassen kann oder so. Femsehsucht soil es auch geben, alles Sachen, wovon ich sagen kann, ich kann es lassen oder es stort mich nicht wahnsinnig, wenn ich es nicht habe."
Bei der anschliefienden Frage, ob sie sich denn selbst als "nikotinsiichtig" bezeichnen wiirde, antwortet sie zunachst zogemd: "Weifi ich nicht. (lacht) . (iiberlegt lange) Ich hab mal mit jemanden dariiber geredet, mit einer Frau, die sagte, es gibt so nen gewissen, wahrscheinlich wie beim Alkoholspiegel, Nikotinspiegel. Nehmen wir mal an, mein Nikotinspiegel, wenn er was
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damit zu tun hat bei mir, ware vielleicht ganz niedrig, dann branch ich gar nicht mehr rauchen, das reicht dann vielleicht schon, wenn ich meine 2 Zigaretten hab. Wie manch anderer sagt, er braucht am Tag so seine 2, 3 Flaschen Bier. Kann sein, dass es sich vielleicht zwischen Sucht und Gewohnheit irgendwo da ansiedelt. Aber ich bin nicht sicher, ob es wirklich schon ne Sucht ist, weil es ja auch nicht so ist, dass ich kdmpfe, wenn ich nicht rauche, also so ist es nicht. Also ich denke mal, es ist mehr ne Gewohnheit als ne Sucht, aufjeden Fall, denke ich schon."
Ihr Motiv zu rauchen, ist vor alien Dingen, weil es ihr schmeckt "und manchmal auch, Oder ich bilde es mir ein, es entspannt, ja denke ich schon." Dabei raucht sie in Stresszeiten nicht mehr, setzt aber das Rauchen gezielter zur Entspannung ein. Ihre Grunde so wenig zu rauchen, sieht sie, neben den gesundheitlichen Aspekten, vor allem in ihrer Angst vor einer groBeren Abhangigkeit und den finanziellen Kosten: "Ich hefurchte eine grofiere Abhangigkeit, wenn ich aujhore zu kontrollieren und weil es teuer ist, kostet mir zu viel Geld." Ihr Wissen uber die moglichen Gesundheitsschadigungen durch das Rauchen sind recht umfassend, wobei sie aber immer wieder betont, dass diese Risiken eng mit einem lang andauemden, hohen Konsum verkniipft sind. Gesundheit ist ihr sehr wichtig: Sie ist Vegetarierin, achtet auf gesunde, abwechslungsreiche und regelmafiige Emahrung sowie auf ausreichend Schlaf und Bewegung. Die Vorstellung krank zu sein, ist fur sie "einfach schrecklich (...) so richtig krank, Krankenhaus oder Grippe ganzfurchtbar." Auf die Vor- und Nachteile des Rauchens angesprochen, benennt sie negativ, dass das Rauchen Geld kostet, dass sich der Geruch des Zigarettenqualms in der Kleidung festsetzt, die Finger nach Rauch riechen. Rancher eine erhohte Anfalligkeit fur Erkaltungskrankheiten haben sowie standig husten und dass starkes Rauchen zu Konditionsbeeintrachtigungen flihre und man sich dadurch schlapp flihle. Als Vorteile empfindet sie den geschmacklichen Genuss gerade auch in Verbindung mit einem Glas Wein oder mit Kaffee. Weiterhin assoziiert sie mit dem Rauchen in bestimmten Situationen eine gemutliche Atmosphare, in der sie sich entspannen kann, relativiert aber gleichwohl diese fiir sie angenehmen Seiten des Rauchens, indem sie auf die Subjektivitat dieser Vorteile hinweist und auch darauf, dass das Rauchen durchaus ersetzbar sei durch andere Handlungen mit gleichem entspannenden Effekt: "Also ich kann es nurfur mich personlich sagen, es schmeckt mir erstens mal undes schmeckt auch gut zu einem Glas Wein undzum Kaffee, also hat so was von Gemtitlichkeit dann auch in einem bestimmten Rahmenfur mich, wenn die Situation passt. Soviel Vorteile sehe ich gar nicht, ich denk', es sind auch so viele selbstgemacht. (Nachfrage: Selbstgemacht, heifit was?) Selbstgemacht heifit sojetzt, klar ne Tasse Kaffee und ne schone Zigarette, das sind halt die Sachen, die ich selbst damit assoziiere, aber genauso gut konnte man sich auch erholen, wenn man nicht rauchen wUr-
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de, denke ich. Also ich weifi schon, dass es nicht unbedingt notwendig ist, bin mir da durchaus drtiber bewusst." AUgemein hat Genuss fiir sie viel mit Geschmack und MuBe zu tun. Dabei ist das Rauchen bei manchen Genusserlebnissen eine willkommene Erganzung, bei bestimmten anderen Geniissen kaiin es aber auch eher hinderlich sein: "Genuss allgemein? Ja, gates Essen, Tasse Kaffee und Kuchen dazu, am Besten schon Zeit haben, am Wasser, schon gemiitlich machen, ja doch, das ware was fur mich. (...) Zeit haben, Musik anmachen, Sachen machen, die mir Spafi machen, irgendwas schones. Viel verbinde ich aber auch mit gutem Essen, das wirklich gut schmeckt, gut zubereitet oder dass man essen geht. Auch ein Wein kann fur mich Genuss sein, der gut schmeckt, das ist auch Genuss aufjeden Fall - mit oder ohne Zigarette. Tatsdchlich manchmal mit, aber manchmal auch ohne, weil ich schmecke den Wein noch intensiver, wenn ich keine Zigarette rauche, wdhrend bei Kaffee, das finde ich schoner dabei zu rauchen." Meistens befindet sie sich mit ihren Rauchverhalten in Harmonie, "Ich toleriere das bei mir auch, dass ich in dem Majie rauche wie ichjetzt rauche." Manchmal empfindet sie es jedoch als "nervig" beim Ausgehen an die Zigaretten denken zu mussen, wo sie sich dann fragt: "Muss das unbedingt sein? Habe ich auch schon manchmal gehabt. Das ware so dieser Konflikt auch. Kostet halt Geld und muss man auch noch dran denken und wenn man es dann vergessen hat, kriegt man ein Problem." Damit versucht sie sich dann allerdings abzufinden: "Na, dann geht das halt nicht (...) Das ist dann auch nicht so schlimm, das ist dann ein Abfinden wie wenn man was vergessen hat wie, was weifi ich, kann ich gar nicht beschreiben im Vergleich. Wenn man Geld vergessen hat, ist schlimmer, wenn man irgendwas kaufen muss. Was weifi ich, wenn ichjetzt vergessen hdtte, einen Pullover mitzunehmen und es wird doch kiihler, so in der Richtung. Es ist nicht soo schlimm, aber es ist manchmal doch ein bisschen, also ich hab das schon gemerkt, auch als Belastung auch empfunden, wenn ich so in Hektik oder alle bin, 'Schiet, sind die Zigaretten nicht da' oder vergessen oder Feuerzeug verloren. Kenne ich auch, ist irgendwo doof Ja, nee ist manchmal nicht so gut, das empfinde ich dann manchmal so als Konflikt." Auf die Frage, was sie denn allgemein iiber Leute, die so wenig rauchen wie sie, denken und wie sie diese Rauchergruppe nennen wurde, antwortet Britta I.:
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"Gelegenheits- und Genussraucher so in dem Bereich. Gelegenheit, Genuss oder, na, Gewohnheit, naja, aber,ja, das ist in OrdnungfUr mich. Das toleriere ich, weil ichja mich selhstja auch toleriere, das ist irgendwie in Ordnung. Ich denk mal, das muss jeder fur sich selbst abmachen. Ich ranch dann trotzdem oder ich fang an, das ganz aufzuhoren und. Ich hah das ganz oft schon gehort, 'Also, wenn ich so wenig rauchen wurde, wiirde ich es gleich ganz aufhoren' oder 'Oh toll, ich wiirde es auch versuchen, aber ich schaff es leider nichf. Aber klar, im Grunde konnte man sich auch genauso gut sagen, man konnte es auch eigentlich lassen. Ich hab diesen Spruch schon mal gehort, nicht nur von mir, sondern auch von einer Frau, die auch nur in dem Bereich raucht, 'Ja, eigentlich konnte man es auch schon lassen bei der Menge'. Aber das ist es eben nicht, das mache ich eben nicht. Das ist genauso wie mit der Tasse Kaffee, die ich nicht lasse morgens. Das ist ne Gewohnheit, denk' ich, nicht nur Genuss. Nur Genuss, das sindfUr mich Menschen, die alle paar Tage abends gemiitlich ihre Pfeifchen rauchen oder so, das ist nur Genuss. Und dieses mit dem Rauchen, dasfUhrt ganz schnell zur Sucht."
Zusammenfassung Britta war in ihrer Jugendzeit eine tiberzeugte Nichtraucherin und fmg erst recht spat, mit 27 Jahren, an zu rauchen. Ihr Motiv mit dem Rauchen anzufangen, war stress-coping und Beruhigung. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer innerlich und auBerlich unruhigen Lebensphase und dachte, dass das Rauchen ihr vielleicht helfen konne, wenn sie "total nervos oder angeschlagen" ist. So klingt auch ihre Erzahlung, wie sie ftir sich "ganz alleine" angefangen habe, wie eine gezielte Selbststimulation. Heute rauche sie, weil es ihr schmeckt und auch, weil es sie - wenn auch vielleicht eingebildet - entspanne. Der Geschmack stehe dabei im Vordergrund. Sie sieht sich nicht als eine "intensive Raucherin" und findet es auch eher abschreckend, viel und gedankenlos zu rauchen. Die Probleme, die manche Rancher mit einer Reduktion des Rauchens hatten, sind ihrer Meinung nach haufig einer bestimmten psychologischen Einstellung geschuldet (Verzichten wird zum Problem) und davon gepragt, wie man sich das Rauchen angewohnt habe. Daher konne sie auch keine Tipps geben. Sie selbst kontrolliere ihr Rauchen, indem sie bewusst aufhort, wenn sie merke, dass es ihr in einer bestimmten Situation anfange, "richtig gut zu schmecken". Auch vermeidet sie es, neben dem Rauchen noch etwas anderes zu tun und achtet auf die Anzahl der gerauchten Zigaretten. Zudem raucht sie nicht in der Wohnung und nicht vor dem Friihstuck. Die Tatsache, dass manche ihr Rauchverhalten oder ihren Alkoholkonsum nicht kontrollieren konnen, fiihrt sie auf Sucht und Gewohnheit zuriick. Sucht ist fiir sie eine Zwangshandlung, etwas wovon man nicht lassen kann. Obwohl sie bei ihrer Aufzahlung der verschiedenen Siichte (u.a. auch Nikotinsucht) betont, dass dies alles Sachen seien, die sie lassen konne, zogert sie 105
bei der explizit an sie gerichteten Frage, ob sie sich selbst als nikotinsiichtig bezeichnen wiirde, mit einer Antwort. In ihre anschlieBenden AuBerung zieht sie dann zunachst in Erwagung, dass auch bei ihr ein gewisser Nikotinspiegel eine RoUe spielen konne, kommt dann aber zu dem Schluss, dass das Rauchen bei ihr mehr eine Gewohnheit als eine Sucht sei. Der geschmackliche Genuss und die Gemiitlichkeit in bestimmten Situationen sieht sie als Vorteile des Rauchens an. Die gesundheitlichen Risiken betont sie vor allem in Verbindung mit einem lang andauemden und hohen Konsum. Da sie mogliche Gesundheitsschaden wie auch eine "groBere Abhangigkeit" und zu hohe Geldausgaben furchtet, kontrolliert Britta ihren Konsum. Ihr Rauchverhalten scheint jedoch weniger von einer rigiden KontroUe als vielmehr von einer auf Erfahrung beruhenden Steuerung ihres Konsums gepragt zu sein. Dabei spricht auch ihre grundsatzliche Offenheit gegenuber einem Konsumverzicht, wenn zum Beispiel Zigaretten nicht schmecken Oder nicht verfiigbar sind, fur ein flexibles und an den spezifischen Gegebenheiten der Situation orientiertes Verhalten.
5.3. Interview 8: Christel J. (48 Jahre), 5 Zigaretten am Tag: "Ich mach das in Mafien. Wenn ichjetzt Hunger habe aufne Zigarette oder auf McDonalds oder auf Farbstoff-Sufiigkeiten (lacht), dann gehe ich nicht hin und sage, 'Oh, das darfst du nicht! Das ist aber schlechtfur dich. \ sondern dann tue ich das." Christel J. rauchte die erste Zigarette ihres Lebens an ihrem 40. Geburtstag: "Also, die Situation war, dass ich 40 wurde und dass ich gesagt habe, sojetzt mochte ich das geme (lacht). Ich weifi nicht wieso, warum, aber ich hab ganz bewusst geraucht, und es hat mir erst mal nicht so viel gebracht, muss ich ganz ehrlich sagen. Also, erst mal war es eher unangenehm. Ich kriegte so ein leichtes Schwindelgefiihl und naja, aber ich hatte mir dasja nun vorgenommen zu rauchen (lacht). Und so im Nachhinein, ich analysiere mich dann auch immer ganz geme, und dann habe ich Uberlegt, das war so ein Lebensabschnitt, wo ich meinen Sohn grofi hatte, er war aus dem Grobsten raus. Ich hatte also die Phase mit dieser gesunden Emdhrung hinter mir, wo ich also fur mich und meinen Sohn Vorbild sein musste undja, danach brauchte ich das nicht mehr, jedenfalls hatte ich das Gefuhl, dass ich das nicht mehr brauchte und dann hab ich mir das gegonnt."
Die Tatsache, dass sie zuvor nie geraucht hatte, beruhte dabei nicht so sehr auf einer prinzipiellen Entscheidung gegen das Rauchen in einem prophylaktischen Sinne, sondern sie hatte vielmehr bis zu diesem Zeitpunkt "irgendwiQ nie das Bedilrfnis zu rauchen" verspiirt. Mit 40 aber fing fur sie ein anderer Lebensab-
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schnitt an, in den sie nun das Rauchen integrieren wollte, indem sie dem Rauchen einer Zigarette ganz klare Funktionen zuwies: " (...) es war ganz bewusst gewdhlt. Weil ich vorher, wie gesagt, auch eher aufmich und meinen Korper und mein Kind geachtet habe. Ja, das kam irgendwie nicht in Frage, das war irgendwie aufierhalb meiner Vorstellungskraft. Ja, und dann war es irgendwie ein anderer Lebensabschnitt (...) Ja, jetzt war ich ja nicht die typische Raucherin. Ich hatte keine typischen Situationen, wo ich zur Zigarette griff, sondern ich hab immer die Zigarette sozusagen als Belohnung genommen, zum Beispiel wenn ich . . etwas geschafft hatte, zum Beispiel zur Entspannung, wenn ich mich zuriickziehen wollte. Ich hatte auch relativ wenige Rilckzugsmoglichkeiten, auch im Kollegium. Wir sind im Kollegiumja Nichtraucher und sitzen dann naturlich immer alle in einem Raum. In den Pausen hat man irgendwie itberhaupt keine Entschuldigung mal rauszugehen, und mal uberhaupt nichts zu horen, und uberhaupt nichts zu reden. Ja, und dann war das eigentlich immer so, 'Achja, ich geh mal eben raus. Ich muss jetzt nicht mehr dabei sein.' Also, es war schon irgendwo fur mich ne Rilckzugsmoglichkeit, dass ich gedacht habe, ich mach jetzt mal was anderes. War vielleicht auch so ein bisschen Emanzipation im weitesten Sinne, dass ich mich so aus bestimmten Gruppen, Arbeitsgruppen (...) so aus bestimmten Bereichen herausziehen wollte, weil ich einfach keine Lust mehr hatte, aufdiese ewig selben Gesprdche und immer wieder dasselbe kauen." Das Rauchen half ihr, sich von ihren Kolleglnnen auf eine neutrale Art abzugrenzen und sich damit auch von den zwischenmenschlichen Anforderungen in diesem Kreis, ohne verletzend zu sein, distanzieren zu konnen: "Und das war fur mich so ne Fluchtmoglichkeit zu sagen, ohne dass es jetzt, ja, fur die anderen irgendwie schwierig wurde. Ich hab nicht gesagt, 'Ich will jetzt nicht mehr mit euch quatschen', sondern ich hab gesagt, 'Ich geh jetzt mal eine rauchen'. So, ich war naturlich immer schon so ein bisschen Exotin und hab schon immer meine Meinung gesagt, aber das war dann so aufierhalb dieses Gesprdchskreises, dass man also auch keine Meinung mehr haben musste, sondern dass ich gesagt habe, 'Ich will jetzt einfach gehen. Und um zu gehen, brauch ich jetzt einen Grund.' Ich denk mal, dass das auch da mit da reingespielt hat. Das war also in so einer Umbruchphase, wo ich dann gesagt habe, 'Ach, ich muss das jetzt nicht mehr haben. Rauchst erst mal eine'." Als einen weiteren positiven Effekt des Rauchens benennt sie, dass seitdem sie rauche ihre Lust auf SiiBigkeiten abgenommen hatte. Dies helfe ihr, die in den letzten Jahren bei ihr sukzessiv stattfindende Gewichtszunahme zu reduzieren bzw. zu kontrollieren. Zudem assoziiert sie mit dem Rauchen einen bestimmten Frauentyp, der einem von ihr typisierten und abgelehnten "Muttchenbild" widerspreche und ihrer Wunschvorstellung von sich selbst naher kame:
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"Ja, vielleicht im Hint lick aufdiinner werden, dass ich das erst mal damit entschuldigt habe oder damit erkldrt habe, dass ich gedacht habe, ich mussjetzt aujpassen, dass ich nicht noch mehr zunehme. Das warjetzt schon ein Kriterium, wo ich gesagt habe, ich mochte jetzt nicht, wenn ich so aufdie 40 Jahre zusteuere, dass ich dann so in Richtung weich und griffig, das typische Muttchen werde. Ein Muttchen-Typ raucht fUr mich nicht. Vielleicht hab ich mich da irgendwo schon so unbewusst in eine andere Schublade rein katapultieren wollen, weil meine Mutter ist rundlich, die raucht nicht. Und die Frauen, die rauchen, sindeher schlank. Kann gut sein, dass es da wahrscheinlich irgendwo mit was zu tun hat." Auf die erstaunten Reaktionen ihrer Umwelt, dass sie in einem Alter mit dem Rauchen anfinge, in dem andere damit aufhorten, erwiderte sie damals amiisiert: "'Mensch, ich hab ja jetzt noch nie geraucht. Noch nie! Und jetzt hab ich endlich, denk ich mal, 25 Jahre Zeit, das alles aufzuholen, was die anderen sich gerade miihsam abgewohnen'." Ihr taglicher Zigarettenkonsum von ca. 5-7 Zigaretten variiert etwas mit der jeweiligen Struktur des Tages. Sie raucht ein wenig mehr, wenn sie in der Schule arbeitet, da sie dort "vorgefertigte Pausen" und "feste Strukturen" hat, an die sie ihren Zigarettenkonsum angepasst hat. Bliebe sie dagegen zu Hause sei ihr Tagesablauf von ihrem Schulalltag sehr verschieden und ihr Konsum geringer: "Und zu Hause ist es so, da hab ich ja keine Strukturen in dem Sinne, da steh ich auch anders auf, und esse auch anders. Und dann kommt das vor, dass ich z.B. bis mittags um eins Uberhaupt keine rauche, wdhrend ich in der Schule dann schon 2 geraucht habe, weil ich ja schon 2 Pausen gehabt habe. Das ist also ganz unterschiedlich. Ich hab, wie gesagt, auch nicht irgendwie so das Gefuhl, ich muss jetzt eine rauchen. Das ist ja auch nicht bei mir so situationsabhdngig. Und in Gesellschaft kann das schon mal vorkommen, wenn ich z.B. in Urlaub fahre und meine Schwdgerin raucht auch dieselbe Marke wie ich, ich rauch auch nur eine Marke, ich nehme nicht jede Zigarette. Und die raucht eben die selbe Marke wie ich und dann kann das dann auch mal vorkommen, dass ich dann auch mal mehr rauche. Bis jetzt hab ich noch nicht festgestellt, dass es mir irgendwie unangenehm wird oder so, aber ich wilrde von mir aus nicht jetzt sagen, ich rauche jetzt meinetwegen in Stresssituationen oder in Entspannungssituationen oder nach einem Kaffee oder so, kann ich nicht sagen. Haben mir immer viele prophezeit, so nach dem Motto, das fdngt langsam an und das ufert ganz schon aus. Aber ich rauche jetzt seit 8 Jahren und es hat sich noch nicht grofiartig verdndert." Sie raucht auch ganze Tage uberhaupt nicht, wenn sie Husten hat oder erkaltet ist. Zudem raucht sie nicht gem in Gesellschaft bei sich zu Hause und iiberhaupt
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nicht in Gegenwart von Leuten, die sie eigentlich nur nichtrauchend kennen oder in Nichtraucherkreisen. Ihre Schwagerin ist auch die einzige in ihrem naheren Umfeld, die raucht. Verqualmte Raume sind ihr auBerst unangenehm, so dass sie auch nicht in ihrer Wohnung, sondem lediglich drauBen auf der Terrasse und generell nur ungem in geschlossenen Raumen raucht. Es kann zwar mal vorkommen, dass sie auf einer Festivitat oder im Lokal mit anderen Rauchem zusammen eine Zigarette mitrauche, aber dies sei nicht so ein Genuss als wenn sie zu Hause eine Zigarette konsumiere: "Also, ich mach das schon mit Genuss. Also, ich geh in eine bestimmte Ecke, da ist also ein Aschenbecher, das ist bei uns auf der Terrasse, die ist uberdacht, da kann man das ganze Jahr fiber sitzen. Und da hab ich ein Stuhlkissen und da hab ich gegenUber nen Stuhl, da leg ich die Beine drauf und das ist dann also schon ne gemiltliche Situation. Und dann rauch ich die Zigarette eigentlich ohne Unterbrechung, also ich wurde nichts mit zu trinken nehmen oder nichts mit zu lesen nehmen, sondem das ist so ne dreiminiitige Auszeit, die ich mir also nehme und die ich mir gonne und dann mach ich weiter. Und wenn's ganz kalt ist, dann geh ich auch schon mal so im Stehen raus (lacht). Also, es kommt ein bisschen auch aufs Wetter an, aber es sind immer so Auszeiten, wo ich dann sag, 'Jetzt konnt ich mich mal wieder so ein bisschen entziehen'." Auf die Frage, ob sie anderen Rauchem Tipps geben konne, wie man es schaffe, so wenig zu rauchen, antwortet Christel J.: "Kann ich so nicht sagen. Es ist ja so, wenn man diese RauchempfehlungsbUcher liest oder diese Nichtraucher-Empfehlungsbiicher, da steht ja immer drauf, wenn man sich das Rauchen abgewohnen will, dann muss man die Situationen verdndem, die zum Rauchen fiihren, zum Beispiel ne Tasse Kaffee, ne gemiitliche Zeitung oder ne gemiitliche Ecke und dann noch die Zigarette dazu. Und das hab ich nicht, ich hab diese Situationen nicht, wo ich sage, das ist jetzt fiir mich so ein SchlUsselreiz, wo ich sage, 'Jetzt brauch ich die Zigarette dazu'. Das sind so Situationen, die ich kenne, die ich auch bei anderen kenne. Ich kenne also Leute, die mit Genuss irgendwo sitzen und rauchen und sagen, 'Ich miisste es mir eigentlich abgewohnen, aber nach dem Essen oder in Gesellschaft oder mit einem schonen Glas Wein, brauch ich die Zigarette". Und das sind so Situationen, wo ich dann immer sage, 'Ich brauch das nicht'. Ich kann das zwar haben, ich kann auch mitmachen, aber es ist nicht so, dass ich das brauche. Also, wenn der ndchste Tag ne andere Situation bringt, dann brauch ich das nicht. Und das ist eben genau der Punkt, deswegen sag ichja auch immer, ich bin, glaube ich, ein bisschen geschiitzter davor, weil ich nicht diese Situationen habe. Ich hab nicht diese Rituale und wenn ich jetzt mit 20 angefangen ware zu rauchen, dann denk ich mal, ist der Korper auch anders beeinflussbar, dann hat man vielleicht solche Rituale aufgebaut. Genauso wie ich mit meiner Schokolade, wenn ich abends dann vorm Fernseher liege, ich hab so ein schones So-
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fa, und dann mir so einen Krimi angucke und dann so ne tiefgekuhlte Toblerone oder so was habe, da brauche ich das oder diese Zusammenhdnge brauchte ich schon. Das ist so die Kronung abends, wenn ich also ganz kaputt bin, dann war das meine Belohnung. Und jemand anders hat dann die Zigarette genommen. Aber ich sag immer, ich sag das von mir, ich weifi das ja nicht, ob das stimmt, aber ich hab keine Suchtpotentiale. Ich kann auch mit der Schokolade, das war mehr so phasenweise, wenn ich auch zum Beispiel ganz kaputt war und ganz abgearbeitet war, dann hab ich mir das auch erlaubt, wenn man so will. Das ist vielleicht auch dhnlich mit der Zigarette. Aber es waren keine Situationen, wo ich gesagt habe, 'Jetzt brauch ich das jeden Tag'. Das war es nicht. Das einzige, wo ich also immer wert drauf lege, wo ich immer sage, 'Ich brauche das', das ist meine Tasse Kaffee mittags, wenn ich nach Hause komme. Das ist so ne Situation, wo ich immer ne Tasse Kaffee haben mochte, und wenn ich die nicht habe, dann such ich mir ne andere Moglichkeit, wie zum Beispiel ne Stunde spdter ne Tasse Kaffee oder so, oder ich geh an einen Automaten, wenn ich irgendeinen kriegen kann, oder ich plane morgens schon einen Kaffee mitzunehmen, damit ich weifi, dass ich ihn mittags habe. Das sind so Situationen, wo ich sag, 'Das ist mein Ritual'. Aber das ist nicht gekoppelt mit Siifiigkeiten oder auch nicht gekoppelt mit der Zigarette."
In diesem Zusammenhang erlautert sie auch, dass ihrer Meinung nach eine Abhangigkeit auf Ritualen aufbaue und dass man weniger von einer bestimmten Substanz abhangig sei, sondem vielmehr von einer bestimmten Situation: "Aber man braucht im Grunde, oder ich sag das von mir, ich brauch im Grunde genommen nicht den Kaffee, sondem ich brauche, diese Situation, dass ich weifi, jetzt hab ich das abgeschlossen, ich bin jetzt fertig mit meiner Arbeit, ich muss mich so ein bisschen erholenfur das ndchste. Das ist so meine Interpretation. Ich hab also auch nicht direkt mit Siichtigen zu tun. Also ich kann jetzt nicht sagen, wie sich so ne Sucht aufbaut. Das ist ja auch mit vielen Faktoren und ich kann dazu wenig sagen, well ich auch gar keine Erfahrungen damit habe. Aber, fiXr mich ist das schon so, dass man ne Situation braucht, um zu erkldren, dass man jetzt diesem Suchtpotential nachgeht."
Dieses "Suchtpotential" sieht sie dabei eher in einer vermittelnden Funktion der Substanz, die sie fflr ihr Befindlichkeitsmanagement nutzt: "Ich brauche den Kaffee, weil ich die Situation verdndem will, well ich mich entspannen will oder weil ich abschliefien will und belohne mich mit dem Kaffee (...) Das wdre sicherlich bei der Zigarette dhnlich, wenn ich sie denn rauchen wilrde um die Zeit. Aber um die Zeit brauch ich das nicht, weil ich den Kaffee eigentlich im Sitzen brauche, und ich muss dabei sitzen, und ich muss dabei in meiner Kiiche sitzen, und ich muss die Zeitung dazu lesen konnen. Und wenn ich jetzt zum Beispiel Hunger habe, dann muss ich auch zum Kiihlschrank gehen konnen. Das muss ich nicht
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unbedingt, aher zumindest sollte er greifbar sein (...) Also, ich wurde den Kaffee jetzt nicht im Stehen draufien trinken oder so. "
Als wesentlichen Unterschied zwischen sich und Menschen, die 20 Zigaretten am Tag rauchen, bezeichnet sie den Umstand, dass sie erst in mittleren Jahren mit dem Rauchen begonnen hatte. Sie sei "injedem Falle von der korperlichen Konstitution nicht auf Rauchen gepolt", da ein Korper in diesem Alter einfach "abgekldrter" sei als in jiingeren Jahren: "Ein Korper mit 40 reagiert vielleicht anders auf irgendwelche Reize als ein Koper mit 20 oder mit 16. Das ist so meine Interpretation. Und von daher, kann ich von mir sagen, dass ich dieses Abhdngigkeitsverhdltnis, was man so hort, wenn jemand sagt, 'Ah, ich hab jetzt wieder mal einen Hunger drauf, ich muss jetzt mal eine rauchen', oder so. Das spUr ich nicht so bei mir. Ich kann zwar auch sagen, 'Ohja, ich geh mit'. Aber ich kann nicht von mir aus sagen, 'Jetzt geh ich aber eine rauchen, weil ich hab jetzt schon 3 Stunden oder 4 Stunden keine mehr geraucht'. Dann ist das eher eine andere Erklarung, dass ich sag, 'Oh, ich hab jetzt keine Lust mehr hier zu sitzen. Ich muss jetzt mal nach draufien und mir die Beine vertreten'. Und dann rauch ich eine. Vielleicht ist das vorgeschoben. Das kann durchaus sein. Ich will das jetzt nicht so interpretieren. Aberjur mich ist das immer noch ne andere Sache, dass ich gehe. Ich kann also auch, wenn ich zum Beispiel so jetzt in der Uni von morgens um 10 anfange oder um 9 waren wir da, bis nachmittags um 4, da rauch ich zwischendurch keine. Da brauch ich das nicht. Da ist auch keiner, der raucht. Und wir unterhalten uns angeregt und sind da ja auch in einer vollig neuen Umgebung. Das ist alles total spannend, da hab ich auch nicht das Gejuhl, dass ich jetzt mal irgendwo raus gehen muss oder so."
Mit Genuss assoziiert sie in erster Linie Kaffee "und irgendwo schon sitzen". Auch Essen kann flir sie in einer gemiitlichen Atmosphare Genuss bedeuten und sie bringt diese Situationen zusammenfassend auf die Kurzformel "also gemiitlich gleich Genuss". Das Rauchen steht bei ihren Genussassoziationen nicht im Vordergrund: "Ich konnte dann anschliefiend sagen, wenn jemand dabei ware, zum Beispiel wenn wir essen gehen, schon Espresso zum Schluss und dann konnt ich eine rauchen. Das ist schon richtig, aber nicht in erster Linie." Auf die Frage, was sie iiber das Rauchen wisse, erlautert sie etwas amiisiert, dass sie ja selbst Aufklarungsunterricht in ihrer Schule mache und dass heute eigentlich jeder iiber die Risiken des Rauchens aufgeklart sein miisse: "Wer kennt das nicht? Also, ich finde, wer also heute keine Informationen iibers Rauchen hat, der geht also schon ziemlich blind durchs Leben."
Allgemein auf Gesundheit angesprochen, erzahlt sie, dass sie mit Gesundheit vor alien Dingen eine gesunde Emahrung (sie hatte eine intensive und lange Natur111
kost-Phase wahrend der Kindheit ihres Sohnes), einen relativ ruhigen Tagesablauf und keinen Alkohol verbinde. Sie sei "eher ein Typ, der nicht iiber die Strange geschlagen hat, auch nicht als Kind oder als Jugendliche. Ich habe also nichts exzessiv gemacht, wie man das so schon sagt." Im Hinblick auf ihre Assoziationen in Bezug auf Krankheit berichtet sie von Erschopfungszustanden, die sie erlebt, wenn sie zu viel Stress habe, zu wenig schlafe und sich dann auch noch ungeniigend emahre: "Wenn ich Stress habe, esse ich sehr wenig. Wenn's mir gut geht, esse ich mehr. Und das sind so Faktoren, wo ich dann irgendwann so leichte Migrdneanfdlle kriege oder wo ich dann vielleicht ne Erkdltung kriege. Und das sind so Situationen, wo ich im Vorfeld sage, ich pass auf, dass ich nicht bis an diese Erschopfungsgrenze gehe, mich vorher rausziehe und dann versuche, so ein bisschen fursorglicher mit mir umzugehen. Das ich also nicht an diesen Punkt komme (...) wo ich also heute, wenn ich sag, 'Ich komme wieder bis an meine Leistungsgrenze', wo ich dann sag, 'Ich entzieh mich'. Ich geh raus. Ich geh entweder ins Bett oder ich geh Spazieren oder ich mach ne Fahrradtour. Wo ich das leichter sagen kann, weil ich nicht mehr den Druck habe, weil das Kind so klein ist. Wenn ichjetzt kleine Auszeiten nehme, dann rauch ich (lacht). Hdngt sicherlich auch damit zusammen, dass das also auch diese Auszeiten sind, die ich immer gebraucht habe."
In diesem Zusammenhang wird umso deutlicher, dass ihr Rauchen funktional ist und ihr hilft, sich in einer fiir sie gesunden Balance zu halten. Das Rauchen wird somit fiir sie zu einem Beitrag fur ihr Wohlergehen und ihre Gesundheit. Vor dem Hintergrund, dass sie fiir sich ein vertragliches MaB einhalten kann, ist sie der tJberzeugung, dass es ihr gut tut, wenn sie mal eine Zigarette raucht oder Dinge isst, die man nicht unter der Rubrik gesunde Emahrung verorten wiirde: "Ich mag auch geme Stifiigkeiten mit Farbstoff, das sind so Sachen, die sprechen mich an. Da weifi ich ganz genau, ich konnte schon die ganzen E-Nummem vorzdhlen und trotzdem finde ich, das schmeckt. Das mag ich. Und ich bin auch auf der anderen Seite der Meinung, wenn ich sage, ich bin nicht exzessiv, also ich esse nicht tausend Tonnen, sondem ich esse mal irgendwas und das ist auch relativ wenig. Und ich geh mal zum McDonalds und ich rauche mal und ich denke mal, das tut mir gut, in dem Sinne. Aber, ich hab kein schlechtes Gewissen dabei. Ich sag nicht, 'Oh Gott, oh Gott, was tu ich denn da wieder?' Sondem ich bin der Meinung, wenn man alles in Mafien macht und man selber gesund ist und sich gutfUhlt, dann tut mir das gut."
An dieser Stelle bekommt dann auch der Genussaspekt noch mal eine andere Konnotation, indem sie sagt: "Weil ich denke, Essen und Gesundheit hat auch was mit Genuss zu tun. Und Leben und Gesundheit hat auch was mit Genuss zu tun." 112
Zusammenfassung Bei Christel J. ist die individuelle, aber mehr noch die biographische Funktionalitat, die sie dem Rauchen gibt, sehr auffallig. Sie raucht mit 40 Jahren ihre erste Zigarette und initiiert damit fur sich den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt, der ganz generell davon gekennzeichnet ist, dass sie mehr auf sich selbst und ihre Bedurfhisse achtet. Fiir sie ist nun die Zeit der Mutterschaft sowohl im Hinblick auf ihren Sohn als auch hinsichtlich ihrer RoUe im Arbeitskollegium vorbei. Die Zigarette wird sowohl ein aufieres Symbol ihrer "Emanzipation", mit dem sie sich auch gleichzeitig von einem "Muttchenbild" verabschiedet bzw. distanzieren will, als auch das Mittel der Abgrenzung. Das Rauchen einer Zigarette bedeutet ftir sie in erster Linie, sich eine Moglichkeit zu schaffen, sich von sozialen Anforderungen zuriickziehen zu konnen, fur sich eine Auszeit zu nehmen und mit Hilfe eines Rituals zur Ruhe zu kommen. Sie raucht allerdings nicht grundsatzlich alleine sondem zum Beispiel auch in Gesellschaft ihrer Schwagerin, die die einzige Raucherin in ihrem naheren Umfeld ist. Gemeinsam mit ihr konnen es in bestimmten Situationen auch mal ein paar Zigaretten mehr als iiblich werden. Doch sind dies alien Prophezeiungen ihrer Umwelt zum Trotz lediglich Ausnahmen, und so raucht sie jetzt seit 8 Jahren in ihrem low-rate Konsummuster. Generell sieht sie sich nicht als eine klassisch konditionierte Raucherin an, das bedeutet fiir sie, dass ihr Rauchverhalten nicht gekoppelt ist an bestimmte Situationen oder Schliisselreize, wie sie das von anderen Rauchem kenne. Auch sei sie, da sie erst so spat mit dem Rauchen angefangen hatte, im Vergleich zu anderen Rauchem "von der korperlichen Konstitution her nicht auf Rauchen gepolt". Daher fehle bei ihr ein korperliches "Abhangigkeitsverhaltnis" zur Zigarette. Auch ist sie davon iiberzeugt, dass sie generell nicht zu siichtigem Verhalten neige ("ich habe keine Suchtpotentiale"). Sie raumt allerdings ein, dass ihrer Meinung nach eine Abhangigkeit auf Ritualen aufbaue und dass man mit dem Konsum bestimmter Substanzen eine Situation^^ verandem woUe und belegt dies mit ihren eigenen Erfahrungen hinsichtlich "ihrer Tasse Kaffee". Gleichzeitig steht fur sie Kaffee auch an erster Stelle der Dinge, die fur sie Genuss bedeuten. Ihr Rauchverhalten wird von den Inhalten und Strukturen des Tages gepragt, so kann es auch durchaus vorkommen, dass sie unter bestimmten Umstanden den ganzen Tag iiber nicht raucht. Sie mag generell keine verqualmten Raume und raucht deswegen auch nie in der Wohnung oder in geschlossenen Raumen. Am meisten genieBt sie eine Zigarette zu Hause auf ihrem Balkon, wo sie es sich zum Rauchen gemiitlich macht und auch dann nichts anderes tut als eben diese ^^ Der Begriff Situation schlieBt dabei m. E. sowohl ihre korperliche und psychische Verfasstheit (set) als auch das Umfeld und den jeweiligen Handlungszusammenhang mit ein (setting). Vergleiche zur Bedeutung von set und setting als den Drogenkonsum pragende Variabeln Zinberg (1984).
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Zigarette zu rauchen. Ihr Rauchverhalten ist in seiner Entwicklung und bestandigen AuBerung eindeutig fiinktional entspannungsorientiert und autonom. Christel weiB um die Risiken des Rauchens, ist aber davon iiberzeugt, dass alles, was man in MaBen mit einem guten Geflihl tut, nicht schadet, sondem gut tut. Dabei ist ihr maBvolles Verhalten nicht etwas, das sie kontroUieren und willentlich steuem miisste, sondem entspricht scheinbar ihrem Naturell ("eher ein Typ, der nicht iiber die Strenge geschlagen hat") und ihrer Einstellung zum Leben.
5.4. Interview 16: Dimitris K. (40 Jahre), 3 Gramm Tabak (ca. 3 bis 4 "normale" Zigaretten): "Ja, es ist auch ne Angewohnheit, eine schone Gewohnheit, die ich gernepflege." Seine erste Zigarette - eine Gauloises ohne Filter - rauchte Dimitris mit etwa 16 Jahren in seiner Jungenclique. In den darauf folgenden Jahren konsumierte er dann ca. ein oder zwei Zigaretten pro Tag im Kreis seiner Freunde. Aus heutiger Sicht bezeichnet er sein damaliges Rauchverhalten mehr als ein "Gesellschaftsrauchen". Im Alter von 18 oder 19 Jahren, nach dem Abitur, anderte sich dies: "Da habe ich ndmlich jemanden kennengelemt bei uns im Haus, der ganz begeistert vorbeikam, 'Hey guck mal, ich habe einen neuen Tabak, den musste unbedingt mal probieren'. So, das istgenau der Tabak, den ich jetzt seitzwanzig Jahren rauche und an dem habe ich mich festgebissen. Ich hab mir mal irgendwann gesagt, wenn es den nicht mehr gibt, es gdbe noch so eine Alternative, wo ich ausweichen konnte, aber im Prinzip wiirde ich dann die Lust verlieren, es ware nicht mehr das, was es vorher war. Das ist ein Tabak mit Pfeifenaroma, ein Pfeifentabak und das war so das, wo ich mich absolut festgebissen habe. Ein bisschen siifilich und der war nicht zu stark undja, den habe ich richtigfiir mich lieb gewonnen. Ich habe auch seither nie, irgendwo, irgendjemanden kennengelemt, der genau diesen Tabak raucht. Probiert haben sie ihn alle durch die Bank, aber es ist keiner so dran kleben geblieben wie ich. Das habe ich also beobachtet. Die sind alle wieder aufihre Marlboros umgestiegen undfanden es eine nette Zwischenerfahrung, und ich habe mich da so still festgebissen und rauch den mit Leidenschaft, wie andere Leute einen ganz (besonderen) Whiskey trinken oder was auch immer."
Zwar erhohte sich seine Konsummenge nach der Entdeckung diesen Tabaks, sie blieb aber immer noch auf einem moderaten Niveau, so dass ein Packchen Tabak seinen Zigarettenbedarf von 7 bis zu 10 Tagen deckte. Seit ein oder zwei Jahren versucht Dimitris nun, seinen Konsum noch mehr zu reduzieren, vor allem indem er seinen "Zigarettchen" nun noch diinner dreht als zuvor:
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"Ich hahejetzt einen Konsum, ich habe es mat nachgerechnet von drei-komma-drei Gramm pro Tag. Das sind also wirklich vierzehn Tage fur funfzig Gramm. Kann man nachrechnen. Ich hah also, ich weifi gar nicht, miisste hier drin sein, genau hier steht das Datum (im Tabakpdckchen), Sonntag, der 01.07. Das istfur mich immer so eine Kontrolle. Dann weifi ich, wenn ich jetzt am Samstag oder Montag ein neues Pdckchen aufmache, dann weifi ich, okay, ich liege gut in der Zeit oder ich habe uberzogen oder ich habe zuviel geraucht. Und wenn sich das langfristig dahin entwickelt, dass ich mit so einem Pdckchen vielleicht drei (Wochen), vielleicht sogar einen Monat hinkomme, dann bin ich eigentlich am Ziel, weil aufhoren will ich eigentlich nicht. Ich kann es ja ruhig sagen, ich bin a) Diabetiker, ich bin b) Bluthochdruck-Patient und habe daher schon ein erhohtes Risiko was Herzinfarkt betrifft. Und dass jetzt in meiner Familie ein Krebsfall vorkommt, mein Gott, da will ich mich jetzt nicht panisch machen, aber ich kann trotz Diabetes und Bluthochdruck jetzt dennoch mit gutem Gewissen sagen, das ist so wenig, dass ich kein schlechtes Gewissen habe. Auch vor meinem Arzt nicht, ich sag dem, Drei Gramm am Tag rechnen Sie das um, das sind drei oder vier normale Zigaretten'. Das ist statistisch gesehenfdllt das irgendwie hinten ruber, das ist fast nicht rauchen, fast. Aber trotzdem ich versuche, die Tendenz in die Richtung zu lenken, dass es noch weiter runtergeht mit dem Hintergedanken, a) natUrlich, dass ich gesUnder lebe, aber auch b), dass ich noch bewusster rauche, noch bewusster rauchen mochte. Drei Zigarettchen am Tag, warum nicht, konnte ich mir gut vorstellen."
Auch die Motive seines Rauchens haben sich im Laufe der Zeit verandert. Aus dem Gesellschaftsraucher von friiher ist eher ein stiller GenieBer geworden, der das Rauchen ganz gezielt zur Entspannung einsetzt und es durch Regeln rahmt. Rauchen bedeut flir Dimitris heute: "Genuss, Entspannung, auch so ein symbolischer Akt nach dem Motto 'So, jetzt klinke ich mich mal drei, vier Minuten aus', jetzt kann das Telefon klingeln oder sonst was passieren, ich sitze jetzt erst mal da. Ich lese da auch nicht, ich gucke auch kein Fernsehen, hochstenfalls, dass ich Musik hore undja, ich geniefie den Geschmack, ne, in Verbindung mit der Ruhe und dem entspannten Relaxen. Ich bin nicht mehr der Gesellschaftsraucher wie friiher, weil ich ganz einfach nicht von hier weg komme . Und abgesehen davon wiirde ich da entgegenstellen, indem ich von vornherein sage, ich rauche nur noch zu Hause. Ich mochte den Tabak nicht mehr immer und uberall dabei haben, um das von vornherein auszuschliefien, also nicht wdhrend der Arbeitszeit, auch nicht, wenn ich sonst irgendwie weggehe. Fehlt mir dann auch nicht. Weil ich das vorher mit mir ausgemacht habe, kann ich mich drei Tage auf der Breminale gut amilsieren auch ohne Tabak. Also ich bin, glaube ich, mittlerweile weniger suchtig in Anfuhrungszeichen geworden als ich es friiher vielleicht war. Da war ich in der Situation, da bin ich zu Hause los und 'Ach, du hast den Tabak
Er wohnt heute auf dem Land.
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nicht dabei', umgekehrt, eingepackt und dann wieder weg und das mochte ich vermeiden, da mochte ich weg von." Seitdem er von der Krebserkrankung eines ArbeitskoUegen, der starker Raucher war, erfahren hat, raucht er iiberhaupt nicht mehr an seinem Arbeitsplatz, sondem konsumiert seine erste Zigarette des Tages erst am Nachmittag, wenn er von der Arbeit wieder nach Hause kommt. Diese Erkrankung seines KoUegen war fur ihn der Anlass, seinen Konsum weiter zu reduzieren und sich zu sagen, "na gut, weniger ist auch mehr". Auf die Frage, ob es ihm schwer falle, das Rauchen einzuschranken, antwortet Dimitris: "Ach, wie lange mache ich dasjetzt schon, seit nem halben Jahr, das hat sich so, wie soil ich sagen, eingebiirgert. Ich hatteja auch eine zeitlang Wechselschicht, Friihschicht, Spdtschicht. Da war es so in der Spdtschicht vielleicht ein Problem, abends so ab acht Uhr, wo du sagst, 'Ja, jetzt wiirdest du normalerweise zu Hause sein, Femseh gucken und dann eine rauchen', aber du warst eben auf der Arbeit. Aber im Moment ist es nicht so, weil ich nur Frtihschicht habe. Ach, auch wenn es ein Problem ist, das stecke ich weg. Dann trinke ich eine Tasse Kaffee, also ich leide nicht darunter, dass ich an den ndchsten Zigarettenautomaten gehen muss, nur um . nicht mehr wohlgemerkt. Ich hatte eine Phase bis vor einem Jahr eben noch, da bin ich zu meinem KoUegen und hob mir von seinem Pdckchen Camel, raucht der, glaube ich, hab ich mir dann eine geschnorrt, wenn mir der Tabak ausging. Und dann die mit der Rasierklinge der Lange nach aufgeritzt und hab mir davon drei oder vier kleine Zigarettchen gedreht. Das, wie gesagt, das ist jetzt vorbei." Fiir ihn sei die Einschrankung seiner Konsummenge um bis zu 50 Prozent weniger kein gravierender Einschnitt gewesen, weil er sich generell als "nicht so der groBe Raucher" sieht. Menge sowie Art und Weise des Rauchens haben seiner Meinung nach ganz erheblichen Einfluss darauf, inwieweit eine Reduzierung des Konsums geHngt. So antwortet er auf die Frage, ob er anderen Rauchem Tipps geben konnte, wie diese lemen konnten, weniger zu rauchen: "So generell Tipp, ware ich da jetzt vorsichtig, ich miisste mir den erst mal anschauen, was der iiberhaupt fur Rauchgewohnheiten hat. Wenn der am Tag dreifiig Zigaretten raucht und aufzehn runter will, ich glaube, da konnte ich ihm nicht so ohne weiteres einen Tipp mit Erfolgsaussichten geben. Da miisste ich mir erst mal Gedanken machen. Ich glaube, das ist individuell verschieden. Ich habe oft Leute beobachtet, die wirklich drastisch runtergehen wollten, die haben es nie geschafft. Ich glaube, ganz aufhoren ware fiir die harten Raucher fast leichter als das Rauchen einzuschranken. Ist meine Theorie, also das ist nicht belegt." Etwas spater erzahlt er das Beispiel eines KoUegen, der, u.a. auch weil seine Frau ihn drangte, versucht hatte, mit dem Rauchen aufzuhoren:
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"Das hat er ein Jahr versucht mit Nikotinpflaster und und und. Er musste auch hoch und heilig versprechen, dass er dadurch, dass er dann jeden Tag zehn Mark einspart, dass er sich ein neues Motorrad kauftfilr, was weifi ich, achtzehntausend Mark oder was. Gut, das Motorrad hat er, aber ich weifi nicht, wie viele Wochen er danach wieder angefangen hat. Erst heimlich, dann richtig und dann, also es war im Prinzip ein Schuss in den Ofen, und dann habe ich mir auch gedacht, letztendlich ist das ne Charaktersache."
Bei diesem KoUegen konne er sich auch nicht vorstellen, dass er lemen konnte, reduziert zu rauchen: "Kann ich mir nicht vorstellen, weder noch, weder aufhoren noch reduzieren. Weil ich weifi, dass seine Korperreaktionen extrem sind. Er wird nervos, unruhig, gereizt, das sind Dinge, die kann ich gar nicht nachvollziehen. So ist es halt bei mir Gott sei dank nicht. (...) Es ist auch individuell verschieden, ja, Charakter klar und dann auch, wiejemand daran gewohnt ist. Das ist doch ganz klar, dass das auch mengenabhdngig ist. Kann man wahrscheinlich nicht in so Kategorien unterteilen, aber generell, wenn jemand dreifiig, vierzig, funfzig Zigaretten am Tag raucht, wie soil denn der aufzehn Zigaretten runterkommen pro Tag? Das kann ich mir nicht vorstellen. Allein von diesem Bild, von diesem Bild des Kettenrauchens, das sind doch gerade so Leute, die das Nikotin aufnehmen ohne dass sie sich dessen Uberhaupt bewusst sind. Die rauchen, ohne dass sie es merken. Ich wiederhole michjetzt vielleicht, aber wenn die dann ndmlich auflioren und sagen, 'So, die ndchste rauche ich erst wieder in einer Stunde', ich glaube, die werdenja wahnsinnig, die wurden dann nur noch aufdie Uhr gucken, die wurden dann nur noch an das eine denken, wUrden dann, ja, nervos werden, unruhig werden, das ware dann eine Strafe, weifi gar nicht. Ich konnte den Leuten, den konnte ich nicht helfen. Da habe ich auch keine Idee. Meine Idee ware da hochstens, okay, heute funfzig, morgen 49, 48, 47, oder dann vielleicht die Schritte noch grofier, von mir aus Uber ein halbes Jahr. Das ware die einzige Idee, die ich anbiete, aber ob das funktioniert, keine Ahnung."
Auf die Nachfrage, woran das denn seiner Meinung nach liegen wiirde, dass das Rauchen und die Zigaretten eine so bindende Wirkung haben, antwortet Dimitris: "Psychisch und korperlich, psychisch und physisch, zwei Abhdngigkeiten wahrscheinlich. Dass sich der Korper an Gift gewohnt, das istja nichts neues, das ist bei Rauschgift dhnlich. Bei Alkohol ist es ein bisschen was anders, well nicht jeder der tdglich, wie ich jetzt, zwei, drei Flaschen Bier trinkt, ist ein Alkoholiker, aber da ist die Grenze fliefiend. Wie das beim Nikotin ist, man kann ja von einer Sucht sprechen. NatUrlich wer gefragt wird, 'Bist du nikotinsilchtig?' - 'Nee, nee ich rauche nur'. Wo will man die Grenze Ziehen? Wo fdngt denn Nikotinsucht an, wo hort's auf? Also, hm, schwierig."
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Dass das Rauchen abhangig mache, wisse er schon seit der Schulzeit: "Uber die Ahhdngigkeit. . das weifi man, das lemst du, wdhrend der Schulzeit habe ich das schon gewusst. Woher weifi ich nicht, also damals gab es, glaub ich, diese Aufschriften noch nicht aufden Packungen, aber das ist allgemein bekannt." Fiir sich selbst beantwortet er die Frage, ob er sagen wiirde, dass er nikotinsuchtig sei, wie folgt: "Hm, ich bin an undflir sich ein ehrlicher Mensch. Bei mir ist es nicht so ohne weiteres zu sagen mit nein, weil auch in der Wochejetzt mit dem wunden Kiefer, habe ich ja trotzdem geraucht, obwohl es mir nicht geschmeckt hat. Also ist doch ne gewisse Sucht da, aber ich denke, das ist nicht so ausgeprdgt als dass ich darunter leiden miisste. Eins muss ich sagen, wenn ich z.B. grippekrank bin, Fieber habe, Kopfschmerzen, wenn es mir wirklich dreckig geht oder sogar im Krankenhaus liege, da wiirde ich nicht eine Minute daran denken, 'Jetzt miisste ich eine rauchen'. Also dann, dann wiirde ich sagen, nein, ich bin nicht sUchtig. Aber so im Zwischenbereich, wo man vielleicht nur mal so ein bisschen sich unwohlfiihlt, da sag ich mir, 'Naja, gut probier mal eine*. Ist das jetzt Sucht, ist das jetzt nicht Sucht, das lasse ich lieber die anderen beantworten. Generell wiirde meine Meinung dahin gehen, nein, siichtig nicht. (Nikotin)siichtig schon gar nicht, ist keine Kriickejur mich."
Sucht iibersetzt er in diesem Zusammenhang mit Abhangigkeit und zwanghaftem taglichen Gebrauch, der sich von einer Gewohnheit in seinen Konsequenzen unterscheiden wiirde: "Abhangig sein, ja in dem Sinn, dass man es tdglich konsumieren muss. Gut, die meisten wiirden vielleicht als Ausrede sagen, 'Ja, das ist eine Gewohnheit'. Aber wie gesagt, wenn ich gewohnt bin, abends nach dem Essen ein Bier zu trinken, dann werde ich nicht verriickt, wenn ich mal kein Bier im Hause habe. Ich fahre auch nicht zur ndchsten Tankstelle und so wiirde ich auch nicht zum ndchsten Zigarettenautomaten . Gut, das ist jetzt ein schlechtes Beispiel, weil den Tabak gibt es nicht am Automaten. Aber das gab esfriiher doch schon mal, wo ich gesagt habe, 'Mensch, jetzt doch, du hast nichts da'. Da bin ich auch schon mal ins Auto gestiegen und zum Zigarettenautomaten gefahren. Das waren Phasen, an die ich mich erinnem kann, vielleicht war ich damals siichtiger als heute. Heute sage ich, 'Nein, Punkt. Wartest lieber bis morgen' oder '1st halt nicht'. (...) Ja . . Ja, Sucht ist doch Ahhdngigkeit im Sinne von Dauerkonsum und damit meine ich aber wirklich tdglich. (...) Beim Zigarettenkonsum, wer da wirklich siichtig ist, der raucht tdglich, iiberhaupt keine Frage. Ist so, ist eine Erfahrung einfach, ne. Auch im Krankenhaus, das habe ich da auch schon erlebt, dass sich die Leute samt Bett bis zum Balkon schieben liefien unter Duldung des Schwestempersonals, also deutlicher geht es eigentlich nicht. Die konnen nicht laufen, aber lassen sich noch mit der Zigarette dann ans qffene Fenster schieben, fand ich hart. Also deutlicher geht es nicht. Das ist Sucht flir mich." 118
Demgegeniiber versteht er unter Genuss, dass man sich flir eine Sache, die man genieBen will, Zeit nimmt, Ruhe hat und sich darauf ohne Ablenkung oder Stoning konzentriert: "Na gut, das kann man aufalle Bereiche, was nehme ich mal als Beispiel. . Musik, dafur hrauche ich Zeit, Ruhe, ich mochte mich drauf konzentrieren konnen, wie alles, was man geniefien will, ob das ein Buch ist oder ein Film, ein Gesprdch, ein Telefonat, so ist es auch mit meiner Zigarette. Also deswegen auch dieser leichte Schritt, wdhrend der Arbeitszeit wird jetzt nicht mehr geraucht. Gut, da habe ich mich auch zuriickgezogen in eine Ecke, wo ich meine Ruhe hatte. Trotzdem ging mal das Telefon, oder ich musste mal schnell dahin oder dort hin, da ist es mir dann verleidet worden. (...) Oder nach der Sauna, alles gemacht, alles getan, jetzt fehlt vielleicht nur noch die halbe Stunde, um sich bettfein zu machen und da sagt man, 'Ach doch', jetzt setzt man sich gezielt hin, ich weij^ auch gar nicht, warum. Ich meine, eigentlich konnte man sie auch weglassen, es geht einemja auch so gut. Aber das ist irgendwie noch so ein symbolischer Akt habe ich manchmal das Gefuhl, ne. Etwas, was man mit was anderem, einem Schokoriegel gar nicht so machen konnte. Also ich nicht (lacht). (...) Ja, ja das ist ganz komisch. Ich verbinde damit (mit dem Rauchen) einfach, ja, stillsitzen, nachdenken, geniefien, entspannen . . in erster Linie. Gut, wenn man zu zweit raucht, geht es auch, klar, aber momentan ist es bei mir eben so."
Auf die Vor- und Nachteile des Rauchens angesprochen, meint Dimitris zunachst, dass es "ganz nuchtem betrachtet" keine Vorteile des Rauchens gabe. Er sieht allerdings fur sich personlich einen Vorteil dahingehend, dass er es genieUe und so spricht er insofem von einem "ganz personlichen Vorteil" und seiner "ganz personlichen Entscheidung". Als Nachteile flihrt er die verschiedenen gesundheitlichen Risiken an und erortert ausfuhrlicher das Problem der finanziellen Belastung des Gesundheitssystems durch die Folgekosten des Rauchens. Letztlich sieht er eine faire Losung in hoheren Krankenkassenbeitragen fur Rancher, damit die teure Behandlung von Raucherkrankheiten sozial gerecht finanziert werden konnte. Er selbst sahe sich dann angesichts einer Erhohung der Kassenbeitrage, wo er womoglich so viel zahlen miisse wie ein starker Rancher, wieder an einem "Scheideweg", an dem er sich dann neu entscheiden wiirde, ob er weiter raucht oder nicht. An starken Rauchem kritisiert er, dass sie nicht wahmehmen woUen, dass sie zuviel rauchen und dementsprechend auch nichts dagegen untemehmen (wollen): "Ja, ich denke, dass die ein Problem haben und das grofite Problem ist aber nicht das Rauchen, sondem, dass die ihr Problem nicht wahrhaben oder erkennen wollen.
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(...) Dass die einfach wissen, die rauchen zuviel, die entweder nichts dagegen unternehmen oder nichts dagegen untemehmen wollen. Aber gut, ich kann mir nicht anmafien zu sagen, 'Leute, hort aufmit dem Rauchen!'. Ich raucheja selbst. Und nicht jeder ist vielleicht so gestrickt, dass er mit ein paar Zigarettchen am Tag auskommt. Das funktioniert anscheinend nicht beijedem, und ich bin auch nicht so charakterstark, ich habe einfach Gliick gehabt. Ich bin der Meinung starke Raucher sind mir deswegen jetzt nicht unsympathisch oder sie verlieren jetzt nicht irgendwie an Achtung, aber wenn ich sie kritisieren musste oder sie mich danach fragen wurden, wurde ich das ihnen genauso sagen, 'Ich finde, du rauchst zuviel und ich finde du solltest was dagegen tun'." Die Grenze bis zu der er den Konsum als unproblematisch einstuft, liegt bei ihm bei 3 bis 5 industriegefertigten Zigaretten: "Zwischen drei und funf Zigaretten pro Tag, eher drei als Junf. Aber wenn jemand sagt, 'Ah, ja gut, ich probier' mal, ichfange dann mal an' und er schafft es bis funf, dann wiirde ich sagen, 'Super, hast'e gut gemacht. Halt durch'." Er betont jedoch in diesem Kontext emeut, dass er sich aus einer Fertigzigarette 3 bis 4 "Zigarettchen" drehen kann und fur ihn personlich diese Fertigprodukte zu stark seien: "Aber man soil sich nicht tduschen, wie gesagt, aus so einer Zigarette drehe ich drei oder vier normale und wenn man das dann wieder hochrechnet. Man glaubt gar nicht, wie dicht diese industriegefertigten Zigaretten gestopft sind. Das ist viel Zeug, ich kann keine normalen Zigaretten rauchen. (...) Ich hab gehustet wie ein Schulbub, das war mir zu stark. Aber wie gesagt, ich mochte da jetzt nicht mein Urteil so hochheben." Exrauchem zollt er hohe Anerkennung fur ihre Standfestigkeit und Entschlossenheit, nicht mehr zu rauchen, und dies umso mehr da sie vielfaltigen Versuchungen ausgesetzt seien: "Exraucher, vor denen habe ich grofien Respekt, weil dazu einfach was gehort mit irgendwas komplett aufzuhoren, obwohl man es geme gemacht hat, egal was es ist. Zumal man ja als Raucher ja stdndig der Versuchung ausgesetzt ist, sei es durch Werbung, durch ja eben einfach nur durch den Anblick von jemand, der da einfach in der Sonne sitzt und sagt, 'Ah, mirgeht's heute gut, ich rauche jetzt eine' oder nach dem Kaffee, ne, es gibt so gewisse oder nach dem Essen, nach einem guten Essen erst recht, es gibt so gewisse Gelegenheiten, da denkt man automatisch, und wenn man tdglich zehnmal dran erinnert wird und immer noch sagt, 'Ich habe aufgehort, Punkt', dann habe ich davor sicher einen grofien Respekt."
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Gesundheit ist fiir Dimitris K., gerade auch vor dem Hintergrund seiner Diabetes, ein wichtiges Thema, doch wird an seinen AuBerungen deutlich, dass er seine Lebensweise nicht allein an den klassischen Direktiven einer gesundheitsbewussten Lebensfuhrung ausrichtet, sondem eher auf einen stressfreien und gelassenen Pragmatismus setzt. Auf die Frage, ob er etwas flir seine Gesundheit tue, antwortet Dimitris: "Eigentlich wenig, na gut ich halte meine (...) Therapie sehr gut ein, hesser alsfrilher. Ich erndhre mich relativ gesund, wobei gesund, also, ich kaufejetzt nicht mein Obst im Bioladen, aber immerhin ich esse Obst und Gemiise und das viel. Ich esse wenig Fleisch, eigentlich schon seitjeher, wenn dann nur Geflugel. Gesunde Emdhrung,ja Gott, ichfinde Bier ist auch nicht ungesund. Ich bin der Meinung, wer tdglich einen Liter Bier trinkt, der hat eine hohere Lebenserwartung als jemand (lacht auf) der nie in seinem Leben Alkohol getrunken hat, das ist aber meine personliche Theorie. Ja, gesunde Erndhrung, ansonsten Sport, wurde ich gerne mehr machen (...) Ansonsten, was tue ich fiir meine Gesundheit? Acht Stunden schlafen ganz wichtig, ganz wichtig. Nicht, dass ich eitel bin und sag, ich will keine Falten haben. Aber ich hab gemerkt, dass ich, weil ich so viel schlafe anscheinend manche Dinge besser aushalten kann als andere, die stdndig (...) mitfUnf, sechs Stunden auskommen. Das sieht man denen auch an und das mochte ich also nicht. Ansonsten, dass ich mir selbst so wenig Stress antue wie moglich, dass ist im weitesten Sinn auch eine gesundheitliche Mafinahme, im weitesten Sinn. Einfach mal einen faulen Tag machen zu konnen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben und sonstige Verpflichtungen haben muss. Weil ich lebe halt alleine, ich kann mir in meiner Freizeit das vornehmen, was ich will, und ich kann auch sein lassen, was ich will, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Stressfreies Leben, Diogenes in der Tonne genau so. Aber mehr kriege ich nicht zusammen. Motorradfahren ist nicht unbedingt gesund. Na gut, die Sauna, ist das gesund? Zweimal die Woche? Gut, ich wiirde es auch machen, wenn es ungesund wdre (..) da steckt keine Philosophic dahinter." Im Kontext eines Vergleichs von Tabakprodukten mit anderen Drogen in Bezug auf Wirkung und gesellschaftlichen Umgang betont Dimitris K., dass das Rauchen von Zigaretten gerade fiir Anfanger schwer einzuschatzen und aufgrund der Suchtgefahr in der Wirkung nicht zu unterschatzen sei: "(..) von der Wirkung dramatisch finde ich schon, eben wegen der Sucht und von der Art und Weise, wie mit ihr umgegangen wird, ha, wiirde ich es mit einem Hustenbonbon gleichsetzen, wirklich jeder Schuler ab vierzehn, der will, der kann und tut es. (...) Das Rauchen, ja. . das istja die Krux, dass es eigentlich eine schwer einzuschdtzende Droge ist fur Anfdnger. Aber wenn man sie erst mal hat, die Gewohnheit an diese Droge in Anfuhrungszeichen, dann ist schwer davon weg zu kommen. Das ist halt die Krux und das jemandem klar zu machen. Also ich wiirde sie eher zu hoch einschdtzen als zu niedrig."
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Daher wiirde er einem vierzehnjahrigen Jugendlichen, der gerade mit dem Rauchen angefangen hatte, auch bewusst machen woUen, welche negativen Konsequenzen sein Verhalten nach sich ziehen konne und wtirde ihn davon zu uberzeugen versuchen, dass, wenn dieser schon nicht aufhoren woUe, er doch zumindest seinem Beispiel folgen und wenig rauchen solle. "Ich wiirde dem oder der genau das erzdhlen, wie ich angefangen hahe, wie es sich bei mir im Laufe der Jahre entwickelt hat und wiirde dann versuchen irgendjemand Bekanntes aus dem Bekanntenkreis zufinden, der auch sofriih angefangen hat, aberjetzt raucht wie ein Schlot oder der, was weifi ich, so dick ist, irgendwie so eine Negativperson. Ich weifi jetzt nicht, warum ich aufso was komme, aber einfach um zu zeigen, es kann der Schuss nach hinten losgehen. Du magst jetzt Gefallen daran haben, es ist was neues, was tolles, wie alles Neue toll in der Pubertdt, aber sei dir bewusst, wo es hinjiihrt, wo es hinfUhren kann. Entscheide dich aber dann wenigstens, ich will jetzt hier nicht den goldenen Raucher vorgaukeln, aber entscheide dich doch wenigstens bitte, willst du es in die Richtung, wie ich es gemacht habe, laufen lassen oder willst es lieber in die grofie negative Richtung laufen lassen. Einfach nur, dass die ein bisschen nachdenken und nicht nur so, 'Ha, ich rauche jetzt', damit die so einen Anstofi kriegen. Ich weifi nicht, wie ich reagiert hatte (...) ware aufdie Person angekommen, wie glaubwiirdig, die gewesen ware, aber ich glaube, ich hatte da nicht von vomherein abgeblockt. Ich meine, man sieht es ja dann am lebenden Beispiel, ne, von daher istja da nichts vorgeschwindelt oder Ubertrieben."
Zusammenfassung Dimitris Rauchverhalten hat sich im Laufe seiner Konsumbiographie immer wieder verandert. Auffallig ist, dass er sich aus einem eher siiBlichen Pfeifentabak seine "Zigarettchen" dreht. Das Rauchen diesen Tabaks unterscheidet ihn von anderen Rauchem und wird flir ihn (und andere) zu einem personHchen Merkmal. Er beschreibt sein Verhaltnis zu diesem Tabak auf eine sehr emotionale Art und Weise. Auch seine "Zigarettchen" sind auBergewohnlich, da sie extrem diinn gedreht sind, so dass er aus einer normalen Industriezigarette drei bis vier dieser "Zigarettchen" fertigen kann. So raucht er auch zum Zeitpunkt des Interviews durchschnitthch mehr als 5 Stuck seiner Selbstgedrehten, doch erfiillt er hinsichtlich der Tabakmenge das Kriterium eines low-rate Ranchers. Dimitris Motive zu rauchen sind Genuss, Entspannung und eine Auszeit nehmen. In den letzten Jahren schrankte er seinen Konsum immer mehr ein und entwickelte eine sehr entspannte und bewusste Art zu rauchen. Dazu gehort, dass er erst nachmittags nach der Arbeit raucht, dass er sich beim Rauchen nur auf diesen Genuss und die Entspannung konzentriert, dass er nur noch zu Hause raucht und dass er
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seine Konsummenge anhand eines Datumseintrages im Tabakpackchen kontrolliert. Er sagt von sich, dass er glaube, heute weniger siichtig zu sein als er es frtiher vielleicht mal war, kennt also Zeiten, in denen er sich vom Rauchen schon eher abhangig fuhlte. Doch definiert er sich generell als "nicht so der groBe Raucher", womit er sich auch erklart, warum er ohne groBe Probleme seinen Konsum um bis zu 50% reduzieren konnte. Die Menge des taglichen Konsums und damit der Grad der Gewohnung an das Rauchen und das Nikotin ist flir ihn ein ganz entscheidendes Kriterium dafur, wie leicht oder schwer es einem Raucher fallt, seinen Konsum zu reduzieren. Seiner Meinung nach sei eine psychische und physische Abhangigkeit auch der Grund, warum das Rauchen so eine starke Bindung des Ranchers an die Zigarette bewirke. So konne man im Falle von Nikotin hier auch von einer Sucht sprechen. Gleichzeitig problematisiert Dimitris jedoch in diesem Kontext die Schwierigkeit einer genaueren Bestimmung ("Wo fangt denn Nikotinsucht an, wo hort's auf?"). Dimitris kann es heute "mit sich abmachen", auf den Konsum in bestimmten Situationen zu verzichten. Allerdings glaubt er, dass die Fahigkeit den Konsum einzuschranken auch personenabhangig sei, ohne genau sagen zu konnen, was speziell diese Personen auszeichne. Er selbst wiirde sich diesbeziiglich auch nicht als besonders charakterstark beschreiben, sondem seine Erfahrungen eher unter dem Motto "ich habe einfach Gliick gehabt" verbuchen. Motiviert durch die Krebserkrankung seines Kollegen und vor dem Hintergrund seiner eigenen gesundheitlichen Vorbelastung entwickelte Dimitris also einen konsequenten Genusskonsum. Die Reduzierung und Kontrolle verursacht ihm keine Probleme. Sein Konsum ist regelorientiert und auf Genussoptimierung und Risikoreduzierung ausgerichtet.
5.5. Interview 18: Elena L. (48 Jahre), 2 bis 5 Zigaretten am Tag: "Also ich glaube einfach, dass das bei mir sehr situationsabhdngig ist. Also nicht so sehr die Sucht jetzt, (...) immer in einem gewissen Zeitraum brauche ich nen Kick oder so, sondern es hdngt also sehr mit Situationen zusammen." Elena L. war 15 oder 16 Jahre alt, als sie ihre erste Zigarette rauchte. Ihre Eltem, beides Nichtraucher, hatten flir Gaste immer Zigaretten zum Anbieten im Hause und von denen nahm sie sich eine und rauchte sie "ganz mutterseelenallein" auf der Toilette. Die ersten Zigaretten in Gesellschaft mit anderen Madchen rauchte sie etwas spater in England, wo sie mit 15 oder 16 Jahren als Austauschschiilerin war. Jahre spater, zum Ende ihrer Schulzeit, fmg sie an, sich manchmal eine Packung Zigaretten zu kaufen, die dann ungefahr flir den Konsum einer Woche ausreichte. Eine groBere Konsumsteigerung fand erst wahrend ihres Studiums statt, als sie nicht mehr Zuhause wohnte:
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"Ich weifi, im Studium als ich dann, wie gesagt, so richtig angefangen habe . . ja, da fing das an mit irgendwelchen Billigmarken, die man dann gekauft hat aus finanziellen Grunden. Und dann habe ich angefangen zu drehen, vor allem auch aus finanziellen Griinden, fond dann aber ziemlich bald, dass die Zigaretten viel besser schmecken als diefertigen. Dann habe ich jahrelang gedreht oder erst mal ne zeitlang gedreht, und dann hatte ich irgendwann beschlossen, ich muss doch mal ein bisschen weniger rauchen, hatte mir ne Marge von funf Zigaretten pro Tag gesetzt. Ja, und dann hab ich nenjungen Mann kennen gelemt, der eben auch rauchte und dann haben wir immer so ein regelrechtes Ritual daraus gemacht, deutlich eine zusammen geraucht. Den habe ich also auch zum Drehen verfuhrt quasi, der hatte vorher Camel oder so was geraucht, und das war so ein bisschen auch unser Ding, ne. Und da ist das dann wieder mehr geworden, ne. (...) Ich denke, da war so die Marge dann immer so bei zwanzig oder so. Kann ich gar nicht genau sagen, weil ich ja gedreht hab, sojunfzig Gramm, das reichtja immer einpaar Tage . . und ich habe dann also auch nicht unbedingt aufgeschrieben, wann ich dann wieder neuen Tabak gekauft habe oder so. Ja aber, also dieser lange Prozess des dann weniger Rauchens, das war dann eigentlich, also ich bin Lehrerin in einer Schule und als ich anfing 1980 da gab's oder es gibt immer noch einen Raucherraum bei uns in der Schule, und da war ich dann halt. Und dann ist ja das Problem man hatja unheimlich viel in den Pausen immer zu erledigen und dann habe ich dann irgendwann gemerkt, das war schon relativ friih, dass mich das unter ungeheuren Stress setzt, ne. Dass ich einerseits lauter Sachen erledigen muss, wo ich sonst wo hinrennen muss und mit Leuten reden muss und andererseits aber ne Pause istja keine Pause, wenn man nicht mindestens eine, einpaar Ziige eingezogen hat unddazu konnte ich halt nur im Raucherzimmer sitzen, ne. Und dann habe ich irgendwann gedacht, 'Ach nee, das ist auch viel zu stressig' und da kriegte ich aufierdem mit, dass ne Kollegin mit einer Schiilerin irgendwie so einen Pakt geschlossen hatte. Die wollten zusammen so nach und nach aufhoren. Dann habe ich so fur mich still und heimlich gedacht, 'Ach, da kannste dichja mal anhdngen, ohne dass du das an die grofie Glocke hangst'. Und hab dann also angefangen, erst mal in der kleinen Pause nicht mehr zu rauchen, dann nur noch in einer grofien und dann irgendwann bin ich ausgezogen aus dem Raucherzimmer und inzwischen also kriegen die meisten einen Schock, wenn sie mich mal irgendwo sehen mit einer Zigarette, die mich sonst nur in der Schule sehen, weil es ihnen absolut nicht geldufig ist, dass ich rauche." Elena definiert ihr Rauchverhalten als "sehr situationsabhangig". Das hatte sie "irgendwann mal erkannt und hab dann uberlegt, naja, also wenn ich das verringern will, dann muss ich halt sehen, dass ich in bestimmten Situationen nicht rauche, ne. Und das war so ein ganz, ganz langer Prozess, ne." Heute liegt ihr normaler Tageskonsum zwischen zwei und funf Zigaretten, die sie in der Kegel erst abends konsumiert. Seit ca. sieben Jahren raucht sie in ihrer Wohnung gar nicht mehr, sondem konsumiert ihre Zigaretten nur noch drauBen auf der Terrasse. Diese Kegel war ihr bei der Veranderung ihres Kauch-
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verhaltens sehr niitzlich. Wenn sie allerdings abends ausgeht und z.B. mit Freunden in einer Kneipe zusammensitzt, konnen es auch mal ein paar Zigaretten mehr werden, vor allem dann, wenn andere mitrauchen wiirden. Kneipe, Feten und Geselligkeit sind bei ihr die Situationen, in denen sie auch heute noch etwas mehr raucht. Da das aber nicht standig vorkomme, kann sie das meist ohne schlechtes Gewissen akzeptieren, manchmal argert es sie aber auch. Generell zahlt sie ihre Zigaretten nicht, auch nicht an solchen Abenden: "Nee, nee, wie gesagt, ich merke es immer nur sofort, wenn ich mehr rauche als sonst, wenn ich mal unterwegs bin. Oder aber, wie gesagt, zum Beispiel am Sonnabend war ich aufner Fete, da sollte eigentlich auch erst nur auf dem Balkan geraucht werden, aber die waren am Bauen und der war dann nicht so ganz sicher und deswegen haben sich einige im Wohnzimmer auch hingesetzt und geraucht. Und dann habe ich natUrlich auch mitgeraucht und das merke ich dann immer, wenn sich so angeregte Diskussionen oder Gesprdche ergeben, ne, dann rauche ich einfach mehr, das ist irgendwo bei mir so drin. Ich denke, dafalle ich so in meine alten Studienzeiten so zurilck und das argert mich dann manchmal hinterher."
Ansonsten ist sie aber froh, dass sie in vielen Situationen, in denen sie friiher viel geraucht hat, heute auf die Zigaretten verzichten kann: "Zum Beispiel so Sachen, wo ich friiher also extrem viel geraucht habe, am Schreibtisch, beim Korrigieren oder wenn ich was geschrieben habe, da wiirde ich nicht mehr auf die Idee kommen und da bin ich froh drUber, Das war auch am Schwierigsten, in der Situation also nicht mehr zur Zigarette zu greifen."
Abgesehen von der Situationsgebundenheit ihres Rauchverhaltens gibt sie explizit als Motive an, dass das Rauchen gerade nach einem guten Essen flir sie genussvoll sei, und dass sie Lust auf eine Zigarette bekame, wenn sie fiir sich eine "kleine Pause" mache. Im Zusammenhang mit dem Genussaspekt beim Rauchen erwahnt sie an anderer Stelle, dass es sie "regelrecht traurig macht", dass sie heute keine selbstgedrehten Zigaretten mehr vertrage, weil diese besser geschmeckt und gerochen hatten. Da sie so wenig rauche, seien ihr aber die Selbstgedrehten heute zu scharf und zu stark. So rauche sie jetzt in der Regel nur noch Light-Zigaretten. Auf die Frage, ob sie anderen Rauchem und Raucherinnen Tipps im Hinblick auf eine Konsumreduktion geben konnte, antwortet Elena: "Ja, also ich bin ganz erstaunt, dass das so geht, ne. Also, das hdtte ich auch nicht gedacht, weil alle ja eigentlich sagen 'entweder oder' und dazwischen geht nichts, ne. Also, ich hab das, dass das bei mir anscheinend so fiinktioniert einigermafien, das habe ich gemerkt beim Studium. Am Anfiing konnte manja noch uberall rauchen
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in alien Seminaren und sogar in den Vorlesungen hatten die Leute irgendwelche kleinen Behdlter, wo sie so ihre Asche abgestreift haben. Und nachher als das dann so aujkam gegen Ende meines Studiums, also Mitte bis Ende der 70er Jahre, da habe ich zum Beispiel auch immer mitgestimmt (fur ein) Rauchverbot im Seminar, well ich das auch unertrdglich fand, ne, diese vollgepafften Rdume, obwohl ich da noch ziemlich viel geraucht habe naturlich. Also, das fand ich da auch schon besser, dann ne kurze Pause zu machen und dann aufdem Flur zu rauchen. J a, und was ich gemerkt habe, wir haben dann damals ziemlich viel gebastelt so in den Wohngemeinschaften, die dann so langsam naturlich Usus wurden, wenn man dann plotzlich nicht mehr mobliert wohnt, musste man sich Mobel basteln und so, und dabei habe ich das dann manchmal gemerkt, dass ich stundenlang am Sdgen oder sonst wie was war und keinen Bock auf eine Zigarette gehabt hatte. Und da habe ich gedacht, 'Aha, also wenn ich irgendwie mit den Hdnden was zu tun habe, muss ich das wohl nicht unbedingt haben'. Und da habe ich mich dann so spdter dran erinnert (...), dass das bei mir zumindest auch sehr stark mit bestimmten Situationen zusammenhdngt, ja."
Gleichwohl ist sie davon iiberzeugt, dass auch andere Menschen lemen konnten, ihren Zigarettenkonsum einzuschranken: "Ich meine schon, also (lacht), also deswegen, ich bin auch eine ganz grofie Befilrworterin des Rauchverbots in bestimmten Zusammenhdngen. Weil ich denke, vor Hunderten von Jahren als das Rauchen aufkam, war das doch genauso, da ist doch kein Mensch auf die Idee gekommen, dass er bei der Arbeit rauchen musste zum Beispiel, ne. Sondem da gab es dann ja auch extra Rdume fur die Herren oder wer auch immer am Anfang erst geraucht hat. Ja, und von daher also mal abgesehen davon, dass es bekannterweise nicht gerade sehr gesund ist, ich kann mir denken, wenn man das so schaffen konnte wie manche zumindest mit Alkoholja auch umgehen, ab und zu mal zu besonderen Gelegenheiten, dann wdre das doch ein Schritt vorwdrts."
Die Vor- und Nachteile des Rauchens bilanziert sie wie folgt: "Ich denke mal Vorteile hat es nun wirklich nicht, aufier dass es, wenn man sich daran gewohnt hat, irgendwie ein bisschen nach was schmeckt oder so. Also von daher, denke ich, hat es abgesehen davon wirklich keinen Vorteil. Bei Alkohol konnte man noch argumentieren, was weifi ich, Rotwein ist gut fur die roten Blutkorperchen oder irgend so was. Bier oder was weifi ich nicht was, soil ja auch ne bestimmte Wirkung haben, abgesehen vom Hochpuschen. Also, ich denke mal, das ist beim Rauchen nun wirklich nicht gegeben. (Und die Nachteile?) Ja, das sind halt ne gan-
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ze Menge, ne. Erstens der gesundheitliche Aspekt, dann der Stinkaspekt^^^ und dass man ne Menge Geld letztendlich dafur ausgibt."
Auf die Frage, welche Bedeutung die einzelnen Wirkstoffe in einer Zigarette hatten, meint Elena L.: "So von wegen Teer oder Nikotin, was das dann bewirkt? Also, wenn ich mich recht erinnere, ist Nikotin das sUchtig machende und Teer aber noch mehr als Nikotin das schddliche, ne oder? Aber wie dasjetztfilr mich personlich wirkt, kann ich nicht sagen."
Ob flir sie personlich die Aufhahme von Nikotin beim Rauchen eine RoUe spiele, wisse sie nicht: "Ach so, fur michjetzt? Naja, ich weifi es nicht, ob es das Nikotin ist oder was es ist. Also, ich habe zum Beispiel nicht das Gefiihl, dass ich wacher werde oder irgendwie so was durch ne Zigarette, aber irgendwas, wenn man den Ranch einatmet, da ist naturlich schon was, wenn man auch Idnger raucht, das ist schon richtig, hm. Also, es hat mal Zeiten oder als ich anfing, das dann so ziemlich schnell einzuschrdnken, da hatte ich schon manchmal das Gefuhl, da fehlt jetzt irgendwie was, ne. Aber ich denke letztendlich, wenn man wollte, konnte man dasselbe auch durch atmen, durch tiefe Atemiibungen erreichen oder zumindest so was dhnliches erreichen, ne." Sucht definiert sie in diesem Kontext als "etwas von dem man abhdngig ist und womit man vielleicht auftioren mochte, aber nicht kann aus irgendwelchen Griinden". Sie kann jedoch die Schwierigkeiten, die manche starke Rancher haben, wenn sie in bestimmten Situationen auf eine Zigarette verzichten miissen, ^^ Die Geruchsbelastigung durch das Rauchen thematisierte sie kurz vorher im Gesprach als Antwort auf die Frage, was ihr spontan zum Rauchen einfalle. In diesem Zusammenhang betont sie einen Aspekt, der in vielen Interviews auftaucht, namlich die Veranderung der Wahmehmung des Zigarettenrauchs von etwas angenehmen oder zumindest neutralem zu etwas das stort und unangenehm riecht: "Ja jetzt, wo ich so viel driiber rede, der Geruch, der hinterher in den Klamotten hdngt, wenn man aus der Kneipe kommt oder so. Also, dasfinde ich schon irre, wie sick das so gewandelt hat, ne. Dass, wenn es irgendwo nach Ranch stinkt und ich nicht setter dagegen anrauche, dann geht mir das wahnsinnig auf die Nerven auch. Ich komme nach Hause, jetzt seit Jahren schon und das erste, was ich mache, ist mir die Kleider vom Leib zu reifien und nach draufien zu hdngen (...) Ja, aber das entsteht bei mir natUrlich, ich frage mich wirklich, wie das ging, dass ich das friiher nicht wahrgenommen habe." Ahnlichen Fragen in Bezug auf Schmutz und Verunreinigung geht auch Mary Douglas (1988) in ihren ethnographischen Studien nach und kommt z.B. zu dem Schluss: "Unsauberes oder Schmutz ist das, was nicht dazugehoren darf, wenn ein Muster Bestand haben soil" (Douglas 1988:59). Dies mochte ich hier auf den Tabakrauch in dem Sinne iibertragen, dass man ihn insbesondere dann als Gestank wahmimmt, wenn das Nichtrauchen zur iibergeordneten Regel oder gewiinschten Norm wird.
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nicht verstehen: "(...) weil ich kann das nicht nachvollziehen, ne. Wie man bei so etwas, das man jetzt vielleicht nur ne Stunde verschieben muss, wieso man nun wirklich meint, man kann das nicht, das kann ich nicht verstehen, das ist mir einfach nicht klar." Auch in ihrer Antwort auf die Frage, ob sie meint, dass das Alter Einfluss auf das Rauchverhalten hatte, wird dieser interessante Aspekt, dass sie im Grunde diese Einstellung oder Verhaltensmuster in Bezug auf das Rauchen von sich nicht kennt, noch einmal betont: "Na ja, ich denke so eine bestimmte Art von Lebenserfahrung oder Vemunft sollte man eigentlich bei Erwachsenen eher vermuten als bei Jugendlichen zum Beispiel. Also, wenn mir zum Beispiel Zwolffdhrige erzdhlen, sie konnten nicht ohne rauchen existieren und deswegen miissten sie in der Schule, wenn sie es halt nicht diirfen, heimlich rauchen in irgendeiner Ecke, dann . . dann kann ich das einfach auch nicht nachvollziehen, ne. Dann glaube ich das irgendwie auch nicht, ne. Das ist sicherlich bei Erwachsenen schon eher so, wenn sie wirklich dann langsam sich da in die Sucht reingesteigert haben. Obwohl eine Freundin von mir, die vor zwei Jahren aufgehort hat, die auch sehr stark rauchte, die sagte, sie hatte das gewusst nach ihrer ersten Zigarette, dass sie Jetzt schon sUchtig ist. Nach ihrer ersten Zigarette hatte sie nicht mehr aufhoren konnen und deswegen sei esfUr sie immer klar gewesen entweder ganz oder gar nicht. Und das hat sie dann auch da durchgesetzt. Das ist jur mich zum Beispiel interessant, das ist ne sehr willensstarke Frau, ne .. aber interessanterweise an dieser Zigarette da hat sie dran gehangen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie sich gesagt hat, jetzt hort sie auf." Auf die Bemerkung, dass ja haufig gesagt wiirde, dass ansonsten sehr willensstarke Menschen mit dem Rauchen auch ihre Probleme hatten, reagiert Elena L. wie folgt: "Ja, es kann natUrlich auch sein, dass naja, wenn das eben in alter Munde ist, dass ist etwas, was einen sUchtig macht, dass das auch so eine Art von Entschuldigung ist, dass ich dann da eben einen raushdngen lasse, was ich sonst nicht machen wiirde. Kann ja auch mit eine Rolle spielen." In Bezug auf ihre Entwicklung von einer Vielraucherin hin zu einer Wenigraucherin und den Zweifeln, die manche Menschen angesichts einer solchen Reduktion des Rauchens hegen, fasst Elena hier in diesem Zusammenhang noch einmal ihren eigenen fruheren Unglauben sowie ihren unverkrampften Losungsversuch zusammen: "Ja, ja ich habe das auch nicht gedacht, und ich hab es halt mal so versucht, das warja eigentlich der Anfang, hatte ichja vorhin erzdhlt, in der Schule dieser Pakt, den eine Kollegin mit einer Schiilerin geschlossen hatte, da hatte ich mich j a eigentlich nur angehdngt, fur die war dasja step by step um ganz aufzuhoren, das warja
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deren Ziel. Die Kollegin raucht immer noch ziemlich viel heutzutage, sehr viel mehr als ich. Also von daher hah ich nur mal so, 'Ach, guckste mal, was dann dabei rauskommf. Ich habe mir kein grofies Ziel gesetzt, aufier weniger zu rauchen und letztendlich habe ich aber schon auch geglaubt, 'Was du machst, die Leute sagen wahrscheinlich kann man das nicht. Man kann vielleicht ein bisschen weniger rauchen, aber nicht so richtig viel wenig'. Weil das ebenja in aller Munde war und auch noch ist: entweder oder, ne. Dazwischen gibt es eigentlich nichts."
Andere Drogen im Vergleich zu Zigaretten bewertet sie in erster Linie flir sich anhand ihrer Erfahrungen und betont, dass die Legalitat oder lUegalitat der unterschiedlichen Substanzen vor allem von ihrer jeweiligen kulturellen Integration oder Exklusion abhange: "Na ja, also Kaffee, Tee, was ja unter Genussmittel fdllt im normalen Sprachgebrauch, also das ist ne Droge, da bin ich ziemlich abhdngig von, denke ich mal. Also, das hdtte ich auch nicht gedacht, aber ich sollte mal eine zeitlang Eisentabletten schlucken, und da hiefi es dann, also wenn ich nach dem Beipackzettel gegangen ware, und das immer so eingehalten hdtte, da hdtte ich uberhaupt den ganzen Tag keinen Tee trinken diirfen. Also, das habe ich dann gemerkt, abgesehen eben auch da vom Geschmack, dass ich anscheinend da morgens doch irgendwas brauche, nicht nur heifies Wasser, dass das nicht reicht, sondern dass da offensichtlich wirklich was drin ist. Kaffee mag ich eigentlich nicht besonders gerne, das habe ich in Frankreich gelernt, dass man den auch ohne Milch trinken kann und nach nem guten Essen, dass es dann irgendwie ganz gut wirkt, ja, sonst mache ich mir nichts aus Kaffee. Aus Bier mache ich mir eigentlich auch nichts, obwohl ichfriiher viel Bier getrunken habe, da bin ich dann irgendwann aufdie Idee gekommen, dass wenn ich jetzt schon Bier trinke, dass ich dann aber alkoholfreies trinken konnte. Ich merke da zwar einen Unterschied irgendwie so vage im Geschmack, aber ich konnte nicht behaupten das Bier mit Alkohol besser schmeckt. Bei Wein bin ich noch nicht dahinter gekommen, einfach well es mir noch nicht untergekommen ist. Es sollja welchen geben, dem der Alkohol wieder entzogen worden ist, ne. Also Wein trinke ich gerne und auch ziemlich regelmdfiig. Mit den ganzen illegalen Drogen kann ich absolut nichts sagen, habe ich nie was mit zu tun gehabt. Habe ich mich teilweise mal mit beschdftigt natUrlich auch im Zusammenhang mit dem Unterricht, obwohl ich eigentlich mit den Fdchern nichts zu tun habe. Aber das ist jetzt schon so lange her, dass ich da schon gar nichts mehr genauer drUber sagen konnte. Ich denke einfach, dassjede Gesellschaft ihre legalen und illegalen Drogen hat und dass das unabhdngig von der wirklichen Schddlichkeit passiert. Also, es ist vollkommen Mar, dass Alkohol wahrscheinlich noch mehr Tote schafft als Tabak und trotzdem ist es hier legal und in anderen Ldndern ist es wiederum nicht legal und dafur sind dann da gewisse Rauchsubstanzen, die hier illegal sind, wieder legal. Von daher hat das Ganze ganz viel mit kulturellen Sachen auch zu tun, warum bestimmte Drogen legal und manche illegal sind."
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In ihrer abschlieBenden "Botschaft" am Ende des Interviews kritisiert sie, dass das Rauchen bzw. Zigaretten und Alkohol gar nicht mehr als Genussmittel wahrgenommen wiirden, sondem immer nur die Gefahren im Mittelpunkt standen, die aber ihrer Meinung nach vor allem darin bestiinden, dass man zu viel konsumiere. Daher pladiert sie fiir einen maBvoUen Konsum von Genussmitteln: "Also gerade so in dem Zusammenhang mit Sucht und Genuss, dass Genussrauchen und Alkohol teilweise ja auch kaum noch eigentlich als Genussmittel gilt, oder zumindest wie ich es wahmehme, sondem immer nur titer die Gefahren geredet wird, dieja auch ganz eindeutig sind, aber vor allem darin bestehen, dass man das iiberkonsumiert. Und ich denke, das ist das Problem heutzutage in unserer Gesellschaft, ne. Dass einfach zu viel, wahrscheinlich sogar noch viel mehr zu viel Alkohol getrunken wird als geraucht wird, well das ja zumindest jetzt schon am abnehmen begriffen ist . . Ich habe aber auch keine Idee, wie man das dndem konnte, ne, also, die Leute dazu zu kriegen, wieder seltener und mafivoller Genussmittel zu konsumieren."
Auf die Nachfrage, ob sie sich denn selbst zum Vorbild nehmen konnte, um beispielsweise vor ihren Schulem fiir einen maBvolleren Konsum nach dem Motto 'Wenn schon, dann aber wenig' einzutreten, gibt Elena L. zu bedenken: "Ja, aber darum geht es ja in der Schule erst mal gar nicht. Denn sie behaupten dann ja, sie miissten jetzt unbedingt vormittags rauchen, weil sie ja mit 12 schon siichtig sind, indem sie da in der Pause schnell eine durchziehen miissen, oder manche tun das (...) Ja, ich denke, das ist genau das, was es bei uns auch wahr, man flihlt sich dadurch letztendlich erwachsen. Und wenn man um sich herum die Erwachsenen stehen hat, die sich krank lachen, weil man so was behauptet, man versucht es halt durchzuziehen, ne. Bescheuert wie es ist, ne (lacht)."
Zusammenfassung Auch Elena hat ihr Rauchverhalten mit der Zeit verandert und ihre Konsummenge drastisch reduziert. Nachdem sie schon in fruheren Jahren einmal eine Reduktion ihres Konsums angestrebt und fur einige Zeit umgesetzt hatte, beschreibt sie die zweite andauemde Veranderung ihres Rauchverhaltens als einen "ganz Iangen Prozess". Angeregt durch das Beispiel einer KoUegin und motiviert durch das stresserzeugende Erleben ihres Zigarettenkonsums wahrend der Schulpausen entschlieBt sie sich, ohne ihre Absicht laut zu thematisieren oder zu problematisieren, die Anzahl ihrer Zigaretten langsam zu reduzieren. Dabei sei sie am Anfang durchaus skeptisch gewesen, ob ihr Vorhaben tatsachlich gelingen wiirde. Ihre Skepsis wurde vor allem dadurch hervorgerufen, weil sie wusste, dass all130
gemein eine dauerhafte Reduktion des Rauchens nicht fflr moglich gehalten wird ("eben ja in aller Munde war und noch ist: entweder oder"). Elena hatte jedoch schon wahrend ihres Studiums erkannt, dass ihr Rauchverhalten sehr von den Situationen, in denen sie sich befindet, beeinflusst wird. So bemerkte sie, dass sie beim Handwerken iiber Stunden kein Bediirfnis nach einer Zigarette verspiirte oder es ihr angenehmer war, wenn wahrend der universitaren Vorlesungen nicht geraucht wurde. Diese Erfahrung nutzend beschheflt sie, auch in anderen Situationen auf das Rauchen gezielt zu verzichten, was ihr mit der Zeit gut gelingt. So reduzierte sie von 20 auf 2 bis 5 Zigaretten taglich, raucht seit nun mehr 7 Jahren grundsatzHch nicht mehr im Haus und dementsprechend auch nicht mehr wahrend ihrer Arbeit am Schreibtisch. Situationen, in denen sie weiterhin (geme) raucht - und manchmal auch etwas mehr als Ublich - sind gesellige Anlasse und angeregte Diskussionen, was sie auch mit ihren alten Studienzeiten verbindet. Weitere Motive sind fur sie der Genuss und die Lust auf eine Zigarette, wenn sie eine kleine Pause mache. Generell wird anhand ihrer Aussagen deutUch, dass sie auf das Rauchen in vielen Situationen gut verzichten oder den Konsum ohne Probleme aufschieben kann. Dass andere Rancher damit Schwierigkeiten haben, ist flir sie schwer nachvoUziehbar. Sie weiB zwar, dass das Nikotin "das sUchtig machende" in einer Zigarette ist, kann aber flir sich personlich nicht sagen, ob die Aufhahme von Nikotin flir sie eine RoUe spiele. Eher schon vermutet sie, dass der Akt des Rauchens selbst, also das Einatmen von Ranch, flir sie von Bedeutung sei. So ist flir sie auch die Sucht in Bezug auf das Rauchen eher etwas, in das man sich als erwachsener Rancher langsam reinsteigert bzw. eine "Art von Entschuldigung" flir eine Schwache oder Disziplinlosigkeit, die man sich sonst nicht zugestehen wiirde. Ftir 12 jahrige Schiilerlnnen dagegen hatte das Rauchen wie auch die (inszenierte) Sucht vor allem die Funktion, sich erwachsener zu flihlen. Elena gelingt es aufgrund der Wertschatzung und Bewusstmachung ihrer personlichen Konsumerfahrungen die Anzahl der taglichen Zigaretten dauerhaft zu reduzieren, in dem sie in bestimmten Situationen auf das Rauchen verzichtet und es durch Regeln rahmt. Sie setzt sich flir einen maBvollen Genusskonsum ein und wiirde in bestimmten Zusammenhangen auch ein Rauchverbot begruBen, um damit einen moderateren Konsum zu fordem. Die Steuerung ihres eigenen Rauchverhaltens erscheint zielorientiert und dennoch nicht Starr, da eine Konsumsteigerung in Ausnahmesituationen nicht iiberbewertet wird.
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5.6. Interview 24: Frauke M. (52 Jahre), 3 bis 5 Zigaretten am Tag: "Ich mochte nicht abhdngig sein von niemandem und von nichts. Naturlich bin ich das stiickweise von allem, auch vom Rauchen, okay, aber nicht in einem stdrkeren Mafie, also da, da bin ich empfindlich drauf." An ihr erstes Raucherlebnis erinnert sich Frauke M. lebhaft: Sie war 12 oder 13 Jahre alt und lebte damals in Italien. Gemeinsam mit anderen Kindem batten sie sich aus Olivenbaumblattem etwas Rauchbares gebastelt. Der wurzige Geschmack gefiel ihr "unheimlich gut" und erinnerte sie an ein Lagerfeuer. Gleichzeitig bekam es ihr aber nicht besonders, sie musste husten und es wurde ihr iibel. Der Hauptreiz damals war, so beschreibt sie es heute, "etwas zu tun, was man nicht sollte und etwas zu erkunden, was neu war und auch diese Situation mit mehreren zusammen etwas auszutufteln und sich das einfallen zu lassen. Wir hatten also kein Vorbild gehabt, sondern sind da selber drauf gekommen, das war irgendwie ganz nett. Ich denke, der Einstieg war also insofem nicht gerade abschreckend." Einen regelmafiigen Zigarettenkonsum fing sie erst mit iiber 20 Jahren an. Das Rauchen gehorte damals fur sie zum Studium dazu und entsprach ihrem "Bediirfhis (...) gesellschaftliche Konventionen zu durchbrechen". Das Rauchen sei zu dieser Zeit sehr verbreitet gewesen, besaU einen gewissen Flair und passte gut zu der Einstellung ihrer Gruppe. Sie selbst beschreibt sich in dieser Zeit als "angefreakt", also lange Haare, "T-Shirts statt Kostiime" und Statussymbole ablehnend. Damals rauchte sie fur ihre heutigen Verhaltnisse recht viel, oftmals auch schon morgens vor dem Aufstehen, und kam insgesamt auf eine Schachtel (Roth Handle) pro Tag: "Und dasfand ich viel. Es gab sicher welche, die noch mehr geraucht haben, aber ich finde das auch heute noch viel." Allerdings gab es auch damals schon immer wieder Zeiten, wie zum Beispiel im Urlaub, in denen sie gar nicht rauchte. Diese phasenweise Abstinenz hatte auch in ihren 30em bis zu ihrem 40. Lebensjahr dazu geflihrt, dass sie sehr wenig oder fast iiberhaupt nicht rauchte. So bezeichnet sie ihr Rauchverhalten auch als stark situationsgebunden: "Ich habe immer wieder auch gemerkt, dass ich es eigentlich nicht brauche, habe aber auch immer wieder gemerkt, dass ich es auch geniefie, wenn ich denn mat rauche. Und es sind so ein paar Situationen hdngen geblieben, in denen ich besonders geme rauche. Also, die iibliche Zigarette nach dem Essen, nach einem etwas grofieren Essen vielleicht oder eben abends in Gesellschaft, in der Kneipe oder beim Tanzen gehen oder beim Diskutieren, das sind so die Situationen, wo ich, glaube ich, am hdufigsten geraucht habe."
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Ein wenig mehr oder regelmaBiger sei es erst wieder geworden als die Computer an ihrer Arbeitsstelle eingeflihrt worden seien, was fflr sie zusatzlichen Stress bedeutete. Stress sei auch eine Situation, in der sie Lust auf eine Zigarette bekommt. Computereinfuhrung plus Stress wegen knapper Zeitvorgaben und eine Zimmerkollegin, die Dauerraucherin war, fiihrten 1995 dazu, dass sie anfing, am Arbeitsplatz zu rauchen, was sie vorher nie getan hatte. Seither war es dann so, dass sie uberwiegend am Arbeitsplatz rauchte, fast nicht privat, und in dieser Zeit am Arbeitsplatz auf 2-3 Zigaretten am Tag kam. Je nach Situation gab es aber auch Tage, an denen sie gar nicht wahrend der Arbeit rauchte und ebenso langere Phasen, in denen sie abstinent blieb. So wechselten sich also Zeiten des Rauchens und Zeiten des Konsumverzichts ab: "Und es war auch immer wieder so, dass ich aufFeten oder so dann dock auch wieder geraucht habe oder wenn wir aus essen gehen, dass ich dann auf einmal Lust hab auf 'ne Zigarette. Und dann zieh ich mir eben ne Schachtel, und dann rauch' ich auch, und dann mach ich nicht lange mir Vorwiirfe oder Uberleg nicht lange, sondern dann mach ich das eben. Und ich glaub', dass das auch damit zusammenhdngt, dass ich das nicht so tragischfinde, in dies em Mafi zu rauchen."
In der letzten Zeit raucht sie allerdings etwas mehr: "Ich habe jetzt festgestellt, habe jetzt extra noch mal drauf geachtet, weil ich ja wusste, dass wir uns daruber unterhalten wiirden . . um die Osterzeit herum (seit ca. 3,5 Monaten) da rauche ich vielleicht 2 Schachteln die Woche. Bis dahin waren es eigentlich selten mehr als eine Schachtel in der Woche. 1st also fast das Doppelte. Und ich habe seither auch regelmdfiig Lust, hier Zuhause auch mal eine zu rauchen. Ich rauche nie in der Wohnung, aber hier draufien auf dem Balkon, wo wir jetzt ja auch sitzen, da stecke ich mir geme mal eine an."
Sie ist seit einiger Zeit auf halbtags gegangen, d.h. sie arbeitet nicht mehr soviel und hat also auch insofem mehr Gelegenheit, auBerhalb der Arbeit zu rauchen. Gleichzeitig setzt sie sich seit ca. einem Jahr intensiv mit personlich bedeutsamen biographischen Erfahrungen auseinander und glaubt, dass sich dieser psychische Aspekt auch auf ihr Rauchverhalten auswirkt: "Dass ich im Verhdltnis zum Rauchen deutlich, ich immer wieder sehe, bewusst wahmehme, dass ich jetzt rauchen mochte und dann sage, 'Okay, ich mag jetzt diesen Stress nicht haben, das jetzt zu unterdriicken. Das ist fur mich keine Bedrohung, irgendwann wird das wieder vorbei sein, dann ist es eben jetzt halt so eine Phase unddiese Phase wird vorbei gehen', glaube ich auch, dass das so ist."
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Insofem bestehe bei ihr in Bezug auf ihr Rauchverhalten auch kein innerer Konflikt, sondem eher harmonische Akzeptanz. Gefragt nach der Funktion, die das Rauchen fiir sie habe, sieht Frauke M. vor allem auf der psychischen Ebene einige Erklarungsansatze: "Vielleicht etwas platt gesagt: Ich war als Kind immer sehrfolgsam, sehr angepasst, eine gate Schulerin, eine Freude fur meine Eltem und was weifi ich was. Und die Schwierigkeiten, mit denen ich jetzt so umgehe, die ich jetzt so versuche, ein bisschen aufzuarbeiten, die haben damit vielzu tun. (...) Das macht einerseits Stress und ich glaube, dass dieser psychische Stress ein Anlass ist, um aufs Rauchen zu kommen, und das zum anderen das Rauchen auch immer noch so'n bisschen diesen Anstrich hat, etwas zu tun, was jedenfalls zum Normensystem meiner Eltem und dieser Bravheit, die ich friiher hatte, nicht passt, 'Jedenfalls mache ich jetzt mal dieses Verbotene. Ist ja ganz nett' . . Ich hab' dann auch noch festgestellt, dass meine pflichtbewusste Art, meine ordentliche Art, die Tatsache, dass ich doch leicht ein schlechtes Gewissen bekomme, dass ich denke, mich orientieren zu miissen an dem, was vielleicht andere von mir erwarten, oder dass ich da auch immer wieder viele Gedanken draufrichte, was denn wohl die anderen jetzt gem hdtten, das ich tdte. . Dadurch unterdriick' ich auch ne ganze Menge, was bei mir selber an Wiinschen oder Gefuhlen da ware, ohne dass ich jetzt direkt dann in den einzelnen Momenten weifi, worin die Gejiihle bestehen wiirden. Aber irgendwas ist dann da unterdruckt. Und das merk' ich, seit ich mich damit ndher beschdftige, dass das eben halt auch ein Gefilhl der Leblosigkeit, einer teilweisen Leblosigkeit beinhaltet, also dass es da so taube Ecken gibt, wo ich mich blind und taub oder so wasfuhle, wo ich merke, da ist was, was ich noch nicht wahmehmen kann und .ja, Alkohol, Essen, Rauchen sind . etwas, was ich stark spiire. Also das hat, glaub' ich, auch ein bisschen die Funktion Lebendigkeitsersatz zu schaffen. Ja. Es ist zwar irgendwo ein echter Ersatz, es ist nicht das Wahre, es ist nicht das Richtige, aber trotzdem ist es damit verbunden und das macht, glaube ich, einen Teil des Genusses aus. Es hat eine Ersatzfunktion." Diese Funktion des Rauchens wie des Essens ist auch gerade aktuell in ihrer veranderten Arbeits- und Lebenssituation von Bedeutung. Denn die Umstellung auf Halbtagstatigkeit bringt fur sie auch eine Umbmchsituation, in der sie die Befriedigung, die sie fruher vermehrt aus der Arbeit zog, nun aus anderen Quellen speisen muss: "Und ich habe dann eben gemerkt, dass ich fiber diese Kontakte und fiber meine Arbeitsergebnisse michjuhle halt, jedenfalls 'auch' michfuhle. Und da war dann weniger da zum Ffihlen. Aufierdem hatte ich dann hier in meiner Freizeit mehr Mufie und mehr Zeit und wenn ich esse,fuhle ich mich mehr als wenn ich nicht esse." Gerade dieses Fiihlen von Korperlichkeit ist ihr auch beim Rauchen so wichtig:
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"Ich glaube, was ich beim Rauchen schdtze, ist, was ubrigens auch nicht so gutfunktioniert, wenn ich viel rauche - ach, dasfdllt mirjetzt eigentlich zum ersten Mai auf - wenn ich wenig rauche und habe eben viele Stunden keine Zigarette geraucht, dann ist ja das Rauchen einer Zigarette ein GefUhl, das durch den ganzen Korper geht und stattfindet und dass das wie so ne Vergewisserung vielleicht meines Korpers ist." Im Verhaltnis zu ihren Schwierigkeiten ansonsten ihren Korper wahrzunehmen, ist das Rauchen "was angenehmes und etwas, was sick lebendig anfuhlt oder was eben eine Wahrnehmung dieses Bereichs an den Blockaden bewirkt". Auf die Frage, ob ihr Konsum durch Regeln gerahmt sei bzw. wie sie es schaffe, so wenig zu rauchen, antwortet Frauke M.: "Also, ich glaube, wenn es nicht so ware, wie es ist, ndmlich dass, wenn ich wirklich viel rauche, dass es mir dann richtig schlecht geht, dann wUrde ich vielleicht viel rauchen." Nach Phasen, in denen sie ihr MaB uberschritt, zum Beispiel, wenn sie ihre Schwester fiir eine Woche besuche und bei ihr mehr rauche als iibHcherweise, empfindet sie es als Erleichterung, danach uberhaupt nicht mehr zu rauchen. Sie hat dabei nicht das Gefuhl, dass das rational gesteuert sei, dass sie daran einen "Verdienst" hatte. AUerdings raumt sie ein, dass eine gewisse Steuerung oder KontroUe ihres Konsums schon vorhanden sei: "Dass ich eher ein bisschen Energie drauf verwende, zu sagen, 'Naja, jetzt hast'e also gestern schon wieder 6 oder 7 geraucht, das reicht jetzt aber auch mal. Guckst'e mal, dass du heute bei deinen dreien wieder bleibst'. Oder dass ich mich auch dariiber freue, wenn ich wieder mal ne Phase habe, wo ich Uberhaupt nicht rauche. Also gerade im Urlaub geht es mir ganz oft so, dass ich es Uberhaupt nicht vermisse. Da hab ich die Situationen nicht, in denen dieses Anstecken der Zigarette nahe liegt, und dann komme ich zuruck und kann es dann auch oft Uber eine Idngere Phase aufrecht erhalten, Uberhaupt nicht zu rauchen. Ich sage jetzt schon, 'kann ich es aufrecht erhalten', das bedeutet, dass da schon auch ein StUck Willensanstrengung dabei ist, aber andererseits, was da auch mit ne Rolle spielt, dass dann dieser Wunsch nicht so auftritt, dieses BedUrfhis nicht so da ist. Also, so furchtbar viel steuere ich eigentlich nicht, habe ich das GefUhl." Jedoch wird sie in diesen konsumfreien Phasen durch die Gegenwart anderer Rancher durchaus angeregt, ebenfalls eine Zigarette zu rauchen. Und so kann es auch im Urlaub zu dem Konsum einer Genusszigarette nach dem Essen kommen:
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"Immer ist ein Anlass, der das hervorholt, wenn andere dabei sind, die rauchen. Also, das spielt immer dann dock eine RollefUr das mehr oder weniger, oder wie lange so, oder wie ich mit so einer Phase klar komme. Das ist oft eine Anregung, dock auch wieder eine zu rauchen. Aber, wenn niemand da ist, der raucht, dann vermisse ich das auch uberhaupt nicht." Da das Rauchen fur sie auch eine Ersatzfunktion hat, "eben ein Genuss ist, der an die Stelle tritt von etwas, was ich vermisse, wo ich also gerne hdtte, dass es mir auf andere Weise besser gehen wurde'\ ergibt sich im Urlaub, in dem es ihr meist gut geht und sie sich in einem anderen setting befindet, eine andere Situation. Hier muss sie nicht "stellvertretend" rauchen, sondem kann sich unmittelbar lebendig fuhlen. Ihre Assoziationen zum Rauchen sind: "Das Inhalieren, auch mit dem Saugen ist mir angenehm, dhm, auch ne gewisse Selbstdarstellung. Ein Bild von mir, ich denke, dass ich da gelassen aussehe (lacht), dass das ne bestimmte Art von Lockerheit signalisiert. Auch eine Uberbriickung, also insofem, dieser Unsicherheiten, die ich kenne. Es ist eine, eine Maske. Es ist auch ne Maske, ja, mit der ich was tiberspielen kann. Ich sehe mich dann da sitzen, also gelassen so den Rauch ausstofien, irgendwie so durch die Luft. signalisiert Gelassenheit." Insofem hatte das Rauchen auch etwas mit ihrem Selbstbild zu tun, da sie sich selbst lieber als einen gelassenen Menschen sehen mochte: "Das Rauchen hilft mir dabei, ein Bild nach Aufien zu zeigen, das dem Bild, was ich gerne zeigen mochte, besser entspricht. Nach Innen gibt es dann mehr diese anderen Funktionen. Da hab' ich dannjetzt nicht dieses sichtbare Bild, sondem daflillt mir dann ein dieses Geflihl, was im Korper sich ausbreitet, wenn ich nach ner Idngeren Pause die erste Zigarette rauche, das empfinde ich dann mehr als dass ich das sehe. . Und es ist nach Innen mehr dieses kleine Spiel, das ich da im Grunde, wenn Sie so wollen, immer noch mit meinen Eltem spiele, 'Schon, Ihr wollt das jetzt vielleicht nicht, aber ich mach es jetzt trotzdem'. Und auch dieses . es hat was von diesem bidden Spruch 'Man gonnt sichja sonst nichts'. Also, es geht mir schlecht genug, die Nachldssigkeit, die kann ich mir nun auch zugestehen. Oder es geht mir gut genug (lacht), das gehort ja auch dazu, ja? Ja! Also, es sind schon vorwiegend positive Verkniipfiingen, die ich da so vielleicht zum Teil auf individuelle Art, zum Teil sicherlich aufganz ubliche Art, verbreitete Art mit dem Rauchen da so getroffen habe" Demgegeniiber spielen die gesundheitlichen Risiken, die mit dem Rauchen verkniipft werden, fflr sie eine etwas geringere RoUe. Dadurch, dass sie filiher als Schwestemhelferin gearbeitet hatte, sei sie auch vertraut mit dem Anblick einer
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Operationswunde oder eines Organs, das nicht in Ordnung sei. Dies schrecke sie nicht ab, sondem wecke vielmehr ihr generelles Interesse an medizinischen Zusammenhangen: "Guck mal, so sieht eine verfettete Leber aus im Vergleich zu einer gesunden. Das finde ich eben halt sehr interessant. Und mir ist auch klar, dass ich keine verfettete Leber haben mochte, und ich will auch keine verpestete Lunge haben, und ich mochte auch kein Raucherbein haben, und ich mochte nicht irgendwelche Amputationen liber mich ergehen lassen. Aber zum Beispiel friiher zu sterben, das ist etwas, was mich nicht so furchterlich schreckt. Vielleicht ndhre ich auch eine gewisse Illusion dariiber, dass ich davonja so jedenfalls nicht betroffen sein werde, 'Ja, so viel rauche ichja nun nicht' oder 'Das bisschen wird's dann auch nicht bringen'. Oder ich lebe in vieler Hinsicht nicht, alle leben wir in vieler Hinsicht nicht idealgesund. Ich esse zum Beispiel sowieso, weil ich es nicht so mag, nicht soviet Fleisch. Ich esse gemefrisch, und ich esse relativ gesund, und lebe auch ansonsten eigentlich so ganz gesund, so dass ich denke, mein Gott, die Verpestung der Luft, die Verpestung von allem, was mir sonst so, ohne dass ich es wdhlen konnte, angetan wird, wie man heutzutage eben so lebt, dazu trdgt das dannjetzt so ein kleines bisschen bei. Das ist mir kein Motiv, wo ichjetzt sagen wurde, Rauchen ist so ne Bedrohung oder so ne Verschlechterung, dass ich diejetzt, dass ich es sinnvoll fdnde, echt sinnvoll fdnde, sie mir zu ersparen." In ihrem Bekanntenkreis trifft Frauke M. jedoch haufig auf eine ablehnende Haltung gegeniiber dem Rauchen. Als Beispiel benennt sie eine gute Freundin, der gegeniiber sie "ganz besonders bewusst" raucht bzw. ihr Rauchen eher schon inszeniert, weil sie ganz genau weiB und sofort an ihrer nonverbalen Reaktion merkt, dass sie das registriert und ablehnt. Bei dieser Freundin fange dann eine innere Auseinandersetzung an, ob sie nun auf ihr Rauchen reagieren soUe oder nicht. Manchmal sage sie dann auch etwas und zwar immer sehr grundsatzlich und negativ konnotiert, was dann wiederum bei Frauke auf Ablehnung stoBt: "Ahja, dieses Thema grundsatzlich. Das ist vielleicht bei mir auch noch ein Punkt, wo so ein Spiel vielleicht dann auch stattfindet, wo auch das Rauchen ne Funktion hat. Ndmlich so das Wertemuster, das ich von Zuhause eingesogen habe und eingeschliffen habe, Iduft in vieler Hinsicht immer darauf raus, entweder es ist was gut oder es ist was schlecht und dazwischen gibt es nichts. Und diese Unbedingtheit, dass man also nun immer entweder ein guter Mensch ist und wenn man also zeigt, dass man vielleicht auch mal nicht so ein guter Mensch ist, dass man dann aber auch gleich ganz und gar in den Miill gehort, das ist ne heftige Geschichte, das ist ziemlich ekelig. Und es ist mir, ja, irgendwo trainiere ich mich aufdiesen Zwischenstufen und ich finde auch, die Art, wie ich rauche ist ein gutes Beispiel fiir so ne Zwischenstufe."
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Auf die Frage, wie wichtig fur sie das Nikotin in einer Zigarette ist und ob sie sich als nikotinsiichtig bezeichnen wiirde, antwortet Frauke: "Also, ich glaube dieser Jeeper, der dann manchmal da ist, wenn ich nicht rauche, doss der wahrscheinlich auch chemisch bedingt ist. Aber derflir sich allein genommen, ist, glaube ich, nicht das Motiv bei mir, das ist nicht so stark ausgeprdgt. Aber ich glaube, dass es da so was gibt, dass es diese korperliche Suchtseite gibt. Und die, weifi ich nicht, ich nehme an, dass das verbunden ist mit dem Nikotin, dass das der Stoffist, der das auslost. Ichfdnde das ganz spannend mal auszuprobieren, wie es ist, zu rauchen ohne Nikotin, wenn es das gdbe." Fiir sich personlich empfindet sie die Bindung an das Nikotin als nicht so stark, dies zeige sich ja auch an den Phasen, in denen sie relativ leicht auf das Rauchen verzichten konne. Seit 28 Jahren gabe es nun immer wieder diese rauchfreien Zeiten und auch immer wieder die Ruckkehr zum Rauchen. Die Wiederaufiiahme des Rauchens hange ganz stark mit dem schon angesprochenen korperlichen Erleben zusammen, bei dem das Nikotin aber durchaus auch eine Rolle spielen konne: "Es geht mir korperlich dann durch und durch und ich fuhle mich. Ich denke schon, dass da auch ein Teil verursacht wird von dem Nikotin." Unter Sucht oder Abhangigkeit versteht sie in erster Linie ein Verhalten, in dem es um weit mehr als nur den Konsum bestimmter Substanzen gehe: "Ich glaube, dass ein Suchtverhalten . aus meiner Sicht ist es ein Vermeidungsverhalten oder ein Ersatzverhalten. Wenn es was gibt, was ich nicht gut aushalten kann und es einen Ersatz dafiir gibt, den ich an die Stelle setze, so dass ich das andere eben vermeiden kann, und dass mir das angenehm ist oder leichter fdllt. dann ist damit die Gefahr verbunden, dass ich das wiederhole . Ahm, ja also Abhangigkeit, ichflnde auch, dass Abhangigkeit nicht etwas ist, was entweder da ist oder nicht da ist, sondem in verschiedenen Graden entstehen kann. Und je wichtiger es ist, mit etwas nicht klar zu kommen, also je schwieriger das ist oder je bedeutsamer das meinetwegen fur mich ist, mit etwas nicht klarzu kommen, des to starker ist dann der Drang nach Ersatz, also desto starker, glaube ich, bleib ich dann hdngen an dem Ersatzverhalten. Und das Ersatzverhalten von Esssucht, weifi man ja nun auch inzwischen viel, hat man frtiher Uberhaupt nicht dazu gezdhlt, hat man iiberhaupt nicht wahrgenommen. (...) Und rauchen und Alkohol ist, glaub ich, auch was dhnliches. Also dahinter steckt, meiner Ansicht nach, das Nicht-Fertig-Werden mit irgendwas oder das Ausweichen vor irgendeiner Schwierigkeit. Ich glaub', dass das die Hauptsache ist, also suchtauslosend ist. Also, stell ich mir vor, dass Sucht ein . ein . eine Erleichterung, ein Ausweichverhalten ist, dass als Erleichterung wahrgenommen wird, ein Fliehen." Auf die Nachfrage, wie sie denn dieses Suchtverhalten werte, erlautert Frauke:
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"Ich glaub' ohne Fluchten und ohne Ausweichverhalten lebt kein Mensch unddas ist absolut legitim, Punkt. Also, vom Grundsatz her ist das legitim, es ist nicht per se schlecht oder gut, sondern, ich glaub', es ist auch ein Schutz. Man kann eben nun mal als Mensch nicht ohne Haut durch die Welt rennen, das kann keiner aushalten immer nur mit offenem Fleisch herumzulaufen. Andererseits bedeutet Haut auch immer was abzuhalten . Also, das direkte Wahmehmen, das sehr sensible Wahrnehmen, so sensibel wie moglich, das alles an sich rankommen lassen, ist auch nicht positiv, ist nicht gut fur sich genommen, sondern ich glaube, es geht dann um das Mafi letztlich . Um die Fdhigkeit, dieses Mafi fur sich zu finden und sich dabei . wohlfuhlen, istfalsch gesagt. Naja, ichfinde es schon gut, wenn ich mit Realitdten addquat umgehen kann, das heifit, dass ich siefuhle, siefuhlen kann, meine Gefuhle dazu erleben kann, nicht so machen muss als ware es vielleicht nicht so oder als ware es anders. Dasfinde ich grundsdtzlich gut. Und trotzdem ist es so, dass eben einfach manches so heftig ist, dass man eben auch zundchst mal oder Telle davon auf Dauer ausblendet, und dass ich es halt auch tue und das ist auch legitim. Also ein bestimmtes Mafi an Ausweichverhalten oder an Schutzmauerbau finde ich in Ordnung."
Genuss definiert sie zunachst als etwas, das "sich angenehm anfiihlt und Freude macht". Geniisse oder Genussempfindungen seien aber auch oftmals an die Bewerkstelligung vorangehender Bedingungen gebunden: "Also zum Beispiel wenn ich im Garten arbeite, dann ist das was anstrengendes, aber es ist auch was genussvolles. Das Genussvolle liegt zum Teil in Dingen, die einfach da sind, also, wenn ich nicht im Garten arbeite, dann rieche ich die Erde nicht, ich riech sie aber gerne, also ist das was schones, was ich direkt verbinde mit dieser Arbeit. Das Anstrengende, nun also die Erde da zu bearbeiten, das Unkraut rauszumachen, Sachen zu schleppen und so weiter, ist erst mal nicht so angenehm, aber wenn ich das nicht mache, habe ich hinterher nicht den Zustand, den ich aber wieder gerne habe, der mir einen Genuss verschafft. Also, dass da irgendwas wdchst, woriiber ich mich freue oder dass ich was ernten kann, was ich gerne esse oder uberhaupt nur dieses Ernten, finde ich, ist ein Genuss und ichfinde, das ist ein gutes Beispiel fur den Zusammenhang zwischen Genuss und etwas das vorangeht."
In diesem Kontext, namlich das Genuss an Bedingungen gekntipft sei, thematisiert sie auch wieder die Sucht, die sozusagen einen bedingungslosen Genuss verspreche: "Ich glaube, also aufjeden Fall gibt es einen Zusammenhang mit der Sucht, eben diese Loslosung des Wohlgefuhls von einer Realitdt, die lebendig dazu gehort. Das konnte ne Rolle spielen . Wenn ich schon, ja, die Loslosung von einer Realitdt, die dazu gehort. Also, wenn ich, das wilrde auch zu dem Urlaubsgefuhl, was ich habe und mir das Rauchen erspart, ganz gut passen. Genau, das Rauchen verschafft mir Genuss vollig unabhdngig davon, dass irgendwas angenehmes da ist. Ein sozialer
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Prozess oder ein dsthetischer Genuss oder irgendwie so was, ne Erleichterung, das Beenden von einer Anstrengung oder irgendwie. Es ist gar nichts, gar nichts da, das ist, glaube ich, etwas, was diese Suchtkisten, das denen zu eigen ist, das denen spezifisch zu eigen ist. Ich krieg was, ich krieg nen Genuss ohne irgendeine Vorausbedingung oder eine Situation." Auf die Frage, wie sie Tabak oder Zigaretten im Vergleich zu anderen Drogen bewerten wiirde, bemerkt sie zunachst einmal allgemein, dass die gesellschaftliche Achtung in Bezug auf einige Substanzen eine wichtige Unterscheidung darstelle. Dabei hatte die gesellschaftliche Wertung oder Ablehnung nichts zu tun mit der tatsachlichen korperlichen Bedeutung der verschiedenen "Suchtmittel". Sie konne jedoch die korperliche Wirkung nicht wirklich einschatzen, weil sich in ihrer Einstellung gesellschaftliche und personliche Vorstellungen vermischten. Generell empfindet sie es als auBerst problematisch, Drogen zu verbieten: "Und Uberhaupt, glaube ich, dass das Verbieten ne ganz problematische Geschichte ist. Also, ich kenn die Erfahrung gut, dass Verbote den Reiz beinhalten, sie zu iibertreten, dass das gesellschaftlich ne ganz, ganz wichtige Kiste ist. Je nachdem, wie frei oder unfrei wir leben oder wie verantwortlich, wie sich Verantwortung und das Gejiihl gebraucht zu sein, entwickeln kann, desto mehr Bedeutung wird das haben, Verbote iibertreten zu wollen oder gerade daraus irgendeinen eigenstdndigen Kick zu holen. Tja . Insofem denke ich mal, dass es sehr zweischneidig ist, Drogen insgesamt zu verbieten." Anstelle eines Verbotes setzt sie mehr auf unterstutzende Beratung und Hilfe: "UnterstUtzung, Beratung, sagen wir mal so dhnlich wie mit Esssucht umgegangen wird. Essen ist etwas, was natiirlich allenthalben zugestanden wird und trotzdem kann das missbraucht werden oder kann sich das verselbstdndigen und zum Problem werden. Und dem hat man sich zu stellen, also dem kann man sich auch stellen, wenn es einer alleine nicht kann, dann braucht er Hilfe und da ist es auch moglich. Ichjinde auch, dass es insgesamt nicht moglich ist, Probleme zu vermeiden, sondem die werden halt vorkommen und offenes damit Umgehen halte ichfiir besser als so zu machen, als konne man es durch Verbote verhindem und letztlich, glaube ich, dass man es durch Verbote nicht verhindem kann." Diese Einstellung spiegelt sich auch in Fraukes AuBerung auf die Frage, wie sie auf einen rauchenden 14 Jahrigen reagieren wiirde: "Ich wiirde ganz gem mit ihm dariiber reden und zwar nicht jetzt von vomherein ablehnend, sondem ich denke dann an meine ersten Erfahrungen und will dann gerne wissen, wie es ihm dabei ergangen ist und was da eigentlich passiert ist, was abgegangen ist. Also, 'Waren da noch andere mit dabei und was hat dasfUr euch be-
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deutef und so und so. Und wurde dann vielleicht mit ihm darilber reden, fdnde es ganz interessant, dariiber zu reden. Und ich glaube, wenn ich da so einen pddagogischen Impetus oder so was dabei empflnde, dann den, so ne Einstellung vermitteln zu konnen, dass es nicht nur entweder rauchen oder nicht rauchen gibt. Das finde ich eigentlich ne gute Sache. Ahja, was ich blodfinde, auchfUr mich selber, was ich fur mich selber blodfinde, ist mich abhdngig zufUhlen. Ich mochte nicht abhdngig sein von niemandem und von nichts. NatUrlich bin ich das sttickweise von allem, auch vom Rauchen, okay, aber nicht in einem stdrkeren Mafie, also da, da bin ich empfindlich drauf. Ich will nicht getrieben sein, ohne es selber in derHandzu haben in gewissem Mafi und das, das gonne ich jedem. Also diese Chance zur Selbstverantwortlichkeit oder zur Selbstbestimmung. Ja doch, das wdrefUr mich ein Thema in dem Zusammenhang."
Zusammenfassung Das Interview mit Frauke M. zeichnet sich durch ein hohes Reflexionsniveau aus. Ihr Rauchverhalten wird sehr von ihrer emotionalen, psychischen und korperlichen Verfasstheit und ihren Lebensumstanden gepragt. Phasen des low-rate Konsums wechseln mit Zeiten des Nichtrauchens. Schwankungen in der Anzahl der gerauchten Zigaretten kommen vor. Frauke hat sehr genaue Vorstellungen iiber die Funktionen, die das Rauchen fur sie erfullt. So beschreibt sie das Rauchen zum einen als eine Art "Lebendigkeitsersatz", indem es ihr hilft, ihren Korper wahrzunehmen und zu spiiren und auf diese Weise eine Art Vergewisserung ihres Korpers sowie ihrer Lebendigkeit ermoglicht. Zum anderen bedeutet Rauchen fur sie auch Widerstand und Emanzipation vom morahschen Wertesystem ihrer Eltem und ist gleichwohl ein Hilfsmittel bei der Stihsierung eines gelasseneren Selbstbildes. Auch wenn sich Frauke M. iiber Phasen des Nichtrauchens freut, lebt sie in Harmonic mit ihrem Rauchverhalten, da es fflr sie keine Bedrohung ist, in ihrem MaB zu rauchen. Gleichzeitig erlebt sie durch die vielen Abstinenzzeiten, auf die sie im Laufe ihrer Konsumbiographie zuriickblicken kann, dass sie das Rauchen "eigentlich nicht braucht". Allerdings gibt es auch immer wieder Situationen, in denen sie Lust auf eine Zigarette bekommt oder das Rauchen sehr genieBt. Auch dass das Rauchen ftir sie zu den "bedingungslosen" Geniissen gehort, spielt wohl bei der Aufrechterhaltung oder der Wiederaufnahme des Rauchens eine RoUe. Der Aufiiahme von Nikotin misst sie beim Rauchen keine groBe Bedeutung bei, gleichwohl sie die korperlichen Effekte, die sie beim Rauchen spiirt, zumindest zum Teil auf das Nikotin zuriickfahrt. Ihr Rauchverhalten sei weniger durch Regeln gerahmt, sondem eher dadurch bestimmt, dass sie es nicht vertrage, "wirklich viel" zu rauchen. So empfmdet sie es auch oftmals als "Erleichterung", auf das Rauchen zu verzichten, gerade auch dann.
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wenn sie in bestimmten Situationen ihr MaB uberschritten hatte. Sie hat das Geflihl, dass sie ihren Konsum nicht "so furchtbar viel steuere", raumt aber schon eine gewisse Energie oder Willensanstrengung bei der Beibehaltung ihres Konsumniveaus oder ihrer Abstinenzzeiten ein. Allerdings sei bei der Aufrechterhaltung der konsumfreien Phasen auch von Bedeutung, dass sie in diesen Zeiten meist nicht den Wunsch oder das Bediirfhis verspure, rauchen zu woUen. Sucht oder Abhangigkeit sieht sie in erster Linie als ein "Vermeidungsverhalten oder ein Ersatzverhalten" an. Diese (Flucht-)Reaktionen haben ihrer Meinung nach vor allem auch eine Schutzfiinktion und seien eine "absolut legitim(e)" menschliche Verhaltensweise. Allerdings mochte sie sich weder vom Rauchen noch von anderen Dingen in einem starkeren Mafie abhangig fuhlen. Die "Chance zur Selbstverantwortung oder Selbstbestimmung" ist fur sie von groBer Bedeutung und ware insofem auch ein Thema im Hinblick auf ein Gesprach mit Jugendlichen, denen sie die Moglichkeit eines eigenverantwortlich gesteuerten Konsums geme naher bringen wurde. Insgesamt vermittelt Frauke ein sehr facettenreiches und stimmiges Bild in Bezug auf die Funktionalitat des Rauchens, ihren Konsum und ihre Rationalisierungen hinsichtlich des Rauchverhaltens. Ihre Perspektive ist gepragt von einer wohlwollend akzeptierenden und freiheitlich orientierten Grundhaltung. Rauchen ist fur sie ein souveran benutztes Hilfsmittel fiir ihr Befindlichkeitsmanagement, auf das sie unter bestimmten Vorraussetzungen aber auch geme verzichten kann und will.
5.7. Interview 39: Gerald N. (27 Jahre), 3 Zigaretten am Tag: "Es ist nicht einfach so aufzuhoren, und dann habe ich mich eben anders arrangiert mit meiner Sucht." Seine erste Zigarette "auf Lunge" rauchte Gerald mit 16 Jahren im Kreis seiner Freunde auf einer Party. Die meisten aus seiner Clique rauchten zu diesem Zeitpunkt schon langer. Die weitere Entwicklung seines Rauchverhaltens umschreibt er dann als "ganz normal" bzw. "ganz klassisch": "Ja, so einen ganz normalen Einstieg eben, dass man immer, wenn man ausging, feiem ging, abends geraucht hat, oder wir gingen zum Beispiel auch an Wochenenden auf Fufiballspiele, und da haben wir dann auch immer geraucht. Also, es blieb erst mat so in diesem Freizeitbereich oder immer mit anderen Leuten zusammen. Und so ganz klassisch ging das dann halt so weiter, dass ich dann auch mal alleine geraucht habe, dann zu Hause beziehungsweise mal kurz raus bin, weil die Eltem durften das ja nicht wissen, und dann mal geraucht habe, eine Zigarette mal zwischendurch. Ja, so hat sich das dannfortentwickelt. So, dann halt auch immer ofters alleine geraucht. Und am Anfang war das ja nur so was, weil es halt toll war und
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cool war, man wollteja wie die anderen auch rauchen und so. Das warja was aus der Erwachsenenwelt damals so, ne, was auch immer es fur Begrundungen dafur gibt. Ja, hin halt zu einer Sache, die man dann auch alleine machte. Und dann auch immer gerne rauchte und so, ja. Und dann eben auch immer mehr rauchte, also ich weifi zum Beispiel in der Schule dann, am Ende meiner Schulzeit rauchte ich wirklich schon sehr konstant, also, da rauchte ich schon wdhrend der Schulzeit vormittags ne halbe Schachtel."
Mit 18 horte er dann das erste Mai auf zu rauchen. Da war er auf einem Konsumniveau von einer Schachtel am Tag. Er rauchte anderthalb Jahre nicht, fing dann wieder an und rauchte genauso viel wie vor seinem Aufhoren. Im folgenden Zitat benennt er die Griinde fiir seinen Konsumverzicht und versucht, anschlieBend auch zu erklaren, warum er dann doch wieder zur Zigarette griff: "Ahm, ja zum einen, weil meine Eltem hatten das natUrlich mittlerweile rausgefunden und vor allem mein Vater, der ist extremer Anti-Raucher, und meine Eltem lagen mir natUrlich stdndig in den Ohren und so, 'Und das kommt uns Uberhaupt nicht ins Haus' und 'Hor mal gefdlligst damit auf und so. Also, es gab nie irgendwie so einen Austausch, so Warum machst du das?' und 'Lass es doch mal bitte bleiben', sondem, 'Du machst das einfach nicht', so, vor allem von Seiten meines Vaters. Ich hatte meinen eigenen Kopfund habe dann aber, ich glaube, das spielte damit hinein, dass ich dann diesem ganzen Gemeckere stdndig dann Uberdriissig war und dann auch selbst aufhoren wollte, dann zu dem Zeitpunkt. Wenn man anfdngt, dhm, also ich kann mich noch erinnem, dass wir in der Schule in der Unterstufe diese ganzen Aufkldrungsfilme sahen Uber das Rauchen, wie die dann die schwarzen Fingerndgel haben die Leute, die lange rauchen und das Raucherbein abgesdgt bekommen und dann dreht's einem erst mal den Magen um. Und 'So was werden wir nie machen' (lacht), haben wir damals gesagt, und 'So was verriicktes, also das machen wir nicht'. Naja, und wie man dann anfing, dann fing manja immer mit dem Hintergedanken an zu rauchen oder rauchte mit dem Hintergedanken, 'Wir sind ja nicht siichtig' und so. 'Wir rauchen jetzt halt, weil es SpaJ^ macht und so, und weil das cool ist, aber wir konnen ja jederzeit wieder aufhoren'. Also, das sagte man sich auch stdndig so im Freundeskreis, 'Man kann ja jederzeit aufhoren'. Ahm, blofi es horte natUrlich keiner auf, ne. Also, ich war dann einer der ersten, die aufhorten und das ging auch ganz gut anderthalb Jahre lang. Wobei eben nie so, also, das BedUrf nis, eine Zigarette zu rauchen, so halt nach dem FruhstUcken, beim Kaffee oder beim Bier trinken abends, das verschwand dann so mit der Zeit, aber nie so wirklich das GefuhlfUr die Zigarette. Also, dieses angenehme GefUhl nach einem guten Essen oder so, oder beim Kaffee trinken, dass dann die Zigarette ja doch vermittelt, das blieb stets erhalten. Also, daran konnte ich mich dann auch immer erinnem, auch dann anderthalb Jahre danach, und deshalb fing ich dann wohl auch wieder an. Also, was genau die einzelnen GrUndefUr das Wiederaufnehmen des Rauchens sind, weiJ5 ich nicht so genau. Wahrscheinlich weil ich dann wieder vermehrt vielleicht mit Freunden in Kontakt geriet, die wieder rauchten und so."
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Er kann sich nicht mehr genau erinnem, wie viele Jahre er daraufhin konstant rauchte. Jedenfalls horte er dann einige Zeit spater noch einmal fiir ein Jahr mit dem Rauchen auf. Die Griinde ftir den zweiten Aufhorversuch beschreibt er folgendermaBen: "Ah, ja die gleichen, obwohl, also, da stellte sich wohl die Thematik noch dringender, dass ich dann schon lange Jahre geraucht hatte und dann auch, also, es istja da dieses Bewusstsein, dass man sich damitzu Grunde richtet. Es ist blofi so schwer, weil so ne kleine Zigarette so, schmeckt gut und so und dann denken so, 'In 30 Jahren bin ich dann am Arsch' oder so. Also, das kommt hin und wieder dieses, das kam mir so beim Rauchen, 'Jetzt miisste ich aber wirklich mal den Absprung schaffen oder versuchen, damit ich nicht wirklich in 30 Jahren dann, was weifi ich, fur Spdtfolgen habe vom Rauchen'. Ahm, und so was waren dann jeweils immer auch die Ausloser. Also, beim ersten Mal auch aufjeden Fall das stdndige Wehklagen meiner Eltem und beim zweiten Mal waren es eher so personliche, gesundheitliche Prdventionsmafinahmen, die mich dazu veranlasst haben." Nachdem er auch diese Zeit der Abstinenz beendet hatte, konsumierte er "nach einer relativ kurzen Eingewohnungsphase" genau wie zuvor seine ca. 20 Zigaretten am Tag. Dazu bemerkt Gerald, da er "jetzt schon so lange wenig rauche", konne er es sich heute nur noch schwer vorstellen, dass er mal so viel geraucht habe. Es falle ihm "extrem" auf, wenn er sich heute mit seinen rauchenden Freunden trifft, dass diese eine Zigarette nach der anderen konsumieren: "Das geht wirklich in einem weg und dann ist es wiederum leicht vorstellbar, dass es Leute geben kann, die zwei Schachteln am Tag rauchen. Also, weil man sitzt so und spricht so in einem und die ziinden sich ne Zigarette an, rauchen die, haben 3 Minuten Pause und dann rauchen sie die ndchste." Darauf angesprochen, ob dass denn bei ihm damals, als er noch viel rauchte, auch so war, erklart Gerald: "Ja, ja, das war auch so, ja. Also, gerade abends beim Weggehen, in der Disko und so, da rauchte man stdndig. Also, da war man nur am Rauchen die ganze Zeit. Also, stand da und rauchte und unterhielt sich und ndchste Zigarette und wenn man sich gerade nicht unterhielt, 'Ah, jetzt kann ich eine rauchen' und 'Jetzt bestelle ich mir ein neues Bier, und dann kann ich wieder eine rauchen'. Also, es ist wirklich so, als ob es sich ein bisschen der Kontrolle entzieht. Man sitzt da einfach, und es ist stdndig da dieses 'Hey, jetzt konnte ich eine rauchen' oder dieses, ich weifi ja nicht so recht, was es ist, aber so ein Gefuhl, das einem sagt, 'So, jetzt mal ne Zigarette nachschieben bitte', so, und das geht j a stdndig in einem weg. Also, ich habe teilweise auch dann abends so viel geraucht, dass mir vom Rauchen schlecht war. Also, ich weifi ein- bis zweimal habe ich mich sogar Ubergeben, und ich meine, es war immer im Zusammenhang mit Alkohol, aber, also eher von den Zigaretten. Also, dass mir dann soo schlecht war nach so vielen Zigaretten, dass ich mich dann Ubergeben
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musste einfach, die letzte nicht zu Ende geraucht habe und dann, naja, hm . J a, nee und dann, als ich das zweite Mai dann wieder angefangen habe zu rauchen, habe ich auch angefangen, wieder starker zu rauchen. Also dann verdnderte sich auch irgendwann meine Einstellung zum Rauchen, weil dann allmdhlich mir klar wurde, dass ich eben rauchen musste oder will oder wie auch immer. Es ist nicht einfach so aufzuhoren, und dann habe ich mich eben anders arrangiert mit meiner Sucht."
Auf die Nachfrage bzw. Vergewisserung, ob er also sein damaliges Rauchverhalten als Sucht bezeichnen wiirde, antwortet Gerald N.: "Ja sicher, heute auch noch, ja, ja, aufjeden Fall. Ja, das ist ein ganz klarer Fall von Sucht. Ja, ich binjetzt 27 und rauche schon 10, 11 Jahre und dann arrangiert man sich anders damit. Also, ab einem gewissen Zeitpunkt macht es einfach keinen Sinn mehr zu sagen, 'Hey, ich konnte noch jeden Tag aufhoren, im Moment so. Ich rauche ja nur aus Genuss und so, aber ich kann sofort aufhoren' (lacht etwas). Und ja, das macht manja, habe ich ganz lange gemacht und also, viele meiner Freunde auch so. So war einmal das Gefilhl zur Zigarette, so, jeder Zeit kann man das fallen lassen. Aber mittlerweile ist es nicht mehr so. Ah, von meinen Freunden, die ich kenne, die rauchen, da sagt das auch keiner mehr, dass man das leicht aufhoren konnte."
Er wiirde auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen sagen, dass es "wirklich schwer" ist mit dem Rauchen aufzuhoren: "Also, bei beiden Malen habe ich die Aus-und-Schluss-Methode benutzt, so ne letzte Zigarette geraucht und dann aufgehort. Also, es gibtja da die tollsten Methoden da, habe ich schon einiges mitbekommen von Freunden, die das auch versucht haben, aber meine Methode warjeweils immer 'Zack und Aus'. Wahrscheinlich noch auch aus der Uberzeugung, dass 'Ich bin ja nicht suchtig' und 'Ich kann das jeder Zeit aufhoren'. Aber es istja wirklich schwer, dasfiel mir dann auch bei beiden Malen Aufhoren auf Das Rauchen aufhoren enorm, weil irgendwann kommtja dann wieder der Schmachter, relativ schnell, 'So, ah, jetzt ne Zigarette' und 'Hach, ware das schon'. Es ist wirklich so ein Sog, und das sindja dann auch die Stimmchen, die einem sagen, 'Eine kleine Zigarette, was macht denn schon eine kleine Zigarette?' und so. Aber dann hat man sich vorgenommen, 'Jetzt hore ich auf und dann ist halt die Einsicht starker, dass man dagegen ankdmpfen muss. Eben jetzt nicht diese kleine Zigarette, weil dann rauche ich ne Stunde spdter noch mal so eine kleine unschuldige Zigarette undja, dann ist es nichts mit dem Aufhoren. Und deshalb war ich immer stets der Uberzeugung, das ist die beste Methode anstatt so, ein Freund von mir hat gesagt, der macht jetzt ein 10 Wochen-Programm, das heifit eine Woche lang jeden Tag 10 Zigaretten, in der zweiten Woche jeden Tag 9 Zigaretten und so weiter bis eine Zigarette am Tag eine Woche lang und dann gar nicht mehr. Aber das hat (lacht auf) auch nicht funktioniert. Ja, nee, das ist dann ne schwierige Zeit bis man liber dies en Berg ist. Also, da vergehen einige Wochen, dann ist es nicht mehr so
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schlimm, dieser Schmachter nach der Zigarette. Ahm, undja, nach einigen Monaten dann ist man ziemlich drtiber hinweg, war ichjeweils, eben bis aufdiese Tatsache, dass manja, wie ich das sagte, das Gefuhlfiir die Zigarette nicht verliert."
Nach diesen beiden Malen des Aufhorens und Wiederanfangens fing bei Gerald mit der Zeit eine andere Art der Auseinandersetzung in Bezug auf sein Rauchverhalten an, bei der er sowohl seine Angste vor diversen Krankheiten, die mit dem Rauchen zusammenhangen konnen, emst nehmen als auch sich eingestehen konnte, dass er es im Moment nicht schafft, auf das Rauchen zu verzichten: "Ja, das ist mein personliches Ich-reduziere-mein-Rauchen-Management, was ich mir so entwickelt habe. Weil also, wenn man zu sich selber ehrlich ist, ahm, dann, also ich mochte nicht geme mal mit, was weifi ich, in welchem Alter das dann eintritt, Lungenkrebs bekommen oder ein Bein ab, das mochte ich ja nicht, ne. Aber andererseits ist es auch so schwer, Jetzt, jetzt leide ichja noch nicht daran. Also, es ist halt schwer, sich das fiir die Zukunft vorzustellen, dass das in 30 Jahren so ist. Aber ich weifi ja auch, dass es so kommen kann und wird oder so. Und das ist ja stdndig da, also zum einen dieses Wissen, 'Hey, das macht mich krank, und das wird mich irgendwann fertig machen, und das will ich ja nicht' und zum anderen aber, 'Ja, aber hier istja dieser Genuss, und ich mochte auch geme rauchen, und ich kann davon nicht loskommen'. Also, ich gestehe mir die Sucht ein undja, wenn man das so in die Waagschalen wirft, dann halt es sich so die Waage, habe ich festgestellt. Also, ich kann nicht wirklich aufhoren, es ist fiir mich nicht so leicht damit das aufzuhoren. Aber ich hatte dann so Phasen, bei denen ich genau iiber diese Situation nachdachte beim Rauchen, weil dannfiel es mir halt am meisten auf. Und zwar in den Situationen, in denen ich Zigaretten rauchte, die mir dann tatsdchlich nicht schmeckten. Also, die klassische Situation ist, man raucht ne Zigarette und 5 Minuten spdter noch eine oben drauf. Oder man raucht ne Zigarette und die schmeckt so gut, und dann raucht man einfiich noch ne zweite, weil die erste so gut geschmeckt hat. Aber die zweite schmeckt nie so gut. Also, ich habe festgestellt, die zweite ist dann immer eigentlich sehr ekelig und so, das ist dann nur so, 'Ahhh', und also, j a, ich weifi nicht, ob das verallgemeinerbar ist, also fiir mich war das immer so, dass ne zweite direkt danach gerauchte Zigarette nicht lecker schmeckt. Und dann im Zusammenhang die nicht gut schmeckende Zigarette und dann dieses die Gefahren fur die Zukunft und so, das ist mir dann einige Male eingefallen. Also wdhrend ich da rauchte, dachte ich dann an diese Situationen. Und dann sagte ich mir irgendwann, 'Ja, dann lass doch einfach die zweite weg,ja. Rauch' eine und gut ist und dann irgendwann spdter, wenn ich merke, so jetzt konnte ich wieder eine rauchen, dann rauch ne zweite. Aber nicht sofort direkt danach, weil ich weifi j a, die schmeckt nicht' und so. Und ich weifi auch morgens, direkt nach dem Aufstehen vor dem FriihstUck schmeckt das eigentlich auch nicht, das macht nen schlechten Geschmack im Mund und so und ist nicht wirklich befriedigend dann, also 'Lass die auch weg', ja, und so was. Und dann fing ich eben an, auf einmal weniger zu rauchen. Aber das war, also das war nicht so, dass ich eine Schachtel am Tag rauchte und am ndchsten Tag dann 3 am Tag, sondem so ein allmdhliches sich 146
dann 3 am Tag, sondem so ein allmdhliches sich Ahflauen in der Menge, ja. Aber es war halt dieser Einschnitt, als ich mir das uherlegte, dass ich erst mal die zweiten Zigaretten weglasse." Seitdem iiberpnifte Gerald bei jeder einzelnen Zigarette, die er rauchte, ob sie ihm schmeckte und ob sich ein angenehmes korperliches Gefiihl einstellte, das er mit ein "bisschen schwer" und "relaxed" beschreibt, und welches er auf das Nikotin zuruckfuhrt. Zigaretten, die ihm nicht schmeckten oder zusagten, liel3 er weg. Heute raucht er 3 Stiick am Tag zu "erprobten" Zeiten: "(...) dass ich irgendwann mal im Laufe des Vormittags ne Zigarette rauche, also das heifit, ich fruhstUcke um acht Uhr meistens und dann so um zehn, elfUhr trinke ich mal nen Kaffee. Zum FruhstUck trinke ich keinen Kaffee, dann zehn, elfist eben Kaffeezeit und dann rauche ich immer gerne ne Zigarette. Also, zum Kaffee passt das auch besonders gut, Zigarette zu rauchen. Und dann Mittagessen und irgendwann im Laufe des Nachtmittags rauche ich dann noch eine. Meistens nicht direkt nach dem Mittagessen, weil ich auch nicht mehrfinde, dass es schmeckt, direkt nach dem Essen zu rauchen. Ja, ist halt so, das ist meistens auch nicht so eine leckere Zigarette, sondem erst, wenn man das so ein bisschen verdaut hat, dann danach. Auch wieder zum Tee oder wenn man noch mal nen Kuchen isst oder so was am Nachmittag, dann schmeckt das sehr gut. Und dann abends . auch wiederum nicht direkt nach dem Essen, sondem irgendwann danach, also nach dem Abendbrot. Ja." Generell achtet er heute darauf, dass er moglichst in Ruhe und in einer gemiitlichen Atmosphare rauchen kann. Im Gegensatz zu anderen starkeren Rauchem, die 3 Zigaretten pro Tag, wie Gerald aus Erfahrung weiB, als "so gut wie gar nichts" betrachten, sieht er seinen Konsum durchaus kritisch und wiirde zukunftig gerne noch weiter reduzieren: "Fur einen Raucher mag das verschwindend gering sein, aberjeden Tag trotzdem 3 Zigaretten zu rauchen, also damit sehe ich mich keineswegs sicher, dass ich irgendwelchen Spdtfolgen entgehe damit. Ich finde das trotzdem noch ne ganz schone Menge die 3 Zigaretten. Undja, wenn es mir gelingt, werde ich das dann auch noch mal weiter verringern, vielleicht auf eine, ja irgendwann, mal schauen." Auf die Frage, wie er es denn schaffe, seinen Konsum konstant bei 3 Zigaretten zu halten, denn dies sei ja fur manch andere Raucher gar nicht vorstellbar, erklart Gerald N.: "Ja, das Ding ist, dass ich eben auch merke, dass man den Korper daran gewohnen kann. Also es ist wirklich, das ist so eine Grundansicht, dass man ganz stark den Korper einfach, je nachdem wie viel Nikotin man ihm zufUhrt, gewohnt er sich daran, wie viel er haben will, also wie oft sich dieses Gefiihl meldet, 'Hach, jetzt ne Zi-
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garette'. Weil es tritt auch wirklich immer dieses Gejiihl, geme eine rauchen zu wollen, tritt, also bei mir, dreimal am Tag aufim Grunde. Das war also heute zum Beispiel, heute Vormittag habe ich keine geraucht, weil da hatte ich ganz viel zu tun, und dann musste ich das noch bearbeiten und das noch und das noch. Da hatte ich dann einfach, da konnte ich mir dann nicht mal eben 10 Minuten Auszeit nehmen. Aber es war ganz massiv da zu dem Zeitpunkt. Ich habe meinen Kaffee getrunken zwar, aber, also wdhrend der Arbeit, und dann wollte ich wirklich geme eine Zigarette rauchen, aber musste es dann eben bleiben lassen. Undja, das ist das Ding eben, dass ich, dhm, dass man sich daran gewohnen kann beziehungsweise den Korper daran gewohnen kann, nur dreimal am Tag Nikotin haben zu wollen. Also so, das ist der SchlUssel Ja, man muss naturlich, am Anfang ist es ja ofters da dieses Gefuhl, wenn man vorher mehr geraucht hat, aber man muss dann einfach auch ganz konsequent das bleiben lassen. Gutja, das istja eigentlich das (lacht etwas), was so schwierig ist, ne, das Rauchen bleiben zu lassen, ob nun von 20 auf3 Zigaretten oder von 3 aufnull oder wie auch immer, es bleiben zu lassen. Aber es ist, also bei mir immer so, wenn ich geme ne Zigarette rauchen will, aber dann mir sage, 'Nee, jetzt nicht' und so, 'Jetzt muss ich das eben bleiben lassen', dann irgendwann verschwindet der Schmachter auch. Also der halt sich in der Kegel hochstens 30 Minuten. Es gibt dann so ne Phase, da denkt man ganz doll dariiber nach, 'Ich mochte ganz doll eine rauchen', und ja, dann verschwindet das wieder. Also, wenn man dann etwas anderem nachgeht oder so, was arbeitet, dann ist das aufeinmal wieder weg und man denkt nicht mehr dariiber nach. Naturlich am Anfang ist das dann ganz oft so, wenn man viel geraucht hat und dann weniger rauchen will, muss man dann ganz viel ofter dagegen ankdmpfen gegen so ein Gefuhl. Aber mit der Zeit eben, wie gesagt, wenn man dann auf6 Zigaretten runterkommt, und dann von 6 auf 3 runtergeht, dann musste ja dieses Gefuhl praktisch nur dreimal zuviel auftreten und nach ner gewissen Zeit, wie gesagt, also hat man den Korper gewohnt und dann ist das Bediirfhis, eine Zigarette rauchen zu wollen nur dreimal am Tag."
Gerald hatte fur diese Art der Reduzierung des Konsums keinerlei Vorbilder im Freundes- oder Bekanntenkreis und sieht den Grund fur die Veranderung seines Rauchverhaltens ausschlieBlich in seiner personlichen Auseinandersetzung mit dem Rauchen: "Nee, nein, Uberhaupt gar nicht, also das war jetzt nicht ein Tipp von irgendjemand. Das habe ich mir selbst iiberlegt, weil, wie gesagt, ich mir auch eben Gedanken gemacht habe, dass ich,ja, eigentlich will ichja aufhoren, so. Eigentlich, also eigentlich finde ich rauchen schlecht, weil man stinkt nach dem Rauchen, man stinkt aus dem Mund und die Kleider stinken und die Finger stinken. Man beldstigt auch alle damit, also ich rauche grundsdtzlich zu Hause nicht in der Wohnung, nur auf dem Balkon. Meine Freundin ist Nichtraucherin und, also ich habe immer schon so ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit Leuten in nem Zimmer sitze und rauche und die so, 'Hach, macht nichts, rauch' mal ruhig' und so. Also, das miissen die mir schon drei-, viermal versichem bevor ich wirklich in einem Zimmer mit Leuten zusammen
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sitze, die Nichtraucher sind, und ich dann rauche. Mache ich nicht gerne. Ich gehe immer gerne aufden Balkon. Auch eh nur ne Gewohnungssache." In diesem Kontext erzahlt Gerald, dass seine Freundin sehr selten zu bestimmten Anlassen auch mal eine Zigarette rauchen und dann aber auch wieder ein halbes Jahr lang keine Zigarette anfassen wiirde, also eine Gelegenheitsraucherin sei. Dies konne er sich flir sich selbst "uberhaupt gar nicht vorstellen, das sind wirklich echte Gelegenheitsraucher, wdhrend ich schon sehr suchtig bin". Auf die Nachfrage, ob es fiir ihn also nicht vorstellbar sei, auch auf so einem Niveau zu rauchen, antwortet er: "Nee, also ja, wiirde ich gerne, aber das ist eben auch so meine Selbstdefinition 'Das kann ich nicht'. Ich kann entweder nur rauchen konstant oder gar nicht. Ich glaube nicht, dass ich so einen Zustand erreichen kann. Also daflir bin ich zu sUchtig einfach. Ich bin sehr sUchtig nach Zigaretten, ich bin halt ein wenig rauchender SUchtiger (...) Ja genau, dass es auch Leute gibt, die sUchtig sind und ein bis zwei Schachteln rauchen, aber ich wiirde nicht sagen, ich bin weniger suchtig als die, die viel rauchen. Diese 3 Zigaretten, die muss ich schon rauchen." Danach gefragt, wie er sich seine Sucht erklare, verweist Gerald auf zwei Aspekte. Zunachst einmal sieht er fur sich ein korperliches Bedurfnis zu rauchen und dann spiele aber auch die gedankliche Erinnerung an das Rauchen eine nicht zu unterschatzende Rolle. Es fallt ihm schwer, die Erklarung fiir seine Sucht in Worte zu fassen: "Ja, das ist nicht so leicht ne Sucht zu erkldren . Also erst mal ist es eben ne korperliche. Also das, glaube ich, in erster Hand, well mein Korper eben nicht dieses, ja, wenn ich mir heute morgen zum Beispiel als ich den Kaffee getrunken habe und keine geraucht habe, warja stdndig da, dieses 'Hmm, wo ist dennjetzt die Zigarette?'. Also, das kommt ja irgendwoher auf einmal. So, erst gar nicht und dann so schwupps, so, jetzt denke ich an die Zigarette. Wenn ich daran denke, dann, ja, irgendwoher kommt das ja. Also, ich nehme an, dass es so was korperliches ist. Der Korper sagt, 'Jetzt auch noch Kaffee, hmmm, gut' und so, das hatja auch ne gewisse korperliche Wirkung, 'Ja, wo ist denn jetzt noch diese Wirkung da vom Nikotin? Schieb doch die auch bitte hinterher'. Ja, und dann ist es naturlich auch eine vom Kopfher. Weil dann denke ich daruber nach und so und 'Ha, jetzt konnte ich doch schnell eine rauchen' und 'Ah, ich hab aber keine Zeit. Aber, jetzt mach doch schnell jetzt ne Zigarette hier startklarf, dhm, also es ist schon beides. Es ist, also ich sag ja, auch stdndig diese Stimme, die einem sagt, 'Jetzt rauch mal eine' und so. Das ist natUrlich nur metaphorisch, aber es ist schon ein Gejuhl, ich weifi nicht, woher es kommt. Also, meine eigene Annahme jetzt, dass das ein korperliches Potential ist und es ist wahrscheinlich so ein Mischmasch aus kdrperlich und auch vom Verstand
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her. Das Korperliche spiegelt sich im Verstand dann wieder, das mir dann sagt 'So, jetzt mal wieder eine rauchen'."
Auf die Nachfrage, was denn das Wesentliche sei, auf was sein Korper dann warte, antwortet Gerald N.: "Ja, also ja, auf die Dosis Nikotin ehen, die er sonst dann auch immer kriegt zum fast immer gleichen Zeitpunkt, ja. Es istja immer verbunden mit diesem, die angenehme Erinnerung an das Rauchen. Wie gesagt, eine Zigarette kann ja auch nicht schmecken, und eine Zigarette hat nicht immer diese angenehme korperliche Wirkung, dass man, ja eben, also, wenn es eine angenehme Zigarette ist, dann wird man so schwer undja, das schmeckt dann halt gut. Also, sie schmeckt dann auch wirklich gut die Zigarette. Man raucht die geme, und ich drehe auch selbst, und ich rauche die dann runter bis wirklich nur noch so ein kleiner Stummel da ist, bis ich mir fast die Finger verbrenne, wenn es wirklich gut schmeckt. Aber man hat auch, also habe ich ja auch bei diesen 3 am Tag, immer wieder Zigaretten dabei, die einfach nicht schmecken. Das schmeckt dann so schlecht im Mund und dann mache ich die auch mal nach der Hdlfte aus und so, wenn die nicht gut schmeckt eben und sich dieses angenehme korperliche Gefuhl nicht einstellt. Aber bei der tiberwiegenden Zahl schmecken die schon gut, eben das istja auch der Grund, warum ich das so reduziert habe, well ich nicht stdndig irgendwelche Zigaretten rauchen will, die mir dann doch nicht schmecken und auf die ich dann eben meines Erachtens auch verzichten konnte, diese nicht gut schmeckenden. Also gerade, wenn ich mit Freunden dariiber rede, wie ich das hinkriege, so wenig zu rauchen. Dann frage ich die dazu, 'Also, wenn du ne Zigarette rauchst und die schmeckt gut, ja, und dann gleich danach hinterher ne zweite, schmeckt die dir dann auch?' und dann sagen die dann meistens auch, 'No, die schmeckt dann nicht so gut' und dann sag ich immer, 'Ja, und die, die kann manja einfach dann weglassen, die zweite Zigarette'. 'Ach so'. Aber man will das ja auch nicht wissen dann. Also, wenn man zuviel raucht und nicht von alleine darauf kommt, dass man das mal reduzieren konnte, dann fragt man das ja auch nicht nach. Also dementsprechend deine Frage vorhin, ob ich von irgendwelchen Bekannten gehort hdtte, dass die so wenig rauchen und so. Vielleicht hatte ich Bekannte, die wenig rauchten, weniger als ich, aber davon weiji ich nichts, weil das aufierhalb meiner Wahmehmung lag, also ich habe auf so was nicht geachtet. 'Schon fur die, rauchen die weniger, aber ist doch mir egaV, so und genauso ist das mit Leuten, mit Rauchem, mit denen ich zu tun habe, diefragen das ja auch nicht nach. Also die sind auch nicht gerade dabei, sich das zu Uberlegen und wenn, dann miissen die sich das schon selbst Uberlegen. Also, man kann nicht einem sagen, 'Hey, ich habe hier den richtigen Weg' und so, also gibt's nicht."
Es ist fiir Gerald heute schwer, bestimmte Motive, die er mit dem Rauchen verfolgt, anzugeben. Seine Motive hatten in den Jahren seiner Raucherzeit wahrscheinlich standig "bewusst oder unbewusst" gewechselt. Heute wiirde er in seinem Rauchverhalten keine Motive oder Funktionen erkennen, sondem allein 150
seine Sucht als Erklarung heranziehen: "Ich bin siichtig und ich hrauche das und deshalb rauche ich (...)". Dagegen betont seine Antwort auf die Frage, was er mit dem Rauchen assoziiere auch noch andere Aspekte: "Ja, das ist so ein Mischmasch. Also meistens, es schmeckt gut, das weifi ichja, oder dieses angenehme Gefilhl, daran denke ich immer. Dass die Zigarette fur mich, ruhig, ne Auszeit nehmen und rauchen. Das schmeckt gut und manfuhU sich wohl dabei, aber das ist beim Rauchen. Aber meistens, wenn ich mit dem Rauchen sonst konfrontiert bin, so durch Mitmenschen, dann denke ich eher an Rauchen im negativen Sinne. Dann fdUt mir das immer auf, dass es stinkt und dass das eigentlich ne schlimme Sucht ist. Und so viele Leute rauchen und rauchen stdndig (...)." Auch seine Erlauterung zu Nikotinersatzpraparaten verweist auf weitere Aspekte, die fur ihn beim Rauchen zusatzlich eine RoUe spielen: "Aber so gerade rauchfreies Nikotinzeugs gibt es ja, aber ich habe also Nikotinpflaster noch nie ausprobiert. Vielleicht ja, ich kann dazu nicht so viel sagen, aber es ist ja auch vieles mit diesem man dreht sich die Zigarette, gerade bei mir als Selbstdreher und hat auch was in der Hand und so und muss da auch was machen, daran Ziehen und so was. Wenn das alles wegfdllt durch nur ein Pflaster, ich weifi nicht, ob das, also bin ich erst mal skeptisch. Aber ich kann es natiirlich eigentlich nicht bewerten und beurteilen, weil ich es nicht ausprobiert habe." Seine Beschreibung von Genuss bezieht sich im Rahmen unseres Gesprachs auf den Konsum bestimmter Dinge und vor allem auf das Rauchen. Gerald N. erlautert dazu: "Also gerade Zigarettenkonsum oder andere Sachen konsumieren, essen, weil es ja auch andere Formen von Genuss gibt. Ja, und in dem Sinne, wie ich da Genuss definieren wiirde, was meinen Zigarettenkonsum angeht, ja, wiirde ich sagen, das ist so ein GefUhl halt ebenja, zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Situation unter den richtigen Gegebenheiten dann ne Zigarette zu rauchen. Also, dass man kurz ne Auszeit hat und dann auch wirklich eine rauchen will und das dann auch gerne macht und das dann auch schmeckt, dann ist das Genuss. Also es ist kein Genuss, wenn ich, wenn da eben diese Sucht in mir ist, die michjetzt dazu drdngt, obwohl ich das eigentlich gar nicht will, obwohl ich schon weifi, die wird mir nicht schmecken und so, dann ist das kein Genuss. Dann drgere ich mich darUber, mal wieder eine geraucht zu haben, obwohl ich das mir schon ausmalen konnte, sie wiirde mir nicht schmecken und es dann auch tatsdchlich nicht tut. Ja, also Genuss ist es dann, wenn es dann auch wirklich gut schmeckt und es angenehm ist undja, dann geniefie ich das, dann geniefie ich das auch doppelt und dreifach und daher kommt dasja dann auch, dass ich da soviel Wert drauf lege, oder dass ich das so gerne machen will das Rauchen. Und ja, scheinbar immer, wenn ich dann, wenn mein Korper mir sagt.
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'Jetzt rauch' dock mal wieder', dann ist es wohl immer mit diesem Hintergedanken 'Es istja so ein toller Genuss', es istja so ein 'Hah, Zigarette, Nikotin' da. Aber tatsdchlich ist esja dann nicht immer so." Auf die letzte Frage, ob er mit seinem jetzigen Rauchverhalten in Dissonanz oder Harmonic stehe, antwortet Gerald: "Konflikttrdchtig, ja, aufjeden Fall. Ja also, ganz einfach, aufjeden Fall. So undso, zum einen sage ich mir selbst, 'Ich bin halt Raucher jetzt, und ich bin stichtig'. Und so weit bin ich jetzt, ja, ich muss mir das eingestehen, ich kann nicht so einfach aufhoren. Und jetzt habe ich das zwar reduziert und so, aber glticklich bin ich deswegen noch lange nicht. Also, ich bin eigentlich ganz ungliicklich, dass ich Raucher bin. Aber, also es ist natiirlich . nicht so leicht, ne, es einfach so zu beantworten, weil dann wiirde doch jeder Mensch sagen, 'Ja, aber dann hor' doch auf, Junge, wenn du sagt, du bist ungliicklich, dass du rauchst!' Ahm,ja, es geht einfach nicht so leicht, weil da eben die Sucht ist, und ich muss dann versuchen, das anders noch zu reduzieren. Ich habe vorhin gesagt in der Pause, ich glaube, da lief das (Aufnahmegerdt) nicht, dass spdtestens aufzuhoren ist, wenn ich selbst ein Kind habe, also dann muss ich wirklich aufhoren zu rauchen. Aber j a, sag niemals nie. Ein guter Freund von mir, der hat jetzt ein Kind seit einem halben Jahr und der raucht auch immer noch. (...) Ist nicht so leicht. Aber es ist aufjeden Fall keine Harmonic. Ich bin mit mir selbst damit nicht im Reinen, dass ich Raucher bin. So ist das nun mal, aber wie gesagt, ich kann auch nicht einfach so aufhoren, das muss ich mir nun auch eingestehen. Ja,ja, nee, ich iiberlege mirja dann hin und wieder, wie das dann weiter gehen kann, (...) dass nurjeden zweiten Tag noch oder dass noch weniger, na ja, muss ich mal schauen, wie sich das entwickeln wird. Ich arbeite daran."
Zusammenfassung Obwohl Gerald N. zum Zeitpunkt des Interviews erst 27 Jahre alt ist, weist auch seine Konsumbiographie schon erhebliche Veranderungen in seinem Rauchverhalten auf. So hatte er schon in sehr jungen Jahren zweimal mit dem Rauchen fur anderthalb bzw. ein Jahr aufgehort und sich dann nach emeuter Wiederaufnahme des Rauchens fur cine allmahliche Reduktion seines Zigarettenkonsums entschieden. Mehrere Aspekte spielten hierbei fiir ihn eine Rolle. Zunachst einmal gestand er sich nach dem zweiten gescheiterten Versuch ein, dass es ftir ihn nicht so einfach war, mit dem Rauchen aufzuhoren, da sowohl die genussvollen Seiten des Zigarettenkonsums als auch die empfundene "Sucht" die Abstinenz erschwerten bzw. verhinderten. Da ihn aber die Risiken des Rauchens weiterhin angstigten und er sich beim Rauchen auch immer wieder damit auseinander setzte, fand er ftir sich mit der Zeit einen Weg, sich mit seiner "Sucht zu arran-
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gieren". Er unterschied seinen Konsum in schmackhafte und nicht schmackhafte Zigaretten und motivierte sich dazu, auf die nicht schmeckenden Zigaretten zu verzichten. So reduzierte er seinen Konsum allmahlich von 20 auf 3 Zigaretten pro Tag. Gleichzeitig ist er nach wie vor davon iiberzeugt "sehr siichtig" zu sein und definiert sich selbst als einen "wenig rauchenden Suchtigen". Dass er sich trotz seiner "Sucht" auf 3 Zigaretten runterdosieren konnte, erklart er dadurch, dass man den Korper an unterschiedliche Nikotinmengen gewohnen konne. Dies sei seine "Grundansicht": Je nachdem wie viel Nikotin man dem Korper zufiihre, gewohne dieser sich daran wie viel er "haben will". So trete auch "dieses Geflihl, geme eine rauchen zu wollen", bei ihm jetzt nur noch dreimal am Tag auf. Dabei speist sich dieses Gefiihl seiner Meinung nach zum einen aus einem korperlichen Bediirfhis wie auch aus einer gedanklichen Realisierung, dass jetzt Zeit fur eine Zigarette sei. Die Sucht ist fur Gerald die alles dominierende Erklarung, das Hauptmotiv, warum er weiterhin raucht. Weitere Motive oder angenehme Assoziationen zum Rauchen - wie "schmeckt gut", "Genuss", ist ein "angenehmes Gefuhl", Entspannung, "Auszeit nehmen", Ritual des Drehens - lassen sich aber in anderen Kontexten erkennen. Auch bei der Thematisierung des Gelegenheitsrauchens wird seine Selbstdefmition des Siichtigen deutlich, indem er glaubt, seine 3 Zigaretten am Tag rauchen zu miissen und sich lediglich vor den zwei Altemativen wahnt "entweder nur rauchen konstant oder gar nicht". Der Schlussel seiner Kontrolle ist also der Glaube, dass man den Korper an geringe Nikotinmengen gewohnen kann. So konnen die Sucht und das Nikotin weiterhin eine wesentliche Rolle in der Erklarung seines Rauchens spielen, ohne dass es fur ihn zu einem Fatalismus ftihrt, der ihn auf einem hohen und von ihm riskant eingeschatzten Konsumniveau verharren lieBe. Beide Aspekte sind hierbei sehr wichtig. Die Sucht ist fiir ihn eine Entschuldigung, warum er nicht aufhoren kann, und damit auch eine Erlaubnis, trotz des Wissens um die Gesundheitsgefahren, weiter rauchen zu diirfen. Seine Idee, dass sich der Korper mit der Zeit an reduzierte Nikotinmengen gewohne^^^ ermoglicht ihm eine Kontrolle seiner Sucht und eine seinen gesundheitlichen Angsten angemessene Reaktion, indem er seinen Konsum verringem kann. Dass er "eigentlich ganz ungliicklich" daruber sei, dass er Rancher ist, verweist auf einen innerpsychischen Konflikt, der vielleicht schon wahrend seiner gesamten Konsumzeit besteht. So hat er zwar durch sein "Eingestandnis der Sucht" ein Arrangement fiir sich gefunden, aber scheinbar keine personliche Akzeptanz gegeniiber der Tatsache entwickelt, dass er (auch geme) raucht. Ein Thema, das ihn meiner Meinung nach von Beginn seines Konsums an durch die rigide ablehnende Haltung des Vaters hinsichtlich seines Rauchens begleitet hat. ^^^ Eine Idee, die ja einem der definierten Kennzeichen einer Sucht, namlich der Toleranz' gegenlaufig ist, hier aber nicht zu einer Infragestellung der Suchtannahme flihrt.
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5.8. Zusammenfassende Betrachtung der Low-Rate Raucherlnnen Im Folgenden werde ich die aus den einzelnen Interviews herausgearbeiteten Aussagen flir eine schwerpunktbezogene Charakteristik der Low-Rate Raucherlnnen dieser Studie zusammenfassen. Neben alien individuellen Unterschieden und den verschiedenen Konsumbiographien lassen sich m.E. auch viele Ahnlichkeiten und Erkenntnisse hinsichtlich der Konsummotive, der Erklarung und Wertung des eigenen Rauchverhaltens, der Entwicklung und Steuerung des Rauchens, der Kognitionen hinsichtlich Sucht im allgemeinen und Nikotinsucht im Besonderen sowie der Genussvorstellungen herausarbeiten. Anhand dieser Kategorien ist daher die zusammenfassende Betrachtung geordnet.
5.8.1. Konsummotive Die Grtinde oder Motive, warum die hier befragten Low-Rate (L-R) Raucherlnnen zur Zigarette greifen, ahneln sich zusammenfassend betrachtet sehr und konnen, wenn man es auf einen gemeinsamen Nenner bringen will, wohl am ehesten den beiden Kategorien "Genuss" und "Entspannung" zugeordnet werden. Dabei ist der Genuss einer Zigarette fur die L-R Raucherlnnen meist ohne eine entspannte Atmosphare nicht denkbar, und das Motiv der Entspannung schlieBt eben den Genuss einer gut schmeckenden Zigarette mit ein. Unter "Entspannung" wurde ich dabei auch die benannten Motive der "Pause", "Auszeit nehmen", "Abgrenzung" fassen sowie unter "Genuss" den Aspekt des guten Geschmackes einer gerauchten Zigarette. Bei alien L-R Raucherlnnen finden sich u.a. diese Motive. Eine Ausnahme ist hier allerdings Gerald, der zwar auch aus diesen Grunden raucht, aber als Hauptmotiv seines Konsums seine Sucht benennt. Zudem lassen sich bei Christel und Frauke auch noch andere Motive und Funktionen des Rauchens erkennen, die zum einen auf einem zugeschriebenen Symbolcharakter des Rauchens beruhen (Widerstand, Emanzipation), und zum anderen auf einer Nutzung des Rauchens als Selbstmedikation oder Hilfsmittel (Korperwahmehmung, Lebendigkeitsersatz, Abgrenzung). Auch das Motiv der Geselligkeit spieh bei den meisten L-R Raucherlnnen eine nicht zu unterschatzende Rolle, kommt es in geselligen Situationen doch auch manchmal zu einem leichten Anstieg des Konsums. Interessant ist, dass, mit Ausnahme vielleicht von Frauke, keine der L-R Raucherlnnen auf Stress mit Rauchen reagiert. Das Rauchen hat also in diesem Sinne hier keine direkte stress-coping Funktion (obwohl man naturlich die Rauchpausen auch durchaus in ihrer Entspannungsfiinktion als ein Mittel zur Belastungsbewaltigung interpretieren konnte).
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5.8.2. Erklarung und Wertung des eigenen Rauchverhaltens "Erklarung des eigenen Rauchverhaltens" meint in diesem Zusammenhang vor allem eine Art Einordnung oder Deutung des Verhaltens und weniger die mit einem Verhalten verfolgten Motive oder Funktionen. "Wertung" verweist hierbei vor allem auf den Aspekt der Akzeptanz bzw. Problematisierung des eigenen Verhaltens wie auch auf das Bild, welches man von sich selbst als Raucherin hat. Mit Ausnahme von Gerald verorten die Konsumentlnnen der L-R Gruppe ihr Rauchen vomehmlich unter dem Deutungsmuster der Gewohnheit bzw. sehen es als eine eher flexible Verhaltensweise an, die von spezifischen Faktoren gepragt wird. Die zahlreichen AuBerungen, die sich auf die Situationsgebundenheit des Rauchens beziehen, verweisen auf eine Wahmehmung des Rauchens als einer Handlung, welche vor allem von der Verfasstheit des Konsumenten (set) und seinem jeweiligen Lebensumfeld bzw. den Tagesstrukturen und Tagesgeschehnissen (setting) beeinflusst wird und nicht von korperlichen Entzugserscheinungen. Die korperliche Bedeutung von Nikotin und die generelle Moglichkeit einer korperlichen Abhangigkeit bleibt zwar haufig als generelles Erklarungsprinzip fur das (starke) Rauchen bestehen (s. auch 5.8.4.) und wird auch bezogen auf die eigene Person nicht immer so deutlich in Frage gestellt wie z. B. bei Elena, doch bezeichnet sich mit Ausnahme von Gerald keiner der L-R Raucherlnnen als "siichtig" oder abhangig vom Rauchen oder vom Nikotin. Dies korrespondiert auch mit dem Raucherbild, das die einzelnen von sich haben. Formulierungen wie "nicht der groBe Rancher" (Dimitris), "keine intensive Raucherin" (Britta) oder "keine klassisch konditionierte Raucherin" (Christel) verweisen auf eine Abgrenzung zu den "anderen" starken Rauchem, die dann auch schon mal eher als siichtig bezeichnet werden. So ist auch die Wertung des eigenen Rauchverhaltens - mit Ausnahme von Gerald - meist sehr positiv. Vor dem Hintergrund eines aufgeklarten Wissensstandes in Bezug auf die Risiken des Rauchens beurteilen die L-R Raucherlnnen ihren maBvollen Konsum als gesundheitlich unproblematisch, was allerdings nicht unbedingt ausschlieBt, dass sie die Anzahl der gerauchten Zigaretten weiter reduzieren oder noch bewusster rauchen wollen, wie es z.B. Dimitris fiir sich formulierte. Doch werden generell die gesundheitlichen Gefahren mit einem hohen Konsumniveau assoziiert und das eigene Konsumverhalten als eher nicht riskant betrachtet. Die meisten L-R Raucherlnnen akzeptieren ihr Rauchverhalten ohne schlechtes Gewissen und konnen ihrem Rauchen klare Motive und Funktionen zuweisen. Auch hier ist Gerald wieder die Ausnahme, da fiir ihn das Rauchen auch bei einem geringen Konsum sehr konflikttrachtig bleibt.
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5.8.3. Entwicklung und Steuerung des Rauchens Die meisten L-R Raucherlnnen haben vergleichsweise spat mit dem Rauchen angefangen und konnen auf eine recht dynamische Konsumbiographie zunickblicken. Haufig lagen zwischen der ersten Erfahrung mit dem Rauchen und der Aufhahme eines regelmafiigeren Zigarettenkonsums mehrere Jahre. Bis auf Christel haben alle L-R Raucherlnnen meiner Studie in friiheren Zeiten zum Teil deutlich mehr geraucht als heute oder kennen zumindest Phasen, in denen sie mal etwas mehr geraucht haben wie z.B. Britta. Das bedeutet, dass fast alle ihr Rauchverhalten verandert und die Anzahl der gerauchten Zigaretten (wieder) reduziert haben. Interessant ist hierbei, dass die Veranderungen aus ihren eigenen Auseinandersetzungen mit dem Rauchen erwuchsen, also zu einem groBen Teil eigenmotiviert waren. Zwar wurde vereinzelt von Kritik aus dem Elterhaus oder Freundeskreis berichtet, aber z.B. nicht von Ratschlagen oder Aufforderungen seitens eines Arztes. Die Motivation, den Tabakkonsum zu reduzieren, speiste sich vor allem aus dem Wissen um die gesundheitlichen Risiken und wurde zum Teil durch auBere Geschehnisse wie bei Dimitris und Elena bestarkt. Die Verhaltensanderungen hinsichtlich des Rauchens waren autonom gesteuert und entwickelten sich aus den eigenen Konsumerfahrungen, d.h. keine der L-R Raucherlnnen orientierte sich an etwaigen Vorbildem, Empfehlungen oder vorgefassten Regelwerken. Dimitris, Elena und Gerald beschreiben die Veranderung ihres Rauchverhaltens als einen langeren Prozess. Hierbei wurden Kenntnisse, die aus der Beobachtung des eigenen Konsumverhaltens resultierten, fur eine Verhaltenssteuerung genutzt und mit der Zeit in ein regelorientierteres Konsumverhalten umgesetzt. Dabei rekrutieren sich diese "Regeln" sowohl aus bisherigen Konsumerfahrungen (wann und wo z.B. gut auf das Rauchen verzichtet werden konnte) als auch aus personlichen Ritualen, konsumbeziiglichen Orten, Zeiten und Befindlichkeiten sowie aus bestimmten Zielvorstellungen, wie man geme rauchen mochte (z.B. das bewusstere Rauchen bei Dimitris). Diese "Regeln" erscheinen daher nicht als ein starres Korsett von Verhaltensvorgaben und Prinzipien, sondem als eine fast schon "selbstverstandliche" Gestaltung und Rahmung des Konsums. So stellt sich die Steuerung des Konsums meist nicht als eine rigide Kontrolle dar, sondem eher als eine "gewohnheitsmaBige" Ausbalancierung oder Tarierung des Konsums auf niedrigem Niveau. Das Wissen um diese Dynamik und die eigene Steuerungskompetenz fuhrt dann auch dazu, dass situationsbedingte Konsumsteigerungen nicht iiberbewertet werden. So stellt sich das L-R Konsummuster hier als ein Verhalten dar, das sich, ohne therapeutischen Druck von AuBen, allein aus der (Konsum-)Biographie der Individuen heraus entwickeln konnte.
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In diesem Kontext sind die Rationalisierungen von Andreas und Dimitris, die sie hinsichtlich ihrer "fehlenden Abhangigkeit" sowie ihrer unproblematischen Verhaltensanderungen und Reduzierungen anfuhren, recht interessant. Beide artikulieren das Fehlen von Problemen eher als eine Art Gnade ("gottlob nie so weit gewesen, dass ich wirklich ein starker Rancher war") bzw. als ein Geschenk des Schicksals ("ich habe einfach Gliick gehabt"). Besondere Charaktereigenschaften ihrer Person, die ftir eine vermehrte Kontrollfahigkeit sprechen konnten, schUefien beide eher fur sich aus. Doch werden ihre positiven Uberzeugungen hinsichtlich der eigenen Selbstwirksamkeit deutlich, wenn sie die KontroUe ihres Rauchverhaltens als relativ einfach und auftretende Probleme als handhabbar beschreiben (z.B. bei Dimitris, wenn er sagt: "Ach, auch wenn es ein Problem ist, das stecke ich weg. Dann trinke ich eine Tasse Kaffee"). Auf personenbezogene Eigenschaften als Erklarung oder Voraussetzung ftir Kontrollfahigkeit verweist hingegen Christel, wenn sie von sich sagt, dass sie "keine Suchtpotentiale" hatte und nicht zu Exzessen neige. Ein Selbstbild, das sicherlich positive Auswirkungen auf ihre Selbstwirksamkeitserwartungen hat. Auch Britta kommt auf charakterliche Aspekte in Bezug auf ihre VerhaltenskontroUe zu sprechen, indem sie ihr KontroUvermogen darauf zuriickflihrt, dass sie "so ein bewusster Mensch" sei und es ihr daher keine Probleme bereite, ihren Konsum zu steuem. Frauke ist der Uberzeugung, dass sie das Rauchen "eigentlich nicht braucht" und auch Elena hat die Erfahrung gemacht, dass sie gut auf das Rauchen verzichten kann, was, wie wir gesehen haben, ihre Selbstwirksamkeit hinsichtlich ihrer Reduktion maBgeblich positiv beeinflusst hat. Bei Gerald schlieBlich speist sich die Fahigkeit der VerhaltenskontroUe hinsichtlich seines "siichtigen" Rauchens aus seinem Glauben, den Korper an geringe Nikotinmengen gewohnen zu konnen. Generell konnte man sagen, dass in den Antworten von Andreas und Dimitris wieder eine gewisse Selbstverstandlichkeit sowie das Fehlen eines Deutungsmusters hinsichtlich ihres Vermogens, das Rauchen kontrollieren zu konnen, deutlich wird. Vor dem Hintergrund ihrer Kenntnisse iiber die Nikotinsucht erscheint das eigene Konsumverhalten eher als vom Schicksal abhangige Ausnahme. Gleichzeitig besteht aber auch ftir die anderen L-R Raucherlnnen kein groBer Bedarf, nach weiteren Erklarungen ftir ihre Kontrollfahigkeit zu suchen, da eben die Entwicklung ihres Konsumverhaltens flir sie eine eigene Schliissigkeit besitzt bzw. auf gelebter Erfahrung beruht und somit auch nicht problematisiert werden muss. Obwohl es die meisten L-R Raucherlnnen schwierig finden, anderen Raucherlnnen Tipps ftir eine Reduktion des Zigarettenkonsums zu geben, glauben z.B. Dimitris und Frauke, dass Jugendliche von ihren Erfahrungen profitieren konnten, indem sich das Konsumspektrum des "entweder (stark rauchen) oder (gar nicht)" durch die Moglichkeit eines autonom gesteuerten Konsums erweite-
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re. Auch Elena ist grundsatzlich der Meinung, dass das Rauchverhalten veranderbar ist und wiirde es sehr begriiBen, wenn sich auf kulturell-gesellschaftlicher Ebene hinsichtlich des Alkohol- und Tabakgebrauchs zunehmend moderatere Konsummuster etablieren lieBen. Fiir die Entwicklung eines maBvoUeren Genussmittelkonsums wurde sie in Bezug auf das Rauchen daher in bestimmten Zusammenhangen auch spezifische Rauchverbote oder Regelsetzungen befurworten.
5.8.4. Kognitionen zu Sucht im allgemeinen und Nikotinsucht im Besonderen Generell ist das Erklarungsprinzip der (Nikotin-)Sucht bei den L-R Raucherlnnen nicht obsolet. Allerdings fallt bei ihrem allgemeinen Suchtverstandnis auf, dass ihre Vorstellungen iiber Sucht eher die Verhaltenskomponenten, also ein siichtiges Verhalten, fokussieren und weniger vermeintlich 'suchterzeugende' Substanzen. So wird Sucht z.B. von Britta als eine Zwangshandlung verstanden, die sich auf alle moglichen Tatigkeiten beziehen kann und eben nicht nur auf den Konsum bestimmter Drogen. Andere L-R Raucherlnnen iibersetzen Sucht z.B. als eine Abhangigkeit, die auf Ritualen aufbaue und bei der mehr eine bestimmte Situation und damit verbundene Erwartungen eine RoUe bei der Aufrechterhaltung dieses Verhaltens spielen als die Aufhahme einer Substanz. Ebenso wird zwanghafter taglicher Gebrauch und das Unvermogen, den Konsum trotz bestehender Absicht zu beenden, als Sucht oder Abhangigkeit bezeichnet. In diesem Kontext thematisiert Elena, dass hier Sucht auch als eine Art Entschuldigung dienen kann, der man sich nur allzu bereitwillig bediene und bedienen konne, da dies eine sozial anerkannte Erklarung sei, was dazu fiihre, dass man sich mit diesem nun als Sucht etikettierten Verhalten abfinde. In Bezug auf das Rauchen vermischen sich dann substanzspezifische und verhaltensbezogene Gedanken und Erkenntnisse, die speziell zur Erklarung des starken, "abhangigen" Rauchens oder der bekannten Schwierigkeiten mancher Raucher bei der Entwohnung herangezogen werden. Am deutlichsten lasst sich ein solches Konglomerat aus den Erklarungen 'substanzbedingte Sucht' und 'gewohnheitsbildende Handlung' bei Andreas feststellen. So fuhrt er neben seiner Erklarung, dass Rauchen habitualisiertes Verhalten sei und weniger etwas mit Sucht, als vielmehr mit Gewohnheit zu tun habe, auch Suchtkomponenten an, die es "naturlich auch" gabe. Daraufhin erlautert er, dass das Nikotin ein sehr potenter, suchtig machender Stoff sei und sein Suchtpotential sogar hoher einzuschatzen sei als das von Heroin. Spater, im Kontext der Thematisierung von Nikotinersatzpraparaten, mit denen man ja einen korperlichen Entzug in den Griff kriegen konne, besinnt er sich dann wieder auf die Erklarung einer (schlechten) An-
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gewohnheit und relativiert die Bedeutung der chemischen Substanz oder einer physiologischen Mangelerscheinung. Britta erwahnt die eventuelle Existenz eines korperlichen Nikotinspiegels und sieht allgemein die Gefahr, dass das Rauchen "ganz schnell zur Sucht" fiihren konne. Auch Dimitris und in einem gewissen Sinne ebenso Frauke glauben, dass das Nikotin beim Rauchen generell eine Rolle spiele und eine korperliche Abhangigkeit verursachen konne, so wie auch Elena vom Nikotin als "das suchtig Machende" in einer Zigarette redet. Bei Gerald schlieBlich ist die Sucht das Hauptmotiv fflr sein Rauchverhalten. Seine Sucht erklart er sich vor allem mit einer korperlichen Abhangigkeit bzw. korperlichen Gewohnung an eine regelmaiJige Zufuhr von Nikotin. Zwar raumt er ein, dass auch gedankliche Vorgange dazu beitragen, ihn in seiner Abhangigkeit zu halten, sieht aber als Ursache fiir die gedankliche Beschaftigung mit dem Rauchen das korperliche Bedtirfhis nach einer "Dosis Nikotin". Gerald ist hier jedoch mit seiner LFberzeugung, "ein wenig rauchender Siichtiger" zu sein, die Ausnahme eines 'sich kontrollierenden abhangigen Ranchers'. Er entgeht einem Verharren in 'suchttypischen' Verhaltensmustem, indem er an eine 'kontrollierbare Sucht auf niedrigem Niveau' glaubt und dadurch handlungsfahig wird. Wie schon unter 5.8.2. erwahnt, messen alle anderen L-R Raucherlnnen der Auftiahme von Nikotin ftir sich personlich keine groBe Bedeutung bei; exphzit in Frage gestellt wird die These der Nikotinsucht von Elena und in einem gewissen Sinne auch von Frauke. So wissen die L-R Raucherlnnen zwar um die Sucht als Erklarungsprinzip fiir (starkes) Rauchverhalten und negieren auch meist nicht die potentielle Gefahr einer Suchtentwicklung, sehen aber ihr eigens Rauchverhalten weniger unter der Perspektive der Sucht, sondem eher als zu steuemdes und beeinflussbares Verhalten, womit sich im Zirkelschluss ihre Handlungs- und Veranderungsmoglichkeiten erhohen.
5.8.5. Genuss Die Assoziationen oder auch Definitionen von Genuss ahneln sich bei den L-R Raucherlnnen sehr. So verbinden die meisten mit Genuss vor allem Entspannung, Gemiitlichkeit, Zeit haben oder sich Zeit nehmen. Andreas betonte zudem, dass Genuss immer mit Verzicht verbunden sei, und Frauke bemerkte, das manchen Geniissen Bedingungen vorangingen, die erst erflillt sein miissten, bevor es zu einem Genusserlebnis kommen konne. Aus den AuBerungen der L-R Raucherlnnen lasst sich hinsichtlich einer zusammenfassenden Skizzierung der Genussvorstellungen hier folgendes festhalten: Genussempfmdungen sind angenehme oder lustvolle sinnliche Wahmehmungen. Genuss wird als etwas Besonderes angesehen. Daher brauche Genuss immer auch den Verzicht, denn ein sich stan-
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dig wiederholender Genuss biifie seine Besonderheit ein. Da Genuss hier wesentlich mit Entspannung assoziiert ist, werden geniigend Zeit, MuBe, Konzentration und Ungestortheit als notwendige Voraussetzungen bzw. Bedingungen dafiir angesehen, etwas geniefien zu konnen. Auch seien manchmal spezielle Tatigkeiten Oder Vorbereitungen einem Genusserleben vorgeschaltet. Genuss ist bei den L-R Raucherlnnen, wie wir gesehen haben, ein Hauptmotiv ffir ihren Konsum. Vor diesem Hintergnind lassen sich hinsichtlich des Rauchens aus den AuBerungen der L-R Raucherlnnen einige "Regeln" herausarbeiten, die auf eine Genussoptimierung beim Zigarettenkonsum zielen. Beispiele hierfur sind: "nicht bei der Arbeit rauchen" oder "nichts anderes neben dem Rauchen tun", sich also "auf den Genuss der Zigarette konzentrieren", "das MaB moglichst nicht iiberschreiten", d.h. auch "wenn es richtig gut schmeckt, aufhoren" und gerade "wenn es nicht schmeckt, die Zigarette ausmachen".
5.9. Hypothesen fiir die weitere Auswertung Aus den Ergebnissen, die sich aus der Betrachtung der L-R Raucherlnnen meiner Studie ergeben, lassen sich u.a. folgende Hypothesen ableiten, die ich im weiteren Verlauf der Untersuchung durch den Vergleich mit den Aussagen der anderen Rauchergruppen priifen werde: (1) L-R Raucherlnnen rauchen vor allem aus Genuss- und Entspannungsmotiven. Stressbewaltigung ist fur sie hingegen kein Rauchmotiv. L-R Raucherlnnen sind zwar auch Stress ausgesetzt, aber sie benutzen das Rauchen nicht im Sinne eines stress-coping Verhaltens. Dies konnte ein wesentlicher Unterschied zu starkeren Rauchem sein. Wir wissen^^^, dass ffir viele (starke) Raucher Stressund Belastungsbewaltigung ein zentrales Motiv ihres Rauchens darstellt. So ist anzunehmen, dass mit steigendem Konsumniveau auch das Motiv der Stressoder Belastungsbewaltigung zunimmt. Dem Rauchen werden mit hoherem Konsum, neben durchaus noch vorhandenen Genuss- oder Entspannungsmotiven, zunehmend andere Funktionen zugesprochen. Es wird um ein Vielfaches mehr im Alltag eingebunden und instrumentalisiert. (2) L-R Raucherlnnen nehmen das Rauchen als eine Handlung wahr, die von spezifischen Situationen und (gewunschten) Stimmungen der Konsumenten abhangig und in bestimmte Konsumsettings eingebunden ist. Substanzspezifische Entzugserscheinungen spielen hingegen bei der Erklarung des Rauchens keine Rolle. Mit hoherem Konsum wird eine spezielle Stimmungs- und Situati•^' Vgl. Troschke 1987:125ff; Battig/Nil 1987; Brengelmann/Henrich 1987.
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onsgebundenheit des Konsums immer mehr aufgelost, und das "subjektive Empfmden eine Zigarette zu brauchen" nimmt in den Erklamngen des Rauchverhaltens zu. (3) Bei den L-R Raucherlnnen bezeichnet sich, mit Ausnahme von Gerald, niemand als siichtig oder abhangig vom Rauchen. Es ist anzunehmen, dass die Sucht (oder Abhangigkeit) als Erklarungsprinzip flir das eigene Verhalten in den Gruppen mit hoherem Konsum sehr viel haufiger auftreten und sich in doppelter Weise auswirken wird: Sie dient dem Raucher als Legitimation flir sein Verhalten (Entschuldigung oder Begrtindung) und beschrankt damit zugleich seine (Wahmehmung der) Verhaltensmoglichkeiten (meist^^^) auf ein entweder fatalistisches Weiterrauchen oder eine nur miihsam zu erreichende Abstinenz.^^"^ Die starkeren Raucherlnnen werden sich sehr viel haufiger als (nikotin-)suchtig bezeichnen als die L-R Raucherlnnen. Ihre Selbstwirksamkeitserwartungen hinsichtlich einer Veranderung (Steuerung, Reduktion, Beendigung) ihres Rauchverhaltens sind daher eher negativ gepragt. (4) Die Wertung des eigenen Rauchverhaltens ist bei den L-R Rauchem meist sehr positiv. Der maBvolle Konsum wird auch gesundheitlich als unproblematisch wahrgenommen. Es existieren kaum Konflikte hinsichtlich des Rauchens, die L-R Raucherlnnen akzeptieren ihr Rauchverhalten in ihren selbst gewahlten MaBen. In den Gruppen mit hoherem Konsumniveau wird das Rauchen hingegen aufgrund des auch hier existenten Wissens um die Gesundheitsgefahren sehr viel mehr problematisiert und abgelehnt. Es entstehen Konflikte, weil "wider besseres Wissen" am Rauchverhalten nichts verandert wird. Diese Konflikte konnen zum einen ausgehalten werden, indem die moglichen negativen Konsequenzen verdrangt bzw. die eigene Vulnerabilitat verleugnet wird. Zum anderen konnen diese Konflikte aber auch zu einem negativen Selbstbild und damit zu EinbuBen bei der eigenen Wertschatzung der Personen flihren. (5) L-R Raucherlnnen konnen auf vielerlei positive Erfahrungen hinsichtlich der Veranderung ihres Rauchverhaltens und auf eine dynamische Konsumbiographie zuriickblicken. Fiir starkere Raucher und Raucherlnnen ist hingegen anzunehmen, dass sie auf Grund ihrer Suchtiiberzeugung ein eher statisches Verhalten aufweisen und kaum Erfahrungen mit erfolgreichen Veranderungsversuchen und einer KontroUe ihres Rauchverhaltens haben. Dies bedeutet eine zusatzliche Schwachung ihrer Selbstwirksamkeitserwartungen.
Das Beispiel von Gerald bildet hier eine Ausnahme. '^^ Vgl. den "Alles-oder-nichts-Mythos" bei Klein 2002:72f.
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6. Die Ex- und die starkeren Raucherlnnen: Darstellung der Ergebnisse Im Folgenden werde ich nun die verbleibenden drei Rauchergruppen meiner Studie, die ich als "Biszuzwanzig" (BZZ)-, Ex- und Vielraucherlnnen benannt habe, in ihrem Rauchverhalten und ihren Kognitionen hinsichtlich des Rauchens naher darstellen und mit den L-R Raucherlnnen vergleichen. Die Auswertung ist, wie schon gesagt, durch themenspezifische Kapitel gegliedert, die sich an der vorangegangenen Analyse der L-R Raucherlnnen orientieren. Auch bei der Darstellung der starkeren Raucherlnnen und der Exraucherlnnen werde ich zur naheren Verdeutlichung exemplarisch auf ausgewahlte Interviewzitate zuriickgreifen, aber auf eine ausfflhrlichere Fallbeschreibung (wie bei den L-R Raucherlnnen) verzichten. Am Ende des jeweiligen themenspezifischen Kapitels werden die Antworten der drei Gruppen zusammengefasst. Dabei entsprechen die Kapitel "Motive und Funktionen", "Erklarung und Wertung des eigenen Rauchverhaltens", "Kognitionen zu Sucht im AUgemeinen und Nikotinsucht im Besonderen" den Auswertungspunkten (s. 5.8.1., 5.8.2. und 5.8.4.) in der zusammenfassenden Betrachtung der L-R Raucherlnnen, deren Aussagen in diesem Zusammenhang vergleichend herangezogen werden. Am Ende der Kapitel "Steuerung des Rauchverhaltens und Erfahrungen mit Verhaltensmodifikationen" und "Einschatzungen zur Moglichkeit des Wenig-Rauchens" werden hingegen lediglich die Antworten der BZZ-, Ex- und Vielraucherlnnen vergleichend betrachtet, da es mir hier schwerpunktmaBig darum geht, eventuell vorhandene Erfahrungen der Veranderung und KontroUe des Rauchverhaltens innerhalb dieser drei Gruppen zu erheben sowie vor allem die jeweiligen Erwartungen und Einschatzungen hinsichtlich eines kontrollierten Konsums zu vergleichen. AuBerdem prufe ich in diesen abschliefienden Betrachtungen die unter 5.9. aufgestellten Hypothesen auf ihre Richtigkeit.
6.1. Uberblick: Die "Biszuzwanzig"-, Ex- und Viel-Raucherlnnen Die nun naher vorzustellenden Rauchergruppen meiner Untersuchung setzen sich insgesamt aus 28 Personen (15 Frauen und 13 Mannem) zusammen. Die Altersspanne der Interviewteilnehmerlnnen reicht von 26 bis zu 72 Jahren, das Durchschnittsalter wird im Folgenden bei den Gruppen angegeben. Wie schon unter 4.1. erwahnt, handelt es sich bei meinem Sample um eine spezifische Fallgruppenauswahl. Allerdings kam es bei der Gruppenzuordnung der Befragten zu einer leichten Veranderung hinsichtlich der Einteilung, die ich im Presseaufruf formulierte, da einige der Interviewpartnerlnnen nicht optimal in das vorgesehene Raster passten, ich aber auf diese Interviews auch nicht verzich-
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ten woUte. So integrierte ich in die "moderate" Gruppe der Raucher und Raucherinnen (konzipiert mit einem Konsum von 5 - 1 5 Zigaretten pro Tag) auch noch einen Raucher und zwei Raucherinnen, die bis zu 20 Zigaretten taglich rauchen. Obwohl also die meisten Raucherinnen dieser Gruppe eher ein Konsumniveau von 1 0 - 1 5 Zigaretten aufweisen und 2 Raucher durchschnittlich gar weniger als 10 Zigaretten pro Tag konsumieren, fasste ich diese Gruppe daraufhin als "Biszuzwanzig-Raucherlnnen" (BZZ-Raucherlnnen) zusammen. Die Konsummenge der Befragten in dieser Gruppe variiert somit von 7 bis zu 20 Zigaretten taglich. Im Durchschnitt liegt der Konsum pro Tag bei 13,5 Zigaretten^^^ Die Gruppe der BZZ-Raucherlnnen besteht insgesamt aus 12 Personen, 3 Mannem und 9 Frauen, in einem Altersspektrum von 26 bis 62 Jahren (Altersdurchschnitt 41,6). Auch in dieser Gruppe ist der Bildungsstand recht hoch: Die Halfte hat Abitur, 5 von diesen 6 Personen haben zudem studiert bzw. einen universitaren Abschluss, 5 Befragte haben einen Realschulabschluss und ein Mann einen Fachhochschulabschluss. Die 10 Exraucherlnnen setzen sich aus 7 Mannem und 3 Frauen zusammen. Die Jtingste der Interviewteilnehmerlnnen dieser Gruppe ist 36, der Alteste 72 Jahre alt (Altersdurchschnitt 48,4 Jahre). Von den 7 mannlichen Exrauchem waren 6 starke bzw. sehr starke Raucher (3 Manner hatten einen Konsum von 20 bis 30 Zigaretten pro Tag, bei den drei anderen befand sich der tagliche Konsum in einem Spektrum zwischen 40 bis 80 Zigaretten, s. Tabelle 5). Die 3 Frauen waren hingegen moderate Raucherinnen. So sind die Exraucherlnnen beziiglich ihres ehemaligen Konsumniveaus eine sehr heterogene Gruppe, was in der Auswertung entsprechend berucksichtigt werden muss. Die Anzahl der Konsumjahre bewegt sich in einer Zeitspanne von mindestens 19 bis zu 51 Jahren (bei einem 72 jahrigen Exraucher, der vor 5 Jahren aufgehort hat). Die konsumfreien Jahre beziffem sich auf mindestens 2 bis zu 14 Jahren (Tabelle 6 gibt zusatzlich zu Tabelle 5 einen Uberblick iiber Konsumlange und Abstinenzzeit der Exraucherlnnen). In dieser Gruppe haben 3 Personen einen Universitatsabschluss, 3 einen Realschulabschluss, 3 Manner haben die Volksschule und eine Frau die Handelsschule abgeschlossen. Die Gruppe der Vielraucherlnnen besteht aus 6 Personen, 3 Mannem und 3 Frauen im Alter von 26 bis 63 Jahren (Altersdurchschnitt 44,8). Definiert wurde diese Gmppe als Raucher und Raucherinnen, die "mehr als 20 Zigaretten pro Tag" konsumieren. Das tatsachliche Konsumniveau der von mir interviewten Personen reicht hier von mindestens 30 bis zu 60 Zigaretten taglich (wobei eine Frau dieser Gmppe ihre 50 Zigaretten jeweils immer nur "halb" raucht). Der *^^ Ohne die drei Raucherinnen, die bis zu 20 Stiick am Tag rauchen, lage der durchschnittliche Konsum bei 11,6 Zigaretten am Tag.
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durchschnittliche Verbrauch dieser Gruppe liegt bei 46 Zigaretten pro Tag. In Bezug auf die Schulbildung der hier Befragten ergibt sich folgendes Bild: eine Frau hat Fachabitur, 3 Personen einen Realschulabschluss, ein Mann hat die Volksschule und eine Frau die Hauptschule abgeschlossen. Das Bildungsniveau ist also im Vergleich zu den anderen 3 Gruppen dieser Studie deutHch niedriger.
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Tabelle 5: Nr.
Uberblick der "Biszuzwanzig"-, Ex- und Vielraucherlnnen Alter
Sehttlbildung
Bernf
Mann Frau Frau Frau Mann Frau Frau Frau Frau Mann Frau Frau
30 43 35 33 38 26 62 55 43 41 49 44
Uni Uni Realschule Uni Uni Realschule Realschule Realschule Realschule FH Uni Abitur
Student Dipl.Soz.pad. Kauffrau Dipl.Soz.pad. Werbekaufm. Beamtin Hausfrau Angestellte Kauffrau/Taxi Steuerberater Ergotherap. Selbstandig
(40-60) (60-80) (20-30) (20 - 30) (19) (20-30) (10-20) (20) (12-13) (60)
Mann Mann Mann Mann Frau Mann Frau Maim Frau Mann
40 51 72 41 41 57 38 50 36 58
Realschule Volksschule Volksschule Uni Handelssch. Volksschule Uni Uni Realschule Realschule
Frtihrentner Drucker Rentner Taxifehrer Kauffeu Elektroinst. Lehrerin DipLSoz^wiss, Angestellte DipLKaufin.
50 bis 60 30 40 bis 60 50 (halbe) 30 bis 40 50 bis 60
Mann Mann Frau Frau Mann Frau
63 26 50 52 31 47
Volksschule Realschule Hauptschule Realschule Realschule Fachabitur
Klempner Krankenpfleg. Rentnerin Angestellte Altenpfleger Krankenschwester
Manchergmppe
Elgaretten pro Tag
schleelit
2 4 6 9 12 14 15 17 20 22 23 29
Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig Biszuzwanzig
15 bis 20 10 bis 15 10 bis 15 15 7 bis 8 20 20 13 10 bis 15