»Republik, das ist nicht viel«: Partei und Jugend in der Krise des Weimarer Sozialismus [1. Aufl.] 9783839418321

Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Deutschland hat sich bis 1914 kontinuierlich entwickelt. Man trat optimistis

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German Pages 454 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. Eine neue sozialistische Generation zwischen Klassenund Massenkultur – zur Einleitung
II. Jungsozialismus in den Turbulenzen der Nachkriegsjahre
Wandlungen des Lebensgefühls
Neue Menschen Seit’ an Seit’
Ernüchterung und Organisation
Ganzheitliche Träume
Funktionäre mit Schillerkragen
III. Flügelbildung während der Inflations- und Ruhrkrise
Ruhrkampf und deutscher Jungsozialismus
Staat, Volk, Nation – Ostern 1923 in Hofgeismar
Pendanterfahrungen – Klassengesellschaft und Militäraufmärsche gegen links
Wie wichtig war die USPD-Jugend?
„Tretmühle der Linksopposition“ – die Heimvolkshochschule Schloss Tinz
Die Konflikte nehmen zu
IV. Eine junge sozialdemokratische Rechte kristallisiert sich heraus
„Kameraden“ auf Abwegen
Sozialer Rechtsstaat, Patriotismus und Westorientierung – Hermann Heller und Theodor Haubach
Nationalrevolutionäre Versuchung
Frühe Godesberger?
Die Faszination des Kairos-Kreises
Distanz zum Heidelberger Programm
V. Eine neue sozialistische Linke repliziert
Klasse und Kampf – Pfingsten 1924 in Hannoversch Münden
Recht, Vernunft, Auslese – die Nelsonianer
Die Magie der Subjekt-Objekt-Dialektiken des Georg Lukács
VI. Generationswechsel und politische Zäsur
Heller versus Adler – Ostern 1925 in Jena
Schisma
Eine neue Jugendkohorte
VII. Proletarierjugend und Solidargemeinschaft – zur Anatomie und Ambivalenz der Sozialistischen Arbeiterjugend
Was wollte man sein, wohin sollte es gehen?
Generationswechsel und autoritärer Habitus
Kontroversen um die Bedeutung der Republik
Verbandspraxis im Alltag
Konflikte und Ausschlüsse
Erosion in den Großstädten – Mitgliederentwicklung und Rekrutierungsprobleme
Kaum Ungelernte – der Funktionärskörper der SAJ
Mit dem Bürgertum kooperieren?
Bezugsgruppen – Kinderfreunde und Jungsozialisten
Fragmentierung des Arbeiterjugendmilieus
Sozialdemokratische Jugendaktivisten und junge Arbeiter – konträre Lebenswelten
VIII. Das Nachwuchsproblem in den sozialistischen Kulturorganisationen – vier Beispiele
Abstinenz hält jung
Die Samariter altern
Der proletarische Chorgesang vergreist
Sozialistische Studenten wachsen nach
IX. Radikalisierung und Liquidierung des Weimarer Jungsozialismus
Neue Generation im Übergang
Staat und Demokratie – Einflüsse und Einflüsterungen des linken Austromarxismus
Nicht nur Adlerismus
Selbstverständnis – Erziehungs- und Bildungsorganisation des Jungproletariats
Der Sozialismus soll wehrhaft sein
„Was nun?“ – Ratlosigkeiten zum Ausgang der 1920er Jahre
„Der linke Flügel der europäischen Arbeiterbewegung“ – Jungsozialismus in Breslau
Kein Resonanzboden für das „Einerseits-Andererseits“
Danton und Struwwelpeter – Fritz Sternberg
Junge radikale Intellektuelle und traditionelle Kader der Metallarbeiterschaft – gelungene Symbiose in einer sterbenden Stadt
Linkskommunismus bei den ostsächsischen Jusos
Auslese oder Massenorientierung?
Rechtskommunistische Lockungen
Linkssozialistischer Aktivismus nach den Septemberwahlen 1930 – und die Reaktion der Parteiführung
Jungsozialismus zwischen Liquidierung und Selbstliquidierung
Das Ende
X. Konklusion und Ausblick
Lernen in Kohorten
Geist- und Gesinnungssozialismus
Hybris der Vorhut
Von Hofgeismar zur Jungen Rechten der Partei
Milieustudenten
Emotionsfreier Republikanismus als Erziehungsprogramm
Was blieb nach 1945?
Abkürzungsverzeichnis
Anmerkungen
Literaturauswahl
Personenregister
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»Republik, das ist nicht viel«: Partei und Jugend in der Krise des Weimarer Sozialismus [1. Aufl.]
 9783839418321

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Franz Walter »Republik, das ist nicht viel«

Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen Herausgegeben von Franz Walter | Band 2

Franz Walter (Prof. Dr.) ist Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Er publiziert vor allem zur Geschichte und Entwicklung der deutschen Parteien, u.a. regelmäßig auf SPIEGEL ONLINE. Bei transcript erschien zuletzt sein Buch »Gelb oder Grün? Kleine Parteiengeschichte der besserverdienenden Mitte in Deutschland« (2010).

Franz Walter

»Republik, das ist nicht viel« Partei und Jugend in der Krise des Weimarer Sozialismus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Roland Hiemann, Katharina Rahlf Satz: Robert Lorenz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1832-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 9 I.

II.

Eine neue sozialistische Generation zwischen Klassenund Massenkultur – zur Einleitung | 13 Jungsozialismus in den Turbulenzen der Nachkriegsjahre | 17

Wandlungen des Lebensgefühls | 17 Neue Menschen Seit’ an Seit’ | 22 Ernüchterung und Organisation | 32 Ganzheitliche Träume | 35 Funktionäre mit Schillerkragen | 38 III. Flügelbildung während der Inflations- und Ruhrkrise | 45

Ruhrkampf und deutscher Jungsozialismus | 45 Staat, Volk, Nation – Ostern 1923 in Hofgeismar | 47 Pendanterfahrungen – Klassengesellschaft und Militäraufmärsche gegen links | 58 Wie wichtig war die USPD-Jugend? | 66 „Tretmühle der Linksopposition“ – die Heimvolkshochschule Schloss Tinz | 77 Die Konflikte nehmen zu | 84 IV. Eine junge sozialdemokratische Rechte kristallisiert sich heraus | 89

„Kameraden“ auf Abwegen | 89 Sozialer Rechtsstaat, Patriotismus und Westorientierung – Hermann Heller und Theodor Haubach | 93 Nationalrevolutionäre Versuchung | 98 Frühe Godesberger? | 108 Die Faszination des Kairos-Kreises | 110 Distanz zum Heidelberger Programm | 117 V.

Eine neue sozialistische Linke repliziert | 121

Klasse und Kampf – Pfingsten 1924 in Hannoversch Münden | 121 Recht, Vernunft, Auslese – die Nelsonianer | 124 Die Magie der Subjekt-Objekt-Dialektiken des Georg Lukács | 134

VI. Generationswechsel und politische Zäsur | 143

Heller versus Adler – Ostern 1925 in Jena | 143 Schisma | 152 Eine neue Jugendkohorte | 155 VII. Proletarierjugend und Solidargemeinschaft – zur Anatomie und Ambivalenz der Sozialistischen Arbeiterjugend | 159

Was wollte man sein, wohin sollte es gehen? | 159 Generationswechsel und autoritärer Habitus | 163 Kontroversen um die Bedeutung der Republik | 168 Verbandspraxis im Alltag | 171 Konflikte und Ausschlüsse | 178 Erosion in den Großstädten – Mitgliederentwicklung und Rekrutierungsprobleme | 188 Kaum Ungelernte – der Funktionärskörper der SAJ | 192 Mit dem Bürgertum kooperieren? | 201 Bezugsgruppen – Kinderfreunde und Jungsozialisten | 204 Fragmentierung des Arbeiterjugendmilieus | 207 Sozialdemokratische Jugendaktivisten und junge Arbeiter – konträre Lebenswelten | 210 VIII. Das Nachwuchsproblem in den sozialistischen Kulturorganisationen – vier Beispiele | 215

Abstinenz hält jung | 215 Die Samariter altern | 216 Der proletarische Chorgesang vergreist | 226 Sozialistische Studenten wachsen nach | 228 IX. Radikalisierung und Liquidierung des Weimarer Jungsozialismus | 233

Neue Generation im Übergang | 233 Staat und Demokratie – Einflüsse und Einflüsterungen des linken Austromarxismus | 237 Nicht nur Adlerismus | 246 Selbstverständnis – Erziehungs- und Bildungsorganisation des Jungproletariats | 247 Der Sozialismus soll wehrhaft sein | 250 „Was nun?“ – Ratlosigkeiten zum Ausgang der 1920er Jahre | 266 „Der linke Flügel der europäischen Arbeiterbewegung“ – Jungsozialismus in Breslau | 268

Kein Resonanzboden für das „Einerseits-Andererseits“ | 279 Danton und Struwwelpeter – Fritz Sternberg | 286 Junge radikale Intellektuelle und traditionelle Kader der Metallarbeiterschaft – gelungene Symbiose in einer sterbenden Stadt | 293 Linkskommunismus bei den ostsächsischen Jusos | 300 Auslese oder Massenorientierung? | 309 Rechtskommunistische Lockungen | 316 Linkssozialistischer Aktivismus nach den Septemberwahlen 1930 – und die Reaktion der Parteiführung | 318 Jungsozialismus zwischen Liquidierung und Selbstliquidierung | 322 Das Ende | 330 X.

Konklusion und Ausblick | 339

Lernen in Kohorten | 339 Geist- und Gesinnungssozialismus | 343 Hybris der Vorhut | 347 Von Hofgeismar zur Jungen Rechten der Partei | 351 Milieustudenten | 353 Emotionsfreier Republikanismus als Erziehungsprogramm | 357 Was blieb nach 1945? | 363 Abkürzungsverzeichnis | 369 Anmerkungen | 371 Literaturauswahl | 427 Personenregister | 449

Vorwort

Wahrscheinlich passiert das gar nicht so selten. Man wird ein bisschen älter und schaut, fast überrascht, plötzlich wieder etwas neugieriger auf das, was man als junger Erwachsener getrieben hat. In den Jahren zuvor war man daran gar nicht interessiert, eher froh darüber, sich von dem, was mit Ende zwanzig so ganz im Zentrum stand, fortbewegt zu haben. Als junger Doktorand war mein Thema die sozialistische Jugendbewegung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik.1 Seinerzeit habe ich mit dem größten Eifer, ja nachgerade mit Enthusiasmus nach Quellen hierzu gesucht, nach Zeitzeugen gefahndet, in Archivkammern akribisch herumgestöbert. Das waren keine schlechten Jahre. Aber – etliche Promovenden kennen das – je tiefer man in das Material eindringt und die Forschungsfrage zum zentralen Gegenstand des Alltags schlechthin wird, desto sonderbarer wirkt man auf die nähere Umgebung. Man wird zum „Freak“ – und das zu einem Thema, welches für die meisten derart abwegig liegt, dass sie sich dafür kaum auch nur ein bisschen begeistern lassen. Doktorandenjahre sind infolgedessen einsame Jahre. Das Schlimme ist: All diese mühseligen akademischen Abschlussarbeiten werden hernach bekanntlich so gut wie gar nicht gelesen, was schon ein recht trauriger, in jedem Fall höchst ernüchternder Vorgang ist. Daher war ich in den Anschlussjahren froh, mich von der Esoterik des Dissertationssujets zu emanzipieren und dass nun nicht weiter irgendwelche Jugendkonventikel weit zurückliegender Jahrzehnte beforscht werden mussten, sondern „richtige“ Parteien, „relevante“ Koalitionen in „mächtigen“ Regierungen der Gegenwart. Und man war glücklich, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt selbst die Massenmedien und Publikumsverlage nachfragten, dass also all die jetzt verfassten Elaborate auf einen nicht geringen Bedarf zu stießen schienen, gar von einigen hunderttauschend Menschen gelesen, zumindest – wie es in den Online-Medien heißt – angeklickt wurden. Aber auch das befriedigt seltsamerweise nur eine gewisse Zeit. Geradezu spiralförmig beginnt man allmählich der Zeit hinterherzujammern, als man noch

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seiner Quellenobsession anhing und nach zehn Stunden ununterbrochener Arbeit mit hochrotem Kopf, aber rundum beglückt – da man im Aktenstaub irgendeinen historischen Brief später für eine Fußnote auf Seite 284 gefunden hatte – aus dem Archivkeller stieg. Als dann im Herbst 2010 unser Göttinger Institut umzog, die Kisten eingepackt und wieder ausgepackt werden mussten, kam glücklich zusammen, was sich vielleicht auch sonst angebahnt hätte. Jedenfalls: Ich stieß auf die Kartons mit meinen alten Unterlagen über den jungen Sozialismus der Zwischenkriegsjahre. Und natürlich war man, wie wohl stets in solchen Fällen, verblüfft, was man alles in früheren Jahren bereits gewusst – und bedauerlicherweise wieder vergessen – hatte, wie wenig von dem, was man damals zu Papier brachte, seinerzeit rezipiert, überhaupt nur zur Kenntnis genommen wurde, was alles an Material und Funden letztlich nie in den Ausstoß wissenschaftlicher Veröffentlichungen eingegangen ist. Nun muss das keineswegs ein Schaden sein, wenn der Publikationsdrang auf Grenzen stößt, welche in den 1980er Jahren noch unzweifelhaft schwerer zu überwinden waren als heute. Und ganz gewiss muss niemand wissen (wollen), worüber wer auf Konferenzen junger Sozialisten in den Jahren 1923 oder 1925 oder 1929 gestritten hat. Man braucht sicher die Namen der Akteure dieser Dispute nicht zu kennen, braucht fraglos die Abspaltungen und Neugründungen im Organisationsmilieu junger radikaler Linker der 1920er Jahre nicht in den eigenen Wissensbestand einzuspeisen. Man braucht es nicht. Aber man darf es, wenn man es denn möchte, weil man sich für sich – aus welchen Gründen auch immer – einen Erkenntnisgewinn davon verspricht. Und merkwürdigerweise oder besser: interessanterweise nahm in den letzten Jahren zumindest bei meinen Studierenden die Zahl derjenigen zu, die ermunternd riefen, dass sie gern einmal kompakt lesen würden, was der Dozent zum jungen, linken Sozialismus früher erforscht hatte, und was er noch im Jahr 2011 dazu zu sagen habe. So bin ich während der letzten Monate tatsächlich in ein Stück Vergangenheit zurückgedrungen – was anfangs wirklich verstörend war –, habe mich in vergilbten Kopien und in nur schwer noch zu entziffernden Abschriften vertieft, habe seither erschienene Literatur nachholend gelesen, um für mich selbst zwei eigene Abschnitte in der Historiker- und Politologenlebensgeschichte zusammenzubringen. Auch hier: Das waren keine schlechten Monate. Und doch weiß ich nicht, ob ich es noch einmal machen würde, ob ich anderen hierzu raten sollte. Die Konfrontation mit dem Früheren – wie man vor Jahren gefiltert, formuliert, gedeutet hat – verunsichert auch, weil die Brücke zum Gegenwärtigen – wie man aktuell sortiert, schreibt, urteilt – gar nicht so einfach zu schlagen ist. Man hat tatsächlich vieles hinter sich gelassen, was einem drei Jahrzehnte zuvor noch als ganz wichtig erschien.

V ORWORT

| 11

In diesem Buch über die Parteijugend in der Krise des Weimarer Sozialismus steckt insofern eine Menge Vergangenheit – und dies eben nicht allein aufgrund des historischen Gegenstandes der Studie. *** Die entscheidende Unterstützung erhielt ich – wie schon bei so vielen Publikationen – von Katharina Rahlf, die auch diesmal so geduldig wie kritisch und klug lektorierte. Dr. Robert Lorenz, der Mann fürs Leben von Katharina, hat die Arbeiten gewohnt akkurat abgerundet. Ebenfalls einen sorgfältigen, auch kreativen Blick auf das Manuskript hat Roland Hiemann geworfen, dem ich bei diesem Tun lieber zugesehen habe als bei seinen fußballerischen Pirouetten und merkwürdig häufigen Torerfolgen. Elena Ségalen baute in vielerlei Hinsicht Brücken zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart des jungsozialistischen Untersuchungsgegenstandes. Mut zu diesem Projekt hat mir Felix Butzlaff gemacht; mit den nötigen Zweifeln wurde ich wie stets von Stine Marg ausgestattet. Und ohne Dr. Matthias Micus hätten wir alle im Göttinger DemokratieInstitut nichts zu lachen. So ist es ein schöner und produktiver Ort, für den ich sehr dankbar bin. Göttingen, im Februar 2011

I. Eine neue sozialistische Generation zwischen Klassen- und Massenkultur – zur Einleitung

In den frühen dreißiger Jahren standen die Sozialdemokraten bei der Verteidigung der Weimarer Republik politisch nahezu allein auf weiter Flur. Fast verzweifelt versuchten sie den fragilen Weimarer Staat zu retten, indem sie selbst noch das Präsidialkabinett des „Hungerkanzlers“ Heinrich Brüning tolerierten und somit stützten. Damit aber muteten sie ihren Anhängern eine Menge zu, da Brünings rigorose Sparpolitik tiefe Einschnitte in das soziale Netz zur Folge hatte und die Arbeitslosenzahlen drastisch nach oben trieb. Über fünfeinhalb Millionen Menschen waren 1932, als Brüning abtrat, ohne Beschäftigung. Die kühl und hartleibig begründete Deflationspolitik des Zentrumskanzlers hatte Mittelschichten und Arbeiter weiter radikalisiert, hatte viele Wähler, da die SPD als Oppositionspartei ausfiel, zur NSDAP und zur KPD getrieben. Das gehörte zu den Aporien der sozialdemokratischen Politik in Weimar, besonders eben Anfang der dreißiger Jahre. Die SPD wollte die Republik retten, verfolgte dafür aber eine Politik, welche die Gegner der Republik bei Wahlen stärker und mächtiger werden ließ. Dabei: Rundum passiv verhielten sich die Sozialdemokraten auch in dieser Situation nicht. Wo sie während der Agonie der Republik in den Reichsländern noch über exekutive Möglichkeiten verfügten, wie in Baden, Hessen oder Hamburg, gingen sie energisch mit Polizeiaktionen und Berufsverboten gegen die Nationalsozialisten vor. Und immer sandten sie ihre „Eiserne Front“ zu antifaschistischen Demonstrationen auf die Straße; immer wieder brachten sie Flugschriften unter das Volk, die über „das Wesen“ – wie es im sozialdemokratischen Belehrungsjargon gewöhnlich hieß – des Nationalsozialismus aufzuklären versuchten. Das war gewiss nicht wenig. Aber es war doch auch schon alles. Es genügte jedenfalls nicht, um die massive Rechtsentwicklung in der Republik aufzuhalten, um die Nationalsozialisten noch zu bremsen. Gerade die jungen

14 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

Mitglieder der Sozialdemokratie hat das auf der einen Seite ungeheuer entmutigt, auf der anderen Seite enorm radikalisiert. So bildeten sich überall Zirkel von Sozialisten der jungen Generation, die erregt über die Krise der Arbeiterbewegung stritten, nach aktivistischen Strategien fahndeten, über neuen Ideen einer sozialistischen Gesellschaftsalternative brüteten. All die Einwände, die in jenen frühen 1930er Jahren von Angehörigen dieser Generation gegen die Politik ihrer Partei in einem Ton appellierender Dringlichkeit vorgetragen wurden, zeichneten sich durch Argumentationszüge und sprachliche Muster aus, auf die man bereits in den leidenschaftlichen Diskussionen junger Sozialisten über einen lebensreformerisch entfachten „erneuerten Sozialismus“ in den unmittelbaren Nachkriegsjahren hatte stoßen können. Und vieles war – was die beteiligten Akteure seinerzeit nie wahrhaben und erst recht nicht zugeben wollten – richtungsübergreifend. Junge Radikalreformer hier und junge Linkssozialisten wie Linkskommunisten dort hatten weit mehr gemeinsam, als ihnen selber dünkte. Die heftigen Polemiken gegen die Erstarrungen der Apparate und die Verkrustungen der Organisationen in der Arbeiterbewegung, die Bitterkeiten gegen die Unbeweglichkeit der Parteistrategie und die Kurzatmigkeit eines sozialpolitischen Praktizismus – das las sich Anfang der 1930er Jahre in Publikationen einst radikal-linker Jungsozialisten kaum anders als in den Meinungsäußerungen ihrer früheren Konkurrenten vom sogenannten rechten Flügel. Ein zuweilen expressiver Subjektivismus, ein verblüffendes Wechselspiel von voluntaristischer Verve und resignativer Anzweiflung, das Bedürfnis nach kulturell-lebensweltlichen Zeichensetzungen eines künftigen Sozialismus bereits im Hier und Jetzt gehörten zum Signum schlechthin dieser um 1900 geborenen Sozialisten. Solche Charakteristika transzendierten alle fraktionellen Einhegungen und waren weder bei den später Geborenen noch bei den Älteren in dieser Bündelung anzutreffen. Den jungen Sozialismus dieser Façon allein aus der Paraphrasierung seiner Theoriedebatten begreifen zu wollen, greift zwangsläufig zu kurz. Zu deutlich wird, dass es sich beim jungen Weimarer Sozialismus um einen spezifischen, scharf abgegrenzten Generationsausdruck in einem besonderen, nachgerade elitären Milieu sozialistischer Jugendlicher handelte. Infolgedessen geht es darum, mit dieser Studie das in den letzten Jahren immer häufiger beargwöhnte Generations-Prägungs-Paradigma auf seine analytische Brauchbarkeit zu testen, es methodisch wie substanziell zu präzisieren, womöglich zu verfeinern. Noch anders gewendet: All das, was die jungen Sozialisten an theoretisch vermittelten Diskursen, Deutungen, Orientierungsentwürfen, Metaphern und Symbolen hervorgebracht haben, soll in dieser Publikation ernst genommen, ausführlich nachgezeichnet, auch diskutiert werden. Und dennoch ist eine reine Ideengeschichte nicht beabsichtigt. Dazu interessiert zu sehr die Frage, mit welchem Typus von Arbeiterjugendlichen wir es als „Gegenstand“ unserer Betrachtungen zu tun haben

I. E INE NEUE

SOZIALISTISCHE

G ENERATION ZWISCHEN KLASSEN -

UND

MASSENKULTUR

| 15

– einem eher raren Typus schließlich, der Befriedigung und Erfüllung in abendlicher Bildsamkeit fand, nahezu exzentrische intellektuelle Vorlieben pflegte und überdies mit akademischen Außenseitern verkehrte, die sonst in der Arbeiterbewegung keineswegs wohlgelitten waren und deren Ausstrahlungskraft auch deshalb hier ganz besonders beleuchtet werden soll. Und wir fragen weiter, aus welchen Kontexterfahrungen, Lebensweisen und Zeitgeistprägungen heraus dieser unzweifelhaft minoritäre Typus von Arbeiterjugendlichen der Zwischenkriegszeit seine Deutungen und Erklärungsmuster zusammensetzte bzw. diese von intellektuellen Sonderlingen aus dem Bildungsbürgertum borgte, aus welchen Stimmungen, geistigen Einflüssen, Bedürfnissen er seine Gewohnheiten und Attitüden entwickelte. Kurzum: Das Interesse richtet sich auch auf Habitus und Lebenswelt. Der Blick zielt auf die Formen des Auftritts, auf Liedgut, Gebärden und Selbstinszenierungen einer jugendlichen Peergroup und politischen Bewegung, die immerhin eine rundum erneuerte Kultur und die fundamentale Politisierung des Alltags, eben den „neuen Menschen“, auf ihr Panier geschrieben hatte. Zusammen: Der Verfasser interessiert sich für den theoretischen Diskurs, will aber auch wissen, um was für junge Leute es sich da handelte, die so vehement nach intellektueller Orientierung Ausschau hielten und sich heftig darüber stritten. Er will erklären, warum und wie sie das taten, woher sie ihre Anstöße erhielten und was sie daran faszinierte, wie viel davon originär und originell, wie viel von anderen Gruppen – und weshalb – entlehnt war und in welchem geistig-kulturellen Klima solche Rezeptionen gedeihen konnten. Alles in allem: Der Diskurs soll sowohl ideologiekritisch und normativ wie auch aus den Bedingungen der Zeitsituation heraus interpretiert werden. Und wir haben es in dieser Veröffentlichung mit einer Zeit und Konstellation zu tun, in der eine voll entwickelte Klassen(milieu)kultur auf die ersten kräftigen Schübe der kommerziellen Massen- und Freizeitkultur stieß. Gerade im Jugendbereich trafen die Ansprüche und Begehrlichkeiten dieser beiden miteinander rivalisierenden Kulturen am härtesten aufeinander. Im Jugendsektor entschied sich, wem die „Zukunft“ wirklich gehörte. Letztlich dürfte schwer zu ignorieren sein, dass die viel besungene „neue Zeit“ nicht mit den Sozialisten und der klassenbewussten Arbeiterbewegung zog. Die Kapitel etwa über die Nachwuchsprobleme bei den sozialistischen Sängern und Samaritern zeigen das deutlich, aber auch die Verluste der sozialistischen Arbeiterjugend in den urbanen Zentren des Deutschen Reiches, in denen die marktförmig operierenden Freizeitindustrien am weitesten vorgedrungen waren. Insofern spannt die nachfolgende Darstellung den Bogen über das ganze Spektrum der jungen Generation in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, von den Jungsozialisten über die Sozialistische Arbeiterjugend und einigen ausgewählten Jugendorganisationen der Arbeiterkulturverbände bis hin zur Sozialistischen Studentenschaft der Weimarer Republik.

II. Jungsozialismus in den Turbulenzen der Nachkriegsjahre

W ANDLUNGEN

DES

L EBENSGEFÜHLS

Fast wirkte es wie eine Kopie. Wenn in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sozialdemokratische Jugendliche zu ihren Versammlungen zusammenkamen, dann eiferten sie ganz den Bildungsabenden der „erwachsenen“ Sozialdemokratie nach. Die zumeist männlichen Jugendlichen erschienen betont ordentlich gekleidet in Anzug, Hut und Krawatte zu den allwöchentlichen Lese- und Vortragsabenden. Dort saßen sie, wie viele zeitgenössische Fotos dokumentieren, mit aufgerichtetem Oberkörper und mit gefalteten Händen vor ihren Pulten, um konzentriert den Ausführungen des in aller Regel älteren Referenten so diszipliniert wie rezeptiv zu lauschen.1 Ganz anders hingegen der Auftritt nach dem Ersten Weltkrieg, zumindest in den vielfältigen Selbstbekundungen: Eine seelisch zutiefst aufgewühlte Schicht 18- bis 25-jähriger Sozialisten schloss sich in zahlreichen Großstädten Deutschlands mehr oder weniger spontan zu sogenannten jungsozialistischen Gemeinschaften zusammen, in denen neben den jungen Männern auch ein erstaunlich großer Anteil junger Frauen2 aus der Arbeiterschaft einen Lebensstil manifestierte, der mit den Vorkriegskonventionen gebrochen hatte und sich durch lebensreformerisch-expressionistische Ausdrucksmittel in der Wahl der Kleidung, Haartracht und Umgangsformen charakterisierte. Die vier Jahre des Krieges hatten mithin erheblich zur Veränderung sowohl der Binnenstrukturen der sozialistischen Jugendorganisation als auch des Lebensgefühls der betroffenen jungen Generation in der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) beigetragen.3 Bis 1914 war in der SPD die Praxis selbstverwalteter Jugendorganisationen unbekannt. Die Leitung der Gruppen von 14- bis 18-jährigen Arbeiterjugendlichen hatte überwiegend in der Hand politisch gereifter, älterer Parteifunktionäre gelegen, welche die Inhalte der im Vordergrund stehenden Bildungsarbeit festlegten und für den organisatorischen Verlauf der Vortragstätigkeit

18 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

Verantwortung trugen. Die Einberufung dieser zumeist wehrtüchtigen Männer zum Waffendienst an der Front seit dem Sommer 1914 hatte eine erhebliche Zäsur und einen gründlichen Wandel im Gruppenleben der sozialistischen Jugend zur Folge. Im Wesentlichen waren es die vom Militärdienst weitgehend verschonten Angehörigen der Geburtsjahrgänge 1899-1902, die zusammen mit den älteren Mädchen und ohne die gewohnte Observation der Erwachsenen unvermittelt selbstständig den Gruppenbetrieb unter den schwierigen Bedingungen des Krieges weiterführen mussten.4 Der Gewinn an Eigenständigkeit und Zuwachs an Selbstbewusstsein war dann nach 1918 nicht einfach wieder auf das Niveau einer eher patriarchalischen Jugendpflege aus der Vorkriegszeit zurückzudrehen.5 Durch die Verjüngung und Feminisierung bekam der Ablauf der nun etwas seltener stattfindenden Jugendversammlungen einen neuen Charakter. Mitbedingt durch den Ausfall der älteren Erzieher trat die Rolle der einst dominierenden Bildungsarbeit hinter die nun vorrangig gepflegte unterhaltende Geselligkeit zurück.6 Der Alltag der Arbeiterjugendlichen war anstrengend, ja: zermürbend, sodass das Verlangen nach ablenkender Zerstreuung bei Spiel und Gesang evident war. Autobiografische Aufzeichnungen und Erinnerungen früherer Weimarer Jungsozialisten verdeutlichen, welch bedrückende Folgen die zwölfstündige Arbeitszeit, die häufigen Nachtschichten und die unzulängliche Ernährung7 für das psychische und physische Befinden der 15- bis 17-jährigen Jungarbeiter hatten. So erinnerte sich etwa der im Jahre 1900 geborene Bochumer Jungsozialist Wilhelm Helf noch im hohen Alter an seine belasteten Jugendjahre, die für ihn mit den traumatischen Erfahrungen der Apathie, des Verlustes jeglicher Lebensfreude und des Hangs zu Selbstmordgedanken verbunden blieben.8 Tiefer noch saß der Schock, den die Erlebnisse der Front und die „Stahlgewitter“ im Innenleben der jungen Sozialisten der Jahrgänge 1895-1899 angerichtet hatten. Während ihre Väter und Großväter in den Jugendjahren gleichsam naturwüchsig in das geordnete Milieu der zukunftsgewissen Sozialdemokratie hineingewachsen waren, musste die Generation der 1890er Kohorten in der lebensgeschichtlich entscheidenden Phase der politischen Begriffsbildung und Realitätsdeutung unvorbereitet die Grauen und Ängste im Schützengraben verarbeiten. „Wir Jungen“, so erinnerte sich 1921 der Berliner Jungsozialist Hans Turß an die zurückliegenden Schrecken des Krieges, „wurden zum überwiegenden Teil aus der Arbeiterjugendbewegung herausgerissen, heraus aus einer ruhigen Entwicklung und mitten in das furchtbarste Erlebnis, in den Weltkrieg, hineingeschleudert. Wir sahen, wie jahraus und jahrein sich Leichenhügel türmten; wir mussten selbst morden, Menschen morden, die wir nie gesehen, die uns nie etwas getan hatten, die unsere Brüder waren, Proletarier wie wir. Da stieg Abscheu gegen das Massenmorden und die Sehnsucht nach einem besseren, schöneren Dasein in uns auf.“9

II. JUNGSOZIALISMUS IN

DEN

T URBULENZEN

DER

N ACHKRIEGSJAHRE

| 19

Ein gemeinsames Lebensgefühl einte die zwischen 1895 und 1902 geborene Generation der jungen Mehrheitssozialdemokraten am Ende des Krieges: ein emphatisches Bedürfnis nach Entlastung vom seelischen Druck der vorangegangen Jahre, der Drang nach geistiger Orientierung im Gestrüpp der verwirrenden Ereignisse und die Hoffnung auf das „ganz Neue“, „Befreiende“ und „Menschlichere“ in den Sozialbeziehungen einer künftigen „besseren“ Gesellschaft. Freilich war die Erosion traditionell identitätsstiftender Deutungsmuster und die Suche nach spannungslösenden Ventilen ein die Jugend aller Sozialschichten der deutschen Gesellschaft umwölbendes Phänomen.10 Die Kriegsniederlage des Deutschen Reiches, der Zusammenbruch des monarchistischen Systems, die revolutionären Kämpfe im Herbst 1918 und Frühjahr 1919 und die gewalttätigen Putschaktionen von links- wie von rechtsradikaler Seite sorgten für Verwirrung, nährten den verbreiteten Eindruck, in einer Gesellschaft der forcierten Auflösung überlieferter Werte und Bindungen zu leben. Die Freizeitkultur der deutschen Großstädte war von einem fieberhaften Vergnügungsdrang und einer geradezu unbändigen Tanzleidenschaft erfasst.11 Während des Krieges war der öffentliche Tanz untersagt; nun bewegten sich Hunderttausende nach dem Takt von Tango, Red Fox und Jimmy. Dieses „amerikanisierte“ Freizeitbedürfnis ereilte offenbar große Teile der jungen großstädtischen Arbeiterschaft in gleichem Maße wie die urbanen Angehörigen der Mittelschichten. Einen zumindest temporären Eskapismus anderer Art pflegte ein Teil der jüngeren Bildungsbürger, die in dieser Zeit der Auflösung zuvor fixer Wahrheiten Trost in den mystischen Weisheiten östlicher Religionen wie dem Taoismus und Zen-Buddhismus12 suchten, wenn sie sich nicht stattdessen einer ländlichen Siedlungsbewegung, einer Schrebergarten-Initiative13 oder den neuen millenarischen Strömungen messianischer Gottesführer deutscher Herkunft anschlossen.14 Der fundamentale Zweifel jedenfalls an der Gültigkeit jahrzehntelang akzeptierter Interpretationsschemata führte vielfach zu einer Sehnsucht nach neuen Ordnungsentwürfen, welche „Ganzheitlichkeit“, „Erlösung“ im „Hier und Jetzt“ versprachen. Alltag, Lebensgefühl und die ästhetischen Ausdrucksformen derjenigen 18- bis 25-jährigen Mehrheitssozialdemokraten, die sich in den Jahren 1919 bis 1922 erstmals in jungsozialistischen Gemeinschaften zusammenfanden, waren in ihrer Nähe, aber auch in der Distanz zu solchen jetzt kräftig vagabundierenden Ideen, Moden und Attitüden von dieser Gesamtkultur der Nachkriegskrise geprägt.15 Wer aber wurde überhaupt Jungsozialist?16 Schließlich hatte sich nur ein kleiner, durch Kriegserfahrung, Herkunft und Ausbildung segmentierter Teil der jungen sozialistischen Generation an den zumeist ungelenkten Gründungen jungsozialistischer Gruppen beteiligt. Ihre Protagonisten kamen in der Regel aus traditionell sozialdemokratischen Elternhäusern; die Väter waren häufig Funk-

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tionäre in der Partei, Genossenschaft oder Gewerkschaft und folgten im Krieg dem Kurs des von Philipp Scheidemann und Friedrich Ebert repräsentierten Mehrheitsflügels. Die Jugendlichen standen in der beruflichen Ausbildung in der handwerklich gediegenen Kontinuität und Aufstiegsmentalität der Väter. Eine erstaunlich große Anzahl kaufmännischer Angestellter, im Wesentlichen aber Schriftsetzer und Drucker, manchmal qualifizierte Metallarbeiter und Bergleute, durchaus auch Schneidergesellen, Stuckateure, Tischler und Hutmacher bildeten den Kern der jungsozialistischen Pioniergeneration. Aufgewachsen im typischen Milieu einer selbstbewussten, autodidaktischen, geschichtsoptimistischen, am sozialen Fort- und Weiterkommen in der reformistischen Solidargemeinschaft der Sozialdemokratie interessierten Facharbeiterschaft17 waren die frühen Jungsozialisten zwar durch die Irritationen der Kriegs- und Nachkriegszeit im Glauben an überlieferte sozialistische Leit- und Zielvorstellungen erschüttert worden, ohne aber das über berufliche Qualifikation und den Bildungsimpetus vermittelte Facharbeiterbewusstsein aufgegeben zu haben. Um es mit einem Schlaglicht auf die sozialgeschichtliche Situation des mitteldeutschen Raumes im Frühjahr 1919 anschaulich zu machen: Ein durchschnittlicher Jungsozialist beispielsweise aus Magdeburg, einer Stadt mit jahrzehntelang gewachsenen Industrietraditionen und einer Jungsozialistengruppe, deren führende Repräsentanten durchweg Schriftsetzer waren, deutete sich aus einer gänzlich anderen Lebenswelt als ein gleichaltriger Arbeiter der 1916 quasi aus dem Boden gestampften Leunawerke im benachbarten Merseburg.18 Dieser stand eher für den Typ des ungelernten, von Tradition und Elternhaus entwurzelten Jungarbeiters, der sich im Frühjahr 1919, enttäuscht über das Ausbleiben materieller Verbesserungen, mit und in der USPD durch eine Welle von Protestund Streikaktionen radikalisierte,19 im Übrigen aber seine Freizeit nicht mit der schwierigen Lektüre von Texten Karl Kautskys aus der örtlichen Arbeiterbibliothek verbrachte. Demgegenüber aber war jener durchschnittliche Jungsozialist aus Magdeburg für die spontaneistische Radikalität der neuen Arbeiterschichten in den Massenaktionen der zweiten Revolutionsphase nicht ansprechbar. Er suchte stattdessen, gleichfalls enttäuscht über den Gang der Revolution, die gemeinsame Diskussion und Erörterung mit sozial und charakterlich ähnlich disponierten, bildungsambitionierten Genossen in kleinen Gruppen, um, dieser Form der Alltagskommunikation entsprechend, den Mangel an Wissen, Kompetenz, Kultur und Persönlichkeit für die Defizite der Revolution verantwortlich zu machen. Gleichwohl war der historische Ort der Entstehung des Weimarer Jungsozialismus in den Erfahrungsgegensätzen zwischen den Generationen im Lager der mehrheitssozialdemokratischen Facharbeiterschaft selbst begründet. Eigentlich sollten, so sah es das offizielle Statut der Sozialdemokratie vor, die 18-Jährigen

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die „Arbeiterjugendorganisation“ verlassen und in die Parteiorganisation übertreten, um dort aktiv an den organisatorischen und propagandistischen Tätigkeiten mitzuwirken. Viele junge Sozialisten hatten nun aber, nach Kriegsende, erhebliche Schwierigkeiten, ihr Engagement in den Ortsvereinsbetrieb der MSPD hinein zu verlegen; zu sehr unterschied sich der routinierte Ablauf der Zahlabende in den überwiegend verräucherten Hinterstuben der Wirtshäuser von der noch suchenden und im Übrigen nikotinfreien Geselligkeit, die man zuvor in der „Arbeiterjugend“ hatte erleben können. Die auf den Jahresversammlungen der Parteiorganisation üblicherweise gehaltenen ausführlichen Referate über die Kassenverhältnisse, Mitgliederzahlen und Änderungen im Vereinsstatut galten vielen jungen Sozialisten seinerzeit als philisterhaftes Tun „verknöcherter Bürokraten“ und „verspießerter Bonzen“20. Auch die parteimarxistischen Topoi, die den verantwortlichen Sozialdemokraten noch in ihrer Praxis des sozialpolitisch konstituierten Republikanismus weiterhin einen sinnvermittelnden Deutungsrahmen für die reformistische Politik in der Weimarer Klassengesellschaft boten,21 vermochten große Teile der jungen Generation nicht mehr anzusprechen oder gar zu überzeugen. Zumindest die in der reichhaltigen Broschürenliteratur der MSPD immer noch feilgebotenen Sozialismusinterpretationen der Vorkriegszeit muteten den bildungswilligen Jungarbeitern geradezu widersinnig an: Denn hatte nicht der enttäuschende Ausgang der Revolution deutlich gemacht, dass der Sozialismus keineswegs ein „naturnotwendiges“ Resultat objektiver wirtschaftlicher Prozesse war? Musste daher nicht vielmehr der „Mensch“ statt der Ökonomie im Vordergrund sozialistischer Politik und – dies vor allem – Kultur stehen? „Es gibt“, schreib der Arbeiterdichter im Jungsozialismus, Karl Bröger, in jenen Jahren an seinem Freund Max Barthel, „keine Reformation der äußeren Welt ohne eine Revolution der inneren Welt.“22 Hatte nicht erst die jüngste Vergangenheit bewiesen, dass das „marxistische“ Proletariat allein den Lohnstandpunkt herauskehrte und die umfassende Emanzipation der Menschheit in der Folge vernachlässigte, gewissermaßen links liegen ließ? Dergleichen skeptische Fragen und Zweifel zirkulierten in den Debatten der neuen Jungsozialistengruppen, die eben deshalb entstanden, weil die offiziellen Veranstaltungen der SPD nicht hinreichend Terrain zur fundamentalen Auseinandersetzung über die sozialistische Perspektive in ihrer evidenten Krise boten. In den kleinen jungsozialistischen Zirkeln dagegen fand diese ungewöhnlich belastete Kohorte Möglichkeiten, die zuweilen geradezu neurotischen Risse in der eigenen Persönlichkeitsstruktur durch geeignete Ausdrucksformen regelrecht auszuleben. Wenn Jungsozialisten in diesen frühen Weimarer Jahren an Wochenenden Gelegenheit fanden, mehrere Stunden oder ganztägig beisammen sein zu können, dann lösten sich Phasen introvertierter Reflexion mit plötzlichen Ausbrüchen exzessiver Körperdarstellung ab.23 Diese eigentümliche Koexistenz von depressiven und

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hoffnungsvoll aktiven Stimmungslagen blieb überdies ein konstanter Wesenszug bei dieser Generation der zwischen 1895 und 1904 Geborenen; in Krisensituationen der Republik schwankten die politischen Aktivisten dieser Generation – nicht nur der Arbeiterbewegung im Übrigen – auch künftig stets zwischen quietistischer Binnenschau und draufgängerischem Voluntarismus. In den frühen Monaten der jungsozialistischen Bewegung war eine existentialistische Neigung zur Welterklärung zweifellos dominant, und noch nach Jahren und Jahrzehnten erinnerten sich die Beteiligten mit besonderer Zuneigung an diese Ära ihrer Lebensgeschichte, als es in ihren Köpfen „brauste und gärte“ und man sich selbst für den „jungen Most“ einer ansonsten geistig veralterten Arbeiterbewegung hielt.24 Abend für Abend trafen sich nun die Jungsozialisten in ihren Gruppenräumen in Schulen oder Jugendheimen, und nicht selten geschah es, so eine wieder und wieder reproduzierte Fama, dass sie auf dem Heimweg die begonnene Aussprache bis weit in die Nacht fortsetzten. „Wenn wir aus dem Jugendheim mussten“, berichtete rückblickend der später führende Hannoveraner Juso Karl Wiechert Ende der zwanziger Jahre, „ging’s auf der Straße bis nach Mitternacht weiter. Mondschein war überhaupt die beste Beleuchtung für diese schwierigen Debatten über die neue Gemeinschaft und den neuen Menschen.“25 Man brachte sich gegenseitig nach Hause, „stundenlang zu des einen Wohnung und wieder zurück zu des anderen“26 und war froh, wenn man vor Anbruch des neuen Arbeitstages noch einige Stunden schlafen konnte, was durchaus nicht immer gelang, wie der Bochumer Jungsozialist Franz Osterroth in seinen Memoiren bekannte. Denn es kam vor, dass man bei den nächtelangen Spaziergängen durch die düsteren Viertel der Ruhrstädte vor lauter Diskussionen die Orientierung verlor und erst im Morgengrauen entdeckte, wo man sich denn befand.27 Die Breslauer Jungsozialisten, die an Wochenenden bis zum Sonnenaufgang in tiefschürfenden oder hitzigen Erörterungen am Ufer der Oder ausharrten, bekamen dabei von einem morgendlichen Spaziergänger die Bezeichnung „Bettschoner“ zugeworfen. „Und wir akzeptierten den Ausdruck Bettschoner“, erzählte nach sechs Jahrzehnten ein damals Beteiligter und späterer Emigrant in die USA, „und machten daraus eine Art Symbol für unsere Jungsozialisten-Gruppe.“28

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In einer solchen Atmosphäre seelischer Unruhe und getriebener Sinnfindung war die nüchterne Praxis einer an tagespolitischen Erfordernissen ausgerichteten Politik wenig gefragt. Hier gediehen vielmehr Entwürfe, die Subjektivität, Neuartigkeit, auch Rausch versprachen. Der Befriedigung verschaffende Erlebniszusammenhang in der Gruppe Gleichgesinnter wurde dabei schnell überhöht und

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zum probaten Heilmittel für die Lösung grundlegender gesellschaftlicher Probleme verabsolutiert. „Gemeinschaft“, „neue Menschen“, „Kultur“ – diese Chiffren, von denen jetzt viel die Rede war, bildeten folglich nicht nur die aus den Aspirationen täglichen jungsozialistischen Zusammenseins übersetzten Vokabeln, sondern galten gleichsam als Grammatik eines neuen gesellschaftlichen Diskurses, der aber fernab von Institutionen, Interessen und Organisationen wesentlich durch eine vorbildlich gelebte Kultur „neuer Persönlichkeiten“ in einem „neuen Geist“ geführt werden sollte.29 Immerhin: Die Realisierung kommunitärer Gesellschaftsbeziehungen und solidarischer Verkehrsformen war damit nicht den vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten wirtschaftlicher Prozesse übereignet, sondern an den Willen und die Lebensweisen alltäglich geforderter Subjekte gekoppelt. Habitus, Lebensprinzipien und Moralvorstellungen änderten sich im Laufe der Jahre 1919/1920 bei den Jungsozialisten somit in der Tat drastisch. Wie stets in alternativen Protestbewegungen sollte auch hier eine Abweichung von der gesellschaftlichen Norm in puncto Haartracht, Kleidung, Geselligkeit, Sexualität, Grußritus, Abzeichen und Liedgut zu einer nach innen integrierenden und nach außen abgrenzenden Kollektivsymbolik beitragen.30 Jetzt ließen sich viele männliche Jugendliche die Haare bis zu den Schultern wachsen, legten ihre steifen Kragen und Manschetten ab, mieden lange Hosen. Stattdessen trugen sie im Sommer sogenannte „Jesuslatschen“, kurze Hosen, Schillerkragen und farbige Wanderkutten, die durch einen Strick lässig zusammengehalten wurden. Im Winter ging man allerdings der Kälte wegen auf Kniebundhosen aus Manchesterstoff über. Sollten lange Hosen überhaupt toleriert werden, dann hatten sie zumindest an der Seite aufgeschlitzt zu sein. Noch mehr aber führte der Auftritt der jungsozialistischen Mädchen zu einigen mütterlichen Besorgnissen. Für die jungen sozialistischen Frauen nämlich – wie insgesamt für das weibliche Geschlecht31 – bedeuteten die ersten Jahre der Weimarer Republik fraglos eine Ära der kulturellen Emanzipation, da sie sich demonstrativ der beengenden Korsetts entledigten, auch der mit einer Unmenge von Blumen und Pleureusen beladenen Hüte.32 Barhäuptig mit Hängezöpfen oder Ohrenschnecken mühten sich die jungen sozialistischen Mädchen, durch das Tragen zweckmäßiger Leibwäsche unter selbstgeschneiderten einfarbigen Sackkleidern und möglichst barfuß wandernd eine harmonische Einheit mit Gesundheit und Natur herzustellen. Die Pflege freier Körperkultur stand ebenfalls hoch im Kurs der frühen Jungsozialistengeneration. Lebensreform, Naturverbundenheit und Sozialismus waren vielen Jungsozialisten in der unmittelbaren Nachkriegszeit verwandte, wenn nicht gar synonyme Momente im Ringen um den „neuen Menschen“. Der Genuss von Tabak und Alkohol galt als streng verpönt, und viele versuchten, als Vegetarier und Rohköstler auch in der Esskultur dem erwünschten Gesundheits-

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prinzip zu entsprechen. Wie häufig in solchen gegen die „Generation der Väter“ oder die „spießige Moral der Bürger“ antiautoritär protestierenden Gruppen herrschte auch bei den Jungsozialisten ein im internen Gruppenleben nahezu puritanisch-strenger Sittenkodex. Wer mit einer Zigarette erwischt, beim Besuch eines „Schundfilmes“ im Kino beobachtet, gar bei „bürgerlich-individualistischen Gelüsten“ wie dem Paartanz in einer Bar ertappt wurde, dem drohte der Verstoß aus der jungsozialistischen Lebensgemeinschaft. „Wir schmissen sie raus, wenn einer an Silvester Punsch getrunken hatte. So war das damals. Da waren wir unerbittlich.“33 Trotz dieser asketischen Distanz zum „bürgerlichen Vergnügungsrummel“ gab es auch bei den Jungsozialisten Tanz und Spiel. Nur sollte der ästhetische Ausdruck für die Pflege hierfür explizit als Widerpart zu den großstädtischmodernen Lebensformen begriffen werden. So fand die Wiederentdeckung alter Volkskulturen und mittelalterlicher Bräuche in den Kreisen der sozialdemokratisch organisierten Arbeiterjugendlichen eine erstaunliche Resonanz. Mit bändergeschmückten Mandolinen und Klampfen zogen die Jungsozialisten, sich mit einem lauten „Frei Heil“ begrüßend, an den Samstagnachmittagen fort aus den proletarischen Großstadtvierteln und sangen dabei insbesondere ein Lied des Hamburger Schullehrers und Dichters Hermann Claudius, das alsbald auch zur Hymne der bürgerlichen Jugendbewegung avancierte und Jahrzehnte später dann auf den Parteitagen der Neuen-Mitte-SPD plötzlich wieder zu hören war: „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ Und die alten Lieder singen, Und die Wälder widerklingen, Fühlen wir, es muss gelingen: Mit uns zieht die neue Zeit! Eine Woche Hammerschlag, Eine Woche Häuserquadern Zittern noch in unsren Adern, Aber keiner wagt zu hadern! Herrlich lacht der Sonnentag!“34

Das Ziel der jungsozialistischen Ausflüge war in aller Regel eine Wiese in abgelegenen Wäldern, möglichst in der Nähe alter Burgen oder Festungen, die als Kulisse für die beliebten Volkstänze, Reigen und Bauernschwänke bestens geeignet schienen. Es war, so überliefern schriftliche Quellen und erhalten gebliebene Fotografien, eine Zeit der sozialistischen Mädchen, die mit einer später nicht mehr gekannten Begeisterung aktiv am Leben der Gruppen teilnahmen.

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„Beobachtet einmal das Leben in jeder einzelnen Gruppe“, schrieb dazu eher kritisch eine Kölner Jungsozialistin in einer Auswertung der ersten Phase des Weimarer Jungsozialismus, „solange es sich um Singen, Tanzen, Schwärmerei, Romantik, kurz, um die mit Recht so beliebten ‚Gemeinschaftserlebnisse‘ handelt, sind die Mädchen obenauf.“35 Die anfänglichen Ängste der Mütter jedenfalls über das Ausbleiben der Töchter und die gemeinsame Übernachtung mit den jungen sozialistischen Männern in Scheunen und Strohdiemen erwiesen sich schon bald als gänzlich unberechtigt; Zoten, wie sie sonst bei männlichen Jugendlichen vielfach gerissen wurden, waren ebenso wie Liebschaften in den Gruppen streng untersagt. „Niemand von uns wäre nur auf die Idee gekommen“, erinnert sich der frühere Heidenauer Jungsozialist Edwin Grützner nachträglich und nicht ohne Stolz, „dass da ‚etwas passieren‘ könnte. Wir gehörten doch als Genossinnen und Genossen zur neuen Zeit. Das verpflichtete, das forderte! […] Wir glaubten beweisen zu müssen, dass wir ohne Arg und Fehl gemeinsam im Stroh schlafen konnten. Darin steckte sicher auch verborgener Protest gegen manche Verlogenheit der sogenannten ‚guten Gesellschaft‘.“36 Nun ist nicht auszuschließen, dass diese heroische Bändigung der eigenen Libido zu einem neurotisierenden Stau erotischer Spannungen zwischen den Geschlechtern beigetragen hat.37 Angesichts der großen Besorgnisse der Eltern aber gerade in dieser Frage und vor dem Hintergrund einer in diesen Dingen nicht sehr großzügig urteilenden Öffentlichkeit, blieb den jungen Sozialisten wohl kaum mehr als die zum Protest gegen die herrschende Sittenmoral hochstilisierte Askese in ihrem „sexual- und erotikfeindlichen Diskurs“38 übrig. Das sublimierende Ventil des „reinen Verhältnisses“ zwischen den Geschlechtern bot offenkundig die Produktion einer Vielzahl pathetisch-schwülstiger Gedichte sowie Rezitationen von schwärmerischen Versen der nun besonders beliebten Hermann Löns, Joseph von Eichendorff und Friedrich Hölderlin. Eine alte Volkskultur aber wurde nun in außerordentlichem Maße gepflegt: die Fastnachtsschwänke des Nürnberger Schuhmachers Hans Sachs aus dem 16. Jahrhundert, deren Aufführung keinerlei Aufwand erforderte, die ohne Podium und Bühne, ohne Ausstattung und Guckkasten auf der freien Wiese gespielt werden konnten. Zudem lag in der wochenendlichen Lebenswelt der jungen Sozialisten und den Themen und Aussagen der Stücke Hans Sachs’ keine allzu große Differenz. Im Gegensatz zu den Schweizer Fastnachtspielen der gleichen Zeit, in denen die politische Thematik überwog, ging es Hans Sachs um die Alltagsprobleme einer moralisch richtigen Lebensführung und die komödiantische Thematisierung menschlichen Fehlverhaltens wie Trunksucht, Wollust, Üppigkeit, Neid und Hochmut.39 Zur sinnlichen Veranschaulichung griff der städtische Handwerker Sachs auf die Lebensweisen der Bauern und ländlichen Sozialbeziehungen zurück, um mit derbem Humor das Bild eines dörflichen Alltags zu

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entwerfen, das bei aller satirischen Grobheit romantische Sehnsüchte nach einer gediegenen Alltagsmoral städtischer Bürger transportierte. Da die Jungsozialisten nach einer Ethik „neuer Menschen“ Ausschau hielten und bereits durch die Vorliebe für den Volkstanz ihre Sympathie für das vermeintlich harmonischgemeinschaftliche Dorfleben mittelalterlicher Bauern im Gegensatz zur individualistischen Kultur der Bourgeoisie und der höfischen Kunst fürstlicher Kreise dokumentieren wollten, war ihnen das Anliegen von Hans Sachs keineswegs fremd. Rezipiert wurden damals von den Jungsozialisten besonders gern Erklärungen, die dem „protestantischen Kapitalismus“ vorwarfen, die Gemeinschaftskultur des Feudalismus, wie sie in den Festveranstaltungen und Gemeinden der katholischen Kirche, aber auch in den durch Bindungen zusammengehaltenen Einheiten der Familie des Dorfes und der Berufsgenossenschaften geherrscht hätten, zerstört und durch das individualistische Prinzip des rücksichtslosen Egoismus ersetzt zu haben. In den Gruppen der Jungsozialisten sollte nun diese Atomisierung der bürgerlichen Gesellschaft durch die Vergemeinschaftung „neuer Menschen“ als erlebter Sozialismus aufgehoben werden. Die Pflege der Volkslieder und -tänze war mithin nicht nur eine beliebte Variante munterer Freizeit, sondern verstand sich als ein Protest gegen die bürgerliche Kultur und Lebensform, da sie keinen Platz für naturwüchsig-ursprüngliche Sitten und gemeinschaftsstiftende Lebensbräuche gelassen hätten.40 Kaum ein Ereignis dokumentierte den Begehr sozialistischer Jugendlicher nach neuen Formen kommunitärer Beziehungen und „sozialistischer Geisteskulturen“ so prägnant wie der Reichsjugendtag in Weimar im August 1920. Die im Städtchen der Klassiker versammelten zweitausend Jugendlichen aus dem Deutschen Reich drückten sich durch einen Wechsel von Spiel, Volkstänzen, der Rezitation selbstgeschriebener Gedichte und den von der Geige und Klampfe begleiteten Gesang der neuerdings in der Arbeiterjugendbewegung beliebten Volkslieder aus. Die Jugendlichen waren dabei festen Glaubens, hier mehr als nur ein fröhliches Sommerfest zu feiern und überhöhten die sie begeisternden Erlebnisse der Weimarer Tage zu dem Modell eines „neuen Sozialismus“ und „neuer Menschen“, von dem eine missionarische Kraft zur kulturellen Überwindung der auf den Lohnstandpunkt „spießig“ fixierten Arbeiterbewegung ausgehen sollte. Die Emotionalität, mit der sich die Arbeiterjugendlichen in Weimar begegneten, wurde in Referaten auf dem Weimarer Jugendtag selbst und in zahlreichen Veröffentlichungen danach als ein konstitutives Moment der neuen sozialistischen „Gemeinschaftlichkeit“ interpretiert. Sozialismus konnte nun nicht mehr, so schrieb es der Magdeburger Emil Reinhard Müller in dem offiziellen Erinnerungsband über den Weimarer Jugendtag, eine Bewegung nur für die wirtschaftliche Befreiung sein, sondern musste als eine „Sache des Herzens“, des „Aufjubelns“ und der „Freude“ – schon in der Gegenwart, und nicht erst nach

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der Sozialisierung der Produktionsmittel – „von Mensch zu Mensch sozialistische Geisteskultur“ bedeuten.41 Die Jugendlichen bejubelten in Weimar die Worte des „nicht unbedingt zum Avantgardisten in der Lyrik seiner Zeit“42 zu zählenden Arbeiterdichters Karl Bröger, der seine Zuhörer emphatisch vor einer politischen und wirtschaftlichen Agitation der Masse warnte, da dies zu sehr auf Breite statt Tiefe ziele. Sozialismus müsse „durchlebt“ und „durchfühlt“ werden. Dies aber sei in der erforderlichen Intensität und „Selbstzucht“ nur in kleinen Gemeinschaften besonders berufener junger Sozialisten möglich, in denen der künftige „Adel“ herangebildet werde, der erst der Masse Gesicht und Kultur geben könne.43 An den ganzen Manifestationen der „neuen jungsozialistischen Lebensformen“ war eigentlich nichts neu, geschweige denn der authentische Ausdruck proletarischer Kultur. Der geistige Humus, auf dem solche Maximen gediehen, stand schon länger bereit. Vorstellungen dieser Art zirkulierten bereits seit dem späten 19. Jahrhundert im Kontext der generellen Identitäts- und Kulturkrise des gebildeten Bürgertums in Deutschland.44 Die Bildungsbürger, die noch bis in die 1860er Jahre unbestritten der Hegemon ihrer Klasse waren, litten am Bedeutungsverlust gegenüber den gewerblichen Bürgern aus der Industrieproduktion. Bei den deutschen Mandarins verstärkte sich infolgedessen die Distanz gegenüber der Moderne, der Argwohn gegen den Kapitalismus, die Urbanität, die Technik, den arbeitsteiligen Fortschritt insgesamt. Lebensphilosophische Traktate zirkulierten, reformpädagogische Experimente kamen auf, eine jugendbewegte Kultur jenseits der großstädtischen Lebensformen entwickelte sich. Man klagte über die Mechanisierung, die Rationalisierung, die seelische Entleerung durch den alles beherrschenden Ökonomismus. Man fürchtete die Auflösung der Halt stiftenden Ordnungen, die Zerstückelung von Zusammenhängen, die Entbindung aus sozialen Zusammengehörigkeiten. Die Lebens-, Bildungs- und Jugendreformer im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wollten wieder verknüpfen, was zerrissen worden war, wollten zur Symbiose bringen, was die neue Zeit atomisierte. „Ganzheitlichkeit“ war die Zauberformel der Lebensphilosophen des bildungsbürgerlichen Reformalltags; Gemeinschaften zu gründen, galt als integrales Projekt auf dem Weg dorthin. Die Eigenschaften und Fähigkeiten der in der Moderne von sich selbst entfremdeten Menschen sollten wieder zusammengefügt und ausbalanciert werden wie in den guten Zeiten vor dem industriegesellschaftlichen Sündenfall.45 Doch wäre es zu einseitig, die Lebensreformbewegung allein mit den Etiketten der Romantik, der Zivilisationsflucht, des Eskapismus schlechthin zu belegen. Die Historikerin Florentine Fritzen hat mit Recht einige Einwände gegen die Verabsolutierung des Antimodernisierungsparadigmas formuliert: „Denn die Reformbewegungen waren nicht nur Folge von Modernisierungsprozessen, son-

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dern auch deren Motor. Die Lebensreform fing zwar Menschen auf, die an der Suche nach ihrem Platz in der neuen modernen Welt verzweifelten. Sie war aber auch selbst ein modernes Konzept. Ihre Abgrenzung von der Moderne erzeugt in einem Effekt der Rückkopplung und Verstärkung wiederum Modernität – eine Modernität, die nicht im Sinne der „klassischen Moderne“ modern war, sondern auf „andere Weise in die Zukunft wies.“46 Der im Klassenmilieu des Bildungsbürgertums wurzelnde „antibürgerliche“ Protest spiegelte noch in seiner kritischen Ablehnung die identischen Merkmale mit seiner Herkunft wider. Die Erneuerung suchenden Alternativen waren ästhetisch-kulturell und nicht etwa ökonomisch-sozial konzipiert. Von experimentell vorbereiteten Lebensreformen und einer neuen geistigen Einstellung zu den Dingen der Welt versprach man sich den entscheidenden Beitrag zur Veränderung des Bewusstseins und der Lebensverhältnisse.47 Die jetzt von der großstädtischen jungen Intelligenz ins Leben gerufenen Freie-Körper-Kultur-Bewegungen, Vegetariervereinigungen und Siedlergemeinschaften waren von ihrem Selbstverständnis her mehr als nur die schrulligen Steckenpferde gelangweilter Akademiker und kapriziöser Künstlercliquen; sie artikulierten sich als Heilsvisionen für die an Entfremdung und Sinnverlust leidendende bürgerliche Kreatur.48 In den Wandervogelgruppen der Gymnasiasten und mancher Lehrer zog man in die Natur und wandte sich den idyllisierten Lebensformen vorbürgerlicher Gesellschaften zu: Die neuen Wandersitten, die Wiederentdeckung der alten Volkslieder und Reigentänze, die Renaissance der Laienspiele, der Gebrauch einer körperfreundlichen Wandertracht und die Beachtung der sublimierten Erotik zwischen den Geschlechtern hatten in den Jahren vor dem Krieg in diesen Kreisen ihren Ursprung und auch Höhepunkt erlebt. Mithin: Zu der Zeit, als die sozialistischen Arbeiterjugendlichen sich diese Ausdrucksformen aneigneten, war der Höhepunkt der bürgerlichen Wandervogelbewegung schon überschritten. Insofern gab es, so kann man vielleicht etwas zugespitzt formulieren, eine eigentümliche zeitversetzte Parallelität zwischen der großen Masse der Arbeiterschaft und ihrer „geistigen Elite“ hier und den Lebensweisen des Bürgertums dort. Wie die durchschnittlichen Arbeiterinnen und Arbeiter häufig mit einigen Jahren Verspätung und materiell notgedrungen auf weit geringerem Niveau in Kleidung und Wohnraumgestaltung beispielsweise die Moden der Mittelschichten zu imitieren versuchten, so rezipierten auch die bildungshungrigen und kulturbeflissenen sozialistischen Proletarier lange Zeit nur die gestrigen und vorgestrigen Höhepunkte bürgerlicher Kunst in Literatur, Theater, Musik und Malerei.49 Daher erging es den Jungsozialisten mit ihrer Ausdruckskultur kaum anders als vielen proletarischen Frauen der 1920er Jahre mit dem Zimmermobiliar: Als diese sich stolz die Wohnungen mit Plüschmöbeln, Öldrucken, Vertikos und allerlei Nippes vollstellten, hatte das zum Vorbild

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genommene Bürgertum schon längst vom Jugendstil der Bismarckzeit Abschied genommen.50 Als die jungsozialistischen Mädchen sich die romantischen Ohrenschnecken, Hängezöpfe und knochenlangen Sackkleider zulegten, waren die selbstbewussten jungen Frauen des Bürgertums schon einen Schritt weitergegangen: Mit „Bubikopf“ und kniefreien Röcken versuchten sie, die Enttraditionalisierung voranzutreiben.51 Es dauerte einige Jahre, dann propagierten auch die ersten Sozialisten den „Bubikopf als idealen Ausdruck der neuen sozialistischen Lebensgestaltung“52. Nun hing diese Adaption progressiv-bürgerlicher Lebensstile und kultureller Ausdrucksformen mit den jahrzehntelangen Defiziten an frei verfügbarer Zeit und dem Mangel an Muße für die Lohnarbeiterschaft zusammen. Da die sozialdemokratische Arbeiterschaft zumindest bis in die frühen 1920er Jahre hinein das Maß ihrer kulturellen Leistung dadurch bestimmte, in welchem Umfang es ihr gelungen war, die Arbeiterschaft an das bereits überlieferte kulturelle Erbe heranzuführen, war sie auch von ihrem Selbstverständnis gar nicht an einer authentischen proletarischen Ästhetik der Lebenswelt interessiert, zumindest dann nicht, wenn darunter die künstlerische Verarbeitung der Lohnarbeitersituation im Betrieb oder die täglichen Reproduktionserfahrungen proletarischer Wohnviertel gemeint war. Der Alltag in einer sozialdemokratischen Kulturorganisation oder in einer sozialistischen Jugendgruppe, was in manchen Städten der 1920er Jahre zumindest personell nahezu eins war, bedeutete vielmehr die auf den Abend und die Wochenenden gelegte Entrückung vom erdrückenden proletarischen Alltag. In diesen Freie-Zeit-Enklaven inmitten einer sonst „schmutzigen“ gesellschaftlichen Realität sollte schließlich das „Neue“ und „Schöne“ bereits vorwegnehmend erlebt werden können. Als die jungen Sozialisten durch die Errungenschaften der Revolution in den ersten Jahren der Republik einen vergleichsweise großen Anteil Freizeit hinzugewonnen hatten und da sie durch die seelischen Veränderungen, die Krieg und Nachkriegswirren bewirkten, nach neuen Deutungssymbolen suchten, waren sie bei den im sozialistischen Milieu erst jetzt relevant gewordenen Fragen der Persönlichkeitsgestaltung, Kleiderreform und Erziehung rasch auf die faszinierend lebendig und antibürgerlich wirkenden Antwortversuche der Wandervogelbewegung gestoßen. Wohl in den meisten Fällen wirkte der vital horizon dieser jungen Bildungsbürger auf vermittelnde Weise als eine Art attraktiver „Zeitgeist“ in die Gruppen der Jungsozialisten hinein. An manchen Orten war dies sicherlich auch durch den Einfluss einiger Intellektueller bürgerlicher Herkunft bedingt, die, zunächst durch den „Wandervogel“ sozialisiert, aufgrund der Kriegserlebnisse vielfach zur sozialistischen Bewegung gekommen waren und im Laufe der Zeit bei den Jungsozialisten ein ihren Interessen entsprechendes Betätigungsterrain gefunden hatten.53 Diese Intellektuellen, die sich 1914 zum Teil mit enthusiastischen

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Erwartungen als Freiwillige an die Front gemeldet hatten, dann aber vielfach ernüchtert zu Kriegsgegnern und durch die Begegnung mit der Arbeiterschaft zu Sozialisten geworden waren, wurden von den lesenden, philosophierenden und diskutierenden jungen Arbeitern in den Juso-Gruppen zu Debatten eingeladen und als „Geistesautoritäten“ verehrt. Zweifellos prägten solche Akademiker an einigen, wenngleich durchaus nicht an allen Orten die geistige und lebensweltliche Struktur der lokalen Juso-Gruppen. Dies gilt in den ersten Jahren der Republik beispielsweise für Gustav Radbruch, Hermann Heller, Paul Hermberg, Alfred Meusel in Kiel,54 Siegfried Marck in Breslau,55 Hugo Sinzheimer und Wilhelm Sturmfels in Frankfurt56 und Carl Mennicke in Berlin und Bochum57. Wie erregend einige sozialistische Arbeiterjugendliche den neuartigen unmittelbaren Kontakt mit dem vom Habitus zunächst so andersartigen Angehörigen der bürgerlichen Jugendbewegung empfanden, illustrieren die Memoiren des Bochumer Jungsozialisten Franz Osterroth. Osterroth, ein junger Bergmann und Sohn eines sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten,58 besuchte erstmals im Frühjahr 1920 als Repräsentant der sozialistischen Jugend Versammlungen der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft Bochumer Jugend“, ein Kartell, das sich aus etwa vierzig Vertretern der unterschiedlichsten Jugendgruppen zusammensetzte. „Wir Arbeiterjugendlichen“, erinnerte sich Osterroth, „wirkten in diesem Kreis als festgeschlossener ‚Fremdkörper‘ – schon weil uns der Jugendbewegungsstil um diese Zeit fehlte.“59 Dieser Stil aber zog ihn bald in den Bann: „Wenn es am Rande auch Verstiegenes, ja Komisches gab, so übte doch die natürliche und zugleich idealistische Art des Wandervogels und der Freideutschen eine tiefe Wirkung auf mich aus. Gegenüber den frischen Wandervogelmädchen kamen mir die auch in Arbeiterkreisen anzutreffenden ‚Ziergänse‘ von gestern vor. Ein junger Wehrtempler von der Jugendgruppe der Guttempler nahm mich eines Tages auf die Wanderfahrt im Ruhrtal mit. Ich erlebte zum erstenmal Wanderschritt und Aufgehen in der Natur, während die Volkslieder bei Fiedelklang und Klampfengebrumm zu den Wipfeln aufstiegen. Ich saß mit am Hordentopf vor der züngelnden Flamme und ließ mich in den Kreis ziehen, der die alten Volkstänze tanzte und durch dessen Händeketten Kraft und Freude lief. Ich lag auf der Wiese und hörte den Schwänken aus dem alten ‚Rollwagenbüchlein‘ zu. Ich fühlte mich zur Landschaft gehörig wie Falter und Vogel. Mir war es, als ob ich eine Verpuppung verlassen hätte, zum erstenmal zu mir selbst fände und fühlte, was Jungsein wäre. Von dieser Fahrt an lebte ich aus einem neuen Lebensgefühl.“60

Von nun an erschien Franz Osterroth zu den Abenden der Jungsozialisten nur noch in kurzen Hosen und Wanderkutten. Auf seine Anregung hin verschaffte sich die Bochumer Gruppe jetzt Fahrtenwimpel, Hordentopf und Klampfen; man ging ebenfalls auf Fahrt, tanzte Reigen und sang die alten Volkslieder. Schon

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bald darauf schuf man sich eine Plakette, die als „Bochumer Abzeichen“ auch in anderen Teilen Deutschlands Begehr und Absatz fand: Man sah darauf einen Jüngling mit flatternden Haaren, der einen Gipfel erstieg, den Blick auf die blaue Blume gerichtet. Der Rückgriff auf die klassische Metapher von Novalis’ Heinrich von Ofterdingen verdeutlicht auch symbolisch, wie wenig immun einige Jungsozialisten in dieser Phase der geistigen und sozialen Erschütterung gegen ,,le malaise allemand“61, die Romantik, waren. Er offenbart zudem, wie tief die spirituelle Krise in der Arbeiterbewegung gewesen sein musste. Versucht man nun, die Lebensformen und Alltagskulturen in jungsozialistischen Gemeinschaften der frühen Jahre ihrer Existenz zu bewerten, so fällt das Urteil zwiespältig aus. Mit der Übernahme der Ausdrucksformen und freizeitlichen Mentalitäten des „Wandervogels“ änderte sich nicht nur der äußere Habitus der sozialistischen Jugendlichen. In ihrem Bewusstsein vermengten sich auch die in den Lebensformen mitschwingenden Deutungen und Lebensentwürfe aus den Kreisen der jungen Bildungsbürger mit den bereits durch das sozialistische Milieu geprägten Wertvorstellungen und Orientierungsmustern. Insofern hielten nicht nur die recht nützliche Wanderkutte und das praktische Inselkleid, sondern eben auch eine eskapistische wie elitäre Weltsicht Einzug in jungsozialistische Kreise. Die Verachtung der Massen, das Gefühl geistesaristokratischer Erhabenheit, die Absonderung von den großen Organisationen – vieles davon wurzelte im soziologischen Grund der damaligen bürgerlichen Intellektuellen. Mochten diese in kleinen und überschaubaren kommunitären Bezugsgruppen mit der experimentierfreudigen Lust an phantasievollen Lebensreformprojekten tatsächlich eine sinnvolle Lebensperspektive gewonnen haben, so war das für die Arbeiterjugendlichen sehr viel schlechter möglich.62 Der Einfluss der bürgerlichen Jugendbewegung stieß allerdings bei den Jungsozialisten keineswegs auf ein ideelles Vakuum, dazu waren sie schon zu sehr von der Sozialmoral ihrer sozialdemokratischen Elternhäuser geformt. Die allzu verstiegenen oder auch rassistischen Geistesblüten in manchen Teilen der Wandervogelbewegung gewannen bei den Jusos keine Resonanz. Mit den verschiedenen Abarten des religiösen Obskurantismus mochten die sozialistischen Arbeiterjugendlichen sich nicht anzufreunden, auch Antisemitismus und völkische Ideologien gab es in den Juso-Gruppen nicht. Im Gegenteil, zahlreiche Jungsozialisten, vor allem ihre akademischen Lehrer, waren jüdischer Herkunft. In dieser bei allen Zweifeln am herkömmlichen sozialistischen Paradigma doch recht stabilen sozialdemokratischen Identität der jungsozialistischen Arbeiter lagen Chancen eines produktiv-weiterführenden Umgangs mit den Impulsen der bürgerlichen Jugendbewegung. Lebensreform und Naturverbundenheit wiesen schließlich auf die zahlreichen ungelösten städtebaulichen und hygienischen Probleme einer temporeichen Urbanisierung und Industrialisierung hin; die

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Kleiderreform der Frauen und deren Teilnahme an den Fahrten und Wanderungen indizierte ein neues feminines Selbstbewusstsein. Das lebensphilosophische Unbehagen am rationalen Organisationsverhalten signalisierte Entfremdungsempfindungen gegen die Bürokratisierung der modernen Gesellschaft. Im Bürgertum verkam der Protest zunehmend zu bizarren Marotten verschrobener Sekten; die offizielle Arbeiterbewegung hatte das Aufkommen neuer gesellschaftlicher Fragen kaum zur Kenntnis genommen. Insofern mochten die Jungsozialisten sich zu Beginn der 1920er Jahre nicht ganz zu Unrecht damit brüsten, den Wertewandel zumindest registriert und anstelle des alten „ökonomischen Fatalismus“ auch in der Arbeiterbewegung die Bedeutung des „Subjekts“ wenigstens wahrgenommen zu haben.

E RNÜCHTERUNG UND O RGANISATION Mehr als alles andere waren die Jungsozialisten in den nächsten Jahren bis zu ihrem unfreiwilligen Ende eine Bildungs-, Erziehungs- und Diskussionsgemeinschaft. Diese Betonung der geistigen Auseinandersetzungen und intellektuellen Anstrengungen setzte den Möglichkeiten einer quantitativen Erfassung der sozialdemokratisch orientierten Arbeiterjugendlichen sehr enge Grenzen. Auch in einer Hochburg des frühen Weimarer Jungsozialismus wie dem mitteldeutschen Magdeburg nahmen nur etwa sechzig junge Arbeiter an den Gruppenaktivitäten teil.63 Die Nürnberger Jusos begannen mit 25 Interessierten und waren 1922 stolz darauf, dass nun sechzig bis achtzig junge Genossen zu ihren Kursen erschienen.64 Die Brandenburger Juso-Gruppe wurde in der Anfangsphase mühselig von acht Zugehörigen zusammengehalten und auch im mitgliederstarken Westlichen Westfalen existierten noch 1923 Gruppen mit nur fünf Aktivisten; andere hingegen zählten dort immerhin etwa 35 junge Sozialisten.65 Da die Jungsozialisten als Bewegung „von unten“ zunächst keine verbindlichen Koordinationszusammenhänge überregionaler Art besaßen und von ihrem ganzen Selbstverständnis her rigiden Organisationsstrukturen misstrauisch gegenüberstanden, was mancherorts dazu führte, auf formale Mitgliedschaften bei den Jungsozialisten oder der Partei ganz zu verzichten, blieb die Gesamtzahl der in Deutschland bei den Jusos engagierten Personen über Jahre hinweg nicht erfasst. Bekannt war anfangs nur, dass im Sommer 1921 an achtzig Orten Deutschlands Jungsozialistengruppen existierten, bis zum März 1921 hatte sich die Zahl auf 120 Städte erhöht.66 Über diesen Charakter minoritärer, wenn auch im Inneren vitaler Zirkel kamen die Jungsozialisten während der gesamten Dauer ihres Daseins nicht hinaus: Den Höhepunkt erreichten sie wahrscheinlich mit viertausend Mitgliedern in 179 Gruppen,67 während sie kurz vor ihrer Auflösung durch

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den Leipziger Parteitag der SPD 1931 nur noch etwa dreitausend Getreue in ihren Reihen zählen konnten.68 Immer noch vergleichsweise hoch – zwischen dreißig bis vierzig Prozent – fiel in den frühen zwanziger Jahren der Anteil junger Frauen an der Mitgliedschaft der Jungsozialisten aus. Dies lag sicherlich in der Praxis der dort üblichen Kulturveranstaltungen, in der jungsozialistischen Vorliebe für die gymnastische Pflege des Körpers und in den häufig geführten Diskussionen über Fragen der Lebensgestaltung, Ehereform und Kindererziehung begründet.69 Typisch für den eher losen Zusammenhalt der Juso-Gemeinschaften war, dass noch bis Mitte der zwanziger Jahre etwa vierzig Prozent der Gruppen von ihren Mitgliedern keine Beiträge kassierten; anfallende Kosten wurden durch die Spenden sporadischer Sammlungen beglichen.70 Zum Credo der auf strikte Unabhängigkeit vom Parteiapparat bedachten Pioniergeneration der Jungsozialisten gehörte es, in keinem Fall Geld von den Ortsvereinsvorständen anzunehmen, da man die geistige Freiheit durch solche finanziellen Unterstützungen gefährdet sah.71 Natürlich hatte dieser „Parteiapparat“ nicht darauf verzichtet, sich grundsätzlich zum neuartigen Phänomen des Jungsozialismus zu äußern und durch institutionelle Regelungen auf ihn zu reagieren. Auf dem Kasseler Parteitag der Mehrheitssozialdemokratie im Oktober 1920 begrüßten die anwesenden Delegierten „mit lebhafter Freude die geistige Regsamkeit der Jungsozialisten und ihr Streben nach Erringung innerer Selbständigkeit“72; so jedenfalls begann der Text einer angenommenen Resolution. Der Beschluss von Kassel sah vor, dass sich die jungen Genossen durch Vorträge, Kurse und Diskutierabende in eigenen Kreisen selbst zu Sozialisten mit vertiefter Weltanschauung erziehen, politisch schulen und für die aktive Mitarbeit am Parteileben interessieren sollten. Organisatorisch räumte man den Jungsozialisten zwar die verantwortliche Verwaltung ihrer Gruppen ein, verlangte aber von ihnen gleichwohl, dass bei der Wahl der Wissensgebiete und Referenten je ein Vertreter der Parteiorganisation und des Bildungsausschusses „maßgebend“, wie es hieß, mitzuwirken hätte. Publizistisch sollten sich die Jungsozialisten in der Arbeiter-Bildung, dem Zeitschriftenorgan des Zentralbildungsausschusses, äußern dürfen. Erst nach heftigem Drängen der örtlichen Juso-Gliederungen, die im Übrigen in den frühen zwanziger Jahren – hierbei ganz der expressionistischen Grundstimmung entsprechend – gerne eigene Blätter, Rundbriefe und Zeitungsprojekte ebenso schnell gründeten wie auch wieder eingehen ließen, entstand 1922 mit den Jungsozialistischen Blättern eine eigene monatliche Zeitschrift für die Reichsebene. Die Parteitagsdelegierten von Kassel hatten somit ein gewisses Empfinden für die schwierige psychische Disposition der jungen Sozialisten nach dem Krieg nicht gänzlich vermissen lassen. Ebenso unverkennbar war aber auch der Wille, einem allzu nachdrücklichen Autonomieverlangen der Jungen und ihrem nervö-

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sen Suchen nach „neuen Sozialismusversionen“ einen Riegel vorzuschieben; denn nicht wenige gestandene Sozialdemokraten betrachteten die „Spintisiererei“ und „Problematisiererei“ der äußerst unpraktischen „Phantasten“ mit unverhüllter Geringschätzung.73 Da aber jetzt auch die Geschäftsführung der neuen Nachwuchsorganisation vom Büro des Zentralbildungsausschusses der SPD in Berlin miterledigt wurde, geriet schon bald etwas von der gewohnten sozialdemokratischen Ordnung in das unübersichtliche Chaos der jungsozialistischen Bewegung. Die Zeit der spontanen Gründungen jungsozialistischer Gruppen durch die Jugendlichen selbst war alsbald vorbei. Zum Unwillen vieler Jungsozialisten der ersten Stunde, die, wie sich zeigen sollte, mit Recht eine Veränderung „ihrer Eigenart“ befürchteten,74 forderte nun der Zentralbildungsausschuss die örtlichen Parteiorganisationen durch ein Rundschreiben dazu auf, den „Aufbau jungsozialistischer Gruppen“ selbst in die Hand zu nehmen.75 Ortsvereinsvorstände, die sich davon angesprochen fühlten, setzten dann in die Veranstaltungskalender der lokalen Parteiblätter eine kurze Notiz, durch welche die 18bis 25-jährigen Sozialdemokraten am Orte zum Besuch einer Versammlung aufgefordert wurden: „zwecks Gründung“, wie es im bürokratischen Parteideutsch hieß, „einer jungsozialistischen Organisation“76. Dort herrschte natürlich ein anderer Geist als in jenen jungsozialistischen Gemeinschaften des Frühjahrs und Sommers 1919, in denen sich die Jugendlichen Abend für Abend trafen und unter sich, jedenfalls ohne Referenten, in Heimen oder auf Wanderungen gerade über die Themen stritten, die ihnen beim Zusammenkommen erst eingefallen waren, oder wozu sie zuletzt irgendwo und mehr zufällig etwas gelesen hatten. In den neuen, durch die Initiative „von oben“ ins Leben gerufenen Juso-Gruppen war eine solche Planlosigkeit der Bildungsarbeit nicht mehr üblich. Nicht nur vor Ort schlugen die Reglementierungsbemühungen des Zentralbildungsausschusses durch, auch die überregionalen Zusammenkünfte der Jungsozialisten bekamen jetzt einen anderen Charakter. So waren noch am 1. Januar 1921 allein deshalb im holsteinischen Kiel Jungsozialisten auch aus Berlin, Hamburg, Hannover, Göttingen zu einer aufsehenerregenden Tagung über Fragen der geistigen Einstellung des Jungsozialismus zusammengetroffen, weil eine kleine Anzahl Kieler Jusos aus eigenem Antrieb heraus ein kurzes Einladungsschreiben an die Adressen ihnen bekannter junger Sozialisten anderer Städte gesandt hatte.77 Wer immer von diesem Brief erfahren hatte und Gelegenheit zum Kommen besaß, erschien in Kiel, konnte jederzeit mitreden und auch über die zur Entscheidung stehenden Fragen abstimmen. Ganz anders sah hingegen schon der nächste überregionale Kontakt der Jungsozialisten aus, den der Zentralbildungsausschuss selbst in die Hand genommen hatte. Diese am 29. Juli in Bielefeld stattfindende Tagung wurde nunmehr als „1. Reichskonferenz der Jungsozialisten“ deklariert, zu der die Gruppen nach einem

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festen Proporz Vertreter zu entsenden hatten. In der ostwestfälischen Metropole wurde dann auch erstmalig ein sechsköpfiger „Reichsausschuss“ gewählt, der sich künftig um die zentrale Repräsentanz der Bewegung bemühen sollte.78 Es wäre allerdings übertrieben, wenn man für diese Tendenz zum Delegationssystem und einer verbindlicheren Planung der Bildungsarbeit allein die Interventionen der Parteiinstanzen verantwortlich machen wollte. Denn auch die Jungsozialisten der „spontanen Phase“ hatten zumindest in ihrer Praxis gelernt, dass die genussvoll zelebrierte Unmittelbarkeit der ersten Wochen nicht problemlos in die Zukunft zu verlängern war. Dem Rausch des Ursprünglichen war der Katzenjammer des „Wie geht es weiter?“ gefolgt und durch die Praxis einer stärkeren Systematisierung und Terminierung der Gruppenaktivitäten beantwortet worden. Gewöhnlich trafen die Jungsozialisten nun an einem Werktagabend zu einer Arbeitsgemeinschaft über ein bereits vorher festgelegtes Thema zusammen. Die arbeitsgemeinschaftliche Methode sollte dabei allen Anwesenden die aktive Mitwirkung ermöglichen; daher blieb bei den Jusos der frontale Vortrag eines bestellten Referenten immer noch die Ausnahme. Auch das Wochenende gehörte dem Beisammensein in den jungsozialistischen Gemeinschaften. An den Samstagabenden standen vor allem Literatur-, Lyrik- und Musikdarbietungen auf dem Programm oder, wenn schönes Wetter war, man traf sich auf einer städtischen Wiese oder dem Marktplatz zu Spiel, Sport und Tanz. Manchmal ging man auch ganz einfach spazieren und unterhielt sich über ein Buch, welches gerade viel gelesen wurde. An Sonntagen wanderten die Jungsozialisten weiterhin mit Vorliebe in die Natur und erschienen häufig dann am Abend noch einmal in ihren Heimen zu einem Aussprache- oder Diskutierabend.79

G ANZHEITLICHE T RÄUME Ausgesprochen typisch für die Identität der jungsozialistischen Arbeiter und deren Streben nach dem „neuen Menschen“ waren ebenfalls die Termine, die viele von ihnen an den restlichen Tagen der Woche wahrnahmen: der Besuch von Veranstaltungen des „Bundes entschiedener Schulreformer“, die erzieherische Arbeit mit Kindern und die Teilnahme an den Kursen der Volkshochschule. Der junge Breslauer Tischler Walter Ludwig beispielsweise inkarnierte 1921 geradezu dieses Engagement der sozialdemokratischen Jugendlichen. Er war Sprecher der örtlichen Jungsozialistengruppe und Vorsitzender der Abteilung für Volkshochschulfragen im „Volksbund für neue Erziehung“, dem Breslauer Ortsverband der „entschiedenen Schulreformer“.80 Zu diesem Zeitpunkt, als die Möglichkeiten einer tiefergreifenden Veränderung der Gesellschaft in den ökonomischen und politischen Sektoren kaum noch

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gegeben waren, konzentrierten sich die Hoffnungen vieler linksliberaler und sozialistischer Zeitgenossen der frühen zwanziger Jahre auf die ideellen Bereiche der Reformpädagogik und der Volksbildung.81 „Der erzieherische Gedanke“, formulierte ein Beobachter rund zehn Jahre später im Rückblick, „wurde so etwas wie eine neue Moral, eine neue Religion.“82 Die Gründe, die Lehrer, Erzieher und Eltern zu einem Beitritt in den am 18. September 1919 konstituierten „Bund entschiedener Schulreformer“ bewogen hatten,83 kamen den Impulsen, aus denen die jungsozialistische Bewegung entstanden war, sehr nahe. Eine Verquickung von Jugendarbeit, Volkshochschulkurs und Erziehungsreform war daher sehr bald die logische Folge.84 Auch in den Schriften des „Bundes entschiedener Schulreformer“ war die Enttäuschung über den Ausgang der Revolution und die politischen Ereignisse in den ersten Monaten der jungen Republik nicht zu übersehen. Und im Einklang mit den Erklärungen der jungsozialistischen Facharbeiter machten die Schulreformer den Mangel an sozialistischer Moral und Kultur bei den einzelnen Menschen für die Versäumnisse in der Umgestaltung des Gesellschaftssystems verantwortlich. Der Bund propagierte daher die Erziehung „total entwickelter Menschen“, die erst nach Abschluss dieses Erziehungsprozesses zu einer „Sozialisierung der Ökonomie“ fähig wären. Der Vorsitzende des Bundes, Paul Oestreich, schlug zur Realisierung dieses Vorhabens eine Strategie vor, die sicherlich jeder Jungsozialist mit großer Zustimmung unterschreiben konnte: „Tragt die sozialistische Kultur in die Massen, redet, erklärt, gebt das persönliche Beispiel, dann wird bald, sehr bald, die Mehrheit unser sein.“85 Da mit der Unterstützung des öffentlichen Schulsystems vorerst nicht zu rechnen war, mussten die Jungsozialisten, so schien es ihnen, die Arbeit am „neuen Menschen“ selbst in die Hand nehmen und damit bereits bei den Jüngsten beginnen. Seit 1921 nahmen sich zahlreiche Jusos der Kinder aus sozialdemokratischen Familien an und versuchten erklärtermaßen, eine Gegenwelt zur schmutzigen Realität der „Straße“, des Kinos und der Schmöker zu schaffen.86 Der pädagogische Traum der Jungsozialisten von einer ganzheitlichen Verknüpfung von Leben und Arbeit, Ernst und Freude, Lernen und Spiel, musischen und handwerklichen Fähigkeiten – hier, bei den abendlichen Zusammenkünften der Kindergruppen in den zum Bedauern der Jusos indes eher tristen Klassenzimmern, sollte er eine gewisse Verwirklichung finden. An mehreren Tagen der Woche und manchmal auch an Sonnabendnachmittagen lasen die älteren sozialistischen Jugendlichen den Kindern Märchen vor, bastelten mit ihnen, halfen beim Malen, Weben, Papierflechten und führten Kasperletheater auf. Es wurde geturnt, getanzt und Musizieren gelernt. An sommerlichen Wochenenden, vor allem aber während der großen Ferien, gingen die Jungsozialisten mit den Kindern auf ausgedehnte Wanderfahrten, um das Gemeinschaftsleben zu stärken.87 Im November 1923 mündeten dann solche lokalen Initiativen der sozialdemokra-

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tischen Kinderarbeit in die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands“, die dann über zweihunderttausend Eltern, Kinder und Helfer zu ihren Mitgliedern zählte.88 Zu einem ähnlichen Hoffnungsträger wie die „ganzheitliche“ Kindererziehung avancierten die nach dem Krieg in vielen Großstädten gegründeten Volkshochschulen. In der Idee der Volksbildung sammelte sich der trotz aller Frustrationen über die politische Entwicklung der Republik noch verbliebene Reformschwung vor allem derjenigen Intellektuellen, die in den revolutionären Monaten 1918 ebenso enthusiastisch wie zumeist konzeptionslos auf lokaler Ebene sogenannte „Räte geistiger Arbeiter“ gebildet hatten. Die Wirkung ihrer manchmal vollmundigen politischen Deklamationen war in der Regel gleich null,89 mit Ausnahme eben der Volkshochschulinitiativen. Die Pläne der Vordenker für eine Volksbildung waren dabei keineswegs bescheiden, sondern hatten nicht weniger als die Überwindung der Klassengesellschaft und die Errichtung einer „wahren Volksgemeinschaft“, in der auch die bislang sozial und kulturell benachteiligte Arbeiterschaft integriert werden sollte, zum Ziel. Da für diesen schwierigen Bildungs- und Gesellschaftsprozess zumindest im ersten Stadium nicht unmittelbar das ganze Volk in gleichem Maße geeignet erschien, konzentrierten sich die Volksbildner auf die zur „künftigen Führung geeigneten Persönlichkeiten“90 der Arbeiterschaft – und für jene hielten sich unzweifelhaft die Jungsozialisten selbst. In den Städten des Ruhrgebiets und Sachsens, in Köln, Breslau, Kiel und Freiburg gehörten die Jusos zum Kern der Zuhörerschaft in den Kursen der Volkshochschulen.91 Wie sich bald herausstellen sollte, verstärkten sie allerdings auch die illusionäre Auffassung vieler Intellektueller bürgerlicher Herkunft, mit dem Institut der Volksbildung den entscheidenden Hebel zur Emanzipation einer, wie sie irrtümlich meinten, insgesamt lernbegierigen Arbeiterschaft in der Hand zu haben. Diese trügerische Annahme eines allseits bildungshungrigen Proletariats musste zwangsläufig in Ernüchterung und Enttäuschung umschlagen, konnte aber auch in einer hemmungslosen Idealisierung der Bücher lesenden jungsozialistischen Facharbeiter als vermeintlicher Vortrupp neuer Menschheitsbeziehungen ausarten. Ein auf die Lebenswelt und die ambitionierten Ansprüche sowohl der jungen sozialistischen Arbeiter als auch der zum Sozialismus gestoßenen Intellektuellen zugeschnittenes Modell konnte unter dem Einfluss von Hermann Heller und Gertrude Hermes seit 1922 in Leipzig entwickelt und als Vorbild für andere Städte mit „linken“ kommunalen Mehrheiten ausgebaut werden.92 Heller hatte sich bewusst von den üblichen Abendvolkshochschulen dadurch abgegrenzt, dass in der Leipziger Bildungsarbeit die Teilnehmer nicht lediglich einmal die Woche in Vortragsräumen als rezeptive Zuhörer zusammenkamen, sondern Tag für Tag mit ihren intellektuellen Lehrern über mehrere Monate gemeinsam

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wohnten, eben: in Gemeinschaften zusammenlebten.93 In der Regel beherbergte ein solches Arbeiterbildungsheim ca. zehn junge Erwachsene aus der Arbeiterschaft und zwei „Kopfarbeiter“. Als Wohn- und Lernkollektiv verbrachten sie etwa acht bis zehn Monate gemeinsam. Morgens las jeder für sich, tagsüber ging man der Erwerbsarbeit nach und abends fanden dann die Bildungskurse in der Heimassoziation statt. Heller legte viel Wert auf diesen Konnex von Bildung und Beruf, um seine Schüler nicht zu sehr von ihrer Herkunftsklasse zu lösen, wie es in den meist ländlich entlegenen Ganztagsbildungsstätten der Heimvolkshochschulen geschah und in der Tat nicht selten Entkopplungsprozesse entfachte. Bis 1926 gab es fünf derartige Heime in Leipzig; bis zum Ende der Weimarer Republik waren alles in allem rund 550 junge Arbeiter durch diese Arbeits-, Lebens-, Wohn- und Bildungsgemeinschaften gegangen. Mehr als eine kleine Gruppe innerhalb des großen „Industrieproletariats“ konnte man so nicht erreichen. Aber das war auch Programm bei Heller und etlichen anderen Volksbildnern: Sie zielten auf künftige Eliten, strebten die Formierung von Führungsnachwuchs und Kadern an, welche sodann energetisch die Massen durchwirken sollten.94 Als entscheidend galt Heller, dass diese „Auslese“ nicht mit „Zettelkasten von Wissen“ vollgestopft wurde. Der Lernstoff sollte vielmehr orientieren, anleiten, Zusammenhangswissen stiften.95 Wieder und wieder propagierte Heller dieses Prinzip: Gerade in den Zeiten der Deutungskonfusion und eines erklärungsarmen, scheinobjektiven Positivismus ging es um die Befähigung, aus leitenden Ideen heraus die Wirklichkeitsfragmente kohäsiv zusammenzubringen und zu interpretieren. „Zusammenhangsbewusstsein“ pflegte Heller dergleichen zu nennen. Charakteristisch für den Weimarer Jungsozialismus war, dass durch eine solche Zirkelarbeit und aufgrund des Einflusses einer überragenden, durch Bildung ausgewiesenen Führungspersönlichkeit, wie sie der temperamentvoll-leidenschaftlich agierende Hermann Heller verkörperte, eine vom Gesamtmilieu der sozialdemokratisch-proletarischen Region abweichende Art der SozialismusInterpretation gedeihen konnte. Der Leipziger Jungsozialismus jedenfalls bildete mit seiner ethisch-marxkritischen Sozialismus-Begründung, die Elemente des englischen Gildensozialismus und der lassalleanischen Staatsauffassung entlehnt hatte, eine einzigartige und höchst umstrittene Enklave in der linkssozialdemokratischen Subkultur Westsachsens.96

F UNKTIONÄRE

MIT

S CHILLERKRAGEN

Nun schieden sich bei den Weimarer Jungsozialisten schon früh die Geister, als es darum ging, das eher labile Selbstverständnis und den politischen Willen in begriffliche Formeln zu kleiden. Mit einfachen Kategorien wie „links“ und

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„rechts“ lassen sich allerdings die kontroversen Auffassungen im frühen Jungsozialismus nur sehr unzureichend fassen; wahrscheinlich sollte man auch von einem Streit um Theorien besser nicht sprechen. Vielleicht kann man die Fronten der Auseinandersetzung um den geistigen und politischen Standort der Jusos in den Jahren 1921/22 personell und lokal etwa so umreißen: Auf der einen Seite standen als Wortführer diejenigen Jungsozialisten, die im Krieg als 16- oder 17Jährige bereits zur verantwortlichen Führung der örtlichen Arbeiterjugendgruppe gedrängt worden waren, im Frühjahr 1919 dann mit dem gewonnenen Selbstbewusstsein und in Distanz zum patriarchalischen Verfahrensstil der „Alten“ jungsozialistische Gruppen gegründet hatten und überdies auch den persönlichen Kontakt mit Vertretern der bürgerlichen Jugendbewegung sorgfältig pflegten. Franz Osterroth, Gustav Dahrendorf, Heinrich Deist, Robert Keller personifizierten diesen Typus von Jungsozialisten, der in Bochum, Hamburg, Dessau und Teilen Berlins zu Hause war, auf publizistisch besonders herausragende Weise. Ihre Kontrahenten hingegen kamen häufig aus Städten, in denen erst nach dem Parteitagsbeschluss von Kassel und auf Initiative von oben Jungsozialistengruppen gebildet worden waren. In der Regel waren ihre Sprecher bereits in den 1890er Jahren geboren, vor dem Ersten Weltkrieg schon durch die Bildungsarbeit der Arbeiterjugend gegangen und nach Kriegsschluss frühzeitig parteipolitisch und gewerkschaftlich aktiv geworden, sodass sie sich gebremster in der Suche nach Selbstständigkeit und Erneuerung und misstrauischer zu den wechselnden Attitüden und schwankenden Moden des kulturkritischen Bürgertums verhielten. Ernst Eckstein, Clara Zils, Karl Höltermann, Bruno Lösche, Siegmund Crummenerl, Otto Lamm, Friedrich Ebert jr. aus Breslau, Magdeburg, Lüdenscheid und Berlin standen für diese generations- und milieuspezifisch etwas anders sozialisierte Gruppe im frühen Weimarer Jungsozialismus. Den Ton gab natürlich die erste Gruppe an; denn sie hatte ja die sehr viel weiterreichenden Ambitionen, den „überkommenen“ Vorstellungen der „geistig verkrusteten“ Sozialdemokratie eine grundsätzliche Alternative gegenüberzustellen und einen „erneuerten Sozialismus“ sowohl ideell als auch praktisch in der Unabhängigkeit der eigenen Lebensgemeinschaft zu schaffen. Dieser primär abgrenzende Impetus, in dem sich der Widerwillen gegen die „Welt der Alten“ ausdrückte, spiegelte sich im Gebrauch vorwiegend polemisch gefasster Begriffe wider. „Materialismus“, „Rationalismus“, „Mechanismus“ waren im Horizont der emotional aufgewühlten frühen Jungsozialisten geradezu die Chiffren für die Grundübel der Zeit, die als ein Abschnitt bürgerlicher Zivilisation atomisierter Individuen mit erkalteten und seelisch verarmten Sozialbeziehungen wahrgenommen wurde.97 Auch die Misere der Arbeiterbewegung war nach Auffassung dieser Jungsozialisten nur durch den Umstand der Rezeption eines rationalistischen Materialismus zu begreifen, der als Abart des bürgerlichen Materialismus

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die ursprünglichen Ziele des Sozialismus zu einer schlichten Magenfrage herabgewürdigt hätte. Die marxistische Weltanschauung jedenfalls, so glaubten die Jungsozialisten aus Hamburg, Bochum und Dessau, musste die Arbeiterschaft zu höchst profanem, jedenfalls nicht sittlich zu nennendem Tun verleiten: „Leider dünkt es viele Arbeiter, als ob die Welt ein großer Futtertrog wäre, an dem bisher die Kapitalisten gesessen und sich sattgegessen hätten; und nun wollen sie sich der Krippe bemächtigen. Wo bleibt da das Höhere, Seelische, die Kultur im Menschen?“98 Die pathetische Beschwörung des „Seelischen“ erreichte im frühen Jungsozialismus nachgerade kultische Dimensionen und war fraglos ein Import aus der Modernismuskritik des jugendbewegten Bürgertums, was wiederum ein Indiz dafür ist, welch geringe Wirkung von der säkularisierten Heilserwartung des „klassischen“ Sozialismus auf das durchwirbelte Innenleben der jungen Sozialisten nach dem Krieg ausging. In der magischen Formel des „Seelischen“ verdichtete sich die Nachkriegssehnsucht einer ganzen Generation nach „ganzheitlichen“, „ursprünglichen“ und „lebendigen“ Bindungen in bewusster Abkehr von den intellektuellen Kräften des analysierenden, also auch zerteilenden Verstandes. „Unsere Sache“, so hielten die Hamburger Jungsozialisten den Kritikern ihres Standpunktes entgegen, „ist nicht rein verstandesmäßig zu erfassen“.99 Mit „dürren Theorien“ und einer „erstarrten Begrifflichkeit“ wären die „tieferen Probleme des jungsozialistischen Wollens“ nicht zu verstehen, so argumentierten auch die Kölner und Berliner Jungsozialisten.100 Überdies stilisierte man auch die eigenen Kreise zu „sozialistischen Kulturinseln“101, die fernab von den nur durch äußerliche Interessen zusammengehaltenen Massenorganisationen ein innerlich verbundenes und organisch gewachsenes Gemeinschaftsleben „neuer Menschen“ höheren Geistes ermöglichen sollten.102 In solchen Zellen auserwählter Kreise, so hoffte man, konnten neue Formen des Liebeslebens, der Haushaltsführung, des Kunsthandwerks, der Geselligkeit und der Raumgestaltung bereits im kapitalistischen Milieu geübt und realisiert werden.103 Bedingung allerdings wäre, dass die zur vorbildlichen Führung der Massen bestens geeigneten Jungsozialisten vorübergehend von „aller Kleinarbeit innerhalb der Partei befreit“104 würden. In einem an Neujahr 1922 geschriebenen Brief brachte ein Frankfurter Jungsozialist diese hochgesteckten Ziele auf den Begriff: „Die Jungsozialisten denken wir in Frankfurt als kleine geschlossene Gruppe, deren Mitglieder als neue Menschen auf allen Gebieten […] arbeiten und durch ihre Persönlichkeit und ihre Wirkungen zum Diktator werden.“105 In den Jahren 1919/1920 waren diese Positionen, denen die Kritiker nicht ganz zu Unrecht in Anspielung auf die Ideen der bürgerlichen Jugendbewegung das Etikett „freideutsch“ anhingen, wahrscheinlich von der Mehrheit der deutschen Jungsozialisten getragen. Noch auf der Konferenz in Kiel, die am 1. Janu-

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ar 1921 stattfand und von den Initiatoren erklärtermaßen deshalb einberufen worden war, um dem „freideutschen“ Geist einen „problematisch-wissenschaftlichen“ Rationalismus entgegenstellen zu können,106 beherrschten die Jungsozialisten aus Hamburg und ihre Anhänger aus anderen Städten klar das Feld. Zum Schluss der Tagung verabschiedeten die Teilnehmer „Leitsätze“ – die vom Hamburger Lehrer Johannes Schult inspiriert worden waren –, in denen ausdrücklich betont wurde, dass es den Jungsozialisten „ihrer ganzen seelischen Einstellung“ wegen nicht zuzumuten wäre, „ohne weiteres den Schritt zur allgemeinen Arbeiterbewegung [zu] machen, denn diese ist in ihrem inneren und äußeren Leben zu einseitig verstandesmäßig und materialistisch gerichtet, als dass sie die in der Jugendbewegung und durch den Krieg neu belebten irrationalen Regungen befriedigen könnte“.107 Stattdessen verpflichteten sich die Jusos erneut, in ihren Gemeinschaften ein aufrichtiges und verantwortlichvolles Leben zu führen und die „Kulturidee des Sozialismus“ rein zu erhalten.108 In den Jahren 1921/22 machte sich allerdings eine Gegenbewegung zum freideutsch angehauchten Jungsozialismus immer stärker bemerkbar, wenn auch die Gegensätze keineswegs so fundamental und unüberbrückbar waren, wie es sich manchmal durch den schroffen Ton einiger Resolutionen ausnahm. Die kritischen Stimmen am bisher dominierenden Selbstverständnis des Jungsozialismus kamen dabei im Wesentlichen von Funktionären derjenigen Gruppen, die Ende 1920/Anfang 1921 unter der Obhut der örtlichen Parteivorstände gegründet worden waren und von Beginn an auf geordnete Kassenverhältnisse, erfassbare Mitgliederstrukturen und ein gut vorbereitetes Schulungsprogramm Wert legten. Die Funktionäre solcher Gruppen gehörten altersmäßig zu den gereifteren Jahrgängen der Jungsozialisten und konnten bereits politisches Profil in der Arbeiterbewegung vorweisen. Zudem hatten sich die Fragestellungen und Diskussionsinhalte in vielen Juso-Gruppen im Laufe der Zeit geändert; das mythologische Versinken in die Innerlichkeit konnte auf Dauer offenkundig nicht befriedigen. Die Anschläge rechtsradikaler Kampfverbände gegen die neue demokratische Ordnung und die Ermordung republikanischer Politiker politisierten nun langsam auch die Themen jungsozialistischer Debatten. Während die „freideutschen“ Jungsozialisten der „ersten Stunde“ durch ihr unbedingtes Verlangen nach Autonomie in einem geradezu antiautoritären Protestverhältnis zur Parteiorganisation standen und sich dabei, so im Bezirk Westliches Westfalen, am Rande des Parteiausschlusses bewegten,109 legten jetzt immer mehr Gruppen ein Treuegelöbnis zur praktischen Mitarbeit und Organisationspflicht in der Sozialdemokratischen Partei ab. Dabei entstand keineswegs ein „linker“ Flügel,110 vielmehr erhielt die Mehrheitssozialdemokratie zumindest vorübergehend einige parteitreue Jugendabteilungen, oder besser: Bildungsgemeinschaften mit vorbe-

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haltlosen Bekenntnissen zu den im Görlitzer Programm verankerten politischen Positionen. „MSPD plus Schillerkragen“, so kann man vielleicht etwas flapsig den Charakter und die Erscheinungen dieser Juso-Gruppen beschreiben, die von der politischen Zielsetzung jedenfalls ganz auf der Linie einer kontinuierlichen Reformpolitik mit dem Instrument der Massenorganisationen der Arbeiterbewegung im Rahmen einer sozial noch auszugestaltenden Republik lagen.111 Sich für diese Aufgaben durch intensive Bildungsarbeit in den Gruppen der Jungsozialisten zu rüsten und sich den Tageskämpfen der Arbeiterorganisation zur Verfügung zu stellen, war exakt das, was nun von den jungen Sozialisten besonders lautstark aus Magdeburg, Breslau und Teilen Berlins postuliert wurde, wofür sie bezeichnenderweise auch den Vorwärts und das Korrespondenzblatt des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) zur Verfügung hatten, und womit sie sich schließlich von den anfänglichen Auffassungen der „freideutschautonomistischen“ Jusos um Franz Osterroth, Heinrich Deist, Robert Keller, August Rathmann, Gustav Dahrendorf unterschieden. Jene waren wohlgemerkt keine expliziten Gegner des republikanischen Reformismus, sondern wollten zu Beginn ihrer politischen Karriere in solch nüchternen Kategorien einfach noch nicht denken. Der Unterschied innerhalb des Jungsozialismus der Jahre 1920-22 lag also darin, dass die einen ihr Seelenerlebnis und ihre Kulturarbeit in unabhängigen Lebensgemeinschaften bereits für vorweggenommenen Sozialismus hielten und sich davon dann eine spätere spirituelle Durchgestaltung der Massen erhofften, während die anderen bei aller lebensreformerischen Verve zusätzlich an existierenden Massenorganisationen und der Gesellschaftsreform als Voraussetzungen neuer menschlicher Beziehungen festhielten. Diese Differenz hatte, um es zu wiederholen, vielfach mit dem unterschiedlichen Alter und den verschiedenenartigen Funktionärserfahrungen ihrer Protagonisten zu tun. Sie lässt außerdem auf einen andersgearteten Umgang mit Repräsentanten der bürgerlichen Jugendbewegung sowie mit Vertretern der eigenen Partei schließen. Die älteren und politisch bereits von oben geschulten Funktionäre der parteiorientierten Jusos wie etwa der Magdeburger Bruno Lösche, einer der schärfsten Kritiker der „autonomen“ Jusos, warfen ihren Kontrahenten Weltflucht und Abkapselung vor und begegneten deren Interesselosigkeit an den Fragen des sozialpolitischen Fortschritts mit der Diagnose: „Bestände heute noch die elf-, zwölfstündige Arbeitszeit, es gäbe keine jungsozialistischen Gruppen.“112 „Materielle Voraussetzungen“, das wusste ebenfalls der schon von Haus aus nicht zum Überschwang sozialisierte Berliner Jungsozialist und Lebenszeit-Bürokrat Friedrich Ebert, „mussten die Grundlagen der neuen Kultur und des neuen Menschen sein“.113 Insofern war nach Meinung dieser Jusos eine überhebliche Geringschätzung des „schnöden Materialismus“ der „Alten“ durchaus fehl am Platz; denn deren un-

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ermüdlicher Einsatz für die Hebung des sozialen Lebensniveaus der Arbeiterschaft hätte erst die Fundamente für eine andere Art des Lebens in der neuen „demokratischen Volksgemeinschaft“114 geschaffen. So wurde schon 1921 mit harten Bandagen gekämpft und die „freideutschautonomistischen“ Jusos gerieten auf der Reichskonferenz in Bielefeld am 29. Juli erstmalig in „ein regelrechtes Kreuzfeuer“ der Kritik.115 Zwar hatten sie wiederum eine Entschließung eingebracht, die sich gegen die materialistische Einstellung des Historischen Materialismus wandte und stattdessen die „innersten Quellen des Menschlichen“ für eine Neugestaltung des Sozialismus hervorhob,116 ein Erfolg aber blieb ihnen dieses Mal nicht beschieden. Wäre abgestimmt worden, so waren sich die Jusos aller Richtungen über die Stimmung der Konferenz einig, hätte die Resolution der Magdeburger eine eindeutige Mehrheit erhalten.117 Die vom Magdeburger Redakteur Emil Reinhard Müller eingebrachte Entschließung forderte im Wesentlichen ein unbedingtes Treuebekenntnis zur Mitarbeit in der SPD und kritisierte das Eigenleben in „begrenzten Gemeinschaften“, da sozialistisches Gemeinschaftsleben sich „erst durch die sozialistische Organisation der Wirtschaft und der demokratischen Republik“ entfalten könne.118 Letztlich überwies die Konferenz – zum Missvergnügen der parteiorientierten Jungsozialisten – beide Resolutionen zur Diskussion in die Gruppen zurück.

III. Flügelbildung während der Inflationsund Ruhrkrise

R UHRKAMPF

UND DEUTSCHER

J UNGSOZIALISMUS

Die Nachkriegskrise erreichte im Jahr 1923 ihren Höhepunkt und Abschluss. Die militärische Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen löste eine Welle wütender Empörung in fast allen Schichten der deutschen Bevölkerung aus. Eine gefühlsschwangere patriotische Stimmung, wie man sie seit den Augusttagen 1914 nicht mehr erlebt hatte, prägte erneut das politische Klima der deutschen Gesellschaft. Da Deutschland dieses Mal eindeutig nicht der Aggressor war, konnten sich Kommunisten und anfangs auch linke Sozialdemokraten guten Gewissens in die Bewegung zur Verteidigung der nationalen Souveränität eingliedern.1 Zwar fehlte es in der Sozialdemokratie nicht an warnenden Stimmen, die von einer Zusammenarbeit mit nationalistischen Kräften abrieten, der Zustimmung zum passiven Widerstand gegen die französische Okkupationsmacht wollte sich jedoch auch hier kaum jemand entziehen. Paul Levi beispielsweise, Gefährte Rosa Luxemburgs und einstiger Vorsitzender der Kommunistischen Partei, nun der eigenwillige, eigentlich auch einsame Führer der sozialdemokratischen Linken, brillant und bestechend in der kühl-rationalen Analyse der politischen Konstellationen, gehörte zu den Ausnahmen; er hatte den „Ruhrkampf“ und die klassenübergreifende Widerstandskooperation zu jeder Zeit abgelehnt.2 Der Wille zur Resistenz gegen die „Fremdherrschaft“ ging freilich von der Mehrheit der Bevölkerung, des Ruhrgebiets zumal, selbst aus. Die zeitweilige „Burgfriedenspolitik“ der Sozialdemokraten im Reichstag und die kurzfristige Wiederbelebung der politisch längst zu Grabe getragenen „Zentralarbeitsgemeinschaft“ durch die Gewerkschaften und Unternehmerverbände entsprachen daher durchaus der ursprünglichen Massenstimmung. Die brutalen Schikanen der französischen Besatzungstruppen, die vor Massenausweisungen, Gefängnisstrafen und selbst Erschießungen nicht zurückschreckten, verstärkten den My-

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thos von dem gemeinsam zu tragenden schweren Schicksal einer geeinten deutschen Nation, hinter dem die Klassenkonflikte zumindest vorübergehend zurückgestellt werden müssten. Es war nicht zu erwarten, dass die Jungsozialisten, insbesondere in der betroffenen Region, von der emotionalisierten Atmosphäre im Frühjahr 1923 unbeeinflusst blieben. Vielmehr wähnten gerade die freideutsch-jugendbewegten Jungsozialisten, für die bekanntlich das Ruhrgebiet eine Hochburg war, den historischen Moment für gekommen, in dem all ihre Hoffnungen nach einer Überwindung der in sich zerrissenen Gesellschaft durch das erhebende Zusammengehörigkeitsgefühl der nationalen Solidarität in Erfüllung zu gehen schienen. Die langjährige Pflege der Volkskultur und die in den Juso-Gruppen übliche Beschwörung der Gemeinschaftlichkeit kulminierten nun in der Zauberformel von der „Volksgemeinschaft“, zu der sich, wie zahlreiche Jusos glaubten, alle Schichten der Bevölkerung in Besinnung auf ihr gemeinsames Deutschtum zusammengefunden und dadurch eine ihrem nationalen Charakter gemäße Form des Sozialismus begründet hätten. Allerdings gerieten Jungsozialisten nicht erst durch die Ereignisse an der Ruhr in die bedenkliche Nähe zumindest zum Vokabular des jugendlich-dynamischen Konservatismus3 im nationalistischen Lager der Weimarer Republik. Schon seit Ende 1922 hatte eine kleine Gruppe publizistisch höchst vitaler Berliner Jungsozialisten um Erich Fäse und Artur Zickler der jungsozialistischen Leserschaft eine krause Mischung des zeitgenössischen Rechtsintellektualismus als neues Programm eines „deutschen Sozialismus“ empfohlen. Kaum einer der damals so beliebten überempirischen und mystisch umwölbten Begriffe der antidemokratischen Rechten, die sich so vorzüglich der rationalen Klärung entziehen konnten, blieb dabei ausgespart. Vom „Volk“ als „adeligem Begriff“, in dem alles „Deklassierte“ bereits von vornherein ausgeschieden sei, war in den Schriften des jungsozialistischen Jungkonservatismus ebenso die Rede wie von der künftigen Mission des aristokratischen Führers, der in tiefer Verantwortung für „die Sache des Volkes zu sterben bereit“ sei.4 In der verklärten Welt des organologischen Lebenszusammenhangs mit einer als natürlich vorausgesetzten, hierarchischen Rangordnung war kein Platz für demokratische Strukturprinzipien und egalitäre Rechtsformen: Der „deutsche Sozialismus“ werde „undemokratisch sein in der Ablehnung des Prinzips der Gleichberechtigung und der Mehrheitsherrschaft“.5 In den Frühjahrsmonaten 1923 engagierten sich die betreffenden Berliner Jungsozialisten im besetzten Ruhrgebiet, um zusammen mit den Freischärlertruppen der extremen Rechten die passiven Widerstandsformen der deutschen Bevölkerung durch die Förderung militanter Sabotageaktionen zu radikalisieren. In späteren Jahren konnte man die politischen Kommentare und weltanschaulichen Botschaften Fäses und Zicklers in den Blättern der Deutschnationalen lesen.6

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Verglichen damit verhielten sich die Jungsozialisten des Ruhrgebiets nahezu moderat. Zumindest wich ihre Haltung zum Ruhrkampf kaum von der Einstellung der erwachsenen Sozialdemokraten im Westlichen Westfalen ab, und auch das Kriegsbeil zwischen autonomistischen Jusos und den parteiorientierten Gruppen des Reviers wurde über Nacht begraben. Gemeinsam zogen die Jungsozialisten nun an den Quartieren der französischen Soldaten vorbei und stimmten Protestlieder gegen die ungeliebten Besatzer an. Auch der Boykott der in französischer Regie geführten Eisenbahn wurde, selbst wenn man weite Strecken zur Erreichung zentraler Juso-Versammlungen zurückzulegen hatte und ein langer nächtlicher Fußmarsch unumgänglich war, überaus ernst genommen. Eine Beteiligung an Kanal- und Brückensprengungen oder gewaltsamen Anschlägen auf Eisenbahnen hingegen, wie sie seit März 1923 von den rechtsradikalen Kampfverbänden – nicht ohne Wissen und Billigung der Cuno-Regierung – mit wachsender Kaltblütigkeit und Hemmungslosigkeit durchgeführt wurden, lehnten die Jusos strikt ab.7

S TAAT , V OLK , N ATION – O STERN 1923

IN

H OFGEISMAR

Stil und Inhalt der Juso-Arbeit bekamen unter dem Eindruck der Ruhrbesetzung eine neue Prägung. Gerade die autonomistischen Jusos des rheinisch-westfälischen Industriezentrums hatten am zähesten an der jugendbewegten Spontaneität der Gruppenpraxis festgehalten und statt der Behandlung politischer Themen den Kult seelischen Erlebens und irrationalen Empfindens bevorzugt. Jetzt erklärte einer ihrer wichtigsten Protagonisten, der Bochumer Franz Osterroth, diese Phase für beendet und propagierte die Politisierung der Organisation. Regelmäßig trafen sich nun etwa einhundert Jusos aus Bochum, Dortmund und Umgebung zu einer „Politischen Arbeitsgemeinschaft“, die nach festem Plan und einheitlicher Methodik über Themen wie „Der Staat“, „Die Nation“, „Das Primat der Außenpolitik“, „Masse und Führung“ diskutierten.8 Damit war der Tenor der künftigen Verlautbarungen aus dem Lager der einst vorwiegend autonomistischfreideutschen Jungsozialisten auch auf überregionaler Ebene schon recht deutlich vorgegeben. Zum Markstein der weiteren Entwicklung wurde dabei eine Juso-Tagung, die Ostern 1923 im nordhessischen Hofgeismar stattfand, und um die sich in den nächsten Jahren ein regelrechter Mythos entspannte. In den symbolträchtigen Weimarer Jahren standen Bezeichnungen wie „Geist von Weimar“ und „Hofgeismar-Jungsozialismus“ synonym für spezifische Lebensgefühle und politische Haltungen, die für die nachwachsende Generation der sozialistischen Arbeiterjugendlichen nachgerade legendäre Bedeutung erhielten, vielfach nostalgisch verklärt

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wurden und bei den eigentlichen Zeitzeugen bis zu ihrem Lebensende heftige Emotionen auszulösen vermochten.9 Die einen hatten „Hofgeismar“ geradezu als eine Orgie nationalistischen Hurrapatriotismus wahrgenommen und zeitlebens scharf verurteilt. Für die anderen war Hofgeismar kaum weniger als die Geburtsstunde des modernen, realistischen und staatsbejahenden demokratischen Sozialismus. Die letztere Interpretation gehörte nach 1959 zur offiziösen Fama von Festansprachen auf sozialdemokratischen Gedenktagen; hingegen haben linksstehende Historiker der jüngeren Generation eher der ersten Erklärung zugeneigt. Die historische Wirklichkeit indes war komplexer und vielschichtiger.10 Die Initiative für eine Arbeitswoche zum Thema „Volk und Staat“ ging von den beiden Bochumer Jungsozialisten August Rathmann und Franz Osterroth aus, die, nachdem sie von ihren gleichgesinnten Freunden aus Bochum und Hamburg das grundsätzliche Plazet für das Projekt eingeholt hatten, den Leiter der Kasseler Volkshochschule Walter Koch, einen religiös-pazifistischen Sozialisten, um die Vermittlung einer geeigneten Tagungsstätte baten. Walter Koch konnte ihnen alsbald die „Hofgeismarer Winterschule“, ein ehemaliges Schlösschen, anbieten, und August Rathmann schickte nun an eine Reihe von vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich freideutsch-autonomistisch eingestellten Jungsozialisten ein kurzes Einladungsschreiben: „Als am dringendsten erscheint uns die Klarstellung unseres Verhältnisses zum deutschen Volk und Staat. Unsere Aufgabe ist es, die Veränderungen in der außenpolitischen Machtkonstellation auch innerlich auszugleichen, das in der sozialistischen Bewegung noch immer lebendige Misstrauen gegenüber unserem eigenen Staat und Volk zu überwinden und ein neues positives Volksbewusstsein, eine klar entschiedene Staatsgesinnung zu erarbeiten.“11

Über einhundert Teilnehmer erschienen daraufhin am Karfreitag 1923 in Hofgeismar, davon mehr als die Hälfte aus den besetzten Städten des Ruhrgebiets. Der Rest, darunter eine auffällig große Anzahl von Studenten, war aus Hamburg, Kiel, Berlin, Kassel und Frankfurt angereist.12 Die äußeren Umstände, das Ambiente und die erregte Atmosphäre der Arbeitswoche waren typisch für eine Jungsozialistentagung der frühen zwanziger Jahre. Nachdem die meisten Jusos die Nacht im Stroh verbracht hatten, eröffneten sie den Tag mit gymnastischen Übungen und setzten sich dann vor dem Frühstück an den Händen fassend zusammen, um mit dem Gesang eines Liedes oder der Rezitation eines Verses einen würdevollen Rahmen für die gemeinsame Mahlzeit zu schaffen. In gleichem Maße besinnlich und um den Ernst und Tiefsinn ihrer Erörterungen feierlich zu unterstreichen, gestalteten die Jusos einige Abende in Hofgeismar zu Fest- und Feierstunden mit geradezu religiösem Charakter, was kein Zufall war, da eine ganze Reihe von Jusos seit einiger Zeit

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Sympathien für religiös-sozialistische Strömungen zu hegen begann. Am Ostersonntag jedenfalls besuchten die jungen Sozialisten eine Kirche, lauschten dort den Klängen der Orgel, betrachteten dann auf einer Leinwand die berühmten Passionsbilder des Albrecht Dürer und folgten zuletzt andächtig den Worten Walter Kochs, der aus dem Neuen Testament vorlas. An ausdrucksstarken Metaphern und theatralischen Gesten interessiert, hinterließen die heftigen Debatten zwischen den anwesenden Jusos noch in der Auswahl der abendlichen Lieder und bedeutungsschweren Sentenzen ihre Spuren. Als die Jusos am Ostersamstag einen Holzstoß anzündeten und eine junge Frau die lodernden Flammen mit Nietzsches „Feuerspruch“ begrüßte, nutzte Franz Osterroth die Situation ergriffener Spannung und rief, das Gesicht zum besetzten Ruhrgebiet gewandt: „Es lebe Deutschland!“, worauf sogleich ein nicht minder erregter Jungsozialist der eher marxistisch gesinnten Minderheit mit sich überschlagender Stimme die „Internationale“ hochleben ließ. Noch bis spät in die Nacht wogte der Kampf der Meinungen: Die kleine Gruppe der Frankfurter Arbeiterjugendlichen intonierte immer wieder die traditionellen Hymnen der klassenkämpferischen Arbeiterbewegung, die Mehrheit der Anwesenden konterte lautstark mit den patriotischen Liedern der nationalen Aufbruchsstimmung. An den Werktagen nach Ostern blieben dann die jungen Arbeiter aus dem Ruhrgebiet, die schließlich den Vorteil hatten, staatlich dekretierten und bezahlten Urlaub feiern zu können, mit den Studenten und Intellektuellen vor allem aus Hamburg und Kiel unter sich, und die Kontroversen über nationale oder internationale Orientierung des Sozialismus waren bereits beendet. Eigentlich war auch die Auswahl der Referenten für die Hofgeismar-Tagung nicht darauf angelegt, eine Diskussion über dieses Gegensatzduo zu provozieren. Alle Redner hatten das mehr oder weniger stark ausgeprägte Anliegen, das traditionell gebrochene Verhältnis der Sozialdemokratie zum Staat und zur Nation durch positive Bekenntnisse zu überwinden. Indes waren auf der Tagung, grob aufgeteilt, drei verschiedene geistige Strömungen zu erkennen, die auch in den nächsten Jahren, mit modifizierten Ausprägungen, die differenzierte Binnenstruktur des nach den Ostertagen entstandenen „Hofgeismarkreises“ konstituierten und letztlich auch die Ursachen für seine Auflösung im Frühjahr 1926 waren. Die an den Ostertagen gehaltenen Beiträge des Nürnberger Arbeiterdichters Karl Bröger, des greisen Marburger Neukantianers Paul Natorp und des religiösen Sozialisten Walter Koch atmeten noch ganz und gar den Geist der Lebensreformphase. Zwar war dieser angereichert durch die inzwischen inflationär in Mode gekommenen Begriffe des nationalen Überschwangs – durch ihren zuvorderst romantischtranszendentalen und unpräzisen Gebrauch bedeutete dies allerdings lediglich eine Übertragung der Gemeinschaftssehnsucht von den bislang geschätzten Kleingruppen auf die neue Chimäre der nationalen Volksgemeinschaft.

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Besonders bruchlos versuchte Walter Koch, den fast schon erloschenen Kult um die Volkshochschulen, Schulgemeinden und Jungsozialistengruppen in die gerade eingeläutete neue Entwicklungsphase politischer Kultur hinüberzuretten. Keineswegs neu schließlich war seine Hoffnung, dass von der insularen Gemeinschaftsverbundenheit solcher Zirkel die entscheidenden Impulse für die ersehnte Volkswerdung der Masse und die Erneuerung der deutschen Nation ausgehen würden, wofür er – ebenfalls wie gehabt – die idyllisierten Lebensverhältnisse des Mittelalters als Beispiel heranzog. Neu war an den Redebeiträgen von Koch, Bröger und Natorp eigentlich nur, dass sie den jahrelang gepflegten Mythos von der Gemeinschaft nun für herannahende oder gar bereits begonnene Realität einer durch äußere Not innerlich zusammengeschweißten und auf Dauer gefestigten nationalen Volksgemeinschaft hielten und diese mit allerlei Sinngebungen zu einer geradezu sakralen Einheit künftiger Heilsbringung verklärten. Seit den Ereignissen an der Ruhr glaubte Paul Natorp die Gewissheit zu haben, dass jetzt in der Werksgemeinschaft Führer und Geführte die Selbstsucht des eigenen Gewinns endlich vergessen, auch untereinander der gegenseitigen Gewaltdrohung und Gewaltausübung sich entwöhnen und im „echt urdeutschen Geiste der Genossenschaft“13 miteinander auskommen würden. Karl Bröger erhoffte sich von den aufrüttelnden Vorgängen der letzten Monate endlich ein „einigendes Volksgefühl“, da ihm die Deutschen bislang zu sehr in ihrer „Stammes- und Gaueigenart“ aufgegangen waren. Der Arbeiterdichter und Redakteur der Jungsozialistischen Blätter versprach sich davon großen Gewinn für die Produktion ästhetischer Werke; denn schon jetzt könne man „ohne völkische Übertreibung“ und guten Gewissens behaupten, „dass wir Deutschen auf allen Gebieten der Kunst bleibende Leistungen hervorgebracht haben“.14 Einen kriegerischen, chauvinistischen oder auch nur ressentimentgeladenen Nationalismus wird man den drei ersten Rednern der Hofgeismar-Tagung sicherlich nicht unterstellen können. Vielmehr war ihre Weltsicht von der „deutschen Nation“ und „Volksgemeinschaft“ eher unpolitisch, allen sozialen und gesellschaftlichen Realitäten entrückt und kaum mehr als ein Bündel träumerischer, wenn auch nicht einmal unsympathischer Wunschvorstellungen. Wenn Bröger, Poet der Frontkameradschaft, mit der ihm eigenen dunkel-schwelgenden Sprache deklamierte: „Wer recht tief aus wohlverstandenem deutschen Geist lebt, muss Sozialist sein“,15 dann mochte dies bei den Jungsozialisten vielleicht ein erhabenes Erschauern über so viel Tiefe und Spiritualität ausgelöst haben. Eine Handreichung zum Verständnis der komplizierten Wirklichkeit und zur Weiterentwicklung der in die Krise geratenen sozialistischen Arbeiterbewegung war ein solch irrationaler Aphorismus nicht. Wenn Bröger, Natorp und Koch unisono für einen friedfertigen Bund der Staaten und Völker eintraten, dann zeigte das zwar eindrucksvoll, wie wenig ihre nationale Orientierung mit dem aggressiven Na-

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tionalismus der extremen Rechten zu tun hatte. Die Gründe allerdings, die sie dafür angaben, dass schon in absehbarer Zeit mit der Realisierung der angestrebten harmonischen Völkerbeziehung zu rechnen sei, waren mindestens von Naivität, wenn nicht gar von politisch fahrlässiger Ignoranz. Denn erneut sollte die Welt am deutschen Wesen genesen: Koch hielt die Schaffung eines einigen und kriegsfreien Europas für die „große Sendung“ des „deutschen Volkes“,16 Natorp sprach in diesem Zusammenhang von „unserem Weltberuf“17, und auch Bröger ließ sich durch die historisch-empirischen Erfahrungen nicht irritieren und reklamierte den aufgeschlossenen Internationalismus „zu den wahrsten Ausdrücken deutscher Art“18. Hätten sich die Jungsozialisten an die von Koch, Bröger und Natorp ausgegebene Linie gehalten, dann hätte man von einer Politisierung der Organisation, wie sie Franz Osterroth postulierte, wohl nicht sprechen können. Bei den Ausführungen der drei Redner handelte es sich um politische Romantik; ihr Traum von der Volksgemeinschaft hatte mit den herrschenden sozialen Realitäten verschärfter Klassengegensätze in Deutschland nicht viel zu tun. Ihrer anheimelnden Artbestimmung deutschen Wesens standen die revanchistischen und völkischen Hasstiraden der politischen Rechten gegenüber, die dafür eine wohl kaum zu unterschätzende Zustimmung und Unterstützung gewichtiger Kreise der deutschen Bevölkerung fanden. Die in Hofgeismar anwesenden Jusos schienen durch das Pathos der ersten Referate aber auch nur eine kurze Zeit in den Zustand rauschhafter Überschwänglichkeit versetzt worden zu sein. Es kam offensichtlich alsbald ein wenig Ratlosigkeit auf.19 Schenkt man der Berichterstattung in den Jungsozialistischen Blättern Glauben, so brachte das Referat der Hamburger Lehrerin Alma de l’Aigle am Dienstagmorgen eine erste Wende. Ihre Rede schien alle Anwesenden in den Bann zu schlagen.20 Wenn es sich so ereignete, dann war es sicherlich kein Ruhmesblatt für den frühen Jungsozialismus; denn die Ausführungen de l’Aigles, aus einer hugenottischen Familie stammend, waren eine schlichte Paraphrase der in jenen Jahren zirkulierenden Ideen der jungkonservativen Intelligenz.21 Dabei war ihre bewusst antirational gehaltene Sprache nicht einmal das Schlimmste. Dass man „Volk“, wie sie ausrief, „nicht beweisen“ könne, sondern „erleben muss“, gehörte in den Weimarer Jahren offenkundig zu den geradezu selbstverständlichen Verbeugungen vor der Macht intuitiven Empfindens und beschränkte sich keineswegs nur auf die antidemokratische Rechte. Bedenklicher hingegen war der unschwer zu erkennende Einfluss der Spenglers und Moellers auf Alma de l’Aigles metaphysische Verherrlichung des Staates an sich, ihre Zuneigung zu den großen Führergestalten von Gottes und Volkes Gnaden, ihre Verwerfung der parlamentarischen Demokratie als unpassend für den deutschen Volkscharakter und ihre Vorliebe für eine autoritäre Gesellschaftsordnung.22 „Im Staat vollzieht sich“, so verkündete sie, „der Wille des Volkes, Volk zu sein, oder, wie bei uns, Volk zu werden“23. Mit der empiri-

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schen Staatsform der Republik hatte diese Apotheose selbstverständlich nichts zu tun; denn der bestehende Parteiparlamentarismus, klagte die Hamburger Lehrerin, begünstige Eigenschaften, „die unter Umständen unheilvoll werden können: […] die Fähigkeit Kompromisse zu schließen, die Rücksichtnahme auf die Masse und ihre Instinkte“24. Eine „wahrhaft deutsche Verfassung“ war mithin das Gebot der Stunde, die den rechtlichen Rahmen für eine nach „Berufs- und Geistesständen“ aufgebaute Gesellschaft abgeben und zudem eine „allzu leichte Abberufbarkeit der Staatsmänner“ verhindern sollte.25 Die Zustimmung, welche die hernach als Liebhaberin der Rosenzucht bekannt gewordene Alma de l’Aigle mit ihren Überlegungen bei einer Reihe von Jungsozialisten ernten konnte, machte erneut auf Ambivalenzen im „freideutschen Jungsozialismus“ aufmerksam. Durch den Kontakt mit Intellektuellen des Bürgertums und durch die Offenheit für die dort aufgeworfenen Fragen und angebotenen Konzepte erhielten die jungen sozialistischen Arbeiter zweifellos ein Sensorium für soziale Bewegungen und ideelle Entwürfe, die sonst vom sozialdemokratischen Milieu kaum wahrgenommen wurden. Dass es jenseits von materiellen Klasseninteressen und aggressivem Nationalismus auch historisch gewachsene nationale Identitäten gab, dass in der Republik ein tiefes Unbehagen über den Mangel an überzeugenden und mitreißenden Persönlichkeiten der Politik herrschte, dass die mangelnde Kontinuität in der Regierungsarbeit zum Missmut vieler beitrug, dies empfanden die Jungsozialisten wahrscheinlich deutlicher als zahlreiche im proletarischen Lager fest integrierte und dort verharrende Sozialdemokraten. Zu unbefangen allerdings begeisterten sich manche freideutsch-autonomistischen Jungsozialisten für die von der bürgerlichen Intelligenz offerierten ideologischen Alternativen, auch dann, wenn sie eindeutig neokonservativer Provenienz waren. Hätten die bisherigen Redner ausnahmslos Hofgeismar repräsentiert, dann wäre die harsche Verurteilung der Tagung durch die Kritiker von links wohl nicht zu Unrecht erfolgt. Es folgten aber noch die Referate von Gustav Radbruch, Eduard Heimann und Hugo Sinzheimer, die in eine andere Richtung wiesen. Mit Staatsmetaphysik und Volksgemeinschaftsphrasen hatten sie nicht allzu viel im Sinn, eher deuteten sich in ihren Ausführungen in der Tat die paradigmatischen Konturen eines künftigen reformsozialistisch-volksparteilichen Republikanismus ethischer Prägung an. Daran, dass auch diese Referate, wie sich Zeitzeugen erinnern,26 einen großen Eindruck auf die Jusos hinterlassen haben sollen und teilweise sogar als Höhepunkt der Woche empfunden worden seien, jedenfalls im Gegensatz zu den Beiträgen der Vortage wirklich intensiv und detailliert diskutiert wurden, kann man ersehen, wie zwiespältig und suchend sich die einst freideutsch-autonomistischen Jungsozialisten an der Schwelle zu einem stärkeren politischen Engagement verhielten. Gustav Radbruch, der erste Redner des

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neoreformistischen Trios, hatte als Reichsjustizminister genügend bittere Erfahrungen mit der Klassenjustiz einer überwiegend reaktionären Richterschaft sammeln können und war oft genug mit seinen Reformprojekten schon frühzeitig auf den blockierenden Konservatismus der Reichsministerialbürokratie gestoßen, um bei aller kultursozialistischen Verve, die ihm eigen war, in die Vergottung des abstrakten Staatsgedankens und in die Schwärmerei vom einheitlichen Volke einstimmen zu können.27 Er erinnerte an die enormen gesellschaftlichen Ungleichheiten, die in der Republik unter kapitalistischen Vorzeichen weiterhin bestünden, und begriff besonders die Staatsbeamtenschaft als hemmenden Faktor für die Umsetzung des demokratischen Willens.28 Gleichwohl war es das Hauptanliegen Radbruchs, seine jungsozialistische Zuhörerschaft von einer konsequent republikanisch-sozialistischen Haltung zu überzeugen und zudem den auch theoretisch ausgewiesenen Bruch mit der überlieferten sozialistischen Staatstheorie des Parteimarxismus einzuleiten. Gerade in den angeschnittenen sozialen und gesellschaftlichen Defiziten lag, so Radbruch, die in der sozialistischen Arbeiterschaft virulente „Geringschätzung der bloßen Formaldemokratie“ und die Herabminderung des demokratischen Staates zu einer „schönen juristischen Fassade der ausbeutenden Klasse“ begründet.29 Radbruch hielt demgegenüber an dem materiellen Wert der liberalen Rechte fest, die der Arbeiterklasse die Koalitionsfreiheit und damit die wichtigste Waffe im Kampf gegen das Kapital garantierten. Der demokratische Parlamentarismus sei keine Fiktion, sondern der Rahmen, in dem die heute noch existierende Diktatur des Kapitals schon morgen durch die Emanzipation der proletarischen Klasse abgelöst werden könne. „Die Demokratie“, fasste Radbruch seine Überzeugungen zusammen und setzte sich damit von manchen instrumentalistischen Interpretationen der marxistischen Linken ab, „ist uns deshalb nicht nur eine Übergangsform zum Sozialismus, sondern die wahrscheinliche politische Endform auch des sozialistischen Gemeinwesens. Es ist irreführend, bürgerliche und sozialistische Demokratien zu unterscheiden und so auf die in beiden Fällen gleiche Staatsform einen Unterschied zu beziehen, der nur in der Gesellschaft seinen Gegensatz hat.“30 Damit formulierte Radbruch prägnant die geradezu klassische Formel aus dem Staatsverständnis des demokratisch-sozialistischen Reformismus, welche man in der Regel ausschließlich Rudolf Hilferding gutschreibt und meist irrtümlicherweise erst auf den SPDParteitag in Kiel 1927 datiert. Die Unterschiede zwischen den Darlegungen Radbruchs und den Gedanken Alma de l’Aigles konnten jedenfalls größer kaum sein: Wo diese sich angewidert vom undeutschen Parteiparlamentarismus abwandte und von einem ständischen Vertretungssystem träumte, da verlangte jener von den Jungsozialisten die praktische Reformarbeit im konkreten Weimarer Staat mit dem Ziel einer allmählichen gesellschaftlichen Umgestaltung nach den ethischen Prinzipien sozialistischer Solidarität.

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Aus den gleichen Quellen ethischer Werte schöpfte auch der nachfolgende Redner, der Freiburger Nationalökonom und Schüler Franz Oppenheimers, Eduard Heimann, ein religiöser Sozialist der Richtung Paul Tillichs und in den frühen zwanziger Jahren Spiritus Rector von allerdings recht kurzlebigen jungsozialistischen Studentengruppen.31 Heimann, der im Gegensatz zu zahlreichen anderen Repräsentanten des reformistischen und ethischen Flügels der Sozialdemokratie32 mit Nachdruck an der dialektischen Methode des Marxismus festhielt, hatte schon früh die Begrenzung der Wert- und Ausbeutungstheorie des klassischen Marxismus aufgezeigt und die zahlreichen weißen Flecken im strategischen Denken der sozialistischen Bewegung benannt. Es fehlte den Sozialdemokraten, meinte Heimann, an durchdachten, realistischen und überzeugenden Entwürfen alternativer sozialistischer Wirtschaftsführung. Insofern sei es die drängendste und entscheidende Aufgabe der Sozialisierungstheorie überhaupt, referierte Heimann auch in Hofgeismar, exakte Überlegungen anzustellen, wie der Rechenapparat des freien Marktes ohne Einbußen an Leistungsvermögen für die sozialistische Zweckbestimmung transformiert werden könne. Solange die Sozialisten keine tragfähigen Konzepte für eine derartige Umbildung zur Verfügung hätten, solange sei „der freie Markt mit aller aus ihm folgenden Verfeindung der Menschen Bedingung für die Erhaltung der Menschheit.“33 Da Heimann die Fähigkeit zur Übernahme der Betriebsführung nicht als willkommenes Nebenprodukt umgeworfener Produktionsverhältnisse auffasste, stellte er in seinem Beitrag auf der Hofgeismarer Tagung das Genossenschaftswesen und die Betriebsräteeinrichtung als wesentliche „Schulungsstätten für die sittlichen Kräfte und die Ausbildung in der schwierigen Kunst der Wirtschaft“ heraus.34 Damit stieß er natürlich bei den Jungsozialisten auf offene Ohren, da diese schließlich schon in ihrer kultursozialistisch-lebensreformerischen Phase den Primat der sittlichen Erziehung entdeckt hatten und nun von Heimann eine ihnen angemessene Brücke für eine stärker gesellschaftspolitische Aktivität geboten bekamen. Abschließend kritisierte Heimann das dichotome Gesellschaftsbild des Sozialismus. Sein Plädoyer für eine neue Politik gegenüber den Mittelschichten wies in der Tat in die Richtung einer volksparteilichen Umstrukturierung der Sozialdemokratie. Einkommensarten und Interessenlage des der Arbeiterklasse in mittlerer Hinsicht quantitativ kaum unterlegenen Mittelstandes seien grundverschieden von denen der eigentlichen Bourgeoisie. Die sozialistische Theorie, mahnte Heimann, müsse endlich diese Differenzen zur Kenntnis nehmen und um die Angehörigen der Mittelschichten werben, statt sie durch Ignoranz „vor dem politischen Wagen der Plutokratie“ gespannt zu lassen.35 Als letztem Redner fiel dem Frankfurter Arbeitsrechtler und Rechtssoziologen Hugo Sinzheimer, Mitbegründer und Dozent an der von zahlreichen Jusos besuchten Akademie der Arbeit und „nächst Radbruch wichtigster Jurist auf der

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Grenze zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspolitik“36, die überaus schwierige Aufgabe zu, so etwas wie ein richtungsweisendes Gesamtergebnis der Woche zu formulieren. Nach dem Urteil der Zeitzeugen sei ihm dies aber mit rhetorischer Bravour und inhaltlicher Überzeugungskraft glanzvoll gelungen.37 Zweifellos bestand Sinzheimers didaktische Leistung darin, das kultursozialistische Selbstverständnis der Jungsozialisten mit den traditionell marxistischen Deutungen zu verschränken und die bislang parteidistanzierten Junggenossen zu einer stärkeren Mitarbeit am sozialdemokratischen Parteileben zu ermahnen, nicht zuletzt deshalb, um dort den insbesondere von ihm, Radbruch und Hermann Heller repräsentierten staatsaffirmativen Parteiflügel zu stärken. Sinzheimer, „Begründer des Arbeitsrechts in Deutschland“38, akzeptierte die materialistische Geschichtsauffassung und definierte den Sozialismus durchaus klassisch als eine Völker umspannende und auf gesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln basierende Wirtschaftsgenossenschaft. Um aber zudem das überlieferte Theoriesystem mit dem neuen Lebensgefühl der nachgewachsenen Generation zu vermitteln, beharrte er auf der überragenden Bedeutung des schöpferischen Willens und der geistigen Kräfte des menschlichen Subjekts, „damit Sozialismus wirtschaftlich und kulturell überhaupt möglich wird“.39 Von kaum minderer Bedeutung für die sozialistische Bewegung war nach Auffassung Sinzheimers eine positive Akzeptanz der „objektiven Existenzformen“ des deutschen Staates und des deutschen Volkes, was, wie er mit Nachdruck hervorhob, die Bejahung überstaatlicher Gemeinschaften und die „unerbittliche Abkehr von dem Gedanken der kriegerischen Gewalt als eines Mittels der Lösung für staatliche Konflikte“40 einschließen müsse. Zur Durchsetzung dieser Ziele, redete Sinzheimer den Jusos abschließend ins Gewissen, sei die politische Betätigung in der Sozialdemokratischen Partei unumgänglich: „Ohne Partei kein politisches Leben, ohne Partei keine politische Macht. Mag deswegen das Parteigetriebe oft klein, ermüdend sein. Wir müssen wissen, dass wir in allem politischen Schaffen an die Partei gebunden sind. Wer diese Tiefe des politischen Gedankens begriffen hat, muss bereit sein, mit geduldiger Hand auch das Werkzeug zu ergreifen, ohne das die politische Arbeit nicht möglich ist.“41

Über die Zukunft der einst freideutsch-autonomistischen Jungsozialisten war also in Hofgeismar noch nicht final entschieden. Eine sicher eher geringe Perspektive hatte das ausschließlich lebensreformerisch-ethische Selbstverständnis. Dessen beste Zeit war durch die äußeren Umstände und die biografische Weiterentwicklung seiner früheren Protagonisten 1923 wohl endgültig abgelaufen42, ohne dass seine tragenden Elemente jemals aus der Geschichte des sozialdemokratischen Jugendverbandes fortzudenken wären. Diejenigen Lebensreformer, die am

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entschiedensten am ursprünglichen Impetus festhielten und sich von der „politisierenden“ Juso-Organisation zunehmend entfremdeten, fanden in den nächsten Jahren in der sozialdemokratischen Kulturarbeit ihr hauptsächliches Betätigungsfeld. Zahlreiche „Ethiker“ waren mit der Zeit, wie wir noch im Einzelnen sehen werden, auf die religiös-sozialistischen Gruppen in der SPD aufmerksam geworden und engagierten sich nun dort. Entscheidender aber war jetzt zweifelsohne die Frage, wohin die allseits bekräftigte Bejahung von „Staat und Volk“ führen mochte. Möglich war, dass die nationale Romantik der ersten Hofgeismarer Tage mit der Begeisterung für die neokonservative Gesellschaftsauffassung Alma de l’Aigles verschmelzen und sich zu einem sozialpatriotischen Nationalismus ausweiten könnte. Schon die Jahre zuvor hatten deutlich gemacht, „wie fließend die Übergänge zwischen dem äußersten rechten Rand der Mehrheitssozialisten und dem bürgerlichen Nationalismus waren“43, wie Heinrich August Winkler urteilt: „Die nationalistische Welle schließlich, die der Ruhreinmarsch ausgelöst hatte, musste dem Unternehmertum grundsätzlich willkommen sein, trug sie doch dazu bei, die Linke zu schwächen und die Rechte zu stärken.“44 Zugleich wird man konstatieren können, dass die Diskussionen zum Schluss der Arbeitswoche auch andere Alternativen bereithielten. Danach beurteilt konnte Hofgeismar ebenfalls zu einer wichtigen Station auf der Wegstrecke vom lebensreformerischen Jungsozialismus hin zur Entwicklung eines dynamisch-aktivistischen und republikanischen Reformismus werden, der gegenüber einem institutionell erstarrten reformistischen Praktizismus den Vorteil haben mochte, mit lebendigen Ausdrucksformen, neuen Ideen und jugendlichem Elan die Attraktivität sozialdemokratischer Politik und demokratischen Engagements auch bei Teilen der kritisch distanzierten Mittelschichten zu erhöhen. Die republikanisch-sozialistischen Akzente traten allerdings in den Monaten nach der Hofgeismarer Tagung deutlich hinter den insbesondere von den JusoGruppen des Ruhrgebiets und des Rheinlandes immer schriller propagierten nationalen Postulaten zurück.45 Die Töne, die nun aus einigen jungsozialistischen Gemeinschaften zu hören waren, unterschieden sich kaum mehr von der nationalrevolutionären Rhetorik der zahlreichen Orden, Bünde, Clubs und Ringe neokonservativer Observanz, die in der frühen Phase der Weimarer Republik gleichsam aus dem Boden geschossen waren und einen erheblichen Einfluss auf die „sekundäre politische Kultur“ auszuüben vermochten.46 Die „Nation“ wurde zu einem Zeitpunkt zu einer überragenden Sinngebungsinstanz überhöht und als gemeinschaftsstiftendes Integrationssymbol instrumentalisiert, als der Problemdruck sozialer Spannungen im Innern mehr und mehr stieg und die schroffe Gegensätzlichkeit der Klasseninteressen von Sozialisten alles andere als den Rekurs auf Ablenkungsideologien und Ersatzkonstruktionen gesellschaftlicher Einheit verlangt hätte.47 Aber ganz im Einklang mit einem der damals beliebtesten

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Schlagwörter der politischen Rechten verkündeten nun auch die Ruhrgebietsjungsozialisten das „Primat der Außenpolitik“: „Die Klassengegensätze im Innern sind von sekundärer Bedeutung gegenüber der Furchtbarkeit und Schicksalsschwere unserer außenpolitischen Ohnmacht und Belastung, die jeden Deutschen angeht.“48 Franz Osterroth beklagte die „Pariarolle unserer Nation auf dem Felde der Weltpolitik“49; und ganz allgemein bedauerte man, dass das nationale Bewusstsein der Deutschen 1923 nicht erneut die gleiche Höhe und pulsierende Kraft wie in den Augusttagen des Jahres 1914 erreicht hatte.50 Besonders häufig beschäftigten sich die Jungsozialisten des Reviers in diesen Monaten mit der „Kriegsschuldfrage“, um das, wie sie es nannten, „hysterische Geschrei der Pazifisten von der Alleinschuld des deutschen Volkes am Weltkriege“51 widerlegen zu können. Keinen Zweifel jedenfalls hatten sie daran, dass Deutschland unter allen europäischen Staaten die geringste Schuld an der Entfachung des Ersten Weltkrieges auf sich geladen hatte; jede andere Interpretation lehnten sie als Zweckpropaganda der „feindlichen Regierungen“ ab.52 Die traditionell in Kreisen der nationalistischen Rechten üblichen Freund-Feind-Schemata waren nun offenbar auch den Kölner Jungsozialisten zu einem selbstverständlichen Weltbild geworden. Ihr Sprecher Werner Goldberg konnte deshalb seine Sympathien und Antipathien in der Beurteilung fremder Nationen nach Maßgabe völkischer Kriterien begründen. Mit den Engländern fühlte er sich durch die Gemeinsamkeit des „Blutes“ eng verwandt: „Als Mensch ist der blonde Brite uns natürlich tausendfach mehr sympathisch als sein schwarzer Bundesgenosse: der Franzmann.“53 Der Pazifist Walter Koch beobachtete mit steigendem Unbehagen und großer Besorgnis das Umsichgreifen solcher ressentimentgeladenen Vorurteile rassistischer Art. Von einer Reise durch das Ruhrgebiet zurückgekehrt beschrieb der Kasseler Volkshochschullehrer in einem Artikel für die Jungsozialistischen Blätter, wie sehr ihn die überall im Kohlerevier verbreiteten Plakate mit hasserfüllten Durchhalteparolen hetzerischer Aufmachung erschreckt und bedrückt hatten. Mit der großen moralischen Integrität eines Gandhi, so fasste der religiöse Sozialist seine Eindrücke zusammen, hätten die Befürworter eines solchen passiven Widerstandes nichts zu tun.54 Mit schneidiger Schärfe reagierte daraufhin der Sprecher der Dortmunder Jungsozialisten, Benedikt Obermayr, auf diese, wie ihn dünkte, Herabsetzung deutscher Ehre. Obermayr, der zu Beginn des Ruhrkampfs noch eher zu moderatem Verhalten aufgerufen hatte, kanzelte den Kasseler Pädagogen zackig und kurzerhand als einen typischen Pazifisten „ehr- und würdeloser Gesinnung“ ab.55 Für Obermayr, der sich im Übrigen – und darin fraglos konsequent – zur „preußisch-deutschen Staatsgesinnung“56 bekannte, war die pazifistische Bewegung ein überaus gefährliches „Element der Zersetzung“57.

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P ENDANTERFAHRUNGEN – K LASSENGESELLSCHAFT UND M ILITÄRAUFMÄRSCHE GEGEN LINKS Es ist – nicht nur aus der Retrospektive – schwer zu begreifen, wie auch sozialistisch organisierte Arbeiterjugendliche, von denen die meisten das zwanzigste Lebensjahr überschritten hatten, noch Ende 1923 am Glauben von der gemeinsamen Opferlast aller Schichten zugunsten der Idee einer geeinten Nation festhalten konnten. Aber es war weder das erste noch das letzte Mal, dass sich die bildungsbeflissene Elite des Jungproletariats in ihrer Faszination für die Welterklärungsmodelle, die in den geistig vitalen und artikulationsmächtigen Bünden der Jugendbewegung florierten, vom Mehrheitsbewusstsein ihrer Klassengenossen absetzte und selbst augenscheinliche Gegenwartsrealitäten nicht mehr zur Kenntnis nahm. Dennoch hätte es erstaunen und verblüffen müssen, wenn die harten gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen in der Ära der Hyperinflation nicht doch von einigen Jungsozialisten, die schließlich zum großen Teil Betriebsarbeiter und Gewerkschafter waren, durch die Brille des Klassenkonflikts gesehen worden wären. Seit den Herbstmonaten 1923 regte sich in der Tat der Widerstand gegen das nationale Paradigma und neben dem Sirenengesang von der Volksgemeinschaft konnte man aus den Juso-Gruppen auch die derbe Sprache des Klassenkampfes vernehmen. Allein die Alltagserfahrungen machten das plausibel: Denn spätestens seit April 1923 hatte sich auf der einen Seite die soziale Lage der Arbeiterfamilien durch die rasante Inflationierung der Mark geradezu katastrophal verschlechtert, während auf der anderen Seite ein in diesen Monaten besonders prahlerisch und verschwenderisch zur Schau gestellter Luxus der „Inflationsgewinner“ die Schere zwischen arm und reich provozierend zum Ausdruck brachte.58 Hungerunruhen und Plünderungen von Lebensmittelgeschäften waren nun in deutschen Großstädten keine Seltenheit mehr. Die Diskrepanz zwischen den Reallöhnen der Arbeiterschaft und den Lebenshaltungskosten wurde immer größer, und das mühsam Ersparte hatte innerhalb von wenigen Tagen nicht mehr den geringsten Wert. Während sich zahlreiche Jungsozialisten in glühender Hingabe an die Vision von einer aufopferungswilligen Nation klammerten, war diese Nation zutiefst gespalten und zerrissen in verelendete, verbitterte, verzweifelte und aufgewühlte Menschen einerseits und die „Raffkes“ andererseits, die durch Schiebereien und Wuchereien aus der allgemeinen Not und Verwirrung kaltblütig ihren Vorteil zu schinden verstanden.59 Jedenfalls sah so die Auffassung und Stimmung in der Mitgliedschaft der Gewerkschaften aus, wie deren Funktionärsapparat mit Sorge registrieren musste; denn immer mehr entlud sich im Sommer 1923 die empörte Radikalität der Arbeiter in schwer zu kontrollierenden Streiks und Aufständen.60 Besonders das

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Ruhrgebiet war davon betroffen. Den Arbeitern war, sieht man von den Jungsozialisten ab, mit der Zeit nicht verborgen geblieben, dass, allen offiziellen Deklamationen von der gemeinsam zu tragenden Last zum Trotze, die Bürden des Ruhrkampfes recht ungleich verteilt waren: Sie selbst hatten größte Entbehrungen zu erleiden, die Ruhrindustriellen hingegen nutzten die Kredite des Reiches für überaus lukrative Devisenspekulationen und konnten die Gewinne daraus in den Ausbau ihrer Betriebe oder andere lohnenswerte Vermögenswerte investieren. Schon zu jenem Zeitpunkt, als die Jungsozialisten in Hofgeismar die Idylle von einer allseits harmonischen und redlichen Werksgemeinschaft entwarfen, nutzten die Schwerindustriellen den Höhepunkt der Inflationskrise, um ihrer langfristigen gesellschaftspolitischen Zielsetzung, die auf eine Zerschlagung der sozialpolitischen Neuerungen der Revolution und eine Restauration der machtpolitischen Verhältnisse der Vorkriegszeit hinauslief, einen gewaltigen Schritt näher zu kommen.61 Im Mittelpunkt des schwerindustriellen Vorgehens stand dabei der Achtstundentag; für die Arbeiterschaft war er das Symbol sozialer Errungenschaften, die Unternehmer sahen in ihm die Übel des neuen Systems kollektiver Einmischung in die, wie sie meinten, allein ihnen zustehende Wirtschaftsführung verkörpert.62 Was immer auch an volkswirtschaftlichen Gründen in dieser Situation für eine Verlängerung der Arbeitszeit gesprochen haben mag – und der marxistische Ökonom Rudolf Hilferding hat solche Gründe selbst gesehen und anerkannt –, den Unternehmen ging es in ihren pausenlosen Angriffen auf die gesetzlich verankerte Arbeitszeitregelung vielmehr um die „Preisgabe sozialer Errungenschaften und Wiederherstellung des Manchesterliberalismus“, wie Heinrich August Winkler zusammenfasst.63 Schon Ende Mai 1923 setzte der Reichsverband der Deutschen Industrie das Kabinett Cuno unter Druck, indem er eine Unterstützung der Regierung bei den Bemühungen um eine termingerechte Aufbringung der Reparationen ultimativ von der Abkehr vom Achtstundentag abhängig machte. Vier Monate später beschlossen die Zechenbesitzer des Ruhrgebiets, die Arbeitszeit für den Untertagebau um eineinhalb Stunden zu verlängern; ein offener Affront des geltenden Rechts, der trotz alledem keineswegs etwa mit juristischen Maßnahmen geahndet wurde, da sich die machtpolitischen Gewichte 1923 in der Republik erheblich zugunsten der Unternehmer verschoben hatten.64 Die Pressionen der Industrie auf die Politik nahmen gar noch zu. Als im September mit Hilfe der vorwiegend dafür in die Regierung geholten SPD-Minister der auch von der Industrie als Last empfundene Ruhrkrieg liquidiert wurde und so die Verantwortung für eine überaus unpopuläre Maßnahme erneut den ursächlich unbeteiligten Sozialdemokraten überantwortet werden konnte, versuchte vor allem Hugo Stinnes die Fraktion der Deutschen Volkspartei (DVP) dafür zu gewinnen, die nun überflüssigen Kabinettsmitglieder der SPD aus der Regierung

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heraus zu manövrieren, um mit Hilfe einer „nationalen Diktatur“ der Weimarer Demokratie den endgültigen Garaus zu bereiten.65 Zwar musste sich das reaktionäre Bürgertum 1923 noch mit dem Erfolg einer „sozialistenreinen“ Regierung bescheiden, gleichwohl konnten sie ihre Attacken alsbald auf der Aktiva-Seite ihrer Bilanz verbuchen. Drei Tage vor dem Weihnachtsfest 1923 erging ein Ermächtigungsgesetz, wonach künftig Ausnahmen von der formal weiterhin gültigen Achtstundenzeitregelung möglich waren; in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Republik allerdings wurde fortan die Ausnahme zur Regel. So wie diese drastischen Entwicklungen in der sozialen Sphäre der Weimarer Klassengesellschaft letztlich auch bei den Jungsozialisten nicht ohne Eindruck bleiben sollten, so aufrüttelnd wirkte zudem ein politisches Ereignis aus dem Oktober 1923, welches das Selbstverständnis zumindest der mitteldeutschen Jungsozialisten ebenso einschneidend wie dauerhaft prägte: die vom sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert befürwortete Rechtsintervention gegen die ,,Arbeiterregierungen“ in Sachsen und Thüringen. All das, was im die Jusos Frühjahr 1923 in Dortmund, Herne und Bochum an Ohnmacht, Wut und Hass beim Anblick der einmarschierenden französischen Armeen empfunden haben mochten, wiederholte sich nun im Gefühlsleben der sozialdemokratischen Jugendlichen aus Pirna, Meißen, Leipzig und Dresden, als die Truppen der Reichswehr am 29. Oktober mit klingendem Spiel durch die Straßen der sächsischen Innenstädte paradierten.66 Im Übrigen stand der deutsche Militarismus dem französischen an Brutalität durchaus in nichts nach: Hier wie dort sorgten Soldaten für willkürliche Verhaftungen, Verletzte und auch Tote. Man kann den nachhaltigen Eindruck dieser Tage auf die politische Identität der sächsischen und der thüringischen Sozialdemokraten zu Zeiten der Weimarer Republik gar nicht hoch genug veranschlagen. Wann immer in den nächsten Jahren in der SPD die Debatte über das Für und Wider einer Beteiligung an Koalitionsregierungen mit bürgerlichen Parteien geführt wurde, erinnerten die traditionell schon koalitionskritischen Bezirke Zwickau, Leipzig, Chemnitz, Dresden und Gera an die für sie traumatischen Erlebnisse der späten Oktobertage 1923. Die in der Arbeiterschaft überaus populären und dazu durch eindeutige Landtagsmehrheiten in Dresden und Weimar legal gebildeten Regierungen aus Sozialdemokraten und Kommunisten wurden von einer Reichsregierung abgesetzt, an der neben der Deutschen Volkspartei, den Demokraten, dem Zentrum eben auch sozialdemokratische Minister in so entscheidenden Ressorts wie dem des Innern und der Justiz vertreten waren, ohne aber auf den Lauf der Ereignisse auch nur den geringsten Einfluss ausüben zu können. Denn während die Reichsexekutive in Sachsen und Thüringen unerbittliche Härte demonstrierte, verhielt sie sich gegenüber den für den Bestand der Republik gefährlichen rechtsradikalen und verfassungswidrigen Umtrieben der bayerischen Regierung außerordentlich zu-

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rückhaltend und beschränkte sich auf vorsichtige Ermahnungen, die allerdings von den Verantwortlichen in München kaum ernst genommen zu werden brauchten, da allseits vermutet wurde, dass die Reichswehr schon aus Gründen der Sympathie mit den dominierenden politischen Strömungen im Freistaat einem Interventionsbefehl der Zentralregierung nicht Folge leisten würde. Die Empörung über diese Ungleichbehandlung war groß in der sozialdemokratischen Mitgliedschaft, und die SPD hatte keine andere Wahl, als den Austritt aus dem Kabinett der Großen Koalition zu erklären. Für die meisten Sozialdemokraten in Sachsen und Thüringen war eine Koalitionsregierung mit den politischen Repräsentanten des Bürgertums ein für alle Mal in Misskredit geraten; sozialistische Politik im bürgerlichen Staate bedeutete für sie von nun an prinzipienfeste und rücksichtslose Oppositionspolitik. Etwas anderes blieb ihnen in ihrer eigenen Region zumindest auch gar nicht übrig, da ein kooperationswilliges und liberal gesinntes Bürgertum im protestantischen Sachsen und Thüringen durch das Fehlen der Zentrumspartei und der geringen Bedeutung der dort eher „rechts“ eingestellten Demokraten faktisch nicht existierte. Die politischen Motive, die das Kabinett Stresemann für das harte Durchgreifen geltend machte, waren wenig überzeugend. Zwar hatte die Gefahr eines kommunistischen Umsturzversuches bis Mitte Oktober zweifelsohne bestanden, danach aber war sie faktisch bereits gebannt. Die Sozialdemokraten sind in keinem Moment leichtfertig oder gar blauäugig das Abenteuer einer Einheitsfrontregierung mit den Kommunisten eingegangen, sondern hatten bereits die Koalitionsverhandlungen mit bemerkenswerter Kompromisslosigkeit geführt und nahezu sämtliche kommunistische Sonderwünsche strikt zurückgewiesen.67 Die Landespolitik in Sachsen und Thüringen hatte zu diesem Zeitpunkt ein Maß an sozialdemokratischer Substanz erreicht, von dem die SPD Otto Brauns im „Bollwerk Preußen“ nur hatte träumen können. Natürlich hatten die Kommunisten ihre Regierungsbeitritte am 10. bzw. 16. Oktober 1923 in erster Linie unter taktischen Gesichtspunkten gesehen, um mit den Instrumenten staatlicher Herrschaft die Ausgangsbedingungen für den im August vom Moskauer Politbüro beschlossenen „Deutschen Oktober“ verbessern zu können. Die entscheidenden Machtbasen aber wurden ihnen von Beginn an verwehrt; in Sachsen blieben das Innen- und Justizministerium und das Ressort für Kultur fest in der Hand der Sozialdemokraten, die den Hauptteil ihrer Reformarbeit und Demokratisierungsbemühungen schon in den Jahren zuvor in diesen Bereichen angesiedelt hatten und die Ergebnisse ihrer vergleichsweise erfolgreichen Politik nicht durch kommunistische Experimente aufs Spiel gesetzt wissen wollten. Auch die sozialdemokratischen Mannschaftsteile der im März 1923 gegründeten „Proletarischen Hundertschaften“, die der Reichsregierung in Berlin ein besonderer Dorn im Auge waren, verstanden sich nicht als Vortrupp künftiger kommunistischer Gewaltherrschaft, sondern in erster Linie als republik-

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verteidigende Abwehrformationen gegen die rechtsputschistischen Kampfverbände, die in diesen Monaten in Massen an der bayerisch-sächsischen Grenze lauerten. Doch selbst wenn man den kommunistischen Einfluss auf die Proletarischen Hundertschaften für ungleich höher einschätzt als den der Sozialdemokraten, so konnte von ihnen eine ernsthafte Gefahr bereits vor der Reichsexekution nicht mehr ausgehen. Schließlich hatte sie der sächsische Wehrkreisbefehlshaber, General Müller, dem seit dem Ende September über das ganze Reich verhängten Ausnahmezustand die vollziehende Gewalt in Sachsen oblag, am 10. Oktober bereits verboten. Da er am 26. Oktober zudem die sächsische Landespolizei seinem direkten Befehl unterstellt hatte, war der Einheitsfrontregierung jeder Zugriff auf bewaffnete Machtmittel entzogen. Die eigentliche Entscheidung über das Fallenlassen der ursprünglichen kommunistischen Aufstandspläne aber war bereits fünf Tage vorher getroffen worden, als eine im Wesentlichen von kommunistischen Arbeitern beschickte Landeskonferenz in Chemnitz den von der KP postulierten Generalstreik als unverantwortlich abgelehnt hatte; die KP-Führung war wohl oder übel gezwungen, am gleichen Tage noch das Projekt des „Deutschen Oktobers“ abzublasen.68 Der Eindruck drängt sich auf, dass die Reichsintervention vom 29. Oktober weniger der vielzitierten kommunistischen Gefahr als vielmehr der Praxis linkssozialdemokratischer Politik galt, die für das sächsische Besitzbürgertum in den frühen Weimarer Jahren ein ständiger Anlass des Ärgernisses war. Schon am 19. und 23. Juli 1923, also noch zu Zeiten des Kabinetts Cuno, hatten die sächsischen Industriellen lautstark nach einer Reichsexekution gegen die rein sozialdemokratische Landesregierung Zeigner gerufen.69 Erich Zeigner hatte in den Sommermonaten sein Amt und die Autorität als Ministerpräsident genutzt, um im Landtag die „großkapitalistische Politik“ der Cuno-Regierung anzuprangern und die Reichswehr der Zusammenarbeit mit rechtsputschistischen Kräften zu bezichtigen. Wiewohl ein solches Auftreten recht ungewöhnlich für einen Ministerpräsidenten im damaligen Deutschen Reich war, so bot es zum Verdruss der politischen Rechten dennoch keine formelle Handhabe für einen militärischen Einmarsch. Nicht minder provokativ empfand das sächsische Bürgertum die Politik und parlamentarische Attitüde des sächsischen Innenministers Hermann Liebmann, der im Dresdner Landtag das lasche Vorgehen seiner Polizei gegen die Hungerrevolten damit erklärte, dass die eigentlichen Schuldigen an der sozialen Misere schließlich auf der anderen Seite der Klassenfront stünden. Der Eintritt der Kommunisten in die Regierung lieferte offenkundig den willkommenen Anlass, um mit dieser Art der Politik aufzuräumen. Im Zuge der Reichsexekution kam es zu bedeutenden personalpolitischen Veränderungen im sächsischen und thüringischen Staatsapparat: Der Polizeiapparat wurde vollständig reorganisiert, die Beamtenschaft personalpolitisch „gesäubert“ und zahlreiche Volksschullehrer, die in der sächsischen SPD Hauptträger des Linkskurses waren, ent-

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lassen.70 Außergewöhnliche und in der Weimarer Republik einmalige bildungspolitische Reformen wie die finanzielle Unterstützung von Kindern minderbemittelter Familien für den Besuch weiterbildender Schulen in Thüringen fanden nun ein jähes Ende.71 Die Verschiebung der gesellschaftlichen Machtanteile zugunsten des Besitzbürgertums und die politischen Vorgänge in Sachsen und Thüringen waren, zusammengefasst, entscheidende Voraussetzungen für die Bildung eines linken Flügels im Weimarer Jungsozialismus. Verglichen mit der Härte und Kompromisslosigkeit, mit der seit dem Herbst 1923 die polemischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Lagern des Jungsozialismus geführt wurden, nahmen sich die früheren Kontroversen zwischen „parteiorientierten“ und „autonomistischen“ Jungsozialisten wie harmlose Scharmützel aus. Allerdings waren die gegensätzlichen Standpunkte in der vorangegangenen Parteifrage alles in allem eher der Ausdruck unterschiedlicher biografischer Entwicklungsphasen, die sich über kurz oder lang abschleifen mussten. Die Frage aber, ob Ende 1923 die soziale Realität der Weimarer Gesellschaft eher mit der Sentenz von der „nationalen Volksgemeinschaft“ oder besser mit dem Topos der „Klassen- und Ausbeutungsgesellschaft“ zu begreifen war, musste Gräben aufreißen, die so leicht nicht mehr zuzuschütten waren. Zwei völlig verschiedene Welten im Bereich der politischen Deutung prallten in den Jahren 1923-25 im sozialdemokratischen Jugendverband aufeinander, und eine ernsthafte Kommunikation – im Sinne eines Versuchs des Zuhörens, Lernens und didaktischen Weitervermittelns – hat eigentlich von Beginn an nicht stattgefunden. Juso-Funktionäre, die in Städten weit genug vom Ruhrgebiet entfernt wohnten, keinerlei Verbindung zu bürgerlichen Bünden der Jugendbewegung hatten und stattdessen in den eher linkssozialdemokratischen Jugendabteilungen des Allgemeinen freien Angestelltenbundes, des Metallarbeiterverbandes oder des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA) tätig waren, nahmen die sozialen Verhältnisse in einer Weise wahr, gegenüber der die in den Jungsozialistischen Blättern mit einigem Pathos verbreiteten Volksgemeinschaftsideale wie absurde Hirngespinste irregeleiteter Rechtssozialisten wirken mussten. Die frühen Kritiken des entstehenden linken Flügels waren noch weit von den theoretischen Ansprüchen und der intellektuellen Form der späteren Jahre entfernt. Anstelle marxistisch hergeleiteter Strukturbegriffe, die bald den JusoDebatten einen gewissen prätentiösen Anstrich verleihen, in gleichem Maße aber auch rabulistische Absonderlichkeiten hervorbringen sollten, stand zu diesem Zeitpunkt noch eine derb formulierte Anklage der schreienden Ungerechtigkeiten alltäglich wahrgenommener Besitzungleichheiten im Mittelpunkt. Die Wortführer des Protests gegen das Gebilde von der „nationalen Werksgemeinschaft“ waren zumeist junge Arbeiter und Angestellte: in Hannover der junge Fabrik-

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arbeiter August Bolte, in Breslau der Tischler Walter Ludwig und der Schneidergeselle Oskar Krummschmidt, in Frankfurt der kaufmännische Angestellte Georg Stierle und in Berlin der frühere Handlungsgehilfe und damalige Gewerkschaftsjugendsekretär Otto Lamm. Das erste und heftigste Veto, das man auf der überregionalen Ebene gegen den in Hofgeismar vorherrschenden Geist vernehmen konnte, kam im späten Sommer 1923 von den Juso-Gruppen des Bezirks Hannover, die auch in den Monaten darauf am entschiedensten, jedenfalls am lautstärksten die Stimme des Klassenkampfes erhoben. Auf ihrer Bezirksversammlung am 9. September bekannten sie sich „zu dem von Karl Marx propagierten Klassenkampfgedanken“ und distanzierten sich von den in Hofgeismar entworfenen Volksgemeinschaftsvorstellungen, deren durchsichtiger Zweck es sei, die Klassengegensätze in den kapitalistischen Gesellschaften überbrücken zu wollen.72 Die Berufung auf Karl Marx erfolgte ganz offensichtlich deshalb, weil dieser Name synonym stand für eine politische Haltung der unzweideutigen und unverwässerten Klassenanalyse und des entschieden revolutionären Kampfes. Die komplexe Kritik der Politischen Ökonomie dürfte den meisten Jusos des damaligen linken Flügels hingegen noch wenig bekannt gewesen sein. Als einer der Sprecher der Hannoveraner Jungsozialisten, Paul Witthöft, die gesellschaftliche Sichtweise der jungen Genossen seines Bezirks zu begründen versuchte, sprach daraus eher die ungeduldige Wut und Erbitterung über den prahlerischen Luxus der „Inflationsraffkes“. „Schärfer denn je zuvor“, argumentierte Witthöft gegen die Ansichten der Jusos aus dem Ruhrgebiet, „drückt sich der Gegensatz aus zwischen der Klasse der Ausbeuter und der Klasse der Ausgebeuteten. Dort: Börsenwahnsinnskurven, Riesenspekulationsgewinne, elegant, modern gekleidet, englische Stoffe, französische Spitzen und Seide, getragen von blasierten Lebejünglingen und geschminkten Puppen, von vollgefressenen Wänsten und aufgetakelten Weibern, so taumelt es von einem Genuss zum anderen: Pferderennen, Motorrennen, Modeschau, Basar, Spielhölle, Kino, Likörstube, Bar, Tanzdiele, Freudenhaus; Devise: Lustig gelebt und selig gestorben … – so zeigt sich uns das Gesicht der herrschenden Klasse. Und hier: tägliche Aussperrung von Tausenden von Lohnsklaven, wahnsinnig kletternde Preiskurven, täglich minimalere Entlohnung, Hunger brütet in den Arbeitervierteln, Hunger in den Beamten- und Mittelstandswohnungen, Haufen von Bettlern überschwemmen das Land, Gefängnisse fassen kaum die Zahl der ‚Verbrecher‘, die Selbstmordkrankheit greift rasend um sich – so das Gesicht der beherrschten Klasse.“73

Wer die ihn umgebende Welt so sah – und es gab für junge Arbeiter gewiss Gründe, sie auf diese Weise wahrzunehmen –: Wie sollte er Wohlwollen für die Aspirationen der in Hofgeismar Versammelten aufbringen können? Aus Witt-

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höfts „Entgegnung an Franz Osterroth und Freunde“, so nannte der junge Sozialist aus Hannover seine Ausführungen, sprach das pure Unverständnis gegenüber den Bestrebungen seiner gleichaltrigen Parteifreunde zwischen Rhein und Ruhr: „Und junge Menschen, die sich Sozialisten nennen, die die Klassenherrschaft am eigenen Leibe spüren, reden weiterhin von Ausgleichen, Versöhnen, Überbrücken der Klassengegensätze […] brrr, mich schüttelt vor soviel Reformistik.“74 Schützenhilfe erhielt Paul Witthöft alsbald vom Berliner Jungsozialisten Otto Lamm, der, inzwischen 28 Jahre alt, durch zahlreiche Bildungskurse gut geschult und als Gewerkschaftssekretär vor allzu weltfremden Ideologien gefeit, eine politisch fundiertere Kritik am Volksgemeinschaftsmythos übte und wohlüberlegte, überzeugende Gedanken zur „nationalen Orientierung“ formulierte.75 Als Marxist musste Otto Lamm die Möglichkeit einer Volksgemeinschaft in einer klassengespaltenen Gesellschaft schon aus theoretischen Gründen strikt zurückweisen; seine Erfahrungen als junger Gewerkschafter gaben ihm dazu genügend Belege aus der jüngsten Vergangenheit an die Hand. Die Ereignisse der letzten Monate hätten eindeutig bewiesen, schrieb Otto Lamm Anfang 1924 in einer Replik auf die Vorstellungen von August Rathmann und Franz Osterroth, dass die deutschen Unternehmer auf die propagierte Volksgemeinschaft „pfeifen“ würden und sie durch „rücksichtslosen Klassenkampf“ bereits hinreichend desavouiert hätten. Dem Ideal der Ruhrgebiet-Jusos konnte Lamm die schwer bestreitbaren Fakten gesellschaftspolitischer Realitäten entgegenhalten: Massenaussperrungen, die gesetzlich nicht legitimierte Einführung des Neun- und Zehnstundentages durch die Ruhrindustriellen, die Einführung von Löhnen, die bis zu vierzig Prozent unter den Vorkriegswerten lagen und schließlich die staatliche Beseitigung des Achtstundentages auf dem Wege der Verordnung.76 Noch leidenschaftlicher focht Lamm gegen die „nationale Idee“, die, wie der Berliner Jungsozialist nach den deprimierenden Querelen mit Erich Fäse und Artur Zickler wusste, allzu rasch zur „Brücke zum Lager der Reaktion“ aus- oder besser entarten konnte.77 Lamm konnte sich zugutehalten, dass er bereits Anfang Februar 1923, als dies selbst im sozialdemokratischen Bereich geradezu anrüchig war und generell in die Nähe des Landesverrats geriet, vor dem Rummel um die „nationale Einheitsfront“ und vor der populären Kampfparole „Gegen Versailles“ gewarnt hatte.78 In der Tat gehörte damals nicht wenig Mut dazu, auf den schlichten, in Deutschland aber hartnäckig verdrängten Umstand hinzuweisen, dass der allseits lautstark befehdete Friedensvertrag von Versailles letztlich „nur eine Folge jenes Krieges war, an dem auch die damaligen deutschen Gewalthaber durchaus nicht unschuldig sind und an dessen Ausbruch der deutsche Militarismus und deutsche Kapitalismus ihr gerütteltes Maß Schuld haben“.79 Die Quintessenz der Reflexionen von Lamm markierte zugleich die entschiedene Alternativposition zu den Überlegungen der Jungsozialisten aus dem Ruhrgebiet

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und Hamburg. Wo diese 1923 über Defizite an vaterländischem Bewusstsein im deutschen Volke klagten und das Fehlen der patriotischen Stimmung von 1914 bedauerten, fürchtete jener Berliner Jungsozialist das Übermaß an nationalen Gefühlsregungen in Deutschland; denn, so lautete das Ergebnis seiner politischen Betrachtungen, „der größte Feind des deutschen Volkes steht im eigenen Land; er ist der deutsche Nationalismus“80.

W IE

WICHTIG WAR DIE

USPD-J UGEND ?

Fast zwangsläufig ergibt sich die Frage, welchen Anteil die ehemaligen Mitglieder der Sozialistischen Proletarierjugend (SPJ) an der Linksentwicklung einiger Regionalgliederungen der Jungsozialisten hatten. In der früheren Forschung galt die Vereinigung der mehrheitssozialdemokratischen Jugendvereine mit der USPD-nahen Sozialistischen Proletarierjugend wie selbstverständlich als das Schlüsselereignis für die Herausbildung eines linkssozialistischen Flügels in der jungsozialistischen Bewegung der Weimarer Zeit,81 was dadurch gerechtfertigt zu sein schien, dass ein solcher unterstellter Konnex von Linkswendung und USPD-Tradition für die Parteiorganisation hinreichend erforscht war und man auch noch im Bereich der weniger gründlich untersuchten Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) genügend Indikatoren finden konnte. Was allerdings im Strukturzusammenhang der beiden sozialdemokratischen Großorganisationen die Regel darstellte, war für das introvertierte Gemeinschaftsleben der Jungsozialisten häufig kaum mehr als die Ausnahme; so auch in diesem Fall. Schließlich waren die Bezirke und Ortsgruppen, aus denen sich Jusos seit dem September 1923 mit ihren Einsprüchen gegen den bis dahin dominierenden Volksgemeinschaftskurs zur Wehr setzten, klassische mehrheitssozialdemokratische Hochburgen (Hannover, Frankfurt, Breslau, mit Abstrichen auch Dresden), wo im Übrigen gar keine Gruppen der SPJ existierten oder, wie in Dresden, nur als zirkelhafte Kleinstgruppen.82 Kein Zufall war es sicherlich, dass der frühe linke Jungsozialismus in Orten gedeihen konnte, die – wie Breslau, Frankfurt, Dresden – Zentren des quantitativ geringen, daher häufig unbeachtet gebliebenen, gleichwohl vorhandenen gemäßigt linken Flügels der MSPD waren. Dieser hatte sich seit den Revolutionsmonaten zunächst von der Noske-Politik und später dann von der Koalitionsstrategie der Parteimehrheit kritisch abgesetzt.83 Die sich im Herbst 1923 zu Worte meldenden Repräsentanten der oppositionellen Richtung waren zumeist Jungsozialisten der ersten Stunde, die alle, manche in sicher abgeschwächter Form, an der Mondscheinromantik der frühen Zeit und den lebensreformerischen Bräuchen der folgenden Jahre partizipiert hatten. Insofern ist auch die Behauptung der Zeitzeugen des Hofgeismarkreises in Frage

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zu stellen, die, wie August Rathmann und Franz Osterroth, in ihren von Apologien nicht freien Erinnerungen die Kontrahenten der Jugendzeit als dogmatische Marxisten der früheren USPD abqualifizieren, um ihnen sodann die gemeinsame Herkunft aus der „Jugendbewegung“ abzusprechen.84 Dabei war der neu entstandene linke Juso-Flügel nicht einmal die einfache Fortsetzung des von Rathmann/Osterroth kaum weniger geringgeschätzten parteiorientierten Flügels der vorangegangenen Jahre. Einige seiner hauptsächlichen Vertreter – Karl Raloff, Bruno Lösche, Friedrich Ebert jr. und Kurt Wegener beispielsweise – standen 1923, wie viele ehemalige Mehrheitssozialdemokraten, moderat gefassten Volksgemeinschaftsvorstellungen und Modellen nationaler Einheitsfronten nicht ohne Sympathie gegenüber. Indessen gehörte mit der Frankfurter Juso-Organisation eine Gruppe zum Kern der Opposition, die sich 1920 von den jungsozialistischen Vereinigungen aus Bochum und Hamburg bestenfalls darin unterschied, dass sie ihr autonomistisch-lebensreformerisches Selbstverständnis besonders radikal und ohne Furcht vor organisatorischen Konsequenzen auf die Spitze getrieben hatte.85 Insgesamt war der linke Juso-Flügel in seiner ersten Phase Ausdruck einer Radikalisierung im klassisch jungsozialistisch-mehrheitssozialdemokratischen Milieu als Folge regionalspezifischer Konstellationen und der aufrüttelnden Erfahrungen krasser sozialer Verelendungsprozesse, die an einer bestimmten proletarischen Schicht gewerkschaftlich organisierter und aktiver jungsozialistischer Funktionäre nicht spurlos vorübergegangen waren. Nun entbindet eine solche Zwischenbilanz nicht von der Aufgabe, der weiterhin ungeklärt gebliebenen Einstellung ehemaliger SPJ-Funktionäre zur jungsozialistischen Bewegung nachzuspüren, wobei angesichts des Fehlens hinreichend wissenschaftlicher Vorarbeiten erläuternde Ausführungen zur Geschichte der Sozialistischen Proletarierjugend selbst unumgänglich sind. Allein die Umstände der Entstehung und der organisatorischen Entwicklung der SPJ zeigen, wie sehr man sich vor übereilten Analogieschlüssen aus dem geschichtlichen Erfahrungsbereich der Erwachsenen-Arbeiterbewegung auf die Sphäre der Arbeiterjugendorganisationen hüten muss. Im Oktober 1917 hatten sich etwa viertausend oppositionell und antimilitaristisch gesinnte Jugendliche aus Protest gegen die mehrheitssozialdemokratische Politik der Zustimmung zu den Kriegskrediten und des Burgfriedens von der MSPD-geführten Jugendbewegung gelöst und eine eigenständige Freie Sozialistische Jugend (FSJ) ins Leben gerufen. Die Hochburgen der aufbegehrenden, zumeist schon etwas älteren Jugendlichen lagen in Sachsen, Hannover, Braunschweig und Bremen. Soweit verlief der Protest der jungen Sozialisten in ähnlichen Bahnen wie der ihrer Väter, die im April des gleichen Jahres die USPD gegründet hatten. Allerdings war die Stimmung in der FSJ weitaus radikaler, und die politischen Kräfteverhältnisse unterschieden sich beträchtlich von denen der USPD. In der FSJ befanden sich die Befürworter

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eines besonnenen linken „Zentrismus“ eindeutig in der Minderheit; den Ton gaben die Aktivisten der linksradikalen Bremer Richtung und des Spartakusbundes an,86 die sonst im Kontext der gesamten Arbeiterbewegung zu diesem Zeitpunkt ein unbedeutendes Sektendasein fristen mussten. Nach Ende des Krieges und Gründung der KP machten die führenden Vertreter der FSJ kein Geheimnis aus ihrer Nähe zur kommunistischen Partei, obwohl sie sich zu einem eindeutigen parteipolitischen Bekenntnis vorerst nicht entschließen konnten und weiterhin Sympathisanten der Unabhängigen Sozialdemokraten in ihren Reihen duldeten. Erst die Reichskonferenz der FSJ vom 18. bis 20. Oktober 1919 in Weimar zog den längst überfälligen Trennungsstrich. Die übergroße Mehrheit der Delegierten „begrüßte die KP in treuer Waffenbrüderschaft, solange und soweit diese ihre zielklare Politik fortsetzt und die Politik der USP aufs schärfste bekämpft“87. Um nicht die geringsten Missverständnisse aufkommen zu lassen, beschloss die Konferenzmehrheit zudem, die Gegner der verabschiedeten Resolution sofort aus der Organisation auszuschließen. Die derart ausgegrenzten Frondeure gegen die KP-Orientierung gingen auf einer separaten Zusammenkunft noch in Weimar ans Werk, um die Bedingungen für die Gründung einer neuen, nun schon dritten sozialistischen Jugendorganisation zu schaffen. Auf einer Reichskonferenz vom 14. bis 16. Dezember 1919 in Halle – zunächst noch als „Reichskonferenz der Freien Sozialistischen Jugend“ firmierend – konstituierte sich dann die Sozialistische Proletarierjugend,88 die ihren stärksten Rückhalt in den Bezirken Halle-Merseburg, Rheinland-Westfalen, Groß-Berlin, Ostthüringen, Ost- und Westpreußen und insbesondere in Westsachsen, dem traditionellen Stammland der linken Sozialdemokratie, hatte. Dorthin, nach Leipzig, hatte man im Übrigen auch den Sitz der Reichsleitung gelegt, was sicherlich angesichts der sonst üblichen Berlin-Zentrierung ungewöhnlich war, aber der enormen Milieudichte linkssozialdemokratischer Mitgliedschaft und Vereinskultur in der westsächsischen Region vollauf entsprach. Die zu Beginn zehntausend Mitglieder umfassende SPJ legte anfangs größten Wert auf parteipolitische Unabhängigkeit, auch von der USDP. Dies sollte zweifellos die Attraktivität der Organisation auf unabhängig denkende junge Kommunisten erhöhen, aber es war mehr noch der zeittypische Ausdruck des richtungspolitisch übergreifenden und klassentranszendierenden Misstrauens der jungen Generation gegen die traditionellen Organisationsformen und parteipolitischen Formationen der in der wilhelminischen Gesellschaft sozialisierten Väter und Großväter. Auch die SPJ wollte in erster Linie „Jugendbewegung“ sein und ließ sich von dem vitalistischen Klang des Zauberwortes „Jugend“ genauso berauschen wie die sonst so verachteten jungen Rechtssozialisten. Auf den Versammlungen der SPJ wurde mindestens ebenso laut über die „Alten“, die „Bonzen“ und die „Bürokraten“ geschimpft wie auf den Treffs der Jusos.89

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Die bittere Skurrilität der SPJ-Geschichte lag darin, dass die Organisation, obwohl doch erst im Dezember 1919 als Opfer jungkommunistischer Ausgrenzungsstrategien entstanden, in den Sommermonaten 1920 erneut in den Trubel kommunistischer Spaltungsmanöver geriet und fast restlos zerschlagen wurde. Es ging, hier einmal parallel zum Verlauf der USPD, um den Anschluss an die Kommunistische Jugendinternationale. Typisch für den binnenorientierten Charakter der politischen Debatten des radikalen Flügels der deutschen Arbeiterbewegung war es, dass auch in den Ortsgruppen der SPJ monatelang und mit allen taktischen Finessen ausschließlich über das Für und Wider des kommunistischen Internationalismus gestritten wurde. Die Auseinandersetzungen in der SPJ lähmten nicht nur jede republikanisch-sozialistische Initiative, sondern zermürbten zudem große Teile der Mitgliedschaft, die sich bald ganz aus der Politik zurückzogen. Die überwiegend zwischen 14 und 18 Jahren alten Funktionäre der SPJ hatten dem propagandistischen Trommelfeuer der meist schon älteren Kader des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD) nicht viel entgegenzusetzen. Auch wurden in den Monaten vor der entscheidenden Reichskonferenz auf Initiative und mit Hilfe der jungkommunistischen Aktivisten zahlreiche SPJOrtsgruppen neu gegründet, um so auf die Delegiertenwahlen einen ausschlaggebenden Einfluss zu gewinnen.90 So ist es nur durch die Berücksichtigung eines solchen Interventionismus zu verstehen, dass sich die Mehrheit einer Organisation, die allein deshalb aus der Taufe gehoben wurde, weil sich ihre Gründungsmitglieder der kommunistischen Dominanz nicht hatten beugen wollen, knapp elf Monate später für den Anschluss an die kommunistische Weltbewegung aussprach: Mit 145 zu 141 fiel das Votum allerdings sehr viel knapper aus als die zwei Monate früher stattgefundene Abstimmung in der USPD, wo sich auf dem außerordentlichen Parteitag in Halle immerhin 236 gegen 156 Delegierte zu der Annahme der berüchtigten 21 Bedingungen bekannt hatten.91 Sicherlich reicht der Hinweis auf handfeste kommunistische Einmischungen in die innere Meinungsbildung der SPJ nicht als alleinige Erklärung für den Ausgang der Leipziger Reichskonferenz aus. Es gab zu diesem Zeitpunkt auch einfach noch große Illusionen über die Offenheit des kommunistischen Internationalismus. Fritz Polenz beispielsweise, auf der Spaltungskonferenz der FSJ im Oktober 1919 noch Sprecher der aus der Organisation herausgedrängten Minderheit, hatte sich nur zwanzig Tage nach diesem Spektakel in einer Mitgliederversammlung seines Königsberger USPD-Ortsvereins abermals an die Spitze einer Gruppe gestellt; derjenigen nämlich, die in der USPD entschieden auf einen Anschluss an die 3. Internationale drängte.92 Und schließlich hatte in den Monaten zuvor ein enormer Radikalisierungsprozess bei Teilen der angelernten Jugend besonders in Regionen mit abrupt entstandenen Industrien stattgefunden. In solchen Gegenden wie der einstigen

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Hochburg der Unabhängigen Sozialisten, Halle-Merseburg, waren nach den Voten von Halle und Leipzig sowohl die Ortsvereine der USPD als auch die Gruppen der SPJ quasi vom Erdboden verschwunden;93 nunmehr hatte dort die KP über die ganze Weimarer Zeit ihre Mitglieder- und Wählerzentren. Die vor der Spaltung 15.000 Mitglieder starke SPJ war jetzt zu einer trostlos kleinen Organisation von fünftausend unverdrossen Getreuen zusammengeschmolzen94 und mit einer Handvoll Gruppen im Wesentlichen lediglich noch in Ostthüringen, dem Rheinland und Westsachsen präsent. Ein einigermaßen stabiles SPJ-Umfeld bestand zu diesem Zeitpunkt eigentlich nurmehr in Leipzig, das sich mit einem hohen Anteil junger, qualifizierter Drucker und Setzer weitgehend immun gegenüber dem kommunistischen Aktionismus gezeigt hatte und im Übrigen vom Sozialprofil zweifellos sehr viel größere Affinitäten zur Jugend der Mehrheitssozialdemokratie als zum Nachwuchs der KP aufwies. In dieser deprimierenden und wenig aussichtsreichen Situation entschloss sich die finanziell völlig bankrotte SPJ, die strikte parteipolitische Unabhängigkeit der Vergangenheit aufzugeben und „Waffenbrüderschaft“ mit dem verbliebenen Teil der USPD zu schließen.95 Auf ihrer 3. Reichskonferenz in Gera zu Pfingsten 1921 billigten die Delegierten mit großer Mehrheit das Vorgehen ihrer Reichsleitung, die im Januar 1921 mit Vertretern der USPD Richtlinien für eine gegenseitige Vertretung in den jeweiligen Vorständen beider Organisationen ausgearbeitet hatte.96 Im Vorfeld der Konferenz hatte es darüber allerdings heftige Diskussionen gegeben, da immer noch zahlreiche SPJ-Mitglieder kooperative Beziehungen zu einer Partei als Verlust des eigenständigen Charakters der Jugendbewegung geißelten. Dabei war den Politikern der USPD ausschließlich eine beratende Mitwirkung eingeräumt worden. Die SPJ verfügte mithin über ein Maß an Autonomie, von dem die mehrheitssozialdemokratische Jugend nur träumen konnte: Dort insistierten die Vertreter der Parteiorganisation auf ihrem vollem Stimmrecht. Unterstützt von der USPD erlebte die SPJ einen kaum für möglich gehaltenen Aufwind und erreichte 1922 mit 15.000 Mitgliedern erneut den früheren Höchststand.97 Die SPJ hatte ihren eigenen politisch-pädagogischen Standort fast immer durch Abgrenzung von der Praxis der beiden anderen Jugendorganisationen der sozialistisch-kommunistischen Arbeiterbewegung definiert. Schon zu FSJ-Zeiten war die damalige Minderheit häufig mit den dominierenden Vertretern der kommunistischen Richtung über die Bewertung der Bildungsarbeit hart aneinandergeraten.98 Während die jungkommunistische Majorität klassenkämpferische Lerneffekte einzig von der aktiven Beteiligung an der revolutionären Aktion und dem systemsprengenden Kampf erwartete und theoretische Vermittlungsanstrengungen für gänzlich überflüssig hielt, beharrte die organisationsinterne Opposition auf der Notwendigkeit einer systematischen Bildungsarbeit. Auch nach Konstituierung der SPJ waren die Publikationen der Proletarierjugend voll von vehementen Kritiken

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an der „Phrasendrescherei“ und dem „marktschreierischen Geschwätz“ des Kommunistischen Jugendverbandes, der durch seine hemmungslose Demagogie jede Verstandestätigkeit ausschalte und mit seinen gewissenlosen Appellen ausschließlich an das rebellische Gefühl der Jugend und durch ziellosen Aktionismus bereits „Hunderte von jungen Arbeitermädels und -burschen“ vor die Gewehre der Soldateska getrieben und in die Gefängnisse und Zuchthäuser gebracht habe.99 Was in den Reihen der kommunistischen Jugendlichen an abenteuerlichem Revoluzzertum ins Maßlose übertrieben wurde, fehlte, nach dem Dafürhalten der SPJler, auf der Gegenseite den mehrheitssozialdemokratischen Jugendlichen an klassenkämpferischem Elan. Wenn in den Zeitschriften der Sozialistischen Proletarierjugend von dem „rechtssozialistischen“ Nachwuchs die Rede war, dann schwang unverkennbar Geringschätzung und Verachtung zwischen den Zeilen mit. Aus der Sicht der meinungsführenden SPJ-Funktionäre waren die Jugendverbände der MSDP auf dem besten Wege, zugunsten einer romantischen Kulturspielerei, geselliger Unterhaltungsformen und vergnüglich belangloser Wandertätigkeiten den Abschied vom proletarisch-sozialistischen Selbstverständnis zu nehmen.100 Einzig die SPJ verfügte mithin, folgt man der Selbstdarstellung der USPD-nahen Jugend, über ein rationales Konzept sozialistischer Jugendarbeit, das jenseits von revolutionaristischem Putschismus auf der einen und apolitischen Wandervogelaktivitäten auf der anderen Seite angesiedelt war.101 In ihrer Entstehungsphase fasste die SPJ ihre Identität in die Formel von der „Bildungs- und Kampfgemeinschaft“, die sie sein wollte, während sie später, nach dem Abebben der revolutionären Spannungen, das hauptsächliche Gewicht auf die „planmäßige Bildungsarbeit“ zur Vertiefung der „sozialistischen Weltanschauung“ als Vorbereitung für die künftige „Mission im proletarischen Klassenkampf“ legte.102 Was sich hier geradezu idealtypisch als „dritter Weg“ zwischen dem kommunistischen „Lernen durch Kampf“, das im Ergebnis zwangsläufig zu einem doktrinären Fanatismus führen musste, und der lebensreformerischen Jugendbewegtheit der jungen Mehrheitssozialdemokraten ausnahm, war in der Realität ein keineswegs geradliniger Pfad gewesen. Unterhalb der Ebene vollmundiger Proklamationen in den zentralen Periodika der SPJ stieß die Praxis der Schulungsarbeit auf zahlreiche Schwierigkeiten und Hindernisse, die die intendierte Planmäßigkeit der Bildungsbemühungen in den seltensten Fällen erfolgreich gestatteten. Ein Aufsatz in der Leipziger Volkszeitung (LVZ), dem Parteiorgan der Region, in welcher die vergleichsweise besten Voraussetzungen für eine systematische Jugend- und Erziehungsarbeit vorhanden waren, stellte die Probleme der SPJ ungeschminkt zur Diskussion: „Nicht Mangel an zu behandelnden Stoffgebieten ist es, sondern die regellose Aufeinanderfolge der einzelnen Themen ist der Grund für die Misserfolge. Es ist die Anarchie, die

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in der Auswahl des Stoffes liegt. Man spricht am Mittwoch über die sexuelle Frage, am Sonntag rezitiert man aus Goethes Faust, und am folgenden Mittwoch hört man einen Vortrag über das Erfurter Programm. Gewiss werden hier und da vereinzelt Kurse abgehalten, aber ihre Dauer erstreckt sich doch nur auf wenige Abende und dazwischen liegen einige literarische Darbietungen (an Sonntagen), die absolut nicht zum laufenden Referat passen. Durch ein solches regelloses Durcheinander wird aber nicht eine einheitliche Weltanschauung erreicht, sondern das direkte Gegenteil, ein heilloses Tohuwabohu, ein unentwirrbares Durcheinander. Dadurch werden die Jugendgenossen nicht eine große durchgehende Linie erkennen, sondern sie verirren sich in einem Labyrinth.“103

Die Ursachen für die Misere sah der LVZ-Kommentator in der Jugendlichkeit und mangelnden Qualifikation der Referenten, die zumeist nur die achtklassige Volksschule besucht hätten und demzufolge auf einen nur geringen Wissensstoff zurückgreifen könnten. Zudem sei das Alter der Kursteilnehmer entschieden zu uneinheitlich, da die 20-Jährigen ganz andere Erfahrungen, Bedürfnisse und Kenntnisse mitbrächten als die 14-Jährigen etwa. Insofern hatte die SPJ mit Widrigkeiten zu ringen, die in Juso-Gruppen nicht weniger akut waren und im Übrigen in der sozialistischen Jugendbewegung der Weimarer Zeit nie vollends überwunden werden konnten. Auch sonst zeigt das Zitat aus der westsächsischen Parteizeitung, dass zwischen dem Gruppenleben der jungen mehrheitssozialdemokratischen Führeraspiranten in den Juso-Gemeinschaften und den marxistischen Nachwuchskadern der Sozialistischen Proletarierjugend trotz unterschiedlicher ideologischer Vorzeichen erstaunliche Parallelitäten existierten. Die Aufklärung über Sexualfragen, die Lesung aus Goethes klassischem Drama und das literarische Dilettieren an den Sonntagen fand gewiss zur gleichen Zeit auch in zahlreichen Juso-Gruppen statt. Nur die Schulung am Erfurter Programm war dort sicherlich weniger gefragt; wenn überhaupt programmatische Dokumente der Arbeiterbewegung das Interesse der frühen Juso-Generation hatten wecken können, dann waren es wohl eher die Görlitzer Leitgedanken – eine nicht ganz unbedeutende Differenz zum Schulungsmaterial der SPJ-Gruppen, die aber dennoch nicht die frappanten Gemeinsamkeiten im Lebensgefühl und in den Ausdrucksformen der sozialistischen Jugendlichen aller Schattierungen zu Beginn der zwanziger Jahre verbergen kann. Was immer auch führende SPJ-Funktionäre in ihren Verbandszeitschriften an kritischen Bemerkungen über die Gewohnheiten der mehrheitssozialdemokratischen „Tri-tratrallala“-Jugend schreiben mochten und der eigenen Organisation an sozialistischer Weltanschauungsrhetorik mitzuteilen versuchten, konnte nichts daran ändern, dass die Realität einer SPJ-Ortsgruppe – und selbst später die des Kommunistischen Jugendverbandes104 – in manchem gar nicht so weit von der einer mehrheitssozialdemokratischen Jugendgemeinschaft entfernt war. Ein Blick in

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die Veranstaltungskalender und -berichte der USPD-Tageszeitungen genügt, um zu erkennen, dass, im Sommer zumal, auf der untersten Ebene der SPJ-Organisation der Liederabend, die Wanderung, der Abendausflug, die Reigenprobe, der Treff mit der Tanzgruppe, der Spielnachmittag, die Hans-Sachs-Stücke oder das gemeinsame Schwimmvergnügen einen ebenso gewichtigen Platz einnahmen wie der Besuch eines Vortrages oder die Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft. Wenn das Wetter es nur irgendwie erlaubte, dann nutzten auch die SPJler den Sonntag zur Tagesfahrt, um der Großstadt wenigstens für einige Stunden entweichen zu können. „Wir hatten“, erinnert sich auch der frühere Vorsitzende der Königsberger SPJ, Paul Schulz, „eine gesunde Mischung von politischer Instruktion, Diskussion und Aktion mit fröhlichen Unterhaltungs- und Tanzabenden sowie Wanderungen“105. Mit dem gleichen Ernst wie ihre mehrheitssozialdemokratischen Geschlechtsgenossinnen wehrten sich auch die Mädchen in der SPJ dagegen, in beengende Korsetts gesteckt zu werden. Ob links- oder rechtssozialdemokratischer Jungfeminismus, in beiden Lagern kämpften die jungen Frauen gegen die Stöckelschuhe und den gebranntgeschniegelten Haarschnitt der „bürgerlichen Modepuppen“ und die schlüpfrige „Zotenreißerei“ der Männerwelt.106 Der Feldzug gegen die „Schundliteratur“ und das Kino, die Ablehnung des „Glimmstengels“ und der Protest gegen den Alkoholausschank auf den Parteifesten der USPD war den SPJlern ein nicht minder bedeutsames Anliegen als den Aktivisten der Juso-Gemeinschaften.107 Freilich galt es in den Reihen der SPJ aber auch als selbstverständliches Axiom, dass revolutionierte menschliche Verkehrsformen erfolgreich erst auf der Grundlage tiefgreifend veränderter politischer und ökonomischer Gesellschaftsbeziehungen gedeihen konnten, und das zumindest verbale Bekenntnis zum Primat des politischen Kampfes grenzte die Identität der USPD-nahen Jugendlichen von der Alltagsphilosophie der Jungsozialisten ab. Mit einer Ausnahme: Die SPJ-Gruppe in Dresden, ein kleiner Zirkel nur, war seit Jahren schon aus dem Rahmen gefallen und bereits in der FSJ als „ästhetische Jugend“ verschrien.108 Den politischen Zielvorgaben ihrer Reichszentrale standen die jungen Genossen der sächsischen Landeshauptstadt ziemlich gleichgültig gegenüber; die Beschäftigung mit klassischem Bildungsgut, die Erbauung an ästhetischer Literatur und der Wunsch nach Schaffung „neuer Menschen“ prägten stattdessen die Zusammenkünfte und deklamatorischen Deutungen der ostsächsischen Kleinstgruppe. Nur in Dresden, wo in der Tat die Unterschiede zwischen der SPJ und den Jusos verschwindend gering waren, herrschte, um es vorwegzunehmen, nach Wiedervereinigung der beiden sozialdemokratischen Organisationen zwischen den früheren Mitgliedern dieser Gruppen bestes Einvernehmen, und die Eingliederung der prominenten SPJ-Funktionäre in die jungsozialistische Bewegung erfolgte ohne innerverbandliche Macht- oder Positionskämpfe.

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Eine solche Harmonie war sonst nicht üblich, und von einer reibungslosen Integration der SPJ-Aktivisten in die jungsozialistische Bewegung kann keine Rede sein. Wie intensiv und richtungspolitisch übergreifend das generationstypische Verlangen nach lebensreformerischer Erneuerung auch war – und wie sehr man diesen Gesichtspunkt gegen ein rein philologisches Verfahren der Ideologieexegese zur Unterscheidung des „reformistischen“ vom „marxistischen“ Flügel der Arbeiterbewegung betonen muss –, so waren die mentalen Gegensätzlichkeiten, milieuspezifisch differierenden Gesellschaftsvorstellungen und andersgelagerten politischen Zielvisionen noch längst nicht aus der Welt geschafft. Zwar warb auch die SPJ für den Ort ihres Reichsjugendtages beispielsweise mit dem Hinweis auf die Nähe romantischer Flusstäler und vielbesungener Burgen und versprach zudem Fröhlichkeit bei Tanz und Spiel;109 gleichwohl war das äußere Bild ihres Massentreffens durch andere Linien und Farben gezeichnet als die Versammlungstage der mehrheitssozialdemokratischen Jugendlichen dieser Jahre. Wo diese in kunterbunter Aufmachung, gleichsam nach jedermanns Gusto durch die Straßen „latschten“ – so nannten das die Zeitgenossen – und auf einer Wiese mehr oder weniger spontan die so beliebten Sing und Märchenspiele aufführten, da marschierten jene in festen Reihen und gleichmäßigem Schritt mit roten Fahnen und unter dem Gesang revolutionärer Kampflieder durch die Arbeiterviertel, um zum Abschluss eine wohlvorbereitete Probe der trotzig kämpferischen und revolutionsverheißenden Sprechchöre abzulegen.110 Für den durchschnittlichen SPJler erwuchsen in einer derartigen Atmosphäre ganz andere Schlagwörter zu sinnstiftenden Sentenzen als in den zu befreitem Land überhöhten Kulturnischen jungsozialistischer Festveranstaltungen: „proletarische Massenaktionen“, „politische Macht der Arbeiterklasse“, „Klassenkampf“, „Sozialisierung der Produktionsmittel“ waren Begriffe, die einen SPJler in dem Ambiente kollektiver Demonstrationen mit „revolutionärer Glut“ und dem Willen zur „aufopferungsvollen Hingabe für die Sache des Sozialismus“ erfüllen konnten – für die Jungsozialisten der frühen zwanziger Jahre waren es Ladenhüter einer materialistisch verkommenen und längst überholten Welt. Noch tiefere Gräben zwischen diesen beiden Abteilungen der sozialistischen Jugendbewegung musste die Hinwendung zahlreicher Jusos zur „nationalen Idee“„ aufreißen. Der Internationalismus war in der SPJ ein Gefühlswert höchsten Ranges. Kaum eine größere Veranstaltung der USPD-orientierten Jugend, die nicht mit einer internationalen Kundgebung gegen die „nationale Hetze“ in allen Ländern beendet wurde.111 Die meisten SPJler hatten für die Jungsozialisten, die ihnen merkwürdig und verschroben vorkamen, nicht viel übrig; daran sollte sich auch nach der Wiedervereinigung der seit 1917 gespaltenen sozialdemokratischen Bewegung im frühen Herbst 1922 nichts ändern. Für die Angehörigen der älteren Generation im demokratischen Sozialismus war die „Einheit der Partei“ ein langersehnter „Her-

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zenswunsch“. Der sozialistische Nachwuchs hingegen stand dem Einigungsvorgang sehr viel distanzierter, skeptischer und ohne große Begeisterung gegenüber. Man fügte sich zumeist den Geschehnissen,112 aber man forcierte sie nicht.113 Das organisatorische Resultat der recht mühselig verlaufenden Verhandlungen zwischen den Spitzeninstanzen der mehrheitssozialdemokratischen Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (VAJV) und der Sozialistischen Proletarierjugend war die Sozialistische Arbeiterjugend Deutschlands, deren Altersgrenzen gegen den Widerstand der SPJ-Vertreter auf 14 und 18 Jahre festgelegt wurden114 und die nun mit 105.000 Mitgliedern den Zenit ihrer quantitativen Stärke in der Weimarer Republik überhaupt erreichte. Hier, in dieser Massenorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterjugend, und nicht in den abgeschiedenen Lebensgemeinschaften der Jungsozialisten, arbeitete die Majorität der ehemaligen SPJ-Mitglieder von Beginn an in der Hoffnung mit, durch eine gut vorbereitete und geschlossen vorgetragene linkssozialistische Oppositionstaktik später einmal die Mehrheitsverhältnisse und politische Ausrichtung des von den Funktionären des früheren VAJV dominierten Jugendverbandes ändern und gestalten zu können. Schon auf den nächsten Reichskonferenzen hatten sich die einst mehrheitssozialdemokratischen Jugendvertreter einer artikulationsfähigen und entschließungsfreudigen Linksopposition ehemaliger SPJ-Aktivisten zu erwehren, die durch ihre vernehmliche Präsenz und ihr Engagement bei den Redebeiträgen, Zwischenrufen und Antragsbegründungen die Atmosphäre der zentralen Tagungen zweifelsohne zu bestimmen vermochten, ohne allerdings allzu häufig bei Abstimmungen Erfolge verbuchen zu können. Bei den Jungsozialisten unternahmen die ehemaligen SPJler dergleichen Versuche linkssozialdemokratischer Intervention – zunächst jedenfalls – erst gar nicht. Sie setzten, kurz gesagt, nicht auf Entrismus oder Umfunktionalisierung, sondern auf Bekämpfung oder Ausblendung der ungeliebten jungsozialistischen Bewegung. In Gegenden, in denen die früheren SPJler das Sagen in den neugebildeten Gruppen der Sozialistischen Arbeiterjugend hatten, herrschten enorme Spannungen zwischen der SAJ und den Jusos.115 Veranstaltungen der Jungsozialisten wurden sorgsam gemieden; eher bildeten die älteren SAJler eigene Zirkel, um sich in theoretischen Fragen, die für sie in der SAJ nicht genügend Raum zur Diskussion fanden, gründlicher fortbilden zu können. „Die jungsozialistische Bewegung“, wetterte der prominente Königsberger Ex-SPJler Fritz Polenz auf der SAJ-Reichskonferenz in Görlitz 1923, „können wir nicht als eine Fortsetzung der Arbeiterjugendbewegung betrachten, denn sie ist entweder ein Konkurrenzunternehmen der Partei oder ein schöngeistiger Verein“.116 Diese Äußerung gab den Ton an, mit dem auch in den Zentren der linken Sozialdemokratie und des oppositionellen SAJ-Flügels von Seiten der Partei, des regionalen Zeitungsorgans und der Jugendfunktionäre gegen die Jusos vorgegangen

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wurde.117 Als Anfang 1923 ein Leipziger Jungsozialist die Genossen „der alten SPJ“ durch einen Artikel im Organ der westsächsischen Partei dazu aufforderte, ihre Boykottstrategie gegenüber den Veranstaltungen der Jusos aufzugeben und stattdessen die kontroverse Debatte mit ihnen zu suchen, konnte sich die Redaktion der LVZ einen reichlich oberlehrerhaften Kommentar dazu nicht verkneifen. Der junge Sozialdemokrat aus der Umgebung Hermann Hellers nämlich hatte die Chuzpe besessen, auch Thesen wie „Der Marxismus ist tot“ oder „Der Sozialismus steht an einer Wende seines Lebensweges“ für diskussionswürdig zu halten. Für die linkssozialdemokratische LVZ war das Anlass genug, um auf die Irrwege des Jungsozialismus hinzuweisen, da dort „solche falschen Gedanken von Marxismus und sozialistischer Arbeiterbewegung entstehen“ könnten. Das Parteiorgan warnte die „älteren Jugendlichen“ der früheren MSPD davor, die jungsozialistische Bewegung als „Parteiersatz“ zu instrumentalisieren und sich überdies in ein organisationsfeindliches „Aesthetentum“ zu verlieren, „das wie ein Fremdkörper in der Kampfgemeinschaft ihrer Klassengenossen wirken muss“118. Im Übrigen sollte die gut gemeinte Initiative der Leipziger Jusos nicht allzu viel fruchten: Die früheren SPJler beteiligten sich auch nach ihrer freundlichen Einladung nicht an den jungsozialistischen Kursen und Bildungsabenden. Referatsthemen wie jene Hermann Hellers über „Geist, Moral und Politik“, „Sinn der Politik“, „Agitations- und Verantwortungspolitik“119 hatten mit den gewohnten Topoi linkssozialdemokratischer Interpretationsschemata einfach zu wenig zu tun. Ohnehin mussten sie aus der Perspektive überzeugter „Historischer Materialisten“, die sich des Telos geschichtlicher Prozesse unbedingt sicher waren und kompromisslose sozialistische Agitationspolitik mit einer nie angezweifelten Selbstverständlichkeit für die sowohl geistreichste als auch moralisch fundierteste Verantwortungspolitik gegenüber dem Proletariat hielten, geradezu überflüssig feuilletonistisch klingen. Für Hermann Springer, ein ehemaliges Mitglied der SPJ-Reichszentrale und danach führender Funktionär der Leipziger SAJ, stand das Urteil über die Jungsozialisten fest: „Schöngeisterei und Phantasterei verriegeln diesen Genossen oft den Weg zur praktischen Organisationsarbeit in der Jugend und in der Partei.“ Offen stellte er die Existenzberechtigung einer solchen „Zwischenorganisation“ „mit eigenem Apparat und eigener Zeitung“ in Frage.120 Die Linkssozialdemokratie antizipierte pikanterweise mit dieser frühen Kampagne gegen die „rechten“ Jungsozialisten bereits die schrill klingende und administrativ geprägte Wortwahl, mit der die seit 1925 linkssozialistisch gewandelten Jusos über Jahre, bis zum bitteren Ende, von den Zeitungen und Bezirksvorständen der zentristischen und reformistischen Parteimehrheit angegriffen wurden. Wenngleich die Parteilinke vom zentralen Parteivorstand in Berlin stets das Recht auf abweichende Meinungen forderte, war sie selbst nur in seltenen Fällen bereit, Toleranz und Verständnisbereitschaft gegenüber Minderheiten im

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eigenen Lager zu demonstrieren. Ethische Sozialisten, religiös motivierte Sozialdemokraten und eben auch lebensreformerische Jusos hatten es schwer im freidenkerisch-materialistischen Milieu einer in ideologischen Fragen recht verbohrten Linkssozialdemokratie. Natürlich boten die Jusos durch ihr arrogantes Auftreten auch Angriffsflächen genug. Wie es schien, waren die Leipziger Jusos von ihrer künftigen Führungsmission und intellektuellen Hochwertigkeit so überzeugt, dass sie alle Appelle zur Beteiligung an der organisatorischen „Kleinarbeit“ als eine unwürdige Anmaßung zurückwiesen. Deutlich über solche Selbstgefälligkeiten erregt wünschte ein führender Leipziger SAJler – der künftige Bezirksvorsitzende Walter Otto – „dem Jungsozialismus ein baldiges, seliges Ende“.121

„T RETMÜHLE DER L INKSOPPOSITION “ – DIE H EIMVOLKSHOCHSCHULE S CHLOSS T INZ Mit der Entstehung des linken Flügels bei den Weimarer Jungsozialisten hatten die Funktionäre der früheren SPJ, die an einer Beseitigung, nicht an einer Veränderung der Bewegung interessiert waren, also wenig zu schaffen. Der Einfluss von politischen Gedankengängen aus der USPD-Tradition war stärker erst ab 1924 zu registrieren und kam im Übrigen aus einer anderen Ecke: von einer Reihe didaktisch vorzüglicher linkssozialdemokratischer Pädagogen nämlich, vor allem aus der Heimvolkshochschule Tinz.122 Die Tinzer Bildungsstätte, die einzige sozialistische Schule der Weimarer Zeit, war wie modelliert für die Jungsozialisten. Anders als die gewerkschaftseigene Frankfurter Akademie der Arbeit, die auf Herausbildung gediegener Spezialkenntnisse in Fragen des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik zur Bewältigung künftiger Funktionärstätigkeit in der Arbeiterbewegung Wert legte, versuchte die Tinzer Einrichtung, den Aspirationen der Jusos entsprechend, eine universell angelegte historisch-philosophische Sicht der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu lehren. Geschichte, Soziologie, Wirtschaftslehre und Einführung in die Literatur, Kunstgeschichte, Pädagogik und Psychologie waren die Hauptfächer für die jungen sozialistischen Arbeiter, die allesamt nicht mehr als eine einfache Volksschulbildung haben durften. Zweimal im Jahr bot die Schule ihre Kurse an, die von rund fünfzig der geistig ambitioniertesten und aktivsten jungen Sozialdemokraten aus dem Reich, zumeist im Alter von 20 bis 25 Jahren, für eine Dauer von jeweils fünf Monaten besucht wurden.123 Die Schule war in einem alten Schloss untergebracht, das in der Nähe der thüringischen Stadt Gera liegt und bis 1918 noch dem Duodezfürsten von Reuß gehört hatte. Der tatkräftige und initiativfreudige Arbeiter- und Soldatenrat in

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Thüringen hatte den feudalen Besitz in der Novemberrevolution 1918 mit einer damals seltenen Entschlossenheit enteignet, und die später regierende USPD konnte darin als Exekutivkraft dann Ende 1919 die sozialistische Bildungsstätte als „Stiftung zum Zwecke der Volksbildung“ einrichten und ab den 7. März 1920 mit dem Schulunterricht beginnen. Mit der Leitung der Einrichtung war der gelernte Maschinenbauer, spätere Arbeiterbibliothekar und Arbeiterbildner Gustav Hennig betraut, ein intimer Kenner der seinerzeit viel imitierten dänischen Volksbildungsversuche. Da die Heimvolkshochschule sich zwar grundsätzlich zu einer „sozialistischen Betrachtungsweise“ bekannte, gleichwohl aber parteipolitisch neutral bleiben wollte und das trotz der USPD-Dominanz im Kollegium durch ständige Gastlehrer der MSP und KP zunächst auch hinreichend dokumentieren konnte, gelang es der linken Arbeiterregierung in Thüringen, eine dauerhafte staatliche Bezuschussung für die marxistische Nachwuchsbildung gesetzlich abzusichern. Seit April 1923 war die Stiftung in staatlichen Besitz übergegangen, unterstand fortan dem Ministerium für Volksbildung in Weimar. Selbst Wilhelm Frick, der 1930 als erster Nationalsozialist in das Ressort des Innern der thüringischen Landesregierung einzog, scheiterte mit seinem Versuch, die materiellen Zuwendungen um zwei Drittel zu kürzen, am Einspruch des Staatsgerichtshofes. Erst die endgültige nationalsozialistische Machtübernahme im Reich brachte den Todesstoß für Tinz; ein Überfallkommando der Polizei jagte Mitte März 1933 die Schüler aus dem Schloss, „aus der marxistischen Bonzenschule“, wie es in der NS-Zeitung von Gera hieß.124 Bis dahin waren ca. 1350 junge Sozialisten durch den Bildungsbetrieb gegangen. Wer in Tinz war,125 der betonte in der Regel noch als Veteran, dass diese Monate zu den entscheidendsten Stationen seines Lebens gehörten.126 Dabei war es für die ehrgeizigen Jusos nicht leicht, den Traum von einer Teilnahme in Tinz erfüllt zu bekommen. Die Zahl der Bewerber überstieg die Aufnahmekapazität beträchtlich. Zwei Möglichkeiten der Anmeldung gab es: Entweder wurde man von der Partei- oder Gewerkschaftsorganisation des Bezirkes vorgeschlagen, oder aber man hatte mit einer „freien Bewerbung“ bei der Tinzer Schulleitung selbst Erfolg. Voraussetzung für beides war der Nachweis der aktiven Betätigung in der Arbeiterbewegung und bereits ein gewisser Fundus an theoretischem Wissen. Nun war es sicherlich so, dass die Jungsozialisten zumindest in ihrer eigenen Bewegung und im Kulturbereich der Partei emsig mitarbeiteten und auch die Lektüre von Büchern, Zeitschriften und Broschüren mit Eifer betrieben; dennoch war die gesetzte Aufgabe nicht ganz so einfach zu erfüllen. Die Kandidaten bekamen nämlich vom Lehrerkollegium ein Aufsatzthema gestellt, das sie innerhalb kurzer Zeit bearbeiten und einsenden mussten. Zwar hatten die meisten jungsozialistischen Arbeiter vergleichsweise viel gelesen, aber im Schreiben waren sie verständlicherweise nicht gleichermaßen gewandt. Zudem war die Ar-

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beitszeit seit dem Winter 1923 wieder kräftig angestiegen, sodass ihnen, wie aus Zeitzeugenberichten zu erfahren war, nur der späte Abend oder der Sonntag zum Formulieren blieb. Wer auch diese Hürde zu überwinden imstande war und mit der schriftlichen Abfassung bei seinen künftigen Lehrern reüssierte, der durfte endlich die Koffer für die Fahrt nach Mitteldeutschland packen. Die Reise und das Geld für den Kursus bezahlte dann in der Regel die zuständige Partei- oder Gewerkschaftsorganisation. Ein gewaltiges soziales Problem für die meisten allerdings war, dass ihre Arbeitgeber von einem fünfmonatigen Bildungsurlaub zum Studium der „marxistischen Weltanschauung“ nicht viel wissen wollten. Zahlreiche Tinzer, schätzungsweise zwei Drittel, waren mithin nach ihrem Schulaufenthalt zunächst und häufig auch für sehr lange Zeit arbeitslos. Die äußeren Bedingungen auf Schloss Tinz waren recht bescheiden. Allein die Größe der Zimmer brachte erhebliche Schwierigkeiten und zwischenmenschliche Spannungen mit sich. In der Anfangszeit mussten manchmal sechs bis neun Schüler einen Schlafraum teilen, in dem weder Stühle noch Tische standen. Inspektoren des Zentralbildungsausschusses der SPD bemängelten dies Ende 1922: In Tinz sei „alles sehr einfach, vielleicht auch manches zu einfach. Es gibt einen gemeinsamen Waschraum, wo eng aneinandergedrängt kleine eiserne Waschbecken vorhanden sind, die Schlafräume zwingen dazu, daß sechs Mädchen, in manchen auch mehr, in einem Raum schlafen müssen. Sie haben ganz kahle Wände und überaus engen Raum.“127 Ab Mitte der zwanziger Jahre besserte sich das ein wenig: Zwischenwände wurden eingezogen und in die Fensternischen Schreibtische zum Notieren und Lesen gestellt. Mehr als vier Personen brauchten nun nicht mehr die einst fürstlichen Schlafgemächer zu teilen. Einen ständigen Anlass zur Unzufriedenheit boten die täglichen Mahlzeiten, deren außergewöhnliche Kargheit der Grund für den einzig bekannten Schülerstreik war: Die Teilnehmer des neunten Männerkurses 1926, keinesfalls von Herkunft her verwöhnte Gourmets, waren es leid, immer nur Hering vorgesetzt zu bekommen. Der Tagesablauf auf dem Schloss war von der lebensreformerischen Einstellung der Schüler nicht ganz frei. Stets begann der Morgen mit einer halben Stunde gymnastischer Übungen. Die Erziehung des Körpers durfte auch vor Eis und Kälte nicht haltmachen: splitternackt hatten die „Tinzer“ im Winter in den Schnee zu springen und ihre Kniebeugeübungen zu absolvieren. Die Frauen vor allem pflegten an sonnigen Tagen im Schlosspark ihre freie Körperkultur. An warmen Sommerabenden tanzten sie Reigen. Soweit es ging, versorgte man sich mit einem Teil der Grundnahrungsmittel selbst, indem man im Park Getreide anbaute, Kartoffeln pflanzte – was viele Schüler allerdings als „unwürdig“ ablehnten – und das Brot selbst backte. Tabak und Alkohol wurden nicht gerne gesehen, wenn auch nach einigen Jahren nicht ganz untersagt; man richtete ein Raucherzimmer ein. Vor einer Überhöhung der lebensreformerischen Haltung

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warnten einige der Tinzer Pädagogen, da ihnen bei aller Sympathie für eine alternative Kultur gleichwohl an Schwarmgeisterei nicht gelegen war. Häufig beschworen sie die Gefahr, dass man beim Versuch, Gemeinschaftsinseln in einem gemeinschaftsfeindlichen Gesamtzusammenhang errichten zu wollen, in ein weit abgewandtes Sektierertum verfalle. Gegen die lebensreformerischen Experimente Hermann Hellers oder Adolf Reichweins im Bereich der von ihnen geführten Volkshochschulheime beispielsweise beharrten die Tinzer Pädagogen auf dem Vorrang einer kognitiven Wissensvermittlung zur Vorbereitung für den kollektiven Klassenkampf.128 Als Alternative zu den herkömmlichen autoritären und frontalen Lernstrukturen des gewohnten Volksschulunterrichts gingen die Lehrer häufig nach der arbeitsgemeinschaftlichen Methode vor, um so die Selbstständigkeit des Denkens zu fördern. Besonders beliebte Fächer waren „Nationalökonomie“ und „Geschichte der Arbeiterbewegung“. Im Vergleich zu diesen beiden Fächern blieb das Interesse für Psychologie, Kunst und Literatur eher gering, und die in den ersten Jahren angebotenen Naturwissenschaften strich das Lehrerkollegium schließlich mangels Wertschätzung bei den jungen Sozialisten ganz vom Lehrplan. Zusammen mit ihrem Kunstlehrer wanderten die Schüler regelmäßig in das benachbarte Gera, besichtigten dort Museen oder besuchten Theateraufführungen, wohnten Kammermusikabenden bei. Außerdem unternahm die Schule geologische und botanische Ausflüge sowie Besichtigungen von Industrieanlagen und Messen etwa in Leipzig, Gera oder Jena. Trotz allen Bemühens, keine geschlechtsspezifischen Rollenmentalitäten aufkommen zu lassen, war die Lehrerschaft dennoch gezwungen, dem Wunsch der Männer nach Kenntnissen im Arbeitsrecht durch einen kurzen Gastlehrerkursus Rechnung zu tragen, während die Frauen sich, wegen des „trockenen Stoffes“, wie es hieß, demgegenüber spröde zeigten und stattdessen über Erziehungsfragen informiert werden wollten, denen sich nun wiederum die Männer entzogen.129 Der zentrale Parteivorstand der SPD äußerte in internen Sitzungen, die sich mit der Tinzer Schule befassten, allerdings harte Kritik am Lehrplan, der ihm zu theorielastig, zu wenig an konkreten gewerkschaftlichen Fragen ausgerichtet war. Auch der Zentralbildungsausschuss der SPD, der regelmäßige Inspektionsbesuche in Ostthüringen durchführte, gab sich chronisch unzufrieden über die pädagogische Führung in Tinz.130 In breiten Kreisen der Parteiöffentlichkeit war die Heimvolkshochschule Tinz schon bald nicht mehr wohlgelitten. Es war kaum zu leugnen – und die Tinzer Pädagogen wussten darum und versuchten gegenzusteuern –, dass einige Schüler nach dem fünfmonatigen Aufenthalt in Tinz, stolz über das frisch angeeignete Weltanschauungswissen, mit einer zur Schau gestellten Überheblichkeit in ihre Städte zurückkehrten, sich dort als „Übertheoretiker“ aufspielten und am liebsten in wenigen Tagen den ganzen Ortsverein umgekrempelt hätten. Tinz

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galt somit vielen Funktionären als eine „geistige Tretmühle der Parteiopposition“ und als Herd unwillkommener Unruhe und störenden Querulantentums.131 Nicht auszuhalten sei es mit den Absolventen der Tinzer Schule, lautete eine häufige Beschwerde, man sah die Eintracht und Harmonie des Parteilebens durch das ständige „Nörgeln“ und „Besserwissertum“ der vorlauten „Grünschnäbel“ gefährdet.132 Auffällig ist, dass die große Mehrheit der proletarischen Meinungsführer im späteren linken Jungsozialismus durch die Tinzer Schule gegangen war.133 Insbesondere in der Anfangsphase war die Dominanz linkssozialistisch eingestellter – und männlicher – Pädagogen im Tinzer Lehrerkollegium eindeutig. Als die Schule am 8. März 1920 die Pforten für den ersten Männerkurs öffnete, unterrichteten neben dem Leiter der Einrichtung, Hennig, noch die beiden unabhängigen Sozialisten Oskar Greiner und Georg Engelbert Graf und zudem der damalige kommunistische Theoretiker Karl August Wittfogel. Als Graf und Wittfogel nach fortgesetztem Streit die Bildungsstätte verließen, rückten mit Alfred Braunthal und Otto Jenssen zwei weitere unabhängige Sozialisten an ihre Stelle. Doch soll es zwischen Braunthal und dem Leiter Hennig, dann mit dessen Nachfolger Alfred Herre sofort Reibereien gegeben haben; Hennig und Herre kehrten darob der Schule bald den Rücken. Alfred Braunthal, der auf diese Weise 1922 zum Leiter der Schule avancierte, war als Sympathisant Rudolf Hilferdings zumindest in den kommenden Jahren eher ein „rechter Zentrist“ denn ein radikaler Linkssozialdemokrat. Als Braunthal nach einem tödlichen Unfall seiner Frau 1928 das Schloss verließ, trat mit Erich Winkler ein Sozialist die Nachfolge an, der zwar aus der USPD kam, als enger Mitarbeiter der Gruppe um Theo Haubach, Carlo Mierendorff und August Rathmann aber nur schwerlich als linksoppositioneller Sozialdemokrat der sächsischen Richtung bezeichnet werden kann. Insofern ist das überlieferte zeitgenössische Klischeebild vom linken Radikalismus in Tinz ein wenig in Frage zu stellen, wenn auch die Auswahl der Gastdozenten einen nicht zu leugnenden linkssozialistischen Überhang zeigte: Mit der Pädagogikprofessorin und Reichstagsabgeordneten Anna Siemsen, dem Leiter der Metallarbeiterschule Bad Dürrenberg, Georg Engelbert Graf, dem linkskommunistischen Theoretiker Karl Korsch, dem Sexualreformer Max Hodann, dem Gewerkschaftssyndikus Ernst Fraenkel und dem sozialistischen Erzieher Otto Felix Kanitz aus Wien waren in den zwanziger Jahren im Wesentlichen Repräsentanten des linken Flügels der Arbeiterbewegung für befristete Vortragsreihen zu Gast auf dem Schloss. So sehr jeder der genannten Pädagogen als Referent an den Bildungsabenden in den örtlichen Juso-Gemeinschaften auch hochwillkommen war, so sehr übertrafen doch zwei von ihnen die Popularität der übrigen: Georg Engelbert Graf und Otto Jenssen, deren Rolle als Erzieher und politische Interpreten für die jungsozia-

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listische Bewegung kaum zu überschätzen ist. Der Name Engelbert Graf wurde für den linken Flügel 1924 fast eine Art Schlachtruf im Bemühen, den hier wenig geschätzten Karl Bröger von der Redaktionsführung der Jungsozialistischen Blätter abzulösen. Nicht nur linke Jungsozialisten waren fasziniert von der bizarren und kapriziösen Persönlichkeit Grafs, dessen ganzer Habitus sich so radikal vom, wie viele Jusos empfanden, „spießigen“ Auftreten der meisten „Parteibonzen“ unterschied. Tatsächlich fiel die äußere Erscheinung des Lehrersohns Graf aus dem Rahmen des sonst Üblichen in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Mit wehender Mähne, schwarzer Haarschleife unterm Kinn, Schnurr- und Spitzbart nebst Schlapphut und Havelock wirkte er wie ein extravaganter Künstler oder, kritischer gewendet, in der koketten Art, wie er sich gerierte, eher wie ein Bohemien denn ein proletarischer Klassenkämpfer. Graf war, wie sich die Zeitzeugen erinnern, ein praktizierender Anhänger der freien Sexualität, und ruchbar gewordene Beispiele seines ausschweifenden Liebeslebens an den Abenden jungsozialistischer Bildungskurse lösten einige Empörung bei den eher prüden Sozialdemokraten der älteren Generation aus, während der eine oder andere Juso ihn wegen solch libertinären Verhaltens zuweilen geradezu anhimmelte. Besonders an einzelnen Vortragsabenden oder an Wochenendseminaren konnte Graf, Leiter des Bildungswesens im Metallarbeiterverband, mit seinen Begabungen brillieren. Er war ein mitreißender Versammlungsredner und besaß vorzügliche didaktische Fähigkeiten. Graf sprach ungewöhnlich anschaulich, und seine Vorträge strotzten vor geschliffen formulierten Aperçus. Zudem gebärdete er sich überaus radikal, was sicher nicht zuletzt die Jugendlichen für ihn einnahm. Kritischen Beobachtern blieb allerdings schon zeitgenössisch nicht verborgen, dass Graf, der zweimal ein Hochschulstudium begonnen und wieder abgebrochen hatte, dabei oberflächlich, nicht wirklich gründlich war. Für einen mehrmonatigen Unterricht taugte der Jugendbildner daher kaum.134 Er, der auf der Rednertribüne kleiner und mittelgroßer Versammlungsräume eine so glänzende Darstellerrolle zu spielen vermochte, wirkte in der wirklichen Arena politischer Handlungen und Entscheidungen blass und hilflos. Als Parlamentarier in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion von 1928-1933 ging von Graf, der dort besonders die weitreichenden Hoffnungen der Jugendlichen repräsentieren sollte, weder ein konstruktiver Impuls noch ein hartnäckiger Widerstand aus.135 Die Jugend freilich wusste nichts von Grafs Passivität. In Artikeln und Ansprachen verurteilte er mit kompromissloser Schärfe die „opportunistische“ Politik der SPD-Mehrheit, und zu einem gestenreichen Bruch der Fraktionsdisziplin war er im März 1931, als sich die Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten zwecks Stützung der Regierung Brüning bei der Abstimmung um den Panzerkreuzer B der Stimme enthielt, zum Wohlgefallen seiner jugendlichen Anhänger gerne bereit.

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Engelbert Graf war eine typische Leitfigur für die jungsozialistische Bewegung, deren Mitglieder nicht zu Unrecht in dem Ruf standen, ja, dieses Renommee eigentlich genossen, „Außenseiter“, „Einzelgänger“, „Querköpfe“ und „Individualisten“ zu sein. Otto Jenssen, Sohn eines Zeitungsverlegers, ein äußerlich eher preußisch korrekt wirkender Sozialist, mochte solche Eigenschaften nicht besonders, und von Zeit zu Zeit rügte er die Jusos wegen derartiger Allüren. Nichtsdestotrotz verkörperte auch Jenssen eine typische Gestalt jungsozialistischer Lehrerschaft. Denn neben der eigenwilligen Ausdruckskultur war das jungsozialistische Selbstverständnis schließlich durch den Drang nach umfassender Bildung und theoretischer Klärung komplexer historischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge geprägt. Und Antworten auf ihre vielfältigen Fragen fanden die Jusos, wie die befragten Zeitzeugen unisono versichern, nirgendwo so sehr wie bei Otto Jenssen, der als Lehrer für Soziologie und Geschichte in Tinz den besten Kontakt zu den Teilnehmern hatte und darüber hinaus seit Mitte der zwanziger Jahre zu zahlreichen Kursen der ostsächsischen Jusos, seinen Lieblingsschülern, reiste. Dabei war Jenssen in seiner Tätigkeit außerordentlich behindert; aufgrund einer Hornhauterkrankung war er von Kindheit an erblindet und darauf angewiesen, dass ihm die Teilnehmer seiner Kurse vorlasen. Trotz dieser Behinderung verfügte er dank seines ungewöhnlich guten Gedächtnisses über ein umfangreiches Wissen, das allerdings mehr durch Solidität als durch Originalität bestach. In den Weimarer Jahren fiel Jenssen im Spektrum der SPD-Opposition durch seine hartnäckige Insistenz auf der Garantie der demokratischen Formen und liberalen Freiheitsrechte auch in der Zeit des sozialistischen Übergangs auf. Es war eine strategische Argumentationsfigur, welche der überzeugte Anhänger Otto Bauers der Programmatik des austromarxistischen Zentrums entlehnt hatte, die aber keineswegs selbstverständlich war für das strategische Denken der sozialdemokratischen Parteilinken, der sich Jenssen im Prinzip zugehörig fühlte. Jenssen hielt den Sozialismus nur dann für möglich, wenn ein hohes Maß an persönlicher Initiative, einer demokratischen Kultur des Geistes und die ständige Kritik der gegnerischen Klassen und ihrer politischen Repräsentanzen gewahrt bleiben; die „Diktatur des Proletariats“ oder ein despotischer Erziehungssozialismus konnte nach seiner Auffassung, die ihn von vielen seiner oppositionellen Gesinnungsfreunde trennte, nie zum angestrebten Ziel führen.136 Jenssen war zweifelsohne ein überzeugter Marxist, und durch ihn lernten zahlreiche Jusos wohl zum ersten Mal die Schriften der Klassiker gründlich kennen. Doch vor Buchstabengläubigkeit, später auch vor Revolutionsillusionen hatte Jenssen die jungen Sozialisten in den 1920er Jahren immer gewarnt, wenngleich nicht überall mit Erfolg.

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D IE K ONFLIKTE

NEHMEN ZU

Auf den zentralen Repräsentativtagungen der Jungsozialisten vertrat der linke Flügel Ende 1923, Anfang 1924 nur eine Minderheitsposition. Den Protagonisten der jungsozialistischen Linken mangelte es bei den Sitzungen auf Reichsebene an Elan, Offensivgeist und Geschlossenheit: Tugenden, mit denen die SAJOpposition (SAJO), gewachsen in der gemeinsamen Tradition der SPJ, in den gleichen Monaten gekonnt auftrumpfte und ihrer Verbandsspitze allerhand Sorgen bereitete. Ähnlichen Kummer gab es bei den Jungsozialisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht; denn mit einer deutlichen Zweidrittelmehrheit wiesen die Delegierten auf der Erlanger Reichskonferenz der Jusos im August 1923 Anträge auf Ablösung Karl Brögers von der Redaktionsführung der Jungsozialistischen Blätter und auf Beendigung der Zusammenarbeit mit den Nachwuchsorganisationen der bürgerlich-demokratischen Parteien entschieden zurück.137 In den innerverbandlichen Konflikten hatten sich die Fronten im Vergleich zu früheren Auseinandersetzungen neu formiert. Jungsozialisten, die in den ersten Jahren der Bewegung im ärgsten Hader über die „Parteifrage“ lagen, stemmten sich nun in Eintracht vereint gegen das oppositionelle Ansinnen des neu gewachsenen linken Flügels. Als Kurt Wegener, gemeinsam mit Otto Lamm, in den Jahren zuvor Wortführer des „parteiorientierten“ Flügels der Berliner Jusos, auf der Reichsausschusssitzung am 17. November 1923 das Grundsatzreferat über „Die Lage der Republik und die Jungsozialisten hielt, erntete er lebhaften Beifall bei den Jungsozialisten mit freideutsch-jugendbewegter Vergangenheit. Kurt Wegener hielt ein Referat, das wohl auch die meisten Mitglieder des Parteivorstandes der SPD kaum anders vorgetragen hätten; es war ein Plädoyer für republikanische Vernunft, für Zusammenarbeit mit den verständigungswilligen Parteien und Gruppen des Bürgertums und gegen die Experimente einer Einheitsfront mit den Kommunisten.138 Nachdem Wegener die der Republik drohenden innen- und außenpolitischen Gefahren mit drastischen Worten geschildert hatte, berichtete er über die Gespräche, die die zentrale Leitung der Jungsozialisten mit der demokratischen Jugend, den „Windthorstbünden“ und der SAJ zwecks Gründung einer lockeren Arbeitsgemeinschaft der republikanischen Jugendverbände zum Schutz der Demokratie gegen Angriffe von rechts geführt hatte. Während er diese Beziehungen wegen des Republikanismus aller beteiligten Gruppierungen als vorbildlich heraushob, tadelte er die von sächsischen und Kasseler Jungsozialisten empfohlenen Bündnisse mit den Jungkommunisten. Besonders scharf wies er die Kasseler Gruppe zurecht, die in einem spektakulären Rundbrief für eine „Arbeits- und Kampfgemeinschaft“ mit den Kommunisten – „und sei es über den Kopf der Führer hinweg“139 – geworben hatte. Die Trennungslinie zu den Feinden der Republik müsse, so Wegener, so-

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wohl nach rechts als auch nach links in aller Klarheit gezogen werden. Zum Schluss seiner Ausführungen machte Wegener deutlich, wo er die Jungsozialisten im Spektrum der SPD angesiedelt wissen wollte. Gegen Stimmungen in der Partei, die politische Perspektive erneut in Verantwortungsabstinenz und radikaler Oppositionshaltung zu suchen, verlangte Kurt Wegener eine unzweideutige Bejahung des Weimarer Staates und die politische Mitarbeit an ihm. Kräftige Unterstützung erhielt der Berliner Jungsozialist – besonders für seine Schlussbemerkungen – von Max Westphal, als Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterjugend zugleich Vertreter im Reichsausschuss der Jungsozialisten. Westphal war in vielerlei Hinsicht eine typische Funktionärspersönlichkeit in der Weimarer Sozialdemokratie: ein exzellenter Organisator, unbedingt zuverlässig, überzeugter Anhänger eines demokratischen Sozialismus und von absoluter Treue gegenüber den Entscheidungen der Parteispitze. Ganz im Sinne der Parteivorstandsmehrheit forderte Westphal Geradlinigkeit in der Bündnispolitik; es gehe nicht an, rügte der Reichsvorsitzende der „Arbeiterjugend“, dass die einen Gruppen mit den Kommunisten, die anderen mit bürgerlichen Jugendverbänden in Verhandlungen stünden. Ziel müsse es sein, die demokratischen Grundsätze zu stärken und zu einer republikanischen Erziehung beizutragen. Praktisch sei das nur in einer Allianz mit den ehrlichen Demokraten des Bürgertums möglich, weshalb, wie Westphal folgerte, die Sozialdemokratie ihre Rolle als Oppositionspartei aufgeben müsse, denn damit habe man „in Zukunft kein Glück mehr“.140 Dankbar nahmen die Jungsozialisten der Hofgeismar-Richtung die wesentlichen Stichworte Wegeners und Westphals auf und forderten eine klare Entscheidung nach links. Der einzige sich zu Wort meldende Jungsozialist des linken Flügels, Arthur Weichhold aus Dresden, war demgegenüber darum bemüht, das absehbare Verdikt des Reichsausschusses über die mitteldeutschen Einheitsfrontversuche abzumildern. Er distanzierte sich von den wortradikalen Sätzen im Aufruf der Kasseler Jungsozialisten und versuchte, das Verhalten der jungen Sozialdemokraten in Sachsen eher entschuldigend abzuwiegeln denn politisch offensiv zu begründen. Die bürgerlichen Parteien und ihre Jugendorganisationen seien, bedauerte Weichhold, grundverschieden von denen des Reiches, und ein Zusammengehen mit ihnen sei daher nicht möglich. Die zurückhaltend unaggressive Haltung des sächsischen Juso-Repräsentanten hatte offenbar besänftigende Wirkung auf die übrigen Abgesandten der jungsozialistischen Bezirke: Der Reichsausschuss billigte in einem Schlussvotum die Kontakte der geschäftsführenden Juso-Leitung mit den Jugendverbänden der demokratischen Parteien und stellte sich politisch hinter die Ausführungen Kurt Wegeners „unter Berücksichtigung“, wie es abmildernd hieß, „der sächsischen Verhältnisse“141. Auf der nächsten Reichsausschusssitzung, bereits vier Monate später, schlugen die Wogen der Erregung ungleich höher. Es ging um die Redaktionsführung

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des jungsozialistischen Zeitschriftenorgans. Zum Tagesordnungspunkt Jungsozialistische Blätter lagen aus Ostsachsen und Chemnitz zwei Resolutionen vor, die sich für einen Redaktionswechsel von Karl Bröger zu Georg Engelbert Graf aussprachen. Den Sachsen fehle die Behandlung wirtschaftlicher und politischer Fragen in den Blättern, hieß es in der Begründung von Arthur Weichhold, der dieses Mal, unterstützt von anderen Jusos des linken Flügels, sehr viel forscher auftrat als beim letzten Treffen. Die nachfolgende Diskussion muss für Bröger nicht leicht zu ertragen gewesen sein, da ihn selbst seine Gesinnungsfreunde aus Hamburg und Dortmund im Stich ließen. Dies geschah nicht etwa, weil sie Sympathien für den linkssozialdemokratischen Arbeiterbildner Graf gehegt hätten, sondern im Gegenteil, weil ihnen Bröger noch zu wenig den inhaltlichen Charakter der Zeitung in ihrem Sinne bestimmt hatte; er war, wie Benedikt Obermayr aus Dortmund bemängelte, nicht ausreichend „diktatorisch“ genug.142 Dagegen stellte Otto Lamm die grundsätzliche Einstellung Brögers in Frage. Nur Bruno Lösche, über zwei Jahre der wohl schärfste Kritiker Karl Brögers, nahm den arg gescholtenen Schriftsteller und Parteijournalisten ein wenig in Schutz und äußerte Anerkennung für die letzten Ausgaben der Jungsozialistischen Blätter. Bröger selbst konnte in seiner Entgegnung auf die ihm gemachten Vorwürfe mit einem gewissen Recht behaupten, dass die Blätter seit dem Frühjahr 1923 an politischer Substanz gewonnen hätten und dass es eigentlich die Beiträge der sächsischen Jungsozialisten wären, die durch ihren unpolitischen Gehalt auffielen. Zwar verzichtete der Reichsausschuss schließlich einstimmig auf ein klärendes Votum über die vorliegenden Resolutionen und überwies die Entscheidung über eine mögliche Neubesetzung des Redaktionspostens an die Delegierten der nächsten jungsozialistischen Reichskonferenz. Bröger aber, durch die anhaltenden Attacken offenkundig mürbe gemacht, kapitulierte bereits vorher. Ende Juli 1924 trat Bröger aus persönlichen Gründen und wegen Arbeitsüberlastung, wie er es in einem Schreiben an den Reichsausschuss formulierte, von seinem Amt zurück. Max Westphal übernahm daraufhin die provisorische Leitung der Zeitschrift;143 eine Lösung, die für die Jungsozialisten der Hofgeismar-Richtung eher einen Rückschritt bedeutete, aber auch für den linken Flügel gewiss kein Fortschritt war. Westphal galt als Mann des „Apparats“ und wurde von beiden exponierten Richtungen im Jungsozialismus nicht sonderlich geschätzt. Die vorhergehenden Ausführungen lassen deutlich erkennen, dass in den institutionellen Organen auf Reichsebene die Jungsozialisten wie Kurt Wegener, Bruno Lösche und auch Max Westphal eine gewichtige, zur traditionellen Form der Herstellung „klarer Mehrheitsverhältnisse“ vielleicht sogar ausschlaggebende Rolle spielten. Dieser Typus von Jungsozialisten und die Strömung, die er repräsentiert, sind leicht vorschnell ignoriert. Denn eines hatten diese Protago-

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nisten keineswegs: den politischen Ehrgeiz, durch originelle Sozialismusinterpretationen Aufsehen zu erregen. Lösche, Wegener, Westphal und auch Karl Raloff – mithin allesamt Jusos der alten „parteiorientierten“ Richtung – waren anderen Charakters: ziemlich fest schon in die Routine des Parteibetriebes integriert, teilweise bereits als Redakteure an sozialdemokratischen Tageszeitungen beschäftigt, Inhaber kleiner Ämter in den Ortsvorständen der SPD, fleißige Leser der vom Parteivorstand herausgegebenen Broschüren und Rundschreiben, disziplinierte Funktionäre im Dienste der Arbeiterbewegung und fest auf dem Boden der alten mehrheitssozialdemokratischen Partei- und Weltanschauung. Mit einem Bein standen sie schon außerhalb der jungsozialistischen Bewegung, zu sehr waren sie eingespannt in die Betriebsamkeit sozialdemokratischer Organisationspraxis. Für das Abfassen eigenständig-nachdenklicher Aufsätze und Artikel zu den wechselnden ideellen Grundfragen jungsozialistischer Kontroversen hatten sie weder Zeit noch Sinn. Im Gegensatz zu den beiden prononciert ideologischen Flügeln der Jusos ging von ihnen keine geistige Faszination aus. Sie setzten keine Symbole oder Begriffe, über die man in Diskussionen mit Leidenschaft streiten konnte. Der mehrheitssozialdemokratische Jungsozialismus des Typus „Wels mit Schillerkragen“ vermochte keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und täuscht noch den Historiker, der ihn zu übersehen geneigt ist, obgleich es ihn auch in den Ortsgruppen vielfach und länger gab, als man nach Lektüre der politischen Grundsatzartikel in den Jungsozialistischen Blättern meinen könnte. Die zielsichere Durchführung einer Reichsausschusssitzung war für diese Jusos, organisatorisch bestens geschult, kein Problem. Mit den Jusos aus Dortmund und Hamburg machten sie dort deshalb gemeinsame Sache, weil ihnen, den Anhängern von Friedrich Ebert und Otto Wels, jeder Radikalismus von links höchst verdächtig war. Dazu gab es mit den jungen Sozialdemokraten der HofgeismarRichtung in der Bündnisorientierung und der Staatsvorstellung Gemeinsamkeiten genug, wenngleich ein Bruno Lösche, ein Kurt Wegener und ein Max Westphal – das sollte man nicht außer Acht lassen – erhebliche innere Distanz zum nationalen Übereifer und der vergotteten Staatsverklärung besaßen. Diese sozialdemokratischen „Biedermänner“, wie sie manchmal in der Literatur als negativ begriffene Muster des „kleinbürgerlichen“ sozialdemokratischen Milieus karikiert werden, hatten den Vorzug, sowohl für den Sirenengesang neokonservativ-romantischer Gesellschaftsmodelle als auch für die chiliastischen Heilserwartungen einer „Diktatur des Proletariats“ unempfänglich zu sein. Mit ihrem nüchternen Blick für das „Machbare“, die Zweckmäßigkeiten einer politischen Demokratie in komplexen, hochindustrialisierten Gesellschaften verkörperten sie wahrscheinlich mehr als die Visionäre links und rechts von ihnen. Dass sie dem zeitspezifischen Drang zu alltagstranszendierenden Entwürfen rat- und sprachlos gegenüberstanden, darin allerdings lag gewiss eine Schwäche.

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Innerhalb der jungsozialistischen Bewegung vertraten sie auch rein quantitativ das am wenigsten dynamische Element. 1924 und auch noch Jahre später existierten im Reich, besonders in den ländlichen Gegenden wie in Ostwestfalen, am Oberrhein und in Südwestdeutschland, eine Reihe von Jungsozialistengruppen, die sich weder dem linken Flügel zuordneten noch am Kultus um die Hofgeismar-Tagung beteiligten. Fraktionskämpfe und ausufernde Theoriedispute lehnten die jungen Sozialdemokraten der „mittleren Richtung“ ab. Mit der Bildungsarbeit in den jungsozialistischen Gemeinschaften wollten sich die Beteiligten, so lautete das Selbstverständnis, zu tüchtigen Funktionären der Partei erziehen. Umso ernster man diesen Anspruch allerdings nahm und ihn realisieren konnte, umso geringer war dann die Lebensdauer der jungsozialistischen Ortsgruppe. Wer recht bald mit der Funktionärsarbeit in der Partei begann, war in absehbarer Zeit für die Juso-Gruppe verloren. Zugespitzt ausgedrückt: Wer ein guter Jungsozialist sein wollte, konnte nicht gleichzeitig ein guter Funktionär der Partei werden. Ein guter Jungsozialist ging in der theoretischen Debatte auf, er problematisierte und philosophierte; er hatte genug zu tun mit dem Exzerpieren eines schwierigen Textes oder mit der Vorbereitung von Literatur- und Kunstabenden im Jugendkollektiv. Für die Partei blieb da nur wenig Zeit.

IV. Eine junge sozialdemokratische Rechte kristallisiert sich heraus

„K AMERADEN “

AUF

ABWEGEN

Die Polarisierung zwischen den beiden Flügelgruppierungen der Jungsozialisten sollte sich 1923/24 noch weiter verschärfen. Schrittmacher dieser Entwicklung waren zweifellos die jungen Sozialdemokraten aus Hamburg und dem Ruhrgebiet, die schon Ende 1923 begonnen hatten, eigenständige, fraktionsähnliche Strukturen aufzubauen. Man nannte sich nach dem Ort der richtungsweisenden Osterwoche „Hofgeismarkreis“ und bereitete für Pfingsten 1924 erneut eine Arbeitstagung vor, dieses Mal zum Thema „Jungsozialisten und Außenpolitik“. Im Herbst 1924 schuf sich der Kreis, der sich bislang keineswegs über mangelnde Berücksichtigung seiner politischen Positionen in den Jungsozialistischen Blättern zu beklagen hatte, für die Selbstverständigungsdebatte ein eigenes Zirkular, das den Titel Politischer Rundbrief trug und, von Franz Osterroth redigiert, bis zu seiner Einstellung im Januar 1926 insgesamt in fünf Ausgaben erscheinen konnte. Im Übrigen fand ein intensiver Austausch der Meinungen durch einen regen Briefwechsel und eine Vielzahl gegenseitiger persönlicher Besuche statt. Zentral verfasste Schreiben der „Führungsgruppe“ des Hofgeismarkreises wurden dagegen nur in seltenen Fällen an die Sympathisanten eines „nationalen“ und „staatsbejahenden“ Sozialismus, die außer in Hamburg und den Ruhrgebietsstädten im Wesentlichen noch in Köln, Bonn, Dessau, Nürnberg, Kiel, Lübeck und Berlin zu Hause waren, versandt.1 Dem leitenden Gremium gehörten der Hamburger Gustav Dahrendorf, der Dessauer Heinrich Deist, der Berliner Robert Keller und die beiden Bochumer August Rathmann und Franz Osterroth an, die durch wie auch immer definierte „Führungseigenschaften“ hierzu gleichsam „berufen“ und „bestimmt“, nicht aber gewählt worden waren, da ein rational-überprüfbarer Akt formaler Elektion dem lebensphilosophischen Ethos einer „Jugendbewegung“ widersprochen hätte. Wenngleich in der Regel

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nur dieses Quintett für öffentliche Erklärungen des Hofgeismarkreises durch Unterschrift Verantwortung trug, wird man in diesem Zusammenhang noch Theodor Haubach erwähnen müssen, da dessen energische Einflussnahme auf die Entscheidungsprozesse des Kreises seit 1924 zu jenen unbezweifelbar demokratisch-sozialistischen Stellungnahmen beigetragen hat, die in den Autobiografien früherer Protagonisten des Hofgeismarkreises zu Unrecht als allzeit gültiges Markenzeichen der gesamten Gruppierung schlechthin reklamiert werden. Obwohl Haubach als mehrmals verletzter Weltkriegsoffizier an der Westfront mit vielen Sozialdemokraten der jüngeren Generation das Schützengrabenerlebnis geteilt hatte, war er, der nach dem Krieg zum Doktor der Philosophie promovierte, kein Jungsozialist der ersten Stunde. In zahlreichen Fragen der politischen Analyse und Interpretation stimmte Haubach, seit 1924 Redakteur für Außenpolitik am sozialdemokratischen Hamburger Echo, mit den Urteilen des Gros seiner Freunde vom Hofgeismarkreis nicht überein.2 Überhaupt nahm die Binnendifferenzierung sowohl im Hofgeismarkreis als auch bei dessen linkem Pendant zu einem Zeitpunkt zu, als die interessierte sozialdemokratische Öffentlichkeit und wohl auch die Akteure selbst den Eindruck vermittelt bekamen, bei den Jungsozialisten stünden sich zwei fest geschlossene und homogene Blöcke gegenüber. Dabei tummelte sich Unterschiedliches und Gegensätzliches, Ausgereiftes und Schwankendes im Kreise der Hofgeismar-Jungsozialisten. Selbst der krude Irrationalismus eines in die Sphäre intuitiver Seelenerlebnisse hinein transzendierten „Volks“-Begriffes wurde von einigen seiner Sprecher noch Mitte der zwanziger Jahre, als längst die Töne der „neuen Sachlichkeit“ zum Takt der Zeit gehörten, nicht ganz aufgegeben. Heinrich Deist etwa, Sohn des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Anhalt, gehörte eine Zeitlang zu den hartnäckigsten Verfechtern offenherzig eingestandener Romantik und Rationalitätsfeindlichkeit. „Volk“, so schrieb der 22-jährige Student der Jurisprudenz im zweiten Politischen Rundbrief des Hofgeismarkreises Ende 1924, „ist rational nicht voll zu erfassen. Es ist eine Einheit, deren Kräfte teilweise im Irrationalen liegen“3. Für die Medien aufgeklärter Willensbildung hatte Deist damals eine ausgesprochen große Abneigung, da ihm der Wert des Parlaments gering schien, die Unfruchtbarkeit der Parteien als bewiesen galt und überhaupt die ganze Demokratie zu sehr auf der „Fiktion der Gleichheit“ begründet sei.4 Gewiss, solche Auffassungen waren allmählich weniger im Hofgeismarkreis zu hören; ganz verschwinden aber sollten sie eigentlich nie so recht bei den Jungsozialisten der „nationalen Orientierung“. Deklamatorisches Säbelrasseln war in jenen Jahren nicht nur abendfüllende Pflichtübung bierseliger Kommerse und farbentragender Studentenkorporationen, sondern ernst gemeinter Anstoß einiger Hofgeismarer Jungsozialisten zur Belebung der „schlappen“ Sozialde-

IV. E INE JUNGE SOZIALDEMOKRATISCHE R ECHTE KRISTALLISIERT

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mokratie. Wohl richtig ist, dass die meisten Jusos des Kreises nicht so weit gingen wie der führende Leipziger Jungsozialist Hermann Schmitz, der sich lauthals empörte, dass die SPD „der Menge“ – dem „Schlamme des Pöbels“, wie er sein sonst so hymnisch verehrtes Volk noch zu nennen beliebte – nur von Rechten erzählt und dadurch das „Pflichtbewusstsein“ zerstört habe. Nicht klein war aber die Zahl derjenigen, die sich in diesen Jahren weiterhin für den „Geist des 4. Augusts“ und die Erziehung zur „Staatsgesinnung“, der preußischen zumal, ereiferten. Damit redeten sie zugleich einem Staatsapriorismus das Wort, der mit dem demokratisch-sozialistischen Verständnis staatlicher Interventionsmacht als Hebel zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Emanzipationsmöglichkeiten und rechtlich fundierter Liberalität nichts zu tun hatte. Ein Jungsozialist wie Schmitz wollte mit solchen klassischen Zielsetzungen sozialdemokratischer Politik allerdings auch ganz bewusst nichts mehr zu schaffen haben und bemühte eine ganz andere, für Sozialisten freilich ungewöhnliche Tradition: „Wir fühlen uns als Enkel jener Germanen“, bramarbasierte Schmitz, „die das römische Joch brachen. Unsere Gedanken folgen den Spuren der Ordensritter nach Osten. Ein Symbol ist uns der Fridericius Rex bei Leuthen.“5 Nun war ein solches Heldenepos germanisch-borussischer Herrlichkeit und Kampfestugend, noch dazu als historisches Vorbild des künftigen Sozialismus aufgefasst, auch im Hofgeismarkreis gewiss eine krasse Zuspitzung deutschnationaler Großmannssucht – eine Überspitzung jedoch von Stimmungen, Redensarten und Ansichten, die in Teilen des Kreises präsent waren und exzessive Auswüchse nach Art des Leipziger Jusos überhaupt erst möglich machten. Das begann mit soldatischen Anredeformen und kulminierte in patriarchalischen Prahlereien. Franz Osterroth beispielsweise, zeitgenössisch der sicher prominenteste und rührigste Jungsozialist des Hofgeismarkreises, sprach nicht mehr von „Genossen“, sondern von „Kameraden“, wenn er seine Gesinnungsfreunde anzuschreiben oder vorzustellen pflegte.6 In einer solchen Kameraderie, mancherorts in erster Linie durch den Wunschtraum vereint, Deutschland erneut zu nationaler Größe und imperialer Macht zu verhelfen, blieb für das weibliche Geschlecht, das als schwaches zu werten nicht anders denkbar war für einen „national“ orientierten Mann, wenig Platz. Hofgeismar, das galt als Anbruch einer neuen Epoche „des schaffenden Mannes“; jedenfalls sollte es das Ziel der „Kameraden des Hofgeismarkreises sein“7, wie der erste Politische Rundbrief geradezu programmatisch aufrief, zu „einer reifen Männlichkeit auszuholen“8. Dies waren – alles in allem – Parolen, die man in der Regel in der politischen Kultur desjenigen gesellschaftlichen Spektrums vermutet, das dem der sozialistischen Arbeiterbewegung entgegengesetzt war und ihm bekanntermaßen feindlich gegenübertrat. Am Jungsozialismus der hier geschilderten Prägung allerdings hatten Jungdeutsche, Deutschnationale und Nationalrevolutionäre der

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unterschiedlichsten Spielart ihre helle Freude. Der Jungdeutsche Rundbrief zur Jahreswende 1923/24 beispielsweise erschien ganz unter dem Motto: „Jungdeutsche hier und Jungsozialismus dort, Keime einer Synthese zum deutschen Sozialismus?“9 Besonders die Biografie Franz Osterroths verdeutlicht, wie tief dieser nach 1926 fraglos überzeugte, integre und kämpferische Republikaner zur Mitte des Jahrzehnts in den Strudel rechter Strömungen hineinzugeraten drohte. Osterroth war ganz und gar kein finsterer Reaktionär, sondern ein etwas ungestüm agierender junger Sozialdemokrat, der sich schnell begeistern konnte, sich von Stimmungen und Emotionen mitreißen ließ und rasch Gefallen an Ideen fand, die Saft und Kraft versprachen, während ihm Durchschnittliches, Behutsames und allzu Zögerliches von Herzen zuwider war. Seine sozialdemokratische Familienbindung – der Vater war SPD-Landtagsabgeordneter – und seine Tätigkeit als Jugendsekretär beim Bergarbeiterverband von 1921-1924 in Bochum konnten sicherlich verhindern, dass er bei seinen politischen Eskapaden dem Milieu seiner Herkunft und sozialen Existenz zu sehr entglitt. Als er aber im Oktober 1924, wie zahlreiche seiner jungsozialistischen Freunde, die Mühsal eines zweiten Bildungsweges auf sich nahm und nach Berlin übersiedelte, um sich als Hörer an der „Hochschule für Politik“ einzuschreiben, fehlte die traditionelle Verwurzelung ein wenig, und er geriet, soweit man sozialdemokratische Maßstäbe anlegt, auf Abwege oder genauer: man versuchte, ihn auf Abwege zu bringen.10 Am wirkungsvollsten gelang dies Ernst Niekisch – über den im Einzelnen noch zu schreiben sein wird –, was insofern immerhin im Rahmen der SPD blieb, als der einstige Vorsitzende des bayerischen Zentralrats der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte bis 1926 formal noch Mitglied dieser Partei war,11 zu ihren programmatischen Kernaussagen allerdings längst im Widerspruch stand. Aber Niekisch war nicht der einzige, der in dieser Zeit versuchte, den jungen früheren Bergmann Osterroth, bekannt geworden durch hitzige Attacken gegen die „Alten“ in der SPD und durch sein „vaterländisch-staatsbejahendes“ Bewusstsein, für seine Ziele einzuspannen.12 Da ersuchte außerdem noch der Herausgeber der nationalistischen Zeitschrift Standarte den prominenten Jungsozialisten um redaktionelle Mitarbeit. Da führte der Frankfurter Professor Philipp Stein, eine einflussreiche Persönlichkeit des „Volksbundes Deutscher Rhein“, des Öfteren Gespräche mit Osterroth und machte ihn schließlich mit Hans Draeger bekannt, der als Sekretär der „Gesellschaft zur Bekämpfung der Versailler Schuldlüge“ amtierte. Durch Draeger landete der Ruhrgebiets-Juso zu guter Letzt im „Klub von 1914“, wo man ihn mit der Aussicht zu locken hoffte, demnächst zum Jugendsekretär für Außenpolitik im Reichsausschuss der Deutschen Jugendverbände zu avancieren. Als sich aber Stein, wiewohl selbst Sozialdemokrat, bei einer Tischgesellschaft des „Klubs“, zu der auch Osterroth geladen war, in eine maßlose Philippika gegen die sozialdemokratische Führungsriege hineinsteigerte, hatte

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der Bochumer Abgeordnetensohn dann genug von der Runde und blieb ihr fortan fern. Osterroths Lösung aus den Umarmungsversuchen deutschnationaler Gesellschaften wurde dadurch erleichtert, dass er im Juli 1925 nach Hamburg zog, wo er eine Anstellung beim Arbeitsamt angeboten bekam. Die Jusos an der Elbe verhielten sich in ihrer nationalen Orientierung sehr viel moderater und besonnener als ihre gleichaltrigen Freunde aus dem Ruhrgebiet oder aus Berlin und waren inzwischen mehr als alle anderen „Hofgeismarer“ mit der lokalen Parteiorganisation verwachsen;13 Osterroth fand dort offenkundig nach einiger Zeit den Halt, den er brauchte.

S OZIALER R ECHTSSTAAT , P ATRIOTISMUS UND W ESTORIENTIERUNG – H ERMANN H ELLER UND T HEODOR H AUBACH „Hofgeismar-Jungsozialismus“, das konnte, das musste aber keineswegs Anfälligkeit und Nähe zum Nationalismus reaktionärer Provenienz bedeuten. Wie schillernd und widersprüchlich die im Kreis vertretenen politischen Positionen waren, zeigten besonders die außenpolitischen Debatten, die bei den Hofgeismar-Jungsozialisten in einer Intensität und Begeisterung geführt wurden, wie es in keiner anderen Gruppe der Sozialdemokratie der Fall war. In der Tat gab es in der Partei im Bereich der internationalen Beziehungen ziemlich augenfällige konzeptionelle Defizite – Hermann Heller sprach gar von der „außenpolitischen Askese“14 des Marxismus. Zweifellos waren die außenpolitischen Experten der Weimarer SPD, die einen Blick für globale Zusammenhänge hatten, über gediegene empirische Kenntnisse der innenpolitischen Vorgänge in anderen Ländern verfügten und sich noch dazu in militärstrategischen Fachdiskussionen auskannten, an einer Hand abzuzählen. Dem Mangel an geostrategischer Kompetenz konnte allerdings auch der Diskurs im Hofgeismarkreis nicht im erhofften Maße abhelfen. Denn ganz so kühl, rational und kenntnisreich, wie das die Matadoren dieses Juso-Flügels zeitgenössisch mit großer Inbrunst behaupteten,15 ging es an den Ausspracheabenden und in den Arbeitswochen des Kreises nicht zu. Doch die Differenzierungen, die im Kreis bis dahin eher verdeckt geblieben waren, gerieten durch die außenpolitischen Erörterungen trotz der geopolitischen Verengung auf die für grundsätzlich gehaltene Frage, ob man sich an Frankreich, England oder Russland zu orientieren habe, deutlich ans Tageslicht. In der Konsequenz unterschieden sich diejenigen Hofgeismar-Jusos, deren Auffassung als sozialdemokratisch zu bezeichnen eher euphemistisch wäre, von denjenigen, die als republikanische Sozialisten noch Eindrucksvolles leisten sollten.

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Beginnt man mit den letzteren, so wird man Theodor Haubach an die erste Stelle rücken müssen. Ihm oblag im Übrigen die geistige Vorbereitung jener zu Pfingsten 1924 in das hessische Städtchen Gudensberg gelegten Arbeitswoche zum Thema „Jungsozialisten und Außenpolitik“16, die rein formal, ähnlich wie die vorangegangene Tagung in Hofgeismar, erneut von den Jungsozialisten aus Bochum und Dortmund einberufen worden war.17 Der junge Hamburger Redakteur trat wie sein engster Freund Carlo Mierendorff18, der sich dies mehr noch als Haubach zu einer Art politischer Lebensaufgabe gesetzt hatte und dabei großen Mut und Engagement bewies, für deutsch-französische Freundschaftsbeziehungen ein. Allein solches Tun war, betrachtet man die politische Landschaft der Weimarer Zeit, ein zuverlässiger Indikator dafür, dass Haubachs nationale Leidenschaft nicht mit Nationalismus verwechselt werden darf. Für Annäherung an den traditionellen „Erbfeind“ zu plädieren, gar noch Verständnis für das spezifische Sicherheitsbedürfnis und -interesse der französischen Politik zu zeigen, das galt den Repräsentanten der nationalistischen Reaktion in Deutschland – und nicht wenigen Hofgeismarern, wie hinzuzufügen ist – als glatter Landesverrat. Aber auch mit anderen Mythen der Hofgeismar-Bewegung versuchte Haubach in seinen zahlreichen Referaten, die er im Laufe des Jahres 1924 in den regionalen Untergliederungen der jungsozialistischen Bewegung hielt, aufzuräumen. Durch gutes Zureden, Versöhnungspredigten oder gar Volksgemeinschaftsromantik sei – so belehrte Haubach die Jungsozialisten des Ruhrgebiets, für die das provokante Töne gewesen sein mussten – der Klassenkampf nicht aus der Welt zu schaffen.19 In seinem Vortrag auf der Gudensberger Arbeitstagung präzisierte Haubach den im Hofgeismarkreis inflationär gebrauchten und größtenteils immer noch metaphysisch umwölbten Staatsbegriff, indem er – im Unterschied zur Staatsapotheose vieler seiner jungen Genossen, im Gegensatz aber auch zum Staatsabsentismus zahlreicher älterer Sozialdemokraten – die republikanische Staatsbejahung postulierte und zu einem energischen Ringen um die gouvernementale Führung der Nation aufrief.20 Der proklamierte Wille zur Macht, die Bereitschaft zur Übernahme der Verantwortung für die nationalen Interessen, das verband den Hamburger Jungsozialisten mit vielen seiner Freunde vom Hofgeismarkreis. Dabei war Haubach von chauvinistischen Gefühlen frei. Er verfolgte einen sozialistischen Patriotismus, wie ihn einst Jean Jaurès mit verkörpert hatte und wie er wohl in Frankreich mit seiner stabilen und geschichtsebnenden Tradition nationaler und demokratischer Bewegungen leichter möglich sein konnte. Das meiste von dem, was hier über Theodor Haubach gesagt wurde, traf in gleichem Maße auch auf Hermann Heller zu, der ebenfalls auf der Gudensberger Tagung sprach. Heller wurde 1891 im Grenzgebiet zwischen der Tschechoslowakei und Polen in der habsburgischen k. u. k. Monarchie geboren.21 Die ersten Monate des Ersten Weltkrieges machte er als Kriegsfreiwilliger mit, konnte

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dann, krankheitsbedingt, aber sein Studium fortsetzen. Dabei verschlug es ihn nach dem Zusammenbruch der Monarchien in Berlin und Wien nach Kiel, wo er im März 1920 habilitierte – und zur gleichen Zeit die Mitgliedschaft in der SPD erwarb. Dennoch hatte er, Sozialist mit jüdischer Herkunft, denkbar große Schwierigkeiten, eine Professur an einer deutschen Universität zu erhalten; erst 1931 avancierte er in Frankfurt zum Ordinarius für Öffentliches Recht – gegen den Willen der Hochschullehrermehrheit im Übrigen. Hellers Anliegen war der „soziale Rechtsstaat“, sein Ziel: die „soziale Demokratie“.22 Heller prägte in den 1920er Jahren diese beiden, bis in die Gegenwart zentralen Begriffe der politischen Linken. Im Unterschied zur damaligen SPD-Linken, erst recht zur KPD, war Heller ein Verfechter und Apologet der „politischen Demokratie“. Doch sah er diese Demokratie, gewissermaßen das klassische Grundanliegen des Liberalismus, strukturell gefährdet durch die Resultate des wirtschaftlichen Liberalismus, welcher fortwährend „ökonomische Disparitäten“ erzeuge, dadurch die Lebenschancen der Bürger antagonistisch ausspreize. So aber werde die radikale formale Gleichheit zur radikalen Ungleichheit; und so entpuppe sich die Formaldemokratie als Diktatur der herrschenden Klasse, so Heller. Dieser strebte mit seinem Programm der „sozialen Demokratie“ keineswegs alternativ die Vorherrschaft der Arbeiterklasse an, erst recht nicht eine Diktatur des Proletariats. Ihm ging es um Gemeinschaft, präziser: um die gleichberechtigte Gemeinschaft von Arbeitern, Angestellten und Unternehmern. Aufgrund der Disparität der Klassen hatte sich die primäre soziale und kulturelle Förderung auf die bislang benachteiligte Arbeiterschaft zu richten. Deshalb hatte Heller sich den Sozialdemokraten angeschlossen. Dass der Weg zum sozialen Rechtsstaat, da er überlieferte Privilegien in Frage stellte, nicht ohne Konflikte, ja Klassenkämpfe verlaufen könnte, stellte Heller in Rechnung. Aus diesem Grunde befürwortete er emphatisch die Weimarer Reichsverfassung, die zwar als ein Werk des Kompromisses ihm nicht in jedem Punkte logisch konstruiert erschien, aber dennoch Form und Fundament für einen zivilisierten, kulturermöglichenden Streit bereitstellte. Das stand stets im Zentrum der Botschaften Hellers, gleichviel ob es sich um seine staatstheoretischen Schriften oder volkspädagogischen Broschüren handelte. Die Interessenkämpfe sollten nicht mit physischer Gewalt, sondern über eine gemeinsam akzeptierte Kultur der Diskussionen und Verhandlungen ausgetragen werden; sie seien auch nicht auf einen vermeintlich ökonomischen Kern zu reduzieren, sondern zudem aus ihren ideellen, ethischen, normativen Antriebskräften zu verstehen und – nicht zuletzt durch die Volksbildung – im geistigen Niveau Stufe für Stufe anzuheben.23 Aber die unverzichtbare Voraussetzung für eine solche Kultur der Diskussion und des kompromissfähigen Austragens von Konflikten war für Heller die

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„soziale Homogenität“. Man konnte in dieser Formel eine Art Schlüsselbegriff für Hellers Theorie des Rechtsstaats und seiner Zeitdiagnose der zweiten Hälfte der Weimarer Jahre sehen. Und er bildete den Motivationskern für Hellers Engagement als Volksbildner und Referent in den Jugendorganisationen der damaligen Sozialdemokratie. Heller gab die Hoffnung auf eine stärkere soziale Homogenität als entscheidenden Stützpfeiler der politischen Demokratie bis zum Ende der ersten Demokratie in Deutschland nicht auf. Aber er machte sich auch nichts vor, erfasste das erhebliche Ausmaß an sozialen Disparitäten und dadurch den Umfang an gesellschaftlicher Inhomogenität, der ihm so groß erschien wie noch „in keinem Zeitalter vorher“24. Die krassen Heterogenitäten aber unterminierten die Grundlage eines politisch-gesellschaftlichen Fair Play; sie nährten stattdessen die Neigung der sozialen Kräfte, mit dem jeweils anderen nicht mehr friedlich verständigend zu parlieren, sondern ihn per Diktat, wenn nötig mit physischer Gewalt zu Boden zu drücken. Soziale Homogenität definierte Heller dabei im Übrigen nicht allein nach Kriterien einer gerechten Güter- und Chancenverteilung. In die Kollektivmentalität eines gesellschaftlich integrierenden Homogenitätsgefühls flossen Heller zufolge auch und keineswegs zuletzt die gemeinsamen Erfahrungen von Geschichte, Kultur und Volksbildung ein. Soziale Homogenität also beschränkte sich in diesem Sinne nicht auf sozial-ökonomische Gemeinsamkeiten, sondern umfasste ein sozialpsychologisches „Wir-Bewusstsein“, welches selbst Klassenkämpfe im Inneren aushielt, ohne in die Diktatur der einen über die anderen münden zu müssen, wie Heller gegen seinen Kontrahenten Carl Schmitt auszuführen nicht müde wurde. Indes war es mit dem „Wir-Gefühl“ im Zuge der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften und ihrer ideologisch-materiellen Binnenkämpfe nicht weit her. Doch zurück zur Gudensberger Tagung: Hellers Vortrag galt als Höhepunkt der Arbeitswoche, und die von ihm empfohlene Politik der behutsamen Anlehnung Deutschlands an England erhielt den Beifall der Mehrheit der Anwesenden. Die applaudierenden jungen Sozialdemokraten versprachen sich von einer Allianz mit den Briten die Zurückdrängung des französischen Einflusses als Voraussetzung dafür, deutsche Stärke zurückzuerlangen. Denn, so berichtete der offiziöse Chronist dieser Tagung, Heinrich Deist, die alles entscheidende, immer wieder aufgeworfene Frage der Woche sei gewesen: „Wie kommt Deutschland wieder zur Weltgeltung?“25 Heller selbst war im Anspruch bescheidener und erhoffte sich von englischen Interventionen eher die Garantie eines europäischen Gleichgewichts; auch den geopolitischen Determinismus, dem viele Jungsozialisten anhingen, teilte er nicht in toto und verwies auf die Veränderungen der Außenpolitik sowohl in Frankreich nach dem innenpolitischen Wechsel von Poincaré zu Herriot als auch in England nach der Ablösung der Regierung Baldwin

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durch das Labour-Kabinett Ramsey MacDonalds. MacDonald war, am Rande vermerkt, überhaupt eine „Führerpersönlichkeit“ ganz nach dem Geschmack vieler Hofgeismarer; ihn verehrten sie wie keinen anderen Staatsmann und Sozialisten der zwanziger Jahre. Hermann Heller war in seiner anglophilen Hommage nicht ganz frei von dem in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts selbst an den Universitäten zu Ehren gekommenen Volksgeist-Spiritualismus: „Im Engländer“, referierte der sozialdemokratische Staatsrechtler schwärmend, „paart sich Nüchternheit, Zähigkeit und Großzügigkeit im überaus sicheren politischen Instinkt; sein politisches Handeln ist merkwürdig genährt von religiösen Motiven, wonach England zur Weltbeherrschung von Gott berufen ist“.26 Von dogmatisch konservativen Bestimmungen vermeintlich konstant anthropologischer Volkseigenarten unterschieden sich Hellers Darlegungen, wie man allerdings gerechterweise hinzufügen muss, durch ein historisch-prozessuales Verständnis national differierender Kollektiveigenschaften. Den Nationalcharakter eines Volkes interpretierte der Leipziger Volksbildner als Ergebnis eines jahrhundertedauernden Prozesses wechselseitig aufeinander bezogener Kulturgestaltung durch verschiedene Gruppen einer Nation – eine jeweilige Bilanz kulturgemeinschaftlicher Entwicklung als vorläufiges Resultat geronnener Geschichte gleichsam, die noch in zukünftige Generationen hineinwirkt und doch durch neue Umstände und neue Interaktionsprozesse Formwandlungen annehmen wird. Heller stand mit dieser Definition des Nationalcharakters unverkennbar in der Tradition der Nationalitätentheorie Otto Bauers.27 Dabei ist überhaupt bezeichnend, dass Bauers opulentes Werk aus dem Jahre 1907, ,,Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“ – bis zum heutigen Tage das analytisch überzeugendste Werk zur nationalen Frage aus marxistischer Sicht –, von der sozialdemokratischen Linken, sonst eifrig um Übereinstimmung mit dem angesehensten Politiker der Sozialistischen Arbeiterinternationale bemüht, gänzlich ignoriert blieb, während es bei den demokratisch-sozialistischen Protagonisten des Hofgeismarkreises insgesamt zustimmend rezipiert wurde. Bauers programmatische Sentenz von der nationalen Mannigfaltigkeit im Rahmen der internationalen Einheit28 bot Heller das Stichwort für seine im Politischen Rundbrief des Hofgeismarkreises begründete außenpolitische Maxime: „Wir wollen die sozialistische Internationale, weil wir die Nation wollen!“29 Heller verknüpfte perspektivisch die Möglichkeiten eigener nationaler Wege zum Sozialismus auf der Basis eines je besonderen Kulturerbes mit den Notwendigkeiten einer internationalen Zusammenarbeit. In dieser grundsätzlichen Bewertung befand er sich in nahtloser Übereinstimmung mit Theodor Haubach, und an ihrer beider schroffen Distanz zur nationalistischen Egozentrik, die in der Weimarer Gesellschaft dominierte, gab es kein Deuteln. Mit einem sturen Festhalten am darwinistischen

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Machtstaatsdenken war, so wusste Heller, die Behauptung und Pflege nationaler Interessen nicht mehr zu vereinbaren, zumal „der nächste europäische Krieg alle europäischen Nationalkulturen zugrunde richten“30 würde. Ein Nationalist also war auch Heller nicht.

N ATIONALREVOLUTIONÄRE V ERSUCHUNG Bei den „Ostorientierten“ im Hofgeismarkreis sah hingegen vieles anders aus. „Ostorientierung“, das stand in der Weimarer Republik, nimmt man die Kommunisten einmal aus, nicht etwa für Sympathien mit den innenpolitischen Vorgängen in der Sowjetunion seit der Oktoberrevolution 1917, sondern in der Regel für eine militärstrategisch konzipierte Bündnisoption mit dem Ziel einer revanchistischen Politik gegen „den Westen“ und der Vorbereitung eines möglichen Krieges gegen Polen. Solcherart Überlegungen gediehen jedenfalls in den Kreisen der „Nationalrevolutionäre“, auch der Deutschnationalen und besonders in der Reichswehrführung um General Hans von Seeckt.31 Eine auf den ersten Blick verkehrte Welt: Wer im Deutschland der zwanziger Jahre für eine Anlehnung an den „kapitalistischen Westen“ eintrat, kam zumeist aus dem sozialdemokratischen, zumindest vernunftrepublikanischen Lager; wer sich für einen Pakt mit dem revolutionären Russland stark machte, war, von Ausnahmen abgesehen, ein unverbesserlicher Reaktionär und Chauvinist. In den Kategorien innenpolitischer Konfliktthemen pflegte allerdings die in der Tradition eines militaristischen Preußentums sozialisierte deutsche Rechte dann nicht mehr zu denken und zu handeln, wenn es um die geostrategischen Fragen außenpolitischer Machtpositionen ging. Eine tief verwurzelte Aversion gegen die „rationalistische Zivilisation“ des Westens nährte zudem den Glauben mancher ostelbischer Konservativer an die „Schicksalsbrüderschaft“ Deutschlands und Russlands.32 Auf solchen Tolstoi’schen Schicksalsbeschwörungen und nicht so sehr auf kühl kalkulierten Bündnisreflexionen baute auch der Vortrag des Baltendeutschen und Professors für Soziologie Hans von Eckardt auf, der „ostorientierte“ Referent auf der Gudensberger Tagung des Hofgeismarkreises. Zwar versprach sich von Eckardt von einer Hinwendung zum Osten auch Antrieb für den „Kampf gegen den französischen Westen“33, ein ernsthaft durchdachtes Programm verbarg sich hinter dieser eher kulturkritisch gefärbten Losung allerdings nicht. Russland, von den „Ostorientierten“ sonst als Karte im Spiel um die Ausweitung der außenpolitischen Beweglichkeit des Deutschen Reiches verstanden, verkörperte in den Darlegungen des Baltendeutschen aus Riga nicht so sehr einen staatlichen Machtfaktor für eine angestrebte deutsch-sowjetische Allianz, sondern einen schwärmerisch-sentimental verklärten Lebensraum für „germani-

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sche Kulturleistungen“. Denn wenn von Eckardt immer und immer wieder die durch „Bestimmung“ und „uralte Sendung“ „naturgegebene“ „deutschrussische Schicksalsgemeinschaft“ postulierte, dann waren die Voraussetzungen, die die beiden Nationen dafür mitbrachten, nach Maßgabe des Soziologen von recht ungleicher Qualität: Die Deutschen nämlich, so von Eckardt, verfügten als Volk mit Intelligenz über den „schöpferisch-aktiven Geist, die Arbeitsgewandtheit und Zähigkeit“34, woran es den Russen so sehr mangele, die dafür allerdings ihre unermesslich weiten Tiefebenen als Kraftfeld für deutsche Energien offerieren könnten. Von Eckardt empfahl mithin die historischen Beispiele östlicher Kolonisation als nachahmenswerte Vorbilder künftiger Lebensraumbeschaffung. „Und wir“, versprach der habilitierte Redner zum Schluss seiner Ausführungen, „sind dann von der Stickluft unserer europäischen Überbevölkerung befreit“35. Auffallende Resonanz indes vermochte von Eckardt mit seiner „Russlandmystik“, wie Hermann Heller in einer heftigen Replik die Auslassungen seines Kollegen polemisch bezeichnete,36 selbst in den Kreisen der weit rechts stehenden Hofgeismarer nicht zu erzielen, zumindest sollten seine wesentlichen Maximen keinen nennenswerten Niederschlag in den Schriften jener Jungsozialisten finden. Deren Herz schlug seit Ende 1924 für einen „Ostorientierten“ ganz anderer Wesensart und politischer Substanz: Ernst Niekisch. Was immer man auch von Niekischs politischen Visionen halten mochte und wie sehr sie von den Wertvorstellungen der übrigen jungsozialistischen Lehrer abwichen, in seinem Auftreten und in Zügen seines Charakters war er vielen von ihnen ziemlich ähnlich und entsprach im Grunde genommen ganz dem Typus einer jungsozialistischen „Führerpersönlichkeit“. Zum Politiker taugte er nicht; ihm behagte weder der dröge Funktionärsstil, noch besaß er den nötigen Sinn für Jovialität und populäres Schwadronieren. Mit den Eigenschaften, die ihn auszeichneten – Starrsinn, intellektueller Hochmut, rechthaberischer Individualismus, auch messerscharfe und kompromisslose Urteilsfähigkeit – konnte man in den großen Parteien kaum reüssieren.37 Junge Leute hingegen mit ehrgeizigen intellektuellen Plänen und ausgeprägter Verachtung für das „Mittelmaß“ und das „Angepasste“ fühlten sich von solchen eigenwilligen und aufregend-anregenden Sonderlingen angezogen. Nichts kennzeichnete die jungsozialistische Bewegung der Weimarer Republik besser als dieser stete Akt der geistigen Vermählung von jungsozialistischen Eigenbrötlern, als die die Jusos in der Partei galten, mit den vom Bürgertum abgestoßenen Intellektuellen, mochten sie nun Ernst Niekisch, Hermann Heller oder Paul Tillich, Siegfried Marck, Leonard Nelson, Fritz Sternberg oder auch Max Adler heißen. Ihrer aller Betätigungsfeld war im Wesentlichen der „Zirkel“, die Kleingruppe lernwilliger junger Arbeiter, die aber nicht nur jenem zwar strebsamen, aber doch gemütlich biederen und in sich genügsamen Bildungsideal ihrer Väter und Großväter anhingen, sondern rastlos nach einer ganz

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neuen unorthodox-originellen Theorie suchten, mit der dann das ganze elende Knäuel von gegenwärtigen Problemen und schwer zu begreifenden Zeiterscheinungen mit einem beherzten Zugriff entwirrt werden könnte. Daraus resultierte die Begegnung von Intellektuellen und jungsozialistischen Arbeitern, deren Grundzüge sich auch in der Beziehung einiger Hofgeismarer Jusos zu Ernst Niekisch wiederfinden lassen: hier der intellektuelle Individualist, der Anfang der 1920er Jahre ein politisches Erklärungsmodell ausgetüftelt hatte, das durch scharfsinnige Bewertungen auffiel und in zahlreichen seiner Betrachtungen und Vorschläge auf die einen sicher verstiegen oder gar abstoßend, auf die anderen jedoch wuchtig und befreiend gewirkt hatte, und welches nur noch einer Trägergruppe harrte, die sich der missionarischen Schlussfolgerung annahm. Dort die Schar der Jungsozialisten, deren Drang nach Wissen viele von ihnen längst aus ihren erlernten Berufen zum Studium auf dem in Weimarer Zeiten recht beschwerlichen zweiten Bildungsweg geführt hatte und die sich dennoch – oder besser: deshalb – als „proletarische Auslese“ mit außergewöhnlichem Tiefblick und besonderer Aufgabenstellung begriffen und schmeichelhafte Offerten künftigen Führertums, wie das von Niekisch, nur allzu gerne annahmen. Niekisch wollte „politische Eliten“ bilden, und Mitte der zwanziger Jahre glaubte er, mit den Hofgeismarern Franz Osterroth, Benedikt Obermayr, Otto Jacobsen und Heinz Baumeister vor allem die geeigneten Kräfte dafür gefunden zu haben. Mit ihnen, den jungen Facharbeitern, die aus Bochum, Dortmund und Kiel kamen und nur deshalb in Berlin weilten, um ihre Begabtenprüfung für das Abitur zu absolvieren oder für kurze Zeit Kurse an der Hochschule zu belegen, traf er sich Woche für Woche in einem Raum der Hochschule für Politik zu Erörterungen über den „Staat“ und Fragen der deutschen Außenpolitik. Mit solchen theoretischen Diskussionen hatte es sein Bewenden; denn Niekisch, ein charakterlich sicher unbeugsamer Mensch, der auch vor der Tat nicht zurückschreckte, wenn die Verhältnisse, wie nach 1933, ihn dazu drängten, verstand sich nicht als ein Protagonist der Aktion, sondern als ein Erzieher zur „richtigen Gesinnung“ für den irgendwann zu erwartenden Moment der Befreiung. Auch diesen Glauben an den Nutzen eines durch Absonderung vom realpolitischen Tagesgeschehen asketisch rein zu erhaltenden Erziehungs- und Gesinnungsideals, das sich in der Stunde, die da kommen müsse, bewähren werde, hatte er mit vielen der intellektuellen Mentoren im Weimarer Jungsozialismus gemeinsam. Wie sie hatte auch er keinen Zweifel daran, dass die kämpferische Erfüllung solcher Ideale vom „bankrotten“ und durch ökonomische Vorteile nur zu leicht korrumpierbaren Bürgertum nicht mehr zu erwarten sei.38 Alle Hoffnungen lagen daher auf der Arbeiterschaft, genauer: auf der jungen Generation im Proletariat mit ihren „starken Instinkten“, „unverbrauchten Kräften“ und ihrem „uneigennützigen Idealismus“39.

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Die Ideale allerdings, die Niekisch dabei vorschwebten, unterschieden sich gewaltig, eigentlich fundamental von denen der anderen Erzieher bei den Jungsozialisten. Eben deshalb blieb sein Einfluss hier, so furios er sich in der internen Debatte auch eine Zeitlang ausnahm, doch eher begrenzt. Der Hinweis auf verwandte Erscheinungen im habituellen Auftreten und der personalen Mentalitäten hilft, einiges von den Eigenarten des Weimarer Jungsozialismus zu verstehen. Die Gesamtheit der Gründe für die erbittert geführten Konflikte dort, wo die Plausibilität einer theoretischen Formel und die Diskussion darüber ebenso ernst genommen wurde wie die kapriziöse Form des individuellen Ausdrucks, ist jedoch – zumindest ergänzend – im Bereich des Politischen selbst zu suchen. Hier war Niekisch nun derjenige, der genau das, was sich von der nationalen Romantik der Hofgeismarer in Augenblicken gesellschaftlicher Spannungen zu nationalistischen Überspitzungen steigerte, zum Programm eines nationalrevolutionären preußischen Sozialismus verdichtete. Im Kontext des Hofgeismarkreises personifizierte Niekisch gewissermaßen die grundlegende Alternative zur Richtung Haubach/Heller, wobei sich beide Strömungen, wenn man so will, in der „Ära Bröger“ entwickelt und schließlich auseinander differenziert hatten. Die „nationale Idee“, das konnte unter der geistigen Schirmherrschaft Karl Brögers alles Mögliche bedeuten und verlor in seiner schwülstigen Poesie jede Kontur und exakte Bestimmung. In der emotionsgeladenen Atmosphäre von 1923 fiel das nicht weiter auf, da hinter dem lauthals zu verkündenden nationalen Bekenntnis etwaige Auffassungsunterschiede nicht zu zählen hatten und demzufolge ausgespart blieben. Nach Ausklang des letztlich katastrophal verlaufenen Ruhrabenteuers reichte allerdings der nationalromantische Kitt zum Zusammenhalt der heterogenen Kräfte nicht mehr aus. Realhistorisch gab es nur noch diese beiden Perspektiven: Entweder man präzisierte die „nationale Idee“ und den Willen zur „Staatsbejahung“ zu einem demokratisch-sozialistischen Patriotismus und zur Akzeptanz des republikanischen Staatswesens von Weimar. Oder aber man übersetzte die Schlagwörter aus dem Jahre 1923 in die Kategorien des Nationalismus und suchte Anschluss an die Bewegungen mit chauvinistisch-revanchistischer Zielsetzung. Auf diesem zuletzt genannten Pfad ging Ernst Niekisch führend voran, und eine Minderheit des Hofgeismarkreises folgte ihm dabei. Die Aufmerksamkeit der Hofgeismarer hatte Ernst Niekisch durch seine Aufsätze in den beiden Zeitschriften Die Glocke und Der Firn sowie durch sein bei diesen Jungsozialisten viel gelesenes und kontrovers diskutiertes Buch „Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat“40 erregt. Niekisch sprach mit diesen Schriften einigen Jungsozialisten, besonders denen des Ruhrgebiets, ganz offenkundig aus dem Herzen. Was er da über den „Staat“ und die „preußische Gesinnung“ geschrieben hatte, empfanden in etwa auch sie, und Ähnliches hat-

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ten sie schließlich selbst in der Vergangenheit zu Papier zu bringen versucht. Bei Niekisch aber klang das alles sehr viel kräftiger, entschlossener; er formulierte mit einer kristallinen Deutlichkeit, einer dezidierten Unbeirrbarkeit, die mitreißen konnte – oder verschrecken musste. Auch er prangerte den „Fatalismus“ der marxistischen Lehre an, die zu „der unwahrscheinlich schwachen Entwicklung des Willens zur Macht“41 in der Sozialdemokratie beigetragen habe. Der SPD, so kritisierte er die Versäumnisse der Partei in einem im Frühjahr 1924 erschienenen Grundsatzartikel, „schwebte kein Bild, keine Idee vor, die sie ungeduldig und schaffenshungrig hätte verwirklichen können“.42 Eindruck auf die Hofgeismarer aus Dortmund und Bochum machte vor allem, mit welcher Konsequenz und Zielstrebigkeit Niekisch die Sichtweise vom „Primat der Außenpolitik“ auf die Spitze trieb. Das soziale Elend und die wirtschaftliche Not der Arbeiter und ihrer Familien waren ihm zuallererst Folgen der „Versailler Knechtung“, und daher müsste die gesamte Innenpolitik dem alles entscheidenden Ziel der Befreiung von den Versailler Fesseln und der Rückeroberung einflussreicher Weltgeltung untergeordnet werden. Ohne nationale Befreiung keine soziale Emanzipation, so lautete kurz gefasst Niekischs Grundlosung. Mehr noch: Die Fronten des Klassenkampfes sah er nicht im Inneren der nationalen Gesellschaften, sondern zwischen den Staaten verlaufen; und Deutschland, so hatte er keinen Zweifel, nahm in dieser Auseinandersetzung die dem Land von den Westmächten aufgezwungene Rolle der „proletarischen Nation“43 ein. Rettung aus dem Helotendasein der Deutschen versprach nur eine allgegenwärtige Gesinnung des Widerstandes und ein klar umrissenes Konzept antiwestlicher Außenpolitik. „Erfolgreiche Außenpolitik“, war Niekisch überzeugt, „ist ihrem Wesen nach nichts anderes als kluge Machtpolitik. Gott hilft immer noch, wie zu des großen Friedrichs Zeiten, den stärksten Bataillonen.“44 Franz Osterroth insbesondere fand großen Gefallen an solchen Äußerungen, und er bat den ehemaligen bayerischen Räterevolutionär Anfang 1925 um Mitarbeit am Politischen Rundbrief des Hofgeismarkreises. Niekisch nahm diese Gelegenheit zur Verbreitung seiner Ansichten gerne wahr und verfasste sogleich für die im April erscheinende dritte Ausgabe einen umfangreichen Artikel über die „Grundfragen deutscher Außenpolitik“45. Dort zeichnete er ein überaus düsteres Bild der deutschen Situation: Im Innern zerrissen und von außen den pausenlosen Demütigungen der „fremden Mächte“ des Westens ausgesetzt, sei das Land von der Gefahr einer zunehmenden „Balkanisierung“ bedroht. Bei der Suche nach den geeigneten Mitteln zur Verschiebung der dafür verantwortlichen außenpolitischen Konstellationen könne weder die Orientierung an England noch die an Frankreich hilfreich sein. Das Resultat aller bisherigen englischorientierten Politik sei trotz des realpolitischen Anscheins, den sich Vertreter dieser Richtung gegeben hätten, die Verschlechterung der deutsch-französischen

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Beziehungen mit der Folge verheerender Einbußen für die deutsche Volkswirtschaft gewesen. Mit galligem Spott und unverhüllter Verachtung aber überzog Niekisch mehr noch die Anhänger der „französischen Orientierung“, die er allesamt für moralisierende Intellektuelle oder idealistische Schwärmer, jedenfalls für Ignoranten hielt. Sie nähmen in ihrer Naivität das französische Verlangen nach Sicherheit für bare Münze, ohne zu erkennen, dass das allein nach europäischer Vorherrschaft dürstende französische Volk „eine unnachahmliche Meisterschaft im Gebrauch bewundernswürdiger und hinreißender Phrasen“ entwickelt hätte.46 Im Mittelpunkt deutscher Achtsamkeit müsse jetzt die Völkerbundstrategie der Westmächte stehen, mahnte Niekisch; denn Völkerbundpolitik bedeute Akzeptanz und Festigung der „Versailler Friedensordnung“. Unter keinen Umständen dürfe Deutschland daher freiwillig der Genfer Runde beitreten, da das von Freund und Feind als „Akt selbstmörderischer Erdrosselung seines nationalen Lebenswillens“47 aufgefasst werden müsse. Allenfalls könne sich Deutschland, das mangels ausreichender Bataillone, wie Niekisch als Theoretiker der Machtpolitik einräumte, zur militärischen Gegenwehr nicht fähig sei, in den Völkerbund „hineinzwingen“48 lassen – aber das nur in einer Weise, die den Oktroi der Westmächte für jedermann sichtbar werden ließe. Die Ursachen für die ihn bedrückend dünkende, subalterne Stellung der Deutschen sah Niekisch im Fehlen einer relevanten Gegenmacht des Ostens zum Block der westlichen Staaten begründet. Das analytische Resümee lieferte das Stichwort für das außenpolitische Programm: „enge Fühlung“ mit der Hauptmacht des Ostens, „Anknüpfung von Fäden nach Russland“. Kurzum: die „russische Orientierung“ empfahl Niekisch abschließend als den einzig gangbaren Weg zur Herstellung eines außenpolitischen Gleichgewichts zwischen Ost und West.49 Dann aber, prognostizierte Niekisch, habe endlich die Stunde des „revolutionären Nationalismus“, „Deutschlands Stunde der Befreiung“50 geschlagen. Nicht alle im Hofgeismarkreis lasen Niekischs Verheißung mit zustimmender Beglückung. Für eine Revisionspolitik traten in der Sozialdemokratie mit Ausnahme einiger Randfiguren des linken Flügels eigentlich alle ein, und selbst das sinistre Porträt deutscher Ohnmacht hielten die meisten noch für angängig. Aber Feindschaft mit England und Frankreich zugleich, Ablehnung des Völkerbundes und dazu noch Anschluss an Russland – nein, das ging vielen nun wirklich zu weit. Kaum hatten sie das Elaborat des Berliner „Nationalrevolutionärs“ in die Hände bekommen, sandten Theodor Haubach und Hermann Heller dem Schriftleiter des Politischen Rundbriefs, entrüstete Briefe zu, worin sie ihre entschiedene Ablehnung der Positionen Niekischs betonten.51 Heller, der sich nicht in falsche Gesellschaft gerückt sehen wollte, schickte zudem eine distanzierende Erklärung an den Vorwärts, das Zentralorgan der Partei. Nicht zu Unrecht, wie sich zeigen sollte; denn die Zeitungen der sozialdemokratischen Linken machten

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mit dem Niekisch-Pamphlet Stimmung gegen die Hofgeismar-Jungsozialisten. Und auch dem Parteivorstand in Berlin, Verfechter der Völkerbundpolitik und mehrheitlich Befürworter einer Orientierung an England, war die ganze „Affäre Niekisch“ außerordentlich peinlich.52 Anlass zur Sorge über die Entwicklung im Hofgeismarkreis schien es in der Tat mit gutem Grund zu geben; denn dass die Ausführungen Niekischs im dritten Politischen Rundbrief nicht nur die Ansichten eines verschrobenen Einzelgängers wiedergaben, bewiesen einige politische Kommentare in der gleichen Ausgabe des Zirkulars, die Jungsozialisten des Führungskerns der Hofgeismarer selbst verfasst hatten. Es ging darin um den sogenannten „Garantiepakt“, der im Oktober 1925 auf der Konferenz von Locarno paraphiert werden sollte, dessen Einzelheiten aber bereits im Frühjahr auch in die Öffentlichkeit durchgesickert waren und die deutsche Bevölkerung, wie stets bei solchen Kontrakten, bereits in heftige Emotionen versetzt hatten. Mit dem im Wesentlichen vom deutschen Außenminister Gustav Stresemann initiierten Vertragssystem verpflichteten sich Deutschland, Frankreich und Belgien zum Verzicht auf eine gewaltsame Revision der bestehenden Grenzen.53 Die Garantie für die Einhaltung des Abkommens sollten England und Italien übernehmen. Stresemann hielt allerdings – entgegen den anders gearteten Forderungen der französischen Regierung – während der gesamten Verhandlungen hartnäckig am grundsätzlichen Anspruch Deutschlands auf Änderung der Ostgrenze fest. Die vom deutschen Außenminister komponierte Außenpolitik entsprach in ihrer Zielsetzung durchaus klassischer Revisionspolitik54 mit dem traditionellen Bestreben nach Rückgewinnung deutscher Großmachtstellung. In ihren realpolitischen Methoden der kleinen Schritte im Kontext europäischer Verhandlungen aber war sie von dem in Deutschland verbreiteten Wunschdenken frei und an den seit 1918 existierenden Bedingungen und Voraussetzungen der internationalen Konstellationen ausgerichtet.55 Stresemann beabsichtigte mit seiner Politik, Deutschland aus der Isolation herauszuführen, ein weiteres Zusammenrücken Frankreichs mit England zu konterkarieren und Handlungsspielräume im Osten zu gewinnen. Das aber ließ sich nicht realisieren, ohne den Sicherheitsinteressen der französischen Nation Genüge zu tun und zumindest vorerst die im Vertrag von Versailles festgesetzte Westgrenze zu akzeptieren. Der Vorwärts pries die Locarno-Politik des Bürgerblocks – in Verkennung der tatsächlichen Motive und Zielsetzung Stresemanns – als „sozialistisch-internationalistische Außenpolitik“.56 Die sozialdemokratische Parteimehrheit „trug Stresemanns Außenpolitik zuverlässig mit, obwohl die SPD in diesen Jahren in der Opposition war.“57 Anders reagierten einige Jungsozialisten des Hofgeismarkreises, die im Politischen Rundbrief mit Empörung die bekannt gewordenen Details des Garantiepakts kommentierten. Der rechte Flügel des Hofgeismar-

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kreises ließ sich von einem Gesinnungsnationalismus treiben, der der Verkündung eines deutschen Fundamentalismus den Vorrang vor der zähen, gewissenhaften, aber nur schrittweise möglichen Wahrnehmung nationaler Interessen gab. So stellte Franz Osterroth in einem redaktionellen Nachwort im fraktionsinternen Periodikum die Suggestivfrage: „Die Erörterung des Garantiepakt-Angebotes der deutschen Regierung treibt mit Selbstverständlichkeit auch die Frage auf die Brust: Bestehen für Deutschland überhaupt noch begründete Hoffnungen auf ein Sein in Freiheit?“58 Die Antwort darauf hatte wenige Seiten vorher ein mit R. gezeichneter Artikel zu geben versucht: „Das Angebot der deutschen Regierung ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Gewiss, die politische Gegenwart ist bedrückend; man begreift, dass Umschau nach Entlastungsmöglichkeiten gehalten wird. Das gibt aber der lebenden Generation kein Recht, die Nerven zu verlieren und die nationale Zukunft um kleiner Augenblicksvorteile willen hinzuopfern. Bei dieser Feststellung kann es jedoch nicht sein Bewenden haben. Laut und für die Entente vernehmlich muss erklärt werden: dass die aufwachsende Generation sich an die Verzichtsleistung der amtierenden Reichsregierung nicht gebunden fühlt, dass sie nicht daran denkt, die eingegangenen Entsagungsverträge zu achten und später zu halten. […] Wer das Garantieangebot deckt, begibt sich damit des Anspruchs, Sachverwalter nationaler Interessen zu sein. […] Es [das Garantieangebot, d. V.] ist bloßer Ausdruck hoffnungsloser Selbstpreisgabe, sich selbst verlierender Ohnmacht; es ist prinzipieller Art. Es leben in ihm nicht die Tendenzen, die Deutschlands Befreiung vorbereiten; es ist ein kraftloses Händesinkenlassen angesichts der Schwere der Aufgabe und ein Markstein auf dem Wege, der in dauernde Knechtschaft und Abhängigkeit führt.“59

Doch damit noch nicht genug. Trotz aller Protestschreiben, die Osterroth nach dem Versand des dritten Politischen Rundbriefs aus den Reihen des Hofgeismarkreises erhalten hatte, bat er Ernst Niekisch nach Paraphierung der LocarnoVerträge abermals um eine schriftliche Stellungnahme, die dann im Januar 1926 in der fünften Nummer des danach eingestellten Zirkulars erschien. Natürlich sah Niekisch seine vorher geäußerten Befürchtungen voll und ganz bestätigt und beschuldigte die deutschen Vertragsunterzeichner, die Selbstabdankung des deutschen Volkes durch freiwillige Akzeptanz der Versailler Ordnung betrieben zu haben. Niemals hätte Frankreich, das stets auf seine Sicherheitsinteressen gepocht und dabei jetzt unverständlicherweise bei der deutschen Regierung ein offenes Ohr gefunden habe, seine verwundbarsten Flanken soweit entblößen müssen wie nun das Deutsche Reich. Um sich nicht der Gefahr eines militärischen Schlages durch Frankreich auszusetzen, sei Deutschland daher in Zukunft auf Gedeih und Verderb an England gekettet und letztlich zu dessen „Trabant- und Klientelstaat“60 geworden. Besonders erbittert äußerte sich Niekisch darüber,

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dass die Westpolitik der deutschen Regierung den von ihm gewiesenen Ausweg aus der deutschen Misere, wie er glaubte, verstopft habe. Die deutsch-russischen Beziehungen seien gestört, der Faden nach Russland gerissen, klagte Niekisch, der in seiner fanatischen Fixierung auf die eine, „richtige“ Orientierung den komplexen und differenzierten Charakter des außenpolitischen Kalküls Stresemanns gänzlich verkannte. Solche, damals keineswegs nur von Niekisch vorgebrachten Kritiken, die dem Außenminister die Auslieferung Deutschlands an die Westmächte unterstellten, strafte Stresemann, der aus Gründen eines anzustrebenden Gleichgewichts durchaus kein Interesse an einer Verschlechterung der Beziehungen zu Russland hatte, bereits wenige Monate später Lügen, als er im April 1926 den deutsch-russischen Freundschaftsvertrag abschloss und die vollzogene Westorientierung somit ostpolitisch komplementierte.61 Niekisch hingegen erwartete die Rettung aus der vielbeschworenen Not nicht nur von unaufgeregten diplomatischen Schritten, sondern auch vom gesunden „Volksinstinkt“62, der sich über kurz oder lang gegen die „Verzichtspolitik“ der eigenen Regierung mit einem revolutionären Unabhängigkeitsverlangen aufbäumen werde. Wie stets zum Schluss seiner Ausführungen drängte Niekisch auch dieses Mal die sozialistische Arbeiterschaft, sich an die Spitze dieses „Volksinstinktes“ zu stellen; denn, so war er sich gewiss, „im Rebellentum gegen soziale und nationale Unterdrückung zugleich liegt die einzige Chance der deutschen Arbeiterschaft, überhaupt jemals zur politischen Macht zu gelangen“.63 Die Darlegungen Niekischs blieben nicht ohne Widerspruch. Als Schriftleiter des Politischen Rundbriefs hatte Franz Osterroth der im Hofgeismarkreis inzwischen recht verbreiteten Anti-Niekisch-Stimmung Rechnung zu tragen und räumte einem erklärten Gegner des „ostorientierten“ Propagandisten Gelegenheit zur Darstellung einer Alternativposition ein. Autor der trotz gewisser Einschränkungen alles in allem positiven Würdigung der Locarno-Politik war Gustav Warburg, ein Jungsozialist aus Hamburg, seit 1924 Redakteur für Auslandsfragen an der Schleswig-Holsteinischen Volkszeitung und ebenso wie Carlo Mierendorff und Theodor Haubach ein emphatischer Befürworter deutsch-französischer Aussöhnung und beiderseitiger politischer Zusammenarbeit. Dass alle drei „Frankreich-Orientierten“, die mit dieser außenpolitischen Empfehlung eine deutliche Minderheit bei den Hofgeismarern, aber auch in der Sozialdemokratie insgesamt repräsentierten, studiert und promoviert hatten, war wohl kein Zufall. Denn die pan-europäischen Bestrebungen – so wurde zeitgenössisch die Vorstellung von einer deutsch-französischen Kooperation etwas missverständlich bezeichnet – blieben in den Weimarer Jahren auf kleine Kreise republikanisch eingestellter Studenten und Intellektueller beschränkt. Warburg, der in seinem Aufsatz für den Politischen Rundbrief im Wesentlichen seine eigene außenpolitische

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Option begründete und auf Niekisch dabei mehr implizit als explizit einging, machte allerdings von Anfang an unmissverständlich deutlich, dass für ihn der umstrittene Berliner Nationalrevolutionär auf der anderen Seite der Barrikade stand – als Sozialdemokrat wollte er Niekisch keinesfalls mehr akzeptieren. Nur deshalb habe er sich mit Niekisch noch auseinanderzusetzen, schrieb der junge Kieler Redakteur in einem bissigen Seitenhieb gegen seine eigenen Fraktionsfreunde vom Hofgeismarkreis, „weil es immer noch Menschen gibt, die meinen, Niekischs Nationalismus sei mit Sozialismus vereinbar“.64 Die außenpolitische Zielsetzung national eingestellter Sozialdemokraten unterscheide sich substantiell von den nationalistischen Plänen Niekischs. Wo dieser nach einer Vormachtstellung Deutschlands strebe und an den Gewaltmitteln der traditionellen Machtpolitik festhalte, beabsichtigten jene, so Warburg, an der Herstellung eines Weltzustandes mitzuhelfen, „in dem Deutschland eine seiner Größe, Volkszahl und geistigen Bedeutung entsprechende Stellung einnimmt“.65 Unzweifelhaft konnte diese Kurzformel Warburgs ebenfalls im nationalistischen Sinne gebeugt werden. Auch Warburg war überzeugt davon, dass Deutschland einen Anspruch auf „Weltgeltung“ habe und demzufolge die „Versailler Weltordnung“ verändert werden müsse;66 das Verlangen nach Weltbeherrschung und die Billigung kriegerischer Methoden zur Revision der bestehenden Grenzen aber lehnte er entschieden ab. Zur Kursbestimmung seines außenpolitischen Projekts wählte er die Bezeichnung „nationaler Pazifismus“ – national deshalb, weil es die Entfaltung aller nationalen Kräfte voraussetze, pazifistisch darum, weil es der Gewalt eine klare Absage erteile. Die Politik von Locarno und die Entscheidung für den Völkerbund seien der richtige Weg und angemessene Instrumente im Sinne eines solchen „nationalen Pazifismus“, da sie die Form der Verständigungspolitik und der friedfertigen Auseinandersetzung im Ringen um die deutsche Freiheit gewählt hätten. Zu bemängeln hatte Warburg nur das, wie er fand, zu einseitige Bemühen Stresemanns um die Gunst der Engländer,67 da dies die Franzosen zum Festhalten an ihren gegen Deutschland gerichteten Sicherheitsbündnissen mit Polen und der Tschechoslowakei bewogen habe. Deutschland aber müsse diese beiden Sicherheitssysteme sprengen und als gleichberechtigter Partner an die Seite Frankreichs treten; denn nur im einträchtigen Zusammenwirken der beiden kontinentaleuropäischen Nationen könne man den bestehenden Großmächten – England auf der einen, Russland auf der anderen Seite – Paroli bieten und einen angemessenen Einfluss auf die weltpolitischen Geschehnisse nehmen. Letztlich legte die außenpolitische Diskussion die Grenzen der organisatorischen Entwicklung im Hofgeismarkreis offen. Aus der ursprünglichen Gemeinsamkeit des „nationalen Bekenntnisses“ hatten sich im Laufe der Zeit tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten entwickelt. Der national-romantische Kitt von

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1923, um in einem bereits früher gewählten Bild zu bleiben, war abgebröckelt und der Hofgeismarkreis in seiner traditionellen Form so nicht mehr fortzuführen. Die Befürworter eines sozialistischen Patriotismus wollten, das hatten der Beitrag von Warburg und auch die Briefe von Heller und Haubach an Osterroth gezeigt, mit revolutionären Nationalisten wie Ernst Niekisch nichts mehr zu schaffen haben. Zeitgenössisch blieb diese Kluft im Hofgeismarkreis von dessen Gegnern bei den Jungsozialisten allerdings unbemerkt. Vielleicht wollten sie Gegensätzlichkeiten bei ihren Kontrahenten auch gar nicht registrieren; jedenfalls überdeckte der schroffe Zweifrontenkampf bei den Jungsozialisten innere Widersprüche.

F RÜHE G ODESBERGER ? Der Hofgeismarer Jungsozialismus war, wie die Jugendbewegung insgesamt, vor allem Ausdruck oder Symptom einer gesellschaftlichen Sinnkrise, war zuvörderst Indikator für die ungewöhnlich scharfen Spannungen zwischen „Alt“ und „Jung“, zwischen überkommenen Idealen und neuen Sehnsüchten, und verkörperte noch keineswegs die entfaltete Gestalt eines modernen Reformsozialismus, wie dies zuweilen in den 1960er Jahren unterstellt wurde. Das war auch gar nicht von ihm zu erwarten. Die Bedeutung des Kreises lag weniger in der Reflexionsoriginalität und überzeugenden Stimmigkeit seiner theoretischen Beiträge als in dem Umstand, dass seine Aktivisten eine feine Witterung für solche Problemlagen bewiesen, die neu auf die sozialistische Bewegung zukamen, und nach Definitionen drängten, die sich von den stereotyp klingenden Formeln der Vergangenheit lösen sollten, um den veränderten Hoffnungen und Stimmungen der Gegenwartsmenschen und den Anforderungen der Zukunft auch symbolisch deutend Rechnung zu tragen. Es dauerte lange, verlief nicht ohne Irritationen, und es mangelte nicht an Abwegigem, bis aus solcher Krisensensibilität die intellektuelle Kraft, geistige Fähigkeit und politische Umsicht zur Formulierung geschlossener Konzeptionen eines im Einzelnen sehr unterschiedlich begründeten dynamischen, nicht-orthodoxen Sozialismus wachsen konnte. Der Heinrich Deist des Godesberger Programms beispielsweise ist durchaus nicht identisch mit dem des Hofgeismarkreises, aber gewiss sind die Wurzeln seines in den fünfziger Jahren dann erfolgreichen Engagements zur Richtungsänderung sozialdemokratischer (Wirtschafts-)Politik eben in jenem Freundeskreis zu suchen, wo er sich erstmals mit Fragen und Problemen herumschlug, die damals in der SPD noch Anathemata waren, und worauf plausible, wenngleich weiterhin umstrittene Antworten er erst viele Jahre nach der Hofgeismar-Ära zu geben vermochte.

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Was von einem Teil der Hofgeismar-Jungsozialisten gegen den sozialdemokratischen Marxismus an Einwänden vorgetragen wurde, konnte keine Erstgeborenenrechte beanspruchen, war weder sonderlich beeindruckend noch von ungewöhnlichem Tiefgang. Nur die unbefangene, fast rücksichtslose Art, mit der sich hier eine Gruppe sozialdemokratischer Jugendlicher – und wohl nur Jugendliche konnten so ohne jede Sentimentalität das jahrzehntelang gültige Glaubensbekenntnis der sozialistischen Bewegung schroff und mitunter höhnisch in Frage stellen – über Vorgestriges, Irrtümliches, Verkürztes des eher als Hemmschuh denn als förderndes Erkenntnisinstrument empfundenen Marxismus zu Worte meldete, blieb eine von den Älteren argwöhnisch beobachtete Ausnahme in der Weimarer SPD. Umwerfendes wird man dabei freilich nicht finden können: Gewiss, die Hofgeismarer Jusos bestritten immer wieder, dass der Sozialismus ein Ergebnis naturnotwendiger Gesellschaftsvorgänge sei; sie bezweifelten, dass das Proletariat die ihm zugewiesene revolutionäre Mission jemals annehmen werde und argumentierten mit dem Beispiel Amerika, um sowohl die deterministische Hoffnung auf den gesetzmäßigen Umschlag reifer Produktionsverhältnisse als auch den Mythos vom revolutionären Elan einer entwickelten Industriearbeiterschaft kompromittieren zu können68 – das war sicherlich nicht rundherum falsch gesehen, aber doch vor Hofgeismar schon von anderen bereits entdeckt und reflektierter als dort begründet worden. Aber immerhin stand hier offenbar eine Gruppe der Nachwuchsgeneration in der SPD bereit, die durch ihre zusammenhängende Organisation vielleicht mehr ausrichten konnte als revisionistische Randfiguren früherer Zeiten, im Unterschied aber zu jenen Pragmatikern der Partei, die eigentlich in vielen Punkten kaum anders dachten, aus Gründen der Opportunität jedoch wenig Aufhebens daraus machten und sich nicht weiter zu diesen letztlich für unwichtig gehaltenen theoretischen Fragen äußerten, nun auch strategisch-programmatische Konsequenzen gezogen sehen wollten. Solche Konsequenzen darf man sich wiederum nicht als systematisch miteinander verknüpfte Teile eines stringenten Konzepts vorstellen. Es handelte sich um Fragmente, Andeutungen, hier und da geäußerte Optionen, Ideenfetzen gleichsam mit einer unverkennbar vorgezeichneten Richtschnur des für wünschenswert gehaltenen politischen Handelns. Da, wo sich Hofgeismarer dagegen wehrten, die Arbeiterschaft als alleinigen Träger des sozialistischen Gedankens und Vorstoßes anzuerkennen, kann man Ansätze volksparteilicher Ausweitungsbestrebungen ausmachen.69 Dort, wo sie gegen das fraglos simplifizierende linkssozialistische Paradigma vom Staat als „kapitalistische Festung“ polemisierten, lassen sich Elemente einer pluralistischen Staatstheorie erkennen. Indes: Zumindest für die Weimarer Zeit muteten diese etwas naiv und unempirisch an, da man glaubte, dass der Staat als eine rein funktionale Organisa-

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tionsform der Gesellschaft für die verschiedensten Ideen und Vorstellungen aller sozialen Gruppen gleichermaßen offen und verfügbar sei und letztlich ein Abbild des Wettbewerbs der konkurrierenden gesellschaftlichen Kräfte darstelle.70 Ungleich rationaler war demgegenüber der Vorschlag, in einer gefährdeten, labilen politischen Demokratie mit einer auf absehbare Zeit offenkundig nicht mehrheitsfähigen sozialdemokratischen Partei das prinzipielle Koalitionsbündnis mit den demokratischen Parteien des Bürgertums zwecks Sicherung der republikanischen Staatsordnung zu suchen.71 Zwar spricht auch post festum eine Reihe von Gründen gegen die Realisierbarkeit einer solchen Haltung, da, so ist anzunehmen, die Loyalitätskrisen zwischen großen Teilen der sozialistischen Wähler hier und der SPD dort an Schärfe wohl noch zugenommen hätten, das Schisma der politischen Arbeiterbewegung sich noch weiter und zugunsten der Kommunisten vertieft hätte, und die kooperationswilligen Kräfte des deutschen Bürgertums nicht nur zahlenmäßig gering, sondern auch unzuverlässig schwankend waren. Immerhin aber steckte hinter solchen Vorstellungen ein überlegtes politisches Kalkül, das man bei den linkssozialistischen Polar-Alternativen von der Art „Klasse gegen Klasse“ oder „hie Kapitalismus – hie Sozialismus“ ebenso vermisste wie bei den Entscheidungskriterien des mächtigen Gewerkschaftsflügels der Partei. Denn dieser fragte zuvörderst nach dem sozialpolitischen Nutzen einer Koalitionsbeteiligung und zeigte sich mitunter an republikanischen Gesichtspunkten einer Regierungsverantwortung sträflich desinteressiert. Alles in allem bündelten einige Hofgeismarer ihre zumeist sehr unzusammenhängend und nicht selten eher nebenbei formulierten politisch-strategischen Alternativen in dem Begriff „konstruktiver Sozialismus“. Als gelungenes Beispiel, ja als bewundertes Vorbild dafür galt ihnen die Politik der englischen Sozialisten.

D IE F ASZINATION

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Es wäre dennoch überraschend, wenn sich die Hofgeismarer mit einer pragmatischen Zusammenfügung von Einzelelementen zu einem „konstruktiven Sozialismus“ begnügt und zufriedengegeben hätten. Die politische Sozialisation dieser Jungsozialisten ließ anderes vermuten, und in der Tat suchten sie noch bis zur Mitte des Jahrzehnts, ernsthaft nun, weniger emotional gestimmt und theoretisch anspruchsvoller auftretend, nach einem geschlossenen geschichtsphilosophischen Entwurf für ihre Art der Sozialismus-Vision, nach einer ausgewiesenen und unverbrauchten Gegenutopie sowohl zu den dominanten bürgerlichen Ideologien als auch zum marxistischen Materialismus des eigenen Sozialmilieus. Ein großer Teil der geistig führenden Köpfe, August Rathmann ganz besonders, auch Franz Osterroth, Heinrich Deist und mit beträchtlicher Distanz allerdings Theo-

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dor Haubach, zeigten sich zunehmend fasziniert von den Diskussionen in den Zirkeln der religiösen Sozialisten. Es dauerte eine Weile, bis bei einigen von ihnen die Faszination in Identifikation und Teilhabe umschlug; denn selbst für einen so außerordentlich klugen Autodidakten wie August Rathmann war das komplexe philosophische System der religiös-sozialistischen „Kairos-Lehre“ erst schwer zu begreifen, mithin eine langwierige Aneignungsphase vonnöten. Es ist an dieser Stelle nun zwingend geboten, den in der Literatur üblichen Sammel- und Pauschalbegriff „religiöser Sozialismus“ sorgfältig zu differenzieren; denn nicht alles, was in Weimarer Zeiten unter diesem Etikett firmierte, erfreute sich in Juso-Kreisen einer gleich großen Wertschätzung. Als quantitativ größte Gruppe mit einer Mitgliederzahl, die recht schwankend zwischen 10.000 und 25.000 taxiert wird, wäre zunächst die „Arbeitsgemeinschaft religiöser Sozialisten“ zu nennen.72 Unter Führung des Mannheimer Pfarrers Erwin Eckert konstituierte sich diese Gruppe 1926 dann als „Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands“.73 Dessen Domänen lagen in kleineren Städten Südwestdeutschlands und Thüringens, überall dort, wo für die Arbeiterschaft, obgleich vielfach schon sozialdemokratisch orientiert, der sonntägliche Kirchgang weiterhin zum selbstverständlichen Ritus gehörte. „Arbeitsgemeinschaft“ und „Bund“ begriffen sich in erster Linie als eine sozialistische Kampfgemeinschaft zur Überzeugung gläubiger Arbeiter. Sie akzeptierten die marxistische Sozialtheorie der organisierten Arbeiterbewegung, standen eigentlich nur in Distanz zu deren Freidenkertum und dachten programmatisch oder theologisch nicht weiter über das schwierige Verhältnis von Christentum und Marxismus nach. Kein Wunder also, dass die Hofgeismarer Jungsozialisten mit dieser Organisation nicht viel im Sinne hatten. Mit ungleich größerer Aufmerksamkeit durfte dagegen zumindest in den frühen zwanziger Jahren der sogenannte Neuwerk-Kreis rechnen. Die NeuwerkBewegung war ein typisches Produkt der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegskrise und in manchen Zügen dem frühen Jungsozialismus sehr ähnlich, wenn auch die eskapistischen Neigungen der aus Pfarrern, Lehrern, Studenten, Schriftstellern und einigen Arbeitern zusammengesetzten religiösen Gruppe weitaus extremer zugespitzt und konsequenter ausgeführt wurden als bei den anfänglich ziemlich rein proletarischen und daher für eine totale Stadtflucht weniger geeigneten Juso-Gruppen. Denn einen solchen Rückzug in die ländliche Abgeschiedenheit der hessischen Provinz hatten die Neuwerk-Leute gewählt, um in einer Siedlungsgemeinschaft, dem „Habertshof“, brüderschaftliche Zeichen zu setzen und Beispiele ständiger Selbstveränderung im „Geiste des Evangeliums“ zu geben.74 Urchristliche Askese und chiliastische Begeisterung, keine seltenen Phänomene in jenen Jahren, mischten sich seit 1924 mit volkshochschulähnlichen Experimenten der pädagogischen Zusammenführung von Bildungsbürgern und Arbeitern; auch dies, wir sahen es an anderer Stelle bereits, keine Rarität in der

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deutschen Gesellschaft der zwanziger Jahre. Die Jungsozialisten hatten häufig das Gespräch mit Neuwerklern gesucht und Neugierde für deren Tun bekundet, mit dem Abebben der lebensreformerischen Welle indessen ließ auch das Interesse für das kommunitäre Grüppchen um den Pfarrer Emil Blum sichtbar nach. An die Stelle der praktisch versuchten Lebensgemeinschaftsprojekte trat jetzt mehr der disziplinierte geistig-theoretische Diskurs, und den beherrschte, virtuos geradezu, die dritte und letzte hier zu nennende Gruppe im religiösen Sozialismus, der „Kairos-“ oder „Tillich-Kreis“, dessen innerer Kern vom Trio Paul Tillich, Eduard Heimann und Carl Mennicke gebildet wurde und zu dem in einem weiteren Sinne auch Adolf Löwe und anfänglich noch Alexander Rüstow, Arnold Wolfers und Hans Simons zu rechnen sind. Es ist unzweifelhaft richtig, dass sich diese Gruppe explizit als eine Reflexionsgemeinschaft auf höchstem geistigen Niveau verstand und bewusst auf den Massenbezug als Forum ihrer Erörterungen verzichtete, ja wohl auch – wie sollte es anders gehen? – verzichten musste. Dennoch formuliert man nicht einmal die halbe Wahrheit, wenn man dem Kreis, was in der Literatur die Regel ist, nachsagt, er habe sich einzig auf bürgerliche Intellektuelle und Akademiker beschränkt und sich in eine selbstgefällig genossene Exklusivität begeben.75 Auch der Tillich-Kreis suchte den Anschluss an die Arbeiterschaft. Allerdings hatte man auch hier eine Vorstellung von der Kontaktaufnahme zum Proletariat und dessen Bekehrung, die sehr bezeichnend für viele linke Intellektuellenzirkel der Weimarer Zeit war und die dem Jungsozialismus ihren Stempel aufdrückte: Gerne boten sich die Intellektuellen den kleinen Gruppen interessierter Arbeiterjugendlicher als Referenten an. Sie regten Arbeitsgemeinschaften an, trugen dort vor, legten Wert darauf, einige Tage mit den Jugendlichen und ihren Familien zusammenzuleben, um die Lebensumstände des arbeitenden Volkes kennenzulernen. Carl Mennicke insbesondere hat dies mit rastlosem Einsatz in der ersten Hälfte der 1920er Jahre getan, als er unaufhörlich von Stadt zu Stadt, von Jugendgruppe zu Jugendgruppe reiste. Auch Eduard Heimann war seit den späten zwanziger Jahren ein geschätzter Referent in sozialdemokratischen Ortsvereinen. Um die Auffälligsten und Klügsten unter den jugendlichen Zuhörern, Fragestellern und Diskutanten bemühte man sich dann besonders. Man lud sie zu Sitzungen des engeren Kreises ein, wo die jungen Arbeiter, von denen man sich Erneuerung und gleichsam proletarische Authentizität erhoffte, in die komplexen Bezüge des philosophischen Denkens systematisch eingewiesen wurden. Akademischen Konkurrenten erschienen die Vertreter des Kairos-Kreises häufig als hochmütige Intellektuelle; eben so konnten sich diese im Disput mit Gleichrangigen in der Tat vollauf gerieren. Scharfzüngig und voller beißender Verachtung für die Unstimmigkeiten in den Überlegungen anderer, trieben sie selbst einen Denker von Rang wie den Schweizer Theologen Leonhard Ragaz in die Depression und Verbitterung.76

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Eduard Heimann, Sohn des wohlhabenden Verlegers und angesehenen sozialdemokratischen Abgeordneten Hugo Heimann, seit 1925 Professor für Theoretische und Praktische Sozialökonomie in Hamburg, fiel in den frühen zwanziger Jahren ein wenig aus dem Rahmen des Kreises. Heimann, 1889 geboren und als Student grundlegend durch die Diskussionen in der „Akademischen Freischar“ geformt, war anfänglich – ganz anders als Mennicke oder Tillich – ein ausgesprochen impulsiver Gegner des Marxismus und haderte fundamental mit der gesamten Ausrichtung der zeitgenössischen Arbeiterorganisationen.77 Auf die polar-alternative Frage „Sozialistische Gesinnung oder Umgestaltung der ökonomischen Verhältnisse, was hat Vorrang?“ – eine Frage, über die in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den frühen Weimarer Jahren in Hunderten von politisch schillernd zusammengesetzten Gruppen und Grüppchen mit Leidenschaft gestritten wurde – antwortete Heimann stets mit einem entschiedenen Plädoyer für den Primat von der persönlichen Lebensgestaltung und der Erziehung zur sozialistischen Menschenbildung. Der Kapitalismus sei, so lautete die Ausgangsfeststellung für Heimanns damalige Argumentation, nicht etwa deswegen verdammenswert, weil er Mehrwert vom Arbeitseinkommen usurpiere und dadurch soziale Ungerechtigkeiten erzeuge. Dies sei kaum der Rede wert und im Übrigen ökonomisch höchst fragwürdig interpretiert, so Heimann. Das eigentliche Übel der freien Markwirtschaft bestehe darin, dass sie Gemeinschaften vernichte und den Gemeinsinn, die große Sehnsicht der ruhelosen Menschen, brutal zerstöre und eine gesellschaftliche Kultur der Fremdheit und Feindschaft erzeuge.78 Die Alternative zur Marktwirtschaft bezeichnete auch Eduard Heimann als „Sozialismus“, übersetzte dies mit „vergesellschafteter Arbeit“ und definierte die Voraussetzung dafür als Problem sozialpsychologischer, nicht etwa wirtschaftlicher Qualität. Die marxistische Arbeiterbewegung mit ihrer ökonomischen und materialistischen Einstellung war auf dem Holzweg, wie Heimann befand. Denn: Der Klassenkampf – was sollte das mehr als ein „Beutekrieg“ der „kapitalistisch versuchten“ Arbeiterschaft sein? Mit dem materialistisch entfachten „Instinkt des Begehrens“, was die Marxisten mithin als objektives Interesse kategorisierten, könne man vielleicht die Schlacht gegen die Kapitalisten gewinnen, dann aber, so prognostizierte Heimann, beginne unweigerlich der Kampf um die errungene Beute, das feindliche Gegeneinander innerhalb der unteren Schichten selbst statt der ersehnten brüderschaftlichen Gemeinschaft. Am stärksten aus der Führungsgruppe des Kairos-Kreises war Carl Mennicke um Symbiose mit dem Proletariat und um Unterstützung seiner Kämpfe bemüht, mochten sie auch noch so ökonomisch limitiert sein. Und dafür war Mennicke unentwegt auf Tour: Am Wochenende referierte er vor religiös-sozialistischen Textilarbeitern in Chemnitz, acht Tage später besucht er junge Bergleute in Bo-

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chum, scheute auch einen kurzen Abstecher nach Remscheid nicht, um zu erkunden, was das Volkshochschulexperiment dort an neuen Erfahrungen hatte sammeln können, um bereits die Woche darauf vor einem gemischten Publikum von Studenten und Arbeitern in Hannover vorzutragen. Gleichzeitig hielt er die Redaktionsführung der beiden kleinen Zeitschriften Sozialistische Lebensgestaltung und Blätter für den religiösen Sozialismus in seinen Händen. Den Tribut, den Mennicke für seine notorische Betriebsamkeit entrichten musste, kann man wirkungsgeschichtlich vielleicht daran bemessen, dass er im Gegensatz zu seinen Freunden Heimann und Tillich heute nahezu vergessen ist. Dabei sind seine Arbeiten keineswegs arm an Gedanken, aber zu dicken Büchern hatte es in der Unruhe seiner umtriebigen pädagogischen Arbeit nicht reichen wollen. Und selbst noch seine kleinen Schriften wirken an manchen Stellen unabgeschlossen, nicht zu Ende gedacht,79 erscheinen alles in allem flüchtiger als die Werke seiner beiden Kumpanen, die doch mehr „Gelehrte“ waren und die ruhige Abgeschiedenheit des Studierzimmers dem Kursusbetrieb in Arbeiterjugendheimen und Volkshäusern überwiegend vorzogen. Auch die familiäre Herkunft des 1887 in Elberfeld zur Welt gekommenen Mennicke hob sich von der Tillichs und Heimanns, die beide in einer Umgebung des Wohlstandes aufgewachsen waren, deutlich ab. Die Eltern Mennickes hatten sich anfangs als Dienstboten verdingen müssen, bis es ihnen nach Jahren entbehrungsreicher Sparsamkeit gelungen war, sich mit einem kleinen Geschäft selbstständig zu machen. Doch reichten ihre Erträge kaum aus, die Familie hinreichend zu versorgen. Daher musste Mennicke nach der mittleren Reife gezwungenermaßen mit einer kaufmännischen Lehre beginnen, die er zwar mit Erfolg abschloss, ohne aber dabei beruflich Befriedigung zu finden. Auf die stieß er dafür zu jener Zeit in der streng pietistischen Atmosphäre eines evangelischen Jugendkreises, was ihn dazu ermutigte, das Abitur nachzuholen und sich sodann in Bonn, Halle, Berlin und Utrecht dem Studium der Theologie zu widmen. Nachdem er 1914 das Examen erworben und eine Vikarstelle in Bad Godesberg angetreten hatte, meldete er sich freiwillig zum Sanitätsdienst an der Front, wo er erstmals intensivere Kontakte zu industriellen und sozialistisch orientierten Arbeitern bekam. In der späteren Reminiszenz bildete das für ihn den Ausgangspunkt, fortan an der Überbrückung der Kluft zwischen Bürgertum und Arbeiterbewegung mitzuwirken. Aus diesem Grund engagierte er sich nach dem Krieg in der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost“, einer Vereinigung von Akademikern und Studenten, die in die Arbeiterviertel der Metropole zogen, um in lebensnaher Freundschaft zum Proletariat zu leben. 1920 bekam Mennicke an der Soziologischen Abteilung der Berliner Hochschule für Politik eine Anstellung als Dozent.80 Drei Jahre später avancierte er zum Leiter des Seminars für Jugendwohlfahrt, einer Institution, an der sich junge Frauen und Männer ohne aka-

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demische Vorbildung in Abendkursen die notwendigen Qualifikationen für eine Arbeit im Wohlfahrtsbereich aneignen konnten. 1930 erhielt Mennicke dann einen Ruf an die Universität Frankfurt, wo er bis zu seiner Emigration 1933 als ordentlicher Professor lehrte.81 Ähnlich wie Heimann hielt auch Mennicke es nicht für ausgeschlossen, dass sich die Arbeiterschaft im Zuge ökonomischer Prosperität dem Kapitalismus wirtschaftlich und politisch angleichen werde.82 Auch in ihren Schlussfolgerungen glichen sich die beiden. Mennickes Chiffre, die im Zentrum seiner Argumentation stand, lautet zwar nicht – wie bei Heimann – „Sittlichkeit“, sondern „Geist“, meinte im Übrigen aber das Gleiche: Nur der ethisch oder religiös durchdrungene Geist habe ein Empfinden für den lebenszerstörenden Kern der zerstückelnden kapitalistischen Produktionsweise und werde sich selbst dann nicht mit dieser Wirtschaftsordnung abfinden, wenn sie floriere und die Bedürfnisse des Massenkonsums zu befriedigen in der Lage sei. Mit dieser Insistenz auf einen durch und durch von jeder kapitalistischen Philosophie rein gehaltenen Geist befand sich der religiöse Sozialist Mennicke in unmittelbarer Nähe zum Linkssozialisten Max Adler, auch wenn beide Mitte der 1920er Jahre eine solche Affinität gewiss vehement bestritten hätten. Paul Tillich, Primus inter Pares im Berliner Kreis, hielt „Rationalismus“ und „Materialismus“ ebenfalls für die Hauptgebrechen der „sinnentleerten“ Gegenwart. „Sinn“, das war die Zauberformel Tillichs, ähnlich wie für Heimann die „Sittlichkeit“ und für Mennicke der „Geist“. Eine „sinnerfüllte Gesellschaft“ schaffen – dies musste nach Tillichs Auffassung die Aufgabe des Sozialismus sein und als Losung an die Stelle der überkommenen Parolen von „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „klassenlose Gesellschaft“ treten.83 Als Sohn eines konservativen lutherischen Pfarrers entstammte der 1886 in Starzeddel bei Guben geborene Tillich einem Sozialmilieu, das schon traditionell im preußischen Teil Deutschlands einen mit dem bildungsbürgerlichen Status begründeten Anspruch auf Sinngebungskompetenz reklamierte.84 Tillich selbst interessierte sich zunächst nicht sonderlich für Politik. Doch auf der Suche nach einem eigenen Standort, der sich vom Konservatismus des Elternhauses provozierend abheben sollte, halfen ihm wie so vielen seiner bürgerlichen Generationsgenossen die Schriften Friedrich Nietzsches.85 Und wie für nicht ganz wenige andere Intellektuelle, die an ihrer Um- und Lebenswelt im Kaiserreich des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts „irre“ wurden, bedeutete auch für Tillich der Erste Weltkrieg, an dem er als Feldprediger teilnahm, ein einschneidendes Erlebnis. Der Verkehr mit den ihm bis dahin fremd gebliebenen links orientierten Arbeitern trieb ihn zur geistigen Auseinandersetzung mit dem Marxismus und der sozialistischen Ideenwelt generell. Aus diesen Quellen seines antibürgerlichen Protests, der nietzschianischen Rationalismuskritik wie der Lebensphilosophie einerseits und

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der Marxschen Dialektik andererseits, entwickelte Tillich in den 1920er Jahren, als Hochschullehrer in Berlin, Marburg, Dresden und schließlich seit 1929 Frankfurt, ein eigenes konsistentes geschichts- und kulturphilosophisches Deutungssystem. In ihrem utopischen Charakter war die Philosophie Tillichs dem Marxismus gar nicht unähnlich. Sie teilte dessen universellen Erklärungsanspruch und besaß vergleichbare Probleme in der angestrebten Vermittlung des menschlichen Seins mit dem geschichtlichen Sollen. Tillichs Entwurf entsprach allerdings mehr den spirituellen Bedürfnissen der Weimarer Jugendbewegung, da sein Denken des materialistischen Ansatzes von Karl Marx entbehrte und dafür die menschliche Sinnsuche in den Vordergrund stellte. Die Funktion seiner Lehren war gleichwohl vergleichbar mit jener, die der Marxismus in den Jahrzehnten zuvor für einen Teil der industriellen Arbeiterschaft gehabt hatte. Denn durch die transzendentale Wegweisung Tillichs auf die Erlösung aus dem bürgerlichen Jammertal durch ein irdisches „Reich Gottes“ konnten die Heilsbedürfnisse befriedigt, die aktuellen Spannungen ursächlich-zusammenhängend gedeutet, optimistisch ausgehalten und durch den Aufruf, bereits im Hier und Heute Zeichen des „Gottesreiches“ zu errichten, in Energien und politische Aktivitäten transformiert werden. Im Zentrum der Gedankenführung Tillichs stand die Überzeugung, dass sich im realen Geschichtsablauf Zeitpunkte (Kairoi) herausbilden, in denen der Mensch durch Gottes Gnade Neues zu begründen vermag. Auch gravierende gesellschaftliche Krisen waren dann keineswegs zu fürchten, da Tillich die historischen Krisen als Knotenpunkte der Neuschöpfung begriff, „weil in ihnen der weltgeschichtliche Kairos zugegen sei“86. Schließlich war Kairos für Tillich der „epocheschaffende Zeitmoment“87. Eine solche Konstellation möglicher – keineswegs notwendiger! – Sinnerfüllung und Neuschöpfung des menschlichen Zusammenlebens sah Tillich beispielhaft im Auftritt des Sozialismus gekommen, da ihm eine endgerichtete Spannung und dazu das Verlangen inhärent waren, die Endlichkeit durch Sinndeutung der Geschichte zu durchbrechen. „Der Geist der Prophetie in Marx“, pflegte Tillich seine Schüler zu mahnen, „darf dem Sozialismus nicht verlorengehen“. Tillich selbst wollte über Marx hinausgehen, dabei allerdings dessen von Hegel entlehntes „geschichtsbewusstes Denken“ beibehalten, um keinen Rückfall in die vor-marxistische Ära eines puren ethischen Idealismus zu riskieren, da – so Tillich – dessen abstrakte Gegenüberstellung von Idealen und Empirie nichts über das Wollen und Können der menschlichen Subjekte aussage. In der Tat unterschied sich Tillich in seiner Kritik am „Kantianismus“ und in seinem dem gegenübergestellten positiven Geschichtsbild im Grunde nur insoweit vom Marxismus, als letzterer in den Produktivkräften den Motor aller gesellschaftlichen Bewegungen sah, während er im Sinn das Agens der menschlichen Höherentwicklung erkannte.

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Jedenfalls: In der konstruierten Identität von Sein und Sollen lag das Geheimnis für den Erfolg des „Volksmarxismus“ bei den sozialdemokratischen Massen hier und der Kairos-Philosophie in den kleineren Zirkeln junger sozialdemokratischer Arbeiter-Intellektueller dort. In Teilen der jungen Generation des Zwischenkriegssozialismus gerieten in dem Maße, wie in der offiziellen Sozialdemokratie der ursprüngliche revolutionäre Impetus und die Schwungkraft des „Volksmarxismus“ zugunsten einer dürren Realpolitik verlorengingen, die Sentenzen des Kairos-Kreises zu rebellischen Korrektiven des politischen Attentismus der Mutterpartei. Einige aus dieser jüngeren Generation des religiösen Sozialismus führten diese Impulse drei Jahrzehnte später, in und nach fortwährenden theoretischen Diskussionen, zum Godesberger Programm. Aber bald danach zerrann auch diese geistige Strömung des Sozialismus. In der SPD des 21. Jahrhunderts ist davon nichts mehr zu finden.

D ISTANZ

ZUM

H EIDELBERGER P ROGRAMM

Der Charakter dieser parteioppositonellen Haltung, die man wohl mit gutem Grund als den geistig-politischen Standort der großen Mehrheit im Hofgeismarkreis bezeichnen kann, spiegelt sich deutlich, wenn auch nicht ungebrochen, in einer von August Rathmann im Herbst 1925 verfassten Polemik gegen das gerade vom SPD-Parteitag nahezu einstimmig angenommene Heidelberger Programm wider. Rathmanns kritische und sorgfältige Auseinandersetzung mit dem neuen Programm gehörte zu den ganz wenigen ausführlichen Stellungnahmen, die in diesen Monaten von einem Sozialdemokraten aus der weitgehend desinteressierten Parteiöffentlichkeit abgegeben wurden.88 Allerdings vermochte das Programm, im Wesentlichen von Karl Kautsky und Rudolf Hilferding formuliert, auch keine Emotionen zu wecken, keine leidenschaftlichen Debatten zu provozieren oder auch nur lebhafte Neugierde zu entfachen. Nicht einmal Lektüregenuss konnte dieses trocken geschriebene, additiv zusammengestellt wirkende Manifest bereiten, das sich in zentralen Passagen seines „Grundsätzlichen Teils“ an das Erfurter Programm anlehnte, anders als das Görlitzer Programm der MSPD wieder eine ökonomische Analyse marxistischer Observanz vorausschickte, den Klassenkampf sowie den Klassenbegriff faktisch erneut in den Mittelpunkt stellte und an der Verkündung des Endziels in Form einer Gesellschaft mit sozialisierten Produktionsmitteln festhielt. In den Ohren alter sozialdemokratischer Parteirecken und treuer sozialdemokratischer Wähler klangen diese programmatischen Erklärungen mithin gewohnt, sicher nicht mitreißend, wohl aber vernünftig und einleuchtend – immerhin: Die Stabilität eines gewichtigen Sozialmilieus in der schwierigen Zeit der

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Brüche und Zersetzungen zu erhalten, ist keine geringe Leistung und kann durch allzu freizügige „Öffnungen“ ernsthaft in Gefahr geraten. Daran indes kann kein Zweifel sein, dass das Programm von Heidelberg an den Fragen und Irritationen, den Gefühlsregungen und Stimmungen großer Teile der Jugend, Angestellten und Beamten, der Intellektuellen und kleinen Gewerbetreibenden unbekümmert vorbeiging und ideologische Ausstrahlungskraft dort nicht zu erreichen vermochte. Für derartige Versäumnisse aber hatten, wir sahen es schon häufig, Hofgeismarer Jungsozialisten eine „Antenne“, und in solchen Momenten schlugen sie Alarm. So auch August Rathmann in seinem Aufsatz für den Politischen Rundbrief. Selbst dort noch, wo er dem neuen Parteiprogramm positiv attestierte, alten theoretischen Ballast, wie etwa die Lehre von der naturnotwendigen Entwicklung, die Verelendungs- und Katastrophentheorie, abgeworfen zu haben, machte er Negatives aus. Denn bei dieser Entrümpelung seien gleichzeitig, argumentierte er bedauernd, die religiöse Kraft des Erfurter Programms und die religiösen Grundkräfte der sozialistischen Bewegung auf der Strecke geblieben. Die Läuterung und Verlebendigung dieser Grundkräfte hielt Rathmann für entscheidend; nichts davon jedoch konnte er im neuen Programm wiederfinden, da es jede Verwurzelung in der Zeit, jedes Hineinfühlen und Hineinhorchen in das Wollen der Gegenwart vermissen lasse. Es mangele dem Programm, so Rathmann, an einem „erdhaften, blutdurchpulsten Bild des neuen Werdens“89, es gebrauche keine Worte, die die Herzen und Gemüter zu bewegen vermochten. Sozialisten hätten aber, so fasste der Hofgeismarer Jungsozialist diesen Teil seiner Ausführungen zusammen, „zukunftsstarke und doch lebensnahe“90 programmatische Vorstellungen zu entwickeln. Mit polemischen Worten bedachte Rathmann die – bekanntlich in der SPD nicht neue – Prognose des Programms, dass die Interessen der Angestellten und Intellektuellen im steigenden Maße mit denen der übrigen Arbeiterschaft übereinstimmen und beide Gruppen so dem Rekrutierungsfeld der Sozialdemokratie gleichsam automatisch zufallen würden.91 Die alleinige Hoffnung aber darauf, dass die Interessen ihre Schuldigkeit zur Vergrößerung des sozialdemokratischen Einflusses tun würden, musste nach Rathmanns Auffassung in Anlehnung an Eduard Heimann zur Aushöhlung der im „Görlitzer Programm“ noch ausdrücklich betonten sittlichen Motive führen. Zumal es es dem Hofgeismarer Jungsozialisten keineswegs gesichert schien, dass der Einsatz für sittliche Ziele in allen Fällen einen Zugewinn materieller Erträge bedeutete. Überdies, so Rathmann über die bewusstseinsmäßigen Schranken und subjektiven Eigenarten auch „proletarisierter“ Mittelschichtler, lebten diese Angestellten, Beamten und Intellektuellen in einer anderen Welt als die Industriearbeiter. Statt also auf die Überzeugungskraft der sozialen Situation zu warten, müsse die „Angriffskraft der

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Idee“, die Attraktivität des sozialistischen Gedankens offensiv erprobt und in diese Schichten hineingetragen werden. Die Arbeiterklasse habe entgegen dem alten und im Heidelberger Programm wiederaufgenommenen Mythos keine besondere geschichtliche Mission im Ringen um den Sozialismus zu erfüllen. Da die Industriearbeiterschaft in Deutschland sowieso nur noch eine Minderheit der Bevölkerung umfasse, bestehe aller Anlass für die Sozialdemokratie, den gewandelten Verhältnissen Rechnung zu tragen „und die Grundlage für eine wirkliche Volkspartei“92 zu schaffen. Rathmanns Beitrag war bei aller eklektizistischen Zusammenfassung von lebensphilosophischen, religiös-sozialistischen und neukantianischen Elementen die zweifellos reifste Frucht langjähriger Hofgeismar-Kritik am traditionellen sozialdemokratischen Marxismus, und sicher kann der ideengeschichtlich Interessierte hier fragmentarische Versatzstücke eines späteren „Godesberger Weges“ entdecken. Gewiss sprach Rathmann auch für die Majorität des Kreises. Dennoch spiegelten seine Ausführungen nicht die ganze Bandbreite der dort existierenden Positionen wider. Kritik am Heidelberger Programm übte nämlich auch die Minderheit national-republikanischer Marxisten um Theodor Haubach, der sich als begeisterter Anhänger des linkszentristischen Linzer Programms der österreichischen Sozialdemokratie bekannte: „Wir wollen es offen aussprechen“, gestand Haubach in einem Artikel für das Hamburger Echo seine Neigung zum Austromarxismus ein, „dass uns das Linzer Programm unserer österreichischen Bruderpartei wesentliche Vorzüge vor dem Heidelberger Programm der deutschen Partei zu enthalten scheint“.93 In der Tat wirkte das Linzer Programm dialektisch geschlossener und wuchtiger, es war glänzend geschrieben, problembewusst und doch optimistisch, es vermittelte kämpferische Begeisterung und zielorientierte Geradlinigkeit, es versprach religiöse Toleranz und appellierte offensiv an den Kleinbesitz und die Bauernschaft; bei alledem operierte es mit der analytischen Methode des Marxismus. Otto Bauer, Schöpfer des Programms, gehörte eben zu den Ausnahmen im Zwischenkriegssozialismus, die, rhetorisch zumindest, das „revolutionäre Feuer“ des frühen Marxismus am Lodern halten konnten – wenn auch Bauer vor der in Aussicht gestellten Brandsetzung der bürgerlichen Gesellschaft dann letztlich doch immer zurückgeschreckt ist. Haubach, geschulter Dialektiker, Aktivist im „Reichsbanner“ und als ehemaliger Frontoffizier Liebhaber militärischer Redeweisen, begeisterte sich für das austromarxistische Programm, weil es „ein vollkommen durchgearbeiteter Aufmarschplan [ist], der den augenblicklichen Stand der Bewegung aufs genaueste fixiert und gleichzeitig die näheren und ferneren Ziele des Kampfes in einen festen Zusammenhang einordnet“.94 Haubachs Bewunderung für die theoretischen und politischen Leistungen der österreichischen Sozialisten hat in den übrigen Weimarer Jahren nicht abgenommen; stets empfahl er sie den deutschen Sozialdemokraten als Vorbild.95

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Eine solche Empfehlung weist ihn jedoch nicht rundum als einen „rechts“ stehenden Sozialdemokraten aus; erneut erhält man einen Fingerzeig darauf, wie problematisch die herkömmlichen politisch-geographischen Verortungen Hofgeismarer Jungsozialisten sind. Dabei ist unbestritten, dass eben jene ursprünglich und im weiteren Zeitverlauf gewichtige Anstöße aus der bürgerlichen Jugendbewegung und der neukonservativen Intelligenz erhielten, sie solche Einflüsse auch nie haben leugnen können und wollen. Allerdings wurden sie durch andere Impulse, wie jene Tillichs, neu verarbeitet und durch verstärkte Mitarbeit in der Parteiorganisation gereifter umgestaltet. Das Weltbild der überwiegenden Mehrheit im Hofgeismarkreis setzte sich 1925/26 aus einem Konglomerat von ethisch- und religiös-sozialistischem Gedankengut und einer im weitesten Sinne allmählich gewachsenen reformistisch-republikanischen und nationalbewussten Staatsauffassung zusammen. Daneben stand auf der einen Seite – mit fließenden Übergängen zur Mehrheit – eine Minderheit patriotischer, wehrhaftrepublikanischer „Austro-Sozialisten“, den Blick auf Wien gerichtet, während sich auf der anderen Seite eine völkisch-nationalistische Minorität aus dem Kreis fort, gewissermaßen zurück nach Potsdam bewegte.

V. Eine neue sozialistische Linke repliziert

K LASSE UND K AMPF – P FINGSTEN 1924 IN H ANNOVERSCH M ÜNDEN Der Charakter derjenigen Juso-Gruppen, die sich in linker Gegnerschaft zu den Hofgeismarern fühlten, hatte sich 1924 stark verändert. Zum einen hatte die spontane jungproletarische Radikalität im mehrheitssozialdemokratischen Milieu des Jahres 1923 eine Reihe von jungen und begabten Intellektuellen aus bürgerlichem Hause angezogen, die den jungen Arbeitern dort ihre revolutionären Theorien anvertrauten und ihnen den Vorschlag unterbreiteten, den Kampf gegen das „bürgerliche“ Denken in der reformistischen Arbeiterschaft anzutreten. Zum anderen bildete man nun, als Antwort auf die fraktionsähnlichen Aktivitäten der Hofgeismarer Jungsozialisten, ebenfalls einen eigenen „Kreis“, den sogenannten „Hannoveranerkreis“. Symbolisch gesehen war dieser Akt gelungen und höchst erfolgreich: Linkssozialistische Jusos konnten sich nun eindeutig mit einer schlagwortartig benannten Richtung identifizieren, die bald jedermann als Gegenpol zum Hofgeismarkreis bekannt war. Ganz gleich, ob man als Juso in Breslau, Düsseldorf, Schwelm, Hannover oder Dresden wohnte, man zählte sich zu den „Hannoveranern“ und brachte mit dieser Standortbezeichnung zu erkennen, dass man für „Marxismus“ und „Klassenkampf“ und gegen „Nationalismus“ und „Volksgemeinschaft“ war. Noch in späteren Jahren, als sich längst kein Hofgeismarer mehr in der jungsozialistischen Bewegung tummelte, sprach man im Rückblick geradezu wehmütig-nostalgisch von den Richtungskämpfen zwischen Hannoveranern und Hofgeismarern. Und Veteranen der Bewegung, Jahrzehnte später befragt, legten in aller Regel zu Beginn eines solchen Zeitzeugengesprächs ein klares und stolzes Zugehörigkeitsbekenntnis zu einem der beiden „Kreise“ ab. Dabei steckte hinter der Symbolik „Hannoveranerkreis“ nicht sehr viel Reales, und mit dem Hofgeismarkreis hielt er im Vergleich nicht stand: Es gab keine anerkannte Führungsgruppe, es existierte kein regelmäßiges Zirkular; Rund-

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schreiben sind zumindest nicht bekannt, und getroffen hat man sich nur ein einziges Mal – eben in Hannoversch Münden, dem südniedersächsischen Ort, der für die mehr allegorische denn organisatorische Bezeichnung einer politischen Antihaltung verantwortlich war. Denn eine Anti-Hofgeismar-Einstellung war es, welche die höchst unterschiedlichen Strömungen derer, die als Hannoveraner firmierten, zusammenhielt. Dabei hat man im Unterschied zu den Hofgeismarern Andersartigkeiten und Gegensätze in den theoretischen Überlegungen nicht einmal thematisiert, sondern unausgedrückt und beziehungslos koexistieren lassen, die Folge der alles überwältigenden Gegnerschaft zu den kaum mehr differenziert wahrgenommenen Positionen der Gegenseite. Dass die Pfingsttagung in Hannoversch Münden wie ein Fanal für alle irgendwie linksoppositionell eingestellten Juso-Gruppen des Reiches wirkte und den Auftakt für eine scheinbar geschlossene und schließlich erfolgreiche Gegenoffensive zum Hofgeismar-Sozialismus bedeutete, mochten die ursprünglichen Initiatoren der Konferenz, die Jungsozialisten aus Hannover, vielleicht ein bisschen erhofft, wohl aber selbst nicht ganz erwartet haben. Mit Jungsozialisten anderer Städte war das Unternehmen zunächst jedenfalls weder geplant noch abgesprochen. Mitte Mai 1925 luden die hannoverschen Jungsozialisten durch kleinere Inserate in verschiedenen sozialdemokratischen Tageszeitungen zu diesem Treffen ein.1 Der grassierenden nationalen Welle, so hieß es darin, sollte durch ein „Bekenntnis zum Marxismus und Klassenkampf“ Einhalt und Paroli geboten werden. Die Zahl der Anmeldungen, etwa 150 aus dem ganzen Reich, und die Fülle von Briefen und Nachfragen bewiesen den Initiatoren, wie stark das Interesse an einer sichtbaren klassenkämpferischen Alternative zum Hofgeismarkreis inzwischen angewachsen war. Die verantwortlichen Jungsozialisten aus Hannover, August Bolte und Paul Witthöft, schalteten sofort. In einem neu erstellten, ausführlicheren Zeitungsaufruf erweiterten sie den Kreis der Einlader um den theoretisch brillanten Max-Adler-Schüler Heinz Hornung aus Düsseldorf und den Schwelmer Ernst Rosendahl, um nun, Ende Mai, anstelle einer regionalen Konferenz „ein allgemeines Treffen der Jungsozialisten Deutschlands“ avisieren zu können: „Der Zweck des Treffens soll sein, Stellung zu nehmen gegen die Richtung in unserer Bewegung, die ihrer ideologischen Einstellung nach den Boden des marxistischen Klassenkampfs verlassen hat und sich heute, in einer Zeit der schärfsten Klassengegensätze, zur Volksgemeinschaft und zu einem Deutschtum bekennt, das von der Gefahr des nationalistischen Gedankens nicht frei ist, die Richtung, die, je mehr sie die sittliche Idee des Staates betont und ihre Hoffnung auf die deutsche Jugend setzt, die die Trägerin einer neuen Gesellschaftsordnung sein will, um so mehr vergisst, dass es Klassen gibt, die in erbittertem Kampf gegeneinander stehen, die vergisst, dass der Klassenkampf nicht auf

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subjektiven Meinungen, sondern auf objektiven Tatsachen beruht, dass er ein dem Proletariat mit geschichtlicher Notwendigkeit aufgezwungener Kampf ist und dass die herrschende Klasse sich jeweils im Staat ein Instrument zur Unterdrückung der anderen Klasse schuf.“2

Von diesem zum Schluss anklingenden instrumentalistischen Staatsverständnis – einem Grundaxiom linkssozialistischer Staatskritik – ließ sich auch der Hauptreferent der Pfingsttagung in Hannoversch Münden, Georg Engelbert Graf, in seinem Vortrag zum Thema „Klassenkampf oder Volksgemeinschaft“ leiten. Gegenüber der im besten Falle idealistischen, im schlimmeren Falle jedoch ausgesprochen reaktionären preußischen Staatsmetaphysik einiger Hofgeismarer bedeutete dies sogar einen historischen Fortschritt und stieß deshalb – ebenso wie die Zurückweisung aller nationalistischen Stimmungen – in der dem Volksgemeinschaftsrummel folgenden Ernüchterung auf eine spürbar angestiegene Resonanz bei den Jungsozialisten. In der Hervorhebung des soziologischen Charakters einer Gesellschaft, in der gedanklichen Wiederanbindung der staatlichen Sphäre an die Strukturen des gesellschaftlichen Zusammenhanges lagen Stärken und erkenntnisfördernde Möglichkeiten der linkssozialistischen Überlegungen. In deduktiven Kurzschlüssen aus vermeintlichen Wesenselementen grobschlächtig interpretierter Produktions- und Klassenverhältnisse zu dogmatisierten Bestimmungen eines ehernen Funktionsmechanismus staatlicher Herrschaft verbarg sich indessen ein fatales Wahrnehmungsdefizit gegenüber der komplexen gesellschaftlichen Empirie unterschiedlicher politischer Systeme mit gleicher Produktionsordnung. Dies blieb ein Grunddilemma, das sich bei den Jungsozialisten seit Mitte der zwanziger Jahre fortan bemerkbar machte: Hellsichtige Analysen reformistischer Unzulänglichkeiten blieben ohne eigentliche politisch-strategische Konsequenzen, da der Raum für republikanisch-sozialistische Politik durch die abstrakte Negierung des „bürgerlichen Staates“ und durch die Hoffnung auf das ganz andere „Endziel“ niemals analytisch oder gar praktisch ausgelotet, sondern allein den Kräften des verhassten „Klassenfeindes“ mit sträflich-fahrlässiger Gleichgültigkeit zur beliebigen Nutzung überlassen wurde. In den Ausführungen Grafs zeichnete sich das Dilemma in aller Deutlichkeit ab. Die Chimäre der „Volksgemeinschaft“ vermochte er rational zu kritisieren, den brisanten Vorgang der zunehmenden Entfremdung zwischen staatlich-administrativ eingebundenen „Arbeiterführern“ und großen Teilen der Arbeiterschaft im Zuge einer als problematisch wahrgenommenen Koalitionspolitik konnte er pointiert charakterisieren. „Die Psyche des Arbeiters und die Stimmung der Massen“, so mahnte er, seien Faktoren, „über die man nicht ungestraft hinweggehen kann“3. Andererseits aber versperrten die simplifizierenden Klassenschemata, das Gemisch aus linkem Populismus und radikaler Staatsfeind-

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schaft – Resultat sicher auch des wohl verständlichen, aber überzogen artikulierten Wunsches nach einer schroff entgegengesetzten Alternative zur Hofgeismarer Staatsverherrlichung und der reformistischen Staatsbejahung – den Blick für die im Vergleich zur Monarchie oder sonstigen nicht-demokratischen Systemen ganz anders geartete Stellung der Arbeiterschaft in ihren politischen und gesellschaftlichen Gestaltungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten. So figurierte auch der Weimarer Staat in Grafs Referat ausschließlich als „kapitalistische Festung“, war einzig eine „Rechtsorganisation der Gesellschaft vom Standpunkt und im Interesse der herrschenden Klasse“ zur Unterdrückung des Proletariats, eine „verspätete Erfüllung eines bürgerlichen Ideals“ gleichsam.4 Was qua Definition als erfüllte Form objektiven bürgerlichen Strebens galt, deckte sich zwar keineswegs mit dem subjektiven Verlangen großer Teile des wirklichen deutschen Bürgertums, aber das kümmerte die meisten Linkssozialisten in den 1920er Jahren auch wenig, und Graf hinderte es nicht daran, die Proletarier im Allgemeinen und seine jungsozialistischen Zuhörer insbesondere vor einer Fetischisierung der Demokratie und der Republik zu warnen.5 Seine Ausführungen beendete Graf schließlich mit dem Appell zur Bekämpfung der „Spießbürgerei“ in Arbeiterkreisen und mit der Aufforderung, eine „neue Klassenkultur“ zu schaffen, um sich geistig und moralisch für höhere Aufgaben zu rüsten. Auch der linke Flügel blieb mithin der Herkunft und dem unverwechselbar Identischen im Jungsozialismus treu – mehr und hartnäckiger sogar, wie sich noch nach Jahren zeigen sollte, als dies seine Protagonisten, geblendet durch die martialischen Töne der nun bevorzugten Klassenkampfsprache, selbst zuzugeben bereit waren.

R ECHT , V ERNUNFT , AUSLESE –

DIE

N ELSONIANER

Zwar stimmten sicher alle linksoppositionellen Jungsozialisten im Reich mit dem Credo der Tagung in Hannoversch Münden – Klassenkampf, Internationalismus, Geringschätzung der republikanischen Staatsordnung – überein. Dennoch fiel die ideell-theoretische Begründung dafür im einzelnen höchst unterschiedlich aus. Dies blieb, was die Besonderheiten im Lager der Marxisten anging, noch bis zum Ende des Jahrzehnts undiskutiert, sollte sich aber später, als solche Divergenzen auch strategisch-politisch relevant wurden, um so dramatischer als Problem aufdrängen.6 August Bolte, der die ursprünglichen Aufrufe zur Konferenz in Hannoversch Münden unterzeichnet und verantwortet hatte, gehörte zum Internationalen Jugend-Bund (IJB), einer kleinen, elitären, ungemein aktivistischen Kaderorganisation, die seit dem Sommer 1923 plötzlich bei den Jungsozialisten aufgetaucht war und nach außen anfangs eifrig die Verbundenheit mit dem revolutionären Marxismus betonte, obgleich sie sich geistig alles

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andere als in dessen Tradition bewegte. Der Geist, der im Internationalen Jugend-Bund herrschte, war der seines mit geradezu diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Leiters Leonard Nelson, ein Göttinger Philosoph aus der Schule Immanuel Kants und Jacob Friedrich Fries. Nelson hatte im Sommer 1882 in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes das Licht der Welt erblickt. Der Philosoph Moses Mendelssohn und der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy zählten zu seinen Vorfahren. Im Hause der wohlhabenden jüdischen Eltern Nelsons ging es sehr weltbürgerlich zu; regelmäßige Salonabende waren Usus. Man gehörte zu den emanzipierten Juden Berlins; Sohn Leonard wurde fünf Jahre nach seiner Geburt getauft. Nelson war ein äußerst empfindsamer Junge, von früh an geplagt von Krankheiten. Schon während seiner Schulzeit machte ihm chronische Schlaflosigkeit schwer zu schaffen. Geräusche aller Art peinigten ihn; zyklisches Heufieber im Frühjahr belasteten zudem, schließlich kamen noch Probleme mit dem Herzen hinzu. Auf der Schule und in der Nachbarschaft galt er als Sonderling, der sich lieber schweigend abkapselte als fröhlich zu gesellen. Doch aus seinem Leiden und seiner Introvertiertheit holte er sich, so wurde vermutet, die Energie, auch den Antrieb zur außergewöhnlichen intellektuellen Arbeit.7 Rigorosität wurde zum Elixier der Biografie Nelsons. Sich selbst und allen anderen verlangte er strenge Logik, eine strikte Rationalität der Gedanken und Gesprächsführung ab. Wer hierbei nicht mithalten konnte, hatte mit der ätzenden Polemik Nelsons, der „kein Mensch der Liebe und Güte“8 war, zu rechnen, mit Geringschätzung, ja: Verachtung. So ging auch seine Ehe, die er 1907 schloss, bereits nach drei Jahren in die Brüche. Seine Ehefrau litt an der Härte seiner Rationalitätsforderungen, verbrachte auch gern Abende in unterhaltsamer Gesellschaft, was Nelson als stumpfe Zerstreuung harsch ablehnte und verweigerte. Nelson neigte dazu, wie selbst ein Freund kummervoll anmerkte, „die Theorie über die Praxis zu stellen“.9 An der Göttinger Universität, der er seit 1903 angehörte, machte er sich mit seiner hochfahrenden Rechthaberei etliche Feinde, mit Ausnahme allerdings der Mathematiker, allen voran David Hilbert und Felix Klein, die von seiner unspekulativen Art der Philosophie beeindruckt waren und ihn in seiner Hochschulkarriere energisch zu fördern versuchten. Leicht war das nicht, weil Nelson auch zu taktischer Konzilianz partout nicht bereit war. So vermochte er erst im dritten Anlauf sein Promotionsverfahren erfolgreich abzuschließen. Und erst mit seiner zweiten Habilitationsschrift reüssierte er in der Fakultät. Eine außerordentliche Professur erlangte er ebenfalls erst nach zähen Kämpfen und vielen Niederlagen im Sommer 1919. So gehörte etwa Edmund Husserl zu seinen Gegnern, den Nelson als mystischen Schwätzer abtat und wegen dessen breiten böhmischen Dialekts nicht ertragen konnte. Es sei „für Nelson und für die Universität seiner Zeit“ bezeichnend gewesen, urteilte die Historikerin und Nelsonianerin Susanne Miller Mitte der 1980er Jahre, „dass er es nie

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zum Ordinarius gebracht hat“.10 Auch die Studentenschaft spaltete Nelson. Die einen hassten ihn (und seine Schüler) regelrecht wegen des schroffen Anspruchs und apodiktischen Auftritts. Die anderen – der spätere Nobelpreisträger Max Born behielt sie als „Käuze und Sonderlinge“ in Erinnerung11 – lagen ihm nahezu zu Füßen, verhielten sich wie gläubige Jünger eines heilsstiftenden Gurus. Gleichwohl: „Nelson“, so ein früherer Schüler, „war kein Redner, er hatte auch keine angenehme Stimme. Er trug aber seine Vorlesungen so ernsthaft vor, dass niemand darauf achtete. Er vermied es aber auch absichtlich, sich äußerer Mittel zu bedienen, um die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln. Er befürchtete, dass die Zuhörer sich von dem schönen Wort, von der blumenreichen Sprach hinreißen lassen könnten und den Gedanken nicht bemerkten.“

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Jeden Dienstag und Donnerstag warteten seine Schüler, „dass er käme und lauschten aufmerksam jedem Gedanken. Es gab kein überflüssiges Wort. […] Nelson war in jedem Augenblick seiner Vorlesung sehr ruhig, wir bewunderten die strenge Logik seines Denkens.“13

Die Fachkollegen im Deutschen Reich rümpften dagegen mehrheitlich die Nase, wenn die Rede auf den Göttinger Dozenten kam. Denn Nelson hatte in seinen Hauptwerken, die „Kritik der praktischen Vernunft“ und das „System der philosophischen Rechtslehre und Politik“, ganz auf Belege und Fußnoten verzichtet. Er war sein eigener Meister. Wie die meisten anderen jungsozialistischen Führergestalten hatte auch Leonard Nelson während des Ersten Weltkrieges zur Arbeiterbewegung gefunden. Die Hinwendung zur sozialistischen Arbeiterbewegung geschah allerdings nicht aus Irritationen über eigene, bisherige Ansichten oder aus Begeisterung für die neu entdeckte marxistisch-sozialistische Weltanschauung, sondern erfolgte – dies keine Seltenheit bei den jungsozialistischen Akademikern – aus Enttäuschung über das Versagen der eigenen Herkunftsgruppe. Die Arbeiterbewegung, besonders die Arbeiterjugendbewegung als ihr noch unverdorbener, formbarer und idealistischer Teil, war somit ein neuer Hoffnungsträger für die Realisierung dessen, wozu sich die Schicht der Gebildeten als unwürdig und unfähig erwiesen hatte. Zweierlei Erfahrungen hatten Nelson während der ersten Kriegsjahre in besonderem Maße frustriert: Zum einen stieß ihn die „wilden Kriegshetzen“14 der meisten seiner akademischen Kollegen in Göttingen und andernorts ab. Zum anderen erbitterte ihn, dass er und seine Anhänger bei dem Versuch gescheitert waren, die „Freideutsche Jugend“, in der er zunächst wirkte, von der Richtigkeit seiner Ideen zu überzeugen sowie von der passiven Haltung kontemplativer

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Selbstbespiegelung und „seelischer Hypochondrie“15 abzubringen und zum aktiven Vorgehen gegen Chauvinismus und Militarismus zu bewegen. 1917 trat Nelson deshalb der USPD bei und gründete etwa zur gleichen Zeit mit einigen seiner Schülern, zumeist Göttinger Studenten und frühere Mitglieder der Freideutschen Jugend, den Internationalen Jugend-Bund, eine kleine Erziehungs- und Gesinnungsgemeinschaft, von der, wie Nelson hoffte, dereinst eine Erneuerung der sozialistischen Arbeiterbewegung ausgehen könnte.16 Anders als der klassische Marxismus definierte Nelson den Sozialismus als Verwirklichung eines ethischen, aus dem Rechtsideal hergeleiteten Postulats.17 Solche a priori der menschlichen Vernunft entspringenden Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit waren ihm zufolge adäquate Orientierungspunkte für die sittlichen Entscheidungen menschlichen Tuns. Sie seien durch reflektierende Diskurse als generell verbindliche Sollensprinzipien zu erkennen und begrifflich als Rechtsideal zu fassen. Dieses subjektive Vermögen der Erkenntnis objektiven Rechts konnte nach Nelson allerdings nur Resultat eines systematischen Erziehungs- und Ausleseprozesses sein, der sich vor allem im Lager der Jugend zu vollziehen hätte, da die Jugend im Gegensatz zu der in fatalistischen Ideologien verhangenen älteren Generation noch an das „Recht“ glaube.18 Eine solche unter strenger Auslese in geschlossenen, fest organisierten Gemeinschaften stattfindende Erziehung trage, so Nelson, zur „moralischen Festigung und Ausbildung weniger, geistig und körperlich gesunder Menschen zu politischen Führern“19 bei, die sich, sobald die Gelegenheit gekommen sei, zur Partei des Rechts entweder autonom oder als Kerntruppe innerhalb einer der bestehenden Parteien konstituieren würden. Sowie diese „Partei der Vernunft“ keineswegs nach Maßstab des Majoritätsprinzips funktionieren könnte, so musste es nach Auffassung Nelsons auch das unabdingbare Ziel der Machteroberung dieser Partei sein, den demokratischen Staat in einen Rechtsstaat zu transformieren.20 Eine Mehrheitsentscheidung darüber, was als Recht zu gelten habe, lehnte Nelson entschieden ab, da er das Recht nicht der Verfügung zufälliger oder willkürlicher Mehrheiten, sondern einzig der „Vernunft“ überantworten wollte: „Wollen wir Gerechtigkeit im Staat, so müssen wir uns der Regentschaft des für dieses Amt hinreichend Gebildeten und Rechtsführenden unterwerfen.“21 Im Internationalen Jugend-Bund, dessen rund dreihundert Mitglieder22 nach kurzen Episoden in der USPD und KPD seit 1922 in der SPD organisiert waren, ohne zunächst großes Auffallen zu erregen, sollten sich die von Nelson entwickelten strengen Prinzipien der Erziehung und Führerauslese drastisch abbilden und tagtäglich durchgehalten werden. Der IJB begriff sich mithin als die Keimform einer „Partei der Vernunft“, als eine Gesinnungsgemeinschaft, die durch Anspannung und Disziplinierung aller geistigen und moralischen Kräfte in jedem Moment des konkreten Verhaltens den Postulaten der sozialistischen Ge-

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sellschaft zu entsprechen versuchte. Schon die Gründungsgruppe, der studentische Zirkel in Göttingen, die sich regelmäßig in Nelsons Haus traf, unterlag strikten Bedingungen, denen sich jeder einzelne unbedingt unterzuordnen hatte: absolut pünktliches Erscheinen, regelmäßiger Besuch der Sitzungen, Pflicht zur Abfassung von Protokollen und zu lautem und deutlichem Sprechen. Persönliche oder familiäre Motive für eine einmalige Absenz vom Sitzungstermin ließ Nelson nicht gelten und schloss den Fernbleibenden sofort aus der Gruppe aus. Die Teilnehmer wurden in die sokratische Diskussionsführung eingewiesen und dadurch genötigt, ihre Gedanken klar und logisch auszudrücken, durch Einwände anderer zu überprüfen und zu schärfen. Die Ambivalenz der pädagogischen Wirkung Nelsons zeigte sich schon damals in der Göttinger Pioniergruppe des IJB: Für einige bedeuteten diese sokratischen Diskussionen eine Schule fürs Leben, der sie ihre dauerhafte Fähigkeit zu selbstständigem und analytischem Denken zu verdanken hatten, ein Können, das sie in zahlreichen Diskussionen herausragen ließ. Andere aber, durch den beißenden Sarkasmus der Gesprächsführung Nelsons in die Enge getrieben, verloren jegliches Selbstvertrauen und resignierten vollständig;23 sie taugten nicht als „Führer“, waren durch das Raster der Auslese gefallen und hatten somit im Nelson-Kreis nichts mehr zu suchen. Das „Führerschaftsproblem“ nannte Nelson stets beschwörend die „Lebensgrundlage unserer Organisation“24 und der Jugendbund, seit den frühen zwanziger Jahren um einige Ortsgruppen – z.B. Berlin, München, Frankfurt a. M. und Magdeburg – angewachsen, war in der Tat konsequent hierarchisch aufgebaut. An der Spitze stand der Bundesvorsitzende: Nelson, selbstverständlich. In der Ortsgruppe unterschied man zwischen einem „äußeren“ und einem „inneren Kreis“ der Mitgliedschaft. Zum Mitglied des inneren Kreises konnte man nur durch Ernennung des Bundesvorsitzenden aufrücken, wozu im Übrigen noch eine erfolgreich absolvierte einjährige Kandidatenzeit vorzuweisen war. Unterhalb der Mitgliederebene, die Nelson bewusst schmal halten wollte, um den Charakter der Organisation nicht zu verwässern, standen die Sympathisanten mit weniger Rechten, weniger Einblick, aber auch weniger Pflichten und geringeren Auflagen. Diese Auflagen und Pflichten, auch Mindestanforderungen genannt, hatten es in sich und waren Garant dafür, dass der Internationale Jugend-Bund eine exklusive Elite blieb, die nie mehr als dreihundert Mitglieder in ihren Reihen zählte.25 Zwar gehörten einige dieser Anforderungen auch in anderen Kreisen der Jungsozialisten zum selbstverständlichen Gebot sozialistischer Lebensführung, aber die Rigidität und Härte, die Nelson seinen Jugendbündlern dabei abverlangte, war beispiellos. Abstoßend für die meisten, beobachteten doch nicht wenige fasziniert die emsigen Jugendbündler und konnten eine gewisse Hochachtung für deren Charakterstärke nicht verhehlen. Nichts Ungewöhnliches und kein Hinderungsgrund für ein Engagement im IJB stellte die Alkoholabstinenz dar, proble-

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matischer nahm sich dagegen schon für viele die Pflicht zum Kirchenaustritt aus, und besonders abschreckend wirkte die Gebundenheit an eine vegetarische Lebensart. Dem Vegetarismus maß Nelson im Übrigen aus ethischen Gründen hohe Bedeutung bei, und er legte Wert darauf, dass man sich im IJB mit „Sympathisanten“ und Interessierten darüber nicht nur unterhielt, sondern eine gründliche Besichtigung des Schlachthofes unternahm.26 Für einen asketischen Lebenswandel und die Verhinderung korrumpierender Gelüste sorgte zudem eine rigorose Besteuerung der Gehälter und Löhne der Mitglieder zugunsten des Bundes. Nicht leicht fiel den meisten IJBlern auch die Aufforderung, die Brücken zur Familie und zum persönlichen Bekanntenkreis aus früherer Zeit hinter sich abzureißen, um sich fortan ganz und gar der politischen Arbeit verschreiben zu können. Auch diese Anforderung trieb Nelson unerbittlich auf die Spitze und setzte damit seine Anhänger einer seelischen Zerreißprobe aus, die beklemmend anmutet: seit 1921 verlangte er von den Aspiranten für die Mitgliedschaft im „inneren Kreis“ das Zölibat. Hiergegen hat es bei den Jugendbündlern verständlicherweise das meiste Murren, ja offenen Widerstand gegeben, aber Nelson ließ sich nicht erweichen und nahm sogar in Kauf, dass sein vielleicht bester Schüler, Jakob Jutzler, ein Nelsonianer der ersten Stunde, nach jahrelangem aufreibenden Konflikt zwischen Ehe und IJB sich schließlich für das weitere Zusammenleben mit seiner Frau entschied – und dem Jugendbund den Rücken kehren musste.27 Man verglich den IJB zeitgenössisch gerne, vielfach auch in gehässiger Absicht, mit einem jesuitischen Orden. Und in gewisser Weise traf dies den Nagel auf den Kopf, zumal Nelson selbst seiner Bewunderung für die „imponierende Organisationskunst“ der Jesuiten Ausdruck gab.28 Die hierarchische Struktur, ein geheimnisumwittertes Binnensystem von klösterlicher Erziehung, Unterricht und Mission, die harten Prüfungs- und Aufnahmebedingungen und die Ängste vor „weltlich-sündhaften“ Einflüssen, so präsentierte sich für die Außenstehenden auch der IJB. Das „Kloster“ des Internationalen Jugend-Bundes war die Walkemühle, ein Landerziehungsheim in der Nähe des kleinen hessischen Städtchens Melsungen. In Lehrgängen, die sich über drei Jahre erstrecken konnten, spielte sich dort ein großer Teil der Führerausbildung ab, die auch „Autosuggestionsübungen, Atemübungen, Blickübungen, Schweigeübungen, Fasteinübungen, Geduldsübungen, Übungen im Gedankenabweisen, Übungen zur Spannung der Aufmerksamkeit und Körperübungen“29 umschloss. Die Walkemühle stand in jenen Jahren immer im Ruch des Konspirativen, Verschwörerischen und Gefährlichen, besaß einen skandalumwitterten Ruf, der von sozialdemokratischen Funktionären bald bewusst geschürt wurde, als der IJB 1924/25 unliebsame Erfolge bei den Jungsozialisten und sogar einigen Ortsvereinen erringen konnte. Die eigentliche Verantwortung für die kursierenden Gerüchte trug im Grunde genommen aber Nelson selbst, der in seinen monatlichen Rundbriefen an die

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Ortsgruppenleiter immer pedantisch festlegte, wie viel an Information aus dem Bund und der „Mühle“ an die Mitglieder weiterzugeben war und wie viel davon wiederum an Außenstehende durchdringen durfte – sodass zwangsläufig der Eindruck entstehen musste, als gebe es da etwas zu verbergen bei den „NelsonJüngern“, was zu verhüllen not tat. Die „jesuitische“ Aura und Hermetik verhinderten im Übrigen, dass Bertrand Russell und Karl R. Popper im IJB mitwirkten, was Nelson angestrebt hatte. Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ ging gar in ihrem Ursprung auf seine Auseinandersetzung mit den Nelsonianern zurück.30 Aber immerhin: Für den Freundesrat des IJB gewann Nelson keinen Geringeren als Albert Einstein. Seine Rundschreiben, die Erwiderungen auf die regelmäßigen Monatsberichte der Ortsgruppen waren, bezeichnete Nelson als „Rückgrat der Organisation“31, und in diesem Sinne hat er sie auch in der Tat verfasst. Es gab eigentlich nichts, was Nelson nicht genau wissen und exakt belegt sehen wollte; neurotisch geradezu mahnte er immer wieder zu Kontrolle, Wachsamkeit und größtmöglichem achtsamen Verhalten gegenüber allen, „auch den anscheinend belanglosesten Aufgaben“32. Segensreich mag dabei noch seine penible Kritik an sprachlichen Verfehlungen in den Berichten gewirkt haben; jedenfalls schrieben geschulte Jugendbündler in späteren Jahren in einem klaren, schnörkellosen Deutsch. Von Beginn an hatten sie schließlich lernen müssen, „Sprachverhunzungen“ und „affektierte Mode- und Schlagwörter“ wie „Einstellung“, „Zusammenarbeit“ und „Auswirkungen“ zu vermeiden.33 Sonst, so lautete Nelsons Drohung zunächst, würden die Namen der Inkriminierten genannt34 oder – als diese Sanktion nicht ausreichend abschreckend erschien – Strafgelder eingezogen werden.35 Nelson kümmerte sich um alles: um den korrekten Verbleib der Protokollbücher, die Registrierung der Namen und Anschriften der Sympathisanten, selbst um die ordnungsgemäße Durchführung des täglich erforderlichen Dauerlaufes der Mitglieder. In seinem Haus mussten seine Schüler „pünktlich auf die Minute“36 zu den Mahlzeiten erscheinen. Der bulgarische Student Zeko Torbow, später als Professor Pionier der Kantforschung in seinem Heimatland, war in den frühen 1920er Jahren während seines Studiums in Göttingen unter Nelsons Einfluss geraten und durfte ab 1925 in dessen Haus zusammen mit anderen Schülern wohnen. Der Bulgare tat sich zunächst schwer mit der Pedanterie der Regeln, die in der Wohngemeinschaft herrschten: „Ich konnte nicht verstehen, was so schlimm daran war, wenn man nicht pünktlich auf die Minute zum Essen kam oder wenn man sich ein wenig zu den Versammlungen oder der Kursarbeit verspätete.“ Doch dann begriff er: „Erst nach längerer Zeit und nachdem ich oft das Geschirr in der Küche abgewaschen hatte, während sich die anderen in ihren Zimmern ausruhten oder arbeiteten, begann mir klar zu werden, wie sehr die Pünktlichkeit mit der Achtung und Selbstachtung der Menschen verbunden ist.“ Ihm sei ein-

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sichtig geworden, „dass diese so einfache Hausordnung nicht nur der Zweckmäßigkeit halber geschaffen worden war, sondern auch wegen Forderungen rechtlicher und ethischer Natur, die verpflichteten, die Rechte der anderen zu achten“.37 Jedenfalls: Entdeckte Nelson Versäumnisse, so beschwerte er sich zornig, oder wenn das Vergehen schwer wog, trennte er sich von dem ihm unzuverlässig erscheinenden Schüler. Dass Nelson auf Nachlässigkeiten und Aufweichungen derart gereizt, mitunter hysterisch reagierte, kann nicht verwundern; denn der Internationale Jugend-Bund bedeutete für ihn mehr als eine mögliche Form des politischen Engagements in den Stunden seiner Freizeit. Der IJB war nicht weniger als die Nagelprobe für die Richtigkeit und Praktikabilität seiner Philosophie. Hätten die Mitglieder dort die hohen Anforderungen nicht durchgehalten, dann wäre auch das Ideensystem Nelsons desavouiert worden. Mit dem IJB stand und fiel Nelsons gesamtes Lebenswerk; bei einem Scheitern des Bundes konnte er sich nicht einfach in sein Studierzimmer zurückziehen. Der Göttinger Philosoph wusste zudem, dass die Zahl derer unter den Philosophen, Pädagogen und Erziehern in Deutschland, die das Experiment ihres Kollegen gespannt beobachteten, nicht gering und belanglos war. Das macht verständlich, dass Nelson die Zahl der Mitglieder eher zu klein als zu groß haben wollte,38 dass er seinen Schülern untersagte, die Tinzer Lehranstalt zu besuchen, da man dort die Dialektik lehrte und damit schon einmal einen Nelson-Schüler verwirrt und unbrauchbar gemacht hatte.39 Es macht verständlich, dass er den beliebten Jugendbildner Engelbert Graf nicht mochte und seinen Mitgliedern den Umgang mit denjenigen verbot, die zu Graf freundliche Beziehungen pflegten.40 Überall drohten Gefahren, alles konnte zersetzend wirken und das Aufbauwerk für Recht und Vernunft zerstören. Ein Urteil über die Erziehungsarbeit im Internationalen Jugend-Bund fällt ziemlich zwiespältig aus. Parteihistoriker waren überwiegend geneigt, auf das zwar Sektenhafte, Realitätsferne und Überzogene im Nelson-Bund hinzuweisen, aber eigentlich doch das Positive stärker in Rechnung zu stellen; nämlich dass der unermüdliche Einsatz, die harte und intensive Schulung, die Betonung des menschlichen Willens und das Eintreten für soziale Gerechtigkeit, was alles man dort lernte, eine große Anzahl vorbildlicher Menschen hervorgebracht hat, deren Leistungen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, dann später für die bundesrepublikanische Sozialdemokratie unbestreitbar sind. Aber andererseits: Wie viele haben nicht durchgehalten; was geschah mit denen, die vor der Härte und Strenge der Anforderungen kapitulieren mussten, was mit denen, die täglich seelische Qualen ausgehalten haben, als sie von Nelson vor die Alternative „Ehepartner oder Jugendbund“ gestellt wurden? Wie haben jene weitergelebt, die sich eine Zeitlang ganz dem IJB verschrieben und mit ihrer früheren Welt gebrochen hatten, dann aber doch von Nelson als zu „weich-

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lich“ abgeurteilt und verstoßen wurden?41 Die Geschichte solcher Sekten lässt sich nicht nur aus der Kenntnis der Biografie geläuterter und erfolgreicher Mitglieder schreiben. Wie würde man den IJB beurteilen, wenn man einmal nicht an Willi Eichlers späteren Lebensweg denkt, sondern die Entwicklung der „Opfer“, der „Auf-der-Strecke-Gebliebenen“ kennen würde? In Nelsons Tätigkeit und in seinem Umgang mit Menschen steckte, dem universellen Postulat der Vernunft, des Rechts und der Gerechtigkeit untergeordnet, ein Stück Unbarmherzigkeit und Gnadenlosigkeit. Lässt sich aber darauf Sozialismus begründen? Auch den übrigen Jungsozialisten der Jahre 1924/25 kam nicht alles ganz geheuer vor, was sich da im IJB tat, aber es überwogen doch die Bewunderung und der Respekt für die seit dem Spätsommer 1923 so auffällig aktiven Nelsonianer, die sich von niemandem sonst an Einsatz übertreffen ließen: sie verstanden zu reden, sie konnten Artikel schreiben, sie waren theoretisch versiert; und wenn es um die Vorbereitungen für die sonntäglichen Wanderungen ging, waren sie sich auch für die organisatorische Beschaffung des Reistopfes nicht zu schade. Kurz, sie waren jederzeit und allerorten präsent, wohl vorbereitet, bienenfleißig und hielten auf die meisten Fragen kluge Antworten parat. Zudem imponierte, dass dies alles wohl niemand des persönlichen Vorteils wegen tat; egoistische Motive unterstellte man nämlich den Funktionären der Arbeiterbewegung schnell in den Weimarer Jahren. Auch dass selbst und gerade die offensichtlichen Spitzenfunktionäre des IJB keine Privilegien genossen und sich nicht von unangenehmen Aufgaben dispensieren konnten, vermerkte man in Juso-Kreisen mit Zustimmung. Die IJBler hatten Erfolg, und sie hatten ihn anfangs vor allem da, wo, in den klassisch mehrheitssozialdemokratischen Hochburgen, 1923 der noch ungeformte, unausgegorene jungsozialistische Arbeiterradikalismus hervorgetreten war: in Frankfurt und in Hannover. Dorthin waren einige Jungakademiker, die mehrere Semester in Göttingen bei Nelson studiert hatten, hingezogen. „Wir hatten ja dieses Verlangen“, erinnert sich Erna Blencke, Nelson-Schülerin seit dem Ersten Weltkrieg und Mitglied des „inneren Kreises“, „na ja, als ‚Missionare‘ die Kenntnisse oder Einsichten, die wir gewonnen hatten, auch weiter zu verbreiten“42. Das Vorhaben glückte; denn besonders die „Tüchtigsten“, die „Aufgewecktesten“, um die sich die studierten Jugendbündler mit größter Aufmerksamkeit kümmerten – in Frankfurt der hochtalentierte und vielseitig begabte Georg Stierle, in Hannover der nachdenkliche und theoretisch interessierte Karl Wiechert –, fingen Feuer und ließen sich begeistern. Im nächsten Schritt lud man die am besten geeignet erscheinenden Jungsozialisten dann als Gäste zu einer zehntägigen Sommerschule ein, die, von Nelson geleitet, zunächst in Göttingen, später in der Walkemühle stattfand. Wer auch hier einen vorzüglichen Eindruck hinterließ, bekam dann die Gelegenheit, mehrere Monate in der „Mühle“ bleiben zu können, um allmählich zum vollwertigen Mitglied des IJB heranzureifen.

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Schon bald hatte der IJB die Frankfurter und Hannoveraner Juso-Gruppen, später auch die Kölner, Magdeburger, Braunschweiger und einige Berliner Gruppen fest im Griff, und es ist unangemessen, den Einfluss des IJB an Hand seiner Mitgliederzahl zu bestimmen und seine Bedeutung deshalb gering zu veranschlagen. Man kann nicht die 120 Mitglieder, die der IJB 1925 in etwa zählte – wobei die nicht geringe Zahl der Sympathisanten nicht einmal mitgezählt ist – mit möglichen zweitausend Marxisten bei den Jusos vergleichen, da jedes Mitglied im IJB im wahrsten Sinne des Wortes ein „Kader“ war. Auch ist sehr fraglich, ob es im Lager der Marxisten zu diesem Zeitpunkt einen gleich großen Personenkreis von auch nur annähernd gut ausgebildeten Aktivisten und Kadern gab. Zu der „Karpfen- und Kaninchenehe“43 zwischen Nelsonianern und Marxisten, wie eine kluge Hofgeismarer Jungsozialistin diese Allianz bezeichnete, kam es, weil die Hofgeismarer in den Augen Nelsons eine zu große Verwandtschaft mit der romantischen Weltfremdheit der Freideutschen Jugendlichen besaßen, denen Nelson schließlich erst einige Jahre zuvor mit bitterer Enttäuschung den Rücken gekehrt hatte. Zudem lehnte er alle nationalistischen Anwallungen ab und hielt überdies den schärfsten Klassenkampf, dessen Befürwortung nicht zwingend aus seinem philosophischen System zu folgern ist, für geboten, um das ethische Ziel der Gerechtigkeit und Vernunft verwirklichen zu können. Sein Privatsekretär Willi Eichler, Jahrzehnte später Vordenker für einen sozialdemokratischen Kurs der Mäßigung, spitzte diesen klassenkämpferischen Gestus in einer von ihm geleiteten Arbeitsgemeinschaft der Hannoveraner Jungsozialisten besonders radikal zu, indem er sich über die Bürgerkriegsängste von „ästhetisch überempfindlichen Menschen“ mokierte und den Besitz an Waffen eine wesentliche Voraussetzung für die Überwindung des „scheindemokratischen“ Weimarer Staates nannte.44 In dieser antinationalistischen und radikalen Klassenkampfattitüde bestand das Einigende zwischen dem IJB und den übrigen Linkssozialisten. Während die Marxisten „jeder für sich“ agierten, wie der frühere oberrheinische Jungsozialistenvorsitzende Walter Fließ im Rückblick mit Recht urteilt,45 verfügten die Jugendbündler indessen über ein dicht gespanntes Netz der Kommunikation und Koordination, das im Wesentlichen von der überaus fähigen Maria Hodann aus Berlin, Tochter eines konservativen protestantischen Ministerialbeamten und Ehefrau des bekannten Sexualpädagogen und Arztes Max Hodann, zusammengehalten und ausgebaut wurde. Nichts blieb dem Zufall überlassen, jede Intervention des Jugendbundes in die Entscheidungsvorgänge der jungsozialistischen Bewegung war vorher abgesprochen. „Die Nelsonianer“, erinnert sich der frühere Schwelmer Ernst Rosendahl, „die hatten ihre Zellen, ihre kleinen Orden, die waren festgefügter als alle anderen Gruppen; die Marxisten waren doch eine sehr heterogene Gruppe, die aus verschiedensten Elementen bestand“.46 Der Links-

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rutsch des Jungsozialismus war sicher nicht das Resultat des Wirkens der Nelsonianer, die Ursachen lagen in den angeführten gesellschaftlichen Veränderungen und in einem tiefgreifenden Generationswechsel begründet, und kam so allen Linkssozialisten zugute. Der IJB allerdings vermochte durch seine straffe Organisation dem Wandel vorübergehend eine gewisse Gestalt zu geben – dass er dies letztlich sehr vorsichtig und versteckt tat, hat mit den Ängsten Nelsons vor einem zu großen Erfolg, vor unkontrollierbaren Auswüchsen, vor einer schleichenden „Sozialdemokratisierung“ und vor zu früher Entdeckung aller Absichten zu tun.

D IE M AGIE DER S UBJEKT -O BJEKT -D IALEKTIKEN DES G EORG L UKÁCS Unter denjenigen, die sich als Marxisten fühlten, war Ernst Rosendahl, Mitunterzeichner des zweiten, ausführlicheren Aufrufes für die Konferenz in Hannoversch Münden, vielleicht am rührigsten darum bemüht, ein reichsweites Gegengewicht zum Hofgeismarkreis zu schaffen und den „rechten“ Jungsozialisten den Kampf anzusagen. Mit dem profilierten Sympathisanten des linken Austromarxismus, dem Düsseldorfer Heinz Hornung, dessen zahlreiche Artikel in den Jungsozialistischen Blättern zu den theoretisch reifsten überhaupt gehörten, tauschte er Briefe aus, traf Verabredungen für Zusammenkünfte und holte ihn als Referenten in seine Juso-Gruppe.47 Ebenso wichtig nahm er den Kontakt mit den Nelsonianern. Gleich im Anschluss an die Tagung in Hannoversch Münden organisierte er zusammen mit dem Kölner Jugendbündler Walter Fließ einen viertägigen Arbeitskurs über das „Verhältnis von Politik und Erziehung“, den Maria Hodann, „eine sehr überzeugende und kluge Frau“ – so Rosendahl im Rückblick nach sechzig Jahren –, pädagogisch leitete.48 Rosendahls Ehrgeiz aber ging sehr viel weiter. Er, der 1924 gerade einmal 17 Jahre alt war und einer der jüngsten Jusos im Reich gewesen sein dürfte, wollte zudem die programmatische Alternative zur Hofgeismar-Richtung liefern. Im März 1925, unmittelbar vor der Reichskonferenz der Jungsozialisten in Jena, die die Entscheidung im Richtungsstreit bringen sollte, hatte er eine kleine Broschüre mit dem bezeichnenden Titel „Verbürgerlichung oder Revolution?“49 fertiggestellt und in aller Eile an die bekannteren Hannoveraner-Jusos versandt. Rosendahls Anstrengung und sein kaum zu erschütterndes Selbstbewusstsein machten sich bezahlt. Da niemand sonst von den Marxisten bei den Hannoveranern etwas Ähnliches vorzuweisen hatte und die IJBler ihre originäre Position sowieso taktisch geschickt zurückhielten, griffen die linkssozialistischen Jusos in der Entscheidungssituation der Reichskonferenz auf die Formulierungen aus Rosendahls Schrift zurück.

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Sie vertraten damit – von Zeitzeugen und Historikern unbemerkt geblieben – linkskommunistische Ansichten reinster Güte, ein Vorgang, der sich bei den Jungsozialisten sechs Jahre später, mit ungleich dramatischeren Konsequenzen indes, wiederholen sollte.50 Ernst Rosendahl war Gründer und Vorsitzender der Jungsozialistengruppe in Schwelm, ein Umstand, der auf den ersten Blick ein Beleg für die oben zu widerlegen versuchte These sein könnte, dass der Linksrutsch bei den Jungsozialisten in der Hauptsache auf das Wirken der ehemaligen Mitglieder der Sozialistischen Proletarierjugend zurückzuführen sei. Denn die Gegend um Hagen-Schwelm gehörte zu den Kernlanden der USPD. Die Metallarbeiterschaft dort war militant klassenkämpferisch eingestellt und hatte beispielsweise so früh wie nirgends sonst im Reich zu den Waffen gegriffen, als im März 1920 der Generallandschaftsdirektor Kapp und der General Lüttwitz ihren Putsch unternahmen. Die MSPD hatte in dieser Region wenig Bedeutung, und eine mehrheitssozialdemokratische Arbeiterjugend existierte erst gar nicht. Noch in heutigen Tagen zehrt die DKP von dieser Tradition des Weimarer Arbeiterradikalismus und vermag in einigen Orten des Schwelmer Kreises bei Kommunalwahlen die sonst für sie schier unüberwindbare Hürde mit souveräner Leichtigkeit zu überspringen. Indes: die Impulse für die Gründung der Schwelmer Jungsozialistengruppe und die Gestaltung ihrer theoretischen Arbeit gingen nicht von den älteren Metallarbeiterjugendlichen der SPJ aus, sondern kamen aus einem Diskussionskreis des örtlichen Gymnasiums, dessen Wortführer Julius Utermann und allen voran eben Ernst Rosendahl waren. „Ernst Rosendahl“, so schwärmte noch im greisen Alter der frühere Vorsitzende der Schwelmer SPJ, Willi Kappel, um sieben Jahre älter als sein damaliger Genosse, „der war ganz, ganz intellektuell, der war eigentlich etwas Besonderes, so ein Kristallisationspunkt. Wenn ich daran denke, wie der als 16-Jähriger Vorträge gehalten hat, wie der sich mit den Älteren in Diskussionen eingelassen hat, das ist ganz erstaunlich, ganz erstaunlich.“51 Über Rosendahl staunten damals nicht wenige Bürger des kleinen Ortes Schwelm; Rosendahl wusste das, und er genoss es. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass der Sohn einer angesehenen Schwelmer Fabrikantenfamilie – der Vater besaß eine Klöppelfabrik – bei den „Sozis“ mitmachte, mehr noch: die großen Reden schwang. Zudem hatte im Städtchen großes Aufsehen erregt, dass der junge Rosendahl seinen Lehrer für Deutsch und Latein, den Studienrat Dr. Fritz Helling, früher in der Freideutschen Jugend aktiv, gleichsam konvertiert und zu Vorträgen und allgemeinbildenden Kursen für die sozialistische Jugendbewegung animiert hatte. Rosendahl war ausgesprochen frühreif entwickelt. Schon als Junge hatte er sich für soziologische und philosophische Fragen interessiert und eine Unmenge von Büchern über solche Themen gelesen. Ungewöhnlich große Intelligenz, ein

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etwas ungebremster Ehrgeiz und der Wunsch nach Absetzung vom durchschnittlichen Denken und Tun seiner Klassenkameraden bestimmten die Haltung des intellektuell höchst untriebigen Schülers. Als ihm ein sozialistischer Arbeiter aus der Nachbarschaft marxistische Literatur zur Lektüre überließ, fand er endlich die gesuchte radikale Negierung dessen, was ihn bei den meisten seiner bürgerlichen Mitschüler störte. Provoziert gefühlt hatte er sich, der Sohn aus einer jüdischen Familie, besonders auch durch die antisemitischen Sprüche, die viele seiner Klassenkameraden an die Wände und Mauern schmierten. Die jüdische Herkunft einer großen Anzahl der intellektuellen Führungsgruppe im Hannoveranerkreis sollte man im Übrigen immer mitbedenken, wenn man nach Ursachen für die antinationalistische Fronde im Jungsozialismus recherchiert. Rosendahl jedenfalls war bald so etwas wie der Hecht im proletarischen Karpfenteich des Schwelmer Raumes; niemand sonst trat so radikal auf wie er, und in Diskussionen legte er sich mit den Älteren furchtlos an. Aber auch in Ortsvereinen und selbst im ADGB-Ortsausschuss schätzte man bald sein Wissen und bestellte ihn häufig als Referenten. Auf der Maikundgebung der freien Gewerkschaften in Schwelm im Jahre 1927 hielt niemand anders als er, der 20-jährige Kapitalistensprössling, die Rede, die sonst doch immer den über Jahrzehnte bewährten Funktionären der Arbeiterbewegung vorbehalten blieb.52 Am wichtigsten aber nahm Rosendahl die Debatten in seiner Jungsozialistengruppe, einer Symbiose von jungen Bildungsbürgern und Arbeiterjugendlichen, die in der Art ihres Zustandekommens und der Struktur des Zusammenhaltes ein bezeichnendes Licht auf den Charakter des Hannoveraner Linkssozialismus warf. Dieser bedeutete im Grunde eine geistessozialistisch-intellektualistische Abkehr vom jungproletarischen Spontan- und Erfahrungsradikalismus während und im Gefolge der Hyperinflation. Nachdem Rosendahl mit fünf bis sechs Gymnasiasten 1923 eine Zeitlang einen Diskussionskreis gebildet und unterhalten hatte, beschloss er als nächsten Schritt, auf dieser Basis die Jungsozialistengruppe zu gründen. Dafür bemühte er sich um die „intelligentesten Jungen und Mädchen aus der Sozialistischen Arbeiterjugend“.53 Die Interessiertesten darunter wiederum, etwa 15 bis 18 Leute aus Schwelm, Gevelsberg, Milspe und Haspe, in der Regel junge Dreher und Schlosser, trafen sich 1924/25 an fünf Abenden in der Woche im elterlichen Hause von Ernst Rosendahl, um als sogenannter „Wirtschaftsschulzirkel“ nun zunächst die ökonomischen Schriften des Marxismus, das „Kapital“ insbesondere, auch Hilferdings „Finanzkapital“, durchzuackern. Gewiss war diese jungsozialistische Vorbereitung auf die revolutionäre Mission der Zukunft im großbürgerlichen Wohnambiente der Gegenwart eher eine Ausnahme, aber eine symbolische Bedeutung für die Annäherung junger Bürgersöhne und linker jungsozialistischer Facharbeiter in den Jahren 1924/25 kann man dem Ort der Schwelmer Zusammenkünfte vielleicht doch beimessen.

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Ein broschierter gelber Band aus dem kommunistischen Malik-Verlag, bald nur noch schwer erhältlich, aber hatte es dem Leiter des Schwelmer Jungsozialistenkreises ganz besonders angetan: Georg Lukács’ gleich nach seinem Erscheinen von der offiziellen kommunistischen Führung auf den Index gesetztes Buch „Geschichte und Klassenbewusstsein“. Rosendahls eigene Broschüre „Verbürgerlichung oder Revolution?“, also jene Schrift, die auf der Jenaer Reichskonferenz der Jungsozialisten zu Ostern 1925 für Furore sorgen und jungsozialistische Geschichte schreiben sollte, lehnte sich in der Diktion und im theoretischen Verständnis ganz eng an das seit seinem Erscheinen höchst umstrittene – und von seinem Autor später bekanntermaßen desavouierte – linkskommunistische Werk des ungarischen Philosophen an. Als Ausgeburt origineller und schöpferischer Denkanstrengungen kann man mithin das Pamphlet Rosendahls nur schwerlich bezeichnen. Dennoch war es für einen 17-jährigen Schüler zweifelsohne eine beachtliche Leistung, sich durch den ausgesprochen unzugänglich geschriebenen, auch inhaltlich schwer verständlichen und mit Exkursen überfrachteten Wälzer hindurchzuarbeiten, um die Lesefrüchte für den Tagesgebrauch einer Streitschrift im Fraktionskampf nutzbar zu machen – ein Bemühen, das man der heutigen Studentengeneration, der jungsozialistischen zumal, wohl kaum mehr zumuten dürfte. Rosendahl blieb mit seiner Rezeption von „Geschichte und Klassenbewusstsein“ keineswegs ein Einzelfall bei den Jusos; Lukács’ Schrift wurde in den zwanziger Jahren in akademisch-linkssozialistischen Kreisen geradezu als ein revolutionstheoretischer Geheimtipp gehandelt und überschwänglich aufgenommen.54 Das Buch war weit mehr „als ein literarisches Ereignis“, urteilt daher auch rückblickend der bekannte Literaturhistoriker Hans Mayer, seit Ende der zwanziger Jahre intellektuell dominierender Jungsozialist in Köln, „es hat Menschen verändert und Politik gemacht“55. Dass sich insbesondere bildungsbürgerliche Konvertiten in der Arbeiterbewegung vom prätentiösen Hegelianismus Lukács’ angesprochen fühlten, nimmt nicht Wunder, da sie sonst von keiner vergleichbaren zeitgenössischen Schrift einen so sicheren Wegweiser durch das Dickicht der gesellschaftlichen und historischen „Totalität“ angeboten bekamen. Überdies erhielten sie die Zusicherung, mit dem Proletariat gleichsam auf das richtige Pferd im gesellschaftlichen Wettrennen der Klassen gesetzt zu haben. Schließlich verkörpere die Arbeiterklasse mittels der ausschließlich ihr inhärenten „Subjekt-Objekt-Identität“ – wie es in der verqueren überhegelianisierten Sprache Lukács’ hieß – den Vollstrecker der geschichtlichen Vernunft, halte damit die Lösung aller Probleme objektiv bereit und bedürfe zum subjektiven Empfinden dessen eigentlich nur noch der aufklärerischen Nachhilfe jener Intellektuellen, die mit den Erfordernissen richtigen Klassenbewusstseins bestens vertraut waren.56

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Es gehört zu den Ironien der jungsozialistischen Geschichte, dass sich Rosendahl mit seiner Begeisterung für solche geschichtsphilosophischen Konstruktionen ganz im Einklang mit den Intellektuellen des Kairos-Kreises – den Mentoren der Hofgeismarer also – befand. Denn diese, allen voran Carl Mennicke, bezogen sich ebenfalls ganz bewusst auf Lukács, während sich zwischen der hegelianischen Sozialismusbegründung des Schwelmer Juso-Vorsitzenden und den neukantianischen Sollenssätzen der Nelsonianer methodisch-paradigmatische Welten auftaten. Genau besehen aber waren sowohl die kantianischen als auch die hegelianischen Überschüsse Kehrseiten einer Medaille: Es handelte sich um exzessive Reaktionen auf die tiefe Krise des gealterten Marxismus der Zweiten Internationale. Subjekt-Objekt-Dialektiken auf der einen, normative Moralphilosophien auf der anderen Seite, Optionen, die gänzlich quer zu den Fraktionsfronten liefen, waren so etwas wie radikal injizierte Frischzellen für einen kraftlos linearistischen Ökonomismus. Der Breslauer Soziologe und Philosoph Siegfried Marck, ständiger Begleiter der Jungsozialisten in der Weimarer Republik, bastelte daher an einem „kritisch-dialektischen Idealismus“, um Hegel und Kant zur Synthese zu bringen. Als „kritisch“ qualifizierte Marck seine Dialektik auch deshalb, weil er sie gegen die „spekulative“ Dialektik Hegels und damit auch gegen den Marxismus gewendet wissen wollte. Seit seinen Studienjahren zählte Marck zu den Neukantianern. In Breslau hatte er der Kant-Gesellschaft vorgesessen. Allerdings war die Glanzzeit für die Bemühungen, Kant mit Marx zu verknüpfen oder gar zu verschmelzen, in den 1920er Jahren vorbei. Siegfried Marck beschäftigte sich auch deshalb sein ganzes Leben lang intensiv mit der Hegelschen Dialektik und war dauerhaft darum bemüht, sie kantianisch gegen den Strich zu bürsten, um dadurch den Marxismus mittels der Inspirationen der „kritischen Dialektik“ neu zu konstituieren. Marck verwarf an der Hegelschen Dialektik die Konstruktion eines idealen Subjekts, die „den Widerspruch aufhebende Kraft der Negation“. Der Breslauer Professor der Philosophie insistierte demgegenüber auf die dialektische Aufbewahrung der Gegensätze, auf die zwieträchtige Harmonie, auf das Beisammensein widersprüchlicher Elemente als Treibstoff für gesellschaftliche Entwicklung.57 Hierin konnten sich viele jenseits aller Lager im Jungsozialismus wiederfinden, wobei allerdings der Bezug zur konkreten Ökonomie, zu den wirklichen gesellschaftlichen Konstellationen häufig überhaupt zugunsten idealtypischer Vorgaben oder geschichtsspekulativer Utopien verlorenging. Das galt für beide Richtungen der Sozialismusbegründung. Denn auch der überhegelianisierte jungsozialistische Marxismus war nicht stärker „wissenschaftlich“, stärker „materialistisch“ oder weniger „idealistisch“ als der ethische Sozialismus der kantianischen Revisionisten. Die Broschüre Ernst Rosendahls zeigte das in aller Deutlichkeit. Noch in seiner nicht zu Unrecht erfolgten Polemik gegen die volksge-

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meinschaftlichen Illusionen der Hofgeismarer präsentierte er eine nicht minder wunschträchtige, wenngleich hegelianisch veredelte Alternative harmonischer Geschichtserfüllung und Leidenserlösung, wie sie seit dem jungen Marx in manchen Kreisen antibürgerlicher Jungakademiker vom Mythos Proletariat als Exekutor der geschichtlichen Raison ersehnt wurde. Der erfolgreiche Klassenkampf des Proletariats, verkündete Rosendahl hoffnungsfroh, werde die Gemeinschaft des Volkes herstellen, alle Klassen emanzipieren, das verdinglichte Fremdsein eines jeden auflösen, mithin eine neue und höhere Phase der Menschheit einleiten. Denn jetzt verkörpere zum ersten Mal in der Historie das Subjekt, die Arbeiterklasse, Totalität, stimme also mit der Dialektik des Geschichtsprozesses objektiv überein – weshalb nun eine Subjekt-Objekt-Identität prinzipiell möglich sei.58 Es war bezeichnend für den Linkssozialismus der Zwischenkriegszeit, dass Rosendahl dabei bewusst die Kategorie der „Möglichkeit“ gebrauchte und das erkenntnismäßige Unvermögen des Subjekts nicht ganz ausschließen wollte. Die Gegenwart bot Anschauungsmaterial genug, um Skepsis gegenüber der Bereitschaft des „subjektiven Faktors“ zu hegen. Die letztlich pessimistische Beschwörung, dass das Subjekt seinen ihm zugewiesenen Platz im Fluss des geschichtlichen Verlangens – bei „Strafe seines Unterganges“59 – zwangsläufig einzunehmen habe, fehlte auch bei Rosendahl, wie bei den meisten radikal-linken Sozialisten der postkautskyanischen Generation, nicht. Die düstere Prognose über die Folgen des Ausbleibens der revolutionären Tat aufgrund unaufgebrochener Erkenntnisschranken in der proletarischen Klasse mag man als realistischer empfinden als den in früheren Zeiten stoisch zur Schau getragenen ungebrochenen Zukunftsoptimismus. Im Grunde aber entsprang eine Wertung wie die Rosendahls einem Verständnis von Klassenbewusstsein, das von dieser Welt nicht war und wohl auch niemals sein konnte. Richtiges proletarisches Klassenbewusstsein, wie es Rosendahl verstand und von Lukács gelernt hatte, und wie es auch linkssozialistische Kantianer bei den Jusos keineswegs anders auffassten, war durchaus nicht mit dem empirisch feststellbaren Handeln der Proletarier zu definieren. Es hatte mit dem wirklichen Denken der Arbeiterschaft nichts zu tun, ja es war, nach allem was man sehen konnte, häufig das genaue Gegenteil der tatsächlichen Empfindungen, Wünsche und Bestrebungen der proletarischen Massen. Denn die schienen zum Leidwesen von Rosendahl und vieler anderer bildungsbürgerlicher Stichwortgeber im Jungsozialismus ziemlich „verbürgerlicht“60. Sie bewunderten noch den Stil bürgerlicher Lebensformen, dem die jungen Akademiker gerade erst angeekelt den Rücken zugekehrt hatten, um sich, oftmals schlampig zurechtgemacht, rüde im Auftreten,61 zu „proletarisieren“ und um sich mit der Subjekt-Objekt-Identität im Geschichtsprozess zu verschmelzen. Die Intellektuellen glaubten einerseits, um die geschichtliche Rolle des Proletariats zu wissen, fanden indes andererseits eine

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dazu höchst unwillige Arbeiterschaft vor. Was blieb anderes übrig, als erst einmal die Bewusstseinsrevolution mit den wenigen bereitwilligen Kräften der jungen Arbeiterschaft im kleinen Kreise zu trainieren, sich als Avantgarde zu verstehen, der es irgendwann einmal gelingen würde, den Graben zuzuschütten, der da zwischen dem „richtigen“ und dem lediglich „empirischen“ Bewusstsein lag? In dieser gedanklichen und zumeist auch organisatorischen Absonderung des „richtigen“ vom „wirklichen“ Bewusstsein zeichneten sich die problematischen Elemente des späteren linkssozialistisch-linkskommunistischen Jungsozialismus schon konturenstark ab: elitäre Überheblichkeit, Dogmatik, besserwisserisches Sektierertum, abgekapselte Introvertiertheit auf der einen, draufgängerischer Vortruppradikalismus auf der anderen Seite. Wie jemals die Klasse als Ganzes zu einem angemessenen Bewusstsein ihrer Lage kommen könnte, hat weder Lukács noch sonst jemand seiner Epigonen, so auch verständlicherweise der junge Rosendahl, nicht zu vermitteln verstanden. Das Zusammenfallen von Subjekt und Objekt, von Theorie und Praxis, von Denken und Sein, von Klasse und Geschichte, die Verschmelzung jedes historischen Dualismus in der alles Gegensätzliche aufhebenden Totalität blieb dem festen Glauben, den guten Wünschen, der fernen Zukunft oder, in schlechter luxemburgianischer Tradition, der Vision einer schnellen Lernschrittfolge im Zuge massenspontaner Erhebungen überantwortet. Im Übrigen gaben die wenigen Chiffren, mit denen man richtiges Klassenbewusstsein auszudrücken pflegte, nicht viel her. Es handelte sich im Wesentlichen um axiomatisch vorausgesetzte, bekennerisch gebrauchte Prinzipien abstrakter Art, die niemals aus Realanalysen der wirklichen Verhältnisse gewonnen, sondern durch gleichförmig produzierte Deduktionen in Schablonen absoluter Wahrheiten gegossen wurden. Ein Verfahren übrigens, das Marx und Engels, aber auch die vorzüglichen Theoretiker des sozialdemokratischen Zentrismus der Zwischenkriegszeit – etwa Otto Bauer, auch Rudolf Hilferding und Alexander Schifrin – in dieser Form als unergiebig und phrasenhaft ablehnten, da sie revolutionäre Realpolitik für machbar nur nach sorgfältiger Untersuchung der jeweils existierenden und sich verändernden Kräfteverhältnisse in den Sphären von Politik und Gesellschaft ansahen – und eine Abstraktion davon zugunsten allgemeiner Prinzipien für sterile Schwadroniererei hielten. Von der Dominanz des Prinzips beeindruckt, kümmerte sich Ernst Rosendahl jedenfalls nicht mehr um die empirische Haltung des deutschen Bürgertums zum republikanischen Staatswesen, sondern setzte apodiktisch fest, dass die Demokratie „eines der raffiniertesten Kampfmittel [ist], das die Bourgeoisie in ihrem Klassenkampf anwendet“, da dort „durch die Gleichwertigkeit des Stimmzettels die wirkliche Ungleichheit verhüllt wird“.62 Dies einmal festgelegt, war es nur stringent, wenn auch politisch fatal, die demokratische Republik nicht mehr für

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verteidigungswert anzusehen, sondern zum rücksichtslosen Kampf gegen sie aufzurufen.63 Dabei allerdings machten sich die linkskommunistischen Propagandisten niemals Gedanken darüber, dass sie sich damit, so wie die Dinge in Deutschland lagen, selbst der Luft beraubten, die auch revolutionäre Agitationspolitiker zum Leben dringend brauchen. Diese Variante des linken Jungsozialismus zeigte mithin, dass Kräfte in der Organisation heranwuchsen, die zwar für nationalistische Ausfälle nichts übrig hatten, wohl auch mehr Verve und Entschlossenheit besaßen als die schwunglosen „Praktizisten“ im Funktionärsapparat der Partei, dafür aber einem Radikalismus anhingen, der „sozialdemokratisch“ im eigentlichen Sinne nicht mehr war.

VI. Generationswechsel und politische Zäsur

H ELLER

VERSUS

ADLER – O STERN 1925

IN

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Ostern 1925 fand die dritte Reichskonferenz der Jungsozialisten in Jena statt, ein Markstein in der Geschichte der jungsozialistischen Bewegung. Schon im Vorfeld der Konferenz war den Zeitgenossen klar, dass hier eine Entscheidung im Streit der beiden Kreise fallen würde. „Hofgeismar oder Hannover“, so hieß das Thema, über das man Anfang 1925 viel in den Ortsgruppen diskutierte. Man bestellte sich Referenten von der einen und der anderen Seite, um größere Gewissheit darüber zu gewinnen, wohin man denn nun eigentlich selbst tendierte. Schließlich gab es eine ganze Reihe von Gruppen und vor allem zahlreiche Mitglieder, die weder entschiedene Hofgeismarer noch dezidierte Linkssozialisten waren.1 Franz Osterroth erinnert sich, dass er in den Wochen vor der Reichskonferenz bei solchen „Mitte-Gruppen“ mehrere Male zum Disput über das Thema „Sozialismus und Staat“ gegen Maria Hodann vom IJB antreten musste. „Sie war eine intelligente, scharfzüngige Person, aber fair“, stellt er im Rückblick anerkennend über seine Kontrahentin von damals fest.2 Es fehlte nicht an Versuchen, Gegensätze zu glätten und einiges an Gräben zwischen den Fronten zuzuschütten. Der Reichsausschuss der Jungsozialisten in Berlin, in dem erfahrene Alt-Jungsozialisten wie Max Westphal und Kurt Wegener die Fäden in den Händen hielten, hatte je drei Vertreter der beiden „Fraktionen“ – Franz Osterroth, Gustav Dahrendorf und Heinrich Deist vom Hofgeismarkreis, Heinz Hornung, August Bolte und Maria Hodann vom Hannoveranerkreis – für den 18. Januar 1925 nach Berlin eingeladen. Auf diesem Treffen beabsichtigte man, durch institutionelle Vorabklärungen die offenkundig befürchtete harte Konfrontation auf der Reichskonferenz ein wenig abzumildern.3 Einigkeit ließ sich rasch darüber herstellen, dass die Reichsorganisation der Jungsozialisten eine straffer geführte Leitung und ein klar geordnetes, demokratisches Vertretungssystem zwischen den Reichskonferenzen nötig habe. Statt des bisherigen, eher geschäftsführenden Reichsausschusses wurde eine Reichslei-

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tung mit politischen Führungskompetenzen und integrativer Wirkung vorgesehen. Jede Fraktion sollte deshalb je zwei Repräsentanten aus dem Reich und je einen aus dem Verbandsvorort Berlin in diese Leitung entsenden dürfen. Ein siebenter, bei Abstimmungen somit entscheidender Vertreter sollte ein Kandidat der „Mitte“ sein. Als Kontrollorgan der Reichsleitung dachte man an einen neu konzipierten Reichsausschuss, der sich aus je einem gewählten Vertreter der Bezirke zusammensetzen würde. Auf Widerstand und schließlich Ablehnung stieß hingegen der Vorschlag, dass die beiden Fraktionen künftig auf die Herausgabe eigenständiger Publikationen verzichten sollten. Kein Zweifel also: An ihrer Existenz als selbstständige politische Gruppierungen mit dem Anspruch einer originären und abgrenzenden Position wollten die beiden Kreise vorerst nicht rütteln lassen. So gesehen hatte die Initiative des alten Juso-Reichsausschusses nicht viel gefruchtet. Die Stimmung auf der Konferenz war äußerst gespannt und hektisch; eine offene Diskussion, tolerant und fair geführt, wollte eigentlich zu keinem Zeitpunkt aufkommen. Gehässige Zwischenrufe, Hohn gegenüber dem jeweiligen Kontrahenten, Spott, Diffamierung und Gerangel um die Anerkennung von Mandaten beherrschten die Atmosphäre dieser Tagung.4 Ein unduldsames Diskussionsklima also, für das die beiden Flügelgruppierungen gleichermaßen Verantwortung trugen, wenn auch von Beginn an deutlich wurde, dass die Linkssozialisten aus der Offensive, die Hofgeismarer aus einer verunsicherten Abwehrhaltung heraus operierten. Die Stimmung unter den Jungsozialisten hatte sich in der postinflationären Zeit gründlich gewandelt. Besonders die Mitglieder des IJB waren bestens gerüstet. Nelson hatte schon im Januar 1925 damit begonnen, die Delegierten des Jugendbundes für die Jenaer Reichskonferenz zentral zu erfassen.5 Gezielt berief er dann im Februar einen „Politik“-Kurs für die Woche unmittelbar vor der Reichskonferenz ein.6 Dort, in der Walkemühle, hatten die IJBDelegierten acht Tage lang ausreichend Zeit, das taktische Vorgehen sorgfältig zu planen und präzise miteinander abzustimmen. Dies machte sich bezahlt, denn die Mitglieder des IJB dominierten, wie sich zeigen sollte, die Diskussion, während von den Marxisten, die sich vorher nicht ein einziges Mal getroffen hatten7 und sich zum Teil erst auf der Konferenz persönlich kennenlernten, mit Ausnahme von Ernst Rosendahl nicht viel zu hören war. Die Nelsonianer entpuppten sich in gewisser Weise als gewiefte „Sozialdemokraten“, als „organisatorische Manipulatoren“, wie Ernst Rosendahl sie im Rückblick nannte.8 Sie spielten auf der Klaviatur von Geschäftsordnungsanträgen, Resolutionen und Kandidaturen – und dies nicht ohne Erfolg. Der IJB hatte keine Skrupel, sich auf der Konferenz mit den restlichen Linkssozialisten zum Marxistischen Arbeitskreis der Jungsozialisten zu konstituieren; mehr noch: Einer von ihnen, Helmut von Rauschenplat9, ein Schüler Oppenheimers, lieferte später die publizistische Begründung

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dafür nach.10 Trotz solchen Elans und entschlossener Angriffslust waren sich weder die Mitglieder des IJB noch die Marxisten vorher sicher, wie die Kräfteverhältnisse auf der Konferenz aussehen würden;11 besonders der IJB wurde – Ironie des Geschehens – vom Ausmaß seiner eigenen Überlegenheit unvorbereitet überrascht. Schon beim ersten Referat des wichtigsten Tagesordnungspunktes „Nation, Staat und Sozialdemokratie“ konnte kaum mehr ein Zweifel daran bestehen, wer den Wind im Rücken hatte und wem er kalt ins Gesicht blies. Das Referat für den Hofgeismarkreis hielt Hermann Heller, der während seiner ganzen Rede mit Lärm, Zwischenrufen und Gelächter zu kämpfen hatte; eine Situation, mit der er rhetorisch nicht fertig wurde, in der er rednerisch unbeholfen und kraftlos wirkte. Offenen Widerspruch zu ertragen gehörte, erinnern sich Zeitzeugen, sowieso nicht zu Hellers starken Seiten, er reagierte dann stets gereizt und aufbrausend.12 Dennoch hat man Heller häufig als packenden Redner voller Temperament und Leidenschaft erleben können. Im Frühjahr 1925 aber befand sich Heller in einer ernsten Lebenskrise, sowohl in beruflicher und politischer als auch in gesundheitlicher Hinsicht.13 Er hatte soeben nach aufreibenden Auseinandersetzungen mit den Leipziger Parteifunktionären seine Arbeit in den Volkshochschulheimen aufgegeben, ohne zugleich auf eine sichere Perspektive als Universitätsprofessor und Wissenschaftler vertrauen zu dürfen. Aufregung, Überarbeitung und berufliche Unsicherheit griffen sein seit dem Ersten Weltkrieg erkranktes Herz an, eine schwere Kopfgrippe kam belastend hinzu. Heller war mithin zum Zeitpunkt der Jenaer Konferenz in denkbar schlechter Verfassung. Dies blieb nicht verborgen. Allein, die Entscheidung der Hofgeismarer, Hermann Heller und nicht etwa Ernst Niekisch um das Referat zu bitten, belegt deutlich, dass sich die Mehrheit dieser Jungsozialisten einem demokratisch-sozialistischen Staats- und Strategieverständnis genähert hatte. Allerdings hinterließ dies bei den übrigen Jungsozialisten nicht die geringste Wirkung. Überaus pedantisch versuchte Heller, den Delegierten sein unverkennbar von der Anthropologie Thomas Hobbes’ beeinflusstes Verständnis vom Staat als Conditio sine qua non menschlichen Zusammenlebens und als Garanten des geordneten Zusammenwirkens der gesellschaftlichen Handlungen klar zu machen. Gegenüber der marxistischen Auffassung, dass der Staat, nachdem er seine Aufgabe als Unterdrückungsinstrument zur Liquidierung der Klassengegensätze erschöpfend gelöst habe, aus der Gesellschaft verschwinden werde, beharrte Heller darauf, dass jede komplex strukturierte Form der menschlichen Gesellschaftlichkeit auf eine sich potentiell zwangsweise durchsetzende Autorität angewiesen sei, da sonst der Verfall der Kultur und ein „Krieg aller gegen alle“14 unvermeidlich werde. Heller forderte daher einen Kampf um, nicht gegen den Staat. Dabei leugnete er keineswegs den „Klassencharakter des heutigen Staates“, insistierte aber darauf, dass die Republik „einen sehr bedeut-

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samen Schritt zur Verwirklichung der sozialistischen Ziele bedeutet“15. Da er den ursächlichen Klassencharakter im Bereich der Gesellschaft, nicht in der Sphäre des Staates verortete, empfahl er, um den demokratischen Staatsapparat zu ringen, ihn als Hebel zur gesellschaftlichen Transformation zu nutzen, also mit den staatlichen Instrumentarien die „Geldsack“-Republik in Richtung einer demokratischen Sozialstaatlichkeit zu verändern. Der Koreferent der Hannoveraner, Max Adler, antwortete auf diese, wie er eigentümlicherweise fand, „quallenartige“16 Begrifflichkeit seines Vorredners mit bissigem Spott. Das Referat Adlers soll begeisternd gewesen sein und mitgerissen haben. In der Tat: Adler ließ sich durch Zwischenrufe nicht beirren, er fertigte seinen Gegner mit ätzender Schärfe ab und entwickelte zielsicher seine Vision von der solidarischen Gesellschaft. Hellers Beharren auf der Notwendigkeit einer Zwangsordnung für eine geregelte gesellschaftliche Reproduktion erklärte Adler als schlichte Plattitüde: „Aber für Marxisten kommt es nicht darauf an, diese Selbstverständlichkeit zu einer Staatstheorie auszuweiten.“17 Für die sozialistische Bewegung hingegen sei es entscheidend, sich mittels der von Marx begründeten soziologischen Methode Klarheit über die materielle Substanz und den Klassencharakter einer Zwangsorganisation zu verschaffen, um Aufschluss darüber zu gewinnen, ob es sich bei dieser Ordnung um eine Herrschaftsordnung handele oder nicht. Denn nur in einer unsolidarischen Gesellschaft, in welcher der eine Teil der Bevölkerung die Herrschaft über den anderen ausübe, habe die Zwangsordnung den Charakter einer Herrschaftsordnung und sei mithin Klassenstaat. In der von den Sozialisten angestrebten solidarischen Gesellschaft hingegen sei – unter Beibehaltung einer, wie Adler optimistisch unterstellte, von allen freiwillig akzeptierten Zwangsordnung – die Beseitigung des Klassenstaates als Herrschaftsorganisation vorausgesetzt: „Der Marxist gelangt“, so fasste Adler seine Gedanken zusammen, anhand seiner historischen Begriffe nicht in eine Anarchie, sondern aus der unsolidarischen in die solidarische Regelung der Gesellschaft“.18 Während Hellers politische Strategie19 und sein pädagogisches Programm darauf hinausliefen, die Jungsozialisten zur konkreten Mitarbeit am Weimarer Staat zu ermahnen, um durch eine soziale Gesetzgebung einen Beitrag zur schrittweisen Veränderung der kapitalistischen Grundstrukturen der Gesellschaft zu leisten, war das erzieherisch-politische Programm Adlers für die Jusos von einem solch prosaischen, wenn auch die Autonomie des Staates vielleicht überschätzenden Reformismus weit entfernt und ganz auf das Jenseits der „solidarischen Gesellschaft“ ge- oder besser entrückt. Unter dem großen und sich immer wiederholenden Beifall der Delegiertenmehrheit verkündete Adler, nicht zum ersten und nicht zum letzten Male, die Aufgabe und Mission der linkssozialistisch geläuterten Jusos: „Neue Menschen“ sollten sie werden, die in ihrem ganzen Denken und Empfinden, ausgestattet mit

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„geradezu religiöser Kraft“, den geistigen Bruch mit der herrschenden Gesellschafts- und Staatsform vollziehen müssten: „So wie Christus seinen Anhängern sagte: Mein Reich ist nicht von dieser Welt, so müssen wir Sozialisten dieses innerliche Fremdheitsgefühl gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft […] haben, wonach uns keinen Augenblick das Bewusstsein verlässt: Unser Reich, unsere Heimat in Staat und Volk ist nicht von dieser kapitalistischen Welt, sondern ist erst zu begründen in der sozialistischen Gesellschaft.“20

Mochte eine solche millenarische Perspektive für die Mehrheit der Jungsozialisten schon reizvoller gewesen sein als die weniger erhebende Aussicht auf einen grauen Reformalltag in der ungeliebten Republik, so wurde die Entscheidung zwischen Hofgeismar und Hannover dennoch stärker auf dem Felde der nationalen Frage entschieden, auch wenn dieses Problem keineswegs den Mittelpunkt der Referate bildete. Heller hatte, in expliziter Anknüpfung an Otto Bauer und eher kulturhistorisch argumentierend, missverständlich von der „Blutsverfestigung“ und dem „Boden“ als den beiden Naturgrundlagen der Schicksalsgemeinschaft einer Nation gesprochen. „Diese Blutsverfestigung“, so führte er aus, „ist die Grundlage einer körperlichen Eigenart, die z.B. sehr deutlich den Engländer vom Franzosen unterscheidet“21. Aufgabe der Sozialisten müsse es sein, sich zu der nationalen Schicksalsgemeinschaft zu bekennen und die gerechte Beteiligung aller Schichten an dieser Kulturgemeinschaft der Nation zu fordern. Solche Sätze provozierten Max Adler zu einer scharfen Kritik. Abstrakte Begriffe wie die Gesellschaft, der Staat oder die Nation lehnte er ab. Auch zur Klärung der nationalen Frage sei, so Adler, der Gebrauch exakter Begriffe unverzichtbar, um die Irrtümer Hermann Hellers zu vermeiden, der umstandslos und bar jeder klassenspezifischen Differenzierung von den Franzosen und den Engländern rede. Eine solche Gesamtheit des „Volkes“ existiere nicht, sondern nur eine „Bevölkerung“, in der ausschließlich ein Teil, der herrschende, zur Kulturgemeinschaft Zugang habe. Von einer wirklichen Nation könne man erst dann sprechen, wenn alle Mitglieder über dieselben Anteile an den Kulturwerten verfügen würden: Dies aber sei erst in einer solidarischen Gesellschaft möglich. Abermals unter großem Beifall warf Adler denjenigen, die dem Proletariat im bürgerlichen Staat ein nationales Interesse aufreden wollten, mangelnde Loyalität gegenüber den sozialistischen Zielen vor. Der Verdacht des „Nationalismus“ wog schwer, umso mehr, da er gegenüber vielen Hofgeismarern lange Zeit zu Recht bestanden hatte. Auf den Nationalismusvorwurf baute auch die Angriffsstrategie der Hannoveraner in der Aussprache auf, während sie mit der demokratisch-sozialistischen Staatstheorie Hellers nicht umgehen konnten. Die linkssozialistischen Delegierten, welche die jüngs-

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ten Entwicklungen und Differenzierungen im Lager ihrer Opponenten ganz offensichtlich ignoriert hatten, kamen nicht damit zurecht, dass der Hofgeismarkreis von 1925 nicht mehr der der Staatsapotheose der Jahre 1923/24 war. Dies zeigten im Übrigen auch die Debattenbeiträge besonders von Theodor Haubach, aber auch von Heinrich Deist und selbst Franz Osterroth, die inhaltlich ganz ähnlich wie Heller, allerdings rhetorisch ebenfalls gleichermaßen ungeschickt argumentierten. Gleichwohl: Als Rosendahl den Hofgeismarern in seinem Diskussionsbeitrag vorwarf, sie redeten „heute von weit ab liegenden abstrakten Staatsnotwendigkeiten“22, bewies er damit lediglich, dass er seine Rede bereits vor der Konferenz im heimischen Schwelm gut präpariert hatte, auf wirkliche Äußerungen der Hofgeismarer während der Konferenz konnte er seine Behauptung indes nicht stützen. Fritz Lewy hatte das Unvermögen der Hannoveraner im Nachhinein offen zugegeben: „Dass die Jenaer Diskussion leer lief, dass sämtliche Redner, die Referenten eingeschlossen, aneinander vorbeiredeten, dafür waren zwei Ursachen gegeben. Einmal kam den marxistischen Jungsozialisten die Wandlung Hofgeismars von Fichte zu Marx so überraschend, dass sie so rasch nicht eine Umstellung gemäß der neuen Kampffront vornehmen konnten. Sicher ist jedenfalls, dass uns in Jena nicht die ‚nationale Romantik‘ der Hofgeismar-Rundbriefe gegenüberstand, sondern ein Reformismus, der nicht ungeschickt mit marxistischen Elementen in revisionistischer Umdeutung verdeckt wurde.“23

Die Schwächen der Hannoveraner sollten allerdings keine negativen Folgen haben. Wie schon gesagt: Die Entscheidung fiel in der nationalen Frage. Den Hofgeismarern hing der Makel nationaler Romantik an; die Idee der Nation aber galt durch die widrigen Verhältnisse der Weimarer Klassengesellschaft nun als hoffnungslos diskreditiert. Von „nationaler Romantik“ wollte die große Mehrheit der Jungsozialisten, die über den harten Kern der Linkssozialisten hinausging, nichts mehr wissen. Niemand hatte diese weitverbreitete Stimmung klarer erkannt und kühler berechnet als die Mitglieder des IJB, die das geradezu meisterhaft zu einem Mehrheitsvotum gegen den Hofgeismarkreis bündelten. Mit großem Geschick operierte allen voran Maria Hodann, die ganz bewusst „die vielen unter uns“ ansprach, „die noch nicht recht wissen, wohin sie sich zu wenden haben“.24 Um ihnen die Stellungnahme zu erleichtern, wie die Nelsonianerin es mit vermeintlicher Bescheidenheit ausdrückte, wollte sie „einige kleine, vielleicht unwesentliche Symptome aufzeigen“. Natürlich wusste Maria Hodann genau, dass diese kleinen Symptome, ganz gleich wie gängig sie waren, jedermann erregen und empören mussten. In Berlin beispielsweise, berichtete sie, hätten sich Hofgeismarer geweigert, „unser Lied“, die Internationale, mitzusingen. Wohin das alles führe, spitzte Hodann ihre Vorwürfe zu, könne man an der starken „Abneigung der Hofgeismarleute gegen

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die Juden“ sehen.25 Den konsequenten Schlusspunkt solcher Anschauungen des Hofgeismarkreises zeigte den Delegierten dann der Braunschweiger Jungbündler Otto Alpers: „Nationalismus“ und „Verrat an der Arbeiterklasse“.26 Solch schweres Geschütz verfehlte nicht seine Wirkung. Der Hannoveranerkreis suchte jedenfalls angesichts der ihm günstig erscheinenden Atmosphäre noch am ersten Tag die Entscheidung und brachte zur Empörung der Hofgeismarer eine von Ernst Rosendahl – unter Rückgriff auf seine vorab veröffentlichte Broschüre – geschriebene, von Fritz Lewy begründete Resolution zum Thema „Staat und Nation“ ein.27 Dieser recht frühe Frontalangriff und einige hyperradikale Formulierungen wie die, dass die Sozialdemokratie durch ihre ständigen Konzessionen an das Bürgertum ihren Charakter als selbstständige proletarische Kampfpartei aufgegeben habe, verunsicherten aber auch einige Jungsozialisten der „Mitte“28. Die Antragsteller zogen die Resolution daraufhin vorerst zurück und setzten eine erweiterte Antragskommission ein, der nun auch die IJBler Maria Hodann und Willi Eichler und ein Jungsozialist der „Mitte“, Franz Lepinski, angehörten, um am anderen Tag eine neue, etwas „gemäßigter“ formulierte Fassung zu präsentieren: „Die Jungsozialisten als politische Jugend lehnen die nationale Romantik in jeder Form entschieden ab. Von der bloßen Betonung der republikanischen Staatsnotwendigkeiten mit den daraus entspringenden Konzessionen an das bürgerliche Denken befürchtet die Reichskonferenz eine Verwässerung des revolutionären proletarischen Klassenkampfes. Die heutige Demokratie stützt sich nur auf die Gleichwertigkeit des Stimmzettels, lässt jedoch die ökonomische Ungleichheit der Menschen bestehen, sie verschleiert also nur die Klassengegensätze. Die Reichskonferenz ist sich daher darüber klar, dass das sozialistische Proletariat dem bürgerlichen Klassenstaate gegenüber keine staatspolitische Verantwortung übernehmen darf, wenn dies dem Interesse des internationalen Klassenkampfes widerspricht.“29

In dem einen zentralen Punkt drückte die Resolution die neuere Entwicklung der Jungsozialisten prägnant aus: Unter der „nationalen Romantik“ der letzten Jahre wollten die Jungsozialisten – nochmals: nicht nur die linkssozialistisch orientierten – einen eindeutigen Schlussstrich ziehen. Insofern handelte es sich keineswegs um eine „durch geopolitische Momente“ verursachte „Zufallsmehrheit“ – wie Hofgeismarer noch Jahre später kolportierten30 –, die mit 71 gegen 31 Stimmen31 für die Annahme dieser vielleicht sonst wirklich recht „verworrenen“ und „theoretisch dämmerigen Proklamation“, als die sie Theodor Haubach in einem wütenden Zeitungsartikel bezeichnete32, votierte. Haubach selbst soll im Übrigen durch einen unglücklich formulierten Nebensatz das Votum für die Hannoveraner-Entschließung unfreiwillig beschleunigt haben. In einer Replik auf Lewys Resolutionsbegründung höhnte Haubach, der

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zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich entnervt war: „Die Feststellung, dass die heutige Demokratie sich nur auf die Gleichwertigkeit des Stimmzettels erstreckt, ist ebenfalls von jedem unterschrieben und so selbstverständlich, dass es jeder Straßenbahnschaffner auch sagen könnte.“33 Große Empörung herrschte darauf im Saal. Haubach, der Mann mit den Gesichtsnarben, die viele für Schmisse aus einer Mensur hielten,34 hatte, so tuschelte und zischelte man in den Zuhörerreihen, zweifelsohne das Proletariat herabgesetzt: So waren sie eben, die Hofgeismarer. Drei Zeitzeugen der Jenaer Reichskonferenz, Franz Osterroth vom Hofgeismarkreis, Fritz Lewy von den Hannoveranern, Kurt Brenner von der „Mitte“, Jungsozialisten, die nach Jena niemals mehr miteinander zu tun hatten, erinnern sich nach über einem halben Jahrhundert unisono, dass das „den Ausschlag gab“.35 So erinnerte sich Brenner: „Unmittelbar vor der Abstimmung traten wir, die Angehörigen der Mitte, zusammen und waren uns einig, dass Straßenbahnschaffner eine Beleidigung sei. Wir stimmten mit etwa 22 Delegierten für die Resolution von Hannover“.36 Aber auch die Wahl des Redakteurs der Jungsozialistischen Blätter dokumentierte den Willen der Mehrheit zur innerverbandlichen politischen Wende. Für die Hannoveraner Jusos schlug der fränkische Gauvorsitzende Reinhard Eisner, ein Sohn des ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, den Parteilinken und Pädagogen Georg Engelbert Graf vor, während sich die Hofgeismarer Jungsozialisten für den Vorsitzenden der SAJ, Max Westphal, der die Redaktion der Blätter seit 1924 provisorisch übernommen hatte, aussprachen. Allein die Kandidatur Westphals bewies, dass sich die Hofgeismarer selbst in der Defensive wähnten. Schließlich galt Westphal vielen Hofgeismarern mit jugendbewegter Vergangenheit eher als Typ des schon in jungen Jahren alt gewordenen Bürokraten denn als Vertreter der Jugendbewegung. Doch auch der Vorsitzende der „Arbeiterjugend“ konnte die Linksentwicklung der Jungsozialisten nicht mehr aufhalten: Engelbert Graf erhielt 75 Stimmen, während sich Westphal mit 42 Stimmen bescheiden musste.37 Außer den Hofgeismarern zeigte sich allerdings noch ein anderer über die Wahl von Graf ausgesprochen missvergnügt: Leonard Nelson. Nelson äußerte sich in einem Rundschreiben nach der Konferenz recht ungehalten über das Abstimmungsverhalten seiner Schüler, die doch sonst so gute Arbeit geleistet hatten: „Ich halte es für ein schweres Unglück, dass das unerwartet günstige Machtverhältnis nicht dazu benutzt wurde – oder etwa nicht werden konnte?, – sich der Bindung an Graf als Redakteur der ‚Jungsozialistischen Blätter‘ zu entziehen.“38 Die politischen und strategischen Grenzen des damaligen jungsozialistischen Linkssozialismus wurden indes schon auf der Konferenz drastisch sichtbar. Geradezu hilf- und ratlos reagierten die linken Jungsozialisten auf einen Antrag der Leipziger Jungsozialistengruppe, die zum Hofgeismarkreis gehörte. Gegen Ab-

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sichten konservativer Teile des Bürgertums, die Wahlfähigkeit auf 25 Jahre hochzuschrauben, hatten sie folgende, durch zwei Zusatzanträge erweiterte Entschließung eingebracht: „Die Ostern 1925 in Jena tagende Reichskonferenz der Jungsozialisten wendet sich entschieden gegen alle Bestrebungen, das Alter der Wahlfähigkeit von 20 auf 25 Jahre festzulegen. Sie wendet sich weiterhin dagegen, die Mitgliederzahl des Reichstages wesentlich herabzusetzen, weil dadurch die notwendige Verjüngung des Reichstages erschwert wird. Nicht durch politische Entrechtung, sondern nur durch politische Verantwortung kann die Jugend zur staatspolitischen Gesinnung erzogen werden. Die sozialistische Jugend fühlt sich dem deutschen Volke sittlich verpflichtet, am Aufbau und Ausbau der deutschen Republik zu einem sozialistischen Gemeinwesen gestaltend mitzuwirken.“39

Gegen den Protest im ersten Absatz konnte niemand etwas haben, aber die Begründung, die die Leipziger dafür im zweiten und dritten Absatz ihrer Entschließung entworfen hatten, widersprach eklatant den bisherigen Voten der Reichskonferenz. Es hätte mithin für die Hannoveraner nahegelegen, eine eigene linkssozialistische Alternativbegründung zu verfassen und einzubringen, aber zu einer Konzeptionalisierung einer demokratischen Politik im Diesseits der Republik waren sie schlechterdings nicht fähig. So kam es zu einem Abstimmungsverhalten, das den Spott sozialdemokratischer Tageszeitungskommentatoren hervorrief40, das den Historiker aber immerhin in die Lage versetzt, den harten Kern des Linkssozialismus einigermaßen quantifizieren zu können. Der erste Absatz passierte einstimmig die Konferenz. Der zweite Absatz wurde knapp mit 47 zu 46 Stimmen abgelehnt, der letzte Absatz mit seiner Festlegung auf die sittliche Verpflichtung dem deutschen Volke gegenüber ging mit 69 zu 30 Stimmen durch.41 Nur noch dreißig Delegierte also fühlten sich, wie Willi Eichler in einer persönlichen Bemerkung zu Protokoll gab, ausschließlich dem internationalen Proletariat verantwortlich. Kurz: Die Zahl entschiedener Linkssozialisten umfasste nicht mehr als dreißig Delegierte, 17 weitere mag man mit Einschränkungen zum engeren Potential des Linkssozialismus zählen, die restlichen 24, die sich für die Annahme der Hannoveraner Resolution „Staat und Nation“ ausgesprochen hatten, sind den Jungsozialisten der „Mitte“ zuzurechnen. Um diese musste gerungen werden. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Hannoveraner eben jene Delegierten nicht auch in dieser Frage hätten gewinnen können, wenn sie imstande gewesen wären, einen konkreten Alternativentwurf zum Leipziger Antrag vorzulegen. Aber woher sollten sie die Argumente dafür holen? Nimmt man das „romantische Chaos voll nachgeredeter marxistischer Wörter“42 ernst, so durften die Hannoveraner gar kein Interesse an Fragen einer demokratischen Reformpolitik oder auch nur an der Abwehr reaktionärer Angriffe auf die spezifischen Errun-

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genschaften der Republik haben. Schließlich handelte es sich bei der Republik nach Auffassung von Rosendahl sowieso nur um die „unverhüllte Diktatur des Kapitalismus“.43 Lewy hatte die von ihm eingereichte Resolution in klassisch linksradikaler Manier damit begründet, dass man in der „heutigen Gesellschaft weder eine Verwirklichung noch einen Ansatz zu unseren Zielen“ sehe. Daher lehne man „den gegenwärtigen Staat ab bis ins letzte“.44 So gesehen hätten sich die radikalen Linkssozialisten selbst um die Heraufsetzung des Wahlfähigkeitsalters und die Überalterung des Reichstages nicht zu scheren brauchen und konsequenterweise auch dem ersten Absatz der Leipziger Entschließung ihre Zustimmung verweigern müssen. Solches Unvermögen zu einer demokratisch-sozialistischen Politik war nicht zuletzt das Resultat der theoretischen Überlegungen Max Adlers, mit dessen abstrakter Einteilung der politischen Systeme in „unsolidarische“ und „solidarische“ Gesellschaften eine differenzierte republikanische Strategie schwerlich anzuleiten war. Zum einen gerieten in seinem theoretischen Modell die wesentlichen qualitativen Unterschiede zwischen politischen Systemen „unsolidarischer“ Gesellschaften aus dem Blick. Zum anderen musste eine politische Strategie, die sich mit der Losung der „Bekämpfung des Klassenstaates“ begnügte, steril und gestaltungsunfähig bleiben. Außerdem kam Adlers chiliastisches Vertrauen auf die problemlose Harmonie solidarischer Gesellschaften mit vermeintlich freiwilliger Akzeptanz herrschaftsfreier Zwangsinstitute einem regelrechten Eskapismus aus der Komplexität bürgerlich-demokratischer Gesellschaften gleich.45 Gleichwohl: Die Linksentwicklung ging über den harten Kern von Adler-, Lukács- und Nelson-Schülern hinaus, reichte weiter als der Stamm dreißig dezidierter Linkssozialisten. So gesehen war es noch nicht ausgemacht und keineswegs endgültig entschieden, ob der Jungsozialismus nicht doch einen fruchtbaren linkssozialdemokratischen Republikanismus hervorbringen könnte. In Jena setzten sich die artikulationsfreudigen radikalen Linkssozialisten durch, sie erfüllten am besten das Bedürfnis nach einer entschiedenen Negierung der nationalistischen Eskapaden früherer Jahre. Als merkwürdige Pointe jungsozialistischer Geschichte mag man es aber doch ansehen, dass in dem Moment, als die Hofgeismarer sich mehrheitlich von der „nationalen Romantik“ zu lösen anschickten, auf der anderen Seite ein nicht minder romantischer Linksradikalismus sich auszubreiten begann.

S CHISMA Nachdem das Linksbündnis bei den Jungsozialisten den Erfolg auf der Reichskonferenz in Jena verzeichnen konnte und auch sonst der Erosionsprozess im Lager der Hofgeismarer nicht mehr zu übersehen war, rückten die bislang hint-

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angestellten theoretischen Differenzen zwischen den Positionen des IJB und der Marxisten nunmehr in den Vordergrund. Vor allem in Städten wie Köln, Berlin, Düsseldorf und Hannover rangen die Jungsozialisten mit, wie sie es nannten, „ernster geistiger Intensität“ um die künftige theoretische Begründung jungsozialistischer Politik. In Wochenendkursen, Seminaren und Arbeitsgemeinschaften legten die Anhänger Nelsons über die Sommermonate 1925 erstmalig ihre theoretischen Grundlagen vollständig offen und arbeiteten inhaltlich stärker als bisher ihre Kritik des Marxismus heraus. Den Anhängern Nelsons gelang es fraglos, in dieser Auseinandersetzung auch organisatorisch-personelle Erfolge bei den Jungsozialisten und in der SAJ zu erzielen. Die SAJ-Spitze reagierte unmittelbar und scharf. Auf einer Führungstagung der SAJ vom 15. bis 17. Oktober in Tännich beschlossen der Hauptvorstand und die Bezirksleiter bei nur zwei Enthaltungen den Ausschluss aller Mitglieder des IJB aus der Sozialistischen Arbeiterjugend.46 Die Funktionäre der SAJ begründeten das Votum damit, dass der IJB das satzungsgemäß festgelegte Ziel verfolge, „eine neue Partei der Vernunft unter den Jugendlichen der Völker aufzurichten“. Der Bund sei undemokratisch und vertrete „dem Sozialismus fremde Ziele“.47 Am 2. November folgte der Parteivorstand der SPD dem Exempel der SAJ und beschloss trotz des Einspruchs des anwesenden Jungsozialistenvertreters Franz Lepinski, ab 1925 Reichsvorsitzender seiner Organisation, die Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum IJB mit der Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei, da die Tätigkeit des Bundes den „Charakter einer Zellenbauerei“ habe und daher organisationsschädlich wirke.48 Der Hofgeismarkreis der Jungsozialisten auf der anderen Seite des Spektrums startete auf der Reichsausschusssitzung am 31. Januar 1926 einen letzten Versuch, die innerverbandliche Politik doch noch zu seinen Gunsten zu wenden. Die Repräsentanten des Kreises besaßen aber so viel Realitätssinn, dass sie ihre Aussichten auf Erfolg von vornherein eher skeptisch einschätzten, zumal die Auflösungsprozesse in den rechten jungsozialistischen Zirkeln unverkennbar waren. Ihr Mitglied in der Reichsleitung, Robert Keller, hatte bereits vor Jahreswechsel der Bewegung resignierend den Rücken gekehrt, da er nach eigener Verlautbarung keine Möglichkeit mehr sah, in der Organisation positiv mitzuarbeiten.49 Auch die restlichen Hofgeismar-orientierten Mitglieder der Leitungsgremien machten sich schon am Vorabend der Reichsausschusssitzung Gedanken, ob und wann ein Punkt eintreten könnte, an dem ihre Mitgliedschaft im Reichsverband der Jungsozialisten zur Disposition stehen würde. Vor allem der zwischenzeitliche Niekisch-Sympathisant Franz Osterroth schlug seinen Gesinnungsgenossen vor, sich bei einem möglichen, von ihm natürlich befürchteten Anti-Niekisch-Beschluss nicht nur von der Reichsausschusssitzung, sondern auch vom Verband insgesamt abzuwenden.50

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Zu Beginn der Sitzung griffen die Hofgeismar-Jungsozialisten zunächst vehement die Redaktionsführung der Jungsozialistischen Blätter durch Engelbert Graf an. Graf war den Hofgeismarern ein Dorn im Auge, denn die reichsweite Referentenumtriebigkeit des bei etlichen Jugendlichen im SPD-Umfeld höchst populären Graf trug erheblich zur Verbreitung linkssozialdemokratischen Gedankenguts im sozialistischen Nachwuchs bei. Dementsprechend hatte Engelbert Graf die Jungsozialistischen Blätter seit Mai 1925 zielstrebig zu einem vorwiegend linkssozialdemokratischen Erziehungsorgan umgemodelt und sich den Zorn der rechten Jungsozialisten zugezogen. Aus dem Bezirk Wasserkante und aus Leipzig lagen dem Reichsausschuss scharfe Rügen der inhaltlichen Gestaltung des jungsozialistischen Organs vor. Osterroth und Gustav Dahrendorf nahmen für den Hofgeismarkreis die Entschließungen auf und beschwerten sich, dass Graf die Blätter parteiisch geführt habe.51 Indes, mit der eindeutigen Mehrheit von 13 zu 5 Stimmen übernahm der Reichsausschuss eine Entschließung aus Berlin: „Die Gruppenkonferenz der Berliner Jungsozialisten hält die Vorwürfe des Gaues ‚Wasserkante‘ gegen die Schriftleitung der ‚Jungsozialistischen Blätter‘ für ungerechtfertigt. Sie billigt die stärkere Betonung des erzieherischen Charakters dieser Blätter. Sie ist ferner der Überzeugung, dass Genosse Engelbert Graf sich bei der Redaktionsführung bemüht, allen geistigen Strömungen gerecht zu werden. Sie bedauert Angriffe des Gaues ‚Wasserkante‘ gegen den Genossen Graf und spricht ihm volles Vertrauen aus.“52 Zum Eklat aber kam es erwartungsgemäß bei der Behandlung des Falles Niekisch. Nicht zuletzt die Ausschlüsse der Nelsonianer bewegten den linken Jungsozialistenflügel, nun seinerseits gegen die Ideologien und Anhänger Ernst Niekischs initiativ zu werden. Der Juso-Reichsausschuss folgte den Empfehlungen der linken Jungsozialistenbezirke Breslau und Berlin und beschloss mit 13 zu 6 Stimmen: „Die politische Auffassung des Genossen Niekisch und des ihm nahestehenden Kreises sind mit den Grundsätzen der SPD und den Bestrebungen der Jungsozialisten nicht in Einklang zu bringen. Rechtsausschuss und Reichsleitung richten deswegen an den Parteivorstand das Ersuchen, baldigst Schritte zur Klärung des organisatorischen Verhältnisses zu diesen Kreisen zu unternehmen.“53 Unmittelbar nach Verabschiedung der Resolution setzten die Hofgeismarer Jungsozialisten ihre intern vorbereitete Strategie um. Osterroth betonte in einer persönlichen Erklärung nicht nur seine Übereinstimmung mit den Anschauungen Niekischs und den Austritt aus der „unkameradschaftlich“ gewordenen Bewegung der Jungsozialisten. Trotz seiner auch auf dieser Sitzung nicht verschwiegen gebliebenen Distanz zu Niekisch schloss sich der Vertreter des Gaues Wasserkante, Gustav Dahrendorf, der Austrittserklärung Osterroths an und verließ gemeinsam mit anderen Hofgeismarern den Sitzungsraum.54 Das Chaos und die Konfusion waren perfekt. Dem Reichsvorsitzenden Franz Lepinski blieb nach

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einer Pause nichts anderes übrig, als zu erklären, dass man von einer Neubesetzung der vakanten Reichsleitungs- und Reichsausschusssitze vorerst absähe, um den Hofgeismar-Jungsozialisten den Weg zur Rückkehr nicht zu verbauen. Der Anfang 1926 vom Zerfall gekennzeichnete Hofgeismarkreis hatte aber nicht mehr die Kraft und Geschlossenheit, eine eigenständige und langfristig angelegte Position innerhalb der jungsozialistischen Bewegung vertreten zu können. Der nationale Kitt des Jahres 1923 konnte die unterdessen zentrifugal verlaufenden politischen Kräfte (Niekischianer, Heller-Schüler, De-Man-Epigonen etc.) des Hofgeismarkreises nicht mehr zusammenhalten.55 Zudem hatte sich die Skepsis der quantitativ nicht unbeträchtlichen, wenn auch inhaltlich eher unausgewiesenen „Mitte“ bei den Jungsozialisten gegenüber den nationalistischen Akzenten der Hofgeismarer eher noch verstärkt. Bei den entscheidenden Voten in der Reichsausschusssitzung pflichteten die bekannten Repräsentanten der „Mitte“ den Anträgen der linken Bezirke bei. Folgerichtig beschlossen dann die von den Hofgeismar-Jungsozialisten dominierten Bezirke Wasserkante und Westliches Westfalen auf Gaukonferenzen im März 1926 ihren Austritt aus der Reichsorganisation der Jungsozialisten, weil sie – so ihre Erklärung – dort seit der Reichskonferenz von Jena „brutal majorisiert“ worden wären.56 Die führenden Mitglieder der „rechten“ Jungsozialisten sanktionierten dann kurze Zeit später auf der letzten, in Hamburg organisierten Tagung des Hofgeismarkreises die Entscheidung der ihnen nahestehenden Bezirke und lösten die Assoziation Hofgeismarkreis unwiderruflich auf. Die Herausgabe des Politischen Rundbriefes des Hofgeismarkreis wurde ebenfalls eingestellt. Die Tagung rief die Sympathisanten der „rechten“ Positionen unter den Jungsozialisten zur direkten Mitarbeit in der Partei, der Gewerkschaft und vor allem dem Reichsbanner und der Sozialistischen Arbeiterjugend auf.

E INE

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J UGENDKOHORTE

Der politische Wandel im Jungsozialismus war eng mit einem tiefgreifenden Generationswechsel und einem veränderten kulturellen Lebensgefühl in der Republik verknüpft. In den Jahren 1925/26 trat eine schon durch den äußeren Habitus unverkennbar neue Generation der sozialistischen Jugend in Erscheinung, die anders als die Generation, die um die Jahrhundertwende geboren wurde und bis zur Mitte der zwanziger Jahre den Funktionärskörper der SAJ und der Jungsozialisten dominierte, bestenfalls Kindheitserlebnisse an den Krieg und die unmittelbare Nachkriegszeit besaß. Das Fronterlebnis, die Schrecken der Kriegsgräuel, die Wirren und Nöte der Revolutionszeit, Faktoren also, welche die politischpsychischen Dispositionen der frühen Weimarer Jugendbewegung für einen

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ethisch-moralisch geläuterten Sozialismus als lebensreformerisches Experimentierfeld in Wald und Wiese wesentlich mitverursacht hatten, waren als kollektives Vergewisserungsmoment einer gemeinsamen lebensgeschichtlich prägenden Vergangenheit nur noch bei einer kleinen Schicht der Jugendfunktionäre anzutreffen – die bei den Jungsozialisten gleichwohl auch weiterhin eine bedeutende Rolle spielte. Die neue Generation der zwischen 1905 und 1912 geborenen Arbeiterjugendlichen, die nun mehr und mehr in die Juso-Gruppen hineindrangen, hatte jedoch gänzlich andere Erfahrungen und entsprechend veränderte Vorstellungen über die Formen gemeinschaftlichen Wirkens. Sie waren die Kinder der Republik, denen der von den älteren Sozialdemokraten stets beschworene Vergleich mit den reaktionären Verhältnissen des kaiserlichen Deutschlands fehlte. Ihr primärer Bezug für die Zusammensetzung politischer Deutungsmuster und Orientierungsmaßstäbe war die Gegenwart, wie sie sie erfuhren und täglich wahrnahmen: als schroffe und scheinbar stabilisierte Klassengesellschaft mit einem politisch herrschenden Bürgerblock, einer Justiz, die „im Kriegszustand“57 mit dem Volk lebte, einem Schul- und Bildungswesen, das Entfaltungsmöglichkeiten und sozialen Aufstieg für Arbeiterkinder kaum bot und einer Sozialdemokratie, die in Opposition zu alledem stand. „Die Republik, das ist nicht viel, Sozialismus heißt das Ziel“ – das klang plausibel und es wurde das Motto dieser Generation. „Klasse“ und „Kampf“ – das entsprach der Wirklichkeit; „Volk“ und „Gemeinschaft“ – das waren Hirngespinste. So etwa dachte diese Jugend der „neuen Sachlichkeit“, der im aufnahmefähigen Alter für das Interesse an politischen Fragen und Problemen der nur schwer durchschaubare Wirbel politischer und gesellschaftlicher Brüche mit der Begleitmusik irrationaler Massenstimmungen erspart geblieben war, sodass bei ihnen ein grübelnder Existentialismus nicht aufkommen wollte. Die „nationale Idee“, welche die Hofgeismarer Jungsozialisten noch so fasziniert hatte, ließ sie gleichgültig; den antiautoritären Individualismus aus jugendbewegter Zeit lehnten sie ab. Dies war ein Generationswechsel, wie man ihn in der modernen Geschichte häufig hat erleben können: Ausdrucksformen und Zielsetzungen, die noch Jahre zuvor von einer rebellischen Jugend als Protest gegen verfestigte Strukturen und erstarrte Gewohnheiten herausgebildet worden waren, traten der nachfolgenden Generation nun ihrerseits als eine Konvention entgegen, als eine drückende Tradition, die kontrovers zu den eigenen neuen Lebensgefühlen stand, gleichsam als ein Set konservativ gewordener Verhaltensnormen und Attitüden, die den Widerspruch der Nachwachsenden hervorrufen mussten. Mitte der zwanziger Jahre ging es nicht so sehr um die vielzitierte Spannung zwischen „Jung“ und „Alt“, sondern um den lebensweltlichen Gegensatz zwischen den „Front-“ und „Nachkriegsjugendlichen“ innerhalb der jungen Generation.58 Diejenigen, die zwischen

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1905 und 1912 geboren wurden, rieben sich mehr an ihren älteren Geschwistern als an ihren Vätern. Der Spott galt den langmähnigen Naturaposteln in den bunten Kitteln und Sackkleidern, man mokierte sich über die ewig jugendbewegten „Latscher“, man verlachte die weltfremden Scholaren des „Weimargeistes“, diese „alten verspießerten Leute“59, die man loswerden wollte aus den Jugendorganisationen, um sich und der eigenen Art Platz zu verschaffen. Man war des Problematisierens überdrüssig, fand keinen Geschmack mehr am Sich-und-alles-inFrage-stellen der Lebensreformer; die neuen Kohorten der Weimarer Jugendbewegung verlangten nach Taten und Leistungen. Solche Äußerungen und Empfindungen beschränkten sich abermals nicht auf die Jugendbewegung eines spezifischen Milieus einer Klasse, sondern erstreckten sich rasch auf sämtliche sonst konfessionell, politisch und kulturell separaten Jugendorganisationen. Überall reagierten auch die Träger der abgelaufenen Lebensreformära gleichermaßen irritiert und bestürzt über den neoautoritären Wunsch der Jungen nach mehr Disziplin, Straffheit, Ordnung, Bindung und fester Führung. Verständnislos stand die „Hans-Sachs-Generation“ der plötzlichen Begeisterung für sportliche Wettbewerbe, technische Modernität und großstädtische Lebensformen besonders in der nicht-weltanschaulich gebundenen und organisierten Jugend gegenüber, die in den entscheidenden Jahren ihrer Sozialisation den Siegeszug des Rundfunks, den Amerikaflug des Zeppelins und den Massenenthusiasmus für die Erfolge sportlicher Champions miterlebt hatte. An Schulen hatte es der jugendbewegte Lehrer, der es doch gut meinte mit den Schülern, nicht leicht mit den meisten seiner Zöglinge, da es ihm schwer fiel, einen Chevrolet von einem Opel schon am Motorengeräusch zu unterscheiden; das aber war das mindeste, was der durchschnittliche Jugendliche von einem tüchtigen Pädagogen nun erwartete. Diese klagten jammernd über die Anspruchslosigkeit und Primitivität der „unjugendlichen“ Jugend.60 Nun gehört zwar das Lamento älter gewordener Jugendbewegter über mangelnde kulturelle Tiefe und Geistlosigkeiten der nachwachsenden Jugend offenbar zur konstanten Rhythmik solcher Generationsfolgen und ist demzufolge häufig nicht allzu ernst zu nehmen, aber manche Besorgnisse bestanden zweifelsohne zu Recht. Die neue Jugend sagte sich vom romantischen Naturmythos los und in der Hinwendung und Bejahung der Großstadt mag, für proletarische Jugendliche zumal, ein angemessener Realismus gesteckt haben. Ob man diesen Prozess aber umstandslos und positiv als „Politisierung“ bezeichnen konnte, wie häufig der Fall, ließ sich mit Fug bezweifeln. Die in allen Jugendverbänden um sich greifende Neigung, sich in uniformierte Kleidungsstücke, die alle einander irgendwie ähnelten und doch durch unterschiedliche Farben und einem Gehänge von Plaketten Abgrenzung und Feindseligkeit symbolisieren sollten, zu hüllen, legte mehr offen als eine nur förmliche Äußerlichkeit. Früher hatte man einen

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Quickborner allein von der äußeren Aufmachung nicht von einem Freideutschen, Wehrtempler, Jungsozialisten oder Neuwerkler unterscheiden können; auch sonst: Man redete und stritt miteinander und sang das gleiche Lied: „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“. Das alles hatte für Arbeiterjugendliche sicherlich auch negative Folgen gehabt. Aber nun schuf sich jede politisch-kulturell-religiöse Jugendorganisation eine eigene Truppe, einen eigenen Kampfverband mit besonderen Symbolen, Grußformeln, Schwüren und Zeremoniellen, die alle das eine ausdrücken sollten: Mit den anderen wollte niemand mehr etwas zu tun haben, selbst aber verfügte man über die einzig richtige Weltanschauung – das war gewissermaßen „der totalitäre Konsens einer Generation“.61 Ein Schwarz-WeißDenken kam auf, das Bedürfnis nach Patentlösungen, der Hang zur greifbaren Formel, an die man sich halten konnte. Überhaupt ersetzte „Haltung“ oftmals den komplizierten Diskurs. Rekrutenmentalitäten, Gefolgschaftswillen, Befehlstreue gegenüber den Anordnungen des Gruppenführers traten, besonders dort, wo eine vertiefte ideell-kulturelle Bildung fehlte, an die Stelle tagelang wogender Meinungskämpfe. Vor allem für die Führung der SAJ bedeuteten solche Mentalitäten eine ernste Herausforderung und zweifelsohne versuchte sie, besonders autoritäre Auswüchse durch die energische Betonung des erzieherisch-kulturellen Auftrags zu selbstverantwortlichen Praxisformen und eines demokratisch zu gestaltenden Sozialismus zu brechen. Verglichen mit den Binnenstrukturen des Kommunistischen Jugendverbandes, Teilen der bündischen Jugend und der rechtsradikalen Landsknechtsformationen stand die SAJ in der Tat wie eine Oase rationaldemokratischer und – ähnlich wie die katholischen Jugendgruppen – kulturellbildsamer Jugenderziehung dar; ein Verdienst übrigens besonders ihres Reichsvorsitzenden Erich Ollenhauer.

VII. Proletarierjugend und Solidargemeinschaft – zur Anatomie und Ambivalenz der Sozialistischen Arbeiterjugend

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WOLLTE MAN SEIN , WOHIN SOLLTE ES GEHEN ?

Halten wir also in der Darstellung der Jungsozialistengeschichte inne und richten den Blick zwischenzeitlich auf die Sozialistische Arbeiterjugend Deutschlands. Als Ende Oktober 1922 die Delegierten des mehrheitssozialdemokratischen Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands und der unabhängigen Sozialistischen Proletarierjugend die Verschmelzung ihrer beiden Organisationen zur Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands beschlossen, einigten sie sich auf eine programmatische Kompromissformel, die bis zur organisatorischen Liquidierung der SAJ 1933 Bestand hatte: „Der Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands erzieht seine Mitglieder im Geiste der sozialistischen Weltanschauung zu Kämpfern für die sozialistischen Ideale. Er vertritt die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Forderungen der proletarischen Jugend. Der Verband macht sich zur Pflicht, in dauernder Zusammenarbeit mit dem vorwärtsstrebenden Jungproletariat aller Länder die wirtschaftliche und geistige Not der arbeitenden Jugend zu beseitigen. Er betrachtet es als seine höchste Aufgabe, unermüdlich für den wahren Völkerfrieden und für die sozialistische Gesellschaft zu kämpfen.“1

Sowohl die Hervorhebung der internationalistischen Verpflichtungen als auch das Postulat des kämpferischen Einsatzes gingen auf das Drängen der Verhandlungsführer aus der SPJ zurück. Im Übrigen aber blieb die Bewertung aktiver Kampfbeteiligung im Rahmen des Erziehungsprogramms der sozialdemokratischen Jugendorganisation höchst umstritten. Anders als die SPJ hatten sich die mehrheitssozialdemokratischen Jugendvereine in den Jahren zuvor nämlich keineswegs als eine Kampforganisation für wirtschaftliche und soziale Ziele begrif-

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fen. Sie verstanden sich in erster Linie als Erziehungs- und Kulturbewegung. Entsprechend der lebensphilosophischen Grundstimmung der unmittelbaren Nachkriegsjahre und im Anschluss an die habituellen Ausdrucksformen der bürgerlichen Jugendbewegung wollten die MSPD-Jugendlichen den Sozialismus bereits im Hier und Jetzt in ihren Jugendgemeinschaften erleben und als Kulturideal an die Stelle einer ökonomisch begründeten Zielprojektion setzen. Darin glichen sie den Jungsozialisten. Die sozialdemokratischen Arbeiterjugendlichen wünschten sich zu „sozialistischen Menschen“ mit einer neuen Art der Geselligkeit, der Körpererfahrungen, der Geschlechterbeziehungen, des Naturbezugs heranzubilden: Die Veränderung des je einzelnen Menschen im kommunitären Gemeinschaftsleben der Arbeiterjugend erhielt den Vorrang vor der Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Zu einem emotionalen Höhepunkt verdichteten sich solche Anschauungen und Lebensformen auf dem Reichsjugendtag in Weimar im August 1920; auch insoweit verlief die Entwicklung zu derjenigen der Jusos parallel. Dem idealistischen Überschwang der Sommermonate folgte indes schon im Herbst 1920 eine deutliche Ernüchterung und die allmähliche Abkehr vom „Geist von Weimar“ – eine Entwicklung, die insbesondere von Max Westphal und Erich Ollenhauer, den beiden späteren Reichsvorsitzenden der SAJ, gefördert wurde. Die von Ollenhauer und Westphal repräsentierte Mehrheitslinie setzte sich nun von denjenigen Arbeiterjugend-Funktionären um den Bochumer Franz Osterroth ab, die zugleich in der jungsozialistischen Bewegung aktiv waren und für autonome, parteiungebundene Jugendgemeinschaften mit fließenden Übergängen zur bürgerlichen Jugendbewegung eintraten. Die Mehrheit im Verband der Arbeiterjugend-Vereine Deutschlands wollte demgegenüber Parteijugend sein. Sie legte eindeutige Bekenntnisse zur Zusammengehörigkeit und Verbundenheit mit der MSPD und den freien Gewerkschaften ab und verpflichtete sich zu einer Bildungsarbeit im Sinne des republikanisch-demokratischen Reformismus. Bereits zwei Jahre später hatte sich der Frontverlauf verschoben. Die früheren Autonomisten und extremen Lebensreformer stellten die Parteizugehörigkeit nicht mehr in Frage und rückten nun näher an die Seite des von Westphal und Ollenhauer repräsentierten Zentrums gegen die neue Linksopposition im Verband, die sich nach der Vereinigung der beiden sozialdemokratischen Jugendorganisationen in den Hochburgen der früheren SPJ, in Sachsen und OstThüringen, etabliert hatte. Es war bezeichnend, dass auf der ersten Reichskonferenz nach der Vereinigung (in Görlitz am 13./14. Mai 1923) kein typischer Vertreter der pragmatisch-reformistischen Mehrheitsrichtung das Referat zum umstrittenen Problem der „sozialistischen Erziehungsarbeit“ hielt, sondern Conrad Hahnewald, ein ausgesprochener Kultursozialist, der ganz offenkundig die Brü-

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cke vom Verbandszentrum zu den einst extremen Lebensreformern schlagen und zugleich deren beider Distanz zum Politik- und Erziehungsverständnis der Linkssozialisten deutlich machen sollte. Hahnewald reduzierte die Diskussion in der SAJ über die sozialistische Erziehungsarbeit auf zwei Grundpositionen: einerseits die Auffassung derjenigen, welche die Arbeiterjugendlichen möglichst früh durch Diskussionen politischer Tagesereignisse und aktive Beteiligung an den politischen Auseinandersetzungen zu sozialistischen Kämpfern heranbilden wollten; andererseits die Einstellung derjenigen, die mehr auf eine kulturelle Erziehung und Entwicklung „neuer Menschen“ hinzielten. Nach Hahnewalds Auffassung kam für ernsthafte Sozialisten allein der zweite Weg in Frage. Nur wenn die Menschen sich wandeln würden, könnten auch die Verhältnisse geändert werden; das beste Mittel sei daher das Beispiel jedes einzelnen, der sein Leben entsprechend der sozialistischen Ideale zu gestalten habe. Die Arbeiterjugendlichen müssten durch die sozialistische Bildungsarbeit allmählich zu vernunftmäßigem Denken und Urteilen erzogen werden – so Hahnewald und so auch das Credo des SAJ-Zentrums in den folgenden Jahren der Republik. Alles andere, Proteste und Demonstrationen, die zu frühe Beschäftigung mit politischen Tagesfragen, führten nur zu Schwätzertum, zu Wortsozialisten und Bierbankpolitikern. Die Linksopposition in der SAJ hingegen sah das gänzlich anders. Einige ihrer Vertreter hielten es für unmöglich, durch Erziehungsarbeit politisches Verständnis zu wecken – dazu seien allein die politische Betätigung und der klassenkämpferische Einsatz in der Lage. Der sozialistische Mensch könne sowieso erst jenseits der kapitalistischen Gesellschaftsordnung entstehen. Eine bemerkenswerte Mittelstellung zwischen diesen beiden Extremen einer reinen Bildungsarbeit auf der einen und der politischen Kampfoption auf der anderen Seite nahm der frühere Spitzenfunktionär der SPJ, Martin Bräuer, ein. In einer Entschließung definierte er die SAJ als eine Erziehungs- und Kampfgemeinschaft, als eine Organisation, deren Ziel es sein müsse, „neben Anstrebung des sozialistischen inneren Menschen die Vorbereitung zum und unter bestimmten Verhältnissen auch die Teilnahme am wirtschaftlichen und politischen Kampf“ zu fördern.2 Dieses ideologische Postulat entsprach im Grunde genommen den realen Praxisformen auch der Mehrheit in der SAJ, aber das Zentrum um Westphal und Ollenhauer schreckte oftmals – wie auch in diesem Falle – vor einer grundsätzlichen Aufwertung der Kampfbeteiligung zurück, da man dort stets und keineswegs zu Unrecht die Konversion der Jugendlichen in einen Gefühlsradikalismus, in eine Kampfromantik und Bildungsverachtung befürchtete. Aber gewiss setzten die Verantwortlichen der SAJ-Reichszentrale auch die Prioritäten anders: In der demokratischen Republik stand für sie die Arbeiterbewegung nicht einfach mehr nur in einer Kampfstellung, sondern zudem in einer zähen und sukzessiven

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Aufbau- und Mitwirkungsarbeit am neuen sozialen Rechtsstaat – und auch dafür mussten, schon und gerade in der Arbeiterjugendbewegung, tüchtige und kompetente Funktionäre erzogen werden. Vielen Linkssozialisten in der SAJ galt hingegen diese Republik nur als Klassenstaat der Bourgeoisie, den man nicht für verteidigenswert hielt, den man vielmehr zu zertrümmern wünschte, um dann mit dem sozialistischen Aufbauwerk zu beginnen. Gestritten wurde in den Jahren 1923/24 noch über ein weiteres Problem: über die Stellung zur Nation. Das plötzliche Auftreten der nationalen Leidenschaften in der sozialistischen Jugend, verursacht in erster Linie durch den Ruhreinmarsch der Franzosen am 11. Januar 1923, trieb in der SAJ allerdings nie solche bizarren Blüten wie zur gleichen Zeit in der jungsozialistischen Bewegung. Die Funktionsträger im Hauptvorstand der SAJ waren im Prinzip zu kühl und zu rational, um ungebremsten Emotionen, gleich welcher Observanz, zu verfallen. Sie protestierten mit Emphase gegen die militärische Besetzung durch die Franzosen, unterstützten den passiven Widerstand der Ruhrgebietsbevölkerung, stellten nun den Zusammenhang von Arbeiterschaft und Nation heraus, bekannten sich auch zur deutschen Kultur und zum deutschem Brauchtum, aber setzten all dies doch zumeist in den Kontext sozialdemokratischer Republikverteidigung und internationaler Völkerverständigung. Vielen SAJ-Linken passte auch das nicht. Sie warnten vor jeder Koketterie mit der nationalen Idee, die ihnen zu leicht ins Nationalistische umschlagen konnte, und sie kritisierten besonders die Verbandsmitglieder aus den besetzten Gebieten an Rhein und Ruhr, welche bei ihren wütenden Attacken gegen die Franzosen den historischen Schuldanteil der kapitalistischen Machtgruppen in Deutschland außer Acht ließen. Dass die Einwände der SAJ-Linken nicht ganz zu Unrecht erfolgten, dass auch der demokratische Patriotismus des SAJ-Zentrums in Bewegungen nationalistischen Zuschnitts aufgehen konnte, zeigte sich im November 1923, als Max Westphal für die SAJ einen Aufruf des „Ausschusses der deutschen Jugendverbände“ unterschrieb. Dieser Appell – u.a. auch von der Bismarckjugend und dem deutsch-nationalen Jugendbund unterzeichnet – vermied zwar sorgsam jeden positiven Bezug auf die bestehende Republik, dankte stattdessen aber den deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs ausdrücklich dafür, dass sie in den vier Jahren des Krieges als „Schutzwall an Deutschlands Grenzen ihr Leben opferten“. Eine solche Opferbereitschaft forderten die aufrufenden Organisationen nun auch von der deutschen Jugend des Jahres 1923 zur Verteidigung der gefährdeten Einheit des Deutschen Reiches. Die Linksopposition in der SAJ lief gegen diese jugendliche Volksgemeinschaftsvertretung Sturm, und sie hatte mit ihren Protesten – zum ersten und zum letzten Male in der Geschichte des sozialdemokratischen Jugendverbandes – Erfolg. Die Reichskonferenz der SAJ am 17./18. Mai 1924 in Weimar verurteilte die Unterzeichnung des Aufrufs und forderte den Hauptvorstand auf, die

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Organisation vor weiteren schweren inneren Belastungen zu bewahren und solche Unterschriften künftig zu unterlassen.3 Die Verschiebung der gesellschaftlichen Machtanteile zugunsten des Besitzbürgertums während und als Resultat der Hyperinflation sowie die Gefährdung des sozialen Fundaments der Republik lenkten die Aufmerksamkeit der SAJ zur Mitte der zwanziger Jahre auf den sozialen und wirtschaftlichen Jugendschutz. Gemeinsam mit der Gewerkschaftsjugend verlangte die SAJ 1925 die Festsetzung der Wochenarbeitszeit auf höchstens 48 Stunden, den Beginn der sonntäglichen Arbeitsruhe am Sonnabendnachmittag, ein Verbot der Nachtarbeit, die gesetzliche Sicherstellung eines bezahlten Urlaubs von bis zu drei Wochen und eine Reform der Berufsausbildung.4 Die Rolle, die sich die SAJ bei der Vertretung dieser Jugendschutzforderungen beimaß, nahm sich indessen recht bescheiden aus. Sie beschränkte sich auf Aufklärungs- und Propagandaarbeiten und überwies die Kampfaufgaben an die Gewerkschaften, da diese, so die Mehrheitsauffassung in der SAJ, die eigentlichen Kampforganisationen für die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der arbeitenden Jugend seien.

G ENERATIONSWECHSEL

UND AUTORITÄRER

H ABITUS

Ab 1926/27 beherrschte eine neue Generation das Gruppenleben auch in der SAJ: Jugendliche, die mit der Lebensreformära und dem Habitus und Stil der Weimar-Generation nichts mehr anfangen konnten, die nach veränderten Ausdrucksformen für anders geartete Erfahrungen strebten, bündnisch uniformiert und diszipliniert zu ihren Versammlungen aufmarschierten und einen neuen Anspruch an die politische Organisation richteten.5 Am stärksten geschah dies zunächst in Hamburg, wo eine Gruppe von SAJlern den allgemeinen Trend zu einem System „Roter Pioniere“ organisatorisch und ideologisch ausbaute und als Modell dem Reichsverband insgesamt andiente. Die Hamburger wollten mit ihrem „Pionier“-Modell dem neuen Verlangen der Jugendlichen nach Disziplin, Arbeitseifer, Pflichterfüllung, Leistung und Gehorsam Rechnung tragen und eine streng hierarchisch aufgebaute Aktivistengruppe schaffen, an deren Spitze ein auserlesener Führerrat mit besonderen Auszeichnungen und exklusiven Entscheidungsrechten, die ihn unabhängig von, wie es hieß, „fragwürdigen Mehrheitsbeschlüssen“ machten, stehen sollte.6 Das SAJ-Zentrum in der Verbandsspitze reagierte darauf wie stets in solchen Fällen: Wo immer es zu starke Pendelausschläge nach links oder rechts befürchtete, wann immer Gruppierungen die Basis des rationalistischen Bildungsprinzips und des demokratisch-repräsentativen Organisationsaufbaus verließen, versuchte es gegenzusteuern.

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Dafür stand Erich Ollenhauer. Ollenhauer war 1901 als Sohn eines Maurers in Magdeburg zur Welt gekommen.7 Die Familie war sozialdemokratisch, die Stadt war es ebenfalls. Der junge Ollenhauer war begabt und erhielt im Schulunterricht überdurchschnittlich gute Noten, weshalb er sich den Beruf des Lehrers erträumte. Aber der Weg vom Arbeitersohn zum Lehrerstudium war damals noch zu weit; und so nahm Ollenhauer mit 14 Jahren lediglich die allererste Stufe des proletarischen Aufstiegs: Er absolvierte eine kaufmännische Lehre. Doch in einem privatgewerblichen Beruf arbeitete der Angestellte Ollenhauer hernach nie. Er wurde sogleich Funktionär, erst als Volontär des sozialdemokratischen Heimatblattes, dann als Sekretär und Redakteur beim Hauptvorstand der Sozialistischen Arbeiterjugend in Berlin. Vom Sekretärsposten ging es 1928 eine weitere Sprosse höher, hinauf zur Funktion des Reichsvorsitzenden im sozialdemokratischen Jugendverband. Im April 1933 wählten ihn die Delegierten der SPDReichskonferenz in den zentralen Parteivorstand. Die SAJ-Führung um Ollenhauer verstand sich als Garant der demokratischsozialistischen Erziehungs- und Bildungsidee, sei es gegen linkssozialistische Revolutionsmythologien, sei es gegen neuautoritäre Ordens- und Landsknechtsmentalitäten sowohl außerhalb als auch innerhalb der eigenen Reihen. Der Hauptvorstand verurteilte den undemokratischen Charakter der „Roten Pioniere“, kritisierte die autoritative Stellung des „Führerrats“, die ihr zugrunde liegende Ausleseideologie und stellte dem das eherne Prinzip der Integration möglichst vieler Mitglieder zur verantwortlichen Mitarbeit im Funktionärskörper der SAJ entgegen. Aber die Neigung zur Uniformierung, der Hang zur Bindung und Einfügung entsprachen den Bedürfnissen der „neuen Jugend“ schlechthin. Auch damit versuchte die SAJ-Führung nach einem immer wiederkehrenden Muster umzugehen:8 Sie akzeptierte, zögernd, die neuen Formen, gliederte sie in die Erziehungsarbeit ein und hoffte, sie dann mit der unverändert gebliebenen Weltanschauung, dem konstanten gefassten Inhalt des demokratischen Sozialismus, zu füllen. Eine gewiss nicht unproblematische Leitlinie, wenn man bedenkt, dass ein autoritärer Habitus und eine Gruppenkultur uniformierter Disziplinierung sich schlecht mit den primär propagierten freiheitlichen Umgangsformen und demokratischen Handlungsprinzipien vertragen. „Die militarisierten Formen hingegen“, so das pointierte Urteil des Historikers der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung Cornelius Schley, „waren sowohl von der Intention ihrer ursprünglichen Träger im bürgerlichen Lager als auch in ihren konkreten Formen eindeutig antidemokratisch, antiindividualistisch und antipazifistisch. Deshalb muss für die zweite Phase der Verbandsentwicklung festgestellt werden, dass die Funktion der SAJ als Vermittlungsinstrument der besonderen sozialdemokratischen Kulturvorstellungen stark in Frage gestellt war.“9 Indes: Wollte die SAJ nicht zur Sekte schrumpfen, so musste sie dem jugendlichen Zeitgeist wohl Tri-

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but zollen. Zur Strategie, dem Trend neoautoritärer Ausdrucksformen durch Beimischung demokratisch-sozialistischer Bildungsinhalte die Schärfe und gefährliche Überspitzung zu nehmen, gab es zeitgenössisch nicht sehr viele Alternativen. Selbst die Leitung des Kommunistischen Jugendverbandes wusste sich in jenen Jahren nicht anders zu helfen. Auch dort hatte es zunächst Widerstand gegen die zunehmende Uniformierungsbegeisterung der Jugendlichen gegeben. Aber damit riskierte sie Mitgliederschwund, da der neuen Jugend die konventionelle Organisationspraxis nicht reichte, als zu behäbig, zu wenig aktionistisch erschien, während die uniformierten Verbände Mut und Taten prämierten.10 Die Historikerin des Kommunistischen Jugendverbandes, Barbara Köster, hat überzeugend dargelegt, wie sehr dieser Trend die Vermännlichung der Jugendorganisationen forcierte: „Die Erfolge der paramilitärischen Organisationen der Weimarer Republik sind auch darauf zurückzuführen, dass sie an das proletarische Männerbild anknüpften und dazu beitrugen, die im Krieg brüchig gewordene Männerrolle wieder aufzuwerten. […] Die ‚radikale Jugend‘ war männlich. Saalschutz und Straßenkampf eröffneten den männlichen Jugendlichen die Möglichkeit, zum ‚Mann zu werden‘ oder sich als solcher zu beweisen. Unter dem weittestgehenden [sic!] Ausschluss ihrer Genossinnen konnten die männlichen Jugendlichen ihre Körperkraft und ihren Mut demonstrieren.“11

Über politische Bildungs- und Erziehungsarbeit kam es in den späten zwanziger Jahren erneut zu einem innerverbandlichen Disput – heftiger gar denn je, denn nun drängten zahlreiche SAJ-Funktionäre, inzwischen keineswegs mehr nur die der traditionell links stehenden mitteldeutschen Bezirke, nach einer stärkeren Beschäftigung auch mit Problemen der Tagespolitik. Sie pochten auf ihr Recht, hierzu eigenständig Stellung zu beziehen. Sie forderten, ihre Position als Jugendverband auch zu innerparteilich kontrovers geführten Taktik- und Strategiefragen einbringen zu können. Zwei Gründe gab es für diese Politisierung. Zum einen hatte die 1926 beschlossene Heraufsetzung der Altersgrenze von 18 auf 20 Jahre zu einer besonderen – quantitativ allerdings eher kleinen – Älterengruppe geführt, die sich im Unterschied zu den Jüngeren stark an Streitfragen der Politik und der sozialistischen Theorie interessiert zeigte.12 Zum anderen hatte das Panzerkreuzerdebakel im August 1928 die Gemüter der sozialdemokratischen Jugendlichen erhitzt und wütende Kommentare provoziert. Als in der Sozialdemokratie daraufhin eine allgemeine Diskussion über ein künftiges Wehrprogramm begann, mochten zahlreiche SAJ-Mitglieder nicht abseits stehen und sich mit der Rolle teilnahmsloser Beobachtung abfinden, sondern wollten als organisierte sozialdemokratische Jugend mit eindeutigen Positionen in den Entscheidungsprozess eingreifen. Der Hauptvor-

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stand und der Reichsausschuss der SAJ versuchten, solche Bestrebungen abzublocken. Auf einer gemeinsamen Sitzung beider Gremien Anfang März 1929 verwiesen sie lapidar auf die einschlägigen Stellen in der Satzung der SAJ und im Programm der Sozialistischen Jugendinternationale zu Krieg und Militarismus und bekräftigten in diesem Sinne die Absicht, „unermüdlich für den Völkerfrieden zu kämpfen“.13 Die Entscheidung über die politischen Maßnahmen im Einzelnen aber übereigneten sie exklusiv der Parteiorganisation. Davon allerdings wollte die SAJLinke nichts wissen; jedenfalls reichte ihr die Wiederholung allgemeiner Grundsätze und Antikriegsparolen nicht aus.14 Die Verbandsspitze sah sich nun in den Zeitschriften und auf Bezirkskonferenzen zu einer Erläuterung ihrer Auffassung über Substanz und Grenzen politischer Erziehung in der sozialdemokratischen Jugendorganisation gezwungen. Die Aufgabe der SAJ sei es, so der Verbandschef Erich Ollenhauer, ihre Mitglieder zu schulen, sie auf kommende Tätigkeiten, Funktionen und Erfordernisse innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung vorzubereiten. Die Arbeiterbewegung könne es sich in ihrem schwierigen Kampf um Macht und Einfluss in Staat und Gesellschaft nicht gestatten, mahnte der SAJ-Reichsvorsitzende an, den besten Teil ihres Nachwuchses ohne gründliche Schulung zu früh in den Tageskampf zu schicken. Die Teilnahme an und die Entscheidung über politische Aktionen hätten am Ende, nicht am Ausgangsort der Bildungs- und Erziehungsarbeit der SAJ zu stehen. Eine derartige Selbstbeschränkung enge auch nicht den verständlichen und legitimen Drang der älteren SAJ-Mitglieder nach Einflussnahme auf die Politik der SAJ ein, da ihnen schließlich die aktive Teilnahme am Parteileben der Sozialdemokratie offen stehe. Verwehrt sei ihnen nur, im Namen der SAJ allgemeinpolitische Entschließungen und Kundgebungen zu organisieren.15 Zu einem guten Teil konnte sich der Hauptvorstand der SAJ mit seiner Ansicht auf Darlegungen der angesehenen linkssozialdemokratischen Pädagogin Anna Siemsen berufen, was die Verbandsleitung in ihrer Auseinandersetzung mit der an Zahl wachsenden Linksopposition in der Organisation weidlich nutzte. In zwei für das Verbandsorgan Arbeiter-Jugend (AJ) geschriebenen Aufsätzen über „Methoden und Grenzen der Jugendarbeit“ hatte Anna Siemsen die Rolle der Politik für die Gruppenarbeit der SAJ auf die Funktion des Bildungsstoffs und der Erziehungsmittel begrenzt. Die politische Bildung, betonte Siemsen, ziele nicht auf politisches Eingreifen; die Gruppenarbeit der SAJ dürfe nicht zum Ort politischer Entscheidungen werden. Die Pädogogin begründete ihre Haltung mit dem Hinweis auf die Praxis in den kommunistischen und nationalsozialistischen Organisationen, bei denen die Jugendlichen früh im politischen Kampf eingesetzt würden, dabei aber nur als missbrauchte Objekte und unwissende Werkzeuge ihrer Hintermänner fungierten.

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Auf der anderen Seite wandte sich die thüringische Reichstagsabgeordnete aber auch gegen ein restriktives Verständnis der Themenauswahl in der politischen Bildungsarbeit. Der Hauptvorstand nämlich hätte am liebsten die von vielen Älteren in der SAJ geschätzten Diskussionen über den innersozialdemokratischen Richtungsstreit von den Programmen der SAJ-Bildungsabenden gestrichen. Siemsen hingegen hielt dies sowohl für praktisch unmöglich als auch für pädagogisch verfehlt. Wenn die Bestimmung der SAJ darin bestehe, argumentierte sie, die Pioniere von morgen heranzubilden, dann könnten diese gar nicht früh genug damit beginnen, kontroverse Ansichten miteinander zu vergleichen und verschiedene Vorschläge taktischen Vorgehens gegeneinander abzuwägen.16 Letztlich kam der Hauptvorstand der SAJ nicht daran vorbei, das Verlangen besonders der älteren SAJ-Mitglieder nach einer stärkeren Teilhabe an der Klärung politischer Grundsatzfragen zu berücksichtigen und diese Stimmung konzeptionell zu integrieren. Auf der Reichskonferenz in Lüneburg 1930, der letzten in der Weimarer Republik überhaupt, kam so seine folgende Entschließung zur Annahme: „Die Verschärfung des Kampfes um die Jugend auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens und die Erhöhung der Altersgrenze für die Mitgliedschaft in unserem Verband von 18 auf 20 Jahre, also bis an die Grenze des wahlfähigen Alters, erfordern einen planmäßigen Ausbau unserer politischen Erziehungsarbeit. Die Grundlage unserer politischen Erziehungsarbeit bilden die Beschlüsse unserer Reichskonferenz, der SozialistischenJugend-Internationale und das Programm der Sozialdemokratischen Partei. Die Aufgaben der politischen Erziehungsarbeit sind: Weckung des politischen Interesses, Vermittlung einschlägigen Wissens und Schulung des politischen Denkens. Ein wesentliches Mittel der politischen Erziehung ist die Teilnahme der Jugend an politischen Aktionen und Kundgebungen der Arbeiterschaft (z.B. Wahlkämpfe, Maifeiern, Antikriegskundgebungen, Revolutionsfeiern). Sie stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl mit der erwachsenen Arbeiterschaft und fördert die Einsicht in die Zusammenhänge unseres gegenwärtigen politischen Lebens und in die Zukunftsaufgaben des Sozialismus. In allen jugendpolitischen Fragen, wie z.B. im Jugendschutz und Jugendrecht, hat die Sozialistische Arbeiterjugend die Aufgabe, durch eigene Kundgebungen und Entschließungen den Willen der Arbeiterjugend festzustellen und so Partei und Gewerkschaft in ihrem Kampf um die Rechte der Arbeiterjugend zu unterstützen. Die Führung des politischen Kampfes und die Fällung politischer Entscheidungen ist die Aufgabe der Partei.“17

Selbst einer der Hauptsprecher der SAJ-Linken, Werner Zorn aus Leipzig, lobte diese von der Verbandsführung eingebrachte Entschließung im Organ der Parteilinken, dem Klassenkampf, als „angenehmste Überraschung, gewissermaßen das der Opposition gewidmete Osterei“, kurz: als einen „guten Fortschritt“.18 Zu

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einer Unterstützung der Resolution konnte sich die SAJ-Linke gleichwohl nicht durchringen. Der Hauptvorstand hatte sich geweigert, die von der Opposition beantragte Ergänzung „Schulung des politischen Denkens auf marxistischer Grundlage“ zu übernehmen und in den Resolutionstext einzubauen. So kam der Antrag der Verbandsführung nur mit einer Mehrheit von 92 gegen 40 Stimmen zur Annahme19 – die Opposition war erstmals über die Bezirke Thüringen und Sachsen gewachsen und hatte nun im Ruhrgebiet, am Niederrhein, HamburgNordwest, Franken und besonders Berlin gewichtige Stützpunkte.

K ONTROVERSEN

UM DIE

B EDEUTUNG

DER

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In der gesamten Debatte um die Erziehungsarbeit ging es aber um mehr als das „Ob“ und „Wieweit“ der politischen Bildung. Es ging insbesondere um den Charakter der zu vermittelnden Inhalte. Über den Inhalt des Denkens und Strebens großer Teile der SAJ-Mitglieder machten sich die leitenden Instanzen des Verbandes seit den späten 1920er Jahren die größten Sorgen. Solche Identitäten der politischen Haltung verbargen sich dabei nicht hinter anspruchsvollen theoretischen Formeln, sie drückten sich kurz und ohne Umschweife in den agitatorischen Losungen der Demonstrationstransparente aus. „Republik, das ist nicht viel, Sozialismus, heißt das Ziel“ oder „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten, aber eine Welt zu gewinnen“ – so lauteten jetzt die beliebtesten Parolen auf Kundgebungen der sozialdemokratischen Jugend. Das rügten die verantwortlichen Funktionäre des SAJ-Zentrums ebenso sehr, wie sie die zunehmende Weigerung zahlreicher SAJ-Mitglieder, neben den roten Fahnen des Sozialismus auch die schwarz-rot-goldenen Farben der Republik mit sich zu tragen, kritisierten. Diese republikdistanzierte Stimmung reichte über die Oppositionsbezirke hinaus. Aber Teile der in sich durchaus heterogenen SAJ-Linken bemühten sich darum, das verbreitete Unbehagen an der Republik zu einer radikalen Staatskritik zuzuspitzen und in ein Konzept des revolutionären Umsturzes zu übertragen. Als Wortführer dieser radikalen Richtung innerhalb der mitteldeutschen Opposition schwang sich 1929/30 der Chemnitzer SAJ-Funktionär Walter Pape auf. Die Weimarer Demokratie und ihre Verfassung lehnte er rundherum ab. Von der Staatsform und ihrer, wie er höhnte, sogenannten freiheitlichen Verfassung werde kein Proletarier satt; die Republik ändere nichts an der Lohnsklaverei und Ausbeutung, kurzum: Sie sei nichts anderes als die spezifische Staatsform des modernen Kapitalismus. Von einer Mitwirkung an diesem Staatswesen hielt Pape verständlicherweise wenig. Solange man nicht über die ganze Macht verfüge, habe man sich einzig auf Agitation, Opposition und Werbearbeit zu beschränken, um sich im geeigneten Augenblick auf „ungesetzli-

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chem Weg“ mittels der sozialen Revolution des Staats- und Machtapparats zu bemächtigen und die revolutionär-proletarische Diktatur zu erreichen.20 Dies war nicht die Maxime des SAJ-Zentrums. Vehement und beschwörend geradezu appellierten ihre Verantwortung tragenden Funktionäre an die Mitgliedschaft, die Bedeutung der Demokratie für den sozialistischen Kampf nicht gering zu schätzen. Die republikanische Erziehung sollte im Mittelpunkt aller Bildungsarbeit stehen. Zwei Gesichtspunkte spielten dabei eine herausragende Rolle. Den einen mag man als gesellschaftlichen Reformismus bezeichnen: Statt der traditionell linkssozialistischen Zukunftserwartung auf die eine alles entscheidende politische Aktion zur Zertrümmerung der bourgeoisen Machtapparate und zur Eröffnung des sozialistischen Finales, setzten die SAJ-Zentristen einen bereits begonnenen, noch langwierigen und vielgestaltigen Entwicklungsprozess zur Umformung der kapitalistischen Wirtschaft voraus. Sie bezeichneten dies als „sozialistisches Aufbauwerk“, zielten somit strategisch ganz im Sinne der Mehrheitsrichtung in der SPD auf eine soziale Ausgestaltung der Republik und richteten sich in ihrem Selbstverständnis – und im Unterschied zum NurAgitations- und Oppositionskurs der Verbandslinken – auf die künftige Mitwirkung an der Kleinarbeit in der staatlichen Verwaltung, in den Parlamenten und den öffentlichen Ausschüssen ein.21 Nur auf der Grundlage der politischen Demokratie könne dieser erwünschte Entwicklungsgang einer friedfertigen Durchdringung des gesellschaftlichen Zusammenhangs gedeihen und gelingen; deshalb trat man für die Demokratie ein und lehnte die Gewalt und die revolutionäre Aktion ab. Denn „Gewalt“, so veranschaulichte Erich Ollenhauer diese Grundüberzeugung des SAJ-Zentrums, „setzt keine Maschinen in Gang, bringt keinen Schornstein zum Rauchen, bewegt keinen Pflug und fördert keine Tonne Kohle“.22 Gewalt war legitim nur als Ultima Ratio, als letztes Abwehrmittel gegen einen konterrevolutionären Anschlag auf die Demokratie und auf die politischen und sozialen Grundrechte der Arbeiterklasse seitens des Bürgertums.23 Das SAJ-Zentrum trat, zum zweiten, nicht nur aus gleichsam instrumentellen Gründen für die Republik ein; die Demokratie bedeutete ihm mehr als nur einen „günstigen Kampfboden“, sie umfasste Weg und Ziel zugleich, verkörperte einen konstitutiven Bestandteil des Sozialismus selbst. Ganz explizit zog das SAJ-Zentrum mit diesem Standpunkt einen scharfen Trennstrich zu den Vorstellungen der Kommunisten. Methoden und Zweckbestimmung hatten eine Einheit zu bilden, mussten in Wechselbeziehung zueinander stehen: Die Humanität des sozialistischen Ziels sollte auch die Formen des sozialistischen Kampfes prägen – sollte Gewalt und Terror ausschließen. Die Idee des Sozialismus stand nach Auffassung der SAJ-Leitung zudem nicht allein für das Streben nach einer organisierten planvollen Wirtschaft, sondern symbolisierte insbesondere auch die Hoffnung auf eine Gesellschaft „höchster Menschlichkeit und Freiheit“.24

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Ihrer Devise blieb das SAJ-Zentrum noch im Herbst 1930 treu, als nach dem für die Republik und die Sozialdemokratie verheerenden Ausgang der Reichstagswahlen und durch den Anstieg jugendlicher Radikalität auf der Straße auch in der sozialdemokratischen Jugend das Verlangen nach militanten Aktionsformen um sich griff. Besonders, aber keineswegs nur in den Bezirken der SAJ-Linken wuchs die Skepsis darüber, ob man der nationalsozialistischen Gefahr allein mit den Mitteln des Geistes und der Moral erfolgreich würde begegnen können. Da die SAJOppositionellen ein Engagement in den Formationen des Reichsbanners wegen dessen überparteilich-republikanischer Haltung ablehnten, schlugen sie die Aufstellung von schlagkräftigen Jungordnertruppen als ideale Organisationsformen und wirksame Propagandainstrumente für die älteren Mitglieder des Verbandes vor. Dennoch gab es Differenzen im Lager der jugendlichen Linkssozialisten: Während die Dresdener SAJ den Organisationstypus der proletarischen Wehrhaftigkeit als die neue Methode sozialistischer Jugendarbeit schlechthin einführen wollte, knüpften die Leipziger SAJler die Zulassung zum Eintritt in eine Jungordnerabteilung an die Bedingungen einer vorangegangenen einjährigen Mitgliedschaft in der SAJ, um so ein Minimum an sozialistischer Erziehung und Bildung auch bei den militanten Aktivisten voraussetzen zu können.25 Allerdings stießen beide Varianten der proletarischen Jungordnerdienste gleichermaßen auf die Ablehnung der großen Majorität in den repräsentativen Reichsgremien der SAJ, dem Hauptvorstand und dem Reichsausschuss, die darüber auf einer gemeinsamen Sitzung zu beraten hatten.26 Die Mehrheit befürchtete den Verfall in eine Bürgerkriegsromantik und die Verflachung der politischen Substanz in der SAJ. Schon vorher hatte Erich Ollenhauer in Kenntnis der durchaus verbreiteten Stimmung in der Mitgliedschaft der SAJ davor gewarnt, auf die nationalsozialistischen Kampfabteilungen mit der Gegengründung irgendwelcher roter „Sturmscharen“ zu antworten.27 Das SAJ-Zentrum änderte seine politisch-pädagogische Strategie auch nicht nach den erheblichen Stimmerfolgen der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen, sondern appellierte nur noch dringlicher und beschwörender an die Vernunft und das Gebot sachlicher Vermittlung politischer Einsichten. Die SAJ-Führung setzte trotz und gerade wegen des Überhangs an Emotionen, an Verzweiflung und Demagogie auf die Kraft des rationalen Arguments. Sie verharrte auf dem Terrain der geistigen Auseinandersetzung in der Hoffnung, dass der Gegner nichts mehr als eben dies – die „Macht der Idee“ – zu fürchten habe. „Geist ist stärker als Gewalt“,28 verkündete Ollenhauer, und als Richtschnur künftigen Handelns zur Überzeugung der radikalisierten, „verhetzten“ Jugend gaben der Hauptvorstand, der Reichsausschuss und die Bezirksleiter der SAJ die Losung aus: „Politische Einsichten in weiteste Jugendkreise zu tragen, ist eine der notwendigsten Gegenwartsaufgaben aller Arbeiterorganisationen.“

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Die SAJ-Zentristen hielten an diesem Motto bis zum Ende der Republik fest, wenngleich dies immer schwerer fiel. Denn dagegen stand der Drang der linkssozialistischen SAJler nach Taten, der Wunsch nach aktiver Gegenwehr – Differenzen, die schließlich zur Abspaltung des linken Flügels bzw. zur inneren Sektenbildung führten. Dagegen stand auch der Dauereinsatz bei den sich nun häufenden, immer brutaler geführten Wahlkämpfen – die SAJ hatte 1931/32 nur wenig Muße für abendliche Bildungskurse. Sie geriet in die Rolle einer Agitations- und Werbetruppe für die SPD in Permanenz; die Erziehungsarbeit trat demgegenüber hoffnungslos zurück. Und gegen eine Fortsetzung des alten Kurses eines republikanisch-moderaten Reformismus stand seit dem Sommer 1932, nach dem Sturz Brünings und dem „Preußenschlag“, schließlich die völlige Ausschaltung der SPD aus den politischen Entscheidungszentren des Weimarer Staates. Außerhalb des engeren SAJ-Zentrums um Ollenhauer und gänzlich unabhängig von früheren Richtungen mehrten sich, wie in der Sozialdemokratischen Partei, nun auch in der SAJ die Stimmen, die als Folge einer radikalen Selbstkritik stürmisch nach einem neuen Anfang riefen, die eine grundlegende Erneuerung der sozialistischen Bewegung, ihrer Methoden und auch Ziele verlangten. Das Ziel der geforderten sozialistischen Offensive war eine Arbeiterrepublik mit der vollständigen Macht des Proletariats – eine Arbeiterrepublik, in der Rückschläge von der Art, wie sie die sozialistische Bewegung seit 1918 immer wieder hatte hinnehmen müssen, nicht mehr möglich sein sollten; eine Arbeiterrepublik, in der auch das gegnerische Bürgertum mit einer möglichst humanen Behandlung nicht mehr rechnen dürfte.29

V ERBANDSPRAXIS

IM

ALLTAG

In der Praxis der SAJ waren hingegen die Bedeutung ideologischer Streitfragen, überhaupt das Interesse an politischer Bildung, das Bedürfnis nach einer intellektuellen Klärung von Problemen der Tagespolitik keineswegs so groß, wie man nach den Kontroversen darüber hätte meinen sollen. Dies galt für die unmittelbaren Nachkriegsjahre, dies galt aber auch für die Spätphase der Republik, für die Zeit der angeblichen Politisierung der Jugend. Im Bericht über die Arbeit des Jahres 1922 etwa stellte der Hauptvorstand der SAJ lakonisch fest, dass die Geselligkeits- und Unterhaltungsveranstaltungen „hinsichtlich der Gesamtbeteiligung wieder an der Spitze“ gelegen hätten.30 Über ähnliche Erfahrungen berichteten Spitzenfunktionäre der SAJ, beider Flügel im Übrigen, noch knapp eine Dekade später, in den frühen dreißiger Jahren. Gustav Weber, als Nachfolger seines Gesinnungsfreundes Erich Ollenhauer zum Redakteur des Verbandsorgans Arbeiter-Jugend gewählt, klagte nach Besuchen in verschiedenen SAJ-

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Bezirken über ein oftmals „erschütterndes Desinteresse an politisch aktuellen Fragen“31 selbst im Funktionärskörper der Organisation. Im Ton noch deprimierter äußerte sich die linkssozialistische Vorsitzende des SAJ-Bezirks Niederrhein, Grete Baumann, in einem Aufsatz für die Leipziger Sozialistische Jugend. Bei den Bildungsveranstaltungen müsse man, bedauerte sie, die Mitglieder suchen, „an den allwöchentlichen Tanzabenden, den Liederabenden und den lustigen Abenden“, da aber seien „die Massen vertreten“.32 In der Tat, Unterhaltung, Spiel und Körperpflege standen im Mittelpunkt des Gruppenlebens der SAJ, besonders dort, wo die jüngeren Mitglieder dominierten. Dieses Grundbedürfnis blieb konstant, allerdings änderten sich mit den Jahren die Formen der Gestaltung, es wechselten auch die Inhalte des unterhaltenden, geselligen, dabei identitätsstiftenden Stoffs. In den frühen Nachkriegsjahren trafen sich die SAJ-Mitglieder zumeist schon an den Sonnabendnachmittagen, um ausgedehnte Wanderungen zu unternehmen. Nicht selten begleitete sie dabei ein sozialdemokratisch eingestellter Volksschullehrer, der ihnen geschichtliche oder naturkundliche Informationen über die durchwanderten Gebiete gab. Man bezeichnete dies dann als „soziales Wandern“. Seit Mitte der zwanziger Jahre insbesondere beließen es die SAJler dann nicht mehr nur bei den kurzen Wanderausflügen in die unmittelbare Umgebung ihrer Heimatstädte, sondern organisierten großangelegte Ferienfahrten, die etwa sächsische Arbeiterjugendliche an den Rhein oder Hamburger SAJler in die thüringischen Wälder führen konnten. Zur etwa gleichen Zeit drang dann auch die neue Generation in das Organisationsleben der SAJ hinein, mit einem anderen Lebensgefühl und einer veränderten Art der sinnstiftenden Handlungen. Auch diese Generation sang, spielte und musizierte – aber wie sie das tat, das unterschied sich gravierend von den Ausdrucksformen und Manifestationen der Lebensreformer. Dieses Anderssein symbolisierten die nachgewachsenen SAJler schon durch Erscheinung und Auftreten: Eine Uniformität der Kleidung ersetzte die bunten, verschnörkelten Kutten der „Sandalen-Sozialisten“ aus den frühen zwanziger Jahren; alle Mitglieder warfen sich nun in eine einheitliche Tracht, blaues Hemd, Koppel, rotes Halstuch. Man „latschte“ nicht mehr durch die Straßen, sondern „marschierte“; die Musik unterstrich diesen Trotz und Kampfesgeist verheißenden Gestus. Dafür sorgten Trommeln, Pfeifen- und Fanfarenchöre, etwas, was bei den Klampfe spielenden SAJlern früherer Jahre noch streng verpönt gewesen war. „Das zum Teil stark rhythmische und entsprechend mitreißende, zum Teil eher getragene und melancholisch stimmende Liedgut wurde“, so Jürgen Reulecke über den allgemeinen Habituswandel in den Jugendverbänden, „durch weitere Elemente einer ‚suggestiven Emotionalisierung‘ ergänzt; durch nächtelange Feuerrunden oder Treffen bei Kerzen- bzw. Fackelschein, durch Feierstunden mit Flaggenap-

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pellen und Sprechchören, durch Tänze, Kampfspiele u.ä. unter dem Einfluss eines sich erneuernden Pfadfindertums spielten zudem Rangabzeichen und Symbole, Waldläuferkünste und Mutproben eine wachsende Rolle im Leben vieler Gruppen, in denen Mädchen nun keinen Platz mehr hatten“33. Die sozialistischen Jugendlichen traten jetzt wehrhaft gesinnt auf, dabei intonierten sie allerdings – anstelle des nun nicht mehr zu hörenden „Wann wir schreiten“ – mit Vorliebe ein antimilitaristisches Lied: „Nie, nie wollen wir Waffen tragen, nie nie wollen wir wieder Krieg, Lasst die großen Herren sich alleine schlagen, wir machen einfach nicht mehr mit.“

Das sozialdemokratische Arbeiterjugendmilieu orientierte sich an der Erlösung in der Zukunft, versprach sich nicht mehr viel von der republikanischen Gegenwart. Das kulturelle Vehikel für diesen Ausstieg aus der Kälte der Realität waren die vielen Weihe-, Fest- und Feierstunden, die im Jugendbereich während der zweiten Hälfte der Weimarer Gesellschaft mit großer Emphase veranstaltet wurden. Im Mittelpunkt ihrer Festivitäten standen zumeist Sprech- und Bewegungschöre, durch welche proletarisch-sozialistische Gesinnungskunst dargeboten werden sollte. Das verlief stets nach einem sehr ähnlichen Schema: Der kollektive Bühnenheld jungsozialdemokratischer Festtagskultur war stets das industrielle Proletariat; als Kulissenbild nahm man die Fabrik, den düsteren Hinterhof, die Straßen der Industriestädte. Die Szenenfolge dieser sozialistischen Elends- und Revolutionsdramen blieb konstant, die Botschaft ebenfalls. Es wurde gewissermaßen die marxistische Prophetie des Parteiprogramms in die Mystik und alttestamentarische Metaphorik einer sozialistischen Gegenkirche eingetaucht. Der erste Akt sozialdemokratischer Weihestunden sah das Proletariat fortwährend auf dem Leidensweg, in Not und Unterdrückung, auf der Bühne war dann alles „dunkle Nacht – dumpfer Fron – müde Qual“. Doch dann aber folgte das „Golgatha“ der Arbeiterklasse: der Aufschrei, die Sammlung, der Aufmarsch, die Bereitschaft zum Kampf. Schließlich und zu guter Letzt endete das Drama im letzten Akt mit dem regelmäßigen proletarischen Happy End: Sieg, Befreiung und Erlösung in der sozialistischen Zukunftsgesellschaft, eben: der „junge Morgen – ein heller Tag – die neue Zeit“. Ebenfalls zelebrierte man Russland- und Revolutionsfeiern und veranstaltete ganz besonders die höchst umstrittenen L/L-Feiern (übersetzt: Luxemburg/Liebnecht-Feiern). Der frühere Dresdener Jungsozialist Arno Behrisch erinnert sich noch recht gut an die Beweggründe für die festliche Andacht zu Ehren der drei Kommunisten:

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„Grenzenlose Bewunderung für die russische Revolution und auch die deutschen Revolutionäre und bodenlose Verachtung für Ebert-Noske & Co. […] Für uns waren bei den Analysen des Krieges und der Nachkriegszeit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu Säulenheiligen avanciert. Mehr noch als mit dem Verstand hatten wir sie mit dem Herzen umfaßt: sie hatten die Ideale hochgehalten, sie hatten nicht nur geredet, sondern gehandelt, sie ragten aus dem Sumpf des Opportunismus wie Leuchtfeuer hervor, sie hatten das Beispiel gegeben! Und so sangen wir: ,Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen, der Rosa Luxemburg ihr Blut nach Rache schreit!‘“34

Eine durchschnittliche L/L-Feier kann man sich etwa so vorstellen: Den Beginn machte ein kleiner Gesangschor oder die Musik einer Revolutionshymne, auf der Orgel gespielt. Danach rezitierte ein Jungsozialist aus Ernst Tollers Gedicht „Dem Gedächtnis der erschossenen Kameraden“. Hatte man gymnastisch begabte Mitglieder, dann versuchten diese vielleicht, das gleiche Motiv als „Totenklage“ tänzerisch darzustellen. In aller Regel folgte dann der Vortrag eines Referenten über das revolutionäre Leben und den grausamen Tod von Luxemburg und Liebknecht, über das „Versagen“ oder „konterrevolutionäre Treiben“ der mehrheitssozialdemokratischen Parteiführung zu jener Zeit. Nach dem Referat sahen sich die jungsozialistischen Festteilnehmer häufig noch Lichtbilder oder, falls vorhanden, einen Film über die Geschehnisse der Jahre 1918/19 an. Zumeist setzte danach erneut ein Rezitator ein, der zum Schluss sein Gedicht mit dem Gesang der Internationale ausklingen ließ. Die restlichen Teilnehmer stimmten in die Rezitation und den Gesang ein; so sollte die Schranke zwischen Bühne und Zuhörerschaft, zwischen Darstellern und Publikum aufgelöst werden. Auch die unterhaltende Geselligkeit zeigte nun ein neues Gesicht. Die älteren SAJ-Mitglieder, die 18- bis 20-Jährigen, die nach der Erhöhung der Altersgrenze 1926 der Jugendorganisation weiterhin angehören durften, fanden aus ganz anderen Gründen keinen Gefallen mehr am Volkstanz. Sie suchten intimere Beziehungen zum jeweils anderen Geschlecht, und viele wünschten daher auf den geselligen Abenden der SAJ die innige Zweisamkeit beim Walzer und der Polka statt des kollektiven Händehaltens in harmlosen Ringelreihen. Allerdings stieß dieses Verlangen auf die Ablehnung einiger entschieden lebensreformerisch sozialisierter Funktionäre der Bewegung, welche die Einführung des Paartanzes als eine gefährliche Konzession an den bürgerlichen Individualismus brandmarkten und im Übrigen noch weitaus Schlimmeres für die Zukunft der sozialistischen Festgestaltung befürchteten: Die Zulassung des Jazztanzes nämlich, des Foxtrotts oder Charlestons. Über dieses Problem wurde 1930 heftig gestritten; nicht viele Fragen hatten in der Geschichte der SAJ solche leidenschaftliche Diskussionen entfesselt und Emotionen ausgelöst wie bezeichnenderweise eben die über den Tanz.35 Dessen Siegeszug war allerdings nicht mehr aufzuhalten; im-

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mer mehr Gruppen der SAJ gingen seit den späten zwanziger Jahren – unter der Parole „Warum denn nicht“ – dazu über, mit stimmungsvollen Paartänzen dem Mitgliederschwund bei den älteren Jahrgängen in der Organisation zu begegnen und ihn aufzuhalten. Wie sehr man auch die Bedeutung der Unterhaltung und Geselligkeit für die Gruppenabende der SAJ hervorheben muss, so gewiss darf man dabei dennoch den Stellenwert der Bildungsarbeit nicht zu sehr vernachlässigen. In der sozialistischen Jugendbewegung der Weimarer Republik hat es immer eine Anzahl Jugendlicher gegeben, die in erster Linie oder gar ausschließlich wegen eben dieser Bildungsarbeit bei der SAJ bzw. bei den Jungsozialisten mitmachten. Vergnügungen wie Tanz und Spiel ließen sie dagegen gleichgültig. Die Bildungsarbeit der SAJ besaß noch stark kompensatorische Züge; die Defizite an Allgemeinbildung bei den jungen Arbeitern, die überwiegend nur die Volksschule besucht hatten, sollten ausgeglichen werden. Geographische, auch naturwissenschaftliche Themen waren offenkundig bei den jungen Sozialisten sehr beliebt, auch Historisches: Ankündigungen zu Vorträgen über die Geschichte der Arbeiterbewegung, besonders aber über die Geschichte der Revolutionen, der französischen, der russischen, der „48er“ und der von 1918/19 in Deutschland, entdeckt man zu Hauf in Veranstaltungskalendern sozialdemokratischer Tageszeitungen. Einiges davon fand in Kooperation mit den örtlichen Volkshochschulen statt. Zusammengearbeitet wurde auch mit sozialdemokratischen Ärzten, die den sozialistischen Arbeiterjugendlichen Aufklärung über Fragen der Sexualität, der Schwangerschaftsverhütung, der Geschlechtskrankheiten gaben. Max Hodanns Buch „Bub und Mädel“ gehörte vielleicht zu den wichtigsten Büchern in der Erziehungsarbeit der SAJ überhaupt. Schwierigkeiten bei der Durchführung der Bildungsarbeit gab es auf verschiedenen Ebenen der Organisation. Dort, wo die Älteren das Zepter in der Hand hielten und die Gruppenpraxis ganz unter den Primat von Ausspracheabenden über tagespolitische Fragen stellten, blieben die Jüngeren und auch die meisten Mädchen nach kurzer Zeit weg; diese Gruppen verwandelten sich dann schnell in esoterische Debattierzirkel. Solche Fälle kamen allerdings vergleichsweise selten vor. Im Gegenteil: Das Älterenproblem machte der SAJ von der entgegengesetzten Seite her seit 1926 schwer zu schaffen. Durch die Heraufsetzung der Altersgrenze von 18 auf 20 Jahre hatte die SAJ eine neue Älterenschicht bekommen, fand aber in den verbleibenden Jahren der Weimarer Republik niemals ein praktikables Rezept, die 18- bis 20-Jährigen weiterhin sinnvoll in die Organisation zu integrieren und sie im Verband zu halten. Im Prinzip hatte man für sie eigene Älterengruppen vorgesehen, die sich vorwiegend der politischen und weltanschaulichen Bildung widmen sollten – dies nicht zuletzt deshalb, um so ein Gegengewicht zu der linkssozialistischen Theoriearbeit der vom

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SAJ-Zentrum wenig geschätzten Jungsozialisten zu schaffen.36 Merkwürdigerweise kamen solche Älterengruppen trotz aller Bemühungen des Hauptvorstandes kaum zustande.37 Die 14- bis 17-Jährigen bestimmten mit ihrer Art der Bedürfnisbefriedigung ganz und gar die Gruppenarbeit der SAJ. In den lauten, robusten, verspielten Hordengemeinschaften der Jüngeren mit ihrer Neigung zu einer eher anschaulich-direkten, weniger aber theoretischen Bildsamkeit fühlten sich viele der über 18-Jährigen nicht mehr wohl, sie fühlten sich unverstanden, überflüssig, heimatlos und gingen nicht selten der sozialistischen Bewegung ganz verloren.38 Über Probleme anderer Art klagten die ländlichen Gruppen der SAJ. In den kleinen Ortsvereinen der SPD gab es meist keine geeigneten Bildungsfunktionäre oder gar Pädagogen; und Referenten aus den weit entfernten größeren Städten waren häufig nur schwer zu bekommen. Den Arbeiterjugendlichen blieb dann nichts anderes übrig, als mit dem Bildungsstoff aus der Verbandszeitschrift Arbeiter-Jugend Vorlieb zu nehmen und sich daran autodidaktisch schadlos zu halten.39 Generell fiel es schwer, arbeitslose Jugendliche, besonders solche, die über eine längere Zeit hinweg von der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen waren, für eine dauerhafte Bildungsarbeit zu gewinnen. Die Bereitschaft, die Anstrengungen intellektueller Fort- und Weiterbildung auf sich zu nehmen, hing offenkundig eng mit einer Sinn und Perspektive vermittelnden Berufsarbeit zusammen. Wo diese fehlte, hatte die SAJ größte Mühe, mit ihrem Anliegen Fuß zu fassen.40 Eben dieses Problem markierte zugleich die Grenzen der Agitationsarbeit, wie die SAJ besonders in den frühen dreißiger Jahren schmerzhaft erfahren musste, als offensiv zu führende Werbe- und Propagandafeldzüge mehr und mehr an die Stelle introvertierter Heimabende traten. Mit ihrer Werbearbeit unter der Landarbeiterjugend hatte die SAJ nur dort Glück, wo es in der Bevölkerung einen nennenswerten Anteil von Industriearbeitern gab; sonst musste sie den Nationalsozialisten das Feld überlassen. Als eine höchst undankbare Aufgabe erwies sich für die SAJ-Agitatoren auch die Überzeugungsarbeit vor den Stempelstellen und Wohlfahrtsämtern: Dies waren Domänen der Nationalsozialisten und Kommunisten und die SAJ hatte es schwer, gegen die Schlagwortrhetorik der radikalen Jugendorganisationen, die mit klaren Feindbildern und zugkräftigen Erlösungsvisionen operierten, anzukommen.41 Die gesellschaftlichen und politischen Umstände dieser Jahre 1931/32 hatten der SAJ also gleichsam eine Praxis der permanenten Agitation, des ständigen Einsatzes als Stoßtruppe in den Wahlkampagnen der SPD aufgenötigt, die für Geselligkeiten und tiefgründige Bildungsabende keine Zeit mehr ließ. „Im Jahr 1932 wurde die Organisation fast ununterbrochen durch die Mitarbeit in den Wahlkämpfen in Anspruch genommen“, zog Erich Ollenhauer auf einer Bezirksleiteransprache Anfang Dezember des gleichen Jahres Bilanz. „In keinem Fall

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war es möglich, das vorgesehene Arbeitsprogramm unseres Verbandes auf pädagogischem Gebiet im geplanten Umfang und im größeren Zusammenhang eines Arbeitsplanes durchzuführen.“42 Wie sehr die Praxisformen der SAJ in einer abhängigen Beziehung zu den wechselhaften Zeitgeistströmungen standen, zeigte sich wiederum drastisch in den Herbst- und Wintermonaten 1932/33. Die SAJ-Führung blies zum „sozialistischen Wettbewerb“. Die seit Mitte der zwanziger Jahre sprunghaft gestiegene Massenbegeisterung für sportliche Wettkämpfe wie Fußball, Boxen oder Radrennen hatte zu einem ausgeprägten Leistungs- und Rekordstreben innerhalb der deutschen Jugend geführt. Die SAJ-Instanzen waren lange darum bemüht, zu solchen Mentalitäten, die man als bürgerlich empfand, auf Distanz zu gehen und die Gruppenpraxis der Jugendorganisation davon freizuhalten. Das gelang immer weniger, denn die SAJ-Mitglieder waren Teil ihrer Generation und insofern teilten sie mit ihr eben auch das Verlangen nach Leistung, nach Einsätzen, die Gewinner und Verlierer hervorbrachten. Die SAJ-Führung musste, wollte sie den Jugendverband nicht zu einer Sekte prinzipienfester Moralisten und sozialistischer Tugendwächter werden lassen, diesen Trend berücksichtigen und ihn durch eigene Initiativen zu steuern und kontrollieren versuchen. Beim sozialistischen Wettbewerb nun ging es um Punkte und Prämien. In den Großstädten beispielsweise konkurrierten die verschiedenen Stadtteilgruppen gegeneinander darum, wer die größten Erfolge beim Vertrieb der Arbeiter-Jugend, beim Verkauf von Kampffondsmarken oder bei der Werbung neuer Mitglieder vorweisen konnte. Die örtliche Parteizeitung veröffentlichte dann an einem festgelegten Tag der Woche die Zwischenergebnisse; sie lobte dabei die in Führung liegenden Gruppen, spornte die Mittleren zur vermehrten Leistung an und tadelte die Saumseligen und Zurückliegenden wegen ihres mangelnden Eifers. Ziel also war es, wie der Vorwärts schrieb, „immer die Höchstleistung als Maßstab für alle Gruppen zur Nacheiferung herauszustellen“.43 Als grundlegende Alternative verstand man im sozialistischen Kulturmilieu die Jugendweihen, in die auch die Funktionäre der SAJ einbezogen waren und die insbesondere im industriellen Mitteldeutschland Jahr für Jahr stattfanden, um das Ende der Kinderzeit sowie den Beginn des Berufslebens festlich einzuläuten, womit gewissermaßen auch der Übergang von den „Kinderfreunden“ in die SAJ markiert war.44 Doch auch die Jugendweihen konnten den Konnex zum abgelehnten Pendant der Konfirmation nie leugnen. Denn im Pathos, Ablauf und Stil hatten die Weihen viel vom ideologisch denunzierten Vorbild der feierlichen Segenshandlung im Protestantismus abgeschaut. Im Grunde war nur die Heilsbotschaft ausgetauscht worden. Die Weihen lagen in der Regel am selben Sonntag wie die Konfirmation. Die Inhaber der örtlichen Konfektionsgeschäfte wandten sich infolgedessen mit ihren Inseraten für die Festbekleidung gleichermaßen an

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Konfirmanden und Weihlinge. Konservative Christen und sozialistische Freidenker trugen also am Festtag die gleiche Kleidung. Die einen allerdings gingen zur Kirche, die anderen oft in eine Arbeiterkneipe, wo sich der Weihakt vollzog – sehr zum Leidwesen der Kulturfunktionäre übrigens, denen das Gasthaus nicht die rechte erhabene und würdige Atmosphäre bot. Auf die Weihe wurden die Anwärter über Monate durch einen besonderen Unterricht vorbereitet; auch das teilten sie mit den gleichaltrigen Konfirmanden. Sie bekamen ein paar naturwissenschaftliche Regeln mit auf den Weg, etwas Darwin, ein bisschen Kirchenkritik, einige ethische Lebensmaximen, schließlich die Aufforderung, gute Sozialisten zu werden. Diesen „Lebenskundeunterricht“ erteilten fast durchweg diejenigen Lehrer von Volkschulen, die man auch in der Bildungsarbeit der SAJ antraf. Die Lehrer hielten am Festtag die Weiherede, eingerahmt vom Gesang der Arbeiterchöre, Kammermusik, Orgelspiel – ebenfalls: ganz wie in der Kirche. Die Schulentlassenen wurden zum Eintritt in die sozialistischen Organisationen ermahnt. Und oft endete die Veranstaltung mit dem Appell, daran mitzuwirken, das Proletariat aus seinen Fesseln zu befreien: Weihe als Mission und Erlösungsbotschaft. Am Ende erhielten die Weihlinge ihre Gedenkbücher ausgehändigt und wurden so, gleichsam mit dem Tropfen freidenkerisch-sozialistischen Öls gesalbt, in das Leben, in die SAJ entlassen.

K ONFLIKTE

UND

AUSSCHLÜSSE

Nachdem sich bei den Jungsozialisten 1925 der Hannoveranerkreis hatte durchsetzen können, versuchten die beiden Schwelmer Jusos Ernst Rosendahl und Julius Utermann, einen ähnlichen Coup auch in der SAJ zu landen. In der SAJ gab es zu diesem Zeitpunkt besonders in den Bezirken Berlin-Brandenburg und Westsachsen einige Ortsgruppen, die einen zunächst noch politisch unstrukturierten, mehr emotional aufgeladenen Radikalismus vertraten, der sich durch keinerlei Kompromisse verunreinigen wollte.45 Angeführt wurden diese Gruppen von einigen bereits älteren und ziemlich ehrgeizigen Funktionären; in Berlin von dem klugen Studenten Boris Goldenberg, in Leipzig vom ausgesprochen rührigen, aber politisch unstetigen Buchdrucker Walter Otto, der sich zwischen Nelson, Marx, Stalin und später Hitler nicht so recht entscheiden konnte. Die Ursprünge der SAJ-Opposition – „SAJO“, wie sie sich nannte – reichten bis zum Frühjahr 1925 zurück, als sich die SPD entschlossen hatte, den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx als Kandidaten im entscheidenden Wahlgang für die Reichspräsidentenwahl zu unterstützen. Überhaupt erschien den unzufriedenen SAJlern die sozialdemokratische Oppositionspolitik im Reich als zu lasch, zu wenig konfrontativ, kurz: als zu staatspolitisch. Auch mit der offiziellen Linkssozialdemokratie haderte die SAJO, die endlich „re-

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volutionäre Taten“ und nicht nur papierene Protestresolutionen sehen wollte. Ernst Rosendahl versuchte nun, diese SAJO-Gruppen nach bewährter Manier durch Briefe, Zirkulare und Erklärungen organisatorisch zu erfassen und zu vereinheitlichen.46 Zur gleichen Zeit bemühte sich indessen auch noch eine andere Gruppe um die SAJO: der Kommunistische Jugendverband (KJV). Die Kommunisten hatten sich in jenen Jahren gerade auf „Realpolitik und Einheitsfrontpolitik“47 festgelegt. Was in den Bezeichnungen und Darstellungen der historischen Kommunismusforschung einen positiven und wohlwollenden Akzent gewinnt, bedeutete in der Praxis eine handfeste, teilweise skrupellose, politisch und menschlich ruinöse Interventionspolitik.48 Der kommunistische Jugendverband hatte sich sogenannte „Gegner-Ressorts“ zugelegt, die eigens darauf abgestellt waren, eine gezielte Fraktionspolitik in der SAJ zu organisieren und zu finanzieren. Man bildete sogenannte „Kofras“, kommunistische Fraktionen und Zellen in der SAJ, die sich konspirativ in Wohnungen trafen, um Sitzungen und Entschließungen der SAJO, deren überwiegende Zahl der Mitglieder durchaus nichts von den kommunistischen Hintergründen wusste, vorzubereiten. Ziel der Kofras sollte sein, die SAJO personell zu verbreitern, um zu einem geeigneten Zeitpunkt durch die bewusst provozierte Eskalation der Auseinandersetzungen mit dem „SPD-Apparat“ möglichst viele SAJMitglieder zum Übertritt zum KJV zu bewegen. In dem Maße, wie sich die Schwelmer Jungsozialisten durch ihren bedingungslosen Radikalismus mit ihrem – linkssozialdemokratischen – Unterbezirksvorstand in Hagen überwarfen, näherten sie sich der Kommunistischen Jugend (KJ) an und übernahmen sukzessive die ihnen angetragene Kofra-Arbeit.49 Julius Utermann trat bereits im Herbst 1926 heimlich dem KJV bei, blieb offiziell aber Mitglied der SAJ und der Jungsozialisten. Die Kommunistische Jugendzentrale schickte ihn im Oktober nach Leipzig, wo er die SAJO in Westsachsen, einem der größten und wichtigsten Bezirke der SAJ überhaupt, „für den Übertritt reif“50 machen sollte. Die SAJO hatte dort trotz der Warnung des Leipziger SPD-Vorstandes einen fraktionsähnlichen Marxistischen Arbeitskreis (MAK) aufgebaut.51 Schon nach wenigen Wochen galt der rhetorisch begabte und im Hause Rosendahl theoretisch vorzüglich ausgebildete Julius Utermann als „Chefideologe“ des MAK. Auf seine Initiative hin veröffentlichte der MAK ein Flugblatt mit dem Titel „Gegen Terror und Verleumdung“, das heftige Vorwürfe gegen den „Organisationsapparat“ der SPD und den Sekretär der westsächsischen SAJ, den früheren SPJ-Reichsvorsitzenden Otto Schröter, enthielt. Den Druck hatten die westsächsischen Kommunisten übernommen, es dabei aber an der vom MAK erbetenen Diskretion und Achtsamkeit fehlen lassen: Sie hatten das Pamphlet im gleichen Stil wie die Sächsische Arbeiter-Zeitung, die Tageszeitung der KP, gesetzt und hergestellt.52 Da die Sächsische ArbeiterZeitung in den Wintermonaten 1926/27 überdies fast täglich Berichte aus den

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Kreisen der SAJO über Parteiversammlungen der SPD brachte, sah der Leipziger Bezirksvorstand der SPD schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als den Antrag auf Parteiausschluss von Julius Utermann und Walter Otto zu stellen. Am 17. März 1927 gab der zentrale Parteivorstand in Berlin dem Antrag statt.53 Utermann kehrte – nachdem wenig später in der Tat zahlreiche SAJler vor allem aus den kleineren Städten des Leipziger Umlandes die Sozialdemokratie verlassen hatten und dem KJV beigetreten waren – nach Schwelm zurück, wo sich die Jungsozialisten um die Maßnahmen des Parteivorstandes nicht weiter kümmerten und gemeinsam mit ihrem ausgeschlossenen Freund die harte Linie kompromissloser Oppositionspolitik fortsetzten.54 Auf der Reichskonferenz der Jungsozialisten in Dresden am 5. Juni 1927 stellte Ernst Rosendahl zudem einen Antrag auf Wiederaufnahme von Utermann in die Partei. Der Radikalismus von Rosendahl und Utermann und ihr Umgang mit den Kommunisten ging indessen auch den meisten Jungsozialisten zu weit; mit großer Mehrheit lehnten sie den Antrag des Schwelmer Juso-Vorsitzenden ab.55 Prominente Linkssozialisten der Bewegung wie Fritz Lewy und Karl Wiechert distanzierten sich außerdem noch explizit von den „Treibereien“ ihrer Schwelmer Genossen.56 Der Unterbezirksvorstand der SPD-Hagen verlor nun ebenfalls die Geduld und beantragte seinerseits den Ausschluss von Rosendahl, der dem drohenden Hinauswurf allerdings durch seinen Austritt zuvorkommen konnte.57 Mit Rosendahl verließen nun auch die übrigen Jungsozialisten und etliche SAJler aus den Orten Schwelm, Haspe, Milspe und Gevelsberg die Sozialdemokratie, um sich jetzt auch offiziell der kommunistischen Jugend anzuschließen.58 Hier, wie schon in Leipzig und Berlin, war die Linksopposition in der SAJ daraufhin ziemlich dezimiert. In den Krisenjahren 1930/31 formierten sich in großen Städten und Unterbezirken wie Bremen, Hamburg, Berlin, Bochum, Nürnberg etc. neue Mehrheiten in der sozialistischen Arbeiterjugend, als gleichsam stabil geglaubte Festungen des SAJ-Reformismus gestürmt wurden. 1931 reagierte die nervös gewordene Verbandsleitung auf die Kräfteverschiebungen in den Bezirken mit einem Abbau innerverbandlicher Demokratie und mit einer Selbstaufgabe des „Selbstbestimmungsrechts der Jugend“. Da keine Zweifel darüber bestanden, dass die oppositionelle Unruhe in erster Linie von den über 20-jährigen Helfern und Leitern der SAJ ausging, setzte der Hauptvorstand seine Gegenmaßnahmen auf dieser Ebene des Verbandes an und schuf, ohne dafür satzungsgemäß legitimiert gewesen zu sein, ein organisatorisches Novum: Auf seine Initiative hin beschloss der Reichsausschuss am 11. Januar 1931 sogenannte „Ausführungsbestimmungen“ zur Satzung, um vermeintliche Unklarheiten über die Auslegung des Verbandsstatuts zu beseitigen. Was so harmlos klang, bedeutete in Wirklichkeit nicht weniger als eine fundamentale Änderung der Satzung, über die aber allein eine Reichskonferenz mit Zweidrittelmehrheit hätte entscheiden dürfen.

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Der Text der Satzung besagte, dass jeder, der „das Vertrauen der Jugend genießt“, auch nach Überschreitung des zwanzigsten Lebensjahres als Leiter und Helfer in der SAJ mitwirken konnte. Zwar mochte strittig gewesen sein, wie man ein solches Vertrauen der Jugend zu messen hatte. Indes: Die „Ausführungsbestimmungen“ präzisierten nicht die schwammige Formulierung, sondern führten ganz neue Regelungen ein: 1) Jeder über zwanzig Jahre alte Funktionär der SAJ hatte Mitglied der SPD zu sein; auch das war, streng genommen, eine Satzungsänderung, aber in dieser Angelegenheit herrschte Konsens zwischen den Flügeln, daraus erwuchs kein Streit. 2) Ein jeder dieser – in der Regel gewählten – Funktionäre musste vor Ausübung seiner Tätigkeit zunächst die Zustimmung von der für sein Arbeitsgebiet zuständigen Organisationsleitung der SPD (Ortsverein, Unterbezirksvorstand oder Bezirksvorstand) bekommen; erhielt er sie nicht, dann musste er den Jugendverband verlassen; Neuwahlen wurden nötig. Das allerdings war nicht nur neu, sondern ein Rückfall in Bestimmungen der patriarchalischen Jugendpflege, es war gewissermaßen ein Eingeständnis der Hilflosigkeit des Hauptvorstandes, mit den Konflikten in den eigenen Reihen nicht anders fertig zu werden, als sie den Kontrollbefugnissen der Partei zu überantworten. Alle nachgeschobenen Argumente konnten nicht überzeugen. Auch konnten sie die eigentlichen Motive nicht überdecken. Von einer engeren Verbindung zwischen Partei und SAJ war euphemistisch die Rede, auch davon, dass mit den „Ausführungsbestimmungen“ gerade und besonders das Selbstverwaltungsrecht der unter 20-jährigen Mitglieder, gleichsam gegen die Anmaßungen der Älteren, geschützt werden sollte. Das Hauptargument schließlich für die neuen Bestimmungen lautete, man wolle damit die Wühl- und Spaltungsarbeit der Kommunisten vereiteln. Die SAJ-Linke hielt diese Begründung, die angesichts realer konspirativer Interventionsbemühungen des Kommunistischen Jugendverbandes in der Vergangenheit keineswegs völlig abwegig war, aber vom Hauptvorstand überstrapaziert bzw. zu gezielt gegen jedwede oppositionelle Regung im Verband instrumentalisiert wurde, für fadenscheinig. „Bei einem Vergleich der Satzung mit den Ausführungsbestimmungen kommt man zu dem Schluss“, urteilte nüchtern der Redakteur des Leipziger SAJ-Organs Sozialistische Jugend, Heinz Kindt, „dass die letzteren durchaus nicht nur gegen kommunistische Spitzel angewendet werden sollen, sondern dass in empfindlicher Weise die Minderheit im Verband, die wohl kritisch zu der Verbandsführung eingestellt ist […] getroffen werden soll“59. Ebenso zutreffend urteilte der Bezirksvorsitzende der thüringischen SAJ, Eberling, als er die Prognose formulierte, dass mit den Ausführungsbestimmungen die vorhandenen Spannungen nicht etwa gelöst, sondern nur noch vermehrt und verschärft würden.60 Das Misstrauen und die Empörung gegen die Verbandsspitze jedenfalls verstärkten sich in einer Reihe von Bezirken.61 Selbst ein eher hauptvorstandstreuer Bezirk wie Braunschweig nahm eine Protestreso-

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lution gegen die neue Regelung an und drohte mit einer außerordentlichen Reichskonferenz.62 Dazu indes bedurfte es des Antrags von zumindest zehn Bezirksleitungen, eine Zahl, die knapp verfehlt wurde. Es kam, wie es kommen musste. Der eher gefühlsmäßig gestimmte Radikalismus vieler SAJ-Jugendlicher trieb sie zwar tatsächlich mitunter in die Nähe kommunistischer Agitationspolitik, zu kommunistischen Parteigängern aber wurden sie erst durch die ohne Gespür durchgezogenen administrativen Parteiverfahren auf der Basis der „Ausführungsbestimmungen“. Beispielhaft geschah dies im Frühjahr/Sommer 1931 in Wuppertal, dann, durch den Sog des Konflikts sich ausweitend, am ganzen Niederrhein. Der Vorsitzende der SAJ-Gruppe Elberfeld, Kurt Funke, hatte mit einigen seiner Genossen am 4. Februar 1931 eine kommunistische Versammlung besucht. Das war nichts Ungewöhnliches, SAJler gingen auch zu nationalsozialistischen Kundgebungen, nicht selten, um dort zu agitieren. Der kommunistische Versammlungsleiter aber verstand sein Handwerk. Zu Beginn schon erklärte er, man wolle unter den Zuhörern fünfzig bis hundert neue Mitglieder für die Partei gewinnen. Werber gingen von Tisch zu Tisch und alle Viertelstunde gab man unter großem Beifall und Getöse der Versammelten die Zwischenergebnisse bekannt. „Es wurde ein regelrechter Rausch erzeugt“, erinnert sich ein Zeitzeuge, „und in diesem Rausch hat Kurt Funke einen Aufnahmeantrag für die KP unterschrieben“.63 Noch in der gleichen Nacht, nun mit kühlem Kopf, besann sich Funke eines Besseren und zog seine Unterschrift zurück. Zu spät jedoch: Die kommunistische Tageszeitung Freiheit war schon im Druck und erschien am nächsten Tag mit dicken Lettern, die verkündeten, dass der Elberfelder SAJ-Vorsitzende der KPD beigetreten sei. Funke widerrief tags darauf öffentlich in der sozialdemokratischen Freien Presse.64 Die Sache schien damit beigelegt, sechs Wochen später jedoch wuchs sie sich zu einer Affäre aus. Auf der Unterbezirkskonferenz der SAJ-Wuppertal am 15. März 1931 setzte sich der radikal linke Flügel durch und wählte den eher gemäßigt linkssozialdemokratischen Adolf Severing ab. Neuer Unterbezirksvorsitzender wurde Otto Kettig, sein Stellvertreter: Kurt Funke.65 Die Sozialdemokratische Partei machte nun von ihrem neuen Recht Gebrauch und erkannte die Wahl Funkes nicht an. Jemand, der nicht genau wisse, ob er zu den Kommunisten oder Sozialdemokraten gehöre, argumentierten die Parteivertreter, könne unmöglich führender Funktionär der Sozialistischen Arbeiterjugend werden.66 Die Jugendlichen wollten davon nichts wissen, Funke war bei ihnen beliebt. Er galt als exzellenter Organisator von Ferienfahrten, Festen und Feiern, von Sprechchören und Demonstrationen. Deshalb hatten sie ihn gewählt, ideologische Fragen interessierten die meisten nicht, und Funke war darin auch nicht sonderlich beschlagen. Im Übrigen aber vertraten sie die Meinung, dass sich die Partei da auch gar nicht einzumischen habe. Der Unterbezirksvorsitzende Kettig weigerte sich, der Auf-

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forderung der Partei Folge zu leisten und für den inkriminierten Funke einen unbescholtenen SAJ-Kandidaten wählen zu lassen. Die Partei griff nun durch. Sie sperrte den widerspenstigen Jugendlichen das Jugendheim, lehnte es ab, noch Mitteilungen der SAJ-Gruppen im Parteiblatt abzudrucken,67 lockte aber gleichzeitig damit, Informationen solcher Gruppen zu publizieren, die sich öffentlich von der Haltung des Vorstandes der Wuppertaler SAJ distanzieren würden.68 Anfang Mai lud die SPD dann zu einer Veranstaltung mit Erich Ollenhauer als Referenten über das Thema „Partei und Jugend“ ein. Da der Kettig-Vorstand, der in die Planung dieser Veranstaltung nicht einbezogen war, sich weigerte, daran teilzunehmen, ging die Parteizeitung unmittelbar die sozialdemokratische Elternschaft an. „An die SPD-Mitglieder, deren Kinder Mitglieder der SAJ sind“, richtete sie die Aufforderung, „diesen Kindern einzuschärfen, sich durch nichts von dem Besuch der Veranstaltung abhalten zu lassen“69. Großes Gehör fand der beschwörende Appell jedoch nicht, es erschien nur eine kleine Gruppe, die eine Erklärung vortrug und danach den Raum sofort wieder verließ. Für die Partei war nun das Maß voll. Auch Kettig, den man für den Rädelsführer der Emeute hielt, verlor jetzt sein Amt. Funke und Kettig legten daraufhin sowohl beim Bezirksvorstand der SAJ als auch der SPD Beschwerde ein. Während die SPDBezirksleitung in Düsseldorf den Einspruch zurückwies, stellte sich der SAJBezirksvorstand hinter die beiden umstrittenen Wuppertaler Funktionäre und bekräftigte überdies, dass für ihn die „Ausführungsbestimmungen“ keine Gültigkeit hätten. Die niederrheinische SAJ gehörte zu den erst seit kurzer Zeit links gewendeten Bezirken und besaß weiterhin einen „rechts“ stehenden Sekretär: Ernst Gnoß. Der mochte dem SAJ-Bezirksvorstand in seinem Tun nicht mehr folgen und „forderte nunmehr ein Eingreifen des Hauptvorstandes“.70 Der Hauptvorstand ließ sich nicht lange bitten. Nachdem sich der Bezirksvorstand Niederrhein auch weiterhin um die Aufforderung des Hauptvorstandes, die Parteibeschlüsse endlich anzuerkennen, nicht gekümmert hatte, setzte die Verbandsleitung im Juli 1931 den Bezirksvorstand ab und beauftragte den Jugendsekretär Gnoß mit der Führung der Geschäfte.71 Im August verließen große Teile des Funktionärskörpers der niederrheinischen SAJ die Sozialdemokratie, die meisten schlossen sich der KPD an.72 Hätte der Konflikt noch ein, zwei Monate länger geschwelt, dann wären sie wohl, so ist zu vermuten, wie die meisten linksoppositionellen SAJ-Rebellen des Reiches, zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) gegangen. Die Sozialdemokraten beruhigten sich zwar damit, dass der „umstrittene Funktionär unzweifelhaft von der KPD den Auftrag hatte, innerhalb der SAJ Zersetzungsarbeit zu leisten“.73 Kommunisten aber waren die eher antiautoritär handelnden Jugendlichen keineswegs,74 zu den Kommunisten wurden sie erst durch die überzogene, auch kleinkarierte Vorgehensweise der SPD getrie-

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ben. Eine wahrhaft paradoxe Reaktion: Aus Sorge, dass ein zweitrangiger, offenkundig etwas labiler Elberfelder Jugendfunktionär sich nicht allzeit immun gegen kommunistische Rhetorik verhalten könnte, setzte man ein Verfahren in Gang und zog es rigide durch, an dessen Ende nicht nur ein Unterbezirk und Bezirk erschüttert darniederlagen, sondern zudem noch zahlreiche Jugendliche genau dort gelandet waren, wovor man sie eigentlich hatte schützen wollen: bei den Kommunisten. Selbst die geschicktesten kommunistischen Agitatoren hätten kaum die durchschlagende Wirkung erzielen können wie der Vollzug der „Ausführungsbestimmungen“, die doch, glaubt man den Hauptvorstandsleuten, eigens dazu erfunden worden waren, den kommunistischen Spaltern Paroli zu bieten. Der Vorwurf kommunistischer Sympathien war damals wohlfeil in der SAJ. Zuvor schon, Ende 1930, traf er auch den Vorsitzenden des SAJ-Unterbezirks Ruhrgau, Heinz Hoose, der allerdings, ähnlich wie die Wuppertaler, durchaus kein Kommunist, sondern ein ungestümer und draufgängerischer junger Sozialist war, der Taten sehen wollte und dem es zu ängstlich, zu zaghaft und anpasslerisch in der SPD zuging. „Ihn sehe ich vor mir“, schrieb Hans Mayer in seinen Erinnerungen, „gleichsam als Modell des jungen sozialistischen Arbeiters aus dem Ruhrgebiet: gut aussehend, beredet, vertrauenserweckend. Sein Wort galt bei den jungen Arbeitern.“75 Er gründete 1930 daher mit einigen anderen SAJlern eine „Jungordnergruppe“, trat damit selbst bei Naziveranstaltungen militant und kämpferisch auf, widersetzte sich damit aber auch den Beschlüssen des SPD-Parteivorstandes und des SAJ-Reichsausschusses, wonach die Bildung solcher Schutzformationen streng untersagt war. Da die Bochumer SAJ als Referenten für ihre Bildungsveranstaltungen im Wesentlichen nur Linkssozialisten aus dem Spektrum der „Klassenkampf-Gruppe“ – etwa Georg Engelbert Graf, Klaus Zweiling, Max Seydewitz, auch Fritz Sternberg – holten,76 waren sie dem Bezirksvorstand der SPD Westliches Westfalen bald ein Dorn im Auge. Als Heinz Hoose im Spätsommer 1930 im Bezirksbüro anfragte, ob die SAJ eine ausschließlich von ihr zu verantwortende Seite in der Mitgliederzeitschrift des Bezirks übernehmen könnte, erhielt er eine kühle Absage. Daraufhin gründete Hoose eine eigene Zeitung, Der Rote Kämpfer, erstmalig erschienen am 9. November 1930, in der einige junge Arbeiter aus dem Ruhrgebiet schrieben, Lehrer von weltlichen Schulen, auch Intellektuelle wie der unabhängige Linkssozialist Fritz Sternberg und, später, Mitglieder der Sozialistischen Studentengruppe Kölns, etwa Hans Mayer, nach dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutender Literaturwissenschaftler, sowie der einer reichen Kaufmannsfamilie entstammende Albert Jovishoff, von dem ein Großteil des Geldes für Druck und Vertrieb kam.77 Man übte darin Kritik am Tolerierungskurs der Partei, äußerte sich aber auch unzufrieden mit der parlamentarischen Taktik der SPD-Linken, welche die jungen Sozialisten als zu halbherzig und unrevolutionär empfanden. Natürlich

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sprach es sich in Kreisen der SAJ und der Jungsozialisten herum, dass da in Bochum eine Zeitung erschienen war, die kein Blatt vor den Mund nahm und eine „revolutionäre Arbeiterpolitik“ postulierte. Es gab Anfragen und Bestellungen bei Heinz Hoose; der verschickte Exemplare, nahm auch einige zu überregionalen Zusammenkünften mit – und schon witterte die Partei eine planmäßige Organisation von oppositionellen Sonderbestrebungen. Der Bezirksvorstand der westfälischen SPD forderte Hoose ultimativ auf, die Herausgabe und Verbreitung des Roten Kämpfers sofort einzustellen, die Jungordnergruppen aufzulösen und seine Funktionen in der SAJ niederzulegen. Hoose weigerte sich, dem nachzukommen und bereits am 8. Dezember 1930, sozusagen im Eilverfahren, hatte ihn der zentrale Parteivorstand in Berlin aus der Partei ausgeschlossen.78 Bei diesem Verfahren lag die Handlungsführung eindeutig bei der Parteiorganisation; der SAJ-Hauptvorstand fasste einen Unvereinbarkeitsbeschluss über die Mitgliedschaft in der SAJ mit dem Vertrieb des Roten Kämpfers erst am 2. Oktober 1931;79 der Sekretär der SAJ, das langjährige Mitglied des Hauptvorstandes, Willi Hofmann, hatte sich verzweifelt, aber vergeblich darum bemüht, Brücken zwischen den Konfliktparteien zu schlagen. „Er hat sich“, so Hoose im Rückblick nach fünfzig Jahren, „auch für mich eingesetzt, noch und noch“.80 Hofmann kannte die Stimmung in der Mitgliedschaft seit den Septemberwahlen 1930 und wusste, dass Ausschlussverfahren so wirkten, als gieße man Öl ins offene Feuer. Die SAJ-Organisation in Bochum war zerstört, hunderte von Jugendlichen folgten ihrem Vorsitzenden, der einen unabhängigen Sozialistischen Jugendverband ins Leben rief. Im Oktober 1931 schlossen sich die Bochumer dann dem neugegründeten Sozialistischen Jugendverband (SJV) der SAP an, in dessen Reichsvorstand Hoose im März 1932 gewählt wurde.81 Zu Konflikten und Ausschlüssen kam es zur gleichen Zeit auch im Osten Deutschlands. In Görlitz wurde gleich der ganze Ortsverein vom Bezirksvorstand der niederschlesischen SAJ aufgelöst; die oppositionellen Jugendlichen besaßen kein Mitgliedsbuch der Sozialdemokratischen Partei.82 Monatelange Auseinandersetzungen, die ebenfalls mit den Ausschlüssen der „oppositionellen Rädelsführer“ endeten, erschütterten zudem die Königsberger SAJ im Herbst und Winter 1930. Das Königsberger Beispiel illustriert die Entfremdung, die seit den späten zwanziger Jahren zwischen der „alten“ und der „neuen Linken“ in der SAJ eingetreten war. Königsberg gehörte nach dem Ersten Weltkrieg zu den Hochburgen der Sozialistischen Proletarierjugend, ihre beiden leitenden Funktionäre, Fritz Polenz und Alfred Metz, standen an der Spitze der Befürworter eines Anschlusses an die Dritte Internationale und der Gegner der „Berliner Schwindelinternationale“. Als Verfechter eines reinen Rätesystems traten sie für die Beseitigung der Nationalversammlung ein.83 Nach einem kurzen Gastspiel im Kommunistischen Jugendverband kehrten sie 1921 bzw. 1922 zur SPJ zu-

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rück84 und bildeten den linken Flügel der USPD-nahen Jugendorganisation. Auch nach der Vereinigung mit der mehrheitssozialdemokratischen Jugend, welche die Königsberger nur widerwillig und unter großen personellen Verlusten vollzogen,85 zählten die Ostpreußen zu den entschiedenen Gegnern des politischen Kurses der Berliner SAJ-Zentrale. 1930 aber waren es besonders diese beiden Alt-Linken der SAJ, Metz und Polenz, die mit Hilfe des Hauptvorstandes den Ausschluss der Wortführer einer neu entstandenen SAJ-Opposition betrieben. Der Ausschluss dieser drei Oppositionellen, Dawill, Wrieske und Petruschka, erfolgte am 26. Oktober 1930 durch einen Beschluss des Reichsvorstandes und des Bezirksausschusses Ostpreußen.86 Formal hatte man ihnen vorgeworfen, dass sie durch eine Vielzahl von politischen Resolutionen zur Haltung der Partei ständig gegen die von der Lüneburger Reichskonferenz verabschiedeten Richtlinien zur politischen Erziehung verstoßen hätten. Allerdings hatten sich auch die Alt-Linken der Königsberger SAJ in politischen Fragen niemals puritanisch enthaltsam gezeigt, im Gegenteil. Den eigentlichen Stein des Anstoßes bildete die Bündnisfrage. Die Königsberger SAJ, mit Dawill und Wrieske an der Spitze, hatte seit Januar 1930 engste Tuchfühlung mit der rechtskommunistischen Jugend aufgenommen.87 Anfang Oktober 1930 gründeten die jungen Sozialdemokraten gemeinsam mit der KPO-Jugend ein proletarisches Jugendkartell.88 Der Kontakt beschränkte sich indessen nicht nur auf das Organisatorische; auch die ideologischen und politischen Stellungnahmen der SAJ-Opponenten in Königsberg waren deutlich „brandlerianisch“ geprägt – und das führte zum Ausschluss der drei. Allerdings hatten diese, wie sich zeigte, die Mehrheit der Königsberger SAJ hinter sich, worauf der Bezirksvorstand und der Hauptvorstand der SAJ den Ortsverein auflösten und den Jugendsekretär Metz mit der Gründung einer neuen Gruppe beauftragten. Aber selbst danach verfuhr man nicht nur administrativ. Auf einer Anfang Dezember 1930 einberufenen außerordentlichen Bezirkskonferenz erhielten die drei Ausgeschlossenen je zwanzig Minuten Redezeit, um ihr Handeln rechtfertigen zu können. Auf die Delegierten, die im Wesentlichen die ländlichen Gruppen vertraten, schien die Rhetorik des Trios keinen Eindruck gemacht zu haben; einstimmig bestätigten sie die Ausschlussentscheidungen vom Oktober. Im Übrigen wollten sie von den Querelen der Großstädter künftig verschont bleiben. Bislang konnte Königsberg als Vorort des Bezirks stets fünf Sitze im Bezirksvorstand beanspruchen; der neuen Königsberger SAJ-Gruppe gestanden die Delegierten nur noch drei Sitze zu. „Begründet wurde dieser Antrag“, so der offizielle Bericht im Führer, „mit der Notwendigkeit, ähnliche Vorkommnisse ein für allemal zu verhindern“.89 Von den Septemberwahlen 1930 bis zur Gründung der SAP im Oktober 1931 hatte die SAJ das Jahr der heftigsten Konflikte und der zahlreichsten Ordnungsund Ausschlussverfahren in ihrer Geschichte überhaupt zu durchstehen. Die

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Streitigkeiten sind dabei keineswegs auf eine Auseinandersetzung zwischen rebellischer oder gar revolutionärer Basis einerseits und reformistischer Funktionärsclique andererseits zu reduzieren, wie man es häufig lesen kann. Gerade die Wortführer der SAJ-Opposition waren allesamt Funktionäre, das gerade machte die Brisanz der „Ausführungsbestimmungen“ aus, die sich gegen eben diese Funktionärsschicht der über 20-Jährigen richteten. Es handelte sich also vor allem um einen ideologisch-politischen Konflikt innerhalb des Funktionärskörpers, in dem, das ist gewiss richtig, der radikal linke Flügel die empört aktivistische Stimmung auch der unter 18-Jährigen seit den späten zwanziger Jahren mit wachsender, aber durchaus nicht mehrheitlicher Zustimmung repräsentierte. Einen quantitativ stärkeren Aderlass musste infolgedessen die SAJ im Oktober 1931 verkraften, als tausende von Jugendlichen nach den Ausschlüssen linksoppositioneller Sozialdemokraten aus der SPD (wie z.B. Max Seydewitz, Kurt Rosenfeld, Walter Fabian und Helmut Wagner) die SAJ/SPD verließen und einen Sozialistischen Jugendverband (SJV) gründeten. Der SJV begriff sich als die Jugendorganisation der zeitgleich konstituierten Sozialistischen Arbeiterpartei. Den stärksten Zulauf erhielt der SJV in Bezirken wie Ost- und Südwestsachsen und Hamburg-Nordwest sowie in Städten wie Breslau, Stettin, Nürnberg, Frankental, Bochum, Lübeck, Leipzig,90 aber auch – entgegen einer weitverbreiteten Meinung in der Literatur – in Berlin.91 Von Beginn an legte der SJV Wert darauf, als „politische Jugendbewegung“ die revolutionäre Praxis des politischen Kampfes zu proklamieren und die Aufstellung von Jugendschutzprogrammen als reformistischen Anachronismus abzutun.92 Der Jugendverband radikalisierte sich rasch und übernahm immer mehr leninistische Organisationsprinzipien und Strategievorstellungen. Auf seiner ersten Reichskonferenz Anfang März 1932 bekannten sich die Delegierten in einer „Prinzipienerklärung“ zur „Diktatur des Proletariats“ und zum Aufbau einer wirklich kommunistischen Internationale. Als „politische Aufgabe des Tages“ erklärten sie, die überparteilichen Massenorganisationen des Proletariats, wie die freien Gewerkschaften, die Freidenkerund Sportorganisationen, „ohne sie [zu] zerschlagen, von der reformistischen Führung zu lösen und reif zum revolutionären Kampf zu machen“93. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks durch den SJV veränderte sich die SAP von einer zunächst eher linkssozialdemokratisch eingestellten Partei zu einer dann halb linkssozialistisch, halb kommunistisch ausgerichteten Kaderorganisation. Das Signal dazu gab im November 1932 das Mitglied der SJV-Reichsleitung, die frühere SAJ-Hauptvorstandsangehörige und spätere Ehefrau Erich Honeckers, Edith Baumann, die gemeinsam mit drei weiteren SAP-Ideologen – Klaus Zweiling, James Thomas, Jacob Walcher – eine Politik der „Vorhut“ und eines „klaren Bekenntnisses zu den kommunistischen Grundsätzen und zur kommunistischen Taktik“ forderte.94

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E ROSION IN DEN G ROSSSTÄDTEN – M ITGLIEDERENTWICKLUNG UND R EKRUTIERUNGSPROBLEME Man kann die Mitgliederbewegung in der SAJ in vier Abschnitte einteilen: Zwischen 1919 und 1922 lagen Jahre eines kräftigen Mitgliederzuwachses, von 1923 bis 1927 erlitt der Verband nicht minder erhebliche Rückschläge, von denen er sich ab 1928 allmählich erholte und bis Mitte 1931 bescheidene Erfolge in der Mitgliederrekrutierung erzielen konnte; die politische Spaltung im Herbst 1931 und die Verschärfung der ökonomischen Krise drehten dann selbst diese maßvolle Aufwärtsentwicklung wieder zurück. Um die Intervalle mit genauen Zahlen zu belegen: Im Frühjahr 1920 zählte die wiederaufgebaute mehrheitssozialdemokratische Jugend noch 58.000 Mitglieder in ihren Reihen, am Jahresende waren es bereits achtzigtausend, von denen im Übrigen etwa achtzig Prozent erst nach der Revolution in die Arbeiterjugend eingetreten waren.95 Bis Mitte 1921 hielt der Aufwärtstrend an, die Arbeiterjugend verstärkte sich um weitere zehntausend Arbeiterjugendliche auf neunzigtausend, die in 1242 Ortsgruppen organisiert waren. 1914, unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, gab es im Vergleich dazu nur 837 Jugendausschüsse der SPD.96 Ab Mitte 1921 stagnierte die Mitgliederentwicklung in der SAJ; erst das Zusammengehen mit der SPJ sorgte für eine erneute personelle Aufstockung. Mit 105.000 Mitgliedern erreichte die sozialdemokratische Jugendbewegung im Oktober 1922 den Zenit ihrer quantitativen Stärke in der Weimarer Republik überhaupt. Von nun an ging es für fünf Jahre bergab. Die rasante Talfahrt lässt sich allerdings schlechter dokumentieren, da der Hauptvorstand sich bei der Publikation ungünstiger Daten stets sparsamer und zurückhaltender verhielt als bei der Verkündung unzweifelhafter Erfolge. 1926 jedenfalls war die sozialistische Jugendorganisation um fast die Hälfte zusammengeschmolzen; nurmehr 56.000 Jugendliche zogen noch mit der neuen Zeit dem Morgenrot entgegen, obwohl der Verband 1925 und 1926, jeweils zu Ostern, große Anstrengungen unternommen hatte, um durch eine gezielte Werbung unter den Schulentlassenen – Parole: „Hinein in die Arbeiterjugend“ – den Abwärtstrend aufzuhalten und umzukehren. Aber was man gewann, ließ sich nicht halten, so die ernüchternde Bilanz des Hauptvorstandes auf der Reichskonferenz 1926 in Hildesheim.97 Den absoluten Tiefstand erreichte die SAJ allerdings erst eineinhalb Jahre später, Ende 1927, mit 49.000 Mitgliedern in 1415 Ortsgruppen.98 Ab der zweiten Quartalshälfte 1928 war die Talsohle dann endlich durchschritten und die SAJ begann sich im Windschatten der vorübergehenden sozialdemokratischen Erfolge – dort hatte der Mitgliederanstieg bereits 1927 eingesetzt – wieder aufzurichten und, besonders bei den 14- bis 17-Jährigen, auszu-

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breiten. Ende 1928 zählte sie bereits wieder 53.373 Mitglieder in 1532 Ortsvereinen.99 Aus den Verlautbarungen der leitenden SAJ-lnstanzen in den Jahren 1928/29 sprach nun wieder ein enormer Optimismus; der Stillstand schien überwunden, zahlreiche Ortsgruppen wurden neu gegründet, in den SAJ-Gruppen herrschte Leben, Begeisterung und Aktivität.100 Die Devise jener Jahre lautete: „Zehn Prozent – das Ziel unserer Arbeit“. Praktisch hieß das, dass die SAJ zehn Prozent der Mitgliederzahl der Sozialdemokratischen Partei erreichen wollte. Die Partei hatte Ende 1927 867.000 Mitglieder, die SAJ zählte, wie angegeben, 49.000; die Arbeiterjugend hätte mithin 37.700 weitere Mitglieder rekrutieren müssen. Zwar steigerte sich die SAJ bis Ende 1929 auf 55.958 in 1667 Ortsgruppen,101 kam bis Mitte 1931 sogar dicht an die 60.000-Grenze heran102 – von ihrer ursprünglichen Zielmarke aber hatte sich die SAJ gleichwohl noch weiter entfernt. Während die Mitgliederzahl in der SAJ im Verhältnis zur Partei Anfang 1928 noch 5,63 Prozent betrug, bis Ende 1928 immerhin auf 5,7 Prozent verbessert werden konnte, sank sie bis Ende 1929 dann auf 5,48 Prozent ab;103 die Mitgliederentwicklung in der SPD verlief 1929 mithin dynamischer als in der SAJ. Die Abspaltung des linken Flügels und die Gründung der SAP im Oktober 1931 traf die SAJ von allen sozialdemokratischen (Sub-)Organisationen am meisten. Der Hauptvorstand, darum bemüht, das Ausmaß der Spaltung herunterzuspielen, sprach von einem Verlust von nur fünftausend Mitgliedern, andere Schätzungen gehen von acht- bis zehntausend Mitgliedern aus.104 In den Monaten danach bis zum Ende der Republik veröffentlichte der Hauptvorstand keine Mitgliederstatistiken mehr; einige verklausulierte Formulierungen, in denen von bedeutsamen Schwierigkeiten für den Bestand der Organisation durch die hohe Arbeitslosigkeit und durch die ständige Teilnahme an Wahlkämpfen die Rede ist, lassen darauf schließen, dass auch 1932 ein Jahr des Mitgliederrückgangs war.105 Die größte Mitgliederdichte der SAJ zu haben, war der Stolz der Sachsen. Ihre vier Bezirke stellten Ende der zwanziger Jahre allein neunzehn Prozent der Gesamtmitgliedschaft des Jugendverbandes. Gemessen an der Mitgliederzahl der Partei kamen sie 1929 auf einen Anteil von 8,8 Prozent – mithin 3,4 Prozent mehr als der Reichsdurchschnitt. Für die Sachsen stand außer Zweifel, dass ihr Mitgliedererfolg mit ihrem scharfen linksoppositionellen Kurs zusammenhing.106 Allerdings lagen die stärksten Zunahmen in den späten zwanziger Jahren beim Bezirk Hessen-Darmstadt, einem ausgesprochen „reformistischen“ Bezirk mit Karl Drott an der Spitze, neben Westphal und Ollenhauer einer der wenigen Funktionäre, der auch auf Reichskonferenzen offensiv und selbstbewusst die Strategie eines republikanischen Reformismus zu vertreten imstande war.107 Die Überlegenheit der Sachsen hatte ihren Grund eher in der über Jahrzehnte gewachsenen sozialdemokratischen Vereinskultur dieses Landes108, wofür es vergleichbare Beispiele bestenfalls noch in Berlin und Hamburg gab. Hier existier-

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ten entscheidende Ressourcen für eine funktionsfähige und attraktive Jugendarbeit: befähigte Arbeiterbildner, sozialistische Intellektuelle und Lehrer, vielgestaltige und intakte Kulturkartelle, große Volkshäuser, eine Reihe von Tageszeitungen, mit der Leipziger Volkszeitung überdies eine von überregionalem Renommee, und nicht zuletzt die Existenz mehrerer Sekretariate; die sächsische SAJ beschäftigte gleich vier Jugendsekretäre hauptamtlich. Man mag es dahingehend zuspitzen, dass die radikale Linksopposition auf einem ungewöhnlich gut ausgebauten Funktionärsapparat basierte. Zu den mitgliederstarken Bezirken gehörten zudem noch Westliches Westfalen und Mittelelbe. Als Problembezirke galten in den Weimarer Jahren Ostpreußen, Oberschlesien, eine Zeitlang auch die Bezirke Kassel und Oberrhein und besonders Halle-Merseburg und Bayern. In Halle-Merseburg mit der im Ersten Weltkrieg gleichsam aus dem Boden gestampften Chemieindustrie und der Masse der angelernten radikalisierten Jungarbeiter bekam nach 1920 weder die SPJ ein Bein auf den Boden, noch konnte die SAJ dort reüssieren. Halle-Merseburg war Domäne der Kommunisten und dabei blieb es bis zum Ende der Republik. Anders lagen die Dinge in Bayern. Die Verhältnisse dort unterschieden sich kaum von denen, die während des kaiserlichen Deutschland geherrscht hatten: Die Versammlungen wurden häufig nicht genehmigt; wenn doch, standen sie unter Polizeiaufsicht, und die Benutzung von Schulräumen blieb in aller Regel untersagt. Im Übrigen mussten die SAJ-Gruppen stets mit gewalttätigen Anschlägen rechtsputschistischer Banden rechnen, die sich zu Hauf im Freistaat tummeln durften.109 Die Problembezirke der SAJ in der Mitgliederwerbung waren also die ländlichen, besonders diejenigen in den Grenzgebieten Deutschlands.110 Gleichwohl hat sich die elementare Krise der sozialistischen Arbeiterbewegung, die ihr jenseits von Misserfolgen in der Politik und Depressionsreaktionen auf ökonomische Krisen in erster Linie durch den gesellschaftlichkulturellen Wandel drohte, in den Großstädten angedeutet – und da eben bei den Jugendlichen bereits weitaus mehr als bei den älteren Mitgliedern der SPD. Die SPD hatte 1930 immerhin 2,5 Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung mitgliedermäßig erfasst; die SAJ hingegen musste sich bei ihren Jahrgängen mit einem Anteil von 0,72 Prozent bescheiden.111 Dabei lag das Prozentverhältnis zwischen den Mitgliederzahlen der Partei und denen der Jugendorganisation in den Großstädten für die SAJ zumeist ungünstiger als in den Kleinstädten.112 Während in den Kleinstädten die Geselligkeits- und Bildungsabende der SAJ häufig ganz im Mittelpunkt des örtlichen Freizeitlebens standen und alternativlos waren, hatte sich der Jugendverband in den größeren Städten gegen die von Jahr zu Jahr wachsenden Angebote der Freizeitindustrie zu behaupten und der zugkräftigen Konkurrenz des Massensports zu erwehren.113 Die Einbrüche im Mitgliederbestand der SAJ sind gewiss zum Teil auf den Durchbruch der Massen-

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kultur in der postinflationären Phase der Weimarer Republik zu erklären. Ein Zeitzeuge der SAJ, der Kieler Hans Adam, erinnerte sich: „Und Fußball wurde dann in den 20er Jahren ganz modern in Deutschland und da haben wir viele Mitglieder verloren. Vor allen Dingen hatte die bürgerliche Gesellschaft ein großes Interesse daran, aus dem Arbeiterverein junge Leute abzuwerben und die bürgerlichen Fußballclubs haben sich dann ganz groß gemacht. Wir im Garden-Süd waren doch fast eine geschlossene Gesellschaft, Konsumverein, Arbeiterjugend mit dem Heim und Turnverein; dann gründete sich plötzlich der bürgerliche Fußballclub ‚Eintracht‘. Da haben wir ein Drittel der Mitglieder verloren.“114

Es wäre allerdings verfehlt, bei der Interpretation der Mitgliederbewegung und der defizitären Entwicklung der SAJ das Bündel verschiedenartiger Faktoren zu übersehen und den Trend gleichsam monokausal aus den gesellschaftlichkulturellen Wandlungsprozessen heraus abzuleiten. Um einige der anderen Faktoren zu benennen: Auf- und Abstieg, Erholung und Rückfall in der Mitgliederrekrutierung der SAJ fanden stets im Windschatten der Partei und der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung insgesamt statt. Hatte die Partei Probleme, dann ging es auch der SAJ schlecht, war die Partei im Aufwind, dann zog die SAJ wenig später nach. Dass sich die SAJ in Relation zur Partei weniger expansionsfähig zeigte, lag nicht nur an der Resonanz und den Erfolgen der Massenkultur besonders bei der großstädtischen Jugend, sondern war gewiss auch darin begründet, dass die SAJ die Messlatte für eine sozialistische Lebensführung besonders hoch anlegte, die Verbindlichkeit des Ethos sozialistischer Prinzipien für den Alltag jedes einzelnen besonders rigide einklagte: Hätte die Partei ähnlich großen Wert auf die Enthaltsamkeit von Alkohol und Nikotin gelegt wie die SAJ, wären ihr vermutlich ebenfalls mehr Mitglieder verloren gegangen.115 Als Parteimitglied brauchte man sich nicht allzu sehr zu engagieren, wenn man nicht wollte. Als SAJler hingegen musste man schon mehrmals die Woche am Gruppenleben aktiv teilnehmen. Und schließlich muss man berücksichtigen, dass der SAJ Konkurrenz im eigenen Lager erwachsen war; eine Konkurrenz, mit der die politische Jugendorganisation vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht umzugehen hatte. In der Vorkriegszeit gab es kaum gewerkschaftliche Jugendsektionen, es existierten weder eine Arbeitersportjugend, noch kannte man Kinderfreunde, erst recht nicht Reichsbanner-Jugendgruppen.116 An alle diese Organisationen gab die SAJ, unfreiwillig, Funktionäre ab. Besonders ungern – aber zahlreich – tat sie das übrigens beim Reichsbanner, da ihr dort die weltanschaulich-ideelle Erziehung fehlte. Viele ältere SAJler aber fanden dort offenkundig das, was sie in der sozialistischen Jugend vermissten: den tatkräftigen Einsatz in der Aktion auf der Straße.

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K AUM U NGELERNTE – DER F UNKTIONÄRSKÖRPER

DER

SAJ

Eine statistische Erhebung über die Sozialstruktur ihrer Mitglieder führte die SAJ auf repräsentativer Basis erstmals im Herbst 1931 durch. Bis dahin begnügte sie sich bei der Beurteilung der Mitgliederstruktur mit einigen greifbaren und offenkundig durch Erfahrungen gesättigten Faustregeln: Erfolge hatte man bei den Buchdruckern und Metallarbeitern, schier unüberwindbare Schwierigkeiten gab es bei den angelernten Arbeitern in der chemischen Industrie und den „Stallmädchen“ in der Landwirtschaft. Kaum in der SAJ zu organisieren waren die arbeitslosen Jugendlichen, die sich, so Gustav Weber, in ihrer Verzweiflung am Wortradikalismus und nicht an einer Vernunftpolitik orientierten.117 Max Westphal fasste 1926 das soziologische Selbstportrait des Verbandes in dem Satz zusammen: „Dann werden wir in den meisten Fällen zu dem Ergebnis kommen, dass unsere Mitglieder nicht aus den größten Elendsquartieren des Proletariats kommen, und dass sie zumeist die Kinder jener Proletarierschichten sind, die als organisierte Kämpfertruppe sich bereits eine wenigstens etwas gebesserte Lebensführung ermöglicht hat.“118

Eine Befragungsaktion, die der Bezirksvorstand der SAJ-Berlin 1927 gestartet hatte, bestätigte im Wesentlichen dieses Bild. Die Metallarbeiter lagen mit einem Anteil von 24,7 Prozent an der Gesamtmitgliedschaft der Berliner SAJ an der Spitze der Statistik. Mit 17,7 Prozent folgten die Angestellten und Kaufleute. Dreizehn Prozent der SAJ-Mitglieder der Reichshauptstadt arbeiteten in der Bekleidungsindustrie, 9,1 Prozent verdienten ihr Brot in der holzverarbeitenden Industrie und 6,9 Prozent hatten im graphischen Gewerbe eine Beschäftigung gefunden. Hierbei handelte es sich ausschließlich um Lehrlinge bzw. gelernte Arbeiter. Ungelernte Arbeiten verrichteten achtzehn Prozent der Berliner SAJMitglieder. Höhere Schüler, Hausangestellte und Haustöchter bildeten in der Statistik einen stattlichen Rest von 10,4 Prozent.119 Beachtung fand der niedrige Anteil der Ungelernten. Vier Jahre später soll er, so das Ergebnis einer neuerlich vom Bezirksvorstand der Berliner SAJ durchgeführten Befragung, sogar noch um weitere elf Prozent abgenommen haben.120 Dabei lag der Anteil ungelernter Jugendlicher an der Gesamtzahl der erwerbstätigen Jugendlichen in den größeren Städten mit über einhunderttausend Einwohnern bei 37 Prozent, in Kleinstädten war ihr Anteil noch höher. Im Funktionärsorgan der SAJ, Der Führer, konnte daher mit vollem Recht die Schlussfolgerung gezogen werden: „Die Zahlen bestätigen, was wir aus praktischer Erfahrung wissen; Lehrlinge und Gelernte kommen leichter zu uns als Ungelernte.“121 Die repräsentative Erhebung des Hauptvorstandes aus dem Herbst 1931 revidierte dieses Urteil zwar

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nicht im Grundsatz, aber sie trug doch zu einem facettenreicheren, differenzierteren Bild der Verbandswirklichkeit bei. Insgesamt hatten 9556 Jugendliche (6664 Jungen und 3492 Mädchen) aus acht Bezirken die Befragungsunterlagen der SAJ-Zentrale ausgefüllt.122 Der Hauptvorstand hatte bei der Auswahl der Bezirke – Chemnitz, Groß-Berlin, Franken, Hamburg-Nordwest, Mecklenburg, Mittelschlesien, Ostpreußen, Westliches Westfalen – darauf geachtet, dass möglichst alle sozialen, politischen, kulturellen, organisatorischen und regionalen Verschiedenartigkeiten Berücksichtigung fanden. Der Anteil von Lehrlingen und Gelernten in der Mitgliedschaft der acht Bezirke sah demnach so aus: Tabelle 1: Anteil von Lehrlingen und Gelernten nach Geschlecht

Groß-Berlin

Mädchen

Jungen

71,9 %

81,3 %

Chemnitz

17,7 %

66,8 %

Franken

30,0 %

89,0 %

Hamburg-Nordwest

59,1 %

85,7 %

Mecklenburg

32,7 %

78,0 %

Mittelschlesien

32,5 %

72,6 %

Ostpreußen

39,6 %

51,7 %

Westliches Westfalen

54,3 %

58,5 %

Quelle: Der Führer, Jg. 14 (1932) H. 6, S. 83 ff.

Von Berlin aus also den Charakter der SAJ bestimmen zu wollen, musste zu Überzeichnungen führen. Nur dort oder bestenfalls noch in Hamburg-Nordwest (mit den beiden Großstädten Hamburg und Bremen) hatte das Portrait von der SAJ als Organisation der jüngeren sozialistischen Facharbeiterschaft keine Kratzer. Nimmt man nur die Mädchen, so sah das Bild in den meisten Bezirken anders, in Chemnitz mit der Dominanz der Textilindustrie extrem anders aus. Die Zahlen für Ostpreußen bestätigten zwar, dass die Ungelernten besonders in ländlichen Bezirken stark vertreten waren bzw. sogar überwogen, gleichzeitig zeigte das Beispiel Westliches Westfalen mit den Städten des Ruhrgebiets, dass auch in industriellen Ballungszentren der Anteil der Gelernten und Lehrlinge nicht automatisch hoch liegen musste. Nun war allerdings nicht jeder, der keinen gelernten Beruf angeben konnte, unqualifiziert beschäftigt. 6,3 Prozent der SAJ-Mitglieder, darunter besonders viele Mädchen, übten nämlich gar keinen Beruf aus, wie die statistische Auswertung der Berufszugehörigkeit der jungen Sozialdemokraten deutlich machte. Im Übrigen bestätigte dieser Teil der Erhebung die bisherige Selbsteinschätzung des

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Verbandes und ebenfalls in etwa die Zahlen der Berliner Befragungen. Auch im Reichsdurchschnitt lagen die Metallarbeiter mit 15,6 Prozent der Mitgliedschaft vorn, dicht gefolgt von den kaufmännischen Angestellten mit 12,9 Prozent. Während die Mädchen bei den Metallarbeitern so gut wie gar nicht vertreten waren, stellten sie im kaufmännischen Gewerbe dagegen das Gros der Angestellten, etwas, was die Redaktion des Führer „bemerkenswert“ fand. Auf Platz drei der Statistik standen mit 7,3 Prozent diejenigen SAJ-Mitglieder, die im Baugewerbe tätig waren. 6,6 Prozent der organisierten Arbeiterjugendlichen verdienten ihren Lohn in der Textilbranche. Düster sah es hingegen, um einen Sprung nach hinten zu machen, bei den Landarbeitern aus; nur 1,6 Prozent des sozialdemokratischen Nachwuchses war in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Erheber konstatierten das mit großer Sorge, da die Gewinnung der Landarbeiterjugend von großer Bedeutung für die Arbeiterbewegung sei, „denn wie die letzten Wahlen eindringlich bewiesen haben, stellt die Landbevölkerung die größten Kader der reaktionären Bewegung“.123 Wenn man unterstellen konnte – wofür einiges sprach –, dass die Delegierten auf einer Reichskonferenz zu den Spitzenfunktionären des Verbandes gehörten, dann hatte sich die Führung in der SAJ von der Basis sozialstrukturell nicht allzu sehr abgehoben. Der Facharbeiterkern wog in dieser Gruppe noch schwerer, die Ungelernten spielten auf der zentralen Repräsentationsebene eine noch geringere Rolle als in den lokalen Vereinen. Dagegen stieg die Relevanz der von der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft alimentierten Sekretäre, Angestellten und Redakteure, die freilich wenige Jahre zuvor noch in den Berufen gearbeitet hatten, in denen sowohl die Mitglieder als auch die Reichskonferenzteilnehmer überwiegend beschäftigt waren. Zwar kennen wir nur die Berufszugehörigkeit der Delegierten auf der Reichskonferenz in Lüneburg 1930, aber es spricht nichts dagegen, sie als einigermaßen repräsentativ für die Situation auf der Funktionärsebene des Verbandes während der gesamten Dauer der Weimarer Republik anzusehen.124 Auch unter den 106 gewählten Vertretern125 der Lüneburger Konferenz nahmen die Metallarbeiter mit einer Zahl von 26 die Spitzenstellung ein. 23 Delegierte gehörten der zweitstärksten Gruppe, den kaufmännischen Angestellten, an. Acht Holzarbeiter und sechs Buchdrucker verdeutlichten ebenfalls das Sozialprofil der Sozialistischen Arbeiterjugend. Ungelernte Arbeiter gab es auf der höchsten Vertretungsebene nur vier, das war ein Prozentsatz von 3,77, also deutlich niedriger als der an der Basis. Acht Parteiangestellte, ein Gewerkschaftsangestellter und vier Angestellte sozialdemokratischer Zeitungen bildeten die starke Gruppe besoldeter Kräfte der Arbeiterbewegung, deren Bedeutung im Willensbildungsprozess der Sozialdemokratie von unten nach oben wuchs, die aber auch – es handelte sich um gewählte Delegierte – von der Unterstützung ihrer Basis abhängig waren und deren Anteil auf dieser Ebene schließlich noch

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weit unter dem der klassischen Facharbeiterschaft lag. Im Übrigen waren auf der Konferenz vertreten: zwei Bauarbeiter, drei Textilarbeiter, drei Bekleidungsarbeiter, vier Schuhmacher, ein Sattler, ein Glasarbeiter, ein Maler, ein Bergmann, ein Tapezierer, ein Hausangestellte, ein Porzellandreher, ein Dachdecker, ein Arbeitsamtsangestellter, zwei Lehrer, ein Anwaltsangestellter und zwei Beamtenanwärter. Über das Ausmaß der Arbeitslosigkeit unter den Mitgliedern der SAJ liegen nur spärliche Informationen vor. In der großen Expertise vom Herbst 1931 wurde zwar auch danach recherchiert, die Erheber aber nahmen von einer differenzierten Veröffentlichung der Einzelergebnisse nach Abschluss der Auswertung im Frühjahr 1932 Abstand, da inzwischen die Zahlen der erwerbslosen Jugendlichen noch weiter in die Höhe geschnellt waren.126 Immerhin gaben sie bekannt, dass in den Herbstmonaten 1931 28 Prozent der Jungen und 19 Prozent der Mädchen der SAJ ohne Arbeit waren; davon hatte der Bezirk Westliches Westfalen mit 43 Prozent den größten Anteil Erwerbsloser, der Bezirk MecklenburgLübeck mit 21 Prozent den niedrigsten. Schlimm sah es besonders für die älteren, ausgelernten Mitglieder in der SAJ aus; sie waren fast sämtlich arbeitslos.127 Ein Jahr später, im Herbst 1932, war dann, so stand es im Führer, schon die Hälfte der Verbandsmitglieder arbeitslos geworden.128 Es scheint daher, als seien die Mitglieder der SAJ überdurchschnittlich stark von der Arbeitslosigkeit betroffen gewesen – nicht in dem Maße wie diejenigen des Kommunistischen Jugendverbandes, aber doch weitaus mehr, als man gemeinhin annimmt. Leider besitzen wir keine genaueren Daten über das gesamte Ausmaß der jugendlichen Arbeitslosigkeit in der Endphase der Weimarer Republik.129 Man muss daher mit den Ergebnissen der großen Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1933 Vorlieb nehmen, als die Talsohle der wirtschaftlichen Depression zwar bereits durchschritten war, das Ausmaß und die Verteilung der Jugendarbeitslosigkeit sich aber noch nicht gravierend geändert hatten. Danach waren von den männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren elf Prozent, von den weiblichen Jugendlichen 4,3 Prozent erwerbslos. Ein verändertes Bild erhält man allerdings dann, wenn man die 18 bis 25-Jährigen mit einbezieht; dann waren 22,2 Prozent der männlichen und 8,2 Prozent der weiblichen jungen Bevölkerung ohne Erwerb.130 Aber auch im Vergleich zu diesen Zahlen wirken die zeitgenössischen Angaben der SAJ verblüffend hoch. Eine Erklärung mag darin bestehen, dass besonders die Industriestädte und schwerindustriellen Regionen, die Zentren der Arbeiterbewegung also, von der Krise und Arbeitslosigkeit in größerem Umfang betroffen waren. Zudem wurden in der Krise die billigen Arbeitsplätze nicht so sehr abgebaut wie teure; schlecht bezahlte Tätigkeiten, die von ungelernten Kräften ausgeführt werden konnten, wie Botendienste, Aushilfen und Tagelöhnerarbeit im Transportwesen, hatten

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während der Depression eine größere Stabilität als die kostenintensiven Produktionsarbeiten.131 Der Anteil der Geschlechter an der Mitgliedschaft in der Arbeiterjugend hatte sich im Laufe der Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterjugendbewegung stark verändert. In ihren Anfängen war die Arbeiterjugendbewegung eine Organisation der männlichen Jugendlichen. Noch 1908 kamen die Mädchen auf gerade fünf Prozent der Mitgliedschaft.132 Dann aber stieg die Zahl der weiblichen Mitglieder rapide an; bis 1914 hatte sich der Anteil der Mädchen vervierfacht und war auf zwanzig Prozent gewachsen.133 Als nach Ausbruch des Krieges die älteren männlichen Jugendlichen überwiegend zum Waffendienst an die Front abkommandiert wurden, bildeten die Mädchen vielerorts die Mehrheit in den Restbeständen der Arbeiterjugendvereine.134 Ihren höchsten Anteil an der Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Jugendbewegung der Weimarer Republik erreichten die Mädchen 1927 mit 37,6 Prozent. Danach gingen die Zahlen wieder zurück; 1928 waren es noch 36,6 Prozent; 1929 nur noch 35,6 Prozent.135 Offenkundig hatten die wesentlich auf männliche Bedürfnisse abgestellten, seit 1926/27 in der SAJ um sich greifenden Scout-Methoden und die zunehmende paramilitärische Attitüde eine Anzahl von Mädchen verschreckt und zum Rückzug aus der Arbeiterjugend bewogen. „Die Uniformen, die militärische Disziplin und die wehrsportlichen Übungen befriedigten“, so die Beobachtung von Barbara Köster im historischen Umfeld der Kommunistischen Jugend, „das Geltungsbedürfnis und den Wunsch der männlichen Jugendlichen, ihre Körperkraft und ihren Mut unter Beweis zu stellen“.136 Besonders die älteren Mädchen wandten sich von der Organisation ab, wie die repräsentative Erhebung aus dem Herbst 1931 deutlich macht.137 Danach betrug der Anteil der Mädchen an der Mitgliedschaft bei den 14- bis 16-Jährigen 45 Prozent, bei den 17- bis 18-Jährigen 33 Prozent, bei den 19- bis 20-Jährigen lediglich noch 25 Prozent.138 Die Kluft zwischen den verschiedenartigen Bedürfnissen und Äußerungsformen der Jüngeren und Älteren war mithin kaum zu überbrücken, und in dem Maße, in dem die Gestaltungsinteressen der Jüngeren der Gruppenpraxis der SAJ ihren Stempel aufdrückten, musste die SAJ bei den älteren Mitgliedern – eben und besonders bei den Mädchen – personelle Verluste hinnehmen. Das Missverhältnis zwischen den jüngeren und älteren Mädchen schlug sich auch auf der Funktionärsebene nieder. Es gab dort weitaus mehr weibliche Funktionäre unter als über 18 Jahren. Überdies schnitten die Mädchen im Funktionärskörper gegenüber den Jungen anteilsmäßig schlecht ab. 1929 waren nur 29,5 Prozent der Funktionäre unter 18 Jahren weiblichen Geschlechts, in Zahlen ausgedrückt: 2141 von 7265; bei den über 18-Jährigen stimmten die Proportionen noch weniger: Von den Funktionärsposten der Älteren fielen gerade 24,7 Prozent an die sozialistischen Mädchen.139 Immerhin hatte sich der Anteil der Mädchen an der

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Gesamtzahl der Funktionäre bis 1931 auf 30,8 Prozent nach oben verschoben, wie die Reichserhebung vom Herbst 1931 beweist.140 Die Dominanzansprüche der Jungen zeigten sich ebenfalls bei der Verteilung der verschiedenartigen Funktionärsposten. Besonders den Vorsitz beanspruchten die Jungen weiterhin als ihre Domäne, während sie Funktion und Aufgaben des Schriftführers, z.T. auch die des Kassierers, gern und großzügig an die Mädchen abtraten.141 Tabelle 2: Verteilung der Funktionen

Vors.

Kassierer

Schriftführer

Beisitzer

Spiel,

Sonstige

Bezirks-

Sport,

Funk-

u. UBez.-

Wandern

tionen

Vorst.

Jugendleiter

*

23,5

21,8

14,9

11,0

11,9

13,0

2,7

1,0

**

10,9

32,2

56,4

36,0

21,4

33,0

15,6

17,0

*

Anteil an der Gesamtzahl der Funktionäre in Prozent

**

davon Mädchen in Prozent

Quelle: Der Führer, Jg. 14 (1932) H. 6, S. 86.

Besonders der Vorsitz in den Bezirken fiel fast durchgängig an die jungen Männer in der SAJ. Eine erste Ausnahme bildete Auguste Bärwinkel aus Weimar, die 1927 zur Vorsitzenden des Bezirks Thüringen gewählt wurde.142 Danach folgte noch Grete Baumann im Bezirk Niederrhein – und bei diesen beiden Ausnahmen blieb es auch schon in der SAJ der Weimarer Republik. Ein männliches Reservat war auch das Sekretariat des Hauptvorstandes; Käthe Fröhbrodt schaffte Ende 1926 als erste Frau den Einzug in das Männer-Büro am Belle-Alliance-Platz.143 Besonders aber die Delegationen auf Reichskonferenzen spiegelten eine extreme Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wider. Auf der Reichskonferenz in Wernigerode 1922 etwa waren nur acht von 89 Delegierten weiblichen Geschlechts, auf der Reichskonferenz 1923 14 von 107, auf der Leipziger Konferenz 1928 waren es 7 von 132 und in Lüneburg 1930 schließlich 14 von 146. Auch auf den Bezirkskonferenzen scheint es kaum besser ausgesehen zu haben. So beschwerte sich eine SAJlerin aus Gelsenkirchen auf der Bezirkskonferenz Westliches Westfalen 1927, dass unter den 122 Delegierten nur 14 Mädchen seien.144 Trösten mochte, dass es auch bei den Kommunisten nicht anders zuging; Mädchen und Frauen gehörten im KJVD – so die Historikerin Barbara Köster – nicht zum „Verbandskader“.145 Wie kamen die Arbeiterjugendlichen zur SAJ?146 Selten, so lautete eine immer wiederkehrende Klage in den Verbandszeitschriften der sozialistischen Jugend-

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organisation, durch die Impulse der sozialdemokratischen Eltern. „Unsere Mitglieder setzen sich zum großen Teil aus Kindern von Nichtparteigenossen zusammen“, beschrieb die niederrheinische SAJ-Vorsitzende Grete Baumann ihre Erfahrungen, „vor allem glänzen die Kinder der führenden Parteigenossen durch Abwesenheit“.147 Umfragen in Mittelschlesien, Leipzig, Berlin, im Westlichen Westfalen und die repräsentative Erhebung in den acht Bezirken Ende 1931 brachten ähnliche Ergebnisse. Überall fand man es, wie in Mittelschlesien, bemerkenswert, wie „verhältnismäßig wenige Jugendliche durch die Eltern zu uns gekommen sind“.148 In Leipzig149 waren es elf Prozent, in Berlin150 sogar nur sechs Prozent und im Reichsdurchschnitt151 – da wurden allerdings zudem noch die Anstöße durch die Geschwister miteinbezogen – immerhin dreizehn Prozent. Als erschreckend empfanden die Erheber der Reichsumfrage überdies, dass nur acht Prozent der Mitglieder eigenen Angaben zufolge durch die Kinderfreunde den Weg zur SAJ gefunden hatten, wenngleich 22,5 Prozent der befragten Mitglieder vorher bereits dort aktiv waren. „Der organisatorische Aufbau der Arbeiterbewegung ist noch lange nicht beendet“, kommentierten die Erheber dieses Teilergebnis ihrer Recherche. Dies stellt auch allzu idyllisierte Vorstellungen von der sozialdemokratischen „Solidargemeinschaft“ ein wenig infrage.152 Ausschlaggebend für die Entscheidung, sich in der SAJ zu organisieren, war dagegen offenkundig das ermunternde Vorbild von Freunden und Arbeitskollegen; jedenfalls gaben das 45 Prozent der Berliner SAJler in einer Umfrage vom Sommer 1927 und 29 Prozent der Mitglieder aus den bekannten acht Bezirken bei der Reichsexpertise an.153 Auffallend – und für die Verfechter des Solidargemeinschaftskonzepts sicher ermutigend – ist der hohe Anteil derjenigen, die über die festliche Jugendweihe Anschluss an die sozialistische Jugend fanden. 18,6 Prozent der Berliner SAJ-Mitglieder antworteten in diesem Sinne, unter ihnen besonders viele Mädchen, die, so folgerten die Erheber, stärker als die Jungen auf Gefühlsmomente reagierten.154 Gewiss ist hier der Zusammenhang mit dem Elternhaus nicht zu übersehen, da eine Entscheidung für die Jugendweihe immer auch eine Absage an die Konfirmation (bzw. Kommunion) bedeutete und in der Regel auf einer bewusst freidenkerischen Erziehung fußte – Kinder damals sogenannter „indifferenter“ Eltern werden kaum zu Jugendweihen gegangen sein. Welch großen Stellenwert die Überzeugungsarbeit und die Nahkontakte im Milieu für die Mitgliederrekrutierung der SAJ einnahmen, zeigte, negativ gespiegelt, die geringe Wirkung der Agitations- und Werbearbeit: Von Werbeveranstaltungen und Werbewochen, in der SAJ in den 1920er Jahren mit großem Aufwand und nach intensiver Vorbereitung propagandistisch lautstark durchgeführt, hatten sich in Berlin nur 6,8 Prozent, auf der Reichsebene achtzehn Prozent der Mitglieder angesprochen gefühlt.155 Eine auf Berlin beschränkte Umfrage aus dem Herbst 1931 informiert über die Verknüpfungen der SAJ-Mitglieder im Netz der sozialdemokratischen Soli-

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dargemeinschaft.156 Über ein Parteibuch der Sozialdemokratischen Partei verfügten 20,5 Prozent der männlichen und 12,7 Prozent der weiblichen Mitglieder der Berliner SAJ, wobei zu beachten ist, dass nur diejenigen, die das 18. Lebensjahr überschritten hatten, Mitglied der Partei werden konnten. Insofern dürfte der Organisationsgrad der potentiellen Kandidaten recht hoch gelegen haben. Als freigewerkschaftlich organisiert bezeichneten sich 69,8 Prozent der Jungen und 58,5 Prozent der Mädchen. Auch in der gleichzeitigen Mitgliedschaft bei den Arbeitersportlern lagen die Jungen vorn: 16,8 Prozent von ihnen machten dort mit, währenddessen nur 12,2 Prozent der Mädchen proletarisch turnten. Von den 2042 SAJ-Mitgliedern, die die Fragebögen ihres Bezirksvorstandes ausfüllten, hatten 1133 sozialdemokratisch organisierte Eltern; sechs SAJler kamen aus kommunistischen, vier aus bürgerlichen Elternhäusern. Der Grad der „Bürgerlichkeit“ stieg indessen beim Bezug der Zeitungen: In 447 Elternhäusern las man bürgerliche Zeitungen, in 1299 Familien galt die Lektüre der sozialdemokratischen Presseerzeugnisse als selbstverständlich, in 31 Antworten war von kommunistischen Zeitungen die Rede, und 265 SAJler kannten von Haus aus gar keine Tageszeitung. Alles in allem zeigte die Umfrage also, dass die Mehrheit der SAJ-Mitglieder, zumindest in der Reichshauptstadt, fest in einem sozialdemokratisch organisierten Milieu wurzelte, aber es wurde auch deutlich, dass gleichzeitig ein beachtlicher Teil – der in anderen Gegenden Deutschlands noch größer gewesen sein dürfte – in familiären Verhältnissen aufgewachsen war, die nicht unbedingt zum Nahbereich sozialdemokratischer Kultur gehört haben. Noch weitergehende Auskünfte über das Organisationsverhalten von SAJMitgliedern in den anderen Zweigen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verdanken wir der groß angelegten Expertise des Hauptvorstandes aus dem Herbst 1931. Auch diese Teilergebnisse der Untersuchung verdeutlichen, dass man sich davor hüten muss, von den Verhältnissen in Berlin auf die Situation der SAJ insgesamt zu schließen. Die SAJ setzte sich aus sehr verschiedenartig strukturierten Bezirken mit differenzierten sozialen, kulturellen, politischen und historischen Prägungen zusammen. Während etwa in Berlin ein betont freidenkerisches Kulturgeflecht von proletarischen Morgenfeiern bis hin zu Jugendweihen existierte, in das die sozialdemokratischen Kinder früh hineinwuchsen und an dem sie als junge Sozialisten dann aktiv partizipierten, war das Freidenkertum in Bezirken wie Ostpreußen, Mecklenburg und – überraschend – Hamburg-Nordwest keineswegs im gleichen Maße präsent und milieubildend. Weiter: Dem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Berliner SAJ stand ein extrem niedriger im ländlichen Ostpreußen und ein außerordentlich geringer im schwerindustriellen Westlichen Westfalen gegenüber. Während von den „linken“ Berlinern nur eine kleine Minorität der Mitglieder an den Reichsbanneraktivitäten teilnahm, was sowohl mit politischen als auch mit lebensweltlichen Vorbehalten zu tun gehabt haben konnte, en-

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gagierten sich im „reformistischen“ Westlichen Westfalen sehr viel mehr im Kampf der republikanischen Schutztruppe. Ebenso ist das auffällige Desinteresse der meisten Berliner SAJler am Arbeitersport durchaus nicht allgemein zu setzen; in Chemnitz und Franken turnte, wanderte und spielte fast jeder zweite bei den Arbeitersportlern mit. Die Zahlen im Einzelnen:157 Tabelle 3: Organisationsverhalten von SAJ-Mitgliedern Freie

Arbeitersport-

Reichs-

Frei-

Gewerk-

ler (einschl.

banner

denker

schaften

Naturfreunde,

Kultur- und sonstige Organisationen

Arbeitersamariter) A) Jungen:

Mitgliedschaft in

Bezirk

Prozenten

Berlin

69,8

16,8

4,9

10,1

16,2

Chemnitz

63,1

46,4

12,1

5,9

15,4

Franken

59,1

46,8

12,3

5,3

8,9

66,3

16,9

11,3

2,1

6,6

Mecklenburg

56,1

23,4

9,4

2,1

3,3

Mittelschlesien

54,5

25,0

10,5

9,4

16,3

Ostpreußen

28,5

16,9

11,8

2,3

3,5

Westl. Westfalen

46,3

29,1

20,8

7,5

8,6

Jungen:

54,3

29,4

11,2

6,3

11,4

Berlin

58,5

12,2



9,6

21,2

Chemnitz

50,1

37,0



5,8

21,2

Franken

44,6

32,5



5,0

8,3

46,5

8,3



1,3

12,1

HamburgNordwest

B) Mädchen: Bezirk

HamburgNordwest

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| 201

Mecklenburg

30,9

11,9



2,1

9,8

Mittelschlesien

31,6

12,8



8,8

17,5

Ostpreußen

31,5

4,5



2,6

4,6

Westl. Westfalen

26,8

15,8



2,9

5,8

Mädchen:

44,9

20,0



5,7

15,0

47,6

26,0

11,2

6,1

12,7

C) Jungen und Mädchen zusammen: Quelle: Der Führer, Jg. 14 (1932) H. 6, S. 86 f.

M IT

DEM

B ÜRGERTUM

KOOPERIEREN ?

Umstritten war die Zusammenarbeit mit bürgerlichen und konfessionellen Jugendverbänden, da sich die Linksopposition in der SAJ heftig gegen Allianzen mit der Jugend des Klassengegners wandte; zumindest dann, wenn solche Bündnisse politischen Charakter trugen wie etwa die „Republikanische Arbeitsgemeinschaft“, die nicht zuletzt auf Initiative des Hauptvorstandes der Arbeiterjugend im September 1921 ins Leben gerufen wurde. Der mehrheitssozialdemokratischen Jugend ging es dabei um ein Aktionsbündnis der republikanisch gesinnten und organisierten Jugend zum Schutze der durch Anschläge von rechts akut bedrohten Weimarer Demokratie. Allerdings fielen die Reaktionen auf das Vorgehen der Berliner Leitung nicht sehr ermutigend aus. In den Arbeiterjugendvereinen selbst meldete sich eine Reihe von Skeptikern zu Wort, die ein parteipolitisch übergreifendes Bündnis mit „bürgerlichen Jugendlichen“ ablehnten. Ähnlich argumentierte auch die Sozialistische Proletarierjugend – und die Jugend der Zentrumspartei, die Windthorstbünde, von der anderen Seite des ins Visier genommenen Spektrums, zeigten der Arbeiterjugend ebenfalls nur die kalte Schulter. Die Republikanische Arbeitsgemeinschaft musste sich also auf die Arbeiterjugend, die Jungsozialisten und die Demokratische Jugend beschränken. Die drei Organisationen trafen die Verabredung, bei konkreten Anlässen und drohenden Gefahren für den Bestand der Demokratie „die republikanische Jugend zusammen aufzurufen und in Aktion treten zu lassen“. Zur Koordinierung der Aktivitäten benannte jede Organisation zwei Vorleute. Allzu häufig indessen traten diese Vorleute nicht zusammen; die Republikanische Arbeitsgemeinschaft begnügte sich 1922 mit der Herausgabe von zwei Aufrufen und

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Demonstrationsappellen, einen zum Gedenken der Märzrevolution von 1848, den anderen aus Anlass der Ermordung Walter Rathenaus. Eine Kundgebung für die Republik fand auch noch 1923 statt, an der zudem die Windthorstbünde teilnahmen. Eine Zukunft aber hatte der republikanische Bündnisgedanke nicht, die Republikanische Arbeitsgemeinschaft war schon 1923 am Ende, mehr eingeschlafen als eingestellt im Übrigen. In der SAJ gab es, besonders nach der Vereinigung mit der SPJ, zu viele Gegner einer Zusammenarbeit mit Organisationen des demokratischen Bürgertums. Unwillig zu einer engeren Kooperation mit den jungen Sozialisten zeigte sich andererseits aber auch die Zentrums-Jugend. Und die Jungdemokraten verloren wie ihre Mutterpartei zunehmend an Bedeutung und Einfluss – auf diese kleine Schar war ein republikanisches Bündnis nicht zu bauen; es hätte die an Zahl viel größere SAJLinke nur provoziert und so den stärksten und stabilsten demokratischen Jugendverband der Weimarer Republik mehr belastet als ihm genutzt. Die SAJ hatte auch so schon interne Auseinandersetzungen genug über die Frage des Zusammenwirkens mit bürgerlichen Jugendverbänden auszuhalten. Geradezu wütend attackierte die sächsische SAJ-Linke in den zwanziger Jahren die Entscheidung der Verbandsmehrheit, im Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände mitzuarbeiten. Der Reichsausschuss war aus einer Fachkommission für Jugendpflege bei der 1906 gebildeten Zentralstelle für Volkswohlfahrt hervorgegangen. Obwohl sich die Kommission hauptsächlich um die Pflege und Fürsorge der gewerblich arbeitenden Jugend kümmerte, verwehrte sie der Sozialdemokratie bzw. der sozialistischen Jugend vor dem Ersten Weltkrieg den Beitritt. Zu einer Revision dieser starren Haltung kam es erst im Laufe des Ersten Weltkrieges; nun war die Beteiligung der mehrheitssozialdemokratischen Jugend nicht mehr unerwünscht. Auf einer Konferenz des Ausschusses im April 1917 erhielt Heinrich Schulz als Repräsentant der damaligen Zentralstelle für die arbeitende Jugend die Gelegenheit, über die proletarische Jugendbewegung zu referieren. Als 1920 die Zentralstelle für Jugendwohlfahrt aufgelöst wurde, schlossen sich die wichtigsten Jugendverbände Deutschlands zu einer selbstständigen Körperschaft, eben dem „Ausschuss der deutschen Jugendverbände“ (seit 1926: „Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände“) zusammen. Beitreten konnten dem Reichsausschuss solche Jugendverbände, die mindestens fünfzig Ortsgruppen hatten, sich in erster Linie an die Jugend zwischen 14 und 25 Jahren wandten, und die es als ihre Hauptaufgabe ansahen, „die Jugend körperlich, geistig und sittlich höherzuführen“. Verbände bis zu fünfzigtausend Mitgliedern entsandten einen stimmberechtigten Vertreter, solche von fünfzig- bis einhunderttausend Mitgliedern zwei und diejenigen mit über einhunderttausend Mitgliedern drei Delegierte in den Reichsausschuss. Als Ziel setzte sich dieser, die gemeinsamen Interessen aller deutschen Jugendverbände zu fördern, um mit der zusammenge-

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fassten Kraft zum Wohlergehen der gesamten Jugend beizutragen. Gegenüber der Öffentlichkeit und den amtlichen Stellen trat er so als die Repräsentation der deutschen Jugend auf. Im Wesentlichen beschäftigte sich der Reichsausschuss mit der Verbesserung des Jugendschutzes, er bekämpfte die „Schund- und Schmutzliteratur“, agitierte gegen den missbräuchlichen Konsum von Alkohol und forderte den Ausbau des Jugendherbergswesens. Der SAJ-Hauptvorstand und die Mehrheit zumindest auf den Reichskonferenzen hielten diese Aufgaben und Tätigkeiten für nützlich und lehnten einen Austritt aus dem Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände ab. Besonders die Jugendschutzforderungen des Reichsausschusses boten nach Auffassung der SAJ-Mehrheit die Gelegenheit, die Unzufriedenheit mit dem kapitalistischen System zu schüren und immer breitere Kreise der Jugend mit dem sozialistischen Gedankengut vertraut zu machen. Die SAJ-Linke interpretierte die Wirkung des Reichsausschusses auf die Jugend ganz anders. Das einträchtige Zusammenwirken so klassenmäßig unterschiedlicher Organisationen wie der SAJ und etwa der deutschnationalen Jugend (ab 1932 auch der Hitlerjugend) musste nach Überzeugung der Linken volksgemeinschaftliche Illusionen erzeugen. Auch den Nutzen der jugendpolitischen Kampagnen wertete die SAJ-Minderheit als gering, da nach ihrer Meinung die treibenden Kräfte des Reichsausschusses ganz unter dem Einfluss industrieller Kreise standen. Kaum anders verliefen die Diskussionsfronten bei der Auseinandersetzung in der SAJ um die Teilnahme am „Schillerbund“. Der Schillerbund war bis zur Revolution eine Vereinigung höherer Schüler, die alljährlich in Weimar Festspiele mit Aufführungen klassischer Theaterstücke veranstaltete. Während des Kaiserreichs erhielt der „Bund“ dafür Mittel aus der Reichskasse, die ihm nach der Revolution allerdings nur unter der Bedingung weiter gewährt wurden, dass er neben den höheren Schülern auch gewerblich arbeitenden Jugendlichen die Teilnahme an den Festspielen ermöglichte. Die SAJ-Leitung nutzte die Gelegenheit und erwarb für einhundert seiner Mitglieder die Mitgliedschaft im Schillerbund; der Verbandsvorsitzende Max Westphal trat zudem dem dessen Nationalausschuss bei. Die arbeitenden Jugendlichen waren trotzdem kaum mehr als eine verschwindende Minderheit im Schillerbund; auf den Festspielen 1926 etwa standen den 15 jungen Sozialisten rund 850 Gymnasiasten gegenüber. Allein diese Übermacht bildungsbürgerlich sozialisierter Jugendlicher trug dazu bei, dass sich Unbehagen, auch Unsicherheit bei den anwesenden Arbeiterjugendlichen breitmachten. Die SAJ-Mitglieder standen während der Festspieltage meist abseits und isoliert von den übrigen, in ihrem Habitus so anders gearteten Teilnehmern. Immer wieder ereigneten sich auch provozierende Zwischenfälle. Nationalistische Reden und Gesänge seitens der höheren Schüler, Fackelzüge nach der Musik des Fridericus-Marsches riefen Empörung bei der SAJ insgesamt,

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Proteste und Austrittsforderungen insbesondere bei der sächsischen und thüringischen Linksopposition hervor. Über diese Forderungen gingen die Auffassungen in der SAJ zunächst auseinander. Eine Mehrheit der Teilnehmer wertete die Erfahrungen der Weimarer Tage bis 1926 insgesamt positiv; die rare Gelegenheit, Schauspieler erster Güte sehen und der Inszenierung gleich mehrerer Dramen beiwohnen zu können, bedeutete für viele Arbeiterjugendliche ein einmaliges, ergreifendes Erlebnis. Die mitteldeutsche Opposition urteilte prinzipieller und rigoroser; Lagerdenken und Abgrenzung überwogen hier. Die Erziehung zu einer neuen sozialistischen Welt und Kultur müsse scharf vom Milieu des Bürgertums abgetrennt sein. Die Weimarer Festspieltage des Schillerbundes seien daher eine denkbar ungeeignete Erziehungsstätte für die Sozialistische Arbeiterjugend. Der Genuss einiger Tage in Weimar dürfe nicht mit Abstrichen von diesen klaren pädagogischen Maximen des Sozialismus bezahlt werden. Für die SAJ-Linke stand zudem fest, dass allein die sozialistische Arbeiterschaft ein tiefes innerliches Verbundensein mit der Kunst zu schaffen in der Lage sei, während das Bürgertum ausschließlich bei einer äußerlichen Schwärmerei und Koketterie verharre. Schon 1927 schickte die SAJ aufgrund der zahlreichen Protestresolutionen keine Delegation mehr nach Weimar. Der Hauptvorstand war den Streit über den Schillerbund leid. Er hatte zwar im Prinzip weiterhin „keinerlei grundsätzliche Bedenken gegenüber der Beteiligung an den Schillerbundfestspielen“ – um des inneren Friedens willen aber gab er nach und erklärte sich auf der Reichskonferenz in Leipzig 1928 mit dem Austritt aus dem umstrittenen Bund einverstanden.

B EZUGSGRUPPEN – K INDERFREUNDE UND J UNGSOZIALISTEN Enge Verbindungen gab es naturgemäß zu den Kinderfreunden, da die sozialistische Jugendarbeit, idealtypisch gesehen, naht- und reibungslos an die sozialdemokratische Kinderbewegung anschließen sollte. So stellte man sich jedenfalls die Kette vor: Kinderfreunde – SAJ – Jungsozialisten – Partei. Doch es fehlten häufig die Zwischenglieder und die Kette riss, so auch beim Übergang von den Kinderfreunden zur SAJ. Den älteren Mitgliedern der 1923 gegründeten Kinderfreundebewegung, in der der sechs bis 14 Jahre alte Nachwuchs aus den sozialdemokratischen Familien organisiert war, fiel es anfangs schwer, sich nach Überschreitung der Altersgrenze im Gruppenleben und an den Heimabenden der SAJ zurechtzufinden und wohlzufühlen.158 Zu sehr unterschieden sich zur Mitte des Jahrzehnts die sinnstiftenden Praxisformen in den beiden Organisationen. In

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der SAJ herrschte bis 1926/27 noch der eher lebensreformerische und bildsamgesellige Geist, während in den „Rote-Falken“-Gruppen der Kinderfreunde bereits eine entschieden bündische Symbolik, bestehend aus Ordnungs- und Straffheitsprinzipien, uniformierter Tracht und abenteuerlichen Geländespielen, dominierte. Auch die SAJ konnte sich dagegen nicht immunisieren. Sie akzeptierte, wenn auch zögernd, diese Ausdrucksformen und versuchte, gemeinsam mit der Leitung der Kinderfreunde, den Übergang zwischen beiden Organisationen fließend zu gestalten. Nach einem Referat von Kurt Löwenstein, dem Vorsitzenden der Kinderfreundebewegung, beschlossen die Delegierten der SAJ-Reichskonferenz 1928 in Leipzig: „Die Reichskonferenz billigt die nachstehenden zwischen der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde und dem Hauptvorstand des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend vereinbarten Richtlinien: „Alle aus der Schule Entlassenen werden im engsten Zusammenwirken beider Organisationen aus den Kinderfreundegruppen in die SAJ überführt. Die Jüngerengruppen der SAJ setzen möglichst als Rote-Falken-Gruppen der SAJ die Arbeit der Rote-Falken-Gruppen der Kinderfreunde fort. Die Rote-Falken-Gruppen der Kinderfreunde und der SAJ arbeiten in engster Fühlung miteinander und treffen gemeinsame Veranstaltungen, insbesondere werden die Führer beider Gruppen zu Arbeitsbesprechungen zusammengeführt.“159

Die Probleme zwischen diesen beiden Organisationen schienen damit aus der Welt geschafft und in der Tat verstummten danach die Debatten über Übergangsschwierigkeiten der schulentlassenen Jugendlichen von den Kinderfreunden zur SAJ. Erst die repräsentative Mitgliedererhebung vom Herbst 1931 machte deutlich, dass damit keineswegs alles zum Besten bestellt war. Nur 22,5 Prozent der SAJ-Mitglieder kamen aus der Kinderfreundebewegung, die im Übrigen aber über ein mehr als doppelt so großes Mitgliederpotential wie die SAJ verfügte.160 Trotz des Leipziger Beschlusses konnten oder wollten also offenkundig zehntausende von Kinderfreunden nach Überschreitung des 14. Lebensjahres nicht in die sozialdemokratische Folgeorganisation hinübergleiten. Oder aber, was auch nicht auszuschließen ist, sie zogen sich nach vollzogenem Anschluss wieder zurück. In beiden Fällen hätte jedenfalls die sozialisierende Wirkung der Kinderfreundebewegung nicht den biografischen Langzeiteffekt ausgelöst, der mitunter mit dem beliebten Aperçu „Von der Wiege bis zur Bahre“ zwecks Charakterisierung der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft wohl zu harmonisierend und nicht selten nostalgisch-verklärend unterstellt wird. Die Probleme, die es beim Übergang von den Kinderfreunden zur SAJ gab, tauchten beim Übergang von der SAJ zu den Jungsozialisten erneut auf – nur

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ungleich drastischer und überdies noch außerordentlich viel konfliktreicher. Die Jungsozialisten sollten den Jugendlichen den Übertritt zur Partei erleichtern und sich besonders um die Bildung und politische Erziehung der 18- bis 25-jährigen Sozialdemokraten kümmern. SAJ und Jungsozialisten hatten zunächst eine gegenseitige Vertretung auf den Sitzungen der leitenden Körperschaften beider Organisationen vereinbart. Im Übrigen aber tat sich nicht viel zwischen den beiden Verbänden, zu gemeinsamen Aktionen und Unternehmungen fanden sie in den frühen zwanziger Jahren kaum zusammen.161 Noch frostiger waren die Verhältnisse in den Ortsgruppen. Die Jungsozialisten pflegten, wie oben beschrieben, oftmals ein esoterisches und exklusives Zirkelwesen, dessen elitäre Attitüde auf die meisten SAJler abschreckend wirkte. Kaum einer der über 18-jährigen SAJler, die eigentlich zu den Jungsozialisten hätten gehen müssen, fühlte zu ihnen, so Max Westphals Bilanz im Jahre 1923, „Hinneigung und Vertrauen“.162 In der SAJ mehrten sich infolgedessen mit der Zeit die Stimmen, die Altersgrenze von 18 auf 20 Jahre zu erhöhen, um den Älteren den Verbleib in der SAJ zu ermöglichen. Besonders der linke Flügel unterstützte diese Forderung. Die linksoppositionellen SAJler der SPJ-Tradition sträubten sich heftig dagegen, im „schöngeistigen Verein“ der Jungsozialisten mit seiner zunächst mehrheitlich ethisch-sozialistischen und nationalen Ausrichtung mitzuarbeiten.163 Da indessen die SAJ-Leitung um Westphal von der Erhöhung der Altersgrenze ein Anwachsen der linksoppositionellen Kräfte befürchtete, versuchte sie 1923 mit den Jungsozialisten eine neue Regelung zu finden, um die beiden Jugendorganisationen stärker miteinander zu verzahnen. Trotz des Widerstandes des rechten Flügels der Jungsozialisten auf der einen und des linken Flügels der SAJ auf der anderen Seite bestätigten die Delegierten der SAJ und der Jungsozialisten auf ihren Reichskonferenzen von 1923 das zwischen den Reichsleitungen beider Verbände ausgehandelte Abkommen. Zwar lag danach die Geschäftsführung der jungsozialistischen Bewegung in den Händen des Reichsvorsitzenden der SAJ, Max Westphal, der zudem noch seit 1924 die redaktionelle Leitung der Jungsozialistischen Blätter innehatte. Im Übrigen aber kam es trotz dieser personellen und administrativen Verschränkungen an der Spitze nicht selten so, wie es ein Braunschweiger Delegierter bereits auf der SAJ-Reichskonferenz in Görlitz 1923 prognostiziert hatte: „Lieber kehren unsere Mitglieder der Bewegung ganz den Rücken, als daß sie in die Jungsozialistengruppen eintreten.“164 Mehr als einige hundert Jugendliche fanden jedenfalls nicht den Weg zur jungsozialistischen Bewegung. Die restlichen Zehntausende von früheren SAJ-Mitgliedern wandten allerdings der sozialistischen Bewegung nicht gänzlich den Rücken zu, wie es der Braunschweiger Delegierte etwas zu pauschal befürchtet hatte, sondern sie engagierten sich stattdessen bei den Naturfreunden, in den Arbeiterturnvereinen oder beim Reichsbanner. Der

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absolute Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Jungsozialisten und der SAJ trat im Frühjahr 1925 ein, genauer: als Reaktion auf die Jenaer Reichskonferenz Ostern 1925. Die SAJ-Führung sah nun ihre republikanische Erziehungsarbeit gefährdet und wollte ihre älteren Jugendlichen nicht mehr den Jungsozialisten überlassen. Mehr noch: Der Hauptvorstand der SAJ legte dem SPD-Parteivorstand im Sommer 1926 eine Denkschrift vor, in der der Parteiführung die Auflösung der jungsozialistischen Bewegung empfohlen wurde. Schon vorher, auf der SAJ-Reichskonferenz in Hildesheim im April 1926, hatten sich die Delegierten für eine Erhöhung der Altersgrenze von 18 auf 20 Jahre ausgesprochen – gegen die Stimmen des linken Flügels, dessen frühere Antipathien gegen die Jungsozialisten durch den politischen Wandel dort hinfällig geworden waren. 1926 trugen die Organisationsführungen beider sozialdemokratischer Jugendverbände heftige und emotionsgeladene Fehden aus. Auf einer Besprechung von Vertretern der Reichsleitung der Jungsozialisten, des SAJ-Hauptvorstandes und des Parteivorstandes im Juni 1926 verlangten die Jungsozialisten die Verlegung der Geschäftsführung aus den Büros der SAJ in das Sekretariat der Bildungsausschüsse der Partei. Ende 1926 trat Westphal dann freiwillig von seinem Posten als Geschäftsführer zurück. In den folgenden Jahren ebbten die Spannungen nach und nach ab, ohne dass es zu einer Annäherung gekommen wäre. Beide Organisationen koexistierten nebeneinander, aber sie kooperierten nicht. Auf dem SPDParteitag 1931 in Leipzig war es dann schließlich der Reichsvorsitzende der SAJ, Erich Ollenhauer, der in seinem Referat „Partei und Jugend“ den Stab über die Jungsozialisten brach, als er ihnen „völliges Versagen“ vorwarf bei der Aufgabe, „Mittler“ zwischen Jugend und Partei zu sein.165 Im Anschluss an Ollenhauers Referat und die Aussprache darüber löste der Parteitag die Jungsozialistenorganisation auf.

F RAGMENTIERUNG DES ARBEITERJUGENDMILIEUS Mit den Kommunisten wollte die Mehrheit in der SAJ nicht zusammenarbeiten. Als Ausnahme von dieser Regel machten – und auch da nur vorübergehend – die Bezirke West- und Ostsachsen von sich reden. Anfang Oktober 1923, zu Zeiten also der sozialdemokratisch-kommunistischen Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen, hatten die Bezirksleitungen der SAJ und des KJV Westsachsens Richtlinien für eine gemeinsame Abwehrfront „gegen die brutalen Angriffe der Reaktion auf die Errungenschaften der Revolution“ ausgehandelt und beschlossen.166 Beide Organisationen umrissen die Zielsetzung ihres Bündnisses dahingehend, dass sie gemeinsam die Angriffe von rechts auf die deutsche Republik abwehren, den Kampf um die sozialistische Republik vorbereiten und dann, als

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„hohes Ziel“, die Einheit des Proletariats herstellen wollten. An konkreten Maßnahmen dafür schwebten ihnen gemeinsame Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen vor. Die älteren Mitglieder der beiden Jugendorganisationen sollten außerdem gemeinsam im „Proletarischen Selbstschutz“ – einer Wehrformation der sozialdemokratisch-kommunistischen Arbeiterbewegung in Mitteldeutschland – eingesetzt werden. Zur institutionellen Absicherung des kollektiven Vorgehens einigten sich die beiden Organisationen auf paritätische Arbeitsausschüsse, „die sich“, so der Wortlaut der Richtlinien, „aus Mitgliedern der BL, UBL oder Ortsgruppen zusammenschließen müssen, um ein reibungsloses Arbeiten mit den Instanzen der SAJ und KJ zu gewährleisten“. Dazu indes kam es kaum noch: Das Ende der Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen durch den Einmarsch der Militärs im Zuge der Reichsintervention Ende Oktober 1923 bedeutete auch das Ende der Einheitsfront der Jugend. Aber nicht nur die militärischen Unterdrückungsmaßnahmen, sondern die Politik der Kommunisten selbst nahmen der SAJ die Lust an der Fortführung des riskanten Einheitsfrontunternehmens. Ende 1923 fiel ihnen ein Rundschreiben des KJVD in die Hände, das die Ortsgruppen aufforderte, „die Zersetzungsarbeit in der SAJ und den Jungsozialisten [auf] schnellstem Wege“167 voranzutreiben. Auf regionaler Ebene blieb daher das Einheitsfrontexperiment aus den Oktobertagen 1923 in Sachsen eine einmalige Episode in der Geschichte der SAJ. Es gab hier und da zwischenzeitlich einige lokale Bündnisse zwischen jungen Kommunisten und Sozialdemokraten, die aber alle schon nach wenigen Wochen scheiterten. Den längsten Atem hatten noch die Dresdener Arbeiterjugendlichen, die trotz des Unwillens des SAJ-Hauptvorstandes168 im Mai 1927 ein „Proletarisches Jugendkartell“ gründeten, an dem sich u.a. die Arbeitersport-, die Naturfreundejugend und eben der Kommunistische Jugendverband und der Jungspartakusbund beteiligten. Als die Jungkommunisten dann versuchten, das Kartell auf eine Kampagne für das kommunistische Volksbegehren gegen den Panzerkreuzer zu verpflichten und als sie überdies wieder damit begannen, „Vertrauensleute“ in die SAJ einzuschleusen, beantragten die sozialdemokratischen Jugendlichen Ende 1928 desillusioniert den Ausschluss der KP-Organisationen aus dem Jugendkartell.169 Viel entscheidender und belastender aber als die in der Literatur immer wieder erwähnte und herausgestellte Spaltung zwischen den Kommunisten und Sozialdemokraten war die organisatorische Fragmentierung im sozialdemokratischfreigewerkschaftlichen Milieu selbst. Besonders die Gewerkschaftsjugend reagierte auf alle Initiativen der SAJ, die Arbeit stärker aufeinander abzustimmen und miteinander zu verflechten, mit Reserve, zumeist sogar mit Ablehnung, mitunter mit Hohn. In der SAJ hingegen verging keine Reichskonferenz, auf der nicht die Vereinheitlichung der Arbeiterjugendbewegung gefordert wurde. Auf

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der Reichskonferenz 1928 in Leipzig lagen gleich sieben solcher Anträge vor, die die Zusammenfassung der sozialistischen Jugendarbeit postulierten. In seinem Geschäftsbericht musste Max Westphal resignierend gestehen, dass schon in den Jahren 1926/27/28 etliche Gespräche und Verhandlungen zwischen der Gewerkschaftsjugend, den jungen Sportlern und der SAJ stattgefunden hätten, die aber allesamt ohne positives Ergebnis verlaufen seien. Die Delegierten verabschiedeten gleichwohl erneut einen Antrag, der den Hauptvorstand verpflichtete, „die Bildung einer Reichsarbeitsgemeinschaft für sozialistische Jugendarbeit anzustreben“.170 Die Gewerkschaftsjugend zeigte sich allerdings von diesen Wünschen der politischen Jugendorganisation keineswegs beeindruckt und kommentierte das Verlangen der SAJ mit unverhohlener Süffisanz: „Diese Tatsachen des äußeren Stillstandes oder gar des Rückganges der Bewegung waren es wohl auch“, hieß es in der Funktionärszeitschrift des Jugendsekretariats des ADGB, Der Jugendführer, „die zu einer ganzen Reihe von Anträgen führten, die eine feste Arbeitsgemeinschaft zwischen der SAJ, den Jugendabteilungen der Gewerkschaften und denen der Sportorganisationen herbeigeführt wissen wollen. Man sieht nicht mit Unrecht in der ständig zunehmenden Jugendarbeit der Gewerkschaften und der Sportvereine eine Ursache für den zahlenmäßigen Rückgang der sozialistischen Jugendvereine.“171 In der Funktionärszeitschrift des ADGB wurde schließlich betont, dass sie feste organisatorische Bindungen als unzweckmäßig erachtete. Zudem witterten die jungen Gewerkschafter in der von der SAJ angestrebten „Reichsarbeitsgemeinschaft für sozialistische Jugendarbeit“ ein Konkurrenzunternehmen zum „Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände“, in dem neben der Gewerkschaftsjugend und der SAJ auch die bürgerlichen Jugendvereine und -organisationen vertreten waren. Eine Mitarbeit dort hielt die Gewerkschaftsjugend für unverzichtbar, um möglichst viele Jugendliche, auch außerhalb des sozialdemokratischen Lagers, für die Förderung des Jugendschutzes zu gewinnen. Exakt die gleiche Position vertrat aber auch die Mehrheit der SAJ, die darin allerdings keinen Gegensatz zu ihren Bemühungen um ein sozialistisches Jugendkartell zu sehen vermochte. An eine Reichsarbeitsgemeinschaft für sozialistische Jugendarbeit war angesichts der kategorisch ablehnenden Haltung der Gewerkschaftsjugend nicht zu denken. Allerdings urteilten nicht alle Ortsgruppen der ADGB-Jugend über die Vorschläge der SAJ im Sinne ihrer Organisationsleitung. Zumindest in einigen Großstädten wie Leipzig, Kiel, Dresden, Dortmund und Breslau kamen Jugendkartelle zustande.172 In der Regel arbeiteten dort die SAJ, die Freigewerkschaftsjugend und die Arbeitersportjugend zusammen, teilweise auch noch die Jungsozialisten, die Freidenker- und die Naturfreundejugend. Am Zustand der Zersplitterung der Arbeiterjugendbewegung änderte aber auch die bescheidene Zahl von großstädtischen Jugendkartellen nicht viel. Noch

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im Februar 1932 richtete Der Führer einen emphatischen Appell an die diversen Jugendorganisationen des sozialdemokratischen Milieus: „Schluss mit der Kleinstaaterei der sozialistischen Jugendbewegung.“173 Es müssten endlich Mittel und Wege gefunden werden, mahnte das Funktionärsorgan der SAJ, um das Gegeneinanderarbeiten der Jugendverbände zu beseitigen. Das Gegenteil trat ein. Im Herbst 1932 beschloss die Gaukonferenz des Reichsbanners die Gründung einer weiteren Jugendorganisation: sogenannte „Vortrupps“, in denen die 14- bis 17Jährigen aktiv werden sollten. Ein letztes Mal musste und konnte die SAJ dagegen protestieren; einen Monat später hatten die Nationalsozialisten dann schon die Macht übernommen. Die Vortrupps, beschwerten sich im Dezember 1932 die Verantwortlichen der SAJ über die Neugründung des Reichsbanners, „vermehren außerordentlich die schon vorhandene Zersplitterung unter den linksstehenden Jugendorganisationen, die in vielen Orten zu einem kostspieligen Nebeneinander und hier und da zum Gegeneinander geführt hat“.174

S OZIALDEMOKRATISCHE J UGENDAKTIVISTEN UND JUNGE ARBEITER – KONTRÄRE L EBENSWELTEN Selbst gemäßigte Kräfte wie Max Westphal teilten die im Jungsozialismus verbreitete Auffassung, dass man in der kapitalistischen Gegenwart Zeitzeuge eines fortschreitenden Auflösungsprozesses der Familie sei.175 Tatsächlich lagen Indikatoren dafür vor, dass die früheren Funktionen der Familie als Lebensgemeinschaft durch die moderne wirtschaftliche und soziale Entwicklung zusammengeschrumpft waren, sodass für große Teile der Jugend das Kino, das Café, die Straße oder der Rummelplatz größere Bedeutung bekamen als die familiäre Wohnung, der man wegen der bedrückend engen Verhältnisse abends zu entkommen versuchte. Eine großangelegte Erhebung des Deutschen Archivs für Jugendwohlfahrt zum Freizeitleben der Großstadtjugend, die in Berlin an fünf Berufsschulen, je zwei Oberrealschulen und Reformgymnasien und einem Oberlyzeum durchgeführt wurde, konnte diese Beobachtungen über das Freizeitverhalten der großstädtischen Jugendlichen eindrucksvoll bestätigen.176 Die gleiche Untersuchung kam aber auch zu einem weiteren, erstaunlichen Ergebnis: Sie machte deutlich, dass der Trennungsstrich in den Ausdrucksformen der Freizeitbetätigung in mehrfacher Hinsicht nicht zwischen den Klassen und Schichten, sondern zwischen organisierten und nicht-organisierten Jugendlichen verlief – ganz besonders zwischen der politisch organisierten und nicht-organisierten Jugend in der Arbeiterklasse.177 In zwei Milieus nämlich, so fand der für die Expertise Verantwortliche heraus, existierten noch intakte Familienstrukturen: zum einen im Milieu des praktizierenden Katholizismus und zum anderen im Lager

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der sozialdemokratisch organisierten Arbeiter, deren Familien- und Kollektivbewusstsein, so der Befund des staatlichen Wohlfahrtsamtes, den Bedingungen großstädtischen Lebens am besten entsprach.178 Die Untersuchung hatte gezeigt, dass jugendliche Bindungen zur Familie dort erhalten blieben, wo eine weltanschauliche Gemeinsamkeit und eine Atmosphäre freiheitlichen, nicht-autoritären Umgangs vorhanden waren.179 Beides traf in nennenswertem Umfang, so das Resümee im Abschlussbericht der Wohlfahrtseinrichtung, nur auf die sozialistische Familie zu: „Die sozialistische Familie macht ihren Einfluss auf den Jugendlichen überwiegend in doppelter Richtung geltend: 1. wird grundsätzlich eine Freiheit gewährt, die dem Jugendlichen die selbständige Regelung seiner Angelegenheiten gestattet, 2. versucht man den Jugendlichen im Sinne der Arbeiterbewegung zu bilden und ihn mit dem Organisationsleben vertraut zu machen. Das schließt zugleich ein pädagogisches Bemühen ein, das im wesentlichen aufklärerisch ist. Typisch ist hier die regelmäßige Betonung der Bildungsarbeit. Auch eine gewisse Tradition ist vorhanden: Der Jugendliche wird durch den Einfluss seiner Eltern zum Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend. Kameradschaftlichkeit und Solidarität bestimmen dort, wo man sich bewusst um die Gestaltung des Familienlebens bemüht, den Geist der Familiengemeinschaft. In dieser Situation bleibt der Jugendliche – ganz ähnlich wie in der katholischen Familie – bei bestehender Freiheit zugleich an die Familie gebunden. […] Besonders wertvoll ist, dass das Familienbewusstsein dem Kollektivbewusstsein und der konkreten Situation des großstädtischen Menschen voll zu entsprechen versucht. Damit ist die Beschränkung des Jugendlichen auf die innerfamiliäre Sphäre, die auch der katholischen Familie noch anhaftet, überwunden. Er erfährt eine Bildung und Erziehung, die auf das gesellschaftliche Ganze ausgerichtet ist.“180

In der Tat unterscheiden sich die dokumentierten Auszüge aus den Aufsätzen der organisierten sozialistischen Jugendlichen beträchtlich von denen der großen Mehrheit nicht-organisierter Berufsschüler. Hier, bei diesen, das immer wiederkehrende Bild von den düsteren Hinterhauswohnungen, die als unerträglich beengend geschildert wurden, von Eltern, die man als autoritäre und verständnislose Personen ablehnte. Anders bei jener Minorität der sozialistischen Jugend. Die Wohnverhältnisse wirkten in den Berichten sehr viel freundlicher, manchmal geradezu behaglich. Das Verhältnis zu den Eltern, besonders zum Vater, schien vorbildlich; man schätzte ihr politisches Engagement, war ihnen dafür dankbar, dass man in sexuellen Fragen verständnisvoll aufgeklärt wurde und dass sie einen auf Versuchs- und weltliche Schulen geschickt hatten; man lobte die Eltern für ihre Unterstützung bei den Bemühungen um Bildung und Kultur. Man erfreute sich „größtmöglicher Freiheit“181. Andere Untersuchungen bestätigten das Bild, und sie zeigten vor allem immer wieder eins: Kulturell-lebensweltlich

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unterschieden sich die sozialistischen Jugendlichen in den Formen ihres Freizeitverhaltens von der großen Mehrheit ihrer nicht-organisierten Klassengenossen weitaus mehr als von den Mitgliedern einer katholischen Jugendgruppe, eines jüdischen Jugendvereins oder anderer ernsthaft weltanschaulich geprägten Jugendorganisationen, mit welchem soziologischen Hintergrund auch immer.182 Die in Bünden aktiven Jugendlichen unternahmen auch in der zweiten Hälfte der Republik an den Sonntagen ihre ausgedehnten Ausflüge in einer bestimmten Wanderkluft, pflegten weiterhin einen spezifischen Stil und Ritus des gemeinschaftlichen „Auf-die-Fahrt-Gehens“; ohne Überhöhung des Naturgedankens inzwischen, aber eben doch mit Hordentopf, Lagerfeuer, Spielen, Liedern und Scheunenübernachtungen. Die große Mehrheit der städtischen Jugend konnte dem nichts abgewinnen. Ihre Wochenendzerstreuung sah ganz anders aus: Man warf sich in den Sonntagsstaat, ging zur nächsten Haltestelle, fuhr mit der Bahn zu einem der gerade beliebten Vergnügungslokale, um flirten und tanzen zu können.183 Ganz ähnlich verhielt es sich mit anderen Dingen. Die übergroße Mehrheit der Jugend las, wie die Erheber feststellten, „Schundliteratur“; die Jungen: Karl May, Edgar Wallace, Frank Allan und pornographische Hefte wie „Das Tagebuch eines Modells“; die Mädchen: Hedwig Courths-Mahler und Ludwig Ganghofer.184 Hingegen waren die Bücher derjenigen, die sich zur „Jugendbewegung“ zählten, allen voran übrigens die der sozialistischen Jugend, zu 88 Prozent „einwandfreie Literatur“ – so jedenfalls das Urteil der befragten Stadtbücherei.185 Das gleiche Bild ergab sich bei den Recherchen zum Freizeitvergnügen Kino. Für das Gros der Jugend, besonders der ungelernten, spielte der Besuch der städtischen Lichtspieltheater eine wesentliche Rolle, um sich die Langeweile zu vertreiben.186 Die Mädchen schätzten, so zeigte die Umfrage, Liebesfilme; die Jungen begeisterten sich für Kriegs- und Wildwestfilme. Die organisierten Jugendlichen, erneut die sozialistische Jugend allen voran, mieden solche Stätten seichter Unterhaltung entweder ganz oder suchten sie nur dann auf, wenn Anspruchsvolles geboten wurde: Chaplin oder „Russenfilme“ beispielsweise.187 Folgt man dem linkssozialistischen Berliner Stadtarzt und Sexualpädagogen Max Hodann, der über große Praxiserfahrungen im Umgang mit Jugendlichen verfügte, so waren vergleichbare Tendenzen auch im Bereich der Sexualität zu konstatieren. In einem Vortrag in Köln mahnte er die sozialistischen Jugendlichen, sich nicht in das erstbeste Liebesabenteuer zu stürzen, sondern mit dem Geschlechtsverkehr zu warten – im Interesse der Ausreifung der geistigen Persönlichkeit, welche durch Bindung an eine Überzeugung erreicht werden könne. So viel Einsicht sei aber nur, klagte Hodann, „bei einem relativ kleinen Teil der Jugend, nämlich bei der organisierten und bündischen, der Fall“188. Das galt auch für die sogenannten „Schlüpfrigkeiten“ und „Unanständigkeiten“. Die Erhebung

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des Archivs für Jugendwohlfahrt hatte ergeben, dass in zahlreichen Berichten der nicht-organisierten Jugendlichen häufig „minderwertige Auffassungen“ über das andere Geschlecht vorkamen, während solche abschätzigen Formulierungen in den Niederschriften der Organisierten ganz fehlten.189 Sprüche wie „scharf auf Weiber zu sein“, die, so der religiös-sozialistische Pfarrer Günther Dehn, einer der besten zeitgenössischen Kenner der Lebensweisen des jungen großstädtischen Proletariats, zu den geläufigen Parolen bei den männlichen Arbeiterjugendlichen gehörten190, hätte in der Tat ein junger sozialistischer Aktivist nicht in den Mund genommen. Die Differenzen zwischen den freizeitlichen Lebensformen der jungen Sozialisten auf der einen und der Mehrheit nicht-organisierter Arbeiterjugendlicher auf der anderen Seite waren frappant. Für letztere befanden sich die Orte freizeitlicher Identität „eckestehend“ auf der Straße, im Park, in der Eiskonditorei, in der Tanzdiele, im Kino, auf dem Rummelplatz und ganz besonders dort, wo man „Knödeln“ konnte, auf dem Fußballplatz nämlich. Den Sport, verstanden als Wettkampf, Leistung, Meisterschaft – nicht als ästhetisierende Körperpflege und Gymnastik – widmete man sich mit größter Leidenschaft. Für jene jungen Sozialisten waren all diese Vergnügen, wir sahen es, lange Zeit strengstens tabu. Wohl nicht zuletzt deshalb hegten die unorganisierten Arbeiterjugendlichen, besonders die ungelernten, welche aus ihrer „Begeisterung für modische Kleidung und Frisuren, für Hollywoodfilme und Boxkämpfe, für Filmstars und Sportidole“191 keinen Hehl machten, beträchtliche Ressentiments gegen die organisierte sozialistische Jugend. Die SAJ beispielsweise wurde an Berliner Berufsschulen, so die Beobachtung von Günther Dehn, kurz „Sammlung affiger Jöhren“ genannt.192 Von einer Begeisterung für den Sozialismus sei bei der Mehrheit der Arbeiterjugend nichts zu spüren, man sei eher misstrauisch gegen große Wendungen und Ideologien, verhalte sich konkret interessenbezogen und individualistisch, in erster Linie „an sich und den eigenen Vorteil“ denkend.193 Immer wieder müsse man feststellen, fasste der Pfarrer seine Erfahrungen zusammen: „Nicht etwa der Sozialismus, sondern der Amerikanismus wird das Ende aller Dinge sein“.194

VIII. Das Nachwuchsproblem in den sozialistischen Kulturorganisationen – vier Beispiele

ABSTINENZ HÄLT

JUNG

Im Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bund (DAAB) wurde seit seiner Entstehung kontinuierlich die Frage aufgeworfen, ob er sich eigene Jugendabteilungen schaffen sollte. Zu einer klaren Linie fand die sozialistische Alkoholgegnergruppe dabei in den dreißig Jahren ihres Bestehens nicht. Schon unmittelbar nach Gründung des DAAB musste sich der Bundesvorstand erstmals mit dem Problem befassen, da die Harburger Ortsgruppe die Bildung eines eigenen Jugendverbandes erwog. Der Bundesvorstand aber sah vereinsrechtliche Schwierigkeiten und fürchtete staatliche Verbote. Daher riet er den Harburgern, auf ihr Vorhaben zu verzichten. Dass die Bedenken der Bundeszentrale nicht aus der Luft gegriffen waren, zeigte sich wenig später in Erfurt, wo die dortige Lokalorganisation ohne Konsultation mit der Berliner Führung eine Jugendabteilung ins Leben gerufen hatte. Die Zusammenkünfte der Abteilung wurden ständig von der Polizei bespitzelt und den noch schulpflichtigen Mitgliedern die Teilnahme daran verboten, sodass man das Unternehmen schon bald auflösen musste. Dennoch lag der 1. Generalversammlung 1905 in Berlin ein Antrag vor, in das Statut den Passus aufzunehmen, dass überall dort, wo es möglich sei, Jugendabteilungen gegründet werden sollten. Der Mehrheit der Delegierten indessen gingen solche Formulierungen zu weit. Sie wollten die Gründung von Jugendgruppen zwar nicht generell ausschließen, aber auch nicht explizit dazu anregen, da sonst, wie es der Bundesvorsitzende Otto Berg drastisch ausdrückte, sich jede Ortsgruppe, „die kaum kriechen könne“, an die Bildung von Jugendabteilungen heranmache.1 An dieser Auffassung hielt der Bund auch sieben Jahre später fest, als erneut Anträge „zwecks Bildung einer Jugendbewegung“ vorlagen. Man lobte die hier und dort entstandenen Jugendorganisationen zwar als wertvolle Berei-

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cherung der sozialistischen Abstinenzbewegung, lehnte es aber ab, sie den Ortsgruppen zur Pflicht zu machen, zumal es in der Tat in den vorangegangenen Jahren nur wenigen Ortsgruppen gelungen war, Jugendabteilungen zu schaffen. Der Erste Weltkrieg läutete einen radikalen Generationswechsel im DAAB ein. Die jugendlichen Mitglieder stellten nun den Kernbestand des Organisationsfundaments und drangen in wesentliche Funktionen vor. Allein dadurch erübrigte sich die Gründung eigener Jugendgruppen. Der Ruf nach Jugendabteilungen verhallte für einige Jahre. Zu hören war er erst wieder 1922; abermals war das Echo darauf zunächst negativ.2 Doch da nahezu sämtliche Kulturorganisationen der Arbeiterbewegung sich Jugendsektionen schufen, weil in den Weimarer Jahren die Jugend gleichsam zum Mythos erhoben wurde und man allseits glaubte, wem die Jugend gehöre, dem gehöre auch die Zukunft, meinte auch der DAAB, auf die Organisierung des Nachwuchses nicht verzichten zu können. Trotz des Widerspruchs einiger Delegierter, die das Entstehen selbstständiger „Zellen“ und „Sonderorganisationen“ befürchteten, beschloss die Generalversammlung 1923 in Berlin auf Antrag der rheinischen Arbeiterabstinenten, die Einrichtung eines Jugendwerks als spezielle Aufgabe des Bundes in seinen Statuten festzuschreiben. Die Ängste der Kritiker des Beschlusses waren, so zeigte sich rasch, gänzlich unbegründet. Es bildeten sich weder Zellen noch Sonderorganisationen heraus, da kaum irgendwo eine Jugendgruppe überhaupt erst entstand. Es herrschte offenkundig wenig Bedarf danach. Angesichts solcher Erfahrungen bezeichneten Spitzenfunktionäre des DAAB, wenn sie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre über die Jugendarbeit zu referieren hatten, die Gründung eigener Jugendgruppen als „nicht zweckmäßig“. Gleichsam einen Schlussstrich unter das weitgehend missglückte Experiment eines „Jugendwerks“ zog der „Jubiläumsbundestag“ zum 25-jährigen Bestehen des DAAB Ostern 1928 in Leipzig. Der Referent zum Tagesordnungspunkt „Unsere Jugendarbeit“ gab nun die Linie aus, an der sich der Bund in den noch verbleibenden fünf Jahren seiner Existenz im Wesentlichen orientierte: „Keine eigenen Kinderorganisationen, aber Durchdringung der proletarischen Kinderorganisationen mit unseren Ideen; eigene Jugendgruppen nur dort, wo die vorhandenen Jugendorganisationen nicht entschieden alkoholgegnerisch eingestellt sind.“3

D IE S AMARITER

ALTERN

Dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) bereite die Jugendarbeit Probleme ganz eigener Art. Mit der Frage der systematischen Nachwuchsrekrutierung hatte sich der ASB vergleichsweise spät beschäftigt, doch dann umso intensiver. Kaum ein

VIII. D AS N ACHWUCHSPROBLEM IN

DEN SOZIALISTISCHEN

K ULTURORGANISATIONEN

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anderes Thema trieb die Delegierten der Bundestage seit Mitte der zwanziger Jahre so sehr um wie das der „Jugendbewegung“. Auch das Verbandsorgan eröffnete seit 1924 immer wieder die Debatte um das Jugendproblem, brachte Erfahrungsberichte, Denkanstöße, Anregungen und Vorschläge. Doch alle Diskussionen auf Konferenzen, alle publizistischen Anstrengungen und alle organisatorischen Bemühungen vermochten den Erfolg nicht zu erzwingen. Der ASB kam an die Jugendlichen nicht heran; selbst diejenigen, die er kurzzeitig ansprechen konnte, blieben ihm mehrheitlich nicht treu. Schließlich wirkte das, was der Bund der Jugend zu bieten hatte, auf die neuen Jugendkohorten alles andere als attraktiv und anziehend. Es wirkte spießig, langweilig, anstrengend und im Übrigen pädagogisch anachronistisch. Die Erzieher im ASB, die sich um den Nachwuchs ihrer Organisation sorgten, hatten sich ein Bild von der Jugend zurechtgelegt, wie es sie vielleicht im sozialdemokratischen Milieu des Kaiserreichs gegeben hatte, das aber mit der jungen Generation der späten zwanziger, frühen dreißiger Jahre nichts mehr zu tun hatte. Der Arbeiter-Samariter-Bund mochte sich mühen wie er wollte, eine funktionsfähige Jugendorganisation bekam er bis 1933 nicht auf die Beine. Überhaupt war der ASB erst 1924 auf den Gedanken gekommen, sich eine eigene Jugendorganisation zuzulegen. Zuvor war dies für den Bund nie ein Thema gewesen. Inzwischen aber hatten die meisten Kulturorganisationen der sozialistischen Arbeiterbewegung eigene Jugendabteilungen gegründet. Der Kampf um die Jugend begann, und die sozialistischen Organisationen hatten durchaus keine Skrupel, sich gegenseitig den Nachwuchs abspenstig zu machen. Wollte der ASB in diesem Ringen um das knapp gewordene jugendliche Potential in der sozialistischen Arbeiterbewegung nicht gänzlich leer ausgehen, dann musste er dem Vorbild seiner sozialistischen Partner- und Bündnisorganisationen nacheifern und ebenfalls eigene Jugendabteilungen ins Leben rufen. Denn schließlich galt auch auch hier der Ruf der Zeit: „Wem die Jugend gehört, dem gehört die Zukunft.“4 Doch den letzten Anstoß für das Jugendprojekt des ASB gaben weder die sozialistischen Bruderorganisationen noch der Zeitgeist, sondern wie eh und je der große Rivale, das Rote Kreuz also, das Anfang 1924 eine Jugendformation aus der Taufe hob. Fortan gab es für den ASB kein Halten mehr, denn um nichts in der Welt wollte man den „Roten Kreuzlern“ einen Vorsprung lassen. Was die konnten, konnte man schon längst – das war das Elixier des ASB. Allen voran galt dies für den Bundesvorsitzenden Theodor Kretzschmar. Im Grunde vertrat auch er wie die meisten führenden Funktionäre des ASB die Auffassung, dass Samaritertätigkeit nichts für unreife Jugendliche sei. Doch dieses Prinzip verlor ab 1924 sichtlich an Bedeutung; nun ging es darum, das Rote Kreuz einzuholen. Im Mai 1924 drängte der Bundesvorsitzende die Kolonnen,

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sich ohne Verzug an die Etablierung örtlicher Jugendsektionen zu machen. Die Jugendfrage sei brennender denn je; leider aber habe der ASB, so Kretzschmar selbstkritisch, in dieser Sache bislang „herzlich wenig“ unternommen. In einem Artikel für das Verbandsorgan legte der Bundesvorsitzende dar, wie er sich die künftige Jugendbewegung des ASB vorstellte. Die Kolonnen sollten die Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren zu Abteilungen zusammenfassen. Der Kolonnenvorstand hatte dann aus den Reihen der erwachsenen Arbeitersamariter einen „Führer“ für die Jugendgruppe zu ernennen. Den Zweck der Jugendarbeit sah Kretzschmar in der Vorbereitung auf die künftige Samaritertätigkeit. Die Mitglieder der Jugendorganisation hatten sich also in erster Linie theoretisch zu bilden. Sie sollten Kurse in Anatomie belegen, sodann über Ursachen und Behandlungsmethoden der Volksseuchen aufgeklärt werden, später Unterricht in Verbandslehre erhalten und abschließend Kenntnisse über die Sozialversicherungen vermittelt bekommen. Auch Exkursionen in Museen hatte der Bundesvorsitzende dem ASB-Nachwuchs auf den Stundenplan geschrieben. Eine Beteiligung an praktischen Erste-Hilfe-Maßnahmen schloss Kretzschmar hingegen kategorisch aus. Dazu mussten die Jugendlichen zunächst das 18. Lebensjahr vollendet und ihre Eignung in einer Prüfung unter Beweis gestellt haben. Erst dann konnten sie Mitglieder einer Kolonne werden, zunächst allerdings nur als „Assistenten“ der älteren Samariter, um dadurch, wie Kretzschmar ausführte, „in der wirklichen praktischen Arbeit erst noch zu lernen“5. Einen Monat, nachdem Kretzschmar das Startsignal für die Jugendbewegung gegeben hatte, legte die Bundeszentrale bereits Richtlinien für die Jugendabteilungen vor. Sie waren, wie auch zuvor der Artikel Kretzschmars, in dem patriarchalisch-fürsorglichen Gestus jugendpflegerischer Strenge und Prüderie gehalten. Die Richtlinien verpflichteten die Mitglieder der künftigen Jugendorganisationen, vollständige Enthaltsamkeit von Alkohol und Nikotin zu üben und auch „andere Leidenschaften moralisch zu bekämpfen“. Im Übrigen erwartete der Bundesvorstand von den Jugendlichen Disziplin und Gehorsam gegenüber den nicht-gewählten Jugendführern: „Den Anordnungen der Jugend-Leitung haben die Mitglieder unbedingt Folge zu leisten.“6 Die Weimarer Jugend indessen ließ sich nicht mehr so einfach erwachsene Autoritäten und Erzieher vor die Nase setzen. Die junge Generation in den zwanziger Jahren löste sich aus den Fesseln jugendpflegerischer Obhut und entglitt ihr in die Autonomie jugendlicher Eigenkulturen. Aus den Vorstellungen der ASB-Leitung hingegen sprach noch der pädagogische Geist des späten 19. Jahrhunderts, wonach die Jugendlichen durch berufene Lehrer behutsam auf das eigentliche Leben vorbereitet werden müssten. Mit solchen Maximen konnte man allerdings die neuen Jugendkohorten weder ködern noch begeistern und erst recht nicht halten. Gewiss, für eine Samariterorganisation gab es gute Gründe,

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den Nachwuchsbereich nicht als freies Experimentierfeld jugendlicher Autonomie und Selbstbestimmung zu betrachten. In den Samaritertätigkeiten kam es in der Tat auf solide Kenntnisse, praktische Fertigkeiten und zweifelsohne auch auf eine gehörige Portion Lebenserfahrungen und Umsicht an. Schließlich ging es im Alltag einer Erste-Hilfe-Organisation nicht selten buchstäblich um Leben oder Tod – und da war ein mangelhaft ausgebildeter 15-jähriger Jungsamariter in der Tat fehl am Platz. Darin aber lag die Crux des ASB: Er konnte den Jugendlichen im Grunde nur betuliche Jugendpflege und Trockenübungen in Gesundheitslehre und Wohlfahrtshilfe anbieten. Doch welcher Jugendliche hielt es schon aus, vier Jahre allein theoretische Lektionen zu lernen, mit der Praxis hingegen nicht in Berührung zu kommen? Die meisten Jugendlichen, auch des sozialistischen Milieus, wollten sich irgendwo praktisch betätigen, etwas Konkretes machen, sich aktiv engagieren. Beim ASB gab es ein solches Aktivitätsfeld für die Jüngeren nicht, und daher konnte er die Jugendlichen, die sich für die Samaritertätigkeit interessierten, auch nicht an die Organisation binden. 1924 entstanden vor allem in Großstädten zwar die ersten Jugendabteilungen, doch die meisten hielten nicht lange durch und lösten sich bereits nach wenigen Monaten wieder auf. Der Grund dafür war stets derselbe: Besonders die 14-, 15- und 16-Jährigen hatten die ständigen Vorträge und Belehrungen bald satt, es wurde ihnen langweilig, und sie blieben dann den Gruppenabenden fern. Viele ältere Funktionäre im ASB reagierten darauf verschnupft und pikiert. Sie hielten die Jugendlichen für undankbar, für einfach unreif und hätten das vom Bundesvorsitzenden angezettelte Experiment am liebsten wieder abgebrochen. Diese Haltung vertrat auch der stellvertretende Vorsitzende des ASB, der Bundesarzt Dr. Sichel. Auf dem Bundestag 1925 in Berlin steckte Sichel in einem Referat die „nächsten Ziele des Arbeiter-Samariter-Bundes“ ab. Dabei streifte er mit einigen Nebenbemerkungen auch das Problem der Jugendbewegung. Er erklärte unumwunden, dass er den Aufbau eigener Jugendabteilungen als einen Irrweg ansah. Der ASB solle sich besser nicht mit der Jugend beschäftigen und stattdessen seine Energien lieber in die Erwachsenenarbeit investieren, denn zum Samariterwesen gehöre „eine gereifte Seele, und ein Kind im Alter von 14-18 Jahren hat noch nicht die ausgereifte Seele, die notwendig ist für einen wirklichen Samariter“. Obgleich Sichel seine Kritik an den jüngsten Jugendunternehmungen eher en passant anbrachte, löste sie eine längere Debatte um das Jugendproblem aus. Das Gros der Redner teilte die Distanz des Referenten zur Jugendarbeit; fast alle konnten ein Lied von den leidvollen Erfahrungen, die sie mit ihren örtlichen Jugendgruppen gemacht hatten, singen. Vor allem mit den 14- bis 16-Jährigen, so der Tenor der meisten Beiträge, sei einfach nichts Vernünftiges anzufangen.

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Nur ein Redner wandte sich vehement und leidenschaftlich gegen die Ausführungen des Bundesarztes: der Vorsitzende des ASB, Theodor Kretzschmar. Wütend verurteilte er die „Erledigungen“ der Jugendfrage durch Sichel; nach wie vor vertraute er darauf, „die Jugendlichen an den ASB fesseln“ zu können. Mit trotzigem Optimismus versprach Kretzschmar, dass die Jugendarbeit bereits in fünf Jahren Früchte tragen werde. Allerdings gab Kretzschmar indirekt zu, dass seine Empfehlungen zur Jugendarbeit ein Jahr zuvor etwas zu einseitig ausgefallen waren. Hatte der Bundesvorsitzende in seinem Aufruf zur Gründung von Jugendabteilungen im Mai 1924 die Bildungsarbeit noch ganz in den Vordergrund gestellt, so warnte er nun vor einer allzu ausschließlich intellektuellen Ausrichtung. Die Jugendlichen würden bald verkümmern, so Kretzschmar, „wenn man sie nur mit geistiger Nahrung“ vollstopfe. Er gab daher den Jugendabteilungen den Rat, neben dem theoretischen Unterricht in Erster Hilfe und über die Sozialversicherungsgesetze auch an entspannende und gesellige Aktivitäten zu denken, Wanderungen zu unternehmen, etwas Sport zu treiben.7 Aufgrund dieser Intervention des Vorsitzenden auf dem Berliner Bundestag 1925 blieb der Gedanke, eine Jugendbewegung im ASB aufzubauen, trotz aller Misserfolge auch in den kommenden Jahren lebendig. Allerdings schaltete sich die Bundesspitze zunächst aus den weiteren Diskussionen darüber aus; offenbar verhinderten die Meinungsverschiedenheiten in der Chemnitzer Zentrale des Bundes, dass die Verbandsführung die lokalen Jugendprojekte koordinierte, konkrete Handlungsanweisungen gab und Hilfen vermittelte. So „wurstelten“ die örtlichen Kolonnen in der Jugendarbeit nach je eigenem Gusto vor sich hin. Die Jugenddebatte im ASB, weiterhin lebhaft geführt, erhielt keine rechten Konturen und kam zu keinem vernünftigen Ergebnis. Zwar fühlten sich etliche Samariter berufen, ihre Auffassung dazu der Verbandsöffentlichkeit kundzutun, doch vieles davon klang bizarr und verstiegen. Einige schienen ganz offenkundig in den Jugendgruppen eine Chance zu sehen, ihre privaten Schrullen und Interessen an den Mann zu bringen – ein im Übrigen keineswegs selten anzutreffendes Phänomen in der Jugendpflege. So schlug ein Breslauer Kolonnenarzt allen Ernstes folgende Themensequenz für die obligatorische Erziehungsarbeit in den ASBJugendsektionen vor: Astronomie, Mineralogie, Kristallographie, Botanik, Zoologie, Allgemeine Chemie und Physik, unorganische Chemie, organische Chemie, Kolloidchemie.8 Ein solch naturwissenschaftlicher Übereifer war zwar gewiss die Ausnahme, aber bei den Vorschlägen zur Jugendarbeit überwog nach wie vor die kognitive Wissensvermittlung – welche Kretzschmar auf dem Berliner Bundestag doch deutlich kritisiert hatte. Nach den Vorstellungen der älteren Arbeitersamariter hätte der ASB-Nachwuchs in den vier Jahren Jugendorganisation vorwiegend Anatomie, Wohlfahrts-, Jugend-, Versicherungs-, Krankenkassen-, Geschlechtskrankheiten-, Tuberkulose- und Invalidengesetze, Gewerbehy-

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giene, Geschäfts- und Kassenführung, Unfallberichte und Statistiken pauken und büffeln sollen.9 Die Jugendorganisation gewissermaßen als höhere Handelsschule – kein Wunder, dass die von oben projektierte Jungsamariterbewegung auch nach dem Berliner Bundestag nicht einen Schritt vorankam. Das Jugendprojekt des ASB befand sich zwei Jahre nach seiner Initiierung mithin unverkennbar in einer Sackgasse, und der Bundesvorstand konnte sich seine letzthin geübte Passivität nicht mehr leisten. Er tat, was Verbandsführungen in solchen Situationen oftmals zu tun pflegen: Er ernannte einen Beauftragten zur Untersuchung des Problems, den thüringischen Arbeitersamariter Sonneburg, und setzte eine Diskussion darüber auf die Tagesordnung des nächsten Bundestages, der 1927 in Weimar stattfand. Dort hatte eben jener Sonneburg über das Thema „Wie treiben wir unsere Jugendbewegung vorwärts?“ zu referieren. Die Erwartungen, die die nach Weimar gereisten Delegierten gerade an dieses Referat geknüpft hatten, waren außerordentlich hoch. Man erhoffte sich von der Bundesspitze endlich klare Regieanweisungen und verbindliche Vorschläge, wie es in der Jugendarbeit weitergehen solle, womit man die Jugendlichen am besten beschäftigen, mit welchen Methoden und Inhalten man die Jugendabende am erfolgversprechendsten ausfüllen könne. Kurzum: Die Delegierten wünschten keine langen Problemreflexionen – davon hatte es in der Vergangenheit bereits genug gegeben –, sondern handfeste, praktische und umsetzbare Rezepte für den Umgang mit ihrem Nachwuchs. Der Vortrag von Sonneburg jedoch war für die in Weimar Versammelten eine einzige Enttäuschung. Er bot genau diese Räsonnements über die allgemeinen Ursachen des Jugendproblems, von denen die Delegierten nichts mehr hören mochten. Ein stringentes jugendpädagogisches Konzept hatte der Referent nicht zu bieten; auf eine konkrete und praxisnahe Handlungsorientierung warteten die Bundestagsvertreter vergebens. Nur in einem Punkt wurde der Referent präzise, und dabei befand er sich in Übereinstimmung mit den Delegierten: in der Ablehnung jugendlicher Autonomiebedürfnisse und dem Beharren auf der jugendpflegerischen Kontrolle der Nachwuchsorganisation durch die örtlichen Kolonnenvorstände. In dieser Haltung mischte sich die samariterspezifische und keineswegs abwegige Skepsis gegenüber einer allzu großzügigen jugendlichen Eigenverantwortung mit den auch in den sozialistischen Verbänden virulenten organisationskonservativen und patriarchalischen Einstellungen. Sonneburg nämlich wollte nicht nur die Sanitäts- und Gesundheitsausbildung der Jugendlichen in die Hände erfahrener Samariter legen, wofür gewiss einiges sprach, sondern das gesamte Organisationsleben der Jugendabteilungen im Kontrollbereich der Kolonnenvorstände ansiedeln. Folgte man der Richtschnur von Sonneburg, dann durften die Jugendlichen keine eigene Kasse führen, keinen eigenen Vorstand wählen, kein eigenes Statut ausarbeiten, nicht einmal eigene Versammlungen abhal-

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ten. Denn jede Art von jugendlicher Selbstständigkeit wertete Sonneburg als „verderblich“; den Kolonnen werde dabei „alles aus der Hand gleiten“. Ein abschreckendes Beispiel hatte der Referent auch gleich parat: In der Kolonne Mühlhausen hätten die Jungsamariter ihre Autonomie ausgenutzt, um die älteren Genossen aus dem Kolonnenvorstand zu verdrängen. Sonneburgs rhetorisches Kalkül ging auf; der Bundestag quittierte seine Schilderung der Mühlhausener Ereignisse mit einem empörten „Hört! Hört!“. Doch so sehr sich die Delegierten in dieser Frage auch mit dem Referenten einig zeigten, so unzufrieden waren sie sonst mit ihm. Er hatte ihre Erwartungen nicht erfüllt, und sie gaben ihm das in der Debatte deutlich zu verstehen. Die Enttäuschung war groß, Ratlosigkeit herrschte vor, Frustration kam auf. Erneut meldeten sich einige Redner zu Wort, die der Jugendbewegung liebend gern den Garaus gemacht hätten. Abermals rief das den Bundesvorsitzenden auf den Plan, der die Delegierten nach bewährter Manier an ihrer Furcht vor den Behörden und an ihrem Ehrgeiz gegenüber dem Roten Kreuz packte. Ohne eine funktionierende Jugendorganisation, so Kretzschmar, werde man bei den Behörden im Verhältnis zu den „Roten Kreuzlern“ noch mehr als bisher benachteiligt werden. Insgesamt teilte die Mehrheit auf dem Weimarer Bundestag trotz aller Irritationen über die bisher fehlgeschlagenen Versuche, den Nachwuchs eigens zu organisieren, die Befürchtung des Referenten und des Bundesvorsitzenden, dass man ohne einen Jugendverband „dereinst aktionsunfähig“ sein werde. Die Delegierten waren mithin bereit, den drei Jahre zuvor eingeschlagenen Weg weiter fortzuschreiten. Allerdings setzten sich gerade die entschiedensten Befürworter dieses Vorgehens für eine leichte Kurskorrektur ein. Die Jugendarbeit sollte sich danach vom bislang dominierenden Leitbild kognitiver Wissensvermittlung lösen und künftig mehr für die Vergnügungen und Geselligkeiten öffnen. Ein Delegierter aus Wattenscheid kleidete diese Intention in die Worte: „Man muss die Jugend spielend gewinnen.“10 Nirgendwo sonst wurde diese Devise so sehr beherzigt wie in Westdeutschland, der Heimatregion jenes Delegierten, und nirgendwo sonst war der Jugendverband Ende der zwanziger Jahre so stark wie eben dort. Allein die Jungsamaritergruppen an Rhein und Ruhr konnten sich überlokal zusammenschließen und 1929 bereits zum zweiten Regionaltreffen einladen.11 Den Fundus dieser Gruppen bildeten eindeutig die geselligen Veranstaltungen. Die Jugendgruppe des ASB in Köln etwa war 1928 an 15 Abenden zu Vorträgen und Kursen zusammengekommen. Dem standen 49 Termine mit Spielen, Wanderungen und Gesang gegenüber. Die unterhaltende Geselligkeit war offenkundig der Kitt, der die Jugendabteilungen in der Domstadt zusammenhielt; die Kölner Jungsamaritergruppe galt als eine der stabilsten und erfolgreichsten im Reich, wurde oft als Vorbild gepriesen. Doch darf man sich über die Stärke auch dieser Renommier-

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gruppe nicht täuschen; der Mitgliederstand der Kölner Jugendsektion oszillierte in all den Jahren zwischen dreißig und vierzig Personen – ein Symptom gewiss für die im Allgemeinen unveränderte Schwäche der ASB-Jugendbewegung.12 Denn außerhalb des Westens schritt die Jugendbewegung auch nach dem Weimarer Bundestag nicht einmal in kleinen Schritten vorwärts. In seinem Neujahrsrückblick 1929 gestand der Bundesvorstand ein, dass es immer noch nicht gelungen war, gewichtige Ansätze einer Jugendorganisation zu schaffen.13 Indessen häufte sich im mittleren Funktionärskörper des ASB der Unmut über die Tatenlosigkeit der Bundesspitze. Der Chemnitzer Führung wurde vorgeworfen, die Kolonnen in der Jugendfrage allein und ohne Hilfe zu lassen. Die Untergliederungen erwarteten von der Bundeszentrale mehr propagandistisches Material und geistig-pädagogische Anregungen.14 In dieser Situation wollte sich der Bundesvorsitzende Kretzschmar nicht mehr auf andere verlassen. Er hatte noch die enttäuschten Repliken der Weimarer Delegierten auf den Vortrag Sonneburgs im Ohr und übernahm daher, obgleich ihm das Thema „eigentlich nicht so lag“, auf dem Kölner Bundestag 1929 selbst das Referat zum Dauerbrenner „Jugend“. Kretzschmar mühte sich auch redlich, moderne jugendpflegerische Erkenntnisse mit praktischen Vorschlägen zur Gestaltung der Jugendarbeit zu verknüpfen. Doch den Ton der Zeit traf auch der Bundesvorsitzende nicht. Zwischen den jugendpflegerischen Absichten des ASB und den Bedürfnissen, Lebensweisen und Aktionsformen der damals politisch und kulturell aktiven Jugendlichen tat sich eine offenbar unüberbrückbare Kluft auf. In seinem Referat auf dem Kölner Bundestag hatte Kretzschmar ohne Umschweife zugegeben, dass die Jugendabteilungen im ASB so „klein und unscheinbar“ waren, dass „man von einer Bewegung überhaupt nicht sprechen“ könne. Der Bundesvorsitzende sah indessen zwei Chancen, um aus der Misere herauszukommen. Zum einen strebte Kretzschmar eine bessere Ausbildung der Jugendführer an; an pädagogisch geeigneten und kompetenten Jugendleitern hatte es der Organisation in der Vergangenheit in der Tat gemangelt. Entscheidender aber war für den Vorsitzenden eine organisatorische Reform der Jugendabteilungen nach Maßgabe neuer Einsichten aus jugendpflegerischen Diskussionen. Dort verzichtete man bereits seit einigen Jahren darauf, die Jugend noch als homogene Gruppe mit einer einheitlichen Bedürfnis- und Interessenstruktur zu betrachten. Die Jugendpflege ging nun stattdessen im Wesentlichen von zwei unterschiedlichen Jahrgangsstufen aus: den 14- bis 17-Jährigen sowie den 18bis 20- bzw. 21-Jährigen. An dieser Grobrasterung orientierten sich auch Kretzschmars Vorschläge in Köln. Der Bundesvorsitzende empfahl, die Jugendabteilungen im ASB künftig ebenfalls in zwei eigenständige (Alters-)Gruppen mit je eigenen Aktivitäten und

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Inhalten aufzugliedern. Dabei sollten sich die Jüngerengruppen der 14- bis 17Jährigen hauptsächlich spielerisch und unterhaltend beschäftigen, mithin: Tanz, Sport und Geselligkeiten anbieten. Den älteren Jugendlichen unterstellte Kretzschmar größeren Ernst und eine ausgeprägtere Bildungsbereitschaft. Die 17- bis 21-Jährigen hatten sich daher nach seinen zu Gruppen zusammenzuschließen, in denen die Schulung überwog, in denen man dann in die Arbeiterschutz- und Sozialgesetzgebung, in die Naturwissenschaften und in weltanschauliche Grundfragen eingeführt wurde.15 Gewiss, Kretzschmars Referat war erheblich präziser und differenzierter als die Ausführungen von Sonneburg zwei Jahre zuvor. Doch am patriarchalischen Sprachgestus hatte sich kaum etwas geändert. Vieles von dem, was der Vorsitzende vortrug, mutete spießig und vorgestrig an. So etwa als Kretzschmar die Jugendlichen zur Lektüre der „schönen 1-Mark-Bändchen des Kosmos-Verlages“ ermunterte, da die Heftchen „außerordentlich viel wertvolles bieten“ würden. Oder wenn der Bundesvorsitzende die Jugendlichen ermahnte, ihr Liederbuch „fleißig zu studieren“, „um Wanderungen fröhlich zu gestalten“. Sobald die älteren Arbeitersamariter über Jugendprobleme redeten, begaben sie sich in die Pose des Volksschullehrers, der den 12-Jährigen gut zuredete, stets fleißig, brav und folgsam zu sein. Bei den aktiven Jugendlichen jener Jahre aber – nach innen zwar auch für autoritäre Mentalitäten anfällig, nach außen jedoch rebellisch, tatendurstig, voll grimmiger Entschlossenheit, bestimmte Ziele und Visionen durchzusetzen – war mit dieser Attitüde kein Blumentopf zu gewinnen. Keine andere Organisation im sozialistischen Milieu hatte dies so wenig begriffen wie der ASB; nirgendwo sonst war die Ignoranz gegenüber den gewandelten Ansprüchen und Bedürfnissen innerhalb der neuen Jugendkohorten so groß wie hier. Noch 1932, als der ASB durch dauerhaften Schaden eigentlich etwas klüger hätte sein sollen, wandten sich die zuständigen Arbeitersamariter in weiterhin oberlehrerhafter Manier an die wenigen Jugendlichen, die ihnen noch geblieben waren. Voran stand der Appell zum absoluten Gehorsam gegenüber dem erwachsenen Jugendleiter, es folgte die Kritik an liederlichem und unpädagogischem Verhalten einiger Jungsamariter, die in die Aufforderung zum fleißigen Lernen mündete – mehr fiel dem ASB-„Pädagogen“ auch nach acht Jahren Jugendbewegung im Samariterbund nicht ein.16 Dem ASB gelang es also bis zum Ende der Weimarer Republik nicht, eine quantitativ ernstzunehmende, kraftvoll und vital agierende Jugendorganisation aufzubauen. Dieses Scheitern hatte, wie gezeigt, mehrere Ursachen. Eine davon war der jugendpflegerische Konservatismus, der das Projekt von Beginn bis zum Ende belastete, da er mit dem Drängen der jungen Generation(en) in der Weimarer Republik nach eigenständigen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen in einer selbstgestalteten Gruppenpraxis nicht harmonisch überein zu bringen

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war. Doch dürfte der Fehlschlag des ASB im Nachwuchsbereich noch mehr dadurch zu erklären sein, dass der Samariterbund die Jugendlichen nicht in die primäre Organisationspraxis, eben die Sanitätstätigkeit und Erste Hilfe einbinden konnte. Das, was den eigentlichen Organisationszweck ausmachte und wofür sich auch Jugendliche interessierten, war für diese tabu – mit der Folge, dass in den Jugendabteilungen entweder schwer verdauliche Bildungskost oder aber rein künstlich wirkende Geselligkeit geboten wurde. Das erste war für die meisten Jugendlichen nicht zu ertragen, für das zweite brauchte man nicht in einen Samariterbund einzutreten. Insofern half auch die von Kretzschmar betriebene Zweiteilung der Jugendsektionen in Jüngeren- und Älterengruppen nicht weiter. Was Kretzschmar den Jüngeren an Praxis verordnete – Spiel, Sport, Wanderungen – konnten die Jugendlichen woanders sehr viel mehr und besser bekommen. Dafür gab es ja Organisationen, die sich eben solche Tätigkeiten zum Organisationszweck gesetzt hatten: die diversen Arbeiterturnverbände, die Naturfreunde, ja selbst die SAJ, die wenigstens über qualifizierte Pädagogen, etliche Jugendheime und eine gute Ausstattung verfügte. Was aber sollte einen 15-Jährigen motivieren, einer Jugendabteilung des ASB beizutreten? Sanitätsdienst durfte er dort nicht leisten, und zum Fußballspielen oder Wettrennen ging er lieber gleich in den Arbeiter-Turn- und -Sportbund. In die Irre gingen auch die Kalkulationen mit den Älterengruppen für die 18 bis 21 Jahre alten Jungsamariter. Diese unterschieden sich vom Temperament und der psychischen Disposition her zwar in der Tat von den jüngeren Jahrgangsstufen, jedoch auf eine andere Weise als von Kretzschmar angenommen. Allerdings teilte er seinen Irrtum mit anderen Funktionären von Arbeiterorganisationen, etwa Erich Ollenhauer, der ebenfalls Ende der zwanziger Jahre Älterengruppen in der SAJ installierte und gleichermaßen damit scheiterte. Kretzschmar und Ollenhauer glaubten, dass die älteren Jugendlichen weniger verspielt seien als die Jüngeren, dafür ernsteres Interesse an Fragen der Theorie und Bildung hätten; daher sollten sich die Älterengruppen in erster Linie mit intellektuellen und weltanschaulichen Fragen auseinandersetzen. Doch schon bald zeigte sich, sowohl in der SAJ als auch im ASB, dass das Gros der über 18 Jahre alten Jugendlichen zwar die Lust an den Volkstänzen, an Gesellschafts- und Geländespielen der Jüngeren verloren hatte, aber längst nicht zum geistigen Diskurs strebte. Eher lockte der Aktivismus: Agitationskampagnen, Demonstrationsaufmärsche, Versammlungsschutz, Reichsbannermilitanz – darin äußerte sich das Lebensgefühl der meisten 18- bis 25-jährigen Sozialisten in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren. Für die theoretischen Debatten in kleinen Bildungszirkeln erwärmte sich stets nur eine kleine Minderheit der Jugend. Und so führten die Älterengruppen in der Jugendbewegung, gleichviel ob in der SAJ oder im Arbeiter-Samariter-Bund, bald nur noch ein Kümmerdasein und gingen

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bald ein. Die SAJ konnte sich wenigstens auf das stabile Fundament ihrer RoteFalken-Gruppen stützen und blieb trotz aller inneren und äußeren Krisen in den Weimarer Jahren eine quantitativ starke, lebendige und aktionsfähige Jugendorganisation. Der ASB aber reüssierte weder bei den älteren noch bei den jüngeren Jugendlichen. Er hatte der jungen Generation insgesamt nichts zu bieten. Eine Jugendbewegung konnte daher in der Arbeitersamariterorganisation bis 1933 nicht entstehen.

D ER

PROLETARISCHE

C HORGESANG VERGREIST

Der Deutsche Arbeiter-Sängerbund (DAS) zählte im Jahr 1923 noch 264.000 Mitglieder. Neun Jahre später war der Bund auf 189.000 aktive Zugehörige geschrumpft.17 Auch in dieser Organisation war ein Nachwuchsproblem in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik unverkennbar. Nahm man den Zuspruch der Jugend als einen Indikator für die Zukunftsaussichten einer Organisation, so hatte der DAS seine beste Zeit in den zwanziger Jahren zweifelsohne bereits hinter sich. Jedenfalls war die geringe Resonanz, die der DAS in der Weimarer Zeit bei den Jugendlichen erzielte, im höchsten Maße alarmierend. 1929 sangen nur 3,2 Prozent seiner Mitglieder in Jugend- und Kinderchören mit. Insgesamt lag der Anteil jugendlicher Sänger in den Chören des DAS generell bei neun bis zehn Prozent.18 Das ganze Ausmaß mangelnder Repräsentanz des Sängerbundes im Nachwuchsbereich des sozialistischen Milieus wird durch einen vergleichenden Blick auf die Altersstruktur der Arbeitersportbewegung deutlich: So setzte sich der Arbeiter-Turn- und Sportbund zu über vierzig Prozent aus Mitgliedern zusammen, die das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten hatten.19 Demgegenüber war das Interesse der Jugendlichen an einem Engagement im Arbeitergesang äußerst gering. Die meisten Gaue hatten nur einige wenige hundert Mitglieder unter 21 Jahre organisieren können. Der Gau Berlin brachte es im Nachwuchsbereich gerade auf kümmerliche 429 jugendliche Mitglieder, das entsprach einem Anteil von 5,4 Prozent seiner Gesamtmitgliedschaft – ein Indiz vermutlich dafür, wie sehr die neuen kommerziellen Massen- und Freizeitkulturen gerade in den urbanen Metropolen durchschlugen und durch eine Fülle attraktiver Unterhaltungsangebote die konventionelle Vereinsgeselligkeit von ehedem im Freizeitverhalten besonders der Jugend ersetzten. Die modernen Trends der 1920er Jahre liefen mithin auch am DAS vorbei. Die neuen Bedürfnisse und Interessen der jungen Weimarer Generation waren andere als die, die im Arbeiter-Sängerbund Berücksichtigung fanden. Die Altersstruktur im DAS bekam eine bedenkliche Schlagseite, die Organisation drohte in den zwanziger Jahren hoffnungslos zu veraltern. Die Mehrheit seiner Mitglieder

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gehörte zur Kaiserreichsgeneration; in der Zeit des wilhelminischen Deutschland hatte das Gros der Arbeitersänger seine politische und lebensweltliche Sozialisation erfahren. Der kollektive Habitus der Arbeitersänger, ihre kulturelle Selbstinterpretation, ihr Ethos rührten aus dem Geist jener Vorkriegsgesellschaft, der jedoch den Weimarer Jugendlichen fremd und gleichgültig war. Besonders die leitenden Funktionäre des DAS hatten ihr politisches und kulturelles Handwerk nahezu ausnahmslos noch im 19. Jahrhundert erlernt. Die meisten Gauleiter des DAS dürften um 1925 über sechzig Jahre alt gewesen sein; nicht wenige hatten Ende der zwanziger Jahre bereits das siebzigste Lebensjahr überschritten, prägten aber nach wie vor den Gesangsbetrieb und die Organisationspraxis ihrer regionalen Chöre. Wenn man die Sozialdemokratische Partei der Weimarer Republik – nicht ganz zu Unrecht – als verkalkt und vergreist bezeichnen mochte, dann traf ein solches Verdikt auf den DAS in noch ungleich höherem Maße zu. Dabei hatten sich die Arbeitersänger, insbesondere auf ihren Delegiertentagungen, durchaus Gedanken darüber gemacht, welche gesellschaftlichen Umstände für die Mitgliedereinbußen und Rekrutierungsschwierigkeiten ihrer Organisation verantwortlich sein mochten. Es war den Sängern keineswegs verborgen geblieben, dass ihnen in der neuen Freizeitgesellschaft der zwanziger Jahre Konkurrenten herangewachsen waren, die vor allem auf die junge Generation höchst anziehend wirkten und die vormalige Attraktivität älterer Geselligkeits- und Kulturformen sukzessive verblassen ließen. Die Arbeitersänger erkannten, dass ihnen besonders der Sport Mitglieder abspenstig machte. Sie beklagten, dass auch Arbeiter ihre freie Zeit mit Kinobesuchen und Radiohören füllten. Sie lamentierten darüber, dass sich viele DAS-Mitglieder von den Arbeiterchören ab- und der neuen Wochenendebewegung, dem Reisen und Wandern also, zuwandten. Kurzum: Die Arbeitersänger sahen die neuen gesellschaftlichen Realitäten, die ihnen seit der Inflationsperiode so schwer zu schaffen machten; aber sie verstanden sie bis in die späten zwanziger Jahre im Grunde nicht. Jedenfalls mochten oder wollten sie keinesfalls die Motive für die veränderten kulturellen Orientierungen, denen insbesondere die Jugendlichen anhingen, nachvollziehen oder gar billigen. Im Gegenteil, sie entrüsteten sich über das neue Freizeitverhalten, stellten es empört unter Anklage, wandten sich angewidert davon ab und hielten trotzig am überlieferten Kulturverständnis fest, mit dem sie Jahrzehnte zuvor groß geworden waren, das ihnen Sicherheit, Selbstbestätigung, ja: Stolz vermittelt hatte. Die modernen Massenkulturen nahmen sie bis Ende der 1920er Jahre in erster Linie als Bedrohung wahr, als eine bedrückende „Kulturkrise“, welche die „volkserzieherische Aufgabe“ und den von ihnen entwickelten „Sinn für echte, solide schöngeistige Kulturarbeit“ ernsthaft gefährdete. Die jugendliche Begeisterung für den modernen Schlager und den Kinofilm konnten die Arbeitersänger lange Zeit nicht nachempfinden. Jenen pflegten sie als „Tingeltangelmusik“, diesen als

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„Schund“ abzuqualifizieren; beides denunzierten sie als „sittenverderbend“. Doch gerade mit dieser Sprache, hinter der sich schließlich die grundlegende Geisteshaltung der dominierenden älteren Generation im DAS verbarg, bauten sich die Arbeitersänger keine Brücke zur Arbeiterjugend. Im Gegenteil: Sie erschwerten dem Nachwuchs den Zugang zum Sängerbund, der sich folglich in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre mit erheblichen Rekrutierungsproblemen zu plagen hatte.

S OZIALISTISCHE S TUDENTEN

WACHSEN NACH

Auch die Sozialistische Studentenschaft galt als Nachwuchsorganisation der Sozialdemokratie. Sie sollte sich erst ab 1922 allmählich formieren. In den Jahren zuvor existierte nur eine schwer zu entwirrende Vielfalt von sozialistischen Studentengruppen, die schnell und enthusiastisch gegründet, nicht selten aber kurz danach desillusioniert und enttäuscht wieder aufgegeben wurden, interne Konflikte und Spaltungen durchmachten, zu Sekten verkamen und mit anderen Studentengruppen sozialistischen Anspruchs oftmals spinnefeind waren. Die Mehrheit dieser sozialistischen Studenten hatte mit der (Mehrheits-)Sozialdemokratie nicht viel im Sinne; politisch-ideologisch standen sie eher in der Tradition und Kontinuität der radikalen freideutschen Jugendkulturbewegungen, nach den Novemberereignissen 1918 mitgerissen von kommunistischen Utopien und schwärmerisch inspiriert von dem Gedanken der „Diktatur des Proletariats“ und der sie anleitenden Intellektuellen.20 Soziologisch entstammten die Protagonisten dieser frühen deutschen sozialistischen Studentenbewegung nahezu ausnahmslos dem Bildungsbürgertum. Die meisten Gruppen waren „intersozialistisch“, das heißt, sie umfassten Mitglieder und Sympathisanten der USPD, der KPD und der MSPD. Der erste Kongress des schließlich neuen, sozialdemokratisch orientierten Verbandes Sozialistischer Studentengruppen Deutschlands und Österreichs (VSStÖ) trat im März 1923 in Frankfurt zusammen. Allzu viele Mitglieder hatten die Delegierten, besonders die der reichsdeutschen Gruppen, jedoch nicht zu vertreten. Der Verband startete mit nur 1200 Mitgliedern, und davon kamen allein achthundert aus Wien, der Hochburg der internationalen sozialistischen Studentenbewegung schlechthin. Auch die SPD verhielt sich trotz des sozialdemokratischen Bekenntnisses der neuen Organisation zunächst eher abwartend reserviert; das Tohuwabohu der letzten Jahre hatte sie misstrauisch und ablehnend gestimmt, und Intellektuelle wurden in der Arbeiterbewegung schon seit Bebels Zeiten erst „doppelt und dreifach“21 kritisch unter die Lupe genommen, bevor man sie akzeptierte. Immerhin aber hatte der Berliner Parteivorstand den Hauptreferenten der Frankfurter Tagung, den Arbeitsrechtler und Rechtssoziologen

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Hugo Sinzheimer, damit beauftragt, den studentischen Delegierten Grußworte der Partei zu entrichten. Der Parteivorstand hatte darin seinen Wunsch ausgedrückt, dass die Sozialistische Studentenschaft künftig ein klares Verhältnis zur Partei gewinnen möge.22 Tatsächlich taten sich vor allem die reichsdeutschen Gruppen mit der praktischen Integration in die sozialdemokratische Arbeiterbewegung außerordentlich schwer. Viele Gruppen arbeiteten mehr oder weniger als kleine und isolierte Theorie- und Debattierzirkel am Rande der Partei und träumten diffus davon, irgendwann einmal die Erneuerung der sozialistischen Theorie und Kultur bewerkstelligen zu können. Noch die Reichstagung der sozialistischen Studenten Anfang 1925 in Hamburg betrieb eine vorwiegend binnenorientierte und introvertierte Nabelschau über den „Intellektuellen als Zwischenschicht“ bzw. den „Geistigen Arbeiter und den Sozialismus“ – so die Themen der Referate und Aussprache.23 Ein Jahr zuvor, auf der Verbandstagung in Leipzig Anfang August 1924, hatten sich die sozialistischen Studentengruppen aus Österreich, die als Massenbewegung sehr viel stärker in den sozialdemokratischen Organisationen verankert waren, noch gegen diese Art der „Vergeistigung“ und kulturellen Überhöhung zur Wehr gesetzt und stattdessen den politischen Kampf gefordert; ohne Erfolg allerdings, die Mehrheit der Delegierten stützte die kultursozialistische Linie des Verbandsvorsitzenden Otto Stammer.24 1925 wechselte die Verbandszentrale von Leipzig nach Berlin; der Vorsitz ging von Otto Stammer auf Otto Friedländer über. Die Krise in der deutschen Studentenschaft, deren Mehrheit sich von Jahr zu Jahr weiter nach rechts radikalisierte, zwang die sozialistischen Studenten zunehmend in die Arena der politischen Auseinandersetzungen. Aufgrund der Übermacht der völkischen Studentengruppen an den Universitäten sah sich die Verbandstagung der sozialistischen Studenten kurz vor Weihnachten 1927 in Heidelberg dazu veranlasst, über den Sinn und Zweck einer – seit 1922 bereits locker bestehenden – Zusammenarbeit mit den Studentenverbänden des demokratischen Bürgertums zu entscheiden.25 Nach einer zäh und kontrovers geführten Debatte entschloss sich die Mehrheit der Delegierten zu einer weiteren Kooperation mit den übrigen republikanischen Studentenorganisationen, wozu Anfang Februar 1928 in Berlin der Deutsche Studentenverband (DStV) als demokratische Alternative zur rechtsradikalen Deutschen Studentenschaft (DSt) gebildet wurde.26 Innerhalb der sozialdemokratischen Studentenorganisation blieb das republikanische Bündnis jedoch auch weiterhin umstritten. Auf den Delegiertenkonferenzen 1929 und 1931 forderte der linke Verbandsflügel den Austritt aus dem DStV, konnte sich damit aber beide Male nicht durchsetzen.27 Seit Ende der zwanziger Jahre veränderte sich die sozialdemokratische Studentenschaft erheblich. Das begann bei der Sozialstruktur. Wo früher die Kinder aus dem Bildungsbürgertum dominierten, rückten nun die Söhne und Töchter

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aus den Facharbeiterfamilien nach. Sie waren durch Arbeiterabiturientenkurse, Aufbauschulen und Begabtensonderprüfungen an die Universitäten gekommen, hatten sich der sozialistischen Studentenorganisation angeschlossen und deren Basis enorm verbreitert. 1931 zählte der sozialistische Studentenverband 5500 Mitglieder und war damit der quantitativ stärkste parteipolitische Studentenverband an den deutschen und österreichischen Universitäten überhaupt; der ungleich einflussreichere Nationalsozialistische Deutsche Studentenverband kam zur gleichen Zeit auf nur viertausend Mitglieder. Auch organisatorisch wandelte sich die sozialistische Studentenschaft; es gelang ihr der Entwicklungssprung von einer föderativ zerstreuten Bewegung zu einer zentral geleiteten, in das Netz der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung eingepassten Organisation. Das fing mit der Bezeichnung an: Der Verband trug seit 1929 nun einheitlich und verbindlich den Namen Sozialistische Studentenschaft Deutschlands und Österreichs (SSt); vorher herrschte da Beliebigkeit, insbesondere auf der lokalen Ebene. Der geschäftsführende Hauptvorstand in Berlin gewann an Gewicht; er vergrößerte sich 1929 zunächst von drei auf fünf, dann, zwei Jahre später, um weitere zwei auf sieben Mitglieder, und er sorgte für eine Straffung und Zentralisierung der Tätigkeiten und Funktionen. Die Berliner Verbandsspitze um den 1929 neugewählten Vorsitzenden Kurt Berlowitz führte jetzt eine zentrale Kartothek ein, gab einheitliche Mitgliederkarten aus, verschickte regelmäßig Rundschreiben an die Ortsgruppen, versandte Organisationsmaterial und erteilte Anweisungen für Flugblattaktionen. 1930 richtete die Verbandszentrale Reichsfachschaften ein, die die in den späten 1920er Jahren örtlich entstandenen Fachsektionen zusammenfassen und koordinieren sollten.28 Politisch wandte sich die Sozialistische Studentenschaft etwas von den Theoriediskussionen der früheren Jahre ab und rückte stattdessen ihre Aufmerksamkeit mehr auf konkrete hochschulpolitische Reformfragen. Auf der Verbandstagung Mitte Dezember 1929 in Berlin verabschiedeten die sozialistischen Studenten ein Hochschulprogramm, in dessen Mittelpunkt die Forderungen nach einer sozialen Öffnung der Hochschulen, nach dem Ausbau des Stipendiumwesens und einer gleichzeitig strikt anzuwendenden Begabtenauslese zwecks Reduzierung der überhöhten Studentenzahlen standen. Die Sozialdemokratische Partei baute ihr Misstrauen gegen die sozialistischen Jungakademiker mehr und mehr ab und bewegte sich langsam auf die Studentenorganisation zu. Auf der Berliner Tagung konnte die Tagungsleitung gleich mehrere Spitzenfunktionäre der SPD, der sozialdemokratischen Kulturorganisationen und der Freien Gewerkschaften als Gäste begrüßen; der prominenteste Konferenzbesucher war der preußische Ministerpräsident Otto Braun.29 Anfang der 1930er Jahre ging die Partei noch einen Schritt weiter und regte die Bildung einer Sozialistischen Hochschulgemeinschaft an. Diese, unmittelbar

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im Anschluss an die Braunschweiger Delegiertentagung der Sozialistischen Studentenschaft im Juni 1931 gegründet, bestand aus Vertretern der SPD, des ADGB, der sozialdemokratischen Professorenschaft sowie des Hauptvorstandes der Sozialistischen Studentenschaft und hatte zum Ziel, „die Hochschulpolitik der Sozialdemokratischen Partei zu fördern und ihre studierende Jugend geistig, gesellschaftlich und wirtschaftlich zu stützen“.30 Die SSt unternahm nun ihrerseits alle Anstrengungen, sich in das Organisationsgeflecht der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung einzufügen und dort durch praktische Mitarbeit Anerkennung zu finden. Der Braunschweiger Studententag forderte alle Mitglieder der Sozialistischen Studentenschaft auf, in den ihren Studien- und Fachgebieten entsprechenden Arbeitsgemeinschaften der Sozialdemokratie mitzuwirken und sich bereits als Studenten den für sie in Frage kommenden Gewerkschaften anzuschließen.31 Die neue organisatorische Entwicklung der SSt fand indessen nicht überall ungeteilten Beifall. Auf der Berliner Reichskonferenz des sozialdemokratischen Studentenverbandes Anfang November 1930 äußerte der linke Flügel Unmut über die „beginnende Überorganisation“ und den vom Berliner Hauptvorstand betriebenen Zentralismus. Die Verbandsopposition befürchtete, dass damit der Einfluss der Basisgliederungen zurückgedrängt und die Organisation als ganze entpolitisiert werden sollte. Die Zahl der Kritiker an der Politik des Hauptvorstandes nahm, nicht zuletzt aufgrund der Konflikte innerhalb der SPD über die Tolerierung des Kabinetts Brüning, im Laufe des Jahres 1931 weiter zu. Auf der Verbandstagung 1931 in Braunschweig brachte die Opposition bis zu vierzig Prozent der Delegierten hinter sich und hätte beinahe die Wiederwahl des Vorsitzenden Kurt Berlowitz32 zu verhindern vermocht. Im Sommer/Herbst 1931 weiteten sich die innerverbandlichen Streitigkeiten zu einer ernsthaften Krise für die Sozialistische Studentenschaft aus. Zahlreiche Funktionäre bzw. ganze Sektionen verließen den sozialistischen Studentenverband; teils schlossen sie sich, wie etwa in Bonn, Königsberg und Heidelberg, den Roten Studentengruppen der Kommunisten an, teils gründeten sie, wie besonders in Breslau, Köln und München, im Oktober 1931 den Sozialistischen Studentenverband, der der SAP nahe stand.33 Die so noch weiter geschwächte sozialistische Studentenbewegung hatte, trotz aller propagandistischen Bemühungen, in den frühen 1930er Jahren nicht die Kraft und personellen Reserven, die aktivistischen Kampftruppen des „Hochschulfaschismus“ abzuwehren. Die studentischen Organe an den deutschen Universitäten gehörten zu den gesellschaftlichen Einrichtungen, welche die Nationalsozialisten bereits vor ihrer „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 und mit Zustimmung der studentischen Mehrheit einnehmen konnten.34

IX. Radikalisierung und Liquidierung des Weimarer Jungsozialismus

N EUE G ENERATION

IM

Ü BERGANG

Die Jungsozialisten und die mit ihnen sympathisierenden erwachsenen Sozialdemokraten führten während der gesamten Dauer jungsozialistischer Existenz mit einer bemerkenswerten Konstanz die Diskussion über Legitimität und Identität ihrer Bewegung.1 Da die Jungsozialisten in den ersten Jahren ihres Bestehens ganz offensichtlich nicht in der Lage waren, die Masse der 18- bis 25-jährigen Sozialdemokraten zu erfassen, sondern im Gegenteil die Pflege ihrer geistigen Elitestellung und die Distanzierung vom Leben der Partei für besonders erstrebenswert hielten, konnte es kaum ausbleiben, dass gewichtige Teile der Partei – unabhängig von ihrem sonstigen politischen Standort – am Sinn und Nutzen dieser „Sonderorganisation“ zweifelten. Nach dem von der Parteiführung misstrauisch beobachteten Kurswechsel und der Austrittsbewegung der Anhänger des Hofgeismarkreises mehrten sich die kritischen Stimmen gegenüber den Jusos in der Partei. Die beiden bekanntesten linken Jugend- und Erwachsenenbildner in der Weimarer Republik, Georg Engelbert Graf und Otto Jenssen, warfen in ihren Meinungsäußerungen denn auch die alles entscheidende Frage auf, ob die Organisation der Jungsozialisten eine für die 18- bis 25-jährigen Sozialdemokraten psychologisch und soziologisch notwendige Organisation sei oder ob nicht die jungerwachsenen Sozialdemokraten nach ihrem 18. Geburtstag kategorisch zum sofortigen Eintritt in die Partei aufgefordert werden sollten. Otto Jenssen hob die Notwendigkeit einer die psychologischen Eigenarten der 18- bis 25-Jährigen berücksichtigenden Organisation hervor, ohne dabei die Gefahren der Isolierung von der SAJ nach unten bzw. der Partei nach oben zu ignorieren.2 Auch Engelbert Graf sorgte sich, dass die jungsozialistische Bewegung das Refugium „für allerlei Einzelgänger und sonderbare Propheten geworden ist, die Proselyten machen und für ihre Idee Gehör finden, oft auch Gläubige und fanatische Partei-

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gänger“.3 Doch nach Auffassung von Graf hatte dies nichts mit politischen Richtungsentscheidungen zu tun, sondern war ein entwicklungsbedingter Ausdruck der in hohem Maße sensibilisierten 18- bis 25-jährigen Jugendlichen. Denn in diesem Alter werde der Eigenbrötler lebendig: „[Er] fühlt und reckt sich. Verlangt Betätigung und Anerkennung. Will aus der Masse sich herausheben. Beansprucht Sonderstellung und Sonderwertung. Die Sterne holt er sich vom Himmel und gräbt in die tiefsten Tiefen der Unterwelt einen Schacht. Kein Problem, kein Menschheitsrätsel ist für ihn unlösbar – er will Antwort; er gibt eigene Antwort. Keine Vergangenheit gilt für ihn – er ist ganz Gegenwart und Zukunft. Und die Menschheit ist für ihn ‚Masse‘, Teig zum Kneten, Ton zum Formen, Truppe zum Führen. […] Es ist tief in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft begründet, dass diese Phase nur von einem Bruchteil der Jugendlichen erreicht und durchlebt wird. […] Richtungskämpfe, Klüngelhaftigkeit, Sektiererei, Führungsrivalitäten, all das ist wesenhaft für die jungsozialistische Bewegung; es ist gleichsam seine eigentliche Ausdrucksform.“4

Wie unfertig das Tun und Reden dieser Jugendlichen auch sein mochte, so machte Graf doch in diesem Nachwuchs das Reservoir künftiger Führerschaft aus5, das die Sozialdemokratische Partei und das Proletariat in ihrem Zustand „kapitalistischer Verseuchung“ und ihrer Imitierung „bürgerlicher Unkultur“ benötigten.6 Gleichwohl: Von Beginn an dominierte bei etlichen älteren Parteifunktionären das Misstrauen gegenüber der nach Distanz und Autonomie drängenden jungsozialistischen Bewegung. Die bekannten Allüren mancher Jungsozialisten, sich als „Führer“ einer erneuerten sozialistischen Bewegung aufzuspielen, erschien vielen altgedienten Parteiarbeitern als Größenwahn einer unreifen, verwirrten Jugend. Schließlich hatte es in ihren jungen Jahren, in der „Heroenphase“ der Sozialdemokratie, auch keine jungsozialistische Bewegung gegeben und dennoch war die Partei – so eine favorisierte Redewendung in diesem Kreis – „groß und stark“ geworden.7 Es blieb nicht aus, dass in zahlreichen Ortsvereinen und Bezirken der Sozialdemokratie ein äußerst frostiges Verhältnis zwischen der Partei und den Jungsozialisten herrschte; es existierte zweifellos eine „nicht selten offene Abneigung älterer Funktionäre gegen diejenigen Grünschnäbel, die immer alles besser wissen wollen, bevor sie noch trocken hinter den Ohren sind.“8 Da nun der durchschnittliche, seit Jahrzehnten durch die Kleinarbeit der Alltagspraxis geformte Parteisekretär häufig nicht willens war, den „Theoretikern“ und „Besserwissern“ der jungsozialistischen Bewegung zu einer politisch verantwortlichen Arbeit in der Partei oder gar zu einem Mandat zu verhelfen, zogen sich etliche Jugendliche aus der anfangs nicht ohne Erwartungen begonnenen

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Parteiarbeit zurück. Auf diese Weise wurden die Ortsvereine und Bezirksorganisationen die „Störer“ los; und es ließ sich gleichzeitig trefflich auf das abgesonderte Dasein der Jungsozialistengruppen schimpfen. Ganz offensichtlich tat sich in der Geschichte der Sozialdemokratie erstmals ein tiefer Riss zwischen den Generationen auf.9 Im Vergleich zur Sozialdemokratie August Bebels und im Vergleich zur Kommunistischen Partei war der Funktionärsapparat der SPD überaltert. Wesentlicher aber als die rein altersmäßige Kluft zwischen dem Nachwuchs und den Funktionären der Partei wirkten sich die unterschiedlichen politischen Biografien aus. Der größte Teil älterer Funktionäre hatte die formative politische Sozialisation nach der Jahrhundertwende im wilhelminischen Deutschland im Rahmen der stetig aufsteigenden Partei- und Gewerkschaftsbewegung erfahren. In dieser Phase gelangen der Gewerkschaftsbewegung der organisatorische Auf- und Ausbau sowie die allmähliche Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen mindestens eines Teils der arbeitenden Bevölkerung. Das entscheidende strategische Ziel, welches sich diese Funktionärsgeneration gesetzt hatte, war die gesetzliche Fixierung tariflicher Abkommen und Mitwirkungsmöglichkeiten in einem noch zu erkämpfenden demokratischen Staat. Durch die Revolution 1918/19 waren die wesentlichen Ziele und Aufgaben dieser Generation zunächst erfüllt worden und es galt hernach vorrangig, die Errungenschaften gegen die Angriffe der politischen Rechten zu verteidigen. Es musste somit eine ganze Schicht inzwischen ergrauter Funktionäre kränken, als ein großer Teil der eigenen Parteijugend Anfang der 1920er Jahre die Resultate ihres Lebenswerkes als „Spießbürgerei“ und bourgeoise „Lohnkämpferei“ verächtlich abtat. Die Grenzen des Zumutbaren waren für viele Funktionäre des Parteizentrums überschritten, als die Jungsozialisten ihren anfänglich diffusen Protest ab 1925 mit den Kategorien des Linkssozialismus ausdrückten und sich ganz bewusst in den innerparteilichen Scharmützeln auf die Seite der vor allem durch die sächsischen Parteibezirke repräsentierten Parteilinken stellten. In der Tat war die tiefe Differenz in den lebensgeschichtlichen Erfahrungen und den analytischen Bewertungen der sozialen und politischen Prozesse nicht zu übersehen: Für die vor allem in der mehrheitssozialdemokratischen Tradition stehenden Sozialdemokraten war die Republik von Weimar in der politischen Sphäre die Verkörperung des lang ersehnten „Volksstaates“, der zu verteidigen und zu schützen wert war. Für die Jungsozialistenmehrheit ab 1925 handelte es sich dagegen im Kern um die Diktatur der Bourgeoisie und des Großgrundbesitzes. Nach Auffassung der Historiker Moritz Föllmer, Rüdiger Graf und Per Leo lag in dieser Einstellung das eigentliche Dilemma der Weimarer Republik begründet: „Weitreichende Ansprüche auf Gestaltungsmacht, Veränderbarkeit und institutionelle Leistungen benötigen das Krisenbewusstsein zu ihrer Legitimation, verstärkten es aber auch,

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wenn sie nicht bald in Erfüllung gingen. […] In der Tat haben in letzter Zeit verschiedene Autoren herausgearbeitet, dass parlamentarisches System und Sozialstaat durchaus beeindruckende Koordinations- und Verteilungsleistungen erbrachten, die jedoch von den meisten Zeitgenossen und in ihrer Nachfolge vielen Historikern verkannt worden sind. Das eigentliche Strukturproblem der Weimarer Republik war in dieser Perspektive der immense Erwartungsüberschuss, der zu immer neuen Enttäuschungen führte und führen musste.“10

Jedenfalls: Große Teile der Parteiorganisation sahen wenig Anlass, die Jungsozialistengruppen noch zu fördern, wie es ja ihre Pflicht nach dem Beschluss des Kasseler Parteitages von 1920 gewesen wäre. Verzweifelt bemühte sich daher die Reichsleitung der Jungsozialisten um Aussprachen mit Vertretern des Parteivorstands, um den Bestand der eigenen Gruppe zu sichern11, zumal auf dem Höhepunkt der vom Parteivorstand mit Argwohn beobachteten Auseinandersetzung zwischen Hofgeismarern und Hannoveranern der Plan kursierte, die Jungsozialisten durch Gruppen „Junger Sozialdemokraten“ zu ersetzen.12 Hier nun sollte sich kurzfristig das sonst von den Jungsozialisten eher beklagte Desinteresse der breiten Mitgliedschaft an Fragen der Jugend positiv für die Existenz der Jungsozialisten auswirken. Da die turbulenten Richtungskämpfe im Verlauf des Jahres 1926 ganz offensichtlich ein Ende gefunden hatten und die Parteiöffentlichkeit auch sonst nur wenig Notiz von den Jungsozialisten nahm, schien es dem Parteivorstand im Spätsommer 1926 eher opportun, in der stets nur mit Schwierigkeiten verbundenen Jugendfrage nicht weiter aktiv zu werden und eine mögliche Organisationsalternative vorerst zu den Akten zulegen.13 Auch wenn der zentrale Parteivorstand in Berlin vor einer radikalen Reform der Jugendbewegung zurückschreckte, so war er dennoch gewillt, die Beziehungen zur Jungsozialistenbewegung neu und organisatorisch enger zu fassen. Die Absicht des Parteivorstandes korrespondierte in diesem Fall mit den Wünschen der Juso-Reichsleitung, die anders als ihre jugendbewegten Vorgänger eine stärkere Verflechtung mit der Partei anstrebte. Franz Lepinski ließ auf einer Reichsausschusssitzung am 27. September 1926 in Anwesenheit des Parteivorsitzenden Hermann Müller keinen Zweifel daran, dass die neue Mehrheit bei den Jungsozialisten eine andere Stellung zur Partei als früher die Hofgeismarer hätte: „Wir sind die Erziehungsorganisation der Partei, die in Gemeinschaft mit der SAJ die Jugend des Proletariats für den politischen Kampf in der Partei schulen und reif machen will.“14 Der Parteivorstand kam in der Folge mit den Jungsozialisten überein, dass die Geschäftsführung der Jungsozialisten, die seit 1923 vom Büro der Hauptvorstandes der Sozialistischen Arbeiterjugend getragen wurde, ab Ende 1926 durch das Büro des Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit übernommen werden sollte.15 Der Parteivorstand und die Juso-Reichsleitung einigten sich durch Richtlinien darauf, dass die Jungsozialistengruppen „ihre An-

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gelegenheiten im Einvernehmen mit der Partei bzw. den Bildungsausschüssen [regeln]. In die Orts- und Bezirksbildungsausschüsse entsenden die Jungsozialisten einen stimmberechtigten Vertreter. Das gleiche Vertretungsrecht haben die Bildungsausschüsse gegenüber den Orts- und Gauleitungen der Jungsozialisten. An den Orten haben die Jungsozialisten in engster Fühlung mit der Parteiorganisation zu arbeiten und sich in den Dienst der Partei zu stellen.“16 Das Mitglied der Juso-Reichsleitung, Bruno Neumann, kündigte nun in den Spalten des sozialdemokratischen Theorieorgans Die Gesellschaft eine neue Ära des Jungsozialismus an. Die jungsozialistische „Wandlung vom kleinen Kreis geistiger ‚Richtungen‘ zur weitgespannten Erziehungsorganisation“ sei nunmehr – durch die enge und über jene „Richtlinien“ ratifizierte Verknüpfung der jungsozialistischen Schulungspraxis mit der Bildungsarbeit – abgeschlossen. „Der Weg ist zurückgelegt vom Jungsozialismus der Gesinnung zum Jungsozialismus der Erziehung“17, so Neumann. In der Tat konnte man zu der Auffassung kommen, dass mit der eindeutigen Fixierung der Jungsozialisten als Erziehungsorganisation für die Partei ein wesentlicher Schritt von der alten Tradition der „kleinen Gemeinschaften der Heiligen“, die in „aristokratischer Sonderstellung“ der „Mentalität der Geheimrätlichkeit“ frönten18, hin zur festen Parteifundamentierung getan war. Dennoch überschätzten Bruno Neumann und mithin die meisten Jungsozialisten die neue Qualität der formalen Regelungen und der institutionellen Reform. In der nüchternen und an alltäglichen Praxisfragen interessierten Sozialdemokratie spielte in den Ortsvereinen die Theorie- und Bildungsarbeit lediglich eine untergeordnete Rolle.19 Die Parteisekretäre waren froh, dass sich die Jungsozialisten diesen örtlich teilweise brachliegenden – im Bedarfsfall aber gut kontrollierbaren – Feldern annahmen, zumal die „Theoretisierer“ und „Spintisierer“ dort keinen großen Schaden anrichten konnten. Insofern hatte die Partei die rebellischen Jungsozialisten auch auf das Gleis der reinen Bildungsarbeit abgeschoben20, wo sie als abgeschlossene Arbeitsgemeinschaften vielfach doch nur die alten, zu frühzeitig überwunden geglaubten Gewohnheiten reproduzierten.

S TAAT UND D EMOKRATIE – E INFLÜSSE UND E INFLÜSTERUNGEN DES LINKEN AUSTROMARXISMUS Kein anderes Problem hat die Jungsozialisten der Weimarer Republik so intensiv beschäftigt wie die analytische Bestimmung von „Staat und Demokratie“. Wenn auch die Reichskonferenz in Jena deutlich gemacht hatte, dass eine Mehrheit der Jungsozialisten eine nicht-reformistische Interpretation der Rolle und Funktion des Staates präferierte, so war zugleich nicht zu übersehen, dass die neuen, linkssozia-

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listisch orientierten Kategorien höchst diffus und unscharf vagabundierten. Man hatte folglich an einer soliden marxistischen Staatstheorie noch zu feilen. Als allzeit bereiter Mentor stand ihnen bei diesem Bemühen der Vertreter des linken Flügels der österreichischen Sozialdemokratie, Max Adler, willens zur Seite. Zeitzeugen der sozialistischen Jugendbewegung waren sich über die Auftritte Max Adlers als Redner einig: Er war von einer hinreißenden Wirkung, ein Rhetor, der seine Zuhörer begeisterte, fesselte und aufrüttelte. Ein kleiner untersetzter Mann, so erzählen sie, dessen Gesicht zu leuchten begann, wenn er die Vision des Sozialismus, das Fundamentale der sozialen Revolution und die historische Sendung des neuen, revolutionären Menschen in Bildern und Appellen entwarf, die alle Selbstzweifel auslöschten, Gefühle des Kleinmutes wegräumten und den Glauben an die bessere Zukunft neu belebten. Mit dem Willen, als „neue Menschen“ der Sache der Revolution zu dienen, gingen die meisten Zuhörer aus den Veranstaltungen mit Adler heraus.21 „Neue Menschen“, so lautete auch der Titel – der Programm war –, eines kleinen Buches von Max Adler aus dem Jahre 1924; vielleicht die Schrift, die am meisten auf jungsozialistischen Bildungsabenden dieser Jahre gelesen und diskutiert wurde. Denn schließlich wollten auch die linken Jungsozialisten „neue Menschen“ sein, an diesem traditionellen Selbstverständnis der Bewegung rüttelten sie keineswegs. Indes glaubten sie, dass das, was Adler ihnen als Erziehungsprogramm anbot, sich radikal von dem der früheren Vorstellungen unterschied: früher ein Wald- und Wiesensozialismus, utopische Weltflucht, eine kleinbürgerliche Idylle vorweggenommener Selbstverwirklichung gleichsam; nun: Vorbereitung auf die soziale Revolution, Durchdrungensein vom geistigen Gut des marxistischen Revolutionärs, der „in der Vorhut des Proletariats kämpft“22. So sehr auch die Schlagwörter und Zielprojektionen auseinander gingen – im Grunde aber waren die Wurzeln für den Drang nach neuem Menschentum doch die gleichen, und die Formen der Praxis ähnelten einander sehr. Ob freideutschautonomistische, parteiorientierte junge Mehrheitssozialdemokraten mit Schillerkragen, frühere SPJler, Hofgeismarer und Hannoveraner, sie alle vertrauten nicht mehr auf den Tag nach der Revolution, auf den gesetzmäßigen Gang der Dinge, sie alle zweifelten daran, dass mit den entwickelten Produktionsverhältnissen höhere Formen des menschlichen Zusammenlebens gleichsam automatisch einhergehen würden. Adlers Diagnose, dass zwischen der Reife der Ökonomie und der psychologischen und moralischen Reife des Proletariats eine tiefe Kluft herrsche, hätten Hofgeismarer sicher ebenso zustimmend unterschreiben können, wie sie wahrscheinlich die Furcht des Österreichers geteilt haben dürften, dass erneut, wie 1918/19, ein großer Moment auf ein schwaches Geschlecht stoßen könnte.23 „Zwar seien im Jahre 1918 die ökonomischen Vorbedingungen für die Sozialisierung vorhanden gewesen“, gab die Breslauer Volkswacht den

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Inhalt einer Rede Max Adlers vor den schlesischen Jungsozialisten wieder, „doch habe es dem Proletariat an der dazu erforderlichen seelischen und moralischen Reife gemangelt. Hieraus müsse man die Lehre ziehen, dass an die Stelle des nur auf Augenblicksvorteile bedachten opportunistischen Praktikers der vom revolutionären Willen zur bewussten Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchdrungene neue Mensch treten müsse, damit der große Augenblick nicht ein zweites Mal ein kleines Geschlecht finde.“24 Dem entgegenzuwirken, ein starkes Geschlecht herauszubilden, das war der Wunsch aller Jungsozialisten, ganz gleich welcher Fraktion. Dass sich dieses andere Menschsein in der Art der Ehe, des erotischen Lebens, im Sport, der Kunst und Lebensgestaltung, der Kindererziehung und Jugendbewegung, auf den Feldern der Staatsauffassung und Politik niederschlagen müsse, wie Adler postulierte25, gehörte ebenfalls zum Allgemeingut jungsozialistischen Strebens. Dabei hatte Adler diese Praxisbereiche nur thematisch benannt, niemals aber konkrete Überlegungen über präzise Entwürfe eines alternativen Zusammenlebens angestellt. Ihm reichte, dass der „neue Mensch“, den er sich vorstellte, von einem „neuen Geist“, einer „revolutionären Gesinnung“, einer „klassenkämpferischen Ideologie“ erfüllt sei. Ein Laboratorium für sein Konzept fand Max Adler ab 1925 in der sogenannten „weltlichen Schulbewegung“.26 Seit 1925 wurde Adler nicht nur zum neuen Star der Jungsozialisten, sondern auch zum Ideologen der mehr und mehr zum Linkssozialismus tendierenden weltlichen Schulbewegung. In Referaten auf zentralen, da weichenstellenden Tagungen dieser Bewegung in Düsseldorf und Dortmund im Jahr 1925 setzte sich Adler pointiert mit dem Postulat der „neutralen Erziehung“ auseinander. Für diese Maxime hatte Adler nur Hohn und Spott übrig; es war ihm ein reines Hirngespinst bürgerlichen Denkens. Denn nach seiner Auffassung gab es nur eine bürgerliche oder eine sozialistische Erziehung; für eins von beiden musste sich jeder Lehrer, ob er nun wollte oder nicht, entscheiden. Bisher sei die Pädagogik, so Adler, im Wesentlichen nur ein Kunstprodukt gewesen. Zur Wissenschaft werde sie erst durch die Verbindung mit der Soziologie, also der Lehre vom Wesen und der Entwicklung der Gesellschaft. Als „allein gültige Soziologie“ stand Adler zufolge einzig der Marxismus zur Verfügung. Die Pädagogik musste sich also, wollte sie auf einer tragfähigen Grundlage stehen, in den Klassenkampf einfügen und zum Sozialismus erziehen. Dadurch wurde die schulische Erziehung nach Ansicht des österreichischen Theoretikers keineswegs zu einer Parteisache oder weltanschaulichen Sonderbestrebung, denn die Lehre vom Klassenkampf, der Marxismus mithin, war schließlich, so Adler, pure Wissenschaft. Dagegen war die „neutrale Erziehung“ nichts weiter als „eine schändliche Utopie“. „Der Glaube an den Sozialismus“, so das Urteil von Ernst Hanisch über das Wissenschaftsverständnis des Austromarxismus, „wurde durch den Glauben an die Wissenschaft erst zu einer politi-

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schen Religion, die sich dadurch den traditionellen Religionen weit überlegen fühlte“.27 Schließlich warnte Adler sein Publikum davor, „über den Sperling in der Hand die Taube auf dem Dach zu vergessen“. Die weltlichen Lehrer sollten sich nicht mit dem republikanischen Staat zufriedengeben, sondern mit allem Einsatz um das einzig wirklich solidarische Gemeinwesen, die klassenlose Gesellschaft, kämpfen. Mit Reformen werde das nicht zu bewerkstelligen sein. Adler verlangte die revolutionäre Bereitschaft, und er wies den Pädagogen dabei eine gewichtige Rolle zu: „Der Lehrer unserer Schulen muss ein Klassenkämpfer sein, ein neuer revolutionärer Mensch, voll Glauben an das Ziel und voll Begeisterung; dann wird er wissen, was er in der Schule zu tun hat; und nur dann kann er schaffen, was Not tut: Neue Menschen!“28 Eduard Heimann hatte als Schlüsselbegriff die „Sittlichkeit“ und „Gesinnung“ gewählt, Mennicke sprach vom „Geist“, Tillich forderte „Sinn“, Rosendahl glaubte, die Lösung in der „geistigen Revolution“, der „Abstreifung bürgerlichen Bewusstseins“ entdeckt zu haben, de Man wünschte sich „Gesinnungs-“ statt „Interessensozialismus“ und Nelson schließlich plädierte für die „Reformation der Gesinnung“. Bei Max Adler nun hatte dieser „Geist- und Gesinnungssozialismus“, der quer durch alle Fraktionen des Jungsozialismus das Schibboleth überhaupt bildete und die Alltagskommunikation in der jungsozialistischen Bildungsarbeit – und nur dort war diese möglich! – diskursiv widerspiegelte und kurzschlüssig verallgemeinerte, seinen formvollendeten Höhepunkt erreicht. Die Krise des zeitgenössischen Sozialismus, das Elend des opportunistischen Reformismus – Schuld an alledem habe, so Adler, nur der „falsche Geist“. Zur Befreiung der Menschheit, zur Herstellung der klassenlosen Gesellschaft bedürfe es allein der „revolutionären Gesinnung“. Diese Auffassung propagierte Adler in all seinen zahlreichen Büchern, Reden, Aufsätzen und Zeitungsartikeln mit unermüdlicher Pedanterie. „Nur wenn im Proletariat überall der rechte Geist gepflegt wird“, fasste Adler in einer Rede den Kern seiner Anschauungen zusammen, „entsteht von selbst die Internationale. Halten wir den Geist lebendig, bis die Stunde der Befreiung geschlagen hat.“29 Mit Marxismus freilich hatte das alles nur noch wenig zu tun. Der sozialrevolutionäre Geistsozialismus des an Fragen der Ökonomie und der Realanalyse sozialer Kräfteverhältnisse und Bedingungsfaktoren gänzlich uninteressierten Max Adlers schrumpfte daher zu einem nahezu inhaltsleeren idealistischen Voluntarismus. Inhaltsleer deshalb, weil das revolutionäre „Gesinntsein“, das er forderte, allein auf den jenseitigen Endzustand gerichtet war und in der Regel mit der Formel von der „Diktatur des Proletariats“ als Durchgangsstadium zu einer höchst idyllisch gesehenen sozialen Demokratie übersetzt wurde. Dagegen hielt Adler strategische Fragen über das Diesseits der Republik, das Denken in Bündnisbeziehungen, Koalitionsmög-

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lichkeiten, Oppositionstaktiken sowie konkrete Kampflosungen oder Reforminitiativen, sozialpolitische Maßnahmen oder außenpolitische Friedensaktivitäten für ebenso überflüssig und abwegig wie die besorgten Fragen nach der konkreten Gestalt der sozialistischen Gesellschaft und den Formen einer alternativen Ökonomie. Nichts davon hat Adler auch nur im Ansatz interessiert.30 Und nichts davon brauchte auch der „neue Mensch“ zu wissen, solange er nur revolutionär gesinnt war. Es verstand sich fast von selbst, dass die richtige proletarische Gesinnung, die der „neue Mensch“ repräsentativ verkörpern sollte, mit den empirischen Ausdrücken des subjektiv geäußerten Klasseninteresses der Arbeiterschaft wenig zu tun hatte, ja, zu Adlers Bedauern, dazu gerade in einem Gegensatz stand. Der österreichische Neukantianer war sich in diesem Punkt, wie man sieht, mit dem Neohegelianer Lukács und seinem Schwelmer Epigonen Rosendahl ganz und gar einig. Wo sich das Interesse an der augenblicklichen Verbesserung der Lebensverhältnisse durchsetze, überall dort, wo es zuvörderst um einen Kampf um Indexziffern, Arbeitszeitverkürzungen und Wohnungsfragen gehe, überall dort habe „der Geist des Sozialismus keine Stätte mehr“, so Adler.31 Der Lohnstandpunkt, befand dieser, „ist im Grunde gar kein proletarischer, sondern ein konservativer Standpunkt“32. In dem Punkt wiederum konnte er sich des Beifalls Eduard Heimanns gewiss sein. Konsequent zu Ende gedacht, mussten Adlers „neue Menschen“ sowohl fernab vom bürgerlich-kapitalistischen Einflusssektor als auch von der mit reformistischen Ideologien durchsetzten Arbeiterbewegung aufwachsen, als eine scharf abgesonderte Kaste von „neuen Menschen“, die sich seelisch und intellektuell, in der Art der Bedürfnisartikulation bereits vollständig von der bürgerlichreformistischen Umwelt verabschiedet hatten. Insofern war Adlers Konzept des „neuen Menschen“ im Grunde trotz aller revolutionären Verbrämung noch mehr Eskapismus, noch mehr Flucht vor der Welt, wie sie nun einmal war, noch mehr isolierende Vergemeinschaftung33 als die harmlos versponnene, etwas romantische Vorstellung vom „neuen Menschen“ aus der Lebensreformzeit der jungsozialistischen Bewegung. Man kann es noch weit ärger und drastischer sehen: Durch Adlers „zutiefst antipluralistische[s], auch antiindividualistische[s] Modell“34 geriet der „neue Mensch“ ins Doktrinäre. Ein Typus sollte entstehen, der sich im Besitz der ganzen Wahrheit wähnte, der auf alle Fragen die richtige, revolutionär gesinnte Antwort parat hatte und Zweifel nicht mehr kannte. Adler zog die Quintessenz in seiner Schrift „Neue Menschen“ ganz bewusst. Bereits die Kinder sollten, wenn irgend möglich, dem Einflussbereich der Familien, wo das Fortexistieren von bürgerlich-reformistischen Vorstellungen zu befürchten war, entführt und einer sozialistischen Erziehung übereignet werden, damit sie „gar nicht anders mehr denken und fühlen können als sozialistisch“.35 Adler for-

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derte einen trennenden Einschnitt in das hergebrachte Leben, durch den die zu Erziehenden „so aus der alten kapitalistischen Welt losgelöst werden, dass, während sie körperlich noch in diese Welt hineinwachsen, sie geistig ihr bereits ganz entrissen sind, sie seelisch bereits als Glieder einer neuen Gesellschaft aufwachsen, die in dieser alten Klassengesellschaft gar nicht mehr leben wollen, weil sie dies nicht mehr können“.36 Was aber, wenn die kapitalistische Gesellschaft zäh am Leben bliebe, wenn trotz der revolutionären Abneigung einer Schicht von „Geistsozialisten“ nicht erschüttert würde, was dann mit den neuen Menschen? Verzweifeltes Desperadotum, ein revolutionär gesinntes Mönch-Dasein irgendwo in der Abgeschiedenheit am Rande der Arbeiterbewegung oder schlicht Ernüchterung, Enttäuschung, Resignation und Abfall vom sozialistischen Glauben, war das alles undenkbar? Die jungsozialistische Bewegung und die weitere Lebensgeschichte ihrer Protagonisten kannten zumindest die beiden letzten Perspektiven.37 Ein jungsozialistisches Jesuitentum mit dogmatischen Allüren allwissender Selbstgefälligkeit kam besonders in der Endphase der Organisation auf; angeführt im Übrigen von Fritz Lewy, dem Freunde Max Adlers. Jahre später wollte Fritz Lewy – seit 1947 als Ökonom und leitender Statistiker beim Weltwährungsfond tätig, er starb im Mai 1990 – dann „mit der deutschen Arbeiterbewegung nichts zu tun haben“38. Das, was die Jungsozialisten in ihrer Anfangszeit mit dem Wunsch nach neuem Menschsein bezwecken wollten und was im Weimarer Kultursozialismus weiterhin eine wichtige Rolle spielte, wirkte insofern sympathisch, als hier der Sozialismus aus dem Jenseits einer in die Zukunft projektierten Erlösungsvision in den Alltag selbstverantwortlicher Subjekte geholt wurde. Bei allem bizarren Expressionismus, aller verschnörkelten Romantik, steckte im kultursozialistischen Verständnis vom „neuen Menschen“ ein Stück Realismus, barg es insofern einen humanen ethischen Anspruch, weil man hier die Welt nicht mehr von einem fernen Punkt aus betrachten, interpretieren und verändern wollte, das Heil nicht von dem einen gesellschaftlichen Umschlag aus der Quelle produktionstechnischer Reife erwartete, sondern stückchenweise Verantwortung auf jeden Einzelnen zu übertragen gedachte. Der ,,neue Mensch“, so gefasst, war eben nicht ein Medium hybrider und absolutistischer Vollendungsansprüche und -planungen, sondern ein Appell, die moralischen Zielsetzungen im Umgang mit dem Ehepartner, den Kindern und Freunden ernst zu nehmen. Der „neue Mensch“ dieser Façon verstand sich als ein Gegengewicht zum bornierten Ökonomismus, als Warnruf vor Behäbigkeit und selbstgenügsamer Egozentrik im Hier und Jetzt. In Max Adlers Konzept fehlten diese Elemente nicht, aber sie blieben peripher, genauer: sie waren allein dem festgelegten Jenseits, einem geschichtlichen Endzustand verpflichtet, integriert in ein Deutungssystem vom „revolutionären Geist“, das die Welt wieder aus einem Punkt heraus vollständig

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begreifen und mit letztgültiger Sicherheit aus den Angeln heben und verändern wollte, Skrupel, Zweifel und Irritationen nicht mehr zuließ.39 Gleichviel: Es gab gute Gründe, dass die erste Generation des linken Jungsozialismus auf den Theoretiker Max Adler stieß, da dessen Mischung von soziologisch veredeltem Subjektivismus und radikaler politischer Staatsauffassung das sozialisationsprägende Lebensgefühl und die politischen Sozialerfahrungen dieser Jungsozialisten gewissermaßen anspruchsvoll und einleuchtend vokalisieren konnte. Über das sozialisationsprägende Lebensgefühl dieser Generation ist genug gesagt worden, es war nicht anders als das der Hofgeismarer; eben nur mit dem Unterschied, dass sich die „linken“ Jungsozialisten eine nicht-objektivistische Philosophie von einem anerkannten Linkssozialisten zu borgen wünschten, während sich ihre Opponenten mehr im Lager der religiös-sozialistischen Denker umsahen oder in den Schriften von Hendrik de Man.40 Adlers Erkenntnistheorie, bekanntlich der Versuch, Marx mit Kant zu verbinden, bot den Jungsozialisten des linken Flügels die Schlüsselbegriffe für die Ablehnung des vulgären, ökonomistisch verengten Marxismus der Vorkriegsepoche und offerierte ihnen einen „lebendigen Marxismus“ als ein System der Willensentscheidungen vergesellschafteter Subjekte. So, derart verkürzt und agitatorisch handhabbar gemacht, haben die linken Jungsozialisten dieser Jahre Max Adler jedenfalls rezipiert.41 Die darauffolgende Generation im linken Jungsozialismus hingegen konnte ebenso wie die älteren Sozialdemokraten des linken Flügels mit dem Kantianer Adler nichts Rechtes anfangen. Sie hielten sich allein an den linkssozialistischen Staatstheoretiker; auch das ein Beispiel dafür, wie ernst generationsspezifische Lebensgefühle zu nehmen sind. In der politischen Theorie operierte Max Adler mit einer Terminologie, die offenkundig vielen Jungsozialisten aus dem Herzen sprach.42 Im Grunde sei es ganz falsch, pflegte der Wiener Professor seinen Schülern einzuschärfen, ganz allgemein von „Demokratie“ zu sprechen, wie das leider in den sozialdemokratischen Parteien inzwischen üblich geworden sei. Man müsse stets nach der sozialen Funktion einer solchen „Demokratie“ fragen, um deren wirklichen Charakter zu enthüllen. Dann aber könne kein Zweifel darüber bestehen, schlussfolgerte Adler, dass es sich bei Republiken wie der von Weimar ihrem Wesen nach um Diktaturen der Bourgeoisie handele. Adler unterschied zwei Arten von Demokratie: die politische und die soziale Demokratie. Die erste definierte er als Zustand politisch-rechtlicher Gleichheit bei Fortdauer sozialer Interessengegensätze, also als die soziale Diktatur der einen Klasse über die andere in einer daher unsolidarischen Gesellschaft. Die zweite, die soziale Demokratie, kennzeichnete er als das ideelle Gesellschaftsverhältnis der sozialen Gleichheit aller Bürger in einer harmonischen solidarischen Gesellschaft, dem sozialistisch-kommunistischen Endzustand gleichsam. Reaktionäre Unterminierungen der politischen Demokratie, selbst faschistische Ausnah-

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megesetze standen nach Adlers Auffassung und in nahtloser Übereinstimmung mit Carl Schmitt keineswegs in einem Widerspruch zur politischen Demokratie, da sich die Bourgeoisie ihre diktatorischen Maßnahmen, gestützt auf die demokratischen Mehrheiten in den gewählten Vertretungskörperschaften, legitimieren lasse. „Daher hat die Rechtsordnung im bürgerlichen Staat von vornherein den Charakter der Diktatur der herrschenden Klassen über die Besitzlosen; und dies wird nur durch die Form der politischen Demokratie verkleidet.“43 Anders ausgedrückt und erweitert: Diktatur und Demokratie sind nicht per se widersprüchlich – die Diktatur ist gar eine typische Äußerungsform der politischen Demokratie in Zeiten bedrohter Klassenherrschaft. Zu den politischen Demokratien zählte Adler auch die Diktatur des Proletariats, da sie, die er für ein unvermeidliches Durchgangsstadium zur solidarischen Gesellschaft erklärte, Resultat und Ausdruck des neuen Mehrheitswillens in der Bevölkerung sei. Die Aufgabe der Diktatur des Proletariats sollte sein, ginge es nach Adler, die Voraussetzungen für die soziale Demokratie herzustellen. Dabei war es nach Auffassung des Wiener Linkssozialisten – was ihn in schärfsten Gegensatz zu Otto Bauer brachte44 – eine ausschließlich taktische, nicht aber eine prinzipielle Frage, inwieweit bei der Eliminierung der Klassengegensätze bestimmte Freiheits- und Artikulationsrechte der einst herrschenden Klasse eingeschränkt würden. Im Prinzip hielt Adler solche repressiven Maßnahmen der proletarischen Diktatur für unumgänglich, aber sie dünkten ihm – hier war Adler wiederum ganz nahe bei Carl Schmitt von der anderen Seite des ideologischpolitischen Spektrums45 – gut demokratisch, da sie der gesetzgeberische Akt eines von der Majorität legitimierten Vollzugsorgans seien. Die Diktatur des Proletariats als Herrschaftsorganisation war allerdings noch nicht mit der sozialen Demokratie gleichzusetzen; denn ein solches Gesellschaftsverhältnis konnte nach dem Dafürhalten des österreichischen Sozialisten in einem Staat gar nicht realisiert werden. Nach Liquidierung der Klassen- und Interessengegensätze sei eine Zwangsorganisation als Herrschaftsorganisation auch gar nicht nötig, da alle Glieder einer solidarischen Gesellschaft ein deckungsgleiches Gemeininteresse hätten und die Einzelwillen „in einem allgemeinen Willen zusammenfließen“46. Dementsprechend würden dezentrale und autonome, wenn auch miteinander verbundene Selbstverwaltungskörper in der sozialen Demokratie den überkommenen zentralistischen Staatsapparat der politischen Demokratien ersetzen. Angesichts der Komplexität und Schwierigkeiten der so radikal orientierten gesellschaftlichen Umwälzungen war es, folgt man Adler, leicht einzusehen, dass innerhalb jeder dieser Arbeits- und Gemeinschaftskreise selbstständiger Basisorganisationen „eine solche innerliche Beziehung ihrer Glieder vorausgesetzt ist, die sowohl das gleiche Interesse wie eine durchschnittliche gleichmäßige Sachkunde überall nicht nur ermöglichen, son-

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dern notwendig machen werden. So wie die soziale Demokratie erst wirklich den Begriff menschlicher Vergesellschaftung widerspruchslos realisiert, so schafft sie auch aus ihren Lebensbedingungen heraus, unterstützt durch eine entsprechende Erziehung der Jugend, die solidarischen Bewusstseinsformen dieser Vergesellschaftung: Interesse an der Gemeinschaft und Verständnis ihrer Anforderungen.“47 Radikale Staatskritik, die Vision von einer widerspruchsfreien Vergesellschaftung und die bewusste Erziehung der Jugend zu neuen Menschen – Adler verknüpfte diese Elemente zu einem einheitlichen Ganzen, er schuf dadurch für viele Jungsozialisten die erwünschte Synthese aus Lebensgefühl, Utopiebedürfnis und politischer Sozialerfahrung. Damit hat Adler dem jugendlichen Verlangen nach Sinngebung über das Alltägliche hinaus gewiss entsprechen können. Gesinnungsethische Radikalität und Zukunftsvisionen mögen auch ein nicht unberechtigtes Korrektiv zum allzu routiniert-phantasielosen Pragmatismus der sozialdemokratischen Parteibürokratie gewesen sein. Realanalytisch verwandt mochte auch die von Adler präferierte Methode der sozialwissenschaftlichen Untersuchung von klassenspezifischen Voraussetzungen politischer Systeme zu differenzierteren Ergebnissen und strategischen Leistungen stärker fähig sein als eine einfache Verabsolutierung des normativen Demokratiegedankens. Gleichwohl hatte Adlers globale und entschieden zu abstrakte Einteilung der politisch-sozialen Systeme in „solidarische“ und „unsolidarische“ Gesellschaften und sein Transzendenzbegriff von Sozialismus jeglichen analytischen Vorzug zunichte gemacht und bei den Jungsozialisten Verwirrung angerichtet. Dort gab es in den kommenden Jahren immer Stimmen, die Gleichgültigkeit gegenüber der republikanischen Staatsform und den demokratischen Grundrechten propagierten.48 Sie beriefen sich dabei nicht zuletzt auf Adler – wenn auch nicht ganz zu Recht, denn dieser hat zwischendurch immer einmal die „Demokratie“, diesen „teuer erkauften Rechtsboden“ hervorgehoben. Eine systematische linkssozialistische Politik, die den historischen Fortschritt demokratischer Rechte sichern, als Eigenwert bewahren und zudem für weitere Emanzipationsziele nutzen wollte, war zweifelsohne mit den Adlerschen Formeln nicht zu begründen. In der bürgerlichen Welt, die Adler theoretisch abzubilden versuchte, herrschte, wenn man so will, dunkle Nacht, in der alle Katzen grau waren. Seine Grundaussage, dass jede Klassenherrschaft von ihrer sozialen Funktion her Diktatur sei und sich in bedrohlichen Situationen durch die Suspendierung der Staatsgrundgesetze und die Verhängung des Ausnahmezustandes auch als solche manifestiere, verwischte jedenfalls nicht nur in fast abenteuerlicher Leichtfertigkeit die substantiellen Unterschiede zwischen liberal-demokratischen Republiken und autoritären Militärregimes, sondern konnte auch in sich wenig überzeugen. Denn wenn man die Behauptung des diktatorischen Charakters der politi-

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schen Demokratien mit ihren zeitweiligen Äußerungsformen belegen wollte, dann war das analytisch ziemlich inkonsistent: Im Gegensatz zur Grundannahme von der „Diktatur“ als dem Wesen der politischen Demokratie schlechthin wäre demnach nur noch eine Tendenz zu den Mitteln und staatsrechtlichen Regeln einer Diktatur im Falle außergewöhnlichen Notstands für die herrschenden Klassen festzustellen. „Was ist das Wesen der Diktatur?“, fragte deshalb der kluge und scharfsinnige Leipziger Jungsozialist Arkadij Gurland in einer Auseinandersetzung mit der Staatstheorie Adlers polemisch. „Soll sie ihr Merkmal darin finden, daß die Verfassung der politischen Demokratie suspendiert, also die Demokratie eingeschränkt wird? Aber wenn diese Aufhebung oder Beschränkung der Demokratie, letztere etwa als Zustand gefaßt, Diktatur sein sollte, dann ist offensichtlich dieser Zustand selbst, der nunmehr aufgehoben wird, keine Diktatur, denn sonst könnte nicht die Aufhebung eines Zustandes, der Diktatur ist, zugleich ihrerseits wiederum Diktatur sein.“49

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Wenn auch Max Adler, der Referent des Hannoveranerkreises auf der Jenaer Konferenz war und die Rezeption seiner Gedanken in den staatstheoretischen Beiträgen der Jungsozialistischen Blätter 1926 eindeutig vor anderen Interpretationen überwog, so wäre es dennoch verfehlt, angesichts der dezentral angelegten Struktur der nur lose verbundenen Juso-Organisationen, die Wirksamkeit alternativer linkssozialistischer Einschätzungen zur Funktion des Staates und dem Charakter der Weimarer Republik in der Bildungsarbeit der jungsozialistischen Bewegung zu übersehen. Nicht nur die österreichischen Parteiführer Otto Bauer und Friedrich Adler hatten erhebliche Vorbehalte gegen Max Adlers Gleichsetzung von „politischer Demokratie“ und „Diktatur“. Auch die linkssozialdemokratischen Pädagogen der Jungsozialisten wie Anna Siemsen, Otto Jenssen und Siegfried Marck, die als ständige Referenten in Juso-Gruppen wirkten, folgen Adler nicht. Anders als Max Adler, der die unterschiedlichen politischen Systeme der modernen bürgerlichen Gesellschaften durch die hochabstrakte Reduzierung auf deren soziale Funktion samt und sonders als in „politischen Demokratien ausgedrückte Diktaturen“ bezeichnete, begriff Anna Siemsen die politische Demokratie ausschließlich als gesellschaftlichen Zustand, in dem die Koalitionsfreiheit und die Pressefreiheit garantiert seien und das parlamentarische System nicht nur formal existiere, sondern eine funktionsfähige Kontrolle über reale Machtfaktoren wie das Militär, die Bürokratie, die Justiz und die Polizei ausüben könne.50 Mit dieser Bestimmung der politischen Demokratie war Siemsen weitaus stärker als Adler fähig, die spezifi-

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schen Defizite der ersten deutschen Republik zu benennen. So war es für sie vollkommen unzutreffend, im Zusammenhang mit dem Weimarer Staat von einer veritablen politischen Demokratie auszugehen. Vielmehr handelte es sich nach Auffassung der Thüringer Pädagogin und sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten um eine Ordnung, in der neben einigen demokratischen Elementen undemokratische Strukturen fortexistierten, wahrscheinlich dominierten.51 Auch der linke Breslauer Sozialdemokrat und Professor der Philosophie Siegfried Marck hielt es nicht nur des Sprachgebrauchs wegen, sondern auch aus analytischer Einsicht heraus für abwegig, die „Diktatur“ mit dem gewöhnlichen Unterdrückungsmechanismus jedes Klassenstaates gleichzusetzen. Im Gegensatz zu Adler betrachtete er den rechtlich geregelten Ausnahmezustand nicht als das Wesen der politischen Demokratie und verwarf daher prinzipiell die Formel von der „Diktatur“ als „adäquate Form der politischen Demokratie“. Deshalb wollte Marck allein für die Situation des Ausnahmezustands und für den Dauerzustand terroristischer Herrschaft den Begriff der „Diktatur“ verwendet wissen.52 In die gleiche Richtung ging ein Definitionsvorschlag, den Otto Jenssen anbot. Jenssen, dezidierter Anhänger des austromarxistischen Zentrums53, teilte die hier vorherrschende Skepsis gegenüber der missverständlichen Formulierung von der „Diktatur des Proletariats“, wie sie von den Klassikern in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts geprägt und von Max Adler erneut zur Verwendung vorgeschlagen wurde, und optierte stattdessen für den Gebrauch des Begriffes „Klassenherrschaft des Proletariats“. Jenssen empfahl, von Diktatur nur dann zu reden, wenn damit die an keine Gesetzgebung gebundene Herrschaft einer sich des Gewaltapparats besonders bedienenden minoritären Gruppe gemeint sei. Demgegenüber charakterisierte sich der demokratische Übergang zum Sozialismus nach Auffassung Jenssens nicht nur durch Legitimation eines mehrheitlichen Votums der Bevölkerung, sondern durch die politischen wie rechtlichen Garantien und Artikulationsfreiheiten, die selbst der antisozialistischen Minderheit in dieser Phase des grundlegenden gesellschaftlichen Wandels eingeräumt werden müssten.54

S ELBSTVERSTÄNDNIS – E RZIEHUNGS - UND B ILDUNGSORGANISATION DES J UNGPROLETARIATS Die Annahme der Richtlinien zwischen Parteivorstand und der Reichsleitung der Jungsozialisten über die organisatorische und politische Rolle der Jusos signalisierte Ende 1926 das vorläufige Ende des über ein Jahr dauernden Zwists zwischen der zentralen Leitung der Partei und ihrer Jugendorganisation. Zunächst vollzog sich in den meisten Orten die Integration der Jungsozialisten in die

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Arbeit der Bildungsausschüsse der SPD überraschend schnell und harmonisch. Dies lag auch an der zweifelsohne liberaleren Einstellung der für die Bildungsausschüsse Verantwortlichen, denen schon aufgrund ihrer Funktion die sonst häufige Verachtung theoretischer Debatten abging und die eher erfreut waren, mit den Jungsozialisten aktive Sekundanz bei der Wiederbelebung der Mitte der zwanziger Jahre arg vernachlässigten Bildungsarbeit der Partei gewonnen zu haben. Ein weiterer Grund mochte in dem neuen, mit besonderem Eifer propagierten Selbstverständnis der Jungsozialisten gelegen haben. Vor allem die Kerngruppe in der Reichsleitung der Jungsozialisten um den Vorsitzenden Franz Lepinski, den Geschäftsführer Alexander Stein und den Redakteur der Blätter, Engelbert Graf, begründete in den ersten Monaten des Jahres 1927 aufwändig den Anspruch und die Zielsetzung der Jusos, als fester Bestandteil der Partei die Aufgabe der Erziehung und politischen Bildung der jungen Arbeiterschaft übernehmen zu wollen.55 Die schon seit Jahren mit den spezifischen Problemen der Jungsozialisten vertrauten Funktionäre verhehlten dabei nicht die Gefahr, dass sich auch nach der „inneren Festigung“ der Jusos deren Neigung zur abgeschlossenen Debatte im „Diskussionszirkel“ fortsetzen und die in der „scharfen Luft wissenschaftlicher Abstraktion“ weniger geübten jungen Proletarier endgültig abstoßen könnte.56 Fast beschwörend appellierte daher der stellvertretende Hannoveraner Juso-Bezirksvorsitzende Karl Wiechert an die Jungsozialisten im Reich: „Heraus aus der Isolierung! Heraus aus der Passivität des Grübelns! Hinein in die Tagesarbeit! […] Die Arbeit an uns selbst, die marxistische Schulung hat nur dann einen Sinn, wenn sie in die Tat umgesetzt wird.“57 Das Niveau der Bildungsarbeit der Jungsozialisten war ambitioniert. Das von Engelbert Graf geleitete „Bildungs- und Erziehungsprogramm“, die Jungsozialistischen Blätter, beschäftigte sich unter anderem mit Themen wie „Frauenfrage und Sexualität“, „Kolonialismus und Imperialismus“, „Sowjetunion“, „Verspießerungsgefahr“, „Friedenspolitik“, „Literatur und Kunst“, „Klassenjustiz“, „Probleme der Sozialisierung“, „Schule und Erziehung“. Da trotz der Existenz einer linkssozialistischen Zeitschrift, der von Paul Levi herausgegebenen Sozialistischen Politik und Wirtschaft (SPW), zu dem Zeitpunkt kein Organ existierte, das sich mit solchen über die Tagespolitik hinausreichenden Fragen von einem linkssozialdemokratischen Standpunkt aus beschäftigt hätte, zirkulierten die Jungsozialistischen Blätter nicht nur im Milieu der organisierten Jungsozialisten, sondern trafen vor allem auch in Kreisen älterer, theoretisch interessierter SAJler auf Interesse. Bei ihnen, aber auch bei erwachsenen linken Sozialdemokraten, fand zudem die Anfang 1927 mit Unterstützung von Max Adler, Engelbert Graf und Anna Siemsen herausgegebene Jungsozialistische Schriftenreihe, in der Max Adler über „Die Aufgabe der Jugend in unserer Zeit“, Alfred Braunthal über „Die Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Wirtschaft“, Arthur Calloun

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über „Die amerikanische Arbeiterbewegung“, Ernst Fraenkel „Zur Soziologie der Klassenjustiz“ und Otto Jenssen über den „Kampf um die Staatsmacht“ schrieben, ein außergewöhnlich starkes Echo. Die Jungsozialistischen Blätter vermittelten denjenigen älteren SAJlern, die ihre linksoppositionelle Haltung in der Auseinandersetzung mit dem Hauptvorstand zu munitionieren versuchten, eine nützliche Argumentationshilfe. Die nachfolgenden Reichskonferenzen der SAJ in Leipzig 1928 und Lüneburg 1930 sahen dann auch eine starke und selbstbewusst-offensiv operierende linke Opposition, deren Repräsentanten in vielen Redebeiträgen auf das positive Beispiel der Jungsozialistischen Blätter und der Schriftenreihe verwiesen und sich Engelbert Graf als Mitarbeiter bei dem von ihnen gering geschätzten Publikationsorgan der SAJ wünschten, womit sie allerdings nicht durchdrangen.58 Ebenso gewannen die Bildungsprogramme einiger großstädtischen Ortsvereine der Sozialdemokratie durch die Jusos an quantitativer Fülle und inhaltlicher Systematik. Die Jungsozialisten versuchten in dieser Phase zu belegen, dass sie große Energien für die Arbeit der Bildungsausschüsse der Partei aufzubringen bereit waren, um – wie es hieß – „wieder die Verschmelzung von Theorie und Praxis herzustellen“.59 Die um Pfingsten 1927 in Dresden tagende Reichskonferenz der Jungsozialisten drückte nochmals plakativ den Willen der Jusos zur politischen Mitarbeit innerhalb der programmatisch und tagespolitisch mitunter heftig kritisierten, gleichwohl für grundsätzlich veränderungsfähig gehaltenen Partei aus. Einstimmig definierten die Jungsozialisten infolgedessen ihre Aufgabe, „in den Reihen des Jugendproletariats für die Ideen des Sozialismus zu werben und der Sozialdemokratie neue Kämpfer zuzuführen. Dieser Aufgabe können die Jungsozialisten nur gerecht werden, wenn sie als untrennbarer Bestandteil der Partei Hand in Hand mit der Organisation regsten Anteil an der Bildungs- und Kulturarbeit nehmen.“60 Vorangegangen war dieser Manifestation das vom Sekretär des Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit und gleichzeitigen Geschäftsführers der Jusos, Alexander Stein, gehaltene Hauptreferat zum Thema „Jungsozialisten und Arbeiterbewegung“. Stein hatte als guter Kenner der spezifischen Eigenarten des deutschen Jungsozialismus einen analytisch scharfen Blick für die Schwächen und Gefahren in der Entwicklung dieser Jugendorganisation und versuchte dementsprechend nüchtern, die einzig realistische Perspektive der Jusos zu umreißen.61 Der russische Emigrant und Menschewik Stein, dem avantgardistische Allüren zuwider waren, warnte die Jungsozialisten vor der Neigung, als kleine Gruppe der gesamten Partei Vorschriften über die Strategie der Arbeiterbewegung machen zu wollen.62 Der Kerngedanke in Steins Referat war die Aufforderung, nicht in der Abgeschiedenheit esoterischer Debattierklubs zu verharren, sondern als „Initiativgruppen“ junger Arbeiter und Arbeiterinnen das, was durch die Lektüre dicker

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Bücher erarbeitet worden war, in die Praxis der großen Masse der arbeitenden Jugend hineinzutragen, um im realen Kampf der Klassen die theoretischen Kenntnisse, „die immer lückenhaft sein werden, nachzuprüfen und zu ergänzen“.63 Stein konzedierte, dass für diese außerordentlich schwierige Vermittlungsleistung nur verhältnismäßig kleine Gruppen der Arbeiterschaft taugten.64 Gerade daher gab er den jungsozialistischen Delegierten die Mahnung mit nach Hause, dass eine theoretisch arbeitende Gruppe, welche es vorziehe, am Rande der Arbeiterbewegung in lebensreformerischer Absicht den „neuen Menschen“ aus der Retorte fabrizieren zu wollen, in die Irre gehen werde.65 Der Weg, den die Jungsozialisten gehen sollten, um Sackgassen in isolierende Randständigkeit zu vermeiden, war unbestreitbar eng bemessen. An gutem Willen jedoch mangelte es den Jungsozialisten dabei in diesem Zeitraum nicht. Der „neue Mensch“, dem Stein mit so viel Skepsis begegnete, war längst nicht mehr das ausschließlich mystisch-romantische Konstrukt eines das Jugendalter euphorisch überhöhenden Jungsozialismus der frühen Nachkriegszeit. Die Vorstellung von einer lebensreformerisch geprägten und sich darauf beschränkenden Insel alternativer Menschen war zumindest aus der Rhetorik der Jungsozialisten verschwunden.66 Dennoch konnte eine in Zirkeln gefasste Gruppe wie die Jusos vor allem in Zeiten politischer Erfolglosigkeit und allgemeiner Krisenstimmung schnell wieder Anfälligkeiten für die von Alexander Stein gezeichneten Irrpfade entwickeln. Wie empfänglich die Jungsozialisten dafür waren, zeigte sich schon 1928 an einer vom Münchner Juso-Vorsitzenden Clemens Seifert ausgelösten Debatte, der, wenn auch selbst einer lebensreformerischen Haltung verpflichtet, die strikte Ablehnung von Alkohol- und Nikotingenuss und die schwärmerische Bevorzugung des Volkstanzes infrage stellte.67 Seifert fürchtete, dass die Dogmatisierung von Lebensreformprinzipien auf die Masse der jungen Arbeiter abschreckend wirkte und auch in der Partei den Resonanzboden erheblich einschränkte. Dieser Diskussionsanstoß wurde überall im Reich lebhaft erörtert und erhielt auch eine typisch-traditionelle jungsozialistische Antwort: Als Träger einer neuen Kultur und Erziehung einer neuen Generation sei man zur unbedingten Einhaltung des lebensreformerischen Habitus verpflichtet.68

D ER S OZIALISMUS

SOLL WEHRHAFT SEIN

Die theoretischen Debatten der Jungsozialisten, die Mitte der zwanziger Jahre an allgemeinen Bestimmungen von Staatsfunktionen interessiert waren, erfuhren 1927 insofern eine gewisse Präzision, als nun in den Gliederungen der Jusos eine Auseinandersetzung über das „Reichsbanner“ und die alternativ verlangte „Wehrhaftigkeit des Proletariats“ geführt wurde. Der Impetus dafür speiste sich

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im Wesentlichen aus zwei Quellen: Zunächst einmal gab es in der sozialistischen Jugend seit der von SPD, Zentrum und Demokraten betriebenen Gründung des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ erhebliche Vorbehalte gegenüber dieser uniformiert auftretenden Wehrorganisation, die den schwarz-weiß-roten bzw. braunen oder knallroten Kampfverbänden entgegengesetzt worden war. Die Motive für diese Skepsis lagen in der Anfangsphase noch in dem lebensreformerisch-romantisch oder aber stark antimilitaristisch geprägten Pazifismus begründet, dem alle Formen des uniformierten oder gar paramilitärischen Auftretens contre coeur gingen. Seit der Jenaer Umorientierung des Jungsozialismus trat nun ein weiteres, künftig zentrales Argument der kritischen Distanz zum Reichsbanner an die Stelle des traditionellen Pazifismus. Nun lehnte man das Reichsbanner wegen seines überparteilichen, der bloßen Stabilisierung der bürgerlichen Demokratie verpflichteten Charakters ab, um es durch eine rein proletarische Schutzorganisation, wie sie die österreichischen Sozialdemokraten mit dem Schutzbund zur Verfügung hatten, zu ersetzen.69 Wiederum war es Otto Jenssen, der Anfang 1927 in seinem Bekenntnis zur „proletarischen Wehrhaftigkeit“ einen „dritten Weg“ zwischen der linksradikalen „Romantik des Kampfes“ mit der für die Jusos keineswegs untypischen koketten Behandlung der Gewaltfrage und dem „Nur-Republikanismus“ des Reichsbanners konstruierte. Der Tinzer Jugendbildner hob hervor, dass die sozialistische Arbeiterbewegung als Träger der neuen Kultur mit den Waffen der „Organisation, Aufklärung, geistiger Schulung, Entwicklung einer proletarischen Moral“ zu kämpfen und nur in der aufgezwungenen Situation des Staatsstreiches von oben sich und die deutsche Republik mittels physischer Gewalt zu behaupten habe.70 Jenssens Befürchtung war nun – das unterschied ihn von einigen anderen Linkssozialdemokraten der zwanziger Jahre, die jeden Rechtsruck innerhalb des bürgerlichen Lagers freudig als Klärungsprozess der Fronten im Klassenkampf begrüßten –, dass sich durch die Verschärfung einer sozialen und politischen Krise in Deutschland auch ehemals „linke“ Teile des deutschen Bürgertums der „Staatsstreichpartei“ anschließen könnten, ohne dass die Arbeiterklasse, bedingt durch die Paralysierung des Reichsbanners, genügend Schlagkraft zur Abwehr aufbringen könnte. Darüber hinaus betonte „Argus“, wie sich der blinde Linkssozialist als Verfasser von Artikeln gern nannte, im Unterschied zu einigen Linkssozialdemokraten die flankierende Notwendigkeit einer „Demokratisierung des Heeres“ und „Verbindung des Heeres mit dem Volke“. Mittels „gewerkschaftlicher Organisierung der Heeresangehörigen“, einer „Politisierung des Heeres“, sollte der „Zusammenhang der Soldaten mit den politischen Strömungen unserer Zeit“ hergestellt werden.71 Noch mehr als Otto Jenssen sah sich der linkspazifistische Sozialdemokrat Gerhard Seger auf der Reichsausschusssitzung der Jusos von Anfang Juni 1927

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veranlasst, die übersteigerten, dabei diffusen Erwartungen zahlreicher Jungsozialisten hinsichtlich einer nicht nur als defensives Mittel begriffenen „Wehrhaftigkeit des Proletariats“ zu erschüttern. Nachdem der Heeresorganisator des österreichischen Schutzbundes, Julius Deutsch, werbend für den Gedanken proletarischer Wehrhaftigkeit referiert hatte, replizierte Seger seine wesentlichen Einwände gegen die „große Gefahr“ der Wehrhaftigkeit und formulierte ein Plädoyer für einen ausschließlich politisch, ökonomisch und kulturell zu führenden Kampf. Fern aller Gefühlsduselei, die Pazifisten gern nachgesagt wurde, rechnete Seger den etwa einhundert anwesenden Jungsozialisten machtpolitisch kühl kalkulierend vor, dass für die bestenfalls mit Kleinkalibergewehren ausgerüsteten proletarischen Wehrformationen gegen die schwerbewaffneten Verbände des Militärs und der Polizei im Falle eines Bürgerkrieges nichts zu gewinnen sei.72 Der Tag, der das pralle Selbstbewusstsein des Austromarxismus plötzlich und mit Aplomb erschütterte, sollte auch für die am Vorbild der österreichischen Partei fixierten Jusos in Deutschland ein wichtiges Datum für die künftigen theoretischen Diskurse und für die organisatorische Herausbildung eines linksradikalen Flügels markieren: der 15. Juli 1927.73 Am Tag zuvor hatte ein Wiener Geschworenengericht die Angeklagten, denen man die Tötung eines achtjährigen Kindes und eines Kriegsinvaliden am 30. Januar 1927 zu Last gelegt hatte, frei gesprochen. Die tödlichen Schüsse aus einem Schrotgewehr waren bei einer Protestdemonstration des sozialdemokratischen Schutzbundes, an welcher der invalide Arbeiter und das Kind teilgenommen hatten, im burgenländischen Schattendorf nahe der Grenze zu Ungarn abgefeuert worden. Die Schützen gehörten dem rechten Frontkämpferbund an. Einen Tag nach der Urteilsverkündung brach in Wien die Hölle los. Eine Welle der Empörung zog sich durch die Industriebetriebe der Hauptstadt. Indes: Ein unmissverständlicher Handlungsappell der Anführer ihrer politischen und gewerkschaftlichen Organisationen blieb aus. Die Parteispitze fürchtete, dass Aktionen der wütenden Massen aus dem Ruder laufen könnten. Auch schreckte die sozialdemokratische Leitung vor der massendemonstrativen Urteilsschelte eines Geschworenengerichts zurück. Denn schließlich war die Laiengerichtsbarkeit auf ihre Initiative hin nach der Revolution 1918/19 etabliert worden.74 Und schließlich neigte der österreichische Parteiführer Otto Bauer, „der die Macht wollte“, zum Zögern; „wenn sie in greifbarer Nähe schien, verlor [Bauer] in kritischen Stunden leicht die Nerven. Er war kein Machtmensch wie Lenin, der ‚den Mut zum Ganzen, zur völligen Zerstörung alles Bisherigen, zum gänzlichen Abbau allen Flickwerkes besaß, den Mut zum Chaos‘.“75 So setzte sich die linksorientierte Arbeiterschaft aus den Außenbezirken Wiens spontan und gleichsam führungslos in Bewegung, marschierte Richtung Parlamentsgebäude und Universität, bis sie den Justizpalast umzingelte, Brände

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legte, schließlich die Feuerwehr stundenlang an den Löscharbeiten hinderte. Die anfangs eher ohnmächtig agierende Polizei brutalisierte im Laufe des Tages ihre Methoden, schoss wahllos in die Menge, hinterließ über achtzig Tote. Der sozialdemokratische Schutzbund hatte weder die Übergriffe der Arbeiter noch die polizeiliche Gewalttätigkeit verhindern können.76 „Tatsächlich“, so die Analyse der beiden Historiker Hannes Leidinger und Verena Moritz, „ereignete sich parallel beziehungsweise überschneidend mit der spontanen Protestaktion der Massen am 15. Juli die Revolte eines sozial verelendeten vorstädtischen Proletariats, die auch am darauf folgenden Tag mit Schießereien, Plünderungen und Verwüstungen einherging. Nicht zu übersehen war außerdem, dass bei alldem den jugendlichen Demonstranten, Burschen ebenso Mädchen, eine herausragende Rolle spielten. Die Juliereignisse lassen sich demzufolge nicht zuletzt als Aufbegehren der Jugend umschreiben.“77 Die nun in der österreichischen Partei aufgewühlt verlaufende Debatte über Schuld und Fehler sowie politische Lernergebnisse aus den Erfahrungen des 15. Juli zeigte eine ähnliche Frontlinie wie die jungsozialistische Diskussion. Für Otto Bauer, den seine Neigung zur vorsichtigen Reflexion aller Schwierigkeiten und Risiken häufig zur „Überanalyse“ der objektiven Hindernisse und zum „Attentismus“ verleitete78, stand fest, dass die größte Gefahr der Arbeiterbewegung im Abwehrkampf gegen den Faschismus in den „unorganisierten spontanen Aktionen“ lag.79 Solche putschistischen Aktionen konnten nach Auffassung Bauers und der großen Mehrheit der Partei den Rechtsradikalen die Gelegenheit bereiten, sich mit dem staatlichen Gewaltapparat zu verbünden.80 Demgegenüber beharrte Max Adler auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs in Wien auf dem Recht der Massen, „selbst auf der Straße [zu] erscheinen“ und „die Direktive selbst in die Hand nehmen [zu können], wenn sie keine Direktive mehr haben“.81 So sicher Adler dafür der Beifall der von den sozialistischen Jugendlichen besetzten Parteitagstribüne war, so isoliert allerdings musste er sich der heftigen Attacken fast sämtlicher Redner aller Flügel des Parteitages erwehren. Die Mehrzahl der deutschen Jungsozialisten allerdings dachte ähnlich wie Max Adler und wünschte sich ihn daher noch 1929 durch einen Beschluss der Reichskonferenz als Sprecher für ihre Sonderveranstaltung an den Gräbern der Juli-Gefallenen, die im Rahmen des Internationalen Jugendtages in Wien stattfinden sollte.82 In dieser Atmosphäre gewann der Gedanke der „proletarischen Wehrhaftigkeit“ noch stärker an Faszination83 und blieb bei einigen Sozialisten auch keineswegs auf den Fall defensiver Gewaltanwendung beschränkt. Angesichts dieser Stimmungen sahen sich die zunächst zögerlichen Repräsentanten des „marxistischen Zentrums“ innerhalb der Jungsozialisten aufgefordert, den nun zirkulierenden Vorstellungen von einem planmäßig vorbereiteten

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Angriff der Arbeiterbewegung auf den Staat eine Absage erteilten.84 Engelbert Graf schloss sich dabei in der Beurteilung des 15. Juli den Positionen Otto Bauers an und wies wie dieser darauf hin, dass putschistische Sonderaktionen einzelner Arbeitergruppen den rechtsradikalen Kräften ermöglichen könnten, sich als Verteidiger der verfassungsmäßigen Ordnung aufzuspielen. Noch einen Schritt über Graf hinaus ging der thüringische Jungsozialist Heinrich Hoffmann, der als kritischer Anhänger einer proletarischen Wehrorganisation gleichwohl vor ihrer strategischen Überschätzung warnte, da mit ihr selbst bei straffer Disziplin und teilweiser Bewaffnung gegen die einheitlich geführten Truppen des Militärs und der Polizei nichts auszurichten wäre. Hoffmanns alternative Rezeptur auch nach den Todesschüssen der Wiener Polizisten – die vornehmlich der konservativ-klerikalen Landbevölkerung entstammten und eben nicht, wie viele Linkssozialisten unterstellten, in ihrer Mehrheit republikanisch gesinnt und gewerkschaftlich organisiert waren – lautete: Neben traditionellen Kampfmethoden wie Streiks und Massendemonstrationen die „Besetzung der maßgebenden Stellen in Polizei und Wehrmacht mit Sozialisten; Durchdringung des Verwaltungsapparates mit Männern und Frauen proletarischer Herkunft; Kontrolle über die Verwendung finanzieller Mittel der Wehrmacht und Polizei usw. usw.“.85 Hoffmanns damaligen Erkenntnissen standen allerdings 1927 die Auffassungen einer Mehrheit der deutschen Linkssozialisten um die Zeitschrift SPW86 gegenüber, für die nun endgültig erwiesen stand, dass mit dem Parlamentarismus keine greifbaren Erfolgen zu erzielen seien.87 Dort begrüßte man nahezu freudig das Ende der „demokratischen Illusionen“.88 In diesem Gewirr von Stimmungen artikulierte sich nun, zunächst vorsichtig noch, gar eine linksradikale Strömung in der Sozialdemokratie, die in keiner ihrer Suborganisationen besser als bei den Jungsozialisten gedeihen konnte. Allein die Diskussion um die „proletarische Wehrhaftigkeit“ öffnete dafür Türen, da in einer krisenhaften Verschlechterung des gesellschaftlichen und sozialen Klimas der Weimarer Republik bei einem Zustand der politischen Ohnmacht der Arbeiterorganisationen die traditionelle Neigung der Jungsozialisten, Elite und Führer sein zu wollen, eine brisante Verknüpfung mit der voluntaristischen Praxis „proletarischer Wehrhaftigkeit“ eingehen konnte. An deren Ende lauerte der Organisationstypus aller linksradikalen Sekten: ein vermeintlich revolutionärer Stoßtrupp als Avantgarde der Arbeiterbewegung. Jedenfalls war mit der Erhebung der Wiener Arbeiter eine Zäsur in die sozialistische Diskussion getreten, von der an linksradikale Kritik an „verbürgerlichten Apparaten“ und „reformistischer Praxis“ Auftrieb erhielt und Anknüpfungspunkte für die Entfaltung der eigenen spontaneistischen Strategievorstellungen bot. Der Wortführer des linksradikalen Flügels der Jungsozialisten war ab 1928 der sächsische Landesvorsitzende Helmut Wagner, dessen analytische Fähigkei-

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ten und bestechende Formulierungskraft zweifellos bemerkenswert waren. Ein Zeitzeuge erinnerte sich 1984, „dass Helmut Wagner einer der begabtesten und klügsten Personen war, die ich kennen gelernt habe. Kaum jemand konnte Marx, den Marxismus und viele andere Fragen der Arbeiterbewegung so gut vortragen und auslegen wie er.“89 Der junge arbeitslose Mechaniker Wagner war noch Mitte der zwanziger Jahre ein dezidierter Vertreter des austromarxistischen Politikverständnisses.90 Unter dem Einfluss des Wanderlehrers und Lektors des sozialdemokratischen „Bücherkreises“, Karl Schröder, dessen volle Aufmerksamkeit sich seit 1924 auf den talentierten Dresdner Jungsozialisten richtete, änderte er seinen politischen Standort jedoch grundlegend. Schröder war der Kopf einer Gruppe ehemaliger Rätekommunisten, die nach ihrem Ausschluss aus der linkskommunistischen KAPD den Versuch unternommen hatten, innerhalb der Sozialdemokratie konspirative Zirkel aufzubauen. Ihre außerordentlich vorsichtig und behutsam betriebene Organisationspraxis blieb den SPD-Instanzen in den 1920er Jahren weitgehend verborgen.91 Die in den konspirativen Gesinnungsgemeinschaften ehemaliger KAPDler und einer kleinen „Elite“ linksradikaler Jungsozialisten diskutierte Gesellschaftsanalyse orientierte sich ebenso wie die politische Strategie nahezu bruchlos an den Vorstellungen des Rätekommunismus der frühen 1920er Jahre. Das Grundaxiom aller linkskommunistischen Zukunftserwartungen, die Hoffnung auf die baldigst eintretende „Todeskrise des Kapitalismus“, blieb trotz ernüchternder Erfahrungen der letzten Jahre ebenso unumstritten wie die konzessionslose Ablehnung parlamentarisch-demokratischer Politik, die apodiktisch als „konterrevolutionär“ charakterisiert wurde. Auch die konstitutive Hoffnung auf die spontane Aktion der allenfalls durch betriebliche Räte zu organisierenden Massen erlitt durch den enttäuschenden Ausgang der Revolution 1918/19 und der revolutionären Kämpfe in der Zeit von 1920-23 keinerlei Abbruch. Die linksradikalen Zirkel erklärten sich diese Fehlschläge mit dem hemmenden Einfluss der autoritären Führung und der bürokratischen Apparate der Arbeiterorganisationen SPD bzw. KPD auf die kampfbereiten Massen. Die herannahende Endkrise des Kapitalismus und die unermüdliche Arbeit der Kader des Linksradikalismus, die in täglicher Kampfverbundenheit mit den Massen Klarheit in die proletarischen Köpfe zu bringen hatten, sollten nach Auffassung der linkskommunistischen Theoretiker die geistige Hegemonie des reformistischen Apparats brechen. Indes: Diese Maximen gingen meist keineswegs in die Rhetorik jener zumeist in der Bildungsarbeit der SPD aktiven Rätetheoretiker ein, die bis 1927 daher selbst guten Freunden in den örtlichen Juso-Gruppen nichts von ihrem eigentlichen politischen Ort preisgaben. Erst die Vorgänge am 15. Juli und die kritische Diskussion des Verhaltens der österreichischen Parteiführung bei großen Teilen der Linkssozialdemokraten ermutigte Helmut Wagner zu einer Kritik

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des „Austromarxismus“, in welcher der linkskommunistische Standpunkt des Verfassers zumindest in Ansätzen durchschimmerte.92 Wagner, der die Vorzüge des Linzer Programms der österreichischen Sozialdemokratie noch anerkannte, geißelte den Austromarxismus für seine „unmarxistische“ Sicht der „proletarischen Machtergreifung“. Der sächsische Juso-Vorsitzende bezog sich dabei in seiner Argumentation auf den Marxschen Diktatur-Begriff von 1875 sowie seine „Fortentwicklung“ durch Lenins Schrift „Staat und Revolution“ und hielt den österreichischen Sozialisten vor, durch ihre Insistenz auf den demokratischen Weg zum Sozialismus die marxistische Erkenntnis eliminiert zu haben, dass das Proletariat durch die Zuspitzung der ökonomisch-politischen Tendenzen des Kapitalismus letztendlich zum offenen Angriff „auf die Staatsmacht außerhalb der parlamentarischen Demokratie“93 gezwungen sei. Die Ereignisse des 15. Juli in Wien hatten nach Auffassung Helmut Wagners das entscheidende strategische Defizit des Austromarxismus freigelegt und das Grundproblem der proletarischen Revolution – nämlich die „Frage des spontanen Eingriffs der proletarischen Massen in das politische Geschehen über den Rahmen jeder parteipolitischen Organisation und Disposition hinaus“94 – erneut auf die Tagesordnung gestellt. Wie die meisten Linksradikalen vertraute Wagner optimistisch auf die schöpferische Kraft eruptiver Massenspontaneität, die bei Führung klarsichtiger Revolutionäre und abgesichert durch betrieblich aufgebaute Ordnerformationen eine ungeheure politische Schwungkraft entwickeln und zu guter Letzt in die proletarische Hegemonie der Macht umschlagen würde. Im letzten Drittel der 1920er Jahre war eine neue Generation in die SAJ, dann in einige Juso-Gruppen hineingewachsen. Es waren die Kinder und Jugendlichen der Republik, denen der von den älteren Sozialdemokraten stets bemühte Vergleich mit den reaktionären Verhältnissen des kaiserlichen Deutschland fehlte. In der Schule nicht selten von mehrheitlich monarchistisch gesinnten Lehrern traktiert, nach der Schulzeit zum großen Teil arbeitslos, nahmen sie die Realität der Republik freundlos wahr: als kapitalistische Gesellschaft, in der die Mächtigen des Großgrundbesitzes und der Industrie ihnen von den, innerhalb der Sozialdemokratie bis zum Überdruss zitierten „sozialen Errungenschaften der Revolution“ im Grunde kaum etwas übrig gelassen hatten. Daher galt dieser jungen Generation die Republik tatsächlich nicht sonderlich viel, der Sozialismus schien ihr das allein lohnenswerte Ziel des politischen Engagements zu sein. Die „nationale Idee“, die die Hofgeismarer Jungsozialisten noch so faszinierte, war dieser Kohorte ähnlich gleichgültig wie der antiautoritäre Individualismus aus jugendbewegter Zeit. Wie auch immer sich die einzelnen Gruppen dieser neuen Jugendgeneration in der SPD politisch in manchen Fragen unterschieden, einig waren sie sich darin, dass gegen die kapitalistische Ausbeutung und die soziale Vormacht des Bürgertums allein der disziplinierte Kampf einer straff organisier-

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ten Arbeiterbewegung um die politische Macht Aussicht auf Erfolg haben konnte. So wie aber bei der frühen sozialistischen Jugendbewegung der Weimarer Republik die allgemeinen Dispositionen des „erneuerten Sozialismusverständnisses“ erst durch die einschneidenden Erlebnisse der Ruhrbesetzung bzw. der Reichswehrintervention in Sachsen und Thüringen konkret stabile und künftig unterschiedliche Gestalt annahmen, so waren auch für große Teile der in der SAJ nachgewachsenen Generation, die ihre primären politischen Lernschritte vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund der Bürgerblockregierung und einer oppositionellen Sozialdemokratie gemacht hatte, erst die schockierenden Erfahrungen sozialdemokratischer Misserfolge in einer Koalitionsregierung von entscheidender Bedeutung. Nun meinten tausende junger Sozialdemokraten in der SAJ, wie unter anderem auch der Lübecker Aktivist Herbert Frahm, das zu spüren, was viele Jungsozialisten bereits seit Jahren theoretisch formuliert hatten: Dass nämlich der republikanische Staat selbst bei sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung stets so etwas wie der geschäftsführende Ausschuss der Bourgeoisie sei. Dabei hatten gerade die sozialdemokratischen Jugendorganisationen den Wahlkampf für die Reichstagswahlen im Mai 1928 mit außerordentlicher Verve und großer Hoffnung auf eine kräftige Veränderung der politischen Konstellationen in der Republik geführt. Auch die Jungsozialisten waren diesmal keineswegs in theoretischer Distanz abseits geblieben, sondern hatten mit ungewöhnlich großem Eifer und einigen neuen Methoden wie der Aufführung von politischen Revuen und Kabaretts für die Sozialdemokratische Partei geworben. Doch der anfängliche Impetus schlug nach den Wahlen in Enttäuschung und Frustration um. Schon die Bildung eines sogenannten „Kabinetts der Persönlichkeiten“95, dessen Bogen sich von der SPD über das Zentrum und die Demokraten bis zur großkapitalistischen Deutschen Volkspartei spannte, schien den Jungsozialisten zu signalisieren, dass die sozialdemokratischen Hoffnungen, innerhalb der Exekutive nicht nur die Grundfeste der Demokratie sichern, sondern auch die sozialpolitische Gesetzgebung ausbauen zu können, trogen. Die DVP war jedenfalls nicht bereit, die „gewerkschaftlichen“ Forderungen der sozialdemokratischen Verhandlungsführung zu akzeptieren, sodass eine Regierung ohne Programm zustande kam. Als sich dann aber die sozialdemokratischen Minister und ihr Kanzler am 11. August von der DVP die Zustimmung zum ungeliebten Rüstungsprojekt des Baus von Panzerkreuzern abpressen ließen, um ein „größeres Übel“, sprich: eine Regierung ohne Sozialdemokraten, zu verhindern, entlud sich bei zahlreichen sozialdemokratischen Jugendlichen die Wut. Den Beginn einer ganzen Flut von Protestresolutionen aufgebracht reagierender Gliederungen der sozialdemokratischen Basis setzte die Generalversammlung der Berliner Jungsozialisten am 13. August 1928, die das Hauptreferat des

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linken Sozialdemokraten Fritz Croner über „soziale Reform – soziale Revolution“ als Bezugspunkt für den aktuellen Streitfall nutzten. Überhaupt war für viele Juso-Gruppen fortan charakteristisch, dass sie die abstrakte Ebene der bisherigen theoretischen Diskussion über „Staat und Revolution“ zugunsten anschauungsnäherer Debatten über die „Sozialdemokratie in der Republik“ verließen. Die Berliner Jungsozialisten forderten nicht nur aufgrund des Panzerkreuzerbeschlusses den „sofortigen Austritt der sozialdemokratischen Minister aus der Regierung“, sondern bekundeten auch ihre generelle Skepsis gegenüber den Möglichkeiten einer Koalition mit bürgerlichen Parteien. „Das Zusammenwirken der Sozialdemokratie mit diesen Parteien in einer Koalition, insbesondere in einer Zeit ökonomischer und politischer Machtvollkommenheit der Bourgeoisie, verstärkt die Gefahr bloß sozialreformerischer Tätigkeit unserer Partei, verschleiert bestehende Klassengegensätze und behindert die marxistische Aufklärung breiter Massen, insbesondere der proletarischen Jugend.“96 Ihre Analyse der ökonomischen Entwicklung und der sozialen Herrschaftsverhältnisse führte die Jusos zu anderen Deutungen als die der offiziösen Theoretiker der Sozialdemokratie wie Rudolf Hilferding, Fritz Naphtali und Georg Decker. Im drastischen Gegensatz etwa zu Hilferding, der, von der linken Parteiopposition unwidersprochen, auf dem Kieler Parteitag 1927 „eine allgemeine, volkswirtschaftliche Besserung der Konjunktur“97 prognostizierte, antizipierte der in JusoKreisen umtriebige, dabei parteipolitisch ungebundene Linkssozialist Fritz Sternberg im August 1928 die Krisenentwicklung der kommenden Jahre. Zu einem Zeitpunkt, als die Theoretiker des „organisierten Kapitalismus“ in der Zunahme staatsinterventionistischer Regelungen eine Tendenz zur Krisenverminderung vermuteten, nahm Sternberg eine von den USA ausgehende Krisendynamik vorweg, die nach seiner Einschätzung in kurzer Zeit auch europäische Volkswirtschaften erfassen werde.98 Komplementär zu den empirischen Konjunkturforschungen Sternbergs konzentrierte sich die Mehrheit der Jungsozialisten auf eine allgemeine soziologische Betrachtung des Kräfteverhältnisses der Klassen. Dadurch kamen die Jungsozialisten zu dem Urteil, dass das Bürgertum und auch der ostelbische Adel trotz der zum Teil verheerenden Stimmenverluste „ihrer“ Parteien bei den Mai-Wahlen 192899 bei Weitem nicht so empfindlich geschlagen und in ihren Machtpositionen getroffen worden waren, wie dies große Teile der Sozialdemokratischen Partei nach dem Wahlsieg voraussetzten. Die eigentliche Macht, die in der ökonomischen Sphäre des Großgrundbesitzes und der monopolkapitalistisch strukturierten Industrie wurzelte, war nach Auffassung der Jusos noch keineswegs erschüttert.100 Unmittelbar bevor die nordwestdeutsche Schwerindustrie im sogenannten „Ruhreisenstreit“ ihre Attacke auf das durch die Revolution geschaffene Tarifvertragswesen der Republik startete, entwarf der sächsische Landesvorsitzende Helmut Wagner folgendes Szenario: „So ist der Einfluss des ‚geschlagenen‘

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Bürgerblocks in Deutschland weit stärker, als es seine Sitze im Parlament vermuten lassen. Er ist ökonomisch wirkungsvoller organisiert und kann wirtschaftlich nach wie vor den unverhüllten Angriff auf die Arbeiterschaft fortsetzen! […] Die parlamentarisch geschwächte Bourgeoisie ist unter der Fernwirkung ihrer ökonomischen Stärke auf das Parlament imstande, sich ihre weitere Machtpolitik zu sichern, die rigorose Durchführung ihrer Lohn- und Arbeitspolitik gegen lächerlich geringe Konzessionen fortzusetzen und die Sozialdemokratie zugleich mit der Verantwortung für diese Politik zu belasten.“101 Auch Max Adler reagierte enragiert auf den Panzerkreuzerbeschluss des Kabinetts Hermann, den er als „gesinnungs- und bedenkenlose[s] Vorgehen“ der sozialdemokratischen Ministerriege geißelte. Wieder habe sich gezeigt, wohin jener Geist der „nur demokratisch-politischen Entwicklung und der Staatsverantwortlichkeit“ führe: in die „Würdelosigkeit“ und die „Krise des Sozialismus“.102 Adler hatte schon seit einiger Zeit darunter gelitten, dass er aufgrund der putschistischen Taktik und Moskauhörigkeit der Kommunisten – die bei alledem, wie er lobend hervorhob, dennoch revolutionäre Elemente seien – ausgerechnet in eine Front „mit den kümmerlichsten Reformisten und ärgsten Leisetretern von rechts“ gedrängt worden war.103 Nach dem Panzerkreuzerbeschluss machte er nun keinen Hehl mehr daraus, dass er den „Rechtssozialismus“ für die entscheidende Blockade im Streben nach Einheit der Arbeiterbewegung und sozialistischer Emanzipation hielt. „Es muss immer wieder gesagt werden“, rief der linke Austromarxist seine Leser und Anhänger zu, „der ärgste Feind der Einheit des Proletariats ist der Reformismus. Alles, was zu seiner Bloßstellung führt, erleichtert die sozialistische Aufklärung der Arbeiter, befreit sie von verdeckten nationalistischen und bürgerlichen Vorstellungen und Illusionen.“104 Kurzum: In gewisser Weise empfindsamer als andere Gruppen in der Sozialdemokratie witterten die Jungsozialisten schon früh, dass der mehrheitssozialdemokratische Kotau des „kleineren Übels“ nicht nur Bitterkeiten bei vielen Arbeiterwählern auslöste, sondern auch die Deutungsmuster der kleinbürgerlichen Schichten, „die den sozialistischen Führer genauso für einen Schurken ansehen wie den nächstbesten Bürgerlichen“, verstärkte.105 Die Jusos prognostizierten, dass die mit der „Panzerkreuzeraffäre“ eingeleitete sozialdemokratische Regierungspolitik das gegenteilige Resultat der ursprünglich angestrebten Intention bewirken werde: nämlich die Desavouierung des Parlamentarismus und die Hinwendung einer zunehmend größeren Zahl enttäuschter Zugehöriger der Mittelschichten zu rechtsautoritären Lösungen. Die mit der Taktik des „kleineren Übels“ begründeten Bestrebungen der Sozialdemokratie, konfrontativen Auseinandersetzungen mit den koalitionspolitisch potentiell benötigten Parteien des Bürgertums aus dem Weg zu gehen, konnte nach Auffassung der Jusos nur zum denkbar größten Übel führen, „dass die unorientierten Massen eines Tages wehr-

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los einer bürgerlich-faschistischen Diktatur ausgeliefert werden – mit ungewollter Unterstützung der sozialdemokratischen Führer“.106 Und: „Man muss also erkennen, dass eine sozialistische Regierungsbeteiligung unter bestimmten Verhältnissen das herrschende Regierungssystem nicht allein sichern, sondern auch gefährden kann. Die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition der Sozialdemokratie wird dann zum stärksten und einzig möglichen Garanten der parlamentarischen Regierungsmaschinerie.“107 Die Jungsozialisten hätten mit dieser Stoßrichtung der Kritik auch gut und gern den überall in der Partei lauter werdenden Unmut über die Ergebnisse sozialdemokratischer Regierungspolitik aufnehmen und ihn im Bündnis mit anderen Frondeuren zu einer innerparteilichen Alternative im Sinne einer Politik außerparlamentarisch vermittelter Formen demokratischer Opposition verdichten können. Stattdessen wuchsen aber bei ihnen kontinuierlich die Kräfte, die sich ausdrücklich ihrer verächtlichen Ablehnung des „ganzen Schwindels der parlamentarischen Demokratie“ versicherten, die nichts weiter sei als eine „bürgerliche Diktatur“. Anstatt eine differenzierte, auf innerparteiliche Mobilisierung und außerparlamentarische Flankierung nicht verzichtende Strategie der Verteidigung der demokratischen Organe und der vom rechtsnationalistischen Teil des Bürgertums offen in Frage gestellten verfassungsmäßigen Rechte zu propagieren, fixierte sich ein Teil der jungsozialistischen Theoretiker ganz auf die angestrebte revolutionäre Zerschlagung der Staatsorgane und die Schaffung vollständig neuer „Verwaltungsorgane der Arbeiterklasse“.108 Eine solche strategische Sichtweise, die durch die bewusste Aneignung linkskommunistischer Theorien, aber auch durch eine insgesamt wohl verkürzte Rezeption der staatstheoretischen Überlegungen Max Adlers begünstigt wurde, konnte nun bei aktiver propagandistischer Betätigung jungsozialistischer Kader mit der Aufmerksamkeit der „neuen“ SAJ-Generation rechnen, die seit dem „Panzerkreuzerschock“ zum Teil ebenfalls nach linksoppositioneller und aktiv-militanter Betätigung drängte. Nachdem der Panzerkreuzerskandal die Partei im Sommer 1928 erschüttert hatte, versuchten die zentralen Instanzen der Sozialdemokratie „Ordnung“ in die aufgewühlten Debatten der Basisgliederungen zu bringen und ernannten zu diesem Zweck eine Wehrkommission, die auf dem 1929 in Magdeburg anstehenden Parteitag „Richtlinien zur Wehrpolitik“ vorlegen sollte. Die Diskussionen ebbten indes nach Einsetzung der Kommission keineswegs ab.109 Insbesondere die Jugendorganisationen der Sozialdemokratie wurden Schauplatz erhitzter Auseinandersetzungen über die Stellung zur Reichswehr. Die Jusos konnten an ihre bereits seit Anfang 1927 geführte Debatte über die „proletarische Wehrhaftigkeit“ unmittelbar anknüpfen. Umso verblüffter war der Berichterstatter des linksoppositionellen Organs Der Klassenkampf, als nun ausgerechnet diese linkssozialistische und theoretisch bestens vorbereitete Organisation auf ihrer

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nur sieben Tage vor dem Magdeburger Parteitag liegenden Reichskonferenz in Hannover „eine überraschend große Zurückhaltung und Einpassung in die Partei“ demonstrierte.110 Nimmt man den offenen Aufruhr ganzer Parteiorganisationen und die Radikalisierung zahlreicher Mitglieder der SAJ nach links an der Frage der Wehrpolitik zum Maßstab, dann war die von der Juso-Konferenz beschlossene Resolution in der Tat recht vage, auf erstaunlicher Distanz zu den aktuellen politischen Fronten in der Partei. Die Jusos bekannten sich nur ganz allgemein zu den Prinzipien der Internationale und der „Erziehung der Jugend im Geist des Antimilitarismus, […] des Internationalismus und des Friedens“ und „für die Entfaltung aller Kräfte eines geeinten Weltproletariats gegen den Krieg. Wir hoffen auf eine Steigerung der Aktionen der Sozialistischen Arbeiterinternationale, die in dem internationalen Petitionssturm für Abrüstung einen ersten Ausdruck gefunden haben.“111 Es mochte mit der Art der Verhandlungsführung, die die Tagesordnung „durchpeitschte“, wie später Trude Wiechert aus Hannover beklagte112, zu erklären gewesen sein, dass keine radikalere Alternative aus der Mitte der Versammlung heraus formuliert wurde. Der Tenor der Entschließung war für die Politik der Reichsleitung in der Ära Lepinski aber durchaus nicht so überraschend, wie es einigen Kommentatoren erschien. Seit das Damoklesschwert der organisatorischen Liquidierung über den Jungsozialisten schwebte, war es Lepinskis beständiges Anliegen, das innere Leben der JusoBewegung zu domestizieren und die Konflikte nach außen einzudämmen. Niemand hatte mit so viel Hartnäckigkeit an einer Integration der Jungsozialisten in die Parteiorganisation gearbeitet wie ihr Vorsitzender, dem es daher auf der Konferenz eine besondere Genugtuung bereitete, im Geschäftsbericht mitteilen zu können, dass die Querelen und Auseinandersetzungen der letzten Jahre endlich „zu einem gewissen Abschluss gekommen“ seien.113 Das hieß nicht, dass Lepinski für eine harte Debattenrestriktion eintrat; nur die Reichsorganisation als solche hatte seiner Meinung nach taktisch vorsichtig zu manövrieren, um die Existenz des Verbandes nicht aufs Spiel zu setzen. Dennoch: In den Beiträgen der Jungsozialistischen Blätter und auch der übrigen Organe der linken Opposition zum Wehrproblem spiegelte sich die ganze Vielfalt der unterschiedlichen Strömungen des Jungsozialismus in der Weimarer Republik wider, was im Übrigen gebietet, nur mit äußerster Vorsicht von den theoretischen Positionen der Jungsozialisten zu sprechen. In der Bewegung gab es, grob geurteilt, sowohl Anhänger der Politik Otto Bauers als auch, und sicher zum größeren Teil, entschiedene Sympathisanten der Überlegungen Max Adlers. Mit der Verschärfung der Krise und der Aushöhlung der politischen Demokratie nahm die Attraktivität der Prognose einer baldigen „Niedergangskrise des Kapitalismus“ in Juso-Kreisen ebenso zu wie die Anziehungskraft der rätekommunistischen Maximen des linksradikalen Lagers um Karl Schröder und Helmut Wag-

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ner. In der Debatte um die Wehrfrage spielten noch die zumeist als Individuen handelnden Linkspazifisten eine besondere Rolle. Diese Buntscheckigkeit linkssozialdemokratischer Positionen war aber nicht nur ein Charakteristikum der Jungsozialisten, sondern das Charakteristikum, vielleicht auch das Problem des ganzen linken Flügels der Sozialdemokratie, wie gerade die Diskussion um das Wehrproblem in der Zeitschrift Der Klassenkampf gezeigt hatte. Die Parteilinke hatte schon einige Zeit vor dem Panzerkreuzerdebakel eine intensive Debatte über die Fragen der bewaffneten Macht geführt und diese Mitte März 1928 mit einer redaktionellen Stellungnahme vorläufig und geradezu im Stile einer politischen Sekte abgeschlossen. Einzig das Grundaxiom der linksoppositionellen Haltung zum Wehrproblem, dass in der kapitalistischen Epoche jeder Krieg den Wesenszug des herrschenden Imperialismus trage, blieb unbestritten und kaum diskutiert. Umso heftiger disputierten die verschiedenen Lager der linken Sozialdemokratie über die innenpolitischen Probleme der Heeresreform bzw. der Demokratisierung der Reichswehr und vor allem über die Rolle der Gewalt im Transformationsprozess zum Sozialismus. Es war das Verdienst Heinrich Ströbels114, die im „Klassenkampf“ laut gewordene strategische Option für einen gewaltsamen Übergang zum Sozialismus115 entschieden zurückgewiesen zu haben. „Nach dieser [von Ströbel kritisierten, d.Verf.] Doktrin wird sich die Bourgeoisie zuletzt und überall mit Gewalt dem proletarischen Aufstieg und der sozialistischen Umgestaltung widersetzen, sodass sie mit Gewalt niedergeworfen werden muss. Folglich gibt es keine andere Strategie für die Arbeiterklasse der Welt als unter der Führung Sowjetrusslands den Kampf für die gewaltsame Weltrevolution aufzunehmen. Nach Auffassung des westeuropäischen Sozialismus ist die Eroberung der politischen Macht und die Sozialisierung der Gesellschaft nicht das einfache Ergebnis eines, sei es auch jahre-, ja jahrzehntelangen kriegerischen Waffenganges zwischen zwei feindlichen Heerlagern, sondern die Resultante eines unendlich komplizierten politischen, sozialen und kulturellen Ringens.“

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Dieser Beitrag des Mitherausgebers des Klassenkampf, aber auch die Aufsätze von Autoren wie Otto Jenssen, die die Notwendigkeit der Heeresreform und einer gewerkschaftlichen Arbeit unter den Angehörigen der Armee neben der eigenen proletarischen Wehrhaftigkeit betonten117, konnten die Auffassung der Klassenkampf-Redaktion offensichtlich nicht allzu sehr beeindrucken. Die Redaktion veröffentlichte am 15. März als Abschluss der Diskussion programmatische Formulierungen zur Wehrpolitik, die in erster Linie ein radikal-phraseologisches Dokument praktischer Hilflosigkeit waren. Es war für einen Teil der sozialdemokratischen Linken in der Weimarer Republik typisch, dass sie die Beschreibung einer für die sozialistische Bewegung zweifellos ungünstigen empiri-

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schen Realität bereits für die theoretische Ergründung gesellschaftlicher und historischer Gesetzmäßigkeiten hielt. Die spezifische Machtkonstellation in der deutschen Republik der zwanziger Jahre erschien vielen Linken wie eine Bestätigung dessen, was die Klassenkampf-Redaktion als eherne historische Zweckbestimmung und unveränderliche Funktionsweise ausgab: Demzufolge war die republikanische Verfassung von Weimar der adäquate Ausdruck der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse mit einem besonderen Einfluss der mächtigen Schwerindustrie und des Großgrundbesitzes auf ihren bürgerlichen Staat. Hiermit war allerdings ein Prozess nicht zu erklären, in dessen Vollzug die genannten Herrschaftsgruppen darauf zielten, die ihren Interessen doch im Kern bestens angepassten Staatsorgane und Verfassungsinstitute zu beseitigen. Überhaupt war ein Teil der sozialdemokratischen Linken kaum jemals in der Lage, den vordemokratischen Einfluss der vorbürgerlichen Eliten auf die Verwaltung, das Heer und die Justiz mit einer historisch gesättigten Analyse des Eigenwegs der kapitalistischen Gesellschaft in Deutschland zu deuten. So behalf man sich damit, die Eigenart der deutschen Entwicklung mit dem Typus junkerlich-kapitalistischer Symbiose als allgemeinen Ausdruck kapitalistischer Herrschaft und republikanischer Staatsformen auszugeben, weshalb die „politische Demokratie“ nicht sonderlich geschätzt wurde.118 Auf der Basis dieser grundsätzlichen Interpretation bestimmte der Klassenkampf dann die historische Hauptaufgabe des Heeres „in einem kapitalistischen Staatswesen“ mit der „Niederhaltung der Arbeiterschaft und das Zusammenschießen, wenn sie zu einem ersten Angriff auf die Herrschaft der Bourgeoisie ansetzt“.119 Da aber nach Auffassung des linken Zeitungsorgans alle Vorstellungen von einer Demokratisierung des Heeres als Illusion abzulehnen wären, konnte demnach der Übergang zum Sozialismus nur Resultat militärisch-gewaltsam geführter Kämpfe sein. Diese einzig logische Schlussfolgerung wurde allerdings nicht explizit gezogen. Man begnügte sich mit der etwas nebulösen Mahnung, die Ansätze proletarischer Wehrhaftigkeit rechtzeitig zu schaffen, und verharrte so bei der als zentral ausgegebenen Frage nach einer sozialistischen Strategie trotz der formulierten Erwartung staatlichmilitärischer Omnipotenz in abstrakt-spekulativen Deklamationen. Auch Max Adler war wieder mit Verve an der Diskussion beteiligt, zumal sich sein Grundaxiom trefflich und ohne weitere analytische Anstrengungen in den neuen Diskurs transferieren ließ. Da der Staat in einer Gesellschaft mit kapitalistischen Produktionsverhältnissen notwendigerweise Klassenstaat sei, bleibe die Wehrorganisation stets ein Instrument der herrschenden Klassen.120 In diesem Punkt setzte sich Adler auch mit Nachdruck von den Formulierungen des Linzer Programms der österreichischen Sozialdemokratie ab. Die dort wie auch im Heidelberger Programm der deutschen Partei aufgestellte Forderung nach einer Demokratisierung des Heeres war für ihn schlicht illusionär und konnte

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seines Erachtens nur dann einen Sinn geben, wenn man den Proletariern am Beispiel der gescheiterten Demokratisierungsbemühungen ein Lehrstück in Sachen kapitalistischer Machtverhältnisse und Grenzen ihrer Reformierung bieten wolle.121 Wie verwirrend Adler als politischer Theoretiker war, zeigte sich an der „Beweisführung“ für seinen kritischen Einwand gegen die entsprechende Maxime des Heidelberger Programms von 1925. Das dort aufgestellte Postulat einer „Umgestaltung der Reichswehr zu einem zuverlässigen Organ der Republik“ – also eine Aufforderung an die sozialdemokratische Politik, sich eines, wie die Erfahrung bewiesen hatte, ernsthaften Problems anzunehmen und es künftig zu lösen – kritisierte er, weil doch die Reichswehr 1923 in Sachsen einmarschiert sei und gegen Revolutionäre gekämpft habe. Adler empfahl den Proletariern, sich um die bürgerliche Waffenmacht nicht zu kümmern und die Sorge um den Ausbau und die Verantwortung für das Militär alleine den bürgerlichen Klassen zu überlassen.122 Strikte und prinzipielle Oppositionspolitik war für Adler der angemessene sozialrevolutionäre Beitrag zur sozialistischen Wehrpolitik. Habe man erst die Macht erreicht, „dann löst sich das bürgerliche Wehrproblem eben durch unsere Macht selbst“.123 Das Proletariat werde den Wehrapparat übernehmen und umgestalten. Im Kapitalismus war nach Auffassung Adlers, wie er sie insbesondere gegenüber den „pazifistischen Schwärmern“ und sentimentalen „Allerweltsfreunden des Friedens“124 zum Besten gab, der Krieg überhaupt nicht zu beseitigen, und der sozialistische Beitrag zur Friedenssicherung könnte nur in der „revolutionären Machtsteigerung des internationalen Proletariats“ und einer jakobinischen „Volksbewegung“ liegen.125 Erst der weit über den eigentlichen Kern der Linksopposition hinausgehende Unwille der sozialdemokratischen Mitglieder über die Misserfolge der sozialdemokratischen Regierungspolitik animierte die Parteilinke zwischenzeitlich zur Überwindung derartig dogmatisch verengter Positionen, nicht zuletzt deshalb, um auf dem Parteitag in Magdeburg eine möglichst große Anzahl oppositionell eingestellter Delegierter zu sammeln. So entstand ein Alternativentwurf zu den Richtlinien der offiziellen „Wehrkommission“, der neben den begrifflich abgeschwächten, dem Klassenkampf-Entwurf von 1928 entlehnten Formeln auch Übergangsforderungen nach einer Demokratisierung des Heeres enthielt.126 Auf diese Weise gelang es den sonst markant unkreativen Repräsentanten der Linksopposition127, wie selten zuvor in der Geschichte der Sozialdemokratie, auf dem Parteitag 1929 als Sprecher der Unzufriedenheit in der Partei zu agieren und die Vertreter der Fraktions- und Parteivorstandsmehrheit in eine für sie ungewohnte Defensive zu drängen. Nur zwei Jahre danach sollte sich dann das Bild grundlegend ändern – und niemand bekam das so markant zu spüren wie die Jungsozialisten. Die Wehrdiskussion der Jusos selbst war stark geprägt von den Argumentationen der verschiedenen Lager der (älteren) Parteiopposition, deren führende

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Repräsentanten 1928/29 häufig als Referenten bei den Veranstaltungen der Parteijugend auftragen. Als Befürworter einer Position, wie sie beispielhaft im Linzer Programm der österreichischen Sozialdemokratie festgehalten war, meldete sich im Januar-Heft der Jungsozialistischen Blätter von 1929 der Berliner JusoVorsitzende und Zögling von Alexander Stein, Hans Waldmann, zu Wort. Waldmann, für den das Zusammentreffen mit Julius Deutsch vom österreichischen Schutzbund eine Art Erweckungserlebnis in dieser Frage bedeutet hatte128, erinnerte an die Revolution von 1918/19, die bewiesen habe, „welch ein wichtiges Instrument gerade das Heer für Gelingen oder Nichtgelingen unseres Befreiungskampfes darstellt“.129 Er empfahl, Allianzen zwischen der Arbeiterklasse und den Heeresangehörigen zu schmieden, „indem bei Neueinstellungen die aus der Arbeiterklasse stammenden und von den Ideen des proletarischen Befreiungskampfes durchdrungenen Personenkreise aufs stärkste berücksichtigt werden und ihre Wirkungsmöglichkeiten im Heere wie ihr Kontakt mit den Angehörigen ihrer Klasse durch weitgehende Demokratie erleichtert wird“.130 Eine derartige, etliche Jahrzehnte zuvor schon von Friedrich Engels präferierte Option setzte die von der SPD-Linken weitgehend abgelehnte Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie voraus; dazu die strategische Fähigkeit zu einer zielstrebigen republikanischen Militärpolitik, an der es den Sozialdemokraten aber während der Weimarer Republik in jeder Beziehung gemangelt hatte und wofür die Chancen nach der verpassten Gelegenheit von 1918/1919 und vor dem Hintergrund der realen Machtlage sowie der Personalstruktur in der Reichswehr denkbar ungünstig waren. Waldmann war sich dessen bewusst. Daher propagierte er als zweites Standbein die autonome physische und psychische Abwehrbereitschaft des sozialistischen Anhangs. Der österreichische Historiker Ernst Hanisch hat auch gegen diesen manifesten austromarxistischen Ansatz einen treffenden, auf Otto Bauer bezogenen Einwand formuliert: Er „dachte immer nur an eine demokratische Eroberung der politischen Macht. Die Sozialdemokratie übernahm das Erbe des Liberalismus: Selbstbestimmung des Volkes und Verwirklichung der persönlichen Freiheit. Aber der Mythos des Klassenkampfes verführte zu einer Militarisierung des Denkens, das nicht mit einem Kompromissfrieden zufrieden war, sondern den Siegfrieden des Proletariats wollte. Diese Dichotomie prägte die Theorie und letztlich auch die Politik Otto Bauers.“131 Doch selbst das stieß auf die Ablehnung des radikal-linken Flügels der Jungsozialisten, deren Hauptstützen Ende der 1920er Jahre die Breslauer und Dresdener Organisationen waren. Ihr wortmächtiger Repräsentant Helmut Wanger legte den Schwerpunkt der strategischen Diskussion ganz auf die „proletarische Wehrhaftigkeit“ im schroffen Kontrast zum Reichsbanner, das er voller Verachtung als „republikanischen Kriegerverein“ verhöhnte.132 Alle aktuellen Vorschläge für eine Ver-

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änderung der Reichswehr erklärte Wagner als illusionär, da diese nach Einvernahme der einst illegalen faschistischen Reaktion selbst zum legalen Ausdruck des drohenden Faschismus mutiert sei. Gegenüber diesem militärisch diszipliniert geführten „Industrie-Faschismus“133 aber sei das im besten Fall „antifeudalistisch“ ausgerichtete Reichsbanner ohnmächtig, wirke gar desorientierend, da die „Partner“ der Sozialdemokratie in der „Reichsbannerkoalition“, Zentrum und Deutsche Demokratische Partei (DDP) bzw. Staatspartei, selbst in das antidemokratische Lager einzurücken begannen. Wagners Alternative lautete: „Propagierung des Gedankens der proletarischen Wehrhaftigkeit in den Massen, Kampf um die Anerkennung in der Arbeiterbewegung, Vorbereitung breiter Schichten der organisierten Arbeiterschaft auf die Wehraufgaben durch das Wehrturnen in den Arbeitersportverbänden, Aufbau einer proletarischen Wehrorganisation als Rahmenorganisation auf Betriebsgrundlage, sorgfältige Vorbereitung aller Maßnahmen für die Wehraktion der Arbeiterbewegung. Die wirtschaftliche und politische Klassenkampfsituation fordert legale und, wenn es sein muss, illegale Aufrüstung des Proletariats von der Klassengrundlage aus.“134

„W AS NUN ?“ – R ATLOSIGKEITEN DER 1920 ER J AHRE

ZUM

AUSGANG

„Wir sind anerkannt worden. Was nun?“ Diese Frage stellte sich die Hannoveraner Jungsozialistin Trude Wiechert in ihrem Bericht über die Juso-Reichskonferenz von 1929. Und damit drückte sie sicherlich eine diffuse Unbestimmtheit vieler junger Sozialdemokraten aus, die in der Hoffnung nach Hannover gefahren waren, nutzbar zu machende Impulse für die Juso-Gruppen gewinnen zu können. Ihre Erwartungen sollten enttäuscht werden. Franz Lepinskis zufriedene Bilanz, dass man „zum ersten Mal in der Geschichte der Jungsozialisten von einer ruhigen Entwicklung“135 berichten könne, nahmen einige Delegierte eher mit gemischten Gefühlen entgegen, denn für viele hatten die Jungsozialisten an Bewegung und geistiger Kreativität verloren. Auch das zweite stolze Fazit des Reichsvorsitzenden, dass „das Verhältnis zur Partei innerlich immer besser“ werde, erschien vielen eher eine euphemistische Formel136 der nach wie vor nicht unproblematischen Beziehung zwischen Partei und Jugend. Gewiss: Anders als zu Zeiten des auf strikte Unabhängigkeit pochenden Jungsozialismus zu Beginn und Mitte der 1920er Jahre war seit 1926 der Wille zahlreicher Jungsozialisten, neben der lebensgemeinschaftlichen Betriebsamkeit in den Juso-Gruppen auch Funktionen in der Partei zu übernehmen, stark angewachsen. Ab 1928 konnten die Jusos auch auf den eigentlich nie verstummenden Vorwurf ihrer innerparteilichen Kritiker, dass sie ein abgehobener und praxis-

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verachtender Theoriezirkel seien, mit dem Hinweis kontern, dass fünfzig Prozent ihrer Mitglieder als Funktionäre in der Partei, den Kinderfreunden oder der SAJ mitarbeiteten. Nun war diese Replik auf die Anwürfe ihrer Kontrahenten verständlich, wirklich überzeugen konnte sie allerdings weder die innerparteilichen Gegner noch die Skeptiker in den eigenen Reihen. Die Jungsozialisten hatten zweifellos seit der Integration in die Bildungsausschüsse der Partei ein neues, aber auch eigenes, sich in der Praxis kaum von der früheren Tätigkeit und dem gewohnten Personenkreis einer jungsozialistischen Bildungsreihe unterscheidendes Tätigkeitsfeld gefunden, nämlich in den von den älteren Funktionären „abgetretenen“137 Bereichen der Bildungs- und Kulturarbeit. Die Jusos blieben auf diese Weise in den Kursen der Bildungsausschüsse vielerorts weiterhin unter sich und versuchten ebenso abgekapselt wie zuvor, an einer nach innen gewandten „Reform des Bewusstseins“, einer „neuen Kultur“ und marxistischen Bildung zu arbeiten. Ein nicht geringer Teil erhoffte sich, in mittlerer Frist als auserwählte Aristokratie einer neuen Art von „sublimiertem Sozialismus“138 an die Spitze des im Übergang von der „Verspießerung“ zum Klassenbewusstsein vorangeschrittenen Proletariats treten zu dürfen. Doch dass viele Juso-Gruppen Ende der 1920er Jahre binnenzentriert geblieben waren, lag nicht zuletzt auch an den sperrigen und konservierenden Strukturen der Partei, die, wie viele kritische Zeitgenossen im neuen SPD-Diskussionsorgan Das Freie Wort, mahnend anmerkten, überaltert sei und der Jugend, wo immer sie mitarbeiten wolle, „in den allermeisten Fällen unter Misstrauen begegnete“.139 Tatsächlich waren die Jahrgänge 1900 bis 1909 unter den Funktionären der Sozialdemokratie Ende der 1920er Jahre deutlich unterrepräsentiert140, da die Angehörigen dieser Generation aufgrund ihrer neuen Vorstellungen und Methoden von den älteren Funktionären nur selten akzeptiert wurden. So blieb für viele Jungsozialisten nach Auffassung der sozialdemokratischen Pädagogin Anna Siemsen „nur die eigene Organisation, um Raum für freie theoretische Auseinandersetzung und für Übung in organisatorischen Dingen zu gewinnen“.141 Die Vertreter der innerparteilichen Mehrheitsströmung hatten 1929 gegen eine solche Form der nach innen gerichteten Reflexionen der Jungsozialisten nicht viel einzuwenden. Insofern war Lepinskis Beurteilung auf der Reichskonferenz von Hannover nicht unberechtigt. Das jedenfalls dokumentierte auch der Verlauf des Magdeburger Parteitages, auf dem der Hannoveraner Delegierte Karl Raloff, eine Dekade zuvor selbst Jungsozialist, eine heftige Philippika gegen die Jusos vom Stapel ließ. Raloff beschwerte sich über „den Langmut, mit dem der Parteivorstand diese Art Jugendbildung schon seit Jahren erträgt“.142 Er sah die Jugend als „Sturmbock gegen die Partei“ missbraucht und forderte den Parteivorstand „dringend“ zur Intervention auf.143 Der Berichterstatter der Parteivorstandes, Hans Vogel, schlug demgegenüber in seinem Schlusswort unter Rekurs auf den Redebei-

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trag Karl Raloffs einen bedeutend versöhnlicheren Ton an, der wohl als Ausdruck der parteioffiziellen Auffassung gelten kann. Vogel und Heinrich Schulz, ebenfalls Parteivorstandsmitglied, äußerten Verständnis für einen gewissen „Romantizismus und Pessimismus“ der Jungsozialisten und mahnten zur Einsicht, „dass der Geist der Jugend und der Jungsozialisten sich nicht ohne weiteres in die gleiche Linie mit dem der älteren bringen lässt“.144 Die beiden Parteivorstandsvertreter machten aber gleichzeitig auch deutlich, wo für sie die Toleranzgrenze gegenüber den Jungsozialisten verlief: Eine Sonderorganisation, die im Verbund mit anderen Kräften der Linksopposition gegen die Entscheidungen der Partei in Fragen der konkreten politischen Praxis mobilisierte, hatte mit Nachsicht nicht zu rechnen.145 Gleichwohl: Der Konflikt mit den zentralen Instanzen war damit 1929 schon klarer vorgezeichnet, als dass den Zeitgenossen auf dem Parteitag bewusst war. In den Jahren 1928/29 waren von den großstädtischen Juso-Gruppen allerdings auch erst zwei Unterbezirke in der Lage, die bislang geübten introvertierten Zirkeldiskussionen zugunsten eines aktiven Eingriffs in die politische Meinungsbildung der sozialdemokratischen Massenorganisationen zu überwinden. Nicht umsonst waren diese beiden Juso-Organisationen in Breslau und Dresden mit 200 bzw. 250 Mitgliedern die quantitativ stärksten und die von ihrer Ausstrahlung auf andere sozialistische Jugendliche attraktivsten Gruppen im Reich.

„D ER LINKE F LÜGEL DER EUROPÄISCHEN ARBEITERBEWEGUNG “ – J UNGSOZIALISMUS IN B RESLAU In keiner anderen Juso-Gruppe des Reiches hatten die Mitglieder eine theoretisch so anspruchsvolle, thematisch derart stringente Bildungsarbeit betrieben wie in Breslau. Dichter als anderswo bestand hier ein Milieu radikal-linkssozialistischer Intellektueller und Studenten, die sich mit den jungsozialistischen Facharbeitern verbanden. Allein dort, in der niederschlesischen Provinzhauptstadt, gelang es Jungsozialisten schließlich, im Zusammenspiel mit einigen älteren Linkssozialdemokraten, die Mehrheitsverhältnisse in einem großstädtischen Ortsverein durch systematische Parteiarbeit und eine gezielte Taktik umzukehren, um fortan einen rigiden Kurs linkssozialistischer Gesinnung in einer Konsequenz zu vertreten, die selbst in den Stammlanden der sozialdemokratischen Linken, in Sachsen und Thüringen, keine Nachahmer fand. Verhältnisse wie in Breslau herrschten in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren nur noch in Frankfurt; auch dort hatten Jungsozialisten, allerdings solche, die eine Zeit lang dem Nelson-Bund angehörten, wie Georg Stierle und Paul Müller, einen nicht geringen Einfluss auf die Politik des Ortsvereines gewonnen.146 Der Breslauer

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Linkssozialismus war bald über die Grenzen der schlesischen Region hinaus bekannt. Eine Reihe prominenter Sozialdemokraten, die, wie etwa Ernst Heilmann, mit dem Breslauer Ortsverein seit 1927 in einem Dauerzwist lagen147, hielten die Parteiorganisation der schlesischen Metropole seit spätestens 1930 für kaum mehr tragbar und haben die Abspaltung zur SAP 1931 in dieser Stadt nicht ohne Erleichterung kommentiert. In den Augen zahlreicher sozialdemokratischer Jugendlicher hingegen, die sich seit Ende der zwanziger Jahre immer mehr nach links radikalisierten, stellte sich die Partei in Breslau ganz anders dar. Dort wähnten sie die „rote Insel“ im Meer eines opportunistischen Reformismus, die uneinnehmbare Trutzburg „am linken Flügel der europäischen Arbeiterbewegung außerhalb Russlands“.148 Gleichviel, was an solchen Urteilen richtig ist: Kein Zweifel bestand daran, dass sich im Binnenleben und in der Entwicklung der Breslauer Sozialdemokratie fast alle charakteristischen Züge des linken Jungsozialismus – die Vielfalt seiner theoretischen Inspirationen, das Spannungsverhältnis zwischen Intellektuellen und Arbeitern, seine Erkenntnisleistungen und dogmatischen Überheblichkeiten und Intransigenzen – wie in einem Brennglas bündelten. Durch die Untersuchung des Breslauer Beispiels mag es leichter fallen, eine Antwort auf die häufig gestellte spekulative Frage zu versuchen, ob eine Änderung der sozialdemokratischen Politik nach Maßgabe des Verlangens der vorwärtsdrängenden und radikalen Kräfte in der jüngeren Generation einen erfolgversprechenderen Weg hätte eröffnen können als denjenigen, den die sozialdemokratische Partei in der historischen Wirklichkeit eingeschlagen hatte. Im Jahr 1924, auch Anfang 1925 war die Breslauer Juso-Gruppe, nicht anders als die übrigen Gruppen im Reich, ein kleiner, kaum wahr- und erst recht nicht sonderlich ernstgenommener Diskussionszirkel irgendwo am Rande der örtlichen Arbeiterbewegung. Nichts deutete zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass dieser Debattierklub, der – in einer Stadt mit rund sechshunderttausend Einwohnern – bestenfalls 120 junge Arbeiter umfasste149, das rhetorische Selbstverständnis einmal ganz und gar in die Tat umsetzen und als „Vortrupp“ die lokale Parteibewegung mit ihren 17.000 Mitgliedern150 gründlich umkrempeln würde. Noch Ende September 1925, auf dem Parteitag der mittelschlesischen SPD, gab der Bezirkssekretär Karl Mache den Jungsozialisten den väterlichen Ratschlag, sich nicht ausschließlich mit Fragen der Theorie, sondern auch ein wenig mit den praktischen Aufgaben der Parteiarbeit zu beschäftigen151 – mahnende Worte, die Mache, seit 1929 Bürgermeister in Breslau, wenige Jahre später zutiefst bereut haben dürfte. Was die Breslauer Jungsozialisten im Vorfeld der Jenaer Reichskonferenz von anderen Juso-Gruppen des Reiches etwas abhob, war eigentlich nur die ins Auge springende Systematik der theoretischen Anstrengungen, die asketisch eiserne Disziplin, mit der die jungen Breslauer Arbeiter die Mühen der

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Kopfarbeit noch nach Feierabend auf sich zu nehmen bereit waren. Ein wenig ähnelten sie darin den Mitgliedern des Internationalen Jugend-Bundes, und von den marxistisch argumentierenden Jungsozialisten waren die Breslauer Mitte der 1920er Jahre auch am ehesten in der Lage, den vorzüglich geschulten Nelsonianern das Wasser zu reichen. „Die theoretische Ausbildung der Mitglieder ging nach schulischem Drill vor“, erinnerte sich der frühere Breslauer Juso Gerhard Kaulich, „der Fritz Lewy gab die schriftliche Hausarbeit auf, die wurde dann abgegeben und zensiert wie vom Lehrer, und wenn’s nicht klappte, dann wurde es beim nächsten Mal repetiert. War ein richtiger Bims-Betrieb.“152 Im Mittelpunkt des „Bims-Betriebes“ standen die Arbeitsgemeinschaften, die zu bestimmten Themen eingerichtet und über die Dauer von mehreren Wochen, z.T. Monaten an einem Werktagabend durchgeführt wurden. 1924 etwa gab es vier solcher Arbeitsgemeinschaften über „Grundfragen des Sozialismus“, „Die ökonomischen Probleme des Sozialismus“, „Das Kommunistische Manifest“ und „Marxismus als proletarische Lebenslehre“.153 Den absoluten Höhepunkt wohl nicht nur für die Breslauer Jugendbewegung, sondern wahrscheinlich für die Geschichte des Weimarer Jungsozialismus insgesamt bildete, was zeitliche Kontinuität und büdsame Intensität anbetraf, eine AG, die man am 26. Januar 1926 „auf vielfältigen Wunsch“154 hin ins Leben rief: die AG „Das Kapital“. Nicht weniger als 23 Monate, von Januar 1926 bis Dezember 1927, trafen sich die Breslauer Jungsozialisten jeden Mittwochabend um 20.00 Uhr im Zimmer 25 des Gewerkschaftshauses, um das fürwahr nicht unterhaltsam geschriebene Hauptwerk von Karl Marx Seite für Seite, Kapitel für Kapitel durchzuackern. Wer diese geistige Tretmühle durchstanden und durchlitten hatte, musste gleichsam naturnotwendig die Überzeugung gewinnen, Teil einer geistigen Elite mit ungewöhnlichem Durchblick und legitimem Anspruch auf avantgardistische Führungsfähigkeit zu sein. Denn wo gab es sonst noch in der Arbeiterbewegung eine Gruppe, die ähnlich gut die Klassiker des „wissenschaftlichen Sozialismus“ kannte und damit über die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft jedweden erdenklichen Bescheid zu wissen meinte? Mit der Teilnahme an der einen AG aber war es keineswegs getan. Versucht man, die einzelnen Informationen aus den Berichten und Ankündigungen in der sozialdemokratischen Tageszeitung Mittelschlesiens zu einem Portrait einer durchschnittlichen Woche aus dem Leben eines Breslauer Jungsozialisten zur Mitte des zweiten Jahrzehnts zusammenzufügen, so ergibt sich in etwa folgendes Bild: Die Woche begann mit dem Besuch eines Volkshochschulkurses des Studenten der Nationalökonomie und Philosophie, dem Jungsozialisten Fritz Lewy, über „Der Staat und die Klassen“. Am Dienstag sammelten sich die Jusos mit sozialistischen Studenten, sozialdemokratischen Akademikern, auch einigen SPD-Funktionären der älteren Generation und intellektuell aufgeschlossenen

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Kommunisten im Gewerkschaftshaus, um als sogenannte „Marxistische Arbeitsgemeinschaft“ mit dem unabhängigen Linkssozialisten Fritz Sternberg über dessen Imperialismus-Forschungen zu diskutieren – nach Aussagen von Zeitzeugen ein Höhepunkt der Woche, auf den noch zurückzukommen sein wird. Mittwochabends paukten sie in der AG die Klassiker. Donnerstags stand wieder die Volkshochschule auf dem Programm; dieses Mal Kurs bei Siegfried Marck, Thema: „Marxistische Lektüre“. Den Freitag verbrachten einige Jusos als Helfer in der neuen Kinderfreundebewegung. Samstags trafen sich die Jungsozialisten zu Aussprache- und Diskussionsabenden über aktuelle Fragen, um schließlich die Woche mit einem entspannenden Sonntagsprogramm abschließen zu können. Man war gesellig, wenngleich nicht in dem Sinne, dass man auf kognitive Erkenntnisleistungen ganz verzichtet hätte; man hörte Vorträge über „Humor und Satire in der neuen Dichtung“, es gab Lesungen aus Balladen oder Rezitationen aus dem Werke Ernst Tollers, einem der Lieblingsdichter der Jungsozialisten damals. Irgendwo dazwischen und als Ersatz für einen dieser Termine lag für die meisten noch die Vorbereitung eines Sprechchores oder einer Revue bzw. das Engagement in einer der verschiedenen Kulturorganisationen, allen voran sicher bei den Freidenkern, bei denen viele Jusos aktiv waren.155 Die Breslauer Jungsozialisten, nach Auskunft von Zeitzeugen auch hier zum größten Teil junge Buchdrucker und Schriftsetzer156, fanden für ihre bildende Tätigkeit in ihrer Heimatstadt eine außergewöhnlich günstige intellektuelle Infrastruktur vor. Mehrere Faktoren kamen da zusammen und waren z.T. miteinander verknüpft. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg galt Breslau in der deutschen Sozialdemokratie als Musterstadt des Arbeiterbildungswesens.157 Die Ereignisse der Revolution und die durch den politischen Systemwechsel ermöglichten institutionellen Veränderungen im erzieherischen Sektor trugen, wie bescheiden sie sich – gemessen an den hohen Erwartungen der Schulreformer – auch ausnahmen, in Breslau dazu bei, die Fundamente der Vorkriegszeit weiter auszubauen. Große Bedeutung kam hier den weltlichen Schulen zu. Ähnlich wie in anderen Städten Preußens konnten die weltlichen Schulen ebenfalls in Breslau erst nach einem erbitterten Ringen der organisierten proletarischen Eltern, die sich in der „Freien Elternvereinigung“ zusammengetan hatten, mit den städtischen und staatlichen Schulbehörden durchgesetzt werden. Unterstützt wurden diese Obstruktionsversuche der Schulbehörde durch den örtlichen Generalanzeiger, den Rektorenverein, die beiden christlichen Kirchen, das Zentrum, die DVP und die Deutschnationalen, die allesamt den neuen Schulen Gottlosigkeit, Sittenverfall, Leistungsminderung und marxistisches Klassenkampfdenken vorwarfen. Richtig daran war so viel, dass sich an weltliche Schulen, von denen es seit 1924 vier in Breslau gab, im Wesentlichen Lehrer versetzen ließen, die mit der Sozialdemokratie sympathisierten oder gar dort Mitglied waren. Ein Religions-

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unterricht fand nicht statt, stattdessen zog man eine „diesseitige Ethik“ vor, wozu in der Tat die meisten Lehrer die „sozialistische Weltanschauung“ zählten. Den Geschichtsunterricht strukturierte man infolgedessen nach der Methode des „Historischen Materialismus“, um eine Alternative zu dem in den Volksschulen noch weit verbreiteten Monarchenkult zu schaffen. Die Lehrer waren in der Regel recht jung. Mit verschiedenen sozialen Regelungen wie kostenlosem Milchfrühstück, Mittagsspeisungen und Aufenthalten in Erziehungsheimen versuchte man, die soziale Not der Arbeiterkinder ein wenig zu lindern. Besonders wichtig nahmen die Lehrer die Zusammenarbeit mit den Eltern, die an der Verwaltung und den Ausbauarbeiten der Schulen beteiligt wurden. Die weltlichen Schulen waren insofern ein ganz typisches Beispiel für den nicht-etatistischen Charakter der fein verästelten sozialistischen Solidargemeinschaft in der Weimarer Zeit, da dieses schulische Reformprojekt nur durch das bewusste Zusammenwirken von links eingestellten Pädagogen, sozialistischen Politikern, der SPD-Tagespresse und sozialdemokratisch oder auch kommunistisch gesinnten und aktiven Arbeitereltern durchgesetzt, verteidigt und für noch zaudernde Eltern attraktiv gestaltet werden konnte. Die zweite und dritte Generation in der SAJ und der jungsozialistischen Bewegung setzte sich besonders in den aktiven Funktionärskörpern preußischer Großstädte zu einem bedeutsamen Teil aus Absolventen solcher weltlichen Schulen zusammen. Das Gesicht vor allem der SAJ veränderte sich dadurch nicht unerheblich, da diese Jugendlichen ganz andere Kenntnisse mitbrachten als die meisten Volksschüler; sie wussten mehr, kannten bereits einen offeneren Erziehungsstil und traten entsprechend selbstbewusst auf. Die Bedeutung der Lehrer an weltlichen Schulen war für die erste Generation der Breslauer Jungsozialisten eine andere: Sie gingen als Referenten in die Gruppen und trugen mit ihren Vorträgen zu der forcierten Linksentwicklung der Jusos gewiss bei. Zumindest diejenigen Pädagogen, die mit den Breslauer Jungsozialisten Veranstaltungen durchführten, standen im Spektrum der reichsdeutschen Sozialdemokratie am äußersten linken Rande. Überhaupt: Wer die Linksopposition in der Weimarer SPD erklären will, kommt in einigen Regionen an der Lehrerschaft nicht vorbei.158 Zwei Rektoren der vier weltlichen Schulen sind in diesem Zusammenhang zuvörderst zu erwähnen: Fritz Pietsch, nach der Übernahme des Breslauer Ortsvereins durch die radikale Linke 1927 Vorsitzender der Stadtratsfraktion der SPD, später der SAP, und Max Felsen. Felsen insbesondere gehörte über Jahre zu den am häufigsten geladenen Referenten bei den Jungsozialisten, „den Akademikern des Proletariats“, als die er sie bezeichnete.159 Seine Biografie war schillernd, reich an Brüchen und nicht ohne Tragik. Schon sein Eintritt in die SPD im Spätsommer 1923 hatte viel Wirbel in der politischen Öffentlichkeit Mittelschlesiens ausgelöst. Nur wenige Wochen vorher nämlich war er als Max Pietrowski noch Sekretär des Zentrums und Lehrkraft an einer katho-

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lischen Schule gewesen.160 Die Konversion vollzog sich, wie in solchen Fällen üblich, gründlich, in aller Radikalität. Er wechselte den Namen, sagte seinem Glauben ab und wurde eifernder Dissident, ein Aktivist im Deutschen Freidenker-Verband. Der Marxismus war dem Konvertiten mehr als eine brauchbare sozialwissenschaftliche Methode zur Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, er war ihm Bibelersatz. Bald hatte er die Klassiker sämtlich gelesen, nun wollte er ihr Prophet werden. Und da er ein vorzüglicher Pädagoge war, der klar zu sprechen verstand, einleuchtende und anschauliche Vergleiche in seinen Vorträgen zu gebrauchen pflegte, schätzten ihn die Jusos zunächst sehr. Doch selbst unter ihnen, die den Marxismus manchmal ziemlich buchstabengläubig auslegten, gab es bald einige, die das von Jahr zu Jahr schlimmer werdende zelotenhafte Gebaren des früheren Zentrum-Politikers als unangenehm und überdreht empfanden. Nach einer gemeinsam mit seiner Frau unternommenen Reise in die Sowjetunion Anfang der dreißiger Jahre hielt er fast täglich Vorträge über „Staat und Revolution“ und über „Sowjetrussland“. Nach einem kurzen Zwischenspiel in der SAP, die ihn im März 1932 wegen kommunistischer Propaganda ausschloss, trat er der KPD bei.161 Sucht man nach den Ursachen für die Eigenarten der intellektuellen Infrastruktur des Breslauer Jung- und Linkssozialismus, so kann man allerdings keineswegs bei der Lehrerschaft der weltlichen Schulen, wie bedeutsam sich ihr Wirken auch ausnahm, verharren. Weltliche Schulen existierten auch in anderen Städten, in größerer Zahl sogar als in Breslau, und sie waren dort mitunter schon zwei bis drei Jahre früher erkämpft worden. Worauf man in Breslau indessen immer wieder stößt, was anderen Städten in diesem Umfang fehlte, war eine breite Schicht von Intellektuellen jüdischer Herkunft. Breslau, die Stadt des Handels und der Bildung, war die Heimat der drittgrößten jüdischen Gemeinde in Deutschland; nur in Berlin und Frankfurt lag der Anteil jüdischer Einwohner höher.162 Im Gefolge der Stahlgewitter des Ersten Weltkrieges und der Aufbruchstimmung in den ersten Revolutionsmonaten fanden jüdische Akademiker Breslaus wie etwa Siegfried Marck ihren Weg in die Sozialdemokratie. Schon in der Revolution selbst hatten einige von ihnen mittun wollen und dem Schlachtruf der Zeit entsprechend einen „Rat der geistigen Arbeiter“ gegründet. Die für die Zukunft zweifellos wichtigste Tat des im Übrigen recht ratlos agierenden Rates war die Einberufung eines „Verwaltungsausschusses“ für den Aufbau einer Volkshochschule. Sowohl für die Geschäfte des Verwaltungsausschusses als auch für den pädagogischen Betrieb der späteren Volkshochschule trugen jüdische Bildungsbürger entscheidende Verantwortung. Die nichtjüdischen Bürger von Besitz und Bildung der Stadt Breslau rümpften die Nase über diese Einrichtung des „neuen Deutschlands“; sie galt ihnen als „rot“ und „jüdisch“163. Die organisierten sozialdemokratischen Arbeiter, die Jungsozialisten allen voran, iden-

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tifizierten sich hingegen stark mit der Volkshochschule und belegten fleißig die angebotenen Kurse, deren Titel sich nicht selten so lasen, als seien sie dem Programmheft eines sozialistischen Arbeiterbildungsvereines entnommen.164 Töchter und Söhne aus jüdischem Hause, die Väter zumeist freiberuflich tätig als Ärzte und Rechtsanwälte, überwogen deutlich auch in der SSG, der Sozialistischen Studentengemeinschaft Breslaus. Arbeiterstudenten hingegen, junge Arbeiter also, die als Hochbegabte ihr Abitur durch Sonderprüfungen unter Mühen hatten nachholen können, gehörten ihr kaum an; hierin unterschied sich die Breslauer Gruppe auffällig von anderen sozialdemokratischen Studentengruppen in Deutschland. Nichtsdestoweniger oder vielleicht gerade deshalb bildeten die Breslauer den radikal-linken Flügel in der studentischen Reichsorganisation der Sozialdemokratie. Die von anderen sozialistischen Studentengruppen praktizierte Zusammenarbeit mit „bürgerlichen Studenten“ in republikanischen Bündnissen wiesen sie schroff zurück. Konkrete Hochschulprogramme mit sozialpolitischen Forderungen und Demokratisierungspostulaten kennzeichneten sie verächtlich als illusionären hochschulpolitischen Reformismus. Der Vorsitzende der Breslauer SSG, Kurt Oppler, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, fasste 1929 in einem grundsätzlich gefassten Artikel die langjährige und, wie er meinte, erfolgreiche Politik der Breslauer Radikalopposition programmatisch zusammen: „Man könnte den Gedanken so formulieren, dass die sozialistischen Studentengruppen nichts anderes als Werbebüros der Partei unter der akademischen Jugend zu sein haben, deren Aufgabe darin besteht, möglichst stark für den sozialistischen Gedanken zu werben und dem Geist des Marxismus in reiner und unverfälschter Form Eingang zu verschaffen. […] Mit bloßen republikanischen Gedanken ist Werbearbeit nicht zu leisten. […] Jede Abweichung von dieser vorgezeichneten Linie schädigt den Charakter des Klassenkampfgedankens, versucht die Brücke zu einem Ufer zu schlagen, zu dem es keine Brücke gibt und verwischt die klare Zielsetzung des marxistisch orientierten Sozialismus.“165

In nuce liegt hier das Credo großer Teile der Breslauer Linkssozialisten vor: Reinerhaltung, unverfälschte Tradierung und bloße agitatorische Propagierung des marxistischen Geistes. Es ist im Übrigen bezeichnend, dass einer der wenigen Arbeiterstudenten der Breslauer Gruppe, Bernd Hoffmann, der die Gruppe 1924, nachdem sie eine Zeitlang etwas inaktiv geworden war, wieder aufgebaut und konsolidiert hatte166, bei seinen von der soziologischen Herkunft nach fraglos bürgerlichen Studentengenossen als „reformistischer Renegat“ galt, obgleich Hoffmann ein tüchtiger, kluger, praktisch veranlagter und mit disziplinierter Ernsthaftigkeit tätiger linker Sozialdemokrat war. „Die Leute hier sind alle furchtbar radikal, radikaler als ich“167, klagte Hoffmann 1927 in einem Brief an seine Lebensgefährtin Lis Brendgens, als er, nun Student in Köln und dort Vorsitzender sowohl der Jusos

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als auch der Vereinigung Sozialistischer Studenten, zu Besuch bei Kurt Oppler in Breslau weilte. „Ich bin für sie“, schrieb Hoffmann ein halbes Jahr später nach einem erhitzten Streitgespräch mit seinen früheren Genossen, das er nächtens führte, „ein reformistischer Renegat geworden, der da draußen an der Weltrevolution Verrat beging“.168 Hoffmann führte, am Rande vermerkt, zur gleichen Zeit in Köln und im Bezirk Oberrhein die innerparteiliche Linksopposition gegen den von Wilhelm Sollmann repräsentierten Kurs der Parteimehrheit an. Zwischen den Breslauer Jungsozialisten und der SSG herrschte bestes Einvernehmen. Wenn die sozialistischen Studenten zu ihren Veranstaltungen in die Uni einluden, dann hieß es zumeist in den Anzeigen für das Breslauer Parteiblatt: „Gäste sind herzlich willkommen, besonders die Jungsozialisten.“ Und die scheuten in der Tat den weiten und eigentlich ungewohnten Weg nicht, den sie alle 14 Tage zurücklegen mussten, wenn sie vom Westen der Stadt, wo die meisten von ihnen in der „roten Tschepine“, dem proletarischen Viertel, wohnten, in den feinen Osten mit der Straßenbahn hinfahren oder auch zu Fuß hingehen mussten, wo die Friedrich-Wilhelm-Universität lag. „Studenten und Jusos haben eisern zusammengehalten“, erinnert sich Günter Spruch, damals Mitglied der SSG in Breslau. „Es war beinahe so, dass wir die Jusos als Studenten angesehen haben.“169 Jedenfalls kehrten die sozialistischen Studenten auch im Gewerkschaftshaus ein, wenn dort die Jungsozialisten tagten. Zudem stellten sie eine Reihe der wichtigsten Referenten für die jungsozialistische Bildungsarbeit: Kurt Oppler, Martin Kaliski und vor allem Eduard („Ede“) Wolf – den Leiter jener zweijährigen „Kapital“-AG – sowie Fritz Lewy, junge Akademiker aus jüdischen Familien; die beiden letztgenannten seit 1927 mit dem Titel des Doktors der Nationalökonomie. Sie alle haben sich als Jungsozialisten gefühlt, Fritz Lewy beispielsweise avancierte zu einem ihrer maßgeblichen Theoretiker auf der Reichsebene. In ihren Tätigkeiten vollzog sich gleichsam, so dünkte es ihnen, das ersehnte Ineinswerden von Intellektuellen und Arbeiterbewegung, von wissenschaftlicher Einsicht und proletarischer Bereitschaft – in der konkreten Praxis: die Verschmelzung von Jung- und Studentensozialismus. Für diese Symbiose von jungen Facharbeitern und radikalen, häufig jüdischen Intellektuellen, ein Markenzeichen des Weimarer Jungsozialismus schlechthin, existierten in Breslau die günstigsten Voraussetzungen, da hier die jüdischen Außenseiter der Boheme und Revolution, als die sie Hans Mayer in seinem Buch „Außenseiter“ bezeichnet und beschreibt, in ungewöhnlich großer Zahl anzutreffen waren.170 Seinen exemplarischen Ausdruck fand diese Konstellation in der Trägergruppe und der Referentenauswahl für die Marxistische Arbeitsgemeinschaft, seit 1924 in Mittelschlesien zweifellos der geistige Kristallisationspunkt für radikale Linksintellektuelle und theoretisch interessierte Arbeiter parteipolitisch unterschiedlicher Observanz. Ins Leben gerufen wurde

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dieser Diskussionskreis in Breslau 1924 von den Jungsozialisten, der SSG und dem Bund der Freunde sozialistischer Akademiker171; Vorträge gehalten haben dort vor allem jüdische Intellektuelle: Fritz Sternberg ganz besonders, auch Siegfried Marck, Max Adler und Ernst Eckstein. Fast alle herausragenden Redner der Linksopposition auf Breslauer Parteiversammlungen waren Intellektuelle jüdischer Familienherkunft; häufig ethisch rigoros im Auftreten, radikal in der Zielsetzung und nicht selten kompromisslos in der Ablehnung von pragmatischen Reformen. Sie „sahen schärfer als Intellektuelle anderer Herkunft in der sozialistischen Gesellschaft eine Art säkularisierter Endzeitperspektive“172. In der Breslauer Arbeiterbewegung hat es in den 1920er Jahren einen latenten, dann, als sich die Linkssozialisten gegen die Funktionäre des Gewerkschaftsapparates parteipolitisch durchsetzen konnten, auch offen artikulierten Antisemitismus gegeben. Man sprach auf Gewerkschaftskongressen in Mittelschlesien von der Breslauer „Judokratie“173. Bernd Hoffmann riet daher seiner Freundin, der Jungsozialistin Lis Brendgens, bei innerparteilichem Vorgehen in Köln die Breslauer Erfahrungen zu berücksichtigen und größte Vorsicht walten zu lassen. „Hier in Breslau ist die Parteiopposition jüdisch, von zehn Rednern sind 6 Juden, die anderen sehen danach aus.“ Die Folge sei ein virulenter Parteiantisemitismus und Schimpftiraden der Art: „Ihr verdammten Juden!“174 – eine antisemitische Stimmung, die sich allerdings nicht nur in der Sozialdemokratie, sondern auch bei den Breslauer Kommunisten bemerkbar machte.175 „Man musste aufpassen“, berichtet ein Zeitzeuge aus seiner Vergangenheit in der kommunistischen Bewegung, „dass man in Breslau nicht zu viele Juden in die Organisation bekam, sonst blieben die Arbeiter wieder weg“.176 Das in Breslau seit 1924 so mustergültig ausgeprägte Beziehungsgeflecht zwischen Intellektuellen und Jungsozialisten war allerdings weder hier noch in anderen Städten Deutschlands als ein ausschließlich einseitiger Zusammenhang von bildungsbürgerlicher Belehrung und jungproletarischem Rezeptionswillen konstituiert. Von der Art des Lebenslaufes Bernd Hoffmanns beispielsweise gab es zahlreiche im Weimarer Jungsozialismus: als Sohn eines sozialdemokratischen Funktionärs 1902 in Torgau geboren, wuchs er im typischen Ambiente der sozialistischen Facharbeiterbewegung auf. Durch die Lektüre der Broschüren und Bücher im elterlichen Haushalt geschult gehörte er, der 1918 eine kaufmännische Lehre begonnen hatte, 1921 zu den Gründern der Jungsozialisten Breslaus, wohin er seinem Vater, inzwischen Leiter der dortigen Konsumgenossenschaft, gefolgt war. Hoffmann verkörperte also den sozialdemokratischen Autodidakten, der seine Kenntnisse, über die er seit 1921 in Juso-Gruppen referierte, den eigenen Lesebemühungen und nicht etwa den Hilfestellungen von bildungsbürgerlichen Akademikern zu verdanken hatte. Als „Arbeiterstudent“ begann er 1924 ein Studium der Nationalökonomie, das er im Wintersemester 1930/31 in

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Köln mit einer Promotion über das Genossenschaftswesen abschloss. Er zählte in dieser Zeit zu den Spitzenfunktionären der sozialistischen Studentenbewegung, hatte etliche Kurse und Bildungsveranstaltungen geleitet und dabei nicht nur jungen Arbeitern, sondern auch ideologisch noch ungefestigten Bürgerkindern theoretisches Wissen vermittelt und sie zur Sozialdemokratie gebracht. Die Komplexität des Verhältnisses zwischen „organischen“ und „traditionellen“ Intellektuellen zeichnet sich deutlich im Zusammentreffen von Oskar Krummschmidt und Fritz Lewy ab, beide bis Ende der zwanziger Jahre unstrittig die wortführenden Funktionäre der Breslauer Jungsozialisten: der eine, ein Schneidergeselle, Musterbeispiel eines Arbeiter-Intellektuellen177; der andere, Sohn eines Kaufmanns und Student der Nationalökonomie und Philosophie, Prototyp des radikal-linkssozialistischen Akademikers. Unter den jungsozialistischen Facharbeitern in Breslau war Oskar Krummschmidt zweifelsohne der „Kopf“, stark sowohl in Angelegenheiten der Organisation als auch in Fragen der Theorie und überdies ein hervorragender Rhetoriker mit Gespür für die Massenstimmung. „Er hatte eine Rednerschnauze“, erinnerte sich eher mit Widerwillen der frühere Sekretär der Breslauer SAJ, Hans Stephan, der den Schneider nicht mochte, da ihm dieser zu radikal auftrat.178 „Ein junger Weitling“179, bestätigte auch Fred Lynn, alias Fritz Lewy, der sich, nach seiner Emigration Bürger der Vereinigten Staaten, an kaum noch etwas erinnerte, was früher in Breslau geschah; nur: von Krummschmidt, von dem schwärmte er noch nach Jahrzehnten. In der Tat überragte der junge, immer etwas kränkliche Schneider an Belesenheit und theoretischer Bildung auch die meisten sozialistischen Studenten von der Universität. „Der Krummschmidt, der hat ja ständig gelesen“, so Günter Spruch anerkennend im Rückblick, „der war ja ständig unterwegs, der hatte uns Studenten immer was zu sagen“180. Einer dieser Studenten, dem Krummschmidt etwas zu sagen hatte und den er vom Marxismus überzeugte, war eben Fritz Lewy, von 1925 bis 1931 Hauptredner einer jeden Jungsozialisten-Reichskonferenz, Hauptschreiber in den Jungsozialistischen Blättern und von vielen Zeitzeugen bis auf den heutigen Tag als „der führende Intellektuelle bei den Jungsozialisten“ angesehen. Fraglos war Fritz Lewy seit 1926 zusammen mit dem Juso-Reichsvorsitzenden Franz Lepinski und dem sächsischen Landesvorsitzenden Helmut Wagner der überregional bekannteste Jungsozialist. Ohne Zweifel ist auch, dass er die Geschicke der Juso-Organisation maßgeblich mitbestimmte und vielleicht wie kein anderer die vielfältigen Momente notwendigen Scheiterns des Weimarer Jung- und Breslauer Linkssozialismus verkörperte. Es scheint daher lohnend, auf das erste Zusammentreffen Lewys mit Krummschmidt und die psycho-sozialen Ursachen für die Aktivitäten Lewys sowie auf seine ideell-politischen Erwartungen von der sozialistischen Arbeiterbewegung einzugehen. Im Trubel und in den

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Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte sich Lewy, geboren Anfang 1901 in Oppeln, seit Beginn des Ersten Weltkrieges in Breslau wohnhaft, wie viele junge Studenten seiner Generation unruhig nach einem Praxisbezug umgesehen, der Idealismus, Tatkraft und vollständige Identifikationsbereitschaft mit einer neuen Idee verlangte. Im Übrigen wollte er ganz einfach Distanz zu den Lebensgewohnheiten seines Elternhauses gewinnen, etwas probieren, was mehr Zukunft und Verheißung versprach als das, womit er bislang zu tun gehabt hatte und was ihm öde erschien. In dieser Stimmung des Suchens geriet er an die Jungsozialisten. Lewy erinnerte sich nach sechzig Jahren noch recht genau an den Anfang seiner sozialistischen Biografie: „And then, it was 1921 or 1922, ich kam durch irgendeinen Zufall, ich erinnere mich nicht, how and why, in das Gewerkschaftshaus in eine Versammlung von Jungsozialisten. Und da war ein junger Schneidergeselle, ein junger Weitling, sein Name war Oskar Krummschmidt, und er gab einen Kurs über marxistische Ökonomie. Ich wußte nichts darüber, und ich begann dennoch einen kleinen Meinungsdisput and he said finally: ‚Well, when you know alles besser, dann take over‘. But natürlich konnte ich nicht. Und so begann ich Marxismus zu studieren. Ich würde es das St.-Paul-Syndrom nennen: The kingdom of god is the classless society and the real Christian is the Proletariat!“181

Die Vision des Marxismus als säkularisiertes Reich Gottes, die sozialistische Bewegung als Inkarnation des Messias und die Intellektuellen als prophetische Führer des auserwählten Volkes, so setzte sich in der Tat die Grundüberzeugung Lewys und sicher auch die vieler anderer Intellektueller zusammen. Man erhoffte sich von den Jungsozialisten und im Prinzip von der gesamten Arbeiterbewegung all das, wonach man individuell strebte, was einem im Bezugsrahmen der eigenen Klasse jedoch versagt geblieben war: glaubwürdige Verkörperung und Realisierung ethischer Motive, kulturelle Authentizität, unverlogene Moral, Radikalität und Gesinnungstreue im Kampf sowie die wissenschaftliche Gewissheit des historischen Abschlusses der allgemein-menschlichen Emanzipation. Bei Lewy – der sich in den Jahrzehnten danach immerhin als empirisch arbeitender Statistiker einen Namen machte – fehlte jede realpolitische Korrektur des visionären Messianismus; in seinen zahlreichen Aufsätzen, Artikeln und Reden ersetzte ein Schwall von alttestamentarischen Metaphern die konkrete Analyse der wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse. Insofern fällt es zumindest im Rückblick schwer, dem zumeist positiven Urteil der Zeitzeugen über die theoretischen Leistungen Lewys zuzustimmen. Vielleicht hat er den Ton der Zeit damals gut getroffen, das Gemüt seiner Zuhörer erreichen können, insgesamt aber, gemessen an dem Anspruch, mit marxistischen Kategorien Wirklichkeit zu erklären, wirken seine Allegorien schwülstig und frömmelnd; sie wirken wie Predigten

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zur seelischen Erbauung einer gläubigen Gemeinde. Einem Pfarrer gleich, ging es ihm in erster Linie darum, die „geschichtliche Überlieferung lebendig zu erhalten“, den „Glauben an die ideale Aufgabe der proletarischen Revolution“182 zu entfachen, „falsche Götter“ zu stürzen, um einen „neuen Gott“ zu errichten.183 Kaum einmal eine Manifestation Lewys, wo er nicht das „gelobte Land“ beschwor und das „Pfingsten“ der Menschheit pries: „Wie denn, sollen wir in den Schächten der Berge verrecken, ohne einen Blick getan zu haben von den freien Bergeshöhen ins gelobte Land, sollen wir unsere Kraft in schlitterndem Maschinenlärm zermürben lassen, und nie vom Rhythmus des neuen Menschtums erbeben, sollen wir in der Feuerhitze der Dampfkessel verdorren und niemals mehr den belebenden Glutstrom des befreiten Menschtums verspüren? Sollen wir immer nur Sklaven bleiben, so lange nur mühsam der Leib zusammenhält und niemals aufsteigen zum Menschtum? Sollen wir, die junge Garde des Proletariats, im Schützengraben des Klassenkampfes ersticken, im Kleinkram der Organisation verkommen? Oder soll nicht auch für uns Pfingsten werden, ein neuer Menschheitsfrühling, der in Reinheit und Klarheit die Schlacken der Sklaverei schmilzt und tilgt?“184

Mit solchen – wohlgemerkt: ganz und gar typischen – Aphorismen deklamierte Fritz Lewy, und hier ähnelte er mehr dem Hofgeismarer Karl Bröger als den wirklich überzeugenden marxistischen Theoretikern seiner Generation: Helmut Wagner, Arkadij Gurland, Alexander Schifrin oder Fritz Sternberg beispielsweise. Sie alle waren ihm analytisch überlegen. Und auch Hofgeismarer wie August Rathmann und Gustav Dahrendorf argumentierten sehr viel politischer, jemand wie Haubach sehr viel „marxistischer“ als der Breslauer Student der Nationalökonomie. Der Linkssozialismus eines Fritz Lewy, der bald schon mit den allzu weltlichen Bedürfnissen der empirischen Arbeiterklasse in Hader geraten musste, konnte nur dazu führen, dass sich die Propheten und eine Handvoll Jünger, ihres geschichtlichen Auftrages gewiss und um die Reinheit der Lehre bemüht, in einen Winkel erhabener Prinzipienfestigkeit zurückziehen und der Welt der Halbheiten und der Kompromisse enttäuscht-verächtlich den Rücken zuwenden würden.

K EIN R ESONANZBODEN FÜR DAS „E INERSEITS -ANDERERSEITS “ Der Philosoph des Kompromisses im (Breslauer) Jungsozialismus war Siegfried Marck. Dessen Aktivitäten haben vielleicht auch deshalb keine spektakulären oder auch nur leicht identifizierbare Spuren hinterlassen, während die Wirkung und Prägekraft von Max Adler, Paul Tillich, Fritz Stemberg oder Ernst Niekisch

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unschwer aus den Texten von Jungsozialisten heraus zu destillieren ist. Verglichen mit jenen Theoretikern war Marck wahrscheinlich auch ein weniger origineller Kopf, mehr ein wissenschaftlicher und volkspädagogischer Dolmetscher philosophischer Schulen. Zudem lag ihm auch die Schärfe einer zugespitzten und kompromisslosen Argumentationsführung nicht; er wog eben mehr ab, bevorzugte das Besonnene, neigte zum „Einerseits-Andererseits“. Doch war Marck keineswegs eine Randfigur in Breslau. Wollte man die Vortragstätigkeit der Referenten in Breslauer Jungsozialistenversammlungen quantifizieren, dann würde Siegfried Marck zweifelsohne mit großem Abstand an der Spitze liegen. Es hat im Weimarer Jungsozialismus außer Marck keinen anderen Intellektuellen von Rang gegeben, der am Leben einer örtlichen Juso-Gruppe von ihrer Entstehung an bis zum unfreiwilligen Ende der Bewegung im Frühjahr 1931 aktiv mitgewirkt hat. Siegfried Marck gehörte zu der deprimierend geringen Zahl von Universitätsdozenten der Weimarer Zeit, die sich prononciert zur Republik bekannten und aktiv für das parlamentarische System eintraten. Marck hatte sich zu diesem Zweck – und das war unter Hochschullehrern jener Jahre erst recht ungewöhnlich – der Sozialdemokratie angeschlossen. In die Wiege gelegt war ihm zumindest das Engagement in der sozialistischen Arbeiterbewegung nicht. Marck entstammte dem nationalliberalen, humanistisch gebildeten jüdischen Bürgertum des 19. Jahrhunderts. Sein Urgroßvater hatte zu Beginn des Jahrhunderts ein Bankhaus gegründet. Sein Großvater und sein Vater hatten sich nach dem Studium der Jurisprudenz als Rechtsanwälte niedergelassen, da sie in das Richteramt nur durch einen Religionswechsel hätten gelangen können, was die zwei indes ablehnten. Beide amtierten als Stadträte im Magistrat der Stadt, beide saßen einer Reihe von Wohlfahrtsorganisationen vor; und beide hatten – wie auch die Mutter Siegfried Marcks – leitende Funktionen in der Breslauer Synagogengemeinde inne. Im Gegensatz zu etlichen anderen sozialistischen Intellektuellen jüdischer Herkunft löste sich Siegfried Marck auch in seiner politisch radikalsten Zeit am linken Flügel der demokratisch-sozialistischen Bewegung nicht vollständig von der jüdischen Gemeinde. Bis zum Ende der Weimarer Republik partizipierte er an ihren Festen, hielt dort regelmäßig Vorträge.185 Der junge Siegfried Marck, 1889 geboren, schien zunächst ganz in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters treten zu wollen. Nachdem er am traditionsreichen Breslauer Johannes-Gymnasium sein Abitur abgelegt hatte, begann er 1907 an der Friedrich-Wilhelm-Universität seiner Heimatstadt das Studium der Rechtswissenschaften, das er nach einem Semester in Genf fortsetzte. Doch entwickelte er für die Juristerei keine rechte Passion. Daher schrieb er sich 1908 in Breslau an der Fakultät für Philosophie ein, wechselte später dann an die Universitäten von Berlin und Freiburg, um schließlich 1911 sein Studium mit einer Dissertation

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über das Thema „Erkenntniskritik, Psychologie und Metaphysik nach ihrem inneren Verhältnis in der Ausbildung der platonischen Ideenlehre“ erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Weitere sechs Jahre später habilitierte sich Marck, in dieser Zeit mit der Dichterin und Frauenrechtlerin Lola Landau verheiratet, an der Breslauer Universität durch eine vergleichende Auseinandersetzung mit den philosophischen Grundbegriffen bei Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Während seines Studiums war Marck durchweg bei neukantianischen Denkern in die Schule gegangen: in Breslau bei Eugen Kühnemann, seinem späteren Doktorvater, und Richard Hönigswald, in Berlin bei Ernst Cassirer und in Freiburg bei Jonas Cohn und besonders bei Heinrich Rickert, dessen „kritischer Idealismus“ ganze Generationen von Studenten beeinflusste und zu dessen engstem Schülerkreis Marck gehörte. Später hätte Marck seinen Konnex zu Rickert gern vergessen gemacht; seine frühere Nähe zum begeisterten Hugenberg-Sympathisanten war ihm höchst unangenehm. Gleichwohl durchzog das elementare philosophische Denkprinzip Rickerts, das der „synthetischen Einheit“, auch hernach das Lebenswerk seines früheren Breslauer Studenten. Ähnlich unangenehm war dem späteren Sozialisten Siegfried Marck seine ursprüngliche Haltung zum Krieg. 1916 hatte Marck eine kleinere Schrift unter dem Titel „Deutsche Staatsgesinnung“ im renommierten Münchener BeckVerlag publiziert.186 Darin feierte er den „Siegeszug“ der deutschen Armeen „gegen die ganze Welt“. Den preußischen „Militarismus“ erklärte er schwärmerisch zur Religion des Staates. Zum Zeitpunkt, als er die Schrift verfasste, gehörte Marck noch nicht zur kämpfenden Truppe. Er war anfangs wegen chronischen Herzjagens vom Kriegsdienst zurückgestellt worden. Doch 1917 wurde auch er zur Westfront abkommandiert, und das Damaskuserlebnis erfolgte rasch: Marck entdeckte den Pazifismus und schloss sich den Sozialdemokraten an. Unmittelbar nach der Rückkehr von den Schützengräben trat Marck in Breslau dem sozialdemokratischen Ortsverein bei, nahm am Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Mitte Dezember in Berlin teil187, wirkte in seiner Heimatstadt im „Rat der geistigen Arbeiter“ mit. Dessen Hauptziel war die Gründung von Volkshochschulen. Die Idee der Volkshochschule war in den unmittelbaren Nachkriegsjahren unter den Gebildeten hochpopulär. Man versprach sich hier von der Volksbildung die Überwindung der Klassengesellschaft und die Kreation einer veritablen Volksgemeinschaft. Auch und gerade Siegfried Marck beteiligte sich von Beginn an mit erheblicher Leidenschaft am Aufbau des mittelschlesischen Volkshochschulwesens, von dem er sich nach Vollzug der politischen Gleichberechtigung der Arbeiterschaft auch deren „geistige Emanzipation“ erhoffte. Über Jahre bot Marck dort etliche Kurse an, Einführungen in die Philosophie, in die Psychoanalyse, in das Werk Goethes, in die Programmatik der politischen Parteien, in die Begründungswelt von Bolschewismus und Faschismus. Die Mehr-

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zahl der Kursteilnehmer kam in der Tat aus der Facharbeiterschaft, vor allem aus Kreisen der sozialistischen Jugend. Dagegen hatte es der Sozialist und Jude an seiner Breslauer Universität ungleich schwerer. Das Gros der bürgerlichen und deutschnational gesinnten Hochschulstudenten mied ihn und seine Vorlesungen. Marck hatte 1922 an der Breslauer Universität einen Lehrauftrag für Rechts- und Staatsphilosophie erhalten; 1924 war er zum a. o. Professor für Soziologie und Philosophie ernannt worden; und 1930 hatte ihn der preußische Kultusminister Adolf Grimme zum Ordinarius und Lehrstuhlnachfolger Richard Hönigswalds berufen. Am liebsten aber hielt er sich eben bei den Jungsozialisten auf, die er auch privat durch materielle Zuwendungen über all die Jahre, so gut es ging, förderte und unterstützte. Die Erwartungen, die er an die jungen Facharbeiter herantrug, verrieten auch in seinem Falle deutlich alle Merkmale der eigenen sozialen Herkunft. Das Bemühen der Jungsozialisten müsse dahingehen, definierte Marck einmal 1924, „die Aufgaben des Jungproletariats“, den Kampf um den Sozialismus „zu vergeistigen, mit adligen Waffen zu führen“.188 Die Kreise der Jungsozialisten überhöhte er so zu Stätten der Kultur, in denen ein „sozialistischer Geist“, statt – wie im Bürgertum – „Eigensucht“ und „materialistische Gesinnung“ zu herrschen habe.189 Der proletarischen Jugend also war nach Auffassung von Siegfried Marck die Verantwortung übertragen, „an die Schätze der Kultur“ anzuknüpfen, „den Ewigkeitsgehalt des Großen“ zu erwerben, „um ihn zu besitzen“.190 Aber auch um den Aufbau einer neuen proletarischen Festkultur versuchte er sich verdient zu machen. Keine andere Umgebung war für das Auftreten Siegfried Marcks so kennzeichnend wie die durch Rezitationen, Musik und Sprechchor untermalten sozialistischen Feiern: Revolutionsfeiern im November und Oktober, Feiern zum Andenken Bebels, Saccos und Vancettis, Luxemburgs und Liebknechts, Gedenkveranstaltungen für die Wiener Toten des 15. Juli 1927, für die Toten der Republik oder zur Erinnerung an das Attentat von Friedrich Adler auf den österreichischen Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh im Ersten Weltkrieg, Antikriegstage, Geselligkeitsabende und „rote Silvesterabende“. Bei all diesen feierlichen Anlässen mit dem jungsozialistischen Anspruch einer neuen Kultur steuerte Siegfried Marck die Festreden bei.191 Überdies verfasste er in den späten 1920er, frühen 1930er Jahren die Texte von Revuen und Kabaretts, die, von Jungsozialisten und sozialistischen Studenten in den Wahlkämpfen für den Reichstag 1928/30 und für das Stadtparlament 1929 aufgeführt, an die Stelle der konventionellen Wahlkampfpropaganda und Agitationsmethoden treten sollten. Marck selbst führte zudem Regie und wirkte mit seiner zweiten Frau Claire z.T. auch als aktiver Spieler mit.192 Umso erstaunlicher ist es, dass dieser den Jungsozialisten am meisten zugewandte Intellektuelle nicht den geringsten Einfluss auf deren rasante Radikalisie-

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rung nach links ausgeübt hat. Eher mag es umgekehrt sein, dass die Entwicklung der Jungsozialisten auch Siegfried Marck geformt und verändert hat. In den frühen zwanziger Jahren, eigentlich noch bis zur Mitte des Jahrzehnts, war Siegfried Marck alles andere als ein Linkssozialist; er war keineswegs ein Repräsentant der „jungsozialistischen Opposition“. Im Gegenteil: Auf einem Revolutionsgedenken im November 1922 beispielsweise bemühte er sich, den Jungsozialisten mehr Achtung vor der „Verantwortungsschwere“ der „heutigen Staatsmänner“ beizubringen, da dank deren Leistung die „drohenden Gefahren der Auflösung des Reiches und Bürgerkrieg“ vermieden und „faschistische und bolschewistische Gewalt-Methoden abgewehrt“ werden könnten.193 1924 schrieb er von der „welthistorischen Funktion der deutschen Sozialdemokratie“, die darin bestanden habe, 1918/19 die Erhaltung des Nationalstaates, die Einheit des Reiches und die Sicherung der Republik erreicht zu haben.194 Der Schreck über den Zustand des Reiches und die innergesellschaftlichen Spannungen nach Ausbruch der Revolution muss dem aus dem Feld zurückgekehrten Philosophen in der Tat heftig in die Glieder gefahren sein; denn seine Besorgnisse über drohendes Chaos und putschistische Gefahren hat er selbst in seiner linkssozialdemokratischen Zeit für vollauf berechtigt gehalten und explizit zu verteidigen getrachtet. In seiner 1927 in der Jungsozialistischen Schriftenreihe erschienenen Broschüre „Reformismus und Radikalismus in der deutschen Sozialdemokratie“, einer Schrift, in der er sich zum „echt marxistischen Radikalismus“195 bekannte, suchte er die Motive und Handlungen der damaligen sozialdemokratischen Parteiund Regierungsführung verständnisvoll zu erklären: „In der deutschen Novemberrevolution war eben die Revolution nicht imstande, aus eigener Kraft die Anarchie zu unterdrücken, von der sie wie jede andere Revolution der Weltgeschichte, vielleicht noch mehr als jede bedroht war.“196 Als er im Februar 1927, nun ein Wortführer des linken Flügels, als Referent auf der Generalversammlung des Breslauer SPD-Ortsvereins die Notwendigkeit eines scharfen Oppositionskurses und die drastische Zurückweisung aller Koalitionsabsichten propagierte, versäumte er gleichwohl nicht hinzuzufügen, dass zu Beginn der Republik die sozialdemokratische Koalitionspolitik, „vor allen Dingen die Weimarer Koalition, eine historische Notwendigkeit“ gewesen wäre.197 Tatsächlich hatte Marck in den frühen zwanziger Jahren am rechten Rand der Breslauer SPD gestanden. Er trat damals nicht nur für ein Regierungsbündnis mit dem Zentrum und den Demokraten ein, sondern befürwortete sogar ein Zusammengehen mit der großkapitalistischen DVP198, eine Bündnisoption, die 1921 in der Mitgliedschaft der Sozialdemokratie noch heftigen Unwillen und Proteststürme hervorrief. Immer wieder sprach Marck von den „Gefahren einer Oppositionsstellung unserer Partei“ und machte sich daher für eine Mitarbeit der SPD an den Regierungen der Länder und des Reiches stark, auch wenn das zur

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Folge hätte, dass damit „der Kampf für den Sozialismus gegenwärtig zurückgestellt werden muss“199. Marck selbst bezeichnete sich in diesen Jahren „als Anhänger eines republikanischen Blocks mit den bürgerlichen Parteien“; er fand die strikte Spaltung in Bürgerliche hier, Sozialisten da, zutiefst bedauerlich.200 Einen ersten Riss bekam dieses Selbstverständnis durch zwei Stadtverordnetenversammlungen. Unter dem Eindruck des Rathenau-Mordes sollten auf Antrag der sozialdemokratischen Fraktion solche öffentlichen Plätze und Straßen umbenannt und durch republikanische Symbole ersetzt werden, die noch immer Namen in Anlehnung an die Hohenzollernmonarchie trugen. Ein, wie man in der Tat annehmen sollte, unter demokratischen Kräften selbstverständliches Anliegen, das aber – im Übrigen nicht nur in Breslau201 – sowohl von den Deutschnationalen als auch vom Zentrum und der DDP abgelehnt wurde. Die Umbenennung des „Kaiser-Wilhelm-Platzes“ in den „Platz der Republik“, als Antrag bereits im Juni 1922 ins Breslauer Kommunalparlament eingereicht und zunächst zurückgewiesen, konnte erst im Januar 1923 und allein mit den Stimmen der Sozialdemokratie durchgesetzt werden. Marck, der sich in dieser Sache besonders stark engagiert hatte, urteilte nun voller Verbitterung über die Parteien des Bürgertums; er bezeichnete sie als eine „geschlossene reaktionäre Masse“202. Aber auch diese Erfahrungen ließen Marck noch nicht sofort zum radikalen Linkssozialisten werden. Die Position, die er zwischen 1923 und 1925 einnahm, kann man mit der Hermann Hellers und Theodor Haubachs vergleichen. Ähnlich wie diese Hofgeismarer bekannte sich Marck zur „Staatsidee“ und zum „nationalen Kulturstaat“; er bezeichnete dies etwas missverständlich als „marxistische Staatsbejahung“ im „neumarxistischen Sinne“203. Mit dieser in Weimarer Jahren von vielen akademischen Marxisten gern gewählten Zuordnung zum „Neumarxismus“ sollte bezeichnenderweise der „Überbau“ neu interpretiert werden: als Sphäre autonomer kultureller Ideen und spontaner schöpferischer Kräfte des Geistes, die wahrhaft unabhängig von den materiellen Produktions- und Reproduktionsbedingungen wären. Man mag dies als bildungsbürgerlichen Überschuss an „Idealismus“ werten, aber bei Siegfried Marek waren solche Überschüsse realpolitisch eingedämmt. Entschieden wandte er sich dabei gegen die radikalen Marxisten vom Schlage eines Georg Lukács, denen er vorhielt, nur Askese gegenüber dem Gegenwartsstaat zu üben.204 Man mag zweifeln, ob die weitere Linksentwicklung Marcks seit 1926 in allen Dingen erkenntnisfördernd gewesen war; wichtige Einsichten gingen sogar verloren. So schätzte Marck als Festredner auf der Revolutionsfeier der Jungsozialisten 1926 die Republik nur noch deshalb, weil sie „den Klassenkampf unverhüllt auftreten“ lasse.205 Im Übrigen redete nun auch er der zuvor beklagten Staatsabstinenz das Wort. Auf der Generalversammlung 1927 erteilte er der Koalitionspolitik eine harsche Abfuhr, weil er die Republik nun für gesichert

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hielt.206 Auf dem Höhepunkt emotionaler Radikalität konnte man Marck, der 1918 als Pazifist aus dem Krieg zurückgekehrt war, nach dem Panzerkreuzerdebakel im August 1928 erleben: „Die Parteigeschichte wird später einmal urteilen“, schäumte Marck auf einer sozialdemokratischen Mitgliederversammlung vor Wut und vergriff sich in seiner Erregung bei der Wahl der Metapher: „[…] die Partei hat im Mai 1928 nach Rückschlägen ihren neuen Vormarsch angetreten, da wurde ihre Front von vier Männern von hinten erdolcht“.207 Knapp vier Monate später, als Referent für die Funktionärskonferenz der Breslauer SPD bestellt, ließ er an seiner Position, die er nun seit zwei Jahren einnahm, keinen Zweifel aufkommen und forderte eine „Linie verschärften Klassenkampfes“ statt des „Hineinwachsens in den Sozialismus“.208 Die Frage ist nicht ganz leicht und gewiss nicht ohne Spekulationen zu beantworten, wieso es zu diesem „Linksrutsch“ von Siegfried Marck kam. Allerdings finden wir in dessen Schriften, Reden und kurzen Äußerungen doch einige Anhaltspunkte, die plausible Erwägungen ermöglichen. Sicher hat die Radikalisierung der Breslauer Jungsozialisten Marck nicht unberührt gelassen; denn mit ihnen traf er auch privat, in seinem Hause, häufig zusammen, und sie bedeuteten ihm viel, eigentlich das meiste in der Sozialdemokratie. Anzunehmen ist auch, dass ihn die Diskussionen und vor allem die Vorträge Fritz Sternbergs in der Marxistischen Arbeitsgemeinschaft von 1924-1926 beeinflusst haben. Sternbergs Wirkung auf Intellektuelle und Jungsozialisten in jenen Jahren war enorm; Bertolt Brecht und Walter Benjamin beispielsweise fanden durch ihn den Zugang zum Marxismus.209 Mehr aber noch als die intellektuelle Rezeption linkssozialistischer Schriften dürfte der im Breslauer Gewerkschaftsapparat seit 1926 als Reaktion auf den Vormarsch der Linkssozialisten mobilisierte antisemitische Antiintellektualismus und Antijungsozialismus zum Gesinnungswandel Siegfried Marcks beigetragen haben. Diese Kampagne verärgerte und empörte Marck außerordentlich; seitdem sprach auch er von „Bonzen“, vom „Konservatismus der Organisationsführer“ und „Opportunismus des Apparats“, und er beschwerte sich mit Entschiedenheit über die „Stimmungsmache“, die von „bestimmter Seite gegen ‚die Intellektuellen‘ und die Jungsozialisten betrieben wurde“.210 Als einen Linkssozialisten im engeren Sinne kann man Marck daher nicht bezeichnen; seine zwischenzeitliche linksoppositionelle Haltung rührte aus der Enttäuschung über die selbsternannten, aber offenkundig perspektivlosen und handlungsunfähigen „Real-“ und „Vernunftspolitiker“, speiste sich aus der Wut über Peinlichkeiten wie dem Panzerkreuzerspektakel, war gewissermaßen auch ein Akt der Solidarität mit seinen besten Freunden, den Jungsozialisten und linken Intellektuellen. Kurz gesagt: Marck hielt in den Jahren seiner Linksopposition durch die besonderen Erfahrungsumstände die „Gefahr eines opportunistischen Konserva-

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tismus“ im Funktionärskörper für größer „als die Gefahr der Konservierung doktrinärer Radikalismen“.211 Aber als eine Gefahr sah er gleichwohl den doktrinären Radikalismus weiterhin an; ebenso hart urteilte er zur gleichen Zeit über die „hysterischen Sektierer“, die „an jedem Tag Weltrevolution machen“ wollten.212 Am liebsten hätte es Marck gesehen, wenn alle SPD-Flügel die Zusammengehörigkeit von reformistischer und revolutionärer Haltung akzeptiert und ihre Existenz als innerparteiliche Sonderrichtung aufgegeben hätten. Was allerdings der Intellektuelle in synthetische Symbole zusammenfügen konnte, waren in der gesellschaftlichen Wirklichkeit eben eigenständige und nicht zufällig gegensätzliche Ausdrucksformen spezifischer sozialer Verhältnisse, ökonomischer Strukturen und durch berufliche Tätigkeiten oder regionale Parteimilieus entstandene und verfestigte Mentalitäten. Der tüchtige Weimarer Arbeiterfunktionär, der nun seit Jahren und Jahrzehnten als Gewerkschaftssekretär, Genossenschafter oder Kommunalpolitiker das Los der Arbeiterschaft durch praktische Maßnahmen und konkretes Sachwissen tagtäglich zu verbessern suchte, der dabei auch, blickte er zurück, Erfolge sah, es selbst zu einem mehr oder weniger bescheidenen Auskommen gebracht hatte, verkörperte schließlich einen Sozialcharakter, der durch und durch reformistisch war und für einen revolutionären Aktivismus nicht mehr taugte. Das war die wirkliche Dialektik der Sozialreform in der Solidargemeinschaft der Arbeiterbewegung; ganz unrecht hatte Rosa Luxemburg mit ihren diesbezüglichen Prognosen nicht gehabt. Siegfried Marck indes reagierte verstört, sogar beleidigt, wenn sich dieser reformistisch-gewerkschaftliche Flügel auch als solcher verhielt und sich nicht an die intellektuelle Dialektik von Sozialreform und Revolution hielt.

D ANTON UND S TRUWWELPETER – F RITZ S TERNBERG Auf den Reformismus gab Fritz Sternberg gar nichts mehr – und daher wurde er mehr und mehr zum Star des radikalen jugendlichen Linkssozialismus der Weimarer Jahre.213 Sternbergs regelmäßiger Verkehr mit den Breslauer Jungsozialisten beschränkte sich auf den Zeitraum vom Dezember 1924 bis zum März 1926214; danach reiste er nur noch sporadisch nach Mittelschlesien, um seine Familie zu besuchen und dann auch Referate zu halten oder Kurse zu geben. Aber wenn er dann nach Breslau kam, war es eine Attraktion ersten Ranges. Die Tageszeitung der Breslauer SPD war gefüllt von Anzeigen der verschiedensten Suborganisationen des sozialdemokratischen Vereinswesens, die ihre Mitglieder zur Teilnahme an den Sternberg-Veranstaltungen aufriefen. Quartiere mussten gesucht und beschafft werden, weil aus allen Teilen Mittelschlesiens Zuhörer erwartet wurden.215 Der Ansturm auf die Säle, wo Sternberg reden sollte, nahm –

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nicht nur in Breslau, in anderen Großstädten Deutschlands verhielt es sich ähnlich – häufig so beängstigende Ausmaße an, dass die Linkssozialisten sich sogar gezwungen sahen, die sonst so ungeliebte staatliche Zwangsgewalt in Form der Polizei zum Schutze herbeizurufen, um die überfüllten Versammlungen einigermaßen sicher zu Ende zu bringen.216 Wenn man Max Adler mit allen Einschränkungen als den vielleicht wichtigsten Theoretiker des linken Jungsozialismus zur Mitte der 1920er Jahre bezeichnen kann, dann wird man Sternberg als denjenigen ansehen dürfen, der dem Österreicher allmählich, spätestens mit dem Einsetzen der Großen Depression, den Rang ablief. Der frömmelnde Zukunftsglaube und Chiliasmus eines Adler oder Fritz Lewy, mit denen sich die postrevolutionäre Stagnationsphase trefflich überdauern ließ, verlor zunehmend an Attraktivität, der linkszentristische demokratische Sozialismus von Otto Bauer217 fand bei den Jusos in der Krise der politischen Demokratie immer weniger Resonanz. Gefragt waren bald dynamisch-appellative Aufrufe zur revolutionären Aktion, wie sie Fritz Sterberg mit einer zündenden und dramatisch gefassten Rhetorik variationsreich vorzutragen verstand. Die meisten Zeitzeugen erinnerten sich daran, wie geschockt sie waren, als sie in jungen Jahren Fritz Sternberg erstmals als Referenten zu Gesicht bekamen. Auf das Podium stieg eine ungemein nachlässig gekleidete, gedrungene Gestalt mit wild zerzausten „Struwwelpeterhaaren“, niemals ruhig sitzend oder stehend, sondern immer nervös auf- und abgehend, ständig die chronisch herunterhängende Hose hochziehend, mit der rechten Hand immer die gesuchte Hosentasche verfehlend, um plötzlich im Stile des selten gewordenen Volkstribuns loszudonnern. „Der Volkstribun eines Types“, so Hans Mayer in seinen Erinnerungen, „den es in Deutschland kaum je gegeben hat in der wirklichen Arbeiterpolitik. Ein jüdischer Danton gleichsam“218. „Ein glänzender Redner“, bestätigte auch Mayers damaliger Genosse aus der Sozialistischen Studentengruppe Köln, Josef Prenner, „Sternberg konnte wie ein Volksführer anstacheln“. Seine engsten Freunde nannten ihn, berichtete ein früherer Breslauer Kommunist, des stürmischen Temperaments wegen Dr. Ungewitter. „Es war schwer, gegen ihn anzukommen“, bestätigte auch der ehemalige Schwelmer Jungsozialistenvorsitzende Ernst Rosendahl im Rückblick, „Sternberg hatte eine große Rhetorik“. Die bekam besonders sein damaliger theoretischer Kontrahent Alfred Braunthal, Leiter der Heimvolkshochschule Tinz, zu spüren. Die SPD im thüringischen Gera hatte zu einem abendlichen Streitgespräch zwischen Braunthal und Sternberg eingeladen. Etwa zweitausend Leute, darunter auch die Schüler von Tinz, waren erschienen und der Saal hoffnungslos überfüllt. „Ja, mit dem Braunthal“, erinnerte sich der frühere Dresdener Juso-Vorsitzende Walter Pöppel, der zu jener Zeit in Tinz weilte, an die Veranstaltung, „konntest Du nur Mitleid haben, wie der dort abgebürstet wurde“.

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Vielen Jungsozialisten war dies in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre eine vertraute Linie schöpferisch-weiterentwickelten Marxismus: Marx-Luxemburg-Sternberg.219 Zum Ärger einiger sozialdemokratischer Jugend- und Arbeiterbildner diskutierten manche großstädtischen Juso-Gruppen „monatelang über Sternberg und Antisternberg“220. Der 1895 in Breslau geborene Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts hatte erst allmählich zur marxistisch-sozialistischen Arbeiterbewegung gefunden. Anfangs hatte er, der 1917 über „Die Juden als Träger einer neuen Wirtschaft in Palästina“ promovierte, sich stark in Bewegungen mit zionistisch-sozialistischen Zielsetzungen engagiert, um seit den frühen 1920er Jahren, ohne Mitglied der Sozialdemokratie oder gar der Kommunistischen Partei zu werden, an der Sammlung und theoretischen Bildung junger Kader aus – zunächst – beiden Parteien zu arbeiten. Es war natürlich kein Zufall und lag auch nicht an der unkonventionellen Erscheinung, dass Sternberg der theoretische Stichwortgeber einer intellektuellen Generation junger Sozialisten wurde. Vielmehr schnitten sich seine Überlegungen und Deutungsversuche mit den bohrenden Fragen und manifesten Zweifeln auch der linken Jungsozialisten, die bei aller Insistenz auf die Erklärungskraft des Marxismus Gespür genug für die tiefe geistige Krise der sozialistischen Orthodoxie besaßen und nach einem „lebendigen Marxismus“ verlangten. Das war auch der methodische Ausgangspunkt für Sternbergs theoretisches Verfahren, das auf die Marxschen Kategorien als Mittel zur analytischen Erschließung einer seit den Schriften der Klassiker veränderten Welt zurückgriff. Da Sternberg sich ähnlich wie die Breslauer Jungsozialisten Gedanken darüber machte, wie das bisherige Ausbleiben der proletarischen Revolution, wie die Entschärfung der sozialen und politischen Krisen und wie die Stabilität des Reformismus in der Arbeiterbewegung zu erklären seien, kamen sie immer mehr ins Gespräch. Ab dem 14. Dezember 1924 erhielt die lose Verbindung ein institutionelles Gefüge und eine Marxistische Arbeitsgemeinschaft wurde gegründet. Dazu hatten, worauf schon hingewiesen wurde, die Jungsozialisten, die Sozialistische Studentengemeinschaft und der Bund der Freunde sozialistischer Akademiker aufgerufen. Im Dezember nun sollte Sternberg – so hieß es im Aufruf der sozialdemokratischen Breslauer Volkswacht – zum ersten Male der weiteren Öffentlichkeit seine „Imperialismus-Theorie vorlegen, die in der Analyse der imperialistischen Phase des Kapitalismus den gegenwärtigen Stand und die zukünftige Entwicklung der Arbeiterbewegung begreift“.221 Bis ins Frühjahr 1926 hinein traf sich die Marxistische Arbeitsgemeinschaft an einem Abend der Woche, organisatorisch im Wesentlichen von den Jungsozialisten Oskar Krummschmidt und Max Rettig vorbereitet, im Gewerkschaftshaus und entwickelte sich in dieser Zeit tatsächlich zu einer Art Kristallisationspunkt des aktiven Teils der linkssozialistischen Breslauer Arbeiterbewegung. Es diskutierten neben den Jungso-

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zialisten, sozialistischen Studenten, Akademikern und linken Gewerkschaftern auch die theoretisch selbstständigen Köpfe der mittelschlesischen KP – trotz des heftigen Vetos ihrer Parteileitung.222 Sternberg fasste die Ergebnisse seiner Forschungen und Diskussionen in der Marxistischen Arbeitsgemeinschaft 1926 in seinem heftig umstrittenen Buch „Der Imperialismus“223 zusammen. Anders als die orthodoxen Vertreter des Marxismus begriff er die Krise der sozialistischen Theorie als Ausdruck einer geistigen Stagnation, weshalb neue analytische und strategische Überlegungen Not taten. Denn wie war es zu erklären, so fragte Sternberg, dass in den modernen Ländern des Kapitalismus die ökonomischen Krisen keineswegs katastrophenartige Ausmaße angenommen hatten und auch von einer zunehmenden Verelendung oder ständigen Erhöhung der industriellen Reservearmee in der Zeit von 1870-1914 nicht die Rede sein konnte? Hatte mithin der Revisionismus mit seinen Interpretationen und dem von ihm offerierten reformistisch-evolutionären Weg zum Sozialismus, der, auch das war erklärungswürdig, von den weitaus meisten Arbeiterparteien beschritten wurde, gegenüber der Orthodoxie doch recht behalten? Sternberg hielt es für die alles entscheidende Frage, wie der Kapitalismus trotz der dem System immanenten Konsumbeschränkungen zu einer erweiterten Reproduktion fähig sein könnte. Im Unterschied zur Sichtweise von Marx, der aus analytischen Gründen von der Existenz nichtkapitalistischer Räume abstrahiert hatte, um den Akkumulationsprozess stringent darstellen zu können, und so eine außerordentlich wachsende Krisendynamik des als homogen unterstellten kapitalistischen Zusammenhangs antizipierte, war für die bisherige historischsoziale Realität ein Nebeneinander kapitalistischer und vorkapitalistischer Gesellschaften charakteristisch. Das aber habe – so Sternberg in offenkundiger Anlehnung an John A. Hobson und Rosa Luxemburg – den modernen kapitalistischen Ländern die Gelegenheit geboten, das konstitutive Basisproblem der warenproduzierenden Gesellschaften zu lösen: der Entledigung des im Inneren nicht absetzbaren Konsumtionsrests durch Export in aktiv zu erobernde Kolonien. Der expansive Vorstoß der modernen kapitalistischen Staaten in die Gebiete mit vorkapitalistisch produzierenden Völkern war folglich Motor und Zwang für die erweiterte Reproduktion und Garant für den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft und hatte zudem erhebliche Folgen für die Positionen der sozialen Klassen in den Musterländern des Imperialismus. Der imperialistische Ausweg nämlich minderte die Krisenanfälligkeit des Systems und schaffte die Bedingung dafür, dass durch das erzielte Surplus eine vorübergehende Überkompensation der industriellen Reservearmee, die Steigerung der Reallöhne und die Einräumung sozialpolitischer Zugeständnisse möglich war. Die Arbeiterklasse erhielt „Schonzeit“, wie Sternberg das nannte, dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die

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imperialistische Bourgeoisie aufgrund der zunehmend schärfer werdenden und kriegerisch geführten Auseinandersetzungen mit den zur nationalen Identität erwachten Völkern der Kolonien keine explosiven Klassenkämpfe im Inneren leisten konnte. Die „Schonzeit“ der industriellen Arbeiterschaft würde, wie Sternberg betonte, mit der Verelendung der Kolonialvölker korrelieren. Ihnen gegenüber avancierten die Werktätigen der modernen Industrieländer insgesamt zu einer „Arbeiteraristokratie“ und fänden in dieser Phase des steigenden Lebensstandards ihren politischen Ausdruck in der reformistischen Praxis. Hierbei unterschied sich Sternbergs Erklärungsversuch deutlich von der leninistischen Formel von einer „Arbeiteraristokratie“, nach der es sich bekanntlich nur um eine kleine Schicht korrumpierter Arbeiterbürokraten handelte, denen es durch besonders raffinierte Täuschungsmanöver immer wieder gelang, die prinzipiell klassenkämpferisch gesonnenen Arbeitermassen arglistig über den Charakter der opportunistischen Politik des Sozialchauvinismus hinwegzutäuschen. Die eigentliche Zielrichtung der historisch-materialistischen Kritik Sternbergs aber galt den Revisionisten, welche die „Schonzeit“ der Arbeiterklasse nicht als limitierte Phase und vorübergehende Konstellation begriffen, sondern sie absolut gesetzt hatten, um mit dem Argument einer relativ krisenfreien und sukzessive sozialbefriedeten Gesellschaft ihre Strategie des friedlichen Hineinwachsens in den Sozialismus entfalten zu können. Die „Schonzeit“ der Arbeiterklasse aber war nach Sternberg an die Möglichkeiten des imperialistischen Vorstoßes gebunden. Entfiel dieser, so war es auch mit dem relativen Wohlstand der Arbeiterklasse vorbei: Je stärker die Kolonien durchkapitalisiert waren, um so kampfesfreudiger sich die nationalen Befreiungsbewegungen in den Kolonien emanzipierten, „um so geringer ist die Möglichkeit, den Marxschen Faktor zu überkompensieren, um so mehr tritt die reine Marxsche Gesetzlichkeit wieder in Kraft“.224 Exakt in dieses Stadium sei der Nachkriegskapitalismus eingetreten, und mit einer tiefen Krise des Kapitalismus war nach Sternbergs Überzeugung, mit der er 1926 zu Zeiten relativer Stabilität und drei Jahre vor der großen Weltwirtschaftskrise unter den sozialistischen Theoretikern eher isoliert dastand, alsbald zu rechnen. Dennoch gab es für Sternberg keinen Anlass, den traditionellen Zukunftsoptimismus der alten Bebel-Generation in der deutschen Sozialdemokratie wiederzubeleben. Im Gegenteil, die damals allseits erwartete harmonische Parallelität von kapitalistischer Krise, technischer Sozialisierungsreife der Produktionsmittel und adäquatem Bewusstsein der einheitlich zusammengeballten Arbeiterklasse war ihm ein Mythos und entsprach nicht dem „Teuflischen“ der tatsächlich anstehenden historischen Situation. Da war zum einen das Bewusstsein des Proletariats durch die lange „Schonzeit“ anhaltend getrübt. Zudem hatte sich die Klassenstruktur, wie Sternberg richtig erkannte, außerordentlich verkompliziert. Die

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rascher als die traditionelle Industriearbeiterschaft wachsenden „neuen Zwischenschichten“ gingen keineswegs automatisch in das Lager des Proletariats über, sondern schlugen sich, wie auch der größte Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung, zu den politischen Kräften der Reaktion und konnten sich in zugespitzt krisenhaften Situationen zu einer gefährlichen dynamischen Massenbewegung der Gegenrevolution entwickeln. Nahezu beschwörend und in immer neuen Variationen machte Sternberg seine Leser und Schüler darauf aufmerksam, dass aus dem Konnex ökonomischer Krise und ausreichender Sozialisierungsreife der technischen Produktionsbedingungen nicht unbedingt der Sozialismus, sondern, wenn die Arbeiterklasse den entscheidenden historischen Moment verpasste, schlimmstenfalls die Barbarei resultierte. Die imperialistische Bourgeoisie nämlich werde nach der Durchkapitalisierung der kolonialen Räume auf dem Höhepunkt der kapitalistischen Krise aus nacktem Zwang zur Reproduktion und als Abwehr gegen die eigene Arbeiterklasse die Diktatur im Inneren und den Krieg nach außen gegen die imperialistischen Konkurrenten mit dem Ziel ihrer Unterwerfung und Ausbeutung zu entzetteln versuchen. Dann aber drohe den Völkern Euroamerikas nach einem Bündel imperialistischer Kriege der Absturz in die Geschichtslosigkeit mit den Folgen einer jahrhundertelangen Verschüttung menschlicher Kultur und Zivilisation. Um diesen Absturz in die Barbarei zu verhindern, müsste sich – so Sternberg – das Proletariat beim Versuch der Machtergreifung selbst mit einem Minimum an Sozialisierungsreife begnügen und statt des mühselig-langwierigen, schlimmstenfalls eben zu lange dauernden evolutionären Weges zu den Mitteln der revolutionären Gewalt greifen. Das spannungsreiche Dilemma war dennoch groß genug – und, nüchtern betrachtet, eigentlich auch nicht aufhebbar: „Nur die Revolution kann die Geschichtslosigkeit Euroamerikas als Konsequenz der Reihe imperialistischer Kriege verhindern. Nur die Revolution der Arbeiterschaft. Das Schaurige, das Teuflische dieser historischen Situation aber ist, dass die objektiven Bedingungen, die zum Imperialismus, zum Kriege, zum Bündel von Kriegen führen, gleichzeitig das Klassenbewusstsein der Klasse getrübt haben und noch weiter trüben, die allein imstande ist, die Welt vom Verhängnis zu befreien.“225

Unerhört schwer musste der Bewusstseinsprozess auch deshalb sein, weil keine Klasse, auch nicht die des Proletariats, nach einer gelungenen sozialistischen Revolution sogleich mit einer Verbesserung der ökonomischen Lage rechnen könne – schon aufgrund der Sabotageaktionen von Industriellen und „höheren“ Angestellten. Das Konstellationsgefüge konnte mithin ungünstiger kaum sein: Die konterrevolutionären Kräfte waren stärker und massenhafter verankert als je erwartet, der Sozialisierungsfortschritt in einigen Ländern eher unausgereift, und

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das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse blieb in objektiv zwar längst überholten, gleichwohl aber relativ stabilen reformistischen Illusionen verhangen – und das alles vor dem gesellschaftlichen Hintergrund einer tiefen Niedergangskrise des Kapitalismus und der unmittelbaren Gefahr des imperialistischen Krieges. Natürlich hatte Sternberg, wie vor ihm bereits Rosa Luxemburg und andere linkssozialistische Anhänger des „unterkonsumtionistischen“ Ansatzes, die vermeintlich systemimmanente Abhängigkeit des Kapitalismus von der Existenz „freier Räume“ bei Weitem überschätzt, die Möglichkeiten einer Steigerung der Konsumtionskraft im Inneren auch mit Hilfe unproduktiver Investitionen hingegen zu wenig berücksichtigt. Ebenso überschätzt hat Sternberg gewiss auch die Modernisierungs- und Industrialisierungseffekte des Imperialismus. Zudem lässt sich die außergewöhnliche Expansion der deutschen Wirtschaft vor 1914 nur schwerlich in den Zusammenhang mit den kolonialen Besitztümern des wilhelminischen Kaiserreiches setzen. Dennoch: Verglichen mit dem praktizistischen Bewältigungsoptimismus vieler in der sozialdemokratischen Partei und den reflexionslosen Hau-Ruck-Formeln der KPD hatte Sternberg das Bündel neuer gesellschaftlicher Bedingungen mitsamt des ihm innewohnenden Gefahrenpotentials analytisch früh erkannt. Voluntaristisch waren seine strategischen Formulierungen zur Veränderung der politischen Richtung in der Arbeiterbewegung. Der in linkssozialistischen Kreisen bald immer häufigere Rekurs auf leninistische Vorhutstrategien mit Orientierung auf die Diktatur des Proletariats hatte damit zu tun. Er entsprang nicht einer tyrannischen Koketterie mit der unkontrollierbaren Gewaltherrschaft, war aber auch nicht das Ergebnis eines rational überlegten Konzepts der Gesellschaftstransformation, sondern wohl eher der Ausdruck einer zwischen verzweifeltem Pessimismus und aktivistischer Hoffnung schwankenden Spannung: dem typischen Ausdrucksgefühl der Generation des Zwischenkriegssozialismus. Bei Sternberg finden wir dafür bereits 1926 Symptome. Wenn, so ließen sich seine Gedanken zusammenfassen, von einer immanenten Notwendigkeit des Sozialismus nicht die Rede sein konnte und ein sofortiger Fluss der Quellen freigesetzter Produktivkräfte auch nicht zu erwarten war, dann vermochte die durch „Schonzeit“ verwöhnten Arbeiter möglicherweise nur eins zu überzeugen: die Erkenntnis, dass ihre Schonzeit „mit Millionen von Toten erkauft wird“.226 Dieses Denken in die Totalität aller Erscheinungen – genau genommen war es ein emphatischer Appell an die ethische Einsicht zur Erhaltung der Humanität und menschlichen Zivilisation – aber musste der Arbeiterklasse erst beigebracht werden. Dafür aber war eine neue sozialistische Partei vonnöten, in der Intellektuelle mit Erkenntnisvorsprung eine gewichtige Rolle zur Bewusstseinsbildung zu übernehmen hatten. Noch blieb Sternberg bei der Konturisierung der neuen sozialistischen Partei eher unpräzise. Die Losung von der „Diktatur des Proleta-

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riats“ jedoch, soviel war gewiss, musste sie auf ihrem Panier tragen, und die Trennung von allen reformistischen Kräften, den „Phantasten, die einen friedlichen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus für möglich halten“227, war oberste Pflicht.

J UNGE

RADIKALE I NTELLEKTUELLE UND TRADITIONELLE K ADER DER M ETALLARBEITERSCHAFT GELUNGENE S YMBIOSE IN EINER STERBENDEN S TADT



Die implizite, wenn wahrscheinlich auch eher mittelfristig gemeinte Absage Sternbergs an eine dauerhafte Mitarbeit in der Sozialdemokratischen Partei konnte zunächst nicht das explizite organisationspolitische Credo der Breslauer Jungsozialisten sein. So viel aber hatten sie bei Fritz Sternberg mitgenommen: Eine Fortsetzung der introvertierten Zirkeldiskussionen am Rande der Arbeiterbewegung war angesichts der dramatischen, veränderungsheischenden Situation des Nachkriegssozialismus nicht mehr möglich. Seit dem Sommer 1925 aktivierten sich die Breslauer Jungsozialisten in einem ungewöhnlichen Ausmaße, indem sie die Parteidiskussionen zu dominieren versuchten, die Parteischulungsarbeit bestimmten und in den übrigen Kulturorganisationen wie ein Ferment zu wirken begannen. Geradezu überfallartig meldeten sie sich, die bis dahin auf Parteiveranstaltungen niemals größeres Aufsehen erregt hatten, auf einer Mitgliederversammlung der SPD am 23. Juli 1925 zu Worte. Fast alle Debattenredner gehörten den Jungsozialisten an. Sie polemisierten heftig gegen den Entwurf für das neue Parteiprogramm; die Ausarbeitungen der Programmdiskussion unter Rudolf Hilferding waren ihnen nicht klassenkämpferisch genug.228 Auch sonst attackierten sie die ganze „bisherige Taktik“ der Partei, die zu sehr Staats- statt proletarische Klassenpolitik gewesen sei. Mit diesem Tenor und solcher Handlungsorientierung traten die Jungsozialisten in den kommenden sechs Jahren auf allen Mitgliederversammlungen der Breslauer Partei auf. Solange sich die SPD im Reich in der Opposition befand, forderte man die rücksichtslose Bekämpfung der bürgerlichen Regierungsparteien mit allen, besonders aber außerparlamentarischen Mitteln und warnte die Partei unablässig vor Koalitionsgelüsten.229 Als die Sozialdemokratie diesen Lockungen 1928 nicht hatte standhalten können, verging in Breslau keine Parteiversammlung, in der nicht Jungsozialisten empört über die Praxis der Regierung lautstark protestierten und – mit großer Zustimmung – Resolutionen einbrachten, die den unverzüglichen Austritt der sozialdemokratischen Minister aus der Regierung verlangten.230 Die revolutionäre Alternative zum bourgeoisen Staat sahen die Breslauer Jungsozialisten in Sowjetrussland, das, so forderten sie und

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setzten sich damit auf einer Parteiversammlung trotz der Distanzierung des geladenen Referenten und späteren Kommunisten, Max Seydewitz, nahezu einstimmig durch, das „nachahmenswerte Interesse“ des deutschen Proletariats verdiene.231 Das revolutionäre Instrument zur Zerschlagung des Klassenstaates sollte der Sozialistische Kampfbund (SKB) sein, den die Jungsozialisten mit einigen weltkriegserfahrenen älteren Sozialdemokraten 1926 als paramilitärische Alternative zum als „lahm“ und „bürgerlich-demokratisch“ verschrienen Reichsbanner gegründet hatten. Man traf sich wöchentlich zu Wehrsportübungen in Turnhallen, probte Knüppelmusik und trainierte sich im Breslauer Bergkeller im Gebrauch der Schusswaffen. Zwei, drei Jahre später war der SKB nicht mehr nur ein jungsozialistisches Sonderunternehmen, sondern die offiziöse Wehr- und Schutzformation der Breslauer Partei.232 Ganz ähnlich verhielt es sich mit anderen jungsozialistischen Initiativen, die zur Mitte des Jahrzehnts noch unbeachtete, minoritäre Randerscheinungen waren – und dies in sämtlichen anderen Städten Deutschlands auch weiterhin blieben –, in Breslau aber bald schon zu festen Einrichtungen im Mittelpunkt des Parteilebens wurden: etwa die politischen Revuen als Mittel der Wahlkampfagitation233 oder die – verfassungskritischen – „roten Verfassungsfeiern“234 als explizite Gegenkundgebungen zu den volksfestähnlichen Großveranstaltungen des Reichsbanners und der freien Gewerkschaften.235 Da die Geschichte der Breslauer Sozialdemokratie, die seit Mitte der 1920er Jahre auf das engste mit der des Jungsozialismus verschränkt ist, historisch nicht einmal in Ansätzen aufgearbeitet worden ist, sollen hier zumindest die Stationen der linkssozialistischen Hegemoniebildung im Breslauer Ortsverein erwähnt werden. Das Fundament für ihre Machtposition in der Parteiorganisation der mittelschlesischen Metropole legten die Linkssozialisten zweifelsohne in der Generalversammlung am 24. Januar 1927 mit der Wahl Ernst Ecksteins zum Vorsitzenden.236 Eckstein gehörte zu den Gründern der Jungsozialisten, blieb bis zum Schluss ihr Mentor, Freund und Funktionär zugleich und agierte stets aus ihrer Mitte heraus. Bald nach seiner Wahl begann ein sich über Jahre hinziehender, an Schärfe kaum mehr zu überbietender und zum Frohlocken eines sich köstlich amüsierenden bürgerlichen Lagers öffentlich ausgetragener Konflikt zwischen den beiden Flügeln der Breslauer Partei. Die Ouvertüre mutete eher grotesk an. Es ging um den Vorschlag des Reichsbanners, zu Ehren Friedrich Eberts in Breslau ein Denkmal zu errichten. Der neugewählte Breslauer SPD-Vorstand, der mit dem verstorbenen Reichspräsidenten natürlich nicht viel im Sinne hatte, lehnte das Ansinnen auf finanzielle Unterstützung für solche „überlebten bürgerlichen Sitten“ schroff und höhnisch ab.237 Für die zuwendungsunwillige SPD sprang sofort das Ortskartell des ADGB ein, das zusammen mit dem Reichsbanner das Denkmal finanzierte.238 Fortan standen die Fronten fest: hier der Zirkel von In-

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tellektuellen, Jungsozialisten und radikal-linken Metallarbeitern, dort die ADGB-Funktionäre und Reichsbannerangehörigen. Den entscheidenden Sieg allerdings trugen die Linkssozialisten am 5. März 1928 davon, als eine von etwa 2500 Mitgliedern besuchte und hochpolitisierte Parteiversammlung über die Kandidaturen für die Stadtverordnetenliste zu entscheiden hatte. Zwei Listen standen alternativ zur Wahl: die des Parteivorstandes und eine – am Saaleingang verteilte – der Gewerkschaften. Als sich durch Handzeichen kein klares Meinungsbild herstellen ließ, musste durch die Abgabe von Stimmzetteln einzeln ausgezählt werden. Tags darauf stand das Ergebnis, das von der ganzen mittelschlesischen politischen Öffentlichkeit mit größter Spannung erwartet worden war, fest: Für den Vorschlag des Parteivorstandes hatten sich 1216 Mitglieder ausgesprochen, die Gewerkschaften blieben mit 1207 Stimmen denkbar knapp unterlegen.239 Die Auseinandersetzungen eskalierten weiter. Die Jungsozialisten, die als die eigentlichen Unruhestifter im Linkssozialismus galten, erhielten seit Ende 1928 Zimmersperre im Gewerkschaftshaus; der Zutritt zum zentralen Heim der Breslauer Arbeiterbewegung war ihnen mithin künftig verriegelt.240 Ein Vertrauensmann der Jungsozialisten aus der älteren Generation, der Sekretär des ZdA Alfred Schramm, ein ungemein kantiger Alt-Linker, der keine Parteiveranstaltung ausließ, ohne sich in rüdester Weise mit einem „Parteirechten“ anzulegen, wurde von seiner Gewerkschaft des Amtes enthoben und stand auf der Straße. Daraufhin begannen die Jungsozialisten Anfang 1928 eine furiose Kampagne, um ihn als besoldeten Stadtrat durchzusetzen. Sein Gegenkandidat war Max Ruffert, Vorsitzender des ADGB in Breslau. Auf der entscheidenden Parteiversammlung konnte Schramm mit Hilfe der Jungsozialisten dank einer Mehrheit von acht Stimmen reüssieren. Daraufhin legten neun Stadtverordnete unter großem Protest, der genüsslich von der bürgerlichen Presse publiziert wurde, ihr kommunales Mandat nieder.241 Danach war die Breslauer Parteiorganisation für etwa anderthalb Jahre alleiniger Tummelplatz der radikalen Linken, die nach Belieben, jedenfalls ohne ernst zu nehmenden Widerstand, ihre eigenwilligen, zum Teil maßlosen Resolutionen und Beschlüsse verabschieden konnten. Erst Anfang 1931 meldete sich die „Parteirechte“ – die im Reichsspektrum der Sozialdemokratie im Übrigen eher „halblinks“ angesiedelt war – wieder zu Worte; unter anderem auch mit anonymen Flugblättern, Handzetteln und Aufrufen zur Abwahl des linksradikalen Vorstandes. Die Linkssozialisten empörten sich über „Zellenbildung“, „Wühlereien“, „organisierte Opposition“ und forderten den Berliner Parteivorstand zu administrativen Maßnahmen auf. Politisch konnten sich die Linkssozialisten abermals auf der überall mit großer Aufmerksamkeit erwarteten Generalversammlung im Januar 1931 durchsetzen, obwohl die „Parteirechte“ immerhin den prominenten Breslauer Bürgermeister und vormaligen Reichstags-

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abgeordneten Karl Mache zum Gegenkandidaten von Eckstein aufgestellt hatte. Eckstein erhielt 447 Stimmen, Mache musste sich mit 245 Voten begnügen.242 Im Frühjahr 1931 herrschte zwischen den beiden Flügeln blanker Hass; unkontrollierte Gefühle der Feindschaft und schlimmster Intoleranz prallten aufeinander, politische Zielsetzungen standen sich gegenüber, die in der Tat in einer Partei nicht mehr zu integrieren waren. Die Abspaltung der Linkssozialisten und die Gründung der SAP – das von den Linkssozialisten erhoffte revolutionäre Gravitationszentrum der Arbeiterbewegung – setzten die Schlusspunkte einer langjährigen Entwicklung, die mit den sonst üblichen Schemata von der „repressiven Parteirechten“ und den linkssozialdemokratischen Ohnmachtsgefühlen nur schwerlich zu erklären ist. Wie aber ist der Erfolg des Linkssozialismus in der Breslauer SPD zu verstehen? Ein zweites Beispiel dafür, dass ein linkssozialistischer Flügel aus der Opposition die Mehrheit in einem großstädtischen Ortsverein erobern konnte, finden wir in der Zeit der Weimarer Republik nicht. Dass sich der Breslauer Linkssozialismus über drei Jahre fest im Sattel halten konnte und schließlich nach freien Stücken schalten und walten durfte, ist noch vergleichsweise einfach zu erklären. Die Linkssozialisten, die sich sonst über die Beschränkung basisdemokratischer Rechte seitens des „reformistischen Apparates“ mächtig aufregen konnten, hatten in Breslau selbst nichts Eiligeres zu tun, als das traditionelle Generalversammlungsprinzip abzuschaffen.243 Wo früher jedes Parteimitglied, das seine Beiträge ordnungsgemäß bezahlte, zu den Parteiversammlungen kommen und abstimmen durfte, herrschte nun ein sogenanntes Vertretungssystem. Auf je dreißig Mitglieder erhielt ein Distrikt einen Vertreter. Mit Hilfe des Vertretungssystems setzte sich der aktivistische, entschlossene und zielstrebig agierende Kern des Linkssozialismus rasch durch, festigte seine Macht und brauchte fortan die großen Massenparteiveranstaltungen nicht mehr zu fürchten, auf denen „bewährte“ und bekannte Führungspersönlichkeiten der Breslauer Sozialdemokratie wie Paul Löbe, Karl Mache, Karl Pietsch, Gustav Scholz, Hugo Frey oder Max Ruffert ihre über Jahre und Jahrzehnte gewachsene Autorität in die Waagschale werfen konnten. Auf den Generalversammlungen neuen Typus, die nach dem Vertretungssystem zusammengesetzt waren und in denen die Kader der Jungsozialisten das Feld beherrschten244, schlug diesen Autoritäten zu guter Letzt nur noch höhnisches Gelächter entgegen, wenn sie nicht gleich niedergeschrien wurden. Gleichwohl, die Frage nach den Ursachen für den Erfolg des Linkssozialismus in Breslau ist damit nicht beantwortet. Ihre ursprünglichen Mehrheiten hatten die Linkssozialisten schließlich, wenn auch knapp, in jenen den großen Massenversammlungen der Partei gewonnen. Das, was sonst den radikal-linken Akademikern und Jungsozialisten überall verwehrt blieb, nämlich das Überspringen des intellektuellen Funkens revolutionärer Theorie auf das Proletariat,

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schien hier in Mittelschlesien geglückt zu sein. In Köln beispielsweise, wo eine vergleichbare Formation von Jungsozialisten und sozialistischen Studenten mit einer nahezu identischen theoretischen Ausrichtung – man war ebenfalls geschult von Sternberg, der nun häufig in Düsseldorf weilte, und man las Lukács – kurze Zeit später ähnliches versuchte, sah das Ergebnis ganz anders aus. Zwar dominierten auch am Mittelrhein die Jungsozialisten und Studenten die Parteiversammlungsdiskussionen, aber sie vermochten die Vorbehalte der Arbeiter gegen den „akademisch formulierten Intellektualismus“245 nicht zu zerstreuen, es gelang nicht, das proletarische Misstrauen gegen die „Studierten“ abzubauen. So blieben sie stets mit ihren fleißig geschriebenen Entschließungen in der Minderheit, gleichsam für sich.246 Was also war anders in Breslau? Sozialgeschichtlich mag man die Rolle von Persönlichkeiten gering schätzen, in Breslau aber war es zweifelsohne von großer Bedeutung, dass der linkssozialistische Zirkel von Akademikern und Jungsozialisten parteipolitisch durch Ernst Eckstein repräsentiert wurde. Auch Eckstein, durchaus ein „Volkstribun“247, war von seinem ganzen Habitus her ein Intellektueller, auch er fühlte sich in den Diskussionsrunden mit Sternberg oder Marck wohl, betonte ständig die Notwendigkeit der „Pflege der Theorie“.248 Gleichzeitig verfügte er aber auch über organisatorisches Geschick, verstand es zudem als Debattenredner vor einem Massenpublikum zu glänzen, besaß Charisma, obwohl er von der äußeren Erscheinung dazu nicht prädestiniert schien: Er war klein, blass und stand stets etwas gekrümmt am Rednerpult. Die sozialdemokratischen Massen jedoch vertrauten ihm. Sie wussten, dass Eckstein nicht einfach nur aus Koketterie radikale Worte schwadronierte – und radikal war seine politische Haltung gewiss: militantantimilitaristisch und schroff staatsfeindlich –, sondern sich auch in seiner praktischen Tätigkeit für sie selbstlos einsetzte. Sein Ruf als „Anwalt der Armen“ hatte in Breslau schon zu seinen Lebzeiten legendäre Ausmaße erreicht: Der Rechtsanwalt Eckstein, selber aus ärmlichen Verhältnissen stammend, der den Ärmsten der Armen in Rechtsfragen häufig unentgeltlich half, stand im Renommee personifizierter Lauterkeit. Er war über jeden Vorwurf des Opportunismus erhaben, da er alle angetragenen Kandidaturen für den Reichs- oder Landtag in seiner sozialdemokratischen Zeit prinzipienfest ablehnte. Sicher profitierte Eckstein – und mit ihm die Jungsozialisten – auch vom Leumund seiner Frau, Clara Zils, die in Mittelschlesien als die gute Samariterin galt. Clara Zils gehörte ebenfalls zu den Gründern der Jungsozialisten. Sie entstammte einer westpreußischen Arbeiterfamilie und hatte sich mit Fleiß und Zähigkeit autodidaktisch weitergebildet. 1921 kam sie nach Breslau, engagierte sich dort in der sozialistischen Jugendbewegung und ganz besonders in der Wohlfahrtsarbeit; sie wurde die „Pionierin der Arbeiterwohlfahrt“ in Mittelschlesien. Dank ihres unermüdlichen Einsatzes entstanden bald in zahlreichen

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Orten Schlesiens Arbeiterwohlfahrtsausschüsse. Wie ihr Mann, so wurde „Clarissa“, wie man sie in den Breslauer Unterschichten liebevoll nannte, zum Ansprechpartner der Allerärmsten in der schlesischen Großstadt. Als unbesoldetes Magistratsmitglied sorgte sie für den Ausbau des Obdachlosenheimes und für die Schaffung von Wohnraum für die Minderbemittelten; sie setzte sich mit Erfolg für den Bau von Land- und Tageserholungsheimen ein. Die Eröffnung eines Montessori-Kindergartens in Breslau war fast allein ihre Schöpfung.249 Es war keineswegs immer und überall selbstverständlich, dass das intellektuelle Führungspersonal des Linkssozialismus durch den tatkräftigen Einsatz zur Linderung sozialer Not Glaubwürdigkeit und Vertrauen herstellte. Die Ecksteins hatten eine solche Haltung praktizierender Solidarität in Breslau geradezu vorbildlich gelebt. Und wahrscheinlich war dies in Breslau noch weitaus erforderlicher als in jeder anderen Stadt Deutschlands, womit wir nun beim Versuch einer sozialgeschichtlichen Erklärung für die Gründe des dortigen linkssozialistischen Erfolges angelangt wären. Das soziale Elend, das im Breslau der 1920er Jahre herrschte, war beispiellos; man sprach schon zeitgenössisch von einer sterbenden Stadt. Besuchern aus dem Westen oder Süden des Deutschen Reiches fiel bereits beim Verlassen des Hauptbahnhofes auf, wie außergewöhnlich ärmlich und dürftig ein Großteil der Breslauer Bevölkerung gekleidet war.250 Selbst in den sogenannten „goldenen Jahren“ der Weimarer Zeit waren in Breslau viele Menschen von der typischen Volksseuche, der Tuberkulose, befallen.251 Die Inanspruchnahme der öffentlichen Wohlfahrtspflege sprengte bereits vor dem Ausbruch der großen Depression alle Grenzen. Ende der Zwanziger lebte nahezu jeder zweite in dieser Stadt mit sechshunderttausend Einwohnern von der Unterstützung des städtischen Wohlfahrtsamtes bzw. des Arbeitsamtes.252 Die Stadt Breslau stand daher schon Anfang 1930 vor dem finanziellen Ruin. Ebenso deprimierend sahen die Wohnverhältnisse aus. Was die Qualität der Wohnungen anging, bildete Breslau das Schlusslicht unter den preußischen Großstädten.253 Die mittelschlesische Stadt hatte die meisten Kleinwohnungen, sogenannte Zwergenwohnungen. Aufgrund einer verzögerten Stadterweiterung war die allgemeine Wohndichte des Breslauer Stadtgebietes dreimal so hoch wie in vergleichbaren deutschen Großstädten, und auch die Bevölkerungsdichte auf der bebauten Fläche lag noch deutlich höher als im für seine Mietskasernen berüchtigten Berlin.254 Als Schlesien durch die veränderte Grenzziehung in der Folge des Versailler Vertrages ein Zehntel seines Gebietes verlor und zahlreiche Flüchtlinge nach Breslau strömten, setzte eine explosive Nachfrage nach Wohnungen und natürlich nach Arbeit ein.255 Weder der Wohnungs- noch der Arbeitsmarkt hielten diese Belastung aus. Die Krise verschlimmerte sich seit 1924, dem Beginn des Zollkrieges mit Polen, dessen Kosten die Handelsstadt Breslau in einem hohen

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Maße stellvertretend für das Reich zu tragen hatte. Breslau sah sich nun von seinen traditionellen östlichen Märkten abgetrennt. Mit dem Niedergang des Handels korrelierte ein rapider Rückgang der industriellen Produktion. Besonders die bis zum Krieg verhältnismäßig gut beschäftigten Großindustrien verzeichneten zahlreiche Betriebseinschränkungen und -stilllegungen. Die Erwerbslosigkeit lag in Breslau 1930 um das Doppelte über dem Reichsdurchschnitt, und die Dauer der Arbeitslosigkeit streckte sich ungleich länger hin als sonst üblich. Die Tariflöhne hatten hier neben München und Leipzig den niedrigsten Stand unter den deutschen Großstädten.256 Vor allem die Breslauer Metallarbeiterschaft war nachhaltig von der Misere betroffen. Diejenigen Metallarbeiter, die in den zwanziger Jahren überhaupt noch in Lohn und Brot standen, mussten sich mit Löhnen begnügen, die weit niedriger lagen als jene, die ihre gleichqualifizierten Kollegen in den restlichen zwanzig Großstädten für ihre Arbeit erhielten.257 Exakt diese Metallarbeiterschaft bildete in Breslau die proletarische Massenbasis für den intellektuellen Linkssozialismus. So mag man den Durchbruch des mittelschlesischen Linkssozialismus begreifen können: Eine kleine, entschlossene Gruppe intellektueller Linkssozialisten trifft mit ihrem Avantgardeanspruch auf eine gut qualifizierte Arbeiterschaft mit jahrzehntelanger stabiler sozialdemokratischer Tradition und Bildung, die aufgrund außergewöhnlicher, ja einmaliger politischer Konstellationen lebensgeschichtlich unvorbereitet in den Strudel sozialer und materieller Verelendung gerät, gewissermaßen in eine Statusinkonsistenz getrieben wird, wie Soziologen dergleichen zu nennen pflegen.258 „Die Enttäuschung muss meist erst eine gewisse Schwelle überschritten haben, ehe man sie sich eingestehen kann – dann jedoch kann sie gerade wegen der vorangegangenen Versuche (und gleichsam in Vergeltung für sie), dieses Eingeständnis hinauszuzögern, mit besonderer Heftigkeit hereinbrechen.“259 Der Übergang zum Kommunismus ist für diese Arbeiterschicht trotz aller Verzweiflung kein Ausweg; Herkunft, Ausbildung, Milieubindungen sperren sich dagegen. Die Radikalisierung findet im Milieu der Sozialdemokratie selber statt, und die Artikulationsofferten des Jung- und Linkssozialismus sind unter diesen spezifischen Bedingungen willkommen und werden von einem Teil der Arbeiterschaft, der verbittert über den Staat ist, seit Bestehen der Demokratie nur Verschlechterungen seiner sozialen Lage hat hinnehmen müssen und sich Besserung mithin nur von einer ganz anderen Gesellschaft und Staatsverfassung verspricht, dankbar angenommen. Dass die Jungsozialisten im Kern selber aus jungen Facharbeitern, häufig tüchtigen Betriebsräten bestanden, dass Intellektuelle wie die Ecksteins Glaubwürdigkeit und moralische Integrität durch einen praktizierten Altruismus ausstrahlen konnten, hat die Bereitschaft zur Rezeption und Akzeptanz linksradikaler Erklärungsmuster und Orientierungsangebote fraglos erhöht.

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Anders verlief der Prozess der jungsozialistischen Intervention in die politische Meinungsbildung der Dresdener Partei. Die Jungsozialisten hatten es hier mit einer Parteiorganisation zu tun, die bis 1928 zu den traditionellen Hochburgen der linken Opposition gehörte und deren Vorsitzende, Arthur Arzt und Oskar Edel, seit USPD-Zeiten als führende Repräsentanten des linken Flügels der Sozialdemokratie galten. In den kommenden beiden Jahren, die unter dem Druck der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse eine erste Differenzierung der innerparteilichen Linksopposition herbeiführten, entfernte sich allerdings die ostsächsische Partei vorsichtig von den eindeutig fixierbaren linkssozialdemokratischen Positionen, wie sie bis zum Herbst 1930 noch relativ geschlossen von den nachbarlichen sächsischen Bezirken Zwickau, Chemnitz und Leipzig eingenommen wurden. Während die Dresdener SPD sich nun langsam auf einem „halblinken“ Standpunkt einpendelte, wie ihn seit Jahren bereits die Berliner Parteiorganisation vertrat, radikalisierte sich die Jugend in der Dresdener SAJ und den Jungsozialisten mit schnellen Schritten nach links und geriet in einen beispiellosen Gegensatz zur Mutterpartei. Dabei war die Situation in den vorausgegangenen Jahren 1925-1927 eine ganz andere, allerdings ebenso untypische: Kein anderer Juso-Bezirk konnte nämlich in dieser für die Jungsozialisten zunächst fast existenzbedrohenden Zeit von ähnlich erfreulichen Beziehungen zu den Funktionären der Sozialdemokratie berichten. Die Dresdener Partei hatte, so schien es ihr lange, keinen Grund, unzufrieden mit ihrer in den anderen Gebieten Deutschlands so problembeladenen Jugendorganisation zu sein. Unter dem Vorsitz von Helmut Wagner steigerten die ostsächsischen Jusos die Anzahl ihrer Mitglieder von 1926 bis 1928/29 um zweihundert auf insgesamt etwas mehr als fünfhundert Zugehörige260 und zählten somit allein ein Sechstel der Gesamtmitgliedschaft des deutschen Jungsozialismus.261 Die Dresdener SPD hatte zunächst keinerlei Einwände gegen die von den Jusos unermüdlich und erfolgreich organisierte Bildungsarbeit, zumal die politischen Bestrebungen der Jungsozialisten mit denen der ostsächsischen Partei ja durchaus zu harmonieren schienen. Zudem ging es den Jusos in diesem Stadium der Bildungsarbeit um die Verankerung grundsätzlicher marxistischer Lehrsätze, weniger um eine systematische Intervention in die innerparteiliche Meinungsbildung über aktuell-politische Fragen. Diese Voraussetzungen, die zwischenzeitlich ein einträchtiges Zusammenwirken von Partei und Jungsozialisten gewährleisteten, sollten sich allerdings Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre rasch und gründlich ändern. Die innerparteiliche Differenzierung begann 1928 nach der Bildung der sozialdemokratisch geführten „Großen Koalition“ und dem Bau des „Panzerkreuzer A“. Als

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im August die Regierungsentscheidung bekannt wurde, war auch in Dresden die Empörung der sozialdemokratischen Jugend groß. Und sie entrüstete sich ebenfalls über die ostsächsische Partei, die sich im Sommer nur auf einen schwachen Protest gegen die Politik der Reichsregierung einigte. Es überraschte dann kaum noch, dass Ende August der erste offene Konflikt zwischen der Dresdener Parteileitung und den Jungsozialisten ausbrach. Der Dresdener SPD-Vorstand, der durchaus um die brodelnde Stimmung in den Untergliederungen wusste, mobilisierte für eine Parteiveranstaltung, die einen Beschluss zum Panzerkreuzer herbeizubringen hatte, den gemäßigt links orientierten Gewerkschafter und Reichstagsabgeordneten Siegfried Aufhäuser, der durch eine eher besänftigende Rede den Unmut der sozialdemokratischen Mitgliedschaft zu dämpfen versuchte. Als dann der führende Juso Walter Fabian unter dem donnernden Applaus der überfüllten Parteiversammlung eine emphatische Gegenrede zu den Ausführungen Aufhäusers hielt, in der er den sofortigen Austritt der SPD aus der Koalitionsregierung sowie die Einberufung eines außerordentlichen Parteitages und einen Volksentscheid über den Panzerkreuzer forderte, war der Plan der Dresdener Parteispitze konterkariert: Die von Fabian zur Abstimmung vorgelegte Resolution wurde von der großen Mehrheit der Anhänger unterstützt. Diese Erfahrungen des Sommers 1928 ermutigten die Dresdener Jungsozialisten zu einer einschneidenden Umorientierung ihrer bisherigen Praxis. Die linkssozialistischen Jugendlichen mochten sich nicht mehr damit zu bescheiden, in den kleinen verstreuten Arbeitsgemeinschaften wochenlang über allgemeine Grundzüge des historischen Materialismus oder über Sexualfragen zu debattieren und darüber die Einflussnahme auf die politische Willensbildung der Partei hintanzustellen. Die Dresdener Jungsozialisten gründeten Ende 1928 eine von Walter Pöppel geleitete „Zentrale Arbeitsgemeinschaft“, um die Aktivisten der einzelnen Juso-Gruppen fraktionell zu erfassen und sich mittels der zweimal im Monat stattfindenden Treffen sorgfältig auf eine einheitliche Strategie und einen inhaltlichen Konsens für das kollektive und zumeist oppositionelle Auftreten in Funktionärs- wie Mitgliederversammlungen zu verständigen. Walter Fabian und Helmut Wagner waren hier wichtige Akteure. Aber nicht nur dieser für die Weimarer Jungsozialisten ungewöhnlich offensive Schritt zur organisatorisch-fraktionellen Bindung jungoppositioneller Kräfte dokumentierte das Misstrauen der Jungsozialisten gegen einen Teil der traditionellen linken Parteiopposition, zu der sich die Dresdener SPD offiziell durchaus weiter rechnete. Noch deutlicher sichtbar wurde die Skepsis der linkssozialistischen Jugend gegen die von Max Seydewitz und Kurt Rosenfeld auf Reichsebene repräsentierte Parteiopposition an der Initiative der Jusos, eine eigene Zeitung herauszugeben, die sich links von der durch Seydewitz/Rosenfeld geführten Zeitschrift Der Klassenkampf platzierte. Diese etwa acht Seiten umfassende So-

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zialistische Information mokierte sich über die „erschreckenden theoretischen Unzulänglichkeiten“ der „Seydewitz-Opposition“ und deren Unvermögen, die isolierten örtlichen Oppositionskerne organisatorisch zu einer schlagkräftigen politischen Formation zusammenzufassen. Absicht der von Walter Fabian herausgegebenen Sozialistischen Information war es, den örtlichen Referenten der jungsozialistischen Bewegung im Reich Argumentationsmaterialien an die Hand zu geben, sie zu ermutigen und moralisch zu unterstützen. Bestärkt wurden die Dresdener Jungsozialisten in ihrer trotzigen AntiHaltung gegen die „offizielle Linksopposition“ in der Sozialdemokratie durch den früheren Spitzenfunktionär der linkskommunistischen KAPD, Karl Schröder, der nun, vermittelt über seinen Gewährsmann Helmut Wagner, als Wanderlehrer und Parteibildungsreferent den Kontakt zu den radikal linken Jusos im ostsächsischen Raum suchte.262 Karl Schröder war den organisierten Arbeiterjugendlichen schon durch seine in diesem Umfeld außerordentlich beliebten Romane gut bekannt. Seine sachliche und kenntnisreiche Art der Schulung zog stets eine große Zahl interessierter junger Sozialisten an.263 „In seinen Kursen“, erinnerte sich Helmut Wagner ein halbes Jahrhundert später, „war er ungemein eindrucksvoll. Er konnte seine Gedanken, besonders vor jüngeren Hörern, klar und überzeugend entwickeln. Er arbeitete wenig mit Zitaten von den heiligen Schriften des Marxismus, wusste aber seine Ausführungen mit historischen und aktuellen Beispielen zu beleben. Ich habe nie einen anderen marxistischen Intellektuellen gehört, der in seinen Hörern das spontane Gefühl wachrief, dass er sich nicht in Theorien um ihrer selbst willen verfing oder sich an seinen eigenen Worten berauschte: wenn er sprach ‚wusste‘ man, dass er hinter allem stand, was er sagte; was er spricht, wird er tun.“ 264

Schröder, wie der von ihm geleitete Zirkel ehemaliger Rätekommunisten um Bernhard Reichenbach, Alexander Schwab und Arthur Goldstein und ausgewählter Jungsozialisten wie Helmut Wagner und Kurt Stechert, hielten den Zeitpunkt nach der Panzerkreuzeraffäre und den ersten Anzeichen der ökonomischen Krise für geeignet, um die systematische Ausdehnung der konspirativen Praxis und des personellen Rekrutierungsfeldes linkskommunistischer Strategie im Sinne einer langfristig zu realisierenden Parteineubildung zu betreiben. Während Bernhard Reichenbach in dieser sorgfältig abgeschirmten Praxis illegaler Kaderbildung für das Rhein-Ruhr-Zentrum265 zuständig war, lag das Schwergewicht der Aktivitäten Schröders auf Berlin und eben Ostsachsen. In diesen drei Zentren glaubten die Linkskommunisten ein Höchstmaß spontaner jugendlicher Unzufriedenheit mit der Politik der Partei auszumachen, was sie als günstige Chance zur ideologischen Beeinflussung und organisatorischen Erfassung des aktivistisch vorwärtstreibenden Teils begriffen.

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Schröder ging dabei in Berlin und Dresden nach dem gleichen Muster vor. Schon in der Berliner Sozialwissenschaftlichen Vereinigung (SWV), die 1924 von Paul Levi als offene Bildungsstätte mit bekannten Referenten aus allen Parteien der Arbeiterbewegung zur Schulung der Jungsozialisten und interessierter Kreise der SAJ gegründet worden war, suchten sich Schröder und Goldstein nach den offiziellen Vorträgen vor hunderten von Zuhörern die ihnen politisch fähigsten Jugendlichen heraus, um sie in einem kleinen Zirkel im Café am Halleschen Ufer in Berlin für die Perspektiven linkskommunistischer Kaderbildung zu gewinnen.266 Als Paul Levi sich 1929 immer mehr aus der Organisationsleitung der SWV zurückzog, übernahmen Goldstein und Schröder die Vereinigung und stellten sie innerhalb weniger Monate auf eine konspirativ angelegte Organisation von zwölf teilweise illegal tätigen Gruppen zu je 15 bis 20 Mitgliedern um.267 In Dresden gelang es Schröder im Winter 1928/29 – nach einem sich über Wochen erstreckenden Kurs der Parteibildungsausschüsse über den „Historischen Materialismus“, an dem bezeichnenderweise fast nur Jusos teilnahmen268 –, wesentliche Referenten und Funktionäre der Jusos zu einer rätekommunistisch inspirierten Gruppe zu sammeln.269 Helmut Wagner war nun nicht mehr der isolierte und in seiner eigentlichen politischen Identität nicht einmal allen seinen besten Freunden bekannte Schüler Karl Schröders, sondern der Kopf einer ideologisch führenden Gruppe linkskommunistischer Anschauung im deutschen Jungsozialismus. Wie stets hatte Schröder auch auf diesem Kurs nur die in der Sozialdemokratie üblichen und weithin akzeptierten Kategorien und theoretischen Überlegungen entfaltet. Erst nach Abschluss des offiziellen Teils der Schulung setzte er sich mit einem Kreis auserwählter Jusos zusammen und versuchte sie von den Vorzügen der „Spontaneität“, des „Rätekommunismus“ und der aus der Krise der Sozialdemokratie sich herausschälenden „neuen revolutionären Partei“ zu überzeugen. In diesem von Schröder in Szene gesetzten Drama von „kapitalistischer Todeskrise“, „Zerfall der bürokratischen Arbeiterorganisationen“ und dem wie ein Phönix aus der Asche steigenden spontan-kämpferischen und kadermäßig angeleiteten Proletariat konnte das Ziel einer „kompromißlerischen“ Parteilinken, die hartnäckig für Mehrheiten zur Umgestaltung der bestehenden Sozialdemokratischen Partei kämpfte, nur als illusorische Sisyphusarbeit erscheinen. Nun fand dieses etwas bizarr wirkende Revoluzzertum Zuspruch bei den Eigengewächsen des sozialdemokratischen Milieus selbst, bei solchen also, die gewissermaßen aus dem Schoß der Sozialdemokratie selbst gekrochen waren. Nicht infiltrierende Finsterlinge aus dem kommunistischen Spektrum, sondern Kinder traditionell sozialdemokratischer Facharbeiterfamilien, ja der kommunalen SPD-Prominenz bildeten etwa in Freital – im unmittelbaren Übergang zu Dresden gelegen und als „Rotes Wien Sachsens“ reichsweit bekanntes Prunk-

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stück sozialdemokratischer Kommunalpolitik während der 1920er Jahre – die linksradikale „Rote-Kämpfer-Gruppe“.270 Diese Gruppe – es waren wohl nicht mehr als rund 15 junge Arbeiterinnen und Arbeiter – hatte sich schon Mitte der 1920er Jahre in kleine Zirkel begeben. Mit der Geisteswelt des Bürgertums wollte sie, im Kontrast zum offiziellen Freitaler Arbeiterbildungswesen, nichts mehr zu tun haben. Diese Welt sollte nur noch fundamental bekämpft werden. Das intellektuelle Rüstzeug entstand in eben jenen Zirkeln, die nicht mehr Kautsky, sondern Lenin, Trotzki, Max Adler lasen. Ihn, Adler, schätzte man hier zunächst am meisten. Wie er so wollten auch die Freitaler Juso-Kader unbedingte und konsequente Revolutionäre sein, voll Hass auf den Kapitalismus, beseelt vom Glauben an den Sozialismus. Sie wollten entschlossene Klassenkämpfer sein, die mit allen bürgerlichen Gewohnheiten rigide gebrochen hatten. Nun war dergleichen im Alltag einer bürgerlichen Gesellschaft nicht ganz so einfach möglich, auch war vieles jugendlicher Sturm und Drang. Doch hatten diese Zirkel bei einigen, die sich mit dem Geist und der Diktion von Adler, Lenin und Trotzki auffüllten, durchaus sozialisierende Wirkung. Schließlich blieben viele über Jahre unter sich in diesen kleinen Konventikeln, radikalisierten Jahr für Jahr ihren Jargon und ihre Zielvorstellungen. Man war ein bisschen Sekte, fühlte sich erhaben über den Rest der Arbeiter, die von Theorien nichts verstanden, dick und behäbig waren, sich in ihren Siedlungshäusern kommod eingerichtet hatten, denen das allwöchentliche Arbeiterfußballspiel als Vergnügen reichte, die im Grunde als Klassenkämpfer ausfielen. Insofern bedufte es – redeten sich die anfänglichen Epigonen Adlers ein – eines Vortrupps, einer geistigen Elite, eine revolutionären Avantgarde, die den Durchblick besaß, der der Masse fehlte, die körperlich gestählt und mit unbeugsamen Willen dereinst die Klassenkämpfe ausfechten werde, um die revolutionäre Diktatur, dann den Sozialismus durchzusetzen. So lebten sie in der Tat ein bisschen anders als der Rest der Arbeiterschaft, rauchten und tranken nicht, gaben nichts auf den Fußball oder anderen Wettkampfsport, sondern liebten es, sich mit Gleichgesinnten an radikalen Zukunftsvisionen zu berauschen. Und dann trafen sie auf Karl Schröder, den Wanderlehrer und Lektor des „Bücherkreises“, den brillanten Redner und glänzenden Pädagogen, in dessen Bann nun auch die jungen Sozialisten Freitals gerieten. Sie schlossen sich in enger Absprache mit Schröder und Helmut Wagner ebenfalls zu einer konspirativen Gruppe „Roter Kämpfer“ zusammen, von deren Existenz bis 1930 bestenfalls 15 Jugendliche in Freital wussten. Diese 15 Leute aber bestimmten die Diskussion in der SAJ und bei den Jungsozialisten in der Stadt und den anliegenden Arbeitergemeinden. So hatte sich im sozialdemokratischen Milieu Freitals im Zentrum des sozialdemokratischen Parteinachwuchses eine Kadergruppe festgesetzt, die für Parlamentarismus und Demokratie nur Verachtung übrig hatte und

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die dann als intellektuelle Avantgarde die Masse bei der Zerschlagung der kapitalistischen Staatsmaschinerie anführen wollte. Der Anführer der Jusos und „Roten Kämpfer“ in Freital, Josef Triebe, hätte wohl in unspektakulären Zeiten alle Stationen einer sozialdemokratischen Karriere durchschritten und wäre vermutlich irgendwann einmal Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, vielleicht auch Landtags- oder Reichstagsabgeordneter geworden. Er war das Paradebeispiel des jungen, belesenen, autodidaktisch ungemein ehrgeizigen jungen Facharbeiters, der es in den Organisationen der Arbeiterbewegung weit bringen konnte. Und lange galt er auch als das größte Talent im sozialdemokratischen Nachwuchs der Stadt, den die lokale Parteiorganisation demzufolge systematisch zu fördern und aufzubauen versuchte. Erst schickte sie Triebe, 1906 geboren, gelernter Schlosser und Dreher, Mitglied des ostsächsischen Bezirksvorstandes der Jungsozialisten, für fünf Monate zur Heimvolkshochschule Tinz in das östliche Thüringen. 1929/30 durfte Triebe dank der Unterstützung der örtlichen Gewerkschaft die Akademie der Arbeit in Frankfurt besuchen. Damit hatte Triebe die besten Bildungszertifikate in der Tasche, welche die Partei und die Gewerkschaften in jenen Jahren überhaupt zu vergeben hatten. Eine Bilderbuchkarriere in oder mit der Arbeiterbewegung stand ihm offen. Doch in den wilden Jahren der Weimarer Republik träumte ein junger sozialistischer Theoretiker wie Triebe, der über Jahre arbeitslos war und diese Zeit nutzte, um die Werke der marxistischen Klassiker und sozialistischen Revolutionäre durchzuackern, von anderem als vom prosaischen Berufsleben eines Gewerkschaftsfunktionärs, eines sozialdemokratischen Redakteurs oder Stadtrats. Triebe wollte auf der Barrikade stehen, in vorderster Linie, am besten als Anführer, er wollte die proletarische Revolution; er wollte eben feuriger „Roter Kämpfer“ sein, nicht lendenlahmer Reformist. Das konspirative Gewand der „Roten Kämpfer“, den elitären Diskussionsstil und den avantgardistischen Dünkel dieser Gruppe goutierte er. Er spielte sich gern als der zu allem entschlossene Revolutionär mit dem großen theoretischen Durchblick auf. In den Krisenjahren der Republik wirkte diese Pose auf die sozialistischen Jugendlichen auch keineswegs lächerlich; im Gegenteil, Triebe fand Bewunderer und Jünger. Helmut Wagner und Walter Fabian, die Anführer der jungen Dresdner Linken und gute Freunde Triebes, formulierten bald eine Polemik gegen den Reformismus, die in ihrer Schärfe selbst für die Kreise der Jungsozialisten bis dahin eher ungewöhnlich war und die einen deutlich politischeren Akzent trug als die früheren jungsozialistischen Kritiken an den als „spießig“ oder „verbonzt“ empfundenen Umgangsformen in der Partei. In den Aufsätzen Wagners, der sich im Unterschied zu seinem anfänglichen Lehrmeister Schröder – den er intellektuell aber bald hinter sich gelassen hatte – nur wenig Rücksichten auferlegte, als er die unionistischen Betriebsorganisationsmodelle des syndikalistischen Linksra-

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dikalismus propagierte271, paarte sich wiederum brillant-bestechende Analyse im Einzelnen mit einer widersprüchlichen Gedankenführung im Ganzen. In seinen Auseinandersetzungen mit den Misserfolgen sozialdemokratischer Politik in der Regierung und ihrer Unfähigkeit, die Krise des Kapitalismus im sozialistischen Sinne auszunutzen, hatte Wagner mit dem „Parlamentarismus“ und der „Bürokratisierung“ die nach seinem Dafürhalten beiden wesentlichen Erklärungsfaktoren in den Mittelpunkt gerückt. Wagner unterstellte der SPD-Führung, dass sie schon längst mit dem früheren gesellschaftsverändernden Impetus gebrochen und sich durch ihren vermeintlich nüchternen Habitus der „Realpolitik“ ganz dem parlamentarischen System verschrieben habe. Die ausschließliche Fixierung auf die Spielregeln des Parlamentarismus und die Fixierung auf Wahlkämpfe hätten nicht nur der „Amerikanisierung der Wahl“272 und der „Entpolitisierung“ der Massen den Weg gebahnt. Sie hätten auch die Grundlage für das Entstehen einer breiten Schicht von sogenannten „Spezialisten“ und „Fachkennern“ in der Partei geschaffen, denen jeder Zusammenhang mit dem Fühlen und Denken der Arbeiterschaft und auch der „Überblick über das Ganze des gesellschaftlichen Geschehens“273 abhanden gekommen wäre. Im Kontext dieses reformistischen „Spezialistentums“ mussten die „Organisation“ und der „Apparat“ bald einen fiktiven Selbstzweck entwickeln, dem sich nach Ansicht Wagners alle politischen Entscheidungen unterordneten. Eine derart vom „Klassengrund“ abgehobene Sozialdemokratie sei aber zu einem kalkulierbaren Faktor kapitalistischer Politik geworden und habe erheblich zu deren Stabilisierung und Durchsetzbarkeit beigetragen.274 Trotz der Verabsolutierung eines Moments reformistischer Politik war Wagners Kritik an der bürokratisch-etatistischen Form der Reformpolitik nicht rundum töricht. Da aber der unionistische Linksradikalismus allein den beiden Faktoren „Krise des Kapitalismus“ und „Organisationsapparat der Arbeiterbewegung“ wesentliche Bedeutung beimaß, blieben Wagners weitere Ausführungen recht schablonenhaft, in der Strategie: voluntaristisch. Wagner, der noch 1928 aufgrund der enttäuschenden Politik des reformistischen Parteiapparats mit einer geradezu systematisch geförderten Linksentwicklung der sozialdemokratischen Arbeiterschaft gerechnet hatte275, erklärte sich dann Anfang 1930 das Ausbleiben des klassenkämpferischen Schwungs wiederum mit eben diesem Parteiapparat, der nicht die Kraft aufgebracht hatte, „zielklare und mitreißende Führung zu übernehmen“ und „Klassenenergien in der deutschen Arbeiterschaft auszulösen“.276 Auf diese Weise von der Partei ohne Führung gelassen, sei das Proletariat in einen Zustand ungeheurer „geistiger Verflachung“277 geraten. Der Linksradikalismus schwankte stets zwischen einer fast mystischen Überhöhung der revolutionären Aktionsbereitschaft der Arbeiterklassen und der Verachtung eben dieser „Massen“, die zu führen Aufgabe einer revolutionären Kaderorganisation sei. Daher fiel auch Wagners Be-

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gründung einer Umstellung der proletarischen Organisation auf die Struktur syndikalistischer Betriebsorganisationen unter geistiger Führung eines „geläuterten“ Zentralismus entsprechend diffus und postulativ aus: „Die Partei muss mit ihrer Betriebspropaganda in der Arbeiterschaft verwurzelt sein, sie muss damit andererseits auch fähig sein, den so aufgenommenen Willen der Arbeiter ihrer Politik zugrunde zu legen. Sie muss in ihren taktischen Entscheidungen, in ihren einzelnen Schritten der Meinung der Arbeiterschaft in den Betrieben Rechnung tragen, sie muss die Massen nicht nur von oben nach unten beeinflussen, sondern deren Einfluss umgekehrt auch von unten nach oben wirken lassen.“278

Walter Fabians grundlegende Kritik am Reformismus erfolgte im Anschluss an die Reichskonferenz der Jusos in Hannover am 19. Mai 1929, an der er als Delegierter teilnahm und von der er mit sichtlicher Enttäuschung über das Hauptreferat des schon zu Lebzeiten legendären Sekretärs der Sozialistischen Internationale, Friedrich Adler, nach Dresden zurückkehrte. Friedrich Adler genoss bei den Jungsozialisten, so auch bei Fabian, aufgrund seines Attentats auf den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh im Ersten Weltkrieg eine außerordentliche Popularität. Die Interpretation von Friedrich Adler auf der Reichskonferenz der Jusos in Hannover – immerhin die erste öffentliche Stellungnahme des Sekretärs der Internationale nach dem schwierigen Wiederaufbau dieses Gremiums – riefen allerdings bei Walter Fabian kritische Anmerkungen zur Diskussion des Referats hervor. Auf Adlers historisch angelegte und verständlicherweise behutsam formulierte Gegenüberstellung – dass revolutionäre Sozialisten auf der einen Seite vielfach ihre Hoffnungen auf einen künftigen Krieg setzten, während die Reformisten auf der anderen Seite den Primat auf die Friedenserhaltung als notwendige Voraussetzung ihrer sozialreformerischen Praxis legten –, antwortete Walter Fabian mit einer Schärfe der Kritik am Reformismus, die bislang selbst in Kreisen linkssozialistischer Jungsozialisten ungewöhnlich war: „Gewiss haben die Reformisten, die in den Sozialismus hineinwachsen möchten, alles Interesse an der Friedenserhaltung. Andererseits sind diese aber eben durch ihren Reformismus so fest mit der heutigen kapitalistischen Gesellschaft verbunden und leider in sie so hineingewachsen, dass sie zum größeren Teil unbewusst, zum kleinen sogar bewusst Befürworter und Förderer der imperialistischen Tendenzen dieser kapitalistischen Staaten werden und damit nicht der Friedenserhaltung, sondern der materiellen und noch mehr der geistigen Kriegsvorbereitung dienen. Es kann auf dieses Treiben, das nach meiner Meinung von ungeheurer Tragweite ist, hier nicht näher eingegangen werden, aber es wird notwendig sein, daß wir uns in Zukunft viel gründlicher als bisher mit dieser gefährlichen Funktion des Reformismus und speziell der Koalitionspolitik auseinandersetzen.“279

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Eine solche Anmahnung bedeutete eine massive Provokation für die Instanzen der Partei und für den Hauptvorstand der Sozialistischen Arbeiterjugend, der in beträchtlicher Sorge um die politische Einstellung der ostsächsischen Jugend seinen Vorsitzenden Erich Ollenhauer Anfang 1930 zu einer groß angekündigten Veranstaltung nach Dresden sandte. In der stürmisch verlaufenden Diskussion, in deren Mittelpunkt die von ständigem Beifall unterbrochenen Redebeiträge von Walter Fabian und Helmut Wagner standen, geriet Ollenhauer aber in eine so arge Defensive, dass er in seinem Schlusswort den etwa eintausend anwesenden Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend völlig entnervt zurief: „Jetzt fahre ich nach Braunschweig, und da bin ich morgen wieder bei einer richtigen SAJ.“ Aber nicht nur die zentralen Gremien in Berlin, sondern auch die innerparteilich ja eher links stehende Dresdner Parteispitze betrachtete mit zunehmendem Argwohn das Treiben der Jungsozialisten. Als im Sommer 1930 die Parteikonferenz des Unterbezirks Walter Fabian für eine Kandidatur zum Reichstag vorschlug und dieser bei der Nominierung mehr Stimmen als die bisherigen Abgeordneten auf sich vereinigen konnte, erkannte die Dresdener Parteiführung, dass sich aus den früher als „Theoretisierer“ und „Eigenbrötler“ abqualifizierten Jungsozialisten eine Truppe entwickelt hatte, deren Aktivisten sukzessive an innerparteilichem Einfluss gewannen. Nachdem es der aufgeschreckten Parteileitung in den folgenden Wochen gelang, die taktische Option zu ziehen, Walter Fabian auf einen aussichtslosen Listenplatz zu platzieren, steigerte sie Ende 1930 den Druck auf die Jusos und erließ ein Redeverbot gegen Fabian. In Freital gaben die „Roten Kämpfer“ um Josef Triebe Ende 1930 ebenfalls ihre Tarnung auf. Sie wähnten sich jetzt tatsächlich in der kapitalistischen „Todeskrise“ und witterten die Morgenluft des proletarischen Aufstandes. So agierten sie mit offenem Visier, während sie zuvor ihre linkskommunistischen Absichten und Hintergründe nach außen verborgen gehalten hatten. Die jungen sozialistischen Arbeiter sollten für den Kampf gegen die faschistische Bourgeoisie – zu der die „Roten Kämpfer“ auch das von der Sozialdemokratie tolerierte Kabinett Brüning zählten – gerüstet werden.280 Für das Reichsbanner hatten die „Roten Kämpfer“ nur Hohn und Spott übrig. Es ging ihnen nicht um den Schutz der Republik in einer Allianz mit dem republikanischen Bürgertum; es ging ihnen um den proletarischen Finalkampf, um die sozialistische Rätegesellschaft. Unter der Federführung der „Roten Kämpfer“ gründeten die Freitaler Jungsozialisten und SAJ-Gruppen proletarische Jungordner für die militante Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten. Nun allerdings schritt die Freitaler Parteiführung ein und unterband die jugendliche Variante proletarischer Wehrhaftigkeit. Die Jungsozialisten wurden unter Kuratel gestellt. Sie durften keine Veranstaltungen ohne das Plazet des Unterbezirkssekretärs Arno Hennig durchführen,

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der überdies jetzt selbst die Referentenauswahl entschied. Die Jungsozialisten indes wollten sich nicht kontrollieren lassen und lösten sich in Freital im Januar 1931 eigeninitiativ auf. Sie verstärkten danach einerseits die konspirative Arbeit, traten andererseits aber öffentlich immer kritischer gegen das Parteiestablishment auf, Josef Triebe allen voran.

AUSLESE

ODER

M ASSENORIENTIERUNG ?

Kaum ein Ereignis vermochte die Zwiespältigkeit des Ergebnisses jungsozialistischer Praxis in den fünf Jahren nach ihrer linkssozialistischen Umorientierung besser auszuleuchten als der Vorgang um die Kandidatur Franz Lepinskis für den Vorsitz der SAJ gegen den amtierenden Vorsitzenden Erich Ollenhauer auf der 8. Reichskonferenz der SAJ in Lüneburg am 18./19. April 1930. Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Massenorganisation der Jugend war dem Hauptvorstand der SAJ eine Opposition erwachsen, die weit über die schon von ihrer Mutterpartei seit Jahren zu linkssozialdemokratischen Positionen ermutigten Jugendlichen aus Sachsen hinausging. Bei den Verbandsmitgliedern aus dem Ruhrgebiet, Berlin, Hamburg, Bremen, Halle-Merseburg oder Königsberg handelte es sich um SAJ-Gruppen, die sich in ihrer spontanen Radikalisierung in einem schroffen und konfliktreichen Gegensatz zu den lokalen Parteivorständen bewegten. Schon die siebentausend Jugendlichen, die zu den im Umfeld der Reichskonferenz stattfindenden Jugendtagen nach Lüneburg gekommen waren, drückten durch die straff uniformierte Art ihres Auftritts und der Inhalte ihrer Transparentlosungen den grundsätzlichen Wandel der politischen Haltung in den Reihen zahlreicher SAJ-Gruppen aus. Die aus der Zeit der frühen Jugendbewegung bekannte Kleidung, der Gesang von Volksliedern beim Spiel der Mandoline und das „chaotische Latschen“ durch die Straßen während der Reichsjugendtage gehörten erkennbar der Vergangenheit an. In Lüneburg marschierte die SAJ diszipliniert in geschlossenen Reihen und in der einheitlichen Tracht der blauen Hemden, Koppeln und roten Halstücher bei Trommeln und Fanfaren durch die engen Gassen der Hansestadt. Zum Missvergnügen des in den sozialdemokratischen Parteivorstand aufgestiegenen ehemaligen Jugendführers Max Westphal fehlten bei der Kundgebung nun auch die schwarz-rot-goldenen Fahnen und die republikanischen Losungen.281 Dabei waren es weniger die gar nicht so zahlreich anwesenden SAJ-Gruppen aus Sachsen, sondern mehr die Jugendorganisationen aus Bremen, Bochum und Hagen, welche die in Westphals Augen anstößigen Parolen auf ihr Panier geschrieben hatten: „Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist unser Ziel“, „Karl Liebknecht mahnt: Der Feind steht im eigenen Land“, „Das Proletariat hat nichts zu verlieren als seine Ketten“.282

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Die Demokratie galt der neuen Kohorte nur als verschleierter Ausdruck der Diktatur des Kapitals. „Von dieser Staatsform und ihrer sogenannten freiheitlichen Verfassung wird kein Proletarier satt“, eine grundlegende Veränderung der Situation war einzig von der „Klassendiktatur des Proletariats“ zu erwarten.283 Worüber die Jungsozialisten seit Jahren theoretisch parlierten, hatten sich die radikalisierten Teile der SAJ spontan und in wenigen Monaten selbst geschaffen: die „proletarische Wehrhaftigkeit“ in Form sozialistischer Jungordnerformationen284, die – wie es in einem abgelehnten Antrag der Leipziger SAJ auf der Reichskonferenz hieß – „als Schutz der Veranstaltungen der Sozialistischen Arbeiterjugend vor kommunistischen und faschistischen Störungen“ dienen sollten.285 Die Reichskonferenz von Lüneburg war durch eine ähnlich erbitterte Härte gekennzeichnet wie fünf Jahre zuvor die Konferenz der Jungsozialisten in Jena. Die Linksopposition machte sich für jährliche „L/L-Feiern“ (Luxemburg/Liebknecht-Feiern) stark, was vom Hauptvorstand wegen der kommunistischen Parteizugehörigkeit der beiden Kultfiguren in der letzten Phase ihres Lebens entschieden abgelehnt wurde. Außerdem verlangte die SAJ-Linke einen „marxistisch-klassenkämpferischen Kurs“ in der Bildungsarbeit und in den Publikationsorganen der SAJ. Ihr in diesem Kontext eingebrachter Misstrauensantrag gegen die „reformistische“ Redaktionsführung des Zentralorgans der SAJ, die ArbeiterJugend, wurde bei 69 Gegenstimmen von immerhin 55 Delegierten unterstützt.286 Alles in allem war dies eine Konferenz, auf der eine aggressiv agierende Linke ihre unbedingte Opposition und gewachsene Stärke demonstrieren wollte und dabei selbst nach einem politisch inhaltsreichen Referat von Erich Ollenhauer über „Unsere Aufgaben im Kampf um die Jugend“, das sich keineswegs undifferenziert mit den politischen und ökonomischen Schwierigkeiten der Republik auseinandersetzte, allein und nahezu gebetsmühlenartig den Richtungsstreit innerhalb der SPD thematisierte.287 Vor dieser Folie war auch die Kandidatur Lepinskis für den Verhandlungsvorsitz zu verstehen. Schon im frühen Vorfeld hatte der Sprecher der SAJOpposition, Werner Zorn, im Klassenkampf mit sibyllinischen wie pathetischen Worten eine Gegenkandidatur zu Ollenhauer avisiert: „Wir haben kein Vertrauen zu unserer Leitung, weder subjektiv, noch objektiv. Jeder Gedrückte wird sich einmal aufrichten, wird sich einmal zur Wehr setzen.“288 Zorn hegte zwar nicht die Illusion, dass ein Gegenkandidat echte Chancen auf die Stimmen einer Mehrheit haben könnte, der Akt sollte aber eine Manifestation des neuen, zugunsten der Linken veränderten Kräfteverhältnisses im Jugendverband werden.289 Die Reaktion der anderen Bezirke, vor allem auch derjenigen, die erst seit 1928/29 zu linkssozialdemokratischen Auffassungen tendierten, auf diesen Antrag der westsächsischen Delegation illustrierte dann allerdings, wie entkoppelt

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einige Juso-Gruppen in den letzten Jahren zirkulär tätig gewesen waren und dabei auf den spontanen Radikalisierungsprozess der SAJ-Gruppen in den Gebieten außerhalb Mitteldeutschlands auch keinen Einfluss zu nehmen vermocht hatten. Lepinski war nämlich weder den Berliner, Hamburger, Bremer und Bochumer SAJ-Repräsentanten ein Begriff, noch waren die Jungsozialisten insgesamt aufgrund ihres „elitären“ Habitus sonderlich beliebt.290 Da die SAJ-Linke keine regelmäßigen überregionalen Fraktionstreffen pflegte, waren die – rhetorisch allerdings geschickten – SAJ-Delegierten aus Leipzig gezwungen, die an der Zeitschrift Klassenkampf orientierten Linken erst unmittelbar vor der Konferenz zu sammeln und nicht ohne Mühe auf Lepinski als gemeinsamen Kandidaten der Linken festzulegen.291 Etwas peinlich wirkte es aus Juso-Sicht dann aber schon, als die Verhandlungsführung den Namen Lepinski bekannt gab und aus der Versammlung der Ruf kam: „Wer ist denn das überhaupt?“ Nachdem der Vertreter der Leipziger Arbeiterjugend, Horst Berenz, die Konferenz, deren Durchschnittsalter mit 23,7 Jahren immerhin dem besten Juso-Alter entsprach, über Person und Tun Lepinskis aufklären konnte und damit eine kurze polemische Personaldebatte auslöste, konnte Franz Lepinski immerhin fünfzig Stimmen auf sich vereinigen, während Ollenhauer mit 93 Stimmen als Vorsitzender der SAJ wiedergewählt wurde.292 Viele Juso-Gruppen spürten im Sommer 1930, dass sie an einer Grenze ihrer Entwicklung angekommen waren. Es dämmerte ihnen, dass ihre introvertierte Bildungsarbeit nicht mehr der Dynamik und den kämpferischen Imperativen der Zeit entsprach. Sie ahnten, dass die Republik vor einer entscheidenden Wende ihrer Entwicklung stand und schwankten in ihrer Prognose über den Charakter des bevorstehenden Bruchs zwischen der optimistischen Erwartung einer nahenden revolutionären Erhebung der Arbeiterklasse und der Furcht vor der siegreichen „faschistischen Reaktion“.293 Der Ernst der Lage zwang zur Umstellung der bisherigen jungsozialistischen Arbeitsformen, führte zu einem neuen aktivistischen Selbstverständnis. Einige Jungsozialistengruppen drängten nun nach engeren Verbindungen zur Parteitätigkeit und zur Praxis. Dagegen reproduzierten viele Jungsozialisten letztlich oft nur ihr zirkulares Dasein der letzten Jahre und gaben ihm ein anderes Etikett: Statt marxistischer Erziehungs- und Bildungsorganisation der Jugend wollte man nun revolutionäre und einzig klarsichtige Vorhut der Arbeiterklasse sein. Trotz aller Betriebsamkeit bezog sich der hektische Aktivismus der „revolutionären Kader“ zuallererst auf die wohlbekannte eigene Kleingruppe, in der man sich gemeinsam der vortrefflichen Identität stets versichern und von der „geistig verflachten Masse“ abgrenzen konnte. Dabei hing es sowohl vom Temperament als auch von der spezifischen Einzelideologie der jeweiligen Juso-Gruppe ab, ob sie sich als Gruppe fortan mit dem neuen Selbstverständnis des „kollektiven Berufsrevolutionärs“ nur deklamatorisch an die Stelle

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der proletarischen Klasse setzte, oder ob sie die Emotionalität des eigenen Gruppenzusammenhangs nutzte, um als aktiver, wenn auch minoritärer „Stoßtrupp“ in den Aktivitäten der Arbeiterbewegung mitzumischen. Allerdings: Für zur Aktivität entschlossene Jungsozialisten, die spürten, dass „etwas getan werden muss, koste es was es wolle“, bot die Sozialdemokratie nur geringen Raum zur produktiven Entfaltung. Ein ausgesprochen repräsentativer Theoretiker für den genuin intellektuellen Juso-Radikalismus, der zu unterscheiden ist von der linkskommunistisch lancierten Flügelbildung und der spontanen Radikalität in der neuen Generation der Arbeiterjugend, war Fritz Lewy, der im Sommer 1930 eine regelrechte publizistische Offensive in den Jungsozialistischen Blättern und als Referent mehrerer Juso-Versammlungen im Reich startete. Lewy war, wie gesehen, einer der zentralen linkssozialistischen Theoretiker, der seit 1925 auf allen vier Reichskonferenzen als Hauptsprecher und Verfasser der entscheidenden Resolutionen figurierte. Er erhoffte sich wie viele Intellektuelle von den Jungsozialisten und im Prinzip von der gesamten Arbeiterbewegung die Verkörperung ethischer Motive, kulturelle Hochwertigkeit, unverlogener Moral, Radikalität im Kampf und die wissenschaftliche Gewissheit des historischen Sieges der allgemein-menschlichen Emanzipation. In den Tagen von Jena, die 1925 den Triumph der von ihm eingebrachten Resolution zu „Staat und Nation“ brachten, erschütterte ihn besonders, dass der Betriebsratsvorsitzende der Zeiss-Werke, bei dem er zusammen mit Oskar Krummschmidt für die Dauer der Konferenz untergebracht war, ein Siedlungshaus mit Garten besaß und eine Schnurrbartbinde trug294, mithin ein regelrechter „Spießer“ war. Angesichts der manifesten Verweigerung großer Teile des Proletariats, den Habitusformen des Bürgertums eine „radikale Alternative“ entgegenzustellen, überhöhte Lewy fortan die erzieherische Arbeit der auf „Vorposten“ stehenden Jusos zum vorweggenommenen „Kernstück der Übergangszeit“.295 Es ging dem musisch begabten, seit seiner frühen Jugend Geige spielenden Lewy um eine neue „proletarische Form der Geselligkeit“, die er sich am konkreten Beispiel so vorstellte: „Man stelle z.B. einen Abend aus der bürgerlichen Romantik zusammen: eine kurze Novelle, zwei charakteristische Gedichte, ein Musikstück aus der reichen Musikliteratur der Romantik, ein kurzer Vortrag von 15 bis 20 Minuten Länge über die Romantik ergeben ein schönes Abendprogramm. Daran anschließend ein geselliges Spiel, Denksportaufgaben, gemeinsame Lieder.“296 In einer derart neoromantischen Sicht künftiger proletarischer Kultur musste wohl die empirische Realität des gewöhnlichen Habitus der „Massenarbeiter“ verächtlich wirken und den enttäuschten Kulturrevolutionär zum strategischen Rekurs auf das Konzept der „Avantgarde“ manövrieren. In den theoretischen Überlegungen Lewys ergab sich dies auch aus den politischen Analysen, erhielt

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seinen spezifischen Impetus aber erst durch die lebensreformerische Komponente. Lewys Artikel und Referate in den Sommermonaten 1930 schwankten wie die Auffassungen vieler Linkssozialisten in der Zwischenkriegszeit zwischen einem tiefen Skeptizismus, was die Reife des subjektiven Faktors für den Transformationsprozess anging, und einem chiliastischen Vertrauen auf einen baldigen Eintritt in die klassenlose Gesellschaft. Lewy, der – seitdem er ab 1929 Mitarbeiter beim Reichsstatistikamt in Berlin war – stets mit einer Fülle statistischer Daten zu beeindrucken versuchte, sah die deutsche Gesellschaft unterteilt in eine kleine Schicht von zehn Prozent, die über ein unbedingtes Interesse an der Erhaltung des Kapitalismus verfügte, und die große Masse von neunzig Prozent, welche objektiv daran keinerlei Interesse besäße.297 Da aber bei den letzten Wahlen nur dreißig Prozent der am Erhalt des kapitalistischen Systems „objektiv uninteressierten“ Massen dies durch ihre Stimmabgabe für die sozialistische Partei adäquat zum Ausdruck gebracht hätte, sei es die Aufgabe der Arbeiterbewegung, das „Kampffeld der Demokratie“ zu nutzen und an einer Reform des bislang zurückgebliebenen Bewusstseins zu arbeiten. Lewys Befürchtung war nun, dass sich die Bourgeoisie eine solche Unterminierung ihrer bisherigen ideologischen Hegemonie nicht gefallen lassen könnte und schon bei vierzig Prozent Stimmenanteil für die revolutionären Kräfte und nicht erst bei 51 Prozent, wie häufig von seiten der Linken unterstellt, mit der Vernichtung des Parlamentarismus und der Errichtung der Diktatur reagieren würde. Wenn auch Lewy immer wieder skeptisch auf das wenig „kraftvolle und selbstbewusste Proletariat“298 hinwies, so bräuchte die Arbeiterklasse dennoch das nahende „Signal zum letzten Gefecht“299 und den gewalttätigen Kampf nicht zu fürchten. Denn die „ohne Utopie und Schwärmerei“ geschriebene „nüchterne Diagnose des politischen Arztes“ Karl Marx hatte nach Auffassung des Juso-Theoretikers den Weg aus den Geburtswehen der Revolution klar und unwiderlegbar vorgezeichnet: Nach der Zerschlagung der bürgerlichen Staatsorgane würde die revolutionäre Diktatur der Arbeiterklasse unwiderruflich zur klassenlosen Gesellschaft überleiten.300 Als im Sommer 1930 die Stimmen bei den Jungsozialisten immer zahlreicher wurden, die für eine Überwindung der nur auf Bildungsarbeit ausgerichteten Juso-Praxis plädierten, versuchte Lewy der jungsozialistischen Bewegung auf der Reichsschulungswoche vom 9. bis 13. Juni ein erhabenes Selbstbewusstsein zu vermitteln. Lewy prognostizierte den siebzig anwesenden „Spitzenfunktionären“ der Jusos, dass der Zeitpunkt einer „endgültigen Auseinandersetzung mit dem Bürgertum“301 herannahe. Da weder Zeit noch Möglichkeiten existierten, die Jungsozialisten zu einer Massenbewegung auszuweiten, extrapolierte er die empirische Bewegung der Jusos zu einer „demokratischen Auslese von Berufsrevolutionären“.302 Der Verlauf der Reichsschulungswoche nahm bereits die Diskussionsfronten der Jusos in den nächsten Monaten bis zur Auflösung der Organisa-

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tion durch den Parteivorstand der SPD vorweg. Ein Teil der anwesenden Jungsozialisten präferierte weiterhin die primäre Konzentration auf die theoretische Fundierung des politischen Wissens, während ein anderer Teil davon jetzt Abstand nahm und sich für eine sofortige Ausdehnung der Bewegung durch aktive Mitarbeit an der politischen Agitation der Partei einsetzte, wozu nun als zusätzliche Alternative Lewys Konzept der „demokratischen Auslese von Berufsrevolutionären“ ebenso unpräzise wie für einige Jungsozialisten gleichwohl faszinierend im Raum stand.303 Als sich dann im Anschluss an die offizielle Abschlussfeier der Reichsschulungswoche der „Skandal“ ereignete, dass einige Jungsozialisten mit den eingeladenen örtlichen Parteigenossen „schwoften“, also das Tanzbein schwangen, Skat spielten, gar Alkohol konsumierten, kam es nicht allein zum Eklat und Auszug einiger empörter Lebensreformer aus dem Saal, sondern auch zu einer erstmals seit Jahren wieder kontroversen Debatte in den Jungsozialistischen Blättern304 über den Stellenwert der „Lebensreform“ bei den Aufgaben auserwählter Berufsrevolutionäre innerhalb der Massenorganisationen der Arbeiterbewegung. In dieser Diskussion schieden sich auch die beiden Lager, die sich Anfang 1931 in der entscheidenden Krisensituation des deutschen Jungsozialismus in der Weimarer Republik konträr gegenüberstanden und so das administrative Verfahren des Parteivorstandes gegen die Jusos erleichterten. Der Disput offenbarte zudem, wie politisch diffus, letztlich substanzlos ein Teil der Jusos Anfang der 1930er Jahre den aller Realität enthobenen Wunschbildern avantgardistischer Projekte anhing. Erneut gab Fritz Lewy die Stichworte der Debatte vor, um Vorzüge und Verhaltensregeln prinzipienfester Berufsrevolutionäre erläutern zu können. Inspiriert von mystisch-eschatologischen Heilsversprechen, die der Arbeiterklasse „das gelobte Land“ im „Morgenrot des Kommenden“ versprachen und eine Gegenwart „heiligten“, in der die Jungsozialisten als „Laienbrüderschaft der Idee der Revolution“ weitgehend aller „müßigen Zerstreuung der Gedankenlosen“ zu entsagen hatten,305 forderte er schließlich den Bruch mit der langjährigen Gewohnheit, zum Abschluss einer Reichsschulungswoche den „Schwof“ für die eingeladenen örtlichen Mitglieder der Partei zuzulassen. Die Furcht davor, dass bei einem solchen Zusammentreffen mit der „geistig verflachten“, „verspießerten“ und „vergnügungssüchtigen“ Masse auch Angehörige der kultisch verehrten und ängstlich abgeschlossenen eigenen Gruppe in die Versuchung des lebensreformerischen Sündenfalls kommen könnten, war unverkennbar.306 Nach Lewys Auffassung konnte der Sozialismus nur dann erfolgreich konstituiert werden, wenn wenigstens eine kleine Schicht von „Soldaten der Revolution“ in strenger Zucht schon im Alltag der Gegenwart die begeisternden Ideen der Zukunft zu leben vermochte307, die dann – so formulierte es ein LewySympathisant – unter gewandelten Verhältnissen zu allgemein gültigen Prinzipi-

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en der Emanzipation avancieren würden.308 Träger dieser geschichtlich kontingenten Aufgabe sollten eben die mit dem Ehrentitel „Berufsrevolutionär“ ausgestatten Jungsozialisten sein: „Die russische Revolution kannte den Typ der Berufsrevolutionäre, die durch die Gewaltmaßnahmen des zaristischen Systems zu einem unsteten, illegalen, nur der revolutionären Arbeit gewidmeten Leben gezwungen waren. Gegenüber den Gesinnungsrevolutionären hat dieser Berufsrevolutionär die große Bedeutung, daß er aus äußeren Hemmungen seine Gesinnung nicht verlieren oder opportunistisch anpassen kann. Solange der Faschismus in Deutschland nicht die Auslese von Revolutionären erzwingt, sind wir auf demokratische Auslese von Revolutionären angewiesen. Das sind nicht Revolutionäre, die nur für den Beruf der Revolution leben, sondern das sind Revolutionäre, die für ihre Gesinnung auch einen entsprechend äußeren Ausdruck, eine besondere Lebensform gefunden haben.“309

Otto Jenssen, der zusammen mit Alexander Stein die Jungsozialisten seit Jahren vor dem Elitedünkel gewarnt hatte, betonte nun erneut, dass den Jungsozialisten nichts mehr geschadet hätte als die „Absonderung von der Masse“ und dass schon diese Erfahrungen gegen die Bildung einer „Kaste von Berufsrevolutionären spräche. Eine zum Selbstzweck degenerierte Lebensreform und den Kultus der Selbstbildung verwarf Jenssen ebenso entschieden, wie er die Jusos mit Nachdruck zur Verbindung ihrer Kulturarbeit mit der Alltagsarbeit und Politik der sozialdemokratischen Partei ermahnte.310 Am scharfsinnigsten setzte sich aber das langjährige Königsberger Mitglied der kleinen Sozialistischen Proletarierjugend der Rest-USPD, Leo Friedmann, ein enger Freund von Arkadij Gurland und Karl Korsch, mit der Gedankenführung Lewys auseinander und analysierte den utopisch-romantischen Charakter der Berufsrevolutionäre-Konzeption. Das von Fritz Lewy begründete Desiderat, dass sich die Jusos nicht nur im „Schwof“, sondern in fast allen Verkehrsformen gründlich und eindeutig identifizierbar von der Attitüde der „stumpfen Masse“ unterscheiden und absondern sollten, vermochte zwar, wie Friedmann ironisch bemerkte, ein Gefühl erhabener revolutionärer Stimmung zu vermitteln, werde aber letztlich nur „die Spannung zwischen Wollen und Können, zwischen Gedanke und Tat […] verewigen und seinen Sozialismus utopisieren“.311 Es zeichne die Kaste der Berufsrevolutionäre im Übrigen generell aus, dass sie in ihrer Abgeschlossenheit stets nur eine willkürlich vereinfachte Urteilsperspektive zur Vielgestaltigkeit des gesellschaftlichen Zusammenhangs einzunehmen in der Lage wären. Friedmanns alternative Bilanz zur „Vorhut“-Strategie war, „dass nur die Klasse in ihrer Gesamtheit aufgrund ihres täglichen Kampfes und ihrer praktischen Erfahrungen in den Besitz des ‚richtigen Bewusstseins‘ gelangen kann. Die Organisation ist Kompass und Mittel, an der sich Reife und Wachstum des Klassenbewusstseins manifestieren.

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Wohl vermag sich der einzelne (oder die Gruppe) über den augenblicklichen Stand des Reifeprozesses hinaus zu entwickeln, aber nur dadurch, dass er mit der Erfahrungsarbeit, die ständig in der Bewegung geleistet wird, besonders eng verbunden ist.“312

R ECHTSKOMMUNISTISCHE L OCKUNGEN Wie wenig sich die Jungsozialisten im Sommer 1930 ihrer eigenen Rolle noch sicher waren, zeigte auch die schreckhafte Reaktion der Juso-Reichsleitung vom 3. September auf Aktivitäten des Jugendverbandes der Kommunistischen ParteiOpposition (KPO), der ganz offensichtlich an einem Mitgliederzuwachs aus den Reihen der sozialistischen Jugend interessiert war, indem er die dort zunehmende Unzufriedenheit mit der sozialdemokratischen Politik zu seinen Gunsten zu nutzen versuchte. Die bis dahin mit Dekreten sparsam operierende Reichsleitung gab für alle Jungsozialisten im Reich die Devise aus: „Kein Paktieren, kein Zusammengehen mit der KPO, auch ihr gilt unser schärfster Kampf“313 – und ließ durch ihr Mitglied Clemens Seifert auch gleich die ideologische Begründung für die scharfe Distanz zur rechtskommunistischen KPO nachreichen.314 Dabei: Im Gegensatz zu den Massenorganisationen wie der Sozialistischen Arbeiterjugend oder Arbeitersportverbänden hatten die theoretisch ambitionierten und in kleinen Lebensgemeinschaften menschlich eng verschränkten Jungsozialisten die Interventionsversuche kommunistischer Jugendverbände bis dahin nicht ernsthaft zu fürchten gebraucht, da sie ihnen diskursiv jederzeit gewachsen waren. Im formelhaft grundierten Aktionismus der KPD lag wenig Versuchung für die Jusos.315 Die 1928 wegen Kritik an der ultralinken Taktik der Parteiführung aus der KP ausgeschlossenen „Rechts“-Kommunisten, die dann die KPO gründeten, stellten ein anderes Kaliber dar. Schon in der Mentalität war die nie mehr als 3.500 Mitglieder umfassende Sekte den Ausdrucksformen und Interessen der Jungsozialisten ähnlich. Ihre Mitglieder waren außerordentlich diskussionsfreudig, an innerer theoretischer Klärung interessiert und jederzeit bereit, in Zirkeln mit Jungsozialisten, sozialistischen Schülern und Studenten für ihre Überzeugung zu werben. Hinzu kam, dass der Jugendverband der Kommunistischen Partei-Opposition, die KJO, seit 1929 auch mit Blick auf die sozialistische Jugend wohlüberlegt und mit pausenlosem agitatorischen Einsatz für die Schaffung sogenannter „Proletarischer Jugendkartelle“ eintrat.316 Nachdem die Jungsozialisten auf Beschluss ihrer Reichskonferenz von 1927 den Reichsausschuss Deutscher Jugendverbände verlassen hatten317, kostete es sie aufgrund des Desinteresses der SAJ und vor allem der Gewerkschaftsjugend erhebliche und letztlich vergebliche Mühe, eine binnensozialistische Alternative zu konstituieren, wes-

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halb die Impulse der KJO nicht gänzlich ohne Resonanz blieben. Erfolg, wenn auch nur in relativ bescheidenem Maße, vermochte die KJO mit ihrer Strategie allerdings nur in Breslau zu erzielen. Dort verfügte der KPO-Jugendverband über einen kleinen Stamm ausgezeichnet geschulter Rechtskommunisten, deren Kopf, der frühere Levi-Anhänger und Lenin-Student in Moskau, Richard Monden, auch von den Jungsozialisten als anständiger und theoretisch versierter Bündnispartner geachtet318 und hin und wieder von ihnen selbst als Referent über die sowjetische Politik zu Juso-Veranstaltungen eingeladen wurde.319 Die gleichen Diskussionsfreiheiten gewährten die Jusos den kommunistischen „Rechtsabweichlern“ auch auf den zumeist von Sternberg geleiteten Schulungskursen der Marxistischen Arbeitsgemeinschaft, die von der KJO im Gegensatz zu den theoretisch eher hilflosen Mitgliedern des offiziellen KJVD der KPD auch stets diszipliniert und inhaltlich gut vorbereitet besucht wurden. Ihr „Orgleiter“, Jan Pollák, holte Sternberg einige Male auch selbst zu Vorträgen in die Monistische Gemeinde Breslaus.320 Ab 1929 startete nun die Breslauer KJO eine offensive Kampagne zum Beitritt in ein „Propagandakomitee für ein proletarisches Jugendkartell“321 und konnte dabei beträchtliche Sympathien in der „Freidenkerjugend“, den Arbeitersportabteilungen und auch in einzelnen Juso-Gruppen verzeichnen322, während die Leitung und Mehrheit der Breslauer Jungsozialisten distanziert murrte und der KJVD in typischer Manier rüde schimpfte Das Misstrauen der Jungsozialisten war insofern wohlbegründet, als der KJO immer auch das Ziel verfolgte, kritische Elemente aus den konkurrierenden Organisationen für den eigenen Verband herauszubrechen, wie überhaupt die Praxis der KPO-Jugend stets auf das bereits konstituierte Milieu der Arbeiterbewegung gerichtet war und nicht so sehr auf die Akquirierung und Überzeugung neuer, dem sozialistischen Lager bisher fernstehender Kräfte. Zudem teilte die KPO bei aller Ablehnung der „Sozialfaschismustheorie“ die Sichtweise der KPD, dass vor allem der linke Flügel der Sozialdemokratie ideologisch gefährlich sei, da er durch revolutionäre Rhetorik Illusionen über die klassenkämpferische Veränderbarkeit der SPD produziere. Diese ideologische Maxime der KPO und KJO traf den Nerv des linkssozialdemokratischen Selbstverständnisses der Breslauer SPD und Jungsozialisten, die im Sommer 1930 trotz aller zunehmenden Skepsis mehrheitlich noch an die Umorientierung der Mehrheitsverhältnisse und der politischen Praxis der SPD festhielten. Aber gerade die passive Zurückhaltung der Breslauer Juso-Leitung und der an der KPO wenig interessierten Spitze der Breslauer Partei verhalf den jungen Rechtskommunisten dazu, eine kleine Anzahl von Jungsozialisten von der vermeintlichen Plausibilität ihrer Argumentation zu überzeugen. Diese Gruppe drückte Ende 1930 ihren Austritt aus der SPD und der jungsozialistischen Vereinigung ganz im Sinne der KPO-Leitlinien folgendermaßen aus:

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„Worte und Taten des ‚linken‘ Partei-Vorstandes führen zur selben reformistischen Politik, wie sie von Otto Wels getrieben wird! Die Sozialdemokratie ist längst eine bürgerliche Arbeiterpartei geworden. Daran kann auch die Linke nichts ändern: die SPD ist nicht mehr zu revolutionieren! Deshalb treten wir aus!“323

Clemens Seifert strengte daraufhin eine ausführliche Auseinandersetzung mit der KPO an, in deren Mittelpunkt der Hinweis stand, dass sich die KPO nur in Fragen der Taktik, nicht aber im Grundsatz und in den Zielen von der Politik der KPD unterschied und ebenso wie sie diese Bedeutung der Republik für den Kampf der Arbeiterbewegung missachtete. Obgleich die Zentrale der KJO in einem offenen Brief an alle Jungsozialisten zum Kampf gegen die Entschließung der Juso-Reichsleitung aufrief324, war der Ertrag des KPO-Engagements in der sozialdemokratischen Jugend keineswegs so aufregend, wie es zunächst offensichtlich schien.325 Die Breslauer Vorfälle aber signalisierten immerhin erneut die Krise des linken Flügels der Jungsozialisten, wo ein vorerst noch kleiner Teil die Zweifel am Sinn und Ziel linkssozialistischer Arbeit in der Sozialdemokratie nicht mehr auszublenden vermochte. Und nach dem Übertritt des Gros Breslauer Jungsozialisten zur SAP Ende 1931 hatte die rechtskommunistische Lockung dort dann doch noch Erfolg: Jetzt traten die jungen früheren Linkssozialdemokraten der Einheitsfrontinitiative bei, die nun nicht mehr als „Propagandakomitee“, sondern als „Aktionsgemeinschaft für ein proletarisches Jugendkartell“ firmierte.326 Ernst Eckstein, zuvor Parteivorsitzender der SPD in Breslau, hielt auf der konstituierenden Versammlung das Hauptreferat.

L INKSSOZIALISTISCHER AKTIVISMUS NACH DEN S EPTEMBERWAHLEN 1930 – UND DIE R EAKTION DER P ARTEIFÜHRUNG Die krisengeschüttelte deutsche Republik, in der die Arbeitslosenzahl mit schnellen Schritten auf die Vier-Millionen-Grenze anstieg, erlebte im Spätsommer 1930 einen emotional aufgepeitschten Wahlkampf der Parteien, an deren Ende die Nationalsozialisten einen in der deutschen Parlamentsgeschichte beispiellosen Mobilisierungserfolg davontrugen.327 Die sozialistischen Organisationen der arbeitenden Jugend reagierten äußerst betroffen. Ein dramatischer Aufruf der Reichsleitung der Jungsozialisten kündigte schon auf der Titelseite der Jungsozialistischen Blätter an, was die Stunde geschlagen hatte: „Das Barometer der politischen Entwicklung in Deutschland steht auf Sturm. Nationalsozialisten und Kommunisten sind am Werke, die klassenbewusste deutsche Arbeiterschaft

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hinwegzufegen. Außenpolitische Gefahren größten Ausmaßes stehen vor der Tür. Das Bürgertum hat den Boden der Demokratie verlassen. Dem Faschismus ergeben, bereitet es, die Völker verhetzend, neuen Krieg vor. In dieser Situation rufen wir alle Genossen und Genossinnen, alle Arbeiter und Arbeiterinnen auf, durch vervielfachte Aktivität die Reihen des organisierten Jungproletariats zu stärken und kampffähig zu machen. Zehn Jahre Jungsozialisten liegen hinter uns. Das sind zehn Jahre der Arbeit in der Organisation, zehn Jahre Arbeit für ihren Ausbau, zehn Jahre Kampfes für ihren Bestand. Heute gilt es, zu beweisen, daß diese zehn Jahre nicht verloren sind. Wir stehen als fester Kerntrupp inmitten einer Welt von Feinden der Arbeiterklasse. Es gilt zu beweisen, dass in uns die Kräfte lebendig sind, diesen Feinden zu trotten, die deutsche Arbeiterschaft vor dem sinnlosen Wüten des Faschismus zu bewahren. Wir sind entschlossen und mutig, aber wir sind noch zu wenige. Stärkung der eigenen Reihen ist heute die Parole in der Stunde ernstester Gefahr. Die erste Novemberwoche ist unsere Woche. Zwölf Jahre nach der Revolution! Wir haben die Novembertage von 1918, ihre Kämpfe und Opfer nicht vergessen. Wir benutzen diese Woche zur Entfaltung höchster Kräfte, zum Einsatz der größten Aktivität, zum Sturm auf die Reihen aller zögernden und lauen Jungproletarier, die uns noch fern stehen. Die Werbewoche muss unsere Zahl vervielfachen, in jeder Stadt, im kleinsten Dorf muss eine starke jungsozialistische Gruppe geschaffen werden! An die Arbeit, Genossen! Diese Welt muss unser sein!“

Die Jungsozialisten sahen sich in ihren Mahnungen und Warnungen der letzten Jahre bestätigt. Die mehrheitssozialdemokratische Strategie, wie sie auf dem Kieler Parteitag 1927 optimistisch von Rudolf Hilferding umrissen worden war, hatte nach ihrer Auffassung katastrophalen Schiffbruch erlitten. Die Koalitionspolitik hatte die Republik nicht gefestigt, sondern im staatlichen Sektor zu einer Aushöhlung der demokratischen Substanz und im außerparlamentarischen Bereich zur rapiden Stärkung der faschistischen Bewegungen geführt. Statt die erwartete Prosperität willkommen zu heißen, die doch die Grundlage der Sozialreform sein sollte, war man nun Zeuge einer weltumfassenden Stockung von Absatz und Verbrauch.328 Das manifeste Scheitern der reformistischen Projektionen musste nach Meinung der Jusos eine grundlegende Veränderung der sozialdemokratischen Politik zur Folge haben, die künftig den Schwerpunkt in den außerparlamentarischen Bereich verlegen und sich durch unbedingte oppositionelle Aktivitäten auszeichnen sollte. Andernfalls könne sich der Nationalsozialismus zu einem reißenden Sturm entfalten, der alle vermeintlich existierenden staatlichen „Bollwerke spielend zerschlägt“ und auf „rein legale Weise Deutschland faschisiert“.329 Diese beklemmende Prognose der künftigen Entwicklung machte den facettenreichen Voluntarismus jungsozialistischer Politik nach dem 14. September

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nachvollziehbar. Wer auf diese Weise die Bedingungen des außerparlamentarischen Wachstums der nationalsozialistischen Bewegung definierte, dabei überdies fürchtete, dass eine passiv gehaltene Arbeiterbewegung schon bald nicht mehr über die Kraft zu einer aktiven Gegenwehr verfügen würde, der musste es wohl in der Tat für seine „revolutionäre Pflicht“ halten, notfalls „auf jede Gefahr hin“330 und, wenn es sein musste, ohne Zustimmung der Parteiführung, die Massen durch „zielklare Aktionen“ zum kämpferischen Widerstand aufzurütteln. Als zeittypischen Manichäismus bewertet das der Historiker Riccardo Bavaj: „Als Widerspruch gegen das parlamentarische ‚Gespräch‘, die konstruktive Debatte und Diskussion kann beispielsweise die Propagierung der ‚direkten Aktion‘, der ‚Tat‘, des gewalttätigen revolutionären Handelns, des Umsturzes sowie die Geisteshaltung des Spontaneismus und der Unmittelbarkeit gelten, die die vermittelnde Intermediatinstanz des Parlaments verabscheut.“331 Solche emphatischen Willenserklärungen vieler Jungsozialisten nach dem 14. September waren typisch für eine Organisation, die in ihrer Mehrheit seit über zehn Jahren etwas abseits von den realen Großorganisationen der Arbeiterschaft gestanden hatte und die nun von einem überfallartigen Drang nach Aktion bewegt war. Gleichwohl versuchten die Jungsozialisten, das Erbe ihrer Vergangenheit als besonders günstige Tugend für den Aktivismus der Zukunft auszugeben. Man habe – so argumentierten kongenial Anna Siemsen, Dora Fabian und Trude Wiechert – in den letzten Jahren in den Juso-Gruppen die theoretischen Waffen schmieden können, die man zur aktiven Führung des anstehenden Kampfes in der Republik benötige. Gleichsam über Nacht habe sich die Aufgabe der Massenorganisation gestellt: „Nicht theoretische Klarheit (die ist vorhanden), sondern praktischer Einsatz!“332 Die mit außerordentlicher Intensität geschriebenen Artikel der linkssozialistischen Theoretikerinnen dokumentierten die ganzen Zweifel, das Bangen und die Suche nach Hoffnung, die insgesamt kennzeichnend für diese Gruppe Anfang der 1930er Jahre waren: „Wir brauchen heute gegen die Wut der uns feindlich wirkenden Ordnung, gegen die Atmosphäre der Reaktion, die schon wieder täglich drückender auf Deutschland lastet, gegen den Hass der Gegner, die Gleichgültigkeit der Enttäuschten, die Trägheit der Indifferenten, gegen all diese Kräfte, die in der Partei selber am Werk sind, eine Energie, die unablässig wirkt, die uns selber aus der Müdigkeit, die anderen aus der Entmutigung auftreibend, und aus den Widerständen selber neues Antreiben und frische Kraft sich holend […] Weil wir kämpfen müssen, wollen wir tapfer sein.“333

Und so gründete man, trotz des ausdrücklichen Verbots des Parteivorstandes, in Städten wie Breslau, Berlin, Dresden, Leipzig, Köln, Görlitz und Frankfurt während der ersten Wochen nach den fatalen Septemberwahlen Jungordnerformatio-

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nen. Angefacht worden war das durch die für viele junge Sozialisten deprimierenden Erfahrungen des Wahlkampfes, in dem die Jugendgruppen der Nazis und Kommunisten voll strotzenden Selbstbewusstseins ihre eigenen militärisch untermalten Aufmärsche, aber auch gewalttätige Provokationen durchführen konnten, auf die die ungeschützten Juso- und auch SAJ-Gruppen nur mit ohnmächtiger Wut zu schauen vermochten. Es hing nun von dem Selbstverständnis der Juso-Gruppen und der Integrationsleistung der örtlichen Parteispitze ab, ob die Jungordnergruppen als Ergänzung und Verstärkung zu den Reichsbannerformationen bestellt wurden, wie es in der linkssozialdemokratischen Leipziger Parteiorganisation der Fall war, oder ob ihnen die Jungsozialisten die Rolle eines Stoßtrupps der revolutionären Avantgarde für die künftige Entscheidungsschlacht beimaßen. Wahrscheinlich bildete die Selbstzuschreibung als „radikale Jugend“ den Attraktivitätskern all dieser Bestrebungen. „Der Radikalismus war ein wichtiger Bestandteil der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit und der Selbstwahrnehmung der Jugendlichen. Die Werbekraft, die das Image der „outlaws“ insbesondere für Jugendliche hatte, war enorm: „Vor allem männliche Jugendliche sahen sich in der Rolle des Barrikadenkämpfers, des Revolutionärs und des Helden und nicht etwa in der des kleinen Parteiarbeiters.“334 Aber natürlich waren diese kleinen Formen von proletarischer Wehrhaftigkeit für einen wirklichen Bürgerkrieg oder für eine irgendwie ernsthafte Auseinandersetzung überhaupt nicht geeignet. Die meisten dieser eigenen sozialistischen Wehrformationen umfassten nicht mehr als einige Dutzend Männer. Selbst in einer Stadt wie Beslau, in der der sozialdemokratische Ortsverein sich bereits in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre vom Reichsbanner losgesagt hatte, der einen eigenen Sozialistischen Kampfbund geschaffen hatte, der ganz bewusst auch auf das gewalttätige Ringen am Tage X strategisch setzte, selbst in einer solchen Stadt hatte dieser sozialistische Kampfbund nicht einmal einhundert Mitglieder. Waffen gab es dort kaum, nur einige wenige Pistolen. Wäre es in dieser Stadt mit immerhin sechshunderttausend Einwohnern wirklich zu einem Bürgerkrieg gekommen – und solche Städte wären in einem Bürgerkrieg in Deutschland sicherlich wichtige Zentren gewesen –, hätte diese Truppe mit ihren wenigen Leuten, schlecht ausgerüstet, schlecht trainiert, sicherlich nicht einmal einen halben Tag lang den Kampfverbänden des Nationalsozialismus, den Bataillonen des Militärs und den Einheiten der Polizei Widerstand leisten, erst recht nicht sie besiegen können. Nicht anders war es in den meisten anderen Großstädten, in denen Jugendliche mit Unterstützung der Parteilinken solche Formationen aufbauten. Überall waren es kaum mehr als fünfzig bis einhundert Leute, die sich daran beteiligten. In den meisten Städten verfügten diese Formationen nicht einmal über Pistolen oder Kleinkalibergewehre. Ernsthafte Vorbereitungen oder konspirative Organisations-

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überlegungen für eine solche Armee oder gar illegale Waffenlager existierten nicht, was eine sozialdemokratische Partei mit ihren historisch gewachsenen Strukturen und Ansprüchen, in denen Armeen für den Volks- oder Bürgerkrieg nicht vorgesehen waren, auch schwerlich leisten konnte. Eine Partei wie die Sozialdemokratie hatte andere Ziele, einen anderen, eben demokratischen und transparenten Organisationsaufbau als eine notwendigerweise beinahe halbillegale, revolutionäre, verdeckt operierende Partei zur Führung eines Volkskrieges. Als am 18. Oktober 1930 die Reichstagsfraktion der Sozialdemokratie mit Ausnahme des Abgeordneten der linkssozialistischen Breslauer Partei, Hans Ziegler335, geschlossen die Notverordnungen der Brüning-Regierung tolerierte, ging ein weiterer Aufschrei der Empörung durch die oppositionellen Reihen der sozialistischen Jugend, die kein Verständnis für die Haltung gerade der parlamentarischen Repräsentanten des linken Parteiflügels aufbrachten.336 Die radikalisierten Jugendlichen in der SPD drängten fortan die Minderheit in der Linksopposition der Reichstagsfraktion um Max Seydewitz – die sich, wie sie zur Selbstverteidigung vorbrachte, allein wegen der „Geschlossenheit und Aktionsfähigkeit des linken Flügels“337 der Mehrheitsmeinung gefügt hätte – der Kraftprobe mit dem Parteivorstand in Zukunft nicht mehr auszuweichen. Die zentralen Instanzen der Sozialdemokratie und der Sozialistischen Arbeiterjugend, die sich des Sturms der Entrüstung über die offizielle Politik zu erwehren hatten, reagierten in den nächsten Monaten mit administrativer Härte und einer Sprache, die für Entstehung und Aktivität kritischer Bewegungen kaum mehr als die begriffliche Kategorie des „kommunistisch lancierten Spitzelwesens“ zur Verfügung hatte. In den Herbst- und Wintermonaten 1930/31 löste die SAJ-Führung, wie oben bereits vorweggenommen, ganze Ortsgruppen auf338 und schloss zusammen mit dem Parteivorstand der SPD einige führende Funktionäre der SAJLinksopposition aus der Organisation aus.339

J UNGSOZIALISMUS ZWISCHEN L IQUIDIERUNG UND S ELBSTLIQUIDIERUNG Jahrelang hatte man den Jungsozialisten die ausschließliche Fixierung auf die „Theorie“ vorgeworfen, ohne aber die linkssozialistische Schulung der Jusos zum Anlass umfangreicher administrativer Maßnahmen zu nehmen. Dann aber, als die Jusos den reflektierenden Zirkel verließen und zur Praxis drängten, machte man deren Rekrutierungsdefizite für ihre organisatorische Liquidierung verantwortlich. Als im November 1930 der Bezirksvorstand der Berliner SPD die Jungsozialisten des Bezirks auflöste und im Januar 1931 die Dresdener Jusos nach einer Reihe ultimativer Forderungen der ostsächsischen Parteiführung an

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die Jugendorganisation den Weg der Selbstauflösung gingen, war das Schicksal des Jungsozialismus schon weitgehend besiegelt.340 Von Beginn an hatten die Berliner Jungsozialisten einen denkbar schlechten Ruf in der Parteiorganisation, der insofern nicht zu Unrecht bestand, als in ihren Reihen stets Gruppen zu finden waren, die sich mit besonders extravaganten Begründungen, sei es nationalistischer oder auch syndikalistischer Observanz, stets als berufene Führer der Arbeiterbewegung elitistisch aufführten. Nachdem die Berliner Jusos 1928/Anfang 1929 auch organisatorisch in eine heftige Krise geraten waren341, konnten sie sich in der Folgezeit als Bildungsorganisation stabilisieren, die, wie viele andere Gruppen im Reich, seit etwa 1930 nach Formen und Feldern aktiver Betätigung suchten. So entstanden auch in Berlin nach dem Schock der Septemberwahlen verschiedene Einheiten von Jungordnerformationen, an denen die Jusos beteiligt waren. Über deren Stellenwert wollten sie sich am 9. Oktober auf einer von ihnen inspirierten, aber öffentlich angekündigten und von vielen SAJlern besuchten Veranstaltung Klarheit verschaffen. Trotz der Warnung des führenden Berliner Jungsozialisten Hans Seigewasser, der erst Rücksprache mit den Parteiinstanzen zu halten beabsichtigte, beschloss die Mehrheit der Versammlung unmittelbar die institutionelle Bildung eines Berliner Jungordnerdienstes.342 Dieser jugendlich spontaneistische Akt, der auch auf die Skrupel etwas älterer jungsozialistischer Funktionäre keine Rücksicht nahm, verstand sich, wie die einige Tage später ausgearbeiteten Richtlinien zeigen sollten, gleichwohl in einem sehr emphatischen Sinne als Stärkung der Kampfkraft der Sozialdemokratischen Partei. Die Aussagen in den programmatischen Formulierungen ließen an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig: „[…] 2. Dieser Ordnerdienst soll eine proletarische Schutzwehr, ein Bollwerk sein, auf das sich die Partei in jeder Stunde verlassen kann […] 4. Aktive Mitarbeit in der Partei ist selbstverständliche Pflicht. 5. Die Jugend des Ordnerdienstes hat die dringendste Aufgabe, in ganz anderem Umfang als bisher an die proletarische Jugend heranzukommen, um sie für die Partei zu erfassen.“343

Die Initiative der Jugendlichen veranlasste den Bezirksvorstand der Berliner SPD am 17. Oktober 1930 zu einer grundsätzlichen Diskussion des Problems und zu einem Beschluss, der insofern relativ liberal war, als er zwar die Fortführung des autonomen Jungordnerdienstes untersagte, aber gleichzeitig die Bereitschaft der Partei erklärte, die Aufstellung solcher Ordnerschaften im Einvernehmen mit den Abteilungsleitern der Partei zu fördern.344 Das leitende Gremium der Berliner Jusos akzeptierte daher den Beschluss und forderte seine Mitglieder auf, ab sofort nur noch an den von der Partei gebilligten Formationen mitzu-

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arbeiten.345 Am 21. November kam es jedoch während einer internationalen Kundgebung der Sozialdemokratie in der großen Autohalle am Kaiserdamm, an der neben englischen und italienischen Sozialisten auch Otto Wels und Friedrich Adler als Sprecher teilnahmen, zu einem Vorfall, der erheblichen öffentlichen Wirbel verursachte und sowohl die Berliner Partei als auch die Jungsozialisten in arge Schwierigkeiten brachte. Für den Saalschutz waren Formationen des Reichsbanners eingeteilt. Als plötzlich eine Gruppe von etwa siebzig Angehörigen eines sogenannten „Jungproletarischen Ordnungsdienstes“, die zumeist eine SAJ-Plakette trugen, in den Saal einmarschierte und durch Pöbeleien eine Schlägerei mit den Reichsbanner-Leuten provozierte346, war der Eklat da und die Suche nach den Verantwortlichen hatte begonnen. Die Berliner Parteiorganisation und vor allem ihr Parteivorsitzender Franz Künstler sahen sich von den Anwürfen der Presse und auch den Attacken einiger Vertreter des rechten SPD-Flügels bedrängt, die schon in der Vergangenheit einige Scharmützel mit den als links geltenden Berliner Bezirksvorstand ausgetragen hatten. Künstler warf man vor, mit dem Beschluss vom 17. November Zwietracht zwischen Partei und Reichsbanner gesät und mit den ständigen „Nörgeleien“ an der Praxis der Reichs-SPD den „kommunistischen Spaltbazillus in den Reihen der Arbeiterjugend“ gefördert zu haben.347 Diese Anwürfe, denen Künstler und der Berliner Bezirksvorstand mit einer bemerkenswert defensiv verfassten Gegendarstellung begegneten348, dürfte erheblich dazu beigetragen haben, dass der Bezirksvorstand schon drei Tage nach den Vorfällen trotz mehrfacher Distanzierung der Jusos von den Aktivitäten des sogenannten Jungproletarischen Ordnerdienstes und trotz der ungeklärten personellen Zusammensetzung der Ordnertruppe ein drakonisches Exempel statuierte und die jungsozialistische Vereinigung Großberlins als geistigen Urheber des Gedankens jungproletarischer Wehrhaftigkeit ohne sorgfältiges Verfahren auflöste.349 Die Berliner Vorgänge dokumentieren das Ausmaß des innerparteilichen Drucks, dem sich die Opposition ausgesetzt sah, aber auch die zunehmende Bereitschaft eines Teils des linken Flügels der Partei, in der Situation bedenklicher politischer Gefahren für die Republik und die Arbeiterbewegung, näher an das Zentrum der Partei heranzurücken. Gleichzeitig wurde deutlich, wie wenig vertäut die Jusos in der Berliner Partei waren, deren Positionen sich immerhin in den zentralen Streitfragen der letzten Jahre (Panzerkreuzer, Wehrdebatte) kaum von denen der Jusos unterschieden hatten. Dennoch standen die Jusos in der Konfliktsituation im Herbst 1930 ohne Bündnispartner in der Partei. Der Reichsvorsitzende Franz Lepinski wusste, dass die Auflösung eines ganzen, noch dazu so wichtigen Bezirksverbandes auch Auswirkungen auf die Existenz und letztlich das Überleben des Gesamtverbandes der Jungsozialisten haben musste. Als der Parteiausschuss am 2. Dezember 1930 nach einem Referat von

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Otto Wels und einer längeren Diskussion eine Entschließung über die Jungsozialisten verabschiedete, schöpfte Lepinski, der schon mit einem „Jung-Sozialistengesetz“350 gerechnet hatte, noch einmal Hoffnung. Tatsächlich fiel das Gutachten des Parteiausschusses für den Parteivorstand überraschend konziliant aus. Zwar billigte das Gremium die Auflösung der Berliner Ortsgruppe der jungsozialistischen Vereinigung, aber anstelle der befürchteten Liquidierung der Gesamtorganisation schlug der Parteiausschuss die „Reorganisation“ der Bewegung vor, um so – wie es hieß – die Möglichkeit zu schaffen, „die Werbungs- und Schulungsarbeit der jüngeren Parteigenosse auf breiterer Grundlage durchzuführen und eine engere Verbindung zwischen dieser Arbeit und der allgemeinen Tätigkeit der Partei herzustellen. Dadurch soll der berechtigte Aktivitätsdrang der Jugend in einer der Gesamtbewegung nützlichen Weise ausgeweitet und die „innere Geschlossenheit und Schlagkraft der Partei gesteigert werden“.351 Da nun die Jungsozialisten nach den Septemberwahlen ihren mangelnden Massenbezug sowie ihre zu einseitige Theoriefixierung selbst als ein Defizit interpretiert hatten und kein Zweifel darüber bestand, dass der Reorganisationsvorschlag des Parteivorstandes die letzte Chance für die Weimarer Jungsozialisten bedeutete, beschloss die Mehrheit der Juso-Reichsleitung, sich auf den Boden des Parteiausschussbeschlusses zu stellen und dem Parteivorstand selbst Konzepte zu einer stärkeren Einbindung der Jusos in die Praxis und das Organisationsleben der Partei zu unterbreiten.352 Der Erfolg dieses Kalküls der Juso-Reichsleitung war ab Januar 1931 schon dadurch erheblich gefährdet, dass am 19. Januar die Dresdener Gruppe, immerhin die zweitgrößte Juso-Organisation im Reich, nun ihre Selbstauflösung beschloss.353 Die äußeren Konstellationen waren insofern mit den Berliner Verhältnissen zu vergleichen, als auch hier eine gemäßigt links orientierte Parteiorganisation in Konflikt mit den jungen, sich radikalisierenden Linkssozialisten geriet. Der Bezirksvorstand der SPD-Ostsachsen unterbreitete den Jungsozialisten gleich eine ganze Palette ultimativer Forderungen. Instinktsicher hatte er mit der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Dresdener Jusos das für ihn gefährlichste Organ fraktioneller Zusammenfassung der entschieden linksoppositionellen Kräfte ausgemacht und verbot daher weitere Zusammenkünfte der sozialistischen Jugendlichen in diesem Gremium. Auch die Gruppen der Jungsozialisten selbst sollten nun nicht mehr wöchentlich, sondern nur noch einmal im Monat tagen dürfen; bei der Auswahl der Referenten wäre nun stets die Zustimmung der Parteiführung einzuholen gewesen, welche nicht verhehlte, dass Helmut Wagner und Walter Fabian für solche Funktionen nicht mehr in Betracht kämen.354 Diese für ganz Ostsachsen gültigen Bestimmungen schürten noch stärker die radikalen Stimmungen der Parteijugend, die jetzt – wie die Meißener und Freitaler Jungsozialisten – mit dem stolzen Gestus jungsozialistischen Selbstbe-

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wusstseins ihre Gruppen auflösten, „um zu verhindern, dass der Sinn und das Wesen der jungsozialistischen Bewegung verfälscht und ihr guter Name missbraucht wird“.355 Gegenüber dieser den klassisch elitären Dünkel hervorkehrenden Begründung waren die Motive des linkskommunistischen Kerns der Dresdener Jusos kühl durchdacht in die langfristige Strategie der „Roten-Kämpfer“Gruppe eingebettet. Helmut Wagner, der als erster die Losung der Selbstauflösung propagierte356, erwartete schließlich die durch die Krise des Kapitalismus beschleunigte Entwicklung des revolutionären Klassenbewusstseins der Arbeiterschaft, die im schlimmsten Fall durch den „reformistischen Apparat“ gehemmt, aber nicht mehr entscheidend aufgehalten werden könne. Eine Jungsozialistenorganisation, die zum verlängerten Arm des „Apparats“ umgewandelt werden sollte und somit als Bremse im Prozess der Klassenentwicklung fungierte, hatte nach Auffassung Wagners und der „Roten Kämpfer“ keine historische Bedeutung mehr für die Praxis der Revolutionäre und musste ihre Existenz beenden. Es galt stattdessen, als illegale Zellen direkt in der Partei an der Unterminierung der Hegemonie des „reformistischen Apparats“ zu arbeiten, um sukzessiv die organisatorischen Grundstrukturen einer neuen Partei der „revolutionären Vorhut“ zu kreieren.357 Die linkskommunistischen Kader, die schon in Berlin führende Funktionäre der aufgelösten Jusos wie Hans Seigewasser eine Zeitlang in die konspirative Arbeit der Sozialwissenschaftlichen Vereinigung hatten integrieren können358, waren vorübergehend fähig, die Entrüstung der oppositionellen Jugendlichen für die Durchsetzung ihrer Konzeption zu nutzen. Doch die Überschätzung der unterstellten revolutionären Dynamik verleitete einen durchaus klugen Theoretiker wie Helmut Wagner zu einem maßlos arrogant und dogmatisch geführten Feldzug gegen linkssozialdemokratische Theoretiker und ihre politischen Absichten, die er samt und sonders und voller Verachtung als „reformistischen Sumpf“ abkanzelte.359 Das stieß auf die Ablehnung vieler Jusos.360 Auch in Dresden nahmen in den nächsten Monaten bis zum Herbst 1931 die kontroversen Diskussionen zwischen dem linkskommunistischen Flügel der Jusos um die Gebrüder Wagner, Josef Triebe und Franz Blazejcak auf der einen Seite und dem linkssozialistischen Lager um Walter Fabian, Kurt Liebermann und Arno Wend auf der anderen Seite ständig zu. Letztere verweigerten sich den Linkskommunisten. Man ging schließlich auseinander – in drei Richtungen.361 So weit aber war die Diskussion in den Winter- und Frühjahrsmonaten 1931 noch nicht gediehen. Das alles beherrschende Thema der Debatten in den JusoGliederungen war die sogenannte „Reorganisation der jungsozialistischen Bewegung“. Diese teilte die linkssozialistische Jugendorganisation, die von 1926 bis 1930 kaum eine kontroverse Diskussion kannte, in zwei sich schroff gegenüberstehende, wenn auch in sich heterogene Lager. Ein weithin sichtbares Zei-

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chen für den neuen Bruch im Jungsozialismus der Weimarer Republik setzte der Verlauf der Reichsausschusssitzung am 15. Februar in Berlin, als Franz Lepinski in einem Referat den von der Reichsleitungsmehrheit konzipierten Entwurf der neuen Richtlinien zur Organisation und Arbeit der Jungsozialisten vorstellte und begründete, während Fritz Lewy als erster Debattenredner mit verlängerter Redezeit die Gelegenheit eingeräumt bekam, die Motive seiner und anderer Ablehnung der Reorganisation deutlich zu machen. Das Konzept der Reichsleitungsmehrheit sah vor, dass neuerdings alle Ortsvereine verpflichtet werden sollten, Jungsozialistengruppen zu bilden, in denen jeder Sozialdemokrat, soweit er das 25. Lebensjahr nicht überschritten hatte, Mitglied werden musste. Die Leitung der örtlichen Gruppe sollte sich aus je einem Vertreter der Partei, der SAJ und der bisherigen Jusos zusammensetzen, um sie auf diese Weise zu einem integralen Bestandteil des Ortsvereins zu machen. Auf der Bezirksebene würde bei Realisierung des Konzepts Lepinskis ein Bezirksausschuss errichtet, der sich aus je zwei Vertretern der Jusos und je zwei Repräsentanten der Bezirksvorstände der SPD und der SAJ zusammensetzen sollte. Auf der zentralen Ebene war ein Beirat der Jusos beim Parteivorstand vorgesehen, der in seiner Struktur der bisherigen Juso-Reichsleitung ähnelte. Die den Jungsozialisten zugedachte Aufgabe war die Werbung, Schulung und Aktivierung der Jugend.362 Fritz Lewy artikulierte nun in seiner Gegenrede, dass eine Annahme dieses Entwurfs den Verlust ihrer Autonomie und die Degradierung der Jusos zu Parteimitgliedern zweiter Klassen bedeuten würde. Er plädierte demgegenüber für eine weitgehende Beibehaltung der alten Satzung, die nur in einer veränderten Präambel den neuen Ideen der „Wehrhaftigkeit“ und des den SA-Abteilungen ähnlichen „Stoßtrupps“ Rechnung tragen sollte.363 Nachdem die Aussprache hauptsächlich von Befürwortern der Reorganisation bestritten wurde, nahm der Reichsausschuss mit 14 gegen 7 Stimmen bei zwei Enthaltungen den Entwurf Lepinskis an.364 Die endgültige Entscheidung über die Akzeptanz der Reorganisationsvorschläge aber hatte die zu Ostern 1931 in Leipzig tagende Reichskonferenz der Jusos zu fällen. Wie aber sahen nun die Argumentationen und politischen Zukunftsvorstellungen der verschiedenen Gruppen im weitgespannten Lager des Jungsozialismus zu Beginn des Jahres 1931 aus? Dem entschiedenen Befürworter einer Reorganisation, Franz Lepinski, ging es zuallererst um die Aufrechterhaltung der Existenz der Juso-Organisation, die, wie er wusste, bei einer unnachgiebigen Haltung gegenüber den Vorstellungen des Parteivorstandes nicht mehr zu retten gewesen wäre.365 Lepinski war aber nicht genötigt, ausschließlich solche taktischen Gesichtspunkte ins Feld zu führen, sondern er konnte zudem auf die Lernprozesse der Jusos nach den Septemberwahlen 1930 verweisen, als eine große Anzahl von ihnen die Forderung nach stärkerer Aktivierung und Verbindung mit

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der Masse der in der Sozialdemokratie organisierten Arbeiterschaft selbst aufgestellt hatte. Die Ausdehnung des organisatorischen Rahmens war also nach Auffassung Lepinskis aktuell „das erste Gebot“ für die Jungsozialisten, und die Bestimmungen der Reorganisationsvorschläge – die allein dem Erkenntnisfortschritt der Jungsozialisten, nicht aber dem unterstellten Druck des Parteivorstandes zu verdanken seien – wären ein Schritt in diese Richtung. Früher hätte die Bildungsarbeit im Mittelpunkt des Aufgabenkreises der Jusos gestanden. „Die Gegenwart macht diese Forderung keineswegs entbehrlich. Aber sie wird überschattet von dem Gebot der Werbung der Jugend und von der Aufgabe, die gewonnene Jugend für die Partei zu aktivieren.“366 Wenn auch kein Zweifel darüber bestehen konnte, dass seit dem Herbst 1930 die Bereitschaft der Jusos zur aktiven Mitarbeit in der Partei sprunghaft gestiegen war, so stellte man sich die Aktivierung und Verbindung mit den Massenkämpfen doch keineswegs als eine bloß organisatorische Reform vor, die noch dazu in den meisten SPD-Bezirken Deutschlands die Hegemonie der SAJ- und SPD-Führung gefestigt hätte. Dass aber dennoch eine recht große Anzahl von Jungsozialisten die Reorganisationspläne ihres Vorsitzenden unterstützte, hatte mehrere Ursachen. Da waren zum einen die beträchtlichen Sorgen derjenigen, die in der Phase der nationalsozialistischen Bedrohung dem Abwehrwillen und der Einheit der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung Vorrang vor minoritären Sonderorganisationen gaben. In diese Richtung tendierten beispielsweise auch die Leipziger Jungsozialisten, die über das „Diktat“ ihrer Parteiorganisation, die Gründung des „Arbeitskreises junger Sozialdemokraten“, einer Zusammenfassung von SAJ, Jusos, Sozialistischen Studenten und Arbeitersportlern beschlossen hatte, nicht etwa empört waren, sondern die vorweggenommene Reorganisation gar freudig begrüßten. In diesem Fall konnte von einer politischen Disziplinierung auch kaum die Rede sein, da in dem seit dem 23. Januar 1931 bestehenden Kartell der sozialistischen Jugendverbände Einigkeit über den linkssozialdemokratischen Standort herrschte.367 Hinzu kamen noch die Beweggründe von Jungsozialisten wie Dora Fabian, die es für kleinmütig und traurig hielten, „dass die marxistische Richtung in der Partei nur in kleinen Gruppen ihr Dasein finden, nicht aber als Wegweiser in die breiten Massen vorstoßen“ könne.368 Die Mehrheit der Jungsozialisten aber war schon seit Monaten von einem heftigen Unwillen gegenüber der Politik der Partei erfüllt. Die Disziplinierungsmaßnahmen der letzten Zeit hatten ein Übriges getan, um sie vollends misstrauisch gegen die sogenannte „Reorganisation“ zu machen. Der Unmut und die teilweise spontan-empörte, teilweise aber auch strategisch-bewusste Ablehnung der politischen Konzeption der Reichsleitungsmehrheit drückten sich in den Wochen bis zur entscheidenden Reichskonferenz in Leipzig – abgesehen von der antiautoritären Verweigerung – besonders markant in zwei sehr unterschiedli-

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chen theoretischen Positionen aus, deren Gemeinsamkeiten sich bereits in der Ablehnung der Reorganisationsbestrebungen erschöpften. Diese NegativKoalition zwischen den Sympathisanten eines „elitär-introvertierten Kultursozialismus“, wie er intellektuell herausragend von Fritz Lewy vertreten wurde, und den Aktivisten der „linkskommunistischen Revolutionserwartung“, die ihren theoretischen Führer in Helmut Wagner besaß, hielt dementsprechend auch nur bis zur Reichskonferenz. Da Fritz Lewy nun schon seit Monaten werbend für die „demokratische Auslese von Berufsrevolutionären“ durch die jungsozialistischen Lande zog, musste ihm jeder Gedanke an eine Ausbreitung der Jusos zur Massenbewegung entsetzlich sein. Allein die Vorstellung, dass nun jedes Parteimitglied bis zum 25. Lebensjahr schon durch die „politische Geburt“ Mitglied der Jungsozialisten werden sollte, beunruhigte Lewy außerordentlich, da eine solche „zahlenmäßige Ausweitung“ der Organisation den Charakter der Jusos als lebensreformerisch prinzipienfesten Zirkel grundlegend verändern, damit aufweichen würde. Die Eigenart der Jungsozialisten als bewusst gelebte Alternative zu den „verspießerten“ Verkehrsformen der Masse hatte nach Auffassung Lewys und seiner Anhänger in jedem Fall gewahrt zu bleiben.369 Schon die Vergangenheit habe gezeigt, wie stark die Gefahr der Verspießerung selbst für die bewusst geschulten Jusos gewesen sei; die angestrebte Verbindung zu den Massen und der Praxis der Partei musste nach Lewy unweigerlich zur Anpassung an die Umwelt der Arbeiterfunktionäre und zur Übernahme eines „unjugendlichen“ Habitus führen.370 Eine derartige introvertierte Pflege barg allein die spirituelle Hoffnung auf künftige Berufung unbefleckt gebliebener Heiliger der Revolution. Auch der extrovertierte Aktivismus des jungsozialistischen Linksradikalismus um Helmut Wagner hatte für eine solche Attitüde im Prinzip nur Hohn und Spott übrig. Alle, die sich mit den Mitteln der Lebensreform und proletarischen Feierstunden in ausgesonderten Zirkeln an der Schaffung des „neuen Menschen“ beteiligten und den Reformismus zu überwinden versuchten, setzten sich dem ätzenden Verdikt Wagners aus: „Wer durch erzieherische Maßnahmen das Proletariat für seinen Kampf ‚reif‘ machen will, ohne die Grundlagen der reformistischen Organisationspraxis anzutasten, der steht selbst in der Front des Reformismus.“371 Wagners theoretische Erklärung für seine Gegnerschaft zu den Reorganisationsbestrebungen der Reichsleitung unterschied sich daher gründlich von den Überlegungen Lewys. Im Gegensatz zur Mehrheitslinie in der Juso-Reichsleitung, welche die stärkere Einbindung der Jusos in die Parteiarbeit mit der Defensivlage der Arbeiterklasse im Kampf gegen den Faschismus begründete, unterstellte Wagner nun erneut, nachdem ihn noch Anfang 1930 einige Zweifel geplagt hatten, den baldigen „Durchbruch des revolutionären Klassenbewusstseins“ im Pro-

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letariat, deren latente Energien mit plötzlicher Wucht im Kampf gegen das Monopolkapital freigelegt würden.372 Wagner begründete seinen Optimismus mit dem Fortgang der Rationalisierung in der Industrie, wodurch die frühere Privilegierung der Arbeiteraristokratie systematisch abgebaut worden sei. Weil aber die Arbeiteraristokratie in der Vergangenheit das konstitutive soziale Fundament für den reformistischen Apparat gebildet hätte, musste nach Wagner die soziale Umschichtung auf die Dauer zu einer Vernichtung der Dominanz des Reformismus, den entscheidenden hemmenden Faktor für die Entwicklung eines Klassenbewusstseins, führen.373 Da nun der „reformistische Apparat “ diese objektiv nicht mehr zu bremsende Entwicklung trotzdem mit aller ihm zur Verfügung stehenden repressiven Macht anzuhalten versuche, gehe er „zum rücksichtslosen Angriff gegen alle ernsteren oppositionellen Bewegungen vor“.374 Dies aber sei der Kern der Reorganisationsabsichten: „Der Konflikt, der als organisatorische Angelegenheit ausgetragen werden soll, ist ein ausgesprochen politischer Konflikt, der sich aus dem Zusammenschluss zwischen dem reformistischen Apparat der proletarischen Bewegung und dem aufkeimenden revolutionären Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft ergibt.“375 Deshalb sollten sich die Jusos nach Auffassung Wagners aller Reorganisationsinitiativen enthalten und ihre marxistische Arbeit direkt und unmittelbar in den Kontext der Partei hineinverlegen, um in den kommenden Aktionen der Arbeiterschaft, welche durch Instinkt und geistig ideologische Führung zu Klassenbewusstsein gelangt sein würde, „im Kampf gegen den Reformismus“ vorzustoßen.376

D AS E NDE Die an inneren Auseinandersetzungen, Flügelkämpfen und anderen Verwirrungen wahrlich reiche Geschichte des Weimarer Jungsozialismus sollte auf der Reichskonferenz 1931 einen neuen, zwei Jahre vorher noch nicht für möglich gehaltenen Höhepunkt erreichen. War schon die schicksalsträchtige Reichskonferenz von Jena durch gegenseitige Härte gekennzeichnet, so übertrafen nun die persönlichen Kämpfe, die ein schweres menschliches Zerwürfnis zwischen den Kontrahenten offenbarten, alles bisher Bekannte. Obgleich mit Engelbert Graf, Alexander Stein und Otto Jenssen gleich drei der wichtigsten Jugendbildner der Sozialdemokratie in Leipzig anwesend waren und die Delegierten mit beschwörenden Appellen zu einer Politik des existenzsichernden Kompromisses im Sinne einer stärkeren Verbindung jungsozialistischer Arbeit mit der Praxis der sozialdemokratischen Massenorganisationen aufriefen, blieb ihre Intervention diesmal ohne Erfolg. In der zwölfstündigen Redeschlacht am Ostersonntag beharrte die Mehrheit der Delegierten trotzig auf dem traditionellen Recht der Jusos auf

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Autonomie und „jungsozialistische Eigenart“, um sich erst ganz zum Schluss einen konfusen, halbherzigen Rückzieher zu leisten. Die Tagung begann mit einem Referat von Alexander Stein zum Thema „Jugend und Partei“. Stein war sich vollständig über die Zustimmung auf der Konferenz im Klaren und versuchte daher die Anwesenden emphatisch davon zu überzeugen, dass man durch die Beschlüsse der Konferenz keinen Anlass geben dürfe, in der Parteiöffentlichkeit missverstanden zu werden. Es komme im Gegenteil darauf an, auf dem nächsten Parteitag der SPD, der über die Frage der Jugend endgültig zu entscheiden sollte, Freunde und Bündnispartner für die Jusos zu gewinnen. Stein erinnerte die Jusos daran, dass die Partei etwa 180.000 Mitglieder hatte, die bis zu dreißig Jahre alt waren und dass es schon allein deshalb vermessen wäre, wenn die Jungsozialisten mit ihren bescheidenen dreitausend Mitgliedern das Recht in Anspruch nehmen würden, die gesamte Jugend zu vertreten. Die veränderten politischen und sozialen Bedingungen der Republik stellten nun auch neue Anforderungen an die Parteijugend, die sich von der Maxime, der er selbst 1927 auf der Reichskonferenz in Dresden mit der Formel „Initiativgruppen“ geprägt habe, unterscheide. „Worauf es jetzt ankommt, ist, dass wir eine Massenbewegung der Jungen in der Partei und in der Arbeiterbewegung brauchen. Aufgabe ist es deshalb, die breiten Massen des Jungproletariats zu erfassen. Die Partei muss das Primat in der Arbeiterbewegung haben, weil alle Fragen dort entschieden werden.“377 Diesen Primat der „reformistischen Parteiführung“ aber wollten die von Karl Schröder bzw. Fritz Sternberg geschulten Jungsozialisten Karnoll (Duisburg), Triebe (Freital) und Schuler (Breslau), die als erste Redner die Debatte eröffneten, keineswegs mehr anerkennen. Ihre Beiträge illustrierten die Wut zahlreicher Jugendlicher über die Politik der vorangegangenen Jahre378, die auf der Reichskonferenz ein Ventil in der radikalen Ablehnung jeder Reorganisation fanden. Sie standen repräsentativ für das, was Klaus Tenfelde allgemein formuliert: „In den Radikalisierungsprozess geriet insbesondere die um 1900 geborene Sozialisationskohorte gleich welcher Schichtzugehörigkeit.“379 Helmut Wagner war dann der Repräsentant des linken Flügels der Jungsozialisten, der auf der Reichskonferenz eine systematische und in sich geschlossene Kritik an den Vorstellungen Steins und der Reichsleitungsmehrheit präsentierte. In seiner ausführlichen Rede, die fast den Rang eines Gegenreferats zu dem Vortrag Alexander Steins einnahm, entwickelte er die nunmehr bekannten analytischen Elemente und Prinzipien des linkskommunistischen Paradigmas der frühen dreißiger Jahre. Ausgehend von dem linkskommunistischen Axiom, dass die Massen auf Klassenkämpfe eingestellt und zur revolutionären Vorwärtsverteidigung bereit wären, versuchte Wagner erneut, in Gestalt des reformistischen Apparates das Haupthindernis für die revolutionäre Energie der Arbeiterklasse dingfest zu ma-

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chen. Da vor allem, so Wagner, die proletarische Jugend den Angriff auf das kapitalistische System verlange, sei die repressive Stoßrichtung des Parteiapparats zunächst im Wesentlichen auf sie gerichtet: „Die Partei versucht deshalb eine Verlängerung der reformistischen Politik in den Jugendorganisationen […]. Die gegenwärtig bestehenden Konflikte können nicht dadurch überwunden werden, dass Kompromisse geschlossen werden. Die Konflikte müssen ausgetragen werden.“380 Erst nach dem Auftritt Wagners fühlten sich die Vertreter des marxistischen Zentrums auf den Plan gerufen. Leo Friedmann – der sich allerdings in der Rückschau nach einem halben Jahrhundert erbost darüber äußerte, dass Alexander Stein die Jungsozialisten „entpolitisieren und infantilisieren wollte“381 – warnte vor einem „verengten jungsozialistischen Standpunkt“, während es Otto Jenssen in deutlicher Abhebung von Wagner sogar für notwendig hielt, die aktivierten Massen noch enger mit dem Apparat zu verbinden und die Jugend in den Gesamtrahmen der Partei zu stellen.382 Die Ausführungen des ostsächsischen Theoretikers der „Roten-Kämpfer“-Fraktion der Jungsozialisten standen auch im Mittelpunkt des Schlusswortes von Alexander Stein, der die Delegierten vor einer verächtlichen Denunziation des Funktionärsapparats in der Arbeiterbewegung warnte. Stein, der schon am 19. Januar 1931 als Referent auf der Generalversammlung die Auflösung der dortigen Dresdener Juso-Gruppe nicht hatte verhindern können, versuchte nun vor dem Forum der Reichskonferenz seinen damaligen Hauptkontrahenten anklagend zur Rede zu stellen: „Wagner ist Individualist geworden. Wenn er der Ansicht ist, dass die Massen im prinzipiellen Gegensatz zur reformistischen Politik der Partei stehen und seine Anschauung teilen, dann ist die von Wagner geforderte Selbstauflösung der Jungsozialisten in Dresden einfach unverantwortlich. Wo ist der Mut für die Durchsetzung der Linie geblieben? Warum hat Wagner Angst, wenn die Massen schon marschieren? Warum ebenso Angst vor der Reorganisation?“383

Als anschließend der Tagesordnungspunkt „Die Reorganisation der jungsozialistischen Bewegung“ behandelt wurde, waren die zentralen Argumente, die für oder gegen eine Reform der Bewegung sprachen, im Wesentlichen schon in der vorangegangenen Debatte genannt worden. Der Referent Franz Lepinski unterstrich noch einmal seinen Standpunkt, dass die Reorganisationsbestrebungen nicht auf Druck des Parteivorstandes, sondern in Folge eigener Einsicht entstanden seien, weil das Gesamtergebnis der quantitativ zu schwach gebliebenen Bewegung nicht zufriedenstellend gewesen sei. Der Reichsvorsitzende bekräftigte zudem die Position der Reichsleitungsmehrheit, dass es nun dringend nötig sei, eine engere Verknüpfung mit der Parteiarbeit herzustellen, „damit die Jugend ein

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aktiv wirkender Teil in der Partei wird“.384 Anträge wie die aus Breslau und Brandenburg, die sich für eine jungsozialistisch inspirierte Wehrhaftigkeit aussprachen, wurden von Lepinski dagegen mit dem Hinweis abgelehnt, dass schon allein die Kräfte der kleinen Juso-Bewegung nicht zu einer Realisierung solcher Konzepte ausreichen dürften. Da sich zu Beginn der Verhandlungen die Mehrheit der Delegierten für ein Korreferat zum Vortrag Lepinski ausgesprochen hatte, bekam nun der dafür auserkorene Fritz Lewy als Sprecher der „Opposition“ die Gelegenheit zur Begründung einer Alternativresolution zur Reorganisationsentschließung der Reichsleitung. In der Rede Fritz Lewys war allerdings nichts mehr von dem revolutionären Elan und der optimistischen Kampferwartung Helmut Wagners und seiner „Roten Kämpfer“ zu spüren; sein Beitrag war Ausdruck vollständiger Resignation, die offensichtlich nun doch einen Teil der Jusos ergriffen hatte, für welche die Arbeit in der SPD keine Perspektive mehr bot. Im Gegensatz zu Lepinski interpretierte Lewy die Reorganisation als Resultat der Intervention durch den Parteivorstand und lehnte sie infolgedessen ab. Einen positiven Entwurf für die marxistische Praxis in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung vermochte Lewy nicht zu entfalten, da nach seiner Auffassung die frühere Hoffnung, „dass die Partei einmal jungsozialistisch“385 werden könne, nicht mehr bestehe. Ohne dass der strategische Sinn des Ganzen überhaupt noch erkennbar blieb, erklärte Lewy aktuell und für alle künftige Zeiten die alte Form der jungsozialistischen Bildungs- und Schulungsarbeit, die sich keinesfalls auf größere Massen erstrecken könne, für ausreichend und bewahrenswert. Mit der Reorganisation der Bewegung dagegen würde „die Idee und Organisation der Jungsozialisten erstickt“.386 Obwohl der linkskommunistische Teil der Jusos in seinen theoretischen Deklamationen stets die engste Verbundenheit mit dem Denken und Fühlen der Massen, die demnach „handelnd erfassen, worauf es ankommt“387, hervorhoben und die „Aussonderung bestimmter Zirkel aus der Arbeiterschaft“388 heftig kritisierten, hatten sie auf der Reichskonferenz dennoch wenig Skrupel, mit den elitären „Verächtern der Masse“ und Anhängern des zirkulären Kultursozialismus eine taktische Allianz einzugehen, um ihre Alternativresolution durchzusetzen. Mit 37 gegen 22 Stimmen nahm die Konferenz die Entschließung Lewys an: „Die Aufrechterhaltung der Jungsozialisten hat nur einen Zweck unter der Voraussetzung, dass diese Organisation nicht zu einem Hemmnis der politischen Arbeit der jungen Generation wird, dass also Bewegungsfreiheit auf dem Boden des Parteiprogramms in vollem Umfang gewahrt bleibt. Die Reichskonferenz lehnt eine Reorganisation der jungsozialistischen Bewegung ab, die die Aufhebung der geistigen Selbstbestimmung zur Folge hat und deshalb als ein Ausnahmegesetz zur Unterdrückung der politischen Willensbildung der jungen Generation in der Partei betrachtet werden muss.“389

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Offensichtlich aber hatten einige Anhänger des linken Flügels der Jungsozialisten selbst nicht mit der Annahme der oppositionellen Resolution gerechnet. Um das Chaos perfekt zu machen, entschloss sich eine Mehrheit der Jusos in der Osternacht, den Zusatzantrag der Düsseldorfer Juso-Gruppe anzunehmen, der im Kern die vorher abgelehnte Reorganisation zum Inhalt hatte.390 Dennoch ließ die Wahl zur neuen Reichsleitung keinen Zweifel am radikalen Kurswechsel jungsozialistischer Politik aufkommen. Mit Kurt Suchan, Reinhold Schuler, Hans Seigewasser, Willi Kressmann und Erich Breitbach waren nun ausschließlich Anhänger des Linkskommunismus bzw. des radikalen Linkssozialismus in der Reichsleitung vertreten.391 Die chaotischen Vorgänge auf der Reichskonferenz in Leipzig und der Sieg des radikal-linken Flügels der Jungsozialisten hatten die Aussichten auf den Fortbestand der Organisation drastisch reduziert. Die ehemaligen Mitglieder der Reichsleitung, Franz Lepinski und Dora Fabian, bekamen vom Redakteur der Jungsozialistischen Blätter, Engelbert Graf, noch einmal die Gelegenheit, ihre Kritik am Vorgehen der Juso-“Opposition“ zu artikulieren. Der frühere Reichsvorsitzende spitzte seine Enttäuschung dahingehend zu, die „wirklichkeitsfremde Grundstimmung“ der Konferenz-Opposition mit der Romantik des einstigen Hofgeismarkreises gleichzusetzen.392 Noch sichtlich vom Verlauf der Leipziger Tagung betroffen, äußerte sich auch Dora Fabian empört über die „demagogische Posse“ der Opposition, die nichts Gutes für die Zukunft der Jungsozialisten erwarten lasse: „Ohne die Leipziger Vorgänge hätten wir dem Parteitag ohne allzu große Besorgnis entgegensehen können. Jetzt wird es Aufgabe unserer neuen Reichsleitung sein, das Porzellan, das zu Ostern zerschlagen wurde, bis Pfingsten [dem Zeitpunkt des Parteitages, d.V.] wieder zu kitten; möglichst so, dass man die Risse und Sprünge nicht sieht.“393 Die Partei aber hatte über die Jungsozialisten faktisch schon den Stab gebrochen. Seitdem im März 1931 neun linke Reichstagsabgeordnete, unter ihnen Engelbert Graf, zum ersten Mal die „geheiligte Fraktionsdisziplin“ gebrochen hatten, indem sie statt der bis an den Rand der „Selbstverleugnung“394 reichenden Tolerierung im Parlament gegen den Bau eines neuen Panzerschiffes votierten, war in der Partei, die seit der Spaltung im Ersten Weltkrieg besonders empfindsam auf sogenannte „Disziplinbrüche“ reagierte, eine nahezu hysterische Ächtung von „Sonderorganisationen“ in Gang gesetzt worden. Das Zentralorgan der SPD, der Vorwärts, machte am 15. Mai 1931 deutlich, dass auch die „zu einer Sekte erstarrten“ Jungsozialisten zu einer solchen nicht-legitimierten fraktionellen Vereinigung zu zählen seien, die „unjugendlich von Theorien vollgepfropft und von Kritiksucht gegen die Partei besessen, ganz im Banne jener Ideologie [stehe], die auch die neun Reichstagsabgeordneten zu ihrem Disziplinbruch geführt hat.“395 Zudem zeigten die im SPD-Diskussionsorgan Freie Wort eifrig ge-

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führten Diskussionen über Organisationsmodelle für den Aufbau der künftigen „Gruppen junger Sozialdemokraten“, dass mit den Jungsozialisten nicht mehr gerechnet wurde; sie blieben in den Planspielen und Satzungsentwürfen der verschiedenen Funktionäre vollkommen unerwähnt.396 Im Sonderheft des Freien Wort zum Leipziger Parteitag konstatierte der Brandenburger Bezirksvorsitzende der SPD, Wilhelm Krüger, dessen Bezirk auf dem Parteitag die Auflösung der Jusos beantragt hatte, erneut das „Scheitern“ der jungsozialistischen Bewegung. Seine Alternative ging in der disziplinarischen Wirkung weit über die „Reorganisationsvorschläge“ der alten Reichsleitung hinaus. Nach den Vorstellungen Krügers sollten sich die jungen Sozialdemokraten lokal zu lockeren Arbeitsgruppen zusammenfassen, ohne aber noch einmal das Recht auf eigene Bezirksvorstände, Reichsleitung und autonome Beschlussfähigkeit eingeräumt zu bekommen.397 Offensichtlich war, dass die Verweigerungshaltung der Reichskonferenzmehrheit von Leipzig dem „Ordnungsdenken“ in der Sozialdemokratie den Weg gebahnt und alle Vermittlungsversuche der sozialdemokratischen Erwachsenenbildner im Vorfeld des Parteitages zur Aussichtslosigkeit verurteilt hatten. Ausgerechnet in einer Zeit, die durch Bewegung und veränderungsfreudige Ideen charakterisiert war, riegelte sich die Sozialdemokratie ängstlich gegen den Impetus neuer gesellschaftlicher Strömungen ab und erstickte die gewiss zuweilen exzessiven Alternativbewegungen in den eigenen Reihen mit rigider Härte. Als der geschäftsführende Vorstand der Jusos am 14. Mai den Wunsch an den Parteivorstand herantrug, über die Fragen der Reorganisation und des Delegationsrechts eines Mitglieds der Reichsleitung398 auf dem nächsten Parteitag zu reden, hielt es der Parteivorstand nicht einmal für nötig, den Jusos in irgendeiner Form zu antworten. Erst als die Juso-Reichsleitung Alexander Stein bedrängte, telefonische Erkundigungen über das Delegationsrecht einzuholen, bekam dieser die Mitteilung, dass es ausreiche, wenn der Sekretär des Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit die Interessen der Jusos wahrnehme. Die Jusos gaben noch nicht sämtliche Hoffnungen auf und verfassten am 26. Mai erneut einen Brief, in dem sie den Parteivorstand baten, die Entscheidung rückgängig zu machen, da auf dem Parteitag mehrere Auflösungsanträge für die „Jungsozialistische Vereinigung“ vorlägen, zu denen sie schon gerne selbst vor den Parteitagsdelegierten Stellung beziehen wollten. Indes: Eine Antwort auf ihr Schreiben erhielten sie ebenso wenig wie dann auf dem Parteitag das Recht zur Gegenrede.399 Der mindestens taktisch ziemlich unkluge Disziplinbruch der neun Abgeordneten um Max Seydewitz, Kurt Rosenfeld, Engelbert Graf u.a. machte es der Parteispitze und der Verhandlungsführung auf dem Parteitag außerordentlich leicht, eine emotional aufgepeitschte Stimmung gegen jede Form organisierter

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innerparteilicher Opposition zu erzeugen.400 In dieser Atmosphäre eines Tribunals hatten die Jungsozialisten als organisatorisch weitaus schwächster Teil der Linksopposition keine Chance, den Parteitag organisatorisch unbehelligt zu überleben. Das Referat zum Tagesordnungspunkt „Partei und Jugend“ hielt der Vorsitzende der SAJ, Erich Ollenhauer, und er sprach – wie es der ehemalige Hofgeismar-Sympathisant Carlo Mierendorff feststellte – „ja leider nicht als ein Anwalt der Jugend, der bestrebt ist, diesem Parkett von Männern der Tagespolitik die Nöte und Forderungen der Jugend aus der Perspektive der Jugend heraus zu zeigen“.401 Ollenhauer diagnostizierte in der Tat lediglich die ihm rundum negativ dünkenden Symptome der „Romantik“, des „revolutionären Wunderglaubens“ und des „Radikalismus“ in der verzweifelten Jugend402 und zog daraus die Schlussfolgerung, dass der Sozialismus der Sozialdemokratie „diese Sprache der Jugend nicht sprechen“ könne und dürfe. Den irrationalen Elan der Jugend treibe es in einer solchen historischen Situation der tiefen Arbeitslosigkeit unweigerlich zu den Kommunisten und Nationalsozialisten. „Es gibt kein Radikalmittel für ihre Lösung, keine Parole, die im Augenblick die Masse der Jugend aus dem anderen Lager zu uns führt.“403 Für die Jungsozialisten war kein Raum mehr in der Sozialdemokratie und Erich Ollenhauer sah auch keinen Anlass, noch im Einzelnen auf sie einzugehen, denn, so drückte er sich aus, „das Urteil der großen Mehrheit der Partei über die Jungsozialisten von heute steht fest, und der Parteitag braucht nur noch dieses Urteil schriftlich festzulegen“.404 Ganz im Einklang mit der Stimmung des Parteitages gab Ollenhauer außerdem den Hinweis, dass der entscheidende Grund für das Versagen der – wie gesagt nur dreitausend Mitglieder umfassenden – Jusos ihre Umstellung auf eine reine „Richtungsorganisation“ gewesen sei, woran, wie er objektiverweise zugeben müsse, „auch manche erwachsene Parteigenossen Schuld“ getragen hätten.405 Die Parteilinke, auf die dieser erneute Vorwurf der „Sonderbündelei“ gemünzt war, hatte keine Illusionen über die Stimmung des Parteitages und hielt es angesichts des unzweifelhaft miserablen Rufs der Jusos für taktisch opportun, in der Debatte Zurückhaltung zu üben, statt einen vergeblichen Kampf für die nicht mehr satisfaktionsfähigen Jungsozialisten zu führen. Zudem hatte eine geschickte Parteitagsregie dafür gesorgt, dass anstelle eines betroffenen oppositionellen Funktionärs der inkriminierten Jugendorganisation ein „parteifrommer“406 Vertreter der Sozialistischen Studenten das Wort erhielt und selbst Delegierte wie Alexander Stein und Engelbert Graf durch einen rasch eingebrachten Antrag auf „Schluss der Debatte“ nicht mehr die Gelegenheit zu einem Redebeitrag erhielten. Es war aber bezeichnend für das Klima in der Partei, für die Defensivsituation der Linken und die trostlose Abseitsrolle der Jusos, dass beide ihre persönlichen Bemerkungen im Anschluss an der Debatte zu einer Distanzierung von den

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Jusos und den Vorgängen auf der Leipziger Konferenz verwandten. Mit übergroßer Mehrheit407 stimmte der Parteitag dem Auflösungsantrag zu: „Der Beschluss des Kasseler Parteitages betr. Einrichtungen von Jungsozialisten-Gruppen ist aufgehoben.“408 Dass aber mit dem Parteitag nicht nur das Ende des Jungsozialismus, sondern für viele linkssozialistische Jugendliche auch schon das Finale der Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie eingeläutet wurde, zeigte deutlich der von Max Westphal erstattete Bericht des Parteivorstandes. Westphal avisierte eine entschlossene Handlungsweise gegen die Gruppe der „Roten Kämpfer“ und die Anhänger der von Walter Fabian herausgegebenen Sozialistischen Information.409 Der Düsseldorfer Parteitagsdelegierte Georg Richter erweiterte die Indexliste noch um die Sympathisanten von Fritz Sternberg, den er als Ratgeber der Parteilinken auf der Parteitagstribüne ausgemacht hatte: „Der führende Kopf sitzt auf der Galerie unter dem Namen Gerstorff von der Weltbühne, mit seinem richtigen Namen Dr. Sternberg (Düsseldorf). (Zuruf: Der hat ja gar kein Parteibuch!) Dieser Dr. Sternberg, der bei uns im Westen als der einzige rassenreine, ich will nicht sagen stubenreine Marxist gilt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, und macht daraus keinen Hehl, die Spaltung der Partei systematisch vorzubereiten.“410 Obwohl der ehemals geschäftsführende Ausschuss der Juso-Reichsleitung Anfang Juli noch einmal zur Parteitreue mahnte411, war die Mehrheit der Jusos nun nicht mehr von einer Veränderung und klassenkämpferischen Aktivierung der Sozialdemokratie zu überzeugen. Ähnlich wie Fritz Sternberg erhoffte sich eine große Anzahl ehemaliger Jusos, durch die Loslösung der entschiedenen Linken von der SPD ein neues „Gravitationszentrum“ der Arbeiterbewegung kreieren zu können, das auf die desillusionierten Massen der bislang sozialdemokratisch orientierten Arbeiter ebenso anziehend wirken sollte wie auf kommunistische Proletarier. Die ehemaligen Jungsozialisten und die radikalisierten Mitglieder der SAJ drängten die parlamentarischen Repräsentanten der Parteilinken jetzt zu einer kompromisslosen Haltung, die auch den Bruch mit der Partei riskieren sollte. Als Ende September zunächst die Dresdener Jungsozialisten Josef Triebe, Walter Fabian, Helmut Wagner und Franz Blazejcak, einige Tage später auch die Mitglieder des Reichstages Max Seydewitz und Kurt Rosenfeld aus der SPD ausgeschlossen wurden, solidarisierten sich tausende von linken „Arbeiterjugendlichen“ und ehemaligen Jungsozialisten mit den Ausgeschlossenen und verließen die Partei, um Anfang Oktober 1931 die neue Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands zu gründen.412 Am 2. Oktober richteten die ehemaligen Mitglieder der Juso-Reichsleitung Erich Breitbach, Dora Fabian, Willi Kressmann, Fritz Lewy, Reinhold Schuler, Clemens Seifert und Hans Seigewasser einen Aufruf an die „ehemaligen Jungsozialisten“:

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„Der Ausschluss der Genossen Seydewitz und Rosenfeld durch den Parteivorstand, die Ausschlüsse einzelner Genossen in den Bezirken des Reiches beweisen die Unmöglichkeit, innerhalb der Partei den Kampf um eine marxistische Politik weiterzuführen. Damit ist unser Kampf in ein neues Stadium getreten. Aus Furcht vor der proletarischen Kritik hat der Parteivorstand die Spaltung der Partei provoziert. Die Spaltung der SPD wird aber nicht bedeuten eine erneute Spaltung und damit weitere Schwächung der Arbeiterklasse. Sie wird zum Ziele haben die Sammlung aller proletarischen Kräfte auf dem Boden des revolutionären Marxismus. Wir erwarten deshalb von unseren ehemaligen Kampfgenossen, dass sie in diesen für die gesamte Arbeiterbewegung kritischen Tagen Klassensolidarität über Parteidisziplin stellen. Die Genossen Seydewitz und Rosenfeld haben diese Klassensolidarität gewahrt. Es ist selbstverständliche Pflicht eines jeden Jungsozialisten, gleiche Solidarität zu üben und alle Kraft einzusetzen für die Schaffung einer revolutionären sozialistischen Partei.“413

X. Konklusion und Ausblick

L ERNEN

IN

K OHORTEN

Der Jungsozialismus war von Beginn an – und er blieb es bis zum Ende – ein Ausdruck von Krisenphänomenen, ein Indikator für die Deutungslöcher der sozialistischen Theorie, für die politischen Irritationen in der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg und gewiss auch ein Produkt der Sinnsuche und nervösen Emotionalität der Weimarer Gesellschaft insgesamt.1 Die Interpretationsmuster der Jungsozialisten und ihre Lebensformen sind daher häufig in erster Linie als Protestsymbole zu begreifen: Zunächst als Absage an den „Rationalismus“ und den „Materialismus“, dann, eine Dekade später, als Kampfansage an den „reformistischen Apparat“ und den „bourgeoisen Klassenstaat“. Und schließlich sollte ebenso der habituelle Ausdruck – anfangs: die langen Haare und kurzen Hosen der Jungen, das fehlende Korsett bei den Mädchen; später: der martialische Gestus uniformierter Jungsozialisten mehrheitlich männlichen Geschlechts – immer auch als eine provozierende Abgrenzung vom biederen und betulichen Äußeren älterer Sozialdemokraten und mediokrer Bürger verstanden werden. Dreierlei ist damit gesagt: Erstens, die Jungsozialisten einte über all die Jahre und über alle Fraktionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Grundmentalität; zweitens, ihre sinnstiftenden Zeichen und Manifestationen spiegelten zuvörderst Problemsensibilität und weniger Problemlösungskompetenz wider; drittens, die Selbstverständigungsdebatten der Jungsozialisten sind daher nicht nur als ausschließlich immanent nachvollziehbare Theoriedispute zu interpretieren. Es handelte sich bei den jungsozialistischen Kontroversen immer auch um den Schlagabtausch von lebensweltlich geprägten Metaphern und sinnvermittelnden Sentenzen, also um die je unterschiedlich gezogenen und in plausibel klingende Deutungen gebündelten Bilanzen aus Lebensgefühl, sozialer Verortung, Erfahrungen, milieuspezifischer Sozialisation und normativen Einflüssen des Zeitgeistes.

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Die Ursachen für die Gegensätze und Gruppenbildungen im Jungsozialismus sind folglich, außer in den Besonderheiten regionaler Milieus, insbesondere in den Differenzen generationsspezifischer Erfahrungen zu suchen. Die parteiorientierten Jungsozialisten der frühen zwanziger Jahre waren überwiegend älter als die Repräsentanten des autonomistisch-freideutschen Flügels und noch durch die unerschütterte Organisationswelt der Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg sozialisiert, während für ihre jüngeren Kontrahenten primär die verwirrenden Erlebnisse der Kriegsjahre und die durch die Zeitumstände erzwungene Autonomie in den führungslosen Restbeständen der Arbeiterjugend prägend wurden. Daher versuchten die einen, den „neuen Menschen“ mit der Parteidisziplin zu verbinden, die Kultur des Schillerkragens zusammen mit der Nüchternheit reformistischer Organisationspraxis zu vermitteln, während die anderen ganz im lebensreformerischen Impetus aufgingen, jenseits von Kategorien wie „Interesse“ und „Organisation“ dachten und sich gegen alle Einflussnahmen der Parteiinstanzen und gegen den Oktroi reglementierender Satzungen zur Wehr setzten. Darin lagen die Unterschiede, die sich bald durch biografische Reifeprozesse abbauten, gleichwohl als normprägende Erfahrungen noch in späteren politischen Handlungsmustern der Akteure zu finden waren. Auch der Verfall der innerverbandlichen Hegemonie des Hofgeismarkreises ist wohl ohne die Beachtung des Kohortenwechsels in der sozialistischen Jugend zur Mitte der zwanziger Jahre nicht hinreichend zu erklären. An das Kriegserlebnis und die Wirren der Nachkriegszeit hatte die neue Generation der zwischen 1907 und 1912 geborenen Jungsozialisten allenfalls Kindheitserinnerungen; diese Zeiten kannten sie größtenteils nur vom Hörensagen. Das geistige Klima, die Sinnwelten, die Hoffnungen und Ängste, die Symbolik jener Jahre waren der neuen Jugend fremd, sie entsprachen nicht ihren Erfahrungen. Die nachwachsenden Jungsozialisten prägten eigene Bilder, Allegorien und Ausdrucksformen für ihre Perzeption und Verarbeitung einer sich nun anders präsentierenden Wirklichkeit, da sie keinen inneren Bezug mehr zu den Lebensphilosophien der vergangenen Jahre, zu den romantischen Manifestationen und den gemeinschaftsstiftenden Begriffen von „Volk“ und „Nation“ fanden. Neue Sachlichkeit und revolutionäre Mythen ersetzten die Lebensreform und nationale Romantik, sei es auf der Ebene von Kategorien wie „Klasse“, „Kampf“ und „Diktatur des Proletariats“, sei es in der Sphäre lebensweltlicher Sinnstiftung: An die Stelle verwitterter Burgruinen traten die (erhofften) sozialistischen Großbauten, statt asketischer Kameradschaftsbeziehungen zwischen den Geschlechtern wünschte man sich eine freie Sexualität; wuchtige und massenhafte Sprechchoraufführungen gaben offenbar mehr Sinn als die Singspiele der früheren Jahre, das agitatorische Kabarett verdrängte die Hans-Sachs-Stücke, der Inhalt der Lieder bekam wieder eine kämpferische Note, die Großstadt und die technisch-

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zivilisatorischen Errungenschaften wurden bejaht. Alles in allem: Politik und Lebensweisen im Jungsozialismus änderten sich mit dem Generationswechsel und Erfahrungswandel erheblich. Selbst noch die Krise der Jungsozialisten in den frühen dreißiger Jahren hatte damit zu tun. Die dritte Jahrgangsformation in der sozialistischen Jugendbewegung der Weimarer Republik war noch stärker als die vorangegangenen kulturell sozialisiert durch den Enthusiasmus für die Massenwettkämpfe, gesellschaftlich geprägt durch die Erfahrungen von Massenarbeitslosigkeit, einer „geradezu frühindustriellen Pauperisierungskrise“2 und zugespitzten politischen Konfrontationen, die den täglichen Einsatz in Kampftruppen auf der Straße verlangten. Das jungsozialistische Selbstverständnis, bestehend aus Bildung, Erziehung zu sozialistischen Menschen, der Beschäftigung mit ästhetischer Kultur, der Aufführung von Theaterstücken, der Inszenierung von Literaturabenden, fand nun keinen fruchtbaren Boden mehr. Und konnte dies wohl auch nicht: In den frühen dreißiger Jahren musste es den meisten jungen Sozialisten geradezu widersinnig erscheinen, der Persönlichkeitserziehung und Theoriebildung den Vorzug vor der praktischen Abwehr des Nationalsozialismus zu geben. Zudem zermürbte die frühe und langandauernde Arbeitslosigkeit, sie unterhöhlte das Selbstbewusstsein, zerstörte das seelische Gleichgewicht, vernichtete mithin die psychosozialen Voraussetzungen des klassisch sozialdemokratischen Facharbeiterdaseins, die wohl nötig sind, um für die kulturelle Veredelung und ambitiösen Theoriediskussionen jungsozialistischer Bildungsabende ansprechbar zu sein. Die Jungsozialisten befanden sich Ende 1930 in einer fundamentalen Selbstverständniskrise, die sich in voluntaristischen Appellen zum revolutionären Vorstoß auf der einen und der Neigung zu einer noch stärker elitären Introvertiertheit auf der anderen Seite niederschlug. Es fehlte den Jusos zudem an Nachwuchs, sie waren überaltert – Faktoren, die für den Niedergang des Jungsozialismus eine ebenso gewichtige Rolle spielten wie die vielzitierten Repressionsakte bürokratischer Parteiinstanzen. Kurz: Der Wandel von politischen Einstellungen und kulturellen Ausdrucksformen hing eng mit dem Wechsel von Kohorten zusammen. Insofern wurde in der vorliegenden Darstellung, trotz der in der wissenschaftlichen Literatur modern gewordenen abwehrenden Pose gegenüber einer in der Belletristik zuletzt in der Tat inflationär gebrauchten Generationenbegrifflichkeit3, an der Kategorie spezifischer erfahrungsgesättigter Jahrgangsgruppen in ihren Unterschieden festgehalten.4 Mindestens für die hier betrachteten Jahre ist die Differenzierung nach Sozialisation und Generation evident. Diejenigen, die 1896 geboren wurden, erfuhren eine so gewaltig andere Prägung als solche, die 1876 (oder 1906) zur Welt kamen, dass alle empiristisch ausgelegten Methodeneinsprüche auf banale Weise artifiziell wirken. In dieser Studie jedenfalls wurde das Paradigma

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der „Generation“ ohne irgendeinen deduktiven Eifer als brauchbares Scharnier gesehen, um die sonst im Forschungs- und Darstellungsprozess nicht selten auseinanderfallenden Segmente von subjektiven Wahrnehmungen, Meinungsklimata, normativen Wertvorstellungen, Organisationswirklichkeiten und den sozialen und politischen Konstellationen zusammenzuhalten und miteinander zu verzahnen. Überdies ist man bei der Untersuchung von Generationsprägungen gezwungen, die Binnenperspektive einer spezifischen sozialen und politischen Gruppierung (oder Region) zu überwinden und nach Vergleichbarkeiten bzw. Unterschieden zu anderen weltanschaulichen oder sozialen Personengruppen mit gleichwohl ähnlicher Generationsprägung zu fragen. Eine solche Sicht kann dazu beitragen, allzu starr verwendete Generations-Prägungs-Hypothesen zu relativieren; sie hilft zudem, die Determinationsreichweite bloßer Klassenzugehörigkeit für die Konstitution von Kommunikations- und Sinnbeziehungen vorsichtiger und differenzierter zu bemessen. Der Vergleich der Sozialistischen Proletarierjugend und der Jungsozialisten etwa zeigte, wie stark das in den frühen zwanziger Jahren offenkundig richtungsübergreifende, generationsspezifische Verlangen nach lebensreformerischen Ausdrucksweisen auch die örtlichen Gruppen der linkssozialistischen Jugend erfasst hatte – trotz des bewusst dagegen gerichteten klassenkämpferischen Credos und des für unromantisch gehaltenen Erziehungsprogramms der führenden Funktionäre im Umfeld der USPDJugend. Aber gleichzeitig wurde deutlich, dass dieses Erziehungsprogramm auch zu einem anders akzentuierten Selbstverständnis der SPJ-Mitglieder führte; dass ihre Feste und Feiern und ihre Demonstrationen zwar in vielem denen der Jungsozialisten ähnelten, aber auch einen eigenen Bedeutungsgehalt bekamen. Spezifische Inhalte, Zielsetzungen, die in programmatische Sätze gehüllten Hoffnungen verlangten nach Gestaltungsformen, in denen sich solche Emotionen freisetzen und Aktivitäten entfalten konnten, die in den Gemeinschaften der gleichaltrigen Jungsozialisten nicht entstehen konnten. Generationsspezifische Gemeinsamkeiten können also das Gewicht ideologischer Gegensätze vermindern; sie durchdringen die Lebensweisen von Angehörigen verschiedener sozialer und politischer Gruppen einer Alterskohorte mehr, als sich das die Akteure häufig eingestehen wollen. Aber ebenso gewiss wird die Generationsprägung auf der Ebene des Weltanschaulichen, des Ideellen, auf der Ebene sozial-moralischer Milieus gebrochen – und, wie man noch hinzufügen muss, durch das Moment der Organisiertheit. Im freizeitlichen Stil, im Habitus, in den kulturellen Formen glichen die jungen Sozialisten, so stellte sich im Laufe der Untersuchung heraus, ihren weltanschaulich-politisch organisierten Kontrahenten mit Bildungsanspruch in dem Maße, wie sie sich darin vom Alltagsverhalten und den Bedürfnissen der großen Mehrheit nicht-organisierter Arbeiterjugendlicher abhoben. Darin lag eine weitere Ursache für die Dauerkrise des Jung-

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sozialismus: in der sich weitenden Kluft von jungsozialistischer Kultur und den Lebensweisen großer Teile der organisationell ungebundenen jungen Arbeiterschaft.

G EIST - UND G ESINNUNGSSOZIALISMUS Oft wurde es so sortiert: hier der einheitliche Block linkssozialistischer Hannoveraner, dort die homogene Fraktion der rechten Hofgeismarer; antagonistisch zerstritten die beiden Gruppierungen. Indes, so einfach lagen die Dinge nicht.5 Da gab es noch die Jungsozialisten der mittleren Gruppe, keineswegs gering an Zahl, aber weniger ehrgeizig, vielleicht auch weniger gewandt in der Entfaltung origineller und emotionalisierender Ideen, eher bereit zu unauffälliger Parteiarbeit; für den Historiker daher schwieriger zu fassen, sodass er sie mitunter vergisst oder gar übersieht. Da gab es zudem auch die verblüffenden Über-KreuzZusammenhänge zwischen den beiden Flügelfraktionen. Sowohl bei den Hannoveranern als auch bei den Hofgeismarern findet man „Dialektiker“, solche also, die sich von der Hegel-Renaissance der zwanziger Jahre mitreißen ließen und besonders Georg Lukács’ „Geschichte und Klassenbewusstsein“ mit großer Begeisterung lasen. Und nicht nur bei den Hofgeismarern, sondern eben auch (und vielleicht sogar besonders) bei den Hannoveranern standen diesen die Kantianer gegenüber, die den normativen Moralphilosophien mehr vertrauten als den Subjekt-Objekt-Dialektiken eines listigen Weltgeistes. Aber selbst noch hinter diesen Gegensätzen der fraktionsungebundenen Erkenntnistheorien verbarg sich Gemeinsames – denn mit beiden sollte die Krise eines kraftlos-linearen Ökonomismus der vorherrschenden sozialdemokratischen Richtung behoben werden; beide sollte der Kurzatmigkeit einer ständig der Opportunismusgefahr und der Perspektivlosigkeit ausgesetzten Realpolitik entgegenwirken. In beiden Gruppierungen, bei den Hofgeismarern so gut wie bei den Hannoveranern, führte dies indessen nicht selten zu einer Stimmung des Alles-oderNichts, zu einem politischen Fundamentalismus. Mit „Geist- und Gesinnungssozialismus“ kann man die politischen Entwürfe einiger Theoretiker beider Fraktionen angemessen übersetzen. Die Reinerhaltung der Gesinnung, die Pflege des Geistes und eine unbeugsame Prinzipienfestigkeit standen bei vielen Jungsozialisten der Flügelgruppierungen zumindest zeitweilig höher im Kurs als die profane Politik einer präzisen Schrittfolge auf Basis von Analysen der herrschenden Verhältnisse. Die Erziehung zu „neuen Menschen“ in kleinen Gemeinschaften hatte für Teile der Hofgeismarer wie der Hannoveraner Vorrang vor einer notwendigerweise mit Kompromissen durchwirkten Arbeit in den Massenorganisationen. Gewiss, die Chiffren des Fundamentalismus standen für gänzlich andere

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Inhalte und Zielsetzungen: Volksgemeinschaft und nationaler, ja nationalistischer Aufbruch versus Diktatur des Proletariats und Internationalismus beispielsweise. Darin spiegelten sich besonders die schroff gegensätzlichen politischen Erfahrungen des Jahres 1923 wider, und darüber nahm die Bedeutung von Gemeinsamkeiten im habituellen Ausdruck und im gesinnungsethischen Verständnis von politischer Praxis ab. Aber in den Flügelgruppierungen gab es nicht nur diesen einen, leicht identifizierbaren Fundamentalismus. Die Fraktionen waren in sich sehr viel heterogener und vor allem: Sie veränderten sich. Keines der geläufigen Etikette kann so recht überzeugen. Weder war der Hofgeismarkreis, wie manche seiner Zeitzeugen glauben machen wollen, insgesamt und jederzeit demokratisch-sozialistisch, noch vertrat er in toto einen über die ganzen Jahre gleichbleibenden völkischen Kurs, wie es in den Werken mancher Historiker zwischenzeitlich anklang. Zu Beginn seiner Existenz dominierte zwar die völkische Einstellung, eine eher noch diffuse Mischung aus nationaler Romantik und jungkonservativen Visionen von Führerschaft und preußischer Staatsgesinnung. Doch schon damals, auf der Konferenz in Hofgeismar Ostern 1923, hatten sich auch andere, durchaus gewichtige Stimmen zu Worte gemeldet, die für eine nationale Strategie des Reformsozialismus innerhalb des demokratischen Staatswesens plädierten. Als sich dann der Nebel nationaler Romantik durch die Veränderungen in der Republik immer mehr verflüchtigte, zeichneten sich nunmehr auch die Konturen der Gegensätze innerhalb des Hofgeismarkreises in aller Deutlichkeit ab. In der außenpolitischen Debatte des Kreises schieden sich die Russlandorientierten von den England- und Frankreichorientierten, und hinter solchen Formeln versteckte sich mehr als eine geostrategische Präferenz, dahinter verbargen sich auch gegensätzliche innenpolitische Sichtweisen. Aus der Verschwommenheit der nationalen Idee des Jahres 1923 hatte sich Verschiedenartiges entwickelt: auf der einen Seite eine Art demokratisch-sozialistischer Patriotismus mit Anleihen aus der Nationalitätentheorie Otto Bauers und im versuchten Anschluss an das Vorbild Jean Jaurès, repräsentiert besonders durch Theodor Haubach und Hermann Heller; auf der anderen Seite ein aggressiver, kompromissloser, revolutionär verkleideter Nationalismus, bei dem Ernst Niekisch Pate stand. Beides ließ sich nicht miteinander vereinbaren, und dies hat den Auflösungsprozess des Hofgeismarkreises zumindest beschleunigt. Verändert hatte sich der Hofgeismarkreis zudem auch durch die Einflüsse der religiösen Sozialisten um Carl Mennicke und vor allem Paul Tillich, die beide, was vielfach übersehen wird, aus der USPD kamen und weder mit dem klassischen Revisionismus noch mit der damaligen Mehrheitsrichtung in der Sozialdemokratie etwas im Sinne hatten. Die lebensphilosophische Identität einiger Hofgeismarer verband sich nun durch die Annäherung an den religiösen Sozia-

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lismus der Kairos-Gruppe mit der dialektischen Methode; der ethische Impuls geriet in eine geschichtsphilosophische Gesamtschau. Aus alledem entstand ein lebensphilosophisch-revolutionäres Selbstverständnis, das den Auftrag zur ständigen Reform und den Imperativ verantwortlicher Selbst-Veränderung mit der Utopie einer neuen, sinnerfüllten Gesellschaft im Zeichen des „Reich Gottes“ verknüpfte. Es ist schwer, eine solche Position angemessen einzuordnen und kurz zu kategorisieren; ob man sie allerdings umstandslos dem rechten Flügel der Sozialdemokratie zuschlagen sollte, scheint doch höchst fraglich zu sein. Zu den Ironien der Geschichte des Hofgeismarkreises gehört, dass sich eine Mehrheit unter den Jungsozialisten zu einem Zeitpunkt von der „nationalen Romantik“ absetzte und diese Abkehr polemisch gegen die Hofgeismarer richtete, als eben diese selbst von jener Romantik Abschied genommen hatten. Drei Hauptströmungen findet man im Hofgeismarkreis kurz vor dessen Auflösung: Erstens die Nationalrevolutionäre um Niekisch, die zumindest in ihren Analysen eher vom Gebot kühl kalkulierender Machtpolitik als von wolkigen Schwärmereien ausgingen, zweitens die mittlere und größte Gruppe teils ethisch, teils religiös-sozialistisch gesonnener Jusos, die nun für eine reformistisch-republikanische und nationalbewusste Staatsauffassung fochten, und schließlich drittens die militante Gruppe patriotischer, gewiss auch autoritär disponierter Radikalsozialisten um Theodor Haubach und Carlo Mierendorff. Nicht weniger heterogen präsentierte sich der linkssozialistische Flügel. Auch er hatte sich mit den Jahren stark gewandelt. Entstanden war er im Herbst 1923 in Hochburgen der vormaligen Mehrheitssozialdemokratie, getragen von jungen Arbeitern, die sich in spontaner Empörung über die Krisenauswirkungen der Hyperinflation und über die militärischen Interventionen in Mitteldeutschland nach links radikalisierten und dabei einen recht derben, aber prosaischen Antikapitalismus formulierten. Die früheren Mitglieder der Sozialistischen Proletarierjugend hatten an dieser Linksentwicklung keinen bedeutsamen Anteil. Die einstigen SPJler standen zunächst überwiegend außerhalb der jungsozialistischen Bewegung, die sie für eine Vereinigung von Schöngeistern und Phantasten hielten und die sie deshalb im Wesentlichen organisatorisch und administrativ zu bekämpfen, statt im Sinne linkssozialdemokratischer Politik zu verändern suchten. Einflussnahmen aus dem Spektrum der früheren USPD kann man erst nach dem Aufkommen einer linksoppositionellen Stimmung im Jungsozialismus erkennen und dort in erster Linie von Seiten linkssozialdemokratischer Pädagogen und Arbeiterbildner, darunter besonders jener der Heimvolkshochschule Tinz in Thüringen. Das Interesse von Intellektuellen am Radikalismus jungsozialistischer Arbeiter kann man vielleicht als ein Kennzeichen schlechthin für den Charakter des Pfingsten 1924 gegründeten Hannoveranerkreises bezeichnen. Bildungsbürgerli-

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che Akademiker, häufig jüdischer Herkunft, Lehrer von weltlichen Schulen und auch sozialistische Studenten gaben nun dem linken Jungsozialismus ein neues Gepräge. An die Stelle des spontanen Erfahrungsradikalismus traten jetzt intellektuell anspruchsvoll konstruierte, mitunter eigenwillige und weitreichende Theoriemodelle. Deren Vorzug gegenüber manchen Hofgeismarer Erklärungen lag darin, dass sie die soziologische Struktur der Gesellschaft berücksichtigten und dadurch volksgemeinschaftliche Idealismen ausschlossen. Allerdings blieb die soziologische Betrachtungsweise zumeist abstrakt, reduziert auf den Topos „bürgerliche Gesellschaft“, und war nur in den seltensten Fällen Impuls für eine Realanalyse der sich wandelnden sozialen und politischen Konstellationen, die in ihren empirischen Gestaltungsformen künftig allzu häufig nur noch als gesetzmäßige Ausdrücke identisch bleibender und universeller Kapitalherrschaft deduziert wurden. Die sozialistische Perspektive löste sich aus dem Diesseits einer republikanischen Gesellschaft und verengte sich auf eine verklärte Zukunft revolutionärer Totalumwälzung; das Handeln im Hier und Jetzt beschränkte sich für viele Jungsozialisten auf die Erzeugung revolutionären Bewusstseins – ein Bewusstsein indessen, welches vom Denken und den Bedürfnissen der Mehrheit auch sozialdemokratischer Arbeiter so weit entfernt war, dass es geradezu zwangsläufig entweder in eine revolutionäre Vorhut oder in eine introvertierte Gesinnungsgemeinschaft hineinverlegt werden musste. Als eine besondere Gesinnungsgemeinschaft mit einer eigenen, nicht-marxistischen weltanschaulichen Begründung agierte der streng führerschaftlich aufgebaute Internationale Jugend-Bund, der durch die systematische Erziehung seiner kadermäßig erfassten Aktivisten, dank der ungeheuren Disziplin und Einsatzbereitschaft aller Mitglieder und aufgrund der zentralen Koordination sämtlicher Handlungen in der Anfangsphase zum politischen Hirn des Hannoveranerkreises avancierte. Die Jungsozialisten dort hatten sich indessen einem vom Leiter des Bundes, dem Göttinger Philosophen Leonard Nelson, verordneten Verhaltensund Leistungsreglement zu unterwerfen, das in seiner erbarmungslosen Konsequenz auch zu enormen menschlichen Belastungen geführt haben dürfte. Aber auch für die Marxisten trifft das bisher Gesagte nicht auf alle Positionen im Hannoveranerkreis zu, wohl auf den Kern des linken Jungsozialismus, aber darüber sollen die Differenzierungen nicht verlorengehen. Fritz Sternberg beispielsweise, am linken Rand des Hannoveranerkreises stehend, war kein „Ableitungsmarxist“. Ihm ging es bereits um eine neue Interpretation der seit den Klassikern veränderten gesellschaftlichen Kontexte und Voraussetzungen. Auch versprach er sich nichts von einer nach innen gewandten Pflege revolutionären Geistes für eine unbestimmte, bessere Zukunft. Er entwarf stattdessen dringliche Appelle zum Aufbau einer nicht-reformistischen Partei und zur gewalttätigen revolutionären Aktion. Siegfried Marck, von der anderen Seite des Hannover-

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anerkreises, betrachtete die im Jungsozialismus insgesamt kursierenden Revolutionsmythologien dagegen mit Skepsis, hielt an der Notwendigkeit eines republikanischen Sozialismus fest und unterschied sich zur Mitte der zwanziger Jahre in den umstrittenen Fragen „Staat“ und „Nation“ etwa von Hofgeismarem wie Haubach und Heller allenfalls in Nuancen. Auch dem religiösen Sozialismus eines Paul Tillich stand er, zeit seines weiteren Lebens übrigens, nicht ohne Sympathie gegenüber. Vom Nutzen eines linkssozialdemokratischen Republikanismus versuchte auch Otto Jenssen seine jungsozialistischen Schüler in den Halbjahreskursen auf Schloss Tinz zu überzeugen. Die linken Zentristen der Tinzer Schule hielten sich dabei an das Vorbild des von Otto Bauer repräsentierten Austromarxismus. Zur Mitte des zweiten Jahrzehnts aber war die Zeit eines aktivistischen Vortruppradikalismus, wie ihn Sternberg vertrat, noch nicht angebrochen, und für einen republikanischen Sozialismus wollte sich nie eine Mehrheit unter den linken Jungsozialisten erwärmen. Die meisten hofften gemeinsam mit ihrem Lehrer Max Adler auf die geschichtswendende Kraft der „Diktatur des Proletariats“, wofür man sich bewusstseinsmäßig zu trainieren wünschte. Die demokratische Republik galt in dieser Perspektive bestenfalls als günstiger Kampfboden und seit der Jenaer Reichskonferenz nicht einmal mehr als das: Dort hatte sie eine Mehrheit der versammelten Delegierten als bourgeoises Instrument zur Verschleierung der Klassengegensätze enttarnt und verworfen.

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Nach dem Parteiausschluss des Internationalen Jugend-Bundes Anfang November 1925 und nach dem freiwilligen Ausscheiden der Hofgeismarer im Frühjahr 1926 blieb die jungsozialistische Bewegung ein Konglomerat verschiedener linkssozialdemokratischer und linkssozialistischer Positionen; sie ging nicht in einem eindimensionalen orthodoxen Purismus auf. Auch die republikanischen Jungsozialisten des linken Flügels verschwanden nicht von der Bildfläche. Sie zeigten besonders in der sozialdemokratischen Wehrdebatte der späten zwanziger Jahre Profil, als sie sich gleichsam doppelstrategisch für eine Demokratisierung und gewerkschaftliche Durchdringung der Armee und zudem für eine zum Abwehrkampf gegen konterreformistische Kräfte erforderliche autonome Wehrhaftigkeit stark machten – eine Strategie indessen, die weder bei der Mehrheitsrichtung noch beim linken Flügel der SPD ausreichend Unterstützung fand. Die radikal-linken Jusos setzten in ihrer Majorität einseitig auf die proletarische Wehrhaftigkeit. Einer ihrer herausragenden Theoretiker, der Landesvorsitzende der sächsischen Jusos Helmut Wagner, propagierte offen die Wehraktion der

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Arbeiterklasse: Er verlangte die illegale Aufrüstung des Proletariats, um die Zitadelle der Staatsmacht zu erstürmen.6 Wagner gehörte zu den Köpfen einer sich seit 1926 in der Sozialdemokratie vorsichtig formierenden Gruppe von Linkskommunisten, die ihre Politik in kleinen, von der Parteiöffentlichkeit sorgfältig abgeschirmten konspirativen Zirkeln vorbereitete und sich seit dem Sommer 1927 auch für die Parteiöffentlichkeit erkennbar radikalisierte. In der Tat waren, wie die Untersuchung zu zeigen versucht hat, die Jahre 1926/27 für die Zäsur innerhalb der Weimarer Linken und der politischen Jugendkohorten konstitutiv. In ideengeschichtlicher Perspektive kam kürzlich Riccardo Bavaj zu einem ähnlichen Befund: „Wendet man sich dem linkssozialistischen Grenzbereich zwischen liberaler Mitte und totalitärem Extrem zu – dessen Analyse sich hinsichtlich der Krisenhaftigkeit der politischen Kultur Weimar als besonders aufschlussreich erwiesen hat –, wird der Blick unweigerlich auf die Jahre 1926/27 gelenkt, die unter anderem den englischen Generalstreik, den Volksentscheid zur Fürstenenteignung und die blutige Niederschlagung spontaner Streiks und Massendemonstrationen in Wien erlebten. […] Nicht wenige Anhänger der sozialistischen Strömungen überschritten 1926/27, bislang von der Forschung kaum wahrgenommen, jene Schwelle, die rein punktuelle Kritik am parlamentarischen ‚System‘ Weimars von prinzipiellen Antiparlamentarismus schied.“7

In dem Maße, wie in der politischen und sozialen Krise der Republik die austrozentristische Position im Jungsozialismus endgültig an Boden verlor und wie auch die Zugkraft der chiliastischen Zukunftsvisionen eines Max Adlers und Fritz Lewys allmählich dahinschwand, gewannen die dynamisch-appellativen Aktionslosungen der Linkskommunisten um Wagner und der radikalen Linkssozialisten um Fritz Sternberg an Resonanz und Zustimmung bei den Jusos. Eine Zeitlang, Ende 1930, Anfang 1931, agierten im Westlichen Westfalen, am Nieder- und Mittelrhein, in Südwestdeutschland, in Berlin und in Ost- und Westsachsen diese beiden Strömungen gemeinsam unter der Bezeichnung „Rote Kämpfer“, deren gleichnamiges Zeitschriftenorgan erst seit dem Spätsommer 1931 ganz in die Hände der ehemaligen KAPD-Theoretiker gelangte. Bei allen ideologischen Unterschieden im Einzelnen – die radikalen Linkssozialisten teilten nicht den militanten Antibolschewismus und den überschwänglichen RäteSpontaneismus der Linkskommunisten – einte den radikalen Flügel im Jungsozialismus doch das: Man wähnte den Kapitalismus in einer „Niedergangs-“ bzw. „Todeskrise“ und hielt große Massen der Arbeiterschaft zumindest dann für prinzipiell kampfbereit, wenn die Vorhut sie dem hemmenden Einfluss der reformistischen Arbeiterbürokratie entreißen und durch zielklare Losungen zur selbstständigen revolutionären Aktion anstacheln könnte. Beide Strömungen tra-

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fen sich also in dieser Bündelung leninistischer Vorhutsprinzipien mit syndikalistischen Hoffnungen auf den problemlösenden Impetus der kristallklar geführten und radikalisierten Massen: Der Organisationstyp einer straff geführten und ideologisch einheitlichen Avantgarde sollte mit dem Imperativ der nicht sektiererischen Massenverankerung kombiniert werden. Die Elite der geschulten Kader gab jeweils die gültige Maxime im Tageskampf aus, die Masse aber musste den Kampf mit ihrer eigenen Dynamik bis hin zur politischen Entscheidung und Zerschlagung der bourgeoisen Staatsmaschinerie weitertreiben – eine modellhafte Wunschsynthese leninistisch-luxemburgianischen Zuschnitts, die gewiss eine Reaktion auf die Schwerfälligkeiten der großen Organisationsapparate in der Arbeiterbewegung darstellte und in ihrer voluntaristischen Prägung viel mit dem zwischen Pessimismus und bangen Hoffnungen schwankenden Zeitgefühl der kämpfenden jungen Sozialisten in den frühen dreißiger Jahren zu tun gehabt haben dürfte. Im Übrigen kritisierten die radikalen Linkssozialisten und Linkskommunisten mit ätzender Schärfe die „Halbherzigkeiten“ und den „Nur-Parlamentarismus“ der offiziösen sozialdemokratischen Parteilinken, gingen auch zur Führung der Jungsozialisten um Franz Lepinski und Georg Engelbert Graf auf schroffe Distanz und setzten rhetorisch den Hebel für die Radikalisierung der Arbeitermassen an der gewerkschaftlichen Basis an: die Linkskommunisten in unionistischer Tradition mit dem strategischen Blick auf autonome, revolutionäre Betriebsorganisationen, die Linkssozialisten mit der Parole vom Aufbau einer eigenständigen Gewerkschaftslinken. Erfolg hatten die radikalen Linkssozialisten – den Linkskommunisten blieb er immer versagt – nur in einer „sterbenden Stadt“, in Breslau, wo die soziale und ökonomische Infrastruktur durch die Konsequenzen des Ersten Weltkriegs, die veränderte Grenzziehung in Schlesien und den Zollkrieg mit Polen auf eine geradezu dramatische und beispiellose Weise erschüttert worden war. Hier nahm eine gut qualifizierte, traditionell sozialdemokratisch sozialisierte, völlig unvorbereitet in materielles Elend abgedrängte Facharbeiterschaft, besonders der Metallindustrie, die ihr von den Linksintellektuellen und Jungsozialisten angetragene Mission des radikalen proletarischen Vortrupps an. Nirgendwo sonst aber war das noch der Fall. Im Gegenteil: Die radikalen Jungsozialisten blieben mit ihrer Politik auf den eigenen kleinen Kreis beschränkt und überwarfen sich durch die Intransigenz ihrer Anschauungen seit dem Herbst 1930 besonders mit den Vorständen linkssozialdemokratischer Bezirke. Die Order für die Auflösung der Jungsozialisten kam keineswegs aus den Büros des Parteivorstandes in der Berliner Lindenstraße, und auch der Leipziger Parteitag 1931 setzte nur den Schlusspunkt einer Entwicklung, die in einigen Hochburgen der SPD-Linken längst vonstattengegangen war. Der linkssozial-

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demokratische Berliner Bezirksvorstand hatte die Jusos bereits im Oktober 1930 aufgelöst, die linkssozialdemokratische ostsächsische Partei entzog den Jungsozialisten dann im Januar 1931 das Recht zur Referentenauswahl und zur Gestaltung ihrer Zusammenkünfte und provozierte damit die organisatorische Selbstauflösung der dortigen Gruppen. Die linkssozialdemokratische Leipziger SPD schließlich diktierte den konsternierten Jusos im gleichen Monat noch die Gründung eines „Arbeitskreises junger Sozialdemokraten“, ein gleichsam von oben dekretierter Zusammenschluss aus Jungsozialisten, SAJ, sozialistischen Studenten und Arbeitersportlern. Nach dem Muster der Leipziger verfuhr nun auch der zentrale Parteivorstand der SPD und verlangte von der Reichsleitung der Jungsozialisten die Reorganisation der Bewegung, die im Februar 1931 – nach den Auflösungen von Berlin und Dresden – keine zweitausend Mitglieder mehr in ihren Reihen gezählt haben dürfte. Dem Parteivorstand ging es mit seiner Initiative um die Organisierung aller achtzigtausend von den Jusos bislang größtenteils nicht erfassten 18- bis 25-jährigen Sozialdemokraten; es ging ihm aber gewiss auch um die Eindämmung jungsozialistischer Radikalität. Der Reichsvorsitzende der Jusos, Franz Lepinski, erkannte gleichwohl in der Aufforderung des Parteivorstands die letzte Chance für die Jungsozialisten, ihre organisatorische Existenz zu retten, und er versuchte diese Möglichkeit zu nutzen. Die Mehrheit der Jusos allerdings verweigerte sich Lepinskis Vorhaben. Linkskommunisten und radikale Linkssozialisten auf der einen und die Vertreter eines introvertierten Geist- und Erziehungssozialismus um Fritz Lewy – der sich nun selbst als „Neuromantiker“ bekannte – auf der anderen Seite schlossen sich auf der letzten Reichskonferenz der Jusos Anfang 1931 in Leipzig, die der von Jena sechs Jahre zuvor an Turbulenz und gereizter Emotionalität nicht nachstand, zu einer Negativ-Koalition zusammen und blockten Lepinskis verzweifelten Reorganisationsvorstoß ab. Die einen empfanden die geforderte Öffnung der Organisation geradezu als eine Vergewaltigung jungsozialistischer Eigenart und als Bedrohung ihres exklusiven Elitedaseins; die anderen, ein wenig politischer denkend, witterten in den Reorganisationsmaßnahmen einen repressiven Akt der SPD-Bürokratie zur Erstickung der aufkeimenden revolutionären Energien. Der linkskommunistische Flügel, der die proletarischen Massen in revolutionärer Vorwärtsbewegung wähnte, blies nun seinerseits zum Angriff; ohne Umschweife postulierte er die Zertrümmerung des reformistischen Funktionärsapparats. Dazu indes kam es nicht mehr: Acht Wochen nach dem Leipziger JusoSpektakel löste der Parteitag der Sozialdemokratie am gleichen Ort die Organisation der Jungsozialisten auf; von vierhundert Delegierten hatten ihr nur sieben eine weitere Existenzberechtigung zubilligen wollen.

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Während der „Hannoveraner Sozialismus“ 1930/31 gewissermaßen sein Ende fand, gingen die früheren Hofgeismarer Sozialdemokraten Anfang der dreißiger Jahre noch einmal in die Offensive. Eine Zeitschrift wurde gegründet, die Neuen Blätter für den Sozialismus (NBfS), an der vor allem religiöse Sozialisten, bündisch sozialisierte Jugendliche bildungsbürgerlicher Herkunft und eben die Gruppe patriotischer wie autoritärer Radikalsozialisten aus der Tradition des früheren Hofgeismarkreises der Jungsozialisten mitwirkten; als Schriftleiter fungierte August Rathmann.8 Das neue Periodikum kritisierte die Erstarrung des Parteiapparats, beklagte die mangelnde Flexibilität der sozialdemokratischen Taktik und warb für eine aktivistisch-dynamische Strategie zur Verteidigung der besonders durch die Nationalsozialisten gefährdeten republikanischen Ordnung. Die Monate von November 1932 bis Januar 1933 gehörten, nicht zuletzt durch die Impulse dieser Gruppe, zu den diskussionsintensivsten in der Geschichte der Weimarer Sozialdemokratie überhaupt. In breiten Kreisen der Partei, nicht nur an ihren Rändern oder in kleineren Zirkeln, herrschte eine Stimmung fundamentaler Selbstkritik. Man war der Meinung, die Arbeiterbewegung stehe an der Schwelle zu einer ganz neuen Epoche; sie benötige neue Zielsetzungen, neue Taktiken, neue Methoden. Der nächste SPD-Parteitag, für Mitte März 1933 nach Frankfurt einberufen, sollte den Grundstein des erwarteten Neubeginns legen. In den Parteizeitungen spiegelte sich bereits im Vorfeld des Parteitages, der dann bekanntlich niemals stattfinden sollte, eine bunte, höchst kontroverse Diskussion wider. Der Artikel, welcher am meisten Aufsehen erregte, dabei sowohl euphorische Zustimmung als auch verärgerte Ablehnung hervorrief, war von Wilhelm Sollmann, einem Sozialdemokraten aus dem weiteren Umfeld des Hofgeismar-Flügels, geschrieben und trug den Titel „Positive Parteikritik“. Zahlreiche Zeitungen druckten ihn nach, viele Sozialdemokraten bestellten bei der Redaktion der Rheinischen Zeitung Sonderdrucke, und selbst das Blatt des demokratischen Bürgertums, die Frankfurter Zeitung, beschäftigte sich ausführlich mit dem Text.9 Sollmann hatte in diesem Artikel Zweifel angemeldet, ob die Partei den kommenden schweren Aufgaben organisatorisch, personell und vor allem geistig überhaupt gewachsen sei. Es gebe zwar, so Sollmann, einen ausreichenden Bestand an guten Organisationsleitern, aber es mangele an wirklich befähigten politischen „Führern“ mit Instinkten, Suggestivkräften und Phantasie. Die entscheidenden Instanzen der SPD, der Parteivorstand und vor allem der Parteiausschuss, seien geprägt von der Übermacht der Organisationsleiter, jener Schicht von Redakteuren und Sekretären, die nahezu alle Fäden der Partei in ihren Händen hielten. Diesen Organisationsleitern aber fehle es an Zeit und Muße, sich den nötigen Einblick in

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die sich rasch wandelnden geistigen, sozialen und politischen Fragenkomplexe der Gesellschaft zu verschaffen. Dadurch aber kapsele sich die SPD immer mehr von den geistigen Vorgängen und entscheidenden Triebkräften in der Gesellschaft ab und könne so auf neue soziale Phänomene, wie eben den Faschismus, nur noch mit Verspätung reagieren. Sollmann forderte daher die stärkere Berücksichtigung von politisch-geistigen Köpfen und neu aufstrebenden politischen Kräften in der Zusammensetzung der obersten Parteigremien. Doch Sollmann ging noch weiter; er befand sich im Herbst 1932 auf dem Höhepunkt eines linken Populismus mit all seinen autoritären Auswüchsen. Er proklamierte die „Führerauslese“ und schwärmte von der Entfaltung „bis zur Brutalität energischer Führereigenschaften“. Er entwickelte die Idee einer autoritären Demokratie, die mit dem Liberalismus des Weimarer Systems Schluss machen sollte, die es, mit seinen Worten gesprochen, „böswilligen Schwätzern“ versagen würde, alles „mit Kot zu bewerfen“. Großstädtische Ortsvereine wie Köln und Hamburg, in denen Hofgeismarer zuvor reüssiert hatten, nahmen solche Anstöße auf und bündelten sie Ende 1932/Anfang 1933 zu präzisen Anträgen für den geplanten Frankfurter Parteitag im März 1933. In dieser Atmosphäre machte plötzlich im sozialdemokratischen Diskurs ein Begriff Karriere, der bis dahin eher verpönt war: „Volk“. Gleichsam über Nacht wurde die Partei von einer links- und nationalpopulistischen Stimmung übermannt. „Sozialistische Volksbewegung“, „große Volksbewegung“, „Volksfront gegen Großkapitalismus“, „eine gewaltige Volksbewegung“, „eine umfassende sozialistische Volksbewegung“ – auch dies wollte die SPD jetzt plötzlich ins Leben rufen, da sie unter den Peitschenhieben nationalsozialistischer Wahlerfolge gefolgert hatte, dass die sozialdemokratischen „Forderungen nicht Klassenforderungen bleiben“ dürften, sondern zu „Volksforderungen“ werden müssten.10 Von nun an galt es, wie SPD-Presseorgane allenthalben postulierten, eine Volksfront von Bauern, Arbeitern, Angestellten und Mittelständlern gegen das Großkapital zu schmieden, zumal nur dann, so der Vorwärts, „demokratischer Sozialismus in Deutschland möglich ist“.11 „Breiteste Volksmassen“ müssten erreicht werden, formulierte die Redaktion des Hamburger Echo in einem Positionsentwurf für die Hamburger Partei, denn es werde immer stärker offenbar, „dass der Sozialismus eine Sache nicht nur der Industriearbeiter, sondern der Arbeiter und Angestellten, des Mittelstandes und der Bauern ist“.12 Auch die Eigentumsinteressen des selbstständigen Kleinbesitzes fanden nun in einigen Konzepten Berücksichtigung. Allmählich reiften zumindest im engeren Dunstkreis der Köln-Hamburger Parteireformer Hofgeismarer Provenienz wirtschaftspolitische Modelle einer „Markt-Planwirtschaft“ heran. Gedacht war dabei an eine gemischte Wirtschaft mit sozialisierter „Kommandohöhe“ und einem erhalten gebliebenen freien Sektor nichtmonopolistischen Charakters, der

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im Wettbewerb mit Genossenschaftsbetrieben die Fähigkeiten des Konkurrenzprinzips unter Beweis stellen sollte.13 Gewiss hatte dieser links- und nationalpopulistische Ausbruchsversuch aus dem sozialistisch-proletarischen Ghetto seine problematischen Seiten, da hierbei auch, gleichsam als Entreebillet für den Zugang zu den Mittelschichten, autoritäre Töne und nationalistische Parolen mitschwangen. Manches von dem, was vor allem die Kölner und Hamburger Sozialdemokraten in jenen Wintermonaten 1932/33 vorschlugen, wirkte wie die sozialdemokratisch temperierte Nachahmung nationalsozialistischer Agitation.14 Und sicher ist zweifelhaft, ob der sozialdemokratische Links- und Nationalpopulismus die Mittelschichten wirklich beeindruckt und überzeugt hätte.15 Sehr kritisch jedenfalls – und im Kontrast zu der durchaus einflussreichen Interpretation von Hans Mommsen16 – fällt die Bilanz des Historikers Stefan Vogt über die „Jungen Rechten“ aus, von denen die meisten Anstöße in dieser Debatte von 1932/1933 ausgegangen waren: Aus dem Kreis der Jungen Rechten „kamen in verschiedenen Politikbereichen bemerkenswerte Anregungen, die durchaus eine positive Auswirkung auf die Politik der Sozialdemokratie hätten haben können. Sie scheiterten jedoch am ideologischen Immobilismus der Jungen Rechten, die ihre eigenen Konzepte stets mit ihren nationalistischen und autoritären Vorstellungen in Einklang zu bringen suchte und deshalb die vorhandenen kritischen Potentiale regelmäßig verspielte. Dies, und nicht der Immobilismus und das mangelnde Entgegenkommen der Parteiführung, hatte dazu geführt, dass ihr politisches Konzept schließlich innerhalb der sozialdemokratischen Partei nicht oder nicht ausreichend zu Zuge kamen. Daher bot die Junge Rechte keine realistische Alternative zur Politik der Sozialdemokratie am Ende der Weimarer Republik an.“17 Gleichviel, ob man diesem harschen Verdikt folgt: Die innerparteiliche Debatte, die mit so viel Verve begonnen hatte, fand durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 sowieso ein jähes Ende.

M ILIEUSTUDENTEN Nicht einfach hatten es in den frühen 1930er Jahren auch die sozialistischen Studenten. Bei ihnen hatte es ein Jahrzehnt zuvor überhaupt einige Zeit gedauert, bis aus den verschiedenen, politisch äußerst heterogenen Zirkeln sozialistischer Studenten eine stabile sozialdemokratische Hochschulorganisation herausgewachsen war, die bei der Partei und ihren Unterorganisationen Anerkennung fand. Bis in die späten zwanziger Jahre hinein hatten im sozialdemokratischen Funktionärskörper das Misstrauen und die Skepsis gegenüber den sozialistischen Studenten überwogen. Solche Vorbehalte und Ressentiments rührten nicht zu-

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letzt aus den Erfahrungen mit der sozialistischen Studentenbewegung der frühen Weimarer Jahre, als dort fortgesetzte innere Konflikte und Spaltungen, kommunistische und anarchistische Visionen die Sozialdemokraten beunruhigt, abgeschreckt und schließlich auch auf Distanz gebracht hatten. Ende der 1920er Jahre aber wirkte sich der innere Wechsel der sozialistischen Studentenvereinigungen auch auf die Haltung der Partei und ihrer Funktionäre aus. Die Sozialistische Studentenschaft wurde allmählich als offizieller sozialdemokratischer Studentenverband akzeptiert und zunehmend unterstützt. Tatsächlich gab es für die Partei auch keinen Grund mehr, den Studenten mit Reserve und Ablehnung zu begegnen. Schließlich hatten sich die sozialistischen Hochschulgruppen inzwischen in ihrer sozialstrukturellen Zusammensetzung, ihrem Selbstverständnis, ihrem praktischen Tun und in ihren Organisationsprinzipien dem Profil einer typischen sozialdemokratischen Umfeldorganisation angenähert. Aus den linksradikalen Studentenzirkeln von einst, die sich vorwiegend aus dem Nachwuchs des Bildungsbürgertums rekrutierten, kommunistischen Utopien anhingen, Seminarmarxismus betrieben und personell extrem fluktuierten, war eine stabile, straff geführte sozialdemokratische Organisation geworden, die mehrheitlich aus Söhnen und Töchtern von Arbeitern und Angestellten bestand, pragmatische Ziele verfolgte und sich für die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterstudenten einsetzte. Kurzum: die sozialistische Studentenbewegung hatte sich organisatorisch wie mental „sozialdemokratisiert“, war quantitativ stärker, effizienter, wohl auch schlagkräftiger und gewiss realitätsbezogener geworden. Verlorengegangen war ihr dagegen ein wenig der Reiz nonchalanter Diskussionen und intellektuell hochfliegender Dispute; auf der Strecke geblieben war die Faszination revolutionsromantischer Ansprüche und Träume – für die linksintellektuelle Boheme im Studentenmilieu war die Sozialistische Studentenschaft somit sicherlich nicht mehr sonderlich attraktiv. Dafür war der Sozialistische Studentenverband nun ein Teil der Lebens- und Organisationswelt der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft, mit allen Vorund Nachteilen, die es dort gab. In dem Maße, in dem sich die Sozialistische Studentenschaft in das Organisationsnetz der Sozialdemokratie einfügte, entzog sie sich den Strukturen der studentisch-universitären Öffentlichkeit. Der sozialistische Studentenverband schuf sich, gestützt auf die proletarisch-sozialdemokratische Selbsthilfe, ein eigenes System von Ausschüssen und Interessenorganen, statt sich auf den deprimierenden – und wohl auch aussichtslosen – Kampf um die Allgemeinen Studentenausschüsse einzulassen. Mit Hilfe sozialistischer Altakademiker, gewerkschaftlicher Ortskartelle, von Arbeiterwohlfahrtsausschüssen und sozialdemokratischen Regierungsbeamten bauten die sozialistischen Studenten ein eigenes Kooperations- und Versorgungswesen auf, das Freitische, Geldzuwendungen, Wohnungs- und Stellenvermittlungen umfasste. Für die sozialistischen Hochschul-

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angehörigen entstand so eine Trutzburg, in die sie sich in ihrer hoffnungslosen Defensive an den Hochschulen zurückziehen konnten, wo sie eigene Stärken herausbilden, Kraft sammeln und ihre Isolation leichter aushalten konnten. Die sozialistischen Studenten besannen sich also auf das Milieu, aus dem sie mehrheitlich kamen, und dieses Feld beackerten sie durchaus mit einigem Erfolg: Mit 5500 Mitgliedern war die Sozialistische Studentenschaft 1931 der mit Abstand größte parteipolitische Studentenverband; der in den studentischen Selbstverwaltungsorganen ungleich einflussreichere Nationalsozialistische Studentenverband kam demgegenüber auf nur viertausend Mitglieder. In Hamburg hatten sich 1930 über ein Prozent der Studenten, in Berlin immerhin noch vier Prozent der dort Studierenden dem sozialdemokratischen Studentenverband angeschlossen – eine Rekrutierungsquote, von der die heutigen sozialdemokratisch orientierten Hochschulgruppen nur träumen können. Die Sozialistische Studentenschaft besaß nun mithin alle Vorzüge eines typisch sozialdemokratischen Verbandes: Sie war organisationsstark, sie erzielte quantitativ beachtliche Erfolge, sie erreichte ziemlich umfassend diejenigen Studenten, die aus großstädtischindustriellen Arbeitnehmerfamilien kamen. Andererseits gelang es aber den sozialistischen Studenten kaum, über den ideologischen und mentalen Tellerrand des eigenen Lagers hinauszublicken. Auch hierin gingen sie mit der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung ein Stück weit parallel. Den Studierenden anderer Milieus hatte die Sozialistische Studentenschaft nichts Attraktives zu bieten, wie besonders die grotesk-bornierten Forderungen aus dem Hochschulprogramm von 1929 zeigten. Dort konfrontierten die sozialistischen Studenten ihre Kommilitonen mit einem Vokabular, das selbst in den Ohren sozialistischer Arbeiter ein wenig fremd geklungen haben dürfte, das aber bei den Angehörigen der Mittelschichten, in Angestelltenund Beamtenkreisen, aus denen die Mehrheit der deutschen Studenten stammte, seit jeher Ängste und Ressentiments auslöste. Das Bekenntnis zur „Diktatur des Proletariats“, das die sozialistischen Studenten – obwohl überwiegend reformistisch eingestellt – in ihrem Programm festschrieben, war jedenfalls nicht geeignet, neue Studentenkreise anzusprechen und zu gewinnen. Auch die programmatische Formel von der Umwandlung der Universitäten in „Funktionärsschulen“ entsprach allein dem Kommunikationsstil und der sinnstiftenden Sprachsymbolik der Arbeiterbewegung, musste außerhalb dieses Milieus aber die Befürchtung hervorrufen, hier werde eine sozialistische Parteischule zur Ausbildung einzig des proletarischen Nachwuchses konzipiert. Schließlich schien auch die Forderung nach Überwindung der Hochschulautonomie in diese Richtung zu weisen; sie führte den nicht-sozialistischen Studenten die Schreckensvision einer am Gängelband des sozialdemokratisch verwalteten Staates geführten Universität vor Augen.

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Was des einen Schrecken war, war jedoch des anderen Hoffnung. Im Denken der sozialistischen Studenten spielte der Staat in der Tat eine ganz entscheidende Rolle. Ihm überantworteten sie die Aufgaben und Ziele, die sie selber aufgrund ihrer Isolation und Einflusslosigkeit an den Hochschulen nicht realisieren und durchsetzen konnten. Der Staat sollte die rechtsradikalen Studenten in die Schranken verweisen, er sollte die studentischen Selbstverwaltungsorgane disziplinieren, die Rechte der republikanischen Dozenten sichern, für staatsbürgerliche Erziehung sorgen. Auch vertrauten die meisten Mitglieder der Sozialistischen Studentenschaft auf die höhere Zweckrationalität staatlicher Entscheidungen. Vom Staat erwarteten sie daher eine exakt am gesellschaftlichen Bedarf ausgerichtete Planung und Kontrolle der Akademikerausbildung an den Universitäten. Und schließlich bot der Staat, soweit er unter sozialdemokratischem Einfluss stand, den sozialistischen Studenten, die zu einem großen Teil an juristischen Fakultäten eingeschrieben waren, eine berufliche Perspektive. Die sozialistischen Studenten orientierten sich folglich mehrheitlich an der staatsbejahend-republikanischen Richtung in der SPD. Auf Kontakte und enge Beziehungen zu sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern und Ministerialbeamten legten sie großen Wert. Trotz des missglückten, teilweise hermetisch und dogmatisch formulierten Hochschulprogramms von 1929 zählten sie daher keineswegs in ihrer Majorität zu den puristischen und rigiden Marxisten in der Partei. Ihre gewiss exzessive Fixierung auf den republikanischen Staat führte sie sogar immer wieder an die Seite der wenigen und quantitativ äußerst schwachen Studentengruppen des demokratisch gesinnten Bürgertums. Sowohl 1922 als auch 1927/28 ergriffen sozialistische Studenten die Initiative, um republikanische Kartelle und Bündnisse zu zimmern. Die Widerstände gegen solche Kooperationen mit den demokratischen und pazifistischen Teilen des Bürgertums wurden allerdings auch in der Sozialistischen Studentenschaft während der letzten Jahre der Weimarer Republik zunehmend stärker – freilich ohne sich durchsetzen zu können, da die Situation der republikanischen Kräfte an den deutschen Hochschulen für apodiktische Abgrenzungsgesten zu ernst, ja zu dramatisch war. Doch die kleinen republikanischen Kartelle und Wahllisten konnten letztlich gegen die Übermacht rechtsradikaler Kooperationen und Studentenverbände nichts ausrichten. In den frühen dreißiger Jahren gingen die republikanischen Studentengruppen im völkischen und antisemitischen Radau vor und in den Hörsälen regelrecht unter. Den Meinungsterror, den die nationalistischen Studenten gegen republikanische und jüdische Hochschullehrer ausübten, vermochten sie nicht zu vereiteln oder zurückzudrängen. Der Militanz des NS-Studentenbundes, der schon 1931 die Führungspositionen an den deutschen Universitäten einnahm, hatten sie erfolgreich nichts entgegenzusetzen.

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E MOTIONSFREIER R EPUBLIKANISMUS ALS E RZIEHUNGSPROGRAMM Noch anders verlief die Entwicklung in der Sozialistischen Arbeiterjugend. Die Führung dort hatte, trotz aller Generationswechsel und Wandlungen der jugendlichen Lebensformen und trotz der schließlich dramatischen Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Umfeld, über die gesamte Dauer der Weimarer Jahre unbeirrt und konsequent an einem rationalistisch-demokratischen Konzept der Erziehungsarbeit festgehalten und ganz dem Kurs eines moderaten republikanischen Reformismus vertraut. Innerverbandlich ging sie dabei sowohl gegen die linkssozialistische Republikdistanz als auch gegen das neoautoritäre Elitedenken von rechts vor. Insgesamt aber sollte man die anfänglichen ideologischen Debatten und Auseinandersetzungen nicht überschätzen; die übergroße Mehrheit der SAJ-Mitglieder war zumindest in den zwanziger Jahren an solchen parteitaktischen Fragen bestenfalls mäßig interessiert. In der Praxis der SAJGruppen überwog eindeutig die unterhaltende Geselligkeit; den theoretischen Diskurs pflegte nur eine kleine Minderheit. Die Untersuchung der Sozial- und Mitgliederstruktur in der SAJ zeigt zweierlei. Sie bestätigt zum einen die geläufige Annahme, dass es sich bei der SAJ vorrangig um eine Organisation von Lehrlingen und jungen Facharbeitern besonders der Metallindustrie handelte. Sie verdeutlicht, dass die SAJ ihre Mitglieder durch die Nahkontakte im reformistischen Milieu – durch Elternhaus, Jugendweihe, Freunde und Arbeitskollegen –, nicht aber durch Vorstöße nach außen – durch Werbeveranstaltungen, Propagandafahrten etwa – gewann. Und sie illustriert schließlich die Integration der meisten SAJ-Mitglieder in zahlreichen anderen Organisationen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Dies alles bestätigt einerseits den Erklärungswert des Paradigmas von der „sozialdemokratischen Solidargemeinschaft“.18 Andererseits aber wurde ebenso deutlich, dass die „Solidargemeinschaft“ in idealtypischer Reinkultur wohl nur in Berlin und vielleicht in Leipzig oder Magdeburg existiert hat; im Übrigen war die SAJ auf ganz verschiedenartigen Bezirken mit differenten sozialen, kulturellen, politischen und historischen Prägungen begründet. Zumindest einer allzu idyllischen Sichtweise von der „sozialdemokratischen Solidargemeinschaft“ sollte man nicht erliegen. Die in sich geschlossene, harmonisch aufeinander abgestimmte und abgestufte „Solidargemeinschaft“ hat es in dieser Idealform nicht gegeben. Bei den Kinderfreunden aufgewachsen, von der SAJ und den Jungsozialisten politisch sozialisiert, mit der Partei im politischen Kampf engagiert und schließlich freidenkerisch eingeäschert – diese politische Lebensgeschichte („Von der Wiege bis zur Bahre“)

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war gewiss keine Ausnahme, sie war aber auch nicht in dem Maße die Regel, wie man häufig unterstellt. Der Übergang erstens von den Kinderfreunden zur SAJ, zweitens von der SAJ zu den Jungsozialisten, den die Parteiinstanzen ausdrücklich wünschten, hat niemals reibungslos funktioniert. Jahr für Jahr machten zehntausende von Kinderfreunden bzw. tausende von SAJlern diesen Übergang nicht mit und gingen der sozialistischen Bewegung zum Teil ganz verloren. Sehr viel mehr als die in der Literatur lange diskutierte Spaltung der Arbeiter(jugend)bewegung in einen sozialdemokratischen und einen kommunistischen Flügel machte der SAJ die Fragmentierung des sozialdemokratischen Milieus selbst zu schaffen. Anders als in der Vorkriegszeit hatte sich nahezu jede Gewerkschafts- und Kulturorganisation aus dem reformistischen Spektrum eine Jugendorganisation geschaffen, von den Arbeitersportlern über die Arbeiterabstinenten bis hin zu den Arbeitersamaritern. Dadurch war der Primat der politischen Jugendorganisation in Frage gestellt, zugleich eine außerordentliche Konkurrenzsituation zwischen den jeweiligen Jugendverbänden entstanden. Während der gesamten Weimarer Zeit versuchte die SAJ in zahlreichen Anläufen, die Jugendorganisationen des reformistischen Lagers zwecks Erhöhung der Schlagkraft zu einem Kartell zu vereinigen, scheiterte dabei aber in allen Fällen besonders am Widerstand der Gewerkschaftsjugend – ein Hinweis darauf, welche Risse und inneren Gegensätze es bereits in der „sozialdemokratischen Solidargemeinschaft“ der Weimarer Jahre gab. An seine Grenzen stieß auch der gegenkulturelle Ansatz. Die Aktivisten der sozialistischen Jugend-Milieus hatten immer eine Art Gegenkultur und Gegengesellschaft zur bürgerlich-kapitalistischen Welt errichten wollen. In dieser Gegenkultur sollte ein neuer, ein sozialistischer Mensch entstehen mit kommunitären Bedürfnissen und einer nicht-individualistischen Ethik. Kooperation und Solidarität waren hier entscheidende Stichworte, waren Erziehungsnormen für die Neumenschbildung. Daher wehrten sich die Verfechter des jugendlichen Kultursozialismus auch lange und vehement gegen die Übernahme des Wettkampfsports in das Arbeitervereinswesen. Aber in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre gerieten die Wächter der kultursozialistischen Verhaltensweisen immer mehr in die Defensive. Denn vor allem die neue Jugend machte in ihrem Gros nicht mehr mit. Sie wollte nun einmal Fußball spielen, wollten sich messen, wollte rivalisieren, gewinnen, den anderen in die Knie zwingen. Aus Furcht vor weiterem Exodus akzeptierten die Jugendfunktionäre in der sozialistischen Arbeiterbewegung widerwillig die Arbeiterwettkampfvereine. Aber ihre Zeitungen berichteten dann nicht darüber und gaben keine Ergebnisse bekannt. Das verdross Aktive, Zuschauer und Leser. Einige Aktive wechselten zu einem „bürgerlichen“ Club. Die jungen Menschen, das zeigte sich in der

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Zeit des Wettkampfsports und der neuen Freizeitindustrien, waren anders, als die Verfechter eines „neuen Menschen“ es gern gesehen hätten. Das machte der Sozialistischen Arbeiterjugend schwer zu schaffen, insbesondere in den Großstädten. In der sozialistischen Jugendorganisation sollten puritanische Sitten herrschen, die Mitglieder durften keinen Alkohol trinken, durften nicht rauchen, nicht in Paaren tanzen, nicht Karl May lesen, keine Westernfilme ansehen. Das alles galt als „bürgerlicher Schund“. Aber die Mehrheit der (nicht-organisierten) Jugendlichen, auch und gerade der Arbeiterschaft, liebte eben diesen „Schund“, zog ihn jedenfalls der strengen Bildsamkeit und Tugendhaftigkeit der SAJ eindeutig vor.19 So schaffte es die SAJ bis Ende der zwanziger Jahre gerade einmal, 0,72 Prozent der jugendlichen Jahrgänge in Deutschland zu organisieren. Am schlimmsten sah es in den Großstädten mit ihren vielen attraktiven Freizeitmöglichkeiten aus; hier verlor die SAJ stetig an Mitgliedern. Selbst die sozialdemokratische Partei, in welcher der Sittenkodex sehr viel laxer gehandhabt wurde, hatte mit 2,5 Prozent der deutschen Erwachsenen einen höheren Organisationsgrad. 1926 zählte die SAJ 56.000 Mitglieder; im gleichen Jahr umfassten die Sportvereine in Deutschland 1.617.000 Aktive.20 So inkarnierte die SAJ die Krise des weltanschaulichen Sozialismus, das Scheitern ihres umfassenden kulturellen Anspruchs, das Ende des Traums von einem „neuen Menschen“. Insgesamt spiegelte sich in der SAJ die Ambivalenz des demokratischen Sozialismus und seiner Zukunft in der deutschen Gesellschaft wider. Auf der einen Seite antizipierte die Jugendorganisation Trends zur Volkspartei, auf der anderen Seite zeichneten sich in ihrem Mitgliederbestand bereits die Grenzen weiter Reproduktion ab. Die dynamische Entwicklung der Angestelltenschichten war an der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, was die Mitgliederrekrutierung anging, durchaus nicht spurlos vorübergegangen, da sich die SAJ zu einem beachtlichen Teil aus jungen Angestellten zusammensetzte. Besonders im Funktionärskörper der sozialdemokratischen Jugendbewegung spielten die kaufmännischen Angestellten eine beinahe schon herausragende Rolle. 22,4 Prozent der weiblichen und 7,5 Prozent der männlichen Mitglieder in der Arbeiterjugend arbeiteten im kaufmännischen Büro, das waren 12,9 Prozent der SAJ-Mitglieder insgesamt. In der Berliner Arbeiterjugend gehörten gar 18 von 100 Mitgliedern zu den „Stehkragenproletariern“. Kein Zufall war, dass die beiden Reichsvorsitzenden der SAJ in der Weimarer Republik, Max Westphal und Erich Ollenhauer, sowie der Juso-Reichsvorsitzende Franz Lepinski ihre berufliche Ausbildung nicht mehr in einem Handwerks- oder Industriebetrieb, sondern im Kontor erhalten hatten. Die SAJ lag in diesem Punkt ganz im Fahrtwind der gesellschaftlichen Entwicklung, eilte diesem in seinem Funktionärskörper sogar voraus, da der Angestellten- und Beamtenanteil unter den jugendlichen deutschen Erwerbs-

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tätigen insgesamt bei nur 13,1 Prozent lag.21 Schließlich speisten sich die Angestelltenschichten während der Weimarer Republik im Unterschied zum Kaiserreich mehr und mehr aus Kindern aufstiegsorientierter Facharbeiterfamilien – dem klassischen Reservoir mithin des sozialdemokratischen Milieus.22 Und dennoch: Die Nachwuchsrekrutierung als solche entwickelte sich immer stärker zu einem drängenden Problem für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Die Partei hatte größte Schwierigkeiten, die 20- bis 30-Jährigen für sich zu gewinnen. Die SPD-Mitglieder unter dreißig Jahren stellten 1926 insgesamt 17,3 Prozent der Parteizugehörigen; vor dem Ersten Weltkrieg war ihr Anteil noch etwa doppelt so hoch. Der Prozentsatz der zwanzig bis dreißig Jahre alten Deutschen an der wahlberechtigten Bevölkerung lag zur gleichen Zeit bei 28,8. In der jungen Generation war die SPD ausgesprochen unterproportional vertreten.23 Nach der Septemberwahl 1930 radikalisierte sich ein Teil dieser sozialdemokratischen Jugendlichen. Und es differenzierte sich auch die SAJ-Linke, ähnlich wie die sozialdemokratische Parteilinke insgesamt, weiter aus. Die Aussicht, dass die Nationalsozialisten tatsächlich an der Regierungsmacht beteiligt werden könnten, brachte einigen Linken das Fürchten bei.24 Vor allem die führenden Leipziger SAJ-Funktionäre gaben ihren alten Spott, ihre herablassende Distanz gegenüber der Republik auf. Jetzt warnten sie vor einer Geringschätzung der Demokratie, und sie malten sich drastisch und realistisch die Folgen einer nationalsozialistischen Machtübernahme aus. Sie entwickelten sich zu zwar nicht begeisterten, aber doch unzweifelhaften Befürwortern der Tolerierungspolitik. Die Mehrheit der SAJ-Linken aber ging demgegenüber militant nach links. Die revolutionären Illusionen nahmen noch zu. Man wollte den Nationalsozialismus nicht von der Macht fernhalten, sondern sah darin eine besonders günstige Ausgangslage für die sodann nahende Schlacht mit der bourgeoisen Gegenreaktion, als Finale und Ausgangspunkt für den darauf folgenden Sozialismus. Bei der SAJ waren es die Repräsentanten der Linksopposition, die den nationalsozialistischen Machtwillen und die Despotie, die Brutalität des Nationalsozialismus unterschätzten. Dagegen hatte der Verbandschef Erich Ollenhauer die Zugkraft des Nationalsozialismus auch auf die erwerbslose Jugend der Arbeiterschaft durchaus deutlich erfasst. Ollenhauer erkannte, dass die arbeitslose und dadurch besonders perspektivlos-verzweifelte Jugend für die Agitationsmethoden der Nationalsozialisten, für ihre Zukunftsvisionen, für ihre Schlagworte und Verheißungen bestens ansprechbar war. Allerdings betrachtete er dies als eine Folge der schlechten politischen Bildung und mangelnden Kenntnisse dieser Jugendlichen. Als Lösung des Problems verwies er deshalb durchweg auf die Bildungsarbeit unter den Jugendlichen, obwohl er wusste, dass mit diesem Bildungsimpetus letztlich nur

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kleine Gruppen anzusprechen waren. Hierin äußerte sich in den frühen 1930er Jahren die pure Hilflosigkeit des Reformismus, dessen politischen Angebote und Organisationsvorstellungen allein in Phasen der sozialen, ökonomischen und politischen Stabilität griffen, der aber in Zeiten der Krise, in historischen Momenten der Verzweiflung eben diesen desparaten Menschen nichts zu bieten hatte. Ganz deutlich sichtbar wurde dies auf dem Leipziger SPD-Parteitag 1931, als Ollenhauer das Referat über das Problem „Jugend und Partei“ hielt und letztendlich Attentismus zum politischen Programm erhob. Ollenhauer führte in Leipzig aus, es gebe nun einmal keine Zauberformel, keine Parole, kein Rezept, womit man gegenwärtig die Jugend erreichen könne. Man sollte also abwarten, gleichsam auf bessere Zeiten hoffen. Was blieb, war die Schulung der eigenen Truppe, darauf zu insistieren, dass die Macht der Idee stärker sei als die Gewalt der nationalsozialistischen Kampfmilizen.25 Jemand wie Fritz Heine, der in der Emigration und danach ein sehr enger politischer und persönlicher Freund von Erich Ollenhauer wurde, hatte diesen in den früheren dreißiger Jahren für seine Positionen mit Nachdruck kritisiert.26 Tatsächlich hatten Erich Ollenhauer und die reformistische Mehrheitsströmung denjenigen sozialdemokratisch orientierten Jugendlichen, denen an asketischer Bildung nicht gelegen war, die sich für die Sozialdemokratie vielmehr aktivistisch einsetzen wollten, wenig zu bieten. Und gewiss war die Sprache Erich Ollenhauers, mit der er sich in diesen Jahren auch an die eigenen Jugendlichen wandte, zu rationalistisch, zu eng am Vokabular des Parteiestablishments orientiert, zu beflissen ein Stück jugendliche Kopie von Otto Wels. Erich Ollenhauer wäre besser wohl etwas stärker auch Advokat der Parteijugend gewesen, Befürworter der schließlich nicht vollkommen abwegigen Forderungen nach mehr Mitwirkung in den leitenden Parteiinstanzen und parlamentarischen Gremien. Gleichwohl, Ollenhauer und die reformistische Mehrheitsströmung ließen sich bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den proletarischen Wehrgruppen und in ihrer Konzentration auf die politische Erziehungsarbeit von Motiven leiten, die sich nicht mit leichter Hand vom Tisch fegen lassen. Erstens: Immer wieder verwies Ollenhauer darauf, dass linksradikales Vorpreschen rechtsputschistische Gegenreaktionen erleichterte und überhaupt erst möglich machte. Mit einigem Recht konnte er in diesem Zusammenhang auf Italien, auf Ungarn, aber auch auf Bayern zu Beginn der Weimarer Republik verweisen.27 Zweitens: Den revolutionären Utopien der SAJ-Linken von der befreienden letzten Auseinandersetzung in der Schlacht zwischen Bürgertum und Proletariat setzte Ollenhauer – im Einklang übrigens mit Otto Bauer – das düstere, sicher auch realistischere Szenario eines Bürgerkrieges entgegen, der nicht etwa ein blühendes, demokratisches Paradies, sondern viel Chaos, viel Elend und vermutlich die Despotie hervorbringen würde.28 Besonders diese antidespotische Begründung war für Ollenhauer und für

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die reformistischen SAJler gravierend. Drittens: Wesentlich für Ollenhauer war zudem das humanitäre Argument. Die reformistischen SAJIer wandten sich auch deshalb gegen die proletarische Wehrhaftigkeit, gegen die Militarisierung der SAJ, weil sie sich vor den Folgen einer solchen roten Miliz fürchteten. Immer wieder warnten sie vor der Verrohung der Jugendlichen, vor Rekrutenmentalitäten, bei denen anstelle des rationalen Arguments nur noch die Schlagkraft der Faust gelten würde. Im Pathos der damaligen Jahre ausgedrückt: Die SAJler sollten statt des Schlagrings weiterhin ein Buch in ihrer Hemdtasche tragen.29 Viertens: Die SAJ befand sich in einer historisch ganz anderen Situation als die KPD und die NSDAP, die in den frühen dreißiger Jahren als fundamental-oppositionelle Bewegungen auftreten konnten. Aus diesem Stadium waren die SAJ und die Sozialdemokratie aber längst heraus. Sie waren zwar nicht vollständig in das Weimarer System integriert, aber sie waren durch viele Fäden mit dieser Gesellschaft und Republik verbunden. In der Mentalität ihrer Funktionäre, auch der der SAJ, war das Verständnis von der Politik der kleinen Schritte, war der Pragmatismus, war die antiutopische Art, die Politik zu betrachten, tief verankert. Eine solche Organisation konnte nicht einfach wieder in die Tage der Kindheit zurückkehren, alte Utopien hervorholen und mobilisieren. Dazu: Der sozialdemokratische Sozialismus insgesamt hatte in der späten Weimarer Republik im Vergleich zum Kaiserreich seine Jugendlichkeit verloren, seinen Schwung, seinen Elan, gewiss auch seinen naiven Optimismus. Die Sozialdemokraten, kurzum, waren alt geworden in den Weimarer Jahren. Das galt für die Mitglieder wie für die Parteiführer und selbst für die Vertreter der Jugend. In der Parteispitze gab es fast nur noch langbeschäftigte „Arbeiterbeamte“, in Ehren ergraute Lebenslangfunktionäre der Arbeiterbewegung. Mitreißende Reden konnte von ihnen niemand mehr halten. Es gab unter den sozialdemokratischen Parteiführern keinen Volkstribun mehr, keinen Charismatiker, auch keinen Visionär, der neue Begriffe hätte prägen und neue Ziele hätte setzen können. Immer noch redeten die sozialdemokratischen Funktionäre – als wäre die Zeit seit Kaiser Wilhelm und August Bebel stehengeblieben – vom „Volksstaat“, für den sich außerhalb ihrer Kreise aber niemand sonst mehr noch begeisterte. Andererseits: Neue Losungen und Appelle konnte man nicht einfach wie ein Werbeprodukt auf den Markt leidenschaftlicher Emotionen werfen. Um neue Visionen anbieten zu können, Leidenschaften zu entfachen, Bewegtheit zu demonstrieren – also all das, was der SAJ und der Sozialdemokratie oft von Historikern im Nachhinein empfohlen worden ist –, hätten die Träger dieser Politik sich damit selbst identifizieren müssen. Doch dem war nicht so, konnte es auch gar nicht sein. Denn die reformistischen Sozialdemokraten, ob jung oder alt, glaubten an solche Visionen und Utopien nicht mehr. Sie waren davon überzeugt, bestärkt durch die Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass es keinen Klad-

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deradatsch, keinen Zusammenbruch der Gesellschaft geben würde, dass man nicht mit dem vermeintlich entscheidenden Tag der Auseinandersetzung zwischen Bourgeoisie und Proletariat rechnen dürfe, dass die Politik nicht die Erlösung der Menschheit versprechen sollte, dass Visionen sich nicht innerhalb weniger Wochen erfüllen könnten, sondern dass Politik im Wesentlichen etwas zu tun hatte mit pragmatischen Fertigkeiten, mit kleinen Schritten, mit Kompromissen, mit der Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, mit Kompetenz und Geduld. Und doch ist schwer zu leugnen, dass die SAJ-Spitze auf dem Höhepunkt der internen Spannungen, 1930/31, deprimierend hilflos agierte. Sie überantwortete die Lösung der Probleme ratlos den Instanzen der Sozialdemokratischen Partei, womit sich der Jugendverband selbst entmündigte und wodurch in mehreren Regionen administrative Verfahren in Gang gesetzt wurden, die zahlreiche eher diffus-antiautoritäre Linke noch weiter radikalisierten und zum Teil in die Kommunistische Partei trieben.

W AS

BLIEB NACH

1945?

Der Mann an der Spitze der SAJ, Erich Ollenhauer, gelangte dann nach dem Zweiten Weltkrieg, genauer: nach dem Tod von Kurt Schumacher 1952, an die Spitze der Sozialdemokratischen Partei. Zuvor hatte er das politische Porzellan, was der ungestüme, oft apodiktische Schumacher, ein Mann aus dem Umfeld des Hofgeismarkreises, immer wieder lustvoll zerdepperte, still zusammenfegen und zusammenkleben müssen. Ollenhauer war in den frühen 1950er Jahren der Integrator und Moderator seiner Partei. Er kannte das Gros der Parteifunktionäre von Jugend an, von etlichen Reichstagungen, Zeltlagern, Kundgebungen. Er war seit den frühen zwanziger Jahren, seit der gemeinsamen Zeit in den Blaukitteln der sozialistischen Arbeiterjugend, für die mittleren Kader der Sozialdemokratie der „Erich“, dem man vertrauen durfte und konnte. Und als der große Charismatiker Schumacher starb, folgte ihm der im Grunde geborene zweite Mann, der nun die letzte Station der Ochsentour erreicht hatte. Der Rückhalt der Delegierten war 1952 nahezu hundertprozentig, die Rührung groß: Man stand von den Sitzen auf und sang „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ – die Hymne der Jugendbewegung während der Weimarer Jahre. Ollenhauer hat sich in der Geschichtsschreibung der Bonner Republik – soweit überhaupt von ihm die Rede ist – als der gleichsam notorische Verlierer festgesetzt, als Kandidat ohne Chance und ohne Fortune. Wahrscheinlich war Ollenhauer von allen nicht erfolgreichen Kanzlerkandidaten nach 1949 in der Tat die farbloseste Gestalt. Und dennoch hätte ein Kanzler Ollenhauer einen

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kräftigen eigenen Farbtupfer in die Galerie bundesrepublikanischer Regierungschefs hineinbringen können. Denn Ollenhauer wäre, hätte er reüssiert, der erste und einzige Bundeskanzler der Deutschen gewesen, der lediglich die Volksschule besucht hatte. Allein dadurch hätte sich die Republik sozial und kulturell anders charakterisiert, zumindest aber repräsentiert. Aber so weit war die bundesdeutsche Gesellschaft nicht, war im Übrigen auch die SPD nicht, die damals als Partei tüchtiger Facharbeiter und fleißiger Angestellter wohl den sozialen Aufstieg ihrer Anhängerschaften anstrebte, dabei aber doch das tief sitzende Gefühl der Inferiorität nicht zu verbergen vermochte und eben darum gehemmt, ohne Härte und Selbstbewusstsein agierte. Insofern zog sich Weimar in die Bonner Republik hinein. Bemerkenswerterweise hatte die SPD Schumachers und Ollenhauers im Westen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg den jungsozialistischen Strang wieder aufgenommen, den die Partei 1931 noch selbst zerschnitten hatte. Doch erinnerte anfangs lediglich der Name an das historische Vorbild von Weimar; ansonsten war das Selbstverständnis der Jusos nach 1945 ein ganz anderes. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten erfolgte auf Beschluss des Parteivorstands im Mai 1946.30 Bei den Jusos waren formell alle sozialdemokratischen Parteimitglieder bis 35 Jahre organisiert. Bis 1959 wurde die Organisation lediglich durch einen Zentralsekretär geführt, den der Parteivorstand einsetzte. Ein gewählter Bundesvorstand existierte nicht, zwischen 1952 und 1958 fand nicht einmal eine Bundeskonferenz statt. Die Politik der Jungsozialisten wurde allein von der Parteispitze her administriert. Die beiden ersten, zwischen 1959 und 1963 noch vom Bundesausschuss gewählten Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft waren Holger Börner und Jürgen Wischnewski. Letzterer stand noch als 39-Jähriger an der Spitze der sozialdemokratischen Jugend. 1963 durfte erstmals ein Bundeskongress den Vorsitzenden, allerdings noch keinen Vorstand wählen. Einen ordentlichen, handlungsfähigen und demokratisch gewählten Bundesvorstand mit Vorsitzenden, zwei Stellvertretern und vier Beisitzern erhielten die Jusos erst auf ihrem Kongress im März 1967, als sich der sozialdemokratische Jugendverband aus der autoritären Gängelung der Parteispitze löste. Bis Mitte der sechziger Jahre waren die Jungsozialisten mithin eine parteikonforme Organisation, die alle Anweisungen und Vorgaben der Partei loyal befolgte und umsetzte. In erster Linie konzentrierten sich die Jusos auf die Schulungsarbeit. Daneben engagierten sie sich vor allem im Wahlkampf. Sie klebten Plakate und verteilten Werbematerial; sie veranstalteten „Miss-Wahlen“ und kreierten Slogans wie „Hör auf Deine Frau – wähle SPD“. Im Allgemeinen winkte den Aktivisten für solcherlei Einsatz der Lohn einer sicheren Partei- oder Abgeordnetenkarriere. Theoriediskussionen und intellektuelle Dispute reizten die Ju-

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sos der 1950er und frühen 1960er Jahre hingegen nicht. An den Debatten um das neue, schließlich in Godesberg verabschiedete Grundsatzprogramm waren sie nicht beteiligt. Hier konnte die Partei allein aus den Quellen des Parteinachwuchses Weimarer Provenienz schöpfen. In der Tat: Die sozialdemokratische Programmdiskussion erlebte während der 1950er Jahre eine Renaissance des Weimarer Jungsozialismus, mit einer überraschenden Synthese der früher gegensätzlichen Flügel. Kurt Schumacher hatte bereits 1945/46 zu Debatten über den gesellschaftlichen Ort und die Zukunft des demokratischen Sozialismus ermuntert, hatte dafür auch frühere Außenseiter in der Sozialdemokratie eigens zur Mitarbeit aufgefordert. Vor einer umfassenden Programmkorrektur aber scheute er zurück. So spielten sich die theoretischen Diskurse nach 1945 vorerst wieder in kleinen elitären Zirkeln ab, unter dem Dach der Kulturzentrale der Sozialdemokratie, aber ohne das Mandat der Partei, ganz ähnlich wie zu Zeiten der Weimarer Republik. Die meisten der Diskutanten kannten sich auch aus dieser Zeit, vor allem eben aus den hitzigen Kontroversen in der jungsozialistischen Bewegung der frühen zwanziger Jahre. In gewisser Weise wirkten die Kulturpolitischen Konferenzen der späten vierziger Jahre, auf denen die Kleingruppe der sozialdemokratischen Intellektuellen über die Fortentwicklung der sozialistischen Theorie grübelte und disputierte, gar wie ein Veteranentreffen des frühen Weimarer Jungsozialismus, ein Vierteljahrhundert nach den erbitterten Fraktionskämpfen dort. Was damals auseinanderfiel, raufte sich nun zusammen. Dagegen hielten sich die Exponenten der jugendlichen Protestgeneration in der Sozialdemokratie der frühen dreißiger Jahre, wie etwa Fritz Erler und Willy Brandt, von den Theorieexegeten der Kulturpolitischen Konferenzen fern. Schon in Weimar hatten sie mit den introvertierten Philosophierereien der älteren Jungsozialisten nicht viel anfangen können, ihnen ging es stets in erster Linie um Taten, Aktivismus, um Praxis. Dabei blieb es: Die oppositionelle SAJ-Generation der frühen dreißiger Jahre setzte Ende der 1950er Jahre die Organisationsreform in der SPD durch, die versierten jungsozialistischen Theoretiker der frühen zwanziger Jahre – allen voran Willi Eichler und Heinrich Deist – stellten die programmatischen Weichen der Partei neu. Auf den kulturpolitischen Tagungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit erkannten die Protagonisten der früheren jungsozialistischen Flügelkämpfe jetzt die Gemeinsamkeiten, die sie zwar immer schon verbunden hatten, die sie aber im Jugendalter verbohrt nicht hatten wahrhaben wollen. Die jungen sozialdemokratischen Intellektuellen der Weimarer Zeit waren schließlich ganz überwiegend Kultursozialisten gewesen, für welche die Autonomie des menschlichen Handelns höher stand als das Diktat vermeintlicher ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Der Protest aller Mitglieder dieser Gruppe, wie unterschiedlich er auch theoriegeschichtlich gekleidet und fraktionell gewandet war, hatte sich gegen die

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materialistische Denkart der Mitgliedermehrheit und gegen die objektivistischen Lehrsätze in der offiziellen Schulungs- und Programmarbeit der Sozialdemokratie gerichtet. Nun, in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren, verdichtete sich der einst heterogene frühe Weimarer Jungsozialismus zu einem gemeinsamen ethischen Sozialismus, der Endziele nicht mehr formulierte, Gesetzmäßigkeiten in Ökonomie und Geschichte abstritt, die Partei dafür an Grundwerte band, an denen sich das politische Handeln zu messen hatte. Dabei waren die orthodoxen und überkommenen Zentralüberzeugungen der vorangegangenen Jahrzehnte schon 1953/57 aus den Wahlkämpfen der SPD verschwunden. Nur: Es war nichts Neues, kein glanzvoller Ersatz an die Stelle der einst plausiblen, für viele Aktivisten fraglos überzeugenden Losungen getreten. Die SPD hatte bereits ab 1952 klammheimlich Abschied vom klassischen Planungs- und Verstaatlichungssozialismus genommen. Indes, nicht alle mittleren Funktionäre vollzogen das hinreichend mit. Von ihnen konnte man weiterhin noch die alten Modelle gepriesen hören, als in den neuen Manifesten schon ständig lobend von Wettbewerb, Eigentum, freier wirtschaftlicher Entwicklung die Rede war. So war es weniger der überlieferte Dogmatismus, der den Sozialdemokraten schadete. Was die Wähler verwirrte und abstieß, waren vielmehr die Unschärfe, Diffusion und Richtungslosigkeit, welche sich in der SPD auftaten. Diese war der Weimarer Sozialdemokratie somit nach wie vor verbunden, die ja ebenfalls aus ihrer Mitte heraus einen kraftvollen politischen Kurs nicht einzuschlagen imstande gewesen war. Wofür Adenauer stand, das wusste 1953 und 1957 das Wahlvolk ziemlich genau. Was die SPD unter Ollenhauer mit Deutschland vorhatte, war dagegen in jenen Bundestagswahlkämpfen alles andere als eindeutig. Die sozialdemokratische Alternative war nicht – wie oft zu lesen – apodiktisch links, sie war einfach in ihrem Kern nicht zu erkennen. Die Tradition trug nicht mehr, mit dem Neuen aber fremdelten die Ollenhauers, Heines und die anderen Veteranen der SAJ.31 Harte, niederschmetternde Wahlniederlagen waren unter anderem deshalb die Folge. Danach aber ließ sich die Diskussion in der SPD über eine neue Programmatik nicht mehr aufhalten. Immerhin: Erich Ollenhauer sicherte die ihm vermutlich fremde Erneuerung der SPD im sozialistischen Traditionscorps der Marke Otto Wels ab. Doch die Fäden in der Programmrevision und im Lager des ethischen Sozialismus hatten erneut die Repräsentanten derjenigen Gruppe gezogen, die schon im Jungsozialismus der Jahre 1922 bis 1925 organisatorisch am diszipliniertesten und geistig am homogensten auftrat: die Schüler des Göttinger Philosophen Leonard Nelson. Als sich die Anhänger Nelsons nach dem Tode des Meisters, vor allem aber während der Emigration von einigen extravaganten Ideen des Philosophen verabschiedeten, den Vorzug der demokratischen Ordnung allmählich zu schätzen lernten und schließlich nach 1945 das Geheimbündlerische ablegten, konnten sie

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zu einer zweiten, in programmatischer Hinsicht höchst erfolgreichen Karriere in der Sozialdemokratie ansetzen. Ihren Orden hatten sie aufgegeben, aber die Kommunikation untereinander doch aufrechterhalten, sodass sie als disziplinierte Elite, die sie nun einmal waren, in der theoretischen Debatte der vierziger und fünfziger Jahre den Ton angaben und vor allem über ihren Kopf Willi Eichler der programmatischen Revision, die 1959 im Godesberger Programm einen vorläufigen Abschluss finden sollte, deutlich ihren Stempel aufzudrücken vermochten. Der ethische Grundwertesozialismus Nelson’scher Prägung bildete Ende der fünfziger Jahre das geistige Plateau der Sozialdemokratie. Und der durch den Hofgeismarer Jungsozialismus geprägte Heinrich Deist legte die neue, stärker marktwirtschaftliche Linie in der Programmatik der Sozialdemokratie fest. Im Grunde aber spielte das Godesberger Programm in der Partei – anders als gemeinhin angenommen – schon wenige Wochen nach seiner Verabschiedung keine Rolle mehr. Die gouvernemental orientierten Parteireformer – mit Vergangenheit in den aktivistischen jung-linkssozialistischen Abspaltungen der frühen dreißiger Jahre – mochten es nicht. Ihnen war darin immer noch zu viel von Grundwerten, zu postulativ von einer anderen Ordnung der Gesellschaft die Rede. Damit aber wollten die neuen Lenker der SPD Schluss machen; die Partei sollte von nun an bedingungslos pragmatisch, gegenwartsbezogen, realistisch sein, sollte allen ideologischen Flausen abschwören. Sie hatten, so sahen sie es, ihre Lektion schließlich gelernt. Kurzum: Nach einem Jahrhundert der ideologischen Überfrachtung schlug das Selbstverständnis der sozialdemokratischen Wortführer während der frühsechziger Jahre in das andere Extrem um – die Politik der SPD verlor an ideeller Grundierung. So kam die Partei zwar an die Regierungsmacht, begründete damit zugleich aber ihre fortwährende, bis in die Gegenwart reichende Sinnkrise. Historisch an Grenzen stieß schließlich ebenfalls die sogenannte „Sauerteigtheorie“, die im jungen Sozialismus der Weimarer Jahre weit verbreitet war, besonders bei den Intellektuellen, die sich als Arbeiterbildner im Jugendbereich engagierten. Dort begriff man das eigene Tun als „Führerbildung“. Denn: Für komplexe Bildung, für das Verständnis gesellschaftlicher Spannungen, für die Deutung von Vielfalt aus einem Ideenzentrum heraus, für die Fähigkeit zur politischen Integration taugten nach ihrer Überzeugung nur wenige, ob im Bürgertum oder auch in der Arbeiterschaft. Deshalb blieb den Arbeiterpädagogen nur, ausschließlich auf „Eliten“, auf die „Begnadeten“ der unteren Klassen zu setzten. Ob Repräsentanten des linken oder rechten Flügels im Jungsozialismus oder der SPD, sie alle hatten nie einen Zweifel, dass zur tiefen Erkenntnis und zur kraftvollen politischen Führung allein eine „kleine Zahl“ befähigt wäre. Sie schätzten, gerade zum Ende der Weimarer Republik hin, nicht die Masse, nicht die

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Klasse an sich, sondern die kleine Gruppe „berufener“ oder „auserwählter“, nach Bildung drängender Jungarbeiter im Sozialismus. Die Arbeiter- und Jugendbildner der Weimarer Republik hatten sich während der ganzen Zeit ihres Aktivismus gesorgt, dass ihre kleine Elite am Ende nicht wie ein Sauerteig in der eigenen Klasse fortwirken würde, um diese insgesamt zu heben und zu emanzipieren, sondern im Gegenteil allein den individuellen Aufstieg versuchen könnte. Dann hätte die Arbeiterbildung durch erfolgreiche kognitive Vermittlung die Besten von der Arbeiterklasse gelöst und entfremdet. Schon in den Weimarer Jahren wurden in internen Diskussionen Beispiele für solche unerwünschten Fehlentwicklungen genannt, denen aber entgegengewirkt werden konnte, solange der Ethos der sozialistischen Programmatik und des Zukunftsversprechen nicht zuletzt durch die Theoretiker und Pädagogen, von denen etliche jüdischer Herkunft waren, wachgehalten, auch sprachlich in einprägsame Bilder gefasst wurde. Indes: Dieser Typus des sozialistischen Arbeiter- und Jugendbildners, die Gruppe der jüdischen Intellektuellen fehlten nach dem Nationalsozialismus und dem Holocaust in der Bildungs- und Theoriearbeit der deutschen Sozialdemokratie. Experimente wie die Leipziger Volksbildungsheime oder Schloss Tinz setzten sich nach 1945 nicht fort. Die autonome Arbeiterbildung stand seither nicht mehr im Zentrum sozialdemokratischer Emanzipationsanstrengung. Stattdessen wurde die staatliche Schul- und Hochschulpolitik nach Ende der Adenauer-Ära im Zuge der sozialdemokratischen Bildungsreform zum Hebel für mehr Chancengleichheit. In diesem Prozess ergriffen etliche hunderttausende von Kindern aus den Facharbeitermilieus ihre Chance, machten insbesondere in den 1970er Jahren ihr Abitur und erlangten den Hochschulabschluss. Es entstand so die Sozialdemokratie der „Neuen Mitte“. Ein Teil der früheren Arbeiterklasse, ihre Elite gewissermaßen, war sozial aufgestiegen; der andere Teil blieb „führungslos“ zurück und entfremdete sich Zug um Zug von ihrer früheren Partei, was frühere Stammquartiere des proletarischen Sozialismus sukzessive zu Diasporagebieten der aus dem Arbeitermilieu emporgestiegenen Sozialdemokratie werden ließ.32

Abkürzungsverzeichnis

AB ADGB a.d.V. AfA-Bund AJ ASB AdsD BRS BVW C.V DAAB DAS DASZ DDP DG DNVP DRSB DSt DStV DVP DVZ FSJ HE HV i.B.d.V. IJB ISK

Arbeiter-Bildung Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund an den Verfasser Allgemeiner freier Angestelltenbund Arbeiter-Jugend Arbeiter-Samariter-Bund Archiv der sozialen Demokratie Blätter für religiösen Sozialismus Breslauer Volkswacht Cartell-Verband der katholischen deutschen Studentenverbindung Deutscher Arbeiter-Abstinenten-Bund Deutscher Arbeiter-Sängerbund Deutsche Arbeiter Sänger-Zeitung Deutsche Demokratische Partei Die Gesellschaft Deutschnationale Volkspartei Deutscher Republikanischer Studentenbund Deutsche Studentenschaft Deutscher Studentenverband Deutsche Volkspartei Düsseldorfer Volkszeitung Freie Sozialistische Jugend Hamburger Echo Hagener Volksstimme im Besitz des Verfassers Internationaler Jugend-Bund Internationaler Sozialistischer Kampf-Bund

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IWK JB JS KAPD KJ KJV KK Kofra KPD KPO L/L-Feiern LVZ MAK MEW MSPD NBfS NS NSDAP PR RZ SAJ SAJO SAP(D) SKB SM SPD SPW SSG SSt USP(D) VSPD v.a. VAJV Verf. VSStÖ ZdA

Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Jungsozialistische Blätter Jungsozialisten Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands Kommunistische Jugend Kommunistischer Jugendverband Klassenkampf Kommunistische Fraktion Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei-Opposition Luxemburg/Liebknecht-Feiern Leipziger Volkszeitung Marxistischer Arbeitskreis Marx-Engels-Werke Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands Neue Blätter für den Sozialismus Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Politischer Rundbrief Rheinische Zeitung Sozialistische Arbeiterjugend SAJ-Opposition Sozialistische Arbeiterpartei (Deutschlands) Sozialistischer Kampfbund Sozialistische Monatshefte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Politik und Wirtschaft Sozialistische Studentengemeinschaft Sozialistische Studentenschaft Deutschlands und Österreichs Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vereinigte Sozialdemokratische Partei Deutschlands vor allem Verband der Arbeiterjugendvereine Deutschlands Verfasser Verband Sozialistischer Studentengruppen Deutschlands und Österreichs Zentralverband der Angestellten

Anmerkungen

V ORWORT 1

Siehe hierzu die Veröffentlichungen des Verfassers, deren Resultate auch im Folgenden vielfach Niederschlag gefunden haben: Jungsozialisten in der Weimarer Republik, Göttingen 1983; Nationale Romantik und revolutionärer Mythos. Politik und Lebensweisen im frühen Weimarer Jungsozialismus, Berlin 1986; Das Wirken von Walter Fabian in der jungsozialistischen Bewegung der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Jg. 5 (1982) H. 16, S. 246-253; Sozialismus oder Absturz in die Geschichtslosigkeit? Fritz Sternberg und die sozialdemokratische Linke in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, Jg. 7 (1984) H. 22, S. 19-29; Schloß Tinz: eine Schule der Jungsozialisten, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Jg. 7 (1984) H. 25, S. 430-434; Sozialistische Jugendbewegung, in: Meyer, T. et al. (Hg.): Lexikon des Sozialismus, Köln 1986, S. 569 ff.; Jugend in der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft. Eine organisationssoziologische Studie über die Sozialistische Arbeiterjugend Deutschlands (SAJ), in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Jg. 23 (1987) H. 3, S. 311-376; Proletarische Wehrhaftigkeit versus republikanische Erziehung, in: Grebing, H./Kinner, K. (Hg.): Arbeiterbewegung und Faschismus. FaschismusInterpretationen der europäischen Arbeiterbewegung, Essen 1990, S. 294-304; Solidargemeinschaft und Milieu. Sozialistische Kultur- und Freizeitorganisationen in der Weimarer Republik (eingel. u. hg. von P. Lösche in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission zu Berlin), 4 Bde., Bonn 1990 ff.

II. J UNGSOZIALISMUS IN DEN T URBULENZEN DER N ACHKRIEGSJAHRE 1

Vgl. Eberts, E.: Arbeiterjugend 1904-1945. Sozialistische Erziehungsgemeinschaft – Politische Organisation. Frankfurt am Main 1980, S. 43 f.; Meier-Cronenmeyer, H.:

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Leitbild und Lebensreformen. Zu Dokumenten und Darstellungen der Deutschen Jugendbewegung, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Jg. 19 (1983) H. 4, S. 570-594, hier S. 574. 2

Der damit hadernde Kieler Jungsozialist August Rathmann sprach bissig vom „weiblichen Regiment“ bei den Jungsozialisten; siehe Hamburger Echo (HE), 03.01.1921.

3

Zu diesem Zeitraum auch Stadelmaier, M.: Zwischen Langemark und Liebknecht.

4

Vgl. Schult, J.: Geschichte der Hamburger Arbeiter 1890-1919, Hannover 1967, S.

5

Hierzu die betrachtenden Bilanzen in der Leipziger Volkszeitung vom 20.05.1921; für

6

Vgl. auch Musial, M.: Jugendbewegung und Emanzipation der Frau. Ein Beitrag zur

Arbeiterjugend und Politik im I. Weltkrieg, Bonn 1986. 319. die Arbeiter-Jugend Beilage der Breslauer Volkswacht Nr. 6, 1926. Rolle der weiblichen Jugend in der Jugendbewegung bis 1933, Essen 1982 (Diss.), S. 74 f. 7

Siehe hierzu Neitzel, S.: Weltkrieg und Revolution 1914-1918/19, Berlin 2008, S. 131 ff.

8

Vgl. Helf, W.: Die Träume vom besseren Leben. Autobiographische Skizzen 1900-

9

Arbeiter-Bildung (AB), März 1921, S. 71.

1933, Köln 1977, S. 251. 10 Insgesamt auch Geyer, M.H.: Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne. München 1914-1924, Göttingen 1998. 11 Vgl. Linse, U.: Barfüßige Propheten: Erlöser der zwanziger Jahre, Berlin 1983, S. 103 ff.; Lucas, E.: Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1977, S. 53. 12 Linse, U.: Asien als Alternative? Die Alternativkulturen der Weimarer Zeit: Reform des Lebens durch Rückwendung zu asiatischer Religiosität, in: Kippenberg, H.G./Luchesi, B. (Hg.): Religionswissenschaft und Kulturkritik, Marburg 1991, S. 325-364; auch Baumann, M.: „Importierte Religionen“. Das Beispiel Buddhismus, in: Krebs, D./Reulecke, J. (Hg.): Handbuch der deutschen Reformbewegungen 18801933, Wuppertal 1998, S. 513-522. 13 Vgl. Linse, U. (Hg.): Zurück, o Mensch zur Mutter Erde. Landkommunen in Deutschland 1890-1933, München 1983, S. 89 ff. 14 Vgl. Laqueur, W.: Die Deutsche Jugendbewegung. Eine historische Studie, Köln 1978, S. 132; Linse 1983, passim. 15 Auch: Doering-Manteuffel, A.: Suchbewegungen in der Moderne. Religion im politischen Feld der Weimarer Republik, in: Graf, F.W./Große Kracht, K. (Hg.): Religion und Gesellschaft. Europa im 20. Jahrhundert, Köln u.a. 2007, S. 175-202. 16 Vgl. Eppe, H.: 100 Jahre Sozialistische Jugend im Überblick, in: ders./Herrmann, U. (Hg.): Sozialistische Jugend im 20. Jahrhundert. Studien zur Entwicklung und politischen Praxis der Arbeiterjugendbewegung in Deutschland, Weinheim/München 2008, S. 43-68, hier S. 44 ff.

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17 Vgl. zu diesen Zusammenhängen die Überlegungen von Lösche, P.: Über den Zusammenhang von reformistischen Sozialismustheorien und sozialdemokratischer Organisationspraxis in der Weimarer Republik. Einige Überlegungen, in: Heimann, H./Meyer, T. (Hg.): Reformsozialismus und Sozialdemokratie. Zur Theoriediskussion des Demokratischen Sozialismus in der Weimarer Republik, Berlin/Bonn 1982, S. 13-32; vgl. auch Lösche, P./Scholing, M.: Solidargemeinschaft im Widerstand – Eine Fallstudie über „Blick in die Zeit“, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Jg. 19 (1983) H. 4, S. 517-561, hier S. 517-520. 18 Vgl. hierzu Schönhoven, K.: Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozialstaat, München 1989, S. 60 f. u. S. 80 f. 19 Vgl. Wheeler, R.F.: USPD und Internationale. Sozialistischer Internationalismus in der Zeit der Revolution, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1975, S. 256; auch Tenfelde, K.: Großstadtjugend in Deutschland vor 1914, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Jg. 69 (1982), H. 2, S. 182-218, hier S. 216 ff.; vgl. auch den Beitrag von G.A. Ritter in: Vetter, H.O. (Hg.): Aus der Geschichte lernen – die Zukunft gestalten. Dreißig Jahre DBG. Protokoll der Wissenschaftlichen Konferenz zur Geschichte der Gewerkschaften vom 12. und 13. Oktober 1979 in München, Köln 1980, S. 112 f. 20 Vgl. hierzu (AB) Okt. 1920, S. 90; Lepinski, F.: Die jungsozialistische Bewegung. Ihre Geschichte und ihre Aufgaben, Berlin 1927, S. 41; Hägel, H.: Die Stellung der sozialdemokratischen Jugendorganisationen zu Staat und Partei in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Jg. 12 (1976) H. 2, S. 166-216, hier S. 198. 21 Das gilt auch für die MSPD des Görlitzer Programms; vgl. Lehnert, D.: Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 1848 bis 1983, Frankfurt am Main 1983, S. 134; vgl. auch Miller, S.: Das Verhältnis der Sozialdemokratie zur Theorie des Sozialismus in der Weimarer Republik, in: Heimann/Meyer (Hg.) 1982, S. 395-411, hier S. 405. 22 Zitiert nach Müller, G.: Das Leben des Arbeiterdichters Karl Bröger, in: Kett, S./ Scholz, M./Zintl, H. (Hg.): Karl Bröger – Arbeiterdichter, Journalist und Politiker. Dokumentation zum Symposium am 4.Oktober 2008 in Nürnberg, Nürnberg 2009, S. 12-49, hier S. 23. 23 Breslauer Volkswacht (BVW), 05.08.1923. 24 Vgl. u.a. AB, Sept. 1920, S. 62; AB, Juli 1921, S. 165. 25 Jungsozialistische Blätter (JB), H. 3/1928, S. 69. 26 Helf 1977, S. 311. 27 Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: Archiv der sozialen Demokratie Bonn (AdsD), S. 96. 28 Fred Lynn [d.i. Fritz Lewy, a.d.V.].

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29 Insgesamt zu diesem Diskurs: Wedemeyer-Kolwe, B.: „Der neue Mensch“. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg 2004. 30 Linse, U.: Lebensreformen der bürgerlichen und proletarischen Jugendbewegung, in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Bd. 10/1978, S. 24-55, hier S. 28 ff. 31 Vgl. hierzu Laqueur, W.: Weimar, Frankfurt am Main 1977, S. 52; ders. 1978, S. 75. 32 Zur modischen Entwicklung der Damenkleidung: Musial 1982, S. 142. 33 Franz Osterroth [a.d.V.]. 34 Zitiert nach Adamek, K./Pohl, K. (Hg.): Lieder der Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1981, S. 150; zur ursprünglichen Rezeption des Liedes in der Hamburger Arbeiterjugendbewegung vgl. die Schilderungen bei Victor, W.: Köpfe und Herzen, Weimar 1950, S. 59. 35 Vgl. JB H. 4/1923, S. 50. 36 Edwin Grützner: Erinnerungen, unveröffentl. Manuskript (i.B.d.V.). 37 So etwa Musial 1982, S. 158. 38 Joergens, B.: Kameradschaft, Emanzipation und Gleichheit. Konzepte sozialistischer Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik und nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Eppe, H./Herrmann, U. (Hg.): Sozialistische Jugend im 20. Jahrhundert. Studien zur Entwicklung und politischen Praxis der Arbeiterjugendbewegung in Deutschland, Weinheim/München 2008, S. 120-159. Joergens äußert sich auch skeptisch gegenüber dem Prinzip der Koedukation in der sozialdemokratischen Jugendbewegung, da das mit „Anpassungsdruck und Verleugnung von Weiblichkeit“ (ebd.) für Mädchen und junge Frauen verbunden gewesen sei. Ausführlich auch: Andresen, S.: Mädchen und Frauen in der bürgerlichen Jugendbewegung. Soziale Konstruktion von Mädchenjugend, Neuwied 1997, S. 231 ff. 39 Hierzu Kartschoke, E.: Fastnachtsspiel, in: Frey, W./Raitz, W./Seitz, D. (Hg.): Einführung in die deutsche Literatur des 12. bis 16. Jahrhunderts, Bd. 3: Bürgertum und Fürstenstaat: 15./16. Jahrhundert, Opladen 1981, S. 114-138; vgl. auch Bröger, K.: Hans Sachs und seine Volksspiele, in: o.V. (Hg.): Unser Reichsjugendtag in Nürnberg, Berlin 1923, S. 21-25; Mochmann, P.: Hans Sachs und die Arbeiterjugend, in: o.V. (Hg.): Unser Reichsjugendtag in Nürnberg, Berlin 1923, S. 44 ff. 40 Vgl. hierzu die Interpretation von V. Engelhardt in: Der Führer H. 10/1926, S. 146; vgl. auch: Schult, J.: Aufbruch einer Jugend. Der Weg der deutschen Arbeiterjugend, Bonn 1956, S. 180; Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands, Sitz Berlin (Hg.)/Müller, E.R. (Bearb.): Das Weimar der arbeitenden Jugend. Niederschriften und Bilder vom ersten Reichsjugendtag der Arbeiterjugend vom 28. bis 30. August 1920 in Weimar, Magdeburg/Berlin 1920, S. 52. 41 Ebd., S. 9. Zum Reichsjugendtag in Weimar vgl. auch die Berichte von Walter Korb in: Rheinische Zeitung (RZ), 04.09., 07.09. u. 08.09.1920.

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42 Schmidt, A.: „…einzig Karl Bröger“. Nürnbergs bekanntester Schriftsteller in den zwanziger Jahren, in: Kett/Scholz/Zintl (Hg.) 2009, S. 62-77, hier S. 64. 43 Ebd. 44 Vgl. hierzu auch Hepp, C.: Avantgarde. Moderne Kunst, Kulturkritik und Reformbewegungen nach der Jahrhundertwende, München 1987, S. 11 ff. 45 Linse, U.: Antiurbane Bestrebungen in der Weimarer Republik, in: Alter, P. (Hg.): Im Banne der Metropolen, Göttingen 1993, S. 314-344; auch Linse, U.: Der Wandervogel, in: François, E./Schulze, H. (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, München 2001, S. 531-548. 46 Fritzen, F.: Gesünder leben. Die Lebensreformbewegungen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 31. Zu den Ambivalenzen der Moderne vgl. auch Radkau, J.: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München/Wien 1998, S. 173 ff. 47 Linse, U.: Die Jugendkulturbewegung, in: Vondung, K. (Hg.): Das wilhelminische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen, Göttingen 1976, S. 119-137, hier S. 124; vgl. auch Frecot, J.: Die Lebensreformbewegung, in: ebd., S. 138-152. 48 Zu den Lebensreformbewegungen vgl. auch Buchholz, K. et al. (Hg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Darmstadt 2001; Barlösius, E.: Naturgemäße Lebensführung. Zur Geschichte der Lebensreform um die Jahrhundertwende, Frankfurt am Main/New York 1996. 49 Vgl. für die Arbeiterkultur Langewiesche, D.: Arbeiterbildung in Deutschland und Österreich. Konzeption, Praxis und Funktionen, in: Conze, W./Engelhardt, U. (Hg.): Arbeiter im Industrialisierungsprozeß. Herkunft, Lage und Verhalten, Stuttgart 1979, S. 439-464, hier S. 441; vgl. auch Tenfelde, K.: Anmerkungen zur Arbeiterkultur, in: Ruppert, W. (Hg.): Erinnerungsarbeit. Geschichte und demokratische Identität in Deutschland, Opladen 1982, S. 107-134, hier S. 122. 50 Vgl. hierzu De Man, H.: Der Sozialismus als Kulturbewegung, Berlin 1926, S. 35 f.; vgl. auch Wagner, R.: Über die Kulturschichtung, in: Der Kampf H. 6/1926, S. 252. 51 Vgl. Benninghaus, C.: Die anderen Jugendlichen. Arbeitermädchen in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main/New York 1994, S 58. 52 Vgl. hierzu kritisch Otto Neurath in: Der Kampf H. 7/1928, S. 321. 53 Allgemein zum Phänomen: Preuß, R.: Verlorene Söhne des Bürgertums. Linke Strömungen in der deutschen Jugendbewegung 1913-1919, Köln 1991. 54 Vgl. hierzu die präzisen Informationen bei Rathmann, A.: Ein Arbeiterleben. Erinnerungen an Weimar und danach, Wuppertal 1983, S. 48 ff. 55 BVW 1921 ff. u. Auskunft Fritz Lewy. 56 Osterroth, F.: Der Hofgeismarkreis der Jungsozialisten, in: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 4/1964, S. 525-569, hier S. 534. 57 Vgl. Ulrich, T.: Ontologie, Theologie, Gesellschaftliche Praxis, Zürich 1971, S. 213 ff.; Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 97; Rathmann 1983, S. 62 f.

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58 Vgl. dessen Biographie: Osterroth, F.: Vom katholischen Bergmann und Mitglied der Zentrumspartei zum aktiven Sozialdemokraten, in: ders.: Vom Beter zum Kämpfer, Berlin/Bonn 1980. 59 Ders.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 69. 60 Ebd., S. 70. 61 Craig, G.A.: Über die Deutschen, München 1982, S. 217. 62 Vgl. Soffner, H.: Die proletarische Jugend. Ihre Stellung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, Jena 1929, S. 90 ff. 63 AB H. 9/1921, S. 66. 64 JB H. 2/1922, S. 31. 65 AB H. 9/1920, S. 66; JB H. 3/1923, S. 47. 66 JB H. 3/1922, S. 59; JB H. 5/1922, S. 85. 67 JB H. 5/1925, S. 158. 68 So Wilhelm Krüger in: Das freie Wort, 31.05.1931, S. 26. Auch der Geschäftsführer der Jungsozialisten, Alexander Stein, sprach auf der Juso-Reichskonferenz in Leipzig 1931 von 3000 Mitgliedern; vgl. Leipziger Volkszeitung (LVZ), 07.04.1931. Hingegen nannte A. Crispien auf einer Versammlung in Leipzig überraschend die Zahl von 4000 Juso-Mitgliedern; vgl. LVZ, 24.01.1931. 69 Vgl. AB H. 6/1921, S.140; JB H. 2/1925, S. 62. 70 JB H. 2/1925, S. 62. 71 Vgl. JB H. 6/1922, S.99. 72 Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages des Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Kassel, 10.-16. Okt. 1920, Berlin 1920, S. 318. 73 Vgl. JB H. 1/1923, S. 15; JB H. 7/1923, S. 116; JB H. 11/1922, S. 183. 74 So z.B. Erich Fäse in: Der Firn, 15.07.1921, S. 538. 75 HE, 03.01.1921. 76 Vgl. für Breslau BVW, 08.03. u. 16.03.1921. 77 HE, 03.01.1921; AB H. 1/1920, S. 16 f. 78 AB H. 6/1921, S. 139; AB H. 8/1921, S. 178. 79 Vgl. die Gruppenberichte in der Arbeiter-Bildung 1920-21 und den Jungsozialistischen Blättern 1922-23; ferner BVW 1921-23; RZ 1922/23; HE 1922/23 u. Mittelungen der Zeitzeugen. 80 Vgl. BVW, 22.11.1921. 81 Vgl. hierzu auch Langewiesche, D.: Zur Freizeit des Arbeiters. Bildungsbestrebungen und Freizeitgestaltung österreichischer Arbeiter im Kaiserreich und in der Ersten Republik, Stuttgart 1980, S. 54 ff. 82 Vgl. H. Reichenbach in: Das junge Deutschland 1930, H. 5, S. 225. 83 Vgl. Neuner, I.: Der Bund entschiedener Schulreformer 1919-1933. Programmatik und Realisation, Bad Heilbrunn/Oberbayern 1980.

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84 Allgemein hierzu auch Ullrich, H.: Schulreform aus dem Geiste der Jugendbewegung, in: ders. (Hg.): „Mit uns zieht die neue Zeit…“. Der Wandervogel in der deutschen Jugendbewegung, Weinheim/München 2006, S. 377-402 (mit Dokumenten). 85 Zitiert nach Böhm, W.: Paul Oestreich und das Problem der sozialistischen Pädagogik in der Weimarer Republik, in: Heinemann, M. (Hg.): Sozialisation und Bildungswesen in der Weimarer Republik, Stuttgart 1976, S. 187-201, hier S. 198. 86 Vgl. die Zwischenbilanzen zur jungsozialistischen Kinderarbeit in: BVW, 29.12.1923; JB H. 4/1924, S. 77 ff. 87 Vgl. BVW, 29.12.1923; JB H. 1/1922, S. 15; JB H. 4/1924, S. 77 f.; JB H. 11/1922, S. 184; JB H. 12/1923, S. 236. 88 Hierzu Löwenstein, K.: Sozialismus und Erziehung. Eine Auswahl aus den Schriften 1919-1933, Bonn/Bad Godesberg 1976; Wolter-Brandecker, R.: Sie kamen aus einer dumpfen Stadt. Arbeiterkindheit und Kinderfreundebewegung in Frankfurt am Main 1919-1933. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte sozialistischer Erziehung, Bonn 1982. 89 Vgl. v.a. RZ, 13.11.1918; vgl. zu solchen „Räten“ BVW, 02.12.1929; Klassenkampf (KK) H. 10/1929, S. 306; Laqueur 1977, S. 92. 90 Vgl. die Entschließung des Breslauer „Volksbundes für neue Erziehung“ vom 12.11.1921 zur Volkshochschulfrage, BVW 22.11.1921. 91 Vgl. JB H. 4/1923, S. 61; JB H. 8/1923, S. 144; JB H. 9/1923, S. 176; JB H. 12/1923, S. 234; JB H. 4/1924, S. 79. 92 Vgl. Borinski, F.: Adolf Reichwein – sein Beitrag zur Arbeiterbildung und Erwachsenenbildung, in: Huber, W./Krebs, A.: Adolf Reichwein 1898-1944. Erinnerungen, Forschungen, Impulse, Paderborn 1981, S. 63-86, hier S. 77 ff. 93 Vgl. Rädle, H.: Erwachsenenbildung und staatsbürgerliche Erziehung – Die volksbildnerischen Schriften Hermann Hellers, in: Paedagogica Historica, Jg. 9 (1969) H. 2, S. 425-451, hier S. 441 ff. 94 Vgl. Olbrich, J.: Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland, Bonn 2001. 95 Vgl. Meyer, K.: Arbeiterbildung in der Volkshochschule. Die „Leipziger Richtung“. Ein Beitrag zur deutschen Volksbildung in den Jahren 1922-1933, Stuttgart 1969, S. 133 ff. 96 Zu den Anfeindungen aus der Leipziger Partei vgl. LVZ, 17.02 u. 02.05.1923 u. 16.02.1924. 97 Vgl. AB H. 8/1921, S. 191 ff.; JB H. 6/1922, S. 94; JB H. 1/1923, S. 4 u. S. 9. 98 Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands, Sitz Berlin (Hg.)/Müller, E.R. (Bearb.): Das Weimar der arbeitenden Jugend. Niederschriften und Bilder vom ersten Reichsjugendtag der Arbeiterjugend vom 28. bis 30. August 1920 in Weimar, Magdeburg/Berlin 1920, S. 218. 99 AB H. 9/1921, S. 218. 100 AB H. 10/1921, S. 247; JB H. 4/1923, S. 50. 101 Der Firn, 15.07.1921, S. 537. 102 AB H. 1/1921, S. 15; JB H. 10/1922, S. 159; JB H. 4/1923, S. 60.

378 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

103 Vgl. Schult, J.: Der Sozialismus als neue Lebensgestaltung, in: Zentralbildungsausschuss der SPD (Hg.): Jungsozialismus. Festschrift zur Bielefelder Jungsozialismustagung am 29.7.1921, Berlin 1921, S. 11 ff., hier S. 12 f.; vgl. auch: Der Firn, 15.07.1921, S. 537; JB H. 9/1923, S. 160. 104 AB H. 1/1921, S. 15; JB H. 8/1922, S. 129. 105 Brief von Heiner Schön an unbekannten Adressaten, im Besitz von Edwin Grützner. 106 HE, 03.01.1921; AB H. 1/1921, S. 16 f.; Vorwärts, 04.01.1921; vgl. besonders JB (Berlin-Schmargendorf) H. 6/1921, S. 67 ff. 107 AB H. 1/1921, S. 17. 108 Ebd. 109 Vgl. Rathmann 1983, S. 62 ff. 110 So bei Hägel 1976, S. 199. 111 Vgl. AB H. 5/1921, S. 122 f.; BVW, 08.08. u. 12.08.1921; Korrespondenzblatt des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), H. 3/1922, S. 34 u. H. 7/1922, S. 93. 112 JB H. 10/1922, S. 154; ähnliche Kritik übte auch Lamm, vgl. AB H. 10/1921, S. 245 f. 113 Korrespondenzblatt des ADGB, H. 3/1922, S. 34; Vorwärts, 08.01.1922. 114 JB H. 10/1922, S. 153. 115 AB H. 8/1921, S 177; vgl. auch den etwas abweichenden Kongressbericht in: RZ, 02.08.1921. 116 AB H. 8/1921, S. 179. 117 AB H. 9/1921, S. 216; AB H. 10/1921, S. 247. 118 AB H. 8/1921, S. 179; RZ, 02.08.1921.

III. F LÜGELBILDUNG WÄHREND UND R UHRKRISE

DER I NFLATIONS -

1

Vgl. Büttner, U.: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933, Stuttgart 2008, S. 164.

2

Vgl. Wolowicz, E.: Linksopposition in der SPD von der Vereinigung mit der USPD 1922 bis zur Abspaltung der SAPD 1931, Bonn 1983, S. 108 ff.; Klenke, D.: Die SPD-Linke in der Weimarer Republik. Eine Untersuchung zu den regionalen organisatorischen Grundlagen und zur politischen Praxis und Theoriebildung des linken Flügels der SPD in den Jahren 1922-1932, Bd. 1, Münster 1983, S. 130 ff.

3

Die Zuordnung orientiert sich an der Begrifflichkeit von Mommsen, H.: Nationalismus in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: Acham K. (Hg.): Gesellschaftliche Prozesse. Beiträge zur historischen Soziologie und Gesellschaftsanalyse, Graz 1983, S. 208-217, besonders S. 213.

4

Vgl. JB H. 10/1922, S. 126f.; JB H. 1/1923, S. 9; H. 2/JB 1923, S. 17 ff.

5

JB H. 2/1923, S. 18.

A NMERKUNGEN III. K APITEL

6

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Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 137; vgl. auch: Der Kochel-Brief, Mitteilungsblatt der Georg von VollmarSchule. München 1952, H. 9/10, S. 75.

7

Vgl. Helf 1977, S. 357 f.; Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes

8

Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in:

9

Vgl. zu Hofgeismar auch Winkler, H.A.: Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbei-

Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 113 ff. AdsD, S. 115. terbewegung in der Weimarer Republik 1924 bis 1930, Berlin/Bonn 1985, S. 367 ff. 10 Vgl. auch Walter, F.: Zwischen nationaler Romantik und sozialdemokratischer Reformpolitik. Der Hofgeismar-Kreis der Jungsozialisten und seine Wirkungen auf die SPD in der Weimarer Republik, in: Rudloff, M. (Hg.): Sozialdemokratie und Nation. Der Hofgeismarkreis in der Weimarer Republik und seine Nachwirkungen, Leipzig 1995, S. 46-60. 11 Zitiert nach Osterroth 1964, S. 536. 12 Zu Hofgeismar vgl. Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 119 ff.; ders.: Hofgeismarkreis 1964, S. 536 ff.; Rathmann 1983, S. 66 ff.; Oschilewski, W.G.: Der Hofgeismarkreis der Jungsozialisten, in: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 23 (1926) H. 9, S. 180-185, hier S. 182 ff.; Sozialistische Monatshefte (SM), H. 9/1923, S. 723; RZ, 30.05.1923. 13 JB H. 6/1923, S. 90. 14 JB H. 6/1923, S. 84 f. 15 Ebd., S. 85. 16 Ebd., S. 92. 17 Ebd., S. 89. 18 Ebd., S. 85. 19 Vgl. ebd., S. 108. 20 Vgl. ebd., S. 109. 21 Stefan Vogt schreibt, dass das handschriftliche Manuskript dieser Rede, das er im Nachlass von Alma de l’Aigle gesichtet hat, „noch deutlicher völkisch war, als es aus dem von Osterroth wiedergegebenen Teil bereits ersichtlich wird“; Vogt, S.: Nationaler Sozialismus und soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte 19181945, Bonn 2006, S. 86. 22 Vgl. JB H. 6/1923, S. 94 ff. 23 Ebd., S. 94. 24 Ebd., S. 96. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. Osterroth 1964, S. 540; Rathmann 1983, S. 66 f. 27 Vgl. auch Radbruch, G.: Der innere Weg. Aufriß meines Lebens, Stuttgart 1951, S. 162 ff.; auch Perels, J.: Politik am Abgrund. Die Herausforderung des Reichsjustizmi-

380 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

nisters in den Krisenjahren 1922/23, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.)/Mohr, I. (Bearb.): Gustav Radbruch als Reichsjustizminister (1921-1923). Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung/Forum Berlin, 24. Mai 2004 in Berlin, Berlin 2004, S. 63-78. 28 JB H. 6/1923, S. 98. 29 Vgl. JB H. 6/1923, S. 98. 30 Ebd., S. 100 f. 31 Zum Programm der Studentengruppen vgl. Blätter für religiösen Sozialismus (BRS), H. 7/1921, S. 28. 32 Vgl. auch Holzhey H. (Hg.): Ethischer Sozialismus. Zur politischen Philosophie des Neukantianismus, Frankfurt am Main 1994. 33 JB H. 6/1923, S. 103. 34 Ebd. 35 Vgl. ebd., S. 104. 36 Benöhr, H.-P.: Hugo Sinzheimer (1875-1945), in: Diestelkamp, B./Stolleis, M. (Hg.): Juristen an der Universität Frankfurt am Main, Baden-Baden 1989, S. 67-83, hier S. 67. 37 Vgl. Rathmann 1983, S. 67; Osterroth 1964, S. 544; Dahrendorf in RZ, 30.05.1923. 38 Knorre, S.: Soziale Selbstbestimmung und individuelle Verantwortung. Hugo Sinzheimer (1875-1945). Eine politische Biographie, Frankfurt am Main u.a. 1991, S. 14. 39 JB H. 6/1923, S. 106. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Auch Krabbe, W.R.: Freideutsche Spuren in der frühen Parteijugend (1918-1923), in: Baumgartner, J./Wedemeyer-Kolwe, B. (Hg.): Aufbrüche – Seitenpfade – Abwege. Suchbewegungen und Subkulturen im 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 21-29, hier S. 28. 43 Winkler, H.A.: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/Bonn 1984, S. 224. 44 Ebd., S. 561. 45 Insofern ist ein wenig rätselhaft, wieso Stefan Vogt bereits für Ostern 1923 die Synthese des Sozialpatriotismus mit dem republikanischen Reformismus erfolgreich hergestellt sieht; vgl. Vogt 2006, S. 87. 46 Vgl. Mommsen 1983, S. 211. 47 Vgl. Winkler, H.A.: Der Nationalismus und seine Funktion, in ders. (Hg.): Nationalismus, Königstein/Taunus 1978, S. 52-80. 48 JB H. 7/1924, S. 147. 49 JB H. 2/1924, S. 43. 50 Vgl. H. 12/KB 1923, S. 277; vgl. auch SM H. 5/1923, S. 272. 51 JB H. 12/1923, S. 226. 52 Vgl. JB H. 9/1923, S. 207. 53 JB H. 5/1924, S. 105.

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54 Vgl. JB H. 2/1924, S. 39, vgl. SM H. 8/1923, S. 533 ff. 55 Vgl. JB H. 12/1923, S. 226. 56 JB H. 9/1924, S. 201. 57 JB H. 12/1923, S. 226. 58 Vgl. zu diesem Aspekt Craig, G.A.: Deutsche Geschichte 1866-1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reichs, München 1980, S. 395. Gegen die Verelendungs-Hypothese argumentiert Abelshauser, W.: Verelendung der Handarbeiter? Zur sozialen Lage der deutschen Arbeiter in der großen Inflation der frühen zwanziger Jahre, in: Mommsen, H./Schulze, W. (Hg.): Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung, Stuttgart 1981, S. 445-476; dazu kritisch: Niehuss, M.: Arbeiterschaft in Krieg und Inflation. Soziale Schichtung und Lage der Arbeiter in Augsburg und Linz 1910 bis 1925, Berlin/New York 1985, S. 121 ff. 59 Vgl. hierzu auch Stürmer, M.: Das Jahrhundert der Deutschen, München 1999, S. 97 f. 60 Vgl. Winkler 1984, S. 589 ff. 61 Vgl. Feldman, G.D.: Iron and Steel in the German Inflation 1916-1923, Princeton/New Jersey 1977. 62 Vgl. ders./Steinisch, I.: Die Weimarer Republik zwischen Sozial- und Wirtschaftsstaat. Die Entscheidung gegen den Achtstundentag, in: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 18/1978, S. 353-439. 63 Winkler 1984, S. 576. 64 Vgl. Feldman/Steinisch 1978, S. 388. 65 Winkler 1984, S. 626 ff. 66 Zu Sachsen vgl. v.a. Rudolph, K.: Die sächsische Sozialdemokratie vom Kaiserreich zur Republik (1871-1923), Köln/Weimar/Wien 1995. 67 Vgl. Klenke 1983, S. 379 ff.; vgl. ferner Winkler 1984, S. 649 ff.; Fabian, W.: Klassenkampf um Sachsen. Ein Stück Geschichte 1918-1930, Löbau 1930, S. 131 ff. 68 Winkler 1984, S. 652 ff. 69 Vgl. Wolowicz 1983, S. 207. 70 Vgl. Klenke 1983, S. 387 f. u. S. 456 f. 71 Vgl. Craig 1980, S. 370. 72 Vgl. JB H. 10/1923, S. 207. 73 JB H. 12/1923, S. 245. 74 Ebd. 75 Vgl. Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 137. 76 Vgl. JB H. 3/1924, S. 67. 77 Vgl. JB H. 7/1924, S. 164. 78 Vgl. Vorwärts, 02.02.1923. 79 JB H. 3/1924, S. 67. 80 JB H. 7/1924, S. 164.

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81 Vgl. Hägel 1976, S. 209; Link, W.: Die Geschichte des Internationalen Jugendbundes (IJB) und des Internationalen sozialistischen Kampfbundes (ISK), Marburg 1964, S. 80; Lüpke, R.: Zwischen Jugendbewegung und Linksopposition. Die Jungsozialisten in der Weimarer Republik 1919-1931, in: Krabbe, W.R. (Hg.): Politische Jugend in der Weimarer Republik, Bochum 1993, S. 73-86, hier S. 80. 82 Vgl. Aus Unseren Reihen, H. 6/1921, S. 11 u. H. 2/1922, S. 21. 83 Vgl. Wolowicz 1983, S. 10 ff.; Klenke 1983, S. 124 ff. 84 Rathmann 1983, S. 109; Osterroth 1964, S. 548. 85 Vgl. Neuland, F.: Die junge Garde. Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt am Main. 1904-1945, Gießen 1980, S. 109. 86 Vgl. Bieligk, F.: Drei Jahre Sozialistische Proletarierjugend. Ein Beitrag zur Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung, Leipzig 1923, S. 8 f.; vgl. auch Luban, O.: Die Auswirkungen der Jenaer Jugendkonferenz 1916 auf die Beziehungen der Zentrale der revolutionären Arbeiterjugend zur Führung der Spartakusgruppe, in: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 11/1971, S. 185-224. 87 Bieligk 1923, S. 10. 88 Freiheit (Berlin), 11.12. u. 18.12.1919; Freiheit (Königsberg), 28.11.1919; Düsseldorfer Volkszeitung (DVZ), 13.12., 18.12. u. 19.12.1919. 89 Aus unseren Reihen, H. 4/1921, S. 2. 90 Bieligk 1923, S. 14. 91 Vgl. Wheeler 1975, S. 260; Krause, H.: USPD. Zur Geschichte der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Frankfurt am Main/Köln 1975, S. 212. 92 Vgl. Freiheit (Königsberg), 12.11.1919. 93 Für die USP vgl. Wheeler 1975, S. 256; für die SPJ vgl. Aus unseren Reihen, H. 10/1921, S. 60. 94 Vgl. Bieligk 1923, S. 16. 95 LVZ, 18.05. u. 20.05.1921; Aus unseren Reihen, H. 4/1921, S. 1 f. u. H. 5/1921, S. 2 f. 96 Vgl. Freiheit (Berlin), 19.05. u. 29.05.1921; Freiheit (Königsberg) 20.05. u. 21.05.1921; DVZ, 08.02. u. 18.05.1921; Hagener Volksstimme (HV), 20.05. u. 21.05.1921. 97 Vgl. Freiheit (Berlin), 15.04.1922; DVZ, 06.05.1922. 98 Bieligk 1923, S. 8 f. 99 Vgl. ebd., S. 15 u. S. 31; Junge Kämpfer, H. 5/1921, S. 3; LVZ, 20.05.1921; vgl. auch Freiheit (Berlin), 06.10.1920 u. 09.02.1921. 100 Vgl. Junge Kämpfer, H. 9/1922, S. 101; Bieligk 1923, S. 15 u. S. 30 f. 101 Freiheit (Königsberg), 23.05.1921; vgl. auch DVZ, 05.08.1922. 102 Vgl LVZ, 09.11. u. 31.12.1921; Bieligk 1923, S. 8 f., S. 11 u. S. 31. 103 LVZ, 21.10.1921; vgl. Die Freiheit (Berlin), 11.03. u. 01.10.1921. 104 Köster, B.: „Die junge Garde des Proletariats“. Untersuchungen zum Kommunistischen Jugendverband Deutschlands in der Weimarer Republik. Wissenschaftliche

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Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie an der Universität Bielefeld (2005), http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2005/793/pdf/ barbara_koester_junge_garde.pdf [zuletzt eingesehen 18.02.2011], S. 207 ff. 105 Paul Schulz a.d.V. 106 Vgl. LVZ, 28.05.1921. 107 Vgl. ebd.; LVZ, 19.04.1922; Junge Kämpfer, H. 9/1922, S. 108; DVZ, 20.05.1922; HV, 04.03.1920 u. 26.05.1921; Freiheit (Königsberg), 30.06.1921 u. 19.04.1922; Freiheit (Berlin), 24.02.1921. 108 Vgl. Junge Kämpfer, H. 3/1921, S. 4. 109 Vgl. LVZ, 07.05.1921. 110 Vgl. LVZ, 18.05.1921, vgl. auch Freiheit (Königsberg), 15.06.1922; Freiheit ( Berlin), 10.06.1922; DVZ, 10.06.1922 u. 26.08.1922. 111 Vgl. Bericht über die Berliner Reichskonferenz der SPJ vom 14. Bis 17. April 1922 in: LVZ, 19.04.1922; vgl. zudem DVZ, 02.09.1922. 112 Vgl. DVZ, 04.10., 18.10., 21.10., 24.10. u. 27.10.1922. 113 Vgl. Junge Kämpfer, H. 9/1922, S. 101; DVZ, 31.10. u. 04.11.1922; Der Führer, 1922, S. 305 ff.; aus jungkommunistischer Sicht: Die Arbeit, H. 1-2/1922, S. 7 ff. 114 Vgl. Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Unsere Arbeit. Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über das Jahr 1922, Berlin 1923, S. 56. 115 Vgl. LVZ, 28.07.1923; vgl. auch JB H. 5/1923, S. 79. 116 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 4. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 12. u. 13. Mai 1923 in Görlitz, Berlin 1923, S. 43. 117 Für das ostthüringische Gera vgl. JB H. 2/1925, S. 62. 118 LVZ, 17.02.1923. 119 Vgl. LVZ, 14.01. u. 13.06.1923; 19.06.1924. 120 LVZ, 02.05.1923; vgl. LVZ, 12.06.1923. 121 LVZ, 16.02.1924. 122 Vgl. Reimers, B.I.: Die Heimvolkshochschule Schloss Tinz in Gera – Ein Ort „wissenschaftlicher und kultureller Weiterbildung“ auf der Grundlage einer „sozialistischen Gesellschafts- und Lebensauffassung“, in: Eppe/Herrmann (Hg.) 2008, S. 85119; Brock, A.: Vom Fürstenschloß zur Arbeiterhochschule. Die Heimvolkshochschule Tinz bei Gera 1920-1933, in: Ciupke, P./Jelich, F.-J. (Hg.): Soziale Bewegung, Gemeinschaftsbildung und pädagogische Institutionalisierung. Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik, Essen 1996, S. 143-154. 123 Vgl. AB H. 4/1926, S. 53 ff.; Die Gesellschaft (DG), Jg. 1/1930, S. 302 ff.; für die Aufbaujahre der Schule vgl. Freiheit (Berlin), 13.02.1920, 26.05.1921, 08.01.1922 u. DVZ, 11.05. u. 05.11.1921. 124 Zitiert nach Reimers 2008, S. 104.

384 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

125 Wozu im Übrigen auch der spätere dänische Ministerpräsident Hans Christian Svane Hansen gehörte, der am 6. Kurs 1924 teilnahm; siehe http://www.thueringen.de/im peria/md/content/staatsarchive/greiz/3-33-2200_heimvolkshochschule_tinz.pdf [eingesehen am 23.02.2011]. 126 Die folgenden Darlegungen stützen sich auf die Aussagen der Zeitzeugen und die o.a. Aufsätze in der Gesellschaft, der Sozialistischen Bildung, der Freiheit und der Düsseldorfer Volkszeitung sowie einen Aufsatz in der LVZ, 27.08.1930. 127 Bericht über eine eintägige Inspektion des Zentralbildungsausschusses in Tinz (Ende 1922), in: Historische Kommission zu Berlin, Akten Tinz, NB 394. 128 Vgl. zum Dissens zwischen der Gruppe Reichwein/Heller und den „Tinzern“ Borinski 1981, S. 77. 129 LVZ, 27.08.1930. 130 Niederschrift über eine Besprechung des SPD-PV über die Heimvolkshochschule Tinz am 15.01.1923, in: Historische Kommission zu Berlin, Akten Tinz, NB 394; Niederschrift über eine Verhandlung des Zentralbildungsausschusses der SPD mit dem Lehrerkollegium in Tinz vom 30.06.1923, in: ebd. 131 Vgl. Schulze, H. (Hg.): Anpassung oder Widerstand? Aus den Akten des Parteivorstandes der deutschen Sozialdemokratie 1932/33, Bonn/Bad Godesberg 1975, S. 109. 132 Vgl. Das freie Wort, 13.01.1931. 133 Vgl. die Schülerlisten von Tinz (Kopien i.B.d.V.). Glaubt man Heinrich Hoffmann, 1924 Schüler in Tinz, 1946 Vorsitzender der SED in Thüringen, dann floss viel davon später auch in die SED: „Auch jetzt noch, zwanzig Jahre nach der Gründung der SED, trifft man in allen Gliederungen der Partei, wie auch in den Gewerkschaften, in den Organen des Staates, in den verschiednen Zweigen der Wirtschaft und des Handels, im Verkehr und im Genossenschaftswesen des Handwerks und der Bauern, hier und dort auf Funktionäre, die in der Heimvolkshochschule Schloss Tinz die erste Grundlage zur Weiterbildung im marxistischen Geiste und zur Entfaltung ihrer selbstschöpferischen Kräfte empfangen haben.“ Erinnerungen von Heinrich Hoffmann (maschin. Manuskript), in: DA-Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Sg Y 30/1365/1. 134 Vgl. den ungemein aufschlussreichen Roman von Knauf, E.: Ça ira! ReportageRoman aus dem Kapp-Putsch, Berlin 1930. Knauf war linker Sozialdemokrat, von 1922-1928 Redakteur der Plauener Volkzeitung und danach Lektor der Büchergilde Gutenberg. Sein Roman handelt von den Ereignissen des Kapp-Lüttwitz-Putsches, den Knauf als Schüler auf Tinz erlebte. Sein Lehrer war Engelbert Graf, dem er im Roman den Namen Dr. Schilling gab. Mit einer verblüffenden Schonungslosigkeit und Offenheit schildert Knauf in seinem Buch die Eitelkeit, Oberflächlichkeit und Feigheit des Dr. Schilling. 135 Vgl. Dobbert, A.: Engelbert Graf der große Anreger, in: AdsD, Sammlung Personalia: Georg Engelbert Graf.

A NMERKUNGEN III. K APITEL

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136 Vgl. zu diesen Differenzen im Lager der sozialdemokratischen Linken Storm, G./Walter, F.: Weimarer Linkssozialismus und Austromarxismus. Historische Vorbilder für einen „Dritten Weg“ zum Sozialismus?, Berlin (West) 1984. 137 Vgl. JB H. 9/1923, S. 174. 138 Vgl. JB H. 12/1923, S. 241. 139 JB H. 11/1923, S. 243. 140 JB H. 12/1923, S. 242. 141 Ebd. 142 Vgl. JB H. 4/1924, S. 91. 143 Vgl. JB H. 8/1924, S. 191 f.

IV. E INE

JUNGE SOZIALDEMOKRATISCHE KRISTALLISIERT SICH HERAUS

1

R ECHTE

Vgl. Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 122.

2

Zu Haubach vgl. Zimmermann, P.: Theodor Haubach (1896-1945). Eine politische Biographie, München/Hamburg 2004. Zimmermann betont stark die bildungsbürgerliche Kontinuität auch in der politischen Lebensgeschichte seines Helden. Das formale Bekenntnis zum Sozialismus sei kaum mehr „als rhetorische Arabeske“ bzw. „verbales Vereinsemblem ohne Bindung“ gewesen; ebd., S. 426.

3

Politischer Rundbrief (PR), H. 2/1924, S. 42; ähnlich auch Karl Naskrensky in: JB H.

4

Vgl. SM 1923, S. 274.

3/1925, S. 90 ff. 5

Jungdeutscher Rundbrief (Jahreswende 1923-1924), S. 15.

6

Vgl. JB H. 3/1924, S. 71.

7

SM 1923, S. 724.

8

PR H. 1/1924, S. 24.

9

Vgl. Jungdeutscher Rundbrief (Jahreswende 1923-1924), S. 16.

10 Vgl. hierzu im Folgenden Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 139 f. 11 Vgl. Haffner, S./Venohr, W.: Preußische Profile, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1982, S. 251. 12 Vgl. Niekisch, E.: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse, Köln/Berlin 1958, S. 138 f. 13 Vgl. Witt, F.-W.: Die Hamburger Sozialdemokratie in der Weimarer Republik, Hannover 1971, S. 108 f. 14 PR H. 1/1924, S. 6.

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15 Vgl. den Bericht von Heinrich Deist in: JB H. 8/1924, S. 191; vgl. auch BVW, 22. 07.1924. 16 Vgl. Rathmann 1983, S. 78; Osterroth 1964, S. 546. 17 JB H. 3/1924, S. 71. 18 Zu Mierendorff vgl. Albrecht, R.: Der militante Sozialdemokrat. Carlo Mierendorff 1897 bis 1943. Eine Biographie, Berlin u.a. 1987, S. 68 ff. 19 Vgl. JB H. 9/1924, S. 196. Insofern ist das Urteil des Haubach-Biographen Peter Zimmermann, dass Haubach ganz in Harmonie mit den konzeptionellen Vorstellungen der übrigen Hofgeismarer gestanden hätte, schwer nachvollziehbar; vgl. Zimmermann 2004, S. 146. 20 Vgl. BVW, 22.07.1924; JB H. 8/1924, S. 189. 21 Vgl. Müller, C.: Hermann Heller (1891-1933). Vom liberalen zum sozialistischen Rechtsstaat, in: Kritische Justiz (Hg.): Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 268-281, hier S. 270 ff.; Schluchter, W.: Hermann Heller. Ein wissenschaftliches und politisches Porträt, in: Müller, C./Staff, I. (Hg.): Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu Ehren, Frankfurt am Main 1985, S. 2442, hier S. 26 f. 22 Waschkuhn, A.: „Vielleicht bewirkt“ und „einheitlich wirkend“. Der Staats als Kulturprodukt und Metainstitution in den Konzeptionen von Hermann Heller, in: Thumfart, A. (Hg.): Politisch-kulturelle Zugänge zur Weimarer Staatsdiskussion, BadenBaden 2002, S. 7-21. 23 Raulet, G.: Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft. Zu Hermann Hellers Auffassung der Demokratie, in: Gangl, M. (Hg.): Souveräne Demokratie und soziale Homogenität. Das Politische Denken Hermann Hellers, Frankfurt am Main 2003, S. 188-216. 24 Heller, H. (hg. von C. Müller): Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2: Recht, Staat, Macht, Leiden 1971, S. 421-432 [zuerst erschienen in: Probleme der Demokratie, Berlin 1928, S. 35-47], hier S. 429. 25 JB H. 8/1924, S. 191. 26 Ebd., S. 190. 27 Vgl. v.a. Bauer, O. Werke, Bd. 1, Wien 1975, S. 69-221. 28 Vgl. ebd., S. 68. 29 PR H. 1/1924, S. 8. 30 Ebd. 31 Vgl. Craig 1980, S. 449. 32 Vgl. Laqueur 1977, S. 135 f.; Graml, H.: Europa zwischen den Kriegen, München 1982, S. 138. 33 PR H. 1/1924, S. 14. 34 Ebd., S. 13. 35 Ebd., S. 16.

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36 Vgl. Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 131. 37 Über Niekisch vgl. Haffner/Venohr 1982, S. 245 ff.; Fischer, R.: Wanderer ins Nichts. Der National-Bolschewismus am Beispiel Ernst Niekischs, in: Frankfurter Hefte, Jg. 14 (1959) H. 12, S. 871-880; Buchheim, H.: Ernst Niekischs Ideologie des Widerstands, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 5 (1957) H. 5, S. 334-361; Kabermann, F.: Widerstand und Entscheidung eines deutschen Revolutionärs. Leben und Denken von Ernst Niekisch, Köln 1973. 38 Vgl. dazu Die Glocke, 05.03.1924, S. 1241. 39 Ebd., S. 1244. 40 Vgl. Niekisch, E.: Der Weg der deutschen Arbeiterschaft zum Staat, BerlinHessenwinkel 1925. 41 Die Glocke, 05.03.1924, S. 1241. 42 Ebd. 43 Vgl. Buchheim 1957, S. 338 f.; Kabermann 1973, S. 59. 44 Die Glocke, 05.03.1924, S. 1242. 45 PR H. 3/1925, S. 59-68. 46 Vgl. PR H. 3/1925, S. 62. 47 Ebd., S. 65. 48 Ebd., S. 66. 49 Ebd., S. 67 f. 50 Ebd., S. 68. 51 Vgl. dazu Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 140. 52 Vgl. auch Buchheim 1957, S. 340. 53 Vgl. Graml 1982, S. 194 ff. 54 Vgl. Megerle, K.: Deutsche Außenpolitik 1925. Ansatz zu aktivem Revisionismus, Frankfurt am Main 1974. 55 Vgl. Maxelon, M.-O.: Stresemann und Frankreich. 1914-1929. Deutsche Politik der Ost-West-Balance, Düsseldorf 1972, S. 297. 56 Vorwärts, 25.091925. 57 Büttner 2008, S. 362. 58 PR H. 3/1925, S. 80. 59 Ebd., S. 77 f. 60 PR H. 5/1926, S. 10. 61 Vgl. Walsdorf, M.: Westorientierung und Ostpolitik. Stresemanns Russlandpolitik in der Locarno-Ära, Bremen 1971. 62 PR H. 5/1926, S. 16. 63 Ebd. 64 Ebd., S. 18.

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65 Ebd., S. 17. 66 Vgl. ebd., S. 21. u. S. 24. 67 Vgl. Weidenfeld, W.: Die Englandpolitik Gustav Stresemanns. Theoretische und praktische Aspekte der Außenpolitik, Mainz 1972. 68 Vgl. JB H. 9/1924, S. 200. 69 Vgl. JB H. 6/1924, S. 140; JB H. 1/1925, S. 24. 70 JB H. 1/1925, S. 24. 71 Vgl. JB H. 3/1924, S. 68. 72 Hierzu Balzer, F.-M.: Klassengegensätze in der Kirche. Erwin Eckert und der Bund der Religiösen Sozialisten Deutschlands. Köln 1973; Kandel, J.: Religiöser Sozialismus, in: Meyer, T./Müller, S./Rohlfes, J. (Hg.): Lern- und Arbeitsbuch deutsche Arbeiterbewegung. Darstellung, Chroniken, Dokumente, Bd. 2, Bonn 1984, S. 455483, hier S. 459. 73 Vgl. Heimann, S.: Der Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands (BRSD): Selbstverständnis, organisatorische Entwicklung und praktische Politik, in: ders/Walter, F.: Religiöse Sozialisten und Freidenker in der Weimarer Republik, Bonn 1993, S. 13-262. 74 Vgl. Kandel, J.: Schwarzes Kreuz auf rotem Grund: Anmerkungen zum religiösen Sozialismus in der Weimarer Republik, in: Heimann/Meyer (Hg.) 1982, S. 59-74, hier S. 63; Ulrich 1971, S. 226 f. 75 Vgl. Düsing, M.: Der „religiöse Sozialismus“ in der Weimarer Republik – eine weltanschaulich-ideologische Analyse, Freiburg 1976 (Diss.), S. 17 f.; Kandel 1984, S. 459; Ragaz, L.: Mein Weg, Bd. 2, Zürich 1952, S. 185. 76 Vgl. Ragaz, L.: Mein Weg, Bd. 2, Zürich 1952, S. 185. 77 Hierzu auch Rathmann, A.: Eduard Heimann (1889-1967). Von Marx und seiner „überwältigend großartigen“ Lehre zum religiös-freiheitlichen Sozialismus, in: Lösche P./Scholing, M./Walter, F. (Hg.): Vor dem Vergessen bewahren. Lebenswege Weimarer Sozialdemokraten, Berlin 1988, S. 121-144. 78 Vgl. BRS H. 7/1921, S. 43 u. H. 4/1923, S. 13. 79 Diese Kritik brachte schon Theodor Haubach in seiner sonst recht freundlichen Besprechung des Mennicke-Buchs „Der Sozialismus als Bewegung und Aufgabe“ (Berlin 1926) an, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Jg. 56/1926, S. 829 ff. 80 Vgl. auch Wendt, W.R.: Geschichte der sozialen Arbeit, Stuttgart 2008, S. 234. 81 Zur Biographie Mennickes vgl. Ulrich 1971, S. 213 ff.; Mennicke, C.: (hg. von H. Feidel-Mertz) Zeitgeschehen im Spiegel persönlichen Schicksals. Ein Lebensbericht, Weinheim 1995. 82 Vgl. Mennicke, C.: Der Sozialismus als Bewegung und Aufgabe, Berlin 1926, S. 69. 83 Vgl. dazu Tillichs grundsätzliche Darlegungen und Klärungsversuche in: Neue Blätter für den Sozialismus (NBfS), H. 1/1930, S. 1 ff. 84 Zu Tillich vgl. auch Neugebauer, G.: Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingre-

A NMERKUNGEN IV. K APITEL

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zeption, Berlin 2007; Schüßler, W./Sturm, E. (Hg.): Macht und Gewalt. Annäherungen im Horizont des Denkens von Paul Tillich, Münster 2005; Albrecht, R./Schüßler, W. (Hg.): Paul Tillich. Sein Leben, Frankfurt am Main u.a. 1993. 85 Wohl mit einigem Recht hat allerdings Justus Ulbricht darauf hingewiesen, dass man vorsichtig sein müsse, Nietzsche als Propheten der damaligen Jugend- und Lebensphilosophiebewegung anzusehen, da der „Einsame von Sils Maria“ nur schlagwortartig rezipiert wurde; vgl. Saur, W.: 100 Jahre Wandervogel: Geschichte-DeutungWirkung, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Jg. 54 (2002) H. 2, S. 171-178, hier S. 174. 86 Graf, R.: Die „Krise“ im intellektuellen Zukunftsdiskurs der Weimarer Republik, in: Föllmer, M./ders. (Hg.): Die „Krise“ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt am Main 2005, S. 77-106, hier S. 84. Graf weist darauf hin, dass im intellektuellen Diskurs der Weimarer Republik der Krisenbegriff generell eher nicht im pessimistischen Sinne benutzt wurde, denn: „Die Rede von der ‚Krise‘ erfreute sich also gerade deshalb so großer Beliebtheit, weil sie auf die Möglichkeit ihrer Überwindung und der Realisierung einer ‚neuen Zeit‘ verwies.“ Ebd., S.106. 87 Tillich zitiert nach ebd., S. 84. 88 Vgl. PR H. 4/1925, S. 1 ff.; zur Kritik schon am Entwurf vgl. den Artikel von Friedrich Stampfer in: RZ, 03.09.1920; vgl. insgesamt Winkler, H.A.: Klassenbewegung oder Volkspartei? Zur Programmdiskussion in der Weimarer Sozialdemokratie 19201925, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 8 (1982) H. 1, S. 9-54, hier S. 35 ff.; vgl. auch Miller: Das Verhältnis, S. 404 ff.; Lehnert 1983, S. 139 f. 89 PR H. 4/1925, S. 5. 90 Ebd. 91 Vgl. Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Heidelberger Programm. Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie, Berlin 1925, S. 71. 92 PR H. 4/1925, S. 7. 93 HE, 13.11.1926; vgl. auch HE, 17.08. u. 18.08.1926. 94 HE, 13.11.1926. 95 Vgl. Storm/Walter 1984, S 87 ff.

V. E INE

NEUE SOZIALISTISCHE

L INKE

1

Vgl. u.a. BVW, 13.05.1924; LVZ, 20.05.1924.

2

Vgl. u.a. LVZ, 28.05.1924.

3

JB H. 8/1924, S. 178.

4

Ebd., S. 176 f.

5

Vgl. ebd., S. 177.

6

Vgl. dazu Walter 1983, S. 136 f. u. S. 148 ff.

REPLIZIERT

390 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

7

Vgl. hierzu und im Folgenden Franke, H.: Leonard Nelson. Ein biographischer Beitrag unter besonderer Berücksichtigung seiner rechts- und staatsphilosophischen Arbeiten, Ammersbek bei Hamburg 1991, S. 51 ff.

8

Ebd., S. 227.

9

Ebd., S. 93.

10 Miller, S.: Leonard Nelson und die sozialistische Arbeiterbewegung, in: Grab, W./Schoeps, J.H. (Hg.): Juden in der Weimarer Republik, Bonn 1986, S. 263-275, hier S. 265. 11 Born, M.: Mein Leben. Die Erinnerungen des Nobelpreisträgers, München 1975, S. 143 ff. 12 Torbov, Z.: Erinnerungen an Leonard Nelson 1925-1927. Herausgegeben, neu übersetzt und mit einer Einleitung von Nikolay Milkov, Hildesheim 2005, S. 116. 13 Ebd., S. 144. 14 Leonard Nelson an Heinrich und Elisabeth Nelson, zitiert nach Fischer, I.: Der Bestand Leonard Nelson im Archiv der sozialen Demokratie, Bonn 1999, S. XVI. 15 Nelson in einem Brief an Max Hodann zitiert nach: Franke 1991, S. 145. 16 Vgl. Link 1964, S. 39 ff.; Klär, K.-H.: Zwei Nelson-Bünde: Internationaler JugendBund (IJB) und Internationaler-Sozialistischer Kampf-Bund (ISK) im Lichte neuer Quellen, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Jg. 18 (1982) H. 3, S. 310-360; Miller, S.: Leonard Nelson – ein revolutionärer Revisionist, in: Neue Gesellschaft, Jg. 29 (1982) H. 6, S. 582-584; dies.: Kritische Philosophie als Herausforderung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: Abendroth, W./Lambrecht, L./Schildt, A. (Red.): Antifaschismus oder Niederlagen beweisen nichts, als daß wir wenige sind, Köln 1983, S. 53-67. 17 Auch Vorholt, U.: Die politische Theorie Leonard Nelsons. Eine Fallstudie zum Verhältnis von philosophisch-politischer Theorie und konkret-politischer Praxis, BadenBaden 1998, S. 48 ff. 18 Vgl. Nelson, L. (hg. von P. Bernays et al.): Gesammelte Schriften in neun Bänden, Bd. 9: Recht und Staat, Hamburg 1972, S. 347 f. 19 Ebd., S. 347 u. S. 349. 20 Vgl. ebd., S. 410. 21 Ebd., S. 395. 22 Franke 1991, S. 154. 23 Sehr anschaulich über diese Sitzung berichtet Saran, M.: Gib niemals auf. Erinnerungen, Bonn 1979, S. 63 f. 24 Vgl. Nelson Monatsantwort J/3/23 vom 14.03.1923, in: AdsD (IJB/ISK-Bestand, I. 2., Box 1). 25 Zu dieser Zahl kommt Klär 1982, S. 316, aufgrund neuer Archivbestände. 26 Vgl. MA, J/7/25, in: AdsD (IJB/ISK-Bestand, I. 2., Box 1). 27 Vgl. ebd.

A NMERKUNGEN V. K APITEL

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28 Franke 1991, S. 154. 29 Ebd., S. 157. 30 Ebd., S. 163 f. 31 MA, J/2/25, in: AdsD (IJB/ISK-Bestand, I. 2., Box 1). 32 MA, J/1/24, in: ebd. 33 Vgl. MA, J/3/23, in: ebd. 34 Vgl. MA, J/1/24, in: ebd. 35 Vgl. MA, J/7/25, in: ebd. 36 Torbov 2005, S. 40. 37 Ebd., S. 42 f. 38 Vgl. MA, J/1/24, in: ebd. 39 MA, J/1/25, in: ebd. 40 MA, J/7/25, in: ebd. 41 Vgl. v.a. ebd. 42 Erna Blencke a.d.V. 43 Hedwig Schwarz-Rowe in: RZ, 03.04.1926. 44 Vgl. JB H. 8/1924, S. 187 f. 45 Walter Fließ a.d.V. 46 Ernst Rosendahl a.d.V. 47 Ebd.; HV, 13.04.1926. 48 Vgl. JB H. 8/1924, S. 189. 49 Rosendahl, E.: Verbürgerlichung oder Revolution? Ein Beitrag zum Problem der sozialistischen Jugendbewegung, Hagen in Westfalen 1925. 50 Vgl. dazu Walter 1983, S. 157 f. 51 Willi Kappel a.d.V. 52 HV, 28.04.1927. 53 Ernst Rosendahl a.d.V. 54 Leo Friedmann schildert (a.d.V.) Ähnliches auch aus dem Zirkel, den er mit Arkadij Gurland, Kurt Laumann u.a. gebildet hatte; für die Kölner und Breslauer Jungsozialisten und sozialistischen Studenten gibt es Hinweise auch in dem Brief von Lis Brendgens an Bernd Hoffmann vom 08.04.1930 (Kopie i.B.d.V.); vgl. zudem Mayer, H.: Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen, Frankfurt am Main 1982, S. 119; auch Theodor Haubach äußerte seine Wertschätzung für Lukács, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Jg. 56/1926, S. 254 ff. 55 Mayer 1982, S. 105. 56 Vgl. Lukács, G.: Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik, Neuwied/Berlin 1971, S. 119 ff.; vgl. auch Grebing, H.: Der Revisionismus. Von Bernstein bis zum „Prager Frühling“, München 1977, S. 70 ff.; Kammler, J.: Politische Theorie von Georg Lukács. Struktur und historischer Praxisbezug bis 1929,

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Darmstadt u.a. 1974, S. 171 ff.; Grunenberg, A.: Bürger und Revolutionär. Georg Lukács 1918-1928, Köln/Frankfurt am Main 1976, S. 191 ff. 57 Marck, S.: Die Dialektik in der Philosophie der Gegenwart. Zweiter Halbband, Tübingen 1931, S. 88 ff. 58 Vgl. Rosendahl 1925, S. 4 ff. 59 Ebd., S. 5. 60 Ebd., S. 8. 61 Vgl. zur Charakterisierung dieses Typs Mayer 1982, S. 99. 62 Rosendahl 1925, S. 9. 63 Vgl. ebd., S. 10.

VI. G ENERATIONSWECHSEL 1

UND POLITISCHE

Z ÄSUR

Gewiss in der Folgerung etwas überspitzt, aber auch nicht singulär ist die Selbstdarstellung der Kasseler Jungsozialisten zu diesem Zeitpunkt: „Wir Casseler Jungsozialisten schlossen uns bis jetzt, wie die meisten anderen Gruppen Deutschlands, keiner der beiden Richtungen an. Wir erkannten unsere Hauptaufgabe darin, Bildungsarbeit zu betreiben und uns das notwendige Wissen anzueignen, um den Kampforganisationen der Arbeiterschaft frische und tüchtige Kräfte zuzuführen.“ Siehe Casseler Volksblatt, 02.05.1925.

2

Franz Osterroth a.d.V.

3

JB H. 2/1925, S. 62 u. H. 3, S. 94 f.

4

Vgl. dazu Heller, H.: Dritte Reichskonferenz der Jungsozialisten in Jena (Protokoll), Berlin 1925 und die Berichte in folgenden Tageszeitungen: Casseler Volksblatt, 14.04. u. 02.05.1925; Vorwärts, 17.04.1925; LVZ, 16.04.1925 u. HE, 17.04.1925.

5

MA, J/1/25, in: AdsD (IJB/ISK-Bestand, I. 2., Box 1).

6

MA, J/2/25, in: ebd.

7

Ernst Rosendahl a.d.V.

8

Ebd.

9

Zu Rauschenplat vgl. Sösemann, B. (Hg.): Fritz Eberhard. Rückblicke auf Biographie und Werk, Stuttgart 2001, S. 174 ff.

10 Vgl. JB H. 6/1925, S. 187. 11 Ernst Rosendahl a.d.V.; vgl. auch Nelson in: MA, J/4/25, in: AdsD (IJB/ISK-Bestand, I. 2. Box 1). 12 Vgl. Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 131; Rathmann 1983, S. 163 ff. 13 Vgl. hierzu Borinski, F.: Hermann Heller: Lehrer der Jugend und Vorkämpfer der freien Erwachsenenbildung, in: Müller, C./Staff, I. (Hg.): Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891-1933, Baden-Baden 1984, S. 89-110, hier S. 100.

A NMERKUNGEN VI. K APITEL

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14 Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 6. 15 Ebd., S. 7. 16 Ebd., S. 17. 17 Ebd. 18 Ebd., S. 18. 19 Zu Hellers politisch-strategischem Denken vgl. auch den überzeugenden Aufsatz von Luthardt, W.: Staat, Demokratie, Arbeiterbewegung: Hermann Hellers Analysen im Kontext der zeitgenössischen sozialdemokratischen Diskussion, in: Müller, C./Staff, I. (Hg.): Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu Ehren, Frankfurt am Main 1985, S. 259-271. 20 Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 22. 21 Ebd., S. 8. 22 Ebd., S. 23. 23 JB H. 8/1925, S. 249. 24 Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 25. Um diese Jungsozialisten, die weder „Hofgeismar“ noch „Hannover“ waren, wurde auf der Konferenz hart gerungen. 25 Ebd. So schlimm kann es mit der Abneigung nicht gewesen sein, denn auch Hermann Heller, der Referent der Hofgeismarer, war Jude. 26 Ebd., S. 23. 27 Vgl. ebd., S. 26. 28 Nach Mitteilung des damaligen Delegierten des Juso-Bezirks Oberrhein, Kurt Brenner, a.d.V. nahmen an einem erst- und letztmaligen in Jena stattfindenden Treffen der „Mitte“ etwa 22 Delegierte teil; vgl. auch den Antrag zur Geschäftsordnung von Lepinski in: Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 30. 29 Ebd., S. 31. 30 Vgl. Haubach in: HE, 18.04.1925; Schwarz-Rowe in: RZ, 03.04.1926; Kern in: DVZ, 27.06.1930; Rathmann, A.: Hofgeismarer und Hannoveraner Jungsozialisten, in: Neue Gesellschaft, Jg. 31 (1984) H. 10, S. 988-993, hier S. 989 f.; Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 143. 31 Vgl. Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 32. 32 Vgl. HE, 18.04.1925. 33 Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 31. 34 Franz Osterroth a.d.V. Es handelte sich um die Folgen von Kriegsverletzungen. 35 Fred Lynn (d.i. Fritz Lewy) a.d.V. 36 Kurt Brenner a.d.V. 37 Vgl. Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 43. Bei der Wahl der Reichsleitung hielten sich die Delegierten an den im Vorfeld der Konferenz ausgehandelten Kompromiss. Vertreter des Hannoveranerkreises in der zentralen Leitung waren: Scholz (Mittelschlesien), Lamm u. Maria Hodann (beide Berlin). Der Hofgeismarkreis wurde vertre-

394 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

ten durch: Dahrendorf (Hamburg), Osterroth (Bochum) u. Keller (Berlin); Lepinski repräsentierte die „Mitte“. 38 MA/J/4/25, in: AdsD (IJB/ISK-Bestand, I. 2., Box 1). Nelson zog sogleich die Konsequenz für die Zukunft: „Es bleibt nur übrig, ihm von Anfang an Respekt einzuflössen. Wir müssen ihm sofort zeigen, dass wir innerhalb der Hannoveraner Richtung eine Rolle spielen und mit der Einsendung von Artikeln nicht säumen. Wenn wir mit der Einsendung warten, bis er fest im Sattel sitzt, machen wir ihm die Abweisung leichter. In jeder OG sollte gerade für die ersten Monate für jedes Heft wenigstens ein Aufsatz hergestellt werden. Ich bitte um Rückmeldung.“ 39 Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 37 f. 40 Vgl. Vorwärts, 17.04.1925; Casseler Volksblatt, 14.04.1925; HE, 18.04.1925. 41 Vgl. Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 38. 42 So Haubachs Bewertung in: HE, 18.04.1925. 43 Heller: Dritte Reichskonferenz, S. 23. 44 Ebd., S. 27. 45 Hier hatte Heller in einer Polemik gegen Adler recht; vgl. Heller, H.: Sozialismus und Nation, Berlin 1925, S. 63; vgl. auch Ritter, F.: Theorie und Praxis des demokratischen Sozialismus in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main/New York 1981, S. 60 ff. 46 Vgl. Der Führer, H. 10/1925, S. 139; JB H. 11/1925, S. 344. 47 Der Führer, H. 10/1925, S. 141. 48 Vgl. Der Führer, H. 11/1925, S. 157; JB H. 11/1925, S. 344; Frankfurter Zeitung, 07.01.1926. 49 Vgl. JB H. 2/1926, S. 60. 50 Osterroth, F.: Erinnerungen 1900-1934. Unveröffentlichtes Manuskript, o.O., o. J., in: AdsD, S. 163; ders., Hofgeismarkreis, S. 561. 51 JB H. 2/1926, S. 60; Sozialistische Politik und Wirtschaft (SPW), 11.02. 1926. 52 JB H. 2/1926, S. 60. 53 Ebd., S. 61 54 Ebd.; Osterroth 1964, S. 561. 55 Vgl. auch Vogt, S.: Der nationale Sozialismus der sozialdemokratischen Jungen Rechten, in: Reichwein-Forum, H. 13/2008, S. 31-40, hier S. 33. 56 JB H. 4/1926, S. 126; Osterroth 1964, S. 561 f. 57 So der sozialdemokratische Rechtsphilosoph Gustav Radbruch. 58 Die „Wandervogel-Kohorte“ und die Generation der Kriegskinder sind nicht zu einer „großen Generationseinheit“ verschmolzen, wie Michael H. Kater in einem Aufsatz schrieb; vgl. Kater, M.H.: Generationskonflikt als Entwicklungsfaktor in der NSBewegung vor 1933, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 11 (1985) H. 2, S. 217-243. 59 So der 1926 zum Vorsitzenden der Bremer SAJ gewählte Karl Grobe in einer Mitteilung a.d.V. über die Generation des „Weimargeistes“.

A NMERKUNGEN VI. K APITEL

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60 Vgl. hierzu die verschiedenen Beiträge in: Maaß, H. (Hg.): Die Lebenswelt der Jugend in der Gegenwart, Berlin 1928, S. 7 ff. u. S. 105 ff.; vgl. auch Ehrenthal, G.: Die deutschen Jugendbünde. Ein Handbuch ihrer Organisationen und ihrer Bestrebungen, Berlin 1929, S. 26 ff.; o.V.: Veröffentlichungen des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt aus den Gebieten der Jugendpflege, der Jugendbewegung und der Leibesübungen. Beiträge zur Lebenskunde der Jugend. Jugend und Beruf, Berlin 1928, S. 13; Hartmann, H.: Die junge Generation in Europa, Berlin 1930, S. 11; Laqueur 1978, S. 146 ff.; Linse 1978, S. 40 ff. 61 Köster 2005, S. 190.

VII. P ROLETARIERJUGEND 1

UND

S OLIDARGEMEINSCHAFT

Vgl. Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Unsere Arbeit. Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über das Jahr 1922, Berlin 1923, S. 56.

2

Vgl. Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 4. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 12. u. 13. Mai 1923 in Görlitz, Berlin 1923, S. 36 f.

3

Vgl. ders.: Bericht über die 5. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 17./18. Mai 1924 in Weimar, Berlin 1924, S. 17 u. S. 24.

4

Vgl. Westphal, M.: Handbuch für sozialistische Jugendarbeit, Berlin 1930, S. 93 f.; vgl. dazu auch die sorgfältige Arbeit von Eppe, H.: Selbsthilfe und Interessenvertretung. Die sozial- und jugendpolitischen Bestrebungen der sozialdemokratischen Arbeiterjugendorganisation 1904-1933, Bonn 1983.

5

Zum politisch-gesellschaftlichen Kontext dafür siehe Götz v. Olenhusen, I.: Vom Jungstahlhelm zur SA: Die junge Nachkriegsgeneration in den paramilitärischen Verbänden der Weimarer Republik, in: Krabbe (Hg.) 1993, S. 146-171; Schumann, D.: Der aufgeschobene Bürgerkrieg. Sozialer Protest und Politische Gewalt in Deutschland 1923, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 44 (1996) H. 6, S. 526-544; Schley, C.: Die Sozialistische Arbeiterjugend Deutschlands (SAJ). Sozialistischer Jugendverband zwischen politischer Bildung und Freizeitarbeit, Frankfurt am Main 1987, S. 250 ff.

6

Vgl. Der Führer, H. 3/1928, S. 33 ff.

7

Vgl. Seebacher-Brandt, B.: Ollenhauer. Biedermann und Patriot, Berlin/Bonn 1984; Miller, S.: Erich Ollenhauer, in: Bernecker, W.L./Dotterweich, V. (Hg.): Persönlichkeit und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Politische Porträts, Bd. 2, Göttingen 1982, S. 101-109; Schröder, D.: Erich Ollenhauer. Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, München/Köln 1957; auch: o.V.: Ollenhauer. Nochmal Nummer eins, in: Der Spiegel, 01.10.1952.

396 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

8

Vgl. auch die Haltung des SAJ-Zentrums zu den Bedürfnissen nach militanten Formen des Zusammenlebens im Jahr 1932, dazu Der Führer, H. 12/1932, S. 187 f. u. H. 1/1933, S. l f.

9

Schley 1987, S. 328.

10 Auch Böhnisch, L./Gängler, H.: Jugendverbände in der Weimarer Zeit, in: dies./Rauschenbach, T. (Hg.): Handbuch Jugendverbände. Eine Ortsbestimmung der Jugendverbandsarbeit in Analysen und Selbstdarstellungen, Weinheim/München 1991, 49-57. 11 Vgl. Köster 2005, S. 272. 12 Vgl. Der Führer, H. 4/1930, S. 53; Sozialistische Jugend (Leipzig), H. 2/1930, S. 25. Insofern darf man das Ausmaß der ideologischen Debatten in der SAJ nicht überschätzen; im Wesentlichen beteiligte sich daran nur eine schmale Schicht der Mitgliedschaft. 13 Der Führer, H. 3/1929, S. 34; Arbeiter-Jugend (AJ), H. 4/1929, S. 78. 14 Der Führer, H. 6/1929, S. 89 f. 15 AJ H. 1/1930, S. 9 ff. u. H. 4, S. 82. 16 Vgl. AJ H. 9/1930, S. 203 u. H. 10, S. 230. 17 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 37. 18 Der Klassenkampf, H. 9/1930, S. 272 f. 19 Vgl. Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 37. 20 Vgl. Der Führer, H. 10/1929, S. 150 ff.; AJ H. 3/1930, S.70 f. Auch die sonst eher austromarxistisch argumentierenden Leipziger SAJler dachten 1930 über die Notwendigkeit einer gewaltsamen Revolution nicht anders als die „radikaleren“ Chemnitzer; vgl. LVZ, 06.01.1930; Sozialistische Jugend (Leipzig), H. 2/1930, S. 24. 21 AJ H. 1/1930, S. 11; vgl. auch Der Führer, H. 8/1928, S. 118 u. H. 10/1929, S. 152 ff. 22 Der Führer, H. 12/1932, S. 185. 23 Der Führer, H. 11/1930, S. 167 u. H. 1/1932, S. 7. 24 Der Führer, H. 1/1932, S. 7; vgl. auch Der Führer, H. 12/1932, S. 185. 25 Vgl. besonders Sozialistische Jugend (Leipzig), H. 11/1930, S. 171. 26 Ebd.; AJ H. 11/1930, S. 242; Der Führer, H. 11/1930, S. 167. 27 Der Führer, H. 7/1930, S. 145. 28 Ebd. 29 Vgl. besonders Der Führer, H. 10/1932, S. 148 f. u. auch H. 12, S. 182. 30 Vgl. Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Unsere Arbeit. Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über das Jahr 1922, Berlin 1923, S. 30. 31 Vgl. Der Führer, H. 5/1930, S. 65.

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32 Sozialistische Jugend (Leipzig), H. 2/1930, S. 29. 33 Reulecke, J.: Jugend und „Junge Generation“ in der Gesellschaft der Zwischenkriegszeit, in: Langewiesche, D./Tenorth, H.E. (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 5: 1918-1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, München 1989, S. 86-110, hier S. 102. 34 Arno Behrisch a.d.V. Zu solchen Feiern vgl. etwa LVZ, 17.01.1930 u. 20.01.1931; BVW, 16.01.1928 u. 18.05.1929. Die Breslauer Jungsozialisten feierten Luxemburg und Liebknecht ebenfalls als die zwei „besten und revolutionärsten Kämpfer für die klassenlose Gesellschaft“, die das internationale Proletariat hervorgebracht habe (BVW, 18.05.1929). Zu der parteiinternen Auseinandersetzung um solche jungsozialistischen L/L-Feiern vgl. Das freie Wort, 01.06., 15.06., 06.07. u. 20.07.1930. Auch der noch sehr junge Herbert Frahm aus Lübeck hatte sich im Übrigen in dieser Debatte zu Wort gemeldet: „[…], daß für uns Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg als wahre Klassenkämpfer gefallen sind. Sie sind unser Vorbild, und wir halten ihnen die Treue, die sie dem Sozialismus stets gehalten haben.“ Aus: Das freie Wort, 20.07.1930. 35 Auch Joergens 2008. 36 Vgl. auch Wasser, U.: Das Wirken der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands in Mecklenburg in den Jahren 1924 bis 1933, Rostock 1997, S. 155. 37 Hierzu auch Schley 1987, S. 290. 38 Vgl. Der Führer, H. 1/1929, S. 2 f., H. 7/1930, S. 99 u. S. 110 u. H. 2, S. 165. 39 Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.)/Westphal, M. (Bearb.): Unser Wirken. Arbeiterjugendbewegung 1921, Berlin 1922, S. 15. 40 Der Führer, H. 10/1932, S. 148. 41 Vgl. auch Wehler, H.-U.: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten. 1914-1949, München 2003, S. 535 ff. 42 Der Führer, H. 12/1932, S. 183. 43 Vorwärts, 09.09.1932; vgl. auch BVW, 10.10.1932. 44 Hierzu und im Folgenden auch Walter, F.: Heute Diaspora, einst Hochburg? Sozialdemokratische Traditionen in Sachsen und Thüringen, in: Heimann, H./ders.: Die Traditionen der demokratischen Arbeiterbewegung im Prozeß der deutschen Einigung, Bonn 1991, S. 33-55, hier S. 46 f.; auch Brücker, E./Gröschel, R.: Zur These von der Erosion arbeiterkultureller Milieus oder: Die praktische Bedeutung symbolischer Handlungen. Zum Beispiel: Die Jugendweihe, in: …interventionen…, Jg. 1 (1991) H. 1, S. 49-58. 45 Vgl. Der Führer, H. 11/1926, S. 173 ff., H. 3/1927, S. 38 ff., H. 4/1927, S. 53 f. u. H. 6/1927, S. 94 f.; AJ H. 11/1926, S. 325; LVZ, 01.02., 07.03. u. 25.04.1927. 46 Vgl. AJ H. 10/1927, S. 217 f. 47 So Weber, H.: Kommunismus in Deutschland. 1918-1945, Darmstadt 1983, S. 108.

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48 Vgl. hierzu eindrucksvoll: Hauptvorstand des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands (Hg.): Die Spitzelzentrale. Kommunistische Kampfmethoden. Eine kleine Materialsammlung aus der kommunistischen Jugendzentrale, Berlin 1928. Aufzeichnungen aus dem Nachlass von Boris Goldenberg (die der Verf. Dr. Trude Goldberg zu verdanken hat) und ein detaillierter Bericht von Richard Burkhardt – neben Walter Otto führender Kopf der westsächsischen SAJO – a.d.V. bestätigen und vertiefen die Angaben aus der Broschüre. Der Bericht von Burkhardt besticht durch präzise Erinnerungen, die durch die zusätzlich herangezogenen schriftlichen Quellen fast vollständig verifiziert werden konnten. Daher sind Aussagen von Burkhardt über konspirative Treffen, von denen in der Presse natürlich nichts zu lesen war, in die folgende Darstellung eingegangen. 49 Mitteilung von Olga Frenzel a.d.V.; vgl. auch JB H. 8/1927, S. 225. 50 Bericht von Richard Burkhardt a.d.V. 51 Ebd.; LVZ, 25.04.1927; Der Führer H. 6/1927, S. 94. 52 Bericht von Richard Burkhardt a.d.V. 53 Vgl. LVZ, 19.03.1927. 54 Vgl. HV, 01.08.1927. 55 Vgl. Für die Arbeiter-Jugend (Breslau), H. 5/1927. 56 Vgl. JB H. 7/1927, S. 197; Der Führer, H. 6/1927, S. 93. 57 Vgl. HV, 12.09.1927. 58 Mitteilungen von Ernst Rosendahl, Willi Kappel u. Olga Frenzel a.d.V.; vgl. auch HV, 20.09.1927. 59 Sozialistische Jugend (Leipzig), H. 3/1931, S. 46. 60 Der Führer, H. 5/1931, S. 79. 61 Der Führer, H. 4/1931, S. 62 f.; HE, 10.03.1931. 62 Der Führer, H. 5/1931, S. 77. 63 Mitteilung von Otto Kettig. 64 Freie Presse für Berg und Mark, 06.02.1931. 65 Ebd., 26.03.1931. 66 Der Führer, H. 8/1931, S. 126. 67 Freie Presse für Berg und Mark, 21.05.1931. 68 Ebd., 22.05.1931. 69 Ebd., 08.06.1931. 70 Der Führer, H. 8/1931, S. 126. 71 Ebd., S. 127. 72 Freie Presse für Berg und Mark, 21.08.1931. 73 Ebd., 18.08.1931. 74 In einer Broschüre gab dies der Parteivorstand später indirekt zu: „Es ist in dem Fall nicht der Beweis erbracht worden, dass hier von vornherein im kommunistischen Auftrag gearbeitet wurde, aber der Verlauf der Dinge hat erneut bewiesen, welche große

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Gefahr jede richtungsgemäße Zusammenkunft der Jugend innerhalb unserer Organisation für die Arbeit der Organisation bedeutet.“ In: Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Hg.): Gegen die Parteispaltung, Berlin 1931, S. 21. 75 Mayer 1982, S. 133. 76 Mitteilung von Heinz Hoose. 77 Mittelung von Hermann Neumann a.d.V.; siehe Friedemann, P./Schledorn, U. (Hg.): Aktiv gegen rechts. Der rote Kämpfer. Marxistische Arbeiterzeitung 1930-1931, Essen 1994. 78 Vgl. Der Führer, H. 12/1930, S. 190 ff.; AJ H. 2/1931, S. 32; Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Hg.): Gegen die Parteispaltung, Berlin 1931, S. 19. 79 Vgl. Der Führer, H. 10/1931, S. 147. Als ebenso unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SAJ wurden die Zugehörigkeit zur Deutschen Friedensgesellschaft und die Propaganda für die Zeitschriften Sozialistische Information und Die Fackel erklärt. 80 Mitteilung von Heinz Hoose. 81 Vgl. Das Kampfsignal, 11.03.1932. 82 Der Führer, H. 3/1931, S. 46. 83 Freiheit (Königsberg), 12.06. u. 12.12.1919. 84 Ebd., 01.02. u. 14.02.1922. 85 Ebd., 20.09. u. 30.09.1922. 86 Der Führer, H. 12/1930, S. 190; Der Klassenkampf, H. 23/1930, S. 735. 87 Junge Kämpfer. Organ des KJVD (Opposition), H. 2/1930, S. 22. 88 Ebd., H. 11/1930, S. 132. 89 Der Führer, H. 12/1930, S.190. 90 Roter Pionier, H. 12/1931, S. 3; Der Führer, H. 11/1931, S. 160. 91 In Berlin gingen rund 900 Mitglieder zum SJV. Die Berliner Organisation stellte damit 12-13 % der Gesamtmitgliedschaft im SJV. Vor der Spaltung betrug der Anteil der Berliner SAJ dagegen nur 6-7 % der Gesamtmitgliedschaft im Reichsverband der SAJ. Die in der Literatur (etwa Eberts 1980, S. 110; Tilsner-Gröll, R.: Jugendarbeit in der SPD von den Anfängen bis zum Ende der Weimarer Republik, Münster 1978, S. 71 f.; Seebacher-Brandt 1984, S. 56; Ullenberg, W.: Die Auseinandersetzungen sozialdemokratischer Jugendorganisationen mit dem Nationalsozialismus, Bonn 1981, S. 150) kontinuierlich zirkulierende Annahme, dass man zeitgenössisch damit gerechnet habe, dass die „linksstehende“ Berliner SAJ mit ihren 4000 Mitgliedern geschlossen zum SJV übertreten werde und dass dies nur durch die Intervention einer kleinen neoleninistischen und konspirativ tätigen Gruppe um Erich Schmidt verhindert worden sei, ist zu korrigieren. Zeitgenössisch hat niemand mit einem solchen Übertritt gerechnet, denn die Berliner SAJ war keineswegs homogen links. Der linke Flügel gewann die Mehrheit in der Berliner SAJ erst am 01.03.1931 mit der Wahl Erich Schmidts. Schmidt erhielt 99 Stimmen, sein Kontrahent Lindstaed kam aber immerhin auch auf 92 Stimmen (vgl. Der Führer, H. 4/1931, S. 62), was zeigt, wie stark die

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„Rechte“ in Berlin noch verankert war. Überdies wandten sich auch andere Linksgruppierungen, etwa die „Roten Kämpfer“ um Karl Schröder, gegen einen Austritt aus der SPD. 92 Roter Pionier, H. 12/1931, S. 6 f. 93 Das Kampfsignal, 11.03.1932; vgl. auch Der Jungprolet, H. 2/1932; Der Führer, H. 3/1932, S. 46. 94 Das Kampfsignal, 4. Novemberwoche 1932. 95 Vgl. Lienker, H.: Geist von Weimar. Partizipationsbestrebungen, kulturelle Orientierung und pädagogische Handlungsfelder der mehrheitssozialdemokratischen Jugendbewegung in der Frühphase der Weimarer Republik (Phil. Diss.), Bielefeld 1985, S. 22 u. S. 97. 96 Ebd., S. 22. 97 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 6. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 17. und 18. April 1926 in der Stadthalle zu Hildesheim, Berlin 1926, S. 5 f.; vgl. auch Eberts 1980, S. 125. 98 Der Führer, H. 3/1929, S. 33. 99 Ebd. 100 Der Führer, H. 9/1928, S. 147. 101 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 8. 102 Vorwärts, 02.10.1931. 103 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 15. 104 Der Führer, H. 11/1931, S. 167; Drechsler, H.: Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1965, S. 164. 105 Vgl. v.a. Der Führer, H. 12/1932, S. 183 (auf S. 177 wird dagegen von 3000 neuen Mitgliedern gesprochen). 106 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 15. 107 Ebd., S. 16. 108 Vgl. Walter, F.: Sachsen – ein Stammland der Sozialdemokratie?, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 32 (1991) H. 2, S. 207-231. 109 Vgl. Ollenhauer, E.: Von Weimar bis Bielefeld. Ein Jahr Arbeiterjugendbewegung. Zum Reichsjugendtag in Bielefeld, Ende Juli 1921, Berlin 1921, S. 9 f.; Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Unsere Arbeit.

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Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über das Jahr 1922, Berlin 1923, S. 7; Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 6. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 17. und 18. April 1926 in der Stadthalle zu Hildesheim, Berlin 1926, S. 7; ders. (Hg.): Unsere Arbeit. Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über die Jahre 1924 und 1925, Berlin 1926, S. 4. 110 Der Führer, H. 4/1928, S. 55. 111 Das freie Wort, H. 24/1930, S. 23. 112 Vgl. Der Führer, H. 9/1929, S. 129. 113 Vgl. auch für Essen Behrens, H.: „Mehr wissen – mehr können“. Bildungsanstrengungen der sozialdemokratischen Jugend in der Weimarer Republik und ihre Wirkungen, in: Eppe/Herrmann (Hg.) 2008, S. 69-84, hier S. 75. 114 Aus: Interview Hans Adam/August Rathmann/Karl Rickers/Gustav Schatz – SOPAED vom 04.07.1980 (unveröffentlichtes Manuskript). 115 So schon die berechtigte Argumentation von Ernst Gnoß in: Das freie Wort, H. 29/1930, S. 11. 116 Vgl. auch den Bericht von Max Westphal auf der Leipziger Reichskonferenz in: Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 7. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands, 21. und 22. April 1928 im Volkshaus zu Leipzig, Berlin 1928, S. 6 f. 117 Vgl. Der Führer, H. 9/1930, S. 131 u. H. 11, S. 162; LVZ, 06.01.1930. 118 AJ H. 2/1926, S. 133. 119 Eigene Berechnungen nach den Angaben in: Der Führer, H. 9/1930, S. 130. 120 Marxistische Tribüne, H. 3/1932, S. 84. 121 Der Führer, H. 9/1930, S. 131; so auch für Nürnberg Strogies, L.: Die sozialistische Arbeiterjugend in Nürnberg während der Weimarer Republik, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Jg. 73/1986, S. 239-290, hier S. 252 ff. 122 Vgl. hierzu und im Folgenden Der Führer, H. 6/1932, S. 83 ff. Die Addition beider Zahlen ergibt nicht 9556 sondern 10.156. Es ist anzunehmen, dass es sich bei der Zahl 6664 um einen Druckfehler handelt. Richtig wäre 6064. 123 Ebd., S. 85. 124 Der Führer, H. 5/1930, S. 73. 125 Insgesamt haben allerdings 108 gewählte Delegierte teilgenommen, so die Berechnung des Verf. auf Basis der Angaben in: Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 61 f. 126 Der Führer, H. 6/1932, S. 85. 127 Der Führer, H. 4/1932, S. 49. 128 Der Führer, H. 12/1932, S. 183.

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129 Vgl. Peukert, D.J.K.: Die Erwerbslosigkeit junger Arbeiter in der Weltwirtschaftskrise in Deutschland 1929-1933, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Jg. 72 (1985) H. 3, S. 305-328, hier S. 310. 130 Ebd., S. 313. 131 Ebd., S. 313 f. 132 Vgl. Naujoks, M.: Mädchen in der Arbeiterjugendbewegung in der Weimarer Republik, Hamburg 1984; auch Geißel, B./Lummert, A.: Sozialisation von Mädchen in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) Berlins in der Weimarer Republik, in: …interventionen…, Jg. 1 (1991) H. 1, S. 34-54. 133 Ebd., S. 34. 134 Lienker 1985, S. 37; Tilsner-Gröll 1978, S. 25. 135 Vgl. Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 59; Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Die Sozialistische Arbeiterjugend im Vormarsch, Berlin 1930, S. 72 ff. 136 Köster 2005, S. 272; vgl. auch Blazek, H.: Männerbünde. Eine Geschichte von Faszination und Macht, Berlin 1999. 137 Ebenfalls die Darstellung von Schley 1987, S. 295 ff. 138 Der Führer, H. 9/1932, S. 84. 139 Naujoks 1984, S. 31. 140 Der Führer, H. 6/1932, S. 86. 141 Ebd. 142 AJ H. 6/1927, S. 128. 143 Der Führer, H. 4/1928, S. 56. 144 HV, 10.07.1927. 145 Köster 2005, S. 187. 146 Am Beispiel von Essen auch Behrens-Cobet, H.: „Dem Sozialismus ergeben“. Die sozialdemokratische Jugend in der Weimarer Republik, in: dies. (Hg.): Rote Jugend im schwarzen Revier. Bilder aus der Geschichte der Essener Arbeiterjugendbewegung, Essen 1989, S. 33-51, hier S. 35 f. 147 Sozialistische Jugend (Leipzig), H. 2/1930, S. 30. 148 Der Führer, H. 1/1928, S. 6; vgl. auch HV, 10.07.1927. 149 Der Führer, H. 4/1928, S. 66. 150 Der Führer, H. 2/1928, S. 22. 151 Der Führer, H. 6/1932, S. 85. 152 Zum Paradigma der Solidargemeinschaft vgl. Lösche, P./Scholing, M.: Sozialdemokratie als Solidargemeinschaft, in: Saage, R. (Hg.): Solidargemeinschaft und Klassenkampf. Politische Konzeptionen der Sozialdemokratie zwischen den Weltkriegen, Frankfurt am Main 1986, S. 365-383.

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153 Der Führer, H. 6/1932, S. 85; Der Führer, H. 2/1928, S. 22. 154 Der Führer, H. 2/1928, S. 22. 155 Ebd.; Der Führer, H. 6/1932, S. 85. 156 Vgl. dazu Vorwärts, 22.02.1932. 157 Vgl. Der Führer, H. 6/1932, S. 86 f. 158 Zu den Kinderfreunden vgl. Gröschel, R.: Auf dem Weg zu einer sozialistischen Erziehung. Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte der sozialdemokratischen „Kinderfreunde“ in der Weimarer Republik, Essen 2006; Herrmann, U.: Jugend, Jugendbewegung und die deutsche Reformpädagogik, in: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung, Jg. 4/2007, S. 168-202, hier S. 186 ff.; Eppe, H.: Die „Kinderfreunde“-Bewegung, in: ders./Herrmann (Hg.) 2008, S. 160-200. 159 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 7. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands, 21. und 22. April 1928 im Volkshaus zu Leipzig, Berlin 1928, S. 27. 160 Der Führer, H. 6/1932, S. 86; vgl. auch Eberts 1980, S. 129; Tilsner-Gröll 1978, S. 57. 161 Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Unsere Arbeit. Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über das Jahr 1922, Berlin 1923, S. 51. 162 JB H. 8/1923, S. 129. 163 Vgl. Walter 1995, S. 69 ff. 164 Ebd., S. 42. 165 Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Leipzig, 31. Mai-5. Juni, Berlin 1931, S. 200. 166 Vgl. hierzu LVZ, 16.10.1923. 167 Vgl. Hauptvorstand des Verbandes der Arbeiterjugendvereine Deutschlands (Hg.): Unser Weg. Bericht des Verbandes der Arbeiterjugendvereine über das Jahr 1923, Berlin 1924, S. 36. 168 Der Führer, H. 7/1928, S. 125. 169 Der Führer, H. 11/1928, S. 191 u. H. 2/1929, S. 25. 170 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 7. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands, 21. und 22. April 1928 im Volkshaus zu Leipzig, Berlin 1928, S. 9. 171 Der Führer, H. 6/1928, S. 100. 172 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 10. 173 Der Führer, H. 5/1932, S. 66. 174 Der Führer, H. 12/1932, S. 178 u. S. 183.

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175 Vgl. das Referat von M. Westphal: Die sozialen und sittlichen Lebensverhältnisse der Großstadtjugend. (gehalten im Ostprignitzer Jugendhof am 23. Mai 1927), in: o.V.: Veröffentlichungen des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt aus den Gebieten der Jugendpflege, der Jugendbewegung und der Leibesübungen. Beiträge zur Lebenskunde der Jugend. Jugend und Beruf, Berlin 1928, S. 47 f. 176 Krolzig, G. (Bearb.): Der Jugendliche in der Großstadtfamilie. Auf Grund von Niederschriften Berliner Berufsschüler und -schülerinnen. Im Auftrag des Deutschen Archivs für Jugendwohlfahrt Berlin, Berlin 1930, S. 50 ff. Die Untersuchung basierte auf 1700 Aufsätzen, die von Berufsschülern geschrieben wurden. Die Auswertung erfolgte nicht nach statistischen Kriterien, sondern blieb eher impressionistisch. Der Bearbeiter unterteilte die Angaben und Ausführungen in den Aufsätzen nach der Intensität der Bindungen zur Familie und dokumentierte dann jeweils zahlreiche Textstellen. Zwischendurch streute er immer wieder eigene Interpretationen und verallgemeinernde Zusammenfassungen ein. 177 Hierzu auch Schley 1987, S. 299. 178 Krolzig 1930, S. 122. 179 Vgl. ebd., S. 130. 180 Ebd., S. 122. 181 Ebd., S. 123. 182 Vgl. Dehn, G.: Proletarische Jugend. Lebensgestaltung und Gedankenwelt der großstädtischen Proletarierjugend, Berlin 1930, S. 51; Rada, M.: Das reifende Proletariermädchen, Wien/Leipzig 1931, S. 54 ff.; Dinse, R. (Bearb.): Das Freizeitleben der Großstadtjugend. 5000 Jungen und Mädel berichten, Berlin 1932, S. 58 f. 183 Vgl. Dinse (Bearb.) 1932, S. 100. 184 Vgl. ebd., S. 48 ff. 185 Vgl. ebd., S. 59. 186 Vgl. dazu auch die Zahlen in: AJ H. 1/1930, S. 6; vgl. auch Büttner 2008, S. 261. 187 Vgl. Dinse (Bearb.) 1932, S. 71 ff. 188 RZ, 23.02.1929. 189 Vgl. Dinse (Bearb.) 1932, S. 110. 190 Vgl. Dehn 1930, S. 48. Zu einer früheren Untersuchung der „Gedankenwelt der großstädtischen Arbeiterjugend nach Erhebungen in Berliner Fortbildungsschulen“ von G. Dehn u. E. Lau vgl. Ratgeber für Jugendvereinigungen, H. 7-8/1920, S. 82 ff. u. H. 9-10, S. 125 ff. 191 Büttner 2008, S. 260. 192 Vgl. Dehn 1930, S. 51. 193 Vgl. ebd., S. 36. 194 Ebd., S. 39.

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VIII. D AS N ACHWUCHSPROBLEM IN DEN SOZIALISTISCHEN K ULTURORGANISATIONEN 1

Vgl. Protokoll Generalversammlung 1905.

2

Vgl. Der Abstinente Arbeiter, 1922, S. 29.

3

Ebd., 1928, S. 26.

4

Generell zu diesem Phänomen vgl. Stambolis, B.: Mythos Jugend – Leitbild und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur im 20. Jahrhundert, Schwalbach am Taunus 2003.

5

Deutsche Arbeiter-Sänger-Zeitung (DASZ), H. 5/1924, S. 33.

6

DASZ H. 6/1924, S. 41.

7

Zur Diskussion auf dem Berliner Bundestag vgl. Protokoll 1925, S. 68 ff.

8

Vgl. DASZ H. 7/1926, S. 105.

9

Vgl. etwa DASZ H. 2/1926, S. 26 u. H. 2/1929, S. 20.

10 Zur Diskussion auf dem Weimarer Bundestag vgl. Protokoll 1927, S. 95 ff. 11 DASZ H. 4/1929, S. 44. 12 DASZ H. 4/1929, S. 45. 13 DASZ H. 1/1929, S. 1. 14 DASZ H. 8/1928, S. 88. 15 Vgl. Protokoll 1929, S. 88 ff. 16 Vgl. DASZ H. 9/1932, S. 71. 17 Vgl. hierzu Klenke, D./Walter, F.: Der Deutsche Arbeiter-Sängerbund bis 1933, in: Noltenius, R. (Hg.): Illustrierte Geschichte der Arbeiterchöre, Essen 1992, S. 54-64. 18 Vgl. hierzu und im Folgenden Geschäftsbericht des Deutschen Arbeiter-Sängerbundes (DAS) 1926-1929, S. 29; Protokoll der 8. Generalversammlung des DAS, S. 43. 19 Vgl. Arbeiterbildung, 1926, S. 155. 20 Diesen Gedanken hat klar, vielleicht sogar etwas überpointiert Ulrich Linse herausgearbeitet, vgl.: Linse, U.: Hochschulrevolution! Zur Ideologie und Praxis sozialistischer deutscher Studentengruppen während der deutschen Revolutionszeit 1918/19, in: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 14/1974, S. 1-114. 21 Vgl. Bebels berühmt gewordenen Ausspruch auf dem SPD-Parteitag 1903 in Dresden: „Seht Euch jeden Parteigenossen an, aber wenn es ein Akademiker ist oder ein Intellektueller, dann seht ihn Euch doppelt und dreifach an.“ In: Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Protokoll über die Verhandlungen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Dresden, 13. bis 20. September 1903, Berlin 1903, S. 225. 22 LVZ, 20.08.1925. 23 Vgl. Volkswacht, Bielefeld, 20.08.1925; Vorwärts, 14.08.1925. 24 Vgl. Leipziger Volkswacht, 04.08.1924; HE, 09.08.1924. 25 Vgl. HE, 14.12.1927.

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26 Vgl. auch Gruenfeld, W.: Rückblicke, Middlesex 2006, S. 76. 27 Vgl. RZ, 17.12.1929; Der Rote Student, H. 5/1931, S. 111. 28 Vgl. Sozialistischer Wille, Januar 1931, S. 17 u. S. 33. 29 Vgl. RZ, 17.12.1929. 30 Vorwärts, 30.06.1931. 31 Vgl. Vorwärts, 02.07.1931. 32 Zu Berlowitz’ Emigrationsbemühungen nach 1933 auch Barnett, V.J.: Dietrich Bonhoeffer’s Relevance for Post-Holocaust Christian Theology, in: Studies in ChristianJewish Relations, Jg. 2 (2007) H. 1, S. 53-67, hier S. 56. 33 Vgl. Der Rote Student, H. 5/1931, S. 155; Die Fackel, 16.10.1931. 34 Auch Büttner 2008, S. 264 f.

IX. R ADIKALISIERUNG UND L IQUIDIERUNG DES W EIMARER J UNGSOZIALISMUS 1

Als herausragende Beispiele für die Zeit nach 1926 vgl. die Debatte in: SM, 22.10.1928, S. 855 ff., 17.12.1928, S. 1071 ff. u. 21.01.1929, S. 8 ff. zwischen Walter Pahl und Anna Siemsen. Vgl. auch die äußerst niveauvollen Beiträge in: JB H. 10/1930, S. 322 ff. sowie die Artikel von vorwiegend Parteilinken in: JB H. 3/1931, S. 69 ff.

2

JB H. 9/1926, S. 261.

3

KW H. 2/1926, S. 32.

4

Ebd.; vgl. auch KW H. 4/1925, S. 69 ff.

5

KW H. 2/1926, S. 32.

6

Vgl. hierzu Grafs grundlegende Rede auf der Kulturkonferenz der SPD 1924, in: KW

7

Vgl. die Schilderung bei Lepinski in: JB H. 9/1925, S. 283 f.

H. 8/1924, S. 149. 8

So das resümierende Urteil Anna Siemsens über das Verhältnis Partei-Jungsozialisten der letzten Jahre, in: SM 1928, S. 1072.

9

Vgl. zu dieser Terminologie einen analytisch brillanten Aufsatz des Jungsozialisten Ernst Fraenkel in: JB H. 11/1930, S. 337 ff.; ähnlich auch einen Artikel von Eduard Weckerle in: JB H. 3/1931, S. 72 f.

10 Föllmer, M./Graf, R./Leo, P.: Einleitung: Die Kultur der Krise in der Weimarer Republik, in: Föllmer/Graf (Hg.) 2005, S. 9-41, hier S. 29. 11 JB H. 2/1926, S. 60; JB H. 7/1926, S. 219; JB H. 9/1926, S. 286; JB H. 10/1926, S. 316. 12 JB H. 3/1926, S. 86; SPW, 11.02.1926. 13 SPW, 09.09.1926. 14 JB H. 10/1926, S. 316. 15 Ebd. Neben der stärkeren, von den Jungsozialisten gesuchten Integration in die Partei war die Verlegung des Büros auch eine Absage an die Geschäftsführung der SAJ, der

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die Jungsozialisten stark misstrauten. So wurden auch die Jungsozialistischen Blätter nicht mehr vom Arbeiterjugend-Verlag herausgegeben, der angeblich Bestellungen ignoriert haben sollte, sondern von der E. Laubschen Verlagsbuchhandlung, die später auch den Klassenkampf herausgab; vgl. JB H. 11/1926, S. 349. 16 Vgl. SPD-Jahrbuch 1926, S. 54. Bezeichnenderweise sprach sich auf der Jungsozialisten Reichskonferenz 1927 in Dresden nur der in ständigem Hader mit der westfälischen Partei agierende Ernst Rosendahl (Schwelm) gegen die Annahme der Richtlinien aus, die er als glatte Kapitulation vor dem PV begriff. Fritz Lewy (Breslau) und Karl Wiechert (Hannover) wiesen diese Vorwürfe allerdings scharf zurück und bezeichneten den ehemals führenden Organisator des „Hannoveranerkreises“ als Einzelgänger; vgl. JB H. 7/1927, S. 197; Der Führer, H. 6/1927, S. 93. 17 DG Bd. 2/1926, S. 520. 18 Ebd. 19 Winkler urteilt daher: „Die offizielle Bildungsarbeit der Partei hatte dem rigiden Marxismus der Jungsozialisten wenig entgegenzusetzen. In ganz Deutschland reisten 1929 lediglich zwei Wanderlehrer des Reichsbildungsausschusses der SPD herum.“ In: Winkler 1985, S. 640. 20 Vgl. die resignative Rückschau der führenden Hannoveraner Jungsozialistin Trude Wiechert in: JB H. 11/1930, S. 346. 21 Hierzu auch Kriechbaumer, R.: Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich vor der Jahrhundertwende bis 1945, Wien/Köln/Weimar 2001, S. 85 ff. 22 Aus dem Aufruf der Gauleitung der Jungsozialisten Schlesiens „Werdet neue Menschen“, in: BVW, 22.05.1926; vgl. auch den Vortrag von Anna Siemsen in: BVW, 25.05.1926. 23 Vgl. Adler, M.: Neue Menschen. Gedanken über sozialistische Erziehung, Berlin 1924, S. 83. 24 BVW, 11.10.1926. 25 Vgl. Adler, M.: Über psychologische und „ethische“ Läuterungen des Marxismus, Berlin 1928, S. 43 f. 26 Zur weltlichen Schulbewegung vgl. Bajohr, F./Behrens-Cobet, H./Schmidt, E.: Freie Schulen. Eine vergessene Bildungsalternative, Essen 1986; Behrens-Cobet, H./Reichling, N.: „Wir fordern die freie Schule, weil sie die Schule des Sozialismus ist“. Die Bewegung für freie weltliche Schulen in der Weimarer Republik, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Jg. 23 (1987) H. 4, S. 485-505. 27 Hanisch, E.: Sozialismus als Ziel; Sozialdemokratie der Weg: Otto Bauer als Politiker-Intellektueller, in: Amon, P./Teichgräber, S.-I. (Hg.): Otto Bauer. Zur Aktualität des Austromarxismus, Frankfurt am Main u.a. 2010, S. 127-142, hier S. 135.

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28 Zur Düsseldorfer und Dortmunder Konferenz vgl. DVZ, 03.-07.01.1925; Die freie weltliche Schule 1925, S. 19 f. u. S. 101 f. 29 BVW, 23.04.1929. 30 Vgl. dazu ausführlicher Storm/Walter 1984, S. 28 ff. 31 Adler 1924, S. 59 u. S. 81. 32 Ebd., S. 60. 33 Zu dieser Begrifflichkeit vgl. Siemsen, A.: Selbsterziehung der Jugend, Berlin 1929, S. 15. 34 Könke, G.: Organisierter Kapitalismus, Sozialdemokratie und Staat. Eine Studie zur Ideologie der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik (1924-1932), Stuttgart 1987, S. 130. 35 Adler 1984, S. 81. 36 Ebd., S. 105. 37 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Koltan-Werner, H.: Otto Felix Kanitz und der Schönburger Kreis. Die Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Erzieher 1923-1934, Wien 1982. Die von O.F. Kanitz geleitete Schule basierte auf dem Konzept Adlers. Schon die Zeitgenossen der Arbeiterbewegung empfanden die Schüler als „weltfremd und unduldsam gegen jede andere Meinung“, als „sozialistische Mönche und Nonnen“ gleichsam; ebd., S. 144. 38 Dieses Urteil von Joseph Lang in einem Brief an Fritz Nagel vom 21.04.1947. Vgl. auch H. Grebing (Hg.): Lehrstücke in Solidarität. Briefe und Biographien deutscher Sozialisten 1945-1949. Stuttgart 1983, S. 223 u. S. 285. 39 Erschütternde Beispiele für die Deformation des ethischen Motivs sind Adlers Schriften über Sowjetrussland Anfang der 1930er Jahre, in denen er den stalinistischen Terror geradezu schwärmerisch guthieß, da er in Russland einen „neuen Geist“ und „neue Menschen“ entstehen sah, sodass ihm die Opfer der Repression einen „Sinn“ ergaben; vgl. u.a. Adler, M.: Unsere Stellung zu Sowjetrußland. Die hauptsächlichen Fehlerquellen für die Beurteilung der russischen Revolution, in: Hartwig, T./Lewy, F. (Hg.): Unsere zu Sowjetrußland. Lehren und Perspektiven der Russischen Revolution, Berlin-Tempelhof 1931, S. 157-189; vgl. auch Der Kampf 1932, S. 215 ff. u. S. 301 ff. 40 Zum Einfluss von Hendrik de Man vgl. ausführlich Walter 1983, S. 53 ff. 41 Vgl. genauer ebd., S. 80 f.; Storm/Walter 1984, S. 22; zu Adlers Erkenntnistheorie vgl. besonders Grebing 1977, S. 48 ff.; Pfabigan, A.: Max Adler. Eine politische Biographie, Frankfurt am Main/New York 1982, S. 273 ff. 42 Vgl. zu diesem Abschnitt ausführlicher Walter 1983, S. 82 ff. 43 Adler, M.: Politische oder soziale Demokratie. Ein Beitrag zur sozialistischen Erziehung, Berlin 1926, S. 92. 44 Vgl. Parteitag 1926. Protokoll des sozialdemokratischen Parteitages. Abgehalten vom 30. Oktober bis 3. November 1926 in Linz, Wien 1926; vgl. auch Der Kampf 1927, S. 155 f.

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45 Vgl. besonders Schmitt, C.: Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus, (Nachdruck der 1926 erschienenen 2. Aufl.) Berlin 1996, S. 22. 46 Adler 1926, S. 57; vgl. ders.: Die Staatsauffassung des Marxismus. Ein Beitrag zur Unterscheidung von soziologischer und juristischer Methode (Wien 1922), Wiederaufl. Darmstadt 1964, S. 280 ff. 47 Ders. 1926, S. 85. 48 Vgl. dazu Walter 1983, S. 84 ff. 49 Gurland, A. (hg. v. D. Emig): Marxismus und Diktatur, Frankfurt am Main 1981, S. 110. 50 Besonders klar bringt sie diesen für sie typischen Gedanken in einer erst später erschienenen Broschüre zum Ausdruck; vgl. Siemsen, A.: Auf dem Wege zum Sozialismus. Kritik der sozialdemokratischen Programme von Heidelberg bis Erfurt (Nr. 4 der Roten Büchergemeinde), Berlin-Tempelhof o. J., S. 43. 51 Ebd., S. 45. 52 Vgl. Marck, S.: Reformismus und Radikalismus in der deutschen Sozialdemokratie. Geschichtliches und Grundsätzliches, Berlin 1927. 53 Otto Jenssens Orientierung an der Theoriebildung des austromarxistischen Zentrums war in der Tat so eindeutig fixiert, dass sich Arkadij Gurland in einem SPW-Artikel zu mahnen genötigt sah: „Es ist nicht alles Gold, was von Österreich herkommt, und man sollte sich bei aller Anerkennung der Verdienste der österreichischen Bewegung um die theoretische Klärung und Wachhaltung marxistischer Tradition davor hüten, die theoretischen Ergebnisse, die dort erarbeitet worden sind, hinzunehmen, ohne ihren sozialen Untergrund zu beleuchten.“ In: Jenssen, O.: Der Kampf um die Staatsmacht. Was lehrt uns Linz?, Berlin 1927, S. 11. 54 KK, 01.10.1930, S. 592. 55 Vgl. JB H. 6/1927, S. 165, H. 2/1928, S. 58 u. H. 3/1928, S. 67. 56 JB H. 6/1927, S. 165, S. 185 u. S. 187. 57 Ebd., S. 185. 58 Vgl. hierzu Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 7. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands, 21. und 22. April 1928 im Volkshaus zu Leipzig, Berlin 1928, S. 13 u. S. 28 f.; ders.: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 13, S. 18 f., S. 31 u. S. 38. 59 JB H. 8/1928, S. 269. 60 JB H. 7/1927, S. 197. 61 Vgl. auch die Erinnerungen der Tochter von Stein: Papanek, H.: Elly und Alexander. Revolution, Rotes Berlin, Flucht, Exil – eine sozialistische Familiengeschichte, Berlin 2006, S. 49 ff. 62 Stein, A.: Jungsozialisten und Arbeiterbewegung, Berlin 1928, S. 14. 63 Ebd., S. 17 u. S. 14.

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64 Ebd., S. 14. 65 Ebd., S. 8 ff. 66 Vgl. JB H. 3/1928, S. 66. 67 Ebd., S. 82. 68 JB H. 7/1928, S. 218. 69 JB H. 1/1927, S. 19. 70 Ebd., S. 22. 71 Ebd., S. 21. 72 KK, 01.12.1927, S. 155. 73 Vgl. Kaufmann, F.: Sozialdemokratie in Österreich. Idee und Geschichte einer Partei von 1889 bis zur Gegenwart, Wien/München 1978, S. 216 ff.; vgl. auch Botz, G.: Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918-1938, München 1976, S. 141 ff. 74 Vgl. Berger, P.: Kurze Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, Wien 2007, S. 106. 75 Vgl. (in Anschluss an Heimito v. Doderer) Hanisch 2010, S. 142. 76 Hierzu auch Köhler, T./Mertens, C. (Hg.): Justizpalast in Flammen. Ein brennender Dornbusch, Wien 2006. 77 Leidinger, H./Moritz, V.: Die Republik Österreich 1918/2008. Überblick, Zwischenbilanz, Neubewertung, Wien 2008, S. 34. 78 Vgl. Peretz Merchav, Otto Bauer und Max Adler in: Die Zukunft, H. 1/1978, S. 36. 79 Parteitag 1927, S. 211. 80 Vgl. auch Miller, S.: Politische Führung und Spontaneität in der österreichischen Sozialdemokratie, in: Albers, D./Heimann, H./Saage, R. (Hg.): Otto Bauer: Theorie und Politik, Berlin 1985, S. 65-74, hier S. 68 ff. 81 Parteitag 1927, S. 157. 82 Den Antrag brachten bezeichnenderweise die mittelschlesischen Jusos ein, die am linken Flügel der Organisation standen und Max Adler häufig als Redner zu Gast hatten; vgl. JB H. 6/1929, S. 168. 83 Vgl. die Ausführungen des Münchner Juso-Vorsitzenden Seifert in: SPW, 05.08.1927. 84 Vgl. E. Graf, der bei seiner Kritik aber v.a. die KPD meinte. Graf neigte in diesem Artikel zu einer etwas phrasenhaften Überheblichkeit, die bei seinem Hang zu feuilletonistischen Aperçus im Übrigen nie ganz auszuschließen war. So war er sich sicher, dass die deutsche Bourgeoisie gar keinen Mussolini mehr brauche, da sie sich in der Republik sehr wohl fühle – „wohler denn je zuvor“ –, und dass daher eine Organisation wie das Reichsbanner zum „Schutz der Republik“ „kaum mehr nötig“ sei; in: JB H. 11/1927, S. 325. 85 Ebd., S. 328. 86 Der Herausgeber der SPW, Paul Levi, war im Übrigen schon vor den „Juli-Ereignissen“ in Wien Kritiker von Otto Bauer und auch des Linzer Programms. 87 SPW, 05.08.1927.

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88 So Max Adler in: SPW, 09.09.1927; vgl. auch SPW, 22.07.1927. 89 Mitteilung von Walter Pöppel. 90 Mitteilung von Walter Pöppel, der dies dem Einfluss Otto Jenssens zuschreibt; siehe insgesamt auch Pöppel, W.: Es war einmal. Eine Jugend in Deutschland, Stockholm 1984. 91 Vgl. hierzu und im Folgenden Bock, H.M.: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland, Frankfurt am Main 1976, S. 74 ff.; ders.: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands, Meisenheim am Glan 1969 (Diss.), passim; Müller, H.-H.: Intellektueller Linksradikalismus in der Weimarer Republik. Seine Entstehung, Geschichte und Literatur, Kronberg im Taunus 1977, passim. 92 Vgl. KK, 01.04.1928, S. 219 ff. Die Redaktion des Klassenkampf distanzierte sich trotz des Abdrucks von dem Artikel, da Wagner den „Austromarxismus“ pauschal kritisierte und nicht auf die Unterschiede zwischen den von M. Adler, O. Bauer und K. Renner repräsentierten Flügel dieser Schule eingegangen war. 93 Ebd., S. 222. 94 Ebd., S. 221. 95 Vgl. Winkler, H.A.: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 476. 96 SPW, 17.08.1928. 97 Protokoll 1927, S. 165. 98 Vgl. dazu Ruland, H.: Analyse und Strategie zur Verhinderung und Überwindung des Faschismus in den Schriften Fritz Sternbergs, in: Sternberg, F. (hg. von H. Grebing): Für die Zukunft des Sozialismus: Werkproben, Aufsätze, unveröffentlichte Texte, Bibliographie und biographische Daten. Kommentare zu Leben und Werk, Köln 1981, S. 76-117, hier S. 79. 99 Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) verlor 6,3 Prozentpunkte der Stimmen. 100 JB H. 9/1928, S. 287. 101 JB H. 10/1928, S. 301 f. 102 Vgl. KK 1928, S. 523. 103 Vgl. KK 1927, S. 72. 104 Vgl. KK 1928, S. 423. 105 Ebd., S. 297. 106 Ebd. 107 JB H. 6/1930, S. 177. 108 JB H. 10/1928, S. 296. 109 Vgl. Winkler 1985, S. 629 ff.

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110 KK, 15.06.1929, S. 384. Ähnliches konstatierte der Beobachter der SAJ; vgl. Der Führer, H. 6/1929, S. 94. 111 JB H. 6/1929, S. 166. 112 Ebd., S. 162; JB H. 8/1929, S. 252. 113 JB H. 6/1929, S. 167. 114 Zu Ströbel vgl. Wieland, L.: „Wieder wie 1914!“: Heinrich Ströbel (1869-1944). Biografie eines vergessenen Sozialdemokraten, Bremen 2008. 115 KK, 15.11.1927, S. 123 ff.; vgl. hierzu auch KK, 15.01.1928, S. 60 f. 116 KK, 15.02.1928, S. 123. 117 KK, 01.10.1927, S. 29. 118 Genauso verdreht, wenn auch in andere Richtung, war allerdings die Analyse des Berichterstatters der offiziellen „Wehrkommission“ auf dem Parteitag 1929, Wilhelm Dittmann: „Wir leben heute nicht mehr im reinen Kapitalismus, sondern bereits im Übergang zum Sozialismus, wirtschaftlich, politisch und sozial.“ Daher sei heute auch die „Funktion dieser Organe, zu der vor allem die Reichswehr gehört“ ebenfalls im Übergang; in: Protokoll 1929, S. 109. 119 KK, 15.03.1928, S. 186. 120 Vgl. KK 1929, S. 105. 121 KK 1928, S. 710. 122 KK 1928, S. 712. 123 KK 1929, S. 354. 124 KK 1929, S. 103 u. 1928, S. 419. 125 KK 1928, S. 712. 126 Vgl. u.a. KK, 01.01.1929, S. 2 f. Dies führte natürlich zu paradoxen Ungereimtheiten, wie sie auf dem Parteitag 1929 von Delegierten der Parteimehrheit höhnisch bemerkt wurden. So formulierte Severing aus einer Passage des Oppositionsentwurfs, in der die historische Funktion der Wehrmacht als Instrument der Bourgeoisie in den Auseinandersetzungen mit dem Proletariat bezeichnet wird: „Damit wird die geschichtliche Aufgabe der Wehrmacht in einem kapitalistischen Staat festgestellt, was aber die oppositionellen Genossen nicht hindert, ein Verbot der Verwendung militärischer Kräfte bei Konflikten zwischen Kapital und Arbeit zu fordern. (Heiterkeit).“ In: Protokoll 1929, S. 144. 127 Hier folge ich ganz dem Urteil von Könke 1987, S. 110. 128 „Bedeutsam für mich war dann ein 1. Zusammentreffen mit Julius Deutsch auf einem sich an Dresden anschließenden Kurs in einer Jugendherberge hoch in der Sächsischen Schweiz. Seine Argumentation (und seine Schilderung), wie er selbst den (späteren Staatspräsidenten und) General Körner zum Sozialismus bekehrte und selbst Kenntnisse im Militärischen erwarb, bestärkte mich in dem Gedanken das ‚something wrong‘ war in unserem Verhältnis zum Militär, dass uns nicht nur der Kontakt, sondern auch der Wille zur Selbstverteidigung fehlte. Dies führte dann zu

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meinen Artikeln in den Blättern.“ Mitteilung von Hans Waldmann a.d.V. vom 03.07.1983. 129 JB H. 1/1929, S. 19. 130 Ebd., S. 16. 131 Hanisch 2010, S. 133. 132 JB H. 2/1929, S. 42. 133 Ebd., S. 40. 134 Ebd., S. 42. 135 JB H. 6/1929, S. 163. 136 Eine Diskussion fand dann auch kaum statt; die Strategie der Verhandlungsführung Otto Lamms tat ein Übriges und ließ keinen Platz für längere Aussprachen. 137 JB H. 9/1929, S. 285; vgl. auch JB H. 7/1929, S. 222 u. H. 11/1928, S. 349. 138 So die warnend gemeinte Bezeichnung von A. Stein in einem Referat vor dem JusoReichsausschuss vom 07.10.1928; vgl. JB H. 11/1928, S. 345. 139 Vgl. Herta Gotthelf, in: FW, 24.11.1929, S. 29. 140 FW, 05.01.1930, S. 28. 141 SM, 17.12.1928, S. 1072. 142 Protokoll 1929, S. 91. 143 Ebd., S. 92. 144 Ebd., S. 101; vgl. auch S. 55 f. 145 Ebd., S. 36 u. S. 101. 146 Vgl. dazu besonders Frankfurter Volksstimme, 01.04., 30.05., 09.06., 16.06., 03.07. u. 01.10.1931. 147 Vgl. exemplarisch die Beiträge im Diskussionsorgan „Das freie Wort“: H. 9/1929, S. 11 u. H. 11, S. 28 ff.; H. 44/1930, S. 7; H. 47, S. 14, H. 52, S. 30; H. 12/1931, S. 31 f.; H. 22; H. 23, S. 57; H. 30, S. 32; H. 32, S. 32 u. H. 34, S. 32. 148 Vgl. KK H. 4/1931, S. 125; BVW, 15.11.1930. 149 Vgl. BVW, 25.01.1927. 150 Vgl. BVW, 15.11.1930. 151 Vgl. BVW, 28.09.1925. 152 Gerhard Kaulich a.d.V. 153 Vgl. die Veranstaltungskalender in der Breslauer Volkswacht des Jahres 1924. 154 BVW, 23.01.1926. 155 Zur freigeistigen Bewegung in Breslau vgl. BVW, 31.08.1925. 156 Günter Spruch und Gerhard Kaulich a.d.V. 157 Vgl. BVW, 15.01.1930. 158 Vgl. Klenke 1983, S. 411 ff. u. S. 756 ff. 159 Vgl. BVW, 17.10.1928. 160 Vgl. BVW, 12.09. u. 23.09.1923. 161 Vgl. BVW, 23.03. u. 24.03.1932.

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162 Vgl. Richarz, M. (Hg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1918-1945, Stuttgart 1982, S. 17. Etwas andere Zahlen, aber die gleichen Relationen bei Silbermann, A.: Was ist jüdischer Geist? Zur Identität der Juden, Osnabrück 1984, S. 20 f. 163 Zur Geschichte der Breslauer Volkshochschule vgl. BVW, 02.12.1929. 164 Vgl. u.a. BVW, 08.01.1927, 05.01.1928 u. 08.10.1928. 165 BVW, 02.12.1929. 166 Vgl. BVW, 24.01.1924. 167 B. Hoffmann an L. Brendgens, 28.10.1927 (Kopie des Briefes i.B.d.V.). 168 B. Hoffmann an L. Brendgens, 09.05.1928 (Kopie des Briefes i.B.d.V.). 169 Günter Spruch a.d.V. 170 Generell hierzu Rahden, T. v.: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1869 bis 1925, Göttingen 2000. 171 Vgl. BVW, 09.12.1924. Der schlesische „Bund der Freunde sozialistischer Akademiker“ war erst einen Monat vorher gegründet worden; die Schriftführung oblag zunächst dem Studenten Bernd Hoffmann, die geistige Führung ging von Siegfried Marck aus. In Österreich, Sachsen und Thüringen hatte man bereits 1923 einen solchen „Akademiker-Bund“ geschaffen, dessen Ziel es sein sollte, auch Arbeiterkindern den Weg zur Universität zu eröffnen und die sozialistischen Studenten in ihren Bildungs- und Agitationsbemühungen zu unterstützen; vgl. BVW, 27.10.1924. 172 Grebing, H.: Jüdische Intellektuelle und ihre politische Identität in der Weimarer Republik, in: Mitteilungsblatt des Instituts für Soziale Bewegungen, H. 34/2005, S. 11-24, hier S. 12. 173 BVW, 06.12.1928. 174 B. Hoffmann an L. Brendgens, 23.08.1928 (Kopie des Briefes i.B.d.V.). 175 Insgesamt zu dieser Stimmung ZiaҶtkowski, L.: Die Geschichte der Juden in Breslau, Wrocław 2000, S. 98 ff.; auch Blaschke, O.: „Das Judenthum isolieren!“. Antisemitismus und Ausgrenzung in Breslau, in: Hettling, M./Reinke, A./Conrads, N. ( Hg.): In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole, Hamburg 2003, S. 167-184. 176 H.P. a.d.V. 177 Den Begriff „Arbeiter-Intellektuelle“ prägte Siegfried Marck in Bezug auf die Jungsozialisten. Er wollte damit einen Menschentypus charakterisieren, der im Wirtschaftsprozess Handarbeiter ist, „seine Freizeit aber den Ideen für die Befreiung der Arbeiterklasse widmet“; in: Junge Kämpfer, Breslau, H. 7/1929. 178 Hans Stephan a.d.V. 179 Fred Lynn (d.i. Fritz Lewy) a.d.V. 180 Günter Spruch a.d.V. 181 Fred Lynn a.d.V.

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182 F. Lewy: Das Programm des Jungsozialismus, in: Für die Arbeiterjugend, H. 10/1925. 183 Vgl. BVW, 22.05.1926. 184 F. Lewy: Stellungskrieg im Klassenkampf, in: Für die Arbeiterjugend, H. 7/1926. 185 Vgl. Breslauer Jüdisches Gemeindeblatt, H. 4/1930, S. 61 u. H. 6/1930, S. 93. 186 Marck, S.: Deutsche Staatsgesinnung, München 1916. 187 Vgl. Allgemeiner Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands: Stenographische Berichte vom 16.-21. Dezember 1918 im Abgeordnetenhaus zu Berlin, Berlin 1919, Sp. 334-335. 188 BVW, 29.04.1924. 189 Vgl. BVW, 14.11.1922. 190 BVW, 29.04.1924. 191 Vgl. u.a. BVW, 14.11.1922, 16.08.1923, 20.03.1924, 15.06. u. 10.11.1926, 11.01. u. 19.11.1927, 20.07. u. 14.12.1928, 02.01. u. 23.09.1929. 192 Vgl. BVW, 03.05. u. 14.05.1928 (Titel der Revue: „Hoppla, wir wählen“), 30.10. u. 16.11.1929 („In Stadt und Land ihr Arbeitsleute“), 02.09.1930 („Der Bürgerblock am Hakenkreuz“). 193 Vgl. BVW, 14.11.1922. 194 Vgl. Marck, S.: Marxistische Staatsbejahung, Breslau 1924, S. 33. 195 Ders. 1927, S. 42. 196 Ebd., S. 35. 197 Vgl. BVW, 12.02.1927. 198 Vgl. BVW, 30.09.1921. 199 BVW, 03.06.1922; ähnlich BVW, 16.10.1923. 200 Vgl. BVW, 12.07.1922. 201 Das gleiche geschah u.a. auch in Düsseldorf und Köln; vgl. RZ, 07.07.1922. 202 Vgl. BVW, 12.07.1922 u. 26.01.1923. 203 Marck 1924, S. 29. 204 Vgl. ebd., S. 33. 205 Vgl. BVW, 10.11.1926. 206 Vgl. BVW, 12.02.1927. 207 BVW, 21.08.1928. 208 BVW, 06.12.1928. 209 Vgl. Sperber, M.: Die vergebliche Warnung, Wien 1975, S. 215; Schröder, H.-C.: Fritz Sternbergs Imperialismustheorie, in: Sternberg 1981, S. 38-75, hier S. 65. 210 Das freie Wort, 15.12.1929; vgl. auch BVW, 06.12.1928. 211 Vgl. Mitteilungsblatt des Sozialdemokratischen Intellektuellenbundes, H. 5/1930, S. 14. 212 Vgl. ebd.

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213 Zu Sternberg vgl. Grebing, H.: Fritz Sternberg (1895-1963). Ein unorthodoxer Marxist und Lehrer einer Generation junger Sozialisten: Wider den Absturz in die Barbarei, in: Lösche/Scholing/Walter (Hg.) 1988, S. 391-406. 214 Vgl. BVW, 19.12.1924 u. 11.03.1926. 215 Vgl. BVW, 20.02. u. 03.03.1930. 216 Vgl. BVW, 03.03.1930. 217 Zu diesem Sozialismusverständnis jüngst, wenngleich nicht neu: Saage, R.: Zur Rezeption und Aktualität des Austromarxismus. Das Beispiel Otto Bauer, in: Amon/Teichgräber (Hg.) 2010, S. 9-22. 218 Mayer 1982, S. 136. 219 Vgl. ebd., S. 137; vgl. auch LVZ, 08.07.1931. Ganz anders urteilte im Rückblick der frühere Berliner Jungsozialist und spätere Chefredakteur der jüdischen Wochenzeitung Aufbau in New York, Hans Steinitz: „Der theoretische Kopf der Jungsozialisten war damals unbestritten Fritz Lewy, der Schwager von Seydewitz; ich halte nach wie vor Lewy für unendlich viel intelligenter als Fritz Sternberg, dessen Bücher heute rückblickend total falsch, einseitig, oberflächlich und hohl erscheinen.“ In: Mitteilung von Hans Steinitz a.d.V. 220 Jenssen, O.: Erziehung zum politischen Denken, Berlin 1931, S. 33. 221 BVW, 13.12.1924. 222 Mitteilung des ehemaligen schlesischen Bezirkssekretärs Richard Monden, der nach eigenen Angaben zusammen mit den kommunistischen Studenten Kurt Nixdorf, Hans Metze u.a. an den Kursen der „Marxistischen Arbeitsgemeinschaft“ teilgenommen hatte; einen ähnlichen Hinweis enthält auch der Brief von Bernd Hoffmann an Lis Brendgens vom 01.12.1931 (Kopie i.B.d.V.). 223 F. Sternberg: Der Imperialismus, Berlin 1926. Zur Interpretation des Werkes vgl. auch Grebing 1977, S. 121 ff.; Schröder 1981, S. 38 ff. 224 Sternberg 1926, S. 76. 225 Ebd., S. 350 f. 226 Ebd., S. 350. 227 Ebd., S. 358. 228 Vgl. BVW, 24.07.1925. Die Ablehnung des Heidelberger Programms war bei den Jungsozialisten allgemein. Neben den Hofgeismarern und den „Marxisten“ wandten sich auch die IJBler – die ebenfalls über den Mangel an klassenkämpferischer Verve klagten – gegen das Programm. Überdies bemängelten die Nelsonianer das Fehlen eines konstruktiven Agrarprogramms; vgl. dazu Casseler Volksblatt, 05.10.1925. Lobende Worte hatten sie dagegen für das Görlitzer Programm gefunden; vgl. Hellmut Rauschenplat: Der Klassenkampf – eine sittliche Forderung?, in: RZ, 08.08.1925. 229 Vgl. u.a. BVW, 08.12.1925, 11.02., 16.03., 22.03. u. 18.10.1927. 230 Vgl. u.a. BVW, 20.08. u. 05.12.1928, 16.02.1929. Anfang 1930 begründete man dies gar damit, dass die Koalitionspolitik „faschistische Tendenzen“ stärke; vgl.

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BVW, 08.01.1930. Das rote Zentrum der Breslauer SPD, die Abteilung Nikolaitor, wollte die Breslauer Reichstagsabgeordneten sogar darauf verpflichten, in jedem Falle gegen die Regierung Hermann Müller zu stimmen; vgl. BVW, 17.03.1930. 231 Vgl. BVW, 15.05.1930; Das freie Wort, 01.06.1930, S. 31 f. 232 Zum SKB und den Auseinandersetzungen mit dem Reichsbanner vgl. Storm/Walter 1984, S. 52 ff. 233 Vgl. besonders die Revue „In Stadt und Land ihr Arbeitsleute“, die insgesamt fünfzehn Mal vor der Wahl für die Stadtverordneten und den Provinziallandtag am 17.11.1929 aufgeführt wurde; vgl. BVW, 30.10.-16.11.1929. 234 Vgl. BVW, 12.08. u. 13.08.1928, 02.08.1929, 12.08.1930, 12.08.1931. 235 Dazu besonders exemplarisch BVW, 05.08., 09.08. u. 12.08.1929. 236 Vgl. BVW, 25.01.1927. 237 Vgl. BVW, 09.02.1928. 238 Vgl. BVW, 21.02.1928. 239 Vgl. BVW, 06.03., 07.03. u. 10.03.1928. 240 Vgl. BVW, 09.02.1929, 01.02.1930. 241 Vgl. dazu BVW, 07.03., 11.03. u. 23.03.1929; vgl. auch KK H. 8/1929, S. 256. Fünf dieser neun Stadtverordneten waren übrigens Gewerkschaftssekretäre (Voigt, Ruffert, Klar, Meise und Kreuser). 242 Vgl. dazu BVW, 29.01.1931; vgl. auch KK H. 4/1931, S. 125. 243 Vgl. BVW, 24.05. u. 01.06.1928. 244 Über die langjährige Rolle der Jungsozialisten im Funktionskörper der Breslauer SPD vgl. den ungemein aufschlussreichen Artikel des mittelschlesischen Bezirkssekretärs H. Bretthorst: Die Ausrede der Ertappten, in: BVW, 03.10.1931. 245 So ein Vorwurf der RZ, 09.02.1931. 246 Vgl. u.a. RZ, 21.08.1928, 18. u. 28.01.1929, 13. u. 14.10.1930, 09.02. u. 28.04.1931. 247 So hat ihn zumindest Fritz Stern noch in Erinnerung, vgl. Stern, F.: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen, München 2007, S. 105. 248 So auf einer Parteiversammlung im März 1927, als er die Jungsozialisten (JS) gegen Vorwürfe in Schutz nahm; vgl. BVW, 22.03.1927. 249 Vgl. dazu K. Mache: Clara Zils-Eckstein, in: Arbeiterwohlfahrt, 01.05.1931, S. 274 ff.; Clara Zils-Eckstein war im Februar 1931 verstorben; vgl. auch: Das freie Wort, 01.03.1931; BVW, 24.02.1931. 250 Vgl. dazu einen aufschlussreichen Vortrag von Prof. Dr. v. Auer vor den Beamten und Angestellten der Breslauer Fürsorgeämter, BVW, 26.01.1927. 251 Vgl. RZ, 08.06.1928. 252 Vgl. RZ, 12.01.1930. 253 Vgl. BVW, 26.01.1927. 254 Vgl. Driske, P.: Der Wirtschaftsorganismus Groß-Breslau. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeographie einer Großstadt, Berlin 1936, S. 67.

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255 Vgl. BVW, 18.01.1930; RZ, 12.01.1930. 256 Vgl. BVW, 23.12.1925; 02.07.1926; 21.06.1929; KK H. 23/1930, W. 720a; Das freie Wort, 15.12.1929. 257 Vgl. BVW, 23.12.1925 u. 26.01.1927. 258 Vgl. Lenski, G.E.: Power and Privilege. A Theory of Social Stratification, New York u.a. 1966. 259 Hirschmann, A.: Engagement und Enttäuschung. Über das Schwanken der Bürger zwischen Privatwohl und Allgemeinwohl, Frankfurt am Main 1984, S. 25. 260 Vgl. JB H. 4/1926, S. 125; JB H. 5/1927, S. 157; JB H. 11/1927, S. 347; JB H. 3/1928, S. 95. Von den 500 Mitgliedern Ostsachsens kamen 250 auf die zwölf Dresdener Juso-Gruppen; vgl. JB H. 3/1929, S. 91. 261 Die Jusos hatten insgesamt 3000 Mitglieder; vgl. AdsD, Bestand Sozialistische Jugendinternationale, Fragebogen vom 26.03.1929 u. 14.01.1930, Jungsozialistische Vereinigung der SPD (Berlin), Mappe 41. 262 Zu Schröder vgl. Müller, H.-H.: Karl Schröder (1884-1950). Ein Linksradikaler Intellektueller in (und außerhalb) der SPD, in: Lösche/Scholing/Walter (Hg.) 1988, S. 299-314. 263 Auskunft von Karl Kunze, Walter u. Jenny Pöppel, Reinhold Walz, Walter Fabian, Ernst Fröbel. 264 Schreiben von Helmut R. Wagner an Hans-Harald Müller von Anfang Oktober 1975 (Kopie i.B.d.V.). 265 Reichenbach geriet dabei in Konkurrenz zu dem ebenfalls unermüdlich agitierenden und schulenden Linkssozialisten F. Sternberg, der sich zu diesem Zeitpunkt viel in den Städten des Ruhrgebiets und des Niederrheins aufhielt und die Kaderbildung des Linkssozialismus forcierte. 266 Mitteilung von Karl Kuntze a.d.V. 267 Mitteilung von Reinhold Walz u. Ernst Fröbel an den Verf.; vgl. auch Ihlau, O.: Die Roten Kämpfer. Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Meisenheim am Glan 1969, S. 37. 268 Mitteilung von Walter Pöppel a.d.V. 269 U.a. den Vorsitzenden der „Zentralen Arbeitsgemeinschaft“ Walter Pöppel, den Unterbezirksvorsitzenden Siegfried Wagner und v.a. den Bildungsreferenten Franz Blazejcak. 270 Zu Freital vgl. Walter, F.: Freital. Das „Rote Wien Sachsens“, in: Walter, F./Dürr, T./Schmidtke, K.: Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora, Bonn 1993, S. 39-181, hier S. 98 ff. 271 Vgl. KK, 15.01.1930, S. 42. 272 Ebd., S. 40. 273 JB H. 10/1928, S. 299. 274 Ebd.

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275 Ebd., S. 302. 276 KK, 15.01.1930, S. 40. 277 Ebd. 278 Ebd., S. 42. 279 JB H. 6/1929, S. 177. 280 Vgl. den Vortrag von Helmut Wagner vor der Freitaler SAJ, in: Freitaler Volkszeitung, 11.10.1930. 281 Vgl. Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 32 f. 282 Vgl. KK, 01.05.1930, S. 274 u. Mitteilung von R. Meyer, K. Grobe und H. Hoose a.d.V. 283 So eine typische Stimme aus dem linken SAJ-Lager, in: AJ H. 3/1930, S. 70. 284 Vgl. auch Gröschel, R.: Einheit oder Reinheit? – die SAJ zwischen SPD-Treue und Linkssozialismus. Die Abspaltung des SJV im Spiegel der Dokumente, in: …interventionen…, Jg. 1 (1991) H. 2, S. 141-183, hier S. 149 f. 285 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 38. 286 Ebd. Die sächsische Delegation hatte insgesamt nur 26 Vertreter, was zeigt, wie verbreitet die oppositionelle Stimmung auf der Reichskonferenz war. 287 Siehe vor allem den Redebeitrag von K. Zweiling, vgl. ebd., S. 43 u. KK, 01.05.1930, S. 271. 288 KK, 01.03.1930, S. 152. 289 Der Leipziger Werner Zorn dachte auch strategisch stets in Juso-Kategorien. Schon die SAJ-Reichskonferenz in Leipzig 1928 war für ihn – in Anspielung an den „Hannoveranerkreis“ – das Hannover der SAJ auf dem Weg zum „Ergebnis Jena“; KK, 15.05.1928. 290 Mitteilung von R. Meyer, K. Grobe für Bremen/Hamburg, H. Hoose für Bochum, E. Schmidt für Berlin. Schmidt teilte dem Verf. mit, dass man eigentlich von Berliner Seite für Max Schwarz bzw. Hans Seigewasser optiert hätte. 291 Auskunft von Robert Meyer 292 Verband der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands: Bericht über die 8. Reichskonferenz des Verbandes der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands am 18. und 19. April 1930 im Volkshaus zu Lüneburg, Berlin 1930, S. 52. 293 Vgl. beispielhaft JB H. 7/1930, S. 216. 294 Mitteilung a.d.V. 295 JB H. 11/1929, S. 349. 296 Ebd., S. 347 f. 297 JB H. 6/1930, S. 167.

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298 Ebd., S. 175. 299 JB H. 9/1930, S. 273. 300 JB H. 6/1930, S. 169, H. 7/1930, S. 221, H. 8/1930, S. 254. 301 JB H. 7/1930, S. 214. 302 Ebd., S. 214 u. S. 220. 303 Zur Reichsschulungswoche vgl. ebd., S. 212 ff. 304 Sonst koexistierten unterschiedliche Sichtweisen zu inhaltlichen Problemen friedlich nebeneinander, ohne dass man sich im Diskurs aufeinander bezog. Dies änderte sich nun mit der Debatte über „Schwof“ und den Erfordernissen von „Berufsrevolutionären“. 305 JB H. 7/1930, S. 218 f. 306 Am lokalen Beispiel auch Geier, J.: „Die Sorgenkinder“ – Essener Jungsozialisten in der Weimarer Republik, in: Behrens-Cobet (Hg.) 1989, S. 66-70, hier S. 69. 307 JB H. 7/1930, S. 219. 308 JB H. 9/1930, S. 284. 309 JB H. 7/1930, S. 218. 310 JB H. 11/1930, S. 334. 311 JB H. 8/1930, S. 253. 312 Ebd. 313 JB H. 10/1930, S. 318. 314 Ebd., S. 315 ff. 315 JB H. 5/1928, S. 153. 316 Vgl. die politisch zielsichere Begründung des ehemaligen SAJlers Richard Burkhardt, in: Junge Kämpfer, H. 4/1929, S. 6. 317 JB H. 7/1927, S. 198. 318 Mitteilung von Gerhard Kaulich und Heinz Isaak. 319 Mitteilung von Richard Monden. 320 Mitteilung von Jan Pollák. 321 Vgl. Junge Kämpfer, H. 7/1929, S. 3. 322 Mitteilung von Heinz Isaak, W.U. u. Richard Monden; Jan Pollák, Walter Ulbrich; vgl. auch Junge Kämpfer, H. 2/1930, S. 14. 323 Junge Kämpfer, H. 9/1930, S. 101. 324 Junge Kämpfer, H. 11/1930, S. 130. 325 Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Studie von Tjaden, K.H.: Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO). Eine organisationssoziologische Untersuchung zur „Rechts“-Opposition im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1964, S. 147 u. S. 212. Es gab nur noch vereinzelte Übertritte in Berlin und Thüringen. 326 Mitteilung von Walter Ulbrich.

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327 Hierzu auch Jasper, G.: Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1920-1934, Frankfurt am Main 1986, S. 42 ff.; Lehnert, D.: Die Weimarer Republik, Stuttgart 1999, S. 197 ff. 328 Vgl. JB H. 11/1930, S. 330. 329 JB H. 12/1930, S. 367. 330 JB H. 11/1930, S. 348. 331 Bavaj, R.: Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik, Bonn 2005, S. 18. 332 Ebd. 333 Ebd., S. 332. 334 Köster 2005, S. 245 f. 335 Die Funktionärsversammlung der Breslauer SPD antwortete darauf mit einem ausdrücklichen Vertrauensvotum für Ziegler, was Angehörige des rechten Flügels der SPD zur Frage veranlasste, ob man hier nicht einen „sofortigen Trennungsstrich“ ziehen müsse; vgl. FW H. 47/1930, S. 14. 336 KK, 01.12.1930, S. 705. 337 KK, 01.11.1930, S. 644. 338 So Königsberg und Görlitz; vgl. Der Führer, H. 12/1930, S. 190; vgl. auch Der Führer, H. 3/1931, S. 46; KK, 01.12.1930, S. 735. 339 Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Hg.): Gegen die Parteispaltung, Berlin 1931, S. 19 ff. 340 Allein quantitativ bedeutete das den Verlust von 25 % der Mitgliedschaft des Reichsverbandes. Im Reich gab es insgesamt 30.000 Jusos, davon waren 500 in Berlin und 250 in Dresden organisiert. 341 Vgl. JB H. 12/1929, S. 380. 342 JB H. 1/1931, S. 28. 343 Zitiert nach Ferchland, B.: Zur Entwicklung der antimilitaristischen und antifaschistischen Opposition in den sozialdemokratischen Jugendverbänden 1929-1933, Greifswald 1965 (Diss., Dokumentationsanhang), S. 14 f. 344 Vorwärts, 24.11.1930; Unser Weg, H. 2/1931, S. 31. 345 JB H. 1/1931, S. 28. 346 Vgl. Vorwärts, 23.11.1930; JB H. 1/1930, S. 27 ff.; KK, 01.12.1930, S. 735; Junge Kämpfer, H. 12/1930, S. 134; Der Führer, H. 12/1930, S. 191. 347 FW H. 48/1930, S. 8 u. H. 49/1930, S. 27; Vorwärts, 24.11.1930. 348 Vorwärts, 24.11.1930. 349 JB H. 1/1931, S. 27. 350 Ebd. 351 Ebd., S. 28. 352 Ebd. 353 KK, 15.02.1931, S. 125. Die Reichsleitung verurteilte diesen Entschluss.

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354 Mitteilungen von Walter Pöppel und Walter Fabian. 355 KK, 15.04.1931. 356 Mitteilung von Walter Pöppel. 357 Wagner, H.: Organisation und Klasse, in: Bieligk, F. et al. (Hg.): Die Organisation im Klassenkampf. Die Probleme der politischen Organisation der Arbeiterklasse (Nr. 2 der Roten Bücher der Marxistischen Büchergemeinde), Berlin-Britz o. J. (1931), S. 83-130 u. Mitteilung von Walter Pöppel. 358 Vgl. Kampfsignal, 4. Novemberwoche 1932; Ferchland 1965, S. 125. 359 Ein Beispiel dafür in: KK H. 8/1931, S. 245 ff. u. H. 17/1931, S. 537, wo er gegen Gurland polemisierte. 360 Vgl. die Replik von Dora Fabian in: JB H. 5/1931, S. 151. 361 Zu den Dresdner Vorgängen vgl. auch Schmeitzner, M.: Doppelt verfolgt. Das widerständige Leben des Arno Wend, Berlin 2009, S. 28 ff. 362 Vgl. JB H. 3/1931, S. 67 f. 363 Ebd., S. 94. 364 Ebd., S. 95. 365 Zu diesen Vorgängen vgl. auch die allerdings im Übrigen unergiebige Darstellung von Lüpke 1993, S. 84 f. 366 JB H. 3/1931, S. 67. 367 Zum Leipziger Arbeitskreis vgl. Der Führer, H. 2/1931, S. 30; KW H. 5/1931 u. H. 6, S. 90; JB H. 2/1931, S. 60 f. 368 JB H. 3/1931, S. 82. 369 Vgl. JB H. 4/1931, S. 123 f.; dazu als Kritik Dora Fabian in: JB H. 3/1931, S. 81. 370 JB H. 4/1931, S. 123. 371 Wagner 1931, S. 100. 372 KK H. 8/1931, S. 250. 373 Wagner 1931, S. 111 ff. 374 JB H. 5/1931, S. 143. 375 Ebd. 376 Ebd. u. Wagner 1931, S. 122. 377 JB H. 5/1931, S. 132. 378 Ebd., S. 133. 379 Tenfelde, K.: Milieus, politische Sozialisation und Generationenkonflikte im 20. Jahrhundert, Bonn 1998, S. 22 f. 380 Ebd., S. 134. 381 Mittelung a.d.V. 382 Ebd. 383 Ebd. 384 JB H. 5/1931, S. 135. 385 Ebd.

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386 Ebd. 387 Wagner 1931, S. 122. 388 Ebd., S. 99. 389 JB H. 5/1931, S. 136. 390 Ebd., S. 140 f. 391 Aus Gründen einer ausgewogenen Repräsentanz wurden zusätzlich noch die eher „gemäßigten“ Linkssozialdemokraten Wilhelm Liljeberg und Joachim Löffler gewählt. Franz Lepinski hatte im Übrigen auf eine Kandidatur verzichtet. 392 JB H. 5/1931, S. 139. 393 Ebd., S. 141. 394 Wirsching, A.: Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, München 2000, S. 36. 395 Vorwärts, 21.05.1931. 396 FW H. 7/1931, S. 7, H. 10, S. 6 ff. u. H. 19, S. 15. 397 FW H. 22-23/1931, S. 27. 398 Bis dahin war es Usus gewesen, dass ein Mitglied der Juso-Reichsleitung automatisch Gastdelegierter auf den sozialdemokratischen Parteitagen war. 399 Vgl. hierzu JB H. 7/1931, S. 198; KK H. 13/1931, S. 412; Der Klassenkampf, 3. Sonderheft. Das Ergebnis des Leipziger Parteitages, Berlin 1931, S. 11. 400 Obwohl dies eine kurzsichtige Strategie war, da die angestrebte Nominierung der oppositionellen Kräfte gegen die Tolerierungspolitik natürlich auch die Verhandlungspositionen und das „Erpressungspotential“ der SPD-Spitze in Gesprächen mit Brüning über die weitere Duldung der Politik der Regierung schwächen musste. 401 NBfS H. 7/1931, S. 328. 402 Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Leipzig, 31. Mai-5. Juni, Berlin 1931, S. 203 f. 403 Ebd., S. 204. 404 Ebd., S. 200. 405 Ebd. 406 So das Urteil der bürgerlich-demokratischen Frankfurter Zeitung vom 05.06.1931. 407 Ebd., S. 231. 408 Ebd., S. 295. 409 Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Leipzig, 31. Mai-5. Juni, Berlin 1931, S. 238. 410 Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Leipzig, 31. Mai-5. Juni, Berlin 1931, S. 265. 411 KK, 01.07.1931, S. 412.

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412 Bezeichnenderweise wurde der erste Ortsverein der SAP in Breslau gebildet – der einzigen größeren Stadt Deutschlands, in der es gelang, auch eine stattliche Zahl von Parteifunktionären und kommunalen Mandatsträgern für die neue Partei zu gewinnen. Ähnlich wie in Berlin, Dresden, München und anderen Städten traten die ehemaligen Jusos auch in Breslau in ihrer großen Mehrheit zur SAP über. Demgegenüber blieben ehemals führende Juso-Funktionäre wie Lepinski, Trude und Karl Wiechert, R. Eisner, O. Lamm, Arno Wend, Leo Friedmann, W. Liljeberg und J. Löffler in der SPD. 413 Die Fackel, 02.10.1931.

X. K ONKLUSION 1

UND

AUSBLICK

Über soziale Bewegungen als Indikatoren gesellschaftlicher Umbrüche vgl. auch Raschke, J.: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß, Frankfurt am Main/New York 1985, S. 76 f.

2 3

Wehler 2003, S. 345. Vgl. bspw. und keineswegs durchweg uninteressant: Illies, F.: Generation Golf. Eine Inspektion, Berlin 2000; Reichelt, M.: Wenn ich mal groß bin – Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche, Frankfurt am Main 2008; Fritzen, F.: Plus Minus 30 …oder die Suche nach dem perfekten Leben, Düsseldorf 2009; Brater, J.: Generation Käfer. Unsere besten Jahre, Frankfurt am Main 2005; Mohr, R.: Generation Z oder von der Zumutung, älter zu werden, Berlin 2003; Bonner, S./Weiss, A.: Generation Doof. Wie blöd sind wir eigentlich?, Bergisch Gladbach 2008; Leggewie, C.: Die 89er – Porträt einer Generation, Hamburg 1995.

4 Vgl. etwa die Beiträge in: Jureit U./Wildt, M. (Hg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005. Auch: Kohli, M.: Ungleichheit, Konflikt und Integration – Anmerkungen zur Bedeutung des Generationenkonzepts in der Soziologie, in: Künemund, H./Szydlik, M. (Hg.): Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 2009, S. 229-237; ebenfalls: Zinnecker, J.: „Das Problem der Generationen“. Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischem Text, in: Reulecke, J.: Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 33-58; schließlich: Weisbrod, B.: Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 55 (2005) H. 8, S. 3-9. 5

Für die Jugendbewegung jener Jahre insgesamt hat Ulrich Herrmann die Widersprüchlichkeiten so zusammengefasst: „Die Jugendbewegung war bis zu ihrem gewaltsamen Ende durch die Nazis durch innere Ambivalenzen charakterisiert: Sie war konservativ und progressiv, romantisch und politisch, rechts- und linkslastig, versponnen und entschieden; sie bedeutete immer zugleich Aufbruch und Vereinnahmung, konkrete Utopie und Selbstillusionierung.“ In: Herrmann, U.: „Zurück zur Na-

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tur“ und „Vorwärts im Geist“. Das Janusgesicht der deutschen Jugendbewegung, in: Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung, Jg. 3/2006, Schwalbach am Taunus 2007, S. 326-350, hier S. 341. 6

Im Lichte der Erfahrungen beurteilte Helmut Wagner 1946 seine eigenen Vorschläge der Weimarer Jahre anders: „Die Frage ist nicht mehr, wie können die Sozialisten den Bürgerkrieg anfangen, die einzige Frage ist, wie können sie ihm ausweichen. Es dürfte möglich sein, dass eine der vorhandenen großen Mächte, sagen wir Russland oder die USA, noch einen Krieg überstehen können, unter furchtbarer Dezimierung und Zerstörung im eigenen Lande und unter der totalen Vernichtung des Gegners. Zu glauben, dass revoltierende Arbeiter, mit welchen Mitteln auch immer, sich gegen Rockets, Flugzeuge und Atombomben siegreich behaupten können, ist mehr als ich zustande bringen kann.“ Schreiben von Helmut Wagner an Bernhard Reichbach von 1946 (Kopie i.B.d.V.). Dann signalisierte Wagner seinen früheren Freunden: „Dieser Brief ist eine umfassende Absage an alle politischen Theorien des Marxismus“. Wagner arbeitete in den USA ab 1941 in seinem alten Beruf als Werkzeugmacher, worüber er sich zunächst befriedigt gegenüber Karl Schröder brieflich äußerte: „Ich habe herausgefunden, dass ich im Grunde doch ein Arbeiter geblieben bin. Der Geruch von Maschinenöl sagt mir mehr zu als der von Papier.“ In: Schreiben von Helmut Wagner an Karl Schröder vom 16.06.1946 (Kopie i.B.d.V.). 1951 nahm er dennoch das Studium der Soziologie auf, promovierte 1955, wurde danach Professor in Bucknell und New York, dort einer der führenden Vertreter der phänomenologischen Soziologie. Wagner starb im April 1989; vgl. hierzu http://www.uni-konstanz.de/soz-archiv/autoren.html [eingesehen am 24.02.2011].

7 8

Bavaj 2005, S. 489. Vgl. auch Schildt, A.: National gesinnt, jugendbewegt und antifaschistisch – die Neuen Blätter für den Sozialismus, in: Grunewald, M. (Hg.): Das linke Intellektuellenmilieu, seine Presse und seine Netzwerke (1890-1960), Bern 2002, S. 363-390; Vogt, S.: Der Antifaschismus der sozialdemokratischen Jungen Rechten. Faschismusanalysen und antifaschistische Strategien im Kreis um die „Neuen Blätter für den Sozialismus“ in den letzten Jahren der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 48 (2000) H. 11, S. 990-1011.

9

Vgl. RZ, 27.12. 1932; vgl. auch die Briefe und Bestellungen im Nl. Wilhelm Sollmann in: Historisches Archiv der Stadt Köln, Mappe 552.

10 Vgl. HE, 13.01. u. 17.01.1933; RZ, 16.01.1933; Deutsche Republik, H. 2-3/1932-33, S. 304 ff.; Bienstock, G.: Kampf um die Macht. Zur neuen Politik der Sozialdemokratie, Berlin 1932, S. 13. 11 Vorwärts, 07.01.1933. 12 HE, 07.01.1933. 13 Vorwärts, 07.01. u. 10.01.1933; HE, 13.01. u. 25.01.1933. 14 Vgl. auch Vogt 2008, S. 31 ff.

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15 Vgl. hierzu auch Falter, J.W.: Hitlers Wähler, Darmstadt 1991, S. 364-374. 16 Vgl. besonders Mommsen, H.: Die Sozialdemokratie in der Defensive: Der Immobilismus der SPD und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in: ders. (Hg.): Sozialdemokratie zwischen Klassenbewegung und Volkspartei, Frankfurt am Main 1974, S. 106-133. 17 Vogt 2006, S. 458. 18 Hierzu auch Lösche, P./Walter, F.: Zur Organisationskultur der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Niedergang der Klassenkultur oder solidargemeinschaftlicher Höhepunkt?, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 15 (1989) H. 4, S. 511-536. 19 Vgl. Schley 1987, S. 328. 20 Vgl. Peukert, D.J.K.: Jugend zwischen Krieg und Krise. Lebenswelten von Arbeiterjungen in der Weimarer Republik, Köln 1987, S. 221. 21 Vgl. Mewes, B.: Die berufliche Gliederung der deutschen Jugend, in: Das Junge Deutschland, Jg. 23 (1929) H. 10, S. 381-387, hier S. 386. 22 Vgl. Reise, O.: Der junge Angestellte, in: Das Junge Deutschland, Jg. 25 (1931) H. 2, S. 381 ff. 23 Vgl. hierzu Winkler, E.: Die Politik und ihre Gesetze, Jena 1930, S. 195. 24 Als Hintergrundanalyse insgesamt Schäfer, R.: SPD in der Ära Brüning. Tolerierung oder Mobilisierung? Handlungsspielräume und Strategien sozialdemokratischer Politik 1930-1932, Frankfurt am Main 1987. 25 Vgl. Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Das Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Leipzig, 31. Mai-5. Juni, Berlin 1931, S. 203 f. 26 Vgl. Das freie Wort, 15.06.1930, S. 23 ff. u. die heftige Replik von Ollenhauer, in: Das freie Wort, 20.07. 1930, S. 6 ff.; zu Heine auch Appelius, S.: Heine. Die SPD und der lange Weg zur Macht, Essen 1999. 27 Vgl. LVZ, 06.01.1930. 28 Vgl. bspw. Der Führer, H. 2/1930,S. 24 f. 29 Vgl. Der Führer, H. 7/1930, S. 145 f. u. H. 12/1932, S. 188. 30 Zur Entwicklung der Jungsozialisten bis Mitte der 1960er Jahre vgl. Oberpriller, M.: Jungsozialisten. Parteijugend zwischen Anpassung und Opposition, Bonn 2004, S. 66 ff. 31 Sehr scharfsinnig dazu: Dönhoff, M. Gräfin: Wenn die SPD verliert…, in: Die Zeit, 22.08.1957; auch: o.V.: Was wird aus der SPD?, in: Die Zeit, 17.09.1953; Welter, E.: Nur ein Phantom?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.09.1953. 32 Harm, S./Walter, F.: „Plébiscite de tous le jours“, in: Hensel, A./Kallinich, D./Rahlf, K. (Hg.): Parteien, Demokratie und gesellschaftliche Kritik, Stuttgart 2011, S. 321 ff.

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Personenregister

Adam, Hans 191 Adler, Friedrich 246, 282, 307, 324 Adler, Max 99, 115, 146 f., 152, 238-46, 247, 248, 253, 259, 260, 261, 263 f., 276, 279, 287, 304, 347, 348 Arzt, Arthur 300 Aufhäuser, Siegfried 301 Barthel, Max 21 Bärwinkel, Auguste 197 Bauer, Otto 83, 97, 119, 140, 147, 244, 246, 252, 253 f., 261, 265, 287, 344, 347, 361 Baumann, Edith 187 Baumann, Grete 172, 197, 198 Baumeister, Heinz 100 Bebel, August 235 Behrisch, Arno 173 Berenz, Horst 311 Berg, Otto 215 Berlowitz, Kurt 230, 231 Blazejcak, Franz 326, 337 Blencke, Erna 132 Blum, Emil 112 Bolte, August 64, 122, 124, 143 Born, Max 126 Bräuer, Martin 161

Braun, Otto 61, 230 Braunthal, Alfred 81, 248, 287 Breitbach, Erich 334, 337 Brendgens, Lis 274, 276 Brenner, Kurt 150 Bröger, Karl 21, 27, 49, 50 f., 82, 84, 86, 101, 279 Brüning, Heinrich 13, 82, 171, 231, 308, 322 Calhoun, Arthur 248 Cassirer, Ernst 281 Claudius, Hermann 24 Cohn, Jonas 281 Courths-Mahler, Hedwig 212 Croner, Fritz 258 Crummenerl, Siegmund 39 Dahrendorf, Gustav 39, 42, 89, 143, 154, 279, 394 (Fn. 37) Decker, Georg 258 Dehn, Günther 213 Deist, Heinrich 89, 90, 96, 108, 110, 143, 148, 365, 367 Deutsch, Julius 252, 265, 412 (Fn. 128) Draeger, Hans 92 Drott, Karl 189

450 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

Ebert jr., Friedrich 39, 67 Ebert, Friedrich 20, 42, 60, 87, 174, 294 Eckardt, Hans von 98f. Eckert, Erwin 111 Eckstein, Ernst 39, 276, 294, 296, 297, 298, 299, 318 Edel, Oskar 300 Eichendorff, Joseph von 25 Eichler, Willi 132, 133, 149, 151, 365, 367 Engels, Friedrich 140, 265 Fabian, Dora 320, 328, 334, 337 Fabian, Walter 187, 301 f., 305, 307f. Fäse, Erich 46, 65 Felsen, Max (alias Max Pietrowski) 272 Fließ, Walter 133, 134 Fraenkel, Ernst 81, 249 Frahm, Herbert 257, 397 (Fn. 34) Frey, Hugo 296 Friedländer, Otto 229 Friedmann, Leo 315, 332, 391 (Fn. 54), 424 (Fn. 412), Fröhbrodt, Käthe 197 Funke, Kurt 182 f. Ganghofer, Ludwig 212 Gnoß, Ernst 183 Goldberg, Werner 57 Goldenberg, Boris 178 Goldstein, Arthur 302 f. Graf, Georg Engelbert 81, 82 f., 86, 123 f., 131, 150, 154, 184, 233 f., 248, 249, 254, 330, 334, 335, 336, 349, 384 (Fn. 134), 386 (Fn. 19), 410 (Fn. 84) Greiner, Oskar 81

Grimme, Adolf 282 Grützner, Edwin 25 Gurland, Arkadij (eigentl. Arcadius Rudolf Lang Gurland) 246, 279, 391 (Fn. 54) Hahnewald, Conrad 160 f. Haubach, Theodor 81, 90, 94, 97, 101, 103, 106, 108, 111, 119, 148, 149 f., 179, 284, 344, 345, 347, 388 (Fn. 79), 391 (Fn. 54) Heilmann, Ernst 269 Heimann, Eduard 52, 54, 112 f., 114, 115, 118, 240, 241 Helf, Wilhelm 18 Heller, Hermann 30, 37 f., 55, 76, 80, 93, 94-8, 99, 101, 103, 108, 145-8, 284, 344, 347, 394 (Fn. 45) Helling, Fritz 135 Hennig, Arno 308 Hennig, Gustav 78, 81 Hermberg, Paul 30 Hermes, Gertrude 37 Herre, Alfred 81 Hilbert, David 125 Hilferding, Rudolf 53, 59, 117, 136, 140, 258, 293, 319 Hobson, John A. 289 Hodann, Maria 133, 134, 143, 148, 149, 393 (Fn. 37) Hodann, Max 81, 133, 175, 212 Hoffmann, Bernd 274 f., 276, 414 (Fn. 171) Hoffmann, Heinrich 254, 384 (Fn. 133) Hofmann, Willi 185 Höltermann, Karl 39 Hönigswald, Richard 281, 282 Hoose, Heinz 184 f.

P ERSONENREGISTER

Hornung, Heinz 122, 134, 143 Husserl, Edmund 125 Jacobsen, Otto 100 Jaurès, Jean 94, 344 Jenssen, Otto 81, 83, 233, 246, 247, 249, 251, 262, 315, 330, 332, 347, 409 (Fn. 53) Jovishoff, Albert 184 Kaliski, Martin 275 Kanitz, Otto Felix 81 Kappel, Willi 135 Kaulich, Gerhard 270 Kautsky, Karl 20, 117, 304 Keller, Robert 39, 42, 89, 153, 394 (Fn. 37) Kettig, Otto 182 f. Kindt, Heinz 181 Klein, Felix 125 Koch, Walter 48, 49-51, 57 Korsch, Karl 81, 315 Kressmann, Willi 334, 337 Kretzschmar, Theodor 217 f., 220, 222, 223 f., 225 Krüger, Wilhelm 335 Krummschmidt, Oskar 64, 277, 278, 288, 312 Kühnemann, Eugen 281 Künstler, Franz 324 l’Aigle, Alma de 51 f., 53, 56, 379 (Fn. 21) Lamm, Otto 39, 64, 65 f., 84, 86, 393 (Fn. 37) Landau, Lola 281 Laumann, Kurt 391 (Fn. 54) Lepinski, Franz 149, 153, 154, 236, 248, 261, 266, 267, 277, 309, 310 f., 324 f., 327 f., 332 f.,

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334, 349, 350, 359, 394 (F. 37), 423 (Fn. 391), 424 (Fn. 412) Levi, Paul 45, 248, 303, 410 (Fn. 86) Lewy, Fritz (alias Fred Lynn) 148, 149, 150, 152, 180, 242, 270, 275, 277-9, 287, 312-4, 315, 327, 329, 333, 337, 348, 350, 407 (Fn. 16), 416 (Fn. 219) Liebermann, Kurt 326 Liebknecht, Karl 174, 309 Liebmann, Hermann 62 Liljeberg, Wilhelm 423 (Fn. 391), 424 (Fn. 412) Löbe, Paul 296 Löffler, Joachim 423 (Fn. 391), 424 (Fn. 412) Löns, Hermann 25 Lösche, Bruno 39, 42, 67, 86 f. Löwenstein, Kurt 205 Ludwig, Walter 35, 64 Lukács, Georg 134-41, 152, 241, 284, 297, 343 Luxemburg, Rosa 45, 174, 282, 286, 289, 292, 397 (Fn. 34) MacDonald, Ramsey 97 Mache, Karl 269, 296 Man, Hendrik de 155, 240, 243 Marck, Siegfried 30, 99, 138, 246, 247, 271, 273, 276, 279-86, 297, 346, 414 (Fn. 171), 414 (Fn. 177) Marx, Karl 64, 116, 270, 289, 313, 325, 326, 337 Marx, Wilhelm 178 Mayer, Hans 137, 184, 275, 287 Mennicke, Carl 30, 112, 113-5, 138, 240, 344 Metz, Alfred 185 f. Metze, Hans 416 (Fn. 222)

452 | „R EPUBLIK, DAS IST NICHT VIEL “

Meusel, Alfred 30 Mierendorff, Carlo (auch Carl) 81, 94, 106, 336, 345 Miller, Susanne 125 Monden, Richard 317, 416 (Fn. 222) Müller, Emil Reinhard 26, 43 Müller, Hermann 236 Müller, Paul 268 Naphtali, Fritz 258 Natorp, Paul 49, 50, 51 Nelson, Leonard 99, 125-34, 144, 150, 153, 154, 178, 240, 346, 366, 394 (Fn. 38) Neumann, Bruno 237 Niekisch, Ernst 92, 99-104, 105-8, 145, 153, 154, 279, 344, 345 Nixdorf, Kurt 416 (Fn. 222) Obermayr, Benedikt 57, 86, 100 Oestreich, Paul 36 Ollenhauer, Erich 158, 160, 161, 164, 166, 169, 170 f., 176, 183, 189, 207, 225, 308, 309, 310, 311, 336, 359, 360-2, 363 f., 366 Oppenheimer, Franz 54 Oppler, Kurt 274, 275 Osterroth, Franz 22, 30, 39, 42, 47, 48 f., 51, 57, 65, 67, 89, 91, 92 f., 100, 102, 105, 106, 108, 110, 143, 148, 150, 153, 154, 160, 394 (Fn. 37) Otto, Walter 77, 178, 180 Pape, Walter 168 Pietsch, Fritz 272 Pietsch, Karl 296 Polenz, Fritz 69, 75, 185, 186 Pollák, Jan 317

Pöppel, Walter 287, 301 Popper, Karl R. 130 Prenner, Josef 287 Radbruch, Gustav 30, 52 f., 54, 55, 394 (Fn. 57) Ragaz, Leonhard 112 Raloff, Karl 67, 87, 267 f. Rathmann, August 42, 48, 65, 67, 81, 89, 110 f., 117, 118 f., 279, 351 Reichenbach, Bernhard 302, 418 (Fn. 265) Reichwein, Adolf 80 Rettig, Max 288 Richter, Georg 337 Rickert, Heinrich 281 Rosendahl, Ernst 122, 133, 134-40, 144, 148, 149, 152, 178 f., 180, 240, 241, 287, 407 (Fn. 16) Rosenfeld, Kurt 187, 301, 335, 337 f. Ruffert, Max 295, 296 Russell, Bertrand 130 Rüstow, Alexander 112 Sachs, Hans 25 f., 73, 157, 340 Scheidemann, Philipp 20 Schifrin, Alexander 140, 179 Schmidt, Erich 399 (Fn. 91) Schmitz, Hermann 91 Scholz, Gustav 296, 393 (Fn. 37) Schramm, Alfred 295 Schröder, Karl 255, 261, 302 f., 304, 305, 331, 400 (Fn. 91), 425 (Fn. 6) Schröter, Otto 179 Schuler, Reinhold 331, 334, 337 Schult, Johannes 41 Schulz, Heinrich 202, 268

P ERSONENREGISTER

Schulz, Paul 73 Schwab, Alexander 302 Seger, Gerhard 251 f. Seifert, Clemens 250, 316, 318, 337 Seigewasser, Hans 323, 326, 334, 337, 419 (Fn. 290) Severing, Adolf 182 Seydewitz, Max 184, 187, 294, 301 f., 322, 335, 337 f. Siemsen, Anna 166, 167, 246, 248, 267, 320 Simons, Hans 120 Sinzheimer, Hugo 30, 52, 54 f., 229 Sollmann, Wilhelm 275, 351 f. Springer, Hermann 76 Spruch, Günter 275, 277 Stammer, Otto 229 Stechert, Kurt 302 Stein, Alexander 248, 249 f., 265, 315, 330, 331 f., 379 (Fn. 68) Stein, Philipp 92 Stephan, Hans 277 Sternberg, Fritz 99, 184, 258, 271, 276, 279, 285, 286-93, 297, 317, 331, 337, 346, 347, 348, 418 (Fn. 265) Stierle, Georg 64, 132, 268 Ströbel, Heinrich 262 Stürgkh, Graf Karl 282, 307 Sturmfels, Wilhelm 30 Suchan, Kurt 334 Thomas, James 187 Tillich, Paul 54, 99, 112, 113, 114, 115-6, 120, 240, 279, 344, 347 Toller, Ernst 174, 271 Triebe, Josef (Sepp) 305, 308, 309, 326, 337 Turß, Hans 18

Utermann, Julius Vogel, Hans

| 453

135, 178, 179 f.

267 f.

Wagner, Helmut 187, 254-6, 258 f., 266, 277, 279, 300, 301, 302, 303, 304, 305 f., 308, 325 f., 329 f., 331 f., 333, 337, 347 f., 411 (Fn. 92), 425 (Fn. 6) Walcher, Jacob 187 Waldmann, Hans 265 Warburg, Gustav 106-8 Weber, Gustav 171, 192 Wegener, Kurt 67, 84 f., 86, 87, 143, Weichhold, Arthur 85 f. Wels, Otto 87, 318, 324 f., 361, 366 Wend, Arno 326, 424 (Fn. 412) Westphal, Max 85, 86, 87, 143, 150, 160, 161, 162, 189, 192, 203, 206 f., 209, 210, 309, 337 Wiechert, Fabian 320 Wiechert, Karl 22, 132, 180, 248, 407 (Fn. 16) Wiechert, Trude 261, 266, 320, 424 (Fn. 412) Winkler, Erich 81 Wittfogel, Karl August 81 Witthöft, Paul 64 f., 122 Wolf, Eduard („Ede“) 275 Wolfers, Arnold 112 Zeigner, Erich 62 Zickler, Artur 46, 65 Ziegler, Hans 322, 421 (Fn. 335) Zils, Clara (auch Zils-Eckstein) 39, 297, 417 (Fn. 249) Zorn, Werner 167, 310 Zweiling, Klaus 184, 187

Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen Johanna Klatt, Robert Lorenz (Hg.) Manifeste Geschichte und Gegenwart des politischen Appells 2010, 446 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1679-8

Franz Walter »Republik, das ist nicht viel« Partei und Jugend in der Krise des Weimarer Sozialismus Juni 2011, 456 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1832-7

Robert Lorenz Protest der Physiker Die »Göttinger Erklärung« von 1957 Juni 2011, 400 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1852-5 ^

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